Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge: Band 9 Texte zur Wissenskultur 9783641219956

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Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge: Band 9 Texte zur Wissenskultur
 9783641219956

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Texte aus der Umwelt des Alten Testaments Neue Folge

Texte aus der Umwelt des Alten Testaments Neue Folge

Begründet von Otto Kaiser Herausgegeben von Bernd Janowski und Daniel Schwemer in Verbindung mit Karl Hecker, Andrea Jördens, Jörg Klinger, Heidemarie Koch, Ingo Kottsieper, Matthias Müller, Norbert Nebes, Hans Neumann und Herbert Niehr Redaktion: Annette Krüger, Tübingen

Gütersloher Verlagshaus

Texte aus der Umwelt des Alten Testaments Neue Folge Band 9

Texte zur Wissenskultur Daniel Arpagaus, Pascal Attinger, Eckart Frahm, Gösta Gabriel, Rita Gautschy, Karl Hecker, Jens Høyrup, Annette Imhausen, Andrea Jördens, Kristin Kleber, Jörg Klinger, Heidemarie Koch, Ingo Kottsieper, Jan Moje, Matthias Müller, Hans Hubertus Münch, Hans Neumann, Herbert Niehr, Joachim Oelsner, Mathieu Ossendrijver, Susanne Paulus, Joachim Friedrich Quack, Walther Sallaberger, Daniel Schwemer, Susanne Töpfer, Juliane Unger, Niek Veldhuis

Gütersloher Verlagshaus

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2020 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen. Umschlaggestaltung: Init GmbH, Bielefeld ISBN 978-3-641-21995-6 www.gtvh.de

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX I. Texte aus Mesopotamien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Neumann

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1. Weltbild und Gottesvorstellungen . . . . . . . . . . . 1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schwemer 1.2 Aus den Götterlisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schwemer 1.2.1 Aus der Götterliste An : Anum . . . . . . . . . . 1.2.2 Aus An : Anu : sˇa ame¯li . . . . . . . . . . . . . 1.3 Tintir – das heilige Babylon . . . . . . . . . . . . . . Karl Hecker 1.3.1 Tafel I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Tafel II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Tafel IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Tafel V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Assoziative Liste mit geheimem Wissen des Beschwörers Karl Hecker 1.5 Die babylonische Weltkarte . . . . . . . . . . . . . . Karl Hecker 1.6 Ein Plan der babylonischen Stadt Nippur . . . . . . . Joachim Oelsner 1.7 Die Sintflut und der Bau der Arche . . . . . . . . . . Daniel Schwemer

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2. Reflexion der Vergangenheit und Geschichtskonzeptionen . . 2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Neumann 2.2 Fluch über Akkade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Attinger 2.3 Die älteste Version der Chronik der einzigen Monarchie (›Sumerische Königsliste‹) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gösta Gabriel

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V

Inhalt

3. Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schwemer 3.2 Mathematische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Høyrup 3.2.1 Eine Verteilungsaufgabe aus Sˇuruppak . . . . . . . . . . . 3.2.2 Altbabylonische Pachtzinsberechnung, umgekehrt . . . . . 3.2.3 Wieviel Mathematik beherrschten Assurbanipal und seine gelehrten Schreiber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Babylonische mathematische Astronomie . . . . . . . . . . . . . Mathieu Ossendrijver 3.3.1 Prozedurtext für Saturn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Synodische Tabelle mit akronychalen Aufgängen von Saturn . 3.3.3 Prozedurtext für den Mond . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Astronomische Tagebücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Hecker 3.4.1 Beobachtungen in den Monaten Kislı¯mu bis Addaru, Jahr 12 von Artaxerxes III. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Die Mondfinsternis vom 19. Januar 67 v. Chr. . . . . . . . . 3.5 Hemerologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Hecker 3.5.1 Der Babylonische Almanach . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Kurzfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Babylonische und assyrische Kommentartexte . . . . . . . . . . . Eckart Frahm 3.6.1 Ein Kommentar zum babylonischen Weltschöpfungsepos Enu¯ma elisˇ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.2 Ein spätbabylonischer Kommentar zu einem astrologischen Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausbildung, Schreiber- und Gelehrtenkultur 4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schwemer 4.2 Schreiber- und Gelehrtenbriefe . . . . . . Karl Hecker 4.2.1 Schulaufgaben . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Schreiber bei der Arbeit . . . . . . . 4.2.3 Schreibe Akkadisch! . . . . . . . . . 4.2.4 Einschub eines Schaltmonats . . . . 4.2.5 Gelehrte Schreiber aus Ninive . . . . 4.2.5.1 Issar-sˇumu-e¯resˇ . . . . . . . 4.2.5.2 Bala¯sı¯ . . . . . . . . . . . . 4.2.5.3 Adad-sˇumu-usur . . . . . . 4.2.5.4 Urdu-Nana¯ja ˙. . . . . . . . .

VI

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Inhalt

4.2.5.5 Ze¯ru-ibni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5.6 Urdu-Nabû . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Lexikalische Texte und Schultexte . . . . . . . . . . . . . . . Niek Veldhuis 4.3.1 Die frühesten Epochen: 3200-2000 v. Chr. . . . . . . . . 4.3.2 Altbabylonische Zeit (2000-1600 v. Chr.) . . . . . . . . 4.3.3 Mittelbabylonische Zeit (1500-1000 v. Chr.) . . . . . . . 4.3.4 Das 1. Jt. v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Texte des juristischen Curriculums der Schreiberausbildung . . Hans Neumann 4.4.1 Zwei altbabylonische Vokabular- und Formulartexte (Sippar-Tradition) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1.1 Fragment einer altbabylonischen Übungstafel . . 4.4.1.2 Auszug aus einer mehrkolumnigen Keilschrifttafel 4.4.2 Ein altbabylonischer Formulartext (Nippur-Tradition) . 4.4.3 Aus der der zweisprachigen Serie ana ittisˇu . . . . . . . 4.4.3.1 Auszug aus Tafel 2 (Darlehensrecht) . . . . . . . 4.4.3.2 Auszug aus Tafel 2 (Kaufrecht) . . . . . . . . . 4.4.3.3 Auszug aus Tafel 6 (Erbrecht) . . . . . . . . . . 4.4.3.4 Auszug aus Tafel 7 (Prozessrecht) . . . . . . . . 4.4.3.5 Auszug aus Tafel 7 (Familienrecht) . . . . . . . 4.4.4 Eine sumerisch-literarische Gerichtsurkunde, die Defloration einer Sklavin betreffend . . . . . . . . . . . 4.4.5 Hausgrundstücksmiete (Mustervertrag) . . . . . . . . . 4.5 Die Graeco-Babyloniaca . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Oelsner 4.5.1 Zwei Auszüge aus lexikalischen Listen . . . . . . . . . . 4.5.2 Eine Beschwörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Landwirtschaft, Bauwesen und handwerkliche Produktion . 5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Neumann 5.2 Die sumerischen Georgica . . . . . . . . . . . . . . . . . Susanne Paulus 5.3 Wasserbauten in neuassyrischer Zeit . . . . . . . . . . . . Karl Hecker 5.3.1 Die Bavian-Inschrift Sanheribs . . . . . . . . . . . ˇ ervan . . 5.3.2 Bauinschrift Sanheribs am Aquädukt von G 5.4 Handwerkliche Rezepttexte . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schwemer 5.4.1 Glasherstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Herstellung von Duftölen und aromatisierten Salben 5.4.3 Zubereitung von Speisen . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Die Hymne auf die Biergöttin Ninkasi . . . . . . . . . . . Walther Sallaberger

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VII

Inhalt

6. Verwaltung und soziale Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Neumann 6.2 Verwaltung und Organisation des staatlich kontrollierten Handwerks in Ur zur Zeit der III. Dynastie von Ur (21. Jh. v. Chr.) . . . Hans Neumann 6.2.1 Die Einlieferung der Rohstoffe und Materialien in das ›Handwerkerhaus‹ und deren Verteilung an die Handwerker . 6.2.1.1 Silber für die Goldschmiede . . . . . . . . . . . . . 6.2.1.2 Silber für die Herstellung von Ringen . . . . . . . . 6.2.2 Die Kontrolle der Produktion und die Auslieferung der Endprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2.1 Gewichtskontrolle in der Silberverarbeitung . . . . . 6.2.2.2 Gewichtskontrolle in der Goldverarbeitung . . . . . 6.2.2.3 Lieferung eines kunstvoll verzierten Spiegels . . . . 6.2.3 Die Verwaltung des Arbeitskräfteeinsatzes . . . . . . . . . . 6.2.3.1 Handwerkerpräsenzliste mit Nennung der Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3.2 Handwerkerpräsenzliste ohne Nennung von Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3.3 Abstellung von Handwerkern für die Erntearbeit . . 6.3 Neubabylonische Texte zum Steuerwesen (6./5. Jh. v. Chr.) . . . . Kristin Kleber 6.3.1 Indirekte Steuern: Hafenzoll . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Frondienst in Elam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Militärdienst in Opis zur Zeit des babylonischen Aufstandes . 6.3.4 Das Steueraufkommen der Stadt Sˇarraba¯nu . . . . . . . . . 6.3.5 Die Ableistung des Steuerdienstes an anderer Stelle . . . . . 6.3.6 Lieferungen für die »Tafel des Königs« in Abanu . . . . . .

II.

Texte der Hethiter

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Reflexion der Vergangenheit und Geschichtskonzeptionen . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein »Edikt« Hattusˇilis I. (CTH 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . ˘ Mursˇilis II. Schiedsspruch betreffend Barga (CTH 63) . . . . . . . Aus den ausführlichen Annalen Mursˇilis II. (CTH 61.II) . . . . . Aus dem Sˇausˇgamuwa-Vertrag Tuthalijas IV. (CTH 105) . . . . . ˘ Zur Rolle der hethitischen Vorzeichenwissenschaft . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus der Kultpraxis – die Erforschung der Ursachen »Göttlichen Zorns« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hethitische Feldzugsorakel – Mantik als Teil militärischer Planung Die Absicherung der Thronfolge Tuthalijas IV. durch Orakel . . . ˘

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Jörg Klinger 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 VIII

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Inhalt

3. 3.1 3.2 3.3 3.4

Verwaltung und soziale Organisation von Staat und Wirtschaft Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus den Hethitischen Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . Aus dem sogenannten Telipinu-Erlaß (CTH 19) . . . . . . . . Aus der Instruktion für die Kommandeure der Grenzposten (CTH 261) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Aus den Gerichtsprotokollen (CTH 293) . . . . . . . . . . .

III.

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Texte aus Syrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Herbert Niehr 1. Weltbild und Gottesvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Ein Hymnus auf die Sonnengöttin (KTU 1.6 VI 43-53) . . . . . 1.2 Die Sitze des Gottes El . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Die ugaritische Tradition (KTU 1.4 IV 20-24) . . . . . . . 1.2.2 Die anatolische Tradition (KTU 1.1 III 21-24; 1.2 I 19-21) 1.2.3 Die mittelsyrische Tradition (KTU 1.22 VS I 21-25) . . . 1.3 Der Sitz des Gottes Ba2al (KTU 1.4 V 50-65; VI 16-40) . . . . . 1.4 Weitere Göttersitze (KTU 1.100,3-78) . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Der Zugang zur Unterwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Die nördliche Tradition (KTU 1.4 VIII 1-14) . . . . . . . 1.5.2 Die südliche Tradition (KTU 1.108,1-5) . . . . . . . . . . 1.6 Eine Götterliste (KTU 1.118) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Reflexion der Vergangenheit und Geschichtskonzeptionen . . . . 2.1 Der Beitrag der Königslisten (KTU 1.113, 13-26) . . . . . . . . . 2.2 Das Ritual zur Begleitung des Totengeistes eines verstorbenen Königs in die Unterwelt (KTU 1.161, 1-12) . . . . . . . . . . . .

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3. Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Eine astrologische Omensammlung (KTU 1.163; RIH 78/14) . . 3.2 Ein astronomisches Protokoll über eine Sonnenfinsternis (KTU 1.78) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Ein nekromantischer Akt und ein Rezept . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Protokoll einer Befragung zur Heilung von einer Krankheit (KTU 1.124) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Ein Rezept gegen die Auswirkungen von Trunkenheit (KTU 1.114) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Ausbildung, Schreiber- und Gelehrtenkultur . . . . . . . . . 4.1 Ein Alphabettäfelchen in westsemitischer Konsonantenfolge (KTU 5.6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Ein Übungsbrief mit Alphabet und Schreibübung (KTU 5.9) 4.3 Ein Alphabettäfelchen in südsemitischer Konsonantenfolge (KTU 5.27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IX

Inhalt

5. 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7

IV.

Verwaltung und soziale Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Freikauf mit Dienstantichrese (KTU 3.4) . . . . . . . . . . . Eine Freilassung aus dem königlichen Dienst (KTU 3.12) . . . . . Eine königliche Festsetzung zu Erbe und Nachfolge (KTU 3.32) . . Ein Dokument zur Landerschließung (KTU 3.33) . . . . . . . . . Eine Liste von Häusern in unterschiedlichen Städten (KTU 4.810) . Eine Inspektionsliste von Kriegswagen (KTU 4.145) . . . . . . . . Eine Liste mit Schiffsbesatzungen (KTU 4.40) . . . . . . . . . . .

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Texte aus Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Müller / Hans Hubertus Münch 1.1 Wissen!? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Das Verhältnis von Wissen und Wirklichkeit 1.3 Eine Geschichte des Wissens . . . . . . . . 1.4 Zur Auswahl ägyptischer Wissenstexte . . .

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Annalistische und historische Texte der Dritten Zwischenzeit (1079-664 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Moje 2.1 Zu den historischen Textzeugen der Dritten Zwischenzeit in Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Politische Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Regionale Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Naturereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Quellen zu politischen Ereignissen . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Mumienkartonage des Hor . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Stele Scheschonqs I. in Karnak . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Die Chronik des Prinzen Osorkon B . . . . . . . . . . 2.3 Quellen zu regionalen Ereignissen . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Felsstele Scheschonqs I. in Gebel Silsile (»Silsile 100«) . . 2.3.2 Restaurierungsinschrift einer Stele des Men-cheper-Re . 2.3.3 Große Dachla-Stele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Reliefblock des Hor-nacht B . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Graffito des Hor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6 Annalen von Heliopolis . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.7 Annalen der Amun-Priester im Tempel von Karnak . . . 2.3.8 Graffito bezüglich der Begräbnisfeierlichkeiten für Nes-Chons A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Quellen zu Naturereignissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Bericht über eine Überschwemmung des Luxor-Tempels

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2.

X

Inhalt

3.

Zwei Wissenstexte zur Landesgeographie im ptolemäerzeitlichen Tempel von Edfu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Arpagaus 3.1 Eine Abhandlung zur Landesfläche von Ägypten im Tempel von Edfu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die sieben Oasen Ägyptens nach einer Soubassement-Inschrift im Tempel von Edfu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ägyptische mathematische Texte . . . Annette Imhausen 4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Papyrus Rhind . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Titel . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Tabelle n  10 (n = 1-9) . . . . . 4.2.3 Aufgabe 1 . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Aufgabe 7 . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Aufgabe 17 . . . . . . . . . . . . 4.2.6 Aufgabe 22 . . . . . . . . . . . . 4.2.7 Aufgabe 24 . . . . . . . . . . . . 4.2.8 Aufgabe 25 . . . . . . . . . . . . 4.2.9 Aufgabe 26 . . . . . . . . . . . 4.2.10 Aufgabe 35 . . . . . . . . . . . 4.2.11 Aufgabe 39 . . . . . . . . . . . 4.2.12 Aufgabe 41 . . . . . . . . . . . 4.2.13 Aufgabe 44 . . . . . . . . . . . 4.2.14 Aufgabe 45 . . . . . . . . . . . 4.2.15 Aufgabe 50 . . . . . . . . . . . 4.2.16 Aufgabe 51 . . . . . . . . . . . 4.2.17 Aufgabe 56 . . . . . . . . . . . 4.2.18 Aufgabe 61b . . . . . . . . . . 4.2.19 Aufgabe 69 . . . . . . . . . . . 4.2.20 Aufgabe 74 . . . . . . . . . . . 4.2.21 Aufgabe 78 . . . . . . . . . . . 4.3 Papyrus Moskau . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Aufgabe 6 . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Aufgabe 8 . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Aufgabe 11 . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Aufgabe 14 . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Aufgabe 17 . . . . . . . . . . . . 4.3.6 Aufgabe 23 . . . . . . . . . . . . 4.3.7 Aufgabe 25 . . . . . . . . . . . . 4.4 Mathematische Fragmente aus Lahun . 4.4.1 UC32162 (Kahun LV.4) – Spalte I 4.4.2 UC32162 (Kahun LV.4) – Spalte II

318

320 325

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337

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337 340 340 340 341 341 342 342 343 343 344 344 345 346 346 347 347 348 348 349 349 350 350 351 351 352 352 353 353 354 354 354 355 355

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XI

Inhalt

5. Ägyptische Astronomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Gautschy 5.1 Weltbild und Unterteilung des Himmels in den Pyramidentexten 5.2 Der ägyptische Kalender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Siriusdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Zeitmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Wasseruhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Sonnenuhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3 Sternuhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Die Himmelsgöttin Nut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Sternbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Planeten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8 Zodiakos von Dendera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9 Die Astronomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.10 Astrologie und ihre Vorstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.10.1 Tagewählkalender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.10.2 Finsternisomina und andere Mondomina . . . . . . . . . 5.10.3 Horoskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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356

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357 359 360 361 362 362 364 366 367 368 369 370 371 371 372 373

. . . . . . . . . . . .

375

7. Zum medizinischen Wissen der Alten Ägypter . . . . . . . . . . Juliane Unger 7.1 Hintergrundwissen und anatomische Kenntnisse . . . . . . . . . 7.1.1 Papyrus Brooklyn 47.218.75 + 86 . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 pChester Beatty VI, BM EA 10686 . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 pEbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Gefäße, Krankheitsstoffe und das Problem der retrospektiven Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Zur Wirkweise verschiedener Drogen . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Gefahren der Beurteilung von Wirksamkeiten und Möglichkeiten derselben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Statistiken der Behandlungsweisen und Drogen . . . . . . .

377

6. Fragmente eines Handbuches der Färberei Joachim Friedrich Quack

386 388 389 390

8. Das Balsamierungsritual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Susanne Töpfer

392

. . . . . . . . . . . . .

418

10. Das Ritual zum Eintritt in die Kammer der Finsternis . . . . . . . Joachim Friedrich Quack

439

9. Das Balsamierungsritual des Apis-Stieres Joachim Friedrich Quack

XII

377 377 380 384

Inhalt

V.

Texte aus Iran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Heidemarie Koch 1.

Elam – Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2. Iran – Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Weltbild und Gottesvorstellungen . . . . . . . . . 2.2 Götter – Priester – Kulte . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Feuerschürer und das lan-Opfer . . . . . . . 2.2.2 Aufgaben der Feuerschürer in der Verwaltung 2.2.3 Ahuramazda (A) . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Kultstätten und la-an.ku-el . . . . . . . . . 2.2.5 Ahuramazda (B) . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 Opfer für Humban . . . . . . . . . . . . . 2.2.7 Kusˇukum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.8 Fest der Anbetung/Verehrung (d.sˇip) . . . .

VI.

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469

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474 477 480 480 490 494 495 496 497 500 501

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3. 3.1 3.2 3.3 3.4

Ausbildung und Schreiber . . . . . . . . . . . . Handwerker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fremdarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kleinvieh und der Beginn der Bezahlung in Silber Landwirtschaft und Steuern . . . . . . . . . . .

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506 512 513 514 516

4.

Soziale Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

519

5.

Abschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

524

Griechische Texte aus Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 Andrea Jördens 1. Weltbild und Gottesvorstellungen . . . . . . . . . . . . 1.1 Begegnung zwischen Alexander d. Gr. und den indischen Gymnosophisten sowie Listen wissenswerter Dinge (sog. Laterculi Alexandrini) . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Gespräch zwischen Platon und dem Ägypter Peteesis . . 1.3 Zum Umgang mit Blitzeinschlägen in Bildnisstatuen . .

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528

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528 532 533

2. Reflexion der Vergangenheit und Geschichtskonzeptionen . . 2.1 Rekonstruktion der Frühzeit menschlichen und göttlichen Zusammenlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die sog. Leipziger Weltchronik . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Herrscherlisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Liste der ptolemäischen Könige . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Liste der Herrscher über Ägypten von den Persern bis zu Philippus Arabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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534

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534 536 539 539

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540

XIII

Inhalt

3. Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Mathematik und Metrologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Gitternetz mit den Vielfachen natürlicher Zahlen . . . . . . 3.1.2 Additions-, Multiplikations- und Bruchzahlentabellen . . . 3.1.3 Aufstellung von Maßen und Gewichten . . . . . . . . . . . 3.1.4 Aufstellung von Maßen und Währungseinheiten . . . . . . 3.1.5 Geometrische Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Astronomie und Kalender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Astronomischer Kalender aus dem Saites . . . . . . . . . . 3.2.2 Kalender zum 25jährigen Neumondzyklus . . . . . . . . . 3.2.3 Liste attischer und makedonischer Monatsnamen . . . . . . 3.2.4 Liste römischer Monatsnamen unter Caligula . . . . . . . . 3.2.5 Gegenüberstellung römischer und ägyptischer Monatsnamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Mustertext für eine Steuerquittung . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Mustertext für ein Angebot auf die Pacht von Fischereirechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Mustertext für eine Geburtsanzeige . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Mustertext für eine Eingangsbestätigung zu einem Vormundschaftsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Mustertext für eine Zeugenunterschrift zu einer Testamentseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.6 Mustertext für ein Testament . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.7 Mustertext für eine Hinterlegung (Paratheke) . . . . . . . . 3.3.8 Mustertext für Bürgschaft und Pacht . . . . . . . . . . . . 3.3.9 Mustertext für eine Unterschrift zu einem Vergleich . . . .

543 543 544 544 545 546 548 550 550 554 555 556

Ausbildung, Schreiber- und Gelehrtenkultur . . . . . . . . . Lehrbuch für verschiedene Unterrichtsstufen . . . . . . . . Vertrag über eine Ausbildung zum Kurzschriftschreiber . . . Zusatzvertrag mit neun Schreibern in der Verwaltung . . . . Korrespondenz über Schriftwerke . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Bericht über philologische Aktivitäten . . . . . . . . 4.4.2 Bitte um die Abschrift eines Prosawerkes . . . . . . . 4.4.3 Bitte um den ersten Gesang der Ilias . . . . . . . . . 4.4.4 Korrespondenz unter Bücherfreunden . . . . . . . . 4.4.5 Bitte um einen Büchertausch . . . . . . . . . . . . . 4.4.6 Quittung über den Erhalt eines Buches zur Illustration 4.5 Liste der philosophischen Schulhäupter . . . . . . . . . . .

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563 563 566 567 568 568 569 569 569 570 571 571

5. Handwerk und Landwirtschaft . . . . . . . . . . 5.1 Baugewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Grundriß eines Hauses . . . . . . . . . . 5.1.2 Kostenvoranschlag für Umbaumaßnahmen

. . . .

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572 572 572 573

4. 4.1 4.2 4.3 4.4

XIV

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556 557 557 558 559 559 560 560 560 561 562

Inhalt

5.1.3 Kostenvoranschlag für Dekorationsarbeiten . . . . 5.1.4 Kostenvoranschlag für Vergoldungsarbeiten an der Kassettendecke des antinoitischen Gymnasiums . 5.2 Alchemistische Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Veredelung von Silber . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Schwarzfärbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Zwei Kochbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Entwurf zur Anlage eines Landgutes im Fayyu¯m . 5.4.2 Anweisung zur Zweierntenwirtschaft . . . . . . . 5.4.3 Bemühungen um neue Obst- und Rebsorten . . . 5.4.4 Zur Anpflanzung von Wein- und Olivenkulturen . 5.4.5 Begleitschreiben zur Lieferung der Ableger . . . . 5.4.6 Kalender mit Weinbauarbeiten . . . . . . . . . . 6. 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6

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574

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574 576 577 577 578 581 582 584 584 585 585 586

Verwaltung und soziale Organisation . . . . . . . . . . . . . . . Nachschlagewerk zur Landvermessung . . . . . . . . . . . . . . Verteilung von Dammarbeiten auf verschiedene Ortschaften . . Überlassung eines Quartiers in einer neugegründeten Stadt . . . Pflege der Kontakte zur Heimatgemeinde . . . . . . . . . . . . Aufstellung über Fest- und Krankheitstage . . . . . . . . . . . . Rechts- und Vertragswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.1 Bestimmungen zur Prozeßeinleitung . . . . . . . . . . . 6.6.2 Bestimmungen zur Gestalt von Darlehensverträgen . . . . 6.6.3 Betrauung von Tempelschreibern mit notariellen Aufgaben 6.6.4 Gestalt und Bearbeitung demotischer Verträge . . . . . .

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587 587 588 589 590 590 591 592 593 593 594

Zeittafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597

XV

Vorwort Mit dem Titel Texte zur Wissenskultur richtet der letzte Band der Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge den Fokus auf einen Sachverhalt, der den wenigsten vertraut sein dürfte. Denn es ist ein hartnäckiges Vorurteil, daß die Kulturen der vorhellenistischen Antike keine Wissenskulturen im eigentlichen Sinn dieses Wortes waren. Zu sehr scheinen sie, wenn man etwa an den Umgang mit Krankheit denkt, auf Praktiken zu beruhen, deren Logik sich dem modernen Bewußtsein nicht erschließen will. Ähnliches gilt auch für die Welt der Götter und Göttinnen, deren Verhaltensweisen und Aktionen zuweilen undurchsichtig und willkürlich anmuten. Dabei liegen seit den 1950er Jahren mit den Darstellungen von H. Frankfort u. a., Frühlicht des Geistes und S. N. Kramer, Geschichte beginnt mit Sumer 1) Werke vor, die von Sachkennern verfasst wurden und ebenso kompetent wie elementar in die Wissenskulturen des antiken Vorderen Orients einführten. Es hat lange gedauert – länger jedenfalls als in Amerika, England oder Frankreich –, bis auch hierzulande die Ägyptologie und die Assyriologie Werke hervorbrachten, die nicht nur einen Zugang zur »Eigenbegrifflichkeit« (B. Landsberger) der mesopotamischen und ägyptischen Kultur eröffneten, sondern die auch deren epistemologische Leistungen würdigten und verständlich machten. Stellvertretend sei der von H. Neumann herausgegebene Band Wissenskultur im Alten Orient 2) genannt. Ihm an die Seite zu stellen sind aus dem englischsprachigen Raum die beiden Monographien M. van de Mieroop, Philosophy before the Greeks und F. Rochberg, Before Nature. 3) Damit wurde einer interessierten Öffentlichkeit bewusst, wie anders, aber auch wie konstruktiv sich die Kulturen Ägyptens und des Alten Orients den Fragen des Wissenserwerbs und der Wissensvermittlung zugewendet haben. Die Formen dieses Wissenserwerbs waren nach Maßgabe der geographischen, sozialen und politischen Gegebenheiten in Mesopotamien, Ägypten, Anatolien, Syrien-Palästina, im Iran und in Altsüdarabien zwar unterschiedlich, aber immer auf die komplexen Anforderungen des Alltags abgestimmt. In diesem Sinn hat es sich der vorliegende Schlußband der TUAT.NF zur Aufgabe gemacht, die religiösen, mantischen, medizinischen, rechtlichen, historiographischen, mathematischen, astronomischen, astrologischen, schriftgelehrten, agrarischen, handwerklichen und sozialen Aspekte des Lebens in den Kulturen aus der Umwelt des Alten Testaments anhand repräsentativer Texte darzulegen und zu erläutern. Im 1.

2. 3.

H. Frankfort / H. A. Groenewegen Frankfort / J. A. Wilson / Th. Jacobsen / W. A. Irwin, Frühlicht des Geistes (Urban-Taschenbücher 9), Stuttgart 1954 (die 2. Aufl. erschien 1981 unter dem Titel »Alter Orient – Mythos und Wirklichkeit«, engl. The Intellectual Adventure of Ancient Man, 1946) und S. N. Kramer, Geschichte beginnt mit Sumer. Berichte von den Ursprüngen der Kultur, München 1959 (engl. History Begins at Sumer. Thirty-Nine Firsts in Man’s Recorded History, 1956). H. Neumann, Wissenskultur im Alten Orient. Weltanschauung, Wissenschaften, Techniken, Technologien (CDOG 4), Wiesbaden 2012. M. van de Mieroop, Philosophy before the Greeks. The Pursuit of Truth in Ancient Babylonia, Princeton / Oxford 2016 und F. Rochberg, Before Nature. Cuneiform Knowledge and the History of Science, Chicago / London 2016.

XVII

Vorwort

Vordergrund steht dabei die Wechselwirkung zwischen dem Erwerb des Wissens und seiner praktischen Anwendung in den Lebenswelten Ägyptens, Mesopotamiens, Kleinasiens, Syriens und des Iran. TUAT.NF 9 entspricht in Aufbau und Machart den bisherigen Bänden und bildet mit seinen Texten, die noch nicht in TUAT.NF 1–8 enthalten sind, zugleich einen thematischen Abschluß. Das Erscheinen dieses Bandes gibt uns Gelegenheit, zurückzuschauen. Als wir im Jahr 2002 mit der Arbeit begannen – TUAT.NF 1 erschien 2004 (bis Bd. 4 wurde die Reihe von B. Janowski und G. Wilhelm, ab Bd. 5 von B. Janowski und D. Schwemer herausgegeben) –, waren das Ausmaß und die Laufzeit des Projekts noch nicht klar. Diese Klarheit stellt sich erst nach und nach ein und ist der unermüdlichen, klugen und pünktlichen Mitarbeit der zahlreichen Autorinnen und Autoren zu verdanken. Wir erinnern uns sehr gerne an die jährlichen Herausgeberkonferenzen, die jedes Mal ein Beispiel gelungener Interdisziplinarität waren und besonders dem alttestamentlichen Mitherausgeber immer neu vor Augen führten, was der Zusatz » … aus der Umwelt des Alten Testaments« im Titel der Reihe bedeutet. Was er bedeutet, ist im Vorwort zu TUAT.NF 1 (2004) VII festgehalten und von keinem der Autorinnen und Autoren je in Zweifel gezogen worden. Ein Publikationsprojekt wie TUAT.NF kommt aber letztlich nur zustande, wenn es Verlage und Verleger gibt, die mutig sind und sich nicht durch noch so naheliegende Rentabilitätserwägungen von seiner Realisierung abhalten lassen. Diesen Mut hat D. Steen, der Programmleiter des Gütersloher Verlagshauses, bewiesen und sich nicht davon abhalten lassen, an den jährlichen Herausgebertreffen teilzunehmen. Ihm und seinem Mitarbeiterteam gebührt unser herzlicher Dank. Tübingen und Würzburg, im Juli 2020

XVIII

Bernd Janowski / Daniel Schwemer

Abkürzungen Die Abkürzungen des vorliegenden Bandes folgen in der Regel S. M. Schwertner (Hg.), IATG3. Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben, Berlin / New York 2014. Für einzelne Fachbereiche wird zudem auf folgende Verzeichnisse verwiesen: – Online Egyptological Bibliography: http://oeb.griffith.ox.ac.uk (Ägyptologie) – Checklist of Editions of Greek, Latin, Demotic, and Coptic Papyri, Ostraca, and Tablets: http://www.papyri.info/docs/checklist (Ägyptologie und Papyrologie) – Abbreviations for Assyriology: http://cdli.ox.ac.uk/wiki (Altorientalistik, Assyriologie) – Hethitische Bibliographie: http://www.hethiter.net/hetbib (Altorientalistik, Hethitologie) – ElW 2, 1317-1331 (Altorientalistik, Altiranistik) Darüber hinaus werden verwendet: AB ABL ACF ACHETA AH AJPh AMM ARCANE ARG ASJ AulOr(Suppl) AVO BAM BCLE BdE BEJ BGU BKT BL BPOA BSA BSAE BSAK BSEG CAT

Assyriologische Bibliothek R. F. Harper, Assyrian and Babylonian Letters, Chicago 1892-1914 Annuaire du Collège de France Achet – Schriften zur Ägyptologie / A Aegyptiaca Helvetica American Journal of Philology American Mathematical Monthly Associated Regional Chronologies for the Ancient Near East and the Eastern Mediterranean Archiv für Religionsgeschichte Acta Sumerologica Aula Orientalis (Supplementa) Altertumskunde des Vorderen Orients Die babylonisch-assyrische Medizin in Texten und Untersuchungen Bulletin du Cercle Lyonnais d’Égyptologie Victor Loret Bibliothèque d’Études, Institut Français d’Archéologie Orientale Birmingham Egyptology Journal Ägyptische Papyri aus den Königlichen (später: Staatlichen) Museen zu Berlin, Griechische Urkunden Berliner Klassikertexte Berichtigungsliste der griechischen Papyrusurkunden aus Ägypten Biblioteca del Proximo Oriente Antiguo Bulletin on Sumerian Agriculture Publications of the Egyptian Research Account Studien zur altägyptischen Kultur: Beihefte Bulletin de la Société d’Egyptologie de Genève M. Dietrich / O. Loretz / J. Sanmartín, The Cuneiform Alphabetic Texts from Ugarit, Ras Ibn Hani and Other Places (KTU: Second, enlarged edition), Münster 1995

XIX

Abkürzungen

CDLI CDLJ CDLP CE CHANE CII CLeO CM Comunicazioni CPh CR CRAI CTH

CTN CUSAS DAFI DBH ElW ETCSL FGrHist GDG GM GMTR GOF HACL HeBAI HANE/S HdJbb Hist. Math. Hom. Hymn. Hom. Il.; Od. HZL ISCANEE JEH KAL KASKAL KRI LAS LBAT LD XX

Cuneiform Digital Library Initiative (https://cdli.ucla.edu) Cuneiform Digital Library Journal Cuneiform Digital Library Preprints Chronique d’Égypte Culture and History of the Ancient Near East Corpus Inscriptionum Iranicarum Classica et Orientalia Cuneiform Monographs Comunicazioni dell’Istituto Papirologico « G. Vitelli » Classical Philology Classical Review Comptes rendus de l’Académie des Inscriptions Catalog der Texte der Hethiter – Catalogue des textes hittites – Catalogue of Hittite Texts (E. Laroche, fortgeführt von S. Kosˇak und G. G. W. Müller unter Mitarbeit von S. Görke und Ch. Steitler): http://www.hethiter.net/ CTH Cuneiform Texts from Nimrud Cornell University Studies in Assyriology and Sumerology Cahiers de la Délégation Archéologique Française en Iran Dresdner Beiträge zur Hethitologie W. Hinz / H. Koch, Elamisches Wörterbuch, Berlin 1987 The Electronic Text Corpus of Sumerian Literature: http://etcsl.orinst.ox. ac.uk Die Fragmente der griechischen Historiker H. Gauthier, Dictionnaire des noms géographiques contenus dans les textes hiéroglyphiques, Teil 1-7, Kairo 1925-1931 Göttinger Miszellen. Beiträge zur ägyptologischen Diskussion Guides to the Mesopotamian Textual Record Göttinger Orientforschungen History, Archaeology and Culture of the Levant Hebrew Bible and Ancient Israel History of the Ancient Near East. Studies Heidelberger Jahrbücher Historia Mathematica Homer, Hymnen Homer, Ilias; Odyssee E. Neu / Ch. Rüster, Hethitisches Zeichenlexikon (StBoT Beiheft 2), Wiesbaden 1989 International Scholars Conference on Ancient Near Eastern Economics Journal of Egyptian History Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts KASKAL: Rivista di storia, ambienti e culture del Vicino Oriente Antico K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions, Historical and Biographical, I-VII, Oxford, 1969-1990 S. Parpola, Letters from Assyrian Scholars to the Kings Esarhaddon and Assurbanipal, Winona Lake 22007 A. J. Sachs, Late Babylonian Astronomical and Related Texts, copied by T. G. Pinches and J. N. Strassmaier, Providence 1955 C. R. Lepsius, Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien, Berlin 1849-1859

Abkürzungen

LGG

Ch. Leitz (Hg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen, Leuven 2002-2003 LIH L. King, The Letters and Inscriptions of Hammurabi, London 1889-1900 LRS Leipziger rechtswissenschaftliche Studien MAJA Münchner Arbeitskreis Junge Aegyptologie MC Mesopotamian Civilizations MHET Mesopotamian History and Environment, Texts MIO Mitteilungen des Instituts für Orientforschung MPER Mitteilungen aus der Sammlung der Papyrus Erzherzog Rainer MRÉ Monographies Reine Élisabeth MVAeG Mitteilungen der Vorderasiatisch-Aegyptischen Gesellschaft NH Nag Hammadi OA Oriens Antiquus OECT Oxford Editions of Cuneiform Texts OPSNKF Occasional Publications of the Samuel Noah Kramer Fund Pap. Brux. Papyrologica Bruxellensia Pap. Colon. Papyrologica Coloniensia PCG R. Kassel / C. Austin (Hg.), Poetae comici Graeci, Berlin 1983-2001 PdÄ Probleme der Ägyptologie Philologus Philologus: Zeitschrift für antike Literatur und ihre Rezeption Plin., Hist. Nat. Plinius, Historia Naturalis PMMA Publications of the Metropolitan Museum of Art Egyptian Expedition PNA S. Parpola u. a. (Hg.), The Prosopography of the Neo-Assyrian Empire, Helsinki 1998-2011 POLO Proche Orient et Littérature Ougaritique P. Oxy., pOxy, POxy B. P. Grenfell / A. S. Hunt u. a. (Hg.), The Oxyrhynchus Papyri, London 1898 ff. PRU Le Palais Royal d’Ugarit PSI G. Vitelli u. a. (Hg.), Papiri greci e latini della Società Italiana, Firenze 1912 ff. PTT G. G. Cameron, Persepolis Treasury Tablets (OIP 65), Chicago 1948 QS Qatna Studien QSS Qat˙ na Studien, Supplementa RANT Res˙ Antiquae Rev. Eg. Revue d’Égyptologie RGTC Répertoire Géographique des Textes Cunéiformes RHJE Revue de l’Histoire Juive en Égypte RIMA Royal Inscriptions of Mesopotamia. Assyrian Periods RlA Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie RSOu Ras Shamra-Ougarit. Publications de la Mission Française Archéologique de Ras Shamra-Ougarit SAK Studien zur Altägyptischen Kultur SANER Studies in Ancient Near Eastern Records SAT Studien zum Altägyptischen Totenbuch SB F. Preisigke u. a. (Hg.), Sammelbuch griechischer Urkunden aus Ägypten, Straßburg / Berlin 1913 ff. SB HAW Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften SbÖAW Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften XXI

Abkürzungen

SDIOA SEL SMEA SSR StPhoen Stud. Hell. Suppl. Hell. TB TBC TLB TMH Tyche UET UPZ VS W. Chr. WB, Wb YClS ZRG R.A.

XXII

Studia et documenta ad iura Orientis antiqui pertinentia Studi Epigrafici e Linguistici sul Vicino Oriente Antico Studi Micenei ed Egeo-Anatolici Studien zur spätägyptischen Religion Studia Phoenicia. Travaux du Groupe de Contact Interuniversitaire d’Études Phéniciennes et Puniques Studia Hellenistica H. Lloyd-Jones / P. Parsons (Hg.), Supplementum Hellenisticum, Berlin – New York 1983 Totenbuch Texts from the Babylonian Collection (Yale) Tabulae cuneiformes a F. M. Th. de Liagre Böhl collectae Texte und Materialien der Frau Professor Hilprecht Collection of Babylonian Antiquities im Eigentum der Friedrich-Schiller-Universität Jena Tyche. Beiträge zur alten Geschichte, Papyrologie und Epigraphik Ur Excavation Texts U. Wilcken (Hg.), Urkunden der Ptolemäerzeit, Berlin 1927, 1957 Vorderasiatische Schriftdenkmäler U. Wilcken (Hg.), Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde, Bd. I: Historischer Teil, II. Hälfte: Chrestomathie, Leipzig / Berlin 1912 A. Erman and W. Grapow, Wörterbuch der ägyptischen Sprache, Berlin 1926-1971 Yale Classical Studies Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung

I. Texte aus Mesopotamien

Einleitung Hans Neumann Texte zur Wissenskultur Mesopotamiens in altorientalischer Zeit sind bereits in den vorherigen Bänden der Serie TUAT.NF an verschiedenen Stellen vorgestellt worden, so z. B. im Zusammenhang mit der Überlieferung zur Mantik und Magie (Bd. 4) und zur Heilkunde (Bd. 5). Die im folgenden dargebotenen Texte sollen zum einen die entsprechenden Wissensgebiete durch weitere, bislang nicht thematisierte Bereiche ergänzen, zum anderen aber auch den komplexen Charakter der altmesopotamischen Wissenskultur unter geistes- und gesellschaftsgeschichtlichem Gesichtspunkt noch einmal verdeutlichen. Die der vorliegenden Auswahl zugrundeliegenden konzeptionellen Überlegungen gehen davon aus, daß Wissen und Wissenstradierung sowie die Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens im alten Mesopotamien untrennbar mit der Anschauung von der Welt, also mit einem bestimmten Weltbild verbunden gewesen sind. Die Vorstellung von einer göttlichen Weltordnung, die es gegen die Unordnung, das »Chaos«, zu verteidigen galt, prägte in entscheidendem Maße die Wissenskultur, wobei unter Zugrundelegung eines Wissensbegriffs im umfassenden Sinn auch magische Vorstellungen (als Teil eines geschlossenen Weltbildes) konstitutiver Bestandteil altorientalischer Wissenskultur gewesen sind. 1) Bei den Texten zu Weltbild und Pantheon geht es intellektuell nicht zuletzt sowohl um die Widerspiegelung gesellschaftlicher Verhältnisse (auch unter dem Gesichtspunkt einer Reflexion von Wissen über Gesellschaft) unter identitätsstiftendem und sozial stabilisierendem Aspekt als auch um den durch die religiösen Vorstellungen abgesteckten gesellschaftlichen Handlungsrahmen. 2) Neben der Kennzeichnung der religiös-ideologischen Implikationen der verschiedenen Wissens- und Wissenschaftsbereiche ist die Reflexion von Vergangenheit als Teil von geschichtskonzeptionellen Ansätzen ein wichtiger Punkt in der Wissenstradition und -fundierung des alten Mesopotamien. 1. 2.

Vgl. N. P. Heeßel, Magie in Mesopotamien, in: A. Jördens (Hg.), Ägyptische Magie und ihre Umwelt (Philippika 80), Wiesbaden 2015, 33-52. Vgl. im vorliegenden Zusammenhang S. M. Maul, Der assyrische König – Hüter der Weltordnung, in: J. Assmann / B. Janowski / M. Welker (Hg.), Gerechtigkeit. Richten und Retten in der abendländischen Tradition und ihren altorientalischen Ursprüngen, München 1998, 65-77.

1

Texte aus Mesopotamien

Die den Komplex Wissenschaften repräsentierenden Texte entstammen jenen Bereichen der Wissenskultur Mesopotamiens, die in besonderer Weise ein auf hohem Niveau stehendes wissenschaftliches Denken im orientalischen Altertum dokumentieren. Dies betrifft vor allem die Mathematik und die Astronomie. So kam man, wie z. B. in der Mathematik, zu über den Praxisbezug hinausreichenden theoretischen Problemlösungen. In der altorientalischen Astronomie gelangte man zu Erkenntnissen und Ergebnissen, die – wie auch in der Medizin 3) (und vielleicht auch in der Musik[-Theorie]) 4) – zum Teil weit in die spätere Zeit der Antike und des Mittelalters hineinwirkten. 5) Die Überlieferung der babylonischen und assyrischen Kommentartexte bezeugt frühe hermeneutische Verfahren in einem spezifischen gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld altorientalischer Gelehrtentradition. Wissensbegründung, -tradition und -erweiterung waren eng mit der Vermittlung, dem Erwerb und der Tradierung von Wissen im Rahmen der sog. babylonischen Schule (Edubba3a) im ausgehenden 3. und frühen 2. Jt. v. Chr. und später innerhalb von (zum Teil sehr berühmten) Schreiber- und Gelehrtenfamilien verbunden. Über die Praxis der Schreiberausbildung, das entsprechende Curriculum und die elementaren wie auch intellektuellen Inhalte legen Schultexte verschiedener Form und unterschiedlichen Inhalts sowie eine umfangreiche lexikalisch-literarische Überlieferung beredtes Zeugnis ab. Integraler Bestandteil altmesopotamischer Wissenskultur war stets auch der Praxisbezug von Wissen, sowohl im Rahmen der Gesellschaftsorganisation (Wirtschaft, Recht, Verwaltung, Kult) als auch in der Produktionssphäre (Landwirtschaft, Handwerk) sowie in der Militärtechnik und im Bauwesen. Bereits die frühe Schriftentwicklung mit ihren sachlichen Inhalten im ausgehenden 4. und frühen 3. Jt. v. Chr. läßt deren Relevanz für die staatliche Wirtschafts- und Verwaltungstätigkeit im Rahmen sich entwickelnder komplexer Gesellschaftsstrukturen erkennen. Dabei kam der Ausbildung und Entwicklung der metrologischen Grundlagen sowie einer spezifischen Verwaltungsterminologie besondere Bedeutung zu. Hinsichtlich der Produktionssphäre sind es neben den überlieferten Keilschrifttexten nicht zuletzt auch die archäologischen Hinterlassenschaften, die Auskunft über Wissensanwendung und -transfer in bezug auf Produktionstechniken und Technologien im alten Mesopotamien geben. Weiterführende Literatur: E. Cancik-Kirschbaum / M. van Ess / J. Marzahn (Hg.), Babylon. Wissenskultur in Orient und Okzident (Topoi. Berlin Studies of the Ancient World 1), Berlin / Boston 2011; H. Neumann (Hg.), Wissenskultur im Alten Orient. Weltanschauung, Wissenschaften, Techniken, Technologien (CDOG 4), Wiesbaden 2012; F. Rochberg, 3. 4.

5.

2

Vgl. (mit Literatur) K. Volk, Art. Mesopotamische Medizin, in: K.-H. Leven (Hg.), Antike Medizin. Ein Lexikon, München 2005, 607-609. Zu den entsprechenden altorientalischen Gegebenheiten vgl. ausführlich K. Volk, Musikalische Praxis und Theorie im Alten Orient, in: T. Ertelt / H. von Loesch / F. Zaminer (Hg.), Vom Mythos zur Fachdisziplin: Antike und Byzanz (Geschichte der Musiktheorie 2), Darmstadt 2006, 1-46. Vgl. im Überblick aus wissenschaftstheoretischer Sicht F. Jürß (Hg.), Geschichte des wissenschaftlichen Denkens im Altertum (Veröffentlichungen des ZI AGA der AdW der DDR 13), Berlin 1982, 37-89 (Vorderasien); A. Pichot, Die Geburt der Wissenschaft. Von den Babyloniern zu den frühen Griechen, Frankfurt / New York / Paris 1991, 25-145.

Texte aus Mesopotamien

Before Nature. Cuneiform Knowledge and the History of Science, Chicago / London 2016; K. Schmid / C. Uehlinger (Hg.), Laws of Heaven – Laws of Nature. Legal Interpretations of Cosmic Phenomena in the Ancient World / Himmelsgesetze – Naturgesetze. Rechtsförmige Interpretationen kosmischer Phänomene in der antiken Welt (OBO 276), Fribourg / Göttingen 2016; M. Van De Mieroop, Philosophy before the Greeks. The Pursuit of Truth in Ancient Babylonia, Princeton 2016; E. Cancik-Kirschbaum / J. Kahl, Erste Philologien. Archäologie einer Disziplin vom Tigris bis zum Nil, Tübingen 2018.

3

1. Weltbild und Gottesvorstellungen 1.1 Einleitung

Daniel Schwemer Die Wahrnehmung der natürlichen und menschlich geformten Umwelt bestimmt grundlegend die Vorstellungen, die Menschen von der Welt und ihrem eigenen Ort innerhalb dieser Welt entwickeln. In der über dreitausendjährigen Geschichte der verschiedenen Landschaften und politischen Formationen Mesopotamiens in den altorientalischen Epochen sind vielfältige und divergierende kosmologische und theologische Konzeptionen bezeugt, die jedoch eine Reihe elementarer Auffassungen teilen. Der Mensch lebt auf einer Erde aus Lehm, die an ihren Enden von Salzmeeren umgeben ist. Über der Erde wölbt sich ein gestufter Himmel, in dem als Himmelskörper sichtbare Gottheiten wohnen. In der Tiefe der Erde im Lehm befindet sich die dunkle Unterwelt, wo die Toten unter der Gewalt der schreckenerregenden Gottheiten des »Lands ohne Wiederkehr« ihr Dasein fristen. Getrennt werden Lebende und Tote durch die streng bewachten Befestigungsanlagen der »Großen Stadt« – dies eine weitere Bezeichnung für die Unterwelt – sowie durch den Unterweltsfluß Hubur, die me˘ sopotamische Styx. Die Existenz unterirdischer Wasser führte in Mesopotamien zur Vorstellung eines weiteren kosmischen Bereiches, eines unterirdischen Ozeans (abzu, apsû), der die Quellen und Flüsse speist. Dort drunten residiert der Weisheitsgott Enki-Ea, während seinem älteren Bruder Enlil-Ellil die Sphäre auf der Erde und der Luftraum zwischen Erde und Himmel anvertraut ist. Im Himmel selbst thront ihr Vater, der Himmelsgott An-Anu. Die Erdoberfläche ist die Heimat der lebenden Menschen, dort befinden sich ihre Siedlungen, die Städte mit ihrem kultivierten Umland, die untereinander im Süden Mesopotamiens durch zahlreiche Wasseradern verbunden sind. Außerhalb der vom Menschen bewohnten und kultivierten Bereiche innerhalb der Flußoasen gelangt man in das karge, unbebaute Land, die ›Steppe‹, in der Räuber ihr Unwesen treiben und Dämonen lauern. Ferner noch liegen v. a. im Osten die Berge, der stereotype Herkunftsort der Feinde des mesopotamischen Tieflands, zugleich aber auch ein mythologischer Ursprungsort der Götter und – in Konkurrenz zur Vorstellung als einem Ort tief in der Erde – ein mit der Unterwelt assoziierter Bereich des Kosmos (kur, sˇadû). Aus den Bergen im Osten tritt der Sonnengott morgens hinaus und bringt Licht in die Oberwelt, nachdem er nachts durch die Unterwelt gereist ist. Nach seinem Eintritt in die Unterwelt am Abend richtet er die Toten, so wie er morgens bei seinem Aufgang den Lebenden Gerechtigkeit und den unbescholten Leidenden Rettung bringt. Wie die Menschen sind auch die Götter Teil des Kosmos. In den Siedlungen der Menschen besitzen sie Häuser, in denen ihre göttlichen Statuen und Symbole wohnen und von den Menschen versorgt werden. Viele Teile der Tempel und ihres Inventars werden als Teil der Sakralsphäre selbst als göttlich betrachtet. Neben den großen Tempeln für die Hauptgötter der Stadt oder des Stadtviertels prägen kleinere Schreine das Bild der Straßen und Gassen. So sind die Götter, innerhalb ihrer markierten, beson4

Texte aus Mesopotamien

ders geschützten und reinen Räume, Teil der menschlichen Gesellschaft, und die Vorstellungen, die man mit den Göttern selbst verbindet, sind vielfach anthropo- und soziomorph geprägt. Zugleich sind die Götter dem Menschen unerreichbare und oft unverstehbare Machtwesen, deren furchtbare Gewalt die Ikonographie durch (mehrfache) Hörnerpaare anzeigt, die sie wie ein Wildstier am Kopf tragen. Am Himmel strahlen Mondgott, Sonnengott und Venus in der Ferne, wie auch die anderen Planeten und Sternkonstellationen mit einzelnen Gottheiten assoziiert werden. Die sichtbar geordnete Welt hatte in dieser Form nicht schon immer Bestand, wurde aber auch nicht aus dem Nichts geschaffen. Sie ist vielmehr das Produkt einer fortschreitenden Differenzierung, die nach vielen Quellen ihren Anfang mit der Trennung von Himmel und Erde nimmt und in Generationen zum bekannten Kosmos mit seiner vielfältigen Götterwelt und der von den Gestirnen strukturierten Zeit führt. Eine besondere Rolle in der Urzeit der Welt spielt der Heilige Hügel (du6-kù), der auch innerhalb des entfalteten Kosmos noch als Ort des Schicksalsentscheids gilt und sowohl mit dem unterirdischen Ozean als auch mit dem östlichen Bergland als Grenzbereich zur Unterwelt verbunden wird. Die frühen Götter wohnten in einer Urstadt (iri-ul), die wohl auf diesem Heiligen Hügel lag; die Sakraltopographie der Kultstädte späterer Götterkönige (Nippur als Stadt des Enlil, Babylon als Stadt des Marduk), die man jeweils als Angelpunkt der Welt und Versammlungsort der Götter ansieht, umfassen den Heiligen Hügel. Der Mensch ist ein Spätling in dieser Welt, erschaffen in den bereits vollständig eingerichteten Kosmos vom Weisheitsgott Enki-Ea und der Muttergöttin aus Lehm und dem Blut eines Gottes, um die Erde zu bebauen und so die Götter zu versorgen und die weniger mächtigen Gottheiten von der Arbeit an den Kanälen und auf den Feldern zu befreien. Nach einer anderen Tradition läßt Enlil die Menschen wie Gras aus dem Boden sprossen. In der Frühzeit verkehren die Menschen noch unmittelbar mit den Göttern, auch Tod und Krankheit sind noch unbekannt. Die unbegrenzte Vermehrung der Menschen und ihr Lärmen läßt den Göttern jedoch keine Ruhe. So vernichten die Götter den Frühmenschen fast vollständig durch eine große Flut. Nur ein Mensch, der baby¯ tanapisˇti), überlebt mit seiner Familie und lonische Noah (Ziusudra, Atramhası¯s, U ˘ den Lebewesen der Erde auf einem Boot, das er auf den Rat des Enki-Ea hin gebaut hat. Erschüttert von der furchtbaren Flutkatastrophe und ihrem Vernichtungswerk erschaffen die Götter, die sich durch die Flut auch ihrer Versorger beraubt haben, eine neue Menschengeneration, nun sterblich, unter Mühen gebärend und Krankheiten ausgesetzt. Die Kulturtechniken, vom Städtebau bis zum Schreiberwesen, vermitteln die Götter den Menschen. Ein Fischwesen des Weisheitsgottes Enki-Ea steigt aus dem Meer empor und belehrt die frühen Menschen; die Institution des Königtums kommt vom himmlischen Götterkönig An-Anu zu den Menschen herab. Die Ordnung der Welt liegt unter der Aufsicht der Götter, insbesondere der des Götterkönigs Enlil-Ellil. Festgelegt ist die Weltordnung als Geschicke, die auf einer Keilschrifttafel niedergeschrieben sind (tuppi sˇ¯ıma¯ti »Schicksalstafel«). Wie die Herrschaft mesopotamischer Könige selten ungefährdet ist, so ist auch die Verfügungsgewalt der herrschenden Götter über die Weltordnung nicht unbestritten. Der Raub der Schicksalstafel stürzt die Welt ins Chaos, und nur der junge, heldenhafte Sohn 5

Texte aus Mesopotamien

des Götterkönigs kann den Feind im Bergland besiegen und so die Ordnung der Welt wiederherstellen. Dadurch erweist sich der Krieger selbst als des Königtums würdig und wird zum jungen Götterkönig erhöht. Dieses Mythologem, das v. a. von Ninurta und später von Marduk erzählt wird und ein Junktim zwischen königlicher Herrschaft, militärischem Erfolg und Kontinuität von Ordnung und Prosperität herstellt, ist ein Grundbaustein der babylonischen und assyrischen Königsideologie, die im König selbst – unterschiedlich bebildert – einen der göttlichen Sphäre nahen Menschen sieht. Die Ordnung der Welt schließt das letztendliche Geschick (sˇ¯ımtu) des Menschen, den Tod, ein. In Spannung zur fest gefügten Weltordung, die im regelhaften Lauf der Gestirne, dem Jahreslauf und im Wechsel von Tag und Nacht unmittelbar erfahrbar ist, steht das wechselhafte Schicksal des Individuums. Zeichen in der Welt können als Omina gelesen, und der Wille der Götter auch durch verschiedene Orakeltechniken systematisch erfragt werden. Mit Hilfe von Ritualen kann man die Götter zu einer Revision einmal beschlossener Schicksalsschläge zu bewegen suchen, so wie auch in Krankheit und Leid spezifische Heilmittel und Rituale zur Verfügung stehen, um einen Patienten zu heilen, bedrohliche Schadenskräfte zu beseitigen und die Götter günstig zu stimmen. Man assoziiert Krankheit, Leid und Unglück mit Zorn, Abwendung und Ferne der Götter; Klagen und Gebete sind daher von Bitten um Zuwendung, wirksame Präsenz und den entsprechenden Dankversprechungen geprägt. Die Auseinandersetzung mit den Aporien der menschlichen Existenz in einer Welt, als deren Teil dem Menschen im Grunde wohlgesonnene Gottheiten angesehen werden, können wir in Gebets- und Weisheitsliteratur nachverfolgen. Mit theologischen Tendenzen, v. a. im 1. Jt. v. Chr., einzelnen Gottheiten eine überragende und einzigartige Stellung im Rahmen der Götterwelt einzuräumen (bezeugt etwa für Marduk, Ninurta, Sîn, Isˇtar und Asˇsˇur), spitzt sich auch die Frage der göttlichen Gerechtigkeit und Innerweltlichkeit in besonderer Weise zu. In der keilschriftlichen Literatur fehlen jedoch Werke, die eine grundsätzliche Ferne, Irrelevanz oder Nichtexistenz der Götter beschrieben und dem eine nicht-theistische Weltkonzeption entgegensetzten. Weltbild und Gottesvorstellungen Mesopotamiens sind in einer Vielzahl von Texten unterschiedlicher Gattungen dokumentiert. Am unmittelbarsten erzählen mythologische Texte vom Ursprung und Aufbau der Welt, vom Wesen und Wirken der Götter und ihrem Verhältnis zu den Menschen. Aber auch Beschwörungen und Rituale, die oft eine Urzeit evozieren, in der die Götter der Beschwörungskunst selbst noch den Patienten mit eben diesen Mitteln heilten, ebenso wie Hymnen, Klagelieder und Gebete, Weisheitstexte oder Texte aus dem Bereich der Divination geben Aufschluß über die verschiedenen kosmo- und theologischen Konzepte der altorientalischen Gesellschaften Mesopotamiens. Texte dieser verschiedenen Gattungen wurden in großer Zahl, aber doch nur in Auswahl, in den vorausgehenden Bänden von TUAT und TUAT.NF in Übersetzung vorgelegt und kurz kommentiert. Die folgenden Seiten sollen diese Auswahl um Texte ergänzen, die aus dem Bereich der Gelehrsamkeit stammen und in der gattungsbezogenen Struktur von TUAT bisher keinen Raum fanden. Es handelt sich dabei zum einen um Werke aus dem Bereich der sogenannten lexikalischen Texte. Thematisch geordnete Wortlisten gehören von Beginn der Entwicklung und Verwendung der Keilschrift zum Grundbestand keilschrift6

Texte aus Mesopotamien

licher Textgattungen. Diese Wort- und Zeichenlisten dienen den Schreiberschülern bis in die Spätzeit als Lernkompendien, mit deren Hilfe man sich Zeichenformen, den sumerischen und akkadischen Wortschatz, verschiedene Schreibweisen und Fachvokabular aneignet. Zugleich entwickelt sich die Liste zu einem komplexen und umfassenden Format, mit dem nicht nur die zweisprachige Kultur Mesopotamiens gefaßt, sondern auch andere theologische und kosmologische Überlegungen konzise und kommentarhaft festgehalten werden können (1.1: theologische Listen; 1.2: kulttopographische Listen; 1.3: Spekulative kosmo- und theologische Listen aus dem Bereich der Magie). Neben der Listenliteratur werden auch zwei Vertreter der verhältnismäßig selten bezeugten Karten und Pläne mit keilschriftlichen Beischriften als Quellen für die Konzeptionen von Welt und Umwelt vorgestellt (1.4 und 1.5). Als Nachtrag zu TUAT.NF 8 schließen wir unter 1.6 einen kurzen mythologischen Text zur Flutgeschichte ein, der erst jüngst der Öffentlichkeit vorgelegt wurde. Weiterführende Literatur in Auswahl: D. O. Edzard, Sumerisch-akkadische Listenwissenschaft und andere Aspekte altmesopotamischer Rationalität, in: K. Gloy (Hg.), Rationalitätstypen, Freiburg / München 1999, 245-267; B. Groneberg, Die Götter des Zweistromlandes: Kulte, Mythen, Epen, Düsseldorf / Zürich 2004; W. Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography (MC 8), Winona Lake 1998; D. Katz, The Image of the Netherworld in the Sumerian Sources, Bethesda 2003; M. Krebernik, Götter und Mythen des Alten Orients, München 2012; W. G. Lambert, Babylonian Creation Myths (MC 16), Winona Lake 2013; G. Selz, ›The Holy Drum, the Spear, and the Harp‹. Towards an Understandig of the Problems of Deification in Third Millennium Mesopotamia, in: M. J. Geller / I. L. Finkel (Hg.), Sumerian Gods and Their Representations (CM 7), Groningen 1997, 149-194; F. A. M. Wiggermann, Mythological Foundations of Nature, in: D. J. W. Meijer (Hg.), Natural Phenomena. Their Meaning, Depiction and Description in the Ancient Near East, Amsterdam 1992, 279-306.

1.2 Aus den Götterlisten

Daniel Schwemer Seit der frühen Mitte des 3. Jt. v. Chr. (Fa¯ra-Zeit) sind im Korpus der lexikalischen Texte thematische Listen mit Götternamen belegt. Diese frühen, einspaltigen Götterlisten folgen keinem durchgängig theologisch-hierarchischen Ordnungsprinzip, zeigen aber bereits inhaltliche und formale Gruppierungen. Seit dem späten 3. Jt. entstehen im südlichen Mesopotamien sowohl umfassende als auch regional spezifische, wiederum einspaltige Götterlisten, die nach theologischen Gesichtspunkten strukturiert sind (Weidner-Liste, Genouillac-Liste u. a.). Insbesondere die in der Ur III-Zeit kompilierte Weidner’sche Götterliste gehört bis in die Spätzeit Babyloniens fest zum keilschriftlichen Schulcurriculum und wurde außerhalb Babyloniens um weitere Spalten mit den jeweils als korrespondierend angesehenen Gottheiten erweitert (Spalte mit hurritischen Gottheiten in Emar bezeugt; dreispaltige Version mit hurritischen und ugaritischen Gottheiten in Ugarit). Das zwei- und mehrspaltige Format nutzte 7

Texte aus Mesopotamien

man aber auch in Babylonien und Assyrien. Durch diese erweiterten Formate konnte man Korrespondenzen zwischen sumerischen und akkadischen Götternamen anzeigen, einzelne Gottheiten zu Gruppen zusammenfassen und klassifizieren, theologische Assoziationen und Gleichsetzungen zwischen Gottheiten verschiedenen Namens darstellen sowie Ausspracheglossen zu den stark logographisch geschriebenen sumerischen Götternamen in einer separaten Kolumne organisieren. So sind die Götterlisten nicht nur Lernkompendien für die Ausbildung von Schreibern, sondern auch gelehrte Texte, die das vertikale und horizontale Beziehungsgeflecht der mehrspaltigen Liste als Ausdrucksform komplexer theologischer Überlegungen im Kontext einer Vielfalt von Traditionen nutzen. 1)

1.2.1 Aus der Götterliste An : Anum

Die umfangreichste Götterliste der mesopotamischen Gelehrsamkeit wird nach ihrer Anfangszeile An : Anum genannt. 2) Die Liste umfaßt mehr als 2000 Einträge und war in sieben kanonische Tafeln eingeteilt. Sie entstand zuerst als eine weit weniger umfangreiche, einspaltige Liste in altbabylonischer Zeit, zeichnet sich aber in ihrer kanonischen, in der zweiten Hälfte des 2. Jt. entstandenen Fassung durch ein zweispaltiges Format aus, das innerhalb dieser beiden Spalten zusätzlich auch Ausspracheglossen für logographisch geschriebene Götternamen sowie akkadische Übersetzungen sumerischer Wendungen einfügt. Die Götterliste An : Anum, die am besten in zwei großformatigen mittelassyrischen Handschriften belegt ist (YBC 2401 und K 4349+), besitzt eine überregionale Perspektive und stellt die sumero-akkadische Götterwelt des südlichen Mesopotamiens umfassend und theologisch-hierarchisch gegliedert dar. Die ersten beiden Tafeln der Liste sind der älteren Göttergeneration gewidmet. An der Spitze steht der Himmelsgott (sumerisch An, akkadisch Anu), gefolgt von seinem älteren Sohn Enlil-Ellil, dem regierenden Götterkönig des sumerischen Pantheons des 3. Jt. und Herrscher über die Sphäre zwischen Himmel und Erde (Tafel I). Tafel II behandelt die unter vielen Namen bekannte Muttergöttin sowie den Weisheitsgott Enki-Ea, den jüngeren Bruder des Enlil und Herrscher über die unterirdischen Wasser. Tafel III und IV widmen sich den Himmelsgottheiten der jüngeren Generation, zunächst dem Mondgott und Enlil-Sohn Nanna-Sîn, dann dem Sonnengott Utu-Sˇamasˇ, seinerseits ein Sohn des Mondgottes. Daran schließt sich der Sturm-, Wind-, Gewitter- und Regengott Isˇkur-Adad an, der meist als Sohn des Anu gilt. Eine eigene 1.

2.

8

Zu den Götterlisten s. M. Krebernik, Götter und Mythen des Alten Orients, München 2012, 40-42; J. Peterson, Godlists from Old Babylonian Nippur in the University Museum, Philadelphia (AOAT 362), Münster 2009; D. Schwemer, Die Wettergottgestalten Mesopotamiens und Nordsyriens im Zeitalter der Keilschriftkulturen, Wiesbaden 2001, 11-92. Eine umfassende Studie zur Textgattung fehlt. Edition: R. L. Litke, A Reconstruction of the Assyro-Babylonian God-lists An : dA-nu-um and An : Anu sˇá ame¯li (TBC 3), New Haven 1998 (unveränderter Druck der Dissertation Yale, 1958). Eine dringend benötigte überarbeitete Edition steht aus. Zahlreiche Textteile werden mehr oder minder ausführlich im Reallexikon der Assyriologie unter den jeweiligen Götternamen und in übergreifenden Artikeln (v. a. »Götterlisten« und »Pantheon«) behandelt.

Texte aus Mesopotamien

Tafel beansprucht die Darstellung der zahlreichen Erscheinungsformen der Venusgöttin Innana-Isˇtar, ihrerseits eine Tochter des Mondgottes und Schwester des Sonnengottes (Tafel IV). Tafel V hebt mit einer Reihe von männlichen kriegerischen Göttern an, um dann v. a. die Heilgöttin (Nintinuga, Gula und andere Namen) zu behandeln, die oft als Gemahlin dieser männlichen Kriegergötter betrachtet wurde. Im letzten Drittel wendet sich Tafel V den Gottheiten der Unterwelt zu, zunächst v. a. der Unterweltsherrscherin Eresˇkigal, dann, zu Beginn von Tafel VI, ihrem Gemahl Nergal. Im verbleibenden Teil von Tafel VI werden weitere Unterweltsgottheiten und spezifische, v. a. auch fremde Göttergruppen aufgeführt; hier findet der Außenseiter MarduAmurru, die göttliche Verkörperung der nomadischen Lebensform des westlichen Steppenlandes, seinen Platz. Die abschließende Tafel von An : Anum beschäftigt sich ausschließlich mit Marduk, dem jüngeren Götterkönig des babylonischen Pantheons im 2. und 1. Jt. v. Chr. Zuerst gibt die Tafel eine Aufzählung der Namen und Beinamen des Marduk, dann folgen Namen und Beinamen des Richtergottes DikuMada¯nu, hier mit Marduk gleichgesetzt. Die listenhafte Darstellung der grundlegenden theologischen Verortung jeder Hauptgottheit schließt eine Reihe von Elementen ein, die von der anthropo- und soziomorphen Konzeption der Gottheiten und ihrer wechselseitigen Beziehungen geprägt sind und den ›Kreis‹ der Gottheit bilden: – Namen: ursprünglich eigenständige, mit der Hauptgottheit assoziierte oder gleichgesetzte Gottheiten sowie als Namen verselbständigte Epitheta – Familie: Ehepartner, Kinder, gegebenenfalls Vorfahren – Hofstaat: etwa Minister, Ratgeber, Thronträger, Diener, Wächter, Boten, Wagenlenker, Handwerker, Köche, Hirten, Begleittiere, Schutzgeister Die den Hauptgottheiten gewidmeten Abschnitte können umfangreiche ›Unterkreise‹ einschließen, die ihrerseits wiederum Namen, Familie und Hofstaat der auf diese Weise untergeordneten Gottheit umfassen. Besonders umfangreich sind der Götterkreis des Enlil-Sohnes Ninurta, der in den Kreis des Enlil eingebunden ist (Tafel I), sowie der dem jüngeren Götterkönig Marduk gewidmete Abschnitt innerhalb des Kreises des Enki-Ea, als dessen Sohn Marduk gilt. Im Marduk-Kreis selbst ist wiederum der Götterkreis des Marduk-Sohnes Nabû eingeschlossen, dessen Kult v. a. im 1. Jt. große Bedeutung gewinnt. Tabellarisch läßt sich die Gesamtstruktur der Götterliste An : Anum mit ihren unterschiedlichen Götterkreisen verkürzt wie folgt darstellen (Zeilenzählung nach Litke): Tafel I 1-2

An-Anum

3-24

Vorfahren des An

25-95

Familie und Hofstaat

96-138

Vorfahren des Enlil

139-146

Kinder des Emesˇara

147

Lugaldukuga, Vater des Enlil

Ninsˇubur-Kreis (32-74)

9

Texte aus Mesopotamien 148-175 Enlil-Ellil 176-371

Familie und Hofstaat

Daga¯n-Kreis (193-204) Ninurta-Kreis (205-251) Nuska-Kreis (252-262) Haja-Kreis (289-304) ˘ Ninimma-Kreis (305-316) Ninkasi-Kreis (336-345)

Tafel II 1-45

Digˆirmah-Be¯letilı¯ ˘

46-128

Familie und Hofstaat

129-172 Enki-Ea 173-421

Familie und Hofstaat

Asalluhi-Marduk-Kreis (185-276) ˘ mit Nabû-Kreis (242-251)

Id-Kreis (276-282) Gibil-Girra-Kreis (334-345) Handwerkergötter (346-421) Tafel III 1-26

Nanna-Sîn

27-96

Familie und Hofstaat

Nindara-Kreis (65-69) Ninmarki-Kreis (70-85) Hirtengötter (86-96)

97-125

Utu-Sˇamasˇ

126-205

Familie und Hofstaat

Richtergottheiten Traumgottheiten Sˇakkan-Kreis (191-205)

206-239 Isˇkur-Adad 240-266

Familie und Hofstaat

267-283 Anhang Tafel IV 1-72 73-292

Innana-Isˇtar Hofstaat, Beinamen, Erscheinungsformen, Lokalgestalten

Ninsiana-Kreis (172 ff.)

Isˇhara-Kreis (276-284) ˘ Manzât-Kreis (287-294)

10

Texte aus Mesopotamien Tafel V 1-22

Lugalbanda

mit Familie und Hofstaat

23-32

Lugalmarada

mit Familie und Hofstaat

33-41

Ninkilim

mit Familie und Hofstaat

42-48

Urasˇ

mit Familie und Hofstaat

49-51

Zababa

mit Familie und Hofstaat

52-53

Ugur

mit Gemahlin

54-55

Abba

mit Gemahlin (Gula)

56-116

Ningˆirsu

mit Familie und Hofstaat

117-189 Nintinuga, Gula, mit Familie und Hofstaat Ninisina, Ninkarrak 192-211 Nungal

Bau-Kreis Damu-Kreis (165-168)

mit Familie und Hofstaat

213-216 Eresˇkigal 217-312

Gottheiten der Unterwelt und ihre Kreise

Tafel VI 1

Nergal

2-148

Familie, Hofstaat, Beinamen

149-151 Sebettu (Siebengötter) 152-159 Siebengötter von Sumer 160-167 Siebengötter von Akkade 168-175 Siebengötter von Guti 176-183 Siebengötter von Elam 184-195 Elamische Gottheiten 196-227 Weitere Göttergruppen 228-283 Mardu-Amurru mit Familie und Beinamen 284-314 Gilgamesˇ, Enkidu und andere Unterweltsgottheiten Tafel VII 1-66

Beinamen des Marduk

67-125

Beinamen des Diku-Mada¯nu

Eine Götterliste besteht weitgehend nur aus Götternamen, so daß eine Übersetzung im eigentlichen Sinne kaum geboten werden kann. Im folgenden wird eine Übertragung des ersten Abschnitts von Tafel I vorgelegt, der den Himmelsgott An-Anu behandelt. Viele der sumerischen und akkadischen Götternamen sind übersetzbare Bezeichnungen, die Auskunft über die mit der jeweiligen Gottheit assoziierten Vorstellungen geben können; daher werden hier in den Fußnoten, soweit als möglich, Übersetzungen der Namen angegeben. Strukturell bildet die linke Spalte die eigentliche Götterliste, während die rechte Spalte als Kommentarspalte fungiert, in der Zuordnungen und Erklärungen Platz finden. So gibt die rechte Spalte unter anderem 11

Texte aus Mesopotamien

auch den mit einem sumerischen Theonym korrespondierenden akkadischen Götternamen, wobei man häufig ganze Gruppen von sumerischen Theonymen einem akkadischen Götternamen zugeordnet und so die Tendenz einer Reduktion des Pantheons auf eine kleinere Gruppe von »großen Gottheiten« auch im Format der Götterliste umsetzt (Gleichsetzungstheologie). Ein Charakterisierung der rechten Spalte als eine akkadische Übersetzung einer Liste von sumerischen Götternamen greift jedoch viel zu kurz, da im Rahmen theologischer Überlegungen eben auch sumerische Theonyme in der rechten Spalte genannt werden (z. B. Tf. I Z. 32), ebenso wie sich akkadische Götternamen auch in der linken Spalte finden (z. B. Tf. I Z. 30) und die erklärenden Kommentare ohnehin auf Sumerisch, der Sprache der Gelehrsamkeit, verfaßt sind. Das Darstellungsformat der lexikalischen Texte und so auch der Götterlisten arbeitet mit einem differenzierten System von Wiederholungszeichen. Ein Wiederholungszeichen – hier mit »dito« übersetzt – bezeichnet die vertikale Wiederholung: Ein Name, ein Namenselement oder eine Bezeichnung, die in der vorausgehenden Zeile in der jeweiligen Spalte über dem dito-Zeichen steht, ist zu wiederholen. Ein zweites Wiederholungszeichen – hier mit »ebenso« übersetzt – bezeichnet die horizontale Wiederholung: Eine Göttername in der linken Spalte ist in eben derselben Form auch in der rechten Spalte einzusetzen; das (meist sumerische) Theonym wird nicht mit einem anderen, oft akkadischen Götternamen gleichgesetzt. (1) An 3) (2) An (3) An

(und) Ki 5)

(4) Uras ˇ (5) Ninuras ˇ 7) (6) Ans ˇargal (7) Kis ˇargal 8) (8) Ans ˇar (9) Kis ˇar 9) (10) Ens ˇar (11) Nins ˇar 10)

3. 4. 5. 6.

7. 8. 9. 10.

12

Anum Antum 4) Anum und Antum dito 6) dito dito dito dito dito dito dito

Sumerisch »Himmel«; das Sumerische unterscheidet grammatisch nicht zwischen Maskulinum und Femininum. In Hinsicht auf ihre Bildungsweise sind Anum und Antum maskuline und feminine akkadisierte Formen von sumerisch an »Himmel«. Sumerisch »Himmel« und »Erde«. Mit »dito« wird das Wiederholungszeichen übersetzt, das sich auf den in derselben Spalte vorausgehenden Eintrag bezieht (anders »ebenso«, vgl. Anmerkung zu Z. 51). Der Eintrag »Anum und Antum« aus Z. 3 ist also hier und in den folgenden Zeilen jeweils einzutragen; dabei werden die jeweils mit Anum bzw. Antum assoziierten Götterpaare in Z. 4-23 immer auf zwei Zeilen verteilt; also: Urasˇ ~ Anum, Ninurasˇ ~ Antum etc. Durch Vorsatz von sumerisch nin »Herrin« gebildetes weibliches Pendant von Urasˇ. Sumerisch »Großer Ansˇar« bzw. »große Kisˇar«. Sumerisch Ansˇar »Gesamter Himmel«; Kisˇar »Gesamte Erde«. Sumerisch Ensˇar »Herr Gesamtheit«; Ninsˇar »Herrin Gesamtheit«.

Texte aus Mesopotamien (12) Duri (13) Dari 11) (14) Lahma

˘ ama (15) Lah ˘ (16) Ekur

(17) Gara (18) Alala (19) Belili (20) Alala (21) Belili 12) (22) Eniri3ula (23) Niniri3ula 13) (25) Be ¯ letilı¯15) (26) Ninursala (27) Nammu (28) Ama3utu3anki 17) (29) Nins ˇar 18) (30) Be ¯ letilı¯19)

ˇ imbizi (31) S (32) Kaka (33) Meninnu3ana 20) (34) Iggala 21) (35) Kabane3anakenukuru 22) (36) Uzuggala 24) (37) Ans ˇarkin 26)

11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.

dito dito dito dito dito dito dito dito dito dito dito dito (24) 21 Herrscher(gottheiten), Vorfahren 14) des An Gemahlin des An Nebenfrau des An Mutter des Enki, treue Hauswalterin des Ekur 16) dito Antum, (und zwar) Isˇtar dito dito Ninsˇubur – Wesir des An Papsukkal Ninsˇubur – Mann der Doppeltür Ninsˇubur – Wesir, der Urteile verfügt 23) Ninsˇubur – Ratgeber des An 25) Ninsˇubur – Vorsteher des Tempels des An 27)

Sumerisch Duri »Ewigkeit«, Dari hier weibliches Pendant derselben Bedeutung. Das zweite Paar Alala – Belili bezieht sich auf die beiden Gottheiten in der Schreibung mit dem Logogramm ALAM. Sumerisch Eniri3ula »Herr der urzeitlichen Stadt«; Niniri3ula »Herrin der urzeitlichen Stadt«. Wörtlich »Mütter (und) Väter«, eine gängige sumerische Wendung zur Bezeichnung von Eltern oder Vorfahren. Akkadisch »Herrin der Götter«, teilsumerographisch NIN-ilı¯ geschrieben. Be¯letilı¯ ist auch ein Name der Muttergöttin. Tempel und kosmischer Wohnsitz des Götterkönigs Enlil. Sumerisch »Mutter, die Himmel und Erde gebar«, ein Beiname der Göttin Nammu, einer Muttergöttin, die als Urgewässer galt. Sumerisch dnin-sˇar6 »… Herrin«; der Name wird andernorts mit dem akkadischen Isˇtar-Epitheton telı¯tum »Fähige« erklärt. S. Fußnote zu Z. 25. Sumerisch »Die fünfzig ›göttlichen Kräfte‹ des Himmels«. Sumerisch »Große Tür«. Sumerisch »Dessen Ausspruch man wie den des An nicht ändern kann«. Sumerische Erklärung, in einer Handschrift mit akkadischer Übersetzung. Sumerisch »Großer Schrein«. Sumerische Erklärung, in einer Handschrift mit akkadischer Übersetzung. Sumerisch »Der die Gesamtheit des Himmels leitet«. Sumerische Erklärung, in einer Handschrift mit akkadischer Übersetzung. Zwei Handschriften (ohne akkadische Glosse) haben im Sumerischen »Vorsteher des Himmels (bzw. des An)«.

13

Texte aus Mesopotamien (38) Ans ˇargi3a 28) (39) Enhug ˆ 30)

˘ ugˆadab 31) (40) Enh ˘ ˇubur (41) Nins

(42) Nins ˇubur 32)

ˇ uburhamun (43) S (44) Sag ˆ il 33)˘

(45) Nins ˇubur (46) Amasagnudi 34) (47) Ninabula 35) (48) Egubiduga 36) (49) Pappap (50) Hedu 38)

˘ edu 39) (51) Ninh

˘ 41) (52) Ninkita

(53) Munussaga 42) (55) AheLUL (56) [

˘…

(57) [



(58) Mas ˇza[…] (59) Mas ˇsˇesˇ 43) (60) Igimahdu3a 44)

˘ 45) (61) Sasumdu ˙ ˙ ˇma 46) (62) Amas 28. 29. 30. 31. 32.

33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46.

14

Ninsˇubur – Wesir, der Prozesse anordnet 29) dito dito dito – erhabener Wesir des An dito – Papsukkal dito dito dito seine Gemahlin dito Schutzgeist des Hauses 37) Tochter des Ninsˇubur Torwächter des An ebenso 40) ebenso ebenso (54) Fünf Töchter des Nins ˇubur ebenso ebenso] ebenso] ebenso ebenso ebenso ebenso ebenso

Sumerisch »Der die Gesamtheit des Himmels regiert«. Sumerische Erklärung, in einer Handschrift mit akkadischer Übersetzung. Sumerisch »Herr, der besänftigt«. Sumerisch »Herr, der Besänftigung veranlaßt«. Die mehrfache Nennung des Ninsˇubur in der linken Spalte (Z. 41-42, 45) ist überraschend. Womöglich steht die Schreibung in Z. 42 und 45 logographisch für weitere Namen des Wesirs des Anu; allerdings erwartete man, daß dies durch Glossen angezeigt würde. Die Doppelungen mögen daher redaktionell bedingt sein. Sumerisch »Der (alle ›göttlichen Kräfte‹) emporhebt«. Sumerisch »Mutter, die man nicht wegstoßen kann«. Sumerisch »Herrin des Stadttors«. Sumerisch »Der das Haus süß erschallen läßt« oder »Haus, dessen Stimme süß ist«. Sumerische Erklärung, in einer Handschrift mit akkadischer Übersetzung. Sumerisch »Türsturz«. Sumerisch »Herrin des Türsturzes«. Mit »ebenso« wird das Wiederholungszeichen übersetzt, das sich auf die linke Spalte bezieht; der Name der Ninhedu ist also auch in der rechten Spalte als Ninhedu einzutragen. Dagegen ˘ bezieht sich »dito«˘immer auf den in derselben Spalte vorausgehenden Eintrag. Sumerisch »Herrin des unteren (Türangelsteins?)«. Sumerisch »Schöne Frau«. Sumerisch »Zwilling, Bruder«(?). Sumerisch »Hochangesehen«. Bezeichnung einer Heilpflanze (akkadisch). Bezeichnung eines Amulettsteins; womöglich akkadisch zu lesen (Amasˇmû).

Texte aus Mesopotamien (63) DUBs ˇarsura (64) Mas ˇbanda 47) (65) Mas ˇgula 48) (66) Menkuta3e 49) (67) Ulinus ˇa 50) (68) Udimahdib 51)

˘

ˆ idrusisa 52) (70) G (71) Es ˇbaranki 53) (73) Ma ¯ giru 54) (74) Bı¯tus ˇemi 55) (75) Anduruna 56) (76) Uli3u 57) (77) Lu3ana 58) (78) Katarana 59) (79) Iku-Stern 60) (80) Antasura 61) (81) Kigula 62) (83) Sag ˆ kud (84) Ninpamulesi 63) (85) Nig ˆ udidu 64) (86) Endukuta3ede 65)

47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56.

57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65.

ebenso ebenso ebenso ebenso ebenso ebenso (69) 14 Söhne des Nin[s ˇubur] ebenso ebenso (72) Zwei Ratgeber des Nins ˇubur Thronträger von Akkil Schutzgeist des Hauses ebenso ebenso ebenso ebenso ebenso ebenso ebenso (82) Sieben Ratgeber des An Mundschenk des An seine Gemahlin ebenso ebenso

Sumerisch »Kleiner Zwilling«. Sumerisch »Großer Zwilling«. Sumerisch »Der von der reinen Krone ausgeht«. Sumerisch »Der Klage nicht erschallen läßt«. Sumerisch »Der einhergeht und große Bewunderung hervorruft«. Sumerisch »Gerader Herrscherstab«. Sumerisch »Entscheid des Himmels und der Erde«. Akkadisch »Der Einwilligende«. Akkil war im 3. Jt. v. Chr. eine Kultstadt von Ninsˇubur, in den älteren Quellen eine Göttin (s. F. A. M. Wiggermann, Art. Ninsˇubur, RlA 9 [1998-2001] 490-500, hier 491-492). Akkadisch »Haus, höre!«. Sumerisch »Wo An wohnt«, eine kosmische Lokalität; als Göttername offenbar auch sekundär verkürzt zu Duruna; s. W. Horowitz, Mesopotamian Cosmic Geography (MC 8), Winona Lake 1998, 109; P.-A. Beaulieu, Theological and Philosophical Speculations on the Name of the Goddess Antu, Or. 64 (1995) 187-213, hier 211-213. Sumerisch »Klage(nder) Sturm«. Sumerisch »Mann des An«. Sumerisch »Lobpreis des An«. Sumerisch »Feldstern« (Sternbild Pegasus). Sumerisch »Der vom Himmel herab funkelt«, sonst als Tempelname belegt. Sumerisch »Großer Ort«(?). Sumerisch »Herrin, die in den Plejaden(?) rot funkelt«. Sumerisch »Bewundernswürdiges«. Sumerisch »Der Herr, der vom heiligen Hügel ausgeht«.

15

Texte aus Mesopotamien (87) Ninkis ˇara 66) (89) Engara 67)

ˇ uburazida 68) (90) S (92) Igisigsig 69) (93) Ennunsilima 70) (94) […]silima 71)

ebenso (88) Drei Köche des An ebenso ebenso (91) Zwei Oberhirten des An Obergärtner des An ebenso ebenso (95) Zwei Wachtposten des An

Die erste Tafel von An : Anum fährt mit dem Götterkreis des Enlil fort. Es schließen sich sechs weitere kanonische Tafeln an.

1.2.2 Aus An : Anu : sˇa ame¯li

Die beiden großen mittelassyrischen Handschriften von An : Anum schließen am Ende als Zusatztext die dreispaltige Götterliste An : Anu : sˇa ame¯li ein, die in mittelbabylonischer Zeit kompiliert wurde. 72) Der Text listet in seiner linken Spalte 157 überwiegend sumerische Götternamen auf, die als Erscheinungsformen von 24, in der mittleren Spalte genannten Gottheiten erklärt werden. Die Erscheinungsformen der 24 Gottheiten werden aspektuell dadurch differenziert, daß sie einen akkadischen Zusatz in Form eines Genitivattributs (sˇa …) erhalten. Soweit die sumerischen Namen transparent sind, läßt sich erkennen, daß die akkadische Beschreibung des Aspekts eine Auslegung des sumerischen Namens oder der in ihm verwendeten Keilschriftzeichen darstellen kann. So bedeutet der sumerische Name einer der Erscheinungsformen des Wettergottes in der linken Spalte »Gebrüll« (dur5-sˇa4, Z. 53), und folgerichtig wird sie in der zweiten und dritten Spalte auf Akkadisch als »Adad des Gebrülls« (Adad ˇsa rimmi) gedeutet. Dasselbe gilt für Sˇur (Z. 56; vgl. sumerisch sˇur »tropfen«), das als »Adad des Regens« (Adad sˇa zunni) gedeutet wird, und ebenso für die folgenden Einträge Dalhamun (»Adad des Sturms«, Z. 57) und Maru ˘ (»Adad der Flut«, Z. 58), deren Deutung auf unmittelbaren Übersetzungen basiert. Insgesamt ist die Götterliste theologisch-hierarchisch aufgebaut und reflektiert eine jüngere Form des babylonischen Pantheons, indem sie Enki-Ea nach dem Ea-Sohn Marduk und dessen Sohn Nabû einordnet. In tabellarischer Übersicht stellt sich die in 15 Abschnitte gegliederte Liste wie folgt dar:

66. 67. 68. 69. 70. 71. 72.

16

Sumerisch »Herrin der gesamten Erde«. Sumerisch »Herr (der) Sahne«. Sumerisch »Hilfreicher Diener«(?). Sumerisch »Grüngesicht«. Sumerisch »Heilbringende Wache«. Sumerisch »Heilbringende(r) … «. Edition: Litke, Reconstruction, 228-241.

Texte aus Mesopotamien 1.

1-12

Der Himmelsgott An-Anu

2.

13-23

Der alte Götterkönig Enlil-Ellil mit Gemahlin Ninlil

3.

24-39

4.

40-46

Der Mondgott Nanna-Sîn mit Gemahlin Ningal Der Sonnengott Utu-Sˇamasˇ mit Gemahlin Aja

5.

47-60

Der Wettergott Isˇkur-Adad mit Gemahlin Sˇa¯la

6.

61-69

Ninsˇubur-Papsukkal, der Wesir des Anu

7.

70-75

Der Kriegs- und Ackerbaugott Ninurta

8.

76-85

Der Unterwelts- und Pestgott Nergal

9.

86-96

Die Venusgöttin Isˇtar

10.

97-99

11.

100-106

Die Getreide- und Weisheitsgöttin Nissaba mit Gemahl Haja ˘ Der Viehgott Sˇakkan

12.

107-112

Der junge Götterkönig Marduk

13.

113-118

Der Weisheitsgott und Marduk-Sohn Nabû

14.

119-148

15.

149-157

Der Weisheitsgott und Marduk-Vater Enki-Ea mit Muttergöttin Ninmah ˘ Unterweltsgottheiten und Dämonen

Die folgende Übersetzung beschränkt sich exemplarisch auf die ersten beiden Abschnitte, die An-Anu und Enlil-Ellil gewidmet sind. Die Anmerkungen versuchen, wo möglich, die theologisch-philologische Hermeneutik der Einträge zu erklären. (1) An (2) Dimes ˇ 73) (3) Anu (4) Medara (5) Kursa (6) Kura (7) Hiliba 77)

˘ (8) Kilib

(9) Me

ˇ er (10) S

73. 74. 75. 76. 77. 78. 79. 80.

Anu Anu Anu Anu Anu Anu Anu Anu Anu Anu

des Mannes der Frau des Königs der Kultordnungen 74) der Schöpfung 75) des (Berg)landes 76) von Allem der Gesamtheit 78) der Totalität 79) des Lichts 80)

Offenbar ein elamischer Gott, der andernorts mit Ninurta gleichgesetzt wird (CT 25, 12 K 4339 Rs. III 1). d me-dàra: vgl. sumerisch me »göttliche Kräfte« ~ akkadisch parsu »Kultordnung«. d ˙ (SIG .ALAN) ~ akkadisch kur-sa7: vgl. das Keilschriftzeichen sa7 (SIG7) in sumerisch úludin 7 nabnı¯tu »Schöpfung«. d kur-ra: vgl. sumerisch kur »Berg(land)« ~ akkadisch ma¯tu »Land«. Sumerisch hi-li-ba (akkadisch hilibû) bezeichnet einen rot-durchscheinenden Stein, den ˘ man als Amulettstein benutzte. ˘ d kìlib: vgl. sumerisch kìlib ~ akkadisch napharu »Gesamtheit«. ˘ in akkadischem Kontext das Zeichen ME(Sˇ) als Die Interpretation mag darauf beruhen, daß ein Pluralität bezeichnendes Determinativ benutzt wurde. d sˇér: vgl. sumerisch sˇér ~ akkadisch nama¯ru »hell sein«.

17

Texte aus Mesopotamien (11) Ans ˇargal (12) Uras ˇ 82) (13) Enlile 83) (14) Duranki 84) (15) Dibar (16) Mahdigal 86)

˘ 87) (17) Daragal (18) Sig

(19) Gu (20) Nab (21) Anzagar (22) Ninlile (23) Egi-Tummal

Anu Anu Ellil Ellil Ellil Ellil Ellil Ellil Ellil Ellil Ellil Ninlil Ninlil

der Gesamtheit des Himmels 81) des Rates des Landes der Entscheidung der Entscheidung 85) der Entscheidung der Könige der Gesamtheit 88) der Gesamtheit 89) des Himmels 90) der Träume! 91) des Landes der Leute 92)

Der Text fährt mit den Namen des Mondgottes Sîn und der anderen Götter des babylonischen Pantheons im selben Format fort.

1.3 Tintir – das heilige Babylon

Karl Hecker Tintir, Anfangswort und damit auch Titel einer Serie von fünf Tafeln, die Größe und Ruhm der Stadt Babylon beschreiben, ist eine aus einer vorsumero-akkadischen Substratsprache überkommene, uralte Ortsbezeichnung, die sich im Namen eines ihrer Stadtteile bis in die Spätzeit erhalten hat. Inhaltliche und formale Parallelen mit dem Weltschöpfungsepos Enu¯ma elisˇ legen die Vermutung nahe, daß beide Werke etwa gleichzeitig in jener Periode entstanden sind, als unter Nebukadnezar I. (1125-1104 v. Chr.) Babylon mit seinem Stadtgott Marduk zur führenden Kraft Mesopotamiens

81. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. 90. 91. 92.

18

Urasˇ ist auch der Name einer mit Antu gleichgesetzten Erdgöttin; hier aber – wie in An : Anu I 4 (dort im Paar mit Ninurasˇ) – ein männlicher mit Anu gleichgesetzter Gott. Sumerisch an-sˇár-gal »Großer gesamter Himmel«. Der Haupteintrag den-líl-le steht hier im Ergativ; dasselbe Phänomen begegnet in der Liste sonst nur bei Ninlil (Z. 22). Die Motivation dieser Schreibung ist unklar. Sumerisch »Band von Himmel und Erde«; auch eine Bezeichnung von Nippur, der Kultstadt des Enlil. d di-bar: vgl. sumerisch di »Rechtsfall« und esˇ-bar »Entscheid«. Sumerisch »großer Erhabener«. Sumerisch »großer Steinbock«. d sig7: die Deutung ˇsa naphari mag davon inspiriert sein, daß das Zeichen SIG7 (10+MEgunû) ˘ auch als Zahlzeichen für 10.000 verwendet werden konnte. d gú: vgl. sumerisch gú »Gesamtheit«. d nab: Das Keilschriftzeichen NAB besteht aus zwei übereinander gestellten AN; sumerisch an bedeutet »Himmel«. Anzagar ist ein Traumgott. Tummal war ein wichtiges Heiligtum der Ninlil in der Nähe Nippurs, der Kultstadt des Enlil.

Texte aus Mesopotamien

aufstieg und andere Orte wie etwa Nippur und der dort beheimate Gott Enlil an Bedeutung verloren. Wie die meisten größeren keilschriftlichen Texte ist auch Tintir noch nicht vollständig wiederherstellbar. Komplett bekannt sind nur die Tafeln I, IV und V, eine größere Lücke besteht in Tf. II, und Tf. III fehlt bislang ganz. Der Text aller Tafeln ist, wenn auch variabel, in der für den Alten Orient so typischen Stilform der Liste angelegt. Tf. I zählt als hymnenhafte Laudatio 51 sumerische Namen oder Attribute der Stadt auf und fügt diesen eine öfters auf fehlerhaftem sumerischen Sprachverständnis beruhende akkadische Übersetzung hinzu, was in vieler Hinsicht an die Aufzählung der 50 Namen Marduks im Weltschöpfungsepos Enu¯ma elisˇ Tf. VI-VII erinnert. Der Umfang von Tf. II ist wegen der Lücke nicht genau bestimmbar. Sie muß aber erheblich mehr Zeilen umfaßt haben als die anderen Tafeln der Serie, da sie allein in den beiden erhaltenen Stücken die sumerischen Namen 93) von 84 Götter-»Wohnsitzen« (akkadisch sˇubtu) zusammenstellt. Anders als in Tf. I werden diese Namen aber nicht ins Akkadische übersetzt, sondern es werden stattdessen die Namen ihrer Besitzer genannt sowie Informationen zu Lage, Ausstattung oder Zweckbestimmung der Sitze hinzugefügt. 94) Die vollständig rekonstruierbare Tf. IV ist die berühmte Liste der Tempel von Babylon; sie stellt die Namen der 43 Hauptheiligtümer der Stadt (alle sumerisch, keine akkadische Übersetzung) und die der darin verehrten Götter zusammen. Die Hinweise zur Lokalisation dieser Tempel machen die Tafel zu einem der wertvollsten Hilfsmittel für die Rekonstruktion des Stadtplans von Babylon.95) Ähnliches gilt auch für Tf. V, die zunächst 48 »Postamente« (akkadisch parakku 96)) aufführt, darauf Stadttore, Straßen und andere Teile des Stadtbilds vorstellt und schließlich in eine Zusammenfassung der Stadtbildbeschreibung einmündet. Fundorte: Fragmente sind vor allem bei Grabungen im babylonischen Raum, einige aber auch in Assyrien – Ninive (Kuyuncik) und Assur selbst – zum Vorschein gekommen. Als auffällige Besonderheit ist noch ein kleines, aus Babylon stammendes Tafelfragment zu erwähnen, das den akkadischen Text auf der Vorderseite in Keilschrift, auf der Rückseite jedoch in griechischen Buchstaben schreibt. 97) – Veröffentlichungen: Alle bis 1992 bekannten Fragmente wurden von A. R. George, Tintir = Babylon and the Topography of Babylon, in: Babylonian Topographical Texts (OLA 40), 1-72 (ältere Literatur, Umschrift und Übersetzung), Pl. 1-19 (Kopien), zusammengestellt und bearbeitet; P. D. Gesche, Schulunter93. 94. 95. 96. 97.

Es gibt jedoch einzelne akkadische Ausnahmen, so z. B. Z. 1. Alle Sitze liegen innerhalb von Marduks Haupttempel Esagila. Es sei daher daran erinnert, daß Enu¯ma elisˇ VI 119 ff. zufolge er in Babylon in seinem Haus auch Wohnungen (»Nachtlager«) für die von außerhalb zur Versammlung anreisenden Götter anlegte. Zu bedenken wäre aber, daß der von Tintir gezeichnete Plan um mehrere Jahrhunderte älter ist als der, den die deutschen Ausgrabungen unter R. Koldewey vorfanden, und daß daher mit Ungenauigkeiten zu rechnen ist. W. Sallaberger, »Altar« und parakku – Zur Außenansicht der Tempel von Babylon, ZA 103 (2013) 38-42 zufolge bezeichnet das Wort außerhalb von Tempeln liegende Bauteile, an denen Embleme der in dem Tempel verehrten Gottheit angebracht waren. BM 34798 des British Museum London, als Textzeuge c zu Tf. I 1-12 in Kopie bei George, Topographical Texts, Pl. 6. Als Beispiel mag Z. 5 dienen, wo akkadisch Ba¯bilu nu¯r sˇamê mit griechisch babil nwr sauh wiedergegeben ist.

19

Texte aus Mesopotamien

richt in Babylonien im ersten Jahrtausend v. Chr. (AOAT 245), Münster 2000, 819 (weitere kleine Schulfragmente); A. R. George, Tintir = Babylon, in: R. Koldewey, Das wieder erstehende Babylon, Fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von B. Hrouda, München 1990, 355-371 (neuere deutsche Übersetzung). – Vorbemerkungen zur Übersetzung: Vorgelegt wird nur eine Auswahl. Nicht übersetzte Zeilen werden nicht besonders angezeigt und sind nur an der unterbrochenen Zeilenzählung erkennbar. Von Tf. II wird nur ein Teil der besser erhaltenen Zeilen übersetzt. Ein besonderes Problem ist die sumerisch-akkadische Zweisprachigkeit, die in Tintir besonders die Namen der aufgelisteten Lokalitäten betrifft. In Tf. I sind die Namen der linken Spalte sumerisch, die rechte Spalte bietet eine akkadische Übersetzung des Namens oder, wie in Z. 1-3, einen Beinamen. In Tf. II und IV fehlt die akkadische Übersetzung des sumerischen Namens, dort ist hier dann eine deutsche jeweils in Klammern beigefügt.

1.3.1 Tafel I (1) Tintir (2) Tintir (3) Tintir

ˇ u-Anna (4) S (5) Si-Anna (6) Sa-Anna (7) Sa-Anna 98) (8) Uru-sigbi-dubsagga (9) Uru-silla (10) Uru-mebi-kalla (11) Uru-billudabi-suhsuh

˘ ˘ (12) Uru-lugal-dingirrene (13) Uru-gude-Asarre (14) Uru-labi-nugia (15) Uru-gurus ˇ-nidub (16) Uru-niggina-kiagga (17) Uru-niggina-sisa (18) Uru-nig3erim-hulgig (19) Uru-lukurra

˘

(21) Eridu (22) Ka-dingirra (23) Es ˇkiri-tabba-anki

Babylon, das mit Ruhm und Freuden beschenkt ist, dito, Wohnstatt der Fülle, dito, Wohnstatt des Lebens, dito, Kraft der Himmel, dito, Licht der Himmel, dito, Band der Himmel, dito, Ausspruch der Himmel, dito, Stadt, deren Ziegelwerk uralt ist, dito, Stadt der Freuden, dito, Stadt, deren heiligen Kräfte kostbar sind, dito, Stadt, deren Riten auserlesen sind, dito, Stadt des Königs der Götter, dito, Stadt, die Marduk ins Leben rief 99), dito, Stadt, deren Fülle unerschöpflich ist, dito, Stadt, die ihren Jünglingen Frieden schenkt, dito, Stadt, die Wahrheit liebt, dito, Stadt der Wahrheit und Gerechtigkeit, dito, Stadt, die Bosheit haßt, dito, Stadt der edlen Menschen, dito, angenehme Stadt 100), dito, Tor der Götter, dito, das das Halteseil von Himmel und Erde hält,

98. Sa-Anna in Z. 6 mit dem Zeichen SA, hier mit SA4 geschrieben. Dem Sumerogramm SA4 entspricht akkadisches nabû »benennen«, oft auch mit der Nebenbedeutung »ins Leben rufen, erschaffen«. 99. Asarre (auch Asalluhi und Asaralimnunna), mit dem Marduk gleichgesetzt wird, war ursprünglich ein Sohn ˘des Enki. 100. Eridu ist eigentlich die im äußersten Süden gelegene Stadt des Gottes Enki/Ea. Die Übertragung des Namens auf Babylon ist eine Folge des Marduk-Ea-Synkretismus.

20

Texte aus Mesopotamien (28) Dur-Asarre

dito, Wohnsitz des [Marduk], dito, Wohnsitz von Anu, Enlil und E[a], (30) Mud-dingir-sagga dito, Schöpfer von Gott und [Mensch], (31) A3agga-me-zu dito, das Riten und Anweisungen kennt, (42) Dim-mud-zi dito, von Enlil erschaffen, (43) Mulu-gubs ˇi-mada dito, das das Leben des Landes sichert, (44) Uru-nigtuku dito, die reiche Stadt, (46) Uru-hul-ezen-gudgud dito, Stadt der Freude, der Feste und des Tanzens, ˘ (47) Uru-ugbi-ezen-zalzal dito, Stadt, deren Menschen Feste feiern, (48) Uru-ubara-silla-duha dito, Stadt des Schutzes, die Gefangene befreit, (50) Uru-niggalla-nigga ˘ dito, Stadt von Gütern und Besitz, (51) Dim-kurkurra dito, Band der Länder. (29) Dur-asaralimnunna

1.3.2 Tafel II (1) Ti3a ¯ mat

Sitz des Be¯l, wo Be¯l wohnt, Sitz des Anu, wo der Sohn des Oannes [wohnt], 101) (3) Ki-aratta (Gewichtiger Ort) Sitz des Enlil, wo Tasˇme¯tum wohnt, (4) Engurra (Grundwasser) Sitz des Ea, wo Eas Fußbank [steht], (5) E-duku (Haus Heiliger Hügel) Sitz des Ea, wo Eas Cella [steht], (11) Iku (Pegasus 102)) Sitz des Ea, der an der Tempelschwelle steht, (12) E-uzu (Haus, das Kräuter kennt) Sitz der Gula, oberer (Hof), (13) E-ub-aralli (Haus Unterweltsnische) dito der Gula, unterer (Hof), (14) Tila ¯ 3a dito von Alala und Belili, auf dem ein Stern steht, 103) ˇ erzi-kisˇarra (Glanz des Weltalls) (15) S dito des Sˇamasˇ, an dem rechts die Entscheidungen […] (16) E-dukuga (Haus des Heiligen Hügels) dito des Lugaldukuga, das Haus des Wagens, (17) E-tus ˇa-Asalluhi (Wohnhaus des Asalluhi) dito der Igigi, Haus von […], ˘ i (Apsû-Haus des Asalluh ˘ i) dito der Anunnaki, Haus von […], (18) E-abzu-Asalluh ˘ der Geheimnisse von ˘ (20) E-hal-anki (Haus ˘ Himmel und Erde) dito des Ea […], (21) Es ˇ-gar (Festes Haus) dito des Qingu […], (2) Ki-tilmunna

(Gewichtiger Ort)

101. Oannes, ein auch aus Berossos bekannter Fischmensch, war einer der 7 mythischen Urweisen. Ein Sohn des Oannes ist sonst unbekannt; Vgl. M. P. Streck, Art. Oannes, RlA 10 (2003-2005) 1-3. 102. Akkadisch ikû ist zweideutig und kann entweder »Feld« oder »Pegasus« (als Sternbild des Anu) bedeuten. 103. Alala und Belili waren ein Vorfahrenpaar des Anu.

21

Texte aus Mesopotamien (22) Du-s ˇuba

(Hügel des Hirten) (Himmelswohnung)

(23) Dur-anna

dito des Dumu[zi …], dito des Großdrachen, 2 Postamente, auf denen Schlangen liegen.

Nach weiteren 23 schlecht erhaltenen Zeilen (der Vs.) folgt eine größere Lücke, die ebenfalls Sitznamen enthalten haben muß.104) Auch der weitere Text der Rs. ist wieder sehr beschädigt 105); eine Übersetzung lohnt sich daher nur für einige ausgewählte Zeilen.

Abb. 1: Stadtplan von Babylon (Quelle: R. Koldewey, Das wieder erstehende Babylon, fünfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, hg. B. Hrouda, Berlin 1990, Kartenbeilage)

dito des Ea in Ubsˇu3ukkinna, wo Ea […], (21’) Kas ˇbar-kalamma (Entscheidung des Landes) dito des Sˇamasˇ in Ubsˇu3ukkinna, … […], (31’) E-nigerim-nudib (Haus, in das kein Unheil eindringt), rechte Kapelle dito des Mada¯nu im Großen Hof, (32’) E-nigerim-nusisa (Haus, in dem kein Unheil gedeiht), linke Kapelle dito des Nergal im Großen Hof, (20’) Dur-ankia

(Band von Himmel und Erde)

104. In die Lücke dürfte sich die Rs. des Kuyuncik-Fragments K 4714 aus dem British Museum London fügen, das T. G. Pinches, PSBA 22 (1900) 367-369 veröffentlicht und George, Topographical Texts, 48 ff. mit Pl. 8 neu vorgelegt hat. Mangels Überschneidung mit anderen Textzeugen ist jedoch eine genaue Positionierung nicht möglich. 105. Z. 11’-19’ auch auf der Schultafel BM 76058, 1’-10’; vgl. Gesche, Schulunterricht, 622.

22

Texte aus Mesopotamien (33’) E-dumu-nunna

(Haus des Fürstensohns) dito des Mada¯nu in Asuda, (Haus des erhabenen Richters) dito des Musˇte¯sˇir-habli dito. ˘ ˘ Für den folgenden Absatz, der Tore zusammenstellt, lohnt wegen seiner Bruchstückhaftigkeit keine Übersetzung. Die Tafel bricht dann ganz ab, daher fehlen Fangzeile und Kolophone, und so ist die Rekonstruktion von Tf. III unmöglich.

(34’) E-dikumah

1.3.3 Tafel IV

(Haus, das das Haupt erhebt) (Haus Fundament von Himmel und Erde) (3) E-karzaginna (Haus des Lapislazuli-Kais) (4) E-rab-riri (Haus der bindenden Fessel) (5) Egal-mah (Erhabener Palast) ˘ (6) E-namtagga-duh a (Haus, das die Sünde löst) ˘ Leben spendenden Hacke) (7) E-al-tila (Haus der (8) E-turkalamma (Haus Hürde des Landes) (9) E-nitenna (Haus der Ruhe) (10) E-sagtilanna-gidri-tuku (Zepter tragendes Haus der Himmelsgeheimnisse) (11) E-zida-gis ˇnugal (Wahres Haus des Lichts)



(1) E-sagil

Ebenbild des Apsu,

(2) E-temen-anki

Ebenbild von Esˇarra, Tor des Apsû, Tempel des Mada¯nu, Tempel der Gula, Tempel des Amurru, Tempel des Adad, Tempel der Be¯let-Ba¯bili, Tempel des Sîn, Tempel des Papsukkal, Tempel des Dumuzi in Gefangenschaft,

(12) E-gis ˇla-anki

(Haus des Prüfers von Himmel und Erde) Tempel des Nabû des Abrechnens, (13) E-guzala-mah (Haus des erhabenen Thronträgers) Tempel des Ningisˇzida, (14) E-sagga-s ˇarra˘ (Erstes Haus des Universums) Tempel der Anunı¯tum: in Eridu. (15) E-niggidar-kalamma-summa (Haus, das das Zepter des Landes verleiht) Tempel des Nabû sˇa harê, ˘ (16) E-mas ˇdari (Haus der Opfer) Tempel der Be¯let-Akkade, (17) E-hili-kalamma (Haus Wohlstand des Landes) Tempel der Asˇratu ˘ (Erhabenes Haus) (18) Emah Tempel der Be¯let-ilı¯ in Kadingirra, ˘ (19) E-hursag-tilla (Haus, das das Bergland vertilgt) Tempel des Ninurta, (20) E-s ˇ˘asurra (Haus des Mutterleibs) Tempel der Isˇhara: in Sˇuanna. (21) E-uru-nanam (Haus Es ist eine Stadt) Postament des˘ Nabû, (22) E-kitus ˇ-girzal (Haus Wohnort der Freude) Tempel der Be¯let-Eanna, (23) E-anda-sa3a (Haus, das dem Himmel Tempel des Isˇtar-Sterns: in der gleichkommt) Neustadt. (24) [E]-gis ˇnugal (Haus Großes Licht) Tempel des Sîn, (27) E-sag (Haupthaus) Tempel des Lugalbanda: in Kullab. (28) E-dukuga (Haus Heiliger Hügel) Postament der Igigi; (29) E-kagula (Haus Großes Tor) Postament der Anunnaki, (30) E-me-urur (Haus, das die heiligen Kräfte Tempel der Nana¯3a: in TE.E. sammelt) 23

Texte aus Mesopotamien (31) E-nunmah

(Haus Erhabener Fürst) (Haus Grundriß von Himmel

˘ (32) E-gis ˇhur-ankia

˘ und Erde) (33) E-bursasa (Haus der schönen Krüge) (34) E-namtila (Haus des Lebens) (35) E-es ˇmah (Erhabenes Haus) ˘ (36) E-ka-dimma (Haus, das … macht) (37) E-mesikila (Haus der heiligen Kräfte) (38) E-diku-kalamma (Haus des Richters der Welt) (39) E-esir-kalamma (Haus Straße des Landes) (40) E-namhe (Haus der Fülle) ˘ (41) E-kitus ˇ-garza (Haus Wohnort des Ritus) (42) E-sa-bad (Haus mit offenen Ohren) (43) E-s ˇiddu-kisˇarra (Haus des Weltenlenkers)

Tempel des Nusku, Tempel der Be¯let-Ninua, Tempel der Sˇara: in Ba¯b-Lugalgirra. Tempel des Be¯l-ma¯ta¯ti, Tempel des Ea, Tempel der Belili, Tempel des Amurru, Tempel des Sˇamasˇ, Tempel von Pisangunuk, Tempel des Adad: in Kumar. Tempel der Be¯let-Eanna, Tempel der Gula, Tempel des Nabû: in Tuba.

1.3.4 Tafel V (1-11) (Weitgehend

abgebrochene Postamentnamen) »Vertrauen Esagilas«, (13) Postament »Vertrauen seiner Leute«, (16) [Postament] »Bete, daß er hört«, (18) [Postament] »Marduk wandte sich Babylon zu«, (19) [Postament] »Marduk erkannte das Herz der Götter und Göttinen«, (20) Postament »Die Götter achten auf Marduk«, (21) Postament »Marduk trug die Kraft Babylons«, (22) Postament »Vergiß Babylon nicht, Marduk!«, (23) Postament »Gedeihen möge der Starke, Pabilsag!«, (24) Postament »Hof des h aluppu-Baums«, ˘ alle Feinde, Marduk!«, (27) [Postament] »Vernichte (30) Postament »Er erhört sein Rufen«, (33) Postament »Hirt seines Landes«, (34) Postament »Der dem ihm Gehorsamen Gutes tut«, (35) Postament »Ababa reißt die Bösen aus«, (36) Postament »Er kann hüten, der liebreiche Marduk«, (37) Postament »Erua ist die Hirtin ihrer Leute«, (38) Postament »»Genug! Bis wann noch?« sagte Marduk zu ihm«, (39) Postament »Hell leuchte Babylon«, (40) Postament »Es gedeihe der Versorger Esagilas«, (41) Postament »Laß übrig und geh vorbei«, (42) Postament »Schutz ihres Verfalls«, (43) Postament »Nabû ist der Richter seiner Menschen«, (44) Postament »Süß ist ihr Schatten«, (45) Postament »Es liebt den Schwachen Marduk«, (46) Postament »Es hört den Erschöpften Marduk«, (12) Postament

24

Texte aus Mesopotamien (47) Postament (48) Postament

»Gut ist im Munde der Menschen Marduk«, »Die Schwelle des Landes ist das Tor der Isˇtar«.

»Feindlichkeit ist Verbrechen an ihm«: Das Urasˇ-Tor 106), »Es haßt seinen Angreifer«: Das Zababa-Tor, (51) Stadttor »Sein Herr ist Hirte«: Das Marduk-Tor, (52) Stadttor »Is ˇtar wirft seinen Erstürmer nieder«: Das Isˇtar-Tor, (53) Stadttor »Enlil läßt es glänzen«: Das Enlil-Tor, (54) Stadttor »Möge seine Gründung dauerhaft sein«: Das Königstor, (55) Stadttor »Adad, schütze das Leben der Truppen«: Das Adad-Tor, ˇ amasˇ, sichere die Basis der Truppen«: Das Sˇamasˇ-Tor. (56) Stadttor »S (49) Stadttor (50) Stadttor

(57) Mauer (58) Mauer (59) Fluß (61) Fluß

Imgur-Enlil (Enlil war gnädig): Seine Mauer, Ne¯med-Enlil (Hilfe Enlils): Sein Wall.

Arahtu, der Fluß des Überflusses, ˘ egalla (Er bringe Überfluß): Der Ostkanal. Lı¯bil-h ˘

(62) Straße

»Er hört den, der ihn sucht«: Die Breite Straße, »Beuge dich, Stolzer«: Die Schmale Straße, (64) Straße »Aj-ibu ¯ r-sˇabû (Möge der Übermütige nicht andauern)«: Die Babylon-Straße, (65) Straße »[Sein] Schatten ist süß für den Schwachen«, (66) Straße »Welcher Gott ist wie Marduk, […]«, (67) Straße »Nabû ist der Richter seiner Leute«: Die Straße des [Uras ˇ]-Tors, (68) Straße »Zababa, der Vernichter seiner Feinde«: Die Straße des Zababa-Tors, (69) Straße »Marduk ist der Hirte seines Landes«: Die Straße des Marduk-Tors, (70) Straße »Is ˇtar ist der Schutzgeist ihrer Truppen«: Die Straße des Isˇtar-Tors, (71) Straße »Enlil ist der Begründer seines Königtums«: Die Straße des Enlil-Tors, (72) Straße »Sîn ist der Begründer seiner Königskrone«: Die Straße des Königtors, (73) Straße »Adad ist Versorger seiner Leute«: Die Straße des Adad-Tors, ˇ amasˇ ist der Schutz seiner Truppen«: Die Straße des Sˇamasˇ-Tors, (74) Straße »S (75) Straße »Bete, daß er dich hört«, (76) Straße »Damiq-ilı¯s ˇu-Straße 107)«, (77) hStraßei »Vierweg-Straße«, (78) Straße »Siebenergottheitstraße«, (79) hStraßei »Zwillingsgottstraße«, (80) Straße »Erfreue sein Land, Segen ist sein Geschenk«, (81) Straße »Er hört den Fernen«: Die Marduk-Straße. (63) Straße

(82-83) Zusammen:

43 Kultstätten der großen Götter in Babylon, 55 Postamente des Marduk, (84) 2 Umwallungen, 3 Flüsse, 8 Stadttore, 24 Straßen von Babylon, (85) 300 Igi-

106. Z. 49-51 auch auf der Schülertafel BM 68401 Z. 1’-3’; vgl. Gesche, Schulunterricht, 554. Z. 48-55 auf BM 76502, 12’-18; vgl. Gesche, Schulunterricht, 635-638. 107. Damiq-ilı¯sˇu hieß der letzte König der altbabylonischen Dynastie von Isin (1751-1729 v. Chr.).

25

Texte aus Mesopotamien

gi-Postamente, 600 Anunnaki-Postamente, (86) 180 Isˇtar-Kultnischen, 180 Stationen von Lugalirra und Meslamtaea, (87) 12 Stationen der Siebenergottheit, 6 Stationen des Ku¯bu, (88) 4 Stationen des Regenbogens, 2 Stationen des bösen Gottes, 2 Stationen des Wächters der Stadt. (89-90) Babylon, (91) Eridu,

Ort der Erschaffung der großen Götter. 108) in dem Esagila [erbaut ist].

(92) Vom

Markttor bis zum Großtor: [Dessen Name] ist Eridu. Markttor bis zum Urasˇ-Tor: Dessen Name ist Sˇua[nna]. (94) Vom Großtor bis zum Is ˇtar-Tor: Dessen Name ist Kadingirra. (95) Vom Is ˇtar-Tor bis zum Tempel der Be¯let-Eanna am Kanalufer: [Dessen Name] ist Neustadt. (96) Vom Tempel der Be¯let-Eanna am Kanalufer bis zum Marduk-Tor: [Dessen Name] ist Kullab. (97) Vom Zababa-Tor bis zur Postament »Die Götter achten auf Marduk«: [Dessen Name] ist TE.E. (93) Vom

(98) (Das

sind) die 6 Städte am Ostufer.

(99) Vom Adad-Tor bis zum Akusı¯tu-Tor: Dessen Name ist .[…].. (100) Vom Akusı¯tu-Tor bis zum Enamtila, in dem Esˇmah erbaut ist: Dessen Name ist Kumar. (101) Vom »Nabel ˘ let-Ninua bis zum Flußufer: Dessen Name ist Ba¯b-Ludes Bogens« des Tempels der Be ¯ galirra. (102) Vom Sˇamasˇ-Tor bis zum Flußufer: Dessen Name ist Tuba. (103) (Das

sind) die 4 Städte am Ostufer. Überfluß (bedeutet).

(104) (Zusammen)

10 Städte, deren Umfeld

1.4 Assoziative Liste mit geheimem Wissen des Beschwörers

Karl Hecker Keilschriftliche Dokumente, ob Inschriften oder Tontafeln, besaßen, schon weil nur relativ wenige Menschen lesen und schreiben konnten, stets einen Aspekt des Geheimen, und dies erst recht, wenn ein gelehrter Schreiber sich der dem weniger gebildeten unverständlichen sumero-akkadischen Sprachmelange bediente.109) Dennoch kam es etwa ab dem 8. Jh. in Mode, bestimmte Texte in der Tafelunterschrift (Kolo-

108. Z. 89 und 90 haben den gleichen Wortlaut in Sumerisch (Z. 89: ká.dingir.raki …) und Akkadisch (Z. 90: Ba-bi-li …). 109. Daß die Lektüre mancher Texte schwierig war und Fehllesungen zu Mißverständnissen führen konnten, war schon den alten Gelehrten bekannt.

26

Texte aus Mesopotamien

phon) als Geheimwissen zu deklarieren und ihre Weitergabe an Uneingeweihte zu untersagen. Eine hinter der Textauswahl stehende Ratio ist nicht erkennbar, und unbekannt ist auch, wer denn als Leseberechtigter galt und wer nicht. 110) Der hier übersetzte Text erklärt dem Beschwörungspriester (a¯sˇipu) in der typischen Form der Liste 111) die magische Bedeutung der im Ritual benutzten Gegenstände und Materialien. Veröffentlichungen: Der Haupttextzeuge (A), die nur wenig beschädigte Tafel des University Museum Philadelphia mit der Inv.-Nr. CBS 6060, wurde 1919 durch St. Langdon, Sumerian Liturgies and Psalms (PBS X/4), Philadelphia 1919, Nr. 12 mit Kopie und Bearbeitung publiziert und bildet auch die Grundlage für diese Übersetzung, da die Neubearbeitung durch A. Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works of Assyrian and Babylonian Scholars, Oxford 1986, 54-57, 96-97, 176-179, 186, leider sehr unübersichtlich ist. Duplikate zu (A): (B): K 4245+17990: H. Zimmern, Beiträge zur Kenntnis der babylonischen Religion, Leipzig 1896, 27, Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, Pl. II, Vs. I = (A) I 1-18, II = (A) II 7-23, Rs. III = (A) Rs. III, 13 ff. 112), Rs. IV Reste eines Kolophons. (C): BM 41361 + 44179: Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, Pl. VI, Vs. I = (A) I 1-11, II = (A) I 29 – II 8. (D): BM 47463: Livingstone, Mystical and Mythological Explanatory Works, Pl. III-V, = A I 1-11, 14-ultima. (I 1) Das

Weihwasserbecken : […]-Götter: (2) Nin-girima 113), Schöpferin ihrer göttlichen […]; (3) Der Behälter : Nammu 114), geliebt von ihren Brüdern; (4) Tamariske : Anu; ˇala¯lu-Kraut : Ninurta; (8) Reines Kraut : (5) Palmherz : Dumuzi, (6) Seifenkraut : Ea; (7) S Nansˇe; (9) Löseholz : Erra; (10) Silber : Angal; (11) Gold : Enmesˇarra; (12) Kupfer : Ea; (13) Zinn : Ninmah; (14) Blei : Ninurta; (15) Karneol : Ninlil; (16) Lapislazuli : Venus(-Stern); ˘ 115) : Amarahe-ea von Eridu 116); (18) Roter Achat : Lugal-asal 117); (17) Schwarzer Achat ˘

110. Für eine Liste relevanter Texte vgl. R. Borger, Art. Geheimwissen, RlA 3 (1964-1971) 188-191. Ein Textbeispiel findet sich in TUAT.NF 4 (2008) 96 im Kolophon der babylonischen Fassung des Mundwaschungsrituals. 111. Ein formales äußeres Merkmal der Liste ist, daß sie für jeden Eintrag eine eigene Zeile benutzt. Aus Gründen der Platzersparnis werden die Zeilen hier aber fortlaufend gesetzt. Die Satzzeichen einschließlich des Doppelpunkts haben im Keilschrifttext keine Entsprechung und sollen als Zutat des Übersetzers die Sinnzusammenhänge verdeutlichen. 112. Teilweise abgebrochen. 113. Für Nin-girima, eine Tochter des Ea und eine für Beschwörungen und kultische Reinigungen (daher das Weihwasserbecken) zuständige Göttin, vgl. M. Krebernik, Art. Nin-girima. I. RlA 9 (1998-2001) 363-367. 114. Nammu: Mutter des Ea, ebenfalls mit Reinigungen verbunden. 115. hula¯lu, ein schwarz-weiß gestreifter, musˇˇsaru (Z. 16), rot gestreifter Halbedelstein; vgl. ˘A. Schuster-Brandis, Steine als Schutz- und Heilmittel. Untersuchung zu ihrer Verwendung in der Beschwörungskunst Mesopotamiens im 1. Jt. v. Chr. (AOAT 46), Münster 2008, 436 bzw. 433. 116. Amarahe-ea, eine sonst wenig bekannte Tochter des Sîn. ˘ »König der Euphrat-Pappel«, war eine mit dem Unterweltsgott Nergal identifizier117. Lugal-asal, te Gottheit; vgl. M. Krebernik, Art. Lugal-asal, RlA 7 (1987-1990) 115-116.

27

Texte aus Mesopotamien

: Sakkut 119); (20) Papparminnu-Stein : Nusku; (21) Abasˇmû-Stein : Papsukkal; (22) Engisˇa-Stein : Sakkut; (23) Ma¯r-bı¯ti-von-Malag-Stein : Ramma¯nu 120); (24) Lamassu-Stein : Isˇtar von Uruk; (25) Breccia : Isˇtar von Akkade; (26) Koralle : Isˇtar, Herrin von Babylon; (27) Zibtu-Stein : Ninlil; (28) Die Bronzenägel und ihre Bindung : Ninurta; (29) Die Bindung des Jochs : Die Siebenergottheit; (30) Die 7 kleinen Dattelpalmen : Die 7 Söhne von Enmesˇarra; (31) Die 3 Mehlhäufchen : Anu, Enlil und Ea; (II 1) Der Mehlkreis : Nisaba, Tasˇme¯tum; (2) Zeder : Herrin von Nippur; (3) Zypresse : Kisˇar; (4) Sˇimgir-Pflanze : Flußordal; (5) Buchsbaum : Herrin; (6) Süßrohr : Nana¯ja; (7) Wacholder : Adad; (8) Bunte Wolle : Uttu, Tochter des Anu, das Spinnennetz; (9) Die Bindung : Ninurta; (10) Das Räucherbecken : Urasˇ 121); (11) Die Fackel : Gibil; (12) Das weiße Rauchwerk : Lisi; (13) Der Reiniger : Igisigsig, der Gärtner des Enlil 122); (14) Die Pauke : Ninsˇar und Nergal; (15) Die Trommel : Indagar; (16) Gips : Utulu; (17) Bitumen : der Flußgott, (18) Das Sühnezicklein : Kusˇu; (19) Das lebende Schaf : Sˇakkan; (20) Das Opferschaf : Muhra; (21) Das Kornstreusel : ˘ Ea; (24) Die magiGerstenmehl; (22) Das Saatkorn : Mahlzeit; (23) Der Mörser : Nun-urra, (25) sche Waffe : die 7 Stürme, Marduks Waffe; Das rote Gold : die Anunnaki; (26) Die Goldausstattung des jungen Ziegenbocks : Masˇtabbagalgal; (27) Die Gazelle : Sˇarrat-Nippuri; (28) Die Gans : Nininimma; (29) Zedernharz : Fett des Anzû; (30) Honig : Eiter des Anzû; (31) Ranziges Öl : sein Fett; (III 1) Rosinen : seine Augäpfel; (2) Getrocknete Feigen : seine Brüste, (3) Granatäpfel : seine Knie; (4) Äpfel : seine Knöchel; (5) Kuchen : sein Fleisch; (19) Pappardilû-Stein 118)

(6) Kus ˇu

: auf dem … 123); (7) Muhra 124) : vor dem Haupttor; (8) Sakkut : mitten im Sumpf; : im Obstgarten; (10)˘Eku : im Schenkel; (11) Abbagula : in der Wand; (12) Sˇulak 125) : im Verfallenen; (13) (Sternbild) Wage, Saturn, Merkur, (14) Sˇarur, Sˇargaz, 50-köpfige Waffe, (15) 50-köpfige Götterkraft, Löwenköpfige Waffe, Löwenköpfige Götterkraft, (16) Unerbittlicher Sturm, Überwältigender Sturm, (17) (und) Dem Feind fehlt seine Stärke – Lisi 126): (9) Silakku

118. pappardilû, ein schwarzer Stein mit einem, papparminnu (Z. 20) mit zwei weißen Streifen; vgl. Schuster-Brandis, Steine als Schutz- und Heilmittel, 403. Weitere hier genannte Steine sind von unbestimmbarer Konsistenz. 119. Sakkut, auch Sagˆkud (dies, falls sumerisch, etwa »Halsabschneider«?), hier und Z. 21, Kol. III 8 zufolge im Sumpf hausend, u. a. mit Ninurta geglichen, ist wohl als Sakkuth, Name eines in Israel verehrten Götzen, ins AT eingegangen (Amos 5, 26); vgl. M. Krebernik, Art. Sagˆkud, RlA 11 (2006-2008) 529-530. 120. Ma¯r-bı¯ti (»Sohn des Tempels«), ein in Malgium (hier Malag?) beheimateter Gott; vgl. M. Krebernik, Art. Ma¯r-bı¯ti, RlA 7 (1987-90) 355-357. Zu Ramma¯nu (»Donnerer«), eine Wettergottgestalt, vgl. D. Schwemer, Art. Ramma¯n(um), RlA 11 (2006-2008) 236-237. 121. Urasˇ, eine Parhedra des Himmelsgottes An: M. Krebernik, Art. Urasˇ, RlA 14 (2015) 401-406. 122. Igisigsig ist sonst der Gärtner des Anu. 123. ina EDIN ki-i-si/u unklar. ˙ 124. Muhra: Mit Nergal geglichen. 125. Mit ˘Ausnahme von Sakkut und Sˇulak gehören die in Z. 6-12 genannten Dämonen zu den Asakku (sumerisch asag)-Dämonen, die schwere Krankheiten von Mensch und Tier hervorrufen. Beschwörungen gegen diese Dämonen sind schon Ur-III-zeitlich bezeugt; vgl. H. Neumann, TUAT.NF 4 (2008) 12-13. 126. Lisi(n): Ursprünglich eine Muttergöttin, später mit dem Fixstern Antares geglichen; vgl. H. Hunger / P. Michalowski, Art. Lisin, RlA 7 (1987-90) 32-33.

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Texte aus Mesopotamien (18) 12

Götter meiner Stadt, Niederwerfer der Stürme.

Die Namen der in den Z. 14-17 genannten Gottheiten sind im Text sumerisch, die folgenden Zeilen 19-IV 12 bieten die akkadische Übersetzung oder eine auf fehlerhaftem sumerischen Sprachverständnis beruhende Erklärung. Auf eine Übersetzung ins Deutsche kann verzichtet werden, da sie inhaltlich nur wenig Neues bringt. (13-17) Der

Kundige darf es dem Kundigen zeigen, der Unkundige darf es nicht sehen. Nach seinem Original schrieb es Ninurta-na¯sir, Beschwörungspriester, Sohn von Ninurta-iqı¯sˇa. Eigentum des (Tempels) Esˇumesˇa. 127)˙

1.5 Die babylonische Weltkarte

Karl Hecker Unter den aus dem Alten Orient erhaltenen Landkarten128) ist diese in der assyriologischen Literatur oft als »Mappa mundi« benannte Weltbeschreibung von einzigartiger Bedeutung, da sie nicht nur reale geographische Gegebenheiten wiedergibt, sondern auch Einblicke in die altorientalischen Vorstellungen vom Aufbau der Gesamtwelt vermittelt. Die bewohnte Erde ist demnach eine runde, allseits vom »Bitterfluß« umgebene Scheibe, die von oben nach unten, d. h. etwa von Nord nach Süd, von einem durch zwei parallel verlaufende Linien angedeuteten Fluß – gemeint ist gewiß der Euphrat – durchquert wird. Dieser Fluß kommt aus dem »Gebirge« (Nr. 7 der Nachzeichnung: der Taurus), durchfließt Babylon (Nr. 10) und mündet in die im Süden gelegenen Marschen. Der Tigris fehlt auf der Karte. Mehrere Städte sind durch kleine Kreise angedeutet, in die teils nur ein Punkt, teils das Wortzeichen »Stadt« (Nr. 8) und teils der Stadtname selbst eingetragen ist. Die Nennung der Landschaft Bı¯t Jakı¯n (Nr. 14) liefert einen Hinweis auf die Entstehungszeit der Karte, da dieser Name erst im 9.-8. Jh. aufkommt und an die Stelle des älteren »Meerlandes« tritt. Stark fragmentierte Keilschrifttafel. – Aufbewahrungsort: British Museum London (BM 92687). – Veröffentlichungen (Kopie und Bearbeitung): F. E. Peiser, Eine babylonische Landkarte, ZA 4 (1889) 361-370; R. C. Thompson, CT XXII (1906) Pl. 48 (Kopie, zeigt weniger als Peisers Kopie). Vgl. auch W. Röllig, Art. Landkarten, RlA 6 (1980-1983) 464-467 Nr. 12 (reproduziert CT XXII 48). Die jüngere Bearbeitung von E. Unger, Babylon. Die heilige Stadt nach der Beschreibung der Babylonier, Berlin 21970, 254-258 ist verbessert durch W. Horowitz, The Babylonian Map of the World, Iraq 50 (1988) 147-165, unter dem gleichen Titel wiederholt in Mesopotamian Cosmic Geography (MC 8), Winona Lake 1998, 127. Zum Kolophon vgl. H. Hunger, Babylonische und assyrische Kolophone (AOAT 2), Kevelaer / Neukirchen-Vluyn 1967, 29 Nr. 40. Die Lesung des Namens des Vaters des Schreibers geht auf W. G. Lambert, WO 5 (1969) 291 zurück – Esˇumesˇa hieß der Tempel des Gottes Ninurta in Nippur. 128. Vgl. dazu zusammenfassend Röllig, RlA 6 (1980-1983) 464-467.

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Texte aus Mesopotamien

20-42 und 402-403, Pl. 2-3 (mit einer um einen Join erweiterten und in Einzelheiten weiter verbesserten Kopie). Für eine kommentierte Übersetzung der Vs. vgl. noch W. G. Lambert, Babylonian Creation Myths (MC 16), Winona Lake 2013, 231-232. – Photo der Tafelvorderseite: z. B. B. Hrouda, Der Alte Orient. Geschichte und Kultur des alten Vorderasiens, Gütersloh 1991, 256 oben; J. Marzahn / G. Schauerte, Babylon. Wahrheit, Ausstellungskatalog, Berlin 2008, 115 Abb. 47. 129)

Abb. 2: Die Babylonische Weltkarte (nach Thompson, CT XXII 48, und Horowitz, Cosmic Geography, 21-22)

Karteneinträge: 1 (1) Große Mauer, (2-3) 6 Meilen Zwischenraum, (4-5) wo man die Sonne nicht sieht. 2 (1) Gebiet; (2-3) 6 Meilen Zwischenraum. 3 und 4 (1) [Ge]biet; (2-3) [x Meilen Zwischenraum]. 5 (1) Gebiet; (2-3) 8 Meilen Zwischenraum. 6 Bitterfluß. 7 Gebirge. 8 Stadt. 9 Habba¯n. 10 Babylon. 130) 11 Urartu. 12 Land Assur. 13 De¯r. 14 Bı¯t Jakı¯n. ˘ 15 Kanal. 16 Marsch. 17 [..]..[..]. 18 Susa. 129. Für eine ausführliche Liste älterer Photos vgl. Horowitz, Babylonian Map, 20 Anm. 2. 130. Geschrieben TIN.TIRki.

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Texte aus Mesopotamien

Mit dem kreisförmig die Erde umgebenden »Bitterfluß«131) ist zweifelsohne das Salzmeer gemeint, das den Mesopotamiern als »Oberes-« bzw. »Unteres Meer« (Mittelmeer bzw. Persischer Golf) bekannt war. Außerhalb oder jenseits des Bitterflusses liegen mehrere als Dreieck gezeichnete »Gebiete«, von denen der antike Kartograph nur vage Vorstellungen besaß. Namen für diese Gebiete kennt er nicht, und es bleibt offen, ob er transmaritimes Festland oder aber Inseln meint. 132) Die in den Beischriften jeweils links der Dreiecke angegeben Maße sind ganz unrealistisch, wobei auch unklar bleibt, worauf diese sich beziehen, auf die Breite des Bitterflusses oder, wie die Anordnung der Beischriften außerhalb der Dreiecke womöglich andeuten sollte, auf die Entfernung der Gebiete voneinander. Allerdings ist zu bedenken, daß nur drei Beischriften erhalten sind und es daher unsicher bleibt, ob zu jedem der ursprünglich wohl 8 Gebiete auch Beischriften existierten. 133) Begleitet wird die Karte von einem nicht nur wegen seiner schlechten Erhaltung schwer verständlichen Text. Auf der Vs. der Tafel geht der Karte die Beschreibung einer paradiesisch anmutenden Ansammlung mythischer und realer Tiere voran, die Marduk erschaffen und zusammen mit »zerstörten« Göttern innerhalb oder jenseits des Meeres angesiedelt hatte. Obwohl anscheinend eine Brücke existierte, ist es nur drei Menschen, nämlich dem Sintfluthelden Ut-napisˇtim, dem altakkadischen König Sˇarru-kı¯n und Nu¯r-Daga¯n, dem fabulösen König von Parsˇuhanda, gelungen, auf die ˘ andere Seite des Meeres zu gelangen 134). Die Tafelrückseite enthält Beschreibungen von 8 Gebieten, wobei allerdings die naheliegende Frage, ob überhaupt Gebiete der Karte beschrieben werden und, wenn ja, welche, unbeantwortet bleibt. Anfang der Vorderseite abgebrochen; nur geringe Reste in Vs. 1’. (2’) [….] die zerstörten Städte […].(3’) [….], das Marduk ansieht. Die Brücke da[rüber] (4’) […] und die zerstörten Götter, die er inmitten des Meeres wo[hnen] ließ,(5’) […] .. stehen da. Schlange (und) Großdrache sind darinnen, Anzû (und) Skor[pionmensch],(6’) [… Be]rgziege, Gazelle, Sphinx, Leopard, Wi[sent, …], (7’) […, L]öwe, Wolf, Hirsch, Hyäne, […], (8’) [Af]fe, Äffin, Steinbock, Strauß, Katze, Chamäleon, […] (9’) […],

131. Das Determinativ »Fluß« ist allerdings nur einmal geschrieben und fehlt in den anderen 3 Karteneinträgen. Akkadisch marratu, eigentlich fem. zu marru »bitter«, bezeichnet im 1. Jt. v. Chr. allgemein mit oder ohne Flußdeterminativ das Salzmeer. 132. Die Bedeutung »Insel« für akkadisch nagû, eigentlich »Landstrich, Region«, die z. B. Röllig, RlA 6 (1980-1983) 464-467 in Erwägung zieht, wird in den Wörterbüchern ausschließlich für Taf. XI 139 des Gilgamesˇ-Epos mit ähnlichem Kontext in Anspruch genommen (AHw 762a mit Fragezeichen), für unsere Stelle in CAD N/I 123a aber ausdrücklich abgelehnt. 133. In älterer Literatur werden gelegentlich nur 7 Gebiete angenommen. Vgl. dazu etwa die bei A. R. George, The Babylonian Gilgamesh Epic, Vol. II, Oxford 2003, 889 diskutierte Literatur. 134. Ut-napisˇtim wurde Taf. XI 193-196 des Gilgamesˇ-Epos (TUAT III [1990-1997] 735) zufolge nach der Sintflut von den Göttern mit ewigem Leben ausgestattet und an einen Ort »in der Ferne an der Mündung der Flüsse« versetzt; außer Gilgamesˇ war es keinem Menschen gelungen, zu ihm zu gelangen. – Das Zusammentreffen von Sˇarru-kı¯n und Nu¯r-Daga¯n, Variante Nu¯r-Daggal, in Parsˇuhanda (= altassyrisch Purusˇhattum, heute Acem Höyük nahe des klein˘ ist eines der Hauptthemen ˘ des Sagenkreises um Sargon von Akkad asiatischen Tuz Gölü,) (vgl. J. G. Westenholz, Legends of the Kings of Akkade, [MC 7], Winona Lake 1997, 57-58 u. ö.), der dem Autor des Kartenbegleittexts offenbar recht gut bekannt war, ohne daß er aber die geographischen und historischen Unstimmigkeiten wahrgenommen hätte.

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Texte aus Mesopotamien

das Getier, das auf dem wogenden Meer Marduk erschuf, […] (10’) […] Ut-napisˇtim, Sˇarru-kı¯n und Nu¯r-Daga¯n, der König von Pursˇahanda, (11’) [wohin] niemand gi[ng]. ˘ Anfang der Rückseite abgebrochen; in Rs. 1’–3’ nur geringe Reste. (4’) [Zum

ersten Gebiet, wohin] du ge[hst, … ].

(4’-6’) [Zum

zweiten Gebiet], wohin du 7 Me[ilen] gehst, [ … ].

(7’-8’) [Zum dri]tten Gebiet, wohin du 7 Me[ilen] gehst, (kann auch) ein geflügelter [Vo]gel [den Weg] nicht voll[enden]. (9’-10’) [Zum v]ierten Gebiet, wohin du 7 Me[ilen] gehst, [wo … ] dick wurden wie ein Scheffel, 20 Zoll [ … ]. (11’-12’) [Zum

fün]ften Gebiet, wohin du 7 Me[ilen gehst, … ] (13’-18’) (Weitgehend abgebrochen. Einzelne erhaltene Worte: […] ist seine Höhe, 840 Ellen […]; […] sein …, 120 Ellen […]; […].. seines Blutes sieht er nicht [ … ]).

(19’-20’) [Zum

sechsten] Gebiet, wohin du [7 Meilen] gehst, [ … ].

(21’-23’) [Zum

sieb]ten Gebiet, wohin du [7 Meilen] gehst, […] da tragen die Rinder Hörner (…), sie laufen und erreichen […].

(24’-25’) Zum

[ac]hten Gebiet, wohin du 7 Mei[len] gehst, […] wo … auf seinem Sporn

… […]. 135) (26’-27’) […]

der vier Weltufer der gesamten [Erde, …] deren Inneres niemand [kennt].

(28’-29’) [

… ] nach einer alten Vorlage geschrieben und kollationiert. [Hand von PN], Sohn von Issu¯ru, Nachkomme des Ea-be¯l-ila¯ni. 136) ˙˙

135. Unverständlicher Text; vgl. CAD T 432 s. v. tisˇe3ru. 136. Für den Kolophon vgl. Hunger, Babylonische und assyrische Kolophone, 131 Nr. 466.

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1.6 Ein Plan der babylonischen Stadt Nippur

Joachim Oelsner Die an den Rändern beschädigte Tafel HS 197 wurde in Nippur in der Kampagne 1899/1900 ausgegraben (angeblich in einem Tongefäß zusammen mit anderen Tontafeln verschiedener Perioden). 137) Der Plan ist nach Südwesten orientiert. 138) Die Beischriften sind teils sumerisch, teils akkadisch. Sie verlaufen meist von links nach rechts bzw. von oben nach unten, die für die Hauptwasserläufe (G und J) sind kopfstehend geschrieben, womit möglicherweise ihre Fließrichtung angedeutet werden sollte. Dargestellt sind in einer nahezu maßstabsgerechten Zeichnung (etwa 1:9200) 139) der Verlauf der Stadtmauer 140), wichtige Wasserläufe (G, H, J, R, S), Stadttore (K-Q) sowie einzelne Bauwerke (B, C, F, T 141)) und andere Areale (D, E). Zwischen den beiden letzteren verlief vermutlich, ausgehend vom Nanna-Tor (N) von Südosten nach Nordwesten eine (nicht eingezeichnete) Straße. 142) Von den bei den Ausgrabungen untersuchten Bereichen findet sich in HS 197 nur das Ekur (Enlil-Tempel und Ziqqurrat; B). Nicht eingezeichnet sind ein »kassitisches Gebäude« im Süden nahe der Stadtmauer (U), der Inanna-Tempel in der Nähe des Ekur (V), der sogenannte »Nord-Tempel« (= Ninurta-Heiligtum Esˇumesˇa?; W), Wohnkomplexe südlich von Ekur (X und Y) sowie das zunächst »Tablet hill« genannte Schreiberviertel mit Wohnhäusern (Z). 143) Das in Assur ausgegrabene Duplikat VAT 9423, ein Beutestück aus Babylonien,144) ergänzt die rechte obere Ecke. Danach ist westlich der Stadt außerhalb der Stadtmauer ein »Feldlager« lokalisiert (AA). Obwohl der Zweck des Planes sich nicht zweifelsfrei ermitteln läßt, könnte letzteres dafür sprechen, daß das Objekt im Zusammenhang mit der Planung von Verteidi137. H. V. Hilprecht, Explorations in Bible Lands during the 19th Century, Philadelphia 1905, 516-520 (mit Abb.). 138. Aus der Richtung von Beischrift A in der Mitte der Vorderseite und dem Kolophon auf der Rückseite (s. Anm. 146) ergibt sich, daß die Tafel im Hochformat zu lesen ist, s. Oelsner / Stein, AfO 52 (2011) 116 (mit Verweis auf Parallelen in Anm. 49). In älteren Bearbeitungen (vgl. Kramer, From the Tablets, u. a.) wurde davon ausgegangen, daß die Tafel im Querformat zu lesen ist. An der Drehung um 45o gegenüber der heute üblichen Orientierung der Himmelsrichtungen ändert sich nichts. Auch Fragmente von Plänen der Stadt Babylon sind ebenso ausgerichtet, s. A. R. George, Babylonian Topographical Texts (OLA 40), Louvain 1992, 28; Oelsner, GS Brentjes. 139. Beim Zeichnen des Planes wurde mehrfach der Verlauf von Linien korrigiert (in der Umzeichnung gestrichelt wiedergegeben). 140. Die einzelnen Abschnitte sind mit Maßangaben versehen. 141. Die Beischrift ist beschädigt. Wenn sie zu akı¯[tum] oder akı¯[t se¯rim] zu ergänzen ist (auffällig ˙ ein Neujahrsfesthaus zu beist, daß davor bı¯tu »Haus« ausgelassen wurde), wäre sie auf ziehen. Dazu würde passen, daß das Areal außerhalb der Stadtmauer liegt. 142. Oelsner / Stein, AfO 52 (2011) 114 f. mit Anm. 38. 143. Vgl. zum Ausgrabungsbefund zusammenfassend M. Gibson / D. P. Hansen / R. L. Zettler, Art. Nippur B. Archäologisch, RlA 9 (1998-2001) 546-565 (mit Literatur). Darauf sei hier stellvertretend für die Vielzahl der Veröffentlichungen verwiesen. Zur Lage und Bezeichnung der Komplexe s. dort den Plan S. 547 fig. 1. 144. Zur Fundstelle E. F. Weidner, AfO 16 (1954-1956) 208 Nr. 39; O. Pedersén, Archives and Libraries in the City of Assur 1, Uppsala 1985, 38.

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Texte aus Mesopotamien

gungsanlagen stand. Auch die große Bedeutung, die offensichtlich der Stadtmauer und den Toren beigemessen wurde, spricht eher für einen strategischen als einen kultisch-religiösen Hintergrund. 145) Vielleicht ist dies im Rahmen eines Wiederaufbaus der Stadt nach einer Verfallsperiode zu sehen. Keilschrifttafel (HS 197) aus Nippur aus mittelbabylonischer Zeit und Duplikat (um 1400 v. Chr. 146)). – Aufbewahrungsort: Hilprecht-Sammlung Vorderasiatischer Altertümer im Eigentum der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Frau Professor Hilprecht Collection of Babylonian Antiquities). – Edition und Bearbeitung: S. N. Kramer, From the Tablets of Sumer, Indian Hills 1956, 142 (Photo), 271-275 (Kopie [I. Bernhardt], Beschreibung und Übersetzung); ders., History Begins at Sumer, 3. Aufl., Philadelphia 1981, 357-359; S. N. Kramer / I. Bernhardt, Der Stadtplan von Nippur, der älteste Stadtplan der Welt, Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 19 (1970) 727-739 (Beschreibung mit Übersetzung, Photo, Kopie); W. Röllig, Art. Landkarten, RlA 6 (1980-1983) 464 f., Nr. 3; J. Oelsner / P. Stein, Der Stadtplan von Nippur (HS 197), AfO 52 (2011) 104-116 (Neubearbeitung: Umschrift, Übersetzung, Kommentar, Photo, Kopie). Fragment eines Duplikats: O. Schröder, Keilschrifttexte aus Assur verschiedenen Inhalts (WVDOG 35), Leipzig 1920, Nr. 25 (VAT 9423 [Kopie]; Photo: CDLI P281770); Röllig, RlA 6 (1980-1983) 465, Nr. 7; P. Stein, Der »Älteste Stadtplan der Welt«: ein Plan der Verteidigungsanlagen von Nippur?, in: P. Stein (Hg.), Hilprecht-Sammlung Vorderasiatischer Altertümer – Frau Professor Hilprecht Collection of Babylonian Antiquities, Jena 2017, 108-113 (mit Ergänzung: J. Oelsner, Ein Duplikat zum Jenaer Stadtplan, ebd. 113); J. Oelsner, Zur Orientierung keilschriftlicher Karten und Pläne aus Mesopotamien, in: H. Neumann / K. Rührdanz (Hg.), Die ganze Welt im Blick, GS B. Brentjes (im Druck).

Die keilschriftlichen Beischriften auf dem Stadtplan: 147) A: Nippur 148) – B: Ekur 149) – C: Eki3ur 150) – D: ein Fünftel des … 151) – E: Garten im Innern der Stadt 152) – F: Esˇmah 153) – G: Fluß Euphrat – H: Nunbirdu-Kanal – J: Kanal ˘ »unreinen Frauen« – L: Erhabenes Tor – M: Großes innerhalb der Stadt – K: Tor der 145. Vgl. Oelsner / Stein, AfO 52 (2011) 115. 146. Die Datierung von HS 197 in die Mitte bzw. 2. Hälfte des 2. Jt. v. Chr. (s. J. Oelsner / P. Stein, AfO 52 [2011] 107 f.) erfolgt auf der Grundlage von Paläographie und sprachlichen Indizien, da der Kolophon (Rs.) stark zerstört ist. Das Duplikat (s. o. mit Anm. 138) ist wegen der Reste der Datierung im Kolophon (Rs). vielleicht Kurigalzu I. zuzuweisen, s. Oelsner, GS Brentjes. 147. Zur Auslassung des Sigels »I« s. Oelsner / Stein, AfO 52 (2011) 110 Anm. 12. Eine kurze von unten nach oben geschriebene Beischrift auf der Rs. von HS 197 (s. Oelsner / Stein, AfO 52 [2011] 114) ist vielleicht als ungewöhnliche Schreibung von »Tafel sechs« zu interpretieren. Darin kann eine Entsprechung zum Vermerk »Sechste Tafel« vor dem Beginn von VAT 9423 gesehen werden. Beide Exemplare wären dann als Teil einer größeren Serie von Tafeln bestimmt, über die jedoch nichts bekannt ist. 148. Name der Stadt. 149. Enlil-Heiligtum. 150. Ninlil-Heiligtum. 151. Eine Übersetzung des sumerischen an.nigin.na in diesem Kontext ist nicht möglich, vgl. Oelsner / Stein, AfO 52 (2011) 112 sub D. 152. Vielleicht eine unbebaute Fläche in städtischem Gemeinbesitz; nach der Formulierung könnte sie zum Palmenanbau genutzt worden sein. 153. Tempel-Name.

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Abb. 3: Der Stadtplan von Nippur (Quellen: Oelsner / Stein, AfO 52 [2011] 105; Schroeder, WVDOG 35, Nr. 25)

Tor – N: Nanna-Tor – O: Uruk-Tor – P: Tor, das nach Ur (führt) – Q: Nergal-Tor – R und S: (Stadt-)Graben – T: Ak[i?-…] 154) – AA: Feldlager. Durch Ausgrabungen bekannte Areale: U: kassitisches Gebäude – V: Inanna-Tempel – W: »Nord-Tempel« – X: Wohnkomplex mit Heiligtum – Y: Wohnkomplex mit Verwaltungsgebäude – Z: Schreiberviertel mit Wohnhäusern (»Tablet Hill«). 154. S. o. Anm. 141.

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1.7 Die Sintflut und der Bau der Arche

Daniel Schwemer Die Erzählung von der vernichtenden Flut, mit der die Götter die lärmende und sich immer weiter vermehrende erste Generation der Menschen vernichtet, ist ein fester Bestandteil des mesopotamischen Welt- und Geschichtsbildes. Die als Arbeiter für die Götter neu erschaffenen Menschen verursachen unerträglichen Lärm und rauben den Göttern den Schlaf. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, die Menschheit zu dezimieren, beschließt Enlil, alle Menschen durch eine große Flut zu vernichten. Doch einmal mehr durchkreuzt der Weisheits- und Schöpfergott Enki-Ea das Vernichtungswerk seines Bruders Enlil. Er warnt den Atram-hası¯s, der in der Überlieferung auch ¯ ta-napisˇti oder im Sumerischen als Ziusudra˘ begegnet, vor der kommenden Flut als U und rät ihm, ein großes Boot zu bauen, auf dem er und seine Familie mitsamt Tieren und ausgesuchten Handwerkern die Flut überdauern können. So überlebt Atramhası¯s die große Flut, ein Ereignis, das nach mesopotamischer Überlieferung in die ˘ Erschaffung einer neuen Menschengeneration mündet, deren Geschick nun aber von Krankheit und Sterblichkeit gekennzeichnet ist. Die Erzählung vom Rat des Ea und dem Bau der Arche gehört zu den berühmtesten Passagen der akkadischen Literatur. Sie ist fragmentarisch im altbabylonischen Atram-hası¯s-Mythos erhalten,155) aber am ˘ besten aus der elften Tafel des kanonischen Gilgamesˇ-Epos bekannt (vgl. K. Hecker, TUAT III/4 (1994) 671-744, sowie aus jüngerer Zeit die Übersetzungen von S. M. Maul und W. Röllig). 156) Ein kleines Täfelchen aus spätaltbabylonischer 157) Zeit, das Irving L. Finkel in Photo, Umschrift und Übersetzung vorgelegt und Ark Tablet getauft hat, enthält nur diesen Teil der Fluterzählung. Der Text auf der Tafel, der leider über weite Strecken schlecht erhalten ist, schließt mit dem Versiegeln des Eingangs der Arche und enthält eine Beschreibung des Bootsbaus, die sich in vieler Hinsicht von dem entsprechenden Passus im Gilgamesˇ-Epos unterscheidet. Nicht zuletzt zeigt das Ark Tablet, daß sich der Schreiber dieses Textes im Gegensatz zur späteren Überlieferung die Arche als ein großes Rundboot (Coracle) vorstellte. Der Text hebt mit Warnung und Rat des Ea an Atram-hası¯s an. Da Ea mit den anderen Göttern einen Eid geleistet hat, ˘ den Vernichtungsplan nicht an die Menschen zu verraten, spricht er nicht zu Atramhası¯s direkt, sondern zur Wand seines Hauses. Die folgende Übersetzung beschränkt ˘ sich auf die besser erhaltenen Zeilen der Tafel.

155. Für eine deutsche Übersetzung s. W. von Soden, TUAT III/4 (1994) 612-645, sowie K. Hecker, TUAT.NF 8 (2015) 132-143; zu den relevanten Passagen aus den verschiedenen Versionen des Atram-hası¯s-Epos vgl. Finkel, Ark, 92-99. ˘ 156. S. M. Maul, Das Gilgamesch-Epos, München 32006; W. Röllig, Das Gilgamesch-Epos, Stuttgart 2009. 157. Zur Datierung s. M. P. Streck, Rez. Finkel, The Ark before Noah, ZA 107 (2017) 140-141. Vorliegender Beitrag wurde im Sommer 2016 abgeschlossen; spätere Beiträge konnte ich nur noch begrenzt berücksichtigen [Korrekturzusatz: s. nun N. Wasserman, The Flood. The Akkadian Sources. A New Edition, Commentary, and a Literary Discussion [OBO 290], Fribourg – Göttingen 2020].

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Texte aus Mesopotamien

Kleine, einkolumnige Keilschrifttafel: Ark Tablet (wohl spätaltbabylonisch, ca. 17. Jh. v. Chr.). – Aufbewahrungsort: in Privatbesitz; Abguss im British Museum, London. – Fundort: unbekannt. – Erstveröffentlichung: I. L. Finkel, The Ark Before Noah. Decoding the Story of the Flood, London 2014, besonders 357-368. (1) »Lehmziegelmauer,

Lehmziegelmauer, Rohrwand, Rohrwand! gib Acht auf meinen Rat, ˘ (3) [dann] wirst du für immer leben! (4) Zerstöre das Haus, baue ein Boot, verschmähe Besitztum und (5) bewahre das Leben! (6) Plane das Boot, das du bauen wirst, (7) mit einer kreisrunden Zeichnung. (8) Seine Länge und Breite sollen einander entsprechen. (9) Seine Grundfläche betrage ein Morgen 158), [seine] Wände seien eine Rute 159) (hoch). (10) Die Taue sind je zehn Ruten 160) (lang), du kennst [die Ru]d[er] 161). (11) Ein Handwerker 162) soll für dich Strick fertigen, (12) 14.430 (Stück) soll er auf dein Geheiß hin be[reitstell]en!« 163) (13) Dreißig Rippen verlegte ich im Innern (des Bootes), (14) die ein Scheffelgefäß dick waren, deren Länge zehn Ruten betrug. (15) 3.600 Stützpfosten befestigte ich in seinem Innern, (16) die ein halbes (Scheffelgefäß) dick waren, deren Länge eine halbe Rute betrug. (17) Ich zimmerte seine Kabinen, oben und unten. (18) Mit sechzig (Maß) Bitumen überzog ich seine Außenseiten, 164) (19) mit sechzig (Maß) Bitumen überzog ich sein Inneres, (20) sechzig (Maß) Bitumen goß ich auf die Kabinen aus. (21) Meine Öfen lud ich mit 28.800 … , 165) (22) und 3.600 (Maß) Bitumen goß ich hinein. (23) Das Bitumen reichte nicht, 166) (2) Atram-hası¯s,

158. 159. 160. 161. 162. 163. 164.

165. 166.

1 ikû-Maß ~ 3600 qm. 1 nindanu-Maß ~ 6 m. Akkadisch asˇla¯; 1 asˇlu-Maß ~ 10 nindanu-Maß ~ 60 m. Lies am Ende der Zeile ta-mu-u[r? g]i?-sˇa-[li?]? Die editio princeps konstruiert kannu¯ und asˇlâ zu Beginn der Zeile als Akkusative und liest: ka-an-nu asˇ-la-a ta-mu-u[r] sˇa [MÁ] »You saw kannu ropes and asˇlu ropes/rushes for [a coracle before!]«. Die Übersetzung basiert auf der Annahme einer Lesung GISˇ.KIN?.TI (kisˇkattûm) statt grammatisch schwierigem gisˇár-ti der editio princeps (dort als maskuliner Akkusativ Plural »the fronds« gedeutet). Die Übersetzung basiert auf einer Ergänzung li-[pu?]-ul am Ende der Zeile (statt li-[ku]-ul der editio princeps). Die Verbalform in dieser und der folgenden Zeile wird hier ap-[sˇ]u?-usˇ gelesen; editio princeps: ap-[r]u-ús »I apportioned«. Am Zeilenanfang verstehe ich 1 ˇsu-sˇi als »sechzig« (Z. 18-20, vgl. auch Z. 24; vgl. nun auch Streck, ZA 107, 141); die editio princeps rechnet dagegen mit einem Logogramm SˇU.SˇI »Finger« (für zu erwartendes SˇU.SI). Die editio princeps liest hier ESIR.UD.DU.A »Asphalt«; man erwartet aber eher eine Angabe zum Brennstoff. Wörtlich: »kam mir nicht nahe«.

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Texte aus Mesopotamien (24) so (25) Ich

fügte ich 300 (Maß) Schweinefett hinzu. lud [meine] Öfen gleichmäßig.

Die weitere Beschreibung des Baus der Arche in den Zeilen 26-37 ist nur sehr fragmentarisch erhalten. Wie in den anderen Fluterzählungen feiert man den Abschluß der Arbeiten mit einem Festmahl: (38) Man

aß und trank.

Auch die Beschreibung des Beladens der Arche mit Besatzung, Tieren, Pflanzen und Proviant ist erheblich beschädigt. Der Text auf dem ›Ark Tablet‹ endet mit der Aufforderung des Atram-hası¯s an den zurückbleibenden Bootsmann, den Eingang des ˘ Bootes von außen zu versiegeln: (59) »Wenn (60) dann

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ich (in das Boot) eingetreten bin, dichte die Öffnung seines Eingangs ab!«

2. Reflexion der Vergangenheit und Geschichtskonzeptionen 2.1 Einleitung

Hans Neumann Die Darstellung und Überlieferung von Vergangenem im Sinne einer eigenständigen Geschichtsschreibung, wie wir sie aus der griechisch-römischen Welt kennen, lassen sich in der schriftlichen Quellenüberlieferung des alten Mesopotamien nicht nachweisen. Allerdings wurde historisches Geschehen durchaus reflektiert, wofür es unterschiedliche Beweggründe gab. Neben praktischen Bezügen (z. B. in Babylonien die Datierung von Urkunden durch Jahresnamen historischen Inhalts in der zweiten Hälfte des 3. und der ersten Hälfte des 2. Jt. v. Chr., 1) was Teil einer chronographischen Texttradition wurde 2)) entsprang das Interesse an der Darstellung und Überlieferung historischer Ereignisse einer spezifischen politischen und/oder religiösen Motivation und verfolgte entsprechende Zielsetzungen für die Gegenwart und Zukunft. 3) Die Reflexion von Vergangenheit manifestiert sich dabei zum einen in den sog. chronographischen Texten im engeren wie im weiteren Sinn 4) (Jahresnamen-, Eponymen- und Königslisten, 5) Chroniken) 6) sowie in epigraphischen Quellen erzählenden Inhalts (Königsinschriften und Annalen), 7) zum anderen in Mythen und Epen8) (einschließlich sog. pseudo-historischer bzw. -autobiographischer Texte 9)), Prophe1. 2. 3.

4.

5.

6. 7. 8.

9.

Vgl. die von W. H. Ph. Römer übersetzten Beispiele von Jahresnamen in TUAT I/4 (1984) 337-343. Vgl. J.-J. Glassner, Mesopotamian Chronicles (SBL Writings from the Ancient World 19), Leiden / Boston 2005. Vgl. dazu unlängst S. M. Maul, Rückwärts schauend in die Zukunft: Utopien des Alten Orients, in: A. Archi (Hg.), Tradition and Innovation in the Ancient Near East. Proceedings of the 57th Rencontre Assyriologique Internationale at Rome, 4-8 July 2011, Winona Lake 2015, 3-12. Zur Begrifflichkeit vgl. J. Renger, Vergangenes Geschehen in der Textüberlieferung des alten Mesopotamien, in: H.-J. Gehrke / A. Möller (Hg.), Vergangenheit und Lebenswelt. Soziale Kommunikation, Traditionsbildung und historisches Bewußtsein (ScriptOralia 90), Tübingen 1996, 13-15. Vgl. im vorliegenden Zusammenhang jetzt auch C. Wilcke, Gestaltetes Altertum in antiker Gegenwart: Königslisten und Historiographie des älteren Mesopotamien, in: D. Kuhn / H. Stahl (Hg.), Die Gegenwart des Altertums. Formen und Funktionen des Altertumsbezuges in den Hochkulturen der Alten Welt, Heidelberg 2001, 93-116. Vgl. dazu bereits die Textvorlagen von R. Borger in TUAT I/4 (1984) 401-404 sowie von K. Hecker in TUAT.NF 2 (2005) 27-45. Vgl. R. Borger in TUAT I/4 (1984) 354-410; K. Hecker in TUAT Ergänzungslieferung (2001) 11-20; H. Neumann in TUAT.NF 2 (2005) 9-26 und K. Hecker, ebd. 45-88. Ausgewählte Epen und Mythen der mesopotamischen Überlieferung haben W. H. Ph. Römer und D. O. Edzard in TUAT III/3 (1993) 351-559 und W. G. Lambert, K. Hecker, W. von Soden und G. G. W. Müller in TUAT III/4 (1994) 565-801 in Übersetzung vorgelegt; vgl. darüber hinaus auch C. Mittermayer, P. Attinger, A. Zgoll und K. Hecker in TUAT.NF 8 (2015) 3-143. Vgl. die entsprechende Überlieferung zu Sargon von Akkade; dazu K. Hecker in TUAT Ergänzungslieferung (2001) 55-60.

39

Texte aus Mesopotamien

tien und in den sog. historischen Omina. 10) Die sich mit der Schreiberausbildung und Gelehrtentätigkeit verbindende Tradition war häufig Teil einer auf die Erklärung und den Erhalt des mesopotamischen Königtums gerichteten Legitimationsstategie der jeweils herrschenden Dynastie bzw. Könige oder reflektierte in spezifischen Kontexten auch die Interessen der Tempelaristokratie. Die Darstellung historischen Geschehens war in Teilen tendenziös bzw. propagandistisch, wie es sich z. B. in der inschriftlichen Überlieferung der neuassyrischen Könige in der ersten Hälfte des 1. Jt. v. Chr. manifestiert, war in anderen Fällen jedoch ausgesprochen sachlich und historisch verlässlich, wie etwa bei den spätbabylonischen Chroniken seit ca. 750 v. Chr. bis in die seleukidische Zeit (3. Jh. v. Chr.). Gemäß dem altmesopotamischen Weltverständnis vollzog sich Geschichte in Abhängigkeit vom Willen der Götter. Die durch politische, ideologische und/oder kultische Zweckgebundenheit charakterisierte Reflexion von Geschichte thematisierte daher auch in unterschiedlichem Umfang den göttlichen Ursprung menschlichen Daseins und Handelns sowie den sich mit vergangenem Geschehen verbindenden göttlichen Willen und die entsprechende göttliche Intervention. Die im folgenden unter dem Gesichtspunkt der Geschichtsreflexion beispielhaft dargebotenen Texte entstammen der sumerischsprachigen mythologisch-literarischen Tradition des alten Mesoptamien. Die Dichtung Fluch über Akkade thematisiert den Aufstieg und Untergang von Akkade, der Hauptstadt des ersten größeren Territorialstaates in Mesopotamien, und bringt den Zerfall des Reiches – im Widerspruch zur historischen Realität – mit dem altakkadischen König Nara¯msîn (2261-2206 v. Chr.) in Verbindung. Der Ursprung dieser nachträglichen, gegen den (in der Realität politisch erfolgreichen) König Nara¯msîn, der in der späteren (historisierenden) Überlieferung mehrfach Gegenstand legendenhafter Ausschmückung gewesen ist, 11) gerichteten Konstruktion von Vergangenheit dürfte in der antiakkadischen Haltung der Enlil-Priesterschaft von Nippur zu suchen sein. 12) Die Übersetzung des aus der Ur III-Zeit (21. Jh. v. Chr.) stammenden Exemplars der Chronik der einzigen Monarchie (Sumerische Königsliste) ergänzt die auf der altbabylonischen Tradition fußende Textvorlage der Sumerischen Königsliste von W. H. Ph. Römer in TUAT I/4 (1984) 328-337. Dabei wird deutlich, daß die entsprechende Überlieferung die (Herrschafts-)Geschichte des 3. Jt. Chr. in durchaus komplexer Weise reflektiert und möglicherweise eine dem Denken der Zeit adäquate Geschichtstheorie erkennen läßt. Weiterführende Literatur in Auswahl: T. Abusch / P.-A. Beaulieu / J. Huehnergard / P. Machinist / P. Steinkeller (Hg.), Historiography in the Cuneiform World. Proceedings of the 10. 11. 12.

40

Vgl. K. Hecker und M. Dietrich in TUAT II/1 (1986) 56-93 sowie die Übersetzungen mit der Einführung von R. Pientka in TUAT.NF 4 (2008) 16-60. Vgl. J. G. Westenholz, Legends of the Kings of Akkade. The Texts (MC 7), Winona Lake 1997, 173-368. Vgl. dazu zuletzt (mit Literatur) H. Neumann, Mesopotamische Könige des ausgehenden 3. Jt.s v. Chr. als Versager? Herrschaftserinnerung zwischen Realität und Fiktion, in: H. Grieser / H. Frielinghaus / S. Grätz / L. Körntgen / J. Pahlitzsch / D. Prechel (Hg.), Der Herrscher als Versager?! Vergleichende Perspektiven auf vormoderne Herrschaftsformen (Kraftprobe Herrschaft 1), Göttingen 2019, 25-29.

Texte aus Mesopotamien

XLVe Rencontre Assyriologique Internationale, Bethesda 2001; J. J. Finkelstein, Mesopotamian Historiography (PAPS 107), Philadelphia 1963, 461-472; E. Frahm, Art. Geschichtsschreibung I. Alter Orient, B. Mesopotamien, DNP 4 (1998) 990; A. K. Grayson, History and Historians of the Ancient Near East: Assyria and Babylonia, Or. 49 (1980) 140-194; B. Hrusˇka, Das Verhältnis zur Vergangenheit im alten Mesopotamien, ArOr 47 (1979) 4-14; J. Krecher / H.-P. Müller, Vergangenheitsinteresse in Mesopotamien und Israel, Saeculum 26 (1975) 13-44; J. Renger, Vergangenes Geschehen in der Textüberlieferung des alten Mesopotamien, in: H.-J. Gehrke / A. Möller (Hg.), Vergangenheit und Lebenswelt. Soziale Kommunikation, Traditionsbildung und historisches Bewußtsein (ScriptOralia 90), Tübingen 1996, 9-60; V. Soucˇek (Hg.), Aspects of Ancient Oriental Historiography. Contributions to the Symposium, Charles University 1973 (Studia Orientalia Pragensia 7), Prague 1975; E. A. Speiser, Art. Geschichtswissenschaft, RlA III (1957-1971) 216-220; C. Wilcke, Zum Geschichtsbewußtsein im Alten Mesopotamien, in: H. Müller-Karpe (Hg.), Archäologie und Geschichtsbewußtsein, München 1982, 31-52.

2.2 Fluch über Akkade

Pascal Attinger Gegenstand des Mythos sind der Aufstieg (Z. 1-52) und der Fall (Z. 53-280) Akkades, der Hauptstadt des von Sargon gegründeten Reiches. Hauptfigur ist der Gott Enlil, dessen Entscheidungen die Welt lenken. In einem Rückblick erzählt der Dichter knapp, wie der Gott Enlil die Städte Kisˇ und Uruk zerstört und einen neuen Herrscher über Süden und Norden, den mächtigen Sargon, eingesetzt hat (Z. 1-6). Die Liebes- und Kriegsgöttin Innana erwählt Akkade für ihre Residenz und errichtet in Ulmasˇ (einem Stadtteil Akkades) ihr Heiligtum (Z. 7-9). Unter ihrer Obhut erlebt die Stadt eine Blütezeit, die mit Nara¯msîn, dem Enkel Sargons, kulminiert: »Sein König, der Hirte Nara¯msîn, – er ging auf dem glanzvollen Thronpodest von Akkade wie der helle Tag auf – ließ seine Stadtmauer Bergen gleich bis zum Himmel ragen« (Z. 41-42). Akkade wird zur Weltstadt, und von überall strömen die Güter zu ihr (Z. 10-53). Ohne daß ein Grund explizit angegeben wird, entzieht ihr dann Enlil sein Wohlwollen (Z. 54-57). War er darüber erbost, daß Opfer, die seiner Stadt Nippur zustanden, nach Akkade geliefert wurden? Dafür spricht v. a. die Zeile 45: »Sumers eigenes Gesinde treidelte die Schiffe (dorthin)«. Einem fast gleichen Satz begegnen wir in einer anderen Komposition, Enmerkara und Ensukukesˇedana, und zwar in einem eindeutig kriegerischen Kontext (Z. 144 // 160). Hatte also Nara¯msîn eine Sünde begangen, und wurde seine Hybris bestraft? Diese Hypothese ist zwar möglich, 13) nicht aber zwingend richtig. In den Stadtklagen geschieht die Zerstörung der Städte nicht infolge irgendwelcher Verfehlung, sondern weil die Regierungszeit einer Dynastie nie 13.

So z. B. D. O. Edzard, Das »Wort im Ekur« oder die Peripetie in »Fluch über Akkade«, in: H. Behrens / D. Loding / M. T. Roth (Hg.), DUMU-E2-DUB-BA-A. FS Å. W. Sjöberg (OPSNKF 11), Philadelphia 1989, 33.

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Texte aus Mesopotamien

zeitlich unbegrenzt ist (s. Cooper, Literature, 141-142 mit früherer Literatur). Diese Auffassung kommt besonders klar in einer Rede von Enlil an den Gott Nanna zum Ausdruck, der darin um Schonung seiner Stadt bittet (Klage über Sumer und Ur Z. 362a-368): »Mein Kind, du bist von selbst ein Adliger, warum weinst du? Nanna, du bist von selbst ein Adliger, warum weinst du? Ein Endurteil, ein Wort der Versammlung anzufechten, das gibt es nicht! Ein Befehl von An und Enlil kann nicht geändert werden. Ur war in der Tat das Königtum verliehen worden, nicht aber eine ewige Herrschaft. Seit in fernen Tagen die Völker ins Leben gerufen worden sind, bis (jetzt), wo sie zahlreich geworden sind, wer hat je eine Herrschaft gesehen, die für immer dauern würde?« Wie dem auch sei, Innana wendet sich gegen die Stadt Akkade, wo sie Angst und Schrecken verbreitet. Sie entnimmt ihr »Kampf und Schlacht«, führt diese dem Feind zu und kehrt zu ihrer früheren Residenz zurück (Z. 58-65). Auch die anderen Götter entziehen ihr nacheinander ihre Unterstützung (Z. 66-76), was zum Niedergang der Stadt führt (Z. 77-82), ein Niedergang, der in einem Traum von Nara¯msîn bestätigt wird. Darin erfährt er, daß »das Königreich Akkade keinen stabilen und glücklichen Bestand haben würde, daß seine Zukunft in keiner Hinsicht günstig wäre, und daß (Enlil?) seine Häuser erschüttern würde, seine Vorräte zerstreuen würde« (Z. 83-87). Nara¯msîn resigniert nicht, sondern versucht sieben Jahre lang durch Trauerriten und Orakelanfragen über den (Wieder)bau eines Tempels 14), das Schicksal umzuwenden und Enlils Gunst wiederzugewinnen, aber vergeblich: Enlils Anliegen bleibt ihm undurchsichtig (Z. 88-100). Aus Frust und Wut zugleich greift er das Ekur, das Heiligtum Enlils in Nippur, an und plündert es vollständig (Z. 101-144). Dadurch ist Akkades Schicksal endgültig besiegelt: »(Alle) Güter wurden aus der Stadt weggebracht. Während (Nara¯msîn alle) Güter aus der Stadt wegbrachte, ging Akkades Verstand verloren. Schiffe erschütterten den Kai, Akkades Vernunft wurde verdreht« (Z. 145148). Enlils Antwort läßt nicht auf sich warten. Aus dem Bergland Gubin ruft er die barbarischen Horden der Gutäer herbei, »die keinem (sonst bekannten) Volk gleichen, nicht zu den Ländern gerechnet werden […], die keine sozialen Bindungen kennen, der Herkunft nach Menschen, aber mit Hundeverstand und Affengestalt« (Z. 154156). Sie fallen über das Land her, verwüsten es und bringen alles zur vollständigen Erlahmung (Z. 158-192). Auf den Äckern und in den Gärten wachsen keine Früchte mehr (Z. 172-175), auf den Märkten des Landes klettern die Preise in astronomische Höhen (Z. 176-180), so daß die Leute vor Hunger sterben (Z. 181-183). Schließlich verläßt Enlil seine Stadt Nippur und erbaut sich, von seinen großen Heiligtümern weit entfernt, kleine Schilfhäuser (Z. 193-194). Die Menschen, die jene schlimme Zeit überlebt haben, veranstalten vor Enlil sieben Tage lang Klageriten (Z. 196-202), was aber nur zu Folge hat, daß dieser sich auf sein Zimmer zurückzieht und sich schweren Herzens hinlegt (Z. 109). Darauf versuchen die großen Götter, »Enlils Herz zu kühlen« (Z. 211), indem sie Akkade zuerst knapp (Z. 212-221), dann viel ausführlicher (Z. 222-271) verfluchen. Die Verwünschungen zeigen Wirkung: »Nun – bei Utu und bei diesem Tag – wurde es tatsächlich so. Auf 14.

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Es ist nicht klar, ob Innanas Tempel in Akkade oder das Ekur in Nippur gemeint ist.

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seinen Treidelwegen an den Kanälen entlang wuchs langes Gras, auf seinen Wegen, die für das Fuhrwerk geschaffen worden waren, wuchs ›Wehkraut‹. Mehr noch, auf seinen Treidelwegen aus Alluvium, an den Kanälen entlang, ließen die kusˇu mit buntem Fell und die GˆIR-Schlangen der Berge niemanden durch. Tief in seiner Steppe, wo gutes Gras wuchs, wuchs das ›Rohr der Klagen‹. Akkade, (da, wo) süßes Wasser für es floß, floß salziges Wasser. Dem, der sagte: ›In dieser Stadt will ich wohnen!‹, war die Wohnstätte nicht angenehm, dem, der sagte: ›In Akkade will ich schlafen!‹, war das Lager nicht angenehm« (Z. 272-280). Die Dichtung endet mit einer Doxologie an Innana, die für die Zerstörung von Akkade gepriesen wird (Z. 281). Die genaue Entstehungszeit der Komposition ist nicht bekannt, sie geht aber spätestens ins letzte Jahrhundert des dritten Jahrtausends zurück, da man die älteren Textzeugen in jene Zeit datiert. Vorgeschlagen wurden die altakkadische Zeit (J. M. Durand, Exaltation et Malédiction d’Agadé, AEPHE 1974/1975, Paris 1975, 181), spätestens am Ende der Ur III-Dynastie (A. Cavigneaux, Der Fluch über Akkade, in: K. Volk [Hg.], Erzählungen aus dem Land Sumer, Wiesbaden 2015, 319), kurz vor oder in Ur III (J.-J. Glassner, La chute d’Akkadé. L’événement et sa mémoire [BBVO 5], Berlin 1986, 71: »Bref, entre Utu.hegal et le dernier roi d’Ur, il s’avère difficile de délimiter avec plus d’exactitude le laps de temps au cours duquel le texte de la ›Malédiction‹ vit le jour.«), schließlich in Ur III (die meisten). 15) Während Fluch über Akkade in den 1960er und 1970er Jahren meistens für ein historisches Werk gehalten wurde, sind sich heute alle Forscher darin einig, daß die Komposition zwar teils historische Personen und Ereignisse in Szene setzt, daß dieser Rahmen aber nur als »ferner Hintergrund [dient]« (Cavigneaux, Der Fluch, 320). Wie B. Alster betont, »there is no doubt about the historical reference, although this is a literary composition, and as such includes elements of fiction, so that it is not historically correct in detail«. 16) Historisch belegt sind das Reich Akkade, sein Zusammenbruch (allerdings nicht unter Nara¯msîn) und die Invasion der Gutäer. Wir wissen, daß ein Tempel für Innana in Akkade gebaut wurde, nicht aber durch wen (in Frage kommen Nara¯msîn und Sˇarkalisˇarrı¯). 17) Erdichtet sind dagegen die Plünderung des Ekur 18) und die Zerstörung von Akkade. Weit davon entfernt, Enlils Hei-

15.

16. 17. 18.

Nach M. Liverani, Model and Actualization. The Kings of Akkad in the Historical Tradition, in: M. Liverani (Hg.), Akkad, The First World Empire: Structure, Ideology, Traditions (HANE/S 5), Padova 1993, 56-59 wäre Fluch über Akkade in der Regierungszeit von Isˇme-Dagan (19. Jh. v. Chr.) entstanden. Da Texte in den Ur III-Bauschichten gefunden worden sind, ist diese Hypothese auszuschließen (s. J. S. Cooper, Literature and History: The Historical and Political Referents of Sumerian Literary Texts, in: T. Abusch u. a. (Hg.), Proceedings of the XLVe Rencontre Assyriologique Internationale. Part I: Historiography in the Cuneiform World, Bethesda 2001, 141 Anm. 47; ders., JCS 58 [2006] 39-40 Anm. 2). WO 16 (1985) 161. Vgl. Cooper, The Curse, 10: »The primary sources can be used to show what elements in the composition’s narrative have some historical foundation, but the composition cannot be used to flesh out or complete the primary sources«. S. Glassner, La chute, 72-73. Nach Glassner könnte Nara¯msîn das Ekur zuerst zerstört und später wiederaufgebaut haben (La chute, 71-72). Da Nara¯msîn in der Ur III-Zeit verehrt wurde (s. sogleich), ist dieses Szenario allerdings eher unwahrscheinlich (s. J. S. Cooper, The Curse of Agade, Baltimore / London 1983, 10).

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ligtum verwüstet zu haben, hat Nara¯msîn seine Restaurierung angefangen (vollendet wurde sie durch Sˇarkalisˇarrı¯). Nach seinem Tod führten noch Sˇarkalisˇarrı¯, Dudu und Sˇudurul den Titel »König von Akkade«. In Ur III hatte zwar die Stadt viel an Bedeutung eingebüßt, existierte aber immer noch und wurde von einem Statthalter (ensi2) verwaltet. Schließlich erhielten die Statuen Sargons und Nara¯msîns im Ekur Opfer, und ein Tor in Nippur hieß »Tor des Nara¯msîn« (Glassner, La chute, 73). Alle diese Fakten sprechen eindeutig gegen das Bild eines frevelhaften Nara¯msîn, der den Tempel und die Stadt Enlils in Schutt und Asche gelegt hätte. Die Haupthandlung von Fluch über Akkade ist also eine Legende. Warum und wie diese Legende entstand, entgeht uns. Und auch über Ziel und Zweck des Werks können wir nur Mutmaßungen anstellen. Schon S. N. Kramer betrachtete Fluch über Akkade als »the earliest recorded attempts to interpret a historical event in the framework of a currently held world view« 19). Bis auf den »historical event« 20) würden wohl die meisten Forscher mit ihm übereinstimmen. Vgl. zur Illustration Glassner, La chute, 75: »[…] sa [der Erzählung] fonction n’était pas de rendre compte dans leur véridicité de la matérialité de quelques événements, elle était de donner sens au passé en concentrant l’attention sur un certain nombre d’éléments pertinents qui, par leur association, devenaient susceptibles d’acquérir une valeur d’exemple, une signification de portée universelle […]. [Ce] fut une tentative d’interprétation théologique de l’histoire. On peut la résumer comme suit: la marche du monde est soumise à la volonté d’Enlil, provoquer sa colère revient à causer la ruine des Etats humains«; Cooper, The Curse, 11: »[CA] was composed in a priestly milieu, and explains the fall of a great empire in religious terms«; Alster, WO 16 (1985) 160: »[…] this is a demonstrable example of history interpreted by the ancients as myth, or, rather, history is seen in terms of a theological speculation which is neither history or mythology in the strict sense, but a kind of historiography characteristic of Mesopotamian culture«; Jacobsen, The Cursing, 359: »At best one might perhaps describe it as ›admonitory history,‹ stretching the term ›history‹ to include ›mythohistory‹«. Wir haben es mit einer politischen und religiösen ›Tendenzschrift‹ zu tun, von der ein wahrscheinlicher Zweck es war zu zeigen, daß die Auflehnung gegen die Entscheidungen der Götter (in erster Linie Enlils) unweigerlich zur Katastrophe führt (s. Cooper, Literature, 142). 21) Die vorliegende Erzählung ist in 111 meist fragmentarischen Abschriften erhalten. Vier davon datieren in die Ur III-Zeit, die restlichen in die altbabylonische Zeit. Sie kommen mehrheitlich aus Nippur. Andere Herkunftsorte sind Ur, Uruk, Isin, Kisˇ und Susa. – Bearbeitung: A. Falkenstein, Fluch über Akkade, ZA 57 (1965) 43-124; J. S. Cooper, The Curse of Agade,

19. 20. 21.

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The Sumerians: Their History, Culture and Character, Chicago / London 1963, 62. Es ist allerdings möglich, daß mindestens in der altbabylonischen Zeit die Geschichte als authentisch betrachtet wurde; s. in diesem Sinne P. Attinger, Remarques à propos de la « Malédiction d’Accad », RA 78 (1984) 114 mit Anm. 71. Vgl. auch C. Wilcke, Politik im Spiegel der Literatur, Literatur als Mittel der Politik im älteren Babylonien, in: K. Raablauf (Hg.), Anfänge politischen Denkens in der Antike. Die nahöstlichen Kulturen und die Griechen (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 24), München 1993, 34.

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Baltimore / London 1983; J. Black et alii, The Cursing of Agade, ETCSL c. 2.1.5. – Übersetzung: J. M. Durand, Exaltation et Malédiction d’Agadé, AEPHE 1974/1975, Paris 1975, 154-181 (Übersetzung mit philologischem Kommentar); S. N. Kramer, The Curse of Agade: The Ekur Avenged (ANET3), Princeton 1969, 646-651; P. Attinger, Remarques à propos de la « Malédiction d’Accad », RA 78 (1984) 99-121 (Übersetzung mit philologischem Kommentar); T. Jacobsen, The Cursing of Akkadê, in: The Harps that once … : Sumerian Poetry in Translation, New Haven / London 1987, 359-374; J. Black u. a., The Cursing of Agade, in: The Literature of Ancient Sumer, Oxford 2004, 116-125; P. Attinger, La malédiction d’Agadé (2.1.5), http://www.arch.unibe.ch/attinger 2007, aktualisiert 2019 (Übersetzung mit philologischem Kommentar); A. Cavigneaux, Der Fluch über Akkade, in: K. Volk (Hg.), Erzählungen aus dem Land Sumer, Wiesbaden 2015, 319-335 und 436; B. R. Foster, The Age of Agade: Inventing Empire in Ancient Mesopotamia, London / New York 2016, 350-358 (s. auch Index S. 430). – Teilübersetzung, Kommentar (in Auswahl): J.-J. Glassner, La chute d’Akkadé. L’événement et sa mémoire (BBVO 5), Berlin 1986, passim, besonders 66-77; W. H. Ph. Römer, Or. 55 (1986) 459-464 (Rez. von Cooper, The Curse); D. O. Edzard, Das »Wort im Ekur« oder die Peripetie in »Fluch über Akkade«, in: H. Behrens / D. Loding / M. T. Roth (Hg.), DUMU-E2-DUB-BA-A. FS Å. W. Sjöberg (OPSNKF 11), Philadelphia 1989, 99-105; F. Pomponio, Formule di maledizione della Mesopotamia preclassica, Brescia 1990, 83-87; G. Pettinato, I Sumeri, Milano 1992, 267-275 und 370371; J. S. Cooper, Paradigm and Propaganda. The Dynasty of Akkade in the 21st Century, in: M. Liverani (Hg.), Akkad, The First World Empire: Structure, Ideology, Traditions (HANE/S 5), Padova 1993, 11-23 (zu Fluch über Akkade: S. 16-17); M. Liverani, Model and Actualization. The Kings of Akkad in the Historical Tradition, in: M. Liverani (Hg.), Akkad, The First World Empire: Structure, Ideology, Traditions (HANE/S 5), Padova 1993, 41-67 (zu Fluch über Akkade: S. 56-59); C. Wilcke, Politik im Spiegel der Literatur, Literatur als Mittel der Politik im älteren Babylonien, in: K. Raablauf (Hg.), Anfänge politischen Denkens in der Antike. Die nahöstlichen Kulturen und die Griechen (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 24), München 1993, 29-75 (zu Fluch über Akkade: S. 3335); P. Mander, The Ugly Invader and the Holy Center, in: E. Acquaro (Hg.), Alle soglie della classicità: il Mediterraneo tra tradizione e innovazione. FS S. Moscati, Pisa / Roma 1996, 261-269, besonders 261-264; J. S. Cooper, Literature and History: The Historical and Political Referents of Sumerian Literary Texts, in: T. Abusch u. a. (Hg.), Proceedings of the XLVe Rencontre Assyriologique Internationale. Part I: Historiography in the Cuneiform World, Bethesda 2001, 131-147 (zu Fluch über Akkade: S. 132-133 und 138-142); J. S. Cooper, Genre, Gender, and the Sumerian Lamentation, JCS 58 (2006) 39-47 (zu Fluch über Akkade: S. 39-42 und 45); F. Lara Peinado, Himnos sumerios, Madrid 22006, 171-175; P. Attinger, Notes de lecture: la Malédiction d’Agadé, NABU 2007/46; Y. S. Chen, The Primeval Flood Catastrophe: Origins and Early Development in Mesopotamian Traditions, Oxford 2013, 94-96; C. Wilcke, Law and Literature in the Third Millennium B.C., in: A. Archi (Hg.), Tradition and Innovation in the Ancient Near East: Proceedings of the 57th Rencontre Assyriologique Internationale at Rome 4-8 July 2001, Winona Lake 2015, 13-48 (zu Fluch über Akkade: S. 38-41); M. R. Bachvarova, The Destroyed City in Ancient »World History«: from Agade to Troy, in: M. R. Bachvarova u. a. (Hg.), The Fall of Cities in the Mediterranean: Commemoration in Literature, Folk-Song, and Liturgy, Cambridge 2016, 36-78 (zu Fluch über Akkade: S. 43-46); P. Steinkeller, History, Texts and Art in Early Babylonia, Boston / Berlin 2017, 79-80; E. S. Gerstenberger, Theologie des Lobens in 45

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sumerischen Hymnen. Zur Ideengeschichte der Eulogie (ORA 28), Tübingen 2018, 101106. (1) Als

das (zornige) Stirnrunzeln Enlils 22) wie den Himmelsstier getötet hatte, (3) das Haus des Landes Uruk wie einen riesigen Stier niedergeschmettert hatte, (4) damals, nachdem Enlil Sargon, dem König von Akkade, (5) von Süden bis Norden (6) Herrschaft und Königtum verliehen hatte, (7-8) dann baute die leuchtende Innana das Heiligtum Akkade zu ihrem Hauptgemach aus, (9) stellte in Ulmas ˇ 23) ihren Thron auf. (10) Wie ein junger Mann, der ein Haus ganz neu gestaltet, (11) wie ein junges Mädchen, das ihr Gemach einrichtet, (12) (gönnte sie sich keinen Schlaf), bis (alle) Güter ins Schatzhaus gelangten, (13) bis dieser Stadt ein festgegründeter Sitz gegeben wurde, (14) bis ihre Einwohner edle Speisen aßen, (15) bis sie edle Getränke tranken, (16) bis gebadete Menschen den Hof in Freude versetzten, (17) bis die Festplätze, (ja das ganze) Land, ergrünten, (18) bis die Bekannten miteinander speisen (konnten), (19) während die Fremden wie unbekannte Vögel (fernab) am Himmel kreisten, (20) bis Marhas ˇi wieder als tributpflichtig registriert wurde, ˘ Riesenelefanten, Wasserbüffel, Tiere aus fernen Ländern, (21) bis Affen, (22) sich auf den Plätzen drängten, (23) neben Molosser-Hunden, Leoparden, Bergwildziegen und ALUM-Schafen mit langem Vlies – (24) (bis das alles erreicht war), gönnte sich die leuchtende Innana keinen Schlaf. (25) Damals füllte sie die Emmerspeicher Akkades mit Gold, (26) die Speicher für weißen Emmer füllte sie mit Silber, 24) (27) in die Gerstenspeicher ließ sie Kupfer, Zinn und Lapislazuli-Blöcke in Mengen gelangen. (28) Die Getreidehaufen blieben draußen, mit Lehm beschmiert. 25) (29) Seinen alten Frauen verlieh sie die Überlegung, (2) Kis ˇ

22.

23. 24. 25.

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Eine ausführliche philologische Begründung der folgenden Übersetzung findet sich in Attinger, RA 78 (1984) 99-121; ders., NABU 2007/46; ders., La malédiction. A. Cavigneaux stellte mir freundlicherweise seine damals unveröffentlichte Übersetzung von Fluch über Akkade (jetzt Cavigneaux, Der Fluch) zur Verfügung. Sie war mir von großem Nutzen, und ich habe etliche glückliche Formulierungen übernommen. Frau S. Ecklin verbesserte mit viel Engagement und Akribie mein Deutsch. Beiden sei dafür ganz herzlich gedankt. Ein Stadtteil Akkades. Wortspiel zwischen ziz2 babbar »weißer Emmer« und ku3-babbar »weißes Edelmetall« = »Silber«. Da die Scheunen mit edlen Metallen und Steinen gefüllt waren, mußte das Getreide draußen gelagert werden. Die Getreidehaufen wurden mit Textilien oder Rohrmatten bedeckt, die anschließend mit Lehm beschmiert wurden, um luftundurchlässig zu sein.

Texte aus Mesopotamien (30) seinen

alten Männern die Redekunst; 26) jungen Frauen verlieh sie Spielplätze, (32) seinen jungen Männern die Waffenkraft; (33) seinen Kleinen verlieh sie die Herzensfreude. (34-35) Die umsichtigen Ammen und die Fürstenkinder vergnügten sich zusammen mit dem algˆarsur(da). 27) (36) Im Stadtinneren (ertönten) Leiern, 28) vom Stadtrand (kam der Klang) von Flöten und Tamburinen her, (37) am Kai, an dem die Schiffe anlegten, (herrschte) lauter Lärm und Aufregung. (38) Alle Länder lagerten auf üppigen Wiesen. (39) Ihre Bevölkerung erlebte eine glückliche Zeit. (40) Sein König, der Hirte Nara ¯ msîn, (41) – er ging auf dem glanzvollen Thronpodest von Akkade wie der helle Tag auf – (42) ließ seine Stadtmauer Bergen gleich bis zum Himmel ragen. (43-44) Den ›Mund‹ der Tore öffnete die leuchtende Innana (strombreit) wie der Tigris, wenn er ins Meer mündet. 29) (45) Sumers eigenes Gesinde 30) treidelte die Schiffe (dorthin). (46) Die Bergleute aus Amurru, die kein Getreide kennen, (47) traten bei ihr ein mit fehlerlosen Rindern, fehlerlosen Böcken. (48) Die Bewohner von Meluhha, 31) die Leute der dunklen Berge, ˘ ˘ Güter herunter, (49) brachten ihr allerlei exotische (50) die Elamiter und die Subaräer 32) luden sich – für sie – wie Packesel Waren auf. (51) Alle Stadthalter, die Tempelverwalter (52) und die Landvermesser des Steppenrandes (53) brachten ohne Umwege (nach Akkade) die Opfergaben für den Monatsanfang. (54) Wie kam es? Über die Tore von Akkade breitete sich Erlahmung. (55) Die leuchtende Innana verstand es nicht mehr, diese Opfergaben entgegenzunehmen. (56) Zwar war sie nicht wie eine wohlgeborene Dame des festgegründeten Tempels überdrüssig geworden, den (zu bauen) sie befahl, (57) aber ein (Macht)wort wurde vom Ekur 33) gesprochen – Schweigen gebietend: 34) (58) Akkade zu erschüttern, war ihr auferlegt worden. (59) In Ulmas ˇ verbreitete sie Angst. (60) Sie verließ die Stadt und (kehrte) zu ihrem (früheren) Wohnsitz (zurück). 35) (61) Wie eine junge Frau, die hinter sich läßt, was sie in ihrem Frauengemach hat, (31) seinen

26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35.

Oder »die Autorität«. Ein Musikinstrument. Möglich wäre auch »spielten zusammen Musik auf dem algˆarsur(da)«. Hier würde »Trommel, Pauke« gut passen, nicht aber in der Z. 260. Gemeint ist, daß Güter nach Akkade fließen (s. Z. 45 ff.), wie sich Tigriswasser ins Meer ergießt. Wörtlich »Besitz«. Etwa das Indusgebiet. Eine Bezeichnung für die Einwohner Nordmesopotamiens. D. h. ein Befehl Enlils, des Herrn des Ekur. Wörtlich »wie ein Schweigen«, d. h. »wie (etwas), das Schweigen (gebietet)«. Wörtlich »Weg von der Stadt ging sie zu ihrem Wohnsitz«.

47

Texte aus Mesopotamien (62) gab

die leuchtende Innana das Heiligtum Akkade auf. ein Krieger, der Waffen entgegentritt, (64) nahm sie der Stadt (den Mut zu) Kampf und Schlacht (65) und übertrug (diesen Mut) dem Feind. (66) Nach nicht einmal fünf Tagen, zehn Tagen (67-69) brachte Ninurta das Netz der Herrschaft, die Königskrone, das mansium 36) und den Thron, die dem König verliehen worden waren, in seinen Esˇumesˇa (zurück). (70) Utu nahm der Stadt die Redekunst 37) weg, (71) Enki nahm ihr den Verstand weg. (72) Ihren strahlenden Glanz, der bis zum Himmel geragt hatte, (73) ließ An tief in den Himmel hinaufgehen. (74) Ihre herrlichen Poller, die (fest in den Boden) eingeschlagen worden waren, (75) riß Enki im Abzu heraus. (76) Innana nahm ihre Waffen weg. (77) Das Leben des Heiligtums Akkade endete wie das eines kleinen Karpfens im tiefen Wasser 38) (78) – (alle) Städte miteinander schauten dabei zu. (79) Wie ein Riesenelefant legte es seinen Nacken auf den Boden (80) – wie gewaltige Stiere erhoben sie da miteinander die Hörner. (81) Wie ein sterbender Drache schlürft es den Kopf (auf dem Boden) (82) – wie im Kampf berauben sie es miteinander dessen, was seine Würde ausmachte. 39) (83) Daß das Königreich Akkade keinen stabilen und glücklichen Bestand haben würde, (84) daß seine Zukunft in keiner Hinsicht günstig wäre, (85) daß (Enlil? 40)) seine Häuser erschüttern würde, seine Vorräte zerstreuen würde, (86) (alles das), was Nara ¯ msîn in einem Traum gesehen hatte, (87) verstand er in seinem Inneren, wollte es aber nicht aussprechen, darüber mit niemandem reden. (88) Wegen des Ekur kleidete er sich in Lumpen, 41) (89) seinen Wagen bedeckte er mit einer Rohrmatte, 42) (90) von seinem Boot entfernte er die Kabine, (91) seine königliche Ausrüstung schenkte er weg. (92) Nara ¯ msîn setzte sieben Jahre (als Frist 43)) an. (63) Wie

36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43.

48

Ein Insignum des Königtums, das auch in Innana und Ebih Z. 68 belegt ist. ˘ Oder »die Autorität«. Zu Z. 77-82 s. C. Wilcke apud Attinger, RA 78 (1984) 112-113. Die Zeilen 77, 79 und 81 beziehen sich auf Akkade, die Zeilen 78, 80 und 82 auf die anderen Städte zusammen (am3-da-). Wörtlich »das seiner Gewichtigkeit« (Genitiv ohne Regens). Möglich wäre auch (wörtlich) »in seiner Gewichtigkeit« = »obwohl sie noch gewaltig ist« (so Cavigneaux, Der Fluch, 325). Das Subjekt von Z. 85 (und vielleicht schon von Z. 83-84) ist entweder Enlil oder Nara¯msîn (so Cavigneaux, Der Fluch, 325). Als Zeichen der Trauer. Weil er ihn nicht mehr benutzte. Seiner Untätigkeit.

Texte aus Mesopotamien (93) Wer

hat je erlebt, daß ein König sieben Jahre lang die Hände auf den Kopf legt? 44) der eine Orakelanfrage wegen des Tempels 45) veranstaltete, (95) erschien der Tempelbau nicht im Orakel. (96) Ihm, der ein zweites Mal eine Orakelanfrage wegen des Tempels veranstaltete, (97) erschien (erneut) der Tempelbau nicht im Orakel. (98) Ihm, der die Übereinstimmung (der beiden Orakelbefunde) umdrehen wollte, 46) (99) blieb Enlils Antwort unverständlich. 47) (100) Was er zusammengebracht hatte, lief ihm auseinander. (101) Seine Truppen bot er auf. (102) Wie ein Athlet, der in den Haupthof eintritt, (103) …-te er das Ekur. 48) (104) Wie ein Läufer, der sich zum Start beugt, (105) hatte er, (bevor er) die Hochterrasse (angriff), (seine) Rüstung angelegt. 49) (106) Wie ein Räuber, der Städte plündert, (107) legte er an den Tempel hohe Leitern an. (108) Um das Ekur wie ein riesiges Schiff auseinanderzunehmen, 50) (109) um (seinen) Boden aufzureißen, wie (denjenigen) eines Gebirges, in dem man nach Edelmetall gräbt, (110) um es zu zerspalten wie Berggestein, das Lapislazuli (birgt), (111) um es zu Boden zu werfen wie eine Stadt, die Is ˇkur ›geschüttet‹ hat, 51) (112-113) ließ er für den Tempel, obwohl er doch kein Gebirge war, in dem man Zedern fällt, große Beile gießen, (114) schliff er beide Klingen der Doppeläxte. (115) Am Mauerfuß setzte er Spaten an, (116) (der Boden) wurde bis zum Fundament des Landes ausgehoben. (117) An der Mauerkrone setzte er Beile an, (118) da stürzte der Tempel wie ein getöteter Mann kopfüber auf den Boden, (119) seinetwegen 52) stürzten alle Länder kopfüber auf den Boden. (120) Seine Dachrinnen riß er aus, (121) da stieg der Regen zum Himmel hinauf.

(94) Ihm,

44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52.

Zeichen der Untätigkeit. Es ist nicht klar, ob Innanas Tempel in Akkade oder das Ekur in Nippur gemeint ist. »Etwa durch esoterische Auslegungen der Orakelbefunde, die das Endergebnis umdeuten würden« (Cavigneaux, Der Fluch, 326 Anm. 15). Wörtlich »Enlil: Was er gesagt hatte, war ihm (Nara¯msîn) fremd«. »packte er das Ekur fest mit den Händen« (so Cavigneaux, Der Fluch, 326) ist denkbar, läßt aber den Vergleich der Z. 102 unverständlich. Allerdings ist eine ähnlich mögliche Diskrepanz in den Z. 104-105 feststellbar. S. zu dieser Zeile J. Peterson, NABU 2018/3. Wörtlich »Für die Hochterasse hatte er eine Rüstung angelegt«. S. dazu Cavigneaux, Der Fluch, 326 Anm. 19: »Spielt auf ein gewöhnliches Verfahren im Gütertransport an: Am Ende der Fahrt wird die Fracht abgeladen, dann wird das Schiff zerlegt und das Holz rekuperiert.« Vgl. Klage über Sumer und Ur Z. 64: »Ningˆirsu ›schüttete‹ vor den Hunden das Land Sumer, als (ob es) Milch (wäre)«; ähnlich Klage über Sumer und Ur Z. 188 und Lugale Z. 260. Nara¯msîn.

49

Texte aus Mesopotamien (122) An

seinen Türrahmen riß er (alles) ab, die Vitalität des Landes wurde beeinträchtigt. 53) (123) Am »Tor, wo keine Gerste unterschlagen werden darf«, unterschlug er Gerste: (124) Der Hand des Landes unterschlug er Gerste. (125) Am »Tor des Heils« ließ er die Hacke einschlagen, (126) da wurde alles Heil der Länder verunstaltet. (127-128) Für das Ekur, als wäre es eine riesige Flur, die vom Frühjahrshochwasser überdeckt worden ist, goß er in Formen (das Metall) für große Spaten. 54) (129) Seinen innersten Raum, der kein Tageslicht kennt, erblickten die Menschen, (130) die heiligen Schatztruhen der Götter erblickten die Akkader. (131) Seine Schutzgenien, große Pilaster, die am Tempel standen, (132-133) ließ Nara ¯ msîn mitten ins Feuer stürzen, als wären sie Götterfrevler. (134) Zedern, Zypressen, Wacholder und Buchsbäume (135) …-te er wie die Hölzer seiner Hochterrasse. (136) Sein Gold packte er in Kästen ein, (137) sein Silber steckte er in Ledersäcke, (138) sein Kupfer stapelte er auf dem Kai wie in großen Mengen gebrachte Gerste. (139) Auf daß der Silberschmied sein Silber, (140) der Steinschneider seine Edelsteine verarbeiten könnte, (141) auf daß der Schmied sein Kupfer hämmern könnte, (142) obwohl es nicht die Habe einer geplünderten Stadt war, (143) legten große Schiffe, die dem Kai entlang (stationiert waren), am Tempel an, (144) rückten große Schiffe, die dem Kai entlang (stationiert waren), gegen Enlils Tempel. (145) (Alle) Güter wurden aus der Stadt weggebracht. (146) Während (Nara ¯ msîn alle) Güter aus der Stadt wegbrachte, (147) ging Akkades Verstand verloren. 55) (148) Schiffe erschütterten den Kai, Akkades Vernunft wurde verdreht. (149) Der losgebrochene Sturm, der über dem ganzen Land wütet, (150) die aufspringende Flut, der sich niemand entgegensetzen kann, (151) Enlil – Schreckliches tat er, 56) weil sein geliebtes Ekur zerstört worden war: (152) Er richtete (seinen) Blick zum Gubinland, (153) (seine Einwohner) holte er aus allen ihren weiten Bergen heraus. (154) (Leute), die keinem (sonst bekannten) Volk gleichen, nicht zu den Ländern gerechnet werden, (155) die Gutäer, die keine sozialen Bindungen kennen, (156) der Herkunft nach Menschen, aber mit Hundeverstand und Affengestalt, (157) ließ Enlil aus dem Bergland kommen. (158) In großen Massen stürzten sie sich wie Spatzen auf die Erde. 53. 54. 55. 56.

50

Wörtlich »wurde verändert«. Da es sich um Vorbereitungen für den Angriff gegen das Ekur handelt, sind diese zwei Zeilen in der altbabylonischen Fassung hier fehl am Platz. In der Ur III-Version folgen sie sinnvollerweise der Z. 113 (Exemplar R3), bzw. 114 (Exemplar S3). Wörtlich »wurde Akkades Verstand weggebracht«. Wörtlich »(es ist), was er größer gemacht hat«, mit einem unübersetzbaren Wortspiel zwischen gu-ul »größer sein/machen« und gul »zerstören«.

Texte aus Mesopotamien (159) Für

ihn 57) sind ihre Arme wie ein Getierfangnetz auf der Steppe gespannt. Armen entging nichts, (161) ihre Arme schonten niemanden. (162) Der Bote traute sich nicht mehr auf die Wege, (163) das Kurierboot wagte sich nicht mehr auf die Kanäle. (164) Sie ließen die Hirten den nußbraunen Ziegen Enlils nachfolgen, die aus (ihrem) Pferch vertrieben worden waren, (165) sie ließen die Stallknechte den Kühen nachfolgen, die aus ihren Hürden vertrieben worden waren. (166) Auf den bewaldeten Ufern waren Wachposten gestellt, (167) auf den Wegen saßen Räuber. (168) An den Stadttoren im Land lagen die Türflügel im Schlamm. (169) (Die Bewohner) aller Länder klagten bitterlich innerhalb der Mauern ihrer Städte. (170) In der Innenstadt, als wäre sie der weite Steppenrand, gab es Beete. 58) (171) Nachdem die Städte gebaut worden waren, nachdem sie eingeebnet worden waren, (172) brachten die großen Äcker keine Gerste mehr, (173) brachten die überschwemmten Äcker keine Fische mehr, (174) brachten die Gärten keinen Dattelsirup, keine alkoholisierten Getränke mehr. (175) Tagelang blieb der Regen aus, mas ˇgurum-Pflanzen wuchsen nicht mehr. (176) Damals bekam man für einen Schekel (Silber) einen halben Liter Öl, (177) für einen Schekel einen halben Liter Gerste, (178) für einen Schekel eine halbe Mine Wolle, (179) für einen Schekel zehn Liter Fische. (180) Zu solchen Preisen wurde auf den Märkten dieser Stadt verkauft. 59) (181) Wer auf dem Dach lag, starb auf dem Dach, (182) wer im Haus lag, wurde nicht bestattet. (183) Vor lauter Hunger trommelten sich die Leute (mit den Fäusten) auf ihre eigenen (Leiber). (184) Beim Ki3ur 60), dem großen Platz Enlils, (185) ließ (Enlil) Hunde sich zusammenrotten, die in den stillen Straßen (streunten). (186) Wenn zwei Männer dort liefen, wurden sie vom Rudel zerrissen. (187) Wenn drei Männer dort liefen, wurden sie vom Rudel zerfressen. (188) Zähne waren aufgehäuft, Körper lagen überall herum, 61) (189) … waren aufgehäuft, Körper wurden wie Samen verstreut. (190) Gerechte wurden zu Ungerechten, (191) junge Männer lagen (tot) über jungen Männern, (192) der Ungerechte vermischte sein eigenes Blut mit dem Blut des Gerechten. (160) Ihren

57. 58. 59. 60. 61.

Enlil. Da Felder und Gärten keine Früchte mehr bringen (Z. 172 ff.), versuchen die Stadtbewohner, mit Beeten um ihre Häuser zu überleben. Die Preise sind horrend hoch. Teil des Ekur, der den Tempel Ninlils beherbergte. Wörtlich »waren hingeworfen«.

51

Texte aus Mesopotamien (193-194) Damals

erbaute sich Enlil, von seinen großen Heiligtümern weit entfernt, kleine Schilfhäuser. (195) Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang verringerten sich ihre 62) Schätze. (196) Die alten Frauen, die jene Tage überlebt hatten, (197) die alten Männer, die jene Tage überlebt hatten, (198) die obersten Klagesänger, die jene Jahre überlebt hatten, (199-200) stellten (Enlils) wegen sieben Tage und sieben Nächte lang sieben Trommeln auf den Boden; wie das Fundament des Himmels ruhten sie (auf der Erde). (201) In ihrer Mitte tönen, (laut) wie Is ˇkur, Tamburine, Sistren und Kesselpauken. (202) Unablässig (schreien) die alten Frauen: »Ach, meine Stadt!«, (203) unablässig die alten Männer: »Ach, ihre Leute!«, (204) unablässig die Klagesänger: »Ach, das Ekur!« (205) Unablässig raufen sich die jungen Frauen die Haare aus, (206) unablässig schleifen die jungen Männer (ihre) Messer. 63) (207) Ihre Klagen (sind) die Klagen, (die) Enlils Ahnen (208) auf dem unheimlichen Duku-Hügel an den reinen Knien Enlils richten. 64) (209) Darum betrat Enlil (sein) herrliches Innengemach und legte sich schweren Herzens nieder. (210) Da versuchen die großen Götter Suen, Enki, Innana, Ninurta, Is ˇkur, Nusˇka und Nisaba, (211) Enlils Herz zu kühlen, indem sie sich mit Gebeten an ihn wenden: (212) »Enlil, die Stadt, die deine Stadt zerstört hat, soll wie deine Stadt behandelt werden! (213) (Nara ¯ msîn), der (alle Rituale auf) deiner Hochterrasse behindert hat, 65) soll wie deine Stadt behandelt werden! (214) In dieser Stadt sollen die Körper in die Brunnen geworfen werden! (215) Dort soll niemand seine Bekannten (wieder)finden, (216) der Bruder soll sich seinem Bruder nicht zeigen, (217) die junge Frau soll in ihrem Gemach böse geschlagen werden, (218) der Hausherr soll bitter weinen im Haus, wo seine Gattin gestorben ist! (219) Dort sollen die Tauben kläglich gurren, (220) (sogar) die Vöglein sollen in ihren Nischen mißhandelt werden, (221) wie furchtsame Tauben sollen sie ständig aufschrecken!« (222-223) Ein zweites Mal richten die Götter Suen, Enki, Innana, Ninurta, Is ˇkur, Utu, Nusˇka und Nisaba ihre Blicke auf die Stadt, (224) verfluchen Akkade mit einem schlimmen Fluch: (225) »Stadt, du hast dich auf das Ekur gestürzt – Enlil war es (doch)! (226) Akkade, du hast dich auf das Ekur gestürzt – Enlil war es (doch)! (227) So hoch wie deine herrlichen Mauern sollen die Klagen reichen! (228) Deine Hochterrasse soll zu einem Schutthaufen werden! (229) Die Pilaster, die Schutzgenien, die (da) errichtet worden sind, 62. 63. 64. 65.

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Der früheren Heiligtümer? Um sich selber zu verwunden. S. Cavigneaux, Der Fluch, 331 Anm. 36: Enlils Ahnen wurden von Enlil besiegt und im Duku (»reiner Hügel«) eingesperrt. Wörtlich »Er hat deine Hochterrasse gelähmt« (mit Reduplikation der Verbalbasis).

Texte aus Mesopotamien (230) sollen

wie weintrunkene Riesen zu Boden gestreckt sein! dein Lehm zum Abzu zurückkehren, (232) möge er ein von Enki verfluchter Lehm werden! (233) Möge dein Korn zur Furche zurückkehren, (234) möge es ein von Ezinam 66) verfluchtes Korn werden! (235) Möge dein Holz zum Wald zurückkehren, (236) möge es ein von Nindulum 67) verfluchtes Holz werden! (237) Der (sonst) Rinder schlug, möge (seine) Ehefrau erschlagen, (238) der (sonst) Schafe schlachtete, möge (seine) Kinder schlachten! (239) Möge dein Armer seine Kinder, die ihm Geld bringen sollten, des Wassers berauben! (240) Möge deine Hure am Tor ihrer Kneipe Schrecken verbreiten! (241) Mögen deine nuge und deine nubar, 68) die Mütter geworden sind, ihre Kinder abtreiben! (242) Dein Gold möge zum Preis des Silbers verkauft werden, (243) dein Silber zum Preis des zah am-Metalls, ˘ (244) dein Kupfer zum Preis des Bleis! (245) Akkade, dein Kräftiger möge seiner Kraft beraubt sein, (246) so daß er nicht einmal den Tornister zum Sattelknopf heben kann! (247) Möge er 69), dein erlesener Eselhengst, sich seiner Kraft nicht mehr erfreuen, möge er sich abends hinlegen, (248) und möge seine (eigene) Stadt ihn verhungern lassen! (249) Mögen deine edlen Söhne, die feine Kost zu essen pflegten, sich (hungrig) aufs Gras legen! (250) Derjenige bei dir, der vorstand, um die Erstlinge zu bekommen, (251) möge er den Lehmüberzug seiner Dachbalken essen, (252-253) die Lederbänder an den großen Türflügeln seines Familienhauses möge er mit den Zähnen zerkauen! (254) Deinen Palast, der zur Herzensfreude gebaut worden ist, möge Herzenskummer befallen! (255) Mögen die Bösewichte der stillen Steppe pausenlos schreien! (256) Über deinen kiuzga, wo Reinigungsriten ihren Platz hatten, (257) möge der Fuchs, der in den öden Ruinenhügeln (herumläuft), (seinen) Schwanz streifen lassen! (258) In deinen im Lande errichteten Stadttoren (259) möge der ›Schläfer‹-Vogel, der Vogel des Herzenskummers, sein Nest bauen! (260) In deiner Stadt, in der man nicht mehr beim (Klang von) Leiern einschlafen wird, (261) in der man nicht mehr frohen Herzens liegen wird, (262) mögen die Rinder Nannas, die die Ställe füllen, (263) wie einer, der irgendwo in der stillen Steppe umherirrt, immer wieder schreien! (264) Auf deinen Treidelwegen an den Kanälen entlang möge langes Gras wachsen, (231) Möge

66. 67. 68. 69.

Die Getreidegöttin. Der Schreinergott. Zwei Arten von geweihten Frauen. Jener Kräftige.

53

Texte aus Mesopotamien (265) auf

deinen Wegen, die für das Fuhrwerk geschaffen worden waren, möge ›Wehkraut‹ wachsen! (266) Mehr noch, auf deinen Treidelwegen aus Alluvium, an den Kanälen entlang, (267) mögen die kus ˇu 70) mit buntem Fell und die GˆIR-Schlangen der Berge niemanden durchlassen! (268) Tief in deiner Steppe, wo gutes Gras wuchs, möge das ›Rohr der Klagen‹ wachsen! (269) Akkade, (da, wo) süßes Wasser für dich floß, möge salziges Wasser fließen! (270) Dem, der sagt: ›In dieser Stadt will ich wohnen!‹, soll die Wohnstätte nicht angenehm sein, (271) dem, der sagt: ›In Akkade will ich schlafen!‹, soll das Lager nicht angenehm sein!« (272) Nun – bei Utu und bei diesem Tag – wurde es tatsächlich so. (273) Auf seinen Treidelwegen an den Kanälen entlang wuchs langes Gras, (274) auf seinen Wegen, die für das Fuhrwerk geschaffen worden waren, wuchs ›Wehkraut‹. (275) Mehr noch, auf seinen Treidelwegen aus Alluvium, an den Kanälen entlang, (276) ließen die kus ˇu mit buntem Fell und die GˆIR-Schlangen der Berge niemanden durch. (277) Tief in seiner Steppe, wo gutes Gras wuchs, wuchs das ›Rohr der Klagen‹. (278) Akkade, (da, wo) süßes Wasser für es floß, floß salziges Wasser. (279) Dem, der sagte: »In dieser Stadt will ich wohnen!«, war die Wohnstätte nicht angenehm, (280) dem, der sagte: »In Akkade will ich schlafen!«, war das Lager nicht angenehm. (281) Für die Zerstörung von Akkade sei Innana Preis!

2.3 Die älteste Version der Chronik der einzigen Monarchie (›Sumerische Königsliste‹)

Gösta Gabriel Die Chronik der einzigen Monarchie Der allgemein verbreitete moderne Titel des Werkes, »Sumerische Königsliste«, ist in der Altorientalistik historisch gewachsen, jedoch in vielerlei Hinsicht mißverständlich. 71) Daher wird im Folgenden stattdessen von der Chronik der einzigen Monarchie 72) gesprochen. Bei diesem Werk handelt es sich genau genommen nicht um 70. 71.

72.

54

Ein nicht identifiziertes Tier. Beispielsweise ist es nicht nur ein ›sumerischer‹ Text, da es zum einen um die Herrschaft über ganz Babylonien (d. i. Sumer und Akkad) geht und zum anderen gerade die älteste erhaltene Fassung teilweise Akkadisch formuliert (Zeilen IV 11’–12’, 14’, V 4’, 6’). Zudem ist das Werk weniger Liste als eine sehr knapp ausformulierte Geschichtsdarstellung. Schließlich liegt der Fokus stärker auf den Städten und weniger auf den Königen. Eine entsprechende moderne Bezeichnung wurde erstmalig von J. Krecher, Sumerische Literatur, in: W. Röllig (Hg.), Altorientalische Literaturen, Neues Handbuch der Literaturwissenschaft 1, Wiesbaden 1978, 138 vorgeschlagen: »Geschichte des einen Königtums«, was von Glassner, Chroniques, 69 ff. leicht zu »La chronique de la monarchie une« umgewandelt wurde (vgl. auch Glassner, Chronicles: »Chronicle of the Single Monarchy«). Die letzte Bezeichnung trifft den Kern des Werkes am besten, weshalb sie hier nun auch im Deutschen als »Chronik der einzigen Monarchie« Verwendung findet.

Texte aus Mesopotamien

einen festen, klar eingrenzbaren Text. Dafür ist die textliche Variation zwischen den einzelnen Manuskripten zu groß. Dies wird beispielsweise daran deutlich, daß es nicht möglich ist, eine klassische ›Textpartitur‹ zu erstellen. Da nicht nur die größtenteils formelhaften Ausdrucksweisen, sondern auch die Textstruktur zwischen den einzelnen Manuskripten variiert, gibt es keine klar definierte Anzahl an Zeilen und keine einheitliche Reihenfolge. Dies macht schließlich auch die Erstellung eines Komposittextes, in der eine normalisierte Form des ›eigentlichen‹ Textes konstruiert wird, unmöglich. Zusammengefaßt handelt es sich somit bei der Chronik der einzigen Monarchie um einen fluiden Text. 73) Die Variationen der Chronik zeugen von einer lebendigen Auseinandersetzung mit ihr bis in die Mitte des 2. Jt. v. Chr. hinein. Dieser kontinuierliche Diskurs führte zu immer neuen Überarbeitungen, in denen die aktualisierten Vorstellungen in das historische Textmaterial eingeflossen sind. Jedes einzelne Manuskript gibt uns daher eine Art Standbild, das uns Einsicht in einen stets in Bewegung befindlichen Diskurs über die Natur von Geschichte und Herrschaft erlaubt. 74) Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, jedes einzelne Exemplar zunächst separat zu betrachten, weshalb sich dieser Beitrag auf eine besonders herausstechende Fassung fokussiert. Von den bislang bekannten 26 Manuskripten 75) datieren fast alle in das frühe 2. Jt. v. Chr. Lediglich eine einzige Tontafel stammt aus dem späten 3. Jt. v. Chr. Sie ist der hauptsächliche Gegenstand dieses Beitrags. Diese älteste erhaltene Fassung der Chronik der einzigen Monarchie 76) weist über das hohe Alter hinaus noch weitere Spezifika auf, die diese besondere Würdigung rechtfertigen (s. unten). Die Manuskripte aus dem 2. Jt. v. Chr. lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen. Die erste beginnt wie die älteste Fassung, fügt aber zahlreiche weitere Königsstädte ein und nennt im Falle einzelner Herrscher ganz knapp herausragende Taten oder Eigenschaften. Solche Ausführungen fehlen im ältesten Exemplar vollständig. Ferner entstehen am Anfang des 2. Jt. v. Chr. erweiterte Ausführungen, die dem bisherigen 73.

74. 75.

76.

Das von John Bryant entworfene Konzept des fluiden Textes (vgl. etwa J. Bryant, The Fluid Text. A Theory of Revision and Editing for Book and Screen, Ann Arbor 2002) berücksichtigt, daß kaum ein Werk in nur einer Fassung vorliegt und jede Version von jeweils spezifischen Kontexten bestimmt ist. Diese Beschreibung gilt in besonderer Weise auch für die Chronik der einzigen Monarchie. Vgl. dazu auch C. Wilcke, Die Sumerische Königliste und erzählte Vergangenheit, in: J. von Ungern-Sternberg / H.-J. Reinau (Hg.), Vergangenheit in mündlicher Überlieferung, Stuttgart 1988; J.-J. Glassner, Mesopotamian Chronicles, Atlanta 2004, 55-70. Die aktuellste Übersicht liefert G. Gabriel, The Sumerian King List as Educational Artefact. A Preliminary Case Study on the Societal Significance of the Text and the Practices of Old Babylonian Higher Education, in: S. di Paolo (Hg.), Implementing Meanings. The Power of the Copy Between Past, Present and Future. An Overview from the Ancient Near East (AVO 19), Münster 2017, 85-87 Tab. 1. Vgl. zusätzlich ein im illegalen Kunsthandel aufgetauchtes Fragment (J. Peterson, An Unprovenienced Fragment of the Sumerian King List Recently for Sale, NABU 2016/36). Die erste Version der Chronik entstand möglicherweise etwa 100 bis 150 Jahre früher; vgl. P. Steinkeller, An Ur III Manuscript of the Sumerian King List, in: W. Sallaberger / K. Volk / A. Zgoll (Hg.), Literatur, Politik und Recht in Mesopotamien. FS C. Wilcke, Wiesbaden 2003, 282-284; J.-J. Glassner, La date de composition de la chronique de la monarchie une, in: Y. Sefati u. a. (Hg.), »An Experienced Scribe Who Neglects Nothing.« FS J. Klein, Bethesda 2005, 138-141.

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Texte aus Mesopotamien

Geschichtsverlauf eine vorsintflutliche Zeit und die anschließende Flutkatastrophe voranstellen. Diese Ausweitung erfolgte vermutlich als Reaktion auf die zu dieser Zeit aufkommende Popularität des Sintflutstoffs, der dann in die Chronik integriert worden ist. Den redaktionellen Eingriff kann man unter anderem auch daran erkennen, daß der ursprüngliche Beginn (die Götter bringen das Königtum auf die Erde) nun zweimal auftaucht – einmal vor und einmal nach der Flut.

Die Fassung aus dem 3. Jt. v. Chr. Das älteste erhaltene Manuskript ist die sog. »Ur III-Version«, die aus der Regierungszeit des Königs Sˇulgi (ca. 2092-2045 v. Chr.) stammt. Die übliche moderne Epochenbezeichnung »Ur III« geht auf die Chronik der einzigen Monarchie in den Fassungen des 2. Jt. v. Chr. zurück. 77) Nach Aussage dieser Varianten übt die Stadt Ur zu diesem Zeitpunkt die Vorherrschaft zum dritten Mal aus. Die moderne Beschreibung »Ur III« stützt sich damit auf eine antike Quelle und fußt auf ihrer spezifischen linearen Geschichtskonstruktion. Von der sechskolumnigen Tontafel sind sowohl Vorder- als auch Rückseite erhalten. Der untere Teil der Tafel ist abgebrochen, so daß auf der Vorderseite (Kolumnen I-III) das Ende und auf der Rückseite (Kolumnen IV-VI) der Anfang der Spalten fehlt. Der Umfang der fehlenden Zeilen wird von P. Steinkeller 78) etwas umfangreicher rekonstruiert als von J.-J. Glassner. 79) Das höhere Alter gegenüber den anderen Manuskripten läßt vermuten, daß es sich bei der Fassung aus dem 3. Jt. v. Chr. in gewisser Weise um eine ›ursprünglichere‹ Version der Chronik der einzigen Monarchie handelt. Die Befundlage ist in dieser Hinsicht jedoch nicht eindeutig, so daß die Fassung aus dem 3. Jt. v. Chr. teils als Vorläufer der jüngeren Versionen fungiert, teils aber auch eine lokale Unterart darzustellen scheint, deren Spezifika in späterer Zeit nicht fortgeführt werden. 80) Diese hybride Natur der ältesten erhaltenen Fassung der Chronik korreliert mit der Natur von Diskurssträngen, die teils fortgeführt werden, teils aber auch versanden.

Geschichtsschreibung und -theorie Wenn man die Chronik der einzigen Monarchie von Anfang bis Ende liest, kann dies zunächst ein eintöniges Unterfangen sein. Bei näherer Betrachtung zeigen sich jedoch komplexe Gedankengänge und damit Reflexionen über die Bedingtheit der ei-

77.

78. 79. 80.

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Vgl. W. Sallaberger / I. Schrakamp, Philological Data for a Historical Chronology of Mesopotamia in the 3rd Millennium, in: W. Sallaberger / I. Schrakamp (Hg.), History and Philology (ARCANE III), Turnhout 2015, 13. Pikanterweise regiert die Stadt Ur in dem Manuskript aus der »Ur III«-Zeit jedoch nur ein einziges Mal über Babylonien. Steinkeller, FS Wilcke, 274-276. J.-J. Glassner, La chronique de la monarchie une et l’écriture de l’histoire à la fin du 3e millénaire, NABU 2005/46. Die entsprechende Forschungsdiskussion findet sich zuvorderst in Steinkeller, FS Wilcke, 284-286; ders., Mythical Realities of the Early Babylonian History, in: P. Steinkeller, History, Texts and Art in Early Babylonia. Three Essays. Boston / Berlin 2017, 194; Glassner, NABU 2005/46.

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genen Welt. Dadurch erlaubt die Chronik einmalige Einblicke in eine hochentwickelte antike Geisteswelt vor über 4000 Jahren.81) Während der ersten Lektüre fallen sofort die unnatürlich langen Regierungszeiten am Anfang des Textes auf, die immer realistischer werden, je näher die Erzählung der damaligen Gegenwart kommt. Dieses Phänomen weisen nicht nur auch alle jüngeren Fassungen der Chronik der einzigen Monarchie auf, sondern auch ähnliche Quellen aus anderen Kulturen wie Ägypten (z. B. der Königspapyros Turin), China (z. B. das Shiji) oder Indien (z. B. die Puranas). Insofern verbirgt sich dahinter ein kulturübergreifendes Phänomen (vermutlich der Zeitwahrnehmung), das daher weniger historisch als anthropologisch zu deuten ist. 82) Des Weiteren bietet der Text aus dem 3. Jt. v. Chr. eine besondere Form der Geschichtsdarstellung, die eng mit der Konzeption des Königtums zusammenhängt. Alles beginnt damit, daß die Götter das Königtum vom Himmel in die Stadt Kisˇ herabbringen. 83) Seinem göttlichen Ursprung entsprechend ist es selbst ebenfalls numinoser Natur. Es ist ewig und ermächtigt seinen Standort zur Herrschaft über die als relevant erachtete Welt, nämlich ganz Babylonien. Zusätzlich wird deutlich, daß es nur ein einziges wahres Königtum gibt, da es nur ein einziges Mal vom Himmel herabgebracht worden ist. Insofern führt seine Machtentfaltung automatisch zur Einigung des ganzen Landes. Indem die Götter den Menschen das Königtum geben, ermöglichen sie ihnen, an dem daraus resultierenden Frieden teilhaben zu können. Dieser positive Zustand ist jedoch nicht dauerhaft, sondern muß irgendwann notwendigerweise enden. Hierin schlägt sich vermutlich die Erfahrung der vielen politischen Veränderungen im historischen Mesopotamien nieder. Dementsprechend besiegelt jeweils eine militärische Niederlage das Schicksal der herrschenden Königsstadt. Anschließend bringen die Götter das Königtum in eine neue Stadt, wo es seine Macht wieder entfaltet und das Land erneut vereint. Durch diese lineare Geschichtskonstruktion verwebt die Chronik Erfahrungswelt und Ideenwelt. Die nach der Erfahrung der Menschen im antiken Mesopotamien notwendigen Kriege beschränken sich demnach nur auf kurze Umbrüche, in denen das Königtum von einer Stadt in eine andere gelangt. Dazwischen herrscht Ordnung im ganzen Land. Dadurch beschreibt die Chronik der einzigen Monarchie nicht nur die Vergangenheit, sondern verbindet dies mit einem Versprechen von Frieden und Wohlstand, das durch das göttlich gegebene Königtum in der Gegenwart und der 81. 82.

83.

Die nachfolgenden Ausführungen sind Ergebnis der eigenen aktuellen Forschung. Sie fokussieren die älteste erhaltene Version und unterstreichen die Komplexität der dem Werk zugrundeliegenden Gedanken; vgl. auch Gabriel, Educational Artefact, insbesondere 1-4. Der Versuch einer Deutung der langen Regierungsdauer der frühen Könige, basierend auf der Natur der mesopotamischen Zahlensysteme, findet sich bspw. in J. Kaula, »Nachdem das Königtum vom Himmel herabgekommen war …«. Untersuchungen zur Sumerischen Königliste, CDLP 6, 17-22. Eine textübergreifende Analyse dieses mythischen Stoffes mit einem besonderen Fokus auf die Chronik der einzigen Monarchie befindet sich in Vorbereitung: G. Gabriel, Von Adlerflügen und numinosen Insignien. Eine Analyse von Mythen zum himmlischen Ursprung politischer Herrschaft nach sumerischen und akkadischen Quellen aus drei Jahrtausenden, in: G. Gabriel /B. Kärger /A. Zgoll / C. Zgoll (Hg.), Was vom Himmel kommt. Stoffanalytische Zugänge zu antiken Mythen aus Mesopotamien, Ägypten, Griechenland und Rom, Mythologische Studien 3, Berlin / Boston (in Vorbereitung).

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Zukunft realisiert wird. Diese Perspektive wird auch in dem abschließenden Satz des Textes deutlich, in dem gewünscht wird, daß der während der Abfassungszeit des Textes regierende König, Sˇulgi, lange leben möge. Dabei ist die Person des Königs sekundär. Wichtiger ist, daß er das Amt ausübt und damit die Entfaltung der göttlichen Gabe »Königtum« realisiert. Dies führt zu dem dritten entscheidenden Aspekt der Chronik der einzigen Monarchie. Bei genauerer Betrachtung unterteilt sich der Text in zwei Handlungsebenen, eine göttliche und eine menschliche. Auf der göttlichen Ebene ist der räumliche Transport des Königtums angesiedelt, das von den Göttern zunächst vom Himmel nach Kisˇ und dann von Stadt zu Stadt gebracht wird. Diese Geschichtsebene fokussiert nicht nur die Götter als Subjekte, sondern auch die Städte als jeweiligen Sitz des Königtums, dessen Präsenz die Stadt zur Hauptstadt des Landes macht. 84) Die Götterebene determiniert den Rahmen der menschlichen Ebene, denn die göttlichen Handlungen bestimmen, welche Stadt die Königsherrschaft innehat. Hieraus leitet sich dann erst ab, welche lokalen Herrscher zu Königen des Landes aufsteigen. Die Handlungen der menschlichen Herrscher wiederum haben keinen Einfluß auf den Makroverlauf der Geschichte. Denn nur die Götter bestimmen, wann die Vorherrschaft einer Stadt abgelaufen ist, und sie sind es, die die Truppen der Zerstörung schicken. Insgesamt sind somit die menschlichen Könige den Göttern und den Städten (als Sitz des Königtums) nachgestellt. Ihre Funktion ist die Umsetzung der einigenden und friedenstiftenden Macht des Königtums. Die Skizzierung dieser zugrundeliegenden Konzepte der Chronik der einzigen Monarchie verdeutlicht, daß mit dem Werk nicht nur die Vergangenheit erzählt, sondern auch ein spezifisches Konzept von Geschichte und Herrschaft entwickelt wird. 85) So werden die lebensweltlich notwendigen Phänomene von Krieg und Elend auf kurze Umbruchphasen beschränkt, wodurch sich die Vision einer möglichst stabilen und lebenswerten Welt eröffnet. Diese wurzelt zwar in der Vergangenheit, erstreckt sich aber auch auf die Gegenwart und die Zukunft. Mittel der Realisierung dieses Versprechens ist das von den Göttern gegebene Königtum, das damit im Zentrum der Konzeption steht. Die Geschichtskonstruktion beschränkt sich aber nicht auf Königsideologie, wie in der bisherigen Forschung zumeist betont wird, sondern kann durchaus als eine mesopotamische Form der Geschichtstheorie verstanden werden. Dies wird insbesondere an den zwei Ebenen der Geschichte deutlich. Zum einen ist die Handlungsebene der menschlichen Herrscher der göttlichen nachgelagert, wodurch die Chronik die Rolle der Könige stark limitiert darstellt. Zum anderen erinnert die Konstruktion 84.

85.

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Dies wird an der zweiten Zeile der Fassung aus dem 3. Jt. v. Chr. deutlich, in der es heißt, daß »die Stadt Kisˇ König ist«; so auch zu finden auf den jüngeren Manuskripten BT 14 + CBS 13994 (J. Klein, The Brockmon Duplicate of the Sumerian King List [BT 14], in: P. Michalowski (Hg.): On the Third Dynasty of Ur. FS M. Sigrist, Boston 2008, 80) und N 3368 + 6512 + CBS 14223 (s. J. Peterson, Sumerian Literary Fragments in the University Museum, Philadelphia, Madrid 2011, 105 f.). Das Verstehen der Funktions- und Denkweise der Chronik verbessert auch die Möglichkeit, das Werk verstärkt als historische Quelle heranzuziehen; vgl. Sallaberger / Schrakamp, Philological Data, 13-22.

Texte aus Mesopotamien

der zwei Ebenen an die von Fernand Braudel formulierte Geschichtstheorie der longue durée, wonach zugrundeliegende langfristige Veränderungen die sozioökonomischen und politischen Prozesse determinieren. 86) Während in der Chronik der einzigen Monarchie die Makroebene ebenfalls lange Entwicklungslinien umfaßt, fußt sie dabei jedoch auf Götterhandlungen, während F. Braudel hier insbesondere Umweltveränderungen als maßgeblich ansieht. Die allgemeine Logik ist jedoch in den Grundzügen parallel. Durch das moderne Korrelat wird somit deutlich, daß in der Chronik der einzigen Monarchie komplexe Reflexionen über Geschichte und Herrschaft verhandelt werden, die teilweise mit moderner Geschichtstheorie vergleichbar sind. Hierdurch erweist sich die Chronik schlußendlich als deutlich mehr als eine bloße Aufzählung von Städten und Herrschern. Sie ist Zeugnis einer lebendigen und reflektierten Auseinandersetzung über die Bedingungen, die die vergangene, gegenwärtige und zukünftige Lebenswelt der Menschen vor über 4000 Jahren bestimmten. Die älteste Fassung der Chronik der einzigen Monarchie ist auf einer sechskolumnigen Keilschrifttafel aus dem 21. Jh. v. Chr. überliefert, deren unterer Teil abgebrochen ist. – Fundort, Aufbewahrungsort: unbekannt. – Edition (Photo, Umschrift, Kommentar): P. Steinkeller, An Ur III Manuscript of the Sumerian King List, in: W. Sallaberger / K. Volk / A. Zgoll (Hg.), Literatur, Politik und Recht in Mesopotamien. FS C. Wilcke, Wiesbaden 2003, 267292. – Weitere Literatur: Th. Jacobsen, The Sumerian King List, Chicago 1939; C. Wilcke, Die Sumerische Königliste und erzählte Vergangenheit, in: J. von Ungern-Sternberg / H.-J. Reinau (Hg.), Vergangenheit in mündlicher Überlieferung, Stuttgart 1988, 113-140; J.-J. Glassner, Chroniques Mésopotamiennes, Paris 1993; ders., Mesopotamian Chronicles, Atlanta 2004; J.-J. Glassner, La chronique de la monarchie une et l’écriture de l’histoire à la fin du 3e millénaire, NABU 2005/46; G. Marchesi, The Sumerian King List and the Early History of Mesopotamia, in: M. G. Biga / M. Liverani (Hg.), ana turri gimilli. FS W. R. Mayer, Roma 2010, 231-248; W. Sallaberger / I. Schrakamp, Philological Data for a Historical Chronology of Mesopotamia in the 3rd Millennium, in: W. Sallaberger / I. Schrakamp (Hg.), History and Philology (ARCANE III), Turnhout 2015, 1-136 (insbesondere 13-22); P. Steinkeller, Mythical Realities of the Early Babylonian History, in: P. Steinkeller, History, Texts and Art in Early Babylonia. Three Essays, Boston / Berlin 2017, 167-197; G. Gabriel, The Sumerian King List as Educational Artefact. A Preliminary Case Study on the Societal Significance of the Text and the Practices of Old Babylonian Higher Education, in: S. di Paolo (Hg.), Implementing Meanings. The Power of the Copy Between Past, Present and Future. An Overview from the Ancient Near East (AVO 19), Münster 2017, 1-61.

Die beiden Ebenen der Chronik der einzigen Monarchie werden in der folgenden Übersetzung dadurch angezeigt, daß die göttliche Handlungsebene nicht eingerückt gesetzt ist, die menschliche dagegen eingerückt. Dadurch soll auch visualisiert werden, daß die menschliche von der göttlichen Handlungsebene abhängig und ihr damit nachgelagert ist. Die Lesung der Königsnamen wurde den neuesten Forschungs-

86.

Vgl. etwa F. Braudel, La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philippe II, Paris 1949.

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Texte aus Mesopotamien

erkenntnissen angepaßt. In einigen Fällen ist die genaue Bedeutung und damit auch die korrekte Lesung jedoch weiterhin unklar. (I 1) Nachdem

das Königtum vom Himmel herabgebracht worden war, 87) die Stadt 88) Kisˇ König. 89) (3) In der Stadt Kis ˇ: ˆ usˇur (4) regierte 2160 Jahre. G (5) Kulla?-nawir 90) (6) regierte 960 Jahre. ˇ AG?.TAG.TAG.TAR-kum 91) (8) regierte 1770 Jahre. (7) S (9) En-tarah-ana (10) regierte 2940 Jahre drei Monate und dreieinhalb Tage. (11) Ba ¯ bum˘ (12) regierte […] Jahre. (13) [Pu ¯ 3an]num? [(14) regierte … Jahre.]

(2) war

Es fehlen bis zu 16 Zeilen. (II 1) En-me-nuna 92) (2) regierte

1200 Jahre. 900 Jahre. (5) Ilqe-s ˇadûm (6) regierte 300 Jahre. (7) En-me-parage-si 93) (8) regierte 600 Jahre. (9) Aga, der Sohn des En-me-parage-si, (10) regierte 1500 Jahre. (11) Kis ˇ-isˇqi-sˇu (12) regierte 420 Jahre. (13) Dadase-LUM (14) regierte 1500 Jahre. (15) Mamagal [(16) regierte … Jahre]. (3) BAR.SAL-nuna (4) regierte

87. 88.

89. 90. 91. 92.

93.

60

Der Text formuliert an dieser Stelle passivisch, doch können aufgrund anderer Quellen die Hochgötter (An und/oder Enlil; ggf. weitere) als Akteure ergänzt werden; vgl. Gabriel, Von Adlerflügen. Auf der Ebene der Keilschrift steht genau genommen nicht das Zeichen für Stadt, sondern das Ortsdeterminativ ki, das Toponyme markiert. Manche Manuskripte aus dem 2. Jt. v. Chr. fassen am Ende die Gesamtzahl der Städte, Könige und Jahre zusammen, wobei der Ausdruck für »Stadt« (iri) explizit Verwendung findet. Diese Zeile drückt aus, daß die Stadt Kisˇ die Oberherrschaft über Babylonien innehat, die von den danach aufgeführten Königen ausgeübt wird; vgl. auch Steinkeller, FS Wilcke, 277. Lesung nach Marchesi, FS Mayer, 232 Anm. 6. Die Lesung dieses Namens ist unklar; vgl. Steinkeller, FS Wilcke, 277. Das vorliegende Manuskript schreibt ME:EN-nun-na-ke4. Hierbei gehe ich davon aus, daß die ersten beiden Zeichen in umgekehrter Reihenfolge wiedergegeben sind. Dabei stütze ich mich zum einen auf die jüngeren Manuskripte, die den Namen durchgehend als En-me-nunna angeben (vgl. Jacobsen, Sumerian King List, 81 Anm. 79 f.; Glassner, Chronicles, 150 Anm. 5). Zum anderen ist die Semantik von En-me-nuna(k) (»Herr der fürstlichen göttlichen Kräfte«) leicht nachvollziehbar, während die Formulierung Me-en-nuna(k) (»die göttlichen Kräfte des fürstlichen Herrn«) nicht weiter belegt ist. Alternativ schlägt P. Steinkeller vor, die ersten beiden Zeichen als syllabische Ausdrucksweise für men (»men-Krone«) zu lesen, wobei er sich auf die Inschrift einer frühdynastischen Plakette und auf die ähnlich alte Namens- und Berufsliste (NPL) stützt (P. Steinkeller, An archaic »prisoner plaque« from Kisˇ, RA 107 [2013] 139, 143 Anm. 35, 152 Anm. 87). Der Name Men-nun(ak) würde dann möglicherweise die folgende Bedeutung haben: »die men-Krone des Fürsten«, wobei es sich bei der Instanz des »Fürsten« mit großer Sicherheit um eine Gottheit handelt (P. Steinkeller, RA 107 [2013] 143 Anm. 35). Die Lesung des Namens folgt der in der Altorientalistik verbreiteten opinio communis (vgl. z. B. Marchesi, FS Mayer, 236 Anm. 33). Für eine alternative Sichtweise s. P. Michalowski, A Man Called Enmeparagesi, FS Wilcke, 195-208.

Texte aus Mesopotamien

Es fehlen bis zu 15 Zeilen, in denen weitere Herrscher von Kisˇ genannt werden. (1’) [Ku-Babu] (III 1) regierte

100 Jahre.

(2) Puzur-Suen (3) regierte

4 Jahre. 6 Jahre. (6) Zimudar (7) regierte 20 Jahre. (8) As ˇtar-mutı¯ (9) regierte 11 Jahre. ˇ amasˇ (11) regierte 6 Jahre. (10)¯Imi-S (12) Nan(n)e 94) (13) regierte 40 Jahre. (14) Mes ˇ-nun, der Sohn des Nan(n)e, (15) [regierte … Jahre.] (4) Ur-Zababa (5) regierte

Es fehlen am Ende von Kol. III bis zu 15 Zeilen und zu Beginn von Kol. IV bis zu 12 Zeilen, in denen möglicherweise die Königsherrschaft nach Uruk transferiert wird und erste Herrscher dieser Stadt genannt werden. Waffe wurde auf die Stadt Uruk? geschlagen.] [Ihr Königtum wurde in die Stadt Akkade gebracht.] (1’) In der Stadt Akkade: Sˇarru-kı¯n (2’) regierte 40 Jahre. (3’) Man-is ˇtı¯su 95) (4’) regierte 15 Jahre. (5’) Rı¯mus ˇ (6’) regierte 8 Jahre. 96) (7’) Nara ¯ m-Suen (8’) regierte 54 Jahre und 6 Monate. ˇ ar-kali-sˇarrı¯, der Sohn des Nara¯m-Suen, (10’) regierte 21+[x] Jahre. (9’) S (11’) Wer war König? (12’) Wer war nicht König? (13’) Irgege, (14’) Wardum-s ˇarrum, (15’) Nanum, (16’) Elulu? (IV) [Die

Es fehlen zu Beginn von Kol. V bis zu 15 Zeilen, in denen die Königsherrschaft nach Uruk transferiert wird und vermutlich zwei ihrer Könige genannt werden.

94.

95. 96.

Möglicherweise eine Kurzform des Namens Mesˇ-Ane-pada (Steinkeller, FS Wilcke, 278), wobei es sich nach den Versionen der Chronik aus dem 2. Jt. v. Chr. jedoch um einen König von Ur gehandelt hat. In eine etwas andere Richtung verweist Manuskript IB (III’ 12), das nach der Herrschaft der Stadt Hamazi einen Nanne als ersten König von Ur nennt; vgl. C. Wilcke, Die Inschriftenfunde der ˘7. und 8. Kampagnen (1983 und 1984), in: B. Hrouda (Hg.), IsinIsˇa¯n Bahrı¯ya¯t III: Die Ergebnisse der Ausgrabungen 1983-1984. Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Abhandlungen NF 84, München 1987, 90. Hierbei handelt es sich zwar nicht um Mesˇ-ane-pada (genannt in II’ 5), jedoch ebenfalls um einen König von Ur. So in diesem Manuskript; üblicherweise als Man-isˇtu¯sˇu wiedergegeben. Hier ist eine gegenüber den jüngeren Manuskripten umgekehrte Reihenfolge von Man-isˇtu¯sˇu und Rı¯musˇ anzutreffen, die möglicherweise die historisch adäquate Abfolge wiedergibt; vgl. Steinkeller, FS Wilcke, 278 f. Eine abschließende Entscheidung ist jedoch aufgrund der allgemeinen Quellenlage nach aktuellem Forschungsstand nicht möglich; vgl. Sallaberger / Schrakamp, Philological Data, 72 Anm. 167, 89, 93-95.

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Texte aus Mesopotamien (V 1’) Kuda (2’) regierte

fünf Jahre. Waffe wurde auf die Stadt Uruk geschlagen. (4’) Ihr Königtum (5’) wurde zur ›Armeestadt‹ (= Stadt der Gutäer) 97) gebracht: (6’) Die ›Armeestadt‹ (= Stadt der Gutäer) hatte (zunächst) keinen König. (7’) Drei Jahre regierte sie (= die Armee = die Gutäer) sich selbst. 98) ˇ ulme-DAG (9’) regierte 3 Jahre. (8’) S (10’) Etam-kiskissu (11’) regierte 4 Jahre. ˙ ˇ amas (12’) S ˇ-kabar (13’) regierte 5 Jahre. (14’) Igege (15’) (und) Arandagaba (16’) regierten 18 Jahre. (16’) Silulu … (3’) Die

Zu Beginn von Kol. VI fehlen bis zu 14 Zeilen, in denen weitere gutäische Könige genannt werden. (VI 1’) regierte

3 Jahre.

(2’) Puzur-zuzu (3’) regierte

1 Jahr. 6 Jahre. (6’) Tirigan (7’) regierte 40 Tage. (8’) Die Waffe wurde bei der Stadt Adab geschlagen. (9’) Ihr (= der Gutäer) Königtum (10’) wurde in die Stadt Uruk gebracht. (11’) In der Stadt Uruk: Utu-hegˆal (12’) regierte 7 Jahre. ˘ (13’) Die Waffe wurde auf die Stadt Uruk geschlagen. (14’) Ihr Königtum (15’) wurde in die Stadt Ur gebracht. (16’) In der Stadt Ur: (17’) Ur-Namma (18’) regierte 18 Jahre. ˇ ulgi möge bis in ferne Tage leben! (19’) Mein (göttlicher) König S (4’) Sag ˆ du-kiasˇ (5’) regierte

97. 98.

62

Daß es sich bei der »Armeestadt« um einen Ausdruck für die Gutäer handelt, wird durch jüngere Versionen der Chronik deutlich; vgl. Jacobsen, King List, 116. Eine alternative Auffassung vertritt P. Steinkeller. Demnach sei ein Verb »(auf)teilen« (ba) wahrscheinlicher als ein Verb »ausüben, machen« (AK), da ib2-ba anstelle von i3-ba (parallel zum üblichen i3-na) geschrieben werde. Ich halte jedoch die Verwendung des Verbs AK aufgrund der formelhaften Sprache der Chronik für naheliegender.

3. Wissenschaften 3.1 Einleitung

Daniel Schwemer Wissen, Weisheit und Gelehrsamkeit sind selbstverständlicher Teil der mesopotamischen Vorstellungswelt, Begriffsbildung und Überlieferung, in der diese Eigenschaften und Fähigkeiten durchweg positiv bewertet und in besonderer Weise mit dem Schreiberberuf und den schriftlichen Traditionen assoziiert werden. Ein Konzept, das einen Bereich der Wissenschaft aufgrund spezifischer Methoden, eines besonderen Ethos oder einer eigens definierten Gruppe von Wissensgegenständen von anderen kulturellen und sozialen Praktiken abgrenzen würde, begegnet in den Texten jedoch ebensowenig wie Kontroversen um methodische Standards oder Versuche einer grundsätzlichen Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Praktiken, also etwa zwischen Bereichen, die wir mit Begriffspaaren wie Astrologie und Astronomie oder Religiosität und Theologie bezeichnen. Zugleich bezeugen die erhaltenen Texte, dass die verschiedenen Bereiche der mesopotamischen Gelehrsamkeit und des praktischen Wissens – ob sie sich nun mit der Heilung von Kranken, der Deutung von astralen und terrestrischen Phänomenen, mit der Götterwelt, mit Sprachen und Texten, mit der Keilschrift, der Verwaltung, mit dem Messen, Zählen und Berechnen oder der Herstellung von Glas beschäftigen – selbstverständlich anerkannte Regeln, methodische Standards, gültige Handlungsmuster, gemeinsame Organisations- und Assoziationsprinzipien kennen, die aus den erhaltenen Texten noch heute erschlossen und in ihrer Rationalität beschrieben werden können. Dies gilt nicht zuletzt auch für die zunächst im Kontext der Schreiberausbildung entstandenen lexikalischen Listen, deren hohes Alter, schierer Umfang, Vielfalt und überlieferungsgeschichtliche Beständigkeit zu der inzwischen in vielerlei Hinsicht problematisch gewordenen Hypothese einer sich typischerweise als »sumerische Listenwissenschaft« (W. von Soden) manifestierenden, nicht-diskursiven Welterfassung und -beschreibung geführt hat. Als eigentlich ›wissenschaftliche‹ Keilschrifttexte werden traditionell freilich vor allem jene mesopotamischen Texte angesprochen, für die sich die Disziplin der Wissenschaftsgeschichte deshalb besonders interessiert, weil sie aus unserer Perspektive als Vorläufer der modernen Naturwissenschaften, Medizin und Mathematik wahrgenommen werden können und auch tatsächlich Wissen reflektieren, das in einem komplexen Traditionszusammenhang mit unserer eigenen Gegenwart steht oder viel später nochmals entdeckte Erkenntnisse vorwegnimmt. Hierzu zählen v. a. medizinische Texte, die in TUAT.NF 5 ausführlich vorgestellt wurden, mathematische Texte (hier J. Høyrup, Abschnitt 3.2) sowie astrologisch-astronomische Texte (TUAT.NF 4 und hier M. Ossendrijver, Abschnitt 3.3, und K. Hecker, Abschnitt 3.4). Die Erfindung des Zodiak, die mathematische Astronomie und die sogenannten Astronomischen Tagebüchern sind Phänomene des 1. Jt. v. Chr. und dokumentieren eine im 7. Jh. beginnende Blüte der divinatorischen Astronomie, der es zunehmend gelang, 63

Texte aus Mesopotamien

Phänomene des Mondes und der Planeten zu berechnen und mittels der sogenannten Zieljahrmethode vorherzusagen. Wie M. Ossendrijver gezeigt hat, verfolgte die Dokumentation neben astraler auch meteorologischer und terrestrischer Phänomene in den Astronomischen Tagebüchern den Zweck, auch für den Bereich etwa der Flußpegel, Warenpreise und politischen Ereignisse eine der divinatorischen Astronomie entsprechende Vorhersagbarkeit zu erreichen. 1) Das empirisch als erfolgreich nachgewiesene Paradigma eines Wissenszweiges wurde von den babylonischen Gelehrten des 1. Jt. v. Chr. also mit anderen Bereiche in Beziehung gesetzt, und über Jahrhunderte akkumulierte man systematisch und nach einheitlichen Standards eine entsprechend nutzbare Datenbasis. Auch in der Nutzung der astralen Divination für das Individuum wurden die neuen Techniken genutzt: So entstand in dieser Zeit das persönliche Geburtshoroskop, das u. a. die Position von Sonne, Mond und Planeten im Zodiak berücksichtigt, und auch magische Rituale setzten das sich entwickelnde astrologisch-astronomische Wissen im Laufe des 1. Jt. zunehmend ein. Zugleich wurden Jahrhunderte alte Wissenstraditionen im Bereich der verschiedenen Divinationstechniken und Beschwörungskunst weiter überliefert und genutzt. In diesen Bereich fallen auch die sogenannten Hemerologien, also Texte, die in knapper, kalendarisch geordneter Form günstige und ungünstige Tage verzeichnen und gerne auch als Amulett getragen wurden. Eine Auswahl dieser hemerologischen Texte wird hier von K. Hecker in Abschnitt 3.5 als Ergänzung zu den in TUAT.NF 4 gebotenen Texten zur Divination und Ritualkunde vorgelegt. Die babylonischen und assyrischen Gelehrten des 1. Jt. v. Chr. arbeiteten mit einem überkommenen Textkorpus, das im Laufe der zweiten Hälfte des 2. Jt. in zahlreichen Wissensgebieten feste Gestalt angenommen hatte und das man in umfangreichen, kanonisch gewordenen Textserien und Literaturwerken weitgehend stabil überlieferte. Diese Situation führte zur Entstehung einer neuen Form von Texten, den sogenannten Kommentaren, die der Interpretation der kanonischen Texte dienten und neben einfachen Worterklärungen auch komplexe, vielschichtige Deutungen enthalten, die uns einen Einblick in die Rezeption überkommenen Wissens und die hermeneutischen Methoden der mesopotamischen Gelehrten des 1. Jt. geben (s. E. Frahm, Abschnitt 3.6). Obwohl diese Kommentartexte in herkömmlichen Darstellungen der mesopotamischen Wissenschaftsgeschichte keine Berücksichtigung finden, sind sie doch eine der wichtigsten Quellen für unser Verständnis der Denkweisen und des Wissensschatzes der mesopotamischen Gelehrten des 1. Jt. v. Chr. Der erste Band der Cambridge History of Science (A. Jones / L. Taub, The Cambridge History of Science, Bd. 1: Ancient Science, Cambridge 2018) enthält einen Überblicksartikel zu Mesopotamien von F. Rochberg (S. 7-28) sowie weitere Beiträge zu Einzelgebieten von M. J. Geller (Medizin, S. 29-57), J. Høyrup (Mathematik, S. 58-72) und J. M. Steele (Astronomie, S. 73-98), die jeweils auch einschlägige Literaturverweise einschließen. Dieselben 1.

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M. Ossendrijver, Der Himmel über Babylon. Astronomie im Alten Orient, in: E. Seidl / Ph. Aumann / F. Duerr (Hg.), Der Himmel. Wunschbild und Weltverständnis: Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, Museum der Universität Tübingen 2011, 151-158; ders., Babylonian Market Predictions, in: J. Haubold / J. Steele / K. Stevens (Hg.), Keeping Watch in Babylon. The Astronomical Diaries in Context (CHANE 100), Leiden / Boston 2019, 53-78.

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Autoren haben in jüngerer Zeit auch einschlägige Handbücher vorgelegt: F. Rochberg, The Heavenly Writing. Divination, Horoscopy, and Astronomy in Mesopotamian Culture, Cambridge 2004; J. M. Steele, Under One Sky: Astronomy and Mathematics in the Ancient Near East (AOAT 297), Münster 2002; ders., A Brief Introduction to Astronomy in the Middle East, London u. a. 2019; M. J. Geller, Ancient Babylonian Medicine. Theory and Practice, Chichester 2010; J. Høyrup, Algebra in Cuneiform. Introduction to an Old Babylonian Geometrical Technique, Berlin 2017; vgl. auch E. Robson, Mathematics in Ancient Iraq. A Social History, Princeton 2008. Ein von A. Imhausen und T. Pommerening herausgegebener Band zur Übersetzung früher wissenschaftlicher Texte (Translating Writings of Early Scholars in the Ancient Near East, Egypt, Greece and Rome. Methodological Aspects with Examples, Berlin / New York 2010) schließt substantielle Kapitel zu mesopotamischen medizinischen (N. P. Heeßel, S. 17-74), mathematischen (J. Ritter, S. 75-124) und astronomischen Texten (M. Ossendrijver, S. 175-280) ein, die auch Textbeispiele detailliert erläutern. Zu den lexikalischen Listen sei auf M. Hilgert, Von ›Listenwissenschaft‹ und ›epistemischen Dingen‹. Konzeptuelle Annäherungen an altorientalische Wissenspraktiken, Journal for General Philosophy of Science 40 (2009) 277-309 (dort insbesondere auch zur wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung und zum Begriff der ›Listenwissenschaft‹) sowie C. Jay Crisostomo, Translation as Scholarship. Language, Writing, and Bilingual Education in Ancient Babylonia (SANER 22), Leiden / Boston 2018, verwiesen. Zur Divination (bzw. ›Vorzeichenwissenschaft‹) finden sich wichtige Beiträge in A. Annus (Hg.), Divination and Interpretation of Signs in the Ancient World (Oriental Institute Seminars 6), Chicago 2010. Zur Verwendung astrologisch-astronomischen Wissens in Beschwörungsritualen s. E. Reiner, Astral Magic in Babylonia, Philadelphia 1995. Für weitere Literaturangaben sei neben den Angaben in den folgenden Kapiteln insbesondere auch auf TUAT.NF 4 (Omina, Orakel, Rituale und Beschwörungen) und TUAT.NF 5 (Texte zur Heilkunde) verwiesen.

3.2 Mathematische Texte

Jens Høyrup Die südmesopotamische Staatsbildung war ganz eng mit der Buchhaltung verbunden und somit auch mit der Entwicklung von Schrift und den grundlegenden mathematischen Techniken. Zunächst war die Verwendung von Schrift und Berechnung streng dem Buchhaltungszweck untergeordnet. Erst in frühdynastischer Zeit (in der sog. Fa¯ra-Periode), in der auch die Schreiber-Profession (offenbar schon mit Spezialisierungen) und die frühesten literarischen Texte entstanden, finden wir die ersten »supra-utilitären« mathematischen Schulaufgaben, d. h. Aufgaben, die scheinbar für die Praxis berufstätiger Schreiber gedacht waren, in der Realität jedoch weit über das berufsmäßig Notwendige hinausgingen. Während der Ur III-Zeit (21. Jh. v. Chr.) scheint die supra-utilitäre Mathematik aus dem Curriculum verschwunden zu sein – die mathematische Ausbildung der Schreiber wurde auf das Auswendiglernen von Tabellen und die Erstellung von Modell-Texten reduziert (letzteres kennen wir auch aus der Uruk IV-III-Zeit des beginnenden 3. Jt. v. Chr.). In der altbabylonischen Periode (ca. seit dem frühen 18. Jh. v. Chr.) 65

Texte aus Mesopotamien

kehrte die supra-utilitäre Mathematik jedoch verstärkt in die Ausbildung zurück – oft in einer Form, in der eine Bindung an die Berufspraxis nur nominell bestand. Zwar wurden die meisten Schreiber mathematisch vermutlich wie in der Ur III-Zeit ausgebildet (darauf deutet das Curriculum hin, das in Nippur rekonstruiert werden kann), 2) jedoch zeigt eine ziemlich große Anzahl von raffinierten Texten, daß dies nicht immer der Fall war. Leider stammen fast alle Texte dieser Art aus Raubgrabungen oder schlecht dokumentierten Grabungen, so daß wir nur sehr wenig über ihren Sitz im (Schul-)Leben wissen. Nach dem Zusammenbruch der altbabylonischen Gesellschaft verschwand in der zweiten Hälfte des 2. Jt. v. Chr. die supra-utilitäre Mathematik aus der Schreiberkultur, die über ein Jahrtausend hinweg nur die Metrologien und die grundlegenden mathematischen Tabellen aus der Ur III-Zeit tradierte. Erst aus spätbabylonischer Zeit (Mitte 1. Jt. v. Chr.) kennen wir Fälle, wo gelehrte Schreiber versuchten, das Verlorene aus der Tradition der weniger gelehrten Praktiker zu rekonstruieren – allem Anschein nach ohne großen Erfolg.

3.2.1 Eine Verteilungsaufgabe aus Sˇuruppak Keilschrifttafel aus Sˇuruppak (26. Jh. v. Chr.). Aufbewahrungsort: Archäologische Museen Istanbul. – Edition (Kopie): R. Jestin, Tablettes sumériennes de Sˇuruppak conservée au Musée de Stamboul, Paris 1937, Nr. 50. – Bearbeitung und Kommentar: M. Powell, The Antecedents of Old Babylonian Place Notation and the Early History of Babylonian Mathematics, Historia Mathematica 3 (1976) 432 f. – Photo, korrigierte Handkopie und Interpretation: J. Høyrup, Investigations of an Early Sumerian Division Problem, c. 2500 B.C., Historia Mathematica 9 (1982) 19-36.

Die Aufgabe besteht darin, den Inhalt eines Getreidesilos (guru7) an Männer (lú; der unten erwähnte Paralleltext hat gurusˇ, »Arbeiter«) zu verteilen. Dies scheint zunächst eine Aufgabe aus dem Alltagsleben eines Schreibers zu sein, jedoch würde ein Schreiber in der Praxis wissen, wie viele Leute zu versorgen wären. Die Getreidemenge ist sehr groß; zudem ist die benutzte Metrologie zu rund, als daß sie die Praxis reflektieren könnte (40‘ gur.mah, jedes gur.mah von 8‘ sìla 3) – insgesamt 1.152.000 sìla). ˘ ˘ Schließlich wird jeder Mann 7 sìla erhalten, ein Divisor, der in der beruflichen Praxis vermieden wird, da er mit der Metrologie ziemlich inkompatibel ist. Mathematisch gesehen geht es also um die Division einer sehr großen, runden Zahl mit einem unbequemen Divisor.

2. 3.

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S. C. Proust, Tablettes mathématiques de Nippur. I. Reconstitution du cursus scolaire. II. Édition des tablettes d’Istanbul. Thèse pour l’obtention du diplôme de Docteur de l’Université Paris 7, Paris 2004. Die Notation ist diejenige von F. Thureau-Dangin, eine Weiterentwicklung derjenigen von L. Delaporte, V. Scheil und A. Ungnad: 1‘ steht für 1  60, 1‘‘ für 1  602, 1 ‘ für 1  60-1, 1 ‘ ‘ für 1  60-2. 1º ist dasselbe wie 1.

Texte aus Mesopotamien

Das Ergebnis ist 45‘‘42‘51 = 164.571 Männer, während 3 sìla »auf der Hand« bleiben, d. h., auf dem Rechenbrett (dieser Name des Rechenbrettes überlebt bis in die spätbabylonischer Zeit). 4) Ein Paralleltext (Jestin, Tablettes sumériennes, Nr. 671) mit einem falschen Resultat zeigt uns, wie gerechnet worden ist. Zuerst ermittelt der Rechner, wie oft 7 gur.mah in ˘ 40‘ gur.mah enthalten sind – nämlich 342 mal (auch hier gibt es vermutlich eine Zwi˘ schenrechnung, die jedoch nicht rekonstruierbar ist), mit einem Rest von 6 gur.mah. ˘ Von 7 gur.mah erhält von 480 Männern jeder 7 sìla, von 342 mal 7 gur.mah also ˘ ˘ 342  480 = 164.160. Das ist genau das Resultat des Paralleltextes (als 45‘‘36‘ geschrieben), wo also der Rest von 6 gur.mah vergessen worden ist. Wenn dieser Rest in Por˘ tionen von 7 sìla verteilt wird, bekommen wir das korrekte Resultat von Text Nr. 50. (I 1-3) Getreide,

1 Silo: 7 sìla erhält (jeder) Mann. treide, 3 sìla auf der Hand gelassen.

(4) Seine

Männer?

(II 1) 45‘‘42‘51. (2) Ge-

3.2.2 Altbabylonische Pachtzinsberechnung, umgekehrt Keilschrifttafel aus dem Kunsthandel, vermutlich aus Uruk (vgl. A. Goetze in O. Neugebauer / A. J. Sachs, Mathematical Cuneiform Texts [AOS 29], New Haven 1945, 149-150), zwischen 1750 und 1720 v. Chr. geschrieben. – Aufbewahrungsort: Vorderasiatisches Museum Berlin (VAT 8389). – Edition: O. Neugebauer, Mathematische Keilschrifttexte I, Berlin 1935, 317-318, mit Korrektur in Mathematische Keilschrifttexte III, Berlin 1937, 58. – Umschrift und Übersetzung: J. Høyrup, Length, Width, Surfaces. A Portrait of Old Babylonian Algebra and Its Kin, New York 2002, 78-81.

Die Aufgabe ist eine von sechs (auf zwei Tafeln verteilt), die vom Pachtzins für zwei Felder handeln. In einer sind die Flächen und der Pachtzins pro Flächeneinheit angegeben, was eine Fragestellung der Berufspraxis sein könnte. Die anderen sind suprautilitäre Umkehraufgaben. Im vorliegenden Fall werden die Summe der zwei Flächen, die spezifischen Pachtzinsen sowie der Unterschied zwischen den beiden Pachtzinsgrößen angegeben. Zudem werden die einzelnen Flächen bestimmt. Die Berechnung benutzt das Sexagesimal-Stellenwert-System, das in der Ur III-Zeit entwickelt wurde. Hier sind alle Zahlen in einem Stellenwert-System mit der Basis 60 und ohne Angabe des absoluten Wertes ausgedrückt. Um das System für multiplikative Berechnungen benutzen zu können, mußte man alle Größen in (stillschweigend vorausgesetzte) Grundeinheiten übersetzen. Die in der landwirtschaftlichen Praxis benutzte Einheit bùr wurde also in 30‘ sar übersetzt, und das Hohlmaß gur in 5‘ sìla. Dies erfolgte ohne Berechnung; in der Schule wurde die Tabelle auswendig gelernt, in der nicht nur die Einheiten, sondern auch ihre Multipla übersetzt wurden (4 gur also als 20‘, 3 gur als 15‘ sìla zu verstehen, vgl. unten Zeile I 6 und I 8). 4.

C. Proust, La multiplication babylonienne: la part non écrite du calcul, Revue d’Histoire des Mathématiques 6 (2000) 293-303; J. Høyrup, [Abstract von L. Brack-Bernsen / H. Hunger, BM 42484+42294 and the Goal-Year method, SCIAMUS 9 (2008) 3-23], Zentralblatt für Mathematik und ihre Grenzgebiete Zbl 1168.01002.

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Texte aus Mesopotamien

Zur mathematischen Terminologie muß folgendes vorausgeschickt werden: Zwei additive Operationen kommen im Text vor. Die eine ist das symmetrische »Zusammenlegen«, bei dem die zwei Addenden in der »Zusammenlegung« absorbiert wurden; die andere ist eine »Hinzufügung« von b zu A, bei der die Identität von A bewahrt wurde (nur die Größe wurde verändert), während b in A absorbiert wurde. Auch zwei subtraktive Operationen kommen vor. Die eine ist das »Herausreißen« von b aus A, wo ebenfalls die Identität von A bewahrt wird. Sie kann nur benutzt werden, wenn tatsächlich b ein Teil von A ist. Die andere ist ein Vergleich von A und B, wo gesagt wird, um wieviel A über B hinausgeht. Nur eine Multiplikation kommt vor: das »Heben«. Die Metapher kommt von der Volumen-Berechnung, wo die Grundfläche zur Höhe »gehoben« wird. Sie wird allgemein benutzt, wenn etwas Konkretes mittels Multiplikation berechnet wird. Die Tabellen, wo die rein numerische Multiplikation geübt wird, benutzte stattdessen »Schritte von« (z. B. »2 Schritte von 3, 6«). Die Konstruktion eines Rechtecks, unmittelbar von der Bestimmung der Fläche gefolgt, wurde noch anders ausgedrückt. Eine Operation »Division« gab es nicht. Stattdessen wurde, wenn das möglich war, das Reziproke des Divisors »abgespalten« (die Idee war vermutlich, daß z. B. 1 von 30 Teilen von der Einheit abgespalten wurde). In Wirklichkeit wurde das Reziproke aus einer Standardtabelle entnommen. Demnach wurde der Dividend zum Reziproken des Divisors »gehoben« (also: A : d wurde als A  1⁄d berechnet). Wenn das Reziproke nicht gefunden werden konnte, wie in den Zeilen II 5-8, wurde stattdessen die Divisionsfrage gestellt: Was soll ich zu d setzen, das mir A gibt. »Setzen« ist hier keine neue Multiplikation; die Frage ist ein Hinweis darauf, wie die numerische Multiplikation a  b in der Schule geschrieben wurde: Erst wurde a geschrieben, dann wurde darunter b »gesetzt«, d. h., geschrieben. Wir können jetzt die Berechnung verfolgen: In I 1-2 werden die zwei spezifischen Pachtzinsen und in I 3 der Überschuß der größeren über die geringeren (schon stillschweigend in sìla) angegeben. In I 4 wird erklärt, daß die Gesamtfläche 30‘ beträgt (auch schon in sar ausgedrückt; sie beträgt also 1 bùr), und I 5 wird die Frage gestellt, alles in der 1. Person Singular ausgedrückt. Wir können uns daher vorstellen, daß hier der Lehrer spricht. Der Rest steht im Imperativ und in der 2. Person Singular. Jetzt erklärt der Lehrassistent oder »große Bruder«, was zu tun ist. In I 6 werden die Daten für das erste Feld notiert (»gesetzt«) – daß 1 bùr 30[‘ sar] ist und daß pro bùr 20[‘ sìla = 4 gur] als Pachtzins genommen werden. I 7-8 bietet das Entsprechende für das zweite Feld, während in I 9 der Überschuß von »Getreide über Getreide« notiert wird, d. h., der Überschuß von 8‘20 sìla vom ersten über den zweiten Pachtzins. I 10 notiert die Gesamtfläche der zwei Felder. Ab I 11 wird berechnet, wie groß der Unterschied sein würde, wenn die zwei Felder gleich groß wären. Dann wäre jedes 15‘ sar (I 12), was für jedes Feld notiert wird (I 13). Für das erste Feld haben wir in I 6 notiert, daß der Pachtzins 20‘ sìla pro bùr ist. Da das bùr 30‘ sar ist, ist der Pachtzins also – nach einer Multiplikation mit dessen Reziproken (2 ‘ ‘) – 2 ‘ ‘  20‘ = 40 ‘ sìla pro sar (I 15-16), das sog. »falsche« Getreide (Pachtzins im Fall, daß das Feld 1 sar groß sei, was ja falsch ist). Nach der Multiplikation mit der angenommenen Fläche von 15‘ sar lesen wir in I 16-17, daß der Pachtzins 68

Texte aus Mesopotamien

des ersten Feldes in diesem angenommenen Fall 10‘ betragen würde. Dies wird nicht notiert, sondern im Gedächtnis behalten – d. h., es gehört nicht wie die Multiplikationen in ein Rechenschema. I 18-20 bietet dasselbe für das zweite Feld und kommt bei dem entsprechenden Pachtzins auf 7‘30 sìla. Der Überschuß des ersten Pachtzinses gegenüber dem zweiten würde damit 10‘–7‘30 = 2‘30 sìla (I 22) betragen. Das ist zu wenig – genauer bestimmt: 8‘202‘30 = 5‘50 sìla zu wenig (II 1). Das wird jetzt (II 2-3) im Gedächtnis behalten. Da der Pachtzins für das erste Feld der größere ist, müssen wir das erste Feld größer und das zweite Feld kleiner machen (die Möglichkeit, daß der Pachtzins vom zweiten Feld der größere sein könnte, wird nicht in Betracht gezogen). Jedesmal, wenn 1 sar vom zweiten zum ersten Feld überführt wird, wird der Pachtzins des ersteren um 40‘ sìla größer und der des zweiten um 30 ‘ sìla kleiner. Der Unterschied zwischen den zwei Pachtzinsgrößen wächst damit um 40 ‘ + 30 ‘ = 1º10 ‘ (II 4-5). Insgesamt müssen wir deshalb 5‘50/1º10 ‘ sar überführen. Das Reziproke von 1º10 ‘ ist aber nicht »bekannt« (es ist ein unendlicher Sexagesimalbruch). Deshalb kommt die alternative Divisionsfrage, »was muß man mit 1º10 ‘ multiplizieren, um 5‘50 zu erhalten?«, mit unmittelbar folgender Antwort und Nachprüfung (II 5-9). Im aktuellen Fall ist es sehr einfach, die Antwort zu finden – die Zahlen stehen ja da: 5.50 und 1.10. Aber auch in anderen, nicht ganz so einfachen Fällen folgt die Antwort auf die Divisionsfrage immer unmittelbar. Da alle diese Aufgaben rückwärts aus einer bekannten Situation aufgebaut sind, kennt der Autor des Textes die Antwort. Selbst in Fällen, wo falsch gerechnet worden ist, beheben die Antworten auf Divisionsfragen und das Wurzelziehen den Fehler. Also müssen 5‘ sar vom zweiten zum ersten Feld überführt werden; das geschieht in II 10-13. Normalerweise würden die Babylonier (wie wir) die Addition vor der Subtraktion erwähnen (so auch in II 13, wo das Ergebnis mitgeteilt wird), aber hier geschieht es umgekehrt. Zuerst wird vom zweiten Feld herausgerissen, danach dem ersten Feld hinzugefügt. Der Grund ist nicht, wie zuweilen behauptet worden ist, daß das babylonische Denken primitiv und noch nicht zur Abstraktion fähig war und man sich deshalb die Hinzufügung nur dann vorstellen konnte, wenn das Hinzuzufügende vorhanden war. Texte des 18. Jh. v. Chr. notieren in entsprechenden Fällen einfach »füge hinzu und reiße heraus«. Die Berücksichtigung des konkret Sinnvollen ist eine sekundäre Entwicklung, ein Ausdruck von fast theoretischer Reflexion über »Möglichkeit und Grenzen« – Kritik im Sinne Kants. II 14-27 bietet die Probe: Angenommen, daß die Flächen der zwei Felder tatsächlich 20‘ und 10‘ sar groß sind, wie hoch sind dann die Pachtzinsen (II 16) und wie groß ist ihr Unterschied? Alles läuft wie in I 14-22, und am Ende zeigt es sich, daß korrekt gerechnet worden ist. (I 1) Von

1 bùr, 4 gur Getreide habe ich eingenommen. dem zweiten bùr 3 gur Getreide habe ich eingenommen. (3) Das Getreide über das Getreide, 8‘20 geht es darüber hinaus. (4) Meine Felder zusammengelegt: 30‘. (5) Meine Felder was? (6) 30‘, das bùr setze. 20‘, das Getreide, das er eingenommen hat, setze. (2) Von

69

Texte aus Mesopotamien (7) 30‘,

das zweite bùr, setze. das Getreide, das er eingenommen hat, setze. (9) 8‘20, das Getreide, das über das Getreide hinausgeht, setze, (10) und 30‘ der Zusammenlegung der Flächen der Felder setze: (11) 30‘ der Zusammenlegung der Flächen der Felder (12) in zwei zerbrich: 15‘. (13) 15‘ und 15‘ bis zweimal setze: (14) das Reziproke von 30‘, des bùr, spalte ab: 2 ‘ ‘. (15) 2 ‘ ‘ zu 20‘, dem Getreide, das er eingenommen hat, (16) hebe, 40 ‘ das falsche Getreide. Zu 15‘, das du bis zweimal gesetzt hast, (17) hebe, 10‘ möge dein Kopf behalten! (18) Das Reziproke von 30‘, dem zweiten bùr, spalte ab: 2 ‘ ‘. (19) 2 ‘ ‘ zu 15‘, dem Getreide, das er eingenommen hat, (20) hebe, 30 ‘ das falsche Getreide. Zu 15‘, das du bis zweimal gesetzt hast, hebe, 7‘30. (21) 10‘, das dein Kopf behält, (22) über 7‘30 was geht es hinaus? 2‘30 geht es darüber hinaus. (23) 2‘30, welches darüber hinausgeht, von 8‘20, (24) worüber das Getreide über das Getreide hinausgeht, (II 1) reiße heraus, und 5‘50 läßt du zurück. (2) 5‘50, das du zurückläßt, (3) möge dein Kopf behalten. (4) 40 ‘, die Änderung(?) und 30‘ die Änderung(?) 5) (5) lege zusammen: 1º10 ‘. Das Reziproke weiß ich nicht. (6) Was zu 1º10 ‘ möge ich setzen, (7) das mir 5‘50, das dein Kopf behält, gibt? (8) 5‘ setze. 5‘ zu 1º10 ‘ hebe, (9) 5‘50 gibt es dir. (10) 5‘, das du gesetzt hast, von 15‘, das bis zu zweimal (11) du gesetzt hast, vom einen reiße heraus, (12) zum anderen füge hinzu: (13) Einer ist 20‘, der andere ist 10‘. (14) 20‘ ist die Fläche des ersten Feldes, 10‘ ist die Fläche des zweiten Feldes. (15) Wenn 20‘ die Fläche des ersten Feldes ist, (16) 10‘ die Fläche des zweiten Feldes, die beiden Getreide (sind) was? (17) Das Reziproke von 30‘, dem bùr, spalte ab: 2 ‘ ‘. (18) 2 ‘ ‘ zu 20‘, dem Getreide, das er eingenommen hat, (19) hebe: 40 ‘ zu 20‘ der Fläche des ersten Feldes, (20) hebe: 13‘20 das Getreide von 20‘ der Fläche des Feldes. (8) 15‘,

5.

70

Der Tafel ist an beiden Stellen beschädigt. Die Zeichenreste sind mit ta-ki-ir-tam, »Änderung«, kompatibel, was sinnvoll wäre, obwohl das nicht aus anderen mathematischen Texten bekannt ist. Sowohl O. Neugebauer als auch F. Thureau-Dangin haben ta-ki-il-tam vorgeschlagen. Das ist zwar ein bekannter mathematischer Terminus, wäre aber hier völlig sinnlos (es steht für etwas, das hält oder gehalten wird – entweder eine Seite, die ein Rechteck hält, oder etwas, das im Kopf behalten wird). Der mathematisch technische Vorgang ist jedenfalls klar.

Texte aus Mesopotamien

Reziproke von 30‘, dem zweiten bùr, spalte ab: 2 ‘ ‘. zu 15‘, dem Getreide, das er eingenommen hat, hebe, 30 ‘. (23) 30 ‘ zu 10‘ der Fläche des zweiten Feldes, (24) hebe, 5‘ das Getreide von 10‘ der Fläche des zweiten Feldes. (25) 13‘20, das Getreide der Fläche des ersten Feldes, (26) über 5‘, dem Getreide der Fläche des zweiten Feldes, (27) was geht darüber hinaus? 8‘20 geht es darüber hinaus. (21) Das (22) 2 ‘ ‘

3.2.3 Wieviel Mathematik beherrschten Assurbanipal und seine gelehrten Schreiber? Keilschrifttafel aus neuassyrischer Zeit (Regierungszeit des Assurbanipal, 668-626 v. Chr.), gefunden in Ninive. – Aufbewahrungsort: British Museum London (K 2694 + K 3050 = L[ondon]4). – Edition und Bearbeitung: J. Novotny, Selected Royal Inscriptions of Assurbanipal (SAACT X), Helsinki 2014, Text Nr. 18; XVI f. (Kommentar mit weiterer Literatur), 42-44 (Kopie), 77-80 (Umschrift), 96-99 (Übersetzung).

