Tempus – Aspekt – Modus: Die lexikalischen und grammatischen Formen in den germanischen Sprachen [Reprint 2010 ed.] 9783111635200, 9783484302372

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Tempus – Aspekt – Modus: Die lexikalischen und grammatischen Formen in den germanischen Sprachen [Reprint 2010 ed.]
 9783111635200, 9783484302372

Table of contents :
Vorwort
Einleitung
1. TEMPORALITÄT
1.1. Zur Interaktion von Temporalität, Modalität, Aspektualität und Aktionsart bei den nichtfuturischen Tempora im Deutschen, Englischen und Schwedischen
1.2. On identifying future tenses
1.3. Die Hilfsverben ndl. zullen und dt. werden: modal oder temporal?
1.4. Preterite versus (Present-)Perfect in Modern German.
1.5. Das Perfekt im Dänischen und Deutschen
1.6. Präsentische und präteritale Tempora im deutsch-nieder- ländischen Sprachvergleich
1.7. Tempus im indirekten Referat
1.8. Referat - vor allem Berichtete Rede - im Deutschen und Norwegischen
2. ASPEKT UND AKTIONSART
2.1. Nominalreferenz, Zeitkonstitution, Aspekt, Aktionsart: eine semantische Erklärung ihrer Interaktion
2.2. Aspectual properties of the an-con-struction in German
2.3. Aspektmarkierung im Fering (Nordfriesisch) und verwandten Sprachen
2.4. Aspects of verbal repetition and diminutive (verbs with -k- in Frisian and Gronings)
3. TYPOLOGIE
3.1. Futur-Typologie in den germanischen Sprachen
3.2. Where English auxiliaries differ

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Linguistische Arbeiten

237

Herausgegeben von Hans Altmann, Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner

Tempus - Aspekt - Modus Die lexikalischen und grammatischen Formen in den germanischen Sprachen Herausgegeben von Werner Abraham und Theo Janssen

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1989

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Tempus - Aspekt - Modus : die lexikalischen und grammatischen Formen in den germanischen Sprachen / hrsg. von Werner Abraham u. Theo Janssen. - Tübingen : Niemeyer, 1989 (Linguistische Arbeiten·; 237) NE: Abraham, Werner [Hrsg.]; GT ISBN 3-484-30237-2

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1989 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt

Inhaltsverzeichnis Vorwort Einleitung 1.

VII 1

TEMPORALITÄT

1.1. S.-G. Andersson Zur Interaktion von Temporalität, Modalität, Aspektualität und Aktionsart bei den nichtfuturischen Tempora im Deutschen, Englischen und Schwedischen 27 1.2. B. Comrie On identifying future tenses 51 1.3. Th. Janssen Die Hilfsverben ndl. zullen und dt. werden: modal oder temporal"? 6b 1.4. J. Ballweg Preterite versus (Present-)Perfect in Modern German. . . . 85 1.5. V. Ehrich und H. Vater Das Perfekt im Dänischen und Deutschen 103 1.6. A.P. ten Gate Präsentische und präteritale Tempora im deutsch-niederländischen Sprachvergleich 133 1.7. C. Fabricius-Hansen Tempus im indirekten Referat 155 1.8. H. Pütz Referat - vor allem Berichtete Rede - im Deutschen und Norwegischen 183 2.

ASPEKT UND AKTIONSART

2.1. M. Krifka Nominalreferenz, Zeitkonstitution, Aspekt, eine semantische Erklärung ihrer Interaktion

Aktionsart: 227

2 . 2 . H. Filip

Aspectual properties of the an-con-struction in German. . . 259 2 . 3 . K. Ebert

Aspektmarkierung im Fering (Nordfriesisch) und verwandten Sprachen 293 2 . 4 . G. van der Meer Aspects of verbal repetition and diminutive (verbs with -k- in Frisian and Gronings) 323

VI

3.

TYPOLOGIE

3.1. W. Abraham Futur-Typologie in den germanischen Sprachen 3.2. B. Rigter Where English auxiliaries differ

345 391

VII Vorwort

Die hier vorliegenden Beiträge wurden als geladene und thematisch voreingeschränkte Referate bei der Tagung "Tempus - Aspekt - Modus. Die lexikalischen und grammatischen Formen in den germanischen Sprachen" am 16. und 17. Juni 1988 in Groningen vorgetragen und diskutiert. Aus verschiedenartigen Gründen konnten drei der gehaltenen Referate in diesen Band nicht aufgenommen werden: das von E. Hinrichs (Urbana/Illinois) über homorphistische Verbsemantik, jenes von K. Schubert (Utrecht) über Fragen der maschinellen Übersetzung sowie jenes von F. Plank (Konstanz) über morphologische Paradigmen. Die Tagung hätte nicht ohne die finanzielle Unterstützung folgender Instanzen organisiert werden können: die Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen zu Amsterdam, die Fakulteit der Letteren der Reichsuniversität zu Groningen, den Groninger Universiteitsfonds sowie das Goetheinstitut zu Amsterdam.

Einleitung Der hier vorliegende Band ist das mehrfach überarbeitete Ergebnis einer Arbeitstagung mit geladenen Referaten. Der Themenkreis war von vornherein auf die folgenden drei Hauptstränge eingeengt worden: 1. Temporalität; 2. Aspekt und Aktionsart; und 3. die Typologie und grammatischen Formen von Tempus, Aspekt und Modus in den germanischen Sprachen. Diese drei Stränge sollen in der Folge näher beleuchtet und das thematische Genus proprium begründet werden. Ausgangspunkt für die Planung der Tagung und des daraus resultierenden Sammelbandes war die Beobachtung, daß in der Literatur zur Grammatik der verschiedenen Sprachen weithin ungelöst ist, in welchem Maße die in den Verben angelegten Aktionsart- bzw. Aspektbedeutungen, die den Verben zum Teil durch die sie begleitenden Adverbien, Subjekte und Objekte mitgegeben werden, in den Formen zum temporalen Ausdruck eine entscheidende distributionelle Rolle spielen. Dies gilt natürlich vor allem für die periphrastischen Ausdrücke des Perfekts und des Futurums: Man denke daran, in wie vielen germanischen Sprachen im Perfekt zwischen den Entsprechungen für haben und sein gewechselt wird; man denke weiter daran, mit welcher Vielfalt das Futurum periphrastisch ausgedrückt wird. Und es sei schließlich daran erinnert, da/3 diese Formen selbst in dem so beschränkten Feld der verwandten germanischen Sprachen in bereits schwer zu übersehender und in keinem Fall eindeutig systematisierbarer Weise vor uns liegen. Die Frage nach den Zusammenhängen zwischen aspektualer Verbbzw. Verbgruppenbedeutung und periphrastischer Form für die Zeitreferenz (vornehmlich des Präsensperfekts, des Präteritumperfekts sowie des Futurums) hat in der Forschung verschiedentlich zur Frage geführt, ob man die periphrastischen Tempusformen rein kompositorisch, also über ein Fregesches Ableitungsprinzip "zusammenrechnen" könne; und es wurde zum zweiten die Frage gestellt, ob sich die zeitreferentiellen Formen auch beim heutigen Entwicklungsstand weitestdurchgeführter Grammatikalisierung (im Unterschied etwa zu den frühen synthetischen Sprachformen, wie sie in der Indogermania vorlagen) überhaupt noch aktionsartsemantisch

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bzw. aspektuell begründen lassen. Diesen Strang der Fragestellung nehmen die hier vorliegenden Beiträge von Ehrich/Vater einerseits und Andersson andererseits in direkter Weise auf. Ehrich/Vater rollen anhand des Vergleichs zwischen dem Deutschen und Dänischen einen wesentlichen Teil der Tempussemantikforschung der letzten Jahre auf. Sie diskutieren die folgenden vier Zeitreferenzhypothesen und sichten diese anhand des spezifischen Vergleichs des deutschen und dänischen Perfekts auf deren Meriten: die Tempushypothese; die Aspekthypothese; die Ambiguitätshypothese; und die Komplexitätshypothese. Sie kommen zu dem Ergebnis, daß allein die Komplexitätshypothese die Fakten in den beiden untersuchten Sprachen angemessen erklären kann und daß zwischen einem verb- bzw. hilfsverbinhärenten Beitrag zum Temporalausdruck einerseits und einem kontextuellen Beitrag, der in Fällen, wo die inhärente Ausdruckskomponente nicht ausreicht, letztlich die Form für die gesamte Zeitreferenz entscheidet, andererseits unterschieden werden muß. Diese Beziehung kann allerdings von Sprache zu Sprache, ja von Verblexem zu Verblexem verschieden sein. Andersson greift genau diese Fragestellung aus einem anderen Blickwinkel auf. Ausgehend von den periphrastischen und nichtperiphrastischen Ausdrücken im Schwedischen, Deutschen und Englischen versucht er, auf der Grundlage der vielfältigen Beziehungen zwischen lexikalischer Eigenbedeutung der Hilfsverben und der kompositioneilen Gesamtbedeutung der Tempusausdrücke die Frage einzuengen, wieweit überhaupt von einer von Aspekt und Aktionsart unabhängigen Tempusbedeutung in den grammatischen Formen der verschiedenen Sprachen zu sprechen ist. Diese Frage wird für die beobachteten Beispiele in den drei germanischen Sprachen freilich nur vorläufig beantwortet; zu unterschiedlich sind nämlich die Stufen der Grammatikalisierung der Hilfsverben in den verschiedenen Sprachen, was ihren Beitrag zur Zeitreferenz einerseits und die prototypischen, lexikalischen Bereiche dieser Hilfselemente andererseits betrifft. Diese ursprünglichen lexikalischen Bedeutungen schwingen bei der semantischen Gesamtkonstitution des temporalen Hilfsverbs je nach Ausgangslexem verschieden schwach mit: Erinnert sei im Futurbereich an den Wechsel zwischen deutsch werden, englisch, skandinavisch, niederländisch "sollen", an die andativen Formen in englisch going to bzw. niederländisch gaan. Dasselbe gilt für die Modalbedeutungen: Auch hier schwingen bei den verschiedenen Modallexemen trotz aller Grammatikalisierung

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und Paradigmatisierung die Bedeutungen der ursprünglichen lexikalischen Vollelemente mehr oder weniger stark mit. Im großen und ganzen gesehen sind diese Grundüberlegungen in allen Beiträgen des Bandes wiederzufinden. Sie erstrecken sich über direkte, theoretisch begründete Versuche, Aspekt und Zeitreferenz über grundlegendere Kategorien und Prozesse systematisch zu beschreiben (man vergleiche hierzu den Ansatz von Krifka), bis hin zu den vielspurig geführten und unter verschiedenen Blickwinkeln vorgenommenen Versuch, die Beziehungen zwischen den Bedeutungskategorien und Ausdrucksformen im Vergleich zwischen mindestens zwei germanischen Sprachen durchzuführen. Gerade der letztere Weg ist reizvoll: Präsentieren sich doch die germanischen Sprachen jeweils, wie oben angedeutet, nicht nur mit verschiedenen lexikalischen Hilfsverben zum Ausdruck der verschiedenen Zeitreferenten, sondern da sich bei diesem Vergleich im morphologischen Ausdrucksbereich auch durchaus Lücken finden, soda/3 sich, wie z.B. Pütz für das Norwegische beobachtet, bestimmte Suppletivstrategien dafür entwickeln, wie der voll ausparadigmatisierte Referatkonjunktiv des Deutschen im Norwegischen, dem solchen Formen fehlen, adäquat wiedergegeben werden kann. Dieser Vergleich zwischen den germanischen Sprachen, jeweils geführt mit Blick auf das Deutsche, berührt somit nicht nur die praktische Arbeit des Auslandsgermanisten, sondern erhellt auch zunehmend und in systematisierter Weise jene theoretischen Fragestellungen, die wir uns bei der Planung der Tagung gestellt haben. Im folgenden seien die drei Stränge noch einmal gesondert und in einigem Detail auf ihre besonderen Ausgangsfragen und Akzente hin verfolgt.

l. Temporali tat Die Gesamtheit der Formen, die man in den germanischen Sprachen dem Tempussystem zurechnet, baut sich aus einer Vielheit von Formkategorien auf: nicht nur Formkategorien, die ausschließlich aus einem finiten Verb bestehen, sondern auch Formkategorien zusammengestellt aus einem finiten Verb und einem oder mehreren infiniten Verben. Ungeachtet theoretischer Voraussetzungen lassen sich diese komplexen Formen als Kategorienhybriden betrachten; es gibt eine Vielzahl von Versuchen mit mehr oder weniger theoreti-

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scher Grundlegung zum Konstituentenstatus dieser zusammengestellten Formkategorien. So werden die zusammengestellten Formen des Perfekts und des Plusquamperfekts meist als "analytische Tempora", die zusammengestellten Formen des Futurums auch als "periphrastische Tempora" (so Andersson in diesem Band) bezeichnet, während die nicht zusammengestellten, synthetischen Formkategorien vor allem bei strukturalistisch orientierten Ansätzen als die "eigentlichen Tempora" gelten. Was die Kategorien innerhalb des sogenannten Tempussystems dabei vereinigt, ist hauptsächlich die Möglichkeit, damit auf sehr nuancierte Weise bestimmte Zeitreferenzen zum Ausdruck zu bringen. Dabei ist nicht auszuschließen, daß bei punktueller Anwendung der Tempora gar nicht immer reine Zeitbegrifflichkeit im Spiele ist. Unter dem Stichwort der Temporalität ist somit eine Vielzahl von Erscheinungen zusammengefaßt, die aus Tempora im engeren Sinne, nämlich der Gestalt finiter, streng (morphologisch-)flexivischer Verbformen sowie aus den Tempora im weiteren Sinne, nämlich in der Gestalt zusammengestellter Komplexe finiter und infiniter Verbformen bestehen und zwar ungeachtet dessen, ob die konkreten Verwendungen dieser Formen in einer bestimmten Zeitdimension zu interpretieren sind. Neben der Verschiedenartigkeit der Tempusformen ist die Verschiedenheit der Bedeutungsbeziehungen, die diesen Formen zugeschrieben werden, stets Anla/3 zu neuen Erklärungsversuchen gewesen. Darüber hinaus zeigen die Tempusformen und ihre Bedeutungen auch in den verwandten Sprachen des Germanischen neben vielen Berührungspunkten auffällig viele Unterschiede. Dieses Bild der Verschiedenheit dessen, was oberflächlich besehen geschlossene Systeme zu sein scheinen, verstärkt sich noch, wenn wir zusätzlich zu Tempus noch Aspekt, Aktionsart und Modus und deren vielfältigen gegenseitigen Verflechtungen untereinander in den verschiedenen germanischen Sprachen betrachtet. Diesen gegenseitigen Beziehungen ist in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit zugewandt worden: Man vergleiche etwa Comrie (1976, 1985), Tedeschi/Zaenen (1981), Hopper (1982), Lo Cascio/ Vet (1985) sowie Ehrich und Vater (1988) . Der Blick auf eine geschlossene, verwandte Sprachgruppe wie die der Germania soll im Anschlu/3 an derartige Arbeiten zum einen Lücken füllen und zum anderen in Details modifizieren. Andersson geht in dem vorliegenden Band auf die Interaktion zwischen Tempus, Aspekt, Aktionsart und Modus im Deutschen, im

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Englischen und im Schwedischen ein. Er versucht, gemeinsame Merkmale bzw. konzeptuelle Brücken zu entwickeln, die bei seiner kontrastiven Fragestellung als tertia comparationis dienen könnten. Während Andersson das Futurum nahezu zur Gänze unbeachtet läßt, lenkt Comrie die volle Aufmerksamkeit auf diese oft als kontrovers geltende Tempuskategorie. Dazu geht er von der Frage aus, wie Futurtempora identifiziert werden können. Dabei spielt nicht die Hauptrolle, ob es eine absolute Korrelation zwischen Zukunftreferenz und einer einzelnen Kategorie oder einer Kategorienmenge in einer bestimmten Sprache gibt, sondern wie eng die Korrelation zwischen zeitlicher Referenz und den Ausdruckskategorien ist. Wo Comrie gegen den Hintergrund seiner spezifischen Fragestellung zu einer positiven Antwort kommt, bestreitet Janssen bei seiner Behandlung der periphrastischen Futurformen im Deutschen und Niederländischen die Sicht, daß sich Tempora schlechthin als Zeitkategorien begreifen lassen. Im besonderen will er zeigen, daß die Hilfsverben werden und zullen in den Futurverwendungen stets als modale Hilfsverben auszumachen sind. Anschließend an Vater (1975) vertritt er die Ansicht, daß in der Kombination 'Verden/zul-Zen+Restsatz" die Aktionsartcharakteristik des Restsatzes für die Entscheidung eine wichtige Rolle spielt, ob sich bei den komplexen Futurformen eine sogenannte "rein temporale" oder eine "rein modale" Interpretation ergibt. Die formale Semantik in Ballwegs Beitrag ist so angelegt, daß die propositionale Fügung werd-+Infinitiv prinzipiell eine präsentische und eine futurische Lesart erhält, d.h. daß beide Lesarten offen bleiben und erst kontextuell entscheidbar werden. Die Festlegung, diese Fügung für Lesarten der Temporalität ebenso wie die modaler Möglichkeit offen zu halten, stellt für Ballweg keinen Grund dar, die primär temporale Beschreibung fallen zu lassen, selbst dort wo seine Präsensanalyse eine modale Nuance besitzt. Konvergenz ebenso wie Divergenz in der Verwendung von Präteritum und Perfekt sind bei Ballweg quasiaspektuelle Erscheinungen, abhängig vom Skopus des Zeitfunktors beim Perfekt. Nur bei weitem Skopus des Zeitfunktors ist der Wert des Perfekts gleich dem des Präteritums. Vergleichbare Ansätze finden sich in diesem Bereich für das niederländische Perfekt bei Janssen (1985) sowie für das französische passe compose bei Waugh (1987). Auch Andersson mißt, in seinem Beitrag in diesem Band zum Deutschen, Engli-

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sehen und Schwedischen dem Perfekt trotz unterschiedlicher Verwendungsbedingungen eine primäre Rolle zu. Ehrich und Vater erklären bei der Behandlung des Perfekts im Dänischen und Deutschen die verschiedenen Verwendungsweisen des Perfekts kompositioneil. Die Deutung eines temporalisierten Verbs ergibt sich dabei als Funktion der grammatischen Tempusbedeutung und der Aktionsartbedeutung des Verbs bzw. des gesamten Prädikats. Zwischen den Reichenbachschen Bezugspunkten E, R und S werden drei Beziehungstypen angesetzt: die Beziehung zwischen E und R, die als "intrinsische Bedeutungsrelation11 aufgefaßt wird; die Beziehung zwischen R und S, die als "kontextuelle Bedeutung" zu verstehen ist, sowie schließlich die Beziehung zwischen S und E mit rein "deiktischer Deutung" (vgl. auch M. Johnson (1981: 151), die diese Beziehung als zweite Zeitperspektive über die Situation zur Ereigniszeit charakterisiert). Da die deiktischen Interpretationen für Perfekt und Präteritum identisch sind (nämlich: E < S ) , wird erklärlich, warum Perfekt und Präteritum in vielen Kontexten austauschbar sind. Ten Gates Beitrag wiederum wendet sich den Unterschieden zwischen dem Perfekt und dem Präteritum im Deutschen und Niederländischen zu. Bei seiner Ausgliederung geht er vom Niederländischen aus, da in vielen Fällen, wo im Deutschen Perfekt und Präteritum austauschbar sind, das Niederländische spezifischer entscheidet, d.h. jeweils nur eine dieser beiden Formen verwenden kann. Ten Gate nimmt an, daß auch im Deutschen Perfekt und Präteritum funktional nicht völlig auswechselbar sind, vor allem dann wenn es um Sachverhaltsbeschreibungen mit Handlungsaktionsart geht. Der Beitrag von Fabricius-Hansen über "Tempus im indirekten Referat" zeigt, wo das Deutsche im Unterschied zu den nordischskandinavischen Sprachen sowie dem Englischen und dem Niederländischen zu ganz bestimmten kommunikativen Referenzbedürfnissen ganz besonders eigene Lösungswege verfolgt. Das Deutsche -nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als das Präsens für anterior gelegene Ereignisse gebraucht werden kann. Zudem ist auch die Rolle des Präteritums eine besondere: Nur das Deutsche schließt aus, das indikativische Präteritum als Nachvergangenheitstempus fungieren zu lassen, d.h. als Tempus, das ein Ereignis bzw. die Betrachtzeit nach einer der primären Orientierungszeit vorausliegenden Zeit lokalisieren kann. Fabricius-Hansen bestreitet auch