Im Folgenden wird ein kurzer Auszug eines Textes wiedergegeben, in dem der König Assurbanipal von Assyrien unter anderem von seinen Fähigkeiten als gelehrter Schreiber spricht. Er kennt die »Wahrzeichen von Himmel und Erde, [hat] darüber in der Versammlung der Meister diskutiert«, er versteht sich auf Leberschau, er liest zweisprachige Texte (sumerisch und akkadisch), er versteht »den Wortlaut von Steininschriften von vor der Sintflut, die völlig rätselhaft …«. 6) Neben all diesen verblüffenden Kenntnissen kann er auch die grundlegenden Operationen im Stellenwertsystem durchführen (Multiplikation). Da er offenbar alles zu beherrschen behauptet, was ein gelehrter Schreiber macht, sind diese Zeilen ein Zeugnis dafür, daß die hochgelehrten Schreiber seiner Zeit (die ihn als künftigen hohen Priester erzogen haben, bevor er Kronprinz wurde) nicht viel mehr in der Mathematik kannten. Mathematische Verwaltung fiel zu dieser Zeit offenbar in die Verantwortung von rechnenden Personen mit weniger Prestige. (I 21) Ich

kann Reziproke abspalten, ich mache verwickelte Multiplikationen, die sich nicht durchschauen lassen.

3.3 Babylonische mathematische Astronomie

Mathieu Ossendrijver Die Textgruppe der babylonischen mathematischen Astronomie umfaßt etwa 450 Tontafeln aus Babylon und Uruk aus der Zeit zwischen 380 und 48 v. Chr. Die Tafeln enthalten Algorithmen zur Berechnung von Phänomenen des Mondes, der fünf damals bekannten Planeten, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn, und der Sonne. Die Textgruppe setzt sich zusammen aus etwa 340 Tabellen – mit in Reihen und Ko6.

Übersetzung A. Falkenstein, Die babylonische Schule, Saeculum 4 (1953) 126.

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Texte aus Mesopotamien

lumnen angeordneten quantitativen Angaben – und etwa 110 Prozedurtexten, die vor allem zum Berechnen oder Überprüfen der Tabellen dienen. 7) Am zahlreichsten sind Tabellen zu den synodischen Phänomenen des Mondes oder eines Planeten; daneben gibt es Tabellen mit täglichen Positionen dieser Himmelskörper. Ungefähr die Hälfte der Texte ist dem Mond gewidmet, die andere Hälfte den fünf Planeten, nur wenige der Sonne. Grundlage der Algorithmen ist der im 5. Jh. v. Chr. eingeführte Tierkreis, eine Einteilung des Pfades der Sonne in zwölf Abschnitte von 30º, die jeweils nach einer benachbarten Konstellation benannt wurden. 8) Die meisten vorhandenen Tafeln datieren nach 220 v. Chr. und reflektieren die höchste Entwicklungsstufe der Algorithmen, die noch vor etwa 310 v. Chr. erreicht wurde. Alle Berechnungen basieren auf dem sexagesimalen positionellen System, wonach Zahlen als Sequenzen von Stellen dargestellt werden. Jede Stelle hat einen Wert zwischen 0 und 59 und ist mit einer nach rechts abnehmenden Potenz der Grundzahl 60 zu multiplizieren. In den Übersetzungen dient ein Semikolon (;) als Trennzeichen zwischen dem ganzzahligen Teil und dem Bruchteil der Zahl, ein Komma als Trennzeichen zwischen den anderen Stellen. Die Astronomen, die die Berechnungen durchführten, waren als Priester am Esagil, Tempel des Gottes Marduk in Babylon, oder am Re¯sˇ, Tempel des Himmelsgottes Anu in Uruk, tätig. Mögliche praktische Anwendungen der Berechnungen werden in den Bereichen Kalender und Astrologie vermutet. Die in den Mondtabellen enthaltenen Berechnungen der neuen Mondsichel konnten zur Festlegung der Monatsanfänge für den Kalender benutzt werden. Die ebenso in diesen Tabellen enthaltenen Angaben zu Mond- und Sonnenfinsternissen konnten für divinatorische Zwecke eingesetzt werden. Die Tabellen mit täglichen Positionen von Mond, Sonne und Planeten wurden wohl angefertigt, um Horoskope zu erstellen. Was übrigbleibt sind die zahlreichen synodischen Tabellen der Planeten; diese haben wohl einerseits Anfangswerte für die Tabellen mit den täglichen Positionen geliefert. Darüber hinaus mögen sie für die Vorhersage von Wetter und Marktwerten benutzt worden sein, weil aus astrologischen Prozedurtexten hervorgeht, daß die Gelehrten davon ausgingen, daß diese mit den synodischen Phänomenen der Planeten korreliert waren.9)

7.

8. 9.

72

Für Editionen und Bearbeitungen des damals bekannten Korpus s. O. Neugebauer, Astronomical Cuneiform Texts, New York 1955; für die Prozedurtexte s. M. Ossendrijver, Babylonian Mathematical Astronomy: Procedure Texts, New York 2012. Für eine Einführung s. J. Britton / C. Walker, Astronomy and Astrology in Mesopotamia, in: C. Walker (Hg.), Astronomy Before the Telescope, London 1996, 42-67. Für eine umfassende Zusammenstellung und Analyse der Algorithmen in modernen Formeln s. O. Neugebauer, A History of Ancient Mathematical Astronomy, New York 1975. Für eine Datierung der Einführung des Tierkreises um 400 v. Chr. s. J. P. Britton, Studies in Babylonian Lunar Theory: Part III. The Introduction of the Uniform Zodiac, Archive for the History of Exact Sciences 64 (2010) 638-640. Für die Anwendung der Tabellen mit täglichen Positionen in Horoskopen s. F. Rochberg, Babylonian Horoscopes and their Sources, Or. 58 (1989), 102-123. Für die auf synodischen und anderen planetarischen Phänomenen beruhenden Vorhersagungsregeln für Wetter und Marktwerte s. H. Hunger, Astrologische Wettervorhersagen, ZA 66 (1976) 234-260, und H. Hunger, Spätbabylonische Texte aus Uruk I (Ausgrabungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Uruk-Warka), Berlin 1976, 95-99 Nr. 94.

Texte aus Mesopotamien

3.3.1 Prozedurtext für Saturn Keilschrifttext in akkadischer Sprache, erhalten in zwei Duplikaten. Das hier übersetzte Fragment gehört zu einer einkolumnigen Tafel aus Uruk (Tell Warka). – Datierung: 190170 v. Chr. – Aufbewahrungsort: Tontafelsammlung des Oriental Institute, Chicago (A 3418). – Edition und Bearbeitung: O. Neugebauer, Astronomical Cuneiform Texts, New York 1955, 371-373 Nr. 802 + Tf. 249 (Photo); M. Ossendrijver, Babylonian Mathematical Astronomy: Procedure Texts, New York 2012, 309-311 Nr. 41 + Photo Tf. F.43. Duplikat: Keilschrifttafel aus Uruk; 250-170 v. Chr. – Aufbewahrungsort: Musée du Louvre, Paris (AO 6477). – Edition und Bearbeitung: F. Thureau-Dangin, Tablettes d’Uruk (TCL VI), Paris 1922, 30 (Umschrift); Neugebauer, Astronomical Cuneiform Texts, 368-371 Nr. 801; Ossendrijver, Babylonian Mathematical Astronomy, 312-315 Nr. 42.

Der Text enthält sechs Prozeduren mit Algorithmen für Saturn, genannt Kajjama¯nu, »der Stetige«. Aus dem Kolophon geht hervor, daß die Tafel im Besitz von Anu-abaute¯r aus dem Klan Sîn-le¯qi-unninni war, ein Astronom aus dem Gelehrtenkreis des Re¯sˇ-Tempels in Uruk. 10) Die Prozeduren gehören zu drei unterschiedlichen Rechensystemen: A (P1-P4), B (P4, P6), und B ‘ ‘ (P5). 11) In P1 werden die Grenzen von zwei Tierkreisregionen definiert, in denen Saturn sich mit jeweils unterschiedlicher Geschwindigkeit entlang des Tierkreises fortbewegt. 12) In P2 und P3 wird für jede Region beschrieben, wie die Geschwindigkeit, ausgedrückt in Grad pro Tag, sich im Laufe des synodischen Zyklus ändert. 13) Dieser Zyklus umfaßt den heliakischen Aufgang, genannt »Erscheinung«, die erste Station, den akronychalen Aufgang, genannt »Aufgang zum Tageslicht«, die zweite Station und den heliakischen Untergang, genannt »Untergang«. 14) Von der ersten bis zur zweiten Station ist Saturn rückläufig; zwischen heliakischem Untergang und Aufgang ist Saturn unsichtbar auf Grund seiner Nähe zur Sonne – im Text heißt es, daß Saturn »bei der Sonne (Sˇamasˇ)« ist. 15) In P4 werden Perioden aufgelistet, die für die Systeme A und B charakteristisch sind.

10. 11. 12.

13. 14.

15.

Der Kolophon erwähnt die Stichzeile eines bisher unbekannten Prozedurtextes für Mars (genannt Salbata¯nu). Auf der Tafel AO 6477 sind vor dem Duplikat zwei Prozeduren für Merkur ˙ verzeichnet. Für die Rechensysteme A, B und B ‘ ‘ für Saturn s. Ossendrijver, Babylonian Mathematical Astronomy, 106-109. Nicht enthalten im Text ist eine Prozedur für die sog. Stufenfunktion, mit der in Systemen vom Typ A die Tierkreispositionen suksessiver Wiederholungen des gleichen synodischen Phänomens berechnet werden. Für diesen Algorithmus vgl. Ossendrijver, Babylonian Mathematical Astronomy, 47-51. Die Geschwindigkeitswerte sind streng genommen Abstände, die pro Tag entlang des Tierkreises zurückgelegt werden. Der erste Wert, 0;12, bezeichnet z. B. einen Abstand von 12/60 Grad = 12 Bogenminuten. Der heliakische Aufgang ist der erste sichtbare Aufgang kurz vor Sonnenaufgang. Der akronychale Aufgang ist der letzte sichtbare Aufgang kurz nach Sonnenuntergang, maximal einige Tage vor der Opposition mit der Sonne. Der heliakische Untergang ist der letzte sichtbare Untergang kurz nach Sonnenuntergang. Für die Unterteilung der synodischen Bewegung nach System A vgl. Ossendrijver, Babylonian Mathematical Astronomy, 107-108. P2 und P3 enden beide mit einem fehlerhaften Einschub (»Für 1 Grad…«); für eine mögliche Erklärung s. Ossendrijver, Babylonian Mathematical Astronomy, 311.

73

Texte aus Mesopotamien

4,16 (= 256) ist die Anzahl der Wiederholungen eines synodischen Phänomens, wonach Saturn zur gleichen Position im Tierkreis zurückkehrt, wofür er 4,25 (= 265) Jahre braucht. Dabei durchläuft er 9 mal den Tierkreis und legt somit einen Weg von 54,0 (= 3240) Grad zurück. P5 und P6 enthalten Parameter der Rechensysteme B und B ‘ ‘. In diesen Systemen wird der sogenannte Zickzack-Algorithmus benutzt, für den Abstand, den der Planet zwischen zwei Wiederholungen eines synodischen Phänomens entlang des Tierkreises zurücklegt. Dieser Abstand variiert periodisch mit einer konstanten Differenz zwischen einem Minimum, hier genannt »Tiefe«, und einem Maximum, genannt »Höhe«. In P6 werden deren Werte für das System B aufgelistet. Analog dazu wird die Zeit berechnet, die der Planet dafür braucht. In P5 werden dafür die entsprechenden Parameter von System B ‘ ‘ aufgelistet. Für die praktische Umsetzung des Zickzack-Algorithmus s. Text 3.3.2. (Invokation) 0 Auf dem Befehl von Anu und Antu möge sie (die Tafel) intakt bleiben. (P1) (Vs. 1) [Für Saturn. Von 10 Leo] bis 30 Aquarius der kleine (Wert); (2) [von 30 Aquarius] bis 10 Leo der große (Wert). (P2) (3) [In (der Region) des kleinen (Wertes): bei der Sonne] ist seine Bewegung 0;5 pro Tag. (4) [Nach der Erscheinung] ist seine Bewegung [30 Tage lang] 0;5 pro Tag. (5) [3 Monate lang] bewegt er 0;3,20 pro Tag, wird stationär. (6) [52;30 Tage lang] ist er 0;4,13,40 pro Tag rückläufig, dann geht er auf zum Tageslicht. (7) [Sechzig Tage lang] ist er 0;3,20 pro Tag rückläufig, dann die zweite Station. (8) [3 Monate lang] bewegt er 0;3,55,30 pro Tag. (9) [30 Tage lang v]or seinem Untergang bewegt er 0;5 pro Tag, dann geht er unter. (10) [Für] 1 Grad ist er 7;33,7,30 rückläufig. (P3) (11) [In (der Region) des gro]ßen (Wertes): bei der Sonne bewegt er 0;6 pro Tag. (12) [Nach der Erscheinung] bewegt er 30 Tage lang 0;6 pro Tag. (13) [3 Monat]e lang bewegt er 0;4 pro Tag, wird stationär. (14) [52;30] Tage lang ist er 0;5,4,24 pro Tag rückläufig, dann geht er auf zum Tageslicht. (15) [Sechzig Tage lang] ist er 0;4 pro Tage rückläufig, dann die zweite Station. (16) [3 Monate lang] bewegt er 0;4,18,40 pro Tag. 30 Tage lang vor seinem Untergang bewegt er 0;6 pro Tag, dann geht er unter. (17) [Für] 1 Grad ist er 9;3,45 rückläufig, dann ist er stationär. (P4) (Rs. 1) Für Saturn: 4,25 Jahre, [4,16 Erscheinungen], (2) 9 Umdrehungen, 5[4,0 Positionen]. (P5) (3) Für Saturn: die »Höhe« ist 25;24,5, [die »Tiefe« ist 22;41,15], (4) die Differenz ist 0;12; so [für die Tage]. (P6) (5) Für Saturn: die »Höhe« ist 14;4,42,30, [die »Tiefe«] ist 11;14,2,30, (6) die Differenz ist 0;12; so die Positionen. (Kolophon) (7) Die Bewegung von Mars. (8) Tafel des Anu-aba-ute¯r, des Sohnes des Anu-be¯lsˇunu, des Sohnes des [Nidinti-Anu], des (9) Nachkommen des Sîn-le¯qi-unninni, des Klagepriesters von Anu und An[tu, aus Uruk. Hand des … }

74

Texte aus Mesopotamien

3.3.2 Synodische Tabelle mit akronychalen Aufgängen von Saturn Fragment einer Keilschriftttafel in akkadischer Sprache. – Datierung: 188/187 v. Chr. – Aufbewahrungsort: Vorderasiatisches Museum Berlin (VAT 7819). – Edition und Bearbeitung: Neugebauer, Astronomical Cuneiform Texts, 357-358 Nr. 702 + Tf. 207 (Transliteration) + Tf. 249 (Photo).

Erhalten sind Teile der letzten 19 Zeilen der Vs. und der letzten 7 Zeilen der Rs. sowie Teile des Kolophons. Auf der Rs. wurden die 15 fehlenden Zeilen ergänzt; die etwa 14 auf der Vs. fehlenden Zeilen wurden nicht ergänzt. Aus dem Kolophon geht hervor, daß die Tafel »im Besitz« eines Sohnes von Anu-be¯lsˇunu aus dem Klan Sîn-le¯qi-unninni war. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich um den gleichen Anu-abaute¯r, der auch Besitzer des vorigen Textes ist. Die Tafel wurde von einem seiner Schüler geschrieben, dessen Namen abgebrochen ist. Das Datum der Anfertigung, Jahr 124 der Seleukidenära (188/187 v. Chr.), entspricht etwa dem Anfangsdatum der Tabelle. 16) Die Tabelle befaßt sich mit akronychalen Aufgängen, wie in Kol. VI angedeutet. Dieser letzte sichtbare Aufgang eines Planeten am östlichen Horizont ist etwa 1-2 Tage vor der Opposition mit der Sonne kurz nach Sonnenuntergang zu sehen. Grundsätzlich wurden diese Tabellen wie moderne Spreadsheets von oben nach unten und von links nach rechts berechnet, ausgehend von den Anfangsdaten. Die Tabelle enthält, wie üblich, nicht nur Endergebnisse, wie Zeiten und Tierkreispositionen, sondern auch die in der Berechnung benutzten Differenzen und weitere Hilfsgrößen. Die Kolumnen I und III enthalten das Kalenderdatum in der Form einer Jahreszahl der Seleukidenära (Jahr 1 = 311/310 v. Chr.), einem Monatsnamen, als römische Ziffer übersetzt, und einer Tageszahl. Die Angabe XII2 (= zweiter Monat XII) oder VI2 (= zweiter Monat VI), die manchmal der Jahreszahl folgt, ist ein Hinweis, daß in diesem Jahr ein XII2 bzw. VI2 als Schaltmonat einzufügen ist. 17) Die Einheit von Kol. III ist nicht der Tag, sondern 1/30 des mittleren synodischen Monats (= 29.53 Tage). 18) Durch Einführung dieser Einheit wird die Berechnung der variablen Monatslängen (29 oder 30 Tage), die für die Ermittlung des eigentlichen Kalenderdatums erforderlich wäre, umgangen. Kol. II enthält die Differenzen, mit denen die Datumsangaben in Kol. I und III aktualisiert wurden. Wie schon angedeutet, werden diese Differenzen in System B mit einem Zickzack-Algorithmus berechnet. Dementsprechend gehen die Werte in Kol. II mit einer konstanten Differenz 0;12 zwischen einem Minimum 22;41,23,7,30 und einem Maximum 25;32,3,7,30 periodisch auf und ab. 19) Das Datum in einer gegebenen Zeile ergibt sich, indem der danebenstehende Wert aus Kol. II zum Datum in der vorigen Zeile addiert wird, wobei zusätzlich noch 12 Monate zu addieren sind. Wenn die neue Tageszahl größer als 30 ist, sind davon 30 zu 16. 17. 18. 19.

Die etwa 14 am Anfang der Vs. zu ergänzenden Zeilen ergeben das Jahr 124 der Seleukidenära als ungefähres Anfangsjahr der Tabelle. Dies geschah seit dem 5. Jh. v. Chr. nach einem festen 19-jährigen Schaltzyklus. In der Literatur wird diese Einheit als tithi bezeichnet. Dieser aus dem Sanskrit stammende Begriff hat in der altindischen Astronomie eine ähnliche Bedeutung. Für den Zickzack-Algorithmus und die sich daraus ergebenden Periodizitäten s. Ossendrijver, Babylonian Mathematical Astronomy, 42-45.

75

Texte aus Mesopotamien

subtrahieren, und ist, dementsprechend, 1 Extra-Monat zu addieren. Kol. V enthält die Himmelsposition in Grad zwischen 0 und 30, gemessen vom Anfang eines Tierkreiszeichens.20) Analog zur Berechnung des Datums enthält Kol. IV die Differenzen, mit denen Kol. V aktualisiert wurde. Auch diese Werte wurden mit einem ZickzackAlgorithmus berechnet, und zwar mit einer Differenz 0;12, einem Minimum 11;14,2,30 und einem Maximum 14;4,42,30 – genau die Parameter, die in P6 des vorigen Textes aufgezeichnet werden. Um die aktuelle Position in Kol. V zu erhalten, muß der aktuelle Wert aus Kol. IV zur vorigen Position addiert werden. Wenn das Ergebnis größer als 30 wird, ist der Planet in das nächste Tierkreiszeichen eingetreten. Dementsprechend sind 30 zu subtrahieren und ist das nächste Tierkreiszeichen hinter der Positionsangabe zu schreiben. I

II

III

IV

V

VI

Vs. [etwa 14 Zeilen zu ergänzen] (1)

(5)

(10)

(15)

[2,20 XII2

23;43,40

XII 12;49,8,45

12;23,20] 1;41,45

Vir

Aufgang

2,21

23;31,40

XII 6;20,48,45

12;11,20

13;53,5

[

]

2,22 XII2

23;19,40

XII 29;40,28,45

11;59,20

25;52,25

[

]

2,23

23;7,40

XII 22;48,8,45

11;47,20

7;39,45

Lib

Aufgang

2,25 XII2

22;55,40

I

15;43,48,45

11;35,20

19;15,5

[

]

2,26

22;43,40

I

8;27,28,45

11;23,20

30;38,2[5

2,27

22;51,6,15

II

1;18,35

11;16,45

11;55,[10 Sco Aufgang]

2,28 XII2

23;3,6,15

II

24;21,41,15

11;28,45

23;2[3,55

2,29

23;15,6,15

II

17;36,47,30

11;40,45

5;[4,40

2,30

23;27,6,15

III

11;3,53,45

11;52,45

16;5[7,25

]

2,31 VI2

23;39,6,15

IV

4;43

12;4,45

29;2,[10

]

2,32

23;51,6,15

III

28;34,6,15

12;16,45

11;[18,55 Cap Aufgang]

2,33 XII2

24;3,6,15

IV

22;37,12,30

12;28,45

23;4[7,40

2,34

24;15,6,15

IV

16;52,18,45

12;40,45

6;[28,25

2,35

24;27,6,15

V

11;19,25

12;52,45

19;[21,10

2,36 XII2

24;39,6,15

VI

5;58,31,15

13;4,45

[2;25,55

2,37

24;51,6,15

V

30;49,37,30

13;16,45

[15;42,40

] ] Sgr Aufgang]

] Aqr Aufgang] ] Psc Aufgang] ]

2,38

25;3,6,15

VI

25;52,43,45

13;28,[45 29;11,25

(19)

2,39 XII2

25;15,6,15

VII

21;7,50

13;40,[45 12;52,10

20.

Die babylonischen Namen der Tierkreiszeichen sind hier durch moderne Abkürzungen wiedergegeben.

76

] Ari Aufgang]

Texte aus Mesopotamien

I

II

III

IV

V

VI

[2,40

25;27,6,15

VII

13;52,45

26;44,55

]

[2,41 XII2

25;25

VIII 11;59,56,15

14;4,40

10;49,35

[2,42

25;13

VIII 7;12,56,15

13;52,40

24;42,15

[2,43

25;1

IX

2;13,56,15

13;40,40

8;22,55

[2,44 XII2

24;49

IX

27;2,56,15

13;28,40

21;51,35

[2,45

24;37

IX

21;39,56,15

13;16,40

5;8,15

[2,46

24;25

X

16;4,56,15

13;4,40

18;12,55

[2,47 XII2

24;13

XI

10;17,56,15

12;52,40

1;5,35

[2,48

24;1

XI

4;18,56,15

12;40,40

13;46,15

]

[2,49

23;49

XI

28;7,56,15

12;28,40

26;14,55

]

[2,50 VI2

23;37

XI

21;44,56,15

12;16,40

8;31,35

[2,51

23;25

XII 15;9,56,15

12;4,40

20;36,15

[2,52 XII2

23;13

XII2 8;22,56,15

11;52,40

2;28,55

[2,54

23;1

I

1;23,56,15

11;40,40

14;9,35

]

[2,55 XII2

22;49

I

24;12,56,15

11;28,40

25;38,15

]

[2,56

22];45,[46,15] I

[16;58,42,30 11;16,40

[2,57

22];57,46,15

II

9;56,28,45

11;[23,25 18;18,20

]

[2,58] XII2 23;9,46,15

III

3;6,15

11;35,25

29;53,[45

]

[2,59]

23;21,46,15

II

26;28,1,15

11;47,25

11;41,10

[3,0] XII2

2[3];33,46,15

III

20;01,47,30

11;59,25

23;40,35

[3,1

23];45,46,15

III

13;47,33,45

12;11,25

5;52

[3,2

23];57,46,15

IV

7;45,20

12;23,25

18;15,25

Rs. (1)

(5)

(10)

(15)

(20)

16;34,56,15

6;54,55

Tau Aufgang] ] Cap Aufgang] ] Cnc Aufgang] ] Leo Aufgang]

Vir

Aufgang] ]

Lib

Aufgang]

Sco Aufgang]

Sgr Aufgang Cap Aufgang

(Kolophon) (23) [Tafel des Anu-aba-ute¯r, des Sohnes] des Anu-be¯lsˇunu, des Nach[kommen des Sîn-le¯qi]-unninni, des Klagepriesters von Anu und Antu, aus Uruk. (24) [Hand des …, des Sohnes des] Ina-qibı¯t-Anu, des Nachkommen des Ekur-za ¯ kir, des Beschwörungspriesters von Anu und Antu, aus Uruk. (25) [… Monat …], Tag […], Jahr 124, als Antiochus und Seleukos Könige waren.

77

Texte aus Mesopotamien

3.3.3 Prozedurtext für den Mond Fragment einer einkolumnigen Keilschrifttafel aus Babylon in akkadischer Sprache. – Datierung: 350-150 v. Chr. – Aufbewahrungsort: British Museum, London (BM 33582+33631). – Edition und Bearbeitung (BM 33631): Neugebauer, Astronomical Cuneiform Texts, 213-216 Nr. 200b + Tf. 236 (Photo); Ossendrijver, Babylonian Mathematical Astronomy, 382-385 Nr. 56 + Tf. F.59 (Photo).

Die auf dem Fragment erhaltenen Prozeduren befassen sich mit den ersten vier Kolumnen einer Neumondtabelle nach Rechensystem A. Diese aus bis zu 16 Kolumnen bestehenden Tabellen enthalten neben Positionen und Zeiten suksessiver Neumonde (Konjunktionen von Mond und Sonne) bis zu 14 weitere, damit zusammenhängende Größen. 21) Endziel ist die Berechnung von Sonnen- oder Mondfinsternissen und von Lunar-Six-Intervallen, sechs um Neu- und Vollmond definierte Zeitintervalle zwischen Aufgang oder Untergang von Mond und Sonne. 22) Der Text bildet den Anfang eines Kompendiums der dafür benötigten Prozeduren. Die meisten befassen sich damit, eine Größe von einem zum nächsten Neumond zu aktualisieren. In P1 wird eine Hilfsgröße berechnet, die in der 1. Kolumne der Mondtabellen steht und als F bekannt ist. Die Zahl 2,13;20 diente den Babyloniern als Name dieser Größe. Sie wird als Zickzacksequenz berechnet, wobei 1,57;47,57,46,40 das Minimum, 2,17;4,38,53,20 das Maximum und 2;45,55,33,20 die monatliche Differenz sind. 23) Weitere Instruktionen betreffen eine Korrektur, die zu berechnen ist, wenn der Wert das Maximum oder Minimum der Zickzacksequenz erreicht. In P2 wird die Tierkreisposition des Neumondes berechnet, die in der 2. Kolumne, B, steht. Dies erfolgt mit dem für System A typischen Stufenalgorithmus, wonach der Tierkreis in zwei Regionen eingeteilt wird, in denen die monatliche Verschiebung des Mondes entlang des Tierkreises jeweils einen konstanten Wert hat. Weitere Instruktionen betreffen eine Korrektur, die zu berechnen ist, wenn der Mond von der einen in die andere Region wechselt. P3 befaßt sich mit der Dauer des Tageslichtes, die in der 3. Kolumne, C, steht. Diese wird durch Interpolation aus der Tierkreisposition des Neumondes (P2) berechnet. Dazu wird in jedem Tierkreiszeichen ein Referenzwert definiert, der im 10. Grad des Zeichens gilt, sowie ein Interpolationskoeffizient, mit dem eine Korrektur berechnet werden muß, wenn der Neumond sich nicht im 10. Grad befindet. P4 ordnet jedem Tierkreiszeichen eine Zahl zu, die die 12-monatliche Differenz der Dauer des Tageslichtes darstellt. Das heißt, wenn der Neumond, durch wiederholte Anwendung von P2, nach 12 Monaten in das gleiche Tierkreiszeichen zurück21.

22. 23.

78

Analog zu den Neumondtabellen gibt es Vollmondtabellen. Eins der Lunar-Six-Intervalle ist die Zeit zwischen Sonnenuntergang und Monduntergang nach Neumond, welche für die Ermittlung der Monatsanfänge benutzt werden konnte. Für Editionen und Bearbeitungen der Mondtabellen s. Neugebauer, Astronomical Cuneiform Texts. Sonnenfinsternisse und zwei der Lunar-Six-Intervalle sind enthalten in den Neumondtabellen; Mondfinsternisse und die vier anderen Lunar-Six-Intervalle in den Vollmondtabellen; vgl. dazu Ossendrijver, Babylonian Mathematical Astronomy, 121-123. Die Größe F stellt die Dauer von 223 Monaten in einer bestimmten Annäherung da. In den Mondtabellen ist F aber effektiv nur eine Hilfsgröße zur Berechnung anderer Größen; vgl. dazu Ossendrijver, Babylonian Mathematical Astronomy, 125-127.

Texte aus Mesopotamien

kehrt, hat die Dauer des Tageslichtes, wenn berechnet mit P3, sich um diese Differenz geändert. Dies konnte für die Überprüfung der Kolumne C benutzt werden. P5 ist eine unvollständige Prozedur für den Abstand des Neumondes zur Ekliptik, die in der 4. Kolumne der Mondtabellen, E, steht. Er wurde von den Babyloniern als Höhe oder Tiefe bezeichnet, abhängig davon, ob der Mond über oder unter der Ekliptik steht. Analog zu P2 wird dessen monatliche Differenz mit einem Stufenalgorithmus aus der Tierkreisposition des Neumondes ermittelt. 24) (P1) (Vs. 1) [Damit du] 2,13;[20 berechnest. … Du addierst und subtrahierst 2;45,55,33,20, (2) bis 2,17;[4,38,53,20, den großen (Wert). Das was] (3) 2,17;4,38,5[3,20 überschreitet, subtrahierst du von 4,34;9,37,46,40 und stellst du hin.] (4) Bis 1,57;47,5[7,46,40, den kleinen (Wert). Das was weniger ist als 1,57;47,57,46,40, subtrahierst du] (5) von 3,55;35,[55,33,20 und stellst du hin.] (6) … […] (P2) (7) Damit du das Erreichen der Tierkreiszeichen berechnest. Von 27 Pisces bis 13 Virgo addierst du 28;7,30.] (8) Das was 13 Virgo überschreitet: [du subtrahierst 13 Virgo davon, du multiplizierst es mit 1;4], (9) du addierst es zu 13 Virgo und stellst es hin. Von 13 Virgo bis 27 Pisces addierst du 30]. (10) Das was 27 Pisces überschreitet: du subtrahierst 27 Pisces davon und du multiplizierst es mit [0;56,15], (11) du addierst es zu 27 Pisces [und stellst es hin] … von 27 Pis[ces bis 13 Virgo …] (P3) (12) Gegenüber 10 Aries 3,0, das Tageslicht. (Der Betrag,) um welchen [sie (die Tierkreisposition) 10 Aries überschreitet, multiplizierst du mit 0;40 und] (13) addierst du [zu] 3,0 (für) Aries und [stellst du hin.] (14) Gegenüber 10 Tau 3,20, [das Tageslicht. (Der Betrag,) um welchen] sie 10 Taurus [überschreitet, multiplizierst du mit 0;24 und] (15) [addierst du] zu 3,20 (für) Taurus und [stellst du hin.] (16) Gegenüber 10 Gemini 3,32, [das Tageslicht. (Der Betrag,) um welchen] sie 10 Gemini [überschreitet, multiplizierst du mit 0;8 und] (17) [addierst du] zu 3,[32 (für) Gemini und stellst du hin.] (18) Gegenüber 10 Cancer 3,36, das Tageslicht. (Der Betrag,) um welchen sie 10 Cancer überschreitet, [multiplizierst du] mit 0;8 [und] (19) subtrahierst du von 3,36 (für) Cancer und stellst du hin. (20) Gegenüber 10 Leo 3,32, das Tageslicht. (Der Betrag,) um welchen sie 10 Leo überschreitet, multiplizierst du mit 0;24 [und] (21) subtrahierst du von 3,32 (für) Leo und stellst du hin. (22) Gegenüber 10 Virgo 3,20, das Tageslicht. (Der Betrag,) um welchen sie 10 Virgo überschreitet, multiplizierst du mit 0;40 [und] (23) subtrahierst du von 3,20 (für) Virgo und stellst du hin. (24) [Gegen]über 10 Libra 3,0, das Tageslicht. (Der Betrag,) um welchen sie 10 Libra überschreitet, multiplizierst du mit 0;40 [und] (25) subtrahierst du von 3,0 (für) Libra und [stellst du hin.] (Rs. 1) Gegenüber 10 Scorpius 2,40, das Tageslicht. (Der Betrag,) um welchen sie 10 Scorpius überschreitet, multiplizierst du mit 0;2[4 und] (2) subtrahierst du von 2,40 (für) Scorpius und [stellst du hin.] 24.

Für die vollständige Prozedur s. Ossendrijver, Babylonian Mathematical Astronomy, 133-139.

79

Texte aus Mesopotamien (3) Gegenüber

10 Sagittarius 2,28, das Tageslicht. (Der Betrag) um welchen sie 10 Sagittarius überschreitet, multiplizierst du mit [0;8 und] (4) subtrahierst du von 2,28 (für) Sagittarius und [stellst du hin.] (5) Gegenüber 10 Capricorn 2,24, das Tageslicht. (Der Betrag,) um welchen sie 10 Capricorn [überschreitet, multiplizierst du mit 0;8 und] (6) addierst du zu 2,24 (für) Capricorn und [stellst du hin.] (7) Gegenüber 10 Aquarius 2,28, das Tageslicht. (Der Betrag,) um welchen sie 10 [Aquarius überschreitet, multiplizierst du mit 0;24 und] (8) addierst du zu 2,28 (für) Aquarius und [stellst du hin.] (9) Gegenüber 10 Pisces 2,40, das Tageslicht. (Der Betrag,) um welchen [sie 10 Pisces überschreitet, multiplizierst du mit 0;40 und] (10) [addierst du] zu 2,40 (für) [Pisces und stellst du hin.] (P4) (11) Jahr für Jahr, [Aries] zu [Aries] 6;55, Ta[urus zu Taurus 4;9], (12) Gemini zu Gemini 1;23, Cancer zu C[ancer 1;23], (13) Leo zu Leo 4;9, Virgo zu Vi[rgo 6;55], (14) Libra zu Libra 7;22,40, Sc[orpius zu Scorpius 4;25,36], (15) Sagittarius zu Sagittarius 1;28,3[2, Capricorn zu Capricorn 1;28,32], (16) Aquarius zu Aquarius 4;25,36, P[isces zu Pisces 7;22,40.] (P5) (17) Damit du die Höhe und Tiefe berechnest. Von 27 Pisces bis 13 Virgo (18) addierst und subtrahierst du 1,58;45,42. (Der Betrag) um welchen sie (die Tierkreisposition) 13 Virgo überschreitet, (19) multiplizierst du mit 0;15, addierst du zu 1,58;45,42 und stellst du hin. (20) Wenn sie (die Höhe oder Tiefe) zunimmt, addierst du, wenn sie abnimmt, subtrahierst du. Von 13 Virgo bis 27 Pisces (21) addierst und subtrahierst du 2,6;15,42. (Der Betrag) um welchen sie 27 Pisces überschreitet, (22) multiplizierst du mit 0;16, subtrahierst du von 2,6;15,42 und stellst du hin. (23) Wenn sie zunimmt, addierst du, wenn sie abnimmt, subtrahierst du. […]

3.4 Astronomische Tagebücher

Karl Hecker Ein wichtiger, religiös begründeter Anlaß für Gestirnsbeobachtungen war der Glaube an die nach unveränderlichem göttlichen Gesetz gestaltete Schöpfung. Danach würden historisch erlebte Geschehenszusammenhänge bei jeder Wiederholung absolut gleichförmig ablaufen: War etwa bei einer bestimmten Gestirnskonstellation der König gestorben, so ist dies bei der gleichen Konstellation wieder zu erwarten. 25) Etwa ab 25.

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Ein besonders schönes Beispiel für die Auswirkungen dieser Vorstellungen in der realen Praxis liefert das von Asarhaddon dreimal ausgeführte Ersatzkönigsritual, bei dem der König anläßlich eines seinen Tod verheißenden Vorzeichens einen Ersatzmann auf den Thron setzt und sich selbst als einfachen Bauer verbirgt. Der Ersatzmann stirbt dann anstelle des Königs; vgl. dazu den von K. Radner in TUAT.NF 3 (2006) 148 unter 4.14 übersetzten Brief ABL 362 sowie zusammenfassend W. von Soden, Beiträge zum Verständnis der neuassyrischen Briefe über die Ersatzkönigsriten, in: K. Schubert (Hg.), Vorderasiatische Studien. Festschrift Viktor Christian, Wien 1956, 100-107, und H. M. Kümmel, Ersatzrituale für den hethitischen König (StBoT 3), Wiesbaden 1969, 169 ff.

Texte aus Mesopotamien

dem 7. Jh. v. Chr. kam wohl in Assyrien der Brauch auf, tägliche Beobachtungsprotokolle anzufertigen. Die Hauptmasse dieser in der Assyriologie als »astronomical diaries« bezeichneten, akkadisch massartu ˇsa ginê »regelmäßige Beobachtung« ge˙˙ aus dem seleukidenzeitlichen Babylon, und nannten Protokolle stammt jedoch erst sie enthalten nicht nur astronomische Daten, sondern sammeln auch Angaben zum Wetter, zu den Pegelständen des Euphrat oder den Warenpreisen. Auch außergewöhnliche Ereignisse politischer oder allgemeiner Art werden gelegentlich notiert. 26) Die Ausdrucksweise ist von stenographischer Kürze, mehrgliedrige Ideogramme und akkadische Worte sind häufig auf ein einziges Zeichen reduziert, satzartige Strukturen sind nur selten zu erkennen. Hinzu kommen vor allem bei der Beschreibung von Wetterphänomenen sonst unbekannte Lexeme. Jede Übersetzung bleibt daher mit mannigfaltigen Unsicherheiten behaftet. Publikation: A. J. Sachs, Late Babylonian Astronomical and Related Texts, copied by T. G. Pinches and J. N. Strassmaier, Providence 1955 (= LBAT). – Bearbeitung, Photos: A. J. Sachs / H. Hunger, Astronomical Diaries and Related Texts from Babylonia, 6 Bände, Wien 1988-2006.

3.4.1 Beobachtungen in den Monaten Kislı¯mu bis Addaru, Jahr 12 von Artaxerxes III. Keilschrifttafel, 4. Jh. v. Chr. – Publikation: LBAT 189, A. J. Sachs / H. Hunger, Astronomical Diaries and Related Texts from Babylonia I: Diaries from 652 B.C. to 262 B.C., Wien 1988, 142 ff.

Übersetzt wird hier nur die Vorderseite des Texts: (Vs. 1) [Jahr

12 von] Umakusˇ, dessen Name König Artaksˇatsu genannt wird 27). 1. 29): Sonnenuntergang bis Monduntergang 20o, Mond 2 2⁄3 Ellen über Mer-

Kislı¯mu 28): 26.

27. 28.

Besonders ausführlich ist die Schilderung eines Aufstands in Babylon und Borsippa im Jahr 133 v. Chr. (A. J. Sachs / H. Hunger, Astronomical Diaries and Related Texts from Babylonia III: Diaries from 164 B.C. to 61 B.C. Texts, Wien 1996, 216-219 Rs. 25-26. Für eine Übersetzung vgl. R. Pientka-Hinz in TUAT.NF 4 [2008] 59 f. unter der Überschrift »1.2.3. Ein spätbabylonischer Jahresbericht«). Die Daten zum Wetter und zu den Pegelständen des Euphrat ermöglichen auch statistische Berechnungen zur Klimageschichte Mesopotamiens. Bis etwa 300 v. Chr. hatte die Gegend um Babylon/Baghdad demnach etwa 20 % mehr Regentage und war demnach auch kühler als heute, danach setzte eine allmähliche Erwärmung und Austrocknung ein. Die Entwicklung der Euphratpegelstände ergänzt diesen Befund: Wegen der zunehmenden Erwärmung fällt im Taurus weniger Schnee, und dieser schmilzt früher, die Frühjahreshöchststände verschieben sich daher vom Mai in den April und fallen niedriger aus; vgl. dazu K. Hecker / J. Kamminga, Untersuchungen zur Klimageschichte Mesopotamiens zwischen 4500 und 2000 v. a. anhand keilschriftlicher Quellen, in: Gesellschaft für Strahlen und Umweltforschung (Hg.), Klimaforschungsprogramm. Statusseminar 10. 01.12. 01. 1989, München 1989, 473-475. Die Ergebnisse sind eingegangen in: B. Frenzel u. a., Atlas of Paleoclimates and Paleoenvironments of the Northern Hemisphere. Late Pleistocene – Holocene, Budapest / Stuttgart 1992. Artaxerxes III. Ochos regierte 359-338 v. Chr. als persischer König. Kislı¯mu: 9. Monat. Das Datum in Z. 1. entspricht modern etwa dem 1./2. Dezember 347 v. Chr. Tages- und damit Datumsanfang war der Abend. Die Übersetzung »Nacht zum …«

81

Texte aus Mesopotamien

kur, Mond Bewegung 2⁄3 Elle nach Osten. (2) [Nacht zum 2.: Wolken] queren den Himmel, stürmischer Wind. 2.: Wolken queren den Himmel. Nacht zum 3.: Wolken queren den Himmel, Reg[enschauer]. 3.: Sehr bedeckt, etwas Donner, Regen, der die Schuhe auszieht. Nacht zum 4.: Wolken queren den Himmel. 4.: Sehr bedeckt, Regenschauer. (3) [Bis] zum 4. ging der Pegelstand 8 Finger zurück. Nacht zum 5.: Sehr bedeckt, immer wieder blitzten heftige Blitze, Donner […] Regen DUL. 5.: Sehr bedeckt, nachmittags Blitz, Donner, Regen, der die Schuhe nicht auszieht. Nacht zum 6.: Blitz, Donner, (4) [Regen], der die Schuhe auszieht. 6.: Sehr bedeckt, bei Sonnenuntergang etwas Donner. Nacht zum 7.: Bei Nachtbeginn Blitz, Donner, Regen, der die Abflußrinne einnimmt. Nacht zum 8.: Bei Nachtbeginn Mond 1⁄2 Elle hinter h Piscium, (5) [letzter Teil der N]acht Jupiter in Rückbewegung nach Westen 8 Finger über r Leonis. Nacht zum [9].: Erster Teil der Nacht, der Mond stand 2 Ellen vor Mars im Westen, bedeckt. 9.: Regen DUL. Nacht zum 10.: Sehr bedeckt. 10.: Bedeckt, Regenschauer. (6) Nacht zum 11.: Erster Teil der Nacht: a Tauri kam aus dem Mond, letzter Teil der Nacht Regenschauer. 11.: Morgens Regenschauer, ein Regenbogen erstreckte sich über Nord und West. Nacht zum 12.: Bei Nachtbeginn Mond (7) 1 Elle unter z Tauri, teilweise von Halo umgeben, Regenschauer. Nacht zum 13.: Mondaufgang bis Sonnenuntergang 11o, gemessen trotz Wolken, Bei Nachtbeginn Mond 20 Finger über g Geminorum, der Mond (8) 1 Elle nach Ost gewandert. 13.: Monduntergang bis Sonnenaufgang 5o 40’, heftiger Nordwind. Nacht zum 14.: Sonnenuntergang bis Mondaufgang 3o. 14.: Sonnenaufgang bis Monduntergang 11o. Am 13. und 14. wurde die Kälte streng. Rest von Z. 8-11 (15.-29. Kislı¯mu) nicht übersetzt. (12) [3]0.:

Am Morgen war die Sonne von einer Halo umgeben. Vom 8. [bis zum Ende des Monats habe] ich den Pegelstand nicht beobachtet. In diesem Monat war der Gegenwert von 1 Sˇeqel reinem Silber 170 Liter Gerste, am Ende des Monats 180 Liter [ … ]. Z. 13-14: weitere Preisangaben und Planetenpositionen; teilweise schlecht erhalten und hier daher nicht übersetzt. Tebe¯tu: (15-19) (nicht übersetzt) (19) Nacht zum 10.: Bei Nachtbeginn Mond [x] Elle(n) ˙ unter h Geminorum. 10.: Am Morgen Nebel. 11.: … […], (20) Blitz, Donner. 12.: Monduntergang bis Sonnenaufgang 13’, Wolken, (daher) nicht beobachtet. Am Nachmittag Regenschauer. In den folgenden nicht übersetzten Zeilen wird für die Nacht zum 13.? Tebe¯tu eine ˙ Mondfinsternis notiert, deren Ablauf wegen der fragmentarischen Texterhaltung weitgehend unklar bleibt. Datum der Finsternis: 14. Januar 346 v. Chr.

29.

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ist gewählt, weil die wörtlich richtige »Nacht des …« modern mißverstanden werden könnte. Tag und Nacht wurden in je sechs Doppelstunden (be¯ru, dies auch als Längenmaß im Sinn von »Meile« benutzt) unterteilt, diese wieder in 30 USˇ (Sigel o), moderne Entsprechung also 4 Minuten, 1 USˇ schließlich in 60 NINDA (Zeichen ’) zu etwa 4 Sekunden. Über die Methode der Zeitmessung (Wasseruhr o. ä.?) ist nichts Genaueres bekannt. Die in den Astronomischen Tagebüchern benutzte Form des Eintrags für den ersten Monatstag läßt erkennen, wieviele Tage der voraufgehende Monat hatte: 30 Tage, lautet der Eintrag »Monatsname 1«, hatte er nur 29, schreibt man »Monatsname 30«.

Texte aus Mesopotamien (29) [Nacht] zum 29.: Beim Hellwerden Blitze, viel Donner, heftiger Regen, der die Abflußrinne einnimmt. 29.: Am Morgen Blitze, viel Donner, Regen, der die Abflußrinne ein wenig einnimmt. Oberhalb von Babylon und unterhalb von Babylon (30) regnete viel […] herunter. In diesem Monat war der Gegenwert von 1 Sˇeqel hreinem Silberi 190 Liter Gerste, am Ende des Monats 200 Liter, Datteln 250 Liter, Senf 1200 Liter, am Monatsende 1500 Liter, Kresse 70 Liter […] (31) […], Wolle 5 Minen. Zu der Zeit war Jupiter in Leo, Merkur in Sagittarius, am Ende des Monats in Capricorn, Saturn in Virgo, Mars in Taurus. Venus, die untergegangen war, [war unsichtbar]. (32) [In diesem Monat] stieg der Flußpegel [vom … bis] zum 14. (Tag) 8 Finger. Vom 15. bis zum 19. fiel der Flußpegel um 8 Finger. Am 22. stieg der Flußpegel 4 Finger. Vom 23. bis [zum …] (33) [ … ]. Am 27., 28. (und) 29. stieg der Flußpegel 1⁄2 Elle.

Auf der folgenden unteren, der oberen und der linken Tafelkante sowie in Rs. 35 (letzte Zeile des Texts) steht jeweils der gleiche Eintrag: Regelmäßige Beobachtung vom Kislı¯mu bis zum Addaru, Jahr 12 von Umakusˇ, dessen Name König Artaksˇatsu genannt wird.

3.4.2 Die Mondfinsternis vom 19. Januar 67 v. Chr. Keilschrifttafel, 1. Jh. v. Chr. – Publikation: LBAT 1447 (fragmentarisch) mit Duplikat 1448 (vollständig); A. J. Sachs / H. Hunger, Astronomical Diaries and Related Texts from Babylonia II: Diaries from 261 B.C. to 165 B.C., Wien 1989, 74 ff. Nr. 28 und 27. 30) (Vs. 1) Auf

das Wort von Be¯l und Be¯ltı¯ja möge es gelingen! (2-5) Jahr 180, das das Jahr 244 ist 31); Arsˇakam ist König, Pirwusˇtana¯, seine Gattin, Königin. (5-6) Monat Tebe¯tu, Nacht ˙ (6-8) Als der zum 15.: Mondaufgang zu Sonnenuntergang 1o, gemessen (trotz) Dunst. Mond herauskam, waren 2 Drittel der Scheibe auf der Nord- und der Ostseite bedeckt. 6o der Nacht: Hauptphase. (9-10) Als er aufzuhellen begann, hellte er um 16o der Nacht von Süd und Ost nach Nord und West auf. (11) 23o Hauptphase und Aufhellen. (Rs. 1) Diese Finsternis hatte ein Himmelskleid. 32) (2-4) Während dieser Finsternis wehte Nordwind. Während dieser Finsternis standen Venus, Saturn und Sirius da, die restlichen Planeten standen nicht da. (5) 1 1⁄2 Elle vor a Leonis war die Finsternis. (Trotz) Dunst.

30. 31.

32.

Die Zeilenzählung der Übersetzung folgt Nr. 27. In Nr. 28 fehlt die Doxologie (Z. 1 in Nr. 37). Zur Datierung der Finsternis: »Jahr 244« bezieht sich auf die Seleukiden-Ära, die nach babylonischem Kalender am 1. April 311 v. Chr. beginnt, »Jahr 180« ist nach der Arsakiden-Ära gezählt. Alle Herrscher dieser Dynastie tragen den Thronnamen Arsaces (akkadisch Arsˇakam). Hier ist der 12. Arsakide III. gemeint, der 70-57 v. Chr. regierte. »Himmelskleid« ist in der Übersetzung unsicher und als Phänomen unklar. In der Zeichengruppe TÚG AN ist vor allem das zweite Zeichen mehrdeutig und kann u. a. für ˇsamû »Himmel« und sˇamu¯tu »Regen« stehen. Der Text spricht sonst aber nicht von Regen, sondern hält den Hinweis für angebracht, daß die Beobachtung trotz herrschendem Dunst möglich war (Vs. 5, Rs. 7). Es dürfte sich demnach eher um eine leichte Form von Lufttrübung und eine von dieser hervorgerufene Verfärbung der Mondscheibe handeln.

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Texte aus Mesopotamien

3.5 Hemerologien

Karl Hecker Wer die Vergangenheit kennt, kann wegen der gottgegebenen Gesetzmäßigkeit der universalen Schöpfung auch die Zukunft berechnen. Diese Grundüberzeugung altorientalischer Vorstellungen vom Ablauf des menschlichen Seins liegt gewiß auch den Hemerologien zu Grunde, die die Wiederholbarkeit datierter Ereignisse für die gleichen Kalendertage aller Folgejahre voraussagen sollten. Welche Bedeutung der sich daraus ergebenden und anhand hemerologischer Sammelwerke betriebenen Tagewählerei zugemessen wurde, veranschaulichen sehr schön die Briefe des Issar-sˇumue¯resˇ an den für seine Abergläubigkeit bekannten König Asarhaddon. 33) Im Idealfall sollte für jeden Tag des Jahres ein Eintrag mit detaillierten Angaben zu den Erfolgsaussichten etwa geplanter Unternehmungen vorhanden sein, doch existierten auch stark verkürzte Formate. Eine zusammenfassende Publikation und Bearbeitung des relevanten Textmaterials bietet A. Livingstone, Hemerologies of Assyrian and Babylonian Scholars (CUSAS 25), Bethesda 2013.

3.5.1 Der Babylonische Almanach

Weit verbreitet war eine Gruppe von Texten, die in der assyriologischen Literatur unter dem Titel »Babylonischer Almanach« zusammengefaßt werden. Die Erstbearbeitung durch R. Labat, Hémérologies et ménologies d’Assur, Paris 1939, ist inzwischen durch Livingstone, Hemerologies, 5-83, mit umfangreichem neuen Belegmaterial ersetzt. Die heute bekannten Textzeugen stammen nicht nur aus mesopotamischen Orten, sondern z. B. auch aus dem syrischen Emar und dem kleinasiatischen Hattusˇa. Historisch läßt sich die Überlieferung von der alt- bis in die spätbabylo˘ nische Zeit verfolgen. Angesichts dieser breiten Streuung ist eine formal und inhaltlich einheitliche Überlieferung kaum zu erwarten. Nicht selten finden sich für das gleiche Datum unterschiedliche oder sogar konträr gegensätzliche Einträge, 34) und es ist anzunehmen, daß vielerorts gleichzeitig ganz unterschiedliche Fassungen in Umlauf waren. Allgemein gilt, daß jüngere Fassungen ausführlicher und wortreicher sind. Die umfangreiche Partiturbearbeitung Livingstones, die alle Varianten notiert, hier nachzuahmen, erscheint aber wenig sinnvoll, stattdessen werden ausgewählte Teile der ältesten Fassung vorgestellt. Zwölfkolumnige Tontafel (IM 63388), die bei einer irakischen Rettungsgrabung im Sˇahrizo¯r-Distrikt in altbabylonischen Schichten zum Vorschein kam und auf etwa 1500 v. Chr. datiert wird. 35) – Aufbewahrungsort: Iraq Museum Baghdad. – Publikation: L. Matousˇ, 33. 34. 35.

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Vgl. oben, 3.4, Einleitung Anm. 25. »Günstig« neben »ungünstig« z. B. am 5. und 6. Nisannu, 1. und 2. Ajja¯ru, 11. Sima¯nu. Livingstone, Hemerologies, 5a, hält den Text für mittelbabylonisch, bleibt 7a aber bei 1500 v. Chr. als Datum.

Texte aus Mesopotamien

L’Almanach de Bakr-Awa, Sumer 17 (1961) 17-66, Kopie Plate I-II. Livingstone benutzt das Sigel BA. Den 12 Monaten des Jahres entsprechend ist die Tafel auf der Vs. und der großenteils abgebrochenen Rs. in jeweils 6 Kolumnen gegliedert. Übersetzt werden hier nur die Kolumnen I-IV mit den Monaten Nisannu, Ajja¯ru, Sima¯nu und Dumuzi. Wie Zitate in neuassyrischen Gelehrtenschreiben belegen, waren Spielformen dieser Fassung noch im 7. Jh. v. Chr. bekannt. (I 1) Im

Nisannu: (2) 1. Tag gänzlich: Günstig. (3) Tag 4 mittags: Günstig. (4) Tag 6 mittags: Günstig. (5) 8.: Niederwerfen des Feindes. (6) 10.: Inbesitznahme von Feld. (7) 11.: Herzensfreude. (8) 16.: Erfüllung von Wünschen. (9) 18.: Unglück vergeht. (10) 20.: Waffen, Einnahme einer Stadt. (11) 21.: Gute Nachrichten. (12) 23. mittags: Günstig. (13) hh20ii

(14-16) Insgesamt

11 Tage im Nisannu sind gut. Ajja¯ru: 1. Tag: Günstig. (2-3) 6.: Er bekommt eine Frau, seinem Herzen geht’s gut. (4) 8.: Vornehmer: Günstig. (5-6) 10.: Gott auf der Straße: Günstig. Vornehmer im Prozeß: Günstig. (7) 16.: Herzensfreude. (8) 18.: Lagere das Getreide! (9-10) 20.: Er möge eine Schlange töten (und) wird an die Spitze treten. (11) 28.: Gute Nachrichten. (12) 30. gänzlich: Günstig. (13-14) (unklar) (II 1) Im

(15-17) Insgesamt

9 Tage im Ajja¯ru sind gut. Sima¯nu: 1. Tag: König: Günstig. (3) 2.: Gott: Günstig. (4) 7. mittags: Günstig. (5) 9. gänzlich: Günstig. (6) 11.: Gott des Hauses: Günstig. (7-8) Gott auf der Straße: Günstig. (9) 13.: Vornehmer: Günstig. (10-11) 15: Er möge der Gula Brot vorsetzen (und) wird Akzeptanz erhalten. (12) 16.: Gott des Hauses: Günstig. (13) 17.: Herrin: Günstig. (14) 19.: Gott: Günstig. (15) 22.: Erbschaft. (16) 24.: Gott: Günstig. (17) 29.: Prozeß: Günstig. (III 1-2) Im

(18-21) Insgesamt

18 Tage im Sima¯nu sind gut. Dumuzi: 1. Tag: Sˇamasˇ antwortet, der Gott macht ihm ein Geschenk. (4) 3.: Lagere das Getreide! (5) 7.: Vornehmer: Günstig. (6) 9. gänzlich: Günstig. (7) 12.: Ruf des Königs. (8) 13.: Gott und König: Günstig. (9) 14.: Gott: Günstig. (10) 17.: Sklave: Günstig. (11) 19.: König: Günstig. (12) 21.: Gott: Günstig. (13) 22.: König: Günstig. (14) 23.: Herrin: Günstig. (15) 26.: Sklave: Günstig. (16) 27.: Prozeß: Günstig. (17) 28. gänzlich: Günstig. (18) 29.: dito. (IV 1-3) Im

(19-22) Insgesamt

16 Tage im Dumuzi sind gut.

3.5.2 Kurzfassung

Sehr beliebt und weitverbreitet waren Täfelchen, die der Besitzer bei sich tragen und von denen er die für ihn günstigen Tage des Jahres ablesen konnte. Es gibt sie in zahlreichen Varianten, was in Anbetracht der Besitzervielfalt auch nicht weiter verwunderlich ist. Ein besonders schönes Beispiel ist das aus einer privaten Sammlung (MS 2781) stammende, von Livingstone, Hemerologies, 83-101, mit Photo unter dem

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Texte aus Mesopotamien

Sigel p edierte Amulett aus schwarzem Stein (Diorit?), 36) das bei seinem Besitzer gewiß besondere Wertschätzung genoß. Eingraviert sind nach Monaten geordnet die glückverheißenden Tage des Jahres. Zwei Schnurösen an den Schmalseiten ermöglichen die Anbringung von Trage- oder Aufhängebändern. Eine Löwenfigur auf der linken Seite symbolisiert die Kräfte, die dem Träger zuwachsen sollen.

Abb. 4: MS 2781 Vs. mit Monat I-VI (Photo: Tom Jensen, The Schøyen Collection: https://www.schoyencollection.com)

Wiedergegeben wird im folgenden nur die Vs., die Rs. ist nach dem gleichen Schema angelegt. Nisannu 1 – 41⁄2 – 61⁄2 – 11 – 161⁄2 – 231⁄2 37) Ajja¯ru

2 – 6 – 8 – 12 – 15 – 16 – 21 – 25 – 28 – 29

Sima¯nu 4 – 5 – 9 – [10 – 1]2 – 15 – 16 – 21 – 25 – 27 – 28 – 30 Dumuzi 1 – 3 – ..[. – … – ..]. – 19 – 21 – 22 – 26 – 27 – 28 – 29 Abu

1 – 2 – [… – … – …] – 12 – 14 – 16

Elu¯lu

1 – 3 – [… – … – … – …] – 17 – 19 – 21 – 22 – 27 – 29

3.6 Babylonische und assyrische Kommentartexte

Eckart Frahm Wohl nicht zuletzt als Reaktion auf die Serialisierung und (Teil-)Kanonisierung zahlreicher literarischer, religiöser, divinatorischer, medizinischer und lexikalischer Texte gegen Ende des 2. Jt. v. Chr. entstand in Babylonien und Assyrien im 1. Jt. v. Chr. eine

36. 37.

86

Für die Abmessungen (7,1  17,2  1,7 cm) s. https://www.schoyencollection.com/calendarsalmanacs/babylonian/middle-babylonian-almanac-ms-2781. Die Bruchzahl ½ hinter dem Tagesdatum bedeutet (als Ideogramm mit der Lesung SA9) misˇil u¯mi »Mittag«; vgl. CAD M/II 129a zu misˇlu »Hälfte«.

Texte aus Mesopotamien

umfangreiche Kommentarliteratur. Sie zielte einerseits darauf ab, die sprachlichen und sachlichen Schwierigkeiten der nicht mehr ohne weiteres durch redaktionelle Eingriffe modifizierbaren und daher zunehmend anachronistischen Primärtexte aus dem Weg zu räumen, unter anderem durch die Angabe von Synonymen für außer Gebrauch gekommene Lexeme. Zugleich finden sich in vielen Kommentaren aber auch Bemühungen, mit den Mitteln spekulativer Philologie oder durch Rückgriff auf symbolische Assoziationsketten Lesarten herzustellen, die den vordergründigen Wortsinn des Bezugstextes transzendieren. Die knapp 900 bekannten, in aller Regel von den Bezugstexten getrennt niedergeschriebenen babylonischen und assyrischen Kommentare, die zumeist in atomistisch anmutender Manier einzelne Lemmata ihrer Bezugstexte zu erklären suchen, bilden das weltweit älteste umfangreiche Korpus hermeneutischer Texte, das auf uns gekommen ist. Die mesopotamischen Kommentare stehen damit am Beginn einer in praktisch allen nachfolgenden Zivilisationen gepflegten Praxis kommentarieller Deutung fundierender Texte. Eine umfangreiche Studie zur babylonisch-assyrischen Kommentarliteratur, mit Überlegungen zu Geschichte und Typologie der Gattung, zu den in ihr bezeugten hermeneutischen Verfahren und zum soziokulturellen Bezugsrahmen zahlreicher Kommentartexte liegt vor in Gestalt von E. Frahms Monographie Babylonian and Assyrian Text Commentaries: Origins of Interpretation (GMTR 5), Münster 2011. Photos, Kopien und Editionen einschlägiger Texte sowie umfangreiche bibliographische Informationen zu sämtlichen keilschriftlichen Kommentaren finden sich auf der Website des von E. Frahm und E. Jiménez inaugurierten Cuneiform Commentaries Project unter http://ccp.yale.edu. Wichtige weiterführende Überlegungen zu den Berührungspunkten zwischen der babylonisch-assyrischen und der frühisraelischen Kommentartradition bietet U. Gabbay, Akkadian Commentaries from Ancient Mesopotamia and Their Relation to Early Hebrew Exegesis, Dead Sea Discoveries 19 (2012) 267-312. Für eine Analyse der keilschriftlichen Kommentarterminologie s. ferner U. Gabbay, The Exegetical Terminology of Akkadian Commentaries (CHANE 82), Leiden 2016. Von E. Frahm erstellte Teilübersetzungen dreier medizinischer Kommentare aus spätbabylonischer Zeit haben in TUAT.NF 5 (»Texte zur Heilkunde«), 171-176 Aufnahme gefunden.

3.6.1 Ein Kommentar zum babylonischen Weltschöpfungsepos Enu¯ma elisˇ

Kein Text spielte im 1. Jt. v. Chr. im religiösen Leben des alten Mesopotamien eine größere Rolle als das von Babyloniern und Assyrern nach seinem Incipit Enu¯ma elisˇ genannte »babylonische Weltschöpfungsepos«. Das vermutlich in den letzten Jahrhunderten des 2. Jt. v. Chr., möglicherweise während oder kurz nach der Regierungszeit Nebukadnezars I. (1125-1104 v. Chr.) verfaßte Epos behandelt die Entstehung der Götter, den Kampf zwischen Marduk von Babylon und dem weiblich gedachten urzeitlichen Chaosdrachen Tiamat, die Erschaffung der Welt und Marduks Aufstieg zum mesopotamischen Götterkönig. Das Epos liegt in zwei kürzlich erschienenen wissenschaftlichen Editionen vor: T. R. Kämmerer / K. A. Metzler, Das babylonische Weltschöpfungsepos Enu¯ma elîsˇ (AOAT 375), Münster 2012 sowie W. G. Lambert, 87

Texte aus Mesopotamien

Babylonian Creation Myths (MC 16), Winona Lake 2013. Eine ältere deutsche Übersetzung, gleichfalls von W. G. Lambert, findet sich in TUAT III/4, 565-602. Das Enu¯ma elisˇ wurde in Babylonien und Assyrien immer wieder kopiert, von Elementarschülern auswendig gelernt und an hohen Feiertagen, insbesondere während des Neujahrsfestes im Monat Nisannu, im Tempelkult der Stadt Babylon rezitiert. Assyrische Theologen schufen während der Regierungszeit des Königs Sanherib (704-681 v. Chr.) eine assyrische Version des Textes, in der die Stadt und der Gott Assur an die Stelle Babylons und Marduks traten. In mehreren Königsinschriften und anderen Texten finden sich zudem Zitate aus dem Epos oder Anspielungen auf den Text. Daß die mesopotamischen »Hermeneutiker« des 1. Jt. v. Chr. dem Epos beträchtliches Interesse entgegenbrachten, verwundert vor diesem Hintergrund nicht. Babylonische und assyrische Kultkommentare erklären Ritualpraktiken, indem sie auf im Enu¯ma elisˇ verarbeitete Mythologeme verweisen, während Omenkommentare aus dem Epos zitieren, um Beobachtungen und Voraussagen logisch zu verknüpfen. Ein spätbabylonischer Kalendertext, publiziert von F. Reynolds, A Babylonian Calendar Treatise, Oxford 2019, korreliert in Babylon durchgeführte Kultrituale mit aus dem Enu¯ma elisˇ bekannten Themen. Zwei Kommentartexte sind unmittelbar dem Epos selbst gewidmet. Der eine, ausschließlich mit Tafel VII des Textes befaßt, stellt vermittels artifiziell-kreativer philologischer Assoziationen Verbindungen zwischen den sumerisierenden fünfzig Prunknamen Marduks und den ihnen nachfolgenden Epitheta her. 38) Der andere Kommentartext erklärt, unter Nutzung einer Vielzahl hermeneutischer Strategien, Worte und ganze Verse aus allen sieben Tafeln des Epos. Es ist dieser letztgenannte Kommentar, der im folgenden auszugsweise in Übersetzung geboten wird. Der Kommentar zu Enu¯ma elisˇ I-VII liegt in Gestalt von acht fragmentarisch erhaltenen Manuskripten vor, die in Auswahl und Reihenfolge des Kommentierten und mit Blick auf die Erklärungen, die sie bieten, zwar teilweise leicht voneinander abweichen, aber dennoch eindeutig dieselbe Deutungstradition repräsentieren. Texte: Der wichtigste Textvertreter ist K 4657+, eine Mitte des 7. Jh. v. Chr. niedergeschriebene große einkolumnige Tafel aus der »Bibliothek Assurbanipals« in Ninive. Ebenfalls aus Ninive stammen die Fragmente K 8585, K 13866, Rm 395 und Rm 2, 538. Zwei Bruchstükke eines etwa zur gleichen Zeit in Assur entstandenen Textvertreters liegen in Gestalt von VAT 10616 (+) VAT 11616 vor. Die Fragmente BM 54228 und BM 66606+ schließlich scheinen in Sippar gefunden worden zu sein und dürften in die Zeit zwischen dem 7. und 5. vorchristlichen Jahrhundert datieren. 39) – Aufbewahrungsorte: Mit Ausnahme der im Vorderasiatischen Museum, Berlin, aufbewahrten Assur-Fragmente befinden sich sämtliche Textvertreter des Kommentars im British Museum, London. – Editionen und Bearbei-

38.

39.

88

Eine Edition mit ausführlichen Erläuterungen bietet J. Bottéro, Les noms de Marduk, l’écriture et la »logique« en Mésopotamie ancienne, in: M. De Jong Ellis (Hg.), Essays on the Ancient Near East in Memory of Jacob Joel Finkelstein, Hamden 1977, 5-28. S. ferner Lambert, Babylonian Creation Myths, 139-142. Das winzige Fragment BM 69594, wohl ebenfalls aus Sippar, scheint eine abweichende Kommentartradition zu repräsentieren. Dennoch wird das Stück im folgenden zur Rekonstruktion von Z. 1 und 2 herangezogen.

Texte aus Mesopotamien

tungen: Kopien, Photos und knappe Transliterationen fast aller einschlägigen Manuskripte finden sich in Kämmerer / Metzler, Das babylonische Weltschöpfungsepos, und Lambert, Babylonian Creation Myths. Eine mit ausführlichen Anmerkungen und Hinweisen auf ältere Literatur versehene vollständige Edition des Kommentars bieten E. Frahm / E. Jiménez, Myth, Ritual, and Interpretation: The Commentary on Enu¯ma elisˇ I-VII and a Commentary on Elamite Month Names, HeBAI 4/3 (2015) 293-343, insbes. 293-333. Die nachstehende auszugsweise Übersetzung beruht auf dieser Edition und folgt der dort etablierten Zeilenzählung. Für Editionen der Einzelmanuskripte des Kommentars s. B. Brown-deVost, Commentary and Authority in Mesopotamia and Qumran, Göttingen 2019, 233-262.

Trotz der Existenz einer ganzen Reihe von Textvertretern ist der Kommentar nach wie vor nicht vollständig rekonstruierbar, was seine auch sonst beträchtlichen Schwierigkeiten natürlich noch erheblich vergrößert. Besonders schlecht erhaltene sowie unverständliche Passagen werden im folgenden ausgelassen. Auf eingehende Erläuterungen, etwa zu den lexikalischen Quellen von Wortgleichungen, wird im allgemeinen verzichtet; sie sind ebenso wie weiterführende Literaturhinweise in der im vorigen Absatz genannten Edition zu finden. Die Struktur des Kommentars gründet auf einfachen Prinzipien. Jeder Kommentareintrag beginnt damit, daß ein bestimmter Vers des Epos (im folgenden jeweils unterstrichen) vollständig zitiert wird, worauf (oft nach nochmaligem Anführen einzelner unklarer Lemmata) einschlägige Erklärungen folgen. Ein Schwergewicht liegt auf der Exegese von Versen aus den Tafeln I, IV, V und VII. In unbeschädigtem Zustand dürfte der Kommentar von den 1097 Zeilen des Epos einst um die 75 erklärt haben. Viele Erklärungen verweisen auf rituelle Akte, die neben Marduk auch andere Gottheiten betreffen, darunter solche, die – wie etwa Nabû von Borsippa und Mada¯nu und Zababa von Kisˇ – im Enu¯ma elisˇ nirgends genannt sind. Der demythologisierenden Tendenz des Epos, das ganz auf die Erhöhung eines einzelnen Gottes – Marduks – ausgerichtet ist, wird damit gewissermaßen remythologisierend gegengesteuert. (1) »[Als

droben die Himmel noch nicht benannt waren« (Ee I 1)]: »als« (bedeutet) »zu der Zeit, (da)«. »[(Da gab es) Apsû], den Uranfänglichen, ihren (der Götter) Erzeuger« (Ee I 3): »Erzeuger« (bedeutet) [»Vater«(?)]. (2) »[(Und, begabt mit) schöpferischer Kraft (mummu), Tiamat], die [sie] alle gebar« (Ee I 4): »schöpferische Kraft« (bedeutet) »Schaffensdrang/Schöpfung(?) (nabnı¯tu)«. 40) (3) »Weideland [war noch nicht zusammengefügt worden, Röhricht] noch nicht zu finden(?)« (Ee I 6): »Weideland« (bedeutet) [… (bzw.)] »Erde«, »Röhricht« bedeutet »Marschland«.

40.

Die Übersetzung dieser wichtigen Zeile ist nicht ganz sicher. Der mit Tiamat assoziierte mummu scheint am Beginn des Enu¯ma elisˇ dieselbe Rolle zu spielen, die dem »Geist(?) Gottes« (rû3ah 3e˘lohîm) in Genesis 1:2 zugeschrieben wird; s. E. Frahm, Creation and the Divine Spirit in ˙Babel and Bible, in: D. S. Vanderhooft / A. Winitzer (Hg.), Literature as Politics, Politics as Literature: Essays on the Ancient Near East in Honor of Peter Machinist, Winona Lake 2013, 97-116.

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Texte aus Mesopotamien (4) »Sie

gingen und setzten sich [Tiamat] gegenüber« (Ee I 33): »gegenüberliegende Seite« (bedeutet) »Vorderseite«. [»Er (Apsû) sprach zur reinen Tiamat (oder: sprach Tiamat mit erhobener Stimme an)« (Ee I 36)]: »rein (oder: mit erhobener Stimme)« (bedeutet) … (5) […] … das Weihwasserbecken, wie … […] … Gott Ea 41) – das ist es, was es bedeutet. (6) »[Er (Ea) nannte ihn (den unterirdischen Süßwasserhorizont)] ›Apsû‹, (d. h.) ›sie bestimmen heilige Stätten 42)‹« (Ee I 76): […] stellt man […]. 43) (7) »[Die Amme, die] ihn (Marduk) großzog, erfüllte ihn mit einer furchterregenden Aura« (Ee I 86): [(…) »die Amme, (die ihn großzog)« (bezieht sich auf) Isˇtar von] Ninive (oder: [die (göttliche) Herrin von] Ninive). 44) (8) »[Er (Marduk) war bekleidet mit] dem Strahlenglanz (melammu) der zehn Götter; er war damit hoch bekrönt(?)« (Ee I 103): [(bezieht sich auf(?))] … 45), mit dem der König angetan ist, … […] … (der Gott) Be¯l 46). (9) »[Schau auf] unsere Fron; unsere Augen sind ausgetrocknet/zersprungen(?)« (Ee I 121): »Fron« (bedeutet) [»Joch«(?)]; »zerspringen« (bedeutet) »zerbrechen«; »Augen« (bedeutet) »Nacken«. 47) (10) »Zerbrich das unerbittliche Joch, so daß wir schlafen können« (Ee I 122): »Joch« (bedeutet) »Bürde«. »[Wer sie sieht], soll jämmerlich zugrunde gehen« (Ee I 139): »jämmerlich zugrunde [gehen(?)«] (bedeutet) … . (11) »Nun, da Qingu erhöht war und die Herrschaftsgewalt übernommen hatte« (Ee I 159): »nun, da« (bedeutet) »nachdem«. (12) »Tiamat brachte zusammen, was sie geschaffen« (Ee II 1): (Das Zeichen) LAGAB, (wenn Sumerisch) »kur(4)« (gelesen, bedeutet) »zusammenbringen«; [(LAGAB bedeutet außerdem)] »versammeln«. 48)

41. 42. 43. 44.

45. 46. 47. 48.

90

Weihwasserbecken spielten eine wichtige Rolle in mesopotamischen Reinigungsritualen. Eas Erwähnung nimmt vermutlich Bezug auf den Umstand, daß in der kommentierten Zeile von Apsû die Rede ist, der später in Eas Wohnstatt, den Süßwasserhorizont, transformiert wird. Etymographisches Wortspiel im Bezugstext: AB = (sumerisch) èsˇ »heilige Stätte«, ZU = (sumerisch) zu »wissen, bestimmen«. Möglicherweise Hinweis auf eine mit dem Vers assoziierte Ritualhandlung. Die im Epos namenlos bleibende Amme Marduks wird mit der (auch in Babylon verehrten) Göttin Isˇtar von Ninive identifiziert, der diese Rolle auch im sog. ›Marduk-Ordal‹ zugeschrieben wird, einem assyrischen Kultkommentar mit stark antibabylonischer Tendenz (A. Livingstone, Court Poetry and Literary Miscellanea, SAA 3, Helsinki 1989, Nr. 34: 33). Vielleicht: »den sipirtu-Hüftgürtel(?)«, die Stelle ist jedoch stark beschädigt und bleibt un˙ einen Hinweis auf einen prunkvollen Gegenstand, der als Teil der königklar. Man erwartet lichen Insignien fungierte. Be¯l ist Marduks wichtigster Zweitname. Der Kommentar führt eine Reihe (tatsächlicher bzw. vermeintlicher) Synonyme an, um das seltsame Bild von den durch die Fron »ausgetrockneten« bzw. »zersprungenen« Augen vereinfachend in einen Hinweis auf einen Nacken umzudeuten, der unter dem Joch zerbricht. Der Kommentator gibt für das im Text gebrauchte seltene akkadische Wort kupputu »zusammenbringen« das sehr viel häufigere Synonym puhhuru »versammeln« an und rechtfertigt ˘ seine Gleichsetzung, indem er, unter Rückgriff auf ˘sumerisch-akkadische lexikalische Listen, darauf verweist, daß beide Wörter mit dem u. a. kur4 gelesenen Zeichen LAGAB geschrieben werden können. Im weiteren Verlauf des Kommentars finden sich noch weitere Erklärungen dieses Typs.

Texte aus Mesopotamien (13) »Er

(Ea) sprach mit ihm (Marduk) über die Absichten (wörtl.: die heiligen Worte), (die er) in seinem Herzen (trug)« (Ee II 130): (bezieht sich auf) die (heilige) Kesselpauke, die [am n-ten Tag] des Monats Addaru (XII) vor Ea [aufgestellt wird/ist] … 49) (14) »[Ich (Ans ˇar) sandte] Anu aus, doch er vermochte ihr (Tiamat) nicht standzuhalten« (Ee III 53): (bezieht sich auf) Mada¯nu, der nach Hursagkalama […] … . 50) ˘ und kehrte um« (Ee III 54): (bezieht (15) »Nudimmud (= Ea) fürchtete sich (gleichfalls) sich auf) den (Zeremonial-)Streitwagen, der [im Monat] Addaru einfährt und [(wieder) ausfährt (oder: zurückkehrt)]. 51) (16) »(Da) [schritt] Marduk [voran], der Weise der Götter, euer Sohn« (Ee III 55): (bezieht sich auf) Be¯l, der [am n]-ten Tag […]. (17) »Sie (die Götter) aßen [Getreide(speisen)], konsumierten kurunnu-Bier« (Ee III 134): (Das Zeichen) DÉ (oder MÚRU?), (wenn Sumerisch) »de(2)« (gelesen, bedeutet) »konsumieren«; DÉ (oder MÚRU?) [(bedeutet außerdem) »trinken«(?)]. (18) »Sie ließen [süßen Rauschtrank (s ˇ¯rı ı ¯su oder arsu) ihre] Kehlen herabrinnen« (Ee III 135): »Rauschtrank« (bezieht sich auf) die mersu-Getreidespeise; 52) »herabrinnen(?)« (bedeutet) »voll werden«; [»Kehle« (bedeutet) »Inneres« (?)]. Die Erklärungen zu den in den Zeilen 19-20 des Kommentars angeführten Versen Ee IV 46, 47 und 62 sind verloren. (21) »Sie

(Tiamats Monster) [lehnten in] den Ecken, voll der Klage« (Ee IV 113). »Sie trugen [seine (Marduks) Strafe], wurden im Gefängnis festgehalten« (Ee IV 114): (bezieht sich auf) das Königstor, 53) das, wenn geöffnet(?), […] … […]. (22) »(Marduk), da er [den ehrfurchtgebietenden Gegner] … zum Schweigen gebracht 49.

50.

51. 52. 53.

Der Kommentar assoziiert den zitierten Vers mit einem rituellen Akt im Monat Addaru, der dem Nisannu (in dem das berühmte Neujahrsfest stattfand) vorausging. Vielleicht ist vom Vortrag der Ea gewidmeten liturgischen Klage Abzu pe-el-lá-àm am 1. Addaru die Rede, die der kalû, der mesopotamische Klagepriester, mit einer Kesselpauke zu begleiten pflegte. Wie auch aus anderen Texten ersichtlich, wurde das Schlagen der Kesselpauke von den babylonisch-assyrischen Religionsgelehrten des 1. Jt. v. Chr. mit dem Schlagen des Herzens assoziiert – die Erwähnung der Pauke in Zusammenhang mit einer Stelle, die das Herz Eas erwähnt, erweist sich also als wohlmotiviert. Die Verbindung, die der Kommentator zwischen dem Himmelsgott Anu und dem Richtergott Mada¯nu herstellt, scheint auf komplexen theologischen Überlegungen zu beruhen. Der Name Mada¯nus wurde mit dem Logogramm dDI.KUD wiedergegeben, das ursprünglich als Schreibung eines anderen Gottesnamens, Isˇtara¯n, verwendet worden war. Isˇtara¯n von De¯r aber war auch als Anu rabû, wörtlich: »der große Anu«, bekannt. Der Kommentareintrag verweist auf eine Prozession des in Kisˇ, aber auch in Babylon beheimateten Mada¯nu nach Hursagkalama, wo sich ein bedeutender Isˇtar-Tempel befand. Dabei mag als tertium com˘ parationis im Hintergrund gestanden haben, daß Isˇtar in einigen Traditionen mit Tiamat identifiziert wurde. Anspielung auf eine nicht näher bestimmbare rituelle Wagenfahrt eines Gottes, vermutlich Eas, die dessen vergeblichen Zug gegen Tiamat symbolisiert. Der Verweis auf den Monat Addaru könnte einer Assoziation mit dem Wort ¯ıdur, »er fürchtete sich«, geschuldet sein. Die mersu-Speise spielte eine wichtige Rolle im Götterkult; der Kommentar hat also offenbar erneut einen rituellen Hintergrund. Wenn das akkadische Wort für »Rauschtrank« arsu zu lesen sein sollte, läge darüber hinaus ein Wortspiel vor. Das Königstor (abul sˇarri) war das nördlichste der im Westbereich der Stadtmauer von Babylon befindlichen Tore. Vielleicht waren dort Nachbildungen der von Tiamat geschaffenen Monster als Apotropaia angebracht.

91

Texte aus Mesopotamien

(oder: zur Schau gestellt) hatte« (Ee IV 124): »ehrfurchtgebietend« (bedeutet) »stark«; »zum Schweigen bringen (oder: zur Schau stellen)« (bedeutet) … […]. (23) »Er (Marduk) durchtrennte die mit ihrem (Tiamats) Blut (gefüllten) Adern« (Ee IV 131). »Er ließ es (das Blut) den Nordwind als frohe Botschaft forttragen« (Ee IV 132): [(…) IM (bedeutet) (?)] Wind; (es heißt so) wegen des Kultrennens (lismu), das im Monat Kislı¯mu (IX), am vierten Tag 54) […]. (24) [(Vom Blut ist die Rede), weil (?)] der Kranz, den er trägt, und die »Flügel«, mit denen er angetan ist, rot sind, und womit er bekleidet ist … […]. 55) »Er (Marduk) trug ihnen auf, [ihr (Tiamats) Wasser nicht] herausfließen zu lassen« (Ee. IV 140): … […]. (25) »[Er (Marduk) etablierte] (den Tempel) Es ˇarra [als Ebenbild des Esˇgalla]« (Ee IV 144): (bezieht sich auf) den Tempel, der wie ein Gegenstück [des Apsû (des Süßwasserhorizonts) auf (?)] die Erde (?) gesetzt ist […]. ˇ a(26) »[Am Tag (deines, scil. des Mondes) Verschwindens] nähere dich [dem Pfad des S ˇ masˇ]« (Ee V 21). »Am(?) [30. Tag] sollst du in Konjunktion stehen [mit Samasˇ und ihm ebenbürtig sein]« (Ee V 22): (27) […] … 30. Tag [(…)] Sîn zusammen mit [Sˇamasˇ …] (oder: […] … ist der Tag [der Geburt] des (Mondgottes) Sîn – das ist es, was [es bedeutet …]). 56) Die Erklärungen zu den in den Zeilen 28-33a des Kommentars angeführten Versen Ee V 24, 25, 33, 55, 59, 64, 70 und 83 sind von geringen Resten abgesehen verloren. (33b) »[Er

(Marduk) vertraute ihm (?) (dem Gott Usmû) das Amt eines Wesirs des Apsû sowie] die Versorgung der Heiligtümer [an]« (Ee V 84): (bezieht sich auf) den 18. Tag [des Monats …] einhergeht/einhergehen und ein Feuer entzündet/entzünden […].

54.

55.

56.

92

Der Verweis auf das vom Wind fortgetragene Blut, das eine »frohe Botschaft« bringt (im Epos offenbar eine Anspielung auf die Morgenröte), veranlaßt den Kommentator zu Assoziationen mit einem Kultrennen am 4. Kislı¯mu. Ganz ähnliche Überlegungen finden sich im »MardukOrdal« (Livingstone, SAA 3, Nr. 34: 57-60 und Nr. 35: 51-54, Kollationen in Frahm / Jiménez, HeBAI 4/3, 320-321), wo ein kultisches Rennen im Kislı¯mu, das den Gott Nabû zu seinem Vater Be¯l-Marduk führt, mit dem Mythologem der Besiegung der Monster Anzû, Qingu und Asakku durch Ninurta und der anschließenden Überbringung der Nachricht hiervon verbunden wird. Hintergrund des Eintrags ist die Gleichsetzung Ninurtas und Nabûs, die auf ihrer sehr ähnlichen Rolle als heroische Kämpfer und Söhne der Götterkönige Enlil bzw. Marduk gründet. Es überrascht, daß zwei Kulttexte, die ausführlich die anläßlich des Palmfestes am 3. und 4. Kislı¯mu in Babylon abgehaltenen Riten beschreiben, nicht ebenfalls das in unserem Kommentar und im Marduk-Ordal genannte Rennen erwähnen; dafür ist dort jedoch von einer vollständigen Rezitation des Enu¯ma elisˇ am 4. Kislı¯mu die Rede. Indem er das in Ee IV 131 genannte Blut mit den roten »Flügeln« assoziiert, mit denen ein Kultaktant(?) – vermutlich während des in der vorigen Zeile genannten Rennens – ausgestattet war, spielt der Kommentator auf das Anzû-Epos an, in dem der Wind die blutigen Flügelfedern des von Ninurta bezwungenen Anzû-Vogels als »frohe Botschaft« in die Welt trägt. Die Episode diente dem Autor des Enu¯ma elisˇ als Modell für seine Schilderung, wie die Nachricht von Tiamats Besiegung Verbreitung fand. Der bewußte Rückverweis auf eine mit Nippur und seinen Göttern verbundene Vorstufe des Enu¯ma elisˇ könnte als Kritik an der »Marduk-allein«-Theologie verstanden werden, die von einflußreichen Kreisen in Babylon gepflegt wurde. Wie immer man ergänzt, es scheint um die Klärung eines astronomischen Sachverhalts zu gehen.

Texte aus Mesopotamien

Die Erklärungen zu den in den Zeilen 34-36 und 37’-38’ des Kommentars angeführten Versen Ee V 90(?), 95, 101 [oder 115] und [nach einer Lücke] V 157 sind von geringen Resten abgesehen verloren. Sˇazu-Zisi, der die Aufständischen zum Schweigen bringt, sollen sie ihn (Marduk) außerdem preisen« (Ee VII 41): …. (Was) Zisi (anbetrifft)(?)]: ZI (bedeutet) »Leben«, SI (bedeutet) »Enlil«. 57) (39’) »›Langholz‹ sei der erste (Name von Marduks Bogen), ›Möge er treffen‹ der zweite« (Ee VI 89): GISˇ.GÍD.DA (bedeutet) »langer Gegenstand« [(…)]; SÁ (bedeutet) »treffen«; SÁ (bedeutet auch) … [(…)] … niederschlägt; lange Waffe. 58) (38’a) »[Als

Die Erklärungen zu den in den Zeilen 40’-41’ des Kommentars angeführten Versen Ee VI 94 und 132 sind verloren. (41’a) »Asari,

der Ackerland schenkt, der Pflugland(?) etabliert« (Ee VII 1): »Pflugland(?) (bedeutet) »Feld« […] …, »Pflugland(?) (bedeutet) »Flur«. (42’) »Schöpfer von Getreide und Flachs, der die Vegetation zum Sprießen bringt« (Ee VII 2): »Flachs« (ist eine) »kleine (Feldpflanze)«, […] … Weizen. (43’) »Tutu ist er (Marduk), der ihre (der Götter und ihrer Statuen) Erneuerung bewerkstelligt« (Ee VII 9): (es heißt so) wegen der Gottheiten der Kultzentren [(…)] die in Babylon [… – das ist es, was] es bedeutet. 59) ˇ azu (dsˇà-zu), der die Herzen der Götter kennt, der das Innere schaut (ibarrû)« (44’) »S (Ee VII 35): […] (der Sonnengott) Sˇamasˇ (dsˇà-másˇ), der in die Herzen schaut; [(…) SˇÀ (bedeutet) Herz (?)], MÁSˇ (bedeutet) »(Opfer)schau« (bı¯ru). 60) (45’) »Der sämtliche geflohenen Gottheiten in (ihre) Heiligtümer eintreten ließ« (Ee VII 53): (es heißt so) wegen […] … im Monat Nisannu (I) in … […] … von(?) Babylon. 61) Die Erklärungen zu den in Zeile 46’ des Kommentars angeführten Versen Ee VII 57 und 67 sind verloren.

57.

58. 59. 60.

61.

Dieser Kommentareintrag ist nur in einem einzigen Textvertreter bezeugt und dort an der falschen Stelle eingeordnet. Mit ihm setzt die Reihe der Erklärungen zu den in Ee VI und VII aufgelisteten Prunknamen Marduks ein. Der Name Zisi wird hier, anders als im Epos selbst, das ihn etymologisierend auf die Bezwingung von Insurgenten bezieht, mit Vorstellungen vom »Leben« (sumerisch: zi) und mit dem Gott Enlil von Nippur in Verbindung gesetzt, dessen Stelle Marduk im Enu¯ma elisˇ einnimmt. Enlils Name wurde im sumerischen Emesal-Dialekt Mullil ausgesprochen, was an das Verb malû/mullû »voll sein / füllen« erinnert, das mit dem Zeichen SI geschrieben werden kann. Die einzelnen Manuskripte, an dieser Stelle allesamt beschädigt, könnten voneinander abweichen. Offenbar eine Anspielung auf die in Babylon erfolgende Erneuerung von Götterstatuen. Der Kommentator assoziiert den Marduk-Namen Sˇazu mit dem Namen des Sonnengottes Sˇamasˇ, indem er dessen erste Silbe – in Abweichung von den üblichen Schreibgewohnheiten – mit dem Zeichen SˇÀ wiedergibt, mit dem auch dsˇà-zu beginnt. Durch die Wiedergabe der zweiten Silbe mit MÁSˇ (= akkadisch bı¯ru »Opferschau«) wird außerdem auf die Rolle des Sˇamasˇ als Patron der divinatorischen Künste verwiesen, die im zitierten Vers durch den Gebrauch des Verbums ibarrû angedeutet ist. Gewiß eine Anspielung auf die Reise, die Götterstatuen aus verschiedenen Städten während der Akı¯tu-Feierlichkeiten im Nisannu nach Babylon antraten.

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Texte aus Mesopotamien (47’) »Sirsir, der einen Berg über Tiamat aufhäufte« (Ee VII 70): »Sirsir« (bezieht sich auf) Marduk … das Meer (tâmtu) 62) … […] … . (48’) »Tiamat ist sein Boot, er (Marduk) ist ihr Schiffer« (Ee VII 77): [»ihr Schiffer« (mala¯hsˇa)] (bezieht sich auf) den luhsˇû-Priester – das ist es, was es bedeutet. 63) [ … (ist ˘ Erklärung) einer anderen] Tafel ˘ [zufolge]. 64) die (49’) »(Lugal-áb-dúbur), dessen Fundament vorne und hinten fest etabliert ist« (Ee VII 92): (bezieht sich darauf, daß) Nabû am sechsten Tag [vor Be¯l] und am elften Tag hinter Be¯l auf dem Hochsitz der Schicksale [sitzt]. 65) (50’) »Aranunna, Berater des Ea, Schöpfer seiner göttlichen (Vor)väter« (Ee VII 97): der besagte Name (Aranunna) (ist verbunden mit der Zahl) 40 (der heiligen Zahl Eas), (in Analogie mit dem Götternamen) Ninnu(= 50)-urta (der die heilige Zahl des Enlil enthält) … [… ; A.RÁ (bedeutet)] »Rat«; NUN (bedeutet) »Ea«; 40 (ist die Zahl des) Ea. 66) (51’) 67)»Dessen fürstlichem Wandel (alaktu) [kein (anderer)] Gott gleichkommt« (Ee VII 98): (es heißt so mit Blick auf) Nabû(?), welcher der »Schatten« von ebendiesem(?) (Marduk?) genannt wird (?); 68) welcher nicht zusammen mit Be¯l [(…)] in seinem Lauf (ta¯luku) nachgelassen hat (?); 69) Geheimnis(?) (oder: drittens): wenn(?) der Mond vom [n-ten] Tag(?) an [zusammen mit der Sonne (?)] gesehen wird (?), (dann) ist die sichtbare (Mond)scheibe vermindert (?). 70)

62. 63. 64. 65. 66.

67. 68. 69.

70.

94

Das urzeitliche Chaosmonster Tiamat verkörperte das Meer. (Pseudo-)etymologisch motivierte Erklärung, die sich die ähnliche Lautgestalt von mala¯hˇsa und luhsˇû zunutze macht, um dem zitierten Vers eine kultische Dimension zu verleihen. ˘ ˘ Der Hinweis auf eine (nicht erhaltene) weitere Erklärung, die einer anderen Vorlage entstammt, findet sich in nur einem Manuskript. Anspielung auf die Positionen, die die Statue des Gottes Nabû, wie aus einem Kulttext bekannt, während des Akı¯tu-Festes im Nisannu auf einem wichtigen Kultsitz in Babylon einnahm. Die Übersetzung dieses schwierigen Eintrags ist unsicher. Der Kommentator scheint die paradoxe Charakterisierung Marduk-Aranunnas als »Schöpfer seiner göttlichen (Vor)väter« erklären zu wollen, indem er den Namen Aranunna (und speziell dessen Element NUN) mit dem Namen von Marduks Vater Ea und dessen heiliger Zahl 40 assoziiert – womit Marduks Zugehörigkeit zu der Göttergeneration, die ihn vermeintlich hervorbrachte, bewiesen ist. Der Kommentator stützt sein Argument, indem er Ähnliches auch für den Namen des Götterhelden Ninurta von Nippur postuliert, der dem Autor des Enu¯ma elisˇ als Modell für Marduk gedient hatte. Das erste Namenselement in »Ninurta« erinnert an ninnu = 50, die heilige Zahl von Ninurtas Vater Enlil, den Ninurta somit in gewisser Weise selbst repräsentiert. Die »gematrische«, d. h. auf Zahlenspekulation basierende Argumentationsstrategie des Kommentars könnte dadurch motiviert worden sein, daß A.RÁ, die Zeichenfolge, mit welcher der Name Aranunna beginnt, ein mathematischer terminus technicus ist, der »mal« bedeutet. Wegen einer Reihe von Lücken, problematischer Verbformen und gewisser Abweichungen zwischen den einzelnen Manuskripten ist der folgende Eintrag schwer verständlich. Wenn die hier gebotene, unsichere Übersetzung korrekt sein sollte, würde der Eintrag darauf verweisen, daß der Gott Nabû letztlich nur ein matter Abglanz Marduks ist – was der allgemeinen Grundausrichtung des Kommentars eher zuwiderzulaufen scheint. In HeBAI 4/3 habe ich diesen zweiten Erklärungsansatz auf eine Götterprozession bezogen, doch in Anbetracht der nachfolgenden, eindeutig astronomisch orientierten Erklärung und der sehr ähnlichen Formulierung in H. Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings, SAA 8, Helsinki 1992, Nr. 312, Vs. 3 dürfte es wahrscheinlicher sein (wie bereits in HeBAI 4/3, 325-326 erwogen), daß hier von der Bahn eines (mit Marduk bzw. Nabû assoziierten?) Himmelskörpers die Rede ist. In Abweichung von der Edition in HeBAI 4/3 (S. 312) ist wohl am ehesten DISˇ 30 TA UD?

Texte aus Mesopotamien (52’) »Um dessen Namen willen die Götter wie [in einem Sturm] angstvoll schwanken« (Ee VII 108): (es heißt so) wegen des Kultrennens des Ma¯r-bı¯ti von Esˇnunna – das ist es, was es bedeutet. 71) (53’) »(Als) Dingir-Esiskur möge er sich hocherhaben im Gebetshaus niederlassen« (Ee VII 109). »Die Götter mögen ihre Gaben vor ihn bringen« (Ee VII 110): (bezieht sich auf) die Geschenke, die vom sechsten bis zum zwölften Tag des Monats Nisannu dargebracht werden; wegen Zababa – das ist es, was es bedeutet. 72) (54’) [ … ] … Be¯l, der am achten Tag im Akı¯tu(-Haus) sitzt, Gaben und Präsente – (dies ist die Erklärung) einer anderen Tafel zufolge. 73) (55’) »[Die vier (Regionen?) der Schwarzköpfigen (d. h.: der Menschen) sind] seine [Schöpfung]« (Ee VII 113): (bezieht sich auf) den magischen Kreis der Opferschau. 74) (56’) »[Außer ihm] kennt [kein] Gott (im Voraus) [das Los ihrer (der Menschen) Tage]« (Ee VII 114): (bezieht sich auf den Kreis(?)), den kein (anderer) in das Innere(?) des für die Opferschau (bereitgestellten) Schafes zeichnet. (57’) »[Da er das Firmament erschuf und] das feste Land (oder: die Unterwelt) [gestaltete]« (Ee VII 135): »Firmament« (bedeutet) »Himmel«, »festes Land (oder: Unterwelt)« bedeutet »Erde«. 75) »Möge (seine) schöpferische Kraft die Wolken erleichtern (und so regnen lassen) (?)« (Ee VII 121): »schöpferische Kraft« bedeutet »Lärm«. 76)

71.

72.

73.

74. 75. 76.

[n-KÁM KI 20 IGI]-ru hap-ra-tú ina-asˇ-sˇá-ru zu lesen. hapra¯tu ist ein terminus technicus für ˘ ˘ die (sichtbare) Mondscheibe; für Parallelen und weiterführende Literatur s. U. Koch-Westenholz, The Astrological Commentary Sîn ina ta¯martı¯sˇu Tablet 1, in: R. Gyselen (Hg.), La science des cieux (Res Orientales 12), Leuven 1999, 159. In KAR 307, Rs. 4-6 wird das hapra¯tu-Maß der Sonne mit 60 »Meilen« (bı¯ru) und das des Mondes mit 30 Meilen beziffert ˘und außerdem festgestellt, daß Marduk in der Sonne und Nabû im Mond beheimatet seien (s. P. A. Beaulieu, The Babylonian Man in the Moon, JCS 51 [1999] 91-99, bes. 93-94). Der vorliegende Eintrag könnte diese Vorstellung aufnehmen und Nabûs Unterordnung unter Marduk damit begründen, daß die mit Nabû assoziierte Mondscheibe, die sich (an bestimmten Tagen) gleichzeitig mit der – auf Marduk verweisenden – Sonne beobachten läßt, bei diesen Gelegenheiten anders als letztere nur teilweise sichtbar ist. Tatsächlich gibt es astrologische Omina, die davon sprechen, daß Sonne und Mond, wenn gemeinsam sichtbar, miteinander »wetteiferten« (sˇana¯nu); s. Koch-Westenholz, Res Orientales 12, 154, Z. 22-23. Ebenso wie in Z. 23 evoziert die Erwähnung eines Sturmes kommentarielle Assoziationen mit einem – offenbar in stürmischem Tempo unternommenen – Kultrennen, das in diesem Fall zu Ehren des besonders im Osttigrisland, aber auch in Babylon verehrten Gottes Ma¯r-bı¯ti veranstaltet wurde. Aus verschiedenen Quellen ist bekannt, daß Marduk (so wie auch einige seiner göttlichen Gefährten) während des Akı¯tu-Festes im Nisannu in Babylon Geschenke erhielt. Der Grund für den kommentariellen Verweis auf Zababa bleibt unklar; der in Kisˇ verehrte Kriegsgott nahm zwar an der Akı¯tu-Prozession in Babylon teil, scheint bei den Festlichkeiten aber keine herausragende Rolle gespielt zu haben. Das nördlich von Babylon gelegene Akı¯tu-Haus, das Marduk am Höhepunkt der Akı¯tu-Feierlichkeiten aufsuchte, wurde É-sískur genannt, ein Name, der das zentrale Element des in dem Kommentareintrag behandelten Marduk-Theonyms bildet. Die »einer anderen Tafel« entnommene Erklärung ist nur in einem Textvertreter bezeugt. Vielleicht bezieht sich die hier gebotene Erklärung auch auf Ee VII 112. In beiden Fällen ist das tertium comparationis nicht völlig klar. Zwei seltene Worte werden mit vielgebrauchten akkadischen Synonymen erklärt. Die Deutung von »schöpferische Kraft« (mummu) als »Lärm« (rigmu) dürfte einerseits auf die lexikalische Gleichung mu7-mu7 = rigmu zurückgehen (Diri I 56), andererseits aber auch dadurch motiviert sein, daß das Wort rigmu in der vorigen Zeile des Epos, Ee VII 120, ge-

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Texte aus Mesopotamien (58’) »[Möge

er (Marduk in seiner Eigenschaft als Jupiter) (seine) Wendepunkte ergriffen halten, so daß sie] ihn anschauen (pala¯su) können« (Ee VII 127): »Wendepunkt« (bezieht sich auf) den Anfang und das Ende; KIR4.SˇU.GÁL (bedeutet) »anstarren« (bala¯su, ˙ Text fehlerhaft: la-ba-su), KIR4.SˇU.GÁL (bedeutet auch) »die Nase streichen« (ein Ge˙ betsgestus). 77) (59’) »[Wahrhaftig(?), er], dessen Namen [seine (Vor)väter gepriesen haben]« (Ee VII 139): »wahrhaftig (ma¯) (?)« (bedeutet) »Sohn (ma¯ru)«. 78) »Sie (die Götter) benannten ihn mit fünfzig Namen und erhöhten (so) seine Stellung« (Ee VII 144): »50« (bedeutet) »fünfzig«, »50« (steht außerdem für) »Enlil«. 79) (59a’) »[Der Vater möge sie (die Namen Marduks) wiederholen und (seinen) Sohn] lernen lassen (?)« (Ee VII 147?) 80): [ … ]. (60’) »[

… ] … war erhoben … er sah (die Göttin) Be¯let-se¯ri und näherte sich ihr (in sexueller Absicht?). Später hörte die Göttin Be¯let-ilı¯ davon˙ und erging sich in Eifersucht (qı¯nu) 81)«: (es heißt so) wegen der regelmäßigen Darbringungen (kinayya¯tu) (oder: wegen der Angelegenheiten/Riten, die mit Eifersucht zu tun haben (qı¯naya¯tu)?) – das ist es, was es bedeutet. 82)

77.

78. 79. 80.

81. 82.

96

nannt wird. Der nicht korrekt eingeordnete Eintrag zu Ee VII 121 ist nur in einem Textvertreter bezeugt. Indem er aus einer lexikalischen Liste zitiert, derzufolge das sumerische KIR4.SˇU.GÁL sowohl für einen Sehakt (bala¯su, das pala¯su aus dem Bezugstext phonetisch und semantisch ähnlich ist) als auch für einen˙ Gebetsgestus stehen kann, versucht der Kommentator zu beweisen, daß das »Anschauen« Jupiter-Marduks in Wahrheit eine Art Anbetung darstelle. Die vermutlich durch die Wortähnlichkeit motivierte Gleichsetzung von ma¯ (hier offenbar ein Ausruf) mit ma¯ru »Sohn« findet sich auch in dem Kommentar zu den fünfzig Namen Marduks in Enu¯ma elisˇ VII und könnte von dort übernommen sein. »50« war in der Tat die heilige Zahl des Enlil (vgl. den Eintrag zu Z. 50’), doch nur der Kommentar, nicht das Epos selbst, expliziert diese Verbindung. Der Eintrag ist in nur einem der Manuskripte, einem Kommentarexzerpt aus Sippar, überliefert, das speziell zu didaktischen Zwecken abgefaßt worden sein dürfte. Wenn die Ergänzungen korrekt sind, dann würde dieses Exzerpt sehr passend mit der Erklärung einer Zeile enden, die betont, wie wichtig es ist, das Epos zu lehren und weiterzugeben. Die Umschrift in HeBAI 4/3, 314 ist korrekturbedürftig; lies qi-na anstatt qí-na. Z. 60’, vom restlichen Text durch einen horizontalen Strich abgetrennt, fungiert als Stichzeile, die auf eine weitere Kommentartafel verweist. Von selbiger haben sich bislang keine Textvertreter gefunden, man kann jedoch aufgrund einer Reihe von Indizien vermuten, daß die Tafel einen mythischen Text ausgedeutet haben muß, der enge Bezüge zu einem in Nippur durchgeführten erotischen Ritual aufwies, welches in burlesk-derber Art die ménage à trois zwischen Enlil(?), der hier offenbar als Gattin Enlils fungierenden Be¯let-ilı¯ und einer Konkubine des Gottes, Be¯let-se¯ri, zur Aufführung brachte. Das Nippur-Ritual dürfte als Modell eines ˙ in Babylon fungiert haben, das den erotischen Spannungen zwischen ähnlichen Kultrituals Marduk, seiner Gemahlin Zarpanı¯tu und seiner Geliebten, der Isˇtar von Babylon, gewidmet war. Anspielungen auf die Theologie Nippurs finden sich auch in einigen Einträgen des der Stichzeile vorangehenden Enu¯ma elisˇ-Kommentars. Bemerkenswert ist, daß der Kommentator das heroisch-ernste Weltschöpfungsepos hier mit einem ganz andersartigen Text, einem grotesken »Schwank« über die Liebesnöte des Götterkönigs, verknüpft.

Texte aus Mesopotamien

3.6.2 Ein spätbabylonischer Kommentar zu einem astrologischen Text

Hunderte babylonischer und assyrischer Kommentartafeln beschäftigen sich mit Omentexten verschiedener Art, mehr als 300 allein mit solchen astrologischen Inhalts. Im folgenden werden einige Auszüge aus einem spätbabylonischen Kommentar zur 16. und 19. Tafel der großen astrologischen Serie Enu¯ma Anu Enlil geboten. Beide gehören zu jenem Teil der Serie, der sich mit Mondfinsternissen und ihren Begleitphänomenen befaßt und von F. Rochberg-Halton in Aspects of Babylonian Celestial Divination: The Lunar Eclipse Tablets of Enu¯ma Anu Enlil (AfO Beih. 22), Horn 1988, ediert worden ist; unser Kommentar wird dort auf S. 284-290 behandelt. Eine neue Edition des Kommentars mit wichtigen neuen Lesungen bietet E. Jiménez auf der Website des Cuneiform Commentaries Project (http://ccp.yale.edu/P461229); die nachstehende Übersetzung basiert im wesentlichen auf dieser Bearbeitung. Text und Aufbewahrungsort: Der Text BM 47447 gehört zur Babylon Collection des British Museum, London, und stammt entweder aus Babylon oder aus Borsippa. – Datierung und Verfasser: Der Kommentar wurde am 23. Sˇaba¯tu (XI) des 19. Jahres eines Artaxerxes abge˙ faßt, datiert also entweder, je nachdem, um welchen der drei persischen Könige dieses Namens es sich handelt, in das Jahr 445, 385 oder 339 v. Chr. Eigentümer und Schreiber des Kommentars war ein gewisser Ipra¯3ya aus der E¯tiru-Familie, der möglicherweise auch im ˙ Kolophon eines Kommentars zu dem exorzistischen Traktat »Marduks Ansprache an die Dämonen« genannt wird (s. http://ccp.yale.edu/P461231); außerdem ist er als Schreiber einer Reihe von Texten medizinischen, astrologischen und hemerologischen Inhalts bekannt. 83)

Anders als der Kommentar zum Enu¯ma elisˇ zitiert der nachstehende Kommentar die deutungsbedürftigen Zeilen des Bezugstexts nur gelegentlich vollständig; oft beschränken sich die Zitate auf die sog. Protasen, die Vordersätze, die auspiziöse oder inauspiziöse Himmelsphänomene beschreiben. 84) Ein wichtiges Anliegen des Kommentators besteht darin, Omina, die entweder obskur sind oder astronomisch abwegige Sachverhalte behandeln, vermittels kreativer symbolischer Assoziationen so umzudeuten, daß sie sich auf tatsächlich beobachtbare Himmelsphänomene anwenden lassen. Im folgenden sind Zitate aus dem Bezugstext bei ihrer ersten Erwähnung erneut durch Unterstreichungen gekennzeichnet. (5-8) »Wenn

eine (Mond)finsternis stattfindet und (dabei) eine Wolke in eine andere Wolke eintritt, dann werden die Götter das Land (seines) Verstandes berauben (KAR.MESˇ); (das Ende) der Tage des Königs dieses Landes ist nahe.« (Das Omen bedeutet, daß) während einer (Mond)finsternis ein Stern in einen anderen Stern eintritt, 83.

84.

Für ausführliche Anmerkungen zur E¯tiru-Familie und ihren Angehörigen in neu- und spät˙ babylonischer Zeit s. C. Wunsch, Double Family Names in Neo-Babylonian Records: The Case of the E¯tiru and Ta¯bihu Families and Their Butcher’s Prebends, in: Z. Csabai (Hg.), ˘ History of the Ancient Near East in Memory of Péter Vargyas, ˙ Studies in Economic and˙ Social Budapest 2014, 751-787. Der Name Ipra¯3ya ist früher Sˇema3ya gelesen worden. Auf eine genaue Einordnung der Zeilen durch den Aufweis von Parallelen wird im folgenden verzichtet; hierzu sei auf die CCP-Edition verwiesen.

97

Texte aus Mesopotamien

(denn) »Wolke« bedeutet »Stern«. KAR.MESˇ bedeutet »sie werden (es ihm) fortnehmen«, d. h. »sie werden (es) berauben«, denn KAR (bedeutet) »fortnehmen« und KAR bedeutet »(es) berauben«. (8-9) »Der König in Schwierigkeiten« bedeutet: der König wird permanent Leid erfahren.« (9-11) »Wenn eine (Mond)finsternis stattfindet, (in deren Verlauf der Mond) in einer schwarzen, weißen, roten, gelben, bunten oder sehr dunklen Wolke steht und (dann wieder) hell wird«: jedes Mal, wenn (in der Protasis von ihr) die Rede ist, wird »Wolke« mit Bezug auf Planeten gesagt. 85) (11-14) »Leere (wörtl.: nackte) Wolke« bedeutet »rote Wolke«; »alluda ¯ nu-Wolke« ist eine Wolke, die solange präsent ist wie die Sonne, oder alternativ eine Wolke, die den ganzen Tag und (die ganze) Nacht (am Himmel) steht. Jedes Mal, wenn von »Wolke« die Rede ist, wird es mit Bezug auf den Sommer gesagt. … (15-17) »Wenn eine (Mond)finsternis stattfindet und im Hof (des Mondes) ›einhergeht‹ und (der Mond dann wieder) hell wird« bedeutet: (der Mond) wird im Winter bei klarem Himmel (wieder) hell; »Hof« wird mit Bezug auf klaren Himmel gesagt. 86) … (26-27) »Wenn der Mond verdunkelt aufgeht und bis zum (Wieder-)Hellwerden dasteht« bedeutet: er geht in einer dunklen Wolke auf und erhellt den Himmel; oder alternativ: (der Mond) wird zum Winteranfang (wieder) hell. 87) … (28-30) »Wenn der Mond verdunkelt (in den Horizont) eintritt (d. h. untergeht)« bedeutet: er tritt während der Dunkelheit in eine Wolke ein und geht, (während er noch) in der Wolke (ist), unter; oder alternativ: (das Omen ist) wörtlich (zu verstehen). 88) … (34-37) »Wenn (der Mond) in seiner Mitte dunkel und gesprenkelt ist (?)«: »in [seiner] Mitte« bedeutet: in der Mitte des Monats, am 14. Tag, findet eine (Mond)finsternis statt; SU bedeutet »sprenkeln«, SU bedeutet (außerdem) »hell sein«. 89) (Der Mond) ist dunkel, doch seine rechte und linke (Seite) sind hell; 90) (es heißt so mit Blick) auf eine geringfügige Verfinsterung, die sich rasch wieder aufhellt. …

85.

86.

87. 88. 89.

90.

98

Der Kommentar faßt zunächst eine ganze Reihe von Omenprotasen über Mondfinsternisse in Wolken verschiedener Farben knapp zusammen und führt dann aus, daß in Wahrheit in allen Fällen nicht wirklich von Wolken, sondern von Planeten die Rede sei. Die zunehmende Bedeutung der Planeten für die babylonisch-assyrische Astrologie des 1. Jt. v. Chr. läßt sich auch zahlreichen anderen astrologische Kommentareinträgen entnehmen. Nachdem er die vorigen Omina, in denen von Wolken die Rede war, auf den Sommer bezogen hat, behauptet der Kommentator, das vorliegende, den Hof des Mondes nennende Omen verweise auf Mondfinsternisse, die im Winter stattfänden. Der Grund ist nicht klar ersichtlich; vielleicht spielte eine Rolle, daß Mondhöfe in klaren Winternächten häufiger zu beobachten sind als im Sommer. Beide Erklärungen sind als Versuch zu werten, ein wohl auch dem Kommentator unverständliches Omen so umzudeuten, daß es nachvollziehbare Phänomene zu beschreiben scheint. Auf die Möglichkeit einer wörtlichen Deutung wird mit dem akkadischen Terminus kayya¯nu (wörtl.: »konstant, fest«) verwiesen. Der Kommentator schlägt, wie auch in vielen anderen Erklärungen, eine radikale Neudeutung des Omens vor. Nicht auf die Mitte des Mondes, wie man es dem Wortlaut nach vermuten möchte, verweise der Eintrag, sondern auf eine Mondfinsternis zur Monatsmitte, genauer: am 14. Tag. Tatsächlich konnten Mondfinsternisse in Babylonien, wo ein Mondkalender Verwendung fand, lediglich in der Mitte des Monats stattfinden. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß die voranstehende Aussage ein neuerliches Zitat aus dem

Texte aus Mesopotamien (40-41) »Wenn

der Mond verdunkelt und vollständig bedeckt ist« bedeutet: eine (Mond)finsternis erfolgt, (während sich der Mond) in einer schwarzen, dünnen Wolke (befindet). (41-46) »Wenn der Mond verdunkelt und vollständig bedeckt ist und sich (dann) in Lichtglanz (birsu) verwandelt – (Variante 91)): er bis zur letzten Nachwache (d. h. bis zur Mor˙ gendämmerung) dasteht –, dann wird überall im Land Unheil sein – (Variante): die (herrschende) Dynastie des Landes wird in(folge) einer Niederlage (BAD5.BAD5) entfernt(?) werden (KAR.MESˇ); das Land wird eine schwere Hungersnot erfahren.« (Das Omen ist so zu verstehen, daß) eine totale (Mond)finsternis [stattfindet] und wie ein Stern geformt/geöffnet(?) ist (TAG4). (Dies) hat (ein Lehrer / ein Lehrtext) unter Berücksichtigung (?) (der Apodose) »die Länder werden in der Niederlage (tab-de-e) errettet werden (in-né-te-ra)« gesagt. »Lichtglanz« bedeutet »Stern«; (das Logogramm) ˙ NÍG.NAM.TAG4 bedeutet »Lichtglanz«; NÍG.NAM.TAG4 (aber enthält das Zeichen) TAG4, (das u. a. auch) »retten« (eze¯bu) (bedeutet). 92) (46-48) »Wenn der Mond verdunkelt ist und seine Spitze den Himmel trübt«: (bezieht sich auf) eine […] Finsternis; auf der Oberfläche des Himmels wird eine Trübung sein. (Die Apodosis) »die Menschen(?) des Landes werden ihnen(?) Übelwollende(?) zu sehen bekommen« (ist) folgendermaßen (zu verstehen): die Menschen(?) des Landes werden dessen Feind erblicken. … (50-52) »[Wenn der Mond] bei seinem Erscheinen im Monat Nisannu (I) verdunkelt ist und bei seinem Aufgang dunkel(?) aufgeht, werden Könige miteinander wetteifern (SÁ.SÁ-ma).« [SÁ.SÁ-ma] ist isˇsˇannanu¯ma (»sie wetteifern miteinander«) (zu lesen) und folgendermaßen (zu verstehen): ein König wird ebenso (mächtig) sein wie jeder andere König; [SÁ.SÁ bedeutet] »wetteifern«; »wetteifern« bedeutet »erobern«. … (57-59) »Pferde werden in Wut geraten« bedeutet »sie werden wiehern (wörtl.: schreien)«, denn »in Wut geraten« bedeutet »wiehern«. »Sintflut« ist eine massive Überschwemmung. »König der Krone« bedeutet »mächtiger König«. … (62-63) »Wenn im Monat Kislı¯mu (IX) am 14. Tag eine (Mond)finsternis stattfindet und (der Mond) untergeht, während er noch verdunkelt ist, wird ein Schrei auf den König niedergehen.« (Das Omen bedeutet, daß eine Finsternis) im Bereich des Orion – oder alternativ: in der Nähe (des Sternbilds) »Schütze« – (erfolgt); (die Apodose bezieht sich auf) eine Epidemie. …

91. 92.

Bezugstext darstellt, doch wahrscheinlicher dürfte sein, daß hier eine weitere Erklärung des am Beginn des Absatzes zitierten Omens vorliegt. Statt als Variantenangabe im Bezugstext könnte der nachfolgende Hinweis auf die Morgendämmerung auch als Erklärung verstanden werden. Die Erklärung, das zitierte Omen handle in Wahrheit von einer Mondfinsternis, die »wie ein Stern geformt/geöffnet(?)« (TAG4) sei, wird u. a. damit begründet, daß man unter »Lichtglanz« (birsu) einen Stern zu verstehen habe. Das Logogramm TAG4 animiert den Kommen˙ tator zu einer Reihe weiterer Assoziationen, die speziell die zweite Voraussage des Omens betreffen. Diese wird zunächst, unter Verwendung syllabischer Schreibungen, nochmals zitiert, wobei der Ausdruck »Dynastie des Landes« (BALA KUR) durch »Länder« (KUR.KUR) ersetzt wird. TAG4 wird sodann als Teil des komplexen Logogramms NÍG.NAM.TAG4, das »Lichtglanz« bedeutet, identifiziert und darüber hinaus mit dem Verbum eze¯bu »retten« geglichen, offenbar mit dem Ziel, eine eigentlich negative Voraussage über die Eliminierung der herrschenden Dynastie in ein Orakel über die Rettung der Länder umzudeuten.

99

Texte aus Mesopotamien (68-69) 93)Lexikalische

Gleichungen und mündliche Deutungen aus einer »Lektion« zur (astrologischen) Serie 94) Enu¯ma Anu Enlil (»Als Anu und Enlil«), (speziell zur Tafel mit dem Incipit) »Wenn eine Finsternis stattfindet und der Tag dunkel wird« (Enu¯ma Anu Enlil XVI) – abgeschlossen. Die Fortsetzung derselben ist (die Tafel mit dem Incipit) »(Wenn) eine Finsternis am 14. Tag des Monats Nisannu (I) stattfindet« (Enu¯ma Anu Enlil XVII). (70-71) 95)Tafel, die Ipra ¯ 3ya, Sohn (oder Enkel?) des Arad-Ba3u, Nachkomme des E¯tiru, ge˙ schrieben hat. 23. Tag des Monats Sˇaba¯tu (XI), 19. Regierungsjahr des Artaxerxes. Wer ˙ den Gott Nabû verehrt, 96) soll (die Tafel) nicht stehlen, sondern entschieden werthalten.

93. 94. 95. 96.

100

Unterschrift und Stichzeile, die auf die nächste Tafel der Serie verweist. Daß am Ende offenbar auch Omina aus Enu¯ma Anu Enlil XIX erklärt werden, bleibt unerwähnt. Lies: hÉSˇi.GÀR. Kolophon. Nabû wird hier in seiner Eigenschaft als göttlicher Schutzpatron der Schreiber angeführt.

4. Ausbildung, Schreiber- und Gelehrtenkultur 4.1 Einleitung

Daniel Schwemer Unmittelbar mit der Entwicklung der Protokeilschrift im späten 4. und frühen 3. Jt. v. Chr. entstand die Notwendigkeit der Standardisierung des Schriftsystems, da nur so seine Leistungsfähigkeit als Kommunikations- und Informationsspeicherungsmedium gewährleistet war. Standardisierte Zeichenformen und Konventionen der Zeichenverwendung mussten verbreitet, erhalten und von Generation zu Generation weitergegeben werden. So entstand schon in dieser frühesten Phase der Geschichte der mesopotamischen Keilschrift eine Textgruppe, die bis zum allmählichen Verschwinden der Keilschriftverwendung um die Zeitenwende eine wesentliche Funktion in der Schreiberausbildung behielt: Referenzlisten von Zeichen und Wörtern, die sogenannten lexikalischen Listen (s. hier 4.3, 4.4, vgl. auch 1.2 und 3.1). Die tägliche Praxis der Schreiberausbildung begegnet uns in Form von Schülertäfelchen, die in unterschiedlichen Formaten durch alle Zeiten hindurch bezeugt sind. 1) Diese von angehenden Schreibern geschriebenen Keilschrifttafeln entstanden unmittelbar im Ausbildungsprozess und reichen von einfachen Schreibübungen bis zu umfangreicheren Exzerpten. Die meisten dieser Schülertäfelchen waren ephemere Gebrauchsgegenstände, die nach ihrer Erstellung und Prüfung aufgeweicht wurden, damit aus dem Ton wieder neue Tafeln geformt werden konnten. Eine besondere Gruppe bilden Schülertafeln, die mit einem Kolophon in Form einer Weihinschrift von den Schülern in einem Tempel als Weihgabe dargebracht wurden, eine Praxis, die am besten für den Tempel des Weisheitsgottes Nabû (sˇa harê) in Babylon bezeugt ist. 2) ˘ Aus dem Inhalt der Schülertäfelchen lassen sich Elemente der Ausbildungscurricula rekonstruieren, die sich trotz ihres grundsätzlich konservativen Charakters in den verschiedenen Epochen der Keilschriftüberlieferung durchaus unterscheiden. Gemeinsam ist den Exzerpttafeln die Verwendung von lexikalischen Listen und literarischen Texten. Am Anfang der Ausbildung lernten die Schüler das Formen von Tontafeln und das Schreiben von Keilschriftzeichen. Dann eigneten sie sich mittels der lexikalischen Listen und Auszügen aus literarischen Texte das überkommene Wissen an. In den frühen Stufen der Ausbildung schrieb man vom Lehrer erstellte Vorlagen ab, wichtiger war aber wohl zu allen Zeiten, Texte auswendig zu lernen und aus dem Gedächtnis schreiben zu können. Beherrschte der Schüler die Grundlagen der Schreibkunst und des traditionellen Wissens, folgte die Fachausbildung in den verschiedenen Bereichen der Verwaltungspraxis oder Gelehrsamkeit. Briefsprache und juristische Urkundenformate wurden anhand von Mustertexten eingeübt (s. hier 4.4). Viele der in Privathäusern gefundenen Keilschrifttafeln mit Texten des traditionellen 1. 2.

Einen Überblick geben Gesche, Schulunterricht, 9-35; Waetzoldt / Cavigneaux, RlA 12 (2009-2011) 294-309. Ebd., 153-166.

101

Texte aus Mesopotamien

Wissens – ob Literatur, Beschwörungskunst oder Divination – wurden von jungen, fortgeschrittenen Schreibern geschrieben, die auf diese Weise nicht nur ihre Ausbildung erweiterten, sondern auch zu Erneuerung und Fortbestand der Familienbibliothek beitrugen. Ein wesentliches Element der Schreiberausbildung war das Erlernen des Sumerischen, das seit dem frühen 2. Jt. v. Chr. als gesprochene Sprache ausgestorben war, aber als Gelehrten- und Sakralsprache bis in parthische Zeit weiter überliefert und verwendet wurde. Prestige und Bedeutung der sumerischen Sprache in der Schreiberausbildung werden nicht zuletzt dadurch dokumentiert, dass eine ganze Gruppe von Texten, die aus dem Milieu der Schreiberausbildung stammen und sich mit dem Leben und Lernen in der ›Tafelhaus‹ (edubba3a) 3) genannten Schule beschäftigen, in sumerischer Sprache komponiert und überliefert wurden. Diese sogenannte edubbaLiteratur 4) umreißt das Bildungsideal der Schreiberausbildung im späten 3. und frühen 2. Jt. v. Chr., preist den Wert der Schreibkunst, beschreibt die Strenge und hohen Anforderungen 5) der Ausbildung, hält der Schule aber auch in Form von satirischhumoristischen Dialogen den Spiegel vor. Auch die Lehrer babylonischen Schule wußten, daß unterhaltsame Texte, die sich im übrigen auch für eine theatrale Aufführung eignen, die Aufmerksamkeit der Lernenden fesseln können. Auch die juristischen Mustertexte verwenden gerne anschauliche und amüsante Fälle. Das ›Tafelhaus‹ selbst war in der Regel das Privathaus eines Schreibers, der – wie andere Handwerker – Teile seines eigenen Nachwuchses und Kinder anderer Familien ausbildete, zugleich aber weitere Ämter bei Hofe oder am Tempel innehaben konnte.6) Auch in Palästen und Tempeln wird es Bereiche gegeben haben, die der (fortgeschrittenen) Schreiberausbildung gewidmet waren, doch lassen sich diese aufgrund der geringen infrastrukturellen Erfordernisse der Schreibpraxis und des fließenden Übergangs zwischen Ausbildung und praktizierter Verwaltung bzw. Gelehrsamkeit archäologisch kaum nachweisen. Ein ›Klassenzimmer‹ für angehende Keilschriftschreiber gab es jedenfalls nirgends, da man für das Schreiben und Lesen das Sonnenlicht benötigte und sich im Hof aufhielt. Die Paläste und Tempel der Städte Babyloniens und Assyriens waren unter anderem auch Orte der Gelehrsamkeit, der Wissensüberlieferung und Wissensanwendung. An den Höfen wirkten Gelehrte als Ratgeber des Königs und Experten für Divination, Medizin und Beschwörungskunst. An den Tempeln wurde bis in die Spätzeit neben den unmittelbar auf den Kult bezogenen Ritual- und Rezitationstexten die gesamte Breite der gelehrten keilschriftlichen Überlieferung bewahrt und weitergegeben. Am besten kennen wir durch die Tontafelfunde in Ninive den Kreis von Gelehrten, die die 3. 4. 5. 6.

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Sumerisch é-dub-ba-a, wohl »Haus, in dem Keilschrifttafeln zugeteilt werden«, akkadisch bı¯t tuppi »Haus der Keilschrifttafel«. W. H. Ph. Römer, TUAT III/1, 46-102, bietet eine Auswahl von Texten; s. auch K. Volk, Erzählungen aus dem Land Sumer, Wiesbaden 2015, 99-116. An diesen Anforderungen ist mancher Schüler gelegentlich verzweifelt; für eine zerbissene Schülertafel s. Guinan / Leichty, FS Abusch; für Kritzeleien auf Schülertafeln, s. etwa Wilson, Education, Nr. 13 und 63. Eine Analyse der auch archäologisch dokumentierten Schreiberausbildung in zwei altbabylonischen Privathäusern, darunter das Haus einer wohl als Lehrerin wirkenden nadı¯tu-Priesterin, gibt Tanret, Per Aspera ad Astra.

Texte aus Mesopotamien

neuassyrischen Könige Asarhaddon und Assurbanipal umgaben; ein kleine Auswahl der Briefe dieser Gelehrten an ihre Herren wird hier vorgestellt (s. 4.2; insbesondere 4.2.5). Nach dem Ende des autochthonen Königtums in Mesopotamien durch die Eroberung Babylons durch den Perserkönig Kyros II. (539 v. Chr.) konzentrierte sich die Überlieferung der Keilschriftliteratur zunehmend auf die großen Heiligtümer der babylonischen Städte und die mit ihnen verbundenen Familien. Wohl aus diesem Milieu stammen die spätesten Schülertäfelchen Babyloniens, die neben der keilschriftlichen Fassung der traditionellen sumerischen und akkadischen Schulexzerpte auch mit einer Transliteration des jeweils selben Textes in griechischer Alphabetschrift versehen sind (s. hier 4.5). Inwieweit diese sogenannten Graeco-Babyloniaca (1. Jh. v. und n. Chr.) auf eine weiter verbreitete Praxis hindeuten, die Texte der sumerischen und akkadischen Wissenskultur in griechischer (oder aramäischer) Alphabetschrift zu schreiben, bleibt unsicher, weil sich die typischen Schreibmedien der Alphabetschrift (v. a. Leder) in Mesopotamien nicht erhalten haben. Weiterführende Literatur in Auswahl: A. R. George, In Search of the é.dub.ba.a: The Ancient Mesopotamian School in Literature and Reality, in: Y. Sefati u. a. (Hg.), »An Experienced Scribe Who Neglects Nothing.« FS J. Klein, Bethesda 2005, 127-137; P. D. Gesche, Schulunterricht in Babylonien im ersten Jahrtausend v. Chr. (AOAT 275), Münster 2000; A. Guinan / E. Leichty, Tasteless Tablets, in: J. Stackert / B. Nevling / D. P. Wright (Hg.), Gazing on the Deep: Ancient Near Eastern and Other Studies in Honor of Tzvi Abusch, Bethesda 2010, 49-50; A. L. Oppenheim, Ancient Mesopotamia. Portrait of a Dead Civilization (revised edition completed by Erica Reiner), Chicago 1977, 228-249; K. Radner / E. Robson (Hg.), The Oxford Handbook of Cuneiform Culture, Oxford 2011 (diverse Beiträge); M. Tanret, Per Aspera ad Astra: L’appressintage du cunéiforme à Sippar-Amna¯num pendant la période paléobabylonienne tardive, Ghent 2002; N. Veldhuis, The Cuneiform Tablet as an Educational Tool, Dutch Studies on Near Eastern Languages and Literature 2 (1996) 11-26; N. Veldhuis, Elementary Education at Nippur. The Lists of Trees and Wooden Objects, Groningen 1997; K. Volk, Methoden altmesopotamischer Erziehung nach Quellen der altbabylonischen Zeit, Saeculum 47 (1996) 178-216; K. Volk, Edubba3a und Edubba3a-Literatur: Rätsel und Lösungen, ZA 90 (2000) 1-30; H. Waetzoldt, Keilschrift und Schulen in Mesopotamien und Ebla, in: L. Kriss-Rettenbeck / M. Liedtke (Hg.), Erziehungs- und Unterrichtsmethoden im historischen Wandel (Schriftenreihe zum Bayerischen Schulmuseum Ichenhausen, Zweigmuseum des Bayerischen Nationalmuseums 4), Bad Heilbrunn 1986, 36-50; H. Waetzoldt, Die Entwicklung der Naturwissenschaften und des Naturwissenschaftlichen Unterrichts in Mesopotamien, in: J. G. von Hohenzollern / M. Liedtke (Hg.), Naturwissenschaftlicher Unterricht und Wissenskumulation (Schriftenreihe zum Bayerischen Schulmuseum Ichenhausen, Zweigmuseum des Bayerischen Nationalmuseums 7), Bad Heilbrunn 1988, 31-49; H. Waetzoldt, Der Schreiber als Lehrer in Mesopotamien, in: J. G. von Hohenzollern / M. Liedtke (Hg.), Schreiber, Magister, Lehrer. Zur Geschichte und Funktion eines Berufsstandes (Schriftenreihe zum Bayerischen Schulmuseum Ichenhausen, Zweigmuseum des Bayerischen Nationalmuseums 8), Bad Heilbrunn 1989, 33-50; H. Waetzoldt / A. Cavigneaux, Art. Schule, RlA 12 (2009-2011) 294309; Wilson, M., Education in the Earliest Schools. Cuneiform Manuscripts in the Cotsen Collection, Los Angeles 2008.

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Texte aus Mesopotamien

4.2 Schreiber- und Gelehrtenbriefe

Karl Hecker 4.2.1 Schulaufgaben Altbabylonische Keilschrifttafel, ca. 18. Jh. v. Chr. – Publikation: TLB IV, Tf. 45 (LB 956). – Aufbewahrungsort: Sammlung De Liagre Böhl, Leiden. – Bearbeitung: R. Frankena, Briefe aus der Leidener Sammlung (TLB IV) (AbB III), Leiden 1968, 62 f. Nr. 84.

Ein Schüler informiert seinen Lehrer über den Stand seiner Hausaufgaben. Er hat die ihm aufgegebene Schreibübung noch nicht ausführen können, weil die Vorlage, die er abschreiben sollte, noch nicht eingetroffen ist. (1-3) Zum

Lehrmeister, den Marduk am Leben erhält, sprich, folgendermaßen Mardukmuballit: (4-5) Sˇamasˇ und Marduk mögen dich andauernd am Leben erhalten! (6-10) Was ˙ den Tafelbehälter betrifft, den du den Ilsˇu-muballit mir hast bringen lassen, er ist noch ˙ nicht bei mir eingetroffen und hat mir den Tafelbehälter noch nicht gebracht. (11-14) [Soba]ld er bei mir ankommt, werde ich [mit dem He]rrn sprechen, und man wird den Tafelbehälter, den du mir hast bringen lassen, in Empfang nehmen. (15-17) Bis du dann ankommst, wird niemand diesen Tafelbehälter öffnen. (18-19) Am zweiten oder dritten (Tag) werde ich in das Tafelhaus gehen 7), (20-23) das GÁ.NU lesen 8) und eine schöne Abschrift des GÁ.NU, das du mir dagelassen hast, anfertigen.

4.2.2 Schreiber bei der Arbeit Neuassyrische Keilschrifttafel, 7. Jh. v. Chr. – Publikation: ABL 447. – Aufbewahrungsort: British Museum, London (K 821). – Bearbeitung: S. Parpola, Letters from Assyrian Scholars to the Kings Esarhaddon and Assurbanipal (= LAS), Part II, Winona Lake 22007, 458 f. Nr. 28; F. M. Fales / J. N. Postgate, Imperial Administrative Records, Part II (SAA XI), Helsinki 1995, 98 Nr. 156.

Der Text berichtet, vielleicht als Fortsetzungs»blatt« eines Briefes, über die Tätigkeit von Schreibern in der königlichen Bibliothek. Wenigstens ein Teil der Schreiber stammt aus Babylonien und dürfte von dort nach Sanheribs Feldzug 689 v. Chr. als Kriegsgefangene nach Assyrien gelangt sein. 9)

7. 8. 9.

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Der Text hat »wird er gehen«. Wörtlich »werde ich immer wieder laut rufen«, ein Hinweis auf die Technik des Lesens. GÁ.NU war der Name einer Schönschreibübung für Schüler. Zur Tätigkeit von babylonischen Gelehrten in Assyrien vgl. jetzt zusammenfassend J. C. Fincke, Babylonische Gelehrte am assyrischen Hof, in: H. Neumann u. a., Krieg und Frieden im Alten Vorderasien. 52e Rencontre Assyriologique Internationale / International Congress of Assyriology and Near Eastern Archaeology, Münster, 17.-21. Juli 2006 (AOAT 401), Münster 2014, 269-293.

Texte aus Mesopotamien (Vs. 1-5) Be ¯ l-aha-iddin,

˘

ˇ a-Nabû-sˇu¯ (6-7) S

Salla¯ja: Diese beiden sind die, die Tafeln 10) vorlesen. ˙

ist [nicht] da. Er überwacht die Arbeit, die dem Ukume zugewiesen ist.

(8-13) Ninurta-ga ¯ mil,

der Sohn des Statthalters von Nippur, hat die Tafelserie fertig gestellt und ist in Bronze(- und) Eisen(ketten) gelegt. Er ist im Thronfolgerpalast dem Ba¯nunu zugestellt worden. Arbeit für ihn ist nicht zur Hand.

(14-19) Kudurru

und Kunna¯ja haben (die Tafelserie) »Böse Totengeister« 11) fertiggestellt. Sie anzuweisen obliegt dem Sa¯sı¯. (Rs. 1-9) Marduk-sˇarrani, Sula¯ja, Bala¯tu, Na¯siru, Sîn˙ aha-iddina, Re¯mu¯tu, Iddin-ahhe¯, Be¯l-usˇe¯zib und Nabû-sˇar-ahhe¯sˇu: (10-14) Diese 9˙sind die, ˘ den Gelehrten zur Seite ˘ ˘stehen und Arbeit an (der Serie) ˘ ˘ »Das Haus eines Krandie ken« verrichten.

ˇ amasˇ-iddina, (15-20) S

Per3u und Be¯l-e¯pusˇ: Diese 3 sind die, die die Tafelserie ordnungsgemäß fertigstellen. 12)

4.2.3 Schreibe Akkadisch! Neubabylonische Keilschrifttafel, 7. Jh. v. Chr. – Publikation: CT 54, 10 (Kopie). – Aufbewahrungsort: British Museum, London (K 1159 + 4683). – Bearbeitung: M. Dietrich, The Babylonian Correspondence of Sargon and Sennacherib (SAA XVII), Helsinki 2003, 5 f. Nr. 2.

Briefe schrieb man in Mesopotamien auch im 1. Jt. v. Chr. gewöhnlich auf Tontafeln und in Akkadisch. Mit zunehmender Verbreitung des Aramäischen als Sprache des täglichen Umgangs kam dann aber auch die wesentlich leichter zu erlernende aramäische Alphabetschrift in Gebrauch, wobei nunmehr auch Leder oder Pergament als neuer Schriftträger aufkam. In dem hier übersetzten Brief 13) verlangt der assyrische König – wohl Sargon II. – von Sîn-iddina, einem seiner Beamten im babylonischen Ur, 14) ihm nicht Aramäisch, sondern Akkadisch zu schreiben. Eine Begründung hierfür brauchte der König nicht zu geben. Es waren mit Sicherheit aber keine mangel10. 11.

12. 13. 14.

liginnu genauer »Tafel mit (nur) einer Kolumne«. Meist zweisprachige Beschwörungen gegen böse Dämonen (udug.hul.a.mesˇ / utukku¯ lemnu¯tu) haben eine lange Tradition und sind vom 3. Jt. v. Chr. bis in˘ die hellenistische Zeit nachzuweisen. Im 1. Jt. existierte eine kanonische Fassung von 16 Tafeln. Die erste zusammenfassende Bearbeitung von R. Campbell Thompson, The Devils and Evil Spirits of Babylonia, Vol. I, London 1903, ist jetzt ersetzt durch M. J. Geller, Healing Magic and Evil Demons. Canonical udug-hul Incantations (BAM 8), Boston/Berlin 2016. Vgl. außerdem noch ders., Forerunners to udug-hul. Sumerian Exorcistic Incantations (FAOS 12), Stuttgart 1985; ders., Graeco-Babylonian Utukku¯ Lemnu¯tu, NABU 2008/33. Zur Übersetzung des schwierigen a-di tup-pi-sˇu in Rs. 19 vgl. CAD T 128b s. v. tuppi. SAA XI ˙ Tafel«. zur Stelle dachte an tuppu »Tafel« und˙übersetzt »entsprechend ihrer ˙(originalen) ˙ es sich um eine Archivkopie. Das Original war natürlich an Sîn-iddiGenauer gesagt handelt na nach Ur versandt worden. Vgl. zu diesem Herrn H. D. Baker, PNA 3/I, 1134 unter 5.

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haften Sprachkenntnisse innerhalb der Ninive-Verwaltung, 15) die hinter dieser Anordnung des Königs standen, eher möchte man an ein besonderes Traditionsbewußtsein der einflußreichen Keilschriftschreiberschaft denken. Nicht zuletzt dürften aber auch praktische Gründe von Bedeutung gewesen sein: Tontafeln waren wesentlich besser zu archivieren als Leder- oder Pergamentrollen und zudem, besonders wenn sie gebrannt waren, praktisch unzerstörbar. Für die Datierung des Schreibens und damit auch für die Bestimmung des Absenders ist die Erwähnung des Marduk-apla-iddina (Merodachbaladan) in Z. 8 von Belang, der in den Jahren 721-710 und 703 v. Chr. im Seeland und in Babylonien aktiv war. (Vs. 1-3) Zu Sîn-iddina sprich, folgendermaßen der König: Mir geht es wohl, [dein] He[rz] sei froh! (3-5) Die Brote des Tempels wie auch das Premium-Bier mögen gut sein, die Wache von Ur (und) meiner Tempel sei sehr stark! (6-9) [Alles, w]as du in deinem Schreiben schriebst, [habe ich vernommen. Und was d]u wie folgt schriebst: »Sobald […] beendet ist, werden wir uns an Marduk-apla-iddina wenden«. (9-12) Jetzt höre [ich immer …] und [… A]ssur, Be¯l (und) Nabû, meine Götter, […] … . (13-14) [Und was du wie folgt schriebst:] »Es gibt (fremdsprachliche) Informanten, 16) [die dem König berichten] und zu ihm kommen werden. (15-17) Wenn es dem König genehm ist, werde ich auf Pergament aramäisch schreiben und dem König schicken«. 17) (17-19) Warum schreibst du im Schreiben nicht akkadisch und schickst (es) her? (19-22) Es ist bindend: Ein Schreiben, in dem du schreibst, hat in dieser Form zu sein (und) ist als eine besondere Bedingung gesetzt. (22-25) Und was den Ubar-Harra¯ni betrifft, wegen dem du mir schriebst, ˘ den habe ich ins Land Hatti geschickt. Sobald er zurückkommt, wird […] ihn fragen. (25-26) (Geringe Reste) (Rs.˘ 1-3) (Reste) (4-6) Dein Herz sei se[hr froh]! Halte deine Wache [und …] sei nicht nachlässig! (Rest der Rs. unbeschrieben)

4.2.4 Einschub eines Schaltmonats Altbabylonische Keilschrifttafel, 18. Jh. v. Chr. – Publikation: LIH I 14. – Aufbewahrungsort: British Museum, London (BM 12835). – Bearbeitung: R. Frankena, Briefe aus dem British Museum (LIH und CT 2 – 33) (AbB II), Leiden 1966, 10 f. Nr. 14.

Dem altorientalischen Monatskalender fehlten gegenüber dem Sonnenjahr etwa 12 Tage. Zum Ausgleich wurden in unregelmäßigen Abständen Schaltmonate eingeschoben. 18) In dem vorliegenden Brief des Königs Hammurapi von Babylon an Sîn-iddi˘ 15. 16. 17.

18.

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»Schreiber des Palastes, ob Assyrer oder Aramäer« in dem königlichen Schreiben CTN V 239 (ND 2356), 3-5 belegen das Gegenteil. Für diese Bedeutung von LÚ.EME vgl. CAD L 214b s. v. lisˇa¯nu 5, wo sich zusätzlich der Hinweis findet, daß es sich dabei um gefangene Personen handelt. Der König zitiert hier aus Sîn-iddinas Anfrage und benutzt daher selbst Aramäismen: sipru »Text auf Pergament« (Z. 15) und sepe¯ru »schreiben« (Z. 16). Sonst aber verwendet er die üblichen akkadischen Wörter: sˇipirtu »Brief, Schreiben« (Z. 6, 17, 19), ˇsapa¯ru (Z. 6, 7) und ˇsata¯ru (Z. 18, 20), beides etwa »schreiben«. ˙ ab der Mitte des 1. Jt. v. Chr. war aber ein rein rechnerisches Interkalationssystem beEtwa kannt, bei dem in einem 19-jährigem Zyklus 7 Schaltmonate interkaliert wurden. Dennoch kam es auch weiterhin zu nicht unerheblichen Schwankungen bei den Monatsanfängen. Für

Texte aus Mesopotamien

nam, den Statthalter von Larsa, der zuvor Sekretär Hammurapis gewesen war und lesen und schreiben konnte,19) wird angewiesen, daߢ wegen eines Schaltjahres eine Änderung des Datums für die Zahlung der Steuern erforderlich ist. (1-3) [Zu

Sîn-iddinam sprich, fol]gendermaßen Hammurapi: (4-6) Das Jahr hat einen Zu˘ Ulu¯l« geschrieben werden 20). (7-9) Und satzmonat, der Monat, der hineinkommt, soll »2. wo befo[hlen] wurde, daß die Jahressteuer am 25. Tag des Tesˇrı¯tu in Babylon eintreffen soll, (10-13) soll (diese nun) am 25. Tag des 2. Ulu¯lu in Babylon eintreffen.

4.2.5 Gelehrte Schreiber aus Ninive

Die große neuassyrische Tafelsammlung von Kujundschik/Ninive 21) verwahrte einst außer Abschriften literarischer oder wissenschaftlicher Werke auch die Korrespondenz der Könige mit hohen Verwaltungsbeamten und Beratern, darunter Priester, Astrologen, Ärzte und andere Gelehrte, die jeweils mit mehreren, teilweise auch gemeinsam mit Kollegen verfaßten Schreiben vertreten sind. Zu den Aufgaben dieser gelehrten Priesterschaft gehörte es beispielsweise auch abzuklären, ob ein bestimmter Termin für die Ausführung eines Unternehmens günstig sei oder nicht, ob mit Erfolg oder Mißerfolg zu rechnen oder vielleicht ein anderer Zeitpunkt geeigneter sei. Für die Beantwortung entsprechender Anfragen standen umfangreiche hemerologische Tafelsammlungen zur Verfügung. Im folgenden werden eine Reihe von Briefen vorgestellt, die von einigen dieser Gelehrten geschrieben wurden. 22)

4.2.5.1 Issar-sˇumu-e¯resˇ Issar-sˇumu-eresˇ, Sohn von Nabû-ze¯ru-le¯sˇir, wie sein Vater unter den Königen Asarhaddon und Assurbanipal in Ninive als Astrologe und Chefschreiber tätig. 23) Sein Onkel Adad-sˇumu-usur diente als Exorzist am Königshof (s. 4.2.5.3). Er entstammte ˙ also einer hochgebildeten Familie, war nicht zuletzt deswegen zusammen mit dem Astrologen Bala¯sı¯ (s. 4.2.5.2) auch als Lehrer und Erzieher an der Ausbildung des jungen Assurbanipal beteiligt und diente auch nach dessen Thronbesteigung noch als dessen Berater. Er war ein eifriger Briefeschreiber, wie die wenigstens 38 erhalte-

19. 20. 21. 22.

23.

Einzelheiten vgl. H. Hunger, Art. Kalender, RlA 5 (1976-1980) 298a, und Art. Stern, Sternkunde, RlA 13 (2011-2013) 158a. Vgl. M. Stol, Art. Sîn-iddinam, RlA 12 (2009-2011) 518a. Ulu¯lu war der 6., Tesˇrı¯tu der 7. Kalendermonat. Da alle Texte dieses Abschnitts im British Museum in London aufbewahrt werden, wird im folgenden auf diesen Zusatz verzichtet. S. Parpola, Letters from Assyrian and Babylonian Scholars (SAA X), Helsinki 1993, XXVXXVII (im folgenden SAA X) stellt eine Liste von 17 Gelehrten zusammen, die wegen ihrer umfangreichen Korrespondenz mit dem König einen diesem nahestehenden »Inneren Kreis« bildeten. Die grundlegende Bearbeitung der Briefe ist S. Parpola, Letters from Assyrian Scholars to the Kings Esarhaddon and Assurbanipal, Bd. 1-2 (AOAT 5/1-2), Kevelaer/NeukirchenVluyn 1970 und 1983 (im folgenden LAS). Zum Aufgabenbereich und zur dienstlichen Stellung des Chefschreibers vgl. M. Luukko, The Administrative Roles of the »Chief Scribe« and the »Palace Scribe« in the Neo-Assyrian Period, SAAB 16 (2007) 227-256.

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Texte aus Mesopotamien

nen Schreiben bezeugen, hat aber auch andere Schriften hinterlassen.24) In drei der von ihm erhaltenen Briefe beantwortet er eine Anfrage des Königs betreffs eines günstigen Termins für eine Vereidigung von Schreibern und anderen Gelehrten. Neuassyrische Keilschrifttafel, 7. Jh. v. Chr. – Publikation: ABL 384 (Rm 73), datiert auf den 19. 12. 673 oder 19. 2. 672 v. Chr. – Bearbeitung: Parpola, LAS Nr. 3; ders., SAA X Nr. 5.

den König, meinen Herrn, folgendermaßen dein Diener Issar-sˇumu-e¯resˇ: dem König, meinem Herrn! Nabû und Marduk mögen den König, meinen Herrn, segnen! (8-11) Der 20., 21. und 25. Tag sind für den Abschluß (Rs. 1-2) des Vertrages gut. (3-6) Wann der König, mein Herr, befiehlt, werden wir Sorge tragen, daß sie abschließen. (Rest unbeschrieben) (Vs. 1-2) An (3-7) Heil

Neuassyrische Keilschrifttafel, 7. Jh. v. Chr. – Publikation: ABL 386 (83-1-18, 9), datiert auf den 1. 7. 672 v. Chr. – Bearbeitung: Parpola, LAS Nr. 1; ders., SAA X Nr. 6.

den König, meinen Herrn, folgendermaßen dein Diener Issar-sˇumu-e¯resˇ: dem König, meinem Herrn! Nabû und Marduk mögen den König, meinen Herrn, segnen! (6-9) Die Schreiber aus Ninive, Kilizi 25) (und) Arba3il [werden] in den Vertrag eintr[eten]. (10-11) Sie sind schon angekommen, die aus Assur aber sind noch ni[cht angekommen].(12-14) Der König, mein Herr, [weiß], sie sind Priester. (15-19) Wenn es dem König, meinem Herrn, genehm ist, mögen die ersteren, die (bereits) angekommen sind, in den Vertrag eintreten. (20-23) Die Leute aus Ninive (und) Kalhu wären dann frei und ˘ (Rs. 1-5) Oder wenn könnten am 8. Tag vor Be¯l (und) Nabû (in den Vertrag) eintreten. der König, mein Herr, es befiehlt, mögen sie gehen, ihre Arbeit verrichten (und) frei werden. (6-10) Am 15. Tag mögen sie zusammenkommen (und) alle dort miteinander in den Vertrag eintreten. (11-15) Doch in den Hemerologien für den Monat Nisannu steht geschrieben: »Am 15. Tag soll er nicht schwören, ein Gott wird ih[n] packen«. (16-19) (Darum) mögen [sie] am 15. Tag am frühen [Morgen] in den Vertrag eintreten (und ihn) in der Nacht zum 16. Tag vor den Sternen abschließen. (Vs. 1-2) An (3-5) Heil

Neuassyrische Keilschrifttafel, 7. Jh. v. Chr. – Publikation: ABL 33 (K 572), datiert auf den 15. 1. 672 v. Chr. – Bearbeitung: Parpola, LAS Nr. 2; ders., SAA X Nr. 7.

den König, meinen Herrn, folgendermaßen dein [Diener] Issar-sˇumu-e¯resˇ: dem König, meinem Herrn! Nabû und Marduk mögen den König, meinen Herrn, segnen! (6-9) Die Schreiber, Opferschauer, Exorzisten, Ärzte (und) Auguren (10-11) mit Anstellung im Palast, die in der Stadt wohnen, (12-14) werden am 16. Nisannu in den Vertrag eintreten. (Rs. 1-3) Jetzt am Morgen mögen sie den Vertrag abschließen. (Rest unbeschrieben) (Vs. 1-2) [An] (3-5) Heil

Neuassyrische Keilschrifttafel, 7. Jh. v. Chr. – Publikation: ABL 673 (81-7-27, 29) – Bearbeitung: Parpola, LAS Nr. 8; ders., SAA X Nr. 14. 24. 25.

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Vgl. ausführlich L. Pearce, PNA, 577-579. Bearbeitung seiner Briefe: LAS Nr. 1-29. Kilizu/i: Provinzhauptstadt, etwa eine Tagesreise östlich von Kalhu gelegen, heute Qasr ˘ ˙ Sˇama¯mok. Vgl. J. N. Postgate, Art. Kilizu, RlA 5 (1976-1980) 591-593.

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den König, meinen Herrn, dein Diener Issar-sˇumu-eresˇ: (3-7) Heil dem König, meinem Herrn! Nabû und Marduk mögen den König, meinen Herrn, segnen! (8-11) Was der König, mein Herr, mir bezüglich der Zella des Nusku schrieb: (12-15) »Suche einen günstigen Tag und schreibe und schicke mir, wie man (sie) errichten soll. (Rs. 1-2) Der Monat Sima¯nu war günstig, der 17. Tag war günstig. (3-6) Jetzt aber ist der Monat zur Gänze verstrichen, wann ist es möglich, daß sie es tun?« (7-10) Der Monat Ulu¯lu ist günstig, er ist der Monat dafür. In ihm sollen sie es tun, in ihm sollen sie (sie) errichten.

(Vs. 1-2) An

4.2.5.2 Bala¯sı¯ Bala¯sı¯, Astrologe und zusammen mit Issar-sˇumu-eresˇ (4.2.5.1) Lehrer des Assurbanipal, hat mehr als dreißig Briefe an den König hinterlassen.26) Als Koautor fungierte dabei des öfteren ein Nabû-ahhe¯-erı¯ba, der ebenfalls Astrologe war. 27) In dem hier ˘˘ übersetzten Brief beantwortet Bala¯sı¯ eine Anfrage des Königs bezüglich der korrekten Lesung eines schwer lesbaren Omentexts. Neuassyrische Keilschrifttafel, 7. Jh. v. Chr. – Publikation: ABL 688 (80-7-19, 21). – Bearbeitung: Parpola, LAS Nr. 39; ders., SAA X Nr. 60. (Vs. 1-2) An

den König, meinen Herrn, dein Diener Bala¯sı¯: (3-5) Heil dem König, [meinem] Herrn! Nabû und Marduk mögen den König, [meinen Herrn], segnen! (5-7) Was die Taf[el] von sˇumma izbu betrifft, 28) wegen der der König, mein Herr, mir folgendermaßen schrieb: »Sch[au nach]! (8-9) [Was] schreibt […] in sˇumma izbu?« (9-11) Da ist eine bestimmte Tafel, in [der …] geschrieben ist. (12-14) Ich schicke (sie) jetzt dem König. (15-17) Vielleicht kann der Schreiber, der (sie) dem König vorl[iest], (sie) nicht verstehen. (Rs. 1-2) s ˇumma izbu ist schwer zu entziffern. (3-5) Gleich am ersten Tag, sobald ich beim König, meinem Herrn, eintrete, (5-10) werde ich auf dieser Tafel, die ich dem König, meinem Herrn, schicke, das Omen, wie es darauf geschrieben ist, dem König, meinem Herrn, zeigen. (10-14) Wahrlich, [der], zu dem [k]ein Finger(zeig) kommt, kann unmöglich verstehen.

4.2.5.3 Adad-sˇumu-usur ˙ Adad-sˇumu-usur, Sohn von Nabû-zuqup-ke¯nu, war ein Onkel von Issar-sˇumu-eresˇ ˙ (4.2.5.1). Zu seinen verschiedenen Interessensgebieten zählte die Tageswählerei. Er zitiert mehrmals den Babylonischen Almanach, und zwar in einer der alten Fassung nahestehenden Version. Er galt aber auch für andere Wissensbereiche als anerkannter Experte und besaß große Kenntnisse in den literarisch-wissenschaftlichen Werken. 29) 26. 27. 28. 29.

Vgl. K. Akerman / K. Radner, PNA 1/II, 254-256 unter Balasî 3. Die beiden schreiben z. B. gemeinsam dem Asarhaddon den von K. Radner in TUAT.NF 3 (2006) 147 übersetzten Brief ABL 78, in dem sie ihre Sorge über die anhaltende Appetitlosigkeit des Königs zum Ausdruck bringen. ˇsumma izbu (»Wenn eine Mißgeburt«) ist der Titel einer Serie von Geburtsomina. Publikation: E. Leichty, The Omen Series sˇumma izbu (TCS 4), Locust Valley 1970; Teilübersetzung von R. Pientka-Hinz in TUAT.NF 4 (2008) 37-38 unter 1.1.6 Geburtsomina. Für Einzelheiten vgl. S. M. Luppert-Barnard, PNA 1/I A, 38-41. Adad-sˇumu-usurs Briefe sind ˙ bearbeitet als LAS Nr. 119-170 und SAA X Nr. 173-177.

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Im folgenden Brief geht es um die Suche nach einem Termin für einen Besuch der Prinzen Asˇsˇur-mukı¯n-pale¯ja und Sîn-per3u-ukı¯n beim König (Asarhaddon). 30) Neuassyrische Keilschrifttafel, 7. Jh. v. Chr. – Publikation: ABL 652 (80-7-19, 22), datiert auf den 9. 2. 669 v. Chr. – Bearbeitung: Parpola, LAS Nr. 145; ders., SAA X Nr. 207.

den König, meinen Herrn, dein [Diener] Adad-sˇumu-usur: (3) Heil dem König, ˙ Herrn, segnen! [meinem] Herrn! (4-5) Nabû und Marduk [mögen] den König, meinen (5-11) Was der König, mein Herr, mir schrieb: »Ist es gut, daß As ˇsˇur-mukı¯n-pale¯ja [zu] mir heraufkommt [und] Sîn-per3u-ukı¯n mit ihm heraufkommt? Kann dieser sich mit ihm treffen? Sie sind getrennt«: (12-14) Sie können zusammen heraufkommen! Der Ajja¯ru ist ein guter Monat, er hat viele gute Tage. (15-17) Der Fuß des Gottes ist ruhig geworden, 31) das ist sehr gut, um zum König, meinen Herrn, heraufzukommen. (18-20) Der König, mein Herr, ist Ausersehener der großen Götter. Der Schatten des König, meines Herrn, (Rs. 1) ist für alles angenehm. (2-4) Sie mögen heraufkommen (und) im guten (und) angenehmen Schatten des Königs, meines Herrn, wandeln. (5-8) Der König, mein Herr, möge ihre Entwicklung sehen, (und) ihre Enkel mögen ebenso vor dem König, meinem Herrn, wandeln. (9-13) Jenes Sprichwort sagt: »Der Mensch ist ein Schatten von Gott.« Ist der Mensch [auch] ein Schatten des Menschen? Der König ist vollkommen ein Ebenbild von Gott! (Vs. 1-2) An

Der im folgenden übersetzte Text auf einem im Querformat beschriebenen Täfelchen war wohl eine Beilage zum obigen Brief. Er dupliziert wesentliche Teile des fragmentarischen Briefs ABL 1140 (= LAS Nr. 243; SAA X Nr. 379) und zitiert aus dem Babylonischen Almanach die günstigen Tage des Monats Ajja¯r. Neuassyrische Keilschrifttafel, 7. Jh. v. Chr. – Publikation und Bearbeitung: Parpola, LAS Nr. 332 (Bu 91-5-9-156); H. Hunger, Astrological Reports to Assyrian Kings (SAA VIII), Helsinki 1992, 97 Nr. 162. (Vs. 1) 10.

Tag: Im Prozeß: Günstig. (2) 12. Tag: Auf der Straße: Günstig. (3) 15. Tag: Vollkommene Saat. (4) 16. Tag: Herzensfreude. (5) 18. Tag: Lagere das Getreide! (6) 20. Tag: Er möge eine Schlange töten (und) wird an die Spitze treten. (7) 22. Tag: Im Prozeß: Günstig. Wunscherfüllung. (8) 24. Tag: Herzensfreude. (Rs. 1)26. Tag: Gute Nachrichten. (2) 27. Tag gänzlich: Günstig. (3) 28. Tag: Er möge eine Schlange töten. (4) 30. Tag: Ein gutes Vorzeichen. (5) Von

30.

31.

110

Adad-sˇumu-usur. ˙

Asˇsˇur-mukı¯n-pale¯ja war ein Sohn Asarhaddons und Bruder des Assurbanipal. Vgl. K. Radner, PNA 1/I, 197-198. Er war wegen seiner schwachen Gesundheit häufig in ärztlicher Behandlung, s. dazu auch unten, 4.2.5.4. Sîn-per3u-ukı¯n war ein weiterer, sonst wenig bekannter Sohn des Asarhaddon. Vgl. J. R. Novotny, PNA 3/I, 1139-1140. Was dieser Satz meint, entzieht sich unserer Kenntnis. Man wird am ehesten an einen Vorgang mit ominöser Bedeutung denken.

Texte aus Mesopotamien

4.2.5.4 Urdu-Nana¯ja Urdu-Nana¯ja war etwa ab 671 v. Chr. Leibarzt des Asarhaddon und der königlichen Familie. Asarhaddon war von schwacher Gesundheit, und so ist es kein Wunder, daß eine größere Zahl von Briefen des Urdu-Nana¯ja an den König erhalten ist. 32) Es ist ganz deutlich, daß Urdu-Nana¯ja wegen seiner besonderen ärztlichen Fähigkeiten ein stark beschäftigter Mann war, so daß er schließlich sogar den König um längeren Urlaub bitten mußte. Mit dem folgenden Brief schickt Urdu-Nana¯ja dem König Medikamente und gibt Anweisungen zur Anwendung. Bei der Krankheit handelt sich um Lupus erythematodes, eine in Schüben auftretende Erkrankung u. a. mit Fieber, Arthritis und Psychosen. Neuassyrische Keilschrifttafel, 7. Jh. v. Chr. – Publikation: ABL 315 (83-1-18, 2), Datum Frühjahr 670 v. Chr. – Bearbeitung: Parpola, LAS Nr. 246 (vgl. den Kommentarteil im Teilband LAS II, 229-238 mit ausführlicher Diskussion älterer Übersetzungsvorschläge und der Bestimmung von Asarhaddons Krankheit); ders., SAA X Nr. 315. (Vs. 1-2) An

den König, meinen Herrn, dein Diener Urdu-Nana¯ja: (3-6) Viel, viel Heil dem König, meinem Herrn! Ninurta und Gula mögen dem König, meinem Herrn, ein frohes Herz (und) gute Gesundheit geben! (7-10) Beständig sagt der König, mein Herr, zu mir: »Warum erkennst du das Wesen dieser meiner Krankheit nicht und verschaffst ihr keine Heilung?« (11-12) Früher sprach ich mit dem König, konnte (ihn bezüglich) seine(r) Symptome aber nicht informieren. (13-16) Jetzt siegele und schicke ich einen Brief, den möge man dem König vorlesen (und) den König, meinen Herrn, informieren. (17-19) Wenn es dem König, meinem Herrn, gefällt, mögen Wahrsagepriester ein Ritual darüber ausführen. (20) Diese Tinktur 33) (Rs. 1-3) möge der König anwenden, vielleicht wird dieses Fieber vom König, meinem Herrn, genommen. (4-6) Diese Tinktur aus Ölen habe ich schon zweimal, dreimal für den König, meinen Herrn, hergestellt, der König kennt sie. (7-9) Wenn der König (es) sagt, möge er (sie) morgen anwenden, sie wird diese Krankheit entfernen. (9-13) Wenn sie die Pflaster zum König hereinbringen, sollen sie, wie sie (es schon) mehrmals gemacht haben, einen Vorhang anbringen, ich werde dann eintreten (und) informieren. (14-15) Vielleicht wird der König schwitzen. (15-18) In dem Beutel schicke ich dem König, meinem Herrn, diese Binden, er möge sie um den Hals wickeln. (18-21) Ich schicke gleichzeitig ein Salbe. Am Tag eines Anfalls möge der König sich einreiben. Urdu-Nana¯ja hatte ein Mittel gegen Nasenbluten hergestellt (er berichtet darüber in dem fragmentarischen Brief CT 53, 105 = LAS Nr. 251 und SAA X Nr. 321) und hat erfahren, daß es falsch angewendet wurde. Außerdem informiert er den König im folgenden Brief über den Gesundheitszustand des Kronprinzen.

32. 33.

Vgl. K. Radner, PNA 3/II, 1411 unter Urdu-Nana¯ja 2. Die dem Brief beigefügte Tinktur.

111

Texte aus Mesopotamien

Neuassyrische Keilschrifttafel, 7. Jh. v. Chr. – Publikation: ABL 108 (K 519). – Bearbeitung: Parpola, LAS Nr. 252 (mit älterer Literatur); ders., SAA X Nr. 322. (Vs. 1-2) An

den König, meinen Herrn, dein Diener Urdu-Nana¯ja: (3-7) Viel, viel Heil dem König, meinem Herrn! Ninurta und Gula mögen dem König, meinem Herrn, ein frohes Herz (und) gute Gesundheit geben! (7-11) Dem Kronprinz geht es sehr gut. Die Behandlung, die wir der Brust antaten und gaben, dauerte 1 3⁄4 Stunde. (11-14) Er war bei Bewußtsein und bei Verstand. Später setzte er sich hin. Wie gut erholt ist er! (Rs. 1-4) Was den Kranken betrifft, dem das Blut aus der Nase läuft, so sagte mir der rab mugi 34): (5-7) »Gestern gegen Abend floß viel Blut«. (7-11) In ihrer Unkenntnis legen sie die Tamponade (falsch) an. Sie drücken (sie) auf den Nasenknorpel (und) (11-13) pressen auf den Knorpel, deswegen kommt Blut heraus. (14-17) Sie sollen (sie) in die Nasenlöcher plazieren. (Das) schneidet (zwar) die Luft ab, die Blutungen (aber) werden zurückgehalten. (18-20) Wenn es dem König gefällt, werde ich morgen hereinkommen (und) informieren. Jetzt möchte ich hören(, wie deine) Gesundheit (ist). Urdu-Nana¯ja fühlt sich gestreßt. Er klagt, daß die gesundheitliche Versorgung der königlichen Familie für ihn zu einer hohen Arbeitsbelastung führte, und bittet den König im folgenden Brief um Urlaub. Neuassyrische Keilschrifttafel, 7. Jh. v. Chr. – Publikation: ABL 109 (K 532). – Bearbeitung: Parpola, LAS Nr. 250 (mit älterer Literatur); ders., SAA X Nr. 320. (Vs. 1-2) An

den König, meinen Herrn, dein Diener Urdu-Nana¯ja: (3-7) Viel, viel Heil dem König, meinem Herrn! Ninurta und Gula mögen dem König, meinem Herrn, ein frohes Herz (und) gute Gesundheit geben! (7-12) Dem Asˇsˇur-mukı¯n-pale¯ja geht es sehr gut. Dieses Fieber, das ihn zweimal, dreimal ergriff, (darüber) braucht sich der König keine Sorgen zu machen. Seine Symptome sind heil (und) in O[rdnu]ng. Ihm geht es gut. (13-15) Dem Baby, dem Kronprinzen (und) [allen anderen] Kindern [des Königs, meines Herrn], geht es gut. (Rs. 1-5) Was die Zahnbehandlung betrifft, worüber der König mir schrieb: Ich fange damit an. Es gibt viele (Möglichkeiten zur) Zahnbehandlung. (6-9) Was der König mir schrieb: »Warst du wirklich über dich selbst in Unruhe«: (9-14) Wann war ich je frei (von Aufgaben)? Ich behandelte den Asˇsˇur-mukı¯n-pale¯ja. Sobald ich sah, daß er gesund war, kam ich wegen der Gesundheit des Königs. (15-18) Jetzt, o König, mein Herr, möge man mir für einen Monat frei geben. Ich will irgendeine Arbeit machen oder ich sterbe!

4.2.5.5 Ze¯ru-ibni Der König (Sargon) hatte von Ze¯ru-ibni, dem Statthalter von Rasappa/Rusa¯fa, 35) ˙ ¯ mil verlangt. ˙ Auskunft über den Verbleib eines Schreibers aus Ninive namens Erra-ga Dieser war vor zwei Jahren nach Rasappa gekommen und ist jetzt verschwunden. ˙ der König nicht, und so wissen wir nicht, Eine Begründung für seine Anfrage gibt 34. 35.

112

Der rabi mugi war ein hoher, öfters als Botschafter eingesetzter Offizier, der alttestamentlich als rab ma¯g in Jer. 39: 3, 13 bezeugt ist. Vgl. CAD M/II 171 s. v. mugu. Ze¯ru-ibni hatte auch das Jahreseponymat für 712 v. Chr. inne.

Texte aus Mesopotamien

warum er ein besonderes Interesse an Erra-ga¯mil hatte. Ze¯ru-ibnis Nachforschungen, über die er dem König berichtet, ergaben, daß Erra-ga¯mil von Unbekannten gefangen genommen und verschleppt wurde. Neuassyrische Keilschrifttafel, 7. Jh. v. Chr. – Publikation: ABL 706 + 1318 (K 1076 + 5420B + 12968). – Bearbeitung: S. Parpola, The Correspondence of Sargon II, Part I: Letters from Assyria and the West (SAA I), Helsinki 1987, 160 Nr. 204. (Vs. 1-3) An

den König, meinen Herrn, dein Diener Ze¯ru-ibni: Heil dem König, meinem Herrn! (4-7) Was den Erra-ga¯mil, den Schreiber aus der Stadt Ninive betrifft, wegen dem der König, mein Herrn, mir schrieb: »Er muß dort sein! (8-10) Forsche nach ihm, ergreife ihn und schicke ihn zur [Überprüfu]ng her!« (10-11) Ich forschte nach ihm (und) (17) befragte (11-17) den Nabû-sˇumu-usur (und) die Schreiber der Stadt Ne¯med-Isˇtar und des ˙ Königs, meines Herrn. (18) Ich brachte folgendes in ErLandes Laqê 36), Untertanen des fahrung: (Rs. 1-5) Er kam vor zwei Jahren her, trat bei Ila¯3ı¯-Be¯l in Dienst (und) arbeitete anweisungsgemäß bei ihm. (6-9) Im letzten Jahr, noch zu Lebzeiten von Ila¯3ı¯-Be¯l, kam ein Spurensucher (und) nahm ihn mit. (10-11) Sie entführten ihn ins Land jenseits des Flusses.

4.2.5.6 Urdu-Nabû Götter und Menschen haben nach altorientalischer Vorstellung viele Gemeinsamkeiten. Beide besitzen Häuser, machen Reisen, gründen Familien und bekommen Kinder. Von der kultisch nachvollzogenen Hochzeit des Nabû und der Tasˇme¯tu handeln mehrere Briefe. 37) Die Zeremonie dauerte mehrere Tage und fand in der Stadt Kalhu ˘ statt. Urdu-Nabû, Priester des Nabû-Tempels in Kalhu, 38) schreibt dem König (Asar˘ haddon) wegen Opfern für den König und seine Familie am 4. Tag von Nabûs Hochzeitsfest. Urdu-Nabûs Briefe zeichnen sich durch eine übertriebene Häufung devoter Ergebenheitsadressen aus. Neuassyrische Keilschrifttafel, 7. Jh. v. Chr. – Publikation: ABL 113 (K 501); C. F. Lehmann-Haupt, AB 8 (1892) Tf. XI-XII. – Bearbeitung: Matsushima, ASJ 9 (1987) 136-138; S. W. Cole / P. Machinist, Letters from Priests to the Kings Esarhaddon and Assurbanipal (SAA XIII), Helsinki 1998, 52 Nr. 56. (Vs. 1-3) An

den König, meinen Herrn, dein Diener Urdu-Nabû: Heil dem König, meinem Herrn! (4-7) Assur, Sîn, Sˇamasˇ, Marduk, Sarpanı¯tu, Nabû, Tasˇme¯tu, Isˇtar von Ninive (und) Isˇtar von Arba3il, diese großen Götter,˙(8-10) die dein Königtum lieben, mögen dem König, meinem Herrn, 100 Jahre Leben schenken. (11-14) [Mit hohem Al]ter (und) Lebens36. 37.

38.

Die beiden Lokalitäten liegen im Bereich des mittleren Euphrat. Weitere Briefe zum Hochzeitsfest von Nabû und Tasˇme¯tu schrieben Nabû-sˇumu-iddina, Aufseher des Nabû-Tempels in Kalhu (an den Kronprinzen Assurbanipal [ABL 68, übersetzt von K. Radner in TUAT.NF 3, 148]),˘ und Nergal-sˇarrani (an Asarhaddon [ABL 366, vgl. Radner, TUAT.NF 3, 149]). Ähnliche Feiern wurden auch an anderen Orten Mesopotamiens begangen. In Babylonien, wo Uruk und Borsippa fragliche Orte sind, lautete der Name der Braut allerdings Nana¯ja. Vgl. zusammenfassend E. Matsushima, Le Rituel Hiérogamique de Nabû, ASJ 9 (1987) 131-175. Zu diesem Herrn vgl. K. Radner, PNA 3/II, 1408-1409 unter 5.

113

Texte aus Mesopotamien

kraft mögen sie den König, meinen Herrn, sättigen. Eine Wache des Heils (und) des Lebens mögen sie dem König, meinem Herrn, gewähren. (15-17) Am 4. Tag des Monats Ajja¯ru betreten Nabû (und) Tasˇme¯tu das Bettgemach. (17-19) Schon am Anfang [deines] König[tums] habe ich die Opfer, [die dem König, meinem Herrn], (Rs. 1-2) Leben verlei[hen], vor Nabû [(und) Tasˇme¯tu ausgeführt]. (3-5) Jetzt sch[reibe ich dem König], meinem Herrn, [ … ]. (6-11) Für die Opfer für Assurbanipal, den gro[ßen Kronpr]inzen, für Sˇamasˇ-sˇumu-ukı¯n, den Kronprinzen von Babylon, für die Sˇeru¯3a-e¯tirat, für Asˇsˇur˙ mukı¯n-pale¯ja (und) für Asˇsˇ[ur-et]el-sˇamê-erseti-muballissu habe ich Anweisung gege˙ ˙ ben. 39) (11-13) Ich [werde] ihre Opfer [hintragen und v]or Nabû (und) Tasˇme¯[tu] im (14-17) [Be]ttgemach ausführen. 100 Jahre Leben mögen sie ihnen schenken. Ihre Kinder (und) ihre Kindeskinder werden alt werden. Der König, mein Herr, wird es sehen!

4.3 Lexikalische Texte und Schultexte

Niek Veldhuis 4.3.1 Die frühesten Epochen: 3200-2000 v. Chr.

Die ersten lexikalischen Texte sind aus der Zeit der Entstehung der Keilschrift im ausgehenden 4. Jt. v. Chr. überliefert. Diese archaischen lexikalischen Kompositionen waren einigermaßen standardisiert und existieren in mehreren (in der Regel sehr fragmentarischen) Kopien. Die archaischen lexikalischen Listen wurden das ganze 3. Jahrtausend hindurch und sogar bis in die altbabylonische Zeit (frühes 2. Jt. v. Chr.) hinein weitertradiert. Man findet sie nicht nur im eigentlichen Babylonien, sondern auch in anderen Gebieten, wo die Keilschrift in Gebrauch war (Ebla in Syrien und Susa im heutigen Iran). Es ist nicht klar, ob die lexikalischen Texte aus dem 3. Jt. v. Chr. ›Schultexte‹ im herkömmlichen Sinne des Wortes waren. Sie bewahren archaisches Sprachgut, das mit dem im alltäglichen Schulbetrieb verwendeten Wortschatz nur wenig zu tun hatte.

Ein Exzerpt aus der Berufsliste Keilschrifttafel aus der Zeit um 2500 v. Chr. – Herkunft: Sˇuruppak (Fara). – Aufbewahrungsort: Vorderasiatisches Museum, Berlin (VAT 12772). – Publikation: A. Deimel, Schultexte aus Fara (WVDOG 43), Leipzig 1923 (= SF), Nr. 76; http://cdli.ucla.edu/P010672 (Photo) – Weitere Literatur (Studien zu SF 76 sowie Arbeiten, in denen die Berufsliste ED Lu A als Ganzes besprochen wird): B. Landsberger / E. Reiner / M. Civil, A Reconstruction of Sumerian and Akkadian Lexical Lists (MSL XII), Roma 1969, 9 (Text M); E. Arcari, La 39.

114

Sˇamasˇ-sˇumu-ukı¯n, nach dem vorzeitigen Tod des ältesten Asarhaddon-Sohns Sîn-aplu-iddina der eigentliche Thronerbe, wurde, als sein jüngerer Bruder Assurbanipal auf Betreiben seiner Großmutter Zaku¯tu (vgl. den von ihr erwirkten Loyalitätsvertrag in TUAT.NF 2 [2005] 91-93) den Vorzug als assyrischer Thronfolger erhielt, König des von Assyrien abhängigen Babylon. Sˇeru¯3a-e¯tirat war Tochter, Asˇsˇur-mukı¯n-pale¯ja und Asˇsˇur-etel-sˇamê-erseti-muballis˙ ˙ ˙ su waren Söhne Asarhaddons.

Texte aus Mesopotamien

lista di professioni »Early Dynastic LU A«. Esempio di metodo di analisi dei rapporti tra le scuole scribali del III millennio a. C. (Suppl. n. 32 agli ANNALI 42 [1982], 3), Napoli 1982; F. A. M. Wiggermann, Scenes from the Shadow Side, in: M. E. Vogelzang / H. L. J. Vanstiphout (Hg.) Mesopotamian Poetic Language: Sumerian and Akkadian (CM 6), Groningen 1996, 207-230; C. Wilcke, ED LÚ A und die Sprache(n) der archaischen Texte, in: W. H. van Soldt / R. Kalvelagen / D. Katz (Hg.), Ethnicity in Ancient Mesopotamia. Papers Read at the 48th Rencontre Assyriologique Internationale, Leiden, 1-4 July 2002 (PIHANS 102), Leiden 2005, 430-445. J. Taylor, Lexicographical Study of the Already-Ancient in Antiquity, in: R. D. Biggs / J. Myers / M. T. Roth (eds.), Proceedings of the 51st Rencontre Assyriologique Internationale, Held at the Oriental Institute of the The University of Chicago, July 18-22, 2005 (SAOC 62), Chicago 2008, 203-210; A. Bourgignon, La liste Lú A et la hiérarchie des fonctionnaires sumériens, in: G. Wilhelm (Hg.) Organization, Representation, and Symbols of Power in the Ancient Near East. Proceedings of the 54th Rencontre Assyriologique Internationale at Würzburg, 20-25 July 2008, Winona Lake 2012, 249-256; N. Veldhuis, History of the Cuneiform Lexical Tradition (GMTR 6), Münster 2014, 68; 72-76.

Die Tontafel SF 76 enthält ein Exzerpt der ersten 22 Zeilen der häufigsten lexikalischen Liste des 3. Jahrtausends, der Berufsliste (ED Lu A). Auf der Rückseite ist eine Zeichnung zu sehen, die einer Karte ähnlich ist, mit dem Zeichen für »Berg« in der Mitte und vier Zeichen für »Feld« um es herum. Jedes der vier Felder grenzt an einen Kanal. Der Textauszug auf der Vorderseite ist kaum übersetzbar; viele der Vokabeln wurden Mitte des 3. Jt. v. Chr. nicht mehr benutzt, und ihre ursprüngliche Bedeutung ist meistens nicht mehr greifbar. Die Berufsliste ED Lu A war streng standardisiert und ist durch viele Abschriften bekannt. Einige der jüngsten (altbabylonischen) Duplikate enthalten Glossen. (I 1) Herrscher (2) hoher

Beamter

(3) Ratgeber (4) Berater (5) Stadtfürst (6) ein

Beamter

(7) Obermetzger (II 8) Oberlandwirt (9) Tierhändler (10) ein

priesterliches Amt

(drei Zeilen abgebrochen) (14) Ober-s ˇita-Priester (15) Weiser (III 16) Versammlungsleiter (17) Hofbeamter (18) Wesir (19) gada

sukkal

115

Texte aus Mesopotamien (20) ga

gal 2 gara (22) Obergärtner (21) tug

4.3.2 Altbabylonische Zeit (2000-1600 v. Chr.)

Altbabylonische lexikalische Texte sind sehr oft Schultexte, die häufig mehr als eine Übung pro Tontafel enthalten. Ein Tontafelformat, das in Nippur besonders häufig vorkommt, hat auf der Vorderseite eine neue Übung, die von Lehrerhand stammt. Die rechte Seite wurde leer gelassen, damit der Schüler das vom Lehrer Geschriebene kopieren konnte. Auf der Rückseite kopierte der Schüler Material, das er bereits auswendig beherrschte. Die meisten altbabylonischen lexikalischen Texte sind in sumerischer Sprache geschrieben, die zu dieser Zeit bereits eine alte Sprache war. Angehende Schreiber erwarben profunde Sumerischkenntnisse, indem sie Wort- und Zeichenlisten und später auch sumerische literarische Texte kopierten.

Ein altbabylonischer Schultext aus Nippur Keilschrifttafel aus der Zeit um 1800 v. Chr. – Herkunft: Nippur. – Aufbewahrungsort: Tontafelsammlung des University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology, Philadelphia (UM 29-16-31). – Publikation: N. Veldhuis, Guardians of Tradition: Early Dynastic Lexical Texts in Old Babylonian Copies, in: H. D. Baker / E. Robson / G. Zolyomi (Hg.), Your Praise is Sweet. GS J. Black, London 2010, 388-389 (Kopie); http://oracc.org/ dcclt/P228700 (Edition).

Die hier übersetzte Tontafel enthält ein Exzerpt aus einer Zeichenliste (altbabylonisch Ea) auf der Vorderseite und ein Exzerpt aus einer Tierliste (altbabylonisch Ura Teil 3) auf der Rückseite. Die Zeichenliste auf der Vorderseite ist in drei Kolumnen organisiert: Strichpunkt (ein einzelner senkrechter Keil – hier durch } wiedergegeben), Glosse, Zeichen. Die meisten Zeichen haben im Sumerischen mehr als eine Lesung, und deshalb kann ein Zeichen mehrmals wiederholt werden. Um den Aufbau des Textes deutlich zu machen, ist der Auszug aus der Zeichenliste nach den in der Assyriologie üblichen Konventionen transliteriert, wobei jedem sumerischen Wort in Klammern eine deutsche Übersetzung beigegeben wird. Einige Einträge auf der Rückseite sind zwar abgebrochen, können aber durch andere Exzerpte ergänzt werden; die Ergänzungen werden in der Übersetzung nicht eigens markiert. Obwohl die Tierliste insgesamt einen relativ standardisierten Text aufweist, werden in dieser Übung Einträge, die aus anderen Exzerpten bekannt sind, nicht selten übersprungen. Der Textauszug enthält den Übergang von domestizierten Tieren (Kälbern und Equiden) zu Wildtieren. (Vs. 1) } (2) } (3) }

116

ir ti-in mi-ir

NIMGIR NIMGIR NIMGIR

(Herold) (?) (wütend)

Texte aus Mesopotamien (4) } (5) } (6) } (7) } (8) } (9) } (10) } (11) } (12) } (13) } (14) } (15) } (16) } (17) } (18) } (19) } (20) } (21) } (22) }

ib2 da-la u4-ra-asˇ un ka-lam ru-u3 sˇu-ub i-la-ar gˆesˇ-pa wi-i we-e wa-a ta-al gˆesˇ-tu-nu gu-um na-gˆa2 ga-az in-da agˆ2

IB IB IB KALAM KALAM RU RU RU RU PI PI PI PI PI KUM KUM GAZ NINDA2 ˆ2 AG

(Verbalpräfix) (Gürtel) (eine Göttin) (Menschen) (Heimatland) (die Silbe /ru/) (fallen) (eine Wurfwaffe) (eine Waffe?) (die Silbe /wi/) (die Silbe /we/) (die Silbe /wa/) (breit sein) (Ohr) (zerstoßen) (Mörser) (töten) (Saattrichter) (darmessen)

(Rs. I 1) Kalb (2) Milchkalb (3) Milch

trinkendes Kalb essendes Kalb (5) Milch säugendes Kalb (6) verspieltes Kalb (7) starkes Kalb (8) ungestümes Kalb (9) dreijähriges Kalb (10) zweijähriges Kalb (11) einjähriges Kalb (12) weißes Kalb (13) schwarzes Kalb (14) braunes Kalb (15) gelbes Kalb (16) Esel (17) dusu-Equide (18) Onager (19) schreiender männlicher Esel (20) junger männlicher Esel (21) einzelner junger männlicher Esel (22) Esel der Steppe (23) nuna-Esel (24) Maulesel (25) gesattelter Esel (26) Packesel (4) Milch

117

Texte aus Mesopotamien (27) Pferd (II 1) Eselin (2) Eselin

(alternative Schreibung des gleichen Wortes) Eselin (4) schwangere Eselin (5) Eselin, die geboren hat (6) Eselin, die nicht geboren hat (7) Eselin, die gepaart hat (8) Eselin, die nicht gepaart hat (9) Schlange (10) wilde Schlange (11) Nirah-Schlange ˘ (12) Drache (13) Steinschlange (14) Wasserschlange (15) Staubschlange (16) Nestschlange (17) Grasschlange (18) riba-Pflanze-Schlange (19) Erdspaltenschlange (20) Wüstenschlange (21) Dachbalkenschlange (22) Mutterschoßschlange (23) siebenköpfige Schlange (24) zweizüngige Schlange (25) führende Schlange (26) Hörner hebende Schlange (Viper) (III 1) Dünndarmschlange (2) Schlange der wachsenden g ˆ iri-Pflanze (3) Knoten der Weinschlange (4) blinde Schlange (5) Löwe (6) Löwin (7) Wolf (8) domestizierter Hund (9) Dachs (10) kleiner Hund (11) Wölfchen (12) Tiger (13) Schakal (14) Bär (15) Löwe (16) Leopard (17) brüllender Löwe (18) Hündin (3) schwangere

118

Texte aus Mesopotamien (19) Hündin

mit Hündchen

(20) Katze (21) Luchs (22) Fuchs (23) Otter(?) (24) Affe (25) Äffin (26) Rotwild (IV 1) Wildschaf (2) Gazelle (3) Gazellenjunges (4) Wildschaf (5) Damwild (6) Wildziege (7) Hirsch (8) kunus ˇ (9) Stachelschwein(?) (10) Flußpferd (11) Wildstier (12) Elefant (13) baktrisches

Kamel

(14) Wildkuh (15) Hyäne (16) Wildkuh (17) Tiere

(allgemein)

(18) Landtiere (19) Vielzahl

(von Tieren) (von Menschen) (21) Tiere der Steppe (22) Parasit (23) Parasit (24) Parasit (25) Parasit (26) ein Insekt (27) Insektenbiß (28) Parasit (20) Vielzahl

4.3.3 Mittelbabylonische Zeit (1500-1000 v. Chr.)

Lexikalische Texte der mittelbabylonischen Zeit kommen mehrheitlich aus Orten außerhalb Babyloniens: Ugarit, Emar und Alalah (Syrien); Hattusˇa (Türkei); Amarna ˘ (Ägypten) und aus Assur, der Hauptstadt des mittelassyrischen Reiches. Die lexikalischen Texte, die wir aus Babylonien haben, sind oft kleine Übungen mit einem Ex-

119

Texte aus Mesopotamien

zerpt aus einem lexikalischen Text auf der einen und einem Exzerpt aus einem literarischen Text auf der anderen Seite der Tontafel.

Eine mittelbabylonische Übung aus Nippur Keilschrifttafel aus der Zeit um 1300 v. Chr. – Herkunft: Nippur. –Aufbewahrungsort: Tontafelsammlung des University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology, Philadelphia (UM 29-16-35). – Publikation: N. Veldhuis, Kassite Exercises: Literary and Lexical Extracts, JCS 52 (2000) 67-94; http://oracc.org/dcclt/P256648 (Edition, Übersetzung). – Weitere Literatur: A. Bartelmus, Fragmente einer großen Sprache. Sumerisch im Kontext der Schreiberausbildung des kassitenzeitlichen Babylonien, Bd. 1-2 (UAVA 12), Boston / Berlin 2016.

Die hier übersetzte Übung bietet auf der Vorderseite ein kurzes Exzerpt aus der sumerischen Erzählung Inanas Gang in die Unterwelt. Der Text ist fragmentarisch erhalten, und die Übersetzung ist ergänzt aus der altbabylonischen Version des Mythos. Die Rückseite hat 10 Zeilen aus der Götterliste An : Anum. Bei An : Anum handelt es sich um eine sehr umfangreiche mittelbabylonische Götterliste, die tausende Götternamen in Familien mit (göttlichen) Dienern und Haushaltsangehörigen einordnete, welche wiederum einigen wenigen Hauptgottheiten zugeordnet wurden. In der linken Kolumne wird der Name der Gottheit, in der rechten ihre Funktion bzw. ihr Verwandtschaftsverhältnis angegeben.40) Das vorliegende Exzerpt stammt von der Tafel, die Nungal, die Göttin des Gefängnisses, und ihren Gemahl Birtu behandelt. Die Namen mehrerer Gottheiten erinnern an unangenehme Aspekte eines Gefängnisaufenthaltes: Zwangsarbeit, Läuse, und Fesseln. ging [zur Unterwelt. Ihre] Gesandte [Ninsˇubur ging ihr hinterher. Sie sagte zu] ihrer Gesandten Ninsˇubur: Am Tag, an dem [ich] in die Unterwelt [hinuntersteige], am Tag, an dem [ich] in der Unterwelt [ankomme], veranstalte eine Klage [für mich auf den Ruinenhügeln, schlag die Trommel für mich] in der Versammlung. (Rs. 1) Ninguharana [Hauptverwalter von Nungal] (2) Nintihal ˘ Schutzgeist des Tempels (von Nungal) ˘ (»Zwangsarbeit«) (3) Dulum ihr Sohn (4) Uplum (»Laus«) Laus (5) Uplum (»Laus«) dito (Laus): zwei Berater von Nungal ¯ turammi (»laß nicht fliehen!«) (6) E Wesir von Birtu ˇ usaduga (7) S Sˇusaduga ˆ esˇ-sˇu (8) G Handfesseln ˆ esˇ-gˆir (9) G Fußfesseln ˆ esˇ-gu (10) G Zwingstock (Vs.) [Inana]

40.

120

Zu An : Anum vgl. ausführlich oben, Abschnitt 1.2.1.

Texte aus Mesopotamien

4.3.4 Das 1. Jt. v. Chr.

Lexikalische Texte aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. sind fast immer zweisprachig (Sumerisch : Akkadisch). Die Praxis, eine zweite, erläuternde Kolumne hinzuzufügen, begann bereits in der altbabylonischen Zeit und wurde allmählich zum Standard für alle lexikalischen Texte. Aus dem 1. Jahrtausend besitzen wir tausende Übungstexte, die in der Regel sehr kurze Textauszüge aus diversen literarischen und lexikalischen Kompositionen vereinen. Außerdem besitzen wir Bibliothekstexte aus verschiedenen Stätten, inklusive die Tontafelsammlungen aus der königlichen Residenz in Ninive.

Eine neubabylonische Übung Keilschrifttafel aus der Zeit um 500 v. Chr. – Herkunft: Nippur. –Aufbewahrungsort: Tontafelsammlung des University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology, Philadelphia (CBS 8801). – Publikation: M. J. Geller, Healing Magic and Evil Demons. Canonical Udug-hul Incantations (BAM 8), Boston / Berlin 2016, Pl. 28 (Kopie); 138 (Photo); http://oracc.org/dcclt/P263622 (Edition, Übersetzung). – Weitere Literatur: P. D. Gesche, Schulunterricht in Babylonien im ersten Jahrtausend v. Chr. (AOAT 275), Münster 2000; Veldhuis, History of the Cuneiform Lexical Tradition, 411-413.

Die Übung beinhaltet kurze Textauszüge aus den Beschwörungsserien Sagˆba Sagˆba (Abschnitte 1 und 2), Asakku (Abschnitt 3) und Udughul (Abschnitt 4). Jeder Auszug ˘ ist zweisprachig (Sumerisch : Akkadisch). Auf der Rückseite befinden sich zwei Exzerpte aus der umfangreichen thematischen lexikalischen Serie Ura = hubullu. Die ˘ Auszüge stammen von den Tafeln 3 (Bäume) und 4 (Holzmöbel) der Serie, die 24 Tafeln umfaßte. (Vs. 1) mögen

sie (Akk.: er) seine Flügel abschneiden. der sich aus dem Fenster lehnt, (3) mögen sie ihn am Nacken schlachten! (4) Der, der durch das Seitenfenster schaut, (2) Den,

(5) Wohin

ich ging, darfst du nicht gehen. ich eintrete, tritt nicht ein. (8-9) Ihr dürft euch meinem Haus nicht nähern! (10) Er läßt die Tiere tot umfallen; (11-12) die Lebewesen, egal wie sie heißen, die im Lande sind, (13-14) sind ihm von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang überantwortet, und er herrscht über sie. (15-18) [Beschwörung]. Ich bin von Namma, ich bin der Mann der Nans ˇe, ich bin [der Beschwörungspriester, der das Land heilt,] (6-7) Wo

Sumerisch (Rs. 1) mes-Pappel (2) mes-Pappel (3) ilru-Baum (4) illuru-Baum

Akkadisch kaptaru-Baum zanzaniqqum-Baum dito dito 121

Texte aus Mesopotamien (5) zanzanikkum-Baum (6) Weide (7) dunkle

Weide

(8) Schicksalsbaum (9) Baum

des Schicksals

(10) Schicksalsbaum (11) Baum,

der Schicksal trägt

(12) billa-Baum (13) billa-Baum-Pflanze (14) Stuhl

mit Griffen, mit Bronze überzogen mit Griffen, mit gˆesˇkin überzogen (16) Stuhl mit Griffen, mit Leder bezogen (17) Buchsbaumstuhl (18) Stuhl aus mes-Holz (19) Ebenholzstuhl (20) Kirschholzstuhl (21) s ˇagkal-Stuhl (22) Stuhl aus mes-Holz (15) Stuhl

dito Weide dunkle Weide Mandragora dito dito dito dito dito Stuhl mit Griffen, mit Bronze überzogen dito mit dito, dito mit kisˇkanû-Holz dito mit dito, mit Leder bezogen dito aus Buchsbaumholz aus mes-Holz aus Ebenholz aus Kirschholz aus sˇakkullu-Holz […]

4.4 Texte des juristischen Curriculums der Schreiberausbildung

Hans Neumann Das Curriculum der Schreiberausbildung im alten Mesopotamien beinhaltete auch die Vermittlung juristischen Wissens und rechtlicher Regelungen, verbunden mit dem Erlernen von Vertragsformularen und -klauseln sowie des entsprechenden Vokabulars. Die juristische Ausbildung sollte den angehenden Schreiber letztlich befähigen, Rechtsurkunden juristisch korrekt ausfertigen, als Verwaltungsbeamter entsprechend agieren sowie in ausgewählten Fällen auch in richterlicher Funktion auftreten zu können. In altbabylonischer Zeit in der ersten Hälfte des 2. Jt. v. Chr. gehörte zum juristischen Curriculum der Schreiberausbildung das Studium der bis dahin jeweils vorliegenden Rechtssammlungen (in sumerischer und akkadischer Sprache), wie die des Ur-Namma von Ur (21. Jh. v. Chr.), des Lipit-Esˇtar von Isin (20. Jh. v. Chr.) und des Hammu-ra¯pi von Babylon (18. Jh. v. Chr.), wovon entsprechende Abschriften Zeug˘ ablegen. Bei den aus Tell Harmal, dem antiken Sˇaduppûm, und aus Tell Hadda¯d nis ˙ Tontafeln mit dem Text (bzw. Textauszügen) des ˙ sog. im Hamrı¯n-Gebiet stammenden ˙ Codex Esˇnunna aus dem 18. Jh. v. Chr. handelt es sich gleichfalls um (Schul-)Abschriften. Auch das sog. neubabylonische Gesetzesfragment aus dem 1. Jt. v. Chr. ist als eine Schultafel zu charakterisieren, die Auszüge aus verschiedenen Vorlagen bietet und möglicherweise auch Übungen zu einzelnen Urkundenklauseln enthält. 41) 41.

122

Zu den genannten akkadischen Rechtssammlungen (Codex Hammu-ra¯pi, Codex Esˇnunna ˘ von R. Borger in TUAT I/1 und neubabylonisches Gesetzesfragment) vgl. die Übersetzungen

Texte aus Mesopotamien

Die Beschäftigung mit den jeweiligen spezifischen juristischen Regelungen war mit einer auf Innovation und Präzisierung im Regelwerk wie auch in der juristischen Praxis gerichteten Gelehrtendiskussion verbunden, was sich sowohl in den Rechtssammlungen selbst zeigt 42) als auch durch die sog. literarischen Gerichtsurkunden deutlich wird. Letztere dokumentieren zur Übung verfaßte fiktive Rechtsfälle samt Prozeßentscheidung. Diese Texte dienten zum einen der Vermittlung von Kenntnissen in bezug auf die Spezifika der Prozeßführung sowie hinsichtlich geltender und anzuwendender rechtlicher Regelungen, bildeten zum anderen aber auch die Grundlage für eine weitergehende juristische Diskussion, die in Teilen durchaus juristisch-dogmatisches Denken einschloß. 43) Im Rahmen der Schreiberausbildung kam auch die zweisprachige (sumerisch-akkadische) Serie ana ittisˇu 44) zur Anwendung, bei der es sich um eine Zusammenstellung von Kontraktklauseln, juristischen Fachtermini und anderem insbesondere aus den Bereichen des Schuld-, Ehe- und Prozeßrechts handelt. 45) Die Beschäftigung mit

42.

43.

44.

45.

(1982) 32-80 und 92-95; darüber hinaus jetzt auch M. T. Roth, Law Collections from Mesopotamia and Asia Minor (SBL Writings from the Ancient World 6), Atlanta 1995, 57-149 und 251-253 (Quellen und Literatur); speziell zum Codex Hammu-ra¯pi auch J. Oelsner, Zur Ein˘ teilung des Kodex Hammu-ra¯pi im Altertum, ZAR 18 (2912) 79-125; zum neubabylonischen ˘ Oelsner, Erwägungen zu Aufbau, Charakter und Datierung des sog. Gesetzesfragment J. »Neubabylonischen Gesetzesfragments«, AoF 24 (1997) 219-225. Zu den sumerischen Rechtssammlungen des Ur-Namma und des Lipit-Esˇtar vgl. C. Wilcke, Gesetze in sumerischer Sprache, in: N. Koslova / E. Vizirova / G. Zólyomi (Hg.), Studies in Sumerian Language and Literature. FS J. Krecher, Winona Lake 2014, 455-616. Vgl. etwa die textkritische Übernahme älterer Bestimmungen unter dem Gesichtspunkt der weiteren Präzisierung von Tatbeständen; dazu (mit Literatur) H. Neumann, Bemerkungen zu einigen Aspekten babylonischen Rechtsdenkens im Spannungsfeld von Theorie und Praxis, in: E. Cancik-Kirschbaum / M. van Ess / J. Marzahn (Hg.), Babylon. Wissenskultur in Orient und Okzident (Topoi. Berlin Studies of the Ancient World I), Berlin / Boston 2011, 165 f. Vgl. dazu ausführlich H. Neumann, Prozeßführung im Edubba3a. Zu einigen Aspekten der Aneignung juristischer Kenntnisse im Rahmen des Curriculums babylonischer Schreiberausbildung, ZAR 10 (2004) 71-92; darüber hinaus jetzt auch J. Klein / T. M. Sharlach, A Collection of Model Courtcases from Old Babylonian Nippur (CBS 11324), ZA 97 (2007) 1-25; A. R. George, Babylonian Literary Texts in the Schøyen Collection (CUSAS 10), Bethesda 2009, 123-152 (Nr. 17, betreffend eine akkadische literarische Prozessurkunde der altbabylonischen Zeit) und 146 f.; R. Westbrook, A New Look at the Nippur Homicide Trial, in: W. Horowitz / U. Gabbay / F. Vukosavovic´ (Hg.), A Woman of Valor. FS J. G. Westenholz (BPOA 8), Madrid 2010, 195-200; G. Spada, Old Babylonian Model Contracts and Related Texts, in: A. R. George / G. Spada, Old Babylonian Texts in the Schøyen Collection, Part 2: School Letters, Model Contracts, and Related Texts (CUSAS 43), University Park 2019, 120-123 (Nr. 58-59). Vgl. im vorliegenden Zusammenhang unter dem Gesichtspunkt der Rhetorik und (juristischen) Argumentation auch W. Sallaberger, C. Literale Kulturen. I. Alter Orient. 1. Mesopotamien, in: G. Ueding (Hg.), Rhetorik. Begriff – Geschichte – Internationalität, Tübingen 2005, 256. Nach den Anfangsworten der Serie benannt: »auf Abruf zur vereinbarten Zeit« (AHw 406b); zu ki-ulutin-bi-sˇè : ana ittisˇu vgl. ausführlich (mit Literatur) M. T. Roth, Scholastic Tradition and Mesopotamian Law: A Study of FLP 1287, a prism in the Collection of the Free Library of Philadelphia. University of Pennsylvania, Ph.D. Diss. 1979, 287-303; I. Arkhipov, ittum « signe » et ittum « moment » en paléobabylonien, in: G. Chambon / M. Guichard / A.-I. Langlois (Hg.), De l’argile au numérique. Mélanges assyriologiques en l’honneur de Dominique Charpin. FS D. Charpin I (PIPOAC 3/1), Leuven / Paris / Bristol 2019, 56-67. Vgl. B. Landsberger, Die Serie ana ittisˇu (MSL I), Roma 1937.

123

Texte aus Mesopotamien

dieser Serie, die in Kopien der mittel- und neuassyrischen Zeit erhalten ist, 46) diente dem Erlernen und dem Üben des Gebrauchs der sumerischen und akkadischen Vertragsterminologie. Denselben Zweck erfüllten die als Tafel I und II überlieferten Teile der lexikalischen Serie ur5-ra = hubullu. 47) Ihre Vorläufer hatten diese Serien in den ˘ einsprachigen (sumerischen) juristischen Vokabular- bzw. Formulartexten (legal phrasebooks) der altbabylonischen Zeit. 48) Bereits auf einer etwas niederen Stufe des Ausbildungsgangs waren Kenntnisse der Vertragsterminologie die Grundlage für das Schreiben von Urkunden wirtschaftlichen und juristischen Inhalts seitens der jeweils involvierten Geschäftsleute auch ohne Zuziehung professioneller Schreiber, wie sich dies etwa im Urkundenmaterial aus Nippur des ausgehenden 3. Jt. Chr. widerspiegelt. 49) Neben Vorschriftensammlungen und weiteren juristisch relevanten Kompilationen 50) sind auch sog. Musterverträge (model contracts) Zeugnisse für die Vermittlung juristischer Kenntnisse im Rahmen der Schreiberausbildung. Dieses Textcorpus 51) diente dem Üben im Formulieren ganzer Verträge. Inhaltlich handelt es sich dabei vornehmlich um Kontraktbeispiele aus den verschiedenen Bereichen des Familien(vermögens)- und Schuldrechts sowie die Sklavenfreilassung betreffend. Das Üben im Ausfertigen von Verträgen läßt sich an Hand der keilschriftlichen Überlieferung bis in die zweite Hälfte des 1. Jt. v. Chr. nachweisen.52)

4.4.1 Zwei altbabylonische Vokabular- und Formulartexte (Sippar-Tradition)

Die lexikalisch-juristische Überlieferung der altbabylonischen Zeit (1. Hälfte 2. Jt. v. Chr.) aus Sippar 53) bietet Sammlungen von sumerischen Wörtern, die für die Vertragsausfertigung von Bedeutung waren. Dazu gehören z. B. Begrifflichkeiten der Darlehensvergabe, Verwandtschafts- und Sozialbezeichnungen, Felderarten, Zeitbestimmungen u. a. m. Hinzu kommen spezifische Verbalparadigmen, die in Kontrakten Verwendung fanden, verbunden mit der Vorlage von ganzen Musterverträgen. 46. 47. 48.

49. 50.

51. 52. 53.

124

Vgl. dazu unten mit Anm. 65. Vgl. B. Landsberger, The Series HAR-ra = hubullu, Tablets I-IV (MSL V), Roma 1957; Roth, ˘ ˘ Scholastic Tradition, 13 f. Vgl. N. Veldhuis, History of the Cuneiform Lexical Tradition (GMTR 6), Münster 2014, 188-194; C. J. Crisostomo, Translation as Scholarship. Language, Writing, and Bilingual Education in Ancient Babylonia (SANER 22), Boston / Berlin 2019, 91 f.; Spada, CUSAS 43 (2019) 147-153. Vgl. C. Wilcke, Wer las und schrieb in Babylonien und Assyrien. Überlegungen zur Literalität im Alten Zweistromland (SBAW 2000/6), München 2000. Vgl. den Überblick bei Roth, Scholastic Tradition, 15 f.; dies., The Scholastic Exercise »Laws about Rented Oxen«, JCS 32 (1980) 141 f. sowie die Bearbeitung entsprechender Texte bei ders., Law Collections, 40-54 und 250 f. (Quellen); vgl. auch Spada, CUSAS 43 (2019) 117-126 und 154 (mit Literatur). Vgl. G. Spada, Two Old Babylonian Model Contracts, CDLJ 2/2014, 1 Anm. 6 (Textzusammenstellung); Nachträge bei ders., CUSAS 43 (2019) 73 Anm. 1, sowie ebd. 73-117. Vgl. P. D. Gesche, Schulunterricht in Babylonien im ersten Jahrtausend v. Chr. (AOAT 275), Münster 2001, 147 f. Weitere Fundorte von Texten der sog. Sippar-Tradition sind neben Sippar u. a. auch Babylon und Kisˇ; vgl. Veldhuis, Cuneiform Lexical Tradition, 193 mit Anm. 410-412.

Texte aus Mesopotamien

Das sog. Sippar Phrasebook ist Vorläufer der späteren ur5-ra = hubullu Taf. I-II-Tradi˘ tion. Weiterführende Literatur: Veldhuis, Cuneiform Lexical Tradition, 188-193. 54)

4.4.1.1 Fragment einer altbabylonischen Übungstafel Fragment einer altbabylonischen Übungstafel. – Herkunft: Sippar-Amna¯num (Di 128). – Aufbewahrungsort: Tontafelsammlung des Iraq Museum, Baghdad (ohne Museumsnummer). – Publikation: M. Tanret, Per Astera ad Astra. L’apprentissage du cunéiforme à Sippar-Amna¯num pendant la période paléobabylonienne tardive (MHET III/I, 2), Ghent 2002, Nr. 38 (Photo, Kopie, Umschrift mit Kommentar); Veldhuis, Cuneiform Lexical Tradition, 189 (Umschrift, Übersetzung); http://cdli.ucla.edu/P228700 (Photo, Umschrift, Übersetzung). 55) (Vs. I’ 1’) Schwester (2’) Herrin (3’) Fürstin (4’) To[chter]

(Rest der Kolumne zerstört) (II’ 1’) sein

[Bruder] Schwester (3’) sein Vater (4’) seine Mutter (5’) sein Herr (6’) seine Herrin (2’) seine

(Rest der Kolumne zerstört; nur noch Zeichenspuren erhalten) (Rs. I’ 1’) Bau[grund] (2’) harter

[Boden]

(3’) Tag (4’) halber

Tag Tag (6’) zweiter Tag (7’) dritter [Tag] (8’) vierter [Tag] (5’) erster

(Rest der Kolumne zerstört; von der zweiten Kolumne sind nur noch Zeichenspuren zu erkennen)

54. 55.

Vgl. ergänzend F. Weiershäuser / I. Hruº sˇa, Lexikalische Texte I: ur5-ra = hubullu, mur-gud = ˘ 2 Anm. 9. imrû = ballu, Lú-Listen, Teil 1 (KAL 8 = WVDOG 153/1), Wiesbaden 2018, Die erhaltenen Einträge korrespondieren mit ur5-ra = hubullu Taf. I; vgl. Landsberger, MSL ˘ Veldhuis, Cuneiform Lexical TradiV (1957) 16 f. und 21 f.; Tanret, Per Astera ad Astra, 93; tion, 189.

125

Texte aus Mesopotamien

4.4.1.2 Auszug aus einer mehrkolumnigen Keilschrifttafel Auszug aus einem Fragment einer mehrkolumnigen Keilschrifttafel aus altbabylonischer Zeit. – Herkunft: Sippar. 56) – Aufbewahrungsort: Tontafelsammlung des University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology, Philadelphia (CBS 1862). – Publikation: Veldhuis, Cuneiform Lexical Tradition, 190-192 (Kopie, Teilumschrift und -übersetzung, Kommentar); http://cdli.ucla.edu/P230219 (Photo, Umschrift). 57) (Vs. II 25’) Ort (26’) Schicksal (27’) Sklave (28’) Sklavin (29’) männliche

und weibliche Sklaven

(30’) vor (31’) er

nahm nahmen (33’) er wird nehmen (34’) sie werden nehmen (32’) sie

4.4.2 Ein altbabylonischer Formulartext (Nippur-Tradition)

Die parallele lexikalisch-juristische Überlieferung der altbabylonischen Zeit aus Nippur (Nippur Phrasebook) ist durch das sumerische Incipit ki-ulutin-bi-sˇè »auf Abruf zur vereinbarten Zeit« gekennzeichnet und war der Vorläufer der zweisprachigen Serie ana ittisˇu. Das Nippur Phrasebook bietet neben Phrasen, die das Incipit enthalten, Zusammenstellungen von Verbalparadigmen, Zinsausdrücken und weiteren vertragsrelevanten Bezeichnungen. Weiterführende Literatur: F. R. Kraus, Die sumerische Entsprechung der Phrase ana ittisˇu, in: J. Friedrich / J. G. Lautner / J. Miles (Hg.), Symbolae ad Iura Orientis Antiqui Pertinentes Paulo Koschaker Dedicatae. FS P. Koschaker (SDIOA II), Leiden 1939, 50 f.; Roth, Scholastic Tradition, 291-301; Veldhuis, Cuneiform Lexical Tradition, 193 f.; Crisostomo, Translation as Scholarship, 91 f. Altbabylonische Übungstafel (Vorderseite). – Herkunft: Nippur. – Aufbewahrungsort: Frau Professor Hilprecht Collection of Babylonian Antiquities im Eigentum der Friedrich-Schiller-Universität, Jena (HS 1729). – Publikation: C. Proust, Tablettes mathématiques de la collection Hilprecht (TMH 8), Wiesbaden 2008, Nr. 14 (Photo, Kopie [M. Krebernik],

56.

57.

126

Zur sehr wahrscheinlichen Herkunft der Tafel aus Sippar vgl. Veldhuis, Cuneiform Lexical Tradition, 190 mit Anm. 406; A. Bartelmus, Fragmente einer großen Sprache. Sumerisch im Kontext der Schreiberausbildung des kassitenzeitlichen Babylonien, Bd. 1 (UAVA 12/1), Boston / Berlin 2016, 187 mit Anm. 725. Zu den Parallelen der ausgewählten Einträge in ur5-ra = hubullu Taf. I vgl. Landsberger, MSL ˘ V (1957) 17 f.

Texte aus Mesopotamien

Umschrift mit Kommentar); 58) http://cdli.ucla.edu/P229919 (Photo); Crisostomo, Translation as Scholarship, 91 f. (Umschrift, Übersetzung). 59) (Vs. 1’) zur

vereinbarten Zeit es bei ihm (= steht ihm zur Verfügung); (3’) zur vereinbarten Zeit (4’) hat er (es) ihm gegeben; (5’) zur vereinbarten Zeit (6’) hat er (es) ihm dargewogen; (7’) zur vereinbarten Zeit (8’) wird er es darwägen; (9’) zur vereinbarten Zeit (10’) wird er darwägen; (11’) zur vereinbarten Zeit (12’) wird hinzugefügt werden; 60) (13’) zur vereinbarten Zeit (14’) trägt es Zinsen; (15’) zur vereinbarten Zeit (16’) [wird] [zurückgezahlt wer]den. 61) (2’) ist

(Rest der Vs. zerstört; die zweikolumnige Rückseite der Tafel bietet eine metrologische Liste 62))

4.4.3 Aus der der zweisprachigen Serie ana ittisˇu

Die lexikalisch-juristische Serie ana ittisˇu, bestehend aus 7 Tafeln, setzte in umfänglicherer Weise die Tradition des Nippur Phrasebook fort, nunmehr erweitert um die akkadische Übersetzung sumerischer Termini und Kontraktklauseln sowie gesetzgeberisch formulierter Textbestandteile 63). Auffällig ist die Tatsache, dass die fast vollständig erhaltene Serie 64) ausschließlich durch Textvertreter aus mittelassyrischer

58. 59. 60. 61. 62. 63. 64.

Vgl. auch die Parallele HS 260 (Vs.) = TMH 8 Nr. 21; dazu Proust, Tablettes mathématiques, 83. Die erhaltenen Einträge korrespondieren zum Teil mit Einträgen in der Serie ana ittisˇu; vgl. dazu Crisostomo, Translation as Scholarship, 92 Anm. 117. Zu tah »hinzufügen« in altbabylonischen Zinsklauseln vgl. A. Skaist, The Old Babylonian Lo˘ an Contract. Its History and Geography, Ramat Gan 1994, 100 f. Der Text hat (gemäß Paralleltext) [gur]-ru-dam; zu gur als Verb der Rückzahlung eines Darlehens in altbabylonischen Urkunden vgl. Skaist, The Old Babylonian Loan Contract, 196-198. Vgl. Proust, Tablettes mathématiques, 34. Zu diesen vgl. J. Klíma, Art. Gesetze. A. Babylonien. 4. Die Serie ana ittisˇu, RlA 3 (1957-1971) 251 f.; R. Haase, Die keilschriftlichen Rechtssammlungen in deutscher Übersetzung, Wiesbaden 21979, 10 f. Zur sachlich-juristischen Gliederung der Serie vgl. Landsberger, Die Serie ana ittisˇu, XIIXVII; V. Korosˇec, Keilschriftrecht, in: Orientalisches Recht (HdO I. Ergänzungsband III), Leiden / Köln 1964, 83 f.; Haase, Die keilschriftlichen Rechtssammlungen, 10.

127

Texte aus Mesopotamien

(Assur) und neuassyrischer Zeit (Ninive) bezeugt ist. 65) Seit ihrer Publikation durch B. Landsberger im Jahr 1937 sind keine weiteren Textvertreter hinzugekommen. Auszüge aus der Serie ana ittisˇu. – Herkunft: Assur und Ninive. – Aufbewahrungsorte: Vorderasiatisches Museum, Berlin (Texte aus Assur); British Museum London (Texte aus Ninive). – Publikation: B. Landsberger, Die Serie ana ittisˇu (MSL I), Roma 1937.

4.4.3.1 Auszug aus Tafel 2 (Darlehensrecht) Der Abschnitt Taf. 2 I 34-43 ist Teil der Vokabular- und Formularzusammenstellung zum Darlehen (in Taf. 2 und 3): 66) (34) Zins,

wie (er in der) Stadt (üblich ist) Zins(-satz) ist gefallen 67) (36) jährliche Zinsen (37) monatliche Zinsen (38) der Zins der Stadt (beträgt) jeweils 1 Scheffel Gerste (pro Kor) 68) (= 20 %) (39) der Zins der Stadt (beträgt) jeweils 1 Scheffel 4 Sea Gerste (pro Kor) 69) (= 331⁄3 %) (40) Silberzins (41) der Zins für 1 Sekel (beträgt) jeweils 1⁄5 (eines Sekels) 70) (= 20 %) (42) der Zins für 10 Sekel (beträgt) jeweils 2 Sekel (= 20 %) (43) der Zins für 1 Mine (beträgt) jeweils 12 Sekel 71) (= 20 %) (35) der

65.

66. 67. 68. 69. 70. 71.

128

Vgl. Veldhuis, Cuneiform Lexical Tradition, 328 f. Zu den mittelassyrischen Quellen aus Assur vgl. jetzt K. Wagensonner, A Scribal Family and its Orthographic Peculiarities. On the Scientific Work of a Royal Scribe and his Sons, in: G. J. Selz (Hg.), The Empirical Dimension of Ancient Near Eastern Studies / Die empirische Dimension altorientalischer Forschungen (Wiener Offene Orientalistik 6), Wien / Berlin 2011, 664 f. und 672 f. mit 696 f. (Kopie VAT 9552); ders., nam-dub-sar-ra a-na mu-e-pad3-da-zu … De l’apprentissage et l’éducation des scribes médio-assyriens, in: L. Marti (Hg.), La famille dans le Proche-Orient ancien: réalités, symbolismes, et images. Proceedings of the 55th Rencontre Assyriologique Internationale at Paris, 6-9 July 2009, Winona Lake 2014, 460 f. und 470 f. (Kopie VAT 8875). Vgl. im vorliegenden Zusammenhang auch G. Pfeifer, Zur intellektuellen Infrastruktur des Rechts im Alten Orient (Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main LVI/1), Stuttgart 2019, 8 f. Zu Taf. 2 I 34 f. vgl. auch CAD S 158b. Zugrunde liegende Hohlmaße:˙ Kor (gur) = 300 l, Scheffel (barig) = 60 l, Sea (bán) = 10 l, Liter (sìla) = 1 l. Zu Taf. 2 I 38 f. und den Gerstezinsangaben in der Rechtspraxis vgl. Skaist, The Old Babylonian Loan Contract, 115-118 und 123 f. Zugrundeliegende Gewichtseinheiten: Talent (gú) = 30 kg, Mine (ma-na) = 0,5 kg, Sekel (gín) = 81⁄3 g, Gran (sˇe) = 0,05 g. Zu Taf. 2 I 41-43 unter dem Gesichtspunkt der Formulierungspraxis in altbabylonischen Urkunden vgl. Skaist, The Old Babylonian Loan Contract, 107-109.

Texte aus Mesopotamien

4.4.3.2 Auszug aus Tafel 2 (Kaufrecht) Der Abschnitt Taf. 2 III 36’-45’ 72) behandelt den »Kaufpreis« als Terminus des Kaufrechts: 73) (36’) Kaufpreis (37’) sein

Kaufpreis seinen Kaufpreis (39’) als seinen Kaufpreis hat er gesetzt (40’) vollständiger Kaufpreis (41’) nicht vollständiger Kaufpreis (42’) sein vollständiger Kaufpreis (43’) sein nicht vollständiger Kaufpreis (44’) als seinen vollständigen Kaufpreis (45’) als Rest seines nicht vollständigen Kaufpreises (38’) als

4.4.3.3 Auszug aus Tafel 6 (Erbrecht) Der Abschnitt Taf. 6 I 1-8 behandelt den Extraanteil 74) des ältesten Bruders (am Nachlaß des Erblassers) als Terminus des Erbrechts (in Süd- und Mittelbabylonien); zum vorliegenden Abschnitt vgl. auch J. Klíma, Untersuchungen zum altbabylonischen Erbrecht (Monographie des ArOr VIII), Praha 1940, 22 Anm. 1; Veldhuis, Cuneiform Lexical Tradition, 329. (1’) Extraanteil (2’) Extraanteil

des ältesten Bruders wegen der Eigenschaft als ältester Bruder (4’) sein Extraanteil (5’) von seinem Extraanteil (6’) als seinen Extraanteil (7’) seinen Extraanteil nahm er (8’) seinen Extraanteil wird er nehmen (3’) Extraanteil

4.4.3.4 Auszug aus Tafel 7 (Prozessrecht) Der Abschnitt Taf. 7 I 26-32 ist Teil der Zusammenstellung prozeßrechtlicher Termini und Formulierungen; vgl. dazu auch A. Falkenstein, Die neusumerischen Gerichtsurkunden I: Einleitung und systematische Darstellung (ABAW, Philosophisch-historische Klasse, NF 39), München 1956, 9 mit Anm. 2 (Quellen); zur Diskussion einiger der hier vorliegenden Termini vgl. E. Dombradi, Die Darstellung des Rechtsaustrags in den altbabylonischen Prozeßurkunden. Halbband I (FAOS 20,1), Stuttgart 1996, 318-320. 72. 73. 74.

Die Zeilenzählung folgt der von B. Landsberger in MSL I. Nach Landsberger, Die Serie ana ittisˇu, XIV »ein unorganischer Einschub« (zusammen mit »Tausch« [III 46’-57’] nach dem Darlehen) und »sehr unvollständig behandelt«. Die Begrifflichkeit folgt W. Meinhold, Erben und Vererben in der altbabylonischen Zeit (ca. 2000-1600 v. Chr.), Münster (in Vorbereitung).

129

Texte aus Mesopotamien (26) Rechtssache (27) verhandelte

Rechtssache

(28) Rechtssatzung 75) (29) abgeschlossene

Rechtssache abgeschlossene Rechtssache (31) die diesbezügliche Rechtssache ist abgeschlossen (32) die diesbezügliche Rechtssache ist nicht abgeschlossen (33) entschiedene diesbezügliche Rechtssache (34) nicht entschiedene diesbezügliche Rechtssache (30) nicht

4.4.3.5 Auszug aus Tafel 7 (Familienrecht) Der Abschnitt Taf. 7 III 23-28 gehört als ›Paragraph‹ 1 (von insgesamt 7) zu den sog. »Sumerischen Familiengesetzen«, 76) die »in § 1-4 die Rechtsfolgen bestimmen, die an die einseitige Aufhebung der zwischen Eltern und Kindern bestehenden Beziehungen geknüpft ist«, 77) hier die Nichtanerkennung des Vaters durch seinen Sohn betreffend (= Negierung/Auflösung einer Adoption durch den Adoptierten) 78). (23) Wenn (24) »Mein

der Sohn zu seinem Vater Vater bist du nicht!«

(25) sagt, (26) (dann)

wird er (= der Vater) ihn (= den Sohn) rasieren, Sklavenhaartracht (abbuttu) 79) ihm anlegen (28) und für Silber ihn verkaufen. 80) (27) die

75. 76. 77. 78.

79.

80.

130

Der mittelassyrische Textvertreter hat noch eine weitere Zeile (I 28a): di-til-la : SˇU-ú (= ditillû) »abgeschlossene Rechtssache«. Zur Begrifflichkeit und inhaltlichen Charakterisierung vgl. Korosˇec, Keilschriftrecht, 84 mit Anm. 1 (Literatur); Roth, Scholastic Tradition, 16. M. David, Die Adoption im altbabylonischen Recht (LRS 23), Leipzig 1927, 3 f. Anm. 11. Vgl. David, Adoption, 47 f.; R. Westbrook, Slave and Master in Ancient Near Eastern Law, Chicago-Kent Law Review 70 (1995) 1647; G. Spada, I modelli di contratto nell’edubba paleo-babilonese: un esempio di contratto di adozione, AION 72 (2012) 145. Zum Problem der Adoptionsauflösung in altbabylonischer Zeit vgl. zuletzt W. Meinhold, Zur Beendigung von Adoptionsverhältnissen in altbabylonischer Zeit. Der Fall des Ilı¯-u-Sˇamasˇ aus Nippur, in: J. Baldwin / J. Matuszak (Hg.), mu-zu an-za3-sˇe3 kur-ur2-sˇe3 he2-gˆal2. Altorientalische ˘ 2020, 163-189. Studien zu Ehren von Konrad Volk. FS K. Volk (dubsar 17), Münster Zur speziellen Sklavenhaartracht vgl. CAD A/I 48b sowie M. Stol, Art. Sklave, Sklaverei. B. Altbabylonisch, RlA 12 (2019-2011) 565 (mit Literatur); vgl. aber auch R. Westbrook, Mesopotamia: Old Babylonian Period, in: R. Westbrook (Hg.), A History of Ancient Near Eastern Law, Vol. 1, Leiden / Boston 2003, 382 mit Anm. 60, der bezüglich abbuttu darauf hinweist, daß »its exact nature is disputed; it may have been a distinctive hairstyle or a brand or mark«; vgl. auch G. Dosch, Ein neues Nuzi-Graphem für den Ausdruck abbutta musˇsˇuru und neue Gedanken zu den Strafklauseln, SCCNH 2 (1987) 83 f. (»abbuttu gehört zu den ausgesprochenen Problemwörtern der Assyriologie und zeigt deshalb eine wechselvolle Forschungsgeschichte«) mit Anm. 34 (Literaturzusammenstellung); E. Reiner, Runaway – Seize Him, in: J. G. Dercksen (Hg.), Assyria and Beyond. FS M. T. Larsen (PIHANS 100), Leiden 2004, 479 f. Zu Taf. 7 III 26-28 vgl. auch David, Adoption, 51; vgl. auch Haase, Die keilschriftlichen Rechtssammlungen, 10.

Texte aus Mesopotamien

4.4.4 Eine sumerisch-literarische Gerichtsurkunde, die Defloration einer Sklavin betreffend Auszug aus einer Sammeltafel (3N-T 273+403+340 IV 2’-27’ 81)). – Herkunft: Nippur. – Aufbewahrungsort: Tontafelsammlung des University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology, Philadelphia (UM 55-21-436); 82) Tontafelsammlung des Oriental Institute of The University of Chicago (Gipsabguß) 83). – Publikation: J. J. Finkelstein, Sex Offenses in Sumerian Law, JAOS 86 (1966) 359 f. (Umschrift, Übersetzung, Kommentar); B. Landsberger, Jungfräulichkeit: ein Beitrag zum Thema »Beilager und Eheschließung« (mit einem Anhang: Neue Lesungen und Deutungen im Gesetzbuch von Esˇnunna), in: J. A. Ankum – R. Feenstra – W. F. Leemans (Hg.), Symbolae Iuridicae et Historicae Martino David Dedicatae, Tomus Alter: Iura Orientis Antiqui. FS M. David, Leiden 1968, 47-49 (Umschrift, Übersetzung); S. Lafont, Femmes, Droit et Justice dans l’Antiquité orientale. Contribution à l’étude du droit pénal au Proche-Orient ancien (OBO 165), Fribourg / Göttingen 1999, 497; M. Civil, The Law Collection of Ur-Namma, in: A. R. George (Hg.), Cuneiform Royal Inscriptions and Related Texts in the Schøyen Collection (CUSAS 17), Bethesda 2011, 255 f. (Umschrift, Übersetzung); M. Stol, Women in the Ancient Near East, Boston / Berlin 2016, 257 (Übersetzung).

Nach der bislang nur in Umschrift vorliegenden (fiktiven) Gerichtsurkunde (model court case) 84) hatte ein gewisser Lugalmelam die Sklavin eines anderen Mannes in ein Warenlager gebracht und sie dort entjungfert. Daraufhin hat nun seinerseits Kugazana, der Eigentümer der besagten Sklavin, in der Versammlung (puhrum) von Nippur ˘ den Lugalmelam verklagt und ihn der Defloration seiner Sklavin bezichtigt. Dies wurde vom Beklagten zunächst bestritten, allerdings ohne Erfolg, da die Zeugen (des Anschuldigers) im Rahmen des Beweisverfahrens den Tathergang bestätigten. Die Versammlung von Nippur fällte daraufhin ihr Urteil: Der Täter Lugalmelam hatte auf Grund der »ohne (Wissen/Erlaubnis des) Eigentümer(s)« (lugal-da nu-me-a) erfolgten Defloration der Sklavin dem Sklavenbesitzer Kugazana eine halbe Mine Silber zu zahlen. Der vorliegende Fall findet (unter dem Gesichtspunkt der Rechtspraxis) seine sachlich-juristischen Parallelen in den Tatbeständen des § 8 der Rechtssammlung des UrNamma und des § 31 des Codex Esˇnunna, allerdings jeweils mit anderen Strafsummen sanktioniert. Geahndet wurde in all diesen Fällen nicht die (zum Teil gewaltsam 81. 82. 83.

84.

Vgl. M. T. Roth, The Slave and the Scoundrel. CBS 10467, A Sumerian Morality Tale?, JAOS 103 (1983) 282 (3). Vgl. M. T. Roth, Gender and Law: A Case Study from Ancient Mesopotamia, in: V. H. Matthews / B. M. Levinson / T. Frymer-Kensky (Hg.), Gender and Law in the Hebrew Bible and the Ancient Near East (JSOT.SS 262), Sheffield 1998, 175 Anm. 5 (ms. c). Vgl. B. Landsberger, Jungfräulichkeit: ein Beitrag zum Thema »Beilager und Eheschließung« (mit einem Anhang: Neue Lesungen und Deutungen im Gesetzbuch von Esˇnunna), in: J. A. Ankum – R. Feenstra – W. F. Leemans (Hg.), Symbolae Iuridicae et Historicae Martino David Dedicatae, Tomus Alter: Iura Orientis Antiqui. FS M. David, Leiden 1968, 47; Roth, JSOT.SS 262 (1998) 175 Anm. 5. Zur Übersetzung einer weiteren literarischen (fiktiven) Gerichtsurkunde aus Isin vgl. H. Lutzmann / W. H. Ph. Römer in TUAT I/3 (1983) 198 (»Ehescheidungsprozeß«); vgl. dazu ausführlich Neumann, ZAR 10 (2004) 85-88.

131

Texte aus Mesopotamien

erfolgte) Defloration einer Sklavin als solche, sondern der Angriff auf das Eigentum des Sklavenbesitzers unter Missachtung seiner Rechte. Die Wertschmälerung des Eigentums wurde durch die Zahlung einer Strafsumme kompensiert. 85) Sohn des Nanna-aramugi (3’) (hat) die Ku-Ninsˇubur, die Sklavin des Kuein Warenlager gebracht (6’) (und) entjungfert. Nachdem er gazana, (7’) (hat sich) Kugazana, ihr Herr, (8’) an die Versammlung von (sie) entjungfert hatte, Nippur (9’) [ge]wandt, ist (vor ihr) erschienen 86) und (12’) hat [erklärt]: (10’) »[Lugalmel]am hat meine Sklavin ergriffen, (11’) [in ein Warenlager] gebracht, (12’) [(und) entjungfert]«. (13’) Lugal-melam ist erschie[nen und] (16’) hat erklärt: (14’) »Seine Sklavin habe ich nicht erg[riffen] (15’) (und) nicht entjungfert.« (17’) Seine (= des Anschuldigers) Zeugen (18’) traten auf (19’) (und) bestätigten (den Tathergang). (20’) Die Versammlung von Nippur (21’) erschien (23’) (und) erklärte: (22’) »Weil er die Sklavin ohne (Wissen/Erlaubnis des) Eigentümer(s) (23’) entjungfert hatte, (24’) (hat) Lugal-melam 1⁄2 Mine Silber (25’) dem Kugazana, ihrem Herrn, zu zahlen.« (26’-27’) Die Versammlung hat die diesbezügliche Rechtssache (abschließend) verhandelt. 87)

(2’) Lugal-melam,

(4’) ergriffen, (5’) in

4.4.5 Hausgrundstücksmiete (Mustervertrag) Fragment einer altbabylonischen Übungstafel (Vorderseite). – Herkunft: Nippur. – Aufbewahrungsort: Frau Professor Hilprecht Collection of Babylonian Antiquities im Eigentum der Friedrich-Schiller-Universität, Jena (HS 1451). – Publikation: G. Spada, Sumerian Model Contracts from the Old Babylonian Period in the Hilprecht Collection Jena (TMH 11), Wiesbaden 2018, Nr. 8 (Photo, Kopie, Umschrift, Übersetzung, Kommentar).

Der vorliegende Mustervertrag (model contract) 88) betrifft die Miete eines unbebauten Hausgrundstücks mit einer nadı¯tum des Gottes Ninurta 89) als Vermieterin. Die 85.

86. 87. 88.

89.

132

Vgl. dazu im einzelnen die Diskussion (mit Literatur) bei H. Neumann, Eherechtliche Bestimmungen und Sexualdelikte im Sklavenrecht des alten Mesopotamien (spätes 3. und frühes 2. Jt. v. Chr.), in: I. Fischer / D. Feichtinger (Hg.), Sexualität und Sklaverei (AOAT 456), Münster 2018, 119 f. Zu den Begrifflichkeiten gaba–ri »(jmd.) angehen« und igi–gˆar »(vor jmd.) erscheinen« in den sumerischen Prozessurkunden der altbabylonischen Zeit vgl. Dombradi, Die Darstellung des Rechtsaustrags I, 65-67 und 304. Zu di–dab5 »eine Rechtsangelegenheit/Rechtssache übernehmen/packen (lassen)« im Sinne von »verhandeln« vgl. ausführlich Dombradi, Die Darstellung des Rechtsaustrags I, 318-320. Vgl. die Übersetzung einer weiteren juristischen Musterurkunde von H. Neumann in TUAT.NF 1 (2004) 17 f. (»Verlustanzeige eines Kaufmannssiegels«); zum Text und zu seiner Überlieferung vgl. jetzt auch W. W. Hallo, A Model Contract, in: W. W. Hallo, (Hg.), Archival Documents from the Biblical World (CoS III), Leiden / Boston 2003, 307; G. Spada, A Handbook from the Eduba3a: An Old Babylonian Collection of Model Contracts, ZA 101 (2011) 238 f.; J. Peterson, Sumerian Literary Fragments in the University Museum, Philadelphia II: Eduba Compositions, Debate Poems, Diatribes, Elegies, Wisdom Literature, and Other Compositions, UF 42 (2010) 566-567; W. R. Bodine, How Mesopotamian Scribes Learned to Write Legal Documents. A Study of the Sumerian Model Contracts in the Babylonian Collection at Yale University, Lewiston / Lampeter 2014, 123-130 und 138-143 (ergänzend dazu G. Spada, ZA 107 [2017] 305). Bei den nadı¯tus der altbabylonischen Zeit handelt es sich um Frauen, die einer Gottheit ge-

Texte aus Mesopotamien

Rückseite der fragmentarischen Tafel (mit zwei Kolumnen) bietet einen Auszug aus der sumerisch-lexikalischen Überlieferung der altbabylonischen Zeit (ur5-ra = hubullu-Vorläufer). 90) ˘ (Vs. 1) [x sar 91)] unbebautes [Hausgrundstück] (2) [neben dem Haus(grundstück)] des Ipqu-Enlil, (3) [Haus der Ni]nkuzu, der nadı¯tum des Ninurta, [To]chter des Ali-ilum, (4) [(hat) von Ni]nkuzu (5) [Img]ur-Sîn (6) (für) das Bewohn[en] (= zur Nutzung) 92) (7) zu einem jährlichen Mietzins (8) von [x] Sekel Silber (9) [g]emietet. (10) [Ze]ugen, (11) [der betreffende Monat], [das betref]fende [Ja]hr. (Rest der Tafel abgebrochen)

4.5 Die Graeco-Babyloniaca

Joachim Oelsner Aus der letzten Phase der Keilschriftüberlieferung ist eine Anzahl von Tontafeln bekannt (meist fragmentarisch erhalten), die in der Regel neben einer einsprachig akkadischen bzw. zweisprachig sumerisch-akkadischen Textpassage auf der einen Seite eine Transliteration derselben in griechischer Schrift auf der anderen Seite enthalten, die sogenannten »Graeco-Babyloniaca«. Gegenwärtig werden 18 Exemplare dieser Gruppe zugerechnet, darunter auch einige Bespiele ohne keilschriftliche Einträge. 93)

90. 91. 92.

93.

weiht und unverheiratet waren. Zu den nadı¯tus in Nippur vgl. die bei Spada, Sumerian Model Contracts, 75 zitierte Literatur. Vgl. dazu Spada, Sumerian Model Contracts, 77 mit der entsprechenden Konkordanz. Flächenmaß: 1 sar = 36 m2. Zu dieser Zweckbestimmung (nam-ga-an-tusˇ-a = asˇsˇa¯bu¯tu u. ä.) im Formular der hausmietrechtlichen Überlieferung aus Nippur vgl. M. Stol, Art. Miete. B. I. Altbabylonisch, RlA 8 (1993-1997) 164b. Obgleich die vorliegende Formulierung »specifies that a real estate is rented in order to live in it« (Spada, Sumerian Model Contracts, 76), kann es sich bei einem unbebauten Hausgrundstück hier (als Bestandteil der Mietklausel; s. AHw 1488b s. v. [w]asˇˇsa¯bu¯tu[m] »Mieterstellung, Hausmiete«; CAD A/II 462a s. v. asˇˇsa¯bu¯tu »tenancy [of a house]«) nur um die allgemeinere Zweckangabe »(Eigen-)Nutzung« handeln. Die Textgruppe ist seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt. Letzte Zusammenstellung und Bearbeitung: M. J. Geller, The Last Wedge, ZA 87 (1997) 43-95 (68-85, Kopien S. 87-94); dazu A. Westenholz, The Graeco-Babyloniaca Once Again, ZA 97 (2007) 263-313 (mit Photos); vgl. auch F. C. De Rossi, Iscrizioni dello Estremo Oriente Greco (Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 65), Bonn 2004, 73-77 Nr. 117-125 (unzureichende Edition eines Teils der Exemplare). Zum Inhalt ferner: M. J. Geller, Graeco-Babyloniaca in Babylon, in: J. Renger (Hg.), Babylon. Focus mesopotamischer Geschichte, Wiege früher Gelehrsamkeit, Mythos in der Moderne (CDOG 2), Saarbrücken 1999, 377-381; P. D. Gesche, Schulunterricht in Babylonien im ersten Jahrtausend v. Chr. (AOAT 275), Münster 2000, 184 f.; J. Oelsner, Zur Bedeu-

133

Texte aus Mesopotamien

Die Datierung erfolgt auf der Grundlage der griechischen Paläographie, 94) ist allerdings mit gewissen Unsicherheiten belastet. Man wird aber nicht fehlgehen, wenn generell ein Datum zwischen der Mitte des 1. Jh. v. Chr. und dem 1. Jh. n. Chr. angenommen wird. Nicht auszuschließen ist, daß einzelne Beispiele noch jünger sind. Der Herkunftsort von Nr. 1-16 ist die Stadt Babylon. Bei Nr. 17-18, die keine Keilschrift, sondern nur griechische Schrift tragen, ist fraglich, ob sie ebenfalls dort gefunden wurden und überhaupt in diesen Zusammenhang gehören.95) Inhaltlich decken sich die niedergeschriebenen Textpassagen mit solchen, die auf rein keilschriftlichen Tontafeln im babylonischen Schulbetrieb üblich waren. Im Bereich der Schreiberausbildung wurden dort Listen von Keilschriftzeichen (Syllabare, Vokabulare), verschiedene sumerisch-akkadische Wortlisten sowie Auszüge aus literarischen Kompositionen geübt. Häufig sind Auszüge aus mehreren Werken auf einem Exemplar zusammengestellt. 96) Auf den Graeco-Babyloniaca schloß sich an eine literarische Passage häufig ein lexikalischer Abschnitt an. Erhalten sind sowohl lexikalische Beispiele (Nr. 1-9) als auch literarische Passagen (Nr. 10-13, 16: Beschwörungen, Sˇamasˇ-Hymne, Ritual?, Stadtbeschreibung von Babylon [Serie TIN.TIR.KI]), außerdem »Kolophone«, die als Weihgaben dargebracht wurden (Nr. 14, 15; nur griechisch ohne Keilschrift 97)). Umstritten ist der Zweck der Graeco-Babyloniaca. Zunächst einmal ist zu fragen, von wem sie angefertigt worden sind: waren es Griechen, die die Kultur des Landes näher kennen lernen wollten, oder waren es Babylonier, die sich – aus welchen Gründen auch immer – der Umschriften bedienten? Beide Positionen werden vertreten, wobei der Vf. erstere98) für unwahrscheinlich hält, da es nirgends konkrete Hinweise

94. 95.

96. 97.

98.

134

tung der ›Graeco-Babyloniaca‹ für die Überlieferung des Sumerischen und Akkadischen, MIO 17 (1972) 356-364; ders. Materialien zur babylonischen Gesellschaft und Kultur in hellenistischer Zeit, Budapest 1986, 239-244, ders., »Sie ist gefallen, sie ist gefallen, Babylon die große Stadt«. Vom Ende einer Kultur (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Philologisch-historische Klasse 138/1), Leipzig 2002, 14 f.; ders., Überlegungen zu den »Graeco-Babyloniaca«, in: L. Sassmannshausen (Hg.), He has Opened Nisaba’s House. FS Å. W. Sjöberg, Leiden / Boston 2014, 147-164; H. Waetzoldt / A. Cavigneaux, Art. Schule, RlA 12 (2009) 307 § 12.6. Vgl. die Tabelle der Buchstabenformen bei Geller, ZA 87 (1997) 95. Nur bei Geller, ZA 87 (1997), nicht bei Westenholz, ZA 97 (2007). Ersteres Stück ist als sumerisch-akkadische Beschwörung interpretiert worden, vgl. S. M. Maul, Neues zu den ›GraecoBabyloniaca‹, ZA 81 (1991) 87-107; E. E. Knudsen, The Ashmolean Museum Incantation in Greek Orthography, in: M. Dietrich / O. Loretz (Hg.), Vom Alten Orient zum Alten Testament. FS W. von Soden (AOAT 240), Münster 1995, 135-140. Dies hat jedoch keine allgemeine Anerkennung gefunden. Für das andere Stück ist eine Deutung in aramäischer Sprache vorgeschlagen worden, so M. Krebernik, Ein aramäischer Text in griechischer Schrift, in: W. Arnold / H. Bobzin (Hg.), »Rede doch mit deinen Knechten aramäisch, wir verstehen es«. 60 Beiträge zur Semitistik. FS O. Jastrow, Wiesbaden 2002, 425-428. Zum Curriculum s. Gesche, Schulunterricht 43-198; Waetzoldt / Cavigneaux, RlA 12 (2009) 306 f. § 12.5. So mit Westenholz, ZA 97 (2007) 273 sub numero, gegen Geller, ZA 87 (1997) 79-81 sub numero, der einen Verlust der keilschriftlichen Version annimmt. Derartige Weihungen standen offenbar am Abschluß bestimmter Stufen der Schreiberausbildung, s. Gesche, Schulunterricht 153-166. Vertreten z. B. von B. Scholz, T¼n Glssan M€qwmen 3Akkadikffin – Der Sinn der GraecoBabyloniaca, in: P. Mauritsch / W. Petermandl / R. Rollinger / C. Ulf (Hg.), Antike Lebens-

Texte aus Mesopotamien

darauf gibt, daß die Griechen und Makedonen sich intensiver mit der Kultur der unterworfenen Regionen befaßten. Aber auch wenn die Frage nach den Urhebern der Transliterationen zugunsten der Babylonier entschieden wird, bleibt die nach dem Zweck derselben. Nach der einen Ansicht 99) dienten sie ausschließlich dazu, die Lesung der (mehrdeutigen) Keilschriftzeichen festzulegen, und waren somit nur Hilfe beim Erlernen der Schrift. Falls Griechen als Urheber anzusehen sind, könnte dies als Erklärung ausreichen. Waren es dagegen Babylonier, so ist nicht zu erklären, warum sie plötzlich eines derartigen Hilfsmittels bedurften, nachdem sie Jahrtausende lang ohne ein solches ausgekommen waren. Die Vermutung, daß die Transliterationen auf das Schreiben der traditionellen sumerisch-akkadischen Überlieferung auf Leder und Pergament bzw. Papyrus sowie wahrscheinlich auch Ostraka vorbereiten sollten, besitzt deshalb die größere Wahrscheinlichkeit. 100) Hinweise darauf, daß die keilschriftliche Überlieferung nicht nur auf der üblichen Tontafel, sondern auch auf derartigem Schreibmaterial tradiert wurde, bieten wiederholte Erwähnungen von Schriftrollen (akkadisch magallatu) in späten Texten. 101) Es ist unwahrscheinlich, daß diese mit Keilschrift beschriftet waren, da diese in einem sehr aufwändigen Verfahren aufgemalt werden müßte. Näher liegt die Annahme, daß es sich hier um Transliterationen in griechischer Schrift gehandelt hat. Allerdings sind keine derartigen Beispiele überliefert. Wenn sich die oben 102) genannte Interpretation von Nr. 17 der Graeco-Babyloniaca als zweisprachige sumerisch-akkadische Beschwörung bestätigt (dann vermutlich ein Auszug aus einer längeren Komposition), könnte darin allerdings eine Bestätigung dieser Verwendung der griechischen Umschriften gesehen werden. Dieses eine Beispiel wäre dann nur deshalb erhalten geblieben, weil statt einer Schriftrolle eine Tontafel als Schriftträger diente.

4.5.1 Zwei Auszüge aus lexikalischen Listen Zwei untere Stücke von Keilschrifttafeln aus Babylon (wahrscheinlich 1. Jh. v. Chr.). – Aufbewahrungsort: British Museum, London (BM 34799 und BM 35726). – Edition und Bearbeitung: Th. Pinches, Greek Transcriptions of Babylonian Tablets, PSBA 24 (1902) 109 (nur Nr. 4; Kopie, Umschrift, Photo der Rs.); E. Sollberger, Iraq 24 (1962) 66, Tf. XXV (A4 und A5; Kopie, Umschrift); M. J. Geller, ZA 87 (1997) 70 f., 88 (Nr. 3-4; Kopie, Umschrift, Kommentar); A. Westenholz, ZA 97 (2007) 264 f. (Kommentar; Photo von Nr. 3).

Die beiden Stücke enthalten Textabschnitte aus Tafel III der Serie ur5(HAR).ra = ˘ hubullu (hier abgekürzt: Hh), einer Sammlung von sumerischen und akkadischen ˘ ˘˘

99. 100. 101. 102.

welten. Konstanz – Wandel – Wirkungsmacht. FS I. Weiler (Philippika 25), Wiesbaden 2008, 455-464; dazu Oelsner, FS Sjöberg 162 f. So z. B. Westenholz, ZA 97 (2007) 274-278. So vor allem J. Oelsner in den oben Anm. 93 genannten Arbeiten (mit weiterer Literatur). Belege bei E. Frahm, Babylonian and Assyrian Commentaries. Origins of Interpretation (GMTR 5), Münster 2011, 26 mit Anm. 87, 31 mit Anm. 108 f., 172 (Comm. 4), 194, 197, 308 f.; vgl. auch Oelsner, FS Sjöberg, 159 f. In Anm. 95.

135

Texte aus Mesopotamien

Gegenstandsbezeichnungen aus der Natur und dem menschlichen Leben (vorangestellt sind Ausdrücke aus dem Rechtsbereich). Sie werden hier zusammen vorgestellt, da sie aneinander anschließen. Beide Exemplare unterscheiden sich aber darin, daß bei Nr. 3 (BM 34799) in der griechischen Transliteration der sumerische Terminus gisˇimmar »Dattelpalme« in der akkadischen Spalte wiederholt wird, nicht jedoch bei Nr. 4 (BM 35726). Es ist deshalb anzunehmen, daß sie von zwei verschiedenen Schreibern stammen. In Nr. 3 ist vor dem lexikalischen Abschnitt noch das Ende einer Zeile eines andersartigen Textes (wahrscheinlich einer Beschwörung) erhalten, 103) worauf ein Trennstrich folgt. Diese Zusammenstellung legt die Vermutung nahe, daß Nr. 4 ebenso aufgebaut war und den erhaltenen Zeilen eine literarische Passage voranging, die ebenso wie der Trennstrich, der sie vom folgenden absetzte, verloren ist. In der Serie Hh kann einerseits ein sumerischer Terminus mit mehreren akka˘ dischen Wörtern˘ geglichen werden, umgekehrt können aber auch mehrere sumerische Bezeichnungen im Akkadischen nur einem Wort entsprechen. Der vorliegende Abschnitt hat Dattelpalmen zum Gegenstand (Nr. 3 = Hh Taf. III Z. 284-289; Nr. 4 = ˘˘ ebd. Z. 290-295 104)). Die Zeilenzahlen der Vorderseite (Vs.) beziehen sich auf die keilschriftliche Version, die der Rückseite (Rs.) auf die griechisch-alphabetschriftliche Fassung. Nr. 3 284-285 286 287 288-289 Nr. 4 290 291 292-293 294-295

(Vs.) 105)

(Rs. 2’-3’) (4’) (5’) (6’-7’)

(Vs. 1’)

(Rs. 1’)

(2’)

(2’)

(3’-4’)

(3’-4’)

(5’-6’)

(5’)

Dattelpalme aus Dilmun 106) Dattelpalme aus Magan 107) Dattelpalme aus Meluhha 108) ˘˘ kleine Dattelpalme (Palmschößling) kleine Dattelpalme (Palmschößling) 109) junge Dattelpalme Dattelpalmensetzling geringwertige Dattelpalme 110)

4.5.2 Eine Beschwörung Oberes Stück einer Keilschrifttafel aus Babylon (wahrscheinlich 1. Jh. n. Chr.). – Aufbewahrungsort: Harvard Semitic Museum (HSM 1137 / 893.5.37). – Edition und Bearbeitung: M. J. Geller, More Graeco-Babyloniaca, ZA 73 (1983) 114-121 (Umschrift, Kommentar, 103. Geller, ZA 87 (1997) 70. 104. Zeilenzählung nach der Ausgabe B. Landsberger, The Series HAR-ra = hubullu, Tablets I – IV ˘ ˘ (MSL V), Roma 1957, 117 f. 105. In Nr. 3 ist die keilschriftliche Version bis auf einzelne Zeichen zu Beginn der letzten vier Zeilen verloren. 106. = Bahrein. 107. = Oman. 108. = Gebiet am Persischem Golf und Indischen Ozean jenseits von Oman bis Nordwestindien. 109. In Z. 288-290 werden für den gleichen akkadischen Terminus verschiedene sumerische Entsprechungen aufgelistet. 110. In Z. 294 ist die akkadische Entsprechung in der griechischen Transliteration abgebrochen; Z. 295 nur keilschriftlich, in der griechischen Version ausgelassen.

136

Texte aus Mesopotamien

Kopie, Photo); s. auch ders., ZA 87 (1997) 76 Nr. 10; A. Westenholz, ZA 97 (2007) 268 Nr. 10.

Auszug aus der akkadischen Version einer sowohl zweisprachig sumerisch-akkadisch als auch einsprachig überlieferten Beschwörung. Nach den Anfangsworten trägt sie den Namen »Du sollst nicht durch eine Öffnung (zu ihm) eintreten« und ist in unterschiedlichem Kontext überliefert: a) als vollständiger Text innerhalb der Serie der sogenannten zi-pà-Beschwörungen (Erste Teiltafel § XXI = Z. 166-203), 111) b) eingeführt mit dem Beginn der sumerischen Version (ab-ta nam-mu-un-da-ku4-ku4-(e)de3/NE) als zu rezitierender Text zusammen mit anderen Beschwörungen in Ritualen, so in der Lamasˇtu-Serie III Z. 108 112) bzw. der Ritualtafel der Serie Musˇˇsu3u Z. 42. 113) Auszüge sind ferner in mehreren rein keilschriftlichen Schülertafeln bezeugt. 114) Erhalten sind hier Z. 170-180 des Gesamttextes.115) In den genannten Ritualen geht eine Beschwörung mit Namen tummu bı¯tu »Beschworen ist das Haus« voraus (Z. 107 bzw. Z. 40). Der Wortlaut einer Beschwörung mit diesem Namen ist aus anderen Stellen nicht bekannt. In einem neuassyrischen Kommentar 116) allerdings, der mit den Worten »Beschworen ist das Haus, der Grund und Boden ist umrissen« beginnt (Z. 1 mit Kommentarbemerkungen in Z. 2), werden im Hauptteil eine Anzahl von Zeilen von § XXI der zi-pà-Beschwörungen erklärt und diese in der Unterschrift als zugehörig zu einer »Beschwörung tummu bı¯tu« (Z. 21) bezeichnet. Eine Erklärung dieses Sachverhalts könnte darin gesehen werden, daß die beiden Textabschnitte in einem Teil der Überlieferung als Teile einer Gesamtkomposition angesehen wurden. Dies läßt sich allerdings nicht bestätigen.

111. R. Borger, Die erste Teiltafel der zi-pà-Beschwörungen (ASKT 11), in: M. Dietrich / W. Röllig (Hg.), lisˇa¯n mithurti. FS W. von Soden (AOAT 1), Kevelaer / Neukirchen-Vluyn 1968, 1-22 (10-12); weiterer˘ Textzeuge OECT 11, 61; der Name der Serie, zu der der Text gehört, ergibt sich aus der Formel zi pà + Gottheit »beim Namen der Gottheit … (bzw. Himmel und Erde) sei beschworen«, mit der die einzelnen Textabschnitte abschließen, s. W. Röllig, Art. Literatur, RlA 7 (1987-1990) 63 § 4.8.3g. 112. W. Farber, Lamasˇtu. An Edition of the Canonical Series of Lamasˇtu Incantations and Rituals and Related Texts from the Second and First Millennia B.C. (MC 17), Winona Lake 2014, 140, 193 f., 257. 113. F. Köcher, Die Ritualtafel der magisch-medizinischen Tafelserie »Einreibung«, AfO 21 (1966) 13-20; B. Böck, »When You Perform the Ritual of Rubbing: On Medizine and Magic in Ancient Mesopotamia, JNES 62 (2003) 1-16; dazu auch dies., Das Handbuch Musˇˇsu3u »Einreibung«. Eine Serie sumerischer und akkadischer Beschwörungen aus dem 1. Jt. v. Chr. (BPOA 3), Madrid 2007, 70-78. 114. Akkadisch: BM 65525 Vs. 7-11 = Z. 166-170 […] (Kopie Borger, FS von Soden 22, vgl. ebd. S. 2 sub L; Gesche, Schulunterricht 721); BM 68064 Vs. = Z. 166-173 […] (Gesche, Schulunterricht 543 f., vgl. S. 730); sumerisch: OECT 11, 30 Vs. 1-5 = Z. 182-186. 115. Am Bruch ist im Keilschrifttext am Ende noch ein undeutlicher Schriftrest einer weiteren Zeile erhalten, von Geller, ZA 73 (1983) 115, als [… ina hur]-ri MIN »… [durch ein Lo]ch« ˘ nicht gesichert. Das Fehlen des in (= Z. 183) gelesen (nach dem Photo ebd., Tf. nach S. 120) diesem Text regelmäßig wiederholten la¯ »nicht« spricht gegen diese Identifizierung (vgl. auch Anm. 122). 116. VAT 13846 und Duplikat (aus Assur) Z. 21, s. G. Meier, Kommentare aus dem Archiv der Tempelschule in Assur, AfO 12 (1937-1939), 241-244, Taf. XIIIf.; dazu E. Frahm, Commentaries 121-123 sub b und c.

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Texte aus Mesopotamien

Eine weitere Verwendung von Beschwörungen mit dem Titel tummu bı¯tu ist aus dem in Abschriften der Zeit um 100 v. Chr. vorliegenden Ritual für das babylonische Neujahrsfest bezeugt. Danach sind auch dort Beschwörungen (hier im Plural) mit diesem Titel zu rezitieren.117) Wegen des Kommentars erscheint es nicht abwegig, in Erwägung zu ziehen, daß sich dies ebenfalls auf die in der graeco-babylonischen Version vorliegende zi-pà-Beschwörung beziehen könnte. Sollte sich dies bestätigen, dann könnte hier ein Hinweis darauf vorliegen, daß in der Schreiberausbildung der hellenistisch-parthischen Zeit u. a. Abschnitte geübt wurden, die konkret im Kult zur Anwendung kamen. In der folgenden Übersetzung des akkadischen Textes werden sowohl die Zeilenzählung der zi-pà-Serie als auch die Zeilenzahlen der Tafel selbst (Vs. Keilschrift, Rs. griechische Alphabetschrift) angegeben. 170 171 172 173 174 175

(Vs. 1)

(Rs. 1)

(2)

(2)

(3)

(3)

(4)

(4)

(5)

(5)

(6)

(6)

176 177 178 179 180

(7)

(7)

(8)

(8)

(9)

(9)

(10?)

(10)

(11?)

(11)

Durch eine Öffnung der Oberseite sollst du nicht eintreten, 118) durch eine Öffnung des seitlichen (Fensters) (sollst du) nicht (dito), durch eine Öffnung eines birru(-Fensters) 119) (sollst du) nicht (dito), durch eine Öffnung des »Grabes« 120) (sollst du) nicht (dito), durch ein Lüftungsloch (sollst du) nicht (dito), zusammen mit einem »Sonnenkind«, (d. h.) einer Flamme, 121) (sollst du) nicht (dito), beim Hellwerden (sollst du) nicht (dito), während des Tages (sollst du) nicht (dito), während der Finsternis (sollst du) nicht (dito), durch einen Brunnen (sollst du) nicht (dito), durch einen zum Waschen bestimmten Brunnen (sollst du) nicht (dito). 122)

117. M. J. H. Linsen, The Cults of Uruk and Babylon. The Temple Ritual Texts as Evidence for Hellenstic Cult Practices (CM 25), Leiden / Boston 2004, 221, 230 Z. 355. 118. Statt des te¯rub dieses Textes haben die meisten Textzeugen te¯rubsˇu »zu ihm eintreten«. 119. Wahrscheinlich eine mit einer Art Lattenrost gesicherte Öffnung, s. CAD B 260; vgl. AHw 129; Borger, FS von Soden 11: »Gitterfenster«. 120. So wörtlich, vgl. die Bemerkung von Geller, ZA 73 (1983) 115 zu Z. 4. 121. Zur Übersetzung s. Geller, ZA 73 (1983) 115 zu Z. 6. 122. Auf der keilschriftlichen Seite sind die beiden letzten Zeilen vor dem Bruch so abgerieben, daß die Lesungen der Zeichenreste unsicher sind. So ist nicht eindeutig, a) ob entgegen der griechischen Transliteration, in der Z. 179 und Z. 180 des Gesamttextes zwei Zeilen entsprechen, Z. 179 hier ausgelassen wurde (so Geller, ZA 73 [1983] 115, wo [ina] bur-[ti nar]-ma-ki [la] MIN = Z. 180 gelesen wird), b) im akkadischen Text in Z. 10 zwei Zeilen zusammengefaßt waren (dann wohl zu rekonstruieren als [ina] bur-[ti] la(!) MIN [ina bur-ti nar-ma-ki la] MIN, oder c) die undeutlichen Schriftreste am Ende von Z. 11 des Keilschrifttextes Z. 180 zuzuordnen sind. Das Fehlen des auf dieser Tafel regelmäßig wiederholten la¯ »nicht« bei der Lesung dieser Zeile durch Geller ([… ina hur]-ri MIN »… [durch ein Lo]ch« = Z. 183) ˘ spricht gegen seine Zeichenidentifizierung; nach dem Photo ZA 73 (1983) Tf. nach S. 120, scheint MIN sicher zu sein, entgegen der Kopie Gellers ist davor la zwar unsicher, jedoch nicht auszuschließen.

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5. Landwirtschaft, Bauwesen und handwerkliche Produktion 5.1 Einleitung

Hans Neumann Land- und Viehwirtschaft sowie die verschiedenen spezialisierten Handwerke, verbunden mit einem interregionalen Handelsverkehr, bildeten über Jahrtausende die entscheidende materielle Lebensgrundlage der Menschen im alten Mesopotamien. Die Überlieferung des für die entsprechenden Produktionsbereiche notwendigen Wissens erfolgte dabei in der Regel mündlich von Generation zu Generation, entweder im Rahmen von Familien(verbänden) oder über eine diesbezügliche Ausbildung durch spezialisierte Fachleute. 1) Schriftzeugnisse für die Wissensübermittlung und -anwendung in der Produktionssphäre wie auch im Bau-, Militär- und Transportwesen lassen sich aus diesem Grund nur in begrenzter Zahl nachweisen. Der wissenschaftliche Nachweis von spezifischen Produktionstechniken und Technologien, die im alten Mesopotamien auf der Basis eines ausgeprägten Technikverständnisses (und technischen Denkens) einen hohen Stand erreichten, gelingt daher vornehmlich auf der Grundlage archäologischer Hinterlassenschaften und mittels naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden. Abgesehen von lexikalisch und durch Verwaltungstexte überlieferten Begrifflichkeiten und den sich daraus erschließenden Zusammenhängen aus dem Bereich der landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktion werden Produktionsvorgänge allerdings vereinzelt in literarischen Texten verschiedener Genres wiedergegeben, 2) wie dies im folgenden beispielhaft anhand der Übersetzung einer zur sog. Unterweisungs- bzw. Ermahnungsliteratur gehörenden Dichtung und einer Götterhymne in sumerischer Sprache dokumentiert wird: Bei der Lehrdichtung Sumerische Georgica (Farmer’s Instructions) handelt es sich um die Anweisung eines Bauern an seinen Sohn für die notwendigen Feldarbeiten, die recht detailliert geschildert werden und den Zeitraum von der Bewässerung bis zum Dreschen des Getreides umfassen. Ausführlichkeit und Inhalt der Beschreibung haben zur modernen Bezeichnung »Sumerische Georgica« für diese Dichtung geführt. 3) Die des weiteren hier vorgelegte Hym1.

2.

3.

Die Ausbildung von handwerklichen Spezialisten auf der Basis von Lehrverträgen ist insbesondere durch entsprechende Urkunden aus spätbabylonischer Zeit im 1. Jt. v. Chr. bezeugt; vgl. dazu zuletzt (mit Literatur) J. Hackl, Neue spätbabylonische Lehrverträge aus dem British Museum und der Yale Babylonian Collection, AfO 52 (2011) 77-97. Vgl. etwa für den Ackerbau B. Hrusˇka, Tradicˇní obilnárˇství staré Mezopotámie. Der traditionelle Ackerbau im alten Mesopotamien, Praha 1990, 491-509; zu Wolle und Textilien (als Produkte des Textilhandwerks) nach literarischen Quellen vgl. H. Waetzoldt, Untersuchungen zur neusumerischen Textilindustrie (Studi Economici e Tecnologici 1), Roma 1972, XXXXIV; zu Handwerk und Handwerker allgemein in literarischen Texten vgl. auch H. Neumann, Handwerk in Mesopotamien. Untersuchungen zu seiner Organisation in der Zeit der III. Dynastie von Ur, Berlin 21993, 25 mit Anm. 32 f. Zu den Bezeichnungen der Dichtung in der wissenschaftlichen Literatur vgl. M. Civil, The Farmer’s Instructions. A Sumerian Agricultural Manual (AuOr Suppl. 5), Barcelona 1994, 1.

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Texte aus Mesopotamien

ne auf die Biergöttin Ninkasi beschreibt in poetischer Form die einzelnen Schritte der Produktion von Bier, eines auch im alten Mesopotamien allseits beliebten Getränks. 4) Der zweite Teil dieser Dichtung ist als Trinklied zu charakterisieren. Hinzu kommen prozedurale Texte aus dem 2. und 1. Jt. v. Chr., die Handlungsanleitungen im Rahmen spezifischer handwerklicher Fertigungstechniken enthalten, wie etwa bei der Glasherstellung, 5) der Produktion von duftenden Ölen und wohlriechenden Salben sowie bei der Speisenzubereitung. 6) Für das hochentwickelte Bauwesen, dessen fachliche Leitung in der Hand von langjährig ausgebildeten und dementsprechend qualifizierten Baumeistern lag, 7) stehen exemplarisch die in neuassyrischen Königsinschriften beschriebenen Wasserbauten.8) Weiterführende Literatur in Auswahl: A. Bagg, Das altmesopotamische Technikverständnis, in: J. Baldwin / J. Matuszak (Hg.), mu-zu an-za3-sˇe3 kur-ur2-sˇe3 he2-gˆal2. Altorientalische ˘ Studien zu Ehren von Konrad Volk. FS K. Volk (dubsar 17), Münster 2020, 13-27; H. Born / E. Völling, Gold im Alten Orient. Technik – Naturwissenschaft – Altorientalistik (Nachrichten aus dem Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg. Reihe A: Antikensammlung 6), Würzburg 2006; K. Butz, Art. Landwirtschaft, RlA 6 (1980-1983) 470-486; J. Curtis (Hg.), Bronzeworking Centres of Western Asia, c. 1000-539 B.C., London / New York 1988; A. C. Gunter (Hg.), Investigating Artistic Environments in the Ancient Near East, Washington 1990; B. Hrusˇka, Tradicˇní obilnárˇství staré Mezopotámie. Der traditionelle Ackerbau im alten Mesopotamien, Praha 1990; P. R. S. Moorey, Ancient Mesopotamian Materials and Industries. The Archaeological Evidence, Oxford 1994; H. Neumann (Hg.), Wissenskultur im Alten Orient. Weltanschauung, Wissenschaften, Techniken, Technologien (CDOG 4), Wiesbaden 2012; E. Völling, Textiltechnik im Alten Orient. Rohstoffe und Herstellung, Würzburg 2008; R.-B. Wartke (Hg.), Handwerk und Technologie im Alten Orient. Ein Beitrag zur Geschichte der Technik im Altertum, Mainz 1994; H. Wilsdorf, Technisches Denken [in Vorderasien], in: F. Jürß (Hg.), Geschichte des wissenschaftlichen Denkens im Altertum (Veröffentlichungen des ZI AGA der AdW der DDR 13), Berlin 1982, 81-89.

4.

5. 6. 7. 8.

140

Vgl. im vorliegenden Zusammenhang auch W. Röllig, Das Bier im Alten Mesopotamien, Berlin 1970; R.-B. Wartke, Bier in den altvorderasiatischen Hochkulturen, in: Gerstensaft und Hirsebier. 5000 Jahre Biergenuß, Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland – Beiheft 20, Oldenburg 1998, 91-198. Vgl. dazu jetzt auch K. Schmidt, Glass and Glass Production in the Near East during the Iron Age. Evidence from objects, texts and chemical analysis, Oxford 2019. Für die Zeit im ausgehenden 3. Jt. v. Chr. vgl. jetzt auch H. Brunke, Essen in Sumer. Metrologie, Herstellung und Terminologie nach Zeugnis der Ur III-zeitlichen Wirtschaftsurkunden, München 2011. Vgl. H. Neumann, Der sumerische Baumeister (sˇidim), in: K. Veenhof (Hg.), Houses and Households in Ancient Mesopotamia. Papers read at the 40th Rencontre Assyriologique Internationale, Leiden, July 5-8, 1993 (PIHANS 78), Leiden 1996, 153-169 (mit Literatur). Zum Bauwesen bei den Assyrern (vor allem in neuassyrischer Zeit) nach den Textquellen vgl. jetzt J. Tudeau, Building in Assyria. A Philological Perspective (Schriften zur Vorderasiatischen Archäologie 14), Wiesbaden 2019.

Texte aus Mesopotamien

5.2 Die sumerischen Georgica

Susanne Paulus Text: Die sumerischen Georgica sind auf mehr als 45 Textvertretern überliefert, die größtenteils aus Nippur stammen. 9) Andere Exemplare, teilweise mit leicht abweichendem Text, wurden in Babylon, Tell Haddad, Ur und möglicherweise Sippar gefunden. Die meisten Tafeln mit der Komposition stammen aus dem Schulbetrieb des 2. Jt. v. Chr. M. Civil datiert alle Exemplare in die altbabylonische Zeit; der Text wird vermutlich noch in den literarischen Katalogen des 1. Jt. v. Chr. aufgeführt. 10) Die Texte sind in sumerischer Sprache, es existiert jedoch eine akkadisch-sumerische Bilingue. – Editionen, Bearbeitungen und Übersetzungen: S. N. Kramer, The Sumerians. Their History, Culture and Character, Chicago 1963, 340-342; A. Salonen, Agricultura Mesopotamica nach sumerisch-akkadischen Quellen (AASF 149), Helsinki 1968, 202-212; M. Civil, The Farmer’s Instructions. A Sumerian Agricultural Manual (AuOr Suppl. 5), Barcelona 1994; J. A. Black / G. Cunningham / J. Ebeling / E. Flückiger-Hawker / E. Robson / J. Taylor / G. Zólyomi, The Electronic Text Corpus of Sumerian Literature (http://etcsl.orinst.ox.ac.uk/), Oxford 1998-2006, c. 5.6.3. – Kommentare (Auswahl): Th. Jacobsen, Salinity and Irrigation. Agriculture in Antiquity (BMes 14), Malibu 1958 (veröffentlicht 1982), 57-60; S. N. Kramer, History Begins at Sumer, Philadelphia 1956, 65-69; B. Hrusˇka, Tradicˇní obilnárˇství staré Mezopotámie. Der traditionelle Ackerbau im alten Mesopotamien, Praha 1990; ders., Die sumerischen Georgica. Dichtung und Wahrheit, in: C. Wunsch, XXV. Deutscher Orientalistentag. Vorträge (ZDMG Suppl. 10), Stuttgart 1994, 24-31; ders., Agricultural Techniques, in: G. Leick (Hg.), The Babylonian World, London / New York 2009, 54-65.

In den Georgica werden einem jungen Bauern von einem erfahrenen Landwirt Ratschläge für den korrekten Anbau von Gerste, der wichtigsten Kulturpflanze Mesopotamiens, gegeben. Der Ablauf folgt grob dem landwirtschaftlichen Jahr, obwohl keine Jahreszeiten genannt werden.11) Die Bodenvorbereitung auf Brachfeldern begann teilweise schon im Winter, wobei die im Frühjahr (März/April) einsetzende Flut des Euphrats zur Durchfeuchtung des Bodens genutzt wurde (Z. 2-13). Anschließend werden Ratschläge zur Wartung der im Ackerbau benötigten Gerätschaften (Z. 1437) sowie zur Verwendung und zum Zusammenbau des Pflugs gegeben. Dieser kam nach dem Ende der Sommerhitze ab September/Oktober zum Einsatz. Die Aussaat mit Hilfe des Saatpflugs (Z. 38-63) hatte ab Oktober bis spätestens Dezember zu erfolgen. Über den Winter wuchs das Getreide, wobei mehrmals bewässert wurde (Z. 64-73). Die Ernte (Z. 74-87) fand im März/April bis Mai statt; spätestens im Juni/Juli sollte das Getreide gedroschen und eingelagert sein. 9.

10. 11.

Für eine Liste der Manuskripte s. M. Civil, The Farmer’s Instructions. A Sumerian Agricultural Manual (AuOr Suppl. 5), Barcelona 1994, 7-13, zu ergänzen durch J. A. Black / G. Cunningham / J. Ebeling / E. Flückiger-Hawker / E. Robson / J. Taylor / G. Zólyomi, The Electronic Text Corpus of Sumerian Literature (http://etcsl.orinst.ox.ac.uk/), Oxford 1998-2006, c. 5.6.3. Civil, The Farmer’s Instructions, 4. Die hier vorgeschlagene Rekonstruktion folgt B. Hrusˇka, Tradicˇní obilnárˇství, 477-480.

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Texte aus Mesopotamien (1) Der

Sohn des Pflügers-ferner-Tage bekam folgenden Ratschlag: 12)

(2) Wenn

du das Feld inspizieren wirst, überprüfe Deich, Kanal und Erhebung, die (für das Wasser) zu öffnen sind, (damit) (4) wenn du das Feld flutest, sein Wasser in seinem Inneren nicht (zu) hoch steht. (5) Am Tage, an dem es aus dem Wasser aufsteigen wird, (6) überwache den feuchten Boden des Feldes – er hat eine Abgrenzung, 13) (7) die Rinderherden sollen nicht (mehr) darauf herumtrampeln. (8) Nachdem du den Rohrbewuchs ausgerissen, den Erdboden freigelegt hast, 14) (9) gleiche das bùr (= 6,48 ha) mit einer gín-sal-Hacke von 2⁄3 Minen (= ca. 330 g) aus. 15) (10) Die s ˇub-Hacke 16) soll für dich die Hufabdrücke 17) der Rinder bedecken, soll sie glatt streichen. (11) Das ú-tag-Gerät 18) soll für dich die (alten) Furchen des Bodens wegstreichen. (12) Die Hacke soll für dich die vier Ecken des Feldrandes umrunden, (13) damit, bis es auf dem Feld trocken sein wird, alles flach ist. (3) dann

12. 13.

14.

15.

16. 17. 18.

142

Lesung der Zeile nach W. Sallaberger, The Sumerian Verb na de5(-g) »To Clear«, in: Y. Sefati u. a. (Hg.), »An Experienced Scribe who Neglects Nothing.« FS J. Klein, Bethesda 2005, 238 Anm. 15. M. E. ist hier nicht, wie Civil, The Farmer’s Instructions, 69 f. meint, die Einzäunung besonders fruchtbarer Feuchtstellen gemeint, sondern die Überwachung der tiefer gelegenen Stellen, die im folgenden zu nivellieren sind, sowie die Kontrolle des das Feld umgebenden Erdwalls. Mit Hrusˇka, ZDMG Suppl. 10 (1994) 26 f., wird in der Zeile das Entfernen von nicht erwünschtem Bewuchs auf dem Brachfeld beschrieben. Als Bedeutung des Verb ki-gˆar–du11 (wörtlich »Erde legen machen«) hat P. Attinger, Eléments de linguistique sumérienne (OBO Sonderband), Fribourg / Göttingen 1993, 586 f. folgendes vorgeschlagen: »semble décrire une – ou plusieurs – activités effectuées sur une aire précédant l’›exploitation‹«. Hierbei kann es sich allerdings nicht, wie von ihm vorgeschlagen, um die Nivellierung des Bodens handeln, da die in den folgenden Zeilen (9-11) beschrieben wird, sondern um das Freilegen des Bodens, d. h. um das Befreien von Wurzelwerk als Voraussetzung für die anschließende Bearbeitung; vgl. Z. 90. Bei urudugín-sal, akk. a/ehzu, handelt es sich um eine Hacke mit einem dünnen Blatt aus ˘ Kupfer, die zur ersten Feldvorbereitung verwendet wurde; vgl. C. Wilcke, Art. Hacke. B. Philologisch, RlA 4 (1972-1975) 35. Die Interpretation des Zeichens U=10=BÙR (Exemplare E, D3 und A4 haben als Variante U-àm) am Zeilenanfang ist schwierig: Civil, The Farmer’s Instructions, 70 schlägt die Bedeutung von »10 mal« = »vielmals« vor, was grammatikalisch sehr schwierig ist. Wilcke, RlA 5 (1972-1975) 35 geht von der Arbeit mit 10 Hacken aus, was inhaltlich schwierig ist. M. E. ist hier die Feldgröße BÙR gemeint, die auch im folgenden (vgl. Z. 26 ff.) eine entscheidende Rolle spielt, und damit die Fläche, die mit einem Kupferwerkzeug bearbeitet werden konnte, bevor eine Reparatur notwendig war. Die sˇub-Hacke, akk. sˇellipitu, war die Hackenform, mit der auch Ziegel gestrichen wurden; vgl. Wilcke, RlA 4 (1972-1975) 35. So A und E, alle anderen Varianten haben unspezifischer »ihre Hufabdrücke«. Das als ú-tag (akk. möglicherweise ingu) bezeichnete Gerät ist nicht klar zu identifizieren. Es kommt auch als Teil des Saatpfluges vor; vgl. Civil, The Farmer’s Instructions, 71, der ein Schlagwerkzeug »maul« vermutet. Jedoch ist nach der wörtlichen Bedeutung »PflanzenStreicher« auch ein Rechen oder eine Eggenart denkbar, was besser zu den Nivellierungsarbeiten passt.

Texte aus Mesopotamien

Abb. 5: Kassitisches Siegel (Quelle: D. M. Matthews, The Kassite Glyptic of Nippur, Fribourg / Göttingen 1992, Nr. 164) (14) Damit

deine Gerätschaften für dich vorbereitet sind, dein Joch mit seinen vollausgestatteten Jochflügeln zusammengebunden sein. 19) (16) Dein neuer Peitschen(riemen) 20) soll am Pflock herabhängen, (17) deine alten Peitschen(riemen), die am Griff festgebunden gewesen waren, (18) sollen für dich vom Handwerker repariert werden. 21) (19) Beil, Bohrer und Säge, deine Werkzeuge: Deine Arbeit sollen sie für dich in Ordnung bringen. (20) Der Kopfbinderiemen, der außen-heraufgehende Riemen, die Abdeckung, die Peitsche und der Grindel sollen befestigt sein. 22) (15) soll

19.

20. 21. 22.

Entgegen der Interpretation von á-sˇita4 als ta¯kaltu »Tasche« wird hier wegen der zahlreichen Varianten (u. a. A, B und A3), die á-sˇita4-a-bi/ba aufweisen, davon ausgegangen, daß statt sˇita4 das Adjektiv sˇudu (akk. ˇsuklulu) anzusetzen ist, mit der Bedeutung »vollausgestattet«. Gemeint sind damit die am Joch befestigten Geschirrteile, die die Nacken der Zugtiere flügelartig umgaben. Siehe dazu auch den Übersetzungsvorschlag von Hrusˇka, Tradicˇní obilnárˇství, 492 »dein Joch mit den sˇita-Flügeln zusammenbinden«. Die Bilingue B3 bietet zwar die akkadische Übersetzung ina ta¯k[alti], nimmt jedoch als sumerische Form nicht mehr á-sˇita4/sˇudu sondern dùn-dím an. Zur Peitsche und zu ihren Bestandteilen vgl. H. Waetzoldt, Art. Peitsche. Nach schriftlichen Quellen, RlA 10 (2003-2005), 382-386, besonders 383 zu dieser Stelle. Var. (B) »sollen die Handwerker für dich reparieren«. Var. A2 und A3 »an deinem Grindel«. Der Grindel (sagˆ) ist die Verbindung des Pflugkörpers zum Zugpunkt; vgl. B. Hrusˇka, Art. Pflug. A. In Mesopotamien, RlA 10 (2003-3005) 512. kusˇ sagˆ-késˇ bezeichnet einen Riemen am Joch vermutlich zum Anschirren der Rinder; s. Civil, The Farmer’s Instructions, 73. kusˇbar-e11-dè wird von Hrusˇka, Tradicˇní obilnárˇství, 492 als »Zuggurt« bezeichnet. Für beide Riemen wurde hier eine möglichst wörtliche Übersetzung gewählt. kusˇka-dù = ermu bezeichnet eine Abdeckung aus Leder, entweder zum Schutz von Pflugteilen oder des Rindernackens. Zu diesen Lederteilen im kulturhistorischen Vergleich s. G. Dalman, Arbeit und Sitte in Palästina II. Der Ackerbau, Gütersloh 1932, 93-115.

143

Texte aus Mesopotamien (21) Dein

Saattrichter soll für dich überprüft werden, (an) starke Arme 23) soll man ihn für dich anbringen. (22) Das Benötigte ist wahrlich auf deinem Feld vorhanden, überprüfe deine Arbeit! 24) (23) Daß

das Pflugrind ein Ersatzrind hat, Ochse an Ochsen lose angeseilt ist, (25) der dazugehörige Pflug hat einen Ersatzpflug. (26) Das Pensum für einen Pflug ist ein bùr (= 6,48 ha), 25) (27) du aber, 8 bùr (= 51,84 ha) sind es, (dann) baue das Holz (neu) zusammen, 26) (28) dann wird deine Arbeit eine Freude für dich sein. 27) (29) Auf ein bùr (= 6,48 ha) werden 3 barig (= 180 l) Gerste gesetzt. 28) (30) Sobald das Feld mit der Kraft eines Pfluges mit seiner bar-dil-Schar bearbeitet wurde, (31) sobald es mit der bar-dil-Schar des Auflockerungspflugs bearbeitet wurde, lockere den Boden auf. 29) (32) Egge, wiederhole es, mache es dreimal. 30) (33) Wenn der widerspenstige Boden wiederholt mit dem Dechsel geschlagen wird, 31) (24) daß

23. 24. 25. 26.

27. 28.

29.

30. 31.

144

Die als »Arme« bezeichneten Holzstreben, die den Saattrichter mit dem Pflugkörper verbinden, sind auf dem kassitischen Siegel (Abb. 5) klar zu erkennen. Var. A2 und A3 »Das für dein Feld benötigte ist wahrlich in deinem Haus, du hast alles für deine Arbeit bereit gelegt.« Mit dem »Pensum« ist nicht das tägliche Arbeitspensum gemeint, sondern die Fläche, die mit einem Pflug bearbeitet werden konnte. Für eine exemplarische Berechnung der Wegeleistung und Dauer des Pflügens vgl. Hrusˇka, Agricultural Techniques, 61. Beim Pflügen mußte der Pflug das Feld mehrmals bearbeiten (s. dazu die Z. 30-34), so daß es zu einem raschen Verschleiß kam. Die Reparaturanfälligkeit des Pflugs wird auch im Streitgespräch zwischen Hacke und Pflug Z. 95-101 angesprochen; vgl. H. L. Vanstiphout, The Disputation between the Hoe and the Plow, in: W. W. Hallo (Hg.), Canonical Compositions from the Biblical World (CoS I), Leiden / New York / Köln 1997, 578-581. Die Zeile ist nur in den Exemplaren A2, A3 und C3 überliefert, fehlt jedoch in den Texten aus Nippur. Zu den belegten Sähraten s. G. Pettinato / H. Waetzoldt, Saatgut und Furchenabstand beim Getreideanbau, in: I. Kärki (Hg.), Armas I. Salonen, S.Q.A. Anno 1975 sexagenario. FS A. Salonen (StOr 46), Amsterdam / Oxford / New York 1975, 259-290 und M. A. Powell, Late Babylonian Surface Mensuration, AfO 31 (1984) 53-66. Es werden zwei unterschiedliche Pflugvorgänge beschrieben. Zunächst wird der verhärtete Boden mit der gˆesˇbar-dil-Schar aufgerissen (akk. maja¯ru), anschließend aufgelockert (gˆesˇapintúg-gur10 / túg–gur); vgl. Civil, The Farmer’s Instructions, 76 f.; K. Maekawa, Cultivation Methods in the Ur III Period, BSA 5 (1990) 120-121 zur Terminologie, und E. Robson, Mesopotamian Mathematics, 2100-1600 BC. Technical Constants in Bureaucracy and Education (OECT 14), Oxford 1999, 164 zum Ablauf und zur zeitlichen Dauer verschiedener Pflugvorgänge. Die sumerische Egge war ein einfaches, von Rindern gezogenes Brett, auf dem der Feldarbeiter stand; vgl. A. Salonen, Agricultura Mesopotamica nach sumerisch-akkadischen Quellen (AASF 149), Helsinki 1968, 107 f.; zum Vorgang s. Maekawa, BSA 5 (1990) 122-123. Zum Vorgang s. P. Attinger, A propos de AK « faire », ZA 95 (2005) 223, zum verwendeten Dechsel s. Salonen, Agricultura, 157-160. Ein ähnliches Gerät ist für den traditionellen Akkerbau in Persien belegt; vgl. H. E. Wulff, The Traditional Crafts of Persia, Cambridge / London 1966, 266.

Texte aus Mesopotamien (34) dann

soll der Stiel deiner Dechsel fest an deinem Gerätekopf befestigt sein, sonst kannst du nicht wie gewünscht vorgehen. (35) Wenn sich deine Feldarbeit zum Beginn aufhäuft, (36) so soll man deine Feldarbeit nicht vernachlässigen, (37) man soll nicht sagen (müssen): »Mache deine Feldarbeit!« (38) Sobald

die Sterne des Himmels perfekt stehen, 32) du nicht böse darauf blicken, pro bùr (= 6,48 ha) 33) die Kraft der Rinder auf dem Feld einzusetzen, (40) die dazugehörige Hackarbeit soll für dich erledigt werden. (41) Wenn du das Feld bestellen wirst, (42) dann soll dein Pflug mit Schnüren gespannt sein. 34) (43) Lege das Saatrohr des Pfluges an das imdumu-Leder, 35) (44) lege dein Schargestell auf den dünnen Pflock, 36) (45) deine Streichbretter sollen breitflügelig sein – ziehe deine Furchen. 37) (46) Ziehe pro 1 ninda (= 6 m) 8 Furchen, (47) die Gerste zu dicht sitzender Furchen wird sich beugen. 38) (48) Wenn du das Feld bestellen wirst, (49) dann richte dein Auge(nmerk) auf deinen Mann, der das Saatgut legt. (50) Pro zwei Finger (ca. 3,3 cm) soll ein Getreidekorn gesetzt werden, (51) pro 1 ninda (= 6 m) soll für dich ein gín (= 16 ml bzw. 180 Korn) Gerste gesetzt werden. 39) (39) sollst

32. 33. 34.

35.

36. 37. 38.

39.

Welche Sternkonstellation hier gemeint ist, bleibt unklar; vgl. Civil, The Farmer’s Instructions, 79. Zur Lesung von U-àm s. oben Anm. 15. Zu dieser Bedeutung von gu–dúb s. Civil, The Farmer’s Instructions, 80. Schnüre (vgl. Abb. 6) dienten beim Saatpflug zur Befestigung der Arme des Saattrichters (vgl. Z. 21), aber auch zur Spannung der Streichbretter und Sterzen. Wulff, The Traditional Crafts of Persia, Abb. 357 und 358 (hier Abb. 7) zeigen rezente Pflüge aus Hu¯zista¯n, bei denen die Stabilität ˘ zwischen den Sterzen gespannt der Sterzen dadurch aufrecht erhalten wurde, daß eine Kordel wurde. gisˇ ka-sˇú (akk. asumatu) »der absinkende Mund (?)« ist sicher ein Teil der Saatvorrichtung; vgl. Civil, The Farmer’s Instructions, 80; m. E. handelt es sich um das Saatrohr, durch das die Saat aus dem Saattrichter in die Furche herabfiel. Übersetzung und Verwendung von kusˇ im-du5-mu bleiben mir unklar. Möglicherweise handelt es sich um die Verbindung zwischen Saattrichter (vgl. Z. 21) und Saatrohr. Der dünne Pflock, der Schargestell und Zugvorrichtung des Pfluges verbindet, ist auf Abb. 6 und 7 gut zu sehen. Die weitausgestellten Streichbretter des Pfluges sind auf Abb. 5 gut zu erkennen. Sie hatten als Aufgabe, die Furche mit dem Saatgut wieder zuzustreichen. Zur Identifizierung vgl. Hrusˇka, Tradicˇní obilnárˇství, 463. Zu den Furchenabständen s. Pettinato / Waetzoldt, FS Salonen, und Powell, AfO 31 (1984) 53-66; ähnlich breite Saatabstände sind auch beim Gebrauch von rezenten Saatpflügen aus Anatolien bekannt; vgl. F. Christiansen-Weniger, Die anatolischen Säpflüge und ihre Vorgänger im Zweistromland, AA 1967, 151-156. Belegt sind in neusumerischen Texten 8-12 Furchen pro ninda. Das zeigt, daß der hier vorgeschlagene Abstand weiter als normalerweise üblich war. Nur bei 8 Furchen pro ninda, was einem Furchenabstand von 75 cm entspricht, überstieg der Abstand die Wuchshöhe der Gerste (ca. 70 cm). Das verhinderte, daß sich die Halme gegenseitig berührten und so zum Erdboden hin beugten. Zur komplexen Metrologie hinter diesen Saatangaben vgl. Powell, AfO 31 (1984) 53-64.

145

Texte aus Mesopotamien

Abb. 6: Pflug auf einer Steinstele des Asarhaddon (Quelle: BM 91027, Ausschnitt; © Trustees of the British Museum) (52) Wenn

der Gerstesamen nicht in den Furchenboden eingeschnitten wird, 40) die Schneide, die Schar deines Pfluges. 41) (54) Wenn das Seil lose wird, dann verkürze das Seil. 42) (55) Wo eine gerade Furche gepflügt wurde, pflüge nun eine Stabfurche, (56) wo eine Stabfurche gepflügt wurde, pflüge nun eine gerade Furche. 43) (57) Geraden Furchen mit gelöstem Nacken legt man für dich einen berührenden Nakken an. 44) (58) Deine gewundenen Furchen sollen für dich begradigt werden. (59) Bringe die Furchen an die dazugehörige ab-ki-iz-Furche heran, pflüge so die Feldabtrennung. 45)

(53) ändere

40. 41. 42. 43.

44. 45.

146

Die Bedeutung von a-tùr (mit Varianten é-tur und a-tur) ist aus dem Kontext abgeleitet; vgl. Civil, The Farmer’s Instructions, 84. Laut Hrusˇka, RlA 10 (2003-2005) 512 bezeichnen sowohl gˆesˇnì-ku5 als auch gˆesˇeme die »Schar« bzw. Teile davon. Daher wird gˆesˇnì-ku5 hier als Apposition zu gˆesˇeme verstanden. Hier handelt es sich vermutlich um das Spannseil zwischen den Sterzen, vgl. Z. 42 und oben Anm. 34. Zu den verschiedenen Furchen und ihrer Terminologie s. Civil, The Farmer’s Instructions, 174 f. M. E. (vgl. Abb. 8 Schritt 1) wird abwechselnd eine gerade Furche mit Saatgut (ab-sínsi-sá = isˇara¯tu), anschließend eine Furche ohne Saatgut gepflügt. Diese diente dann später durch Anschluß an das Wassersystem zur Furchenbewässerung. Durch das Wenden des Pfluges hatte diese Furche eine Form, die an einen Hirtenstab erinnerte (ab-sín-gˆesˇsˇibir = hirsˇu). Zur Furchenbewässerung im antiken und modernen Irak s. M. P. Charles, Irrigation in˘ Lowland Mesopotamia, BSA 4 (1988) 19 und B. Hrusˇka, Die Bewässerungsanlagen in den altsumerischen Königsinschriften von Lagasˇ, BSA 4 (1988) 61-72. Die Bedeutung dieser Zeile erschließt sich durch Abb. 8 Schritt 1 und 2. Durch das Wenden des Pfluges entstehen Schlaufen. Diese werden nachträglich verbunden, um die Bewässerung zu gewährleisten (Schritt 2). Die Interpretation der Zeile ist unsicher. ab-ki-iz bezeichnet wohl eine besondere Furchenart, die auf verschiedenen Feldern mit unterschiedlicher Bepflanzung vorhanden war; vgl. R. de Maaijer / B. Jagersma, Rez. zu Å. W. Sjöberg (Hg.), The Sumerian Dictionary of the University Museum of the University of Pennsylvania, AfO 44/45 (1997-1998) 287 f. Möglicherweise handelt es sich um die Bewässerungsfurche, die rings um das Feld verlief und mit dem Zuleitungskanal verbunden war (s. die vom Kanal abgeleitete Bewässerungsrinne in Abb. 8).

Texte aus Mesopotamien

Abb. 7: Rezenter Pflug aus Hu¯zista¯n (Iran) ˘ of Persia, Abb. 358) (Quelle: Wulff, The Traditional Crafts (60) Die

Erdklumpen davon 46) sollen für dich aufgelesen werden. Erdboden, den Sediment bedeckt, soll man die (Saat)furchen für dich aufbrechen, (62) auf Erdboden, den Sediment blockiert, soll man die (Saat)furchen für dich eintiefen, 47) (63) das ist gut für die Sprößlinge. (61) Auf

(64) Nachdem

die Sprößlinge den Erdboden durchbrochen haben, das Gebet zu Ninkilim, 48) (66) wende die Zähne der Heuschrecken ab. 49) (67) Sobald die Gerste(npflanze) über die schmale Öffnung der Furche hinausgeht, (68) bewässere mit dem Wasser der ersten Saat. 50) (65) sprich

46. 47.

48. 49.

50.

Gemeint sind die beim Pflügen entstandenen Erdklumpen. Die Zeilen nehmen wahrscheinlich auf ein typisches Problem der mesopotamischen Bewässerungswirtschaft Bezug. Durch die Bewässerung mit Flußwasser setzten sich feine Sedimente (sahar = eperu »Erde, Staub«) ab, die zunächst die Bodenoberfläche durch Verschlämmung ˘ verschlossen, was das Pflanzenwachstum hinderte (Z. 62). Drangen die Partikel tiefer ein, so verschlossen sich die Bodenporen und die Kapillarleistung des Bodens verschlechtert sich (Z. 62); zu dieser Problematik s. Charles, BSA 4 (1988) 21-23 und 33 f. Die Gottheit Ninkilim war für Mäuse, »Getier« und »Gewürm« zuständig; vgl. W. Heimpel, Art. Mungo, RlA 8 (1993-1997) 424. Zu den Belegen für Heuschrecken in sumerischen Texten vgl. N. Veldhuis, Religion, Literature and Scholarship: The Sumerian Composition Nansˇe and the Birds (CM 22), Leiden / Boston 2004, 224-226; zu Heuschrecken als Feldschädlinge s. K. Radner, Fressen und gefressen werden. Heuschrecken als Katastrophe und Delikatesse im Alten Orient, WO 34 (2004) 7-19. Die erste Bewässerung der Gerstepflanzen erfolgte im ersten Entwicklungsschritt, der sog. Blattentwicklung; vgl. dazu Charles, BSA 4 (1988) 13 und Hrusˇka, Agricultural Techniques, 57 f.

147

Texte aus Mesopotamien

Abb. 8: Ziehen von Saat und Bewässerungsfurchen (Zeichnung der Autorin) (69) Bewässere

die Gerste, sobald sie in Form einer Bootsschilfmatte dasteht, 51) die dazugehörigen Ähren. 52) (71) Sobald die Gerste die Grannen üppig sprießen läßt, sollst du sie nicht mehr bewässern, sonst erkrankt sie an (Getreide)rost. 53) (72) Sobald die Gerste für das Hülsen geeignet ist, bewässere, 54) (73) so erhält man auf 1 bán (= 10 l) 1 sìla (= 1 l) Gerste Gewinn. 55)

(70) bewässere

(74) Wenn

du die Gerste ernten wirst, dann soll sich die Gerste noch nicht beugen, am für diese Arbeit vorgesehenen Tag. (76) Ein Schnitter und ein Mann, der die Gerstenbündel bindet, sind es – (75) ernte

51. 52. 53.

54. 55.

148

Die langen Reihen von Gerste, die als Schossen dastehen, sehen wie eine aufgerichtete Schilfmatte aus; s. zur Etymologie Civil, The Farmer’s Instructions, 88. sˇe lillan = lilla¯nu bezeichnet das Getreide vermutlich zur Zeit des Ährenschiebens noch vor der Blüte; vgl. dazu CAD L 188 s. v. lillânu »grain at its highest growth«, und Hrusˇka, Agricultural Techniques, 58 »putting on the ears of corn«. Zur Interpretation von sˇe-luh-ha-an/àm-ab-si/sù als sˇe + ù-luh-sù/si s. Civil, The Farmer’s ˘ h˘u »Sprößling« ist hier wohl als˘ Granne(n) aufzufassen, die Instructions, 88. ù-luh = uluh ˘ ˘ ˘ sa-ma-ná ist eine Krankheit von Mensch, Tier und Pflanze; mit der Blüte sichtbar werden. vgl. M. Krebernik, Art. Samana, RlA 11 (2006-2008) 609-611. Vermutlich handelt es sich um Getreiderost, der durch Pilzbefall verursacht wurde. Die letzte Bewässerung fand vor der Gelbreife statt, nachdem sich das Korn bereits verfestigt hatte (Teigreife); vgl. Charles, BSA 4 (1988) 13 f. und E. Wirth, Agargeographie des Irak, Hamburg 1962, 101. Es ist nicht ganz klar, ob der Ertragsgewinn von 10 % durch diese letzte Bewässerung oder durch das korrekte Ausführen aller Bewässerungen erreicht wird; vgl. Civil, The Farmer’s Instructions, 89.

Texte aus Mesopotamien (77) und

ein (weiterer) Mann: Er soll vor deinen Augen die Bündel gleichmäßig hinlegen – 56) (78) drei (Mann) sind es: Sie sollen für dich ernten. 57) (79) Dein Mann, der die Gerste aufsammelt, soll die Gerste nicht zerbrechen, 58) (80) an den Garben soll man die Gerste(nkörner) nicht losreißen. (81) Dein Tagwerk beginnt am frühen Morgen. 59) (82) Deine Hilfskräfte und deine Männer, die die Gerste aufsammeln, (83) versammle in ihrer (benötigten) Zahl, lege sie (= die Gerste) zu den Bündeln. 60) (84) Behandle deine Arbeit sorgfältig. (85) Obwohl nur noch altes Gerstenmehl vorhanden ist, soll (trotzdem) niemand Gerste für dein Brot 61) dreschen, (86) lass die Gerstenbündel ruhen. (87) Täglich soll man das Garbengebet für dich sprechen. 62) (88) Wenn

du die Gerste heraufholen wirst, sollen für dich die Männer, die die Gerste tragen, (jeweils nur) 30 gín (= 250 g) (auf einmal in der) Hand haben. 63) (90) Lege den Erdboden für deinen Dreschplatz offen. 64) (91) Bringe deinen Feldweg in Ordnung, (92) dein Transportwagen soll für dich in Ordnung gebracht worden sein. (93) Füttere die Rinder deines Wagens, deine Werkzeuge sollen […]. 65) (94) Dein aufgehäufter Dreschboden soll fünf Tage ruhen. 66) (89) dann

56. 57.

58. 59. 60.

61. 62. 63. 64. 65. 66.

Das Verb zar–sá ist nur in A1 erhalten. Var. A2 hat stattdessen tag = raka¯su »binden«, was jedoch eine Doppelung zu Z. 76 darstellt. Der Erntevorgang, bei dem der Schnitter nur kleine Gerstebündel schnitt und diese anschließend gebunden wurden, läßt sich auf ägyptischen Wandmalereien gut nachvollziehen; vgl. Salonen, Agricultura, Taf. XVI-XIX. Eine parallele Aufarbeitung für das eisenzeitliche Israel findet sich bei O. Borowski, Agriculture in Iron Age Israel, Winona Lake 1987, 57-62. Gemeint ist sicher das Abbrechen der Ähren von den trockenen Halmen, was den Transport erschwerte. Zum Verb s. Attinger, ZA 95 (2005) 253. Wörtlich: »Dein Tagwerk ist wie der frühe Morgen«. Die Zeilen beziehen sich nicht nur auf den normalen Erntevorgang, sondern auch auf das Auflesen heruntergefallener Gerste und abgebrochener Ähren; vgl. zu diesem Vorgang G. Hillman, Traditional husbandry and processing of archaic cereals in recent times. The operations, products and equipment which might feature in Sumerian texts. Part I: The glume wheats, BSA 1 (1984) 120 und Borowski, Agriculture in Iron Age Israel, 61. Var. A2 »dein Essen«. Das Verb sískur–du11 bezeichnet sowohl das Sprechen des Gebets als auch die begleitenden Rituale; vgl. Attinger, Eléments de linguistique sumérienne, 680 f. Zur Sprachsymbolik s. Civil, The Farmer’s Instructions, 93. Gemeint ist, daß die Träger nur 1 Bündel Gerste auf einmal zum Wagen bringen, vgl. Z. 79 f. Der Dreschplatz war ein unbebautes und unkultiviertes Stück Land zumeist auf dem Feld, seltener im Ort; vgl. dazu M. Stol, Art. Tenne, RlA 13 (2013) 587-588. Zum Verb vgl. Z. 8. Das Ende der Zeile (93a) ist nur in A2, F, W und F1 belegt, jedoch fehlt jeweils das Verb. Wahrscheinlich müssen die Werkzeuge überprüft oder eingesammelt werden. Zur Lesung dieser Zeile s. K. Maekawa, Piling up Barley Sheaves. A Study of su7-du8 and zar(3)-sal(4), in: L. Vacín (Hg.), U4 DU11-GA-NI SÁ MU-NI-IB-DU11. Ancient Near Eastern Studies in Memory of Blahoslav Hrusˇka. GS B. Hrusˇka, Dresden 2011, 129-144, besonders 130 mit Anm. 1.

149

Texte aus Mesopotamien (95) Wenn

du auf dem Dreschboden dreschen wirst, so öffne (die Gerste zunächst) mit dem Dreschflegel. 67) (96) (Wenn du die Gerste dreschen wirst,) 68) (97) dann sollen die Zähne deines Dreschschlittens und seine Lederverbindungen mit Bitumen bestrichen werden. 69)

Abb. 9: Ein rezentes Dreschbrett (Unterseite) aus dem Iran (Quelle: Wulff, The Traditional Crafts of Persia, Abb. 384) (98) Wenn

du die Rinder darauf herumtrampeln läßt, dein Mann, der die Gerste drischt, kraftvoll darauf stehen. 70) (100) Sobald du die Gerste(nkörner) auf dem Boden liegen läßt, 71) (101) sprich das Gebet der noch nicht geworfelten Gerste. (102) Wenn du die Gerste worfeln wirst, (103) dann stelle einen Mann mit Verstand als deinen Mann hin, der unterhalb der Gerste steht. 72) (99) soll

67.

68. 69. 70. 71. 72.

150

Die genaue Bedeutung von nì-ur5 (mit Variante nì-ùr) bleibt unsicher. Der Übersetzungsvorschlag von Civil, The Farmer’s Instructions, 94 »to smooth the surface«, scheint mir abwegig. Vielversprechender ist es, den Ausdruck mit nì-ùr-ra-tur-tur = ripsu in Nabnı¯tu XX 122 zusammenzubringen, eine Möglichkeit, die M. Civil ebenfalls erwähnt. Die Zeile steht im unmittelbaren Zusammenhang mit 119 sˇe-gˆesˇ-ra-ra = rapa¯su sˇa sˇe3im »Schlagen der Gerste« und 123 sˇe-ra-ah = ripsu ˇsa sˇe3im (I. L. Finkel, The Series SIG7.ALAN = Nabnı¯tu [MSL XVI], ˘ Hier bietet sich eine Übersetzung als Dreschflegel an; vgl. Salonen, AgriRoma 1982, 182). cultura, 181, dort jedoch als Worfelgerät gedeutet. Möglicherweise geht es hier zunächst um das Zerstreuen der Gerstebündel in Vorbereitung für den Einsatz des Dreschschlittens. Diese Zeile, eigentlich eine inhaltliche Doppelung des Beginns von Z. 95, ist nur im Exemplar A3 belegt. Für eine Beschreibung des Dreschvorgangs und des Dreschschlittens, an dessen Unterseite »Zähne« aus Flint angebracht sind, vgl. Salonen, Agricultura, 170-173. Solche Dreschbretter sind u. a. aus dem heutigen Iran bekannt; vgl. Abb. 9. Während des Dreschvorgangs zogen die Rinder den Dreschschlitten im Kreis über die Gerste, während der Drescher auf dem Schlitten stand, diesen lenkte und beschwerte; zu diesem Vorgang s. Hillman, BSA 1, 122-123 und Wulff, The Traditional Crafts of Persia, 273. D. h. wenn der Vorgang des Dreschens abgeschlossen ist. Var. A2 hat als Zusatz »dein Mann, der die Gerste worfelt«; dadurch wird deutlich, daß es sich bei dem »Mann, der unterhalb der Gerste steht« um denjenigen handelt, der das worfeln durchführte. Zum Worfeln wurde die Gerste unter Beachtung der Windrichtung hochgeworfen. Durch den Wind trennten sich Gerste, Stroh und Spreu. Der Vorgang ist bei Hillmann, BSA 1 (1984) 124 f. und Borowski, Agriculture in Iron Age Israel, 65-69, beschrieben.

Texte aus Mesopotamien (104) Zwei

Männer stehen bereit, um die Gerste wegzubringen. die Gerste gereinigt ist, lege sie unter den Meßstab. 73) (106) Sprich die Gebete abends und in dieser Nacht, (107) sobald es Mittagszeit ist, gib die Gerste frei. 74) (105) Wenn

(108) Ratgeber (109) Ninurta,

des Ninurta, Sohn des Enlil. wahrer Bauer des Enlil, dein Preis ist süß!

5.3 Wasserbauten in neuassyrischer Zeit

Karl Hecker 5.3.1 Die Bavian-Inschrift Sanheribs

Im heißen und regenarmen Mesopotamien ist das Wasser der großen Flüsse Euphrat und Tigris von ganz besonderer, weil lebenserhaltender Bedeutung. Ohne dieses Wasser wären Entstehung und Entwicklung der altorientalischen Hochkultur zweifellos anders verlaufen. Die unterschiedlichen geologischen Gegebenheiten führten auch zur Entwicklung unterschiedlicher wasserwirtschaftlicher Techniken. Im alluvialen Süden mit seinem zum Persischen Golf hin zunehmend verwilderten Flußsystem war je nach Jahreszeit Be- und Entwässerung der Kulturlandschaft nötig. Die zu diesem Zweck angelegten Kanäle mußten regelmäßig von den vor allem im Frühlingshochwasser herangeführten Flußsedimenten gereinigt werden. Anders war die Situation im assyrischen Norden, wo das hügelige Gelände oft besondere Baumaßnahmen wie Tunnel oder Stauwehre notwendig machte. 75) Vor allem Sanherib (König von 704-681 v. Chr.) hat sich auf diesem Gebiet hervorgetan und ein ausgedehntes Kanalsystem angelegt, das der Wasserversorgung von Ninive diente. 76) Eine technologische Meisterleistung war dabei der etwa 35 km lange Hinnis-Hosr-Kanal mit dem mäch˘ ¯ n, der den Go¯mal-Fluß ˇ erwa tigen, 280 m langen und 22 m breiten Aquädukt ˘von G überbrückte. 77) Sanherib beschreibt seine Arbeit an diesem Kanal selbst in der berühmten Bavian-Inschrift.

73. 74. 75. 76. 77.

Durch das Einstecken eines Meßstabs in den fertigen Getreidehaufen konnte der Ertrag des Feldes ungefähr gemessen werden; vgl. Civil, The Farmer’s Instructions, 96-98. Var. A3 hat den Zusatz: »Die freigegebene Gerste bringt man für dich weg.« Die Thematik ist monographisch behandelt von A. M. Bagg, Assyrische Wasserbauten. Landwirtschaftliche Wasserbauten im Kernland Assyriens zwischen der 2. Hälfte des 2. und der 1. Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr. (BaF 24), Mainz 2000. Vgl. die Karte bei Bagg, Assyrische Wasserbauten, Taf. 63. Hinnis: Moderner Name des dem Kanalkopf nächstgelegenen Ortes. Die dort angebrachte ˘ Inschrift wird traditionell aber mit dem Namen des weiter entfernten Bavian verbunden. ˇ erwa¯n vgl. Th. Jacobsen / S. Lloyd, Sennacherib’s Aqueduct at Jerwan Zum Aquädukt von G (OIP 24), Chicago 1935.

151

Texte aus Mesopotamien

Text: Ensemble von drei gleichlautenden Exemplaren,78) die zusammen mit mehreren (11?) Reliefs, die Sanherib vor den Göttern zeigen, an einer schwer zugänglichen Felswand beim Kanalkopf angebracht sind. Als Entstehungszeit ist wegen der in Z. 34 ff. geschilderten Schlacht von Halulê das Jahr 691 v. Chr. anzusetzen. Die Zerstörung von Babylon ˘ (Z. 43 ff.) erfolgte im Jahr 689 v. Chr. Der Text der Inschrift bereitet dem Verständnis oft erhebliche Probleme, was nicht zuletzt teils der Qualität älterer Kopien (H. A. Layard, der erste Kopist, konnte keine Keilschrift lesen), teils fortschreitender Gesteinsverwitterung (bei jüngeren Kopien) geschuldet ist, aber auch mit der sprachlichen Ausformung zusammenhängt. – Bearbeitungen, Kommentare: A. K. Grayson / J. Novotny, The Royal Inscriptions of Sennacherib, King of Assyria (704-681 BC), Part 2 (RIMA 3/2), Winona Lake 2014, 310-317 Nr. 223 (Bearbeitung mit älterer Literatur); wichtige Einzelbemerkungen auch bei A. M. Bagg, Assyrische Wasserbauten. Landwirtschaftliche Wasserbauten im Kernland Assyriens zwischen der 2. Hälfte des 2. und der 1. Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr. (BaF 24), Mainz 2000, 212-224, und E. Frahm, Einleitung in die Sanherib-Inschriften (AfO Beiheft 26), Wien 1997, 151-154.

Anu, Enlil, Ea, Sîn, Sˇamasˇ, Adad, Marduk, Nabû, [Ner]gal, Isˇtar, die Sibitti, große Götter, die in allen Wohnstätten zur Leitung der Schwarzköpfigen das Auge erheben (und) als König den Sanherib benennen, den König des Landes Assur, den König der vier Weltufer, den Fürst, der sie versorgt! (3-5) Auf eure verläßliche Zustimmung hin zog ich heil vom oberen bis zum unteren Meer und unterwarf die Herrscher der Weltufer meinen Füßen, sie schleppen mein Joch. (5-6) Zu der Zeit vergrößerte ich die Wohnfläche von Ninive sehr. Seine Mauer und seinen Außengraben, an denen vorher nicht gebaut worden war, ließ ich neu bauen und machte ich berghoch. (6-7) Seine Felder, die aus Wassermangel Wüstenei geworden waren, waren überzogen mit Spinngewebe, und seine Einwohner kannten Bewässerungswasser noch nicht, sondern erhoben ihre Augen zu Regen (und) Schauern vom Himmel. (8-11) Ich zog hinauf und ließ von den Städten Ması¯tu, Banbarina, Sˇapparisˇu, Ka¯r-Sˇamasˇ-na¯sir, Ka¯r-nu¯ri, Talmusu, Hatâ, Dala¯3in, ˘ usi (und) Re¯sˇ-e¯ni, Sulu, Du¯r-Isˇtar, Sˇibaniba, Isparirra, Gingilinisˇ,˙ Nampaga¯tu, Tı¯lu, A¯lum-s ˙ HusurWasser oberhalb von Hadabitu 18 Kanäle graben (und) lenkte deren Lauf in den ˘ ˘ Fluß. (11-12) Vom Gebiet der Stadt Kisiru ließ ich einen Kanal nach Ninive graben (und) ließ diese Wasser in ihn hineinfließen. (12-13) Ich nannte ihn Patti-Sîn-ahhe¯-erı¯ba. 79) [Ich ˘ ˘ bei Urartu, ließ] den Schwall dieser Wasser vom Berg Tas, einem rauen Gebirge nahe ˙ in mein Land [hineinfließen]. (13) Früher nannte man diesen Fluß den […]-Fluß, (13-15) Jetzt fügte ich ihm auf Geheiß von Assur, dem großen Herrn, meinem Herrn, die Wasser rechts und links des Gebirges, die seitwärts von ihm, und [die Wasser] der Städte Me¯su, Kukkinu (und) Pit’urra aus seiner Umgebung hinzu. (15-16) Ich grub [diesen] Kanal mit 70 Leuten und nannte ihn Na¯r-Sîn-ahhe¯-erı¯ba. 80) (16-17) Ich fügte (dies) zu dem ˘ ˘ gegraben hatte, hinzu und lenkte ihren Wasser der Quellen und Kanäle, die ich früher Lauf nach Ninive, der erhabenen Kultstätte, meiner königlichen Wohnung, (17-18) die seit endloser Zeit meine königlichen Vorväter weder vergrößert noch kunstvoll ausgestattet hatten. (18-19) Jetzt [pfl]anzte ich, Sanherib, der König des Landes Assur, der Erste (1-2) Assur,

78. 79. 80.

152

Ein ungelöstes Problem ist, daß die Inschrift in Z. 54-56 selbst von 6 Exemplaren spricht. »Sanheribkanal«. »Sanheribfluß«.

Texte aus Mesopotamien

von allen Herrschern, der vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang der Sonne [geradewegs z]og, mit dem Wasser der Kanäle, die ich hatte graben lassen, rings um Ninive Gärten, Weinstöcke, (20-21) allerlei Früchte, … […] … aus allen Bergen, Früchte aus allen Wohnstätten, Kräu[ter und Oliven] an. Wo das Wasser nicht hingelangte, (das) ließ ich unbewässert. (21-23) Ein Tiergehege …[…], Obstgärten am Eingang der Ländereien oberhalb der Stadt und unterhalb hvoni Tarbisu bis zur Stadt Assur bewässerte ich jährlich für den Anbau vom Getreide und Sesam.˙ (23-25) Ein späterer Herrscher von meinen königlichen Nachkommen, der im Herzen nachdenkt, nicht glauben mag und s[agt]: »Wie konnte er diesen Kanal mit so wenigen Leuten graben lassen?«: (25-26) Ich [schwöre] bei Assur, meinem großen Herrn, daß ich mit (nur) diesen Leuten diesen Kanal grub und in einem Jahr und 3 Monaten die Arbeit daran beendete, (sie) vollendet wurde (und) ich das Graben beendete. (27-29) Zur Eröffnung dieses Kanals entsandte ich einen Beschwörungs- und einen Klagepriester und … […]. Karneol, Lapislazuli, musˇsˇa¯ru-, hula¯lu-, pappardilû- und (andere) auserlesene Steine, raqqu- (und) sˇeleppû-Schild˘ kröten-Nachbildungen aus Silber (und) Gold, Duftkräuter und bestes Öl machte ich dem Ea, dem Herrn von Grundwasser, Quellen und …, dem Enbilulu, dem Inspektor der Kanäle, (und) dem En3e3imdu, [dem Herrn der Deiche und Kanäle], zum Geschenk. (29-30) Ich betete zu den großen Göttern, und sie erhörten meine Gebete und ließen meine Hände die Arbeit richtig ausführen. (30-31) Das Tor dieses Kanals öffnete sich von selbst [ohne] Hacke und Schaufel und ließ Wasser in Überfluß hindurchströmen. Nicht durch Arbeit von Menschenhand öffnete sich sein Tor, sondern auf den Wunsch der Götter hin ließ er das Wasser rauschen. (32-33) Nachdem ich den Kanal überprüft hatte, ob die Arbeit an ihm richtig ausgeführt war, opferte ich den großen Göttern, die mir zur Seite gehen (und) meine Regierung sichern, reine Opfer von fetten Stieren (und) zahlreichen Schafen. (33-34) Diese Leute, die diesen Kanal gruben, umhüllte ich mit linnenen Kleidern (und) bunten Kleidern (und) legte ihnen goldene Ringe (und) goldenen Brusthschmucki an. (34-36) In diesem Jahr stellte ich, als das Wasser des Kanals, den ich gegraben hatte, floß, eine Schlachtreihe (zum Kampf) mit Humban-menanu, dem König ˘ Königen des Gebirges und des Landes Elam, und dem König von Babylon nebst vielen des Meerlandes, ihren Helfern, in der Nähe der Stadt Halulê auf. 81) (36-37) Auf Geheiß von Assur, dem großen Herrn, meinem Herrn, drang ich˘ wie ein wütender Pfeil in sie ein und warf ihre Truppen zurück. Ich zerstreute ihre Truppenansammlung und löste ihre Kolonnen auf. (37-38) Die Großen des Königs des Landes Elam sowie Nabû-sˇuma-isˇkun, einen Sohn von Marduk-apla-iddina, dem König des Landes Karduniasˇ, nahm ich in der Schlacht lebendig gefangen. (38-39) Den König des Landes Elam und den König von Babylon warf der Schrecken meines machtvollen Kampfes nieder, und sie machten ihre Exkremente in ihre Streitwagen. (39-40) Sie flohen, um ihr Leben zu retten, in ihre Länder und kehrten später nicht mehr zurück. Vielleicht wäre sonst Sanherib, der König des Landes Assur, wütend geworden und nach Elam zurückgekehrt! (41-43) Furcht (und) Schrecken wurde über alle Elamiter ausgegossen, und um ihr Leben zu retten, suchten sie wie Adler Zuflucht in wildem Gebirge, und ihre Herzen klopften wie für verjagte 81.

Halulê: Ort am Tigris nahe dem heutigen Samarra. Die Schlacht von Halulê (691 v. Chr.) war ˘ beide Parteien äußerst verlustreich und für Sanherib nicht unbedingt ˘ siegreich. Er war erst für im Jahr 689 wieder in der Lage, erneut gegen Babylon vorzugehen.

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Texte aus Mesopotamien

Vögel. Bis zu ihrem Todestag machten sie den Weg nicht auf und führten keinen Kampf. (43-45) In meinem zweiten Feldzug marschierte ich eilig nach Babylon, das ich zu erobern plante. Ich wehte wie [der Ausbruch] des Südsturms und umhüllte es wie ein Nebel. Ich belagerte die Stadt und [nahm sie] mittels Mauerdurchbrüchen und Leitern [ein]. (45-46) Ich plünderte [die Stadt], ihre Leute, ob groß oder klein, verschonte ich nicht und füllte mit ihren Leichen die Plätze der Stadt. Den Sˇu¯zubu, 82) den König von Babylon, brachte ich mitsamt seiner Familie (und) seinen [Diener]n lebendig in mein Land. (47) Den Besitz dieser Stadt, Silber, Gold, edle Steine, Habe (und) Besitz überließ ich den Händen mei[ner Leute], und sie nahmen es für sich selbst in Besitz. (48-49) Die Götter, die in ihr wohnten, eroberten meine Leute, zerbrachen sie und nahmen [ihre Habe] (und) ihren Besitz weg. Den Adad und die Sˇala, die Götter von Ekalla¯tu, die Mardukna¯din-sˇumi, der König des Landes Akkad, zur Zeit von Tiglatpileser, dem König des Landes Assur, weggenommen und nach Babylon gebracht hatte, (50-51) holte ich nach 418 Jahren aus Babylon heraus und brachte sie nach Ekalla¯tu an ihren Platz zurück. Stadt und Gebäude zerstörte, vernichtete und verbrannte ich im Feuer vom Fundament bis zu den Zinnen. (51-52) Von Stadtmauer und -graben, von Tempel und Ziqqurrat riß ich Ziegel und Erdreich weg, soviel da war, und warf (es) in den Arahtu. (52-54) Ich grub Gräben in die Mitte dieser Stadt und überschwemmte ihre Erde mit˘ Wasser. Ich zerstörte die Anlage ihrer Fundamente und ließ so ihre Verwüstung die der Sintflut übertreffen. Damit auf zukünftige Tage der Platz dieser Stadt und die Tempel der Götter nicht wieder auffindbar sind, löste ich sie in Wasser auf und machte sie gänzlich zu Weideland. (54-56) Am Anfang 83) des Kanals, den ich im Gebirge hatte graben lassen, er[richtete ich] 6 Stelen. Ich machte darauf Bilder der großen Götter, meiner Herren. Ich stellte auch ein Bild von mir als König in demütiger Haltung vor ihnen auf. (56-57) Alle Taten meiner Hände, die ich in Ninive machte, ließ ich darauf schreiben und hinterließ ich auf ewig meinen königlichen Nachkommen. (57-60) Ein späterer Herrscher jemals, ein königlicher Nachkomme von mir, der das Werk, das ich machte, umstürzt, das Kanalsystem, das ich anlegte, auflöst (oder) den Zufluß des Wassers dieser Kanäle von der Umgebung Ninives abtrennt, (den) mögen die großen Götter, alle die, deren Namen auf dieser Stele genannt sind, durch den unab[änderlichen] Ausspruch ihres heiligen Mundes mit einem bösen [Fluch] belegen und seine Regierung stürzen!

82. 83.

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Kurzform für Musˇe¯zib-Marduk. Wörtlich »Mund«.

Texte aus Mesopotamien

ˇ ervan 5.3.2 Bauinschrift Sanheribs am Aquädukt von G

ˇ erwa¯n waren zahlreiche Quader verbaut, die mit unterschiedliAm Aquädukt von G chen kurzen Steinmetzmarken versehen waren (z. B. »Palast von Sanherib, König der Welt; König des Landes Assur«).

ˇ erwa¯n – Rekonstruktion Abb. 10: Aquädukt von G (Quelle: Jacobsen / Lloyd, Sennacherib’s Aqueduct, 17)

Text: Bauinschrift mit mehreren Exemplaren. – Edition: Jacobsen / Lloyd, Sennacherib’s Aqueduct, 19-22, Pl. XVI C (Photo eines Exemplars), XVIII (Kopie). – Bearbeitung: Grayson / Novotny, The Royal Inscriptions of Sennacherib, Part 2, 319 f. Nr. 226 (mit Photo und Hinweisen auf ältere Literatur). (1) Sanherib,

König der Welt, König des Landes Assur. (1-6) Über weite Entfernung habe ich die Wasser der beiden Hazur-Flüsse, die Wasser des Flusses Pulpullı¯ja, die Wasser ˘ der Stadt Gammagara (und) die Wasser der Gebirgsder Stadt Hanusa, die Wasser ˘ quellen rechts und links seitwärts davon hinzugefügt (und) (6-7) einen Kanal bauen lassen bis in das Umland von Ninive. (7-8) Über tiefe Schluchten ließ ich eine Brücke aus weißem Kalkstein queren (8) (und) ließ die Wasser dieser Flüsse darüberfließen.

5.4 Handwerkliche Rezepttexte

Daniel Schwemer Das Spezialwissen der verschiedenen Handwerke – Baumeister, Zimmerleute, Schreiner, Schmiede, Glaser, Gerber, Wollfärber, Flechter, Steinschneider und Steinmetze, Töpfer, Köche, Metzger, Brauer, Bäcker, Salbenmischerinnen, Weberinnen und viele mehr – fand offenbar nur in Ausnahmefällen Eingang in die schriftliche Überlieferung und wurde in aller Regel von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. Dennoch hat sich eine Reihe von Handlungsanleitungen für verschiedene Handwerke erhalten, wohl für besonders anspruchsvolle Techniken, die in erster Linie der Herstellung von Produkten für Götter und Könige dienten. Die Texte dieses Typs, die A. L. Oppenheim als prozedurale Texte bezeichnete, zeigen sämtlich präskriptiven Charakter und ähneln in ihrer Phraseologie und Struktur den Ritualanweisungen. 84) 84.

A. L. Oppenheim, Dictionary of Scientific Biography 15 (1978) 649-650; vgl. auch M. Jursa,

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Texte aus Mesopotamien

Eine umfangreichere Gruppe von Texten gibt Aufschluß über die Herstellung von Glas, insbesondere von gefärbtem Glas, das man als Schmucksteine verwendete. 85) Fritte (akkadisch anzah hu und kutpû) war schon im Mesopotamien des 3. Jt. v. Chr. ˘˘ bekannt, die Herstellung von gefärbtem Glas in mehreren Schmelzvorgängen unter Verwendung von alkalischer Pflanzenasche, silikathaltigem Quarzitkiesel und Fritte als Vorstadien zu homogen geschmolzenem Glas entwickelte sich aber erst im Verlauf des 2. Jt. Die Bezeichnung von Glas als »Babylon-Stein« im hethitischen Anatolien zeigt, daß die technischen Fertigkeiten zur Herstellung von Glas in hohem Ansehen standen und auch in entfernteren Regionen des Alten Orients mit dem südlichen Mesopotamien assoziiert wurden. Auch bei den babylonischen und assyrischen Glasmachern galt die Herstellung der gefärbten Schmucksteine aus Glas als ein schwieriges Unterfangen. Dies zeigt nicht zuletzt die rituelle Vorbereitung des Schmelzofens, die uns in der Sammlung von Glasrezepten aus der Bibliothek Assurbanipals bezeugt ist (7. Jh. v. Chr.; s. 5.4.1). Die Keilschrifttafeln aus der Bibliothek Assurbanipals bilden die umfangreichste Gruppe von Texten dieser Gattung; sie sind in ähnlicher Form aber schon in mittelbabylonischer Zeit bezeugt. Eine Gruppe von bisher leider immer noch fragmentarischen Texten aus dem mittelassyrischen Assur (13.-11. Jh. v. Chr.) widmet sich der Herstellung einer anderen Kostbarkeit: wohlriechender Öle und Salben. Diese sogenannten ›Parfümrezepte‹ geben Anweisungen dafür, wie Öle und Salben »durch Einweichung der meist in Wasser vorbehandelten aromatischen Substanz(en) in einer fetten Trägersubstanz, nämlich Sesamöl, ohne und mit Erwärmung hergestellt [werden]. Das Fett bindet dabei die flüchtigen ätherischen Öle. Bis zur Sättigung sind bis zu 20 Wiederholungen mit immer neuen aromatischen Materialien nötig.« 86) Der hier in Übersetzung vorgelegte Text (s. 5.4.2) beschreibt die Herstellung eines kostbaren aromatisierten Öls, das des Königs würdig sei, und basiert der Tafelunterschrift zufolge auf dem Diktat einer namentlich genannten Duftölherstellerin am assyrischen Hof. Die Tatsache, daß das Rezept im mittelassyrischen Dialekt geschrieben ist, deutet ebenso wie seine Phraseologie darauf hin, daß die Auskunft des Schreibers über den Ursprung des Textes durchaus ernst zu nehmen ist. Bereits aus altbabylonischer Zeit (18.-17. Jh. v. Chr.) stammt eine kleine Gruppe von drei Keilschrifttafeln, die Rezepte für die Herstellung von Speisen überliefern, wohl für den Kult der Götter oder die königliche Tafel. Auch hier erweckt die Phraseologie der Texte, nicht zuletzt der unvermittelte Wechsel zwischen zweiter und erster Person in den Handlungsanweisungen, den Eindruck, daß die schriftliche Fassung der Rezepte erstmals unmittelbar auf Diktat der Spezialisten hin erstellt wurde, auch wenn die erhaltenen Tafeln natürlich Abschriften darstellen können. Gerade in

85. 86.

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Rezension zu Bottéro, Textes culinaires Mésopotamiennes (1995), ZA 91 (2001) 298-302, hier 299. Zu fragmentarisch für eine Übersetzung an dieser Stelle ist eine spätbabylonische Tafel mit Rezepten zum Färben von Wolle; s. E. Leichty, A Collection of Recipes for Dyeing, in: M. A. Powell, Jr. / R. H. Sack (Hg.), Studies in Honor of Tom B. Jones. FS T. B. Jones (AOAT 203), Kevelaer – Neukirchen-Vluyn 1979, 15-19. A. L. Oppenheim, Glass and Glassmaking in Ancient Mesopotamia, New York 1970; ders., Art. Glas, RlA 3 (1957-1971) 407-410. M. Jursa, Art. Parfüm(rezepte) A. Mesopotamien, RlA 10 (2003-2005) 335-336, hier 335.

Texte aus Mesopotamien

diesen Texten bereiten die technischen Formulierungen und Begrifflichkeiten im Akkadischen dem Übersetzer einige Schwierigkeiten; trotzdem entsteht ein recht lebendiges Bild davon, wie kleinere Vögel, etwa Tauben, durch Kochen zubereitet, mit verschiedenen Lauch- und Zwiebelsorten gewürzt und unter Beigabe von Backwaren und Gemüsebreien serviert wurden (s. 5.4.3).

5.4.1 Glasherstellung Texte: Keilschrifttafeln K 2520+ (einkolumnige Bibliothekstafel) mit Duplikaten (neuassyrisch, 7. Jh. v. Chr.); hier nur Vs. 1-42. – Aufbewahrungsort: British Museum, London. – Fundort: Ninive, Bibliothek des Assurbanipal. – Bearbeitung und Kommentar: A. L. Oppenheim, Glass and Glassmaking in Ancient Mesopotamia, New York 1970, 32-36. (Vs. 1) Wenn

du die Fundamente eines Schmelzofens für Glas 87) legst, (2) suchst du in einem günstigen Monat einen günstigen Tag; dann legst du die Fundamente des Schmelzofens. (3) Sobald du den Schmelzofen vollständig errichtet hast, setzt du (Figuren der) (4) Ku¯bu-Gottheiten 88) (dort) hin. Ein Außenseiter (oder) Fremder darf nicht hinzutreten; eine unreine Person darf vor ihnen nicht vorübergehen. (5) Regelmäßig bringst du ein Streuopfer vor ihnen dar. (6) An dem Tag, an dem du das Glas in den Schmelzofen hinablegst, opferst du ein Schaf vor den Ku¯bu-Gottheiten; (7) du räucherst Wacholder. Du entfachst das Feuer unter dem Schmelzofen. (8) Das Glas legst du in den Schmelzofen hinab. Die Menschen, denen du Zugang zum Schmelzofen gewährst, (9) müssen rein sein, (erst) dann darfst du sie zum Schmelzofen herabkommen lassen. Das Holz, das du unter dem Schmelzofen (10) verbrennst, soll starkes, geschältes Pappelholz sein, (11) Scheite, die keine Verastungen zeigen (und) mit Lederriemen zusammengepackt sind, (von Bäumen, die) im Monat Abu gefällt wurden – (12) solches Holz soll unter deinen Schmelzofen gehen! (13) Wenn du zagindurû-farbenes Glas 89) herstellen möchtest: Du zerreibst jeweils einzeln 10 Minen immanakku-Stein 90), (14) 15 Minen Asche der uhu¯lu-Pflanze 91), 12⁄3 Minen ›Weiße Pflanze‹ 92). Du mischst (sie) zusammen. (15) Du legst ˘(das Gemenge) in einen

87. 88.

89. 90.

91. 92.

Akkadisch abnu »Stein« wird auch zur Bezeichnung von »Glas« verwendet. Ku¯bu sind die divinisierten Totgeburten, die als Unterweltsgottheiten verehrt wurden. Vielleicht sind sie die Schutzgottheiten des Schmelzofens, weil man Ofen und Mutterleib miteinander assoziierte; s. M. Stol, Birth in Babylonia and the Bible. Its Mediterranean Setting (CM 14), Groningen 2000, 29-32. Im Akkadischen »zagindurû-Stein«. Mit zagindurû wird eine wohl grünliche Variante des Lapislazuli bezeichnet. Wohl Quarzitkiesel, der den Silikatanteil für die Herstellung von Glas lieferte; vgl. A. Schuster-Brandis, Steine als Schutz- und Heilmittel. Untersuchung zur ihrer Verwendung in der Beschwörungskunst Mesopotamiens im 1. Jt. v. Chr. (AOAT 46), Münster 2008, 419 mit Literatur. Eine Alkalipflanze; die Varietät uhu¯lu qarna¯nû »gehörnte uhu¯lu-Pflanze« bezeichnet wohl ˘ ˘ Queller bzw. Glasschmelz (Salicornia). Der Pflanzenliste Uruanna zufolge ist ›Weiße Pflanze‹ eine Bezeichnung für Pappelharz. Die Funktion des Pappelharzes für die Glasherstellung ist nicht klar; vielleicht diente es dem Binden der pulverförmigen Rohstoffe vor dem Schmelzprozess (Mitteilung K. Wittstadt).

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Texte aus Mesopotamien

kalten Schmelzofen mit vier Heißluftöffnungen 93) hinab [und] stellst (es) zwischen den vier Heißluftöffnungen auf. (16) Du läßt ein gutes, rauchfreies Feuer brennen. Sobald [das Glas(gemenge)] gesintert ist 94), (17) hebst du (es) heraus und läßt (es) abkühlen. Du zerreibst es wieder; (das Pulver) sammelst du in einer sauberen dabtu-Pfanne. (18) Du legst (das Pulver) in einen kalten Kammerschmelzofen hinab. Ein gutes, (19) [rauchfreies] Feuer läßt du brennen. Sobald es klar wird, (20) gießt du (die Schmelze) auf einen gebrannten Ziegel aus: Das wird zukû-Glas genannt. (21) Du legst 10 Minen ›langsames Kupfer‹ in eine saubere Pfanne. In einen heißen Kammerschmelzofen (22) legst du es hinab und schließt die Tür des Schmelzofens. (23) Du läßt ein starkes, rauchfreies Feuer brennen. Sobald die Kupfermasse glüht, (24) zerstößt und zerreibst du 10 Minen zukû-Glas. Du öffnest die Tür des Schmelzofens und (25) schüttest (es) auf die Kupfermasse; (26) die Tür des Schmelzofens [verschließt du] (25) wieder. (26) Sobald das zukû-Glas auf (der Oberfläche) der Kupfermasse weich wird und die Kupfermasse sich unter dem Glas setzt, (27) rührst du (es) mit der muterru-Stange ein-, zwei-, dreimal. (28) So[bald … ] … du siehst … . 95) (29) W[enn das Glas die Farbe einer reifen Traube angenommen hat, läßt du es (noch etwas weiter) kochen. Auf einen gebrannten Ziegel (30) gießt du (es): Das wird tersı¯tu-Präparat genannt. (31) [10 Minen tersı¯tu-Präparat, 10 Minen bu ¯ su-Glas], gesiebte [uhu¯lu-Pflanze], nicht …, ˙ anzahhu-Glas (33) ˘sammelst du [in einer] (32) [… Minen] Kalk, 12⁄3 (Minen) gewaschenes neuen dabtu-Pfanne. (34) Du legst (das Gemenge) [in˘ ˘einen Schmelzofen mit vier Heißluftöffnungen hinab] und plazierst (es) auf einem Ständer. (35) [Der Boden der dabtuPfanne darf den Schmelzofen nicht berühren]. Du läßt ein gutes, rauchfreies [Feuer] brennen. (36) [ … . So]bald deine Mischung schmilzt, (37) [läßt du (sie) abkühlen]. Du hebst (sie aus dem Schmelzofen) heraus und zerreibst (sie). (38) [(Das Pulver) sammelst du in einer sauberen dabtu-Pfanne]. Du legst (es) [in] einen kalten Kammerschmelzofen hinab. (39) [Du läßt ein gutes], rauch[freies Feuer brennen]. Bevor das Glas glüht, schließt du die Tür des Schmelzofens nicht. (40) [Nachdem es ge]glüht hat, [schließt] du die Tür des Schmelzofens. Bis es klar wird, rührst du (es) einmal vor dir. (41) [Nachdem] es klar geworden ist, siehst du … . 96) [Wenn das Glas] eine gleichmäßige Masse bildet, (42) gießt du es (im Schmelzofen) in eine neue dabtu-Pfanne. Dann wird es aus dem [erkalteten] Schmelzofen als zagindurû-farbenes Glas heraufkommen. Es folgen ein weiteres Rezept für zagindurû-farbenes Glas sowie Rezepte für andersfarbige Gläser und verschiedene Vorprodukte der Herstellung von farbigem Glas.

93. 94. 95.

96.

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Wörtlich: »Augen«. Wörtlich: »weiß wird«. Oppenheim, Glass and Glassmaking, 34-35, ergänzt nach Parallelen a-d[i ina appi muterri TA I]GIII ma-am-ma ta-mar »until you see some drops (of liquid glass form) at the tip of the rake«. Doch sowohl die nicht-subjunktive Form tammar im adi-Satz als auch die Interpretation von mamma als »some« (statt mimma) sind problematisch. TA IGI ma-am-ma [ta-m]ar; vgl. die vorausgehende Fußnote.

Texte aus Mesopotamien

5.4.2 Herstellung von Duftölen und aromatisierten Salben Text: Große, vierkolumnige Keilschrifttafel: VAT 10165 (mittelassyrisch, 13.-11. Jh. v. Chr.). – Aufbewahrungsort: Vorderasiatisches Museum, Berlin. – Fundort: Assur, Tafelsammlung aus dem Bereich des Assur-Tempels. – Erstpublikation: E. Ebeling, Keilschrifttexte aus Assur religösen Inhalts II (WVDOG 34), Leipzig 1920-1923, Nr. 220. – Bearbeitung und Kommentar: E. Ebeling, Mittelassyrische Rezepte zur Herstellung wohlriechender Salben, Or. 17 (1948) 299-313, hier 308-313. (Vs. I 1) [We]nn

du aus Blättern mit (aromatischem) Rohr Duftöl 97) herstellst: Die Blätter seiner Rohrstengel einschließlich seines Saftes (verwendest du). (2) Wenn du die Waschprozeduren durchführst 98): Du stellst einen sˇahtisi-Topf hin. Du (legst es) in ge˘ ˙ (3) von Assur (und) trocknetem Zustand in frisches, gutes Wasser des Palastbrunnens (4) erhitzt (es). Du gießt es in den Mischbottich um. 1 Liter hamı¯mu-Pflanzenaroma, 1 ˘ gesiebt, schüttest du auf Liter ja¯ruttu-Pflanzenaroma, 1 Liter Myrte, [getro]cknet (und) (5) dieses Wasser in den Mischbottich. (6) Deine … ist dies: gemäß … teile! (7) (Die Vorkehrungen) für Sonnenuntergang, für den Abend führst du durch. Es bleibt über Nacht stehen; (8) es weicht ein. Im Morgengrauen, bei Sonnenaufgang, seihst du das Wasser und diese Aromata (9) durch ein su¯nu-Tuch in eine hirsu-Wanne. (10) Du klärst (die Flüssigkeit, ˘ zweite hirsu-Wanne (abgießt). Du entindem du sie) aus dieser hirsu-Wanne in eine ˘ ˘ du im Wasser eben dieser fernst Rückstände. 3 Liter gereinigte Erdmandel (12) wäschst Aromata; Grobkörniges entfernst du. (13) 3 Liter Myrte, 3 Liter (aromatisches) Rohr, zerstoßen (und) gesiebt, (14) gibst du auf das Wasser eben dieser Aromata in der hirsu˘ Wanne. (15) Du mißt 40 Liter von dem Wasser ab, das über Nacht mit den Aromata gestanden ist. 11⁄2 Liter nicht gefilterten (16) Mandelbrei, 2 Becher – im (Maß des) kleinen Holzbechers – mit kanaktu-Aroma-[Pulv]er zerstößt [du] (17) mit einem Stößel. … [samm]elst [du] in … . (18) In Wasser … Die erste Kolumne (Vs. I) bricht an dieser Stelle ab. Nach einer längeren Lücke setzt der Text am Ende der dritten Waschprozedur zu Beginn von Vs. II wieder ein. (Vs. II 1) Du

ent[fernst die Flüssigkeit und den Schaum], die im Topf sind, [du wäschst (ihn und) wischst (ihn) aus]. (2) [Dies ist] die Waschprozedur [des dritten (Durchgangs)]. (3-4) Wenn man zum vierten Mal aus[gießt:] Du (legst es) in getrocknetem Zustand [in frisches, gutes Brunnenwasser] (und) erhitzt (es). [Du gießt es in den Mischbottich um]. (5) 1⁄2 Liter (aromatisches) Rohr, 1⁄2 Liter Myrte, [zerstoßen (und) gesiebt], (6) [schüttest du] auf das erhitzte Wasser [im Mischbottich]. (7) Es bleibt über Nacht stehen; es weicht ein. [Im Morgengrauen, bei Sonnenaufgang], (8) [seihst du das Wasser] und diese Aro97.

98.

Mit qanû »Rohr« wird nicht nur das normale Schilfrohr bezeichnet, sondern auch eine Aromata liefernde, rohrartige Pflanze, die sonst auch als »süßes Rohr« begegnet. Zu dieser und anderen, u. a. auch in vorliegendem Text genannten Würz- und Aromapflanzen vgl. M. Jursa, Die Kralle des Meeres und andere Aromata, in: W. Arnold / M. Jursa / W. W. Müller / S. Procházka (Hg.), Philologisches und Historisches zwischen Anatolien und Sokotra. GS A. Sima, Wiesbaden 2009, 147-180. »Waschprozeduren durchführen« bezieht sich hier auf das wiederholte Einlegen der Aromata in Wasser (vgl. unten Vs. II 2).

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Texte aus Mesopotamien

mata [durch ein su¯nu-Tuch in eine hirsu-Wanne]. (9) [Du klärst] (die Flüssigkeit, indem ˘ zweite hirsu-Wanne] (abgießt). (10) Du entfernst du sie) aus dieser hirsu-Wanne [in eine ˘ ˘ Myrte, zerstoßen] (11) (und) gesiebt. Rückstände. [3 Liter (aromatisches) Rohr, 3 Liter 40 Liter von dem Wasser, das [über Nacht mit den Aromata gestanden ist], (12) mißt du ab. Dieses (aromatische) Rohr und diese Myrte [behandelst du genauso wie zuvor]. (13) Du fachst das Feuer an; das Wasser [soll] wie [für das Mischen erhitzt werden]. (14) Du schüttest Öl hinein. [Mit einem Quirl rührst du es durch]. (15) Wenn Öl, Wasser und Aromata in[einander eingedrungen sind], (16) ineinander übergehen, [darfst du es nicht kräftig begießen]. (17) [Das Feuer un]ter dem Topf scharrst du zusammen. Zwei [bis drei Tage bleibt es stehen]. (18) [ … ] … des … [entfachst du ein Feuer. … Die zweite Kolumne (Vs. II) bricht an dieser Stelle ab. Nach einer längeren Lücke setzt der Text am Ende von Rs. III wieder ein. Der fragmentarische Text läßt nicht erkennen, zum wievielten Durchgang der Gesamtprozedur die Verrichtungen gehören. (Rs. III 1’) …

[ … ]. (2’) Diese [ … ], die mit dem Wasser über [Nacht gestanden hat], (3’) zerreibst du [mit deiner Hand]; hinhinu-Gewürz [ … ]. [ … ] (4’) entfernst ˘ klärst du [ … ]. (6’) [ … ] schüttest du. Dieses Wasser [ … ] (5’) seihst˘ und du [ … ]. 3 Liter … [ … ]. (7’) Dieses dein Wasser, das du [ … ], [ … ]. (8’) Auf dieses Wasser [in der h irsu-Wanne gibst du (es). Du entfachst ein Feuer]. (9’) Das ˘ er[hitzt werden. Du schüttest Öl hinein]. (10’) Mit einem Wasser soll wie für das Mischen Quirl rührst du es durch. [Wenn Öl, Wasser und Aromata ineinander eingedrungen sind] (11’) (und ineinander) übergehen, … [ … ]. (12’) Du deckst die Öffnung des Topfes ab. In [ … ]. (13’) Bei Sonnenaufgang, beim [ersten Licht … ]. (14’) Öl, Wasser und Aromata [ … ]. (15’) Du [scharrst] das Feuer unter dem Topf zusammen. [ … ]. (16’) [Du entfernst] die Flüssigkeit und den Schaum, die [im Topf sind, du wäschst (ihn und) wischst (ihn) aus]. Die dritte Kolumne (Rs. III) bricht an dieser Stelle ab. Nach einer längeren Lücke zu Beginn der vierten Kolumne setzt der Text wieder ein. Nur die letzten Zeilen der Handlungsanweisungen und die Tafelunterschrift sind erhalten. (Rs. IV 1’) [Bei

Sonnenauf]gang, beim ersten [Licht … . Wenn Öl, Wasser und Aromata ineinander eingedrungen sind] (2’) (und) [in]einander übergehen, … [ … ]. (3’) Du deckst [die Öffnung] des Topfes ab (und) läßt ihn abkühlen. Ein s ˇappatu-Gefäß [ … ] (4’) richtest du [für] das mit (aromatischem) Rohr Duftöl her. Ein su¯nu-Tuch mit Schließe (5’) breitest du über die Öffnung des sˇappatu-Gefäßes. Portionsweise seihst du das Öl durch das su¯nu-Tuch (6’) in das sˇappatu-Gefäß. Den Satz und die Rückstände, (7’) die am Boden des Topfes übrig bleiben, entfernst du. Du gehst weg. (8’) Duftölbereitung aus Blättern für mit Rohr aromatisertes Öl; ein süßes Duftöl, das des Königs (würdig ist). (9’) Niedergeschrieben nach dem Diktat der Salbenmischerin Tappûtı¯-Be ¯ late¯kalle. (10’) 20. Tag des Monats Muhur-ila ¯ nı¯, Eponym des Sˇunu-qardu¯, des Obermundschenks. ˘

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Texte aus Mesopotamien

5.4.3 Zubereitung von Speisen Text: Große, vierkolumnige Keilschrifttafel: YBC 8958 (altbabylonisch, 18.-17. Jh. v. Chr.); hier nur Vs. I 1-II 20. – Aufbewahrungsort: Yale Babylonian Collection, New Haven. – Fundort: unbekannt, südliches Babylonien. – Erstpublikation: J. van Dijk / A. Goetze / M. I. Hussey, Early Mesopotamian Incantations and Rituals (YOS 11), New Haven / London 1985, Nr. 26. – Bearbeitung und Kommentar: J. Bottéro, Textes culinaires Mésopotamiennes. Mesopotamian Culinary Texts (MC 6), Winona Lake 1995, 11-15, 58-103, 114-119.

du … ] … von sˇur[…]-Vögeln oder kleinen [Vögel]n (2) … . 99) Kopf, Hals und Beine (3) trennst du ab. Du öffnest ihren Bauch, den Magen und das Gekröse (4) entfernst du. Dann schlitzt du den Magen auf und ziehst die Magenschleimhaut ab. (5) Du wäschst die Vögel; (das Gekröse) zerkleinerst du. Du bereitest einen Kessel vor, dann (6) legst du die Vögel, den Magen und die Innereien hinein. Danach hebst du (den Kessel vom Feuer), und (7) schreckst (das Fleisch) mit kaltem Wasser ab. Mit Milch wäschst du einen Topf gründlich aus; (8) {du schüttest} 100) in den Topf schüttest du Milch und bringst (ihn) heran (über die Herdstelle). (9) Du reibst die Vögel, den Magen (und) die Innereien säuberlich ab. (10) Mit Salz bestreust du (sie). Du legst sie zusammen in den Topf. Dazu gibst du (ein Stück) Fett – (11) Sehniges (und Knorpel) schneidest du heraus. (12) Du gibst (Würz)hölzer nach Geschmack ohne festes Maß hinzu. (Blätter von der) Weinraute (13) streifst du ab (und) gibst (sie) hinzu. Wenn es aufkocht, (14) fügst du ein wenig Zwiebel hinzu; samı¯du-Würzpflanze, Lauch, hazannu-Lauch (15) zerstößt du zusammen mit Zwiebel und gibst (es) hinzu. 15 Sekel (=˘ 125 g) klares (kaltes) Wasser (16) gibst du hinzu. Du säuberst saskû-Mehl und legst es in Milch ein. (17) Wenn es eingeweicht ist, knetest du es mit Garum. Dann (19) knetest du (den Teig so weiter), (18) daß er geschmeidig bleibt, (während) du (17) samı¯du-Würzpflanze, Lauch, h azannu˘ genau. Lauch, (18) Milch und ›Topffett‹ hinzugibst. (19) Dabei beobachtest du (den Teig) (20) läßt du die (eine) Hälfte gehen und legst Du teilst deinen Teig in zwei Hälften. Dann (sie) in einen Topf. (21) Die andere [Hälf]te bäckst du im Brotbackofen als ein geformtes sebı¯tu-Brot; dann 101) (22-23) nimmst du es heraus. Du knetest (weiteres) [sask]û-Mehl, das in Milch eingelegt und eingeweicht ist, (zusammen mit) [ … ], Lauch, hazannu˘ Vög[el Lauch (und) samı¯du-Würzpflanze in Milch. (24) Du nimmst [eine Sch]ale, die die f]aßt, und (25) [den Teig, mit dem du] (die Schale) ausgekleidet hast, ziehst du am Rand der Schale vier Fingerbreit hoch. (26) Du suchst eine große …-Schale 102) heraus. Den (zurückgelegten Teil des) Teig(s) (26-27) [gi]bst du in die Schale (und) drückst (ihn) dünn (darin) aus. Dann nimmst du eine (zweite) Schale – (28) [um] die Oberseite der Vögel zu bedecken, reicht (ihre Größe) – und (29) bestreust (sie) [mit Minz]e. Den Teig, (Vs. I 1) [Wenn

99. Zur Struktur der beiden ersten Zeilen vgl. M. Jursa, ZA 91 (2001) 298-302, hier 301-302; dort auch weiterführende Bemerkungen zu Vs. I 25, 32, 62 sowie Vs. II 4. 100. Wohl zu tilgen. 101. D. h. wenn es fertig gebacken ist. 102. Offenbar dieselbe Schale, die im folgenden ma¯kaltu »Schale« genannt wird. Hier muß jedoch ein anderes, vielleicht spezifischeres Wort für Schale gestanden haben; ergänze vielleicht [hu-bu-u]n-na-am ra-a-bi-tam »große [hubu]nnu-Schale«. ˘ ˘

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Texte aus Mesopotamien (30) [den]

du [in] der großen Schale belassen hast, (31) drückst du dann dünn (darin) aus und stellst (so) deine (Teig)haube her. 103) (32-34) Du … [ … und du … ] den Rand des Brotbackofens. Du legst zwei … 104) in den Brotbackofen und (34-35) [se]tzt darauf die zwei Schalen. Wenn es fertig gebacken ist, hebst du (die Schalen) heraus und (36) löst den [Te]ig der Haube (aus der Schale); (37-38) du bestreichst ihn mit [Ö]l. Du beläßt [ihn] {nicht}? 105) [in der Sch]ale bis zum Verspeis. (39-41) [Wenn] die Vögel und die Brühe (fertig) gekocht sind, zerstößt und zerpreßt du Lauch, hazannu-Lauch [und ˘ gebackenen Teig and]ahsˇu-Lauch. (42) Vor dem Verspeis nimmst du die Schale (mit dem ˘ darin) und (43) arrangierst die Vögel darauf. Auf die (44) Vögel: Die zerkleinerten Innereien (und) den Magen aus dem Topf (sowie) (45) das sebı¯tu-Brot, hdasi im Brotbackofen gebacken wurde, (46) streust du auf die Vögel. (47) Die Brühe und das Fett aus dem Topf, das über (dem Fleisch) (48) kochte 106), läßt du separat. Du legst deine (Teig)haube (auf das Arrangement und) (49) stellst (es) auf den Tisch. (50) Wenn du eine amursa ¯ nu-Wildtaube und ihre Brühe kochst: (51) Du schlachtest eine amursa¯nu-Wildtaube. Erstens machst du Wasser heiß (und tauchst sie hinein), (52) zweitens rupfst du sie. Sobald du sie gerupft hast, (53) wäschst du (sie) mit kaltem Wasser ab. Den Hals zu ihrem Körper hin (54) häute ich. Du schneidest {den Hals}? 107) (und) die Knochen entlang der (55) Flanken heraus. An ihrem Unterbauch (56) öffne ich sie, den Magen und das Gekröse (57) entferne ich. Ich wasche sie und in kaltes Wasser (58) lege ich (sie) ein. Ich schlitze den Magen auf, ziehe die Magenschleimhaut ab. (59) Die Innereien schneide ich auf (und) zerkleinere ich. (60) Wenn ich ihre Brühe koche, (61-63) lege ich den Magen, das Gekröse, die Innereien, … , den Kopf und (ein Stück) Hammelfleisch in einen Kessel. (64) (Nach dem Erhitzen) hebst du (den Kessel vom Feuer), und mit kaltem Wasser (65) schreckst du (das Fleisch) ab. Ich tupfe den Film (aus Wasser und Fett auf dem Fleisch) ab. (66) Ich bestreue (es) mit Salz (und) zusammen lege ich (es) in einen Topf. Ich stelle [Was]ser bereit. Dazu gibst du (ein Stück) Fett – Sehniges (und Knorpel) (Vs. II 1) schneide ich heraus. Essig, na[ch Augenmaß, … ] (2) gebe ich hinzu; samı¯du-Würzpflanze, Lauch (und) [hazannu-Lauch] (3) zerstößt du zusammen mit Zwie˘ [gibst] du Wasser hinzu. (5-7) Wenn es gebel [(und) gibst es hinzu]. (4) Wie erforderlich kocht ist, [zerstößt] (und) zerpreßt du L[auch, hazannu-Lauch], andahsˇu-Lauch und ki˘ [nicht zur Hand ist], ˘ (8) zerstößt du simmu-Milchprodukt. Falls kisimmu-Milchprodukt baru-Getreide, zer[stößt es (und) gibst es hinzu]. (9) [Du … ] die amursa¯nu-Wildtaube aus dem T[opf]. (10) Du reibst sie ab. Den Brotbackofen [ … ]; (11) das Feuer läßt du schön bren[nen]. (12) Ihre Beine [ … ] ich im … ; (13) in einen Teig(mantel) h[ülle ich] (sie) ein. (14) Ihre Brust lege ich auf … . (15) Wenn (alles) gekocht ist, hebe ich (den 103. So J. Bottéro folgend (»faire un couvercle«); im Akkadischen naktamta kuttumu »einen/mit einem Deckel abdecken«. 104. Vielleicht »Ziegel« als Untersatz, wenn man ˇsi-i-it-ta l[i-i-i]b-na-a-ti lesen darf. Statt »… darauf die zwei Schalen« könnte man auch »auf die zwei Schalen« übersetzen; dann dienten die Ziegel als Abdeckung. 105. J. Bottéro zufolge »nicht« als korrupt zu tilgen. Tatsächlich wird die Teighaube erst unmittelbar vor dem Servieren aufgesetzt; vielleicht sollte sie nicht wieder mit der bestrichenen Oberseite nach unten in die Schale gelegt werden. 106. Wörtlich »stand«. 107. J. Bottéro zufolge »den Hals« als korrupt zu tilgen; aber vielleicht bezieht sich kisˇa¯du hier auf den zu entfernenden Kropf.

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Texte aus Mesopotamien

Topf vom Feuer). (16-17) Bevor die Brühe lauwarm wird, servierst du sie mit hazannuLauch, grünen Kräutern (und) Essig. (18-19) Ihre Brühe kann auch allein für sich ˘gegessen werden. (20) Zerlegt zu servieren. Es folgen zumindest fünf weitere Rezepte für die Zubereitung verschiedener Vögel; in allen Rezepten werden die Vögel mit weiteren Zutaten in Wasser oder auch Bier gekocht.

5.5 Die Hymne auf die Biergöttin Ninkasi

Walther Sallaberger Text: Die Ninkasi-Hymne (Ninkasi A) mitsamt dem Trinklied ist auf drei Tontafeln altbabylonischer Zeit (etwa 18. Jh. v. Chr.) überliefert: Manuskript A: Fundort: unbekannt. – Aufbewahrungsort: Musée du Louvre, Paris (AO 5385). – Kopie: H. de Genouillac, Textes religieux sumériens du Louvre (TCL XV), Paris 1930, Nr. 20. Ninkasi-Hymne und Trinklied werden als »Wechsellied (bala-bala-e) der Inana« bezeichnet; es folgt ein Dumuzi-Inana-Text. – Manuskript B: Fundort: Nippur. – Aufbewahrungsort: Eski S¸ark Eserleri Müzesi, Istanbul (Ni. 4569). – Kopie: M. Çıg˘ / H. Kızılyay, I˙stanbul Arkeoloji Müzelerinde bulunan Sumer edebî tablet ve parçaları I, Ankara 1969, 119; vorangehend vier Lieder aus dem Dumuzi-Inana-Kreis. – Manuskript C: Fundort: unbekannt. – Aufbewahrungsort: Tontafelsammlung des Vorderasiatischen Museums Berlin (VAT 6705). – Kopie: H. Zimmern, Sumerische Kultlieder aus altbabylonischer Zeit (VS X), Leipzig 1913, Nr. 156. Nach Rubrik auf dem linken Tafelrand ein »[Wechsellied(?) von Nink]asi«; enthält keine weiteren Texte. Bearbeitungen: M. Civil, A Hymn to the Beer Goddess and a Drinking Song, in: R. D. Biggs / J. A. Brinkman (Hg.), Studies presented to A. Leo Oppenheim, June 7, 1964. FS A. L. Oppenheim, Chicago 1964, 67-89; J. A. Black et al., ETCSL Electronic Text Corpus of Sumerian Literature, http://www-etcsl.orient.ox.ac.uk, 1998-2006, c. 4.23.1 und c. 5.5.a (beruht im Wesentlichen auf der Edition von M. Civil); W. Sallaberger, Bierbrauen in Versen: Eine neue Edition und Interpretation der Ninkasi-Hymne, in: S. Ecklin / C. Mittermayer (Hg.), Altorientalische Studien zu Ehren von Pascal Attinger. FS P. Attinger (OBO 256), Fribourg / Göttingen 2012, 291-328.

Die sumerische Hymne auf die Biergöttin Ninkasi mitsamt dem dazugehörigen Trinklied, eine der wichtigsten Quellen zum Bierbrauen im alten Mesopotamien, ist kein Lehrgedicht, das Begriffe und Techniken erläutert, sondern gehört mit Texten um die Liebesgöttin Inana zu einem außerhalb der Schreiberschulen verbreiteten Liedgut, dessen Sitz im Leben in erster Linie bei familiären Festen zu suchen ist. Der Name der Göttin Ninkasi bedeutete ursprünglich »Herrin, die Bier einfüllt« (dninkasˇ-si). Frauen waren im älteren Mesopotamien oft für das Bierbrauen zuständig oder daran beteiligt, hauptberuflich kennt man aber vor allem männliche Brauer. In einer eigentümlichen Mischung von Fachausdrücken und literarischen Bildern wird die Herstellung von Bier aus dem Blickwinkel der göttlichen Brauerin Ninkasi beschrieben. Bier bildete ein Grundnahrungsmittel in Mesopotamien, als bekömmliches und pathogenfreies Getränk versorgte es die Menschen mit wichtigen Nährstof163

Texte aus Mesopotamien

fen, Vitaminen und Spurenelementen. Im Bier wurde die Gerste durch drei verschiedene Prozesse aufbereitet, die insgesamt ohne Erhitzen erfolgen konnten: 1) Der Mälzer bereitete für den Brauer das Malz, die angekeimte Gerste, deren Keimung durch Trocknen unterbrochen wurde, wodurch ein Teil der Stärke in Zucker umgewandelt wurde. 2) Der Brauer arbeitete mit Sauerteig, der bei den Temperaturen Mesopotamiens optimal aufging; dessen Milchsäure- und Hefebakterien bestimmten den Geschmack und setzten die Vergärung in Gang. 3) Das süße Malz und der Sauerteig wurden mit Schrot oder Mehl im Wasser eingemaischt, die Fermentation konnte beginnen. Anstelle nur einmal zu brauen, konnten die festen Bestandteile der Maische, der Treberkuchen, aus dem Gefäß genommen und auf Matten getrocknet werden. Der so gewonnene trockene Bierextrakt ließ sich nun lagern, transportieren und bei Bedarf wieder zu Bier anrühren. Solange das Bier gärte, war es frisch und konnte ausgeschenkt werden. Da keine Gewürze zugegeben werden, schmeckt ein solches Bier säuerlich-fruchtig ähnlich wie Most oder Federweißer, zudem mit einem müsliartigen starken Getreidearoma. Das an die zwölf Strophen der Ninkasi-Hymne anschließende Trinklied gehört zu einem Fest, auf das die Hymne schon in den Anfangszeilen (Z. 6, 8) verweist. Als Lied für ein Fest eines jungen Paares passen Ninkasi-Hymne und Trinklied hervorragend in den Kontext der Dumuzi-Inana-Liebeslieder. I

(1) Die

von strömendem Wasser hervorgebrachte [Siedlung(?)] 108), von (der Muttergöttin) Ninhursagˆa zuverlässig betreute, ˘ (3) Ninkasi, die von strömendem Wasser hervorgebrachte [Siedlung(?)], (4) die von (der Muttergöttin) Ninhursag ˆ a zuverlässig betreute, ˘ (5) deine Stadt, zu Honigwaben auf die Erde gesetzt: 109) (6) ihre großen Feste hat sie (Ninhursag ˆ a) für dich vollendet; ˘ (7) Ninkasi, deine Stadt, zu Honigwaben auf die Erde gesetzt: (8) ihre großen Feste hat sie (Ninhursag ˆ a) für dich vollendet. ˘ (9) Deine Mutter (ist) Nintil (»Herrin Leben«), die Herrin im Abzu, 110) (10) dein Vater (ist) Enki, der Herr Nudimmud. (11) Ninkasi, deine Mutter (ist) Nintil (»Herrin Leben«), die Herrin im Abzu, (12) dein Vater (ist) Enki, der Herr Nudimmud. (2) die

II

III

IV

(13) Dein (14) ein

aufgehender Teig, 111) wurde der mit der stattlichen Spatel geformt, Aroma von weichem Honig, der durchmischte Sauerteig, 112)

108. Das Wasser ermöglicht die Ansiedlung der Menschen, doch wird gleichzeitig schon auf die lebensspendende Flüssigkeit Bier verwiesen. 109. Mit dem Bild der »Honigwabe« (sum. làl-hur, wörtlich »Honig-Löcher«) für die dicht anein˘ Bewohner wird auch der Geschmacksinn angeandergefügten Häuser einer Stadt mit ihren sprochen: »Honig« bedeutet etwas »Leckeres«. 110. Abzu ist das Grundwasser, dessen Herr Enki/Nudimmud ist. 111. Der sumerische Ausdruck für den aufgehenden Teig bedeutet wörtlich »Teig-Horn« (si nígˆsila11). 112. Wie oben in Anm. 109 angesprochen, bezieht sich Honig metaphorisch nicht nur auf das »Süße«, sondern allgemein auf das »Wohlschmeckende«.

164

Texte aus Mesopotamien (15) Ninkasi, (16) ein

V

dein aufgehender Teig, wurde der mit der stattlichen Spatel geformt, Aroma von weichem Honig, der durchmischte Sauerteig,

(17) deine

Sauerteig(klumpen), wurden sie im stattlichen Ofen gebacken, 113) sie sauber angeordnete Garben von gunida-Emmer. 114) (19) Ninkasi, deine Sauerteig(klumpen), wurden sie im stattlichen Ofen gebacken, (20) sind sie sauber angeordnete Garben von gunida-Emmer.

(18) sind

VI

(21) Dein

Malz, wurde der Grieß bereitgelegt, 115) Wasser hineingegossen, es Ungeziefer von der Art sich zu krümmen und zu kringeln. 116) (23) Ninkasi, dein Malz, wurde der Grieß bereitgelegt, Wasser hineingegossen, (24) ist es Ungeziefer von der Art sich zu krümmen und zu kringeln. (22) ist

VII

(25) Deine

Maische, wurde im Gefäß Wasser dazugegeben, es Wellen, die sich heben, Wellen, die sich senken. 117) (27) Ninkasi, deine Maische, wurde im Gefäß Wasser dazugegeben, (28) sind es Wellen, die sich heben, Wellen, die sich senken. (26) sind

VIII

(29) Dein

Treberkuchen, ist er auf einer stattlichen Matte ausgebreitet, 118) er die Sanftmut, 119) die den Gott ergriffen hat. (31) Ninkasi, dein Treberkuchen, ist er auf einer stattlichen Matte ausgebreitet, (32) ist er die Sanftmut, die den Gott ergriffen hat.

(30) ist

IX

(33) Dein (34) ist

großes Trockenbier, 120) liegt es verarbeitet bereit, es Honig und Wein, die gemeinsam Saft geben. 121)

113. Durch das Backen in Laiben konnte der Sauerteig (sum. babir2, akk. bappiru) haltbar gemacht und dann gelagert werden. Experimente von Dr. Martin Zarnkow (Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität, Technische Universität München) haben 2015 gezeigt, daß bei kurzer Backzeit genügend Bakterien überleben, um damit erneut Sauerteig anzusetzen. 114. Im Ofen liegen die Sauerteig-Laibe wie die Emmer-Garben auf dem Feld; der literarische Vergleich spielt darauf an, daß in beiden Fällen Getreide für den weiteren Gebrauch bereit liegt. 115. Das vom Mälzer gelieferte Malz (munu4, buqlu) wurde geschrotet; der Dichter verwendet dafür das sum. Wort sahar, das sonst »(trockene) Erde, Sand« bedeutet. 116. Das Bild verweist wohl ˘auf das Einweichen der Gerste im Wasser vor dem Mälzen, um die Keimung in Gang zu setzen; dabei schwimmen Ungeziefer und andere Verunreinigungen auf der Wasseroberfläche. 117. Für die Maische (sumun2, nartabu) werden Sauerteig als Ferment, das Malz als Zuckerliefe˙ die Gärzeit verlängern, kräftig miteinander in Wasser verrant und Mehl bzw. Schrot, die rührt. 118. Der Treberkuchen (titab, tita¯pu), also die festen Bestandteile der Maische, werden entnommen, bevor die Gärung zum Stillstand kommt, und auf einer Rohrmatte zum Trocknen für das »Trockenbier« (Z. 33) ausgebreitet; die Gärung kommt so zum Ende. 119. Wörtlich »kühles Herz«. 120. Das aus dem Treberkuchen (oben Anm. 118) gewonnene »Trockenbier« oder »Bierextrakt« (dida, billatu, wörtlich »Mischung«) war in Mesopotamien die übliche Form, um Bier zu lagern und zu transportieren; für den Gebrauch wurde es wieder mit Wasser angerührt und begann nach wenigen Stunden zu gären. 121. Hier wird wohl die Verbindung von Süßem (Malz) und säuerlichem Ferment (Sauerteig) angesprochen.

165

Texte aus Mesopotamien (35) Ninkasi, (36) ist

X

dein großes Trockenbier, liegt es verarbeitet bereit, es Honig und Wein, die gemeinsam Saft geben.

(37) Was

… dessen Trockenbier, das sie in die Hand nahm. (39) Ninkasi, was … (40) ist dessen Trockenbier, das sie in die Hand nahm. (38) ist

XI

(41) Damit

das Lochbodengefäß laut tönt, du es auf einem stattlichen Bier-Pithos hergerichtet. 122) (43) Ninkasi, damit das Lochbodengefäß laut tönt, (44) hast du es auf einem stattlichen Bier-Pithos hergerichtet. (42) hast

XII

(45) Dein

Filterbier, 123) hat es sich in den Bier-Pithos ergossen, es, als hätte man auf Euphrat und Tigris geachtet. (47) Ninkasi, dein Filterbier, hat es sich in den Bier-Pithos ergossen, (48) ist es, als hätte man auf Euphrat und Tigris geachtet. 124) (46) ist

Trinklied: (49) (Festgemeinde

zum Hausherrn:) »gakkul-Gärgefäß, gakkul-Gärgefäß, lamdi-Gefäß, (51) gakkul-Gärgefäß, das die Laune verbessert, (52) lamdi-Gefäß, das das Herz erfreut, (53) ugurbala-Gefäß, des Hauses Zierde, (54) s ˇagube-Gefäß, das das Bier einfüllt, (55) amam-Gefäß, Herbeibringer für das lamdi-Gefäß, (56) bunig ˆ -Becken von bur-Gras, bandudu-Eimer des Hauses(?), (57) gute Gefäße, auf dem Gefäßständer bereitgestellt, 125) (58) das Herz deines Gottes möge sich dir gegenüber beruhigen! (59) Das ›Auge‹ des gakkul-Gärgefäßes, das ist wohl etwas (für) unser Auge! (60) Das Innere des gakkul-Gärgefäßes, das ist wohl etwas (für) unser Inneres! (61) Was dein Inneres ganz von selbst erfüllt, (62) das erfüllt ganz von selbst auch unser Inneres! 126) (63) Unsere Laune hat es verbessert, unser Herz erfreut! (64) Ist auf deinen Schicksals-Ziegel Wasser libiert, (50) gakkul-Gärgefäß,

122. Das Bierbrauen erfolgte in einem Paar von Gefäßen, einem mit Lochboden und darunter einem Aufnahmegefäß für das fertige Getränk. 123. Bier wurde mit Sieben aus Schilfrohr von Rückständen gereinigt. 124. Dem herausströmenden Bier kommt dieselbe Aufmerksamkeit wie Euphrat und Tigris und ihrem Wasserstand zu; gleichzeitig wird die Fülle des Biers mit den beiden Strömen Mesopotamiens verglichen. 125. gakkul-Gärgefäß und ugurbala-Gefäß entsprechen funktional dem Lochbodengefäß; Aufnahmegefäße sind dann lamdi und sˇagube-Gefäße. Wie die Formulierungen zeigen, erscheinen daneben Zwischen- und Transportgefäße. 126. Der Dialog findet zwischen dem »wir« der Festgemeinde und dem mit »du« angesprochenen Gastgeber statt.

166

Texte aus Mesopotamien (65) ist

dein reicher Wohnsitz gegründet, 127) möge (die Biergöttin) Ninkasi dort bei dir wohnen, (67) Bier und Wein dort stets zu dir hinüberbringen! (68) Saft und Honig mögen dort laut für dich (die Gäste) herbeirufen!« (69) (Hausherr:) »Im bunig ˆ -Becken von bur-Gras ist süßes Bier, (70) den Mundschenken, den jungen Mann, lasse ich Duftendes bringen. (71) Wenn ich beim Wasserbecken herumgehe, (72) bei meinem Anfüllen, wenn ich voll anfülle, (73) wenn ich nach dem Trinken von Bier in Schweigen verfallen, (74) wenn ich nach dem Trinken von Saft mich der Freude nähere, (75) wenn sich mein Herz freut, meine Laune verbessert, (76) wenn ich meines Herzens vorhandene Herzensfreude, (77) die gute Laune in ein Prachtgewand hülle, (78) dann wird das Herz der Inana wieder hergestellt sein!« (79) (Frau:) »Das Herz der Himmelsherrin wird wieder hergestellt sein!« 128)

(66) dann

127. Da am Gründungsziegel libiert und der Wohnsitz gegründet wurde, mag es sich um ein Fest beim Beziehen eines neuen Hauses handeln. 128. Die Bestätigung in der letzten Zeile steht im Emesal, der Frauensprache des Sumerischen, wurde also von einer Frau gesprochen. Die gelungene Feier der Menschen stimmt die Götter zufrieden.

167

6. Verwaltung und soziale Organisation 6.1 Einleitung

Hans Neumann Die Herausbildung und Entwicklung eines Schriftsystems, einer Frühform der späteren Keilschrift, im ausgehenden 4. und frühen 3. Jt. v. Chr. waren untrennbar mit den Erfordernissen einer Wirtschaftsverwaltung im Bereich zentraler Tempel im Süden Mesopotamiens verbunden, wovon entsprechende Textzeugnisse jener Zeit (fast 6.000 Tontafeln und Tafelfragmente) aus Uruk Zeugnis ablegen. 1) Darüber hinaus wuchs die Bedeutung des Siegels im Rahmen administrativen Handelns. 2) Mit dem Gebrauch der Schrift und der Nutzung der Tontafel als Schriftträger in verschiedenen Verwaltungs- und Wirtschaftsbereichen entwickelten sich gleichzeitig auch die notwendigen Buchhaltungstechniken mit den entsprechenden Termini, Datierungsmethoden und metrologischen Systemen. Für die einzelnen Verwaltungsvorgänge wurden adäquate Urkundentypen entwickelt. Derartiges erlernte man während eines mehrjährigen Curriculums der Schreiberausbildung im Rahmen der ersten Schulstufe, in der auf der Basis lexikalischer Texte und anhand fiktiver Urkundenbeispiele das Schreiben und die Verwendung von Buchungstermini und Formularen, von Zahlen in Verbindung mit Maßeinheiten, von Orts- und Personennamen wie auch von Gegenstandsbezeichnungen u. a. m. geübt wurde. 3) Ein (quellenmäßig belegbarer) Höhepunkt mesopotamischer Buchhaltung läßt sich für die Zeit der III. Dynastie von Ur (21. Jh. v. Chr.) nachweisen. Aus dieser Periode sind bislang über 90.000 Verwaltungsurkunden der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Sie lassen die ganze Breite und Vielfalt der Buchhaltungstechniken (in sumerischer Sprache) im Rahmen der Verwaltungs- und Wirtschaftstätigkeit einer integrierten Palast- und Tempelwirtschaft 4) in der Ur IIIZeit deutlich werden. Über verschiedene Zeiträume angefertigte Abrechnungen sowie Bestandsverzeichnisse, Felderpläne, den Eingang bzw. die Auslieferung von Gütern dokumentierende Empfangsquittungen, Notizen und Protokolle u. a. m. bezeugen eine gut funktionierende Bürokratie, 5) die ihr Schriftgut u. a. in Körben, Gefäßen oder Regalen bzw. Wandnischen ablegte und archivierte. 6) Die Schreiber arbei1. 2. 3. 4. 5. 6.

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Vgl. H. J. Nissen, Die Erfindung und frühe Nutzung des Mediums Schrift in Mesopotamien, in: N. Crüsemann / M. van Ess / M. Hilgert / B. Salje (Hg.), Uruk. 5000 Jahre Megacity, Petersberg 2013, 169-183. Vgl. B. Feller, Die Anfänge der Bürokratie. Funktion und Einsatz von Siegeln im 4. und 3. Jahrtausend v. Chr., in: Crüsemann / van Ess / Hilgert / Salje (Hg.), Uruk, 159-165. Vgl. dazu zusammenfassend (mit Literatur) H. Waetzoldt / A. Cavigneaux, Art. Schule, RlA 12 (2009-2011) 294-309. Zur Begrifflichkeit vgl. H. Neumann, Zum Problem des privaten Bodeneigentums in Mesopotamien (3. Jt. v. u. Z.), Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte. Sonderband 1987 (1988) 34 f. Vgl. dazu bereits die von H. Neumann in TUAT.NF 1 (2004) 20-24, Nr. 3.1-3.5 in Übersetzung vorgelegten Textbeispiele. Vgl. im vorliegenden Zusammenhang P. Steinkeller, Archival Practices at Babylonia in the

Texte aus Mesopotamien

teten im Rahmen ihrer Buchhaltungstätigkeit in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen (Land- und Viehwirtschaft, Bauwesen, Handwerk, Handel und Verkehr) auch mit bilanzierten Abrechnungen und waren in diesem Zusammenhang bestens mit den sumerischen termini technici (und deren sachlichen Inhalten) für »Soll« und »Haben«, »Defizit« und »Überschuß« vertraut. 7) Weitere buchhalterische Begrifflichkeiten betrafen die Organisation und Kontrolle von Arbeit(ern). 8) Von besonderer Bedeutung war in diesem Zusammenhang das sich in den Texten der Ur III-Zeit manifestierende System von (Wert-)Äquivalenzen, das die präzise Abrechnung über Güter und Produkte sowie Dienste und Arbeit(sleistung) auf einer sicheren buchhalterischen Basis ermöglichte. 9) Die Grundprinzipien der im Verlaufe des 3. Jt. v. Chr. entwickelten Buchhaltungstechniken und -gewohnheiten behielten auch in den folgenden beiden Jahrtausenden in Babylonien und Assyrien – nunmehr in einem weitgehend akkadischsprachigen Verwaltungsumfeld – ihre Gültigkeit, natürlich modifiziert, zum Teil weiter ausdifferenziert und angepasst an den jeweiligen konkreten Gegenstand und gesellschaftlichen Hintergrund des administrativen und wirtschaftlichen Handelns der späteren politischen und kultischen Institutionen und ihrer Protagonisten wie auch im Rahmen entsprechender privatwirtschaftlicher Aktivitäten. 10)

7. 8. 9. 10.

Third Millennium, in: M. Brosius (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World, Oxford 2003, 37-58; zur Aufbewahrung von Tontafeln im alten Mesopotamien vgl. K. R. Veenhof, Cuneiform Archives: An Introduction, in: K. R. Veenhof (Hg.), Cuneiform Archives and Libraries. Papers read at the 30e Rencontre Assyriologique Internationale, Leiden, 4-8 July 1983 (PIHANS 57), Leiden 1986, 11-14. Vgl. dazu im einzelnen R. K. Englund, Organisation und Verwaltung der Ur III-Fischerei (BBVO 19), Berlin 1990, 13-55. Vgl. Englund, Ur III-Fischerei, 57-90; ders., Hard Work – Where Will It Get You? Labor Management in Ur III Mesopotamia, JNES 50 (1991) 255-280. Vgl. Englund, Ur III-Fischerei, 18-23; ders., Versilberte Arbeit. Äquivalenzfestsetzung in der Ur-III-Zeit, in: H. Neumann (Hg.), Wissenskultur im Alten Orient. Weltanschauung, Wissenschaften, Techniken, Technologien (CDOG 4), Wiesbaden 2012, 121-152. Vgl. unter strukturellen und prozeduralen Gesichtspunkten ein- bzw. weiterführend z. B. altbabylonisch: M. Stol, Wirtschaft und Gesellschaft in altbabylonischer Zeit, in: D. Charpin / D. O. Edzard / M. Stol, Mesopotamien: Die altbabylonische Zeit (Annäherungen 4 / OBO 160/4), Fribourg / Göttingen 2004 (mit Literatur); mittelbabylonisch: L. Sassmannshausen, Beiträge zur Verwaltung und Gesellschaft Babyloniens in der Kassitenzeit (BaF 21), Mainz 2001; neu/spätbabylonisch: H. Freydank, Spätbabylonische Wirtschaftstexte aus Uruk (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Institut für Orientforschung, Veröffentlichung Nr. 71), Berlin 1971; M. Jursa, Accounting in Neo-Babylonian Institutional Archives: Structure, Usage, Implications, in: M. Hudson / C. Wunsch (Hg.), Creating Economic Order. Record-Keeping, Standardization, and the Development of Accounting in the Ancient Near East (ISCANEE 4), Bethesda 2004, 145-198 (mit Literatur); ders., Neo-Babylonian Legal and Administrative Documents. Typology, Contents and Archives (GMTR 1), Münster 2005; altassyrisch: M. T. Larsen, The Old Assyrian City-State and its Colonies (Mesopotamia. Copenhagen Studies in Assyriology 4), Copenhagen 1976; J. G. Dercksen, Old Assyrian Institutions (MOS Studies 4 = PIHANS 98), Leiden 2004; mittelassyrisch: S. Jakob, Mittelassyrische Verwaltung und Sozialstruktur. Untersuchungen (CM 29), Leiden / Boston 2003; J. N. Postgate, Bronze Age Bureaucracy. Writing and the Practice of Government in Assyria, Cambridge 2013; neuassyrisch: F. M. Fales / J. N. Postgate, Imperial Administrative Records, Part I: Palace and Temple Administration (SAAVII), Helsinki 1992; Part II: Provincial and Military Administration (SAA XI), Helsinki 1995.

169

Texte aus Mesopotamien

Beispielhaft werden im folgenden Texte vorgestellt, die zum einen die Organisation und Verwaltung handwerklicher Produktion in der Ur III-Zeit (21. Jh. v. Chr.) dokumentieren, zum anderen spezifische Aspekte des Steuerwesens in Babylonien im 6./ 5. Jh. v. Chr. beleuchten. Weiterführende Literatur in Auswahl: H. D. Baker / M. Jursa (Hg.), Documentary Sources in Ancient Near Eastern and Greco-Roman Economic History. Methodology and Practice, Oxford / Philadelphia 2014; M. Brosius (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World, Oxford 2003; M. Hudson / C. Wunsch (Hg.), Creating Economic Order. Record-Keeping, Standardization, and the Development of Accounting in the Ancient Near East (ISCANEE 4), Bethesda 2004; H. Nissen / P. Damerow / R. K. Englund, Frühe Schrift und Techniken der Wirtschaftsverwaltung im alten Vorderen Orient. Informationsspeicherung und -verarbeitung vor 5000 Jahren, Hildesheim 1991; P. Steinkeller / M. Hudson (Hg.), Labor in the Ancient World (ISCANEE 5), Dresden 2015; K. R. Veenhof (Hg.), Cuneiform Archives and Libraries. Papers read at the 30e Rencontre Assyriologique Internationale, Leiden, 4-8 July 1983 (PIHANS 57), Leiden 1986.

6.2 Verwaltung und Organisation des staatlich kontrollierten Handwerks in Ur zur Zeit der III. Dynastie von Ur (21. Jh. v. Chr.)

Hans Neumann In Ur im Süden Mesopotamiens, der Hauptstadt des Reiches der III. Dynastie von Ur (21. Jh. v. Chr.), läßt sich ein zentral organisierter und kontrollierter Werkstattverbund ([é]-gˆesˇ-kígˆ-ti »Handwerkerhaus«) nachweisen, der in erster Linie für die Luxusgüterproduktion für den Königshof und die Hauptheiligtümer der Stadt zuständig war. Das sog. ›Handwerkerhaus‹ bestand aus acht Werkstätten, in denen die jeweiligen spezifischen Materialien verarbeitet wurden, und zwar vornehmlich von ›Bildhauern‹, Goldschmieden, Steinschneidern, Zimmerleuten, Schmieden, Lederarbeitern, Filzherstellern und Rohrarbeitern. 11) Bezeugt ist die Organisations- und Verwaltungseinheit ›Handwerkerhaus‹ vor allem durch den Abrechnungstext UET III 1498, der die an die Werkstätten im Verlaufe des Jahres Ibbi-Sîn 15 zur Verarbeitung übergebenen Rohstoffe und Materialien notiert. 12) Darüber hinaus geben weitere Texte des sog. Handwerksarchivs von Ur vor allem der Jahre Ibbi-Sîn 15-17 Auskunft über die Verwaltungsstruktur des ›Handwerkerhauses‹ und sich damit verbindender spezieller Verwaltungsakte, über das verarbeitete Material und die 11.

12.

170

Die Bezeichnung ›Handwerkerhaus‹ charakterisiert hier einen Verbund von Werkstätten, der organisatorisch zwar zusammengehörte, jedoch räumlich mehr oder weniger auch getrennt sein konnte. Allerdings legt der hohe Grad der Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Werkstätten nahe, dass von einer räumlichen Nähe der Werkstätten auszugehen ist. Ihre genaue Lage ist unbekannt. Zu diesem Text vgl. zuletzt M. Van De Mieroop, An Accountant’s Nightmare. The Drafting of a Year’s Summary, AfO 46/47 (1999-2000) 111-129.

Texte aus Mesopotamien

Endprodukte sowie über die im Rahmen des Werkstattverbundes tätigen Arbeitskräfte. Die Texte dokumentieren nicht nur eine buchhalterisch präzise Erfassung des Material- und Arbeitskräfteeinsatzes – letzteres vor allem mit Blick auf die Entlohnung der jeweiligen Handwerker –, sondern spiegeln auf der Verwaltungsebene auch die Komplexität der arbeitsteiligen Struktur des Werkstattverbundes von Ur wider. Dem ›Handwerkerhaus‹ stand ein »Präfekt« (sˇabra) als Verwaltungsbeamter vor, der die für die Handwerker bestimmten Rohstoffe und Halbfabrikate in Empfang nahm, wobei ihm auch die Kontrolle über die Endprodukte oblag. Dem leitenden Beamten des ›Handwerkerhauses‹ unterstand ein (Schreiber als) »Aufseher« (ugula), der für den Einsatz der Arbeitskräfte sowie für deren Entlohnung zuständig war. Für die Verwaltung des ›Handwerkerhauses‹ scheint darüber hinaus auch ein »Buchführer der Handwerker« (sa12-du5-gˆesˇ-kígˆ-ti) tätig gewesen zu sein. Ferner vermerken die Texte aus Ur auch »Schreiber der Handwerker« (dub-sar-gˆesˇ-kígˆ-ti), deren Stellung zum ›Handwerkerhaus‹ jedoch nicht eindeutig zu bestimmen ist. Literatur: D. Loding, A Craft Archive from Ur, University of Pennsylvania, Ph.D. Diss., Philadelphia 1974; H. Neumann, Handwerk in Mesopotamien. Untersuchungen zu seiner Organisation in der Zeit der III. Dynastie von Ur, Berlin 21993, 35-71; W. Sallaberger, Ur und das Handwerkerarchiv, in: W. Sallaberger / A. Westenholz, Mesopotamien: AkkadeZeit und Ur III-Zeit. (Annäherungen 3 / OBO 160/3), Freiburg (CH) / Göttingen 1999, 274-285; M. Van De Mieroop, Accounting in Early Mesopotamia: Some Remarks, in: Hudson / Wunsch (Hg.), Creating Economic Order, 47-64.

6.2.1 Die Einlieferung der Rohstoffe und Materialien in das ›Handwerkerhaus‹ und deren Verteilung an die Handwerker

Die von Kaufleuten und speziellen Meereskauffahrern vor allem aus der Region des Persischen Golfes importierten Rohstoffe, wie Metalle, Hölzer, Elfenbein und (Edel-)Steine, 13) wurden von den Speichern der Tempel und des Palastes, wo diese Materialien lagerten, zur Weiterverarbeitung an die Handwerker ausgegeben. Hinzu kamen einheimische Produkte und Materialien, wie z. B. Rohr, Häute, Öl, Ziegenhaar, sowie zur Weiter- bzw. Umarbeitung oder Reparatur bestimmte Halbfabrikate und Endprodukte, die als Teil des Materialbestandes des ›Handwerkerhauses‹ bezeugt sind. Die Belieferung des Werkstattverbundes mit Rohstoffen und Materialien erfolgte kontinuierlich das ganze Jahr hindurch, was durch die in großer Anzahl für die Jahre Ibbi-Sîn 8 und 15-19 vorliegenden Empfangsquittungen des Präfekten des ›Handwerkerhauses‹ dokumentiert wird. Über ihn erfolgte administrativ auch die weitere Verteilung der Rohstoffe und Materialien an die jeweiligen Handwerker und deren Werkstätten, was durch zusätzliche Eintragungen in den Empfangsquittungen

13.

Zum Handelsverkehr, insbesondere auch mit der Region des Persischen Golfes, in der Ur IIIZeit vgl. C. Schmidt, Überregionale Austauschsysteme und Fernhandelswaren in der Ur IIIZeit, BaM 36 (2005) 7-151.

171

Texte aus Mesopotamien

zum Ausdruck kommt, allerdings ausschließlich auf Handwerker bezogen, die für die Metallbearbeitung zuständig waren, wie vor allem Goldschmiede und Schmiede.

6.2.1.1 Silber für die Goldschmiede Text: Keilschrifturkunde aus den Grabungen in Ur (U. 3851). – Aufbewahrungsort: Iraq Museum, Baghdad. – Edition: L. Legrain, Business Documents of the Third Dynasty of Ur: Plates (UET III/1), London 1937, Nr. 407 (Kopie); ders., Business Documents of the Third Dynasty of Ur: Indexes, Vocabulary, Catalogue, Lists (UET III/2), London 1947, 216 (paraphrasierende Übersetzung).

Von einem gewissen Kurmugam, wahrscheinlich zuständig vor allem für die Belieferung des ›Handwerkerhauses‹ mit Silber, nimmt Lu-Enki, Präfekt des Werkstattverbundes bis zum Jahr Ibbi-Sîn 8, mehrere Silberringe 14) zur Weiterverarbeitung und zur Möbeldekoration in Empfang. Der zusätzlich als »Verantwortlicher« (gˆìri) genannte Lugal-hegˆal war als Goldschmied einer der beiden »Aufseher« (ugula) einer ˘ Goldschmiedeabteilung des ›Handwerkerhauses‹, von denen es zwei gab. Mit dem entsprechenden textlichen Hinweis wird eine spezifische Goldschmiedegruppe als letztlicher Empfänger der Silberringe buchhalterisch angezeigt. (1) 2

Silberringe zu je 7 Sekel, (2) 4 Silberringe zu je 6 Sekel, (3) ihr Gewicht: 1⁄2 Mine, 6 ⁄ Sekel, (4) (für) 6 Ringe zu je 5 Sekel (5) und auf einem hölzernen …-Sitz 15) (6) anzubringen, 16) (7-8) hat von Kurmugam Lu-Enki in Empfang genommen. (9) Verantwortlich: Lugal-hegˆal. (10-15) (Datum: XI. Monat, 26. Tag, Jahr Ibbi-Sîn 8). ˘ 56

6.2.1.2 Silber für die Herstellung von Ringen Text: Keilschrifturkunde aus den Grabungen in Ur (U. 4052). – Aufbewahrungsort: Tontafelsammlung des University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology, Philadelphia (UM 47-29-289). – Edition: L. Legrain, Business Documents of the Third Dynasty of Ur: Plates (UET III/1), London 1937, Nr. 625 (Kopie); ders., Business Documents of the Third Dynasty of Ur: Indexes, Vocabulary, Catalogue, Lists (UET III/2), London 1947, 223 (Inhaltsangabe); CDLI P136947 (Photo).

Ahu-waqar, Präfekt des ›Handwerkerhauses‹ der Jahre Ibbi-Sîn 8/9 bis 22, zeichnet für ˘ die Übernahme von 8 Minen 5 Sekel Silber (= 4,04 kg) verantwortlich, die zu 97 Rin14.

15. 16.

172

M. A. Powell, A Contribution to the History of Money in Mesopotamia prior to the Invention of Coinage, in: B. Hrusˇka / G. Komoróczy (Hg.), Festschrift Lubor Matousˇ II, Budapest 1978, 213 f. verweist im vorliegenden Zusammenhang darauf, »that these objects were designed for the purpose of storing the metal in a convenient form that could be used either for trade by putting it on a balance and weighing it or, by melting it, for manufacturing other items.« Die Identifizierung des Möbels in Z. 5 (gˆesˇgu-za-x-ÌR) ist unsicher. Z. 6: gˆá-gˆá-dè; zu gˆar im Sinne von »plattieren« vgl. P. Paoletti, The Manufacture of a Statue of Nanaja: Mesopotamian Jewellery-Making Techniques at the End of the Third Millennium B.C., in: S. Garfinkle / M. Molina (Hg.), From the 21st Century B.C. to the 21st Century A.D. Proceedings of the International Conference on Sumerian Studies Held in Madrid, 22-24 July 2010, Winona Lake 2013, 334-340, hier bezugnehmend auf »decorations that still have to be carried out« (ebd. 333).

Texte aus Mesopotamien

gen verarbeitet werden sollen. Die Aufteilung des von Ur-Gu3edena, des Nachfolgers von Kurmugam als Silberlieferant, bereitgestellten Materials auf die Goldschmiede Habat und Ilı¯-andul, die als Repräsentanten der beiden Goldschmiedeabteilungen ˘ ›Handwerkerhauses‹ fungieren, verweist auf die getrennte Verarbeitung des Sildes bers in den beiden Werkstattabteilungen. (1) 8

Minen 5 Sekel Silber, (2) für 97 17) Ringe zu je 5 Sekel, (3) (hat) von Ur-Gu3edena (4) Ahu-waqar (5) in Empfang genommen. (6-10) (Datum: XII. Monat, 2. Tag, Jahr Ibbi-Sîn 15). ˘(l. Rd. 1) [x+]1 Minen (an) Habat, (2) [x] Minen (an) Ilı¯-andul. ˘ 6.2.2 Die Kontrolle der Produktion und die Auslieferung der Endprodukte

Texte, die die Kontrolle der Produktion belegen, sind uns vor allem aus dem Jahr Ibbi-Sîn 8, in geringer Zahl auch aus den Jahren Ibbi-Sîn 15 und 17 überliefert. Charakteristisch für diese Texte ist der Vermerk PN ì-lá »PN hat abgewogen«. Es handelt sich hier also um eine Gewichtskontrolle, die zum einen die fertiggestellten Produkte, zum anderen das bei der Produktion verarbeitete Material betraf. Sowohl bei den Endprodukten als auch bei dem verarbeiteten Material handelte es sich in der Regel um Metalle bzw. Metallgegenstände, da eine gewichtsmäßige Kontrolle vornehmlich bei diesen Rohstoffen bzw. Objekten sinnvoll war. Außer der Gewichtsangabe wird in den Texten auch häufig der gewichtsmäßige Anteil des bei der Verarbeitung des jeweiligen Metalls eingetretenen (Schmelz-)Verlustes (NE-gu7-bi) 18) sowie des (Kaltarbeits-)Abfalls (zà-bar-bi) 19) notiert. Die ausschließlich vom Präfekten des ›Handwerkerhauses‹ verantwortete Kontrolle der Produktion erfolgte nach Ausweis der Urkunden offensichtlich täglich und war die Voraussetzung für die dann folgende Auslieferung der hergestellten Gegenstände an die jeweiligen Auftraggeber oder auch an andere Empfänger im Bereich der institutionellen Haushalte (Tempel, Palast) von Ur.

6.2.2.1 Gewichtskontrolle in der Silberverarbeitung Text: Keilschrifturkunde aus den Grabungen in Ur (U. 4282). – Aufbewahrungsort: Iraq Museum, Baghdad. – Edition und Bearbeitung: L. Legrain, Business Documents of the Third Dynasty of Ur: Plates (UET III/1), London 1937, Nr. 393 (Kopie); Sallaberger, Handwerkerarchiv, 284 (Umschrift, Übersetzung).

Der Präfekt des ›Handwerkerhauses‹ Lu-Enki zeichnet für die gewichtsmäßige Kontrolle von 10 Silberringen samt der bei der Herstellung eingetretenen Verluste sowie des (wiederzuverwendenden) Abfalls verantwortlich. 17. 18.

19.

Die Kopie bietet die Zahl »90«; nach dem Photo ist jedoch eindeutig »97« zu lesen. Vgl. dazu ausführlich Loding, Craft Archive, 85 f. (mit Literatur); P. Paoletti, Der König und sein Kreis. Das staatliche Schatzarchiv der III. Dynastie von Ur (BPOA 10), Madrid 2012, 139 »Warmverarbeitungsverlust«. Die Lesung von NE als izi »Feuer« ist umstritten; vgl. die Diskussion bei M. Van De Mieroop, Gold Offerings of Sˇulgi, Or. 55 (1986) 138 mit Anm. 9 f. Zu zà-bar »Kaltarbeitsabfall« vgl. Paoletti, Der König und sein Kreis, 58.

173

Texte aus Mesopotamien (1) 10

Silberringe zu je 5 Sekel, (2) ihr Gewicht: 2⁄3 Mine 8 Sekel minus 6 Gran, (3) ihr (Schmelz-)Verlust: 1⁄2 Mine 6 Gran, (4) 11⁄2 Sekel (ist) ihr (Kaltarbeits-)Abfall, (5) Posten der TÙN-LÁ-(Handwerker)schaft(?), 20) (6-7) hat Lu-Enki abgewogen, (8) in Ur. (9 ff.) (Datum: VI. Monat, 19. Tag, Jahr Ibbi-Sîn 8).

6.2.2.2 Gewichtskontrolle in der Goldverarbeitung Text: Keilschrifturkunde aus den Grabungen in Ur (U. 3639). – Aufbewahrungsort: Iraq Museum, Baghdad. – Edition und Bearbeitung: L. Legrain, Business Documents of the Third Dynasty of Ur: Plates (UET III/1), London 1937, Nr. 395 (Kopie); ders., Business Documents of the Third Dynasty of Ur: Indexes, Vocabulary, Catalogue, Lists (UET III/2), London 1947, 216 (paraphrasierende Übersetzung); CAD N/II 24b (Teilübersetzung).

Der Präfekt des ›Handwerkerhauses‹ Lu-Enki zeichnet für die gewichtsmäßige Kontrolle von aus Gold gefertigten Gegenständen samt der bei der Herstellung eingetretenen Verluste sowie des (wiederzuverwendenden) Abfalls verantwortlich. (1) 12

nabihum-Ornamente(?) aus normalem Gold, 21) (2) ihr Gewicht: 5⁄6 Mine, (3) ihr ˘ (Schmelz-)Verlust: 6 Gran, (4) 4 Gran (ist) ihr (Kaltarbeits-)Abfall, (5) Posten der TÙNLÁ-(Handwerker)schaft(?), (6-7) hat Lu-Enki abgewogen, (8) in Ur. (9-13) (Datum: VII. Monat, 18. Tag, Jahr Ibbi-Sîn 8).

6.2.2.3 Lieferung eines kunstvoll verzierten Spiegels Text: Keilschrifturkunde aus den Grabungen in Ur (U. 4238). – Aufbewahrungsort: Iraq Museum, Baghdad. – Edition und Bearbeitung: L. Legrain, Business Documents of the Third Dynasty of Ur: Plates (UET III/1), London 1937, Nr. 415 (Kopie); ders., Business Documents of the Third Dynasty of Ur: Indexes, Vocabulary, Catalogue, Lists (UET III/2), London 1947, 217 (paraphrasierende Übersetzung); CAD M/II 257a (Teilübersetzung).

Ein gewisser Urdu-Nanna, zuständig vor allem für Goldlieferungen an die Werkstätten des ›Handwerkerhauses‹, übernahm von Lu-Enki, dem Präfekten des Werkstattverbundes, einen kunstvoll verzierten Spiegel. Über Urdu-Nanna als Repräsentanten der beauftragenden Institution und nunmehrigem Empfänger des Fertigprodukts er20.

21.

174

Was mit nam-TÙN-LÁ genau gemeint ist, bleibt umstritten. Vgl. dazu die Diskussion (mit Literatur) bei Neumann, Handwerk in Mesopotamien, 53 f. Zu der von W. Sallaberger, Rez. zu R. L. Zettler, The Ur III Temple of Inanna at Nippur (1992), ZA 84 (1994) 138 f. Anm. 13 zusammen mit P. Attinger vorgeschlagenen Lesung gín-lá mit der Deutung »Schekel-Wieger« (vgl. auch Sallaberger, Handwerkerarchiv, 284; Paoletti, Der König und sein Kreis, 194 Anm. 234) vgl. die kritische Stellungnahme von H. Neumann, Zu den Buchungseinträgen in den neusumerischen Handwerkerpräsenzlisten aus Ur, in: J. Høyrup / P. Damerow (Hg.), Changing Views on Ancient Near Eastern Mathematics. From a Workshop Jointly Organized by Altorientalisches Seminar, Freie Universität Berlin, Seminar für Vorderasiatische Altertumskunde, Freie Universität Berlin, Max Planck Institute for Human Development and Education, Berlin (BBVO 19), Berlin 2001, 41 Anm. 20. Zu dem aus Gold (und Silber) bestehenden Gegenstand na-bí-hu-um vgl. M. Hilgert, Akkadisch der Ur III-Zeit (IMGULA 5), Münster 2002, 81 Anm. 113˘(»kleines, ornamentales Produkt«); zuletzt Paoletti, Der König und sein Kreis, 141.

Texte aus Mesopotamien

folgte gewiß die weitere Verteilung des hergestellten Luxusgegenstands im Palast- und Tempelbereich von Ur. (1) 1

Spiegel(?) 22) (verziert mit einem) ›Kopf‹, (2) (in der Form einer) Sphinx aus Lapislazuli, der TÙN-LÁ-(Handwerker)schaft(?) (4) (hat) von Lu-Enki (5) Urdu-Nanna (6) in Empfang genommen. (7 ff.) (Datum: XIIa. Monat, 22. Tag, Jahr Ibbi-Sîn 8). (3) Posten

6.2.3 Die Verwaltung des Arbeitskräfteeinsatzes

Über die in den Werkstätten des ›Handwerkerhauses‹ von Ur tätigen Handwerker geben sog. Handwerkerpräsenzlisten aus den Jahren Ibbi-Sîn 15-17 Auskunft, die zum Zwecke der späteren Entlohnung ausgefertigt wurden. Mit großer Genauigkeit wurden hier die zum Dienst eingesetzten (gub-ba) bzw. nichteingesetzten (lá-NI) 23) Handwerker, deren Ausfall durch Krankheit (tu-ra) sowie die zum Dienst in anderen Einrichtungen ›abgebuchten‹ Arbeitskräfte (zi-ga) notiert. Derartige Inspektionen des Personalbestandes führte man täglich durch. Unter Berücksichtigung der vollständig erhaltenen Texte kann man davon ausgehen, daß über den Einsatz bzw. Verbleib von etwa 19 bis 31 Handwerkern Buch geführt wurde. Formal ist dabei zwischen jenen Texten zu unterscheiden, die die Handwerker mit ihrem Personennamen verzeichnen, und jenen, die nur die Berufe mit den entsprechenden Zahlenangaben sowie die »Aufseher« (ugula) der Goldschmiede (Habat und Lugal-hegˆal) notieren. ˘ ˘ Der Grund für diese Formularunterscheidung ist bislang nicht erkennbar. Bei den in den Listen verzeichneten Personen handelt es sich um Handwerker, die ihre Arbeit in der Regel in den acht Werkstätten des ›Handwerkerhauses‹ zu verrichten hatten. Die Mehrheit der notierten Berufsbezeichnungen stimmt daher mit den entsprechenden Werkstattbezeichnungen (é + Beruf) überein. Darüber hinaus sind in den Listen auch Berufsbezeichnungen zu finden, die spezielle Tätigkeiten charakterisieren und auf Grund ihres sachlichen Inhalts spezifischen Werkstätten zugeordnet werden können. Ergänzt wurde das mit feststehenden Rationen entlohnte ständige Personal der Werkstätten 24) durch Arbeitskräfte, die für eine (zeitlich begrenzte) Tätigkeit im Werkstattverbund einen entsprechenden Lohn erhielten. 25) Verantwortlich 22. 23.

24. 25.

Zum Problem der Deutung von masˇa¯lum als »Spiegel« vgl. P. Steinkeller, On the Meaning of zabar-sˇu, ASJ 9 (1987) 347 mit Anm. 5. Zu lá-NI »Fehlbetrag« vgl. Englund, Ur III-Fischerei, 33-48 sowie Neumann, Handwerk in Mesopotamien, 56 Anm. 244, letzterer mit der Auffassung, lá-NI kennzeichne im vorliegenden Zusammenhang das einfache »Fehlen« eines Handwerkers. Gemeint ist mit Sallaberger, Handwerkerarchiv, 282 mit Anm. 390 aber wohl spezifischer, daß die betreffende Person – aus welchen Gründen auch immer – zwar »anwesend, aber ohne Arbeitsauftrag«, also nicht eingesetzt (und damit ohne Arbeitsleistung) war. Zur Entlohnung von Arbeitskräften mittels Rationen im alten Mesopotamien vgl. zusammenfassend und mit weiterführender Literatur M. Stol, Art. Ration, RlA 11 (2006-2008) 264-269. Dabei handelt es sich um (zusätzliche) Lederarbeiter (asˇgab) und Filzhersteller (túg-du8), die sich nicht in erster Linie mit der Herstellung von Luxusgütern zu befassen hatten und deren Einsatz in den Werkstätten offensichtlich nicht täglich erforderlich war. Zur Personenmiete in der Ur III-Zeit vgl. J. Krecher, Art. Miete. A. I. Fa¯ra-Zeit bis Ur III. Mobiliarmiete (Personen, Schiffe, Tiere), RlA 8 (1993-1997) 158-161.

175

Texte aus Mesopotamien

für den Einsatz der Handwerker war der »Aufseher« (ugula) des ›Handwerkerhauses‹ (Urdu-Nanna). Aufgrund des Inspektionsvermerks gúrum-aka-gasˇam-e-ne »Inspektion der (Handwerks-)Meister« darf man davon ausgehen, daß sich die personelle Bestandsaufnahme auf die qualifizierten Handwerker bezog, denen wahrscheinlich eine unbekannte Anzahl unqualifizierter Arbeitskräfte zur Seite stand. Literatur: H. Neumann, Zu den Buchungseinträgen in den neusumerischen Handwerkerpräsenzlisten aus Ur, in: J. Høyrup / P. Damerow (Hg.), Changing Views on Ancient Near Eastern Mathematics. From a Workshop Jointly Organized by Altorientalisches Seminar, Freie Universität Berlin, Seminar für Vorderasiatische Altertumskunde, Freie Universität Berlin, Max Planck Institute for Human Development and Education, Berlin (BBVO 19), Berlin 2001, 37-51.

6.2.3.1 Handwerkerpräsenzliste mit Nennung der Personennamen Text: Keilschrifturkunde aus den Grabungen in Ur (U. 3609). – Aufbewahrungsort: British Museum, London (BM 130458). – Edition: L. Legrain, Business Documents of the Third Dynasty of Ur: Plates (UET III/1), London 1937, Nr. 1490 (Kopie).

Bei dem Text handelt es sich um eine Handwerkerpräsenzliste aus dem Jahr Ibbi-Sîn 16 mit der vollständigen Nennung der jeweiligen Personennamen. Ein Goldschmied (Z. 7) arbeitete (vorübergehend) in der Schmiedewerkstatt. Dies deutet darauf hin, daß die spezielle Weiterverarbeitung oder Dekorierung von Kupfer- und Bronzegegenständen durch den Fachmann – in diesem Fall durch den Goldschmied – noch in der Schmiede und nicht in der Goldschmiedewerkstatt vorgenommen wurde. 26) Der zusätzliche Einsatz gemieteter Filzhersteller (Z. 36) war offensichtlich nicht erforderlich. Die Eintragung auf dem Tafelrand (30. Tag) nach dem Datum (Ibbi-Sîn Jahr 16, IX. Monat, 29. Tag) weist darauf hin, daß am 30. IX. haargenau dieselbe Personalsituation in den Werkstätten zu verzeichnen war, wie am 29. IX. Der Schreiber ersparte sich die Ausfertigung einer neuen Urkunde und trug das neue Datum einfach auf dem Rand der Tafel nach. (1) 1

Banzige, Bildhauer; Habat, ˘ (3) 1 Puzur-Mama, (4) 1 Mas ˇum, (5) 1 Lu-Amar-Su3ena, (6) 1 Lugal-nesag ˆ 3e, (7) 1 (in der) Schmiedewerkstatt: Idı¯-ilum, (8) Aufseher (zuständig für die Personen in Z. 2-7): Habat, ˘ (9) 1 Lugal-heg ˆ al, ˘ (10) Nicht eingesetzt: 1 Lamara-isa, (11) Aufseher (zuständig für die Personen in Z. 9 f.): Lugal-heg ˆ al, ˘ (12) Goldschmiede sind sie. (= Z. 2-11) (2) 1

26.

176

Dies ist mehrfach belegt; vgl. Neumann, Zu den Buchungseinträgen, 46 Anm. 43.

Texte aus Mesopotamien (13) 1

Puzur-Enlil, lú-za-su6-[ma], 27) Utu-ban3e, (15) 1 Lu-Ning ˆ irsu x, (16) Steinschneider sind sie. (= Z. 13-15) ˇ esˇkala, (17) 1 S (18) 1 Ur-Ba3u, (19) Zimmerleute sind sie. (= Z. 17 f.) (20) (0) Ibni-Adad, g ˆ esˇ-pan(!)-dím; 28) (21) 1 Lugal-kuzu, Schmied; ˇ esˇduga, AN-dím-dím. 29) (22) Nicht eingesetzt: 1 S (23) 14 eingesetzt, 2 nicht eingesetzt, (24) TÙN-LÁ(-Handwerker) sind sie. (= Z. 1-23) (25) 1 Amar-Suena-malik, (26) 1 Ki3ag ˆ a, (27) Bildhauer sind sie. (= Z. 25 f.) (28) 1 Ilı¯-andul, (29) 1 Urdu-Nanna, (30) 1 Adad-ba ¯ ni, (31) Goldschmiede sind sie. (= Z. 28-30) (32) 1 Mannum-kı¯-Amar-Su3ena, (33) 1 A3abbag ˆ u, (34) 1 Lu-Inana, (35) Lederarbeiter sind sie. (= Z. 32-34) (36) (0) gemietete Filzhersteller; (37) 1 Una, (38) Nicht eingesetzt: (0) Lu-As ˇnan, (39) Rohrarbeiter sind sie. (= Z. 37 f.) (40) 1 Ennı¯-ma ¯ d, (41) 1 Utnennus ˇ, (42) Strohbinderinnen sind sie. (= Z. 40 f.) (43) 11 eingesetzt, 1 nicht eingesetzt, (44) die im ›Handwerksbetrieb‹ sind sie. 30) (14) 1

27. 28. 29. 30.

Zu dieser Berufsbezeichnung vgl. ausführlich Loding, Craft Archive, 228 f. mit Anm. 4 ff. (ebd. 229: »may the meaning of a craftsman working in [perhaps] a particular kind of stone be proposed«). Zu dieser Berufsbezeichnung in den Handwerkerpräsenzlisten vgl. Loding, Craft Archive, 231-233 (unklar, ob hier der »Bogenmacher« gemeint ist). Zu dieser unterschiedlich gedeuteten Berufsbezeichnung vgl. Neumann, Zu den Buchungseinträgen, 40 Anm. 15 (mit Literatur). Die Übersetzung folgt Sallaberger, Handwerkerarchiv, 282 f.; vgl. auch Loding, Craft Archive, 137 Anm. 2. Es ist unklar, ob sich der Vermerk sˇà-gˆesˇ-kígˆ-ti-me-ésˇ hier auf beide Handwerkergruppen in den Listen oder auf die zweite Gruppe allein bezieht. Vgl. dazu die Diskussion bei Neumann, Handwerk in Mesopotamien, 61 Anm. 285 mit der (inhaltlich begründeten) Tendenz, den Vermerk auf beide Gruppen zu beziehen. Anders Sallaberger, Handwerkerarchiv, 283, für den sich die Bezeichnung auf die zweite Gruppe allein bezieht (für ihn stellt sie »die ›einfacheren‹ Arbeiter dar«). Zur Charakterisierung der beiden Handwerkergruppen vgl. auch Neumann, Zu den Buchungseinträgen, 40-45.

177

Texte aus Mesopotamien (45) Inspektion

der (Handwerks-)Meister. Urdu-Nanna. (47) (IX. Monat, 29. Tag) (48 ff.) (Jahr Ibbi-Sîn 16) (lk. Rd.) (30. Tag) (46) Aufseher:

6.2.3.2 Handwerkerpräsenzliste ohne Nennung von Personennamen Text: Keilschrifturkunde aus den Grabungen in Ur (U. 3844). – Aufbewahrungsort: Tontafelsammlung des University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology, Philadelphia (UM 47-29-225). – Edition: L. Legrain, Business Documents of the Third Dynasty of Ur: Plates (UET III/1), London 1937, Nr. 1488 (Kopie).

Bei dem Text handelt es sich um eine Handwerkerpräsenzliste aus dem Jahr Ibbi-Sîn 15 ohne Angabe der jeweiligen Personennamen. Der zusätzliche Einsatz von gemieteten Lederarbeitern und Filzherstellern (Z. 13 f.) war offensichtlich nicht erforderlich. (1) [1]

männliche Arbeitskraft: Bildhauer; (zugeordnet dem) Aufseher Habat, ˘ (3) 2 (zugeordnet dem) Aufseher Lugal-h egˆal, ˘ (4) Goldschmiede sind sie. (= Z. 2 f.) (5) 1 lú-za-su -ma; 6 (6) [2] Steinschneider; (7) 2 Zimmerleute; (8) 1 Schmied; (9) 1 AN-dím-dím; (10) 15 eingesetzt. (11) TÙN-LÁ(-Handwerker) sind sie. (= Z. 1-10) (12) 2 Goldschmiede; (13) (0) gemietete Lederarbeiter; (14) (0) gemietete Filzhersteller; (15) 2 Rohrarbeiter; (16) 1 weibliche Arbeitskraft: Strohbinderin; (17) 5 eingesetzt. (18) Die im ›Handwerksbetrieb‹ sind sie. (19) Inspektion der (Handwerks-)Meister. (20) Aufseher: Urdu-Nanna. (21) (VI. Monat, 24. Tag) (22 ff.) (Jahr Ibbi-Sîn 15) (2) 5

178

Texte aus Mesopotamien

6.2.3.3 Abstellung von Handwerkern für die Erntearbeit Text: Keilschrifturkunde aus den Grabungen in Ur (U. 7144). – Aufbewahrungsort: Iraq Museum, Baghdad. – Edition: L. Legrain, Business Documents of the Third Dynasty of Ur: Plates (UET III/1), London 1937, Nr. 1482 (Kopie); ders., Business Documents of the Third Dynasty of Ur: Indexes, Vocabulary, Catalogue, Lists (UET III/2), London 1947, 258 (paraphrasierende Übersetzung).

Der vorliegende Text aus dem Jahr Ibbi-Sîn 15 macht deutlich, daß die Handwerker des Werkstattverbundes auch in Wirtschaftsbereichen außerhalb des Aufgabenspektrums der handwerklichen Produktion zum Einsatz kamen. Vor dem abschließenden Inspektionsvermerk ist die Notierung buru14-sˇè sˇu-bar-ra-me-ésˇ, »zur Ernte (zeitweilig vom Dienst) befreite (Arbeitskräfte) sind sie«, eingeschoben (Z. 15). In diesem Zusammenhang ist interessant, daß ein Großteil der Zahlenfelder vor den Berufsbezeichnungen frei geblieben ist und auch keine Summennotierung in der Liste erscheint. Offensichtlich wurde hier der größte Teil der Handwerker, wenn nicht sogar der gesamte Arbeitskräftebestand der Werkstätten zu Erntearbeiten abgestellt.31) (1) [

…] Zeichenspuren) (3) [(x)] 32) 6 Goldschmiede; (4) [(x)] 1 Steinschneider; (5) [(x)] 2 Zimmerleute; (6) [(x)] 2 Schmiede; (7) [(x)] (0) AN-dím-dím; (8) TÙN-LÁ(-Handwerker) sind sie. (= Z. 1-7) (9) (0) Goldschmiede; (10) (0) gemietete Lederarbeiter; (11) (0) gemietete Filzhersteller; (12) 1 Rohrarbeiter; (13) [x] weibliche Arbeitskräfte: Strohbinderinnen; (14) im ›Handwerksbetrieb‹ sind sie. (15) Zur Ernte (zeitweilig vom Dienst) befreite (Arbeitskräfte) sind sie. (16) Inspektion der (Handwerks-)Meister. (17) Aufseher: Urdu-Nanna. (18) (II. Monat, 19. Tag) (19 ff.) (Jahr Ibbi-Sîn 15) (2) (nur

31. 32.

Vgl. dazu im einzelnen Neumann, Zu den Buchungseinträgen, 48. Der Anfang der Z. 3-7 ist abgerieben, so dass unklar ist, ob dort noch etwas gestanden hat. Sehr wahrscheinlich ist dies allerdings nicht.

179

Texte aus Mesopotamien

6.3 Neubabylonische Texte zum Steuerwesen (6./5. Jh. v. Chr.)

Kristin Kleber Die Anfänge des neubabylonischen Steuerwesens reichen in das 8. Jh. v. Chr. zurück, als Begünstigte des Königs brachliegendes Land im Umland der Städte (hansˇû = »Fünfzigerland«) geschenkt erhielten, das mit Steuern, vor allem in Form von Dienstleistungen, belastet war. In der Zeit des neubabylonischen Reiches (626-539 v. Chr.) wurde das Steuersystem ausgebaut, indem man Deportierte ansiedelte, die Arbeits- und Militärdienst leisten mußten. Nach der Eroberung des neubabylonischen Reiches durch Kyros im Jahre 539 v. Chr. übernahmen die Perser das bestehende System und führten zusätzlich neue Abgaben ein. Insbesondere ab der Regierungszeit des Darius wurden Reformen durchgeführt, die eine Vereinheitlichung der verschiedenen Steuerkategorien zum Ziel hatten und gleichzeitig wohl eine spürbare Erhöhung der Steuerlast für Babylonien bedeuteten. Direkte Steuern wurden auf Besitz erhoben. Die wichtigste Quelle war der Landbesitz, sowohl privater als auch der Landbesitz von Institutionen, wie den Tempeln oder der Krone. Auf einem Teil des Kron- und Tempellandes wurden sog. »militärische Lehen« eingerichtet. Hier siedelte man auch die zahlreichen Deportierten an, die anschließend Abgaben zahlten und Dienste ableisteten. G. van Driel bezeichnete das System als »Land for Service System«, 33) da Steuern vor allem in Form von Arbeitsund Militärdienst erhoben wurden. Besteuert wurde aber auch der Besitz von Pfründen; es gab eine Viehsteuer (sibtu) sowie möglicherweise eine Steuer, die auf der Ba˙ sis des Besitzes von städtischem Grundbesitz erhoben wurde, wenn wir die ilku ˇsa ba¯bti »Steuer des Stadtviertels« so interpretieren dürfen. Indirekte Steuern (Zölle) wurden an Toren fällig sowie bei der Benutzung von Brücken und Häfen. In achämenidischer Zeit kam die Pflicht hinzu, den reisenden Königshof und persische Gesandte zu versorgen. Hier ging es vor allem um die Lieferung von Lebensmitteln wie tierische Produkte, Gewürze, (nicht gemahlenes) Getreide sowie Mehl, was angesichts des Gebrauchs von Handmühlen gleichzeitig eine hohe Arbeitsleistung darstellte, die für die Krone geleistet werden mußte. Zölle waren im Prinzip Naturalsteuern, d. h. man zahlte einen Teil der transportierten Ladung. Bereits in neubabylonischer Zeit konnten Transportunternehmer stattdessen auch einen Silberbetrag zahlen. Weitere Naturalsteuern waren die Viehsteuer und eine Abgabe auf die landwirtschaftliche Produktion von Tempeln von 31⁄3 % (kisir ˙ esitti, kurummatu oder bala¯tu ana Be¯l), die an einen Gouverneur gezahlt wurde, der ˙ 34) wohl supraregionale Arbeiten am Bewässerungssystem koordinierte. Grundbesitz wurde in der Regel mit einer Dienstpflicht belegt, die sich in eine Arbeitspflicht (bei öffentlichen Bauten, Tempeln und Palästen sowie Spann- und Transportdiensten) und den Militärdienst gliedern läßt. Nicht jeder Landbesitzer oder Landbenutzer 33. 34.

180

G. van Driel, Elusive Silver. In Search of a Role for a Market in an Agrarian Environment (PIHANS 95), Leiden 2002, 226. S. van Driel, Elusive Silver, 172-180 und Jursa, Aspects of the Economic History, 68 f. und 573 mit Fn. 3129.

Texte aus Mesopotamien

führte diese Dienstpflicht selbst aus. Diejenigen, die es sich leisten konnten, sowie Priester, die aus kultischen Gründen auf Reinheit und körperliche Unversehrtheit achten mußten, zahlten einen Silberbetrag oder heuerten eine Person an, die an ihrer Stelle den Arbeits- oder Militärdienst verrichtete. Weiterführende Literatur in Auswahl: G. van Driel, Elusive Silver. In Search of a Role for a Market in an Agrarian Environment (PIHANS 95), Leiden 2002 (Teil III); M. Jursa, Aspects of the Economic History of Babylonia in the First Millennium BC. Economic Geography, Economic Mentalities, Agriculture, the Use of Money and the Problem of Economic Growth (AOAT 377), Münster 2010 (Kapitel 5.5.5.); ders., Taxation and Service Obligations in Babylonia from Nebuchadnezzar to Darius and the Evidence for Darius’ Tax Reform, in: R. Rollinger / B. Truschnegg / R. Bichler (Hg.), Herodot und das Persische Weltreich / Herodotus and the Persian Empire (CLeO 3), Wiesbaden 2011, 431-448; ders., Art. Steuer. D. Spätbabylonisch, RlA 13 (2011-2013) 168-175; K. Kleber, Babylonian Taxation in the Neo-Babylonian and Persian Periods, in: K. Kleber (Hg.), Taxation in the Achaemenid Empire (CLeO), Wiesbaden (im Druck).

6.3.1 Indirekte Steuern: Hafenzoll Text: Die aus dem Kunsthandel stammende Keilschrifturkunde ist Teil des Nu¯r-Sîn-Annexes des Egibi-Archivs. – Datum: 1. April 561 v. Chr. – Aufbewahrungsort: Tontafelsammlung der Musées Royaux du Cinquantenaire, Bruxelles (O 509). – Publikation (Kopie): L. Speleers, Recueil des inscriptions de l’Asie Antérieure des Musées Royaux du Cinquantenaire à Bruxelles, Bruxelles 1925, Nr. 277. – Bearbeitungen (Transliteration und Übersetzung): R. Sack, Ame¯l-Marduk, 562-560 B.C. A Study based on Cuneiform, Old Testament, Greek, Latin, and Rabbinical Sources (AOAT S 4), Kevelaer / Neukirchen-Vluyn 1972, Nr. 62; C. Wunsch, Die Urkunden des babylonischen Geschäftsmannes Iddin-Marduk. Zum Handel mit Naturalien im 6. Jahrhundert v. Chr. (CM 3), Groningen 1993, 44 f. (Nr. 52).

Es handelt sich um einen Verpflichtungsschein über Hafenzoll, der an den königlichen Hafenvorsteher entrichtet werden mußte. Der relativ hohe Betrag von 50 Sekeln Silber ist mit Sicherheit die Gesamtforderung für Transporte aus einem bestimmten Zeitraum, vielleicht eines Jahres. Daneben mußte auch noch ein Betrag in Naturalien, im konkreten Fall hier Zwiebeln, gezahlt werden. Die geschäftsführende Familie Nu¯r-Sîn und ihre Partner handelten vor allem mit Zwiebeln.35) (1) 50

Sekel Silber, königliche Hafenzollgebühr, (2) (Forderung) des Gimillu, des Sohnes ˇ des Samasˇ-ze¯ru-ibni, (3) Familie Sîn-sˇadûnu, der königliche Hafenvorsteher, (4) gehen zu Lasten von Nabû-usˇallim, Sohn des ¯Inı¯ja. Am 20. (5) Nisannu wird er das Silber, das pro Sekel 1⁄8 (Legierung aufweist), (6) zahlen. (7) 3500 Bündel Zwiebeln guter Qualität (8) vom Boot des Bunene-ibni (9) muß er zusammen (mit dem Silber) liefern.

35.

Eine ausführliche Beschreibung des Archivkontextes und der Geschäftsunternehmungen findet sich in Wunsch, Iddin-Marduk (Bd. 1).

181

Texte aus Mesopotamien (10-14) (Zwei Zeugen und der Schreiber). (15) Til-Gula, (16) 26. Addaru des Akzessionsjahres des (17) Ame¯l-Marduk, des Königs von Babylon.

6.3.2 Frondienst in Elam Text: Keilschrifturkunde aus dem Kunsthandel. – Datum: 22. Oktober 517? v. Chr. – Aufbewahrungsort: Tontafelsammlung des British Museum, London (BM 29400). – Edition und Bearbeitung: C. Waerzeggers, The Ezida Temple of Borsippa. Priesthood, Cult, Archives (Achaemenid History XV), Leiden 2010, 488 (Nr. 78).

Der Text gehört zum Archiv des Sˇaddinnu, des Sohnes des Bala¯ssu aus der Familie Be¯lija¯3u, der Oberaufseher der Bäcker im Ezida-Tempel von Borsippa war. In dieser Funktion war er unter anderem zuständig für die Organisation des Frondienstes der ihm unterstehenden Priester. Im vorliegenden Text wird ein Frondienstleistender bezahlt, der für eine Dekurie von Bäckern in Elam, d. h. im Iran, Arbeiten an einem königlichen Bauprojekt verrichten mußte. Es handelt sich um eines der Dokumente, die belegen, daß in der Regierungszeit des Darius babylonische Steuerpflichtige für Arbeiten in Elam herangezogen wurden. (1) Nabû-ittannu,

Sohn des Tabne¯a (2) aus der Familie Kidin-Sîn, wird (4) mit dem priesterlichen Kollegium (kinisˇtu) (5) von Ezida nach Elam gehen (2) für die Dekurie des Usˇsˇaja, ˇ uma¯ja aus der Familie Be¯lija¯3u. (6) Vier Monate lang wird er zusam(3) des Sohnes des S men mit den Bäckern (7) für Usˇsˇaja (6) am Hafen des Königs Arbeit verrichten. (11) Nabûittannu hat von Usˇsˇaja (8) eine Mine gestempeltes Silber, 120 Liter Gerste, 120 Liter Mehl und (9) 120 Liter Datteln anstelle seiner Verpflegung (10) und Ausstattung (12) bezahlt erhalten. (13) Das Silber vom Steuerdienst (ilku) des Nabû-ittannu ist eingeschlossen. (14-18) (Vier Zeugen, inkl. Schreiber). (19) Borsippa, 29. Tas ˇrı¯tu des 5?. Jahres des (20) Darius, des Königs von Babylon (21) und der Länder.

6.3.3 Militärdienst in Opis zur Zeit des babylonischen Aufstandes Text: Keilschrifturkunde aus dem Kunsthandel. – Datum: 11. November 484 v. Chr. – Aufbewahrungsort: Tontafelsammlung des British Museum, London (BM 22072). – Edition und Bearbeitung: C. Waerzeggers, The Babylonian Revolts Against Xerxes and the ›End of Archives‹, AfO 50 (2003-2004), 167 f. (Nr. 6).

Die Tafel datiert aus der Zeit des babylonischen Aufstandes unter Sˇamasˇ-erı¯ba gegen Xerxes im Jahre 484 v. Chr., ein Aufstand, der möglicherweise auch mit der zunehmenden Steuerlast unter achämenidischer Herrschaft in Zusammenhang stand. Auch dieser Text gehört zum Privatarchiv des Sˇaddinnu aus der Familie Be¯lija¯3u, der Oberaufseher der Bäcker im Ezida-Tempel zu Borsippa war. Ein gewisser Nidintu wird als Ersatzmann für den Militärdienst eines Tempelbäckers angeheuert und muß seinen 182

Texte aus Mesopotamien

Dienst zusammen mit anderen Steuerpflichtigen aus der Stadt Borsippa in Opis leisten. Opis war eine strategisch wichtige militärische Festung, die die natürliche Passage zwischen dem iranischen Hochland und der babylonischen Tiefebene sicherte. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Armee des Xerxes und den babylonischen Aufständischen ist daher anzunehmen. (1) Nidintu,

der Sohn des Nabû-ittannu aus der Familie Kidin-[Sîn], (2) wird anstelle von Nabû-ahu-ittannu, dem Sohn des Basia (3) aus der Familie Sˇe¯pe¯-ilı¯ja, zusammen mit den ˘ Frondienstleistenden (ura¯sˇu) des Nabû-ahu-[…], (4) des ›Bischofs‹ (sˇatammu) von Ezida, nach Opis (5) gehen. Er wird genauso wie˘ die (6) Frondienstleistenden aus Borsippa den Dienst (7) verrichten (6) anstelle von Nabû-ahu-ittannu. (8) Sˇaddinnu wird an (9) Nidintu ˘ der Soldaten (be qasˇti) aus Borsippa. seinen Lohn zahlen (7) entsprechend (dem Lohn) ¯le¯ ˇ addinnu fünf [Sekel Silber]? erhalten. (11) Nabû-ittannu, Sohn des (10) Nidintu hat von S Ze¯rsˇunu¯tu aus der Familie Kidin-Sîn (12) übernimmt die Bürgschaft für Nidintu, seinen Sohn. (13-20) (Sieben Zeugen, inkl. Schreiber). (21) Borsippa, 24. Tas ˇrı¯tu des Akzessionsjahres des ˇ amasˇ-erı¯ba, des Königs von Babylon. (22) S

6.3.4 Das Steueraufkommen der Stadt Sˇarraba¯nu Text: Die 1893 in Nippur ausgegrabene Keilschrifturkunde stammt aus dem Murasˇû-Archiv. – Datum: 19. September 425 v. Chr. – Aufbewahrungsort: Eski S¸ark Eserleri Müzesi, Istanbul (Ni. 535). – Edition und Transliteration: M. Stolper / V. Donbaz, Istanbul Murasˇû Texts (PIHANS 79), Leiden 1997, Nr. 53.

Der Text dokumentiert die Zahlung von zehn Minen Silber, dem Steueraufkommen der Einwohner von Sˇarraba¯nu, einem Ort in Mittelbabylonien. Die Höhe der Steuern war wahrscheinlich durch zwei Angehörige des achämenidischen Königshauses festgelegt worden, da die Zahlung »gemäß dem Schreiben und der gesiegelten Urkunde« dieser beiden Männer erfolgte. Der Archivinhaber aus der Familie Murasˇû übergab das Geld an den Repräsentanten der Einwohner und an einen weiteren Repräsentanten des Prinzen Usˇtapana. (1) Zehn

Minen geläutertes Silber, die gesamten Steuern (ilku) – (nämlich) die ba¯ra-Abgabe, 36) das Mehl des Königs und [die königlichen Soldaten] (2) und alle Abgaben an das königliche Steuerbüro (bı¯t sˇarri) – vom Bogenland des Arad-Esangila, vom (3) Bogenland des Re¯mu¯t-Ba¯bu, vom Bogenland des Re¯mu¯t-Ninurta, vom Bogenland (4) des Be¯l-ahu-usur (und) vom Bogenland des Nidinti-Be¯l, alle Felder der Sˇarrabanäer, (5) die in ˘ ˙ der Ortschaft Sˇarraba¯nu (liegen), (für die Periode) vom Nisannu des 40. Jahres bis zum Ende (6) des Addaru des 40. Jahres, gemäß dem Schreiben und der gesiegelten Urkunde

36.

S. van Driel, Elusive Silver, 269 f.; ba¯ra ist ein persisches Wort und bedeutet »tragen«, d. h., es könnte sich um einen Transportdienst handeln oder aber um das Bringen von Viktualien. Die Steuer gehört zu den verschiedenen Einzelsteuern, die unter dem Begriff ilku zusammengefaßt werden können.

183

Texte aus Mesopotamien

Prinzen (ma¯r bı¯ti) Manusˇta¯na und des Usˇtapana, seines Bruders, (8) die in Bezug auf Enlil-sˇumu-iddin, den Sohn des Murasˇû, kamen – diese zehn Minen Silber haben (9) Re ¯ manni-Be¯l, der Vorsteher (sˇaknu) der Sˇarrabanäer, (10) und Nabû-iddin, Diener des Usˇtapana, von Enlil-sˇumu-iddin, (11) dem Sohn des Murasˇû, und von Rı¯bat, dem Sohn des Sˇamsˇaja, erhalten; (12) sie sind bezahlt. (13-19) (Zehn Zeugen, inkl. Schreiber). (19) Nippur, 23. Ulu ¯ lu des (20) 40. Jahres des Artaxerxes (I.), des Königs der Länder. (7) des

6.3.5 Die Ableistung des Steuerdienstes an anderer Stelle Text: Keilschrifturkunde aus dem Kunsthandel. – Datum: 25. Mai 569 v. Chr. – Aufbewahrungsort: Yale Babylonian Collection, New Haven (NCBT 964). – Publikation: K. Kleber, Tempel und Palast. Die Beziehungen zwischen dem König und dem Eanna-Tempel im spätbabylonischen Uruk (AOAT 358), Münster 2008, 77 f. (Nr. 6) mit Tf. VII (Kopie).

Die Urkunde gibt uns einen Einblick in die Registrierung von Steuerdiensten. Ein gewisser Ibni-Isˇtar, der weder ein Priester noch ein Tempelabhängiger und daher normalerweise bei der Stadtverwaltung von Uruk und nicht am Eanna-Tempel als Dienstpflichtiger eingeschrieben war, sollte ein Jahr lang einen Dienst am Tempel ableisten. Vorliegende Urkunde ist eine Quittung über den Empfang der Steuerzahlung, die der Eanna-Tempel an den Steuerbeamten Sˇa¯kin-sˇumi (ein rab hansˇê »Aufseher über 50«) ausgezahlt hat. Im Gegenzug ist Ibni-Isˇtar bei der städtischen Steuerbehörde freigestellt – kein Steuerbeamter wird ihn im laufenden Jahr rekrutieren. Steuerzahlung (ilku) für Ibni-Isˇtar, den Sohn des Marduk-ahu-[…], (2) vom Monat ˘ (4) des Königs Nisannu des 36. Jahres (3) bis zum Addaru des 36. Jahres Nebukadnezars, von Babylon, hat Sˇa¯kin-sˇumi, der Sohn des Ibni-Isˇtar, (5) aus Eanna erhalten. (6) Bis zum Monat Addaru des 36. Jahres wird Ibni-Isˇtar den (7) […]-Dienst in Eanna verrichten. (8) Ein Aufseher über 50 (rab hans ˇê) oder ein Dekurio (rab esˇerti) (9) wird nicht in sein Haus eintreten. (10-15) (Vier Zeugen und der Schreiber). (16) Uruk, 22. Ajja ¯ ru des (17) 36. Jahres Nebukadne(18) zars, des Königs von Babylon. (1) Die

6.3.6 Lieferungen für die »Tafel des Königs« in Abanu Text: Keilschrifturkunde aus dem Kunsthandel. – Datum: 23. Oktober 528 v. Chr. – Aufbewahrungsort: Tontafelsammlung des Vorderasiatischen Museums, Berlin (VAT 8444). – Publikation (Kopie): A. Pohl, Neubabylonische Rechtsurkunden aus den Berliner Staatlichen Museen I (AnOr 8), Roma 1933, Nr. 67. – Bearbeitung (Transliteration und Übersetzung): M. San Nicolò, Zur Verproviantierung des kgl. Hoflagers in Abanu durch den Eanna-Tempel in Uruk, ArOr 17 /II (1949), 323-330 (bes. 325 f.).

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Texte aus Mesopotamien

Mit dem vorliegenden Dokument gaben die Behörden des Eanna-Tempels zwei Beamten, die für die Kleinviehhalter zuständig waren, den Auftrag, Schafe und Ziegen zur Bereitstellung von Milchprodukten an die Königspfalz in Abanu zu liefern. Kambyses hat sich – wohl auf der Reise von Susa nach Babylon – im Herbst seines zweiten Regierungsjahres zusammen mit seinem Hof in diesem Palast aufgehalten. Dem Eanna-Tempel von Uruk, in dessen Einzugsgebiet der Palast offensichtlich lag, oblag die Gastungspflicht, d. h., er mußte dafür sorgen, daß der Hofstaat angemessen mit Nahrungsmitteln und Bedarfsgütern versorgt wurde. 37) Der im Text genannte Parnakka ist ein hoher persischer Beamter; möglicherweise war er für die Organisation der königlichen Tafel zuständig. Die Versorgungspflicht für »die Tafel / das Mahl des Königs«, an der nicht nur der König und seine Familie, sondern ein großer Hofstaat teilnahm, war eine für die persische Zeit charakteristische Steuer. Sie ist nicht nur in babylonischen Keilschriftdokumenten, sondern auch in Texten aus dem Iran (Persepolis), aus Ägypten, Palästina und Baktrien nachzuweisen. 38) zum 15. Arahsˇamnu des zweiten Jahres des Kambyses, (2) des Königs von Babylon, des Königs der Länder, werden Ze¯ria, der Sohn des Nana¯ja-e¯resˇ, (3) und Arad-Be¯l, der Sohn des Sˇarru-ukı¯n, die Viehvorsteher (4) des Kleinviehs der Herrin von Uruk, 100 Milch gebende Schafe und (5) Ziegen, insgesamt 200 Stück Kleinvieh – in Bezug auf welches für den 28. (6) Arahsˇamnu ein Schreiben des Parnakka (7) kam –, bringen und (8) für die Mahlzeit des Königs im Palast, (9) der sich in der Ortschaft Abanu befindet, bereitstellen. (10) Wenn sie am 28. Arahs ˇamnu diese 200 Stück Kleinvieh (11) nicht gebracht und im (12) Palast, der sich in der Ortschaft Abanu befindet, bereitgestellt haben werden, (13) müssen sie die Strafe des Königs tragen. (14-17) (Vier Zeugen, inkl. Schreiber). (18) Uruk, 28. Tas ˇrı¯tu (19) des 2. Jahres des Kambyses, (20) des Königs von Babylon, des Königs der Länder.

(1) Bis

37. 38.

Das Abanu-Dossier wurde von Kleber, Tempel und Palast, 85-94 behandelt. Zur »Tafel des Königs« s. W. Henkelman, »Consumed before the King«. The Table of Darius, that of Irdabama and Irtasˇtuna, and that of his Satrap, Karkisˇ, in: B. Jacobs / R. Rollinger (Hg.), Der Achämenidenhof / The Achaemenid Court (CLeO 2), Wiesbaden 2010, 667-775.

185

II. Texte der Hethiter

1. Reflexion der Vergangenheit und Geschichtskonzeptionen Jörg Klinger 1.1 Einleitung Innerhalb der schriftlichen Überlieferung der Hethiter nehmen Texte mit historischem Bezug eine ganz besondere Stellung ein, und man geht sicherlich nicht fehl, wenn man konstatiert, daß – ähnlich wie für die griechische Kultur – auch für die hethitischen Vorstellungen von der Vergangenheit zutrifft, daß einer der Gründe dafür ist, daß sie eine zentrale Rolle für die kollektive Identität spielen, da sie als »intentionale Geschichte« (H.-J. Gehrke), vorrangig zum Ziel haben, die zu dieser Gemeinschaft gehörenden Individuen in der Vergangenheit zu verankern und so ein gemeinsames Bewußtsein zu stiften. 1) Insofern ist »Geschichte« gerade auch in der hethitischen Überlieferung kein exklusives Thema einer nach bestimmten Textformen zu typisierenden Historiographie, sondern kann Teil der unterschiedlichsten Formen schriftlicher Überlieferung sein. 2) Umfangreiche Texte der traditionellen historiographischen Überlieferung der Hethiter liegen bereits in den beiden TUAT-Auflagen vor, so daß hier bewußt nun der Blick erweitert werden soll und anhand verschiedener Beispiele aus ganz unterschiedlichen Bereichen und der gesamten Spanne der textlichen Tradition versucht 1.

2.

H.-J. Gehrke, Mythos, Geschichte, Politik – antik und modern, Saeculum 45 (1994) 239-264 oder ders., Mythos, Geschichte und kollektive Identität. Antike exempla und ihr Nachleben, in: D. Dahlmann / W. Potthoff (Hg.), Mythen, Symbole und Rituale. Die Geschichtsmächtigkeit der Zeichen in Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert (Heidelberger Publikationen zur Slavistik. B. Literaturwissenschaftliche Reihe 14), Frankfurt 2000, 1-24. Es geht gerade nicht um eine m. E. wenig taugliche Alternative, wie sie z. B. A. Gilan, Formen und Inhalte althethitischer historischer Literatur (THeth, 29), Heidelberg 2015, 339 formuliert hat: »Gegenpol der Geschichtsschreibung ist die literarische Fiktion.« Vielmehr sind für eine so verstandene intentionale Geschichte Kategorien wie »wahr« oder »richtig« weitestgehend irrelevant, was freilich nicht allein für die hethitische Überlieferung gilt; vgl. etwa vgl. H.-J. Gehrke, Die Bedeutung der (antiken) Historiographie für die Entwicklung des Geschichtsbewußtsein, in: E.-M Becker (Hg.) Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, Berlin/New York, 2005, 31: »Man nimmt Geschichte in dieser Gestalt geradezu zwangsläufig als wahr an, man glaubt an sie felsenfest, auch wenn sie in der Regel das Ergebnis von Deutungen, Setzungen, ja Erfindungen, eben Konstrukt ist.«

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Jörg Klinger

wird zu illustrieren, daß die Reflexion der Vergangenheit in der schriftlichen Überlieferung der Hethiter in den unterschiedlichsten Zusammenhängen stattgefunden hat. Selbst innerhalb der hethitischen Annalistik ist die Spannbreite sehr weit, was die Beschreibung vergangener Ereignisse betrifft – sie reicht von der schmucklosen Erwähnung der im Verlaufe von Feldzügen erreichten Orte bis zur mehrstimmigen Nacherzählung komplexer Handlungs- und Motivationszusammenhänge. Die zeitliche Ebene kann dabei linear den Ereignissen folgen, aber auch durch eingebettete historische Exkurse und durch den Rückgriff auf jeweils noch weiter zurückliegende Ereignisse oder historische Sprünge deutlich komplexer gestaltet sein, wenn dies notwendig oder nützlich erscheint, um die aktuelle Situation zu erläutern, ja zwischen dem Detailreichtum von Schilderungen in unterschiedlichen Werken können dabei signifikante Variationen auftreten. Hinzu kommt eine Fülle erzählerischer Mittel, die als Gestaltungsmittel eingesetzt werden können – die Gründe für eine jeweils gewählte Form erschließen sich dabei oft nicht. 3) Hinzu kommt, daß die Entwicklung der hethitischen Historiographie sehr ungleichmäßig verläuft, was nicht nur an dem Bild der erhaltenen Texte liegt. Zwar kennen wir bereits von Hattusˇili I. einen historiographischen Text, der sich aufgrund sei˘ ner überwiegend knappen Formulierungen und der Gliederung nach Jahren als Annalen ansprechen läßt, doch beschränkt sich dieses Werk auf einige wenige Jahre, bei denen nicht wirklich sicher ist, da eine Zählung der Jahre, wie bei allen derartigen Texten der hethitischen Überlieferung, fehlt, ob es sich um konkret aufeinander folgende, dann aber nur einen begrenzten Ausschnitt der Regierungszeit umfassende Ereignisse handelt oder ob hier Ereignisse aus unterschiedlichen Phasen der Regierungszeit nur komprimiert wurden. Bis in die Zeit Tuthalijas I. und seines Sohnes ˘ Arnuwandas I. gibt es weitere, wenn auch sehr fragmentarische Hinweise, daß auch spätere Könige ähnliche annalistische Texte hinterlassen haben; das gilt auch für Sˇuppiluliuma I. 4) In der Regierungszeit Mursˇilis II. erreicht dann die Produktion von Annalenwerken einen einsamen Höhepunkt mit den Berichten über Sˇuppiluliumas I. Taten, die Mursˇili verfassen ließ, sowie seinen eigenen in einer umfangreichen Version und einer Fassung nur über die ersten zehn Regierungsjahre – auch danach, unter den Königen des 13. Jahrhunderts, sind uns keine vergleichbar umfangreichen und detaillierten Werke erhalten. Und es gibt keinen Grund anzunehmen, daß dies nur ein Zufall der Überlieferung ist. Bereits mit dem Einsetzen der ersten hethitischen Texte sind auch eine Reihe sehr unterschiedlicher Texte auf uns gekommen, die sich mit historischen Ereignissen in unterschiedlichster Form auseinandersetzen – das reicht vom historisch gesehen frü3. 4.

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So ist durchaus interessant, daß z. B. die Fassung der sog. 10-Jahres-Annalen Mursˇilis II. keineswegs nur eine gekürzte Fassung der »Ausführlichen Annalen« darstellt, sondern teilweise auch Details berichten, die in dieser fehlen. Vgl. den kurzen Abriß von F. del Monte, L’annalistica ittita, Brescia 1993, 7 ff. Zwar beruht unsere Kenntnis der ersten Jahrhunderte der hethitischen Geschichte bis in die mittelhethitische Zeit faktisch auf einigen wenigen Texten, aber dies liegt vor allem an der Ungunst der Überlieferung, nicht daran, daß es nicht mehr einschlägige Quellen gegeben hätte, wie sich anhand diverser, aber eben nur sehr fragmentarischer Zeugnisse sagen läßt.

Texte der Hethiter

hesten hethitischen Texte, dem Bericht über den Aufstieg Anittas 5) noch in der Zeit der altassyrischen Handelskolonien über den legendenhaften sog. Zalpa-Text 6) bis zu den Annalen und dem »Testament« Hattusˇilis I., 7) in dessen Regierungszeit noch ˘ weitere Texte entstanden sind, die ebenfalls »historisch« sind, ohne daß man sie zwingend einer bestimmten literarischen Textform zuschreiben könnte. Teilweise haben sie einen eher anekdotischen Ton, wie dies etwa für die sog. Palastchronik 8) der Fall ist, oder sie schildern eher exemplarisch zu verstehende Ereignisse, bei denen aber der Übergang zu konkreten historischen Ereignissen oder Personen fließend sein kann – ein solches Beispiel etwa, das auch gut illustriert, wie historische Ereignisse verwendet werden, um sie auch politisch-propagandistisch für zukünftiges Handeln zu verwenden, stellt das »Edikt« Hattusˇilis I. da (KBo 3.27), das hier als er˘ ster Text vorgestellt wird und dessen Hintergrund die Konflikte innerhalb der Königsfamilie, vor allem die Probleme mit einem oder mehreren illoyalen Söhnen und der Rolle, die die Mutter dieser seiner Söhne dabei spielt, die in den Texten als »Schlange« apostrophiert wird, darstellen. Unverkennbar sind die engen Verbindungen zum »Testament« Hattusˇilis I. Aus der Regierungszeit Mursˇilis II. stammen die ˘ beiden folgenden hier ausgewählten Textbeispiele: einem Beispiel aus den Annalen ist ein eher juristischer Text an die Seite gestellt, der jedoch auch stark historisch argumentiert. Ein Musterbeispiel einer historischen Einleitung eines Staatsvertrages bietet schließlich das letzte Beispiel dieses Abschnittes, ein Vertrag Tuthalijas IV., der ˘ sich historischer Beispiele bedient, um damit bemerkenswert legalistisch zu argumentieren.

1.2 Ein »Edikt« Hattusˇilis I. (CTH 5) ˘ Weniger bekannt als das sogenannte Testament Hattusˇilis I. ist das Fragment eines ˘ Textes, der sich offensichtlich auf dieselben historischen Ereignisse bezieht, das aber 5. 6.

7.

8.

J. Klinger, Der sogenannte Anitta-Text, in: O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Ergänzungslieferung, Gütersloh 2001, 139-141. A. Ünal, Die legendäre Erzählung von der Königin von Kanesch/Nescha und ihren dreißig Kindern, CTH 3, in: O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Bd. III, Gütersloh 1994, 805-808; H. Otten, Eine althethitische Erzählung um die Stadt Zalpa, (StBoT 17), Wiesbaden 1973. H. M. Kümmel, Die Annalen Hattusˇilis I., in: O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten ˘ Testaments, Bd. I, Gütersloh 1985, 139-141 bzw. J. Klinger, Das Testament Hattusˇilis I., in: ˘ O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Ergänzungslieferung, Gütersloh 2001, 142-146. Bemerkenswert ist, daß inhaltlich zwischen beiden Texten keinerlei Bezug besteht, da die Annalen sich ausschließlich den Feldzügen des Königs und der Machterweiterung des Königreiches widmen, das »Testament« ausschließlich Ereignisse im Inneren thematisiert, so daß man, wäre ihre Zuweisung auf ein und denselben hethitischen Herrscher nicht aus anderen Gründen gesichert, anhand der Texte nicht auf ein und dieselbe historische Person schließen könnte. Vgl. dazu J. Klinger, Aus der sogenannten »Palastchronik«, in: O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Ergänzungslieferung, Gütersloh 2001, 61-64; P. Dardano, Erzählte Vergangenheit und kulturelles Gedächtnis im hethitischen Schrifttum, in: M. Hutter / S. Hutter-Braunsar (Hg.), Hethitische Literatur. Überlieferungsprozesse, Textstrukturen, Ausdrucksformen und Nachwirkungen (AOAT 391), Münster 2011, 63-81.

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in gewisser Weise die inhaltliche Trennung von Ereignissen im Innern und Aktivitäten des Königs gegenüber äußeren Feinden aufhebt. Im Rückgriff auf Ereignisse in der Vergangenheit, die hier innerfamiliäre Konflikte einerseits und militärische Erfolge gegen Gegner im Grenzbereich des hethitischen Machtbereichs aufrufen, formuliert Hattusˇili als politisches Ziel die Zerstörung des großen Widersachers seiner Expan˘ sionspolitik in Nordsyrien, Aleppo, das in der spätaltbabylonischen Epoche eines der dominierenden Zentren war, als solches auch den Untergang Maris überstanden hatte und als Hegemon in diesem Raum zahlreiche kleinere Herrschaftsbereiche dominierte. Der Text, von dem lediglich gut 30, weitgehend vollständige Zeilen erhalten sind, läßt sich keinem spezifischen Textgenre zuweisen, etwas, was durchaus typisch für die hethitische Überlieferung bereits der frühesten Epoche ist. 9) CTH 5: KBo 3.27 – der Text wird heute in Istanbul aufbewahrt, sein Fundort in Hattusˇa ist nicht bekannt. Der Text, der bereits in althethitischer Zeit entstanden sein dürfte,˘ liegt aber allein in einer späteren Abschrift vor. 10) – St. de Martino, Alcune osservazioni su KBo III 27, AoF 18 (1991) 54-66.

KBo 3.27 (§ 1) (Vs. 3’) [Und] seine Hand ergreift sie 11). (Vs. 4’) […fü]hrt sie herbei. Und dann wird sie die Stadt H[attusˇa] (Vs. 5’) zu etwas anderem […] machen. Und des Blutes […]. 12) ˘ soll (Vs. 7’) keiner (Vs. 6’) der Tawananna [ihren Namen] (Vs. 7’) ausspre(Vs. 6’) In Zukunft chen! Ihrer Söhne [und ihrer Töchter] (Vs. 8’) Namen soll keiner aussprechen! Wenn unter den Söhne[n –]. 13) (Vs. 9’) Seine Kehle soll man durchschneiden und ihn an [seinem] Tor (Vs. 10’) aufhängen. Wenn unter meinen Dienern i[hre] Namen (Vs. 11’) irgendeiner ausspricht, (dann) ist er nicht mein Diener! [Seine] Kehle soll man ihm (Vs. 12’) abschneiden und ihn an seinem Tor aufhängen! (§ 2) (Vs. 13’) Jetzt habe ich euch den Mursˇili gegeben. (Vs. 14’) Jener soll den Thron seines Vaters nehmen. Mein Sohn aber ist kein Sohn. 14) (Vs. 15’) Möge [eure], meiner Diener 9.

10.

11. 12.

13. 14.

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Daß es sich bei KBo 3.27 um keinen kohärenten Text, sondern eine Sammlung von Zitaten aus einer oder mehrerer »Reden« Hattusˇilis I. handeln soll bzw. gar um eine »Anthologie«, die ˘ gesammelt wurde«, wie A. Gilan, Formen und Inhalte womöglich »später aus Textauszügen althethitischer historischer Literatur (THeth 29), Heidelberg 2015, 103 annimmt, erscheint mir wenig plausibel. Laut einem Hinweis von J. Lorenz (vgl. Konkordanz des Hethitologie-Portals der Akademie Mainz) könnte das Fragment Bo 8421 (I. Tas¸, Hethitische Texte in Transkription: Bo 8264-Bo 8485 (Dresdner Beiträge zur Hethitologie, 43), Wiesbaden 2014, 49) »Dupl.« zu KBo 3.27 Vs. 10 f. sein. Falls die Zeichenspuren nach isˇtarna SˇUM-SˇUNU in Bo 8421, 2’ korrekt als ku-isˇki zu lesen sind, so weichen beide Textstellen allerdings voneinander ab, denn es fehlt das le¯. Es ist also unsicher, ob Bo 8421 tatsächlich ein Duplikat zu KBo 3.27 darstellt. Da das Hethitische kein Femininum am Verbum markiert, ist anhand der Verbalformen nicht sicher zu sagen, wer hier gemeint ist. J. Friedrich / A. Kammenhuber, Hethitisches Wörterbuch, Band II: E, Heidelberg 1988, 119b ergänzt hier ta esˇhanasˇ [URU-an iezi] und übersetzt »… [und zu einer Stadt] des Blutes [macht]«– es sind˘ aber auch andere Ergänzungen denkbar wie etwa esˇhanasˇ uttar »Ange˘ legenheit des Blutes«. M[ESˇ – für die zu erwartende Fortsetzung parallel zu Vs. 10’f. fehlt Die Zeile endet mit DUMU der Raum, es sei denn, der Schreiber hat diesen Teil auf den nicht erhaltenen Rand geschrieben. Eventuell ist die Abschrift hier aber auch fehlerhaft. Lit.: »Mein Sohn ist ein Nicht-Sohn« – hiermit wiederholt Hattusˇili, was auch in seinem ˘

Texte der Hethiter

Sippe 15) eins sein wie die des Wolfes. (Vs. 16’) Und wer auch immer (Vs. 17’) das Wort des Königs (Vs. 16’) verfälscht – (Vs. 17’) die Leibwächter, die königlichen Nachkommen ˇA, die (es) fälschen, sollen ver[flucht sein]. (Vs. 19’) Die Palastjunker (Vs. 18’) und die MUS ent[ehren] sein Wort. Der Hofjunker, der (sein Wort) (Vs. 20’) verfäl[scht, dem soll] man [sei]ne [Kehle] abschn[eiden] (Vs. 21’) und ihn [soll man] an [seinem] Tor [aufhängen]. (§ 3) (Vs. 22’) Wenn ihr [meine] Worte bew[ahrt, werd]et ihr (Vs. 23’) [auch] mein Land bewahren. [Wenn ihr] auf dem Herd (Vs. 24’) das Feuer anfacht, wird mein [W]ort nicht (Vs. 25’) gebrochen. W[enn] ihr auf dem Herd das F[eue]r (Vs. 26’) nicht anfacht, dann wird deshalb (Vs. 27’) die Schlange 16) die Stadt [H]at[tusˇa] erwürgen. ˘ Wort des Vaters verworfen – dies ist (jetzt) (§ 4) (Vs. 28’) Der Mann von Zalpuwa hat das jenes (Vs. 29’) Zalpa. 17) Der Mann von Hasˇsˇu hat das Wort des Vaters verworfen – ˘ der Mann von Halpa hat (Vs. 31’) das Wort (Vs. 30’) dies ist (jetzt) jenes Has ˇsˇuwa. Auch ˘ ˘ des Vaters verworfen – Halpa wird zugrunde gehen! ˘ 1.3 Mursˇilis II. Schiedsspruch betreffend Barga (CTH 63) Nicht als ein Vertrag im engeren Sinne gelten die Regelungen bzgl. des Landes Barga, die Mursˇili II. erlassen hat, und die vor allem – neben einem weiteren Text nordsyrische Angelegenheiten betreffend – den ersten Teil der relativ gut erhaltenen Tafel KBo 3.3+ einnehmen, zu der es aber auch eine Reihe von weiteren Niederschriften gibt. Der Text weist die typische Einleitung mit UMMA auf, wie sie auch für andere offizielle Texte der hethitischen Könige typisch ist, nennt aber hier – wie bei ähnlichen Texten, die üblicherweise als Edikte oder Erlasse u. ä. bezeichnet werden 18) – lediglich Mursˇili II. mit einer kurzen Genealogie, aber keinen Vertragspartner, wie es bei den Staatsverträgen sonst üblich ist. Es handelt sich also um eine rechtliche Regelung, die einseitig verfügt wurde. Ganz in der Art der Verträge besitzt aber auch dieser Text eine »historische Einleitung«, also einen Exkurs, der die historischen Ereignisse schildert, naheliegenderweise aus Sicht des hethitischen Königs, die der nun vorliegenden

15.

16.

17. 18.

»Testament« thematisiert wird, nämlich daß er seinen eigentlich zum Thronfolger bestimmten leiblichen Sohn von der Thronfolge ausschließt und an dessen Stelle Mursˇili, der ein Enkel von ihm war, adoptierte und zum Nachfolger designierte. Diese Adoption unterstreicht, daß schon seit Beginn der althethitischen Geschichte die Vater-Sohn-Folge die traditionale Erbfolge darstellte. Der Begriff pankur bezeichnet eine Gruppe miteinander verwandter Personen, nicht zu verwechseln mit dem panku-, einer Art Ratsversammlung, die ebenfalls in althethitischer Zeit eine größere Rolle spielt, die im Detail aber noch unklar ist. Vgl. zuletzt J. Pringle, Further Comments on a Hittite Kinship Term, in: I. Singer (Hg.), ipamati kistamati pari tumatimis. Luwian and Hittite Studies Presented to J. David Hawkins On The Occasion of His 70th Birthday, Tel Aviv 2010, 193-198. Mit dem Begriff »Schlange« bezeichnet Hattusˇili explizit in seinem sog. Testament (vgl. J. Klinger, Das Testament Hattusˇilis I., in: ˘O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten ˘ Testaments. Ergänzungslieferung, Gütersloh 2001, 143: Vs. II 20 f.) seine gegen ihn intrigierende Tochter, die er von seinem Hof verbannte. Hier bezieht sich Hattusˇili I. offenbar auf seine Zerstörung dieser Städte, über die er in seinen Annalen berichtet.˘ Der Sieg gegen Halpa/Aleppo gelang ihm nicht (mehr). ˘ B. Christiansen / E. Devecchi, Die hethitischen VasalZu dieser Gruppe von Texten vgl. auch lenverträge und die biblische Bundeskonzeption, Biblische Notizen, 156, 2013, 66 f. c. n. 9.

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Verfügung vorausgegangen sind. Dabei liefert der Text jedoch mehr oder andere Details zu diesen Geschehnissen19), als sie z. B. den Annalen Mursˇilis II. zu entnehmen sind, mit deren Hilfe sich aber der vorliegende Text dennoch relativ präzise ans Ende des ersten Herrschaftsjahrzehnts Mursˇilis II. datieren läßt. 20) Die Vorgeschichte greift mehrere Generationen zurück, und der eigentliche Kontrahent der hethitischen Großmacht, der hurritische König, wird zwar erwähnt, wenn auch nicht namentlich genannt. Deutlich wird, daß der eigentliche Hintergrund des Konfliktes die Konkurrenz der Großmächte um Machtsphären ist sowie das Bemühen, der in diesem Konflikt zwischen die Fronten geratenen Kleinstaaten, durch Allianzen ihr Überleben zu sichern. Interessante Einblicke gewinnt man in das politische Instrumentarium des hethitischen Königs – zwar ist er bereit, dem Abiratta, der sich in diesem Konflikt auf seine Seite gestellt hat, auf Kosten anderer, hier des Tette, der sich seinerseits unter den Schutz des Hurriterkönigs begab, zu belohnen, aber nur dann, wenn aus dem Umfeld des Tette keiner dem Abiratta zuvorkommt. Sollte Tette Opfer z. B. einer Palastrevolution werden, so ginge Abiratta leer aus – Mursˇili II. fährt also offensichtlich eine Doppelstrategie; einerseits lobt er für Parteigänger eine mögliche Belohnung aus, andererseits aber schafft er auch Anreize für Leute aus dem Umfeld seiner Gegner. CTH 63.A: KBo 3.3 + KUB 23.126 + KUB 31.36 + KUB 31.21 + KUB 19.31 + KUB 40.29 + KBo 50.77 + Bo 10118; 63.B: KUB 19.41 + KUB 31.12 + KBo 50.45. Exemplar A stammt nach Ausweis des Kolophon von dem gut bekannten Schreiber Tatigganna 21), von dem noch weitere Texte aus der Regierungszeit Mursˇilis II. bekannt sind, der aber auch unter dessen Nachfolgern noch im Amt war. Beide Exemplare wurden ursprünglich im Großen Tempel von Hattusˇa aufbewahrt; ein weiteres, allerdings sehr schlecht erhaltenes Exemplar (Ex. C) ˘ aus dem sog. »Haus am Hang« zu stammen 22). scheint 19.

20.

21. 22.

192

Ausführlich diskutiert die historischen Ereignisse J. Miller, Mursili II’s Dictate to Tuppi-Tesˇsˇub’s Syrian Antagonists, KASKAL 4 (2007) 144 ff. sowie R. Beal, Making, Preserving, and Breaking the Peace with the Hittite State, in: K. A. Raaflaub (Hg.), War and Peace in the Ancient World, Oxford 2007, 92 f. Der beginnende Konflikt um Nuhasˇsˇe wird in den Mursˇili-Annalen ab dem 7. und dann vor ˘ allem im 9. Regierungsjahr thematisiert; allerdings ist der Text dort nur lückenhaft erhalten (vgl. A. Goetze, Die Annalen des Mursˇilisˇ [MVAeG 38], Leipzig 1933, 84 ff., 108 ff.). Der eigentliche Opponent war Tette von Nuhasˇsˇe, der schon mit Sˇuppiluliuma I. einen Vertrag ˘ schloß (CTH 53; vgl. G: Wilhelm, Der Vertrag zwischen Sˇuppiluliuma I. von Hatti und Tette ˘ Testaments, von Nuhasˇsˇe, in: B. Janowski / G. Wilhelm [Hg.], Texte aus der Umwelt des Alten ˘ NF, Bd. 2: Staatsverträge, Herrscherinschriften und andere Dokumente zur politischen Geschichte, Gütersloh 2005, 122 f.). Der Konflikt ist auch Gegenstand in der historischen Einleitung des Vertrages, den Mursˇili II. mit Duppi-Tesˇsˇub von Amurru (CTH 62) abschloß. Wie nahe die Darstellungen der unterschiedlichen Textgattungen sich tatsächlich stehen, unterstreicht die Tatsache, daß der von KUB 19.31+ gebildete Teil der Tafel vor dem direkten Anschluß an KBo 3.3+ vielmehr als Teil des Berichtes zum 7. Regierungsjahr der Mursˇili-Annalen eingeordnet wurde; vgl. dazu J. Miller, Mursili II’s Dictate (…), KASKAL 4 (2007) 121. Zur Tätigkeit dieses Schreibers jetzt Sh. Gordin, Hittite Scribal Circles. Scholarly Tradition and Writing Habits (StBoT 59), Wiesbaden 2015, 192 ff. Dieses Exemplar und weitere, meist sehr kleine Fragmente zu diesem Text, wie das durch KUB 19.44 vertretene Ex. D, das wohl aus der Regierungszeit Hattusˇilis III. stammt (vgl. Sh. Gor˘ Habits [StBoT 59], Wiesbaden, din, Hittite Scribal Circles. Scholarly Tradition and Writing 2015, 225) oder KBo 16.23 (Ex. F), das noch jünger sein dürfte, sind hier nicht weiter aufgeführt, da sie keinen weiteren Text liefern.

Texte der Hethiter

Zum Text vgl. H. Klengel, Der Schiedsspruch Mursˇili II. hinsichtlich Barga und seine Übereinkunft mit Duppi-Tesˇup von Amurru (KBo III 3), Or. 32 (1963) 32-55 (Bearbeitung); J. Miller, Mursili II’s Dictate to Tuppi-Tesˇsˇub’s Syrian Antagonists, KASKAL 4 (2007) 121152 (ab Ex. A Vs. II 39ff.); vgl. noch G. Beckman, Hittite Diplomatic Texts (Writings from the Ancient World, 7), 2nd Edition, Atlanta 1999, 155-158 (Übersetzung).

(§ 1) (I 1) Folgendermaßen die Majestät Mursˇili, der Großkönig, König des Landes Hatti, ˘ ˇ uppiluliuma, des Großkönigs, des Königs des Landes Hatti, des Helden. (I 2) Sohn des S ˘ (§ 2) (I 3) Früher (I 4) gehörte (I 3) die Stadt Ijaruwata zum Lande Barga. (I 4) Dann wurde sie für die Hand des Königs des Landes Hurri (I 5) dem Großvater des Abiradda mit Gewalt (I 6) weggenommen. 23) Und er (der˘ König des Landes Hurri) (I 7) gab sie (I 6) dem ˘ Großvater des Tette, (I 7) dem hapiru 24). Darauf wurden Tette (I 8) und EN-urta mit der ˘ Majestät feindlich. (I 9) Abiradda aber verbündete sich mit der Majestät. (I 10) Den EN-urta, den Feind der Majestät, (I 11) vertrieb er (I 10) aus dem Land; (I 11) jener aber (I 12) kam (I 11) in das Land (I 12) zur Majestät. Und er (I 13) kniete nieder (I 12) zu meinen Füßen (I 3) und sprach zu mir folgendermaßen: (I 14) »Weil früher die Stadt Ijaruwata (I 15) meinem Großvater gehörte, gib mir Ijaruwata, die leere Stadt – nämlich die Mauern, die Götter und die Toten(geister) 25) – (I 17) zurück. (§ 3) (I 18) Und die Majestät schloß folgende Vereinbarung mit ihm: (I 19) »Wenn ich, die Majestät, die Stadt Ijaruwata (I 20) mit den Truppen und Streitwagen des Landes Hatti ˘ mit der Waffe (I 21) besiege, (I 22) nehme ich (I 21) sie mit den Deportierten und Gütern (I 23) auf und schaffe (I 22) sie weg nach Hattus (I 23) (I 24) ˇa. Ijaruwata, die leere Stadt – die ˘ –, (I 25) gebe ich dir, dem Abiradda. Mauern, die Götter und die Toten(geister) (§ 4) (I 26) Aber wenn nicht: Solange die Stadt Ijaruwata die Majestät noch nicht besiegt hat und ein Sohn des Tette oder ein Bruder des Tette sich durchsetzt 26) und den Tette tötet oder ihn ergreift und ihn mir übergibt (und) jener aber spricht: »Ich werde an eben diesem Ort der Diener der Majestät sein!« Dann werde ich, die Majestät, ihm die Stadt Ijaruwata nicht wegnehmen. [… neh]me ich. Wenn aber keiner sich durchsetzt (und) aber nicht den Tette tötet […]

23. 24.

25. 26.

J. Friedrich, Zu AO 24,3 (Aus dem hethitischen Schrifttum I), ZA 36 (1925) 281 und ihm folgend H. Klengel, Der Schiedsspruch Mursˇili II. hinsichtlich Barga (…), Or. 32 (1963) 39 übersetzen »die Hand des Königs« als Subjekt, übergehen dabei also das vorangehende ANA. Die Bedeutung dieses Begriffes, gerade im hethitischen Kontext, ist unklar; G. Wilhelm, Staatsverträge mit dem Hethiterreich, in: B. Janowski / G. Wilhelm (Hg.) Texte aus der Umwelt des Alten Testaments.NF, Bd. 2: Staatsverträge, Herrscherinschriften und andere Dokumente zur politischen Geschichte, Gütersloh 2005, 122 deutet die Verwendung hier als pejorativ. Generell vgl. den Überblick bei A. E. Killebrew, Hybridity, Hapiru, and the Archaeology of Ethnicity in Second Millennium BCE Western Asia, in: J. McInerney (Hg.), A Companion to Ethnicity in the Ancient Mediterranean, Chichester 2014, 142-87. Gemeint ist wohl, daß lediglich die Stadt selbst, d. h. nicht die in ihr lebenden Menschen, dem Abiratta übertragen werden. Der Ausdruck peran wahnu-, der hier sicherlich nicht wörtlich zu verstehen ist, läßt sich nur ˘ aus dem Kontext erschließen – H. G. Güterbock et al. (Hrsg.), The Hittite Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago. Vol. P, Chicago 1997, 302a schlägt unter anderem vor »get the upper hand«; vgl. dort auch zu alternativen Übersetzungen.

193

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(§ 5)

[…] war sein Bruder […] (B II 2) dem Lande Hatti wendete er sich zu ˘ er unterwarf sich der Majestät. (A II 1) Und ich, die Majestät, (II 2) vernichtete (II 1) den EN-urta zusammen mit seinem Haus und seinem Land (II 2) völlig. Aber sein Königtum, (II 3) seinen Thron, sein Haus und sein Land, das ich verschonte, (II 4) gab ich dem Abiradda. (II 5) Und im Lande Barga machte ich ihn zum König. Abiradda aber (II 7) setzte (II 6) den Ir-Tesˇsˇub, seinen Sohn, als ihren Thronfolger 28) ein. In der Zukunft, sobald (II 8) Abiradda stirbt, soll er sein Königtum, seinen Thron, (II 9) sein Land und sein Haus dem Ir-Tesˇsˇub, seinem Sohn, hinterlassen. (§ 6) (II 10) Und wenn Duppi-Tesˇsˇub gegenüber der Majestät und gegenüber dem Lande Hatti (II 11) keinerlei Verfehlung begeht, dann soll gegen den Duppi-Tesˇsˇub, (II 12) einen ˘ Bruder (oder) ein Familienmitglied wegen des Thrones der Königsherrschaft, seines Hauses (II 13) und seine Landes keiner klagen. Ferner: (II 14) Und wenn, solange Abiradda lebt, Duppi-Tesˇsˇub, sein Sohn, vor Abiradda, seinem Vater, (II 16) irgendeine Verfehlung begeht (und) seinem Vater zu schaden sucht, (II 17) wird der Thron der Königsherrschaft des Duppi-Tesˇsˇub (II 18) im Lande Barga stürzen. (§ 7) (II 19) Und weil Huija und Sˇummitara (II 20) sich mit dem Lande Hatti verbündeten, ˘ und Ir-Tesˇsˇub dem Sˇummitara und dem Huija (II ˘ 22) nicht zu schadürfen Abiradda (II 21) ˘ den suchen (II 23) und sie dürfen ihnen nichts Übles zufügen. (§ 8) (II 24) Falls Abiradda und Duppi-Tesˇsˇub dem (II 25) Sˇummitara und dem Huija (II 26) irgendwie zu schaden suchen und ihnen Übles (II 27) zufügen und sie ˘erniedrigen, (II 28) dann haben Abiradda (und) Duppi-Tes ˇsˇub durch diese Sache (II 29) gegenüber dem Land Hatti eine Verfehlung begangen. (§ 9) (II˘ 30) Sˇummitara und Huija dürfen dem Abiradda (II 31) und dem Duppi-Tesˇsˇub nicht ˘ zu schaden suchen (II 32) und ihnen nichts Übles zufügen (II 33) und ihnen! gegenüber nichts (II 34) [… Falls] Sˇummitara aber (II 35) [und Huija dem Abiradda] und dem Duppi˘ (II 37) [Übles zufügen], dann haben Tesˇsˇub (II 36) [irgendwie zu schaden suchen] und ihnen ˇSummitara (II 38) [und Huija durch diese Sache gegenüber dem Lande Hatt]i eine Ver˘ fehlung begangen. 29) ˘ (B II 1) 27)

(B II 3) und

27. 28.

29.

194

Der Rest der Kolumne von Ex. A I ist abgebrochen; vor dem Beginn der Kol. II setzt der Paralleltext B etwas früher ein, so daß noch Teile der vorangehenden 3 Zeilen rekonstruierbar sind. Der Text verwendet hier das Akkadogramm TART/DENNUTU, abgeleitet von TARD/TENU, dem im Hethitischen tuhkanti »Thronfolger« entspricht; außerdem wird der Begriff hier mit der hurritischen Glosse ˘sˇinahila erläutert, was ebenfalls »Zweiter (im Rang)« bedeutet. Vgl. noch E. Reiner (Hrsg.) The ˘Assyrian Dictionary, vol. 18: T, Chicago 2006, 228, wo -SˇUNU hier zu -SˇU emendiert wird, was m. E. nicht zwingend ist. Zum Terminologischen zuletzt H. A. Hoffner, Letters from the Hittite Kingdom, (Writings from the Ancient World, 15), Atlanta 2009, 389 n. 263. Das Ende des ersten Dokumentes auf dieser Tafel wird hier mit einem doppelten Abschnittsstrich markiert.

Texte der Hethiter

1.4 Aus den ausführlichen Annalen Mursˇilis II. (CTH 61.II) Ein Beispiel aus den Fassung der ausführlichen Annalen30) Mursˇilis II. zeigt, wie sehr auch die hethitische Historiographie rhetorische und stilistische Mittel zu nutzen wußte, um über die reinen Fakten hinaus – wenn der Wunsch bestand – eine lebendige und »realistische« Beschreibung vergangener Ereignisse zu produzieren. Dabei stellt sich, wie bei jeder Form der Historiographie, nicht primär die Frage nach einer vermeintlichen »historischen Wahrheit«, die allenfalls für die Kernfakten gilt, nicht aber für deren narrative Präsentation. Bei dem hier ausgewählten Beispiel sind wir in der glücklichen Lage, die Darstellung gleich in drei unterschiedlichen Texten zu besitzen31), so daß der Vergleich im Detail auch deutlich Unterschiede in der Darstellung erkennen läßt. 32) Die hier vorliegende Fassung der ausführlichen Annalen ist offensichtlich diejenige, die die meisten Einzelheiten zu berichten weiß, wozu vor allem Einschübe wie Zitate aus (realen?) Briefwechseln oder wörtliche Reden zählen, deren Authentizität sich nicht überprüfen läßt. 33) Es fällt jedoch auf, daß die Fassung in den sog. »Zehnjahres-Annalen« keineswegs nur eine um einige Details verkürzte Fassung des ausführlicheren Textes darstellt, sondern andererseits Informationen liefert, die dort gar nicht erwähnt werden. Es sind vor allem die Ausschmückungen und lebendigen Details, etwa der Austausch von Boten zwischen Manapa-Tarhunta ˘ und Mursˇili II., die in der kürzeren Fassung fehlen, auch die ausführliche »Rede« an Masˇhuiluwa und die Umstände seiner Inthronisierung entfallen weitgehend – in der kürzeren Fassung 34) wird dies nur mit »Danach zog ich ins Land Mira und das Land Mira gab ich dem Masˇhuiluwa« (KBo 3.4 Rs. III 23) abgehandelt. Dafür enthält aber 30.

31.

32.

33.

34.

Eine aktuelle Neubearbeitung seit A. Götze, Die Annalen des Mursˇilisˇ (MVAeG 38), Leipzig 1933 ist ein Desideratum; zu der kürzeren Fassung vgl. die Übersetzung von H.-M. Kümmel, Die Zehnjahr-Annalen Mursilis II., in: O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Bd. I, Gütersloh 1985, 471-80. Zu dem entsprechenden Abschnitt des Berichtes aus Mursˇilis II. 4. Regierungsjahr vgl. die Übersetzung bei H.-M. Kümmel, Die Zehnjahrannalen (…), in: O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Bd. I, Gütersloh 1985, 477, wo dieser Abschnitt in lediglich rund 15 Zeilen abgehandelt wird. Ausführlicher diskutiert wird dieses Beispiel im Kontext der hethitischen Historiographie generell bei J. Klinger, Geschichte oder Geschichten – zum literarischen Charakter der hethitischen Historiographie, in: K.-P. Adam (Hg.), Historiographie in der Antike, Berlin 2007, 2748; tatsächlich glaube ich gar nicht, daß diese Form der »kritischen« Lektüre der hethitischen Historiographie soweit von I. Singers Auffassung entfernt ist, die er in seiner Replik (vgl. I. Singer, Between Scepticism and Credulity: In Defence of Hittite Historiography, in: E. Cancik-Kirschbaum et al. (Hg.), Diversity and Standardization: Perspectives on Ancient Near Eastern Cultural History, Berlin/Boston 2013, 184 ff.) formuliert hat. Abweichungen in den unterschiedlichen Ereignisschilderungen beeinträchtigen nicht grundsätzlich die »Glaubwürdigkeit« einer Historiographie, insofern erscheint es mir auch nicht notwendig, die hethitische Historiographie »verteidigen« zu müssen. Interessant sind natürlich vor allem die erwähnten Briefwechsel wie der KUB 14.15 IV 20 ff. erwähnte Bote, der eine schriftliche Nachricht des Manapa-Tarhunta überbringt – diese Stelle ˘ und andere Hinweise sprechen eigentlich dafür, daß in hethitischer Zeit auch im Westen Kleinasiens die Kenntnis der Keilschrift – ein anderes Schriftsystem wie Hieroglyphen ist eher unwahrscheinlich – vorausgesetzt werden kann, obwohl dafür bis heute jegliche konkreten Belege, etwa archäologischer Art, fehlen. Vgl. A. Goetze, Die Annalen des Mursˇilisˇ (MVAeG 38), Leipzig 1933, 70 f.

195

Jörg Klinger

die gekürzte Version wiederum Informationen, die sich selbst in der ausführlichen Fassung nicht finden – so die Erwähnung der Rückführung von 4.000 hethitischen Deportierten (KBo 3.4 Rs. III 19ff.) oder die Truppenstellungen, die den neuen Vasallen in Westkleinasien auferlegt wurden. Dies zeigt, daß der Abfassung beider Versionen wiederum Informationen zugrunde gelegen haben müssen, die sich nicht auf eine der beiden Fassungen beschränken. Welcher Art dieser Informationen waren, etwa »Kriegstagebücher« o. ä., ist unklar; das gilt vor allem auch für die detaillierten Aufzählungen scheinbar endloser Listen von Ortsnamen, von denen manche nur ein einziges Mal überhaupt belegt sind, so daß man sich fragt, woher eigentlich die Verfasser der entsprechenden Texte die Informationen nahmen. Ist es doch schwer vorstellbar, daß man noch nach Jahren in der hethitischen Hauptstadt wirklich nachvollziehen konnte, welche sicherlich oft nur kleinen Ansiedlungen die hethitische Armee auf ihren ständigen Feldzügen in der Peripherie des Reiches berührt hatte. Dennoch wurde gerade auf diese Art der Information offenbar großen Wert gelegt, während anderes, wie etwa Richtung des Marsches, Dauer, lokale Gegebenheiten wie Berge, Flüsse oder andere topographischen Details eher zufällig erwähnt werden. Der Bericht enthält vor allem die militärischen Unternehmungen, die Mursˇili II. in seinem 4. Regierungsjahr in Westkleinasien durchführte. 35) CTH 61.II.2.A: KUB 14.16 + KBo 69.285; 2.B: KUB 14.15 + 16.104; 2.C: KUB 19.40 + KBo 16.5; D: KBo 12.37; bearbeitet von A. Götze, Die Annalen des Mursˇilisˇ (MVAeG 38), Leipzig 1933, 32-77; G. Beckman / T. Bryce / E. C. Cline, The Ahhijawa Texts (Writings from the Ancient World 28), Atlanta 2011, 28-49. (Rs. IV 14) Manapa-[Tarhunta

aber, den seine Brüder aus seinem Land verjagt hatten], ich [den] Männern [von Karkisˇa]; (IV 16) ferner belohnte ich sie wegen ihm. [Manapa-tarhunta aber] (IV 17) verbündete sich nicht mit mir. Und als Uh[ha-zid]i mir [feindlich˘ wurde], (IV 18) wurde er einer des Uhha-zidi (Seite) und ˘ ˘ verb[ündete] sich [mit ihm]. Und ich, [die Majestät], (IV 19) zog (IV 18)˘ ˘[ins Sˇeha-Flußland]. (IV 19) Sowie aber Manapa-Tarhuntas, der Sohn des Muwa-Walma, von mir ˘hör[te: »Die ˘ er mir einen Boten entgegen und sch[rieb] mir folMajestät] (IV 20) kommt!«, schickte gendermaßen: »[Mein Herr], (IV 21) töte mich nicht. Nimm mich, mein Herr, in Dienst. Und die Leute, die [zu] mir [kamen], (IV 22) die will ich meinem Herrn ausliefern!« Ich aber ant[worte]te ihm folgendermaßen: (IV 23) »Als dich deine Diener aus dem Lande verjagten, (IV 24) überantwortete ich dich den Männern von Karkisˇa (IV 25) und beschenkte sie reichlich. Und dennoch (IV 26) hast du dich nicht mit mir verbündet. Mit dem Uhha-zidi, meinem Feind, (IV 27) hast du dich verbündet. Und jetzt soll ich dich in Dienst ˘˘ nehmen?« Ich wäre dennoch gegen ihn gezogen (IV 28) und hätte ihn vernichtet, da schickte er mir seine Mutter entgegen. Und sie kam (IV 29) und fiel mir zu Füßen und sprach folgendermaßen: »Unser Herr (IV 30) vernichte uns nicht; nimm uns, unser Herr, in Dienst!« Und weil mir eine Frau (IV 31) entgegen kam und mir zu Füßen kniete, ˇ eha-Fluß(IV 32) hatte ich Mitleid mit (IV 31) der Frau (IV 32) und zog deshalb nicht in das S ˘ ˘ (IV 15) überantwo[rtete]

35.

196

Zum historischen Kontext, insbesondere auch der vieldiskutierten Frage nach der Rolle von Ahhijawa, vgl. auch G. Beckman et al., The Ahhijawa Texts (Writings from the Ancient World, 28), Atlanta 2011, 45 ff.

Texte der Hethiter

den Manapa-Tarhunta und das Sˇeha-Flußland nahm ich in Dienst. ˘ Mira und das Land ˘ Mira ordnete ich. (IV 35) Dann kam ich zurück ins Land baute ich die Stadt Arsˇani, die Stadt Sˇarawa und die Stadt Impa wieder auf und befestigte sie. (IV 36) Und ich versah sie mit Besatzungstruppen. Auch die Stadt Hapanuwa ˘ in die versah ich mit Besatzungstruppen. (IV 37) Danach setzte ich in Mira Masˇhuiluwa Herrschaft ein. (IV 38) Und zu Masˇhuiluwa sprach ich folgendermaßen: »Du, Masˇhuiluwa, (IV 39) kamst zu meinem Vater als Flüchtling, und mein Vater nahm dich auf. (IV 40) Und er machte dich zum Schwiegersohn. Und dir (IV 41) gab er (IV 40) Muwatti, seine Tochter, (IV 41) meine Schwester, zur Gattin. Hinterher aber kümmerte er sich nicht darum, (IV 42) für dich deine Feinde zu töten. Aber (IV 43) ich kümmerte mich (IV 42) um dich (IV 43) und ich tötete deine Feinde für dich. Danach (IV 44) baute ich (IV 43) Städte (IV 44) und befestigte sie und (IV 45) versah (IV 44) sie mit Besatzungstruppen. (IV 45) Und in Mira setzte ich dich in die Herrschaft ein.« [(IV 46) Danach] gab ich [ihm 6]00 Mann als Leibwache. [(IV 47) Und] ich sprach zu ihm [folgender]maßen: »Weil die Männer von Mira verräterisch sind, (IV 48) sollen diese 600 Mann Truppen [deine] Leibwache sein! Mit den Männer von Mira (IV 49) sollen sie sich nicht [einlassen]! 36) Auch sollst du dich nicht mit ihnen einlassen!« land.

(IV 33) Und

(IV 34) Dann

1.5 Aus dem Sˇausˇgamuwa-Vertrag Tuthalijas IV. (CTH 105) ˘ Aus der späteren Phase der hethitischen Geschichte, also vor allem dem 13. Jahrhundert, in dem die Nachfolger Mursˇilis II. auf dem Thron saßen, verfügen wir über nur noch sehr fragmentarische Zeugnisse der Art von Annalistik, wie sie gerade dessen Regierungszeit auszeichnen, was aber nicht bedeutet, daß es deswegen keine historiographischen Zeugnisse gibt, doch lassen sich diese in der Regel nicht einer typischen Textform zuweisen. Die Gründe hierfür sind allerdings nicht wirklich klar, da die wenigen erhaltenen Fragmente etwa auch eines annalistischen Werkes Hattu˘ des sˇilis III. keinen Rückschluß auf den ursprünglichen Umfang oder die Konzeption Gesamtwerkes zulassen. Und ob andere hethitische Großkönige entsprechende Werke haben verfassen lassen, die sich nur durch unglückliche Umstände nicht erhalten haben, oder ob diese nie existierten, muß offen bleiben.37) Daß sich das hethitische historische Bewußtsein aber nicht grundsätzlich gewandelt hat, dafür stehen einige an36.

37.

H. G. Güterbock et al. (Hg.), The Hittite Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago. Vol. L-N, Chicago 1980-89, 56b bezieht diesen ersten Satz bereits auf Masˇhuiluwa, aber aufgrund des Verbums in der 2. Person dürfte der 2. Satz eindeutig auf diesen zu beziehen sein, während das Sg. Partizip werijanza besser auf das singularische usˇkisˇkatallasˇ esˇdu des vorausgehenden Satzes und damit auf die »Wächter« als Kollektiv verweist. Von Muwatalli II. haben sich grundsätzlich deutlich weniger Quellen erhalten, als von anderen Königen dieser Zeit. Ein sehr fragmentarischer Text (CTH 82) wird konventionell »Annalen« Hattusˇilis III. zugeordnet, doch hat er ein solches Werk seiner »Mannestaten« tatsäch˘ lich verfassen lassen (CTH 83, von E. Laroche mit dem etwas mißverständlichen Titel »Sur les campagnes de Suppiluliuma Ier« versehen), in dem er in gut hethitischer Tradition mit einem Rückblick auf die Geschichte unter seinem Großvater Sˇuppiluliuma I. einsetzt (vgl. KUB 19.9 Vs. I). Für die späteren Könige fällt die Bilanz noch magerer aus, sieht man einmal von KBo 12.38 ab, das, wenn auch nur sehr knapp, eine Art Tatenbericht sowohl für Tuthalija IV. als ˘ auch für Sˇuppiluliuma II. enthält.

197

Jörg Klinger

dere Beispiele – nicht nur wiederum Texte, die sich nur schwerlich einem bestimmten Genre zuweisen lassen, wie die berühmte sog. »Apologie Hattusˇilis III.« 38), son˘ vertretenen Staatsdern gerade auch die allerdings insgesamt nicht mehr so häufig verträge bieten hier erstaunliche Quellen. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel stammt aus der historischen Einleitung des Vertrages, den Tuthalija IV. mit Sˇausˇgamuwa von Amurru abschloß und von dem es ˘ eine relativ gut erhaltene Fassung in hethitischer Sprache gibt. Bei dieser Einleitung ist nun nicht nur bemerkenswert, wieweit der Text wiederum zurückgreift, um die Vorgeschichte des Vertrages zu erläutern, sondern noch interessanter ist, wie der Text selbst mit der hethitischen Geschichte umgeht, vor allem mit solchen Punkten der eigenen Geschichte, die normalerweise in der offiziellen Historiographie – das ist bei den Hethitern im allgemeinen nicht anders – nicht aufgezeichnet werden. Hier ist nun der Fall besonders pikant, da einer der Vorfahren des Sˇausˇgamuwa zumindest indirekt in die Thronusurpation Hattusˇilis III. verwickelt war, also des Staatsstreiches, ˘ Thron verdankt. Denn hätte sein Vater damals dem Tuthalija IV. letztlich ja seinen ˘ seinen Neffen Urhi-Tesˇsˇub nicht gestürzt, so wäre Tuthalija ziemlich sicher nie hethi˘ ˘ tischer König geworden. Tatsächlich erwähnt der Text dieses Faktum ziemlich unverblümt, indem er unkommentiert erwähnt, daß Hattusˇili seinem Neffen Urhi-Tesˇsˇub ˘ die Herrschaft entrissen hat und dann sogar noch˘ einen Schritt weitergeht. Angeführt wird das Beispiel des von Muwatalli II. als König im Sˇeha-Flußland eingesetzten Ma˘ sˇturi, der nun gerade nicht, wie er dabei geschworen hatte, den Nachkommen des Muwatalli, nämlich Urhi-Tesˇsˇub, im internen Konflikt unterstützte, sondern sich viel˘ mehr dem Thronräuber Hattusˇili anschloß. Tuthalija IV. verbrämt also keineswegs die ˘ Geschichte, sondern geht˘ sogar soweit, hier ganz legalistisch ein Beispiel von Illoyalität kritisch anzumerken, dem er letztlich seine eigene Herrschaft verdankte. 39) CTH 105.A: KUB 23.1 + KUB 23.37 + KUB 31.43 (+) 670/v (+) 720/v (+) 93/w; 105.B: KUB 8.82 + 1198/u + 1436/u + Bo 69/821. 40) Der Vertrag Tuthalijas IV. mit Sˇausˇgamuwa von Amurru hat sich in zwei Exemplaren erhal˘ ten, wovon das Ex. B deutlich weniger Text bietet. Außerdem unterscheiden sich beide Versionen im Format; während Ex. A eine gängig in zwei Kolumnen beschriebene Tafel darstellt, ist Ex. B eine einkolumnige Tafel, ein Format, das gerade auch bei historischen Texten in der Spätzeit gelegentlich verwendet wurde. Der Vertrag wurde bearbeitet von C. Kühne / H. Otten, Der Sˇausˇgamuwa-Vertrag (StBoT 16), Wiesbaden 1971; vgl. noch die Übersetzungen von G. Beckman, Hittite Diplomatic Texts (Writings from the Ancient World, 7), 2nd Edition, Atlanta 1999, 103-107; I. Singer, Treaty 38. 39.

40.

198

Vgl. H. Otten / H.-M. Kümmel, Die Apologie Hattusilis III., in: O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Bd. I, Gütersloh 1985, 481-491. Nach Ausweis des Vertrages, den Tuthalija IV. mit Kurunta von Tarhuntasˇsˇa schloß und in dem Masˇturi als Zeuge genannt wird, ˘hatte Masˇturi offensichtlich auf˘ die richtige politische Karte gesetzt; vgl. J. Klinger, Der Vertrag Tuthalijas von Hatti mit Kurunta von Tarhuntasˇsˇa, ˘ Neue ˘ in: B. Janowski und G. Wilhelm (Hg.), Texte˘ aus dem Umwelt des Alten Testaments. Folge, Bd. 2: Staatsverträge, Herrscherinschriften und andere Dokumente zur politischen Geschichte, Gütersloh 2005, 130-138. Zu Joinskizzen der beiden Tafeln sowie den Autographien der hier nach Grabungsnummern gelisteten Fragmente s. C. Kühne / H. Otten, Der Sˇausˇgamuwa-Vertrag (StBoT 16), Wiesbaden 1971, 2-4 bzw. 79 f.

Texte der Hethiter

between Tudhaliya and Sˇausˇgamuwa (excerpts), in: W. W. Hallo (Hg.), The Context of Scrip˘ ture 2, Monumental Inscriptions from the Biblical World, Leiden/Boston 2003, 98-100 (Übers.); G. Beckman et al., The Ahhiyawa Texts (Writings from the Ancient World, 28), Atlanta 2011, 50-68 (Übers. mit Umschrift).

[(§ 1 Vs. I 1) Folgendermaßen tabarna Tuthali]ja, der Großkönig, [(I 2) der König von H]atti, ˘ des ˘ von Arinna, [(I 3) der Sohn des Hattusˇili, der Held, der Geliebte der Sonnengöttin ˘ Großkönigs, des Königs von H]atti, des Helden, [(I 4) der Enkel des M]ursˇili, … (I 5) des Groß[königs], des Königs von˘ Hatti, des Helden, [(I 6) der Nachkomme] des Tuthalija, ˘ ˘ des [Großkönigs, … (I 7) des Königs von H]atti, des Helden. 41) ˘ [(§ 2 I 8) Dich, Sˇa]usˇgamuwa, [ergriff ich], die Majestät, [an der Hand (I 9) und dich habe ich] zum Schwager gemacht. (I 10) Und die Tafel des Vertrages, die [ich dir (I 11) machte, die Worte] der Tafel (I 12) sollst du nicht än]dern! (§ 3 I 13) [Früher?] war das Land Amurru nic[ht] durch die Waffe (I 14) des Landes Hatti ˘ besi[egt] worden. [(I 15) … Als Azira] zum Großvater der Majestät, [(I 16) Sˇuppilu]liu42) (I 17) ma , in das Land Hatti [kam], da waren die Länder von Amurru noch immer [(I 18) feindl]ich – sie˘ waren Diener des Königs von Hurri. [(I 19) …] Und Azira ˘ [(I 20) schütz]te (I 19) ihn ebenso. (I 20) Mit der Waffe aber hatte er ihn [(I 21) nicht besi]egt. ˇ (I 22) Azira, dein Großvater, schützte [Suppi]luliuma in bezug auf die Herrschaft. (I 23) Und [das Land Ha]tti schützte er. (I 24) Und danach (I 25) schützte er Mursˇili in bezug auf die ˘ Herrschaft (I 25) und das Land Hatti schützte er. (I 26) Und gegen das Land Hatti beging er ˘ ˘ keinerlei (I 27) Verfehlung. (§ 4 I 28) Als aber Muwatalli, der Bruder des Vaters der Majestät, (I 29) als König herrschte, da begingen gegen ihn die Männer von Amurru (I 30) eine Verfehlung und jenes (I 31) teilten sie ihm mit: (I 32) »Wir waren Diener (I 31) aufgrund unseres Empfindens! 43) (I 32) Jetzt aber sind wir nicht deine Diener!« (I 33) Und sie verbündeten sich mit dem König von Ägypten. (I 34) Und der Bruder des Vaters der Majestät, Muwatalli, (I 35) und der König von Ägypten (I 36) kämpften (I 35) wegen der Leute von Amurru. (I 36) Und Muwatalli (I 37) besiegte ihn. Das Land Amurru (I 38) vernichtete er (I 37) mit der Waffe (I 38) und machte es zu seinem Diener. (I 39) Und im Land Amurru machte er Sˇapili zum König.

41.

42. 43.

Die Texteinleitung mit Genealogie ist nur unvollständig erhalten und weist auch Hinweise auf Rasuren auf; insofern läßt sich die Textverteilung der Standardformeln einer hethitischen Großkönigsgenealogie hier nur tentativ angeben. Derart lange Genealogien bilden sich erst relativ spät aus, wobei eine hethitische Eigenheit die Nennung eines namensgleichen – älteren als Vater und Großvater – Vorfahren darstellt, in diesem Falle also ein Tuthalija der Vorgroߢ reichszeit, und nicht möglicherweise einen (fiktiven) Begründer der hethitischen Dynastie. Nur bei Hattusˇili III., der sich auf den namensgleichen ältesten bekannten hethitischen König beziehen˘kann, ergibt sich hier eine solche Koinzidenz zwischen Namenspatron und »Dynastiegründer« – was in diesem Falle noch besonders betont wird, da Hattusˇili I. nicht als »König von Hatti«, sondern als »Mann von Kusˇsˇara« bezeichnet wird. ˘ ˘ Der hier genannte Sˇuppiluliuma I. ist in der texteinleitenden Genealogie nicht genannt; faktisch war er der Ur-Großvater Tuthalijas IV. Erst in den Genealogien von Sˇuppiluliuma II. wird er dann als ältester Vorfahre zu˘ Beginn der Genealogien auftreten. Vgl. auch H. G. Güterbock et al. (Hg.), The Hittite Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago. Vol. L-N, Chicago 1980-89, 400a: »We were vassals (out) of affection!«; lit.: »Wir waren Diener unserer Liebe!« Heth. asˇsˇijatar »Liebe« ist in solchem Kontext eher ungewöhnlich.

199

Jörg Klinger (§ 5 I 40) Als

aber Muwatalli, der Bruder des Vaters der Majestät, (I 41) Gott wurde, da herrschte der Vater der Majestät, (I 42) Hattusˇili, als König. (I 43) Und er setzte Sˇapili ab ˘ im Land Amurru (I 45) zum König. Und den (I 44) (und) machte Bentes ˇina, deinen Vater, Vater der Majestät schützte er (I 45) und das Land Hatti schützte er. (I 47) Und gegen das ˘ Land Hatti beging er keinerlei Verfehlung. ˘ [(§ 6 II 1) Und] ich, die Majestät, der Großkönig, ergriff dich, den Sˇausˇgamuwa, an der Hand. [(II 2) Und dich machte ich zum Schwager und gab dir meine Schwester als Gattin. (II 3) Und im Land Amurru machte ich dich zum König. (II 4) In bezug auf die Herrschaft schütze die Majestät! Danach schütze auch die Söhne, Enkel (II 5) (und) Nachkommenschaft der Majestät in bezug auf die Herrschaft. (II 6) Eine andere Herrschaft begehre nicht. (II 7) Diese Sache soll Dir unter Eid gelegt sein. ˇ ausˇgamuwa, zum Schwager gemacht habe, (II 9) schütze du (§ 7 II 2) Weil ich aber dich, S die Majestät in bezug auf die Herrschaft! Danach schütze auch die Söhne, Enkel (II 10) (und) Nachkommenschaft der Majestät in bezug auf die Herrschaft! (II 11) Welche aber Voll-Brüder der Majestät sind und welche die Söhne von Nebenfrauen (II 12) des Vaters der Majestät sind und welche noch andere königliche Nachkommenschaft existiert, (II 13) (die) aber für dich Nicht-Erbberechtigte sind, davon (II 14) begehre keinen zur Herrschaft. (II 15) Handle nicht wie Masˇturi! (II 16) Der Masturi, der König des Seha-Flußlandes war, (II 17) ihn hat Muwatalli aufgenommen und zum Schwager gemacht ˘ und ihm die Masˇsˇanauizzi, seine Schwester, als Gattin gegeben. (II 19) Und im (II 18) Sˇeha-Flußland hat er ihn zum König gemacht. (§ 8˘II 21) Als aber Muwatalli Gott wurde, (II 20) da herrschte Urhi-Tes ˇsˇub, der Sohn des ˘ ˇsˇub die KönigsherrMuwatalli, als König. [(II 22) Mein Vater aber] entriß dem Urhi-Tes ˘ (II 25) Und Muwatalli, schaft ((II 23) Zeile getilgt) [(II 24) Masˇ]turi aber plante einen Verrat. der ihn genommen (und) der ihn zum Schwager gemacht hatte, dessen Sohn (II 26) Urhi-Tes ˇsˇub schützte er nicht mehr. 44) (II 28) Und er verbündete sich mit meinem ˘ (II 29) »Soll ich denn einen Nicht-Erbberechtigten schützen?« 45) Willst du vielleicht Vater. (II 30) so handeln wie Mas ˇturi? (II 31) Falls irgendjemand der Majestät oder den Söhnen, (II 32) oder der Nachkommenschaft der Majestät Übel zufügt, (II 33) wenn du den Enkeln ˇ aber, Sausˇgamuwa, (II 34) mit deinen Frauen, deinen Söhnen, deinen Truppen und Wagenkämpfern (II 35) nicht mit ganzem Herzen zu Hilfe kommst (II 36) und nicht mit [deinen] Frauen, [und deinen] Söhnen für die Majestät stirbst, (II 37) soll dir das unter Eid gelegt sein. 46)

44. 45. 46.

200

In kleiner Schrift ist über der Zeile nochmals eingefügt: »Und er plante einen Verrat.« Der Satz ist nicht als zitierte Rede markiert, anders aber der fast identische, in kleiner Schrift zwischen den Zeilen nachgetragene Satz: »Soll ich das eines Nicht-Erbberechtigten, eines Sohnes des […] machen?« Der Rest der Kolumne II und die Kolumne III sind nur noch partiell erhalten, lassen aber erkennen, daß es sich vor allem um eine ganze Reihe von Ermahnungen zur Loyalität und der Aufzählung aller möglicher eventueller Umstände handelt, in denen Sˇausˇgamuwa u. U. seine Pflichten gegenüber dem hethitischen König verletzen könnte.

2. Zur Rolle der hethitischen Vorzeichenwissenschaft 2.1 Einleitung Die mit dem Begriff der Mantik bezeichnete Kulturtechnik läßt sich definieren als ein »Verfahren, um Künftiges und Verborgenes, das aufgrund alltäglicher, normaler und wissenschaftlicher Erfahrung und Erkenntnis nicht anzugehen ist, zu ahnen und vorherzusagen. Was als ›normal‹ und ›alltäglich‹ anzusehen ist, ist jeweils historisch und gesellschaftlich bestimmt«. 1) Ihr theoretischer Hintergrund ist komplex, und man muß beim Versuch, sie zu verstehen, sie als ein System akzeptieren, das in der Anstrengung, erkenntnisresistente Bereiche zu beherrschen, eine Realität – in welcher Form auch immer aus heutiger Sicht – mit Konsequenzen für alle Lebensbereiche darstellt. Sie beruht auf Vorstellungen, die außerhalb der eigentlichen Vorzeichenwissenschaft liegen, aber aus dem Weltbild des zeitgenössischen Menschen resultieren und aus dem man nicht ohne weiteres heraustreten kann. Die Mantik folgt dabei gewissen immanenten Logiken, die aber nicht zu vergleichen sind mit einem formallogischen Denken, gleichwohl aber »rational« sind, also im Versuch, die Welt zu verstehen und sie, einschließlich der außerweltlichen Bereiche, beherrschbar zu machen, durchaus als Wissenschaft aufzufassen sind. 2) Die Interpretation des einem mantischen Verfahren zugrunde gelegten Phänomens impliziert dessen Verständnis als Teil einer kontingenten Welt und Ausdruck eines von höheren Mächten, d. h. in der Regel von Göttern, initiierten Geschehens. Der Versuch, dieses Geschehen zu verstehen, schlägt sich in den verschiedenen mantischen Verfahren nieder, wird aber als solcher nicht thematisiert, sondern ist nur indirekt faßbar – da diese explikative Ebene sich nirgends in der hethitischen Überlieferung greifen läßt, ist faktisch auch so gut wie nicht nachvollziehbar, wie der Schritt von der Phänomendeskription zu dessen Ausdeutung vollzogen wird; wir werden allein mit dem jeweiligen Resultat konfrontiert. 3) Nimmt man die innerhethitische Überlieferung als Maßstab sowie das, was wir aus anderen Quellen an Informationen über die Funktion und die Bedeutung der Mantik für die Hethiter generell erfahren, so ist offensichtlich, daß die Vorzeichenwissenschaft und vor allem die verschiedensten praktischen mantischen Verfahren eine zentrale Rolle in den unterschiedlichsten Lebensbereichen spielten. Jedoch gibt es in der hethitischen Überlieferung keine eigene Tradition mantischer Texte, es gibt keine ka-

1. 2.

3.

So H. Zinser, Mantik, in: H. Cancik et al. (Hg.), Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. 4, Stuttgart 1998, 109. Immerhin hat sich inzwischen die grundsätzliche Einstellung gegenüber diesen Texten geändert und man sieht darin nicht mehr allein »a curious monument of a misdirected ingenuity«, so noch O. R. Gurney, The Hittites (2nd edition; reprint with revisions), London 1990, 133. Einen guten Überblick gibt R. H. Beal, Hittite Oracles, in: L. Ciraolo / J. Seidel, Magic and Divination in the Ancient World (Ancient Magic and Divination II), Leiden/Boston/Köln, 2002, 57-81. Detailreich, aber etwas eigenwillig A. Kammenhuber, Orakelpraxis, Träume und Vorzeichenschau bei den Hethitern (THeth 7), Heidelberg 1976; aktuell V. Haas, Hethitische Orakel, Vorzeichen und Abwehrstrategien, Berlin/New York 2008.

201

Texte der Hethiter

nonischen Texte, die in späteren Zeiten immer wieder kopiert worden wären oder Sammlungen, vergleichbar den großen mesopotamischen Omenkompendien, sondern es gibt gleichsam nur Unikate. 4) In keinem einzigen Fall konnte bis heute ein Duplikat zu einem mantischen Text nachgewiesen werden, sondern in der Regel handelt es sich nur um Quasi-Parallelen, bedingt entweder durch die Wiederholung der Anfrage und Überprüfung des Befundes oder durch das relativ begrenzte Formular. Ausnahmen gibt es nur dann, wenn Omina oder Orakelanfragen Teil eines anderen Textes sind; Beispiele wären etwa innerhalb eines Rituales die Anfrage, ob die Opfer umfangreich genug sind oder der Kult auch regelmäßig genug versorgt wurde. Sehen wir von den dabei zur Anwendung kommenden Techniken ab, so ist allen Orakeltexten gemeinsam, daß sie aus einer Anfrage und dem darauf erfolgenden Bescheid bestehen, wobei z. T. in sehr verkürzter, fast hermetischer Form in knappen Stichworten festgehalten sein kann, welcher Art der Orakelbefund war. Ein Spezifikum der hethitischen Orakeltechnik ist, daß in Verbindung mit der Anfrage ein zu erwartendes Ergebnis formuliert wird in der Art »soll günstig sein« oder »soll ungünstig sein« und erst das Verhältnis zwischen postuliertem Resultat und tatsächlichem Bescheid dann das eigentliche Ergebnis ergibt. Ein Befund ist also nicht per se positiv oder negativ, sondern wird es erst, wenn eine Übereinstimmung zwischen dem postulierten und dem eingetretenen Resultat besteht oder eben nicht. 5) Das bedeutet, hethitische mantische Texte enthalten in der Regel Orakelanfragen, auf die lediglich eine Ja-Nein-Antwort erfolgen kann, es geht also nicht darum, bestimmte Phänomene als Hinweise auf später eintreffende Ereignisse auszudeuten. Damit fehlt aber exakt die Motivation für die Sammlung von Omina, die in Mesopotamien zur Ausbildung der großen bekannten Serien geführt hat, 6) da der »Seher« allein wissen und entscheiden muß, ob eine Beobachtung, ein Befund usw. als positiv oder als negativ

4. 5.

6.

202

Dies wird in der Literatur zum Teil anders gesehen, läßt sich aber meiner Ansicht nach eindeutig zeigen; vgl. einstweilen J. Klinger, Zur Historizität einiger hethitischer Omina, AoF 25 (1998) 104-111. Das ist nicht zu verwechseln mit dem, was U. Koch-Westenholz, Mesopotamian Astrology. An Introduction to Babylonian and Assyrian Celestial Divination (CNI Publications 19), Kopenhagen 1995, 10 f. als »almost mathematical rigour« babylonischer Omina bezeichnet hat, denn dort geht es um die Verbindung faktisch gegebener Zeichen. Das bedeutet, tritt in einem Omen ein positives mit einem positiven oder ein negatives mit einem negativen Zeichen auf, dann bedeutet dies den Hinweis auf das Eintreten eines positiven Ereignisses, eine Verbindung zweier unterschiedlicher Zeichen (positiv mit negativ oder umgekehrt) deutet auf ein negatives Ereignis – d. h. beide Zeichen liefert das Omen, z. B. in Form zweier Leberzeichen, während im hethitischen Prinzip tatsächlich nur eines existiert, das auf seine Übereinstimmung mit der vorab formulierten Erwartung überprüft wird. Daß in der Praxis sich gewisse Prinzipien erkennen lassen, was den Inhalt der spezifischen Anfrage und der erwarteten Form des Zeichens angeht, ist naheliegend und tatsächlich nachzuweisen. Die Regeln scheinen aber komplexer zu sein; dies hier weiter auszuführen ist nicht möglich. Das bedeutet im übrigen auch, daß sich die hethitische bzw. die autochthon anatolische Mantik, denn die Wurzeln dürften weiter zurückreichen als bis zur Herausbildung der hethitischen Kultur, nicht nach dem Erklärungsschema entstanden sein kann, daß sich mit der Beobachtung z. B. bestimmter metereologischer Ereignisse, Vorhersagen auf zu erwartende Unwetter, Ernteerträge oder ähnliches verknüpfen ließ – das Prinzip der sogenannten Bauernregeln – und dies im Volksglauben ausgebaut und schließlich von »Spezialisten« auf immer weitere Bereiche übertragen wurde.

Jörg Klinger

einzustufen ist. Genau diese Bewertungsregeln sind aber kein Bestandteil der schriftlichen Tradition, sondern dürften als Expertenwissen mündlich weitergegeben worden sein. 7) Daß die Struktur natürlich besonders gut dazu geeignet ist, Ursachen oder Gründe für bestimmte (negative) Ereignisse in Erfahrung zu bringen, ist naheliegend. 8) Mantische Techniken spielten bei den Hethitern offenbar immer eine wesentliche Rolle, auch wenn sich dies in der schriftlichen Dokumentation nicht immer so eindeutig niederschlägt. Dies liegt sicherlich (auch) darin begründet, daß mantische Texte sehr oft konkret in Verbindung mit einer entsprechenden Praxis stehen und in der Regel kein Material waren, das dauerhaft in den Archiven deponiert wurde. 9) Vielmehr zeichnen sich hethitische mantische Texte oft durch ihren eher ephemeren Charakter aus, der sich schon in den flüchtigen Handschriften und den meist sprachlich extrem verknappten Formularen ausdrückt, die fast als Codes zu bezeichnen sind. Genuin anatolische mantische Praktiken umfassen neben der Vogelschau vor allem eine Technik, die man als Losorakel bezeichnet und bei der vermutlich Symbole oder Spielmarken auf einer Art Spielbrett eingesetzt wurden, so daß dann aus der Lage der Objekte zueinander bestimmte Rückschlüsse gezogen wurden. Doch auch hier bleiben die Texte so wenig explizit, daß vieles hier noch immer auf Vermutungen beruht. Angesichts der Fülle der Hinweise auf mantische Verfahren können wir davon ausgehen, daß ihre Anwendung tatsächlich ein Alltagsphänomen darstellt, allerdings sind wir auch in diesem Falle, wie dies für die gesamte hethtitische Überlieferung gilt, wiederum weitestgehend auf den »offiziellen« Bereich angewiesen, da wir nur aus solchen Kontexten eine schriftliche Dokumentation besitzen. Hierbei dominiert naheliegenderweise der Bereich des Kults, da einerseits Folgen möglichen Fehlverhaltens besonders gravierende Konsequenzen nach sich ziehen können und andererseits genau dieser Bereich sich anderen Erfahrungsweisen weitgehend entzieht. Aber darauf beschränkt sich die Mantik keineswegs, sondern gerade auch im politischen oder besonders im militärischen Bereich, wie die zahlreich erhaltenen Feldzugsorakeln belegen, spielte sie eine enorme Rolle.

7. 8.

9.

Insofern ist es schlüssig, daß in der hethitischen mantischen Tradition bestimmte Verfahren nur von bestimmten Gruppen ausgeführt werden und die Regeln der Beobachtung des Vogelfluges z. B. nicht auf die des Losorakels übertragbar sind usw. Tatsächlich ließe sich auch der große Teil der hethitischen Orakelanfragen als eine Art investigative Mantik charakterisieren – bevorzugt verwendet, um die Ursache für göttlichen Zorn oder, was im Prinzip daraus folgen kann, eingetretenes Unheil in Erfahrung zu bringen. Denn kennt man den Anlaß bzw. überhaupt erst die dafür verantwortliche Gottheit, dann läßt sich mit magisch-kultischen Mitteln reagieren und Abhilfe schaffen. Sie teilten dieses Schicksal mit den Briefen, die die Verwaltung für ihre tägliche Arbeit produzierte, und von denen sich ebenfalls – im Vergleich zu der einmal als existent vorauszusetzenden Produktion – nur relativ wenige Zeugnisse erhalten haben. Beispielhaft der Fund einer größeren Anzahl solcher Briefe und Orakeltexte in der Füllung einer Kastenmauer im Bereich von Gebäude E und F auf Büyükkale, also offensichtlich Material, das schon von den hethitischen Schreibern selbst ausgemustert und weggeworfen worden war; vgl. H. G. Güterbock, KBo 18, Berlin 1971, S. III: »Es wurden nur Bruchstücke gefunden; manche machten den Eindruck, absichtlich zerbrochen zu sein«.

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Es wurden hier nun vor allem solche Beispiele aus den z. T. sehr umfangreichen Orakeltafeln ausgewählt, die als charakteristisch für diese Art des Textmaterials gelten können und die dennoch einen Eindruck von den Themenspektren geben können, die mithilfe von Orakeln bearbeitet wurden, aber die darüber hinaus illustrieren, wie die verschiedenen Techniken mit einander kombiniert werden konnten, um auf diese Weise eine gewisse Sicherheit für die Beantwortung der jeweiligen Fragen zu erhalten.

2.2 Aus der Kultpraxis – die Erforschung der Ursachen »Göttlichen Zorns« Typisch für die erhaltenen Texte über Orakelanfragen ist eine relativ gut erhaltene Tafel, die sich mit dem »Zorn« verschiedener Gottheiten beschäftigt und jeweils versucht, die Ursachen dafür in Erfahrung zu bringen. Dabei sind es vor allem entweder Fehler im Rahmen der Kultausführung – falsche oder zu geringe Opfer, falscher Zeitpunkt – oder Mängel, die die Ausstattung des Kultes betreffen, die als Ursachen in Frage kommen, wie beschädigte Kultobjekte, aber auch Störungen, wie ein Hund, der in den Kultraum gelangt ist und dort den Opfertisch umgeworfen haben soll. Es handelt sich also um Probleme, die sicherlich, berücksichtigt man den ungeheuren Aufwand, der in der hethitischen Kultur nicht nur für die große Anzahl an Kultfesten, sondern vor allem im Rahmen der alltäglichen Kultpraxis notwendig war, ständig und in großer Zahl aufgetreten sein dürften. Nicht zu entnehmen ist dem Text, auf welchen Kultort bzw. welchen Tempel er sich genau bezieht, für den die hier befragten »Männer des Tempels« zuständig sind 10) – genannt wird die Stadt Kizmara, über die aber sonst nicht mehr bekannt ist. 11) Die häufigste der hier angewandten Orakel-Techniken ist die Befragung des hurri-Vogels, ˘ wobei Details, was die Art und Weise der Durchführung einer solchen »Befragung« angehen, weitestgehend fehlen. Da aber nicht Auguren dafür zuständig sind, sondern die Personen, die auch sonst die Eingeweideschau durchführen (LÚHAL), ˘ könnte das ein Hinweis auf die Art des Orakels sein. 12) Die einkolumnig beschriftete Tafel weist die für solche Orakeltexte durchaus typischen Eigenheiten auf, d. h. die Schrift ist teilweise flüchtig, es gibt Einfügungen von Text, die Schriftgröße kann stark schwanken und Korrekturen oder Tilgungen sind häufiger als sonst zu erkennen; außerdem gibt es, in diesem Falle auf der Rückseite noch viel stärker als auf der Vorderseite, immer wieder unbeschriebene freie Flächen, als hätte man noch Raum gelassen für die Ergebnisse mit weiteren Orakeltechniken 10. 11. 12.

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Zu Parallelen zwischen den in den Fragen angeschnittenen möglichen Mißständen oder Versäumnissen und der sog. »Instruktion für Tempelbedienstete« (CTH 264) vgl. A. TaggarCohen, Hittite Priesthood (THeth 26), Heidelberg 2006, 290-92. Vgl. R. Tognon, Il testo oracolare ittita KUB V 7, KASKAL 1 (2004) 77 n. 95. Man hat aufgrund des Namens »Höhlen-Vogel« vermutet, es könnte sich um eine Beobachtung des Verhaltens des Vogels handeln; die Orakeltechnik selbst scheint schon in altbabylonischer Zeit in Mari durchgeführt worden zu sein, ist also, worauf ja auch der Name selbst weist, nicht anatolischer Herkunft; vgl. V. Haas, Hethitische Orakel, Vorzeichen und Abwehrstrategien, Berlin/New York 2008, 55 f. und ders., Religionen des Alten Orients. Teil 1: Hethiter und Iran, Göttingen 2011, 246, wo die Technik als Beobachtung »der Art des Herumlaufens entenartiger Vögel« beschrieben wird.

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oder zusätzlichen Fragen. Die Tafel dürfte um die Mitte des 13. Jahrhundert niedergeschrieben worden sein, sehr viel präziser läßt sich der Text aber nicht datieren. 13) CTH 574.1: KUB 5.7 + KBo 55.200 + KBo 66.124 – Fundort war der Bereich von Tempel I in Hattusˇa. ˘ Bearbeitet von R. Tognon, Il testo oracolare ittita KUB V 7, KASKAL 1 (2004) 59-81.

(§ 2) 14) (Vs. I 2’) [Im] Tempel von Kizmara: Ungünstig. [Wir befragten] die Männer des Tempels [und sie sagten: »Das Vo]rratsgefäß [… wurde] 9 [Tage?] nicht] (I 3’) ausgeschüttet, das Wein(-Opfer) versäumt. Hurri-Vogel ungünstig. Wenn es eben dies ˘ ist 15): Hurri-Vogel ungünstig. Wir befragten sie weiter (I 4’) und sie sag]ten: »Man hat das ˘ neue Brot versäumt.« Hurri-Vogel ungünstig. Wenn es eben dies ist: Hurri-Vogel un˘ ˘ günstig. U[nd wir befrag]ten sie weiter und sie sagten: (I 5’) »Die Tages-[Dick]brote waren unterblieben.« Hurri-Vogel ungünstig. Wenn es eben d[ies ist: Hurri-Vogel ungün˘ ˘ stig. [Und wir befrag]ten [sie weiter] und sie sagten: (I 6’) »Das Monatsfest des 3. Monats und des 4. Monats versäumte man.« Und[ ….] Wenn es e[ben dies ist]. Ebenso. Soll ungünstig sein. Noch nicht (erledigt). § 3 (I 7’) Im Tempel des Ea: Ea hält das Heil(-Symbol) in der Hand. Es ist nicht vorhan[den. …] Hurri-Vogel ungünstig. § 4 (I 8’) Wenn ˘es eben dies ist: Hurri-Vogel ungünstig. ˘ des Tempels, und sie sagten: »Der Gottheit Günsti§ 5 (I 9’) Wir befragten die Männer ger-Tag: ihr Fuß ist abgebrochen. [Hu]rri[-Vogel] ungünstig. Wenn es eben dies ist: un˘ günstig. § 6 (I 10’) Ebenso. Die Gottheit Kallisˇ, der Berg, auf dem sie steht, war mit S[ilber überzo]gen, jetzt ist das Silber aber vom Berg abgerieben. (I 11’) Hurri-Vogel ungünstig. Wenn es eben dies ist – ebenso. Der erste hurri-Vogel günstig, ˘der danach ungünstig. [Das Mona]tsfest, das man versäumte, feiert˘ man vollständig (I 11b’) und als Buße gibt man 1 Schaf, Brot und Bier. Das neue [Fest?], das man versäumte, holen sie nach. […] 16) § 9 (I 17’) Wenn du, Hurijanzipa, im Tempel [keineswegs zornig bist, soll das EingeweideOrakel] günstig sein. Ungünstig.

13.

14. 15. 16.

Folgt man Ph. H. J. Houwink ten Cate, Urhi-Tessub revisited, BiOr 51 (1994) 234 und sieht in der Anfrage der Rs. 15 einen Hinweis auf die Rückführung der Götter bzw. der göttlichen Ahnen der königlichen Familie aus Tarhuntasˇsˇa durch Mursˇili III., dann ergäbe sich hieraus ˘ Zeit von Mursˇili III. oder schon Hattusˇili III.; vgl. ein Terminus post quem, also etwa in die ˘ sowie V. Haas, noch R. Tognon, Il testo oracolare ittita KUB V 7, KASKAL 1 (2004) 75-77 Hethitische Orakel (…), 2008, 122, der ohne nähere Begründung den Text auf Tuthalija IV. ˘ datiert, was aufgrund der Schrift eher weniger wahrscheinlich sein dürfte. Die erste Zeile der Tafel ist nur unvollständig erhalten, danach wurde Platz für ca. 5-6 Zeilen freigelassen, bevor nach einem Abschnittstrich der § 2 einsetzt; die Zeilenzählung folgt der Edition und berücksichtigt die Lücke nicht. Gemeint ist: wenn mit der vorangehenden Frage die Ursache gefunden ist. Das jeweils folgende »ungünstig« weist darauf, daß die Ursache noch nicht identifiziert werden konnte, die Suche nach der richtigen Ursache wird also fortgesetzt. Der folgende Abschnitt ist nur unvollständig erhalten; daran schließt sich wieder ein freier Raum von 5-6 Zeilen an.

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§ 10 (I 18’) Wir befragten die Männer des Tempels, und sie sagten. »Der Tempel […] und] es ist umgestürzt. (I 19’) Die Gottheit ist deshalb zornig. Das Eingeweide-Orakel soll günstig sein. [Günstig (?) Wenn es eben dies ist – ebe]nso. Dann soll das Orakel günstig sein. Ungünstig. § 11 (I 20’) Wir befragten die Männer des Tempels weiter, und sie sagten: Das Monatsfest d[es … wurde ausgelas]sen, (I 21’) der Opfertisch nicht mit seiner Sonnenscheibe geschmückt.« Bist du, Gottheit, eben deshalb zornig? Ungünstig. Wenn es eben dies ist – ebenso. Das Eingeweide-Orakel soll günstig sein: ungünstig. § 12 (I 22’) Was das betrifft, daß (es) weiter ungünstig ist – weil man der Gottheit mit Verspätung geopfert hat, bist du, Gottheit, eben (I 23’) deshalb zornig? Die EingeweideOrakel sollen ungünstig sein. U[ngü]nstig. Wenn es eben dies ist – ebenso. Die Eingeweide-Orakel sollen günstig sein. Ungünstig. § 13 (I 24’) Wir befragten die Männer des Tempels weiter, und sie sagten: »Ein Hund lief ins Innere des Tempels und stürzte einen Tisch um (I 25’) und warf Dickbrote herunter. Die täglichen Dickbrote hat man häufig versäumt.« Bist du, Gottheit, eben (I 25b’) deshalb zornig? Ungünstig.

2.3 Hethitische Feldzugsorakel – Mantik als Teil militärischer Planung Die Tafel, die hier als Beispiel dienen soll, ist mit gut 400 Zeilen eine der besterhaltenen, fast vollständigen Orakeltafeln. Die zur Anwendung kommende Technik ist das »Losorakel« (KIN), das als spezifisch hethitisch gelten kann, wobei unklar bleibt, wie alt die Tradition dieser Form der Orakelanfrage in Anatolien war, d. h. ob sie eventuell schon auf die Zeit vor dem Beginn der schriftlichen Überlieferung zurückgeht und somit gleichsam als »hattisch« anzusprechen ist. 17) Ein genaues Verständnis der Art und Weise, wie diese Orakelform durchgeführt wurde, steht aus, da die Texte darauf praktisch nie eingehen, aber alle Deutungen gehen davon aus, daß dabei verschiedene Symbole eine Rolle spielen, die eventuell auf eine Art Spielbrett oder markiertes Feld geworfen werden und der Befund des Orakels dann aus der Position dieser Symbole zueinander abgelesen wird – zentrale Begriffe sind dabei das »Nehmen« einer verschiedenen Anzahl von Symbolen durch ein Symbol und die Weitergabe bzw. Positionierung im Anschluß daran zu einem oder mehreren anderen Symbolen. Die Symbole werden dabei sowohl mit konkreten (z. B. »König«), als auch mit abstrakten Begriffen (z. B. »Rechtsheit«, »Linksheit«, »Stärke« usw.) bezeichnet, aber auch einzelne Götter werden namentlich genannt. Thema der Anfragen sind konkrete taktische Überlegungen im Rahmen von militärischen Aktionen, aber auch Fragen nach den Folgen, die bestimmte Marschrouten, Angriffsziele usw. haben können. Man gewinnt den Eindruck, als hätten die hethitischen Könige versucht, alle mög-

17.

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Das wurde immer wieder vermutet, so etwa A. Ünal, Hattusˇili III. Teil 1: Hattusˇili bis zu sei˘ ner Thronbesteigung (THeth 3), Heidelberg 1974, 129 ˘n. 69 u. ö. Hierbei spielte vor allem das kleine Täfelchen KBo 18.151 eine Rolle; das allerdings weder eine althethitische Niederschrift darstellt, noch hattischen »Dialekteinfluß« widerspiegelt. Ausführlich zum KIN-Orakel A. Archi, Il sistema KIN della divinazione ittita, OA 13 (1974) 113-44.

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lichen Eventualitäten vorab mit bis ins Detail differenzierten Fragen abzuklären, um auf diese Weise Entscheidungshilfen für konkrete Maßnahmen zu gewinnen. Naheliegenderweise werden sie sich aber nicht allein auf die Orakel verlassen haben, sondern z.B. auch, was ja ebenfalls in Briefen dokumentiert ist, Späher für die Erkundung des Terrains, der Stärke und Stellung der Gegner usw. eingesetzt haben. Hier ein generell »irrationales« Verhalten anzunehmen, ginge sicherlich fehl. CTH 561: KUB 5.1 + KUB 52.65 – der Fundort der Tafel in Hattusˇa ist nicht bekannt. ˘ Zum Text vgl. A. Ünal, Hattusˇili III. Teil 1: Hattusˇili bis zu seiner Thronbesteigung ˘ 32-102 (Bearb.); R.˘ Beal, Seeking Divine Approval for Cam(THeth 4), Heidelberg 1974, paign Strategy. KUB 5.1+KUB52.65, KTÈMA, 24 (1999) 41-54 (Übers.). Vgl. noch J. Orlamünde, Überlegungen zum hethitischen KIN-Orakel, in: Th. Richter et al. (Hg.) Kulturgeschichten. Altorientalische Studien für V. Haas zum 65. Geburtstag, Saarbrücken 2001, 295-311 und dies., Zur Datierung und historischen Interpretation des hethitischen Orakelprotokolls KUB 5.1+, in: G. Wilhelm (Hg.), Akten des IV. Internationalen Kongresses für Hethitologie, Würzburg, 4.-8. Oktober 1999 (StBoT 45), Wiesbaden 2001, 511-523. Zur Datierung des Textes und damit seiner Zuweisung auf eine bestimmte historische Situation gibt es unterschiedliche Auffassungen, die von Mursˇili II. bis zu Hattusˇili III. oder dem ˘ Datierung durchaus jungen Tuthalija (IV.) reichen. 18) Paläographisch wäre eine eher jüngere ˘ plausibel.

(§ 1) (Vs. I 1) Die [Maje]stät wird gegen die Truppen des Haharwa-Gebirges zu Felde zie˘ ˘ (I 2) (Das Loshen. (I 2) [Besän]ftigt sie (I 1) dadurch den Sinn des Haharwa-Gebirges? ˘ orakel) 19) soll günstig sein. 20) Der »König« 21) nahm sich˘ »Rechtsheit«, »ganze Seele« und »Blut« (und gab sie) der »ganzen Seele«. (I 3) [2. 22) Die »Gott]heit« nahm sich die »ganze Seele«, »Land Haharwa« und »Leben« (und gab sie) den »Göttern«. (I 4) 3. Der ˘ ˘ 18.

19. 20.

21. 22.

Von Mursˇili II. ging z. B. E. von Schuler, Die Kasˇkäer, Ein Beitrag zur Ethnographie des alten Kleinasiens, Berlin 1965, 51 f. aus; überwiegend hat man darin jedoch einen Bezug zu den Aktivitäten Hattusˇilis III. in Nordanatolien sehen wollen, so vor allem, A. Ünal, Hattusˇili III. ˘ˇili bis zu seiner Thronbesteigung (THeth 3), Heidelberg 1974, 130 ˘ c. n. 70; Teil 1: Hattus ˘ sich J. Orlamünde, Zur Datierung (…), in: G. Wilhelm (Hg.), Akten des IV. Interzuletzt hat nationalen Kongresses für Hethitologie, Würzburg, 4.-8. Oktober 1999 (StBoT 45), Wiesbaden (StBoT 45), 2001, 511 ff. für Tuthalija (IV.) noch vor die Zeit vor seiner Thronüber˘ nahme ausgesprochen. Zu den im Text genannten Ortsnamen und deren möglicher Lage vgl. M. Forlanini, La région autour de Nerik selon les sources hittites, SMEA 52 (2010) 125 ff. Dieser Text verzichtet weitestgehend darauf, die Art der Orakeltechnik zu spezifizieren, da in der Regel nur eine, nämlich das »Losorakel« (KIN) zur Anwendung kommt. Dies bezieht sich auf das zu erwartende Ergebnis – für eine positive Beantwortung der gestellten Frage ist eine Übereinstimmung zwischen dem vorher postulierten, erwarteten und dem tatsächlich eintretenden Ergebnis entscheidend. Also nicht ein »günstig« als Ergebnis für sich genommen bedeutet ein positives Resultat. Diese Form der »Logik« ist der hethitischen Mantik eigen. Das es sich hier und im Folgenden um die Bezeichnungen der verschiedenen Symbole handelt und nicht um z. B. den König selbst, werden die entsprechenden Begriffe bei der Übersetzung in Anführungszeichen gesetzt. Der Text verwendet immer wieder eine Zählung der – bis zu drei – Orakelbefunde, verfährt dabei aber nicht konsequent, insofern ist die Ergänzung hier auch nicht sicher; der erste Befund wird in der Regel nicht gezählt.

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»Feind« nahm sich die »Rechtsheit«, »Lösung«, »Feldzug«, »Jahr« und »Schutz«. Der »Hannahanna« sind sie gegeben. 23) Günstig. (§˘2) (I 5)˘Die Majestät wird gegen Tanizila zu Felde ziehen. Besänftigt sie (dadurch) den Sinn des Wettergottes von Nerik? (I 6a) (Das Losorakel) soll günstig sein. Die »Leute von Hatti« nahmen sich die »Linksheit« und »großes Unheil« (und gaben sie) der ˘ »Gottheit« und »ganzer Seele«. (I 6b) Ungünstig. (Vs. I 7) §3 Was das (betrifft), daß Temeti 24) die Angelegenheit verfolgt 25), Taptena und Hursˇama zu schlagen – (I 8) ist dies von den Göttern danach bestätigt (und) wird den ˘ befestigten Städten nichts Schlechtes widerfahren? (I 9) (Das Losorakel) soll günstig sein. Die »Thron(göttin)« erhob sich (und) sie nahm sich »Jahr« und »Wohlergehen«. Dem »Feind« sind sie gegeben. (Vs. I 10) 2. Die »Gesamtheit« 26) nahm sich »Linksheit« und »Waffe«. Sie liegen zur Linken des »Königs«. Ungünstig. § 4 1. (I 11) Man wird nicht die Angelegenheit von Taptena und Hursˇama verfolgen. Ist ˘ günstig sein. Der jenes von den Göttern danach bestätigt? (I 12) (Das Losorakel) soll »König« nahm sich »Rechtsheit« und »Wohlergehen« (und gab sie) der »Gottheit« und »ganzer Seele«. (I 13) 2. Die »Gesamtheit« nahm sich »Rechtsheit« und »ganze Seele des Königs« (und gab sie) den »Göttern«. (I 14) 3. Die »Sonnengottheit des Himmels« erhob sich und nahm sich »Rechtsheit des Königs« und »ganze Seele« (und gab sie) der »Throngöttin« zurück. Günstig. § 5 (I 15) Die Majestät wird es vorziehen, die Truppen des Haharwa-Gebirges zu schla˘ Hurna (und) Tasˇmaha gen. Danach wird sie nach Hanhana gehen (I 16) in Eile. Sie ˘wird ˘ ˘ ˘ ˘

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Das »Los« wurde also in diesem Falle dreimal geworfen – nicht erkennbar ist, das macht die Hermetik gerade dieser Orakeltechnik vor allem aus, wie aus den beschriebenen Konstellationen, wenn es sich denn um solche handelt, ein »Befund« abgelesen wird, also was daran als »günstig« resp. »ungünstig« zu gelten hat. Zur Person des Temeti, ein hethitischer Truppenkommandeur, vgl. R. Beal, The Organisation of the Hittite Military (THeth 20), Heidelberg 1992, 470 f. sowie J. Orlamünde, Zur Datierung (…), in: G. Wilhelm (Hg.), Akten des IV. Internationalen Kongresses für Hethitologie, Würzburg, 4.-8. Oktober 1999 (StBoT 45), Wiesbaden 2001, 512 n. 6. R. Beal, Seeking Divine Approval for Campaign Strategy – KUB 5.1 + KUB 52.65, KTÈMA über 24 (1999) 42 übersetzt »supported a plan«; die Verwendung von appa tija- mit direktem Objekt ist selten, aber nicht einmalig – entgegen J. Miller, Royal Hittite Instructions and Related Administrative Texts (Writings from the Ancient World 31), Atlanta 2013, 387 n. 468 in bezug auf KUB 13.2. IV 26.(»unique«), der deshalb auch einen Fehler für möglich hält; der Vorschlag von H. A. Hoffner, Hittite ega- and egan-, JCS 24 (1971) 32 c. n. 9 »pursue«, »to go after« dürfte in die richtige Richtung gehen. Der Text schreibt lediglich das Zeichen pa, das auch in anderen Orakeltexten als Abkürzung für das als panku- bezeichnete Symbol verwendet wird; ob damit »die Gesamtheit« oder der panku-, im Sinne der »Ratsversammlung«, gemeint ist, ist schwer zu entscheiden (vgl. Beal, Seeking Divine Approval […], KTÈMA 24 [1999] 42, der »assembly« übersetzt und H. G. Güterbock et al. [Hg.], The Hittite Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago. Vol. P, Chicago 1997, 91, wo die Frage offen bleibt). Bei dem solgenannten panku-, einer vieldiskutierten Institution des hethitischen Königtums, handelt es sich um eine Art Ratsversammlung, die aber gegenüber dem König nicht weisungsbefugt ist, sondern eher beratende Funktion hatte. Die Mitglieder dürften sich vor allem aus der näheren Umgebung der königlichen Familie rekrutieren, aber auch dies ist alles andere als sicher, wie auch seine konkreten Aufgaben und Möglichkeiten; vgl. G. Beckman, The Hittite Assembly, JAOS 102 (1982) 435-442.

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schlagen. Ebenso. 27) (Das Losorakel) soll günstig sein. (I 17) Der »Wettergott« erhob sich (und) nahm sich »Schlacht« und »Feldzug des Königs«. Der »Gesamtheit« sind sie gegeben. 2. Die »Götter« erhoben sich. »Leben« und »Zababa« (I 18) nahmen sie sich (und gaben sie) der »schweren Krankheit«. 3: Der »König« nahm sich »Rechtsheit«, »Feldzug« und »Waffe«. Es ist im Innern der »Leere«. Günstig. § 6 (I 19) Die [Majestät] wird die Truppen vorgehen lassen, um das Haharwa-Gebirge zu ˘ ˘ schlagen. Danach aber (geht sie) nach Nerik (I 20) [hine]in. Sie wird Tanizila schlagen und gegen Hurna (und)Tasˇmaha zu Felde ziehen. Ebenso. (I 21) (Das Losorakel) soll günstig ˘ sein. Die »Heere« nahmen˘ sich »Rechtsheit«, »Feldzug des Königs« und »Schlacht«. Sie sind der »Sonnengottheit des Himmels« gegeben. (I 22) 2. 28) Der »Feind« nahm sich »Rechtsheit«, »Schlacht«, »Waffe des Feindes«. Er ist für ihn im Inneren des »Landes« (gegeben). Ungünstig. § 7 (I 23) Die Majestät wird die Angelegenheit Taptenas und die Angelegenheit Hursˇamas ˘ (sein). erledigen (I 24) und wird wieder hinauf nach Tanizila ziehen und in Zihhana ˘ ˘ (I 25) [Dana]ch aber wird sie Hurna (und) Tas ˇmaha schlagen. Ebenso. (Das Losorakel) soll günstig sein. Der »König«˘ nahm sich wieder˘ »Unheil« (I 26) und »Linksheit« weg. Und sie sind den »Heeren« gegeben. Ungünstig. § 8 (I 27) Die Majestät wird sich den Leuten von Tizilima nähern. Ist dies durch den Willen der Götter genehmigt? (Das Losorakel) soll günstig sein. (I 28) Von den »langen Jahre« nahm er »Stärke«, »Schlacht des Königs«, »Lösung« und »Feuer«. Sie sind im »Schlechten«. Ungünstig. § 9 (I 29) Ich (die Majestät) 29) werde mich nicht (den Leuten von Tizilima) nähern. Ebenso. (Das Losorakel) soll günstig sein. Die »Götter« erhoben sich (und) nahmen »Leben« und »Schlacht des Königs«. (I 30) Dem »König« sind sie zurückgegeben. 2. Die »Thron(göttin)« erhob sich (und) nahm sich »Heil des Hauses« und (gab sie) den »Göttern«. (I 31) 3. Der »Feind« nahm sich »Rechtsheit«, »Lösung« und »Schutz« und (gab sie) den »Göttern«. Günstig. § 10 (I 32) Die Majestät wird hinauf in das Haharwa-Gebirge gehen und wird oben schla˘ ˘ befürchten müssen, soll (das Losorakel) fen. Wenn wir aber für ihre Person (I 33) nichts günstig sein. Die »Götter« erhoben sich (und) nahmen sich »Feuer« und »großes Unheil«. Der »Gesamtheit« sind sie gegeben. Ungünstig. § 11 (I 34) Die Majestät wird zum Haharwa-Gebirge hinaufgehen. Wenn nichts ihr Leben ˘ ˘ beeinträchtigen wird, soll (das Losrakel) günstig sein. (I 35) Die »Götter« erhoben sich (und) nahmen sich »Leben« und »Blut des Königs« und (gaben) sie der »Thron(göttin)« zurück. (I 36) 2. Die »Gesamtheit« nahm sich »Rechtsheit«, »Heil des Hauses« und »Feldzug des Königs« und (gab sie) den »Göttern«. (I 37) 3. Die »Götter« erhoben sich (und) nahmen sich »Gedeihen der Schicksalsgottheiten« und (gaben sie) der »Gottheit« und der »ganzen Seele«. 30) 27. 28. 29. 30.

Das »ebenso« an dieser Stelle ersetzt die entsprechende Frage, ob dies von den Göttern so bestätigt wird, aus dem vorhergehenden Abschnitt. Nach Kollation am Foto »2«, nicht »3«, wie bei Ünal, Hattusˇili III. Teil 1: Hattusˇili bis zu ˘ seiner Thronbesteigung (THeth 4), Heidelberg 1974, 36. ˘ Hier ändert der Text die Konstruktion von der unpersönlichen 3. Person zur 1. Person; die Frage stellt die genaue Alternative zur vorhergehenden dar, die negativ beschieden wurde. Die vorhergehende Zeile I 36 wirkt zwar etwas eingequetscht und die Schrift der Folgezeile

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§ 12 (I 38) Es ist nicht recht, oben zu schlafen. (Das Losorakel) soll ungünstig sein. Die »schwere Krankheit« nahm »Dickbrot«, »Trankspende« und »Heil des Hauses« (I 39) und gab sie der »Sonnengottheit des Himmels«. Ungünstig. § 13 (I 40) Was (das betrifft), daß die Majestät gegen das Haharwa-Gebirge zu Felde zie˘ (das ˘ hen wird – wenn sie die Pest nicht davontragen wird, soll Losorakel) günstig sein. (I 41) Die »Götter« erhoben sich (und) nahmen sich »Stärke« und (gaben sie) in das »Gute«. 2. Die »Gottheit« nahm sich wieder [weg] »Groll« und »ganze Seele«. (I 42) Sie sind in der »Leere«. 3. Die »Gesamtheit« nahm sich »Rechtsheit« und »Heil des Hauses« und (gab sie) den »Göttern«. Günstig. § 14 (I 43) Die Majestät wird in das Haharwa-Gebirge hinaufgehen und oben schlafen. ˘ ˘der Heere keine Seuche ausbrechen wird, soll Wenn aber, wie bei Mannini, inmitten (das Losorakel) günstig sein. Die »Heere« nahmen sich »Rechtsheit«, »Wohlergehen« und »Leben« und (gaben sie) den »Göttern«. (I 45a) 2. Die »Gottheit« nahm sich wieder zurück »Groll« und »Gutes«. Der »Hannahanna« sind sie gegeben. 3. Die »Götter« er˘ und˘ (I 45b) 31) »Gutes des Landes«. Rechts vom hoben sich (und) nahmen sich »Jahr« »Heer« sind sie hingelegt. 32) § 15 (I 46) Was (das betrifft), daß die Majestät die Heere das Haharwa-Gebirge hinauf˘ ˘ führen wird: Wenn inmitten der gesamten Heere (I 47) keine Seuche ausbrechen wird, soll (der Orakelbefund) günstig sein. Die »Heere« nahmen sich »Linksheit«, »Jahr« und »Leben« und (legten sie) ins »Gute«. (I 48) 2. Die »Götter« erhoben sich (und) nahmen sich »Leben« und (gaben es) der »Schicksalsgöttin« und der »gesamten (Seele?)«. 3. Zwischen dem »Schlechten« und der »schweren Krankheit« (I 49) kam es/er 33) und nahm das »Gute des Landes« und (gab es) den »Göttern«. Günstig. § 16 (I 50) Sie (die Majestät) wird Tasˇmaha und Hurna schlagen, die Bevölkerung der Fe˘ ˘ stungen aber wird sie (die Majestät) finden. (Das Losorakel) soll günstig sein. (I 51) Die »Gesamtheit« nahm sich »Rechtsheit«, »Feldzug« und »Blut« und (gab sie) den »Göttern«. 2. Die »Götter« erhoben sich (und) nahmen sich »Wohlergehen«. Und es ist dem »Heer« gegeben. (I 52) Das »Gute« nahm sich das »Leben«. Es ist dem »König« gegeben. Günstig. 34)

2.4 Die Absicherung der Thronfolge Tuthalijas IV. durch Orakel ˘ Dieser Orakeltext ist nicht nur aufgrund seines guten Erhaltungszustandes besonders interessant, der es erlaubt, den Ablauf einer solchen Untersuchung präzise nachzuvollziehen, sondern auch, weil sich sein konkreter historischer Hintergrund er-

31. 32. 33. 34.

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führt schräg nach oben in den freieren Raum nach I 35 f., aber es ist deutlich zu erkennen, daß die sonst hier übliche Ausdeutung des Befundes am Ende des Paragraphen fehlt. Die Zeile ist in kleinerer Schrift zwischen die vorhergehende Zeile und den Abschnittsstrich gezwängt. Wiederum fehlt die Interpretation des Orakelbefundes. Unklar, worauf sich das enklitische Pronomen -asˇ hier bezieht. An dieser Stelle folgt ein Leerraum auf der Tafel, der eventuell eine zusammengehörige Gruppe von Fragen markieren soll. Der folgende Abschnitt ist direkten Aktionen gegen Nerik bzw. im Umfeld der Stadt gewidmet, bleibt also thematisch wie auch geographisch im selben Kontext.

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schließen läßt. 35) Nach dem Staatsstreich Hattusˇilis III. und den innerdynastischen Konflikten war es besonders wichtig, vor ˘allem den Übergang der Herrschaft von Hattusˇili III. auf seinen zur Thronfolge vorgesehenen Sohn, Tuthalija (IV.), mög˘ ˘ lichst umfangreich abzusichern. Die auf mantischem Wege prognostizierte mögliche Erkrankung (»Fieber«) des Thronfolgers, die mit einer »Unreinheit« gleichgesetzt wurde und für die als Ursache nur eine Verärgerung einer Gottheit in Frage kam, stand dem im Wege, da so eine Salbung zum König nicht möglich gewesen wäre. Es galt also, die näheren Umstände der Erkrankung und vor allem deren Ursache in Erfahrung zu bringen, um wiederum durch kultische Maßnahmen dieser Drohung entgegenzuwirken. Diesem Zweck dienten u. a. die in diesem Text dokumentierten Orakelanfragen, 36) die hier sehr gut nachverfolgen lassen, wie durch variierende Fragen versucht wird, möglichst klare Antworten zu bekommen und wie das System der vorausgehenden Festlegung des Ergebnisse (»soll günstig/ungünstig«) und dem jeweiligen Resultat (ist günstig/ungünstig«), bei Übereinstimmung eine positiven, bei Nicht-Übereinstimmung eine negative Antwort auf die gestellte Frage bedeutet. CTH 577.I KBo 2.2 – die Tafel trägt die Grabungsnummer Bo 2, ist also als zweiter Textfund der 1. Grabungskampagne in Bog˘azköy inventarisiert worden und soll aus dem Bereich von Gebäude E auf Büyükkale stammen, d. h. aus der Nähe des Bereiches, in dem auch bereits von den Hethitern entsorgte Orakeltexte und Briefe gefunden wurden. Th. van den Hout, The Purity of Kingship. An Edition of CTH 569 and Related Hittite Oracle Inquiries of Tuthaliya IV, Leiden/Köln 1998, 124-136 (Bearb.); vgl. noch J. Friedrich, Aus dem hethitischen Schrifttum. Übersetzungen von Keilschrifttexten aus dem Archiv von Boghazköi 2. Religiöse Texte, AO 25, Leipzig 1925, 23f. (Übers. I 1-33, II 18-28). Zum Text vgl. noch V. Haas, Hethitische Orakel, Vorzeichen und Abwehrstrategien, Berlin/New York 2008, 111-117.

(§ 1) 37) (Vs. I 1-4) Solange sich die Majestät im Inneren des Landes Nerik (aufhält) und solange bis sie heraufkommt 38), wenn die Majestät dann das Fieber nicht befällt, sollen die Eingeweide-Vorzeichen günstig sein. Ungünstig. (§ 2) (Vs. I 5-8) Was das Fieber betrifft, das für die Majestät festgestellt wurde: Solange sich die Majestät dort im Inneren des Landes Nerik aufhält, wird das Fieber sie dort befallen? Der hurri-Vogel soll ungünstig sein. Ungünstig. (§ 3) (Vs. I˘9-11) Durch die »Alte Frau« eben dieselbe Frage 39): Und das Losorakel soll ungünstig sein. Die »Kleine Krankheit« nahm das »Land« und das »Jahr« und gab sie 40) der »Gesamtheit« 41). Ungünstig. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41.

Zur historischen Einordnung und Interpretation vgl. vor allem Th. van den Hout, The Purity of Kingship (…) Leiden/Köln 1998, 87 f. Der Zusammenhang mit der Thronbesteigung Tuthalijas IV. wird explizit z. B. in KUB 18.36, ˘ Hout, The Purity of Kingship (…), Lei11 ff. hergestellt; zu einer Bearbeitung s. Th. van den den/Köln 1998, 108 ff. Da die einzelnen Zeilen sehr kurz sind, wird auf eine einzelne Zählung verzichtet, um den Textfluß nicht zu stark zu unterbrechen. Gemeint ist, bis er zurück nach Hattusˇa kommt. ˘ Gemeint ist, daß nun mit den Mitteln der Orakeltechnik der »Alten Frau« (MUNUSSˇU.GI), die in der Regel das Losorakel (KIN) durchführt, dieselbe Frage – im Sinne einer Gegenkontrolle oder Überprüfung – untersucht wird. Der Text hat singularisches enklitisches Pronomen -an. Zum Begriff panku- im Kontext der hethitischen Losorakel s. oben Anm. 26.

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(§ 4) (Vs. I 12-17) Wenn das Fieber die Majestät eben dort im Inneren des Landes Nerik befällt, nicht aber hier, soll der erste hurri-Vogel günstig sein, der folgende aber ungün˘ Der folgende günstig. stig. Der erste hurri-Vogel ist ungünstig. ˘ (§ 5) (Vs. I 18-20) Durch die »Alte Frau« eben dieselbe Frage: Das Losorakel soll günstig sein. Die »Gottheit« nahm die »ganze Seele« und legte sie auf den »Zorn«. Ungünstig. (§ 6) (Vs. I 21-25) Was das betrifft, daß diese hurri-Vögel ungünstig ausgefallen sind 42): Siehst ˘ Du, Gottheit, für die Majestät auch hier Fieber? Der hurri-Vogel soll ungünstig sein. Un˘ günstig. (§ 7) (Vs. I 26-29) Durch die »Alte Frau« eben dieselbe Frage: Das Losorakel soll ungünstig sein. Die »Gottheit« nahm für sich die »ganze Seele« und »Gedeihen« und (gab sie) der »kleinen Krankheit«. Ungünstig. (§ 8) (Vs. I 30-33) Was das Fieber betrifft, das für die Majestät festgestellt wurde. Wird es (sein), solange er sich noch nicht in die Königsherrschaft setzt? 43) Der hurri-Vogel soll ˘ ungünstig sein. Ungünstig. 44) (Vs. I 31-40) (§ 9) Durch die »Alte Frau« eben dieselbe Frage: […] Günstig. (§ 10) (Vs. I 41-47) Und an den Tagen, an denen man die Majestät mit dem hupijalla˘ beschlägt 45) – in dieser Sache sind wir sehr besorgt – wird ihn irgendein Fieber dabei fallen? Der hurri-Vogel soll ungünstig sein. Ungünstig. ˘ (§ 11) (Vs. I 48-51) Durch die »Alte Frau« eben dieselbe Frage. Das Losorakel soll ungünstig sein. Die »Gottheiten« erhoben sich (und) das »Fieber« nahmen sie und gaben es der »Gesamtheit«. Ungünstig. (§ 12) (Vs. I 52-57) Falls du, Gottheit, Fieber am Tag des huppijalla- siehst, wird Fieber die Majestät an eben jenen Tagen befallen? Aber ferner ebenso. 46) Und der hurri-Vogel soll ˘ günstig sein. Ungünstig. (§ 13) (Vs. II 1-6) Durch die »Alte Frau« eben dieselbe Frage. Das Losorakel soll ungünstig sein. 47)

42. 43. 44. 45. 46.

47.

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Lit.: »sind zum Unheil empfangen worden«; vgl. E. Neu, StBoT 6, 24 c. n. 6; vgl. noch J. Friedrich / A. Kammenhuber, Hethitisches Wörterbuch, Band I: A, Heidelberg 1975-1984, 275. Es handelt sich hier um eine Verkürzung der üblichen Formel »auf den Thron der Königswürde setzen«, die aber häufiger, auch außerhalb von Orakeltexten (vgl. KBo 4.12 Vs.13 f.), belegt ist. Die hier sehr ausführliche Beschreibung des Orakelbefundes ist für eine Übersetzung zu schlecht erhalten. Es ist sowohl unklar, was ein huppijala- ist, als auch um welche Art von (kultischer?) Hand˘ noch J. Friedrich / A. Kammenhuber, Hethitisches Wörterlung es sich hierbei handelt; vgl. buch, Band III/2: H, Lief. 20, Heidelberg 2011, 740 f. ˘ Das »ebenso« (KI.MIN) wird normalerweise verwendet anstelle der Wiederholung identischer Ausdrücke oder Phrasen, stellt also lediglich eine Art Platzhalter da. Allerdings ist im vorhergehenden Texte bisher keine Phrase aufgetreten, die hier ausgespart sein könnte. Evenˇ tuell ist der Satz aus II 10 ff. gemeint namma=ma DINGIR-LUM ANA dUTUSI damain tapasˇˇsan UL kuinki usˇkisˇi »Ferner aber siehst du, Gottheit, für die Majestät nicht irgendein anderes Fieber?«, was auch hier inhaltlich passend wäre, aber doch eigentümlich bleibt, denn eine vorwegnehmende Verwendung von KI.MIN ist eigentlich nicht üblich. Die sonst hier in diesem Text sich anschließende Beschreibung des Losorakelbefundes fehlt, ebenso dessen Ergebnis, aber der entsprechende Raum für die Zeilen 3-6 bis zum nächsten Abschnittstrich ist auf der Tafel freigelassen, als hätten sie noch nachgetragen werden sollen. Freier, unbeschriebener Raum ist gerade auf solchen Orakeltafeln relativ häufig.

3. Verwaltung und soziale Organisation von Staat und Wirtschaft 3.1 Einleitung Es ist eine gut bekannte Tatsache, daß die hethitischen Tontafelsammlungen im Unterschied zu zahlreichen anderen keilschriftlichen Archiven kaum Textmaterial enthalten haben, das sich mit der konkreten Organisation der hethitischen Herrschaft und Verwaltung beschäftigt. Dies wurde und wird unterschiedlich gedeutet – während man bisher überwiegend angenommen hat, daß diese alltagsbezogene und eher ephemere Textproduktion aufgrund ihrer Funktion nicht Bestandteil der auf Dauer angelegten großen »offiziellen« Tafelsammlungen war und sich aus diesem Grund nicht erhalten hat, gibt es auch Stimmen, die eher davon ausgehen, daß es eine entsprechende schriftliche Dokumentation gar nicht gegeben habe. 1) Auf der anderen Seite ist schwer vorstellbar, daß ein Herrschaftsbereich wie der des hethitischen Königtums, der über die Möglichkeit einer schriftlichen Dokumentation verfügte, bei der Organisation eines derartig großen Territoriums dauerhaft auf die Verwendung von Schrift und entsprechender Prozesse verzichtet haben sollte. Dem steht auch entgegen, daß z. B. die – wenn auch vergleichsweise spärliche – Überlieferung an Verwaltungskorrespondenz ihrerseits belegt, wie kleinteilig offensichtlich doch die königliche Administration agierte und wie gut man in der hethitischen Hauptstadt z. B. auch über wirtschaftliche Vorgänge wie anstehende Ernten, notwendige Infrastruktur wie Pflugrinder u. a. m. in den Provinzen informiert war. So erstaunt es nicht, daß sich quer durch die hethitische Überlieferung vereinzelte Hinweise darauf finden lassen, wie diese Administration arbeitete und auf welchen Voraussetzungen dies beruhte. Auch wenn sich also kein kohärentes Bild der staatlichen Organisation auf allen Ebenen anhand geschlossener Texte rekonstruieren läßt, so ergeben sich doch aus mehr oder weniger beiläufigen Bemerkungen eine ganze Reihe von Hinweisen, daß auch das hethitische Königtum sehr wohl über eine komplexe Verwaltung und entsprechende Verfahren verfügte.

3.2 Aus den Hethitischen Gesetzen Die Hethitischen Gesetze bilden ein mehr inhaltlich als formal durchaus heterogenes Textmaterial, das sich mit den unterschiedlichsten Aspekten des Zusammenlebens beschäftigt und darüber hinaus auch eine historische Dimension aufweist. Die entsprechenden Paragraphen sind im Laufe der hethitischen Geschichte immer wieder abge-

1.

Letztere Position, die ich nicht teile, hat in jüngerer Zeit vor allem Th. van den Hout vertreten, vgl. ders., A Century of Hittite Text Dating and the Origin of the Hittite Cuneiform Script, Incontri Linguistici 32 (2009) 11-35 sowie ders., Die Rolle der Schrift in einer Geschichte der frühen hethitischen Staatsverwaltung, in: G. Wilhelm (Hg.), Organization, Representation, and Symbols of Power in the Ancient Near East (54th RAI), Winona Lake 2012, 73-84.

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schrieben und dabei nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich teilweise modifiziert worden, etwa was die Strafen bei bestimmten Vergehen betrifft. Hier soll es aber nicht um Fragen des hethitischen Rechts generell gehen, sondern es wurden einige wenige Paragraphen ausgewählt, die einen direkten Bezug zur staatlichen Organisation ökonomischer Prozesse haben. Diese Regelungen sind umso interessanter, als die damit verbundenen alltäglichen Vorgänge, wie z. B. die Einnahme oder Registration von Abgaben ansonsten in der schriftlichen Überlieferung nicht zu fassen sind. 2) Vor diesem Hintergrund wurden hier nur einige wenige Paragraphen ausgewählt, 3) die zumindest den Schluß zulassen, daß es entsprechende, durchaus komplexe Regelungen gab, deren Existenz allerdings umgekehrt wiederum nicht zwingend die Schriftform erforderlich macht. 4) Ein zentrales Problem beim Verständnis dieser und ähnlicher Regelungen ist noch immer, daß trotz vielfältiger Bemühungen eine wirkliche Klärung dessen, was sich ˇ hinter Begriffen wie sˇahhan, 5) luzzi, ILKU oder auch LÚ GISTUKUL verbirgt, noch ˘˘ immer nicht gelungen ist. Deshalb verzichten wir hier auf eine Übersetzung und lassen die hethitischen Begriffe stehen. CTH 291.I.a.A: KBo 6.2 + KBo 19.1 + KBo 19.1a + KBo 22.61 + KBo 22.62; b.A: KBo 6.3 + KBo 22.63 Beide Exemplare, in denen die hier ausgewählten Abschnitte der Hethitischen Gesetze weitgehend vollständig erhalten sind, 6) gehörten ursprünglich zu den Tontafelsammlungen aus dem Bereich des Großen Tempels von Hattusˇa. Das Ex. A stellt noch eine originale Niederschrift aus der althethitischen Zeit dar, ˘während Ex. B erst deutlich später im 13. Jahrhundert entstanden ist. Bearbeitet von H. A. Hoffner, The Laws of the Hittites, A critical edition, Leiden/New York/Köln 1997.

(§ 39) (Vs. II 34) Wenn [jemand] eines anderen Feld besitzt, dann soll er seine sˇah han-Lei˘ ˘[dies]er stung erbringen. (Vs. II 35) Wenn er aber das Feld nicht nutzt (lit.: wegwirft), soll auf das Feld verzichten, (Vs. II 36) er soll es aber nicht verkaufen.

2. 3. 4.

5.

6.

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Zu einem Versuch, das hethitische Steuersystem zu rekonstruieren vgl. J. Siegelová, Der Regionalpalast in der Verwaltung des hethitischen Staates, AoF 28 (2001) 193-208. Dies sind vor allem zunächst die Paragraphen §§ 39 ff., wobei einzelne Passagen, die dafür wenig aussagekräftig sind bzw. sich anderen Themen widmen, hier ausgelassen sind. Die Vergabe von Ländereien durch den König dokumentieren die so genannten Landschenkungsurkunden; zu einem Beispiel vgl. E. von Schuler, Althethitische Landschenkungsurkunde aus Inandık, in: O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Bd. I, Gütersloh 1985, 208 f. und G. Wilhelm / Chr. Rüster, Landschenkungsurkunden hethitischer Könige (StBoT Beih. 4), Wiesbaden 2012. Vgl. etwa H. G. Güterbock et al. (Hg.), The Hittite Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago. Vol. Sˇ, fasc. 1, Chicago 2002, 2a s. v. sˇahhan »a kind of obligation, service, or payment due from land tenants to the real owners ˘of˘ the land (palace, temple, community, or individual)«. Vgl. H. A. Hoffner, The Laws of the Hittites, 46 ff., KBo 6.3+ (= B) Vs. II 34 ff. / / KBo 6.2+ + 19.1 (A) II 16 ff.; wobei wir uns hier, was die Textverteilung angeht, an der besser erhaltenen jüngeren Abschrift orientieren. Auch in der jüngeren Fassung der HG sind diese Abschnitte z. T. erhalten, weisen dort aber auch stärkere Abweichungen auf; eine Konkordanz der Textvertreter mit den jeweils erhaltenen Abschnitten der HG bietet H. A. Hoffner, The Laws of the Hittites, A critical edition, Leiden/New York/Köln 1997, 160-64.

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(§ 40) (Vs. II 37) Wenn ein Mann einer TUKUL-Leistung 7) umkommt 8) und ein Mann einer ILKU-Leistung (an seiner Stelle) eingesetzt wird und der Mann der ILKU-Leistung sagt: (II 38) »Dies ist meine TUKUL-Leistung, das aber meine s ˇahhan-Leistung.« Und er für ˘ ˘ (II 39) siegelt, dann besitzt sich (den Besitz des) Feldes des Mannes der TUKUL-Leistung er die TUKUL-Leistung und die sˇahhan-Leistung erb[rin]gt er. (II 40) Wenn er aber die TUKUL-Leistun[g ver]weigert, dann˘ ˘ er[klärt man] das Feld zu dem eines umgekommenen Mannes einer TUKUL-Leistung (II 41) und die Männer der Stadt bearbeiten es. Wenn der König einen Deportierten stellt, gibt man ihm das Feld (II 42) und er wird ein Mann einer TUKUL-Leistung. (§ 41) (Vs. II 43) Wenn ein Mann einer ILKU-Leistung umkommt und ein Mann einer TUKUL-Leistung 9) (an seiner Stelle) eingesetzt wird und der Mann der TUKUL-Leistung sagt: (II 44) »Dies ist meine TUKUL-Leistung, das aber meine sˇahhan-Leistung« und er ˘ 45) siegelt. Er besitzt für sich (den Besitz des) Feldes des Mannes der ILKU-Leistung˘ (II (II 46) erbringt er. Wenn er aber die die TUKUL-Leistung und die sˇahhan-Leistung ˘˘ sˇahhan-Leistung verweigert, (II 47) nimmt man für den Palast (II 46) das Feld des Mannes ˘ ˘ ILKU -Leistung. (II 47) Die sˇahhan-Leistung verfällt. einer ˘˘ (…) 10) (§ 46) (Vs. II 38) 11) Wenn jemand in einem Ort Felder als Mitgift 12) besitzt (und) wenn der [größere Teil der] Fel[der] ihm/ihr (Vs. II 39) gegeben wurde, erbringt er die luzzi-Leistung. Wenn ihm aber der kl[einere Teil] der Felder [gegeben wurde], (Vs. II 40) dann erbringt er nicht die luzzi-Leistung. Man soll sie vom Haus des Vaters er[heben]. (Vs. II 41) Wenn der Inhaber (lit.: Herr) der Mitgift ein ungenütztes 13) Landstück davon abtrennt (Vs. II 42) oder die Männer des Ortes ihm Felder geben, dann erbringt er die luzziLeistung. (§ 47a) (Vs. II 43) Wenn jemand Felder als eine Gabe des Königs besitzt, [erbrin]gt er sˇahhan- und luzzi-Leistung nicht. (Vs. II 44) Der König nimmt Brot von (seinem) Tisch und ˘ ˘ es ihm. 14) gibt 7. 8. 9. 10. 11. 12.

13. 14.

Gemeint ist ein Mann, der die TUKUL-Leistung zu erbringen hat; um welche Form der Abgabenleistung es sich dabei im Detail handelt, ist, trotz einer intensiven Diskussion in der Forschung, bisher nicht geklärt. Oder »verschwindet«. Im Text wohl irrtümlich »ILKU-Leistung«. Die folgenden Paragraphen beschäftigen sich nicht mit Land oder Abgaben und stehen damit auch in keinem erkennbaren Zusammenhang. Die folgenden Paragraphen nach der besser erhaltenen Fassung in KBo 6.2 = Ex. A vgl. H. A. (Hoffner, The Laws (…), 1997, 54 ff.) Heth. iwaru- »Mitgift« bezeichnet das, was eine Tochter, gelegentlich auch ein Sohn, von seinen Eltern bekommt, wenn sie (oder er) heiratet und von da an zur Familie des Bräutigams (der Braut) gehört – vgl. dazu H. A. Hoffner, Daily Life among the Hittites, in: R. Averbeck et al. (Hg.), Life and Culture in the Ancient Near East, Bethesda 2003, 107 f. Die anderen Fassungen weichen hier ab und sprechen von »Feldern und sˇahhan-Leistung« (Ex. B = KBo ˘ 24). 6.3 II 59) bzw. »Felder der sˇahhan-Leistung« (Ex. C = KBo 6.5 ˘IV ˘˘ Vgl. dazu die ausführliche Diskussion bei Hoffner, Letters from the Hittite Kingdom (Writings from the Ancient World 15), Atlanta 2009, 190 f. und unten § 47a. In der späten Fassung der HG Ex. PT = KBo 6.4 IV 12-14 lautet dieser Paragraph: »Wenn jemand Felder als eine Gabe des Königs besitzt, erbringt er die luzzi-Leistung. Aber wenn der König ihn befreit, dann erbringt er die luzzi-Leistung nicht.« Darin scheint sich eine deutliche Veränderung der rechtlichen Verhältnisse auszudrücken – ursprünglich explizit

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(§ 47b) (Vs. II 45) Wenn jemand alle die Felder 15) eines Mannes der TUKUL-Leistung kauft, dann erbringt er die luzzi-Leistung. (Vs. II 46) Wenn er aber den größeren Teil kauft, dann erbringt er die luzzi-Leistung nicht. (Vs. II 47) Aber wenn er ungenütztes Land abtrennt oder die Männer des Ortes (ihm Felder) geben, erbringt er die luzzi-Leistung. (§ 48) (Vs. II 49) Ein Leibeigener 16) erbringt die luzzi-Leistung. (Vs. II 50) Niemand soll (Vs. II 49) bei einem Leibeigenen einen Kauf tätigen. (Vs. II 50) Niemand soll sein Kind, sein Feld (oder) seinen Weingarten kaufen. (Vs. II 51) Wer bei einem Leibeigenen einen Kauf tätigt, der tritt vom Kauf (Vs. II 52) zurück 17); und was der Leibeigene verkauft hat, das nimmt er zurück.

3.3 Aus dem sogenannten Telipinu-Erlaß (CTH 19) Dieser Text aus der Regierungszeit Telipinus I., am Ende der althethitischen Zeit entstanden, ist vor allem durch seine lange Einleitung bekannt, in der der Verlauf der hethitischen Geschichte von den Anfängen unter Hattusˇili I. bzw. Labarna bis hin ˘ zum Verfasser des Textes, Telipinu I., erzählt wird. Doch die eigentliche Intention des Textes, neben der mehrfach wiederholten Mahnung, daß nur die Einigkeit innerhalb der königlichen Familie auch eine dauerhafte Herrschaft gewährleistet, sind Regelungen zur administrativen Organisation eben dieser Herrschaft, d. h. wie die hethitischen Könige die Kontrolle der ihnen unterstehenden Territorien organisiert haben bzw. organisieren sollten. Dabei kommt der königlichen Familie insgesamt eine zentrale Funktion zu, wie schon gleich zu Beginn des Textes deutlich wird: »Wenn er (der König) von einem Feldzug zurückkehrt, dann geht ein jeder seiner Söhne in irgendeines (der eroberten) Länder. (…) Und die Länder verwalteten sie« 18). Die so

15. 16.