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Comries Auffassung, da/3 die sog. Tempusverschiebung in der indirekten Rede nicht aus der Bedeutung der Tempora erklärbar sei, sondern als automatischer, rein oberflächengrammatischer Prozeß der Angleichung verstanden werden müsse. Hier spielt das Perfekt eine Sonderrolle: Es unterscheidet sich offenbar wesentlich vom Präteritum. Sowohl bei Überlappung von Ereignis- bzw. Betrachtzeit und Originalzeit als auch dort, wo Ereignis- bzw. Betrachtzeit nach der Originalzeit und vor der Wiedergabezeit liegen, müßte zur Referenz auf das fragliche Ereignis das indefinite Präsensperfekt möglich sein. Für solche Referenzsituationen bietet sich im Deutschen und in den anderen germanischen Sprachen wohl das Präteritum, nicht jedoch das Perfekt an. Während sich der Beitrag von Fabricius-Hansen dem Tempusgebrauch im indikativischen indirekten Referat widmet, befaßt sich Pütz mit der konjunktivischen Referatsform im Deutschen und zwar im Vergleich zum Norwegischen, das kein morphologisches Äquivalent für diesen Konjunktiv besitzt. Vielmehr setzt das Norwegische nach dem Befund von Pütz Tempusverschiebung ein, sofern das redeeinleitende Verb in einem Vergangenheitstempus steht. Das Textgenre, auf welches sich die Untersuchung von Pütz beschränkt, ist die "berichtete Rede", eine Form der Redewiedergabe ohne redeeinleitendes Element im Satz selbst. Wie sich allerdings zeigt, ist Tempusverschiebung nicht immer ein vollwertiges Äquivalent zum Konjunktiv im Deutschen. 2. Aspekt und Aktionsart Die Forschung zu Aspekt und Aktionsart zeigt drei Hauptstränge: 1. die Bedeutungsbestimmung von Aspekt und Aktionsart über systematische grammatische (meist flektivische oder ableitende) Formkategorien; 2. die Klassifikation der Begriffstypen von Ereignissen und Situationen; und 3. die Zusammenstellung der Ausdrucksformen mit den semantischen Merkmalen von Aspekt und Aktionsart. Schon die Arbeiten von Isagenko (1962) betonen besonders die Bedeutungsabgrenzung der grammatischen Aspekt- und Aktionsartformen. Die Typenabgrenzung von Ereignissen oder Situationen sind dagegen spezielles Forschungsziel in Arbeiten wie denen von Kenny (1963), Vendler (1967), Dowty ( 9 7 9 ) , Mourelatos (1981) sowie Lys/ Mommer (1986). Hier liegt besonderer Nachdruck auf Distributionstests, die die Typologien begründen sollen. Die angenommenen Er-

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eignis- und Situationstypen sind oft Ausgangspunkt zur Festlegung syntaktischer oder lexematischer (wenngleich nicht flexivischer bzw. nicht derivationaler) Ausdrucksformen. So stellt Frangois (1985) die Frage, welche grammatischen und lexikalischen Mittel in Sprache A dafür verwendet werden, was in Sprache B durch morphologische Aspekt- und Aktionsartformen zum Ausdruck gebracht wird. Verkuyl (1972) und Dowty (1979) versuchten schon früher, diesen Begriff der "Zeitkonstitution11 für das Englische bzw. Niederländische konkret in der Form semantischer Merkmale und deren kombinatorischer Eigenschaften zu fassen. Andersson (1972, 1978) schließlich ging der Frage nach, inwiefern das Deutsche und Russische hinsichtlich formaler Signale für Aspekt und Aktionsart vergleichbar sind. Da das Russische diese Inhalte in reicherem Maße systematisch formal kodiert, sucht er nach den lexikalischen und syntaktischen Äquivalenten im Deutschen (1978 über den Vergleich zwischen Tolstojs Anna Karenina und verschiedenen deutschen Übersetzungen). Man beachte, daß auch bei diesem Versuch die methodische Voraussetzung erfüllt war, die für die kontrastive Sektion des vorliegenden Buches (mit Ausnahme der typologischen Arbeiten in Abschnitt 3) gilt: nämlich daß volle Kompetenz in den zu vergleichenden Sprachen vorliegt. Die Forschung der letzten 10 bis 15 Jahre hat erneut Nachdruck auf die Aspektologie und im besonderen auf die Verfeinerung der Typologie von Ereignissen und Situationen gelegt. Sie ist dabei allerdings immer wieder auf Grenzen gestoßen, die einerseits darin begründet zu sein scheinen, wie in den verschiedenen Sprachen Ereignisse und Situationen unterschiedlich konzeptualisiert werden und wie sie andererseits mit Ausdrucksformen fertig werden müssen, die nur zum Teil systematisch grammatikalisiert sind. Sogar bei Sprachen, in denen Aspekt- oder Aktionsart systematisch grammatische Formkategorien sind, ist es schwierig, die Semantik eindeutig und intersubjektiv festzulegen. Die Beiträge von Filip, Ebert und van der Meer richten sich auf das erste ForschungsInteresse innerhalb der Aspektologie, der Beitrag von Krifka dagegen auf letzteren Forschungsstrang. Van der Meers Arbeit betrifft einen einzigen Aktionsarttypus, den der Iterativität. Filip und Ebert dagegen richten ihr Augenmerk auf Formen der Imperfektivität bzw. Progressivität sowie der Telizität. Krifkas Arbeit wiederum geht der Frage nach, was das Oppositionspaar [itelisch] mit dem Oppositionspaar [tperfektiv] zu

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tun hat. Einen interessanten Ausgangspunkt für eine Ortsbestimmung der drei letzten Beiträge bietet Dahl (1981) mit dem folgenden Schema, das oberflächlich an die Klassifikation von Garey (1957: 106) erinnert, jedoch unter Auswertung von Andersson (1972) sowie Comrie (1976) eine grundlegende Verbesserung versucht . (1)

Kombination von (A)Telizität und (Im)Perfektivität [atelisch] [telisch] imperfektiv J was writing I was writing a letter perfektiv I wrote a letter (implizierend "I finished it") Diese Taxonomie gründet auf den folgenden Definitionen von Telizität (T-Eigenschaft) und Perfektivität (P-Eigenschaft): (2) Telizität (T-Eigenschaft): Eine Situation, ein Prozeß oder eine Handlung etc. bzw. das Verb, die Verbkonstituente, ein Satz usw., die diese Situation denotieren, hat die T-Eigenschaft dann und nur dann, wenn: (Definition 1; nach Andersson (1972)) diese darauf abzielen, ein bestimmtes Ziel oder einen Grenzwert zu erreichen, bei dem die Handlung aufhört oder in eine andere Handlung übergeht? (Definition 2; (Comrie 1976)) diese zu einem wohl definierten Punkt führen, nach welchem dieses Ereignis nicht fortdauern kann. (3) Perfektivität (P-Proze/8) : Eine Situation, ein Prozeß oder eine Handlung etc. hat die PEigenschaft dann und nur dann, wenn diese(r) die T-Eigenschaft hat und das Ziel, der Grenzwert oder der Grenzpunkt tatsächlich erreicht ist oder als tatsächlich erreicht denkbar ist. Dahl ist allerdings der Meinung, daß zwischen "potentiellen/intendierten/ wahrscheinlichen Grenzpunkten" und "tatsächlich erreichten Grenzpunkten" zu unterscheiden ist. Seine Scheidung ist durch folgende Beispiele illustrierbar:

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(4) Er baute ein Haus (5) Er baute an einem Haus In der an-Konstruktion werde der Grenzpunkt als nur erreichbar, in dem Satz mit dem direkten Objekt dagegen als tatsächlich erreicht aufgefaßt. Ausgehend von diesen Telizitätsunterschieden stellt Dahl die Frage, wie sich Telizität und Perfektivität unterscheiden. Mit anderen Worten: es geht darum, wie Telizität in die Aspektologie (mit den konstituierenden Begriffen der Perfektivität und der Imperfektivität) einzubauen sind. Andersson (1972: 41) beurteilt (4) als telisch, (5) dagegen als atelisch. Doch ist auch bei ihm die Begriffsbildung nicht unkontrovers, da offenbar abhängig von Betrachtungsweisen, die einzelsprachlich begründet sind: Für Dahl ist (6) die genaueste Übersetzung von ( 5 ) , wogegen für Comrie (1976) (6) paradigmatisch für solche Sätze ist, die telisehe Situationen beschreiben. (6) He was building a house Solche Aporien zur genauen Semantik, gründend in unterschiedlichen muttersprachlichen Weltsichten, lassen sich durchaus erweitern. Man betrachte dazu die folgenden ndl. Textpassagen in (7)(10), die sich alle als Teile einer Erzählung betrachten lassen, in der Odysseus' Frau eine Eheschließung mit einem der hofierenden Jünglinge endlos hinauszuschieben wußte. (Die Beispiele sind aus dem Ndl. gewählt, da dieses reichere Ausdrucksformen zum Progressiv besitzt; vgl. ( 8 ) - ( 1 0 ) . ) (7)

(8)

(9)

Penelope weefde een kleed. Maar zij haalde 's nachts uit wat zij overdag geweven had. "Penelope webte eine Decke. Aber sie trennte nachts wieder auf, was sie Übertags gewebt hatte". Penelope weefde aan een kleed. Maar zij haalde 's nachts uit wat zij overdag geweven had. "Penelope webte an einer Decke. Aber sie trennte nachts wieder auf, was sie Übertags gewebt hatte." Penelope was een kleed aan net weven. Maar zij haalde 's nachts uit wat zij overdag geweven had. "Penelope war dabei eine Decke zu weben, (vgl. mundartlich verschiedentlich: ... war eine Decke am ff eben . . . ) . Aber

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sie trennte nachts wieder auf, was sie Übertags hatte." (10) Penelope zat een kleed te weven. Maar zij haalde 's uit wat zij overdag geweven had. Penelope-saß-eine-Decke-zu-weben. Aber sie trennte wieder auf, was sie Übertags gewebt hatte. "Penelope webte gerade eine Decke. Aber sie trennte wieder auf, was sie Übertags gewebt hatte."

gewebt nachts nachts nachts

Die Kursivteile in ( 7 ) - ( 9 ) lassen ohne weiteres die Deutung zu, da/3 Penelopes Webtätigkeit mit Unterbrechungen abläuft. Die Konstruktion "Positionsverb+te+Infinitiv" in (10) dagegen denotiert, da/3 die Weberei direkt wahrnehmbar und ununterbrochen an einem bestimmten Tag oder während eines Besuchs von jemand anderem stattfindet. In ( 7 ) - ( 9 ) haben also die Verbalkonstruktionen imperfektiven oder progressiven Charakter (vgl. Ebert in diesem Band); die Tätigkeit hat nicht die P-Eigenschaft, da das Ziel, der Grenzwert oder der Grenzpunkt, um den es geht, nicht tatsächlich erreicht ist oder als erreichbar gedacht ist. Im jeweiligen Folgesatz in (7)-(10) impliziert maar/aJber, daß Penelopes Weben nicht das angestrebte Ziel erreicht; dies läßt auf Telizität des Vordersatzes schlie/9en. Da/3 die Frage nach der Merkmalskombination "imperfektiv+telisch" markante Folgen hat, lä/3t sich aus der Bedeutungsbeziehung und -Verwandtschaft zwischen (7)-(10) ablesen. Solche Themen kommen in den Beiträgen von Krifka, Filip und Ebert zur Sprache. Krifka nennt einen Satz oder einen Verbalausdruck atelisch, wenn dieser keinen natürlichen Endpunkt impliziert (Beispiel: Äpfel essen); er nennt einen Verbalausdruck oder Satz telisch, wenn ein solcher Endpunkt impliziert ist (Beispiel: drei Äpfel essen). Mit Blick auf die Diskussion oben bietet sich hierbei vielleicht eher die Unterscheidung zwischen imperfektiv und perfektiv als jene zwischen atelisch und telisch an: Letzteres Merkmalspaar denotiert ja Ereignisse des Typs einer Tätigkeit (activity) bzw. eines Handlungsvollzugs (accomplishment). Den perfektiven Aspekt charakterisiert Krifka dagegen strenger: Das Prädikat zeigt die Vollendung des Verbereignisses an. Für die Erklärung der beiden Zeitkonstitutionsunterschiede (atelisch/telisch bzw. imperfektiv/ perfektiv) scheidet Krifka allerdings das Vorliegen bzw. Fehlen eines festen Endpunktes als unwesentlich aus. Er geht vielmehr

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davon aus, aaß sich beide Zeitkonstitutionsunterschiede mithilfe der Begriffe der "kumulativen" oder "gequantelten" Prädikate über Ereignisse analysieren lassen. Wo er imperfektive/progressive Verbalausdrücke als kumulative Prädikate auffaßt, fehlt ihm allerdings, wie er selbst zugibt, eine adäquate Erklärung für das Imperfektivitätsparadox (s. zu diesem Paradox die erfrischenden und durchsichtigen Ausführungen von Parsons 1989). Es ist zu betonen, daß die Annahme Krifkäs, aaß der Imperfektivaspekt Gequanteltheit ausschließt, in seiner Behandlung der an-Konstruktion als imperfektives/progressives Ereignisprädikat keinen Platz für Telizität läßt. Der imperfektive Aspekt setzt ja voraus, daß das Ereignisprädikat P nicht gequantelt ist; nur der perfektive Aspekt macht erforderlich, daß das Ereignisprädikat P gequantelt ist. Man beachte, daß auch Filip Telizität als Implikat (entailmen t) des Merkmals der Perfektivität betrachtet. Filip geht davon aus, daß im Deutschen die Prädikatsklasse, die den Aspektunterschied zwischen Progressivität und Nichtprogressivität mitbestimmt, mit einer bestimmtem Klasse telischer Prädikate korrespondiert. Für sie bildet Telizität deshalb auch für Progressivität einen integrierenden Teil. Obwohl Filip davon ausgeht, daß die an-Konstruktion Imperfektivität, genauer Progressivität ausdrückt, charakterisiert sie diese Ausdrucksform nicht als Aspekt. Sie betont vielmehr, daß die Verwendung der an-Konstruktion an pragmatische Bedingungen gebunden ist, die im Rahmen einer FrameTheorie abzuhandeln sind. Ebert geht in ihrem Beitrag auf imperfektive und progressive Konstruktionen in insgesamt fünf germanischen Sprachen bzw. Dialekten ein. Sie faßt bestimmte morphologische nichtderivationelle, aber gleichwohl systematisch grammatikalisierte Formen als Aspekt auf. Über diese Aspektmarkierung hinaus spricht sie von Progressivmarkierung oder progressivem Aspekt. Diese Unterscheidung illustrieren im nordfriesischen Feringdialekt die Konstruktion "uunt+Infinitiv+sein" sowie die Konstruktion "Positionsverb+tu+ Infinitiv". In diesen Konstruktionen kann der Infinitiv zusammen mit eventuellen Komplementen nur ein atelisches Prädikat sein. Demzufolge läßt sich der Infinitiv in der Konstruktion "uunt+Infinitiv+sein" nicht als Verb kombiniert mit einem (uninkorporierten) direkten Objekt ausdrücken. Dagegen scheint wohl ein Präpositionsobjekt, vergleichbar der an-Konstruktion in deutschen Dialekten (vgl. oben ( 8 ) ) , möglich zu sein. Der Infinitiv

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in dieser Konstruktion kann dagegen eine Phasenaktionsart ingressiver bzw. egressiver Bedeutung bzw. einen Handlungsvollzug ausdrücken. Zu betonen ist, da/J in der Konstruktion "Positionsverb +tu+Infinitiv" der Infinitiv wohl ein unspezifisches, inkorporiertes direktes Objekt erfassen kann, und zwar selbst dann wenn dieses numerisch quantifiziert ist (sie sät tu sin trii eeraapler skelin "sie-sitzt-zu-ihre-drei-Kartoffeln-schälen" = ungefähr "sie sitzt zum ihre-drei-Kartoffein-Schalen"). Van der Meer behandelt eine Aktionsartkategorie mit diminutiviterativer Charakteristik. Die weitere Forschung mu/3 zeigen, inwiefern dabei begriffliche Verwandtschaft mit solchen Kategorien in nichtgermanischen Sprachen besteht. Isagenko (1962: 4 0 7 ) unterscheidet z.B. im Russischen eine diminutiv-iterative Aktionsart, oft mit der zusätzlichen Bedeutung "das Subjekt führt die Handlung mit einer gewissen inneren Beteiligung, einem gewissen Behagen aus". Die Beziehung zwischen Nominal- und Verbaldiminutiv bei van der Meer lä/3t sich offenbar auch in einer ähnlichen Beziehung im Französischen finden: Man vergleiche Suffix -ot in Eigennamen bei Pierrot gegen Pierre. Charlotte gegen Charles oder in Stoff namen: angelot "Englein" gegen ange "Engel", me.no t te "zarte Hand; Handschellen" gegen main "Hand" und in Adjektiven wie vleillot "ältlich; altertümelnd" gegen vieux "alt", pälot "bla/3" gegen pale "bleich" und schließlich auch in Verben: toussoter "hüsteln" gegen tousser "husten" sowie clignoter "sprühen (Feuer, elektr. Lichtbogen)" gegen cligner "zwinkern" (vgl. Prigniel 1966; Duchagek 1966). 3. Typologie der

Tempusformen

3.1. Grundsätzliches Rückhalt und Bezugspunkt für dieses Kapitel sind die beiden Arbeiten von Bybee (1985) und Dähl (1985) . Sie entstanden unabhängig voneinander, haben jedoch gleichwohl in allen wesentlichen Punkten gleichlautende Resultate und hatten sich - dies ist ebenso bedeutsam - dieselben Untersuchungsziele gestellt. Ausgangspunkte bzw. Ausgangsfragen waren die folgenden: Mit welchen formalen Mitteln gestalten die Sprachen der Welt ihre zeitreferentielle Systematik in Texten? Was sind gemeinsame Ausgangslexeme? Was sind gemeinsame Entwicklungslinien, vor allem wenn man an Fragen der Grammatikalisierung von ursprünglich lexikalischen

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Elementen zu grammatischen Tempusformen denkt? Bedeutsam für die in diesem Band vertretenen Arbeiten, die auf diese Thematik Bezug nehmen, ist der folgende kurze Verweis auf die Arbeitsmethoden Bybees und Dahls. Bybee stützt sich auf die Auswertung von Referenzgrammatiken zu den einzelnen Weltsprachen (trifft daraus allerdings nach genetischer Zugehörigkeit eine strenge Vorauswahl, um zu statistisch signifikanten Aussagen zu gelangen; man vergleiche zu dem statistischen Auswahlansatz nach genetischen Gesichtspunkten Perkins 1980). Dahl hingegen folgt dem, was man in der deutschen Dialektkunde die "Wenkersatzmethode" nennen kann: Er wertete die Antworten seiner Informanten zu vorgegebenen Fragebögen aus. (Die Fragen in der Enquete waren im wesentlich Situationen verankert, sodajfl die Fragesprache Englisch die Antworten nicht vorprogrammierte.) Beide Untersuchungsansätze gingen von derselben Erkenntniserwartung aus, die sich schlie/31ich auch bestätigte. Die überwiegende Zahl der grammatischen Formen für Tempus- und Aspekttausdrücke (nämlich 70% bis 80%) betrifft die folgenden sechs Formtypen: a. Perfektiv als Ausdruck dafür, daß ein Ereignis als begrenzt gilt; b. Imperfektiv als Ausdruck dafür, daß ein Ereignis als nicht begrenzt betrachtet wird; c. Progressiv (auch continuous), der anzeigt, daß ein Ereignis zum referierten Zeitpunkt fortdauert; d. Futur, welches anzeigt, daß der Sprecher voraussagt, da/3 ein Ereignis nach dem Sprechzeitpunkt stattfinden wird; e. Vergangenheit, welche anzeigt, daß ein Ereignis vor dem Sprechaktzeitpunkt stattfand, und f . Perfekt (auch Anterior genannt), welches anzeigt, daß ein Ereignis, wenn auch vergangen, für einen Sprechaktzeitpunkt oder einen anderen ReferenzZeitpunkt (noch) als bedeutsam betrachtet wird. In beiden Studien galt die Ausdrucksform des Präsens, sofern sie überhaupt eine eigene Markierung hatte, als intensionsärmster, aber extensionsreichster Bedeutungsträger ( d . h . als "defaulf-Ausdruck für andere Kategorien) . Nach den oben genannten 6 Hauptausdrucksformen spielten in verschiedenen Sprachen noch Ausdrücke für die flajbitualbedeutung sowie für Abständlich/ceitsunterscheidungen eine Rolle. Aspektformen wie etwa der Iterativ oder der Inchoativ (Inzeptiv) sind ausschließlich auf bestimmte Verbtypen, d . h . lexikalisch-semantische Klassen beschränkt und wurden deshalb als Derivationsausdrücke betrachtet, wurden somit in die betrachteten Fälle nicht näher

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einbezogen. So interessant an und für sich derartige Übersichten auch sein mögen, die auf großzahlige Erhebungen über Beziehungen unter den Weltsprachen gründen, so bleibt doch eine wichtige Frage stehen, nämlich die nach dem letzten Erkenntnisziel. Erschöpfend werden ja derartige Untersuchungen nie Auskunft geben können; denn nie ist die Möglichkeit auszuschließen, daß eine der noch nicht untersuchten Sprachen sich auf eine abweichende Systematik zur Darstellung von Zeitreferenz, Aspekt- und Modusmarkierung stützt. Dazu aber noch später. Ein wichtiger zweiter Aspekt der hier kurz vorgestellten typologischen Forschung betrifft die Entwicklung der Ausdrücke für Zeit- und Aspektpräferenz in diachroner Sicht. Mit Blick darauf stellte sich nämlich in beiden unabhängigen Forschungsprogrammen heraus, daß sich über die Weltsprachen hinweg das Perfekt und der Progressiv weitaus geringer grammati(kali)siert darstellen, sich somit überwiegend periphrastisch und mit allgemein verbindlichen Bedeutungen präsentieren. Perfektiv und Imperfektiv dagegen zeigen die abstraktesten und allgemeinsten grammatischen Bedeutungen, damit auch die am stärksten grammati(kali)sierten Formen. Dazu bietet sich eine nach einer über zufälligen Zahlen stehenden Verteilung folgender Zusammenhang: Das Perfekt tendiert dazu, sich zur Vergangenheit oder zum Perfektiv hin zu entwickeln; der Progressiv dagegen tendiert zum Imperfektiv. Perfektiv und Imperfektiv haben somit als Ausdrucksformen in der überwiegenden Zahl der Fälle eine längere Entwicklung durchgemacht als der Habituativ und der Progressiv. Innerhalb dieser Entwicklungsstränge zeigen sich nach Dahl (1985), Bybee (1985) und (zusammengefaßt in) Bybee/Dahl (1989: 57) dreistufige Entwicklungen, die von den Autoren als universal semantische Grundlage für eine Theorie der Grammati(kali)sierung betrachtet werden. Insgesamt ist der Weg von lexikalischen Ausgangsformen zu den grammatischen Zeitreferenzkategorien wie in (11) verteilt (etwas gekürzt nach Bybee/Dahl 1989: 5 8 ) . (Beispieltabelle (11) auf der Folgeseite)

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(11) AUSGANGSLEXEME

GRAMMATISCHE KATEGORIE

SPRACHEN LEXEME

Wunsch

> Absicht > Futurum

Fortbewegung in Richtung auf

> Absicht > Futurum

haben/sein + Inf

> Verpflichtung > Futurum

Englisch: willan 'wünschen' > will-Futur Suaheli: take 'wünschen' > ta-Futur Mandarin:yao 'wünschen'> yäo- Futur Englisch: be going to Ewe: vä 'come' > ä-Futur Duala: *ende 'gehen' > -ende-Futur Latein: I n f . + habeo > Spanish -rä-Futur Vata (Kru) ka 'has1 > kä'Futur' Englisch: be to + Verb

haben/sein + Prateritalpartizip

> Perfekt > Vergangenheit/ Perfektiv

beenden

> Perfekt > Vergangenheit oder Perfektiv

wegwerfen

> Perfekt

Bewegg. ausgehend von

> Perfekt > Vergangenheit oder Perfektiv

Positions- bzw. Zustandsverb

> Progressiv > Imperfektiv

Fortbewegung

> Progressiv

u.