17.

18.

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vom König vergebene Ländereien waren abgabenfrei bzw. der König übernahm die daraus resultierenden Abgaben, wenn man den Nachsatz der älteren Fassung so deuten darf. In späterer Zeit waren auch vom König vergebene Ländereien nur dann abgabenfrei, wenn dies explizit so bestimmt war. Der Plural »Felder« kongruiert hier mit dem Adjektiv im Akk. Sg. humandan ˘ Heth. hippara- bezeichnet offenbar eine Personengruppe mit eingeschränkten Rechten, ist ˘ nicht (in allen Fällen) gleichbedeutend mit dem sehr viel häufigeren NAM.RA, aber wohl das vor allem Kriegsgefangene und Deportierte bezeichnet; vgl. zusammenfassend R. Haase, The Hittite Kingdom, in: R. Westbrook (Hg.), A History of Ancient Near Eastern Law (HO 72), Leiden 2003, 633. So etwa mit J. Friedrich / A. Kammenhuber, Hethitisches Wörterbuch, Bd. III: H, Lief. 13, Heidelberg 1998, 215b, das auch – wie eigentlich alle Behandlungen der Textstelle –˘ eine Form des Verbums sˇamen- ergänzt, das auch »verschwinden« bedeuten kann, bei H. G. Güterbock et al. (Hg.), The Hittite Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago. Vol. Sˇ, fasc. 1, Chicago 2002, 120, aber auch mit »to relinquish/forfeit« angegeben wird; vgl. dementsprechend »shall [forfe]it his purchase prize« (H. G. Güterbock et al. [Hg.], The Hittite Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago. Vol. Sˇ, fasc. 1, Chicago 2002, 120b), was aber m. E. nicht so gut zum Ablativ an dieser Stelle paßt, auch wenn andere Beispiele, allerdings ohne explizites Objekt im Ablativ, auch für eine Übersetzung »einbüßen« sprechen könnten. Tel.-Erlaß § 3, I 8 ff. (H. M. Kümmel, Der Thronfolgeerlaß des Telipinu, in: O. Kaiser [Hg.], Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Bd. I, Gütersloh 1985, 464 f.). An dieser Praxis hielten die hethitischen Könige offensichtlich bis zum Ende fest, auch wenn sich im Laufe der Zeit die Dimensionen änderten, wie die Einrichtung von Sekundogenituren oder die Rolle

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häufig behandelte historische Einleitung und die sich daran anschließende Thronfolgeordnung 19) nehmen aber tatsächlich nur in etwa die Hälfte der Tafel ein, während der auf Kol. III der Rückseite beginnende Text sich vielmehr explizit mit organisatorischen und rechtlichen Fragen, die die ökonomische Struktur des Landes und den Umgang der »Krone« mit diesen Erzeugnissen betrifft, behandeln. Deutlich wird, daß schon in der Frühphase der hethitischen Geschichte Strukturen bestanden, die darauf abzielten, die von den hethitischen Königen bzw. deren Familie beherrschten Territorien zu kontrollieren und davon auch ökonomisch zu profitieren, d. h. den Zugriff so zu organisieren, daß die in den Hethitischen Gesetzen thematisierten Abgaben auch tatsächlich erhoben werden können und wie dann damit zu verfahren ist. CTH 19.II.A: KBo 3.1 + KBo 12.5 + KBo 3.68 + KBo 12.7 + KBo 12.12; B: KUB 11.1 + KBo 19.96; C: KBo 3.67 + KUB 31.12 + KUB 31.17 20) I. Hoffmann, Der Erlass Telipinus (THeth 11), Heidelberg 1984 (Bearb.); H. M. Kümmel, Der Thronfolgeerlaß des Telipinu, in: O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Bd. I, Gütersloh 1985, 464-470 (Übers.), Th. van den Hout, The Proclamation of Telipinu, in: W. W. Hallo (Hg.), The Context of Scripture, 1. Canonical Compositions from the Biblical World, Leiden/Boston 2003, 194-198 (Übers.), P. Goedegebuure, Hittite Historical Texts I: »The Proclamation of Telipinu«, in M. Chavalas (Hg.), The Ancient Near East: Historical Sources in Translation, Malden/Oxford/Victoria 2006, 228-235 (Übers.). 21)

(§ 34) (Rs. III 1) In Hattusˇa aber soll man die Großen, die Väter des Hauses, den Obersten der Palastjunker, ˘den Obersten des Weines, (Rs. III 2) den [Obersten] der Leib[wachen],

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20.

21.

Hattusˇilis als König von Hakmisˇ oder Kuruntas als König von Tarhuntasˇsˇa im 13. Jahr˘ ˘ ˘ hundert belegen. Der erste Teil des Textes, nämlich die Kolumnen I und II sowie die letzten zwei Abschnitte der Kol. IV, wurden schon in TUAT übersetzt, vgl. H. M. Kümmel, Der Thronfolgeerlaß des Telipinu, in: O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Bd. I, Gütersloh 1985, 464-470; d. h. nahezu die Hälfte des Textes spielt üblicherweise bei der Diskussion um diesen Erlaß keine Rolle, bei dem schon durch die Textbezeichnung eine ganz einseitige Schwerpunktsetzung erfolgte. Zwar sind diese Passagen auch in Teilen deutlich weniger gut erhalten, doch es läßt sich doch sagen, daß sie ja einen ganz wesentlichen Teil des Erlasses ausmachen, denn die das meiste Interesse findenden historischen Passagen dienen ja, wie dies auch in anderen sog. Erlassen der Fall ist (s. o. II.1.3), einer Situierung bzw. Begründung der dann formulierten Regelungen – so auch im Falle diese Textes, in dem der König Telipinu offensichtlich den Versuch unternimmt, für das hethitische Königtum zentrale administrative Belange zu regeln. Der Text ist in einer Reihe von Exemplaren erhalten, einschließlich einer allerdings sehr fragmentarischen Fassung in akkadischer Sprache, bei denen es sich überwiegend um jüngere bis jüngste Abschriften eines ursprünglich in der Regierungszeit Telipinus I., also am Ende der sogenannten althethitischen Zeit, entstandenen Tafel handelt, während Ex. B sicher noch in mittelhethitischer Zeit aber schon nach der Zeit Telipinus I. abgeschrieben wurde. Der Text war also während der gesamten Zeit der hethitischen Textüberlieferung Gegenstand des Interesses und wurde immer wieder kopiert. A. Gilan, Formen und Inhalte althethitischer historischer Literatur (THeth 29), Heidelberg 2015, 137-158 bietet eine – allerdings korrekturbedürftige – Umschrift und Übersetzung, ohne Textvarianten zu verzeichnen und unter weitestgehendem Verzicht auf einen philologischen Kommentar, gestützt auf die bisherige Literatur; allerdings ist dies kein Ersatz für eine durchaus notwendige, gründliche Neubearbeitung des Textes.

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Texte der Hethiter

den Obersten der Streitwagenlenker, den Obersten der Truppenherolde 22), welche Großen im Haus [des Königs?] sind, (Rs. III 3) und überdies auch deren Geringste nehmen. 23) (§ 35) (Rs. III 4) [Ferner] sollen [im Land Hatt]usˇa die befestigten Städte geschützt ˘ (Rs. III 5) [sein. Und] verlaßt sie nicht! Die befestigten Städte (Rs. III 6) [… W]asser. Für das Getreide aber leite es 10fach, 20fach her. […] 24) (§ 39) (Rs. III 43) Ich vermehrte wieder das Getreide […] die Pflüger, (III 44) Felder, Wiesen – gerade jene […] sollen sie siegeln. 25) (III 44) Gerade jene, das Land 26), […] eine Täuschung begehen sie. (III 46) In Stufen 27) entweder 1 Maß oder 2 Maß fügen sie hinzu und so trinken sie das Blut des Landes. 28) Jetzt sollen sie nicht (mehr so) handeln! (III 46) Wer es so macht, dem soll man einen schlechten Tod [geben]. (§ 40) (Rs. III 49) Wer in Zukunft nach mir König wird, siegle du das Getreide mit ihrem Namen 29), dann überlassen dir die Verwalter die Siegelhäuser. Folgendermaßen werden sie zu dir sprechen: [» …] und siegle sie nicht für dich, siegle du […]!« Dann bestehlen sie dich. 30) 22. 23. 24.

25.

26. 27.

28. 29. 30.

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ˇ

ˇ

Zum Titel UGULA LÚ.MESNIMGIR ÉRINMES vgl. F. Pecchioi Daddi, Il hazan(n)u nei testi di Hattusa, OA 14 (1975) 118-22. Was mit dem schlichten Verbum »nehmen« hier in diesem Kontext gemeint ist, hängt von der Interpretation des Kontextes ab; vgl. aber ähnliche Stellen wie z. B. im Vertrag des Tuthalija IV. ˘ mit Sˇausˇgamuwa § 8 (s. 1.5). In Zeile Rs. III 36 wird noch einmal Telipinu mit seinem Großkönigstitel genannt, dann wird der Text sehr fragmentarisch. Mit § 37 (Rs. III 17-33) folgt eine lange Aufzählung von Ortsnamen bei denen es sich, wie man aus der Summenzahl am Ende des Abschnittes erkennen kann, um (mehr als ?) 60 sogenannter »Siegelhäuser« handelt, d. h. Gebäude in den betreffenden Städten, die für die Aufnahme und Lagerung von Abgaben gedacht waren. In § 38 folgt dann die Aufzählung von insgesamt »34 Städte (mit) Siegelhäusern für Futter«. Es ist dies hier dasselbe Verbum sˇija-, das z. B. auch in den Hethitischen Gesetzen verwendet wird, wenn es darum geht, eine bestimmte Leistung oder Verpflichtung schriftlich zu fixieren und diese Urkunde dann durch Siegeln zu beglaubigen; in den hier ausgewählten Texten werden derartige Vorgänge immer wieder erwähnt. Heth. utnijanza wird auch gebraucht im Sinne von der Bevölkerung des Landes bzw. wenn »das Land« im übertragenen Sinne als handelnd gemeint ist. «Stufe« wäre eigentlich ila(n)-; ilesˇsˇar bedeutet »Zeichen«, was hier aber wenig passend scheint; J. Puhvel, Hittite Etymological Dictionary, Vol. 2: Words beginning with E and I, Berlin/New York/Amsterdam 1984, 356 kommt zu einer etwas seltsamen Lösung; H. A. Hoffner / H. Cr. Melchert, A Practical Approach to Verbal Aspect in Hittite, in: St. De Martino / F. Pecchioli Daddi (Hg.) Anatolia Antica Studi in memoria di Fiorella Imparati (Eothen 11), 2002, 381 übersetzen »by degrees«. Das von I. Hoffmann, Der Erlass Telipinus (THeth 11), Heidelberg 1984, 98 ff. erschlossene »Ernteertrag« ist eine ad hoc-Übersetzung, passend nur für diese Stelle, die aus den zahlreich diskutierten Belegen eigentlich nicht begründet werden kann. Eine ähnliche metaphorische Wendung mit dem Trinken des Blutes wohl auch im sog. Hattusˇili-Testament vgl. J. Klinger, Das Testament Hattusˇilis I., in: O. Kaiser (Hg.), Texte aus˘der ˘ Umwelt des Alten Testaments. Ergänzungslieferung, Gütersloh 2001, 144 f. (KUB 1.16 III 17). Aufgrund des Plurals hier ist unklar, wessen Namen gemeint sind: die der im Anschluß genannten Verwalter oder steht der Plural hier generell für »die (zukünftigen) Könige«, an die sich Telipinu ja hier wendet? Das heth. Verbum karp- »auf-, hochnehmen« ist hier ohne Objekt gebraucht, wenn man nicht enkl. -ta statt Dativ als Akkusativ verstehen möchte – wörtl.: »dann nehmen sie dich hoch«; allerdings kann karp- auch im Sinne von »stehlen« gebraucht werden. Das Verbum karp- wird typischerweise auch verwendet, wenn es um die Erbringung von Abgabenleistungen (luzzi-; s. o.) geht; eventuell könnte man auch in diese Richtung denken.

Jörg Klinger

[Die folgenden beiden Paragraphen sind bis auf wenige Zeichenreste zerstört] (§ 44) (Rs. III 70-76) [Wer? von je]tzt an [nach] mi[r König wird und …]ernie[drigt … und zu d]ir folgendermaßen spricht: […] »Höre nicht auf ihn!« […] Wenn du einen Deportierten geschädigt hast, dann ersetze die Waffen. Die Truppen […] Und ihn […] entweder deiner Frau o[der … 31)

3.4 Aus der Instruktion für die Kommandeure der Grenzposten (CTH 261) Bekanntlich haben sich in den hethitischen Tafelsammlungen keine Dokumente erhalten, die die praktische Verwaltungstätigkeit dokumentieren, wie wir dies etwa aus der gleichzeitigen mittelassyrischen Überlieferung kennen, die es erlaubt, Organisation und Durchführung der staatlichen Verwaltung bis ins Detail zu rekonstruieren, doch gibt es eine spezifisch hethitische Textgattung, die sogenannten Instruktionen, die offenbar darauf abzielten, Pflichten und Rechte verschiedener Amts- bzw. Funktionsträger innerhalb des hethitischen Staates in allgemeiner Form zu regeln. Diese Texte decken nicht alle Bereiche ab, die man sich z. B. für eine königliche Verwaltung vorstellen könnte, aber erhellen doch schlaglichtartig, wie straff organisiert doch auch die Verwaltung des hethitischen Staates war – oder es zumindest, folgt man diesen Texten, sein sollte. Einer der besterhaltenen und in dieser Hinsicht ergiebigsten Texte ist die Instruktion für die staatlichen Repräsentanten in den Grenzprovinzen. Zwar enthalten gerade diese Instruktionen vor allem Vorschriften, die sich aus der speziellen Randlage im hethitischen Herrschaftsbereich ergeben, also Beobachtung potentiell feindlicher Aktivitäten, Bau und Unterhalt von Befestigungen usw., die vor allem die ersten Abschnitte des Textes ausmachen, aber daneben werden auch zahlreiche Aufgaben einer staatlichen Verwaltung thematisiert, die sicherlich genauso ihre Berechtigung hatten für Verwaltungsbezirke, die mehr im Kernland lagen. Ob es dafür auch eigene Instruktion gab, muß freilich offenbleiben. Die hier ausgesuchten Abschnitte aus dieser noch vor der Entstehung des hethitischen Großreiches erstmals verfaßten Instruktion 32) belegen den hohen Organisationsgrad des hethitischen Königtums und die vielfältigen Aspekte, auf die die staatliche Bürokratie Zugriff hatte, und zu denen vor allem auch rechtliche Fragen gehörten. Bemerkenswert die Regelungen zur Befangenheit und die Ermahnungen zu Objektivität in der Rechtsprechung, aber auch die Hinweise darauf, daß es offenbar einer breiten Schicht der Bevölkerung zumindest theoretisch möglich war, sich an staatliche Organe zu wenden, um dort ihr Recht durchzusetzen.

31. 32.

Der erste Teil der Kol. IV ist für eine Übersetzung zu schlecht erhalten; zum Rest der Kol. siehe TUAT I, 470. Insbesondere den Wechsel der verwendeten 2. bzw. 3. Person bei längeren, inhaltlich relativ homogenen Abschnitten deutet J. Miller, Royal Hittite Instructions and Related Administrative Texts (Writings from the Ancient World 31), Atlanta 2013, 214 als Hinweis darauf, daß es sich bei dem Text um eine Kompilation aus unterschiedlichen Quellen handeln könnte, etwa teils schriftliche, teils direkte mündliche Anweisungen des Königs.

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Texte der Hethiter

CTH 261.I 33).A: KUB 13.1 + KBo 50.280a (+) KUB 31.87 + KUB 40.56 + KUB 31.88 + Bo 7192 (+) KUB 40.55 + KBo 50.250b; B1: KUB 13.2 + KUB 31.84 + KUB 40.60 + E 1489; C4: KUB 31.90 + KUB 31.91 Zum Text J. Miller, Royal Hittite Instructions and Related Administrative Texts (Writings from the Ancient World 31), Atlanta 2013, 212-237; E. von Schuler, Hethitische Dienstanweisungen für höhere Hof- und Staatsbeamte. Ein Beitrag zum antiken Recht Kleinasiens, AfO, Beiheft 10, Graz 1957, 44-48.

KUB 13.2 + Vs. (§ 28) (II 11’) Und es soll gesiegelt sein: jährlich soll er es (II 12’) immer wieder überprüfen und es mit den Brotrationen lagern. 34) (II 13’) Die gealterten Häuser des Königs, die Rinderställe, Siegelhäuser (und) Vorratsgebäude, (II 14’) soll man abkratzen und sie zum zweiten Mal mit frischem (II 15’) Lehm verputzen und zum zweiten Mal erneuern. (§ 29) (II 16’) Den Verputz, der abgefallen ist, (II 17’) soll man ganz von der Wand nehmen und die Grundsteine (II 18’) freilegen. Außerdem sollen der Dreschplatz, die Scheune, der Tempel, (II 19’) die Waschungshäuser des Waldes, des Gartens (und) des Weingartens ordentlich gebaut sein. (§ 30) (II 22’) Die Wasserrohre (II 21’) des Waschungshauses, des Hauses des Mundschenks und des Torhauses (II 22’) sollen frei bleiben. 35) Und man soll sie immer wieder überprüfen. Welches auch immer (II 23’) durch das Wasser verstopft ist, soll man gründlich reinigen. (II 24’) Die Vogelteiche, die in deiner Provinz sind, die sollen in Ordnung sein. (§ 31) (II 26’) In dem Ort, in den der Herr der Grenzwarte zurückkehrt, (II 27’) soll er die Alten 36), die Priester, die Gesalbten (und) die Gottesmütter überprüfen (II 28’) und folgendermaßen soll er zu ihnen sprechen: »Wie steht es in diesem Ort (II 29’) entweder mit dem Tempel des Wettergottes oder (II 30’) irgendeinen Tempel (II 29’) einer anderen Gottheit?« Er ist jetzt vernachlässigt (II 31’) und zerstört. 37)

33.

34. 35.

36.

37.

220

Der hier ausgewählte Abschnitt ist in der jüngeren Abschrift B1, (KUB 13.2 Vs. II 11’ – Rs. III 39 bis auf die Anfänge der ersten Zeilen praktisch vollständig erhalten; dieser Fassung folgen wir hier. Vgl. auch E. von Schuler, Hethitische Dienstanweisungen für höhere Hof- und Staatsbeamte. Ein Beitrag zum antiken Recht Kleinasiens, AfO, Beiheft 10, Graz 1957, 44-48; dort als Ex. A gezählt. Zu den Anschlüssen bzw. den weiteren Textvertretern für diesen Teil der Instruktion s. im Detail J. Miller, Royal Hittite Instructions and Related Administrative Texts (Writings from the Ancient World 31), Atlanta 2013, 318 f. sowie 412 f. n. 15-17. Die Rede ist von Vorräten an Feuerholz, das nach vorgegebenen Maßen hergestellt und eingelagert werden soll, wie der vorhergehende Abschnitt erläutert. Vgl. J. Miller, Royal Hittite Instructions and Related Administrative Texts (Writings from the Ancient World 31), Atlanta 2013, 381 f. n. 402 bzw. J. Friedrich / A. Kammenhuber, Hethitisches Wörterbuch, Band I: A, Heidelberg 1975-1984, 348 im Anschluß an E. Neu, Interpretation der hethitischen mediopassiven Verbalformen (StBoT 5), Wiesbaden 1968, 197. Da es sich hier um eine Aufzählung von im Kult aktiven Personengruppen handelt, sind mit ˇ den an erster Stelle genannten LÚ.MESSˇU.GI »Alten« vermutlich eher die in der Regel »Alten Frauen« gemeint, die überwiegend Beschwörungsrituale oder KIN-Orakel durchführen, bei denen es sich in Ausnahmefällen aber auch um männliche Personen handeln kann. Allerdings fällt auf, daß sie in der Aufzählung im nächsten Paragraphen nicht mehr erwähnt werden. Zu unterschiedlichen Interpretationen dieses Abschnittes vgl. J. Miller, Royal Hittite Instructions and Related Administrative Texts (Writings from the Ancient World 31), Atlanta 2013,

Jörg Klinger

(§ 32) (II 32’) Die Priester, die Gottesmütter (und) die Gesalbten kümmern sich nicht um ihn. (II 33’) Kümmert euch jetzt wieder um ihn! Und ihn sollen sie wiederherstellen. (II 34’) Und so, wie er früher gebaut war, (II 35’) ebenso soll man ihn jetzt wiederaufbauen. (§ 33) (II 36’) Ferner: den Göttern soll Ehrfurcht erwiesen werden. Für den Wettergott soll aber (II 37’) besondere Ehrfurcht gelten. Wenn irgendein Tempel (II 38’) undicht 38) ist, dann sollen ihn der Herr der Grenzwarte und der Stadtkommissär (II 39’) wieder in Ordnung bringen. Oder wenn irgendein Rhyton für den Wettergott oder eine Gerätschaft (II 40’) oder für irgendeine andere Gottheit beschädigt ist, (II 41’) dann sollen es die Priester, die Gesalbten (und) die Gottesmütter erneuern. (§ 34) (II 42’) Ferner soll der Herr der Grenzwarte die Gerätschaften der Gottheit auflisten (II 43’) und sie vor die Majestät senden. Ferner soll man die Gottheiten regelmäßig versorgen. (II 44’) Für die Gottheit, für die ein (bestimmter) Zeitpunkt festgesetzt ist, zu diesem Zeitpunkt soll man sie versorgen. (II 45’) Für die Gottheit, für die ein Priester, eine Gottesmutter (oder) ein Gesalbter nicht vorhanden ist, (II 46’) soll man sofort einen einsetzen. 39) (§ 35) (Die alte Kultstele im Ort), (III 1) um die man sich nicht kümmert, um die sollt ihr euch jetzt kümmern. 40) (III 2) Man soll sie aufrichten. (III 3) Und die Opfer, (III 2) die es früher dafür gab, (III 3) soll man geben. (III 4) Und für die Teiche hinter dem Ort, für die es ein Ritual gibt, das (III 5) soll man für ihn ausführen (und man soll ihn) aufsuchen. (III 6) Und der Teich, für den es kein Ritual gibt, selbst den (III 7) soll man aufsuchen. Er soll nicht unbeachtet bleiben. (§ 36) (III 8) Für die Berge (und) Flüsse, für die es ein Opfer gibt, das soll man spenden. (§ 37) (III 9) Ferner sollen der Herr der Grenzwarte, der Stadtkommissär (und) die Alten Rechtsfälle (III 10) ordentlich entscheiden und sie erledigen. (III 11) Wie aber früher in den Ländern (III 12) die Regelung (III 11) in bezug auf Greuel 41) war – (III 12) in Orten, in denen man sie tötete, soll man sie (III 13) töten; in Orten, in denen man sie verjagte, (III 14) soll man sie verjagen. Ferner soll hinterher der Ort sich reinigen. Ferner soll angeordnet sein: (III 16) Niemand darf (III 15) ihn (III 15) zurückkommen lassen. Wer auch immer ihn zurückkommen läßt, ihn werden sie bestrafen. 42)

38.

39.

40. 41. 42.

382 n. 405 ff. Hier wird tatsächlich nur der Passus als direkte Rede aufgefaßt, der im Text so markiert ist. Vgl. zum Verbum zappija- M. Poetto, Un nuovo verbo luvio-geroglifico: zapa-, e la sua correlatione al luvio cuneiforme zapp(a)-, in: R. Kim (Hg.), Ex Anatolia lux: Anatolian and Indo-European Studies in Honor of H. Craig Melchert on the Occasion of His Sixty-Fifth Birthday, Ann Arbor, 296-302. Die jüngere Abschrift B (KUB 13.2 Rs. III) hat zum Beginn der Rückseite hier Raum für ca. 23 Zeilen freigelassen und greift auch etwas stärker in den Text ein, wie ein Vergleich mit der Vorlage zeigt, so daß man vermuten könnte, die Vorlage, die dem Schreiber für seine Abschrift zur Verfügung stand, war in diesem Teil eventuell nicht mehr vollständig lesbar. So fehlt etwa folgender Satz vollständig: »Ehrfurcht soll der Reinheit der Wälder gelten.« (KUB 13.1 + Rs. III 7 f.). Der Beginn des Abschnitts ist in der jüngeren Fassung ausgelassen worden (s. vorangehende Anmerkung); der Text setzt erst mit dem Nachsatz ein und variiert die 3. Pers. Imp. durch eine 2. Pers. Imp. kappuwatten. Mit dem heth. Begriff hurkel wird vor allem nicht akzeptiertes sexuelles Verhalten bezeich˘ net; dazu zählt auch Inzest; vgl. J. Friedrich / A. Kammenhuber, Hethitisches Wörterbuch, Bd. III/2: H, Lief. 20, Heidelberg 2012, 754b: »Unzucht, Sexualtabu«. ˘ ist semantisch unklar; wohl eine Form der Bestrafung vgl. H. G. Güterbock et al. Das Verbum

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Texte der Hethiter

(§ 38) (III 17) Sobald sie die Gottheiten versorgen, soll keiner sich vor der Gottheit (III 18) unangemessen verhalten, und im Haus des Festrituals soll keiner sich unangemessen verhalten. (III 19) Ferner soll für die Priester, das Personal, die Gesalbten (III 20) (und) die Gottesmütter Ehrfurcht gelten. Die Priester, die Gesalbten (III 21) (und) die Gottesmütter sollen ehrfürchtig gegenüber den Gottheiten sein. Sollte aber jemand einen Rechtsfall (III 22) mit einer gesiegelten Holz- (oder) Tontafel vorbringen, dann soll der Herr der Grenzwarte den Rechtsfall (III 23) ordentlich entscheiden und ihn erledigen. Ist der Rechtsfall aber (III 24) zu schwerwiegend, 43) soll er ihn vor die Majestät schicken. (§ 39) (III 25) Er soll ihn (den Rechtsfall) aber nicht für einen Herrn entscheiden, er soll ihn nicht für einen Bruder, (III 26) eine Schwester (oder) einen Freund entscheiden. Keiner darf eine Bestechung (III 27) annehmen. Eine überlegene Rechtssache darf er nicht unterliegen lassen, (III 28) eine unterlegene darf er nicht überlegen machen. Tue das, was gerecht ist! (§ 40) (III 29) In dem Ort, in dem du eintriffst, rufe alle Männer (III 30) herbei. Und dem, der einen Rechtsfall hat, (III 31) dem entscheide und erledige ihn. Falls ein Diener, eine Dienerin (oder) (III 32) eine Witwe 44) einen Rechtsfall hat, entscheide ihn für sie und erledige ihn. (III 33) Auch die Truppen von Kasˇija, die Truppen von Himuwa, die Truppen ˘ von Tegarama (III 34) und die Truppen von Isˇuwa sind dort – (III 35) habe ein besonderes Auge auf sie! (§ 41) (III 36) Auf den Deportierten, der im Land angesiedelt ist, (III 37) versehen mit Rationen, Samen, Rind (und) Schaf 45), habe ein Auge. Ferner (III 38) versorge ihn mit Käse, Sauerteig 46) (und) Wolle. (III 39) Wer aber an dem Platz des Deportierten bleibt, der aus deinem Land weggelaufen ist, (III 40) eben der sät für ihn. Er soll mit den Feldern zufrieden sein. (III 41) Und ihm soll man sofort eine Zuteilung 47) zuweisen. 48)

43. 44.

45. 46. 47.

48.

222

(Hrsg.), The Hittite Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago. Vol. Sˇ, fasc. 1, Chicago 2002, 52 mit weiterer Literatur. J. Tischler, Hethitisches etymologisches Glossar, Teil II/2: Sˇ/1, Innsbruck 2004, 744 will das Verbum aber nicht von ˇsakuwai- »sehen« trennen; allerdings erscheint fraglich, ob man tatsächlich in allen Fällen mit »ansehen« im Sinne von »verantwortlich machen« auskommt. Lit.: »voll werden« – vgl. E. Neu, Interpretation der hethitischen mediopassiven Verbalformen (StBoT 5), Wiesbaden 1968, 158: »Wenn der Prozeß sich aber weitet«. Vgl. J. Miller, Royal Hittite Instructions and Related Administrative Texts (Writings from the Ancient World 31), Atlanta 2013, 231 u. 385 n. 440: »woman without kin«; da wannumijasˇ DUMU in der Bedeutung »Waise (ohne Vater)« belegt ist, wäre wannumijasˇ MUNUS »Witwe« m. E. durchaus plausibel. Zu dieser Personengruppe und der Praxis ihrer Ansiedlung im Auftrag der königlichen Verwaltung vgl. H. A. Hoffner, Letters from the Hittite Kingdom (Writings from the Ancient World 15), Atlanta 2009, 164 f. Eine ausführliche Diskussion bei E. Fritzsche, GA.KIN.AG EMSU im Hethitischen, AoF 38 ˙ (2010) 15-62. Bei heth. pietta- handelt es sich um eine besondere Art von zu bearbeitendem Land, für das dann Abgaben fällig werden, aber auch Nahrungsmittel; Näheres ist unklar vgl. H. G. Güterbock et al. (Hg.), The Hittite Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago. Vol. P, Chicago 1997, 263 und J. Tischler, Hethitisches etymologisches Glossar, Teil II: P, Innsbruck 2001, 598 f. Der Rest der Kolumne ist weniger gut erhalten, und auch von Kol. IV sind nur noch einige Abschnitte zur Gänze verständlich, darunter Vorschriften zum Umgang mit Diebstahl, Veruntreuung und Sachbeschädigung von königlichem Besitz sowie Regelungen zu notwendigen Arbeiten im Winter und den Vorbereitungen für den Frühling und die dann wieder möglichen landwirtschaftlichen Arbeiten.

Jörg Klinger

3.5 Aus den Gerichtsprotokollen (CTH 293) Wie Verwaltungstexte im engeren Sinne so fehlen in der hethitischen Überlieferung gerade auch die Form von rechtlichen Urkunden und Verträgen, wie sie in anderen Bereichen der keilschriftlichen Überlieferung so häufig sind. Eine Ausnahme stellen dabei lediglich die unter der Bezeichnung »Gerichtsprotokolle« bekannten Texte dar, womit eine Reihe von meist relativ fragmentarisch überlieferten Texten zusammengefaßt werden, die zu den wenigen Beispielen praktischer Schriftlichkeit bei den Hethitern gehören.49) Es handelt sich dabei offenbar um ad hoc verfertigte Texte, die auch nicht Bestandteil der üblichen Überlieferungstätigkeit waren, d. h. es gibt von ihnen, wie z. B. auch den zahlreichen Beispielen solcher Protokolle mantischer Aktivitäten, keine Abschriften oder Duplikattexte, sondern jeder Text stellt ein Unikat dar, das offenbar auch nicht dazu diente, archiviert oder jedenfalls über einen längeren Zeitraum hin aufbewahrt zu werden.50) Dies schlägt sich auch in der Form der Texte nieder, die häufig ein eher flüchtiges Erscheinungsbild zeigen und – wie das auch hier vorgestellte Beispiel – bis zu einem gewissen Grade »unfertig« wirken. So weist auch die Tafel hier zahlreiche unbeschriebene Flächen bzw. Lücken im Text auf, die darauf hinweisen, daß der Schreiber damit gerechnet hat, eventuell an bestimmten Stellen noch zu einem späteren Zeitpunkt weiteren Text nachzutragen oder mehr Raum zu brauchen. Der eher ephemere Charakter dieser Texte schlägt sich auch in ihrer sprachlichen Form nieder. Vor allem in den als direkten Aussagen markierten Passagen 51) finden sich öfters gerade in der Wortstellung Abweichungen von dem, was man sonst von hethitischen Texten gewohnt ist, was man als Hinweis auf den tatsächlichen Sprechduktus der jeweils befragten Zeugen und dementsprechend ein Mitprotokollieren ihrer Aussagen deuten könnte. Was die Texte gerade so interessant macht, ist aber die Fülle an potentiellen Verfehlungen, die sie thematisieren, wobei im hier herangezogenen Beispiel es sich nicht um einfache Gesetzesverstöße von Privatpersonen handelt, sondern um Personen, die Aufgaben im Dienste der Krone wahrzunehmen hatten und die so im Umkehrschluß Einblicke erlauben in die Aufgaben, die eine solche Person wahrzunehmen hatte – so ermöglicht der Text bemerkenswerte Einblicke in eher alltägliche Ereignisse, weit weg von Haupt- und Staatsaktionen. 49.

50.

51.

Zum hethitischen Recht generell vgl. den Überblick von R. Haase, The Hittite Kingdom, in: R. Westbrook (Hg.), A History of Ancient Near Eastern Law (HO 72), Leiden 2003, 619-656 bzw. M. Marazzi, Legge e Limite: II. Caso Hittita, in: Fr. Lucrezi et al., Legge e Limite (Fondamenti del diritto antico 2), 2015, 47-92; zur Rolle von Schrift generell in Verbindung mit der Ausbildung eines Rechtssystems vgl. auch N. Luhmann, Das Recht in der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1995, 245-56. Ob die Tafel im Bereich des Tempels aufbewahrt wurde, weil in ihr Bezug genommen wird auf Eide, die im Tempel der Lelwani abgelegt wurden, wie H. A. Hoffner, The Case Against UraTarhunta (…), in: W. W. Hallo (Hg.), The Context of Scripture, 3, Leiden/Boston 2003, 57 ˘ annimmt, erscheint nicht zwingend, da der ursprüngliche Aufbewahrungsort nicht wirklich bekannt ist und im Bereich der Sammlungen des Großen Tempels alle Arten von Texten gefunden wurden. Auch die Markierung der (protokollierten) Aussagen als direkte Rede ist nicht immer konsequent durchgeführt – vgl. dazu auch B. W. Fortson IV, A New Study of Hittite -wa(r), JCS 50 (1998) 23 f.

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Texte der Hethiter

Ob die hier in dem Protokoll genannten Personen mit anderweitig belegten Personen identisch sind, läßt sich naturgemäß nur schwer entscheiden, da dafür weder die Datierung noch die jeweilige Funktion bzw. Tätigkeit der genannten Personen aus dem Texte eindeutig genug hervorgehen 52) und auch eine Datierung des Textes nur bedingt möglich ist. Immerhin sprechen die hier auftretenden, auch anderweitig belegten Namen, darunter neben Ukkura und Ura-tarhunta vor allem auch der des ˘ Goldschmiedes Palla, dessen Diebstahl auch Gegenstand von Orakelanfragen war (KUB 22.70 Vs. 36ff.), sowie der paläographische Befund für eine Datierung in die Regierungszeit Hattusˇilis III. 53) ˘ CTH 293: KUB 13.35 + KUB 23.80 + KBo 16.62 Der Text stammt aus dem Alten Grabungsschutt der sogenannten »Ostmagazine« des Großen Tempels. R. Werner, Hethitische Gerichtsprotokolle (StBoT 4), Wiesbaden 1967, 3-20 (Bearbeitung); H. A. Hoffner, The Case Against Ura-Tarhunta and his Father Ukkura, in: W. W. Hallo (Hg.), ˘ The Context of Scripture, 3. Archival Compositions from the Biblical World, Leiden/Boston 2003, 57-60 (Übersetzung).

(§ 1) (I 1) Was die Gerätschaften betrifft, die [die Königin 54)] dem Ura-tarhunta, dem ˘ aus BronSohn des Ukkura, dem Aufseher über 10, ausgehändigt hat – [Wag]en, Gerät ze, Gerät aus Kupfer, Leinen, Bogen, Pfeil, Schild, [Waff]e, Deportierter, Rind, Schaf, Pferd, Maultier 55) – wem er welche Gerätschaften jeweils gab, er hat nicht gesiegelt. 56) Und er besitzt auch keinen Beleg oder Quittung. 57) Folgendermaßen (spricht) die Köni52.

53. 54. 55. 56.

57.

224

Daß z. B. der hier erwähnte Ukkura mit dem von Siegeln her bekannten Ukkura (vgl. S. Herbordt, Die Prinzen- und Beamtensiegel der hethitischen Großreichszeit auf Tonbullen aus dem Nis¸antepe Archiv in Hattusa [Bog˘azköy-Hattusˇa 19], Mainz 2005, Nr. 491-497) identisch sein könnte, hält etwa Cl. Mora, Seals and˘ Sealing of Karkamis, Part III: The Evidence from the Nisantepe-Archives, the Digraphic Seals and the Title EUNUCHUS2, in: I. Singer ˙ kistamati pari tumatimis: Luwian and Hittite studies to J. David Hawkins, on (Hg.), Ipamati the occasion of his 70th birthday, Tel Aviv 2010, 174 für möglich. Vgl. die ausführliche Diskussion bei Th. van den Hout, Der Ulmitesˇub-Vertrag. Eine prosopographische Untersuchung (StBoT 38), Wiesbaden 1995, 219 ff. Laut R. Werner, Hethitische Gerichtsprotokolle (StBoT 4), Wiesbaden 1967, 2 sei »zweifellos«, daß es sich hierbei um Puduhepa, die Gattin Hattusˇilis III., handeln soll, allerdings gibt ˘ ˘ er dafür keine weitere Begründung. Die Aufzählung ist ausschließlich im Singular gehalten, aber offensichtlich handelt es sich hier nur um eine prototypische Liste ohne spezifische Angaben wie Stückzahlen. Zum Siegeln im Rahmen der hethitischen Verwaltungspraxis, gerade auch in bezug auf diese Passage, vgl. auch H. G. Güterbock, Seals and Sealing in Hittite Lands, in: K De Vries (Hg.), From Athens to Gordion: The Papers of a Memorial Symposium for Rodney S. Young, Philadelphia 1988. 51-63. Wie schon mehrfach bei den hier vorgestellten Texten könnte man sich auch vorstellen, daß es sich hier um Transaktionen handeln könnte, die zwar in irgendeiner Form »gesiegelt« wurden, aber nicht einer Schriftform bedurften, allerdings erscheint das vor dem Kontext gerade dieser Überlieferung eher unwahrscheinlich – naheliegender ist, daß hier, wie auch an den anderen Stellen Bezug genommen wird auf eine Form der schriftlichen Dokumentation, die dann durch die Verwendung von Siegeln personalisiert und verbindlich gemacht wurde. Bei den beiden Begriffen dusˇdumi- und lalami-, die man durchaus als Fachtermini ansehen kann, handelt es sich um Wörter aus dem Luwischen, die als Glossenkeilwörter markiert sind; man hat das häufigere Auftreten solcher Glossenkeilwörter in hethitischen Texten vor

Jörg Klinger

gin: »Die Goldknappen und die sˇalasˇhu-Männer 58) der Königin sollen umgehend Uratarhunta (und) Ukkura, den Dekurio, ˘umfassend im Tempel der Lelwani schwören las˘ sen.« (§ 2) (I 9) Ukkura, der Dekurio der Königin, schwor 59) und stellte unter Eid folgendes fest: »Welche Gerätschaften des Königs auch immer ich verwahrte, in bezug auf diese Gerätschaften des Königs habe ich niemals unrecht 60) gehandelt. Ich habe überhaupt nichts für mich genommen, was die Königin mir ausgehändigt hat, nichts davon habe ich veruntreut. 61) Für Pferd und Maultier, die ich verwahrte, habe ich eine [Holztaf]el 62) und einen gesiegelten Beleg. Man schickte mich ins Land Babylon und während ich ins Land Babylon ging und bis ich zurückkam, hat mich da nicht jemand hinterrücks verleumdet? 63) Und durch diese Angelegenheit kam ich in Schwierigkeiten. 64) Sobald ich aber aus dem Lande Babylon zurückgekommen war, schickte man mir einen Inspektor, und die Angelegenheit der Verleumdung holte mich ein. Es (war) meine Nachlässigkeit, aber es (war) keinerlei Absicht von mir. 65) [Ich will] mit (meinen) Worten den König in keiner Weise irreführen. Ich habe das nicht gesagt: ›Ich habe das dem König gegenüber veruntreut und nehme es für mich!‹ 66)

58. 59. 60.

61.

62. 63. 64. 65. 66.

allem auch in jüngerer Zeit, verstärkt als Hinweise darauf gedeutet, daß zumindest ein nennenswerter Teil der Bevölkerung in Hattusˇa im 13. Jahrhundert eigentlich luwischsprachig ˘ Termini gerade der schriftlichen Verwaltungstätigwar. Da es sich aber hier um spezifische keit handelt, könnte man ebenso vermuten, daß ein Zusammenhang mit der Form der Schrift – der Hieroglyphenschrift – als Instrument der Verwaltung bestehen könnte. Mit sˇalasˇha- werden Personen bezeichnet, die meist mit Pferden und Wagen zu tun haben; vgl. H. G. Güterbock et al. (Hg.), The Hittite Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago. Vol. Sˇ, fasc. 1, Chicago 2002, 89. Der Text hat hier fehlerhaftes li-in-kán-ta, für das man eigentlich li-in-kat-ta erwarten würde. Liegt ein Hörfehler vor? Die Grundbedeutung von harpanalla/i- ist »feindlich«, hier allerdings auf Dinge bezogen; ˘ Stammbildung des keilschrift-luwischen Nomens (StBoT 30), F. Starke, Untersuchungen zur Wiesbaden 1990, 232 schlug »pflichtwidrig« vor; vgl. noch H. Cr. Melchert, Hittite harp(p)˘ and Derivatives, in: J. Klinger et al. (Hg.), Investigationes Anatolicae. Gedenkschrift für Erich Neu (StBoT 52), Wiesbaden 2010, 181 c.n. 14. Zur Korrektur der Lesung und zu einem möglichen hapax pirnu- vgl. H. G. Güterbock et al. (Hg.), The Hittite Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago, Vol. P, Chicago 1997, 313a; ebd. der Vorschlag, es könnte sich um einen Hörfehler für ein semantisch gut passendes mirnu- »verschwinden lassen« im Sinne von »unterschlagen, veruntreuen« handeln. Ein alternativer Vorschlag (im Anschluß an S. Luraghi) bei J. Tischler, Hethitisches etymologisches Glossar, Teil II: P, Innsbruck 2001, 618. Zur Bedeutung von Holztafeln und ihrer Verwendung vgl. W. Waal, They wrote on wood. The case for a hieroglyphic scribal tradition on wooden writing boards in Hittite Anatolia, AnSt 61 (2011) 21-34, bes. 27. Vgl. J. Lorenz / E. Rieken, »Auf dem Weg der Stadt Sˇa¯sˇsˇu¯na …«, in: D. Groddek / M. Zorman (Hg.), Tabularia Hethaeorum. Hethitologische Beiträge. Silvin Kosˇak zum 65. Geburtstag (DBH 25), Wiesbaden 2007, 473 f. Lit.: »wurde ich links«. Beide Substantive, sˇallakartar und kupijati-, sind hier ebenfalls mit Glossenkeilen markiert, obwohl beide Wortstämme sonst überwiegend »hethitisch« gebraucht sind; s. auch Rs. IV 43. Im Nominalsatz ist die Zeitstellung nicht ausgedrückt, was eigentlich der Fall sein sollte. Hier liegt offenbar ein Zitat im Zitat vor – der Zeuge sagt aus, was er nicht gesagt haben will. Die Verbalform mernuhnuin »ich ließ verschwinden; ich unterschlug, veruntreute« wäre eine Parallel zu Vs. I 14 (s. Anm. 61).

225

Texte der Hethiter

(§ 3) (I 29) Eine solche Sache mache ich nicht! Was (das betrifft, daß) ich schon geschworen habe: Sollte ich hinterher irgendetwas für mich nehmen? Ich bin in dieser Sache rechtlich gebunden. Ich nehme hinterher nichts für mich. Ich habe 3 Maultiere 67) des Palastes eingespannt und sie starben. 2 Maultiere habe ich schon ersetzt. [1 Ma]ultier habe ich noch nicht ersetzt.« Ura-tarhunta sagte darüber hinaus dies vor der Gottheit: ˘ mich für das Jahresfest. Und 2 Maultiere nahm »3 beste Pferdegeschirre nahm ich für ich für mich, sie sind bei mir gestorben. 1 Maultier aber gab ich dem Tarhunta-nani, ˘ dem Höfling 68).« (§ 5) (I 39) »1 Halfter, Räder, Lederriemen, 1 großes und 1 kleines Geschirr-Stück – alte Sachen – nahm ich für mich. We[nn] man eine neue Gebißstange und eine Trense 69) bringt, nehme ich die neuen Sachen für den Dienst des Königs. Von den alten Sachen habe ich (dann) für mich soviel genommen, wie es mir gefiel. 1 Deichsel mit Schmutzfänger 70) nahm ich mir. 2 große Äxte [und 1 Be]il aus Kupfer nahm ich mir. Und wenn man Wandbehänge anbrachte, nahm ich 1 neuen Wandbehang für das Haus des Königs, von den alten habe ich soviel genommen, wie es mir gefiel.« (§ 6) (II 1) »Welchen Männern mir die Köni[gin] befiehlt, die Maultiere zu geben – ›Gib (sie) ihnen!‹ – die tauschte ich aus. (Dafür) nehme ich entweder von meinen (Maultieren) oder von jemand anderem und gebe sie jenen. Die Maultiere des Palastes aber behalte ich für mich selbst zurück. Die Maultiere, die ich dem andern gebe, sind Ersatz. Auf keinen Fall gebe ich ihnen gute (Maultiere).« (§ 7) (II 9) »Von den Deportierten, die man mir aus dem Palast übergab, davon nahm ich mir einen Mann und eine Frau.« (§ 8) (II 11) »Von den Gerätschaften, die man mir aus dem Siegelhaus der Stadt Partija gab, nahm ich für mich dies: – 2 Tücher von Pala, 1 Kupfer-Barren 71) schickte Uratarhunta an seinen Vater 72) – 10 Bronze-Geräte, 1 Speer, 1 Waschschüssel, 1 Kupfer˘

67.

68.

69. 70.

71. 72.

226

Bekanntlich ist nicht einmal klar, ob die Hethiter zwischen Esel und Maultier trennscharf terminologisch unterschieden haben (vgl. Th. van den Hout, s. v. »Pferd A. II. In Anatolien«, in: D. O. Edzard / M. Streck [Hg.], Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie, Bd. 10, Berlin/New York 2003-2005, Sp. 482 f.), von der Unterscheidung zwischen Maultier und Maulesel ganz abgesehen (trotz z. B. HZL Nr. 302). Da Maulesel, also die Kreuzung zwischen Pferdehengst und Eselstute, aber deutlich seltener sein sollen als das eigentliche Maultier, übersetzen wir hier auch ANSˇE.GÌR.NUN.NA mit »Maultier«. Die Diskussion, ob (auch im Hethitischen) LÚ.SAG am besten mit »Eunuch« zu übersetzen ist oder ob nicht doch ein Begriff wie »Höfling« eher zutreffend ist, ist noch im Fluß. Ich schließe mich hier letzterem an; vgl. dazu auch J. Miller, Royal Hittite Instructions and Related Administrative Texts (Writings from the Ancient World 31), Atlanta 2013, 295 f. (mit weiteren Literaturhinweisen). Für die Fachbegriffe, die sich hier offenbar auf das Zaumzeug des Pferdes beziehen, verwendet der Text Akkadogramme – vgl. akk. isˇpartu und ˇsirinatu. Ein Hinwies darauf, daß es sich um durch die Hethiter übernommene technische Entwicklungen handelt? Bemerkenswert, daß hier der eher seltene Begriff akk. sahargu auftritt, vgl. dazu auch die ˘ vorhergehende Anmerkung.; AHw, 1004b gibt die Übersetzung »Staubschutzbrett«; nach Foto scheint das AH, vgl. E. Reiner (Hg.) The Assyrian Dictionary, vol. 15: S, Chicago 1984, ˘ 36b mit der Umschrift SˇA-A[H]-HAR-KI-I, tatsächlich nicht vorhanden zu sein. ˘ Zu heth. kugulla- »Brocken,˘ Klumpen«, vgl. S. Görke, Das Ritual der Asˇdu (CTH 490) (CHANE 40), Leiden/Boston 2010, 201-5. Offenbar ein Einschub, eventuell vom Schreiber, der die Aussage protokollierte.

Jörg Klinger

NAMMANTU 73), ein Kupfer-Sieb, eine große Axt, ein Wagen mit Lederzeug nahm ich und schickte es meiner Mutter.« (§ 11) 74) (II 26) »3 Rinder der sˇalasˇha-Männer nahm ich für mich (II 27) und trieb sie in mein Haus und sie starben (dort).«˘ (§ 12) (II 28) »Die mit Gold eingelegten Bögen, die die Königin überprüfte, fand ich geö[ffnet 75)] und beschädigt. Das Gold nahm ich [nicht] für mich. Auch habe ich für mich Bogen dav[on nich]t genommen. Darüber hinaus wei[ß ich] nicht, [we]r sie beschädigt hat. Aber als ich das sah, war ich deshalb besorgt. Und ich n[ah]m Gold meiner Mutter und ich legte sie damit ein. Und ich sagte das bei dieser Gelegenheit nicht, weil Palla, der Goldschmied, folgendermaßen (spricht): ›Zeige mich nicht an!‹ – deshalb schwieg ich.« (§ 13) (II 38) »1 Opferschale aus Babylon-Stein nahm ich für mich nicht.« (§ 14) (II 39) »Von den Eseln, die ich verwahrte, nahm ich für mich nichts. 5 Esel starben, und ich habe sie aus (meinem) Haus ersetzt. 5 Esel starben gewaltsam und man wird 5 Eselhengste zurücktreiben. Noch hat man sie aber nicht hergetrieben, (da) der AMAR.MUSˇEN, der Wagenlenker, sie zugrunde gerichtet hat und sie noch nicht ersetzte. Ich habe für mich nichts genommen.« (§ 15) (III 1) »30 Esel gab man mir früher. (§ 5) (III 2) Jetzt aber sind noch 13 übrig.« (§ 16) (III 3) »Von den Gerätschaften aus dem Siegelhaus – 2 Leinentücher, 2 Kupfer-Barren 76), 6 Bögen, 100 Pfeile, 2 Bronze-Gürtel, 1 Tuch für die Augen, 1 Kupfer-dammurinahm ich für mich.« (§ 17) (III 5) »Ich wurde krank. Aber als ich wieder gesund wurde, registrierte ich 3 Kupfer-Barren, 10 Bronze-Gerätschaften, 10 Bögen (und) 50 Pfeile. 1 Kasten für den IbriSˇarruma sah ich aber keinen und ich erwähnte auch keinen.« (§ 18) (III 9) Folgendermaßen (spricht) Maruwa: »1 Gespann von Maultieren gab sie (die Königin?) dem Hellarizzi.« Folgendermaßen (spricht) Ura-tarhunta: »Von Hellarizi nahm ˘ ich die Maulesel˘ für die Zucht 77) und gab ihm Fohlen zurück.«˘ (§ 19) (III 13) Folgendermaßen (spricht) Maruwa: »Sie (die Königin) (III 14) gab [x] (III 13) Maultiere dem Piha-tarhunta, dem H[öfli]ng.« (III 14) Folgendermaßen (spricht) ˘ [nicht?] ˘ Ura-tarhunta: »Sie gehören dem Stall.« ˘ (III 15) (§ 20) Folgendermaßen (spricht) Jarra-zalma, der Goldknappe: »Zuwappi verkaufte 1 Pferd und nahm (dafür) für sich 1 Talent Kupfer.« Ura-tarhunta (spricht) folgender˘ maßen: »Mir sagte er, es ist gestorben.« (§ 21) (III 18) »Jarra-zalma nahm für sich ein Maultier. 1 Maultier aber nahm sich der Maruwa. Die Maultiere aber waren Milchschwestern.«

73. 74. 75. 76. 77.

Zu NAMMANTU als eine (Hohlmaß-)Maßeinheit vgl. H. G. Güterbock et al. (Hg.), The Hittite Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago. Vol. Sˇ, fasc. 3, Chicago 2013, 393a. Die Zeilen II 16-25 erlauben keine zusammenhängende Übersetzung. Eventuell ist gemeint »nicht gespannt« oder »von den Einlagen befreit«? Zum Gebrauch von PAD im Hethitischen vgl. M. Weeden, Hittite Logograms and Hittite Scholarship (StBoT 54), Wiesbaden 2011, 314 f. Vgl. H. Cr. Melchert, Hittite kuk(kan)zi- »cultivation, breeding«, KTÈMA 24 (1999) 17-23, s. aber auch H. A. Hoffner, Letters from the Hittite Kingdom, (Writings from the Ancient World 15), Atlanta 2009, 129.

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Texte der Hethiter

(§ 22) (III 20) Folgendermaßen (schworen) Tarhu-mimma, Nanizi, Maruwa. Jarra-zalma, ˘ Lahina-ziti, vor der Gottheit – so spraPalla, Jar-ziti, Sohn des Tuttu, Jarra-ziti, Sohn des ˘ chen sie: »Falls wir Maultiere (oder) Pferde der Königin verkauft (oder) ausgetauscht haben(, sollen uns die Götter strafen!) 78). Wir haben sie nicht für uns eingespannt, noch gewaltsam getötet. Wir, die wir Aufseher sind, falls [irgendein]er (von uns) für sich Maultiere (oder) Pf[erde] für sich nahm oder sie für sich [verkaufte] oder aust[auschte oder] irgendeiner tötete [… 79) (§ 23) (III 38) Kukku, der sˇalasˇha-Mann ist nicht da. 80) (§ 24) (III 39) Folgendermaßen˘ (sprechen) Halpa-ziti, Kasˇsˇu, Tarwisˇsˇija, Pallu, Kasˇka-muwa, ˘ Mutarki, Alalimmi, Sˇausˇka-ziti, Arma-pija, Kunni, Magallu, Apattiti, Huha-armati, Zuwa, ˘ ˘Tarwasˇki, Zuwa (und) Sˇalwini – insgesamt 20 (Personen) 81): Zida, Ala-muwa, der Knabe, »Die Wagen mit (Speichen-)Rad, die Wagen mit Scheibenrad, Silber, Gold, Schilde, Waffen, Bogen, parzasˇsˇa-Pfeile, Bronze-Gerätschaften, große Äxte, Beile, BronzeSchwerter, Tücher, Wandbehänge und Lederzeugs 82) der Königin, die wir verwahren – nichts (davon) haben wir für uns genommen, nichts davon haben wir ausgetauscht. Weder einen Wagen einen Scheiben-, noch einen Speichenwagen haben wir eingespannt. Wenn wir damit fertig sind, bringen wir sie zurück und geben sie zum Vorrat. 83) Oder falls wir 1 Tuch oder 1 Wandbehang nehmen oder ihn austauschen oder ihn weglassen oder unser Vorgesetzte nahm sich einen Wagen mit (Speichen-)Rad oder einen Wagen mit Scheibenrad, Silber, Gold, Bronze-Gerätschaften, Waffen, Bogen, Pfeile, Wandbehänge 84) oder 1 gutes Rad des Königs irgendeinem gibt und (dafür) 3 zerbrochene nimmt oder in Zukunft unser Vorgesetzte sich irgendetwas nimmt und wir es nicht sagen oder in Zukunft irgendetwas für uns nehmen, (sollen uns die Götter bestrafen!)« – Die alten Gerätschaften, seien es Gerätschaften oder Wagen mit (Speichen-)Rad, Tücher, Wandbehänge 85), die ich euch gab, die sollen vom Eid ausgenommen sein. Von jetzt an aber in Zukunft sollt ihr kein Härchen 86) nehmen. 87) (§ 26) (IV 20) Folgendermaßen (spricht) Arlawizzi: »Vor der Gottheit stelle ich dies fest: Welche Gerätschaften auch immer der Ibri-sˇarruma mir überantwortete, brachte ich her und überantwortete sie dem Ura-tarhunta. Falls ich einen Kasten geöffnet oder ein ˘ nahm oder Ura-tarhunta etwas nahm und Siegel erbrochen habe oder etwas für mich ˘ es nicht sagte, (sollen mich die Götter strafen!)«

78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87.

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Hier, wie auch an anderen Stellen, wird die Apodosis des Eides ausgespart – in der Übersetzung sinngemäß frei ergänzt. Die restlichen 7 Zeilen des Abschnittes sind nur noch unvollständig erhalten. Lit.: »draußen«; d. h. er kann nicht befragt werden, da er nicht vor Ort ist. Namentlich genannt sind hier allerdings nur 19. Die Aufzählung durchgängig ohne Pluralmarkierungen. Lit.: »Zählung, Rechnung«. Die Aufzählung durchgängig ohne Pluralmarkierungen. Die Aufzählung durchgängig ohne Pluralmarkierungen. Vgl. H. G. Güterbock et al. (Hg.), The Hittite Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago. Vol. L-N, Chicago 1980-89, 300a; wohl eine Kleinigkeit des Körpers von geringem Wert. Der letzte Teil des Abschnittes ist nicht Teil der Aussage, sondern offenbar wird hier nun eine Regel ins Protokoll aufgenommen, wie in Zukunft verfahren werden soll, die ganz offensichtlich auf die Königin selbst zurückgeht.

Jörg Klinger

(§ 27) (IV 28) Folgendermaßen (spricht) Huzzija, der Holztafelschreiber: »Welche Gerätschaften auch immer sie mir gesiegelt ˘gaben, die habe ich ordnungsgemäß weitergegeben. Ich habe kein Siegel erbrochen, keinen Kasten geöffnet. Ich brachte sie her und überantwortete sie dem Ura-tarhunta. Oder (falls) Ura-tarhunta sich etwas nahm und ˘ die Götter strafen!)« ˘ ich es nicht sagte, (dann sollen mich (§ 28) (IV 35) Folgendermaßen (spricht) Ukkura, der Dekurio der Königin: »Als man mich ins Land Babylon schickte, siegelte ich die Holztafeln 88) über die Pferde und Maultiere, die vorhanden waren. Während ich ins Land Babylon ging und bis ich wieder zurückkam, siegelte ich aber nicht weiter. Und eine detaillierte Liste (war) nicht gesiegelt; und ich habe nicht weiter darauf geachtet. Sobald aber die Pferde und die Maultiere eintreffen, werde ich es ebenso siegeln. 89) Es (war) meine Nachlässigkeit, aber es (war) keinerlei Absicht von mir. Ich habe es nicht beachtet. Manches ging verloren, manches blieb übrig. Pferde und Maultiere nahm ich nicht für mich und ich gab sie niemandem. (§ 29) (IV 48) [Die Ma]ultiere, die man erwähnte, sind zugrunde gegangen. […] ließ man frei. 1 Maultier nahm sich [Jarra-za]lma, 1 Maultier aber nahm sich [M]aruwa.

88. 89.

Zur »Holztafel« s. oben zu Vs. I 15. Ob dieser Abschnitt tatsächlich so zu verstehen ist, daß Ukkura im Auftrage des Königshofes nach Babylonien geschickt wurde, um dort mit Pferden und Maultieren Handel zu treiben, wird unterschiedlich interpretiert; vgl. Th. van den Hout, s. v. »Pferd A. II. In Anatolien«, in: D. O. Edzard / M. Streck (Hg.), Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie, Bd. 10, Berlin/New York 2003-2005, Sp. 486a.

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III. Texte aus Syrien

Herbert Niehr Alle bisher in der alten und neuen Folge der Texte aus der Umwelt des Alten Testaments übersetzten und besprochenen Texte aus Ugarit stellen Zeugnisse der Wissenskultur dieser spätbronzezeitlichen Metropole dar. 1) Insofern können die schon behandelten Bereiche des Rechts- und Wirtschaftslebens, 2) des Herrscherwissens und der politischen Dokumente, 3) der Briefe, 4) der Omina, Orakel und Rituale, 5) der Heilkunde, 6) der Votivinschriften,7) der Gebete8) sowie der Weisheitstexte, Mythen und Epen 9) als Manifestationen von Wissen, Wissensanwendung und Wissenstrans1.

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Zur Geschichte Ugarits vgl. bes. M. Liverani, Storia di Ugarit. Nell’età degli archivi politici (Studi Semitici 6), Rom 1962; ders., Art. Ras Shamra II. Histoire, DBS IX, 1979, 1295-1348; I. Singer, A Political History of Ugarit, in: W. G. E. Watson / N. Wyatt (Hg.), Handbook of Ugaritic Studies (HO I/39), Leiden/Boston/Köln 1999, 603-733; J. Freu, Histoire Politique du Royaume d’Ugarit (Collection KUBABA. Série Antiquité XI), Paris 2006; G. Saadé, Ougarit et son Royaume. Des origines à sa destruction (BAH 193), Beyrouth 2011. Zum Stand der Erforschung Ugarits vgl. zuletzt W. van Soldt / D. Pardee / H. Niehr / M. Yon, Art. Ugarit, RlA 14, 2014, 280-295 und zu einem neuen Blick auf die Entdeckung und den Beginn der Archäologie Ugarits vgl. J. Vidal, El descubrimiento arqueológico de la antigua Ugarit. Análisis de un relato eurocéntro, in: R. da Riva / J. Vidal (Hg.), Descubriendo el Antiguo Oriente. Pioneros y arqueólogos de Mesopotamia y Egipto a finales del s. XIX y principios del s. XX, Barcelona 2015, 197-213. Vgl. O. Loretz / M. Dietrich, TUAT I, 1982-1986, 154.210-219; J. Tropper / J.-P. Vita, TUAT. NF 1, 2004, 111-128. Vgl. O. Loretz / M. Dietrich, TUAT I, 1982-1986, 496 f.; H. Niehr / D. Schwemer, TUAT.NF 2, 2005, 161-181. Vgl. O. Loretz / M. Dietrich, TUAT I, 1982-1986, 505-511; H. Niehr / D. Schwemer, TUAT.NF 3, 2006, 248-272.273-288. Vgl. O. Loretz / M. Dietrich, TUAT II, 1986-1991, 94-101.299-357; dies., TUAT Ergänzungslieferung, 2001, 203-214; H. Niehr, TUAT.NF 4, 2008, 243-257. Vgl. H. Niehr, TUAT.NF 5, 2010,189-194. Vgl. O. Loretz / M. Dietrich, TUAT II, 1986-1991, 505; H. Niehr, TUAT.NF 6, 2011, 83-88; M. Müller, TUAT.NF 6, 2011, 88-90. Vgl. O. Loretz / M. Dietrich, TUAT II, 1986-1991, 818-826; H. Niehr, TUAT.NF 7, 2013, 133144. Vgl. O. Loretz / M. Dietrich, TUAT III, 1990-1997, 1089-1317; H. Niehr, TUAT.NF 8, 2015, 177-301. Zu dem in den Mythen und Epen Ugarits anzutreffenden Wissen aus unterschiedlichen Regionen des östlichen Mittelmeerraums vgl. P. Bordreuil, La littérature d’Ougarit, creuset de traditions venues d’Outremer et d’Outremonts, RANT 7 (2010) 33-44. Zur Frage nach Weisheit in Ugarit vgl. H.-P. Müller, Magisch-mantische Weisheit und die Gestalt Daniels, UF 1 (1969) 79-94; I. Márquez Rowe, Scribes, Sages, and Seers in Ugarit, in:

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Herbert Niehr

fer für die folgende Übersicht vorausgesetzt werden, auch wenn der eine oder andere Text noch einmal aufgegriffen wird. Diverse Bereiche der Wissenskultur des spätbronzezeitlichen Ugarit entziehen sich allerdings auch unserer Kenntnis, da sie entweder nicht verschriftlicht wurden bzw. sich ihre Verschriftlichung nicht erhalten hat. Trotz dieser Quellenlage müssen sie der Vollständigkeit halber hier genannt werden. Dies gilt allem voran für die Kunst, aus der man die vielfältigen Zeugnisse von Metall-, Stein-, Edelstein- und Elfenbeinkunst anführen kann. 10) Ebenso ist auf die Architektur der Stadt mit ihren Tempeln und Heiligtümern, Palästen, Residenzen und Wohnhäusern hinzuweisen. 11) Dann sind zu nennen die Wasserwirtschaft, 12) die Landwirtschaft, 13) die Viehzucht, 14) der Wein-

10.

11.

12.

232

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Texte aus Syrien

bau 15) und die Pferdezucht. 16) Darüber hinaus erwähnenswert ist die Ausbildung in der Musik, 17) in der Kriegskunst 18) und in der Seefahrt. 19) Diese letztgenannten Bereiche sind nur am Rande über Texte zugänglich. Ebenfalls schwer greifbar sind die für die Wirtschaft von Ugarit relevanten Disziplinen wie Mathematik 20) und die darauf basierende Metrologie. 21) Weitere wichtige Bereiche waren die Astrologie und die Astronomie. Man benötigte die hierdurch ge-

13. 14.

15. 16.

17.

18.

19.

20. 21.

Delbé (Ras Shamra – Ougarit, Syrie), in: V. Matoïan / M. al-Maqdissi (Hg.), Études Ougaritiques III (RSOu XXI), Leuven 2013, 1-45. Vgl. dazu M. Heltzer, The Rural Community in Ancient Ugarit, Wiesbaden 1976; Calvet, L’environnement, 57-59. Vgl. E. Vila, L’économie alimentaire carnée et le monde animal. Analyse préliminaire des restes osseux de mammifères (Ras Shamra), in: Y. Calvet / M. Yon (Hg.), Ougarit au Bronze Moyen et au Bronze Récent. Actes du Colloque international tenu à Lyon en novembre 2001 »Ougarit au IIe millénaire av. J.-C. État des recherches«. En hommage à Gabriel Saadé (Travaux de la Maison de l’Orient et de la Méditerranée 47), Lyon 2008, 169-179. Vgl. dazu J.-Á. Zamora, La vid y el vino en Ugarit, Madrid 2000 und V. Matoïan / J.-P. Vita, The Administration of Wine in Ugarit, WO 48 (2018) 299-318. Vgl. O. Loretz, Hippologia Ugaritica. Das Pferd in Kultur, Wirtschaft, Kriegführung und Hippiatrie Ugarits – Pferd, Esel und Kamel in biblischen Texten – Mit einem Beitrag von M. Stol über Pferde, Pferdekrankheiten und Pferdemedizin in altbabylonischer Zeit (AOAT 386), Münster 2011, 179-241; F. Malbran-Labat / C. Roche, Les chevaux en Ougarit: élevage et commerce, in: V. Matoïan / M. al-Maqdissi / Y. Calvet (Hg.), Études Ougaritiques II (RSOu XX), Leuven 2012, 275-281. Vgl. A. Caubet, Chantres et devins: deux cas de pratiques de la musique à Ougarit, in: M. Kropp / A. Wagner (Hg.), ›Schnittpunkt‹ Ugarit (Nordafrikanisch/Westasiatische Studien 2), Frankfurt 1999, 9-29; dies., La Musique à Ougarit: nouveaux témoignages matériels, in: N. Wyatt / W. G. E. Watson / J. B. Lloyd (Hg.), Ugarit, religion and culture. Proceedings of the Colloquium on Ugarit, religion and culture. Edinburgh, July 1994. Essays presented in honour of Professor John C. L. Gibson (UBL 12), Münster 1996, 9-3; M. Koitabashi, Music in the Texts from Ugarit, UF 30 (1980) 363-396. Vgl. J.-P. Vita, El ejército de Ugarit, Madrid 1995; ders., The Society of Ugarit, in: W. G. E. Watson / N. Wyatt (Hg.), Handbook of Ugaritic Studies (HO I/39), Leiden/Boston/Köln 1999, 455-498, bes. 492-498; ders., Ougarit entre la guerre et la paix. Brève histoire militaire d’un royaume cananéen du Bronze Récent, in: J.-M. Michaud (Hg.), La Bible et l’héritage d’Ougarit (POLO 1), Sherbrooke (Québec) 2005, 67-98; J.-P. Vita / V. Matoïan, Le roi et l’armée, in: al-Maqdissi / Matoïan (Hg.), L’Orient, 258-262. Vgl. E. Linder, Ugarit: A Canaanite Thalassocracy, in: G. D. Young (Hg.), Ugarit in Retrospect. 50 Years of Ugarit and Ugaritic, Winona Lake 1991, 31-42; D. Stockfisch, Ugarit – ›Internationale‹ Handelsmetropole im Schnittpunkt des vorderasiatisch-ostmediterranen Verkehrsnetzes, in: M. Kropp / A. Wagner (Hg.), ›Schnittpunkt‹ Ugarit (Nordostafrikanisch/Westasiatische Studien 2), Frankfurt 1999, 255-270; C. Bell, The Evolution of Long Distance Trading Relationships across the LBA/Iron Age Transition on the Northern Levantine Coast. Crisis, Continuity and Change, Oxford 2006; J. Vidal, Ugarit and the Southern Levantine Sea-Ports, JESHO 49 (2006) 269-279; C. M. Monroe, Scales of Fate. Trade, Tradition, and Transformation in the Eastern Mediterranean ca. 1350-1175 BCE (AOAT 357), Münster 2009. Vgl. dazu J. Tropper, Ugaritische Grammatik (AOAT 273), Münster 22012, 343-422. Vgl. dazu É. Bordreuil, Numérotation et unités pondérales dans les textes administratifs et économiques en ougaritique et dans les tablettes métrologiques en cunéiforme suméro-accadien, in: J.-M. Michaud (Hg.), Le Royaume d’Ougarit de la Crète à l’Euphrate. Nouveaux axes de recherche (POLO 2), Sherbrooke (Québec) 2007, 381-421; ders., La métrologie, in: alMaqdissi / Matoïan (Hg.), L’Orient, 163-166; ders., L’apprentissage de la métrologie à Ougarit à la fin de l’âge du Bronze récent, RANT 7 (2010) 13-32; ders., Poids et mesures dans les textes administratifs en ougaritique: Unités pondérales et quantification du cuivre, in: V. Ma-

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Herbert Niehr

wonnenen Einsichten für die Kalenderberechnung, die Navigation (z. T. auch während der Nacht) und die Orakelgebung. Kenntnisse von Astrologie und Astronomie sind in Ugarit nachweisbar, 22) wenn auch nicht in dem aus Mesopotamien bekannten Ausmaß. Wendet man sich dem Handwerk zu, so sind diverse Handwerksberufe aus Ugarit bekannt: Es gab z. B. Müller, Bäcker, Köche, Gerber, Schmiede, Stellmacher, Maurer, Juweliere, Walker, Wäscher, Wollmacher, Färber, Weber, Schneider, Schnitzer, Siegelschneider, Salbenmischer, Töpfer u. a. m. 23) Weniger gut bekannt sind die verschiedenen Möglichkeiten der handwerklichen Ausbildung in Steinbearbeitung, Keramikherstellung, Glasherstellung, Malerei, Maurerei, Metallbearbeitung, Schmiedekunst, Zimmerei, Lederbearbeitung, Woll- und Tuchproduktion bzw. in der Färberei u. a. m. 24) Bei diesen Berufen ist wohl an eine Ausbildung der zukünftigen Handwerker in den Familien zu denken, die den doppelten Vorteil bot, daß zum einen das Berufswissen in der Familie blieb und zum andern über die Arbeitskraft der Nachfahren die Versorgung der älteren Generation gesichert war.

22.

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24.

234

toïan / M. al-Maqdissi / Y. Calvet (Hg.), Études Ougaritiques II (RSOu XX), Leuven/Paris/ Walpole 2012, 283-296. Vgl. dazu F. Ernst-Pradal, Qodesˇ-Amrour et la pêche au feu, Sem 50 (2001) 217-220; J. L. Cooley, Astral Religion in Ugarit and Ancient Israel, JNES 70 (2011) 281-287; ders., Celestial Divination in Ugarit and Ancient Israel: A Reassessment, JNES 71 (2012) 21-29; ders., Poetic Astronomy in the Ancient Near East (HACL 5), Winona Lake 2013. Vgl. dazu J. Sanmartín, Das Handwerk in Ugarit: Eine lexikalische Studie, SEL 12 (1995) 169190; M. Heltzer, The Economy of Ugarit, in: W. G. E. Watson / N. Wyatt (Hg.), Handbook of Ugaritic Studies (HO I/39), Leiden/Boston/Köln 1999, 423-454, bes. 448-454 und W. van Soldt, Craftsmanship and Craftsmen in Ugarit, in: A. Archi (Hg.), Tradition and Innovation in the Ancient Near East. Proceedings of the 57th Rencontre Assyriologique Internationale Rome 4-8 July 2011, Winona Lake 2015, 567-575. Vgl. dazu u. a. V. Matoïan, Matières vitreuses au royaume d’Ougarit, AAAS XLV-XLVI (20022003) 153-162; V. Matoïan / A. Bouquillon, Vitreous materials in Ugarit: new data, in: T. Potts / M. Roaf / D. Stein (Hg.), Ancient Near Eastern Studies in Honour of P. R. S. Moorey, Oxford 2003; 333-346; G. Galliano / Y. Calvet (Hg.), Le royaume d’Ougarit. Aux origines de l’alphabet, Lyon/Paris 2004; J.-Y. Monchambert, La céramique d’Ougarit. Campagnes de fouilles 1975 et 1976 (RSOu XV), Paris 2004; C. Mani / J.-Y. Monchambert, Les ateliers de production céramique à Ougarit: nouvelles recherches, in: J.-M. Michaud (Hg.), Le Royaume d’Ougarit de la Crète à l’Euphrate. Nouveaux axes de recherche (POLO 2), Sherbrooke (Québec) 2007, 175-199; J.-Y. Monchambert, La céramique du Bronze Récent à Ougarit. Résultats récents et perspectives, in: Y. Calvet / M. Yon (Hg.), Ougarit au Bronze Moyen et au Bronze Récent. Actes du Colloque International tenu à Lyon en novembre 2001 »Ougarit au IIe millénaire av. J.-C. État des recherches.« En hommage à Gabriel Saadé (Travaux de la Maison de l’Orient et de la Méditerranée 47), Lyon 2008, 149-157; E. Dardaillon, Analyses métallurgiques, in: ebd. 159-168; J.-Y. Monchambert, Une école de peintre-céramistes à Ougarit?, in: V. Matoïan / M. al-Maqdissi / Y. Calvet (Hg.), Études Ougaritiques II (RSOu XX), Leuven 2012, 159-166; R. Prévalet, Techniques de la bijouterie d’or de Ras Shamra-Ougarit: Filigrane et granulation, in: ebd. 167-184; J.-C. Bessac, Les roches de construction d’Ougarit: production, façonnage, mise en œuvre, in: V. Matoïan / M. al-Maqdissi (Hg.), Études Ougaritiques III (RSOu XXI), Leuven 2013, 111-141; V. Matoïan, Une représentation de pierre levée (?) à Ougarit, Studia Orontica 11 (2013) 113-127; Yon, Kothar; V. Matoïan / J.-P. Vita, Wool Production and Economy at Ugarit, in: C. Breniquet / C. Michel (Hg.), Wool Economy in the Ancient Near East and the Aegean. From the Beginnings of Sheep Husbandry to Institutional Textile Industry (Ancient Textiles Series 17), Oxford/Philadelphia 2014, 310-339.

Texte aus Syrien

Die gerade angesprochene Ausbildung bzw. Wissensweitergabe in den Familien galt auch für das Wissen der Priester und der Beschwörungsfachleute, 25) deren Ausbildungscurriculum nicht schriftlich niedergelegt wurde, was neben der Beschränkung des Zugangs zu diesen Berufen auch den Vorteil der Geheimhaltung von Fachwissen mit sich brachte. Im Zusammenhang mit der Ausbildung von Handwerkern stellt sich auch die Frage nach der Vermittlung von Wissen und Techniken auf der internationalen bzw. transkulturellen Ebene. 26) Hierbei sind verschiedene Möglichkeiten zu berücksichtigen. Aus der Maison d’Ourtenu in Ugarit ist ein Brief belegt, in dem der Pharao Merenptah (1213-1203 v. Chr.) eine Entsendung von ägyptischen Steinmetzen nach Ugarit in Aussicht stellte, auch wenn sich diese momentan nicht realisieren ließ (RS 88.2158). 27) Ebenso dürften sich unter den in Ugarit ansässigen Menschen aus Zypern und Kreta auch Handwerker befunden haben. 28) Eine zweite Möglichkeit des Imports von fremden Techniken bestand in der Entsendung von einheimischen Handwerkern zur Ausbildung ins Ausland, ein Fall, der aus Ugarit allerdings bislang nicht belegt ist. 29) Darüber hinaus sind noch zwei weitere Optionen des internationalen Wissensbzw. Techniktransfers in Betracht zu ziehen. Anläßlich ihrer Untersuchung der Wandmalereien im Palast von Qatna hat C. von Rüden auf die Hybridität der internationalen Koine aufmerksam gemacht, d. h. auf die allgemeine Bekanntheit von Techniken und auf die z. T. über Güteraustausch verlaufenden Interaktionen zwischen Kultur-

25. 26.

27.

28. 29.

Zum Thema der Beschwörung in Ugarit vgl. neben der in Anm. 5 genannten Literatur zuletzt G. del Olmo Lete, Incantations and Anti-Witchcraft Texts from Ugarit. With a contribution by Ignacio Márquez Rowe (SANER 4), Boston/Berlin 2014. Vgl. grundlegend zur den Fragen von Kultur und Kulturkontakten Chr. Ulf, Rethinking Cultural Contacts, Ancient West and East 8 (2009) 81-132 und ders., Kultur und Kulturkontakte, in: A.-M. Wittke (Hg.), Frühgeschichte der Mittelmeerkulturen. Historisch-archäologisches Handbuch (DNP Suppl. 10), Stuttgart/Weimar 2015, 75-83 (Lit.!) sowie die Sammelbände K. Duistermaat / I. Regulski (Hg.), Intercultural Contacts in the Ancient Mediterranean. Proceedings of the International Conference at the Netherlands-Flemish Institute in Cairo, 25th to 29th October 2008 (OLA 202), Leuven/Paris/Walpole, MA 2011; R. Rollinger / K. Schnegg (Hg.), Kulturkontakte in antiken Welten: Vom Denkmodell zum Fallbeispiel (Colloquia Antiqua 10), Leuven/Paris/Walpole 2014; B. Eder / R. Pruzsinsky (Hg.), Policies of Exchange. Political Systems and Modes of Interaction in the Aegean and the Near East in the 2nd Millennium B.C.E. Proceedings of the International Symposium at the University of Freiburg. Institute for Archaeological Studies, 30th May–2nd June 2012, Wien 2015; P. Pfälzner / M. alMaqdissi (Hg.), Qatna and the Networks of Bronze Age Globalism. Proceedings of the International Conference˙ in Stuttgart and Tübingen in October 2009 (QSS 2), Wiesbaden 2015. Publiziert von S. Lackenbacher, Une lettre d’Égypte, in: M. Yon / D. Arnaud (Hg.), Études Ougaritiques I. Travaux 1985-1995 (RSOu XIV), Paris 2001, 239-248. Vgl. dazu auch dies., Une correspondence entre l’administration du pharaon Merneptah et le roi d’Ougarit, in: M. Yon / M. Sznycer / P. Bordreuil (Hg.), Le pays d’Ougarit autour de 1200 av. J.-C. Histoire et archéologie. Actes du Colloque International Paris, 28 juin-1er juillet 1993 (RSOu XI), Paris 1995, 77-83. Deutsche Übersetzung bei D. Schwemer, TUAT.NF 3, 2006, 256-258. Zu den Fremden, die in Ugarit ansässig waren, vgl. Vita, Society, 457-463. Zu den Ugaritern im Ausland, die vornehmlich als Gesandte oder Kaufleute tätig waren, vgl. Liverani, Art. Histoire, 1327-1331; Vita, Society, 463f; S. Lackenbacher, Textes akkadiens d’Ugarit (LAPO 20), Paris 2002, 144-154.

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Herbert Niehr

räumen, die die Adaptation von Bildern aus anderen Kulturen, z. B. über Stoffmuster, ermöglichten. 30) Im Hinblick auf die kaum gegebene Erfaßbarkeit der zuletzt genannten Bereiche der Wissenskultur bilden die Verhältnisse in Ugarit keineswegs eine Ausnahme innerhalb der Wissenskulturen des Alten Orients. Dies läßt sich an zwei Beispielen aus Mesopotamien gut aufweisen. So ist in Mesopotamien im Hinblick auf die militärische Ausbildung der Soldaten und die Kriegstechnik innerhalb des neuassyrischen Reiches deutlich, daß es keinerlei Handbücher o. ä. gab, die Ausbildung vielmehr aufgrund mündlicher Anweisungen erfolgte. Verheerende Niederlagen, die mit der Tötung der Spezialisten militärischen Wissens einhergehen konnten, zogen dann einen Ausfall von kriegsentscheidendem Wissen nach sich. 31) Ebenso gibt es etwa zur Keramiktechnologie nur wenige Texte, da das diesbezügliche Wissen nur innerhalb der Handwerkerfamilien tradiert und erlernt wurde. 32) Als letztes ist die Schreiberausbildung in Ugarit anzusprechen, die sich besser als die bislang erwähnten Ausbildungsberufe dokumentieren läßt und auf die unten in einem eigenen Abschnitt eingegangen wird. 33) Die Schreiberausbildung bildete die unerläßliche Grundlage für eine Tätigkeit in der königlichen Verwaltung sowie der Justiz und der Diplomatie. Vor allem über Recht und Verwaltung sind wir im Falle von Ugarit recht gut informiert. 34) Ebenso setzten der Handel und die Wirt30.

31.

32. 33. 34.

236

Vgl. C. von Rüden, Die Wandmalereien aus Tall Misˇrife/Qatna im Kontext überregionaler ˙ Kommunikation. Mit Beiträgen von Ann Brysbaert und Ilka Weisser (QS 2), Wiesbaden 2011, 95-114 und dies., A Touch of Luxury from the Western Fringe of the Ancient World: The Agean Impact on the Qatna Wall Paintings, in: P. Pfälzner / M. al-Maqdissi (Hg.), Qatna and the Networks of Bronze Age Globalism. Proceedings of the International Conference˙ in Stuttgart and Tübingen in October 2009 (QSS 2), Wiesbaden 2015, 249-264. Zu einer kritischen Betrachtung der Vermittlungsprozesse vgl. C. von Rüden, Beyond the East-West Dichotomy in Syrian and Levantine Wall Paintings, in: B. Brown / M. Feldman (Hg.), Critical Approaches to Near Eastern Art, Berlin 2014, 55-78. Vgl. dazu A. Fuchs, Wissenstransfer und -anwendung im Bereich des Heerwesens und der Militärtechnik des neuassyrischen Reiches, in: H. Neumann (Hg.), Wissenskultur im Alten Orient. Weltanschauung, Wissenschaften, Techniken, Technologien (CDOG 4), Wiesbaden 2012, 31-59. Vgl. dazu A. Hausleiter, Keramiktechnologie im Alten Vorderen Orient – Wissenskultur im Alltag, in: H. Neumann (Hg.), Wissenskultur im Alten Orient. Weltanschauung, Wissenschaften, Techniken, Technologien (CDOG 4), Wiesbaden 2012, 373-391. S. u. 4. Vgl. G. Boyer, La place des textes d’Ugarit dans l’histoire de l’ancien droit oriental, in: J. Nougayrol (Hg.), Textes Accadiens et Hourrites des Archives Est, Ouest et Centrales (PRU III), Paris 1955, 283-308; ders., Royauté et droit publique dans les textes d’Ugarit, in: ders., Mélanges d’histoire du droit oriental (Recueil de l’Académie de Législation. Sixième Série – Tome III – 115e Année), Paris 1965, 29-43; M. Sznycer, Art. Ras Shamra VI. Documents administratifs et économiques, in: J.-C. Courtois et al., Art. Ras Shamra, in: DBS IX, 1979, 11241466, hier 1417-1425; B. Kienast, Rechtsurkunden in ugaritischer Sprache, UF 11 (1980) 431452; Heltzer, Rural Community; ders., The Internal Organization of the Kingdom of Ugarit, Wiesbaden 1982; H. Niehr, Rechtsprechung in Israel (SBS 130), Stuttgart 1987, 33-38; I. Márquez Rowe, The Legal Texts from Ugarit, in: W. G. E. Watson / N. Wyatt (Hg.), Handbook of Ugaritic Studies (HO I/39), Leiden/Boston/Köln 1999, 390-422; ders., The Royal Deeds of Ugarit. A Study of Ancient Near Eastern Diplomatics (AOAT 335), Münster 2006; Lackenbacher, Textes akkadiens, 207-333; B. E. Solans, Poderes colectivos en la Siria del Bronce Final. Tesis Doctoral, Departamento de Ciencias de la Antigüedad, Universidad de Zarago-

Texte aus Syrien

schaft, 35) die weitgehend vom Palast betrieben bzw. kontrolliert wurden, und sich weniger Privatinitiativen verdankten, die Kunst des Schreibens und Rechnens voraus. Aber auch die theologische Gelehrsamkeit und der Kult mit seinen Tafeln von Götterlisten, Ritualen und Beschwörungen erforderten die Fähigkeit des Schreibens und Lesens. 36) Die ältesten Schriftzeugnisse aus Ugarit sind dem 15. Jh. v. Chr. zuzuschreiben. 37) Ab der Mitte des 13. Jh. v. Chr. liegt auch die Literaturproduktion in ugaritischer Sprache und Schrift, die sich vor allem mit den Namen Tab3ilu und Ili¯ milku verbindet, vor. 38) Wissensspeicher par excellence in Ugarit waren die zahlreichen Archive und Bibliotheken. Deren wichtigste sind die diversen Archive des Palastes, die Bibliotheken der Priesterhäuser (Maison du Grand Prêtre, Maison du Prêtre Hourrite) sowie die Privatbibliotheken und Archive in den Häusern des Yabninu, des Rap3anu, des Rasˇapabu, des Literaten, des Tafelhauses sowie des Urtenu.39)

35.

36.

37. 38.

39.

za 2011; D. Pardee, Les textes juridiques en langue ougaritique. Avec la collaboration de R. Hawley, in: S. Démare-Lafont / A. Lemaire (Hg.), Trois millénaires de formulaires juridiques (Hautes Études Orientales – Moyen et Proche-Orient IV/48), Genf 2010, 125-140; W. H. van Soldt (Hg.), Society and Administration in Ancient Ugarit. Papers read at a symposium in Leiden 13-14 December 2007 (PIHANS CXIV), Leiden 2010. S. o. die Angaben in Anm. 19 und weiter M. Heltzer, Goods, Prices and the Organization of Trade in Ugarit, Wiesbaden 1978; ders., The Economy of Ugarit, in: W. G. E. Watson / N. Wyatt (Hg.), Handbook of Ugaritic Studies (HO I/39), Leiden/Boston/Köln 1999, 423-454; T. Kissel, Ugarit – ›Internationale‹ Handelsmetropole im Schnittpunkt des vorderasiatisch-ostmediterranen Verkehrsnetzes, in: M. Kropp / A. Wagner (Hg.), ›Schnittpunkt‹ Ugarit (Nordostafrikanisch/Westasiatische Studien 2), Frankfurt 1999, 69-96; K. M. McGeough, Exchange Relationships at Ugarit (ANES Suppl. 26), Leuven/Paris/Dudley 2007; F. Malbran-Labat, Pratiques marchandes dans le commerce ougaritain, in: W. van Soldt (Hg.), Society and Administration in Ancient Ugarit. Papers read a symposium in Leiden, 13-14 December 2007 (PIHANS CXIV), Leiden 2010, 84-93; C. Roche, Language and script in the Akkadian economic texts from Ras Shamra, in: ebd. 107-122. Eine kommentierte Bearbeitung der ugaritischen Wirtschaftstexte in keilalphabetischer Schrift hat K. M. McGeough, Ugaritic Economic Tablets. Text, Translation and Notes edited by M. S. Smith (ANES Suppl. 32), Leuven/Paris/ Dudley 2011, vorgelegt. Zu Religion und Kult in Ugarit vgl. bes. D. Pardee, Les textes rituels I-II (RSOu XII), Paris 2000; ders., Ritual and Cult at Ugarit, Leiden 2002; I. Cornelius / H. Niehr, Götter und Kulte in Ugarit. Kultur und Religion einer nordsyrischen Königsstadt in der Spätbronzezeit (Zaberns Bildbände zur Archäologie), Mainz 2004; H. Niehr, TUAT.NF 4, 2008, 243-257; G. del Olmo Lete, Mythologie et religion de la Syrie au IIe Millénénaire av. J. C. (1500-1200), in: G. del Olmo Lete (Hg.), Mythologie et religion des Sémites Occidentaux II. Émar, Ougarit, Israël, Aram, Phénicie (OLA 162), Leuven 2008, 23-162; ders., Canaanite Religion According to the Liturgical Texts of Ugarit. Second English Edition, thoroughly Revised and Enlarged (AOAT 408), Münster 2014; H. Niehr, Art. Ugarit. C. Religion, in: RlA 14, 2014, 288-291. Vgl. W. van Soldt, Art. Ugarit. A. Geschichte und Literatur, in: RlA 14, 2014, 280-283, hier 280. Vgl. dazu die Übersicht bei H. Niehr, TUAT.NF 8, 2015, 177-301, bes. 177-182 und seitdem noch R. Hawley / D. Pardee / C. Sauvage, The Scribe Tab3ilu as Attested in the Epigraphic ¯ UF 44 (2013) 383-412 und D. ParFinds from the 5th Season of Excavations at Ras Shamra, dee, Autorité littéraire au XIIIe siècle av. J.-C.? 3Ilîmilku d’Ougarit: Scribe/auteur?, in: M. Gorea / M. Tardieu (Hg.), Autorité des Auteurs antiques entre Anonymat, Masque et Authenticité (Homo Religiosus. Série II/13), Turnhout 2014, 35-57; R. Hawley / D. Pardee / C. Roche-Hawley, The Scribal Culture of Ugarit, JANEH 2 (2015) 229-267. Vgl. dazu die Übersichten bei J.-C. Courtois et al., Art. Ras Shamra, DBS IX, 1979, 1124-1466; Lackenbacher, Textes akkadiens, 19-29.42-51; W. H. van Soldt, Studies in the Akkadian of Ugarit. Dating and Grammar (AOAT 40), Kevelaer/Neukirchen-Vluyn 1991; O. Pedersén, Ar-

237

Herbert Niehr

Aus diesen Archiven und Bibliotheken Ugarits stammen ca. 5000 Tontafeln mit Texten in neun Sprachen (Ägyptisch, Sumerisch, Babylonisch, Hurritisch, Hethitisch, Luwisch, Eteokyprisch, Ugaritisch, Phönizisch) und fünf Schriftsystemen (babylonische Keilschrift, ägyptische Hieroglyphenschrift, hieroglyphenluwische Schrift, ugaritische keilalphabetische Schrift, kyprische Schrift). Im Hinblick auf die Verteilung dieser Sprachen und Schriften ist hervorzuheben, daß über 2500 Tafeln babylonische Schrift und ca. 2500 ugaritische Schrift und Sprache aufweisen. 40) Auch wenn nicht alle diese Sprachen und Schriften aktiv in Ugarit beherrscht wurden, so mußten sie aufgrund der bedeutenden Stellung Ugarits als internationaler Handels- und Kulturmetropole doch gelesen und verstanden werden. Die in diesem Kapitel angesprochenen Wissensbereiche sind ohne enge Kontakte Ugarits in Kultur, Wirtschaft und Politik vor allem mit Ägypten, 41) Zypern und der Ägäis, 42) Anatolien, 43) Mittani 44) und Mesopotamien 45) nicht denkbar. Daneben ist die

40.

41.

42.

238

chives and Libraries in the Ancient Near East, 1500-300 B.C., Bethesda 1998, 68-80; M. Yon / D. Arnaud (Hg.), Études Ougaritiques I. Travaux 1985-1995 (RSOu XIV), Paris 2001, 235422; Saadé, Ougarit, 324-378; P. Bordreuil / D. Pardee / R. Hawley, Une bibliothèque au Sud de la Ville. Textes 1994-2002 en cunéiforme alphabétique de la Maison d’Ourtenu (RSOu XVIII), Lyon 2012; F. Malbran-Labat / S. Lackenbacher, Lettres en akkadien de la « Maison d’Ourtenu ». Fouilles de 1994 (RSOu XXIII), Leuven 2016; G. del Olmo Lete, The Private Archives of Ugarit. A Functional Analysis (Barcino Monographica Orientalia 11), Barcelona 2018. Vgl. dazu F. Malbran-Labat, Langues et écritures à Ougarit, Sem 49 (1999) 65-101; P. Bordreuil / D. Pardee, Manuel d’Ougaritique I, Paris 2004, 19-22; M. Schretter, Kulturkontakte im Umfeld ugaritischer Schreiber, in: R. Rollinger / B. Truschnegg (Hg.), Altertum und Mittelmeerraum: Die antike Welt diesseits und jenseits der Levante. Festschrift für Peter W. Haider zum 60. Geburtstag (Oriens et Occidens 12), Stuttgart 2006, 183-193; D. Arnaud, Corpus des textes de bibliothèque de Ras Shamra-Ougarit (1936-2000) en sumérien, babylonien et assyrien (AulOrSuppl 23), Barcelona 2007; L. Sassmannshausen, Babylonische Schriftkultur des 2. Jahrtausends v. Chr. in den Nachbarländern und im östlichen Mittelmeerraum, AulOr 26 (2008) 263-293, hier 265-268.281 f. Zu dem meist übersehenen Phönizisch in Ugarit und den phönizischen Texten in ugaritischer Schrift vgl. Tropper, Grammatik, 78f § 22.81-22.82. Vgl. dazu W. Helck, Die Beziehungen Ägypten – Ugarit, in: M. Dietrich / O. Loretz (Hg.), Ugarit. Ein ostmediterranes Kulturzentrum im Alten Orient. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung I. Ugarit und seine altorientalische Umwelt (ALASP 7), Münster 1995, 87-94; A. Ahrens, Strangers in a Strange Land? The Function and Social Significance of Egyptian Imports in the Northern Levant During the 2nd Millennium BC, in: K. Duistermaat / I. Regulski (Hg.), Intercultural Contacts in the Ancient Mediterranean. Proceedings of the International Conference at the Netherlands-Flemish Institute in Cairo, 25th to 29th October 2008 (OLA 202), Leuven/Paris/Walpole, MA 2011, 285-307, hier 293-295; N. Grimal, Diplomatie et écriture: à propos des inscriptions égyptiennes d’Ougarit, in: Bordreuil et al. (Hg.), Écritures, 187-202; V. Matoïan, Ougarit, l’Égypte et les « Phéniciens »: Divinités protectrices et guérisseuses – Lecture d’images, CRAI 2014, III (juillet – octobre), 1201-1223; dies., Ugarit et l’Égypte: essai d’interprétation de la documentation archéologique et perspectives de la recherche, in: B. Eder / R. Pruszinski (Hg.), Policies of Exchange. Political Systems and Modes of Interaction in the Aegean and the Near East in the 2nd Millennium B.C.E. Proceedings of the International Symposium at the University of Freiburg. Institute for Archaeological Studies, 30th May–2nd June 2012, Wien 2015, 35-84. Vgl. dazu u. a. A. Caubet / V. Matoïan, Ougarit et l’Égée, in: M. Yon/M. Sznycer / P. Bordreuil (Hg.), Le Pays d’Ougarit autour de 1200 av. J.-C. Histoire et archéologie. Actes du Colloque International Paris, 28 juin-1er juillet 1993 (RSOu XI); Paris 1995, 99-112; M. Dietrich / O. Loretz, Amurru, Yaman und die ägäischen Inseln nach den ugaritischen Texten, in: S. Is-

Texte aus Syrien

Präsenz ausländischer Fachleute in Ugarit, wie von Handwerkern und Schreibern, für die Entwicklung all dieser Wissensbereiche von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die in den vorangehenden Abschnitten immer wieder ersichtlich gewordene Dominanz der Oralität im Bereich der Wissenskultur zieht auch Probleme der Wissensspeicherung nach sich, die sich vor allem nach dem Abbruch einer Kultur, wie sie mit der Zerstörung und Aufgabe der Stadt Ugarit im Jahre 1185 v. Chr. gegeben war, bemerkbar machen. Was nicht verschriftlicht wurde und somit auch nicht auf Tontafeln, dem Hauptschriftträger in Kultur und Verwaltung Ugarits, erhalten blieb, ist für die Nachwelt weitgehend verloren.

43.

44.

45.

re3el (Hg.), Past Links. Studies in the Languages and Cultures of the Ancient Near East (IOS XVIII), Winona Lake 1998, 335-363; H.-G. Buchholz, Ugarit, Zypern und Ägäis. Kulturbeziehungen im zweiten Jahrtausend v. Chr. (AOAT 261), Münster 1999; M. Dietrich, Zypern und die Ägäis nach den Texten aus Ugarit, in: S. Rogge (Hg.), Zypern – Insel im Brennpunkt der Kulturen (Schriften des Instituts für interdisziplinäre Zypern-Studien 1); Münster 2000, 6389; Fr. Rougemont / J.-P. Vita, Les enregistrements de chars à Ougarit et dans le monde mycénien: Approche comparative sur l’administration au Bronze Récent, in: W. H. van Soldt (Hg.), Society and Administration in Ancient Ugarit. Papers read at a symposium in Leiden, 13-14 December 2007 (PIHANS CXIV), Leiden 2010, 123-150; M. Egetmeyer, Ougarit et le déchiffrement de ses inscriptions en syllabaire chypro-minéen, in: Bordreuil et al. (Hg.), Écritures, 133-155; H. Matthäus, Ugarit, Zypern und die Ägäis. Spätbronzezeitliche Kulturkontakte, Grundlagen und Wirkungen, UF 45 (2014) 413-472. Vgl. dazu u. a. R. Lebrun, Ougarit et le Hatti à la fin du XIIIe s. av. J.-C., in: M. Yon / M. Sznycer / P. Bordreuil (Hg.), Le Pays d’Ougarit autour de 1200 av. J.-C. Histoire et archéologie. Actes du Colloque International Paris, 28 juin-1er juillet 1993 (RSOu XI), Paris 1995, 85-88; E. Neu, Hethiter und Hethitisch in Ugarit, in: M. Dietrich / O. Loretz (Hg.), Ugarit. Ein ostmediterranes Kulturzentrum im Alten Orient. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung I. Ugarit und seine altorientalische Umwelt (ALASP 7), Münster 1995, 115-129; S. Lackenbacher / F. Malbran-Labat, Ugarit et les Hittites dans les Archives de la »Maison d’Ourtenu«, SMEA XLVII/2 (2005) 227-240; Freu, Histoire, 55-94; W. H. van Soldt, Ugarit as a Hittite Vassal State, AoF 37 (2010) 198-207; Z. Simon, Die hethitische Präsenz in der Levante während der Spätbronzezeit: Archäologische vs. schriftliche Quellen, AoF 40 (2013) 295-313; C. Lebrun, Présence et Pouvoir Hittites à Ougarit. Le cas de DUMU.LUGAL (ANES 66), Leuven 2014; B. Stavi, The Reign of Tudhalia II and Sˇuppiluliuma I. The Contribution of the Hittite Documentation to a Reconstruction of the Amarna Age (THeth 31), Heidelberg 2015, 94-96. Vgl. dazu u. a. E. Laroche, Art. Ras Shamra IV. Le milieu hurrite, DBS IX, 1979, 1359-1361; M. Salvini, Ougarit et les Hourrites, in: M. Yon / M. Sznycer / P. Bordreuil (Hg.), Le Pays d’Ougarit autour de 1200 av. J.-C. Histoire et archéologie. Actes du Colloque International Paris, 28 juin-1er juillet 1993 (RSOu XI), Paris 1995, 89-97; M. Dietrich / W. Mayer, Sprache und Kultur der Hurriter in Ugarit, in: M. Dietrich / O. Loretz (Hg.), Ugarit. Ein ostmediterranes Kulturzentrum im Alten Orient. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung I. Ugarit und seine altorientalische Umwelt (ALASP 7), Münster 1995, 7-42; W. Mayer, The Hurrian Cult at Ugarit, in: N. Wyatt / W. G. E. Watson / J. B. Lloyd (Hg.), Ugarit, religion and culture. Proceedings of the International Colloquium on Ugarit, religion and culture Edinburgh, July 1994. Essays presented in honour of Professor John C. L. Gibson (UBL 12), Münster 1996, 205-211; Freu, Histoire, 25-54; M. Giorgieri, Diffusion et caractéristiques de la culture écrite d’origine hourrite dans le Proche-Orient asiatique et à Ougarit, in: Bordreuil et al. (Hg.), Écritures, 157-185. Vgl. dazu u. a. D. Arnaud, Art. Ras Shamra III. La culture suméro-accadienne, DBS IX, 1979, 1348-1359; van Soldt, Studies; ders., Babylonian Lexical, Religious and Literary Texts and Scribal Education at Ugarit and its implications for the Alphabetic Literary Texts, in: M. Dietrich / O. Loretz (Hg.), Ugarit. Ein ostmediterranes Kulturzentrum im Alten Orient. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung I. Ugarit und seine altorientalische Umwelt (ALASP 7), Münster 1995, 171-212; M. Dietrich, Aspects of the Babylonian Impact on Ugaritic Literature and Religion, in: Wyatt et al. (Hg.), Ugarit, 33-47; Sassmannshausen, Schriftkultur, 265-268.281 f.

239

Herbert Niehr

Daß die hier für das spätbronzezeitliche Ugarit angesprochenen Themen von Wissensvermittlung auf internationaler und transkultureller Ebene auch nach 1200 v. Chr. im Mittelmeerraum von Bedeutung waren, kann hier nur kurz erwähnt werden.46)

46.

240

Vgl. dazu die Beiträge in A.-M. Wittke (Hg.), Frühgeschichte der Mittelmeerkulturen. Historisch-archäologisches Handbuch (DNP Suppl. 10), Stuttgart/Weimar 2015.

1. Weltbild und Gottesvorstellungen Die für das geistige Leben des spätbronzezeitlichen Ugarit relevanten Informationen zum Weltbild und zu den Gottesvorstellungen liegen wie so oft im Alten Orient nicht in Abhandlungen vor, sondern sind aus Passagen diverser Textgenera zu eruieren. Ebenso gewähren Ikonographie und Urbanistik Einblicke in die Konzeptionen des Weltbildes bzw. in die unterschiedlichen Facetten der Gottesvorstellungen. Die religiösen Traditionen aus Ugarit bieten keine Texte zur Entstehung des Kosmos, sondern nur zur Erschaffung und Weitergabe des Lebens.1) Der Kosmos wird in seiner Vorgegebenheit nicht weiter reflektiert. Auch der Ba2alzyklus (KTU 1.1-6) ist nicht als Kosmogonie konzipiert, vielmehr schildert er Episoden, die in der zeitgenössischen Welt Ugarits spielen. 2) Die enge Beziehung der kosmischen Größen von Himmel und Erde zueinander zeigt sich vor allem darin, daß die Erde nicht einfach empirisch wahrgenommen, sondern als mythisch im Sinne einer sakralen Landschaft verstanden wird. Ein Versuch, die sakrale Landschaft von Ugarit zu beschreiben, muß einerseits das Königreich Ugarit, andererseits die gleichnamige Stadt in den Blick nehmen. Was sakrale Landschaft des Königreichs Ugarit angeht, 3) so ist deutlich, daß das gesamte Königreich auf allen Seiten von Göttersitzen umgeben war. 4) Im Norden vom Saphon, dem heiligen Berg des Ba2al, des Schutzgottes von Stadt und Königˇ ebel Ansariye, dem Sitz des höchsten Gottes El, des Vorstetum. 5)˙ Im Osten vom G hers des Pantheons, an dem die Wasser des Himmels und der Erde zusammenkamen ˇ ebel Ansariye zieht sich und von wo aus die Stadt Ugarit ihr Wasser empfing. 6) Der G bis in den Südwesten des Königreiches in Richtung Mittelmeer. Dieses, das Königreich Ugarit nach Westen hin begrenzende Meer, war der Sitz des Gottes Yammu, der auch als Herrscher das Süßwasser dominierte, 7) und der als Wi-

1. 2. 3. 4. 5.

6. 7.

Vgl. dazu J.-L. Cunchillos, Peut-on parler de mythes de création à Ugarit?, in: L. Derousseaux (Hg.), La création dans l’Orient Ancien (Lectio Divina 127), Paris 1987, 79-96. Vgl. A. Tugendhaft, Politics and Time in the Baal Cycle, JANER 12 (2012) 145-157 und ders., Baal and the Politics of Poetry, London 2018. Vgl. dazu die Überlegungen bei J. Vidal, The Sacred Landscape of the Kingdom of Ugarit, JANER 4 (2004) 143-153. Zu den Bergen als Göttersitzen vgl. auch É. Bordreuil, La montagne d’après les données textuelles d’Ougarit, RANT 3 (2006) 179-191, bes. 180-183. Zum Saphon vgl. u. a. K. Koch, Hazzi-Safôn-Kasion. Die Geschichte eines Berges und seiner ˘ ˙ Gottheiten, in: B. Janowski / K. Koch / ˙G. Wilhelm (Hg.), Religionsgeschichtliche Beziehungen zwischen Kleinasien, Nordsyrien und dem Alten Testament. Internationales Symposion Hamburg 17.-21. März 1990 (OBO 129), Freiburg/Göttingen 1993, 171-223; H. Niehr, Art. Zaphon, in: DDD 21998, 927-929; Bordreuil, Montagne, 179-183; A. Portnoff, Casius, le mont sacré de la Méditerranée orientale, RANT 3 (2006) 271-290; J. Healey, From Sapa¯nu/ Sapunu to Kasion. The Sacred History of a Mountain, in: W. G. E. Watson (Hg.), »He˙ unfur˙ rowed his brow and laughed«. Essays in Honour of Professor Nicolas Wyatt (AOAT 299), Münster 2007, 141-151. Vgl. H. Niehr, Die Wohnsitze des Gottes El. Ein Beitrag zu ihrer Lokalisierung, in: B. Ego / B. Janowski (Hg.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte (FAT 32), Tübingen 2001, 325-360, bes. 330-339. Dies zeigt sein Titel tpt nhr (»Herrscher Fluß«); vgl. KTU 1.2 I 7.17.22.34 u. ö.; vgl. dazu ¯˙

241

Texte aus Syrien

dersacher des Wettergottes Ba2al bekannt ist (KTU 1.1-2). 8) Im Nordwesten wird das Meer vom Saphon überragt, so daß sich hier der mythische Kreis schließt. ˙ wird vervollständigt durch den Hinweis auf den Gott Motu, den Herrn Dieses Bild der Unterwelt. 9) Der Zugang zur Unterwelt erfolgte entweder im Westen hinter dem Meer, sodann ausweislich der Archäologie über die Gräber, 10) bzw. über die Königsgruft im Palast, 11) oder über einen Weg zwischen zwei Bergen. 12) Ein weiterer Zugang zur Unterwelt lag im Basˇan, da hier der Unterweltsgott Rapi3u in der Stadt Asˇtartu (Tell Asˇtarot) residierte, d. h. einen Tempel hatte, und in Edrei (Deraa) mittels Nekromantie Orakel gab. 13) Zu bestimmten Anlässen konnten die privilegierten königlichen Toten aus der Unterwelt kommen und an Opfern teilnehmen. Dies zeigen z. B. der Katalog der Sohnespflichten in KTU 1.17 I 25-33, die Offerte der Göttin Anat an den Kronprinzen Aqhatu in KTU 1.17 VI 25-33 bzw. die Einladung an die rapi3u¯ma in KTU 1.161,2-12. 14) Ebenso wurden ausweislich von Leber- und Lungenorakeln sowie dem Protokoll einer Nekromantie diverse Akte der Divination in der Maison du Prêtre Hourrite in der Nähe eines Grabes vollzogen.15) In diesem Zusammenhang ist der Blick auf die Sonnengöttin Sˇapsˇu zu richten, deren Weg von Osten nach Westen den Himmel entlang führte und die am Abend

8. 9. 10. 11.

12.

13.

14.

15.

242

A. Rahmouni, Divine Epithets in the Ugaritic Alphabetic Texts (HO I/93), Leiden/Boston 2008, 311-315. Zu KTU 1.1-2 vgl. die Einführung und Übersetzung bei H. Niehr, TUAT.NF 8, 2015, 190-202. Vgl. S. Gulde, Der Tod als Herrscher in Ugarit und Israel (FAT II/22), Tübingen 2007, 79-117. Vgl. allgemein S. Marchegay, Les tombes d’Ougarit I-III. Architecture, localisation et relation avec l’habitat. Thèse Université de Lyon II, 1999. Vgl. dazu H. Niehr, The Topography of Death in the Royal Palace of Ugarit. Preliminary Thoughts on the Basis of Archaeological and Textual Data, in: J.-M. Michaud (Hg.), Le Royaume d’Ougarit de la Crète à l’Euphrate. Nouveaux Axes de Recherche (POLO 2), Sherbrooke/Québec 2007, 219-242, hier 222-225. S. u. 1.5.1 und vgl. M. J. Suriano, Ruins Hills at the Threshold of the Netherworld. The Tell in the Conceptual Landscape of the Ba2al Cycle and Ancient Near Eastern Mythology, WO 42 (2012) 210-230 und zur Kosmologie der Unterwelt vgl. noch M. Krebernik, Jenseitsvorstellungen in Ugarit, in: P. Bukovec / B. Kolkmann-Klamt (Hg.), Jenseitsvorstellungen im Orient. Kongreßakten der 2. Tagung der RVO (3./4. Juni 2011, Tübingen) (Religionen im Vorderen Orient 1), Hamburg 2013, 183-215. S. u. 1.5.2 und vgl. dazu G. del Olmo Lete, Basˇan o el ›infierno‹ cananeo, SEL 5 (1988) 51-60; H. Niehr, Herkunft, Geschichte und Wirkungsgeschichte eines Unterweltsgottes in Ugarit, Phönizien und Israel, UF 30 (1998) 569-585; ders., Ahnen- und Ahnenkult in den Königsepen aus Ugarit, in: L. Hiepel / M.-Th. Wacker (Hg.), Zwischen Zion und Zaphon. Studien im Gedenken an den Theologen Oswald Loretz (14. 01. 1928-12. 04. 2015) (AOAT 438), Münster 2016, 379-400; ders., Die rapi3u¯ma/repha¯3îm als konstitutives Element der westsemitischen Königsideologie. Herkunft – Rezeptionsgeschichte – Ende, in: L. C. Jonker / G. R. Kotzé / Chr. M. Maier (Hg.), Congress Volume Stellenbosch 2016 (VTS 177), Leiden/Boston 2017, 143-178. S. u. 2.2. Zu den Kontakten mit den Toten und zur Nekromantie in Ugarit vgl. bes. K. Spronk, Beatific Afterlife in Ancient Israel and in the Ancient Near East (AOAT 219), Kevelaer/Neukirchen-Vluyn 1986, 142-206; J. Tropper, Nekromatie. Totenbefragung im Alten Orient und im Alten Testament (AOAT 223), Kevelaer/Neukirchen-Vluyn 1989,123-160; B. B. Schmidt, Israel’s Beneficent Dead. Ancestor Cult and Necromancy in Ancient Israelite Religion and Tradition (FAT 11), Tübingen 1994, 47-122. S. u. 3.3.

Herbert Niehr

im Westen in die Unterwelt einging, um sie morgens im Osten wieder zu verlassen. 16) Aus diesem Grund wird sie nach KTU 1.100 aufgefordert, eine Anzahl von Gottheiten an ihren diversen Göttersitzen aufzusuchen, da die Sonnengöttin diese um ein Rezept gegen Schlangengift bitten sollte. Alle diese Bereiche, Erde, Unterwelt, Meer, Gebirge und Himmel waren somit von Gottheiten besetzt und unterlagen damit einer Mythologisierung des Raumes. Die Lage weiterer prominenter Göttersitze wird aus KTU 1.100 ersichtlich. 17) Im Hinblick auf die Interpretation der sakralen Landschaft der Stadt Ugarit stehen sich in der derzeitigen Forschung zwei divergierende Ansätze gegenüber. J.-C. Margueron geht in seinem Entwurf vom Berg Saphon im Norden der Stadt ˙ Dies hat J.-C. Margueron aus. Auf diesen Berg hin war der Ba2al-Tempel ausgerichtet. zufolge Konsequenzen für die gesamte Ausrichtung der Stadt Ugarit, die sich vom Nahr ed-Delbe im Süden mit seiner Brücke und dem Stauwehr als Basis nach Norden hin zum Saphon wie auf eine Spitze hin konzentriert. 18) ˙ M. al-Maqdissi hat hingegen eine quadratische Konzeption der Stadt Ugarit herausgearbeitet, in deren Zentrum sich der Königspalast erhob. Erst sekundär wurde im Rahmen einer Neubaumaßnahme der Königspalast an den Westrand der Stadt verlagert, wo er sich zu einer Stadt in der Stadt entwickelte. Als Gegengewicht zum Königspalast im Westen fungierten im Osten der Stadt die beiden Tempel auf der Akropolis. 19) Die ursprüngliche Stelle des Königspalastes nahm nach seiner Verlagerung aus dem Zentrum der sanctuaire aux rhytons ein, an dem die Einwohner Ugarits, die keinen Zugang zur zone funéraire des Königspalastes hatte, an der Verehrung bzw. Anrufung der königlichen Ahnen teilhaben konnten.20)

16. 17. 18. 19.

20.

Vgl. J. Kutter, nu¯r ilı¯. Die Sonnengottheiten in den nordwestsemitischen Religionen von der Spätbronzezeit bis zur vorrömischen Zeit (AOAT 346), Münster 2008, 11-209. S. u. 1.4. Vgl. J.-C. Margueron, Dagan, Ba3al (sic !) et le mont Sapanou, in: Bordreuil et al. (Hg.), Écritures, 297-318; ders., Le temple du palais: quelques questions, Semitica et Classica 8 (2015) 93-99. Vgl. M. al-Maqdissi, Structures prépalatiales à l’emplacement du Palais royal, in: al-Maqdissi / Matoïan (Hg.), L’Orient, 30-33; ders., Matériel pour l’étude de la ville ancienne en Syrie, Studia Orontica 4 (2008) 5-10, hier 9 f.; ders., Le plan carré de la Cité d’Ougarit, Syr 87 (2010) 21-51; ders., From Tell Sianu to Qatna: Some Common Features of Inland Syrian and Levantine Cities in the Second Millennium B.C., in: J. Aruz / S. B. Graf / Y. Rakic (Hg.), Cultures in Contact. From Mesopotamia to the Mediterranean in the Second Millennium B.C. (The Metropolitan Museum of Art Symposia), New York 2013, 74-83, hier 75-77. Auch Ras Ibn Hani weist eine von Ugarit aus beeinflußte quadratische Konzeption auf; vgl. al-Maqdissi, Plan carré, 47 und ders., Notes d’archéologie levantine XXXIX. Rapport préliminaire sur les travaux syriens à Ras Ibn Hani (campagne 2011), in: V. Matoïan / M. alMaqdissi (Hg.), Études Ougaritiques III (RSOu XXI), Leuven 2013, 425-453, hier 427. Vgl. hierzu H. Niehr, Der sanctuaire aux rhytons in Ugarit. Überlegungen zu seiner Bedeutung und Funktion im Kult der Stadt, JNWSL 40/2 (2014) 71-96.

243

Texte aus Syrien

1.1 Ein Hymnus auf die Sonnengöttin (KTU 1.6 VI 43-53) Eine erste Vorstellung von der Einteilung des Kosmos in göttliche Bereiche gibt der den Ba2alzyklus abschließende Hymnus auf die Sonnengöttin Sˇapsˇu (KTU 1.6 VI 4353). Der Ba2alzyklus schließt deshalb mit einem Hymnus auf die Sonnengöttin Sˇapsˇu, weil diese die Einhaltung der kosmischen Ordnung garantiert, wozu auch gehört, daß die Gottheiten in ihren jeweiligen Bereichen bleiben und nicht auf andere Bereiche übergreifen und hier ihre Herrschaft ausüben. Ein solcher Übergriff brächte die kosmische Ordnung durcheinander. Hatte doch gerade der Streit um die jeweiligen Bereiche des Meeresgottes Yammu, des Wettergottes Ba2al und des Unterweltsgottes Motu den ersten (KTU 1.1-2) und den letzten (KTU 1.4-6) Teil des Ba2alzyklus durchzogen.21) Aus diesem Grund wird in den letzten Zeilen des Mythos unmittelbar vor dem Kolophon die die Ordnung garantierende Sonnengöttin zu einem Opfer eingeladen und mit einem Hymnus besungen. Der Hymnus nennt zunächst die Unterordnung der königlichen Ahnen, der rapi3u¯ma, unter die Sonnengöttin. Dieser Zug des Hymnus beruht auf einem doppelten Hintergrund. So spiegelt sich im Ba2al-Zyklus das Schicksal des Königs, der gegen Chaos und Tod kämpft und siegreich bleibt. Sodann durchquert die Sonnengöttin nachts die Unterwelt von West nach Ost und fungiert wie in KTU 1.161 auch als Psychopomp für die verstorbenen Könige Ugarits. 22) Des Weiteren wird wegen der Gegnerschaft der Götter Yammu und Ba2al das Meer genannt, d. h. der Bereich, aus dem die chaotischen Mächte kommen. Der Sonnengöttin wird die Fähigkeit zur Eindämmung dieser chaotischen Mächte zugeschrieben. Dabei ist ihr Kotharu-wa-Hasisu als Beschwörer und Zauberer behilflich. Somit greift ˘ der Hymnus auf die Sonnengöttin Sˇapsˇu die beiden Themen des Kampfes aus dem Ba2alzyklus auf und läßt aus dem Mittelteil, der Palastbauerzählung (KTU 1.3-4), 23) den Gott Kotharu-wa-Hasisu diesmal nicht als Architekten, sondern als Beschwörer und Zauberer bzw. als ˘Vertreiber der Ungeheuer Arsˇu und Tunanu aus dem Meer auftreten. Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison du Grand Prêtre Raum 7 und angrenzender Bereich. – Aufbewahrungsort: Musée du Louvre, Paris (AO 16.636). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, Fragment nouveau du poème de Môt et Aleyn-Baal, Syr 15 21.

22.

23.

244

Vgl. die Übersetzung von KTU 1.1-2 und 1.5-6 bei H. Niehr, TUAT.NF 8, 2015, 190-202.224236. Seitdem nachzutragen sind noch G. Garbini, Il Poema di Baal di Ilumilku (Studi Biblici 176), Brescia 2014 und J. Töyräänvuori, Sea and Combat Myth. North West Semitic Political Mythology in the Hebrew Bible (AOAT 457), Münster 2018, 222-360. In Anatolien ist im Unterschied zu Ugarit eine Sonnengöttin der Unterwelt bekannt, die von der Sonnengöttin des Himmels unterschieden wird; vgl. V. Haas, Geschichte der hethitischen Religion (HO I/15), Leiden/New York/Köln 1994, 421-423. Zum Sonnengott als Psychopomp in Mesopotamien vgl. A. Zgoll, Der Sonnengott als Transporteur von Seelen (Psychopompos) und Dingen zwischen den Welten im antiken Mesopotamien. Mit einem Einblick in den konzeptuellen Hintergrund des taklimtu-Rituals, in: N. Koslova / E. Vizirova / G. Zólyomi (Hg.), Studies in Sumerian Language and Literature. Festschrift für Joachim Krecher, Winona Lake 2014, 617-633. Vgl. die Übersetzung von KTU 1.3-4 bei H. Niehr, TUAT.NF 8, 2015, 202-224.

Herbert Niehr

(1934) 226-243, hier 237-240. – Autographien und Photos: Ch. Virolleaud, Fragment nouveau du poème de Môt et Aleyn-Baal, Syr 15 (1934) 226-243, hier 227; A. Herdner, Corpus des Tablettes en Cunéiformes Alphabétiques découvertes à Ras Shamra-Ugarit de 1929 à 1939. Mission de Ras Shamra X (BAH 79), Paris 1963, fig. 27; pl. XIII. – Übersetzungen und Bearbeitungen in Auswahl: A. Caquot/M. Sznycer/A. Herdner, Mythes et Légendes. Textes Ougaritiques I (LAPO 7), Paris 1974, 269-271; G. del Olmo Lete, Mitos y leyendas di Canaán según la tradición de Ugarit, Madrid 1981, 234f.; M. Dietrich/O. Loretz, Mythen und Epen (TUAT III), Gütersloh 1990-97, 1091-1317, hier 1196f.; H. Niehr, Mythen und Epen aus Ugarit (TUAT.NF 8), Gütersloh 2015, 177-301, hier 236. – Weitere Bearbeitungen und Übersetzungen: M. Dietrich / O. Loretz, Schriftliche und mündliche Überlieferung eines »Sonnenhymnus« nach KTU 1.6 VI 42-43, UF 12 (1980) 399-400; J.-M. Husser, Shapash, psychopompe et le pseudo hymne au soleil (KTU 1.6 VI 42-53), UF 29 (1997) 227-244; O. Loretz, Götter – Ahnen – Könige als gerechte Richter. Der »Rechtsfall« des Menschen vor Gott nach altorientalischen und biblischen Texten (AOAT 290), Münster 2003, 307-336; J. Kutter, nu¯r ilı¯. Die Sonnengottheiten in den nordwestsemitischen Religionen von der Spätbronzezeit bis zur vorrömischen Zeit (AOAT 346), Münster 2008, 173-184. (43) »[Das

F]leisch ist frisch! Ja, iß fürwahr (44) das Brot des Opfers, trink fürwahr (45) den Wein der Darbringung. Sˇapsˇu, (46) die rapi3u¯ma sind unter dir, ˇ apsˇu, unter dir sind die Göttlichen. (47) S (48) Deine Gesellschaft sind die Götter, siehe, die Toten (49) sind deine Gesellschaft. Kotharu ist dein Beschwörer, (50) und Hasisu deine Bekanntschaft. 24) ˘ sind Arsˇu und Tunanu. (51) Im Meer (52) Kotharu-wa-Hasisu vertreibe (sie), ˘ Kotharu-wa-Hasisu!« (53) es jage (sie) weg, ˘ 1.2 Die Sitze des Gottes El Ausgehend von dem oben besprochenen Hymnus auf die Sonnengöttin (KTU 1.6 VI 43-53) mit seiner Aufzeichnung diverser göttlicher Bereiche des Kosmos stellt sich die Frage, an welchen mythischen Wohnstätten man die Gottheiten des Pantheons von Ugarit verortet hat? Da diese Gottheiten über verschiedene Bereiche herrschten, kommen hier unterschiedliche Göttersitze ins Spiel. Zunächst geht es um den Sitz des Gottes El. Hierbei kommen drei Traditionen zum Tragen, die sich als eine einheimische ugaritische, eine anatolische und eine mittelsyrische Tradition zu erkennen geben.

24.

Vgl. dazu del Olmo Lete, Incantations, 17 Anm. 4 und G. del Olmo Lete / J. Sanmartín, A Dictionary of the Ugaritic Language in the Alphabetic Tradition. Third Revised Edition (HO I/112), Leiden/Boston 2015, 257 f. s. v. d2t (I); 348 s. v. hbr (I). ˙

245

Texte aus Syrien

1.2.1 Die ugaritische Tradition (KTU 1.4 IV 20-24)

Die anläßlich eines Besuches der Göttin Anat beim Göttervater El vorgebrachte Wegbeschreibung begegnet mehrfach in den Werken des Ilimiku. 25) Sucht man nach einer geographischen Verifizierung dieser Angaben, so läßt sich diese am ehesten im Beˇ ebel Ansariye im Osten von Ugarit finden, wo sich die Steigungsregen reich des G vom Mittelmeer und das Quellgebiet der beiden Flüsse Nahr ed-Delbe und Nahr Chbayyeb, die die Stadt Ugarit umfließen, als die beiden Ozeane der himmlischen und der unterirdischen Wasser treffen.26) Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison du Grand Prêtre Raum 7 und angrenzender Bereich. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Aleppo (M 8221 = A 2777). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, Un nouveau chant du poème d’Aleïan-Baal, Syr 13 (1932) 113-163, hier 131f. – Autographien und Photos: Ch. Virolleaud, Un nouveau chant du poème d’Aleïan-Baal, Syr 13 (1932) 113-163, hier 128f. pl. XXVI; A. Herdner, Corpus des Tablettes en Cunéiformes Alphabétiques découvertes à Ras Shamra-Ugarit de 1929 à 1939. Mission de Ras Shamra X (BAH 79), Paris 1963, fig. 15; pl. VII. – Übersetzungen und Bearbeitungen in Auswahl: A. Caquot/M. Sznycer/A. Herdner, Mythes et Légendes. Textes Ougaritiques I (LAPO 7), Paris 1974, 204; G. del Olmo Lete, Mitos y leyendas de Canaán según la tradición de Ugarit, Madrid 1981, 200; M. Dietrich / O. Loretz, Mythen und Epen (TUAT III), Gütersloh 1990-97, 1091-1317, hier 1158; M. S. Smith/W. T. Pitard, The Ugaritic Baal Cycle II. Introduction with Text, Translation and Commentary of KTU 1.3-1.4 (VT.S 114), Leiden/New York/Köln 2009, 492f.497f.515-519; H. Niehr, Mythen und Epen aus Ugarit (TUAT.NF 8), Gütersloh 2015, 177-301, hier 215f. – Weitere Bearbeitungen und Übersetzungen: H. Niehr, Die Wohnsitze des Gottes El. Ein Beitrag zu ihrer Lokalisierung, in: B. Ego / B. Janowski (Hg.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte (FAT 32), Tübingen 2001, 325-360, bes. 330-339. (20) Dann

richtete sie ihr Gesicht El an der Quelle der beiden Flüsse, (22) inmitten der Tiefe der beiden Ozeane. (23) Sie erschien auf dem Vorplatz des El und betrat ˇ an[n]uma. 27) (24) das Gemach des Königs, des Vaters des S (21) zu

1.2.2 Die anatolische Tradition (KTU 1.1 III 21-24; 1.2 I 19-21)

Von Kreta aus unternahm der Handwerkergott Kotharu-wa-Hasisu eine Reise zum ˘ Gott El, der auf einem Götterberg residierte. In diesem Zusammenhang begegnet die anatolische Tradition der Lokalisierung des Wohnsitzes Els. In einem weiteren Passus 25. 26.

27.

246

Vgl. die Paralleltexte in KTU 1.2 III 4 [erg.]; 1.3 V 6-7; 1.6 I 33-34; 1.17 VI 46-49 [teilw. erg.; Schreibfehler mbr für mbk]. ˇ ebel Ansariye und des ihm westlich vorgelagerten Zu den geographischen Grundlagen des G Bahlouliye-Plateaus mit seinen aquatischen Gegebenheiten vgl. J. Weulersse, Le pays des Alaouites I, Tours 1940,15-43.149-152.193-212.293-316; ders., Le pays des Alaouites II. Album, Tours 1940, pl. XVIII fig. 40; E. Wirth, Syrien. Eine geographische Landeskunde (Wissenschaftliche Länderkunden 4/5), Darmstadt 1971, 47-52.126-128.369-373. Zu diesem Titel des Gottes El vgl. H. Niehr, TUAT.NF 8, 2015, 194 Anm. 84.

Herbert Niehr

der folgenden Tafel wird der Weg der Boten des Gottes Yammu zu El beschrieben. Auch hierbei findet sich die anatolische Tradition. Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison du Grand Prêtre Raum 7 und angrenzender Bereich. – Aufbewahrungsort: Musée du Louvre, Paris (AO 16.643 + 16.640 + 16.640bis). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, La déesse 2Anat. Poème de Ras Shamra (BAH XXVIII), Paris 1938, 94. – Autographien und Photos: Ch. Virolleaud, La déesse 2Anat. Poème de Ras Shamra (BAH XXVIII), Paris 1938, pl. IX; A. Herdner, Corpus des Tablettes en Cunéiformes Alphabétiques découvertes à Ras Shamra-Ugarit de 1929 à 1939. Mission de Ras Shamra X (BAH 79), Paris 1963, fig. 1; pl. I/1. – Übersetzungen und Bearbeitungen in Auswahl: A. Caquot/M. Sznycer/A. Herdner, Mythes et Légendes. Textes Ougaritiques I (LAPO 7), Paris 1974, 130.305f; G. del Olmo Lete, Mitos y leyendas di Canaán según la tradición de Ugarit, Madrid 1981, 162.170; M. Dietrich / O. Loretz, Mythen und Epen (TUAT III), Gütersloh 1990-97, 1091-1317, hier 1109-1111.1121; M. S. Smith, The Ugaritic Baal Cycle I. Introduction with Text, Translation and Commentary of KTU 1.1-1.2 (VT.S 55), Leiden/New York/Köln 1994, 160f.184-190.197; H. Niehr, Mythen und Epen aus Ugarit (TUAT.NF 8), Gütersloh 2015, 177-301, hier 193f.197. – Weitere Bearbeitungen und Übersetzungen: H. Niehr, Die Wohnsitze des Gottes El. Ein Beitrag zu ihrer Lokalisierung, in: B. Ego / B. Janowski (Hg.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte (FAT 32), Tübingen 2001, 325-360, bes. 327-330. (21) Dann

richtete er fürwah[r sein Gesicht zum scharfsinnigen] dem Klugen, inmitten des Hur[sˇanu, dem Berg Kassu]. ˘ des E[l und betrat (23) Er zeigte sich auf dem Vorplatz das Gemach des Königs], (24) des Vaters des Sˇanuma. (22) El,

Diese Tradition gibt sich ausweislich der Bergnamen Hursˇanu und Kassu als anatolisch zu erkennen. Hinzu kommt noch eine Erwähnung des Berges Lelu in KTU 1.2 I 19-21, auf dem sich der Thronrat des Gottes El zusammenfindet. Die Berge Kassu und Lelu lassen sich beide in Anatolien nachweisen. So liegt der Kassu im Zentrum des oberen Landes und der Lelu im unteren Land bei Sˇinuwanta und Zarnusˇa. Dagegen muß die geographische Lokalisierung des Hursˇanu offenbleiben. 28) Die Rezeption der anatolischen Sitze des Gottes El erfolgte in Ugarit im Kontext einer umfassenden Rezeption von anatolischen Motiven und Themen. (19) …

Die Männer brachen auf, nicht setzten sie sich. D[ann das Gesicht] (20) wandten sie fürwahr zum Berg Lelu, zur Vollversammlung. Da also saßen die Götter beim Es[sen], (21) die Söhne des Heiligen beim Verzehr. Ba2al stand vor El.

28.

Zu diesen Lokalisierungen vgl. G. del Monte / J. Tischler, Die Orts- und Gewässernamen der hethitischen Texte (RGTC 6/BTAVO 7/6), Wiesbaden 1978, 128.195 f.251.

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Texte aus Syrien

1.2.3 Die mittelsyrische Tradition (KTU 1.22 VS I 21-25)

Die mittelsyrische Tradition, der zufolge der Sitz des Gottes El im Libanongebirge verortet ist, findet sich nur in den sog. rapi3u¯ma-Texten (KTU 1.20-22). Dies erklärt sich damit, daß die rapi3u¯ma-Texte den Abschluß des Aqhatu-Epos (KTU 1.17-19) bilden, 29) welches seinen Protagonisten König Dan3ilu als König von Harnamu (Hermel) in der nördlichen Beqa2 auftreten läßt. 30) Zudem ist die südlich benachbarte Gegend des Basˇan als Zugang zur Unterwelt und als Sitz des Gottes Rapi3u, des Königs der Unterwelt, bekannt (KTU 1.108). 31) Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison du Grand Prêtre Raum 7 und angrenzender Bereich. – Aufbewahrungsort: Musée du Louvre, Paris (AO 16.636). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, Les Rephaïm, fragments de poèmes de Ras Shamra, Syr 22, 1941, 1-30. – Autographien und Photos: A. Herdner, Corpus des Tablettes en Cunéiformes Alphabétiques découvertes à Ras Shamra-Ugarit de 1929 à 1939. Mission de Ras Shamra X (BAH 79), Paris 1963, 92-96; fig. 63-66; pl. XXXI. – Übersetzungen und Bearbeitungen in Auswahl: A. Caquot / M. Sznycer / A. Herdner, Mythes et Légendes. Textes Ougaritiques I (LAPO 7), Paris 1974, 476f.; G. del Olmo Lete, Mitos y leyendas di Canaán según la tradición de Ugarit, Madrid 1981, 424; M. Dietrich / O. Loretz, Mythen und Epen (TUAT III), Gütersloh 1990-97, 1091-1317, hier 1313f.; D. Pardee, Nouvelle étude épigraphique et littéraire des textes fragmentaires en langue ougaritique dits « Les Rephaim » (CAT 20-22), Or. 80 (2011) 1-65; H. Niehr, Mythen und Epen aus Ugarit (TUAT.NF 8), Gütersloh 2015, 177301, hier 298. – Weitere Bearbeitungen und Übersetzungen: H. Niehr, Die Wohnsitze des Gottes El. Ein Beitrag zu ihrer Lokalisierung, in: B. Ego / B. Janowski (Hg.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte (FAT 32), Tübingen 2001, 325-360, bes. 339f. (21) Siehe, einen Tag und einen zweiten speisen die rapi3u¯ma, (22) sie trinken, einen dritten, einen vierten Tag, einen fünften, (23) einen sechsten Tag, die rapi3u¯ma speisen, die rapi3u¯ma (24) trinken im Festhaus in den Klippen. (25) Unverständlich im Herzen des Libanon.

1.3 Der Sitz des Gottes Ba2al (KTU 1.4 V 50-65; VI 16-40) Die Palastbauepisode des Ba2alzyklus (KTU 1.3-1.4) erzählt auf der Ebene des Mythos von dem Palast, den sich Ba2al nach seinem Sieg über den Meeresgott Yammu (KTU 1.1-2) vom Handwerkergott Kotharu-wa-Hasisu auf seinem heiligen Berg, dem ˘ ein Geschehen in der Stadt Ugarit, da Saphon, erbauen läßt. Diese Episode spiegelt ˙der durch ein Erdbeben um 1250 v. Chr. zerstörte Tempel des Gottes Ba2al auf der Akropolis der Stadt z. Zt. der Abfassung des Ba2alzyklus durch Ilimilku einem Wie29. 30. 31.

248

Vgl. dazu die Positionen bei H. Niehr, TUAT.NF 8, 2015, 296 Anm. 492. Vgl. dazu ebd. 267 f. mit Anm. 358. S. u. 1.5.2.

Herbert Niehr

deraufbau unterzogen wurde.32) Daran zeigt sich die Zusammengehörigkeit des mythischen und des irdischen Sitzes des Gottes Ba2al. Der auf dem Saphon residierende ˙ auf den Saphon Gott war in seinem Heiligtum in Ugarit präsent, welches seinerseits ˙ hin ausgerichtet war. 33) Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison du Grand Prêtre Raum 7 und angrenzender Bereich. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Aleppo (M 8221 = A 2777). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, Un nouveau chant du poème d’Aleïan-Baal, Syr 13 (1932) 113-163, hier 131f. – Autographien und Photos: Ch. Virolleaud, Un nouveau chant du poème d’Aleïan-Baal, Syr 13 (1932) 113-163, hier 128f. pl. XXVI; A. Herdner, Corpus des Tablettes en Cunéiformes Alphabétiques découvertes à Ras Shamra-Ugarit de 1929 à 1939. Mission de Ras Shamra X (BAH 79), Paris 1963, fig. 15; pl. VII. – Übersetzungen und Bearbeitungen in Auswahl: A. Caquot / M. Sznycer / A. Herdner, Mythes et Légendes. Textes Ougaritiques I (LAPO 7), Paris 1974, 210-213; G. del Olmo Lete, Mitos y leyendas de Canaán según la tradición de Ugarit, Madrid 1981, 204-206; M. Dietrich / O. Loretz, Mythen und Epen (TUAT III), Gütersloh 1990-97, 1091-1317, hier 1163-1166; M. S. Smith / W. T. Pitard, The Ugaritic Baal Cycle II. Introduction with Text, Translation and Commentary of KTU 1.3-1.4 (VT.S 114), Leiden/New York/Köln 2009, 492f.497f.515-519; H. Niehr, Mythen und Epen aus Ugarit (TUAT.NF 8), Gütersloh 2015, 177-301, hier 218-220. (50) »[Sieh,

br]ich auf, Ko[tharu-wa-Hasisu], ˘ [m]ögest du Häuser [ba]u[en], (52) schnell errichten Pa[läste], (53) schnell mögest du Häuser bau[en], (54) schnell mögest du Pa[läste] errichten (55) inmitten der Höhe des Saphon. ˙ das Haus, (56) Tausend Morgen umfasse (57) zehntausend Hektar der Palast.« (58) Und es erwiderte Kotharu-wa-Hasisu: ˘ (59) »Höre, oh Aliyanu Ba2al, (60) verstehe, oh Wolkenfahrer: (61) Soll ich nicht setzen ein Fenster in die Häu[ser], (62) eine Öffnung inmitten der Paläste?« (63) Und es antwortete Aliyanu Ba2al: (64) »Nicht sollst du setzen ein Fenster in die [Häuser, (65) eine Öff]nung inmitten der Paläst[e]!« … (16) Die Gö[tter] bauten seine Häuser, (17) […] sie errichteten seinen Palast. (18) Sie g[in]gen zum Libanon und seinen Bäumen, (19) zum [S]iryon und der Kostbarkeit seiner Zedern. (20) Siehe, zum [Li]banon und seinen Bäumen, (51) schnell

32. 33.

Vgl. dazu O. Callot, Les Sanctuaires de l’Acropole d’Ougarit. Les temples de Baal et de Dagan (RSOu XIX), Lyon 2011, 60-64 und H. Niehr, TUAT.NF 8, 2015, 180.185. S. dazu die in Anm. 18 zitierten Artikel von J.-C. Margueron; zum Saphon s. die in Anm. 5 ˙ genannte Literatur.

249

Texte aus Syrien (21) hzumi

Siryon und der Kostbarkeit seiner Zedern. wurde Feuer gelegt in die Häuser, (23) Fl[a]mmen in die Paläste. (24) Siehe, einen Tag und einen zweiten fraß (25) das Feuer in den Häusern, die Flammen (26) in den Palästen. Einen dritten, einen vierten Tag (27) fraß das [F]euer in den Häusern, (28) die Flammen in den Palästen. (29) Einen fünften, einen sechsten Tag fraß (30) das Feuer [in] den Häusern, die Flammen (31) in[mitten der Pa]läste. Siehe, (32) am siebten T[ag], wurde entfernt das Feuer (33) aus den Häusern. Die Fla[mm]en aus den Palästen. (34) Es war das Silber zu Platten geworden, das Gold (35) hatte sich gewandelt zu Ziegeln. Es freute sich (36) Aliyanu Ba2al: »Meine [H]äuser habe ich erbauen lassen (37) aus Silber, meinen Palast (38) aus Gold.« Die Ausstattung [seiner] Häuser ließ Ba2al (39) bereiten, Haddu ließ bereiten [die Aussta]ttungen (40) seines Palastes. (22) Es

1.4 Weitere Göttersitze (KTU 1.100,3-78) Die meisten Informationen über die Sitze weiterer Gottheiten von Ugarit verdanken sich dem narrativen Part der Beschwörung KTU 1.100, 3-78, der vom Auftrag an die Sonnengöttin Sˇapsˇu, sich bei vielen Gottheiten nach einem Gegenmittel gegen Schlangenbiß zu erkundigen, handelt. Dieser Auftrag erging deshalb an die Sonnengöttin Sˇapsˇu, da diese auf ihrem täglichen Weg am Firmament an etlichen Göttersitzen vorbeikam. Im Folgenden werden nur die geographisch relevanten Partien vorgestellt, da der Text in TUAT bereits vorliegt. 34) Die Reihe der hier genannten Göttersitze reicht von Orten in der unmittelbaren Umgebung Ugarits, wo der Sitz des Gottes El an der Quelle der beiden Meere35) und der Sitz des Gottes Ba2al auf dem Saphon 36) angesetzt werden, nach Innersyrien zu ˙ 37) dem Sitz des Gottes Malku in As ˇtartu 38) dem Sitz des Mondgottes in Larugatu, 34. 35. 36. 37.

38.

250

Vgl. M. Dietrich / O. Loretz, TUAT II, 1986-91, 345-350. S. o. 1.2.1. S. o. 1.3. Zu Larugatu und seiner Lokalisierung nordwestlich von Ebla vgl. O. Loretz, Eblaitisch Larugatu = ugaritisch lrgt. Traditionen der Yarih-Verehrung in Ugarit, UF 30 (1998) 489-496 und J. A. Belmonte Marín, Die Orts- und ˘Gewässernamen der Texte aus Syrien im 2. Jt. v. Chr. (RGTC 12/2/BTAVO B 7/12/2), Wiesbaden 2001, 175. Zu Asˇtartu im Basˇan vgl. neben der in Anm. 13 genannten Literatur noch Belmonte Marín, Orts- und Gewässernamen, 43.

Herbert Niehr

und dem Sitz des Zizu-wa-Kamatu in Haritu. 39) Anatolien ist mit dem Sitz des Got¯ ˙ dem Sitz der Göttinnen Anat und Astarte tes Rasˇpu in Bibita 40) und wohl auch mit in Inibab, welches das hurritische Wort für ›Götterberg‹ darstellt, vertreten. 41) Aus Mesopotamien werden das u. a. aus den Mari-Briefen bekannte Tuttul als Sitz des Dagan und Mari als Sitz der Astarte genannt, 42) sodann aus der Ägäis Kreta als Sitz des Kotharu-wa-Hasisu. Dazu kommen der Himmel als Sitz des Sˇaharu-wa-Sˇalimu ˘ Festung der Unterwelt, als Sitz des Gottes Horon.˙ sowie Msd, d. h. die ˙ Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison du Prêtre Hourrite Raum 10. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 6587). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, Les nouveaux textes mythologiques et liturgiques de Ras Shamra (XXIVe Campagne, 1961), No. 7: RS 24.244. Sˇapasˇ, la déesse du Soleil, et serpents, Ugaritica V, Paris 1968, 545-595, hier 564-574. – Autographien und Photos: Ch. Virolleaud, Les nouveaux textes mythologiques et liturgiques de Ras Shamra (XXIVe Campagne, 1961), Ugaritica V, Paris 1968, 545-595, hier 567f. – Übersetzungen und Bearbeitungen in Auswahl: D. Pardee, Hôra¯nu et les serpents, in: D. Pardee, Les textes para-mythologiques de la 24e campagne ˙ (1961) (RSOu IV), Paris 1988, 193-226; M. Dietrich / O. Loretz, Beschwörungen in ugaritischer Sprache, in: TUAT II (Gütersloh 1986-91), 328-357, hier 345-350; A. Caquot, Textes religieux, in: A. Caquot / J.-M. de Tarragon / J.-L. Cunchillos, Textes Ougaritiques II (LAPO 14), Paris 1989, 17-123, hier 79-94. – Weitere Bearbeitungen: M. Dietrich / O. Loretz, Studien zu den ugaritischen Texten I. Mythos und Ritual in KTU 1.12, 1.24, 1.96, 1.100 und 1.114 (AOAT 269/1), Münster 2000, 263-402; J. Kutter, nu¯r ilı¯. Die Sonnengottheiten in den nordwestsemitischen Religionen von der Spätbronzezeit bis zur vorrömischen Zeit (AOAT 346), Münster 2008, 106-125; G. del Olmo Lete, Incantations and Anti-Witchcraft Texts from Ugarit. With a Contribution by Ignacio Márquez Rowe (SANER 4), Boston/Berlin 2014, 188204; ders., Canaanite Religion According to the Liturgical Texts from Ugarit. Second English Edition, thoroughly Revised and Enlarged (AOAT 408), Münster 2014, 305-315.

ˇ apsˇu, (2) »S

meine Mutter, bringe meine Stimme zu an der Quelle der (beiden) Flüsse, inmitten der (beiden) Ozeane!« ˇ apsˇu, meine Mutter, bringe meine Stimme (8) »S (9) zu Ba2al auf den Höhen des Saphon!« ˙ meine Stimme zu ˇ apsˇu, meine Mutter, bringe (14) »S (15) Dagan nach Tuttul!« ˇ apsˇu, meine Mutter, bringe meine Stimme zu 43) (19) »S (20) Anat und Astarte nach Inibab!« ˇ apsˇu, [meine] Mut[ter], bringe meine [Sti]mme zu (25) »S (26) Yarihu nach Larugatu!« ˘ ˇu, meine Mutter, bringe meine Stim[me] zu ˇ aps (30) »S (31) Ras ˇpu nach Bibita!« (3) El

39. 40. 41. 42. 43.

Zu Haritu und seiner Lokalisierung bei Qadesˇ vgl. Belmonte Marín, Orts- und Gewässer˙ 105. namen, Vgl. zu Bibita und seiner Lokalisierung in Kizzuwatna E. Lipin´ski, Reshep. A Syro-Canaanite Deity (StPhoen XIX; OLA 181), Leuven/Paris/Walpole 2009, 92 und M. M. Münnich, The God Reshep in the Ancient Near East (ORA 11), Tübingen 2013, 157. Vgl. Belmonte Marín, Orts- und Gewässernamen, 142 f. Zu Mari und Tuttul am Euphrat vgl. Belmonte Marín, Orts- und Gewässernamen, 186.295 f. Fehler im Keilschrifttext; lies 2m.

251

Texte aus Syrien

ˇ apsˇu, (35) »S

meine Mutter, bringe meine Stimme zu nach Haritu!« ˙ ˇ apsˇu, meine ¯Mutter, bringe (40) »S meine Stimme zu (41) Malku nach As ˇtartu!« ˇ apsˇu, meine Mutter, bringe meine Stimme zu (45) »S (46) Kotharu-wa-Hasisu nach Kreta!« ˇ apsˇu, meine˘ Mutter, bringe meine Stimme zu (51) »S ˇ aharu-wa-Sˇalimu zum Himmel!« (52) S ˙ ˇu, meine Mutter, bringe meine Stimme ˇ aps (57) »S (58) zu Horon nach Msd!« ˙ (77) Nach Ras ˇpu: Astarte. (78) »Zu Astarte nach Mari.« 44) (36) Zizu-wa-Kamatu

1.5 Der Zugang zur Unterwelt In den Texten aus Ugarit lassen sich zwei Traditionen der Lokalisierung der Lage der Unterwelt bzw. des Zugangs zu ihr ausmachen. Deren erste lokalisiert den Zugang zur Unterwelt zwischen Bergen, die nördlich von Ugarit liegen, deren zweite verortet die Unterwelt im Basˇan am Fuße des Götterberges Hermon.

1.5.1 Die nördliche Tradition (KTU 1.4 VIII 1-14)

Einen ersten Einblick in die Frage nach der Lage der Unterwelt gewährt ein Passus aus dem Ba2alzyklus, der den Eingang der Boten des Gottes Ba2al in die Unterwelt, d. h. in das Reich des Gottes Motu, schildert. Es ist fraglich, ob man sich mit der häufig behaupteten mythischen Ansetzung der beiden Berge Targuzazu und Tarrumagu unter Verzicht auf eine geographische Iden¯ tifizierung abfinden muß,45) oder ob nicht eine klare geographische Konzeption – ähnlich wie beim Saphon oder den Sitzen des Gottes El bzw. bei der Lokalisierung ˙ des Zugangs zur Unterwelt im Basˇan – hinter der Anführung dieser Berge steht. Von den beiden hier genannten Bergen ist der Targuzazu mit dem Tarhudassa im Karadag˘-Massiv in Anatolien zu identifizieren. 46) Die Lage des Tarrumagu ist hingegen ¯ unbekannt. 47) Trotz dieser letztgenannten Einschränkung handelt es sich um Berge, die noch jenseits des Saphon weit im Norden vom Königreich Ugarit angesiedelt ˙ sind. Dieser Erklärung widerspricht nicht die mythische Konnotation dieser Berge, die mit ihrer Qualifikation als ›Ruinenhügel‹ (tl) angezeigt ist. Damit werden die Aspek-

44. 45. 46. 47.

252

Bei den Zeilen 77 und 78 handelt es sich um einen Nachtrag, der eigentlich hinter die Zeile 31 mit der Nennung des Gottes Rasˇpu gehört. So etwa Bordreuil, Montagne, 182 und Suriano, Ruin Hills, 224-229. Vgl. Belmonte Marín, Orts- und Gewässernamen, 290 Vgl. ebd. 301.

Herbert Niehr

te von Vergänglichkeit und Totenreich angesprochen. 48) Somit überlagern sich die geographische und mythische Sicht auf beiden Berge Targuzazu und Tarrumagu an¯ statt einander auszuschließen. Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison du Grand Prêtre Raum 7 und angrenzender Bereich. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Aleppo (M 8221 = A 2777). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, Un nouveau chant du poème d’Aleïan-Baal, Syr 13 (1932) 113-163, hier 131f. – Autographien und Photos: C. Virolleaud, Un nouveau chant du poème d’Aleïan-Baal, Syr 13 (1932) 113-163, hier 128f. pl. XXVI; A. Herdner, Corpus des Tablettes en Cunéiformes Alphabétiques découvertes à Ras Shamra-Ugarit de 1929 à 1939. Mission de Ras Shamra X (BAH 79), Paris 1963, fig. 15; pl. VII. – Übersetzungen und Bearbeitungen in Auswahl: A. Caquot / M. Sznycer / A. Herdner, Mythes et Légendes. Textes Ougaritiques I (LAPO 7), Paris 1974, 219f.; G. del Olmo Lete, Mitos y leyendas de Canaán según la tradición de Ugarit, Madrid 1981, 211; É. Bordreuil, La montagne d’après les données textuelles d’Ougarit, RANT 3 (2006) 179-191, hier 181f.; M. J. Suriano, Ruin Hills at the Threshold of the Netherworld. The Tell in the Conceptual Landscape of the Ba2al Cycle and Near Eastern Mythology, WO 42 (2012) 210-230; H. Niehr, Mythen und Epen aus Ugarit (TUAT.NF 8), Gütersloh 2015, 177-301, hier 223f. (1) »Dann

richtet fürwahr das Angesicht Berg Targuzazu, (3) zum Berg Tarrumagu, ¯ (4) zu den Ruinenhügeln am Rand der Erde. (5) Hebt den Berg auf eure Hände, (6) das Gebirge auf die Handflächen, (7) und steigt hinab in das Haus der Flüchtlingsschaft (8) der Unterwelt, seid gezählt zu denen, die (9) in die Unterwelt hinabsteigen. (10) Dann richtet fürwahr (11) das Angesicht zu seiner Stadt (12) Hamarayu. Eine Grube ist (13) sein Thronsitz, eine Unratgrube ist das Land (14) seines Besitzes.« (2) zum

1.5.2 Die südliche Tradition (KTU 1.108,1-5)

Der rituelle Hintergrund dieser Tontafel ist mit der Inthronisation des letzten Königs von Ugarit, Ammurapi (ca. 1210-1185 v. Chr.) gegeben. Im Kontext dieser Feierlichkeiten wurde im Palast von Ugarit u. a. eine Statue des Gottes Rapi3u, der dem neuen König Kraft und Stärke zuweisen sollte (KTU 1.108,18-27), 49) errichtet. 48. 49.

Vgl. dazu D. Pardee, The Ba2lu Myth, in: W. W. Hallo (Hg.), The Context of Scripture 1. Canonical Compositions from the Biblical World, Leiden/New York/Köln 1997, 241-274, hier 263 f. Anm. 195 und Suriano, Ruin Hills. Vgl. zu diesen Zeilen H. Niehr, Königtum und Gebet in Ugarit. Der König als Beter, das Gebet für den König und das Gebet zum König, in: A. Grund / A. Krüger / F. Lippke (Hg.), Ich will dir danken unter den Völkern. Studien zur israelitischen und altorientalischen Gebetsliteratur. Festschrift für Bernd Janowski zum 70. Geburtstag, Gütersloh 2013, 603-622, hier 614 f.; ders., TUAT.NF 7, 2013, 143 f.

253

Texte aus Syrien

Das Ritual benennt zwei für Rapi3u, den König der Unterwelt, bedeutsame Orte im Basˇan: Asˇtartu als seinen Thronsitz, d. h. seinen Tempel und Edrei als den Haftpunkt seiner Orakelgebung im Kontext der Nekromantie. Somit wird in KTU 1.108 der Basˇan als Zugangsort zur Unterwelt bzw. als Ausgang aus ihr angesprochen. Diese Konzeption beruht schon vorlaufend zu KTU 1.108 auf der Kombination von Gottesberg auf dem Hermon und der Lage der Unterwelt am Fuße des Hermonmassivs. Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison du Prêtre Hourrite Raum 10. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 6594). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, Les nouveaux textes mythologiques et liturgiques de Ras Shamra (XXIVe Campagne, 1961), Ugaritica V, Paris 1968, 545-606, hier 551-557. – Autographien und Photos: Ch. Virolleaud, Les nouveaux textes mythologiques et liturgiques de Ras Shamra (XXIVe Campagne, 1961), Ugaritica V, Paris 1968, 545-606, hier 556. – Weitere Übersetzungen und Bearbeitungen: A. Caquot, Textes religieux, in: A. Caquot / J.-M. de Tarragon / J.-L. Cunchillos, Textes Ougaritiques II (LAPO 14), Paris 1989, 7-123, hier 111-118; G. del Olmo Lete, Basˇan o el ›infierno‹ cananeo, SEL 5 (1988) 51-60; ders., Canaanite Religion According to the Liturgical Texts of Ugarit. Second English Edition, thoroughly Revised and Enlarged (AOAT 408), Münster 2014, 148-155; H. Niehr, Ahnen und Ahnenkult in den Königsepen aus Ugarit, in: L. Hiepel / M.-Th. Wacker (Hg.), Zwischen Zion und Zaphon. Studien im Gedenken an den Theologen Oswald Loretz (14. 01. 1928-12. 04. 2015) (AOAT 438), Münster 2016, 379-400. (1) [Siehe],

man stellt auf 50) Rapi3u, den König der Unterwelt, 51) und zwar stellt man auf Gott des 52)] Gataru und des Yaqaru, den Gott, der thront in Asˇtartu, (3) den Gott, der Orakel¯ gibt in Edrei, vor dem man singt und spielt (4) auf der Zither und Flöte, mit Pauke und Zimbeln, mit Kas(5) tagnetten von Elfenbein inmitten der guten Beschwörer des Kotharu. (2) [den

1.6 Eine Götterliste (KTU 1.118) Auch die Götterwelt Ugarits unterlag einer Ordnung, die u. a. sichtbar wird aufgrund der sog. Götterlisten. Dabei handelt es sich keineswegs um erschöpfende Auflistungen aller in Ugarit verehrter Gottheiten. Nach der Analyse der Ritualtexte hat D. Pardee 178 göttliche Wesen, denen Opfer zukommen, ausgemacht. 53) Im Unterschied dazu führen die Götterlisten KTU 1.118 und RS 20.24 ca. 33 Gottheiten an, woran deutlich wird, daß KTU 1.118 und seine Paralleltexte nicht das gesamte Pantheon von Ugarit abbilden, sondern nur einen bestimmten Ausschnitt der Götterwelt wiedergeben. KTU 1.118 läßt folgende Ordnung erkennen:54) Die Liste beginnt mit einer Drei50. 51.

52. 53. 54.

254

Entweder 3. Pers. Sg. masc. G-Stamm-Passiv oder 3. Pers. Pl. masc. G-Stamm-Aktiv von sˇyt. Zu 2lm als ›Unterwelt‹ vgl. H. Niehr, Zur Semantik von nordwestsemitisch 2lm als ›Unterwelt‹ und ›Grab‹, in: H. Kühne / B. Pongratz-Leisten / P. Xella (Hg.), Ana sˇadî Labna¯ni lu¯ allik. Beiträge zu altorientalischen und mittelmeerischen Kulturen. Festschrift für Wolfgang Röllig (AOAT 247), Kevelaer/Neukirchen-Vluyn 1997, 295-305. Zum Verständnis von il als Status constructus vgl. Caquot, Textes, 114. Vgl. D. Pardee, Les textes rituels II (RSOu XII), Paris 2000, 898-905. Vgl. zum Folgenden del Olmo Lete, Canaanite Religion, 57-60, dessen grundlegende Über-

Herbert Niehr

ergruppe, die den Vatergott (ilib) und die Götter El und Dagan umfaßt (Z. 1-3). Diese Götter hatten ihren Kultort im El-Tempel auf der Akropolis. Es folgt eine Siebenergruppe von Wettergöttern, die vom Gott Ba2al Saphon angeführt wird (Z. 4˙ 10) und deren Kultort der Ba2al-Tempel auf der Akropolis war. Durch einen Trennungsstrich sind die kosmischen Größen Erde und Himmel herausgehoben, mit denen eine weitere Siebenergruppe von chthonisch-kosmisch-astralen Größen einsetzt (Z. 11-17). Eine dritte Siebenergruppe wird durch die Größen »Berge und [Täler]« angeführt. In dieser begegnen Göttinnen, die sich einigen der Götter der drei vorangehenden Gruppen zuordnen lassen (Z. 18-24). Die letzte Gruppe (Z. 25-33) ist hinsichtlich ihrer Anordnung nicht ganz verständlich: Es zeigen sich als zwei Untergruppen die Hilfsgötter des Ba2al (Z. 25-27) und die Versammlung der Götter (Z. 28-33). Die Intention dieser Listen besteht allerdings nicht im Erkennen der Ordnung der Götterwelt. Es handelt sich bei ihnen vielmehr um Opfermemoranda, die dem Ziel dienten, keine wichtige Gottheit bei bestimmten Opferhandlungen zu vergessen und zu übergehen. Auf diesen Zweck deuten die links auf der Tontafel sichtbaren Vertiefungen hin, die das Berücksichtigen der einzelnen Gottheiten erkennen lassen. 55) Über die Verwendung im Kult Ugarits hinaus demonstrieren die akkadischen Versionen dieser Listen die Gelehrsamkeit der Schreiber, die es unternahmen, für die Gottheiten Ugarits in babylonischer Keilschrift und Sprache Entsprechungen in logographischer und syllabischer Form sowie auch deren akkadische und hurritische Äquivalenzen aufzuzeigen. Dies zeigen u. a. RS 20.24 und RS 92.2004. 56) Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison du Prêtre Hourrite Raum 10. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 6604). – Erstpublikation: A. Herdner, Nouveaux textes alphabétiques de Ras Shamra – XXIVe Campagne, 1961, Ugaritica VII, Paris 1978, 1-7, hier 1-3. – Autographie und Photo: A. Herdner, Nouveaux textes alphabétiques de Ras Shamra – XXIVe Campagne, 1961, Ugaritica VII, Paris 1978, 1-7, hier 2 fig. 1; G. del Olmo Lete, Canaanite Religion According to the Liturgical Texts from Ugarit. Second English Edition, thoroughly Revised and Enlarged (AOAT 408), Münster 2014, 54. – Übersetzungen und Bearbeitungen in Auswahl: M. Dietrich / O. Loretz, Mythen und Epen, TUAT II/3, 1986-91, 300-305; D. Pardee, Les textes rituels (RSOu XII), Paris 2000, 659f.; ders., Ritual and Cult at Ugarit, Leiden 2002, 12-16; J.-P. Vita, Les scribes des textes rituels d’Ougarit, UF 39 (2007) 643-664, hier 653f.; G. del Olmo Lete, Canaanite Religion According to the Liturgical Texts from Ugarit. Second English Edition, thoroughly Revised and Enlarged (AOAT 408), Münster 2014, 53-60. VS (1) Ilib (2) El (3) Dagan (4) Ba2al

55. 56.

Saphon ˙

legungen zur Anordnung von KTU 1.118 hier aufgenommen und leicht weiterentwickelt werden. Vgl. dazu M. Dietrich / O. Loretz, TUAT II, 1986-1991, 300. Vgl. dazu C. Roche-Hawley, Procédés d’écriture des noms de divinités ougaritaines en cunéiforme mésopotamien, in: C. Roche-Hawley / R. Hawley (Hg.), Scribes et érudits dans l’orbite de Babylone (Orient et Méditerranée – Archéologie 9), Paris 2012, 149-178.

255

Texte aus Syrien (5) Ein

weiterer Ba2al weiterer Ba2al (7) Ein weiterer Ba2al (8) Ein weiterer Ba2al (9) Ein weiterer Ba2al (10) Ein weiterer Ba2al (6) Ein

(11) Erde

und Himmel

(12) Kotharatu (13) Yarihu

˘ (14) Saphon

˙ (15) Kotharu (16) Pidrayu (17) Attar

¯ (18) Berge

und [Täler]

Unterer Rand (19) [A]scherah RS (20) Anat

ˇ apsˇu (21) S (22) Arsayu

(23) Us ˇ˙harayu

˘ (24) Attartu

¯ (25) Hilfsgötter

des Ba2al

(26) Ras ˇpu (27) Dadmis ˇ (28) Versammlung

der Götter

(29) Yammu (30) Weihrauchgefäß (31) Leier (32) malaku ¯ ma

ˇ alimu (33) S

256

2. Reflexion der Vergangenheit und Geschichtskonzeptionen Aus Ugarit liegen keine grundsätzlichen bzw. theoretischen Reflexionen über Vergangenheit oder Geschichte vor, dennoch spielt in den Königslisten und in einem Ritual der Blick in die Vergangenheit des Königtums Ugarits eine bedeutende Rolle. Zuvor sind aber die beiden Königsepen des Kirta (KTU 1.14-16) und des Aqhatu (KTU 1.17-19) im Hinblick auf ihren Beitrag zur Vergangenheit Ugarits anzusprechen. Auch wenn in ihnen mit Kirta und Dan3ilu keine Könige Ugarits auftreten, so gewähren doch beide Herrschergestalten Einblicke in die unterschiedlichen Genealogien der Könige Ugarits. 1) In den Königsepen greift der Verfasser Ilimilku auf die beiden in Ugarit belegten Konzeptionen der Ahnen des Königshauses zurück. Im Kirta-Epos liegt die Rezeption eines amurritischen Erbes mit Ditanu als dem königlichen Ahn vor. Dagegen findet sich im Aqhatu-Epos der Bezug auf den Gott Rapi3u aus dem Basˇan, wo der Sitz der rapi3u¯ma verortet wird. Dieser Bezug hat seine rituelle Grundlage in KTU 1.108. 2) Die Verbindung beider Traditionen kommt z. B. darin zum Ausdruck, daß Ditanu an der Spitze der Gruppe der rapi3u¯ma steht (KTU 1.15 III 2-4.13-15; 1.161, 2-10). Somit koexistierten beide Traditionen im Kult und in der Erinnerungskultur Ugarits und schlossen sich nicht gegenseitig aus. Das Kirta-Epos führt den Protagonisten Kirta wie folgt vor: (13) Hoch

erhaben ist [Kirta] der rapi3u¯ma der Unter[welt], (15) in der versammelten Schar des Ditanu. (KTU 1.15 III 13-15; vgl. 2-4) (14) inmitten

Der Protagonist des Aqhatu-Epos wird vorgestellt: (1) [Sodann

ließ Dan3ilu, der Mann des Rap]i3u, sodann ließ der Held, (2) [der Mann aus Harnamu], ein uza¯ru-Opfer die Götter speisen, (3) [ein uza ¯ ru-Opfer] die Söhne des Heiligen [trinken]. (KTU 1.17 I 1-3) Die Relevanz dieser Traditionsrezeption läßt sich mit dem Sitz im Leben der beiden Königsepen erklären. Dieser ergibt sich in Anlehnung an die hethitische Literaturgeschichte, in der A. Gilan den Zweck bestimmter Texte so erklärt hat: »Politisch belehrende Literatur für die Erziehung der Prinzen, für andere Mitglieder des königlichen Hofs und Amtsträger in der Administration sowie für die Belehrung künftiger Könige.« 3) Diese Erklärung trifft auch auf die beiden Königsepen aus Ugarit zu. 1. 2. 3.

Zur Einleitung und Übersetzung der Epen von Kirta und Aqhatu vgl. H. Niehr, TUAT.NF 8, 2015, 237-301. Vgl. H. Niehr, Ahnen und Ahnenkult in den Königsepen aus Ugarit, in: L. Hiepel / M.-Th. Wacker (Hg.), Zwischen Zion und Zaphon. Studien im Gedenken an den Theologen Oswald Loretz (14. 01. 1928-12. 04. 2015) (AOAT 438), Münster 2016, 379-400. A. Gilan, Formen und Inhalte althethitischer historischer Literatur (THeth 29), Heidelberg 2015, 330.

257

Texte aus Syrien

2.1 Der Beitrag der Königslisten (KTU 1.113, 13-26) Die Königslisten aus Ugarit liegen in babylonischer Keilschrift 4) und in ugaritischer Konsonantenschrift 5) vor. Ausweislich der auf den Tontafeln angebrachten Markierungen dienten diese Listen kultischen Zwecken, d. h. der Beopferung der königlichen Ahnen, die mit den Determinativen DINGIR bzw. ilu als vergöttlicht qualifiziert sind. 6) Die hier vorzustellende Liste KTU 1.113 RS bietet die Reihe der Ahnen des Königs Yaqaru, woraus hervorgeht, daß der Text seinen Sitz im Leben im königlichen Ahnenkult Ugarits hat. Darauf verweist auch der nur sehr schlecht erhaltene Text auf der Vorderseite der Tafel, der an KTU 1.108 VS erinnert. Beide Rituale stammen aus dem Raum 10 des Hauses des Prêtre Hourrite auf der Akropolis. KTU 1.113 VS enthält die Reste eines Hymnus, der die folgende Königsliste einleitet. Insgesamt hat die Tafel die Aufnahme der verstorbenen Könige in die Unterwelt und ihre Vergöttlichung und Beopferung zum Thema. Eine Untersuchung der Opferlisten für die verstorbenen hethitischen Könige zeigt, daß deren Relevanz für die Geschichte des Hethiterreichs nicht zu unterschätzen ist. 7) Vergleichbar ist auch die Relevanz der Königslisten aus Ugarit zu beurteilen. Die vier aus Ugarit stammenden Königslisten in babylonischer Keilschrift gestatten es, die Namen der Könige von Ugarit, ihre Abfolge und, zumindest ab der zweiten Hälfte des 14. Jh. v. Chr. aufgrund der Synchronismen mit den Königen des hethitischen Großreichs sowie der ägyptischen Pharaonen, deren ungefähre Regierungszeit bis zum Untergang der Stadt und des Königreichs um 1185 v. Chr. zu etablieren. Es gibt auf der chronologischen Ebene eine Überschneidung der vier Königslisten in babylonischer Keilschrift mit KTU 1.113 RS dergestalt, daß die durch alle diese Listen abgesteckte Periode sich von König Yaqaru (ca. 1440-1420 v. Chr.) bis zu König Ammisˇtamru I. im beginnenden 17. Jh. v. Chr. erstreckt. 8) Des Weiteren lassen die Königslisten aus Ugarit erkennen, daß mit Yaqaru die letzte Dynastie Ugarits einsetzt. Dies ist auch daran ersichtlich, daß die Könige Ugarits nach Yaqaru neben ihrem persönlichen Siegel dessen Siegel als Staatssiegel übernahmen. 9) 4. 5. 6.

7. 8. 9.

258

RS 24.257; 88.2012; 94.2518; 94.2528; 94.2501; vgl. zu diesen Königslisten D. Arnaud, Prolégomènes à la rédaction d’une histoire d’Ougarit II. Les bordereaux des rois divinisés, SMEA XLI/2 (1999) 153-173. KTU 1.113 RS; s. u. Zu DINGIR als Determinativ vgl. Arnaud, Prolégomènes II, 154-156 und zu ilu als Determinativ vgl. H. Niehr, Le roi divinisé et son image dans le culte à Ougarit, in: Th. Römer (Hg.), Représenter dieux et hommes dans le Proche-Orient ancien et dans la Bible (OBO 287), Leuven 2019, 88-111, hier 89. Vgl. A. Gilan, The Hittite Offering Lists of Deceased Kings and Related Texts (CTH 610-611) as Historical Sources, KASKAL 11 (2014) 85-102, der diesen Listen einen »highly developed sense of historical consciousness« (86; vgl. auch ebd. 99) zuschreibt. Vgl. Arnaud, Prolégomènes II, 163. Zu diesem Siegel des Yaqaru und zu seiner Verwendung vgl. J. Nougayrol, Textes accadiens, in: ders. (Hg.), Textes Accadiens et Hourrites des Archives Est, Ouest et Centrales (PRU III), Paris 1955, XXXIII-280, hier XXIV-XXVII; C. F.-A. Schaeffer, Recueil des sceaux et cylindres hittites imprimés sur les tablettes des Archives Sud du palais de Ras Shamra suivi de considérations sur les pratiques sigillographiques des rois d’Ugarit, in: ders. (Hg.), Ugaritica III, Paris 1956, 1-86, hier 67-77; D. Arnaud, Prolégomènes à la rédaction d’une histoire d’Ougarit I. Ougarit avant Sˇuppiluliuma I, SMEA XXXIX/2 (1997), 151-161, hier 158-161; Lackenbacher, Textes

Herbert Niehr

Dieses blieb bis zum Untergang Ugarits um 1185 v. Chr. in Gebrauch und stellt ein weiteres Indiz für Yaqaru als den Begründer der letzten Dynastie von Ugarit dar. Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison du Prêtre Hourrite Raum 10. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 6599). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, Les nouveaux textes mythologiques et liturgiques de Ras Shamra (XXIVe Campagne, 1961), Ugaritica V, Paris 1968, 545-595, hier 561 (nur VS); M. Dietrich / O. Loretz / J. Sanmartín, Die keilalphabetischen Texte aus Ugarit einschließlich der keilalphabetischen Texte außerhalb Ugarits. Teil 1. Transkription (AOAT 24), Kevelaer/Neukirchen-Vluyn 1976, 119. – Autographien und Photos: Ch. Virolleaud, Les nouveaux textes mythologiques et liturgiques de Ras Shamra (XXIVe Campagne, 1961), Ugaritica V, Paris 1968, 545-595, hier 562 no. 5. – Weitere Bearbeitungen und Übersetzungen: K. Kitchen, The King List of Ugarit, UF 9 (1977) 131-142; D. Pardee, Les textes para-mythologiques (RSOu IV), Paris 1988, 165-178; ders., Ritual and Cult at Ugarit, Leiden 2002, 195-202; B. B. Schmidt, A ReEvaluation of the Ugaritic King List (KTU 1.113), in: N. Wyatt / W. G. E. Watson / J. B. Lloyd (Hg.), Ugarit, religion and culture. Proceedings of the International Colloquium on Ugarit, religion and culture. Edinburgh, July 1994. Essays presented in honour of Professor John C. L. Gibson (UBL 12), Münster 1996, 289-304; P. Cˇech, Königslisten und ihre (Ir)relevanz für die Geschichtsforschung, UF 34 (2002) 39-44; ders., Wer war der (erste ugaritische) König?, in: P. Charvát / P. Marˇíková Vlcˇková (Hg.), Who was King? Who was not King? The Rulers and the Ruled in the Ancient Near East, Prag 2010, 85-94; J. Vidal, King Lists and Oral Transmission: From History to Memory, UF 32 (2000) 555-566; ders., The Origins of the Last Ugaritic Dynasty, AoF 33 (2006) 168-175; J. Freu, Histoire Politique du Royaume d’Ugarit (Collection KUBABA. Série Antiquité XI), Paris 2006, 19-24.28-30; F. Israel, Études amorrites III: la couche amorrite de l’onomastique ougaritique, in: C. Roche (Hg.), D’Ougarit à Jérusalem. Recueil d’études épigraphiques et archéologiques offert à Pierre Bordreuil (Orient et Méditerranée 2), Paris 2008, 351-366.

Gott Ammi]sˇtamru Gott Ni]qmepa (15) [ ] Gott Ammu[ra]pi (16) [ ] Gott Ibiranu (17) [ ] Gott Ya2duraddu (18) [Gott Ammis ˇtam]ru Gott Niqmepa (19) [Gott Niqma]ddu Gott Ibiranu (20) [Gott Arhal]ba [ Go]tt Ammurapi ˘ (21) [Gott Niq]mepa [ Gott] Niqmepa (22) [Gott Ammis ˇ]tamru Gott Ibiranu (23) [Gott Niq]maddu Gott Niqmepa Oberer Rand (24) [ ] Gott Ibiranu (25) [ ] Gott Niqmaddu (26) [Gott Niqme]pa Gott Yaqaru RS (13) [ (14) [

akkadiens, 210f; Freu, Histoire, 28-30; Márquez Rowe, Deeds, 184-199; S. Cluzan, Le sceau dynastique des rois d’Ougarit, in: al-Maqdissi / Matoïan (Hg.), L’Orient, 99-101.

259

Texte aus Syrien

2.2 Das Ritual zur Begleitung des Totengeistes eines verstorbenen Königs in die Unterwelt (KTU 1.161, 1-12) Aus diesem auf das Jahr 1215 v. Chr. zu datierenden Ritual, welches für die Begleitung des Totengeistes des verstorbenen Königs Niqmaddu IV. in die Unterwelt konzipiert wurde, sollen hier nur die ersten zwölf Zeilen mit der Nennung der frühen Ahnen der Könige von Ugarit, der sog. rapi3u¯ma, sowie der beiden jüngeren Ahnen besprochen werden. Mit den syllabischen Königslisten und der keilalphabetischen Königsliste (KTU 1.113 RS) liegt in den Zeilen 1-10 keinerlei Übereinstimmung vor, woraus deutlich wird, daß KTU 1.161,1-10 nicht historische Könige Ugarits auflistet, sondern rapi3u¯ma, die dem Ahn Ditanu (in KTU 1.161: Didanu) unterstehen. Ditanu stellt den amurritischen Ahn der Könige von Ugarit dar. Die Namen der rapi3u¯ma sind sonst nicht bekannt, es fällt aber auf, daß diese mit ihrer Endung -anu nach dem Vorbild des Ditanu gebildet sind. Anders verhält es sich mit den beiden in Zeile 11-12 genannten Königen Ammisˇtamru und Niqmaddu, da es sich bei ihnen um Ammisˇtamru II. (ca. 1350 v. Chr.) und Niqmaddu III. (ca. 1350-1315 v. Chr.) handelt. Diese werden genannt, da Niqmaddu III. in der zweiten Hälfte des 14. Jh. v. Chr. den Königspalast von Ugarit mit seiner Gruft erbaute und hier wohl schon mit seinem Vater Ammisˇtamru II. die Reihe der Königsbestattungen und des königlichen Ahnenkultes einsetzte. Insofern gewährt KTU 1.161,1-12 einen Blick in die Ahnenwerdung der Könige von Ugarit: Es gibt die alten, Ditanu unterstellten rapi3u¯ma, die vor ca. 100 Jahren verstorbenen Könige, die noch den Titel ›König‹ tragen und sodann bereitet der zweite Teil des Rituals den Weg für die Aufnahme des Totengeistes des jüngst verstorbenen Königs Niqmaddu IV. in die Gruppe der Totengeister. Die Bestattung des Königs ist der in KTU 1.161 konzipierten Feier bereits vorangegangen, aber sein Totengeist weilte noch in der in der Überschrift genannten Statue im Königspalast. Die rapi3u¯ma werden aus der Unterwelt evoziert, um an Opfern teilzunehmen und den Totengeist des verstorbenen Königs Niqmaddu IV. in ihre Mitte zu nehmen und mit diesem in die Unterwelt einzugehen. Den Ort des rituellen Geschehens bildete die Cour II des Königspalastes von Ugarit, von der aus der Raum 28 mit seiner unterirdischen Grablege und seinem in Verbindung mit der Unterwelt stehenden sog. puits funéraire, bei dem es sich um den api, d. h. eine Unterweltsgrube handelt. Keilschrifttafel (ca. 1215 v. Chr.). – Fundort: Maison d’Ourtenu in der Südstadt von Ugarit. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Aleppo (M 849). – Erstpublikation: A. Caquot, Hébreux et Araméen, ACF 75 (1975) 423-432, bes. 426-429; P. Bordreuil / D. Pardee, Un rituel funéraire ougaritique. RS 34.126, Syr 59 (1982) 121-128. – Photo: C. F. A. Schaeffer, Épaves d’une bibliothèque d’Ugarit, Ugaritica VII, Paris 1978, 399-405, pl. VII-IX; P. Bordreuil / D. Pardee, Le rituel funéraire ougaritique RS 34.126, Syr 59 (1982) 121-128, hier 127; G. del Olmo Lete, Canaanite Religion According to the Liturgical Texts of Ugarit. Second English Edition, thoroughly Revised and Enlarged (AOAT 408), Münster 2014, 158. – Übersetzungen und Bearbeitungen in Auswahl: P. Xella, I Testi Rituali di Ugarit I (StudSem 54), Rom 1981, 279-287; A. Caquot, Textes religieux, in: A. Caquot / J.-M. de Tarragon / J.-L. Cunchillos, Textes Ougaritiques II (LAPO 14), Paris 1989, 9-123, bes. 103-110; P. Bor-

260

Herbert Niehr

dreuil / D. Pardee, Les textes en cunéiformes alphabétiques, in: P. Bordreuil (Hg.), Une bibliothèque au sud de la ville (RSOu VII), Paris 1991, 139-208, hier 151-163; D. Pardee, Les textes rituels (RSOu XII), Paris 2000, 816-825; ders., Ritual and Cult at Ugarit, Leiden 2002, 85-88 no. 24; P. Bordreuil / D. Pardee, Manuel d’Ougaritique II, Paris 2004, 63-65 no. 13. – Weitere Literatur: S. Lange, Food and Libation Offerings for the Royal Dead in Ugarit, in: P. Pfälzner / H. Niehr / E. Pernicka / A. Wissing (Hg.), (Re-)Constructing Funerary Rituals in the Ancient Near East. Proceedings of the First International Symposium of the Tübingen Post-Graduate School »Symbols of the Dead« in May 2009 (QSS 1), Wiesbaden 2012, 161181; H. Niehr, Ein König wird zum Gott. Bestattung und Nachleben der Herrscher von Ugarit (Syrien), Antike Welt 37 (2006) 47-52; ders., Bestattung und Nachleben der Könige von Ugarit im Spiegel von Archäologie und Literatur, in: A. Lang / P. Marinkovic´ (Hg.), Bios – Cultus – (Im)mortalitas. Zu Religion und Kultur – Von den biologischen Grundlagen bis zu Jenseitsvorstellungen. Beiträge der interdisziplinären Kolloquien vom 10.-11. März 2011 und 24.-25. Juli in der Ludwig-Maximilians-Universität München (Internationale Archäologie 16), Rahden 2012, 145-156, bes. 149f.; G. del Olmo Lete, Canaanite Religion According to the Liturgical Texts of Ugarit. Second English Edition, thoroughly Revised and Enlarged (AOAT 408), Münster 2014, 156-161. (1) Verzeichnis

des Opfers für die Statue. seid gerufen, rapi3u¯ma der Unter[welt]. (3) Ihr seid geladen, Versammlung des Did[anu]. (4) Gerufen ist Ulkn, der rapi[3u]. (5) Gerufen ist Trmn, der rapi[3u]. (6) Gerufen ist Sdn-w-Rd[n]. (7) Gerufen ist Tr2llmn. (8) Es sind gerufen die alten rapi3u ¯ ma. (9) Ihr seid gerufen, rapi3u ¯ ma der Unterwelt. (10) Ihr seid gerufen, Versammlung des Didanu. (11) Gerufen ist Ammis ˇtamru, der König. (12) Gerufen ist auch Niqmaddu, der König.« (2) »Ihr

261

3. Wissenschaften Wissenschaftliches Interesse in Ugarit zeigt sich anhand verschiedener Texte. So gibt es den Bereich der Naturwissenschaft, dem einige Tontafeln zugeordnet werden können. Hierzu gehören die Hippiatrie (KTU 1.71; 1.72) 1) und die Astronomie (KTU 1.163; 1.178). 2) Das Interesse weiterer Texte liegt in den Bereichen von Mantik (KTU 1.124), Heilkunde (KTU 1.114) und Beschwörung. 3)

3.1 Eine astrologische Omensammlung (KTU 1.163; RIH 78/14) Es geht in dieser Sammlung von Omina um die Auswirkungen diverser Phänomene von Mond, Gestirnen und Wetter auf das Schicksal des Königs und der Menschen seines Reiches. Der nur lückenhaft erhaltene Text verhindert an einigen Stellen ein detailliertes Verstehen der Phänomene. Deutlich ist aber das allen Phänomenen und ihren Deutungen zugrundeliegende Konzept, demzufolge Mikrokosmos und Makrokosmos dergestalt zusammengehören, daß Ereignisse am und im Himmel Auswirkungen haben auf das Geschick des Königs und der Menschen. Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ras Ibn Hani, Nordpalast. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (RIH 78/14). – Erstpublikation: P. Bordreuil / A. Caquot, Les textes en cunéiformes alphabétiques découvertes en 1978 à Ibn Hani, Syr 56 (1980) 343-373, hier 352. – Autographie und Photo: P. Bordreuil / A. Caquot, Les textes en cunéiformes alphabétiques découvertes en 1978 à Ibn Hani, Syr 56 (1980) 343-373, hier 369 fig. 5; M. Dietrich / O. Loretz, Mantik in Ugarit. Keilalphabetische Texte der Opferschau – Omensammlungen – Nekromantie (ALASP 3), Münster 1990, 86; G. del Olmo Lete, Canaanite Religion According to the Liturgical Texts of Ugarit. Second English Edition, thoroughly Revised and Enlarged (AOAT 408), Münster 2014, 298. – Weitere Bearbeitungen und Übersetzungen in Auswahl: M. Dietrich / O. Loretz, Mantik in Ugarit. Keilalphabetische Texte der Opferschau – Omensammlungen – Nekromantie (ALASP 3), Münster 1990, 165-195; G. Theuer, Der Mondgott in den Religionen Syrien-Palästinas. Unter besonderer Berücksichtigung von KTU 1.24 (OBO 173), Freiburg/Göttingen 2000, 80-82; D. Pardee, Ugaritic Science, in: P. M. M. Daviau / J. W. Wevers / M. Weigl (Hg.), The World of the Aramaeans III. Studies in Language and Literature in Honour of Paul-Eugène Dion (JSOT.SS 326), Sheffield 2001, 223-254, hier 239f.; J. F. Cooley, Celestial Divination in Ugarit and Ancient Israel: A Reassessment, JNES 71 (2012) 21-29, hier 23f.; G. del Olmo Lete, Canaanite Religion According to the Liturgical Texts of Ugarit. Second English Edition, thoroughly Revised and Enlarged (AOAT 408), Münster 2014, 296f.407f. VS (1) [Wenn

…], dann wird das Vieh zugrunde gehen.

(2) [Wenn (3) […]

1. 2. 3.

262

der Mond (?) ] im Neumond, dann werden die Menschen und werden ausgelöscht werden.

Einführung und Übersetzung bei H. Niehr, TUAT.NF 6, 2011, 83-88. S. u. 3.1. Vgl. dazu del Olmo Lete, Incantations.

Herbert Niehr (4) [Wenn

am dri]tten Tag der Mond schwach ist an beiden Seiten, dann werden die Könige einander belauern.

(5) [W]enn (6) [gibt

es dreimal sichtbar wird, Monat um Monat, danach es Wol]ken, Regen wird strömen.

(7) [Wenn]

ein Stern fällt am dreißigsten Tag, dann wird der König seinen Feind nicht fa[ss]en.

RS (8) [Wenn]

drei

(9) Unlesbar (10) Wenn

der Mond im Neumond ist und Du[nkel]heit sein wird, dann wird eine Notzeit sein. (11) Und Unlesbar (12) Wenn (13) dann

der Mond in [seinem] Auf[gang] rot wird, wird ihm Glück fehlen. 4)

(14) [Wenn] (15) [dann] (16) [Wenn (17) [dann]

der Mond bei seinem Aufgang gelb wird, wird das Vieh zugrunde gehen. der Mond bei] seinem [Auf]gang rot wird, Versammlung

3.2 Ein astronomisches Protokoll über eine Sonnenfinsternis (KTU 1.78) Die schwierige Verständlichkeit der Tafel hat zu unterschiedlichen Interpretationen geführt. Ausgangspunkt des Textes ist das Phänomen einer Sonnenfinsternis (»es betrat die Sonne ihr Tor.«) am Neumondtag im Monat Hiyyaru, d. h. im Januar bzw. Februar. Angesichts des Verschwindens der Sonne zeigte sich ein bedrohliches astrales Phänomen, welches mit dem Gott Rasˇpu in Verbindung gebracht wurde. Dieser Gott, der als Planet Mars sichtbar war, begann sein unheilvolles Wirken nach dem Eintritt der Sonnenfinsternis. Aufgrund einer drohenden Gefahr sollte eine Leberschau durchgeführt werden. Da der Kontext dieser Ereignisse nicht erzählt wird, ist die Annahme, es handele sich um den Untergang Ugarits, nicht haltbar. Tontafel aus der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Torbereich des Königspalastes. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 3689). – Erstpublikation: C. Virolleaud, Les nouvelles tablettes de Ras Shamra, Syr 28 (1951) 22-56, hier 25-27. – Autographie und Photo: Ch. Virolleaud, Les nouvelles tablettes de Ras Shamra, Syr 28 (1951) 22-56, hier 25. – Weitere Bearbeitungen und Übersetzungen in Auswahl: M. Dietrich / O. Loretz, Mantik in Ugarit. Keilalphabetische Texte der Opferschau – Omensammlungen – Nekromantie 4.

Anders liest del Olmo Lete, Canaanite Religion, 298: »he will have good luck«.

263

Texte aus Syrien

(ALASP 3), Münster 1990, 39-85; W. C. Seitter / H. W. Duerbeck, Astronomische Überlegungen zu dem ugaritischen Text über Sonne und Mars – KTU 1.78, in: ebd. 281-286; D. Pardee, Les textes rituels (RSOu XII), Paris 2000, 416-427; ders., Ugaritic Science, in: P. M. M. Daviau / J. W. Wevers / M. Weigl (Hg.), The World of the Aramaeans III. Studies in Language and Literature in Honour of Paul-Eugène Dion (JSOT.SS 326), Sheffield 2001, 223-254, hier 226f.239; M. Dietrich / O. Loretz, Der Untergang von Ugarit am 21. Januar 1192 v. Chr.? Der astronomische hepastokopische Bericht KTU 1.78 (= RS 12.061), UF 34 (2002) 53-74; J. Kutter, nu¯r ilı¯. Die Sonnengottheiten in den nordwestsemitischen Religionen von der Spätbronzezeit bis zur vorrömischen Zeit (AOAT 346), Münster 2008, 72-76; E. Lipin´ski, Reshep. A Syro-Canaanite Deity (OLA 181), Leuven/Paris/Walpole 2009, 110115; J. F. Cooley, Celestial Divination in Ugarit and Ancient Israel: A Reassessment, JNES 71 (2012) 21-29, hier 24f.; M. M. Münnich, The God Reshep in the Ancient Near East (ORA 11), Tübingen 2013, 127-129; G. del Olmo Lete, Canaanite Religion According to the Liturgical Texts of Ugarit. Second English Edition, thoroughly Revised and Enlarged (AOAT 408), Münster 2014, 295-297.373f. VS (1) Zur

sechsten (Stunde) des Neumondtages Hiyyaru betrat ˘ (3) die Sonne ihr Tor. (4) Ras ˇpu! RS (5) Lebern wurden untersucht: (6) Gefahr! (2) des

3.3 Ein nekromantischer Akt und ein Rezept Den herausragenden Fundort für Texte dieser Gattung bildet die Maison du Prêtre Hourrite auf der Akropolis, d. h. das Haus und das Archiv eines Beschwörers, der in der wissenschaftlichen Literatur auch als Prêtre Magicien bekannt ist. Die archäologische Erforschung dieses Hauses 5) zeigt einen Archivraum (Raum 10) mit 21 Lebermodellen, einem Lungenmodell, etlichen Tafeln mit Texten diverser Genera (Mythen, Rituale, Briefe u. a. m.), einem Tisch zur Leber- und Lungenschau, Reste von Musikinstrumenten6) sowie einen östlich benachbarten Raum (Raum 11) mit einem Grab 7) und einem darauf stehenden Räucherständer, der im Kontext der nekromantischen Praktiken stand. 8)

5. 6. 7. 8.

264

Vgl. dazu J.-C. Courtois, La maison du prêtre aux modèles de poumon et de foies d’Ugarit, Ugaritica VI, Paris 1969, 91-119; ders., Archéologie, DBS IX, 1979, 1126-1295, hier 12671279; Yon, Cité, 110 f. Zum Archiv vgl. J.-C. Courtois, Le contexte archéologique, in: D. Pardee, Les textes para-mythologiques de la 24e campagne (RSOu IV), Paris 1988, 5-11; van Soldt, Studies, 194-203; Pedersén, Archives, 5-11. Zu diesem Grab vgl. Marchegay, Tombes II, 594-602. Zum Räucherständer vgl. Courtois, Maison, 96-100; Yon, Cité, 162 f. no. 40; dies., Support cultuel, in: Galliano/Calvet (Hg.), Origines, 168 no. 152; Marchegay, Tombes II, 598. Zum Rauchaufsteigenlassen in der Nekromantie vgl. etwa KTU 1.17 I 27 und par.

Herbert Niehr

3.3.1 Protokoll einer Befragung zur Heilung von einer Krankheit (KTU 1.124)

Bei KTU 1.124 handelt es sich um das Protokoll einer Nekromantie. Der als Statue präsente Ditanu, der mythische Ahnherr der Dynastie von Ugarit (vgl. KTU 1.161,210), wurde mittels eines nekromantischen Vorgangs nach dem Schicksal eines erkrankten Knaben9) befragt. Als Ort der nekromantischen Handlung ist das Haus des Prêtre Hourrite auf der Akropolis von Ugarit anzunehmen, weil die Tontafel mit dem Protokoll hier archiviert war. Die Identität des Knaben geht aus dem Keilschrifttext nicht hervor. Da aber kein Geringerer als Ditanu befragt wurde, nimmt man häufig an, daß es sich um einen erkrankten Prinzen bzw. den Kronprinzen der Dynastie gehandelt habe. Zudem wurde eine Anzahl von Ritualen und Beschwörungen, die sich auf den Palast bzw. auf den König beziehen, in diesem Haus gefunden, 10) ein Umstand, der als ein zusätzliches Indiz für die Situierung von KTU 1.124 im Rahmen eines Krankheitsfalles im Palast zu bewerten ist. Der in den ersten beiden Textzeilen auftretende »Herr der großen Götter« ist der Nekromant, der Ditanu, den divinisierten Ahn der Königsfamilie (vgl. KTU 1.161,210), befragte. Der Nekromant, hinter dem sich wohl der »hurritische Priester« verbirgt, erhielt Anweisungen für die Durchführung eines Rituals in den Tempeln der Götter Horon und Ba2al und im Palast des Königs. Dabei ist interessant, daß sich der Beschwörer der Kompetenzen zweier unterschiedlicher Götter, Horon und Ba2al, für die Heilung des Knaben versichert, die beide in ihren Tempeln aufgesucht werden. 11) Der Gott Horon ist in zwei weiteren Ritualen aus der Bibliothek des Prêtre Hourrite als Heiler gegen Schlangengift belegt 12) und er ist auch sonst als Heilgott bekannt. 13) Da zudem Myrrhe als Mittel gegen Schlangenbisse eingesetzt wurde, 14) dürfte die Diagnose der Krankheit als Resultat eines Schlangenbisses hieraus resultieren. Es liegt ein Akt der sog. sympathetischen Magie vor, die hier über die Wortgleichheit von mr (»Myrrhe« und »Bitterkeit« = Krankheit) angezeigt wird. 15) Der zweite hier auftretende Gott ist Ba2al, der als Schutzgott des Königtums in den Blick kommt, da die Krankheit eines Prinzen bzw. des Kronprinzen der Dynastie auch ihn angeht. Keilschrifttafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison du Prêtre Hourrite Raum 10. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 6609). – Erstpublikation: 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

Im Unterschied zu den älteren Bearbeitungen wird die Ansetzung von KTU 1.124 als Geburtsorakel mit guten Gründen heute nicht mehr vertreten. Z. B. KTU 1.108; 1.110; 1.111; 1.114; 1.116; 1.120; 1.125. Vgl. hierzu auch del Olmo Lete, Incantations, 205 f. KTU 1.100 und 1.107. Vgl. zuletzt Matoïan, Divinités protectrices, 1214-1219. Zu Myrrhe als Heilmittel vgl. N. Karg, Art. Myrrhe. A. Allgemein, RlA 8, 1993-1997, 534-536; W. Farber, Art. Myrrhe. B. Philologisch, RlA 8, 1993-1997, 536f; M. Siede, Art. Myrrhe, RAC XXV, 2013, 370-378. Vgl. del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 561 f. s. v. mr (I) und mr (III) sowie KTU 1.100, wo sˇmrr im Sinne von »(die Schlange) hat vergiftet« auftritt. S. dazu noch Kutter, nu¯r ilı¯, 111 mit Anm. 580. Auch Pardee, Ritual and Cult, 171 deutet die in KTU 1.124 genannte Krankheit als Folge eines Schlangenbisses.

265

Texte aus Syrien

Ch. Virolleaud, Les nouveaux textes mythologiques et liturgiques de Ras Shamra (XXIVe Campagne, 1961), Ugaritica V, Paris 1968, 545-606, hier 564 no. 6. – Photo und Faksimile: Ch. Virolleaud, Les nouveaux textes mythologiques et liturgiques de Ras Shamra (XXIVe Campagne, 1961), Ugaritica V, Paris 1968, 545-606, hier 563 no. 6; D. Pardee, Les textes para-mythologiques de la 24e campagne (1961) (RSOu IV), Paris 1988, 179-192, hier 181 fig. 14; G. del Olmo Lete, Canaanite Religion According to the Liturgical Texts of Ugarit. Second English Edition, thoroughly Revised and Enlarged (AOAT 408), Münster 2014, 264. – Weitere Bearbeitungen und Literatur: D. Pardee, Les textes para-mythologiques de la 24e campagne (1961) (RSOu IV), Paris 1988, 179-192; A. Caquot, Textes religieux, in: A. Caquot / J.-M. de Tarragon / J.-L. Cunchillos, Textes Ougaritiques II (LAPO 14), Paris 1989, 9123, bes. 119-123; J. Tropper, Nekromantie (AOAT 223), Kevelaer/Neukirchen-Vluyn 1989, 151-156; M. Dietrich / O. Loretz, Gebrauch von Götterstatuen in der Mantik von Ugarit (KTU 1.124), UF 12 (1980) 395f.; dies., Protokoll einer Anfrage anläßlich der Geburt eines Prinzen (KTU 1.124), in: TUAT II/2, Gütersloh 1988, 329-331; dies., Mantik in Ugarit. Keilalphabetische Texte der Opferschau – Omensammlungen – Nekromantie (ALASP 3), Münster 1990, 205-240; D. Pardee, Ritual and Cult at Ugarit, Leiden 2002, 170-172; G. del Olmo Lete, Canaanite Religion According to the Liturgical Texts of Ugarit. Second English Edition, thoroughly Revised and Enlarged (AOAT 408), Münster 2014, 261-265; ders., Incantations and Anti-Witchcraft Texts from Ugarit. With a Contribution by Ignacio Márquez Rowe (SANER 4), Boston/Berlin 2014, 97f.205f.; W. G. E. Watson / N. Wyatt, KTU 1.124 Again: Further Reflexions, UF 45 (2014) 305-311. VS (1) Als

gelangte der Herr großen Götter zu Ditanu (3) und die Entscheidung über das Kind erfragte, (4) da antwortete ihm Ditanu: (5) »Du sollst antworten: Nimm einen Behälter mit Myrrhe (6) und setze ihn in den [T]empel des Horon, eine neue (7) Flasche Myrr[he] nimm und setze sie (8) in den Tempel des Ba2al. Eine Figurine nimm (9) und setze sie in das Haus 16) und (10) sie wird seine Krankheit entfernen.« 17) Und es gelangte (11) dein Bote zu Ditanu. (12) Er nahm die Entscheidung entgegen. (2) der

(13) Und

es antwortete ihm »Das Haus reinige (15) von Fisch und von Hund. 18) Untere Ecke (16) Und danach wird keine Krankheit mehr da sein.« (14) Ditanu:

16. 17.

18.

266

Hiermit ist der Palast gemeint; vgl. auch Z. 14 und del Olmo Lete, Canaanite Religion, 314 Anm. 69. Zur Verwendung von Ritualfigurinen in der hethitischen Religion und zur Translation pathogener Substanzen auf sie vgl. V. Haas, Materia Medica et Magica Hethitica II, Berlin/New York 2003, 569-613, bes. 590 f. und zur Bildung einer Figurine, die die Krankheit des Königs Kirta vertreiben soll, vgl. KTU 1.16 V 1-VI 14 und dazu H. Niehr, TUAT.NF 8, 2015, 263-265 und seitdem noch del Olmo Lete, Incantations, 18-20. So mit Tropper, Grammatik, 824 § 89.11c, der bei »Hund« an »Hundefleisch« denkt. Allerdings ist der Verzehr von Hundefleisch in Ugarit doch fraglich, zumal wenn es sich um den

Herbert Niehr

3.3.2 Ein Rezept gegen die Auswirkungen von Trunkenheit (KTU 1.114)

Diese Tafel verbindet eine Erzählung über ein Ereignis in der Götterwelt mit einem Rezept gegen die Folgen der Trunkenheit. Die anzuwendende Medizin ist deshalb wirksam, da sie in der Götterwelt erfolgreich angewandt wurde. Von dieser Anwendung erzählt die dem Rezept in den Zeilen 1-28 vorgeschaltete historiola. Wie bereits im vorangehenden Text KTU 1.124 geht es auch in KTU 1.114 um einen Krankheitsfall im Palast. Keilschrifttafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison du Prêtre Hourrite Raum 10. – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, Les nouveaux textes mythologiques et liturgiques de Ras Shamra (XXIVe Campagne, 1961), Ugaritica V, Paris 1968, 545-606, hier 545551. – Photo und Faksimile: Ch. Virolleaud, Les nouveaux textes mythologiques et liturgiques de Ras Shamra (XXIVe Campagne, 1961), Ugaritica V, Paris 1968, 545-606, hier 546.548 no. 1. – Weitere Bearbeitungen und Literatur: A. Caquot, Textes Religieux, in: A. Caquot / J.-M. de Tarragon / J.-L. Cunchillos, Textes Ougaritiques II (LAPO 14), Paris 1989, 9238, hier 71-78; D. Pardee, Les textes para-mythologiques de la 24e campagne (1961) (RSOu IV), Paris 1988, 13-74; ders., Ritual and Cult at Ugarit, Leiden 2002, 167-170; M. Dietrich / O. Loretz, Studien zu den ugaritischen Texten I. Mythos und Ritual in KTU 1.12, 1.24, 1.96, 1.100 und 1.114 (AOAT 269/1), Münster 2002, 403-523; G. del Olmo Lete, Canaanite Religion According to the Liturgical Texts of Ugarit. Second English Edition, thoroughly Revised and Enlarged (AOAT 408), Münster 2014, 335-337. VS (1) El

gab ein Bankett in seinem Haus, ein Wildbretgelage inmitten (2) seines Palastes. Er rief zum Tranchieren die Götter: »Es sollen speisen (3) die Götter und trinken!« Sie tranken W[ein] bis zur Sättigung, (4) Most bis zur Trunkenheit. Es behandelte Yarihu (5) sein Rückenstück wie ein H[u]nd, ˘ her unter (6) den Tischen. 19) er bewegte es hin und Der Gott, der ihn kannte, (7) legte ihm Brot hin, und der ihn nicht kannte, (8) schlug ihn mit einem Stock unter den Tischen. Er kam zu (9) Ascherah und Anat. (10) Ascherah bereitete ihm eine Portion (11) und Anat ein Schulterstück. Mit ihnen schimpfte der Torhüter (12) des Palastes Els, sie sollten einem Hund nicht geben (13) eine Portion, einem Welpen nicht geben ein Schulterstück. (14) Mit El, seinem Vater, schimpfte er. El ließ sich nieder (15) und rief seine Trinkgesellschaft zusammen.

19.

Königspalast handelt. Vgl. aber die Verwendung von Hundehaaren (sˇ2r klb) in dem Rezept gegen die Folgen der Trunkenheit (KTU 1.114); s. u. 3.3.2. Zu den Verständnisschwierigkeiten dieses Satzes vgl. die Diskussion zwischen M. Dietrich / O. Loretz, Die Wurzel 2d/db und ihre Ableitungen im Ugaritischen, UF 34 (2002) 75-108, ¯ Ugaritisch gb »Rumpf, Körper«, UF 35 (2003) 657-661. hier 80-83 und J. Tropper,

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Texte aus Syrien

El ließ sich nieder in seinem marzihu. 20) ˙ trank [W]ein bis zur Sättigung, Most bis zur Trunkenheit. (17) El ging zu seinem Haus, er begab sich(18) zu seinem Hof. Es stützten ihn Takumanu (19) und Sˇanuma 21) und es verfolgte¯ ihn Habayu, ˙ und dem Schwanz. 22) (20) der mit den Hörnern Er beschmutzte sich (21) mit seinen Exkrementen und seinem Urin. Es fiel El wie ein Toter, (22) El wie ein Herabsteigender in die Unterwelt. Anat (23) und Astarte gingen auf die Suche. (24) Heiligtum des Ba2al … RS (25) … (26) [As]tarte und Anat (27) und zu ihnen brachte zurück (28) als sie (ihn) heilten da wachte er auf.

(16) Er

(29) Man

lege auf (seine) Stirn: Haare vom Hund. eine pqq-Pflanze 23) und ihren Trieb (31) trinke er mit frischem Olivenöl. (30) Und

20. 21. 22. 23.

268

Hier ist ein Gelageraum gemeint. Zum marzihu als Institution in Ugarit vgl. J. L. McLaughlin, The marzeah at Ugarit. A Textual and ˙Contextual Study, UF 23 (1991) 265-281. ˙ niedrigen Göttern vgl. D. Pardee, Tukamuna wa Sˇunama, UF 20 Zu diesen sonst unbekannten ¯ f.; ders., Art. Thukamuna, (1988) 195-199; B. Becking, Art. Shunamu, in: DDD2, 1991, 776 2 in: DDD , 1991, 866 f. Vgl. zu diesem niedrigen Gott Dietrich/Loretz, Studien, 468-470. Anders S. Noegel, »He of the Two Horns and a Tail«, UF 38 (2006) 537-542, der an ein Epitheton des Gottes El denkt. Eine unbekannte Heilpflanze.

4. Ausbildung, Schreiber- und Gelehrtenkultur Was die alphabetische Keilschrift in Ugarit angeht, so zeigt sich hier ein ganz besonderer Fall von Wissenstransfer, da diese auf zwei Errungenschaften beruht, auf deren Grundlage etwas Neues geschaffen wurde: Es geht dabei um die westsemitische Alphabetschrift auf der einen und um die babylonische Keilschrift auf der anderen Seite. Die westsemitische Alphabetschrift verdankt sich dem hyksoszeitlichen Ägypten, in dem der Bedarf nach einer Verschriftlichung semitischer Sprachen aufkam. 1) Von Ägypten aus wurde diese neue Schrift nach Palästina verbreitet. 2) Ein weiteres bedeutendes Verbreitungszentrum dieser Schrift war Byblos. Nördlich davon in Ugarit ist die Verwendung der Alphabetschrift ab ca. 1260 v. Chr. belegt. 3) Die große Besonderheit der ugaritischen Schrift im Vergleich zu den anderen Alphabetschriften lag darin, daß es sich bei der ugaritischen Schrift um eine keilalphabetische Schrift handelte, für die die babylonische Keilschrift das graphische Vorbild war, und die zugleich den Vorteil bot, daß man mit ihr Tontafeln beschriften konnte. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, daß sich einige spätbronzezeitliche Königreiche Palästinas angesichts der Kosten der Schreiberausbildung bzw. deren Bezahlung Schreiber, die der babylonischen Keilschrift und Sprache mächtig waren, teilten. 4) Dies stellt einen wichtigen Hinweis auf den Wissenstransfer im Syrien der Amarnazeit dar. Die Schreiberausbildung und die damit verbundene Unterweisung in diversen Sprachen und Schriften konnte auf zweierlei Weise von statten gehen. Zum einen ist die Ausbildung in der eigenen Familie belegt, zum anderen die Ausbildung in den Amtsstuben, vor allem in denen des Königspalastes. 5) Für die internationale Korre1.

2. 3.

4.

5.

Vgl. A. Lemaire, Les Hyksos et les débuts de l’alphabet au Proche-Orient ancien, in: R. Viers (Hg), Des signes pictographiques à l’alphabet. La communication écrite en Méditerranée, Paris/Nizza 2000, 103-133; ders., The Spread of Alphabetic Scripts (ca. 1700-500 B.C.E.), Diogenes 218 (2008) 4-57. Vgl. I. Finkelstein / B. Sass, The West Semitic Alphabetic Inscriptions, Late Bronze II to Iron IIA: Archeological Context. Distribution and Chronology, HeBAI 2 (2013) 149-220. Vgl. dazu die Angaben bei H. Niehr, TUAT.NF 8, 2015, 178-181 und dazu noch P. Bordreuil, Les alphabets cunéiformes dans le royaume polyglotte d’Ougarit, in: R. Viers (Hg), Des signes pictographiques à l’alphabet. La communication écrite en Méditerranée, Paris/Nizza 2000, 145-163. Vgl. J.-P. Vita, Canaanite Scribes in the Amarna Letters (AOAT 406), Münster 2015, 119-150 und M. Weippert, Keilschrift in Kanaan. Mesopotamische Keilschrift und akkadische Sprache im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. in Palästina, in: U. Hübner / H. Niehr (Hg.), Sprachen in Palästina im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. (ADPV 43), Wiesbaden 2017, 26-74. Zur Schreiberausbildung in Ugarit und ihrem Curriculum vgl. W. H. van Soldt, Babylonian Lexical, Religious and Literary Texts and Scribal Education at Ugarit and its implications for the alphabetic literary texts, in: M. Dietrich / O. Loretz (Hg.), Ugarit. Ein ostmediterranes Kulturzentrum im Alten Orient I. Ugarit und seine altorientalische Umwelt (ALASP 7), Münster 1995, 171-212; Márquez Rowe, Scribes; R. Hawley, On the Scribal Curriculum at Ugarit, in: R. Biggs / J. Myers / M. T. Roth (Hg.), Proceedings of the 51st Rencontre Assyriologique Internationale Held at the Oriental Institute of the University of Chicago, July 18-22, 2005, Chicago 2008, 57-67; M.-F. Besnier, Remarques préliminaires sur la place des textes d’Emar et d’Ougarit dans l’établissement de la liste lexicale Ur5-RA : hubullu III, in: C. Roche-Hawley / ˘ R. Hawley (Hg.), Scribes et érudits dans l’orbite de Babylone (Orient et Méditerranée 9), Paris 2012, 119-137; D. Pardee, The Ugaritic Texts and the Origins of West-Semitic Literary

269

Texte aus Syrien

spondenz mußten auch Sprachen gelernt werden. Dazu dienten mehrsprachige lexikalische Listen, von denen in Ugarit dreisprachige (Sumerisch, Akkadisch, Hurritisch) und viersprachige (Sumerisch, Akkadisch, Hurritisch, Ugaritisch) belegt sind. 6) Dazu tritt die Tätigkeit ausländischer Schreiber und Gelehrter in Ugarit. Bei den Schultexten in ugaritischer Keilschrift haben die Alphabettäfelchen mit dem Konsonantenalphabet in der westsemitischen Anordnung zahlenmäßig den größten Anteil. Bislang sind in Ugarit 14 dieser Täfelchen gefunden worden. 7) Dazu kommt aus der Maison d’Ourtenu ein Täfelchen mit der südsemitischen Reihenfolge (KTU 5.27), 8) die schon vorher aufgrund eines Fundes in Beth Schemesch bei Bethlehem bekannt war (KTU 5.24). Die Übungstexte gestatten weitere Einblicke in die Schreiberausbildung. So gibt es Tafeln mit Personennamen, die mit 3i (KTU 5.18) oder mit y (KTU 5.1) beginnen. Eine Alphabettafel läßt zwei unterschiedliche Hände erkennen: Die geübte Hand des Lehrers und die noch ungelenke Hand des Schülers (KTU 5.20). Dann gibt es die Kombination von Konsonanten mit ihren syllabischen bzw. phonetischen Äquivalenten (KTU 5.14; 5.15) bzw. mit syllabischen Zeichen (KTU 5.16; 5.17; 5.34). Belegt sind auch Fälle, in denen einzelne Worte wie hmr (»Esel«, »Ladung«) (KTU 5.3), di˙ verse Personennamen (KTU 5.7), Personennamen mit einzelnen Wörtern (KTU 5.22) und das Verfassen eines Briefes (KTU 5.9; 9) 5.10; 5.11; 5.33) geübt wurden. Sodann sind auch KTU 1.7, dem ein Teil des Ba2alzyklus (KTU 1.3 II-III) zugrunde liegt, KTU 1.9 mit einer ausführlicheren Version von KTU 1.2 IV 1-5 sowie KTU 1.133 mit KTU 1.5 I 2-11 als Vorlage und KTU 1.152 als Schultexte anzusprechen.10) Als Fundorte der Alphabettäfelchen und der Schultexte in Ugarit lassen sich der Königspalast (KTU 5.5; 5.6; 5.7; 5.8; 5.9; 5.13; 5.14, 5.25; 5.30; 5.32), das Haus des Oberpriesters (KTU 5.1), das Haus des Rasˇapabu (KTU 5.10; 5.11), das Haus des Yabninu (KTU 5.12), das Haus des Rap3anu (KTU 5.15; 5.16; 5.17; 5.26), das Haus der literarischen Texte (KTU 5.19), das Haus des hurritischen Priesters (KTU 5.20; 5.21; 1.133; 1.152) und das Haus des Urtenu (KTU 5.27; 5.28; 5.33; 5.34) nennen. Damit bestätigt sich, daß die Schreiberausbildung in den Gelehrtenhäusern stattfand.

6. 7. 8. 9. 10.

270

Composition. The Schweich Lectures of the British Academy 2007, Oxford/New York 2012, 41-50; J. C. Fincke, The School Curricula from Hattusˇa, Emar and Ugarit: A Comparison, in: W. S. van Egmond / W. van Soldt (Hg.), Theory˘ and Practice of Knowledge Transfer. Studies in School Education in the Ancient Near East and Beyond (PIHANS CXXI), Leiden 2012, 85101; C. Roche-Hawley / R. Hawley, An Essay on Scribal Families, Tradition, and Innovation in Thirteenth-Century Ugarit, in: B. J. Collins / P. Michalowski (Hg.), Beyond Hatti. A Tribute to Garry Beckman, Atlanta 2013, 241-264; W. van Soldt, Craftsmanship and Craftsmen in Ugarit, in: A. Archi (Hg.), Tradition and Innovation in the Ancient Near East. Proceedings of the 57th Rencontre Assyriologique Internationale Rome 4-8 July 2011, Winona Lake 2015, 567-575, hier 568-570; J. Yogev / Sh. Yona, A Poetic Letter: The Ugaritic Tablet RS 16.265, SEL 31 (2014) 51-58. Vgl. J. Nougayrol, Textes Suméro-Accadiens des Archives et Bibliothèques privées d’Ugarit, Ugaritica V, Paris 1968, 1-446, hier 199-251. KTU 5.4; 5.6; 5.8 (unvollständig); 5.9 I linker und rechter Rand; 5.12; 5.13; 5.14; 5.15; 5.16; 5.17; 5.19; 5.20; 5.21; 5.25. S. u. 4.3. S. u. 4.2. Vgl. dazu M. Dietrich / O. Loretz, Mythen als Schultexte, UF 23 (1991) 90-102.

Herbert Niehr

Das Schwergewicht der Schreiberausbildung lag dabei im Königspalast, wo auch der größte Teil der Verwaltung der Stadt und des Königsreichs seinen Ort hatte. Außerhalb von Ugarit wurden Inschriften im ugaritischen (Kurz-)Alphabet gefunden. So in Tiryns (Griechenland) (KTU 6.104), Hala Sultan Tekke (Zypern) (KTU 6.68), Tell Sukas (KTU 4.766) und Qadesch (Syrien) (KTU 6.71), Ka¯mid el-Lo¯z/Kumidi (KTU 6.2; 6.67) und Sarepta (Libanon) (KTU 6.70), im Tabor-Tal (KTU 6.1), in Tell Ta3anak (KTU 4.767) und in Beth Schemesch (Israel) (KTU 5.24). 11)

4.1 Ein Alphabettäfelchen in westsemitischer Konsonantenfolge (KTU 5.6) Das im Westeingang des Königspalastes der Stadt Ugarit aufgefundene Alphabettäfelchen stellt zusammen mit den anderen im Palast gefundenen Alphabeten ein Indiz für eine im Palast angesiedelte Schule zur Beamtenausbildung dar. Das kleine Täfelchen von 5,2 cm Länge und 1,7 cm Höhe weist das ugaritische Langalphabet von 30 Zeichen auf. Der ursprüngliche Umfang des Alphabets umfaßte 27 Zeichen (3a – t); die letzten drei Zeichen, 3i, 3u und s´ stellen das Ergebnis einer sekundären Erweiterung dar. Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Westeingang des Königspalastes. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 3651). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, Un abécédaire du XIVe siècle av. J.-C., provenant de Ras Shamra, CRAI 1950, 71-74. – Autographie und Photo: Ch. Virolleaud, Les nouvelles tablettes de Ras Shamra, Syr 28 (1951) 22-56, hier 22. – Weitere Bearbeitungen in Auswahl: R. Hawley, Apprendre à écrire à Ougarit: une typologie des abécédaires, in: C. Roche (Hg.), D’Ougarit à Jérusalem. Recueil d’études épigraphiques et archéologiques offert à Pierre Bordreuil (Orient et Méditerranée 2), Paris 2008, 215-232, hier 217-219.223f. (1) 3a

b g h d h w z h t y k sˇ l ˙ d n ˘z s 2 p s q ˙r t ¯ ˙ (3) g ˙ t 3i 3u˙s´ (2) m

11.

Vgl. dazu M. Dietrich / O. Loretz, Die Keilalphabete. Die phönizisch-kanaanäischen und altarabischen Alphabete in Ugarit (ALASP 1), Münster 1988, 145-296; dies., Rhabdomantie im mykenischen Palast von Tiryns, UF 42 (2010) 141-159; Tropper, Grammatik, 73-80; J. Tropper / J.-P. Vita, Die keilalphabetische Inschrift aus Tiryns, UF 42 (2010) 693-696; P. Bordreuil, Écriture dextroverse/senestroverse: Quelques réflexions sur l’histoire de l’alphabet cunéiforme d’Ougarit, in: E. Devecchi (Hg.), Palaeography and Scribal Practices in Syro-Palestine and Anatolia in the Late Bronze Age (PIHANS CXIX), Leiden 2012, 1-18; ders., L’usage de l’écriture et de la langue ougaritiques en Palestine, in: U. Hübner / H. Niehr (Hg), Sprachen in Palästina im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. (ADPV 43), Wiesbaden 2017, 75-90; J. Yogev / Sh. Yona, Epigraphic Notes on KTU 6.1, UF 45 (2014) 313-317; M. Dietrich, Die keilalphabetische Inschrift KTU 6.1 auf dem Bronzemesser aus dem Tabor-Tal, UF 46 (2015) 101-104.

271

Texte aus Syrien

4.2 Ein Übungsbrief mit Alphabet und Schreibübung (KTU 5.9) Dieser Tontafel kommt ein besonderes Interesse zu, da sie auf ihrer Vorderseite einen Brief, drei Alphabete auf dem rechten, oberen und linken Rand der Tafel und Schreibübungen einzelner Buchstaben und Wörter auf der Rückseite enthält. Daß es sich um einen nicht ernst zu nehmenden Übungsbrief handelt, zeigen der Adressat mnn (»An Wen auch immer«) sowie die Zeilen 9-16, die mit unterschiedlichen Formen des Verbs ytn (»geben«) spielen. Für den Inhalt der Schulbildung ist interessant, daß Zitate aus dem, bzw. Anspielungen auf den Ba2alzyklus (vgl. Z. 1516 mit KTU 1.4 III 14-16), das Kirta-Epos (vgl. Z. 15-16 mit KTU 1.15 II 16) und das Aqhatu-Epos (vgl. Z. 10-11 mit KTU 1.19 IV 5-6) vorliegen. Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Königspalast Raum 73. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 4339). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, Lettres privées, in: ders., Textes en Cunéiformes alphabétiques des Archives Est, Ouest et Centrales (PRU II), Paris 1957, 39-44, hier 39f. no. 19. – Autographie und Photo: Ch. Virolleaud, Lettres privées, in: ders., Textes en Cunéiformes alphabétiques des Archives Est, Ouest et Centrales (PRU II), Paris 1957, 39-44, hier 39 no. 19 und pl. VII; J.-P. Vita, The Scribal Exercise RS 16.265 from Ugarit in its Near-Eastern Context, in: T. Boiy et al. (Hg.), The Ancient Near East, A Life! Festschrift Karel van Lerberghe (OLA 220), Leuven 2012, 645-652, hier 652 fig. 1. – Weitere Bearbeitungen und Übersetzungen: M. Dietrich / O. Loretz, Die Keilalphabete. Die phönizisch-kanaanäischen und altarabischen Alphabete in Ugarit (ALASP 1), Münster 1988, 185; R. Hawley, Apprendre à écrire à Ougarit: une typologie des abécédaires, in: C. Roche (Hg.), D’Ougarit à Jérusalem. Recueil d’études épigraphiques et archéologiques offert à Pierre Bordreuil (Orient et Méditerranée 2), Paris 2008, 215-232, hier 226-228; J.-P. Vita, The Scribal Exercise RS 16.265 from Ugarit in its Near-Eastern Context, in: T. Boiy et al. (Hg.), The Ancient Near East, A Life! Festschrift Karel van Lerberghe (OLA 220), Leuven 2012, 645-652; J. Yogev / Sh. Yona, A Poetic Letter: The Ugaritic Tablet RS 16.265, SEL 31 (2014) 51-58. (1) [B]otschaft

des Ittl. (2) An Wen auch immer. Die Götter (3) mögen Dich schützen, ¯ stark machen tausend Tage (5) und zehntausend Jahre (6) bis in Dich bewahren, (4) Dich Ewigkeit.

(7) Eine

Bitte habe ich (8) an meinen Bruder, meinen Freund.

(9) Daß

er gebe (10) seinem Bruder, seinem Freund, (11) einem Freund für die Ewigkeit: Du in der Tat geben, (13) und bitte gib, (14) und gib in der Tat (15) eine Schale Wein, (16) daß ich sie trinke.

(12) Mögest

4.3 Ein Alphabettäfelchen in südsemitischer Konsonantenfolge (KTU 5.27) Seit seiner Auffindung in der Maison d’Ourtenu im Jahre 1988 und seiner Publikation im Jahre 1995 hat dieses Alphabettäfelchen das besondere Interesse der Forscher auf sich gezogen, weil es abweichend von allen anderen Alphabettäfelchen aus Ugarit nicht die westsemitische, sondern die südsemitische Konsonantenfolge auflistet. Dies 272

Herbert Niehr

ist auch der Fall bei dem in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts in Bet Schemesch südwestlich von Jerusalem gefundenen und 1987 publizierten Täfelchen KTU 5.24, 12) von dem KTU 5.27 nur leicht abweicht. Mit dem überraschenden Fund dieses Alphabettäfelchens in der Maison d’Ourtenu in Ugarit verbinden sich diverse Überlegungen zur Genese und Verbreitung der Konsonantenschrift, ohne daß derzeit eine Übereinkunft absehbar wäre. Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison d’Ourtenu. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 7792). – Erstpublikation: P. Bordreuil / D. Pardee, Un abécédaire du type sud-sémitique découvert en 1988 dans les fouilles archéologiques françaises de Ras Shamra-Ougarit, CRAI 1995, 855-860; P. Bordreuil / D. Pardee, Textes alphabétiques en Ougaritique. 8. Abécédaire, in: M. Yon / D. Arnaud (Hg.), Études Ougaritiques I. Travaux 1985-1995 (RSOu XIV), Paris 2001, 341-348. – Autographie und Photo: P. Bordreuil / D. Pardee, Un abécédaire du type sud-sémitique découvert en 1988 dans les fouilles archéologiques françaises de Ras Shamra-Ougarit, CRAI 1995, 855-860, hier 856 fig. 1; P. Bordreuil / D. Pardee, Textes alphabétiques en Ougaritique. 8. Abécédaire, in: M. Yon / D. Arnaud (Hg.), Études Ougaritiques I. Travaux 1985-1995 (RSOu XIV), Paris 2001, 341-348, hier 348 fig. 32. – Weitere Bearbeitungen und Übersetzungen: P. Bordreuil / D. Pardee, Un abécédaire du type sud-sémitique découvert en 1988 dans les fouilles archéologiques françaises de Ras Shamra-Ougarit, CRAI 1995, 855-860; H. Hayajneh / J. Tropper, Die Genese des altsüdarabischen Alphabets, UF 29 (1997) 183-198; R. Hawley, Apprendre à écrire à Ougarit: une typologie des abécédaires, in: C. Roche (Hg.), D’Ougarit à Jérusalem. Recueil d’études épigraphiques et archéologiques offert à Pierre Bordreuil (Orient et Méditerranée 2), Paris 2008, 215-232, hier 225; Chr. J. Robin, La lecture et l’interprétation de l’abécédaire Ra3s Shamra 88.2215. La preuve par l’Arabie? in: C. Roche (Hg.), D’Ougarit à Jérusalem. Recueil d’études épigraphiques et archéologiques offert à Pierre Bordreuil (Orient et Méditerranée 2), Paris 2008, 233-244; P. Bordreuil, Écriture dextroverse/senestroverse: Quelques réflexions sur l’histoire de l’alphabet cunéiforme d’Ougarit, in: E. Devecchi (Hg.), Palaeography and Scribal Practices in Syro-Palestine and Anatolia in the Late Bronze Age (PIHANS CXIX), Leiden 2012, 1-18, hier 7-9. (1) h

lhmqwtr t ˙d sˇ k n h ¯ (3) s s p 3 2 z g ˘d g ˙ ˙ (4) t˙ z y ˙ (2) b

(5) x

12.

qr

Vgl. A. Loundine, L’abécédaire de Beth Shemesh, Le Muséon 100 (1987) 243-250.

273

5. Verwaltung und soziale Organisation Wie generell im Alten Orient bildete auch in Ugarit das Königtum das Bindeglied zwischen der Welt der Götter und der Welt der Menschen. Seine vornehmste Aufgabe bestand in der Umsetzung der göttlichen Ordnung in der Welt der Menschen und damit in der Vermittlung von Heil und Segen der Götter. 1) Die Könige beteten zu den Göttern und es wurde auch zu ihnen als Fürsprecher gebetet.2) Dem Königtum kam deshalb eine besondere Position vor allen anderen sozialen Institutionen zu. Sein Inhaber war ein sterblicher Mensch, der jedoch nach seinem Tode in den Rang von Göttern erhoben wurde. Dies zeigt eine Reihe einschlägiger Quellen aus Ugarit: Die Götterlisten mit der Kategorie der malaku¯ma (KTU 1.118,32), 3) das Ritual zur Aufnahme des verstorbenen Königs in die Gruppe der rapi3u¯ma der Unterwelt (KTU 1.161), 4) die Epen von Kirta (KTU 1.14-16) und Aqhatu unter Einschluß der rapi3u¯ma-Texte (KTU 1.17-19; 1.20-22), 5) die Ikonographie der verstorbenen Könige 6) sowie die Archäologie der zone funéraire des Königspalastes 7) und des sanctuaire aux rhytons im Zentrum von Ugarit. 8) Verwaltung und Rechtspflege waren neben dem Kult die wichtigsten Maßnahmen für die Etablierung der Ordnung in Ugarit und seinem Königreich. Aufgrund einer Vielzahl schriftlicher Quellen in Akkadisch und Ugaritisch sind Verwaltung und Rechtspflege in Ugarit gut dokumentiert. Aber auch die epische Literatur kennt den König als Organ der Rechtsprechung (KTU 1.16 VI 33-34.45-47; 1.19 I 19-25). Die soziale Organisation Ugarits zeigt sich abgestuft in diverse Ränge mit dem König an der Spitze, der königlichen Familie und dem Hofstaat, den Großgrundbesitzern und Kaufleuten und der sehr viel größeren Schicht von Beamten, Priestern, Schreibern, Bediensteten, Soldaten, Seeleuten, Handwerkern, Bauern, Viehzüchtern und Hirten. 1.

2. 3. 4. 5. 6. 7.

8.

274

Vgl. H. Niehr, Ein Beitrag zur Konzeption des Königtums in Ugarit, in: R. Rollinger / B. Truschnegg (Hg.), Altertum und Mittelmeerraum: Die antike Welt diesseits und jeneits der Levante. Festschrift für Peter W. Haider zum 60. Geburtstag (Oriens et Occidens 12), Stuttgart 2006, 161-181; ders., The King’s Two Bodies: Political Dimensions of the Royal Cult of the Dead at Ugarit, Byblos and Qatna, in: P. Pfälzner / M. al-Maqdissi (Hg.), Qatna and the Networks of Bronze Age Globalism. Proceedings of the International Conference˙in Stuttgart and Tübingen in October 2009 (QSS 2), Wiesbaden 2015, 157-177. D. Kühn, Die »Zwei Körper des Königs« in den westsemitischen Kulturen. Ugarit, aramäische Königreiche, Phönizien, Ammon, Moab, Israel und Juda (Kasion 4), Münster 2018, 73-128. Vgl. Niehr, Königtum und Gebet. Zu den malaku¯ma vgl. zuletzt del Olmo Lete, Religion, 168 f. Zu KTU 1.161 s. o. 2.2. Die Texte zuletzt bei H. Niehr, TUAT.NF 8, 2015, 237-301. Vgl. H. Niehr, Le roi divinisé et son image dans le culte à Ougarit, in: Th. Römer (Hg.), Représenter dieux et hommes dans le Proche-Orient ancien et dans la Bible (OBO 287), Leuven 2019, 88-111. Vgl. H. Niehr, Ein König wird zum Gott. Bestattung und Nachleben der Könige von Ugarit, Antike Welt 37 (2006) 47-52; ders., The Topography of Death in the Royal Palace of Ugarit. Preliminary Thoughts on the Basis of Archaeological and Textual Data, in: J.-M. Michaud (Hg.), Le Royaume d’Ougarit de la Crète à l’Euphrate. Nouveaux Axes de Recherche (POLO 2), Sherbrooke (Québec) 2007, 219-242; ders., Bestattung und Nachleben, 150-152. Vgl. H. Niehr, Der sanctuaire aux rhytons in Ugarit: Überlegungen zu seiner Bedeutung und Funktion im Kult der Stadt, JNWSL 40/2 (2014) 71-96.

Herbert Niehr

Dabei ist die Abhängigkeit etlicher Menschen zu berücksichtigen. Es gab eine Klasse der in königlichen Diensten stehenden Menschen (bnsˇ mlk), es gab die in einer Dienst- bzw. Abgabenpflicht (unt) befindlichen Menschen, des Weiteren Knechte ¯ und Mägde sowie Kriegsgefangene. Deren Status konnte z. B. durch einen Freikauf geändert werden. Eigens aufgelistet wurden die in Ugarit (z. T. nur temporär) ansässigen Ausländer, die z. B. aus Mesopotamien, Anatolien, Zypern, Kreta, Ägypten oder Palästina und dem Libanon stammten.

5.1 Ein Freikauf mit Dienstantichrese (KTU 3.4) Dieser königliche Rechtstext trägt zwei Siegelungen mit der Inschrift eines Königs Niqmaddu von Ugarit. Bei diesem dürfte es sich um König Niqmaddu IV. handeln (ca. 1225/20-1215 v. Chr.). Die Besonderheit dieses Rechtstextes beruht darauf, daß ein Bürger von Ugarit und seine Familie bei Bürgern von Beirut, die in Ugarit ansässig waren, verschuldet waren. Ein Ugariter namens Ewrikili kaufte diese sieben verschuldeten Personen um 100 Sˇeqel Silber dahingehend frei, daß sie erst wieder der Dienstbzw. Abgabenpflicht unterlagen, wenn sie die 100 Sˇeqel an Ewrikili zurückerstattet hatten. Dieser Akt wurde mit dem königlichen Siegel beurkundet. Die Gründe für die Verschuldung einer Familie aus Ugarit bei einigen in Ugarit ansässigen Beirutern sind aus dem Dokument nicht ersichtlich. Ihr Loskauf bedeutete wohl, daß die verschuldete Familie ihren Grundbesitz nicht unter Wert verkaufen mußte. Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Königspalast Hof V. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 4296). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, Actes royaux, in: ders., Textes en Cunéiformes alphabétiques des Archives Est, Ouest et Centrales (PRU II), Paris 1957, 15-35, hier 18f. no. 6. – Autographien und Photos: Ch. Virolleaud, Actes royaux, in: ders., Textes en Cunéiformes alphabétiques des Archives Est, Ouest et Centrales (PRU II), Paris 1957, pl. VIII; C. F.-A. Schaeffer, Recueil des sceaux et cylindres hittites imprimés sur les tablettes des Archives Sud du Palais de Ras Shamra, Ugaritica III, Paris 1956, 1-86, hier, 78-80 fig. 100-102. – Übersetzungen und Bearbeitungen in Auswahl: B. Kienast, Rechtsurkunden in ugaritischer Sprache, UF 11 (1979) 431-452, hier 432.448-445; D. Pardee, Les textes juridiques en langue ougaritique. Avec la collaboration de R. Hawley, in: S. Démare-Lafont / A. Lemaire (Hg.), Trois millénaires de formulaires juridiques (Hautes Études Orientales – Moyen et Proche-Orient IV/48), Genf 2010, 125-140, hier 130-131; I. Márquez-Rowe, The Royal Deeds of Ugarit. A Study of Ancient Near Eastern Diplomatics (AOAT 335), Münster 2006, 61.196.205; T. Yamayoshi, Von der Auslösung zur Erlösung. Studien zur Wurzel PDY im Alten Orient und im Alten Testament (WMANT 134), Neukirchen-Vluyn 2013, 103-106; D. Johnson, Redemption at Ugarit. KTU 3.4 in Light of Akkadian Legal Traditions at Ugarit, UF 45 (2014) 209-225. VS Siegel

des Niqmaddu, des Königs von Ugarit. Siegel des Niqmaddu, des Königs von Ugarit. (1) Von diesem Tag an (2) hat Ewrikili freigekauft (3) Agdn, den Sohn des Nwgn, (4) und Ynhm, seinen Bruder, (5) und B2ln, seinen Bruder, ˙ Rand (6) und H[[t]]ttn, seinen Bruder, (7) und Btsˇy, seine Tochter, (8) und Isˇtrmy, Unterer ˙ ¯ ¯ 275

Texte aus Syrien

Tochter des 2Abdmlk, (seine) Fra[u], (10) und Snt[[b]], (11) aus Ugarit. 9) (12) Und es kaufte s[ie] frei (13) Ewrikili mit 100 (14) (Sˇeqel) Silber aus der Hand (15) der Beiruter (16) [und eine Die]nstpflicht 10) ist nicht (17) auf ihnen, bis sie zurückgeben (18) das Silber des Ewrikili. (19) Dann kehren sie zu ihrer Dienstpflicht zurück. RS (9) die

5.2 Eine Freilassung aus dem königlichen Dienst (KTU 3.12) Auch dieser königliche Rechtstext trägt ein Siegel mit der Inschrift eines Königs Niqmaddu von Ugarit. Bei diesem dürfte es sich wiederum um Niqmaddu IV. handeln (ca. 1225/20-1215 v. Chr.). Vor Z. 1 ist vermutlich der Abdruck des königlichen Siegels abgebrochen. 11) Inhaltlich geht es um die Freilassung einer Person namens Sitqusˇalimu aus der königlichen Dienstpflicht. Die Hintergründe dieser Freilassung ˙ ˙ aus dem Dokument nicht ersichtlich. sind Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Königspalast Raum 31. Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 399342). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, Actes royaux, in: ders., Textes en Cunéiformes alphabétiques des Archives Est, Ouest et Centrales (PRU II), Paris 1957, 15-35, hier 17f. no. 5. – Autographien und Photos: Ch. Virolleaud, Actes royaux, in: ders., Textes en Cunéiformes alphabétiques des Archives Est, Ouest et Centrales (PRU II), Paris 1957, 15-35 pl. VIII/5. – Weitere Bearbeitungen und Übersetzungen: B. Kienast, Rechtsurkunden in ugaritischer Sprache, UF 11 (1979) 431-452, hier 445-447; I. Márquez-Rowe, The Royal Deeds of Ugarit. A Study of Ancient Near Eastern Diplomatics (AOAT 335), Münster 2006, 47f.; D. Pardee, RS 94.2168 and the Right of the Firstborn at Ugarit, in: W. H. van Soldt (Hg.), Society and Administration in Ancient Ugarit. Papers read at a symposium in Leiden, 13-13 December 2007 (PIHANS CXIV), Leiden 2010, 94106, hier 104; ders., Les textes juridiques en langue ougaritique. Avec la collaboration de R. Hawley, in: S. Démare-Lafont / A. Lemaire (Hg.), Trois millénaires de formulaires juridiques (Hautes Études Orientales – Moyen et Proche-Orient IV/ 48), Genf 2010, 125-140, hier 130.

soll herangezogen werden Sitqusˇalimu (2) für die Dienstpflicht. Wie die Sonne, ˙ ˙ (5) von der Dienstpflicht in Ewigkeit. (6) Siegel des rein ist, so (4) ist rein Sitqusˇalimu ˙ ˙ Niqmaddu, (7) des Königs von Ugarit. (8) Niqmaddu, der König von Ugarit, (9) hat ausgestellt diese Urkunde (10) der Freistellung 12) des Sitqusˇalimu, (11) dieses seines Dieners. ˙˙ (12) Und niemand nehme weg (1) Nicht (3) die

Unterer Rand (13) diese

9. 10.

11. 12.

276

Urkunde des Königs (14) dem Sitqusˇalimu (15) in Ewigkeit! ˙˙

Wörtlich bt ugrt (›eine Tochter Ugarits‹). Vgl. zu den möglichen Implikationen dieser Formulierung, die insofern überrascht als die ganze Familie aus Ugarit stammt, die Überlegungen bei Johnson, Redemption, 212 Anm. 11. Zu unt (= akkadisch ilku/pilku) im Sinne von Verpflichtung, Dienstpflicht und Steuer sowie ¯ zur Dienstund Steuerverpflichtung vgl. Heltzer, Rural Community, 7-47; del Olmo Lete/ Sanmartín, Dictionary, 81 f. s. v. 3unt; K. M. McGeough, Exchange Relationships at Ugarit ¯ MA, 2007, 123-128. (ANES Suppl. 26), Leuven/Paris/Dudley, So mit CAT z. St. Wörtlich tbrrt (»Reinheit«); vgl. brr (»rein«) in Z. 3 und 4.

Herbert Niehr

5.3 Eine königliche Festsetzung zu Erbe und Nachfolge (KTU 3.32) Dieser Rechtstext behandelt den Fall des Abdimilku, der Söhne von einer Tochter des Königs, sowie von freigeborenen Frauen und von Mägden hat, und er legt mit Bestätigung des Königs Ammisˇtamru III. (ca. 1260-1230 v. Chr.) fest, daß der Mann frei über seinen Besitz an Häusern, Feldern und Weiden im Hinblick auf dessen Vermächtnis an seine Erben verfügen konnte. Hiermit wurde ein einzelner Sohn als erbberechtigt deklariert. Dementsprechend war Abdimilku auch frei in der Verfügung, wen er von seinen Söhnen ohne Erbe entlassen wollte. Bemerkenswert ist der Umstand, daß die Söhne der Königstochter trotz ihrer Abstammung vom Königshof keine besonderen Privilegien genossen. Daß Abdimilku einen derartigen Rechtsakt mit königlicher Genehmigung setzen konnte, verweist auf sein hohes Ansehen am königlichen Hof. Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison d’Ourtenu. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 7842). – Erstpublikation: P. Bordreuil / D. Pardee, Manuel d’Ougaritique II, Paris 2004, 105 no. 38; P. Bordreuil / D. Pardee / R. Hawley, Une bibliothèque au Sud de la Ville. Textes 1994-2002 en cunéiforme alphabétique de la Maison d’Ourtenou (RSOu XVIII), Lyon 2012, 135-143 no. 56. – Autographien und Photos: P. Bordreuil/D. Pardee, Manuel d’Ougaritique I, Paris 2004, 159; P. Bordreuil / D. Pardee / R. Hawley, Une bibliothèque au Sud de la Ville. Textes 1994-2002 en cunéiforme alphabétique de la Maison d’Ourtenou (RSOu XVIII), Lyon 2012, 135-141. – Weitere Bearbeitungen und Übersetzungen: J. Tropper, Zehn neue Texte aus Ugarit, UF 36 (2004) 511-522, hier 516f.; D. Pardee, RS 94.2168 and the Right of the Firstborn at Ugarit, in: W. H. van Soldt (Hg.), Society and Administration in Ancient Ugarit. Papers read at a symposium in Leiden, 13-14 December 2007 (PIHANS CXIV), Leiden 2010, 94-106; ders., Les textes juridiques en langue ougaritique. Avec la collaboration de R. Hawley, in: S. Démare-Lafont / A. Lemaire (Hg.), Trois millénaires de formulaires juridiques (Hautes Études Orientales – Moyen et Proche-Orient IV 48), Genf 2010, 125-140, hier 130-131.

diesem Tag an (2) vor Ammisˇtamru, (3) dem Sohn des Niqmepa2, (4) dem König von Ugarit:

VS (1) Von

(5) Die

Häuser (und) die Felder, die gegeben hat (6) der König an Abdimilku (7) und an seine Söhne, nämlich an (8) die Söhne des Palastes, (9) an die Söhne seiner freigeborenen Frauen (10) und an die Söhne seiner Mägde:

(11) Demjenigen,

dimilku geben

den liebt Abdimilku (12) von seinen Söhnen, diesem Sohn (13) kann AbHäuser, seine Felder, (15) seine Weiden.

(14) seine

Unterer Rand

2Abdimilku, (17) was seine Söhne betrifft: Nach RS (18) seinem Willen verfügt er über sie. (19) Wenn es der Wille des 2Abdimilku ist, (20) seine Söhne zu entlassen, dann nach seinem (21) Willen entläßt er sie. (16) Und

(22) Wenn

er es wünscht, zu entlassen (23) seine Söhne der Tochter des Königs, (24) dann nach seinem Willen (25) entläßt er sie. Und wenn (26) es sein Wille ist, zu entlassen die 277

Texte aus Syrien

Söhne der freigeborenen Frauen (27) und die Söhne seiner Mägde, (28) dann nach seinem Willen (29) entläßt er sie.

5.4 Ein Dokument zur Landerschließung (KTU 3.33) Der bekannte Geschäftsmann Yabninu, dessen Residenz südlich des Königspalastes in Ugarit gelegen war, 13) erschloß diesem Dokument zufolge den Wasser- und Landreichtum einer Gebirgsgegend im Umland von Ugarit. Im Gegenzug zu dieser Investition erlangte Yabninu eine Freiheit von den unt-Abgaben14) an den Palast, was ¯ bedeutet, daß er selber diese Erträge für sich behalten konnte.15) Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison d’Ourtenu. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 8089). – Erstpublikation: P. Bordreuil / D. Pardee, Manuel d’Ougaritique II, Paris 2004, 106f. no. 39. – Autographie und Photo: P. Bordreuil / D. Pardee / R. Hawley, Une bibliothèque au Sud de la Ville. Textes 1994-2002 en cunéiforme alphabétique de la Maison d’Ourtenou (RSOu XVIII), Lyon 2012, 141. – Weitere Bearbeitungen und Übersetzungen: J. Tropper, Zehn neue Texte aus Ugarit, UF 36 (2004) 511-522, hier 518; P. Bordreuil / D. Pardee / R. Hawley, Une bibliothèque au Sud de la Ville. Textes 1994-2002 en cunéiforme alphabétique de la Maison d’Ourtenou (RSOu XVIII), Lyon 2012, 141-145. VS (1) (Was

das) Bergland von Aganayu, (2) das Yabninu erschlossen hat, (3) zusammen mit seinen Grenzen, (4) zusammen mit seinem Bach, (5) zusammen mit seinem Hochland (angeht): (6) Und seine Grenze ist: (7) Die Quelle Kwr, (8) die in den Bach fließt, (9) und die Grenze ist Ba2alu-(10) Almuggu. 16) Unterer Rand (11) Niemand vom Personal 17) soll wegnehmen (12) die Grenzen dieses Grundstücks, RS (13) aus dem Besitz des Yabninu (14) für immer. (15) Und (18) mit

das Landgut von Arutu 18) all seinem Besitz. 19)

(19) Und

Yabninu

(20) wird

(16) mit

seinen Feldern,

von diesen Feldern

(17) mit

(21) irgendwelche

seinen Weinbergen,

Abgaben

(22) nicht

leisten. Oberer Rand (23) Eine

13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.

278

Abgabe für sein Haus 20) (24) muß er leisten.

Vgl. zu diesem Haus Yon, Cité d’Ougarit, 61-64, J.-C. Courtois, Yabninu et le Palais Sud d’Ougarit, Syr 67 (1990) 103-142 und V. Matoïan / M. al-Maqdissi et al., La Maison dite »de Yabninou«, Syr 90 (2013) 448-451. S. hierzu die Literatur in Anm. 10. Vgl. zu vergleichbaren Fällen Heltzer, Community, 48-51. Unbekannter Ortsname; vgl. Tropper, Texte, 518. Ugaritisch bnsˇ; fraglich ist, ob es sich um königliches Personal (so Bordreuil / Pardee / Hawley, Bibliothèque, 142) oder um unbestimmte Personen (so Tropper, Texte, 518) handelt. Stadtname; s. u. zu KTU 4.810,18. D. h., auch dies gehört Yabninu und fällt unter die o. g. Bestimmungen. S. o. Anm. 13 zum Haus des Yabninu.

Herbert Niehr

5.5 Eine Liste von Häusern in unterschiedlichen Städten (KTU 4.810) Diese Liste aus dem Haus des Urtenu diente der Erfassung von Haushalten in einigen kleineren Städten des Königreichs von Ugarit, um auf dieser Basis die Steuern festsetzen zu können. Dies zeigt etwa ein Vergleich mit der Liste KTU 4.610, die die einzelnen Haushalte mit einer bestimmten Summe an Silber verbindet. Viele, aber nicht alle der hier aufgelisteten Ortschaften, sind bekannt. Die in den Zeilen 1-6.7-15 und auf dem oberen Rand der Tafel genannten Orte liegen im Süden, die Orte der Zeilen 16-25 im Norden und im Zentrum des Königreichs Ugarit. In epigraphischer Hinsicht ist die Kombination von alphabetischer ugaritischer und syllabischer babylonischer Keilschrift interessant. Die ugaritische Schrift und Sprache dominieren, in einigen Zeilen werden Logogramme für die Bezeichnung von Zahlen und Häusern sowie das Determinativ URU für ›Stadt‹ verwendet. Dieses Procedere könnte auf die Existenz unterschiedlicher Listen, die in KTU 4.810 zu einem Dokument zusammengeführt wurden, schließen lassen. Nach den auf der oberen Ecke der Tafel befindlichen Zeilen 27-29 unterbleibt vielleicht aus Platzgründen die Nennung der Summe. Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Maison d’Ourtenu. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 7935). – Erstpublikation: P. Bordreuil / D. Pardee / R. Hawley, Une bibliothèque au Sud de la Ville. Textes 1994-2002 en cunéiforme alphabétique de la Maison d’Ourtenou (RSOu XVIII), Lyon 2012, 11-17. – Autographie und Photo: P. Bordreuil / D. Pardee / R. Hawley, Une bibliothèque au Sud de la Ville. Textes 1994-2002 en cunéiforme alphabétique de la Maison d’Ourtenou (RSOu XVIII), Lyon 2012, 11f. – Weitere Literatur: W. H. van Soldt, Studies in the Topography of Ugarit (2), UF 29 (1997) 683-703, hier 693-696; ders., The Topography of the City-State of Ugarit (AOAT 324), Münster 2005, 128-134.

Häuser in Ilisˇtam2u, (2) 15 Häuser (in) Sˇubbanu, (3) 130 (Häuser in) Usˇkanu. Leute aus) Tibaqu sind nicht gekommen, (5) die in Sˇubbanu gespeist worden waren. (6) Summe: 185.

VS (1) 40 (4) (Die

(7) 43

(Häuser in) Raqdu, (8) 9 (Häuser in) Uhnappu, 20 Häuser (in der) Stadt Enuqap3at, ˘ (Häuser in) Hurisubu, 6 Häuser (in der) Stadt Ya2ar[tu], (10) 8 (Häuser ˘ ˙ in) Bi3iru, ˇ urasˇu, (12) 23 (Häuser in) Hizp[u], (13) 4 (Häuser in) Gan2a¯yu, RS (11) 5 (Häuser in) S (14) 7 (Häuser in) Agimu (und) Hupata (15) Summe: 130. ˘ Unterer Rand (9) 5

(16) 10

Häuser (in der) Stadt Yaparu, (17) 6 Häuser (in der) Stadt Zarinu, (18) 33 Häuser ˙ (in der) Stadt Arutu, (19) 6 Häuser (in der) Stadt Tallurba, (20) 4 Häuser (in der) Stadt ¯ (21) (22) 27 Häuser (in der) Stadt Ma2qabu, 3 Häuser (in der) Stadt Qamanuzu, Tulhana, ¯ ˙X Häuser (in der Stadt) Sˇalma, (24) X Häuser (in der) Stadt Ara, (25) 6 Häuser (in der) (23) Stadt Enumaka, (26) Summe: 77 Häuser. 21) 21.

Während die in den Zeilen 6 und 15 errechneten Summen korrekt sind, kann dies aufgrund der fehlenden Zahlen in den Zeilen 23 und 24 nicht überprüft werden. Nach Bordreuil / Pardee / Hawley, Bibliothèque, 16 f. liegt hier ein Rechenfehler vor.

279

Texte aus Syrien

Oberer Rand (27) 21 (29) 22

Häuser (in der) Stadt Mulukku, (28) 7 Häuser (in der) Stadt Hubelu, ˘ Häuser (in der) Stadt Appu, 37 Häuser (in der) Stadt Pidu.

5.6 Eine Inspektionsliste von Kriegswagen (KTU 4.145) Diese Liste beruht auf einer Inspektion von Kriegswagen, die im Dienste des Palastes standen. Sie ist deshalb von besonderem Interesse für die Erforschung der Wissenskultur des antiken Ugarit, da sie Vergleiche mit entsprechenden Listen aus Kreta und Mykene gestattet. Der zwischen den Zeilen 7 (Vorderseite) und 8 (Rückseite) freigelassene Platz zeigt, daß Vorder- und Rückseite der Tafel zwei unterschiedliche Verwaltungsvorgänge wiedergeben. Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Königspalast Raum 53. – Aufbewahrungsort: Nationalmuseum Damaskus (DO 3920). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, Textes économiques III, in: ders., Textes en Cunéiformes alphabétiques des Archives Est, Ouest et Centrales (PRU II), Paris 1957, 151-156, hier 152f. no. 121. – Weitere Bearbeitungen und Übersetzungen: K. McGeough / M. S. Smith, Ugaritic Economic Tablets (ANES Suppl. 32), Leuven 2011, 108f.; Fr. Rougemont / J.-P. Vita, Les enregistrements de chars à Ougarit et dans le monde mycénien: Approche comparative sur l’administration au Bronze Récent, in: W. H. van Soldt (Hg.), Society and Administration in Ancient Ugarit. Papers read at a symposium in Leiden, 13-14 December 2007 (PIHANS CXIV), Leiden 2010, 123-150, hier 132f. VS (1) Acht (4) mit

Streitwagen, die (2) in den Palast des Königs gelangten, ihren Pfeilen, (5) mit ihren Deichseln.

(6) Aber

(3) mit

ihren Rädern,

bei zwei Kriegswagen (7) gibt es keine Köcher.

RS (8) Und

drei Paar Räder und eines in Reserve 22) (9) in der Verfügung des Vorstehers der Handwerker, (10) der (sie) zum Depot gehen ließ.

5.7 Eine Liste mit Schiffsbesatzungen (KTU 4.40) Als mittelmeerische Handelsmacht war Ugarit auf Seeleute angewiesen. Diese rekrutierten sich, wie die folgende Liste zeigt, aus unterschiedlichen Orten und Bezirken des Königreichs Ugarit. Die Liste weist Namen von drei Schiffseigentümern bzw. Reedern auf sowie die jeweilige Anzahl der auf dem Schiff eingesetzten Besatzung, deren Namen nicht verzeichnet sind. Lediglich die Herkunftsorte und die Anzahl der von dort kommenden Seeleute werden genannt. Die Herkunftsorte der Besatzung liegen im Bezirk G˙uru, d. h. im nördlichen und östlichen Bergland des Königreichs Ugarit. 23) 22. 23.

280

Zu dieser Übersetzung vgl. Rougemont / Vita, Enregistrements, 133 und del Olmo Lete / Sanmartín, Dictionary, 365 s. v. hrs (I). ˙ ˙ Arrou G˙ourrou et Sapanou: Circonscriptions administraVgl. zu diesem Bezirk P. Bordreuil, ˙

Herbert Niehr

Der Fundort der Liste in der Unterstadt von Ugarit deutet eher auf einen privatwirtschaftlichen als auf einen palatialen Wirtschaftskontext hin. Auch wie im vorangehenden Fall legen sich Vergleiche mit ähnlichen Listen aus Mykene nahe. Tontafel der 2. Hälfte des 13. Jh. v. Chr. – Fundort: Ugarit, Unterstadt. – Aufbewahrungsort: Musée du Louvre, Paris (AO 19.991). – Erstpublikation: Ch. Virolleaud, États nominatifs et pièces comptables provenant de Ras Shamra IV, Syr 18 (1937) 167f. – Autographie und Photo: A. Herdner, Corpus des tablettes en cunéiformes alphabétiques découvertes à Ras Shamra – Ugarit de 1929 à 1939 (BAH LXXIX), Paris 1963, fig. 136 und pl. LIII. – Weitere Übersetzungen und Bearbeitungen: A. Herdner, Corpus des tablettes en cunéiformes alphabétiques découvertes à Ras Shamra – Ugarit de 1929 à 1939 (BAH LXXIX), Paris 1963, 167f. no. 79; J. Tropper / J.-P. Vita, Epigraphische Bemerkungen zu ausgewählten ugaritischen Wirtschaftstexten, UF 29 (1979) 675-681, hier 676; K. McGeough / M. S. Smith, Ugaritic Economic Texts (ANES Suppl. 32), Leuven/Paris/Walpole, MA 2011, 497f.; Fr. Rougemont / J.-P. Vita, Les enregistrements de chars à Ougarit et dans le monde mycénien: Approche comparative sur l’administration au Bronze Récent, in: W. H. van Soldt (Hg.), Society and Administration in Ancient Ugarit. Papers read at a symposium in Leiden 13-14 December 2007 (PIHANS CXIV), Leiden 2010, 123-150, hier 128-130.

des Schiffes des] (2) 2dn […]: (3) Leute von Tibaq[u …], ˙ uru˙ […]. Ma2qab[u …]: (5) Neunz[ehn Leute] (6) des (Bezirks von) G

VS (1) Besat[zung

(7) Besatzung des Schif[fes des] L]eute.

(8) Bn

Ktan:

(9) (Aus

(4) Leute

von

˙ uru: Neun[zehn (dem Bezirk von) G

(10) Besatzung

des Schif[fes des] (11) Bn Abdh[r]: ˙ aus Pidu: RS (13) Fünf Leute. (14) (Aus) Sinaru: (15) Neun Leute. (18) (Aus) Tibaqu […]. ˙ Unterer Rand (12) Leute

(16) (Aus)

Gib2ala:

(17) Vier

Le[ute].

tives et géographie mythique du royaume d’Ougarit, Syr 61 (1984) 1-10; van Soldt, Topography, 139-141; Bordreuil, Montagne, 183-187.

281

IV. Texte aus Ägypten

1. Einleitung Matthias Müller / Hans Hubertus Münch 1.1 Wissen!? Obschon der Begriff des Wissens in Literatur und Medien gegenwärtig einem nachgerade inflationären Gebrauch unterliegt, gibt es in den Geistes- und Sozialwissenschaften bis heute weder eine einheitliche Auffassung darüber, was dieses ›Wissen‹ eigentlich sein soll, noch eine detaillierte Analyse des Wissensbegriffs. 1) Damit entpuppt sich die alltagshermeneutische Verwendung des Begriffs ›Wissen‹ zumeist als eine Form des sozialen Deutungsmusters, das einen hochkomplexen Gegenstand mit vereinfachten Vorstellungen ›auf den Punkt‹ zu bringen versucht. Aufgrund dieser Ausgangslage empfiehlt es sich für die historische Forschung, den Wissensbegriff daher möglichst breit zu definieren, so daß er neben ›klassischen Wissensvorstellungen‹ auch jede andere Form des »Alltags- und Jedermannswissen in der Alltagswelt« 2) umfassen kann, wie etwa magische Vorstellungen, Ideen, soziale Verhaltensweisen, Sprichwörter, Metaphern oder Ideologien. 3) »Wissen dadurch zu definieren, daß es sich aufgrund seiner Rationalität von einer irrationalen Umwelt abhebt, kann nicht genügen«, denn wie sich an zahlreichen Beispielen in Vergangenheit und Gegenwart zeigen läßt, ist »(wissenschaftliches) Wissen« von »(nicht-wissenschaftlichem) Glauben« im Alltag – aber auch in der Wissenschaft – häufig kaum auseinanderzuhalten.4) Ein solch weit gefaßter Wissensbegriff hat darüber hinaus auch den Vorteil, daß das Wissen als ein ›soziales Produkt‹ verstanden werden kann, das (nur) abhängig von Zeit, Raum und sozialem Kontext betrachtet und verstanden werden kann. Entsprechend ist dann etwa auch für die beiden Wissenssoziologen Peter L. Berger und Thomas Luckmann das Wissen die »Gewißheit«, daß die Dinge und Phänomene, die der 1. 2. 3. 4.

A. Landwehr, Das Sichtbare sichtbar machen, in: A. Landwehr (Hg.), Geschichte(n) der Wirklichkeit. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte des Wissens (Documenta Augustana 11), Augsburg 2002, 61 (61-89). P. Berger / T. Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, 19. Aufl., Frankfurt am Main 2003 (1969), XV. Landwehr, in: Landwehr (Hg.), Geschichte(n) der Wirklichkeit, 67. Landwehr, in: Landwehr (Hg.), Geschichte(n) der Wirklichkeit, 67.

283

Matthias Müller / Hans Hubertus Münch

Mensch in seiner jeweiligen Alltagswelt wahrnimmt »wirklich sind und bestimmbare Eigenschaften haben«.5) »Ein solches Verständnis von Wissen muß konsequenterweise auch dazu führen, jeden Gedanken an eine Kumulation von Wissen oder ein Fortschreiten der ›wahren‹ Erkenntnis aufzugeben. Wenn Wissen ein soziales Produkt ist, dann verändert es sich nicht, indem es vermehrt oder verbessert wird, sondern indem sich die jeweiligen Rahmenbedingungen ändern«. 6)

1.2 Das Verhältnis von Wissen und Wirklichkeit Für die Wissenssoziologie steht das Wissen im Mittelpunkt des dialektischen Prozesses der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit. 7) Es bestimmt einerseits, was wir aus der unendlichen Fülle alltäglichen Geschehens als das, ›was ist‹ wahrnehmen. »Insofern gibt es nicht ›die Wirklichkeit‹ für uns, solange wir kein Wissen besitzen, das uns von dieser Wirklichkeit berichtet.« 8) Und andererseits konstituiert das Wissen zugleich aber auch das von uns Wahrgenommene selbst, insofern es diesem je nach Zeit, Ort und sozio-kulturellem Kontext unterschiedliche Bedeutungen zuweist, die damit den Dingen und Phänomenen insgesamt die Eigenschaft des ›Wahren und Realen‹ verleihen.9) »Verschiedene Gesellschaften haben verschiedene ›Wissensvorräte‹. Wie immer die Unterschiede auch sein mögen, jede Gesellschaft versorgt ihre Angehörigen mit einem objektiv zugänglichen Wissensvorrat«. 10) Mit unterschiedlichen Wirklichkeitsbestimmungen ist daher im Laufe der Geschichte auch immer zur rechnen. »Wissen über die Gesellschaft [i. e. Wirklichkeit] ist demnach Verwirklichung im doppelten Sinne des Wortes: Erfassen der objektivierten gesellschaftlichen Wirklichkeit und das ständige Produzieren eben dieser Wirklichkeit in einem«. 11) Entsprechend gibt es dann auch keine »andere, ›wirklichere‹ Realität als diejenige Welt, die Menschen mittels ihrer – vom Wissen geleiteten – Wahrnehmung konstituieren …« 12)

1.3 Eine Geschichte des Wissens Ein solches Verständnis des Wissens und seiner primären sozialen Funktionen hat Konsequenzen für die Beschäftigung mit dem Wissen als Gegenstand der historischen Forschung. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

284

Berger / Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 1. Landwehr, in: Landwehr (Hg.), Geschichte(n) der Wirklichkeit, 66. Berger / Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 70-71. Landwehr, in: Landwehr (Hg.), Geschichte(n) der Wirklichkeit, 71-72. Landwehr, in: Landwehr (Hg.), Geschichte(n) der Wirklichkeit, 87. P. Berger, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft. Elemente einer soziologischen Theorie, Frankfurt am Main 1973, 21. Berger / Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 71. M. T. Fögen, Das politische Denken der Byzantiner, in: I. Fetscher (Hg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen, München 1993, 41 (41-85).

Texte aus Ägypten

Wird das Wissen nämlich als soziales Produkt verstanden, das einerseits nur in Abhängigkeit von Zeit, Raum und gesellschaftlichem Kontext existiert, und das andererseits seine ›Träger‹ mit einer spezifischen Auffassung über ›die‹ Wirklichkeit versorgt, so können im Prinzip alle überlieferten menschlichen Äußerungen in eine Betrachtung über das Wissen mit einbezogen werden. Denn eine jede subjektiv gemachte Aussage ist im Prinzip in der Lage, in den Wissensbestand einer Gruppe oder Gesellschaft aufgenommen zu werden und so zu objektiver Faktizität über das ›was ist‹ zu werden. 13) Solche Wissensäußerungen können ihren Ausdruck dabei sowohl in Texten finden, aber auch in bildlichen, architektonischen oder materiellen Zeugnissen. 14) Hierbei besteht auch keine wissenschaftliche Notwendigkeit etwa zwischen ›objektiven‹ und ›normativen‹ Wissensäußerungen zu unterscheiden. »Denn eine jede sich als noch so ›neutral‹ oder gar ›objektiv‹ verstehende Deskription ist eine durch selektive und interpretierende Wahrnehmung bedingte Wirklichkeitsbestimmung. Sie ist dies nicht mehr und nicht weniger als eine ihre normativen Ansprüche erst gar nicht verbergende ›Ideologie‹.« 15) Insofern führt dann auch aus methodischer Perspektive »der selbstauferlegte Zwang in die Irre, immer nach einer anderen als der von [der jeweiligen Wissensäußerung] selbst bezeichneten und erzeugten Realität suchen zu müssen, um [ihr] ›Verhältnis‹ zur sozialen Wirklichkeit zu interpretieren«.16) Von Interesse für die Forschung bleiben in dieser Perspektive allein zwei Fragen. 17) Zum einen ist dies die nach der sozialen Klassifizierung des Wissens. Also, ob es sich bei einer Aussage etwa um den Ausdruck gesellschaftlicher Gewißheit, um Expertenwissen oder vielleicht sogar nur um eine Minderheitenmeinung handelt, die möglicherweise auf miteinander wetteifernde Wissensbestände innerhalb einer bestimmten Gruppe, Epoche oder Kultur hindeutet. 18) Und zum anderen ist es die nach dem »Beharrungsvermögen« des Wissens über die Zeit hinweg, d. h. ob man gewissen Äußerungen im Material immer wieder begegnet und ihnen daher ein dauerhafter sozialer (Verwendungs)-Sinn zugesprochen werden kann, oder ob sie als solitäre Einzelmeinungen vom gemeinsamen Wissensbestand einer Gesellschaft oder Kultur ausgeschlossen bleiben und damit wie »Seifenblasen im Nichts« vergangen sind. 19)

1.4 Zur Auswahl ägyptischer Wissenstexte Nach dem oben gesagten läßt sich Wissen in einem basalen Verständnis in Alltagswissen, über das im Prinzip alle Mitglieder der Gesellschaft verfügen könnten, und 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

Fögen, in: Fetscher (Hg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen, 41. R. Schützeichel (Hg.), Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung, Konstanz 2007. Fögen, in: Fetscher (Hg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen, 41-42. U. Meyer, Soziales Handeln im Zeichen des ›Hauses‹. Zur Ökonomik in der Spätantike und im frühen Mittelalter (VMPIG 140), Göttingen 1998, 42. Fögen, in: Fetscher (Hg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen, 41-42. Fögen, in: Fetscher (Hg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen, 42. Fögen, in: Fetscher (Hg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen, 42.

285

Matthias Müller / Hans Hubertus Münch

Expertenwissen, das nur ausgewählten Gruppen oder Mitgliedern derer zugänglich ist, unterscheiden. Die hier ausgewählten Texte gehören sämtlich zu letzterer Gruppe. Die Identifikation von Alltagswissen ist mit gewissen Schwierigkeiten verbunden, da wir hierfür zumeist auf eine textliche Hinterlassenschaft als Quelle angewiesen sind, die in der Mehrzahl der Fälle von Mitgliedern der Eliten produziert wurde, die wiederum eine distinkte soziale Gruppe bilden. Daher ist den meisten Texten vermutlich bereits ein Filter inhärent, der es uns oft unmöglich macht zu entscheiden, wie alltäglich das Wissen bestimmter Aussagen jenseits des Banalen (à la ›Wilde Tiere sind gefährlich‹ oder ›Alle Lebewesen müssen essen‹) sein mag. Dies gilt besonders für die spruchhaften Aussagen der ägyptischen Weisheitstexte und Lehren.20) Als Quelle für Alltagswissen böten sich daher Sprichwörter an, doch ist deren Identifikation mit einer Reihe von Vorannahmen verbunden, da sie so gut wie nie als Sprichwörter in ägyptischen Texten gekennzeichnet werden. Die hier vorgelegten Beispiele ägyptischen Expertenwissens stammen aus den Bereichen Geschichte, Geographie, Mathematik und Astronomie, Medizin, Balsamierungskunst an Menschen und Tieren sowie Technik. Obschon es keine historischen Texte aus Ägypten gibt, findet sich als Textsorte, die am ehesten diesem Profil nahekommt, die der Annalen. Zwar sind die ältesten Annalentexte bereits in der ägyptischen Frühzeit belegt und finden sich sporadisch in das 3. Jahrtausend und an den Beginn des 2. Jahrtausends zu datierende Textzeugen, doch scheint die umfassende Beschäftigung mit der Vergangenheit erst mit dem Neuen Reich am Beginn der 18. Dynastie einzusetzen.21) Daneben sind es Erwähnungen und Anspielungen auf politisch-historische Ereignisse in unterschiedlichsten Quellen, die eine Wahrnehmung auch der ferneren Vergangenheit dokumentieren. Geographisches Wissen widerspiegeln die Texte aus dem ptolemäerzeitlichen Tempel von Edfu, die zum einen Angaben über die Landesfläche Ägyptens bieten, zum anderen Details zu den Oasen in der Wüste westlich des Niltales liefern. Sowohl mathematisches als auch astronomisches Expertenwissen sind fest im Praktischen verortet, wie die mathematischen Aufgaben zeigen, die anwendungsorientiert formuliert sind. Auch das astronomische Expertenwissen ist kein Abstraktes, das sich theoretischen Problemen widmet, sondern ist immer in realweltliche oder religiöse Kontexte eingebettet. Obschon seit längerem publiziert ist das in Teil 6 vorgestellte Handbuch der Textfärberei respektive dessen Fragmente bislang nicht als solches erkannt worden. Teil 7 veranschaulicht exemplarisch an einigen Stellen die Probleme der Rekonstruktion des altägyptischen Medizinwissens. Das Expertenwissen der ägyptischen Balsamierer zeigen die Teile 8 und 9 mit den Übersetzungen des Balsamierungsrituals für Menschen (Teil 8) und den heiligen Apisstier (Teil 9), der dann in den unterirdischen Anlagen des Serapeums zu Saqqara bei Memphis seine letzte Ruhestätte fand. 22) Ersterer Text findet sich bereits in TUAT.AF II.3, 405-431, doch rechtfertigt der in der Zwischen20. 21. 22.

286

Siehe dazu die Beiträge in TUAT.NF VIII: Die Lehre des Amunnakht, Die Prohibitions und die Lehre des Amenemope respektive TUAT.AF III.2 Die Lehre des Ptahhotep sowie die Lehre des Anchscheschonqi, Die Lehre des pLouvre 2414 und Die Lehre des P. Insinger. Siehe dazu die Beiträge in S. Bickel (Hg.), Vergangenheit und Zukunft. Studien zum historischen Bewusstsein in der Thutmosidenzeit (AH 22), Basel 2013. Für die Beschriftung eines solchen Sarkophages siehe TUAT.AF II.4, 551.

Texte aus Ägypten

zeit erreichte philologische Fortschritt im Verständnis des Textes eine Neuaufnahme. Den Schluß bildet das sogenannte Thotbuch, das indes besser als Ritual zum Eintritt in die Kammer der Finsternis zu bezeichnen ist (Teil 10). Durch diesen erhält eine Elitegruppe Zugang zu esoterischem Spezialwissen und wird so zu Spezialisten ausgebildet. Obschon gewisse Texte (nicht nur von den hier vorgestellten) nur einmal überliefert sind, widerspiegeln sie dennoch nicht Einzelmeinungen zu einem Themenkomplex, sondern sind Teil eines Gruppenwissens, das uns durch die Zufälle der Überlieferung eben nur fragmentarisch erhalten blieb.

287

2. Annalistische und historische Texte der Dritten Zwischenzeit (1079-664 v. Chr.) Jan Moje 2.1 Zu den historischen Textzeugen der Dritten Zwischenzeit in Ägypten 2.1.1 Allgemeines

Bereits während der letzten Jahre Ramses’ XI., des letzten Herrschers des Neuen Reiches (ca. 1106-1077 v. Chr.), etablierten sich in Oberägypten die Hohepriester des Amun als politisch und militärisch großteils selbständige Machthaber des thebanischen Raumes. In Unterägypten, mit der neuen Hauptstadt Tanis, residierten dann die Pharaonen der folgenden 21. und 22. Dynastie, welche Libyer waren, keine indigenen Ägypter 1). Seit der Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr. kommt das Phänomen hinzu, daß die Herrscher Angehörige ihrer Familien in bedeutenden Lokalzentren einsetzten, um so ihre eigene nachlassende Machtstellung zu stärken. Jedoch gewannen diese Lokalregenten mittelfristig so großen regionalen Einfluß, daß sie selbständig herrschen konnten und die Autorität der regulären Herrscher verdrängten 2). Sie wurden somit zu machtpolitisch regional limitierten Potentaten in einer Zeit der territorialen Zersplitterung Ägyptens. Erst durch den Einmarsch des kuschitischen Herrschers Piye in Ägypten 728 v. Chr. etablierte sich die 25. kuschitische Dynastie als Herrscherdynastie in ganz Ägypten. Auch wenn Piye die Regenten unterwarf, blieben sie doch im Amt und anerkannten den Fremdherrscher als König Ägyptens 3). Nach der Machtübernahme Psametiks I., eines ehemaligen Lokalregenten von Athribis, im Jahre 664 v. Chr. beschnitt er die Macht seiner ehemaligen Amtskollegen dann sukzessive. Diese Ereignisse liegen jedoch schon jenseits der hier behandelten Epoche. Eines der großen Probleme der Ägyptologie mit der Dritten Zwischenzeit besteht darin, daß die konkreten historischen Abläufe oftmals (noch) nicht sicher gefaßt werden können, auch Regierungssequenzen oder Einflußbereiche namentlich bekannter 1.

2. 3.

288

Zum Unterschied zwischen Ägyptern und Libyern: J. Moje, Herrschaftsräume und Herrschaftswissen ägyptischer Lokalregenten. Soziokulturelle Interaktionen zur Machtkonsolidierung vom 8. bis zum 4. Jahrhundert v. Chr. (TOPOI 21), Berlin 2013; K. Jansen-Winkeln, Der Beginn der libyschen Herrschaft in Ägypten, BN 71 (1994) 78-97; K. Jansen-Winkeln, Die Fremdherrschaften in Ägypten im 1. Jahrtausend v. Chr., Or. 69 (2000) 1-20; K. Jansen-Winkeln, Libyer und Ägypter in der Libyerzeit, in: C. Zivie-Coche / I. Guermeur (Hg.), Parcourir l’éternité. Hommages à J. Yoyotte, Turnhout 2012, 609-624. Moje, Lokalregenten, 217-234; J. Yoyotte, Les principautés du Delta au temps de l’Anarchie Libyenne (Études d’Histoire Politique), in: Melanges Maspero I – Orient Ancien. Quatrième Fascicule, Cairo 1961, 121-181, Taf. 1-3. Die Siegesstele des Piye mit einem »Feldzugsbericht« ist publiziert bei N.-C. Grimal, La stèle triomphale de Pi(ankh)y au Musée du Caire JE 48862 et 47086-47089 (MIFAO 105), Cairo 1981; E. Kausen, Die Siegesstele des Pije, in: O. Kaiser (Hg.), Rechts- und Wirtschaftsurkunden. Historisch-chronologische Texte. Lieferung 6: Historisch-chronologische Texte III (TUAT.AF I), Gütersloh 1985, 557-580.

Texte aus Ägypten

Herrscher sind unklar 4). Dies ist auch eine Folge des überwiegenden Fehlens substanziell erhaltener Texte, die man als »historisch« bzw. »annalistisch« bezeichnen könnte, Quellen also, die reale geschichtliche Ereignisse dokumentieren. Nur wenige Texte können generell in diesen Bereich eingeordnet werden. Jene Quellen sind darüber hinaus kontextuell different und partiell zeitlich gestreut, so daß auch sie letztlich nur Schlaglichter auf die Geschichte werfen können.

2.1.2 Politische Aktivitäten

Wirkliche politische Ereignisse größerer, »landesweiter« Bedeutung sind interessanterweise relativ selten verzeichnet. Als wichtigste Quelle dürfte die o. g. Stele des kuschitischen Königs Piye erwähnt werden. Hier findet sich ein umfangreicher »Feldzugsbericht« bezüglich der Eroberung Ägyptens durch den Kuschiten, daneben informiert der Text auch über die Lokalregenten dieser Zeit. Insgesamt betrachtet werden eher kleinere Ereignisse wiedergegeben. Aber auch auf den ersten Blick eher unscheinbare Texte wie die Genealogie des Neb-netjeru 5) oder die Serapeums-Stele des Pasenhor aus Memphis (Zeit Scheschonqs V.) 6) können Hinweise auf Amtszeiten hoher Beamter und deren Genealogien sowie – durch familiäre Verbindungen mit dem Herrscherhaus – auch Indizien für Regierungsfolgen bieten. Da beide Quellen nur in ihrer genealogischen Verknüpfung informativ sind, werden sie hier nicht wiedergegeben. Die umfangreichste Aufmerksamkeit erfuhren sicherlich diejenigen ägyptischen Textzeugen, die mit dem in der Bibel 1 Kön 14,25-28 sowie 2 Chr 12,2-9 erwähnten Feldzug des ägyptischen Pharao Schischak (sUfU) »wider Jerusalem« nach Palästina in Verbindung gebracht wurden. Diese Unternehmung Scheschonqs I. kann auf das 5. Regierungsjahr des judäischen Herrschers Rehabeam festgelegt werden 7). Die bisherige Hauptquelle hierfür war das Triumphrelief, das Scheschonq I. an der Außenwand des sog. Bubastidentores anbringen ließ 8), und das von besiegten Völkern im 4.

5. 6.

7. 8.

Siehe dazu beispielhaft den Tagungsband G. P. F. Broekman/R. J. Demarée/O. E. Kaper (Hg.), The Libyan Period in Egypt. Historical and Cultural Studies into the 21st–24th Dynasties: Proceedings of a Conference at Leiden University, 25-27 October 2007 (Eg.Uitg. 23), Leuven 2009. K. A. Kitchen, The Third Intermediate Period in Egypt (1100-650), Warminster 31996, 123, 125 und ausführlich Part III § 177-179. M. Malinine / G. Posener / J. Vercoutter, Catalogue des stèles du Sérapéum de Memphis, Paris 1968, Kat. 31; R. K. Ritner, The Libyan Anarchy. Inscriptions from Egypt’s Third Intermediate Period (Writings from the Ancient World 21), Atlanta 2009, 17-20; dazu G. Vittmann, Priester und Beamte im Theben der Spätzeit (Beiträge zur Ägyptologie 1), Wien 1978, 191. Siehe auch Kitchen, 3The Third Intermediate Period in Egypt, § 85. E. Hornung, Untersuchungen zur Chronologie und Geschichte des Neuen Reiches (ÄA 11), Wiesbaden 1964, 24-29; Kitchen, 3The Third Intermediate Period in Egypt, 74-76; E. R. Thiele, The Mysterious Numbers of the Hebrew Kings, Chicago 21965. The Epigraphic Survey, Reliefs and Inscriptions at Karnak III, The Bubastite Portal (OIP 74), Chicago 1954, pl. 2-9. Siehe die Übersetzung bei G. Moers, Der Palästinafeldzug Scheschonqs I., in: B. Janowski / G. Wilhelm (Hg.), TUAT.NF 2: Staatsverträge, Herrscherinschriften und andere Dokumente zur politischen Geschichte, Gütersloh 2005, 246-271.

289

Jan Moje

Süden und Norden Ägyptens spricht. Jedoch konnte K. A. Wilson 9) zeigen, daß es sich in die Reihe der Triumphreliefs des Neuen Reiches einordnen läßt und daher nur Topoi zur Selbstpräsentation und -legitimation Scheschonqs I. in der Nachfolge des Neuen Reiches bietet, aber nicht mit historischen Fakten der palästinischen Kampagne des libyschen Pharao konnotiert ist. Auf der thebanischen Mumienkartonage des Hor aus dem Beginn der 22. Dynastie (Quelle [2.2.1]) erwähnt jener Priester seine Begleitung des Königs auf dessen Kampagnen nach Palästina. Dabei handelt es sich nach Ansicht vieler Forscher um die o. g. Aktivität Scheschonqs I. Die Identifizierung des Unternehmens ist dabei nicht sicher, jedoch hoch wahrscheinlich. 10) Auch ein Stelenfragment aus Megiddo mit der Kartusche Scheschonqs I. weist auf die Verbindung der Stadt im Einflußbereich des ägyptischen Pharao hin. 11) Die Realität des Unternehmens ist hingegen beispielsweise durch datierte archäologische Zerstörungsschichten gesichert. 12) Mehr Informationen bieten die eher innenpolitisch fokussierten Texte. Die 1894 in Karnak gefundene Stele Scheschonqs I. (Quelle [2.2.2]) trägt einen leider nur partiell erhaltenen Text. Dieser bezieht sich im Stil der traditionellen Königsnovellen auf ein »großes Schlachten« unter den Feinden Pharaos bei den Bitterseen, welche sich am Isthmus von Suez, also an der nordöstlichen Grenze Ägyptens zum Sinai befinden. Vermutlich handelt es sich dabei um eine der aus der frühen Regierung dieses Herrschers bekannten Rebellionen (s. auch unten Quelle [2.3.3]), die niedergeschlagen wurde. K. A. Wilson denkt darüber nach, ob die Sprache der Stele nicht zu heftig für eine innerägyptische Auseinandersetzung und ein »großes Schlachten« unter Ägyptern somit unrealistisch sei 13). Jedoch ist dagegen zu bemerken, daß Scheschonq I. kein Ägypter, sondern Libyer war und die libysche Herrschaft über Ägypten nach K. Jansen-Winkelns plausibler These 14) als die einer militärischen Besatzungsmacht zu interpretieren ist. In diesem Licht muß ein hartes Durchgreifen bei Aufständen gegen die sich etablierende Regierung des Herrschers als realistische und logische Konsequenz gesehen werden. Daneben stellt die persönliche Chronik des Prinzen Osorkon, Kronprinz Takelots II. der 23. (oberägyptischen) Dynastie, eines der wichtigsten historischen Dokumente zur Libyerzeit dar, die erhalten sind (Quelle [2.2.3]). Osorkon nennt hier detailliert und teilweise jahrgenau datiert zahlreiche politische wie kultische Aktivitäten in Theben, u. a. auch hinsichtlich einer Rebellion durch einen Usurpator und spätere militärische Reaktionen seinerseits.

9. 10. 11. 12. 13. 14.

290

K. A. Wilson, The Campaign of Pharaoh Shoshenq I into Palestine (FAT II/9), Tübingen 2005, 65. Wilson, The Campaign of Pharaoh Shoshenq I, 70; B.-U. Schipper, Israel und Ägypten in der Königszeit (OBO 170), Fribourg/Göttingen 1999, 193. Schipper, Israel und Ägypten in der Königszeit, 129-131. Schipper, Israel und Ägypten in der Königszeit, 129 Anm. 83. Wilson, The Campaign of Pharaoh Shoshenq I, 69. Siehe Jansen-Winkeln, BN 71 (1994) 78-97; K. Jansen-Winkeln, Historische Probleme der 3. Zwischenzeit, JEA 81 (1995) 129-149; Jansen-Winkeln, Or. 69 (2000) 1-20.

Texte aus Ägypten

2.1.3 Regionale Aktivitäten

Einige Quellen, die regional konnotiert sind, geben Hinweis auf Aktivitäten an verschiedenen Orten während der Dritten Zwischenzeit, vornehmlich natürlich Bauten oder Restaurierungen von Tempelgebäuden. Im Steinbruch von Gebel es-Silsile befindet sich eine Felsstele Scheschonqs I. (Quelle [2.3.1]). Sie belegt die erneute Öffnung des Steinbruchs durch den Herrscher und seinen Sohn, den Hohepriester des Amun Iuput. Die erneute Benutzung von Silsile, etwas über 100 km südlich von Theben gelegen, war für die Erweiterung des Amun-Tempels in Karnak bestimmt, so den Großen Kolonnadenhof vor dem Zweiten Pylon sowie die Türme des Ersten Pylons. Letzterer kam jedoch aufgrund des Todes Scheschonqs I. nicht über das Planungsstadium hinaus – trotz der Versicherung des Bauleiters Hor-em-sa-ef, Tag und Nacht ohne Verzug geschuftet zu haben. Der Pylon wurde dann erst in der 30. Dynastie erbaut. Unter den bereits errichteten Bauten befand sich auch das heute sog. »Bubastidentor«, das als einziges unter Scheschonq I. noch dekoriert werden konnte. Die sog. »Stele der Verbannten« aus der 21. Dynastie berichtet von der Amnestie des thebanischen Hohepriesters Men-cheper-Re gegenüber nach Dachla verbannten Rebellen gegen die Herrschaft seines Vorgängers Masaharta. 15) Auch aus der Stele Quelle [2.3.2], ebenfalls aus der 21. Dynastie, erfahren wir von Um- und Neubauten im Amun-Bezirk von Karnak. Der Hohepriester des Amun und spätere thebanische König Men-cheper-Re berichtet aus dem 48. Regierungsjahr Psusennes I., daß er den Nordostbereich dieses Bezirks mit einer hohen Umfassungsmauer versehen habe. Dies diente dazu, den Tempel zu »verstecken«, da private Wohnbebauung bereits in erklecklichem Maße in die Vorhöfe des – offenbar in dieser Zeit nicht mehr in allen Bereichen genutzten – Amun-Tempels hineingewuchert war. Dabei handelte es sich also nicht wie bei der Stele Quelle [2.2.2] um reine Erweiterungs-, sondern um akute Bestandserhaltungsmaßnahmen. Die »Große Dachla-Stele« (Quelle [2.3.3]) aus dem 5. Jahr Scheschonqs I. (22. Dynastie) spricht hingegen von offenbar gravierenden Unstimmigkeiten hinsichtlich der lokalen Wasserversorgung und der Zugänglichkeit von Brunnen, die von einem extra ausgesandten Emissär geschlichtet werden mußten. Andere Texte sind für regional bedeutsame Ereignisse oder beispielsweise Begräbnisaktivitäten interessant. So informiert die Quelle [2.3.4] über den Einzug des neuen Lokalregenten Hor-nacht B in seine Stadt Mendes, verknüpft mit einer Gleichsetzung mit Horus in seinem Kampf gegen Seth als Garant von Ordnung sowie einer Lobpreisung vor dem Lokalgott. Diese Selbstpräsentation dient dem Zwecke der Legitimation des lokalen Regenten gegenüber der lokalen Bevölkerung, speziell natürlich den Priestern 16). Das thebanische Graffito Quelle [2.3.5] informiert hingegen darüber, daß der Hohepriester Osorkon B 17), Kronprinz Takelots II. der 23. Dynastie, Theben einen Besuch abstattete. Dabei forderte der Schreiber des Graffito eine auch in Zukunft geltende Zugangsberechtigung zum inneren Tempelbereich, da auch sei15. 16. 17.