BEISPIEL-

Englisch: have done Französ.: passe compose Finnisch: Kopula + Vergangenheitspartizip Mandarin liao 'beenden' > le-Perfektiv Ewe (Dahome): k? 'beenden 1 > ic£>-Präteritum Spanisch: acabar 'beenden' > 'eben haben' Palaung: p&t 'wegwerfen, beenden1 > Perfekt Koreanisch: pelita 'wegwerfen' > Perfekt Fore: kai 'weglassen' > Perfekt Französ.: venir de 'kommen von' > 'eben haben1 Teso (Ostnilotisch): bul-potu 'kommen' > Präteritum Somali (Jiddu): -ooku 'kommen' > Präteritum Palaung: yu 'aufstehen, entstehen aus' > Präteritum Ngambay-Mundu: Lsi 'sitzen 1 + Verb är 'stehen' + Verb Spanisch: andar, ir, venir + Präs.partizip

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Ganz grob skizziert läßt sich der Weg der Grammatikalisierung von lexikalischen zu grammatischen (in unserem Falle: nur tempusanzeigenden) Morphemen folgendermaßen begründen - die Skala in (12) läuft von der lexikalischen Vollform mit den geringsten grammatischen Merkmalen links bis zum Gegenpol des vollends grammatikalisierten Morphemstatus rechts: (12) Merkmale

LEXEM

[-GRAMMAT.] [+LEXIKAL.] [+FR.DISTR.]

|-

DERIV.MORPHEM

3.2. Typologie der Tempusformen

FLEX.MORPH. MERKMALE

H

[+GRAMMAT.] [-LEXIKAL.] [-FR.DISTR.]

in der Germania

Es ist wichtig, sich Klarheit darüber zu verschaffen, was das Typologieprogramm von Bybee und Dahl genau leistet: Es leistet zum einen für die Synchronie eine induktive Generalisierung. Für eine Universalgrammatik im erschöpfenden, genetischen Sinne allerdings (Chomsky 1981, 1986) bleiben theoretisch immer Lücken. Zudem haben die Generalisierungen keine prädiktive Kraft, nicht einmal innerhalb einer bestimmten genetisch verwandten Sprachgruppe; und es sind einzelsprachlich keine strukturellen Beziehungen zu anderen Bedeutungs- und Formkategorien der " "-Ausdrucksformen mit sätzfunktionalem Status herzustellen. So interessant solche Verallgemeinerungen somit auch sein mögen, so ist ihr erkenntnistheoretischer Wert auf den zweiten Blick doch eingeschränkt. Worauf diese Hinweise - die den Wert dieser statistisch relevanten Generalisierung über die Weltsprachen keinesfalls schmälern wollen - hinauslaufen, ist Folgendes: 1. Wir gelangen zu theoriefähigen Generalisierungen - zu Generalisierungen somit, die eine stärker deduktiv empirische Arbeit erlauben und das methodische Wechselspiel zwischen empirisch gut fundierter Theorie und Faktenbeurteilung und -einordnung erlauben - erst durch die muttersprachlich fundierte Bewertung einzelsprachlicher Phänomene. 2. Erst der Hintergrund einer empirisch gut fundierten TAMTheorie ermöglicht die Entwicklung von empirisch kritischen Be-

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griffen wie Parameter und kern- genenüber marginalgraimatischem Status. Solche Begriffe sind für die Einordnung von Fakten in einen universalgrammatischen Rahmen conditiones sine quibus non (nämlich unverzichtbare Voraussetzungen zur faktenadäquaten Einordnung und Erklärbarkeit). 3. Sinn der typologisch-universalistischen Arbeit des Sprachenvergleichs ist es, zu explanativer Kraft der Generalisierungen zu gelangen. Generalisierungen wie die oben skizzierten tragen alleine noch keine explanative Potenz; erst die Einbindung in eine gesamtsprachliche Theorie erlaubt (innerhalb bestimmter Grenzen) "Erklärungen" darüber, warum etwas so ist, wie es ist. Dies ist gewi/3 ein eingeschränkter Erklärbegriff; er ist aber zum einen mit einer kritisch-rationalen, Popperianisch erkenntnisphilosophischen Position vereinbar, und zum zweiten vermeidet er Unklarheiten und zirkelhafte Begründungsbewegungen einer anderen, stärker auf Intuition gründenden Erklärbegrifflichkeit. Es sei damit keinesfalls behauptet, da/3 in diesem Bande bereits Beschreibungen im universalgrammatischen Sinne zur TAM-Syntax vorlägen. Dies gilt weithin für andere Ansätze und Sprachen ebenso. Vielversprechende Ansätze dazu finden sich allerdings bei Pollock (1987 und schon früher), der Inflektionsknoten im syntaktischen Strukturbaum zur Ausgliederung von Tempus- und Aspektkategorien vorsieht. Man vergleiche dazu auch Gueron/Hoekstra (1988) sowie Vikner (1988) zur Modalverbgrammatik. 3.2.1.

Typologie und quantitative Linguistik "von oben"

Wenn die typologische Forschung einer Arbeitsweise "von oben" folgt, so ist es das Ziel der universalgrammatischen Arbeit in einem erkenntnistheoretisch interessanten Sinne, durch Faktenerstellung unter der Perspektive "von unten nach oben" zu arbeiten. Dazu sind Theorieeinbindung sowie muttersprachliche Kompetenz erforderlich. Grundlage dazu ist der feinkörnige, auf kontextuelle Nuancen hörende Erscheinungsvergleich. Dies ist in dem vorliegenden Buchkonzept durchgehend angestrebt worden. Typologische und universalgrammatische Arbeitsrichtungen sind somit als komplementär, als arbeitsteilig zu sehen, dies vor allem dort wo noch keine theoriegeleitete, deduktive Arbeit, in Ermanglung einer empirisch hinreichend fundierten Theorie wie bei , möglich ist.

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Wichtiger als für Ergebnisse mit synchroner Bedeutung erscheint die Aussagekraft von Vergleichen wie in (11) für die Theorie des Sprachwandels bzw. der Grammati(kali)sisierung. Dafür liefern die Ergebnisse der Untersuchungen von Bybee und Dahl (ebenso wie anderer Autoren) zweifellos bedeutsame Einsichten. Wiederum ist aber zu fragen, ob Ergebnisse, die für eine Theorie der Sprachveränderung Gültigkeit haben, jemals jene erklärende Kraft erhalten können, die sich auf Grund von Einsichten und Beschreibungen synchroner Verhältnisse für synchrone Erscheinungen gewinnen und erstellen lassen. Und es ist die Frag.e, ob eine etwaige Theorie der Sprachveränderung jemals Erscheinungsgrenzen und Kategorienunterschiede ebenso deutlich zu markieren vermag wie für synchrone Erscheinungen aufgestellte Theorien. Alle hier in diesem Bande versammelten Beiträge zeichnet aus, daß sie zumindest für eine der beschriebenen germanischen Sprachen von voller, alle Nuancen beherrschender muttersprachlicher Kompetenz ausgehen; im besonderen - und im Vergleich zu den Beschreibungsmethoden bei Bybee und bei Dahl - sind die Bearbeiter somit imstande, zwischen kontextuell verankerter und kategorieninhärenter Bedeutung zu unterscheiden. Weiter ermöglicht die muttersprachliche Beurteilung, da/3 zwischen Kern- und Marginalstatus von grammatischen Erscheinungen unterschieden wird. Ferner schien es uns wünschenswert, Tendenzmarkierungen zu bestimmten Erscheinungen festzustellen. Dies gewährleistet erst die detaillierte, muttersprachlich verankerte Beobachtung innerhalb der Einzelsprachen. Gleichwohl liefen wir uns bei diesen einzelsprachlichen Beobachtungen von den Kategorien leiten, die den Generalisierungen bei Bybee und Dahl zugrundelagen. Dies gilt vornehmlich für den Beitrag von Abraham (zu den Futurausdrücken in den germanischen Sprachen). Es mag so aussehen, als ob der typologische Weg "von oben" aufgrund seiner induktiven Beschränkungen methodologisch hinter dem "universalgrammatischen" Ansatz der Chomskyschule, der "Typologie von unten" den Nachrang verdiente, und zwar hauptsächlich deswegen weil ein fester, unverrückbarer Beschreibungsrahmen wie das in der Logik geforderte tertium comparationis erst den minutiösen und damit ergiebigen Vergleich von Sprachen ermöglicht. Die weitere Geschichte der modernen Linguistik wird aber zu zeigen haben, wieweit der in der Government-und-Binding-Schule erar-

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beitete Beschreibungsrahmen für alle Weltsprachen haltbar und fruchtbar wird. Auf jeden Fall aber sind alle Beobachtungen "von oben", also an weniger abstrakten und minutiös systemverankerten Parametern orientierte Erscheinungen der Typologie "von oben" empirisch wertvoll. Der eigentliche Prüfstein freilich wäre, viel eher als ein fester theoretischer Rahmen, ein festes Inventar von Distributionstests, denen das sprachliche Material schulunabhängig zu unterziehen wäre. Der Beitrag von Rigter führt vor, wie man bei einem solchen Ziel zu Werke gehen kann. Unabhängig von seinem an Government-and-Binding (Chomsky 1981; 1986) orientierten syntaktisch-semantischen Beschreibungsrahmen führt der Autor den Nachweis, daß der sprachliche Vergleich, hier zwischen dem Englischen, Niederländischen und Deutschen, über ganz konkrete Vergleichsparameter zu führen ist, die z.T. an traditionelle Einsichten (etwa Gedanken der semantischen und der syntaktischen Valenz) anknüpfen. Die Beobachtung, daß z . B . im Westgermanischen mit Blick auf morphologische Eigenschaften das Niederländische eine Mittelposition zwischen dem Englischen und dem Deutschen einnimmt, da/3 dagegen mit Blick auf die Grammatik der Auxiliarund Modalverben bzw. der Tempusrealisierung das Deutsche eine Mittelposition zwischen den ändern beiden westgerm. Sprachen einnimmt, hat ganz unübersehbare, konkrete linguistische Korrelate. So erweisen sich die Hilfsverben im Englischen als grundlegend verschieden von Hauptverben insofern, als sie keine (primären) Rollen (semantische Valenzen) projizieren, weiter insofern als englische Modalverben ausschließlich für eine infinitivische VP subkategorisiert sind, womit sie sich von den englischen Hauptverben grundlegend unterscheiden. D.h. engl. Modalverben können semantisch nur innerhalb der Modalkomponente des Satzes wirksam sein. Die dem Englischen entsprechenden niederländischen Verbetyma dagegen unterscheiden sich ebenso wie die deutschen nicht so grundlegend von Hauptverben: Sie projizieren primäre -Rollen, und sie sind nicht ausschließlich für eine infinitivische VP subkategorisiert - eine Eigenschaft, die übrigens auch für einige ndl. Hauptverben gültig ist. AUX-Verben im Deutschen schließlich zeigen noch stärker als ihre ndl. Entsprechungen eine starke Neigung zur vollexikalischen Verwendung mit Ergänzungen (Komplementen) . Bei der Tempusrealisierung zeigt sich, daß sich Präsens ebenso wie Imperfekt in engl. Hauptsätzen nur auf die Gegenwart

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bzw. auf die Vergangenheit beziehen können. Dagegen kann im Deutschen ebenso wie im Ndl. das Präsens auch andere Zeitbezüge erfassen. In ndl. Hauptsätzen erfüllt das Imperfekt auch Bedingungen der Kontrafaktischheit. Dies gilt etwas eingeschränkter auch für das Deutsche und das Englische.

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l,

TEMPORALITAT

Zur Interaktion von Temporalität, Modalität, Aspektualität und Aktionsart bei den nichtfuturischen Tempora im Deutschen, Englischen und Schwedischen Sven-Gunnar Andersson (Universität Göteborg)

1. 2.

Einführung Begriffliche und terminologische Vorbemerkung

3.

Tempusformen als Ausgangspunkt

4. 4.1 4.2 5. 6. 6.1

Zum Präsens Zur Interaktion von Temporalität und Modalität Zur Interaktion von Temporalität und Aktionsart Zum Präteritum. ..Remotospektiv" Zu den Perfekttempora. Zwei Thesen Die grundsätzliche Einheitlichkeit der Perfekttempora und die Besonderheiten des Perfektum Präsens 6.1.1 Die semantische Nähe zwischen dem Perfektum Präsens und dem Präteritum 6.1.2

Die Rolle des Sprechzeitpunkts

6.1.3 Zur Einheitlichkeit der Perfekttempora. Zusammenfassung 6.2 Zur peripheren Rolle der Aspektualität bei den Perfekttempora 7. Schlußbemerkung

1.

EINFÜHRUNG

Ausgehend von einer grundsätzlichen Unterscheidung von Form- und Begriff skate gorien wird im Beitrag dargestellt, wie bei den nicht-futurischen Tempusformen temporale, modale und aspektuelle Bedeutungen miteinander zusammenhängen. Es wird dabei davon ausgegangen, daß Temporalität der zentrale Funktionsbereich des Tempussystems ist, so daß vor allem zu erklären bleibt, wie modale und aspektuelle Bedeutungen auf die temporalen bezogen und gegebenenfalls daraus oder aus gemeinsamen übergeordneten Bedeutungsmerkmalen abgeleitet werden können. Die Rolle der Aktionsart der Proposition für die aspektuellen Nebenfunktionen der Tempora wird beachtet.

28

Für die Interaktion der begrifflichen Kategorien lassen sich in allen im Beitrag behandelten Fällen gemeinsame Merkmale oder konzeptuelle Brücken nachweisen, die als Teil eines dem Tempus-Modus-Aspekt-Bereich zugrundeliegenden Bedingungsgefüges betrachtet werden können. Die gezielte Suche nach solchen Merkmalen führt zur Anwendung des in der kontrastiven Linguistik üblichen Verfahrens, um tertia comparationis zu ermitteln. Dies ergibt sich aus der in mehrfacher Hinsicht kontrastiven Fragestellung. Es werden die Tempussysteme dreier Sprachen miteinander verglichen. Das Postulieren einer Interaktion von mehreren begrifflichen Kategorien bringt außerdem notwendigerweise eine Suche nach gemeinsamen Merkmalen dieser Kategorien mit sich, die als konzeptuelle Brücken, d.h. als tertia comparationis dienen können. Im Bereich des Präsens erweist sich der Begriff der (faktischen oder potentiellen) Nachzeitigkeit als ein wichtiger Interaktionsfaktor. Im Bereich des Präteritums wird der aus der Glossematik stammende Begriff "remotospektiv" - im Beitrag als [+ distanziert] expliziert - verwendet, um die verschiedenen indikativischen und kontrafaktischen Verwendungen der formalen Indikativform des Präteritums im Englischen und Schwedischen aufeinander zu beziehen. Der Begriff erweist sich auch als brauchbar, um im Deutschen das Merkmal [- Vorzeitigkeit] des Konjunktivs des Präteritums und das Merkmal [ + Vergangenheit] des Indikativs des Präteritums aufeinander beziehbar zu machen und damit eine Tempusbeschreibung zu ermöglichen, in der das Tempus und nicht (wie sonst in der Germanistik der Fall) der Modus den Oberbegriff darstellt. Im Bereich der Perfekttempora wird für zwei Thesen argumentiert. Die Einheitlichkeit der Perfekttempora als Anterioritäts-Tempora wird behauptet, indem die wohlbekannten Besonderheiten des finiten Perfektum Präsens teils als Abgrenzungserscheinungen im Verhältnis zu dem zeitreferentiell teilidentischen Präteritum, teils als Dominanz des Sprechzeitpunkts als fundamentaler Orientierungspunkt des zeitreferentiellen Ordnungssystems erklärt werden. Das Englische und das Schwedische liefern empirische Unterlagen für diese These, die dem Perfektum Präsens einen Sonderstatus als nicht-temporale (quasi-)aspektuelle Form nimmt. Die andere These ist die der nur peripheren Rolle der Aspektualität (verstanden als Perfektivität/Imperfektivität) bei den Perfekttempora. Es wird darauf hingewiesen, daß sogar bei terminativer Proposition Sätze mit einem Perfekttempus eine imperfektivische Lesart haben können und beim Taxisschema ..Parallelität von Handlungen" haben müssen, was im Englischen die Verwendung der

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Expanded Form erzwingt. Die Beziehung zwischen Temporalität und Aspektualität, die über die Aktionsart der Proposition vermittelt wird, unterscheidet sich bei den Perfekttempora grundsätzlich nicht von der bei den anderen Tempora.

2.

BEGRIFFLICHE UND TERMINOLOGISCHE VORBEMERKUNG

Die Fachausdrücke Tempus, Modus, Aspekt werden in der Allgemeinen Linguistik nicht nur als Bezeichnungen für grammatische Formkategorien, sondern häufig auch als Bezeichnungen für sprachliche Universalien konzeptueller Art verwendet. Es gibt in der Sprachwissenschaft jedoch auch eine andere Benennungstradition, in der ein besonderer Wert darauf gelegt wird, Tempus, Modus und Aspekt ausschließlich für Formkategorien zu verwenden und die damit verbundenen konzeptuellen Kategorien anders zu benennen. Für letztere werden dabei in der Germanistik und Slawistik Temporalität (oder auch Zeitreferenz), Modalität und Aspektualität verwendet. Ich werde mich an diese terminologische Dichotomie halten, um der Gefahr einer Gleichsetzung oder Gleichbehandlung von ausdrucksseitigen und konzeptuellen Kategorien nach Möglichkeit zu entgehen1. Es fehlen auch nicht Vorschläge einer ähnlichen Dichotomie im Bereich der Aktionsart, wonach der Terminus Aktionsart ausschließlich für regularisierte Ausdruckskategorien vorzubehalten wäre (vgl. IsaCenko 1968, §§215, 217B, 220, Steinitz 1981). Die entsprechende konzeptuelle Kategorie wird dabei von Frangois (1982) als die Zeitkonstitution des Satzradikals bezeichnet und expliziert. Ich werde Aktionsart in dem traditionellen weiten Sinn verwenden, jedoch mit zusätzlicher Angabe des gemeinten Referenzbereichs. Für "konzeptuelle Kategorie" gibt es auch die Benennung "onomasiologische" oder, wie es in osteuropäischer Linguistik heißt: "funktional-semantische Kategorie" oder "funktional-semantisches Feld" (vgl. z.B. Bondarko 1984). Solche Kategorien können ausdrucksseitige Manifestationen der verschiedensten Art aufweisen. Eingeengt auf das Tagungsthema ist in diesem Zusammenhang zu fragen, ob und gegebenfalls wo und wie in dem Verbformsystem der germanischen Sprachen Temporalität, Aspektualität und Modalität interagieren und inwieweit Funktionen von Formen durch die Aktionsart der Proposition (mit) bedingt sind.

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3.