H. Sternberg el-Hotabi, Die Stele der Verbannten (Louvre C 256), in: TUAT.AF II.1, Gütersloh 1986, 112-116. Zur Legitimation lokaler Regenten gegenüber Bevölkerung bzw. Herrscher Moje, Herrschaftsräume und Herrschaftswissen, dieser Beleg unter Kat. Men/04/MRe/01. Zu diesem siehe auch die Quelle [2.2.3.] mit der »Chronik des Prinzen Osorkon«.

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ne Vorfahren schon hier als Priester tätig waren. Dies wurde ihm schließlich gewährt. In den Bereich der regionalen Geschichtsschreibung gehören aber auch solche Quellen wie [2.3.6], eine Annaleninschrift aus Heliopolis. Neben den Informationen über vom König Pami (22. Dynastie, nur in Unterägypten) gewährte Zuweisungen an Opfergaben – und generellen Aussagen über die Bedeutung von Heliopolis in der Dritten Zwischenzeit – können dem Text aber z. B. auch Angaben über Regierungsjahre entnommen werden, die wertvolle Hinweise auf die relative Chronologie geben. Solche Annalen sind seit langer Zeit bekannt, man denke nur an den Palermo-Stein 18) oder die – weniger inhaltlich informativen – Königslisten. Interessanterweise wurden solche Regesten also auch unter der libyschen Besatzung weitergeführt. [2.3.6] nennt hierbei übrigens das bislang bisher noch nicht belegte 7. Regierungsjahr des Pami. Eine weitere wertvolle Quelle für regionale Aktivitäten der Priesterschaft sind die sog. »Priesterannalen von Karnak« (Quelle [2.3.7]). Sie reichen in ihren erhaltenen Texten von der 21. bis zur 25. Dynastie und geben beispielsweise Auskunft über die Einweihung von Priesteranwärtern oder über damit zusammenhängende Tätigkeiten. Die Annalen waren auf Steinblöcken im Festtempel Thutmosis III. im KarnakBezirk angebracht und wurden von der Priesterschaft dort als Bestandteil eines regionalen Gedächtnisses gepflegt und aktualisiert. Die öffentliche Anbringung solcher Annalen ist typisch für die Dritte Zwischenzeit, siehe dazu auch die Chronik des Osorkon B (Quelle [2.2.3]). Die Texte in [2.3.7] sind nach der geläufigen Zählung in der Sekundärliteratur numeriert, hier aber erstmals in eine chronologische Reihung gebracht, dabei wurden diejenigen besonders fragmentarischen und nicht datierbaren Texte ausgelassen, da sie keine historisch/chronologisch verifizierbare Aussagekraft besitzen19). Aufgrund des bruchstückhaften Zustandes muß aber vieles unklar bleiben. Auch besteht die Möglichkeit, daß manche Herrschernennungen nur retrospektiv benutzt wurden und eigentlich keine zeitgenössische Datierung darstellen. Hinsichtlich von Begräbnisaktivitäten wurde beispielhaft das Graffito zu NesChons A (Quelle [2.3.8]) herausgegriffen, der Frau des Hohepriesters des Amun Pinudjem II., bestattet in TT 320, fünf Jahre vor der ebenfalls dort erfolgten Beisetzung ihres Mannes. Manche der für ihr Begräbnis verantwortlichen Personen sind dieselben wie bei der späteren Bestattung ihres Mannes.

2.1.4 Naturereignisse

Daneben existieren aber auch einige Quellen, die sich auf Naturereignisse beziehen. Eine Überschwemmung des Luxor-Tempels durch eine extrem hohe Nilflut und die darauf vom König initiierten Aktivitäten zur Schadensregulierung erwähnt die Stele 18. 19.

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H. Schäfer, Ein Bruchstück altägyptischer Annalen (Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften 1902,1), Berlin 1902; T. A. H. Wilkinson, Royal Annals of Ancient Egypt – The Palermo stone and its associated fragments, London 2012, 18-22. Dabei handelt es sich um die Texte 8-10, 13, 15, 20-22, 24, 25, 28-30, 36, 38-43, 46. Zur Zählung siehe J.-M. Kruchten, Les annales des prêtres de Karnak (XXI–XXIImes dynasties) et autres textes contemporains relatifs à l’initiation des prêtres d’Amon (OLA 32), Leuven 1989 und Ritner, The Libyan Anarchy, 47-65.

Texte aus Ägypten

Quelle [2.4.1] aus der Zeit des Smendes im Steinbruch von Dibabiya. Einige Zeit später während der Regierung Osorkons III. kam es zu einer ähnlichen extremen Nilflut, bei der der Tempel von Luxor erneut zeitweilig unter Wasser stand und das Kultbild des Amun offenbar nach Karnak transferiert werden mußte 20). Dies berichtet ein Graffito im Luxor-Tempel 21). Dabei dürfte es sich nicht wie bei dem o. g. Triumphrelief Scheschonqs I. um einen Topos handeln, vielmehr ist von einem realen Ereignis zur Zeit des Smendes auszugehen. Die Nilstände können an den Flutmarken in Elephantine abgelesen werden, wo sie in großer Zahl erhalten sind 22). Die hier genannte Flut ist die zweihöchste dabei belegte Überschwemmung.

2.2 Quellen zu politischen Ereignissen 2.2.1 Mumienkartonage des Hor

Diese Kartonage wurde 1896 von J. E. Quibell im Grab des Hor in der Nekropole der Dritten Zwischenzeit im Ramesseum gefunden. Der hier interessierende Text wurde in zwei Zeilen zwischen Kolumnen mit einem Totenbuchspruch (Kap. 125) angebracht. Heute befindet sich die Kartonage im Fitzwilliam Museum Cambridge unter der Inv. E.8.1896. In der 2. Zeile folgen dann noch einige kultische Titel des Hor, die hier aber vernachlässigt werden können. Text: J. E. Quibell / W. Spiegelberg, The Ramesseum (BSAE 2), London 1898 12, 20, Taf. XXXA:1; K. Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit II: Die 22.-24. Dynastie, Wiesbaden 2007, 101:27. – Weitere Bearbeitungen: K. Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien der 22. und 23. Dynastie (ÄAT 8), Wiesbaden 1985, 252-254; Ritner, The Libyan Anarchy, 228-228 (mit Wiedergabe des Faksimile). (1) Priester

des Amun-Re-Götterkönig (namens) Hor, gerechtfertigt, Sohn des Vorstehers der Städte und Wesirs Iaa, gerechtfertigt, [Priester] des Amun-Re-Götterkönig, wahrer königlicher Schreiber, sein Bevorzugter, [Begleiter] des Königs auf seinen Zügen in die Länder von Retjenu 23).

2.2.2 Stele Scheschonqs I. in Karnak

Teile dieser heute nur noch fragmentiert erhaltenen Stele aus Sandstein wurden 1894 von G. Legrain im Magazin des Opet-Tempels von Luxor aufgefunden, weitere Fragmente stammen aus der Halle »K« des Karnak-Tempels, wo die Stele ursprünglich sicherlich aufgestellt gewesen war. Heute sind sie unter TR 3/12/24/1 im Ägyptischen Museum Cairo inventarisiert. In der Bildszene opfern Scheschonq I. und sein Sohn, 20. 21. 22. 23.

So nach der schlüssigen Interpretation von Ritner, The Libyan Anarchy, 420 Anm. 17. Ritner, The Libyan Anarchy, 415-412. S. J. Seidlmayer, Historische und moderne Nilstände. Untersuchungen zu den Pegelablesungen des Nils von der Frühzeit bis in die Gegenwart (ACHET A 1), Berlin 2001. Scil. Syrien-Palästina.

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Hohepriester Iuput an Amun und Chons, darunter befanden sich mindestens 11 Zeilen mit einem Bericht über einen Sieg Scheschonqs I. am Sinai. Text: G. Legrain, Rapport sur les travaux exécutés à Karnak du 31 Octobre 1902 au 15 Mai 1903, ASAE 5 (1905), 38-39 § 21; Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit II, 10-11 Nr. 19. – Weitere Bearbeitungen: Wilson, The Campaign of Pharaoh Shoshenq I, 68-69; Kitchen, 3The Third Intermediate Period in Egypt, § 253; B. Grdseloff, Édôm, d’après les sources égyptiennes, RHJE 1 (1947), 69-99, bes. 95-97; Ritner, The Libyan Anarchy, 215-218. (1) […]

Dir … […] (2) […] die Hohe[priester] 24) des Amun-Re-Götterkönig […] (3) […] geliebt von Re […] Du/Dein […] mit ihnen den Sieg im Lande, Nesu-Biti 25), Herr der Beiden Länder […] (4) […] Länder von Asien, Herr der Beiden Länder, Hedj-[cheper-]Re [Setep-en-Re, Herr der Kronen Scheschonq (I.)], geliebt von [Amun-Re]-Götterkönig, dem Leben gegeben ist ewiglich.« Dann fand [Meine Majestät] heraus, daß […] (5) [… sie] töteten [meine Soldaten und?] meine Befehlshaber. Da machte sich Seine Majestät Sorgen um sie […] (6) […die/wie] sie wünschen. Dann sagte Seine Majestät zu [seinem] Gefolge: »[…] (7) […] diese abscheulichen Taten, die sie ausgeübt haben!« Da sagten sie [vor Seiner Majestät: »…«]. (8) [Dann zog Seine Majestät aus …], indem seine Streitwagen ihm folgten, ohne daß sie Bescheid wußten 26). Nun, […] (9) […] Seine Majestät machte ein großes Schlachten unter ihnen […] (10) Er [vernichtete] sie an den Ufern der Bitterseen. Sein Vater A[mun-Re war es] (11) [der ihm den Sieg verkündete, …] sie schenkten mir tausendfach Tapferkeit [und Siege …].

2.2.3 Die Chronik des Prinzen Osorkon B

Das »Tagebuch« des Osorkon B, Kronprinz Takelots II. der 23. oberägyptischen Dynastie, befindet sich auf der Innenseite des sog. Bubastidenportals im Karnak-Tempel. Die Texte sind datiert auf die Regierungsjahre 11-24 von Takelot II. sowie auf die Jahre 22-29 von Scheschonq III., einem Herrscher der zur 23. Dynastie teilweise parallelen, unterägyptischen 22. Dyn. Ausgelassen sind in der folgenden Übersetzung die Beischriften zu den Personen und Göttern, die nur Titel und Epitheta bringen. Text: R. A. Caminos, The chronicle of Prince Osorkon (AnOr 37), Roma 1958; Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit II, 161-164 Nr. 7 (Abschnitt 1-3) und 186-196 Nr. 21 (Abschnitt 4 und 5). – Weitere Bearbeitungen: Ritner, The Libyan Anarchy, 348-377; JansenWinkeln, Ägyptische Biographien, 290-294; C. Peust, Aus der Chronik des Prinzen und Hohepriesters Osorkon (Jahr 11 Takeloths II.), in: TUAT.NF 2, Gütersloh 2005, 272-278 (Übersetzung nur des 1. Abschnittes).

24. 25. 26.

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Alle Ergänzungen nach Ritner. Früher als König von Ober- und Unterägypten gedeutet und übersetzt. Siehe zu meiner Wiedergabe Moje, Herrschaftsräume und Herrschaftswissen, 40-42. Scil. um seine Pläne?

Texte aus Ägypten

1. Abschnitt, datiert 11. Regierungsjahr Takelots II. (I/18) 11.

Regierungsjahr, 1. Tybi unter der Majestät des Nesu-Biti Hedj-Cheper-Re Setepen-Re, [Sohn des Re Takelot (II.) geliebt von Amun, Sohn der Isis], geliebt von [AmunRe], Herrn der Throne der Beiden Länder, von Mut der Großen, Herrin [des Himmels], von Chons-in-Theben-Neferhotep, dem Leben gegeben ist wie Re ewiglich. Nun, der Vorsteher von Oberägypten und Oberhaupt der Beiden Länder, den Amun gemäß seines eigenen [Wunsches] eingesetzt hat, [Hohepriester des] Amun in Theben, Generalissimus des ganzen Landes und Erster Befehlshaber 27) Osorkon, geboren von der Regentin, groß an Gunst, Große Königliche Gemahlin, Herrin der Beiden Länder Karomama Merit-Mut, die lebe, war in seiner Residenz in Tapferkeit und Stärke bis über seine Grenzen hinaus, ›Die-Bergspitze-des-Amun-(I/19) -groß-an-Kriegsgeschrei‹ möge man zu ihr 28) sagen. Nun, er war ein [Iri-]pat und [Hatia …, Größter] der Großen, ältester Sohn der ›Groß-an-Zauber‹, einer, dem Oberägypten Meldung macht, einer, den Unterägypten anfleht, seit die Furcht vor ihm [sie] umkreist, indem ihre Abgaben an seinen Toren wegen der Größe seiner Kraft sind, welche der Herr der Throne der Beiden Länder an ihn weiterreicht. Nun, was den Prinzen, Iri-pat und Hatia Osorkon anlangt: Sein Herz war wahrlich nicht in Einverständnis damit 29), es gab nichts Negatives in ihm und er sprach nicht: »Möge ich dort groß sein!«. (I/20) Gering war es in seinem Herzen, so sprach sein Ka: »Der Herr ist […], der Feind, der aufteilen 30) wird das Amt des Hohepriesters des Amun, Herrn der Ewigkeit, der die Unendlichkeit [schuf].« Sein großer Name war auf seinen Lippen wie die Milch [seiner Mutter] in seinem Magen, als er aus dem Mutterleib hervorkam. Oh wie kenntnisreich war er beim Kämpfen für sein Eigentum, mehr als ein Stier auf (I/21) dem Kampfplatz für seine Herde! Er war einer, der umherzog [… wie eine] Gans um ihre Küken herum. Er war zufrieden, […], als er in der Stadt ankam in dem Bestreben, daß ihre Einwohner, Edle wie Geringe, ihres edlen Herrn gedenken mögen, seit der Eine-von-Karnak in seinem Herzen innewohnte mehr als ein Gott in irgendeiner anderen Stadt, die ihm loyal gesinnt war. (I/22) [Er segelte südwärts 31)] auf dem Fluß, Festopfer tragend für seine Jahreszeitenfeste. Nicht ein einziges Mal verpaßte er die Zeit, wie der Mond in seinem Lauf. Nachdem Theben sich erhoben hatte gegen den Schützer des Landes und der [Götter], die in ihm waren, da hörte der große Gott die ihm geltende Anrufung. Es kam zu ihm (Osorkon) der vortreffliche Widder von Herakleopolis in seinem (Amuns) Namen, um seinen Wunsch auszusprechen, (I/23) daß er das Böse vertreiben möge. Er kam heraus an der [Spitze] seiner Armee wie [Horus], wenn er aus Chemmis kommt. Nun war er in der Stadt von Hermopolis beim Ausführen dessen, was deren Herr lobt, der Herr von Hermopolis, Herr der [Gottes-]Worte, beim Zufriedenstellen der Herren von Oberägypten. Ihre Feuerbecken wurden aufgestellt, ihre Grabstätten wurden erneuert, ihre Kultstätten (I/24) wurden gereinigt gegen jegliches Übel, ihre Mauern wurden wie27. 28. 29. 30. 31.

Zur Übersetzung des Titels Moje, Herrschaftsräume und Herrschaftswissen, 76-82. Scil. der Residenz. Scil. einer vorher geschilderten Situation. Lit. »öffnen«. Nach Ritner.

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dererrichtet, das Zerstörte in allen Städten Oberägyptens wurde neu gegründet. Zurückgedrängt wurden seine Feinde des Inneren dieses Landes, welches während seiner Regentschaft im Chaos versunken war. Er segelte südwärts […] gegenüber […] (I/25) […], besegelte das Gewässer in Frieden und landete in Theben, der Siegreichen. Er trat in ihr Inneres ein als Kind der Edlen-Dame 32). Die Götter in ihr freuten sich, als er ihre Brüste von Elektron empfing und ihre Milch saugte, […] in Leben und Herrschaft, indem sie ihm gab (I/26) ihre Tapferkeit und ihre Stärke. Es geschah nun, daß er dort war, während er all das tat, was der Herr der Götter lobt, (nämlich) Amun-Re, Herr der Throne der Beiden Länder, und während er darreichte [Opfergaben] und seine Siegesbeute an Amun-Re, den großen Gott. Er war der, der sprach: »Nimm Dir!«, während seine beiden Arme beladen waren mit Millionen an Opfergaben von allem Vollkommenen, um zu geben (I/27) ein sehr großes Opfer, bestehend aus allen vollkommenen, reinen und süßen und angenehmen Dingen, geliefert durch Zehntausende und Tausende, ohne daß es ihr Ende gibt, als tägliches Opfer, umfangreicher als (alles), was es vorher gab. Dann kam der Vorsteher von Oberägypten Osorkon zu der Majestät dieses edlen Gottes während seines vollkommenen Festes Nehebkau (I/28) am 1. Tybi. Man ließ erscheinen diesen edlen Gott, Herrn aller Götter, Amun-Re-Götterkönig, den Gott des Uranfangs. Der Hohepriester des Amun Osorkon agierte dabei als Iun-mutef-Priester […], während [der Gott] auf ihn zukam als vollkommenes Orakel. Sie begaben sich zum Tempel, um ihm Siege vorherzusagen (I/29) an der Spitze seiner Armee. (Amun) stimmte völlig dem zu, was (Osorkon) gesagt hatte, wie ein Vater, dem sein Sohn wohlgefällig ist. Es kamen die Priester, Gottesväter, Wab-Priester, Vorlesepriester des Amun sowie die gesamte Stundenpriesterschaft des Tempels Blumenkränze tragend zum Vorsteher von Oberägypten, diese gesamte Stadt mit allen ihren Bezirken und Vierteln, während [ihre] Männer (I/30) [und Frauen] 33) gemeinsam versammelt waren. Sie sprachen einstimmig, indem sie dem Vorsteher von Oberägypten folgendermaßen zuriefen: »Du bist der tapfere Schützer aller Götter, denn Amun hat Dich ausgewählt als den Sachverwalter 34) dessen, der Dich gezeugt hat. Er hat Dich unter Hunderttausenden ausgewählt, um all das zu tun, was sein Herz wünscht. (I/31) Nun, wir flehen Dich an, nachdem wir Deine Vorliebe in Bezug auf ihn gehört haben! Siehe, er hat Dich [zu uns] gebracht, um unsere Not abzuwehren durch das Vertreiben des Wolkenbruchs, dem wir ausgesetzt sind 35). Seit dieses Land in einen Zustand des Ertrinkens geraten ist, wurden seine Gesetze verraten unter den Händen derjenigen, (I/32) die sich gegen ihre Herren empört haben, darunter auch diejenigen, die seine Beamten waren, während jeder, der eine Schreibpalette empfangen hat, in seinen Tempeln seine Anordnungen, die der Herr der Schreibbinse 36) auf die Schriftrolle gesetzt hat, vereitelte und die Kulttraditionen der Tempel, die in einen Zustand von Kriegsbeute geraten waren, zugrunde richtete. Davon hatte der König keine Kenntnis! (I/33) [Du mögest ausstatten] 37) die Tempel wie zuvor, in der Größe 32. 33. 34. 35. 36. 37.

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Scil. Theben. Nach Ritner. Lit. »ältesten Sohn«. Lit. m-cq ¼n. Ritner übersetzt hier »lord of the calamus«. Ritner ergänzt hier »You shall establish?«.

Texte aus Ägypten

des Uranfangs der Stadt, als sie entstand. Oh Reinkarnation des Osiris […], man sandte Dich in das Land, das man das Auge-des-Re nennt, welches in einen Zustand der Verwundung seiner Pupille 38) geraten war. Was wäre denn dieses Land ohne [Dich? …] 39), indem Du stehst (I/34) […] die Feinde. Ihre Augenschminke ist das rote Blut dessen, der gegen es 40) handelte. Übles geschah demjenigen, der (das) tat, während Du selbst unschuldig warst […] Lebenszeit […] gemäß ihres Fehlers.« (I/35) Da sprach der Vorsteher von Oberägypten: »Geht und holt mir jeden gegen ihn und die Erlasse der Vorfahren gerichteten Frevler […] das Auge-des-Re!« Da wurden sie unverzüglich vor ihn als Gefangene gebracht wie Zusammengebundene mit geknickten Flügeln. Da schlug er sie nieder für ihn und veranlaßte, daß sie getragen wurden (I/36) wie Ziegen in der Nacht des [abendlichen] Rituals, wenn die Feuerbecken angezündet werden. Da holte man Feuerbecken wie die Feuerbecken des Festes Herauskommen-der-Sothis, um sie zu opfern. Man verbrannte einen jeden mit Feuer am Platz seiner Untat, die gegen die Stadt Theben gerichtet gewesen war. Dann veranlaßte er, daß man (I/37) ihm holte die Kinder der Vornehmen des Innern dieses Landes, die gebildet waren, um zu veranlassen, daß sie tatkräftig die Positionen ihrer Väter einnahmen, im Wunsch, das Land vollständig zu stabilisieren 41). Da sprach er zu ihnen: »Seht […], der freveln wird gegen ihn […] (I/38) […]rein […] ist die Ewigkeit. Verhindert, daß Ähnliches (erneut) geschieht! Man sagt, die Unendlichkeit ist Theben, und ihr Herr ist die Ewigkeit. Der Gott Re des oberägyptischen Heliopolis (= Theben) ist sein glänzendes Auge, das in diesem Land ist! Seht, […] Reinheit ist in ihr, und ihr Name […] (I/39) […], das Licht, das ich wahrnehme. Nun, ihre Götter preisen mich deswegen, indem sie veranlassen, daß […] für sie. Man möge ausgeben einen Befehl in meinem Namen als Hohepriester des Amun-Re-Götterkönig Osorkon, um auszustatten die Domäne des Amun-Re-Götterkönig, [die Domäne der Mut, der Großen, Herrin von] Ischeru, die Domäne des Chons-in-Theben-Neferhotep, (I/40) die Domäne des Month, Herr von Theben, das Allerheiligste der Maat, (sowie) die Tempelanlagen und Kultstätten seiner Stiftung, um zu veranlassen, um zu gewährleisten, daß sie sich in ihrem Idealzustand befinden, und um zu veranlassen einen Zuwachs über das hinaus, was ihnen zuteilwurde hinsichtlich Versorgung und Opfergaben seit Ewigkeiten und um zusammenzustellen ihre Leute, ihre Herden, ihre Äcker, (I/41) indem sie dauerhaft sind gemäß ihrer Vorschriften. Alle ihre Angestellten werden steuerfrei gestellt, ohne daß sie behindert werden durch irgendeinen Mann, irgendeinen Hatia, irgendeinen Würdenträger oder irgendeinen Stellvertreter des Palastes, er lebe, sei heil und gesund, hinsichtlich jeglicher Arbeit, die getan werden muß in diesem ganzen Land, außer ihrer eigenen Tätigkeit (I/42) in diesen Tempeln! Verbunden damit ist das Ausgeben eines zweiten Befehls bezüglich ihrer Versorgung […] jeder […], um zu geben die [Gottesopfer …] aus dem Innern der Domäne des Hohepriesters des Amun-Re-Götterkönig an [die Domäne des Amun 42)], als das, was getan werden soll in geeigneter Art und Weise in ihren 38. 39. 40. 41. 42.

Dies spielt auf das heile und gesunde Auge des Horus mit all seinen Einzelelementen als Apotrophaikum an. Nach Ritner. Scil. das Land Auge-des-Re, also die Thebais. Lit. »bis zu seinem Kopf«. Ergänzungsvorschlag Caminos.

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[Tempeln] hinsichtlich des Gottesopfers an Weihrauch (I/43) und Honig, welches zum Erliegen gekommen war, nachdem die Weihrauchträger und Imker entlassen worden waren. Die Liste davon: [Liste von Gaben an verschiedene Einrichtungen und Gottheiten]. (I/52) … Ich handelte willig für Amun [hinsichtlich 43)] (I/53) Leben, Heil und Gesundheit meines Vaters, des Sohnes des Re Takelot (II.) geliebt von Amun, Sohn der Isis, der ewig lebt, um zu veranlassen, daß sich sein Ka freut, bis ich auf seinem Thron bin 44), indem ich den Gott der Götter von [Theben?] kenne und nicht ohne sein Wissen handele! Was denjenigen anlangt, der diesen Befehl korrekt zur Ausführung bringen und nicht mißachten wird, was ich befohlen habe, ohne meine Pläne zu vereiteln: Er möge in der Gunst des Amun, ihres Herrn, sein bis zu seinem Tod. Was aber denjenigen anlangt, der dieses Dekret entfernt, das ich ausgegeben habe: Er sei unter dem Gemetzel des Amun, indem die Flamme der Mut sich ihm in ihrem Zorn bemächtigt! Sein Sohn soll ihm nicht nachfolgen! Mein Name ist dauerhaft und beständig in der Zeitspanne der Ewigkeit.«

2. Abschnitt, datiert 12. Regierungsjahr Takelots II. (II/1) 12.

Regierungsjahr, 9. Thot unter der Majestät des Horus Starker Stier, der in Theben erscheint, Nesu-Biti, Herr der Beiden Länder, Herr der Rituale Hedj-cheper-Re Setep-en-Re, leiblicher Sohn des Re Takelot (II.) geliebt von Amun, Sohn der Isis, geliebt von Amun-Re, Herrn der Throne der Beiden Länder, Stier seiner Mutter, König der Götter, Herr des Himmels, Erster in Karnak, (geliebt) von Mut der Großen, Herrin von Ischeru (und) von Chons-in-Theben-Neferhotep, dem Leben gegeben ist wie Re ewiglich. Nun, sein ältester Sohn, Oberhaupt der Beiden Länder, [Hohepriester des AmunRe]-Götterkönig, Generalissimus und Erster Befehlshaber Osorkon, gerechtfertigt, war […] bezüglich dessen, was er schätzt, wie Schu an der Seite des Re (II/2) beim Besänftigen der Wadjet, seiner Herrin, an jedem Tag im Bestreben, [seine] Grenzen zu bestätigen, ein Wohlriechender unter dem Hofstaat wie der hochaufragende Lotos an der Nase eines jeden Gottes. [Nun war] 45) er ein vortrefflicher Jüngling, süß an Liebe wie Horus beim Herauskommen aus Chemmis; der denjenigen angreift, welcher seine Grenzen verletzt, als der Sohn des Starken Stieres wie ein Falke unter denen, die am Himmel sind; ein Mächtiger an Stärke [an der Seite?] der Beiden Herrinnen; der vortreffliche Erbe der Doppelkrone; der Same des Goldenen Horus, dessen Körper man auf dem Streitwagen sieht wie einen funkelnden Stern; (II/3) der Horus des Morgens unter den Sternen, dessen Erscheinung die eines Großen ist; das kluge Ei und Abbild des Nesu-Biti; einer, bei dessen Anblick die Gesichter geblendet sind wie (beim) Sohn des Re; der lebende Körper des Sohnes der Isis in Wahrhaftigkeit; ein Großer an Rechtfertigung unter seinen Nachbarn wie der Sohn des Osiris; Erstgeborener der (Königin) »Groß-an-Gunst«; einer, dessen Schönheit die »Groß-an-Schmuck« erschaffen hat inmitten des Palastes, den sie gesäugt hat mit ihrer Milch im Unterägyptischen Heiligtum in Buto; den der König an seiner Brust aufgezogen hat im Oberägyptischen Heiligtum von Elkab und im Unterägyptischen Heiligtum von Buto, damit er zwischen den Uräen »Groß-an-ihren-Zaubern« 43. 44. 45.

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Nach Ritner. Lesevariante nach Caminos. Nach Jansen-Winkeln.

Texte aus Ägypten

an jedem Tag schlafe, (II/4) während Reret und die Götter des Schlafzimmers über ihn wachen, bis seine beiden Füße darin auf dem Boden stehen an der Treppe des Hohen Thrones; Erster beim Richten dessen, was seine Ohren erreicht hat, während Ritualhandlungen im Palast geschehen hinsichtlich seiner diesbezüglichen Klugheit; alle seine Pläne, sie geschehen seit Generationen der Könige. Er hatte bereits seinen Mund geöffnet, um »Amun!« zu sagen, als er noch ein Kind war, ein Kalb, umarmt auf dem Schoß seiner Mutter trotz Geruch, er war ausgestattet mit einem Körper, um das zu tun, was er wünscht, seit er (Amun) (II/5) die Nachkommenschaft kannte desjenigen, der aus ihm herauskam (und) den er (Amun) eingeführt hatte. Nun, er ist rechtschaffen in […] hinsichtlich jedes Plans seines (Amuns) Herzens, indem sein Leib angefüllt ist mit (Amuns) Liebe, und (Amuns) Würde seine Glieder durchdringt, indem er [weiß 46)], daß er größer ist als die (anderen) Götter; einer, für den all [seine] Wirkmächtigkeit bereitet ist, damit er loyal sei ihm (Amun) gegenüber; einer, für den ergreift […]; einer, den sein Herr unterwiesen hat, damit er werde zum Horusstark-an-Arm der gesamten Beiden Länder; einer, an den die Menschheit herantritt; eine wohlgesonnene Mutter, die Brot dem Hungrigen und Kleidung dem Nackten gibt und auf das Klagen (II/6) des Hilfsbedürftigen kommt; ein Schützer der Witwe; ein Machtvoller in der Aufsicht über die Besitztümer der Tempelanlagen; ein Beständiger beim Dienen für Theben. Er kam dreimal im Jahr (scil. nach Theben), indem seine Schiffe beladen waren mit den Festopfern für sie, so daß er sie in einen festlichen Zustand versetzen konnte jedes [Mal. Die Einwohner Thebens sind?] im Jubeln, ihn zu sehen beim Herrichten ihrer Altäre, beim Versorgen ihrer Opfertische mit allem Vollkommenen, Reinen, Süßen und Angenehmen sowie beim Veranlassen der Vermehrung ihrer täglichen Opfergaben jeden Tag in Fürsorge für die Kapelle dessen, der ihn geschaffen hat.

3. Abschnitt, datiert 15.-24. Regierungsjahr Takelots II. (III/7) Nun, danach, im 15. Regierungsjahr, 25. Mesore unter der Majestät seines edlen Vaters, des Gottes, der Theben regiert, da verschluckte der Himmel nicht den Mond, obwohl ein Aufruhr des Himmels 47) in diesem Land geschah wie […] die Kinder der Rebellion, indem sie einen Bürgerkrieg anzettelten in Ober- und Unterägypten [… Nie] ließ er nach, gegen sie zu kämpfen wie Horus hinter seinem Vater. Die Jahre gingen vorbei, ohne daß einer abgewehrt wurde beim Übergriff auf seinen Gefolgsmann. Es kam der Große Gott zu-Gast-in-Karnak, um (III/8) seinen Sohn 48) daran zu erinnern, denjenigen zu beschützen, der vor ihm herauskommt, (nämlich Osorkon), da er (Amun) zufrieden war mit dessen vortrefflicher Organisation bezüglich aller seiner vollkommenen Feste. Da sprach dieser Vorsteher von Oberägypten zu seinen Beamten, den Gefolgsleuten und […] seines Vaters, die an seiner Seite waren: »Seht doch, ihr seid die Berater dessen, der mich gezeugt hat […]. Es war […] in seiner Zeit, aber in meiner Zeit hörten sie auf, ihm gegenüber loyal zu sein. Ihr möget nicht kämpfen, da dies seinen Tod bedeuten würde! Solange Atem im Körper ist, solange werden die

46. 47. 48.

Nach Ritner. Nach Ritner. Scil. Takelot II.

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Beine gehen. Die Tempel sind (weiterhin) in Not 49), (III/9) es geschah in ihrem Oberhaupt (= Theben), wie es größer ist als (alle anderen) Gaue! Wie soll sie restituiert werden? Euer […] geschah, während ihr Führer alleine während des Monats war, mein Leib dünn und ich selbst betrübt war, seit er den gesunden Menschenverstand deswegen täglich übertrat! Ich habe keine Pläne gefunden für das Wissen, sie zu heilen, außerhalb […] Gott, deswegen beim Opfern für ihn mit Speisen, die er zur Verfügung gestellt hat, um ihn zu befriedigen [mit dem, was gewünscht ist]. Re-Harachte ist es, dieses sein glänzendes Sonnenauge, das in diesem Land ist. Es möge geschehen, daß er es erleuchtet, um das dunkle Land (wieder) zu erhellen mit seinem Feuerbecken(?) […]!« (III/10) Nun, er vollendete diese Rede vor seinen Zuhörern, indem ihre Herzen [deswegen] süß waren mehr als alles andere. [… Sie sprachen: »…] Abbild […] alle Deine [Pläne], mögen sie geschehen! Wenn nun der Gott gnädig uns gegenüber ist, möge er das Land unter Deine Leitung stellen! Du bist der Hatia […], der Nützliche, das vollkommene Steuerruder, das Bugtau in der Hand des tüchtigen Lotsen, ein Vortrefflicher an Arbeiten, ein Tüchtiger beim Handeln zu jeder Zeit, indem die Opfergaben eilig per Hand zu Dir herbeigebracht werden. Die besten Opfergaben sind diese, die Du gemacht hast. (III/11) So gibst Du ihm 50), wie er Dir gegeben hat. Nützlich ist das Geben an den, der gegeben hat. [Wir] werden fröhlich sein wegen Dir, ohne Deine Feinde, die nicht (mehr) existieren! Oh, hätten wir doch […] seine Würde. Daß er es getan hat, war für diejenigen, die entstehen werden.« Da sprach zu ihnen dieser Vorsteher von Oberägypten: »Veranlaßt, daß unser Heer [mobilisiert wird] an einem Ort, damit wir ihm eine Expedition ausrüsten können!« Da wurde gehandelt gemäß dessen, was er gesagt hatte. So beluden sie seine Schiffe mit allen diesen seinen Dingen, in Anwesenheit aller seiner Gefolgsleute, darunter die Kinder des Königs, die hohen Würdenträger, die Beamten, (III/12) die bei ihm waren an Männern und Frauen, der Hofstaat seines Erzeugers, seine Armee, seine Gefolgsleute ohne Ende. Was die Schiffe anbelangt, eine große Menge war in jedem von ihnen, indem sie beladen waren mit Opfergaben und der Bitte um Tapferkeit für ihn, indem die Schiffe in […] ihre, ohne daß man deren Anzahl kannte. Was die Schiffer anbelangt, so zahlreich sie auch waren, jedermann trug seinen Weihrauch. Es gab es kein Ende der Flotte derjenigen, die freiwillig gekommen waren, während weitere Truppenkontingente auf dem Fluß(?) waren […] (III/13) wegen der Größe seiner Rechtfertigung in ihren Herzen, wie (die des) Sohnes des Osiris. Da begab er sich an Bord, wobei die Mannschaft in Jubel ausbrach und die Beiden Länder hinter ihm erbebten, indem sie himmelhoch jauchzten. Und es leuchtete der Himmel mit dem vollkommenen Hauch des Nordwindes – das Gleiche dessen, was sie (Theben) für ihn gemacht hatte, jedesmal wenn man Segel sah […] auf dem Wasser wie die Sterne auf dem Bauch des Leibes der Nut, wie wenn Horus nach Süden segelt am Brand-Fest, bereit für seine Erbschaft in Rechtfertigung, während die Ufer jubeln und die Wüstenränder in Freude sind, bis er in Theben landet an der Spitze seiner Schiffe und der (Götterbarke) ›User-hat‹ des Amun. […] (III/14) Erzittern seiner Armee wie ein Sumpfvogel, wenn er herumflattert während der Überschwemmungszeit, während sie freiwillig vor ihn kamen, um für ihn den Sieg zu erbitten. 49. 50.

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Die Interpretation dieser Passage folgt Ritner contra Caminos. Ritner übersetzt »Thus you should give to him …«.

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Da fanden sie dann Theben beim Erzeugen von Jubel, während Karnak beim Klatschen für ihn war wie beim Klatschen der Göttlichen Sängerin 51), sobald sie der Läufer erreicht, sowie jedes bedeutenden Genossen im ›Gotteshimmel‹ (Theben), sowie des Iun-mut-ef-Priesters im oberägyptischen Heliopolis. Da vollzog er (Osorkon) ein großes Opfer für seinen Herrn, seinen edlen Gott, der größer ist als die Götter, Amun-Re, Herr der Throne der Beiden Länder, und für die Neunheit, die in Karnak ist, die Herren des Himmels [und der Erde], umgeben mit einem Opfer [an] (III/15) Kurzhornrindern, Gazellen, Ibexen, Oryx-Antilopen, Mastgänsen in Zehntausenden und Tausenden sowie [Sumpf]vögeln. Dann beförderte er die Gaben in die Säulenhallen [seiner] Domäne, endlos an allem Vollkommenem: Zahlloses Brot und Bier, Krüge, die von Wein und Milch überflossen, die Böden bedeckt mit Früchten, Grünzeug, Honig und Granatapfelwein, und ebenso Bergen von Myrrhe und Weihrauch. Da reichte er es dar mit zufriedenem Herzen, tüchtig […] (III/16) der große Gott, der in Theben ist. Da ließ man erscheinen diesen edlen Gott, um dieses sein großes Opfer entgegenzunehmen, während seine Neunheit in Freude war, es in […] zu erhalten. […] Da sprach zum großen Gott der Hohepriester des Amun Osorkon vor seiner Armee im Lobpreisen von [Amun], dem [großen] Gott, Folgendes: »Gibt es jemanden, der Dein Vorgesetzter ist? […] einen anderen als Oberen […]. Du mögest hinsichtlich seines Kommens schweigen! Die Städte waren in Aufruhr, die Gaue in [Unordnung, Schrecken war in 52)] einem jeden von ihnen, und jeder [Mann] in ihnen sagte: ›Ich bin der, der dieses Land ergreifen wird!‹ […] (III/17) Hast Du gegen Theben gehandelt, wie Du gegen sie handelst? Als es ungerecht war, da warst Du ebenso dort, so daß sein Gau wurde […] ihr Herr insgesamt in Wahrheit. […] der Obere(?) war beim(?) […], den du aufgerichtet hast für sie. Sei aufmerksam auf den Ruf […] bis zu dem, was Deine Sonnenscheibe umkreist, seit sie (Thebens) Unterwerfung unter Dich gesehen haben, während Du aber nicht nachsichtig warst hinsichtlich […] alle Götter, um (Theben) in Deine Hände zu geben, damit es frei sei von […]. (III/18) Sei aufmerksam gegenüber dem Herrn der Gottesworte, der zuerst begann mit dem Namen der Beiden Länder, nachdem er den Namen von […] erstellt hatte, […] jede Stadt diesbezüglich, um zu veranlassen, daß das gesamte Land sagt: ›Laßt das Land […]. Er möge gewähren tägliche Opfergaben pro Monat […] an einem einzigen Tag!‹ Es dauere Dein edler und hoher Ka […] Dein […], Deine Sonnenscheibe, die im Himmel ist. Oh wie schön ist es für dieses Land, wenn Du zufrieden bist in Güte! […] (III/19) So sollst Du unsere Milde ihr gegenüber vertreiben […] sie gehört haben […]. Erglänzt nicht für Dich das Auge-des-Re wegen mir? Daß ich lebe, […], das du gemacht hast. Erglänzt nicht [für mich das Auge-des-Re wegen Dir? …] indem Leben und Tod auf Deinem Mund sind und man sich Dir nicht widersetzen kann im Himmel und auf Erden […] Truppen zahlreich wie der Sand von der Infanterie […] (III/20) […] ihnen […] mein kraftvoller Arm wird Theben stärken […] finden […] jeder Stier und […] des Herrn der Götter, da ich besorgt war seit meiner Geburt bis heute hinsichtlich […] jeder […] der Herr der Götter […] jeder […] als

51. 52.

Meret als personifizierte göttliche Sängerin: Wb II, 107:2-6. Rekonstruktion nach Caminos.

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Schützer. Du bist […] (III/21) […] ist es, nachdem er Millionen verletzt hatte wegen dessen, was Dein Ka und alle Götter des Himmels und der Erde gesagt hatten.« Der große Gott wandte sich ihm zu 53) und erschien auf seine Stimme hin inmitten der Vielfalt, während er umfassend zustimmte […] für sie, nachdem er ihren Herrn heute ernannt hatte, um zu […] als Begleiter […]. Da setzte er ihn ein als […].

4. Abschnitt, datiert nach dem Umsturz Harsieses zu Beginn der Regierung Scheschonqs III. (IV/2) […], derjenigen, die sich gegen ihn erhoben hatten. Kein Einziger sagte: »Mach […] ebenso!« unter den hohen Würdenträgern des Innern dieses Landes. Es begab sich dort, daß er alleine war, so daß nicht einer der Freunde [bei ihm war? 54) …] an diesem Tag. Es begab sich, daß positive Botschaften aus Theben kamen, um ihm umfassend zu berichten 55) Folgendes: »Sei frohgemut, denn Du hast keine Feinde (mehr)! Das, was der große Gott Dir prophezeit hat, ist geschehen. Bedenke das, was Du zu ihm gesagt hast […]. (IV/3) Siehe, er wird tun, was Du sagst, allerdings ist der Zeitpunkt noch nicht erreicht. Daher sollst Du noch mehr für seinen Kultdienst geben. Vertraue nicht der Armee! Ersinne keine Pläne für den Kampf! Dein Amtsstab ist der hohe Name [des Amun! …] Verdoppele die Opfergaben für den Ba dessen, der sie gemacht hat! Die Furcht vor ihm war eingedrungen in jeden Körper, seine Mißachtung ausschließend, seit er vorhergesagt hatte, daß der Himmel zu ihm kommen würde mit jedem Windhauch, den er wünscht, um in Theben anzulanden. […] (IV/4) der große Gebieter Amun war zufrieden mit seinen Siegen, seine Neunheit war im Jubeln, als er in ihr Innerstes eintrat und er seine Glieder mit dem Wasser vereinigte inmitten der Überschwemmungszeit. Er war in ihr (Theben) beim Zurückweisen [… Da vollzog er ein Gottesopfer weit über das hinaus, was] bisher [gewesen war] 56), bestehend aus allen vollkommenen und reinen Dingen, die der Himmel gegeben, die das Land hervorgebracht und die derjenige geschaffen hatte, der die Existenz kreierte – das, was er (Osorkon) vorher vergessen hatte ihm zu tun – bestehend aus Millionen an Dingen wie das, was geeignet ist für sein vollkommenes Fest von Luxor 57). […] für den Allherrn […] für den Herrn der Beiden Länder(?) […]. (IV/5) Die Anhöhen waren bewässert mit Harz, die Fluten des Nil bestanden überall aus dem Blut von unzähligen Rindern, Kurzhornrindern und Kleinvieh der Wüste, und aus Wasservögeln zahlreich wie [Sand …] vor ihm. Die großen Priester und die großen Gottesväter […] des Amun [und die Priesterschaft] des Tempels in ihrer Gesamtheit […], die nicht diejenigen erreichten, die unter ihnen waren durch das, was er ihnen gegeben hat. Da sagte er zu ihnen: »Vollzieht ein Wunder wegen der Höhe […] der große Gott. Nicht […] (IV/6) um zu veranlassen, daß diejenigen Kenntnis haben, die in Millionen von Jahren kommen zu dieser Domäne dessen, der durchwandelt die Ewigkeit und Unendlichkeit,

53. 54. 55. 56. 57.

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Ritner übersetzt »The great god drew toward him …«. Nach Ritner. Ritner übersetzt »in order to comfort his heart greatly«. Nach Ritner. Damit ist das jährliche Opet-Fest gemeint, bei dem die thebanische Triade Amun, Mut und Chons aus ihren Tempeln in Karnak über die Sphingenallee ins Sanktuar von Luxor zog.

Texte aus Ägypten

und um die Furcht [vor ihm] in ihre Leiber zu geben wegen der Höhe der Wut in Bezug auf sie (Theben). [Amun(?)] ist es, [der bestraft 58)] denjenigen, der ihn diesbezüglich anfleht. Kein Monat wird wiederkehren […], der jegliche Wegnahme der Gottesopfer des Amun und seiner Neunheit zuläßt.« Zusammen mit der Rede: »Erstellt ein Verzeichnis von jedem Male der Wohltaten, die ich ihnen erneut erwiesen habe, angefangen vom 11. Regierungsjahr unter der Majestät meines edlen Vaters, des Nesu-Biti, Sohn des Re [Takelot (II.)] geliebt von Amun, (IV/7) bis zum 28. Regierungsjahr unter der Majestät des Nesu-Biti User-Maat-Re Setep-en-Re, Sohn des Re Scheschonq (III.) geliebt von Re, Sohn der Bastet, dem Leben gegeben ist ewiglich. Die Liste davon: [Lange Aufzählung von Gaben für verschiedene Götter] (IV/11) … Zusammenstellung von Gaben für neue Stiftungen, die eingerichtet hat (IV/12) der Hohepriester des Amun-Re-Götterkönig und Erster Befehlshaber Osorkon, vom 22. Regierungsjahr (Scheschonqs III.) bis zum 28. Regierungsjahr: [Lange Aufzählung von Gaben für verschiedene Götter] (IV/13) … 24. Regierungsjahr: Neue Stiftung für die große und reine Opfertafel des Amun […]: [Lange Aufzählung von Gaben] (IV/16) … Summe der Stiftung für das 24. Regierungsjahr (Scheschonqs III.): 8039 Sack und 2 Scheffel. (IV/17) Gottesopfer für Amun-Re-Götterkönig, den Großen Gott des Uranfangs. Eine neue Stiftung im 25. Regierungsjahr (Scheschonqs III.): [Aufzählung von Gaben]. [Summe] der neuen Stiftungen für Amun-Re-Götterkönig, Herrn der Throne der Beiden Länder und seine Neunheit, vom 22. Regierungsjahr (Takelots II.) bis zum 28. Jahr (Scheschonqs III.): 11616 Sack und 1+1/20+1/80 Scheffel Getreide. [Lange Aufzählung von Gaben für verschiedene Götter]. (IV/20) … Da gab man einen Befehl diesbezüglich aus, und zwar folgendermaßen: »Was denjenigen anlangt, der all das bestätigen wird, was ich getan habe für ihre Einkünfte, (IV/21) und der dem nicht zuwiderhandeln wird, was ich für Amun und seine Neunheit angeordnet habe: Er möge existieren, solange dieser Tempel existieren wird, welcher nicht untergehen wird bis in Ewigkeit! Siehe, ich habe seine Wohltaten veranlaßt mit dem Ergebnis, daß die Männer in […] sind! Ich habe gehandelt für ihn mit liebendem Herzen, und ich habe gehandelt für seine Neunheit gleichermaßen, indem ich wußte, was [die Götter] wünschten […] geschehen […] geschehen […. Was denjenigen anlangt, der gegen] ihre Tempel [handeln wird]: Man möge ausspucken, sobald man sich an ihn in den Domänen der Götter erinnert! [Mein Name] ist beständig wegen dessen, was ich getan habe für diese Domäne, ewiglich!«

5. Abschnitt, datiert 29. Regierungsjahr Scheschonqs III. (V/22) 29.

Regierungsjahr: Gottesopfer für Amun-Re, Herrn der Throne der Beiden Länder im Haus-des-Phönix(?). Neue Stiftung: 1 (Scheffel) Sesam, 1 (Scheffel) Chedj-Brot, macht 2 Scheffel Emmer als Tagesbedarf, täglich.

58.

Rekonstruktion nach Ritner.

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2.3 Quellen zu regionalen Ereignissen 2.3.1 Felsstele Scheschonqs I. in Gebel Silsile (»Silsile 100«)

Im Steinbruch von Gebel es-Silsile befindet sich, noch in situ, eine Felsstele Scheschonqs I. aus dessen höchstem belegten Regierungsjahr, dem 21. Unterhalb einer Flügelsonne findet sich das Bildfeld, in dem der Herrscher gefolgt von seinem Sohn, dem Hohepriester des Amun Iuput, und geführt von Mut vor Amun-Re, Re-Harachte-Atum und Ptah-Nun steht. Folgend wurde, mit der Königstitulatur eingeleitet, in fünf Zeilen und zehn kurzen Kolumnen der historisch relevante Haupttext angebracht. Text: R. A. Caminos, Gebel es-Silsila No. 100, JEA 38 (1952) 46-61; Taf. X-XIII; Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit II, 20-22 Nr. 27. – Weitere Bearbeitungen: Wilson, The Campaign of Pharaoh Shoshenq I, 86-87; Ritner, The Libyan Anarchy, 187-193. (34) Er 59)

vollzog die Wiedereröffnung des Steinbruchs für den Beginn der Bautätigkeiten, die ausführte der Sohn des Re Scheschonq-geliebt-von-Amun, der Monumente macht für seinen Vater Amun-Re, Herrn der Throne der Beiden Länder, damit ihm gegeben werde 60) das Sed-Fest des Re (35) sowie die Jahre des Atum, der ewiglich lebt: »Mein vollkommener Herr (Amun), mögest Du veranlassen, daß diejenigen, die in Millionen von Jahren kommen, konstatieren (können): ›Es ist nützlich für Amun tätig zu sein!‹ Mögest Du geneigt sein, mir eine lange Herrschaftszeit zu gewähren!« (36) Er vollzog die Wiedereröffnung des Steinbruchs für den Beginn der Bautätigkeiten, die ausführte der Hohepriester des Amun-Re-Götterkönig, Generalissimus und Erster Befehlshaber Iuput, gerechtfertigt, (37) der an der Spitze der großen Armee des gesamten Oberägypten steht, Prinz des Herrn der Beiden Länder Scheschonq (I.) geliebt von Amun, für seinen Herrn und für Amun-Re-Götterkönig, damit ihm gegeben werden Leben, Heil und Gesundheit sowie eine lange Lebenszeit, Tapferkeit, (38) Stärke und ein hohes Alter in Herrschaft: »Mein vollkommener Herr (Amun), mögest Du veranlassen, daß diejenigen, die in Millionen von Jahren kommen, konstatieren (können): ›Es ist nützlich für Amun tätig zu sein!‹ Mögest Du geneigt sein, mir Triumph und Sieg zu gewähren!« (39) 21. Regierungsjahr, Payni. An diesem Tage, als Seine Majestät in der Residenz von (40) Per-Isis ›Der-große-Ka-des-Re-Harachte‹ weilte, befahl Seine Majestät, (41) einzusetzen den Gottesvater des Amun-Re-Götterkönig, Geheimniswahrer (42) der Domäne des Re-Harachte und Arbeitsaufseher der Bauten des Herrn der Beiden Länder, (namens) Hor-em-sa-ef, (43) gerechtfertigt, um zu betreuen und zu schützen jegliche (Bau)tätigkeit, die im Angesicht des Sobek 61) stattfindet, im auserlesensten (44) Steinbruch in Silsile, und um zu errichten große und hohe Bauten für die Domäne seines erhabenen (45) Vaters Amun-Re, Herrn der Throne der Beiden Länder. Seine Majestät war es, die Anweisung gab, (46) große und hohe Pylontürme zu erbauen, die ähnlich sind 59. 60. 61.

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Gemeint ist der König Scheschonq I. Es müßte statt jrj ¼f eigentlich jrjh.ni ¼f heißen, vgl. Z. 37. Prominentester Lokalgott von Silsile.

Texte aus Ägypten

wie ›Die-die-Theben-erleuchten‹ 62) (47) durch das Aufstellen seiner beiden Türflügel von Millionen Ellen, (sowie) einen Sed-Festhof zu errichten (48) für den Tempel seines Vaters Amun-Re-Götterkönig, und ihn zu umgeben mit Statuen und Kolonnaden. (49) Da kam in Frieden aus Theben an den Ort, wo sich der König aufhielt, der Gottesvater des Amun-Re-(50) -Götterkönig, Geheimniswahrer der Domäne des Re-Harachte und Arbeitsaufseher im ›Haus-des-Hedj-cheper-Re Setep-en-Re in Theben‹ 63), (51) groß an Zuneigung vor seinem Herrn, dem Herrn der Beiden Länder, (namens) Hor-em-saef, (52) gerechtfertigt. Er sprach: »Bezüglich aller Dinge, die Du angesprochen hast: Sie sind geschehen, mein (53) vollkommener Herr, ohne zu schlafen in der Nacht und ohne zu trödeln (54) am Tage, ausschließlich errichtend die ewigwährenden Arbeiten ohne (55) zu ermüden.« Nachdem Lobpreis gegeben wurde gegenüber dem König, belohnte man ihn 64) mit Gegenständen (56) aus Silber und Gold. Sein aufmerksamer Nachfahre, der Priester Pa-heqa-nefer, der das Bauwerk errichtete für Amun wie sein Vater: (57) Möge er ihm gleichkommen!

2.3.2 Restaurierungsinschrift einer Stele des Men-cheper-Re

Im Bildfeld dieser Stele aus Karnak (heute im Ägyptischen Museum Cairo TR 3/12/ 24/2) steht der thebanische Hohepriester des Amun-Re, Men-cheper-Re, der während der Regierung Psusennes I. der 21. Dynastie im Amt war, im Opfergestus vor der thebanischen Triade und der Personifikation Thebens. Der Haupttext enthält die historisch relevante Inschrift, in der es um die Errichtung einer Schutzmauer zur Verdrängung von Wohnbebauung geht. Text: K. Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit I: Die 21. Dynastie, Wiesbaden 2007, 7475 Nr. 2. – Weitere Bearbeitung: Ritner, The Libyan Anarchy, 136-138. (1) 48.

Regierungsjahr. Beginn der Restaurierungsarbeiten durch den Hohepriester des Amun-Re-Götterkönig, Men-cheper-Re, gerechtfertigt, Sohn des Königs Pinudjem (I.) 65) geliebt von Amun, in der Domäne seines Vaters Amun-Re, Herrn der Throne der Beiden Länder, Erster (2) von Karnak. Er errichtete eine große und hohe Umfassungsmauer (im) Norden von Karnak von der südlichen Stationskapelle 66) des Amun bis hin zum nördlichen Schatzhaus der Domäne des Amun, im Bestreben, zu verstecken (3) den Tempel seines Vaters Amun-Re, um (ihn) reinzuhalten vom gemeinen Volk, nachdem er bemerkt hatte, daß er bebaut worden war mit Häusern der Menschen (4) des Landes, die dauerhaft (eingebaut) waren in die Vorhöfe der Domäne des Amun. Er machte seine Erneuerung mittels einer Umfassungsmauer, die aus Grauwacke gebaut war, damit (5) die Einwohner Thebens herausgehalten wurden aus der Domäne seines Vaters Amun, im Bestreben, zu verschönern die Domäne dessen, der geschmückt ist in seiner 62. 63. 64. 65. 66.

Dies ist der Name des Zweiten Pylons des Karnak-Tempels (Amun-Bezirk). Dies ist der Name des Ersten Festhofs in Karnak. Scil. Hor-em-sa-ef. Lokaler »Priesterkönig«. Nach Ritner.

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Domäne, [wie Horus], (6) als er seinen Vater beschützte, indem der zugehörige Lohn dafür, dies getan zu haben, in seinen Thronen auf Erden bestand. Möge er bestehen bleiben in Karnak, dauernd in Ewigkeit!

2.3.3 Große Dachla-Stele

Die heute im Ashmolean Museum Oxford unter 1894.107 inventarisierte Stele stammt aus der Siedlung Mut in der Dachla-Oase. Im hieratisch geschriebenen Text geht es um die Schlichtung von Unruhen bezüglich der Wasserversorgung in der Oase durch einen hochrangigen Priester und Beamten der Meschwesch-Libyer, der extra von der Residenz ausgesandt worden war, da die Schwierigkeiten offenbar als gravierend angesehen wurden. Das Ganze ist als Orakelentscheidung des Gottes Seth konzipiert. Text: A. H. Gardiner, The Dakhleh Stela, JEA 19 (1933) 1-30, Taf. 5-7; Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit II, 23-28 Nr. 28. – Weitere Bearbeitungen: Wilson, The Campaign of Pharaoh Shoshenq I, 69; Kitchen, 3The Third Intermediate Period in Egypt, § 247. (1) 5.

Regierungsjahr, 16. Pharmuthi des Königs und Pharao, er lebe, sei heil und gesund, Scheschonq (I.), er lebe, sei heil und gesund, geliebt von Amun: An diesem Tag erschien der Mes 67) der Ma, 68) (2) Großer des Distriktes, Priester der Hathor, Herrin von Hut-Sechem 69), Leiter der Priester des Horus und der Sachmet, Herrin von Per-Djadja 70), Priester des Sutech, Herr der Oase, Vorsteher der Überschwemmungsgebiete, (3) Vorsteher der Waldgebiete, Hatia 71) Waiuhasat der Beiden Länder der Oase 72), in der Siedlung Sa-Wehat 73), nachdem ihn Pharao, er lebe, sei heil und gesund, ausgesandt hatte, um das Land der Oase in Ordnung zu bringen, (4) als man festgestellt hatte, daß es in einem Zustand von Feindseligkeit und Aufruhr war. An diesem Tag der Inspektionstour, um die Quellen und die Brunnen 74) zu untersuchen, (5) die in Sa-Wehat sind – die ummauerten (Trinkwasser-)Brunnen sowie die unbefestigten (Bewässerungs-)Brunnen 75) – erschien er, um den Quellbrunnen von Weben-(6) -Re anzuschauen, nachdem der Priester des Sutech Nes-Bastet, Sohn des Pa-diu, vor ihm berichtet hatte: »Siehe, 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75.

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Libyscher Titel, m. E. nur ein politischer Rangtitel: Moje, Herrschaftsräume und Herrschaftswissen, 59-61. Kurzschreibung für den libyschen Stamm der »Meschwesch«. In ptolemäischer Zeit Diospolis Parva, heute Hû, etwas südlich von Abydos gelegen. Heute Abu Tischt im Gouvernement Qena. Politischer Titel, u. a. ähnlich einem »Bürgermeister«, siehe für die späteren Lokalregenten Moje, Herrschaftsräume und Herrschaftswissen, 65-69. Scil. von Dachla und Charga. Mut in der Oase Dachla. Zu den ägyptischen Termini für Brunnen siehe H. Franzmeier, Ein Brunnen in der Ramsesstadt. Zur Typologie und Funktion von Brunnen und Zisternen im pharaonischen Ägypten (FoRa 7), Hildesheim 2010, 85-93, für diese Quelle besonders 86. M. E. bezieht sich der erste der hier unterschiedenen Begriffe offenbar auf einen ummauerten (»bekleideten«) Brunnen, eventuell für die Trinkwasser-Versorgung, während der zweite Ausdruck (ww/hbs »gehackt, Acker-«) einen nicht weiter befestigten Brunnen zur Felderbewäs˘ serung bezeichnen könnte.

Texte aus Ägypten

ein bewässertes Landstück wurde abgesondert, das hier im Bassinland 76) dieser Quelle von Weben-Re ist. Schau (ihn) Dir an, diesen (7) Brunnen von Per-Re, hini dessen Bassinland du bist 77): Ein privater 78) Brunnen ist dieser, er gehört meiner Mutter Taiu-henut, ihre Mutter ist Henut-netjeru.« Der Priester und Hatia Waiuhasat sprach zu ihm: »Stehe auf vor Sutech, (8) [beanspruche?] ihn!« An diesem Tag ließ man erscheinen die Majestät dieses edlen Gottes Sutech, groß an Stärke, Sohn der Nut, dieser große Gott, (im) 5. Regierungsjahr, 25. Pharmuthi bei seinem vollkommenen Fest, indem er den ganzen Tag (damit) verbrachte, 79) während der Hatia Waiuhasat dabei anwesend war. Es sprach (9) Sutech, dieser große Gott: »Man hat für recht befunden Nes-Bastet, Sohn des Pa-diu. Das bewässerte Landstück, welches nordwestlich dieser Quelle von Weben-Re ist, dieser Brunnen von Per-Re, der in Sa-Wehat ist: Er gehört Taiu-henut, seiner Mutter. (10) Bestätige es ihm jetzt!« (Wiederum) sprach der große Gott: »Zu Weben-Re gehören keine zwei Quellen, dieser Brunnen von Per-Re, der in Sa-Wehat ist! Nur eine Quelle allein findet man in der Kataster-(11) rolle 80) der Brunnen und Gärten von Per-Re, die der Bevollmächtigte Anchef, Sohn des Sutech-nacht ausgibt, in Übereinstimmung mit diesem Kataster des Pharao er lebe, sei heil und gesund, Psusennes (I.), er lebe, sei heil und gesund, dem großen Gott im 19. Regierungsjahr.« (Wiederum) sprach Sutech, (12) dieser große Gott: »Was jede Quelle anbelangt, die in der [Region] des Hügels gelegen ist, in der Region westlich von Sa-Wehat: Sie sind Abkömmlinge, abgesondert von den Quellen von Huy, seitdem sie private Wasserquellen sind. Es gibt (13) kein Wasser von Pharao, er lebe, sei heil und gesund, bei ihnen, sie gehören (hingegen) demjenigen Privatmann, der aus ihnen bewässern wird zu dieser Zeit.« Dann sprach der Gott: »Was anlangt die Quellen, die Nes-Bastet, (14) Sohn des Pa-diu beansprucht hat: Er möge aus ihnen bewässern […] Erdboden, zusammen mit der Quelle der Taiu-henut, seiner Mutter. Bestätige es ihm, und sie mögen bestätigt werden für seinen Enkel, (15) den Erben seiner Erben, seine Frau, seine Kinder, indem es keinen anderen privaten, zu Taui-Henut gehörigen Sohn gibt, der an ihnen teilhaben solle außer (16) Nes-Bastet, Sohn des Pa-diu.« So sprach Sutech, dieser große Gott vor zahlreichen Zeugen. [Zum Schluß folgen noch 17+x teilweise mit Titeln und Filiationen genannte Zeugen, überwiegend priesterlichen Standes, aber auch Militärs.]

76.

77. 78. 79. 80.

Ritner übersetzt »in the vicinity of this spring«. Zu diesem Begriff q jw als »Bassinland«, siehe F. Grieshaber, Lexikographie einer Landschaft. Beiträge zur historischen Topographie Oberägyptens zwischen Theben und Gabal as-Silsila anhand demotischer und griechischer Quellen (GOF IV.45), Wiesbaden 2004, 59. Ritner übersetzt »in whose vicinity you are«. Nach Ritner. Ritner übersetzt »in his beautiful festival ›Spending the Day‹«. Nach Ritner.

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Jan Moje

2.3.4 Reliefblock des Hor-nacht B

Die relevante Inschrift »B« dieses Blockes von einem Türsturz aus Mendes ist ins 11. Regierungsjahr vermutlich Osorkons III. datiert, der Königsname ist nicht eingesetzt. Das Stück wird heute im Ägyptischen Museum Cairo unter der Inv. JdÉ 43359 aufbewahrt. Text: K. Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien (ÄAT 8), Text A 22, Inschrift B; JansenWinkeln, Inschriften der Spätzeit II, 387-388 Nr. 10. – Weitere Bearbeitung: Moje, Herrschaftsräume und Herrschaftswissen, 331. (1) 11.

Regierungsjahr, 13. Phaophi unter der Majestät des Königs von Ober- und Unterägypten [_], Sohnes des Re [_]. 81) An diesem schönen Tag geschah das Betreten von Mendes seitens des Hohepriesters des Banebdjed, des Großfürsten der Ma, Ersten Befehlshabers Hor-(2) nacht (B), Sohnes des Hohepriesters des Banebdjed, Großfürsten der Ma und Ersten Befehlshabers Smendes (IV.) und seiner Mutter, die Musikerin des Banebdjed Haau-si-ese. Da ihr Herr (nun) rechtmäßig in ihr 82) war, waren die Einwohner von Mendes (3) im Jubeln für ihren Herrn, nachdem ihn sein Vater ernannt hatte, um sein Erbe in Besitz zu nehmen. Der älteste Erbe auf seiner Geburtsstätte: Siehe, da ist er! (4) Sie kamen froh zu seiner Stätte des Triumphes. Er war wie Horus für den Thron seines Vaters (bestimmt), nachdem er denjenigen besiegt hatte, welcher (nur) durch Raub nimmt 83). Sie jubelten bis hinauf zum Himmel, die Männer (5) genauso wie die Frauen. Sie sprachen mit willigem Herzen, sie ließen dem, was in ihnen war, freien Lauf. Denn der Liebende-Sohn war auf dem Thron seines Vaters, der ihm zugesprochen ward. Große lebende […] (6) wurden frohgemut herbeigeholt, um Mendes zu versorgen, und seine Einwohner waren fröhlich und zufriedengestellt. Dann gelangte er zum Tempel des Banebdjed und warf sich auf seinen Bauch. (7) Indem er sich ihm gegenüber niederwarf, sprach er: »Mein Herr, meine Augen sehen noch, wenn sie geschlossen sind, meine Ohren hören noch, wenn sie taub sind, mein Schritt ist noch ausgreifend, (8) wenn er sich bei einem Gang beeilt hat, meine Arme sind stark nach ermüdender Tätigkeit. Diese Jahre sind vergangen ohne einen »Schlag« meines Vaters. Ich bin gekommen, (9) um Dein Gesicht zu sehen, indem ich diesen Augenblick herbeisehnte 84), in dem Dein Herz zufriedengestellt ist. Du hast beim Herantreten an den Gott an mich gedacht, Du hast mich in Deine Stadt hineingeführt. Meine Arme sind in [Tätigkeit auf] (10) den Befehl hin, der aus Deinem Mund gekommen war, als Du mein Herz erkannt und meine Tüchtigkeit wahrgenommen hattest, um für Deine Wohnstatt Nützliches zu machen. Du hast meine Unwissenheit beseitigt und es gibt nichts (11) Schlechtes (mehr) an mir. Sie (beide) existieren nicht, sie sind nicht mehr vorhanden! Die Falschheit(en) sind Flüchtlinge, welche Beistand bedürften 85). Das, was Du befohlen hast, ist geschehen. Du bist eine beständige Mauer, einer, der aufmerksam ist für

81. 82. 83. 84. 85.

308

Alle Ergänzungen folgen Jansen-Winkeln. Scil. der Stadt Mendes. Scil. der Gott Seth. Nach Jansen-Winkeln. Nach Jansen-Winkeln.

Texte aus Ägypten

denjenigen, (12) dessen Thron sich auf ihn stützt. Mögest Du bleiben für die Dauer der Ewigkeit(?), während ich Dein Haus erweitere und Deinen Tempel mit Allem ausstatte, was dein Herz begehrt, damit ich die Lobpreisung(?) des Schützers hören möge.«

2.3.5 Graffito des Hor

Dieses Graffito, das an einem Fensterblock des Festtempels Thutmosis III. im AmunTempel von Karnak auch heute noch in situ zu sehen ist, wurde von einem WabPriester namens Hor verfaßt. Dieser forderte eine Zugangsberechtigung zum inneren Tempelbereich, eben dort, wo sich auch das Graffito befindet, da auch seine Vorfahren schon hier als Priester tätig waren. Der nicht wiedergegebene Teil beinhaltet historisch nicht relevante Passagen. Text: Kruchten, Les annales des prêtres de Karnak, 257-263 pl. 14, 21; Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit II, 168-169 Nr. 10. – Weitere Bearbeitungen: K. Jansen-Winkeln, Zu einigen religiösen und historischen Inschriften, CdÉ 67 (1992), 249-254; Ritner, The Libyan Anarchy, 377-378.

11. Regierungsjahr unter der Majestät des Königs, Herrn der Beiden Länder, Takelot (II.), geliebt von Amun, Sohn der Isis, dem Leben gegeben ist ewiglich, 11. Pachons. Dieser Tag der Ankunft in Theben, der Siegreichen, dem Auge-des-Re, der Herrin der Tempel, der Horizont des Der-seinen-Namen-verbirgt ist es, seine Stadt der Freude, durch den Hohepriester des Amun-Re-Götterkönig, Generalissimus und Ersten Befehlshaber, Osorkon, gerechtfertigt, Königssohn des Herrn der Beiden Länder Takelot (II.), geliebt von Amun, Sohn der Isis, der ewig lebe, an seinem schönen Fest des Pachons: Es erschien der Wab-Priester mit Zugangsrecht des Tempels des Amun (i. e. von Karnak JM), des Monatspriesters des »Glorreich-an-Monumenten« 86) in der Dritten Phyle, Hor, Sohn des Gleichbetitelten [Anch-ef]-en-Chonsu, gerechtfertigt, vor dem Vorsteher Oberägyptens, mit den Worten: (…)

2.3.6 Annalen von Heliopolis

Dieser Kalksteinblock wurde in Cairo als Spolie im fatimidenzeitlichen Torbau Bab el-Nasr verbaut aufgefunden. Er enthält ein großes Fragment der offiziellen Annalen bezüglich königlicher Wohltaten und Opferzuweisungen an den Tempel von Heliopolis unter den Herrschern Pami und Scheschonq V, vermutlich auch noch von Pami’s Vorgänger Scheschonq IV. Text: S. Bickel / M. Gabolde / P. Tallet, Des annales héliopolitaines de la Troisième Période Intermédiaire, BIFAO 98 (1998) 31-56; Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit II, 259-260 Nr. 3. – Weitere Bearbeitung: Ritner, The Libyan Anarchy, 44-47.

86.

Scil. das Ach-menu, der Festtempel Thutmosis III., welcher auch die im folgenden übersetzten Priesterannalen Quelle [2.3.7.] beinhaltete).

309

Jan Moje (1) […],

der Sohn des Re Pami, dem Leben gegeben ist ewiglich. Er verfügte als seine Stiftung für die Bas von Heliopolis, die Herren des Großen Tempels an der Spitze von Heliopolis, die dauerhafte Einrichtung ihres täglichen Gottesopfers und jedes Festes des Großen Tempels ewiglich […] hinter ihnen wie Re [ewiglich]. (2) [… Pami], dem Leben gegeben ist ewiglich. [Sein Befehl war, zu bereichern?] den Tempel seiner Vorfahren entsprechend seinem Wunsch, einzurichten ein Gottesopfer für die Bas von Heliopolis kontinuierlich von Jahr zu Jahr, nachdem Seine Majestät seinen Zustand gesehen hatte. Seine Majestät hat die anfallenden Kosten für die Opfergaben zur Verfügung gestellt, all das übertreffend, was vorher dort war, an jedem Tag. (10) […] (11) 3. Regierungsjahr, der Sohn des] Re […] (12) […] (13) […] 20 [Deben …] in Heliopolis […] (14) von […] Deben sowie 1/4 […] des Herrn […], die geliefert werden […] (15) […] für das Gottesopfer […] zu-Gast-in […] von Hetepet […] (16) Der Sohn des Re Pami verfügte als seine Stiftung für […] die dauerhafte Einrichtung ihres täglichen Gottesopfers, […] bestehend aus (17) Weizen: 15 Sack […], die geliefert werden aus der Versorgungsabteilung […] (18) Silber: 36 Deben von seinem Einkommen an Silber, [auserlesene?] Gerichte? […]. (19) 4. Regierungsjahr: Der Sohn des Re Pami verfügte als seine Stiftung für die Bas von Heliopolis die dauerhafte Einrichtung ihres täglichen Gottesopfers: Getreide, das geliefert wird aus (20) dem Deltagebiet; Silber: 17 Deben […] des Hauses des […] Silber: 20 Deben, das geliefert wird aus […] (21) des Großen Tempels [an der Spitze von] Heliopolis; neun Gänse für das Monatsanfangsfest, die geliefert werden aus der Kammer des göttlichen Opfertisches und des großen Festopfers […]. (22) 5. Regierungsjahr: Der Sohn des Re Pami verfügte als seine Stiftung für die Bas von Heliopolis die dauerhafte Einrichtung ihres täglichen Gottesopfers […] (23) […], die geliefert werden aus den Kornspeichern des Re, auf Anweisung Seiner [Majestät], dem Leben, Dauer und Herrschaft gegeben ist wie Re [ewiglich.] (24) Der Sohn des Re Pami verfügte als seine Stiftung für Atum zu-Gast-in-seiner-Stadt und für die Große Neunheit in Opet die dauerhafte Einrichtung (25) ihres täglichen Gottesopfers, all das übertreffend, was vorher dort war […] (26) aus Chemet-Getränken, Bier […] täglich, die geliefert werden aus dem […] (27) […] die dauerhafte Einrichtung ihres täglichen Gottesopfers, welche für sie gemacht hat der Sohn des Re Pami, dem Leben, [Dauer und Herrschaft] gegeben ist [wie Re] ewiglich. (28) [6. Regierungsjahr:] Der Sohn des Re Pami verfügte als seine Stiftung für die Bas von Heliopolis die dauerhafte Einrichtung ihres täglichen Gottesopfers … (29-30) […] (31) […] der Sohn des Re Pami […] (32) […] die dauerhafte Einrichtung eines Gottesopfers für ihn […], das geliefert wird als […] (33) […] an Brot […], an Chemet-Getränken und an Bier […] (34) […]. (35) 7. Regierungsjahr: Der Sohn des Re [Pami] verfügte als [seine] Stiftung […] (36) […].

2.3.7 Annalen der Amun-Priester im Tempel von Karnak

Diese lokalen Annalen waren einst im Karnak-Tempel, im Festtempel Ach-Menu Thutmosis III. auf Steinblöcken der priesterlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

310

Texte aus Ägypten

Die zahlreichen Fragmente wurden 1898/99 von G. Legrain noch vor Ort aufgefunden und sind heute leider, abgesehen von den noch existierenden Abklatschen Legrains, bis auf wenige Ausnahmen verloren gegangen. Sie umfassen Informationen zu Einsetzungen von Priestern und Ähnlichem aus nahezu der gesamten Dritten Zwischenzeit und stellen damit die umfangreichsten historischen Informationen über diese Epoche dar. Text: Kruchten, Les annales des prêtres de Karnak; Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit II, 491 Index. – Weitere Bearbeitung: Ritner, The Libyan Anarchy, 47-65.

21. Dynastie (gesamtägyptisch) (IIIa/1) 40.

Regierungsjahr, Epeiph: Der Tag der Überprüfung der Domäne des Amun-ReGötterkönig, (IIIa/2) der Domäne des Amenemope, der Domäne der Mut, der Domäne des Chons, der Domäne des Ptah südlich seiner Mauer in Theben, (IIIa/3) der Domäne des Month Herrn von Theben sowie der Domäne der Maat, im Auftrag des Hohepriesters des Amun-Re-Götterkönig Men-cheper-Re, (IIIa/4) Sohnes des Königs Pinudjem (I.), geliebt von Amun, nachdem die Anweisung ausgegeben wurde an den Vierten Priester des Amun-Re-Götterkönig, (IIIa/5) den Priester des Month-Re Herrn von Theben, den Obersten Träger des Räucherarms vor Amun (namens) Tjau-nefer, gerechtfertigt, (IIIa/ 6) Sohn des Vierten Priesters des Amun-Re und Priesters des Month Herrn von Theben, Nes-pa-her-en-Mut, gerechtfertigt. (IIIb/1) 2. Regierungsjahr, 20. Pachons unter der Majestät des Nesu-Biti, Herrn der Beiden Länder Aa-cheper-Re Setep-en-Re [Osochor …]: (IIIb/2) Der Tag der Amtseinführung des Gottesvaters des Amun-Re-Götterkönig, Tempelschreibers der Mut der Großen, Herrin von Ischeru, Vorstehers der Schreiber des Opfertisches der Domäne des Amun [… Nes-]pa-nefer-her, gerechtfertigt, Sohn des Iuef-en-Amun, gerechtfertigt, in das [große] (IIIb/3) und edle [Sanktuar] des Amun-Re-Götterkönig sowie in jede Stellung der Priester. 17. Jahr, Pachons unter der Majestät des Nesu-Biti, Herrn der Beiden Länder, Pharao Siamun: Der Tag der Amtseinführung des Gottesvaters des (IIIb/4) Amun-Re-Götterkönig, Tempelschreibers der Mut der Großen, Herrin von Ischeru, Vorstehers der Schreiber des Opfertisches der Domäne des Amun (namens) Hor, gerechtfertigt, Sohn des Priesters des Amun-Re-Götterkönig, Tempelschreibers, Vorstehers der Tempelschreiber der Domäne des Amun, Vorsteher der Tempelschreiber (IIIb/5) aller Götter Oberund Unterägyptens, Nes-pa-nefer-her, gerechtfertigt, in das [große] und edle Sanktuar des Amun-Re-Götterkönig sowie in [jede Stellung der Priester]. (IIIb/6) 13. Regierungsjahr, 10. Epeiph [unter der Majestät des Nesu-Biti, Herrn der Beiden Länder, Pharao Psusennes (II.) …]. (XXXIII/1) […] die […] als Monument, der Ort […] (XXXIII/2) [… durch den Hohepriester des Amun-Re-Götterkönig] Pinudjem, gerechtfertigt, Sohn des Men-cheper-Re, gerechtfertigt. 14. Regierungsjahr, 5. Mesore des Königs Siamun […].

311

Jan Moje

22. Dynastie (gesamtägyptisch, ab ca. Scheschonq III. auf Unterägypten beschränkt) (IV/1) [x.

Regierungsjahr …: Der Tag der Amtseinführung …] des Tempels des […], des Tempels des […], des Tempels des […], des Tempels des […Amen]-hotep, gerechtfertigt, Sohn des Gottesvaters des Amun-[Re-Götterkönig … in das große] (IV/2) und edle [Sanktuar] des Amun-Re-Götterkönig innerhalb seiner Domäne. (IV/3) 2. Regierungsjahr, 7. Hathyr des Großfürsten der Ma Scheschonq 87), gerechtfertigt: Der Tag der Amtseinführung des […]. (IV/4) 13. Regierungsjahr, 9. Phamenoth des Königs Scheschonq (I.) geliebt von Amun, gerechtfertigt: Wiederholung [seiner Gunstbezeugung im x. Regierungsjahr …]. (XIV/1) [x. Regierungsjahr …: Der Tag] der Amtseinführung des Gottesvaters des Amun Nes-pauti-taui, gerechtfertigt, in die großen und edlen Stätten des [Amun …] (XIV/2) [… Nes-]pauti-taui, gerechtfertigt, Sohn des Wab-Priesters der Domäne des Amun, (namens) Amun-Mut, gerechtfertigt, Sohn des Wab-Priesters Nes-Amun […]. (XIV/3) [x. Regierungsjahr …: Der Tag der] Amtseinführung seines zweiten Sohnes, des Gottesvaters des Amun Pa-di-[…] (XIV/4) […] Osorkon (I.) geliebt von Amun […]. (XVII/1) […] zu demjenigen, der handelt … Amun […]. 1. Regierungsjahr […] des Königs Osorkon (I.) geliebt von Amun: Der Tag [der Amtseinführung des] (XVII/2) […, Sohn des?] Gottesvaters des Amun Nes-pauti-taui, gerechtfertigt, Sohn des Hor-achbit, gerechtfertigt, Sohn des Iuef-en-Chons […] (XVII/3) […] des Königs Psusennes (II.) geliebt von Amun […]. (XXXIV/1) […] Nes-pauti-taui, gerechtfertigt, Sohn des Hor-achbit, gerechtfertigt, Sohn des Iuef-en-Chons, gerechtfertigt, unter Amun, um aufzurichten […] (XXXIV/2) […] Horachbit, gerechtfertigt, in die großen Stätten des Amun, durch den Hohepriester des Amun Scheschonq […]. (XXXV/1) [x. Regierungsjahr …], 3.+x Tag] des Königs Sechem-cheper-Re Setep-en-[Re Osorkon (I.) …] (XXXV/2) [… der Mut] der Großen, Herrin von Ischeru, Dritter Priester des Chons-in-Theben-Neferhotep, Priester des Month, Herrn von Armant […] (XXXV/3) […] des Amun-Re, Dritter Priester des Chons […]. (XXXVII/1) [x. Regierungsjahr …]: Der Tag der Amtseinführung […] (XXXVII/2) […] Nespauti-taui, gerechtfertigt, Sohn des Priesters des Amun-Re-Götterkönig Hor-[achbit …] (XXXVII/3) […] des Amun-Re-Götterkönig Pa-di-Mut, gerechtfertigt, Sohn des Priesters des Amun-Re. (XII/1) [x. Regierungsjahr … des Nesu-Biti …], Sohn des Re Osorkon (I./II.), geliebt von Amun, er lebe [ewig. Der Tag der Amtseinführung des …] (XII/2) […], Sohnes des Priesters des Amun-Re-Götterkönig, Vorsteher der Städte, Wesir und [großer] Bevollmächtigter, Pa-di-Mut […]. (V/1) [x. Regierungsjahr …] des Königs Osorkon (II.) [geliebt von Amun]: Der Tag der [Amtseinführung des …]. (V/2) 14. Regierungsjahr, Pachons des Königs User-Maat-Re Setep-en-Amun, Sohn des Re [Osorkon (II.) …].

87.

312

Das ist der spätere König Scheschonq I. der 22. Dynastie.

Texte aus Ägypten (V/3) 23. Regierungsjahr, Pachons des Königs User-Maat-Re [Setep-en]-Amun [Osorkon (II.) …]. (V/4) Wiederholung seiner Gunstbezeugung im 11. Regierungsjahr 88), Pachons [des Königs …] (V/5) [x.] Regierungsjahr […]. (V/6) [… User-]Maat-Re Setep-en-Re, Sohn des Re Scheschonq (III.) geliebt von Amun, Sohn der Bastet, Gott und Herrscher von Heliopolis, der ewig lebe, (V/7) […], gerechtfertigt, um einzunehmen den Posten des Wesirs der Südlichen Stadt 89), um gedeihen zu lassen […]. (VI/1) [x. Regierungsjahr … unter] der Majestät des Nesu-Biti, Herrn der Beiden Länder User-Maat-Re Setep-en-Amun, Sohn des Re, Herrn der Kronen [Osorkon (II.): Der Tag der Amtseinsetzung …] (VI/2) […] Amun-Re-Götterkönig, Stellvertretender Leiter der Domäne der Mut der Großen, Herrin von Ischeru, (namens) Hor, gerechtfertigt, Sohn des Gottesvaters des Amun-Re-Götterkönig […] (VI/3) […Amun]-Re, Anchef-en-Mut, gerechtfertigt, geboren von der Sistrumsspielerin des Amun-Re Ta-baket-en-Mut, gerechtfertigt […] (VI/4) […] der Domäne des Amun, Oberer der Tempelschreiber der Domäne des Amun (namens) Hor, gerechtfertigt, [Sohn des … des Amun-Re]-Götterkönig, Oberer der […] (XLV/1) [x. Regierungsjahr … des Königs …/]: Der Tag der Amtseinsetzung des […] (XLV/2) [x. Regierungsjahr … des Königs …], Sohn des Re Osorkon (II.) geliebt von Amun: Der Tag der Amtseinsetzung des […]. (XLV/3) [x. Regierungsjahr … des Königs] User-Maat-Re Setep-en-Amun, Sohn des Re Scheschonq (III.) geliebt von Amun: Der Tag [der Amtseinsetzung …]. (XLV/4) [x. Regierungsjahr … des Königs] User-Maat-Re Setep-en-Amun, Sohn des Re Osorkon (III.) geliebt von Amun: [Der Tag der Amtseinsetzung des …]. (XLV/5) [x. Regierungsjahr … des Königs] User-Maat-[Re] Setep-en-Amun, [Sohn] des Re [Osorkon (III.) geliebt von Amun: Der Tag der Amtseinsetzung des …]. (VII/1) 39. Regierungsjahr, 26. Pachons unter der Majestät des Nesu-Biti, Herrn der Beiden Länder, Sohn des Re Scheschonq (III.) geliebt von Amun, Sohn der Bastet, der ewig lebe: Zu diesem Zeitpunkt hielt sich der Hohepriester des Amun-Re-Götterkönig, Vorsteher von Oberägypten und Erster Befehlshaber Osorkon (B) Sohn des Königs (VII/2) Takelot (II.) geliebt von Amun, der ewig lebe, in Theben auf, um durchzuführen das Fest des Amun in Übereinkunft mit seinem Bruder, dem General von Herakleopolis und Ersten Befehlshaber Bak-en-Ptah 90), indem alle Götter zufrieden waren mit (VII/3) ihnen wegen des Niederwerfens jedes gegen sie Kämpfenden. Der Tag der Amtseinsetzung des »Tor-Beauftragten«, Richters, Vorstehers der Stadt, Wesir und [Fürst] der Ma, Hor-sa-Isis, Sohn des Hesek-Priesters, Priesters der Bastet, Priesters des Harsaphis im Fayum, des Königs der beiden [Länder …] (VII/4) -hen-Isis in das große und edle Sanktuar des Amun. Der Himmel ist es, ohne -?-, unerreichbar für den Unwissenden unter denjenigen, die kommen. Er spricht: »Es ist (VII/5) mein Wunsch […], bis dahin. Ich bin nicht hinaufgestiegen, als ich errettet war(?). Der Würdenträger ist geschützt im Lebenshaus.

88. 89. 90.

Nach Kitchen / Ritner ist das des Pharao Takelot II. gemeint. Scil. Theben. Zu diesem Lokalregenten siehe Moje, Herrschaftsräume und Herrschaftswissen, 374-375 Kat. Her/05.

313

Jan Moje

Du mögest gewähren eine Überfülle an Gottesopfern wegen/auf -?-, indem du umarmt wirst durch Maat, die Zweimal Große und Dein Uräus an […] erscheint […] (VII/6) Hand […] beim Stechen(?) jeglicher Körperteile von mir täglich, damit ich nicht schlafe zur Schlafenszeit, und Brot und Wasser sind bitter gemacht in meinem Mund. Man lebt dort (nur) wegen Dir, wenn man genommen wird, die Nut 91) zu betreten, um (VII/7) darin Schu zu erblicken. Nun, ich bin gerechtfertigt, da ich gesehen habe seine hohen Kultstatuen – in jeder Stadt des Königs von Unterägypten und (in) seinen Gauen der Wiedererschaffung 92) inmitten der Deltasümpfe – hinter seinem Abbild als Atum, Erster des Gaus von Herakleopolis. (VII/8) Nun, sie sind die leuchtenden Sterne des Horizontischen in Theben! Komme doch, geselle Dich zu ihr 93), vereinige Dich mit ihr, dem rechten Auge als Kultbild, von dem man für uns erbat Leben für unser Wohlbefinden 94), so daß die Sorge um uns zur Freude wird […] (VII/9) ich unter(?) ihr, als Semer-Priester vor Dir. Ich möge nicht abweichen vom dem, was Du befohlen hast, so wie Du mich führst zu seinem -?- auf Erden, damit mein Ka umkreist die Neunheit. Wenn man mich dauern läßt in Wachsamkeit bezüglich der [Opfer-?]Gaben, […].« (XI/1) [x. Regierungsjahr …Nesu-Biti] User-Maat-Re Setep-en-Re, Sohn des Re Scheschonq (III.) geliebt von Amun, Sohn der Bastet: [Tag der Amtseinführung des …] (XI/2) […] der Dritten Phyle, Pa-di-Amun, gerechtfertigt, in die großen und edlen Stätten des [Amun …]. (XIX/1) [x. Regierungsjahr …] Scheschonq (III.) geliebt von Amun, zur Zeit des Hohepriesters des Amun-Re-Götterkönig […] (XIX/2) […] Pa-tjenef, gerechtfertigt: »Ich bin gekommen […] (XIX/3) […] des Amun-Re-Götterkönig, Pa-tjenef […]. (XXXII/1) [x. Regierungsjahr …] des Nesu-Biti User-Maat-Re Setep-en-Re, Sohn des Re Scheschonq (III.) geliebt von Amun: Dieser Tag [der Amtseinsetzung des …] (XXXII/ 2) [… von Kar]nak, Amun-em-inet, Sohn des Gottesvaters und Gottesgeliebten, Türöffners des Himmels 95) […] (XXXII/3) […], Priesters des Amun-Re-Götterkönig und Monatspriesters […] (XLIV/1) […] Monthuhotep, gerechtfertigt, in das große und edle Sanktuar des Amun-Re […]. (XLIV/2) [x. Regierungsjahr …], 9. Tag der Majestät des Scheschonq (III.) geliebt von Amun, Sohn der Bastet, Gott und Herrscher von Heliopolis, der ewig lebt, zur (Amts-)Zeit des Hohepriesters des Amun-Re-Götterkönig […] (XLIV/3) [… Tag der Amtseinführung des …] des Amun-Re, Tempelschreibers der Domäne des Amun, Hor-achbit, Sohn des Priesters des Amun-Re […] (XLIV/4) […] Brief-[Schreibers] des Königs, Neb-netjeru in die großen und edlen Stätten des Amun in […]. (XLIV/5) [x. Regierungsjahr … Scheschonq (III.)] geliebt von Amun, der ewig lebt: (Tag) der Amtseinführung des […].

91. 92. 93. 94. 95.

314

Die Göttin Nut, gleichgesetzt mit dem als »Himmel« bezeichneten Schrein des Amun in Karnak. Übersetzung nach Ritner. Scil. Theben. Übersetzung dieser Passage nach Ritner. Scil. »des Schreins des Amun-Re«.

Texte aus Ägypten

23. Dynastie (nur oberägyptisch) (XXIII/1) […]

Isis-weret (A), gerechtfertigt, Tochter des Herrn der Beiden Länder Hor-siese (I.) 96) geliebt von Amun, der ewig lebe […] (XXIII/2) [… Der Tag] seiner Amtseinsetzung in das große und edle Sanktuar des Amun. Er spricht: »Deine Macht, die in […] ist (XXIII/3) […] eure Äußerungen mir gegenüber bezüglich seines geheimen Weges im Himmel. Siehe, er hört eure Bitten! Er ist er kein Abwei[sender …].« (XXVI–VII/1) 11. Regierungsjahr, 25. Pachons unter der Majestät des Herrn der Beiden Länder Takelot (II.): Der Tag der Amtseinsetzung des Gottesvaters und Gottesgeliebten, Türöffners des Himmels in Karnak […]. (I/1) [… Der Tag der] Amtseinsetzung des […] 7. Regierungsjahr, Pachons des Königs Padibastet (I.) geliebt von Amun: Der Tag der Amtseinsetzung seines Sohnes, des Gottesvaters des Amun Pa-diu-Amun, gerechtfertigt, in die Stätten der Mut, des Chons, des Month, der Maat. Wiederholung (I/2) der Gunstbezeugung im 8. Regierungsjahr dieses Königs: Der Tag der Amtseinsetzung des Gottesvaters des Amun Pa-diu-Amun, gerechtfertigt, Sohn des Meh-Amun-hat, Sohn des Pa-maru, [gerechtfertigt, Sohn] (I/3) des Pa-neba, gerechtfertigt, Sohn des Amun-em-saef, Sohn des Chons-chu, gerechtfertigt, in die großen und edlen Stätten des Amun. Er spricht: »Oh, der Du herbeikommst, der entsteht (I/4) danach, der in Karnak, dieser Neunheit der Lebenden, eintritt, der die Barke des Großen Widders 97) zieht: Diene Amun, ohne die Opferspeisen zu mindern! (I/5) Oh wie glücklich ist derjenige, der ihm gegenüber loyal ist 98)! Ein Vertrauter für den, der sich gegenüber seinem Ka beugt, dem Helfer des Unterdrückten des [Übels]! (I/6) Sobald er zu dem gekommen ist, der schwach ist, hat er auch schon den Müden aufgerichtet. Er möge meine Hand ergreifen!« (II/1) 8. Regierungsjahr, 19. Pachons des Sohnes des Re Padibastet (I.) geliebt von Amun: Der Tag der Amtseinsetzung des Priesters des Amun-Re-Götterkönig, Vorstehers der Städte, Wesirs, »Tor-Beauftragten«, Richters, Aufsehers von Hierakonpolis, Priesters des/der […], (II/2) der das gesamte Land aufs Beste leitet 99), der den Strick löst für die Menschheit, Vorstehers der Beamten, Ersten der Edlen, Pa-neti-iuef-anch, Herr der Versorgtheit, Sohn des Priesters des Amun-Re-Götterkönig, Vorstehers der Städte, Wesirs, ›Mundes-des-Landes‹, Schützers seiner Einwohner, der hohe Türflügel im […] (II/3) des Palastes, Hori, gerechtfertigt, geboren von der Herrin des Hauses, der Edlen Ta-reschui, die lebe, in die großen und edlen Stätten des Amun, durch den Hohepriester des Amun, Vorsteher der ›Zehn-von-Oberägypten‹ Hor-si-ese […] (II/4) in ihm, damit er erblickt Amun in diesem seinem heiligen Kultbild, verborgener als die (anderen) Götter. Mein Herz, mein Herz! Dein Wunsch – er geschieht, während ich das geheime Abbild dessen, der in Theben ist, anschaue und ich den Glanz erblicke […] (II/5) die Stätten wie seine Sonnenscheibe in der Nut 100). Das hohe Amt hat sich vereinigt mit mei96. Thebanischer Lokalregent Hor-si-ese I., zeitgleich mit Osorkon II. der 22. Dyn.: Moje, Herrschaftsräume und Herrschaftswissen, 407-412. 97. Scil. Amun. 98. Lit. »der auf seinem Wasser geht«. 99. Ritner übersetzt »he who leads the entire land towards goodness«. 100. Scil. »dem Himmel«.

315

Jan Moje

nem Fleisch, es kann nicht weggenommen werden bis in Ewigkeit. Der Schutz 101) der Maat reinigt […]. (XVI/1) [x. Regierungsjahr … Osor]kon (III.) [geliebt von Amun], geboren von [Karomama Merit-Mut …] (XVI/2) […] in Wahrheit, Nes-pa-[…] (XVI/3) […] in das große und edle Sanktuar (XVI/4) [des Amun …] nützlich […] (XVI/5) […] durch den Priester […]. (XVIII/1) […] des Nesu-Biti User-Maat-Re geliebt von Amun, gerechtfertigt, Sohn des Dritten Priesters des Amun [Neb-netjeru …] (XVIII/2) [… Der Tag] seiner Amtseinführung in die großen Stätten innerhalb […] (XVIII/3) […], Sohn des Iuef-en-Chons […].

25. Dynastie (nubische Besatzung: Kaschta) (XXXI/1) 1.

Regierungsjahr des Ni-Maat-Re [Kaschta …].

2.3.8 Graffito bezüglich der Begräbnisfeierlichkeiten für Nes-Chons A

Nes-Chons A, die Gemahlin des thebanischen Hohepriesters des Amun Pinudjem II. wurde in TT 320 bestattet, dem auch für ihren Ehemann vorgesehenen Grab. Bei der Versiegelung des Grabes wurde im Eingangsschacht eine entsprechende Notiz mittels eines hieratischen Graffito angebracht, welches heute leider verloren ist. Das Graffito ist in das fünfte Regierungsjahr des Pharao Siamun aus der 21. Dynastie datiert. Text: J. Cˇerny´, Studies in the Chronology of the Twenty-First Dynasty, JEA 32 (1946) 25-26: Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit I, 118 Nr. 20. (1) Fünftes

Regierungsjahr, 21. Mesore: (2) Tag der Bestattung der Oberen der Edlen, Neschons, (3) durch den Gottesvater des Amun, Vorsteher des Schatzhauses Djed-Chonsiuef-anch, Sohn des Pinudjem, (4) Priester des Amun-Re-Götterkönig Anch-ef-Amun, (5) zusammen mit dem Ältesten der Grabkammer(?) Nesy […],(6) (sowie) dem Gottesvater des Amun, General Nes-pa-qai-schuti. (7) Die Siegel, die auf diesem Platz sind: (8) Das Siegel des Vorstehers des Schatzhauses Djed-Chons-iuef-anch, (9) (sowie) das Siegel des Schreibers des Schatzhauses Nes-[…].

2.4 Quellen zu Naturereignissen 2.4.1 Bericht über eine Überschwemmung des Luxor-Tempels

Im Bildfeld dieser im Steinbruch von Dibabiya angebrachten Felsstele ist Pharao Smendes dargestellt, wie er rechts vor Amun und Chons bzw. links vor Amun und Mut adoriert, dabei Namen und Epitheta. Der Haupttext ist heute vollständig verloren gegangen. Es geht darin um eine Überschwemmung des Tempels und die königlichen Gegenmaßnahmen, für die Gestein aus eben diesem Steinbruch beschafft wurde. 101. So nach Ritner.

316

Texte aus Ägypten

Text: Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit I, 1-3 Nr. 3. – Weitere Bearbeitungen: Kitchen, 3The Third Intermediate Period in Egypt, 255-256, 287, 428; Ritner, The Libyan Anarchy, 101-104. (1-2) (Königstitulatur

und Epitheta des Smendes) Seine Majestät war in der Stadt von Memphis, seiner edlen Residenz der Tapferkeit und der Stärke wie Re […. Er kam(? 102)) zur Domäne des Ptah,] (4) Herrn von Anch-Taui, und der von Sachmet der Großen der Geliebten von Ptah, […] Month sowie(?) der der Neunheit, die in Die-Mauer-des-Herrschers 103) sind. Nun, Seine Majestät verweilte in der Säulenhalle, als man herbeikam, um zu sprechen zu (5) Seiner Majestät: »Der Kanal, der die Grenzen von Luxor darstellt und der vom König Men-cheper-Re (i. e. Thutmosis III.) gemacht wurde, ist in einen Zustand [des Ruins verfallen …] (6) Eine große Überschwemmung findet statt, mit einer starken Strömung darin, bis zum großen Fußboden des Tempels. Sie hat umringt die Eingangsseite(?) […].« Nun, da sprach Seine Majestät (7) zu ihnen: »Was anlangt diese Rede, die gehalten wurde vor mir: Das ist keine Sache in der Zeit meiner Majestät 104), Ähnliches ist nicht bekannt! […] (8) zu schützen vor der Katastrophe dort. Es war ein Kanal, der jährlich (erneut) befestigt wurde an den Ufern […] (9) in Unkenntnis meines Besitzes(?), all dieses war entfernt vom Herrscher.« Da veranlaßte Seine Majestät […] (10) zusammen mit 3000 Mann von den Besten der Leute seiner Majestät. Seine Majestät befahl ihnen: »Geht nach […] (11) Wüste […] die Befehlshaber Seiner Majestät als Begleiter, um zu errichten Barrieren in […] (12) Zeugnis […] in der Umgebung dieses Steinbruchs seit der Zeit der Vorfahren bis heute, Gebelein […] (13) der Tempel des Month, Herr von Tod.« Sie befolgten diesen Befehl, daß seine Majestät blieb […] (14) ausgeführt durch sie selbst monatlich. Sein Befehl wurde ausgegeben, um zu weihen die auf seinen Befehl hin (durchgeführten) Arbeiten […] (15) beim Aufzählen der Verstorbenen sowie des Kindes an der Brust seiner Mutter bis zu […. Niemals wurde] (16) etwas Ähnliches getan seit der Zeit der Vorfahren. Nun, Seine Majestät kam vorbei zweimal wie Thot […] (17) in einem Zustand der Vortrefflichkeit. Der Lohn hierfür bestand aus Tapferkeit, Stärke und das Erscheinen auf dem Thron des Horus [ewiglich]. (3) Nun,

102. Nach Ritner. 103. Scil. der Königspalast. 104. Scil. ›nach meiner Erfahrung‹, nach Ritner.

317

3. Zwei Wissenstexte zur Landesgeographie im ptolemäerzeitlichen Tempel von Edfu Daniel Arpagaus Die beiden hier vorgestellten Texte finden sich im Soubassement, also dem untersten dekorierten Mauerbereich, auf der Innenseite der Umfassungsmauer des Tempels von Edfu; dabei ist der erste Text über die Größe Ägyptens auf der Ostwand niedergeschrieben und der zweite, längere Text zu den Oasen Ägyptens findet sich auf der gegenüberliegenden Westwand (Abb. 1). Sehr hilfreich ist der Umstand, daß die Gesamtheit der Texte der Innenseite der Umfassungsmauer erst vor kurzem durch das Hamburger Edfu-Projekt unter der Leitung von Dieter Kurth in mustergültigen Übersetzungen publiziert worden sind. 1) Was die Soubassement-Texte dieser Mauer insgesamt anbelangt, so ist eine monographische Behandlung durch Emmanuel Jambon in Vorbereitung, deren Ziel es sein wird, das komplexe Ensemble der Texte einem möglichst umfassenden Interpretationsschema zu unterwerfen. 2) Beim ersten der beiden hier vorgestellten Texte handelt es sich um eine kurze geographische Abhandlung über Ägypten, wobei der Fokus auf genauen Flächenangaben liegt, die aufsummiert zur Gesamtsumme der (landwirtschaftlich nutzbaren) Landesfläche führen – als mögliche Quelle hat Emmanuel Jambon deshalb ein Werk postuliert, das den exakten Wissenschaften, spezifisch der Metrologie, zuzurechnen ist. 3) Am Ende wird im Text sogar der Titel einer Schrift genannt, die offenbar als Papyrusquelle die Grundlage dieser Inschrift darstellte, und die den Titel »der Grundrißplan der beiden Länder« ( ) trug. 4) 1. 2.

3.

4.

318

D. Kurth, Edfou VI (Die Inschriften des Tempels von Edfu. Abteilung I: Übersetzungen; Bd. 3), Wiesbaden 2014. Vgl. vorläufig E. Jambon, Les soubassements de l’intérieur du mur d’enceinte d’Edfou. Réflexions préliminaires autour de la notion de »canon« dans les temples ptolémaïques et romains, in: A. Rickert / B. Ventker (Hg.), Altägyptische Enzyklopädien: Die Soubassements in den Tempeln der griechisch-römischen Zeit (Soubassementstudien I), Bd. 2, Wiesbaden 2014, 793-818, dort S. 793: »L’objectif final de cette recherche est de proposer un schéma interprétatif aussi pertinent que possible pour cet ensemble iconographique et textuel à la fois riche et complexe.« Jambon, in: Rickert / Ventker (Hg.), Altägyptische Enzyklopädien, 808. Dort: »sciences ›exactes‹. Métrologie« – das In-Gänsefüßchen-Setzen und damit implizit die Problematisierung einer Klassifizierung des Textes unter den exakten Wissenschaften scheint jedoch verfehlt. Nicht nur genügt der Text m. E. im Wesentlichen auch modernen Ansprüchen an Wissenschaftlichkeit, auch die Teile mit mythologischem Gepräge, die etwa Ägypten als »Auge des Horus« resp. »Auge des Osiris« begreifen, sind nach ägyptischer Auffassung ein Ausdruck kosmologischen Wissens. Für eine adäquate Definition ägyptischer wissenschaftlicher Texte vgl. etwa J. F. Quack, Präzision in der Prognose, oder: Divination als Wissenschaft, in: A. Imhausen / T. Pommerening (Hg.), Writings of Early Scholars in the Ancient Near East, Egypt, Rome and Greece: Translating Ancient Scientific Texts (Beiträge zur Altertumskunde 286), Berlin / New York 2010, 70. Ein wissenschaftliches Gepräge verriet der Edfu-Text wohl auch in den Augen von Alan H. Gardiner, der ihn als »a statistical text from Edfu« (AEO II, 134*) charakterisierte. Auch im »Tebtunis-Onomastikon« (vgl. Abb. 2) ist der Abschnitt, der die Längenangaben zu Ägypten und die nachfolgende Skizze zur schematisch dargestellten Landesfläche einleitet

Texte aus Ägypten

Abb. 1: Lokalisierung der beiden Texte auf der Innenseite der Umfassungsmauer des Edfu-Tempels: Oasentext auf der Westseite (»links«), Thottext zur Landesgröße auf der Ostseite (»rechts«)

Beim zweiten Text über die Oasen der ägyptischen Westwüste hat Jambon dagegen als Quelle ein Traktat mit osirianischer Thematik als Quelle vermutet, dessen Gepräge also nicht im strengen Sinne wissenschaftlich zu nennen wäre, sondern die Geographie unter religiösen Gesichtspunkten verhandelt. 5) Das mag insofern zutreffen, als

5.

mit »Kenntnis des Grundrisses von Ägypten« ( ) betitelt. Zu snt, »Grundriß(plan)« vgl. etwa K. Ryholt, A Hieratic List of Book Titles (P. Carlsberg 325), in:¯ K. Ryholt (Hg.), The Carlsberg Papyri 7: Hieratic Texts from the Collection (CNIP 30), Kopenhagen 2006, 151; S. Demichelis, Le projet initial de la tombe de Ramsès IV? Papyrus de Turin CGT 55002, ZÄS 131 (2004) 128. E. Jambon, Rickert / Ventker (Hg.), Altägyptische Enzyklopädien, 807: »Dominante: géographie religieuse«, »Traité à thématique osirienne«.

319

Daniel Arpagaus

daß die Beschreibung der in den Oasen verehrten Gottheiten und das Aussehen von deren Götterbildern einen gewissen Schwerpunkt bildet. Es ist gut möglich, daß in den teils doch recht ungewöhnlich anmutenden Statuenbeschreibungen indirekt eine auf die Oasen adaptierte Theologie des Osiris-Dramas zum Ausdruck kommt. 6) Was an geographischem Wissen, wenn auch vielleicht mehr en passant, vermittelt wird, ist jedoch allemal von beachtenswerter Bedeutung: was Benennung und geographische Lage der Oasen zueinander betrifft, liefert der Text jedenfalls das kohärenteste Bild, das aus den ägyptischen Texten insgesamt überliefert ist. 7)

3.1 Eine Abhandlung zur Landesfläche von Ägypten im Tempel von Edfu Hieroglyphische Inschrift im Edfu-Tempel. – Datierung: Ptolemaios IX. Soter II. (116-107 v. Chr.). – Fundort: Edfu, Horus-Tempel, Innenseite der Umfassungsmauer, SoubassementBereich, Ostseite. – Hieroglyphische Erstpublikation: E. Chassinat, Le temple d’Edfou VI (Mémoires publiés par les membres de la Mission archéologique française au Caire 23), Le Caire 1931, 199, 8-201, 4 – Übersetzungen: D. Kurth. Edfou VI (Die Inschriften des Tempels von Edfu, Abteilung I: Übersetzungen. Bd. 3), Gladbeck 2014, 361-363 (Transliteration, dt. Übersetzung und umfangreiche Kommentare – im Folgenden abgekürzt zitiert als: D. Kurth, Edfou VI). – Weitere Bearbeitungen und Literatur: G. Priskin, A map of Egypt reconstructed from the description of the country at Edfu, in: BEJ 2 (2014) 23-41.

Dieser Text ist vor allem deshalb von großem Interesse, da er den einzigen Beleg für eine konkrete Bezifferung der Landesfläche von Ägypten liefert, die mit 27.000.000 Aruren ( 74.419 km2) angegeben wird. Davon sei auf einem Drittel, nämlich 9.000.000 Aruren ( 24.806 km2) tatsächlich Emmer und Gerste für die Lebensmittelproduktion angebaut worden. Diese Zahl ist in der Forschung heftig diskutiert und meist kritisch betrachtet worden. So wirken die Zahlenangaben für Forscher wie Walter Scheidel, der sich intensiv mit der Demographie Ägyptens auseinandersetzte, »wenig vertrauenswürdig.« 8) Das Argument dabei ist insbesondere der Vergleich mit moderneren Zahlen, da die landwirtschaftlich genutzte Fläche noch im Ägypten des 18. Jh. n. Chr. kaum wesentlich über 20.000 km2 betrug. 9) Auch wurde vermutet, die Zahl von 27 Millionen Aruren für die Landesfläche sei ein rein symbolischer Ausdruck von Vielheit (3  3  3 Millionen), vergleichbar der

6.

7. 8.

9.

320

Ein ähnlicher »Oasen-Charakter« ist etwa für die im Osireion von Oxyrhynchos formulierte Osiris-Theologie vermerkt worden; vgl. J. Padró et al., Découvertes et premiers travaux à l’Osireion d’Oxyrhynchos, in: J.-Cl. Goyon / C. Cardin (Hg.), Actes du Neuvième Congrès International des Égyptologues II (OLA 150), Leuven/Paris/Dudley 2007, 1449-1450. Vgl. O. E. Kaper, Egyptian Toponyms of Dakhla Oasis, BIFAO 92 (1992) 118: »The list is the most extensive of its kind, and it has formed the basis for all discussions concerning the name of the individual oases.« W. Scheidel, Death on the Nile: Disease & the Demography of Roman Egypt (Mnemosyne Supplements 228), Leiden/Boston/Köln 2001, 220: »The only ancient text that purports to record pertinent figures, an inscription in a temple at Edfu from the reign of Ptolemy V, inspires little confidence in their validity.« Vgl. Scheidel, Death on the Nile, 221 Tab. 3.5.

Texte aus Ägypten

ebenso symbolisch-poetischen Angabe bei Theokrit, wonach es in Ägypten zur Zeit von Ptolemaios II. insgesamt 33.333 Städte gegeben habe. 10) Andererseits charakterisierte Manning die Zahl von 9 Millionen Aruren landwirtschaftlich genutzten Landes als »not entirely fanciful«. 11) Es läßt sich etwa auch ein demotisches Dokument zum Vergleich stellen, in dem in der Tat die königliche Anweisung für die Anfertigung eines umfassenden Landskatasters vorliegt, als dessen Synthese sich die Angaben in Edfu auffassen ließen. 12) Dieses königliche Dekret 13) spricht in ganz ähnlicher Phraseologie wie der Text in Edfu davon, daß eine Auflistung aller Ackerflächen von »Elephantine bis zum (Mittel-)Meer« angefertigt werden soll, wobei jede einzelne Parzelle vermessen und unter detaillierten Gesichtspunkten (angrenzende Felder, Art der Bewässerung, Bepflanzung mit Fruchtbäumen usw.) aufgeführt werden sollte.

Abb. 2: Schematische Darstellung zur Berechnung der Landesfläche nach dem »Tebtunis-Onomastikon« 14)

Im Edfu-Text wird dann in einem zweiten Schritt die Landesfläche von 27 Millionen Aruren wieder aufgegriffen und nun als resultierende Größe aus der schon seit dem

10. 11. 12.

13.

14.

R. Hunter, Theocritus: Encomium of Ptolemy Philadelphus (Hellenistic Culture and Society 39), Berkeley/Los Angeles/London 2003, 158. J. G. Manning, Land and Power in Ptolemaic Egypt. The Structure of Land Tenure 332-30 BCE, Cambridge 2003, 49 Fn. 129. Edition und kommentierte (italienische) Übersetzung: E. Bresciani, Registrazione catastale e ideologia politica nell’Egitto tolemaico, EVO 6 (1983) 15-31; eine engl. Übers. bei S. M. Burstein, The Hellenistic Age from the battle of Ipsos to the death of Kleopatra VII, London etc. 1985, 122 f. Der Königsname wurde bis vor kurzem als jener von Ptolemaios (II.) gelesen, was dieses Dekret in eine relative zeitliche Nähe zum Text in Edfu gebracht hätte. Unlängst wurde nun aber eine Neulesung des Königsnamens als jener von Psammetich (I.) nahe gelegt; vgl. M. Chauveau, Le saut dans le temps d’un document historique: des Ptolémées aux Saïtes, in: D. Devauchelle (Hg.), La XXVIe dynastie: continuités et ruptures. Promenade saïte avec Jean Yoyotte, Paris 2011, 39-45. Umzeichnung nach J. Osing, Hieratische Papyri aus Tebtunis I, Taf. 14A.

321

Daniel Arpagaus

Mittleren Reich belegten Länge des Landes von 106 Iteru-Maßen und der nur hier in Edfu genannten Breite von 14 Iteru-Maßen präsentiert. Die simple Multiplikation der Länge mit der Breite ergäbe jedoch eine Gesamtfläche von 59,36 Millionen Aruren, so daß hier die Frage bleibt, wie man auf die 27 Millionen Aruren kam und welche Form des Landes bei der Berechnung vor Augen gestanden hat. Dieter Kurth hatte vorgeschlagen,15) daß die Landesfläche vereinfacht als ein spitzwinkliges Dreieck berechnet wurde. Dagegen hat jüngst Gyula Priskin in einem ausführlichen Beitrag 16) die Fläche als Trapezoid angesetzt, das sich in das Rechteck der Gesamtfläche einschreibt, wobei Verhältnisse des Goldenen Schnittes berücksichtigt worden seien. Die 27 Millionen Aruren seien demzufolge Ausdruck eines symbolischen Zahlenspiels und hätten mit der tatsächlichen Größe Ägyptens wenig zu tun. Diese Interpretation erscheint jedoch allzu strapaziert. Anhand einer Planskizze im sog. TebtunisOnomastikon (Abb. 2) 17) läßt sich m. E. nämlich ablesen, wie die Fläche Ägyptens schematisch unterteilt wurde, um auf die Flächenberechnung von (annähernd) 27 Millionen Aruren zu gelangen. 18) (Edfu VI, 199,8) Festlegung

der Ackerflächen von Ägypten in seiner ganzen Ausdehnung, die auf ewig im Besitze von Horus bleiben mögen 19): Angefangen von 20) Elephantine bis zu den Sumpfgebieten (des Deltas) beträgt die Ackerfläche 27.000.000 (Aruren). 21) Es ist dies die Erfassung des »Horusauges«, dessen Aufschlüsselung gemäß (200,1) dem, was Thot sagte, wie folgt ist: Die Ackerfläche 22) aller Felder von Gerste und Emmer für den Lebens(mittel)bedarf beträgt 9.000.000 (Aruren). Die Wasserflächen des »Großen Grünen« (200,2) mit Sar-Pflanzen, Meneh-Papyrus, 23) Serpet- und Seschen-Lotuspflanzen

15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.

22.

23.

322

D. Kurth, Treffpunkt der Götter: Inschriften aus dem Tempel von Edfu, Zürich/München 1994, 380. G. Priskin, A Map of Egypt Reconstructed from the Description of the Country at Edfu, BEJ 2 (2014) 23-41 (online: http://birminghamegyptology.co.uk/journal/). J. Osing, The Carlsberg Papyri 2: Hieratische Papyri aus Tebtunis I (CNIP 17), Kopenhagen 1998. Ein kurzer Beitrag hierzu soll demnächst unter dem Titel »Zur Berechnung der Landesfläche Ägyptens gemäß dem Tempel von Edfu und dem Tebtunis-Onomastikon« erscheinen. ; vielleicht ist (hnty-nhh) jedoch auch als Epitheton auf Horus, ˙ ˙ Horus von Edfu etwa auch im Tempel »den Vorsteher der Ewigkeit« zu beziehen˘– so wird bezeichnet. von Dendera (Dend. VIII, 76, 3) als »Re, Vorsteher der Ewigkeit« ( die Bemerkungen von P. Vernus, Rez. von A. Schlott, Die Ausmaße Ägyptens, Vgl. zu RdÉ 30 (1978) 191. ) setzt sich zusammen aus den Zahlzeichen für »10.000« ( ), Die Schreibung der Zahl ( ). Die 27 Millionen Aruren ergeben zwei »Tausendern« ( ) und sieben »Hunderten« ( sich folglich aus der Multiplikation von 10.000 x 2.700. Vgl. zu dieser Art der Notation großer Zahlen: K. Sethe, Von Zahlen und Zahlworten bei den Alten Ägyptern, Straßburg 1916, 9 f. als »Ackeraruren« ( h(.t) s´t t) auf. Es liegt in D. Kurth, Edfou VI (2014), 361, faßt ¯ etwa in Edfu III, ˙ (wie jedoch möglicherweise einfach ein Determinativ von h.t vor ˙ 114, 7); vgl. D. Kurth, Einführung ins Ptolemäische: Eine Grammatik mit Zeichenliste und Übungsstücken, Teil I, Hützel 22008, 353 Anm. 255. Eine dem Papyrus ähnliche Pflanze, die offenbar typisch für die Vegetation des Deltas war. Ebenfalls im Tempel von Edfu findet sich die Feststellung, daß das Papyrusdickicht, welches den Horusfalken als Nestling vor den Nachstellungen des Seth schützte, aus mnh-Pflanzen ˙ bestand (Edfu VII, 177, 13 f.; 259, 2).

Texte aus Ägypten

und allen (übrigen) Gewächsen, die im (Bereich der) Nilüberschwemmung wachsen: (200,3) [1]8.000.00[0] Aruren. Aufschlüsselung davon: Jeder Fluß von Ober- und Unterägypten, der dauernd Wasser führend ist: 2.400.000 Aruren. (200,4) Das unterägyptische »Große Grüne«, welches der Moeris-See ist zusammen mit seinem Kanal: 6.600.000 Aruren 24) um (somit) das Horusauge voll zu machen (200,5) mit all seinen Teilen und um das Osirisauge voll zu machen mit all seinen Teilen, so daß nichts fehlt an seinen Bestandteilen. 25) Denn es ist ja so, daß Ägypten das Horusauge ist. Seine (= Ägyptens) Länge (200,6) von Elephantine (an) in der ganzen Ausdehnung – das ist die Hälfte des Umfanges 26) – beträgt 106 Iteru. Seine Breite als Land beträgt vom westlich(st)en Kanal (200,7) von Ägypten bis zum östlich(st)en Kanal 14 Iteru; total 27.000.000 Aruren. Denn es ist ja so, daß man Ägypten (auch) Auge-des-Osiris nennt, (200,8) wobei dessen Pupille der Nil ist, das West- und Ostgebirge sind dessen Augapfel 27) und alle Heiligtümer von Ober- und Unterägypten sind die Bestandteile in (200,9) dessen Inneren.

24.

25.

26.

27.

Die Fläche von 6.600.000 Aruren ( 18.191 km2) scheint erst einmal um vielleicht das 10fache zu hoch angesetzt für den Moeris-See und den Bahr Yussuf, selbst wenn damit die Schilfund Papyrusdickichte entlang des Seeufers und beim Kanal die umgebenden Feuchtgebiete mit einzubeziehen sind – vgl. dazu H. Beinlich, Das Buch vom Fayum (ÄA 51), Wiesbaden 1991, 287-293. Um diese Diskrepanz auszuräumen, ist man zuweilen davon ausgegangen, die 6.600.000 Aruren seien auf die gesamte Fläche des Deltas inklusive des Moeris-Sees gemünzt; vgl. Kurth, Treffpunkt der Götter, 255. Es scheint aber in der Tat eher so, daß der Text die insg. 18 Millionen Aruren nicht landwirtschaftlich nutzbarer »Wasserflächen« durchaus so aufteilt, daß 9 Millionen Aruren auf das Delta entfallen, weitere 2,4 Millionen auf die ständig wasserführenden Flüsse und 6,6 Millionen auf den Moeris-See mit Bahr Yussuf. Im »Buch vom Fayum« finden sich eine Menge leider recht enigmatischer Zahlenangaben, die vielleicht mit der in Edfu angegebenen Summe in einem Zusammenhang stehen könnten; vgl. Beinlich, Buch vom Fayum, 229 Fn. 3 und passim; Beinlich, Der Mythos in seiner Landschaft – das ägyptische »Buch vom Fayum«; Bd. 2: Die hieratischen Texte, Studien zu den Ritualszenen altägyptischer Tempel 11,2, Dettelbach 2014, 461 Fn. 911. Zu bedenken ist letztlich auch noch, daß ein großangelegtes Landgewinnungsprojekt unter Ptolemaios II. (285-246 v. Chr.) zu einer erheblichen Absenkung des Moeris-Sees führte und dadurch Neuland von vielleicht gegen 1000 km2 auf Kosten der Fläche des Sees gewonnen wurde; vgl. J. G. Manning, Land and Power, 107 mit Fn. 49.; A. Monson, From the Ptolemies to the Romans: Political and Exconomic Change in Egypt, Cambridge 2012, 38. für dbh.w, »Bestandteile« hinzuweisen: Das Determinativ Hier gilt es auf die Schreibung ( ) könnte die vereinfachte Darstellung˙ eines Meßbechers mit konischer Form wiedergeben, der wenn er gefüllt ist, zum »vollen Horusauge« führt; vgl. hierzu L. Miatello, Magical Healing Waters: Reexamining the Requirements of the Udjat Eye, GöMisz 244 (2015) 77. Dies scheint die sinnvollste Übersetzung dieser problematischen Stelle; vgl. A. SchlottSchwab, die Ausmaße Ägyptens nach altägyptischen Texten (ÄAT 3), Wiesbaden 1981, 17 f. Anm. f. und G. Priskin, A Map of Egypt, 25 f. Anm. c., wobei beide davon ausgehen, man habe sich Ägypten als ein Rechteck von 106  14 Iteru gedacht. Vielleicht ist diese Auffassung im Tempel von Deir el-Haggar mittels des Erdgottes Geb visualisiert; vgl. O. E. Kaper, The Astronomical Ceiling of Deir el-Haggar in the Dakhleh Oasis, JEA 81 (1995) 176 Fig. 1 und 180 f. ) eigentlich eher br.wj, »die beiden Augäpfel«. Hier bezieht sich Nach der Schreibung ( der Dual aber vermutlich auf das »Weiße« des Auges zu beiden Seiten der Pupille (so D. Kurth, Edfou VI, 362 Fn. 7).

323

Daniel Arpagaus

Die Nilüberschwemmung geht aus ihren Quelllöchern hervor zu ihrer (rechten) Zeit wobei ihre Höhe in Elephantine 24 Ellen und 3 1⁄4 Handbreit beträgt 28) (200,10) ohne daß an ihr ein Schaden(potential?) 29) oder eine Unreinheit wäre. Die Nilüberschwemmung kommt, um die Äcker zu überfluten und um das Horusauge mit seinen Bestandteilen 30) zu füllen. 31) Sie (= die Bestandteile) werden (201,1) zur Gänze an Harsiese gegeben, den vortrefflichen Erben des Onnophris, gerechtfertigt (= Osiris) und an Horus von Edfu, den großen Gott, den Herrn des Himmels, den Buntgefiederten, der aus dem Horizont hervorkommt im Thronsitz-des-Horus (= Edfu), um (201,2) sein Herz zu erfreuen mit seinem Anteil auf daß er Millionen von Sed-Festen und Hunderttausende von Jahren auf dem Thron des Horus gewähre für den König von Ober- und Unterägypten , den Sohn des Re (201,3) Ptolemaios, er lebe ewig und auf daß er (= Horus) seinen (= des Königs) Ka vortrefflich sein lasse an der Spitze der Kas der Lebenden wie (auch bei) den Göttern, die auf Erden sind, 32) indem er [auf ? ] dem Thron (201,4) des Harsiese ist, den er ewiglich liebt. Das alles zur Gänze bleibt dauerhaft im Buch »Grundplan der beiden Länder« (verzeichnet).

28.

29.

30.

31.

32.

324

Auf der Insel Elephantine wurde die Nilüberschwemmung am dortigen Nilometer gemessen. Wie gut der hier im Edfu-Tempel angegebene Wert zu den tatsächlich am Nilometer verzeichneten Nilstandsmarken paßt, ist daraus zu ersehen, daß der Mittelwert der 34 dort belegten Marken nur um einen Fingerbreit (= 18 mm) von dem in Edfu angegebenen Wert abweicht; vgl. hierzu J. Locher, Topographie und Geschichte der Region am ersten Nilkatarakt in griechisch-römischer Zeit (AfP Bh. 5), München 1999, 189 f. Die Grundbedeutung von , nkn, ist »Verletzung, Schaden, Leid«. Eine »verletzte« Nilflut könnte auf eine zu niedrig ausgefallene Nilüberschwemmung deuten, wenn ihr selber aber ein Schadenspotential innewohnt, mag eine verklausulierte Andeutung auf eine katastrophal hohe Flut vorliegen – vgl. hierzu etwa D. van der Plas, L’hymne à la crue du Nil, tome I: Traduction et commentaire (Eg.Uitg. 4.1), Leiden 1986, 131-133. mit sˇs´.w, »Kostbarkeiten«. Allerdings ist die Phrase »das D. Kurth, Edfou VI, 362 übersetzt (Horus-)Auge mit seinen Bestandteilen füllen« eine feste Wendung, die eher an die dbh.w-Bestandteile denken läßt; vgl. auch D. Kurth, Die Dekoration der Säulen im Pronaos des˙ Tempels von Edfu (GOF IV.11), Wiesbaden 1983, 60 Anm. 23. Ägypten selber war ja – wie oben in 200,5 vermerkt – das »Horusauge«, das hier durch die Nilüberschwemmung angefüllt wurde. Das wird etwa durch die spätzeitliche Schreibung für »das Glanzauge« (= Ägypten) zum Ausdruck gebracht. Im Tempel von Kom Ombo findet sich darüber hinaus die Darstellung einer Art »Meßbecher«, der auflistet, wie sich die Nilüberschwemmung anteilsmäßig auf Ägypten als dem »Horusauge« aufteilt; vgl. hierzu P. Derchain, Miettes (suite), RdÉ 46 (1995) 89-92; D. Kurth, Die Ritualszene mit den medizinischen Instrumenten im Tempel von Kom Ombo (Nr. 950), in: M. Schade-Busch (Hg.), Wege öffnen. Festschrift für Rolf Gundlach zum 65. Geburtstag (ÄAT 35), Wiesbaden 1996, 149-164 und zuletzt auch Miatello, Magical Healing Waters, GöMisz 244 (2015) 67-83. D. Kurth, Edfou VI, 363 Fn. 1 verweist hier auf die Stelle Edfu VI, 308, 4-8 wo Ähnliches über den heiligen Achem-Falken gesagt wird, dem im Tempel gehaltenen Vogel, der als lebende Personifikation des Horus galt, und mit dem der König selber in der Passage identifiziert wird. Die beabsichtigte Analogie wird folglich die sein, daß der Achem-Falke an der Spitze aller anderen heiligen Falken (den »Göttern auf Erden«) steht, gleich wie der König an der Spitze der »Kas der Lebenden« (also seiner Untertanen) steht. Andererseits könnten die »Götter auf Erden« auch die vergöttlichten Ahnen meinen, unter die der König nach seinem Tod ebenfalls wünscht aufgenommen zu werden; vgl. hierzu S. Sauneron, Un document égyptien relatif à la divinisation de la reine Arsinoé II, BIFAO 60 (1960) 91; pl. 10: , »Ich (= Amun) werde veranlassen, daß du (= die verstorbene Arsinoe II.) eine Göttin bist unter den Göttern, die auf Erden sind.«

Texte aus Ägypten

3.2 Die sieben Oasen Ägyptens nach einer Soubassement-Inschrift im Tempel von Edfu Hieroglyphische Inschrift im Edfu-Tempel. – Datierung: Ptolemaios IX. Soter II. (116-107 v. Chr.). – Fundort: Edfu, Horus-Tempel, Innenseite der Umfassungsmauer, SoubassementBereich, Westseite. – Hieroglyphische Erstpublikation: Chassinat, Le temple d’Edfou VI, 19, 5-25, 10 – Übersetzungen: Kurth, Edfou VI, 36-44 (Transliteration, dt. Übersetzung und umfangreiche Kommentare). – Weitere Bearbeitungen und Literatur: S. Aufrère, La liste des sept oasis d’Edfou, BIFAO 100 (2000) 79-127.

Der Text über die sieben Oasen präsentiert sich äußerlich in der Form einer Opferszene (Abb. 3): Der König – vermutlich Ptolemaios IX. 33) – und seine Gemahlin (Kleopatra II.) präsentieren Opfergaben an die Göttertriade von Edfu, bestehend aus Horus, Hathor und Harsomtus. Hinter dem Herrscherpaar folgen Personifikationen der sieben Oasen in Gestalt von Nilgottheiten, die ebenfalls Opfergaben präsentieren. In der Beischrift der Königin steht denn auch, daß »die sieben Oasen dieses Landes« ( ) mit all ihren Erzeugnissen und Tributgaben herbeigeführt werden. Aus den Begleittexten zu den Oasenpersonifikationen erhalten wir im Grunde die ausführlichsten Aussagen aus dem Alten Ägypten über die Oasen überhaupt, angefangen bei so grundsätzlichen Informationen wie ihrer Benennung, über die geographische Lage der Oasen zueinander bis hin zu den in ihnen hauptsächlich verehrten Gottheiten und dem Aussehen der Götterbilder. Es ist umso bedauerlicher, daß der Text zuweilen recht lückenhaft ist – gerade etwa was die zweite Oase (Dachla) angeht, für die der Großteil der Informationen verloren ist. Erschwerend kommt noch hinzu, daß neben den durch Zerstörungen verlorenen Angaben die auf der Tempelwand festgehaltene Version ganz offenkundig eine ziemlich gekürzte Abschrift einer Papyrusrolle darstellt, auf die im Text auch mehrfach verwiesen wird.

33.

Die Namenskartuschen sind allerdings entweder leer belassen worden oder sie zeigen nur die standardisierte Form des Eigennamens (»Ptolemaios, er lebe ewig«), wobei noch ein wenig Platz in der Kartusche freigelassen wurde für allfällige spätere Ergänzungen. In diesem Vorgehen könnte das politische Hickhack reflektiert sein, das in der Zeit der Dekoration herrschte und bei dem sich Ptolemaios IX. und X. gegenseitig im Amt abwechselten; vgl. hierzu A. Egberts, A Note on the Building History of the Temple of Edfu, RdÉ 38 (1987) 59 f.; M. Minas, Macht und Ohnmacht. Die Repräsentation ptolemäischer Königinnen in ägyptischen Tempeln, AfP 51 (2005) 146 f. Gemäß M. Eldamaty, Die ptolemäische Königin als Weiblicher Horus, in: A. Jördens / J. F. Quack (Hg.), Ägypten zwischen innerem Zwist und äußerem Druck: Die Zeit Ptolemaios’ VI. bis VIII., Philippika 45, Wiesbaden 2011, 40 f. könnte diese Art der Kartuschenbeschriftung sogar explizit auf das Jahr 107 v. Chr. zu datieren sein, als es Kleopatra III. gelang, ihren Sohn Ptolemaios X. aus Zypern zurückzuholen, während Ptolemaios IX. selbst dorthin flüchten mußte.

325

Abb. 3: Der Beginn der Oasenprozession im Edfu-Tempel: Der König und die Königin führen die sieben Personifikationen der Oasen an; gemeinsam treten sie vor die Göttertriade von Edfu, bestehend aus Horus, Hathor und Harsomtus. (Umzeichnung nach J. Dümichen, Die Oasen der Libyschen Wüste, Straßburg 1877, Taf. III-V)

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326

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Abb. 4: Lage der sieben, im Edfu-Text behandelten Oasen Ägyptens 34)

Bei der Abfolge der sieben Oasen folgt der Text den geographischen Realitäten und beginnt mit der südlichsten und dem Niltal nächstgelegenen Oase Charga und endet mit der nördlichsten und am weitesten westlich vom Nil gelegenen Oase Siwa (Abb. 4). Größere Unklarheiten bestehen eigentlich nur in Bezug auf die vierte Oase mit der Bezeichnung »Feld-von-Imau«, deren genaue Verortung seit Bekanntwerden des Oasentextes von Edfu für Diskussionen sorgte. Als mögliche Lokalisierungen wurden verschiedene eher unbedeutende Örtlichkeiten vorgeschlagen (z. B. El-Haiz, 35) 2Ain el-Wadi, 36) 2Ain Dalla 37)), die jedoch eher den Charakter von Kleinoasen oder isolierten Quellen denn von einer ausgedehnten Oase haben. Am ehesten wird mit

34. 35. 36. 37.

Grundlage für die Darstellung sind die Karten in: K. A. Bard, An Introduction to the Archaeology of Ancient Egypt, Oxford 2008, 49 f. (Map 3.1a und 3.2b); 292 (Map 10.1) A. Fakhry, Bahria, Bd. 2, Kairo 1950, 50-52. K. Sethe, Die ägyptischen Bezeichnungen für die Oasen und ihre Bewohner, ZÄS 56 (1920) 50. J. Osing, Die ägyptischen Namen für Charga und Dachla, in: P. Posener-Kriéger (Hg.), Mélanges Gamal Eddin Mokhtar II (BdÉ 97/2), Kairo 1985, 184 Anm. 32.

327

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dem »Feld-von-Imau« wohl ein durchaus ausgedehntes Gebiet nordwestlich der Oase Farafra gemeint sein, das mehrere der kleinen Quellen und Oasen umfaßte. 38) Von besonderem Interesse sind auch die Angaben zur Lokaltheologie der Oasen und die ihnen jeweils zugeordneten Gottheiten einschließlich der Beschreibungen der Götterbilder. Auffallend ist dabei, daß offenbar in den Oasen verschiedene lokale Ausprägungen des Osirismythos kursierten. Äußeres Kennzeichen dieser Lokalkulte waren anscheinend auch eine Reihe recht ungewöhnlicher Götterfiguren, deren Aussehen beschrieben wird – etwa bereits die ersten erwähnten Figuren einer ithyphallischen Falkenfigur des Osiris 39) und einer knienden, geierköpfigen Isis 40) wirken nicht gerade vertraut. Im Hibis-Tempel in der Oase Charga findet sich jedoch eine große Anzahl von Götterdarstellungen mit ebenfalls oft recht unkonventionellem Gepräge, 41) so daß man die hier beschriebenen Götterfiguren keineswegs als Phantasieprodukte abtun sollte. Gut möglich, daß in der Papyrusfassung, von der die Umsetzung auf der Tempelwand nur ein Auszug darstellt, diese Götterbilder auch im Bild dargestellt waren.42)

38. 39.

40.

41. 42.

328

Vgl. zusammenfassend D. Kurth, Edfou VII, Wiesbaden 2004, 672 f. (Anhang N: »Zur Lage der Oase Sechet-Imau«). Die Statue von einem »Osiris-der-Falke« ( ) ist jedoch etwa in Dendera mehrfach dargestellt (Dend. V, pl. 355; Dend. VI, pl. 514); vgl. dazu S. Cauville, Les statues cultuelles de Dendera d’après les inscriptions pariétales, BIFAO 87 (1987) 101. Bei diesem »Osiris-derFalke« handelt es sich jedoch eher um die vergöttlichte Gestalt der verstorbenen heiligen Falken; vgl. D. Kessler, Die heiligen Tiere und der König (ÄAT 16), Wiesbaden 1989, 117 f.; 166 f. Eine (stehende) Göttin mit Geierkopf ist auf der Heilstatue Neapel 1065 abgebildet; vgl. L. Kákosy, Egyptian Healing Statues in Three Museums in Italy, Turin 1999, pl. 42. Da zwei weitere Erscheinungsformen der Isis auf die geierköpfige Göttin folgen ([Isis-]Selkis [?] und »Isis-groß-an-Zauberkraft«), könnte möglicherweise dort auch eine Isis gemeint sein. Vgl. Hibis III, pls. 2-5. Mit der Bilddarstellung vor Augen würden sicherlich auch die zuweilen merkwürdig anmutenden Statuenbeschreibungen einleuchten – jedenfalls sind auch sonst Statuenbeschreibungen zuweilen erst durch korrespondierende Bilddarstellungen so richtig verständlich; vgl. etwa S. Sauneron, Villes et légendes d’Égypte (BdÉ 90), Kairo 21983, 81 f. Andernorts scheint es sogar vorgekommen zu sein, daß sich ein ägyptischer Schreiber geirrt hat und seine »Statuenbeschreibung« zur falschen Darstellung gesetzt hat; vgl. J. Vandier, Le papyrus Jumilhac, Paris 1961, 20.

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Rede des Horus von Edfu (Edfu VI, 19,5) »Ich

gebe dir alle Dinge, die auf der Erde sind.«

Beischrift zu Horus von Edfu (19,5) Worte

zu sprechen von Horus von Edfu, dem großen Gott, (19,6) dem Herrn des Himmels, dem einzig(artig)en Gott, über dem nichts steht 43): »Ich gebe dir den Thron der beiden Herren. 44)«

Beischrift zu Hathor (19,7) Worte

zu sprechen von Hathor, der Herrin von Dendera, dem Auge des Re, die in Edfu weilt: »Ich veranlasse, daß du bei jeder-(19,8) [-mann] beliebt bist.«

Beischrift zu Harsomtus (19,9) Worte zu sprechen von Harsomtus dem Kind, Sohn der Hathor: »Ich gebe dir alles, was auf dieser Erde existiert. (19,10) Ich gebe dir alle Dinge, die der Himmel spendet und die die Erde erschafft; (alles was) die Nilüberschwemmung in ihrer Vollkommenheit erzeugt, was der Acker hervorbringt, was aus dem Nun herauskommt und alles, was (19,11) auf dem Rücken der Erde wächst.«

Beischrift zum König (19,12) Worte

zu sprechen von König von Ober- und Unterägypten , dem Sohn des Re Ptolemaios, (20,1) er lebe ewig : »Ich bin zu dir gekommen, Horus von Edfu, großer Gott, Herr des Himmels, und ich bringe dir dieses Land mit dem, was in ihm ist, sowie jedes Fremdland, das für dich (20,2) seine Abgaben erbringt – sie führen dir ihre Dinge zu deinem Heiligtum herbei!«

Beischrift zur Königin (20,3) Der

weibliche Horus, Herr(in) Beider Länder Kleopatra: »Es ist der König von Ober- und Unterägypten , (20,4) der Sohn des Re Ptolemaios, er lebe ewig zu dir gekommen, o Horus von Edfu, und er bringt dir die sieben Oasen dieses Landes mit all ihren Dingen (20,5) und all ihren Tributen.«

43. 44.

hieße wörtlich eigentlich »Auf/Über dessen Kopf nichts gesehen wird« (so auch die Übersetzung nach LGG III, 487). Gemeint ist die Herrschaft über die beiden Landesteile Ober- und Unterägypten; mit den ) sind Horus und Seth angesprochen, die seit alters her als die beiden »beiden Herren« ( göttlichen Landesherren galten. Der Umstand, daß bei der Schreibung für Seth in der Nase des Seth-Tieres ein Messer steckt, ist ein deutliches Indiz dafür, wie sehr dieser Gott in der späten Zeit verfemt wurde, gleichwohl aber hier in der Rolle des Throngaranten genannt werden mußte.

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Erste Oasenpersonifikation – Oase Charga (20,6) Es

ist der König von Ober- und Unterägypten, der Sohn des Re, (20,7) zu dir gekommen, Horus von Edfu, großer Gott, Herr des Himmels, der [Edfu] vorsteht, [und er bringt dir die Oase Charga, 45) die gelegen ist (20,8) im Südwesten des Gaues von Ta]wer. 46) Amun-der-Starke 47) fungiert als Gott darin, der Hohe und (so weiter). 48)

Zweite Oasenpersonifikation – Oase Dachla (20,9-10) [28

Schriftquadrate verloren 49)] viele […] um deine Brust mit ihnen festlich zu Gottesopfer [für … … … … … Horus] von Edfu, den großen Gott, Herr des Himmels, Buntgefiederter, der aus dem Horizont hervorgeht im Thronsitz-des-Horus (= Edfu). machen. 50) (20,11) Ein

45.

46.

47.

48.

49. 50.

330

Unglücklicherweise ist der Text gerade dort lückenhaft, wo bei den ersten beiden Oasenpersonifikationen die eigentlichen Oasen-Bezeichnungen zu erwarten sind. Jedoch kann als sicher gelten, daß Charga und Dachla als erste zwei Oasen aufgeführt wurden. Das ergibt sich auch aus der generellen Abfolge, in der die sieben Oasen aufgelistet werden (von Süden nach Norden und von den zum Niltal näher gelegenen zu den weiter westlich gelegenen Oasen). Bei der dritten Oase wird ihre relative Lage als »nordwestlich von Kenmet gelegen« beschrieben – wobei Kenmet eine Bezeichnung für das Ensemble von Charga und Dachla war (vgl. unten Anm. 52). Im Grunde dieselbe Abfolge Kenmet (Charga/Dachla), »Land-der-Kuh« (Farafra) und Desdes (Baharija) findet sich auch schon Ramses-II.-zeitlich im Luxortempel; vgl. KRI II, 619, 15-620, 4. Die Restitution dieser 8 Schriftquadrate großen Lücke folgt S. Aufrère, Sept oasis, 82. Jedenfalls scheint sicher, daß hier die Oase Charga thematisiert war, die unter administrativer Verwaltung des 8. oberägyptischen Gaues von Ta-wer stand; vgl. M. Valloggia, This sur la route des oasis, BIFAO 81 Suppl. (1981) 185-190; J. Osing, Notizen zu den Oasen Charga und Dachla, GöMisz 92 (1986) 79. ) ist ungewöhnlich – vgl. zur Lesung D. Kurth, EdDie Schreibung des Gottesnamens ( fou VI, 38 Fn. 1. Frühere, abweichende Deutungen sind damit obsolet; vgl. etwa L. Pantalacci, de Balat?, GöMisz 175 (2000) 59-63 und zuvor – noch phantasievoller, Le nom du dieu aber sicherlich falsch – K. P. Kuhlmann, Das Ammoneion (Archäologische Veröffentlichungen 75), Mainz 1988, 91 mit Fn. 662 der »die Insel des durch sein Gottesauge Siegreichen« gelesen hatte. Ein Tempel für Amun-den-Starken wurde in Ain Birbiyeh in der Charga benachbarten Oase Dachla im Jahr 1981 (wieder-)entdeckt; vgl. A. J. Mills, Dakhleh Oasis Project. Report on the Fifth Season of Survey, JSSEA 13 (1983) 132-134. Der Oasentext von Edfu scheint die früheste bekannte Nennung des Gottes zu sein; vgl. I. Guermeur, Les cultes d’Amon hors de Thèbes: recherches de géographie religieuse (BEHE.R 123), Turnhout 2005, 438 f. ) zu dieser Oase ist nicht eben leicht verständlich, ist aber durch Das Ende der Beischrift ( Kurth, Edfou VI, 38 Fn. 2 überzeugend gelöst worden: die erste Zeichengruppe dürfte als steht dann ptol. Epitheton »der Hohe« von Amun-nacht zu lesen sein, die fliegende Gans für die Konjunktion hn2, »und«. Es wird also in der Papyrusvorlage vermutlich eine ganze ˙ Reihe von Epitheta gestanden haben, von der aber nur das erste übernommen wurde; danach hat man die Aufzeichnung recht abrupt abgebrochen. Siehe auch das Ende der Beischrift zur fünften Oase Baharija, dort steht etwas ausführlicher: »und (so weiter) wie es in der Papyrusrolle (steht)«. In den hier verlorenen Passagen wird mit der gleichen Phraseologie wie bei der ersten Oasenpersonifikation die Rede davon sein, wie der König für Horus von Edfu eine Oase herbeiführt, bei der es sich um die der Oase Charga benachbarte Oase Dachla handeln muß. Als typisches Produkt der Oasen galt der Wein – ob hier also vielleicht von »vielen Weintrauben« die Rede war, mit denen der König die Brust des Horus »festlich stimmte« (vgl. etwa Dend. V, 56, 6 f.; Dend. III, 175, 13-16).

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Dritte Oasenpersonifikation – Oase Farafra (20,12) [Es

ist der König von Ober- und Unterägypten , der Sohn des zu dir gekommen, (21,1) Horus von Edfu, großer Gott,] Herr des Re Himmels, [der Edfu vorsteht], und er bringt dir das »Land-der-Kuh« (= die Oase Farafra 51)), die im Nordwesten von Kenmet (= Charga und Dachla 52)) gelegen ist. Osiris (21,2) fungiert als Gott darin und es vereinigt sich dort seine Schwester Isis 53) mit ihm. Sie verbirgt seine Angelegenheiten vor seinen Feinden … ? (21,3) … ? 54) Sie zog umher mit ihrem Sohn, als der (noch) ein Kind war, um ihn zu verbergen vor dem elenden Seth. (21,4) Diese Göttin ist die Sechat-Hor-Kuh und dieses Kind ist der Sohn des Apis-Stieres. 55) Sie geht zusammen mit ihm heraus (21,5) zu diesem Versteck, 56) um seinen Vater Osiris zu sehen, der darin ist. Osiris ruht dort als Falke mit dem Antlitz eines Menschen, (21,6) bekrönt mit der Doppelfederkrone und der Roten Krone, wobei eine Sonnenscheibe in ihrem Innern ist. Sein Glied ist erigiert während seine rechte Hand die Geißel hält und seine linke Hand das Was-Szepter (Abb. 5). Gearbeitet ist diese (Statue) aus (21,7) Gold.

51.

52.

53. 54.

55.

56.

Ägyptisch , »das Land der Kuh«, resp. »Rinderland». Vielleicht deutet die Benennung auf einen Kult der Göttin Hathor in Farafra hin (so: A. Fakhry, s. v. Farafra Oase, in: LÄ II, Wiesbaden 1980, 113). Möglich scheint jedoch auch, den Namen auf eine – bereits in pharaonischer Zeit vergangene? – Epoche zurückzuführen, in der das Klima es noch zuließ, daß die Oasen weitflächige Weideflächen für die Rinderzucht boten; vgl. S. Ikram, Drawing the World: Petroglyphs from Kharga Oasis, Archéo-Nil 19 (2009) 76 f. Allerdings haben archäologische Untersuchungen zur prädynastischen Zeit in der Oase Farafra zwar Belege für Schafe und Ziegen, aber noch keinerlei Spuren für Rinderzucht erbracht; vgl. B. Barich, Living in the Oasis. Beginnings of Village Life at Farafra and in the Western Desert of Egypt, in: Z. Sulgostowska / A. J. Tomaszewski (Hg.), Man – Millennia – Environment: Studies in Honour of Romuald Schild, Warschau 2008, 149. Die Oasen Charga und Dachla waren nach altägyptischer Sicht derart eng miteinander verwoben, daß auf sie gerne als ein Ensemble verwiesen wird – entweder wie hier unter der Bezeichnung »Kenmet« oder auch schlicht als die »südliche Oase«; vgl. hierzu O. E. Kaper, Egyptian Toponyms, 117-121. In römischer Zeit war Charga/Dachla als die »große Oase« (oasis magna) bekannt während Baharija als die »kleine Oase« (oasis parva) galt. . Chassinat, Edfou VI, Hier eine außergewöhnliche Schreibung des Namens der Göttin: 21 Fn. 6 und Aufrère, Sept oasis, 91 f. Anm. c) lesen stattdessen »Nephthys«. Dagegen aber – überzeugend – D. Kurth, Einführung ins Ptolemäische I, 331 Anm. 168. – hier erschweren der lückenhafte Beginn und die Ambivalenzen bei der Lesung der Augen-Hieroglyphen das Verständnis. Aufrère, Sept oasis, 89 f. versteht den Schluß als »elle voit Chou«; ganz anders Kurth, Edfou VI, 39: »[sie] prüft? die Besorgung? der Angelegenheiten des Gottes« (m ? jr(t)? s´hrw ntr). Es ließe sich allenfalls auch als Schrei˘ ¯ bung für das Epitheton Jmn-shrw, »Der-mit-verborgenen-Plänen« (vgl. LGG I, 349) inter˘ pretieren. Hier scheint eine besondere, durch Lokalkolorit gefärbte Variante des Mythems vorzuliegen, nach dem Isis ihren Sohn Horus als Baby vor den Nachstellungen des Seth schützen mußte. Meist behütet sie ihn als Falkenküken »in seinem Nest«. Hier scheinen jedoch, angepaßt an die Oase Farafra, die ägyptisch das »Land-der-Kuh« ( ) heißt, Isis als schützende Mutterkuh und Horus als Sohn des Apis-Stieres ebenfalls rindergestaltig aufgefaßt; so: Kurth, Edfou VI, 39 Fn. 6. Vgl. auch A. Rickert, Gottheit und Gabe (SSR 4), Wiesbaden 2011, 243-245; P. Dils, Der Tempel von Dusch, Diss. Köln 2000, 195 f. mit Fn. 49. ) des Osiris wird (schrift-)spielerisch mit dem zuvor genannten ApisDas »Versteck« ( ) in Beziehung gesetzt. Stier (

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Daniel Arpagaus

Ihm gegenüber befindet sich die Göttin Waset (= das personifizierte Theben), indem sie Pfeile in ihren Händen hält. Die Höhe (beträgt) eine Elle (= 52,5 cm). Isis fungiert als sein (= Osiris’) Schutz, als Mutter, 57) Herrin von Farafra, (22,1) als Frauenstatue 58) mit dem Gesicht eines Geiers, kniend, die Unterschenkel untergeschlagen 59). Der Gottesleib (der Statue) besteht aus Feingold und ihre Gesamthöhe eine Elle. Ihr (= Isis’) Sohn (22,2) Horus ist (eine Statue in Gestalt des) Min-Amun in Mumiengestalt, bekrönt mit der Doppelfederkrone und der Roten Krone, 60) sein Phallus ist erigiert, in seiner Rechten hält er die Geißel und seine Linke umfaßt seinen Phallus. 61) (22,3) Sein Gottesleib ist aus Christdorn-Holz, das mit »Gottesstein« (Bitumen) 62) überzogen ist. Die Höhe beträgt drei Ellen und drei Handbreit (= 1,80 m) nachdem er alle Kronen eines Königs empfangen hat. (22,4) Dieser Gott (erscheint auch noch) als Chonsu-das-Kind in Mumiengestalt, aus getriebenem Gold (gemacht), mit dem Gesicht eines Falken indem er den Krummstab und die Geißel gepackt hält über seinem Herzen, 63) die Mondscheibe auf seinem Kopf, und eine Kreis(scheibe?) aus (22,5) Erz ist unter seinen Füßen. 64) 57.

58.

59.

60. 61. 62.

63.

64.

332

Isis als den Osiris schützende Göttin wird vielleicht deshalb hier bereits »als Mutter« ( ) charakterisiert, da nachfolgend von »ihrem Sohn Horus« die Rede ist. Interessant ist aber, daß etwa im Tempel von Dendera eine sitzende Göttin mit Geierkopf (dort: Nechbet?) als Schriftzeichen für mw.t, »Mutter« steht; vgl. S. Cauville, Entre exigence décorative et significations multiples: les graphies suggestives du temple d’Hathor à Dendara, BIFAO 102 (2002) 126. ) bezeichnet in allgemeiner Weise eine weibliche Statue, die, sofern Der Terminus rpy.t ( nichts anderes angegeben wird, wohl auch in der »Normalhaltung« wie sie das Determinativ zeigt, zu denken ist; vgl. hierzu F. Hoffmann, Zum Körperkonzept in Ägypten (P. Berlin 10472 A + 14400), in: A. Berlejung / J. Dietrich / J. F. Quack (Hg.), Menschenbilder und Körperkonzepte im Alten Israel, in Ägypten und im Alten Orient (ORA 9), Tübingen 2012, 495-497. ) – die -Determinative Wörtl. in etwa: »ausgestreckt auf ihren Unterschenkeln« ( zeigen jedenfalls schön an, wie man sich die Körperhaltung der Statue vorzustellen hat (so auch S. Cauville, Un inventaire de temple: Les papyrus Berlin 10.472 A et 14.400, ZÄS 122 (1995) 56 Fn. 7: »les déterminatifs du verbe et du mot, inédits dans cette fonction, déterminent la traduction.«) Hier scheint mit in eins gesetzt (Doppelfederkrone und Rote Krone), was zuvor bei der Statuenbeschreibung des Osiris noch getrennt aufgezählt wurde ( ). Die Abbildung ist eine Symbiose des Min von Koptos in LD III, 275 c und des Harsiese in Hibis III, pl. 3 Reg. VII (ganz links). Ausführliche Rezepte für die Herstellung dieses »Gottessteins« finden sich in Edfu II, 214, 7215, 12 und Edfu VI, 165, 8-166, 4. Die Herstellung folgt einem sehr komplexen Ablauf und die Mixtur enthält verschiedenste Ingredienzien – der Hauptbestandteil scheint jedoch mnnBitumen/Asphalt gewesen zu sein. Es erstaunt deshalb nicht, wenn man Min-Amun, beziehungsweise seine Statue, nach dem Überziehen mit »Gottesstein«/Bitumen, als den »Schwar, Edfu VI, 166, 5) bezeichnete. zen« ( Vielleicht ist mit »über seinem Herzen« nur die bei Kindgötterdarstellungen typische Armhaltung gemeint, bei der die Hand quer vor der Brust gezeigt wird, Szepter und Geißel haltend. Andererseits werden Kindgötter jedoch auch oft mit einem Herzamulett gezeigt, das sie an einer Kette um den Hals tragen; vgl. S. Sandri, Har-pa-chered (Harpokrates): die Genese eines ägyptischen Götterkindes (OLA 151), Leuven 2006, 101-103. Die Übergabe von Krummstab und Geißel an Chonsu-Thot ist etwa dargestellt auf dem Euergetes-Tor in Karnak; vgl. P. Clère, La porte d’Évergète à Karnak (MIFAO 84), Kairo 1961, pl. 9. ) gemeint sein soll, ist einiWas mit dem »Kreis aus Erz unter seinen Füßen« ( germaßen unklar – Aufrère, sept oasis, 90 und 97 Anm. ac übersetzt »une protection de métal-bia sous ses pieds« und denkt an einen Sockel dieser Statue. Vgl. jedoch Kurth, Edfou VI, 40 mit Fn. 7 mit wörtlicher Übersetzung: »eine Kupferscheibe unter seinen Füßen«. Es

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Vierte Oasenpersonifikation – Oase Feld-von-Imau (22,6) Es

ist der König von Ober- und Unterägypten , der Sohn des Re Ptolemaios, er lebe ewig zu dir gekommen, Horus (22,7) von Edfu, großer Gott, Herr des Himmels, der dem Gau-der-beiden-Götter (= Edfu) vorsteht, und er bringt dir die Oase, die auf der Stätte-des-Nun 65) liegt. Ihr Name ist (22,8) Feld-von-Imau 66) und (so weiter). 67) Es verbirgt dort [Isis] schützend diesen ihren Bruder (= Osiris), welcher dort ist, zusammen mit diesem ihrem Sohn (= Horus), um sich mit demjenigen, welcher dort ist (= Osiris) (22,9) tagtäglich zu vereinen. 68) Es ist dies ein Mysterium, von dem man nichts sieht und nichts hört, etwas streng Geheimes, von dem man nichts weiß! 69)

Fünfte Oasenpersonifikation – die Nördliche Oase (Baharija) (23,1) Es

ist der König von Ober- und Unterägypten , der Sohn des Re Ptolemaios, er lebe ewig [zu dir gekommen], Horus (23,2) von Edfu, großer Gott, Herr des Himmels, der Groß-an-Kraft (= Edfu) vorsteht, und er bringt dir die Nördliche Oase, die im Nordosten von Farafra gelegen ist. Die Oase Baharija (ist das) (23,3) und (so weiter), wie es in der Papyrusrolle steht. 70)

65.

66.

67.

68. 69. 70.

muß wohl tatsächlich so übersetzt werden, zumal die gleiche Phraseologie noch an einer anderen Stelle auf der Innenseite der Umfassungsmauer in Edfu auftaucht, wenn der Sonnengott Re beschrieben wird als »Scheibe aus Gold« ( ; Edfu VI, 149, 11). Ein Sockel mit einem -Ring darin ist wiederum im Hibis-Tempel dargestellt; vgl. Hibis III, pl. 2, Reg. V; Reg. IX. Ob damit angedeutet wird, daß sich unter den Füßen der Statue eine metallene Kreisscheibe befindet? Der Urozean Nun kann, wie das hier offenkundig der Fall ist, das Grundwasser bezeichnen. Die Charakterisierung einer Oase als auf der Stätte-des-Nun gelegen, veranschaulicht demnach schön die Situation in den Oasen-Senken der libyschen Wüste mit ihren nahe an der Oberfläche befindlichen Grundwasservorkommen. ) zu lokalisieren, vgl. Aufrère, sept oasis, 99Für Versuche, die Oase »Feld-von-Imau« ( 103, mit dem Fazit, daß es sich um eine Bezeichnung der Oase Siwa handle. Dagegen war bereits für K. Sethe, ZÄS 56 (1920) 50 »völlig evident, daß damit nicht die Oase Siwa gemeint sein kann.« Zuletzt auch Kurth, Edfou VII, 672 f. (Anhang N) mit der Feststellung, daß damit ein größeres Gebiet westlich von Farafra gemeint sei. Das wird in Edfu VI, 198, 1-3 im Grunde schön resümiert, wenn dort über das »Feld-von-Imau« gesagt wird, die Oase selber liege westlich des Gebiets von Farafra und ihre Bewohner lebten im westlichen Teil der Oase vom Wasser eines Flusses, im östlichen Teil von Wasser aus Brunnen. Wie schon bei der ersten Oase Charga (s. oben Anm. 48) wird hier ein wohl in der Papyrusfassung vorhandener, umfassenderer Text ausgelassen, wenn nach der Hieroglyphe der fliefür die Konjunktion hn2, »und«, nichts Anschlußfähiges mehr folgt. Es genden Gans könnte in der Vorlage eine Beschreibung˙ der Oase gefolgt sein, ähnlich wie in dem Text von Edfu VI, 198, 1-3 (siehe vorhergehende Fn.). Die Formulierungsweise, die das Geschehen mehr andeutet als beschreibt und die recht umständlich die explizite Nennung des Osiris umgeht, ist vermutlich absichtlich so gewählt. Immerhin handelt es sich hierbei, wie der folgende Satz klar macht, um sehr geheime Dinge! Diese Geheimhaltungsformeln sind typisch für die mit der Auferstehung des Osiris verbundenen Mysterien; vgl. A. Kucharek, Die Klagelieder von Isis und Nephthys in Texten der Griechisch-Römischen Zeit (Altägyptische Totenliturgien 4), Heidelberg 2010, 94. Hier die ausführlichere Version für die Anmerkung, daß im Vergleich zur Papyrusvorlage eine , »und (so weiter) wie in der Festrolle«. Es ist Auslassung vorgenommen wurde: generell interessant, daß für die monumentale Version des Oasentextes auf der Tempelwand eine im Vergleich zur Papyrusvorlage vermutlich recht stark gekürzte Fassung aufgeschrieben

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Sechste Oasenpersonifikation – das Feld-des-Salzes (Wadi Natrun) (23,4) Es

ist der König von Ober- und Unterägypten , der Sohn des Re Ptolemaios, er lebe ewig zu dir gekommen, (23,5) Horus von Edfu, großer Gott, Herr des Himmels, der dem Sitz-der-Götter (= Edfu) vorsteht, und er bringt dir das Felddes-Salzes (= Wadi Natrun), das im Norden der (23,6) Stadt ..?.. gelegen ist, welche sich auf dem geheimen Berg/im geheimen Wadi 71) von Onnophris, dem Gerechtfertigten (= Osiris) befindet. Es (= Wadi Natrun) ist (auch bekannt als) die Stadt Scherep, als das Feld-des-Salzes, als das Westliche-Feld, 72) als das Haus-derjenigen-des-Wüstentals, 73) (23,7) als Sitz-des-Horusauges. Horus, Sohn der Isis (= Harsiese) ruht (dort) als Month[-Re], Herr von Scherep, als mumienförmige Gestalt deren (Körper-)Mitte als Skarabäus (gestaltet ist), indem [die Doppelfederkrone] auf seinem Kopf ist, 74) (23,8) aus getriebenem Gold (gemacht). Seine Mutter, die Große, die Herrin des Ischeru-Sees, (erscheint) als Frauenstatue [… …] mit dem Gesicht eines Menschen, indem sie kauert, ihre beiden Arme sind an ihrer

71.

72. 73.

74.

334

wurde. Allerdings wird hierfür wohl vorwiegend der begrenzte Raum für Inschriften ausschlaggebend gewesen sein. Im Fall der Oase Baharija könnte der Grund, weshalb wir an dieser Stelle nichts über die in ihr verehrten Götter erfahren, jedoch darin gelegen haben, daß nach der sonstigen Quellenlage hier der Gott Seth verehrt wurde, dessen Nennung in der Ptolemäerzeit vielfach vermieden wurde – so: J. Osing, Beiträge zu den Oasen, in: W. Clarysse et al. (Hg.), Egyptian Religion: The last thousand Years, II (OLA 84), Leuven 1998, 1447. ) identisch ist mit dem unten, bei der Es ist hier die Frage, ob dieser »geheime Berg« ( ). Beide Bezeichnungen »hoher siebten Oase genannten »hohen westlichen Berg« ( Berg« und »geheimer Berg« sind etwa für die Nekropole der Insel Bigge oder für die Umgebung des Tempels von Deir Schelwit belegt; vgl. C. Zivie-Coche, Le temple de Deir Chelouit IV. Étude architecturale, Kairo 1992, 9 f.; J. Locher, Topographie und Geschichte, 175-177. Im weiteren Sinn kann der »geheime Berg« aber auch die Klippen einer jeden Nekropole mit Felsgräbern meinen; vgl. GDG VI, 124; D. Meeks, Mythes et légendes du Delta d’après le papyrus Brooklyn 47.218.84 (MIFAO 125), Kairo 2006, 45 Anm. 20. Folglich dürften hier auch eher zwei verschiedene Lokalitäten gemeint, möglicherweise die zwei Nekropolen des Wadi Natrun und der Oase Siwa. Zudem ist im Oasenkontext dw meist besser mit ¯ god Amun-nakht »Wadi« denn mit »Berg, Hügel« zu übersetzen; vgl. O. E. Kaper, How the came to Dakhleh Oasis, JSSEA 17 (1987) 153 Anm. d. ) eine zum »östlichen Sumpfland« ( , Edfu V, 98, 10) Ob das »Westliche Feld« ( parallele Bildung darstellt? Jenes »östliche Sumpfland« lag im 18. unterägyptischen Gau von Bubastis, der dem Wadi Natrun nahe gelegen ist. wohl als »Haus-der-(Göttin)-des-Wüstentals« aufzufassen – so bereits SeEs ist the, Die ägyptischen Bezeichnungen, 51; anders: Aufrère, Sept oasis, 106 (»la Demeure de la Vallée«). Gemeint ist möglicherweise ein Tempel am Eingang zu einem Wadi, der vielleicht einer Löwengöttin geweiht gewesen sein mag. Beispiele sind etwa der sog. Speos Artemidos bei Beni Hasan (der Pachet geweiht) oder der Smithis-Tempel im Wadi Hellal; vgl. dazu etwa S. Aufrère, Le cosmos, le minéral, le végétal et le divin, BCLE 7 (1993) 12; Gardiner, AEO II, 88*-90*. Andererseits könnte auch ein Tempel am Ende einer zum Niltal führenden Wüstenpiste bezeichnet sein, in dem »reisende Gottheiten« des Niltals der Oase ihre Aufwartung machen – vgl. hierzu J. C. Darnell / D. Klotz / C. Manassa, Gods on the Road: The Pantheon of Thebes at Qasr el-Ghueita, in: D3T 2, 2013, 2 f. Götterfiguren, deren Torso als Skarabäuskäfer gestaltet ist, finden sich etwa auch wieder im Hibis-Tempel dargestellt; vgl. Hibis III, pl. 2, Reg. IV. und V.; pl. 3, Reg. VI. Ein Horus mit Skarabäus-Körpermitte findet sich etwa noch auf dem »Naos der Dekaden«; vgl. A.-S. von Bomhard, The Naos of the Decades: From the Observation of the Sky to Mythology and Astrology, Oxford 2008, 36 Fig. 39.

Texte aus Ägypten

Seite, (24,1) die ober- und unterägyptische Krone aus getriebenem Gold sind auf ihrem Kopf. Ihr Sohn Horus ist als (eine Statue) des Chonsu, Herr von Scherep, (präsent), aus Gold getrieben, mit dem Gesicht eines Falken, (24,2) indem er das Heqa-Szepter und die Geißel gefaßt hat über seinem Herzen 75) und die Mondsichel auf dem Kopf hat; die Höhe beträgt eine Elle (= 52,5 cm). Er ruht (dort) als Month, Herr von Scherep, (24,3) [… …] mit dem Antlitz eines Stieres, Doppelfederkrone, zwei Ab-Hörner und zwei Henut-Hörner auf seinem Kopf, das Was-Szepter in seiner rechten Hand und das Anch-Zeichen in seiner linken Hand, aus Gold getrieben, (24,4) dessen Augäpfel aus Alaun (?) 76) sind.

Siebte Oasenpersonifikation – die Oase Siwa (24,5) Es

ist der König von Ober- und Unterägypten , der Sohn des (24,6) Horus von Edfu, großer Gott, Herr Re Ptolemaios, er lebe ewig, zu dir gekommen, des Himmels, der Gem-bau-es 77) (= Edfu) vorsteht und er bringt dir die Oase, die im Südwesten von diesem (genannten) Scherep liegt. (24,7) Siwa (?) [ist ihr Name?? … … … es beschützt/versteckt?] Isis ihren Sohn Horus in ihrem Innern als dieses Kind. Es kommen zu ihr (= Isis) die Götter (24,8) von Libyen und die Götter von Feld-von-Imau aufgrund ihrer großen Beliebtheit. Sie jubeln, wenn sie sich ihr nähern, um (25,1) nach ihrem Sohn Horus zu schauen und um ihm [sein Königtum o. ä.?] anzuerkennen. 78) Seht doch, ihr Oasenbewohner, es ist dieses Kind das edle Kleinkind mit dem Gesicht eines Falken, das von (25,2) seiner Mutter umarmt wird 79) [… … … … … …] ihre Brust, ihre 75. 76.

77.

78.

79.

Zu diesem Ausdruck s. oben Anm. 63. Der Schluß der Inschriftenkolumne ist heute zerstört; zur Deutung des Materials als jbnw »Alaun« vgl. Kurth, Edfou VI, 42 mit Fn. 7. Ob die Augäpfel der Statue aus zwei künstlich gezüchteten Alaun-Kristallen bestanden? Oder doch eher aus Klumpen einer Alaun-Tonerde gemacht waren? Solche Klumpen von Alaun-Tonerde gehörten just zu denjenigen Produkten, die der Oasenmann in der Geschichte vom »Beredten Bauern« aus dem Wadi Natrun mit sich führte; vgl. R. Drenkhahn, Die Handwerker und ihre Tätigkeiten im Alten Ägypten (ÄA 31), Wiesbaden 1976, 11. Nach der Logik der bisherigen Phraseologie muß , »Gem-bau=s« (wörtl.: »DerenBau-Macht-gefunden-ist«) eine Bezeichnung für Edfu respektive den Edfu-Tempel sein (entsprechend ist die Schreibung des Wortes auch mit den Stadt-Determinativ versehen). Öfters ist diese Bezeichnung als ein Epitheton von Göttinnen wie Bastet, Hathor oder Wadjet belegt; vgl. LGG VII, 310. Als Toponym kann auf die Art offenbar auch noch auf die Nekropole ); vgl. S. Caumit dem Osirisgrab in Abydos verwiesen werden (in Dend. X, 344, 9: ville, Le temple de Dendara: les chapelles osiriennes. Commentaire (BdÉ 118), Kairo 1997, 166. . Bei der hier vorgeschlagenen Übersetzung wäre Leider ist die Stelle etwas zerstört: zu ergänzen; vgl. auch Kurth, Edfou VI, 43 mit das zerstörte Schriftquadrat etwa als Fn. 3 – eher abwegig ist die Satzeinteilung und das Verständnis der Passage bei Aufrère, sept oasis, 117. Falls hier ebenfalls eine Statue angesprochen wird, ob diese dann Horus als Falken zeigt, der von seiner Mutter Isis (als Geierin mit ausgebreiteten Schwingen?) umarmt wird? Vgl. zu diesem Statuentyp D. Arpagaus, « Isis, die ihren Sohn Horus schützt ». Eine Jerusalemer Statuette als Beispiel rundplastischer ›Kryptographie‹ ?, GöMisz 241 (2014) 5-13. Andererseits kann die qnw-Umarmung auch auf das Kind (hier mit Falkenkopf?) bezogen sein, das auf , »(das Kind in) der Umdem Schoß der Mutter sitzt ( , ); vgl. Wb V, 51, 8: armung auf den Schenkeln seiner Mutter«.

335

Daniel Arpagaus

(Sitz-)Stange (?) 80) ist aus schwarzem Kupfer, 81) beschlagen mit Gold (25,3) [… … … … … … …] diese ihre [Höhe?] beträgt eine Elle. Amun, der Große, der Geliebte ist zur Seite des (Götter-)Kindes [… … (25,4) … … … … …] unter ihrem Herren Osiris auf dem hohen westlichen Berg [… … … … … … …] (25,5) […] Sohn des Osiris, des Vorstehers im Thronsitz-des-Horus (= Edfu), zusammen mit [… … … … … …] ihre Abgaben alljährlich zum (25,6) Horusthron-des-Harsiese (= Edfu) 82) [… … … … … … …] ewiglich. Es führt für ihn der Himmel das Licht herbei, um [für ihn das Land??] (25,7) zu erhellen [und es tritt die Nilüberschwemmung hervor, um??] seinen Acker zu überfluten und um die Beiden Länder für seinen Ka zu versorgen. (Er ist) ein lebender Ba (25,8) für immer und ewig. [… … … …] Der auf der Palastfassade [steht/bleibt?] als König von Ober- und Unterägypten, 83) Horus von Edfu, der große Gott, Herr des Himmels, der Buntgefiederte , (25,9) der aus dem Horizont herausgeht, Horus-Sohn-der-Isis (Harsiese) und Sohn des Osiris, mit großer Kraft im Thronsitz-des-Horus (= Edfu), der Herr von Himmel, Erde, Wasser und der Berge. Alle Götter (25,10) sind versammelt als sein Gefolge bis in alle Ewigkeit und kein anderer wird ihm (je) gleichkommen. 84)

80.

81. 82. 83.

84.

336

Ob das hier geschriebene Wort identisch ist mit , das eine Bezeichnung für »Pfosten« oder »Stäbe« ist? Vgl. W. C. Hayes, Ostraka and Name Stones from the Tomb of Sen-Mu¯t (no. 71) at Thebes (PMMA 15), New York 1942, 35. Die Statue könnte also vielleicht mk( .t) auf einer Standarte gestanden haben. Dagegen erkennt Kurth, Edfou VI, 43 in 2 (.t) ¼s, »ihr (= der Statue) großer Untersatz«, also ein Podest, auf dem die Statue stand. Zu diesem Material, einer künstlich erzeugten Legierung, die zu einer schwarzen Patina führt, vgl. A. Giumlía-Mair, S. Quirke, Black Copper in Bronze Age Egypt, RdÉ 48 (1997) 95-108. In der Art vielleicht singulär als Bezeichnung für den Edfu-Tempel; »Haus-des-Thrones-des) findet sich als Bezeichnung für Edfu jedoch noch in Edfu IV, 10, 7. Harsiese« ( im Grunde als tautologische Formulierung »König von OberIn der Schreibung und Unterägypten in Ober- und Unterägypten«. An anderen Stellen kann so auch das »(doppelte) Königsamt über Ober- und Unterägypten« bezeichnet werden, das dem König bei ; Edfu I, 161, 12). Amtsantritt verliehen wird (z. B. Edfu II, 81, 1: . Verschiedene Auffassungen beDie abschließende Formel ist recht ungewöhnlich: züglich der Übersetzung sind vorgeschlagen worden: Aufrère, Sept oasis, 117: »Un autre n’a jamais renouvelé ce qu’il a fait«; Kurth, Edfou VI, 44: »ohne daß (es) andere für ihn wiederholen«; LGG III, 486 s. v. Nn-whm-n.f-ky, »Der keinem anderen gleichkommt«. Zu verglei˙ Thot) in Edfu VI, 84, 5: , »es gibt keinen anchen ist auch das Epitheton (von deren, der ihn wiederholen wird/ihm gleichkommen wird«.

4. Ägyptische mathematische Texte Annette Imhausen 4.1 Einleitung Die ägyptischen mathematischen Papyri gehören zusammen mit den mesopotamischen mathematischen Keilschrifttafeln zu den ältesten erhaltenen mathematischen Texten. Sie entstammen dem Kontext der Schreiberausbildung und dienten der Vermittlung numerischer Techniken, welche die Schreiber in ihren administrativen Aufgaben benötigen würden. Nur eine kleine Zahl mathematischer Texte auf Papyrus hat sich bis heute erhalten, dazu kommen eine Lederrolle, zwei Holztafeln und zwei Ostraka. 1) Dieser Befund resultiert direkt aus der geographischen Zweiteilung der ägyptischen Kultur – die Angelegenheiten des Lebens waren damals wie heute in Siedlungen und Städten in der Nähe des Nils verortet. Dort waren die Bedingungen des menschlichen Überlebens (das Vorhandensein von Wasser) gegeben. Für die langfristige Erhaltung von Papyri und anderen Artefakten erwies sich dagegen die ägyptische Wüste mit ihrer Trockenheit als ideal. Dort befanden sich Gräber und Tempel und so ergab sich ein Vorteil für die Erhaltung religiöser Texte aus dem pharaonischen Ägypten, während es sich bei den Alltagstexten um zufällige Glücksfälle handelt, die aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen nicht in den Siedlungen, wo sie geschrieben und benutzt wurden, sondern in der Wüste endeten. Bei den wenigen bisher archäologisch erschlossenen Städten aus Ägypten sind in Lahun mathematische Texte gefunden worden. Die sieben mathematischen Papyri aus Lahun sind alle nur fragmentarisch erhalten, trotzdem kann man anhand dieser Fragmente bereits eine gute Beschreibung der Charakteristika der ägyptischen Mathematik vornehmen.2) Ägyptische mathematische Texte lassen sich prinzipiell in zwei Gruppen einteilen: 1.

2.

Die einzelnen Quellen und ihre editio princeps sind (in Reihenfolge ihrer Publikation): H. Schack-Schackenburg, Der Berliner Papyrus 6619 (mit 1 Tafel), ZÄS 38 (1900) 135-140; H. Schack-Schackenburg, Das kleinere Fragment des Berliner Papyrus 6619, ZÄS 40 (1902) 65-66; T. E. Peet, The Rhind mathematical papyrus: British Museum 10057 and 10058, Liverpool 1923; T. E. Peet, Arithmetic in the Middle Kingdom, JEA 9 (1923) 91-95; S. R. K. Glanville, The Mathematical Leather Roll in the British Museum, JEA 13 (1927) 232-239; V. V. Struve, Mathematischer Papyrus des Staatlichen Museums der Schönen Künste in Moskau (Quellen und Studien zur Geschichte der Mathematik, Astronomie und Physik, Abteilung A. Quellen 1), Berlin 1930; W. C. Hayes, Ostraka and Name Stones from the Tomb of Sen-Mut (No. 71) at Thebes, New York 1942, Nr. 153; J. López, Ostraca Ieratici N. 57093-57319, Catalogo del Museo Egizio di Torino, Serie Seconda – Collezioni, Vol. III, Fasciolo 2, Mailand 1980, Nr. 57170; A. Imhausen / J. Ritter, Mathematical Papyri, in: M. Collier / S. Quirke (Hg.), The UCL Lahun Papyri: Religious, Literary, Legal, Mathematical and Medical (BAR International Series 1209), Oxford 2004, 71-96. Vgl. Imhausen / Ritter, Mathematical Papyri. Eine kurze Einführung in die ägyptische Mathematik bietet J. Ritter, Egyptian Mathematics, in: H. Selin (Hg.), Mathematics Across Cultures, Dordrecht 2000, 115-136; für eine Darstellung der ägyptischen Mathematik von der Erfindung des Zahlensystems bis in griechisch-römische Zeit vgl. A. Imhausen, Mathematics in Ancient Egypt. A Contextual History, Princeton 2016.

337

Annette Imhausen

Tabellentexte und Aufgabentexte. Tabellentexte enthalten – wie der Name schon sagt – (mathematische) Tabellen. Dies sind – bei den erhaltenen Tabellentexten – Tabellen zur Bruchrechnung und Tabellen zu metrologischen Umrechnungen (die ebenfalls Brüche umfassen). Die ägyptischen Aufgabentexte enthalten eine Aufgabenstellung, an die sich die Prozedur zur Lösung der gestellten Aufgabe anschließt. Diese Prozedur wird als Schritt-für-Schritt Anweisung formuliert, in der jeder Schritt die Anweisung zu einer mathematischen Operation enthält. Während die ägyptischen mathematischen Texte in einer Reihe von allgemeinen formalen Charakteristika übereinstimmen, besitzt jede Quelle auch spezifische formale Eigenheiten, wie die folgende Auswahl vielleicht verdeutlichen mag. Den Anfang bilden Aufgaben aus dem Papyrus Rhind, der umfangreichsten Quelle, in der die Aufgaben offensichtlich in zusammengehörigen Gruppen und in einer geplanten Anordnung niedergeschrieben wurden, welche durch die ausgewählten Beispiele nachgezeichnet werden soll. Es folgen ausgewählte Aufgaben aus dem Payprus Moskau (einer Sammlung von 25 Aufgaben, die ohne Ordnung aufgeschrieben wurden, zwei Dubletten enthalten und deren erste Aufgaben stark fragmentiert sind), die inhaltlich über das hinausgehen, was im Papyrus Rhind zu finden ist, wie z. B. die Berechnung des Inhaltes eines Pyramidenstumpfes. Den Abschluß der hier vorgestellten Auswahl bildet ein Fragment der Lahun Papyri, der einzigen mathematischen Papyri mit gesicherter Herkunft. 3) Die Übersetzung der mathematischen Termini benutzt eine im Deutschen verständliche mathematische Terminologie, vgl. hierzu die im Anschluß an die Einleitung gegebene Übersicht. Die Form des sdm.hr.f wird in der Übersetzung durch »so ¯ ˘ hört er folglich« wiedergegeben (die mit dem sdm.hr.f verwandte Partikel hr wird als ˘ ¯ ˘ »folglich« übersetzt). 4) Rubra sind im Text kursiv wiedergegeben, da die Kursivsetzung des Textes (anders als die Formatierung in Kapitälchen) sich auch für Zahlen umsetzen läßt. Die Übersetzung bemüht sich, die Anordnung des hieratischen Textes abzubilden, da dies insbesondere für die durchgeführten Rechnungen, die in einem formalen Schema notiert werden, von Bedeutung ist. Der Papyrus Rhind wurde von seinem Schreiber durch horizontale Linien in sechs Abschnitte eingeteilt. Innerhalb eines solchen Abschnittes finden sich die Aufgaben über mehrere Sub-Kolumnen notiert. 5) Die Anordnung in diesen Subkolumnen wurde nach Möglichkeit beibehalten, zum Teil findet sich der letzte Abschnitt unterhalb der ersten dieser Kolumnen – zur besseren Übersicht sind deshalb in der Übersetzung hochgestellte Zeilennummern eingefügt worden. Die ägyptische Bruchrechnung benutzte nur den Bruch 23 und Inverse, im Hieratischen geschrieben durch die Zahl, deren Inverse sie sind, und einen Punkt darüber 3.

4.

5.

338

Nicht aufgenommen wurden die beiden Fragmente des Papyrus Berlin 6619, die mathematische Lederrolle BM EA 10250, die beiden Holztafeln Cairo CG 25367-8 sowie die beiden mathematischen Ostraka des Neuen Reichs (Senmut 153 und Turin 57170). Vergleiche für diese die in Imhausen, Mathematics in Ancient Egypt, gegebenen Literaturhinweise. Vgl. hierzu T. Pommerening, Die Ss Aw-Lehrtexte der heilkundlichen Literatur des Alten Ägypten. Traditionen und Textgeschichte, in: D. Bawanypeck / A. Imhausen (Hg.), Traditions of Written Knowledge in Ancient Egypt and Mesopotamia (AOAT 403), Münster 2014, 13-16. Zur Anordnung der Aufgaben vgl. das in G. Robins / C. Shute, The Rhind Mathematical Papyrus. An ancient Egyptian text, London 1987, 11, Fig. 1a-c gegebene Schema.

Texte aus Ägypten

als Kennzeichnung des Bruches. Für die Brüche 23, 12, 13 und 14 wurden Sonderzeichen benutzt. In der Transkription und Übersetzung hat sich das von Otto Neugebauer eingeführte System bewährt, in dem die Inversen durch einen Überstrich (z. B. 18 als 8) und der Bruch 2 durch zwei Überstriche (3) dargestellt werden. 6) 3 Übersicht der im folgenden gewählten Übersetzungen von Fachtermini w Länge h.t Fläche jrj˙ rechnen, berechnen jrj a r gm.t b b durch a dividieren jr.t mj hpr Rechnung, wie es resultiert ˘ jrj m znn quadrieren 2 .w Differenz 2h2 Menge w˙ h hr hinzuzählen ˙ m… rechnen (mit) … w ˙h-tp ˙ b durch a dividieren w h-tp m a r gm.t b wh˙ -tb.t Grundkante (einer Pyramide) ˘ ¯ wsh Breite ˘ pr-m-ws Höhe (einer Pyramide) mrjt Höhe (eines Dreiecks) njs berechnen njs a hnt b dividiere a durch b ˘ h .t Inhalt hsb Abrechnung, berechnen ˙hbj subtrahieren ˘ hpr resultieren ˘ zp mal skm ergänzen, Ergänzung q b verdoppeln qj n ssˇm.t Art der Ausrechnung qnb.t Wurzel km vervollständigen gs Hälfte tj.t Bruch tp n … Methode des/der … tp n sjtj Methode der Probe tp n ssˇm.t Methode der Ausrechnung tp-r Grundseite (eines Dreiecks) twnw Differenz ¯ dmd Summe, summieren ¯ d .t Rest ¯ 6.

O. Neugebauer, Die Grundlagen der ägyptischen Bruchrechnung, Berlin 1926, 20.

339

Annette Imhausen

4.2 Papyrus Rhind Papyrus mit hieratischem Text aus der 2. Zwischenzeit (ca. 1555 v. Chr.). – Fundort: Unsicher, vermutlich nahe Luxor. – Aufbewahrungsort: London, British Museum; einige Fragmente befinden sich im Brooklyn Museum, New York. – Erstpublikation: A. Eisenlohr, Ein mathematisches Handbuch der Alten Ägypter, Leipzig 1877. – Standardpublikation: T. E. Peet, The Rhind mathematical papyrus: British Museum 10057 and 10058, Liverpool 1923.

4.2.1 Titel (1) Methode

des Rechnens zum Eindringen in die Dinge: Kenntnis von allem, was ist, [jeder] Dunkelheit, [……] und aller Geheimnisse. 7) Tatsächlich (2) wurde diese Schrift abgeschrieben im Jahr 33, Monat 4 der Erntezeit, [Tag ..] unter dem König von Unterägypten Apopi, dem Leben gegeben ist, gemäß der Vorlage der Schriften (3) von Alter, die gemacht wurden zur Zeit [des Königs von Ober- und Unterägypten … ] durch den Schreiber Ahmose, der dieses Buch schrieb. An den Titel schließt sich die 2  n-Tabelle an, welche die Ergebnisse der Divisionen 2  n (für ungerades n) in ägyptischen Brüchen angibt. 8) Darauf folgt eine weitere Tabelle (geschrieben als eine Liste von 9 Werten) mit den Ergebnissen der Divisionen von 1-9 durch 10, die in den Aufgaben 1-6 benutzt wird:

4.2.2 Tabelle n  10 (n = 1-9) (1) 10

(7) 3

(2)  5

(8) 3

(3)  5 (4)  3

10 15

30 10 30 (9) 3 5 30

(5)  2 (6)  2

7. 8.

340

10

Rubra werden im Text aufgrund der Notwendigkeit, auch rot geschriebene Zahlen wiedergeben zu können, kursiv gesetzt. Für eine Übersicht der Werte dieser Tabelle vgl. Imhausen, Mathematics in Ancient Egypt, 95 (Fig. 16). Die erste umfassende Bearbeitung der Tabelle liefert K. Vogel, Die Grundlagen der ägyptischen Arithmetik in ihrem Zusammenhang mit der 2:n-Tabelle des Papyrus Rhind, Dissertation München 1929 [Ndr. Vaduz/Liechtenstein 1970]. Für eine neuere Bearbeitung aus mathematischer Sicht vgl. auch A. A. Abdulaziz, On the Egyptian method of decomposing 2/n into unit fractions, Historia Mathematica 35 (2008) 1-18. Zur historiographischen Problematik des Umgangs mit ägyptischen Brüchen vgl. A. Imhausen, Traditions and myths in the historiography of Egyptian mathematics, in: E. Robson / J. Stedall (Hg.), The Oxford Handbook of the History of Mathematics, Oxford 2009, 793-795.

Texte aus Ägypten

4.2.3 Aufgabe 1 (1) Methode

des Teilens von 1 Brot für 10 Männer. rechnest [du] folglich 10 mal 10. (3) Rechnung, wie es [resultiert:] [\ 2 5] (4) [ 4 3 15] (5) [\] 8 3 10 30 (6) Summe: 1. Es ist dasselbe. (2) So

Aufgaben 2-6 sind analoge Aufgaben für 2, 6, 7, 8 und 9 Brote. Wie in Aufgabe 1 wird das Ergebnis jeweils aus der Tabelle n  10 abgelesen und im Anschluß an die Aufgabenstellung lediglich die Proberechnung (Ergebnis  10) ausgeführt. Die auf Aufgabe 6 folgende Aufgabe trägt die Überschrift »Methode des Ergänzens«. Darunter finden sich 14 Rechenschemata, die von Peet als Aufgaben 7-18 gezählt wurden. Keine der Aufgaben enthält eine Anweisung oder weitere Erklärung. Mathematisch werden jeweils zu einem gegebenen Bruch entweder dessen Hälfte und dessen Viertel oder dessen Zweidrittel und dessen Drittel hinzugefügt. In einigen Rechnungen (z. B. in Aufgabe 7) werden rot geschriebene Hilfszahlen benutzt. Für beide Typen wird jeweils ein Beispiel gegeben:

4.2.4 Aufgabe 7 (1) Methode (2)

.

(3) 2

4 7 8 32

des Ergänzens. (4) 4 28 16 1 12 4 (5) Summe: 2 56 2

112 4

Aufgabe 7 addiert 34 (ägyptisch: 2 4Þ des Bruches 27 (ägyptisch: 4 28) zu ihm hinzu. Das Ergebnis ist 12 (ägyptisch: 2). Zur Rechnung wird die Hilfszahl 28 benutzt, mit der die einzelnen Brüche multipliziert und in rot unter die jeweiligen Werte notiert werden. Die Addition der roten Werte ergibt 14, was durch 28 dividiert werden muß, um das Ergebnis zu erhalten. Aufgabe 17 addiert zum Bruch 13 (ägyptisch: 3) dessen Zweidrittel und dessen Drittel – es handelt sich also letztlich um eine Verdopplung des Bruches:

341

Annette Imhausen

4.2.5 Aufgabe 17 (1) .

3 6 (3) 3 9 (4) Summe: (2)

18 3

An die Aufgaben 7-20 schließen sich drei weitere Aufgaben an, die ohne Titel jeweils direkt mit der Nennung der Daten der Aufgabenstellung beginnen und darin den Terminus technicus skm (Ergänzung) beinhalten. Es handelt sich jeweils um die Aufgabe, eine gegebene Bruchzahl zu einem vorgegebenen Wert (in den Aufgaben 21 und 22 ist dies 1, in Aufgabe 23 3) zu ergänzen. Als Beispiel dieser Aufgabengruppe dient Aufgabe 22:

4.2.6 Aufgabe 22 (1) Was

(4) 3 30 zu 1? . (5) \ 10 20 1 (2) Die Summe seiner Differenz ist 9. (6) \ 5 (3) Dividiere 9 durch 30 (7) Summe: 9 (8) 5

ist die Ergänzung von

30 3 6

10 ist folglich ihm hinzuzählen. ist 3 5 10 30 zu 1 vervollständigt. 20 6 3 1

(9) Folglich

Auf diese Aufgaben folgen im Papyrus Rhind die sogenannten 2h2-Aufgaben (Aufgaben 24-34), benannt nach dem Terminus technicus der in ihnen˙berechneten Größe. Als Beispiele werden drei aufeinanderfolgende Aufgaben gegeben, von denen die letzte (Aufgabe 26) die ausführlichste ist, da sie die Anweisungen der zu ihrer Lösung durchgeführten Rechnungen explizit notiert, während die beiden ersten Aufgaben lediglich die zur Lösung durchgeführten Rechnungen enthalten. Aufgrund der Rechnungen läßt sich jedoch nachweisen, daß die Methode zur Lösung der drei Aufgaben identisch ist, so daß die in Aufgabe 26 gegebenen Anweisungen (mit entsprechender Modifikation der numerischen Werte) auch die zu den Rechnungen der Aufgaben 24 und 25 gehörende Prozedur liefern. Die Aufgabenstellung nennt jeweils eine (unbekannte) Größe, zu der ein Bruchteil von ihr hinzugefügt wird und die sich daraus ergebende Zahl. Zu berechnen ist die unbekannte Größe.

342

Texte aus Ägypten

4.2.7 Aufgabe 24 (1) Eine

Menge, ihr 7 zu ihr, es resultiert 19. (7) \ 4 2 (9) \ . . 7 (4) . 8 (3) \ 7 1 (5) \ 2 (8) \ 8 1 (10) \ 2 16 (6) 2 (11) \ 4 4 (2) \

(12) Rechnung,

wie es resultiert: die Menge: (13) 7

248 424 92 16 2 8 2 4 8,

Summe: 19.

Die Aufgabenstellung von Aufgabe 24 gibt vor, zu einer unbekannten Menge ihr Siebtel zu addieren. Das Ergebnis dieser Addition wird als 19 vorgegeben. Zu berechnen ist aus diesen Angaben die unbekannte Menge. Die Prozedur zur Lösung der Aufgabe (wie sie aus den Anweisungen von Aufgabe 26 zu entnehmen ist) setzt zunächst die Zahl 7 als (falsche) Lösung in die Aufgabenstellung ein. Wenn man zu 7 ein Siebtel von 7 (= 1) addiert, ergibt sich 8 (und nicht 19, wie es in der Aufgabenstellung gefordert ist). Die folgende Division 19  8 ergibt den Faktor (2 4 8) mit dem die falsche Lösung zu multiplizieren ist, um die Lösung der Aufgabe (16 2 8) zu erhalten.

4.2.8 Aufgabe 25 (1) Eine

Menge, ihr 2 zu ihr, es resultiert 16. (7) 2 3 2 (3) 2 (8) \ 3 1 1 (4) \ . 3 (9) . 53 (5) 2 6 (10) \ 2 10 3 (6) \ 4 12 (2) .

(11) Rechnung,

wie es resultiert: die Menge:

. 10 3 53 (13) Summe: 16 (12) 2

Zu einer unbekannten Menge wird ihre Hälfte hinzugezählt. Das Ergebnis dieser Addition wird als 16 vorgegeben. Zu berechnen ist die unbekannte Menge. Diesmal wird 2 als (falsche) Lösung angenommen. Die Anweisung der Aufgabenstellung mit 2 durchgeführt ergibt 3. Die Division 16  3 ergibt den Faktor (5 3) mit dem die 2 zu multiplizieren ist, um die Lösung der Aufgabe (10 23) zu erhalten.

343

Annette Imhausen

4.2.9 Aufgabe 26 (1) Eine

Menge, ihr 4 zu ihr, es resultiert 15. Rechne mit 4! So berechnest du folglich ihr 4 als 1. Summe: 5. (2) Dividiere 15 durch 5! (3) \ . 5 (5) So resultiert folglich 3. Rechne 3 mal 4! (4) \2 (8) \ 4 10 (6) . 3 12 (7) 2 (9) So resultiert folglich 12. 6 (10) .

12 3 Summe: 15. (12) Die Menge: 12, (13) ihr 4 ist 3, Summe: 15. (11) 4

Zu der unbekannten Menge wird ihr Viertel hinzugezählt. Das Ergebnis wird als 15 angegeben. Zu berechnen ist die unbekannte Menge. Zunächst wird 4 als (falsche) Lösung angenommen. Die Anweisung der Aufgabenstellung mit 4 durchgeführt ergibt 5. Die Division 15  3 ergibt den Faktor (3) mit dem die 4 zu multiplizieren ist, um die Lösung der Aufgabe (12) zu erhalten. Mit den Aufgaben 35-38 folgen den 2h2-Aufgaben verwandte Aufgaben, die sich durch ˙ die zusätzliche Schwierigkeit auszeichnen, daß es sich bei den gesuchten Mengen um Getreidemengen handelt, so daß das Ergebnis im Anschluß noch in die Einheiten des entsprechenden Maßsystems umzurechnen ist. Die Aufgabe wird in der ersten Person, also quasi aus der Sicht der Getreidemenge, formuliert. Als Beispiel für diese Aufgabengruppe dient Aufgabe 35:

4.2.10 Aufgabe 35 (1) Ich

bin 3mal in das hq .t-Maß hineingegangen, mein 3 zu mir und ich bin gefüllt. Wer ˙ es resultiert: sagt es? (2) Rechnung, wie \. 1 (3) \ 2 2 (4) \ 3 3 Summe: 3 3

(5) So (6) .

dividierst du folglich 1 durch 3 3. 3 3 (7) ‹ \ ›10 3

(9) Methode (10) Probe

der

(11) \ (12) \ (13)

344

. 2 3

(8) ‹ \ ›5

5 10 2 10 10

3

Summe: 1.

Summe: 1.

Texte aus Ägypten (14)

(18) Methode

(23) umgerechnet

(15)

. 320 10 32 (16) 5 64 (17) Summe 96

(19)

der Probe: . 96 (20) 2 192 (21) 3 32 (22) Summe: 320.

(24)

in Getreide: . 4 32 64 hq .t 1 r .w (25) 2 2 16 32 ˙hq .t 2 r .w (26) 3 16 32 hq˙ .t 2 r .w (27) Summe: 1 hq ˙.t. ˙

3 3 mal die unbekannte Getreidemenge ergibt 1 hq .t. Die Lösung erfolgt durch die ˙ Form überprüft und dann zuDivision 1  3 3. Das Ergebnis (5 10) wird in dieser nächst einmal in das Getreidemaß r .w (96 r .w) und zuletzt noch in die Submultiplen des Getreidemaßes hq .t (4 32 64 hq .t 1 r .w) umgerechnet. 9) ˙ ˙ Die Aufgaben 39 und 40 sind zwei weitere Aufgaben zur Verteilung von Broten. Nachdem die Brote in den Aufgaben 1-6 jeweils gleichmäßig unter den 10 Männern zu verteilen gewesen waren, handelt es sich bei diesen Verteilungen um ungleiche Verteilungen, berechnet werden die Zuteilungen und ihre Differenz, wie das Beispiel von Aufgabe 39 illustriert:

4.2.11 Aufgabe 39 (1) Methode des Berechnens einer Differenz: (2) 100 Brote für 10 Männer: 50 für 6, 3 50 für 4. Was ist die Differenz?

(7) \2

4 40 8 2

. . . . . .

83 83 83 83 83 83

(4)

.

(5) \10 (6)

(17) (18) (19) (20) (21) (22)

2

. 2 (10) 4 (11) \ 8 (12) \ 3 (8) (9)

(23) Differenz:

6 12 24 48 2

(13) (14) (15) (16)

. . . .

12 2 12 2 12 2 12 2

4 6.

Die ungleiche Verteilung von 100 Broten unter 10 Männern wird bereits in der Aufgabenstellung auf zwei gleiche Verteilungen von je 50 Broten auf 6 bzw. 4 Männer zurückgeführt. Wie an den notierten Rechnungen (explizite Anweisungen wurden nicht aufgeschrieben) abzulesen ist, werden die Rationen der beiden Gruppen durch jeweils eine Division bestimmt (50  4 = 12 2 und 50  6 = 8 3). Beide Ergebnisse 9.

hq .t = 320 r .w; Submultiple des hq .t: ˙1 hq .t. ˙ 64 ˙

1 2

hq .t, ˙

1 4

hq .t, ˙

1 8

hq .t, ˙

1 16

hq .t, ˙

1 32

hq .t und ˙

345

Annette Imhausen

werden so oft geschrieben, wie es die Zahl der Rationenempfänger der jeweiligen Gruppe vorgibt. Abschließend wird die Differenz der beiden Rationen (4 6) notiert. In den Aufgaben 41-44 werden Volumina von Getreidespeichern mit kreisförmiger (Aufgaben 41, 42, 43) oder quadratischer (Aufgabe 44) Grundfläche berechnet. Die Aufgaben 45 und 46 berechnen die Höhe eines Speichers mit quadratischer Grundfläche von jeweils 10 Ellen Seitenlänge. Auf diese Rechnungen folgt eine Tabelle der Brüche im Hohlmaßsystem hq .t und r . ˙ 4.2.12 Aufgabe 41 (1) Methode

des Berechnens eines runden Speichers von 9 , 10: So subtrahierst du folglich 9 von 9 als 1, Rest: 8. (2) Rechne 8 mal 8! So resultiert folglich 64. So rechnest du folglich 64 (3) mal 10. So resultiert es folglich als 640. Gib seine Hälfte zu ihm! Es resultiert 960, sein Betrag in h r. (4) So berechnest du folglich 20 von 960 als 48. Es ist sein Inhalt in Vierfach-hq .t, ¯Getreide: 48 Hekto-Vierfach-hq .t. ˙ ˙ Ausrechnung: (5) Art seiner (6) . (9) \ 8 (13) Summe: 960. 8 64 (7) 2 (10) (14) 10 96 16 . 64 (8) 4 (11) 10 (15) 20 48 32 640 (12) 2 320 Das Volumen des Getreidespeichers mit kreisförmiger Grundfläche wird durch die Multiplikation von Grundfläche (= Kreisfläche) und Höhe berechnet. Das ägyptische Verfahren zur Berechnung der Kreisfläche ermittelt diese aus dem Durchmesser des Kreises durch eine dreistufige Prozedur. Im ersten Schritt wird 19 des Durchmessers berechnet. Dies wird im zweiten Schritt vom Durchmesser subtrahiert und der Rest im dritten Schritt quadriert. Die Multiplikation der so ermittelten Kreisfläche mit der gegebenen Höhe liefert das Volumen des Getreidespeichers in h r, die im Folgenden ¯ in Hekto-Vierfach-hq .t umgerechnet wird. ˙ 4.2.13 Aufgabe 44 (1) Methode

des Berechnens eines rechteckigen Speichers von 10: als seine Länge: 10, seine Breite: 10, seine Höhe: 10. Was ist sein Inhalt an Getreide? (2) Rechne 10 mal 10! So resultiert es folglich als 100. Rechne 100 mal 10! So resultiert es folglich als 1000. So berechnest du folglich die Hälfte von 1000 als 500. (Addiere 500 zu 1000!) So resultiert es folglich als 1500. Es ist sein Betrag in (3) h r. So berechnest du folglich 20 von 1500. ¯ in Vierfach-hq .t, Getreide: 75 Hekto-VierSo resultiert es folglich als 75. Es ist sein Inhalt ˙ fach-hq .t. ˙

346

Texte aus Ägypten (4) Methode

10 . 10 (7) . (8) 10 (5) (6)

der Ausrechnung: (9) . 10 (10) 2 (11) . 10 (12) 10 (13) 20 10 100 100 1000

1000 500 1500 150 75

75 750 (16) 20 1500 (17) 10 150 (18) 10 von 10: 15 (14)

.

(15) 10

4.2.14 Aufgabe 45 (1) Ein

Speicher, in den Getreide hineingegangen ist als 75 Hekto-Vierfach-hq .t. Wieviel zu wieviel gehört zu ihm? So rechnest du folglich 75 mal 20. So resultiert˙es folglich als 1500. (2) So rechnest du folglich mit 1500. So berechnest du folglich sein 10 als 150. 10 von seinem 10 ist 15. 3 von 10 von seinem 10 ist 10. So gehört folglich 10 auf 10 auf 10 zu ihm. (3) . 75 (4) 10 750 (5) 20 1500 Siehe, es ist sein stwtj 10). (6) . 1500 10 150 10 von seinem 10: 15. 3 von 10 von seinem 10 ist 10. Auf die Volumenberechnungen folgen mit den Aufgaben 48 bis 55 Aufgaben zu Flächenberechnungen, von denen hier als Beispiele die Aufgaben 50 (Berechnung der Kreisfläche) und 51 (Berechnung der Fläche eines Dreiecks) gegeben werden:

4.2.15 Aufgabe 50 (1) Methode

des Berechnens einer runden Fläche von 9 ht (Durchmesser). (2) Was ist ihr Betrag als Fläche? So subtrahierst du folglich sein 9 als˘ 1, (3) indem der Rest 8 ist. So berechnest du folglich 8 mal 8. (4) So resultiert es folglich als 64. Es ist ihr Betrag als Fläche: 64.

10.

Innerhalb der Aufgaben des Papyrus Rhind ist stwtj drei mal belegt (Aufgaben 45, 46 und 60). In Aufgaben 45 und 46 würde man aufgrund seiner Verwendung die Bedeutung »Volumen« erschließen. In Aufgabe 60 paßt diese Übersetzung jedoch nicht, hier bezeichnet das stwtj eine mit dem sqd eng verwandte Größe und dient zur Bezeichnung des Höhenunterschiedes bei einer Abweichung der Seitenfläche von der Vertikalen von einer Elle. Der Begriff stwtj ist außerdem in den Aufgaben des Papyrus Moskau, sowie im Papyrus Reisner I erwähnt.

347

Annette Imhausen (5) Rechnung,

wie es resultiert: . 9 (7) sein 9 1 (8) Davon subtrahieren, Rest: 8. (9) . (11) 4 8 (10) 2 (12) 8 16

9 ht ˘

(6)

(13) Sein

Betrag als Fläche:

(14) 64

32 64

4.2.16 Aufgabe 51 (1) Methode

des Berechnens eines Dreiecks als Fläche. (2) Wenn dir gesagt wird: ein Dreieck von 10 ht an (3) Höhe und 4 ht als seiner Grundseite. (4) Was ist seine Fläche? Rech˘ nung, wie es˘ resultiert: (5) So berechnest du folglich die Hälfte von 4 als 2, (6) um es zu einem halben Rechteck zu machen. (7) So rechnest du folglich 10 (8) mal 2. Es ist seine Fläche. 10 ht ˘ 4 ht ˘

(9)

.

(10) 2

400 200

(11)

. 1000 2000

(12) 2

(13) Es

ist seine Fläche: 2.

Auf die Aufgaben zur Flächenberechnung folgen in Aufgaben 56-60 die Pyramidenaufgaben. Benutzt wird in diesen Aufgaben der Zusammenhang zwischen der Länge der Grundkante, Höhe und der Neigung der Seitenkante (sqd) einer Pyramide bzw. eines Pfeilers (jwn). Als Beispiel dient Aufgabe 56:

4.2.17 Aufgabe 56 (1) Methode

des Berechnens einer Pyramide von 360 als Grundkante und 250 als ihre zugehörige Höhe. (2) Du sollst mich ihren sqd wissen lassen. So berechnest du folglich die Hälfte von 360. So resultiert folglich 180. So dividierst du folglich (3) 180 durch 250. So resultiert folglich 2 5 50 von einer Elle. 1 Elle sind 7 Handbreit. So rechnest du folglich mit 7. 7 32 (6) 5 1 3 15 (7) 50 10 25 (4)

.

(5) 2

(8) Ihr (9) 5

sqd ist 25 Handbreit.

250

360

348

Texte aus Ägypten

In Aufgabe 61 wird eine Tabelle zur Multiplikation von Brüchen gegeben. Auf sie folgt in Aufgabe 61b die einzige Aufgabe des Papyrus Rhind, die in der Prozedur unabhängig von den vorgegebenen Zahlenwerten der Aufgabe ist (die Anweisung selbst geht auch nicht auf den vorgegebenen Wert von 5 ein), obgleich in der Aufgabe auch ein konkretes Beispiel behandelt wird. Abschließend findet sich explizit der Vermerk, daß die Berechnung analog für alle vorgegebenen Brüche durchzuführen ist:

4.2.18 Aufgabe 61b (1) Berechnen

von 3 eines einfachen Bruches. (2) Wenn dir gesagt wird: (3) Was sind 3 berechnest du folglich sein 2-faches und (5) sein 6-faches. Sein 3 ist es. von 5? (6) Siehe, das Berechnen ist ebenso (7) für jeden einfachen Bruch, (8) der vorkommen wird. (4) So

Es folgen im nächsten Abschnitt einzelne Aufgaben aus verschiedenen praktischen Bereichen, darunter eine Aufgabe zur Berechnung eines Beutels mit verschiedenen Metallen (Aufgabe 62), drei weitere Rationenberechnungen mit ungleicher Verteilung (Aufgabe 63-65), der Berechnung einer täglichen Menge aus einer vorgegebenen Jahresration (Aufgabe 66), eine spielerisch formulierte Berechnung der Arbeitsleistungen (b kw) eines Hirten (Aufgabe 67) und der Berechnung von Getreide, das von vier Gruppen unterschiedlicher Stärke eingezogen wurde (Aufgabe 68). An diese Mischung schließt sich die Gruppe von Brot-und-Bier-Aufgaben an, die – neben den 2h2-Aufgaben – zu den Gruppen mit den meisten Belegen innerhalb der mathemati˙ schen Texte zählt (Aufgaben 69-78). Als Beispiele für diese Aufgabengruppe werden die Aufgabe 69, 74 und 78 gegeben.

4.2.19 Aufgabe 69 (1) 3

2 hq .t Mehl, die zu 80 Broten verarbeitet sind. (2) Du sollst mich den Gehalt von ˙ einem davon an Mehl wissen lassen! (3) Du sollst mich ihren psw-Wert wissen lassen. So (4) dividierst du folglich 80 durch 3 2 hq .t. ˙ (5) . 32 (6) 10 35 (7) \ 20 70 (8) \ 2 7 (9) \ 3 23 (10) \ 21 6 \7 2 (11) Der

(15)

(12) So

psw-Wert ist 22 7 21. dividierst du folglich (13) 1120 durch 80. (14) Rechnung, wie es resultiert:

(16) \

. 10 (17) 2 (18) \ 4

80 800 160 320

Summe: 1120.

349

Annette Imhausen (19) Was

den Gehalt eines der Brote an Mehl betrifft: 32 hq .t, 4 r .w. ˙

(20) \

. 2 (22) \ 2

22 7 21 45 3 4 14 28 42 11 3 14 42

(23) \

. 2 (29) 4 (30) 8 (31) \ 16

32 hq .t 4 r .w 16 ˙64 hq .t 3 r .w ˙ hq .t 1 r .w 8 32 64 4 16 32 ˙hq .t 2 r .w 2 8 16 h˙q .t 4 r .w ˙

32 1 4 8 64 hq .t 3 r .w 64 2 2 4 32 ˙64 hq .t 1 r .w ˙ (34) Was resultiert, sind 3 2 hq .t Mehl. ˙

(21) \

(27) (28)

. 320 2 640 (25) \ 2 160 (26) Summe: 1120 in r .w. (24) \

(32)

(33) \

4.2.20 Aufgabe 74 (1) Eine

andere (Aufgabe): Brote 5, 1000, ersetzt durch 10, 20. Was ist ihr Ersatz? So machst du folglich die psw-Rechnung der Brote 5, 1000. So resultiert folglich: Gerste: 200 hq .t. (2) So sagst du folglich: Es ist das Mehl. So berechnest du folglich die Hälfte ˙ hq .t als 100 hq .t. So berechnest du folglich 100 hq .t mal 10. So resultiert der 200 ˙ ˙ folglich 1000. Es ist der˙ Betrag (3) vom psw-Wert 10. So rechnest du folglich diese 100 hq .t mal 20. So resultiert folglich 2000. Es ist der Betrag vom psw-Wert 20. Rechnung ˙wie es resultiert: (4) Brote

5, 1000 10, 1000 (6) Ersatz 20, 2000 (5) Ersatz

macht als Mehl:

200 hq .t 100 ˙hq .t 100 ˙hq .t ˙

4.2.21 Aufgabe 78 (1) Methode

des Ersetzens von Broten durch Bier. Wenn dir gesagt wird: Brote: 10, 100, durch eine Menge Bier (von) 2. So berechnest du folglich 10, 100 (3) als Mehl. Es sind 10 hq .t. Rechne mal 2! Das Resultat davon ist 20. (4) So sagst du folglich: Es ist sein Ersatz.˙

(2) ersetzt

Im Anschluß an Aufgabe 78 folgt in Aufgabe 79 eine pseudo-praktische Aufgabe, die nur stichwortartig (ohne verbale Prozedur) notiert wurde. Als Berechnung eines »Hausinhalts« wird die Summe von 7 Häusern, 49 Katzen, 343 Mäusen, etc. als 19607 berechnet. Aufgabe 80 und 81 sind Tabellen zu den Maßen hq .t und hnw. Abschlie˙ von Tieren. Daneben ßend folgen in 82-84 Muster für Abrechnungen zum Futter finden sich auf dem verbleibenden Platz des Versos noch ein kryptographischer Vermerk und mehrere datierte Ereignisse aus der Hyksoszeit. 11) 11.

350

Zum kryptographischen Vermerk, vgl. zuletzt L. D. Morenz, Beiträge zur Schriftlichkeits-

Texte aus Ägypten

4.3 Papyrus Moskau Papyrus mit hieratischem Text aus dem Mittleren Reich (ca. 1700 v. Chr.). – Fundort: Unsicher, vielleicht aus der Gegend von Dra Abu ’l-Naga. – Aufbewahrungsort: Moskau, Staatliches Museum für Bildende Künste A. S. Puschkin. Erstpublikation und Standardpublikation: V. V. Struve, Mathematischer Papyrus des Staatlichen Museums der Schönen Künste in Moskau (Quellen und Studien zur Geschichte der Mathematik, Astronomie und Physik, Abteilung A. Quellen 1), Berlin 1930.

Die ersten drei Aufgaben des Papyrus Moskau sind so stark fragmentiert, daß nur noch vermutet werden kann, daß die Aufgaben 2 und 3 die Berechnung von Schiffsteilen zum Inhalt hatten. In Aufgabe 4 (der Berechnung eines Dreiecks) haben sich immerhin Teile der ersten drei Zeilen des Aufgabentextes sowie jeweils einige Zeichen am Ende der Zeilen 4-6 erhalten. Auch der Text von Aufgabe 5 (Brot-und-Bier-Aufgabe) weist noch viele Lücken auf, die sich allerdings aufgrund der Dublette in Aufgabe 8 relativ sicher ergänzen lassen. Die erste fast vollständig erhaltene Aufgabe ist somit Aufgabe 6, in der die Seiten eines Rechtecks bei gegebener Fläche und gegebenem Verhältnis der beiden Seiten berechnet werden. Formal unterscheidet sich Papyrus Moskau vom Papyrus Rhind auch durch die wesentlich geringere Zahl an Rechnungen, die zum Text der Anweisungen notiert werden. Dies findet sich lediglich in den Aufgaben geometrischen Inhalts und erfolgt dort jeweils am Ende des Aufgabentextes, i. allg. neben einer zur Aufgabe gehörigen Skizze.

4.3.1 Aufgabe 6 (1) Methode

des Berechnens einer Kammer. (2) Wenn dir gesagt wird: Eine Kammer von 12 st .t, 2 4 der Länge ist für die Breite. (3) So dividierst du folglich 1 durch 2 4. So resultiert¯ folglich 1 3. (4) [Berechne] diese [12], die sie als st .t ist, (mal) 1 3! So resultiert folglich 16. (5) So berechnest du folglich seine Wurzel. So¯ resultiert folglich 4 für die Länge. 2 4 ist 3 für die (6) Breite. Rechnung, wie es resultiert: 4 3

12

\. \2

4 8

Aufgabe 7 schließt sich inhaltlich an Aufgabe 6 an. Zu berechnen sind die Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks (und zwar diejenigen, die den rechten Winkel einschließen), bei gegebener Fläche und gegebenem Verhältnis der beiden Seiten. Es folgen in den Aufgaben 8 und 9 zwei Brot-und-Bier-Aufgaben. In beiden wird die für die Brot-undkultur im Mittleren Reich und in der 2. Zwischenzeit (ÄAT 29), Wiesbaden 1996, 193-196, mit Verweis auf frühere Literatur zu dieser Stelle.

351

Annette Imhausen

Bier-Aufgaben des Papyrus Moskau typische Wendung 2 4 n bsˇ n bnj verwendet. 12) Aufgabe 8 ist das Duplikat zu Aufgabe 5:

4.3.2 Aufgabe 8 (1) Methode

des Berechnens von 100 Broten, 20. (2) Wenn zu dir gesagt wird: [100] Brote, ersetzt worden sind durch Bier des [psw-Wertes] 4, (4) 2 4 an bsˇ zu Datteln. 20, (5) So berechnest du folglich den Bedarf dieser 100 Brote des psw-Wertes 20. (6) So resultieren folglich 5 hq .t. So dividierst du folglich 1 durch 2 4 an bsˇ (7) [zu Datteln]. So resultiert folglich 2.˙(8) So berechnest du folglich 2 von 5 hq .t. So resultieren folglich 2 2 ˙ folglich 10. Folglich sagst hq .t. (9) So berechnest du folglich 2 2 mal 4. (10) So resultiert ˙du zu ihm: (11) Siehe, es ist ihr Bier. Was von dir gefunden wurde, ist richtig. (3) die

Aufgabe 10 berechnet vermutlich die Oberfläche eines Zylindermantels.13) In Aufgabe 11 findet sich eine weitere Aufgabe zur Berechnung von Arbeiten (b kw), diesmal aus dem Kontext der Holzverarbeitung:

4.3.3 Aufgabe 11 (1)

Methode des Berechnens der Abrechnung der Arbeiten eines Mannes in phdw-Bret˙ ¯ (3) Der tern. (2) Wenn dir gesagt wird: Die Arbeiten eines Mannes in phdw-Brettern. ¯ ˙ (4) Betrag seiner Arbeit als phdw-Bretter ist 100, die zu 5 Handbreit bestimmt wur˙¯ (5) die zu 4 Handbreit bestimmt wurden, gebracht. den. Er hat sie als phdw-Bretter, ¯ ˙ So berechnest du folglich diese 5 Handbreit als Quadrat. So resultiert folglich (6) 25. So berechnest du folglich diese 4 Handbreit als Quadrat. So resultiert folglich 16. (7) So dividierst du folglich 25 durch diese 16. (8) So resultiert folglich ‹1› 2 16 Male. So berechnest du folglich für ihn 100 mal das Zugehörige. (9) So resultiert folglich 156 4. So sagst du folglich zu ihm: Siehe, (10) es sind die phdw-Bretter, die er gebracht ˙ ¯ wurde, ist richtig. hat, als bestimmt zu 4 Handbreit. (11) Was von dir gefunden Die Aufgaben 12 und 13 sind wiederum Brot-und-Bier-Aufgaben. Aufgabe 14 – die Berechnung des Volumens eines Pyramidenstumpfes – ist einer der mathematischen Höhepunkte der erhaltenen mathematischen Aufgaben.

12. 13.

352

Zur Deutung dieser Formulierung und ihrer mathematischen Implikationen vgl. A. Imhausen, Ägyptische Algorithmen. Eine Untersuchung zu den mittelägyptischen mathematischen Aufgabentexten (Ägyptologische Abhandlungen 65), Wiesbaden 2003, 116-118. Zu dieser Aufgabe vgl. die ausführliche Diskussion in F. Hoffmann, Die Aufgabe 10 des Moskauer mathematischen Papyrus, ZÄS 123 (1996) 19-26 sowie Imhausen, Ägyptische Algorithmen, 76-77.

Texte aus Ägypten

4.3.4 Aufgabe 14 (1) Methode

des Berechnens eines . (2) Wenn dir gesagt wird, ein von 6 an Höhe 4 auf der Unterseite zu 2 auf der Oberseite: (4) [So] quadrierst du folglich diese 4. So resultiert folglich 16. (5) So verdoppelst du folglich 4. So resultiert folglich 8. (6) So quadrierst du folglich diese 2. So resultiert folglich 4. (7) So summierst du folglich diese 16 (8) mit diesen 8 und mit diesen 4. (9) So resultiert folglich 28. So berechnest du folglich (10) 3 von 6. So resultiert folglich 2. (11) So berechnest du folglich 28 mal 2. So resultiert folglich 56. (12) Siehe 56 gehört dazu. Was von dir gefunden wurde, ist richtig. (3) [zu]

2, quadriert 4

32

4, quadriert 16

. 2

4 8

28 56

Summe 28

Die Aufgaben 15 und 16 sind wiederum Brot-und-Bier-Aufgaben. Aufgabe 17 schließt inhaltlich an die Aufgaben 6 und 7 an. Von einem rechtwinkligen Dreieck, dessen Fläche und das Verhältnis der den rechten Winkel einschließenden Seiten gegeben ist, wird die Länge dieser Seiten berechnet:

4.3.5 Aufgabe 17 (1) Methode

des Berechnens eines Dreiecks. (2) Wenn dir gesagt wird: Ein Dreieck von 20 als seiner Fläche. (3) Was das betrifft, was du auf die Länge gibst, du hast 3 15 (davon) gegeben und es ist die Breite. (4) So verdoppelst du folglich 20. So resultiert folglich 40. (5) So dividierst du folglich 1 durch 3 15. So resultiert folglich 2 2 mal. (6) So berechnest du folglich 40 mal 2 2. So resultiert folglich 100. So berechnest du folglich seine Wurzel. (7) So resultiert folglich 10. Siehe, es ist 10 als Länge. So berechnest du folglich 3 15 (8) von 10. So resultiert folglich 4. Siehe, es ist 4 auf der Breite. (9) Was von dir gefunden wurde, ist richtig.

353

Annette Imhausen

10

. \2 \[2]

2

3 15 4

40 40 80 20

2 […]

Summe: 100, Wurzel: 10

Der Inhalt von Aufgabe 18 ist unklar, obwohl der Aufgabentext fast vollständig erhalten ist. Aufgabe 19 ist eine von insgesamt zwei 2h2-Aufgaben des Papyrus Moskau. ˙ Aufgaben 20-22 und 24 sind wiederum Brot-und-Bier-Aufgaben. Die dazwischenliegende Aufgabe 23 ist abermals eine Berechnung von Arbeiten, diesmal von einem Sandalenmacher. Papyrus Moskau endet mit Aufgabe 25, einer 2h2-Aufgabe. ˙ 4.3.6 Aufgabe 23 (1) Methode

des Berechnens der Arbeiten (b kw) eines Sandalenmachers. (2) Wenn dir gesagt wird: Die Arbeiten eines Sandalenmachers: Was sein Schneiden (3) pro Tag betrifft: 10; was sein Fertigstellen pro Tag betrifft: 5. (4) Schneidet er und stellt fertig, (5) wieviel wird es pro Tag sein? So berechnest du folglich die beiden Seiten von diesen 10 zusammen mit diesen 5. (6) So resultiert folglich die Summe zu 3. So dividierst du folglich 10 durch sie. So resultiert folglich 3 3 mal. (7) Siehe, es ist 3 3 pro Tag. Was von dir gefunden wurde, ist richtig.

4.3.7 Aufgabe 25 (1) Methode

des Berechnens von einer Menge mal 2 gerechnet, zusammen (mit der Menge) gekommen zu 9. (2) Was ist die Menge, die es sagt? So berechnest du folglich die Summe von dieser Menge zusammen mit diesen 2. (3) So resultiert folglich 3. So dividierst du folglich 9 durch diese 3. So resultieren folglich 3 mal. (4) Siehe, 3 ist die, die es sagt. Was von dir gefunden wurde, ist richtig.

4.4 Mathematische Fragmente aus Lahun Papyri mit hieratischem Text aus dem Mittleren Reich (ca. 2025-1700 v. Chr.). – Fundort: el-Lahun. – Aufbewahrungsort: London, Petrie Museum. Erstpublikation: F. Ll. Griffith, The Petrie Papyri. Hieratic Papyri from Kahun and Gurob, principally of the Middle Kingdom, London 1898 – Standardpublikation: A. Imhausen / J. Ritter, Mathematical Papyri, in: M. Collier / S. Quirke (Hg.), The UCL Lahun Papyri: Religious, Literary, Legal, Mathematical and Medical (BAR International Series 1209), Oxford 2004, 71-96. 354

Texte aus Ägypten

Die mathematischen Texte aus Lahun komplementieren trotz ihres fragmentarischen Zustands die beiden umfangreicheren Texte der Papyri Rhind und Moskau. So liefert das Fragment UC32159 ein weiteres Exemplar der 2  n-Tabelle für die Werte n = 321. Die hier gegebenen Werte stimmen mit denen der Tabelle des Papyrus Rhind überein und bestätigen, daß es für jede Division 2  n eine spezifische Lösung gab. Im Fragment UC32134 liegt (vermutlich) ein weiteres Beispiel einer 2h2-Aufgabe vor, ˙ auch wenn der Terminus technicus 2h2 selbst nicht erhalten ist (nur wenige Zeichen ˙ der ersten Zeile, wo man ihn erwarten würde, sind allerdings erhalten). Mit dem Fragment UC32162 liegt neben dem Papyrus Rhind ein zweiter mathematischer Text vor, für den ein Titel der Komposition erhalten ist – allerdings ist dieser sehr viel kürzer und prosaischer als der der Papyrus Rhind:

4.4.1 UC32162 (Kahun LV.4) – Spalte I

Methode des Berechnens von Angelegenheiten der Abrechnungen. In Spalte II folgt dann eine Aufgabe, die sich inhaltlich an die Flächenberechnungen des Papyrus Moskau anschließt. Auch hier ist der Beginn des Aufgabentextes stark zerstört. Aufgrund der erhaltenen Prozedur läßt sich die Aufgabe wie folgt erklären: Ein Rechteck, dessen Größe durch seine beiden Seitenlängen (40 und 3) gegeben ist, soll in 10 gleiche Rechtecke geteilt werden, deren Seitenverhältnis 3:4 beträgt. Formal zeichnet sich der Text dieses Fragments durch die besondere Formulierung in der Angabe der Ergebnisse der einzelnen Schritte (hpr.t jm pw) aus und in der Rubrizie˘ rung fast aller im Aufgabentext vorkommender Zahlen:

4.4.2 UC32162 (Kahun LV.4) – Spalte II

… … … … … … … ] (2) [… als? … … … …] (3) Summe [… … … …] als […]. (4) So berechnest du folglich diese 40 mal 3. (5) Das, was resultiert, [ist] 120. So berechnest du folglich (6) 10 von diesen 120. Das, was resultiert, ist 12. (7) So [divi]dierst du folglich 1 durch diese [2 4]. (8) Das, was resultiert, sind [1 3] Male. So berechnest du folglich (9) diese 12 mal 1 3. Das, was resultiert, ist 16. (10) So berechnest du folglich seine Wurzel als 4. So berechnest du folglich (11) 2 4 von 4. Das, was resultiert, ist 3. (12) Das, was resultiert, sind 10 Rechtecke zu 4 Ellen auf 3 (Ellen). (1) [Methode

Der Text der in Spalte III notierten Aufgabe ist wiederum stark fragmentiert, allerdings ist genug erhalten, um relativ sicher vermuten zu können, daß es sich um eine Aufgabe zur Berechnung von Arbeiten (b kw) aus dem Bereich der Arbeit mit Vögeln handelt. Der Text von Spalte IV des Papyrus ist zu fragmentarisch, um überhaupt etwas zu rekonstruieren. Das Wort 2h2 in der zweiten Zeile läßt vermuten, daß es sich um eine 2h2-Aufgabe handelt. Am Ende des Textes dieser Aufgabe findet sich der Vermerk »jw.f˙ pw«, der das Ende der Komposition markiert.

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5. Ägyptische Astronomie Rita Gautschy Astronomisches Wissen nutzten die Ägypter vor allem für die Unterteilung des Jahres und des Tages, aber auch zur Bestimmung von Himmelsrichtungen bei Bauprojekten. Kosmische Phänomene wurden nicht in Form von Naturgesetzen oder mathematisch beschrieben, sondern mythologisch-religiös. Demnach ist ägyptische Astronomie auch untrennbar mit ägyptischer Mythologie und Religion verbunden. Sterne und Planeten wurden mit Gottheiten identifiziert und für verstirnte Tote gehalten, die in Barken das Firmament kreuzen. Die Sternbilder wiederum wurden zur Vorlage für Mythen, die sich teilweise bereits in den Pyramidentexten fassen lassen. So finden sich etwa Teile des Osiris-Mythos am ägyptischen Sternenhimmel wieder (siehe 5.6). Astronomische Kenntnisse der Ägypter sind für uns am einfachsten greifbar über den Kalender. Bereits im frühen 3. Jahrtausend v. Chr. war ein reiner Sonnenkalender in Gebrauch – zu einer Zeit, zu der alle anderen Völker ringsum Mondkalender benutzten (siehe 5.2). Die Ausrichtung der Pyramiden von Gizeh belegt, daß im 3. Jahrtausend v. Chr. auch bereits die Haupthimmelsrichtungen gradgenau bestimmt werden konnten. Vermutlich wurde dafür ein Verfahren verwendet, das als Indischer Kreis bekannt ist, und bei dem man mithilfe der täglichen Bahn des Schattens eines Objekts die Himmelsrichtungen bestimmen kann. Als schattenwerfender Punkt dient dabei bevorzugt die Spitze eines senkrecht in den Boden gesteckten Stabes. Im Inneren der Pyramiden schmücken Texte die Wände, welche unter anderem die Idee enthalten, daß der tote Pharao zum Himmel aufsteigt, um ein Gott und somit auch ein Stern zu werden. Zur Vorstellung des Himmelsaufstiegs paßt die gewählte architektonische Form der Pyramide perfekt. Die Ägypter besaßen verschiedene Erklärungsmodelle zur Entstehung und Entwicklung der Welt. Die wichtigen frühen ägyptischen Kultzentren Heliopolis, Hermopolis und Memphis entwickelten unterschiedliche Kosmogonien und Theogonien. 1) Die älteste ägyptische Schöpfungslehre ist die Kosmogonie von Heliopolis. Die Priester von Heliopolis richteten ihre Version der Schöpfungsgeschichte ganz auf den Sonnengott Atum als Vater der Götter aus. Zusammen mit acht seiner Nachkommen bildete Atum die Neunheit von Heliopolis. Zunächst jedoch existierte nur ein formloses Chaos, das Urwasser Nun. Im Moment der Schöpfung erhob sich ein Hügel aus dem Wasser, Benben genannt. Auf diesem Hügel stand der Gott Atum, der allererste Gott. Atum wurde zur Quelle aller weiteren Schöpfungen. Er hustete und spuckte Schu, den Gott der Luft, und Tefnut, die Göttin der Feuchtigkeit, aus. Schu und Tefnut wiederum gebaren eigene Kinder: den Erdgott Geb und die Himmelsgöttin Nut. Geb und Nut schließlich zeugten Isis, Osiris, Seth und Nephthys. Doch dann hob Schu Nut hoch, so daß der Himmel von der Erde getrennt wurde. Seit diesem

1.

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Für die memphitische Version siehe C. Peust / H. Sternberg-el Hotabi, »Das Denkmal Memphitischer Theologie«, in: O. Kaiser et al. (Hg.), TUAT.AF Ergänzungslieferung, Gütersloh 2001, 166-175.

Texte aus Ägypten

Trennungsakt muß der Sonnengott jeden Tag und jede Nacht in der Himmelshöhe und in den Tiefen der Unterwelt Feinde besiegen.

5.1 Weltbild und Unterteilung des Himmels in den Pyramidentexten Die Ägypter besaßen ein dreistufiges Weltbild. Es gab den Himmel, die Erde und die Unterwelt. Alle drei wurden von der Sonnenbahn in einer Kreisform zusammengehalten. Der Himmel ist in der Vorstellung der Ägypter einerseits personifiziert in Form der Himmelsgöttin Nut, andererseits aber auch als kosmologisches Gebilde gedacht, das sich als ein von zahlreichen Wasserwegen durchzogener Bereich über der Erde präsentiert. In den Pyramidentexten (PT) werden drei Himmelsregionen genannt: die Opfergefilde, der »Krumme Kanal« und die Binsengefilde. Der wichtigste Bereich ist das Opfergefilde am Nordhimmel im Bereich der Zirkumpolarsterne. Das Binsengefilde liegt am Südhimmel und zwischen den beiden Gefilden ist der »Krumme Kanal« lokalisiert, bei dem es sich um eine Anspielung auf jenen Himmelsstreifen handeln könnte, den Sonne, Mond und Planeten durchlaufen. 2) Die Ägypter verewigten das unterschiedliche Verhalten der Gestirne nördlich und südlich der scheinbaren Sonnenbahn in ihren religiösen Vorstellungen: Die Südsterne bzw. »Unermüdlichen Sterne« durchlaufen während eines Jahres eine Phase der Unsichtbarkeit. In diesen Sternen sahen die Ägypter verstirnte Tote, die jahreszeitlich sterben, um danach wieder aufzuleben. Die Sterne des Nordens hingegen sind jede Nacht eine Zeit lang sichtbar und verkörpern verewigte Verstorbene. Daneben werden in den Pyramidentexten noch explizit die Zirkumpolarsterne, der Stern Sirius und die beiden Sternbilder Großer Wagen und Orion erwähnt. Den religiösen Vorstellungen und Riten der Pyramidenzeit zufolge wurde der König nach seinem Tod ein Stern, und seine Seele wanderte zu den südlichen Sternen im Sternbild des Orion und zum Sirius sowie weiter zu den nördlichen Sternen der zirkumpolaren Sternbilder. Während der Pyramidenzeit (um 2500 v. Chr.) war der hellste Stern im Sternbild des Drachen, Alpha Draconis, zugleich der Polarstern. Die religiösen Riten, die nach dem Tod des Königs vollzogen wurden, beinhalteten die sogenannte Mundöffnung, bei der dem verstorbenen König mit zeremoniellen Schneidwerkzeugen der Mund geöffnet wurde, um ihm die Wiedergeburt zu ermöglichen. Diese Zeremonie hatte einen starken Bezug zu den Sternen im Umkreis des Polarsterns. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Rituals war die symbolische Geburt eines neuen Königs, der wiederum einen Bezug zu den südlichen Sternen hatte. In Pyramidentext 366, § 632 heißt es dazu: 3) Horus, der in der Sothis (= Sirius) ist.

2. 3.

R. Krauss, Astronomische Konzepte und Jenseitsvorstellungen in den Pyramidentexten (ÄA 59), Wiesbaden 1997, 14-66. R. O. Faulkner, The Ancient Egyptian Pyramid Texts, Oxford 1969, 120 und J. P. Allen, The Ancient Egyptian Pyramid Texts (Writings from the Ancient World 23), Atlanta 2005, 81.

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Die für den toten König ausgegebene Devise lautet (PT 419, § 749): 4) Durchfahre den Himmel zum Binsengefilde und nimm deine Wohnstätte im Opfergefilde unter den Zirkumpolarsternen, den Gefolgsleuten des Osiris. Dabei ist der König nicht ganz auf sich alleine gestellt, er erhält Hilfe von mehreren Wesen. Tefnut gräbt ihm einen Kanal durchs Binsengefilde und weist ihm sein Land im Opfergefilde zu (PT 254, § 289): 5) Sie (= Tefnut) gräbt einen Teich für Unas im Binsengefilde; sie richtet seinen Acker in den beiden Opfergefilden ein. Beim »Krummen Kanal« wartet ein Türöffner auf den toten König. In PT 304, § 469 heißt es: 6) Sei gegrüßt, oh Strauß, der am Ufer des »Krummen Kanals« steht! Öffne den Weg für Unas, damit Unas vorbeigehen kann! Zudem wird der tote König noch von seinem Vater Atum unterstützt (PT 269, § 380): 7) Unas’ Vater Atum wird den Arm des Unas ergreifen und Unas jenen klugen und weisen Göttern, den Zirkumpolarsternen, überweisen. In PT 268, § 374 steht: 8) Dieser Unas wird die Zirkumpolarsterne leiten. Er wird zu den Binsengefilden übersetzen. Die Horizontbewohner werden ihn rudern; die Bewohner des Himmels werden ihn fahren. Aus den zahlreichen Erwähnungen des Binsengefildes und der Opfergefilde, die jedoch manchmal widersprüchlich zu sein scheinen, läßt sich eine »Geographie des Himmels« ableiten. So beinhaltet das Opfergefilde offenbar eine große Insel, und es befindet sich nördlich des Binsengefildes (PT 504, § 1087 9) und PT 519, § 1216 10)) im Bereich der Zirkumpolarsterne:

4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

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Faulkner, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 138 und Allen, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 86. Faulkner, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 64 und Allen, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 44. Faulkner, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 93 und Allen, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 57. Faulkner, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 78 und Allen, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 49. Faulkner, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 77 und Allen, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 49. Faulkner, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 180 und Allen, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 156. Faulkner, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 193 und Allen, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 161.

Texte aus Ägypten

Ich nehme mir meinen Sitz, der im Binsengefilde liegt, und ich steige hinunter zu den südlichen Gebieten des Opfergefildes. Dieser Pepi ist zu der großen Insel inmitten des Opfergefildes gegangen, auf der sich die Götter und die Schwalben niederlassen – die Schwalben sind die Zirkumpolarsterne – und sie werden diesem Pepi jene Stützen des Lebens geben, von dem sie leben, und ihr werdet davon (alle) zugleich leben. Das Sternbild Orion wird im Zusammenhang mit dem erfolgreichen Himmelsaufstieg des toten Königs erwähnt. Orion wird dabei als Vater der Götter bezeichnet (PT 274, §408-409): 11) Es wurde ihm (Unas) Legitimation als Große Macht verliehen von Orion, dem Vater der Götter. Unas ist wieder am Himmel erschienen. Er ist gekrönt als Herr des Horizontes. In PT 302, §458-459 findet auch das Sternbild Großer Bär Erwähnung: 12) Der Himmel ist klar, Sothis lebt, denn Unas ist einer, der lebt, der Sohn der Sothis, für den die beiden Neunheiten sich im Großen Bär, dem Unvergänglichen, gereinigt haben. Unas’ Haus, das am Himmel ist, wird nicht zu Grunde gehen; Unas’ Thron, der auf der Erde ist, wird nicht vergehen. Die Menschen aber verbergen sich, die Götter aber fliegen weg. Sothis hat Unas zum Himmel auffliegen lassen unter seine Brüder, die Götter. Nut, die Große, hat ihre Arme für Unas entblößt.

5.2 Der ägyptische Kalender Der bürgerliche ägyptische Kalender basiert auf Beobachtungen, die mit den regelmäßig wiederkehrenden Überschwemmungen des Nils zusammenhingen. Als Indikator für den Jahresbeginn diente der hellste Fixstern am Himmel, Sirius. Sirius war in der Gegend um Memphis zwischen Mai und Juli für ca. 70 Tage am Nachthimmel unsichtbar. Ungefähr zur Zeit der Nilschwemme aber konnte Sirius erstmals wieder kurz vor Sonnenaufgang in der Morgendämmerung beobachtet werden. Diese erste Sichtbarkeit des hellen Sirius nach einer Phase der Unsichtbarkeit war für die Ägypter das Zeichen für den Beginn eines neuen Jahres. Dieser bürgerliche Kalender war ein reiner Sonnenkalender. Es gab drei Jahreszeiten zu je vier Monaten, welche die Namen Achet (Überschwemmung), Peret (Aussaat) und Schemu (Ernte) trugen. Das ägyptische Sonnenjahr bestand aus 12 Monaten zu 30 Tagen, die nochmals in je 3 so genannte Dekaden, das sind 10-Tagesintervalle, eingeteilt waren. Da ein solcher Kalender insgesamt nur 360 Tage hätte, wurden noch 5 weitere Tage hinzugefügt, die so genannten Epagomenen, die als Geburtstag wichtiger Götter galten. In diesem Ka11. 12.

Faulkner, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 82 und Allen, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 52. Faulkner, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 91-92 und Allen, Ancient Egyptian Pyramid Texts, 56.

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lender fehlte der Vierteltag jedes Jahres, den wir heute durch einen Schalttag alle vier Jahre ausgleichen. Bei der Einführung des ägyptischen Kalenders im frühen 3. Jahrtausend v. Chr. stimmten die drei Jahreszeiten mit dem Lauf des Nils und den daraus resultierenden landwirtschaftlichen Begebenheiten überein. Durch das Fehlen der Schalttage jedoch war der ägyptische Kalender schon 120 Jahre nach seiner Einführung um einen Monat im Vergleich zum Sonnenjahr verschoben. Nach 480 Jahren betrug die Differenz gar eine ganze Jahreszeit. Diese verstörende Tatsache scheint die Ägypter nicht gekümmert zu haben. Eine Kalenderreform des Pharaos Ptolemaios III. im Jahr 237 v. Chr. bewirkte die Einführung eines Schalttages alle vier Jahre, jedoch endete diese Schaltregelung bereits wieder mit dem Tod von Ptolemaios III. Erst Kaiser Augustus gelang eine langfristige Kalenderreform, indem er den julianischen Kalender in Ägypten einführte. Neben diesem bürgerlichen Sonnenkalender war in den Tempeln für kultische Zwecke ein »Mondkalender« in Gebrauch. 13) Alle 25 Jahre fiel ein bestimmter Mondmonatstag wieder auf den gleichen Tag im ägyptischen Sonnenkalender. Ein ägyptischer Mondmonat begann an dem Tag, an dem die Mondsichel am Morgen vor Sonnenaufgang nicht mehr beobachtet werden konnte – in etwa 3/4 der Fälle stimmt dieser Tag mit dem Neumondtag überein. Ein Mondmonat kann entweder 29 oder 30 Tage lang sein und es gibt keine regelmäßige Abfolge von 29- und 30-tägigen Monaten. Die exakte Dauer eines Mondmonats ließ sich daher ausschließlich über Beobachtung bestimmen. Ein Mondjahr mit 12 Mondmonaten war insgesamt 10 oder 11 Tage kürzer als das Sonnenjahr, d. h. etwa alle drei Jahre hätte ein Schaltmonat eingefügt werden müssen, um den »Mondkalender« mit dem Sonnenkalender in Einklang zu halten. Es gibt jedoch kaum Hinweise auf Schaltmonate und zudem waren die Namen der Mondmonate dieselben wie im Sonnenkalender. Dies spricht dafür, daß seit der Einführung des Sonnenkalenders kein Mondkalender im eigentlichen Sinn mehr in Gebrauch war, sondern daß nur die Mondtage in den Tempeln im bürgerlichen Kalender vermerkt wurden. Es gab nämlich zahlreiche Feste, die an einem bestimmten Mondmonatstag gefeiert wurden und die daher jedes Jahr angekündigt werden mußten. Diese Feste lassen sich heute oftmals nur indirekt dadurch erschließen, daß für sie in einem Tempelarchiv unterschiedliche Tagesdaten im gleichen Monat erhalten sind. Spätestens ab der griechisch-römischen Zeit wurde der Beginn eines Mondmonats dann jedoch nicht mehr durch regelmäßige direkte Beobachtung des Mondes bestimmt, sondern erfolgte über einen schematischen Datenzyklus, wie er sich auf dem Papyrus Carlsberg 9 findet. 14)

5.3 Siriusdaten Aus dem Alten Ägypten sind uns einige wenige Aufzeichnungen über den Tag erhalten geblieben, an dem Sirius entweder erstmals wieder kurz vor Sonnenaufgang in der Morgendämmerung beobachtet werden konnte, oder aber Vorhersagen, für welchen 13. 14.

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R. A. Parker, The Calendars of Ancient Egypt (SAOC 26), Chicago 1950, 24-50. Parker, Calendars, 13-17.

Texte aus Ägypten

Tag man dieses Ereignis erwartete. Sind neben dem Kalenderdatum auch das Regierungsjahr des Pharaos und der Beobachtungsort bekannt, so kann man ein derartiges Datum dazu benützen, um den Pharao absolut zu datieren. Die folgenden beiden Beispiele illustrieren eine Vorhersage und eine Beobachtung. So heißt es etwa im Tempeltagebuch aus dem Jahr 7 des Pharaos Sesostris III. in der Abschrift eines Briefes unter dem Tagesdatum III Peret 25 folgendermaßen (Pap. Berlin P. 10012 A): 15) Ich möchte dich wissen lassen, daß der Aufgang der Sothis (= Sirius) am IV Peret 16 geschieht. Das bedeutet, daß der so genannte heliakische Frühaufgang des Sirius bereits im 19. Jh. v. Chr. mindestens 22 Tage vor dem voraussichtlichen Ereignis schriftlich angekündigt wurde. Aus demselben Tempeltagebuch hat sich noch ein weiteres kleines Fragment erhalten, das sich auf den gleichen heliakischen Frühaufgang des Sirius bezieht (Pap. Berlin P. 10012 B): 16) (1) Jahr

7, IV Peret 17, [ der Festgaben des Aufgangs der Sothis (= Sirius) [

(2) Eingang

Auch im Kanopus-Dekret, dem Beschluß einer Priestersynode im Jahr 238 v. Chr., ist vom heliakischen Frühaufgang des Sirius die Rede: 17) Es soll eine große Prozession zu seiner Zeit des Jahres für den König von Ober- und Unterägypten (Ptolemaios, er lebe ewiglich, geliebt von Ptah)| und die Herrscherin (Berenike)|, die beiden Wohltätergötter, gefeiert werden, indem man sich in allen Heiligtümern und ganz Ägypten an dem Tag versammelt, an dem der Sothis-Stern (= Sirius) herauskommt, der »Fest des Eröffners des Jahres« mit seinem Namen in den Schriften des Lebenshauses genannt wird, der im Jahr 9 im Monat 2 der Schemu-Jahreszeit am Tag 1 gefeiert wird, an dem das Jahreseröffnungsfest der Bastet und die große Prozession der Bastet gefeiert wird in diesem Monat, denn es ist die Zeit des Sammelns der gesamten Ernte und es steigt der Nil in ihm.

5.4 Zeitmessung In Ägypten wurde die Zeit zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang in jeweils zwölf gleich lange Stunden unterteilt, ebenso die Zeit zwischen Sonnenunter- und Sonnenaufgang. Dadurch sind die Tagesstunden im Winter kürzer und im Sommer 15. 16. 17.

U. Luft, Die chronologische Fixierung des Ägyptischen Mittleren Reiches nach dem Tempelarchiv von Illahun (SbÖAW 598), Wien 1992, 55. Luft, Chronologische Fixierung, 58. S. Pfeiffer, Das Dekret von Kanopos (238 v. Chr.). Kommentar und historische Auswertung eines dreisprachigen Synodaldekretes der ägyptischen Priester zu Ehren Ptolemaios’ III. und seiner Familie (AfP Bh. 18), München 2004, 123.

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länger als die heute gebräuchlichen Äquinoktialstunden. Dementsprechend werden die ägyptischen Stunden auch ungleiche Stunden bzw. Temporalstunden genannt. Nur an den Tagundnachtgleichen stimmt die Länge einer Temporalstunde mit der Länge einer Äquinoktialstunde überein. Tagsüber wurde die Zeit entweder mit Wasser-oder mit Sonnenuhren gemessen, nachts mit Wasser- oder Sternuhren.

5.4.1 Wasseruhren

Die älteste Beschreibung einer Wasseruhr wurde im Grab des ägyptischen Hofbeamten Amenemhet gefunden, der unter den Pharaonen Ahmose und Amenophis I. lebte (16. Jh. v. Chr.). 18) Die älteste erhaltene Wasseruhr stammt aus der Zeit des Pharaos Amenemhet III., sie ist somit ca. 200 Jahre jünger als die Beschreibung. 19) Grundsätzlich gab es zwei Arten von Wasseruhren: Auslaufuhren und Einlaufuhren. Bei den frühesten Exemplaren handelt es sich um Auslaufuhren, bei denen ein sinkender Wasserpegel das »Verrinnen« der Zeit anzeigt. Der Hofbeamte Amenemhet beschreibt seine Erfindung in seiner Grabinschrift unter anderem folgendermaßen:20) Ich fertigte ein Zeitmeßgerät (= Wasseruhr), berechnet auf das Jahr. Sie war für den seligen König von Ober- und Unterägypten Amenophis I. schöner [als alles andere. Sie war richtig] zu jeder Jahreszeit. Nie wurde eine wie sie seit der Vorzeit gemacht. In Amenemhets Wasseruhr war also eine Stundenskala eingeritzt, welche die zu- und abnehmende Länge der Stunden seinen eigenen Angaben zufolge zum ersten Mal berücksichtigte. Die Wasseruhr selbst war schon früher bekannt, wie Amenemhet in seiner Biographie betont, denn er weist auf die Lektüre älterer Schriften hin, denen er seine Erfindung verdankt. Die Funktionsweise einer Auslaufwasseruhr ist einfach: Sie muß am Beginn des Tages oder der Nacht bis zum obersten Füllstrich des entsprechenden Monats gefüllt werden. Danach leert sie sich langsam durch ein enges Auslaufrohr. Zum Ablesen der Stunden schließlich muß man beachten, die Skala mit der korrekten Monatsbezeichnung zu verwenden.

5.4.2 Sonnenuhren

Eine Messung der Zeit mithilfe einer Sonnenuhr kann entweder über die Länge des geworfenen Schattens oder über die Richtung des Schattens erfolgen. Die ältesten erhaltenen Sonnenuhren stammen aus der Zeit des Neuen Reiches, es handelt sich dabei 18. 19. 20.

362

L. Borchardt, Die Altägyptische Zeitmessung (Die Geschichte der Zeitmessung und der Uhren 1/B), Berlin/Leipzig 1920, 61. Siehe zuletzt R. Krauss, Zur Interpretation der Wasseruhren aus Karnak und im Museum Barracco, in: K. Finneiser / J. Helmbold-Doyé (Hg.), Der andere Blick. Forscherlust und Wissensdrang. Museumsgabe zum 80. Geburtstag von Karl-Heinz Priese, Berlin 2015, 131-156. Borchardt, Altägyptische Zeitmessung, 61.

Texte aus Ägypten

um eine Lineal-Sonnenuhr aus der Zeit von Thutmosis III. (15. Jh. v. Chr.) 21) und um eine sogenannte vertikale direkte Südsonnenuhr aus den späten Jahren der 19. Dynastie (um 1200 v. Chr.). 22) Im Kenotaph von Sethos I. in Abydos (um 1300 v. Chr.) fand sich ein Text, der beschreibt, wie man eine Lineal-Sonnenuhr fertigt und wie man sie benutzt:23) [Kennen] der Stunden des Tages und der Nacht Methode, den Mittag zu bestimmen: (1) Die Stunden des Tages, beginnend mit dem »Fixieren des Platzes«. [Das Kennen] der Stunden; (2) Die Stunde nach dem ersten Auftreffen; (3) Die Stunde nach dem zweiten Auftreffen; (4) Die Stunde nach dem dritten Auftreffen; (5) Das Kennen der Stu[nden mithilfe einer Sonnenuhr …] mit 5 Handbreiten (ca. 38 cm) Länge, (6) Höhe […, mit einem mrhy.t] von 2 Fingern (ca. 3.5 cm) Höhe (7) auf dem Kopf der Schattenuhr. Dividiere die 5˘Handbreiten in 4 Teile, (8) die auf der Schattenuhr markiert werden. Dann setzt du 12 hp 24) vom Rand für die erste Stunde, dann 9 von dort für die zweite Stunde, dann 6 von dort (9) für die dritte Stunde, dann 3 von dort für die vierte Stunde. Wenn du diese Schattenuhr mit dem Kopf, auf dem sich der mrhy.t befindet, Richtung Osten korrekt ausgerichtet hast, (10) dann wird der Schatten der˘ Sonne auf dieser Schattenuhr richtig sein. Nach dem Ende der vierten Stunde mußt du (11) diese Schattenuhr umdrehen, mit der Basis im Osten, nachdem die Sonne über dem mrhy.t stand. Zudem sollst du diese Stunden (12) bis die Sonne die vier zuvor genannten˘ Stunden durchmessen hat, zählen. Es ergeben sich insgesamt 8 Stunden, weil 2 Stunden (13) am Morgen vergangen sind, bevor die Sonne die Schattenuhr beleuchtet und weitere zwei Stunden am Abend vergehen, nachdem die Sonne in das »Fixieren des Platzes« für die Nachtstunden eintritt. Im Text ist von vier Stundenmarkierungen die Rede, auf der Lineal-Sonnenuhr von Thutmosis III. finden sich allerdings fünf. In der Mitte der Oberseite dieser LinealSonnenuhr sind der Länge nach in Abständen, die vom Aufsatzzapfen an wachsen, fünf kleine Kreise eingeritzt. Auf einer etwas späteren Linealsonnenuhr steht neben jedem Kreis der Name der entsprechenden ägyptischen Tagesstunde. Die erste Stun21. 22.

23.

24.

S. Symons, Ancient Egyptian Astronomy. Timekeeping and Cosmography in the New Kingdom, Dissertation University of Leicester, 1999, 128-134 (https://lra.le.ac.uk/bitstream/2381/ 8546/1/518318.pdf; abgerufen am 15. 4. 2015). S. Bickel / R. Gautschy, Eine ramessidische Sonnenuhr aus dem Tal der Könige, ZÄS 141 (2014) 3-14. Für eine aktuelle Zusammenstellung und Besprechung der bekannten ägyptischen Sonnenuhrtypen siehe Bickel / Gautschy, ZÄS 141, und A.-C. Salmas, La mesure du temps de la journée (II). Modules et fonctionnement des premières horloges à ombre tardives et des cadrans solaires, BIFAO 114 (2014) 419-464. O. Neugebauer / R. A. Parker, Egyptian Astronomical Texts I: The Early Decans (Brown Egyptological Studies 3), London 1960, 116-117 und zuletzt A.-C. Salmas, La mesure du temps de la journée (I). Modules et fonctionnement des premières horloges à ombre, BIFAO 113 (2013) 353-380; 369-370. Die Gesamtlänge der Lineal-Sonnenuhr beträgt offenbar 30 hp und das Verhältnis der Schattenlängen wurde zu 4:3:2:1 angenommen.

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de, die beim am weitesten vom Aufsatzzapfen entfernten Kreis steht, heißt »Aufgang«. Der Name der sechsten Stunde, »Hochstand«, steht bei keinem Kreis mehr, sondern dicht am Aufsatzzapfen selbst. Die Mittagsstunde hat keine besondere Marke, daher muß der Schattenwurf zu Mittag praktisch Null gewesen sein. Dies ist der Fall, wenn das Lineal in Ost-West-Richtung ausgerichtet war wie im Text im Kenotaph angegeben. Es wurde der sich vom Ende des Lineals an im Laufe des Vormittags verkürzende Schatten beobachtet und an den Punkten der Skala die Zeit abgelesen. Nachmittags mußte man das Lineal nur um 180º drehen, schon konnten die Nachmittagsstunden abgelesen werden. Insgesamt konnten mit dem Instrument von Thutmosis III. also 12 Stunden angezeigt werden.

5.4.3 Sternuhren

Die Grundlage der Sternuhren waren die Aufgänge 25) oder die Kulminationen 26) von einzelnen Sternen bzw. Sterngruppen, den sogenannten Dekanen, in 12-Stundenintervallen während der Nacht und in 10-Tagesintervallen übers Jahr hinweg. Eine vollständige derartige Sternuhr bestand somit aus 36 Spalten für die 10-Tagesintervalle plus einer weiteren Spalte für die fünf Epagomenentage am Ende des Jahres. Jedoch gibt es einige Sternuhren, die weniger Spalten enthalten und bei denen ein Dekan demnach nicht nur 10 Tage lang eine bestimmte Stunde anzeigte, sondern 15 Tage lang. Abbildung 1 illustriert die rechte Hälfte des Schemas einer derartigen Sternuhr. Die Uhr ist von rechts unten nach links oben zu lesen. Folgt man der Interpretation von Neugebauer / Parker, daß es sich um die Aufgänge der Sterne handelt, erklärt sich das Schema folgendermaßen: Dekan Nr. 12 geht in der ersten Dekade zunächst am Beginn der 12. und somit letzten Nachtstunde auf. 10 Tage später geht er bereits zu Beginn der 11. Nachtstunde auf, seine Funktion als Anzeiger der 12. Nachtstunde wird von Dekan Nr. 13 übernommen. Weitere 10 Tage später zeigt Dekan Nr. 12 den Beginn der 10. Nachtstunde an, usw. bis er schließlich in der 12. Dekade die 1. Nachtstunde markiert und in der 13. Dekade am Nachthimmel nicht mehr zu beobachten ist. Derartige Sternuhren finden sich auf den Innendeckeln zahlreicher Särge der Ersten Zwischenzeit und des Mittleren Reiches (ca. 2100-1800 v. Chr.), die alle in Oberägypten gefunden wurden. Da das ägyptische Jahr kürzer war als ein Sonnenjahr, hätten diese Sternuhren theoretisch alle paar Jahrzehnte angepaßt werden müssen, wenn sie die tatsächlichen Gegebenheiten am Nachthimmel angeben sollten. Dies würde uns heute auch die Möglichkeit eröffnen, diese Särge sehr gut absolut datieren zu können. Jedoch handelt es sich bei den Daten in den erhaltenen Dekansternuhren um Datumsangaben in einem ideellen bürgerlichen Kalender, in dem der heliakische Frühaufgang des Sirius immer mit Neujahr am 1. Tag des 1. Monats der Achet-Jahreszeit zusammenfiel. Außerdem weicht in vielen Särgen die Sequenz der Dekane beträchtlich von der korrekten Sequenz ab. Dies hat zur Folge daß bis heute die meisten Dekane nicht

25. 26.

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Neugebauer / Parker, Egyptian Astronomical Texts I, 1. Chr. Leitz, Altägyptische Sternuhren (OLA 62), Leuven 1995, 61-70.

Texte aus Ägypten

Abb. 1: Rechte Hälfte des Schemas einer Dekansternuhr

identifiziert werden konnten bzw. daß je nach Autor unterschiedliche Identifikationen mit Sternen oder Sterngruppen vorgeschlagen werden. Zwischen der 18. und der 19. Dekade findet sich in den Särgen ein vertikaler Streifen, in dem von rechts nach links die Himmelsgöttin Nut, das Sternbild Vorderbein des Stieres, Orion und Sirius dargestellt sind (Abb. 2). Im Sarg des Nacht ist folgender Text beigefügt: »Oh Nut! Erhebe deine Arme! Vorderbein des Stieres am nördlichen Himmel. Orion am südlichen Himmel. Oh Orion! Wende deinen Kopf, so daß du diesen Osiris sehen kannst! Sothis, sie gibt Leben!«

Abb. 2: Darstellungen und Text des vertikalen Streifens im Sarg des Nacht im Römer- und Pelizäus-Museum in Hildesheim (PM 5999)

Zwischen der 6. und der 7. Nachtstunde befindet sich auf den Dekansternuhren ein horizontaler Streifen, in dem von Opfergaben für den Verstorbenen die Rede ist, welche der Sonnengottes Re, die Gottheiten im vertikalen Streifen und Dekangottheiten, die sich nicht alle identifizieren lassen, darbringen. Der Text auf dem Sarg einer Königlichen Gemahlin und Priesterin der Hathor aus der Zeit von Mentuhotep II. lautet: 27) 27.

Neugebauer / Parker, Egyptian Astronomical Texts I, Sarg Nr. 6.

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Ein Opfer, das Re, dem Herrn des Himmels, an allen seinen Stätten gegeben wird. Anrufungsgaben an Brot und Bier für die selige Mentuhotep! Ein Opfer, das dem Vorderbein des Stieres am nördlichen Himmel gegeben wird! Ein Opfer, das Nut gegeben wird! Anrufungsgaben an Brot und Bier für die selige Mentuhotep! Ein Opfer, das Orion am südlichen Himmel gegeben wird für die selige Mentuhotep! Ein Opfer, das dem Südlichen Semed und dem Nördlichen Semed gegeben wird! Ein Opfer, das dem Gott gegeben wird, der den Himmel überquert (= Orion) und dem Oberen Arm (von Orion)! In späterer Zeit, im Kenotaph von Sethos I. in Abydos (um 1300 v. Chr.), definiert dann die Kulmination eines bestimmten Dekans, d. h. das Erreichen seines höchsten Punktes, eine bestimmte Nachtstunde.

5.5 Die Himmelsgöttin Nut Die Vorstellung des Himmels in personifizierter Form als Himmelsgöttin Nut ist bereits in den Pyramidentexten des Alten Reiches belegt. Nut wird als nackte Frau dargestellt, die sowohl mit den Händen als auch mit den Füßen die Erde berührt, sich über die Erde beugt und somit alles umschließt, was auf der Erde passiert. Am Abend verschluckt sie im Westen die Sonne, nachts wandert die Sonne durch ihren Körper, um am nächsten Morgen im Osten aus Nuts Schoß wieder geboren zu werden. Umgekehrt verhält es sich mit den Sternen: diese werden am Abend geboren und am Morgen verschluckt. Im Nutbuch des Neuen Reiches hat das eben beschriebene Bild der Himmelsgöttin schließlich eine monumentale Darstellung gefunden. In Zeilen 1 bis 5 des sogenannten Dramatischen Texts aus dem Kenotaph von Sethos I. in Abydos heißt es: 28) (1) Bis

zum Ende des Himmels fahren diese Sterne dahin auf Nuts Außenseite in der Nacht; sie erscheinen, so daß man sie sehen kann. In ihrem Inneren fahren sie (2) am Tag dahin und erscheinen nicht, so daß man sie nicht sehen kann. Hinter diesem Gott (= Re) treten sie ein, und hinter ihm gehen sie heraus. Hinter ihm fahren sie auf der »Erhebung des Schu« (3) und lassen sich nieder auf ihren Plätzen, nachdem Seine Majestät sich niedergelassen hat im westlichen Horizont. Sie treten in ihren (= Nuts) Mund ein an der Stelle ihres Kopfes im Westen, und sie verschlingt sie (= die Sterne). Geb war es, der mit Nut stritt, denn er war wütend auf sie wegen des Verschlingens. (4) Man nennt sie »Schwein, das ihre Ferkel frißt«, weil sie die Sterne verschlungen hatte. Ihr Vater Schu hob sie empor und trug sie über sich, während er sprach: »Hüte dich, Geb! (5) Du sollst nicht streiten mit ihr, weil sie ihre Kinder verschlungen hat! Diese leben und sind täglich wieder herausgegangen aus dem Platz, an dem ihr Hinterteil ist im Osten, so wie sie täglich den Re gebiert.«

28.

366

Neugebauer / Parker, Egyptian Astronomical Texts I, 67-68.

Texte aus Ägypten

5.6 Sternbilder Insgesamt sind heute ca. 20 unterschiedliche Darstellungen des Sternenhimmels bekannt. Eine besonders schöne Abbildung des nördlichen und südlichen Sternenhimmels findet sich beispielsweise an der Decke im Grab des Pharao Sethos I. Der südliche Himmel wird in diesem Grab durch die Dekansterne repräsentiert, die von der Göttin Isis angeführt werden, die eine der möglichen Erscheinungsformen des Sterns Sirius ist. Der nördliche Sternhimmel im Grab (Abb. 3) zeigt verschiedene Sternbilder, welche durch Tiere und Götter symbolisiert werden. In jeder der erhaltenen Sternenhimmeldarstellungen sehen wir ein Nilpferdweibchen, das auf ihrem Rücken oft ein Krokodil trägt und die restlichen Figuren ansieht. Die Nilpferddame steht auf ihren Hinterfüßen und mit jedem ihrer Vorderfüße stützt sie sich auf einem Pflock auf. Beide Pflöcke stehen parallel zu ihrem Körper. Von den Pflöcken führen nun zwei Leinen zu einem Stier, der in anderen Himmelsbildern oft nur als Vorderbein eines Stiers dargestellt ist. Der Stier bzw. der Vorderfuß des Stieres läßt sich identifizieren: es handelt sich dabei um das heutige Sternbild »Großer Wagen«. Im Weiteren ist in jeder Sternenhimmeldarstellung noch der falkenköpfige Gott Anu vorhanden, der im rechten Winkel zu einem der Pflöcke steht. Er hält einen Speer in der Hand, der Richtung Stier zeigt. Im Grab Sethos I. und in manchen anderen finden sich dann noch drei weitere Sternbilder deren Namen wir wegen der beigefügten Inschriften kennen: die Göttin Serket, einen Löwen und rechts neben dem Löwen ein zweites, kleines Krokodil mit gebogenem Schwanz. Der Löwe schaut stets das Nilpferdweibchen und den Stier an. Er befindet sich im Grab Sethos I. über einem dritten Krokodil mit geradem Schwanz. Vor diesem Krokodil steht ein Mann mit erhobenen Armen, als ob er mit einem Speer auf das Krokodil einstechen wolle, er hat aber nie einen Speer in der Hand. In unmittelbarer Nähe des Löwen schließlich findet sich auch noch ein Falke.

Abb. 3: Die Sternbilder im Grab von Sethos I.

Die Gruppe dieser nördlichen Sternbilder wird oft von zwei Reihen von Göttern flankiert, die Scheiben auf ihren Köpfen und Sterne auf ihren Körpern tragen können. Die Punkte auf den Körpern der Gottheiten sind Sterne. Diese Gottheiten stellen die Göt367

Rita Gautschy

ter der Tage des Mondmonats dar. In einer anderen Sternenhimmeldarstellung, nämlich an der Decke des Senenmut-Grabes, 29) sind neben den Sternbildern und den Mondmonatsgottheiten zusätzlich noch zwölf Kreise mit Unterteilungen zu finden, die für die Mondmonate stehen und zusammen ein ganzes Mondjahr repräsentieren. Im Korridor und im Sarkophagraum des Grabes von Ramses VI. (1145-1137 v. Chr.) befinden sich zwei Texte, die den Sternenhimmel beschreiben: 30) Die vier Bas des Nordens, das sind die vier Götter des Gefolges. Sie sind es, die die Wut des Himmels abwehren an jenem Tag des Großen Kampfes. Sie sind es, die das Bugtau ergreifen und die das Hecktau führen in der Barke des Re gemeinsam mit der Mannschaft der Unvergänglichen Sterne (= Zirkumpolarsterne). Die vier Gottheiten, die nördlich des Schenkels sind, leuchten in der Mitte des Himmels, entfernt vom Süden und Orion. Sie wenden sich zum westlichen Horizont um. Was den Schenkel des Seth anbelangt, er befindet sich am nördlichen Himmel, befestigt an zwei Landepflöcken aus Silex mit einer goldenen Kette, die Isis in Form eines weiblichen Nilpferdes anvertraut ist, welche ihn bewacht. Diese Götter sind um ihn herum in Form von Göttern des Horizonts. Re hat sie hinter ihn gegeben gemeinsam mit Isis sagend: »Verhindert, daß er zum südlichen Himmel geht zu diesen Göttern, zum Ausgang des Osiris, der hinter Orion ist.« Der Stier bzw. das Vorderbein des Stieres wird in diesem Text mit dem Gott Seth identifiziert, das weibliche Nilpferd mit der Göttin Isis.

5.7 Planeten Aus verschiedenen Gräbern und deren Darstellungen ist bekannt, daß die Ägypter fünf der Planeten unseres Sonnensystems kannten: Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Die Planeten galten als Erscheinungsform verschiedener Götter. Drei von ihnen – nämlich Jupiter, Saturn und Mars – wurden mit verschiedenen Aspekten des Gottes Horus identifiziert, Merkur mit dem Gott Seth, und Venus galt allgemein als »Himmelsüberquerer«, in späterer Zeit wurde sie in ihrer Erscheinung als Morgenstern auch als »Gott des Morgens« bezeichnet. Die Planeten wurden oft personifiziert dargestellt. Auf dem südlichen Teil der ältesten bisher gefundene astronomische Dekke, die sich im Grab des Senenmut (um 1460 v. Chr.) befindet, sind von rechts nach links Osiris und Isis in ihren Erscheinungsformen als Sterngötter, sowie die Planeten Jupiter und Saturn in Göttergestalt gezeigt. 31) Merkur und Venus folgen dann ein Stück weiter hinten in nicht-personifizierter Form. Auffällig ist, daß der Planet Mars fehlt, was Christian Leitz dazu veranlaßt hat, diese Darstellung als naturgetreue, und nicht nur als schematische Himmelsdarstellung zu klassieren: Unter dieser Annahme müßte diese Darstellung auf das Jahr 1463 v. Chr. datiert werden. 32)

29. 30. 31. 32.

368

Chr. Leitz, Studien zur ägyptischen Astronomie (ÄA 49), Wiesbaden 1989, 36. M. Müller-Roth, Das Buch vom Tage (OBO 236), Fribourg/Göttingen 2008, 285. Leitz, Studien zur ägyptischen Astronomie, 36. Leitz, Studien zur ägyptischen Astronomie, 44-47.

Texte aus Ägypten

Abb. 4: Der Zodiakus von Dendera im Louvre in Paris (D 38)

5.8 Zodiakos von Dendera In der Spätzeit (664-332 v. Chr.) und der Griechisch-römischen Periode Ägyptens (332 v. Chr.-395 n. Chr.) machen sich verstärkt Einflüsse aus anderen Regionen bemerkbar. Zwei Beispiele dafür stammen aus dem Tempel der Hathor in Dendera. An der Decke der Halle des Haupttempels fand man während der Expedition Napoleons einen Tierkreis, der heute in der ägyptischen Abteilung des Louvre in Paris ausgestellt ist (Abbildung 4). Die Entstehungszeit dieser Darstellung wird auf ca. 50 v. Chr. geschätzt. Die Vorhalle des Tempels enthält einen zweiten Tierkreis, sie wurde zwischen 32 und 37 n. Chr. erbaut. Neben den bereits aus dem Grab des Senenmut bekannten zwei nördlichen Sternbilder des Nilpferdweibchens und des Stierfußes in der Mitte der Darstellung sowie den ägyptischen südlichen Sternbildern Orion, Canopus und Sirius (in Form einer Kuh) finden sich auch Darstellungen der bei uns heute noch gebräuchlichen Tierkreiszeichen. Der Zodiakos bzw. Tierkreis war ursprünglich in Mesopotamien entstanden und vermutlich während der Zeit des Hellenismus nach Ägypten gelangt. Neben den Tierkreiszeichen haben aber auch die Planeten Eingang in diese Darstellung gefunden, wie die beigefügten Namen beweisen. Im Uhrzeigersinn bei 12 Uhr beginnend handelt es sich dabei um: Mars, der über dem Ziegenfisch (= Steinbock) steht; Venus, die sich vor den Fischen befindet; Jupiter, der zwischen Krebs und Zwilling steht; Merkur, der sich links neben dem Krebs befindet; und um Saturn, der zwischen Waage und Jungfrau platziert ist. Die ägyptischen Dekane wurden ebenfalls eingeflochten. Allerdings zeigen sie hier nicht mehr die Nachtstunden 369

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an, sondern sie wurden jeweils in Dreiergruppen einem der neuen Tierkreiszeichen zugeordnet. Die Dekane sind die vielen Gottheiten im äußersten Bereich der Himmelsdarstellung. Die beiden Tierkreise von Dendera belegen die Verschmelzung des ägyptischen astronomischen Denkens mit babylonischem und griechischem Denken in hellenistischer Zeit.

5.9 Die Astronomen Über die Astronomen, welche die Beobachtungen, Berechnungen und Vorhersagen erstellt haben, ist wenig Konkretes bekannt. Wahrscheinlich waren Astronomen Priester, die eine Spezialausbildung erhielten. Der bei weitem ausführlichste Text, in dem die Aufgaben eines Astronomen beschrieben werden, findet sich auf der Statue des Har-Chebi in Kairo aus griechisch-römischer Zeit. Darauf heißt es: 33) (1) [Titel

…], der in den heiligen Schriften gelehrt ist, der all das Bemerkenswerte am Himmel und auf der Erde beobachtet – klaren Auges, ohne sich zu irren, der Zeitpunkt der Auf- und Niedergänge mit Hilfe der Götter, die die Zukunft voraussagen, genau wiedergibt, wofür er sich selbst reinigte an ihren Tagen, beim heliakischen Aufgang von Ach (= ein Dekan) neben Venus und er stellte das Land mit seinen Aussagen zufrieden; er, der die Kulmination jedes Sternes am Himmel beobachtet, der den heliakischen Aufgang (2) jedes […] in einem guten Jahr kennt, und der den heliakischen Aufgang von Sothis voraussagt. Er beobachtet sie (= Sirius) am Tage ihres Erstrahlens, […] verfolgt, was sie täglich tut, alles, was sie vorausgesagt hat, ist in seiner Obhut; er kennt die Kulminationszeiten der Sonne, verkündet alle ihre Wunder und legt die Zeit dafür fest, er gibt kund, wann sie stattgefunden haben […]; er, der die Stunden in die beiden Zeiten (= Tag und Nacht) einteilt, ohne bei den Nachtstunden fehlzugehen […]; (3) sachkundig in allem, was am Himmel zu sehen ist, worauf er gewartet hat, geschickt in Bezug auf ihre Konjunktionen und ihre regulären Bewegungen; der überhaupt nichts bezüglich der Beurteilung seines Berichts preisgibt, verschwiegen in allem, was er gesehen hat. […] Ein Astronom mußte also verschwiegen sein. Diese Vorgabe erklärt vielleicht das Fehlen kontinuierlicher astronomischer Aufzeichnungen, wie man sie aus Mesopotamien kennt. Dem Astronom oblag die Aufgabe der Beobachtung der Himmelskörper, um daraus einerseits die Nachtstunden abzulesen, andererseits aber auch den heliakischen Aufgang des Sirius vorauszusagen und den Willen der Götter zu erschließen. Letzteres deutet bereits an, daß sich Astronomie und Astrologie im Alten Ägypten nicht trennen lassen.

33.

370

O. Neugebauer / R. A. Parker, Egyptian Astronomical Texts III: Decans, Planets Constellations and Zodiacs (Brown Egyptological Studies 6), London 1969, 214-216.

Texte aus Ägypten

5.10 Astrologie und ihre Vorstufen Antike astrologische Traktate führen ihre Lehren stets auf ägyptische Autoren zurück; besonders häufig wird dabei ein König Nechepso, zusammen mit einem gewissen Petosiris genannt. Die typische astrologische Terminologie taucht aber auch in Ägypten erst in der Spätzeit und in demotischer Sprache auf. In früherer Zeit sind nur vereinzelt Omina belegt, bei denen noch dazu der mesopotamische Einfluß unübersehbar ist (siehe 5.10.2). Jedoch lassen sich ägyptische Vorstufen und Einflüsse, welche die Entstehung der späteren hellenistischen Astrologie zumindest begünstigen, eindeutig ausmachen. Dazu gehören u. a. die Dekane, die bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. in Ägypten bekannt waren und viele Jahrhunderte später im astrologischen Bereich in veränderter Funktion (siehe auch 5.8) auftauchen. Andere Einflüsse wiederum, wie der Tierkreis, stammen eindeutig aus Mesopotamien. Vermutlich gelangten bereits während der persischen Periode, und spätestens dann in der griechischen Periode, mesopotamische Schriften nach Ägypten. In der neuen »Hauptstadt der Wissenschaft«, Alexandria, vermischte sich dieses Material dann in hellenistischer Zeit mit dem religiös-astronomischen ägyptischen Material.

5.10.1 Tagewählkalender

Bereits aus der Zeit des Neuen Reiches haben sich auf Papyri Kalendertexte erhalten, die wahlweise als Tagewählkalender, Loskalender oder Kalender der guten und schlechten Tage bezeichnet werden. 34) Die Texte einzelner Tage sind teilweise sehr schwer verständlich, aber der Aufbau des Kalenders scheint klar. Jeder Tag ist in drei Abschnitte unterteilt, das erste Drittel entspricht der ersten bis zur vierten Tagesstunde, das zweite Drittel der fünften bis zur achten Tagesstunde und das letzte Drittel der neunten bis zur zwölften Tagesstunde. In den allermeisten Fällen wird ein gesamter Tag entweder als gut oder als schlecht bewertet. 29 Mal jedoch ist die Tagesbewertung gespalten, d. h. daß je nach Tagesdrittel der Tag als gut oder als schlecht gilt. Dabei kommen alle möglichen Permutationen vor. Der Kalender enthält sowohl Prognosen als auch Gebote und Verbote zum richtigen Verhalten an einem bestimmten Tag. So heißt es etwa für Tag 16 des 2. Monats der Schemu-Jahreszeit, einem vollständig gut bewerteten Tag: 35) Gut! Gut! Gut! Jeder, der an diesem Tag geboren wird, der stirbt groß als ein Fürst unter allen Leuten. Dieser Tag läßt sich astronomisch mit dem Tag der Geburt eines Dekans, d. h. seines heliakischen Aufgangs, identifizieren. Wer nun am gleichen Tag wie der Dekan geboren wird, wird es auch wie dieser zu etwas Großem bringen. Hier läßt sich verstehen, wie die Prognose entstand. 34. 35.

Chr. Leitz, Tagewählerei. Das Buch h t nhh ph.wy dt und verwandte Texte (ÄA 54), 1994. ¯ ˙ ˙˙ ˙ Leitz, Tagewählerei, 361.

371

Rita Gautschy

Ein Beispiel für einen vollständig schlecht bewerteten Tag ist Tag 20 des 2. Monats der Schemu-Jahreszeit, an dem ein Ausgehverbot ausgesprochen wird, um sich nicht einer Gefahr auszusetzen: 36) Gefährlich! Gefährlich! Gefährlich! Was viele Tote anbelangt, so kommen sie als feindliche Winde. Du sollst an diesem Tag nicht in irgendeinem Wind fortgehen. Ein Tag mit geteilter Prognose ist Tag 25 des 3. Monats der Schemu-Jahreszeit: 37) Gut! Gefährlich! Gut! Du sollst nicht zur Mittagszeit fortgehen, wenn der große Feind im Sachmettempel ist. Hier sollte man um die Mittagszeit nicht ausgehen, da diese als gefährlich eingeschätzt wird. In diesem Kalender läßt sich ein Grundgedanke fassen, der sich bis heute mal mehr und mal weniger erfolgreich gehalten hat: die Idee, daß bestimmte astronomische und meteorologische Ereignisse Auswirkungen auf den Menschen haben können und daß sich Gefahren vermeiden oder minimieren lassen, wenn man sich an die Gebote und Verbote im Kalender hält. In diesem Sinne lassen sich die Tagewählkalender als einer von mehreren Wegbereitern der später entstehenden hellenistischen Astrologie sehen. Jedoch sollte nicht vergessen werden, daß die ursprüngliche Absicht hinter diesem Kalender wahrscheinlich eine vollkommene Ordnung der ägyptischen Welt über die theologische Ausdeutung von zyklisch wiederkehrenden Naturereignissen war. 38)

5.10.2 Finsternisomina und andere Mondomina

Es ist äußerst auffällig, daß aus mehreren tausend Jahren ägyptischer Geschichte keinerlei Aufzeichnungen über Sonnen- und Mondfinsternisse erhalten geblieben sind, zumindest nicht in einer Form, in der wir sie auf einfache Weise als solche erkennen würden. Da der Sonnengott Re und der Mondgott Thot wichtige Rollen spielten, muß eine auffällige Sonnen- oder Mondfinsternis als Bedrohung der Ordnung gegolten haben. Umso erstaunlicher ist das Schweigen sämtlicher Quellen, was Finsternisse anbelangt. Diese Tatsache alleine dem Zufall der Überlieferung zuschreiben zu wollen, erscheint wenig überzeugend. Vielleicht dachte man, daß durch die Nicht-Erwähnung dieser beeindruckenden Naturereignisse die davon ausgehende Bedrohung gemindert werden könne. Die erste unzweifelhafte Anspielung auf eine Mondfinsternis, die als »Verschlucken des Mondes vom Himmel« bezeichnet ist stammt aus dem 9. Jh. v. Chr. Allerdings handelt es sich dabei um eine Negativbeobachtung: In der Chronik des Prinzen Osor36. 37. 38.

372

Leitz, Tagewählerei, 364. Leitz, Tagewählerei, 393. Leitz, Tagewählerei, 483.

Texte aus Ägypten

kon heißt es, daß es in Theben einen Aufruhr gegeben habe, obwohl gar keine Mondfinsternis stattgefunden habe (siehe oben im Beitrag von Moje). Daraus läßt sich schließen, daß Mondfinsternisse – und damit vermutlich auch Sonnenfinsternisse – als böse Vorzeichen für ausbrechende Konflikte angesehen wurden. Was Sonnenfinsternisse anbelangt, ist erst aus der römischen Periode ein Papyrus aus der FayumGegend bekannt, in dem Finsternisomina und Omina anderer Monderscheinungen abgeleitet werden. 39) Es handelt sich dabei um eine römische Kopie von ursprünglich zwei Büchern. Das Schema der Finsternisomina ist im wesentlichen babylonischen Ursprungs. Da darin der Tierkreis noch nicht vorkommt und dieser in Babylon ab dem 4. Jh. v. Chr. ausschließlich zur Angabe von Positionen verwendet wurde, muß das ursprüngliche Buch vor dem 4. Jh. v. Chr. entstanden sein. Der Bearbeiter des Papyrus, Richard Parker möchte die Vorlage ins 6. Jh. v. Chr. datieren. 40) Der Erhaltungszustand des Papyrus ist leider sehr fragmentarisch, so daß kaum ein Omen vollständig ist. Je nachdem zu welcher Stunde eine Sonnen- oder Mondfinsternis beobachtete wurde, werden im Papyrus positive oder negative Auswirkungen vorhergesagt. Ein Beispiel eines Mondomens lautet folgendermaßen: 41) Wenn du den Mond siehst, rot gefärbt im unteren Teil, dann sollst du darüber sagen: Ägypten soll in besonderem Maße trauern. Ein großer Sturm wird den Himmel angreifen, Ärger wird sein … Pharao soll mit seinen Gegnern Frieden schließen. Gerste und Emmer werden reichlich sein und Ägypten wird stark sein.

5.10.3 Horoskope

Das früheste ägyptische Horoskop für eine Einzelperson stammt aus dem 1. Jh. v. Chr. Auf dem ausführlichsten der erhaltenen demotischen Horoskope, dem Ostrakon aus der Sammlung Thompson Nr. 1, heißt es: 42) (1) Jahr

4, Monat VII, (Tag) 1, 4. Stunde des Abends … in den Fischen und Jupiter. (3) Mond im Schützen (bei) 1º. (4) Die aufgehende Sonne (Aszendent): Waage (5) Die untergehende Sonne (Deszendent): Widder. (6) Der See des Himmels: Krebs. (7) Die Unterwelt: Steinbock und Saturn. (8) Das mittlere Fallende Haus: I I (Zwillinge). (9) Das linke (= östliche) Fallende Haus: Fische. (10) Das rechte (= westliche) Fallende Haus: c (Jungfrau). (11) Der rechte (= westliche) twr 43): Widder. )(

(2) Sonne

39. 40. 41. 42. 43.

R. A. Parker, A Vienna Demotic Papyrus on Eclipse- and Lunar Omina, Providence 1959. Parker, A Vienna Demotic Papyrus, 1. Parker, A Vienna Demotic Papyrus, 45. O. Neugebauer, Demotic Horoscopes, JAOS 63 (1943) 115-127; 117. Was mit twr genau gemeint ist, ist nach wie vor unklar. Siehe Neugebauer JAOS 63 (1943)

373

Rita Gautschy (12) Der

linke (= östliche) twr: Wassermann (!) Löwe. Haus der Versorgung im Leben: Skorpion. (14) Der Teil des Bruders: Schütze. (15) Der Teil des Vaters: Steinbock. (16) Der Teil des Kindes: Wassermann und Merkur. (17) Der Teil der Greuel 44): Fische (18) Der Teil des Schicksals: Widder. (19) Das Haus der Versorgung im Tode: Stier und Mars. (20) Der Teil des Gottes: I I (Zwillinge). (21) Das Haus der Göttin: Krebs. (22) Das Haus des Schicksals (Psais): Löwe. (23) Der böse Geist: c (Jungfrau). )(

(13) Das

Dieses Geburtshoroskop kann anhand der angegebenen Positionen ins Jahr 4 des Kaisers Tiberius datiert werden. Das im alexandrinischen Kalender genannte Datum entspricht dem 25. Februar 18 n. Chr. Es fällt auf, daß die Position des Planeten Venus nicht angegeben ist. Die Berechnungen der Planetenpositionen im Horoskop stimmen sehr gut mit modernen Rechnungen überein. Einzige Ausnahme ist Zeile 16, wo als Position für Merkur der Wassermann angegeben ist, dieser sich aber tatsächlich mitten in den Fischen befunden hat. Die Angabe des Aszendenten und des Deszendenten legt die Uhrzeit zudem auf ca. 21 bis 22 Uhr fest, was gut zur angegebenen 4. Stunde des Abends paßt. Das für die hellenistische Astrologie so charakteristische Häusersystem ist hier bereits voll entwickelt, diese Art der Anordnung der Häuser wird Dodekatopos genannt. Jedoch sind in Zeilen 9 und 10 das linke und das rechte Fallende Haus vertauscht: das rechte Fallende Haus entspräche den Fischen (6. Haus) und das linke Fallende Haus der Jungfrau (12. Haus). In Zeile 22 ist für das 11. Haus, das Haus des Schicksals, der Gott Psais genannt. Psais ist der griechische Ausdruck für den Gott Shai, in griechischen Horoskopen für gewöhnlich bezeichnet als agathos daimon. 45) Auf diesem Ostrakon wie auch auf allen anderen erhaltenen Horoskopen fehlen die Interpretationen vollständig.

44.

45.

374

118-119 und zuletzt M. Ross, All’s DUR that ends twr, in: M. Ross (Hg.), From the Banks of the Euphrates: Studies in honour of Alice Louise Slotsky, Winona Lake/IN 2008, 245-255, der dafür argumentiert, daß twr eine Transliteration des babylonischen DUR sein könnte. Jedoch ist auch die Bedeutung von DUR unsicher. dny.t hne bezeichnet laut J. H. Johnson (Hg.), The Demotic Dictionary of the Oriental Insti˘ the University of Chicago, H3, 2006, 104 das »lot of abomination (in astrological tute of context)«. Die Bedeutung des entsprechenden Hauses wird auf Latein als valetudo beschrieben. Somit ist hier »der Teil der Greuel« vermutlich im Sinne von Krankheiten, Schwächen oder Leiden zu verstehen. J. Quaegebeur, Le dieu égyptien Shaï dans la religion et l’onomastique (OLA 2), Leuven 1975, 171.

6. Fragmente eines Handbuches der Färberei Joachim Friedrich Quack Die hier präsentierten Papyrusfragmente sind zwar bereits sämtlich publiziert worden, aber weder in ihrer Zusammengehörigkeit noch in ihrer Natur korrekt erkannt worden. 1) Sie datieren ins 1. oder 2. Jhd. n. Chr. und stammen aus dem Fayum. Tatsächlich handelt es sich, ungeachtet der schlechten Erhaltung, um ein bemerkenswertes technisches Handbuch. Einige der beschriebenen Verfahren behandeln eindeutig die Färbung von Textilien; damit stellen sie nach derzeitigem Kenntnisstand die ältesten erhaltenen Reste überhaupt von Textilfärberezepten dar. 2) Bei anderen könnte es sich auch um eine Oberflächenbearbeitung von Metall handeln. Die Übersetzung ist vorläufig; insbesondere die Identifizierung der genauen Ingredienzien ist wie so oft problematisch. Hier wird nur das größte Fragment A wiedergegeben; auf den anderen ist wenig mehr als ein Wort pro Zeile erhalten. Selbst in den besterhaltenen Bereichen dürfte etwa zwei Drittel der Zeilen ganz verloren sein. Während der Text selbst in Grammatik und Graphie weitestgehend normalen demotischen Konventionen folgt, ist die Überschrift dadurch auffällig, daß sie mit Ausnahme einzelner Zeichen, besonders des Gottesnamens Ptah, in hieratischer Schrift gehalten ist und eine relikthafte klassisch-ägyptische Verbalform (scˇm-n ¼f-Relativform) verwendet. ˙ Papyrus mit demotischem Text und einzelnen hieratischen Gruppen. – Fundort: Unsicher, vermutlich Soknopaiou Nesos. – Aufbewahrungsort: Wien, Papyrussammlung Erzherzog Rainer D 6321+6687. Erstpublikation: E. A. E. Reymond, From the Contents of the Libraries of the Suchos Temples in the Fayum, Part I. A Medical Book from Crocodilopolis. P. Vindob. D. 6257 (MPER N. S. X), Wien 1976, 82-85, T. 1 und dies., From the Contents of the Libraries of the Suchos Temples in the Fayyum, Part II. From Ancient Egyptian Hermetic Writings (MPER N. S. XI) Wien 1977, 111-116, T. 4. – Standardpublikation: J. F. Quack, in Vorbereitung. (1) [Beginn

der … der Färber]ei(?), die Ptah südlich seiner Mauer, Herr von Anch-Tawi 3) gemacht hat […] (2) [… Du sollst] dir einen Eimer(?) aus getriebenem(?) Kupfer holen und du sollst [sie] fein zermahlen [über Bi]er(?) von/in […] (3) […] Wein(?) und du sollst sie mischen mit einer Masse(?) aus weichem(?) Honig und du sollst [das Gefäß(?)] bedecken […] (4) [… Feu]er mit dem Dung einer starken 4) (?) Kuh, welches lodert. In ihm rühren mit einem Metallstift […] (5) [… i]n ihm, bis es erstarrt. [Ihm] Wasser geben, Alaun nach ihm zu einer Mas[se …] (6) [… nahe]bringen(?) das Gefäß, indem es gemacht ist zu ..[.. .]… indem es kühl(?) ist .[…] (7) […] in den Ofen, und du sollst […] bis sie er[starren(?) …]

1. 2. 3. 4.

Ganz knappe Bemerkungen dazu habe ich bereits OLZ 94 (1999) Sp. 456 gegeben. Für die ältesten griechischsprachigen Handbücher der Textilfärberei und der Metalltechnologie aus dem römerzeitlichen Ägypten s. R. Halleux, Les alchemistes grecs, tome 1. Papyrus de Leyde, papyrus de Stockholm, recettes (Paris 1981). Standard-Epitheta des Handwerksgottes Ptah von Memphis. So die Orthographie der Handschrift; vermutlich ist in »einer schwarzen Kuh« zu korrigieren.

375

Joachim Friedrich Quack (8) […]

Das [Verf]ahren, .[…] zu machen: […] .. […] (9) [… gezeichnet] mit Flüssigkeit […] (10) […].. […] (11) [… Das Verfahren …] . […] (12) […] von(?) ..[…] es […] (13) [… du sollst] ihnen Feuer geben, bis sie erlöschen […] (14) […] guter … 1/8, Saf[lor]blüten(?) […] (15) [… man soll] es darauf geben und man soll es salben jede(?) Stunde und [man] soll […] (16) [Das Verfahren, Stoff in der Farbe von] Flachsblten [zu frben:] Den Stoff eintunken [in] Flüssigkeit von […] (17) [… ihn] wiederum in den Urin 5) [eintauchen]; ihn in den Kessel geben […] (18) […] ihn in der Farbe von Flachsblüten. Das Verfahren, […] (19) […] Sy[kom]ore; Galle des … 1/8; und man soll sie fein reiben […] (20) […]. Türkis, …stein; sie zerreiben über Wasser (?) […] (21) […] Gold(?) und Eisen. Das Eisen abwischen mit Werg(?) […] (22) […] Sykomore; und hmani soll das selbige […] töten […] (23) [… und man soll] es in kühlem(?) Wasser waschen; es [eintauchen] in Flüssigkeit von … […] (24) [… man] nicht(?) wünscht. Ein St[off:] ein[tauchen] in Salz(?) […] (25) […] [Das] Verfahren, [es] zu tauschieren(?) […].[…] (26) [… s]ehr; und man soll holen […] (27) [… .]… eins, nach [Maß(?) …] (28) […] und man soll veranlassen, daß sie es zu .[…] machen […] (29) […] Das Verfahren, [es zu] tau[schieren …] (30) […] es [tauschieren]; und man soll es [in …] geben; und man soll es [er]hitzen […] (31) [… und] man soll es erneut erhitzen. [Das] Verfahren, ..[. …] (33) […] Flüssigkeit von … [wie] oben. Das Ver[fahren, …] (34) […] Wein (?); und man soll es mit ihnen vermengen(??); und man soll [es] erhi]tzen […] (35) […] in ihnen; und man soll es tauschieren. Man gibt ihm Wein(?) […]

5.

376

Hier geht es offenbar um die Küpentechnik, bei der der in Wasser unlösliche Indigofarbstoff mit Harnstoff reduziert wird, so daß eine wasserlösliche Leukoverbindung entsteht. Anschließende Oxidation an der Luft bringt dann wieder den blauen Farbstoff hervor, der fest an der Faser haftet.

7. Zum medizinischen Wissen der Alten Ägypter Juliane Unger Die detaillierte Erforschung der Medizin der Alten Ägypter stellt uns vor diverse Schwierigkeiten. Der Bearbeiter entsprechender Texte müßte im Idealfall sowohl über fundierte ägyptologische als auch medizinische Kenntnisse verfügen. 1) Eine solche Doppelkompetenz ist selten zu finden und oft nur durch die intensive Zusammenarbeit von Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen zu leisten. Zu schnell läuft man Gefahr, den antiken Texten in der Übersetzung moderne Begriffe überstülpen zu wollen, die auf den ersten Blick zwar vielleicht richtig erscheinen, aber eben doch die ursprünglich zugrundeliegenden Konzepte verfälschen, bzw. unkenntlich machen. Im Folgenden sollen anhand dreier verschiedener Textzeugen Beispiele gegeben werden, auf welche Handbücher der ägyptische Heiler zurückgreifen konnte, welches Wissen in ihnen vermittelt wurde und welche Kenntnisse einige von ihnen als vorhanden voraussetzten. Zudem soll ein Blick gewagt werden auf die Wirkungsweisen der Rezepte und der in ihnen verwendeten Drogen sowie auf die Herleitung ihrer Wirksamkeit durch die altägyptischen Gelehrten.

7.1 Hintergrundwissen und anatomische Kenntnisse 7.1.1 Papyrus Brooklyn 47.218.75+86

Der heute im Brooklyn Museum in New York aufbewahrte Papyrus stammt aus dem Nachlaß des amerikanischen Ägyptologen Charles Edwin Wilbour und ist Teil einer größeren Gruppe von Texten, die ursprünglich vielleicht eine zusammengehörige Bibliothek darstellten. 2) Zu dieser Textgruppe gehören neben weiteren, unpublizierten Papyri und scheinbar zahllosen Fragmenten in Brooklyn und Berlin unter anderem auch der von Serge Sauneron publizierte Schlangentraktat, der von J.-C. Goyon bearbeitete Traktat zum Schutz des Hauses und vor gefährlichen Tieren, sowie der kürzlich von P. F. O’Rourke vorgelegte Text zum Schutz der Ohren Pharaos. 3) 1. 2.

3.

Wie auch schon J. F. Quack, Methoden und Möglichkeiten der Erforschung der Medizin im Alten Ägypten, Medizinhistorisches Journal 38 (2003) 3, konstatierte: »Die Erforschung der altägyptischen Medizin ist ein notorisch schwieriges Thema.« Zum Problem der Begriffe Bibliothek und Archiv siehe S. G. Quirke, Archive, in: A. Loprieno (Hg.), Ancient Egyptian Literature – History and Forms (PdÄ 10), Leiden 1996, 379-401; W. Helck, Archive, in: W. Helck u. a. (Hg.), Lexikon der Ägyptologie I, Wiesbaden 1975, Sp. 422-423, sowie V. Wessetzky, Bibliothek, in: W. Helck u. a. (Hg.), Lexikon der Ägyptologie I, Wiesbaden 1975, 783-785. Siehe S. Sauneron, Un traité égyptien d’Ophiologie (Bibliothèque générale 11), Kairo 1989; K. Stegbauer, Das Brooklyner Schlangenbuch, in: B. Janowski / D. Schwemer (Hg.), Texte zur Heilkunde (TUAT.NF 5), Gütersloh 2010, 274-298; J.-C. Goyon, Le recueil de prophylaxie contre les aggressions des animaux venimeux du Musée de Brooklyn Papyrus Wilbour 47.218.138 (SSR 5), Wiesbaden 2012, siehe dazu auch die Rezension von J. F. Quack, in: Die

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Auf dem papyrologischen Recto, der Vorderseite von Papyrus Brooklyn 47.218.75+86, sind mindestens 240 Rezepte erhalten4), von denen hier ein kleiner Abschnitt erstmals in Übersetzung vorgestellt werden soll. Der Text ist seinem Wesen nach ein Fachbuch zu Beschwerden primär an Rücken, Rectum und Abdominaltrakt des Patienten. Den erhaltenen Symptomen und Behandlungen nach wird es sich dabei zu einem großen Teil um endogene Krankheiten gehandelt haben. Was den Text von bisher bekannten abhebt, ist, daß die zentralen Körperteile Rücken und Rückgrat sind. Für die entsprechenden ägyptischen Worte iat und pesedsch liefern die bisher bekannten und publizierten medizinischen Texte aus Ägypten insgesamt nur drei Belegstellen.5) Rezepte zur Behandlung von Schmerzen am Rücken, wie sie der Brooklyner Text in extenso vorlegt, sind sonst aus Ägypten bisher nicht bekannt. Die Rezeptanfänge und Maßzahlen sind, wie für ägyptische medizinische Texte üblich, in roter Tinte geschrieben (hier durch Kapitälchen wiedergegeben) um sich deutlich vom sonst schwarzen Text abzuheben und so die Benutzung und das Auffinden bestimmter Rezepte zu erleichtern. Das Verso, also die Rückseite des Papyrus, liefert mehrere teils sehr fragmentarische Textkolumnen zu Frauenkrankheiten, deren knappe Formulierung und schlechter Erhaltungszustand einer Betrachtung in diesem Rahmen jedoch entgegenstehen. Hieratisch beschriebener Papyrus. – Fundort: Ankauf, vermutlich Elephantine. – Datierung: 2. Hälfte der 26. Dynastie, um 550 v. Chr. – Aufbewahrungsort: New York, Brooklyn Museum (pBrooklyn 47.218.75+86). – Editionen: unediert, z. Z. in Bearbeitung durch Autorin. – Detailuntersuchungen: U. Verhoeven, Untersuchungen zur späthieratischen Buchschrift (OLA 99), Leuven 2001; P. F. O’Rourke, Charles Edwin Wilbour and the Provenance of His Papyri, in: V. Lepper (Hg.), Essays on Elephantine (i. Vb.); P. F. O’Rourke, The Papyri in the Egyptian Collection of the Brooklyn Museum (i. Vb.). (x+7.3) […]

Leib: iabyt 1 Dja 6), Olivenöl 1⁄2 Dja, senbinef-Pflanze 1⁄8 Dja, ni[ania-Pflanze] […] ⁄64 Dja, nördliches Salz (x+7,4) […] Vogelfett 1⁄64 Dja, Johannisbrotbaum 1⁄64 Dja, erhitzte Kuhmilch 3 Dja […] 1⁄4 Dja, Wasser 3 Dja, werde in den After eingegossen […] (x+7,5) […] jede Krankheit des Kopfes: iabyt 1⁄2 Dja, Olivenöl 1⁄4 Dja, nördliches Salz 1 ⁄64 Dja […] 1⁄32 Dja, Saft der schebet-Melone […] (x+7,6) […] im Leib, Fortnehmen des Verborgenen (?) in allen Gliedern: qadet-Baum 1⁄8 Dja, sam-Pflanze […] 1⁄4 Dja, nördliches Salz 1⁄32 Dja, Saft der […] 1

4. 5.

6.

378

Welt des Orients 43 Göttingen 2013, 256-272; P. F. O’Rourke, A Royal Book of Protection of the Saite Period: pBrooklyn 47.218.49 (Yale Egyptological Studies 9), New Haven 2015. Diese vorläufige Zahl wird sich bis zur Fertigstellung der Rekonstruktion des umfangreichen Materials (und der großen Zahl an Klein- und Kleinstfragmenten) sicher noch erhöhen. Vgl. H. v. Deines / H. Grapow / W. Westendorf, Grundriß der Medizin der Alten Ägypter VII 1, Wörterbuch der Medizinischen Texte – Erste Hälfte, Berlin 1961, 16, sowie dies., Grundriß der Medizin der Alten Ägypter VII 2, Wörterbuch der Medizinischen Texte – Zweite Hälfte, Berlin 1962, 299. Die in den hier vorgestellten Texten auftretenden Einheiten für die Quantenangaben sind Dja und Oipe. Ein Dja hat dabei ein Volumen von 300 ccm und entspricht 1⁄64 eines Oipe-Maßes. Die Unterscheidung der Einheiten geschieht durch die Notationsweise der Bruchzahlen. Vgl. dazu ausführlich T. Pommerening, Neues zu den Hohlmaßen und zum Medizinalmaßsystem, in: S. Bickel / A. Loprieno (Hg.), Basel Egyptology Prize 1. Junior Research in Egyptian History, Archaeology, and Philology (AH 17), Basel 2003, 201-219.

Texte aus Ägypten (x+7,7) […]

[Schmerzstoffe] im Leib: besbes-Pflanze 1⁄2 Dja, nördliches Salz 1⁄16 Dja, samPflanze 1⁄8 Dja, qadet-Pflanze […] 3 Dja, werde in den After eingegossen an [vier] Tagen. (x+7,8) […] Zerbrechen die wechedu-Schmerzstoffe in allen Gliedern, Entfernen jede Krankheit, jede Verstopfung, [jede] Anschwellung […] ausspeien, Entfernen alle Dinge (x+7,9) […] Saft der schebet-Melone 5 Dja, Bier 1 Dja, werde in den After eingegossen. Ein anderes zum Brechen […] iabyt 1⁄2 Dja, Vogelfett 1⁄8 Dja (x+7,10) […] werde in den After eingegossen an vier Tagen. Ein anderes: iabyt 1⁄2 Dja, frisches Olivenöl 1⁄2 Dja, Blatt von […], [Blat]t von Christdorn 1 ⁄8 Dja, süßes Bier (x+7,11) […] After. Ein anderes zum Brechen der wechedu-Schmerzstoffe, zum Entfernen aller schlechten Dinge im Leib […] nördliches Salz 1⁄4 Dja, Wasser 4 Dja, werde in den After eingegossen an vier Tagen. (x+7,12) […] Erbrechen (lassen) alles was in ihm ist, das Schneiden in seinem Herzen: iabyt 1⁄2 Dja, Olivenöl […] Vogel[fet]t 1⁄4 Dja, iqet-Teil der qebu-Pflanze (x+7,13) […] After an vier Tagen. Ein anderes zum Fortnehmen der wechedu-Schmerzstoffe, zum Entfernen das bel: iabyt […] Vogelfett 1⁄2 Dja, »Großer Schutz« 1⁄16 Dja, Frucht (x+7,14) […] 1 Dja, werde in den After eingegossen an vier Tagen. Ein anderes fr dasselbe, zum Entfernen jeder Krankheit des Leibes: iabyt […] 1⁄2 Dja, mahau-Stoff des Vogelfetts 1⁄8 Dja, Milch (x+7,15) […] nördliches Salz 1⁄16 Dja, Saft der isSchilf des Beetes 1⁄2 Dja, Olivenöl 1⁄4 Dja, dergleichen. Ein anderes zum […]hEntferneni jeder hema-Schwellung des Krpers: iabyt 1⁄2 Dja (x+7,16) […] Frauen[milch] 3 Dja, süßes Bier […]. Ein anderes: iabyt 1⁄2 Dja, Vogelfett 1⁄2 Dja […] frischer Weihrauch 1⁄8 Dja, frisches Olivenöl 1⁄8 Dja, nördliches Salz (x+7,17) […] Leib. Ein anderes: Eselskot, sam-Pflanze […] beded-Pflanze […] …… (x+8,2) […] Ein anderes zum Fortnehmen der Winde im Leib […] Bier 2 Dja oder Milch, (x+8,3) ebenso. Ein anderes fr dasselbe, zum Entfernen den Hauch […] Vogelfett 1⁄4 Dja, iabyt 1⁄2 Dja, Fayence 1 Dja, Milch […] …… (x+8,4) Ein anderes: Honig 1 Dja, Olivenöl 1 Dja, nördliches Salz 1⁄16 Dja, Saft der schebetMelone 3 Dja […] Frucht des Johannisbrotbaums 1⁄8 Dja, Haarfruchtpflanze (x+8,5) 1⁄8 Dja, Dattel 1⁄2 Dja, werde mit 4 Dja Bier fein zermahlen, werde nachts dem [Tau] ausgesetzt […] 1⁄4 Dja, frischer Weihrauch 1⁄8 Dja, werde in den After eingegossen an vier Tagen. Ein anderes: Frucht […] Johannisbrotbaum 1 Dja, beded-Pflanze 1⁄16 Dja, giu (x+8,6) 1⁄32 Dja, iabyt 1⁄128 Dja, Bier 4 Dja, werde eingegossen […] …… (x+8,7) Ein anderes zum [Tten/Brechen] […] im Leib: mafet-Baum, Saft der schebet-Melone, werde in den After eingegossen an vier Tagen. 7) 7.

Das Fehlen von Maßangaben in diesem und einigen anderen Rezepten läßt nicht zwangsläufig

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Ein anderes: ia[byt] […], Vogelfett, werde in den After eingegossen an vier Tagen. (x+8,8) Ein anderes fr das Zusammenziehen des Leibes, zum Entfernen der Schwche (?) […] werde gekocht mit 4 Dja Wasser, werde in den After eingegossen an vier Tagen. Sehr gut! Ein anderes: Blätter der Nilakazie, werde mit Wasser fein zermahlen […], Saft der schemschem-Pflanze 1⁄2 Dja, Frauenmilch (x+8,9) 1⁄2 Dja, werde in den After eingegossen. Ein anderes zum Khlen des Leibes, zum Entfernen […] Blätter der Nilakazie, werde mit 2 Dja Wasser fein zermahlen, Saft der Johannisbrothülse 2 Dja, werde nachts dem Tau ausgesetzt, ebenso. …… (x+8,11) Ein anderes zum [Entfernen] der aaa-Einwirkung eines Toten oder einer Toten im Leib: iabyt 1⁄2 Dja […] (x+8,12) Vogelfett 1⁄4 Dja, süßes Bier[…] Dja, Blatt des aru-Baumes 1⁄2 Dja, Blätter der schespet-Melone 1⁄2 Dja, Frucht der biat-Pflanze 1⁄16 Dja, werde fein zermahlen, werde nachts [dem Tau] ausgesetzt, werde am Morgen zwei Mal durchgeseiht, werde zu einer Masse vermischt, werde in den After eingegossen (x+8,13) an vier Tagen. Mittel des Arztes zum Untersuchen des Gttersamens im Krper: Honig 1 Topf, Vogelfett 1⁄4 Dja, »Großer Schutz« 1⁄8 Dja, beded-Pflanze 1⁄128 Dja, süßes Bier[…] Dja, werde [in] den After eingegossen an vier Tagen. Ein anderes: iabyt 1⁄2 Dja, Olivenöl 1⁄2 Dja, frischer (x+8,14) Weihrauch 1⁄4 Dja, trockene Myrrhe 1⁄32 Dja, Bier[…] Dja, ebenso. Ein anderes zum Entfernen der aaa-Einwirkung eines Toten oder einer Toten im Leib und in allen Gliedern: Saft der schebet-Melone 5 Dja, nördliches Salz 1⁄64 Dja, denegKürbis des östlichen Fremdlandes 1⁄64 Dja (x+8,15) […] Fett […], frisches Behenöl 1⁄8 Dja, Vogelfett[…] Dja, Honig 1⁄2 Dja, […] Mehl der Johannisbrothülse 1⁄32 Dja, werde erhitzt, werde abgekühlt, [werde eingegossen in den Afte]r an vier Tagen. Ein anderes fr das Fortnehmen des Verborgenen (?) eines Toten oder einer Toten im Leib, in den beiden Beinen, im After […] (x+8,16) […] 1 Dja, Schweinefett 1⁄4 Dja, frisches Behenöl 1⁄4 Dja, M[ilch] […] 1⁄64 Dja, Saft von […] 1⁄4 Dja […] (x+8,17) […], verbringe die Nacht fastend.

7.1.2 pChester Beatty VI, BM EA 10686

Papyrus Chester Beatty VI ist Teil eines größeren Papyrusfundes, den Bernard Bruyère 1928 in der Nekropole von Deir el-Medina machte. Ein Teil dieses Fundes wurde durch den Bergbauingenieur und Großindustriellen Alfred Chester Beatty angekauft und durch diesen 1930 dem British Museum London geschenkt. Seit Mai 2009 befindet sich der hier im Mittelpunkt stehende Text als Dauerleihgabe im Great North Museum in Newcastle. Auch von diesem Schriftträger ist für unsere hiesige Fragestellung primär das Rekto von Bedeutung. Es überliefert in acht unterschiedlich gut erhaltenen Kolumnen auf ein 1:1 Verhältnis der Drogen schließen. Ebenso kann in einem solchen Fall davon ausgegangen werden, daß dem Heiler die nötigen Quanten als Erfahrungswerte bekannt waren.

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Texte aus Ägypten

41 Rezepte (je nach Zählung) zur Behandlung von Geschwüren, Hitzeerscheinungen, Schmerzen und diversen anderen Leiden und Symptome an Anus, Rektum und im unteren Abdominalbereich. Hieratisch beschriebener Papyrus. – Fundort: Deir el-Medina. – Datierung: 19. Dynastie, um 1250 v. Chr. – Aufbewahrungsort: Egyptian Gallery des Great North Museum Newcastle. – Editionen: A. H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift, vol. I, London 1935, 53-54; F. Jonckheere, Le Papyrus médical Chester Beatty. La Médecine égyptienne No 2, Bruxelles 1947. – Maßgebliche Übersetzungen: H. v. Deines / H. Grapow / W. Westendorf, Übersetzung der medizinischen Texte, 2 Bde., Grundriß der Medizin der Alten Ägypter IV, Berlin 1958; T. Bardinet, Les Papyrus médicaux de l’Égypte pharaonique. Traduction intégrale et commentaire, Paris 1995, 455-460; W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Bd. 1 (HO I 36.1), Leiden/Boston/Köln 1999. – Detailuntersuchungen: P. W. Pestman, Who were the Owners, in the »Community of Workmen«, of the Chester Beatty Papyri, in: R. J. Demarée (Hg.), Gleanings from Deir el-Medîna (Eg. Uitg. I), Leiden 1982, 155-172. (x+4,1) Ein

anderes Mittel, das gemacht wird fr die Quetschung (x+4,2) eines benu-Geschwrs: (x+4,3) Fischschuppen des Meeres, (x+4,4) giu der Oase, (x+4,5) Blatt des Flachses, (x+4,6) Saft von mesta, (x+4,7) werde gemischt zu einer Masse (x+4,8) mit diesen. Dann sollst du machen (x+4,9) 12 Kügelchen, von denen du je (x+4,10) 4 Kügelchen an seinen After gibst, bis er gesund wird. (x+4,11) Ein anderes, das gemacht wird, nachdem es (unverndert) geblieben ist: (x+4,12) besbes 1, (x+4,13) Geflügelfett 1, (x+4,14) Honig 1: (x+5,1) Werde gegeben in einen Beutel aus Stoff. Dann sollst du 4 Kügelchen machen. Es werde je eine von ihnen täglich in den After gegeben. Wenn du danach (x+5,2) Blut findest, indem es herausfließt (wie?) Wasser, dann sollst du für ihn machen: Frucht des Wacholders: Werde zerstoßen, werde in den Tau gegeben, es werden alle Glieder (x+5,3) damit belegt, bis er gesund wird. Wenn du danach Blut findest, indem es 5 Tage lang herausfließt, dann sollst du für ihn als Heilmittel machen: (x+5,4) Bleiglanz, Fett des Steinbocks, mimi: Werde fein zerrieben zu einer Masse, werde zu 4 Kügelchen gemacht, werde nachts dem Tau ausgesetzt, werde in den After (x+5,5) gegeben, bis er gesund wird. Ein Heilmittel aller Dinge am After: Mehl der Johannisbrotfrucht 1, nördliches Salz 1, Natron 1, (x+5,6) östliches Salz 1, Honig 1. Ein anderes ebenso: chesau-Teil des ima-Baumes 1, Johannisbrotfrucht 1, Honig 1, (x+5,7) Natron 1: Werde zu einer Masse gemacht, werde an vier Tagen damit verbunden. Heilmittel des Entfernens einer Umwendung am After: Mehl der Langbohne 1, (x+5,8) nördliches Salz, Geflügelfett, Gerstenbrei, Honig: Werde zu einer Masse gemacht, werde an vier Tagen auf den After gegeben. Ein anderes Heilmittel (x+5,9) der Quetschung eines benu-Geschwrs, des Entfernens der Hitze auf seinem After, auf der Blase, auf dem saq-meschat-Krperteil (x+5,10) fr einen Mann oder eine Frau: Natron 1, roter Ocker 1, Weihrauch 1, sefetsch-Öl 1, Honig 1, trockene Myrrhe 1, aromatische (x+5,11) Myrrhe 1, Frucht vom Mandelbaum 1, Frucht der tschewen-Pflanze 1, Frucht des schen-Baumes 1, Schilfrohr 1, geschmeidiges

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Fett 1, Storax (?) 1, qeni-Pflanze 1, (x+5,12) [tischepes-Baum] 1: Werde fein zerrieben, werde damit verbunden, bis er gesund wird. Ein anderes Heilmittel zum Eintreten Lassen der Blase, zum Entfernen der schenfetKrankheit, zum Entfernen (x+5,13) jeder Krankheit auf dem After fr einen Mann oder eine Frau: Olivenöl 1, merhet-Öl 1, Honig 1, nördliches Salz 1, Milch (x+6,1) des Menschen 1: Werde an vier Tagen in den After eingegossen. Was danach als Verband gemacht wird: Myrrhe 1, Geflügelfett 1, Kreuzkümmel 1, (x+6,2) Weihrauch 1, Honig 1: Werde zu einer Masse gemacht, werde damit verbunden, bis er gesund wird. Wenn es hervor fließt wie eine Einwirkung, (x+6,3) indem eine benu-Geschwulst auf der Blase ist, indem setet-Schleimstoff in seinen Gelenken ist, indem er Wasser ausscheidet zwischen seinen Hinterbacken, indem seine Glieder unter (x+6,4) seref-Hitze sind wegen des Leidens, indem sein Urin ausgelaufen ist, schmerzhaft ist sein Gehen, sein After ist schwer und sein Ausfluss (x+6,5) hrt nicht auf. Dann sollst du dazu sagen: Eine Belastung seines Afters ist dies, eine Krankheit, die ich behandeln werde. Dann sollst du als Heilmittel machen, bis er gesund wird: (x+6,6) Geflügelfett 1⁄64 Oipe, Honig 1⁄64 Oipe, Milch des Menschen 3⁄64 Oipe: Werde an vier Tagen in den After eingegossen. Ein anderes Heilmittel, das danach gemacht (x+6,7) wird: Saft von mimi 1, Saft von schemschem 1, Saft der qebit-Pflanze 1, frischer Brei 1, Geflügelfett 1, Rhizome des (x+6,8) Lotus 1, Blatt der Nilakazie: Werde zu heiner Massei gemacht, werde an vier Tagen in den After eingegossen. Handbuch einer Sammlung der Mittel des Arztes: Heilmittel (x+6,9) zum Entfernen der achu-Hitze im Brustraum, zum Behandeln seiner seitlichen Rippengegend und zum Khlen des Afters: Erdmandel 1⁄64 Oipe, grüne Dattel 1⁄64 Oipe, Gummiharz 1⁄32 Dja, (x+6,10) Frucht des Wacholders 1⁄32 Dja, inset-Pflanze 1⁄16 Dja, gelber Ocker 1⁄32 Dja, Honig 1 ⁄32 Dja, Wasser 5⁄64 Oipe: Werde vier Tage lang durchgeseiht. Das was danach als Einguß gemacht (x+6,11) wird: Honig, Schilfrohr 1⁄64 Oipe, frisches Behenöl 1⁄2 Dja, nördliches Salz 1⁄8 Dja […] (x+6,13A) 8) Ein anderes Heilmittel zum Behandeln des Brustraums, zur Khlung des Herzens, zur Khlung des Afters, zum Entfernen aller Hitze in ihm: grüne Dattel 1⁄64 Oipe, geritzte Sykomorenfrüchte 1⁄2 Dja, Weintrauben 1⁄2 Dja, mimi 1⁄4 Dja, Erdmandel 1 ⁄64 Oipe, Honig 1⁄4 Dja: Werde nachts dem Tau ausgesetzt, werde durchgeseiht, werde an vier Tagen eingenommen. (x+6,12) Was danach als Einguß gemacht wird: Milch von Schaf oder Ziege, Honig: (x+6,13) Werde an vier Tagen in den After eingegossen. Ein anderes Mittel zur Khlung des Herzens, zur Khlung des Afters, zum Beleben der Gefße. Was gemacht wird (x+7,1) in der Schemu-Jahreszeit: zerkleinerte Erdmandel 1 ⁄64 Oipe, grüne Dattel 1⁄64 Oipe, schen-Frucht 1⁄16 Dja, hemu-Teil der kaka-Pflanze 1⁄2 Dja, (x+7,2) Honig 1⁄4 Dja, Wasser: Werde je 5⁄64 Oipe an vier Tagen eingenommen. Ein anderes 9) Heilmittel, das danach gemacht wird als Khlung: Honig 5⁄64 Oipe, fri8.

9.

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Diese Zeile ist eine Ergänzung unterhalb der Textkolumne. Im Text ist die Stelle, an der die Zeile einzufügen war durch ein X gekennzeichnet. Der eigentliche Beginn der Zeile x+6,12 wird durch die ausführliche Korrektur x+6,13A zur Dublette und wird hier zur besseren Lesbarkeit weggelassen. Das erste Wort am Rezeptanfang wurde hier mit schwarzer Tinte geschrieben um eine deut-

Texte aus Ägypten

sches Behenöl 1⁄4 Dja, (x+7,3) süßes Bier 1⁄32 Oipe: Werde an vier Tagen in den After eingegossen. Ein anderes Heilmittel zum Entfernen der kapu-Hitze auf dem Herzen: grüne Dattel 1⁄64 Oipe, Honig 1⁄4 Dja, (x+7,4) süßes Bier 1⁄32 Oipe: Werde an vier Tagen in den After eingegossen. Ein anderes Heilmittel, das danach als Einguß gemacht wird: nördliches Salz 1⁄4 Dja, mehut 1⁄2 Dja, (x+7,5) Wasser der Johannisbrotfrucht 1⁄32 Oipe, süßes Bier 3⁄64 Oipe: Werde an vier Tagen in den After eingegossen. Ein anderes Heilmittel zur Khlung des Herzens, zum Entfernen der kapu-Hitze auf (x+7,6) dem After: Weintrauben 1⁄64 Oipe, Erdmandel 1⁄64 Oipe, inset-Pflanze 1⁄16 Dja, Honig 1 ⁄8 Dja, Wasser: Werde durchgeseiht, werde 5⁄64 Oipe an vier Tagen eingenommen. Ein anderes Heilmittel zum Entfernen der kapu-Hitze (x+7,7) am After: Weintraubenkerne 1⁄16 Dja, cha-Teile der schespet-Melone 1⁄16 Dja, grüne Dattel 1⁄8 Dja, Brei 1⁄32 Dja, Wasser: Werde nachts (x+7,8) dem Tau ausgesetzt, werde 1⁄32 Oipe an vier Tagen eingenommen. Ein anderes Mittel, das danach als Einguß gemacht wird zum Entfernen der kapu-Hitze am After und fr seine Khlung: schemschemet-Pflanze (x+7,9) 1⁄4 Dja, Johannisbrotfrucht 1⁄32 Dja, Saft von mesta 5⁄64 Oipe: Werde an vier Tagen in den After eingegossen. Trotz der Kürze der von beiden Texten vorgestellten Abschnitte, läßt sich erkennen, daß bei deren Komposition bzw. Kompilation (eventuell jeweils aus mehreren verschiedenen, Quellen) durchaus auf eine Binnengliederung geachtet wurde. Deutlich sind die Häufungen von Rezepten, die Totengeistern einen Anteil an der Erkrankung zuschreiben, im unteren Teil der Kolumne x+8 im Brooklyner Text sowie die von Rezepten gegen die kapu-Hitze im Papyrus Chester Beatty VI. Man darf hier keine vollkommen strikte Ordnung erwarten und der Erhaltungszustand der Rezeptanfänge und Symptombeschreibungen erschwert entsprechende Untersuchungen zusätzlich, aber der Drang des altägyptischen Schreibers, in diesen Fachbüchern eine Binnengliederung zu schaffen, ist ersichtlich. Schnell wird aber auch deutlich, daß uns Rezepte der Art, wie sie Papyrus Brooklyn 47.218.75+86 liefert, wenige bis gar keine Rückschlüsse auf das Hintergrundwissen und die anatomischen Kenntnisse der altägyptischen Heiler erlauben – Kenntnisse, die die zitierten Texte voraussetzen und die der ägyptische Arzt während seiner Ausbildung, wohl auch unter Einbeziehung ausführlicherer Lehrtexte, erworben hatte. 10) Papyrus Chester Beatty VI stellt uns in weiten Teilen vor dieselben Probleme, enthält aber zumindest einige Rezepte, denen eine ausführliche Symptombeschreibung mit Diagnose und Verdikt vorangestellt ist. Zum großen Glück für die ägyptologische Forschung sind uns auch einige wesent-

10.

liche optische Abgrenzung zum mit roter Tinte geschriebenen Ende des vorhergehenden Rezeptes zu erreichen. Siehe hierzu u. a. J. Stephan, Überlegungen zur Ausbildung der Ärzte im Alten Ägypten, SAK 24 (1997) 301-312; siehe außerdem S. Radestock, Prinzipien der ägyptischen Medizin, Medizinische Lehrtexte der Papyri Ebers und Smith, Eine wissenschaftstheoretische Annäherung (Wahrnehmungen und Spuren Altägyptens 4) Würzburg, 2015, 121 ff. zur Unterscheidung verschiedener medizinischer Textsorten.

383

Juliane Unger

lich ausführlichere medizinische Texte, bzw. Textabschnitte überliefert worden, die die Lücken der reinen Rezepturaufzählungen zumindest teilweise schließen. Der wohl bekannteste von ihnen ist Papyrus Ebers, der in einem vielzitierten Abschnitt nicht nur eine Vorstellung der Alten Ägypter zum Gefäßsystem beleuchtet, sondern in mehreren anderen auch ein den schon genannten Schmerz- und Schleimstoffen zugrundeliegendes Konzept für uns greifbarer macht. 11) Mit J. F. Quack sei aber auch deutlich auf die Risiken verwiesen, die bestehen, wenn wir versuchen, aus verschiedenen medizinischen Texten verschiedener Epochen der ägyptischen Geschichte allgemeingültige Rückschlüsse auf zugrundeliegende Konzepte zu ziehen oder uns gar zu der Annahme verleiten lassen, »… daß die Ägypter ein einfaches und universales Konzept über die Ursachen aller Krankheiten hatten; eher könnten sie in einer offenen und flexiblen Weise sehr verschiedene Ursachen für verschiedene Leiden gesehen haben.«12) Auch die Möglichkeit von Bedeutungsverschiebungen und sich über einen längeren Zeitraum verändernden Konzeptionen und Vorstellungen sollte immer in Betracht gezogen werden, wenn wir uns im Folgenden den schon erwähnten Abschnitten des Papyrus Ebers zuwenden.13)

7.1.3 pEbers Hieratisch beschriebener Papyrus. – Fundort: Ankauf, vermutlich Theben/West. – Datierung: Beginn des Neuen Reiches, um 1550 v. Chr. – Aufbewahrungsort: Universitätsbibliothek Leipzig. – Editionen: G. Ebers, Papyros Ebers. Das hermetische Buch über die Arzneimittel der Alten Ägypter in hieratischer Schrift, 2 Bde., Leipzig 1875; W. Wreszinski, Der Papyrus Ebers: Umschrift, Übersetzung und Kommentar (Die Medizin der Alten Ägypter 3), Leipzig 1913. – Maßgebliche Übersetzungen: B. Ebbell, The Papyrus Ebers. The Greatest Egyptian Medical Document, Copenhagen 1937; von Deines / Grapow / Westendorf, Grundriß der Medizin IV; Bardinet, Les papyrus médicaux; Westendorf, Handbuch. – Detailuntersuchungen: H. Grapow, Bemerkungen zum Papyrus Ebers als Handschrift, in: ZÄS 71 (1935) 160-164; R. Scholl, Der Papyrus Ebers: die größte Buchrolle zur Heilkunde Altägyptens (Schriften aus der Universitätsbibliothek Leipzig 7), Leipzig 2002; Pommerening, in: Bickel / Loprieno (Hg.), Basel Egyptology Prize 1, 201-219; H.-W. Fischer-Elfert (Hg.), Papyrus Ebers und die antike Heilkunde (Philippika 7), 2005; T. Pommerening, Von Impotenz und Migräne – eine kritische Auseinandersetzung mit Übersetzungen des Papyrus Ebers, in: A. Imhausen / T. Pommerening (Hg.), Writings of early scholars in the Ancient Near East, Egypt, Rome, and Greece (Beiträge zur Altertumskunde 286), Berlin/New York 2010, 153-174; J. Stephan, Die altägyptische Medizin und ihre Spuren in der abendländischen Medizingeschichte (Ägyptologie 1), Wiesbaden 2011; Radestock, Prinzipien der ägyptischen Medizin. (51,15) Anfang

der Heilmittel fr das Abgehen lassen von setet-Schleimstoffen im Bekkenraum: Ein Kraut, senutet (51,16) ist sein Name, es wächst auf seinem Bauch wie die

11. 12. 13.

384

Siehe für eine ausführlichere Beschreibung des Textes Westendorf, Handbuch, 22 ff. J. F. Quack, Medizinhistorisches Journal 38 (2003) 12. Dieses Problem kann durchaus auch innerhalb von homogen wirkenden Sammelhandschriften auftreten, die oftmals aus verschiedenen und verschieden alten Quellen zusammengestellt wurden; vgl. Quack, Medizinhistorisches Journal 38 (2003) 8.

Texte aus Ägypten

qadet-Pflanze, es bringt eine Blüte wie der Lotus hervor, (51,17) so daß seine Blütenblätter aussehen wie weißes Holz. Dann wird es gebracht, dann wird es zerrieben auf dem (51,18) Beckenraum (des Patienten), dann werden sie (sie = setet-Schleimstoffe) sofort abgegangen sein. Ferner gibt man ihre Frucht (die der senutet-Pflanze) auf Brot dem Kranken, (51,19) um zu veranlassen, daß sie (sie = setet-Schleimstoffe) abgehen aus dem Beckenraum. Ein anderes [Heilmittel]: Wenn du einen Mann betrachtest, setet-Schleimstoffe sind (51,20) in seinem Nacken, er leidet am Gelenk des Nackens, er leidet an seinem Kopf, der Wirbel (51,21) des Nackens ist steif, sein Nacken ist belastet, nicht ist es ihm mglich, auf (51,22) seinen Bauch zu blicken, es ist schlimm fr ihn. Dann sollst Du sagen: Ein mit setet-Schleimstoffen in seinem Nacken Belasteter. (52,1) Dann sollst du veranlassen, daß er sich salbt und daß er sich schminkt, so daß es ihm sofort besser geht. 14) Ein anderes [Heilmittel]: Wenn du einen betrachtest, (52,2) der mit setet-Schleimstoffen mit schneidenden Schmerzen beladen ist, sein Bauch ist dadurch steif, und er leidet an (52,3) seinem Magen: Es sind seine setet-Schleimstoffe in seinem Bauch und sie finden keinen Weg zum Herausgehen. Es gibt aber auch keinen (52,4) Weg, auf dem sie aus ihm herausgehen könnten. Dann verfaulen sie in seinem Bauch, sie können nicht herauskommen und sie werden zu (52,5) hesbet-Gewürm. Sie werden aber nicht zu hesbet-Gewürm, bevor sie zu Abgestorbenem werden. (52,6) Dann scheidet er sie aus, dann geht es ihm sofort besser. Wenn er sie nicht ausscheidet als (52,7) hesbet-Gewürm, dann sollst du für ihn machen Mittel für das Ausscheiden, so daß es ihm sofort besser geht. …… (103,1) Beginn des Buches ber das Durchziehen der wechedu-Schmerzstoffe in allen Krpergliedern des Mannes, wie es vorgefunden wurde als Schriftstck (103,2) unter den Fßen des Anubis 15) in Letopolis. Es wurde gebracht zur Majestt, dem Knig von Ober- und Untergypten, (Chaseti)|, gerechtfertigt. 16) Was den Mann anbetrifft: Es sind (103,3) zwölf Gefäße 17) zu seinem Herzen. Sie sind es, die (Stoffe) geben an all seine Körperglieder. Es sind zwei Gefße in ihm als schetiu-Gefäße (103,4) seiner Brust. Sie sind es, die die Hitze erzeugen im After. Was dagegen gemacht wird: frische Datteln, hemu-Teile der (103,5) kaka-Pflanze, tepaut-Teile der Sykomore, werde mit Wasser zu einer Masse zerstoßen, werde durchgepreßt, werde an vier Tagen eingenommen. Es sind (103,6) zwei Gefße in ihm zu seinem Oberschenkel. Wenn er an seinem Oberschenkel leidet und seine Beine zittern, dann sollst du dazu sagen: Es ist dieses schetiuGefäß (103,7) seines Oberschenkel, es hat eine Krankheit empfangen. Was dagegen gemacht wird: Pflanzenschleim, saam-Pflanze, Natron, (103,8) werde zu einer Masse gekocht, werde durch den Mann an vier Tagen getrunken. Wenn ihn sein Nacken schmerzt und seine beiden (103,9) Augen getrbt sind, dann sollst du dazu sagen: Es sind diese Gefäße seines Nackens, sie haben eine Krankheit 14. 15. 16. 17.

Siehe zu diesem Abschnitt auch R. Hannig / O. Witthuhn, Ägyptische medizinische Texte des 2. Jt. v. Chr., in: B. Janowski / D. Schwemer (Hg.) TUAT.NF 5, Gütersloh 2010, 232. Gemeint ist wohl eine Statue dieses Gottes. Pharao Dewen, 1. Dynastie, um 2930 v. Chr.; vgl. J. v. Beckerath, Chronologie des pharaonischen Ägypten (MÄSt 46), Mainz 1997. Fehlerhaft für 22.

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empfangen. Was dagegen gemacht wird: (103,10) chet-des-Pflanze, Schmutzwasser des Wäschers, »Haarfrucht«-Pflanze, schames-Pflanze, werde vermischt (103,11) in Honig, werde an seinen Nacken gegeben, werde an vier Tagen damit verbunden. Es sind zwei Gefße in ihm zu seinem Oberarm. Wenn seine (103,12) Schulter schmerzt und seine Finger zittern, dann sollst du dazu sagen: Es sind setet-Schleimstoffe. Was dagegen gemacht wird: Ihn erbrechen lassen durch Fische in Bier (103,13) und djas-Pflanze oder Fleisch, zudem werden seine Finger verbunden mit »Kugeln des Seth-Stieres«-Pflanze, bis er gesund wird. Es sind zwei Gefße in ihm zu (103,14) seinem Hinterkopf. Es sind zwei Gefße in ihm zu seiner Stirn. Es sind zwei Gefße in ihm zu seinem Auge. Es sind zwei Gefße in ihm zu (103,15) seiner Augenbraue. Es sind zwei Gefße in ihm zu seiner Nase. Es sind zwei Gefße in ihm zu seinem rechten Ohr. Es tritt (103,16) der Lebenshauch in sie ein. Es sind zwei Gefße in ihm zu seinem linken Ohr. Es tritt der Todeshauch in sie ein. (103,17) Es kommen alle (Gefäße) zu seinem Herzen, sie teilen sich auf zu seiner Nase, sie vereinigen sich alle (wieder) zu seinem After. (Jede) Krankheit (103,18) des Afters entsteht durch sie. (Ihre) Ausscheidungen sind es, die das Kommen (der Krankheit) herbeiführen. Es sind die Gefäße der beiden Beine, die beginnen zu sterben. 18)

7.1.4 Gefäße, Krankheitsstoffe und das Problem der retrospektiven Diagnose

Die zitierten Abschnitte des Papyrus Ebers erlauben uns also einen Einblick in einige humoralpathologische Vorstellungen der Alten Ägypter, sowie in eine Variante der ägyptischen Vorstellungen zum Gefäßsystem. Dabei ergibt sich in der Zusammenschau der weiteren verfügbaren altägyptischen Quellen für das hier mit »Gefäße« übersetzte Wort metu ein Bedeutungsfeld, das verschiedene Hohlgefäße und Stränge im menschlichen Körper in sich vereint. So können je nach Text und Textstelle unter anderem Venen, Arterien, bestimmte Muskelstränge oder Sehnen, aber auch der Harnleiter gemeint sein. Ein moderner anatomischer Begriff, der dieses Bedeutungsspektrum wirklich abdeckt, existiert nicht. Wollten die Alten Ägypter den Begriff genauer verorten, nutzten sie ihn in Verbindung mit der entsprechenden Lokalisation. 19) Zentrale Punkte dieser Gefäßlehre sind das Herz und der After. 20) Die Beschreibungen zum Verlauf der met-Gefäße, zeigen, daß diese als Verbindungen zwischen Organen und Körperteilen gedacht waren, in denen verschiedene Stoffe, wie Wasser, Luft oder Harn, transportiert wurden. 21) Aber auch die wechedu-Schmerzstoffe und setet-Schleimstoffe, die uns in den vorher zitierten Texten schon innerhalb der Symptom-, bzw. Krankheitsbeschreibungen begegnet sind, werden in den met-Leitungen transportiert und können auf diese Weise den Körper »durchziehen«. Beide entstehen durch Störungen im normalen 18. 19. 20. 21.

386

Vergleiche zu pEbers 103, 1-103, 18 auch die Parallele in pBerlin 3038 163a-h u. a. bei Hannig / Witthuhn, TUAT.NF 5, 219-220. Pommerening, in: Imhausen / Pommerening (Hg.), Writings of early scholars, 154. Ein umfangreicher Kommentar zu den Rezepten des pEbers, in denen das Gefäßsystem eine Rolle spielt bei Stephan, Die altägyptische Medizin. Eine Aufstellung bei Stephan, Die altägyptische Medizin, 64.

Texte aus Ägypten

Verdauungsablauf und können über das Gefäßsystem im gesamten Körper zu Schmerzen und anderen Krankheitssymptomen führen. Dabei sind die wecheduSchmerzstoffe mit mehr als 100 bekannten Belegen das am häufigsten genannte medizinische Phänomen in den Texten des Alten Ägypten. 22) Nähere Deutungen des ebenfalls im pBrooklyn und im pChester Beatty auftretenden Begriffes der aaa-Einwirkung sowie die Unterscheidungskriterien für die vielen verschiedenen Formen von Hitze, die in den medizinischen Texten genannt werden, entziehen sich uns dagegen auch in einer umfassenderen Zusammenschau der verfügbaren Quellen. 23) Mit den vorgestellten Textabschnitten des Papyrus Ebers tritt uns mit Stephan »… eine konsistente humoralpathologische Krankheitslehre [entgegen], die alle »internistischen« Krankheiten zu erklären in der Lage war.« Es sollte aber auch deutlich geworden sein, daß, v. a. im Hinblick auf die schon genannten Risiken bei der Zusammenschau verschiedener Texte, es mit Hilfe der erhaltenen Quellen nicht möglich ist, allgemeine, für den gesamten Wirkungszeitraum der altägyptischen Medizin gültige Krankheitskonzeptionen zu rekonstruieren. Zumal mit J. F. Quack auch seitens der Ägypter, »… zumindest in den in der Erhaltung bevorzugten medizinischen Handschriften aus Ägypten offenbar wenig Bedarf daran bestand, ein theoretisches Grundkonzept darzulegen, weit mehr dagegen, mit den konkreten Fällen sinnvoll umzugehen.«24) Inzwischen hat sich die Forschergemeinschaft zum großen Teil davon entfernt, sämtlichen altägyptischen Krankheitsbezeichnungen moderne Termini zuordnen zu wollen. Vielmehr steht nun die Suche nach den zugrundeliegenden Krankheitskonzepten und den damit verbundenen Überlegungen zur Arzneimittelauswahl im Fokus. Dies ist zu begrüßen, da Symptome in hohem Grade kulturspezifisch sind und »… die antiken Zuordnungsprinzipien von Symptomen zu bestimmten Krankheiten nicht notwendigerweise mit modernen Syndromen übereinstimmen müssen.« Zudem ist selbst bei einer angenommenen erfolgreichen Identifikation »… kein tieferes Verständnis von Krankheitskonzepten der betreffenden Kultur gewonnen, sondern nur die Existenz eines heute wahrgenommenen Symptomkomplexes in der Antike nachgewiesen.« 25) Umgekehrt kann uns natürlich die Paläopathologie durch Untersuchungen an Mumien und Skeletten einen grundlegenden Einblick geben, an welchen Krankheiten die Alten Ägypter litten, vorausgesetzt natürlich, diese haben sich in den sterblichen 22.

23.

24. 25.

Vgl. die Belegstellen im GdM VII 1, Wörterbuch der medizinischen Texte, 208-214; außerdem grundlegend zu den wechedu-Schmerzstoffen R. O. Saunders, Aetiological principle of pyaemia in ancient Egyptian medicine (Bulletin of the history of medicine, Supplements 10), Baltimore 1948. Siehe zu den aaa-Einwirkungen und anderen humoralpathologischen Begriffen, die hier der gebotenen Kürze wegen keine Erwähnung finden konnten Stephan, Die altägyptische Medizin, sowie speziell zu den aaa-Einwirkungen Radestock, Prinzipien der ägyptischen Medizin, 80 ff. Quack, Medizinhistorisches Journal 38 (2003) 13. N. P. Heeßel, Babylonisch-assyrische Diagnostik (AOAT 43), Münster 2000, 11. Ausführlich zu den Vor- und Nachteilen sowie Möglichkeiten der retrospektiven Diagnose äußert sich Radestock, Prinzipien der ägyptischen Medizin.

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Überresten der betroffenen Individuen niedergeschlagen. Abgesehen von den Schwierigkeiten, die auch die paläopathologische Auswertung von Befunden oft bereitet, erlaubt aber selbst der sichere Nachweis einer Krankheit nicht automatisch auch deren sichere Zuordnung zu einem altägyptischen Terminus, denn »… die moderne Paläopathologie vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass sie moderne Diagnosen stellt, nicht aber antike.« 26)

7.2 Zur Wirkweise verschiedener Drogen Gleich zu Beginn des berühmten Papyrus Ebers findet sich in einem Spruch für das Trinken eines Heilmittels ein häufig zitierter Satz, der das Verhältnis von Magie und Medizin in altägyptischen Rezepten sehr gut zu beschreiben scheint: »Stark ist der Zauber wegen des Heilmittels und umgekehrt.« 27) Realiter ist eine Trennung zwischen medizinischen und magischen Texten für das Alte Ägypten »… eine Fiktion.« 28) Trotz der scheinbar klaren Trennung der Begriffe »Zauber« und »Heilmittel« ist zu beachten, daß altägyptische Heilmittel nicht zwangsläufig »magiefrei« sind. 29) Zudem ist in dem oben zitierten Satz die Gegenüberstellung nicht zwischen Magie und Magiefreiheit zu verorten, sondern »… vielmehr die zwischen dem gesprochenen, vielleicht nur gemurmelten Zauberspruch und dem tatsächlichen, auf jeden Fall materiellen Heilmittel, das hergestellt, eingenommen, aufgelegt oder sonst irgendwie appliziert wird. Über den Magieanteil des Heilmittels ist damit noch gar nichts ausgesagt.« 30) Zudem spielen neben der Auswahl bestimmter Stoffe als Heilmittel aufgrund rein experimentell empirisch erworbener Erkenntnisse, Analogiebildungen eine zentrale Rolle bei der Nutzung diverser Drogen als Rezeptbestandteile. Diese sind dabei nicht immer einfach herauszuarbeiten und können neben einfachen Farb- oder Formanalogien auch in hohem Maße kulturell begründet sein, z. B. durch bestimmte Naturbeobachtungen oder religiöse Vorstellungen, deren Kenntnis Voraussetzung für eine erfolgreiche Interpretation ist. Ganz ähnlich verhält es sich mit Antipathiemitteln, die nach dem Prinzip contraria contrariis wirksam sein sollten.31) Nimmt man diese Auswahlkriterien als wichtigen Bestandteil altägyptischer Medi26. 27. 28. 29. 30. 31.

388

H.-W. Fischer-Elfert, Heilkunde im Alten Ägpyten, in: H. Froschauer / C. Römer (Hg.), Zwischen Magie und Wissenschaft, Ärzte und Heilkunst in den Papyri aus Ägypten (Nilus 13), Wien 2007, 52. pEbers 2,2-2,3. Übersetzung nach L. Popko, Thesaurus Linguae Aegyptiae (http://aaew.bbaw. de/tla/ aufgerufen am 03. 01. 2016); Siehe dazu auch J. F. Quack, Magie und Totenbuch – eine Fallstudie (pEbers 2, 1-6), CdÉ 74 (1999) 5-17. C. Leitz, Die Rolle von Religion und Naturbeobachtung bei der Auswahl der Drogen im Papyrus Ebers, in: Papyrus Ebers und die antike Heilkunde (Philippika 7), Wiesbaden 2005, 4162, 42. Siehe dazu auch R. K. Ritner, The Mechanics of Ancient Egyptian Magical Practice (SAOC 54), Chicago 1993, 54-58, 66 f. Leitz, Rolle von Religion und Naturbeobachtung, 43. Leitz, Rolle von Religion und Naturbeobachtung, 44 und K. E. Rothschuh, Konzepte der Medizin in Vergangenheit und Gegenwart, Stuttgart 1978, 112 ff.; Rothschuh unterteilt die Simile-Magie in fünf weitere Untergruppen, die hier aber zu weit führen würden.

Texte aus Ägypten

zin an, erhöht sich der Prozentsatz der magischen Durchsetzung medizinischer Rezepte signifikant. Dabei gilt aber zu beachten, daß diese »magische Durchsetzung« ein Denken in eher modernen Kategorien ist und ein Heilmittel, dessen Wirkungsweise wir als Similemagie klassifizieren würden, für einen altägyptischen Heiler gleichzeitig absolut rational gewirkt haben kann. In keinem Fall ist eine Dichotomisierung zwischen Magie und Medizin für das Alte Ägypten möglich oder ratsam.

7.2.1 Gefahren der Beurteilung von Wirksamkeiten und Möglichkeiten derselben

Das Hauptproblem bei der Beurteilung der Wirksamkeit altägyptischer, medizinischer Rezepte ist natürlich zunächst die zweifelsfreie Identifizierung der antiken Drogennamen. Dabei stellen metaphorische Umschreibungen, spielerische Schreibungen und andere Formen von Decknamen nur einen Teil der Schwierigkeiten dar. Doch selbst wenn man sich beim Punkt Identifizierung sicher ist, bleiben viele weitere, die es zu bedenken gilt. Zunächst können wir nicht davon ausgehen, daß die chemische Zusammensetzung heutiger Pflanzen exakt mit der damaligen übereinstimmt. Darüber hinaus können Wuchsort, Erntezeitpunkt und -methode, Ernteort sowie die verwendeten Pflanzenteile und deren Zubereitung, wie beispielsweise Kochen, auf die Inhaltsstoffe einen starken Einfluß haben und so sogar zu Unterschieden zwischen Vertretern derselben Spezies führen.32) Zudem konnten erst etwa 25 % der von den Alten Ägyptern verwendeten Heilpflanzen auf einen modernen botanischen Terminus eingegrenzt werden und selbst bei diesen ist nicht immer die exakte phytochemische Zusammensetzung bekannt. 33) Bei mineralischen Drogen verhindert das Fehlen exakter geographischer Herkunftsangaben in den Rezepten eine genaue chemische Bestimmung und Bewertung. 34) Weiterhin ist die Wirkung der einzelnen Inhaltsstoffe in einem zusammengesetzten Heilmittel nicht vollständig vorhersagbar, da die verschiedenen Stoffe sich gegenseitig und somit auch die Gesamtwirkung beeinflussen können. 35) Was die Beurteilung der in den medizinischen Texten oftmals sehr genauen Mengenangaben der einzelnen Drogen angeht, konnte T. Pommerening die altägyptischen Medizinalmaße inzwischen äußerst plausibel klären36), was weiterführende Unter32. 33. 34.

35.

36.

J. M. Riddle, Dioscorides on Pharmacy and Medicine, Austin, 1985. Siehe zu den Heilpflanzen: R. Germer, Handbuch der altägyptischen Heilpflanzen (Philippika 21), Wiesbaden 2008. T. Pommerening, Überlegungen zur Beurteilung der Wirksamkeit altägyptischer Arzneimittel aus heutiger Sicht, in: K. Zibelius-Chen / H.-W. Fischer-Elfert (Hg.), »Von reichlich ägyptischem Verstande«: Festschrift für Waltraud Guglielmi zum 65. Geburtstag, Wiesbaden 2006, 103-112, 104. Pommerening, FS Guglielmi, 105: »Wer die Gesamtwirkung eines altägyptischen Arzneimittels rekonstruieren will – und dies betrifft die Komposition auch aus animalischen oder mineralischen Rezepturbestandteilen –, muß sich bislang damit begnügen, die Wirkungen der Einzelbestandteile, soweit deren pharmakologische Eigenschaften aus modernen Studien bereits bekannt sind, rein additiv zu betrachten. Hieraus wie aus der jeweils mehr oder weniger willkürlichen Ansetzung des Wirkstoffgehalts ergeben sich notwendig mehrere Ungenauigkeiten der historisch-pharmazeutischen Untersuchung.« T. Pommerening, in: Bickel / Loprieno (Hg.), Basel Egyptology Prize 1, 201-219.

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suchungen zu den jeweils verwendeten Dosierungen erlaubt. So konnte sie u. a. am Beispiel von Feige und Kreuzkümmel herausarbeiten, daß die in den Rezepten verwendeten Mengen medizinisch wirksam waren, ohne dabei in den toxischen Bereich zu geraten, was v. a. im Falle des Kreuzkümmels zu beachten ist. 37) Und so schlußfolgert sie: »Die in pharaonischer Zeit eingesetzten Mengen sind in den beiden untersuchten Fällen von den heute angewendeten nicht allzu verschieden; die Einschätzung, daß die altägyptischen Arzneimittel einem für ihre Zeit enormen Standard entsprachen, wird somit – unter den genannten Voraussetzungen – bestätigt.« 38)

7.2.2 Statistiken der Behandlungsweisen und Drogen 39)

Die Anzahl von Mitteln, die zur oralen Einnahme bestimmt waren (24 % pBrooklyn und 31 % pChester Beatty), sowie von Salben und Verbänden (15 % pBrooklyn und 14 % pChester Beatty) unterscheidet sich in beiden Texten kaum. Im Gegensatz dazu liefert pChester Beatty VI Recto im Verhältnis die mehr als dreifache Menge an Suppositorien (10 %) und die doppelte Menge an Einläufen (38 %). Ein deutliches Manko bei der Bewertung ist natürlich die schon erwähnte, enorm große Zahl (40 %) nicht mehr erhaltener Applikationsanweisungen im Brooklyner Text. Das Ergebnis korrespondiert mit der schon besprochenen eben doch leicht anderen thematischen Ausrichtung von pChester Beatty VI. In den etwa 240 erhaltenen Rezepten des Recto von pBrooklyn finden etwa 170 Drogen und deren Zubereitungsformen Anwendung. Durchschnittlich werden pro Rezept etwa 6 Zutaten verwendet, allerdings finden sich auch Beispiele mit über 10 Bestandteilen. Von den circa 170 Drogen werden 100, soweit der Erhaltungszustand diese Einschätzung zuläßt, nur einmal verwendet, weitere 20 Zutaten nur 2 Mal. Betrachtet man nun nur die jeweils zehn häufigsten Drogen, ergeben sich einige Überschneidungen, die aber insgesamt wenig verwundern. Honig überwiegt mit 52 Belegen im Recto-Text des Brooklyner Papyrus und 28 Belegen im pChester Beatty VI in beiden Texten. Nördliches Salz, Bier, Vogelfett und Wasser finden wir ebenfalls in beiden Texten besonders häufig. Honig wird in allen Bereichen der altägyptischen Medizin vielfach verwendet. Viele Salze – auch wenn die Herkunftsangabe »nördlich« bzw. »unterägyptisch« noch lange keine genaue geographische Einordnung und klare chemische Bewertung erlaubt – wirken antibakteriell. Auch Dioscurides erwähnt sie u. a. zur Behandlung von Geschwüren, die ja auch in pBrooklyn und pChester Beatty VI zu finden sind. Vogelfett wurde vermutlich von Gänsen gewonnen. Da der Vogel im Text nicht phonetisch geschrieben wurde, muß eine Artzuordnung unterbleiben. Schon C. Leitz hat bemerkt, 37. 38. 39.

390

Pommerening, Fs Guglielmi, 108 ff. Pommerening, Fs Guglielmi, 112. Die für pBrooklyn 47.218.75+86 angegebenen Zahlen können nur als vorläufige Werte gelten, da die Rekonstruktion dieses Papyrus noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Weitere Joins von Fragmenten sowie vereinzelte Funde weiterer Fragmente im Depot des Brooklyn Museum können die absoluten Zahlen noch verändern. Auf die generellen Tendenzen und Mengenverhältnisse wird dies aber voraussichtlich keinen Einfluß haben.

Texte aus Ägypten

pChester Beatty VI, Recto 3

nicht erhalten

pBrooklyn 47.218.75+86, Recto 95

0 1

Amulett

13

Orale Einnahme 6

Salben/Verbände

57 36

4 8

Suppositorien

16

Einläufe

41 43

Gesamtzahl Rezepte 0

50

239 100

150

200

250

300

Behandlungsformen

daß die Verwendung von Gänsefett in der ägyptischen Medizin primär bei Rezepten zur Behandlung des Afters und des unteren Abdominaltraktes erfolgte. Er nimmt hier die Grundlage einer Dynamoanalogie an, da Enten und Gänse über eine große Bürzeldrüse verfügen. Die entsprechenden Bewegungen der Tiere beim Einfetten des Gefieders könnten auf einen Beobachter wie die sehr ausgiebige Pflege des Afterbereiches wirken und so den Gedanken an eine besondere Wirksamkeit des Fettes bei entsprechenden Erkrankungen bedingt haben. 40) An dieser Stelle schließt sich der Kreis, bei der Betrachtung der Drogen und Wirksamkeitsvorstellungen der Alten Ägypter. Modern würden wir Vogelfett wohl zunächst als geeignete Grundsubstanz für Salben und als durchaus rational gewählten Bestandteil eines Heilmittels betrachten. Sicher wird auch der ägyptische Heiler die Materialeigenschaften geschätzt haben, aber darüber hinaus konnte seine kulturelle Eingebundenheit ihm noch weitere Begründungen für die Verwendung speziell dieses Fettes liefern, die wir modern eher dem Bereich der Similemagie zuordnen würden, für ihn aber vollkommen rational gewesen wären. Eine Unterscheidung von rational vs. magisch bleibt immer vom jeweiligen Standpunkt abhängig und somit als Retrospektive problematisch.

40.

Leitz, Rolle von Religion und Naturbeobachtung, 47

391

8. Das Balsamierungsritual Susanne Töpfer Das Balsamierungsritual ist eine Textkomposition aus dem späten 1. bis frühen 2. Jh. n. Chr., die in hieratischer Schrift auf drei Papyri erhalten ist: pBoulaq 3, pLouvre AE/ N 5158, pDurham 1983.11+pSt. Petersburg ДВ 18128. 1) Gegenstand des Textes – und zugleich namengebend2) – sind die Beschreibungen der Salbungen und Wicklungen eines menschlichen Leichnams von Kopf bis zu den Füßen in zwölf Kapiteln. Der Anfang des Ritualtextes ist auf keinen der Textzeugen bewahrt. Der erhaltene Teil beginnt mit einem stark fragmentarischen Kapitel, in dem es vermutlich um die Reinigung des Leichnams geht. Es folgen die Salbung des Kopfes sowie, in einem eigenen Kapitel, die Salbung des Körpers, bevor im vierten Kapitel die Balsamierung der Eingeweide beschrieben wird. Die Entnahme der Organe ist hier allerdings nicht thematisiert; diese muß entsprechend zu einem vorherigen Zeitpukt stattgefunden haben. 3) Im Anschluß daran kommt es zur Schilderung der Balsamierung von Rükken resp. Thorax und Abdomen, wobei der Schwerpunkt auf den Körperhöhlen und den balsamierten Eingeweiden liegt. Im siebten Kapitel werden die Finger und Zehen mit goldenen Nagelnachbildungen versehen und anschließend bandagiert. Es folgt die sehr detailierte Beschreibung der Salbungen und Wicklungen des Kopfes mit pflanzlichen sowie tierischen Substanzen und zahlreichen Textilien, bevor im neunten Kapitel eine weitere Salbung des Kopfes thematisiert wird. In Kapitel zehn und elf wird die Balsamierung der zuerst linken, dann rechten Hand erläutert, bevor schließlich im letzten Kapitel die Salbungen und Bandagierungen der Beine beschrieben werden.4) Mit Ausnahme des ersten Kapitels beginnen die Absätze jeweils mit der Formulierung »nach dieser (Aktion)«, womit Instruktionen für den Umgang der Balsamierer mit den jeweiligen Körperpartien eingeleitet werden. Die folgenden Anweisungen über die Applikation von Substanzen, mit denen der Leib zu salben und zu belegen ist, sowie über die zu wickelnden Textilien besitzen einen sehr sachlichen Charakter und entsprechen sprachlich wie auch strukturell medizinischen Beschrei1. 2. 3.

4.

392

Aufbewahrungsorte: Kairo, Ägyptisches Museum; Paris, Museé du Louvre; Durham, Oriental Museum; Sankt Petersburg, Eremitage. Die Abschriften des Textes sind mit Ausnahme weniger orthografischer Abweichungen identisch. Der eigentliche Titel des Rituals ist nicht erhalten. Die Bezeichnung »Balsamierungsritual« (engl. »Embalming Ritual«, frz. »Rituel d’embaumement« oder »Livre d’embaumement«) geht zurück auf G. Maspero, Mémoire sur quelques Papyrus du Louvre, Paris 1875, 16. Da der Beginn des Rituals auf keinem Textzeugen erhalten ist, kann nicht mit Gewißheit gesagt werden, ob die Organentnahme und Dehydrierung des Leichnams mit Natron nicht vielleicht im verlorenen Anfang thematisiert wurden. Gegen diese Annahme spricht u. a., daß die Entnahme der Organe und des Gehirns Themen sind, die außerhalb des Decorums stehen und folglich im Rahmen der menschlichen Balsamierung nicht niedergeschrieben worden sein dürften. Dafür spricht, daß in Kapitel x+IV und x+VI, in denen es um die Balsamierung der Eingeweide geht, auf Verklärungen und sonstige Rezitationen vollkommen verzichtet wird. Der Erhaltungszustand des pBoulaq 3 spricht zudem dafür, daß der Text beinahe vollständig erhalten ist. Hiermit endet das Ritual. Es gibt keine Hinweise auf äußere, den gesamten Körper umfassende Wicklungen mit Binden, auf eine Mumienmaske resp. -tuch oder eine Kartonageauflage.

Texte aus Ägypten

bungen. In neun Kapiteln folgt im Anschluß an die (zumeist kurzen) sachlich-medizinischen Darstellungen der Balsamierungshandlungen ein mit dem Vermerk »Rezitation« eingeleiteter Abschnitt. Hierin wird die vorausgehende realweltliche Behandlung des Körpers durch die Verklärungen in eine götterweltliche Sphäre transformiert. 5) Die Verklärungen des Rezitals sind dabei in zwei Kategorien zu unterscheiden. Zum einen in Sprüche, die den technischen Vorgang der Balsamierung aufgreifen und sich diesem inhaltlich anpassen. Darin werden insbesondere die realweltlichen Herkunftsorte von pflanzlichen, mineralischen und tierischen Substanzen und Produkten wie auch Textilien genannt und deren Wirkung erläutert. Zum anderen besteht das Rezital aus Sprüchen, die nicht unmittelbar auf die im Manual vonstatten gehende Balsamierung referieren. Die Themen dieser Abschnitte und deren Komposition entsprechen den Stundenwachenriten in der Balsamierungshalle. 6) Im Zentrum stehen der Tod und die Wiedergeburt des Osiris und in Analogie dazu des Verstorbenen Osiris des N.N. Anhand der Verklärungssprüche und deren Komposition wird deutlich, daß der Text in der vorliegenden Fassung nicht bei der Balsamierung rezitiert wurde. Seine eigentliche Verwendung ist die Rezitation nach Abschluß der Balsamierungshandlungen im Rahmen der Stundenwachen in der Nacht vor der Grablegung, konkret in den letzten zwölf Stunden bis zum Tagesanbruch in der Balsamierungsstätte. Nach der Rezitation während der Nachtwache wurde der Ritualpapyrus dem Verstorbenen mit ins Grab gegeben, um die Wirksamkeit der Handlungen und Sprüche durch die Verschriftlichung dauerhaft zu machen und endlos zu wiederholen. Die ersten Abschnitte der Kapitel bieten sich aufgrund der medizinisch-fachlichen Formulierung zwar nicht gerade zum rituellen Rezitieren an, werden doch mit ihnen der vorausgegangene Balsamierungsprozeß noch einmal zusammengefaßt und die mit den Handlungen verbundenen religiösen Vorstellungen werden durch die folgenden Ritualsprüche abschließend wirksam gemacht. Das verschriftlichte Wissen um den Prozeß seiner körperlichen Restitution ist für die Gewährleistung der jenseitigen Fortexistenz des Verstorbenen genauso zentral wie das Wissen um religiös-funeräre Konzepte. Wenngleich es sich bei dem Text in der erhaltenen Form primär um ein Rezitationsmanuskript nach der eigentlichen Balsamierung handelt, das erst sekundär als Grabbeigabe verwendet wurde, so dürfte die Vorlage für die darin beschriebenen technischen Handlungen ein Handbuch gewesen sein, in welchem das Wissen um die systematische Balsamierung eines Menschen niedergeschrieben wurde. Ein solches Handbuch ist nun leider nicht erhalten,7) doch auf dessen Existenz läßt sich anhand 5. 6.

7.

Von J. Assmann, Tod und Jenseits im Alten Ägypten, München 2001, 453-476 wird dieser Prozeß als »sakramentale Ausdeutung« bezeichnet. Die Rechtfertigung des Verstorbenen und sein Sieg über die Feinde, die Balsamierung und damit verbunden die Wiedergeburt sowie personale Wiederherstellung des Verstorbenen, seine Integration in die Hierarchien im Himmel sowie in der Unterwelt und somit die Teilnahme am kosmischen Zyklus, Opferempfang und schließlich die Totenklagen durch Isis und Nephthys. Vgl. hierzu auch J. Assmann (unter Mitarbeit von M. Bommas), Altägyptische Totenliturgien I: Totenliturgien in den Sargtexten des Mittleren Reiches, Heidelberg 2002, 53 und M. Smith, Papyrus Harkness (MMA 31.9.7), Oxford 2005, 27. Hingegen existiert mit pZagreb 598-2+pVindob. 3873 tatsächlich ein Handbuch für die Balsamierung des Apis-Stiers, in dem auf verklärende Rede vollkommen verzichtet wurde. Der

393

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einer Passage aus dem medizinischen pSmith schließen (7.20-21): »Es hat das ›Buch von dem, was dem Balsamierer zugehörig ist‹ dazu gesagt: …«. 8) Mit pUCL 32781 vs. liegt zudem ein Traktat aus dem Umfeld des Balsamierers vor. 9) Es ist zu beobachten, daß die Instruktionen zur Balsamierung in Relation zu den aufwendig balsamierten Mumienfunden recht knapp sind und nur selten ausführlicher werden. Die Beschreibungen vermitteln stellenweise den Eindruck von Stichworten oder Gedankenstützen für die Priester. Sie sind recht begrenzt und setzen ein tieferes Wissen praktischer Fähigkeiten im Umgang mit einem Leichnam seitens der Balsamierer voraus. Die sachlich-medizinischen Beschreibungen im Balsamierungsritual wurden demnach vermutlich aus dem Handbuch für Balsamierer entnommen, das bei der tatsächlichen Balsamierung verwendet worden sein dürfte. Auf ein solches Balsamiererkompendium, das gewissermaßen den Charakter eines »wissenschaftlichen« Fachtextes besessen haben könnte,10) wird im Text selbst verweisen (x+4.11): »denn es ist gut zu sehen/wissen das, was in der Schrift steht. Tue (es) und du wirst (den Erfolg) sehen!« Die Erläuterung bezieht sich auf die Applikation von insgesamt 48 Leinenrollen auf Kopf und Gesicht. Deren Namen, Anzahl und die genaue Position sind komplex und so erscheint es ratsam, für die Ausführung der nächsten Handlungen in die diesbezüglichen Beschreibungen eines Handbuches zu sehen. Neben diesem Kommentar gibt es im gesamten Text vier weitere Erläuterungen, 11) durch welche Balsamierungsanweisungen interpretiert und expliziert werden. Diese Kommentare12) besitzen für den Verstorbenen einen rituell-performativen Charakter, da hierin Objekte, die zum jenseitigen Schutz an den Leichnam gegeben wurden, bereits bei der Rezitation sakramental ausgedeutet werden. Das darin vermittelte Wissen ist im Grunde jedoch nur ein positives Nebenergebnis der Kommentare, denn ihre primäre Funktion liegt wohl vielmehr in der Erläuterung von Sachverhalten für die Priester und stammen somit aus dem Balsamiererhandbuch. So wird den Priestern darin erklärt, warum bestimmte Materialien verwendet werden, welche Wirkung sie

8. 9. 10.

11. 12.

394

Schwerpunkt dieses Textes liegt auf den Handlungen kurz nach dem Tode des Tieres und thematisiert zudem die Organentnahme. Siehe dazu den folgenden Abschnitt in diesem Band. Siehe J. H. Breasted, Edwin Smith Surgical Papyrus, Chicago 1930, 281 f., Taf. VII. Hierzu H.-W. Fischer-Elfert, Anfang eines iry.w-Traktats des wti-Umwicklers inclusive einer post-mortalen Thanatologie (Pap. UCL 32781 verso), CdÉ 88 (2013) 15-34. Zur Definition (ägyptischer) wissenschaftlicher Texte siehe J. F. Quack, Präzision in der Prognose, oder: Divination als Wissenschaft, in: A. Imhausen / T. Pommerening (Hg.), Writings of Early Scholars in the Ancient Near East, Egypt, Rome, and Greece, BzA 286, Berlin/New York 2010, 69-91, bes. 69 f. Zum Begriff des »Fachtextes« vgl. T. Fögen, Wissen, Kommunikation und Selbstdarstellung. Zur Struktur und Charakteristik römischer Fachtexte der frühen Kaiserzeit (Zetemata 134), München 2009, 9-12. Ferner ist auf das Vorhaben »Strukturen und Transformationen des Wortschatzes der ägyptischen Sprache, Text- und Wissenskultur im Alten Ägypten« der Sächsischen und Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hinzuweisen. x+2.16, x+2.18, x+4.11, x+7.10, x+7.12. Zu Kommentaren in altägyptischen Texten siehe J. Assmann, Altägyptische Kultkommentare, in: J. Assmann / B. Gladigow (Hg.), Text und Kommentar. Archäologie der literarischen Kommunikation 4, München 1995, 93-109 und U. Rößler-Köhler, Text oder Kommentar. Zur Frage von Textkommentaren im vorgriechischen Ägypten, in: Assmann / Gladigow, Text und Kommentar, 111-139; A. von Lieven, Grundriss des Laufes der Sterne. Das sogenannte Nutbuch, The Carlsberg Papyri 8 (CNIP 31), Kopenhagen 2007, 263-267.

Texte aus Ägypten

besitzen und wieso sie in dieser Anzahl zu applizieren sind. Einige Kommentare präzisieren auch den Balsamierungsprozeß als solchen. Die erklärende Funktion für die Priester, durch welche auch kulturelles Wissen vermittelt wird, ist offensichtlich in dem oben zitierten Kommentar, in dem darauf hingewiesen wird, das Balsamiererhandbuch zu konsultieren. Dieser Kommentar versucht insgesamt, den durch die Überarbeitung schwer verständlichen neuägyptische Abschnitt des Kapitels, in dem Konzepte und Prinzipien medizinischer Wissenstexte wie dem »Gefäßbuch« eingeflossen sind, eindeutiger zu machen. Ganz grundsätzlich zeigt sich in den Kommentaren eine Auseinandersetzung mit dem Text, die deutlich werden läßt, daß Balsamierung als Wissenschaft verstanden wurde. Dem Kommentator ist zudem zu unterstellen, daß er aus der gebildeten Tempelpriesterschaft kommen muß, da die Erläuterungen aus dem Wissen im Umgang mit astronomischen Konzepten, Onomastika und Lexika schöpfen. Das Balsamierungsritual läßt sich zweifellos als Wissenstext bezeichnen, in dem Konzepte und sogar Einzelsprüche älterer religiöser und medizinischer Texte übernommen werden. Die Instruktionen bezüglich der Salbungen und vor allem der Wicklungen einzelner Körperglieder lassen sich zwar am ehesten einer Technik zuschreiben, wie sie in ptolemäischer und römischer Zeit bei einigen Verstorbenen umgesetzt wurde. Hierbei handelt es sich allerdings um keine »neue« Balsamierungstechnik. Vielmehr wird im Text eine Praxis beschrieben, die vom Alten Reich an bis in die Römische Zeit hinein in Gebrauch gewesen ist. Die Art und Weise der Bandagierung mag in den verschiedenen Epochen der pharaonischen Zeit überarbeitet werden, doch die Gültigkeit bestimmter Konventionen bleibt aufgrund des Wissens um deren Wirksamkeit stets erhalten. Am Ende dieser 3000 jährigen Tradition steht die Textkomposition. Textedition: S. Töpfer, Eine (Neu-)Edition der Textkomposition Balsamierungsritual (pBoulaq 3, pLouvre 5158, pDurham 1983.11 + pSt. Petersburg 18128) (SSR 13), Wiesbaden 2015.

Kapitel x+I (x+1.1) […] 13)

er richtete mit seiner Zunge […] (x+1.2) [N.N.] 14) […] (x+1.3) ihre/seine Trefflichkeit […] (x+1.4) Bin[sengefilde] […(x+1.5) Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters N.N.] (x+1.6) Es kommt [zu dir …] [… das] herauskommt aus Resnet (x+1.7) [und Mehnet 15) …] […] Isis für […] (x+1.8) gefertigt unter […] (x+1.9) sein […] man […] (x+1.10) […] […] (x+1.11) das [men]chet-Tuch in/aus (x+1.12) […] wird gesagt (x+1.13) […] dein […] (x+1.14) […] [an] deinen Leib (x+1.15) […] (x+1.16) […] (x+1.17) […] (x+1.18) […] (x+1.19) […] (x+1.20) […] (x+1.21) […] (x+1.22) […] (x+1.23) […] (x+2.1) […] auf der 13. 14.

15.

Die Angaben zu Kolumnen und Zeilen sowie die Übersetzung richten sich nach pBoulaq 3, auf dem der Text am vollständigsten erhalten ist. Hier und im Folgenden werden die Namen und Titel des Nutznießers des Rituals sowie seiner Eltern stets mit N.N. (Nomen nominandum) abgekürzt. Der Besitzer des pBoulaq 3 – dessen Name sekundär eingetragen wurde – trägt den Namen Heter (Sohn des Harsiese und der Taher), während die Besitzer der beiden anderen Textzeugen beide Horus (geboren von Asetrescheti) heißen. Webstätten von Sais.

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Susanne Töpfer

Erde aus Gold, zum [Boden aus] Silber, denn Osiris verschafft dir Ansehen, der große Gott verschafft dir Atemluft.

Kapitel x+II: Salbung des Kopfes Danach werde sein Kopf mit sehr gutem Myrrhenharz gesalbt. Rezitation: Oh Osiris des Gottesvaters (x+2.2) |N.N.|. Myrrhenharz (kommt) zu dir, das aus Punt kommt, um deinen Duft zu verschönern mit dem Gottesduft. Ausfluß (kommt) zu dir, der aus Re kommt, um zu verschönern (x+2.3) […] in der »Halle der beiden Wahrheiten«. Wird […] deinen Duft in der »Halle des Ba«. 16) Der Geruch des großen Gottes ist dein Räucherwerk. Der gute Geruch, seine Veränderung existiert nicht. Deine Gestalt, ihre Verwüstung existiert nicht. (x+2.4) [Oh] Osiris des Gottesvaters N.N. in Punt. Dein Ba wird über deinen Leichnam kommen im Gottesland. Horus ist auf dich gerichtet, der aus Osiris tritt, der Schutz (x+2.5) […], der/das aus ihm kommt. 17)

Kapitel x+III: Salbung des Körpers Danach soll empfangen werden ein Salbgefäß, darin befindlich zehn Öle, unter ihnen die des »Mundöffnungsrituals«. 18) Es werde veranlaßt, daß die »Weiße von Hierakonpolis« 19) von diesem Kenntnis hat. Es soll empfangen werden durch den »Gottessiegler«. (x+2.6) Salbe diesen Gott damit, mit jedem einzelnen, 20) angefangen an seinem Kopf (bei) seinen Schultern bis zu seinen Fußsohlen, wobei du dich hüten sollst, seinen Kopf zu salben! 21) 16.

17.

18.

19.

20.

21.

396

Beide Toponyme sind Bezeichnungen der unterweltlichen Gerichtsstätte. Die »Halle des Ba« könnte daneben aber auch auf einen jenseitigen Reinigungsort hindeuten und im Zusammenhang mit der Balsamierungssituation vielleicht sogar auf die diesseitige Reinigungs- oder Balsamierungsstätte anspielen. Als solche ist auch Punt nach dem Namen des Verstorbenen in der nächsten Zeile zu interpretieren. Die recht große Fehlstelle kompliziert das Verständnis der Passage. »Schutz« oder »der schützt« könnte eine Charakterisierung des Horus als Schützer des Verstorbenen in dessen Analogie zu Horus’ Vater Osiris sein. Womöglich ist aber auch ein Amulett wie z. B. »Schutz des Leibes« gemeint, das an den Verstorbenen gegeben wird, angefertigt aus einem Material xy (zerstört), »das aus ihm kommt«. Wen oder was das Suffixpronomen bezeichnet, ist nicht klar. Die Salbsubstanz stellt ein Gemisch bestehend aus zehn Ölen bzw. Salben dar. Bei den Bestandteilen handelt es sich neben den seit dem Alten Reich bekannten sieben »Heiligen Ölen« um drei im Neuen Reich hinzugekommene Substanzen. Diese stimmen mit den zehn Ölen überein, die in der Öl-Liste der Szene 55 des Mundöffnungsrituals genannt werden. Im zugehörigen Rezitalabschnitt werden dann allerdings nur sechs Substanzen namentlich genannt. Hierbei handelt es sich vermutlich um die Bezeichnung eines Balsamierungspriester bzw. einer -priesterin, der bzw. die diesen Titel in Anlehnung an die Bedeutung der Nechbet (= der Weißen) im Mundöffnungsritual erhält. Seine/Ihre Aufgabe im Balsamierungsprozeß dürfte es gewesen sein, die zehn Öle resp. eine Tinktur daraus für die Salbung des Leichnams vorzubereiten. Gemeint ist jeder Bestandteil des Salbgemisches. Die Applikation der Salbe soll die Wiederherstellung und körperliche Unversehrtheit des Verstorbenen bewirken, wodurch ihm die Teilnahme am Sonnenlauf ermöglicht wird. Der solar-kosmische Schwerpunkt der Rezitation begründet sich darin, daß für die sechs genannten Bestandteile der Salbe eine analytische bzw. mythologisch-religiöse Zusammensetzung aus Materialien nachgewiesen werden kann, die entweder direkt mit dem Sonnengott in Verbindung stehen oder aus einem mit dem Sonnengott verbundenen geographischen Gebiet wie Punt und die Levante stammen. Angesprochen ist der Gottessiegler, dem allein die Salbung des Leichnams gestattet ist.

Texte aus Ägypten

Rezitation: Oh Osiris des Gottesvaters N.N. (x+2.7) Empfange dir das Festduft-Salböl, damit dein Leib schön ist. Empfange das nechenem-Salböl, damit du dich mit der großen Scheibe vereinigen mögest. Sie (= die Scheibe) wird sich mit dir vereinigen, um deinen Leib zu vervollständigen. Du wirst dich mit Osiris vereinigen in dem (x+2.8) großen Zelt. Es kommt zu dir das iber-Salböl, um deinen Leib zu formen, um dein Herz zu vergrößern als das, was aus Re herausgekommen ist. Es läßt dich wohlbehalten sein in Frieden zur großen Duat. Es macht deinen Duft iber (= wohlriechend) 22) in den Bezirken des Totenreiches. Es kommt zu dir der (x+2.9) Wächter in Frieden in Busir[is]. Er sagt zu dir: »Willkommen, edler Verklärter, zum großen Tal«. Er wird deine Stimme im »Haus des Hörens« vernehmen. Er wird dich groß sein lassen im »Großen Haus«. Du wirst empfangen, du wirst empfangen Osiris des (x+2.10) Gottesvaters |N.N.|. Empfange das Koniferenöl im Westen. Es kommt der Koniferenbaum zu dir, der aus Osiris herausgekommen ist. Er wird dich vor deinen Feinden erretten. (x+2.11) Er wird deinen Schutz durch die Bezirke errichten. Dein Ba wird sich auf der schönen Sykomore [nieder]lassen. Du wirst zu Isis rufen. Osiris wird deine Stimme hören. Anubis wird auf dein Ausrufen hin zu dir kommen. Du wirst empfangen das Öl des Westgebirges, das aus dem Osten herausgekommen ist. (x+2.12) Re wird aufgehen für dich in den Eingängen des Horizontes, am ersten Tor mit/der Neith. Du wirst eintreten durch es/mit ihm. Dein Ba wird im Himmel sein! Dein Leichnam wird in der Unterwelt sein! Diejenigen, die sich auf der Erde befinden, sind dabei, deinen Leib festlich sein zu lassen. Du wirst den Balsam im Salbenhaus empfangen. (x+2.13) Richtig 23) ist dein Leib im Salbenhaus. Du sollst kommen, indem du vollständig bist nach Meinung der Götter, indem du wandelst auf dem Weg, den du liebst, zu jedem Land, das dein Herz liebt. Der Schweiß der Götter dringt in dich ein. (x+2.14) Der Schutz des Re breitet sich [über] deine Glieder aus. Du wirst ein- und austreten zu den Bezirken, zum Boden in den Gauen. Du wirst handeln, wie dir beliebt, in den Ländern der Götter, [durch den Schwei]ß, der aus Punt kommt. Das Fett deiner Feinde dringt in dich ein. (x+2.15) Vollkommen ist [dein] Herz durch das Blut aus deinen Gegnern. Oh Osiris des Gottesvaters N.N.! Nimm dir das Horusauge! 24) Es kommt sein Salbmittel zu dir, damit du ewiglich zufrieden sein wirst.

Kapitel x+IV: Balsamierung der Eingeweide nun [der Schwei]ß aufs Neue. Werde gegeben in ein Gefäß aus Fayence, die Horuskinder 25) damit einsalben, beim Einführen des Salbmittels dieses Gottes auf den Gottesleib – denn gut geht es den Eingeweiden durch den Schweiß, der aus dem Gottesleib herausgekommen ist. 26) (x+2.17) [Du] sollst die Horuskinder in ihnen salben,

(x+2.16) Danach

22.

23. 24. 25. 26.

Hier ist jbr verbal aufzufassen, wodurch der Vers wie der vorangehende konstruiert ist. Im Hinblick darauf, daß jbr ein Räucherharz oder sogar eine Substanz aus Honig gewesen zu sein scheint (vgl. mit Referenzen Töpfer, Balsamierungsritual, 78 f.), ist eine Bedeutung wie »wohlriechend« plausibel. Das Verb ist hier im Sinne von »vollständig« zu verstehen. Der Verstorbene sollte nicht nur moralisch gerechtfertigt vor die Götter beim Totengericht treten, sondern ebenso physisch unversehrt. Nur so wird er Bewegungsfreiheit im Diesseits sowie im Jenseits erhalten. Sakramentale Ausdeutung des Salbgefäßes. Gemeint sind die Eingeweide, als deren Schutzpatrone die vier Söhne des Horus galten. Die Eingeweide befinden sich in einem Fayencegefäß, in welches das als »Schweiß« gedeutete

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Susanne Töpfer

vor diesem Gott, wobei er zu ihnen blickt, 27) wobei du diesen Spruch über ihn erneut rezitieren sollst. Werde veranlaßt, daß sie im Kasten ruhen, bis sie aufs Neue untersucht werden. 28)

Kapitel x+V: Balsamierung des Rückens Danach nun [(x+2.18) …] auf seinen Bauch. Du sollst seinen Rücken zuerst mit edler Salbe belegen. Werde veranlaßt, daß sein Rücken gelegt werde wie er auf der Erde existierte 29) – denn für ihn wird jede Arbeit der Balsamierungsstätte gemacht – mit (x+2.19) [edlem? menchet-Stoff? (und) chebes-Stoff], um ausgestreckt da zu liegen. Wenn du sein Gesicht nach oben legst, ist sein Rücken zu belegen mit Salbe und dem menchet-Stoff des Sobek von Schedet. 30) Rezitation nach diesem, dem Salben [(x+2.20) seines Rückens:] [O]h Osiris des Gottesvaters N.N. Nimm dir diese Salbe! Nimm dir dieses Salbgefäß! (x+2.21) Nimm dir [dieses] Lebens-Gefäß! [Nimm dir] dieses […]! Nimm dir die hFlüssigkeiteni der Götter: den Ausfluß, der aus Re herausgekommen ist, die Absonderung, die aus Schu herausgekommen ist, den Schweiß, der aus Geb herausgekommen ist, den Gottesleib, der aus Osiris herausgekommen ist, vollkommen sind die Flüssigkeiten (x+2.22) […]. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters N.N. Die Salbe kommt zu dir, um deinen Leib zu salben. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters (x+2.23) [N.N.]. Der menchet-Stoff des Sobek von Schedet kommt [zu dir]. Es verhüllt deinen Leib wie Nun (= Urozean). Du empfängst deinen chebes-Stoff mit dem edlen menchet-Stoff. (x+3.1) Re kleidet dich in seinem Schweiß. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters N.N. Es kommen zu dir Bitumen, das aus Palästina herauskam (und) (x+3.2) das schöne sefi-Öl, das aus Byblos herauskam. Sie werden deine Einwicklung in der Nekropole verschönern. Sie werden dir deine Beine an den geheimen Plätzen geben. Sie werden dein Gehen in der »Halle des Gehens« beschleunigen. Sie werden dein Schreiten in der »Halle des Geb« erhaben machen. (x+3.3) Oh Osiris des Gottesvaters N.N. Es kommt zu dir, es kommt zu dir. Es kommen zu dir die Pflanzen, die aus der Erde herauskamen: Flachs, der aus dem Binsengefilde herauskam (und) (x+3.4) das schöne

27. 28. 29.

30.

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Salbmittel gegeben wird. Das Salbmittel stammt aus dem Leib des Verstorbenen, der als »dieser Gott« bezeichnet wird. Demzufolge werden die Eingeweide (= Horuskinder) womöglich tatsächlich mit Körperflüssigkeiten eingerieben. Zur Verwendung von Körpersubstanzen des Apis-Stieres bei dessen Balsamierung siehe J. F. Quack, Beiträge zum Verständnis des Apisrituals, in: Enchoria 24 (1997/1998) 45 f. Die Salbung der Eingeweide erfolgt direkt vor den Augen, also in unmittelbarer Gegenwart des Leichnams. Nach der Balsamierung werden die Eingeweide in einem Kasten zwischendeponiert, bevor sie schließlich in Kapitel x+VI in den Brustkorb gegeben werden. Der Leichnam liegt vermutlich bäuchlings auf dem Balsamierungsbett, mit dem Kopf in den Nacken, auf dem Kinn aufliegend. Diese Haltung entspricht dem aufrecht stehenden Menschen zu Lebzeiten, dessen Gesicht nach vorn gerichtet ist. Das ist auch die Haltung, welche die vor dem Grab stehende Mumie einnimmt. Krokodilgestaltige Gottheit, deren zentraler Kultort Schedet (Krokodilopolis), das heutige Medinet el-Fayum gewesen ist.

Texte aus Ägypten

Kraut, das aus dem Feld des Jubelns herauskam; 31) der erste Ausfluß, der die Götter bei ihrem Herauskommen kleidet. Er tritt zur dir als prächtiger menchet-Stoff. Er läßt dich wohl sein als seben-Binde. Er macht dich groß als siat-Binde. (x+3.5) Er läßt deine Knochen trefflich sein als eine unversehrte djai-Binde. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters N.N. Es kommen zu dir das Fett, das aus deinen Feinden herauskam, das Wachs, (x+3.6) das aus dem Auge des Re herauskam. Es kommen zu dir die Absonderung der Götter (und) der Schweiß der Göttinnen. Es kommt zu dir das Bitumen, das aus Koptos herauskam, der Ausfluß des Vordersten der Westlichen (= Osiris). Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters (x+3.7) N.N. Es kommen zu dir das sefi-Öl, das aus dem Wacholder herauskam (und) das Bitumen, das aus Taperu 32) herauskam. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters (x+3.8) N.N. Es kommen zu dir Gold und Silber (sowie) Lapislazuli und Türkis. Es kommen zu dir Glas, um dein Gesicht zu erleuchten (und) roter Jaspis, um dein Gehen zu umfangen. 33) (x+3.9) Es kommen die kostbaren Steine. Sie beugen sich vor dir in den Bergen. Sie werden den Schutz an den Eingängen des Flachses gewährleisten, am ersten Tor der Nekropole. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters (x+3.10) N.N. Es kommen hzu diri Moringaöl, das aus dem Horusauge herauskam (und) Honig, der aus dem Auge des Re herauskam. Es kommt hzu diri das beste Öl deines Feindes, um dein Herz vollkommen sein zu lassen mit dem Fett desjenigen, der rebelliert, (x+3.11) mit den Leib desjenigen, der dir Böses angetan hat. Sie werden dich in den Bergen versorgen, während du in deinem Leib der Ewigkeit 34) bist.

31.

32.

33.

34.

»Binsengefilde« und »Feld des Jubelns« sind Bezeichnungen zum einen des jenseitigen Elysiums, zum anderen realweltlicher Anbaugebiete, wo die Pflanzen, aus denen die Leinenfasern für die Herstellung der Mumienbinden (wie z. B. Flachs) gewonnen werden, angebaut wurden. Der folgende »erste/beste Ausfluß« dürfte demzufolge eine Ausdeutung der Pflanzen sein, die durch das Einsetzen der Nilüberschwemmung im Boden wachsen. Die eindeutige Identifikation von Taperu ist nicht geklärt. Nach H. Gauthier, Dictionnaire des noms géographiques contenus dans les textes hiéroglyphiques VI, Kairo 1929, 91 handelt es sich um eine asiatische Region, möglicherweise in dem Gebiet von Palästina. Für diese Deutung spricht, daß ein Balsam auf der Basis von Bitumen vom Toten Meer bei der Balsamierung des Petamenophis (Louvre Inv.-Nr. 13218) zum Einsatz kam; siehe J. Connan, La momification dans l’Égypte ancienne: le bitume et les autres ingrédients organiques des baumes de momies ou les ingrédients organiques des baumes de momies égyptiennes: bitume, cire d’abeille, résines, poix, graisse, huile, vin, etc., in: S. Aufrère (Hg.), Encyclopédie religieuse de l’univers végétal. Croyances phytoreligieuses de l’Égypte ancienne, Vol. III (Orientalia Monspeliensia 15), Montpellier 2005, 163-211. Bitumen stammt laut Text ansonsten vornehmlich aus Koptos, was im Zusammenhang mit dessen Lage an der kürzesten Handelsverbindung vom Nil zum Roten Meer (durch das Wadi Hammamat) gesehen werden kann, vgl. Ch. Leitz, Geographisch-osirianische Prozessionen aus Philae, Dendara und Athribis. Soubassementstudien II (SSR 8), Wiesbaden 2012, 81-82. Über diese Karawanenroute wurden zudem Produkte aus Punt und der Levante nach Ägypten gebracht, was im Hinblick auf die ebenfalls belegte Herkunft von Bitumen aus diesen Regionen (x+3.1, x+6.16) von Interesse ist. Die genannten Mineralien sind namengebende Bestandteile eines Salbproduktes mit der Bezeichnung »Gottesstein« (siehe x+6.9), das daneben aus Bitumen und verschiedenen Aromata (Myrrhe, Kampferöl) hergestellt wird. Das Rezept zur Herstellung des Gottesstein-Salböls ist im Tempel von Edfu (II, 214.7-215.12; VI, 165.8-18) erhalten; vgl. Leitz, Geographisch-osirianische Prozessionen, 78. Eine Bezeichnung für die Mumiengestalt des Verstorbenen.

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Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters (x+3.12) N.N. Es kommt zu dir der chebes-Stoff, der als Horusauge herauskam, der vollkommene Ausfluß aus Sobek. Es kommt zu dir der menchet-Stoff aus dem Tempel des Sobek. Sie weisen den Weg im Nun. Er (= der menchet-Stoff) überträgt (x+3.13) seine Vollkommenheit auf deinen Leib, damit du wie Re auf- und untergehst, ohne dein Aufhören ewiglich.

Kapitel x+VI: Balsamierung des Bauches Danach nun, nachdem sein Rücken belegt ist mit Salbe und dem menchet-Stoff, wie seine Gestalt auf der Erde war, hüte dich, (x+3.14) daß er sich nicht umdreht auf seinen Brustkorb, sein Gesicht und seinen Leib, der gefüllt ist mit Arznei. Werde behandelt die Götter, die in seinem Brustkorb sind, die sich (ansonsten) von ihrer Stelle fortbewegen. 35) Du sollst sein Gesicht nach oben geben, wie es sich zuvor befand.

Kapitel x+VII: Balsamierung der Finger und Zehen (x+3.15) Danach nun, werde gegeben seine Nägel aus Gold an seine Hand und seine Füße, von der Spitze seiner vier Finger an, bis zum Ende seines Nagels. 36) Werde umflochten mit Leinen aus Garn von rotem Stoff aus (x+3.16) Sais.

Rezitation danach: Oh Osiris des Gottesvaters N.N. Du sollst empfangen deine Nägel aus Gold, deine Finger aus purem Gold, deine Daumen aus (x+3.17) Elektrum. Der Ausfluß des Re tritt zu dir, der Gottesleib des Osiris in Wahrheit. Du wirst mit/auf deinen Füßen zum »Haus der Ewigkeit« gehen. 37) Deine Arme werden sich für dich zum »Platz der Unendlichkeit« erheben. Du wirst durch Gold verschönert. (x+3.18) Du wirst mit Elektrum überzogen. Deine Finger leuchten im Haus des Osiris, in der Wabet des Horus selbst. Oh Osiris des Gottesvaters N.N. Es kommt zu dir (x+3.19) das Gold, das aus den Bergen stammt, der vollkommene Schutz der Götter an ihrem Platz. Es wird dein Gesicht in der Duat leuchten lassen. Du wirst durch Gold atmen. Du wirst durch das pure Gold herauskommen. Es werden dich empfangen die Bewohner der Nekropole (x+3.20) in Tawer und die Bewohner des »Großen Hauses« in Freude. Verwandle dich in einen Fal-

35.

36.

37.

400

Gemeint sind die Eingeweide, die in Kapitel x+IV als Horuskinder angesprochen wurden. Diese werden hier nun in die Körperhöhlen gelegt, welche zudem mit einem Material gefüllt werden. Bereits seit dem Ende des Neuen Reiches ist die Praxis nachweisbar, die Eingeweide nicht gesondert in Kanopen zu bestatten, sondern einbalsamiert und meist in Mumienbinden gehüllt als separate Päckchen wieder in den Brust- und Bauchraum zurückzugeben; vgl. J. Taylor, Death and the Afterlife in Ancient Egypt, London 2001, 86 f. Die Finger sowie Zehen werden mit goldenen Nagelnachbildungen versehen, die aus einer Legierung aus Gold und Silber bestehen, wie anhand der im Folgenden genannten Materialien Gold und Elektrum deutlich wird. Der Zweck der Ausstattung ist die Bewegungsfreiheit des Verstorbenen und damit verbunden die Möglichkeit seiner Teilnahme am Totenkult in den ägyptischen Metropolen Memphis, Theben und Heliopolis. Nachbildungen von Nägeln aus Goldfolie bei Mumien sind von der Saitenzeit bis in die Römische Epoche hinein belegt. Finger- und Zehenhülsen aus Gold und aus Elektrum kommen bereits bei Mumien des Neuen Reiches und der Dritten Zwischenzeit vor. Gemeint ist das Grab.

Texte aus Ägypten

ken aus Gold, durch deinen Schutz des Goldhauses an den herrlichen Toren in Anchtaui, zur Seite von Osiris (x+3.21) in der »Versperrten Höhle« (= Tepehetdjat). 38) Du wirst gehen mit deinen Beinen auf dem Boden in Theben. Du wirst auf der Erde in Karnak laufen. Du wirst Amun bei jeder seiner Erscheinungen sehen. Dein Ba wird sich mit der Achtheit vereinigen. (x+3.22) Du wirst Amun-Re sehen, den König der Götter, bei seinem schönen Fest im II. (Monat) der Achet-Jahreszeit, Tag 19. 39) Amenope wird dir Wasser auf die Opfertafel stiften, indem er im Tal ist, (x+3.23) während er seinem Vater und seiner Mutter Wasser stiftet, zu Beginn jeder Dekade. Dein Ba wird sich dem königlichen Schreiber nähern, dem vollkommenen Schreiber, dem Zauberer Amenhotep. (x+4.1) Dein Ba wird sich mit Imhotep vereinigen, indem du im Tal bist und dein Herz froh ist. Du sollst nicht fern sein von Kom Djeme, denn du bist wie ein Sohn im Haus seines Vaters. Du wirst handeln, wie es dir gefällt, in Theben. (x+4.2) Es werden dir gegeben die menchet-Stoffe der Götter und Göttinnen, die sich in Karnak befinden. Du wirst empfangen den schönen chebes-Stoff aus der Hand des Amun-Re, dem Vorsteher seines Heiligtums, und dem, was in/mit ihm ist, denn dein Name ist beständig im Tempel (x+4.3) des Amun-Re, König der Götter, ewiglich, indem dein geliebter Sohn auf deinem Platz ist. 40) Osiris des Gottesvaters, Priester des Amun-Re, König der Götter, Priester der Bastet, die in Theben residiert, Oberster der Geheimnisse, Reinigungspriester des Gottes 41) (x+4.4) N.N. Dein Ba wird ewiglich über deinen Leichnam fortdauern, denn du wiederholst die Verjüngung wie der Mond. Du wirst gehen mit deinen Beinen in Heliopolis. Du wirst Sepa auf (x+4.5) seiner Ruhestätte begrüßen. 42) Du wirst eintreten in die Umwallungen des Erscheinungsbezirks. 38. 39. 40.

41. 42.

Die hier genannten Orte und Heiligtümer befinden sich bei Abydos, Heliopolis und Memphis. Beginn des Opet-Festes seit der Zeit Ramses’ III., bei dem Amun in einer Barke von Karnak nach Luxor reist. In diesem Abschnitt wird das Dekadenfest beschrieben, an dem Amun von Luxor alle zehn Tage, am ersten Tag einer Dekade, nach Theben-West reist, um dort im Tempel von Medinet Habu seinen Vorfahren, der Achtheit von Hermopolis zu opfern. Dieser Totenkult wurde realiter von den »Choachyten« (Wasserspendern) alle zehn Tage in Medinet Habu vollzogen, wodurch alle in Theben-West begrabenen Verstorbenen an der Libation »aus der Hand« des Amun-Re beteiligt gewesen sind. Hierbei soll sich der Verstorbene mit den Nekropolenheiligen Amenhotep und Imhotep vereinigen, die in Theben-West große Verehrung erfuhren; vgl. A. Łajtar, Deir el-Bahari in the Hellenistic and Roman Period. A Study of an Egyptian Temple based on Greek Sources (JJP Supplement IV), Warschau 2006, 3-80. Neben dem Opferempfang am Grab im Rahmen des Totenkultes bei den Festen soll der Verstorbene zudem in den Tempelkult für Amun in Karnak und Luxor eingebunden werden. Zu thebanischen Festprozessionen siehe A. Cabrol, Les voies processionnelles de Thèbes (OLA 97), Leuven 2001; spezifisch des Neuen Reiches U. Rummel, Gräber, Feste, Prozessionen: Der Ritualraum ThebenWest in der Ramessidenzeit, in: G. Neunert / K. Gabler / A. Verbovsek (Hg.), Nekropolen: Grab – Bild – Ritual. Beiträge des zweiten Münchner Arbeitskreises Junge Aegyptologie (MAJA 2), 2. 12. bis 4. 12. 2011 (GOF IV.54), Wiesbaden 2013, 207-232 und der Spätzeit J. Budka, Bestattungsbrauchtum und Friedhofsstruktur im Asasif: Eine Untersuchung der spätzeitlichen Befunde anhand der Ergebnisse der österreichischen Ausgrabungen in den Jahren 1969-1977 (Untersuchungen der Zweigstelle Kairo des österreichischen archäologischen Instituts 34 = Denkschriften der Gesamtakademie 59), Wien 2010, 477-486. Die Titel wurden hier wie auch bei x+9.18 und x+10.20 vom Schreiber des Haupttextes eingetragen. Von diesen Ämtern hatte der spätere Besitzer des Papyrus, Heter, nur die beiden ersten zu Lebzeiten inne gehabt. Sepa, wörtl. »Tausendfuß« ist die heliopolitanische Form des verstorbenen Osiris, in dessen

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Susanne Töpfer

Die Tore aus Elektrum werden sich für dich lösen, damit du siehst die Bau aus Gold, das Gefolge aus Elektrum. Du wirst unter sie eintreten, (x+4.6) denn du bist einer, der nicht abgewehrt werden wird. Fr dich wird gefertigt Leinen in Sais als Schutz. 43) Neith wird dich schützen im 5. unterägyptischen Gau. Es kommt das, was aus Resnet und Mehnet herauskam, was die Bewohner von Sais machten (als) deine Bewachung. (x+4.7) Hey dir, hey deinem Namen Osiris des Gottesvaters N.N.!

Kapitel x+VIII: Balsamierung des Kopfes Danach nun setzte sich Anubis, der »Oberste der Geheimnisse«, an den Kopf dieses Gottes, (x+4.8) wobei sich ihm kein Balsamierungspriester nähern soll, bis der »Oberste der Geheimnisse« jede Arbeit an ihm vollendet hat, außer der »Gottessiegler«, der herantritt an den Kopf unter der Anweisung des »Obersten der Geheimnisse«. 44) Es sollen gesalbt werden sein Kopf (x+4.9) und jede seiner Öffnungen mit der Salbe »Anknüpfen des Kopfes und Anknüpfen des Gesichtes«. 45) (Anlegen) der siat-Binde aus dem menchet-Tuch des Re-Harachte von Heliopolis. Das menchet-Tuch der Nechbet von Elkab: werde gegeben auf seine Stirn. (x+4.10) Das menchet-Tuch der Hathor, der Herrin von Dendera: auf sein Gesicht. Das menchet-Tuch des Thot, der die beiden Streitenden trennt: auf seine Ohren. Das menchet-Tuch der Nebet-Hetepet: auf seinen Hinterkopf. Jede seben-Binde und (x+4.11) jedes chebes-Tuch an seinen Kopf mit diesen menchetTüchern. 46) Zuwenden der Vorschriften von dem, was den Gestalten zugehörig ist, im Gesicht des »Oberhauptes der Geheimnisse«, denn es ist gut zu sehen, was in der Schrift steht. 47)

43. 44.

45.

46. 47.

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Umgebung sich der Verstorbene frei bewegen möchte, um im Toten- resp. Tempelkult des Gottes involviert zu werden. Sais war als Produktionsstätte für Textilien und Salben bekannt; vgl. R. el-Sayed, Documents relatifs à Sais et ses divinités (BdÉ 69), Kairo 1976, 180-198; R. el-Sayed, Le déesse Neith de Sais (BdÉ 86), Kairo 1982, 76-85. Dem Kopf als wichtigster Körperteil wird im gesamten Text die meiste Aufmerksamkeit zuteil. Die Bandagierung desselben obliegt dem leitenden Balsamierungspriester, der in seiner Gleichsetzung mit Anubis den Titel »Oberhaupt der Geheimnisse« trägt. Kein anderer Priester darf sich während der Behandlung dem Leichnam nähern, mit Ausnahme des »Gottessieglers«, der wie bereits in Kapitel x+III die Salbung ausführt. Der Name der Salbe ist zugleich Programm, denn deren Auftragen soll den Kopf und das Gesicht des Verstorbenen wieder an den Leib befestigen und so die Sinnesorgane restituieren. Hier liegt eine Episode aus dem Osiris-Mythos zugrunde, demnach Osiris von seinem Bruder Seth im Zuge des Thronfolgestreits zerstückelt worden ist und seine 42 Körperteile über Ägypten zerstreut wurden. Isis und Nephthys sammelten die Glieder ein und Anubis fügte sie durch die Balsamierung wieder zusammen. Das bei x+4.16 genannte Rinderfett dürfte identisch sein mit der euphemistischen Salbbezeichnung. Anhand solcher Passagen, die den Charakter von Stichworten oder Gedankenstützen besitzen wird deutlich, daß die Instruktionen zur Balsamierung einem Handbuch entnommen wurden. Hierbei handelt es sich um einen der eingangs erwähnten Kommentare, in dem auf eine Handschrift verwiesen wird, in welcher der Umgang mit den nachfolgend genannten Leinenrollen konkretisiert wird. Mit »Oberhaupt der Geheimnisse« ist hier allerdings nicht der die Tätigkeiten ausführende Balsamierungspriester gemeint, sondern der Verstorbene selbst. Die Parallele pDurham 1983.11+pSt. Petersburg 18128, Frag. D, Z. x+2 ergänzt zudem das Demonstrativpronomen »dieser« hinter dem Titel. Die ursprünglichen Nutznießer des Ritual-

Texte aus Ägypten

Tue (es) und du wirst (den Erfolg) sehen! Das menchet-Tuch der Sachmet, der Großen, (x+4.12) geliebt von Ptah; 48) werde gefertigt in (jeweils) zwei Leinenrollen für seinen Kopf: (für) die zwei Ohren zwei Leinenrollen, »Herrin des Umbindens« sind ihre Namen; (für) die zwei Nasenlöcher zwei Leinenrollen, »Schutz« ist der Name (x+4.13) der ersten, »Stärkende« ist der Name der anderen; (für) die zwei Wangen/Schläfen zwei Leinenrollen, »die beiden Gebinde« sind ihre Namen; (für) die Stirn vier Leinenrollen, »Leuchtende« sind deren Namen; auf seinen Kopf zwei Leinenrollen, »Füller der beiden Udjataugen« (x+4.14) sind ihre Namen; zweiundzwanzig Leinenrollen auf die rechte und die linke Seite von seinem Gesicht; werde über seine Ohren gefaltet; (für) den Mund vier Leinenrollen, zwei für Innen und zwei für Außen; (für) das Kinn zwei […] Leinenrollen, (x+4.15) »Oh (Großartige)!« sind ihre Namen; und (schließlich) vier große Leinenrollen (für) den Hinterkopf. 49) Danach nun soll (der Kopf) sehr sorgfältig umwickelt werden mit einer seben-Binde, die zwei Finger in der Breite macht. Werde erneut gesalbt, nachdem (x+4.16) die Höhlen in seinem Kopf zuvor mit dem Rinderfett verschlossen wurden. Rezitation danach: Oh große Prächtige, Herrin des Westens, Gebieterin des Ostens! Komm und tritt heran an (x+4.17) die Ohren des Osiris des Gottesvaters N.N.! Oh Große, oh Große! Oh Göttin, oh Göttin! Oh Älteste, oh Älteste! Oh Herrin des Westens und Gebieterin des Ostens, Gebieterin des Ostens! (x+4.18) Komm und vereinige dich mit dem Kopf des Osiris des Gottesvaters N.N., in der Unterwelt. Laß ihn mit seinem Auge sehen, mit seinen Ohren hören, (x+4.19) mit seiner Nase atmen, mit seinem Mund sprechen, mit seiner Zunge richten in der Duat. Seine Stimme wird empfangen werden in der »Halle der beiden Wahrheiten«. Veranlasse, daß er in der »Halle des Geb« gerechtfertigt wird (x+4.20) vor dem großen Gott, dem Herrn des Westens. 50) Oh Osiris des Gottesvaters N.N. Es kommt das Rinderfett zu dir. Es wird deine Öffnung mit Leben versehen. Dein Auge (x+4.21) sieht in der Duat, wie Re sieht im Himmel. Es gibt hdiri deine Ohren, um das zu vernehmen, was du liebst, wie Schu das hört, was er liebt in Heliopolis. Es gibt dir deine Nase, um den Festduft einzuatmen, wie Geb (x+4.22) den Duft einatmet, der angenehm ist an deinen Nasenlöchern. Es gibt dir deinen

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50.

textes trugen alle den Titel »Oberhaupt der Geheimnisse«, worauf im Text Bezug genommen wird. Aus einem oder mehreren Tüchern werden Leinenstreifen gefertigt, die zusammengerollt und paarweise an die Gesichtsöffnungen gegeben werden. Der Stoff wird mit der Göttin Sachmet assoziiert, die eine Erscheinungsform des Sonnenauges und der Uräusschlange zugleich ist. Auf deren Manifestation wie auch auf den gefährlichen und unheilabwehrenden Charakter der Sachmet spielen die Namen der Leinenrollen an. Die Zahl der Leinenrollen und deren Zuordnung zu den einzelnen Kopfteilen weisen starke Anklänge zu dem sog. »Gefäßbuch« des medizinischen pEbers (Eb 854 und 856) sowie des pBerlin P. 3038 (Bl 163) auf, in dem die Zahl der Gefäße und die Körperteile genannt werden, zu denen sie vom Herzen ausgehend führen. Jeweils zwei oder vier Gefäße führen zu genau den Kopfpartien, die auch im Balsamierungsritual genannt werden. Zum »Gefäßbuch« siehe W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin Bd. I, Leiden (u. a.) 1999, 119-138; J. Stephan, Die altägyptische Medizin und ihre Spuren in der abendländischen Medizingeschichte, Berlin 2011, 61-70 bzw. Abschnitt 7.1.3 im Beitrag von Unger oben. In dieser Strophe wird das in und auf die Kopföffnungen gegebene Rinderfett als Göttin angerufen, die Funktion der Sinnesorgane wiederherzustellen. Im Hinblick auf die genannten Epitheta ist die Göttin mit Hathor zu identifizieren. In der nächsten Strophe wird das Salbprodukt auch namentlich genannt und seine restituierende resp. heilende Wirkung für die Öffnungen des Kopfes hervorgehoben.

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Mund, der mit seiner Weisung versehen ist, wie der Mund des Thot beim Richten der Maat. Es gibt dir die Maat in Heliopolis, Jauchzen und (x+4.23) Jubel im Tempel des benben-Steins. 51) Du wirst mit deinem Mund in Siut sprechen. Es kommt zu dir Osiris in Siut, (denn) dein Mund ist der Mund des Upuaut im Westgebirge, (x+5.1) (wenn) Osiris für seinen Sohn Horus spricht. Es gibt dir dein Auge in Busiris und Abydos (wenn) der Kopf des Chontamenti angeknüpft ist. Osiris wird zu dir kommen in Busiris. Er wird deine Rede hören in Abydos. (x+5.2) Er wird dir geben: eine schöne Reinigung, eine schöne Einbalsamierung in Busiris, eine schöne Mumifizierung in Abydos. Dein Grab wird aufsucht werden. Deine Grabstätte in der Nekropole von Ta-wer wird geschmückt hwerdeni. (x+5.3) Du wirst heraustreten mit den edlen Glänzenden im Wag-Fest. Dein Name wird erweckt werden in »die, die ihren Herren verbirgt«. 52) Du wirst essen und trinken in der heiligen Duat. Du wirst empfangen die Wasserspende (x+5.4) aus der Hand des Amenope zu Beginn jeder Dekade. Empfange für dich »Leben-ist-darin«Samen in Upoqe, (und) den Opferkuchen von Pflanzen im Tempel der Versorgung. Du wirst mit deinen [Beinen] (x+5.5) nach Alchah treten. Du wirst Osiris in der großen Stätte erblicken. Du wirst empfangen den edlen menchet-Stoff aus dem Tempel des Re, (und) die rote siat-Binde aus den Tempeln. Es kommt Wadjet 53) zu dir als aufbäumende (x+5.6) Uräusschlange, um deinen Kopf mit ihren Flammen zu salben. Sie erscheint an deinem Kopf im Osten (= links). Sie geht auf an deiner Stirn im Westen (= rechts). Zu keiner Zeit wird ihr Erscheinen an deinem Kopf enden, wie sie es tun (x+5.7) für ihren Vater Re. 54) Deine Ehrfurcht wird groß sein durch sie unter den Verklärten. Dein Respekt wird unter den vortrefflichen Bau entstehen. Dein Kopf empfängt ihr Erscheinen, deine Stirn ist ihr Platz, um (x+5.8) fortzudauern an deinem Kopf wie (für) Re. Sie wird sich nicht von dir entfernen, ewiglich. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters N.N. Es kommt zu dir Hathor mit (x+5.9) schönem Gesicht, die Herrin von Dendara, Vorsteherin des Gaues von Dendara. Sie läßt dein Gesicht schön sein unter den Göttern. Sie läßt deine Augenlider/ Wangen groß sein unter den Göttinnen. Sie öffnet dein Auge beim täglichen Sehen. Sie 51. 52. 53.

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Kultort in Heliopolis. Eine allgemeine Bezeichnung der Nekropole, wobei hier konkret die abydenische Nekropole gemeint ist. Auch die im Folgenden genannten Lokalitäten bezeichnen Orte in Abydos, die mit dem Funerärkult um Osiris verbunden sind. Der Name der Göttin wurde rot geschrieben, was für Gottheiten mit Ausnahme des feindlichen Seth ungewöhnlich ist. Die Rubrizierung ist damit zu erklären, daß das Adjektiv in der Verbindung mit dem Wort »Tinte« die Bedeutung »rot« besitzt; vgl. J. F. Quack, Mit grüner Tinte rot schreiben?, GöMisz 165 (1998) 7-8. Bei x+8.18 wurde zudem das Adjektiv vor dem Wort »Tinte« rubriziert. Daß zuvor die rote siat-Binde erwähnt wurde, hat wohl auch damit zu tun, daß der Name der Göttin Wadjet nur hier rot geschrieben ist, in anderen Textstellen jedoch nicht. Demzufolge wird die Göttin keineswegs negativ konnotiert, zumal auch Götterzeichnungen mit roter Tinte durchaus positiven Charakter besessen haben müssen. Dies belegen neben der Stelle x+8.18 auch mehrere magisch-medizinische Sprüche, in denen Götterbilder mit roter Farbe zum Schutz sowie zur Heilung auf Leinenamulette gemalt werden. Zur magischen Bedeutung roter Farbe insgesamt siehe G. Pinch, Red things: the symbolism of colour in magic, in: W. V. Davies (Hg.), Colour and Painting in Ancient Egypt, London 2001, 182-185. Das Suffixpronomen verweist bereits hier auf die zwei Erscheinungsformen der Uräusgöttin, nämlich Wadjet und Nechbet (vgl. x+6.11-13). Erst aus den nächsten beiden Versen geht hervor, daß sich zwei Göttinnen am Kopf des Verstorbenen befinden.

Texte aus Ägypten

wird deinen Platz im Westen groß sein lassen. Sie wird veranlassen, (x+5.10) daß du über deine Feinde triumphierst. Sie wird deine Beine ungehindert schreiten lassen im Tal, denn sie ist Hathor, die Gebieterin des Westens. Es kommt zu dir Thot, der die beiden Streitenden trennt und die Götter zufriedenstellt. 55) Er veranlaßt, daß du hörst durch die Schriften (x+5.11) des Atmens, die Aussprüche des vollkommenen Bücherhauses im Westen. Du vernimmst die Worte des großen Gottes. Dir wird ein Platz im »Fürstenhaus« gegeben werden. Es läßt dich atmen derjenige, der die beiden Streitenden trennt mit seinem Zauber. (x+5.12) Es kommt zu dir Nebet-Hetepet im Westen. Sie wird deine Arme ergreifen. Sie wird deine Beine stärken. Sie veranlaßt, daß man Ehrfurcht hat beim Anblick deiner Rückseite. 56) Sie wird dich in Heliopolis schützen. Sie wird dich im Tempel der NebetHetepet groß sein lassen. (x+5.13) Sie wird veranlassen, daß dein Name in der Duat fortdauert, wie Osiris im »Fürstenhaus«. Es kommen zu dir Amun-Re, der König der Götter in Theben, (und) Ptah in der »Versperrten Höhle«. (x+5.14) Dein vollkommenes Hören wird an den Eingängen der Duat geschmückt werden. Du wirst im Osten und Westen atmen. Du wirst kühles Wasser im Westen empfangen, an der Seite deines Vaters in Kom Djeme. Du wirst essen und Wasser trinken in (x+5.15) Memphis, an der Seite von Osiris-Sokar beim Sokarfest in der »Versperrten Höhle«. Du wirst atmen durch den Hauch des Lebens im Tal, und den angenehmen Nordwind in der Imhet-Höhle, an der Seite der Eingänge der Unterwelt. (x+5.16) Du wirst durch sie herauskommen. Dein Gang wird nicht abgewendet werden, (beim) Herausgehen aus den sieben Toren. Du wirst nicht an den neun Toren zurückgehalten werden, wenn du im Tal der Rechtfertigung bist, wenn du in der Duat des Einund Ausgehens bist. (x+5.17) Es kommt zu dir Thot, der die beiden Streitenden trennt und die Götter in Hermopolis zufrieden stellt, der große Gott im »Haus des Netzes«. 57) Er gibt dir das menchet-Tuch aus dem »Haus des Leinen«, gutes dünnes Leinen aus dem »Haus des Natrons«. (x+5.18) Er rezitiert für dich die Schriften. Er rollt für dich die Buchrollen aus. Er gibt dir die Möglichkeit, am Tage herauszukommen (und) in der Nacht zu atmen. Du wirst herauskommen auf Erden zu jeder Zeit. Er wird dich im »Lebenshaus« schützen. Ergreife (x+5.19) dir den Schmuck im »Haus des Atmens«. Du wirst im Haus (= Grab) aufgehen, vollkommen ist dein Gesicht, denn du bist ein vollkommenes Abbild, eine edle und vollkommene Mumie in Punt. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris (x+5.20) N.N. Es kommt zu dir Harsiese, der 55. 56. 57.

Mit den Epitheta wird auf Thots Rolle als Schlichter im Streit zwischen Horus und Seth vor dem Tribunal in Heliopolis, konkret in der dortigen Gerichtsstätte »Fürstenhaus«, angespielt. Im Folgenden wird er zudem als göttlicher Vorlesepriester charakterisiert. Laut Manual soll der mit der Göttin assoziierte menchet-Stoff an den Hinterkopf gegeben werden. Bezeichnung eines Heiligtums in Hermopolis, das mit dem Kult um Thot als Mondgott in Verbindung steht; zu diesem Aspekt siehe J. F. Quack, Die Dienstanweisung des Oberlehrers aus dem Buch vom Tempel, in: H. Beinlich et al. (Hg.), 5. Ägyptologische Tempeltagung Würzburg, 23.–26. September 1999 (ÄAT 33.3), Wiesbaden 2002, 168 und M. A. Stadler, Weiser und Wesir. Studien zu Vorkommen, Rolle und Wesen des Gottes Thot im ägyptischen Totenbuch (ORA 1), Tübingen 2009, 177 f. Die nachfolgenden Toponyme sind Bezeichnungen für die Balsamierungsstätte resp. Teile derselben und der Grabstätte.

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Setem-Priester seines Vaters Osiris. Er öffnet dir deinen Mund mit dem »Mundöffnungsritual«, was zu machen ist mit jedem Grabstichel aus Erz, (x+5.21) mit dem er den Mund seines Vaters Osiris öffnete. Er beräuchert dich mit Weihrauch auf der Flamme. Er reinigt dich mit frischem Wasser. Er bringt dir das menchet-Tuch aus dem Königshaus, und die rötliche siat-Binde aus Herakleopolis. Er bekleidet (x+5.22) dich mit dünnem Leinen aus dem »Tal der Fayence«. Er gibt dir das Band aus Athribis (sowie) rötliches Leinen aus dem »Haus des Hormerti«. Er wird für dich als Setem-Priester agieren in Memphis. (x+5.23) Er wird deinen Ba in Abydos göttlich machen. Er wird deinen Ka lobpreisen in Hebenu. Er wird deine Feinde im Gau von Edfu niederwerfen. Seine Schutzwehr ist dein Schutz in Hierakonpolis. Er wird dich eintreten lassen zum (x+6.1) »Fürstenhaus«. Er wird deinen Ba in Achmim preisen. Er wird deinen Leichnam auf der Treppe des Min göttlich machen. Er wird dir geben die seneb-Pflanze in Pe sowie Dep, (und) den Kranz der Rechtfertigung in Abydos. 58) Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris (x+6.2) des Gottesvaters N.N. Es kommt zu dir Sachmet, die Große, geliebt von Ptah. Sie bringt dir das chebes-Tuch in das Sanktuar, das edle menchet-Tuch der Herrin des Uräus. Sie gibt dir ihre Leinenrolle. (x+6.3) Sie umwickelt deinen Kopf, die pyr-Binde sowie das sched-Band an deine Stirn. Sie bekleidet dein Gesicht mit dem menchet-Tuch der Großen. Sie wird Macht haben über die, die Böses planen gegen dich. Sie wird den Gluthauch der Flamme gegen deine Widersacher speien. Sie wird den Leichnam (x+6.4) deiner Feinde verbrennen. Sie wird dir Bewegung(freiheit) im Gau von Memphis geben und vollkommene Riten im Tempel des Ptah. Sie wird die Herzen der Übelgesinnten kochen. Sie wird den Weg gegen deine Feinde versperren. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters (x+6.5) N.N. Es kommen die Götter vom »Feld des Jubelns«, 59) indem sie ihren Schweiß an die Spitze deines Mundes geben. Es kommt zu dir Wadjet in Imet, das Auge des Re aus den Gefilden. Sie bringt (x+6.6) dir »Leben-ist-darin«-Samen, die aus Re herausgekommen sind, (und) die senupet-Pflanze, die aus dem großen Gott herausgekommen ist. Sie treten ein in dich. Sie werden deinen Körper wohl sein lassen. Die Pflanzen der Götter sind an deinem Kopf. Jeder Schutz des Lebens wird in (x+6.7) dich eintreten. Du wirst mit deinem Mund essen. Du wirst mit deinen Augen sehen. Du wirst mit deinen Ohren hören. Dein Gesicht wird leben durch die »Leben-ist-darin«-Samen und/der 60) senupet-Pflanze, durch den Schweiß der Götter. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters (x+6.8) N.N. Es kommt zu dir Osiris in Koptos der beiden Länder, der große Gott in Koptos, der Vorsteher des »Goldhauses«. Er bringt dir den Ausfluß, der aus ihm kommt, (x+6.9) Bitumen, der aus 58.

59. 60.

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Der Priester agiert in Analogie zum Osiris und Isis Sohn Horus als Priester, der zur »Belebung« resp. Restitution der Sinnesfunktionen am Verstorbenen das »Mundöffnungsritual« vollzieht. Die Reihenfolge der Toponyme folgt keinem geografischen Prinzip, doch alle genannten Orte spielen im Kapitel x+VIII in Verbindung mit der Balsamierung eine zentrale Rolle. Lokalität im 19. oberägyptischen Gau, dessen Hauptort Imet mit Wadjet als zentraler Göttin ist. T. Bardinet, Osiris et le gattilier, ENiM 6 (2013) 33-78 deutet 2nh-jmj als Kern/Samen der snw˘ (p.t)-Pflanze, die er mit wiederum »Mönchspfeffer/Keuschbaum« (Vitex agnus castus L.) identifiziert.

Texte aus Ägypten

seinem Körper kommt. Er bringt dir »Gottesstein« aus Bat, wie er es für Min selbst tat. Deine Haut wird in der Duat gepriesen/gesalbt/verdunkelt(?). 61) Dein Gesicht wird auf den Wegen der Finsternis geöffnet sein. Du wirst herauskommen (x+6.10) auf die Terrasse in Leben, in die Nekropole in Gesundheit. Die Götter von Koptos sind der Schutz deines Leibes. Min von Koptos vertreibt deine Feinde. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, (x+6.11) Osiris des Gottesvaters N.N. Es kommt Nechbet aus Oberägypten zu dir. Hathor ist es. Sie bringt dir das Natron, das aus dem (x+6.12) Tal kommt. Sie läßt deinen Körper rein sein mit dem, was aus ihr heraustritt. Sie machen die Öffnungen deines Kopfes göttlich durch den Schutz von Hierakonpolis. Du bist gereinigt durch sie. Sie betritt dein Gesicht als aufbäumende Uräusschlange. Sie wird (x+6.13) deine Feinde mit ihrer Flamme verbrennen. Dein Gesicht wird als ein Gesicht von Vollkommenheit geschmückt werden, mit Augen, die Licht verbreiten. Es kommt das Auge des Re zu dir, die Herrin der Gesichter, mit diesem ihrem vollkommenen Gesicht, in dieser ihrer (x+6.14) edlen Erscheinung. Sie wird veranlassen, daß dein Gesicht zufrieden ist als vollkommenes Gesicht. Sie bringt dir das edle menchet-Tuch aus Tarer, dem schönen Aufenthaltsort im Gau von Dendara. 62) Ihr Ba wird deinen Ba göttlich machen. Isis macht dich groß (x+6.15) an dem Platz, wo sie geboren wurde, die große Göttin auf ihrer Geburtsstätte. 63) Das Auge des Re umarmt dich in Zufriedenheit. Thot wird dir qualitätvolle Tinte geben, um deinen Namen in den Schriften groß zu machen. Es kommt zu dir die Herrin der Herren, die mit großem Ansehen, (x+6.16) indem sie dir Bitumen bringt, das aus Punt herausgekommen ist, sowie Räucherwerk in Überfluß aus dem Gottesland. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters N.N. (x+6.17) Es kommen zu dir die Bewohner von Rosetau beim Fest der Henu-Barke, die Bewohner von Abydos beim Sokar-Fest, die Bewohner von Hermopolis beim Thot-Fest und die Bewohner von Pe beim Fest des Sieges. (x+6.18) Es kommen zu dir die Götter von Süden und Norden, Westen und Osten, um dir Ansehen im Westen zu verleihen, indem sie Ehrfurcht verbreiten vor dir in dem »Tor des Landes des Lebens« (= Nekropole). Dir wird gegeben werden Wasser nach deinem Belieben aus dem (x+6.19) Strom des großen Kanals. Dein Gehen wird nicht an den Toren der Nekropole abgewendet werden. Du wirst nicht abgewiesen durch Imirerket in Nebitnis. 64) (x+6.20) Du wirst Wasser aus dem Kanal trinken. Dein Gesicht wird schön sein in den Gebieten von Chenchenu, am schönen Platz der Bewohner des Westens. Oh Osiris des Gottesvaters (x+6.21) |N.N.|. Es kommt zu dir, was vom Altar kommt. Du wirst bei Anbruch des Tages ein Totenopfer empfangen. Du wirst das Rinderfett, die 61. 62. 63. 64.

Mit dem Verb hknh liegt vermutlich eine Kontamination des Nomens hnn »Phallus« (da mit ˙ ˙ einem solchen˙determiniert) und eines Verbs vor, wie z. B. hkn »preisen, jubeln« oder hkn ˙ ˙ »salben, ölen«, das sich von der Ölbezeichnung hknw ableitet. ˙ Nechbet wird hier als der Uräusschlange identifiziert, die eine Manifestation des Auges des Sonnesgottes Re darstellt. Zugleich kommt es zur Assoziation mit Hathor, die bereits zuvor als »die mit schönem Gesicht« und »Herrin von Dendara« genannt wird. Als Geburtsstätte der Isis gilt Dendara. Die gesamte Passage ist unverständlich und vermutlich verdorben. Dem Determinativ zufolge ist Jmjrrk.t/Jmjrwrwk.t eine Göttinnenbezeichnung, die allerdings nur hier belegt ist. Der Kontext zeigt, daß diese »Göttin« dem Verstorbenen den Zutritt zu einer, vermutlich, jenseitigen Lokalität versperren könnte.

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Absonderung des Lebens, empfangen, das gefüllt wird (x+6.22) in die Öffnungen deines Kopfes als das, was aus Re herausgekommen ist. Deine Kehle wird mit dem Ausfluß aus Schu angefüllt. Speichel hwirdi dir an deine Nase gegeben, schöner als das, was Re selbst atmet. 65) Dein Schlund wird mit guter Salbe gefüllt, (x+6.23) versehen mit all seinem Überfluß, und man höffneti deine Lippen an den Eingängen des »Großen Hauses«. Dein Arm wird nicht abgewehrt werden bis in Ewigkeit. Türkis und Lapislazuli an dein Gesicht! (x+7.1) Jeder kostbare Stein zu den Öffnungen deines Kopfes! Zornesröte über deine Feinde! Du wirst gesehen/bist dauerhaft 66) im Ostgebirge, ewiglich.

Kapitel x+IX: Salbung des Kopfes Danach werde gesalbt sein Kopf mit Myrrhenharz! Nun macht man dies, um den Kopf des Verklärten mit Myrrhenharz zu salben, und erneut (x+7.2) mit der Salbe zum »Anknüpfen des Kopfes und Anknüpfen des Gesichtes«. Es werde unter seinen Kopf gegeben. Werde (dann) beklebt mit Myrrhenpulver und dem sechen-Teil 67) des Wacholders. Rezitation danach unter seinem Kopf. Oh Osiris des Gottesvaters (x+7.3) |N.N.|. Empfange dir deinen Kopf im Westen. Du wirst eintreten unter die vortrefflichen Verklärten. Sie werden dein Grab des Westens verschönern. Es wird deinen Zustand auszeichnen in der (x+7.4) Nekropole. Dein Name wird heilig sein unter den Balsamierern, 68) indem du im Mund der edlen Verklärten bist. Diejenigen, die in der Duat sind, küssen die Erde für deinen Leichnam. Diejenigen, die im Himmel sind, empfangen deinen Ba. Diejenigen, die auf der Erde sind, lobpreisen dich. (x+7.5) Diejenigen, die im Tal sind, machen deinen Leichnam göttlich. Anubis und Horus verschönern deine Umwicklung. Thot läßt dir deine Glieder wohl sein, durch die Zauberkraft seines Ausspruchs. Oh Osiris des Gottesvaters |N.N.|. (x+7.6) Du wirst triumphieren vor dem großen Gerichtshof in Heliopolis, vor den großen Göttern des Tempel des Re; vor dem großen Gerichtshof im Tempel des Ptah. Dein Kopf wird zu dir kommen (und) sich nicht (x+7.7) von dir entfernen. Er wird gemeinsam mit dir eintreten, wobei er nicht fortgehen wird, ewiglich.

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Die Gleichsetzung des Rinderfetts mit göttlichen Absonderungen spielt auf die Schöpfung an: das Leben entsteht durch Ausscheidungen in Form von Masturbation (Phallus), Husten oder Spucken (Mund) seitens der Götter; hierzu S. Bickel, La cosmogonie égyptienne: avant le nouvel empire (OBO 134), Fribourg / Göttingen 1994, 72-83. Die Schreibung des Verbs kann sowohl für »sehen« wie auch für »dauern« stehen, siehe M. Smith, On some orthographies of the verbs m , ›see‹, and mn ›endure‹, in demotic and other Egyptian texts, in: H. J. Thissen (Hg.), Grammata demotika. Festschrift für Erich Lüddeckens zum 15. Juni 1983, Würzburg 1984, 193-210. Es ist unklar, worum es sich hier genau handelt, zudem die Lesung des Wortes nicht sicher ist. Da mit dem Wort sefi das Harz des Wacholders bezeichnet wird (x+3.7), handelt es sich bei sechen vielleicht um die Blätter oder sogar Beeren des Gewächses. Hiermit sind nicht die realen Balsamierer gemeint, sondern die im Folgenden genannten Götter Anubis, Horus und Thot. Anubis ist der göttliche Balsamierer par excellence, ebenso ist Horus als fürsorglicher Sohn des Osiris bei der Balsamierung involviert. Auch Thot ist als Balsamierer bekannt und wird sogar mit Anubis assoziiert; vgl. Stadler, Weiser und Wesir, 430-439.

Texte aus Ägypten

Kapitel x+X: Balsamierung der linken Hand Danach werde umwickelt dieser Gott. Es soll umhüllt werden seine linke Hand, die eine Faust ist, zuvor mit Salbe. Werde gegeben darunter: einmal »Leben-ist-darin«-Samen, einmal Bitumen (x+7.8) von Koptos, einmal Natron in sie (= die Hand). Es soll umwickelt werden seine Ohren 69) mit pyr-Binde aus Königsleinen (und) mit seben-Binde. Seine Finger und seine Nägel an seiner Hand, Ausstrecken in guter Arbeit das (x+7.9) Gewebe, beim Ausstrecken des Ringes in Annehmlichkeit. Werde gemacht für ihn eine reine Umgebung. Werde gegeben der Ring aus Gold an seinen Finger. Empfangen des Goldes, wiederholt eine Faust (machen), nachdem seine Hand mit der siat-Binde gefüllt wurde. (x+7.10) Werde gesalbt bis zu seinen Fingern von außen; »Leben-ist-darin«-Samen, Natron, Bitumen; 70) und die göttliche seneb-Pflanze, die in sechsunddreißig Knoten gefertigt ist, werden gegeben an seine linke Hand – denn es sind sechsunddreißig Götter, (x+7.11) mit denen sein Ba zum Himmel emporsteigt; es sind sechsunddreißig Bezirke, in denen die Osirisriten vollzogen werden vor den Bezirken. 71) Es sollen gebunden werden die Hülse? der menes-Pflanze (und) eine der Akazie (x+7.12) an seine linke Hand, mit dieser göttlichen seneb-Pflanze – denn was die Akazie betrifft: Osiris ist es! Und werde geklebt all dieses an seine linke Hand mit dem Gummi-Harz der Akazie; und (x+7.13) die siat-Binde an die Außen(seite) seiner linken Hand, wobei die Figur des Hapi auf ihr gemalt ist, mit dem chebes-Stoff und mit dem menchet-Stoff des Hapi, der Größte der Götter; und eine Zeichnung mit dem Abbild der Isis mit reinem Auripigment (x+7.14) auf die siat-Binde, – sechs Mal falten – werde gegeben in seine Hand mit dem menchet-Stoff der Isis von Koptos. Werde getan, damit er Hapi und Isis ergreife. 72) (So) entfernen sie sich nicht von ihm, (x+7.15) ewiglich. Werde gewickelt mit der sebenBinde an seiner Hand mit diesen menchet-Stoffen. 69. 70.

71.

72.

Das Wort »Ohren« ist sicherlich eine Verschreibung. Der Kontext erfordert ein Wort für einen Teil der Hand, eine Bedeutung wie »Handfläche« würde in den Kontext passen. Die gesamte Beschreibung der Handlungen ist sehr kurz gefaßt und dadurch schwer nachvollziehbar. Die Haltung der Hand dürfte zunächst die eines »Fäustlings« sein: die Finger sind zusammen genommen und der Daumen steht ab. Die Handinnenfläche wird mit Leinenbinden bandagiert, um so die zuvor applizierten Substanzen zu fixieren. Die Finger – die gemäß Kapitel x+VII bereit mit Gold versehen und bandagiert sind – werden im nächsten Schritt leicht gespreizt, um einen goldenen Ring anzulegen. Dies soll vorsichtig erfolgen, um die Bandagierung der Handinnenfläche nicht aufzureißen. Nach dem Anlegen des goldenen Fingerrings wird die Hand mit einer Binde gefüllt, bevor sie zu einer Faust geschlossen wird. Anschließend wird die Außenseite der Hand mitsamt den Fingern mit einem Gemisch der gleichen drei Substanzen gesalbt, die sich auch in der Hand befinden. Beschreibung eines Knotenamulettes aus den Fasern der Papyruspflanze, das zum magischen Schutz bereits in Kapitel x+VIII an den Kopf (wohl Hals) des Verstorbenen gegeben wird (vgl. x+6.1); hierzu P. Koemoth, Snb, le papyrus ou le cordon en papyrus de Pé, GöMisz 130 (1992) 33-43. Im nachfolgenden Kommentar wird erklärt, daß es 36 Knoten sein müssen, weil diese für Götter stehen, womit wiederum die 36 Dekane gemeint sind, wie auch x+8.13 hervorgeht. Die Bewegungsfreiheit des Ba des Verstorbenen ermöglicht es diesem, sich einmal im Himmel zu den Dekanen zu gesellen, doch zugleich am Totenkult in den 36 Bezirken auf Erden teilzunehmen. Leinenamulette mit Zeichnungen von Gottheiten sind archäologisch auch nachweisbar; vgl. M. J. Raven, Charms for Protection during the Epagomenal Days, in: J. van Dijk (Hg.), Essays on Ancient Egypt in Honour of Herman Te Velde, Groningen 1997, 275-291; H. Kockelmann, Untersuchungen zu den späten Totenbuch-Handschriften auf Mumienbinden (SAT 12), Wiesbaden 2008, I.218-222, II.309-346.

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Rezitation nach diesem: Oh Osiris des Gottesvaters |N.N. (x+7.16) |. Es kommt zu dir die edle Salbe der Göttin, die vorn im »Haus der Biene« ist, (x+7.17) die Gebieterin des »Lebenshaus« 73) im Salbhaus, die Herrin des Gehens in der Duat, die den Sitz des Tempels des Re erfreut. 74) Du empfängst die edle Salbe an deinen Armen. Du wirst nicht zögerlich sein (x+7.18) beim Gehen. Fortdauern werden dein Ba im Himmel, dein Leichnam in der Duat (und) dein Abbild in den Tempeln. Oh Osiris des Gottesvaters |N.N.|. (x+7.19) Es kommt Hapi zu dir, der Größte der Götter, um deine Opfergaben mit kühlem Wasser zu füllen. Er gibt dir: Wasser, das aus Elephantine herauskommt; die Überschwemmung, die aus den beiden Quelllöchern herauskommt; den Ozean, der aus den beiden Bergzügen herauskommt; (x+7.20) die Flut, die aus der Höhle herauskommt, das Flutwasser, das als Kühle herauskommt. Du wirst davon trinken. Du wirst dich damit sättigen. Deine Brust wird mit Wasser der Verjüngung gefüllt sein. Dein Bauch wird mit der Flut gefüllt sein. (x+7.21) Deine Kehle wird geflutet sein, denn du bist der große Nun (= Urozean), der Vater der Götter. Er bringt dir das menchet-Tuch aus dem Tempel des Hapi, (und) die feine siat-Binde aus dem Tempel der Edlen. Packe dir Hapi! (x+7.22) Ergreife dir Isis! »Leben-ist-darin«-Samen sind fest an deinen Armen. Vollkommen ist deine Hand durch die Salbe des Osiris, durch das Bitumen, das aus Koptos herausgekommen ist. Du empfängst (x+7.23) das Natron, das aus dem Tal herausgekommen ist, das Reinigungsmittel, das aus Elkab herausgekommen ist. 75) Nechbet wird ihren Schutz für dich im Westen verrichten. Neith, die an deinen Armen ist, wird dich vollkommen sein lassen. (x+8.1) Hapi kommt zu dir. Er fertigt für dich eine pyr-Binde und eine siat-Binde aus Pflanzen, die am Beginn der Überschwemmung herauskommen. Isis flicht deine siat-Binde. Nephthys spinnt deine pyr-Binde. (x+8.2) Hedjhetep webt dein menchet-Gewand. Horus läßt dein chebes-Gewand leuchten. 76) Re gibt dir Gold, das aus Osiris herausgekommen ist. Deine Finger empfangen den Schweiß des Horus (und) den Ausfluß der Isis. 77) Thot gibt dir einen goldenen Ring, aus (x+8.3) Gold, das vom großen Gott stammt. Es wird akzeptiert werden deine Stimme vor Osiris (und) deine Rechtfertigung vor den beiden Wahrheiten. Dein Ba wird lebendig sein bis in Ewigkeit, wie Orion im Leib der Nut, 78) während dein Leichnam beständig ist ewiglich, wie (x+8.4) der Stein der beiden Berge. Du erscheinst in Gold. Du gehst in Elektrum auf. Deine Finger leuchten in purem Gold. Deine Königsherrschaft wird zahl-

73. 74. 75. 76. 77. 78.

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In erster Linie eine Bezeichnung desjenigen Tempelbereichs, in dem die Schriftrollen archiviert werden. Daneben kann damit aber auch eine Kapelle bzw. ein Raum in einem Heiligtum gemeint sein, hier vielleicht konkret im »Salbhaus« als Bezeichnung eines Heiligtum in Sais. Gemeint ist Neith, die Hauptgöttin von Sais, wo sich das Heiligtum »Haus der Biene« befindet. Sie wird bei x+7.23 auch namentlich genannt. Zu den Natronvorkommen von Elkab, dessen Hauptgöttin Nechbet ist, siehe Leitz, Geographisch-osirianische Prozessionen, 58-60. Göttliche Weber, darunter der Webergott par excellence Hedjhetep, stellen aus den Fasern der Pflanzen, die durch die fruchtbare Nilüberschwemmung (= Hapi) wachsen, Leinenstoffe her. Das Gold für den Fingerring, das vom Sonnengott überbracht wird, stammt (zumindest in sakramentaler Hinsicht) von der »heiligen« Familie Osiris-Isis-Horus. Der Verstorbene befindet sich in seiner Gleichsetzung mit dem Sternbild Orion im Himmel, der hier durch die Göttin Nut symbolisiert wird. Zudem ist Nut die Mutter des Osiris, als dessen Ba wiederum Orion gilt.

Texte aus Ägypten

reich sein in der Duat. 79) Dein Name wird groß sein im Westen. Du wirst handeln, wie es dir beliebt in jedem Land als ein edler Verklärter (x+8.5) in der Nekropole. Oh Osiris des Gottesvaters |N.N.|. Du wirst als Akazie erscheinen. Du wirst als schascha-Früchte 80) aufgehen. Reiße dir selbst die Wurzel des Gottes, der größer ist (x+8.6) als du, in Abydos heraus. Festlich ist dein Leib durch seinen Ausfluß. Dir wird gegeben Jauchzen als Akazie (und) Jubel als schascha-Früchte. Er wird dir geben Riten in Alchah (und) eine Position im (x+8.7) »Haus der Ewigkeit«. Höre du die Schriften aus dem Bücherhaus: die Mundöffnung (und) den Gesang im Tempel des Sokar! Isis und Nephthys werden zu dir kommen, indem sie um dich weinen und klagen im Fürstenhaus. Harsiese bringt dir (x+8.8) die göttliche seneb-Pflanze, der beste Schutz der Götter und Göttinnen. Er wird deinen Ba in der Nekropole göttlich machen. Er wird dein Gesicht angenehm sein lassen mit Leben, Dauer und Wohlergehen. 81) Oh Osiris des Gottesvaters |(x+8.9) N.N.|. Es kommen zu dir Wadjet aus Pe (und) Horus aus Chemnis. Dir wird das Amulett der seneb-Pflanze gebracht, der vollkommene Schutz des Horus selbst. 82) (x+8.10) Dein Arm ergreift es. Deine Hand nähert sich ihm. Deine Finger fassen es durch ihn. Deine Hand wird nicht abgewehrt werden von ihm. Dein Aufstieg wird nicht abgewiesen werden. Du wirst deine Gestalt in einen göttlichen Falken wandeln. Du wirst als edler Skarabäus (x+8.11) zum Himmel emporsteigen. Für dich wird jeder Einfluß deines Hauses ausgesprochen, indem du im Mund der Pat-Leute, der Rechit-Leute und des Sonnenvolkes bist. Sie, die Menschheit, wird dir Lobpreis geben. Die Götter werden dein Gesicht lobpreisen. (x+8.12) Die Göttinnen werden für deinen Ka Begrüßung vollziehen. Alles Kleinvieh wird erwachen, um dich zu sehen. Fische (und) Vögel werden aufspringen, um deinen Ba zu preisen. 83) Deine Manifestation wird unter ihnen ewiglich groß gemacht sein. Der Schutz (x+8.13) der Götter von Ober- und Unterägypten wird zu dir treten in den sechsunddreißig Bezirken. Du wirst mit ihnen als vortrefflicher Ba wandeln. Du wirst handeln, wie dir beliebt, im Himmel, denn du bist unter den sechsunddreißig arbeitenden Sternen (= Dekane). Deine Gestalt wird mit ihnen sein, (x+8.14) (wie es) dein Herz wünscht. Es kommt, was dir gehört, das aus Osiris herauskommt, (nämlich) der Ausfluß, der aus der Akazie herauskommt. Dein Körper wird angenehm sein in seinem Leib 84) als eine 79. 80. 81.

82.

83. 84.

Ein Ziel des Balsamierungsprozesses ist die Vereinigung mit und im Grunde das Werden zu Osiris, dem König der Unterwelt. In Analogie dazu wird dem Verstorbenen die Königsherrschaft im Jenseits gewünscht. Vermutlich die Früchte der Akazie, die wie ihre Bestandteile mit Osiris gleichgesetzt wird. Hier wird auf die abschließenden Bestattungszeremonien vor dem Grab hingewiesen: die Mundöffnung, der Chorgesang sowie die Totenklagen. Das Auftreten des Harsiese ist ebenfalls im Zusammenhang mit diesen Ritualen zu sehen. Harsiese erscheint als Setem-Priester, der für seinen Vater die Mundöffnung vollzieht, bereits in Kapitel x+VIII. Die Assoziation der beiden Gottheiten mit dem Papyrusknotenamulett und dem Gebiet um Buto (Pe und Chemmis) verweisen auf den Horusmythos, wonach Horus im Papyrusdickicht in Chemmis geboren und dort vor den Nachstellungen des Seth versteckt wird. Dabei wird er von der Schlangengöttin Wadjet beschützt. Die Formulierungen dieses Abschnittes erinnern an Sonnenhymnen des Neuen Reiches; vgl. J. Assmann, Sonnenhymnen in thebanischen Gräbern (Theben 1), Mainz 1983; ders., in: TUAT AF II.6, 827-927; ders., Ägyptische Hymnen und Gebete, Freiburg 1999. Wörtlich »sein Selbst«. Der Körper, oder besser der Leichnam, erhält durch die Balsamierung seine dauerhafte Mumiengestalt.

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vortreffliche Arbeit in der Duat. Das Auripigment deiner Haut (x+8.15) ist reines Auripigment, der Ausfluß des Re, ewiglich. Er gibt dir Gold an deinen Leib, eine vollkommene Haut an deine Extremitäten. Er läßt deine Haut gedeihen mit Gold. (x+8.16) Er stärkt deinen Leib mit Elektrum, 85) damit du leben mögest, zweimal, in Ewigkeit, damit du dich verjüngen mögest, zweimal, bis in Unendlichkeit.

Kapitel x+XI: Balsamierung der rechten Hand Danach soll an ihm die Arbeit des Umwickelns vollzogen werden durch die Kinder des Horus und die Kinder (x+8.17) des »Vorstehers des Heiligtums«, 86) die auf seiner rechten und seiner linken Seite sind, mit Salbe abgekratzt vom Gottesbesitz 87) an seine rechte Hand, mit edler Salbe an seine linke Hand. Es sollen umwickelt werden seine Finger ebenso. Werde gegeben drei (Einheiten) »Leben-ist-darin«-Samen, Natron sowie Bitumen (x+8.18) in seine rechte Hand. Werde angeheftet mit einer (dicklichen) Flüssigkeit. Werde umgelegt die siat-Binde an ihren Außenseiten, wobei Isis und Nephthys auf ihr gemalt werden, mit roter Tinte, Myrrhenharz und Flüssigkeit der techu-Pflanze. 88) (x+8.19) Werde appliziert die siat-Binde, indem die Figur des Re auf ihr gemalt ist mit Auripigment, (und) die Figur des Min mit Ocker auf Honig, 89) die gemalt wird auf diese siat-Binde. Werde gemacht zu zwölf Falten, nachdem sie (x+8.20) mit schwarzer Tinte folgendermaßen beschriftet wurden: »Packe dir das Sonnenlicht! Ergreife dir den Mond!« 90) Werde gegeben in seine rechte Hand. Werde veranlaßt, daß er sich das Sonnenlicht und den Mond packt, gemeinsam mit seiner Schwester Isis und Nephthys. Möge er sie ergreifen (x+8.21) mit seinem rechten Arm, wie er auf der Erde existierte. Diese Zeichnungen (sind anzulegen) mit dem edlen menchet-Tuch des (x+8.22) Horus-Behedeti, der Große Gott, Herr des Himmels. Die pyr- und die siat-Binde werden an seine rechte Hand gegeben, mit dem menchet-Tuch des [Horus-]Merti, des Herrn von Horbeit, des Min-Mond in Achmin, (und) des Sopdu-Horus, des Herrn des Ostens, hdeinn die Götter sind die Starkarmigen unter den Göttern. Rezitation nach dem Salben und Verbinden: Oh (x+8.23) Osiris des Gottesvaters |N.N.|. Es kommt die edle Salbe zu dir, um deinen Leib zu verschönern. hSiei stattet dich prächtig aus. Sie salbt dich. Es (x+9.1) kommt zu dir die Salbe, die vom Gottesbesitz abge-

85. 86.

87. 88. 89. 90.

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Anspielung auf die laut Kapitel x+VII an die Finger gegebenen Nagelnachbildungen aus Gold und Elektrum. Bezeichnung des Chentienirti. Die Söhne des Horus (Amset, Hapi, Duamutef und Kebehsenuef) sowie die des Chentienirti (Haqu, Iriemawai, Maaitef und Irirenefdjesef) bilden eine kanonische Gruppe von Göttern, die in den Stundenwachen den Leib des Osiris resp. des Verstorbenen beschützen und bei der Balsamierung helfen; vgl. A. H. Pries, Die Stundenwachen im Osiriskult. Eine Studie zur Tradition und späten Rezeption von Ritualen im Alten Ägypten (SSR 2), Wiesbaden 2011, 101 f. Verwendung einer Salbe, bei der die von Kultstatuen abgekratzte Salbe verarbeitet wurde (freundlicher Hinweis J. F. Quack). Mit diesen beiden Substanzen werden die roten Zeichnungen vermutlich nachgezogen, da insbesondere Myrrhenharz eine fixierende Komponente besitzen. Die Samen der techuPflanze sind wie Myrrhe Bestandteile von Kyphi. Honig dient dem Ocker wohl als Bindemittel, wodurch sich das Eisenoxidpigment besser aufbringen läßt. Wie Re als Sonnengott gilt, wird Min mit dem Mond assoziiert.

Texte aus Ägypten

kratzt wurde. Sie befestigt dein Fleisch an deinen Knochen. Sie (= die Salben/Öle) festigen deine pyr-Binden an ihrem Platz (und) deine siat-Binden an dem Ort, wo sie hingehören. Die vollkommene Salbe (x+9.2) macht den Spruch deiner Binden beständig (und) verschönert deinen Leib als Salbe. Sie salben zum zweiten (Mal)! Sie werden deine Knochen zusammenbringen bis zu deinen Extremitäten. Sie werden deine Haut vortrefflich machen. Sie werden deinen Namen groß machen. Du wirst handeln, (x+9.3) wie dir beliebt, in jedem Land, denn du bist Thot. Deine Feinde werden nicht existieren. Oh Osiris des Gottesvaters |N.N.|. Empfange für dich die vollkommenen »Leben-ist-darin«-Samen an deinem Arm. Deine Hand wird gereinigt. (x+9.4) Empfange dir das Bitumen, vollkommen (ist so) dein Wesen. Für dich werden vollkommene Riten vollzogen, eine vollkommene Mumifizierung in der Haut des Seth, 91) deinem Feind, um dich in deinem Grab zu erfreuen. Packe dir Nephthys mit deinem (x+9.5) rechten Arm, um dein Herz mit dem Anblick deiner Schwestern zu erfreuen! Sie wird dich in Busiris beweinen. Sie wird dich in Abydos bejammern. Sie wird für dich Schmerzensschreie vollziehen, gemeinsam mit ihrer Schwester Isis. Sie werden um dich weinen und (x+9.6) klagen. Du wirst empfangen die Tränen der Isis (und) das Geschrei der Nephthys. 92) Ergreife dir Re als Sonnenlicht, das vollkommen macht, am Tag! Packe dir den Mond in der Nacht! Du wirst am Tage erscheinen wie das vollkommene Sonnenlicht (x+9.7) des Re, das über dem ganzen Land scheint. Geh auf in der Nacht als vollkommener Mond am Vollmondfest, um (Nacht)ruhe zu schaffen nach den Strahlen. Du wirst an der Oberseite (= Himmel) als einzelner Stern leuchten, indem du (x+9.8) Orion im Leib der Nut bist. Dein Leuchten ist in dieser Erde, wie der Mond, der das Udjat-Auge füllt. 93) Isis ist gemeinsam mit dir als Sothis am Himmel. Sie wird sich nicht von dir entfernen, ewiglich. 94) Es kommen zu dir das Auripigment, (x+9.9) das aus Re herausgekommen ist, (und) der Honig, der aus seinem Auge herausgekommen ist, (und) der gute Ocker, der aus Tefnut herausgekommen ist. 95) Sie werden deinen Leib täglich verschönern. Sie werden deinen Schritt ausweiten auf den südlichen Wegen. Sie werden deinen Leib auf den nördlichen Wegen befehligen. (x+9.10) Sie werden deine Plätze auf den westlichen Wegen fertigen. Sie werden dein Haus beständig machen auf den östlichen Wegen, denn du bist in Vielen zu allen Zeiten. 91. 92.

93. 94.

95.

Bezeichnung der Haut der mit Seth assoziierten Oryxantilope. Die im mythologischen Verständnis aus der Haut des Feindes par excellence gefertigten Mumienbinden besitzen so eine starke apotropäische Wirkung und schützen den Verstorbenen im Jenseits. Dem Verstorbenen wird gewünscht, daß Isis und Nephthys um ihn klagen, wie sie es für ihren Bruder-Gatten Osiris taten. Die Totenklagen sind ein wichtiger Bestandteil des Bestattungsrituals; siehe hierzu A. Kucharek, Die Klagelieder von Isis und Nephthys in Texten der Griechisch-Römischen Zeit (Altägyptische Totenliturgien IV; Supplement zu den Schriften der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist. Klasse Band 22), Heidelberg 2010. Das »Füllen des Udjats-Auges« bezeichnet in kosmologischer Hinsicht die Zunahmephasen des Mondes, der am 15. Mondmonatstag schließlich voll ist. Der Verstorbene erscheint am Tage wie in der Nacht am Himmel und in der Unterwelt in seiner kosmischen Manifestationen Sonne, Mond, Stern und Orion, um so am Zyklus der Gestirne teilnehmen zu können. Als Osiris-Orion wird ihm Isis-Sothis als Gefährtin zur Seite gestellt. Die mythische Abstammung der Schreibmaterialen vom Sonnengott Re ist aufgrund ihrer goldgelben Farbe nicht verwunderlich. Tefnut ist die Tochter des Sonnengottes und eine Erscheinungsform des Sonnenauges.

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Es kommt zu dir die Farbe, die aus Seth herausgekommen ist, das Blut desjenigen, der gegen dich rebelliert. 96) (x+9.11) Dein Herz wird beim Töten deiner Feinde froh sein. Für dich wird das Gemetzel derjenigen gemacht werden, die Böses planen gegen dich. Dein Name wird ausgesprochen werden in Leben, Wohlergehen und Gesundheit. Deine Stimme wird sich zu den beiden Wahrheiten gesellen. Du wirst am Platz ihres Ausspruchs erscheinen. Über dich wird (x+9.12) in der Duat gesprochen werden. Du bist ein Gott unter den Verklärten. Du bist es, das Abbild des Osiris, (und) das vollkommene Ebenbild des Anubis, indem du auf deinem Platz der Rechtfertigung bist, indem dein Name dauerhaft ist in der Nekropole für immer und ewig, (x+9.13) wie Osiris, der große Gott, Vorderster des Per-wer.

Kapitel x+XII: Balsamierung der Beine Nachdem die Arbeit an seiner Brust, an der rechten und linken Seite getan ist, geben sie ihre Aufmerksamkeit zu seinen Beinen, nämlich der »Gottessiegler« mit den Kindern des Horus und den Kindern des »Vorstehers des Heiligtums« (= Chentìenirti). Es sollen gesalbt werden (x+9.14) seine Sohlen, seine Unterschenkel und seine Oberschenkel mit Steinsalböl, das schwärzt. 97) Werde erneut gesalbt mit edler Salbe. Es sollen umwikkelt werden die Zehen an seinen Beinen mit pyr-Binde. (x+9.15) Es sollen gemalt werden zwei Schakale auf zwei siat-Binden, wobei das Gesicht des einen zum anderen von ihnen ist, 98) mit dem menchet-Tuch des Anubis, Herr von Hardai, und dem menchetTuch des Horus, Herr von Hebenu, (x+9.16) mit Tinte und Flüssigkeit des Myrrhenharzes. Werde geben Anubis auf sein rechtes Bein (und) Horus auf sein linkes Bein. Werde umwickelt mit pyr-Garn aus Königsleinen (und) mit diesen menchet-Tüchern. Werde gegeben vier (Einheiten) »Leben-ist-darin«-Samen, Natron und (x+9.17) Bitumen an das Gelenk seiner Beine. 99) Werde angeheftet mit Flüssigkeit des Harzes vom Ebenholzbaum, drei (Einheiten) an sein rechtes Bein, drei (Einheiten) hani sein linkes Bein. 100) Es sollen gegeben werden die göttliche seben-Pflanze, die (x+9.18) in zwlf Knoten gearbeitet ist, an sein rechtes Bein, und die heret-Binde aus Garn des nety-Gewebes, die in zwlf Knoten gearbeitet ist, an sein linkes Bein. 101) Werde gesalbt mit edler Salbe. Rezitation danach: Oh Osiris des Gottesvaters, Priester des (x+9.19) Amun-Re, des Kö96. Durch die Ausdeutung der roten Tinte als Blut des Seth erhalten die damit gezeichneten Bilder der Göttinnen Isis und Nephtyhs unheilabwehrende Wirkung. 97. Hierbei handelt es sich um ein Salbprodukt aus »Gottesstein«, das wiederum aus Bitumen, verschiedenen Aromata (Myrrhe, Kampferöl) sowie fein zerriebenen Edelsteinen wie Gold, Silber, Lapislazuli, roter Jaspis, grüner Feldspat, Türkis, Fayence, Karneol besteht; vgl. auch Anm. 33. 98. Auf Mumientüchern wie auch auf Särgen, Kartonage, etc. werden die Füße des Verstorbenen häufig von zwei sitzenden Schakalen flankiert. 99. Es dürfte das Kniegelenk gemeint sein. 100. Bereits in Kapitel x+VIII wurde deutlich, daß Konzepte des medizinischen »Gefäßbuches« (pEbers) in adaptierter Form auch Einfluß auf die Balsamierungsinstruktionen genommen haben. Hier kann die Zahl der Einheiten damit in Zusammenhang gebracht werden, denn in Eb 854h ist die Rede von sechs Gefäßen, die zu den Beinen führen: »drei zum rechten Bein und drei zum linken Bein, bis zum Erreichen der Sohle.« 101. Die Zahl ist sicherlich wie bereits in Kapitel x+XI im Zusammenhang mit den zwölf Stunden der jeweiligen Tageshälfte zu sehen: Re = Sonne steht für die zwölf Tagesstunden und Min = Mond für die zwölf Nachtstunden. Auch die Zahl »sechs« bei x+7.14 läßt sich hiermit in

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nigs der Götter, Oberhaupt der Geheimnisse, Wab-Priester des Gottes |N.N.|. Es kommt zu dir die edle Salbe, um dein Gehen vollkommen sein zu lassen. Es kommt zu dir (x+9.20) die Salbe zum Schwärzen, um deine Ohren 102) im ganzen Land anzukündigen. Dein Gehen wird groß sein auf der Erde. Deine Schritte werden gewaltig sein in den Tempeln. Du wirst kommen und gehen in der Duat. Du wirst herauskommen (x+9.21) und atmen in Abydos. Es tritt das menchet-Tuch der Götter an deine Arme (und) das große chebes-Tuch der Göttinnen zu deinem Leib. Stark sind (so) deine Arme! Groß sind (so) deine Beine! Es kommt zu dir, es kommt zu dir, (x+9.22) Osiris des Gottesvaters |N.N.|. Es kommt zu dir Horus-Behedeti, der Große Gott, Herr des Himmels und Herr von Mesen, 103) der große und wohltätige Gott im Bezirk von Edfu. Er gibt dir das menchet-Tuch (x+9.23) in Edfu, eine vollkommene Bewegung in Behedet. Du wirst eintreten nach Behedet in den Horizont. Du wirst dir die Opfergaben gemeinsam mit den Kindern des Re 104) nehmen. Er wird dir den »Lebens«-Strauß von Behedet geben, (und) (x+10.1) den edlen ischedBaum neben Re im »Horizont der Ewigkeit«. Er wird dir Kuchen geben auf der Opferplattform in Behedet, auf dem Opfertisch der Kinder des Re. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters (x+10.2) |N.N.|. Es kommt zu dir Horus-Merti, der Herr von Horbeit, der Große Gott, der bedeutend ist in Upoqe. 105) Du wirst den großen Gott aus Horbeit begrüßen. Du wirst zusammen mit ihm (x+10.3) auf der neschmet-Barke herauskommen. Er wird deine Feinde niederstrekken. Er wird seine Harpune in den stoßen, der aus dem Urozean kommt. 106) Horus-Behedeti ist mit ihm als guter Harpunierer, um deine Feinde im Nun niederzustrecken. (x+10.4) Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters |N.N.|. Es kommt zu dir Min, der Herr von Achmim, der große Gott, Vorsteher des senut-Heiligtums. Er veranlaßt für dich das Erscheinen des Re im Osten, (und) (x+10.5) das Aufgehen des Mondes im Westen. Er gibt dir das menchet-Tuch aus/im Tempel des Mondes, mit dem Band (und) dem Tuch der Furcht. Er gibt dir Leinen in Freude, das Gewand in Jubel (sowie) grünen und roten Stoff (x+10.6) auf der Terrasse des Min. Horus, Herr des Lebens, verleiht dir Schutz! Horus, Schützer seines Vaters, beschützt dich! 107) Wasser wird für dich in der Terrasse des Min ausgegossen, über (x+10.7) die Opfergaben, die dein Herz erfreu-

102.

103. 104. 105. 106. 107.

Verbindung bringen, so wie auch die Zahl »36« in Kapitel x+X in das Zahlenspiel integriert werden kann. Wie bei x+7.8 steht wieder das Wort »Ohren«, obwohl ein Teil des Beines zu erwarten wäre. Wenngleich in Kapitel x+X damit vermutlich die Handfläche gemeint ist, kann nicht ausgeschlossen werden, daß vielleicht doch die Finger resp. Zehen gemeint sind. Im Hieratischen sehen die Zeichen in den Worten »Ohren« und »Finger, Zeh« sehr ähnlich aus. An diesem Ort hat Horus im Mythos das Nilpferd mit einer Harpune erstochen und wird deshalb »Harpunierer« genannt. Eine Bezeichnung der Götter von Edfu. Horus-Behedeti selbst gilt im Horusmythos als Sohn des Re. Das Epitheton verweist auf die Rolle des Hormerti als Beschützer des Osiris in dessen Barke auf der Fahrt nach Abydos. Gemeint ist Apophis, der sich als Schlange dem Sonnengott bei der nächtlichen Unterweltsfahrt in den Weg stellt und von Horus erstochen wird. Min wird hier mit Horus gleichgesetzt, was der Lokaltheologie der Kultzentren des Gottes entspricht, in denen Isis als Mutter des Min angesehen wird; vgl. C. Traunecker, Coptos. Hommes et dieux sur le parvis de Geb (OLA 43), Leuven 1992, 333-335.

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en: die edlen »Lebens«-Zweige auf dem isched-Baum des Re, auf dem sich der Ba des Osiris niederläßt. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters (x+10.8) |N.N.|. Es kommt zu dir Sopdu, der Herr des Ostens, der Herr des Gemetzels im Tempel des Christdorns. Er wird dir einen vollkommenen Gang in der Ostwüste geben, wie dem Vorsteher des Westens, (und) ein schönes Fest (x+10.9) in der Westwüste, 108) wie dem, der triumphiert (= Osiris). Re wird in seiner Kapelle auf dich scheinen. Er wird sein Licht mit seinen Strahl(en) schaffen. Oh Osiris des Gottesvaters |N.N. (x+10.10) |. Das menchet-Tuch der Götter und Göttinnen soll dir gehören. Das chebes-Tuch der starken Götter soll dir gehören, wie die Handlung für Osiris des Horus selbst. 109) Es kommt hzu diri, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters (x+10.11) |N.N.|. Es kommt zu dir Anubis, der Herr von Hardai, der große Gott, Vorsteher von |Spatium|. 110) Er verrichtet für dich die Arbeit als Gottessiegler. Er läßt dein Gehen vortrefflich sein mit seinem menchet-Tuch. (x+10.12) Dein Name wird groß sein in den Bezirken des Osiris, (und) in den Tempeln des Horus. Er wird dir geben Tapferkeit in Hardai (und) vollkommenes Gehen in der West- und Ostwüste. Er vereinigt deine Knochen (x+10.13) mit der pyr-Binde. Er umhüllt dein Fleisch mit deinen menchet-Tüchern. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters |N.N.|. Es kommt zu dir Horus, der Herr von Hebenu, (x+10.14) der große Gott, Vorsteher des Oryx-Gaus. Er bringt dir das menchet-Tuch aus dem Oryx-Gau, das Band aus Hebenu (und) die siat-Binde sowie die pyr-Binde aus Edfu. Er gibt das chebes-Tuch (x+10.15) des Kampfes, eine Mumifizierung in der Unordnung, 111) damit du ein tapferer Kämpfer bist im Westen. Du wirst gehen, um vor Osiris zu züchtigen. Deine Feinde werden für dich überschüttet. (So) werden sie nicht gegen dich kommen, (x+10.16) ewiglich. Es kommt zu dir, es kommt zu dir, Osiris des Gottesvaters |N.N.|. Es kommen zu dir Weihrauch, der aus Horus kommt, Myrrhenharz, das aus Re kommt, Natron, (x+10.17) das aus Elkab kommt, »Leben-ist-darin«-Samen, die aus Osiris kommen, Bitumen, das aus dem Großen Gott (= Osiris) kommt (und) Gummiharz, das aus Wennefer, gerechtfertigt, 112) kommt. Sie treten an deine Beine. Sie lassen dich einwandfrei 108. Verweis auf die thebanischen Feste, bei denen den Verstorbenen in der Nekropole auf der Westseite Opfer dargebracht werden, wie z. B. beim Talfest oder Dekadenfest; siehe Kapitel x+VII. 109. Die Wortstellung des Verses ist problematisch. Der ursprüngliche Kontext war sicherlich die Krönung des Horus als Erbe des Osiris nach der Rechtfertigung von Heliopolis. Hier geht es um die Ausstattung des Verstorbenen mit Textilien in Analogie zur Versorgung des toten Vaters (Osiris) durch den Sohn (Horus). 110. Hier wurde vermutlich das Toponym »Saka« ausgelassen, das durch seine Assoziation mit Seth tabuisiert gewesen zu sein scheint. 111. Mit »Unordnung« ist Seth gemeint. Bei x+9.4 wird konkret von der Mumifizierung in der Haut des Seth gesprochen, womit auf die Haut der Oryxantilope angespielt wird. Diese ist identisch mit dem hier genannten menchet-Tuch aus dem Oryx-Gau. Gemeinsam mit dem mit Seth verbundenen Stoff wird kompensierend das »Tuch des Kampfes« angelegt, wodurch der Verstorbene zum »tapferen Kämpfer« im Jenseits wird, der sich gegen seine Feinde resp. die des Osiris zur Wehr setzt. 112. Die Erwähnung von Osiris in seinem Aspekt als gerechtfertigter König der Unterwelt unterstreicht, daß die Balsamierungshandlungen und damit verbundenen Verklärungen zu einem

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Texte aus Ägypten

sein. (x+10.18) Du wirst gehen auf silberner Erde (und) auf goldenem Boden. Du wirst dich waschen auf silbernem Stein (und) auf goldenem Boden. Du wirst mumifiziert werden auf dem Beckenrand aus (x+10.19) Türkis. 113) Du wirst zum »Fürstenhaus« gehen. Du wirst zum Haus des benben-Steins ziehen, ewiglich, im denit-Fest. 114) Du wirst zum Großen Haus an Festtagen ziehen, wobei du der Phönix bist, 115) die Gestalt des Re. (x+10.20) Du wirst deinen Namen in allen Bezirken dauerhaft machen. Dauerhaft sind dein Ba im Himmel, dein Leichnam in der Duat, dein Abbild in den Tempeln, indem du leben mögest, zweimal, in Ewigkeit, indem du dich verjüngen mögest, zweimal, bis in Unendlichkeit. 116) Osiris des Gottesvaters, (x+10.21) Priester des Amun-Re, des Königs hder Götteri, Priester der Bastet in Theben, großer Wab-Priester an seinem (Dienst)tag, Oberhaupt der Geheimnisse und Wab-Priester des Gottes, |N.N. (x+10.22) |. Diese Namen sind andauernd und wirksam im Tempel des Amun-Re, des Königs der Götter, der erhabenen Macht, Oberhaupt aller Götter, ewiglich. 117)

113.

114. 115.

116.

117.

Ende kommen. Hiermit wird bereits auf die folgende, mit der Krönung des Osiris verbundene Lokalität Heliopolis verwiesen. Hier wird die göttliche Abstammung der Materialien der Beine hervorgehoben, die wie Opfergaben überbracht werden. Dies dient der (finalen) körperlichen Restitution des Verstorbenen. In den Kontext der Opferzuweisung bzw. der Ausstattung gehören auch die Verse der Reinigung und Mumifizierung auf Objekten aus kostbaren Materialien. Das denit-Fest am sechsten Tag des Mondmonats ist neben dem senut-Fest am sechsten Mondmonatstag, dem Halbmondfest, in Heliopolis eines der wichtigen Feste. Der Phönix symbolisiert den Kreislauf von Tod und Wiedergeburt. Als Manifestation des Atum und des Re verkörpert er die nächtliche Gestalt des Sonnengottes bei seinem Eintritt in die Unterwelt, wie auch die morgendliche Erscheinung des solaren Gottes bei seinem Aufgang. Der letztendliche Himmelsaufstieg des Verstorbenen beendet in ritueller Hinsicht die Verklärungssprüche bzw. die »nächtlichen Riten« mit dem inhaltlichen Schwerpunkt auf Balsamierung, Reinigung, Opferungen, Klagen, Schutz, Rechtfertigung, kosmischen Manifestationen, etc. in der Balsamierungshalle. Bezogen auf die realweltliche Situation dürfte die Balsamierung des Leichnams beendet sein und der Verstorbene zieht in seiner Mumiengestalt am Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen aus der Balsamierungshalle in Richtung Grab. Die Erinnerung des Namens ist für die jenseitige Fortexistenz des Verstorbenen unabdingbar.

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9. Das Balsamierungsritual des Apis-Stieres Joachim Friedrich Quack Papyrus mit gemischt hieratisch-demotischem Text. – Fundort: Unsicher, vermutlich Saqqara. Aufbewahrungsort: Wien, Kunsthistorisches Museum, Inv. 3873 sowie Zagreb, Archaeological Museum, Inv. 597-2. Erstpublikation: E. Ritter von Bergman, Hieratische und hieratisch-demotische Texte der Sammlung aegyptischer Alterthümer des Allerhöchsten Kaiserhauses, Wien 1886, S. XVI, Taf. X-XVIII. – Standardpublikation: R. L. Vos, The Apis Embalming Ritual: P. Vindob. 3873 (OLA 50), Leuven 1993 sowie P. Meyrat, The First Column of the Apis Embalming Ritual. Papyrus Zagreb 597-2, in: J. F. Quack (Hg.), Ägyptische Rituale der griechisch-römischen Zeit (ORA 6), Tübingen 2014, 263-337. – Bearbeitungen: J. F. Quack, Rezension zu Vos, The Apis Embalming Ritual, Enchoria 21 (1994) 186-191; ders., Zwei Handbücher der Mumifizierung im Balsamierungsritual des Apisstieres, Enchoria 22 (1995) 123-129; ders., Beiträge zum Verständnis des Apisrituals, Enchoria 24 (1997/ 98) 43-53. F. Hoffmann, Rezension zu Vos, The Apis Embalming Ritual, BiOr 52 (1995) 581-589.

Während für die Mumifizierung von Menschen bis heute keine detaillierte technische Beschreibung bekannt ist, 1) gibt es eine relativ gut erhaltene Handschrift mit ausführlichen technischen Angaben für die Mumifizierung des Apis-Stieres, der von den Ägyptern als Verkörperung des Ptah verstanden wurde. Grund für die schriftliche Fixierung könnte auch gewesen sein, daß nur etwa alle 15 Jahre einmal ein Apis-Stier zu balsamieren war und deshalb die normale Methode, den Nachwuchs kontinuierlich durch Teilnahme an der praktischen Arbeit zu schulen, nicht wirklich möglich war. Die Handschrift ist mit schwachen roten Strichen vorliniert. Bemerkenswert ist die Mischung hieratischer und demotischer Schriftzeichen bei weitgehend demotischer Sprachform. Die erst kürzlich publizierte erste Kolumne der Handschrift ist auch historisch von erheblichem Interesse, weil sie den Kampf des Königs Nektanebos II. gegen einen persischen Invasionsversuch unter Artaxerxes III. dokumentiert. Dadurch wird die Beschreibung der Balsamierungsprozedur auch das Zeugnis für den letzten Apisstier überhaupt, der unter indigener ägyptischer Herrschaft gestorben und mumifiziert worden ist. Im Papyrus waren ursprünglich auch Abbildungen vorgesehen, für die Platz freigelassen ist, die aber nicht ausgeführt wurden. Während der Text des Rekto vorrangig die Ereignisse direkt nach dem Ableben des Stieres schildert und an dem Punkt abbricht, an dem die eigentliche Balsamierung beginnt, sind auf dem Verso mehr exzerpthaft Einzelaktionen im weiteren Verlauf des Prozesses geschildert. Den meisten Raum im erhaltenen Text nehmen die Beschreibungen der komplexen 1.

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Das sogenannte Balsamierungsritual enthält nur knappe technische Hinweise und vorrangig Rezitationen im Zusammenhang der abschließenden Wicklung, s. S. Töpfer, Das Balsamierungsritual. Eine (Neu-)Edition der Textkomposition Balsamierungsritual (pBoulaq 3, pLouvre 5158, pDurham 1983.11 + pSt. Petersburg 18128) (SSR 13), Wiesbaden 2015 sowie ihre Übersetzung in diesem Band.

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Verfahren des Umgangs mit Stoff ein, der teilweise um die Körperteile des Stieres gewickelt wird, teilweise auch in Körperhöhlungen oder -öffnungen gesteckt wird. Vielfach ist der Stoff mit Balsamierungssubstanzen getränkt. Die im erhaltenen Bereich beschriebenen Stoffapplizierungen sind generell nur Provisorien und noch nicht die endgültige Wicklung für die Beisetzung. Leider bringt es der Verlust des hinteren Teils des Papyrus mit sich, daß die Beschreibung der Entfernung von Gehirn und Eingeweiden sowie die Dehydrierung mit Natron nicht erhalten sind. Insgesamt handelt es sich um das wohl umfangreichste Handbuch praktischer Verrichtungen, das aus dem Alten Ägypten bekannt ist. Viele Details bleiben derzeit noch unklar, da die Terminologie uns nur unzureichend verständlich ist; sowohl die Bezeichnungen verschiedener Stoffe und Gefäße als auch die Verben der Führung der Wicklungen sind in ihrer genauen technischen Bedeutung häufig unsicher. Gelegentliche Variantenangaben zeigen, daß der aktuelle Schreiber oder wahrscheinlicher, da die Angaben überall in den Fließtext integriert sind, bereits ein früherer Kopist in der Tradierungskette mehrere Handschriften abgeglichen und teilweise unterschiedliche Angaben gefunden hat. [Das Ritual der Balsamierung des Apis 3) unter dem König von Ober- und Unterägypten Senedjem-ib-Re], den Onuris erwählt hat, dem Sohn des Re Pharao 4) Nektanebos, selig, dem Sohn der Isis, geliebt von Isis, der Großen, der Gottesmutter, der Herrin von Behbeit, 5) das gemacht wurde in der Balsamierungsstätte (rt. 0, 2) [… vom ersten Tag] bis zum siebzigsten Tag. Auszug aus den Schriften der Gottesworte. Aufstieg der Majestät des Apis zum Himmel, 6) nachdem er sechs Jahre und acht Monate gelebt hatte, 7) davon was er in Mostai 8) verbracht hatte: (rt. 0, 3) [zwei Monate; 9) was er in] Memphis [verbracht hatte:] sechs Jahre und sechs Monate. An diesem Tag Aufstieg dieses Gottes zum Himmel. Der Priester, der im Gehege 10) ist, meldet 11) (es) dem Vorsteher 12) (rt. 0, 4) [… … …] Balsamierungswerkstatt. Der Stundenbeobachter zerschneidet die Palmrippe 13) im Gehege, sagend »Horus gestern, Osiris heute«. Man soll die Fußspuren verwischen (rt. 0, 5) [… … …] Die Priester schickten nach dem Königssohn (rt. 0, 1) 2)

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

Um die bislang bestehende Zählung nicht zu ändern und damit Verwirrung zu schaffen, wird die in Zagreb befindliche erste Kolumne als 0 gezählt. Die Ergänzung ist unsicher, es wird aber ein Bezugswort für »das gemacht wurde« am Zeilenende gebraucht. Von diesem Wort sind nur schwache Spuren erhalten, die in der Edition nicht gelesen wurden. Behbeit el Hagar ist eine Stadt im Delta mit einem bedeutenden Isisheiligtum, s. dazu Chr. Favard-Meeks, Le temple de Behbeit el-Hagara: essai de reconstitution et d’interprétation (BSAK 6), Hamburg 1991. Das bedeutet konkret das Dahinscheiden des Tieres. Für einen Stier ist diese Lebenszeit auffällig niedrig; sie könnte auf einen krankheitsbedingten frühen Tod hindeuten. Eine Stadt im Nildelta. Die Ergänzung ergibt sich aus den erhaltenen restlichen Angaben. Wörtlich »Fenster«. Es handelt sich um den Bereich, in dem der Apisstier gehalten wird. Ab hier hat der Text damit Probleme, ob er als präskriptiver Text im Futur formulieren oder deskriptiv ein in der Vergangenheit liegendes konkretes Ritual schildern will. Es dürfte die Ligatur aus m und r vorliegen, s. Möller III, S. 65 Nr. VIII. Damit wurde durch Anvisieren der Sonne die Zeit bestimmt.

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Tjai-Hep-imu, selig, der in Memphis war, denn der König (rt. 0, 6) [war im Osten 14) und kämpfte mit] dem Anführer der Perser und dessen Armee. Er kam zum Tempel mit den Kindern des Königs und den Leuten des Königspalastes, dem (rt. 0, 7) [… … …] die Propheten sollen zum Eingang des heiligen Bereiches gehen, sie sollen den Priestern, die eintrittsberechtigt sind, sagen: »Die Majestät des Apis ist zum Himmel aufgestiegen.« Man soll einen [lauten] Schrei ausstoßen (rt. 0, 8) [… … …] die Gottesväter der ersten Phyle, die eintrittsberechtigt ist im Tempel, sollen einen Ballen Byssos holen, das Gewand des Ptah. Sie sollen ihn zerteilen im Heiligen Bezirk und zu […] machen. 15) (rt. 0, 9) [… … …] der in einem anderen Reinheitszustand 16) (?) ist, sie sollen es an ihren Hals geben, sie sollen Staub auf ihre Häupter geben, sie sollen das Bett umwerfen, das im Dromos ist, sie sollen den [Katafalk (?)] herbeibringen (rt. 0, 10) [… … …] dem heiligen Bezirk sowie den, der in einem anderen Reinheitszustand (?) ist. In dem Moment, wenn das Dahinscheiden des Gottes eintreten wird, Abhalten des Gottes, ganz eilig, ganz schnell (rt. 0, 11) [… … …], damit kein Hindernis am Gott eintritt. 17) Man soll einen Ballen Byssos, das Gewand des Ptah, holen und zum Platz des Apis bringen. Die Gottesväter und die Propheten (rt. 0, 12) [… … … Der Prophet (?)] des Ptah und die vier Phylen sollen ihre Positionen verlassen zum Boden hin, sie sollen trauern. Sie sollen zur Halle des Platzes des Apis gehen (rt. 0, 13) [und den Stoff zerteilen; sie sollen ihn] an den Hals geben, sie sollen trauern im Umkreis der Halle. Sie sollen den Rest der Hälfte 18) des Ballens, die der Mesid 19) zerteilt hat, in den heiligen Bezirk geben (rt. 0, 14) [… … …]. während ein Stundenbeobachter nach Heliopolis (?) fortgeht (?). Was ferner die Dinge betrifft, welche der König tun soll, so soll man sie nicht aufschreiben, denn es war (rt. 0, 15) [… … …] die Freunde (?), die Kinder des Königs, selig, die Leute des Königspalasts ihre Pir-Binden an ihren Hals. Ihre Gewänder sind zerrissen (rt. 0, 16) [… … …] die Mauer des Tempels mit ihren Trauergewändern. Sie sollen den Erdboden vermeiden. Sie sollen Trauer vollziehen und ihre Gesichter nach Norden richten, zum Dromos (rt. 0, 17) [… … …] Platz des Apis. Die Angelegenheiten, die man für ihn in seinem Schrein vollziehen soll: Die Priester dieses Gottes sollen im ganzen Raum (rt. 0, 18) [Matten (?)] ausbreiten [und im …] des ganzen Schlafraums 20) […]. Sie sollen eine große Stütze unter die Kehle und eine kleine Stütze unter die Schnauze setzen, sie sollen (rt. 0, 19) [… … …], oder zwei Priester dieses Gottes, die Bescheid wissen, sollen sich an das »geheime Gesicht« machen, sie sollen im Mund des Gottes öffnen (rt. 0, 20) [… Der … soll] seine Hand in den Mund des Gottes stecken und Kügelchen aus Wachs, Myrrhe und komprimiertem Weihrauch oder zwei Späne (?) aus Sykomorenholz – die Länge von einer davon beträgt eine Handbreit, die 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.

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Eventuell stand hier auch eine genauere Ortsangabe. Vermutlich wird der Stoff hier in kleinere Streifen zerteilt, die dann um den Hals der Priester gebunden werden. Vgl. für diese Ausdrucksweise nicht wirklich klarer pSpiegelberg 8, 16; 15, 3 f.; pBM 10378 vs. x+3, x+5 (unveröffentlicht). Vermutlich geht es darum, den Körper in eine geeignete Haltung zu bringen, bevor die Leichenstarre einsetzen kann. Statt des angeblichen Wortes gsp verstehe ich hier gs »Hälfte« und anschließend den Artikel p( ). Ein sonst unbekannter Titel. Ich lese die Reste als scˇr. ˙

Texte aus Ägypten

Breite drei Finger (rt. 0, 21) [in … …] setzen, […] in der Mitte zweieinhalb Finger. Es ist konkav (?) auf der einen Seite und konvex (?) auf der anderen. Man soll sie in Stoff hüllen rechts und links am Mund des Gottes zwischen den Zähnen (rt. 0, 22) [… … …] in seinem Mund. Er soll alles herausnehmen, 21) was er im Mund des Gottes finden wird, er soll alle Öffnungen des Kopfes abwischen. Er soll sich einem Stoff widmen (?), man soll (rt. 0, 23) [… … …] es lassen (?) im Zustand des Fragens. Er soll das Innere des Mundes [des Gottes] mit Stoff ausstopfen, soweit es seine Hand erreichen kann. Er soll sich an seine Augen machen, er soll (rt. 0, 24) [… … …]. Er soll sich an die Nase machen. [Er soll] sie mit Stoff abwischen und mit Stoff ausstopfen. Er soll sich an die Hörner und die Ohren machen. Er soll (rt. 0, 25) [sie mit Stoff abwischen … Er soll sich] an den Anus machen, er soll ein Textil über sich legen und alle Dinge herausholen, die er in ihm finden wird, soweit (rt. 0, 26) [es seine Hand erreichen kann]. Er soll sich einem Stoff widmen in einem anderen bereitgestellten (?) Behälter. Er soll ihn 22) mit Stoff ausstopfen, soweit es seine [Hand] erreichen kann. Man soll den Gott abwischen (rt. 0, 27) [… … …] vor den Gott. Man soll den Gott hochheben (?). Man soll den ganzen Raum abschirmen. Man soll eine Deposit-Grube (?) machen im Schrein. Man soll einen (rt. 1, 1) Sockel aus Sand in ihm machen, der sechs Gottesellen lang und drei Gottesellen breit ist. Man soll eine Matte aus feinem Schilf darüber ausbreiten und einen Qebit-Stoff darüber legen. Danach sollen sie gehen, um den (rt. 1, 2) Ritualleiter und die vier Vorlesepriester zu holen. Man soll sie holen, sie rasieren und ihnen Kleidung und Sandalen geben. Man soll sie reinigen. Sie sollen in das Gehege gehen und einen lauten Schrei zum Himmel ausstoßen, sie sollen eine Pir-Binde (rt. 1, 3) an ihren Hals legen und sagen »Es gibt keinen Gott im großen Haus«. Man soll eine Matte aus Schilf vor den Vorlesepriestern ausbreiten. Der Ritualleiter soll die Objekte angeben, die er im Gehege braucht, im Einzelnen: (r. 1, 4) Ein Brett aus Meru-Holz des Westens, das 4 2⁄3 Gottesellen lang ist – Variante: 2 1⁄3 –, 1 2⁄3 Gottesellen breit und 1 Handbreit hoch, wobei es 22 Krampen hat; vier Steinquader sind unter dem Brett. Eine große Stütze unter der Kehle aus Ima-Holz, ihre Länge (rt. 1, 5) eine Gotteselle; die Kappe (?), die auf ihr ist, hat eine Länge von zehn Fingern und eine Breite von fünf Handbreit, die Kappe, die unter ihr ist, hat eine Länge von […] und eine Breite von einer Handbreit. (?). Eine kleine Stütze unter dem »verborgenen Gesicht«, 23) ihre Länge beträgt vier Handbreit. Vier Stangen aus Teres-Holz, davon eine kleine von fünf Gottesellen. Eine Nebtit-Binde 24) (rt. 1, 6) von hundert Gottesellen (Länge) und vier Fingern Breite zum Einführen. Man soll zweihundert Ellen (Länge) und zwei Finger Breite flechten. Man soll zweihundert Ellen (Länge) und einzweidrittel Finger Breite flechten (aus) Stoff von Sais, 21. 22. 23. 24.

Hier und in 0, 25 dürfte eher sˇt als tmcˇ zu lesen sein. ˙ ˙ ˙ Den Anus. Dieser Terminus bezeichnet wohl die Unterseite des Kopfes. Die Terminologie der Stoffbezeichnung in diesem Text ist außerordentlich komplex und wäre auch dann schwer ins Deutsche umzusetzen, wenn wir hinsichtlich der realen Unterschiede der Objekte genauer Bescheid wüßten. Ich behalte deshalb vielfach die ägyptischen Termini in lautlicher Umsetzung bei.

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der auf eine Spule (?) aus Pinienholz (?) aufgewickelt ist, um die Hufe zu umwickeln. Man soll (rt. 1, 7) Styrax (?), zwei Hin Salbe hvorbereiteni. Zwei Kästen aus Pinienholz (?), um die Wischtücher und die Substanzen des Geheges dahinein zu geben, ihre Länge eine Gotteselle, die Breite vier Handbreit, zwei Finger, und zwei Hebenet-Gefäße sollen in ihnen sein, ihre Art ist unten gezeichnet. Zwei Scheren, um das Übermaß an Nebtit-Binden abzuschneiden, (rt. 1, 8) wobei sie sechs Finger lang sind. Eine Stange aus Ebenholz für den Mund. Das Ziehgestell des Schwanzes, Länge vier Handbreit, drei Finger, seine Breite sechs Finger. Der Katafalk 25) des ersten Tages, seine Art ist unten gezeichnet. Siehe im (Handbuch) »Kunst des Balsamierungsraums« 26) (rt. 1,9) für die Salbe. 27) (rt. 2, 1) Jeglicher Stoff, zwanzig Rechti, davon zehn aus Byssos, davon unter ihnen drei Behänge (?), unter ihnen zwei aus hellrotem Stoff, und einer soll über den Gott kommen, und sie sollen den Katafalk mit dem anderen überdecken. Decken aus hell- und dunkelrotem Stoff für die Schreine, die Behälter und das Brett des (rt. 2, 2) ersten Tages. Zehn Atref-Stoffe. Dreihundert Henbit-Krüge. Zehn Papyrusmatten, ihre Länge sechs Gottesellen, die Breite ebenso. Zwei Kopfstützen aus Eichenholz (?), ihre Länge zweieinhalb Gottesellen, wobei ein Gelenk 28) (?) in ihrer Mitte ist. Danach sollen der Ritualleiter und der Vorlesepriester die Stoffe, (rt. 2, 3) die Hüllen und die Seben-Streifen machen, die sie für das »verborgene Gesicht« und die Extremitäten brauchen werden: Die beiden Augenabdeckungen, wobei sie sechs Finger im Durchmesser und eineinhalb Finger Dicke haben. Die Hülle des »geheimen Gesichts«, wobei sie aus neun Pir-Stoffstreifen besteht; vier Pir-Streifen oben und fünf Pir-Streifen unten; (rt. 2, 4) ihre Länge ist sechs Gottesellen, die Breite 2⁄3 (Gottesellen). Sie sollen das Bened-Band der Mittelhülle machen; die Länge des Bened-Bandes neun Gottesellen – Variante: zwölf, die Breite drei Gottesellen. Die Länge der Mittelhülle sechs Gottesellen, die Breite zwei Gottesellen – Variante drei. Danach sollen der Ritualleiter und die Vorlesepriester, die bei ihm sind, (rt. 2, 5) dorthin gehen, wo der Gott ist. Sie sollen zuerst die Nebtit-Binde hochhieven (?) zwischen den Vorderbeinen des Gottes; innen am rechten Vorderbein, und es soll am linken Vorderbein herauskommen. Man soll es unterschneiden (?) und an die Innenseite des linken Vorderbeins kommen lassen, (rt. 2, 6) und es soll beim rechten Vorderbein herauskommen. Man soll es umwenden (?) und sie 29) hochnehmen, man soll sie mit einem festen Knoten verknoten. Man soll weiterhin Gleiches mit den Hinterbeinen machen. Man soll 25. 26. 27. 28. 29.

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Es dürfte sich um den Wagen handeln, der gelegentlich als Transportmittel der Apismumie dargestellt ist. Die erste Gruppe dürfte hmw (Möller 486) darstellen. Der Rest der Seite ist für˙Zeichnungen frei gelassen, die nicht umgesetzt wurden. Ungeachtet der gegenteiligen Position von Vos, Apis Embalming Ritual, 264, möchte ich die Lesung kry.t präferieren. ˙ Vorderbeine gemeint? Sind beide

Texte aus Ägypten

es unterschneiden (?), man soll es in die Mitte bringen, und man soll es wieder nach oben bringen; man soll (rt. 2, 7) es mit einem festen Knoten verknoten. Man soll drei Tragstangen (?) herauskommen lassen aus den Seker-Stoffen. Man soll den Vorderteil der Vorderbeine mit einer Seben-Binde binden, man soll sie nach oben ziehen, man soll sie zur Tragstange (?) vorne ziehen. Man soll den Vorderteil der Hinterbeine mit einer Seben-Binde binden, man soll sie (rt. 2, 8) nach oben bringen, man soll sie zur Tragstange (?) in der Mitte bringen, man soll den Schwanz neben das rechte Hinterbein kommen lassen. Man soll ihn an ihm befestigen. Man soll den Hals mit einer Seben-Binde ebenfalls an die vordere Tragstange binden. Man soll den Gott einführen und auf dem Sockel ruhen lassen, (rt. 2, 9) der beschrieben ist. Man soll die Tragestangen herausziehen und die Seker-Stoffe, die unter dem Gott sind, rechts und links von ihm hinbreiten. Man soll diesen Gott ganz mit Stoff abwischen. Man soll die Salbe aus Styrax (?) vor den Ritualleiter und die Vorlesepriester bringen, sie sollen diesen Gott (rt. 2, 10) insgesamt mit Salbe einreiben, in das Haar gegen den Strich, 30) wegen des Einarbeitens der Salbe. Der Ritualleiter 31) (?) soll sich vor das »verborgene Gesicht« setzen, er soll im Mund des Gottes öffnen und seine Hand in den Mund strecken, soweit (rt. 2, 11) seine Hand es erreichen kann. Er soll die Stoffe32) und alles, was er (sonst) in seinem Schlund findet, herausnehmen. Er soll in seinem Mund kräftig abreiben, er soll sich den Wischtüchern zuwenden, die der Priester herausgeholt hat, die in dem beschriebenen Behälter sind. Er soll die beiden hölzernen 33) »Zähne«, 34) (rt. 2, 12) die in ihm sind, entfernen, und zwei andere »Zähne« aus Wachs, Myrrhe und komprimiertem Weihrauch oder zwei Späne 35) (?) aus Sykomoren(holz) in den Mund des Gottes setzen, um zu verhindern, daß sich sein Mund schließt. 36) Er soll einen großen Beutel Myrrhe unter seine Zunge legen. Er soll (rt. 2, 13) seinen Leib mit einem Stoff umhüllen, der mit Salbe getränkt ist, und dabei soll er vorne an ihm mit drei Pir-Binden umschlagen (?), und eine kommt nach oben, und eine andere wendet sich nach oben über sie. Er soll zwei Stoffstücke an seine Speise- und Luftröhre geben, er soll zwei weitere Stoffstücke an seine beiden Oberkiefer geben, er soll (rt. 2, 14) weitere Stoffstücke an seine beide Unterkiefer geben. Er soll das Innere seines Mundes mit Stoffen gut 37) 30. 31. 32. 33. 34.

35. 36. 37.

Wrtl. »hinter das Vordere«. Die Stelle ist stark beschädigt und von Vos nicht gelesen. Das sind diejenigen, mit denen rt. 0, 23 der Mund ausgestopft wurde. M. E. ist (n) ht zu lesen; vgl. die Gruppe, die als Determinativ zu t »Brett« sowie nw »Schlitten« (rt. 4, 3)˘ dient. Bei diesen Zähnen dürfte es sich tatsächlich um diejenigen Objekte handeln, die rt. 0, 20 f. zum Offenhalten des Mundes eingesetzt wurden; vgl. rt. 3, 15, wo ncˇh »Zahn« für einen stüt˙˙ / L. A. Beck / T. Pomzenden Block gebraucht wird. Die Ansätze von J. Harbort / Ö. Gürvit merening, Extraordinary dental findings in an Egyptian mummy skull by means of computed tomography, PalArch’s Journal of Archaeology of Egypt/Egyptology 1,1 (2008) 1-8, bes. S. 6; R. Seiler / F. Rühli, »The Opening of the Mouth« – A New Perspective for an Ancient Egyptian Mummification Procedure, The Anatomical Record 298/6 (2015) 1208-1216, sind damit in wesentlichen Teilen erschüttert. Wohl als tm[t]m 2.t (n) nh .t zu lesen (s. rt. 0. 20). Andernfalls könnte die Totenstarre es unmöglich machen, weiter im Inneren der Mundhöhle zu operieren. Ungeachtet der Zurückhaltung durch Vos kann kaum etwas anderes als r nfr gelesen werden; vgl. ähnlich das Adverb r p nfr »gut« pRhind I 2d8; 8d9.

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ausstopfen. Die Stoffstücke, die in seinen Mund kommen sollen, die tränkt man mit Salbe. Er soll sich an die Augen machen, er soll in den Augen mit Byssos abwischen; (rt. 2, 15) er soll sie mit Salbe einreiben; er soll die Stoffstücke der Augen darauf setzen, je zwei SiatStreifen für ein Auge. Weitere … Siat-Stoffstreifen … … … des Gottes. Er soll die Stoffstücke der Lippe darauf geben. Er soll sich an seine Nase machen, (rt. 2, 16) er soll die Stoffstücke herausnehmen, die in seiner Nase sind, er soll in seiner Nase mit Stoff wischen, er soll sich dem Behälter zuwenden (?), in dem die Wischtücher des Mundes sind. Er soll in seiner Nase mit Salbe einreiben, er soll in seiner Nase mit Stoff und Salbe ausstopfen. (rt. 2, 17) Er soll den Mund und die Nase mit einem Stoffstück umhüllen, er soll es mit einer Pir-Binde bandagieren. Er soll sich an die Hörner machen; er soll sie mit Stoff abwischen, er soll sie mit Salbe einreiben; er soll sie mit einem Stoffstück umhüllen; er soll fünf Pir-Binden machen, drei oben und zwei unten. (rt. 2, 18) Man soll zwischen den Hörnern mit Salbe einreiben; er soll sie von einem Horn zum anderen mit Stoff ausstatten, er soll sie von einem Horn zum anderen mit dünnen Nebtit-Binden umwickeln in drei Kreuzbändern. Sie sollen sie mit Stoff verhüllen mit einer Umhüllung (rt. 2, 19) von ihrem Zentrum 38) bis zu ihrem Ende. Sie sollen sie mit Seter-Binden vorne an ihnen bandagieren, und sie sollen sie mit Meti-Bandagen bandagieren bis zu ihrem Ende wiederum. Gleichartig wiederum die Ohren. Der Siat-Stoffstreifen, der zwischen die Hörner kommt unter der Nebtit-Binde, besteht (rt. 2, 20) aus zwei Pir-Binden zur rechten und zwei zur Linken. Der Ritualleiter soll das »verborgene Gesicht« insgesamt mit einer Hülle verhüllen, die in Salbe getränkt ist, unten und oben an ihm. Er soll eine Pir-Binden auseinanderreißen 39) (?), er soll die beiden Augenhüllen auf den Plätzen, (rt. 2, 21) die in seinen Augen sind, fixieren, er soll 16 Wicklungen (?) auf ihnen machen. Er soll die Hülle des »verborgenen Gesichts« obendrauf legen. Siehe ihre Art: 40) Er soll es im Verhältnis 2:1 unterteilen, 41) und ein Drittel soll oben am Hals sein, und zwei Drittel davon sollen unten am »verborgenen Gesicht« sein, und das eine Drittel oben am (rt. 2, 22) Hals bildet drei Pir-Binden, und die mittlere Pir-Binde endet unter dem Hals, und die beiden anderen Pir-Binden bilden sechs Seben-Binden, und zwei davon enden, und vier sind auf dem Hals, zwei von ihnen links und zwei rechts. (rt. 2, 23) Was nun die anderen zwei Drittel betrifft, die unten sind, so bilden sie neun Seben-Binden, und eine große Seben-Binde ist in der Mitte von ihnen, und sie soll nach oben kommen über den Schlund bis zu den Ohren, und sie bildet zwei Pir-Binden am Hals, eine links und eine rechts davon. Er soll zu den (rt. 2, 24) vier Pir-Binden gehen, die links von der großen Seben-Binde sind, er soll diejenige, welche hinter der großen Seben-Binde ist, unterschneiden, und er soll sich ebenso dazu begeben, die vierte hinter ihr zu unterschneiden. Er soll es ebenso gleichartig auf der rechten Seite machen. 42) 38. 39. 40. 41. 42.

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So die Schreibung in der Handschrift; von den Bearbeitern wird allgemein eine Korrektur in »Spitze« vorgenommen. Vos versteht tsˇtsˇ als »befestigen«, aber das Wort ist sonst nur als »zerstückeln« u. ä. belegt (WB V, 330, 5-10). Hier befindet sich ein kleines Spatium in der Handschrift. Wörtlich »er soll 2⁄3 gegen 1⁄3 machen«. Hier ist in der Handschrift der Rest der Zeile und die ganze nächste Zeile freigelassen.

Texte aus Ägypten (rt. 2, 25) Er

soll neun Pir-Binden machen, vier oben am Hals und fünf unter der Schnauze. Man soll ihn damit bedecken gemäß seiner Art, und zwei Geba-Binden sollen unten an ihm sein, und zwei weitere sollen oben an ihm sein. Die Art, es zur Wirkung kommen zu lassen, (rt. 3, 1) die man machen soll: Der Ritualleiter und seine beiden kleinen Freunde sollen die Hülle unter das »verborgene Gesicht« geben, und eine von den drei obenerwähnten Geba-Binden 43) kommt an den Hals, und man soll zwei Pir-Binden von den drei (rt. 3, 2) obenerwähnten zum Hals bringen, und man soll den besagten Stoff bis zur Mitte der Schnauze bringen. Man soll einen anderen (Stoff) von unterhalb der Schnauze über die Nase bis zu den Hörnern bringen, und er soll ihn zwischen den Ohren umschlagen. (rt. 3, 3) Man soll sie zum Hals bringen, und der rechte ist nach unten unter den Schlund gewendet und kommt nach oben über das »verborgene Gesicht« bis zu den Hörnern; gleichartig die linke Seite. Er soll eine weitere (zu) den beiden Öffnungen (?) (rt. 3, 4) nach unten bringen, ebenfalls in dieser Art. Man soll zwei weitere nach oben zum Hals bringen. Er soll den Anfang der großen Bandage am »verborgenen Gesicht« fixieren, bis er es ganz in Bandagen bis zu den Hörnern fertig bandagiert hat. (rt. 3, 5) Er soll sie (die Bandage) in Seben- und Seter-Streifen auseinanderreißen von der Nase 44) bis zu seinem Nacken, er soll das »verborgene Gesicht« mit dem »Stoff des Erscheinens« verhüllen von einem Horn bis zum anderen. 45) Während dies vom Ritualleiter gemacht wird, sollen die Vorlesepriester (rt. 3, 6) vor den Extremitäten sitzen, wobei sie sie ausstrecken, soweit sie können, um zu verhindern, daß die Füße umknicken. Sie sollen die Füße, d. h. seine Vorder- und Hinterfüße, mit Byssus umhüllen, sie sollen die Hufe mit Leinen aus Sais umwickeln (rt. 3, 7) oberhalb der Stoffhülle, wobei es in Leinenfäden als Wicklung von einem Huf zum anderen geht. Es ist an eine Spule (?) aus Kode-Holz gebunden. Man soll die Hüllen der Hufe nach oben bringen, man soll drei […]-Binden machen, man soll sie umhüllen; (rt. 3, 8) man soll sie in Seben-Binden auseinanderreißen; man soll die Umhüllungen der Gliedmaßen nach oben bringen; man soll sie mit Remrem-Binden bandagieren. 46) Ein Vorlesepriester soll sich an den Anus machen, er soll ein Stoffstück (rt. 3, 9) über sich und den Gott breiten, er soll die Stoffe und alle Substanzen herausnehmen, die er darin finden wird, soweit seine Hand reichen kann. 47) Er soll ihn mit Wasser waschen und gründlich mit Stoff abwischen. Er soll sich den Stoffen (rt. 3, 10) und den Wischtüchern zuwenden (?), die der Priester herausgeholt hat und die sich in dem Behälter befinden, der die Substanzen des Anus enthält. Er soll ihn mit Salbe einreiben und mit Stoff ausstopfen. 48) Ein anderer Vorlesepriester soll sich an den (rt. 3, 11) Schwanz machen. Er soll ihn mit Salbe einreiben. Er soll ihn mit einer Hülle umkleiden, die in Salbe getränkt ist. Er soll ihn mit einer Nebti-Binde einwickeln, er soll ihn mit einem anderen Stoff umhüllen, der fünf Pir-Binden oben an ihm bildet, sowie unten an ihm drei; er soll ihn damit umhüllen; er soll (rt. 3, 12) ihn bandagieren, er soll ihn neben das rechte Hinterbein kommen lassen 43. 44. 45. 46. 47. 48.

Die Angabe hier steht im Widerspruch zu rt. 2, 25, wo von vier Geba-Binden die Rede war. Das von Vos nicht gelesene Wort dürfte als ˇsr.t »Nase« zu erkennen sein. Hier gibt es ein Spatium in der Handschrift. Hier gibt es ein Spatium in der Handschrift. Vgl. rt. 0, 25 f. Hier gibt es ein Spatium in der Handschrift.

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und man soll ihn an ihm befestigen. Man soll die Stoffe des Anfangs nach hinten setzen, man soll den Stoff von hinten umschlagen (?), und man soll den Schwanz aus ihm herauskommen lassen. Man soll (rt. 3, 13) mit Seter-Binden vorne bandagieren, und umgekehrt. 49) Man soll das Brett des ersten Tages hineinbringen, nachdem man es vorher mit Stoff versehen hat. Man soll die Krampen aus den Stoffen herauskommen lassen, man soll diese 50) in (rt. 3, 14) Seben-Binden auseinanderreißen; man soll die Bened-Binde [der] mittleren Verhüllung kommen lassen [… … …] Brett […] zur Linken und zur Rechten [des] Gottes; man soll sie … ; man soll sie binden 51) (?) […], man soll [sie …]; man soll […] (rt. 3, 15) Seben-Binden nach oben zu den Tragstangen (?) gemäß dem, was gezeichnet ist. Man soll den Gott einführen, man soll den Gott mit Salbe einreiben, man soll ihn auf dem Brett ruhen lassen, während vier steinerne »Zähne« 52) unter dem Brett sind. Man soll die Seker-Stoffe, (rt. 3, 16) unter dem Gott heraus …, man soll die große Kopfstütze unter den Hals geben, die kleine Kopfstütze unter das »verborgene Gesicht«. Man soll das Brett am Anfang und Ende fixieren; man soll die Mitte mit der Bened-Binde und der mittleren Hülle umhüllen, (rt. 3, 17) man soll sie in Seben-Binden vom Anfang zum Ende und umgekehrt auseinanderreißen. 53) Man soll die Seker-Stoffe erneut unter dem Gott heraus verknoten, gemäß dem, was er oben 54) gemacht hat. Man soll sie links und rechts von ihm liegen lassen, bis man sie braucht. Man soll (rt. 3, 18) einen Ballen Stoff über den Gott legen, vom Anfang bis zum Ende. Man soll den Gott am Brett festmachen mit den Nebtit-Binden, die beschrieben sind. 55) Die Art, ihn zu befestigen, die man machen soll: Man soll die Nebtit-Binde bringen, wobei sie (rt. 3, 19) 120 Ellen lang ist. Man soll sie herausziehen aus den Krampen, die unter dem Katafalk sind zu seinen vorderen Knien. Man soll es in zwei Teile teilen und sechzig Gottesellen links und sechzig Gottesellen rechts sein lassen. Man soll sie straff ziehen. (rt. 3, 20) Man soll sie über seine Schultern ziehen; man soll die Nebti-Binde der rechten Seite zur linken Seite bringen; man soll die Nebti-Binde der linken Seite zur rechten Seite bringen, man soll sie zu den beiden anderen Krampen der Hinterseite ziehen, (rt. 3, 21) man soll sie sich nach oben wenden lassen über die Mitte (des Stieres), man soll die Nebtit-Binde sich nach vorne umwenden lassen. Danach wiederum zwei Durchläufe; man soll die Nebtit-Binden in die beiden Krampen ziehen, die in der Mitte des Brettes vorne sind; man soll sie (rt. 3, 22) nach oben über den Rücken ziehen; man soll sie zu den beiden vorderen Krampen ziehen; man soll die Nebti-Binde der rechten Seite zur linken Seite bringen, man soll auch die Nebti-Binde der linken Seite zur rechten Seite bringen; man soll sie straff ziehen, man soll sie sich umwenden lassen (rt. 3, 23) zu den 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55.

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Hier gibt es ein Spatium in der Handschrift. Die Stoffe. Die Spuren passen zur demotischen Schreibung von mr in dieser Handschrift. D. h. wohl spitze, vage zahnförmige Auflager. Vgl. die Bemerkung zu rt. 2, 11. Hier gibt es ein sehr kleines Spatium in der Handschrift. Wörtlich »außen«. Vermerke der Art »gemäß dem, was außen ist« sind in ägyptischen Handschriften auch sonst als Verweise auf vorausgehende Beschreibungen bezeugt. Hier gibt es ein Spatium in der Handschrift.

Texte aus Ägypten

beiden vorderen Krampen erneut; man soll sie straff ziehen, man soll sie nach oben ziehen zwischen die Hörner; man soll die Nebti-Binde der rechten Seite zur linken Seite ziehen, man soll die Nebti-Binde der linken Seite zur rechten Seite ziehen; man soll sie zu (rt. 3, 24) den beiden Krampen der Kopfstütze ziehen, die unter dem Gesicht des Gottes ist. Man soll sie sich über dem Mund umwenden lassen. Man soll die Nebtit-Binde der rechten Seite zur linken nehmen, und die linke ebenso zur rechten (Seite). Man soll sie fest anziehen, bis man (rt. 3, 25) den Kopf dazu bringt, seine Art der Befestigung gemäß seiner Art zu vollführen. 56) Der Rest der Nebtit-Binde der Kopfstütze sowie der Nebtit-Binde der Befestigung, die gezeichnet/beschrieben ist: Man läßt sie zu den zwei Krampen kommen, indem man (rt. 3, 26) es abschließt, den Gott insgesamt ein zweites Mal zu befestigen. Man soll eine andere Nebtit-Binde bringen, man soll von ihr abschneiden gemäß dem, was gebraucht wird. Man soll die Füße und die Schenkel an ihren Krampen des Brettes befestigen. Man soll (rt. 4, 1) einen Ballen Byssos vor den Gott bringen, man soll die Seker-Binden unter dem Brett herauskommen lassen. Es beträgt zwei Handbreit in der Breite. Man soll es oberhalb des Gottes dreimal festbinden: über dem Vorderteil, dem Nabel und dem Hinterteil. Man soll (rt. 4, 2) drei Tragstangen (?) aus ihnen herauskommen lassen. Man soll den Gott einführen seitens der Vorlesepriester und Priester. Man soll ihn auf den Stützen des Dastehens ruhen lassen. 57) Während man all dies macht, stehen die Gottesväter und Propheten da, noch bevor sie die (rt. 4, 3) Gewänder zerreißen. Dann, wenn man den Katafalk hineinbringt, zerreißen sie die Gewänder und stoßen einen Klageruf aus. Man soll den Schlitten (?) vor den Gott bringen und ihn auf ihm ruhen lassen. Man soll bis zum Zentrum des (rt. 4, 4) Katafalks ziehen und den Gott in dem Katafalk ruhen lassen. Man soll die Tetu-Objekte 58) des Katafalks vorne und hinten befestigen. Man soll sie mit einem Ballen Byssos von hellroter (?) Farbe verhüllen. Man soll für sie Kefa-Stoff von dunkelroter (?) Farbe nehmen, es an eine Sichel 59) anbinden, und für es Meti-Stoff (rt. 4, 5) und Salbungen machen. Man soll die Stricke aus den Krampen des Katafalks herauskommen lassen, man soll die zwei beschriebenen Schreine 60) bringen und die Wischtücher des »verborgenen Gesichts«, die in dem Behälter sind, in ein Hebenet-Gefäß geben. Man soll sich um den (rt. 4, 6) anderen Schrein kümmern; man soll ihn mit hellrotem (?) Stoff umhüllen. Man soll den Schmutz 61) der Extremitäten, der großen und der kleinen Hufe und die Wischtücher der Substanzen des Anus, die in dem anderen Behälter sind, in ein anderes (rt. 4, 7) Hebenet-Gefäß geben. Man soll sich um einen anderen Schrein kümmern und ihn mit purpurfarbenem (?) Stoff umhüllen. Zwei Priester dieses Gottes werden mit hellrotem (?)

56. 57. 58. 59. 60. 61.

Vgl. auch D. Meeks, Or. 83 (2014) 96, wo allerdings die Schreibung des Possessivartikels nicht verstanden worden ist. Hier gibt es ein Spatium in der Handschrift. Die von Vos, Apis Embalming Ritual, 50 und 146 angesetzte Deutung als Djed-Pfeiler halte ich von der Orthographie der Handschrift her für ausgeschlossen. Vgl. ttw als Bestandteil eines Wagens pAshmolean 28, rt. 5. Vgl. M. Smith, The Liturgy of Opening the Mouth for Breathing, Oxford 1993, 45. Das bezieht sich auf rt. 2, 1. Wörtlich »das Gereinigte«.

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und dunkelrotem (?) Stoff umhüllt. Der Priester, der mit hellrotem (?) Stoff bekleidet ist, bringt den Schrein herein, der (rt. 4, 8) mit dunkelrotem (?) Stoff umhüllt ist. Der Priester, der mit dunkelrotem (?) Stoff bekleidet ist, bringt den Schrein herein, der mit hellrotem (?) Stoff umhüllt ist. 62) Danach soll man die Unterlage hochheben, die unter dem Gott gewesen war. Man soll sie 63) (?) zerschneiden und sich den Henbit-(rt. 4, 9) Krügen widmen. Man soll sie mit einem Gedj 64) fundamentieren; man soll sie zu dem Ort bringen, an dem man die Schreine der Götter lassen wird. Man soll ein Zelt (?) aus Stoff außerhalb der Zedernholz-Überdachung machen, die am südlichen Tor des Palasts ist, die (rt. 4, 10) sich zum Stall, der südlichen Mauer des Platzes des Apis und der östlichen Mauer des Reinigungshauses hin öffnet. Man soll das Tor öffnen, das neben der östlichen Mauer des Stalles ist. Man soll (rt. 4, 11) durch es nach draußen hinausbringen. Man kam darauf im Regierungsjahr 24 des Pharao Ahmose, 65) während es das Tor, das in der westlichen Mauer des Stalles gebaut ist, war, durch das man nach draußen hinausbrachte im Regierungsjahr 12 des Pharao Apries. 66) (rt. 4, 12) Und zwar soll man den Gott aus dem Tor des Stalles nach draußen herausbringen, während die beiden Priester hinter ihm sind. Man soll eine Inschrift in der Wand des Stalles anbringen, die im Gang ist. Dann soll man das Reinigungszelt (rt. 4, 13) am ersten Tag durchführen am Ufer des Sees im Südwesten, nachdem man vorher seine Hölzer, seine Textilien und seine Amulette vorbereitet hat gemäß dem Handbuch des Bandagierens. Man soll es mit einem Stoff bedecken, der 80 Gottesellen mißt, davon (rt. 4, 14) 20 Gottesellen an einem Platz, vier […] an den vier Ecken des Reinigungszeltes, wobei es der südliche Platz ist, zu dem man zuerst eintritt, und er kommt beim östlichen Platz heraus. Man soll die Bäcker (?) zum (rt. 4, 15) Gehege holen und den Anfang des Taus des Katafalks in ihre Hand geben. Sie sollen nach draußen ziehen. Die Priester ziehen nach drinnen, wobei Jedermann einen lauten Schrei ausruft. Sie sollen sagen: »Es gibt keinen Gott im großen Haus!«. Die Priester (rt. 4, 16) übernehmen den Anfang des Taus von den Bäckern (?). Sie sollen (den Gott) zum See einführen, während Isis und Nephthys vor ihm sind und zwei Gefäße voll mit Natron in ihren Händen sind, zehn Textilien aus weißem und hellrotem Stoff. Der oberägyptische Wegöffner, der unterägyptische Wegöffner, (rt. 4, 17) Horus, Thot und das Bett des Ptah sind vor diesem Gott. Man soll diesen Gott auf einem Sockel aus Sand ruhen lassen, während sein Gesicht nach Süden gerichtet ist. Die Priester, die die Schreine einführen, 67) sollen zum See gehen. Sie sollen auf die Barke aus Papyrus steigen mit den Schreinen, sie sollen für sie (rt. 4, 18) alle Zeremonien des Ruderns durchführen. Und zwar sollen sie auf der Barke neun Bücher rezitieren; ihre Namen: Das Ritual des Ruderns am ersten Tag; der Schutz der Neschmet-Barke; 68) der Schutz des 62. 63. 64. 65. 66. 67. 68.

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Hier gibt es ein Spatium in der Handschrift. Eventuell ist ein Bezug auf die Unterlage intendiert, auch wenn formal das Plural-Suffix gebraucht wird. Unbekanntes Wort, mit Haus-Determinativ. 546 v. Chr. 577 v. Chr. Das sind die rt. 4,6-8 erwähnen Priester mit ihren Schreinen, in denen sich insbesondere erste Balsamierungsabfälle befinden. Der Text ist bekannt; vgl. die Edition von J.-Cl. Goyon, Textes mythologiques, I: « Le livre de protéger la barque du dieu », Kêmi 19 (1969) 23-64.

Texte aus Ägypten

Schiffes; Das Niederwerfen auf dein Gesicht; Die Verklärung des Osiris (rt. 4, 19) beim Treiben im Wasser; 69) der Schutz der Barke; Vertreiben; Vortrefflich (?); die Mundöffnung. 70) Sie sollen den Gott nach oben zum Reinigungszelt einführen, sie sollen ihm den Mund öffnen an den vier Plätzen des Reinigungszeltes, jeder einzeln. Sie sollen für ihn alle Rituale (rt. 4, 20) vollziehen gemäß dem Festritual. Man soll den Gott zum Tor der Balsamierungswerkstatt einführen. Wenn dieser Gott das Portal des Horizonts erreicht, die große Halle der Balsamierungswerkstatt erreicht, sollen die Bäcker (?) einen Ziegel vor den Sargschlitten werfen, um zu verhindern, (rt. 4, 21) daß er zur Balsamierungswerkstatt kommt. Die Vorlesepriester und die Priester sollen nach innen ziehen. Die Vorlesepriester sollen die Schreine von den Priestern übernehmen. Man soll diesen Gott im Zelt ruhen lassen. Die Vorlesepriester (rt. 4, 22) sollen die Stoffe des Katafalks lösen. Der Ritualleiter soll herauskommen; er soll ihn erneut in Stoffe hüllen. Man soll für ihn eine Mundöffnung durchführen, die mit allen Objekten ausgestattet ist, nachdem man den See und die Wege gereinigt hat. Der (rt. 4, 23) Ritualleiter soll die Dinge melden, die man im Sezierraum brauchen wird; ihre Auflistung: Gesiebter Sand von Rosetau; ein Sack. Erde vom Binsengefilde; zwei Sack. (rt. 4, 24) Gerstenstroh; ein Sack. Eine dünne Binsenmatte, ihre Länge beträgt sechs Ellen; ihre Breite ebenso. Eine dünne Schilfmatte entsprechend den fünf Schilfmatten für das Zelt, denn sie sind die, mit denen sie verdeckt und befestigt sind. Ein Tonziegel, (rt. 4, 25) seine Länge 16 Finger, die Breite 12 Finger, die Tiefe 10 Finger. Die Textilien aus Byssos zum Einwickeln 71) (?); im Einzelnen: (rt. 5, 1) Zwei Ballen Byssos, zwei Lendentücher 72) (?), zehn Atref-Stoffe, fünf Ballen zum Einwickeln (?), 50 QebatStoffe zum Einwickeln, Nebtit- und Seker-Binden gemäß dem, was man brauchen wird. Die Gefäße (?); ihre Anzahl, ihre Dimension (?), im Einzelnen: (rt. 5, 2) 15 Djenit-Krüge: Sie sind es, denen man sich unter der Schnittlinie des Rumpfes (?) des Gottes widmet, damit keine Substanzen herabfallen. Siehe ihre Form: 73) (rt. 5, 3) Vier große Waschschüsseln: Sie sind es, in denen man ausbreitet, was sich im Magen (?) und Darm (?) befindet, wobei sich in ihnen ein Rehenit befindet. (rt. 5, 4) Ihr Mündungsdurchmesser beträgt eine Gotteselle, die Höhe sechs Finger. Siehe ihre Form: Vier Meschi-Gefäße: Sie sind es, in denen man die »Horus-Kinder« 74) aufnimmt, wenn man sie herausholt aus (rt. 5, 5) der Bauchhöhle, sowie die Substanzen, die in ihnen sind, in vier weitere Meschi-Gefäße. Ihr Mündungsdurchmesser (rt. 5, 6) beträgt eine Gotteselle, der Basisdurchmesser zwei Handbreit. Siehe ihre Form: 69. 70.

71. 72.

73. 74.

Es gibt mehrere erhaltene Verklärungsrituale für Osiris, von denen unsicher ist, welches hier konkret gemeint ist. Das Mundöffnungsritual ist in verschiedenen längeren und kürzeren Fassungen häufig belegt; vgl. J. F. Quack, Ein Prätext und seine Realisierungen. Aspekte des ägyptischen Mundöffnungsrituals, in: H. Roeder / B. Dücker (Hg.), Text und Ritual. Essays und kulturwissenschaftliche Studien von Sesostris bis zu den Dadaisten, Heidelberg 2005, 165-185. Es dürfte eher tmy als das von Vos gelesene tms dastehen. Demotisches st ist mutmaßlich mit altem st.w zu identifizieren; vgl. zu letzterem J. J. Janssen, ˙ Commodity Prices from the Ramesside Period. An Economic Study of the Village of necropolis Workmen at Thebes, Leiden 1975, 272-277; ders., Daily Dress at Deir el-Medîna. Words for Clothing, London 2008, 46-51. Hier und im Folgenden ist Freiraum für nicht ausgeführte Zeichnungen gelassen. Bezeichnung für die Eingeweide.

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Joachim Friedrich Quack (rt. 5, 7) Zehn

Sen-Bottiche: Sie sind es, in die man die Substanzen und die Stoffe gibt, [die sich in] der Bauchhöhle befinden. Ihr Mündungsdurchmesser beträgt eine Gotteselle, der Basisdurchmesser eine Handbreit, die Höhe eine Handbreit. Siehe ihre Form: (rt. 5, 8) Vier kleine Waschschüsseln. Sie sind es, in die man ausleeren (?) soll, was sich im Magen (?) und (rt. 5, 9) Darm (?) befindet. Ihr Mündungsdurchmesser beträgt 5 Handbreit, der Basisdurchmesser 3 Handbreit, die Höhe vier Handbreit. Ihre Form: (rt. 5, 10) Vier große Titit-Gefäße. Sie sind es, in die man ausleeren (?) soll, was sich im (rt. 5, 11) Dickdarm (?) befindet, Wasser und Zedernharz, je ein Mal des Reinigens für eines (rt. 5, 12) von ihnen. Ihr Mündungsdurchmesser beträgt eine Gotteselle, der Basisdurchmesser fünf Handbreit, die Höhe fünf Handbreit. Ihre Form: (rt. 5, 13) Vier Tröge (?), (rt. 5, 14) die vier Siebe (?) haben, und man soll in ihnen (rt. 5, 15) das Wasser durchseihen, mit dem man den Dickdarm (?) reinigt. Ihre Höhe beträgt (rt. 5, 16) eineindrittel Gottesellen, der Basisdurchmesser fünf Handbreit. Ihre Form: (rt. 5, 17) Zwei kleine Tröge (?), und ihre (rt. 5, 18) Siebe sollen in ihnen sein, um in sie das Wasser des Magens durchzuseihen. (rt. 5, 19) Ihre Höhe beträgt eine Gotteselle, der Basisdurchmesser fünf Handbreit. Ihre Form: (rt. 5, 20) Zwanzig Eimer, um die Wischtücher des Anus (rt. 5, 21) in sie zu legen. Ihre Höhe beträgt vier Handbreit, der Basisdurchmesser zwei Handbreit, zwei Finger. Ihre Form. (rt. 5, 22) Zehn Sen-Bottiche, um die Wischtücher der Bauchhöhle in sie zu legen, bis man sie wieder (rt. 5, 23) in das Zelt des ersten Tages einführt. Ihr Mündungsdurchmesser eine Gotteselle, der Basisdurchmesser zwei hFingeri, die Höhe ebenso. Ihre Form: (rt. 5, 24) 75) Zwanzig Djenit-Krüge, um sie unter die Schnittlinie des Rumpfes (?) des Gottes zu stellen. Ihr Mündungsdurchmesser beträgt eine Gotteselle, der Basisdurchmesser drei Handbreit, (rt. 5, 25) die Höhe ebenso. Ihre Form: (rt. 5, 26) 16 Rekes-Behälter. Sie sind es, denen man die Horuskinder zuwendet, (rt. 5, 27) wenn man sie reinigt, bei jeder Reinigung. Man soll sie in Stoff hüllen. Ihre Höhe beträgt acht Handbreit, der Basisdurchmesser drei Handbreit. Ihre Form: (rt. 5, 28) 16 Djeleh-Gefäße. Sie sind es, in denen man die Horuskinder reinigt bei jeder Reinigung, je vier (rt. 5, 29) auf einen Gott. 76) Ihr Mündungsdurchmesser beträgt fünf Handbreit, der Basisdurchmesser vier Handbreit. Siehe ihre Form: (rt. 5, 30) Vier weitere Meschi-Gefäße. Sie sind es, in denen man die Horuskinder reinigt (rt. 5, 31) nach der Reinigung des Wer-iri-Priesters. 77) Der Mündungsdurchmesser beträgt eine Gotteselle, der Basisdurchmesser fünf Handbreit, (rt. 5, 32) die Höhe fünf Handbreit. Ihre Form: (rt. 5, 33) [Vier] Pestayt-Gefäße. Sie sind es, in die man die Horuskinder geben soll, (rt. 5, 34) wenn man sie fertig gereinigt hat durch [die] Priester 78) und den Wer-Iri, wobei (rt. 5, 35) vier Meschtit-Gefäße in ihnen sind. [Ihre] Mündungsdurchmesser sind eine Gotteselle, der Basisdurchmesser acht Handbreit, (rt. 5, 36) die Höhe acht Handbreit. Ihre Form: 75. 76. 77. 78.

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Tatsächlich beginnt hier die rechte von zwei Spalten, in welche der Text für den größten Teil der Seite unterteilt ist. Mit »Gott« ist das jeweilige Eingeweideteil gemeint. Dies ist vermutlich derjenige Spezialist, der für die Öffnung der Bauchhöhle und Entnahme der inneren Organe zuständig ist. Den Resten nach dürfte n-cˇr.t [n ] w2b .w zu lesen sein. ˙

Texte aus Ägypten (rt. 6a, 1) Vier

Tay-Gefäße, um die Horuskinder in sie zu geben, wenn man daran geht, sie die Resenet-Kapelle 79) einzuführen. Ihr Mündungsdurchmesser beträgt eine Gotteselle, der Basisdurchmesser acht Handbreit, die Höhe acht Handbreit. (rt. 6a, 3) Vier Wasch-Töpfe (?) – eine Art Becken, um den Wer-Iri (rt. 6a, 4) in ihnen zu reinigen. Der Mündungsdurchmesser beträgt eine Gotteselle, der Basisdurchmesser vier Handbreit, die Höhe vier Handbreit. 80) Ihre Form: (rt. 6a, 5) Vier große Krüge, um die Horuskinder in sie zu legen, wenn man sie herausbringt aus (rt. 6a, 6) den Tay-Gefäßen alle zwölf (?) Tage. Ihr Mündungsdurchmesser beträgt eine Gotteselle, der Basisdurchmesser drei Handbreit, die Höhe fünf Handbreit. Ihre Form: (rt. 6a, 7) Vier kleine Krüge, um den Magen (?) in ihnen zu reinigen in der Resenet-Kapelle. (rt. 6a, 8) Ihr Mündungsdurchmesser beträgt eine Gotteselle, der Basisdurchmesser drei Handbreit, die Höhe vier Handbreit. Ihre Form: (rt. 6a, 9) Vier große Tröge, um die Horuskinder in sie zu legen, wenn sie mit (rt. 6a, 10) Zedernharz gefüllt sind, wobei sie eine Gotteselle in der Höhe messen, und der Basisdurchmesser ist eine Gotteselle für jeden von ihnen. (rt. 6a, 11) Summe der Gefäße: 157 im Sezierraum, (rt, 6a, 12) abgesehen von dem Kasten der Nut aus Sykomorenholz, der vier Kompartimente in sich hat 81). (rt. 6a, 13) Wenn er 82) ihn aus Sykomorenholz sein läßt und man ihn anspricht wie Nut, die (rt. 6a, 14) Gebärerin der Götter, so deshalb, weil sie gleichsam erneut aus ihm geboren werden sollen. (rt. 6b, 1) Das ist eine Angelegenheit eines Vorzeichendeuters. Seine Form: Zehn Henbit-Krüge mit zerstampftem Natron, je 30 Hin auf einen von ihnen. Zwei Vasen aus Fayence (rt. 6b, 2) für das Öl, je zehn Hin auf eine. Fünf Qelel-Gefäße, die mit (rt. 6b, 3) Wasser gefüllt sind. Ihr Gerba 83) ist an ihren Öffnungen. Zwei Schöpfkellen (?). (rt. 6b, 4) Zwei Siebe (?). Ein Bekef (?)-Objekt, 84) das ein (rt. 6b, 5) Kenet-Objekt hat und eine Gotteselle mißt, wobei sein Griff aus Holz ist. Zwei große Scheren, (rt. 6b, 6) die zwei Handbreit lang sind bei jeder von ihnen. Fünf Alabasternäpfe, davon (rt. 6b, 7) ein großer. Ein Ablagetisch, um die Objekte des Oberhandwerkers (rt. 6b, 8) auf ihn zu legen, im Einzelnen: Eine Palette mit schwarzer Tusche. Zehn Binsen 85) vom Feld (?), fünf Binsen von Tepesch, 86) zwanzig Beset. 87) (rt. 6b, 9) Eine Zange (?) und ein Schelet-Objekt aus Ebenholz, dessen Öffnung aus Gold ist und das eine Gotteselle groß ist. (rt. 6a, 2) in

79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 87.

Nach den Angaben des Buches vom Tempel ist die Resenet-Kapelle ein Raumelement der Balsamierungswerkstatt für die heiligen Tiere. Das Objekt erscheint eher zu klein, um einen Menschen wirklich darin zu reinigen. Gemeint ist ein Kanopenkasten für die Eingeweide. Gemeint ist hier der Autor des Textes; dieser Satz stellt einen Kommentar zum Basistext dar. Dem Determinativ nach ein Holzobjekt. Dem Determinativ nach aus Metall. Für 2t »Binse« vgl. R. Jasnow / K.-Th. Zauzich, The Ancient Egyptian Book of Thot. A Demotic Discourse on Knowledge and Pendant to the Classical Hermetica, Wiesbaden 2005, 212. Eine unidentifizierte botanische Bezeichnung. Dem Determinativ nach etwas Vegetabiles.

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Joachim Friedrich Quack

Ein Ablagetisch, um die Dinge darauf zu legen, die (rt. 6b, 10) der Schreiber des Gottesbuches brauchen wird; ihre Auflistung: Zwei Paletten aus Djera-Holz, eine für schwarze Tinte, die andere für rote Tinte. 88) (rt. 6b, 11) Zehn Binsen des Feldes (?). Zehn Meißel zum Bearbeiten des Mundes. Ein Mehi. Ein Uhi. Eine Schere aus Gold. (rt. 6b, 12) Eine Schere aus Silber. Zehn Vasen aus Fayence mit Wasser. Ein Stück Byssos bester Qualität, und man soll ein Udjat-Auge (rt. 6b, 13) mit schwarzer Tinte darauf zeichnen. Es gibt keinen Makel an dem, 89) woran es ist, wobei es ganz vollständig ist in schwarzer Tinte, wobei es sechs Finger groß ist. (rt. 6b, 14) Ein Udjat-Auge aus Fayence und ein Udjat-Auge aus Tamariskenholz (?). All diese (Dinge) soll man auf den Ablagetisch legen, wobei er in Stoff gehüllt ist und acht 2 ⁄3 Gottesellen lang ist, (rt. 6a, 15) eine hoch und acht Handbreit breit. Seine Oberfläche ist aus Papyrus, wobei er ein Kenet hat, das eine Handbreit groß ist an seinen vier Seiten 90) (?). Im Einzelnen: Ein anderer Abstellbehälter; (rt. 6b, 16) die Dinge, die in ihm sind: Zwei Djeleh-Tiegel aus Alabaster, die jeweils zwei Hin fassen; einer mit süßem Fett, der andere (rt. 6b, 17) mit Styrax-Salbe und Oasenöl gemäß dem, was man brauchen wird, um damit Licht zu machen. Ein »Ferkel des Schu« aus Spezerei 91) (?) gemäß dem, was man brauchen wird. (rt. 6b, 18) Ein Abstellbehälter, in dem sich die Objekte des Wer-iri-Priesters befinden sollen. Vier Stäbe 92) aus Tamariskenholz – das sind vier aus Tamariskenholz. 93) Vier Schilfrohre mit ihren Blättern. Gips gemäß dem, was man brauchen wird. Ein »Kamel« aus Kupfer gemäß dem Wer-Iri-Priester. Schwarzer Stoff, (rt. 6b, 20) um ihn über den Eingang der »edlen Kammer« zu binden. Ein Abstellbehälter, in dem der unkennbare Kasten sein soll. (rt. 6b, 21) Ein Abstelltisch, um den Bedarf des Wer-iri-Priesters auf ihn zu legen in der Art des unkennbaren Kastens. Man soll ihn (rt. 6b, 22) aus Pinienholz (?) sein lassen, wobei er viereckig ist und … bildet, wobei zwei Leitern in ihm sind, wobei er mit dem Riemen 88.

89. 90. 91. 92. 93.

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Wörtlich »grüne Tinte«. Für diesen häufigen Ausdruck vgl. J. F. Quack, Mit grüner Tinte rot schreiben?, GöMisz 165 (1998) 7 f. und zusätzlich A. von Lieven, The Carlsberg Papyri 8: Grundriß des Laufes der Sterne. Das sogenannte Nutbuch (CNIP 31), Kopenhagen 2007, 67 mit Anm. 304. So in der Annahme, daß ı’n Schreibfehler für n ist; der überlieferte Wortlaut ist jedenfalls ungrammatisch. Es dürfte eher m 2.w als das von Vos gelesene 2.wj.w zu lesen sein. So in der Annahme, daß das Determinativ fehlerhaft ist; geschrieben ist »Steuerruder«, was im Zusammenhang nicht sinnvoll erscheint. Ich vermute, daß es sich hier um eine in Tierform gepreßte aromatische Substanz handelt. Gegen Vos ist nicht s, sondern mtw zu lesen. ˙ wird hier eine demotische Umsetzung als Kommentar Dem hieratisch geschriebenen Text hinzugefügt.

Texte aus Ägypten

der Nekropole (rt. 6b, 23) des Tempels verschlossen ist; seine Länge beträgt vier Handbreit, seine Höhe drei Handbreit, seine Breite zwei Handbreit. Im Einzelnen die Dinge, die in ihm sind: […] 94) (vs. 1, 1) Danach soll der Vorlesepriester, der sich um die Bauchhöhle kümmert, sie gründlich mit Stoff abwischen. Er soll reines Zedernharz in die Bauchhöhle einbringen. Er soll sie intensiv reinigen. (vs. 1, 2) Er soll das reine Zedernharz herausnehmen, er soll sie mit Stoff gut abwischen […]; er soll sie gleichartig erneut reinigen. Er soll das Herz mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl einreiben. (vs. 1, 3) Er soll (es) in ein Siat-Stoffstück hüllen, das mit gekochtem Anedj-Öl getränkt ist. Danach soll er oben am Schwanz und Rücken mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl einreiben. (vs. 1, 4) Er soll das Becken hochheben und die Nieren mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl einreiben. Er soll die … des Anus binden. (vs. 1, 5) Siehe die Art des Bindens, die man machen soll. Er soll Beutelchen mit Natron und Myrrhe in ein Stoffstück geben und mit einer Pir-Binde binden in der Art eines (einzigen) Beutels. (vs. 1, 6) Er soll die Enden des Stoffes aus dem Anus herauskommen lassen, bis er ihn im Anus festmacht. Der Vorlesepriester, (vs. 1, 7) der sich um den Schwanz kümmert, soll die Enden des Stoffes nach draußen aus dem Anus ziehen, bis er (ihn) im Anus festmacht. Danach (vs. 1, 8) soll der Vorlesepriester, der sich um die Bauchhöhle kümmert, sechs Säcke, die mit Natron und Sägespänen gefüllt sind, … nach oben einbringen in die Höhlungen des Gottes. Er soll die (vs. 1, 9) untere Höhlung mit kleinen Säckchen ausstopfen, die mit Natron und Sägespänen gefüllt sind. Er soll den Mekkabalsam (?) und den frischen Weihrauch oben auf die Öffnung des »Hauses« geben. Während man dies macht, (vs. 1, 10) sollen die Vorlesepriester, die sich um die Extremitäten kümmern, die Beine einwickeln, seine Vorder- und Hinterbeine und den Schwanz, nachdem man zuvor einen Stoffstreifen von Pechet an sie gegeben hat (vs. 1, 11) mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl – Variante Zedernharz und Natron. Die beiden Vorlesepriester, die sich um die Kehle kümmern, sollen sie einreiben mit dem Medikament der Wicklung. 95) Sie sollen eine Siat-Binde (vs. 1, 12) darauf geben, die mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl getränkt ist. Sie sollen sie in Seneb-Binden einwickeln, sie sollen sie mit einer Nebtit-Binde einwickeln, die mit Zedernharz und Natron getränkt ist, sie sollen sie in eine Suh-Binde einhüllen, (vs. 1, 13) die mit Zedernharz und Natron getränkt ist. Man soll sie mit einer Pir-Binde auf der Außenseite bandagieren. Danach soll man die Medikamente und die … bringen, das heiße Medikament (vs. 1, 14) und das kalte Medikament – das ist das Medikament des ersten Tages – sowie das Medikament für den Kopf für den zwölften Tag und das Zedernharz mit gekochtem Anedj-Öl, das Zedernharz mit Natron, das Bernsteinöl (vs. 1, 15) und den trockenen Bernstein gemäß der Lieferung, die an den Ritualleiter kommen wird. Danach soll der Ritualleiter ein Stoffstück in den Mund des Gottes einbringen. Seine beiden (vs. 1, 16) »Freunde« 96) sollen die Spitzen des Stoffstücks halten und den Mund

94. 95. 96.

Der Rest des Rekto in unbekannter Länge ist verloren. So der überlieferte Text; Vos vermutet Textauslassungen und schlägt »sie sollen sie mit dem hwarmen/kalteni Medikament einreiben hund siei einwickeln.« vor. Ein priesterlicher Titel.

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des Gottes vor dem Ritualleiter öffnen. Der Ritualleiter soll die temporären Stoffe herausnehmen, die im Mund des Gottes sind. (vs. 1, 17) Er soll ihn 97) mit Stoff gründlich abwischen. Er soll ein Stoffstück mit dem Medikament des Kopfes für den zwölften Tag tränken. Er soll im Mund des Gottes oben und unten einreiben, zudem die Speiseröhre, (vs. 1, 18) soweit seine Hand kommt. Er soll das besagte Stoffstück in ein Henbit-Gefäß 98) legen. Danach soll er ein Stoffstück mit dem heißen Medikament tränken – seine Länge beträgt eine Gotteselle, die Breite vier Handbreit. Er soll es (vs. 1, 19) in seine beiden Kehlröhren (?) einbringen, er soll das Ende des Stoffes in seinem Mund lassen wegen der Möglichkeit, es herauszuholen. Danach soll er zwei weitere Stoffstücke mit einer Länge von vier Handbreit (vs. 1, 20) und einer Breite von drei Handbreit einführen, die mit dem heißen Medikament getränkt sind. Er soll sie oben in die Speise- und Luftröhre 99) des Kopfes einbringen. Man soll die Enden in seinem Mund lassen gemäß der Möglichkeit, sie wieder herauszuholen. (vs. 1, 21) Er soll sich an die Zunge machen. Man soll sie mit dem heißen Medikament einreiben. Er soll einen Siat-Stoffstreifen abschneiden, der die Handbreit lang und sechs Finger breit ist. Er soll ihn an seinem Anfang in drei Partien einreißen (?), (vs. 1, 22) wobei er mit dem heißen Medikament getränkt ist. Er soll die Zunge hochheben und das Stoffstück unter sie einbringen. Er soll die Enden des Stoffstücks nach oben ziehen bis zum Ende seiner Zunge oben vorne an ihr. (vs. 1, 23) Er soll das Stoffstück zur Linken nach rechts und das zur Rechten nach links führen, und das in der Mitte kommt auf sie; die große Bandage oben, die kleine Bandage und die mittlere Umhüllung demgemäß. Das ist es, was man ihm sagen soll. 100) (vs. 2a, 1) Siehe die Art, das Medikament des ersten Tages zur Wirkung kommen zu lassen, die man machen soll nach Aussage des Traktats der Bandagierung und der Summa, wobei das eine Buch mit dem anderen übereinstimmt: (vs. 2a, 2) Danach soll der Ritualleiter sich vor das »verborgene Gesicht« setzen, seine beiden Freunde sollen zur Rechten und zur Linken von ihm stehen. Sie sollen das »verborgene Gesicht« unter seiner Anleitung hochhalten (?). (vs. 2a, 3) Er soll seine Hand in den Mund dieses Gottes stecken, soweit seine Hand kommen kann. Er soll die temporären Stoffe herausholen, die er (vs. 2, 4) im Gehege in seinen Mund gesteckt hatte. 101) Er soll in seinem Mund mit reinem Zedernharz einreiben, sowie in den (anderen) Öffnungen des Kopfes. Er soll die Stoffe der Öffnungen des Kopfes hineindrücken, 102) (vs. 2a, 5) wobei sie mit reinem Zedernharz getränkt sind. Er soll seinen Mund mit Stoff füllen, der mit reinem Zedernharz getränkt ist. Er soll dem ungetränkte 103) Stoffstücke nachfolgen lassen. Er soll sich an die Augen machen. (vs. 2a, 6) Er soll sie mit reinem Ze97. Den Mund. 98. Vermutlich handelt es sich um eine Metathese für den Hebenet-Krug, der rt. 4, 5.7 zur Deponierung von Wischtüchern dient; auch an diesen Stellen steht in hieratischer Schrift bereits das n direkt hinter dem h. 99. Vermutlich ist ı’hty(.t) zu lesen. ˙ 100. Ich lese den Schluß als p ntı’ ı’wh ¼wi (r) cˇt ¼s n ¼f p ı’. Anschließend ist der Rest der Zeile ˙˙ sowie der untere Bereich der Seite freigelassen. 101. Vgl. rt. 2, 14. 102. Wörtlich »nach oben geben«. 103. Wörtlich »trockene«.

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dernharz einreiben. Man soll die Stoffe der Augen eindrücken, indem sie mit reinem Zedernharz getränkt sind. Man soll ihnen ungetränkte Stoffstücke nachfolgen lassen. Danach soll man das kalte (vs. 2a, 7) und das heiße Medikament, wobei sie in zwei Eimern aus Gold sind, sowie das Zedernharz mit gekochtem Anedj-Öl, das Bernstein-Öl, sowie ein Hed-Objekt 104) mit Siat-Stoffstreifen, (vs. 2a, 8) eine Seben-Binde 105) und zwei Schminkstäbchen aus Gold für das Gesicht, die in Stoff gehüllt sind, dem Ritualleiter bringen. Danach soll der Ritualleiter ein Stoffstück in den Mund dieses Gottes einbringen, (vs. 2a, 9) das zwei Gottesellen lang und sechs Finger breit ist. Er soll es in die Hände der zwei Freunde geben, 106) die rechts und links sind. Sie sollen es festhalten. Sie sollen im (vs. 2a, 10) Mund dieses Gottes offenhalten. Groß ist, wer es versteht, dies auszuführen. 107) Der Ritualleiter soll sich zuerst an das kalte Medikament machen. Er soll ein Stoffstück damit tränken. Er soll (vs. 2a, 11) seinen Gaumen sowie seine Zähne und seinen Ober 108)und Unterkiefer mit dem kalten Medikament einreiben. (vs. 2a, 12) Er soll vor die Augen gehen, er soll in den Augen mit dem kalten Medikament einreiben sowie auch außen an ihnen. Er verhindert, daß das dritte Augenlid 109) herankommt, denn (vs. 2a, 13) er sagte im Hinblick auf den Traktat der Bandagierung sowie die Summa: »Die Summa hat gesagt: ›Achtgeben auf Streifen aus feinem Leinen! Sie unten an seine Augen geben!‹« Er soll sich (vs. 2a, 14) erneut vor den Mund des Gottes begeben. Er soll ein Stoffstück mit dem heißen Medikament tränken. Er soll unten in seinem Mund, soweit seine Hand reicht, (vs. 2a, 15) ferner in seiner Speise- und Luftröhre, an seiner Zunge, seiner Oberlippe und seiner Unterlippe mit dem heißen Medikament einreiben. Er soll zwei Stoffstükke, die damit getränkt sind (vs. 2a, 16) – ihre Länge eine Gotteselle, die Breite vier Handbreit – an seine Speise- und Luftröhre im Brustbereich geben. Er soll die Enden in seinem Mund lassen gemäß der Möglichkeit, (vs. 2a, 17) sie herauszunehmen. Er soll ein weiteres Stoffstück, das mit dem heißen Medikament getränkt ist, auf das Ende seiner Zunge legen – seine Länge beträgt eine Gotteselle, die Breite acht Finger. Er soll die (vs. 2a, 18) große Bened-Binde oben auf seine Zunge geben, wobei sie mit dem heißen Medikament getränkt ist. Ihre Länge beträgt drei Handbreit, die Breite sechs Finger. Er soll eine große Pir-Binde vorne an ihr machen. Er soll seine Zunge hochheben (vs. 2a, 19) und das besagte Stoffstück unter sie kommen lassen. Er soll die Enden des Stoffstücks hochziehen bis zum Ende seiner Zunge vorne oben an ihr. Er soll eine PirBinde links daneben anbringen, und eine andere (vs. 2, 20) soll nach rechts kommen, und die in der Mitte wendet sich erneut über sie; auch die große Bened-Binde ebenso, und die mittlere Verhüllung außen auf sie. Wenn er heißes Medikament (vs. 2a, 21) an seine 104. Dem Determinativ nach aus Holz. 105. Vermutlich eine Metathese für älteres snb. 106. Es ist ı’w ¼f (r) cˇi.t s n cˇr.t zu lesen; das Verb cˇi.t nimmt regelhaft auch im Infinitiv ein enkliti˙ ˙ als Objekt an. ˙ sches Personalpronomen 107. Gegen Vos ist dies keineswegs eine magische Formel, sondern eine kommentierende Bemerkung des Textautors; der Text bedarf auch keiner Korrektur. 108. hr (n) ggy.t ist vermutlich kein sonst unbekanntes Wort, sondern phonetische Schreibung ˙für hngg.t. 109. Eine˙ Hautfalte im inneren Augenwinkel, die bei Rindern deutlich entwickelt ist, s. Vos, Apis Embalming Ritual, 223 f. 

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Zunge gibt, so deshalb, weil es das heiße Medikament für seine Zunge ist. 110) Er soll seine Hand abwischen. Er soll zwei Stoffstücke, die mit dem kalten Medikament getränkt sind, auf seine (vs. 2a, 22) Oberkiefer geben – das sind die, welche den Zähnen nahe sind. Die Länge beträgt vier Handbreit, die Breite drei Handbreit. Er soll zwei andere Stoffstücke, die mit dem kalten Medikament getränkt sind, an seine »Steine« (vs. 2a, 23) geben – welches die Zähne sind 111) –, wobei sie mit dem heißen Medikament getränkt sind. Die Länge beträgt zehn Finger, die Breite vier Finger. Er soll zwei weitere Stoffstücke, die ebenfalls damit getränkt sind, auf seine beiden Unterkiefer geben, (vs. 2a, 24) die es machen am Ende 112) der [[Speise- und Luftröhre]] 113) – das sind die beiden Röhren, die unter dem Kopf sind. Er soll ein weiteres (Stoffstück), das mit dem kalten Medikament getränkt sind, unter seine Zunge geben wegen 114) (?) seiner (vs. 2a, 25) »Steine« – seine Länge beträgt acht Finger, die Breite 6 Finger. Insgesamt sieben Stoffstücke, die mit dem kalten Medikament getränkt sind, in seinem Mund. Er soll seinen Mund mit Stoff füllen, der mit dem (vs. 2a, 26) heißen Medikament getränkt ist, von seiner Zunge an aufwärts. Er soll zwei Stoffstücke, die mit dem heißen Medikament getränkt sind, auf die Ober- und Unterlippe legen. Er soll (vs. 2a, 27) in seiner Nase mit dem heißen Medikament einreiben, er soll die beiden Tampons (?) der Nase hineindrücken, wobei sie ebenfalls mit ihm getränkt sind. Er soll das gesamte »verborgene Gesicht« mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl einreiben. (vs. 2a, 28) Er soll die Öffnung seiner Nase mit einem Stoffstück einhüllen, das mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Harz getränkt ist. Er soll es mit einer Pir-Binde bandagieren. Er soll das gesamte »verborgene Gesicht« mit (vs. 2b, 1) einem Stoffstück einhüllen, das mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl getränkt ist; unten und oben an ihm. Er soll … mit … einreiben. (vs. 2b, 2) Er soll sich erneut zu den Augen begeben. Er soll seine Augenlider und seine Augen mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl einreiben. Er soll die Außenseite (vs. 2b, 3) der Augen mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl einreiben wegen der beiden Siat-Stoffstreifen mit Bernsteinöl, die auf die Augen kommen, (vs. 2b, 4) wegen der Möglichkeit, sie zu befestigen. Man soll das Bernsteinöl vor den Ritualleiter bringen, indem es in dem Eimer aus Gold ist. Er soll es in zwei Portionen auf zwei Siat-Stoffstreifen aus Byssos aufteilen, (vs. 2b, 5) die mit dem kalten Medikament getränkt sind, denn die Summa hat gesagt: »Achtgeben auf Stoffstreifen aus rotem Leinen auf der ›Erhebung (vs. 2b, 6) seines Auges‹ – das sind die ›Seiten des Sehens‹ (mit) den Medikamenten, die du in seine Augen gegeben hast.« Er soll das Schminkstäbchen aus Gold mit Falken(?)Gesicht nehmen, (vs. 2b, 7) wobei es in Byssos gehüllt ist. Er soll das »Gesicht öffnen« in seinen Augen. Groß sind seine Erscheinungen auf Erden. Er soll das Medikament (vs. 2b, 8) rechts und links an seine Augenlider applizieren, um zu verhindern, daß das dritte Augenlid herankommt, denn der Traktat der Bandagierung ordnet das weiter oben 115) an. (vs. 2b, 9) Er soll vier Siat-Stoffstreifen auf die Augenlider geben, die ebenfalls Erneut eine kommentierende Bemerkung. Ich verstehe ntı’ t ı’ ht ı’i im Sinne von koptisch ĩŇĩേŇġijേŇĩ . Es dürfte ntı’ ı’ri ¼f p phw zu lesen sein. ˙ Ohne Annahme einer Textauslassung ist der Wortlaut syntaktisch nicht korrekt. Es scheint, als ob im getilgten Text ursprünglich tatsächlich t ı’hty(.t) 2.t stand. ˙ 114. Ich lese (r)-cˇb . ˙ 115. Wörtlich »außen«.

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110. 111. 112. 113.

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mit dem kalten Medikament getränkt sind, je zwei Siat-Stoffstreifen für (vs. 2b, 10) ein Auge, eins auf das obere Lid, ein anderes das untere Lid, wegen der Möglichkeit, die der Siat-Stoffstreifen mit Bernsteinöl geschaffen hat, daß (vs. 2b, 11) das dritte Augenlid eine Kopie (?) empfängt; gleichsam es an seinen Bauch und das, was auf ihm ist, zu geben. Das ist ein Geheimnis. Danach soll er (vs. 2b, 12) zwei Siat-Stoffstreifen, die das Bernsteinöl enthalten, auf die Augen plazieren. Er soll zuerst den rechten Wickel befestigen und nach (vs. 2b. 13) rechts bandagieren. Er soll danach den linken Wickel plazieren und ebenfalls nach rechts (?) bandagieren. Er soll ein anderes Stoffstück mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl tränken. (vs. 2b, 14) Er soll es ebenfalls auf dem Angesicht plazieren. Er soll weitere 16 Bandagen über den Wickeln machen. Er soll (vs. 2b, 15) an die Ohren gehen. Er soll in den Ohren einreiben mit dem kalten Medikament. Er soll ihre Stoffe hineinstecken, wobei sie auch damit getränkt sind. (vs. 2b, 16) Er soll außen an ihnen mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl einreiben. Er soll ihre Hüllen darüber hlegeni, wobei sie mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl getränkt sind, wobei sie fünf Pir-Binden bilden, (vs. 2b, 17) drei oben und zwei unten. Man soll sie mit ihnen verschnüren (?) und Pir-Binden einreißen (?). Man soll ihre Hüllen aus ungetränktem Stoff über sie geben. Man soll (vs. 2b, 18) hinter ihnen 116) sowie auf ihnen bandagieren mit zwei Bandagen bis zu ihrer Mitte. Man soll ebenso von der Mitte bis zu ihrem Ende bandagieren. (vs. 2b, 19) Man soll zwischen den Hörnern mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl einreiben. Er soll einen Siat-Stoffstreifen mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl tränken. Er soll ihn (vs. 2b, 20) zwischen den Hörnern plazieren, wobei er zwei Pir-Binden bildet. Er soll ihn zweimal nach links und zweimal nach rechts umschlagen. Die Länge beträgt 4 Handbreit, die Breite zwei Handbreit. Man soll sie mit einer (vs. 2b, 21) NebetBinde aus feinem Leinen einwickeln, von einem Horn zum anderen, mit drei Kreuzbändern. Man soll die nebet-Binde mit Zedernharz und Natron tränken. (vs. 2b, 22) Man soll die Hörner mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl einreiben. Man soll sie mit Hüllen einhüllen, die fünf Pir-Binden bilden, drei oben und zwei unten, (vs. 2b, 23) wobei sie mit Zedernharz und gekochtem Anedj-Öl getränkt sind. Man soll die Pir-Binden einreißen (?). Der Ritualleiter geht erst an das »verborgene Gesicht«, nachdem (vs. 2b, 24) er zuerst die Kehle mit reinem Zedernharz eingerieben hat, dann die Einwickelung mit Kleidern und Stoffen, dann das Zedernholz und gekochtes Anedj-Öl – Variante: (vs. 2b, 25) Er reibt es mit kaltem (?) Zedernharz ein. Danach soll man es mit einer Nebtit-Binde einwickeln, die Länge zwei Gottesellen, die Breite eine, die mit Zedernharz (vs. 2b, 26) und gekochtem Anedj-Öl getränkt ist. Man soll es einwickeln mit einer Nebtit-Binde, die auf zwei Spulen (?) aus Ebenholz gewickelt ist, seitens zweier Vorlesepriester, (vs. 3, 1) einer zur Linken, der andere zur Rechten. Man soll die Nebtit-Binde mit Zedernharz und Natron tränken. Variante: Papyrus. (vs. 3, 2) Falls es ein »heiliges Tier des Schu« 117) ist, knüpft heri den hellroten Stoff an die Brust vom ersten Tag. Falls (vs. 3, 3) es ein Haus des … ist, soll 116. Es ist ı’n-h( )e zu lesen. ˙ 117. Möglicherweise geht es hier um Regelungen, welche das Handbuch über den Apis hinaus auf weitere heilige Stiere anwendbar machen sollten.

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hmani ein Stoffstück außen an ihm plazieren, das eine Gotteselle lang und zwei Finger breit ist, wobei es mit (vs. 3, 4) dem heißen Medikament getränkt ist. Außen an ihn kommen, 118) und es soll in seiner Brust ruhen – Variante: in der Kehle –, (vs. 3, 5) und er soll die Enden des Stoffstücks, das mit dem heißen Medikament getränkt ist, in seinem Mund lassen zusammen mit 119) auch noch dem hellroten Stoff (vs. 3, 6) der Brust, wegen der Möglichkeit, es herauszunehmen. Er soll die Umhüllung des »verborgenen Gesichts« nach oben bringen, (vs. 3, 7) wobei sie neun Pir-Binden bildet, ihre Länge beträgt sechs Gottesellen, die Breite Zweidrittel, und er soll im Verhältnis 2:1 unterteilen, 120) und ein Drittel davon kommt nach oben (vs. 3, 8) auf die Kehle, und zwei Drittel kommen nach unten auf das »verborgene Gesicht«, und das eine Drittel, das oben (vs. 3, 9) an der Kehle ist, bildet drei Pir-Binden, und die mittlere Pir-Binde unterschneidet die Kehle, (vs. 3, 10) und die zwei Pir-Binden bilden sechs Seben-Binden, und zwei davon unterschneiden sich jeweils. Was ferner die zwei Drittel betrifft, (vs. 3, 11) die unten sind, so soll er sie zu neun Seben-Binden machen, und eine große Seben-Binde soll in der Mitte davon sein. (vs. 3, 12) Er soll zu den vier Pir-Binden kommen, die links von der großen Seben-Binde sind. Er soll diejenige, die (vs. 3, 13) hinter der großen Seben-Binde ist, unterschneiden, er soll sich ferner zur vierten Unterschneidung dahinter begeben, und er soll es gleichartig auch (vs. 3, 14) auf der rechten Seite machen. Danach soll der Ritualleiter die Umhüllung unter das »verborgene Gesicht« geben, und man soll die beiden Pir-Binden, (vs. 3, 15) die unter den vier Pir-Binden sind, die sich oben auf der Kehle befinden, heranführen, eine links, die andere rechts von ihr, und man soll das besagte Stoffstück bis (vs. 3, 16) zur Mitte seines Mundes bringen. Er soll die große Pir-Binde, die in der Mitte ist, nach oben über seine Nase bis zu den Hörnern ziehen, (vs. 3, 17) und er soll zwei Pir-Binden auf der Kehle machen, und man soll sie zur Linken und Rechten davon hinbringen, und sie sollen sich nach unten unter das (vs. 3, 18) »verborgene Gesicht« hinwenden, bis man es oben und unten mit Pir-Binden vollendet hat. Er soll eine Pir-Binde bis zu den Hörnern einreißen und (vs. 3, 19) den Anfang der großen Bandage des »verborgenen Gesichts« befestigen, bis er es mit Bandagen insgesamt fertigmacht. Die Bandage bildet (vs. 3, 20) neun Bandagen von der Nase bis zu seinem Nakken. Er soll das »verborgene Gesicht« einhüllen von einem bis zum anderen Horn. (vs. 3, 21) Die Art der temporären Stoffe und der Stoffe, mit denen heri im Mund des Gottes einreibt: 121) Man gibt sie in ihren Henbit-Krug 122) (vs. 3, 22) bis zum 16. Tag, sowie ein … der Verwahrung, 123) und man geleitet den Gott am 16. Tag mit den abgelösten Teilen der Extremitäten. 124)

118. 119. 120. 121. 122. 123. 124.

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Sofern man nicht emendieren will, liegt hier ein Infinitiv als Anweisungsformulierung vor. Ich lese ı’rm. Wörtlich »zwei Drittel zu ein Drittel bilden«. Ich lese ntı’ hı’w ¼fi wrh h n r3 p ncˇr n.ı’m=w . ¯ p y=w hn b [y(.t)]. Ich lese hr twh ¼wi s(t)˙ (n) ˘ zu lesen. Es ist wrr Ich schlage die Lesung mtwh ¼wi sˇms ncˇr h r sfh.w {w2} tp.w-[2.wt] vor. ¯ ˆ ˙

10. Das Ritual zum Eintritt in die Kammer der Finsternis Joachim Friedrich Quack Zahlreiche Papyri meist in demotischer Schrift, einer jedoch hieratisch. – Fundorte: Teilweise unbekannt, teilweise Tebtynis und Soknopaiou Nesos. – Aufbewahrungsorte: Berlin, Kairo, Kopenhagen, New Haven, Paris, Wien. – Erstpublikation: R. Jasnow / K.-Th. Zauzich, The Ancient Egyptian Book of Thoth. A Demotic Discourse on Knowledge and Pendant to the Classical Hermetica, Wiesbaden 2005. – Bearbeitungen: R. Jasnow, Birds and Bird Imagery in the Book of Thot, in: R. Bailleul-LeSuer (Hg.), Between Heaven and Hell. Birds in Ancient Egypt, Chicago 2012, 71-76; idem, »Caught in the Web of Words« – Remarks on the Imagery of Writing and Hieroglyphs in the Book of Thot, JARCE 47 (2011) 297-317; F. Hoffmann, BiOr 65 (2008) 86-92; J. F. Quack, Die Initiation zum Schreiberberuf im Alten Ägypten, SAK 36 (2007) 249-295; J. F. Quack, Ein ägyptischer Dialog über die Schreibkunst und das arkane Wissen, ARG 9 (2007) 259-294; M. Stadler, Einführung in die ägyptische Religion ptolemäisch-römischer Zeit nach den demotischen religiösen Texten (Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie 7), Berlin 2012, 177-187; Chr. Leitz, Die Geierweibchen des Thotbuches in den 42 Gauen Ägyptens, RdÉ 63 (2012) 137-185; E. P. Butler, Opening the Way of Writing: Semiotic Metaphysics in the Book of Thot, in: A. D. DeConick / G. Shaw / J. D. Turner (Hg.), Practicing Gnosis. Ritual, Magic, Theurgy and Liturgy in Nag Hammadi, Manichaean and Other Ancient Literature. Essays in Honor of Birger A. Pearson (Nag Hammadi and Manichean Studies 85), Leiden/Boston 2013, 215-247; V. Laisney, Deux témoignages tardifs de l’usage des sagesses, Or. 83 (2014) 76-89 (dort 82-88); R. Jasnow / K. Th. Zauzich, Conversations in the House of Life. A New Translation of the Ancient Egyptian Book of Thoth, Wiesbaden 2014, dazu Rezension J. F. Quack, Enchoria 34, in Druck.

Bei der Komposition, die von ihren ersten Bearbeitern eher unglücklich als »Thotbuch« bezeichnet wurde, handelt es sich um einen Dialog zwischen einem Kandidaten, der als »Weisheitsliebender« (mri-rh) auftritt, und seinem Mentor und Exami˘ nator, der als hr ¼f n hsr.t (»so sagt er, nämlich Heseret 1)«) oder hr=f n hs-rh (»so sagt ˘ ˘ ˘ ˙ er, der Weisheit lobt«) bezeichnet wird. In einigen Passagen vor allem˙ des hinteren Teils (z. B. B02, 11/11ff.) spielt auch eine Gestalt namens »der Öffner auf seiner Standarte« (wpi-tp- .t ¼f) eine Rolle. Weiterhin greift auch der Türhüter des Skriptoriums 2) ins Gespräch ein (C02.1, 4). Eine Gestalt glg ¼ f n b.w »er hat die Seelen (d. h. Bücher) gefangen« (V01, 2/18 u. Par.; B01, 2/4; eventuell auch V01, 4/14f.) mischt sich ebenfalls ein. Auch ein km =f n m wy »er hat die Gedanken geschaffen« ist B02, 11/2 als Redner belegt. ˙ Es geht darum, daß eine Elitegruppe von Wissensspezialisten ausgebildet wird und Zugang zu esoterischem Spezialwissen erhält. Für die Zulassung dazu ist offenbar eine Art von initiatorischem Verhör nötig. Ziel ist eine »Kammer der Finsternis«, wobei letzteres Wort so oft im Text mit dem Determinativ der Buchrolle versehen wird, daß man sich schon fragt, ob ein Spiel mit der schwarzen Farbe der Tinte intendiert ist. 



1. 2.

Heseret ist ein wichtiger Kultort des Thot bei Hermopolis. In der Ägyptologie üblicherweise als »Lebenshaus« übersetzt, was von der überlieferten Lautform her problematisch ist.

439

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Andererseits wird man auch überlegen müssen, ob hier eine Initiation in finsteren Kammern (z. B. Krypten) im Hintergrund steht. 3) Die bemerkenswerte Passage am Anfang zeigt, wie vom Schreiberlehrling zunächst einmal Entsagungen und hingebungsvolle niedere Arbeiten erwartet werden. Sehr gut entfaltet ist eine metaphorische Ausdrucksweise, bei der insbesondere Ackerbau, Vogel- und Fischfang als Bemühung um das Wissen ausgedeutet werden. Der Text ist in (relativ langen) Versen strukturiert und in der Mehrzahl der Zeugen auch durch stichische Schreibung äußerlich klar strukturiert; von den nicht stichisch geschriebenen weisen einige (V01 und B01) teilweise eine Markierung der Versgrenzen durch kleine Spatien auf. Die Handschrift B02 zeigt öfters innerhalb eines Verses noch Punkte unter der Zeile, deren Funktion allerdings nicht recht klar wird. Die Sprache des Werkes ist nicht nur bildhaft und bereits dadurch schwierig, sondern zudem auch nur mit großen Einschränkungen überhaupt als Demotisch zu bezeichnen. Tatsächlich tauchen allenthalben Formen und Lexeme auf, die eher dem Klassisch-Ägyptischen oder allenfalls Neuägyptischen zuzurechnen sind. Man kann überlegen, ob bewußter Archaismus vorliegt, eine erhebliche Verwendung älterer Quellen oder eine inkonsequente Übersetzung einer generell älteren Vorlage. Ich würde eher einer der beiden letzten Lösungen zuneigen und stelle deshalb in den Raum, inwieweit das Werk erhebliche Wurzeln hat, die bis ins 2. Jahrtausend v. Chr. zurückgehen. Eine wesentliche Rolle hinsichtlich der Datierung nimmt die Erwähnung des Nebwenenef ein (Vers 14). Die Seltenheit des Namens spricht dafür, die hier genannte Person mit dem bislang einzig belegten Träger konkret zu identifizieren, nämlich dem Hohenpriester des Amun unter Ramses II. und Besitzer von TT 157 (KRI III, 282-291). Gerade dessen Grabinschrift zeigt auch die explizite Auswahl durch den König aufgrund von Fähigkeit (KRI III, 283, 13f.), und seine Kreuzworträtselstele (KRI III, 287, 4-290, 12) stellt ein Zeugnis für ambitionierten Umgang mit der ägyptischen Schrift dar, und zwar nach bisherigem Kenntnisstand das älteste Beispiel dieser Art. 4) Insofern ist er ein plausibles Rollenmodell für denjenigen, der Anspruch erhebt, sich in der Schreibkunst sehr gut auszukennen.5) Gleichzeitig sind die sprachlich vordemotischen Passagen des Textes durchaus mit einer Datierung in die 19. Dynastie vereinbar; er könnte im Kern also relativ bald nach der Lebenszeit diesen Hohenpriesters entstanden sein. Inhaltlich ist das Werk in ersten Vorberichten als Vorläufer der griechischen Hermetika aufgefaßt worden, und dieser Aspekt hat auch bereits Interesse von Seiten derer erhalten, die sich mit jenen Kompositionen befassen.6) Zwar wird Thot im Text 3. 4. 5.

6.

440

Vgl. hier etwa J. Assmann, Pythagoras und Lucius: Zwei Formen ägyptischer Mysterien, in: J. Assmann / M. Bommas (Hg.), Ägyptische Mysterien, München 2002, 59-75, dort S. 67 f. B. G. Davies, Ramesside Inscriptions, Translated and Annotated. Notes and Comments, Volume III. Ramesses II, his Contemporaries, Chichester 2013, 236-237. Zu späteren Ansprüchen auf Abstammung von Nebwenenef vgl. R. K. Ritner, Denderite Temple Hierarchy and the Family of Theban High Priest Nebwenenet: Block Statue OIM 10729, in: D. D. Silverman (Hg.), For his Ka. Essays offered in Memory of Klaus Baer (SAOC 55), Chicago 1994, 205-226. J.-P. Mahé, Preliminary Remarks on the Demotic Book of Thot and the Greek Hermetica, Vigiliae Christianae 50 (1996) 353-363; E. Hornung, Das esoterische Ägypten. Das geheime Wissen der Ägypter und sein Einfluß auf das Abendland, München 1999, 54; F. Ebeling, Das

Texte aus Ägypten

einmal als wr wr wr bezeichnet (B02, 9/7 u. Par.), also dreimal hintereinander mit dem Wort »groß«, wie im griechischen Ausdruck Trismegistos. Jedoch kann gegen die Position der Herausgeber Thot nicht als einer der Dialogpartner identifiziert werden. Zu deutlich wird dieser im Text nämlich als dritte, von den Sprechern verschiedene Gestalt behandelt. An konkreteren inhaltlichen Übereinstimmungen mit den bekannten Hermetica gibt es nicht allzu viele; vorderhand am bemerkenswertesten scheint die zwischen der Passage über die Kompetenz der Tiere und dem Stobaios-Fragment Nr. IV (Sektion 1-3). Von Interesse sein dürfte auch der nur koptisch überlieferte Traktat von der Achten, welche die Neunte enthüllt (NH VI, Traktat 6). Dort erscheinen die froschund katzenköpfigen(!) ägyptischen Urgötter von Hermopolis, die auch im Thotbuch (in der normalen Form als frosch- und schlangenköpfige Gestalten) in einer schlecht erhaltenen Passage belegt sind, sowie eine Tafel aus Türkis, welche mit der Bedeutung dieses Materials in einigen Sektionen des Thotbuches korreliert. 7) Insgesamt liegt der hier publizierte Text, so erstaunlich und ungewöhnlich er auch sein mag, aber doch weithin im Bereich traditioneller ägyptischer Geisteswelt – substantielle griechische philosophische Einflüsse lassen sich nicht fassen. Vielleicht mag dies – im Sinne der oben kurz angeschnittenen Datierungsfrage – auch ein Problem des Alters sein. Zwischen dem »Thotbuch« und den griechisch überlieferten Hermetika dürften etliche Jahrhunderte realer Distanz der Komposition liegen. Für die Orientierung im langen Text wird in der nachfolgenden Übersetzung in Zehnerschritten einerseits die Position in den besterhaltenen Handschriften angegeben, wie sie in der Erstedition definiert wurden, andererseits auch die in der englischen Neuübersetzung über den ganzen Text gelegte Verszählung. Beide sind in einigen Punkten problematisch, aber derzeit noch nicht durch ein definitives System ersetzt. (1; B07, 1) »[Die

Worte], welche den Knaben erziehen und den Sohn eines Wen-Ima 8) beraten lassen […] […] Schutz, Priester des Osiris Neferhotep, 9) des großen Gottes, des Meisters(?) und Herrn,

7.

8. 9.