TEMPUSFORMEN ALS AUSGANGSPUNKT

Da die Frage nach der Interaktion von Temporalität, Aspektualität und Modalität an Hand des Deutschen, Schwedischen und Englischen, also an Hand mehrerer Sprachen behandelt werden soll, ist es natürlich, Prinzipien der kontrastiven Linguistik zugrundezulegen. Das bedeutet u.a. daß diejenige Formkategorie als Ausgangspunkt gewählt wird, die in den verglichenen Sprachen am stärksten vertreten ist. Das ist in diesem Fall die Kategorie des Tempus. Es stellen sich dabei die Fragen so: 1. In welcher der drei Sprachen hat welche Tempusform zusätzlich zu den temporalen Funktionen auch modale und/oder aspektuelle (Neben-) Funktion(en)? (Unter "modalen Funktionen" werden dabei Funktionen über die unmarkierte indikativische Funktion hinaus verstanden.) 2. Welche Funktionen von welchen Tempusformen beruhen auf einer Interaktion mit der Aktionsart der Proposition? 3. Was mag der Grund für die jeweils vorhandenen Regularitäten sein? Da es nicht möglich ist, in dem zur Verfügung stehenden Rahmen eine auch nur annähernd ausführliche Behandlung der Fragen zu bieten, wird das Augenmerk auf das Präsens, das Präteritum und die Perfekttempora gerichtet. Auf das Futur sowie auf die grammatische Aspektkategorie des Englischen wird nicht näher eingegangen. In der untenstehenden Skizze (Fig. 1) wird ein Versuch gemacht, verschiedene Abhängigkeiten und interagierende Faktoren schematisch zu erfassen. Die weitere Darstellung hat zum größten Teil den Charakter einer Explikation dieser Skizze. Grundlage für die Betrachtungen bildet also das Tempussystem. Im Bereich des Tempus unterscheide ich zunächst der Bildungsweise nach die flexivischen Tempora, d.h. Präsens und Präteritum, die analytischen Tempora, d.h. Perfekt und Plusquamperfekt, und die periphrastischen Tempora, d.h. die Futurtempora. Eine ziemliche Rolle für die Polyfunktionalität in bezug auf Temporalität/Aspektualität und Temporalität/Modali tat spielen bei den Perfekt- und Futurtempora die kompositionelle Semantik und die Bildungsweise dieser Tempora, d.h. ihre diachrone Herkunft aus nicht-temporalen semantischen Bereichen. Bei den flexivischen Tempora Präsens und Präteritum ist das nicht der Fall. Deshalb gestaltet sich die Interaktion der konzeptuellen Kategorien hier gewissermaßen anders.

31

(Fig. 1)

Aspekt/Aspektualität

Aktionsart

Tempus/Temporal itat

Modus/Modalität

der Proposition Aspektform im Eng l. Zeitreferenz

Simple ExpanForm ded form (Futur)

Tempusform

Futur

(Präsens)

(Perfekt)

'temporale/modale Funktion im Schw., D t , . Engl.

'Aufforderung (im Schw. u . D t . )

»ir.ferentielle Funktion (i_m Schw.)

± perfektive/"resultativ' Aspektfunktion

(Präteritum)

+ Stative Aktionsart f Konjunktiv irr Dt. (Schw, u. Engl.) l "Remotospektiv-modale" ^Funktion im Schw., Engl- (u. C t . )

progressive Aspektfunktion (Schw., D t . )

if Indikativ im Dt. j"Remotospektiv-zeitliche" (^Funktion im Schw., Engl. (u. D t . )

Expanded form (Engl.)

4.

ZUM PRÄSENS

4.1

Zur Interaktion von Temporalität und Modalität

Als unmarkierte Form des Tempussystems hat das Präsens in den verglichenen Sprachen ein breites zeitreferentielles Funktionsspektrum - es gibt ein historisches, ein aktuelles und ein zukunftbezogenes Präsens u.a.m. Dazu kommt im Deutschen und Schwedischen der Gebrauch des Präsens im Indikativ, d.h. in dem unmarkierten Modus, um eine Aufforderung zu realisieren, wie in (l a) Du hältst jetzt den Mund!

(l b) Du är tyst nu!

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Das Englische kann hier neben dem reinen Imperativ nur das modale oder futurale will -t- Infinitiv haben: (l c) You will be quiet now! aber nicht die indikativische Präsensform. Diese Restriktion hängt mit der fast völligen Abwesenheit der Zukunftsfunktion beim Präsens im Englischen zusammen. Im Deutschen und im Schwedischen ist es dagegen ganz normal, bei Referenz auf Zukünftiges das Präsens zu verwenden, wenn aus dem Kontext oder der Situation hervorgeht, daß Gegenwärtiges nicht gemeint ist: (2 a) Nächste Woche ist er in Groningen. (2 b) Nästa vecka är han i G. Im Englischen ist diese Möglichkeit nur gegeben, wenn die zukünftige Situation sich aus einem festen Plan ergibt, somit in erster Linie: (2 c) Next week, he will be in Groningen. Die starke Beschränkung der Möglichkeit, mit dem Präsens auf Zukünftiges zu referieren, bedingt, daß im Englischen das Präsens nicht benutzt werden kann, um Aufforderungen zu realisieren. Auch bei der Aufforderung liegt die Handlungsausführung nachzeitig zum Sprechzeitpunkt. Die Zukunftsreferenz und die Aufforderungsmodalität beim Präsens haben also die Nachzeitigkeitsfunktion gemeinsam. Wo letztere beim Präsens beschränkt ist, sind beide Verwendungsweisen betroffen. Dabei zeigen die Verhältnisse im Englischen, daß die modale Verwendung als Aufforderung weiter von dem Kern des präsentischen Funktionsbereichs entfernt ist als die rein zeitreferentielle Zukunftsfunktion und wahrscheinlich erst über letztere zustandekommt. Zur Nachzeitigkeitsfunktion beim Präsens ist noch zu bemerken, daß sie nicht nur durch den Kontext - z.B. durch Zeitangaben - oder durch die Situation - d.h. durch eine rein pragmatisch bedingte Deutungsanweisung als Zukunftsreferenz -hervorgehen kann. Die Ausrichtung auf Nachzeitiges kann auch im propositionalen Teil des Satzes, sogar im Verb selbst semantisch durch die Aktionsart angelegt sein, u.zw. bei den sog. terminativen (auch: grenzbezogenen, transformativen, telischen) Propositionen oder Verben, vgl. die Diskussion von Bsp. (4) im folgenden Abschnitt.

33

4.2

Zur Interaktion von Temporalität und Aktionsart

Der Beitrag eines Faktors zur temporalen Gesamtbedeutung eines Satzes läßt sich nur bemessen, wenn der Faktor (auch) in Isolierung betrachtet wird. Tempusform und Aktionsart können daher nur in Sätzen ohne Zeitangaben und die möglichst wenig durch Kontext und Situation vorbestimmt sind, auf ihre spezifische Leistung untersucht werden. Eine mögliche Prüfanordnung scheint ein Satz zu sein, der als Antwort auf die Frage "Was hast du über X mitzuteilen?" geäußert wird. Dabei kann auf Früheres, Gleichzeitiges oder Zukünftiges in bezug auf "X" referiert werden. Es läßt sich nun feststellen, daß in einer solchen Situation die Zukunftsreferenz des Präsens tendenziell von der Aktionsart der Proposition abhängig ist, tendenziell, weil pragmatische Faktoren auch eine Rolle spielen, z.B. was sinnvollerweise als gerade stattfindend oder als zukunftsbezogene Prognose über jemand oder etwas geäußert werden kann (vgl. Grewendorf 1982, Matzel/Ulvestad 1982). Für die Interpretation von (3 a) Peter ist in Groningen, (3 b) Peter är i Groningen, (3 c) Peter is in G. als aktuelles Präsens sind jedoch nicht nur die Konventionen von Grice ausschlaggebend, sondern die Aterminativität von Peter in Groningen sein leistet dazu auch einen Beitrag. Die Sätze (3 a-c) bedeuten im oben erwähnten Frage-Antwort-Schema, daß die Proposition Peter in Groningen sein (usw.) zum Sprechzeitpunkt gilt. Einer der Gründe dafür ist,daß Peter in Groningen sein eine aterminative (nicht-grenzbezogene, atelische) Proposition ist, die keinen Hinweis auf einen später zu erreichenden Grenzpunkt enthält. Ohne Zeitangaben oder situative Indikatoren der Zukunftsreferenz wird in den entsprechenden Sätzen im Präsens der Sachverhalt interpretiert als hier und jetzt gültig. Die Aterminativität von Peter in Groningen sein beinhaltet u.a., daß jedes Teilsegment, jeder Teilakt der Situation, auf die referiert wird, mit der Situation als ganzer qualitativ übereinstimmt. Die Situation ist homogen insofern als keine Entwicklung stattfindet. Es besteht daher auch kein Grund, in dem hier angewandten Frage-Antwort-Schema beim Präsens den Sachverhalt anders denn als hier und jetzt gültig zu interpretieren. Man vergleiche das terminative (grenzbezogene, terminative, telische)

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(4 a) Peter verläßt G. (4 b) Peter lämnar G. (4 c) Peter is leaving G. Beim aktuellen Präsens von Sätzen mit terminativer (etc.) Proposition fällt genauso wie beim aktuellen Präsens von Sätzen mit aterminativer Proposition die Aktzeit in ein Zeitintervall, das den Sprechzeitpunkt inkludiert. Zum Unterschied von den aterminativen Propositionen liegt jedoch bei terminativen Propositionen der semantische Schwerpunkt in der Regel nachzeitig zum Sprechzeitpunkt, da die Situation, auf die mit einer terminativen Proposition referiert wird, inhomogen ist. Es findet eine Entwicklung in Richtung auf einen Grenzzeitpunkt statt, der den Eintritt des Nachzustands (in (4) den Eintritt von 'Peter nicht mehr in G. sein1) markiert. Das Vorhandensein dieses Grenzzeitpunkts ist der konstitutive Zug in der Semantik terminativer Propositionen. Bei der Verwendung eines eine terminative Proposition enthaltenden Satzes im sog. aktuellen Präsens wird - sofern nicht die Erreichung des Grenzzeitpunkts genau in den Sprechzeitpunkt fällt (zu diesem Fall s. unten Bsp. (5), (6)) - mit der Präsensform auf einen Teilakt vor der Erreichung des Grenzzeitpunkts referiert. Die Erreichung des Grenzzeitpunkts wird dadurch gewissermaßen prognostiziert. Diese Nachzeitigkeit des Grenzzeitpunkts bei dem inhomogenen terminativen Sachverhalt bewirkt, daß es sich nicht mehr um ein reines aktuelles Präsens handelt, wie Fabricius-Hansen (1986, 76) bemerkt. Als Veranschaulichung diene folgende kurze Explikation von Bsp. (4 a). Der Satz Peter verläßt Groningen gilt zum Spree!i/eitpunkt entweder nur dann, wenn man sich auf die Entscheidung, den Plan G. zu verlassen bezieht oder wenn man die gerade vor sich gehende Abreise kommentiert (etwa irgendwann zwischen dem Abschiednehmen und dem Eintreffen am neuen Aufenthaltsort). Letzteres kommt nicht gerade häufig vor. In beiden Fällen liegt aber eine anvisierte Erreichung des Grenzzeitpunkts mit dessen impliziertem Nachzustand "nicht mehr in G. sein' nachzeitig zum Sprechzeitpunkt2 ·*. Die Erreichung des Grenzzeitpunkts einer terminativen Proposition kann aber auch mit dem Sprechzeitpunkt zusammenfallen, u. zw. bei dem sog. Koinzidenzfall, der allerdings recht selten vorkommt. Vor allem handelt es sich hier um performative Äußerungen, vgl. Bsp. (5), und um das sog. Reporterpräsens, d.h. das Präsens des Augenzeugenberichts, vgl. Bsp. ( 6 ) . (5) Ich eröffne hiermit die Diskussion und bitte um Wortmeldungen.

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(6) Er empfängt den Ball von Müller und schießt ihn ins Tor! Mit Ausnahme des Koinzidenzfalls ist beim aktuellen Präsens die Erreichung des Grenzpunkts nachzeitig zum Sprechzeitpunkt. Verschiebungen aus dem sprechzeitpunktinkludierenden Zeitintervall in Richtung Zukunft ohne Unterstützung durch besondere Indikatoren sind daher leichter möglich als bei aterminativen Propositionen. Der Befund läßt sich m.E. so formulieren, daß bei aterminativer Aktionsart die Anwendung des Präsens mit Bezug auf zukünftiges Geschehen stark markiert ist und der Unterstützung durch explizite kontextuelle oder eindeutige situative Indikatoren der Zukunftsreferenz bedarf. Bei terminativer Aktionsart dagegen ist der Bezug auf zukünftiges Geschehen eine nur schwach markierte Anwendung des Präsens, die in weitaus geringerem Grad von solchen Indikatoren abhängig ist. Die Abhängigkeit von der Aktionsart wird in Fig. l mit dem geschwungenen Gleichsetzungszeichen angedeutet ("entspricht ungefähr1). Es gilt im Prinzip dieselbe Art von Zusammenspiel zwischen Präsens und Aktionsart für die drei verglichenen Sprachen. Allerdings ist im Englischen das Präsens mit Bezug auf Zukünftiges starfc restringiert. Es bleibt im Englischen auch bei terminativen Propositionen fast ausschließlich bei der Nachzeitigkeit im Verhältnis zum Sprechzeitpunkt wie in (4 c), wo das Bezugszeitintervall den Sprechzeitpunkt einschließt. Die Verschiebung in den reinen Zukunftsbereich, der den Sprechzeitpunkt nicht einschließt, vgl. Bsp. (2 a), (2 b), (2 c), tritt dort nur unter ganz bestimmten Bedingungen ein.

5.

ZUM PRÄTERITUM. ~REMOTOSPEKTIV"

Der Begriff ,-remotospektiv", d.h. 'fern oder distanziert schauend', als gemeinsames Element der Temporalität und der Modalität im Bereich des morphologischen Präteritums ist Hauptgegenstand der folgenden Ausführungen. Die morphologische Präteritumform des Deutschen hat je nach Modusform einen anderen zeitreferentiellen Inhalt. Für den Indikativ gilt [+ Vergangenheit], d.h. Ereignis vor dem Sprechzeitpunkt (E vor S). Für den Konjunktiv gilt [- Vorzeitigkeit], d.h. Ereignis nicht vor dem Referenzpunkt (E nicht vor R), wobei R ein in Kontext oder Situation festge-

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legter Referenzpunkt ist, der u.a. auch der Sprechzeitpunkt sein kann. Der Konjunktiv des Präteritums ist der Konjunktiv II, der sog. Irrealis. Beispiele : (7) Indikativ: Er kam nach Groningen. Er wohnte in Groningen. (8) Konjunktiv: Wenn er jetzt nach Groningen käme, ... Bei schwachen Verben des Deutschen gibt es eine (allerdings immer häufiger durch die würde - Periphrase ersetzte) modusambivalente Präteritumform, die auch in Irrealisfunktion verwendet werden kann: (9) Wenn er jetzt in Groningen wohnte, sagte er es auf niederländisch. Die Präteritumform des Schwedischen (körn, bodde) und Englischen (came, lived/was living) kann in der Indikativ- wie in der Irrealisfunktion verwendet werden, wie der Vergleich der schwedischen und englischen Entsprechungen von (7) mit denen von (8) und (9) ausweist (auf "Restfälle" des Irrealiskonjunktivs wie Schw. komme, Engl. were wird hier nicht eingegangen): (7 a) Han kom till G./He came to G. Han bodde i G./He lived (was living) in G. (8 a) Om han kom till G nu ... /If he came to G. now ... (9 a) Om han bodde i G. nu . . . / I f he lived (was living) in G. now ... Die Möglichkeit, mit der Präteritumform eine Nicht-Vorzeitigkeit im Verhältnis zum Sprechzeitpunkt zu bezeichnen, scheint der Normaldefinition des Präteritums zu widersprechen. Die Hauptfrage ist dabei, warum sich das Präteritum eignet, die Irrealisfunktion zu bezeichnen, wie es im Schwedischen und Englischen und im Grunde genommen auch im Deutschen der Fall ist (Konjunktiv des Präteritums oder modusambivalente Form des Präteritums). Die Frage scheint für das Deutsche bis jetzt kaum gestellt, geschweige denn beantwortet zu sein, was mit der Tradition der Tempusbeschreibung in der Germanistik zusammenhängt. Es ist auffällig, daß in Beschreibungen des Tempussystems des Deutschen eine Zusammenführung

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der Formen des Indikativs und des Konjunktivs unter übergeordnete Kategorien nicht unternommen wird. Die Tempusbeschreibung läuft für die beiden Modi auf separaten Gleisen. Abgesehen davon, daß dabei nicht der Tempusbereich, sondern eher die beiden Modi fokussiert werden, ist diese Beschreibungstradition für einen Vergleich des Deutschen mit Sprachen ohne einen morphologischen Konjunktiv sehr nachteilig. Auf der Übersichtsskizze in Fig. l wird zwischen remotospektiv-zeitlicher und remotospektiv-modaler Funktion unterschieden, wie das in der schwedischen Grammatik mitunter geschieht. Remotospektiv3*, d.h. wörtlich 'fern oder distanziert schauend' wäre demnach das verbindende Element der indikativischen und der Irrealisfunktion des Präteritums. Die mit der Präteritumform bezeichnete Situation wird in beiden Fällen, aber auf unterschiedliche Weise oder in unterschiedlicher Hinsicht, gekennzeichnet als distanziert, d.h. als anderswo vorhanden im Verhältnis zu der Situation, die zum Sprechzeitpunkt vorliegt. Dieses Anderswo kann zeitlich bedingt sein. Das ist die indikativische Funktion: vor dem Jetzt, aber in einer faktischen "Welt". Es wird dabei behauptet, daß etwas vor dem Sprechzeitpunkt der Fall war, ohne Rücksicht darauf, ob es noch zum Sprechzeitpunkt gilt, vgl. (7), (7 a). Im anderen Fall (Irrealis) wird auf eine im Verhältnis zu dem Sprechzeitpunkt oder Referenzpunkt nicht vorzeitige, aber davon im Wahrheitswert getrennte, weil kontrafaktische Situation Bezug genommen, vgl. (8), (8 a), (9), (9 a). Das Anderswo (E dist S) betrifft also zwei Dimensionen. Einen Versuch, das Verhältnis zu veranschaulichen, stellt die Graphik in Fig. 2 dar.

(Fig. 2)

E

dist.1 -dist-: Vergangenheit

(

E

"Was der Fall sein könnte, aber nicht der Fall ist" (Irrealisfunktion) ,

dist.

S J "hier und jetzt"

Zukunft

"Was der Fall war" (indikativische Funktion)

Die Irrealisinterpretation ergibt sich im Schwedischen, im Englischen und in anderen germanischen Sprachen, die keine Konjunktivform des Präter-

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itums besitzen, typischerweise, wenn die Präteritumform mit einer Bezeichnung für den Sprechzeitpunkt verbindbar ist (gerade letzt u.ähnl.) vgl. (8 a), (9 a). Es gibt beim Präteritum in der Irrealisfunktion auch die Möglichkeit einer Zukunfts- oder Nachzeitigkeitsbedeutung: (10 a) Wenn er (nächstes Mal) käme ... (10 b) If he came (next time) ... (10 c) Om han kom (nästa gang) ... Diese Zukunfts- oder Nachzeitigkeitsbedeutung scheint über denselben Mechanismus wie bei der Zukunftsreferenz von Präsensformem zu erklären zu sein: Zeitangaben für zukünftige Zeit, Abhängigkeit von der Aktionsart, pragmatische Faktoren. Das Merkmal [+ distanziert] beim Präteritum bewirkt im Deutschen m.E. auch, daß in indirekter Rede das Präteritum (sogar in modusambivalenter Form) als Ersatzform für den Konjunktiv I, d.h. den Konjunktiv des Präsens, dienen kann, wenn dieser mit dem Indikativ homonym ist. Indirekte Rede beinhaltet schon durch die Zuordnung zu einem anderen Sprecher eine gewisse Distanzierung. Beispiele: (11 a) "Ich habe eine Lösung" -> Er sagte, er habe eine Lösung (Konj. des Präsens) (11 b)"Wir haben eine Lösung" -> Sie sagten, sie hätten eine Lösung (Konj. des Präteritums) (12 a) "Ich fühle mich müde" -> Er sagte, er fühle sich müde (Konj. des Präsens) (12 b)"Wir fühlen uns müde" -> Sie sagten, sie fühlten sich müde (Modusambivalente Form des Präteritums) Umgangssprachlich gibt es die Tendenz, statt des modusambivalenten Präteritums die analytische Irrealisform würde + Infinitiv zu verwenden: (12 c) Sie sagten, sie würden sich müde fühlen.

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Es kommt umgangssprachlich auch vor, daß die indikativische Tempusform der direkten Rede beibehalten wird, wie es z. B. im Russischen zur Norm der Standardsprache gehört: (12 d)Sie sagten, sie fühlen sich müde.

Beides ergibt ein im Vergleich zum neutralen Register der deutschen Standardsprache einfacheres System. Das Merkmal [+ distanziert] verbirgt sich wohl auch hinter dem Gebrauch des Präteritums in gewissen höflichen Fragen und Aufforderungen. Mit dem Präteritum (oft zusammen mit anderen distanzschaffenden Elementen) wird ein Abstand suggeriert, wodurch jegliche Aufdringlichkeit seitens des Sprechers vermieden und dem Angesprochenen mehr "Freiraum" gewährt wird: (13 a) Dt. "Wie war der Name, bitte?" (13 b) Schw: "Förlät, hur var namnet?" (14 a) Dt. "Wenn Sie vielleicht hier (14 b) Schw. "Om ni ville sätta er Platz nehmen wollten, ja?" här kanske." (15)

Engl. "I just wanted to ask you, if you could lend me a pound."

Die ..Freiraum"-Hypothese erhält eine gewisse Stütze durch Gegenüberstellungen wie dt. "Wären Sie vielleicht NN?" und russ. "Vy budete NN?" [Sie werden sein NN?], wo im Russischen ein ähnlicher Effekt mit Hilfe des Futurs erzielt wird, also mit einer anderen Form, die nicht "Hier und jetzt" signalisiert. Die berühmten ..Gasthaus-Fälle" im Deutschen sind wohl z.T. anders denn als Höflichkeitspräteritum zu erklären. Äußerungen wie "Wo war die Gulaschsuppe?" oder "Ich bekam Rumpsteak" usw., wenn die entsprechenden Gerichte aufgetragen werden, sind auch als Referenz auf die vorgängige Bestell-Situation erklärt worden: 'Wo war vorher die Bestellung auf Gulaschsuppe1 bzw. 'Ich sagte vorher, daß ich Rumpsteak bekomme.1 Die verschiedenen Verwendungsweisen des Präteritums, ob im Indikativ oder Konjunktiv wie im Deutschen oder ob in indikativischer oder IrrealisFunktion wie im Schwedischen und Englischen, lassen sich m. E. unter dem Oberbegriff remotospektiv auf eine sinnvolle Weise subsumieren. Dieser

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Begriff bildet im präteritalen Bereich eine konzeptuelle Brücke zwischen den verschiedenen zeitreferentiellen und modalen Verwendungen und erklärt daher die Interaktion von Temporalität und Modalität beim Präteritum. Der Begriff remotospektiv ist im spatialen Bereich verankert, der kognitiv ..tiefer" liegt, und ist deshalb als tertium comparationis zwischen Temporalität und Modalität auch in theoretischer Hinsicht plausibel.

6.

ZU DEN PERFEKTTEMPORA. ZWEI THESEN

Im Bereich der Perfekttempora ist die Frage nach der Interaktion von Temporalität und Aspektualität zentral. Ein Sonderproblem stellt das Perfektum Präsens dar, das in den hier betrachteten Sprachen - wie in vielen anderen - Restriktionen unterliegt, die für das Plusquamperfekt und das futurale Perfekt nicht gelten. Für das Verhältnis von Temporalität und Aspektualität bei den Perfekttempora im Deutschen, Englischen und Schwedischen stelle ich zwei Thesen auf, für die im folgenden argumentiert wird: These 1. Die Perfekttempora bilden ein einheitliches temporales Subsystem zur Bezeichnung von Anteriorität. Die ..Sonderstellung" des Perfektum Präsens ist durch Faktoren im Temporalitätsbereich systematisch erklärbar. These 2. In dem Subsystem der Perfekttempora im Deutschen, Englischen und Schwedischen kommt der Aspektualität eine nur periphere Rolle zu. Die Thesen beinhalten, daß den Perfekttempora in den germanischen Sprachen nicht nur diachron, sondern auch synchron eine jeweils einheitliche Erklärung zugrunde Hegt, wenn auch jeweils eine andere: aus der anfänglichen Resultat!vkonstruktion haben sich Anterioritäts-Tempora, "E vor R", aber kein Aspekt entwickelt. Die beiden Thesen stellen gewissermaßen Antithesen zu weitverbreiteten Auffassungen dar. Das Argumentieren für die Thesen ist daher auch als ein Versuch zu bewerten, die entgegengesetzten Auffassungen zu falsifizieren.

6.1

Die grundsätzliche Einheitlichkeit der Perfekttempora und die Besonderheiten des Perfektum Präsens

Wer die Einheitlichkeit der Perfekttempora als [E vor R] behaupten will, muß sich mit Argumenten auseinandersetzen, die gegen eine solche Position angeführt worden sind, u.a. von Bernard Comrie (1985).

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Comrie führt in seinem Tempus-Buch vier Argumente an, mit denen eine Sonderstellung des finiten Perfektum Präsens begründet wird gegenüber dem Plusquamperfekt, dem futuralen Perfekt, dem Perfektum Präsens bei Zukunftsreferenz und wohl auch dem Infinitiv des Perfekts. Daraus wird gefolgert, daß das Perfektum Präsens nicht als mit den anderen Perfekttempora parallel analysiert werden sollte, insbesondere nicht als ein absolut-relatives Tempus (vgl. Comrie, 1985, 82). Die Argumente sind in starker Zusammenfassung folgende: 1. Die Kookkurrenzmöglichkeit mit kalendarischen Zeitangaben, die sich auf die Handlung beziehen, ist im Englischen und mehreren anderen Sprachen stark beschränkt beim finiten Perfektum Präsens. 2. Es gibt Sprachen, in denen nicht alle drei Formenreihen Perfekt, Plusquamperfekt, futurales Perfekt vorhanden sind. Die Trennungslinie verläuft dabei zwischen dem Perfekt und den beiden anderen. 3. Es gibt Sprachen mit allen drei Formenreihen, wobei sich aber das Perfekt formal oder funktional von den beiden anderen stark unterscheidet. 4. Diachrone Veränderungen wirken sich auf das Perfekt anders aus als auf die beiden anderen Formenreihen. Gegen die Beobachtungen als solche hätte ich wenig anzuführen. Ich würde jedoch die Tatsache, daß das finite Perfektum Präsens in nicht-futurischer Funktion häufig von dem Rest des Perfektsystems abweicht, darauf zurückführen wollen, daß hier eine Interferenz der Anteriorität, d.h. [E vor R], mit sowohl dem Präteritum als auch dem Sprechzeitpunkt vorliegt. Dieser Erklärungsansatz soll im folgenden begründet werden.

6.1.1 Die semantische Nähe zwischen dem Perfektum Präsens und dem Präteritum

Die partielle zeitreferentielle Ähnlichkeit mit dem Präteritum in indikativischer Funktion ([E vor R] + [R simul S] für das Perfekt gegenüber [E vor S] für indikativisches Präteritum) hat keine Entsprechung bei dem Rest des Perfektsystems. Eine solche Nähe oder Konkurrenz zwischen Tempora kann zu Abgrenzungen in bezug auf Funktionen und damit in bezug auf Kompatibilität mit Adverbien usw. führen. Das ist im Englischen, Schwedischen und auch im Deutschen der Fall, in welch letzterer Sprache ja das

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Perfekt und das Präteritum beileibe nicht immer austauschbar sind. Das Vorhandensein eines Präteritums kann also der Entwicklung eines funktionsähnlichen Perfekts hinderlich sein. Das eine der beiden Tempora kann sich aber auch auf Kosten des anderen mehr oder weniger stark verallgemeinern, wodurch Verteilungen entstehen können, die regional, stilistisch, lexikalisch, situativ, diskurstypmäßig oder sonstwie bedingt sein können. Das Deutsche und das Französische sind gute Beispiele dafür.

6.1.2 Die Rolle des Sprechzeitpunkts Eine Interferenz des Perfektum Präsens mit dem Sprechzeitpunkt kann sich durch dessen fundamentale Stellung in dem temporalen Orientierungssystem ergeben. Durch die pragmatisch begründete Position als generell bevorzugter Bezugspunkt kann der Sprechzeitpunkt als Referenzpunkt des Perfektum Präsens in Gegenwartsfunktion einer Rückwärts Verlagerung des inhaltlichen Schwerpunkts auf die früherliegende Handlung hinderlich sein. Eine solche Rückwärtsverlagerung in die Vergangenheit ist beim Perfekt im Germanischen entwicklungsgeschichtlich sekundär, da ja das Perfekt hier aus resultativen Konstruktionen entstanden ist. Das Englische hält am stärksten, das Deutsche am wenigsten stark an dem entwicklungsgeschichtlich älteren Merkmal 'Relevanz zum Sprechzeitpunkt1 fest. Das Schwedische nimmt eine Mittelstellung ein. Um Comrie noch einmal zu zitieren: "Given that the perfect partakes of both present and past it is possible for languages to differ over just how present or past their perfect forms are" (1976, 61). Beispiele für die Rolle des Sprechzeitpunkts lassen sich aus dem Englischen und Schwedischen anführen, vgl. (14)-(17). (14 a) Sir John Wilkins is reported to have flown from Point Barrow to Spitzbergen in 20 \ hours on the 21:st of April. 1928. (14 a) ist nur deshalb möglich, weil die Gleichzeitigkeit mit dem Sprechzeitpunkt durch is reported, d.h. mit einem Finitum außerhalb des Perfekts, bezeichnet wird. Sobald das Perfekthilfsverb im Beispielsatz das Finitum bildet, ist die Rückwärtsverlagerung des inhaltlichen Schwerpunkts und damit die kalendarische Zeitangabe der Vergangenheit im Englischen blockiert4J : (14 b)*Sir John Wilkins has flown to Spitzbergen in 20 | hours on the 21:st of April, 1928.

43

Es läßt sich auch auf andere Weise nachweisen, daß beim morphologischen Perfektum Präsens die Restriktionen und Sonderfunktionen nur dann vorliegen, wenn Referenzpunkt und Sprechzeitpunkt zusammenfallen. Bei Verwendung des morphologischen Perfektum Präsens mit Zukunftsreferenz oder um Vorzeitigkeit im Verhältnis zum Präsens historicum zu signalisieren ist im Schwedischen die Verbindbarkeit mit kalendarischen Zeitangaben voll gegeben, vgl. (15), (16). (15) När vi har skrivit pä papperen tisdagen den 3 Oktober kl 12 gär vi ut och äter tillsammans. [Wenn wir Dienstag 3. Oktober um 12 Uhr die Papiere unterschrieben haben, gehen wir gemeinsam essen.] (16) Pä morgonen den 14 juü 1897 landar ingenjör Andrees ballong pä polarisen nordost om Spetsbergen. Den 11 juli kl 14.30 har den ballongfärd startat som kommer att sluta med alia tre expeditionsmedlemmarnas död. [Am Morgen des 14. Juli 1897 landet der Luftballon des Ingenieur Andree auf dem Polareis nordöstlich von Spitzbergen. Am 11. Juli um 14 Uhr 30 hat die Ballonfahrt begonnen, die mit dem Tod aller drei Expeditionsmitglieder enden wird. ] Wenn im Schwedischen der Referenzpunkt mit dem Sprechzeitpunkt zusammenfällt, ruft die Verbindung des Perfektum Präsens mit kalendarischen Zeitangaben eine inferentielle, d.h. eine modale Deutung hervor. Es wird dabei mitverstanden, daß es zum Sprechzeitpunkt Spuren oder Vermutungen gibt, oder es wird unterstellt, daß man sich auf vorhandene Quellen oder auf eine gedankliche Rekonstruktion des vorherigen Geschehens beruft, die die Aussage über das Ereignis rechtfertigen. Die Verlagerung des Schwerpunkts auf die vergangene Handlung mit Hilfe einer kalendarischen Zeitangabe beim finiten Perfekt in Gegenwartsfunktion ist also nur dann möglich, wenn ein Stück Relevanz für den Sprechzeitpunkt in Form einer Inferenz bleibt: (17) Han har lämnat in sin ansökan den 10 januari [He *has handed in his application on the 10:th of January] [Er hat gereicht-ein seine Bewerbung am 10. Januar] Der schwedische Satz im Perfekt bedeutet, daß man die Behauptung dem

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Bewerber oder einem anderen Gewährsmann zuschreibt oder daß es irgendwo einen Vermerk gibt, auf den man sich stützt. Bei demselben Satz im Präteritum (... lämnade in ...) werden keine Faktoren dieser Art unterstellt, obwohl sie neben dem rein konstatierenden Inhalt durchaus denkbar sind - dann allerdings als ganz allgemeine Redehintergründe. Die Nähe des in gewissen Sprachen formal besonders gekennzeichneten Inferentiellen zu dem Perfektischen hebt Comrie hervor: "With the perfect ... the past event is not simply presented per se, but because of its relation to a present state. With the inferential, the past event is again not presented simple per se, rather it is inferred from some less direct result of the action (e.g. a second-hand report, or prime facie evidence ...)" (Comrie 1976, 110).

6.1.3 Zur Einheitlichkeit der Perfekttempora.

Zusammenfassung

Es lassen sich Argumente dafür finden, daß die in vielen Sprachen vorhandenen Besonderheiten des Perfektum Präsens dadurch erklärt werden können, daß das Perfektische, d.h. [E vor R] hier teils mit dem Präteritum, teils mit dem Sprechzeitpunkt interferiert. Der Sprechzeitpunkt, der fundamentale Orientierungspunkt von Tempussystemen, interferiert nur beim Perfektum Präsens in Gegenwartsfunktion mit dem Referenzpunkt der Perfektreihe. Bei dem Plusquamperfekt und bei dem futuralen Perfekt ist eine ähnliche Interferenz von vornherein ausgeschlossen. Beim Perfektum Präsens mit Zukunftsreferenz, beim Perfekt als Anterioritätstempus zum Präsens historicum und beim Infinitv des Perfekts ist gleicherweise keine Interferenz mit dem Sprechzeitpunkt möglich, weshalb in diesen Fällen der Gebrauch des Perfekts, besonders was die für die Temporalität wichtige Verbindbarkeit mit kalendarischen Zeitangaben betrifft, mit dem der anderen Perfekttempora übereinstimmen kann. Deshalb, meine ich, kann die grundsätzliche Einheitlichkeit des Subsystems der Perfekttempora behauptet werden. Die ..Sonderstellung" des Perfektum Präsens läßt sich durch die semantische Nähe zum Präteritum und durch die mögliche Interferenz des Sprechzeitpunkts erklären.

45

6.2 Zur peripheren Rolle der Aspektualitfit bei den Perfekttempora Die These, daß im Subsystem der Perfekttempora im Deutschen, Englischen und Schwedischen der Aspektualität eine nur periphere Rolle zukommt, wird damit begründet, daß aspektuelle Nebenfunktionen perfektiver und imperfektiver Art sich im Deutschen und Schwedischen durch das Operieren der Perfekttempora auf Propositionen mit terminativer bzw. aterminativer Aktionsart ergeben, jedoch in Abhängigkeit auch vom weiteren Kontext. Bei terminativer Proposition ist die perfektive Aspektfunktion unmarkiert, bei aterminativer die imperfektive. Das gilt übrigens allgemein im Tempussystem außer beim Präsens in aktueller Funktion (s. gestrichelte Linie in Fig. 1). Im Englischen tritt die grammatische Aspektkategorie entsprechend den dafür geltenden Realisierungsbedingungen auch in den Perfektformen auf. Als Veranschaulichung diene ein Beispiel mit dem markierten Fall. In dem Taxisschema "Parallelität von Handlungen" können terminative Propositionen mit imperfektiver Funktion vorkommen - auch in den Perfekttempora: (18a) Er war, während er das Paket geöffnet hatte, für die Umwelt taub gewesen. (18b) Medan han hade öppnat paketet, hade han varit döv för omvärlden. (18c) While he had been opening the parcel, he had been deaf to things around him. Die These von der nur peripheren Rolle der Aspektualität bei den Perfekttempora in den germanischen Sprachen habe ich in anderen Arbeiten ausführlich begründet (vgl. Andersson 1978, 95-107, Andersson 1984). Zusammenfassend läßt sich sagen, daß für die Perfekttempora (auch für das finite Perfektum Präsens) in den germanischen Sprachen gilt, daß sie sich von Resultativkonstruktionen zu analytischen Anterioritäts-Tempora und nicht zu einem Aspektsystem entwickelt haben. Dies weist sich nicht nur durch die im Bsp. (18) veranschaulichte imperfektivische Funktion bei der Kombination Plusquamperfekt + terminative Aktionsart aus, sondern auch durch die Verbreitung der Perfekttempora auf die gesamte Wortart Verb, die damit einhergehende Verschiebung des aspektuellen Merkmals [+ Resultat] zu dem nicht-aspektuellen Merkmal [+ Relevanz], die Verallge-

46

meinerung von Hilfsverben, die systematische Verwendung als alleinige Bezeichnungen für Vorzeitigkeit in dem im Verhältnis zum Indikativ reduzierten Tempussystem des Konjunktivs im Deutschen u. a. m. 5 > .

7.

SCHLUßBEMERKUNG

In diesem Beitrag habe ich versucht zu zeigen, wie und warum es beim Präsens, beim Präteritum und bei den Perfekttempora in germanischen Sprachen zu Verbindungen von Temporalität, Modalität, Aspektualität und Aktionsart kommen kann. Es läßt sich m. E. überall auf gemeinsame Merkmale oder konzeptuelle Brücken hinweisen, die solche Verbindungen ermöglichen. Das Präsens in Zukunftsfunktion und das Präsens als Aufforderung sind über das Merkmal Nachzeitigkeit verbunden. Dieses Merkmal wiederum läßt sich nicht nur pragmatisch begründen, sondern auch mit dem Merkmal Nachzustand bei terminativen Propositionen verbinden, also mit einem Merkmal der Zeitkonstitution der Proposition (=..Aktionsart" in einer der Verwendungen dieses Begriffs). Die unterschiedlichen zeitreferentiellen und modalen Verwendungsweisen des Präteritums in indikativischer und kontrafaktischer Funktion werden in allen drei behandelten Sprachen aus einem übergeordneten Merkmal "remotospektiv" abgeleitet, dessen Relevanz ich auch für das Deutsche angenommen habe. Für die Perfekttempora wird eine einheitliche Erklärung als Anterioritätstempora behauptet, d.h. als Tempora der Vorzeitigkeit ("E vor R"), wobei "R" (Referenzpunkt) beim Perfektum Präsens in Gegenwartsfunktion mit dem Sprechzeitpunkt gleichzeitig ist. Die Besonderheiten im Gebrauch des Perfektum Präsens werden teils auf Abgrenzungserscheinungen im Verhältnis zum zeitreferentiell benachbarten Präteritum, teils auf die strukturelle Stärke des Sprechzeitpunkts als bevorzugter Bezugspunkt im temporalen Orientierungssystem zurückgeführt. Aspektuelle Nebenfunktionen hängen mit der Herkunft der Perfekttempora aus einer Resultativkonstruktion zusammen. Sie sind, wie ich in anderen Arbeiten ausführlicher dargelegt habe (Andersson 1978, 1984), peripherer Natur und von der Aktionsart der Proposition abhängig. - Der modale (inferentielle) Gebrauch des Perfektum Präsens im Schwedischen ist aus dem Merkmal "Relevanz einer früheren Handlung zum Sprechzeitpunkt" abzuleiten. Inferenz ist eine mögliche Art der Relevanz.

47

Anmerkungen 1) Für eine Diskussion des wenigstens seit Jespersen (1924) immer wieder hervorgehobenen Unterschieds zwischen Form- und Begriffskategorien im Bereich von Tempus und Aspekt vgl. z. B. Andersson (1978, 90, 132, 149) und Chatterjee (1982). 2) Die hier besprochene Verteilung von Gleich- und Nachzeitigkeit bei Sätzen mit aterminativer bzw. terminativer Proposition gilt auch für den Konjunktiv des Präsens und des Präteritums im Deutschen, nur mit dem (hier belanglosen) Unterschied, daß es sich um den Bezug zu einem von Kontext und Situation festgelegten Referenzpunkt handelt. 3) Begriff und Terminus stammt aus der dänischen Glossematik. Ähnliche Begriffe in der Nederlandistik (afstand, hetero-realis, disactualis) diskutiert Janssen (1983, Abschnitt 6). 4) Den möglichen Einwand, daß der Infinitiv des Perfekts nur mangels eines Infinitivs des Präteritums verwendet wird, sehe ich eher als ein Argument für meine Hypothese: es ist hier keine Konkurrenz mit dem Präteritum vorhanden, daher hat das Perfekt dieselbe Möglichkeit der Kookkurrenz mit kalendarischen Zeitangaben wie das Plusquamperfekt. 5) Wie solche Entwicklungsvorgänge sich gestalten können, hat vor kurzem L. Waugh in einer m.E. sehr beachtenswerten Arbeit über die Entwicklung des Passe Compose des Französischen dargestellt (vgl. Waugh 1987). Diese Arbeit ist ohne Zweifel methodologisch wie inhaltlich auch für die Analyse der Perfekttempora der germanischen Sprachen von Belang.