Geheimnis des Hermes Trismegistos. Geschichte des Hermetismus, München 2005, 54. K. van Bladel betont in seiner Rezension der Publikation in Bryn Mawr Classical Review 2006. 05. 19 (http://ccat.sas.upenn.edu/bmcr/2006/2006-05-19.html) die geringe Menge der Bezüge zu den hermetischen Kompositionen. Vgl. insbesondere NH VI, 61,27-62,15. Die potentiellen Implikationen, welche die Erwähnung des Türkis gerade im Hinblick auf das hermetische alchemistische Werk Tabula Smaragdina (Originaledition: J. Ruska, Tabula Smaragdina. Ein Beitrag zur Geschichte der hermetischen Literatur, Heidelberg 1926; Verweis auf den Nag-Hammadi-Text bei T. Duquesne, Egypt’s Image in the European Enlightenment, Seschat 3 [1999] 32-51, dort S. 37-38) hat, können hier nicht verfolgt werden. Vgl. pOxy. LXV 4468, rt. i, 32 f., wo von einem Grab des Sonnengottes in Heliopolis gesprochen wird, das durch echten Smaragd markiert ist. Ein Epitheton, das speziell für Imhotep belegt ist. Ein in Quellen ab dem Neuen Reich bis in die griechisch-römische Zeit belegter Vergöttlichter, vgl. zuletzt J. F. Quack, Sesostris in der klassischen Literatur des Mittleren Reiches und der späteren ägyptischen Tradition. Die hieroglyphischen und hieratischen Zeugnisse, in: F. Hoffmann / T. L. Sagrillo / S. Schoske (Hg.), Sesostris – Scheschonq – Sesonchosis: Ein internationaler Held und sein Nachwirken (CHANE), Leiden/Boston, in Druck.

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Joachim Friedrich Quack

[…] seinen Leib darbringen dem Neb-Hetep, 10) den Acker bestellen 11) (?) für Seschat in [all ihren] Namen, […] der »Löserin der beiden Hörner«, 12) Vorschrift zum Eintreten in die Kammer der Finsternis. […] indem sie reif(?) sind, indem sie groß(?) an Ruhm(?) mit deinen Aussprüchen sind. […] vier Gesichter, während ihre Fundamente keine Fäulnis kennen. […] indem sie Hirten sind zum Hüten der Schrift der Gottesworte. […] indem sie gar sehr wirksam(?) sind, wenn du sie nicht zur Last machst. [»…] Gold(?) Neb-Hetep, wenn du wünschst, sie zu hören, dann setze sie an deine Ohren(?), um sie zu hören! (10; B07, 10) […] den Tag beim Überlegen von Wahrheiten, mögest du ihren Geschmack schmecken! […] ihre […] zum … ; ihre Vorschrift (richtet) das Gesicht auf den Weg 13) (?) des Schreibens, [indem sie emsiger sind] als eine Biene(?), indem sie […] sind als Tiere, indem sie kundig sind der nützlichen Aussprüche. […], Jedermann trinkt nach seinem Rang.« [Der Abkömmling von] Kundigen, zugehörig zu Isdes, 14) ein Sohn eines Wen-Ima, ihm zugehörig ist Nebwenenef, 15) er sagte: [»…] Ich erwachte in der Kammer der Finsternis, die Eierschale (?) des Ibis auf seiner Gestalt. [Ich bin es,] der hört in der Kammer der Finsternis, in den Geheimnissen der Geister, [der] wünscht zu bellen unter den Hunden der Seschat, der Großen. Mein eigenes Herz ist es, das mich herbeigebracht hat; möge ich eins werden mit den Knaben!« 16) (L02, 1/1) […] sagte: »Wer bist du, welcher ist es, der für dich gesucht hat, wer ist es, der deine Stricke erzeugt hat?« (20; B07, 20) [Er antwortete]: »Ich, der Weisheitsliebende, bin es, den er gesucht hat; die Sprachkunst des Ibis ist es, die mich gebunden hat, um [mich] abzutasten.« [So-sagt-er,-der-Weisheit-lobt sagte]: »Klopf nicht an die Höhlen(tür), wenn du ihre Gestalt nicht kennst, komm der Hand der […] nicht nahe! [… ] die […] sind Dolerit, die Kehle ist Eisen!« [Der Weisheitsliebende sagte:] »Diejenige, welche meine Kehle als Kehle aus Erz ge[gossen hat], laß mich mit euch bellen! […] während die fähigen Geister in meinem Herzen sinnen, ich habe meinen Rücken den Babys(?) zugewandt.«

10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

442

Wohl ein Eigenname oder eine Bezeichnung des Lehrmeisters; vgl. besonders Vers 43. Vermutlich ist sk zu lesen. Ein typisches Epitheton der Schreibgöttin Seschat. Eventuell ist mı’.t zu lesen; in allen Textzeugen ist das Haus-Determinativ eindeutig. Ursprünglich wohl eine eigene Gottheit, in dieser Komposition ein gewählter Ausdruck für den Weisheitsgott Thot. Wohl der Hohepriester des Amun unter Ramses II. Eine Handschrift fügt hinzu (oder liest als Variante) »den Toten«.

Texte aus Ägypten

[So-sagt-er,-der-Weisheit-lobt] sagte: »Wenn du wie Myrrhe duftest, dann tritt nicht in das Skriptorium! Geile Stiere sind es, die in [ihm] sind. Gibt es für dich eine Frau? Hast du Töchter? Dann hast du hier keinen Platz. Gib acht! […] dich; oder ist es ein Vater, der dich ausgeschickt hat? Die Lehre des Knaben(?) ist es, die es wert ist, dich zu mustern«. (L02, 1/10) Der Weisheitsliebende sagte: »Ich kenne die Tabus, die in der Kammer der Finsternis herrschen, ich bin gekommen frei von ihnen. Ich habe mir den Wein zum Abscheu gemacht, ich habe den Duft von Myrrhe vergessen. Siehe, meine Kleider sind zerlumpt, ich bin begierig!«. (30; B06, 1/1) So-sagt-er,-der-Weisheit-lobt sagte: »Die Ibisse, die hier sind, ihre Nahrung ist mühselig, ihr Leben ist problematisch. Sie sättigen sich nicht an Brot, sie betrinken sich nicht mit Wein, sie salben sich nicht mit Salböl. Ihr Tabu ist, den Namen des Beilagers zu nennen. Pfeildämonen(?) sind es, die an ihrem Mund bleiben, und Schlangen auf ihren Lippen. Ihre Opfergaben sind Hunde, ihre Nahrung Esel, ihre Früchte die Reptilien. Wirst du leben können mit denen, die in ihren Erdlöchern sind? Was ist ihre Art, ihnen zu dienen?« Der Weisheitsliebende sagte: »Ich werde ihre Schreibnäpfe waschen, ich werde die Schreibtafeln abspülen(?), ich werde den Staub der Kästen entfernen. (L02, 2/1) Ich werde die Reste auffüllen, ich werde die Fackel anzünden, ich werde Holzkohle bereitstellen für die Tempelhäuser. Ich werde die Steine brechen(?), ich werde die Kästen umarmen, ich werde […] erzeugen. (B06, 1/10) Ich werde die Kästen(?) empfangen, ich werde auf die Stimme herbeieilen, ich werde [die Türen(?)] öffnen. Ich werde die Schriftrollen auf dem Weg hinter ihnen tragen, ich werde […]« (40) So-sagt-er,-der-Weisheit-lobt sagte: »Hast du einen Traum? Sieh sie, die Kammer der Fin[sternis! Ich werde dein] Schiffer [sein].« Der Weisheitsliebende, er sagte: »Begib dich hinter mich! Der Schlaf ist abgeworfen(?). Ich komme zu […] des Traums.« So-sagt-er,-der-Weisheit-lobt sagte: »Der Stier, welcher der … folgt, … seine Farbe […].« So-sagt-er,-der-Weisheit-lobt sagte: »Gehilfe des Meisters (?) Neb-Hetep! […] in deinen eigenen Gliedern, sagend: ›Ich werde ein Pavian unter ihnen sein!‹ (L02, 2/10) [Ich werde] dich nach vorne [bringen in den] Buchsammlungen, ich will dich stehen lassen […] Schlange, die in […] […] was auf […], indem er einen Falken herbeibringt […] leben [die] Handwerker des Skriptoriums, die Chnume (B06, 1/20) […] […] Ammen der Götteridole. […] … wegen des Sagens der Anzeige. (50; B06, 2/1) Was ihr Fleisch empfangen hat, das wird ihnen ihr Denken geben, man wird [sie] verurteilen wegen des Verschmachtens(?).

443

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Anspannend sind sie, die Schriften wegen des Findens ihrer Süße, 17) sie werden einen Lande[pflock für] die Herzen bilden. 18) Möge man meine Stimme hören, möge ich … in einer Stunde des Lauschens der Meldung wegen einer Frau. Ich werde im Hinblick auf mich zählen wegen des Nachdenkens über die Art der Lebenszeit, ich [werde …] […] … […] ihre Hand im Kasten der Bücher, [indem] sie kennen den […] der Schriften. […] sitzen, während eine Erziehung(?) vor ihnen ist. (F01.2, 1) wobei sie kundig sind der sieben [… Proto]kolle(?) der Könige der jeweiligen Zeit, und die […] veranlassen, daß sie die Namen in diesem Lande sagen, und ich belebe die Abbilder der Götter, [… die] Amme (?) der beiden großen Neunheiten. […] der veranlaßt, daß man sie zählt(?) in … … Anleitung gibt an die Kapitel/Tafeln der Götter, (60; C07.5, 10) während ihre (B06, 2/10) Hunde und ihre Paviane dastehen, indem sie sprechen mit ihrer Stimme in einer kurzen Stunde, [… Gehilf]e(?) des Weisen, bestimmt(?) für das Herrscheramt des Königs von Unterägypten, wobei […] nach vielen Jahren, wenn sie vergangen sind. Ich fand […] Sohn für Hunderttausende von Millionen und eine Tochter. 19) Ich erkannte die Kraft(?) […]. zum […] Die Kinder des Frevlers(?) sind es, die dauern […] […] kommen zu euch(?), um einzutreten in die […], möge sie […] […].., der Charakter, die […] Geister […] […] … sein Herz, ich […] […] ich werde […] … (70) […] er(?) sagte … Augen, hören […] […] … es zum Dromos der Geister […] […] er enthüllte es zu dem Feld des Gewürms […] Augen […] Hiernach ist der Text zunächst einmal für einen nicht genau abschätzbaren Bereich verloren (bzw. allenfalls unplazierbare Kleinfragmente erhalten). Vom Textinhalt her eventuell hierherzustellen ist ein kleines Fragment mit Zeilenanfängen (B12): […] Arbeite mit deiner Hand, sprich […]! … die Finsternis nicht, um … […]! Geh vorbei am Haus […], liebe es, in es einzutreten […]! Kommandiere deine Beine dazu, nicht hin- und herzugehen […]!

17. 18. 19.

444

Oder »Umarmung«. Vgl. hierzu Amenemope 3, 14 (Türschwelle für das Herz) und 3, 16 (Landepflock für die Zunge); siehe Laisney, in: TUAT.NF VIII, 331. Das bezieht sich eventuell auf die selten bezeugte Schriftkompetenz von Frauen.

Texte aus Ägypten

Leid für die Kraft von Herz und Zunge […] Der Weisheitsliebende sagte: »Meine Speise, meine A[rt …].« So-sagt-er,-nämlich-Heseret sagte: »Hunger […] Mit gewisser Wahrscheinlichkeit ist auch ein anderes Fragment etwa in diesem Bereich der Komposition unterzubringen (B08 mit Parallele in B06.3): (B08, 1) Die

[…] Oh du mit auserlesenem Denken, indem er ü[berlegt(?) …] Weg der […]. … Oberteil […] ihre Vorratshäuser. Du wirst erleuchten im Speicher, und das Auge […] Lampe. Du wirst aufsteigen auf das Dach des Pronaos, du wirst […] Du wirst […], ohne daß sie einen Rest haben, die Gedanken […]« Der Weisheitsliebende sagte: »Möge man mich in ihre […] … […]!« So-sagt-er,-nämlich-Heseret sagte: »Diese Ämter(?), die ich dekretiert habe […] Oh du, der gekommen ist, um eine Stellung einzunehmen […]! (B08, 10) Komm, dann enthülle ich sie nach [ihrer] Art […]! Wo schließlich wieder ein verständlicher und kontinuierlicher Zusammenhang einsetzt, erhält der Kandidat Ermahnungen für sein Verhalten, insbesondere aber eine Ermunterung zum Lernen. Dabei changiert der Text auch zwischen dem konkreten Fangen von Vögeln und Fischen und einem abstrakten Erjagen des Wissens, was zweifellos dadurch befördert wird, daß in einer religiösen Tradition Thot wesentlich beim Vogelfang beteiligt ist. (226; V01, 2/1; F12, 1) »Nimm

deinen Kasten der Seschat nicht in das Haus deines Arztes, wenn dein […] … Berühre nicht eine Schutzhülle(?) auf deinem Wasserkrug an deinem Tag des […].. Es gibt zwei Gestalten als Werk der Palette, welche oben auf seinen […] sind. Wirst du vorbeistreichen(?), um die Palette erscheinen zu lassen an den Riemen .[…]? (230) Wirst du die Nacht wachend verbringen in dem Kasten der Holzkohle, wirst du […] finden [in der Kammer] der Finsternis? (C09, 2/1) Hüte dich, hüte dich unter ihnen! Sei nicht matt für sie, sei stark im Herzen! Kämpf, dann lernst du die Formel der Gottesanbetung für ihn, flehe an […]! Verabscheue sein Tabu, liebe, was er liebt, vereine sein Wesen an deiner Haut! Wer ist es, der dich großziehen wird, und dich […] wird in den Pforten deiner Erziehung(?)? (F12, 10) Beherzige(?) die Aufzucht durch deinen Vater, sie ist bedeutsam! Er belehrt zu … der Milch (V01, 2/10) deiner Amme, der Mutter […] Saug an seinem Mund, seine Zunge ist eine Brust, sein Rücken(?) ist eine Säule(?)! … seine … nicht; sie sind alle Atem [des Lebens(?)]! Ermatte nicht, an seinen Aussprüchen zu saugen; sie sind goldene Ähren!« (C09, 2/10; 240) Er hat die (Buch)seelen erjagt, er hat die Hunde der Oase […] des Herrn von Hermopolis gefangen, Er öffnete seinen Mund, er antwortete seinen Gehilfen des Künstlers(?) Neb-Hetep: 445

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»Die Seelen des Re, 20) sie sind Herren der Flügel, sie fliegen (?) zum Wissenden. Er ist ihr Hirte, der ihnen Nahrung verschafft; sie schweigen (?), um sie in seine Hand zu legen. Der Schreiber ist ein Nest, die Bücher sind seine K[üken(?)] … in seinem Staub.« Der Weisheitsliebende sagte: »Ich wünsche, ein Fischer nach den Anbetungen des Isden zu sein, und daß ich seine »Seelen« fange.« Er-hat-die-Seelen-gefangen sagte: »Dein Fangnetz hat gefangen, was auf der Zunge deines Mundes ist, dein …, was auf deiner Brust(?) ist. (F12, 20) Deine Netze haben gefangen, was [auf] (V01, 2/20) seiner Nase ist; deine Angelhaken, was auf seinem .[..] ist. Die Fische und Vögel, die in sein [..] hineingehen, ich habe für ihn … geschützt, [sie werden den] Mund [nicht] öffnen. (C09, 2/20) Bedränge sie, ermatte nicht, sie zu fangen! Man ißt nicht von […] des Speichers. (250) Man fürchtet sich nicht vor der Vergeltung eines Jahrs des Elends, man stirbt nicht an einem Jahr der [Not(?)]. 21) Wenn du […] fängst, übergeht man dich nicht; es sind [ke]ine Schwierigkeiten. Ein Fischfang in ihre Hände ist, worin sie sind, [indem] sie in ihrem Netz gefangen sind. Wenn du auf dem Weg hin- und hergehst, indem sie hinter dir sind, verlä[ßt(?)] man [dich(?)] nicht. Alle Hirten beschaffen Nahrung für ihr Anvertrautes; diese sind es, die ihr […] machen.« Der Weisheitsliebende sagte: »Das Netz [… möge] ich eins mit seinen Jägern sein. Möge man mich vor die Falle setzen […].« Die Jagdmetaphorik scheint sich in einer schlecht erhaltenen Passage noch weiter fortzusetzen. Wo der Dialog wieder zusammenhängender einsetzt, enthält er eine Passage über die verschiedenen Einflüsse auf die Charakterbildung: (285; B01, 1/1) »So-sagt-er,-nämlich-Heseret

sagte: »Leitest du den an, der zu handeln versteht, oder ist es eine Belehrung des Weisen, die man vornimmt? Ist es der Vater, der seinem Sohn Gestalt gibt, oder der Zwang des Stockes, oder ist es der Schulmeister, der ihn belehrt? Schmerz für Herz und Zunge ist, was einen Kundigen erzeugt. Das Feld, das seine Erzeugnisse hervorbringt, die ein Bassin(?) erzeugen wird, Ist es ein Sprießen(?) des Saatgutes, das es(?) ihm erzeugt? Was für eine Vorbereitung(?) ist es, die ein Starker einsetzen(?) kann? (290) Was sind die Netze, die Fallen aus echtem Lapislazuli? Ist es ein Vater, der sie anleitet, oder ist es ein Weiser, der unterrichtet? (B02, 1/1) Die Wildtiere und die Vögel, ihnen wird eine Lehre zuteil; was für ein Kapitel ist es, das sie gelesen haben? Das Wild, das auf den Bergen ist, hat es keine Anleitung? Das Kapitel und das Schreibgerät sind der Fall, der darüber Macht gewonnen hat. 20. 21.

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Bezeichnung für wichtige (religiöse) Bücher. Hier liegt eine Anspielung auf die erheblich ältere Lehre des Hardjedef vor.

Texte aus Ägypten

Wenn es derjenige, der […] wäre, der sie nach vorn zum Lob kommen läßt, […] mit Amuletten, dann … … … ein Esel(?), das Tier, das zuerst Texte kopiert(?) hat. 22) Der Große der Fünf(?) ist es, der unterrichtet; (B01, 1/10) Thot(?), das Herz des Re, ist es, der Wissen gibt. Sie kommen aus der Gebärmutter hervor, indem es mit ihnen ist, das schöne Amt des Wesirs. […] der es in den Leib gegeben hat, indem es leer ist im Inneren des Eies. Sie [bestellen (?)] das Feld, während die Lampe vor ihnen ist, während sie ein lebendes Abbild dessen an der Spitze von Heseret sind. (300) Ihre Geburt ist vor ihnen im Ausspruch des Göttlichen, das Brot und Bier vor dem … (B02, 1/10) Alle … ist, worin sie sind; das Herz des Re ist es, das Kenntnisse gibt. Die dem … Zugehörigen, seine Söhne des Wen-Ima sind es, die er erhöhen wird in seinem Amt(?). Derjenige unter ihnen, dessen Herz Seschat wenden wird, und den die Anbetungen des Isden fangen werden, Ist es ihm möglich, sich hinter sie zu begeben? Ist es sein Herz, das auf ihnen ist? Das ist die Sammlung der Buchrollen, indem sie geeignet zur Lehre sind, indem sie ein Speicher des Bücherhauses sind. (B01, 2/1; L01, 1/1) Man öffnet die Front eines ihrer geheimen Kästen, ihr Handwerker ist es, der ihrer kundig ist. Wenn ein Schreiber einen Kasten auf dem Lager öffnet, sind seine Bücher neben ihm versammelt. (B02, 2/1) Wenn ein Weiser auf … steigt, sind die Buchrollen rings um ihn ausgebreitet.« Er-hat-die-Seelen-gefangen sagte: »Dient man nicht dem, der ein Kundiger sein will, damit er kein Handwerker sein wird? (310) Die Weisen, die früher entstanden sind, hatten sie nicht einen zweiten 23) Körper? Gehilfe, komm vor den Lehrer! Öffne seinen Mund mit der Lehre dessen mit wissendem Leib! Beuge dich vor dem Schreiber, schreib ein Buch, rezitiere einen Ausspruch, eile zum Befragen des Kundigsten in seiner Zunft! Höre die vortrefflichen Worte, sei lieblich an Zunge, (B01, 2/10) sei eifrig unter den Eifrigen! … … … Schriftzeichen, ein Handwerker des …, der mit seinem Arm stark ist. (L01, 1/10) … sagt ›Frau‹ zu den auserwählten (Sprüchen)! Ein … … des Horus, indem sie die Jugend großziehen in einem Übermaß an Herzensbeschwörung, (B02, 2/10) Indem sie … schlagen, indem sie den Starken brechen, indem sie den Handwerker bezwingen, der gehandelt hat. Sein […] wird die Finsternis eröffnen …, und Millionen verneigen sich vor ihm. Seine Liebe ist in jeder Kammer der Finsternis, seine Lehre wird ihm die Fackel anzünden. 22. 23.

Vgl. dazu unten 691 L01 (V), x+3, 21. Eventuell auch als »minderwertig« zu verstehen.

447

Joachim Friedrich Quack (320) Wenn er … die Ewigkeit zu verbringen, […], wird man seine Knochen verbrennen. Man wird auf seine Lippen speien, man wird sein Fett entflammen. Es wird in seinem Herzen schwach werden, einzutreten in die Kammer, die seine Nieren(?) versengt hat. Wenn er es wert ist, …, werden die Fackeln vor ihm eilen. (B01, 2/20; B02, 3/1) Er wird Nardenöl 24) an ihre Kerzen geben, neue Stoffe an ihre Dochte. (L01, 1/20) Sobald ihn der empfängt, der gekommen ist, wird er herumtasten in den Gemäuern des Herrn der Heden-Pflanze. Beschwöre sein Herz; möge sich seine Leichtigkeit entfernen, möge es schwerer als Granit sein! Möge er Sandalen an seine Füße ziehen, möge er sich gürten in der Finsternis, möge er das Licht seines Lebens vergessen! Möge er das Ruder des Ruderpfostens(?) mit dem Arm packen, möge er die Hand am Griff(?) festmachen! Möge er segeln auf dem Meer des Netzes(?); möge er rudern auf dem Fluß der Holzkohle! (330; L01, 2/1) Vereint mit(?) dem Haus der Seelen, möge er(?) sich den Speicher der Geister ergreifen. Möge er seine Kehle eröffnen, möge er für sie die Namensreiche anbeten, die Behausung der Seelen! Möge er die Zahl der Fälle des Rufens zum Portal(?) der großen Mutter der Abschriften kennen! (B02, 3/10) Die Lehre ist ihm voll geworden, möge er auf den Stern schauen, möge er den Kosmos des Himmels bei Nacht anschauen! (B04, 0/1) Mögen seine Finger arbeiten am Haus des Löwen, des Einzigartigen, des ›Starken auf dem Dach‹, 25) bis er die Kontrolle über Auge, Ohr, Herz, Zunge, Hand und Fußsohle findet, und er kennt ›Erkenntnis‹, ›Ansehen‹, ›Annalen‹, ›Erziehung‹, ›Erklärung‹, … und …, 26) und er trinkt 27) ›Anordnung‹, ›die Anbetungen‹, ›Lobpreis‹, ihren Vater, der mächtig ist, 28) und er findet das ›Geheimnis‹, und er (B01, 3/10) erklärt die Anbetung, und er wird Gehilfe der Majestät des Thot.« (L01, 2/10) Der Weisheitsliebende sagte: »Was ist die Klaue, welche die Zunge ergreift? Oh du mit auserwählten Worten, eröffne die Geräte! (340; B02, 4/1) Möge man mir die Amme nennen, welche zur Sprache ernährt, daß ich an ihren Brüsten sauge!« So-sagt-er,-nämlich-Heseret sagte: »Nimm dir das Portal, welches die Seelen bewacht! 29) Bete es an, möge es dir antworten!

24. 25. 26. 27. 28. 29.

448

So übersetze ich das ägyptische tsˇps an dieser Stelle um des Stils willen ohne Anspruch auf botanische Genauigkeit. Bezeichnung des Wasserspeiers in Löwenform. Die Substantive dieses Verses sind alle so determiniert, daß sie als Buchtitel bzw. -kategorien markiert sind. Variante: »sättigt sich an«. Variante »sie leitet«. So in L01, 2/12. Variante in B02, 4/2: »Nimm dir die Mächtige(?), die mit Seelen beladen ist«.

Texte aus Ägypten

Dein Lautmachen deiner Stimme bedeutet sein Lieben; dich zu hören, sein eiliges Kommen zu dir. Wenn du sie anbetest zu den drei Anfängen des Jahres, 30) wird die Mächtige(?) dir antworten. Wenn du sie verstanden hast und dich auskennst, sie anzubeten, wird sie ihren Sitz in deinem Magen einnehmen. 31) (B04, 0/10) Öffne die Tore deines Herzens(?) vor ihr, stimme für sie 120 32) an, dann hört sie. Das ist die Art der kleinen Zahl, auf welche der Schakalsherzige hört, und sie liebt ihn. 33) Es mißfällt ihr nicht, ihrerseits anmaßend zu sein zum Hundsschakal, und sie haßt, ihm zu antworten, und er ruft zu ihr 7077 Mal und sie kommt nicht auf seine Stimme. (B02, 4/10; L01, 2/20) Sie blickt nach hinten bei ihrem Kommen(?), sie bringt Millionen zu Ende; diese bringen sie nicht zu Ende. (350) Dein Fragen nach ihr bedeutet ihr Kommen zu dir in Eile; in deinem Moment, wenn du sie suchst, wirst du sie finden.« Der Weisheitsliebende sagte: »Was ist das Schreiben, was sind seine (B01, 3/20) Wohnorte? Vergleiche es vor mir mit Seinesgleichen!« So-sagt-er,-nämlich-Heseret sagte: »Die Schrift ist ein Meer, ihre Binsen sind das Ufer; pflüge darin ein klein wenig! Erhebe die Binse, zähle auch nur ein Bassin (?), doch sind es Millionen. Ermatte daran nicht, (L01, 3/1) bis sein Herr 34) dich darin schwimmen läßt, und es vor dir ganz in Fahrtwind kommt. Die sieben Binsen, die dem Pflug gleichen in den sieben 35) Feldern des Wissenden der beiden Länder, (B02, 5/1) des Bauern, welcher dasteht, indem er bei ihnen als Ammenmeister(?) 36) agiert, indem er die Bassins(?) befruchtet mit seinem Zwanzigstel Gerste, sein Saatgut, das in diesen Schalen ist, die markiert und mit einer dicken Mauer abgegrenzt sind, 30. 31.

32. 33. 34. 35. 36.

Auch einige andere ägyptische Quellen sprechen von drei verschiedenen Jahresanfängen, so der Festkalender in Esna und ein unveröffentlichter Dialog zwischen Imhotep und dem Pharao. Dieser Komplex von Herz und Magen erinnert auffällig an eine Formulierung wie »Der Gott ist das Herz, seine Kapelle ist im Magen« auf dem Würfelhocker des Neb-Netjeru Kairo CG 42225, e 11; s. K. Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien der 22. und 23. Dynastie (ÄAT 8), Wiesbaden 1995, Band 1, 122; Band 2, 498. Auch Amenemope 3, 13 f., wo man die weisen Worte in den Leib aufnehmen soll, damit sie im Herzen eine Türschwelle bilden, steht recht nahe; siehe Laisney, in: TUAT.NF VIII, 331. Für die Zahl 120 ist kein explizites Bezugswort vorhanden; im Hinblick auf die wenig vorher erwähnten drei Jahresanfänge wäre an ein Drittel der Jahreslänge (ohne Epagomenentage) zu denken. So in B02, 4/7. L01, 2/17 weicht deutlich ab und ist wohl als »Das ist die Art der kleinen Zahl, auf welche sie hört, der kleine Hundsaffe, den sie lieben wird« zu verstehen. Variante »seine Herren«. Textvariante »drei« in L01. So wohl nach L01, 3/3; B01, 5/1 hat »Hirte«.

449

Joachim Friedrich Quack (B04, 0/20) das zweite Glied unter ihnen, das für sie der Herr ist, das sind die schwarzen – Variante schwarz-roten – Felder, die man nicht erreichen kann. Diese Schalen, sie fließen über von Holzkohle; ihr Henkel(?), er arbeitet. (360) Wer sich zu ihnen hinbegibt, ohne Hitze erfahren zu haben, dessen Finger versengt ihre Glut. Das gute Berechnen, das im ›Haus des Machens‹ (d. h. Palette) ist, dessen richtiger Name ist ›Schreibpalette‹. Es sagt mir: ›Ich bin im Unrecht; ich kann die Erntesteuer nicht bezahlen, und auch kein anderer wird sie aus mir herausbringen (L01, 3/10) seit dem Jahr 1 des Ptah-Tatenen, 37) indem er halb im Nun ist, ohne daß er mich überflutet hätte.‹ 38) Derjenige, der seine … Äcker zu bestellen verpachtet hat in seinen auserwählten Namen. (B02, 5/10) Die Menge des Unkrauts in diesen Hochfeldern 39) ist die Menge des Fruchtertrags. Wer sie erntet, ist es, der die Erntesteuer für das Hochland zahlt; ihr Ertrag besteht darin, daß man es erntet.« (B04, 1/1) Der Weisheitsliebende sagte: »Möge man mir die Arbeit des Charakters sagen, die Hand, welche die Seelen des Re bearbeitet!« So-sagt-er,-nämlich-Heseret sagte: »Deine drei Finger, leg die Binse zwischen sie! Deine zwei, mögen sie ein Auflager(?) bilden! Leg das Vierzehntel des Großen der Fünf Thot zwischen sie, vom Mund an vor deine Finger! 40) (370) Sei schön mit der Hand, kopiere mit deinen Fingern, beweg hin und her, befestige und steuere! Jeder Brief – sein schöner Anteil ist das Kopieren der Sammlung der Anbetungen, indem sie rasch sind. (B02, 6/1) Jedes Schreiben – ihre Kraft ist eilig, ihr zum Meister werden hastig, kein Verweilen. (L01, 3/20) Der Weisheitsliebende sagte: »Was ist seine Art? Was für eine Form der grünenden Pflanze, oh Vortrefflicher an Liebe?« So-sagt-er,-nämlich-Heseret sagte: »Man nannte ihn ›die Binse‹, d. h. die Binse des Lebens, die zu berühren das Land landen wird.« Der Weisheitsliebende sagte: »Möge man mir die Worte 41) zuweisen, welche Kenntnis erzeugen, dann will ich sie (B04, 2/10) in meinem Fleisch schwängern!

37. 38. 39. 40.

41.

450

D. h. seit Beginn der strukturierten Zeit überhaupt, wenn man das Schema des Manetho, Fr. 3 u. 4 zugrunde legt, das Hephaistos (d. h. Ptah-Tatenen) als ersten König Ägyptens kennt. Hier scheint der Acker als sprechend vorgestellt. Das sind Felder innerhalb des Niltales, die höher gelegen sind, so daß sie nicht jedes Jahr überschwemmt werden. Die Zahl 14 dürfte mit den 14 Knöcheln zu verbinden sein, die im pCarlsberg I, 6 Thot zugeschrieben werden, vgl. A. von Lieven, Wie töricht war Horapollo? Zur Ausdeutung von Schriftzeichen im Alten Ägypten, in: H. Knuf / Chr. Leitz / D. von Recklinghausen (Hg.), Honi soit qui mal y pense. Studien zum pharaonischen, griechisch-römischen und spätantiken Ägypten zu Ehren von Heinz-Josef Thissen (OLA 194), Leuven/Paris/Walpole 2010, 567-574, dort S. 570 mit Anm. 14. Variante: »Die Maße«.

Texte aus Ägypten

Öffne mir den Brunnen, der mit den Weisen vereint, dann will ich von seinem süßen Wasser trinken! Die Amme, welche Aufwärterin für den Weisen ist, möge ich zu ihrem Türpfosten eintreten! (L01, 4/1) Siehe, mein Mund ist offen, möge man ihm Milch geben, so daß sie ihren Platz in deinem 42) Magen einnimmt!« So-sagt-er,-nämlich-Heseret sagte: »Komm, dann belehre ich dich über [die Kunst(?)] des Abschreibens, die Thot seinem Gehilfen zur Hand gegeben hat! (380) Schreib wenig, befrage den Weisen, enthülle nicht, [was du erfahren hast(?)!] (B02, 6/10) Frag den, der kleiner als du ist, liebe es, die Stimme des Weisen zu hören, […] nicht! Sei nicht gierig(?) nach Kunde, nimm reichlich Schutz, sei nicht bekümmert im Herzen, weil es gilt, ihr Äußerstes zu erreichen! Sei besorgt um Morgen, sei bekümmert um seinesgleichen, sag mir all dein … Sei gesetzt und hartnäckig, sei ausdauernd beim Lernen […]! Erzeuge keine Verzögerung(?) bei der Arbeit des Briefeschreibens […]! Alle Arten von Schwierigkeiten, (B04, 1/20) die von verschiedener Form sind, ohne […] (L01, 4/10) Schau oft, handle oft, hör oft […]! (B02, 7/1) Komm, dann will ich sie dir beibringen, die vier Bande des Lebens, mit denen [es] gebunden ist! Vertraue auf den Gott, lehne dich an das Gesetz, erwidere korrekt, geh nach der Wahrheit! (390) Sei bescheiden, denk nach, sei ein guter Mensch, enthülle nicht, was du gehört hast!« (B04, 2/1) Der Weisheitsliebende sagte: »Oh möge deine Kenntnis sich verjüngen im Haus der Dokumente; man erzeugt sich deine Lehre! 43) Du warst für mich ein Handwerker, du hast mein Leid gemindert, du hast mich in meinen Gliedmaßen dastehen lassen. Du warst für mich ein Bauer, als ich wie ein Feld war und leer war; du machtest mich zum registrierten Acker. Man gab mich dir, als ich ein Klotz war, du öffnetest mich zur Statue, du wurdest mir ein belebender Schnitzer. Du tatest mir meine Zunge auf, du hast mir den Weg eröffnet, du hast mir die Stellung zum Kommen und Gehen gegeben. Du hast Haß auf mich verringert und Liebe zu mir gebracht, du hast meine Gunst alt werden lassen. (B02, 7/10; L01, 4/20) Du hast mich zum Alten werden lassen, während ich jung war, so daß ich die, die älter als ich sind, in deiner Angelegenheit ausschicken konnte. Du hast mir die Stellung gegeben, als ich noch ein Kind war; ich machte es mir bequem, während die Großen dastanden. Du hast mich reich an Nachwuchs(?) gemacht, während ich allein gewesen war, du schufst mir eine Jungtruppe an Kindern. 42. 43.

So die Handschriftenüberlieferung, man würde »meinem« erwarten. Variante »zu den Kindern der Lehre«.

451

Joachim Friedrich Quack (400) Du

gabst eine Flamme mit deinem Mund, (B04, 2/10) Speise eröffnete sich mir, die Dinge deines Leibes überfluteten mich. Leicht wurden mir die Dinge, du hast für mich gehandelt, so daß ich ein lebendes Abbild war, das in Ewigkeit dauert. (L01, 5/1) Ich werde als Statue vorne dastehen, ich werde ein Denkmal sein, indem ich ein Abbild vor seinem … sein werde. Ich werde deinen Dämon vergessen, ich werde deine Lehre preisen, ich werde deinem guten Namen huldigen. (B02, 8/1) Ich werde dir danken vor dem Heiligtum des Ptah beim Fest des Imhotep in Anwesenheit von Osiris Neferhotep. 44) Ich werde deinen Namen am Leben erhalten zur Seite des lebenden Ba, ich werde deinen Ba vor den Bas seiner Großen(?) vergöttlichen. Ein Königsopfer für deinen Ka beim Altar(?), Anbetung deines Namens bei den Abbildern. Komm doch, der du lebst als Handwerker des Isden, Gepriesener des Herzens des Re, möge er deine Aussprüche(?) bewirken. Ich will dir danken, ich will deinen Namen frisch halten, ich will deinen Ba vor (dem) meines Vaters eintreten lassen. Ich bin bei dir als Erbe wie ein Sohn des Wesirs, deine Lehre soll mir als Amme dienen. (410) Du hast mich mit dem Ausstrecken der Hand eingefangen, oh du, der mich schuf, so daß ich Thronerbe deiner Erziehung wurde. Nachdem ich ein Kind gewesen bin, möge mein Name dauern, möge ich unter (B04, 2/20) die Kundigen eintreten! Möge man mich auf den Weg der Seelen des Re geben, die Weisen der ersten Urzeit! (B02, 8/10) Ich habe mich mit Wissen vollgerafft, ich habe mich als Monument versammelt, und ich bin eins geworden mit den Gehilfen! Ich habe die Aktion des … des Nennens meines Namens in der Finsternis gemacht, während ich mit den Seelen kämpfte. Möge man mir die Straßen des Gehens zum Per-anch öffnen, so daß ich mich vor Seschat auf meinen Bauch werfe! (B04, 3/1) Möge man mir den Weg des Wandelns öffnen, möge ich den Pfad mit meinen Sohlen beschreiten! Ich habe die Beliebtheit des großen Gottes, des Herrn der Heden-Pflanze 45) erblickt, ich habe die Anbetungen dessen nachgeahmt, der vorne Schwingen hat. Ich habe den Ibis auf seinem Kraut erblickt, der das Land mit seinen Klauen geordnet hat. Ich habe den Pavian gesehen, der mit der Schlange vereint ist, der das Land mit seiner Setzwaage gerichtet hat. (420; B02, 9/1) Ich habe die Vogelfalle der Majestät des Isden erblickt, ich habe die Geheimnisse des Thot gepriesen. Ich bin eingetreten in es, die Eierschale(?) der Ibisse insgesamt, ich habe mich zum Platz der Diener des Thot begeben.

44. 45.

452

Ein vergöttlichter Mensch; vgl. Vers. 2. Ein Epitheton des Thot.

Texte aus Ägypten

Ich habe das Himmelsgewölbe gesehen, geöffnet …, das Geviert der Erde ohne seine Grenze. Ich wandte mich um vor den Ländern, ich kontrollierte mich in ihr, die Geheimnisse der Anbetung ihrer Ammen(?). Mein Herz sagte mir: ›Tritt ein in sie, die Kammer der Finsternis, um zu lernen, sie auszuspähen!‹, und ich werde gehen, vor dem Herrn der Heden-Pflanze anzubeten, den Boten zu küssen (B04, 3/10) vor Seschat, (L01, 6/1) und ich werde meine Hand ausstrecken zu dem dreimal Großen, Lobpreis für den Ibis, der die Schildkröte niedertritt, 46) und ich werde ihm huldigen, dem Kundigen mit großer Stärke; Preis sei ihm, dem Kundigen in Heseret, und ich werde […] Speise(?) für den Herrn der Schrift, der den Weisen gibt, 47) und ich werde die Schulter beugen mit der Schrift des großen Gottes, ziehen zum edlen Fall des Wesirs. (B02, 9/10) Möge ich in sie gehen, die Kammer, die gepriesen ist, und du mich die Art dessen finden lassen, was in ihr ist, (430) so daß ich die Großen und die Kleinen sehe; Gehilfen folgen Vorstehern unter ihnen, 48) so daß ich die Kammer der Finsternis sehe, eingedrungen in ihre Gestalt, das fähige Glied der Unterwelt(?). Mein Herz sagte mir: ›Geselle dich ihr nach, der Vortrefflichen in der Kammer der Finsternis!‹ 49) Ich flehte zu seiner Majestät mit lautester Stimme, ich eröffnete den Charakter vor der Barke des Re. 50) (L01, 6/10) Ich betete das Abbild des Gehilfen des Röstens(?) an; mein Herz sagte mir: ›Lausche der Stimme!‹ 51) Ich schmückte mich mit ihnen, meinen Schmuckstücken, ich kämpfte in der Kammer der Finsternis. (B04, 3/20) Ich ergriff die … der Seschat, die Eröffnerin des Verborgenen für die, die in ihren Haufen sind. (B02, 10/1) Ich entfernte mich(?) von ihnen, ich gelangte an ihr Ende, ohne unkundig zu sein des Schutzbuches ihrer Worte(?).« So-sagt-er,-nämlich-Heseret sagte: »Sei begierig auf diese, oh Weisheitsliebender in der Finsternis! Meister der Seelen des Re ist ein (B04, 4/1) kundiger Ibis. Er machte die Formen(?) von zehn oberägyptischen Geierinnen, indem er der Lehre dankte. 46. 47. 48. 49. 50. 51.

Hier dürfte eine Anspielung auf TB 161 vorliegen. Dieser Vers ist in B02 ausgelassen. In B02, 9/11 stark abweichend »Gehilfen mit überlegendem Mund sind unter ihnen«. So die Lesart in B04, 3/16 f.; B02, 9/13 hat »Kammer der Vortrefflichen«, was auch als Schreibung für »Kammer des Jenseits« gedeutet werden könnte. In B04, 3/17 ganz abweichend »Ich habe mich hinbegeben zu seiner Majestät, meine Stimme war laut, ich habe die Kehle atmen lassen vor der Barke des Re«. So nach B04, 3, 18-19. In B02, 9/15 eventuell »Ich betete sein Bildnis an als Gehilfe des …, ich sprach, als er Lobpreisungen formulierte.«

453

Joachim Friedrich Quack (440) Er schuf neun unterägyptische Geierinnen mit ihren neun Jungen, indem sie den Seelen des Re huldigen. Er leitete sein Herz; seine Finger wirkten fähig für ihn, die Abgründe seiner Ohren öffneten sich. Seine Udjat-Augen sahen auf dem Weg voraus, er leitete auf dem Pfad der Geister. 52) (L01, 6/20) Die Zeichen enthüllten ihre Gestalt, er rief ihnen zu und sie antworteten ihm. Er erkannte die Art des Sprechens der Paviane und der Ibisse. Er brach den Kampfplatz auf bei dem Pfad des Hundes, er war ihres Gekläffs nicht unkundig. (B02, 10/10) Er erkannte das Gebell von jenen und diese Flehlaute des Wesirs. […] des Ibis, der sie aufziehen wird wegen(?) […]. 53) (L01, 7/1) Er erschuf die vier Stimmen des Tierreiches(?), indem es …, er erkannte es, er brachte es vor mich. Weisheitsliebender, steh auf, fang sie ein, die Zaubereien des Neb-Hetep […] der Toren! (450) Er erschuf die Gedanken des Esels, […] (B04, 4/10) jeden Wegführer zum Stall. Er öffnete den Pfad dessen, der den Gott angebetet(?) hat […], er verengte(?) das Geheimnis der Geheimnisse. Verkünde den Weg vor ihm, geh [auf dem] Weg […]! Vereine dich(?) mit der Finsternis […] Herz. (B02, 11/1) Er wird zum Skriptorium gehen, er wird einfangen [… Zaub]ereien.« Er-hat-die-Gedanken-geschaffen sagte: »Der Pfad des Hundes [und …] sind die Orte des Gehens zum Skriptorium. Diese Hunde, diese Schakale, diese Paviane, diese Schlangen, die mit ihrem Mund ankündigen, 54) (L01, 7/10) Der Riegel aus Fayence […], diese Löwen und Jubelaffen(?) […] Das Leben, das im Skarabäus wächst, der aufgehende Stern […] Die Fransenbinde, die am Haus steht […] leben, denn es ist das Skriptorium. (460) Derjenige, der geboren hat, wenn er .[…] (B04, 4/20) das ist sein Freund(?). Diese Pylone aus Erz, diese […] sind die […] an den Mündern. Eine Tür des Falles ist es, das zu ihnen tritt […] (B02, 11/10) Ein Schlüssel des Fragens(?) ist es, der sie öffnet, seine Balken schützen(?) […] dich« 55) Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Der Weg (?) der Wölfe ist es, der auf […], der dekretiert hat(?). […] tritt ein(?) zu den Türpfosten mit […], dann siehst du Seschat(?) in [ihrem] Inneren […] Zunge des Atum(?). Zähle das Herz des Re, sei offen zu mir, sei nicht […] zu mir, dem Öffner auf seiner Standarte!

52. 53. 54. 55.

454

L01 hat hier einen zusätzlichen Vers, von dem nur »[…] die Seelen des Re beschriften […]« erhalten ist. Dieser Vers ist in B02 ausgelassen. Unsicher, ob am Versende noch etwas fehlt. Die Zeilenenden dieser und der beiden folgenden Verse sind anhand der drei Versenden angesetzt, die auf dem Fragment vor B02, Kol. 13 erhalten sind; ihre Zuordnung ist nicht völlig sicher.

Texte aus Ägypten (L01, 7/20) Mögest

du mir die Udjat-Augen enthüllen […] ihre …« »Ich bin gekommen in deiner Gest[alt(?) …]« (470) »Wer ist es, der zu den Toren tritt […]?« »Oh Wächter der Kinder […]! Oh du Vorsteher(?) des Speichers der beiden Länder […]! (480; L01, 8+9/1) 56) Oh Kommandant(?) der Hirten, der […] Geschmack! Oh der, vor dem die Balken und Pforten sind […] Götter!« (470) Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Wer […] wem, indem er ruft und hört?« Der Weisheitsliebende sagte: »Ich bin es, der das Haus geöffnet hat [… um zu] sagen die Anbetungen des Weges vor ihm.« Der Öffner auf seiner Standarte [sagte: »Wie war der Weg], den du zum Per-Anch zurückgelegt hast in der geballten Finsternis?« Der Weisheitsliebende sagte: »Die Ältesten der Wölfe waren es, die mir den Weg [geöffnet haben], die fähigen Ibisse, die mich ausgeschickt haben.« Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Was für ein Geschenk ist es, das du ihnen dargebracht hast? Was ist dein Lobgesang (?), den sie sich angeeignet(?) haben?« Der Weisheitsliebende sagte: »Ein lauteres Herz und […], welche dem süßen Geschmack gleichen, der nicht vergehen kann.« Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Was für ein Türhüter ist es, der dich angemeldet hat? Was für ein Aufwärter ist es, der dein Geschenk empfangen hat?« (L01, 8+9/10) Der Weisheitsliebende sagte: »Geierinnen, Schlangen, […] Glieder, Männer(?), welche hören.« (490; B02, 13/10) Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Opfer und Libationen […]« 57) Der Weisheitsliebende sagte: »Was für ein Schutz ist es, in dem sie sind? Denn es ist wert, dich ihnen anzuvertrauen.« 58) Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »[… das Her]z eines ….. die Seele eines … Du hast angebetet, du hast rezitiert; was ist deine Gestalt? Welches sind Leder und Haut?« 59) Der Weisheitsliebende sagte: »Der Knochen eines Geistes und das Herz eines Esels, die edle Gestalt von Herz-Zunge.« (L01, 8+9/15) Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Du hast dein Leben ins Gleichgewicht gebracht, du hast deinen Platz erklommen; deine ganze Gestalt, möge man mich sie kennenlernen lassen!« Der Weisheitsliebende sagte: »Denken, Beschirmen, Erwägen, Erziehen, Beraten, (B04, 5/1) 60) sich auf die Wahrheit Verlassen.« 61)

56. 57. 58. 59. 60. 61.

An dieser Stelle enthält die Zeilenzählung in Jasnow / Zauzich, Conversations, 135 einen schweren Fehler. Dieser Vers fehlt in einer Handschrift. Dieser Vers wird teilweise zur Rede des Öffners auf seiner Standarte gezogen. In einer Handschrift wird erst zu Beginn dieses Verses wieder der Öffner auf seiner Standarte als Sprecher eingeführt. In der Handschrift B04 fehlt tatsächlich eine Kolumne zwischen der in der Edition als 4 und der als 5 gezählten. Ab diesem Vers ist für einige Verse ein neues Fragment des pCarlsberg 616 relevant, dessen Kenntnis ich Kim Ryholt verdanke.

455

Joachim Friedrich Quack

Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Komm, dann erziehe ich dich, bevor du gequält wirst, bevor du in die Hürde(?) 62) eintrittst.« […] deine Angelegenheiten, vollende das Hören […] Licht für die Seelen, welche die Lehre lieben. […] zum Ort, zu deinem Herz, das geleitet hat zum Platz […] Kundige mit dir als Toren. (B04, 5/5) […] in der Erde in […] der Aufgangsstätte des […]. (500; B02, 14, x+1) […] große, um zu machen die ..[…] es […] deine Knochen. […] schlagen […] verzehren mein Herz, das Fett meines 63) Fleisches. […] die Lehre in meinen Gliedmaßen, dem … mit vortrefflicher Kraft. Mein Fleisch(?) […] das Herz(?) […] Art meiner Glieder. (B04, 5/10; C02, 1/1; L01, 10/1) Siehe, die Eingeweide, welche Fett an die Glieder geben, … […] Münder! Siehe, ich stehe da, indem ich einer Mumie gleiche, indem ich … […] leben!« Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Ist es die Lehre 64) des Vaters, oder das Wissen der Kundigen, oder des Wissenden der beiden Länder?« Der Weisheitsliebende sagte: »Die Netze der Schentait 65) (und) Seschat haben mich eingefangen, das Schlagnetz der Seschat hat mich erjagt.« Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Was ist der Geschmack der Rezepte der Schrift? Was ist ihr Netz?« Der Weisheitsliebende sagte: »Ich habe alle Rezepte erprobt, die vergehen; ich habe alle Geräte gesehen, die müßig sind. (510) Siehe, Salz erregt das Fett nicht so wie die Anbetung des Taiti 66). (B02, 14, x+10) Ein … tritt nicht so auf den Ton wie die Kenntnisse dessen mit denkendem Herzen. Das … des Beilagers fängt nicht so ein wie die Liebe (B04, 5/20) zu den Abschriften.« (C02, 1/10; L01, 10/10) So-sagt-er,-der-die-Weisheit-lobt sagte: »Drei Meere liegen zwischen ihnen, den Gängen dieses Landes. Hast du in ihren Fähren übergesetzt, hast du ihre Kanäle genommen? Hast du ihrem Fährmann den Lohn gegeben, hast du ihre Taue(?) ergriffen?« Der Weisheitsliebende sagte: »Ich habe ihre Schiffe(?) betreten, ich habe ihre Fische gefangen, ich habe die fettesten ihrer Vögel erjagt.« Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Es mag sich ereignen können, daß (B04, 6/1) du das Ritual der Kammer der Finsternis zerschnitten hast. Hast du die Kanäle durchrudert? Was ist ihre Natur, ihre Gestalt?« (B02, 15, 1) Der Weisheitsliebende sagte: »Ich habe die Küche(?) des Meeres der Gehilfen durchrudert mit dem Ruder der Arme des Schu. (520) Ich habe mich umgewandt zur Fähre der Schlange, welche die Schriftwerke nimmt; meine Finger ergriffen das Ruder der Feldbewohner.

62. 63. 64. 65. 66.

456

Oder »das Allerheiligste«. In einer zweiten Handschrift wohl fehlerhaft »seines«. Variante »Initiation«. Eine Bezeichnung der Isis als Witwe des Osiris. Ein Titel des Wesirs (wohl »der vom Vorhang«), der auch als Epitheton des Thot gebraucht wird, der in der Götterwelt die Rolle eines Wesirs des Gottkönigs Re einnimmt.

Texte aus Ägypten

Ich verbrachte drei 67) Jahre, indem ich in ihr ruderte, indem ich in ihren Teichen fischte. Ich zog zur Fähre der trefflichen Geister; es erhob sich für mich Streit mit ihren Seelen. (L01, 10/20) Ich aß ihre Vögel, ich verschlang ihre Falken, ich vereinte mich mit ihren Eierschalen(?). Ein Pavian 68) gab mir eine Lanze von einem Sechzigstel, er sagte mir: ›Das ist ihr Ruderpfosten(?).‹ Ein Hund gab mir einen Block aus weißem Marmor, er sagte mir: ›Das ist ihr Fischernetz.‹ Ein Ibis gab mir ein Segel aus Rindsleder, während sein Mast aus Löwenleder ist. Ein Hund gab mir (B04, 6/10) ein Band aus Gottesworten, er sagte mir: ›Das ist ihr Jagdnetz.‹ Meine Glieder bedrängten die Leute des Ruderpfostens(?), mein Herz fischte für sie mit Netzen; die Zunge erjagte in ihrem Geviert(?). 69) Ich richtete das Segeln Tag und Nacht fest ein, ich segelte für zwanzig Jahre in der Art der Teiche. (530) Ich paddelte in einem Wasserarm in den …, ohne daß ich das Ende des ganzen Meeres erreichen konnte. Ich konnte die Mitte seiner Schiffer nicht erreichen, um die Segler zu befragen, die bei ihm paddeln. Sie machten mir … im Namen seines schwachen(?) Kapitäns. Ein Kanal war es, der sich in Eile(?) zum Ufer zurückgewendet hat; ich kenterte(?), ohne daß ich sie erreichte. Sobald ich im Osten(?) des Lebens landete, dem Feld des grünenden(?) Schilfs, da fand ich die Menschen, die Tiere, die Vögel, das Gewürm, die Pflanzen des …, die wuchsen, während ein lebender Kanal sie umgab, all seine Brutvögel in seinem Inneren. (B04, 6/20) Ich vollendete die Jahre bis zu 20 Jahren. (C02, 2/10) 70) Ein Esel sagte mir im Stall des Tänzers: ›Dies ist ein Weg der Schriftkunst(?).‹ (B02, 12/1) 71) Siehe, ich stehe im Feld der Mühsal, ich klopfe bei dir an, willst du mir nicht die Art ihres Kampfes eröffnen?« Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Diese Lanzen von einem Sechzigstel(?), die zu tragen mühselig ist, hast du die Art gemacht, sie zu tragen?« (540) Der Weisheitsliebende sagte: »Ein mitleidiger Vertrauter gab mir die Technik, sie zu tragen; (B04, 7/1) leichte […] sind sie.« Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Hat das Portal des Grünsteins es verstanden, das jeden Block aus sich gebiert?« Der Weisheitsliebende sagte: »Ich trat in ihn ein, den Block(?) aus Türkis, welcher die Verklärten beschirmt, 67. 68. 69. 70. 71.

Variante einer anderen Handschrift wohl »zehn«. Die hier und in den nächsten Versen genannten Tiere sind besonders mit Thot verbunden. Ab diesem Vers ist für eine Weile nur die nicht stichisch geschrieben Handschrift B04 verfügbar; die Versabteilung ist deshalb provisorisch. Der obere Teil der Kolumne von C02 ist verloren. Die in der Edition als 12 gezählte Kolumne gehört tatsächlich hinter Kol. 15. Ich behalte die vorgegebene Zählung einstweilen bei, um allzu große Verwirrung zu vermeiden.

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wobei er offen ist zur Kammer der Finsternis; Millionen von Beschirmungen(?) bedeutet es, sie sehen zu können.« Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Was ist hinter ihm, was ist in seiner Mitte? [Eröffne(?)] mir die in seiner Mitte!« Der Weisheitsliebende sagte: »Es gibt 42 Seelen in ihm, indem sie Millionen von Abermillionen anweisen. Was sind die Auserwählten der Tiere, welche den Platz der Halle der beiden Wahrheiten […]?« 72) (B02, 12/10) Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Welches ist ihre Form, enthülle ihre Art, (B04, 7/10) was ist … den Mund öffnen … sie hören?« Der Weisheitsliebende sagte: »Ich werde ihre Namen eröffnen und ihre Sprache(?); denn sie sind blind gegen die Dunkelheit(?). Es gibt sieben unter ihnen, die den Herrn des Schutzes ankündigen, indem sie ein Amulett gegen den mit finsterer Erscheinung sind. (550) Zwei weitere unter ihnen, die eine Stellung geben zum Weg(?) des Todes, indem sie auf Erden vorbereiten. (L01, 11/1) 73) Einer an der Spitze von ihnen, der als Lampe agiert, indem er erleuchtet, indem er ihre Sprache wiederholt. Hinten neun Säulen, die ein Udjat-Auge tragen, welches das Pektoral(?) der beiden Länder(?) entblößt(?). Während eine edle Geierin sie alle umarmt, welche alle Jungen gebiert, um sie einzufangen. Ich sah ihr … und ihren Charakter … … in einer Art, indem es aus Gold und Türkis gearbeitet ist, anderes aus echtem Lapislazuli der Halle. Die Geierin fand ihre Jungen zwischen den Säulen, (B04, 7/20) indem sie in der Laibung der ›Finsternis‹ zum Vollenden war. Ich ging zu ihr, ich sah in sie, ich vermehrte die Lobpreisungen, die vorher geschehen waren. Ich fand die Wissende(?) – das ist die, die zuerst begründet hat, indem sie als Lampe der Kunde dient, (B04, 8/1) wobei man …, wobei sie ihnen Anweisungen erteilt und derjenigen befiehlt, die sie geboren hat. 74) (560; L01, 11/10) Ich enthüllte ein geschütztes Meer, dessen Umkreis mit Türkis bewachsen war, wobei neun Barken auf ihm auf- und abfuhren, wobei ihre »Seelen« (d. h. Bücher) ihr Fundament waren, ihre Binsen neue Worte hervorbrachten, ihre Wärterinnen und Ammen Ichneumone(?) waren. 72. 73. 74.

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Die »Halle der beiden Wahrheiten« ist insbesondere aus dem Totenbuch, Kapitel 125 bekannt. Zwischen den Kolumnen 10 und 11 nach Zählung der Edition ist tatsächlich eine ganze Kolumne verloren gegangen. Die Episode von der Geierin am Eingang des Skriptoriums (B04, 7/19-8/1) erinnert dabei an die Geierinnen, die im Buch vom Fayum das Per-anch von Ra-Sehui umgeben, s. H. Beinlich, Der Mythos in seiner Landschaft – das ägyptische »Buch vom Fayum« Landschaft (Studien zu den Ritualszenen altägyptischer Tempel 11), Dettelbach 2013-2014, Band 1, 106-107, Band 2, 373 und 464.

Texte aus Ägypten

Ich nahm eine Lampe in meine Hand, um das Innere des Platzes vor ihr(?) zu erkennen. Ich gelangte in sein Inneres, ich erreichte einen Speicher des Lebens, der schwamm(?), ohne daß er sich auflöste(?). Ich fand sechs Ruderer, die dasaßen, indem sie vereint waren, indem sie in einer Redeweise priesen, (B04, 8/10) indem sie die Herzen vereinten mit denen von Ober- und Unterägypten zu den Ländern, welches ihre Herrin ist. Siehe, sie haben keinen Feind, sie verbergen sich nicht, während sie eine krankhafte Fundierung niedertreten(?), während sie einen Leidenden heilen, für den es kein Buch gibt, indem sie Sünden mit ihren Aussprüchen abwischen, indem sie einen Mann vor seinem Schicksal retten, während sein Tod hinter ihm dasteht. 75) (570; L01, 11/20) Ihre Größe ist gepriesen, derjenige, der sie hat nehmen lassen … von süßer Beliebtheit. Wirr sind …, mühselig ihre Worte, ihre Wiederholungen sind unterschieden von der Schrift, wobei sie selbst es sind, welche die Aussprüche auflösen; sie sind es, welche ihre Erklärung sagen werden. Sobald sie aber schlugen, und ich die Lobpreisungen kannte, (B04, 8/20) da sprach mein Herz mir von Entzücken mit ihnen, bis ich es fand im Charakter des Himmelsgewölbes, das nach Pe geleitet hat durch die Vorschriften, (L01, 12/1) die Summe jeder Einzelnen von all ihren Wohltaten, die gekommen sind aus dem Geviert des Ozeans. Es währte lange, daß ich mit ihnen saß am Speicher, indem ihre Magie mein Herz bezauberte. (B04, 9/1) Ich fand die […] der Stütze des Lebens, die Isden festgesetzt hat, die er denen vom Skriptorium gab, den Nachweis der Fälle der Magie, indem sie hinter(?) ihm als Schützer allein sind. Die […] Amt … […] es zählen. (580) […] Amme […] in ihnen. [Horus] Chentechtai 76) kennt diejenigen, welche vor [… sind …] ihre Fähigen. [Ich] wandte mich zum Papyrus […] der bis zu ihrem Ende gekommen ist. […] ihr nach, ich drang ein in die […] (B04, 9/10) und ihr Charakter […] Glut, (L01, 12/10) und der, der nach ihnen riecht, ist es, der sie zu […] bringt.

75.

76.

Auch hier ließe sich eine Parallele zur Beschreibung des Per-anch im Buch vom Fayum ziehen, wo eine liegende Gestalt eines Menschen abgebildet ist, die wenigstens nach einer Version einen »verunreinigten«, d. h. kranken oder moralisch unreinen Mann bezeichnet, s. Beinlich, Mythos in seiner Landschaft, Band 2, 372, Z. 981-982 und 464 mit Anm. 924, wo die eindeutige Schreibung sı’ pw h r 2bw nicht verstanden ist. ¯ Ein meist falkengestaltiger Gott von Athribis, der gerade in magischen Schutzritualen eine wichtige Rolle spielt, vgl. P. Vernus, Athribis. Textes et documents relatifs à la géographie, aux cultes, et à l’histoire d’une ville du Delta égyptien à l’époque pharaonique (BdÉ 74), Kairo 1978, 402-405.

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Ich eilte herbei, um ihre Knochen zu verbrennen, um zu backen(?) […] Ich eilte(?) zur Schlange, um zu veranlassen […], indem die Herzen in den Mündern sind mit einem Mal. Sie sind in je eigener Gestalt, zahlreich ist […] ihre Art ist erhaben, nun […] Flechten Ich trat ein zu ihnen, ich sah ihre […] Ruhm. Ich fand eine Uräusschlange, die bei ihnen war als […] (590; B04, 9/20) Indem sie Atem gebiert in einem .[…] Feld von Türkis […] während ihre Kinder Hundert … sind […] Fünfzig wenden sich um von Gestalt zu Gestalt […] Einige Stiere sind unter ihnen, einige […], (L01, 12/20) einige Landkriecher sitzen […]. Ferner die Geierin, die gebiert […] Verweile in ihnen, der du veranlaßt hast […] Millionen von zwei Millionen […] … […] (L01 (VT), x+4/1) […] unter ihnen, ich machte meine Sprache fest […] (600) Ich [wandte] mein [Gesicht] zu den Wassern, den Wassern, die flossen […] ich […] mich in ihrer Überflutung. Millionen von Kindern und Hunderttausende von Erschaffern […], wobei er gewiegt (?) ist. Ich röstete(?) Mönchspfeffer(?) […] ich spuckte(?) […] mich, um sie erneut zu essen. Bis mein Herz … erkannte […] und [meine] Finger [kosten (?)] ihren Charakter Ich wünschte, die Erde zu küssen für die Götter des Skriptoriums, 77) und daß ich […] den Weg ihrer Formen, daß die Kinder mir den Wunsch erfüllen, zu fischen als Fischer und mein […] öffnet meine Glieder für ihre Netze. Möge man mich unter sie setzen, die Hirten der Hunde vom .[…] im Feld der Kräuter von hervorragender Beliebtheit, wobei es verdient ist, mich unter sie zu setzen, die fähigen Geister […]. Gesundheit. (L01 (VT), x+4/10) Ich habe meinen Mund kosten lassen, um anzuklopfen bei den Abschr[iften …] Siehe, ich stehe vor […] die jubelnden Paviane.« 78) (610) Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Bist [du] gegangen […] um den zu töten, der dir gegenüber steht, die Spitze .[…]? Hast du das Haus des Löwen gesehen, das macht(?) […] Diese Hunde, diese Wölfe, diese Stiere, die […], diese Schlangen, diese Schlänglein, diese Körper des Gew[ürms …], 77.

78.

460

Diese Notiz sollte im Zusammenhang mit einer realen Auflistung der Götter des pr-2nh im ˘ pBrooklyn 47.218.50 16, 9 f. gelesen werden, wo diese aus Ton hergestellt werden. Genannt werden dort ein Falke, ein Krokodil, ein Ibis, ein Pavian, ein s-Geier, ein Reiher, eine Ziege; sieben Götter des Skriptoriums allerdings anderer Art auch bei D. Mendel, Die kosmogonischen Inschriften in der Barkenkapelle des Chonstempels von Karnak (MRE 9), Turnhout 2003, 124. Dieser Vers ist fast hoffnungslos obskur, meine Übersetzung geht von stark mittelägyptischen Relikten aus.

Texte aus Ägypten

diese Schwerter, diese Lanzen, diese Körper […] Diese Fliegen, die im Schatten sind, während die Häuser […]? Hast du die Wachtel geküßt, die in dem .[…] ist?« 79) (L01 (VT), x+4/20) Der Weisheitsliebende sagte: »Ich durchquerte(?) diese Schlachtfelder(?) […] Ich sah die Fliegen, wie sie den […] zerteilten […], (620) ich erblickte die Geierin in ihrem Busch in dem .[…] Ich sah den Hund, der in der Schrift […] Ich erspähte das Gesicht des Asch-Tieres, 80) während […] (L01 (VT), x+1/1) […] …gefallen unter seinem Speer, indem er die Schildkröte auf der Sandbank niedermetzelt. 81) […] Falke, der buntgefiedert ist, indem er auf dem Leib einer Oryxantilope triumphiert. Ich huldigte […] dem Gemehsu-Falken, indem er das rote Nilpferd ersticht. Ich sah die … König von Ober- und Unterägypten als Schutz der Geheimnisse. Die Geierin(?) betrauerte(?) […] den Nun mit Binsen(?), um das Land mit ihrer Arbeit zu überschwemmen. Ich sah das Kupfer der Kraft, indem es […] öffnet, indem es überströmt vom Blut der Frevler. Ich sah die 14 Schriften der Wissenden, die wegen des Skarabäus […] hat. (630) Ich verehrte Die von Abutig, 82) während sie ihren Korb(?) Gerste zerstampfte, indem sie es zerteilt für […] Götter des(?) Königs von Ober- und Unterägypten. Sie ließ die Dienerin der Weißen und die Dienerin der Roten Krone davon essen auf dem … […] Palastfassade. (L01 (VT), x+1/10) Ich sah die vom Haus […] Schloß des Skriptoriums, ein Schlüssel aus Eisen. Ich huldigte dem göttlichen Falkenweibchen, während es den Seelen Anweisungen gibt, während der Schreiber der Gestalt(?) mit [seiner] Hand […] schreibt. Eine Weihe, ein Ibis, ein Falke verteilen sie mit einem Mal auf die Länder. Schlangen ließen sie bewachen, Uräen [waren für sie] Türhüter. Die Türhüter fragten 83) nach den Seelen des Re, die Wächter nach ihrer Natur. Man sagte mir: ›Es gibt 42 Hügel im Skriptorium, die bewachsen sind mit […] Binsen. 42 Geierinnen haben zwischen ihnen geboren, indem ihre Jungen […] acht(?) […].‹ Ich fragte nach den Geierinnen und ihren Namen, die Jungen sagten mir ihre Gesänge, (640) während eine große Geierin sie alle umarmte, wobei sie begierig(?) war nach dem Schutz, während der Löwe bei ihrem Thron sitzt, […], indem er festgesetzt ist zu ihrer Seite, (L01 (VT), x+1/20) wobei sie sagt: »Er wird ein Gemetzel unter denen anrichten, die er töten wird .[…]. 79. 80. 81. 82. 83.

Für die Wachtel in Verbindung mit dem Skriptorium vgl. Buch vom Fayum, Ed. Beinlich Z. 1107. Ein Tier, das insbesondere mit Seth als Schützer der Sonnenbarke verbunden ist. Hier und in den folgenden Versen geht es um Ächtungsrituale, bei denen Tiere bzw. ihre Abbilder bekämpft werden, die mit Feindgestalten wie Seth und Apopis verbunden sind. Eine lokale Form der Hathor. So die Textüberlieferung, denkbar wäre eine Korrektur zu »Ich fragte die Türhüter.«

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Wobei sie öffnet und er die Gabe der Schriftrollen verschließt unter […].« Der Öffner auf seiner Standarte sagte: »Du wirst große Begierde haben […]. Oh mögest du sie herbeiführen, daß wir sie kennen, daß wir unsere Herrin anbeten, die […] gegründet hat! Der Weisheitsliebende sagte: 84) »Eine Geierin, die einen Bogen spannt, während ihr Junges […] – das ist Elephantine. (L01 (VT), x+2/1) Eine Geierin, [die] eine Waage […], während ihr Junges aus Gold in ihrer Hand ist – [das ist Edfu]. Eine Geierin, die […] See, indem sie Feuer wirft in der Umgebung ihres Jungen(?) – [das ist Elkab/Esna]. Eine Geierin mit ihren Jungen, indem sie die Stützsäulen des Himmels tragen [– das ist Theben/Armant] (650) Eine Geierin, die […] auf ihr Junges [… – das ist] Kop[tos]. Eine Geierin, die auf einem Krokodil […], während ihr Junges vor(?) ihr tanzt – [das ist] Dendera. Ein Junges […] eine Geierin, [indem] sie gut das Sistrum spielen(?) – das ist Hut-Sechem. Eine Geierin, deren [Hand(?) an] ihrem Mund ist, indem sie wegen ihres Jungen schweigt(?) – das ist A[bydos]. Zwei Gebärmütter(?) gegenüber(?) einer Geierin, während ihr Junges … – das ist Achmim. Eine Geierin, [die] einen Stier frißt, während ihr Junges jauchzt über ihr […] – das ist Per-Wadj. (L01 (VT), x+2/10) Eine Geierin, die ihr Gefieder schmückt, [während …] versammelt ist(?) für ihr Junges – das ist Scha[shotep]. Eine Geierin, deren Klaue ausgestreckt ist, während ihr Junges […] – das ist Per[-nemti]. Eine Geierin, in deren Hand ihr Junges ist, während es das ausspeit, was es gegessen hat – das ist Assi[ut]. [x] Geierinnen, die [auf] einer Akazie [sind], während ihre Jungen im Fluß ihnen gegenüber sind – das ist Kusae. (660) Acht(?) Geierinnen und ihre neun Jungen; man ließ eine davon fliegen … – das ist Hermopolis. Eine Geierin und ihr Junges, die sich auf einer Antilope brüsten – das ist Hebenu. Eine Geierin, die einen Hund beißt, während ihr Junges ihn [schlägt(?)] – das ist Saka. Eine Geierin, welche die Schwingen mit ihrem Jungen ausbreitet, indem sie ihren Vater beschützen – das ist Hardai. Eine Geierin und ein Pferd, während ihr Junges .[…] Schild(?) – das ist Wabab. 18 Geierinnen, die einen Esel zerfleischen, [während sie] ihr Junges […] – das ist Herakleopolis. (L01 (VT), x+2/20) Eine Geierin, die ein Junges gebiert, um zu befestigen […]. – das ist Semen-Hor.

84.

462

Im Folgenden werden Realien und Mythen der Gaue Ägyptens von Süden nach Norden jeweils auf die Situation einer Geierin mit ihrem Jungen ausgedeutet, vgl. Leitz, RdÉ 63 (2012) 137-185.

Texte aus Ägypten

Eine Geierin, die von Krankheit bekümmert ist, während ihr [Junges …] ihr Gesicht […] – das ist Atfih. Eine Geierin, die den Himmel erbaut, während ihr Junges die Erde ihr gegenüber […] – das ist Memphis. Eine Geierin, die einen Rest von Lobpreis macht beim Vergessen ihres [Jungen] – das ist Seschem. (670) Eine [Gei]er[in], die mit ihrem Jungen vereint ist, indem sie tragen […] … – das ist Per-[…]. (L01 (VT), x+3/1) [Eine Geierin …] … ihr Junges … Wind – [das ist …] [Eine Geier]in mit dem Bogen, während ihr Junges nach ihr zieht – [das ist Sais] Eine Geierin von 7000 Jahren, während ihre beiden Jungen an [ihr] saugen – [das ist Xois]. Eine Geierin auf einem Boot, während ihr Junges steuert – [das ist …] Eine Geierin mit ihrem Jungen, indem sie das Netz auswerfen [– das ist …] Eine Geierin, die Reinheit festsetzt [… – das] ist B[usiris.] Eine Geierin, die ihren Schwanz […] setzt nach draußen […] ihr Junges – [das ist …] Eine Geierin, die Strafe zukommen läßt […] wegen […] ihr Junges [… – das ist …] Eine Geierin, die in ihrem Nest aus Papyrus und Stroh(?) ist, während [sie …] zu ihrem Jungen – [das ist …] (680; L01 (VT), x+3/10) Eine Geierin, die Fische fängt, die Speise gibt […] für ihr Junges – [das ist …] Eine Geierin, die Wissen hinlegt für ihr Junges in [… – das ist …] Eine Geierin, welche die ältesten Jungen ernährt, indem sie gibt [… – das ist …] Eine Geierin, die einen Knaben 85) zerfleischt, indem ihr Mund […] ihr Junges [– das ist …] Eine Geierin, die in ihrem Nest ist, indem sie […] Ort – [das ist …] Eine Geierin, die eine Fackel mit ihrer Hand anzündet(?)[…] ihr Junges, indem es ißt [– das ist …] Eine Geierin, die eine Amme ist, […] Junges, während […] mit einem Vater [– das ist …] Eine Geierin, die sich in einem Schlafplatz zwischen den Schwingen des Gemehsu-Falkens ausruht [– das ist …] Summe der Geierinnen und ihrer Jungen in ihrer Spezifikation auf dem Korb(?) mit Gerste []. 86) Der König, der älteste Bruder der Schentait, und(?) Seschat, das sind die Geierin und ihr Junges. (L690; 01 (VT), x+3/20) Die Brust des Wissens, welche die Wissenden säugt, ist es, die bei ihnen als Amme ist. Das Tier, das zuerst Wissen erlangt hat, der Esel, ist es, der den Weg vor ihm leitet. Der wissende Ibis, der die Alten ausgeschickt hat, ist es, welcher der Größte der Großen ist.

85. 86.

Oder »Syrer«? Möglicherweise ist hier eine linksbündig ausgerückte Zahl am verlorenen Zeilenende zu ergänzen.

463

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Er ist es gewißlich, der für seinen Vater und seine Mutter – Variante: Vorvater – kundig gewesen ist, indem er .[..]. Mir sagend: ›Kopiere seine Kinder, dann wird er Größter derer, die größer als er sind.‹ Hiermit endet der zusammenhängend erhaltene Bereich. Unklar in der Positionierung sind zwei Bruchstücke der Handschrift L01, die ungeachtet schlechter Erhaltung hier vorgelegt werden, weil sie für die ägyptischen Schöpfungsvorstellungen relevant sind. (L01.9, 1) […

… …] erreichen (?) [… …] [… … …] Spezereien (?) [… …] [Der Weisheitsliebende sagte:] Was ist ihre Spezerei? […] [… … …] ihre Hand ergreifen, wobei er […] [… … …] man berät sich mit ihren [… …] [… … …] ihre Menge (?) […] [… … …] … das Leben [… …]« [Der Öffner auf] seiner Standarte sagte: »Das Leben [… …] [… ……] beim Sohn [… …] (L01.9, 10) [… …. …] … gebären für dich [… …] [Mögen] die Wölfe zu dir [kommen], mögen die Hunde zu dir kommen, [… …. …] der Schutz (?) der Schlange [… …] [Mögen] die Inspektoren (?) zu dir [kommen …]« [So-spricht]-er-nämlich-Heseret sagte: »Er öffnete den Mund [… …] Man […] 87) von ihnen und ihrer Tochter; die […] suchten [… ….]« [Der] Weisheits[liebende] sagte: »Ein Winkel (?) [… …] […] ein Skarabäus, eine Zwergin, [… … …] […], acht Chnum-Götter öffnen […. ….] [Vier (männliche)] Frösche, vier (weibliche) Schlangen [… … …] 88) Eventuell hieran als nächste Seite anschließend ist: (L01.15, 1) […

….] Strahlen der Sonne, während all seine Glieder hingebreitet (?) sind. [… … …] seine […] (?) wegen der Wirksamkeit 89) (?) seiner Zunge, wegen der Güte 90) (?) seiner … [… …. …] seine Finger wegen der Größe seiner Schöpfung, wegen der Schönheit 91) [seiner ….] [… …. …] die Sterne, die Flüsse, die Kanäle, die Mineralien, die …

87. 88.

89. 90. 91.

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Dem Determinativ nach ein Bewegungsverb. Hier geht es um kosmogonische Vorstellungen nach der sogenannten hermopolitanischen Konzeption (die tatsächlich aber im späten Ägypten überregional verbreitet war); vgl. zuletzt Chr. Zivie-Coche, L’Ogdoade à Thèbes à l’époque ptolémaïque II: Le périptère du petit temple de Médinet Habou, in: Chr. Thiers, (Hg.), Documents de théologies thébaines tardives (D3T 2), Montpellier 2013, 227-284. Ich lese [ı’]h (für altes h). ¯ Wahrscheinlich ist nfr.w˘zu lesen. Es ist 2n zu lesen.

Texte aus Ägypten

[… … …] verstreut 92) die, welche hin- und hergehen in ihr; … [… …] [… … …] Flamme (?) des Skarabäus, der … trägt [… …] [… … …] in der Zeit (?), die, welche die Kinder geboren hat … … Seelen (?). [… … …] der die Wissenden offenbart hat, seine Hunde, seine … …. [… … …] die aus 93) seinen Gliedern herauskamen [… …] …. (L01.15, 10) [… … …], der uns belehrt hat über … [… … …] [… … …] für sie, Seschat, die […], um sie mir zu sagen. [… … …] Die Seelen des Re vom Skriptorium [… …. …] Der Rest des Fragments ist für eine Übersetzung zu schlecht erhalten. Wohl ans Ende der Komposition gehört eine Gruppe von Fragmenten, die durch Joins zwischen Kopenhagen und Yale zusammengesetzt werden kann. Weniger sicher ist dies zunächst für eine Sektion, die nur aufgrund der Annahme, daß die Fragmente in Yale alle enger zusammengehören, hier angesetzt ist Sie bezieht sich wohl auf das Wirken des Thot und ist in vier Textzeugen leidlich erhalten: 94) […, wobei] er Atum(?) nicht hat, die Gebärmutter(?) des […] Magie(?) (C04.7, 1) [Als er …] als Name des Guten nannte, da sagte er es im Hinblick auf die Speicher des Lebens. (B14.1, 1/1) […] die angekommen(?) ist, ohne daß … unter ihr ist. (Y01.3+4, 1) Kämpf für ihn voran! Wer es liebt zu kämpfen, zu dem wird er kommen. Das Recht auf dem Haus dessen, der auf dem Thron sitzt – wer es liebt, der wird es bezaubern. Als er Leben schuf unter dem Kopf des Menschen, da machte er es im Hinblick auf Wasser und die Reste(?). Als er »Gefilde« als Namen des Feldes nannte, da sagte er es im Hinblick auf die Kühe, die pflügen. 95) Als er »Stier« als Name der Überschwemmung nannte, da sagte er es im Hinblick auf die Stiere, die sich anstrengen. Als er »Rest«(?) als Name der Kräftigen(?) nannte, da sagte er es im Hinblick auf die Dreschtenne mit Frucht. 96) (C04.7, 10) Die Gerste, welche … erschaffen hat für das Feld, ihr Name ist … von Gold. (Y01.3+4, 10) Lapislazuli und Malachit – die vortrefflichen Länder werden sie hervorbringen als Schilf(?).« 97) So-sagt-er,-nämlich-Heseret sagte: »Hast du gesehen, hast du gejubelt(?) bei seinem Aufgang?« 92. 93. 94. 95. 96. 97.

Ich erwäge die Lesung w psˇ. Ich deute n.ı’m.t als Schreibung für die alte Präposition ı’mı’.tw. Hier sind auchˆ zusätzliche Fragmente von pCarlsberg 616 relevant, deren Kenntnis ich Kim Ryholt verdanke. Wohl ein Wortspiel zwischen h.t »Feld« und h.t »Hathorkuh« (LGG I, 48 f.). ˘ daß eigentlich »Rest« bedeutet, aber mit Hier dürfte ein Spiel mit dem ˘Wort sp vorliegen, dem Zeichen der Tenne geschrieben wird. Eventuell handelt es sich um eine Kontrastierung von mineralischem und vegetabilem Grün, wie sie in der bekannten Passage im Mythos vom Sonnenauge pLeiden I 384, 6, 3-30 vorliegt.

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Der Weisheitsliebende sagte: »Sein […] – möge ich es kennen, so daß ich niedersinke(?) und sein Abbild …« So-sagt-er,-nämlich-Heseret [sagte]: »[…] im Raum der Finsternis, die Seelen des Re(?) darin. [… … …] … …« Der Weisheitsliebende sagte: »[…] Wohnstätte; möge dein Name erscheinen als Abbild […] [… … …] von Millionen, indem er [Wasser] durch die Kanäle zieht. [… … …], indem er Schreiber der Lehren ist. [… … …] seine […]. [… … …] seine Neunheit […]. Eine weitere Passage, die eventuell hier unterzubringen ist 98) (C02.1, x+1) […].

dich … […] dann wirst du […] […] Türhüter meiner […], der Wächter der Lehren des Lebens. 99) […] … […] ich öffnete sie, die Kästen Wolf […]« [Der …] der Dokumente, der Türhüter des Skriptoriums, er sagte: »[Komm(?)] zum Haus des Lebensfangens(?), oh Wolf, der Kunde gesprochen hat(?) in der Kammer der Finsternis. […]… der deine Kehle(?) verschlossen hat, damit du zum Gehilfen des Stieres und des Hundes wirst. […] sehen seinen Kanal von Fett, indem er enthüllt ist vor dir, wie er überströmt. [Trin]k mit deiner Zunge, iß mit deinem Mund, möge die Lehre wachsen in deinem Leib! […] ist, was in seinem Brunnen ist, indem er es ergießt, wie er will(?). […] ist, was in seiner Höhle ist, der Wissende der beiden Länder, der in seinem Herzen erwägt. Millionen und Abermillionen nennt man ihn; daß man davon ißt, bedeutet, daß er geboren wird. Seschat(?) die Große ist es, die ihn umarmt, Satis/Sothis ist es, die ihn zu seiner Zeit ausgießt. Mehrere Verse verloren Vermutlich an das Ende der Komposition gehört:

(PC 133, 1/1) 100) [… Blu]t bildet einen Anteil, und es wird Herr von Nützlichem für den lebenden Stier […] […]-Schlange begeht ein Vergehen, seine Hand vergilt es dem […] Die vortrefflichen Geister, welche ankündigen, sind um ihn herum, der See [… …] des Ibisses ist es.

98. Gebildet durch C02.1 mit Parallele in Y01.1 und Y01.2. Die schlechte Lesbarkeit der Photographie ermöglicht es nicht, die Stücke in Yale vollständig heranzuziehen. 99. Für diesen Ausdruck vgl. Amenemope 1,1; siehe Laisney, in: TUAT.NF VIII, 329. 100. Unveröffentlicht, nach Abschrift vom Original.

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Texte aus Ägypten

[Wobei] sie das Angenehme abwischen(?), wobei sie das Eklige essen, wobei sie Schönes ankündigen, wobei sie den Speichel(?) anregen(?). Die [Seelen] der Götter, die Seelen der Geschöpfe sitzen(?) auf ihren Papyrusstengeln. Der […] ist es, der herankommt, der Starke ist es, der sich herbeibringt, der [das Fleisch(?)] des Apopis ißt. […] bei ihnen Stellungen; derjenige, der stark ist im Alter ist der erste der […] bei ihrem … Die erste Körperschaft unter ihnen ist es, die gibt, die zweite die der Kraft, drei die der Magie. Oh möget ihr das Leben [wieder]holen, Lebende des Skriptoriums, Kommandeure [… …] Ihr sollt nicht auf dem Erdboden landen, indem er abweisend ist! Ihr sollt nicht fallen auf einen kalten Pfeildämon! Ihr sollt nichts zur Erde sagen … … Nicht hat eine Verleumdung … […] euch! Nicht hat einer ohne […] über euch! Nicht sollt ihr sagen […]… Nicht sollt ihr nehmen […] ca. 11 Zeilen verloren Nicht soll [euch] ein … […] Nicht soll [euch] ein … […] Nicht soll [euch] ein … […] Nicht soll […] und Unruhe […] Nicht soll ein schießender Pfeildämon […] [… … …] ein Schwert dastehen! [… … …] ein Anonymus die Krankheit eurer Glieder. [… … …], der euresgleichen ist. [… … …] euer Fleisch! [… … …] eure Knochen! [… … … möge] man euch Sicht geben! [… … …] eure Augen! [… … …] Wirksamkeit eurer Rezepte! [… … …] Begierde nach […] [… … …] die Jugend eurer […]

467

V. Texte aus Iran

1. Elam – Einleitung Heidemarie Koch Literatur: W. Hinz / H. Koch, Elamisches Wörterbuch (AMI Erg.bd. 17), 2 Bde., Berlin 1984 und 1987 = Sigel ElW; H. Koch, Elams Vertrag mit dem akkadischen König Nara¯m-Sîn (2260-2223 v. Chr.), in: Staatsverträge, Herrscherinschriften und andere Dokumente zur politischen Geschichte, in: TUAT.NF 2, Gütersloh 2005, 283-287; dies., Frauen und Schlangen. Die geheimnisvolle Kultur der Elamer in Alt-Iran (Kulturgeschichte der antiken Welt 114), Mainz 2007.

Das Gebiet des heutigen Iran gehört zu den alten Kulturlandschaften des sog. »Fruchtbaren Halbmonds«. Schon ab dem 9. Jt. v. Chr. gab es dort dörfliche Ansammlungen, doch erst seit dem 4. Jt. v. Chr. gibt es Städte. In diese Zeit fällt auch die Entwicklung einer Schrift, die sogar noch früher entstanden zu sein scheint als die sumerische. Während letztere auf den frühesten Täfelchen noch deutliche Bilder aufweist, wie z. B. verschiedene Formen von Milchgefäßen oder Bierkrügen, sind die Zeichen im elamischen Bereich bereits viel abstrakter. Das erschwert auch die Entzifferung dieser frühesten Schrift. Erschwerend kommt hinzu, daß die elamische Sprache – ebenso wie die sumerische – ganz eigenständig ist; soweit wir bisher wissen, kann sie mit keiner anderen Sprache verbunden werden. 1) Das erste verständliche elamische Schriftzeugnis ist ein Vertrag mit dem Akkaderkönig Nara¯m-Sîn (2340-2284 v. Chr.). 2) Er ist mit akkadischen Zeichen geschrieben worden, so daß er gut verständlich ist. Allerdings haben die Elamer eine bewußte Auswahl getroffen. Von den zu dieser Zeit etwa 800 akkadischen Zeichen haben sie nur etwa 200 benutzt. Dieses zeigt eine lange Erfahrung mit Schrift und eine über einen langen Zeitraum entwickelte Fähigkeit, abstrakt zu denken. Aber auch in noch anderer Hinsicht ist dieser Vertrag äußerst aufschlußreich: Er nennt 37 Namen von Göttern, darunter 4 akkadische. Sie alle sind Zeugen des Vertrages, allen voran die Göttin Pinengir. Sie ist zuständig für die Liebe, Fruchtbarkeit und den Krieg. Um 2100 v. Chr. konnte sich der König Kutik-Inschuschinak von den Akkadern befreien. Er benutzte zwar auch noch das Akkadische, stellte ihm aber eine eigene

1. 2.

S. a. die Einführung TUAT.NF 1, 2004, 221-224. TUAT.NF 2, 283-287. – Koch, Frauen und Schlangen, 85-86.

469

Heidemarie Koch

Schrift zur Seite. Sie ist als elamische Strichschrift bekannt geworden. 3) Hinzu kommen auch neue Schrift-Funde aus Konar Sandal bei Jiroft, im Südosten Irans. 4) In der Zeit der elamischen »Großregenten«, etwa 1900-1500 v. Chr., sind in Susa etwa 900 Tontäfelchen zutage gekommen. 5) Sie sind aber in Sumerisch oder Akkadisch geschrieben, nur ein einziges elamisches ist darunter. Doch kann es zeigen, daß diese Sprache auch benutzt wurde. Es handelt sich um Rechtsurkunden, also eine spezielle Gattung. Derartige Urkunden wurden auch im europäischen Bereich lange Zeit in einer Fremdsprache, in Latein, abgefaßt. Eine Blütezeit Elams ist vom 14.-12. Jahrhundert v. Chr. unter dem König UntaschNapirischa. Er ließ eine neue Stadt erbauen, in deren Mittelpunkt eine große Tempelanlage liegt, Cˇog˙a¯ Zambil. 6) An die Spitze der Götter seines Pantheons hat er Napirisˇa gestellt, den »Großen Gott«. Er wird aus der Tabuisierung eines Götter-Namens entstanden sein, vermutlich Humbans. 7) Im Laufe der Zeit könnte sich daraus eine neue Gottheit entwickelt haben, so daß beide nebeneinander auftreten. Daneben gab es auch noch das Sumerogramm DINGIR.GAL, was ebenfalls der »Große Gott« heißt. Es läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, wer jeweils gemeint ist, alles derselbe oder verschiedene Gottheiten. Dieses Problem zeigt sich auch noch zur Zeit der Achämeniden. Gegen das Ende des 12. Jhs. v. Chr. gibt es eine letzte Blütezeit des elamischen Reiches.8) Danach häufen sich die Auseinandersetzungen mit Babylonien, Nebukadnezar besiegte schließlich die Elamer. Diese ziehen sich weiter in den Osten zurück, zu der zweiten Hauptstadt, Anschan. Etwa 100 Jahre herrschte dort ein lebendiges Treiben, ehe die Stadt von einem großen Feuer zerstört worden ist. Gefunden haben die Ausgräber Täfelchen einer Verwaltung landwirtschaftlicher Produkte und eine interessante Abteilung von Metallen, Kupfer, Zinn, Silber und Gold. Dazu gehörten auch noch Werkstätten. 9) Das 1. Jt. v. Chr. ist geprägt durch heftige Kämpfe, wobei die Assyrer die gefährlichsten Gegner der Elamer waren. Das führte dazu, daß sie sich mit den Babyloniern zusammen taten, ihren vorhergehenden Gegnern. Bei der großen Schlacht von Halule am Tigris im Jahre 691 v. Chr. kämpften elamische und babylonische Truppen, aramäische Stämme und Ellipi aus Luristan sowie zum ersten Mal die Perser und Anschaner. Nach dieser Schlacht drangen die Perser weiter nach Süden vor, offenbar unter Duldung der Elamer, die sich Unterstützung gegen die Assyrer erhofften. Die Elamer waren aber so geschwächt, daß sie schließlich 646 v. Chr. endgültig geschlagen wurden. Nach der Schlacht bei Ninive wurden Babylonier und Meder die neuen Herren, bis Kyros d. Große 550 v. Chr. die Meder besiegen konnte. Es war also zumindest ein halbes Jahrtausend, in dem die Perser und die ihnen 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

470

W. Hinz, Altiranische Funde und Forschungen, Berlin 28-44.; TUAT.NF 6, 273-275. – Koch, Frauen und Schlangen, 86-91. Koch, Frauen und Schlangen, 64-71. Koch, Frauen und Schlangen, 109-117. Koch, Frauen und Schlangen, 129-146. – TUAT.NF 6, 276-280. Koch, RelVerh., 106 (s. unter Lit. 2). Koch, Frauen und Schlangen, 147-149. M. W. Stolper, Texts from Tall-i Malyan. Elamite Administrative Texts (1972-1974) (Occasional Publications of the Babylonian Fund 6), Pennsylvania 1984.

Texte aus Iran

verwandten Meder mit den Elamern in engem Kontakt lebten und voneinander lernten. Das prägte sich besonders aus bei den Techniken des Schreibens und der Verwaltung, welche die Elamer über Jahrtausende entwickelt und verfeinert hatten. Die Perser als Nomaden dagegen kannten sich aus in der Viehzucht und dem Kampf. Die Ergebnisse der Zusammenarbeit folgen im Teil »2. Iran«. Elamische Götter in verschiedenen Phasen Elams Vertrag mit Funktion Nara¯m-Sîn (2260-2223 v. Chr.) 10)

elam. Götter bis in mittel-elam. Zeit

Pinengir

Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit sowie des Krieges, vgl. sum. Inanna

Pinengir

Göttliche Gute des Himmels

entweder zusammenfassende Anrufung der folgenden Götter oder eine spezielle Gruppe

Humban

in Frühzeit oberster Gott

Napirisˇa, »Großer Herr«

Humban, »Größter der Götter«

Aba

Gott der Stadt Akkade

Kiririsˇa, »Große Herrin«

Napirisˇa

Zit

aE Gottheit, »Heil«; zit-me = Hutran, »der Über»Gesundheit, Wohlsein« wältiger«, Sohn von Napirisˇa und Kiririsˇa

Nahiti

aE Sonnengott, später Nahhunte

Insˇusˇinak

»Herr von Susa«; JahrhunInsˇusˇinak, »Herr von derte hin an der Spitze des Susa«, »König der elam. Pantheons (»König der Götter«, Totenrichter Götter«); Richter und Totenrichter. In sum. Götterliste »An-Anum«: = Kriegsgott Ninurta.

Simut

Beinamen »Vater«, »König« und »Gott von Elam«, auch »starker Herold der Götter«

Sir-Napir

aE, vielleicht »GroßvaterGott«, also uralter Gott

[H]usa

aE »Gott des Haines«

[U]ggabna

sonst unbekannte Gottheit, Lesung unsicher

10.

Nahhunte, Sonnenauf- und -untergang, Recht

elam. Götter zur Perserzeit

Nah (= Nahhunte?)

Simut, Gemahl von Manzat

Napazapa (unbekannt)

TUAT.NF 2, 283-287.

471

Heidemarie Koch Elams Vertrag mit Nara¯m-Sîn (2260-2223 v. Chr.)

Funktion

elam. Götter bis in mittel-elam. Zeit

Pinengir

sonst unbekannte Gottheit, Lesung unsicher

Hisˇep ratep »berühmte Ernährer«

[Tu]llat

sonst unbekannte Gottheit, Lesung unsicher

Nap-ratep »Nährgötter«

Hurb

sonst unbekannte Gottheit (vgl. Hurbahir)

Hutran

in späterer Zeit Sohn des Napirisˇa und der Kiririsˇa; sein Name bedeutet wohl »der Überwältiger«

elam. Götter zur Perserzeit

[I]mitki

Zizkirra (unbekannt)

Ninurta

sum. Kriegsgott

Siasˇum

aE Mutter-Göttin

Manzat

Göttin, akkad.: »Regenbogen«

Ninkarak

mesopotam. Gottheit

Narunde

aE Sieges- und Kriegsgöttin, wohl auch Muttergöttin

Gugumuktir

aE Gottheit, viell. »Friedens- Siyasˇum, Schwester fürst« von Narunde, Mutterfunktion

Humkat

aE Gottheit, viell. des Holzes Isˇnikarab, Helfer beim Totengericht, »er erhörte das Gebet«

Ruhusˇna

aE Gottheit

Lagamar, Helfer beim Totengericht, »schonungslos«

Ruhusak

aE Gottheit, »Geschwistersohn«

Schazi, beim FlußOrdal, »Gott, der die Herzen kennt«

Niarzina

aE Göttin, später Narsina, wohl = »Venus-Stern«

Lambani

aE Gottheit

Kirwasir

aE und mE Gottheit

Hurbahir

aE Gottheit, viell. »Hurb, der Wohltäter«, vgl. die Gottheit Hurb (oben)

472

Gattin von Simut, NIN.ali »Herrin der Stadt«

Narunde, Göttin für Sieg und Krieg, Mutterfunktion

Texte aus Iran Elams Vertrag mit Nara¯m-Sîn (2260-2223 v. Chr.)

Funktion

Isˇhara ˘

akkad. Göttin, gleich Kriegsund Liebesgöttin Isˇtar; Sternzeichen: Skorpion.

Nitutir

aE Gottheit

Tiuk

aE Gottheit

Simit-sararar

aE Gottheit

Nap[ir]

der Name bedeutet einfach »der Gott«, wird aber auch für einen bestimmten Gott gebraucht; vielleicht elam. Mondgott.

elam. Götter bis in mittel-elam. Zeit

elam. Götter zur Perserzeit

Napir, »der Glänzende«

Die Anzahl der offiziell verehrten elamischen Götter ist sehr gering, und sie sind – mit Ausnahme von Humban 11) – nur vereinzelt zu finden. Aber auch bei den iranischen Gottheiten sind nur noch recht wenige anzutreffen. Iranische Götter Ahuramazda Visai Baga¯ Drva Hvarira Naryasanga Brtaka¯mya Rdanafravartisˇ

»Der weise Herr« Gruppe »Alle Götter« alt-med. Zurvan, »Gott der unendlichen Zeit« »Sonnenaufgang« Nairyo-sanha »Götterbote«

Priestertitel ajravapatiajravaa¯trvaxsˇa-

Oberpriester Priester Scheuerschürer

magusˇ d.lan.lirira sˇátin framazda

Magier lan-Zelebrierer Priester (elam.) Vorsänger(?)

Sp ntaragrdya »heilige Kapelle«(?) (Sp nta A¯rmaiti?) oder »Heilige Andacht«(?) Mizˇdusˇisˇ Schicksalsgöttin oder Göttin der Belohnung A¯trcˇa Sˇaijrapatisˇ für Feld und Flur zuständig e e

Berge: Patina¯sˇa, Rkava, Ga¯varzya, Ariya¯ramna, Çı¯ravanta, Asprafra(j)ana, Saki, Axsˇaina; Flüsse: Marisˇ, Ahinharsˇda, Hubaudisˇ, Vanta, Ranakara, Çausˇa¯nisˇ; Ort: Marisˇ Monat: (Q)aigracˇisˇ

11.

Es mag auch etwas irreführend sein, da die Texte aus Tasˇpak zufällig an diesem Ort mehrfach erhalten sind.

473

2. Iran – Einleitung Literatur: Ch. Bartholomae, Altiranisches Wörterbuch, Straßburg 1904 – Sigel AirWb.; R. T. Hallock, Persepolis Fortification Tablets (OIP 92), Chicago 1969 – Sigel PF (für die dort aufgenommenen Täfelchen); ders., Selected Fortification Tablets, DAFI 8 (1978) 109-136 – Sigel PFa (für die dort publizierten Täfelchen). – Die bisher unpublizierten haben das Sigel NN; R. Borger / W. Hinz, Die Behistun-Inschrift Darius des Großen, in: TUAT 1: Historischchronologische Texte 1, Gütersloh 1984, 419-450; W. Hinz, Neue Wege im Altpersischen, Wiesbaden 1973. – W. Hinz / H. Koch, Elamisches Wörterbuch (AMI Erg.bd. 17), 2 Bde., Berlin 1984 und 1987 – Sigel ElW; R. Schmitt, Persepolitanisches. V., Historische Sprachforschung 101 (1988) 81-88; ders., The Bisitun Inscriptions of Darius the Great. Old Persian Text (CII Part 1, Vol. 1), London 1991; ders., Die altpersischen Inschriften der Achaimeniden, Wiesbaden 2009; H. Koch, Die religiösen Verhältnisse der Dareioszeit. Untersuchungen an Hand der elamischen Persepolistäfelchen, Wiesbaden 1977 = Koch, RelVerh.; dies., Verwaltung und Wirtschaft im persischen Kernland zur Zeit der Achämeniden (BTAVO B 89), Wiesbaden 1990; mit Indices aller Namen = Sigel VW; dies., Es kündet Dareios der König. Vom Leben im persischen Großreich (Kulturgeschichte der antiken Welt 55), Mainz 1992; dies., Achämeniden-Studien, Wiesbaden, 1993 = Koch, AchStud.; dies., Persepolis-Archiv, in: TUAT.NF 1, Gütersloh 2004, 224-248; dies., Iran, in: V. Haas / dies., Religionen des Alten Orients. Hethiter und Iran (GAT 1,1), Göttingen 2011, 5-144 = Koch 2011; W. Henkelman, The Other Gods Who Are. Studies in Elamite-Acculturation Based on the Persepolis Fortification Texts (Achaemenid History XIV), Leiden 2008 = Henkelman 2008.

Die Iraner, ein indo-europäisches Volk, zu dem Perser und Meder gehörten, waren zunächst als Nomaden in Zentralasien zuhause. Dort änderten sich aber ab der Mitte des 3. Jt. die Klimaverhältnisse derartig, daß sie gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen. So drangen sie nach Süden in die Gebiete der Elamer vor. Ihr Weg läßt sich an Hand von Siedlungen entlang des Südufers des Kaspischen Meeres bis zum Urmia See und dann weiter nach Süden, auf Susa zu verfolgen, bis sie im 1. Jt. v. Chr. ihre neue Heimat in dem Gebiet fanden, das dann als Persis, »Land der Perser«, bekannt geworden ist. Als Nomadenvolk, das in kleineren Gruppen ständig herumzog, brauchte es keine Verwaltung. Sicher gab es Anführer und leitende Personen, aber eine Schrift besaßen die Perser noch nicht. Doch wurden sie mit dieser auf ihrer langen Wanderung bekannt, die Jahrhunderte dauerte. Von Kyros d. Großen (550-530 v. Chr.), der die Meder überwinden konnte und damit das persische Großreich begründete, und seinem Sohn Kambyses (530-522 v. Chr.) gibt es keinerlei Hinweise, daß sie Schrift benutzt hätten. Zwar sind in Pasargadae, der Hauptstadt des Kyros, Inschriften in seinem Namen in den Palast-Anlagen erhalten, doch sind diese von dem dritten Herrscher, Dareios d. Gr. (522-486 v. Chr.), angebracht worden. Zwar gibt es immer noch Forscher, die diese Inschriften Kyros selbst zuschreiben, doch läßt sich keine Inschrift diesem Herrscher mit Sicherheit zuweisen. Es ist auch unwahrscheinlich, daß er – wenn er eine Schrift hätte benutzen können – in seiner ganzen Laufbahn nur fünf Wörter gebraucht hätte: »Ich (bin) Kyros, ein Achämenide«. Vielmehr wird Dareios diese Inschriften zusammen mit seinem Namen angebracht haben. Da er aus einer Seitenlinie der Familie stammte, wollte er mit Nachdruck auf seine enge Verwandschaft mit 474

Heidemarie Koch

Kyros hinweisen, indem er den Stammvater beider, Achämenes (ap. Hachamanisch, »der mit dem Gemeinschafts- oder Freundes-Sinn«), hervorhob. Erst Dareios war es, der den Stamm als Achämeniden benannte. Es war auch Dareios, von dem wir wissen, daß er die Notwendigkeit einer Schrift und damit einer schriftlichen Verwaltung erkannte, wenn man ein so großes Reich zusammenhalten wollte. Beste Kenntnis von beidem hatten die Elamer seit Jahrtausenden. Dareios selbst gibt uns Hinweise, wie er die Schriftlichkeit in seinem Lande eingeführt hat. Nachdem er seine Herrschaft gesichert und 19 Schlachten siegreich bestanden hatte, ließ er am Berge Behistun (heute Bisotun oder Behistan), an der Heeresstraße von Mesopotamien nach Innerasien, ein großes Relief anbringen. Am Anfang war nur dieses Relief mit dem König, seinem Bogen- und seinem Lanzenträger hinter ihm, und vor ihm die überwundenen »Lügenkönige«, wie Dareios sie selbst nennt, vorhanden. Allen voran liegt auf dem Boden sein gefährlichster Gegner, der Magier Gaumata, auf den Dareios seinen Fuß zum Zeichen von dessen Überwindung setzt. Über ihnen allen schwebt das Symbol des Gottes Ahuramazda, der dem König den »Ring der Herrschaft« entgegen hält. Direkt über dem Kopf des Dareios ist eine Inschrift eingemeißelt, und zwar in elamischer Sprache (Abb. 1). Auf ihr steht geschrieben: § 1: Ich (bin) Dareios der König, Sohn des Hystaspes, ein Achämenide, König der Könige. Ich bin gegenwärtig König in Persien. § 2: Es kündet Dareios der König: Mein Vater ist Hystaspes, des Hystaspes Vater ist Arsames, des Arsames Vater war Ariaramnes, des Ariaramnes Vater war Teispes, des Teispes Vater war Achämenes. § 3: Es kündet Dareios der König: Deswegen nennen wir unser Geschlecht das achämenidische. Seit alters sind wir adlig, seit alters ist unser Geschlecht königlich. § 4: Es kündet Dareios der König: Acht Könige unseres Geschlechts haben vordem die Königsherrschaft ergriffen. Ich übe als neunter die Königsherrschaft aus. In zwei Linien sind wir Könige. Dieses war die erste Inschrift auf dem Relief und überhaupt die erste, die wir mit Sicherheit von Dareios kennen. Schon im ersten Satz betont er seine Zugehörigkeit zu den Achämeniden. Sie gab ihm die Legitimation zur Herrschaft, die ihm sehr wichtig war. Denn der folgende Satz »Ich bin gegenwärtig 1) König in Persien« zeigt, daß er seiner Sache noch gar nicht so sicher war. Deshalb muß er gleich noch mehrfach betonen, zu welchem bedeutenden Geschlecht er gehörte. Doch schon bald hielt es Dareios für wichtig, der Nachwelt einen genaueren Bericht seiner bisherigen Taten zu überliefern. Ihn ließ er rechts des Reliefs anfügen. Damit 1.

Dieses war auch die früheste Inschrift, die in Bisotun angebracht worden ist (Borger / Hinz, TUAT I, 422: Beischrift A, in der Urfassung B3). Sie steht über dem Kopf des Königs und ist nur elamisch abgefaßt. In ihr erscheint zum ersten Mal das Wort lan, das dann in den Verwaltungs-Täfelchen aus Persepolis (s. a. TUAT.NF 1, 224-245) eine bedeutende Rolle spielt (Schmitt 2009 s. u. Anm. 5). – Henkelman 2008, 188 f., befaßt sich ausführlich damit, kann aber auch nichts Weiterführendes bringen. Es fehlt an weiteren Belegen. Mit »Opfer« kann hier das lan jedenfalls nichts zu tun haben.

475

Texte aus Iran

die Nachwelt auch genau informiert wird, wurden die überwundenen Gegner, von Dareios »Lügenkönige« genannt, mit ihren Namen versehen. Sie stehen unter den Betreffenden. All dieses war ebenfalls in Elamisch geschrieben. Da auch die Babylonier zu dem Reich des Dareios gehörten, ließ er für sie den Bericht noch einmal auf Babylonisch anfertigen. Nun wurde es schon schwieriger, eine Fläche für die Inschrift zu finden. So kam sie auf den vorspringenden Felsen auf der linken Seite. Doch muß es für Dareios ein unhaltbarer Zustand gewesen sein, daß sie, die Herrschenden, keine eigene Schrift besaßen, und so gab er seinen Sekretären den Befehl, eine eigene Schrift für die Perser zu entwerfen. Vorwiegend waren dieses Elamer, aber auch Babylonier, Aramäer und – vielleicht schon zu dieser Zeit – auch Ägypter. Mit all ihrer Erfahrung und sicher auch mit Überlegungen der Perser wurde eine Schrift entwickelt, die schon beinah eine Alphabetschrift ist, nur noch mit wenigen Silbenzeichen. Mit dieser Schrift wurde dann der Text unter dem Relief eingemeißelt. Diesen Teil des Felsens hatten die Steinmetzen zuvor wohl mit reiflicher Überlegung vermieden, da dort mehrere Wasser-Adern aus dem Felsen hervortraten, die auch für die Beschädigungen verantwortlich sind, die man heutzutage sehen kann. Aber es gab keine andere Lösung. Auch über dem Kopf des Dareios wurde nunmehr eine weitere Fassung der kleinen Texte auf Persisch eingemeißelt. Die Beschriftungen der Lügenkönige kamen über ihre Köpfe. Nur an der Stelle des Ahuramazda-Bildes war kein Platz mehr, und die Aufschrift kam auf den Rock des dort stehenden Lügenkönigs. Gaumata erhielt eine zweite Kartusche unter seinem Bild. Noch während die Arbeiten mit der neuen Schrift im Gange waren, gab es wiederum Aufstände bei den Elamern und den Skythen im Gebiet östlich des Kaspischen Meeres. So machte sich Dareios zu einem weiteren Kriegszug auf. Nach erfolgreicher Rückkehr ließ er den überwundenen Skythenkönig der Reihe seiner überwundenen Widersacher hinzufügen, zumal dieser mit seiner hohen, spitzen Mütze besonders eindrucksvoll aussah. Doch am Felsen war kein Platz mehr. So ordnete er an, daß die elamische Inschrift abgearbeitet werde und der Text erneut links unter der babylonischen Inschrift angebracht werden sollte. (Abb. 2.). Damit auch alle Welt über die Neueinführung der neuen Schrift informiert werden konnte, ließ Dareios seinem persischen Text einen § 70 hinzufügen. Dort heißt es in der altpersischen Version: § 70: »Es kündet Dareios der König: Nach dem Willen Ahuramazdas ist dieses die Schriftform, [die] ich gemacht habe, und zwar auf arisch 2). Sowohl auf Tontafeln wie auf Pergament ist sie angebracht worden; und zwar habe ich (in ihr) meine Unterschrift gemacht, und zudem habe ich (in ihr) die [Ge]nealog[ie] gemacht. Und sie wurde aufgeschrieben und mir vorgelesen. Darauf habe ich diese Schrift in alle Länder gesandt. Die Leute erlernten sie.« 3) 2. 3.

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Heutzutage würde man »iranisch« sagen; Dareios betont immer, daß sein Stamm »Arier« waren und sich damit von den anderen Völkern abhoben. W. Hinz, TUAT I, 1984, 448, auch die folgende elamische Inschrift. – R. Schmitt, The Bisitun Inscriptions 45, 88-92 mit genauer Ausführung der noch lesbaren Zeichen, bzw. Reste solcher. 73 f. Übersetzung (englisch).

Heidemarie Koch

Die elamische Version: § 70: »Dareios der König spricht: Durch die Mühewaltung Ahuramazdas habe ich eine Schrift auf andere Weise geschaffen, auf arisch, was es vordem nicht gab; sowohl auf Ton als auch auf Pergament, und sowohl Namen als auch Genealogie fertigte ich (damit) an. Und sie wurde geschrieben und mir vorgelesen. Darauf habe ich diese Schrift in alle Länder gesandt. Die Leute erlernten sie.« Dieser Text mußte natürlich etwas verändert werden, »auf andere Weise«, da er ja nicht in der neuen altpersischen Schrift niedergeschrieben war, sondern in elamischer Schrift! Man kann Dareios dankbar sein, daß er so deutlich über die Einführung der neuen Schrift berichtet hat. Nun aber behauptet F. Vallat, daß aus der elamischen Version der Inschrift eindeutig hervorgehe, daß es sich nicht um eine »neue Schrift« sondern um eine »Übersetzung« handle. 4) Obwohl die altpers. Fassung teils verwittert ist, kann man keinerlei Anhaltspunkte für die von Vallat vorgeschlagenen Veränderungen finden! 5) Auf keinen Fall kann man aber die elamische Version unabhängig von der altpersischen betrachten. Jeder unvoreingenommene Leser wird sich über die von F. Vallat vorgeschlagene »Übersetzung« wundern. Das würde nämlich bedeuten, daß der persische König seinen Tatenbericht zunächst auf Elamisch und Babylonisch habe verfassen lassen, und dann wäre ihm eingefallen, daß es ja auch eine persische Schrift gab, die schon sein Urgroßvater Ariaramnes (Ende 7. Jh. v. Chr.) benutzt habe. 6) Erst in diesem Stadium hätte er sich dann daran gemacht, das Ganze zu übersetzen; und dieses hätte er dann als besondere Tat herausgestellt? Warum hätte Dareios sie dann nicht sofort für seinen Bericht benutzt? Daß das Altpersische auf dem Relief tatsächlich erst zum Schluß hinzugefügt worden ist, bestreitet auch Vallat nicht!

2.1 Weltbild und Gottesvorstellungen Über die Götter und die Religion der Perser in den Jahrhunderten, in denen sie als Nomaden umherzogen, bis in das erste Jahrtausend v. Chr., wissen wir sehr wenig. Frühe Schriften sind nicht erhalten. Da die Iraner aber über Jahrtausende den Indern benachbart, ja als Volksstamm sogar verwandt waren, finden sich bei beiden Gruppen viele vergleichbare Vorstellungen und eine ähnliche Götterwelt. Eine ganze Reihe von Götternamen sind z. B. bei Indern und Iranern gleich. Diese in etwa gleichförmige Götterwelt wird auf einen Schlag unterbrochen durch 4. 5. 6.

F. Vallat, in: J. Perrot (ed.), Le Palais de Darius à Suse. Une résidence royale sur la route de Persépolis à Babylone (CII), London 2010, 58-61. – S. a. die Rezension: H. Koch, Or. 83 (2012) 266-273. Vielmehr konnte Schmitt 2009, 109, mit Hilfe guter Photographien das Wort dipiciçam erkennen, so daß er die entscheidende Stelle in der altpersischen Version als eine »andere Form« der Schrift, und zwar auf »Arisch« übersetzen kann. So nimmt jedenfalls F. Vallat an!

477

Texte aus Iran

das Auftreten Zarathustras und seiner Lehren. Wann er gelebt hat und wann die von ihm verkündeten Lehren bekannt und dann auch aufgeschrieben worden sind, ist heiß umstritten. 7) Das völlig Neue war die Konzentration auf den einen Gott, Ahuramazda, den »weisen Herrn«. Ihn finden wir ab der Herrschaft des Dareios (522-486 v. Chr.) auf den Inschriften der Achämeniden immer an hervorgehobener Stelle und überwiegend sogar als einzige Gottheit. Erst unter Artaxerxes II. (405-359 v. Chr.) treten Mithra, ursprünglich der Gott des Vertrages, und Anahita, die Göttin der reinen Wasser, an seine Seite. Beide sind dann zur Zeit der Sasaniden (3.-7. Jh. n. Chr.) Ahuramazda gleichgestellt, wenn der eine oder die andere nicht sogar höher eingeschätzt wurden. Ganz allein stand allerdings auch Ahuramazda nicht da. Wie den Gathas, den Zarathustra zugeschriebenen Versen, zu entnehmen ist, gehören zu Ahuramazda noch eine Reihe guter Aspekte: sp nta mainyu – »Heiliger Geist« vohu manah – »Guter Sinn« sraosˇa – »Gehorsam« asˇa – »Göttliches Recht« xsˇajra – »Reich« a¯rmaiti – »Andacht« asˇi – »Vergeltung« oder a¯da¯ – »Heimsuchung« haurvata¯t – »Heilheit« amrta¯t – »Unsterblichkeit«. e

Im jüngeren Awesta erscheinen diese dann in personifizierter Gestalt als Am ˇsa¯ Sp nta¯ – »Heilige Unsterbliche«. Gegen Ahuramazda steht ein gefährlicher Gegenspieler, Ahriman, mit seinem Gefolge, den Daivas, den »Bösen Geistern«. e

e

Wie Dareios seinen Gott sieht, den er baga vazrka »Großer Gott« nennt, wird in seinen Inschriften deutlich. So sagt er zum Beispiel in der unteren Inschrift auf seinem Grab in Naqsh-e Rostam: DNb § 1: »Der große Gott (ist) Ahuramazda, der dieses Wundervolle erschaffen hat, das zu sehen ist, der das Glück erschaffen hat für den Menschen, der Geisteskraft und Tüchtigkeit auf Dareios, den König, herniedergelassen hat.« 8) Dieses Weltbild ist völlig verschieden von den Gottesvorstellungen, wie sie zum Beispiel im indischen Rigveda oder bei den Elamern zu finden sind. Wo würde sich dort ein Gott darum bemühen, daß dem Menschen Glück zuteil wird?

7. 8.

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Zur allgemeinen Information: Koch 2011, 82-98. Schmitt 2009, 105.

Heidemarie Koch

Neben den Königs-Inschriften gibt es lediglich eine Gruppe von Inschriften, die aber ganz anderer Art ist. Es handelt sich dabei um Funde von Ton-Täfelchen aus dem Verwaltungs-Archiv von Dareios d. Gr. und einige wenige von seinem Nachfolger Xerxes (486-465 v. Chr.). 9) Dieses Material ist ganz anderer Art. Es geht der Verwaltung nur darum, nachzuweisen, welche Transaktionen vorgenommen worden sind, wer selbige angeordnet hat usw. Die Angestellten hatten keinerlei Interesse daran, Späteren noch weitere Informationen zu erhalten. So war es sicher in vielen Fällen mit dem Nennen eines Namens schon völlig klar, was dieser machte, wo er sich aufhielt usw. Insgesamt sollen 5.623 Texte erhalten geblieben sein. 10) Dieses ist eine recht große Anzahl, und man sollte meinen, daß in diesem Material Aufschluß gegeben werden kann, auch über Fragen der Religion. Doch ist es sehr schwierig, die äußerst knappen Angaben auszuwerten. Die Nachrichten sind sehr unterschiedlich und stammen aus den verschiedensten Ressorts. Hinzu kommt, daß diejenigen, die sie verfaßten, genau wußten, wer die Menschen waren, von denen die Rede ist. Man brauchte keine Erklärungen für Angestellte, mit denen man täglich zu tun hatte. Es wird also häufig gar nicht nötig gewesen sein, den Aufgabenbereich eines Priesters durch seinen Titel zu erhellen oder gar seine Aufgaben genauer zu erläutern. Und selbst, wenn zum Beispiel ein Titel genannt wird, können wir oft nicht entscheiden, was für einen Aufgabenbereich diese Person hatte, wo sie tätig war, oder, mit welchen weiteren Angestellten sie arbeitete. 11) Gerade in dem Bereich des Kultes und der Götter wäre es dringend nötig, nähere Anhaltspunkte zu gewinnen. Doch zum einen ist das Elamische, in dem fast ausschließlich in der frühen Achämenidenzeit die Verwaltung durchgeführt worden ist, äußerst schwierig, da es keinerlei Beziehungen zu einer anderen Sprache hat und da der uns bekannte Wortschatz sehr begrenzt ist. Die Übersetzungen sind häufig umstritten, doch lohnt es sich, auch unterschiedliche Meinungen einzubringen und damit auch auf neue Ideen zu kommen. Der größte Teil der Tontafeln ist in der nördlichen Festungsmauer von Persepolis gefunden worden. Es handelt sich dabei um Kopien der Original-Abrechnungen aus allen Orten der Persis, die damit dort überprüft werden konnten. Nach der Prüfung sind sie aber keinesfalls weggeworfen, sondern sorgfältig aufbewahrt worden, um jederzeit die Möglichkeit zu haben, bei Unsicherheiten nachzuprüfen. So sammelten sich dort Tausende von Täfelchen an, die von 509 bis 458 v. Chr. datiert sind. Die Tafeln waren ungebrannt, nur an der Luft getrocknet. Im Laufe der Zeit haben sie durch Feuchtigkeit und später unter Feuer gelitten. Letzteres hatte aber auch den Vorteil mit sich gebracht, daß die Täfelchen unfreiwillig gebrannt wurden. Vielleicht handelt es sich dabei um das Feuer, das die Begleitung Alexanders d. Gr. in Persepolis angefacht haben soll. Diese Berichte sind allerdings nicht sicher erwiesen. Auf alle Fälle hat es einen großen Brand gegeben, der Teile der Palastanlage betroffen hat. 12) 9. 10. 11. 12.

S. TUAT.NF 1, 224-248. Henkelman 2008, 208, gibt insgesamt 4.845 tablets an, davon 81 Dokumente mit lan, 57 memorandum-type texts and 24 journal entries. Viele Beispiele werden unten folgen. Dazu gehören auch die sog. Schatzhaustäfelchen, die aus dem Obergeschoß dieses Gebäudes nach unten gestürzt sind.

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Texte aus Iran

Während die neu erfundene persische Schrift nur für die Fels-Inschriften der Herrscher benutzt wurde, ist die Verwaltung des Reiches elamisch geschrieben, in der jahrhundertealten Tradition der Elamer. Selbst in abgelegenen Provinzen des Perser-Reiches mußten die Beamten das schwierige Elamisch lernen. 13) Erstaunlich ist, daß die Schreiber in der Hofkanzlei in Persepolis fast alle persische Namen haben. 14)

2.2 Götter – Priester – Kulte Einen Zugang zu den Göttern kann man am besten über die Priester gewinnen. Die Häufigkeit ihres Auftretens, die Verbundenheit mit bestimmten Göttern und die religiösen Feste geben in vielerlei Hinsicht Hinweise auf die Religion. Auch die Gegenden, in denen die Priester tätig waren, und ihre Namen können manchen Anhaltspunkt geben. In erster Linie ist eine Gruppe zu nennen, die auf die alt-iranischen Priester zurückgeht. Als oberster ist der a¯jravapati, 15) der »Oberpriester«, zu nennen, dann der a¯jrava 16) als »Priester«. Am häufigsten unter den Priestern begegnet der »Feuerschürer«, *a¯trvaxsˇa- 17). Schon Ch. Bartholomae hat in seinem Altiranischen Wörterbuch von 1904 18) einen solchen Priester beschrieben: »der Name des zweiten, mit der Unterhaltung des Feuers betrauten Unterpriesters«;

und weiter: »das Amt des A.(a¯trvaxsˇa) aber (ist), dass er das Feuer schürt, drei Ecken (Seiten) des Feuers gehörig in Stand setzt und dem Z.(zaotar) auf seinen Gesang mit ’aja¯ ratusˇ‹ antwortet«.

Auf den Täfelchen von Persepolis ist der Feuerschürer der am häufigsten genannte Priester.

2.2.1 Feuerschürer und das lan-Opfer

Der Feuerschürer ist eng verbunden mit einer Opferart, dem d.lan. 19) Sie tritt nur auf den Ton-Täfelchen aus Persepolis auf. Die genaue Bedeutung von d.lan, das mit dem Götterzeichen20) versehen ist, ist umstritten. 21) Es handelt sich offenbar um ein be-

20. 21.

480

Z. B. in Armavir Blur im Norden oder in Kangavar im Osten. VW, 234 – Faltblatt. ElW, 650 s. v. hh.ha-tur-ma-bat-ti-isˇ. ElW, 650 s. v. hh.ha-tur-ma. ElW, 650 s. v. d.ha-tur-ma-ak-sˇá. AirWb., 318 f. s. v. a¯t rvaxsˇ-. Nur ein einziges Mal, auf NN 0544, ist er mit der Gottheit Halma erwähnt, die auch nur dieses eine Mal hier auftritt. ElW 602 schlägt sie mit Fragezeichen als »Göttin der Fruchtbarkeit« vor. Sie könnte auch direkt als »die Erde« selbst angesprochen werden, deren Pflege sehr wichtig ist. Häufiger wird das Sumerogramm KI.lg für »Erde«wiedergegeben (z. B. NN 2040). DINGIR ist sumerisch = Gott, verkürzt d. ElW, 802 s. v. d.la-an. e

13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

Heidemarie Koch

sonderes Opfer, für welches sehr häufig und regelmäßig Opfergaben bereitgestellt wurden. Allerdings wird niemals näher ausgeführt, für welche Gottheit – oder mehrere – es bestimmt war. Man kann es mit Kultopfer übersetzen. Da es aber noch verschiedene andere Opfer-Arten gibt, wird es hier durchgehend als lan-Opfer bezeichnet. Für ein solches empfängt meistens ein Feuerschürer die Opfergaben. Teilweise werden zusammen mit dem lan-Opfer auch iranische Gottheiten bedacht, nur sehr selten elamische. 22) Gemeinsam mit dem lan-Opfer findet sich sehr häufig der Begriff dauça. Seine Bedeutung wird auf das awestische zaojra, »libation« zurückgehen. 23) Allerdings ist es zur Achämenidenzeit nicht auf Flüssigkeiten beschränkt, sondern umfaßt auch die im Folgenden genannten Opfergaben. dauça und seine Varianten können somit als »Opferspende« übersetzt werden. Eine solche ist fast ausschließlich mit dem lanOpfer verbunden. 24) Damit ist aber nicht geklärt, für wen nun eigentlich die Opfergaben bestimmt waren. Eine »Opferspende für das lan-Opfer«, was soll das heißen? 25) Natürlich wußten zur Zeit des Dareios alle Perser und somit auch die Beamten der Verwaltung, worum es sich handelte, und es brauchte nicht weiter erklärt zu werden. Es soll im Folgenden weiter auf die Funktion des lan-Opfers eingegangen werden. 26)

PF 741 60 l Mehl, Verfügung des Xvaniya¯h 27), erhielt der Feuerschürer Dahyuvraija als Rationen für das lan-Opfer, in Persepolis, 28) 10., 11. Monat, insgesamt in zwei (Monaten) des 14. Jahres.

PF 763 40 l Mehl, Verfügung des Hufrata, erhielt Dahyuvraija als Opferspende für das lanOpfer, 12. Monat 22. Jahr.

22.

23. 24. 25. 26.

27. 28.

Auf PF 1953 erhält ein Feuerschürer Wein für das lan-Opfer, den er dann weiter reicht an einen Mann, der einem Priester zugeordnet ist (el. sˇá-tin-ra), vielleicht seinem Gehilfen. Der nachfolgende Eintrag, bei dem von einem dauça für ku-sˇu-kum gesprochen wird, ist ein völlig separater Vorgang. vgl. NN 2265 d.GAL. NN 2372. Z. B. G. G. Cameron (PTT 1948) 7: *dauça, Avestan counterpart of which is just as obviously zaojra, »libation«. Bei den verschiedenen Schreibweisen von dauça und dauçiya lassen sich keine Bedeutungsunterschiede erkennen. Eine Ausnahme ist z. B. PF 354 zusammen mit Na-pir-sˇá. Henkelman 2008, 207, kommt zu dem Ergebnis: »ANla-an in PFT means ›offering, oblation‹ and nothing more.« Zum besseren Verständnis der Liter und Gewichte: BÁN = 10 QA = 9,7 Liter – wird hier abgerundet auf 10 Liter. Entsprechend auch bei Flüssigkeiten: 1 Krug wird aufgerundet auf 10 Liter. – Determinativa werden denen im Elamischen Wörterbuch (ElW) entsprechend beibehalten. hh.man-nu-ya, Kornkommissar (tumara) in Xva¯daicˇaya, 14.-20. Jahr , VW, 258. Bis auf ganz wenige Ausnahmen wird auf den Täfelchen Xva¯daicˇaya als Ortsangabe der Vorgängerstadt von Persepolis geschrieben, s. ElW, 900 s. v. h.ma-te-iz-zí-isˇ. Ihre Lage ist bisher noch nicht gefunden worden.

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Texte aus Iran

PF 761 40 l Mehl, Verfügung des Hufrata, hat Yazda, Feuerschürer in Xva¯daicˇaya, als Opferspende für das lan-Opfer erhalten, 23. Jahr, 4. Monat.

NN 1140 15 Liter Wein, Verfügung des Vara¯za, hat Yazda in Xva¯daicˇaya, Feuerschürer, erhalten für eine Opferspende für das lan-Opfer, 23. Jahr 3. Monat. Diese vier Texte können schon einige grundlegende Punkte klären: Der Feuerschürer Dahyuvraija ist vom 10./11. Monat des 14. Jahres bis zum 2. Monat des 23. Jahres belegt. Er tritt insgesamt auf fünf Täfelchen auf, aber nur zwei davon nennen seinen Titel. 29) Dagegen sind bei seinem Nachfolger Yazda, der vom 3. Monat des 23. Jahres – 10. Monat des 24. Jahres zu verfolgen ist, 10 Belege erhalten, von denen 9 mit Titel sind 30); nur bei PF 706 fehlt er. Beide Feuerschürer waren in Persepolis tätig und bekamen teilweise von denselben Beamten die Zuteilungen. Es ist also damit zu rechnen, daß es sich auch in anderen Fällen, wo kein Titel angegeben ist, um Feuerschürer handelte. Es hing also davon ab, ob der Schreiber diese Angabe für notwendig hielt oder nicht. In diesem Fall ist es klar, da alle am selben Ort arbeiteten und somit einander gut kannten, die Angabe des Titels also nicht unbedingt nötig war. Bei den hier genannten Beispielen haben die Feuerschürer Mehl oder Wein erhalten; für Getreide und Wein, Most oder Obst gab es verschiedene Beamte, die dafür zuständig waren. Sie werden in der Regel auch namentlich erwähnt. 31) Es hat den Anschein, daß die Opferspende (dauça) eine jeweils einmalige Veranstaltung war, während gal (Ration) 32) eine über einen längeren Zeitraum festgelegte, zugesagte Lieferung. So treten auch diese beiden Begriffe nicht miteinander auf, sondern d.lan ist entweder mit dauça oder mit gal verbunden.

NN 0556 120 (Liter) Wein, Verfügung des Miçapa¯ta, hat Haraiva erhalten, um ein lan-Opfer in Harbusˇ zu zelebrieren mit Rationen des Königs, 22. Jahr.

PF 753 120 (Liter) Wein, Verfügung des Miçapa¯ta, hat Haraiva erhalten, um das lan-Opfer in Harbusˇ zu zelebrieren. Es ist in Rationen des Königs gegeben, für ein ganzes Jahr, 23. Jahr. 29. 30. 31. 32.

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VW, 255, 260; PF 741, 763, 764, neu hinzugekommenen sind NN 2493 und 0936. PF 761, 762, NN 1140, 1138, 0250, 1141, 1601, 1602, Fort 3126; 760 ohne Titel. Die Zuständigen sind also auch verantwortlich für die Ausgaben. Es wird kurz als »Verfügung« übersetzt. ElW 528 s. v. kur-mín. Wie auf PF 741; ebenso wie z. B. auch Arbeiter ihre Rationen erhalten. Das Wort gal wird hier durchgehend mit Ration übersetzt, um diese Funktion deutlich zu machen. Im ElW, 420 s. v. gal und gal.lg werden auch Verpflegung, Futter und Opfergabe genannt, aber bei allen Beispielen handelt es sich um festgelegte Rationen.

Heidemarie Koch

Miçapa¯ta hat die Weinvorräte unter seiner Obhut. Er seinerseits hat aber die Anweisungen für die Ausgabe von höherer Stelle erhalten, denn es handelt sich hier um »Rationen des Königs«. Dieser selbst hatte also ein Interesse daran, daß in Harbusˇ regelmäßig, und zwar das ganze Jahr lang, das lan-Opfer ausgeführt werden konnte. Pro Monat wurden 10 Liter an Haraiva übergeben.33) Ein Titel ist hier nicht angegeben, aber es wird gesagt, daß er das lan-Opfer vollzogen hat. Miçapa¯ta hatte seinen Sitz aber nicht in Harbusˇ, sondern in Hujı¯kara, 34) und dorthin wurde ihm Wein zugeliefert:

PF 51 144 Krüge Wein sind von Matrba nach Hujı¯kara gebracht worden, Miçapa¯ta hat sie erhalten, in das Vorratslager 35) hat ihn Vahyaspa¯na gebracht. 22. Jahr.

PF 52 206 Krüge Wein sind von Matrba nach Hujı¯kara gebracht worden in das Vorratslager, Miçapa¯ta hat sie erhalten. Ba(?)-du-isˇ-du(?)-isˇ(?) hat sie gebracht, der in Manna Winzer ist. 36) 22. Jahr. Durch einen Zufall haben sich diese Täfelchen erhalten, so daß man einen Einblick in die Wege des Weines nehmen kann, von dem Anbau bis zum Vorratslager und dann zum Opfer. Recht groß sind die Mengen an Wein, die mit einem Mal geliefert werden, einmal 1440 und einmal 2060 Liter. Weiteren Einblick können Täfelchen gewähren, bei denen das lan-Opfer zusammen mit Göttern genannt wird.

NN 2040: Gerste (1) 496 (2) 130

33. 34. 35. 36.

37. 38.

(Liter) (Liter)

in Kundrusˇ 37) hat Bagadusˇta erhalten. hat einer namens Amnara, ein Framazda (Vorsänger) 38), erhalten: 60 als Rationen

Dieser Name ist auch das Ethnikon »Areier«. Seine Eltern – oder er selbst – müssen viel Wert darauf gelegt haben, zu den Areiern zu gehören. VW, 152. ElW, 711 s. v. hu-ud-da.KI.MIN (= hut-hut), s. a. S. 725. Der Ort ist nicht bekannt. Lediglich einmal, in mittel-elam. Zeit, ist ein Ort h.ma-an-… belegt, dessen letzte Silbe aber nicht mehr lesbar ist (ElW, 851). Bei ElW, 852 ist vorgeschlagen worden, zwei Wörter zusammenzufassen als h.ma-an-na-ra-zí-ya-ra. Es gibt aber auch das Wort ra-zí-ya-ra allein (s. ElW, 1036), das wörtlich »der mit Weintrauben umgeht« heißt, also ein Winzer. Im Bezirk IV, westlich von Persepolis gelegen, VW, 289. Dort gibt es mehrere Beamte mit dem Namen Bagadusˇta, die mit Gerste zu tun haben, VW, 151. Die Form pír-ra-ma-ud-da (frama¯ta) ist sonst nicht belegt; das Determinativ könnte für einen Ortsnamen sprechen. Es könnte sich aber auch um einen Schreibfehler handeln für pír-ra-ma-iz-da, »framazda¯«, eine Verwechslung von -du- und -iz-. Ein framazda ist auf PF 773 und NN 2184 belegt; von I. Gershevitch als »outstanding memorizer« übersetzt, s. ElW,

483

Texte aus Iran (3) (4) 2723

(Liter)

(5)

(6)

(7-38)

(38-40)

(41)

(42) (43) aufbewahrt (44) [2?]500

(45) (46)

für das lan-Opfer, 40 für die Erde, 39) 30 für die Visai Baga¯. hat einer namens Sˇati.dudu 40), Leiter der Arbeiter, erhalten; den Leuten, die Landarbeiter sind, ihnen hat er sie gegeben. Von Sagartien ist er nach Elam gegangen. Er brachte eine gesiegelte Urkunde des Königs. Ausgaben für Pferde; Arbeiterinnen, Saatgut, Gerste, teilweise auch größere Lücken; Gerste in Zana 41),Verfügung des *Rtaba¯nusˇ, Spitama, Feuerschürer, hh.rap(?)-pi(?)-ut(?)-pina 42), Lager-Verwalter, Abrechnung des 22. Jahres. Aber im 23. Jahr im 2. Monat wurde sie geprüft. Arbeiterinnen haben Rationen erhalten und im 22. Jahr im 5. Monat xxx haben Arbeiter erhalten. geerntet 4760

entnommen 12740

Gerste Gerste das 7fache

Zana 22. Jahr 22. Jahr

Mazdaka, Rinderwart, 43) hh.ú?-na?-ra, Pächter, für eigenes Land wurde es aufbewahrt.

Dieses Beispiel ist charakteristisch für die Art, wie die Belege in Persepolis zusammengetragen worden sind. Verschiedenste Abteilungen werden ohne jeden Zusammenhang aufgeführt. Man hat den Eindruck, daß einzelne »Zettel« zu größeren Einheiten zusammengefaßt worden sind. Als einziges verbindet sie ihre Herkunft, das heißt Namen von Beamten, und mitunter damit auch der Ort oder die Gegend, aus der sie kommen. In Persepolis wurden die Abrechnungen noch einmal überprüft, zusammengefaßt und dann abgelegt. Auf der vorliegenden Tafel heißt es sogar »Abrechnung des 22. Jahres. Aber im 23. Jahr im 2. Monat wurde sie geprüft.« 44) Z. 4-6: Sˇati.dudu, seinem Namen nach ein Elamer, ist Leiter einer Gruppe von Landarbeitern, die von Sagartien, also nord-östlich des Kaspischen Meeres, nach Elam gebracht wurden. Es müssen recht viele gewesen sein, da 2723 Liter Gerste an sie verteilt worden sind. Der Basis-Lohn für einen Arbeiter beträgt 1 Liter. Hier wird aber nicht gesagt, wie hoch der Lohn ist und für wie viele Tage diese ausreichen muß-

39. 40. 41. 42. 43. 44.

484

215. Man könnte es als »hervorragender Erinnerer« wiedergeben. Da auch das AuswendigLernen darin mitschwingt, könnte man es einem Hafiz vergleichen, der den Koran auswendig kennt. Sumerogramm h.KI.lg, s. RelVerh., 111. Elam. »Füllen des (Gottes) Sˇati«. Zana bedeutet »Herrin«, ist aber hier eindeutig als Ortsname gekennzeichnet. Vielleicht = ra-pi-ut-be-na , *rapijbaina-. Vielleicht ist es derjenige, der Zugtiere einem Pächter für die Beackerung des Landes liefert (ElW, 653 s. v. hh.ha-za-tap, entspricht ap. hh.uk-ba-ma-ut-ku-isˇ). Es gab auch Beamte, die im Lande herumreisten und vor Ort die Abrechnungen überprüften. S. a. Koch, TUAT.NF 1, 236-238.

Heidemarie Koch

ten. 45) Angeordnet war das alles auf einer gesiegelten Urkunde des Königs, die genaue Anweisungen enthalten haben wird. Z. 7-38: werden hier nicht genauer betrachtet, da Vergleichbares weiter unten noch näher angesehen wird; zudem sind teilweise größere Teile nicht mehr zu lesen. Wichtig sind vor allem Z. 2/3, die mit Göttern befaßt sind: als erstes wird das lanOpfer genannt, das zudem hier das einzige ist, das als Ration, also regelmäßig, ausgegeben wird. Es erhält die größte Menge, nämlich 60 Liter Gerste. 40 Liter soll die Erde bekommen. Das Sumerogramm h.KI.lg haben die Elamer von den Sumerern übernommen. Doch auch die Iraner verehrten schon von alters die Erde. Der Philosoph Diogenes Laertios hat im 3. Jh. berichtet (I 6), daß die Perser die Erde zusammen mit dem Feuer und Wasser als Gottheiten verehrten. So ist es auch noch heutzutage bei den Parsen, die die alte iranische Religion in Ehren halten. Die Elemente Erde, Feuer und Wasser müssen absolut rein bleiben. 46) Im jüngeren Awesta gibt es einen Yasˇt (Lobgesang) zur Verehrung der Erde, der »zam sp nta a¯rmaiti«. 47) 30 Liter sollen die Visai Baga¯ 48) bekommen, was übersetzt »alle Götter« heißt. Dieses ist eine bestimmte Götter-Gruppe. Im indischen Rigveda gibt es eine entsprechende Gruppe, die Vis´ve Deva¯h, 49) in derselben Bedeutung. Diese Gruppe muß sehr verehrt worden sein. Mit der Lehre Zarathustras wurden alle deva¯h für die Perser zu bösen Geistern. Doch scheint diese besondere Gruppe in der Bevölkerung sehr beliebt gewesen zu sein, so daß sie zu guten Göttern wurden, nämlich zu baga¯ »Göttern«. Als solche wurden sie zur Zeit der Achämeniden wieder verehrt und empfingen zusammen mit persischen Gottheiten Opferzutaten. In diesem Fall sind das lan-Opfer, die Erde und die Visai Baga¯ zusammen aufgeführt. Wenn noch zahlreichere Götter zusammengestellt sind, reiht sich das lan-Opfer immer ein. Man hat also nicht den Eindruck, daß es am Ende als Sammler für alle nicht erwähnten Götter dienen soll. Vielmehr ist anzunehmen, daß sich eine bestimmte Gottheit dahinter verbirgt, und zwar eine sehr wichtige. Wenn wir heutzutage von dem Weihnachts- oder dem Osterfest sprechen, ist jedem klar, wer dabei geehrt wird. Es werden hier noch viele Hinweise folgen, die dafür sprechen, daß es sich bei dem lan-Opfer um ein Opfer für Ahura Mazda, den »Weisen Herrn«, den von Zarathustra verkündeten Gott, handelt. Dafür würde auch sprechen, daß sich die Feuerschürer vor allen Dingen um dieses Opfer kümmerten. Doch auch noch weitere Priester können dafür zuständig sein. e

Die folgende Abrechnung (NN 2479) ist leider am Anfang kaum zu lesen. Auffällig ist aber, daß die beiden Titel Magier und Feuerschürer demselben Mann zugeordnet sind. Die Magier waren die Priester der alt-iranischen Religion. Bis heute fehlt es aber noch an genaueren Nachrichten über diese Priesterkaste, von der als Erster Herodot (I 101) berichtet hat. Einige Hinweise lassen sich aber nun durch die Täfelchen aus 45. 46. 47. 48. 49.

Zu den Lohnverhältnissen s. z. B. unten 3a. Handwerker und 4. Soziale Organisation. Deswegen dürfen z. B. Verstorbene nicht in der Erde bestattet werden, sondern wurden lange Zeit auf Felsen ausgesetzt. Heutzutage werden die Gräber mit Bitumen ausgekleidet. 19. Yasˇt, s. a. unter a¯rmatay- bei AirWb 337, Gottheit der Erde; RelVerh. 111 f. ElW, 927 s. v. d.mi-isˇ-sˇá-a-ba-qa. S. Koch, RelVerh., 89.

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Texte aus Iran

Persepolis gewinnen. Deutlich haben auch die Magier vorwiegend für das lan-Opfer gewirkt. 50) Mitunter tragen sie sogar noch einen weiteren Titel, den »lan-Opfer-Zelebrierer« (lan.lirira). 51) Das scheint darauf zu deuten, daß sie nicht immer für dieses Opfer zuständig waren. Aus diesem Grunde mag im vorliegenden Text der Magier auch noch den Titel Feuerschürer erworben haben. Die hervorgehobene Verehrung des einen Gottes Ahuramazda tritt erst durch die Inschriften Dareios d. Gr. hervor. Es scheint, daß die Magier sich erst darauf umstellen mußten. Z. 21-23: Von den 30 Litern, die für Opfer ausgegeben werden dürfen, ist der erste Empfänger leider nicht mehr zu lesen, er soll aber als Ration 10 Liter erhalten. Die Tatsache, daß von einer Ration gesprochen wird, könnte für das lan-Opfer sprechen. Eindeutig ist es nicht, da ebenfalls – wenn auch selten – andere Opfer längere Zeit festgelegte Zuweisungen erhalten können. 52) Ungewöhnlich ist die Gottheit Sˇaijrapatisˇ, die für Feld und Flur zuständig ist, und der Berg har-ri-mar(?)-da(?)-tur-ra. Opfer für Berge und Flüsse treten öfter auf und scheinen zu der alt-iranischen Religion zu gehören.

NN 2479: Gerste (1) 30

(Liter)

xxx namens, Magier, Feuerschürer, hat sie erhalten, 10 als Ration für xxxx, 10 für Sˇaijrapatisˇ 53), (3) 10 für den Berg har-ri-mar(?)-da(?)-tur-ra, (4) für ein ganzes Jahr. (5) [1]107[1] 54) hat Dahyauka erhalten, 15 Burschen, Thra(6) ker, in Rationen haben sie sie erhalten, täglich (7) hat jeder 1 QA 1⁄20 verzehrt, in 4 Monaten (und) 23 Tagen. (8) 36 (Liter) hat Ka¯maka 55) erhalten. Eine Frau, Arbeiterin, in (9) Tapusˇna 56), 8 Hohlmaß 57) in Rationen, dies hat (10) (er ihr) gegeben, in 4 Monaten, pro Monat 8 Hohlmaß. ¯ rsˇna 59), Krsˇna brachte sie, er selbst nahm sie an sich. (11) 20[4+8+2] 58) BÁN (in) A (12) 300 (Liter) wurde als Saatgut aufbewahrt, Mijra¯ta unterstellt, 19. Jahr. (13) Insgesamt 539 Liter 60) wurden verzehrt. (14) 11710 61) als Saldo für das 19. Jahr und xxx (2)

50. 51. 52. 53. 54. 55.

56. 57. 58. 59. 60. 61.

486

Z. B. PF 1955, NN 2265, PF 769, NN 1262 und weitere. ElW, 803 s. v. d.la-an.li-ri-ra. S. unten NN 2243. Da am Ende dieser Zeilen noch »für ein ganzes Jahr« steht, könnte die Rationsangabe sogar für alle drei Genannten gelten. Vgl. NN 2265. d.sˇe-ut-ra-bat-ti-isˇ – »Herr der Flur / des Feldes / von Grund und Boden«: R. Schmitt, Persepolitanisches, 87 f.: *sˇaijra-pati-, vgl. aw. Sˇo¯ijrahe pati- (Gen.) ved. ksétrasya páto. Müßten 362,25 Liter sein. Hier als Personenname; die Bedeutung ist »der/das Gewünschte«; auf den Täf. wird es im Sinne von »Wunschkost« benutzt, womit Sonderrationen an Naturalien bezeichnet werden, s. H. Koch (Hg.), Kunst, Kultur und Geschichte der Achämenidenzeit und ihr Fortleben (AMI Erg. Bd. 10), Berlin 1983, 31 ff.; ElW, 424. h.tap-pu-isˇ-na, Bezirk IV, südwestlicher Bereich der Persis. 8  2,91 Liter = 23,28 Liter. Sehr unklar, von Hallock ergänzt. Bezirk III, Weinort. 171 (Art.) 2 BÁN 6QA. 107(?)(+)1 BÁN, unsicher.

Heidemarie Koch

Ernte des 20.  Jahres erhalten xxx (unklar) (17) 600 (zerstört) (18) insgesamt 5?7320? Bestand gänzlich, darin inbegriffen (19) 17126 verzehrt und welches nun (20) 14120x Hirse 62), hh.xx-ti-ma in Tapusˇnasˇ, (21) 32x zum Abliefern 63) ging davon ab […] (22) 1017 64) ist entnommen worden, Tapusˇnasˇ, Verfügung des hh.mi-ra(23) …], des Korn-Kommissar, Cˇijrazrva 65), der Feuer(24) [schürer, hh.xxx-a]m-ma-qa, der Lagerverwalter. Insgesamt ist dies die Abrechnung für das (25) 20. Jahr, 9. Monat; 25 Tage war sie unterwegs. Huvistvah 66) (26/27) hat es geprüft, damals erhielten sie die Arbeiter als Rationen. (15) 3000 (16)

(28) aufbewahrt (29) 300 (30)

und geerntet 3000

und verzehrt (x) Gerste, Ernte, 20. Jahr, Ramnaka 67), der Stallmeister 68), (und)

ˇ ijraba¯nusˇ 69), (31) C

der Pächter 70), für sein eigenes Land sie sie aufbewahrt. (33) 7525 (Liter) Saatgut (34) 300 wurden aufbewahrt. (35) 120 (+)5 [zusätzlich aufbewahrt] (36) [insgesamt] ist dieses im 20. Jahr [in Tapus ˇnasˇ]. (32) haben

Nach den Ausgaben für Opfer, werden nacheinander Ausgaben aufgezählt, die im Einzelnen nichts miteinander zu tun haben. Zum Beispiel werden 15 thrakische Burschen für einen begrenzten Zeitraum verpflegt, eine Arbeiterin ebenfalls, ein uns unbekannter Mann nimmt Gerste an sich und dann folgen Einnahmen und Ausgaben, Saatgut und Ernten verschiedenster Art im Orte Tapusˇnasˇ für das 20. Jahr. Dieses zeigt wiederum, daß Abrechnungen verschiedenster Art nach einer letzten Überprüfung nochmals aufgeschrieben und dann »abgelegt« wurden.

62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70.

ásˇ?-sˇá-na?, nicht sicher, s. ElW 90. ElW 1219 s. v. ul-la-ma-na. 100(+)60(?)1(?)(+)7 QA, unsicher. hh.zí-ut-ra-sir-ma. h.ú- musˇ-ti-ma. hh.ra-um-na-ak-qa. S. ElW, 60 s. v. hh.an-mi-du-da. Es muß sich um einen Mann handeln, der für den Anbau von Getreide zuständig ist. zí-ut-ra-ba-nu-isˇ. ElW, 652 s. v. hh.uk-ba-ha-hu-ut-ku-isˇ, ap. *upa¯vatgusˇ, wörtlich wohl »Rinderwart«. Die elamische Entsprechung dürfte hh.ha-za-tap sein (ElW, 653). Es könnte sich um denjenigen handeln, der Rinder als Zugtiere für die Beackerung des Landes [durch Pächter] zur Verfügung stellt. S. a. H. Koch, Steuern in der achämenidischen Persis?, ZA 70 (1980) 105-137, 131 f.

487

Texte aus Iran

Das gerade Gesagte wird in besonderer Weise im folgenden Text deutlich. Er stammt aus demselben Bereich wie NN 2479, süd-westlich von Persepolis, und gibt einen Einblick der Versorgung mit Wein. Zentrum ist der Ort Akrna.

NN 2265: Wein und Fruchtsaft 71) (1) 242

(Liter)

(2)

(3)

(4)

(5) 360 (6) (7) 920 (8)

(9)

(10) 20 (11)

(12)

(13) 2000 (14) (15) 10 (16) 5

71. 72. 73. 74. 75. 76. 77. 78. 79.

488

hat Kammargina, der Magier, erhalten, 20 als Ration für den Berg h.KUR.[lg I]r(?)-kam-ma, 20 für die Visai Baga¯, 20 Rationen für das lan-Opfer, 20 Rationen für DINGIR.GAL, 72) 20 Rationen für den Berg h.KUR.lg qa-mar-zí-ya 73), 2 Rationen für [Berg Patina¯]sˇá, 74) insgesamt macht dies ein ganzes Jahr aus, dieses einschließlich 120 hat [xxxxx] erhalten, das frühere xxx. hat Farnaka als Ration erhalten in 2 Dörfern, es standen ihm täglich 90 Liter zu, in 4 Tagen, in Akrna und Farnaxvatı¯sˇ. 75) hatte Darga¯yu[sˇ erhalten, 30] Weinbottich-Hütern(?), 76) die er entsandt hatte, in Rationen hat er sie ihnen gegeben, in 3 Monaten und 2 Tagen haben sie sie erhalten, täglich 1⁄30 [haben sie erhalten?] in Akrna. Er trug eine gesiegelte Urkunde des Farnaka. einer namens hh.pi-du-kur-da, ein Lanzenträger und Untersuchungsrichter 77), (der) einen WölfeHalter (?) peinlich befragt hat 78), als Ration hat er ihn erhalten für 2 Monate, täglich 1 Liter hat er erhalten, er brachte eine gesiegelte Urkunde des Königs, in Kapa 79). hat Dahyuka erhalten. 30 thrakischen Burschen hat er ihn als Ration gegeben, in 10 Monaten, täglich 1⁄30 standen ihnen zu. hat Hanamaja erhalten, an Zugpferde hat er ihn in einem ganzen Jahr verfüttert. hat Vahucˇiça erhalten. An ein Dromedar hat er ihn verfüttert für ein [gan]zes Jahr.

Die Zahlen sind auf Liter umgerechnet, daher auch Liter statt QA geschrieben. Z. 2 ist teilweise sehr unsicher: 2 gal-li d.l[a-a]n-na 2 gal-[li d.]gal.lg-na. Kommt nur hier vor, und beide Berge sind ohne Götter-Zeichen. Ergänzt von Henkelman 2008, 538, als [Battina]sˇá geschrieben. ElW, 154 s. v. h.bar-nu-ti-isˇ. ElW, s. v. GISˇ.GESˇTIN.lg-e-iz-za-ba-na-ip; also hat jeder täglich 1⁄3 Liter Wein erhalten. GISˇ.SˇI.DÙ.lg.ku-ti-ra und hh.pír-ra-sa-qa (*frajaka-). mi-ul-l[i h]a-pi-isˇ-da – wörtlich »er hat ausgequetscht«. h.qa-ba-isˇ, Bezirk III.

Heidemarie Koch (17) [?]310

als Vergütung für 10 Pithoi, die [x+]5 Liter fassen, 2 Pithoi je xxx, (18) und 7 Pithoi je 40, für 50(?) und 1 Pithos je 20(?). (19) insgesamt insgesamt 3867 Liter sind ausgeschenkt worden, für das 20. Jahr. (20) 13420 Fruchtsaft ist geerntet worden im 20. Jahr, dies einschließlich 2890. (21) 1342 Liter dieses macht den Zehnten davon aus. (22) insg. 12078 Liter Wein bleiben übrig. (23) 6030 als Saldo verbucht für das 19. Jahr. (24) 110 in Na¯maka¯na 80) von [hh. xxxxx -i]k. (25) 45 (in) Harinzisˇ 81) von *Huma¯ya. (26) 120 (in) *Huta¯raka 82) von Xsˇaitaka 83). (27) insges. 18383 Liter Bestand zur Gänze, darin inbegriffen: (28) insges. 3867 Liter ausgeschenkt und was vorhanden ist, (29) insges. 14390 wurden richtig deponiert im Weinkeller, (30) insges. 126 Liter sind entnommen worden, Wein in Akrna, Verfügung des Kapauta 84), (31) Du¯ta 85), hh.[xxx], Maza¯mijra, (32) insges. ist dieses die Abrechnung des 20. Jahres, im 10. Monat ist es geprüft worden. (33) 48 45 58 53 65 50 62 49 47(?) 26(?) 86) – insgesamt 10 Pithoi, als Saldo 5030. (34) Wein, dieses, den Zehnten einbegriffen, als Saldo: 46 60 30 77(?) 40(?)(+)x y(+)1(?) 44 57 57 47 (35) 60 551⁄2 48 41 Liter 30 33(?) 22 60 30 54 55(?), insgesamt 21 Pithoi an neuem Wein. (36) 10958 Liter an neuem Wein, insgesamt 31 Pithoi (mit) [1]5988 Liter Wein, (37) an Saldo (vom Vorjahr) und an neuem Wein (Heurigem). Insgesamt zur Gänze (38) 535 Liter|68 | insgesamt 1215 Liter Schnaps 87) und [Wein], xxx des Schnapses ist richtig (39) im Weinkeller eingelagert worden. [20.] Jahr, 88) Verfügung (40) des Kapauta. Der Magier Kammargina ist nur hier belegt. Wie auch sonst, erhält er Opfer-Zuteilungen für Berge, hier sind es sogar drei. Dazu kommen die Visai Baga¯, das lan-Opfer 80. 81. 82. 83. 84. 85.

86. 87. 88.

h.na-ma-qa-nu-isˇ, Bezirk IV, süd-westlich von Persepolis. h.har-ri-in-zí-isˇ (Bezirk IV ElW 1198 s. v. h.ú-da-rák-qa hh.sˇe-ut-tuk-qa, s. a. PF 1988:9. hh.qa-ap-p[u-ud-d]a(?), s. a. PF 1909:10. ElW, 379 s. v. hh.du-ud-da; s. a. VW, 215 f., wo es anscheinend derselbe Mann ist, der im 22./ 23. Jahr Mehl und Bier für das lan-Opfer erhält, und zwar jeweils für Rationen für ein ganzes Jahr, pro Monat 30 Liter (PF 746-748. Du¯ta ist jeweils ohne Titel aufgeführt, aber aufgrund seiner Tätigkeiten scheint er ein Feuerschürer oder Magier gewesen zu sein. Diese Zahlen – ebenso wie in Zeile 34/35 – nennen den Inhalt der einzelnen Pithoi. ElW, 228 s. v. GISˇ.pi-za. Hallock fügte 17 ein, aber da in Zeile 32 deutlich 20 steht, wurde das hier eingefügt.

489

Texte aus Iran

und DINGIR.GAL. Jeder hat 20 Liter erhalten. Für das ganze Jahr sind 120 Liter ausgegeben worden. Hier tritt das Sumerogramm DINGIR.GAL auf, der »Große Gott«. Es scheint bereits ab dem 2. Jt. v. Chr. benutzt worden zu sein als Tabu-Name für Humban. 89) Im Laufe der Zeit hat sich dann die Vorstellung eines separaten »Großen Gottes« herausgebildet. Besondere Eigenschaften oder Funktionen kennen wir nicht. In mittelelamischer Zeit tritt noch ein weiterer »großer Gott« auf, zunächst einfach die Übersetzung ins Elamische, Napir irsˇára. 90) Daraus entwickelte sich dann eine eigene Gottheit. Hinzu kommt, daß auch bei den Persern dieser Ausdruck geläufig war. Zum Beispiel ist auf den Dareios-Inschriften immer wieder zu lesen: »der Große Gott ist Ahuramazda«. 91) Es gab also vier Möglichkeiten, den Namen des Großen Gottes auszudrücken und auch verschieden zu deuten. So findet man auf den Verwaltungs-Täfelchen sogar Ahuramazda und Humban nebeneinander, 92) oder Humban und das lan-Opfer. 93) Dieses ist aber sehr selten. Niemals sind indessen Ahuramazda und das lan-Opfer zusammen zu finden. Das kann ein weiterer Hinweis dafür sein, daß man diese beiden für denselben Empfänger hielt. Daß mitunter für iranische, elamische oder babylonische Gottheiten zusammen Opfergaben ausgeteilt wurden, braucht auch nicht zu verwundern. Zum einen mag es sein, daß ein Priester einem »Amts-Kollegen« für ihn bestimmte Opfergaben weiterreichte. Zum anderen ist es eine stets hervorgehobene Eigenschaft der Perser, daß sie auch fremde Religionen ehrfürchtig behandelten.

2.2.2 Aufgaben der Feuerschürer in der Verwaltung

Neben den priesterlichen Aufgaben hatten Feuerschürer noch weitere zu erfüllen, die recht ungewöhnlich waren und offenbar erst unter Dareios eingeführt worden sind. Die Priester erhielten nunmehr Pflichten in der Verwaltung. So mußten Feuerschürer bei Abrechnungen mitwirken und mit ihrem Namen für deren Richtigkeit geradestehen.

PF 1955 (Liter Gerste) hat der Magier Aupisˇ erhalten, 30 als Ration für das lan-Opfer, für die Visai Baga¯, 30 für den Berg A¯riyaramna, (3) 30 für den Fluß Ainharisˇda, so sagten sie. (4) 1980 erhielt hh.sˇup-sˇup-pi-ya; 5 Arbeiterinnen hat er sie in Rationen gege(1) 360 (2) 30

89. 90. 91. 92. 93.

490

Koch, RelVerh., 101-105. Koch, RelVerh., 105-108. Baga¯ vazrka. PF 0339 und NN 0379. NN 2372.

Heidemarie Koch

ben, (5) in 12 Monaten, für 1 Frau 60 Liter, (6) für 1 Mann 30 Liter, für 2 Frauen je 27 Liter 94), für 1 je 21 Liter 95), insgesamt macht es 165 Liter 96) pro Monat aus. Von Zeile 8 bis 25 weitere Annahmen aus und Verteilungen an Gerste in verschiedene Orte: in Vaijˆava 97), Verfügung des Karkisˇ, (26) Aupisˇ, Feuerschürer, Farnada¯ta, Lagerverwalter, 20. Jahr. (27) Insgesamt ist dies die Abrechnung des 20. Jahres, im 5. (28) Monat wurde sie geprüft. Die Arbeiterinnen haben ihre Rationen nicht bekommen.

(25) Gerste

Zeile 29 bis 34 hat noch eine Aufstellung über aufbewahrter, geernteter und verbrauchter Gerste. Ein Magier ist Empfänger von Gerste für das lan-Opfer und die Visai Baga¯; dazu werden ein Berg und ein Fluß berücksichtigt, was auch sonst in den Bereich der Magier fällt. Offenbar derselbe Mann tritt aber noch einmal auf Z. 56 auf, dort als Feuerschürer betitelt. Er ist der mittlere von drei Beamten, von denen die Abrechnung gemacht wurde. Mit ihrem Namen und Titel waren sie dafür verantwortlich, daß alles in Ordnung war. Als erster wird Karkisˇ genannt, der über die Getreideverwaltung im Orte Vaijˆava verfügte. 98) Meistens wird an dieser Stelle ein Beschaffungsbeamter (ul-li-ra) genannt. Einen lebendigen Eindruck in das tägliche Leben und seine Probleme ist die Bemerkung in Z. 28, daß die Arbeiterinnen ihre Verpflegung noch nicht bekommen hätten.

PF 1960 (Liter Gerste) in Mazdagusˇ 99) hat Rta¯vahusˇ erhalten. (2) 120 (Liter) in Yana 100) hat Prsusˇ 101) erhalten. (3) 70 hat Aupisˇ erhalten, 30 für das lan-Opfer, 20 für den Berg (4) Çı¯ravanta 102), 20 für Naryasanga 103). (1) 660

Zeile 5 bis 24 verbuchen Ausgaben und Vorräte. in Çı¯ravanta, Verfügung des Hinduka, Aupisˇ, Feuerschürer, Miqra 104), der Lagerverwalter.

(24) Gerste

94. GISˇ.ba-u-isˇ, ein Holzmaß von 2,91 Liter, aufgerundet auf 3 Liter, 1⁄10 einer Artabe; 1 Artabe = 29,1 Liter; hier also 26,19 Liter. 95. Wohl pavya- oder pahvya- auszusprechen. 96. 5 Artaben 1 1⁄2 BÁN. 97. Me-za-ma, Bezirk III, s. a. VW 111 f. 98. Entsprechend auch in PF 1960. 99. h.masˇ-da-ku-isˇ, dort gab es ein Früchte-Depot, s. VW 126. 100. E-ya-na, s. VW, 120. 101. hh.pír-sˇu-isˇ, s. a. PF 1958 (oben) und in PF 2078 wird er Korn-Kommissar (tu-ma-ra) genannt. 102. h.sˇi-ru-man-da, s. VW 120 f.; dort noch Qimbara? geschrieben. 103. ElW, 992 s. v. d.na-ri-sˇá-an-qa (s. a. RelVerh., 92 f.). 104. hh.mi-ut-ra-isˇ, hier und in PF 1956 Zeile 20d, ist die Schreibung für den Personennamen Mithras (ElW, 943).

491

Texte aus Iran

Die ersten beiden Zeilen stehen jeweils für sich allein. Dann tritt wiederum der Magier Aupisˇ auf, ganz ähnlich wie in PF 1955. Zunächst wird er ohne Titel genannt, wiederum erhält er 30 Liter für das lan-Opfer, und dazu 20 Liter für den Berg Çı¯ravanta. Dieser ist offenbar der Namensgeber des Ortes, in dem die Gerste aufbewahrt wird (Z. 2). Außerdem erhält Aupisˇ 20 Liter Gerste für Naryasanga, der auf den awestischen Götterboten Nairyo.sanha zurückgeht. Er tritt nur noch einmal auf (s. im folgenden NN 2362). – Der Lagerverwalter trägt den Namen Miqras. Vermutlich war es ursprünglich ein mit Mithras zusammengesetzter Name. Der Gott Mithra selbst wird auffälligerweise nicht im Material der Persepolis-Täfelchen erwähnt. Er war, soweit aus dem Material zu schließen ist, zur Dareios-Zeit verpönt. Am Ende ist wiederum Aupisˇ mitverantwortlich für die korrekte Abrechnung, hat dort aber den Titel Feuerschürer. Eine so verantwortliche Aufgabe konnte wohl nur ein Feuerschürer erfüllen. Daß in der Tat diese Aufgabe für die Verarntwortlichen bei unkorrekter Ausführung auch Strafen mit sich brachte, zeigt der folgende Text.

NN 2208 (1) Die

Abrechnung des 20. Jahres wurde gemacht, (2) in der Festung namens Farnaxvatı¯ka, (3) in selbiger. Rta¯vanya namens, der Korn-(4) Kommissar, Da¯ta¯hukrta namens, (5) der Feuerschürer, (und) Rtuka namens, (6) der Lagerverwalter, von allen Dreien wurde die Ab(7) rechnung gemacht. [xxx] Artaben (8) [Gerste – nur bruchstückhaft erhalten – (10) xxx] wurden richtig 5(?) Artaben (11) [Gerste] ver[braucht]. [xxx], diese benutzten sie nicht, (12) um ein Tauschgeschäft zu machen. Daraufhin wurde jeder mit 25 (13) saxvara 105) belastet, dann wurde diese Gerste (14) Rta¯vanya übergeben und (15) nun in dieser Festung verbucht. Der Vize-Obstwart namens Patika, Da¯ta¯(17) hukrta, der Feuerschürer, Rtuka, (18) der Lagerverwalter. Von allen Dreien wurde die Abrechnung (19) gemacht. 19 Liter Früchte entnahmen (20) sie, diese verbrauchten sie nicht, um ein Tauschgeschäft zu (21) machen, daraufhin wurde jeder mit 2 saxvara (+) (22) 1⁄2 ein Drittel saxvara belastet. Obwohl der Mittelteil des Textes nicht mehr vollständig ist, kann man doch interessante Schlüsse ziehen. Zunächst werden der Korn-Kommissar Rta¯vanya, der Feuerschürer Da¯ta¯hukrta und der Lagerverwalter Rtuka genannt. Sie haben gemeinsam die Abrechnung für das Getreide gemacht. Dabei war anscheinend ein bestimmter Betrag übrig geblieben. Den haben sie nicht verbraucht, sondern wollten ihn gegen etwas anderes eintauschen. Doch dazu ist es nicht gekommen. Der bewußte Betrag war nicht ordnungsgemäß verbucht worden. Deshalb wurden die Zuständigen dafür verantwortlich gemacht und mußten nun selbst für den nicht erfaßten Betrag geradestehen, jeder mit 5 Silberschekel (= 9 Goldmark). Die Gerste wurde dann ordnungsgemäß dem Korn-Kommissar übergeben und in der Festung verbucht. – Denselben unkorrekten Vorgang hatten der Feuerschürer und der Lagerverwalter auch zusammen mit dem Vize-Obstwart Patika vorgenommen. Sie hatten 19 Liter Früchte entnommen, die sie eintauschen wollten, was aber nicht geschehen war. Gerade bei Obst 105. ElW, 1144 s. v. GISˇ.sˇá-u-mar-rásˇ, ursprünglich Hohlmaß, entspricht 1⁄5 Silberschekel.

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Heidemarie Koch

wird es besonders ungünstig gewesen sein, da es ja schnell verdirbt, was wohl auch geschehen war, da es nicht mehr erwähnt wird. So mußten die drei Zuständigen auch hier aus ihrer eigenen Tasche den Fehlbetrag ausgleichen, indem jeder 1,25 Silberschekel (= 0,9 Goldmark) bezahlen mußte. Diese Methode dürfte zu großer Sorgfalt bei den Abrechnungen geführt haben. Zum Vergleich: der Wert eines Schafes betrug 3 Schekel, 1 Krug Wein (= 10 Liter) 1 Schekel.

NN 2362: Wein, Sauerwein,Traubensaft und Schnaps (Liter) Gaupatisˇ namens, ein Magier, hh.pír-?-?ud-da, hat als seine Ration für die Götter 106) erhalten: 10 (Liter) für Nar(3) yasanga 107), 10 für Rdanafravar(4) tisˇ 108), 10 für den Berg Patina¯sˇa 109), 10 für die Vi(5) sai Baga¯. Insgesamt ist dieses vom ganzen Jahr übrig. (6) 10 hat hh.zí-qa erhalten, Pferden (7) hat er ihn verfüttert. (8) 270 Sauerwein wurden abgeliefert. Gerste? wurde eingetauscht. hh.ú(9) másˇ-qa(?) wurde dieser überstellt. (10) Insgesamt 320 sind ausgeschenkt worden für das 22. Jahr. (11) [?]1010 Traubensaft ist geerntet worden, 22. Jahr. (12) Dieses einschließlich 100 Liter macht den Zehnten davon aus. (13) 9009 Wein als Restbestand sind vorhanden, dieser einschließlich (14) 320 ist ausgeschenkt worden. (15) [?]5 wurde richtig deponiert. (16) [xx]4 sind entnommen worden. Wein in Hunida¯ta 110) (17) [xxx] Verfügung des hh.ab-da-um-ma, Naryasanga 111), (18) Feuerschürer, Karkisˇ, Lagerverwalter. Insgesamt diese Abrechnung wurde (19) im 22. Jahr gemacht, im 2. Monat (20) wurde sie geprüft. 350 süß, 300 sauer, insgesamt 2 Pithoi mit neuem Wein. (21) 1000 Gerste, die sind deponiert worden, darunter wurden in h.?ut-tar. 112) (22) 580 erhalten. (23) 420 wurden entnommen, insgesamt für das Personal, zusammen diese Gerste (24) in Hunida¯ta, für das 22. Jahr, Verfügung des hh.ab-da-u[m-ma], (25) 60 als Saldo, 51 1⁄20 neuen Weines, insgesamt 111 1⁄20 Schnaps (26) wurde deponiert. (1) 40 (2)

106. 107. 108. 109. 110. 111.

Es wird das elamische Wort d.na-ap-pi benutzt. Kommt nur noch einmal vor, s. oben PF 1960:3. d.ir-da-na.pír-ru-ir-ti-isˇ, eine persische Gottheit, die sonst aber nicht bekannt ist. ElW, 517 s. v. h.KUR.bat-ti-na-sˇá, vielleicht mit der Bedeutung »Gegenstütze«. h.ú-nu-da-ad-da, Bezirk IV. Wahrscheinlich war es ursprünglich ein zusammengesetzter Name, etwa wie »Naryasanga ist groß« oder »möge schützen« usw. 112. S. ElW, 1253 s. v. h(?) ut-tar, vielleicht auch h.?ut-tar-qa-te.

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Texte aus Iran

Hinter dem Magier Gaupati (wörtlich »der Rinder-Wärter«) folgt ein Wort, das leider unvollkommen ist. Es könnte sich um einen weiteren Titel oder den Namen eines zweiten Priesters handeln. Es werden Zuteilungen für Götter ausgegeben, jeweils 10 Liter. Für die Götter ist das elamische Wort na-ap/na-ap-pi gebraucht. Welche Götter das waren, wird noch genauer einzeln aufgezählt. An erster Stelle kommt Naryasanga, der awestische Götterbote Nairyo.sanha, der aber im Material der Persepolis-Täfelchen nur noch ein weiteres Mal erscheint. 113) Auf diesem Täfelchen ist er aber noch einmal im Namen des Feuerschürers belegt (Z. 18). Vielleicht handelt es sich um eine lokale Vorliebe für die Verehrung dieses Gottes. Ebenfalls nur noch einmal 114) erscheint die anschließend aufgeführte Gottheit, die man vielleicht als Rdana-fravartisˇ lesen kann. Fravartisˇ bedeutet »der Erwählte« und ist bekannt als Name des Meders Phraortes. Der erste Teil könnte rta-, die »Rechte Ordnung«, sein. 115) Ähnlich verhält es sich bei dem nachfolgenden Berg Patina¯sˇa. Dieser hat hier als einziger Opfer-Empfänger kein Götterzeichen, aber bekannt ist ein gleicher medischer Männername. Den Abschluß machen die Visai Baga¯. Alle hier genannten Namen sind alt-persisch, gehören also in den iranischen Bereich. Auffällig ist, daß alle diese eher weniger bedeutenden Gottheiten, von den Visai Baga¯ abgesehen, die Gaben als Ration erhalten. Interessant ist, daß auch an Pferde Wein verfüttert werden (Z. 6/7). Gerste wird eingetauscht und Wein sowie Traubensaft und sogar Schnaps werden abgerechnet. Wiederum sind es drei Verantwortliche für die Abrechnung. Der Ort Hunida¯ta, in dem die Weinverwaltung gelegen ist, befindet sich süd-westlich von Persepolis. 116)

2.2.3 Ahuramazda (A)

NN 2200 (1) 10

(Artaben)

(2)

hat Rta¯hufrya 117), der Magier (und) Feuerschürer, erhalten. 3 als Ration für den Berg pa?-bat?-ti?-sˇá-na 118) [1? als Ra]tion für Ahuramazda, 1 für den Fluß Marrisˇ, 1? …für [….], 1 für Sp ntaragrdya 119) e

(3)

113. PF 1960, s. oben. 114. S. im folgenden Text NN 2200. 115. Man könnte etwa an rta¯na-fravartisˇ, »einen durch die Rechte Ordnung Erwählten«, denken; aber das würde man eher als einen Männernamen ansehen, während hier ein Dingir-Zeichen auf einen Gott weist. 116. Skizzen der Lage s. VW, 288 f. 117. ElW, 771 s. v. hh.ir-da-u-pír-ri-ya 118. Sehr schlecht zu lesen, vielleicht ist auch der Berg Patina¯sˇa (statt pa?-bat?-ti?-sˇá-na) gemeint (s. NN 2362:4). 119. ElW, 786 s. v. d.h.isˇ-ban-da-ra-kur-ti-isˇ, das vielleicht als medisch *spantaragrdya- Kapelle? zu deuten ist. – S. Razmjou, Des traces de la déesse Spanta Armaita à Persépolis. Et proposition pour une nouvelle lecture d’un logogramme èlamite, StIr 30 (2001) 7-15, schlägt eine Lesung »Sp nta A¯rmaiti« vor. Allerdings ist das Zeichen mat- bisher im ap. Elamischen anderweitig noch nicht belegt. e

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Heidemarie Koch

1 für Berg [xxx], rdana-fravartisˇ, 120) 1 für …d.[xxx], für ein ganzes Jahr.

(4) (5)

Weitere Aufstellungen bis Zeile 37 Der Magier Rta¯hufrya betont ausdrücklich, daß er auch den Titel »Feuerschürer« führen darf. Derselbe Mann ist bei einer Abrechnung über Mehl, Wein und Obst in Turqa/-an belegt (NN 2351), und dort wird er nur »Feuerschürer« genannt. 121) Wie bei den obigen Beispielen vorgeschlagen, wird das lan-Opfer für Ahuramazda bestimmt gewesen sein. Deshalb findet man auch niemals Ahuramazda und das lanOpfer auf derselben Tafel. Die Auswahl zweier Berge sowie eines Flusses ähnelt dem vorhergehenden Text (NN 2362). Schwieriger ist die Deutung des folgenden Wein-Empfängers, für den entweder eine heilige Kapelle (Sp ntaragrdya) vorgeschlagen worden ist oder die Sp nta A¯rmaiti, die »Heilige Andacht«. 122) Gegen diese spricht allerdings, daß sie stets als Ort gekennzeichnet ist; siehe den folgenden Ausschnitt von NN 2370. e

e

2.2.4 Kultstätten und la-an.ku-el

NN 2370 (1) [x]

(Gerste)

hat hh.bar-ru-isˇ-ti-qa, ein Magier, erhalten, für das Vorratslager 123) der Heiligen Kapelle (Sp ntaragrdya). erhielt Xsˇajrisˇ für 2 Pferde Abrechnung über Gerste Gerste in Parura¯da, 124) Verfügung des Xaraka 125), hh.pír-ru-ti-ik-qa 126), Feuerschürer, Patikrsˇa 127), Lagerverwalter. Insgesamt die Abrechnung des 18. Jahres, dann im 3. Monat des 19. Jahres wurde sie gemacht. Damals haben die Arbeiter ihre Ration nicht bekommen. Ende der Abrechnung e

(2) [440

Liter]

Z. 3-33 (34) (35) (36) (37) (38)

bis Z. 44

Laut dieser Abrechnung hatten die Arbeiter ihre Verpflegung nicht bekommen. Leider ist nirgends vermerkt, wann die fehlende Versorgung nachgeholt worden ist. Opfergaben wurden nicht nur für Gottheiten ausgegeben, sondern auch für ver120. S. NN 2362 mit Erklärung. 121. Turkan ist eine Festung in der Persis, wie PF 1973 belegt. 122. Sie hatte sich im Laufe der Zeit zu einer Gottheit entwickelt, die mit der Erde verbunden wurde (AirWb., 335-337). 123. ElW, 1270 s. v. za-an-na(?)-iz(?)-za; s. a. ElW, 1115 s. v. h.sˇá-an-sˇá. 124. ElW 158m s. v. h.bar-ru-rad-sa, in der Persis. 125. hh.kar- rák-qa, nur noch in PF 1952. und NN 0754. 126. ElW, 220 s. v. hh.pír-ru-ti-ik-qa. 127. ElW, 167 s. v. hh.ba- ti-kur-sˇá.

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Texte aus Iran

schiedene Anlagen, die für das allgemeine Überleben sehr wichtig waren. Dazu gehörten Wasser-Reservoirs und Vorratslager. Zu solchen Anlagen könnten auch eine Kapelle oder die folgenden Kult-Opferstätten gerechnet werden.

PF 772 72 Liter Wein, Verfügung des Ka¯rayauda, erhielten Skaujika (und) Vahuda¯ta, insgesamt 2 Magier. In 11(?) 128) Kult-Opferstätten 129) machten sie Trank-Opferspenden für das lan-Opfer. 21. Jahr.

NN 2243 [120 Liter] Wein, Verfügung des Farnaicˇa 130), Cˇijravanya namens, ein Magier, KultopferZelebrierer in Karinusˇ, für Opferspenden für das lan-Opfer hat er erhalten, vom 6. Monat bis zum 5. Monat, insgesamt für 12 Monate, 17. Jahr. Der Magier Cˇijravanya hat zusätzlich den Titel Kultopfer-Zelebrierer bekommen 131). So wie Magier zusätzlich den Titel »Feuerschürer« erhalten konnten, so war es möglich, die noch höhere Stufe des Kultopfer-Zelebrierers zu erreichen. Anscheinend mußten die Magier sich erst stufenweise emporarbeiten, um das lan-Opfer ausführen zu dürfen.

2.2.5 Ahuramazda (B)

Während die letzten Beispiele die Trank-Opferspende noch genauer ausführen, indem sie erklären, daß sie für das lan-Opfer bestimmt seien, geben andere direkt den Empfänger an, nämlich Ahuramazda:

NN 0683 30 Liter Bier hat Rtapa¯ta erhalten als Opferspende für Ahuramazda. 23. Jahr.

PF 771 40 Liter Bier erhielt Rtapa¯ta, als Opferspende für Ahuramazda hat er (sie) übergeben. 27. Jahr. Diese beiden sind die einzigen Beispiele, daß Ahuramazda allein namentlich genannt wird. Hinzu kommt das folgende (NN 0366), in dem eine weitere besondere Opferart vorkommt, baga-dauçya, eine Gottes-Opferspende.

128. 129. 130. 131.

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Wohl richtiger 12, da dann auf jedes Opfer 6 Liter fallen könnte. ElW, 803 s. v.la-an.ku-el. – Henkelman 2008, 261: »probably means »offering-prayer««. hh.bar-ni-iz-za, ist Verwalter der Weinvorräte in Tauka, im süd-östlichen Bezirk III, VW, 273. d.la-an.li-ri-ra, also einer, der das lan-Opfer ausführen darf.

Heidemarie Koch

NN 0366 400 (Liter) Gerste, Verfügung des Bagavı¯ra, hat Bagapa¯na erhalten, eine Gottes-Opferspende für Ahuramazda¯ als Gabe hat er gemacht. Dann haben die Arbeiter es verzehrt. 20. Jahr.

PF 0337 800 (Liter) Gerste, Verfügung des Bagavı¯ra 132), hat der Priester (sˇá-tan) Bagapa¯na erhalten für eine Gottes-Opferspende: 400 für Ahuramazda, 400 für Mizˇdusˇ¯ısˇ hat er gemacht. Dann haben es die Arbeiter verzehrt, 22. Jahr. Charakteristisch für diese Gottes-Opferspende ist der Vermerk, daß die Arbeiter die Gaben verzehrt haben. 133) Neben Ahuramazda treten nur noch Mizˇdusˇ¯ısˇ, eine altiranische Gottheit der Belohnung oder Schicksalsgöttin, und Qaigracˇisˇ, der 3. Monat, 134) auf. Derartige Täfelchen gibt es nur sechsmal, wobei dieselben Beamten genannt werden, und die Gottes-Opferspende scheint nur in dieser Gegend Sitte gewesen zu sein. In diesem Gebiet finden sich auch die meisten Belege für die Verehrung von Humban, dem für lange Zeiten bedeutendsten elamischen Gott. Derselbe Beamte Vı¯rayauda, der für Mizˇdusˇ¯ısˇ und den Monat Qaigracˇisˇ Gerste für eine Gottes-Opferspende ausgibt, 135) versorgt den Priester Pitaka mit Gerste für eine Gottes-Opferspende für Humban.

2.2.6 Opfer für Humban

PF 350 600 (Liter) Gerste, Verfügung des Vı¯rayauda, erhielt Pitaka, für Humban machte er es.

NN 0893 600 (Liter) Gerste, Verfügung des Vı¯rayauda, hat Pitaka erhalten, Gottes-Opferspende für Humban.

PF 349 600 (Liter) Gerste erhielt Pitaka, der Priester, 136) eine Gottes-Opferspende für Humban machte er, 23. Jahr. 132. Er ist für die Getreideverwaltung in Brdatkasˇ zuständig, das im nord-westlichen Bezirk V liegt (VW, 293 f.), der dann nach Westen in das elamische Gebiet übergeht. Dort werden auch die Priester mit dem elam. sˇá-tin/tan benannt; s. a. PF 340. 133. Entsprechend sind NN 0679 mit 530 Litern Gerste und – ganz gleich – NN 1679, bei dem am Ende noch vermerkt ist: »120 Arbeiter«. 134. d.sa-a-kur-zí-isˇ , Monat der »Knoblauschlese«, Borger / Hinz, TUAT I, 421. 135. NN 0613. 136. Nur hier mit einem Titel, sˇá-tan, versehen.

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Texte aus Iran

Anhand dieser drei Beispiele, die sich zufällig erhalten haben, kann man sehen, wie schwierig es ist, allein aufgrund der Täfelchen Aussagen zu machen. PF 350 nennt den Verfügungsbeamten und den Namen des Empfängers. NN 0893 ist entsprechend, erwähnt aber, daß damit eine Gottes-Opferspende gemacht wurde. Und PF 349 verrät nicht, wer die Gerste geliefert hat, bezeichnet aber den Empfänger als Priester und gibt auch das Datum an. Vielleicht haben verschiedene Schreiber die Notizen gemacht, die jeweils andere Berichte für notwendig hielten. Bei all diesen Täfelchen ist aber nie erwähnt, daß die Arbeiter die Gerste verzehrt hätten, wie es bei Ahuramazda und Mizˇdusˇ¯ısˇ der Fall ist. Vom 18. bis zum 23. Jahr ist Ibaqra, der Verwalter für Wein in Tasˇpak, in der Elymais tätig, insgesamt neun Mal belegt. 137) Immer ist der Wein für Humban bestimmt, die Mengen variieren.

NN 0153 360 Liter Wein, Verfügung des Ibajra, hat ein Priester namens Kullili 138) erhalten, Humban hat er sie gegeben, 4 Weinkellern hat er sie jeweils übergeben. 21. Jahr. Das bedeutet, daß jeweils 90 Liter an einen Weinkeller geliefert wurden. Gern wüßte man, was damit genau gemacht wurde. Es scheint sich hierbei um eine ähnliche Sitte zu handeln wie oben bei der Heiligen Kapelle (NN 2200) oder den Kult-Opferstätten (NN 2370). Hinzu kommen dann noch die als kusˇukum genannten Anlagen (s. unten 2.2.7).

NN 0339 [6] 139) Krüge Wein, Verfügung des Ibajra, Ki-ti-ik(?)-qa hat ihn erhalten für Humban, hier gab er ihn weiter für den Fluß Be-(ti?)-ir. 23. Jahr. Offenbar war es möglich, daß man die Bestimmung von Opfern auf andere Empfänger überführte. Während sich etliche Beispiele von der alleinigen Verehrung von Humban finden, sind andere verbunden mit Ahuramazda oder auch weiteren iranischen Göttern.

NN 2372 180 (Liter) hat Umbaba, der Priester er[halten.] 60 als Ration für d.[xxx], Humban, 60 für das lan-Opfer, [xx] Jahr.

(2) 60

für

Z. 3-38: Es folgen lange Listen mit Rationen für Frauen und Einkünfte und Ausgaben an Gerste. 137. Auf PF 0343/4, 2029, 2090, und NN 0251 werden Jufra übergeben, der aber niemals einen Titel hat. 138. hh.ku-ul-li-li , elam., wohl mit der Bedeutung »Dickerchen«. 139. Von Ch. E. Jones / M. W. Stolper eingefügt.

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Heidemarie Koch

für Niksˇama, 140) Verfügung der Rtamiça und Rtafarnah, Pa¯pa, Feuerschürer, Hupa¯fta 141), der Lagerverwalter, insgesamt ist es die Abrechnung des 18. Jahres.

(39-42) Gerste

– es geht dann bis Zeile 50, zunehmend lückenhaft. Der Name des Priesters, Umbaba, ist eine elamische Koseform des Namens Humban. Aber sein Name und der des Gottes werden verschieden geschrieben, hh.um-b[a]-b[a und d.hu[-b]a[n. Man wollte also beide ganz bewußt unterscheiden. Hier stehen also Humban und das lan-Opfer nebeneinander. Die dritte Gottheit, die sogar am Anfang der Aufzählung steht, ist leider nicht mehr zu erkennen. Auf PF 1956 ist derselbe Priester Umbaba zu finden. Dort wird aber Humban gar nicht erwähnt, sondern eine Reihe von iranischen Gottheiten:

PF 1956 50 (Liter) 142) Gerste hat der Priester Umbaba erhalten: 10 für das lan-Opfer, 10 für Drva, 143) 10 für Hvarira, 10 für die Erde (h.KI.lg,), 10 für die Visai Baga¯. Zeile 3-25 betreffen Ausgaben für Arbeiter, Einnahmen und Ausgaben von Gerste. in Raznavatı¯sˇ, Verfügung des Ba¯mya, 144) Paritaka, Feuerschürer, Bagapa¯na, Lagerverwalter. (25-27) Gerste

Z. 27-42: weitere Abrechnungen über Gerste. Drva ist der alte medische Gott Zurvan, der Gott der unendlichen Zeit. Im späteren Awesta wird er zum Vater von Ahuramazda und Ahriman, also dem besten und dem verwerflichsten Geist. 145) Hvarira ist der Genius des Sonnenaufgangs. 146) Es sind recht selten auftretende Gottheiten, für die Umbaba sorgt. Die genannten Orte, Upakaufya und Raznavatı¯sˇ, lassen sich im Bezirk IV, süd-westlich vor Persepolis, einordnen. Auch hier wird wieder die Abrechnung unter Teilnahme eines Feuerschürers gemacht. Immer werden dabei nur Feuerschürer mit ihrem Titel eingesetzt und keine anderen Priester, auch wenn sie in demselben Text als Empfänger von Opfergaben auftreten.

140. h.nu-ik-sˇá-ma (Bezirk IV, auch in PF 1906, 2084. VW, 18). 141. hh.uk-ba-ip-da (nur hier). 142. Die Angabe von Hallock, daß es sich um Artaben handele, ist nicht zutreffend. Es sollen 50 Liter sein, und jede der genannten Gottheiten soll davon 10 Liter erhalten. 143. ElW 368 s.c. d-tur-me bzw. d.tur-ma. 144. hh.ba-mi-ya; in Zeile 38 wird er als hh.an-man-tasˇ bezeichnet. Dort (ElW, 59) als »Stallmeister« übersetzt, ist aber wohl eher als »Pächter« zu übersetzen. 145. RelVerh., 85 f. 146. ElW, 881 s. v. d.ma-ri-rásˇ.

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Texte aus Iran

PF 773 5 Krüge Wein, Verfügung des Umbaba von Kundrusˇ, 147) hat Naryasanga, der Framazda 148) erhalten. 3 für Hvarira, 2 für das lan-Opfer. Vermutlich ist es derselbe Umbaba, der noch einmal im Zusammenhang mit Hvarira begegnet. Hier verfügt er aber über den Wein, den ein Framazda (Vorsänger) Naryasanga 149) für Hvarira und das lan-Opfer bekommt.

2.2.7 Kusˇukum

NN 2544 Cˇinaicˇa 150) sprich, (2) Mazdaicˇa 151) läßt sagen: Dein Heil (3) möge durch die Götter und den König bewirkt werden! (4) Gerste des Königs ist im kusˇukum als Rest deponiert worden. Dann gab es hier 152) kein Kleinvieh des Königs. Deswegen habe ich Kleinvieh von denen, die bei hh.a-du-uk-qa sind, vorläufig erbeten. Dann ist Kleinvieh des Königs angekommen, das er angefordert hatte. hh.a-du-uk-qa »das gab ich«, so sagte er. 153) Nun wenn auch du 154) es wünschst, hh.a-du-uk-qa, selbigem soll es nicht verloren gehen. (1) Zu

Es zeigt sich hier deutlich, daß es sich bei ku-sˇu-kum um einen Ort handelt, in dem Gerste aufbewahrt worden ist, vergleichbar den Wasser-Reservoirs, Weinkellern oder Vorratslagern (huthut). In diesem Beispiel handelt es sich um einen nicht-religiösen Vorgang. Doch werden alle diese Vorratslager mit Opfern versehen, wohl, um von den Göttern zu erreichen, daß sie immer voll sein werden.

147. h.ku-un-hturi-ru-isˇ, s. VW, 116 f. 148. pír-ra-ma-iz-da, »outstandig memorizer«, viell. »hervorragender Erinnerer« oder »Vorsänger«, s. oben NN 2040. 149. Name des Götterboten, s. schon oben NN 2362. Hier Name eines Beamten. 150. v.zí-ni-iz-za, derselbe Mann wie hh.zi-ni-ni, deshalb wird es ein elam. Name sein, s. ElW, 1301. 151. v.maz-te-iz-za. 152. ma-ad-da, Henkelman 2008, 545, übersetzt dieses Wort als »pregnant«. Die Bedeutung von ma-ad-da als »hier« wird aber bestätigt in XPb 3:14. 153. Offenbar weist A-du-uk-qa darauf, daß es sich um seinen Besitz handelt, den er gern zurückerhalten möchte. 154. Wohl hh.nu da, ElW, 1004.

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2.2.8 Fest der Anbetung/Verehrung (d.sˇip)

NN 2259 155) (1) 14

(Stück Kleinvieh) mit einer gesiegelten Urkunde des Farnaka, sind bei einem Verehrungs-Fest (sˇip) 156) verzehrt worden. [du-…] (2) Selbiger hat das sˇip gemacht, Pasargadae, Monat […]. (3) 6 mit einer gesiegelten Urkunde desselben, hat Ahurika¯ma 157) erhalten als Opferspende für die Götter 158): (4) 2 für den göttlichen Berg Sˇaki, 2 für den göttlichen Berg Axsˇaina 159), 2 für den Fluß Hubaudisˇ. 160) (5) 118 mit einer gesiegelten Urkunde des Farnaka, erhielt Uk-sˇi-in-qa? für eine Opferspende (6) für das lan-Opfer, 6 lan-Opfer waren in An-da-ba-isˇ zu zelebrieren, Monat [xxx] (7) 30 mit einer gesiegelten Urkunde des Farnaka, hat Xajraza¯ta erhalten für eine Opferspende (8) für das lan-Opfer, Pasargadae, in der Domäne 161) war es zu zelebrieren, für 12? Monate. (9) 2 mit einer gesiegelten Urkunde des Farnaka, erhielt Bad-dusˇá?-ak-qa für eine Opferspende (10) für d.Mi-na-um, 162) für den Weinkeller, 4. Monat. (11) 2 mit einer gesiegelten Urkunde des Farnaka, hat Pajva¯na erhalten für eine Opferspende (12) für den (göttlichen) Qaigracˇisˇ 163) und das Wasser-Reservoir. (13) 12 mit einer gesiegelten Urkunde des Farnaka, hat Na-pu-ukqa 164) erhalten für eine Opferspende (14) für den (göttlichen) Xa¯rapasˇiya165) in 11 (Korn)-Speichern. (15) 16 mit einer gesiegelten Urkunde des Farnaka, hat Saki erhalten als Opferspende 155. Henkelman 2008, 385-415 mit Abb. der Tafel; hinzu kommt 415-426 eine Auseinandersetzung mit früheren Äußerungen der Verf.: In der Tat war ein Teil verloren gegangen (H. Koch, Götter und ihre Verehrung im achämenidischen Persien, ZA 77 (1987), 270 Anm. 209), so daß es gleich mit Abisˇta¯fta weitergeht. Hier folgen die jetzigen Überlegungen der Verf. 156. Statt Verehrungs-Fest wird hier einfach sˇip benutzt, da es klarer und kürzer ist. 157. [U-]ri-qa-ma; ein Mann dieses Namens kommt in PF 2011 vor. Es handelt sich dort um eine Liste von Kleinvieh, das entnommen worden, in Abgang gestellt worden ist (ElW, 898 s. v. másˇ-zí-qa). 158. *dauçyam na-ap-pi-[na]. 159. ak-sˇe-na = Türkis. 160. ú-b[u?-ti?-isˇ?], also größtenteils rekonstruiert, aber ein Fluß dieses Namens begegnet in PF 339. 161. Koch, Steuer, 119 Anm. 73: »offenbar speziell königliche Vorratslager«; ElW, 160. 162. Vielleicht *vinam – eine Art Bacchus?, ElW, 932. 163. d.sa-a-kur-ra-ir-ra-zí-isˇ = 3. Monat. 164. Nicht weiter bekannt; vielleicht ist hh.na-pa-ak-qa (ElW, 984) derselbe Name, läßt sich aber auch nicht näher bestimmen. 165. d.qa-ir-ba-sˇi-ya = 6. Monat, »des Dornenbündelns«, s. Borger-Hinz, TUAT 1, 421.

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Texte aus Iran (16) (17) 4 (18) (19) 144 (20) (21) 36 (22) (23) 15 (24) (25) 12 (26) (27) 10 (28) (29) insg. (30)

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für das ku-sˇu-kúm 166) in 16 (Korn-)Speichern. mit einer gesiegelten Urkunde des Farnaka, hat der Priester Saka erhalten 167) als Opferspende für die Götter 168), 3. Monat. mit einer gesiegelten Urkunde des Farnaka, haben hh.ku-sa und (seine?) Frau f.ú-tur 169) erhalten, ra?-x-(xxx) GISˇ ? ba -sˇu?-ur? ha gi-ra-isˇ?-da?»für 11 Monate«. 170) hat Farnaka in Rationen erhalten in 18 Tagen im 6. und 7. Monat. hat Cˇiçavahusˇ erhalten in Rationen in 10 Tagen im 3. Monat. hat Nu-du-ma-tam5 erhalten für pu-ma-zí-isˇ für die Götter als Farnaka sˇip machte im 8. Monat. hat Bagiya 171) als Ration erhalten in 5 Tagen. Von Kerman ging er zum König, 3. Monat. Kleinvieh wurde verzehrt im 20. Jahr. Verfügung des Aspayauda, Ahurika¯ma unterstellt, im 20. Jahr.

Es handelt sich um eine Auflistung von für den Verzehr ausgegebenen Schafen oder Ziegen. Offenbar waren diese Ausgaben nicht als regelmäßig feststehende Rationen in der Verwaltung verbucht, sondern mußten extra angewiesen werden. Derartige Sonder-Ausgaben konnten nur von hochgestellten Personen angewiesen werden. So tritt auf dieser Tafel vor allem der Name von Farnaka auf, dem für lange Zeit höchstrangigen Beamten. Er ist in seiner Stellung einem Satrapen zu vergleichen.172) Auf Veranlassung von Farnaka waren 14 Stück Kleinvieh geliefert worden, die dann bei einem d.sˇip verzehrt worden waren. Das ˇsip, ein elamisches Wort, 173) bedeutet »Verehrung, Anbetung«. Sehr eindrücklich ist das in der sog. Daiva-Inschrift des Xerxes gesagt, 174) wo es in der elamischen Version XPh 4d:41 heißt: »Ich machte für Ahuramazda ˇsip«; alt-persisch heißt es: »Ich verehrte Ahuramazda«, oder 4b:32: »für Götzen darf kein sˇip gemacht werden«, also alt-persisch: »Götzen dürfen nicht verehrt werden!« 166. Es kann sowohl die Opferhandlung wie auch den Ort, an dem diese stattfindet, bezeichnen, s. ElW, 543. S. a. oben NN 2544. 167. sˇá-ak-qa, es kann sowohl ein Name als auch einfach das Ethnikon »Skythe« sein. 168. Elam. d.na-ap-pi-na. 169. Beide Namen sind sonst nicht bekannt 170. Die Übersetzung ist nicht sicher. Henkelman schlägt vor: »(on) an (offering) table they therewith have made (a) dedication(s)? during 11(recte 12) months«, die Verbesserung »für 12 Monate« findet sich schon in ElW, 480 s. v. gi-ra-isˇ-da. 171. Es muß sich hier um einen hochgestellten Mann handeln. Das zeigt schon seine Ration von 2 Stück Kleinvieh pro Tag. Dies muß aber nicht unbedingt für ihn allein bestimmt gewesen sein, denn auf PF 823 erhält er 2 Stück Kleinvieh, (zusammen?) mit Isˇ-ti-in, der sonst nicht bekannt ist. Und beide reisen zusammen mit einer Fürstin, die allerdings nicht mit Namen benannt ist. S. a. VW, 208 Anm. 855 und ElW, 792 s. v. hh.isˇ-ti-in. 172. S. a. die Aufstellung der Hofkanzlei, VW, 229-234. 173. Alt-elam. sˇu-up, ElW, 1192. 174. S. Koch in TUAT.NF 4, 2008, 390 f.

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Heidemarie Koch

Dieses Verehrungs-Fest wurde immer zu einem bestimmten Termin durchgeführt, zwischen dem 8. und 9. iranischen Monat, d. h. zwischen dem jetzigen 7. und 17. November. 175) Auf dieser Tafel ist das genaue Datum leider nicht mehr zu lesen, doch gibt eine andere Auskunft, die von einem ebensolchen Fest in Abisˇta¯fta im 9. Monat dieses berichtet:

NN 2225 2 (?) Pfauen, lebend, Verfügung des Rsˇaina, als Farnaka sˇip in Abisˇta¯fta machte. Damals sind sie gegessen worden. 9. Monat, 20. Jahr, Savanta schrieb den Entwurf, von Nitanya hat er ihn erhalten. 176) Nur in den beiden Orten Pasargadae sowie Abisˇta¯fta und immer zur selben Zeit wurden diese »Verehrungs-Feste« ausgeführt. Außerdem fällt auf, daß ausdrücklich erwähnt wird, daß die Arbeiter anschließend die genannten Zutaten verzehrt haben. Auf der großen Tafel NN 2259 werden auch noch weitere Opferspenden genannt, die aber von dem Betrachteten unabhängig sind: Z. 3-4: Die Opferspende (*dauçyam) für die Götter, die ebenfalls von Farnaka angewiesen worden ist, erhält Ahurika¯ma. Am Ende aller Aufzählungen begegnet er wieder, und zwar als Zuständiger für alle Kleinvieh-Ausgaben, die auf der Tafel notiert sind. Bei seinem eigenen Opfer werden die Götter im Einzelnen aufgeführt: der Berggott Sˇaki, der Berggott Axsˇaina und der Fluß Hubaudisˇ. Z. 5-6: Getrennt wird die Opferspende für das lan-Opfer genannt. Es ist hier einmalig, daß für dieses Opfer Kleinvieh zur Verfügung gestellt wird, und sogar die große Menge von 118 Stück. Diese sollen aufgeteilt werden auf 6 lan-Opfer, jeweils also etwa 20 Stück. 177) Der Ort An-da-ba-isˇ ist sonst nicht bekannt. Auch Z. 7-8 spricht von einer Opferspende für das lan-Opfer, dort sind es 30 Stück Kleinvieh für 12 Monate, also 2,5 pro Monat. Im Gegensatz von den vorher genau einzeln aufgezählten Göttern wird das lan-Opfer niemals genauer erklärt. Weiter werden Weinkeller (Z. 9-10) und vergöttlichte Monate, der 3. Monat Qaigracˇisˇ, 178) der Monat der Knoblauchlese, und das Wasser-Reservoir (Z. 11/12), sowie der 6. Monat Xa¯rapasˇiya, der Monat des Dornenbündelns, in 11 (Korn)-Speichern (ba-lu-um) (Z. 13/14) genannt. Wenn man einen Beleg wie den vorliegenden betrachtet, fällt auf, daß die verschiedenen Opferarten häufig auch an besondere Orte gebunden sind, wie zum Beispiel Weinkeller, Wasser-Reservoirs, (Korn)-Speicher oder auch ku-sˇu-kúm genannten. Letzterer hat wohl seinen Namen von einem besonderen Schlachtopfer (Z. 15/16), das auf das alt-elamische gusˇum zurückgeht. 179) Das Opfer soll auf 16 (Korn-)Speichern verteilt werden. Allerdings gehört in achämenidischer Zeit zu einem derartigen Opfer auch noch Gerste und Wein.

175. 176. 177. 178. 179.

Ausführlicher Koch, AchStud., 88 f. S. a. TUAT.NF 1: PF 672. Rechnerisch 19,7 Stück. Borger / Hinz, TUAT I, 421 ElW, 543. Ausführlicher: Koch, RelVerh., 120-123.

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Texte aus Iran

Z. 17/18: Der Priester Saka erhielt im 3. Monat 4 Stück Kleinvieh für die Götter – ohne genauere Angaben. Z. 19/20: Die ungewöhnlich große Menge von 144 Kleinvieh erhielten hh.ku-sa und (seine?) Frau f.ú-tur in 11 (richtig wäre 12) Monaten. Beide sind sonst nicht bekannt. 180) Bis hierher handelt es sich um Opfergaben, und diese sind alle von Farnaka angeordnet worden. Bei den folgenden fehlt jeder Hinweis auf einen Zuständigen. Das wird vermutlich bei den hohen Beamten nicht nötig gewesen sein. Sie waren allgemein bekannt. Zunächst folgen persönliche Zuteilungen für Farnaka selbst, der in 18 Tagen im 6. und 7. Monat 36 Stück Kleinvieh erhalten hat, also pro Tag 2 (Z. 21/22). Sein Stellvertreter Cˇiçavahusˇ bekam in 10 Tagen 15 Stück, was 1,5 pro Tag ergeben würde (Z. 23/24). Z. 25/26 erinnert noch einmal an den Haupt-Inhalt dieser Tafel, nämlich »als Farnaka sˇip machte«, und zwar im 8. Monat. Es werden noch einmal 12 Stück Kleinvieh hinzugefügt für ein pu-ma-zí-isˇ für die Götter. Es scheint eine weitere Opferart zu sein, die aber bisher nicht bekannt ist. Der offenbar sehr vornehme Reisende Bagaya (Z. 27/28) 181) hat in 5 Tagen 10 Stück als Ration erhalten. Von Kerman ging er zum König, im 3. Monat. Abschließend (Z. 29/30) werden insgesamt 420 Stück Kleinvieh genannt, die verzehrt worden sind, unter Verfügung des Aspayauda. Einer mit diesem Namen wird zweimal als Feuerschürer in Tacˇaraka erwähnt. 182) Ahurika¯ma, dem alles unterstellt ist, wurde schon oben erwähnt (Z. 6). Wie soll man sich ein solches Opfer vorstellen? Für die von Zarathustra begründete Religion war es sehr wichtig, daß die Elemente völlig rein blieben. Das galt im Besonderen für das Feuer. Es war also unmöglich, daß ein Tier auf dem Altar verbrannt worden wäre. Selbst Teile, wie die Innereien, auf einem Altar zu opfern, wäre undenkbar. Auch die Reliefs der Achämeniden-Könige zeigen nur das reine, gleichmäßig brennende Feuer auf dem Altar. 183) Wenn jetzt hier so viele Tiere im Zusammenhang mit den verschiedenen Opfern genannt werden, kann das doch wohl nur heißen, daß die Tiere im Rahmen dieses Festes aufgegessen sind, und das wird auch gesagt: »und dann verzehrten es die Arbeiter«. Vergleichbar sind auch die baga¯-dauça, die für Ahuramazda und Mizˇdusˇisˇ veranstaltet wurden. Auch dort wird betont, daß die Arbeiter die Gaben verzehrt haben. 184) Es handelt sich also um eine Sonderzuteilung für Arbeiter.

180. Ausführliche Überlegungen zu lan bei Henkelman 2008, 402-406; viele Fragen bleiben aber noch offen. 181. Es muß sich hier um einen hochgestellten Mann handeln. Das zeigt schon seine Ration von 2 Stück Kleinvieh pro Tag. Dies muß aber nicht unbedingt für ihn allein bestimmt gewesen sein, denn auf PF 823 erhält er 2 Stück Kleinvieh, (zusammen?) mit Isˇ-ti-in, der sonst nicht bekannt ist. Und beide reisen zusammen mit einer Fürstin, die allerdings nicht mit Namen benannt ist. S. a. VW, 208 Anm. 855 und ElW, 792 s. v. hh.isˇ-ti-in. 182. VW, 124 f. und 281. 183. Durchführung der Opfer: Koch, RelVerh., 141-153. 184. Z. B. NN 0366.

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Auch in anderen Zusammenhängen werden auf diese Art große Mengen an Arbeitern oder ähnlichen Angestellten versorgt:

NN 1665 Zu Aryaina, dem Herdenmeister, 185) sprich, Farnaka läßt sagen: 21 (Stück) Kleinvieh und 2 Portionen dazu, 186) einem namens Vahubara, 187) lin-Macher, und seinen Gefährten, welche Maultiere des Königs in Tigranusˇ zu füttern haben, 212 Männern, diesen gib es ihnen, für 10 und jeweils 10 Männern ist ein Kleinvieh vorhanden. 7. Monat des 19. Jahres. Diese gesiegelte Urkunde ist übergeben worden, Karkisˇ hat sie geschrieben, den Entwurf hat er von Nanâ-iddin erhalten, nachdem in Pasargadae das Verehrungs-Fest (sˇip) gemacht worden ist. Wer sind die lin-Macher? Im ElW ist erwogen, daß es Kanalgräber sein könnten, wofür sich aber keine weiteren Anhaltspunkte ergeben haben. 188) Man fragt sich auch, warum derartige Leute Maultiere des Königs versorgen sollten. Auf anderen Täfelchen sind Tausende solcher Männer unterwegs, die auch als tasˇ-sˇu-íp bezeichnet werden. So werden »Leute«, das »Volk« aber auch das »Heer« und »Truppen« benannt. 189) Vermutlich haben wir es hier also mit Soldaten zu tun, die davon profitieren, daß sie im Rahmen des Verehrungs-Festes mit Fleisch versorgt werden. Am Ende der Tafel ist noch angefügt: »nachdem in Pasargadae ein Verehrungs-Fest gemacht worden ist«. Dieses scheint mir eine Bestätigung dafür zu sein, daß diese Ausgaben an Kleinvieh nur aufgrund von besonderen Anweisungen von höchster Stelle im Zusammenhang des Verehrungs-Festes vorgenommen wurden. Eine solche Möglichkeit hat Henkelman für so abwegig gehalten, daß er sie lustig mit einem »Christmas turkey« vergleicht. 190) Doch ist diese Überlegung gar nicht so abwegig. Steckt nicht hinter dem »Christmas turkey« im Grunde auch ein Verehrungs-Fest? Und gehen nicht auch heute noch viele Menschen zu Weihnachten zuerst in die Kirche und danach zum Festtags-Braten?

185. qa-a-sa-bat-ti-isˇ »Vieh-Chef«, ElW, 409. 186. ElW, 942 s. v. mi-ut, eine Portion ist in der Regel 1⁄10 eines Tieres; ElW, 189 s. v. be-ut-qa-um – »Nachtrag?«; in diesem Fall ist wohl eine Übersetzung »dazu« gemeint. 187. ElW, s. v. ma-u-pír-ri?-ra. 188. W. Henkelman, Parnakha’s Feast: sˇip in Pa¯rsa aand Elam, in: J. Álvarez-Mon / M. B. Garrison (Hg.), Elam and Persia, Winona Lake 2011, 110-120, z. B. 117: Recht phantasievoll ist die Schilderung einer Sitzordnung bei einem sˇip geschildert, wo er sich fragt, ob Farnaka das sˇip im sog. Heiligen Bezirk in Pasargadae gefeiert habe. – Das ginge aber wohl kaum, da sich dort nicht zahlreiche Leute in konzentrischen Kreisen um die beiden Steinsockel herum niederlassen könnten. Die Sockel stehen in der Nähe eines Wasserlaufes. 189. Eine Zusammenstellung der Belege zu diesen Soldaten s. in: Koch, AchStud., 18-20. 190. Henkelman 2008, 416.

505

3. Ausbildung und Schreiber Bereits oben in der Einleitung wurden die Verdienste der Elamer für die Entwicklung der Schrift und der Verwaltung hervorgehoben. Über Jahrtausende waren die Elamer die Herren im Lande, erst im 1. Jt. v. Chr. änderte sich das, als die Perser immer weiter vordrangen. Geschwächt durch die ständigen Einfälle der Nachbarn aus den mesopotamischen Gebieten und dem Norden unterlagen die Elamer, während die Iraner vordrangen. So änderten sich die Macht-Verhältnisse. Aber erst König Dareios d. Gr. (522-486 v. Chr.) erkannte in vollem Umfang die Bedeutung und Notwendigkeit der Verwaltung. 1) Mit der Hilfe der Elamer wurde eine solche aufgebaut und auch eine eigene Schrift erfunden. Bei der Betrachtung des Personals in der Hofkanzlei fällt auf, daß dort unter denjenigen, die Aufträge (dume) ausgaben, eine ganze Reihe an Babyloniern war, und auch ein Mann, dessen Name »Ionier« war. Ansonsten waren die meisten der Schreiber – ihrem Namen nach – Perser. Es waren also Perser, die bis in die Zeit des Xerxes ihre Verwaltung in Elamisch schreiben mußten. Sogar im gesamten persischen Großreich, wie in Armavir Blur im Norden 2) und bis Qandahar im Osten, mußten die Beamten Elamisch lernen. Gegen Mitte des 5. Jhs. wurde dann die gesamte Verwaltung auf Aramäisch umgestellt, was sehr viel einfacher zu handhaben war. Dieses wurde aber nicht mehr auf Tafeln geschrieben, sondern auf Pergament, wie es auch mitunter auf den Täfelchen erwähnt wird. Dieses hatte aber den Nachteil, daß es ein sehr viel anfälligeres Material war, so daß nur Weniges die Jahrhunderte überdauern konnte. Es gibt sehr unterschiedliche Notizen und Belege. Allein die Formen und Größen variieren stark. So gibt es äußerst kurze Vermerke und andererseits sehr große Täfelchen, die von allen Seiten beschrieben worden sind. Beispiel für eine kurze Notiz:

NN 0746 Dieses Tontäfelchen für Früchte in Vantagrda 23. Jahr, Verfügung des Hida¯tiya. Hier fehlt zum Beispiel die Menge der Früchte und ihre Verwendung. Wurden sie abgeliefert zur Aufbewahrung oder waren sie ausgegeben worden? Es kann sich wohl nur um einen kurzen Anhang handeln, also eine Beschriftung, die an ausführlicheren Täfelchen angebunden war. Teilweise sieht man noch Löcher für Bänder, die sich im Laufe der Zeit aufgelöst haben. Vermutlich waren ursprünglich zusammengehörende Täfelchen in einem Korb aufbewahrt.

1. 2.

506

Zum Aufbau der Verwaltung: Koch, Verwaltung und Wirtschaft, hier Sigel VW; zur Hofkanzlei s. 217-234, mit einer Skizze der Beamten auf S. 234 (soweit die Täfelchen bisher publiziert sind). – TUAT.NF 1, 231-234. H. Koch, Elamisches Gilgamesch-Epos oder doch Verwaltungstäfelchen? Zu den Neufunden von Armavir-blur, ZA 83 (1993) 219-236.

Heidemarie Koch

Das folgende Beispiel ist schon umfassender in seinen Aussagen, wenn es auch kurze und knappe Gegebenheiten liefert.

PF 1999 (1) 2000

(Liter Wein) des 15. Jahres desselben des 16. Jahres (3) 210 desselben des 17. Jahres (4) insgesamt 2410 Wein, den Zehnten einbegriffen (5) 241 (sind) das Zehnte seiner Sondersteuer 3) (6) 2169 Liter Wein sind übrig geblieben und hier verbucht worden (7) 2880 (Liter) dasselbe, gesiegelte Urkunde des Zí-ni-ni. (8) 1985 dasselbe wurde von woanders hergebracht, nicht (9) von hh(?).na(?)ak-an-qa, (sondern) gebracht von dem Dorf (10) h(?).mi(?)-iz-zí-ya-an. 4) (11) [Insgesamt] 7034 sind vorhanden (12) 2786 sind ausgeschenkt worden (13) 4194 wurden entnommen. (14) 54 Wein in Vantagrda, Verfü¯ parusˇa, Rtafra¯da, Feuerschürer, (15) gung des A (16) Vibanda, Lagerverwalter, darunter (17) 960, (die) Gaukava, Vantagrda (und) Vi(18) banda entnommen haben. (2) 200

Hier sind also ganz knapp die Gesamtergebnisse von drei Jahren erfaßt. Sogar der Zehnte, der wohl auf alle Naturalien bezahlt werden mußte, und eine Sondersteuer, über die wir bisher nichts Näheres wissen, wurden erwähnt. Auf den schon oben betrachteten letzten Satz des Paragraphen über die Schrift (DB § 70:10), in dem steht: »die Leute erlernten sie«, finden sich auch in den Verwaltungstexten aus Persepolis Hinweise. 5)

PF 871 1110 Liter 6) Gerste, Verfügung des Sa¯ragauzya, haben Perser-Buben, Schrift-Erlernende, Rations-Empfänger in Pitana, Çutayauda unterstellt, als Rationen erhalten. 1. Monat des 23. Jahres. Für 16 Burschen 45 Liter, für 13 Jungen 30, insgesamt 29 Arbeiter.

3. 4. 5. 6.

Es handelt sich dabei um einen Abzug, der zu bestimmten Zwecken abgeführt werden mußte. Wofür dieser verwendet wurde, ist nicht gesichert. Er betrug 1⁄30 bei Gerste und 1⁄10 bei Wein, s. Koch, Steuern, 125-127; ElW. 20 s. v. ab-ba-qa-na-isˇ. Bezirk IV, süd-westlich von Persepolis. ElW, 1064 s. v. sa-pi-isˇ. Noch einmal zur Erinnerung, entsprechend wie oben: 1 BÀN = 10 QA = 9,7 l. Zur Erleichterung wird auch hier aufgerundet, also 1 QA = 1 Liter und 1 BÀN = 10 Liter.

507

Texte aus Iran

PF 1137 8,5 Liter Sauerwein, Verfügung des Sa¯ragauzya, haben Perser-Buben, Schrift-Erlernende, Rations-Empfänger in Pitana, Çutayauda unterstellt, als Unterstützung erhalten, 9. Monat, 23. Jahr. Für 1 Mann 1 Liter, 15 Männern stehen je 1⁄20 zu. Diese beiden Täfelchen sind im Ort Pitana ausgestellt, der süd-östlich von Persepolis liegt. Für die Ausgabe sowohl der Gerste wie auch des zusätzlichen Sauerweines ist Sa¯ragauzya zuständig. Die Anweisung dazu kommt aber von Çutayauda. Er ist durch viele Belege bekannt, so daß er vom 20. bis zum 25. Jahr (502-497 v. Chr.) als Hofschatzwart in Persepolis zu erkennen ist. 7) Es war also der oberste Beamte aller Schatzwarte, der die Ausgaben für diese Jungen angeordnet hatte. 8) Sie sind in zwei Kategorien unterteilt: 13 erhalten nur die übliche Grundration von 1 Liter Gerste pro Tag; 16 von ihnen bekommen 1,5 Liter. Letztere müssen also schon erfahrener sein, während diejenigen mit dem Grundgehalt wohl noch auf einer unteren Stufe stehen. Bei dem Sauerwein handelt es sich um eine zusätzliche Bezahlung. 9) Ein drittes Täfelchen kann sich anschließen und ist besonders lebensnah:

NN 0614 Sprich zu Magava¯, Aryaina läßt sagen: Ersatz wurde abgegeben gemäß dieser gesiegelten Urkunde als ihre zustehende Ration. Hipirpir und seinem Beigeordneten, händige sie ihnen aus. Die Arbeiter lernten eifrig(?), wie es befohlen worden war – so. Offensichtlich wird hier noch einmal betont, daß eifrig gelernt wurde, »wie es befohlen worden war«, und das »so« ist wie ein Ausrufezeichen ans Ende gestellt. Die folgende umfangreiche Tontafel ist leider an der einen Seite beschädigt, so daß viele der Liter-Angaben nicht mehr zu erkennen sind. Aber dennoch erhält man einen guten Eindruck davon, wie die Buchführung vorgenommen wurde.

NN 2493 (1) [xx] (2)

(3)

7. 8. 9. 10.

508

eine gesiegelte Urkunde des [xxx-]da ist ausgehändigt worden, an einen Feuerschürer namens Dahyuvraija, (in) Xva¯daicˇaya. xxx, der 3. und der 6. Monat, der frühere, der 6. Monat, der nachträgliche, 10) der 7. Monat, der 8. Monat, der 10. Monat. Insgesamt in 6 Monaten, 19. Jahr Monat [xx].

VW, 235-237. Anschließen lassen sich auch noch Fort. 5937:4 und Fort. 952-1:5/6. S. ElW 1302 s. v. zip-pi und folgende. – Koch, Kunst, Kultur und Geschichte, 27-31. Da die Monate nur mit 30 Tagen gerechnet wurden, mußten in genau berechneten Abständen weitere Monate eingeschoben werden.

Heidemarie Koch (4) [xx] (5) (6) [xx] (7) 3780

Liter

(8) (9) 150

Liter

(10)

(11)

(12) [360

Liter

(13)

(14) (15) 20

Liter

(16)

(17) 5520

Liter

(18)

(19)

(20)

(21)

(22) 30

Liter

(23)

(24) 80

11.

Liter

eine gesiegelte Urkunde des Da¯tafarnah ist ausgehändigt worden, einer namens Bagada¯ta, Mostmacher, (in) Persepolis, selbiger [xxx ya]an-na, 6. Monat 19. Jahr. ist vor dem König ausgeschenkt worden, Persepolis 19. Jahr. hat Farnaka als Ration erhalten. 17 Tage im 3. Monat, 8 Tage im 5. Monat, 17 Tage im 6. Monat, 19. Jahr. eine gesiegelte Urkunde des Farnaka ist ausgehändigt worden, ein Schatzwart namens Sˇa-ul-ba-la-ud-da, (in) Persepolis, selbiger hat es als Rationen erhalten, für 5 Monate, 5. Monat und der frühere 6. Monat, der nachträgliche 6. Monat, der 7. Monat, der 8. Monat, 19. Jahr. 30 Liter (pro Monat) hat er erhalten. eine gesiegelte Urkunde des Farnaka ist ausgehändigt worden, ein Beschaffungsbeamter im Schatzhaus namens Cˇijrina, (in) Persepolis, selbiger hat es in Rationen erhalten für 6 Monate, 3. Monat, 4. Monat, 7. Monat, 8. Monat, 9. Monat, 10. Monat des 19. Jahres. Pro Monat hat er 60 Liter erhalten. eine gesiegelte Urkunde des Farnaka ist ausgehändigt worden, ein Ägypter namens Baddubasˇtisˇ in Hadahra, 11) von Farnaka entsandt, selbiger hat es als Rationen erhalten für 4 Monate, 9. Monat bis 12. Monat des 19. Jahres, pro Monat hat er 5 Liter erhalten. hat Cˇiça¯vahusˇ als Rationen erhalten, 8 hTagei im 1. Monat, 10 Tage im 2. Monat, 27 Tage für den 3. Monat, 5 Tage im 4. Monat, 8 Tage im 5. Monat, 3 Tage für den 6. Monat, den früheren, 15 Tage für den 6. Monat, den nachträglichen, 8 Tage für den 7. Monat, 26 Tage für den 8. Monat, 3 Tage für den 9. Monat, 21 Tage für den 10. Monat, 20 Tage für den 11. Monat, 22 Tage für den 12. Monat, insgesamt in 13 Monaten des 19. Jahres. eine gesiegelte Urkunde des Cˇiça¯vahusˇ ist ausgehändigt worden, 3 Männer, Schreiber auf Pergament (Haut), von Cˇiça¯vahusˇ angestellt, selbige haben es als Rationen bekommen. für 2 Monate, 1. und 2. Monat des 19. Jahres, jeder hat für einen Monat 5 Liter bekommen. eine gesiegelte Urkunde des Cˇiça¯vahusˇ ist ausgehändigt worden, Männer, Schreiber auf Pergament, von Cˇiça¯vahusˇ angestellt, selbige haben es als Rationen bekommen,

In der Nähe von Persepolis.

509

Texte aus Iran (25)

(26) (27) 105

Liter

(28)

(29) [160+]5

Liter

(30)

(31)

(32) 3340

Liter

(33)

(34) [xx]

(35)

(36)

für 8 Monate, vom 3. bis zum 6. Monat (und) vom 9. bis zum 12. Monat, für das 19. Jahr, 2 Männer haben jeder monatlich 5 Liter erhalten. eine gesiegelte Urkunde des Cˇiça¯vahusˇ ist ausgehändigt worden, Männer, Ägypter, Salber, von Cˇiça¯vahusˇ angestellt, selbige haben es als Rationen bekommen, für 7 Monate, vom 3. bis zum 8. Monat, für das 19. Jahr. 2 Männer, für jeden 5 Liter. eine gesiegelte Urkunde des Karkisˇ ist ausgehändigt worden, Arbeiter, Rations-Verzehrer, in Xva¯daicˇaya, Karkisˇ unterstellt, selbige erhielten es als Rationen für [2] Monate, den früheren 6. und den nachträglichen 6. Monat des 19. Jahres. Für 13 Männer je 20, ein Mann 15 Liter, [15] Männer je 10, ein Mann 7 Liter + 1⁄20, ein Mann 5 Liter. 5 Frauen je 5 Liter, 80 Frauen je 5 Liter, insgesamt 210[x] Arbeiter. eine gesiegelte Urkunde des Çutayauda ist ausgehändigt worden, Arbeiter (in) Xva¯daicˇaya, Çutayauda unterstellt, selbige haben es als Rationen erhalten für 2 Monate, 11. Monat und 12. Monat des 19. Jahres. 37 [Männer je 20 Liter], 93 Männer je 10 Liter, insgesamt 130 Arbeiter. eine gesiegelte Urkunde des Karkisˇ ist ausgehändigt worden, Männer, Gold-Wärter in Xva¯daicˇaya, Karkisˇ unterstellt, selbige haben es als Rationen erhalten, für 8 Monate, 4. Monat, 5. Monat, früherer 6. und nachträglicher 6. Monat, den [xx], den 9. Monat, den 10. Monat des 19. Jahres. [xxxxxx]

(Revers) (37) 450(?)

Liter

(38)

(39) (40)

(41)

(42) 200 (43)

(44)

(45)

510

Liter

eine gesiegelte Urkunde [xxx] ist ausgehändigt worden, Männer, Gold-Wärter in Xva¯daicˇaya, Karkisˇ unterstellt, selbige haben es als Rationen erhalten, für [xx] Monate, früherer 6. und nachträglicher 6. Monat, 7. Monat [xxxxx] 10. Monat des 19. Jahres, 9 Männer, für jeden 10 [xxx] [xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx] des Königs, vom König angefordert, von Tauka unterwegs, haben selbige als Rationen erhalten, für einen Tag, 1. Monat des 19. Jahres, eine gesiegelte Urkunde des Königs hat er gebracht. ein Speerträger namens Vananta und mit einem Gefährten, vom König her kommend nach Persepolis gehend, sie haben die Arbeiter registriert, selbige haben Rationen bekommen, für 10 Tage, 9. Monat und für 3 Monate, vom 10. bis zum 12., 19. Jahr. 2 Männer, jeder hatte täglich 1 Liter zu erhalten. Er führte eine gesiegelte Urkunde des Königs mit sich.

Heidemarie Koch (46) 38 (47)

(48)

(49) [x] (50)

(51)

Liter

ein Schreiber auf Haut namens Da¯ta, ein Gefährte des Vananta, vom König gingen sie nach Persepolis, selbige haben ihn erhalten, 18 Tage des 19. Monats, 20 Tage des 11. Monats, insgesamt in 38 Tagen des 19. Jahres, täglich hat er 1 Liter erhalten. Er führte eine gesiegelte Urkunde des Königs mit sich. ein Schreiber auf Haut namens Tata, ein Gefährte des Vananta, vom König gingen sie nach Persepolis, sie haben die Arbeiter registriert, selbige haben Rationen bekommen, für 10 Tage des 11. Monats, 20 Tage des 12. Monats des 19. Jahres, täglich hat er 1 Liter erhalten. Er führte eine gesiegelte Urkunde des Königs mit sich.

Z. 52-62 sind teilweise stark beschädigt. Ihnen kann man aber entnehmen, daß es sich bei der gesamten Tafel um Wein handelt. Genannt wird neben Persepolis / Xva¯daicˇaya noch Abisˇta¯fta. 12) Von der Abschlußformel kann man gerade noch Xva¯daicˇaya lesen, darunter Bagapa¯ça, der als Beschaffungsbeamter bekannt ist, 13) und ganz am Ende (Z. 62) ist noch zu lesen: »Da¯tafarnah unterstellt«. Dieser begegnete schon einmal in Z. 4/5, wo ein Mostmacher namens Bagada¯ta (in) Persepolis eine gesiegelte Urkunde des Da¯tafarnah vorzeigt. Er scheint im Laufe der Zeit aufgestiegen zu sein, da er im 17./18. Jahr Weinwart und dann Beschaffungsbeamter wurde. 14) Am Beginn der großen Tafel wird ein Feuerschürer Dahyuvraija in Xva¯daicˇaya genannt. Ein solcher an demselben Ort ist noch häufiger zu finden. 15) Da es auf der Tafel viele Fehlstellen gibt, ist leider nicht zu sagen, in wessen Auftrag er tätig ist und für wen er den Wein bekommen hat. Bei allen übrigen Texten, in denen Dahyuvraija genannt wird, erhält er Mehl für das lan-Opfer. Z. 6: Herkunft und Zweck des Weines, der vor dem König ausgeschenkt worden ist, wird nicht erläutert. Ebenso gibt es keine Erklärung für die 3780 Liter, die Farnaka erhalten hat (Z. 7/8). Persönliche Bezahlung kann das ja wohl kaum sein. Z. 9-16 zeigen alle gesiegelte Urkunden Farnakas. Seine Anweisungen dienen verschiedenen Zwecken. Entsprechend folgen Anweisungen von dem Vize-Marschall Cˇiça¯vahusˇ (Z. 17-28). Beide leitenden Beamten müssen offenbar tageweise an verschiedenen Orten oder Abteilungen der Verwaltung tätig gewesen sein. Z. 29-39 treten die »Hofschatzwarte« auf, die Wein-Rationen für ihre Arbeiter erhalten. Teils sind sie sogar als »Gold-Wärter« bezeichnet. In den früheren Untersuchungen konnte festgestellt werden, daß Karkisˇ vom 14.-19. Jahr im Amte war und Çutayauda vom 20.-25. Jahr. 16) Hier ist sogar zu sehen, daß Karkisˇ bis zum 10. Monat und Çutayauda ab dem 11. Monat des 19. Jahres im Amte waren. 12. 13. 14. 15. 16.

ElW, 74 s. v. h.ap-pi-isˇ-tap-da, Bezirk IV, süd-westlich von Persepolis. ElW, 140 s. v. hh.ba-qa-ba-ásˇ-sˇá; VW 109, 277, 283. VW, 35. 255. 260. Denselben Namen Da¯tafarnah tragen auch noch andere Männer, wie z. B. einer, der in dem Getreideanbau tätig ist (VW, 273). S. z. B. oben PF 741 und 763. VW, 237.

511

Texte aus Iran

Noch hervorzuheben sind die Z. 42-51. Dort ist die Rede von einem Speerträger Vananta und einem Schreiber auf Pergament namens Da¯ta, 17) beide mitsamt einem Gefährten. Sie haben vom König den Auftrag erhalten, Arbeiter zu registrieren.

NN 2241 15 ausgewachsene Stiere, Verfügung des Daijaka 18) wurden geschlachtet. Ihre RinderHäute haben Bagadusˇta und Cˇiçava 19) und Gefährte erhalten, sie haben sie im Schatzhaus abgeliefert. Vielleicht sollten sie bearbeitet werden und als Schreibmaterial dienen.

3.1 Handwerker In der Regel werden Rations-Empfänger, die den Mindestlohn erhalten, einfach als Arbeiter oder Diener bezeichnet. Nur selten wird ihre Tätigkeit genannt, wie z. B. im Folgenden, Holzarbeiter (PF 1487), Reitknechte (PF 1367), oder auch Eisen-, Silberoder Goldschmiede (PF 872-874).

PF 1487 5 Liter Mehl erhielt der Landvogt 20) Matisˇa. Holzarbeitern gab er sie als Rationen. 5 Männer, jeder erhielt 1 Liter. Von Baurakada¯na 21) brachte er (sie), er ging nach Susa. 11. Monat, 22) 23. Jahr. Da die Holzarbeiter unterwegs waren, erhielten sie wohl immer nur für einen Tag Zuteilungen. Mit dem Mehl mußten sie sich dann selbst etwas zubereiten, z. B. Brotfladen oder Brei.

PF 1367 542 Liter Mehl, Verfügung des Lipimi, hat einer namens Huvartana erhalten als Ration, Reitknechten, 23) ihnen hat er sie gegeben. 140 Männer erhielten je 1,5 Liter, 332 Männer erhielten jeder 1 Liter. Er brachte eine gesiegelte Urkunde des Farnaka. Im 9. Monat.

17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.

512

Da d und t im Elamischen nicht voneinander geschieden werden, bzw. sogar eine Schreibung d vorgezogen wird, könnte man diesen Namen auch Tata (ta-ta, ta-at-ta) lesen, ein geläufiger elam. Name, den sogar ein Großregent trug (ElW, 298). hh.te-tuk-qa; er ist es wohl auch, der die Verfügungsgewalt über die Verpflegung von Rindern in der Gegend von Raxa¯ hat (VW, 38 mit Anm. 173). hh.ba-qa-[du]-isˇ-da, hh.[zí-isˇ-sˇá-m]a. da-a-ú-bat-ti-isˇ – dahyu-pati, wörtlich »Land-Hüter«, ElW, 258. bu-ir-qa-da-an, VW 139. Hier ist der elam. 11. Monat benutzt: d.ku-ut-ma-ma (ElW, 569). Können auch Husaren oder Kavalleristen sein, s. ElW, 947 s. v. mu-du-un-ba.

Heidemarie Koch

PF 872 250 (Liter) Gerste, Verfügung des Mazdayasna, Arbeiter, Rations-Verzehrer, Goldschmiede in Persepolis, Çutayauda 24) unterstellt, erhielten sie als Ration. 11. und 12. Monat, 23. Jahr. 2 Männer erhielten 30, 3 Frauen 20, 1 Mädchen 5, insgesamt 6 Arbeiter. Eisen- und Silberschmiede sind dagegen höher eingestuft:

PF 873 1215 (Liter) Mehl, Verfügung des Rsˇtimanga, haben lydische Männer, Eisenschmiede, Rations-Verzehrer in Kirra, Rsˇaina unterstellt, als Ration bekommen. 11., 12. und 13. 25) Monat, insgesamt in 3 Monaten des 22. Jahres. 9 Männer bekommen je 45 Liter für 1 Monat, insgesamt 9 Arbeiter.

PF 874 20 Liter Bier, Verfügung des Rdifya, 1 Mann, Torhüter in Hidali, 26) ein Silberschmied, Rations-Verzehrer, Rsˇaina unterstellt, erhielt es als Ration. 3. Monat, 21. Jahr, insgesamt 1 Arbeiter.

3.2 Fremdarbeiter

PF 867 2760 (Liter) Gerste, Verfügung des Vista¯na, Arbeiter, Rations-Verzehrer, Mostmacher, Assyrer, selbige erhielten (sie) als Ration. 11. und 12. Monat, 28. Jahr. 13 Männer je 30, 13 Jungen je 20, 8 Jungen je 10, 24 Frauen je 20, 6 Mädchen je 15, 6 Mädchen je 10, insgesamt 72 Arbeiter. Unter die Arbeiter mit Grundgehalt fallen auch viele Fremdarbeiter (PF 866, 1813). Babylonische Gerstewarte (PF 1821: 3. Monat 23. Jahr; 1822: 3. Monat 24. Jahr) mit Grundgehalt, die aber monatlich 10 l Wein bekommen (PF 1830: 4.-5. Monat 15. Jahr).

PF 1821 Zu Hufra¯ta sprich, Cˇiçavahusˇ läßt sagen: 2240 (Liter) Gerste, Arbeiter, welche babylonische Rations-Verzehrer (sind), Gerstewarte in Pa¯rnya, Daxsˇaina unterstellt, selbigen gib als Rationen. 3. Monat, für 1 Monat, 23. Jahr. 6 Männer je 30 (Liter), 36 Jungen je 20, 18 Jungen je 15, 5 Jungen je 10, 21 Frauen je 20, 25 Mädchen je 15, 3 Mädchen je 10, 24. 25. 26.

Der bekannte Hofschatzwart in Persepolis, VW, 237. Wörtlich steht dort »und derselbe (Monat nochmal)«; also auch hier ein eingeschobener Monat. Hidali ist eine Poststation in der Elymais, die an der Straße von Susa nach Persepolis verläuft (VW, 208-213; 310).

513

Texte aus Iran

insgesamt 124 Arbeiter. Hindauka schrieb es, den Beurkundungsbefehl übergab Kamaicˇa, den Auftrag erhielt er von Itti-Be¯l.

PF 1823 Zu Hufra¯ta sprich, Cˇiçavahusˇ läßt sagen: 485 (Liter) Gerste, Arbeitern, die thrakische und lydische Rations-Verzehrer (sind), Gerstewarte in Pa¯rnya, Ramyauka unterstellt, selbigen gib sie als Rationen. 1. Monat, (für) 1 Monat, 24. Jahr. 5 Jungen je 20 Liter, 3 Jungen je 10, 14 Frauen je 20, 5 Mädchen je 15, insgesamt 27 Arbeiter. Hindauka schrieb es, den Beurkundungsbefehl übergab Kamaicˇa, den Auftrag erhielt er von Itti-Be¯l. Die beiden Texte wurden wiederum in der Hofkanzlei erstellt, also in Persepolis/ Xva¯daicˇaya, wie an der Schlußformel zu erkennen ist. Dort befindet sich auch Hufra¯ta, der die Feuerschürer Dahyuvraija 27) und Yazda 28) für das lan-Opfer versorgt hat.

3.3 Kleinvieh und der Beginn der Bezahlung in Silber Ungewöhnlich ist es, daß nicht nur Hochgestellte Fleisch-Zuteilungen erhalten, sondern z. B. auch die Handwerker. Allerdings werden – wie ja auch ansonsten bei den Zuteilungen – die verschiedenen Ränge unterschiedlich bezahlt.

PF 1791 Zu Aryaina, dem Herdenmeister sprich, Farnaka läßt sagen: 172 1⁄2 Kleinvieh gib ihnen, den Handwerkern in Persepolis, Miçapa¯ta unterstellt, für selbige in Rationen. 8.-12. Monat, in 5 Monaten des 18. Jahres. 6 Männer, 100schaftsführer, haben je Monat 2⁄3(?) Kleinvieh zu erhalten, 21 Männer, 10erschaftsführer, haben je Monat 1⁄2 Kleinvieh zu erhalten, 14 Männer, 10erschaftsführer, haben je Monat 1⁄3 Kleinvieh zu erhalten, 21 Männer haben je Monat 1⁄6 Kleinvieh zu erhalten, 53 Männer haben je 1⁄9 zu erhalten, 62 Männer haben je 1⁄2 + 1⁄6 Portion 29) zu erhalten, insgesamt 177 Männer. Xsˇaçaba¯nusˇ hat es geschrieben, die Abschrift hat Nanâ-iddin 30) erhalten. Aryaina leitet die Verwaltung des Viehs im gesamten Bezirk von Vrantusˇ, sei es lebendiges oder Fleischrationen. Auch Steuer-Abgaben in Form von Tieren werden bei ihm abgeliefert. Farnaka gibt die Anweisungen für die Zuteilung der Arbeiter. 31)

27. 28. 29. 30. 31.

514

PF 763 und 764. PF 761 und 762. 1⁄15 eines Schafes, wenn die Portion 1⁄10 beträgt. Vom 16. bis 22. Jahr ist er der Auftraggeber in der Hof-Kanzlei, VW, 234. VW, 95-97, Bezirk III, süd-östlich von Persepolis.

Heidemarie Koch

Die sog. Schatzhaus-Täfelchen (PT) 32), die im Schatzhaus auf der Terrasse in Persepolis gefunden worden sind, stammen aus der letzten Zeit des Dareios und dann des Xerxes. Um diese Zeit war man einen großen Schritt voran gekommen, indem statt der Naturalien – teilweise oder auch schon völlig – Silber und Gold ausgezahlt wurden. So kann man auch feststellen, welchen Wert die Naturalien – und vor allem auch das Kleinvieh oder Teile davon – hatten. Zum Beispiel betrug der Wert eines Schafes 3 Schekel oder der eines Kruges Wein 1 Schekel. Oft wird in der Abrechnung der Texte der Ausdruck pancukasˇ »Fünfer« benutzt, was einem Silberschenkel oder 1,80 Goldmark entspricht. 1 krsˇa entspricht 10 Schekel, beziehungsweise 83 1⁄3 Gramm.

PT 1 Zu Saka sprich, Baratka¯ma läßt sagen: 3 Krsˇa 2 Silberschekel (und) 1⁄2 Schekel. Ein Ägypter namens hh.ha-rad(?)-du(?)-ma, 100schaftsführer für Holzschnitzer, Rations-Empfänger in Persepolis, Vahauka unterstellt, selbigen gib Kleinvieh und Wein als seinen Gegenwert. 1 Stück Kleinvieh 3 Silberschekel, ein Krug Wein 1 vom selben. 8.-12. Monat, insgesamt in 5 Monaten des 32. Jahres (des Dareios). Einem Mann stehen pro Monat 6 1⁄2 Silberschekel zu. Hindauka schrieb es, die Abschrift hat Mrduka erhalten. 33)

1957-1 [Zu Dargayusˇ] sprich, [Baratka¯ma] läßt sagen: 19 [Krsˇa] 1 Silberschekel und ein halber Silberschekel und 1⁄8 Silberschekel Silber. Arbeiter, Holzschnitzer, welche Holzreliefs machen, und Steinbildhauer, welche Steinreliefs machen und in Persepolis Rationen erhalten, Baratka¯ma unterstellt, deren volle Bezahlung vom Hof, selbigen in Rationen gib sie: Kleinvieh und Wein. 34) Gegenwert für 1 Kleinvieh 1 Silberschekel gemäß, 1 Krug 1 Silberschekel gemäß Rationen, 1. und 2. Monat, in 2 Monaten des 4. Jahres (des Xerxes). 24 Männer haben pro Monat 1 Silberschekel und 3 Viertel [Silberschekel] und 1⁄8 Silberschekel zu erhalten. 15 Männer pro Monat 1 Silberschekel und ein halb eines 1⁄8 [xxxxx]. 3 Zeilen bruchstückhaft.

PF 1633 71 Kleinvieh, Verfügung des Magava¯, 35) haben Steinhauer als Ration erhalten. Den Bestand davon hat Arbaicˇa an sich genommen, 20. Jahr. Dieses letzte Beispiel wird Bezug nehmen auf schon frühere Anweisungen.

32. 33. 34. 35.

G. G. Cameron, Persepolis Treasury Tablets S (OIP 65), Chicago 1948. VW 234. Das ist der bekannte Tarif. Magava¯ s. a. NN 0614.

515

Texte aus Iran

3.4 Landwirtschaft und Steuern Bei der folgenden Abrechnung von Gerste ist leider die linke Rubrik nicht mehr zu lesen, so daß nur Bruchteile von Zahlen zu lesen sind. Doch wird noch deutlich, daß große Mengen genannt waren. Aufgezählt werden die verschiedenen Arten von Anbau und Herkunft.

NN 2474 (1) [Gerste

x]8940 Liter von bewässertem Land mehr zu lesen) (3-7) [Gerste in großen, aber unvollständigen Zahlen] von Trockenland (8) [Zahl in die Tausende] gewässertes Land 36) des Königs (9) [Zahl in die Tausende] ebenso ebenso von privaten Eigentümern (10) [Gerste] von Trockenland, Besitz des Königs (11) [Gerste] ebenso, ebenso, von privaten Eigentümern. (12-13) (nicht mehr zu lesen.) (2) (nicht

Nicht nur die Ländereien der Krone werden hier verbucht, sondern auch Abgaben von Land des Königs und privaten Eigentümern. Unterschieden wird zwischen bewässertem und Trockenland. Mitunter gibt es auch Land, das verpachtet wird, oder es können Rinder gepachtet werden, um damit den eigenen Acker zu bearbeiten. Das »Rind« wird in der Regel mit dem Sumerogramm GUD.lg geschrieben. Doch unabhängig davon, benutzt man es auch für »Besitz«, vergleichbar dem awestischen gae¯ja »Herde«, was auch »Hab und Gut« bedeutet. 37) So auch im folgenden bei dem »Besitz des Königs.«

PF 1991: Sesam (in Liter umgerechnet) I

II

III

(1) aufbewahrt

geerntet

entnommen

(2) 10

300



Sesam vom 15. Jahr

(3) 5

150



ebenso ebenso

insges. 450

insges. 

Rtaba¯nusˇ, Besitz des Königs

(4) insges.

15

IV

Insgesamt 2090 Sesam, gesiegelte Urkunde des Rtavardya 300 ebenso, Ernte des 15. Jahres. 150 ebenso, ebenso des 16. Jahres. Insgesamt 2540 vorhanden 1874 verzehrt 71 Sondersteuer 38) 36. 37. 38.

516

ElW, 497 s. v. GUD.lg. Koch, Steuern 130-132. S. a. PF 1999:5.

Heidemarie Koch

35 entnommen Insgesamt 560 Sesam ordnungsgemäß deponiert. Verfügung des Bagaina, Apara Beschaffungsbeamter. 10 und 1⁄2. 39)

NN 2183: in Artaben gerechnet: 1 Artabe = 300 Liter. 40) (1) 12 (2) (3) 3 (4) (5) 48 (6) (7) 97 (8) (9) (10) (11) (12) 300 (13) 3?00 (14) 2?00 (15) (16) 300 (17) (18) 8?00 (19) 460 (20) 3?40 (21) (22) (23) (24)

39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49.

hat hh.gi-man-nu-isˇ, 41) Magier, erhalten, als Opferspende für das lan-Opfer für 12 Monate hat Da¯mida¯ta 42) erhalten als Opferspende für den Fluß Marrisˇ 43) im 6. Monat. hat Farnaka als Ration erhalten in 1 Tag für den 5. Monat. eine gesiegelte Urkunde des Ahurika¯ma, 44) Arbeiter in Marrisˇ, Ahurika¯ma untergeben, erhielten sie in Rationen für 2 Monate, 6. Monat (und) 8. Monat. Für 1 Mann 2, für 3 Burschen je 2, für 1 Burschen 1, für 1 Burschen 1⁄2, für 18 Frauen je 2, für 1 Mädchen 1 1⁄2, für 1 Mädchen 1⁄2. erhielt Huvartana, 45) er bewahrte es auf. Gerste [in x], von hh.?Pír?-ra-v-na? ist geschickt worden. Gerste, ist von hh.par?-y-sˇi?-[…] geprüft worden. (Es ist) von seinem eigenen Land 46) genommen wurde als Ernte eingenommen. 20. Jahr. Dieses insgesamt alles zusammen. 47) vorhanden verzehrt Gerste wurde richtig deponiert. Insgesamt diese Gerste in Marrisˇ. Verfügung des [Tar-q]a-sˇu-ma (?). Humaya, Lagerverwalter. A¯varsa 48) unterstellt. Diese Abrechnung wurde im 20. Jahr gemacht. aufbewahrt geerntet entnommen 300 300 2700 49) Gerste, 20. Jahr, Da¯tuka,

Dieses bezieht sich wohl auf die erste Spalte oben, »aufbewahrt«. Sie ist sonst bei den Abrechnungen nicht beachtet worden, muß also auch weiterhin aufbewahrt werden. Hier nicht umgerechnet, da teilweise die Zahlen nicht vollständig oder unsicher sind. Nur noch einmal: NN 2188 (= Fort. 8925D). hh.da-mi-da-an-da, nur hier. Derselbe Name wie der Ortsname in Zeile 7. hh.u-ri-qa-ma hh.ú-mar-tan-na , s. a. PF 1367, 1946. NN 2183 (= Fort. 8923). Ausführliche Erklärung in ElW, 346 unter du-e., hier also ein Beispiel für eigenen Landbesitz, den man einsetzt für den Anbau: Land, Saatgut, Ablieferungen usw. Statt tar-tin-na ist kut-tin-na zu lesen, s. ElW, 548. hh.ha-mar-sˇá , s. a. PF1951. Das wären also umgerechnet 90.000  90.000 = 810.000 Liter.

517

Texte aus Iran (25) (26)

Verpächter 50) von seinem eigenen Land. Huvartana, Steuereinnehmer.

Auch bei diesem Text werden sowohl Ausgaben für Opferspenden, Bezahlungen für Arbeiter und Einnahmen aus Gerste-Erträgen verbucht. Ganz am Ende werden sogar die Erträge und Ausgaben eines privaten Verpächters aufgeführt, die anscheinend von einem Steuereinnehmer überprüft werden.

50.

518

S. ElW, 1207 s. v. hh.uk-ba-ma-ut-ku-isˇ.

4. Soziale Organisation Allen Arbeitern, Herren, Dienern und Zwangsarbeitern standen monatlich mindestens 30 Liter Gerste oder – vor allem auf Reisen – Mehl zu. Frauen standen mindestens 20 Liter im Monat zu. Das ist wohl damit zu erklären, daß Frauen auch kürzere Arbeitszeiten zugestanden wurden. Noch geringere Mengen wurden nur für Heranwachsende (pu-hu) oder als Sonderzuwendungen ausgegeben.

PF 959 18155 Liter Gerste, Verfügung des Mazdayasna, haben Arbeiter, Rations-Verzehrer, in Pitana, Çutayauda unterstellt, als Rationen erhalten, 5. Monat, 23. Jahr. 1 Mann 50, 49 Männer 40, 31 Männer 35, 22 Männer 30, 6 Jungen 25, 28 Jungen 20, 36 Jungen 15, 34 Jungen 10, 18 Jungen 5; 4 Frauen 50, 128 Frauen 40, 130 Frauen 30, 101 Frauen 20, 6 Mädchen 25, 16 Mädchen 20, 35 Mädchen 15, 27 Mädchen 10, 15 Mädchen 5, 7 Diener 20, insgesamt 694 Arbeiter. Leider ist nicht angegeben, was diese große Arbeiter-Gruppe zu tun hatte. 1 Mann und 4 Frauen haben die höchste Bezahlung mit 50 Litern Gerste. Dann folgen viele Abstufungen bis hinab zu kleinen Kindern, die monatlich nur 5 Liter Gerste erhalten. Damit ist ganz klar, daß diese noch nicht zu arbeiten brauchten. Sie wurden aber schon von klein auf in eine »vortarifliche Einstufung« aufgenommen. Die Kinder wurden mit zunehmendem Alter ausgebildet und zu Arbeiten herangezogen. – Diener werden als letzte in der Aufzählung erfaßt, obwohl sie mehr erhalten als die zuvor genannten Jungen und Mädchen, aber weniger als die ausgewachsenen Männer. Sie befinden sich also auf einer sozial niedrigeren Stufe.

NN 2112 30 (Liter) Gerste, Verfügung des Maza¯manah von Gaufrya, 1) Bagaxratu und sein Gefährte hatten sie entnommen (für) 2 Frauen, die entbunden hatten, ihnen gaben sie sie; eine Frau gebar einen Jungen, 20 erhielt sie, und 1 Frau gebar ein Mädchen, 10 erhielt sie. Jahr, welches das 23 ist. Normalerweise werden Frauen und Männer bei gleicher Arbeit auch gleich bezahlt. Nur bei Frauen, die geboren haben, gibt es einen Unterschied. Dort erhalten sie für männliche Kinder doppelt so viel wie für Mädchen. Eine erstaunliche und im Alten Orient wohl einmalige Einrichtung sind die Aufgaben, die die Oberpriester (a¯jravapati) zu verrichten hatten. Sie mußten sich um das Wohlergehen der Arbeiter und Angestellten kümmern. Waren diese besonders stark strapaziert oder krank geworden, mußten die Oberpriester dafür sorgen, daß sie wieder arbeitsfähig wurden. Zu dem Zweck ordneten sie zusätzliche Lebensmittel an. 1.

qa-u-pír-ri-isˇ, Bezirk V, nord-westlich, ElW, 425 s. v. h.kam-bar-ri-isˇ mit vielen Varianten.

519

Texte aus Iran

Die Tafel NN 2486 ist am Anfang und an der linken Seite nur noch in geringsten Resten zu erkennen, doch handelt es sich um einen sehr umfassenden Text. Er betrifft Ausgaben von Obst im Orte Raxa, der nahe bei Persepolis lag. Es treten somit auch die Namen etlicher hochgestellter Beamter auf. Bruchstücke des Textes beginnen mit der Z. 18 mit der Angabe: »2. Monat«, dann wird es verständlicher:

NN 2486 (19) 45

(Liter)

(20)

(21) 20

Liter

(22) 30

Liter

(23) [20?] (24)

(25) 120

(26) 120

(27) 93 (28) (29) 13

2. 3.

4. 5. 6.

520

xxx hh.xxx x, hat der Oberpriester erhalten. 45 Arbeiter, Genesende, im Ort xxxxx, Rsˇaina unterstellt, haben sie als Wunschkost 2) erhalten für 1 Monat, den 6. Monat des 14. Jahres, jeder hat 1 Liter erhalten. xxx hat Karkisˇ, der Oberpriester erhalten, 20 Arbeiter, Genesende, in Raxa, Rsˇaina unterstellt, haben sie als Wunschkost erhalten für 1 Monat. Datteln, hat Karkisˇ, der Oberpriester, erhalten, 30 Arbeiter, Genesende , 3) in Ba-ap-ru-kasˇ, Bagavanta unterstellt, haben sie als Wunschkost erhalten für 1 Monat, den 9. Monat. Datteln, hat einer namens Prtaina, Obst-Macher in Raxa, Da¯tafarna unterstellt, erhalten, 14. Jahr. 981 (Liter) Feigen, 230 (Liter) Datteln, 145 (Liter) Mandeln, 4) insgesamt 1356 Obst sind verzehrt worden. 14. Jahr. 60 Datteln, 60 Mandeln, hat einer namens Ka¯rataka, 5) Feuerschürer, in Raxa, als Opferspende für das lan-Opfer erhalten, für 12 Monate des 15. Jahres. 60 Datteln, 60 Mandeln (?), hat ein Feuerschürer namens Pa¯paina, in Ha-na-ma-sa-an, als Opferspende für lan-Opfer herhalteni, [für 12] Monate des 15. (Jahres). 35 Feigen, 30 Nüsse (?), 20 Maulbeeren, 8 Mandeln(?), insgesamt 93 hat Rtavardya 6) als Ration erhalten, in 42 Tagen des 1. Monats, (in) 20 Tagen des 9. Monats. 5 Feigen, 5 Trauben, 2 Nüsse, 1 Maulbeeren, insgesamt 12 hat Cˇiçavahusˇ als Rationen erhalten, in 6 Tagen des 12. Monats des 15. Jahres.

ElW, 424 s. v. qa-ma-ak-kasˇ; elam. s. ElW, 1288 s. v. zí-da-el oder zí-za-el. Sehr häufig wird einfach KI+MIN »derselbe/dasselbe« geschrieben. Um aber einen besseren Überblick zu behalten, wird das rekonstruiert, was damit wohl gemeint ist. Diese sehr verwirrenden Wiederholungen hat schon Hallock im Einzelnen zugeordnet. Diese Partien werden hier kursiv wiedergegeben, ebenso auch in Zeile 23 und 26. ha[-s]u-ur? ElW 640 s. v. GISˇ.ha-su-ur. hh.kar-tuk-qa (nur hier). ElW, 772 s. v. hh.ir-du-mar-ti-ya

Heidemarie Koch (30) 56

(31)

(32) 15

(33)

(34) 61

(35)

(36) 352

(37) (38) 30 (39)

(40) 80 (Rev. 41)

(42) 62 (43)

(44) 886

(45) 120 (46) (47) 78 (48)

7. 8.

Feigen, eine gesiegelte Urkunde des Rtavardya, 14 Männer, Schreiber auf Pergament, von Rtavardya angestellt, haben sie als (königliche) Unterstützung 7) erhalten für 5 Monate, vom 2. Monat bis zum 8. Monat des 15. Jahres, jeder hat 1⁄20 erhalten. Feigen, eine gesiegelte Urkunde des Rtavardya ist ausgehändigt worden, 15 Männer, Schreiber auf Pergament, von Rtavardya angestellt, sie haben es als (königliche) Unterstützung erhalten, für 1 Monat, den 2., 15. Jahr, jeder hat 1 Liter erhalten [1⁄20] Feigen, eine gesiegelte Urkunde des Rtavardya ist ausgehändigt worden, 41 Männer, Babylonier, Gerste-Verwahrer, in Pa¯rnya, als (königliche) Unterstützung [haben sie erhalten] für 3 Monate, 9. Monat bis 11. Monat des 15. Jahres. Jeder hat 1⁄20 erhalten. xxx, eine gesiegelte Urkunde des Karkisˇ ist ausgehändigt worden, 352 Arbeiter in Raxa, Karkisˇ unterstellt, haben es als (königliche) Unterstützung erhalten. für 1 Monat, xxxx des 15. Jahres, jeder hat 1 Liter erhalten. xxxxx xx hh?.sˇá-ur?-ti?-ik? qa und mit seinem Gefährte, haben es erhalten, 502 Arbeitern in Raxa, hh.xxxx unterstellt, haben sie es hier zugeteilt, für 6 Monate, vom 9. Monat bis zum 1. Monat xxx. xxx hat [Kar-]kisˇ, der Oberpriester, erhalten. Für 80 Arbeiter, Genesende, in Raxa, Rsˇaina unterstellt, hat er es als Wunschkost erhalten, für einen Monat, den 6. Monat des 15. Jahres, jeder hat 1 Liter erhalten. hat Karkisˇ, der Oberpriester, erhalten, für 62 Arbeiter, Genesende, in Raxa, Rsˇaina unterstellt, hat er es als Wunschkost erhalten, für 1 Monat, den 8. Monat des 15. Jahres, jeder hat 1 Liter erhalten. 1 ⁄20 Feigen, 32 xxx, 20 Datteln, 21 Maulbeeren, 128 Mandeln(?), 5 Weintrauben, insgesamt 1274 1⁄20 Obst wurden verzehrt, 15. Jahr. 60 Dattel, 60 Mandeln(?) hat der Feuerschürer namens Ka¯rataka, in Raxa, als Opferspende für das lan-Opfer erhalten, in 12 Monaten des 16. Jahres, monatlich hat er 10 erhalten. 30 Feigen, 30 Nüsse(?), 10 Maulbeeren, 8 Mandeln(?), eine gesiegelte Urkunde des Cˇiçavahusˇ ist ausgehändigt worden, sie wurden verzehrt in Abisˇta¯fta, als Cˇiçavahusˇ das an-sˇi 8) gemacht hat, 10. Monat des 15. Jahres.

ElW, 1302 s. v. zip-pi. ElW, 65 s. v. d.an-sˇi, nur noch einmal erwähnt, wohl ein dem sˇi-ip vergleichbares Fest.

521

Texte aus Iran (49) 90

30 Feigen, 30 Nüsse(?), 20 Mandeln(?), 10 Maulbeeren hat Rtavardya als Ration erhalten, in 30 Tagen, (50) in 18 Tagen des 1. Monats (und) 12 Tagen des 2. Monats des 16. Jahres. (51) 20 Feigen, gesiegelte Urkunde des Rtavardya, 10 Männer, Schreiber auf Pergament, von Rtavardya angestellt, (52) als (königliche) Unterstützung für 2 Monate, 2. Monat und 6. Monat des 16. Jahres, jeder hat 1 Liter erhalten. (53) 32 Feigen, eine gesiegelte Urkunde des Rtavardya ist ausgehändigt worden, 10 Männer, Schreiber auf Pergament, von Rtavardya angestellt, (54) als (königliche) Unterstützung für 2 Monate, 11. Monat und 12. Monat des 15. Jahres, jeder hat 1 Liter erhalten. (55) (und) für 1 Monat, den 1. Monat des 16. Jahres. 1 Mann hat 1 Liter erhalten für 2 Monate. (56) [insgesamt 1]1345 2000 Feigen, 3000 Datteln, 145 Maulbeeren, 6000 Mandeln(?), 200 GISˇ.te-el-te 9), insgesamt 11345, (57)? eine gesiegelte Urkunde des Rtavardya, Arbeiter, Ionier im Dorf, Rsˇaina unterstellt, (58) (etwa 9 Zeichen) wurden hier erhalten, für jene als Beistand, 10) von ihnen wurde es erhalten für einen Monat, den 1. Monat des 16. Jahres. (59) xxx Mann? für 1? 105 Burschen je 5(?), 5 Burschen, für jeden 5, 147 Mädchen, 5 Mädchen für je 5, für jede 5, insgesamt 11xxxx. (60) 60 xxxxxxxxxxxx 20 Mandeln(?), insgesamt 60 hat Cˇiçavahusˇ als Ration erhalten, (61) in 17 Tagen des 16(?). Jahres, 7 Tage im 1. Monat, 8 Tage im 2. Monat, 2 Tage (62) des 3. Monats (läßt sich von hier ab nicht weiter lesen) Z. 19-22: Am Beginn des verständlichen Textes tritt der Oberpriester (a¯jravapati) Karkisˇ auf, dessen Name wohl auch in Z. 19 zu ergänzen ist. Er hat dafür gesorgt, daß drei verschiedene Gruppen von Arbeitern zusätzlich bestimmte Mengen an Obst erhalten. Sie werden als »Wunschkost« bezeichnet. Diese werden »Genesenden« bzw. »besonders Angestrengten« zugestanden. Entsprechende Anordnungen von Karkisˇ sind in Z. 36/37 und Z. 40-42 zu sehen. Es geht um eine königliche Unterstützung, die auch häufiger genannt wird, aber noch nicht genauer zu beschreiben ist, und wiederum Wunschkost. Wem derartige Sonderzugaben zugestanden wurden, konnte offenbar von einem Oberpriester entschieden werden. Einen solchen hielt man wohl für besonders zuverlässig. Der Oberpriester Karkisˇ ist vom 14.-22. Jahr belegt. 9. 10.

522

Eine Obstart, die sich nicht lagern läßt; deswegen wird sie wohl immer nur in kleinen Mengen ausgegeben. ElW, 193 s. v. pi-ik-ti, kann z. B. als Beistand Ahuramazdas gemeint sein oder aber auch als Unterstützung von Schneiderinnen.

Heidemarie Koch

Doch hatte auch Rtavardya entsprechende Aufgaben. Zum einen erhält er Zuteilungen für sich selbst (Z. 27-29). Er mußte seine Tätigkeit offenbar in verschiedenen Orten ausüben, da er nur an 22 Tagen des 1. Monats (und) 20 Tagen des 9. Monats seine Rationen bekommt. Entsprechend verhält es sich bei Cˇiça¯vahusˇ. Dieser könnte der Vizemarschall sein, der Vertreter Farnakas, des Hofmarschalls. Und hier erfahren wir, daß Cˇiça¯vahusˇ ebenso wie Rtavardya pro Tag etwa 2 Liter Obst erhalten hat. Offenbar konnte man bei dem Obst keine genauen Bruchteile ausgeben. Es könnte sein, daß es auch dieser Rtavardya ist, der später der Nachfolger von Farnaka geworden ist. Allerdings ist er in dieser Stellung erst ab dem 26. Jahr des Dareios nachzuweisen. 11) Wie sich hier zeigt, kann er aber schon vorher in dieser Gegend eine bedeutende Rolle gespielt haben. 12) Und nicht zuletzt dürften dazu die Schreiber auf Pergament gehören, die Rtavardya unterstellt sind (Z. 30-33). 13) Er sorgt dafür, daß sie eine »(königliche) Unterstützung« bekommen. Eine solche hat auch ein Babylonier, der als »Gerste-Verwahrer« bezeichnet ist, zu erhalten. Zur Anweisung für diese Ausgaben dient eine gesiegelte Urkunde, die jeweils von Rtavardya geschickt worden ist (Z. 51-59). Z. 25/26 und 45/46: Als weitere Priester treten 2 Feuerschürer auf, Ka¯rataka in Raxa und Pa¯paina in Ha-na-ma-sa-an, was beides in der Nähe von Persepolis liegt. Jeder von ihnen erhält Obst für ein ganzes Jahr für Opferspenden für das lan-Opfer. Zum Schluß der Tafel, bevor sie wiederum nicht mehr zu lesen ist, erfahren wir, daß Cˇiçavahusˇ in Abisˇta¯fta ein an-sˇi (Fest) im 10. Monat des 15. Jahres gemacht habe. Nur ein einziges weiteres Mal ist dieses Fest erwähnt. Es scheint dem Verehrungs-Fest (sˇip) gleichwertig zu sein.

11. 12. 13.

VW, 232. So könnte der hier vorliegende (Z. 27) derselbe sein, der ebenfalls im 15. Jahr einen Brief an den Weinwart Visˇta¯na in Schiras gesandt hat (PF 1830; VW 65). Vergleichbar ist NN 2493, wo Z. 22-26 Schreiber auf Pergament von Cˇiça¯vahusˇ versorgt werden.

523

5. Abschluß Im 1. Jt. v. Chr. gab es im Vorderen Orient nicht nur weitreichende, kriegerisch bedingte Verschiebungen der Völker, sondern damit verbunden auch Erfahrungen und Lernprozesse. Die Iraner hatten insbesondere Kontakte zu dem alten Kulturvolk der Elamer. Von ihnen lernten sie die Schrift kennen, und die Elamer waren auch behilflich bei der Schaffung der eigenen, nunmehr persischen Schrift. Insbesondere unter König Dareios d. Gr. (522-486 v. Chr.) kam es zu weitgehenden Neuerungen. Um das große Reich der Perser unter Kontrolle zu halten, bedurfte es einer gut ausgebauten Verwaltung. Durch einen Glücksfall ist ein Teil der Verwaltungs-Täfelchen unter Dareios in Persepolis erhalten geblieben. Er ist noch in elamischer Sprache geschrieben und zeigt Teile der Naturalien-Verwaltung. Es sind also rein praktische, kurz gehaltene Notizen, die dort festgehalten worden sind. Dieses ist zum einen schwierig für das Verständnis, enthält aber keine durch persönlich beeinträchtigte Äußerungen veränderte Nachrichten. Anhand dieser Tontafeln, von denen einige Beispiele oben ausgewählt worden sind, kann man zum Beispiel Eindrücke von der Religion erhalten. Mit Hilfe der KönigsInschriften sowie der Verwaltungs-Tafeln gewinnt man neue Eindrücke, wenn auch nicht alles eindeutig ist. 1. Wenn man die Religion und die genannten Götter betrachtet, scheinen sie noch deutlich von Zarathustra beeinflußt zu sein. Am wichtigsten ist wohl eine Opferart, das lan-Opfer. Leider steht niemals dabei, wer damit verehrt werden sollte. Aber die Tatsache, daß es bei Aufzählungen stets wie die Namen der anderen Gottheiten aufgeführt wird, spricht dafür, daß es für eine bestimmte Gottheit steht. Für die damalige Bevölkerung war es offensichtlich völlig eindeutig, wer damit gemeint war. Es gibt noch weitere Anhaltspunkte, die dafür sprechen können, daß es sich bei dem lan-Opfer um das Opfer für Ahuramazda handelte. Da dies für alle damaligen Perser geläufig war, findet sich der Name des Gottes nur selten. 2. Mehrfach ordnet selbst der König Opfer für das lan-Opfer an, und Priester, die für dieses Opfer eingesetzt sind, gehören zu der alt-persischen Priesterschaft. Außerdem sind die Feuerschürer und Oberpriester die einzigen, die für soziale Zwecke, wie Sorge um die Arbeiterschaft, eingesetzt worden sind. 3. Magier, die Priester der alten persischen Tradition, versuchen auch Aufgaben der Feuerschürer zu übernehmen. Das wird bei den Opfern möglich, wobei auch der Titel zusätzlich angenommen wird. Sie sind vor allen Dingen für Berge und Flüsse zuständig. Es gibt aber keinen Fall, daß ein Magier bei Abrechnungen oder sozialen Diensten tätig war. 4. Auffallend ist, daß nur eine weibliche Gottheit Opfer erhält, Mizˇdusˇ¯ısˇ, eine Schicksalsgöttin, die nur drei Mal in einer abgelegenen Gegend vorkommt, aber dort zusammen mit Ahuramazda. 1) Erst unter Artaxerxes II. (405-359 v. Chr.) tritt Anahita wieder auf, die zusammen mit Mithra dann zur Zeit der Sasaniden große Be-

524

PF 336, NN 0679 und NN 0978. – Eventuell könnte Sp nta A¯rmaiti herangezogen werden, wenn nicht doch die »heilige Kapelle« zuträfe (NN 2370). Das wäre aber ganz ungewöhnlich. e

1.

Heidemarie Koch

deutung hat und oft abgebildet wird. Vergleichbar war das bei den Elamern, als am Anfang eine Göttin, Piningir, die höchste Bedeutung hatte. Zur Achämenidenzeit wird sie gar nicht mehr erwähnt. Neben den Einblicken, die im Gebiet der Religion zu gewinnen sind, sind auch die kulturellen Fortschritte unter Dareios d. Gr. bemerkenswert. Dabei ist die Erfindung der persischen Schrift und damit verbunden auch das Schreiben auf Pergament zu nennen. Das führte um die Mitte des 5. Jhs. v. Chr. zur Umstellung auf Aramäisch im ganzen Reich, dem sog. Reichs-Aramäisch. Allerdings wurde damit die so nützliche Verwaltung der Elamer auf Tontafeln nicht mehr benötigt. Sie war ja auch im Verhältnis sehr klobig und brüchig. Doch ihre Fortsetzung, die neuen und bequemen Pergament-Notizen, sind uns leider nicht erhalten geblieben. Ein besonderer Fortschritt, der unter Dareios eingeführt wurde, ist die Umstellung von reiner Naturalien-Bezahlung auf Silber-Bezahlung.

525

VI. Griechische Texte aus Ägypten Andrea Jördens Erst 331 v. Chr. von Alexander d. Gr. gegründet, sollte sich Alexandria innerhalb von nur zwei Generationen zu einer Hochburg von Kunst und Wissenschaften entwickeln. Bis heute mit ihrem Namen verbunden ist insbesondere die Philologie, doch war die Stadt im Altertum kaum minder berühmt für Mathematik oder Medizin. Wie schon im letzteren Fall, der in einem der früheren TUAT-Bände behandelt wurde, 1) sind die unten wiedergegebenen Texte stets auch Teil der griechischen Welt. Bevorzugt wurden jedoch solche Beispiele ausgewählt, die zugleich Einblick in die Wissenskultur des Hinterlands unter Ptolemäern und Römern bieten.

1.

Vgl. nur TUAT.NF 5. Texte zur Heilkunde, Gütersloh 2010, 317-350 Kap. V.

527

1. Weltbild und Gottesvorstellungen Durch die Ausdehnung der griechischen Kultur weit in die Gebiete der vorderorientalischen Hochkulturen hinein war das vertraute Weltbild im Zeitalter des Hellenismus tiefgreifenden Wandlungen unterworfen, die freilich kaum in einzelnen Textzeugen zu fassen sind. Einen Spiegel der Erfahrungen in einer seit dem Alexanderzug zunehmend globalisierten Welt, in der Griechen und Angehörige anderer Völker sehr viel enger zusammenlebten als zuvor und sich damit gänzlich neuen Einflüssen ausgesetzt sahen, stellen am ehesten die – fiktiven – Begegnungen mit Repräsentanten eben dieser »alten« Kulturen dar, die bedeutenden Figuren der griechischen Welt wie Alexander oder Platon zugeschrieben werden; 2) trotz aller Differenzen im Detail wird man auch die Wechselreden zwischen dem Ptolemäerkönig und den weisen Übersetzern des jüdischen Gesetzes, der nachmaligen Septuaginta, im sog. Aristeasbrief hier einordnen dürfen. 3) Im Zuge dessen sollten sich auch die Gottesvorstellungen verändern, 4) doch forderten Störungen im Verhältnis zu den Göttern weiterhin Reaktionen heraus, etwa bei Blitzeinschlägen in Bildnisstatuen.

1.1 Begegnung zwischen Alexander d. Gr. und den indischen Gymnosophisten sowie Listen wissenswerter Dinge (sog. Laterculi Alexandrini) Der stark beschädigte P. Berol. 13044 wurde aus einem Ende Februar 1904 von Otto Rubensohn in Abu¯ S¯ır al-Malaq ergrabenen Mumiensarg ausgelöst 5) und besteht heute aus einem 19,6˙ cm hohen und 40,2 cm breiten Hauptteil von insgesamt zwölf Kolumnen; 22 weitere Kleinstfragmente können nicht mehr sicher zugeordnet werden. Die ersten fünfeinhalb Kolumnen der um das Jahr 100 v. Chr. entstandenen Vorderseite bieten die auch im sog. Alexanderroman verarbeitete Erzählung vom Zusammentreffen Alexanders d. Gr. mit zehn indischen Weisen und wurden erstmals 1923 von Ulrich Wilcken ediert. 6) Hieran schließt sich ohne weiteren Übergang eine 2.

3. 4. 5. 6.

528

In einen anderen Zusammenhang zu stellen sind hingegen trotz manch gemeinsamer Züge die Begegnungen Alexanders mit griechischen Philosophen, die in der Auseinandersetzung zwischen Geist und Macht die Überlegenheit des letzteren erweisen sollen; vgl. nur zuletzt G. R. Bosman, The Gymnosophist Riddle Contest (Berol. P. 13044): A Cynic Text?, GRBS 50 (2010) 175-192. So trotz berechtigter Vorbehalte auch schon G. Zuntz, Zu Alexanders Gespräch mit den Gymnosophisten, Hermes 87 (1959) 436-440 = Opuscula Selecta. Classica – Hellenistica – Christiana, Manchester 1972, 144-149, bes. 439 f. bzw. 148 f. Vgl. hierzu bereits TUAT.NF 7. Hymnen, Klagelieder und Gebete, Gütersloh 2013, 273-310 Kap. V. Andere Texte aus diesen Funden vgl. bereits in TUAT.NF 1 Kap. VII, 338 in der Einl. zu Nr. 31-36. U. Wilcken, Alexander der Große und die indischen Gymnosophisten, SPAW 23 (1923), 150183 = ders., Berliner Akademieschriften zur Alten Geschichte und Papyruskunde (1883-1942). Teil 1: 1883-1931, Leipzig 1970, 174-207, bes. 160 ff.; auch FGrHist 153 F 9; G. Manteuffel, De opusculis Graecis Aegypti e papyris, ostracis lapidibusque collectis, Warszawa 1930, 117-122 Nr. 11. Bruchstücke der Fragen 4 bis 9 fanden sich inzwischen in lateinischer Schrift des 1./ 2. Jh. n. Chr. auf Papyrusfragmenten der Biblioteca Medicea Laurenziana, vgl. nur die Neued.

Andrea Jördens

Reihe von Listen an, die bedeutende Künstler und Ingenieure, die Sieben Weltwunder sowie geographische Referenzorte nennen und seit der noch im Fundjahr selbst erfolgten Publikation durch Hermann Diels üblicherweise als »Laterculi Alexandrini« bezeichnet werden. 7) Durch Diplai, Paragraphoi und auf Mitte gesetzte Überschriften sorgfältig gegliedert, sind diese wohl aus verschiedenen Quellen geschöpften Zusammenstellungen offenbar nach wie vor die frühesten ihrer Art. Die auf der Rückseite der Rolle niedergelegte Paraphrase eines Gedichtes über den Raub der Persephone mit Zitaten aus dem homerischen Hymnus an Demeter ist nach Wilcken »entschieden jünger« 8) und kann daher hier unbeachtet bleiben. (col. I, 1) …

] und etwas anderes [ … (2) …] ehren sie (3) [ … Alex]ander … (4) [ … ] sagen … … ] Alexa[n(6) der … ] des … [ … »Welchen] (col. II, 1) ich beauftragen werde zu urteilen, (2) dieser wird euer Schieds(3) richter sein; und wenn er gut scheint (4) geurteilt zu haben, wird dieser (5) lebend entlassen werden, als ein(6) ziger.« Es fragte also (7) einer von den Gymnos[ophi](8) sten, ob sie auch eine Begründung (9) hinzufügen (dürften). Nachdem dieses gewährt wurde, fragte er den ersten, ob (12) ihm schienen (13) die Lebenden oder die Verstor(14) benen mehr zu sein (15) an Zahl oder das Gegen(16) teil. Der aber habe gesagt, die (17) Lebenden. »Denn (ist) es nicht recht«, sagte er, »wenn gegenüber den nicht Sei(19) enden die Seienden mehr sind?« 9) N[ach] die(21) sem fragte er den näch(22) sten, ob h … . 10) Der aber habe gesagt,i di[e E]rde, (23) da nämlich das Meer selbst (24) sich über die Erde er(25) strecke. Den dritten aber fragte er, (26) welches ihm das umtriebigste (27) Lebewesen zu sein scheine. (28) Der aber habe gesagt, »Welches (29) keiner kennt von den Men(col. III, 1) schen.« 11) Den vier(2) ten aber fragte er – Sabeilo, (3) ihren A[nfüh]rer –, wo(4) z[u er] ge]raten habe 12) zu (5) kämpfen gegen ihn. Der (5) [

von S. Ciriello / A. Stramaglia, PSI VII 743 recto (Pack2 2100) – Dialogo di Alessandro con i Ginnosofisti e testo giuridico romano non identificato, APF 44 (1998) 219-227. 7. H. Diels, Laterculi Alexandrini aus einem Papyrus ptolemäischer Zeit, APAW 2 (1904); zu der vor allem hierauf fußenden Einordnung als Schultext bes. B. Legras, L’horizon géographique de la jeunesse grecque d’Égypte, in: A. Bülow-Jacobsen (Hg.), Proceedings of the 20th International Congress of Papyrologists (Copenhagen, 23.-29. 8. 1992), Copenhagen 1994, 165176; ders., L’enseignement de l’histoire dans les écoles grecques d’Égypte, in: B. Kramer u. a. (Hg.), Akten des 21. Internationalen Papyrologenkongresses (Berlin, 13.-19. 8. 1995), Stuttgart/Leipzig 1997, 591-593; auch bei R. Cribiore, Writing, Teachers, and Students in GraecoRoman Egypt (ASP 36), Atlanta, GA 1996, 270 Nr. 380. 8. So Wilcken, SPAW 1923, 160 zu dem 1907 von F. Bücheler in BKT V.1, S. 7-18 Nr. 2 publizierten P. Berol. 13044 verso aus etwa der Mitte des 1. Jh. v. Chr. 9. Von R. Merkelbach, Die Quellen des griechischen Alexanderromans, München 1954, 116 Anm. 4 = München 21977, 159 Anm. 10 nicht als Frage aufgefaßt, weswegen er mit einer Transposition des »nicht« rechnet, vgl. auch 51 bzw. 72; ihm folgend H. van Thiel, Alexanders Gespräch mit den Gymnosophisten, Hermes 100 (1972) 343-358, bes. 355. 358. 10. Zu den literarisch überlieferten Varianten dieser Frage bereits Wilcken, SPAW 1923, 166 f., der hier »größer sei die Erde oder das Meer« ergänzt; ihm folgend auch Manteuffel, De opusculis, 118; nach Zuntz, Hermes 87 (1959) 436 = Opuscula Selecta, 144 f. dagegen »er glaube, daß die Erde mehr (oder: größere) Tiere nähre als das Meer«; ihm folgend auch van Thiel, Hermes 100 (1972) 355. 358. 11. Anders allerdings Merkelbach, Quellen, 117 Anm. 1 bzw. 160 Anm. 12 »Welches keiner kennt: der Mensch«; dagegen bereits Zuntz, Hermes 87 (1959) 437 = Opuscula Selecta, 145. 12. Nach Merkelbach, Quellen, 113 Anm. 1 bzw. 156 Anm. 2 vielmehr »fragte er, wozu er Sam-

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Griechische Texte aus Ägypten (6) [aber

habe gesa]gt, »Damit es ihm (7) widerfahre, schön (8) zu leben oder schön zu ster(9) ben.« 13) Den fünften (10) hieß er zu sagen, ob (11) der Tag früher (12) geworden sei oder die Nacht. Der (13) aber habe geantwortet, »Um (14) eine Nacht früher der Tag.« 14) (15) Da aber irritiert war (16) Alexander hinsichtlich (17) dieser (Antworten), habe, da er (das) bemerkte, der (18) Inder gesagt, daß durch das (19) Aporistische der Fra(20) gen es widerfahre, daß auch die Antworten aporistisch seien. Den sechsten fragte er, (23) was etwa einer machen könne, daß er von den Men(24) schen vorzugsweise geliebt werde. Der aber habe gesagt, [»Wenn] (26) er, obwohl überaus mächtig, niemandem (27) [fur]chtbar sei.« (28) D[en] siebten aber fragte er, was (col. IV, 1) etwa einer machen könne, daß er we[rde] (2) ein Gott. Der aber habe gesa[gt, »Was nicht] (3) imstande ist ein Me[nsch] (4) zu machen, wenn es einer [mach]te.« Den ac[hte]n frag(6) te er, ob stär(7) ker 15) sei der Tod oder (8) das Leben. Der [aber] habe geantw[or]tet, (9) das Leben, welches nämlich (10) aus nicht Seienden Seiende ma(11) che, de[r T]od aber aus (12) Seienden [nicht] Seiende. (13) Den letzten hieß er (14) zu sagen, wieviel einer (15) etwa Zeit [habe sc]hön (16) [zu leben.] hDer aberi habe [gesa]gt, bi[s etwa] (17) … annehme … (18) … zu sein 16) … anderer (?) (19) … [ … Schließlich (?)] (20) aber, da (nur noch) e[iner] war, [der ansetz](21) te 17) zu urteilen über die A[ntwor](22) ten, fragte er dies[en,] (23) wer von ihnen (ihm) schiene am schlech(24) testen geantwortet zu haben, und (25) »Dami[t du nicht mein]st«, sagte er, [»sorg](26) los sein [zu (können) durch einen Gunst]erweis.« (27) Der ab[er – da er nicht wünschte, (col. V, 1) daß durch ihn jem]and zugrun(2) [de gehe – habe ge]sagt, daß ei(3) [ner imm]er [schlechter] als der andere geantwor(5) [tet habe. »Dann] also«, sagte er, (6) »werdet ihr alle sterben, (7) du aber als erster, da du derartiges (8) geurteilt hast.« D[er] aber habe gesagt: (9) »Aber wahrlich, Alexand[er –] (10) hnicht königilich ist es [zu betrügen.] (11) Sagtest du doch: [Welchen etwa ich beauf(12) tragen werde … (col. VI, 1) Denn es [rett]et uns dein Wort. (2) Daß man nicht zu unrecht tö(3) te, obliegt nicht uns, (4) sondern dir zu beachten.« (5) Alexander aber, da er (das) hör(6) te, habe geurteilt, daß Weise sei(7) en die Männ[er,] hundi angeord(8) net, Kleider zu schenken und (9) alle zu entlassen. (10) Gesetzgeber: (11) Solon – Lykurgos – Za(12) [leu]kos – Charondas – Drakon. (13) Maler: (14) Semon, Athener; dieser (15) [erf]and als erster die Umr[ißzeichnung (16) eines stehen]den Pferdes, indem er auf [einer (17) Wand (oder: in [der Son(17) ne) her-

13. 14. 15. 16.

17.

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bos, ihrem Anführer, geraten habe«, vgl. auch 117 bzw. 160; nach van Thiel, Hermes 100 (1972) 358 möglicherweise zu ergänzen »geraten habe hihrem Königei« o. ä. Anders allerdings Merkelbach, Quellen, 113. 117 bzw. 156. 160 »lieber in Ehren zu sterben als in Schande zu leben«; dagegen bereits Zuntz, Hermes 87 (1959) 437 f. = Opuscula Selecta, 145 f. Nach Wilcken, SPAW 1923, 169 zu ergänzen »hDie Nacht, da sie entstanden seii um (13) eine Nacht früher als der Tag«; ihm folgend auch Manteuffel, De opusculis, 119. Wörtlich »am stärksten«. Zu der andernorts gegebenen Antwort »Bis er annehme, daß das Sterben besser sei als das Leben« Wilcken, SPAW 1923, 171; Merkelbach, Quellen, 117 bzw. 160; nach Manteuffel, De opusculis, 120 dagegen »Solange er nicht annehme – zu Lebzeiten –, daß besser sei als das Leben die Unterwelt«. So mit van Thiel, Hermes 100 (1972) 358; nach Zuntz, Hermes 87 (1959) 436 = Opuscula Selecta, 144 dagegen »dem aufgetragen war«; ihm folgend auch Merkelbach, Quellen2, 160 gegen sein früheres »der angefangen hatte« (Quellen, 117).