48 Literatur

Andersson, S.-G. (1978) Aktionalität im Deutschen. Eine Untersuchung unter Vergleich mit dem russischen Aspektsystem. II. Korpusanalyse. Mit einem Exkurs über Aktionalität im deutschen Verbalformsystem. Uppsala. (1984) ..What is aspectual about the perfect and the pluperfect in Swedish?" In: C. de Groot & H. Tommola (Hrsg.) Aspect Bound. A voyage into the realm of Germanic, Slavonic and Finno-ugrian aspectology. Dordrecht, 199-207. Bondarko, A. (1984) Funkcional'naja grammatika [ Funktionale Grammatik ]. Leningrad. Chatterjee, R. (1982) ..On Cross-Linguistic Categories and Related Problems: A Discussant's Notes on the Tense/Aspect Symposium." In: P.J. Hopper (Hrsg.) Tense-Aspect: between Semantics and Pragmatics. Amsterdam /Philadelphia, 335-345. Comrie, B. (1976) Aspect. An introduction to the study of verbal aspect and related problems. Cambridge. (1985) Tense. Cambridge. Fabricius-Hansen, C. (1986) Tempus fugit: Über die Interpretation temporaler Strukturen. Düsseldorf. Frangois, J. (1982) ..Aktionsart, Aspekt und Zeitkonstitution." In: Ch. Schwarze & D. Wunderlich (Hrsg.) Handbuch der Lexikologie. Königstein/Ts, 229249. Grewendorf, G. (1982) ..Zur Pragmatik der Tempora im Deutschen." Deutsche Sprache 3, 213-236. Isaßenko, A.V. (1962) Die russische Sprache der Gegenwart. I. Formenlehre. Halle. Janssen, Th.A.J.M. (1983) »Tempus: interpretatie en betekenis." De Nieuwe Taalgids (im Druck).

49

Jespersen, O. (1924) The Philosophy of Grammar. London. Matzel, K. & Ulvestad, B. (1982) ..Futur I und futurisches Präsens." Sprachwissenschaft 7. 282-328. Steinitz, R. (1981) Der Status der Kategorie ..Aktionsart" in der Grammatik oder: Gibt es Aktionsarten im Deutschen? Linguistische Studien. Reihe A., Bd. 76. Berlin-DDR. Waugh, L.E. (1987) ..Marking time with the pass£ composed towards a theory of the perfect." Linguisticae Investigationes 11, 1-47.

EI e r · n a r d C o m r i e ON I D E N T I F Y I N G FUTURE TENSES

0.

introduction

1..

Some n o n - a r g u m e n t s

2.

The degree o-f n e c e s s i t y of m a r k i n g - f u t u r e t i m e

3.

The. e x t e n t to w h i c h the f o r m has o n l y f u t u r e t i m e r e f e r e n c e

4.

Conclusion

reference

Footnotes Re-f er en c es

0..

Introduction In t h e l i t e r a t u r e o n t i m e r e f e r e n c e

e x p r e s s i o n , perhaps no issue has aroused the i d e n t i f i c a t i o n of f u t u r e tenses.

1

and its

linguistic

more controversy t h a n

If we look at accounts of

the tense system of E n g l i s h , G e r m a n , or D u t c h , even r e s t r i c t i n g ourselves to a u t h o r s who a c k n o w l e d g e the e x i s t e n c e of tense ( e . g . past versus non-past) as the g r a m m a t i c a l i z a t i o n of

l o c a t i o n of

t i m e i n these l a n g u a g e s , w e f i n d discussions o f f u t u r e t i m e r e f e r e n c e r a n g i n g f r o m the acceptance of the e x i s t e n c e of a f u t u r e tense as s o m e t h i n g s e l f - e v i d e n t to d e n i a l of the very e x i s t e n c e of a d i s t i n c t f u t u r e tense, these l a t t e r u s u a l l y arguing that the f u t u r e t i m e reference

attributed to the

a u x i l i a r i e s wi_l l/shal_l_, w e r d e n , or ?ul_len is m e r e l y a special case of a more b a s i c modal m e a n i n g .

In t h i s c o n t r i b u t i o n , it

is

not my i n t e n t i o n to answer the guestion whether f u t u r e tense e x i s t s i n any p a r t i c u l a r l a n g u a g e , or even to e s t a b l i s h a set of necessary-and-sufficient f u t u r e tense, s h o u l d i t

c r i t e r i a for the i d e n t i f i c a t i o n of exist, in an a r b i t r a r y language.

1 w a n t to e x a m i n e some of the p r o b l e m s t h a t have a r i s e n i n

Rather,

52

p r a c t i c e , to suggest l i n e s of a r g u m e n t a t i o n that m i g h t be used in the i d e n t i f i c a t i o n of question has so far

- f u t u r e tenses, and to suggest why the

remained w i t h o u t resolution and may indeed

c o n t i n u e to r e m a i n so.

In other words, the aim of t h i s paper

is

c l a r i f i c a t i o n rathe?r than persuasion. The simplest case of the existence of a f u t u r e tense would be a language in w h i c h some p a r t i c u l a r

category, or set of

categories, is used for a l l f u t u r e t i m e r e f e r e n c e and o n l y for f u t u r e t i m e reference.

T h i s s i t u a t i o n occurs r a r e l y , i f a t

in n a t u r a l l a n g u a g e , and where b r i e f

all,

g r a m m a t i c a l accounts of a

language suggest that such a s i t u a t i o n does exist, in the language in question, then f u r t h e r i n v e s t i g a t i o n u s u a l l y uncovers a number of counterexamples.

The most d e t a i l e d grammar of w h i c h I am

aware, c o n t a i n i n g a d e t a i l e d account of t i m e r e f e r e n c e and

its

l i n g u i s t i c e x p r e s s i o n , and w h i c h i m p l i e s c l e a r l y that a p a r t i c u l a r set of f o r m s is used for all reference,

and o n l y f u t u r e t i m e

is H a i m a n ' s grammar of Hua (1980: 140-144).

According

to H a i m a n ' s a n a l y s i s , f u t u r e t i m e r e f e r e n c e i n Hua is covered by a number of verb categories d i f f e r e n t i a t e d f r o m one another in terms of mood, but t h i s set of categories exhausts the p o s s i b i l i t i e s f o r expressing f u t u r e t i m e reference and, moreover, none of these categories is used w i t h other than f u t u r e t i m e reference

( e . g . they are not used to express modal values w i t h

present or past t i m e r e f e r e n c e ) . But the absence or near—absence of languages w i t h a f u t u r e tense or tenses in t h i s s t r i c t sense is in no way a p e c u l i a r i t y of the l i n g u i s t i c expression of f u t u r e t i m e r e f e r e n c e .

Many

r e a d i l y accepted g r a m m a t i c a l categories have, i n p a r t i c u l a r languages, uses that d e v i a t e f r o m t h e i r t y p i c a l uses consistent w i t h t h e i r basic d e f i n i t i o n s .

A s i m p l e e x a m p l e w o u l d be the use

of the p l u r a l in E n g l i s h to r e f e r

to a set whose c a r d i n a l i t y is

not yet k n o w n , w i t h o u t any i m p l i c a t i o n that the set c o n t a i n s more than one m e m b e r .

Thus in answer to the question have y_pu _any

c h i l d r e n ? I can t r u t h f u l l y and c o o p e r a t i v e l y answer yes, one; i n d e e d , in t h i s case the answer no, on_l_y one, r e l y i n g on the

53

l i t e r a l i n t e r p r e t a t i o n of the p l u r a l , w o u l d be at best incoherent.

Thus the question is not whether there is an

absolute c o r r e l a t i o n between f u t u r e time; r e f e r e n c e and a p a r t i c u l a r category or set of categories in a g i v e n l a n g u a g e , but rather how close t h i s c o r r e l a t i o n is. e x a m i n e in t u r n how necessary it

In sections 3 and 4, I

is to use the ( c a n d i d a t e f o r )

f u t u r e tense when f u t u r e t i m e r e f e r e n c e i s i n v o l v e d ( i . e . f u t u r e time reference

as a s u f f i c i e n t c o n d i t i o n for the occurrence of

f u t u r e t e n s e ) , a n d t h e extent t o w h i c h t h e ( c a n d i d a t e f o r )

future

tense has o n l y f u t u r e t i m e r e f e r e n c e uses ( i . e . f u t u r e t i m e r e f e r e n c e as a necessary c o n d i t i o n for the occurrence of f u t u r e tense). 1.

Some non-arguments In t h i s section, I w i s h to e x a m i n e some arguments that have

been advanced as p r i n c i p l e d arguments against the existence of f u t u r e tense, arguments w h i c h however s t r i k e me as u n c o n v i n c i n g . 1.1. The conceptual non-argument One such argument is t h a t , since the f u t u r e

is necessarily

less c e r t a i n than the present or p a s t , f u t u r e t i m e r e f e r e n c e inherently different

is

f r o m present or past t i m e r e f e r e n c e ,

i n e v i t a b l y shading over i n t o m o d a l i t y .

Thus the t r a d i t i o n a l

conception of the t i m e l i n e , where past and f u t u r e are m i r r o r images of each o t h e r , is d e n i e d .

What is q u e s t i o n a b l e here is

not so much the premise - c l a i m s about the f u t u r e are indeed t y p i c a l l y less secure than those about the present or f u t u r e — b u t rather t h e l i n g u i s t i c c o n c l u s i o n drawn f r o m t h i s premise. Even if a p a r t i c u l a r proposition is in f a c t less c e r t a i n than some o t h e r , there is no necessary o b l i g a t i o n on a language to r e q u i r e l i n g u i s t i c expression o f t h i s d i s t i n c t i o n .

And, indeed,

in a l a n g u a g e l i k e E n g l i s h one can make statements w i t h f u t u r e t i m e reference that commit the speaker to v o u c h i n g for the t r u t h value of the p r o p o s i t i o n .

If I say it

w i l l r a i n tomorrow and it

does not in fact r a i n on the next d a y , then my c l a i m was s i m p l y false.

T h i s is very d i f f e r e n t

f r o m the evaluation of a modal

54

p r o p o s i t i o n , such as i n c l u d e d in the sentence i_t_ m_ay rai.n tomorrow, where e m p i r i c a l testing of the t r u t h value is notoriously problematic.

Indeed, i n E n g l i s h , t h e f a r m s

t r a d i t i o n a l l y described as -future tense (wi.lj./^hal l p l u s bare v e r b ) almost i n v a r i a b l y , if not i n v a r i a b l y , have t h i s e f f e c t of c o m m i t t i n g the speaker to v o u c h i n g for the t r u t h of the proposition.

T h i s is t r u e , i n c i d e n t a l l y , even when these

a u x i l i a r i e s also have a modal i n t e r p r e t a t i o n .

I can, without

c o n t r a d i c t i n g m y s e l f , say the baby d o e s n ' t want to eat t h i s , but nonetheless she's g o i n g t o , w i t h t h e c l e a r l y modal w a n t , but I cannot say w i t h o u t c o n t r a d i c t i o n

(desiderative)

!the baby won ' t

eat

t h i s , but nonetheless she ' s g o i n g j:p, even though the i n t e r p r e t a t i o n of the latter e x a m p l e i n c l u d e s a modal e l e m e n t of the b a b y ' s not w a n t i n g to eat the f o o d . It should be noted t h a t t h i s leeves open the p o s s i b i l i t y , nonetheless, t h a t a p a r t i c u l a r l a n g u a g e m i g h t subsume f u t u r e t i m e r e f e r e n c e under m o d a l i t y , thus g i v i n g overt, expression to the necessarily lower degree of c e r t a i n t y of p r o p o s i t i o n s w i t h f u t u r e t i m e reference.

T h i s is the case, for i n s t a n c e , in Burmese

( C o m r i e 19Θ5: 50-51), where d e c l a r a t i v e sentences take one of two sentence p a r t i c l e s , c h a r a c t e r i z a b l e as r e a l i s versus i r r e a l i s . The i r r e a l i s p a r t i c l e subsumes not o n l y p o s s i b i l i t y in the nonfuture,

b u t also a l l f u t u r e t i m e r e f e r e n c e .

i n d i c a t e s that it

But this simply

is an option l e f t open to a l a n g u a g e , whether

the greater u n c e r t a i n t y of c l a i m s about the f u t u r e is to be encoded l i n g u i s t i c a l l y or not;

the conceptual nature of

future

t i m e reference dotes not p r e c l u d e the absence of such l i n g u i s t i c encoding. 1.2.

The f o r m a l n o n — a r g u m e n t Another argument that one o c c a s i o n a l l y comes across is a

f o r m a l a r g u m e n t , of relevance to those languages, l i k e the G e r m a n i c languages, where the f o r m a t i o n of the c a n d i d a t e for f u t u r e tense status has a r a d i c a l l y d i f f e r e n t f o r m a l expression f r o m other tense d i s t i n c t i o n s .

I n E n g l i s h , t h e a u x i l i a r i e s wi11

55

and shalJL belong f o r m a l l y , by a number of w i t h the m o d a l s .

very c l e a r c r i t t ? r i a ,

DOHS t h i s mean t h a t t h e y should t h e r e f o r e be

treated semantically w i t h the modals, rather than w i t h the • F o r m a l l y very d i s t i n c t p a s t / n o n - p a s t

opposition"?

T h i s l i n e of

argument, cannot be m a i n t a i n e d as a general p r i n c i p l e . t h e r e are clear a n a l o g i e s -from other

Again,

areas of g r a m m a t i c a l

c a t e g o r i z a t i o n where a s i n g l e s e m a n t i c category is expressed number of Latin:

different

formal

ways.

in a

f a k e the e x a m p l e ; of l o c a t i o n in

For most n o u n s , l o c a t i o n is expressed by means of a

preposition, t y p i c a l l y in w i t h names of

' i n , o n ' , e.g. in Italia:

t o w n s , h o w e v e r , l o c a t i o n is

s p e c i a l case?, t h e l o c a t i v e ,

e.g.

Ro:mae

'in Italy';

expressed by means of a

' i n Rome'.

Thus t h e same

s e m a n t i c r e l a t i o n is expressed in the one i n s t a n c e by a periphrastic

construction

synthetically

( a p r e p o s i t i o n a l p h r a s e ) , i n t h e other

(by a case f o r m ) .

There is t h e r e f o r e no reason in

p r i n c i p l e w h y t i m e r e f e r e n c e i n E n g l i s h should n o t l i k e w i s e b e g r a m m a t i c a l i z e d now in the

inflectional

n o n - p a s t ) , now by a p e r i p h r a s t i c

morphology

expression

(past versus

(future).

C o n v e r s e l y , we f i n d e x a m p l e s of languages where the

so-

c a l l e d f u t u r e tense b e l o n g s f o r m a l l y w i t h t h e other tenses, b u t where its

s e m a n t i c s i s modal r a t h e r t h a n t e m p o r a l .

For instance,

in the Papuan l a n g u a g e H a r u a i , there is a clear three-way d i s t i n c t i o n c o r r e s p o n d i n g l a r g e l y t o tense i n terms o f s u f f i x sets, w i t h ~1/~JÜ1 pressen t-recent past, 7m/~an remote p a s t , — n/-on future.

However, the so-called f u t u r e does not c o m m i t the

speaker to the t r u t h v a l u e of the p r o p o s i t i o n , so that a sentence l i k e notao m j - u n - a ,

l i t e r a l l y 'man be:located-FUTURE:3SINGULAR-

D E C L A R A T I V E ' can mean

' t h e man w i l l be t h e r e ' , but also ' t h e man

may be t h e r e ' , the latter w i t h either f u t u r e or present t i m e reference. sufficient

Thus f o r m a l p a r a l l e l i s m is n e i t h e r a necessary nor a condition for

i d e n t i f i c a t i o n o f f u t u r e tenses.

Gne

does, of course, expect t h a t t h e r e s h o u l d be a c e r t a i n c o r r e l a t i o n between f o r m a l

and semantic c l a s s i f i c a t i o n s , and t h i s

c o r r e l a t i o n sometimes has i n t e r e s t i n g m a n i f e s t a t i o n s , as when, in S w a h i l i , the verb taka ' w a n t ' becomes r e a n a l y z e d f o r m a l l y as a

56

p r e f i x and s e m a n t i c a l l y as a f u t u r e tense marker t a - , b e h a v i n g m o r p h o l o g i c a l l y just l i k e the past tense marker 1i- and the present tense m a r k e r na-.

But the c o r r e l a t i o n is

insufficiently

strong to be used as a c r i t e r i o n . 2.

The degree of necessity of m a r k i n g f u t u r e t i m e reference A l l of the Germanic languages can use the

present

(or non-past)

(so-called)

tense w i t h f u t u r e t i m e r e f e r e n c e , but the

c o n d i t i o n s under w h i c h t h i s can be done are d i f f e r e n t f r o m language to language.

In p a r t i c u l a r , there is a major d i f f e r e n c e

here between E n g l i s h and German in the extent to which it

is

necessary to mark f u t u r e t i m e r e f e r e n c e , and I w i l l use a comparison of these two languages as i l l u s t r a t i o n . In E n g l i s h , except in rather w e l l - d e f i n e d circumstances

it

is necessary to give overt expression to f u t u r e t i m e reference in the verb c o m p l e x . reference',

By ' g i v i n g overt expression to f u t u r e t i m e

I i n c l u d e not o n l y the use of w i l l / s h a l 1 , but also

the construction w i t h be_goirig_ _tg; no attempt is made here to d i f f e r e n t i a t e between these two expressions of f u t u r e t i m e reference.

The c o n d i t i o n s under w h i c h the present tense can be

used w i t h f u t u r e t i m e reference a r e w e l l — k n o w n f r o m t r a d i t i o n a l and more recent grammars, and here I w i l l only summarize some of the main p a i n t s .

Some of the c o n d i t i o n s are s y n t a c t i c , as when

the present tense is

(except under c e r t a i n other c o n d i t i o n s )

required in temporal and c o n d i t i o n a l clauses w i t h f u t u r e t i m e reference,

a n d f r e e l y p e r m i t t e d i n r e l a t i v e clauses w i t h f u t u r e

t i m e reference that are subordinate to a clause w i t h f u t u r e t i m e reference,

e.g.

i f / w h e n h e comes, I ' l l t e l l h i m , y o u ' l l s e e an

eagle that i s / w i 1 1 be eating a snake. semantic:

One of the c o n d i t i o n s is

Where the s y n t a c t i c c o n d i t i o n s just noted do not h o l d ,

the use of the present tense w i t h f u t u r e t i m e r e f e r e n c e

is

possible o n l y where the f u t u r e s i t u a t i o n r e f e r r e d to is scheduled;

it

is thus passible to say we leave at six o ' c l o c k

tomorrow, but not

lit

r a i n s at six o ' c l o c k tomorrow (unless the

speaker is c l a i m i n g for h i m s e l f

k i n d s of knowledge not n o r m a l l y

57

a v a i l a b l e to o r d i n a r y m o r t a l s ) .

The last e x a m p l e must rather be

phrased as it w i l l r a i n at six o ' c l o c k tomorrow or

i t ' s g o i n g to

. ^ ί ? ΐ χ ° ?· l PS H tomorrow. For G e r m a n , the p o s i t i o n I w o u l d l i k e to a d v o c a t e is t h a t the use of the present tense w i t h f u t u r e t i m e r e f e r e n c e is e s s e n t i a l l y p r a g m a t i c , rather than s y n t a c t i c or semantic.

In

p r i n c i p l e , the present tense is always possible as an expression of

future time reference.

However, p r a g m a t i c p r i n c i p l e s ,

particular the p r i n c i p l e of relevance,

in

w i l l n o r m a l l y assign

p r e f e r e n c e to an i n t e r p r e t a t i o n of a present tense verb where the verb is d i r e c t l y r e l e v a n t to the here-and-now , i . e . time reference.

has present

Thus my c l a i m is not at odds, at least

e m p i r i c a l l y , w i t h those analyses t h a t c l a i m t h a t i n German t i m e reference

must be g i v e n an overt expression

in the

future

verbal

complex unless there is s o m e t h i n g a v a i l a b l e in the context to i n d i c a t e f u t u r e t i m e reference.

Both analyses c l a i m that i c h b i n

morg_e_n _i£i_Jie£lJ L n_ is a c c e p t a b l e w i t h f u t u r e t i m e r e f e r e n c e ,

i.e.

' I w i l l b e i n B e r l i n t o m o r r o w ' ; both c l a i m that i c h b i n i n B e r l i n w i l l at least t y p i c a l l y be assigned present t i m e r e f e r e n c e ,

i.e.

' I a m i n B e r l i n ' , whereas ' I w i l l b e i n B e r l i n ' a t least u s u a l l y r e q u i r e s a more e x p l i c i t expression ich werde in B e r l i n sein.

of f u t u r e t i m e r e f e r e n c e ,

as

I w o u l d , however, argue that the

p r a g m a t i c approach has the advantage of a more homogeneous account of the r e l a t i o n s between tense and t i m e r e f e r e n c e , it i.e.

assigns a consistent m e a n i n g to the present

since

( n o n - p a s t ) tense,

covering a l l of t i m e other than the past, and makes use

otherwise of o n l y one general is needed anyway in a f u l l

principle,

that of relevance, w h i c h

account of the i n t e r p r e t a t i o n of

utterances. There are,

i n c i d e n t a l l y , languages that go f u r t h e r

German in t h i s respect, l a c k i n g any verb f o r m that specifically

f u t u r e i n t i m e reference.

than

is

T h i s i s t h e case i n

Japanese, for instance, again w i t h a basic past/non-past distinction. In Japanese, in the absence of other contextual i n d i c a t o r s , the most l i k e l y i n t e r p r e t a t i o n of the non-past is

58

determined l a r g e l y by oppositions of aspect ( e . g . progressive versus non—progress!ve) or a k t i o n s a r t dynamic).

( e . g . stative versus

Thus itz±e_..LZCH 'go-PRQGRESSIVE-NONPAST' w i l l u s u a l l y

b e assigned present t i m e reference ( ' ( h e ) i s g o i n g ' ) , w h i l e i.kju 'go-NQNPAST' w i l l u s u a l l y b e assigned f u t u r e t i m e r e f e r e n c e ( ' ( h e ) w i l l g o ' ) , g i v e n the i m p r o b a b i l i t y of a complete act of going being located precisely at the present moment.

(In the

case of i_k_~^u, a h a b i t u a l i n t e r p r e t a t i o n is also p o s s i b l e . ) In the sense relevant to the discussion of t h i s section, the E n g l i s h p e r i p h r a s i s w i t h wi 11/shal1 or b e g o i n g to is thus more of a f u t u r e tense than the German p e r i p h r a s i s w i t h werden; where f u t u r e t i m e reference i s i n t e n d e d , E n g l i s h is more l i k e l y t o r e q u i r e that it 3.

be given overt expression in the verbal c o m p l e x .

The extent to w h i c h the f o r m has o n l y f u t u r e t i m e reference In p r a c t i c e , the question posed in t h i s section

is much more

d i f f i c u l t than that posed in section 3, c e r t a i n l y in the case of the G e r m a n i c languages.

I n c i d e n t a l l y , in some languages that

have a range of f u t u r e tenses d i f f e r e n t i a t e d

in terms of degrees

of remoteness (Comri-e 1985: 83-101) f r o m the present moment, at least some of these f o r m s , g i v e n t h e i r h i g h l y s p e c i f i c m e a n i n g s , do seem to have o n l y f u t u r e t i m e r e f e r e n c e i n t e r p r e t a t i o n s .

In

t h i s section, I w i l l e x a m i n e m a t e r i a l r e l a t i n g on the one hand to d e s i d e r a t i v e and o b l i g a t i v e m o d a l i t y , on the other hand to inferential modality.

In section 4 . 1 , I t e m p o r a r i l y abstract

away f r o m i n f e r e n t i a l m o d a l i t y , though i t

should b e borne i n m i n d

that in section 4 . 1 , s t r i c t l y s p e a k i n g , the d i s t i n c t i o n that is b e i n g made is on the one hand d e s i d e r a t i v e and o b l i g a t i v e m o d a l i t y , on the other hand f u t u r e t i m e reference and i n f e r e n t i a l m o d a l i t y , i . e n o t h i n g said i n section 4 . 1 excludes t h e p o s s i b i l i t y of i n t e r p r e t i n g so-called f u t u r e tenses as instances of i n f e r e n t i a l m o d a l i t y . 3.1.

Desiderative and o b l i g a t i v e m o d a l i t y In E n g l i s h , i t

i s w e l l known t h a t , d i a c h r o n i c a l l y , t h e

canonical markers of f u t u r e t i m e reference in the verb complex

59

have modal o r i g i n s , d e s i d e r a t i v e in the case of wiJLJi and o b l i g a t i v e in the case of shalj. .

These elements of m o d a l i t y are

s t i l l present s y n c h r o n i c a l l y in a number of instances, and show up p a r t i c u l a r l y

c l e a r l y i n , f o r i n s t a n c e , t h e d i s t i n c t i o n between

wi 11 you h e l p me? and she! 1 LJürüJ?

_° ? » drawn to my a t t e n t i o n by

Joan L. Bybee, where the f a r m e r contains an element of addresseeo r i e n t e d d e s i d e r a t i v e m o d a l i t y - it. makes sense for me to ask my hearer about the h e a r e r ' s desires, but h a r d l y to ask about my own desires, whence the o d d i t y of

! wi^ 11 I_ help__v_o_u? - and the

an element of speaker-oriented o b l i g a t i v e m o d a l i t y .

latter

However, as

already noted in section 1, in E n g l i s h t h i s expression of m o d a l i t y in wi 1 1_ and shal 1 is a l w a y s secondary to the expression of f u t u r e t i m e r e f e r e n c e .

In many instances there is no

d e s i d e r a t i v e m o d a l i t y i n the it__rai_n_?

i n t e r p r e t a t i o n of wi 11 , as in wi_l_l_

And even in examples l i k e those g i v e n above, there is

s t i l l a c r u c i a l commitment to a c e r t a i n t r u t h v a l u e at the r e l e v a n t f u t u r e p o i n t in t i m e .

Thus, if

someone asks do you want

to h e l p me?, then a possible answer is yes, but u n f o r t u n a t e l y I c a n ' t because I have a prior en_g_ag ernennt, whereas t h i s would be incoherent as an answer to w i l l you h e l p me?, where the answer yes commits the speaker

to b e i n g about to h e l p .

( T h i s should be

contrasted w i t h t h e s i t u a t i o n i n H a r u a i , discussed i n section 1.2,

where nobu mj-an-a ranges over

' t h e man w i l l / m a y be t h e r e ' ,

w i t h o u t any c o m m i t m e n t to t r u t h v a l u e of the proposition 'the man be t h e r e ' . ) I t h e r e f o r e c o n c l u d e that even where E n g l i s h w i 1 1 / s h a l 1 do have d e s i d e r a t i v e or o b l i g a t i v e

modal v a l u e , the f u t u r e t i m e

reference element is s t i l l present, i.e. t h i s is a constant element of the m e a n i n g of these elements of the verbal

complex.

3.2. I n f e r e n t i a l m o d a l i t y Disentangling f u t u r e time reference and inferential modality is c o n s i d e r a b l y more complex than the k i n d of d i s e n t a n g l i n g done in section 4 . 1 .

E n g l i s h w i l l , and l i k e w i s e German werden, can be

used to i n d i c a t e a p r e s u m p t i o n ( i n f e r e n c e ) that has n o n — f u t u r e

60

t i m e reference,

as in sentences l i k e h_e_jwi_lJL_ be_J._here_n_ow, er

w i r d jetzt da s e i n . a

L i k e w i s e , the so-called - f u t u r e per-feet can

be used to i n d i c a t e a presumption w i t h past t i m e r e f e r e n c e ,

as in

he w i l l have been there yesterday, er w i r d gestern da gewesen s e i n , in a d d i t i o n to its temporal v a l u e o-f

locating a situation

p r i o r to a reference p o i n t in the f u t u r e , as in I w i l l have w r i t t e n it haben_.

by tomorrow, ich werde es bi_s morgen tjeschr i eben

Inferential

m o d a l i t y c o m m i t s the speaker to the t r u t h

value of the p r o p o s i t i o n , so that if and it

I say h_e_ ,wi l^l_.be__there_no^

t u r n s out on inspection that the person in question is not

in the s p e c i f i e d l o c a t i o n ,

then my statement was f a l s e .

Thus

t r u t h v a l u e d i s t i n c t i o n s cannot be used in the same way as in section 4.1.

Moreover, it

is s e m a n t i c a l l y not i m p l a u s i b l e to try

to subsume f u t u r e t i m e reference under i n f e r e n t i a l m o d a l i t y :

The

general c h a r a c t e r i s t i c of both is that the speaker commits h i m s e l f to a p r o p o s i t i o n for w h i c h there is no d i r e c t evidence, and one could therefore instance,

argue t h a t the basic meaning o f , for

German werden - w h i c h l a c k s d e s i d e r a t i v e or o b l i g a t i v e

modal values - is the overt expression of t h i s l a c k of d i r e c t e v i d e n c e , w h i c h w i l l t h e n , d e p e n d i n g on c o n t e x t , receive e i t h e r present or f u t u r e t i m e reference.

(Note that the absence of

d e s i d e r a t i v e and o b l i g a t i v e values for the German werden p e r i p h r a s i s means, in the overall

terms of section 4, that it

is

a better c a n d i d a t e for f u t u r e tense status than the E n g l i s h w i 1 1 / s h a l 1 constructions, since the latter have a wider range of i n t e r p r e t a t i o n s going beyond f u t u r e t i m e r e f e r e n c e . )

I n what

-follows,

possible

I want to voice some t h o u g h t s c o n c e r n i n g the

d i s t i n g u i s h a b i 1 i t y of f u t u r e t i m e reference and i n f e r e n t i a l m o d a l i t y , though I a c k n o w l e d g e in advance t h a t t h i s is the area of those covered in t h i s paper where I am least a b l e to reach a d e f i n i t i v e conclusion. First, a methodological p o i n t .

In order to d e t e r m i n e the

basic m e a n i n g of an e l e m e n t , l i n g u i s t s o f t e n t a k e a sentence c o n t a i n i n g that element Out of c o n t e x t ' and investigate interpretation

Out of c o n t e x t ' .

In German, it

its

turns out that if

61

one takes a sentence l i k e er wi rd da sei n

' h e w i l l be t h e r e ' ,

w i t h o u t any f u r t h e r c o n t e x t , then t h e most l i k e l y

interpretation

i s i n f e r e n t i a l m o d a l i t y , rather t h a n - f u t u r e t i m e r e f e r e n c e .

This

is even more marked if one takes a sentence w i t h the f u t u r e p e r f e c t , e.g.

er w i r d es geschrieben haben

'he w i l l have w r i t t e n

i t ' , where the sentence is almost i n v a r i a b l y i n t e r p r e t e d as m a k i n g an i n f e r e n c e about a p o i n t of t i m e in the past, rather t h a n as l o c a t i n g a s i t u a t i o n

< h i s w r i t i n g ) p r i o r to a temporal

reference point in the future.

From t h i s , o n e m i g h t conclude

that the basic m e a n i n g s of these f o r m s i n v o l v e i n f e r e n t i a l m o d a l i t y rather than f u t u r e t i m e r e f e r e n c e .

1 believe this

c o n c l u s i o n is at least premature, and p r o b a b l y i n v a l i d . When one asks f o r judgements about the i n t e r p r e t a t i o n of sentences Out of c o n t e x t ' , the judgement one gets is not l i t e r a l l y of t h a t sentence out of context, but rather in the m i n i m a l context consisting o n l y of the here-and-now.

W h i l e other

elements of the context have to be b u i l t u p , the here—and—now a l w a y s there.

is

Thus the i n t e r p r e t a t i o n one in f a c t gets of these

sentences is r e l a t i v e to a context where o n l y the here-and-now is available.

And if

a sentence has in p r i n c i p l e two

i n t e r p r e t a t i o n s , one r e l a t i n g to the present

( n o w ) and one

r e l a t i n g t o t h e f u t u r e , a n d i f t h e o n l y context a v a i l a b l e i s t h e ( h e r e - a n d > - n o w , then one w o u l d predict that the i n t e r p r e t a t i o n r e l a t i n g to the p r e s e n t w o u l d be assigned p r i o r i t y as more relevant.

If a sentence taken

Out of c o n t e x t ' is assigned non-

present t i m e r e f e r e n c e , then t h i s i n d i c a t e s that it p u r s u i n g the p o s s i b i l i t y that t h i s is part of its a sentence taken

may be worth

m e a n i n g ; but i-f

Out of c o n t e x t ' is assigned present t i m e

r e f e r e n c e , t h i s is not s p e c i f i c a l l y i n d i c a t i v e of a n y t h i n g .

The

s i t u a t i o n is even clearer w i t h the f u t u r e p e r f e c t , where the temporal i n t e r p r e t a t i o n requires a c o n t e x t u a l l y given reference p o i n t i n the f u t u r e , and of course the s i t u a t i o n

Out of

c o n t e x t ' , or rather w i t h o n l y the context of the here-and-now, does not c o n t a i n any such f u t u r e r e f e r e n c e p o i n t . p e r f e c t w i t h temporal r e f e r e n c e is

incoherent

Thus a f u t u r e

'out of c o n t e x t ' ,

62

in much the same way as a p l u p e r f e c t

is,

e.g.

someone had stolen

my_ w a t c h , since t h i s r e q u i r e s a contextual l y given

reference

p a i n t in the past; since the p l u p e r f e c t has no o t h e r , modal m e a n i n g , such a sentence

out of c o n t e x t ' is s i m p l y i n c o h e r e n t ,

rather than b e i n g assigned a d i f f e r e n t i n t e r p r e t a t i o n , but the p r i n c i p l e at w o r k is the same.

T h i s is,

i n c i d e n t a l l y , an

i m p o r t a n t m e t h o d o l o g i c a l p o i n t that goes w e l l beyond the narrow interests of the present a r t i c l e .

People do not i n t e r p r e t

sentences out of c o n t e x t , t h e y i n t e r p r e t them w i t h i n whatever context is p r o v i d e d , and t h i s always i n c l u d e s the here-and-now. S e c o n d l y , I w i s h to make a p o i n t r e l a t i n g to the h i s t o r i c a l development of f u t u r e tenses.

W h i l e there is w i d e s p r e a d

a t t e s t a t i o n of the development of

f u t u r e tenses f r o m such modal

values as d e s i d e r a t i v i t y and o b l i g a t i o n and also f r o m aspectual or a k t i o n s a r t values ( e . g . German werden p a r t i c u l a r among the

' b e c o m e ' ? ) , in

G e r m a n i c and Romance languages,

I am not

aware of any e x a m p l e s f r o m these l a n g u a g e f a m i l i e s where f u t u r e t i m e r e f e r e n c e develops d i a c h r o n i c a l l y out of modality.

inferential

M y i m p r e s s i o n i s rather t h a t f u t u r e t i m e r e f e r e n c e

develops out of other m o d a l i t i e s and o n l y w i t h the e s t a b l i s h m e n t of the c a t e g o r y ' s f u t u r e t i m e r e f e r e n c e does the p o s s i b i l i t y of inferential

modal i n t e r p r e t a t i o n a r i s e .

In at least most

i n s t a n c e s , the modal or aspectual o r i g i n of the f u t u r e tense, w h i l e s u i t a b l e as a c a n d i d a t e for r e a n a l y s i s as f u t u r e t i m e reference,

is not s u i t a b l e as a c a n d i d a t e for d i r e c t r e a n a l y s i s

as an i n f e r e n t i a l .

In other words, at least d i a c h r o n i c a l l y

it

may w e l l be that i n f e r e n t i a l i t y is p a r a s i t i c on f u t u r e t i m e reference,

rather than v i c e versa.

Thus a sentence l i k e he w i l l

be there now would a r i s e on the basis of sentences l i k e i f you i°°.!i J-bu-TJILi.- Y°.y'„i JL..i iJD?iL_i:.n^JLlll? '?. ih^JU 0 ' where we have not so much expression of his presence there at the present moment but rather of the f u t u r e discovery of his presence t h e r e .

It

is

s i g n i f i c a n t that in some of the Romance languages t h i s development seems to be g o i n g a stage f u r t h e r : Not o n l y has the i n f e r e n t i a l p o s s i b i l i t y been i n t r o d u c e d on the basis of f u t u r e

63

t i m e reference (if the preceding c l a i m is correct), but in-f erenti al i ty has succeeded in d r i v i n g out - f u t u r e t i m e reference as a possible i n t e r p r e t a t i o n of the so-called f u t u r e , so that in c o l l o q u i a l I t a l i a n , for i n s t a n c e , G i a n n i sara la means ' G i a n n i s u r e l y t h e r e ' rather than there'.

'Gianni w i l l

is

( a t some f u t u r e t i m e ) b e

Of course, t h i s leaves open the question whether f u t u r e

t i m e r e f e r e n c e or i n f e r e n t i a l i t y is dominant at any p a r t i c u l a r p o i n t of t i m e in the development of a l a n g u a g e , i n c l u d i n g E n g l i s h or German. 4.

Conclusion As noted at the b e g i n n i n g of t h i s p a p e r , the conclusions are

necessarily t e n t a t i v e .

I do, however, conclude that it

possible for f u t u r e tenses to e x i s t .

is

The question whether any

p a r t i c u l a r f o r m in any p a r t i c u l a r l a n g u a g e is an instance of f u t u r e tense, or to what extent it

is an instance of f u t u r e

tense, is a question that r e q u i r e s d e t a i l e d and i n s i g h t f u l a n a l y s i s.

Footnotes 1) T h i s a r t i c l e is based in part on work supported by the N a t i o n a l Science Foundation under grant BNS-S5O4293 for i n v e s t i g a t i o n of the grammar of the Haruai ( W i y a w ) language. 2) For a systematic attempt to a n a l y z e the German f u t u r e and f u t u r e p e r f e c t as modal ( i n f e r e n t i a l ) , see Vater (1975).

References C o m r i e , B. (1985). Tense, C a m b r i d g e . H a i m a n , J. ( 1 9 8 O ) . Hua: a Papuan language of the Eastern H i g h l a n d s of New G u i n e a , Amsterdam. V a t e r , H. (1975). U^r_den als M o d a l v e r b . In: C a l b e r t , J . P . / V a t e r , H. ( e d . ) , Aspekte der M o d a l i t ä t (Studien zur deutschen G r a m m a t i k I ) , T ü b i n g e n , 71-145.

Die Hilfsverben werden (deutsch) und zullen (niederländisch): modal oder temporal? Theo Janssen (Vrije Universiteit Amsterdam)

1. 2.

Einführung Temporale Modifizierbarkeit ist unabhängig von der morphologischen Tempusanzeige

2.1. Temporale Modifikation desfiniten Verbs 2.2. Temporale Modifikation des infiniten Verbs 3. 4.

Tempus ist keine Zeitkategorie Der Infinitiv der werdcn/zullen-FugM/tg ist temporal interpretierbar

5. 6.

Die Aktionsart der Infinitivfügung kann einen temporalen Effekt haben Die wcrden/zuHen-Fügu/tg ist kein grammatischer Einzelfall

7.

werdcn/zullen läßt sich als nur modal bestimmen

8.

Schluß

l.

Einführung

Die Diskussion über die Interpretation der Fügung werden mit Infinitiv, namentlich wie sie von Saltveit (1960), Vater (1975), Matzel & Ulvestad (1982) und Fabricius-Hansen (1986) geführt worden ist, hätte ebenso die niederländische Konstruktion zM/ten+Infinitiv betreffen können. Denn es gibt eine ähnliche Vielfalt von Forschungspositionen über die Interpretation der zw//en-Fügung. Die Streitfrage ist in beiden Fällen, ob die Fügung primär als temporal oder primär als modal zu betrachten ist. Da die Fügungen, obgleich sprachlich verschieden, sich in vielen einzelnen Interpretationsfragen ähneln, könnte ein Vergleich Licht in die Frage bringen, ob werden und zullen sowohl als temporal als auch modal, oder nur als modal aufzufassen sind. Meine Analyse wird zeigen, daß die werden- und zw/fert-Fügung sich semantisch sehr ähneln. Die interpretative Vielfalt läßt sich in beiden Fällen als Resultante der Kombination des modalen Hilfsverbs und des Infinitivs erklären: beide Komponenten, sowohl das modale Hilfsverb als der Infinitiv, behalten ihre originäre Bedeutung. In diesem Artikel werden die folgende Thesen in engem Zusammenhang zur Debatte gestellt.

66 (1) a

Eine temporale Lesart ist unabhängig von der morphologischen Tempusanzeige. Sowohl ein finites als auch ein infinites Verb ist temporal modifizierbar, b Tempus ist keine Zeitkategorie. Wenn ein finites Verb eine temporale Interpretation zuläßt, ist das auf die Situation oder auf den Kontext zurückzuführen, insbesondere auf eine adverbiale Zeitangabe. Mit der Präsens- und der Präteritalform wird jedoch ein Ereignis als ein vom Relevanzgesichtspunkt aus aktuelles, bezw. disaktuelles Ereignis präsentiert.

c

Der Infinitiv der werden/'zn//en-Fügung kann aufgrund einer temporalen Bestimmung im eigenen Satz oder in einem Vorgängersatz temporal interpretiert werden,

d

Die Aktionsart der Infinitivfügung kann temporalen Effekt haben. Wenn die Aktionsart der Infinitivfügung als terminativ oder telisch zu betrachten ist, ist die 'futurische' Interpretation die bevorzugte, Die Fügung werden/zullen+lnfinitiv ist in den Eigenschaften a-d kein grammatischer

e

Einzelfall. Mehrere Fügungen, sowohl andere Modalverben + Infinitiv als auch einige Vollverben + Infinitiv, schließen sich dieser Eigenschaftskombination an. f

2.

Das Hilfsverb werdenfzullen ist ausschließlich als modal zu charakterisieren: werden wie auch zullen ist jeweils nur eine und zwar eine modale Bedeutung zuzuordnen.

Temporale Modifizierbarkeit ist unabhängig von der morphologischen Tempusanzeige

Die Tempora im Niederländischen lassen sich in zwei Klassen mit vier parallelen Typen einteilen. Bei diesem Unterschied ist die temporale Modifikation entscheidend. Nicht nur das finite Verb der einfachen Tempusformen ist temporal modifizierbar, sondern auch jedes finite und infinite Verb der zusammengesetzten Tempusformen (Janssen 1983; 1988). 2.1. Temporale Modifikation desfiniten Verbs Die Sätze in (2) zeigen, daß bei Koordination hinter der temporalen Adverbialbestimmung nu 'nun' ein Gliedsatz mit einem präsentischen finiten Verb nicht mit einem Gliedsatz kombiniert werden kann, in dem das finite Verb präterital ist. (2) a b ?