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umzeichne]te um den (18) [Schatten 18) –] Zeuxis, Herak(19) [leo]te, der die … [ … – …] (col. VII, 1) chos – Habron – Kteside(2) mos – Menalkes. (3) Bildner von Götterstatuen: (4) Pheidias – Praxiteles – (5) Skopas. (6) Bild[ner] von Bildnisstatuen: (7) Myron – Lysippos – Po(8) lykleitos – Phyroma(9) chos. (10) Architekten: (11) Cheirisophos, der in (12) Ephesos den Tempel (baute) – Polyei(13) dos – Deinokrates, [der (14) mit Al]exander (?) [ … – (15) … ]esos – Pythe(16) [os, der in Hali]karnassos (17) [das Maussoleion (baute)] – Philon, (18) [der die Skeuothe]k den Athe(19) [nern baute (?) … (col. VIII, 1) Ingenieure: (2) Epikrates, Herakleo(3) te, der auf Rhodos die (4) Kriegsgeräte anfer(5) tigte – Polyeidos, der den (6) »Städteeroberer« in Byzanz (7) und auf Rhodos (8) den Vi[er]radwagen (baute) – Harpa(9) los, [der] mit Xerxes; die(10) ser ist es, der verband (11) den Hellespont – (12) Diades, der mit Alexan(13) der dem König (14) Tyros und die übrigen (15) Städte belagerte – (16) Styppax, der in Olym(17) pia den Pferdestart (baute) – Abda(18) raxos, der in Alexan(19) dria mechanische Werke voll(20) en[det]e – Dorion, der den (21) »Kriegslö[se]r« [ … (baute).] (22) Die Sieben Sehens[würdigkeiten: (23) … (col. IX, 1) … ] – in Ephe(2) [sos das Artemi]sion – die bei (3) [ … (befindlichen) Py]ramiden – (4) [ … ]rin(5) tho[s – in Halik]arnas(6) s[os des Maus]so[los] Grabmal. (7) Die gr[öß]ten [Inseln: 19) (8) Euboia] – Kreta – Sizi(9) l[ien – Sa]rdinien – Zypern – (10) [Lesbo]s – Kyrnos 20) – die Ba(11) lear[en,] bei Iberi(12) en – die Ky[kladen;] diese (13) [liegen da (?)] wie Opfer[kuchen (?) – Rho](14) dos – Ten[edos, vor der] (15) Mündu[ng bei] (16) dem Hell[espont –] (17) Prokon[nesos, in dem] (18) Helles[pont … (col. X, 1) Die größten Berge: (2) Imaon, (und zwar) das im In(3) dischen – das Kaukasusgebirge – (3) der Ta[urus,] der sich erstreckt (4) bis na[ch A]natolien (?) – (5) die Pyrenäen, in Iberi(6) en – das Alpengebirge, im (7) Ligurischen – das Rhipäenge(8) birge, im Keltischen – (9) der Olymp, in Makedo(10) nien – Athos – Ossa – Pe(11) lion – in Thrakien (12) [Rho]dope – auf [der] Pe[lo(13) ponn]es [Ky]lle(14) [ne, in] Lakedaimon (15) [Ta]ygeton – [ … (16) … ]leiton [ … – (29) Li](col. XI, 1) banon und Antiliba(2) non – Dindymos. (3) Die größten Flüsse: (4) in Iberien Rhadanos, (5) bei Massilia 21) – Ti(6) ber, bei Rom – E(7) ridanos, in die Adri(8) a 22) – Istros, durch Thra(9) kien 23) – Borysthenes, (10) durch Skythien – Tanais, (11) von den Hyperboräern – Hypanis, (12) durch der Kimmerier (Land) – 18.

19.

20. 21. 22. 23.

So jetzt mit B. Hebert, Attische Gelehrsamkeit in einem alexandrinischen Papyrus? Bemerkungen und Vorschläge zu den Künstlerkanones der Laterculi Alexandrini, Tyche 1 (1986) 128 Anm. 9 gegen das von Diels vorgeschlagene »die Umr[iß(16) zeichnu]ng, indem er von einem Pferd auf [einer weißen (17) Tafel (oder: in Far(17) be) nachmal]te den (18) [Schatten«. Zur Abfolge zuletzt I. Pajón Leyra, The Order of the Seven Greatest Islands in the Laterculi Alexandrini (P. Berol. 13044r), ZPE 192 (2014) 85-88. Abweichend von der sonstigen Praxis sind die geographischen Namen im folgenden in der im Deutschen gebräuchlichen Form gegeben, sofern sie jedenfalls seit langem eingebürgert sind; bei Bezeichnungen außerhalb des vertrauten Gesichtskreises sowie im Falle größerer Abweichungen wurde allerdings auch hier die griechische Namensform beibehalten, eine Identifizierung jedoch nur bei den letzteren hinzugefügt. D. h. Korsika. Zur Erstreckung Iberiens bis zur Rhône bzw. Marseille vgl. schon Diels im Komm. der Ed. pr., APAW 1904/2, 12. D. h. der Po. D. h. die Donau.

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Griechische Texte aus Ägypten

Phasis, (13) durch der Kolcher (Land) – Thermo(14) don, durch das A[ma]zo(15) nische – Halys, durch der Kappa(16) doker (Land) – Euphrat – Ti(17) gris und Pasitigris – Hy(18) daspes – Araxes, (19) durch Sarmatien – Ake(20) [sines] – Kopes – Ganges – (21) [ … ] Bos[trenos … (29) … – Astabo](col. XII, 1) ras, durch Aithiopien – [in] (2) Pamphylien durch[fließt durch A](3) spendos der Flu[ß Eu](4) rymedon. (5) Die schön[sten] Quellen: (6) Arethusa, in Syra[kus] (7) – Helle, in Elis (8) – Hekatostylos, [in] (9) Megara in Achaia – (10) Ka[sta]lia, in Delph[i – hDirke,i] (11) in Theben – Lerna [und] (12) Peirene, in Korinth – (13) Klepsydra, in Ithome (14) in Messenien – in (15) Kelainai in [Phrygi](16) en, aus der der Mar[syas (entspringt).] (17) Seen: [ …

1.2 Gespräch zwischen Platon und dem Ägypter Peteesis Auf der Rückseite einer 33,2 cm hohen Verwaltungsrolle, die eine aus dem Jahr 168/ 69 n. Chr. datierende Erklärung von Dorfältesten bietet, 24) wurde im 3. Jh. kopfstehend dazu ein Disput Platons mit ägyptischen Propheten niedergelegt. Das heute in Manchester aufbewahrte Fragment von 11 cm Breite enthält lediglich die Schlußpartie, wonach sich Platon von einem nicht näher bekannten Ägypter Peteesis über die Zuordnung der Vokale wie vor allem verschiedener Organe und Körperteile zu den Planeten und Tierkreiszeichen aufklären läßt. 25) Der bereits 1915 als P. Ryl. II 63 publizierte Text endet noch in der oberen Hälfte des Blattes mit dem Buchtitel und einer auffällig gestalteten Koronis. »… (1) [das] Ypsilon, des Saturn das Omega, woraus die Welt (2) [entstanden (?)] ist.« Platon: »Was aber hat es auf sich mit diesen (3) [(Stern-)Bi]ldern?« Peteesis: »Höre. Die Sonne (4) ist das rechte Auge, der Mond das linke, (5) [des Mer]kur (sind) Zunge, Geruchssinn, Gehör, des Jupiter (6) [die Einge]weide, des Mars die Seiten, der Venus (7) [die M]ilz, des Saturn die Nieren, des Widders der Kopf, (8) [des Kre]bses der Hals, des Löwen der Bauch, (9) [der] Jungfrau Kiefer und Hüften, der Waage (10) [die Hin]terbacken, des Skorpions das Gesäß, des Schützen (11) [die Obersch]enkel, des Steinbocks die Fingernägel, des Wassermanns (12) [die W]aden, der Fische die Extremitäten.« (13) Des Platon, der Athener (14) Philosophen, mit den Propheten (15) … Begegnung. (16) Zusammentreffen (17) [wegen (?)] eines Vergleichs.

24. 25.

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P. Ryl. II 379 descr., zur möglichen Herkunft BL VIII 296. Hierzu wie zu der geistesgeschichtlichen Einordnung bes. J. F. Quack, Dekane und Gliedervergottung. Altägyptische Traditionen im Apokryphon Johannis, JAC 38 (1995) 97-122, bes. 113; auch in: Corpus dei Papiri Filosofici greci e latini (CPF), Parte I Vol. 1***, Firenze 1999, 591-609 Plato 139T.

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1.3 Zum Umgang mit Blitzeinschlägen in Bildnisstatuen Aufgrund ihrer exponierten Stellung mögen Standbilder überdurchschnittlich häufig Blitzeinschlägen ausgesetzt gewesen sein, so daß Überlegungen zum Umgang mit solchen stets als Vorzeichen gedeuteten Ereignissen durchaus am Platze waren. Bei dem von B. P. Grenfell und A. S. Hunt in al-Bahnasa¯ gefundenen und schon 1908 publizierten P. Oxy. VI 885 aus dem 2./3. Jh. n. Chr. erscheint insbesondere die soziale Differenzierung nach der Person des Dargestellten bemerkenswert. Außer geringfügigen Resten der vorangehenden wie der folgenden Kolumne ist auf dem 23,3 cm hohen und 8,3 cm breiten Fragment nur die nicht einmal 20 Buchstaben umfassende col. II erhalten. Darin wird das Phänomen von Blitzeinschlägen in Bildnisstatuen von Angehörigen ärmerer Kreise behandelt, und zwar zunächst solcher Fälle, wo vom Blitz getroffene Statuen weiterhin stehenblieben: (col. I) …

– der Be](col. II, 32) ginn wird es für ihn (33) des Wohlstan(34) des sein; wenn aber vollstän(35) dig zu Boden stürzt (36) die Statue, ge(37) troffen von dem Blitz(38) schlag – den Unter(39) gang für sein Ge(40) schlecht bezeichnet es, für das (41) ganze. Es muß also der (42) Arme die Statue (43) entsühnen; und (44) Opfer darbringen dem Zeus, dem Blitzeschleu(45) derer; und dem Herakles (46) und der Tyche, der Rette(47) rin, nach seinem Vermö(48) gen, und zu seinen Gunsten (49) wenden das frü(50) here Zeichen; (51) für die gestürzte (52) Statue aber Sühneopfer dar(53) bringen und von sich ab(54) wenden das Zei(55) chen, indem er Opfer darbringt (56) denselben Göt(57) tern. (59) Wenn Statuen von Männern (60) vornehmer Kreise (61) von einem Blitzschlag (62) getroffen werden [ …

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2. Reflexion der Vergangenheit und Geschichtskonzeptionen In der griechischsprachigen Welt war jeder Blick auf die Vergangenheit unvermeidlich mit dem Bezug auf die vertrauten Mythen verknüpft, der auch die Geschichtskonzeptionen prägte. Während die griechische Geschichtsschreibung sich zunehmend hiervon unabhängig zu machen verstand, scheint man sich in Alexandria bevorzugt um die listenförmige Strukturierung des verfügbaren Wissens bemüht zu haben. 1) Davon, daß man dieses Wissen sammelte und immer wieder neuen Ordnungsprinzipien unterwarf, scheint man sich einen Beitrag erhofft zu haben für die Bestimmung der eigenen Position in der Welt und die Klärung des Verhältnisses zu den Göttern, was vielleicht auch Pate bei den – später auf bloße Angaben der Regierungsjahre reduzierten – Herrscherlisten stand.

2.1 Rekonstruktion der Frühzeit menschlichen und göttlichen Zusammenlebens Die griechische Mythologie bot ein schier unerschöpfliches Reservoir an Gestalten und Geschichten, die das Verhältnis des Menschen zu den Göttern betrafen. Um dieser Unübersichtlichkeit Herr zu werden, suchte man das entsprechende Wissen in Listen zu systematisieren, wobei sich die 1995 von M. Annette Harder als P. Oxy. LXII 4306 vorgelegte Rolle aus dem 1./2. Jh. n. Chr. durch ihr ungewöhnliches Interesse an den Anfängen dieser Beziehungen auszeichnet. 2) Der in al-Bahnasa¯, dem antiken Oxyrhynchos, ergrabenen und heute in der Oxforder Sackler Library aufbewahrten Rolle konnten bislang 27 Fragmente zugewiesen werden, von denen allenfalls zwölf eine Übersetzung verdienen; selbst das größte, 25 cm hohe und 12,8 cm breite Frg. 1 weist starke Beschädigungen auf. (Frg. 1; col. I) … (6) …

Kekrops, der zwei(7) [gestal]tige 3) … in Athen; (8) [dem Herm]es (?) Arkas, der Sohn des Zeus und der Kal(9) [lis]to, in Arkadien; dem Ares En(10) yalios opferten erstmals die Skythen; [der A]phrodite die Pho[ini]ker (12) auf Kythera; der Artemis die (13) Stadt der Ephesier; dem Hephaistos (14) [Le]mnos; den Chariten Eteokles, (15) [der Sohn des Keph]isos, in Ar … ; dem Di(16) onysos und dem Herakles Kadmos (17) in Theben; einige aber sagen, (18) [daß … dem He]rakles geopfert hätten … (19) [ … ]. Die aber (20) als er[ste Altäre der Gö]tter stifte(21) ten: den erste[n Altar] des olympischen 4) Zeus [ba]ute Pe(23) lasgos i[n Ar]kadien, der der des lykäischen Zeus genannt (25) wird; den zweiten Deuka(26) [li]on, der Thessaler, in Dios (27) in Make[do]nien; als dritter (28) Pelias in Dodona in der (29) Pelasger Land; (den ersten Altar) der Hera (bau-

1. 2. 3. 4.

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Weitere Beispiele vgl. bereits in Nr. 1.1 ab col. VI, 10 oder auch unten Nr. 4.1, bes. Z. 19-20. 38-66. Auch bei M. van Rossum-Steenbeek, Greek Readers’ Digests? Studies on a Selection of Subliterary Papyri, Leiden/New York/Köln 1998, 328-334 Nr. 69. Mythischer König über Attika, halb Mensch, halb Schlange. Im Papyrus auf »Altar« bezogen, wohl irrig.

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te) Pho(30) [ro]neus in Prosymna in der (31) [Ar]golis; auf Samos (den Altar) der Hera (baute) La(32) rissa (?), die Nachfahrin (?) des Phoroneus; … (col. II) … (5) … in (6) Ichmai in Paionien (7) der weiße Paion, wonach He[siod] (8) die Göttin als ichmäisch [an](9) redet in dem Vers »der ichmä[ischen] (10) Thetis, und die lauttosende Am(11) phitrite«; 5) der Athene Erechtheus (12) … eulenäug[ig … (13) …, wo]nach als eulenäugig die (14) [Göttin Hom]er bezeichnet in de[m (15) Ve]rs »schrecklich unter dem Klang (16) der [Eule]näugigen, der Tochter des gewaltigen (17) Vaters«. 6) Die aber ihre sterbliche Ges[talt] verw[an]delt haben sollen: (19) Kallisto, die Tochter des Lykaon, (20) soll nach dem Mythos eine Bä[rin gew]orden sein, (21) [ … d]em Himmel [… (22) …]; 7) Io aber, die Tochter des I(23) nachos, ein Rind geworden sein, wonach (24) der Bosporos »Rinderfurt« heißt; Prokne (25) und Philomela, die Töchter des Pandi(26) on, sollen nach dem Mythos geworden sein Pro(27) kne eine Nachtigall, [Philo](28) mela aber eine Schwalbe … (Frg. 2; col. II, 1) … der …]onis, 8) [ …; (2) Pan (?),] der Sohn des Hermes, [von Penelo](3) pe, der Tochter des Ika[rios … (4) …]; Trophon[ios, der Sohn des Apol](5) lon, von Iokaste, der [Tochter des …](6) gines. Die aber erste [Erfinder (waren): (7) Heiligtü]mer (?) wiesen aus die Ar[kader;] (8) sie opferten aber erstmals […;] (9) als zweites aber Stierschilde; (10) [ … ] Eichen[ … (Frg. 3) … (3) … Ringen (?) [ … (4) … der zwei](5) te Wettkampf [ … (6) … , welchen stif](7) tete Erichth[onios, der … ] (8) des Hephaistos, un[d der erstmals (?)] (9) in dem Wettkamp[f ein Gespann führte (?).] (10) Der dritte Wettkampf (war ein) g[ymnischer], 9) welchen stif(11) tete Danaos [ … in] Argos (12) [wegen] der Hochzeit seiner Töc[ht]er … . Der vier[te (14) Wett]kampf … [ … in Tra]pezunt (15) in Arka[dien, die ge]nannt [werden (16) die lyk]äischen. Der f[ünfte Wett]kampf [ … (17) … ], welchen (18) [stif]tete Aka[stos], der Sohn des P[elias,] (19) [des Sohnes der T]yro, der Tochter des Salmoneus, (20) [und des Po]seidon 10) … (Frg. 4) … (es gewann) Zetes,] (1) der Sohn des Bore[as, den Langstreckenlauf; Kalais, der Sohn des Bo](2) reas, den Doppell[auf; Kastor, der Sohn des Tyn](3) dareos, den S[tadionlauf; Polydeu(4) k]es, der Sohn des Ty[ndareos, den Faustkampf … (Frg. 5; col. I, 1) … (es gewann) Kyknos, der Sohn des Ares, töte]te aber Ly(3) [kos, den Sohn des …, den Thr]aker; Bel(4) [lerophontes, der Sohn des Glauk]os, im Pferde(5) [rennen; Iolaos, der Sohn des Iphiklos], mit dem Pferdegespann; Iphiklos, der Sohn des Phyl]akos, (7) [mit dem Zweigespann der Fohlen;] Eurytos, (8) [der Sohn des Hermes, mit dem Bogen; Aineu]s, der Sohn des Hermes, (9) [mit der Schleuder; Kephalos, der Sohn des Dei]on, (10) [mit dem Diskus … (col. II) … (3) … für Pa[troklos … (4) in Troia: [Di]omede[s, der Sohn des Tyde](5) us, im 5. 6. 7. 8. 9. 10.

Vgl. Hom., Hymn. III (Apollon), 94: »die ichnäische Themis und die lauttosende Amphitrite«. Vgl. Hom., Hymn. XXVII (Artemis), 8: »schrecklich unter dem Klang«, hier verbunden mit Od. III 135 bzw. XXIV 540 »der Eulenäugigen, der Tochter des gewaltigen Vaters«. Näherhin das Sternbild des Großen Bären. Denkbar wären hier etwa Koronis, die als Mutter des Apollonsohnes Asklepios galt, oder Philonis, die durch Hermes zur Mutter des Autolykos wurde. Möglicherweise auch »m[usischer]«. So mit van Rossum-Steenbeek, Greek Readers’ Digests?, 142 Anm. 52, gegen »[… de]r Euadne« in der Ed.pr.

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Griechische Texte aus Ägypten

Wagenrennen; Odysseus, [der Sohn des Laer](6) tes, im Wettlauf; [Ody]sseu[s und] (7) Aias, der Sohn des Telamon, im Fa[ustkampf; 11) (8) … ] Epeios, der Sohn des Panopeus, (9) [ … ;] Diomed[es … (10) …] Tela[mon … (Frg. 6; 1) … am Isthmos [für Melikertes,] (2) den Sohn des Adamas … (Frg. 7) … (6) [Der siebte] Wettkampf, welchen (7) [stiftete f]ür Pelop[s Hera(8) kles, der Sohn] der Alkmen[e … (9) … . Der ac]hte Wettkam[pf, … (10) in Nem]ea für Arch[emoros … 12) (Frg. 8) … (es gewann) … mit dem Renn](2) pferd; [ …, der Sohn des] (3) Zeus, den Sta[dionlauf … (Frg. 9) … ] mit dem Disk[us … (Frg. 10) 13) … (2) … ] erstmals [ … (3) … ] auf dem Areopag [ … (4) … ] dem Ares gegen [ … (5) … ] Mörder [ … (Frg. 11) … (2) … die To]chter [ … (3) … ] Wettkampf 14) [ … in (4) Athe]n auf dem A[reopag (?) … (6) …] Mörder [ … (8) … des Eu]palamo[s … (7) … ] geschah [ … (8) auf dem A]reopag [ … (Frg.12; col. I) … (6) … ] des Dionysos (7) [ … ]kles; (8) [ … (col. II) … (5) … Le](6) badeia …

2.2 Die sog. Leipziger Weltchronik Die von der Schrift her aus der ersten Hälfte des 2. Jh. n. Chr. datierende, erst 2010 publizierte sog. Leipziger Weltchronik 15) setzt sich aus fünf stark beschädigten Fragmenten unbekannter Herkunft zusammen, die 1913 wohl sämtlich über das Deutsche Papyruskartell in die Leipziger Papyrussammlung kamen. Sicher ist dies allerdings nur in einem Fall, wie auch die Zusammengehörigkeit erst im Laufe der Bearbeitung entdeckt wurde. Zwei Bruchstücke, die den größten Teil von col. III bieten, schließen direkt aneinander an, woraus sich eine ursprüngliche Höhe der Rolle von 26,4 cm ergibt. Bei den anderen Fragmenten blieb dagegen nur der untere (bei col. I und II) oder der obere Rand (bei col. IV) bewahrt; die Seitenränder sind überall abgebrochen. Die Gesamtbreite des Erhaltenen läßt sich, berücksichtigt man die Verluste, auf etwa 37 cm schätzen. Ungewöhnlich an der vorliegenden Zusammenstellung ist die Verbindung griechischer Vergangenheitskonstruktionen mit – von der bisherigen Überlieferung unabhängigen und nur bedingt vertrauenswürdigen – Königslisten, die bis auf die Wiederentstehung der Menschheit nach der deukalionischen Flut zurückgehen und damit im

11. 12. 13. 14. 15.

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Das nach Il. XXIII 70 ff. erwartete »Ri[ngen« scheint nicht zu lesen. Vermutlich »Der ac]hte Wettkam[pf, welchen stifteten (10) in Nem]ea für Arch[emoros die (11) Sieben gegen Theben«. Abgesehen von der Beteiligung der Götter an den hier aufgeführten Mordprozessen wurden diese Prozesse von den Griechen ebenfalls als Agone bezeichnet und galten demnach als Wettkämpfe eigener Art. Möglicherweise auch eine Verbform. D. Colomo / L. Popko / M. Rücker / R. Scholl, Die älteste Weltchronik. Europa, die Sintflut und das Lamm, APF 56 (2010) 1-25.

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wesentlichen das 1. Jt. v. Chr. umfassen. 16) Da ein solcher Einschluß babylonischer und ägyptischer Herrscher erst aus christlichem Kontext geläufig ist, wurde hierin »die älteste christliche Weltchronik« vermutet, 17) doch fehlen hierfür alle näheren Anhaltspunkte. 18) Mit der streng tabellarischen Anordnung von Herrschernamen und Regierungszeiten nähert sich col. IV bereits den unter Nr. 2.3 zusammengestellten Herrscherlisten an. (col. I, 1) …

[ge](2) raubt aber Europa aus Phoi(3) [nikie]n, die Tochter des Agenor und der … ] und sie 20) siedelten in (5) [Kreta. 21) N]ach weiteren 40 (+ x?) Jah22) ren gründete Ka[dmos] 23) Theben. Nach [weiteren … (col. II) … (4) … Jahre … (13) [ … Nach wei(14) teren] 104 [Jah]ren traten auf [Ion, der Sohn des (15) Xutho]s, 24) und se[in] Sohn [ … und (16) …]en Ioni[ 25) … (17) … ] … 26) Anchroe, 19) (4) [

16.

17. 18.

19. 20. 21. 22.

23. 24. 25. 26.

Zur Einordnung in die bisherige Überlieferung und ersten Identifikationsversuchen bes. L. Popko / M. Rücker, P. Lips. Inv. 1228 und 590: Eine neue ägyptische Königsliste in griechischer Sprache, ZÄS 138 (2011) 43-62, wonach etwa der häufiger wiederkehrende »Userthos«, wie auch bereits in der Ed. pr. vermutet, auf die verschiedenen Pharaonen der 22./23. Dynastie namens Osorkon zu beziehen sei. Die einzige Ausnahme unter den sonst durchweg der sog. Dritten Zwischenzeit zugehörigen Herrschern stelle allenfalls der in col. IV, 9 genannte »Medes« dar, falls darin tatsächlich der Pharao der 12. Dynastie Amenemhet III. zu erkennen sein sollte; für eine Identifizierung mit dem ersten Pharao der 25. Dynastie Kaschta allerdings zuletzt L. Popko, Ammeris / Marrhos / Moiris: Herodot, Manetho, P. Lips. Inv. 590 und Diodors Neues Reich, JEH 4 (2011) 99-117. Vgl. allgem. auch R. W. Burgess / M. Kulikowski, Mosaics of Time. The Latin Chronicle Traditions from the First Century BC to the Sixth Century AD, Bd. I: A Historical Introduction to the Chronicle Genre from its Origins to the High Middle Ages, Turnhout 2013, bes. 336-341 App. 6. So A. Weiß, Die Leipziger Weltchronik – die älteste christliche Weltchronik?, APF 56 (2010) 26-37. So bes. R. W. Burgess, Another Look at the Newly-Discovered ›Leipzig World Chronicle‹, APF 58 (2012) 16-25, der den Inhalt sogar als »actively non-Christian« (17; ebenso auch ders. / Kulikowski, Mosaics, 336) beschreibt und zugleich den Begriff der »Chronik« durch »Chronographie« ersetzen will. Nach W. Luppe, Korrekturen und Ergänzungen zur Leipziger Weltchronik, APF 56 (2010) 200-206, bes. 203 »Anchoe«. Nach Luppe, APF 56 (2010) 203 »[und die Diener]innen«. Mit Luppe, APF 56 (2010) 203. Für eine betonte Anfangsstellung des wiederholten »nach xy Jahren«, das folglich als strukturbildendes Element diente, bereits Luppe, APF 56 (2010) 203 ff.; mit der Ed. pr. dagegen wieder für eine Endposition Burgess, APF 58 (2012) 23 sowie ders. / Kulikowski, Mosaics, 311, freilich durchweg ohne nähere Begründung. Vgl. auch unten Anm. 33. Mit Luppe, APF 56 (2010) 203. Mit Luppe, APF 56 (2010) 204. Nach der Ed. pr. »[benann(16) t]en die Ioni[er«, nach Luppe, APF 56 (2010) 204 »kamen - - nach Asien (16) und grenz]en Ioni[en als Gebiet ab«. Obwohl die Tinte zu Zeilenbeginn bestens erhalten ist, ergeben die »merkwürdigen Spuren« – so Luppe, APF 56 (2010) 204 – keinen Sinn. Relativ sicher scheint zunächst ein Eta, dann ein rechter Winkel und darauf die beiden Zahlenwerte »7« und »45«, die durch die Überstreichung zweifelsfrei als solche zu erkennen sind. Während die Ed. pr. den Winkel wie im unteren Teil von col. III als die übliche Sigle für »Jahr« deutete und also »] 7 Jahre, 45 (Jahre) (?)« übersetzte, hatte Luppe Winkel wie »7« kurzerhand übergangen, was freilich beides nicht recht zu überzeugen vermag. Will man nicht mit einem – wenig plausiblen – vierstelligen »7045 Jahre« rechnen, wäre vielleicht am ehesten an einen buchtechnischen Vermerk (Paragraphenzählung?) zur Kennzeichnung eines neuen Abschnitts zu denken.

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gesch[ah … (18) … m]it Hesiod, seinem Sohn, [ … (19) … 27) N]ach weiteren [ … ] Jahren [ … 28) (20) Hom]er, der Dichter. Nach weiteren [ … (21) stiftet]en 29) die Eleer dem Zeus die Oly[mpischen Wettkämpfe (22) als z]weite. Nach weiteren [ … ] Jah[ren … (23) … ] 30) Zypern. Nach weiter[en … Jahren (24) die He]rakliden dem an[deren 31) … (col. III, 1) nach weiteren 24 Jahren [ … ]en 32) (2) ie Pythischen Wettkämpfe. Nach wei[teren] 35 [Jahren … ] 33) (3) Eine

Auflistung derer, die als Kö[nige herr]sch(4) [te]n in den früher[en Z]ei(5) ten. Nach der deuk[alioni]schen (6) [Sin]tflut folgte der Bes[te] von ihnen (7) als König nach. 34) U[nd] es sind die (8) ersten, die als Kö[nige herrschten, die baby(9) lonischen Könige. [ … ](10) os: 45 Jahre. Adaneites: 47 (?) [Jahre;] (11) Hyrbullos: 45 Jahre; Pheo[…(12) …]chos: 31 Jahre; macht von den Ba(13) [byl]oniern all[en als Herrschaft:] (14) 168 [Jahre.] Eine Aufl[ösung (?) … in Ba(15) byl]on. Die Söh[ne … (16) … bewir]teten (?) [ … ] (17) bis (?) überschatteten [ … ] (18) … Jahre [ … (19) … ] Jahre [ … (20) … ] 14 Jahre [ … (21) …] dem Halbgott [ … (22) … ] Jahre [ … (25) Ar]sinoites (?) [ … ] (26) Heptakomia (?), wo [ … ] (27) Söhne waren, und [ … es ge](28) schah (?) 35) in Abydos [ … ] (29) Es herrschte Smende[s … Jahre; ] (30) …mompsames: 51 Jahre; [ … (31) … ]; Amenophris: [ … ] Jahre; (32) Userthos: 11 Jahre; Psossammeos, (33) ein S…te: 36) 1 Jahr; Userth[os … ,] (34) ein Saïte, der Zweite: 37) [ … Jahre; …]os: [ … Jahre; (35) … ,] sein Sohn: 75 Jahre; 27. 28. 29.

30. 31. 32.

33.

34. 35. 36. 37.

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Luppe, APF 56 (2010) 204 liest bzw. ergänzt Z. 16 ff. »Nach (17) weiteren] 45 Jahren wurd[e Dios, der Sohn des Apel(18) les, m]it Hesiod, seinem Sohn, [Einwohner von Askra«, Z. 17 f. eventuell auch »des Apel(18) lis« oder »aus Ky(18) me«. Nach Luppe, APF 56 (2010) 204 möglicherweise »wurde anerkannt«. Statt des von Luppe, APF 56 (2010) 204 erwogenen ffrwsa]n wäre wie in dem vorigen Text etwa auch an ein einfacheres ˛qhka]n zu denken, wobei die oberhalb des Abbruchs noch erkennbare Querhaste am ehesten eine Endung -]p.[o]n nahelegen würde. Nach Luppe, APF 56 (2010) 204 »[wurde (23) besiedelt]«. Nach Luppe, APF 56 (2010) 205 vielmehr »ke[hrten zu]rück«; vgl. jedoch auch die folgende Anm. Nach Luppe, APF 56 (2010) 205 ist der letzte Buchstabe als Ny zu lesen und daher gffgone]n statt ¥gffne]t. o. »geschah]en« zu ergänzen. Ebenso gut möglich wäre allerdings erneut ˛qhka]n »[stiftet]en«, wobei als Stifter dann nur die am Ende von col. II genannten Herakliden infrage kämen. In diesem Fall hätte die Kolumne entweder mit einem Partizip oder einem verbindenden »und« enden müssen, was angesichts der noch nicht befriedigend geklärten Tintenreste nicht gänzlich auszuschließen scheint. Mit der in der folgenden Zeile einsetzenden »Auflistung« scheint ein neuer Abschnitt zu beginnen, was vermutlich den Anlaß dazu gab, das direkt vorausgehende »nach xy Jahren« stets am Satzende zu plazieren; vgl. bereits Anm. 22. Dies überzeugt freilich ebenso wenig wie der Vorschlag von Luppe, APF 56 (2010) 205 f., von Z. 2-7 nur einen einzigen Satz anzunehmen. Die endgültige Lösung scheint hier noch nicht gefunden zu sein. Zweifel bereits bei Luppe, APF 56 (2010) 205; die von ihm vorgeschlagene Lesung bzw. Ergänzung »[und] de[r jeweiligen] Jahre, (7) [di]e sie herrschten« überzeugt freilich ebenso wenig. Die in der Ed. pr. vorgeschlagene Ergänzung »und sie [herrschten darüber hinaus]« vermag wegen der Passivendung am Beginn von Z. 28 nicht zu überzeugen; denkbar wäre stattdessen etwa ¥gffne]|t. o.. So entgegen den bisherigen Deutungen mit Blick auf die für Herkunftsangaben typische Endung »-ites«, vgl. auch col. IV, 1 f.; im Fall eines weiteren Königsnamens wäre zudem am Ende von Z. 32 noch die Regierungszeit des Psossammeos zu erwarten. Wie in der vorigen Zeile deutet die Endung »-tes« auch hier auf eine – erneut mit »S« beginnende – Herkunftsangabe, wobei die unterschiedliche Wortlänge freilich gegen das grund-

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U(36) s[er]th[os:] 24 Jahre; Sesyncheis: 14 Jahre; (37) Sokophtheis: 3 Jahre; Amendesis: 11 Jahre; Sesonches: 41 hJahrei; Usorthos: 40 (+ x?) Jahre; (col. IV, 1) Psonsames: [ … ] Jahre; [ …, ein …](2)opolite, 38) [ … D]as (3) Lamm sprach mit [me]nschlicher (4) Stimme, was Zukünftiges der We(5) lt geschehen werde. Sebenchos: (6) 23 Jahre. Sebenchos der Zweite: 13 Jahre. (7) Macht von den Ägyptern als Herrschaft: (8) h … i Jahre. 39) Nach diesen herrschte (9) als König Medes: 48 Jahre; (10) Psonsames: [x+]1 Jahre; (11) Amoses: 14 Jahre; (12) Amenophis: 9 Jahre; (13) Uertho[ … ]: 20 … ; 40) (14) Uertho[s: … ] Jahre; (15) Sesynch[eis: … J]ahre; (16) Syphois: [ … Jah]re; (17) Zmendas: [ … Jah]re; (18) Userthos: [ … Jah]re; (19) Psonsames: [ … Jah]re; (20) [ … ]ekchos [ … ;] (21) [ … ]kchos [ … ;] (22) [ … ]nchos [ …

2.3 Herrscherlisten Auf einigen Papyri blieben auch Herrscherlisten der hellenistisch-römischen Welt erhalten, die oft nicht mehr als den bloßen Namen des Herrschers mitsamt der Anzahl der Regierungsjahre bieten. Da es sich zumeist um Bruchstücke handelt, bleibt indessen unklar, ob sie nicht möglicherweise – ähnlich wie die unter 2.2 vorgestellte »Leipziger Weltchronik« – Teil eines größeren chronographischen Werkes waren oder doch nur bloße Listen, die eher dem »Gelehrtenwissen« zuzuordnen wären. Aufgrund der andersartigen Datierungsgewohnheiten zunächst vor allem im griechischen Osten und zumal Alexandria verbreitet, sollten tabellarische Aufstellungen dieser Art unter dem Namen der sog. »Laterculi« zunehmend auch im spätantiken und frühmittelalterlichen Westen Prominenz gewinnen. 41)

2.3.1 Liste der ptolemäischen Könige

Auf zwei stark beschädigten Fragmenten aus dem frühen 1. Jh. n. Chr., die in al-Bahnasa¯ gefunden und 1948 von E. P. Wegener als P. Oxy. XIX 2222 publiziert wurden, blieben Bruchstücke einer Liste der ptolemäischen Könige erhalten. Während sich die in dem nur 5 cm hohen und 6,2 cm breiten Frg. A genannten Herrscher des mittleren

38.

39. 40. 41.

sätzlich naheliegende »ein weiterer Saite« spricht; das folgende »der andere« sollte sich daher vielmehr im Sinne von »der Zweite« auf den vorausgehenden Eigennamen beziehen, vgl. ähnlich auch col. IV, 5 f. Nach Popko / Rücker, ZÄS 138 (2011) 52 sei angesichts der konkurrierenden Fürstensitze gegen Ende der Dritten Zwischenzeit anstelle des von der Ed. pr. erwogenen »der aus Leont]opolis (?)« auch eine Ergänzung »Herm]opolis«, »Heli]opolis« oder »Herakle]opolis« denkbar; mit Blick auf die griechischen Trennungsregeln würde man dabei den letzten beiden Optionen den Vorzug geben. Das auf dem Papyrus gebotene »Jahre Jahre« kann schwerlich korrekt sein; zu möglichen Lösungsversuchen bes. Popko / Rücker, ZÄS 138 (2011) 58. Das hier erwartete »Jahre« scheint nicht lesbar. Vgl. nur Th. Mommsen, Chronica minora saec. IV. V. VI. VII. (Monumenta Germaniae Historica, Auctores antiquissimi 13. 3), Berlin 1898, 355 ff. und bes. H. Usener, Laterculi regum et imperatorum ab astronomis Alexandrinis conditi, ebda. 438-455 Kap. V.

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2. Jhs. v. Chr. nur schwer zuordnen lassen, 42) behandelt das – daran anschließende? – 6,2 cm hohe und 14 cm breite Frg. B bereits Ereignisse des beginnenden 1. Jh. v. Chr. Obwohl zeitlich noch relativ nah, erscheinen die Angaben nur bedingt verläßlich. (Frg. A; 1) …

herrschte er m]it (?) Philometor 2 Jahre, al[lein (?) … (2) Ptolem]aios der Jüngere, der Soh[n … leb(3) te] 36 (?) Jahre und herrsch[te … Jahre;] (4) [Ptolemaios, der] Zweite So[ter, 43) … leb(5) te 62 Jahre und he]rrschte [ … (Frg. B; 7) … ] … folgenden [ … ] (8) Alexa[nd]er, der Sohn des Alexander, der den Bein[am]en nach dem Vate[r trug, 44) leb(9) te] 11 45) Jahre und herrschte 18 Tage, [ … ; (10) Ptole]maios, der Sohn des Ptolemaios Soter, 46) lebte 42 Jahre [und herrsch(11) te] 29 Jahre, einschließlich der bei[den] Jahre, die er in der Fremde verbrachte [ … ; (12) Pto]lemaios, der Sohn des Ptolemaios, der Bruder der Kleopatra, 47) le[bte 14 (13) Jahre und] herrschte mit Kleopatra 3 Jahre, allein 1 Jahr [ …

2.3.2 Liste der Herrscher über Ägypten von den Persern bis zu Philippus Arabs

Von dem ebenfalls in al-Bahnasa¯ gefundenen und erstmals 1962 aus dem Nachlaß von P. Sattler publizierten Doppelblatt aus einem Codex des 3. oder 4. Jh. n. Chr. ist nur noch der Mittelteil vorhanden. 48) Nahezu die Hälfte des 22 cm hohen und 9 cm breiten Bruchstücks nimmt der Freiraum zwischen den auf beiden Blättern niedergelegten Texten ein, wobei Blatt A den geringen Buchstabenresten zufolge einen astronomischen Text enthielt. 49) Zwar sind die auf Blatt B bewahrten Partien nur wenig umfangreicher, doch lassen sie auf eine – erneut nicht durchweg verläßliche – Liste der Herrscher über Ägypten schließen, die von den Persern über die ptolemäischen Könige und bis zu den römischen Kaisern des mittleren 3. Jh. n. Chr. reicht. 50) Die 42.

43. 44. 45. 46. 47. 48. 49.

50.

540

Einzig sicherer Anhaltspunkt ist der in Z. 1 genannte Kultname von Ptolemaios VI. Philometor (180-145 v. Chr.); zu den weiteren Deutungsmöglichkeiten E. Van’t Dack, Encore le problème de Ptolémée Eupator, in: H. Heinen (Hg.), Althistorische Studien Hermann Bengtson zum 70. Geburtstag dargebracht von Kollegen und Schülern (Historia Einzelschriften 40), Wiesbaden 1983, 103-115, bes. 114 f. = BL VIII 255. Außer Ptolemaios IX. Soter II. (116-107 sowie 88-81 v. Chr.) erschiene nach Van’t Dack (wie vorige Anm.) auch Ptolemaios VIII. Euergetes II. denkbar, der 170-163 sowie 145-116 v. Chr. in Ägypten regierte. Ptolemaios XI. Alexander II. (80 v. Chr.). So gegen das von Wegener gelesene »29« H. I. Bell im Komm. z. St. Ptolemaios XII. Neos Dionysos Auletes (80-57 v. Chr.). Ptolemaios XIII. (51-47 v. Chr.) bzw. Kleopatra VII. (51-30 v. Chr.). P. Sattler, Studien aus dem Gebiet der Alten Geschichte, Wiesbaden 1962, 39-50 Nr. III; wiederabgedruckt als SB VI 9624 bzw. P. Oxy. XXXI 2551. Erwähnung verdient hierbei namentlich das mehrfach vorkommende Zeichen für »0«, vgl. bereits Sattler, Studien, 43 f. wie auch die Bespr. von P. Parsons, A Young Scholar’s Legacy, CR N.S. 13 (1963) 324 f.; so bes. auf der Vorderseite von Blatt A bzw. verso col. II, Z. 6. 7. 13. 15. 16 (?) und 17, wo außer Einzelbuchstaben und -silben sonst nur noch in Z. 17 »Sonne« bzw. Z. 19 f. vielleicht »wan](20) deln un[d« zu lesen ist; auf der Rückseite bzw. recto col. I scheinen lediglich in Z. 8 der Monatsname »Thoth« und am Ende von Z. 17 »i]st und«, Z. 18 »t]eilen (?)« sowie Z. 19 f. »… das Stern(20) [bild (?)« erkennbar. Zwar sind von den letzteren zumeist nur die Regierungszeiten erhalten, doch läßt die enge

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Folgezeilen längerer Einträge sind leicht eingerückt, die Angaben zum jeweiligen Herrschervolk jeweils auf Mitte gesetzt. Auch wenn das Doppelblatt aufgrund des fragmentarischen Zustandes nur begrenzten Informationswert besitzt, verleiht ihm das Nebeneinander astronomischer und chronologischer Daten wie auch die offenkundige Nähe zu den sog. »Laterculi regum et imperatorum ab astronomis Alexandrinis conditi« erhöhtes Interesse.51) (Blatt B, Vs.; recto col. II, 1) An

Pers[ern:] (2) Eloimex[ … Jahre;] (3) Xerxes: [ … Jahre;] [ … Jahre;] [ … Jahre.] (6) An Ägypt[ern:] (7) Nektan[ … Jahre.] (8) An Perse[rn:] (9) Dareios: [ … Jahre.] (10) An Maked[onen:] (11) Philippos: [ … Jahre;] 53) (12) Alexand[er, der nach dem] (13) Gründer: [ … Jahre;] 54) (14) Ptolemaio[s: … Jahre;] (15) Philadelphos: [ … Jahre;] (16) Euergetes: 2[6 Jahre;] (17) Philopator: [ … Jahre;] (18) Epiphanes: [ … Jahre;] (19) Philometor, der [Sohn der Kleo(20) patra: [ … Jahre;] 55) (21) Ptolemaio[s …,] (22) der Sohn des So[ter: … Jahre;] 56) (23) Ptole[maios … (24) … ] (25) K[leopatra 57) … (Blatt B, Rs.; verso col. I, 1) … ]er herrsch(2) [ten 58) … (4) [Augustus:] 43 Jahre; (5) [Tiberius:] 22 Jahre; 59) (6) [Gaius:] 4 Jahre; (7) [Claudiu]s: 14 Jahre; (8) [Nero:] 14 Jahre; 60) (9) [Vespasia]nus: 10 Jahre; (10) [Titus:] 3 Jahre; (11) [Domitianus:] (4) Kyros:

51. 52. 53. 54.

55. 56.

57. 58.

59. 60.

(5) Ochoa: 52)

Parallele in der nach 251 n. Chr. erstellten Liste P. Oxy. I 35 verso wenig Raum für Zweifel, zumal die Abweichungen von der in Ägypten üblichen inklusiven Zählung teilweise sogar beiden gemeinsam sind, vgl. nur die Anm. Zu letzterem auch oben Anm. 41, vgl. auch Nr. 1 Anm. 6; so bereits Sattler, Studien, 44 ff. mit weiteren Parallelen in den Papyri sowie zuletzt G. Azzarello, Osservazioni e proposte di lettura a P. Oxy. XXXI 2551 recto, col. II e verso, col. I, ZPE 153 (2005) 149-154, bes. 149 f. Offenkundig Dareios II. Ochos (423-404 v. Chr.). Die Liste als ganze scheint verderbt, insbesondere der in Z. 2 genannte Eloimex[- nicht zu identifizieren, vgl. bereits Sattler, Studien, 46 f. Der Anordnung zufolge sicher Philipp III. Arrhidaios (323-317 v. Chr.). So mit Sattler, Studien, 47 f. für Alexander IV. (317-310 v. Chr.), vgl. auch Azzarello, ZPE 153 (2005) 152 ff. Das grundsätzlich vorteilhaftere »(12) [Ein weiterer] Alexand[er, der Sohn des]« scheidet hingegen aus, da das zu Beginn von Z. 13 folgende »Gründer« sicher nicht im Genetiv steht. Zu Ptolemaios VI. Philometor (180-145 v. Chr.) als Sohn Kleopatras I. vgl. auch unten Nr. 3.2.2, Z. 92 ff. 109 ff. mit Anm. 42. Die naheliegende Ergänzung »(21) Ptolemaio[s Neos Dionysos]« mit Bezug auf den von 8057 v. Chr. herrschenden Ptolemaios XII. würde allerdings einen Generationensprung voraussetzen; hierzu wie zu den anderen Lösungsmöglichkeiten zuletzt Azzarello, ZPE 153 (2005) 151 f. Wie auch schon oben in Nr. 2.3.1 erscheint die Liste der späteren Ptolemäer bemerkenswerterweise kaum weniger verderbt als die der zu Beginn aufgeführten persischen Könige. Als letzte der »Makedonen« nach Z. 10 sicher Kleopatra VII. (51-30 v. Chr.). Zu den möglichen Ergänzungen der Anfangszeilen Sattler, Studien, 49. Richtig sind nach ägyptischer Rechnung die Daten für Augustus (Z. 4), Caligula (Z. 6), Claudius (Z. 7; diese beiden in P. Oxy. I 35 verso, 4 allerdings kontaminiert zu »Claudius: 4 Jahre«), Nero (Z. 8), Vespasian (Z. 9), Titus (Z. 10), Domitian (Z. 11) sowie Gordian III. (Z. 23). So zu Tiberius (14-37 n. Chr.) auch P. Oxy. I 35 verso, 3; richtig wäre nach ägyptischer Rechnung allerdings »23 Jahre«. Obwohl die drei anderen Kaiser des Jahres 68/69 n. Chr. Galba, Otho und Vitellius in den Papyri durchaus belegt sind – vgl. nur P. Bureth, Les Titulatures impériales dans les papyrus,

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15 Jahre;

(12) [Nerva:]

ein Jahr; 61) (13) [Traianus:] 15 Jahre; 62) (14) [Hadrianus:] 21 Jahre; 63) Anto]ninus: 23 Jahre; 64) (16) [Aureliu]s Antoninus (17) [und Commodus:] 32 Jahre; 65) (18) [Severus und] Antoninus (19) [und Geta (?):] 25 Jahre; 66) (20) [Antoninu]s der Kleine: 4 Jahre; 67) (21) [Alexande]r: 13 Jahre; 68) (22) [Maximinus:] 3 Jahre; 69) (23) [Gordianus:] 6 [Jahre; (24) Philippus:] 6 [Jahre 70) …

(15) [Aelius

61. 62. 63. 64. 65. 66. 67.

68. 69. 70.

542

les ostraca et les inscriptions d’Égypte (30 a. C. – 284 p. C.) (Pap. Brux. 2), Bruxelles 1964, 35 ff. –, tauchen sie hier ebenso wenig auf wie in P. Oxy. I 35 verso, 5 f. So zu Nerva (96-98 n. Chr.) auch P. Oxy. I 35 verso, 9 (dort freilich »Neros«); richtig wäre nach ägyptischer Rechnung allerdings »2 Jahre«. Trajan (98-117 n. Chr.); richtig wäre wie in P. Oxy. I 35 verso, 10 allerdings »19 Jahre«. Hadrian (117-138 n. Chr.); richtig wäre allerdings »22 Jahre«, während P. Oxy. I 35 verso, 11 sogar »23 Jahre« bietet. So zu Antoninus Pius (138-161 n. Chr.) auch P. Oxy. I 35 verso, 12; richtig wäre nach ägyptischer Rechnung allerdings »24 Jahre«. So als vermeintliche Samtherrschaft mit BL VIII 259, da Commodus die Regierungszeit seines Vaters Marc Aurel (161-180 n. Chr.) bis 192 n. Chr. fortzählte; richtig wäre allerdings »33 Jahre«, während P. Oxy. I 35 verso, 13 sogar »34 Jahre« bietet. Ebenso auch für Septimius Severus (193-211 n. Chr.) und Caracalla, da letzterer die Regierungszeit seines Vaters bis 217 n. Chr. fortzählte, nach BL VIII 259 möglicherweise unter Einschluß Getas; anders P. Oxy. I 35 verso, 14, der hier nur »Severus: 25 Jahre« bietet. So zu Elagabal (218-222 n. Chr.) mit BL VII 151; vgl. auch P. Oxy. I 35 verso, 15 mit bloßem »Antoninus«, wobei der 217/18 n. Chr. regierende Macrin in beiden Fällen übersprungen ist. Richtig wäre nach ägyptischer Rechnung einschließlich der gemeinsamen Herrschaft mit Severus Alexander allerdings »5 Jahre«. So auch P. Oxy. I 35 verso, 16; richtig wäre nach ägyptischer Rechnung für die Zeit der Alleinherrschaft des Severus Alexander (222-235 n. Chr.) allerdings »14 Jahre«. So zu Maximinus Thrax (235-238 n. Chr.) auch P. Oxy. I 35 verso, 17; richtig wäre nach ägyptischer Rechnung allerdings »4 Jahre«. So zu Philippus Arabs (244-249 n. Chr.) auch P. Oxy. I 35 verso, 19; richtig wäre nach ägyptischer Rechnung allerdings »7 Jahre«.

3. Wissenschaften Von Wissenschaft in modernem Sinne kann bei keinem der griechischen Texte aus Ägypten die Rede sein; vor allem aber sind diejenigen, die dem noch am nächsten kommen, fester Bestandteil der griechischen Literatur und also hier nicht aufzunehmen. Dies gilt zumal für das so fruchtbare Gebiet der Philologie mit ihrer bis heute anhaltenden Ausstrahlung, während die Medizin ohnehin bereits Gegenstand eines früheren Bandes war. Ein besonderer technischer Zugriff ist allerdings auch den drei hier behandelten Materien zu eigen, wobei Mathematik und Metrologie einerseits und Astronomie und Kalender andererseits manche Überschneidung aufweisen. Eine Randstellung nehmen demgegenüber die Mustertexte und Vertragsformulare der Rechtswissenschaften ein, die gut auch zum Bereich von Ausbildung, Schreiber- und Gelehrtenkultur zu rechnen wären, setzten sie nicht doch ein höheres Reflexionsniveau voraus.

3.1 Mathematik und Metrologie Zählen und Messen haben allgemeiner Auffassung nach an den Anfängen aller Schriftkultur gestanden. So scheint man sich hier auch früher als andernorts und besonders intensiv um eine systematische Erfassung des damit verbundenen Wissens bemüht zu haben. Die Trennlinie gegenüber Erzeugnissen des reinen Schulbetriebs ist freilich nicht immer scharf zu ziehen, zumal wenn es um tabellenartige Aufstellungen geht. Belege für komplexere Rechenoperationen stehen hingegen oftmals den griechischen Wissenschaftstexten nahe, 1) wiewohl sich darunter auch manches nicht-Euklidische findet; als Beispiel sei nur die große »stereometrische Aufgabensammlung im Papyrus Graecus Vindobonensis 19996« genannt, 2) in der J. Friberg eine vorderorientalische Traditionslinie erkannte. 3) Gemeinsam ist all diesen Texten die vom ver1.

2.

3.

Zur Entwicklung und Einordnung D. H. Fowler, The Mathematics of Plato’s Academy. A New Reconstruction, Oxford 21999; zu den antiken Zeugnissen zuletzt T. Dorandi, La recezione degli Elementi di Euclide nell’antichità – la tradizione papiracea, in: V. Gysembergh / A. Schwab (Hg.), Le Travail du Savoir / Wissensbewältigung. Philosophie, sciences exactes et sciences appliquées dans l’Antiquité (AKAN-Einzelschriften 10), Trier 2015, 3-30. So die Überschrift der Ed. pr. als MPER N.S. I 1, Wien 1932, (1. Jh. n. Chr.) durch H. Gerstinger und K. Vogel, die die insgesamt 38 erhaltenen Probleme mit Nachzeichnungen und eingehend kommentierter deutscher Übersetzung bieten. Hierzu auch Horak, Illuminierte Papyri, 244 ViP 163 sowie Fowler, The Mathematics, 253 ff. Kap. 7.3(d), die Additionstabellen auf dem Verso jetzt in MPER N.S. XV, Wien 1985, 151. Vgl. nur J. Friberg, Unexpected Links between Egyptian and Babylonian Mathematics, Singapore 2005, 233 ff. Nr. 4.8, der des weiteren an griechischen Texten erörtert: P. IFAO inv. 88 = SB XII 11246 (19 f. Nr. 1.2 c, 1. Jh. v. Chr./1. Jh. n. Chr.); O. Bodl. II 1847 (194 Nr. 4.1, 30 v. Chr.-14 n. Chr.; bei Fowler, The Mathematics, 231 ff. Kap. 7.1(d) = BL IX 404 f.); P. Oxy. III 470 (195 f. Nr. 4.2, 3. Jh. n. Chr.; dazu auch S. Couchoud, BSEG 12 (1988) 25-34; St. West, ZPE 77 (1989) 30-32); P. Vindob. G 26740 = MPER N.S. XV, 178, verbunden mit Homer, Il. VI 373-410 (196 ff. Nr. 4.3, 2. Jh. n. Chr.; auch U. Horak, Illuminierte Papyri, Pergamente und Papiere I, Wien 1992, 244 ViP 164); P. Mich. inv. 620 = P. Mich. III 144 (200 ff. Nr. 4.4, 2. Jh. n. Chr.); P. Akhmîm (208 ff. Nr. 4.5, 6. Jh. n. Chr.; bei Fowler, The Mathematics, 270 f. Nr. 12);

543

Griechische Texte aus Ägypten

trauten Sprachgebrauch abgesetzte Terminologie, wenn etwa das übliche Wort für »Seite« hier für »(Quadrat-)Wurzel« steht. 4) Bei der unten gegebenen Auswahl wurde Wert auf eine möglichst große Bandbreite der Beispiele gelegt.

3.1.1 Gitternetz mit den Vielfachen natürlicher Zahlen

Ungewöhnlich ist das in Genf aufbewahrte Bruchstück eines Gitternetzes aus dem 2. Jh. v. Chr., in das die Ergebnisse der Multiplikationen des sog. »Kleinen Einmaleins« eingetragen sind. Auf der Vorderseite des 1996 von P. Schubert als P. Gen. III 121 vorgelegten Blattes befindet sich kopfstehend dazu der Anfang des homerischen Dionysoshymnus, den A. Hurst im selben Band als P. Gen. III 118 publizierte. Diese Kombination wie auch die noch ungeübte Hand legen die Vermutung nahe, daß das 15,5  13 cm große, allseits abgebrochene Fragment aus dem Schulkontext stammt. 9

10

18

20

27

30

36

40

40

45

50

48

54

60

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70

64

72

80

[72]

81

90

80

90

100

3.1.2 Additions-, Multiplikations- und Bruchzahlentabellen

Additions-, aber mehr noch Multiplikations- und vor allem Bruchzahlentabellen gehören zu den am häufigsten belegten mathematischen Texten aus Ägypten. 5) Bei Ad-

4. 5.

544

P. Michael. 62 (215 ff. Nr. 4.6, 6. Jh. n. Chr.; mit BL VIII 211, IX 158; bei Fowler, The Mathematics, 272 Nr. 24; dazu auch F. Morelli, ZPE 122 (1998) 135-138); P. Gen. inv. 259 verso = SB XIV 11973, jetzt neuediert als P. Gen. III 124 (220 f. Nr. 4.7 a, 2. Jh. n. Chr.); P. Chic. 3 (221 ff. Nr. 4.7 b, 1. Jh. n. Chr.; unten Nr. 3.1.5); P. Corn. inv. 69, jetzt neuediert als P. Bagnall 35 (226 ff. Nr. 4.7 c, 2. Jh. n. Chr.; auch Horak, Illuminierte Papyri, 244 ViP 155a). Vgl. nur zuletzt A. Jones in der Neued. von P. Corn. inv. 69 als P. Bagnall 35, bes. S. 160 in der Einl. sowie schon Gerstinger / Vogel, MPER N.S. I 1, S. 41 ff. § 3. Vgl. nur die Übersichten bei Fowler, The Mathematics, 268-276 Kap. 7.5 Appendix (Nr. 1-69) sowie ders., Further Arithmetical Tables, ZPE 105 (1995) 225-228 (Nr. 70-107); weitere Beispiele etwa bei H. Harrauer / P. J. Sijpesteijn, Neue Texte aus dem antiken Unterricht (MPER N.S. XV), Wien 1985, bes. 133 ff. Nr. 143-179. Für ihre Funktion als wichtiges Hilfsmittel spricht auch die weit überdurchschnittliche Niederlegung solcher Tabellen auf den in Ägypten sonst relativ selten belegten Holz- bzw. Wachstafeln.

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ditionen wie Multiplikationen ergeben sich die Rechenoperationen stets nur mittelbar, da die Buchstabenkolonnen des Ziffernalphabets allenfalls durch Abstände, nicht aber diakritische Zeichen geordnet sind, während bei Bruchzahlenrechnungen die hier regelmäßig gesetzten Artikel willkommene Hilfestellung bieten. Das eindrucksvollste Beispiel für eine Bruchzahlentabelle stellt zweifellos der am Anfang abgebrochene, aber auch jetzt noch fast 107 cm lange und nur 9,2 cm hohe P. Mich. III 146 aus dem 4. Jh. n. Chr. dar, der eine systematisch nach den Teilern aufgebaute Übersicht über die Teilungsergebnisse der Grundzahlen bietet. Während bei den Einern sämtliche Quotientenwerte für Einer, Zehner, Hunderter und Tausender aufgeführt sind – so z. B. für die Achtel in col. II »(1) Von 2 = 1⁄4; (2) von 3 = 1⁄4 1⁄8; (3) von 4 = 1⁄2« usw. bis zu col. IV, Z. 6 »von 10.000 = 1.250« –, werden bei den Zehnern nur die jeweiligen Quotientenwerte bis zur vollen 1 gegeben. Bei den »Neunzehnteln« in col. XIX, Z. 1 bricht die Liste freilich gleich nach der Überschrift ab, der Rest der Rolle ist frei gelassen. 6) Ein früher Vorläufer dieser meist erst aus der Spätantike datierenden, geradezu handbuchartigen Texte liegt in dem 6,8 cm hohen und 6 cm breiten, heute in Kopenhagen aufbewahrten Einzelblatt unbekannter Herkunft vor, das Adam Bülow-Jacobsen 1985 als P. Haun. III 49 edierte und in dem möglicherweise nur eine Schülerübung zu sehen ist. 7) Im 2. Jh. v. Chr. hatte sich jemand dort die Quadrate der Zahlen von 1 bis 19 sowie von 20, 30 und 40 notiert, wie üblich als bloße Buchstabenkolonnen. (col. I, 1) 1  1

= 1; (2) 2  2 = 4; (3) 3  3 = 9; (4) 4  4 =16; (5) 5  5 = 25; (6) 6  6 = 36; = 49; (8) 8  8 = 64; (9) 9  9 = 81; (10) 10  10 = 100; (11) 11  11 = 121; (col. II, 12) [12  12 = 144;] (13) 13  1[3 = 169;] (14) 14  14 [= 196;] (15) 15  15 [= 225;] (16) 16  h1i6 [= 256;] (17) 17  17 [= 289;] (18) 18  18 [= 324;] (19) 19  19 [= 361;] (20) 20  20 [= 400;] (21) 30  30 [= 900;] (22) 40  40 [= 1.600; … (7) 7  7

3.1.3 Aufstellung von Maßen und Gewichten

Die Nähe mathematischer und metrologischer Texte offenbart sich bereits in dem bislang umfangreichsten Papyrus dieser Art, der, von B. P. Grenfell und A. S. Hunt in al-Bahnasa¯ gefunden und schon 1898 als P. Oxy. I 9 verso publiziert, 1982 durch John C. Shelton in P. Oxy. XLIX 3456 noch einmal eine nennenswerte Erweiterung erfuhr. 8) Eine Verbindung zu dem auf der Vorderseite der 22,7 cm hohen und 43,5 cm breiten Rolle niedergelegten Traktat zu Fragen der Rhythmik und Metrik aus der Schule des Aristoxenos von Tarent 9) scheint nicht ersichtlich, so daß wir es 6. 7. 8. 9.

Bei Fowler, The Mathematics, 272 Nr. 20. Bei Fowler, The Mathematics, 276 Nr. 67; nicht dagegen bei Cribiore, Writing. Lediglich die in P. Oxy. I 9 verso, Z. 1-16 erhaltenen Partien finden sich auch in C. Pap. Hengstl 114; vgl. jetzt auch die teilweise bis in das 1./2. Jh. n. Chr. zurückreichenden, allerdings durchweg fragmentarischeren Parallelen in P. Oxy. XLIX 3457 bis 3460. Eine kommentierte Neuausgabe des einschließlich der Erweiterungen als P. Oxy. XXXIV 2687 neuedierten P. Oxy. I 9 recto jetzt bei L. E. Rossi, POxy 9 + POxy 2687: Trattato ritmico-me-

545

Griechische Texte aus Ägypten

wohl mit einer privaten Kopie zu tun haben, wozu auch die zahlreichen orthographischen Unzulänglichkeiten passen. Die hier besonders interessierende Aufstellung von Maßen und Gewichten setzt erst in col. V ein; voraus gehen zumindest vier Kolumnen aus Bruchzahlentabellen – näherhin Siebteln und Achteln –, von denen mit Hinweis auf die zahlreichen Vergleichsstücke lediglich repräsentative Ausschnitte mitgeteilt sind. 10) Der Schrift nach wird der heute im Trinity College Dublin aufbewahrte Papyrus in das 3./4. Jh. n. Chr. datiert. (col. II, 1) Von

eins 1⁄7 = 1⁄7; (2) von 2 = 1⁄4 1⁄28; (3) von 3 = 1⁄3 1⁄14 1⁄42; (4) vo[n 4 =] 1⁄2 1⁄14; (5) von 5= 6 = 1⁄2 1⁄3 1⁄42; (7) von 7 = 1; … (col. IV, 1) hjeweils 1⁄8i von 50 = 6 1⁄4; (2) von 60 = 7 1⁄2; (3) von 70 = 8 1⁄2 1⁄4; (4) von 80 = 1⁄10; (5) von 90 = 11 1⁄4; (6) von 100 = 12 1⁄2; (7) von 200 = 25; … (col. V, 1) Es hat ein Kupferstück 6 Obolen, der Obol aber hat 8 Chalkoi, (2) so daß sich ergibt: das Kupferstück = 48 Chalkoi. Es hat eine Drachme (3) sieben – 7 – Obolen, der Obol aber hat 8 Chalkoi, so d[aß sich er]gibt (4) so daß sich ergibt: die Drachme = 56 Chalkoi. Es hat das Talent 60 (5) – 5 60 – Minen, die Mine aber hat 25 Statere bzw. 100 Dr., der Stater aber (6) hat 4 Drachmen, so daß sich ergibt: ein Talent = 1.500 Statere (7) bzw. 6.000 Drachmen bzw. zweiundvierzigtausend Obolen. (8) Es hat die Artabe 10 Metra, das Metron aber 4 Choinikes, so daß sich ergibt: (9) die Artabe = 40 Choinikes. Es hat der Medimnos 12 Hemiekta, (10) das Hemiekton aber hat vier Choinikes, so daß sich ergibt: (11) der Medimnos = achtundvierzig Choinikes. Es hat die Elle (12) 6 Handbreiten, die Handbreite aber hat 4 Finger, so daß sich ergibt: (13) eine Elle = 24 Finger. Es hat der Metretes 12 Choeis, (14) der Chus aber hat 12 Kotylen, so daß sich ergibt: der Metretes = 144 Kotylen. (15) Es hat das Mnaeion 6zehn – 16 – Viertel, das V[ierte]l aber hat 6 Thermoi (16) bzw. zwölf – 12 – Karat, der Thermos aber hat 2 Karat, so daß sich ergibt: das Mna(17) eion = 96 Thermoi = 192 Karat. Nach Gewicht aber hat das Mnaeion (18) 8 Dr., das Viertel aber ein Triobolon, der Thermos Hemiobelien, das Karat aber (19) 2 Chalkoi. Es hat das Pfund 12 Unzen, die Unze aber hat 2 Halbunzen (20) bzw. 24 Gramm, die Halbunze aber hat 12 Gramm, (21) so daß sich ergibt: ein Pfund = 24 Halbunzen = 288 Gramm. (22) Nach Gewicht aber hat das Pfund 96 Dr., die Unze aber 8 Dr., die Halbunze 4 Dr., (20) das Gramm zwei Obolen. ⁄3 ⁄21; (6) von

2

1

3.1.4 Aufstellung von Maßen und Währungseinheiten

Rund ein halbes Jahrtausend früher datiert der aus Mumienkartonage gewonnene und erst 2013 von K. Maresch publizierte P. Köln XIII 525, der ebenfalls mathematische mit metrologischen Angaben – hier vor allem zu Währungseinheiten, und zwar

10.

546

trico, in: A. Brancacci u. a. (Hg.), Aristoxenica, Menandrea Fragmenta Philosophica (Acc. Tosc. »La Colombaria«, Studi 91), Firenze 1998, 11-30. Vgl. auch unten die insoweit allein angeführten Anfänge von col. II und IV, wobei der Papyrus für die Kennzeichnung des Verhältnisses der jeweiligen Zahlenwerte bemerkenswerterweise durchweg den Nominativ und nicht, wie in dem oben in der Einleitung zu Nr. 3.1.2 erwähnten P. Mich. III 146, den korrekten Genetiv setzt (also etwa in col. II, 7 »t z a’« statt richtig »tn z a’«). Bei Fowler, The Mathematics, 273 Nr. 41.

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der Bronze- wie der Silberwährung – verbindet. Die erste Kolumne, von der nurmehr die Zeilenenden bewahrt blieben, enthielt offenbar die Zahlzeichen, eine möglicherweise dem Abakus nachgebildete Zahlenreihe sowie eine Rechenübung zu der hier aus 36 Choinikes bestehenden Artabe; in der zweiten Kolumne, die hiervon durch eine senkrechte Linie abgesetzt und durch Paragraphoi in einzelne Abschnitte untergliedert ist, ist das im 2. Jh. v. Chr. gültige Währungssystem beschrieben. Die zeitliche Einordnung wird durch die Preisangaben bestätigt, die sich auf der als P. Köln XIII 526 publizierten Rückseite des 23 cm hohen und 12,5 cm breiten Blattes finden und der zweiten Hälfte des 2. Jh. v. Chr. zuzuordnen sind. (col. I, 2) [1

– 2 – 3 – 4 – 5 – 6 – 7 – 8] – 9; – 20 – 30 – 40 – 50 – 60 – 70 – 80] – 90; (4) [100 – 200 – 300 – 400 – 500 – 600 – 700 – 800 – 900] – 1.000; (5) [1.000 – 2.000 – 3.000 – 4.000 – 5.000 – 6.000 – 7.000 – 8.000] – 9.000; … (7) [1 Ch(alkus?) – 1 Ob. – 1 – 10 (?)] – 100 (?) – 1.000 – 10.000; (8) [von der Dr. 1⁄2 = 3 Ob. (?); von der Dr.] 1⁄4 = 1 1⁄2 Ob.; (9) [1 Ch(oinix) = 1⁄36 (Art.); 1 1⁄2 Ch.] = 1⁄24 (Art.); 2 Ch. (10) [= 1⁄18 (Art.); 3 Ch. = 1 ⁄12 (Art.);] 4 Ch. = 1⁄9 (Art.) … (19) [ … ] 1⁄2 Ob. (?) … (col. II) … (3) macht 895. (4) 6 Ob. = 1 Dr. [ … ] (5) 8 Ch(alkoi) = Ob. 5 11) [ … ] (6) Danach die Rechnung in Choinikes: 1 Art. = 40 Ch.; (7) 2 Ch. = 1⁄20 (Art.); [3 Ch. = 1 ⁄20 1⁄40;] 4 Ch. = 1⁄10; 5 Ch. = 1⁄8; 6 Ch. = 1⁄8 [1⁄40;] (8) 7 Ch. = [1⁄8 1⁄20; 8 Ch. =] 1⁄5; 9 Ch. = 1⁄5 1⁄40; 10 Ch. = 1⁄4 [ … ] (9) Einheiten von Geld: (10) Auf 1 Dr.: 6 Obolen, aber z[wei] Triobola, (11) = 48 Chalkoi; – (nachgetragen:) beim Stater aber 192 Ch. – Auf 1 Ob.: 8 Ch. (12) = 2 Hemiobelien; ein Hemiobelion = 4 Ch. (13) Auf 1⁄2 (Dr.): 3 Obolen = 6 Hemiobelia = 24 Ch. (14) An manchen Orten aber auf den Obol: 10 Ch. (15) Auf das T[alent] zwei halbe Talente, das hal(16) be Talent = Minen: 30; (17) hauf das Talenti aber 300 Chrysoi, Drachmen aber 6.000, (18) = Fünfdrachmenstücke: 1.200, (19) = Statere: 1.500. (20) Auf die [Mi]ne Bronzechrysoi: 5; (21) auf den Ch[ry]sus: 20 Dr.; – (22) (nachgetragen:) und Fünfdrachmenstücke: 20. – (23) Der ptolemäische Stater wiegt Gewichtsdr.: [4], (24) Obolen hat er: 2[6 1⁄2.] (25) Der alexandrinische Stater, der der (26) attische ist, wiegt Gewichtsdr.: 4, Obolen ha[t er: …;] (27) im Chrysus aber (sind) Fünfdrachmenst[ücke: 4 =] (28) Statere (?) … (3) [10

11.

Der Sinn der eindeutigen »5« an dieser Stelle ist unklar, richtig wäre vielmehr »1 Obol«.

547

Griechische Texte aus Ägypten

3.1.5 Geometrische Probleme

Der nach seinem Erwerber benannte sog. Ayer-Papyrus wurde bereits 1898 von E. J. Goodspeed ediert, der schließlich auch die Standardedition des heute im Field-Museum in Chicago liegenden P. Chic. 3 besorgte.12) Nicht nur durch die frühe Publikation, auch durch die zur Illustration beigefügten Zeichnungen hat der 21,3 cm hohe und 40,5 cm lange Papyrus gewisse Berühmtheit erlangt, obwohl allein die dritte Kolumne vollständig erhalten ist; von der ersten sind nurmehr wenige Zeilenenden, von der zweiten bestenfalls zwei Drittel vorhanden. Von den insgesamt sieben geometrischen Problemen scheinen die in der ersten Kolumne noch erkennbaren Reste von Problem 1 und 2 bis heute nicht transkribiert, ebenso nicht die zu Problem 5 gehörigen Tintenspuren am Ende der zweiten Kolumne. In kompletter Form, d. h. mit Beschreibung und Zeichnung, blieben nur die in der dritten Kolumne behandelten Probleme 6 und 7 bewahrt; bei Problem 3 wurden die fehlenden Textpartien aus der Zeichnung heraus rekonstruiert, bei Problem 4 hingegen die verlorene Zeichnung. 13) Die sowohl in Orthographie wie Präzision der Zeichnungen nicht sehr sorgfältig ausgeführte Rolle, die schon wegen der Verwendung der typisch ägyptischen Arure als des Flächenmaßes schlechthin Beachtung verdient, wird in die zweite Hälfte des 1., allenfalls das frühe 2. Jh. n. Chr. gesetzt. (col. I; Problem 3) [Wenn

ein gleichschenkliges Trapez gegeben ist wie das unten gezeichnete, wie man (vorgehen) muß. Die 10 mal sie selbst, = 100; zieh ab die 2 der Decklinie von den 14 der Grundlinie, Rest 12; davon die Hälfte, = 6; mal sie selbst, = 36; zieh ab die 36 (von den 100), Rest 64; davon die Wurzel (ist) 8 – so hoch ist die Kathete. Davon die Hälfte, = 4; dieses mal die 6 der Grundlinie, = 24; von sovielen Aruren ist ein jedes der rechtwinkligen (Dreiecke). Und die 8 der Kathete mal die 2 der Grundlinie, = 16 – von sovie](col. II, 1) len Aruren ist darin das Rechteck. Alles zusammen (2) 64 Aruren. Die Zeichnung aber wird derartig sein:

ein ungleichschenkliges Trapez gegeben ist wie das unten wie man (vorgehen) muß. Die 13 mal sie selbst, [= 1]69; und die 15 mal sie selbst, (5) [= 22]5; davon (zieh ab) die 169, Rest 56; zieh ab die 2 der Decklinie (6) von den 16 der Grundlinie, Rest 14; nimm 1⁄14 der 56, (7) = 4; (zieh sie ab) von (3;

Problem 4) Wenn

ge(4) [zeich]nete,

12.

13.

548

E. J. Goodspeed, The Ayer Papyrus: A Mathematical Fragment, AJP 19 (1898) 25-39; vgl. auch Horak, Illuminierte Papyri, 244 ViP 155; Friberg, Unexpected Links, 221 ff. Nr. 4.7 b. Die hier verwendeten Fotoausschnitte sind den vom Field Museum veröffentlichten Fotos des Papyrus entnommen (Katalog-Nr. 31327; https://collections-anthropology.fieldmuseum.org). Vgl. die auch hier eingefügten Nachzeichnungen aus dem Kurzbericht von E. J. Goodspeed, The Ayer Papyrus, AMM 10 (1903) 133-135.

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den 14 der Grundlinie, Rest 1⁄2 10; davon, = 5 (richtig: Rest 10; davon 1⁄2, = 5); mal sie selbst, = 25; (8) (zieh sie ab) von den 169, Rest 144; davon die Wurzel (ist) 12 – so hoch ist die Kathete. (9) Dieses mal die 5 der Gru[ndlinie, = 60;] davon 1⁄2, = 30; von sovielen (10) Aruren ist ein jedes d[er] rechtwinkligen (Dreiecke). Und die 12 mal die (11) 2 der De[ck]linie, = 24; von sovielen Aruren ist darin das (12) ungleichseitige (Rechteck). Und die 12 mal die 4 der Grund[lin]ie, = 48; (13) davon 1⁄2, = 24 – von sovielen Aruren ist [dar]in das (14) stumpfwinklige (Dreieck). [Alles zusam]men = 108 Aruren. Die [Zeichnung aber] wird (15) [derarti]g sein: 14)

(col. III, 1; Problem 6) Wenn

ein Parallelogramm gegeben ist wie das unten gezeichnete, man (vorgehen) muß. Die 13 der Seite mal sie selbst, = 169; und die 15 der Sei(3) te mal sie selbst, = 225; davon (zieh ab) die 169, Rest 5[6;] zieh ab die 6 der Grundlinie (4) von den 10 der Decklinie, Rest 4; nimm 1⁄4 der 56, = 14; (5) davon (zieh ab) die 4, Rest 10; davon 1⁄2, = 5 – so lang ist die Grundlinie des rechtwink(6) ligen (Dreiecks). Mal sie selbst, = 25; und die 13 mal sie selbst, = 169; zieh ab die (7) 25, Rest 144; davon die Wurzel (ist) 12 – so hoch ist die Kathete. Und (8) zieh ab die 5 von den 6 der Grundlinie, Rest 1; das eine (zieh ab) von den (9) 10 der Decklinie, Rest 9 – so lang ist der Rest der oberen Grundlinie (10) des rechtwinkligen (Dreiecks). Und die 12 der Kathete mal die 5 der (11) Grundlinie, = 60; davon 1⁄2, = 30 – von sovielen Aruren ist darin (12) das rechtwinklige (Dreieck). Und die 12 mal die 1, = 12 – von sovielen Aruren ist (13) darin das ungleichseitige (Rechteck). Und die 12 mal die 9 der Grundlinie, (14) = 108; davon 1⁄2, = 54 – von so[viel]en Aruren ist das andere rechtwink(15) lige (Dreieck). Alles zusammen = 96 Aruren. Die Zeichnung aber wird derart[ig] sein: (2) wie

(16; Problem 7) Wenn

ein Rhombus gegeben ist wie der unten gezeichnete, wie man (vorgehen) muß. Die 10 (17) mal sie selbst, = 100; und 1⁄2 der 12 der Grundlinie, = 6; mal sie selbst, = 36; (18) von diesen (100 zieh ab) die 36, Rest 64; davon die Wurzel (ist) 8 – so hoch ist die Kathete. (19) Dies mal die h6i der Grundlinie, 48; davon 1⁄2, = 24 – von so-

14.

So von Goodspeed, AMM 10 (1903) 134 ergänzt nach den Parallelen; vgl. auch bereits ders., AJP 18 (1898) 29. Die rechts außen stehende Zahl muß allerdings »15« (statt hier unrichtig »13«) lauten.

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Griechische Texte aus Ägypten

vielen (20) [Ar]uren ist ein jedes der rechtwinkligen (Dreiecke). Alles zusam[men 96 Aruren. (21) Die Zeichnung aber wi]rd derartig sein:

3.2 Astronomie und Kalender Für die Strukturierung des Jahres und seiner Feste wie auch die Tätigkeiten in der Landwirtschaft waren astronomische Daten bis in jüngste Zeit unerläßlich, wiewohl die Belege aus Ägypten erst relativ spät zu datieren scheinen.15) Ein eindrucksvolles Beispiel für deren Komplexität stellt ein um 300 v. Chr. entstandener Kalender aus dem Saites dar, während das älteste Zeugnis für den 25jährigen Neumondzyklus aus dem Jahr 180 v. Chr. stammt. Die gesamte Bandbreite astronomischer Texte mitsamt ihren engen Berührungen zur Astrologie ist jetzt aus den nahezu 200 neuen Texten zu ersehen, die A. Jones allein aus dem kaiserzeitlichen Oxyrhynchos zusammentrug. 16) Mehr als anderes lagen Beobachtungen wie Berechnungen vermutlich in der Hand von Spezialisten, während sich die allgemeine Bevölkerung am ehesten noch die fremden Monatsnamen anzueignen suchte, was sich in administrativem Kontext zeitweilig sogar als unabdingbar erwies. 17)

3.2.1 Astronomischer Kalender aus dem Saites

Der 16,8 cm hohe, aus 16 Fragmenten zusammengesetzte Papyrus aus Mumienkartonage, der heute im Trinity College Dublin liegt, ist einer unserer frühesten Papyri in griechischer Sprache. Bereits 1906 von B. P. Grenfell und A. S. Hunt als P. Hib. I 27 publiziert, 18) hat der von zwei Händen stammende Text zuletzt auch wegen der Darstellung der Zahlenwerte Aufmerksamkeit auf sich gezogen.19) Den astronomischen 15. 16. 17. 18. 19.

550

Grundlegend dazu jetzt D. Lehoux, Astronomy, Weather, and Calendars in the Ancient World. Parapegmata and Related Texts in Classical and Near Eastern Societies, Cambridge u. a. 2007. A. Jones, Astronomical Papyri from Oxyrhynchus (P. Oxy. 4133-4300a), Philadelphia 1999. Vgl. etwa zur Verwendung makedonischer Monatsnamen in den staatsnotariellen Urkunden des Arsinoites U. Hagedorn, Gebrauch und Verbreitung makedonischer Monatsnamen im römischen Ägypten, ZPE 23 (1976) 143-167. = FGrHist 665 Anhang F 180; als frühestes Beispiel eines »astrometeorological parapegma« jetzt auch bei Lehoux, Astronomy, 153 f. 217 ff. Nr. A.i; Auszüge zudem in M. Vandoni, Feste pubbliche e private nei documenti greci, Milano / Varese 1964, 26 ff. Nr. 10. So bes. D. H. Fowler / E. G. Turner, Hibeh Papyrus i 27: An Early Example of Greek Arith-

Andrea Jördens

Daten zufolge muß die Vorderseite um das Jahr 300 v. Chr. beschrieben worden sein, und zwar im Delta, was gut zum eingangs erwähnten Saites paßt. Die Umstände der Abfassung werden in der in Briefform gestalteten und auf Frg. a zumindest partiell erhaltenen Einleitung dargelegt, deren Ende ebenso verloren ist wie die ersten drei Monate des wohl direkt anschließenden Kalenders von anderer Hand. Zwischen col. III und dem als col. IV gerechneten Frg. b sollten demnach wenigstens sechs oder sieben Kolumnen fehlen, denen auch die nicht mehr genauer lokalisierbaren Frg. n-q angehören dürften; vom Choiak bis zu den auf Frg. m in col. XIV bewahrten Epagomenen ist der Kalender hingegen nahezu lückenlos zu rekonstruieren, so daß dies wohl tatsächlich das Ende der Rolle darstellt. Unter dem jeweiligen Datum werden darin die Sternbilder benannt, in die die Sonne an diesem Tag eintritt, sowie die Länge der Nächte und Tage, klimatische Auffälligkeiten und vor allem die anstehenden Feste. 20) Angesichts der recht schematischen Angaben zur Länge des Tageslichts – entsprechend der Darstellung, daß sich der Tag nach der Sommersonnenwende jeweils um 1⁄45 Stunde verkürzt (Z. 121f.) – ist freilich kaum auf konkrete Beobachtungen zu schließen. Die auf der Rückseite befindlichen griechischen und demotischen Texte, die bis in das Jahr 240 v. Chr. reichen,21) stehen hiermit in keinerlei Zusammenhang, so daß die Rolle schon vor ihrer Verarbeitung in die beiden nach Hibeh verbrachten Mumiensärge makuliert worden sein muß. (Frg. a; col. I, 1) [ … Grü]ße. … (col. II, 19) [ …i]n Sais ein ganz und gar weiser Mann, der auch mit uns Umgang (21) hatte – wir waren nämlich im sa(22) itischen Gau für fünf Jahre. (23) Alle Wahrhe[it] also (24) breitete er uns aus, und (auch) i[n (25) de]r Praxis zeigte er es (26) [an de]m steinernen Becken, (27) [das ge]nannt wird auf Griechisch (28) [»Gn]omon«. Er sagte aber, (29) daß es [zwei] Läufe gebe der (30) Sonne, nämlich einen für die Defini(31) tion von Nacht und Tag (32) und einen für die Defini(33) tion von Winter und Sommer. (34) So genau ich es also vermochte in möglichst knappen (Worten) (36) zusammenzufassen – (col. III, 37) damit nicht erscheine (?) umst[ändlich] (38) und befremdlich für dich zu verst[ehen (?)] (39) die Viel[falt (?)] der Teile –, (40) werden wir die erforderlichen Ta[ge] (41) teilen. Es rechn[en aber] 22) (42) nach dem Mond die (43) Tage die Astrono[men] (44) und die Tempelschreib[er] (45) für die Untergänge und A[uf](46) gänge der Sterne. (47) Die Feste also (48) feiern sie jedes Ja[hr] (49) am selben Tag, wobei sie bei [den] (50) meisten nichts v[er](51) ändern in Bezug auf den Stern, (52) ob er untergeht oder auf(53) geht; einige Fe(54) ste aber feiern sie … (Frg. b; col. IV, 55) 1. Choiak: … ; die] Nacht (hat) an Stunden 13 1⁄12 1⁄45, 23) der Tag aber 10 2⁄3 1⁄5 1⁄30 1⁄90. – (56) 16.: Der Bärenhüter geht zu Nachtbeginn auf; (57) [die] Nacht (hat)

20. 21. 22. 23.

metical Notation, Hist. Math. 10 (1983) 344-359; knapp auch in Fowler, The Mathematics, 229 f. Kap. 7.1(c). Hierzu bes. L. Casarico, Note su alcune feste nell’Egitto tolemaico e romano, Aeg 61 (1981) 121-142; F. Perpillou-Thomas, Fêtes d’Égypte ptolémaïque et romaine d’après la documentation papyrologique grecque (StHell 31), Leuven 1993. Daher allerdings wohl auch die verwirrenden Angaben bei Lehoux, Astronomy, 153. Mit BL I 194. Richtig wäre »13 1⁄15 1⁄45«.

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Griechische Texte aus Ägypten

an Stunden 12 2⁄3 1⁄15 1⁄45, der Tag aber 11 1⁄9 1⁄10 1⁄30. – (58) 26.: Die Krone geht zu Nachtbeginn auf, (59) und die nördlichen Zugvogelwinde wehen; die Nacht (hat) (60) [an St]unden 12 1⁄2 1⁄30, der Tag aber 11 1⁄3 1⁄10 1⁄30. Osiris (61) fährt herum, und das goldene Boot wird heraus(62) [geb]racht. 24) h5.i Tybi: Im Widder. – 20.: Tag- und Nachtgleiche (63) [des Fr]ühlings; [die] Nacht (hat) an Stunden 12 und der Tag 12. (64) Fest des Phitorois. 25) – 27.: Die Pleiaden (65) gehen [zu N]achtbegi[nn] unter; die Nacht (hat) an Stunden 11 2⁄3 1⁄6 1⁄90, (66) [der] Tag aber 12 1⁄10 1⁄30 1⁄45. 6. Mecheir: Im (67) Stier. Die Hyaden gehen zu Nachtbeginn unter; (68) [die] Nacht (hat) an Stunden 11 1⁄2 1⁄10 1⁄35, 26) (Frg. c; col. V, 69) der Tag aber 12 1⁄3 1⁄45. Hera (= Venus?) (70) brennt; das Wetter ändert sich; (71) der Südwind w[eht;] wenn er aber viel (72) wird, verbrennt er das aus der Erde. – 19.: 27) Die Leier geht zu Nacht(74) beginn auf; die Nacht (hat) (75) an Stunden 11 1⁄3 1⁄15 1⁄45, der Tag aber 12 1⁄2 1⁄16 1⁄70 28). (76) In Sais Fest der (77) Athene; der Südwi[nd weht;] (78) wenn er aber viel – (nachgetragen:) wi[rd] –, verbrennt er das [aus der] Erde. – 2[0+x.: … geht zu Nacht](80) beginn auf; [die Nacht (hat) an Stunden 11 … ,] (81) der Tag aber 12 2⁄3 [ … ] (82) feiern sie üb[er das Land hin (?).] – (Frg. d; col. VI, 83) 27.: Die Leier geht zu Nachtbeginn unter; (84) die Nacht (hat) an Stunden 11 1⁄6 1⁄90, der Tag aber 12 2⁄3 h1⁄10 1⁄30i 1⁄45. (85) Fest des Prometheus, den sie nennen (86) Iphthimis; 29) der Südwind weht; wenn er aber (87) viel – (nachgetragen:) wird –, verbrennt er das aus der Erde. (88) 4. Phamenoth: In den Zwillingen. hDie Kleine Ziege geht am Morgeni (89) auf; die Nacht (hat) an Stunden 11 1⁄5 1⁄40, 30) (90) der Tag aber 12 2⁄3 1⁄4 1⁄20 1⁄90. – 5.: Der Skorpion geht am Morgen (91) [in Teil]en unter; die Nacht (hat) an Stunden 13, 31) (92) [der T]ag [aber] 13. – 9.: Bei den Ä(93) [gyptern das D]edyfest. 32) – 12.: Der Skorpion (94) [geht am Morgen als ganzer] unter; die Nacht (hat) an Stunden 10 2⁄3 1⁄6 1⁄90, (95) der Tag aber 1]3 1⁄10 1⁄30 1⁄45. – 13.: Die Pleiaden (96) [gehen am Morgen] auf; (Frg. e+f; col. VII, 97) [ … (102) … ] 1⁄30 1⁄90; (103) [ … (106) … ] mit [ … ]. (107) Pharmu[thi: I]m Krebs, 3.: Der Adler (108) geht zu Nachtbeginn auf; die Nacht (109) (hat) an Stunden 10 1⁄3 1⁄30 1⁄90, der Tag aber 13 1⁄2 1⁄90 1⁄45 33). – (Frg. e+g+h; col. VIII, 110) 11.: Der Delphin geht zu Nac[htbeg]inn auf; (111) die Nacht (hat) an Stunden [10 1⁄5, der] Tag [aber] 13 2⁄3 1⁄11 1⁄30. 34) (112) [ … ] der Hera. – (113) 17.: Orion geht am Mo[rgen auf]; die Nacht (hat) (114) an Stunden 10 1⁄15, der [Tag] aber 13 2⁄3 1⁄4 1⁄60. – (115) 20.: Die Nacht (hat) an Stunden 10, der Tag aber 14; (116) und am selben Ort geht (117) die Sonne drei Tage lang auf. – h21.:i Die Nacht (hat) an Stunden 10, (118) der Tag aber 14. – 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34.

552

Vgl. Perpillou-Thomas, Fêtes, 131. Vgl. Casarico, Note, 134; Perpillou-Thomas, Fêtes, 125. Richtig wäre »11 1⁄2 1⁄10 1⁄30 1⁄90«. Der Ed. pr. zufolge aufgrund der Nacht- und Taglänge vielmehr 16.; nach BL VIII 150 wegen des Neith-Festes eher 17. Zu letzterem auch Casarico, Note, 135. Mit BL I 194; richtig wäre »12 1⁄2 1⁄15 1⁄90«. Vgl. Casarico, Note, 136; Perpillou-Thomas, Fêtes, 93. Richtig wäre »11 1⁄45«. Richtig wäre »11«. Mit BL I 194; vgl. auch Casarico, Note, 136 f. = BL VIII 150; Perpillou-Thomas, Fêtes, 77. Richtig wäre: »13 1⁄2 1⁄10 1⁄45«. Richtig wäre »13 2⁄3 1⁄10 1⁄30«.

Andrea Jördens

22.: Die Nacht (hat) an Stunden 10, (119) der Tag aber 14. – 23.: Die Nacht (hat) an Stunden 10, (120) der Tag aber 14. – 24.: Sonnenwende (121) des Sommers; die Nacht wird länger (122) als der Tag um 1⁄45 einer Stunde als eines zwölften Teiles (des Tages): 35) (Frg. i; col. IX, 123) die Nacht wird an Stunden 10 1⁄5 1⁄40, 36) (124) der Tag aber 13 2⁄3 1⁄4 1⁄20 1⁄90. – 25. (125) Die Etesien beginnen zu wehen, (126) und der Fluß beginnt (127) zu steigen; die Nacht (hat) an Stunden 10 1⁄30 1⁄90, (128) der Tag aber 13 2⁄3 1⁄4 1⁄30 1⁄180. (129) 6. Pachons: Im Löwen. (130) Der Vorwinzer geht auf; 37) (131) die Nacht (hat) an Stunden 10 1⁄4 1⁄30 1⁄180, (132) der Tag aber [13 2⁄3 1⁄30] 1⁄90. – 9. Orion geht ham Morgeni (133) als ganzer [auf;] die Nacht (hat) (134) an Stunden 10 1⁄3 1⁄45, [der] Tag [aber] 13 1⁄2 1⁄10 1⁄30 1⁄90. – (135) 18.: Der Hund [geh]t ham Morgeni auf; die Nacht (hat) (136) an Stunden [10 1⁄2 1⁄30 1⁄45, (Frg. i+k+l; col. X, 137) der Tag aber 13 1⁄3] 1⁄4. [4.] Payni: (138) [In der Jung]fra[u. Der A]dler geht am Morgen (139) [unter; die Nacht] (hat) an Stunden 10 2⁄3 1⁄5 1⁄30 1⁄90, (140) [der Tag aber 1]3 1⁄15 1⁄45. – (141) [16.: Die Krone geht] am Morgen (142) [unter; die N]acht (hat) (143) [an Stu]nden 11 1⁄6 1⁄90, (144) [der] Tag [aber] 12 2⁄3 1⁄10 [1⁄30 1⁄45.] (145) Fe[st der B]ubastis. – (146) 20[+x.:] Der Delphin geht am Morgen (147) unter; die Nacht (hat) (148) an Stunden 11 1⁄3 [ … ,] (149) der Tag aber 12 1⁄2 [ … ] (Frg. m; col. XI, 150) Fest [ … – ] (151) [27.: Die Leier geht am Morgen] unter; (152) [die Nacht (hat) an Stunden] 11 1⁄3 1⁄10 1⁄45 1⁄5, 38) (153) [der Tag aber] 12 1⁄2 1⁄15 1⁄90. (154) Fest [ … ] – (155) [30.: … ] große (156) [ … ; das Wetter än]dert sich; (157) [die Nacht (hat) an Stund]en 11 1⁄3 1⁄10 1⁄30 1⁄45, (158) [der Tag aber 12] 1⁄2 1⁄90. (159) [… Epeiph: In] den (160) [Scheren des S]korpions. 39) – (161) [13. (?): Der Bärenhüter geht am Mo]rgen (162) [auf … ;] (col. XII, 163) die Nacht [aber] (hat) an Stunden 11 2⁄3 [ … ,] (164) der Tag aber 12 [ … ] (165) In Sais ein Volks[fest] (166) der Athene; sie lassen Lichter (167) brennen über das Land hin; (168) der Fluß ändert sich (169) hinsichtlich des Steigens. 40) – (170) 23.: Tag- und Nachtgleiche des Herbstes; (171) die Nacht (hat) an Stunden 12, (172) der Tag aber 12. (173) Fest des Anubis; (174) der Fluß än(175) dert sich hinsichtlich des (176) Steigens. – (col. XIII, 177) [27.: Die Kleine Ziege geht zu Nachtbeginn (178) auf … ; (179) die Nacht (hat) an Stunden 12 1⁄15 1⁄45,] (180) der Tag aber 11 2⁄3 1⁄5 1⁄30 1⁄90. (181) 2. Mesorei: Im (182) Skorpion. Die Pleiaden (183) gehen zu Nachtbeginn auf; (184) die Nacht (hat) an Stunden 12 1⁄5, (185) der Tag aber 11 2⁄3 1⁄10 1⁄30. (186) Fest des Apollon. – (187) 4.: Die Krone geht am Morgen (188) auf; die Nacht (hat) an Stunden 12 1⁄5 1⁄30 1⁄90, (189) der Tag aber 11 2⁄3 1⁄15 1⁄45. – (190) 9.: Der Skorpion geht zu Nachtbeginn

35.

36. 37.

38. 39. 40.

So stark verkürzt für die – ohnehin schematische – Berechnung, daß die Nacht gegenüber dem Tag nach der Sommersonnenwende um 1⁄45 Stunde länger wird, wobei deren Definition als »zwölfter Teil« des Tages in vormoderner Zeit bekanntlich nur für den Zeitpunkt der Tagund Nachtgleiche gilt. Richtig wäre »10 1⁄45«. Nach Plin., Hist. Nat. XVIII 310 Vindemitor Aegypto nonis (sc. Sept.) exoritur geht der zum Sternbild der Jungfrau gehörende Vorwinzer in Ägypten am 5. 9. auf, wonach die hiesige Angabe um etwa zwei Monate zu früh liegt. Als Sonderüberlieferung (Sonderfehler?) von Lehoux, Astronomy, 221 Anm. 27 zugleich als Beleg für das Risiko von Rekonstruktionsversuchen gewertet. Richtig wäre »11 1⁄3 1⁄15 1⁄45«. Heute das Sternbild der Waage. D. h. die Schwelle geht zurück; mit D. Lehoux, Impersonal and Intransitive ¥pishmafflnei, CPh 99 (2004) 78-85, bes. 80 f.

553

Griechische Texte aus Ägypten (col. XIV, 191) [in

Teilen unter; (192) die Nacht (hat) an Stunden 12 1⁄3 1⁄45, (193) der Tag aber 11 1⁄2 1⁄10 1⁄30 1⁄90.] – (194) 14.: Der Skorpion geht als ganzer unter; (195) die Nacht (hat) an Stunden 12 1⁄3 1⁄10 1⁄30, (196) der Tag aber 11 1⁄2 1⁄30. – (197) 17.: Die Hyaden gehen zu Nachtbeginn (198) auf; (199) die Nacht (hat) an Stunden 12 1⁄2 1⁄30. (200) An den 5 Tagen (201) der hEpiagomenen, (202) am 4.: Der Bärenhüter geht zu Nachtbeginn (203) unter; die Nacht (hat) an Stunden 12 2⁄3 1⁄5 1⁄30 1⁄90, (204) der Tag aber 11 1⁄15 1⁄45. (205) Es gibt das Geburtsfest der Isis. Vermutlich zwischen col. III und IV gehörige Kleinstfragmente: (Frg. n+o; 208) …

] wie [ … – ] (209) 20. [Ty]bi: Tag- und Nachtglei[che des Fr]ühlings der Wen]de des Somm[ers … (211) … ] 23.: [ … (Frg. q; 218) … an Tagen [ … ] (219) fünf von d[en Ep]agomen[en] (220) im Jahr, an welchen (221) die Sonne aufzugehen (222) bei dem Lauf für die Defi(223) nition von … (210) [von

3.2.2 Kalender zum 25jährigen Neumondzyklus

Gegen Ende einer aus sieben Fragmenten bestehenden Rolle von 15 cm Höhe, die zum größten Teil Aufstellungen über geleistete und vor allem noch ausstehende Beiträge wohl eines Vereins aus Philadelpheia, dem heutigen Ku¯m al-Hara¯ba al-Kabı¯r, ˘ enthält, hat eine dritte Hand Regeln für die Bestimmung von Neumonddaten niedergelegt. In dem erstmals 1949 von E. G. Turner und O. Neugebauer edierten P. Ryl. IV 589 aus dem Jahr 180 v. Chr. ist damit der früheste Beleg für den zuvor allenfalls aus kaiserzeitlichen Zeugnissen geläufigen 25jährigen Zyklus ägyptischer Herkunft zu greifen, der aus 309 Mondmonaten bzw. 9125 Tagen bestand. 41) Sollte die Auflistung, die schon in col. XII mit Beginn des vierten Jahres abbricht, alle Monatslängen über die gesamten 25 Jahre hinweg geboten haben, hätte sie bei gleicher Kolumnenbreite noch 1,5 m länger sein müssen. Die von anderer Hand angelegten ersten acht Kolumnen wie auch die kaum mehr lesbaren Abrechnungen auf der Rückseite sind im folgenden übergangen. (Frg. 4; col. IX, 92) [Unter

der He]rrschaft der [Kön]igin [Kleopatra] (93) [und des Kö]nigs Pt[ole]maios, de[s Sohnes, der] ers[che]inenden [Göt]ter, im 1. Jahr. 42) Kale[nder d]er (95) Neumonde nac[h dem M]ond, [wie sie] (96) nach [den T]agen der bei den Ägyp[tern (geltenden) Zwö]lf(97) mo[nat(sfolge)] 43) geordnet sind; davon beträgt der Um(98) l[auf] Jahre fünfundzwanzig, Monate ab[er ein]schließlich (99) der Schaltmonate dreihundertneun, Tage aber (100) ne[un]ta[use]ndeinhundertfünfundzwanzig. Er zeigt (101) an aber die 41.

42. 43.

554

Zu den Details vgl. bes. E. G. Turner / O. Neugebauer, Gymnasium Debts and New Moons, BJRL 32 (1949) 80-96 in der Ed. pr.; als frühestes Beispiel eines »astronomical parapegma« jetzt auch bei Lehoux, Astronomy, 179 f. 474 ff. Nr. C.i., allerdings mit teilweise unkorrekter Zuordnung des Textbestands von Frg. 5 und 6. 1. Reg.jahr der Kleopatra I. und ihres Sohnes Ptolemaios VI., der hier noch den Kultnamen seiner Eltern trägt: 181/80 v. Chr. D. h. des ägyptischen Jahres.

Andrea Jördens

Monate nach dem Mond, (102) und welche davon voll sind u[nd] welche (103) hoh[l u]nd wie beschaffen ihre Schaltmonate un[d i]n welchem (104) St[ernzei]chen die Sonne in jedem Mon[at ste]hen wird. (105) W[enn] sie durchlaufen hat die fünfundzwanzig Ja[hre,] wird sie wiederum (106) zu [de]mselben Anfang kommen und de[ns]elben (107) Lauf wa[nd]eln. Es ist aber das er[st]e Jahr (108) des Umlaufs identisch mit dem ersten, wie es (109) Königin Kleopatra und Köni[g P]tolemaios, (110) der Sohn, die er[sch]einenden Götter, führen, in [welchem] sie auch die (111) Herrschaft über[nom]men haben. 44) Die So[nne] aber st[eht] (col. X, 112) ein[en jeden] Monat: (113) Thoyt – im Sk[orpion;] (114) Phaophi – im Schüt[zen;] (115) Hathyr – im Ste[inbock;] (116) Choiach – im Wass[ermann;] (117) Tybi – in den Fischen; (118) Mecheir – im Widd[er;] (119) Phamenoth – im St[ier;] (120) Pharmuthi – in den Zw[illingen;] (121) Pachon – im Kr[ebs;] (122) Payni – im Lö[wen;] (123) Epeiph – in der Ju[ngfrau;] (124) Mesore – in den Sch[eren. 45)] (Frg. 4+5; 125) Die [Neumo]nde aber nach dem M[ond] (126) sind im [ersten] Jahr: (127) Thoyth, 20.: [29 Tage;] (128) Phaophi, 19.: [30 Tage;] (129) Hathyr, 19.: [30 Tage;] (130) Choiach, 19.: [29 Tage;] … (col. XI, 135) P[achon … ;] (136) P[ayni … ;] (137) Epe[iph … ;] (138) Me[sore … .] (139) Im [zweiten] Ja[hr: (Frg. 5+6; 140) Tho[yth, …:] 29 [Ta]ge; (141) Phao[phi, …:] 30 [Ta]ge; (142) Hathy[r, …:] 30 [Ta]ge; (143) Choia[ch, …:] 29 [Ta]ge; (144) Tyb[i, …:] 30 [Ta]ge; (145) Mech[eir, …:] 29 [Ta]ge; (146) Pham[enoth, …:] 30 [Ta]ge; (147) Pharm[uthi, …:] 29 [Ta]ge; (148) Pach[on, …:] 30 [Ta]ge; … (col. XII, 151) … (161) P[achon … ] … (164) M[esore … ] (165) Im [vierten] Ja[hr …

3.2.3 Liste attischer und makedonischer Monatsnamen

Auf dem freien linken Raum eines aus dem Jahr 215/14 v. Chr. datierenden demotischen (Unter-?)Pachtvertrags 46) wurden von dem jungen Apollonios, der in den 160er Jahren als »Katochos« bei seinem Bruder Ptolemaios, dem Sohn des Glaukias, im Großen Serapeum in Memphis lebte,47) in teils recht unbeholfener Orthographie griechische Monatsnamen aufgelistet. Attische und makedonische Monate folgen in der erstmals 1865 von W. Brunet de Presle als P. Par. 4 vorgelegten Aufstellung direkt aufeinander, so daß offenbar keine Gegenüberstellung oder gar Gleichsetzung – sei es miteinander, sei es mit den vertrauten ägyptischen Monaten – beabsichtigt war. 48)

44.

45. 46. 47. 48.

Nämlich am 16. Pharmuthi = 20. 5., woraufhin das laufende 25. Reg.jahr von Ptolemaios V. und Kleopatra I. rückwirkend als 1. Reg.jahr von Kleopatra I. und Ptolemaios VI. gezählt wurde; unter Einbeziehung des Kulttitels allerdings mißverstanden von Lehoux, Astronomy, 179 f. mit Anm. 80 = 474 ff. mit Anm. 262. D. h. den Scheren des Skorpions, der nachmaligen Waage. Eine vollständige Neued. des erstmals bereits von E. Revillout, Rev. Eg. 3 (1881) 134 vorgelegten Textes jetzt bei W. Clarysse / K. Vandorpe, A Demotic Lease of Temple Land Reused in the katochoi Archive (Louvre N 2328A), AncSoc 36 (2006) 1-11. Vgl. bereits TUAT.NF 4 Kap. IV, 373 ff. Nr. 4.9. Auch Cribiore, Writing, 196 Nr. 98. Aus demselben Fundkomplex stammt zwar auch die in P. Par. 1 = Sel. Pap. III 112 (vor 164 v. Chr.) nach Eudoxos konzipierte Ars astronomica, doch lasse sich daraus nach B. Legras, Les reclus grecs du Sarapieion de Memphis. Une enquête sue l’hellénisme égyptien (StHell 49), Leuven/Paris/Walpole, MA 2011, 244-252 nicht zwingend auf persönliche Interessen des Apollonios schließen.

555

Griechische Texte aus Ägypten

Unklar ist, ob die am Ende der ersten Kolumne weggebrochenen Monatsnamen Peritios, Dystros, Xandikos und Artemisios bei der Ankunft des heute 19,2 cm hohen und 29,5 cm breiten Bruchstücks im Louvre noch vorhanden waren.49) (col. I, 1) Hekatonbaion;

Metageitnion;

(3) Boedromion; (4) Pyanupsion; (5) Maimakterion;

(6) Posideon; (7) Gamelion; (8) Anthesterion; (9) Elapheboleion; (10) Munchion; (11) Tharge-

lion; (12) Skirophorion. (13) Dios; (14) Apellaios; (15) Autnaios;

piaios;



(col. II, 1) Daisios; (2) Panemos; (3) Loeios; (4) Gor-

(5) Hyperberetaios.

3.2.4 Liste römischer Monatsnamen unter Caligula

Das mit 9  8,5 cm annähernd quadratische und 1988 von J. R. Rea als P. Oxy. LV 3780 edierte Papyrusblatt aus al-Bahnasa¯ gibt, wenn auch orthographisch nicht ganz sauber, den von Caligula eingeführten Kalender wieder, der in dieser Form möglicherweise nur von September 40 bis höchstens Ende 42 n. Chr. gebräuchlich war. 50) Zwar sind die letzten beiden Monatsnamen verloren – nach anderen Zeugnissen Drusieus und Kaisareios –, doch erscheinen damit die letzten Zweifel an der bis dahin nur unsicher erschlossenen Monatsfolge beseitigt. 51) (1) Sebastos; 52)

(2) Soter;

(3) Neos

Sebastos;

(4) Iulieus;

(7) Gaieios; (8) Agrippinos; (9) Germanikios; (10) Drusilleios;

(5) Theogenios;

(6) Neronios;



3.2.5 Gegenüberstellung römischer und ägyptischer Monatsnamen

Gegenüberstellungen römischer und ägyptischer Monatsnamen sind vor allem aus der Spätantike geläufig, 53) wobei sich das älteste, orthographisch erneut unsichere Zeugnis auf der Rückseite des heute in der Columbia University in New York aufbe-

49. 50.

51. 52. 53.

556

So von Letronne in seiner Erstabschrift als col. I, Z. 16-19 noch aufgeführt, doch sei eine Ergänzung aus dem Gedächtnis nicht völlig auszuschließen, vgl. P. Par. 4, bes. Anm. 2. So noch Rea in der Ed. pr.; mit einer Einführung bereits zu Herrschaftsantritt rechnet dagegen A. Begert, Die Ehrenmonate in der Zeit Caligulas. Zur Familienpropaganda des letzten julischen Kaisers, Tyche 11 (1996) 11-43, der den Papyrus daher nur grob in die Jahre 37-42 n. Chr. datieren möchte (= BL XI 170 f.). Zu den von den Römern eingeführten Monatsnamen zu Ehren der Kaiser, von denen »Juli« und »August« immerhin bis heute überlebt haben, schon K. Scott, Greek and Roman Honorific Months, YCS 2 (1931) 201-278. Griechisch für »Augustus«, der dem am 29. bzw. in Schaltjahren am 30. August beginnenden Thoth als dem ersten Monat des ägyptischen Jahres gleichgesetzt wurde. Weitere Beispiele vgl. etwa auf dem Ostrakon SB XXVI 16521 (4./5. Jh.); SB VI 9529 (6./7. Jh.) sowie den erst von C. Grassien, Deux hymnes et une litanie chrétiennes byzantines conservées par le P. Rainer Cent. 31 et cinq autres témoins, Tyche 12 (1997) 51-84, bes. 67 ff. edierten Partien von P. Rainer Cent. 31, p. 5 f. (fol. 3r/v) mit römischen, ägyptischen und kappadokischen Monatsnamen (7./8. Jh.).

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wahrten Privatbriefes P. Fay. 135 aus dem 4. Jh. n. Chr. findet. 54) Besondere Beachtung kommt in diesem Fall, wie schon Johannes Kramer in seiner 1983 vorgelegten Erstedition notierte, 55) den trotz der griechischen Schreibung teilweise latinisierten Wortendungen und vor allem der »römischen« Anordnung mit dem Dezember als letztem Monat zu. (verso) … (1) Iunios

Thoth;

– [Payni]; (2) Iulios – Epiph; (3) Agustos – Mesore; (4) Sep[temper] – – Phaophi; (6) Noemper – Hathyr; (7) Dekemper – Choiak.

(5) Ok[tomp]er

3.3 Rechtswissenschaft Eine Rechtswissenschaft im engeren Sinne gab es im griechisch-römischen Ägypten ebenso wenig wie ein kodifiziertes Recht. Immerhin finden sich in den griechischen Papyri Nachschlagewerke zur Orientierung in bestimmten Rechtsfragen, so in P. Oxy. XLVI 3285 eine Übersetzung des sog. Codex Hermupolis aus dem späteren 2. Jh. n. Chr. 56) oder der berühmte Gnomon des Idios logos, der die seit Augustus ergangenen Entscheidungen des für Sondereinnahmen zuständigen Finanzprokurators enthielt. 57) In der Regel arbeitete man jedoch mit dem überkommenen und stetig verfeinerten Formelmaterial, wozu auch Mustertexte kursierten. Als Platzhalter für die Namen dienten darin entweder das unten mit »Soundso« wiedergegebene ¡ de…na (mit Kasus) oder aber Formen des unbestimmten Personalpronomens, wofür jeweils »N.N.« steht. Die Zeugnisse reichen von der Verwaltung über den Verkehr mit Behörden bis zu privaten Rechtsgeschäften, wobei letztere sich vor allem aus der mittelägyptischen Gauhauptstadt Oxyrhynchos, dem heutigen al-Bahnasa¯, erhielten. 58)

3.3.1 Mustertext für eine Steuerquittung

Das 7 cm hohe und mit 14,8 cm mehr als doppelt so breite Blatt entstammt vermutlich den Berliner Funden in Soknopaiou Nesos, dem heutigen Dı¯ma im Norden des Moerissees, und wurde 2007 von N. Cohen als P. Berl. Cohen 3 publiziert. Das zwei54.

55. 56. 57. 58.

Im Unterschied zu dem vollständig erhaltenen Privatbrief scheint die Liste oben abgebrochen und betrifft überdies lediglich die zweite Jahreshälfte, was vermuten lassen könnte, daß das Blatt ursprünglich mit der gesamten Monatsfolge beschriftet und daher doppelt so hoch war, jedoch nachträglich wie bei Nr. 4.4.5 für den Brief auf die heutige Größe zurechtgeschnitten wurde. Hiergegen sprechen jedoch sowohl die Maße von immer noch 20,3 cm Höhe und 11,9 cm Breite wie auch die Faserrichtung, die beim Brief parallel, bei der Liste dagegen quer zur Beschriftung verläuft. J. Kramer, Glossaria bilinguia in papyris et membranis reperta, Bonn 1983, 77 f. Nr. 11. Zu der demotischen Originalversion M. A. Stadler, TUAT.NF 1 Kap. III, 185-207. Vgl. bes. die nach 149 n. Chr. erstellte, weit über 100 Paragraphen umfassende Version in BGU V 1210; eine frühere Fassung von Z. 99-115 auch in P. Oxy. XLII 3014 (1. Jh. n. Chr.). Nicht aufgenommen ist der teilweise ebenfalls unter den Formularen aufgeführte P. Oxy. III 509 aus dem späteren 2. Jh. n. Chr., da lediglich die Einleitung »N.N. dem N.N. Grüße« formelhaft erscheint, während die sonstigen Details ein konkretes Rechtsgeschäft betreffen, so daß wir hierin vielmehr einen Entwurf vor uns haben.

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Griechische Texte aus Ägypten

zeilige, in sehr kursiver Hand gehaltene Formular einer Steuerquittung wurde von einem anderen Schreiber durch zwei weitere reguläre Steuerquittungen ergänzt, die sämtlich dem priesterlichen Milieu zuzurechnen sind. Vom Herausgeber nur grob in das ausgehende 2. oder frühe 3. Jh. gesetzt, erlaubt das inzwischen gelesene 4. Regierungsjahr nunmehr eine zeitliche Eingrenzung auf einige wenige Jahre.59) (1) [N.N.,

Sohn des N.N.,] des Sohnes des N.N., und der Mutter Soundso, Priester aus der Phyle Sowieso, (2) [an Eintrittsgebühr der Prie]ster im 4. Jahr 60) 20 Dr., für Hermes 8 [Dr.], für … 5 mindere Dr. 1⁄2 Ob. 2 Chalk., macht 5 Dr. 1⁄2 Ob. 2 Chalk. (3; 2. Hd.) [Es hat eingezahlt] Pakysis, Sohn des Stotoetis, des Sohnes des Stotoetis, und der Mutter Tauetis, aus der 3. Phyle, (4) [durch …]…, Sohn des Stotoetis, Epiteret, und die übrigen Epitereten (5) [ … ] (6) [Es hat eingezahlt Stotoe]tis, Sohn des Stotoetis, des Sohnes des Stotoetis, Erzpriester, für die Abgabe auf Altäre (?) 61) 70 Dr.

3.3.2 Mustertext für ein Angebot auf die Pacht von Fischereirechten

Auf der Rückseite einer eidlichen Verpflichtung zur Straßenreinigung gegenüber dem von 182 bis 184 n. Chr. amtierenden oxyrhynchitischen Strategen Hierax, die 1985 von John Whitehorne als P. Harr. II 193 publiziert wurde, findet sich das in P. Harr. II 194 vorgelegte Pachtangebot auf Fischereirechte aus dem 24. Jahr eines ungenannten Kaisers, bei dem es sich um ein Formular oder – angesichts der wiederholten Nachträge vielleicht eher – einen Entwurf handelt. Das 14,3  7,4 cm große Blatt liegt heute in der Cadbury Research Library in Birmingham. N.N. (2) an Dionysios, – (nachgetragen:) mitsamt anderen – (amtlich) befaßt der Pacht der Fischereirechte in Stadt (4) (und) Gau – (nachgetragen:) des Oxyrhynchites –, von N.N. (5) aus Oxyrhynchon polis. Freiwil(6) lig übernehmen wir zu pach(7) ten die Ausbeute (8) an Fischen in den Gewässern des Tors – (9) (nachgetragen:) an der Schleuse des Melan[thios] – (10) mit dem Beinamen »des He[ra]kleios« (11) im laufenden 24. Jahr, 62) (12) zu einem Pachtzins für alles zusammen an Sil(13) berdrachmen 1.100, unter der Bedingung, (14) daß wir im Fall des Zuschlags zugleich mit dem (15) Zuschlag einzahlen (16) 550 Drachmen … (17) und die übrigen 550 Drachmen (18) … (1) Von (3) mit

59. 60.

61. 62.

558

Vgl. F. Mitthof, Urkundenreferat 2007 (1. Teil), APF 54 (2008) 266-298, bes. 268, was auf die Jahre 163/64, 195/96, 220/21 oder 224/25 n. Chr. deuten würde; hierzu auch die folgende Anm. So mit D. Hagedorn bei Mitthof, a. a. O.; da bloße Regierungsjahre ohne die Nennung des Kaisers erst seit dem letzten Drittel des 2. Jh. üblich werden – vgl. nur ders., Einl. zu P. Bingen 106-107, bes. S. 403 mit Anm. 12 –, wohl noch näher einzugrenzen auf die Jahre 195/96, 220/ 21 oder 224/25 n. Chr. So mit Mitthof, APF 54 (2008) 268 gegen das vom Ed. verteidigte »auf Rinder«. 24. Reg.jahr entweder des Commodus = 183/84 n. Chr. oder des Caracalla = 215/16 n. Chr.

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3.3.3 Mustertext für eine Geburtsanzeige

Aus Oberägypten stammt der auf einem heute in Brüssel liegenden Ostrakon bewahrte Mustertext für eine Geburtsanzeige. Wie D. Hagedorn 1976 notierte, 63) bietet das 1922 von Paul Viereck publizierte O. Brüss. Berl. 14 zugleich den frühesten Beleg für diese Textsorte, mit der man allfällige elterliche Privilegien auch für die angemeldeten Kinder zu sichern hoffte – wovon hier freilich nichts zu erkennen ist, wie auch die abschließende Nennung des Dorfschreibers überrascht. 64) (1) An

Sarapion, den Königlichen Schreiber (der Gaue) Koptites und Peri Thebas, (2) von Soundso, dem Sohn des Soundso, von denen (3) aus Diospolis Magna. 65) Ich deklariere für das 3. Jahr 66) (4) die mir geborenen Kinder (5) nach der Erfassung des 20. Jahres, 67) darunter (6) Soundso, Sohn des Soundso, etwa … Jahre alt. (7) Spokes, Dorfschreiber.

3.3.4 Mustertext für eine Eingangsbestätigung zu einem Vormundschaftsbericht

Kopfstehend zu der Bankquittung für einen Kamelkauf, die am 23. 12. 146 n. Chr. in der oberen Hälfte des einst annähernd quadratischen Blattes von 18  19 cm Größe niedergelegt wurde, hielt jemand gut ein Jahr später noch das Formular der Eingangsbestätigung fest, die sich der Vormund von den Vorstehern des Gauarchivs für die dort regelmäßig einzureichende Aufstellung über allfällige Transaktionen im Namen seines Mündels aushändigen ließ. Erstmals bereits 1894 von P. Viereck als BGU I 88 publiziert, vermochte erst die 1989 von P. Schubert vorgelegte Neuedition den Charakter dieses zweiten, nunmehr unter SB XX 15004 greifbaren Textes zu klären.68) (1) An

die Bibliophylakes (des Archivs) der öffentlichen Akten (2) von N.N., Vormund des N.N. (3) Ich habe euch eingeliefert (4) die Aufstellung über Einnahmen und Ausgaben (5) der vorliegenden Vormundschaft im 9. Jahr 69) (6) und habe erhalten die (7) Quittung.

63. 64. 65. 66. 67. 68.

69.

D. Hagedorn, O. Brüss. Berl. 14, ZPE 21 (1976) 167 f. = BL VII 284. Hierzu zuletzt C. Sánchez-Moreno Ellart, ¢pomnffimata ¥pigennffisew@: the Greco-Egyptian Birth Returns in Roman Egypt and the Case of P. Petaus 1-2, ZPE 56 (2010) 91-129, bes. 126 f. Griechischer Name für die alte Hauptstadt Theben, heute Karnak. 3. Reg.jahr entweder des Caligula (38/39 n. Chr.) oder des Claudius (42/43 n. Chr.). Offenbar ein Verweis auf den 33/34 n. Chr. durchgeführten Zensus. P. Schubert, Bemerkungen zu BGU I 88, ZPE 77 (1989) 189-190 = BL IX 16; der Herkunftsort ist unklar. In der Ed. pr. ist lediglich allgemein das Fayyu¯m genannt, wobei der Verkäufer zwar aus Soknopaiou Nesos stammt, der Kauf jedoch in der Gauhauptstadt getätigt wurde und das Formular auf den Käufer zurückgehen dürfte. 9. Reg.jahr des Antoninus Pius = 145/46 n. Chr., wonach der Text aus dem Folgejahr stammen dürfte.

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Griechische Texte aus Ägypten

3.3.5 Mustertext für eine Zeugenunterschrift zu einer Testamentseröffnung

Das dem 3. Jh. n. Chr. zugeschriebene, nur 7,5  5,5 cm messende und 1974 von P. J. Parsons als P. Oxy. XLII 3075 veröffentlichte Papyrusblatt bietet die Formel, mit der Testamentszeugen bei der Eröffnung des Testaments die Echtheit ihres Siegels zu bestätigen hatten. (1) …

Ich, N.N., Sohn des N.N., war anwe(2) [send bei der] Testamentseröff(3) [nun]g und habe anerkannt (4) [das (oder: mein)] Siegel.

3.3.6 Mustertext für ein Testament

Dem 2. Jh. n. Chr. wird das Formular für ein Testament zugeordnet, das 1910 von A. S. Hunt als als P. Oxy. VII 1034 publiziert wurde. Das angestrengte Bemühen, die Verteilung des Erbes in einen einzigen Satz zu fassen, hat trotz des relativ klaren Sachverhalts zu ausgesprochen umständlichen Formulierungen geführt; bei den hierfür eingesetzten Partizipienreihungen gingen teilweise sogar die Beziehungswörter verloren. Die Rückseite des 13 cm breiten, unten abgebrochenen Blattes wurde später für Abrechnungen genutzt. (1) Als

Erben hinterlasse ich meine Tochter (2) N.N. und ihren Milchbruder (3) N.N. und N.N., und zwar den N.N. des Hauses und Hofes im Stadtviertel h…i, die ich zuvor als Sicherheit hinterlegt hatte für die ihm eingebrachte (Mitgift) seitens seiner Frau (entsprechend dem) ihnen vorliegenden Ehevertrag, (7) meine Tochter aber und ihren Milchbruder (8) gemeinsam zu gleichen Teilen der [zwei] Häuser [und Höfe,] die ich habe, [mitsamt allem Zubehör, des] einen i[m St]adtviertel …, des (11) [anderen im] Stadtviertel h…i, und …

3.3.7 Mustertext für eine Hinterlegung (Paratheke)

Der 1968 von P. J. Parsons als P. Oxy. XXXIII 2677 veröffentlichte Papyrus aus dem 2. Jh. n. Chr. war zunächst für die Aufstellung von Rechnungen genutzt und dann zu einem nahezu quadratischen Blatt von 14,7  13,3 cm Größe zurechtgeschnitten worden, um auf der Rückseite das Formular einer sog. Paratheke niederzulegen, mit der dafür typischen Rückgabe der hinterlegten Sache in identischer Form bei gleichzeitiger Zinslosigkeit. (verso, 1) N.N.,

Sohn des N.N., des Sohnes des N.N., und der Mutter N.N., von dorther, N.N., Sohn des N.N., des Sohnes des N.N., und der Mutter N.N., von dorther, (3) Grüße. Ich anerkenne erhalten zu haben von dir auf (4) di[e Han]d zur Verwahrung soundsoviel Silberdr., macht soundsoviel Dr., (5) welche ich dir au[ch z]urückgeben werde, wann immer du es wünschst, un(6) verz[üg]lich; wenn aber nicht, werde ich dir (2) dem

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Andrea Jördens

büßen nach dem (7) Gesetz [der] Paratheken, 70) wobei zusteht (8) dir die Praxis gegen mich und aus (9) meinem gesamten Besitz wie aus (10) einem Rechtsspruch. Dieser Handschein der Paratheke ist maßgeblich, welcher von mir, (11) dem N.N., eigenhändig in [zwei]facher Ausfertigung geschrieben ist, über(12) all, wo er vorgebracht wird, und für jeden, der ihn für dich (14) vorbringt. Datum.

3.3.8 Mustertext für Bürgschaft und Pacht

Der zwischen der Mitte des 2. und des 3. Jh. n. Chr. im Fayyu¯m, möglicherweise genauer Soknopaiou Nesos entstandene und heute in der Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg aufbewahrte Papyrus enthält einen »Abschnitt aus dem Formularbuch eines nomogr€yo@«, unter welchem Titel der erstmals 1950 von J. Schwartz vorgelegte Text in SB VI 9226 wiederabgedruckt wurde. Entsprechend gut ließ sich die fehlende rechte Hälfte des 19,5 cm hohen, aber nurmehr 7 cm breiten Blattes rekonstruieren, wobei Schwartz eine alphabetische Anordnung der Rechtsgeschäfte – hier genauer Bürgschaft und Pacht – für denkbar hielt. (1) Bürgschaft. (2) An

N.N., den Strategen, N.N., Sohn des N.N., von dorther. Ich sc[hwöre beim] der Herren Augusti [freiwillig] (4) und selbstgewählt, zu bürgen [für die Anwesenheit und das Erschei](5) nen von N.N., Sohn des N.N., von dorther, wel[chen ich auch beibringen werde,] (6) sobald er etwa gesucht würde; [wenn ich ihn aber nicht beibringe,] (7) we[rd]e ich selbst eintreten hinsichtlich der b[ei ihm ge](8) suchten (Anliegen), oder ich möge verfallen sein [dem Eid. In An](9) wesenheit des N.N., (Amts-)Di[ener.] (10) Pacht eines Olivenhaines. (11) An N.N., Sohn des N.N., von dorther, (12) von N.N., Sohn des N.N., des Sohnes des N.N., von [dorther. Ich möchte pach](13) ten von dir die (dir) gehö[rigen] sound[soviel] Aruren eines Olivenhaines [um das Dorf] Sowieso [oder wieviele es etwa sind, auf] (15) soundsoviele Jahre von dem so[undsovielten Jahr der Herren an, zu einem Pachtzins] (16) des gesamten f[ür] je[des] Jahr [von soundsoviel Drachmen] (17) und an Sondergaben [von soundsoviel Artaben ausgewählter Oliven,] (18) ohne Gefahr und [Abzüge, und ich werde ausführen] (19) alle Arbeiten [– Dammarbeiten, Bewässerung,] (20) Pflügen, Aufh[acken, Umgraben, Ent](21) fernung toter Äste, Olivener[nte – und auch das andere,] (22) soweit es zukommt, auf eige[ne Kosten zur jeweils gehörigen Zeit,] (23) indem ich keinen Schaden anrichte; [und ich werde alles erledigen zur gehöri](24) gen Zeit [auf] der Be[sitzung, wobei die öffentlichen Abgaben] (25) alle zu [deinen Last]en gehen, [und nach der] (26) Zeit werde ich übergeben [den Olivenhain, wie vor](27) liegt, frei von Binsen, Sch[ilf, Feldgras] (28) und allem Gestrüpp, wenn es (dir gut) ersch[eint, zu verpachten.] (3) Geni[us]

70.

Nach dem bisher nur aus dieser Strafklausel geläufigen »Gesetz« war in diesem Fall der doppelte Betrag zu entrichten.

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Griechische Texte aus Ägypten

3.3.9 Mustertext für eine Unterschrift zu einem Vergleich

Vom Beginn des 4. Jh. n. Chr. datiert der nur 7,4 cm hohe, aber 27 cm breite Papyrusstreifen mit dem Formular der Unterschrift zu einem Vergleich, der 1982 von Adam Bülow-Jacobsen als Oxy. XLIX 3478 ediert wurde. (1) Ich,

Aurelios N.N., Sohn des N.N., habe de[n V]ergleich geschlossen und das von mir zuvor Verliehene erhalten, (2) alles, und habe einen Kaisereid geschworen, nicht (jetzt) Klage zu erheben und auch nicht in Zukunft Klage zu erheben, wie vorliegt, (3) und auf Befragen habe ich zugestimmt.

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4. Ausbildung, Schreiber- und Gelehrtenkultur Jenseits von Alexandria und der dort beheimateten Weltkultur, in der sich namentlich die griechische Philologie zu einzigartiger Blüte entfaltete, ist zur Pflege des Schriftwesens wie der Schreiberausbildung und -tätigkeit im griechischsprachigen Ägypten relativ wenig zu erfahren. Eine eingehende Studie sämtlicher Aspekte des Schul- und Lehrbetriebs legte R. Cribiore vor, der wir auch einen Katalog der – zumeist spätantiken – Zeugnisse verdanken. 1) Den zentralen Bereich der Grammatik hatte zuvor bereits A. Wouters in den Blick genommen, 2) während sich F. Pordomingo zuletzt mit den gern auch für Unterrichtszwecke eingesetzten Anthologien befaßte.3) Hier seien vor allem solche Texte vorgestellt, die nicht primär als Teil der griechischen Literatur und Bildung anzusehen sind, sondern einzelne Schlaglichter auf die Situation im Hinterland zu werfen vermögen.

4.1 Lehrbuch für verschiedene Unterrichtsstufen Ein singulärer Fall ist bis heute das in Kairo liegende, schon 1938 von O. Guéraud und P. Jouguet publizierte »Livre d’écolier« aus dem 3. Jh. v. Chr. geblieben.4) Aus einer Reihe von Textsorten bestehend, die von einfachen Buchstaben- und Silbenübungen über Zahlenreihen und Listen gleichartiger Wörter bis hin zu mehr oder weniger umfangreichen Klassikerzitaten reichen, wurde es vermutlich als Lehrbuch für verschiedene Unterrichtsstufen genutzt. Von der ursprünglich wohl knapp 2,50 m langen Rolle sind noch zwei nicht aneinanderschließende Fragmente von 66 bzw. 176 cm Länge vorhanden, deren obere Hälfte weggebrochen ist. Da die Komplexität der behandelten Phänomene stetig steigt, ging am verlorenen Rollenbeginn vielleicht nur ein einfaches Alphabet voraus, während sich das längere Bruchstück durch die fehlende Beschriftung der letzten 14 cm als Rollenende erweist. Die einzelnen Abschnitte sind zumal im Anfangsteil durch oft kunstvoll ausgestaltete Gliederungselemente aus kleinen, teilweise kapitellgekrönten Säulen voneinander abgesetzt. 5) Ein weiteres Charakteristikum stellen die vielfach, wiewohl nicht durchgehend eingetragenen Silbentrenner in Form von Doppelpunkten dar, und zwar nicht nur in den reinen Wortübungen, sondern auch den beiden ersten Zitaten aus Euripides; Textwechsel sind durch Koronides markiert. Immer wieder besprochen wurden vor allem die literarischen Partien, da sie für manche Texte nicht nur der früheste, sondern überhaupt der einzige Zeuge sind. Hierfür sei nur auf die jüngste Behandlung durch 1. 2. 3. 4. 5.

R. Cribiore, Gymnastics of the Mind. Greek Education in Hellenistic and Roman Egypt, Princeton 2001 sowie dies., Writing. A. Wouters, The Grammatical Papyri from Graeco-Roman Egypt. Contributions to the Study of the ›ars grammatica‹ in Antiquity, Brussels 1979. F. Pordomingo, Antologías de época helenística en papiro (Pap. Flor. 43), Firenze 2013. O. Guéraud / P. Jouguet, Un livre d’écolier du IIIe siècle avant J.-C., Le Caire 1938; auch Cribiore, Writing, 269 Nr. 379; für die ersten drei Abschnitte vgl. immerhin die »Schreibübung des kleinen Apollonios« UPZ I 147 (165-160 v. Chr.). Vgl. auch Horak, Illuminierte Papyri, 231 ViP 37.

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Griechische Texte aus Ägypten

F. Pordomingo verwiesen, 6) während sich die untenstehende Wiedergabe auf die didaktischen Partien konzentriert. Die Zeilen wurden in den Abschnitten jeweils nur einmal gezählt und zumeist auch nicht nach Kolumnen differenziert, die hier jedoch zur Verdeutlichung eingefügt wurden. Z. 2-8: Drei Kolumnen mit aus zwei Buchstaben gebildeten, offenen Silben in alphabetischer Folge, die sieben griechischen Vokale jeweils untereinander geordnet; erhalten sind nurmehr die beiden letzten Konsonanten des Alphabets. (col. I) …

ph]o¯; (col. II) [ch]a – che – [ch]e¯ – [ch]i – cho – chy – cho¯; (col. III) psa – pse – pse¯ – psi – pso – psy – pso¯. Z. 9-15: Siebzehn Kolumnen mit aus drei Buchstaben gebildeten7) und auf -n endenden Silben in alphabetischer Folge, Anordnung wie zuvor.

(col. I) [an

–] en – e¯n – in – on – yn – o¯n; (col. II) [ban – ben – be¯n –] bin – bon – byn – bo¯n; (col. III) [gan – gen – ge¯n] – g[in –] go[n –] gyn – go¯n; (col. IV) [da]n – [de]n – [de¯]n – d[in –] don – dyn – do¯n; (col. V) zan – zen – ze¯n – zin – zon – zyn – zo¯n; (col. VI) than – then – the¯n – thin – thon – thyn – tho¯n; (col. VII) [kan – ken –] ke¯n – kin – kon – kyn – ko¯n; (col. VIII) [man – men –] me¯n – min – mon – myn – mo¯n; (col. IX) [nan – nen – ne¯n – nin –] non – nyn – no¯n; (col. X) xan – xen – xe¯n – xin – xon – xyn – xo¯n; (col. XI) pan – pen – pe¯n – pin – pon – pyn – po¯n; (col. XII) ran – ren – re¯n – rin – ron – ryn – ro¯n; (col. XIII) [san –] se[n –] se ¯ n – sin – son – syn – so¯n; (col. XIV) [tan – ten –] te¯n – tin – ton – tyn – to¯n; (col. XV) [phan –] ph[en –] phe¯n – phin – phon – phyn – pho¯n; (col. XVI) [chan – che]n – che¯n – [chi]n – ch[on –] chyn – cho¯n; (col. XVII) psan – psen – pse¯n – psin – pson – psyn – pso¯n. Z. 16-18: Darüber – d. h. am Fuß der weggebrochenen oberen Hälfte – eine unbekannte Zahl an Kolumnen mit aus vier Buchstaben gebildeten Silben der Kombination »Konsonant + r + Vokal + s« in alphabetischer Folge, allerdings mit Auslassungen, da zwischen col. II und III nur zwei Kolumnen verloren sein dürften; Anordnung wie zuvor. (col. I) [ (col. IV) [

… ] zros – zrys – zro¯s; (col. II) [ … ] thr[o¯s; … ] phr[os –] phr[ys –] phro¯[s …

(col. III) …

t]ros – trys – tro¯s;

Z. 19-20: Ebenfalls am Fuß der weggebrochenen oberen Hälfte Ende einer Liste mit makedonischen Monatsnamen. [ … Aud]nai[os –] Peritios …

6. 7.

564

Vgl. Pordomingo, Antologías, 191 ff. Nr. 28 und die dort gegebene reiche Bibliographie. Die erste Kolumne allerdings noch ohne konsonantischen Anlaut und daher nur aus zwei Buchstaben bestehend; Lambda wurde ausgelassen.

Andrea Jördens

Z. 21-26: Zwei Kolumnen mit Zahlenreihen. (col. I) [

… ] 8 – 9 – 10 – 11 – 12 – 13; (col. II) [ … ] 20 – 21 – 22 – 23 – 24 – 25…

Z. 27-37: Zwei Kolumnen mit – teilweise gesuchten – einsilbigen Wörtern. (col. I) [

… ] Tier – Feu’r – Faust – Fuß – Gans – Fleisch – Geiß – Luchs – Strang – Milch – Haut; (col. II) [ … ] Schwein – Herz – Strand – Schrei – Nas’ – Fuß – Hand. Z. 38-47: Liste mit Götternamen, am Ende eine Koronis. [ … He]ra – [Her]mes – Poseidon – Demeter – Ares – Athena – [Hepha]istos – Aph[ro]dite – [Apol]lon – Artemis. Z. 48-51: Fragmentarische Liste unbekannten Inhalts, vor den letzten sechs Zeilen der Kolumne in einer Koronis endend. Z. 52-66: Liste mit Flußnamen, ohne Kolumnenordnung; vor den letzten vier Zeilen der wohl direkt folgenden Kolumne in einer Koronis endend. F[lüsse (?):] … Ism[enos –] Erym[anthos –] Stry[mon –] … – Sangarios – Pigrys – Peneios – Indos – Kal[ykadnos (?) –] Ebros – Aracho[tos –] Anakmon – Meles – Rhyndakos – Skamandros – Eridanos – Simois – Prakti[os –] Strymon. Z. 67-114: Fünf Kolumnen mit Personennamen, zumeist mit Silbentrennern. Zweisilbige Namen: Kasto[r – Ph]oi:bos – Thrason 8) – Le:on – He:ktor – Dei:non: – …]os – Ar:ktos: – Ne:reus – Nei:leus: – Nei:los: – Tho:as – Gu:neus – A:kmon: – Ze:thos – Ai:as: – Teu:kros – The:ron: – Or:pheus: – (col. III, 84) [Dreisilbige Namen: … ] Ti[… –] O:dys:seus: – Pho:ky:los: – Alkinus – Pelias – I:a:son: – Te:le:phos: – A:chilleus; (col. IV, 93) [Viersilbige Namen: … ] A[… –] Me:ne[… –] Am:phi:ma[:chos – As:ka:la:ph[os –] E:le:phe:nor: – Antimachos – Kallimachos – Polyneikes – E:teo:kles – Hip:po:me:don – An:ti:lo:chos: – (col. V, 104) [Fünfsilbige Namen: … A:na:]xi:bu:lo[s – A:ris:]to:ni:kos: – [A:n]a:xa:go:ras: – [A:]pol:lo:pha:nes: – A:ga:tho:do:ros: – Pi:ty:o:kamptes – Ar:ke:si:la:os: – Or:ga:no:poi:os: – Har:ma:tope:gos: – Le:on:to:me:nes: (col. II, 71) [

Z. 115-215: Sieben Kolumnen mit Klassikertexten. (col. I, 115-125) Tragikerfragment, mit Silbentrennern: Euripides, Phoenissae 529535. (col. II, 126-129) Tragikerfragment, mit Silbentrennern: Euripides, Ino [TrGF V.1, (32) Ino F 420]. (130) Am linken Rand eine Koronis, auf Mitte »Epen«. (131-139) Homer, Odyssee V 116-124.

8.

Die nicht korrekt gesetzten Silbentrenner bei »Thras:on« sind offenkundig sekundär.

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Griechische Texte aus Ägypten

(col. III, 140-154) Epigramme: Gedicht auf ein zu Ehren der Arsinoe II. oder III. errichtetes Nymphaeum [Suppl. Hell. 978], am Ende eine Koronis. (col. IV, 155-161) Epigramme: Gedicht auf Ptolemaios IV. Philopator [Suppl. Hell. 979]; (162-169) Komödienfragment [PCG VIII 1072], durch Koronis und Spatium vom Vorangehenden abgesetzt. (col. V, 170-184) Komödienfragment [PCG VIII 1073]. (col. VI, 185 – VII, 215) Komödienfragment: Straton, Phoenicides [PCG VII Strato 1, 4-25 bzw. 37-50 9)], davon Z. 190 nachträglich eingefügt; am Ende eine Koronis. Z. 216-234: Zwei Kolumnen mit Quadratzahlentabellen, die einzelnen Zahlen jeweils durch senkrechte Striche voneinander abgesetzt. 4 x] 4 = [16;] 5  5 = 25; 6  6 = 36; 7  7 = 49; 8  8 = 64; 9  9 = 81; 10  10 = 100; 20  20 = 400; 30  30 = 900; 40  40 = 1.600; (col. II, 226) [ … ] 90  90 = 8.100; 100  100 = 10.000; 200  200 = 40.000; 300  300 = 90.000; 400  400 = 160.000; 500  500 = 250.000; 600  600 = 360.000; 700  700 = 490.000; 800  800 = 640.000 … (col. I, 216) […

Z. 235-242: Eine Kolumne mit Unterteilungen der Drachme. … 1⁄ [ … ;] 1⁄8 = 1⁄2 Ob. 2 Ch.; 1⁄ [12 =] 1⁄2 Ob.; 1⁄24 = 2 Ch.; 1⁄3 = 2 Ob.; 1⁄6 = 1 Ob.; 1⁄2 = 3 Ob.; 1⁄48 = 1 Ch.

4.2 Vertrag über eine Ausbildung zum Kurzschriftschreiber Bei dem 18,3  21,3 cm großen P. Oxy. IV 724, der 1904 von B. P. Grenfell und A. S. Hunt publiziert wurde und sich heute in Pittsburgh befindet, handelt es sich um einen der seltenen Unterrichtsverträge, der wohl auch daher zahlreiche Nachdrucke erlebte.10) Darin gab ein Angehöriger der städtischen Führungsschicht von Oxyrhynchos am 1. März 155 n. Chr. seinen Sklaven in die Lehre, um ihn in der Kurzschrift ausbilden zu lassen. (1) Panechotes

alias Panares, von den ehemaligen Kosmeten von Oxyrhynchiton(2) polis, durch seinen Freund Gemellos an Apollonios, Kurzschriftschreiber, Grüße. Ich habe dir überstellt (3) den Sklaven Chairammon zur Erlernung der Kurzschrift, die beherrscht

9. 10.

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Z. 1-47 mit gelegentlichen Umstellungen sowie kleineren Varianten auch bei Athen., Deipn. IX 382 b-383 b. Auch W. Chr. 140; Sel. Pap. I 15; J. Hengstl, Griechische Papyri aus Ägypten als Zeugnisse des öffentlichen und privaten Lebens, Zürich / München 1978, 244 ff. Nr. 100; P. W. Pestman, The New Papyrological Primer, Leiden u. a. 21994, 186 f. Nr. 45. Da der Ausbilder den Auszubildenden nicht für sich selbst nutzbringend einsetzen kann, steht ihm hier ein Lohn für die gesamte Laufzeit des Vertrages zu, während er bei den Lehrverträgen dem Auszubildenden in der Regel selbst Lohn zahlen muß. Eine – fragmentarische – Parallele liegt inzwischen in P. Oxy. XLI 2988 (2. Jh. n. Chr.?) vor.

Andrea Jördens

dein Sohn (4) Dionysios, auf eine Zeit von zwei Jahren von dem laufenden Monat Phamenoth des (5) achtzehnten Jahres des Antoninus, des Herrn Kaisers, zu dem miteinander vereinbarten Lohn von hundertundzwanzig Drachmen ohne die Festga(7) ben, wovon du bekommen hast die erste Zahlung in (Gestalt von) vierzig Drachmen; die (8) zweite aber wirst du erhalten, wenn der Sklave den ganzen »Kommentar« aufgenommen hat, in (Gestalt von) v[ier]zig Drachmen; die dritte aber wirst du erhalten 11) am Ende der Zeit, wenn der (10) Sklave jeden Prosatext in Kurzschrift schreiben 12) und vorles[en] kann, ohne Tadel, (11) (d. h.) die restlichen vierzig Drachmen. Wenn du aber innerhalb der Zeit ihn (12) fertig ausgebildet hast, werde ich die vorliegende Frist nicht ausschöpfen, ohne daß möglich ist (13) für mich, innerhalb der Zeit den Sklaven abzuziehen. Er wird aber bei dir bleiben nach [de]r Ze[it] soviele (14) Tage oder Monate, wie er etwa gefehlt hat. Im 18. Jahr des Imperator Caesar Titus Aelius Hadrianus (15) Antoninus Augustus Pius, 5. Phamenoth. 13)

4.3 Zusatzvertrag mit neun Schreibern in der Verwaltung Nachrichten über professionelle Schreibertätigkeiten liegen am ehesten aus dem Bereich der Verwaltung vor. Besonders detailliert fällt hier der in Ann Arbor liegende P. Mich. XI 603 aus, den John C. Shelton im Jahr 1971 edierte. 14) Auf dem 25  11 cm großen Blatt erklären sich neun Schreiber am 4. Februar 134 n. Chr. gegenüber den beiden hauptamtlichen Stadtschreibern der arsinoitischen Gauhauptstadt, des heutigen Madı¯nat al-Fayyu¯m, bereit, zusätzlich zu den schon bisher übernommenen Arbeiten – Erstellung von Zensusdeklarationen, von nach Personen geordneten Kopfsteuerlisten, von Listen der Katöken sowie von Aufstellungen der noch nicht bzw. nicht mehr Kopfsteuerpflichtigen – auch noch nach Gruppen geordnete Kopfsteuerlisten zu fertigen. (1) Diogenes

und Euporos und Mystes und (2) Marion und Sarapion und Sabinos und Harpokration und Heliodoros, die 9 (4) Schreiber, an Marion und Herakleides Herodes, den Schreibern der Gauhauptstadt, (5) Grüße. Da wir mit euch überein gekommen waren, (6) außer der Haus-zu-Haus-Deklaration 15) zusammen(7) zustellen Einzelabschriften der Kopfsteuerlisten (8) nach Personen und Akten der Katöken und (9) Aufstellungen der Minderjährigen und (derjenigen) außerhalb (10) der Erfassung, sind wir jetzt noch dazu überein gekommen, (11) zusammenzustellen auch Einzelabschriften der Kopfsteuerlisten (12) nach Gruppen desselben 18. Jahres Hadrians, (13) des Herrn (3) und

11. 12. 13. 14. 15.

Im Papyrus allerdings das für Lehrverträge typische »werde ich erhalten«, vgl. die vorige Anm. Wörtlich »aus jedem normalen Text schreiben«; so gegen frühere Deutungen nochmals N. Lewis, Shorthand Writers, Comunicazioni 5 (2003) 19-27, bes. 22. 1. 3. 155 n. Chr. Mit Korrekturen in BL VII 115; VIII 216; auch L. Migliardi Zingale, Vita privata e vita pubblica nei papiri d’Egitto. Silloge di documenti greci e latini dal I al IV secolo d. C., Torino 1992, 26 f. Nr. 14. D. h. der im Jahr 131 verfügten Zensusdeklaration, deren Daten bis 133 erhoben wurden.

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Griechische Texte aus Ägypten

Kaisers, 16) wobei ihr zur Verfügung stellt, (14) soviel wir etwa Bedarf haben an Ak(15) ten des 17. Jahres 17) für die Zusammenstellung, (16) unter der Bedingung, daß, sobald ihr erhaltet von den vo[rlie(17) g]enden Aktenrollen die Einzelabschriften, (18) (wir) [fü]r nichts schlichtweg festgehalten werden, (19) und daß die Überbringung der frischen und (20) [der P]reis der Papyrusrollen und die Einlieferung (21) bei euch, denen um den Marion, [li]egt. (22) Schon hier aber haben wir empfangen auch das für (23) die (Listen) nach Gruppen vereinbarte (24) Gehalt wie vorliegt, wobei [maß]geblich bleiben die Handscheine, die wir (sonst) voneinander besitzen. Diesen Handschein haben wir zwei(27) [fa]ch ausgefertigt. Ich, Diogenes, habe geschrieben (28) [den] Vertragsk[örper. (2. Hd.) Ich, Euporo]s, bin überein gekommen, (29) [wi]e vor[liegt. (3. Hd.) Ich, Sa]beinos, bin überein gekommen, (30) [wi]e vorliegt. (4. Hd.) Ich, Marion, bin überein gekommen, wie vorliegt. (31; 5. Hd.) Ich, Mysthes, bin überein gekommen, wie vorliegt. (32; 6. Hd.) [Ich, He]rakleides, bin überein gekommen, wie vorliegt. (33; 7. Hd.) Ich, Sarapion, bin überein gekommen, w[ie] vorliegt. (34; 8. Hd.) Ich, Harpokration, bin überein gekommen, wie vorliegt. (35; 9. Hd.) [Ich, Helio]doros, bin [überein] gekommen, w[ie] vorliegt. (36; 10. (?) Hd.) [Im 18. Jahr] Hadr[ians,] des Herrn Kaisers, 10. Mecheir. 18)

4.4 Korrespondenz über Schriftwerke Zwar blieb eine Fülle literarischer Texte auch im Hinterland erhalten, doch besitzen wir in der Regel allein die Produkte der Schreibertätigkeit. Nur gelegentlichen Zufallsfunden ist mitunter etwas zur Entstehung und Zirkulation von Büchern bzw. allgemein dem Umgang mit ihnen zu entnehmen.

4.4.1 Bericht über philologische Aktivitäten

In dem 12,4  14,7 cm großen P. Petaus 30 berichtet Iulius Placidus seinem »Vater« Herclanus über seine neuesten philologischen Aktivitäten. Die dem 2. Jh. n. Chr. zugeordnete Schrift des Kölner Papyrus besitzt einen ausgesprochen lateinischen Charakter, was gut zu der Erwähnung von Pergamenthandschriften paßt. 19) (1) Iulius

Placidus an Herclanus, den (2) Vater, Grüße. (3) Deios kam zu uns und hat (4) uns die sechs Pergamente vorgezeigt. Davon haben wir nichts ausge(6) wählt, aber acht andere haben wir kolla(7) tioniert, wofür ich ihm auf Abschlag 100 Dr. gegeben habe. (8) Sorge indessen du dafür, daß möglichst schnell (?) (9) … zu uns komme. (10) Ich wünsche dir [Wo]hlergeh[en.] (Rs., 11) … von Iulius Placi[dus …

16. 17. 18. 19.

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133/34 n. Chr. 132/33 n. Chr. 4. 2. 134 n. Chr. Auch bei J. van Haelst, Les origines du codex, in: A. Blanchard (Hg.), Les débuts du codex (Bibliologia 9), Turnhout 1989, 13-35, bes. 22 f.

Andrea Jördens

4.4.2 Bitte um die Abschrift eines Prosawerkes

Ebenfalls aus dem 2. Jh. n. Chr. stammt das 13  13 cm große, fünfeckige Ostrakon, mit dem Serapion die dringende Bitte an seinen gleichnamigen Vater richtet, ihm einen Prosaautor abschreiben zu lassen. Vermutlich wollte er ihn sich zum Mons Claudianus schicken lassen, doch wurde das 1997 von J. Bingen als O. Claud. II 299 edierte Ostrakon wohl nie abgesandt. Denn dort wurde es am 30. 1. 1990 an der Südostecke des Lagers entdeckt, was auch die fehlenden Grüße erklären könnte. (1) Serapion

an Serapion, den (2) Vater, viele Grüße. Vor allem (3) wünsche ich dir Heil. war es mir, durch ein Briefchen Grüße auszurichten. (5) Gut würdest du tun, wenn du die Papyrusrolle (6) kauftest, zu Didymos gingest, (7) dem Lehrer, und (ihm) Geld gäbest, (8) damit er mir abschreibt ein Prosa(9) werk. Sonst also tue nichts anders.

Drin(4) gend

4.4.3 Bitte um den ersten Gesang der Ilias

Konkreter wird der namenlose Schreiber in dem recht formlosen O. Bodl. II 2000, der einen Bekannten nochmals an seine Bitte um den ersten Gesang der Ilias erinnert. Das im oberägyptischen Theben gefundenen Ostrakon ist nur grob in das 2./3. Jh. n. Chr. datiert. (1) Mein

Herr Isidoros, (2) wenn du kommst, bring »Alpha«, wie ich dich gebeten hatte.

(3) mir

den Text der Ilias,

(4) das

4.4.4 Korrespondenz unter Bücherfreunden

An dem 23  21 cm großen P. Oxy. XVIII 2192 aus dem späteren 2. Jh. n. Chr., von dessen erster Kolumne nurmehr wenige Reste erkennbar sind, fallen mehrere Gruppen von Nachträgen in anderer Hand ins Auge. Darin melden die Schreiber verschiedene Lektürewünsche an, ohne sich jeweils zu identifizieren, wie wir auch nicht wissen, wo der in Oxyrhynchos gefundene Brief einst entstanden ist. In jedem Fall ist auf einen Umlauf in einem Kreis guter Bekannter zu schließen, wozu auch die abgegebenen Kommentare passen. Der 1941 von C. H. Roberts publizierte Text hat seither vielfach Beachtung gefunden, wobei hier nur auf die letzte Bearbeitung durch R. Hatzilambrou verwiesen sei. 20) (col. I, 1) …

] dem (2) [ … ] Grüße. (3) [ … ] deswegen (4) [ … ] kein (5) [ … ] und des … ] kam herbei (7) [ … ] aber du schienst (8) [ … ] wenn ihr aber wohlauf Dionysios (9) seid, [ … ] weswegen ich (?) den Auftrag (10) [gab … , zusam]men mit der Herbei(6) [

20.

R. Hatzilambrou, P. Oxy. XVIII 2192 Revisited, in: A. K. Bowman u. a. (Hg.), Oxyrhynchus. A City and Its Texts, London 2007, 282-286, mit eingehender Diskussion insbesondere der Frage des Entstehungsorts sowie der erwähnten Werke und Namen.

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Griechische Texte aus Ägypten

bringung (11) [ … d]em Amyntas im Wil(12) [len (?) … ,] wenn er kommt zu (13) [ … ] deinetwegen … (14) [ … ] für … (15) [ … ] wenn es denn nötig sein sollte. Wegen (16) Apollonios aber [ … ] … (17) von (?) ihm sagen [ … ] … ihm. Z[u dem] (18) Schreiber nämlich [ … ] und dergleichen (19) [ … ] Schrift (?) … (col. II, 20) Weder bin ich imstande noch würde ich, wenn ich imstande wäre, (21) einen der mir Nahestehenden in eine derar(22) tige Lage bringen, und (23) schon gar nicht nach dem, was ich jetzt über (24) derartige Dinge erfahren habe von. (25; 2. Hd.) Ich wünsche dir Wohlergehen, mein Herr Bruder. (26) Ein Werk von (27) tr (28) Von Hypsikrates’ »Komödien(29) charakteren« laß (Buch) 6 (und) 7 anfer(30) tigen und schicke (sie) mir. Es sagt nämlich (31) Harpokration, daß die unter den Büchern des Pollio (33) seien. Aber wahrscheinlich werden auch andere (34) sie erhalten haben. Auch Werk(36) auszüge 21) von Thersagoras’ (36) Tragikermythen hat er bekommen, (37) 71 (?). (38; 3. Hd.) Die hat aber der Buchhändler Demetrios bekommen, (39) wie Harpokration sagt. Ich habe Apol(40) lonides beauftragt, mir von meinen Büchern einiges zu schicken, was du genauer von ihm erfahren wirst. (42) Aber von Seleukos’ »Zeiten«, [so v]iel du etwa fin(43) dest außer dem, was ich bereits besitze, laß anfertigen und (44) schicke es mir. Es haben aber auch die um Dio(45) dor[os] einiges bekommen, wovon ich noch nichts besitze. (46; 4. Hd.?) [ … ] Diony[sios (?) …

4.4.5 Bitte um einen Büchertausch

1996 wurde von J. R. Rea als P. Oxy. LXIII 4364 eine Eingabe aus dem 3./4. Jh. n. Chr. ediert, aus der die Petentin Aurelia Soteira alias Hesychion möglicherweise selbst ein 11,5  8 cm großes Stück ausgeschnitten hatte, um die Rückseite für den in 4365 publizierten Text zu nutzen. Die dort geäußerte Bitte an eine ebenfalls ungenannte »Schwester« um einen Büchertausch erlangte nicht zuletzt wegen der beiden genannten Werke größte Aufmerksamkeit, handelt es sich doch um die offenbar bei Juden wie Christen gleichermaßen beliebten Apokryphen Esra IV und das Buch der Jubiläen, wofür in dem Schreiben nunmehr der älteste Beleg in griechischer Sprache vorliegt. 22) (1) An (4) da

21. 22.

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meine Herrin, die liebste Schwe(2) ster im Herrn, Grüße. (3) Leih mir den »Esra«, ich dir geliehen hatte die (5) »Kleine Genesis«. (6) Lebe uns wohl in Gott.

Näherhin offenbar Auszüge in Prosa, was jedoch anders als in Nr. 4.2, Z. 10 und 4.4.2, Z. 8 f. hier nicht explizit gesagt ist. So bes. D. Hagedorn, Die »Kleine Genesis« in P. Oxy. LXIII 4365, ZPE 116 (1997) 147 f.; gegen die von R. Otranto, Alii tempora, alii libri. Notizie ed elenchi di libri cristiani su papiro, Aeg 77 (1997) 101-124, bes. 106 ff. = dies., Antiche liste di libri su papiro, Roma 2000, Appendice: 123-144, bes. 128 f. geäußerten Vorbehalte bereits A. Hilhorst, Erwähnt P. Oxy. LXIII 4365 das Jubiläenbuch?, ZPE 130 (2000) 192; vgl. auch A. Luijendijk, Greetings in the Lord. Early Christians and the Oxyrhynchus Papyri, Cambridge, MA 2008, 70-74; L. H. Blumell / Th. A. Wayment, Christian Oxyrhynchus. Texts, Documents, and Sources, Waco, TX 2015, 509-512 Nr. 141.

Andrea Jördens

4.4.6 Quittung über den Erhalt eines Buches zur Illustration

Auf dem 1974 von G. M. Parássoglou vorgelegten, nur 10,6  7,8 cm großen SB XIV 11858 unbekannter Herkunft aus Yale bestätigt der Priester Herakleios wohl noch im 4. Jh. n. Chr. den Erhalt eines Buches zu Illustrationszwecken. (1) Ich,

Herakleios, Priester, anerkenne erhal(2) ten zu haben von dir das Buch zur (3) Ausschmückung unter der Bedingung, daß ich wieder innerhalb (4) eines Monats es dir zurückerstatte (5) ohne Ausflüchte.

4.5 Liste der philosophischen Schulhäupter Wie sehr und wie lange man sich auch im tiefsten Ägypten noch den griechischen Traditionen verpflichtet fühlte, zeigt nichts mehr als eine in konstantinischer Zeit angefertigte Liste der philosophischen Schulhäupter. Der von W. H. Willis erstmals 1978 und, um ein weiteres Fragment ergänzt, nochmals 1997 als P. Ammon I 1 publizierte Papyrus verdient nicht zuletzt aufgrund seiner Zugehörigkeit zum »Archiv« einer Priesterfamilie aus dem oberägyptischen Panopolites Interesse, deren Angehörige sogar als Rhetor am Kaiserhof Karriere machen konnten. Das 22 cm hohe Blatt war ursprünglich wohl annähernd quadratisch, ist inzwischen aber nur noch knapp 10 cm breit. 23) (col. I, 1) [Der

Philoso]phen St[ammväter (?):] Mi]lesier; (4) [Anaxi]mander, (5) [Milesi]er; (6) [Anaxime]nes, Milesier; (7) [Anaxagora]s, aus Klazo(8) menai; (9) [Archelao]s, Athener; (10) [Pherekyd]es, Syrer; (11) [Parmen]ides, Elea[te; (12) Diogenes, aus Apollo]nia; … (col. II, 1) … (5) Speusipp[os, Athener;] (6) Platon, [sein Schwestersohn;] (7) Xenokrates, [Chalkedonier;] (8) Polemon, A[thener;] (9) Arkesilaos, [aus Pitane;] (10) Karneades, [Kyrenäer;] (11) [Von der mittleren (?)] Akadem[ie:] (12) Klitomacho[s, Karthager;] (13) Philion, a[us Larissa; (14) A]ntiochos, [Askalonite.] (15) Von den Stammvä[tern der] (16) dritten Akad[emie:] (17) Kyniker: (18) [Diog]enes, der Sinop[ie]r; (19) [Mo]nimos, aus dem Sklavenstand; (20) Krates, Boioter. (21) [Peri]patetiker: (22) Aristoteles, Stagirite; (23) [Theo]phrast, Ionier; (24) [Stra]ton, aus Lampsakos; (25) [Praxiph]anes, Rhodier; (26) [Kritol]aos, Phaselit. (27) [Stoi]ker nach den Kynikern: (28) Zenon, [ … (3) [Thales,

23.

Auch in: Corpus dei Papiri Filosofici greci e latini (CPF), Parte I Vol. 1*, Firenze 1989, 81-84 Nr. 1.

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5. Handwerk und Landwirtschaft Das Handwerk als solches hat in den Texten in der Regel nur wenig Spuren hinterlassen. Am ehesten finden sie sich dort, wo umfangreichere Arbeiten eine längerfristige Planung, ggf. auch Ausschreibungen erforderten, so namentlich im Baugewerbe. In weiterem Sinne fällt indessen die Veredelung von Hölzern, Metallen oder Steinen hierunter, die sich in den gern als alchemistisch bezeichneten Werken erhalten hat; als verwandt hiermit mag man noch Kochbücher ansehen. Wie das Handwerk war auch die Land- und Viehwirtschaft nahezu ausschließlich eine Sache der Praxis; zu ersterer lassen sich immerhin Texte aus der Ausbauphase des Landes anführen, als es um die Gewinnung weiterer Anbauflächen oder die Einführung neuer Technologien wie des Weinbaus ging.

5.1 Baugewerbe Nirgends lag der Vergleich der archäologischen Zeugnisse mit den auf Papyrus erhaltenen Quellen näher als im Bereich von Architektur und Hausbau; auf die schon früh einsetzenden und weiterhin anhaltenden Studien dazu ist nur zu verweisen.1) Besonderes Interesse kommt darunter außer einem Grundriß allfälligen Kostenvoranschlägen zu, von denen drei hier vorgestellt seien, davon zwei zu Umbaumaßnahmen bzw. der Ausmalung eines Privathauses, der dritte zu den aufwendigen Deckenarbeiten in einem städtischen Gymnasium.

5.1.1 Grundriß eines Hauses

Der 1957 als P. Oxy. XXIV 2406 publizierte Grundriß eines Hauses mitsamt Himmelsrichtungen, vielleicht auch Maßangaben ist nach wie vor singulär und gehört daher wohl zu den bekanntesten Papyri überhaupt. 2) Der Schrift nach ins 2. Jh. n. Chr. zu datieren, wurde das 13  22,5 cm große Blatt erneut in Oxyrhynchos gefunden. Die Mauern sind jeweils durch gelb gefüllte Doppelstriche markiert, deren Abstände möglicherweise die Wandstärke anzeigen sollten. Einige Bereiche sind mit Beischriften versehen, so das »Eingangstor« auf der linken Schmalseite und also im Norden oder die »Tür zum Keller« gleich hinter der Wand, die den Vorhof von den angrenzenden Baulichkeiten trennte. Bei dem in der Mitte des Entwurfs eingezeichneten »⁄tre…on« bleibt letztlich unklar, ob es sich um den typisch ägyptischen Lichthof – a—qrion – oder ein römisches Atrium handelt. (S. die Abb unter http://163.1.169.40/gsdl/col lect/POxy/index/assoc/HASH2c74/54ba6d7f.dir/POxy.v0024.n2406.a.01.hires.jpg.) 1.

2.

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Erwähnt seien immerhin M. Nowicka, La maison privée dans l’Égypte ptolémaïque, Wrocław / Warszawa / Kraków 1969; G. Husson, Oikia. Le vocabulaire de la maison privée en Égypte d’après les papyrus grecs, Paris 1983; vgl. zuletzt etwa auch R. W. Daniel, Architectural Orientation in the Papyri (Pap. Colon. 34), Paderborn u. a. 2010. Eine ausführlichere Diskussion bes. bei Husson, Oikia, 308 ff.; vgl. auch Horak, Illuminierte Papyri, 239 ViP 122.

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5.1.2 Kostenvoranschlag für Umbaumaßnahmen

Eine Reihe von Papyri klärt über die Bauarbeiten auf, die im Auftrag mehrerer alexandrinischer Würdenträger Mitte des 3. Jh. v. Chr. auf dem Landgut des Finanzministers Apollonios in Philadelpheia durchgeführt wurden. Auch hierfür war erneut der Gutsverwalter Zenon zuständig, der daher als Adressat in diesem wie dem folgenden Kostenvoranschlag erscheint. 3) Das mit 15,5  14,8 cm nahezu quadratische, 1917 von Medea Norsa als PSI V 546 edierte Blatt enthält eine Aufstellung diverser Baumaßnahmen, die durch zwischenzeitliche Planänderungen hervorgerufen wurden. Noch unklar ist der Zusammenhang mit den demotischen Abrechnungen auf der stark abgeriebenen Rückseite, die W. Spiegelberg zwölf Jahre später in PSI IX 1010 F bzw. P. Dem. Zen. 15 descr. vorlegte. (1) Türen

unten herausbrechen: 5 zu je 21⁄2 Ob., macht 2 Dr. 1⁄2 Ob. sind schon herausgebrochen: 3. (3) Versetzung der Treppe und Bauschutt (?): 6 Dr. (4) Von den Räumen oben die Türen und die Fenster (5) versetzen und die Mauern niederlegen (6) und aufbauen in derselben Höhe: 10 Dr. (7) Von der Wand zum Eingangstor hin und der (8) (daran) angrenzenden, niedergelegte Ziegel: 3.000, (9) für (je) tausend: 21⁄2 Ob., macht 1 Dr. 11⁄2 Ob. (2) Davon

3.

Vgl. außer der folgenden Nr. 5.1.3 auch die unter Nr. 5.4 aufgeführten Texte sowie bereits TUAT.NF 1 Kap. VII, 314 ff. Nr. 1-4; TUAT.NF 3 Kap. VIII, 399 ff. Nr. 1; TUAT.NF 5 Kap. V, 348 Nr. 11.1.

573

Griechische Texte aus Ägypten (10) Den

Ofen niederlegen und Bedachungen vornehmen – sowohl am (11) Vorbau das, wo noch ein Dach fehlt, (12) überdachen, als auch die beiden Räume überdachen: 4 Dr. (13) Das Eingangstor und die (daran) angrenzenden Räume (14) – drei 4) – überdachen; dafür aber werde ich nichts nehmen. (15) Macht 23 Dr. 2 Ob. (Oberhalb des Textes, nachgetragen:) Von Mestoys. 5)

5.1.3 Kostenvoranschlag für Dekorationsarbeiten

Der in Kairo aufbewahrte, 21,5 cm hohe und 16,5 cm breite Papyrus wurde 1928 von C. C. Edgar als P. Cair. Zenon III 59445 publiziert. 6) Darin unterbreitet der andernorts als Maler bezeichnete Theophilos Zenon ein Angebot für die Dekoration mehrerer Räume im Haus des Hypodioiketen Diotimos. 7) (1) Merkbla[tt

für Zeno]n von dem Un[ternehm]er Theuphilos, hinsichtlich der Arbeiten (Anwesen) des Diotimos. Bei dem Vorraum (4) [ … ,] daß bemalt werde die Reliefleiste mit (5) Purpurrand, die oberen Partien bunt, die in Brust(6) höhe in Pointilliertechnik und der untere Bereich (7) mit ringsum laufenden Äderungen, wobei ich aus eigenen Mitteln alles (8) stelle: 30 Dr.; und bei dem Sieben-Klinen-Raum (9) das Gewölbe zu machen, wie ihr das Mo(10) dell gesehen habt, und die Partien in Brusthöhe (11) mit attraktiver Farbe und eine lesbische (Reliefleiste) zu bemalen, (12) wobei ich aus eigenen Mitteln alles stelle: 20 Dr.; (13) und bei den Fünf-Klinen-Räumen werde ich bemalen die Re(14) liefleisten, wobei ich aus eigenen Mitteln alles stelle: 3 Dr., (15) macht zusammen 53 Dr. (16) Wenn aber ihr alles stellt, wird es machen (17) 30 Dr. Lebe wohl. (3) im

5.1.4 Kostenvoranschlag für Vergoldungsarbeiten an der Kassettendecke des antinoitischen Gymnasiums

Wohl aus dem Stadtarchiv von Antinoupolis stammt eine heute in der Kölner Papyrussammlung aufbewahrte und 1976 von R. Hübner edierte Akte aus dem Jahr 263 n. Chr., die Bauarbeiten an dem städtischen Gymnasium betraf. Während P. Köln I 53 eine Abrechnung über die Bauhölzer bei der Deckenkonstruktion enthielt, waren auf dem vorausgehenden, 24,5 cm hohen und 15 cm breiten P. Köln I 52 die Angebote zweier Firmen niedergelegt, die sich am 26. 7. 263 n. Chr. zur Übernahme jeweils einer Hälfte der anstehenden Stuckierungs- und Vergoldungsarbeiten an der Kassettendecke bereit erklärten. Da die Decke aus verschieden großen Sechs- und Vierecken mitsamt wohl zur Verbindung eingesetzten »Rhömbchen« bestand, war die Lohn4. 5. 6. 7.

574

Mit BL VII 235. Mit BL I 402. Auch Sel. Pap. I 171; vgl. zudem St. Altekamp, Griechische Architekturornamentik: Fachterminologie im Bauhandwerk?, ZPE 80 (1990) 33-64, bes. 56 f. zu den terminologischen Fragen. Hierzu bes. É. Vanderborght, La maison de Diotimos, à Philadelphie, CE 33 (1942) 117-126; Husson, Oikia, 302 ff.

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berechnung entsprechend komplex. Aufgeführt werden allerdings nur die vergebenen Gewerke, während alle weiteren Details aus den dabei eingesetzten Materialien zu erschließen sind; auf die eingehenden Erläuterungen des Herausgebers hierzu sei lediglich verwiesen. Der Text selbst ist in beiden Angeboten weitgehend gleichlautend und daher trotz größerer Ausbrüche nahezu vollständig zu rekonstruieren, weswegen hier zugleich unter Kennzeichnung allfälliger Abweichungen nur die erste Kolumne wiedergegeben sei. (col. I, 1; 5. Hd.) Angebot

für die Vergoldung [der] ersten [Hälfte], 2. Mesore. 8) den sehr ehrenwer[ten Rat der g]länzenden Stadt der [Antin]oiten, der Neuhe[llenen,] (4) von Aure[lios … ,] Sohn des Asklas, (5) aus der [Stadt] der Ath[ribiten. 9)] Ich möch(6) te freiwi[llig übernehmen die Verg]oldung (7) der Hälfte [der vorhand]enen (8) Schnitzarbei[ten (an) der mit gu]tem Glück (9) errichtet[en Deck]e von Säulenhalle (10) und Eingangstoren des ru[nden] Gymna(11) [si]ums, wobei ich aus eigenen Mitteln st[elle sowo]hl Putz (12) [un]d Leim und Goldunter[lagen] wie auch (13) allen anderen [Bedar]f dazu und Blatt(14) gold erster Sorte aus echt[em G]old; (15) und ich nehme für das [erst]e Sechs(16) eck mit Arbeitslohn neun Drachmen (17) drei Obolen, für das zw[eite] Sechs(18) eck mit Arbeitslohn [ne]un Drach[men,] (19) für das dritte Sechseck ebenso (20) sieben Drachmen, für das vierte (21) Viereck ebenso vier Drachmen drei Obolen, für das fünf(23) [te] ebenso 10) zwei Drachmen (eine) Kupfer(24) [drach]me und für die sogenannten Rhömb(25) [che]n für jedes eine Drachme, (26) [unter der Bedingung, daß] mir ausgezahlt werde das aufge(27) [lauf]ene Geld, sobald ich etwas übergebe, (28) in voller [Za]hl, bis voll(29) [endet] sind die Arbeiten, welche Arbeiten ich aufs (30) [beste] machen werde, so daß es in kei(31) [nerlei Pun]kt Beanstandungen gibt; dabei werden mir die für die Arbeit Zuständigen stel[len (33) zum] Kochen des L[eim]s an Span(34) [höl]zern [einen g]roßen Korb mit an die [hundert] Abfallstückchen (?). 11) … (36) [ … ] mir stellen (37) [ … ] Preis [ … (38) … ] Wenn es also (gut) scheint, [gebt mir] den Zuschlag unter diesen Bedingungen; wenn ich aber nicht den Zuschl[ag (40) erhalte,] werde ich [nich]t gebunden sein an die[ses (41) Angebot;] und auf Befragen habe ich zugestimmt. Im [10.] Jahr (42) [des Impera]tor Caesar Publ[ius (43) Licin]nius Gallienus German[icus (44) Maxi]mus Pius Felix [Au(45) gust]us, 2. Mesore. (2. Hd.) Ich, Aurelios [ … (46) … ,] habe (dies) eingereicht.

(2; 1. Hd.) An

8.

9.

10. 11.

In col. II, 47 entsprechend »[der] anderen Hälfte«, beide Male 26. 7. Anders als in der Ed. pr. werden die verschiedenen Hände hier in der Reihenfolge des Eintrags, nicht der Abfolge auf dem Papyrus angezeigt, so daß auf die erste Hand des professionellen Schreibers (col. I, 2-45 sowie col. II, 48-91) zunächst die drei eigenhändigen Unterschriften der Handwerker folgen (col. I, 45 f.: 2. Hd. sowie col. II, 91 f. bzw. 92-94: 3. und 4. Hd.), ehe die 5. Hd. Überschrift und Datum auf den oberen Freirand setzt. Mit BL VIII 155; wohl zu identifizieren mit dem heutigen Tall Atrı¯b im südlichen Delta. Das zweite Angebot stammt dagegen von Einheimischen, nämlich den Aureliern Hermias alias Ammonantinoos aus der Phyle Osirantinois und Demetrios alias Alexander aus der Phyle Hadriane (col. II, 50-53), weswegen die folgenden Verbformen dort durchgängig im Plural erscheinen. In col. II, 70 f. stattdessen wiederum verdoppelt: »für das fünfte ebenso (71) Viereck mit Arbeitslohn« (sic). In col. II geht der Text hiernach unmittelbar in die Abschlußklausel über, weswegen der Folgesatz anders als die sonstigen Partien nicht aus der Parallele zu rekonstruieren ist.

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Griechische Texte aus Ägypten

5.2 Alchemistische Werke Einzigartige alchemistische Texte der Antike blieben in zwei engstens verwandten Papyruscodices aus konstantinischer Zeit bewahrt, die sich neben teilweise mehreren Meter langen Rollen mit magischen Texten in einem thebanischen Grab am Westufer des Nils fanden. 12) Wie alle anderen Stücke der berühmten »Bibliothek der Zauberpapyri von Theben« gelangten auch sie seit den 1820er Jahren über den schwedischen Konsul Giovanni d’Anastasi in die großen europäischen Museen, wurden dabei jedoch aufgeteilt. Während der Leidener Codex in der Literatur wiederholt besprochen und 1885 von C. Leemans als P. Leid. X ediert wurde, geriet sein Stockholmer Zwilling zeitweilig völlig in Vergessenheit, bis O. Lagercrantz ihn 1913 als P. Holm. in monographischer Form mit ausführlichem Kommentar und deutscher Übersetzung publizierte. 13) Eine zusammenfassende Neubearbeitung legte schließlich R. Halleux im Jahr 1981 vor. 14) Die bis heute nahezu perfekt erhaltenen, knapp 30 cm hohen und 15,5-17 cm breiten Codices in schlankem Hochformat wurden wohl um die Wende des 3. zum 4. Jh. n. Chr. von demselben Schreiber angefertigt, dessen unsichere Orthographie nicht zu seinem recht eleganten Schriftduktus passen will. Anders als der zu einer Lage von insgesamt 10 Doppelblättern zusammengeheftete P. Leid. X besteht P. Holm. aus 15 durchnumerierten Einzelblättern; Gebrauchsspuren etwa von einem Einsatz in der Praxis sind nicht ersichtlich. Strukturell wie sprachlich stehen die Texte den in dieser Zeit verbreiteten Rezeptbüchern medizinischer oder auch magischer Natur überaus nahe, 15) wobei die Grenzen auch im inhaltlichen Bereich mitunter durchaus fließend sind. Genauer geht darin es um die Veredelung von Metallen und Steinen, durch deren mechanische und chemische Bearbeitung – Zerkleinern, Erhitzen, Schmelzen, Beizen usw., ggf. unter Hinzufügung von Zusatzstoffen wie z. B. Salzen – man Silber und Edelsteine zu gewinnen hoffte, sowie um die Herstellung von Färbemitteln wie insbesondere Purpurtönen oder von Gold- und Silbertinten. Teilweise kehren Rezepte in beiden Codices wieder, doch sind auch Doppelungen innerhalb eines Codex anzutreffen. Anstelle dieser beiden gut erschlossenen und umfangreichen Texte seien hier zwei weniger bekannte Zeugnisse aus früherer Zeit aufgenommen, in denen Halleux zufolge erste Vorläufer dieses Genres zu erkennen sind.

12.

13. 14. 15.

576

K. Preisendanz, Papyrusfunde und Papyrusforschung, Leipzig 1933, 91; vgl. auch W. M. Brashear, The Greek Magical Papyri: an Introduction and Survey; Annotated Bibliography (1928-1994) (ANRW II 18.5), Berlin/New York 1995, 3380-3684, bes. 3401 ff. mit weiteren Hinweisen und Literatur; jetzt bes. J. Dieleman, Priests, Tongues, and Rites. The London-Leiden Magical Manuscripts and Translation in Egyptian Ritual (100-300 CE), Leiden/Boston 2005, bes. 11 ff. O. Lagercrantz, Papyrus Graecus Holmiensis (P. Holm.). Recepte für Silber, Steine und Purpur, Uppsala / Leipzig 1913. R. Halleux, Les alchimistes grecs, Bd. 1: Papyrus de Leyde – Papyrus de Stockholm – Fragments des recettes, Paris 1981. Ein weiteres, erneut fragmentarisches Zeugnis vgl. jetzt in P. Gen. III 122 (2. Jh. n. Chr.). Vgl. zu den medizinischen Rezeptbüchern bereits TUAT.NF 5 Kap. V, 339 ff. Nr. 9.

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5.2.1 Veredelung von Silber

Das 12,3  8,1 cm große Blatt aus al-Bahnasa¯, das 1903 von B. P. Grenfell und A. S. Hunt als P. Oxy. III 467 ediert wurde und heute in der Bodleiana liegt, stammt von einer um 100 n. Chr. beschrifteten Rolle und bietet damit das früheste Beispiel eines alchemistischen Papyrus. 16) Nur der rechte Kolumnenrand ist original. (1) …

sie essen (?). Es ist aber ähn(2) lich dem für Feinbrote hergestellten (4) WeizenDieses li[es] (5) aus, so daß es werde (6) eine Kotyle, schmiere (7) Alaun, welches (8) die [Fä]rber verwenden, indem du (9) 1⁄2 Ko[ty]le abmißt (10) [und an S]alz 18) 1⁄4 1⁄8 Kotyle reibst (11) [und] es wiederum mischst; mi(12) [sche da]von 2 Anteile zu (13) [dem] früheren Maß (14) [und] koche in ihm (15) [das Si]lber, bis es (16) [gold]ene Farbe erhält. (17) [Rohsilbe]r reinigen. 19) An (18) [Blei] 1 Anteil, an Roh(19) [silber da]sselbe (?). Wirf (20) [das Roh]sil[ber in d]en O(21) [fen … brei. 17)

5.2.2 Schwarzfärbung

Auf dem in der Biblioteca Medicea Laurenziana aufbewahrten, 25  14 cm großen Rollenfragment aus dem 2. Jh. n. Chr. blieb nur die mittlere Kolumne vollständig erhalten, während von der ersten, ohnehin unten abgebrochenen wie auch der dritten Kolumne lediglich einzelne Silben und kaum einmal ganze Wörter erkennbar sind. Die durch Paragraphoi voneinander getrennten, sprachlich sehr problematischen und offenkundig verderbten Rezepte betreffen die Färbung von Holz und Leder und wurden 1939 von C. Gallavotti publiziert. 20) (col. I, 1) …

nämlich (2) [ … ] unmerk(3) [lich (?) … ] … gegen (4) … (9) [ … ] Haut (10) … … ] … und vor (14) [ … ] wirf … (col. II, 36) mit lauwarmen Meer(wasser) oder (Süß)wasser. (37) Die Schnauze aber soll man oben halten über dem (38) Nassen, damit sie atmen kann. – Holz, (39) wie man daraus Ebenholz färbt. (40) Indem du vom Bergmastix neue starke Äste trocknest und be(42) arbeitest – das Holz nämlich ist fest oder faserig –, (44) wirst du aus dem schwarzen festen Mark (45) herausmodellieren (?) die gesamte Form (46) als (13) [

16. 17.

18. 19. 20.

Auch bei Halleux, Les alchimistes grecs, 155 ff. Frg. I. In dem bisher gelesenen, aber unverständlichen s.e.l.hnaffloi@ »mondhell, mondförmig« hatte Halleux, Les alchimistes grecs, 157 eine Verschreibung für selfflnoi@ »Sellerie« erkennen und das folgende [⁄]qhrai als Variante zu ⁄qffri »Hachel« deuten wollen (»Il est semblable à la barbe qui vient sur les céleris«). Der Zusammenhang legt jedoch eher eine Verbindung zu dem wohl zu dieser Zeit aus dem Lateinischen übernommenen sffllignon »Feinbrot« nahe; vgl. auch E. Battaglia, Artos. Il lessico della panificazione dei papiri greci, Milano 1989, 93 ff. (silfflgnion / sffllignon) bzw. 103 f. (⁄qffira). Mit Halleux, Les alchimistes grecs, 156. Die Zeilenanfänge des zweiten Rezepts mit Halleux, Les alchimistes grecs, 156. C. Gallavotti, Tre papiri fiorentini, RFIC 67 (1939) 252-260, bes. 252 ff. Nr. 1; col. II auch bei Halleux, Les alchimistes grecs, 160 ff. Frg. III.

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Griechische Texte aus Ägypten

voll[end]ete Gestalt, (47) so daß nichts mehr umzuformen ist 21) – Medizinkapseln, Behält(49) nisse, kleine Bohrer, Türflü(50) gel, Abakusstäbe der Mathe(51)matiker, . … , Schni[tze(52) r]eien, Stimmschlüssel, Plektren, (53) Krummbögen, Spatel, verschiedenartige F[üße.] 22) Von der Pyrallis rö(55) [ste] die Frühjahrsstengel, das andere aber (?) (56) verbrenne oder le[ge in] die Bei(57) ze für 10 T[ag]e aus Diktamöl (?), Schweinedreck, (59) Rinde (?) von … Opferga(60) ben, schwarze in Feuer geschrie(61) bene Beize, 23) und ande(62) res trockne im Schatten und (63) wirf es in das Farbbad; und (64) Kupfer(blüte) oder Essig m[ische] etwas in gleichem (65) Maße (mit) dem, was du färbst, auf daß (66) das Nasse mehr ist gegenüber der Schu(67) sterschwärze. Oder es wird auch die Haut (68) gefärbt. Vom Rauch des Daches (69) ist festgeklumpt das Schwarze, und [da](70) zu (?) gib ungelöschten Kalk, A[laun,] (col. III, 71) schw[arz … ] … (73) vom Kalb [ … ] … (75) Kupfer[blüte (?) … ] … (80) Gewicht [ … ] (81) Holz [ … ] (82) gesamt [ … ] … (85) für [ … ] Tage [und trockne es (?)] (86) im Schatten, un[d danach lege es (?) für] (87) 2 Tage 24) aus [ … ] (88) färben [ … ] … (89) … [ … indem du trock](90) nest im Schatten [ …

5.3 Zwei Kochbücher Singulär sind bis heute die Fragmente zweier griechischer Kochbücher auf Vorderund Rückseite eines Heidelberger Papyrus geblieben, die F. Bilabel erstmals 1920 vorlegte und fünf Jahre später durch ein weiteres Bruchstück ergänzte, wobei ihm sogar noch die Auffindung einer lateinischen Parallele gelang. 25) Auf der Vorderseite der insgesamt 30 cm breiten Rolle finden sich Reste von vier aufeinanderfolgenden Kolumnen in einer gepflegten Buchschrift des 3./4. Jh. n. Chr., während die Rückseite erst mehrere Jahrzehnte später kopfstehend dazu in deutlich kursiverer Hand beschrieben wurde. In diesem Zusammenhang wurde die Rolle offenbar auch beschnit21.

22.

23. 24. 25.

578

So mit Blick auf «uqmn »Form« in Z. 45, so daß statt des im Pap. überlieferten [¥]pirusq»nai »bewahrt bleiben« vielmehr [¥]piruhqmiisq»nai »noch dazu geformt, umgeformt werden« zu lesen wäre. So offenbar auch Halleux, Les alchimistes grecs, 162 (»en sorte qu’un ne le façonne plus«), freilich ohne Kommentar. So die von Gallavotti, RFIC 67 (1939) 257 erwogene Variante, wonach am Ende von Z. 53 b€[sei@] zu ergänzen ist und die Aufzählung erst nach dem Adjektiv [p]an.t.offla@ in Z. 54 endet, während er im Text den Satz bereits mit ba[yffi] ktl. »F[ärbung:] (54) Von der verschiedenartigen Pyrallis« – wohl einer sonst unbekannten Pflanze – beginnen läßt; dem folgend auch Halleux, Les alchimistes grecs, 162 (»Teinture : grillez toute espèce de tige de pyrallis de printemps«). Nach Halleux, Les alchimistes grecs, 162 »écorce de séséli, noir de sacrifices, mordant précité«, wobei er das rätselhafte »in Feuer geschrieben« als Verschreibung für »vorgenannt« ansieht (163). Die Ergänzungen in Z. 85-87 mit Gallavotti, RFIC 67 (1939) 257. F. Bilabel, 3Ovartutik€ und Verwandtes (SB HAW 1919/23), Heidelberg 1920, mit der Ed. pr. von P. Heid. inv. G 1701 und inv. L 1; ders., Fragmente aus der Heidelberger Papyrussammlung, Philologus 80 (1925) 331-341, bes. 340 f. Nr. III. Die unten gegebene Kennzeichnung der Fragmente folgt der jetzigen Anordnung, die sich durch die Plazierung des neu aufgefundenen Frg. a am Textanfang gegenüber der Ed. pr. verschoben hat. Einige der Rezepte auch bei H. Froschauer / C. Römer, Mit den Griechen zu Tisch in Ägypten (Nilus 12), Wien 2006, bes. 99 Nr. 3 und 101 f. Nr. 5 und 6, vgl. auch 133 Kat.-Nr. 57.

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ten, da die Freiränder hier gleich hoch ausfallen. Im Gegensatz dazu ist bei der Vorderseite nur noch der untere, mit 5 cm sogar überaus großzügige Freirand vorhanden, auf dem eine andere Hand unter den beiden mittleren Kolumnen noch die Kolumnenziffern »7« bzw. »8« eintrug. Keine der Kolumnen der Vorderseite ist vollständig, Kolumne »7« auf dem 27 cm hohen und 11 cm breiten Frg. b aber immerhin in gesamter Höhe erhalten. Voraus ging das 5,5  6 cm kleine Frg. a, das den oberen Rand der Rolle mit den Zeilenenden der sechsten Kolumne bietet. Direkten Anschluß besitzt auch das 13  16 cm großen Frg. c, das die letzten 15 Zeilen der achten und einige wenige Anfangsbuchstaben der neunten Kolumne bewahrt. Größere Teile dieser beiden Kolumnen, diesmal wiederum vom oberen Rand der Rolle, sind auf dem 9,5  11 cm großen Frg. d zu finden, dessen Position, wiewohl lediglich relativ, damit ebenfalls gesichert erscheint. Die nur drei, allerdings breiteren Kolumnen der Rückseite sind ebenfalls numeriert, hier als »5« bzw. »6«. Spitze Haken in Form einer 7 (so auf der Vorderseite, möglicherweise erst von zweiter Hand nachgetragen) oder eine Paragraphos (so auf der Rückseite) kennzeichnen jeweils den Beginn eines neuen Kochrezepts, das überdies leicht ausgerückt ist. Sprachlich fällt der Wechsel zwischen beschreibenden Passagen und direkten Anweisungen auf, was dem Rückgriff auf verschiedene Vorlagen oder auch dem Interesse an einem möglichst breiten Spektrum von Varianten zu einem bestimmten Rezept geschuldet sein mag. (Vs. col. I = »6«, 1) …

,] getrockneter Koriander, (2) [ … ,] Salz, Olivenöl, (3) [… (4) … ] Linse, wa(5) [sche … ] Rizinus(6) [öl, … ] in den O(7) [fen … ] wirst du werfen … (40) [ … ge]kocht (41) … (col. II = »7«, 1) … ,] manche aber reiben die [ … ,] jedoch [run](3) de und rohe [ … und] (4) sieden sie so; [und das andere (?)] (5) machen sie wie vor[liegt.] (6) Fischbrühe: Wenn [du zusammengemengt hast (?)] (7) Graupen, Koriander, L[auch, …,] (8) Zwiebeln, Dill, [ … , Ba](9) silikum, 26) fe[inen (?)] Anis, [ … ,] (10) koche es auf Kohlen, un[d indem du es auf](11) füllst mit Wasser, Wein und Fischtunke [und darunter](12) mischst, streue, wenn es geko[cht ist und du an](13) setzt es hochzunehmen, darüber Pfeffer, (14) der mit scharfem Essig (versetzt) ist. 27) Un[d sie las](15) sen es ein wenig zusammenfallen, 28) da[nn aber] (16) bewahren sie es vor dem Feuer. Andere ab[er] (17) gießen … 29) dazu und ko[chen] alles, indem sie dazu noch das G[rün]zeug daruntergebreitet hatten. Und das andere machen sie wie v[or](20) liegt. (21) Pökelfleisch oder Schinkenst[üc]ke, ebenso rohes Fleisch: Das [Ge](23) pökelte kochen sie vor, dam[it es] (24) weniger salzig ist. Dann all[es in] (25) den Tiegel: An Wein 4 Teile, an süße[m Wein] (26) 2 Teile, an Essig 1 Teil. Getrock[neten] Koriander, 26. 27. 28. 29.

So wohl in Z. 8 zu ergänzen ]|kimon. Das in der Ed. pr. am Zeilenwechsel gelesene bzw. ergänzte [¤p]|n »(Feigen?-)Saft« widerspricht den griechischen Trennungsregeln, so daß Z. 14 wohl mit pfflper.[i (?)] endete und das zu Beginn von Z. 15 erhaltene n eher als bloßes Partizip dazu zu deuten ist. Nach der Ed. pr. möglicherweise verschrieben für »zusammenkochen«. Das von der Ed. pr. ergänzte x]|ou@ »Essig« setzt sich erneut über die griechischen Trennungsregeln hinweg, zudem scheint zu Beginn von Z. 17 lediglich eine senkrechte Haste erkennbar zu sein.

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Griechische Texte aus Ägypten (27) Thymian,

Anis, Fenchel rö(28) ste, alles von Anfang an zusammen. Gib (das Fleisch) dazu (29) und koche es. Wenn es halb fertig ist, 30) gib dazu (30) Honig und milden Kreuzkümmel; [and]ere (31) auch Pfeffer, und indem sie die Brühe in ein heißes [Ge]fäß geben, geben sie noch (33) Bröckchen von Ma[rk und] heißem Brot dazu. (35) Linsenfladengericht: Einen Flad[en von Linse]n zerdrücke schön in einer Brühe von [Vo]gelfleisch; koche (es) entweder i[n We]in (38) (oder?) Wasser, Anis, Kreuzküm[mel und (?)] … (39) getrocketen Dill (und) Kreuz[kümmel.] Sepa(40) rat aber koche das Linsengericht, [re]ibe Zwieb[eln, (col. III = »8«, 1) … Kreuzkü]mmel, Essig, Oli(2) [venöl, … ,] Grünzeug, Wasser; dann, (3) [wenn (?) … ] schön gar (ist) bei(4) [des … ] gutes Olivenöl (5) [ … ] auf Kohlen laß (6) [ … , so]lange es (das) aufnimmt. (7) [ … L]insen mit Grünzeug: (8) [ … ] wenn es gekocht ist, gib (9) [ … , A]nis, Zwiebeln, (10) [ …, ] Salz oder Fischtunke von (11) [ … ;] wenn es geko[cht ist,] (12) [ … z]erdrück[e … (13) … ] und [ … (26) … mit Oli]venöl und Es(27) [sig. Die Sprößlin]ge (?) von Weinstöcken laß (28) ans Licht kommen. (Wenn du sie) gewaschen und abgeschabt (hast), (29) (gib dazu) Senf, Honig, dann Sauce. (30) Schöne Leber: Zerschneide sie und richte sie zu mit (31) Olivenöl, Salz, Koriander, Thymian, (Feigen?-)Saft, Essig (32) an einem Spieß. Brate sie heiß und (33) serviere (sie so). (34) Lenden und Fleischartiges, (wie du es) vernünftig zu(35) richtest: In Salz, Koriander, (Feigen?-)Saft brate es, (36) solange es (das) nur aufnimmt. Es sei (bei) dir aber (37) in einem Topf heiße Brühe, Essig, Oli(38) venöl zu 1 Teil, an Wein und süßem (39) Wein je 2 Teile, Salz. Wenn es etwa kurz auf(40) wallt, gib Spitzen von Origano, und indem du es her(col. IV = »9«, 1) unternimmst, [ … ] (2) dazugibst [ … ] (3) davon. (4) Schöne Leber: Sie (?) zer[schneiden sie und (lassen) Wasser mit Honig (?)] (5) gemischt sie[den … ] (6) auspress[en … mit Ho](7) nig, schönem un[d … ,] (8) Sauc[e … ,] (9) Fischtunke, Wei[n, … ] (10) laß (es), andere [ … ,] (11) Safflor (?). (12) Weizenbrei: [ … ] (13) in [ … ] (14) und [ … ] (15) gib [dazu (?) … (30) Zum [ …: … ] (32) gar [ … ] (33) Pfeff[er … ] (34) Brü[he … Es](35) sig [ … auf Koh](36) len [ … ] (37) mit [ … (38) Zum [ … : … (40) sc]hön [ … (Rs. col. I = »5«, 1) [

… indem du das Fleisch] in eine große Schüssel gibst, (2) [gib es in de]n Ofen. Wenn es halb fertig ist, (3) gieße [die Brühe (?)] ab und zerteile das Fleisch. (4) [Indem du es dann (?)] in einen Topf Olivenöl gibst, (5) gib [das Fleisch] von neuem in den O(6) [fen. We]nn es gekocht ist, Essig mit (7) den vorliegenden [Gewürzen (?) dazu, (8) und gie]ße ein wenig Salz darüber, wenn du es in (9) ein feuchtes [Gefäß (?)] umfüllst und (hinein)gi[bst] 31) (10) das Fleisch – (oder?) auch in ein durchlöcher(11) [tes Vorrats-

30. 31.

580

So zu dem formelhaft erstarrten mes€zousin Bilabel, 3Ovartutik€, 14 im Komm. Die in der Ed. pr. ergänzte 3. Ps. Pl. ist vermutlich aus Platzgründen gewählt, setzt sich aber erneut über die griechischen Trennungsregeln hinweg. Eher wäre insofern nach dem vorausgehenden (ˆtan) metaq–»@ an einen weiteren Konjunktiv ka½ b€|[l–h@ zu denken, zumal die Verluste am linken Rand dem neugefundenen Frg. a zufolge etwas geringer sein dürften als noch von Bilabel errechnet.

Andrea Jördens

ge]fäß. Und von einem Salzklumpen … (12) [ … ,] damit das vom Flei(13) [sche … ,] und das andere ebenso. Manche (14) ein wenig [ … ] vor dem Essig (15) [an das] Fleisch. (16) [ … ,] Selleriesamen, Fischtunke; wenn (17) [ … ,] nimm es heraus. (18) [ … ,] Kreuzkümmel. (19) [ … ,] getrockneter Koriander, Kreuzkümmel, (20) [ … ,] getrockneter Koriander, ein Doppelmaß (?) Dill, (21) [ …, Fi]schtunke; wenn es gekocht ist, Pfeffer, (22) [ … , Oli]venöl, Wein, ein Bündel Ori(23) [ga]no, Koriander (?), 32) gekochter Most (?). (24) Fischtunke, Olivenöl, Ligustikum, ein Bünd[el] (25) Origano, …, Kalmus, Grü[nzeug,] (26) Fischtunke, Olivenöl, ein Bündelchen We[inblät](col. II = »6«, 1) ter (?), Kalmus, echter Kümm[el, Es]sig. (2) Getrockneten Kalmus, S[el]leriesamen, (3) Essig in einen Mörser richte zu – sowohl (4) etwas (Feigen-)Saft wie auch etwas süßen Wein mit dem (5) Essig; laß es für zwei Stunden stehen, (6) dann in einen Topf. Die schöne Fischtunke, die (7) für sich steht, in den Ofen. Wenn sie ge(8) kocht ist, Pfeffer. (9) Ligustikum, Kreuzkümmel, ein Doppelmaß Wein, (10) ein Maß Fischtunke, beides ordentlich (kochen?). (11) Wenn es gekocht ist, Pfeffer, (Feigen-)Saft, getrockneten Koriander – (12) der allein wird geröstet. (13) Gerieben [ … (19) … s]üßer [Wein … (20) … W]ein [ … (21) … ] vor[ … (22) … im T]opf. (24) [ … Wei]n (?), Fischtunke, Essig, (25) [ … ,] Kümmel, (26) [ … , ] etwas (col. III = »7«, 1) … (3) Ko[riander … ;] (4) ande[re aber … ] … (8) Käs[e … ] … (19) ande[re (?) … ] (20) koche [ … ] (21) Dil[l (?) … ] … (23) und das Wasse[r … ] (24) und ein anderes [ … ] (25) halbgekocht (?) [ … ] (26) und Koriander, (Fe[igen-)Saft (?) … dazuge](27) ben (?) und […

5.4 Landwirtschaft Dem Bereich der Landwirtschaft ist sicherlich der Löwenanteil unser aus dem Nilland überlieferten Texte zuzuordnen, wobei auf den Reichtum an Papyri zum Alltagsbetrieb – ob aus den »Archiven« kleinerer wie größerer Landgüter oder auch die zahlreichen Einzelbelege von Verträgen, Aufstellungen und Abrechnungen aller Art – lediglich verwiesen sei. Sehr viel seltener sind demgegenüber Texte allgemeineren Charakters zu finden, so am ehesten noch unter den frühen Ptolemäern, als die im Westen des Niltals gelegene Flußoase des Fayyu¯m, bis dahin als großflächige Sumpflandschaft bevorzugtes Jagdgebiet der Pharaonen, zur Ansiedlung griechischer Militärkolonisten trockengelegt wurde. Aus dieser Ausbauphase des Landes stammen folglich auch alle hier angeführten Beispiele, näherhin erneut aus dem Umfeld des sog. Zenon-Archivs, 33) das über die damaligen Aktivitäten wie wenig anderes Aufschluß gibt.

32. 33.

So erwogen von Bilabel, Philologus 80 (1925) 341, der dort auch die auf der Rückseite von Frg. a erhaltenen Anfänge von Z. 22-26 mitteilt. Vgl. bereits oben Nr. 5.1.2 und 5.1.3 mit Anm. 3.

581

Griechische Texte aus Ägypten

5.4.1 Entwurf zur Anlage eines Landgutes im Fayyu¯m

Das aus Mumienkartonage gewonnene, 31 cm hohe und 16 cm breite Blatt enthält auf beiden Seiten einen um die Jahreswende 259/58 v. Chr. angefertigten Entwurf für die Anlage des 10.000 Aruren großen Landgutes, das Ptolemaios II. seinem Finanzminister Apollonios im Nordosten des Fayyu¯m geschenkt hatte, mitsamt einer singulären Zeichnung des geplanten Kanalsystems. Eine eingehende Behandlung des bereits 1907 von P. Jouguet und J. Lesquier als P. Lille I 1 veröffentlichten Dokuments, das von zahlreichen Korrekturen und Nachträgen durchsetzt und auch auch sprachlich mitunter recht holperig ist, ist P. W. Pestman in P. Lugd. Bat. XX Suppl. A zu verdanken. 34) (Vs., 1) Stothoetis

… an Apollonios. Im 27. Jahr und bei den Ägyptern (2) demselben, am […] des Monats Phaophi, als Zenon (?) 35) Verwalter war (3) und Diodoros gegenzeichnete.

(4) Es

ist der Umfang der zehntausend Aruren 300 Schoinien, 4 Kanäle; (5) und darinnen – (nachgetragen:) von Süden nach Norden – 3 Kanäle, die entfernt sind voneinander 25 Schoinien; (6) und weitere Querdämme von Osten nach Westen – (nachgetragen:) 9 –, die entfernt sind (7) voneinander zehn Schoinien; so daß es sind alles zusammen Kanäle – (nachgetragen:) in den 10.000 Aruren 40 Ringdeiche zu je 250 Aruren, wovon die Abmessung 25 auf 10 (Schoinien beträgt), so daß es eingezeichnet ist in ein Rechteck, Kanäle – 16 (8) zu je 100 Schoinien, macht 1.600 Schoinien, deren Aushebung geschehen muß. Die Breite des (9) Aushubs (beträgt) 4 Ellen, die Tiefe aber 2, wobei wir mutmaßen, daß etwa aus einem solchen (10) Aushub der mutmaßliche Umfang der Dämme entstehen (kann); macht also auf das (11) Schoinion 86 Naubien, auf die 1.600 aber an Naubien 137.600 auf 50 zu 4 Dr., (12) macht 1 Tal. 5.800 Dr.; dazu aber an Wasserrinnen, von denen zu den vorhandenen 4 weitere 4 entstehen müssen zu je 100 Schoinien, macht 400 Schoinien zu je 86, macht 34.400 Naubien: macht 172.000.

34. 35.

582

Vgl. auch Horak, Illuminierte Papyri, 244 ViP 158. Aus zeitlichen Gründen dürfte eine Identität des hier möglicherweise erwähnten Zenon mit seinem aus Kaunos stammenden Namensvetter und nachmaligen Verwalter des Landgutes allerdings auszuschließen sein.

Andrea Jördens (14) Wenn aber gegen Winter die Arbeiten vollendet sind, setzen wir an, daß es kommen wird (15) auf 70 (Naubien) für den Stater, so daß es sind 1 Tal. 3.834 Dr.; es entfällt also auf die Arure 1 Dr. (Rs., 16) 36) außer bei den abschüssigen Ackerflächen, wofür man hinzuzählen muß die Mehrarbeiten an den (17) Dämmen, da die Dämme zusammenhängend werden müssen. 37) Das also (18) werden wir bei der Verpachtung anmerken, sowohl die Menge des Landes (19) wie den Aufwand, der mehr sein wird. Von den zuvor vorhandenen Däm(20) men innerhalb dieser Querdämme, soviel etwa als brauchbar begegnen sollte für (21) die mutmaßliche Anlage der Dämme, wird den Pächtern abgezogen werden (22) in Bezug auf den mutmaßlichen Aufwand; ebenso aber auch, wenn etwa irgendwelche Kanäle sich (23) einbinden lassen in die (geplanten) Dämme, auf dieselbe Weise. (24) Wenn (die Arbeiten) aber nicht vor der Erntezeit vollendet sind, werden sie vollendet nach dem mut(25) maßlichen (Anschlag von einem Stater) auf 50 (Naubien), macht 2 Tal. 1.760 Dr., macht je (Arure) 1 Dr. 21⁄2 Ob. Auch für die abschüssigen (26) Geländebereiche wird man hinzuzählen müssen die Differenz zu den Dämmen gleich daneben; (27) das wird also bei der Verpachtung sein, da wir dann wissen werden die Men(28) ge des Landes – (nachgetragen:) und die Länge der Schoinien – in diesen Parzellen. Es werden aber einige Geländebereiche (29) von sich aus tiefe sein, so daß je 1.000 Aruren 38) umwallt sind allein schon durch die (30) Gegebenheiten des Geländes, wofür der Aufwand nur wenig sein wird, so daß anstelle der dor(31) tigen Mehrarbeit es sich hierher übertragen läßt. Von den zuvor vorhan(32) denen Dämmen, soviel etwa den Bauern begegnen sollte, wird es abgezogen werden (33) in Bezug auf das ihnen Entstandene; sie werden aber folgen den zuvor vorhandenen (34) Dämmen, auf daß nichts davon etwa ungenutzt sei; ebenso aber auch von den (35) Kanälen, die auf Ringdeiche treffen, wenn von der Natur (36) der Dämme her dort (einer) liegen sollte. Hinsichtlich der Aufwendungen aber (37) in Bezug auf die zuvor vorhandenen Kanäle und der Dämme, die der Gewohnheit (38) nach ein jedes Jahr zu instandzusetzen sind, wird man hingehen müssen, um (sie) (39) zu überprüfen mit den Architekten und den Königlichen (40) Schreibern, und es aufschreiben, um es zu (ver)geben; deren Aufgabe nämlich (41) ist es, … auf Rechnung der Naubien. Später aber, (42) als (Apollonios?) die Umwallung in Augenschein genommen hatte, entschied er, die Dämme zu machen (43) … die Breite der Grabung 3 Naubien statt 4, macht auf das Schoinion 641⁄2, (44) für 60 (Naubien) 4 Dr. Apollonios reiste ab am 7. Hathyr, und mit (45) ihm segelte ich bis Phylake und stieg dort aus, am 8. aber kam ich (46) nach Tuphis, am 9. nach Syron kome, am 10. nach Ptolemais, am 11. zum (47) Labyrinth. Und dort fand ich die Schreiber, sie erhielten (48) den Brief, und wir gingen zur Stadt.

36. 37. 38.

Z. 16-23 waren nachträglich eingeklammert worden und haben daher wohl durch Z. 25-31 als ersetzt zu gelten. D. h. auf gleiche Höhe kommen, so daß sie bei den niedriger gelegenen Flächen entsprechend höher ausfallen müssen; so auch extrem verknappt formuliert in Z. 26. Im Papyrus irrtümlich »Artaben«.

583

Griechische Texte aus Ägypten

5.4.2 Anweisung zur Zweierntenwirtschaft

Am 27. Dezember 256 v. Chr. setzt Apollonios Zenon von der Anweisung des Königs in Kenntnis, zur Zweierntenwirtschaft überzugehen. Der 19  34 cm große, nahezu perfekt erhaltene P. Cair. Zenon II 59155 wurde 1920 von C. C. Edgar ediert. 39) (1) Apollonios

an Zenon, Grüße. Der König hat uns angewiesen, (2) das Land zweimal zu besäen. Sobald du also das Frühgetreide abgeerntet hast, (3) bewässere rasch das Land von Hand; wenn das aber nicht machbar sein sollte, (4) stelle mehrere Schadufs auf und bewässere so. Aber nicht mehr (5) als fünf Tage laß das Wasser stehen, und wenn du (es) hast abtrocknen lassen, säe rasch den Dreimonatsweizen aus. Schreibe aber auch an uns, (7) wann du das Getreide ernten kannst. (8) Lebewohl. 30. Jahr, 13. Dios = 3. Hathyr. 40) (Rs., 9) An Zenon, [ … ] Aussaat.

5.4.3 Bemühungen um neue Obst- und Rebsorten

In dem von C. C. Edgar erstmals im Jahr 1923 veröffentlichten, 21  31 cm großen P. Cair. Zenon I 59033 antwortet ein nicht näher bekannter Nikias dem Apollonios am 19. Januar 257 v. Chr. auf dessen Bemühungen um neue Sorten in den Obst- und Weingärten. 41) (1) Nikias

an Apollonios, Grüße. Du hast an Lysimachos geschrieben wegen der Ableger, daß (2) [er deinen Leuten (welche) mitgebe (?).] Lysimachos war nun gerade in Alexandria; (3) ich aber habe den (hierher) Gekommenen, indem ich sie herumführte, alle Obstgärten gezeigt, (4) daß es bei uns Setzlinge nicht gibt und sie auch nicht (gezogen) zu werden pflegen. Das wußten sehr wohl (5) auch sie selbst; stattdessen haben wir (welche) von der Insel der Arsinoe kommen lassen – dort nämlich in der Tat (6) [ … ] soll immer Wasser vorhanden sein –, und baten darum, hinunter(7) zuschicken einen von deinen Leuten zu Lysimachos. Er hätte nämlich ihnen (welche) geliefert aus dem (8) Gelände da unten; 42) die aber sagten, es reiche ihnen, wenn sie für die Pflanzung (etwas) bekämen von dem (9) bei uns Vorhandenen. Wir haben ihnen also gegeben, soviel sie wünschten, wovon wir eine detaillierte Liste (10) unten aufgeführt haben. (11) Lebewohl. 28. Jahr, 25. Hathyr. 43) (12) Feigenbäume: chiische, wilde, lydische, milde, purpurne, späte; Granatäpfel ohne 39.

40. 41. 42. 43.

584

Auch SB III 6733; zu den Details bes. M. Schnebel, Die Landwirtschaft im hellenistischen Ägypten, I: Der Betrieb der Landwirtschaft, München 1925, 145 ff.; vgl. auch C. Orrieux, Les papyrus de Zenon. L’horizon d’un grec en Égypte au IIIe siècle avant J. C., Paris 1983, 89; W. Clarysse / K. Vandorpe, Zenon, un homme d’affaires grec à l’ombre des pyramids, Leuven 1995, 93 ff. = BL X 37. 27. 12. 256 v. Chr. Auch SB III 6785. Zu den Rebsorten bes. Schnebel, Landwirtschaft, 252 f.; die Übersetzung der meist nicht mehr sicher identifizierbaren Sorten mit Orrieux, Les papyrus de Zenon, bes. 88. Nämlich Unterägypten, hier wohl erneut genauer aus der Umgebung von Alexandria. 19. 1. 257 v. Chr.

Andrea Jördens

Kerne; (13) Frühjahrsäpfel, 44) und von den zweimaltragenden; und an Weinstöcken: rauchfarbige, kilikische, mendäische, (14) eudamideische, maroneische, kürbis[farbige,] phönikische, rauchfarbige, alexandrinische, (15) großtraubige, …, pikante. (Rs., 16) Von Nikias an Apollonios, (17) wegen der Ableger.

5.4.4 Zur Anpflanzung von Wein- und Olivenkulturen

1924 publizierte C. C. Edgar den 18,5  24 cm großen P. Cair. Zenon II 59159, in dem Apollonios Zenon am 7. Januar 255 v. Chr. auf die unmittelbar bevorstehende Pflanzperiode hinweist. 45) (1) [Apo]lloni[os]

an Zenon, G[rüße. Die Ze]it anzupflanzen ist da, d[ie (2) Wein]stöcke und die Ölbäu[me und d]ie übrigen Setzlinge. (3) [Laß] also aus Memphis wie auch aus den übrig[en (4) Or]ten (Leute) kommen und weise die Anpflanzungen an. Es werden ab[er auch wir] aus dem abgegrenzten (Land) 46) [eine Anz]ahl Weinstocksetzli[nge] verschicken und die übrigen Arten, [soviel] etwa dienlich sein sollte. (7) Lebewohl. 30. Jahr, 24. Dios = [14.] Ha[thyr.] 47) (Rs., 8) An Zenon.

5.4.5 Begleitschreiben zur Lieferung der Ableger

In dem 1980 von P. W. Pestman als P. Lugd. Bat. XX 26 neuedierten Text liegt das am 2. Februar 255 v. Chr. ausgefertigte Begleitschreiben des Apollonios zu der in Nr. 5.4.4 zugesagten Lieferung der Ableger vor, die nach dem auf der Rückseite notierten Eingangsdatum nicht einmal einen Monat später bei Zenon in Philadelpheia eintraf. 48) (1) Apolloni[os

an Zenon, Grüße. Wir haben verschi]ckt nach Philadelpheia (2) Ableger von We[in zehntausend, Setzlinge tau]sendfünfhundert, (3) von Granatäpfeln fünf[hundert, soviel wie möglich nach der Men]ge (?) der Sklaven. (4) Sorgfältig als[o … pflanz]e an. (5) [Lebewohl. 30. Jahr,] 21. [Apel]laios = 10. Choiak. 49) (Rs., 6) An Z[enon,] (7) (wegen) Ablegern. (8) 30. Jahr, 4. Audnaios = 4. Tybi. 50) (9) Apollonios, an Weinablegern 10.000; (10) an Setzlingen 1.500; (11) Granatapfel(ableger) 500. 44. 45. 46. 47. 48.

49. 50.

Möglicherweise Aprikosen. Auch SB III 6811. Eine für ihre reichen Obstgärten berühmte Gegend in der Umgebung Alexandrias. 7. 1. 255 v. Chr. Die 1926 von C. C. Edgar vorgelegte Erstedition von Frg. a in P. Cair. Zenon II 59162 wurde zwei Jahre später in P. Cair. Zenon III, S. 290 durch Frg. b ergänzt, wobei zwischen den beiden 13,2 cm hohen und 10,5 bzw. 9,5 cm breiten Bruchstücken weiterhin etwa 10 cm verloren sind; jetzt auch C. Ptol. Sklav. 234. 2. 2. 255 v. Chr. 26. 2. 255 v. Chr.

585

Griechische Texte aus Ägypten

5.4.6 Kalender mit Weinbauarbeiten

Der 1920 in PSI VI 624 vorgelegte Kalender mit Weinbauarbeiten aus der Mitte des 3. Jh. v. Chr., von dem nurmehr die 19,5  9 cm große Endpartie erhalten ist, scheint schon wegen der ägyptischen Monatsnamen spezifisch auf die Bedürfnisse im Nilland und näherhin im Fayyu¯m zugeschnitten zu sein und wurde sogar dem Gutsverwalter Zenon persönlich zugeschrieben.51) (1) …

um so besser (oder: später?)] geschnitten (2) [ … ] den Schnitt (3) [ … das H]olz und die (4) [ … ] beginnend im (5) [Choiak,] werden sie es [voll]enden bis zum – (nachgetragen:) spätestens – (6) [im Tybi. Das] Ausbrechen der Schößlinge [werden sie machen,] indem sie immer folgen (8) [ … ] dem Schößling, (welcher?) sich er(9) weist als fru[chttragend] und hervorbringt (10) v[ie]le, und zwar schwere (11) [Früch]te, damit sie nicht unter dem Wind (12) [leiden (?),] bis dann die Zeit kommt, (13) den Schößling anzubinden. (14) – (nachgetragen:) Sie werden aber den Schößling abstützen, – so viele dazu imstande sind von den Wein(15) stöcken v[or de]m Blühen, die (16) übrigen aber alle, sobald sie etwa be(17) ginnen zu tragen. Und sie werden vollen(18) den die Abstützung des (19) Schößlings und werden vollenden (20) [das … ] 52) der Wein(21) stöcke bis zum Pharmuthi. (22) Sie werden aber das Laub (unten? leicht?) beschneiden, soviel (23) es etwa dienlich ist, im (24) Pachons.

51.

52.

586

Hierzu bes. H. Cadell, La viticulture scientifique dans les archives de Zénon: PSI 624, Aeg 49 (1969) 105-120 = SB XII 10768; auch P. Lugd. Bat. XX 64; J. S. Kloppenberg, The Tenants in the Vineyard, Tübingen 2006, 425-429 Nr. 25; zur Arbeitsfolge im Jahreslauf auch K. Ruffing, Weinbauarbeiten im römischen Ägypten, St. Katharinen 1999, bes. 158 ff. Gegen das in der Ed. pr. vorgeschlagene »Pfropfen« bes. Cadell, Aeg 49 (1969) 114 f., die stattdessen eher an »Düngen«, »Hacken« oder »Räuchern« denkt.

6. Verwaltung und soziale Organisation Aus der Fülle der Texte zur Verwaltung und sozialen Organisation seien hier nur einige ausgewählte Beispiele vorgestellt, die sich zum einen mit der Bewirtschaftung des Landes und Fragen der Bewässerung befassen, zum anderen mit der Anlage einer neuen Stadt, der Festkultur von umgesiedelten Bauern und Berufstätigen sowie allfälligen Problemen im Rechts- und Vertragswesen, die aus der Zugehörigkeit zu verschiedenen Rechtskreisen erwuchsen.

6.1 Nachschlagewerk zur Landvermessung Regelmäßige Inspektionen des Landes bildeten die Grundlage der ägyptischen Verwaltung, zumal die Ackerflächen infolge der Nilschwelle jedes Jahr aufs neue aufzuteilen waren. Teile eines Nachschlagewerks zu den entsprechenden Termini mitsamt weiteren Verfahrensdetails liegen in dem 1971 publizierten, 22,1  16,9 cm großen P. Oxy. XXXVIII 2847 vor, der allerdings erst aus der ersten Hälfte des 3. Jh. n. Chr. datiert und möglicherweise nur Staatsland betrifft. Da die jeweils erläuterten Begriffe in Ekthesis stehen, lassen sich von der nur noch rudimentär erhaltenen zweiten Kolumne wenigstens die behandelten Begriffe erschließen. (col. I, 1) …

ertragsfähig … [ … ] Festsetzung«: das ist eine Boden(kategorie), bei der die Abgabe sich nach der jährlichen (3) Produktionskraft an Früchten bemißt. (4) »Nach aktuellem Jahr«: unter diese Überprüfung fallen viele Kategorien, wie etwa, wenn nach dem Herausschlagen der Wein(6) stöcke, für welches (Land) die Steuersätze gemindert wurden, es wie[der neu] angelegt (7) wird; aufgelassenes privates Land; (8) von »Trockengefallenem« erworbenes (Land); und anderes derartiges. (9) »Nach Flußlage«: alle am Fluß (gelegenen) staat(10) lichen und privaten Parzellen, die im Jahreswechsel der Überprüfung (11) unterliegen. 1) (12) [»Abgezoge]nes«: bei allem nicht ertragsfähigen k[ais]erlichen (Land) geschieht die Überprüfung im Dreijahresrhythmus; es wird aber »Abgezogenes« genannt, weil (14) es abgezogen wird von dem Maß d[es La]ndes nach Acker(15) fläche, so daß übrigbleibt der ertragsfähige Rest. (16) [»La]ndvermessung«: bei Weingärten und anderen Baum(17) pflanzungen geschieht die Neuvermessung im Vierjahresrhythmus. (18) [»Ne]uvermessung des gesamten Landguts«: sooft etwa kaiserli(19) ches Land eine Untersuchung erfährt, werden neuvermessen jene Ackerflächen, (20) auf die sich die Untersuchung bezieht. (21) [»Neu]vermessung der Dämme«: ein jeder der Einwoh(22) ner hebt fünf Naubien aus zur Sicherheit (?) (23) bezüglich der Aufwerfung der Dämme, weni[ger aber (nur?),] (2) »Nach

1.

Mit D. Bonneau, Recherches sur le Kyriakos logos (Commentaire de P. Oxy. 2847), JJP 19 (1983) 131-153, bes. 136 f. = BL VIII 262.

587

Griechische Texte aus Ägypten (24) sofern

es etwa der Bedarf erfordert. Das Naubion aber ist ein Maß (25) beim Graben von Erde, das drei Ellen hat an Brei(26) te und Länge und Tiefe. (27) [»Neuve]rmessung der Kanäle«: und auch die Kan[äle] werden jedes Jahr (28) repariert, nämlich von dem Einstr[ömen (?) des] Wassers … (col. II, 1) »Zählu[ng (von Vieh?)«: … ] (5) »Trockenge[fallenes … «: … ] (10) »Sonderauflage«: [ … ] (13) »Vertei[lung«: … ] (18) »Lage«: [ … ] (19) und [ … ] (21) »Trockengefallenes Wein[gartenland«: … ] (23) »Trockengefallenes Obst[gartenland«: …

6.2 Verteilung von Dammarbeiten auf verschiedene Ortschaften Wie die Neuverteilung des Landes nach der jährlichen Nilschwelle gehörte auch die Regulierung der natürlichen Wasserzufuhr und nicht zuletzt die Instandhaltung von Kanälen und Dämmen seit jeher zu den zentralen Anliegen aller Verwaltungstätigkeit in Ägypten. Anders als im Fayyu¯m, wo jeder Bauer dafür jährlich die sog. »Fünftagesarbeiten« abzuleisten hatte, 2) wurde der Arbeitsbedarf im Oxyrhynchites nach Ortschaften verteilt, und zwar unter Berücksichtigung ihres jeweiligen Umfangs. Hierüber klärt der 22,5  12 cm große, 1977 von H. C. Youtie edierte SB XIV 12108 auf, auf dem ein unbekannter Amtsträger an der Wende des 3. zum 4. Jh. n. Chr. die anfallenden Arbeiten auf die am Apollophanes-Kanal gelegenen Ortschaften verteilte. Neben der grundlegenden Reinigung der Kanäle konnten auch Reparaturen an den Dämmen, die Schließung von Durchbrüchen oder eine zusätzliche Verstärkung durch die Einbringung von Faschinen fällig werden, so namentlich an den dem Fluß nähergelegenen Streckenabschnitten, wobei die relativ schematische Aufstellung auch an bloße Vorsorgemaßnahmen denken lassen könnte. Um die Arbeitsmengen möglichst gerecht auf die Einwohnerschaft zu verteilen, wurden die entsprechenden Strecken mit der Anzahl der anfallenden Arbeiten multipliziert – nämlich 10 Schoinien à 4, 20 Schoinien à 3 und 30 Schoinien à 2 Arbeitsgänge – und die daraus errechneten 160 Arbeitsgänge zu den mit nur einem Arbeitsgang veranschlagten 190 Schoinien hinzuaddiert, so daß statt der realen 250 Schoinien nunmehr 350 Schoinien auf die unterschiedlich großen Dörfer umzulegen waren.3) (1) Für

den Apollophanes-Kanal [ … ]. sind reparaturbedürftig 250 Schoinien, wovo[n an](3) gezeigt wurden für einen vierfachen Arbeitsgang bi[s zum] (4) Pharmuthi vom großen Fluß nach We[sten] 4) (5) 10 Schoinien, danach für einen dreifachen (6) Arbeitsgang nach Norden 20 Schoinien (2) Es

2. 3. 4.

588

Vgl. bes. P. J. Sijpesteijn, Penthemeros-Certificates in Graeco-Roman Egypt (P. Lugd. Bat. XII), Leiden 1964. Zu geographischen Situation zuletzt J. Rowlandson, Landowners and Tenants in Roman Egypt, Oxford 1996, 11 f. = BL XI 216. Nach BL VIII 378 irrtümlich zu Beginn der Folgezeile nochmals wiederholt.

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und fü[r einen zwei](7) fachen Arbeitsgang nach Norden 30 Schoinien, macht für (8) einen einfachen Arbeitsgang 160 Schoinien, und für einen einfachen (9) Arbeitsgang die übrigen 190 Schoinien, macht (10) zusammen 5) zur Aufteilung gebracht für einen einfachen (11) Arbeitsgang: 350 Schoinien; (12) wovon (entfallen auf): Athychis – 191⁄2 1⁄3 Schoinien; Senyris – (13) 61⁄2 Schoinien; Sinkepha – 31 Schoinien; (14) den Weiler Sadalu – 13 Schoinien; (15) Mermertha – 851⁄6 Schoinien; (16) Monimu – 51 Schoinien; (17) Kerkemunis – 20 Schoinien; (18) Muchinaxap – 21⁄2 Schoinien; (19) Kerkethyris – 241⁄2 Schoinien; (20) Seryphis – 20 Schoinien; (21) Pela – 541⁄2 Schoinien; (22) Lenonos – 4 Schoinien; (23) Paeimis – 10 Schoinien; (24) Senekeleu – 8 Schoinien; (25) macht das Vorliegende.

6.3 Überlassung eines Quartiers in einer neugegründeten Stadt Von der Gründung einer bisher unbekannten Stadt Euergetis in Oberägypten berichten zwei Papyri aus der Umgebung des hohen ptolemäischen Funktionsträgers Boethos, die 1995 von der Universitätsbibliothek Trier angekauft und bereits 1997 von B. Kramer und H. Heinen vorgestellt wurden. 6) Danach wurde Interessenten – im vorliegenden Fall der Schankwirtin Tanuphis – ein bestimmtes Quartier in der neuen Stadt zur Wohnung und, wie die prominente Lage am Marktplatz nahelegt, wohl auch Nutzung überlassen. Von den beiden am 22. 2. 132 v. Chr. ausgefertigten Dokumenten erweisen die interlinearen Nachträge und das auf männliche Interessenten zugeschnittene Formular – so namentlich die Vererbbarkeit an die Ehefrau – SB XXIV 15973 als Entwurf, während die nur 16,2 cm hohe, aber mit 244 cm Länge äußerst großzügige Urkundenrolle 15974 die unten wiedergegebene Reinschrift mit dem drei Jahre später ergänzten Registrierungsvermerk enthält. (col. I, 1; 1. Hd.) Unter

der Herrschaft des Ptolemaios, des Sohnes des Ptolemaios, und der Königin Kleopatra, seiner (2) Schwester, und der Königin Kleopatra, seiner Frau, der Wohltätergötter, (3) im 38. Jahr, 1. Mecheir. 7) Es wurde zugemessen ein Quartier in der in Gründung befindlichen Stadt (4) Euergetis von Boethos, dem Verwandten und Epistrategen und Strategen (5) der Thebais und Gründers – (nachgetragen:) auf dem 4. –, durch Paniskos, den Quartiermeister und Antigrapheus, (6) (für) Tanupis, die Tochter des Tpheophis, auf dem viereckigen (Markt), Schankwirtin, ein Wohnraum, wobei sie nicht (7) veranlagt wird (zur) Eintrittsgebühr und auch nicht zur Umsatzsteuer und (zu) nichts anderem (8) schlichtweg, sondern sie soll es haben rechtskräftig als privates Eigentum. Es soll ihr aber erlaubt sein, (9) ihn zu hinterlassen ihren Kindern und ihrem eigenen Mann und den nächsten der Familie oder wem sie es etwa (10) wünscht von den Personen, die in der Stadt im Heeresdienst geführt werden, wobei diese ebenso nicht veranlagt werden, (11) weder diejenigen, die ihn übernehmen, noch diejenigen, die ihn ab-

5. 6. 7.

Insofern vielleicht eher ta[']t€ als das bisher hergestellte ta[‰]ta. B. Kramer / H. Heinen, Der ktfflsth@ Boethos und die Einrichtung einer neuen Stadt, APF 43 (1997) 315-363. 22. 2. 132 v. Chr.

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Griechische Texte aus Ägypten

treten, unter keinerlei (col. II, 12) Vorwand, entsprechend dem von dem Gründer Zugestandenen; (13) (und zwar) von zwei Quadratellen, macht 2 Ellen, wovon die Maße (sind) von Süden nach Norden 20 Ellen, (14) von Westen nach Osten 10 Ellen; Nachbarn: im Süden (das Haus) des Goldschmieds Petosiris, (15) im Norden die übrigen Örtlichkeiten, im Osten eine Säulenhalle, im Westen eine Straße von 10 Ellen. (16; 2. Hd.) Ich, Paniskos, habe zugemessen, wie vorliegt, der Tanupis, der Tochter des Tpheophis, (17) Schankwirtin, auf dem 4eckigen Markt 2 Ellen, macht 2 Ellen. (18) 38. Jahr, 1. Mecheir. (col. III, 19; 3. Hd.) Registriert. (20) 41. Jahr, 3. Payni. 8)

6.4 Pflege der Kontakte zur Heimatgemeinde Trotz der hohen Bedeutung von Festen im Alltagsleben ist über ihren sozialen Ort zumeist nur wenig zu erfahren. Um so mehr Beachtung verdient ein verwaltungsinternes Schreiben vom 24. 2. 230 v. Chr., demzufolge die im südlichen Fayyu¯m angesiedelten Bauern noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte später anläßlich bestimmter Festlichkeiten in ihre alte Heimat im Niltal zurückzukehren pflegten. Der heute in der Biblioteca Apostolica Vaticana aufbewahrte und 1990 von R. Pintaudi publizierte, 8,7 cm hohe und 34,3 cm breite SB XX 14699 stammt aus dem Archiv der lokalen Finanzbehörden, 9) die sich um ihre rechtzeitige Rückkunft sorgten. (1) Dionysodo[ros]

an Asklepiades, Grüße. Bei den Bauern aus Oxyrhyncha ist es Gewohnheit, zu reisen (2) in den Oxyrhynchites und Opfer darzubringen, da sie aus dem Oxyrhynchites sind. [Damit] sie also (3) zeitn[ah] wieder erscheinen und da sind zu der Aussaat des Sesam[s, sc]hien es mir (gut), [wenn es auch] dir (recht) er(4) scheint, mitz[ureis]en mit ihnen. Es ist also recht, nehme ich an, dir zu schreiben, damit [du es weißt und, was] (dir recht) er(5) scheint, schreibst. Lebe wohl. 17. Jahr, 8. Tybi. 10) (6; 2. Hd.) Wenn es denn nöt[ig ist (oder: du es für nötig hältst), z]eitnah zu reis[en (oder: reis[e z]eitnah) … recht … (7) Le[be wohl.] (Rückseite, 8; 3. Hd.?) An Dionysodoros. (9; 1. Hd.) An Asklepiades.

6.5 Aufstellung über Fest- und Krankheitstage Auch bei Handwerkern, namentlich Lehrlingen, wurden Festtage respektiert. Dies zeigt nicht zuletzt die Aufstellung auf der Rückseite eines 18  11,3 cm großen Fragments aus der Heidelberger Papyrussammlung, das F. Bilabel 1929 publiziert hatte und das auf der Vorderseite Reste von Abrechnungen wohl aus dem 1. Jh. n. Chr. ent-

8. 9. 10.

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23. 6. 129 v. Chr. So entgegen der Ed. pr. von R. Pintaudi, Oxyrhyncha e Oxyrhynchites. P. Vat. Gr. 65: Lettera di Dionysodoros ad Asklepiades, Tyche 5 (1990) 101-104 jetzt K. Maresch, Einl. zu P. Köln VIII 341-345 = BL XI 232. 24. 2. 230 v. Chr.

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hält. 11) Denn entgegen Bilabel findet sich auf der deutlich später beschriebenen Rückseite kein Festkalender, sondern, wie H. C. Youtie überzeugend nachweisen konnte, die jetzt als SB VI 9127 zugängliche Liste über die Arbeits- und Ruhetage eines Goldschmieds. 12) Die Anzahl der Fehltage ist am rechten Rand des eigens hierfür zurechtgeschnittenen Blattes übersichtlich untereinandergesetzt; die Einträge wurden bei längeren Partien eingerückt und nochmals mit dicken Kontrollpunkten »abgehakt«. (1) [Im

Monat Thoth (?)], vom 9. b[is … ]: Fertigung eines Be]chers: 13) [… Tage;] (3) [• Fertigung] einer Ha[ls]kette: [… Tage;] (4) [• Ferti]gung eines …: [… Tage;] (5) [• Ferti]gung eines Ringes: […] Tage; (6) • dessen [Grav]ur (?): […] Tage. (7) [Liste (?) der Ruhe-(?)] Tage: (8) • Bes-Fest: […] Fehltage; (9) • an den Typhonia: 11⁄2 Tage; (10) • in Unwohlsein: 1 Fehltag; (11) • an den Rhodophoria: 7 Fehltage; (12) • zum (Anwesen) der Tesenesis: 4 Tage; (13) • an den Isieia: 3 Tage; (14) • und mit seiner Mutter nach Tentyris: 14) 1 Tag; (16) • vom 13. bis zum 18. desselben (17) Monats Epeiph war er Tage krank: 6; (18) • 18. Mesore b[is 19.:] 2 Ruhetage – (19) er z[og sich] bewußtlose Starre zu 15) (20) und war [kra]nk … (2) [•

6.6 Rechts- und Vertragswesen In einem Land, in dem sich das Gericht nach der Zugehörigkeit zum jeweiligen Rechtskreis bestimmte und das Rechts- und Vertragswesen von kaum überschaubarer Vielfalt war, hing jede Form der Rechtsprechung von der eindeutigen Identifizierung der Vertragsparteien 16) und der Überwindung der sprachlichen Hürden ab. Schon 11. 12.

13. 14. 15. 16.

F. Bilabel, Die gräko-ägyptischen Feste, HdJbb N.F. (1929) 1-51, bes. 4-10, die Texte wiederabgedruckt als SB V 7551. So mit H. C. Youtie, The Heidelberg Festival Papyrus: A Reinterpretation, Studies in Honor of A. C. Johnson, Princeton 1951, 178-208 = ders., Scriptiunculae I, Amsterdam 1973, 514-544. 545; zu den gerade in Lehrlingsverträgen zugesicherten Ruhe- bzw. Festtagen, ggf. auch nachzuarbeitenden Ausfallzeiten vgl. auch oben oben Nr. 4.2, bes. Z. 13 f. sowie zuletzt G. Azzarello, Einl. zu P. Köln IX 368. Hier wie im folgenden wörtlich »indem er macht einen …«. Das heutige Dandara in Mittelägypten, weswegen Bilabel auch den vermeintlichen Festkalender hier zu verorten erwog. So Youtie, Festival Papyrus, 198 f. = 534 f. mit eingehender Diskussion des von ihm gelesenen k€rou. Der Papyrus scheint allerdings doch eher kaiou oder besser ka½ o te (sic, da das folgende t leicht abgesetzt ist) zu bieten, vgl. auch Preisendanz, ebd. 208 = 544. Hierzu jetzt allgem. M. Depauw / S. Coussement (Hg.), Identifiers and Identification

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Griechische Texte aus Ägypten

früh datieren daher Vorschriften im formalen Bereich, denen bereits im 2. Jh. v. Chr. staatliche Urkundsbüros für den privaten Rechtsverkehr zur Seite traten. 17) Im Verlauf dessen sollte sich auch der Zugriff auf die demotische Urkundspraxis verstärken, die zunächst wohl größere Freiheiten besaß.

6.6.1 Bestimmungen zur Prozeßeinleitung

Die beiden heute in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek aufbewahrten Fragmente wurden 1954 von H. Vocke als P. Hamb. II 168 ediert und sind wohl als amtliche Abschrift von Bestimmungen zur Prozeßeinleitung aus der Mitte des 3. Jh. v. Chr. anzusehen. Während auf dem nur 3,5 cm schmalen Frg. b nurmehr wenige Wörter erhalten sind, bietet das 11  13 cm große Frg. a detaillierte Vorschriften insbesondere zu den Personalangaben, die nicht allein bei den Klägern, sondern auch bei den Richtern erforderlich waren. (Frg. a) [

… Diejenigen aber, die sich an die (1) Diaiteten] wenden oder ohne Zahlung des Zehntels (2) [oder Fün]fzehntels vor Gericht prozessieren, (3) sollen [über]geben dem von dem Nomophylax Einge[setz(4) ten] die Klagschriften, nach denen sie prozessieren wollen; un[d (5) die] Heeresangehörigen sollen deklarieren [ih]re Namen und Heimatländer und aus welchen Einheiten sie etwa sind (7) [und we]lche Klerosgrößen sie etwa haben; die Bürger aber ihre Väter (8) [und di]e Demen, wenn sie aber auch im Heeresdienst sind, (9) [auch die E]inheiten und die Klerosgrößen; die anderen aber die (10) [Väter] und die Heimatländer und in welchem Stand sie etwa sind. Eben(11) [so ab]er sollen sie da[zu]schreiben auch die Diaiteten und oder die Richter; (12) [und der (damit) beim N]omophylax Befaßte soll mit den Personal(13) [angaben verzeichnen hini der Klag]schrift die dazugeschriebenen Richter (14) [ … ] der Klagschriften, und auf die Abschriften (15) [der abgege]benen Ladungsschriften sollen sie hinzuschreiben die Personal(16) [angaben. Sie] sollen aber [einz]ahlen, wenn sie Klage erheben, als Schreibgebühr 1 Dr. (17) [ … ] Die aber im Hinterland prozessieren, (18) [ … ] es sollen die gewählten Diaiteten (19) [ … der Amtsdie]ner bei dem Praktor soll nennen (20) [ … ,] er soll aber auch [ … (Frg. b, 2) … die Ric]hter [ … (4) … ang]eklagt[ … (5) … ] sie [ … (6) … ] Bürgen un[d … (7) … ] …, bis sie etwa gew[ählt … (8) … ] dem Gericht der [ … (9) … ] soll verfangen […

17.

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Methods in the Ancient World. Legal Documents in Ancient Societies III (OLA 229), Leuven/ Paris/Walpole, MA 2014. Vgl. nur zuletzt F. A. J. Hoogendijk, Greek Contracts belonging to the Late Ptolemaic Tebtynis Grapheion Archive?, in: C. Arlt / M. A. Stadler (Hg.), Das Fayyûm in Hellenismus und Kaiserzeit. Fallstudien zu multikulturellem Leben in der Antike, Wiesbaden 2013, 63-74.

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6.6.2 Bestimmungen zur Gestalt von Darlehensverträgen

Ganz ähnliche Vorschriften zu den Personalangaben der beteiligten Parteien finden sich in einem 12,5  13,5 cm großen Berliner Fragment aus dem ausgehenden 3. Jh. v. Chr., das die formale Gestalt privater Darlehensverträge einschließlich der Siegelung betrifft und 1980 von W. M. Brashear als BGU XIV 2367 vorgelegt wurde. Die verschiedenen Bestimmungen sind durch Paragraphoi, teilweise auch durch Absätze und Ektheseis voneinander abgesetzt. Wie schon im vorigen Fall wurde hierin ein Ausschnitt aus einer Prozeßordnung vermutet, die die Produzierbarkeit privater Urkunden vor Gericht betraf. 18) (3) …

der Vertragsurkunde. Darlehensgeber aber und die Darlehensneh[mer sollen (folgendermaßen) geschrie](5) ben werden in die Vertragsurkunde: die i[m Heeres](6) dienst Eingereihten sollen deklarie[ren] ihre Heimatländer und aus welchen Ein[heiten sie] etwa [sind] (8) und welche Klerosgrößen sie etwa haben; die Bürger aber [ihre] (9) Väter und die Demen, wenn sie aber auch i[m Hee](10) resdienst sind, auch die Einheiten und die [Klerosgrößen;] (11) die ander[en] aber die Väter und die Hei[matländer und] (12) in welchem Stand sie etwa sind. (13) Es sollen aber siegeln die Darlehensgeber und die [Darlehensneh](14) mer und die Bürgen und die Zeugen. [Indem aber (an sich) nimmt] (15) die Vertragsurkunde einer von den [auf sie] darauf[geschriebenen] (16) Zeugen, soll er sie als maßgeblich bewahren. 19) (17) Wenn aber einer ein Darlehen gibt, indem er ver[ändert (?) …, soll er sie](18) geln ge[mäß dem G]eschriebenen die Ve[rtragsurkunde … ] (19) siegel[- … (4) Die

6.6.3 Betrauung von Tempelschreibern mit notariellen Aufgaben

Weniger rigide waren offenbar die Vorschriften für demotische Vertragsurkunden, doch mußten sich die hierfür zuständigen Tempelschreiber staatlicherseits akkreditieren lassen. Mit dem in BGU VI 1214 überlieferten Rundschreiben, das W. Schubart erstmals 1915 vorstellte,20) wurde die Bevölkerung im nordöstlichen Fayyu¯m zwischen 185 und 165 v. Chr. darüber informiert, welche Tempelschreiber als Notare amtieren durften und welche Gebühren sie dafür zu verlangen hatten, die für sie in keiner Weise verhandelbar waren. Die teilweise wörtliche, allerdings sehr viel fragmentarischere Parallele P. Ryl. IV 572 läßt darin nunmehr einen Routinevorgang erkennen.21) Das 31 cm hohe und 23 cm breite Blatt, dessen zweite, verlorene Kolumne 18. 19. 20. 21.

So bes. H. J. Wolff in der Rez. von BGU XIV in ZRG R.A. 99 (1982) 369-372, bes. 371; jetzt eindrucksvoll bestätigt durch die in P. Heid. VIII 414 (nach dem 2. 10. 184 v. Chr.) vorgelegte Zeugenaussage eines privaten Urkundshüters, vgl. nur D. Kaltsas in der Einl. Mit Kaltsas, P. Heid. VIII 414 Anm. 42 = BL XII 25. W. Schubart, Ägyptische Urkundenschreiber in der Ptolemäerzeit, Amtliche Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen, 36.5 (1915) 94-98. Hiernach auch die Neulesungen bzw. Ergänzungen in Z. 14-17 = BL III 19.

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Griechische Texte aus Ägypten

vermutlich noch die Namen der neuernannten Notare enthielt, ist inzwischen nach Thorn gelangt. 22) (1) Ptolemaios,

Stratege, an die Vorste[her] (2) der Dörfer im Herakleides-Bezirk, [Grüße.] (3) Von den bei euch vorhandenen ägyptischen (4) Schriftlehrern, die zu schreiben pflegen (5) die Verträge nach dem Recht des Landes, sind aner(6) kannt worden die unten Aufgeführten von (7) Pasis, dem Vorsteher der im Gau (befindlichen) (8) Heiligtümer und der anderen nach dem, was von Protarchos, (9) einem der »Freunde«, 23) uns bekanntgegeben wurde, daß sie geeignet seien, (10) sich mit der anliegenden Aufgabe zu befassen. Von ihnen haben wir auch genommen (11) einen schriftlichen Königseid und verfügt, daß (12) sie nicht mehr erheben sollen als die festgesetzten Schreibgebühren, (13) unter welchem Vor[wa]nd auch immer, [und auch nicht] anderen zugestehen sollen, (14) von die[ser] Gebühr [(etwas) abzuz]weig[en, we]der für die (15) Staatskasse noch [auf irgend]ei[ne andere Weise,] (16) welchen ihr aber auf die Spur kom[men solltet, daß sie etwas dergleichen] erhoben (17) haben, umgehe[nd] bekanntzugeben (18) dem Protarchos. Es sei aber der anerkannte (Betrag), (19) wie auch die Schreiber im Busirites (20) festgesetzt haben, für eine Geldbezahlungs- und Ab(21) sta[nds]schrift da zweifach (?) zu schreiben 20 Dr., (22) für die anderen aber 10 Dr. Auf daß aber auch die Privatleute (23) dem Folge leisten und diesbezüglich veranlagt (24) werden zu dem bekanntgegebenen Betrag, (25) hängt aus eine Bekanntmachung vor den bedeu(26) tendsten Heiligtümern in den Dörfern, ebenso (27) ebenso aber auch an den Orten, in welchen etwa …

6.6.4 Gestalt und Bearbeitung demotischer Verträge

Große Bedeutung kommt einer im Jahr 146 v. Chr. erlassenen Vorschrift zu, wonach die ägyptischen Vertragsurkunden ebenfalls mit Personalangaben auszustatten und zudem mit griechischer Hypographe zu versehen seien. Hiervon ist durch ein in zweifacher Ausfertigung erhaltenes Schreiben zu erfahren, das der wohl für sämtliche thebanischen Urkundsbüros zuständige Paniskos auf Nachfrage hin an einen nachgeordneten Amtsträger schickt. Der 31  16 cm große P. Par. 65 wurde 1865 zunächst nur in Transkription von W. Brunet de Presle publiziert, bis U. Wilcken gut 60 Jahre später die bis heute maßgebliche Edition samt eingehender Behandlung der darin aufgeworfenen Fragen vorlegte.24) Die wenig glücklichen Formulierungen, mit denen Paniskos das neue Verfahren zu beschreiben sucht, wie auch die mißverständliche Terminologie hatten freilich einige Unklarheiten gelassen, die sich teilweise erst in jüngster Zeit bereinigen ließen. 25) 22. 23. 24. 25.

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W. Appel, Drei Berliner Papyri in Torun´, APF 47 (2001) 101 = BL XII 19. Ptolemäischer Hofrangtitel, vgl. allgem. L. Mooren, The Aulic Titulature in Ptolemaic Egypt, Brussel 1975; ders., La hiérarchie de cour ptolémaïque, Louvain 1977. U. Wilcken, UPZ I S. 596 ff., unter Benutzung auch des von Brunet de Presle erwähnten und auf Pl. XLIII ebenfalls abgebildeten Zweitexemplars in P. Par. 65bis, in dem offenbar einen deutlich kursiverer Entwurf vorliegt; = Sel. Pap. II 415. Vgl. die sorgfältige Erörterung bei P. W. Pestman, Registration of Demotic Contracts in Egypt. P. Par. 65; 2nd cent. B.C., in: J. A. Ankum / J. E. Spruit / F. B. J. Wubbe (Hg.), Satura

Andrea Jördens (1) Paniskos an Ptolemaios, Grüße. (2) [Wir] haben das Schreiben von dir bekommen, in dem (3) du darlegst, (man solle) [di]r bekanntgeben das aktuelle Verfahren (4) für die im (Gau) Peri Thebas aufgesetzten (5) ägyptischen Verträge, und (zwar,) ob sie, wie (6) verfügt von Ariston, durch die (7) jeweils vor Ort zuvor für diese (Zwecke) Bestimmten eine Hypographe erhalten, und von welchem (9) Zeitpunkt an das Vorliegende in Kraft gesetzt wurde. (10) Das Verfahren wird also (so) durchgeführt, wie es vorgegeben hat (11) Ariston: der künftig bei uns eingebrachte, vom Tempelnotar geschriebene Vertrag (ist) mit Personalangaben zu versehen; 26) (dann sind) sowohl die (13) Vertragschließenden als auch das Rechtsgeschäft, das sie getätigt haben, (14) und ihre Namen mit Vatersnamen einzutragen; (15) und wir sollen eine Hypographe hinzufügen, daß wir (sie) eingetragen haben zur Registrierung, (16) wobei wir darlegen sowohl den Zeitpunkt, zu dem wir die Hypographe hinzugefügt haben (17) auf die Einbringung der Vertragsurkunde hin, als auch den Zeitpunkt der Vertragsurkunde selbst. Die Anweisung (19) wurde uns ausgegeben zum 1. Hathyr, 27) (20) die Registrierung wurde in Kraft gesetzt vom 9. Choiak an. 28) (21) Damit du also Bescheid weißt, haben wir es (dir) weitergeleitet. (22) Lebe wohl. 36. Jahr, 13. Tybi. 29)

26. 27. 28. 29.

Roberto Feenstra sexagesimum quintum annum aetatis complenti ab alumnis collegis amicis oblata, Fribourg 1985, 17-25 und zuletzt bes. M. Depauw, Physical Descriptions, Registration and e§konfflzein with New Interpretations for P. Par. 65 and P. Oxy. I 34, ZPE 176 (2011) 189-199, wenn auch mit den 193 Anm. 12 geäußerten Vorbehalten. So mit Depauw, ZPE 176 (2011) 190 ff. 28. 11. 146 v. Chr. 5. 1. 145 v. Chr. 8. 2. 145 v. Chr.

595

Zeittafeln Die Daten der ägyptischen Geschichte folgen grundsätzlich J. von Beckerath, Chronologie des pharaonischen Ägypten, MÄS 46 (1997), bieten aber für den Zeitraum vor der 12. Dynastie Mittelwerte. Die Daten der mesopotamischen Geschichte vor 2600 v.Chr. orientieren sich an C14 -Daten. Die Daten vor 1500 v.Chr. bieten doppelte Datierungen nach den beiden als »Mittlere« und »Kurze Chronologie« bekannten Systemen; die »Mittlere Chronologie« wird seit mehreren Jahrzehnten in den meisten Handbüchern und in wissenschaftlicher Literatur verwendet, die »Kurze Chronologie« hat in der letzten Zeit wieder an Beachtung gewonnen. Neuerdings ist auch eine »Ultrakurzchronologie« (H. Gasche u. a., Dating the Fall of Babylon, 1998) vorgeschlagen worden. Die Tragfähigkeit der astronomischen Grundlagen dieser Chronologiesysteme ist umstritten. Die Daten vor der III. Dynastie von Ur sind mit zusätzlichen Unsicherheiten behaftet; die hier gebotenen konventionellen Daten (wiederum alternativ nach der Mittleren und Kurzen Chronologie, teilweise gerundet) sind um ca. 55 Jahre zu kürzen, wenn man mit W. W. Hallo, RLA III, 713 f. die Gutäerzeit auf ca. 45 Jahre kürzt. Die Daten vor Sargon von Akkade sind zusätzlich zu kürzen, wenn man eine stärkere Überschneidung der Regierung dieses Herrschers mit Lugalzagesi und damit der jüngeren Frühdynastischen Zeit annimmt. Die altassyrischen Daten gehen auf K. R. Veenhof, The Old Assyrian List of Year Eponyms, 2003, zurück. Die mittelbabylonischen Daten folgen J. Boese, UF 14 (1982) 15-26, die mittelassyrischen J. Boese und G. Wilhelm, WZKM 71 (1979) 19-38. Die Zeittafeln umfassen folgende Kulturen: 1. Ägypten 2. Mesopotamien 3. Babylonien 4. Assyrien 5. Obermesopotamien und Syrien 6. Palästina (Juda und Israel) 7. Anatolien 8. Iran 9. Griechenland und Rom 10. Südarabien 597

Zeittafeln

1. Ägypten vor 3000 v. Chr. seit ca. 3400 um 3020 ca. 3000-2680 um 3000 ca. 2682-2145 ca. 2682-2614

ca. 2614-2479 ca. 2479-2322 um 2360 ca. 2322-2191 ca. 2191-2145

2119-1793 2119-1976 1976-1794 1976-1947 1956-1910 1914-1879 1882-1872 1872-1853 1853-1806

ca. 1648-1538

1550-1070 1550-1292

1550-1525 1525-1504

598

Prädynastische Zeit Anfänge der Schrift (Abydos), Ausbreitung der Naqa¯da-Kultur von Oberägypten nach Norden König Narmer Dauerhafte Vereinigung von Ober- und Unterägypten 1.-2. Dynastie König Menes Altes Reich 3. Dynastie Memphis wird Residenz König Djoser, Beginn des Pyramidenbaus 4. Dynastie Könige Snofru, Cheops, Chephren, Mykerinos 5. Dynastie Könige Userkaf, Sahure, Unas Wezir Ptahhotep Urkunden auf Papyrus, Pyramidentexte 6. Dynastie Unruhen und Thronwirren 1. Zwischenzeit 9.-10. Dynastie (Residenz Herakleopolis) Könige Achtoi, Merikare Mittleres Reich 11. Dynastie (Residenz Theben) Aufkommen von Sargtexten 12. Dynastie Feldzüge nach Palästina und Nubien Amenemhet I. Sesostris I. Amenemhet II. Sesostris II. Sesostris III. Amememhet III. Blütezeit der Literatur 13.; 14. Dynastie 2. Zwischenzeit Thronwirren, vorübergehende Stabilisierungen, Zusammenbruch der Zentralherrschaft 15. Dynastie (Hyksos, Residenz Auaris) 16. Dynastie (Vasallen der Hyksos); 17. Dynastie in Oberägypten (beide parallel zur 15. Dynastie) Neues Reich 18. Dynastie (Residenz Theben) Feldzüge bis zum Euphrat, Eroberung von Palästina und Teilen Syriens, Kontakte mit den vorderasiatischen Königreichen Amosis Amenophis I.

Zeittafeln 1504-1492 1492-1479 1479-1458 1479-1425 1428-1397 1397-1388 1388-1351 1351-1334

1337-1333 1333-1323 1323-1319 1319-1292 1292-1186 1279-1213 1274 1259 1213-1203 1186-1070 1183-1152 1152-1070

1070-664 1070-946 1070-1044 1044-994 979-960 946-735 946-925 ca. 927 875-837 seit 746 746-715 715-700 690-664 ca. 740-719 719-714 671 667 664-332 v. Chr. 664-610

Thuthmosis I. Thuthmosis II. Hatschepsut Thuthmosis III. Amenophis II. Thuthmosis IV. Amenophis III. Amenophis IV. (= Echnaton) Verlegung der Residenz nach Amarna. Neue Religionspolitik: naturphilosophischer Monotheismus des Echnaton Semenchkare Tutanchamun Eje Haremhab Verlegung der Residenz nach Memphis 19. Dynastie Ramses II. Schlacht bei Qadeš gegen die Hethiter Bau der Residenz Per-Ramesse (Ramsesstadt) Friedens- und Freundschaftsvertrag mit Hattusili III. ˘ Merenptah 20. Dynastie Ramses III. Kampf gegen die »Seevölker« Ramses IV. - Ramses XI. Innerer und äußerer Machtverfall, Palästina und Nubien gehen verloren 3. Zwischenzeit 21. Dynastie (Residenz Tanis) Smendes Psusennes Siamun 22. Dynastie (»Libyerzeit«) Scheschonq I. Palästina-Feldzug Osorkon II. Eroberung Ägyptens durch die Kuschiten 25. Dynastie Pije Schabaka Taharqa Im Delta hält sich die 24. Dynastie mit der Residenz Sais: Tefnachte Bokchoris Eroberung von Unterägypten durch Asarhaddon (s. Assyrien) Feldzug Assurbanipals gegen Ägypten, assyrische Oberherrschaft bis 650 Spätzeit (von hier ab alle Daten absolut) 26. Dynastie Psammetich I.

599

Zeittafeln 610-595 595-589 589-570 570-525 525 404-342 332-30 v. Chr. 332 332/31 304-283/82 285/84-246 275/74-271 260-253 246-221 246-241 221-204 219-217 205-186 204-180 202-195 180-145 170-168 168 164/63 sowie 145-116 116 116-80 80 80-51 51-30 44-30 31 v. Chr. 30 v. Chr.

600

Necho Psammetich II. Apries Amasis Eroberung durch Kambyses (s. Iran) Einheimische Herrscher (28.-30. Dynastie) Hellenistische Zeit Eroberung Ägyptens durch Alexander d. Gr. Gründung Alexandrias Ptolemaios I. Soter I. (seit 323 Satrap von Ägypten) Ptolemaios II. Philadelphos 1. Syrischer Krieg 2. Syrischer Krieg Ptolemaios III. Euergetes II. 3. Syrischer Krieg Ptolemaios IV. Philopator 4. Syrischer Krieg Herwennefer und Anchwennefer als einheimische Gegenkönige in Oberägypten Ptolemaios V. Epiphanes 5. Syrischer Krieg Ptolemaios VI. Philometor 6. Syrischer Krieg »Tag von Eleusis«, Rom greift in die Geschicke Ägyptens ein Ptolemaios VIII. Euergetes II. Tod Ptolemaios VIII. Euergetes II. Wechselnde Machtverhältnisse zwischen Kleopatra II., Kleopatra III., Ptolemaios IX. Soter II. und Ptolemaios X. Alexander I. Ptolemaios XI. Alexander II. Ptolemaios XII. Neos Dionysos (Auletes) Kleopatra VII. Ptolemaios XV. Kaisar Schlacht bei Actium Ägypten wird röm. Provinz

Zeittafeln

2. Mesopotamien ca. 3600-2900 ca. 3200-2900 ca. 2900-2350/2286 um 2600 um 2550/2490 um 2500/2440 ca. 2500-2350 / 2440-2286

um 2350/2286 ca. 2350-2193 / 2286-2129 um 2125/2060 um 2125/2060 um 2115/2049 2112-2004 / 2048-1940 2112-2095 / 2048-2031 2094-2047 / 2030-1983 2046-2038 / 1982-1974 2037-2029 / 1973-1965 2028-2004 / 1964-1940

ˇ amdat Nasr-Zeit (Mittlere und Späte) Uruk-Zeit und G ˙ Archaische Tontafeln aus Uruk Frühdynastische Zeit Mebaragesi von Kiš, Gilgameš von Uruk Texte aus Šuruppak (Fara) und Abu¯ Sala¯bı¯h ˘ ˙ Könige der I. Dynastie von Ur: Meskalamdug, Akalamdug, Mesanepada, A’anepada Herrscher von Lagaš: Ur-Nanše, Akurgal, Eanatum, Enanatum I., Enmetena, Enanatum II., Enentarzi, Lugalanda, Uruinimgina Lugalzagesi von Umma und Uruk Könige von Akkade (Agade): Sargon, Rı¯muš, Maništu¯su, Nara¯m-Suen, Šar-kali-šarrı¯ Gutäer-Zeit Gudea von Lagaš Utu-hegˆal von Uruk ˘ Könige der III. Dynastie von Ur: Ur-Namma Šulgi Amar-Suena Šu-Sîn Ibbi-Sîn

3. Babylonien 2004-1763 / 1950-1699 2017-1793 / 1953-1729

2025-1763 / 1961-1699 1834-1823 / 1770-1759 1822-1763 / 1758-1699 1763-1595 / 1699-1531 1894-1595 / 1830-1531 1792-1750 / 1728-1686 1749-1712 / 1685-1648 1711-1684 / 1647-1620 1683-1647 / 1619-1683 1646-1626 / 1682-1562 1625-1595 / 1561-1531 1595/1531-1100 1595/1531-1150 1594/1530-? um 1470

Isin-Larsa-Zeit Könige von Isin: Išbi-Erra, Šu-ilı¯-šu, Iddin-Daga¯n, Išme-Daga¯n, Lipit-Ištar, Ur-Ninurta, Bu¯r-Sîn, Lipit-Enlil, Erra-imittı¯, Enlil-ba¯ni, Damiq-ilı¯-šu Könige von Larsa: Warad-Sîn Rı¯m-Sîn Altbabylonische Zeit I. Dynastie von Babylon Hammurapi ˘ Samsu-iluna Abi-ešuh ˘ Ammi-ditana Ammi-saduqa ˙ Samsu-ditana Mittelbabylonische Zeit Kassitendynastie Agum II. kakrime Karaindaš Kurigalzu I.

601

Zeittafeln 1369-1355 1354-1328 1327-1303 1276-1259 1258-1250 1227-1220 1181-1167 1166-1154 1150 ca. 1157-1026 1125-1104 1099-1082 1081-1069 1068-1047 978-626 760(?)-748 747-734 721-710, 703 667-648 647-627 625-539 625-605 605 604-562 597+587 561-560 559-556 556 555-539 539

602

Kadašman-Enlil I. Burnaburiaš II. Kurigalzu II. Kadašman-turgu Kadašman-Enlil II. Kaštiliaš IV. Melišipak Marduk-apla-iddina I. Eroberung und Plünderung großer Teile Babyloniens durch Šutruk-Nahhunte I. von Elam II. Dynastie von Isin Nebukadnezar I. Marduk-na¯din-ahhe¯ ˘˘ Marduk-šapik-ze¯ri Adad-apla-iddina Verschiedene Dynastien Nabû-šuma-iškun Nabû-na¯sir ˙ Marduk-apla-iddina II. (= Merodach-baladan) Šamaš-šum-ukı¯n Kandala¯nu Neubabylonisches Reich Nabû-apla-usur (= Nabopolassar) ˙ Schlacht bei Kargamiš gegen Ägypten Nabû-kudurra-usur (= Nebukadnezar II.) ˙ Eroberung von Jerusalem Ame¯l-Marduk (= Ewil-Merodach) Neriglissar Labašı¯-Marduk Nabonid Eroberung durch Kyros II., danach Teil des Achämeniden-, Alexander-, Seleukiden-, Partherreiches

Zeittafeln

4. Assyrien ca. 2020-1812 / 1956-1748 1974-1935 / 1910-1871 1934-1921 / 1870-1857 1920-1881 / 1856-1817 1880-1873 / 1816-1809 1872-1812 / 1808-1748 ca. 1950-1750 / 1890-1690 1808-ca. 1650 1808-1776 / 1744-1712 1775-1742 / 1711-1678 seit ca. 1650 ca. 1335-1050 1353-1318 1295-1264 1263-1234 1233-1197 1223 1114-1076 1073-1056 ca. 900-612 911-891 890-884 883-859 879 858-823 853 823-810 809-780 781-772 771-754 753-746 745-727 743 726-722 722 721-705 706 704-681 694 689 680-669 671 668-627 653 629-626? 626?

Puzur-Aššur-Dynastie Puzur-Aššur I., Šalim-ahum, Ilušu¯ma ˘ Irı¯šu I. Iku¯nu Šarrum-ke¯n (Sargon) I. Puzur-Aššur II. Nara¯m-Sîn, Erı¯šu¯m II. Altassyrische Handelskolonien in Anatolien Dynastie des Šamšı¯-Adad (Samsi-Addu) Šamšı¯-Adad I. Išme-Dagan I. Adasi-Dynastie Mittelassyrisches Reich Aššur-uballit I. ˙ Adad-ne¯ra¯rı¯ I. Šulma¯nu-aša¯red (Salmanassar) I. Tukultı¯-Ninurta I. Eroberung von Babylon Tukultı¯-apil-Ešarra (Tiglatpileser) I. Aššur-be¯l-kala Neuassyrisches Reich Adad-ne¯ra¯rı¯ II. Tukultı¯-Ninurta II. Aššur-na¯sir-apli (Assurnasirpal) II. ˙ ˙ Kalhu / Kalah wird Königsresidenz ˘ ˘ Šulma¯nu-aša¯red (Salmanassar) III. Schlacht von Qarqar gegen eine syrische Koalition Šamšı¯-Adad V. Adad-nı¯ra¯rı¯ III. Šulma¯nu-aša¯red (Salmanassar) IV. Aššur-dan III. Aššur-nı¯ra¯rı¯ V. Tukultı¯-apil-Ešarra (Tiglatpileser) III. Schlacht von Halpi und Kistan gegen Urartu und eine syrische Koalition ˘ Šulma¯nu-aša¯red (Salmanassar) V. Einnahme von Samaria Šarru-kı¯n (Sargon) II. Du¯r-Sarrukin wird Königsresidenz Sîn-ahhe¯-erı¯ba (Sanherib) ˘˘ Ninive wird Königsresidenz Zerstörung von Babylon Aššur-aha-iddina (Asarhaddon) ˘ Eroberung von Ägypten Aššur-ba¯ni-apli (Assurbanipal) Schlacht am Ulai-Fluß gegen Elam Aššur-etel-ila¯ni Sîn-šumu-lı¯šer

603

Zeittafeln 628-612 611-609 614 612

Sîn-šar-iškun Aššur-uballit II. ˙ Zerstörung von Assur Zerstörung von Ninive

5. Obermesopotamien und Syrien ca. 3600-3200 3. Jt.

ca. 2000-1600

1773-1759 / 1709-1695

ca. 1600-1200 ca. 1550-1335 ca. 1490 Nach 1345 bis zur Mitte des 13. Jh. gest. 1313/1309 um 1200 ca. 1350-1315/1311 1313/1309-ca. 1250

ca. 1200 um 1360 um 1230 Seit dem 13. Jh. um 1200

604

Kolonien und Handelsstützpunkte der Mittleren und Späten Uruk-Kultur am Euphrat (Habu¯ba Kabı¯ra) ˙ Machtzentren der Frühen Bronzezeit: Mari (Könige: Ištup-Išar, Iblul-Il, NIzi, Enna-Dagan) ˙ Ebla (Könige: Igriš-Halab, Irkab-Damu, Išar-Damu) ˘ Nagar (Tall Bra¯k) Tall Baydar (Nabada?) Urkeš (Tall Mozan) (Könige: Tupkiš, Tiš-adal, Šadar-mad, Adal-šen) Mittlere Bronzezeit Könige von Mari: Jaggid-Lim, Jahdun-Lim, Sumu-Jamam ˘ Jasma2-Addu (assyr. Herrschaft) Zimrı¯-Lîm von Mari Zerstörung von Mari durch Hammurapi von Babylon ˘ Könige von Jamhad (Aleppo): ˘ Sumu-Epuh, Jarim-Lim, Hammurapi ˘ ˘ Könige von Qatna: ˙ Išhi-Addu, Amut-pî-el ˘ Späte Bronzezeit Könige des Mittani-Reichs: Parattarna I., Sauštatar, Artatama I. Friedensvertrag mit Ägypten Šuttarna II., Artašumara, Tušratta Eroberung Nordsyriens durch die Hethiter Schrittweise Eroberung Obermesopotamiens durch die Assyrer Könige von Kargamiš: Šarri-Kušuh ˘ Šahurunuwa, Ini-Teššup, Talmi-Teššup ˘ Kuzi-Teššup Könige von Ugarit: Niqmaddu II. Niqmepa Ammistamru II., Ibiranu, Niqmaddu III., Hammurapi ˘ Zerstörung von Ugarit Könige von Amurru: Abdi-Aširta Aziru, Pentešina Šauškamuwa Ausbreitung der Aramäer »Seevölkerwanderung«

Zeittafeln 1200-720

um 880 ca. 870-848 um 790 um 760 um 720

9. Jh. 8. Jh. 10./9. Jh. 9. Jh. 8. Jh. um 858

gest. 733 um 720 720-610 612-610 605-539 539-333 333

305-281 281-261 261-146 246-225 225-223 223-187 188 83 64/63

Späthethitische und aramäische Staaten Herrscher von Kargamiš: Suhis II. ˘ Katuwas Sangara Astiruwas (Regent: Jariri) Kamanis Herrscher von Azatiwatija (Karatepe): Azatiwatas (Regent der Könige von Adana) Herrscher von Bı¯t Bahiani ˘ mit Residenz Guzana (Tall Halaf): Kapara Adda-it3i Mannu-kı¯(-ma¯t)-Aššur (assyr. Statthalter) Herrscher von Bı¯t Adini mit Residenz Til Barsip = Masuwari (Tall Ahmar): ˙ Hamiyatas Ahuni ˘ Šamšı¯-ilu (assyr. Statthalter) Herrscher von Sam3al (Zincirli): Hajanu ˘ Kulamuwa Panamuwa I. Panamuwa II. Bar-ra¯kib Syrien überwiegend Teil des Assyrerreiches (s. Assyrien) Harran letzte assyrische Königsresidenz Syrien Teil des Neubabylonischen Reiches (s. Babylonien) Syrien Teil des Achämenidenreiches (s. Iran) Schlacht bei Issos Eroberung durch Alexander d.Gr. Syrien Teil des Seleukidenreiches Seleukos I. Antiochos I. Antiochos II. Seleukos II. Seleukos III. Antiochos III. Auseinandersetzungen mit Rom Friede von Apameia mit Rom Aufgabe der Ansprüche auf Kleinasien Eroberung des Seleukidenreiches durch Tigranes von Armenien Umwandlung der Reste des Seleukidenreiches in die römische Provinz Syrien

605

Zeittafeln

6. Palästina (Juda und Israel) 1004/3-965/4 David (?) 965/4-926/5 Salomo (?) Juda

Israel

926-910 910-908 908-868

Rehabeam Abia Asa

868-847

Josaphat

852/47-845 (?)

Jehoram

845 (?) 845-840 (?) 840-801 (?)

Ahasia Athalja Joas

801-773

Amasja

773-736 (?) 756-741 (759-744)

Asarja / Ussia Jotham

741-725 (744-729)

Ahas

725-697 (728-700) 701 696-642 641-640 639-609 622 609 608-598 598/7 598/7-587/6 598/6 587/6 538 520 515 445/4-433/2

606

Hiskia Sanherib vor Jerusalem Manasse Amon Josia Reform Josias Joahas Jojakim Jojachin Zedekia 1. Eroberung Jerusalems 2. Eroberung Jerusalems Kyrosedikt Baubeginn des 2.Tempels Weihe des 2.Tempels Nehemia

927-907 907-906 906-883 883-882 882 882/78-871 871-852 853 852-851 (?) 852-841 (?) 841-814/13 (?)

Jerobeam I. Nadab Baësa Ela Simri Omri Ahab Schlacht bei Qarqar Ahasja Joram Jehu

818-802 (?) 802-787 787-747 (?)

Joahas Joas Jerobeam II.

747 747-738

Sacharja Menachem

737-736 735-732 734-732

Pekachja Pekach Syrisch-ephraimitischer Krieg Hosea Eroberung von Samaria und Ende des Nordstaates Israel

731-723 722

Zeittafeln um 425 (oder um 398/7) 301-200/198 200/198-135 169-167 166-164

Esra Ptolemäer Seleukiden Antiochos IV. in Jerusalem Makkabäeraufstand

160-142 142-135/4 135/4-104 104-103 103-76 76-67 67-63 63-40 40-37 40/37-4 v. Chr.

Hasmonäer: Jonathan Simon Johannes Hyrkanos I. Aristobulos I. Alexander Janaios Salome Alexandra Aristobulos II. Hyrkanos II. Antigonos Herodes

4 v. Chr.-6 n. Chr. 6 n. Chr. 4. v. Chr.-39. n. Chr. 4. v. Chr.-34 n. Chr. 26-36 n. Chr. 41-44 nach 50-100 66-70/74 132-135

Archelaos Prokuratorischer Verwaltungsbezirk Judaea Herodes Antipas Philippus Pontius Pilatus Agrippa I. Agrippa II. 1. Jüdischer Aufstand 2. Jüdischer Aufstand

607

Zeittafeln

7. Anatolien 17. / Anfang 16. Jh.

ca. 1650/1585 - 1545/1480 1595/1531

ca. 1545/1480-1350

ca. 1340-1190 ca. 1343-1322/1318 1322/1318 - 1321/1317 1321/1317-ca. 1385 1385-1372 1274 1272-1267 1267-1237 1259 1237-1210 1210-1209 1209-? nach 1200

um 832 um 800 ca. 755-ca. 735 ca. 735-714 um 673/72

um 655/54 um 643

608

Könige von Kussar(?): Huzzija, Papahdilmah, Labarna ˘ ˘ ˘ Könige des Hethiterreiches: Altes Reich Hattusˇili I., Mursˇili I. ˘ Eroberung von Babylon Hantili I., Zidanta I., Ammuna, ˘ Huzzija I., Telipinu ˘ Mittleres Reich Tahurwaili (Einordnung unklar), ˘ Alluwamna, Hantili II., Zidanta II., ˘ Huzzija II., Muwattalli I., Kantuzzili (?) ˘ Tudhalija I. (= »II.«), Arnuwanda I. ˘ Kaškäer-Einfälle Tudhalija II. (= »III.«), Tudhalija III. (?) ˘ ˘ Neues Reich (»Grossreichszeit«) ˇSuppiluliuma I. Arnuwanda II. Mursˇili II. Muwattalli II. Schlacht von Qadeš Mursˇili III. (= Urhi-tesˇsˇub) ˘ Hattusˇili »III.« ˘ Friedens- und Freundschaftsvertrag mit Ägypten Tudhalija IV. ˘ Arnuwanda III. Sˇuppiluliuma II. Aufgabe(?), Verfall und Zerstörung von Hattusˇa Könige von Urartu: Sardure I. Išpuini Minua Argišti I. Sardure II. Rusa I. Argišti II. Rusa II. Erimena Sardure III. Rusa III. Sardure IV.

Zeittafeln

8. Iran

625-585 585-549 559-530 547 539 530-522 530 522-486 492, 490 486-465 480 465-424 424 423-404 404-359 401 359-338 338-336 336-330 333, 332 305-ca. 250 um 250

ca. 247/238-217 ca. 171-138 ca. 123-88 ca. 70-57 69 und 66 v. Chr. ca. 57-38 53 v. Chr. ca. 38-2 v. Chr. 20 v. Chr. 114-117 n. Chr. Nach 117 224 224-241 241-272 260

Meder-Reich Kyaxares Astyages (Ištumegu) Achämeniden-Reich Kyros II. Sieg über Kroisos von Lydien Einnahme von Babylon Kambyses II. Eroberung Ägyptens Darius I. Griechenlandfeldzüge Xerxes I. Schlacht bei Salamis Artaxerxes I. Xerxes II. Darius II. Artaxerxes II. Memnon Aufstand Kyros d. Jüngeren Artaxerxes III. Ochus Arses Darius III. Schlachten bei Issos und Gaugamela Eroberung durch Alexander d.Gr. Iran Teil des Seleukidenreiches Begründung des graeco-baktrischen Königreichs und Loslösung Parthiens aus dem Seleukidenreich Arsakiden-Reich Arsakes I. Mithradates I. Eroberung von Westiran und Mesopotamien Mithradates II. Parther als Großmacht, Eingreifen in Armenien Phraates III. Verträge mit Rom, Festlegung der Euphratgrenze Orodes II. Sieg bei Karrhai, Tod des Crassus Phraates IV. Friedensvertrag mit Rom Trajans Partherfeldzug, Eroberung von Ktesiphon Wiederherstellung der Euphrat-Grenze Ende des Parther-Reiches Sasaniden-Reich Ardašir I. Šapur I. Eroberung Armenien, Feldzüge gegen Syrien und Kleinasien Gefangennahme Kaiser Valerians

609

Zeittafeln 277 287 297/98

Der Religionsstifter Mani stirbt im Gefängnis Friedensschluß mit Diokletian Verzicht der Sasaniden auf Armenien und Mesopotamien

9. Griechenland und Rom 336-323 321-281 321 301 281 280-275 264-241 218-201 202 222/21-179 215-205 200-197 197 196 192-188 188 179-168 171-168 168 149-146 146 89-63 74 58 60-44 48/47 seit 43 v. Chr. 27 v. Chr.-14 n. Chr. 14-37 n. Chr. 37-41 41-54 54-68 68/69 69-79 79-81 81-96

610

Alexander III., der Große Diadochenkriege Neuordnung von Triparadeisos Schlacht von Ipsos Schlacht von Kurupedion Pyrrhos V. von Epirus in Italien 1. Punischer Krieg 2. Punischer Krieg Schlacht bei Zama Philipp V. von Makedonien 1. Röm.-Maked. Krieg 2. Röm.-Maked. Krieg Schlacht bei Kynoskephalai Freiheitserklärung des T. Quinctius Flamininus für Griechenland Römisch-Syrischer Krieg Friede von Apameia Perseus von Makedonien 3. Röm.-Maked. Krieg Schlacht von Pydna 3. Punischer Krieg Zerstörung Karthagos und Korinths Mithradatische Kriege Cyrene römische Provinz Zypern von Rom eingezogen C. Iulius Caesar in der röm. Innenpolitik Alexandrinischer Krieg C. Iulius Caesar Octavianus in der röm. Innenpolitik Iulisch-Claudische Kaiser: Augustus Tiberius Gaius (Caligula) Claudius Nero Vierkaiserjahr Flavische Kaiser: Vespasian Titus Domitian

Zeittafeln

96-98 98-117 115-117 117-138 138-161 161-180 180-192 193-211 196-217 212 218-222 222-235 235-238 238-244 244-249 249-251 250 253-260 257-260 261-271 270-275 276-282 284-305 († 316?)

Adoptivkaiser: Nerva Trajan Jüd. Aufstand in Ägypten Hadrian Antoninus Pius Marc Aurel Commodus Severische Kaiser: Septimius Severus Caracalla Constitutio Antoniniana Elagabal Severus Alexander Soldatenkaiser: Maximinus Thrax Gordian III. Philippus Arabs Decius Christenverfolgung Valerian Christenverfolgung Palmyren. Reich Aurelian Probus Diocletian

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Zeittafeln

10. Südarabien 2.Jt. Mitte 8. Jh. 732 715 685 7. Jh. 6. Jh. 5. Jh. 4. Jh. 3. Jh. 110 26/25 v. Chr.

Um 25 n. Chr. Mitte 1. Jh. Um 75 1.-3. Jh. 2.Hälfte 2. Jh. Erstes Drittel 3. Jh. Mitte 3. Jh. Um 280 Ende 3. Jh. Mitte 4. Jh. 2. Hälfte 4. Jh. 383 1. Drittel 5. Jh. 522-523

525 535-575 548 575 632

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Einwanderung semitisch-sprachiger Stämme aus dem Norden Karawane aus Saba und Tayma¯ am mittleren Euphrat von dortigem assyrischen Statthalter aufgebracht Sabäer als Tributbringer von Tiglatpilesar III. genannt Der sabäische Herrscher Itamra (Yita23amar) als Tributbringer von Sargon II. ¯ genannt Dem assyrischen König Sanherib werden von dem Sabäer Karibilu (Karib3il Watar) Geschenke überbracht Vorherrschaft Sabas in Südwestarabien Errichtung des Südbaus des großen Damms von Ma¯rib Qataban und die Minäer lösen sich aus sabäischer Vorherrschaft Die Minäer kontrollieren den Überlandhandel ans Mittelmeer und nach Mesopotamien Qataban mit seiner Hauptstadt Timna2 auf dem Höhepunkt seiner Macht, kontrolliert u. a. den Ba¯b al-Mandab Beginn der himyarischen Ära Feldzug des römischen Präfekten von Ägypten Aelius Gallus nach Südarabien. Scheitern der Expedition. Qatabanische Hauptstadt Timna2 wird von Hadramawt zerstört Das Seefahrerhandbuch Periplus Maris Erythraei belegt die Bedeutung des Seehandels am Roten Meer und Indischen Ozean Zafa¯r, Hauptstadt der Himyar, bei Plinius d. Ä. erwähnt ˙ Saba, Himyar und weitere Dynastien aus dem jemenitischen Hochland streiten um die Vorherrschaft Qataban wird Hadramawt einverleibt. Erste Intervention der Abessinier von der jemenitischen Küsteneben aus Der Sabäerkonig Ša¯2irum 3Awtar erobert die Oasenstadt Qaryat al-Fa3w in Zentralarabien und zerstört die hadramitische Hauptstadt Šabwa Die Sabäerkönige führen Krieg mit den Äthiopiern in der westlichen Küstenebene und Nagra¯n sowie mit den Himyar im südlichen Hochland Unter dem Himyarenkönig Yasirum Yuhan2im Ende der sabäischen Dynastie in Ma¯rib Der Himyarenkönig Šammar Yuhar2iš erobert Hadramawt und eint Südarabien Erste Zeugnisse für christliche und jüdische Missionstätigkeit in Südarabien Erster inschriftlich bezeugter Bruch des Dammes von Ma¯rib Der Himyarenkönig Malkı¯karib Yuha3min mit Söhnen bekennt sich zum Monotheismus Unter 3Abu¯karib 3As2ad erreicht das Himyarenreich größte territoriale Ausdehnung Yu¯suf 3As3ar Yat3ar (du¯ Nuwa¯s) geht gegen die Christen und ihre äthiopischen ¯ ¯ Verbündeten in Zafa¯r und an der Westküste vor, ˙ Tod der himyarischen Christen in Nagra¯n Jemen wird von den Abessiniern besetzt Jemen unter 3Abraha und seinen Söhnen christlich Erneuter Bruch des Dammes von Ma¯rib Südarabien wird persische Provinz Der Jemen wird islamisch

Ägypten

37 34

1 Gebel Barkal (Napata) 2 Kawa 3 Kerma 4 Sai 5 Amara 6 Semna 7 Uronarti 8 Buhen 9 Abu Simbel 10 Toschka 11 Primis (Qasr Ibrim) 12 Aniba 13 Kuban 14 Philä 15 Elephantine 16 ASSUAN (Syene) 17 Berenike 18 Kom Ombo 19 Gebel el-Silsila 20 Edfu 21 Elkab 22 Esna 23 LUXOR Theben 24 Theben-West 25 Karnak 26 Senyris (Schenhur) 27 Koptos 28 Dendera 29 Abydos 30 Myos Hormos 31 Ptolemaïs 32 SOHAG 33 ACHMIM 34 Mons Claudianus 35 ASSIUT 36 Kusae 37 Mons Porphyrites 38 Tell el-Amarna 39 Hermopolis 40 Antinooupolis 41 MINIA 42 Oxyrhynchos 43 Ankyronopolis (el-Hibe) 44 BENI SUEF 45 Abusir el-Melek 46 Hawara 47 Theadelpheia 48 Arsinoe (Medinet el-Fayoum) 49 Karanis (Aushim) 50 Sakkara 51 Memphis 52 Gisa 53 KAIRO 54 SUEZ 55 Bubastis 56 Tell el Dab’a 57 Auaris / Qantir 58 Daphnai 59 Pelusion 60 PORT SAID 61 Marina el-Alamein 62 Naukratis 63 Sais 64 Buto 65 ALEXANDRIA

Arabische Halbinsel ad-Du¯r Adoulis Aksum Alexandria Apologos Avalites Berenike Cryptus / Maskat Deda¯n / al-2Ula¯ ˇ andal Du¯mat al-G Eudaimon Arabia / Aden Gaza Gerrha Koptos Leuke Kome Malao Ma¯rib Mekka Meroe

21 8 7 34 30 2 18 20 26 29 4 33 22 23 25 1 9 16 13

Mouza Myos Hormos Nagra¯n Okelis Pasinou Charax Petra Ptolemais Qana3 / Bi3r 2Alı¯ Qaryat al-Fa3w Sama¯rum / Ho¯r Ro¯rı¯ ˘ Šabwa Tayma¯3 Ta¯gˇ ¯ ¯n Yabrı Yatrib / Medina ¯

6 24 11 3 31 32 14 5 15 12 10 28 27 17 19

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Malao Avalites Okelis Eudaimon Arabia / Aden Qana3 / Bi3r 2Alı¯ Mouza Aksum Adoulis Ma¯rib Šabwa Nagra¯n Sama¯rum / Ho¯r Ro¯rı¯ ˘ Meroe Ptolemais Qaryat al-Fa3w Mekka Yabrı¯n Berenike Yatrib / Medina ¯ Cryptus / Maskat

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

ad-Du¯r Gerrha Koptos Myos Hormos Leuke Kome Deda¯n / al-2Ula¯ Ta¯gˇ ¯ Tayma ¯3 ˇ andal Du¯mat al-G Apologos Pasinou Charax Petra Gaza Alexandria