Nu

is Jan vertrokken,

vcrtrekt Piet en

zal Klaas vertrekken.

Nun ist Jan weggegangen, geht Piet weg und wird Klaas weggehen, Nu was Jan vertrokken, vertrekt Piet en zal Klaas vertrekken. ... war Jan weggegangen...

c? d?

Nu Nu

is Jan vertrokken, is Jan vertrokken,

vertrok Piet en

zal Klaas vertrekken.

vertrekt Piet en

ging Piet weg... zou Klaas vertrekken. sollte Klaas weggehen.

67

Die temporalen Beziehungen in jedem Gliedsatz für sich allein und zwischen den koordinierten Gliedsätzen von (2)a lassen sich mit Zeitdiagrammen erläutern (mit dem Buchstaben t wird ein Zeitintervall angedeutet).

W

(2)a

'Sprechakt

»— 1 1

11

'Jans Weggang

>

'w

'Sprechakt ^vertrete '· tpiets Weggang

'Sprechakt 11

»

11

' Weggang Die Zeit des Sprechakts deckt sich mit der Zeit, die lexikalisch mit nu angedeutet wird. Auch die Zeit des Ereignisses angedeutet mit dem finiten Verb muß wohl in diesen Zeitpunkt liegen. Denn die Zeitbestimmung nu in der Spitzenstellung der Koordination kann, wenn die finiten Verben in den anderen Gliedsätzen präsentisch sind, nur mit einem finiten Verb kombiniert werden, das ebenfalls präsentisch ist. Nu spezifiziert ausschließlich die Zeit von Piets Weggang. Jans Weggang geht dem zuvor und Klaas' Abschied folgt. Bei Koordination hinter der temporalen Adverbialbestimmung toen, 'damals; in jenem Augenblick', kann ein Gliedsatz mit einem präteritalen finiten Verb nicht mit einem Gliedsatz kombiniert werden, in dem das finite Verb präsentisch ist. Die Sätze unter (3) zeigen das. (3) a

Toen

was Jan vertrokken,

vertrok Piet en

zou Klaas vertrekken.

Damals war Jan weggegangen, ging Piet weg und sollte auch Klaas weggehen, b ? Toen

is Jan vertrokken,

vertrok Piet en

zou Klaas vertrekken.

c ? Toen

was Jan vertrokken,

vertrekt Piet en

zou Klaas vertrekken.

d ? Toen

was Jan vertrokken,

vertrok Piet en

zal Klaas vertrekken.

Die temporalen Beziehungen in der Einzelsätzen und zwischen den koordinierten Gliedsätzen von (3)a lassen sich mit Zeitdiagrammen erläutern.

68

(3)

Wn

a

»—I I

tSprcchakt

11

11

>

tJans Weggang

tSprechakt *vertrok '· tPiets Weggang

tSprechakt tKlaas* Weggang

Mit toen wird ein Zeitintervall vor der Sprechzeit angedeutet. Da sich toen nur mit dem Präteritum seines Prädikats kombinieren läßt, muß auch die Zeit des Ereignisses angedeutet mit dem finiten Verb in dem mit toen angedeuteten Zeitpunkt liegen. Die Zeit von toen spezifiziert ausschließlich die Zeit von Piets Weggang. Jans Weggang geht dem zuvor, und Klaas' Abschied folgt Von den acht seit jeher im Niederländischen unterschiedenen Tempora sind zwei noch nicht erörtert worden: dasfiiturum exoctwn und dasfiiturum exactum praeteriti, wie in zal/zou vertrokken zijn in (4) und (5). (4) a

(Nu Jan eindelijk vertrokken is,) nu

zal ook Klaas spoedig vertrokken zijn.

Jetzt wo Jan endlich weggegangen ist, wird auch Klaas bald weggegangen sein. b ? (Nu Jan eindelijk vertrokken is,) nu

zou ook Klaas spoedig vertrokken zijn.

Jetzt wo Jan endlich weggegangen ist, sollte auch Klaas bald weggegangen sein. (5) a

(Toen Jan eenmaal vertrokken was,) toen zou ook Klaas spoedig vertrokken zijn. Als Jan endlich weggegangen war,

sollte auch Klaas bald weggegangen sein.

b ? (Toen Jan eenmaal vertrokken was,) toen zal ook Klaas spoedig vertrokken zijn. Als Jan endlich weggegangen war,

wird auch Klaas bald weggegangen sein.

Deckt sich die Sprechzeit mit der Zeit von nu, dann muß das finite Verb dtrfuturum exactumFügung präsentisch sein, wie die Sätze unter (4) zeigen. Aus den Sätzen unter (5) zeigt sich, daß das finite Verb derfuturum exactum praeteriti-Fügung in Kombination mit dem hinweisenden Adverb toen präterital sein muß. Aufgrund der untersuchten Kombinationsmöglichkeiten läßt sich schließen, daß tatsächlich zwei intern kohärente Tempusklassen unterschieden werden können. In der einen Tempusklasse ist das finite Verb präsentisch, in der anderen ist es präterital. Dieser Befund schlägt sich im Schema (6) nieder.

69

(6) Die Tempora im Niederländischen Tempus

finite Form

Hilfsverb

Hilfsverb

zullen 'werden/sollen'

hebbenJzijn 'haben/sein'

Hauptverb

PRAESENS

1. 2. 3. 4.

praesens

vertrekt

perfectum futurum futurum exactum

is zal zal

^

vertrokken zijn

vertrekken vertrokken

PRAETERTTUM

5. präteritum 6. plusquamperfectum 7. futurum praeteriti

vertrok was zou

8.

zou

2.2.

futurum exactum praeteriti

vertrokken vertrekken zijn

vertrokken

Temporale Modifikation des infiniten Verbs

In den Sätzen (7) und (8) spezifiziert toen die Zeit von Jans Weggang. Durch diese temporale Bestimmung wird der Weggang von dem Moment aus betrachtet, in dem das Ereignis anfängt (7)

Jan is toen zo snel als hij kon

vertrokken.

Jan ist damals, so schnell er konnte, weggegangen. tSprechakt

»- I I

II-

t-vertrokken (8)

Jan was toen zo snel als hij kon

vertrokken.

Jan war damals, so schnell er konnte, weggegangen. l

toen

»- l U

tSprechakt

II

^vertrokken

Sowohl in (9) als in (10) wird mit der temporalen Bestimmung morgen om 8 mir der Zeitpunkt von Klaas' Abschied spezifiziert.

70

(9)

Klaas 2äl morgen om 8 uur vertrekken. Klaas wird morgen um 8 Uhr weggehen.

»

(10)

tSprechakt

^morgen om 8 u.

11

11

*za/

^vertrekken

>

Klaas zoji morgen om 8 uur vertrekken. Klaas sollte morgen um 8 Uhr weggehen. *Sprechakt

^morgen om 8 u. ^•vertrekken

In den Sätzen (11) und (12) schließlich wird mit der temporalen Bestimmung morgen om 8 uur nicht spezifiziert, wann Wim weggeht, sondern wann sein Abschied schon realisiert ist. Die Bestimmung morgen om 8 uur spezifiziert hier somit weder die Zeit des finiten Verbs noch die Zeit des Ereignisses, angedeutet mit dem infiniten Verb vertrokken, sondern die Zeit des Ereignisses, angedeutet mit dem infiniten Hilfsverb zijn. (11)

Wimzal morgen om 8 uur vertrokken zijn. Wim wird morgen um 8 Uhr weggegangen sein. tSprechakt

^morgen om 8 u.

» - 1 1 - 1 1- 1 1 - > ^vertrokken

(12)

tzijn

Wim zoll morgen om 8 uur vertrokken zijn. Wim würde morgen um 8 Uhr weggegangen sein. tSprechakt ^morgen om 8 u. » - 1 1 - 1 1 - 1 1 - 1 1 -> ^zou ^vertrokken

Bisher hat sich gezeigt, daß nicht nur die Zeit des finiten Verbs, sondern auch die Zeit des infiniten Verbs spezifiziert werden kann. Auch wo das infinite Verb ein Hilfsverb ist wie in (11) und (12), erweist sich, daß die Zeit des damit angedeuteten Ereignisses temporal spezifierbar ist. Solche kompositioneile Analysen sind für das Perfekt im Deutschen und im Französischen von Bäuerle (1979), Ballweg (1988) und Waugh (1987) vorgeschlagen worden. Weiter kann festgestellt werden, daß die Analysen der Sätze (7)-(8), (9)-(10) und (l 1)-(12) mit den zusammengesetzten Tempora sich jedesmal nur durch die temporale Beziehung zwischen dem Sprechgeschehen und dem Ereignis, das mit dem finiten Verb angedeutet wird, unterscheiden.

71

3.

Tempus ist keine Zeitkategone

Finite Verben können oft anders als temporal interpretiert werden. Wenn ein finites Verb eine temporale Interpretation zuläßt, ist das auf die Situation oder auf den Kontext zurückzuführen, insbesondere auf eine adverbiale Zeitangabe. Diese Auffassung wird im Kern auch verteidigt durch Heidolph et al. (1980:516). Wenn nun Tempus tatsächlich keine Zeitkategorie ist, läßt es sich nicht mehr als problematisch betrachten, daß die Präsensform auch zur Andeutung eines Ereignisses verwendbar ist, das sich nach der Zeit des Sprechgeschehens zuträgt. Denn "die temporalen Bedeutungsvarianten [konstituieren sich] auf der Grundlage relativ einfacher [...] Tempusbedeutungen in Verbindung mit temporalen Kontextelementen, welche im wesentlichen die Bedeutungsunterschiede der Variante festlegen" (Heidolph et al. 1980: 516). Meiner Ansicht nach ist weder die Präsensform noch die Präteritalform eine Zeitkategorie. Was wird mit diesen Formen ausgedrückt? Mit der Präsensform wird ein Ereignis präsentiert als ein in der gegebenen Situation oder im betreffenden Kontext unter einem Relevanzkriterium zutreffendes Ereignis; dieser Relevanzgesichtspunkt (Origo; cf. Bühler 1934) kann somit wie etwa beim sogenannten praesens historicum) in der Vergangenheit liegen. Mit der Präteritalform wird ein Ereignis präsentiert, als spiele es sich abseits desjenigen ab, was in der gegebenen Situation oder im betreffenden Kontext vom Relevanzgesichtspunkt aus von vorrangiger Bedeutung ist. Nicht nur vergangene Ereignisse kommen hier in Betracht, sondern zum Beispiel auch bescheidene Wünsche (Ik wilde graag een biertje 'Ich wollte gerne ein Bier'), Spielinszenierungen von Kindern (Ik was de politie enjij de boef 'Ich war der Polizist und du der Schurke') und Irrealitäten (Het liefst vertrok ik morgen - vertrok: Indikativ - 'Am liebsten zöge ich morgen ab'). Mit der Präsensform wird ein Geschehen als etwas, worauf man gefaßt sein muss, dargestellt, mit der Präteritalform als etwas, womit man nur randhaft oder höchstens noch indirekt zu rechnen hat. Bei der Präsensform wird ein Ereignis als aktuelles präsentiert, bei der Präteritalform als disaktuelles (siehe auch Fuchs (1988) in bezug auf das Präteritum). Bakker (1975) hat statt disaktuell den Terminus inaktuell vorgeschlagen; diese Bezeichnung kan jedoch fälschlicherweise suggerieren, daß ein mit der Präteritalform angedeutetes Geschehen in der gegebenen Situation oder im betreffenden Kontext nicht zum Thema gehöre. (Siehe weiter zum Beispiel Wallace (1982) mit dem Unterschied: 'the "immediate" tense-mode' versus 'the "remote" tense-mode'). Die Bedeutung der Präsensform und die der Präteritalform lassen sich folgendermaßen kurz charakterisieren (Janssen 1989a; 1989b).

(13)

Bedeutung der l. und 2. finiten Form (Präsens und Präteritum) a

Mit der 1. finiten Form (Präsens) wird ein Ereignis als ein vom Relevanzgesichtspunkt aus aktuelles Ereignis dargestellt.

b

Mit der 2. finiten Form (Präteritum) wird ein Ereignis als ein vom Relevanzgesichtspunkt

aus disaktuelles Ereignis dargestellt.

72 Nach dieser Annahme gibt es auch keine Bereichsprobleme zwischen temporalen Modifikationen und füllten Verben, auf die Dowty (1982) hinweist, da die finiten Verben selbst keine zeitliche Lokalisierung eines Ereignisses andeuten können. Wenn ein finites oder infinites Verb mit einer adverbialen Zeitbestimmung kombiniert wird, kann nur diese adverbiale Zeitbestimmung für die temporale Interpretationsmöglichkeit zuständig sein. Vennemann (1987: 239) charakterisiert die Präsensform als zeitlos 'atemporal' im Gegensatz zu der Präteritalform, die ein Ereignis 'als am Äusserungszeitpunkt vergangen' anzeigt. Aber Verschiedenes spricht gegen eine solche Annahme. Die Präsensform läßt sich nicht uneingeschränkt verwenden. Siehe zum Beispiel die Sätze (14)a-d. (14) a

Toen Piet vertrok. besloot Wim te blijven. Als Piet wegging, entschloß Wim sich zu bleiben.

b ? Toen Piet vertrok, besluit Wim te blijven. Als Piet wegging, entschließt Wim sich zu bleiben. c ? Toen Piet vertrekt besloot Wim te blijven. d ? Toen Piet vertteki, hesMi Wim te blijven. Nur (14)a mit der Kombination von toen + Präteritalform in Haupt- ebenso wie Nebensatz ist richtig. Daß keiner der anderen Sätze akzeptabel ist, macht es schwer anzunehmen, daß das Präsens zeitlich neutral oder atemporal sei (siehe auch Bartsch 1988). Aber die Inkompatibilität von toen mit dem Präsens ist in meiner semantischen Charakterisierung der Präsensforrn gewährleistet, obwohl auch diese Beschreibung das Präsens als nicht-zeitlich kennzeichnet. Toen als Relativadverb (Konjunktion) und das Präsens sind unvereinbar, weil toen nicht zuläßt, ein damit temporal spezifiziertes Ereignis als ein vom Relevanzgesichtspunkt aus aktuelles Ereignis zu interpretieren. Der zweite Punkt betrifft Vennemanns semantische Unterscheidung der Präsensform und der Präteritalform. Siehe zuerst Satz (15) mit dem dazugehörigen Zeitdiagramm. (15)

Wanneer Piet vertrekt, (ontstaat er een betere sfeer.) Sobald Piet weggeht, (entsteht eine bessere Stimmung.) *Sprechakt ^wanneer » - 1 1 - 1 1 -> Vertrekt

Eine der möglichen Interpretationen von (15) wird durch das Diagramm erläutert: Die (besser als freies Relativadverb aufzufassende (Janssen 1983: 54)) Konjunktion wanneer 'wenn; sobald' läßt sich als Angabe einer zukünftigen Zeit deuten, so daß die Präsensform vertrekt als zukunftsbezogen zu interpretieren ist. Das Präsens kann also ein Ereignis andeuten, das hinsichtlich der Sprechzeit nachzeitig ist. Dieses 'futurische Präsens' läßt sich mit einem 'futurischen Präteritum' vergleichen, wie die folgende Sätze und die dazugehörigen Diagramme zeigen.

73

(16)

Gerrit mag wel even meekaarten. Maar wanneer de vaste man komt. (moet Gerrit zijn plaats afstaan.) Gerrit darf schon kurz mitspielen. Aber sobald der feste Mann kommt, (muß Gerrit den Platz räumen.) l

Sprechakt

»

(17)

11

^wanneer

11

>

Gerrit mocht wel even meekaarten. Maar wanneer de vaste man kwam. (moest Gerrit zijn plaats afstaan.) Gerrit durfte schon kurz mitspielen. Aber sobald der feste Mann kam, (mußte Gerrit den Platz räumen.) ^Referenzzeit ^wanneer ^Sprechakt »- 1 1 - 1 1- 1 1

Die Zeit von mocht 'durfte' ist die Referenzzeit des freien Relativadverbs wanneer. Dieses Adverb (Konjuktion) bestimmt die Zeit des mit kwam angedeuteten Ereignisses. Dieses Ereignis ist also nachzeitig hinsichtlich der Zeit von mocht, aber vorzeitig hinsichtlich der Sprechzeit. Wir sollten also annehmen, daß das Präteritum einen Posterioritätsbezug und einen Vergangenheitsbezug in sich zu vereinen hat: Der Posterioritätsbezug ist hinsichtlich der Zeit von mocht durch das als Adverbialbestimmung aufzufassende Relativadverb wanneer bestimmt, der Vergangenheitsbezug dagegen durch die Beziehung zwischen dem mit kwam angedeuteten Ereignis und der Sprechzeit. Dies ist nicht nur vom Sachverhalt her paradox, sondern es weicht auch von dem Befund beim Präsens in (15) und (16) ab, wo durch Zutun von wanneer die Sprechzeit der Ausgangspunkt des Posterioritätsbezugs und demzufolge auch des Zukunftsbezugs des Präsens ist. Betrachten wir die Präsensform jedoch als Umschreibung eines von der Sprechsitualion aus aktuellen Ereignisses, dann kann der Posterioritätsbezug als ausschließlich durch die Zeitangabe des Relativadverbs wanneer bestimmt gedeutet werden. Der Posterioritätsbezug ergibt sich dann aber nicht aus einer Eigenschaft der Präsensform, sondern ist nur eine Deutungsmöglichkeit, die eben durch die Bedeutung dieser Form nicht blockiert wird. Auch in (17) ist nur wanneer für die posterioritätsbezogene Interpretation zuständig. Die disaktualisierende Bedeutung der Präteritalform behindert weder diese Interpretation noch den auf Grund des Kontexts plausiblen Vergangenheitsbezug (siehe Janssen 1989). Keine verbale Bildung, weder die Präsensform noch die zu//en-Fügung, ist ausschließlich dazu geeignet, ein zukünftiges Ereignis zu denotieren. Es ist also keinesfalls erstaunlich, daß die Präsensform einen anderen semantischen Effekt hervorruft als die zu//en-Fügung, wenn ein

74 zukünftiges Ereignis gemeint ist. Verschiedene Grammatiker, unter ihnen Vetter (1973) und Vater (1975:100), haben daraufhingewiesen. Man vergleiche die Sätze (18) und (19). (18) a

Morgen is het vrijdag.

b (19) a

Morgen ist Freitag. Morgen zal het vrijdag zijn.

b

Morgen wird Freitag sein.

Nur wenn wir nicht sicher sind, welchen Tag wir heute haben, kommen die Sätze unter (19) in betracht (vergleiche auch Schecker 1988: 155). Sonst werden die Sätze unter (18) bevorzugt.

4.

Der Infinitiv der werden/zullen-Fügung ist temporal interpretierbar

Der Infinitiv der werden/zullen-Fügung kann durch ein Zeitadverbial im eigenen (Glied)Satz, durch ein Zeitadverbial in einem vorhergehenden (Glied)Satz oder auf Grund von Kontextinformation im weiteren Sinne als 'futurisch' interpretierbar sein. Das infinite Hauptverb weggehen in (20) und das Hilfsverb sein in (21) werden durch eine Zeitangabe im eigenen Satz temporal bestimmt Die infinite Kopula sein in (22) wird dagegen durch eine Zeitangabe im vorhergehenden Satz temporal bestimmt (20)

Peter wird morgen um 8 Uhr weggehen.

(21)

Peter wird morgen um 8 Uhr weggegangen sein.

(22)

Peter hat etwas gegessen, das ihm nicht bekommen ist. Ich denke, daß er heute abend nicht mit von der Partie ist Er wird krank sein.

Es ist zwar auch möglich, den Infinitiv in diesen Fällen als 'futurisch' zu interpretieren. Aber in systematischer Hinsicht ist es besser, daß betreffende Ereignis als strikt folgend auf das mit werden angedeutete Ereignis zu betrachten. Die Abfolgebeziehung zwischen dem mit werden und dem mit dem Infinitiv ausgedrückten Ereignis bezeichne ich als Posterioritätsbezug. Dies ist Teil meiner Analyse der zusammengesetzten Tempora. Jedes Verb, gleichgültig ob finit oder infinit, wird als Bezeichnung eines relativ unabhängigen Ereignisses betrachtet (Janssen 1983; 1988). Die inneren Beziehungen der sogenannten zusammengesetzten Tempora können dann folgendermaßen schematisiert werden.

75 (23)

Relevante Entitäten Sprechereignis Ereignis bezeichnet mit das finite Verb

S E

Ereignis bezeichnet mit das l. infinite Verb

E'

Ereignis bezeichnet mit das 2. infinite Verb

E''

Schema (24) unten spezifiziert die interpretativen Relationen, die die Verbformen in ihrer Verwendung als 'Präsens', 'futurisches Präsens', 'Futurum I und betreffen. Da die Relationen nicht grammatisch kodiert werden, sind sie nicht konstitutiv, sondern lediglich als aus der Situation oder dem Kontext der Äußerung erschließbar zu betrachten. (24)

Interpretative Relationen - E überlappt S:

'Präsens'

- E folgt strikt auf S:

'futurisches Präsens'

- E überlappt S E1 folgt strikt auf E:

'Futurum

- E überlappt S E' folgt strikt auf E E"geht E' strikt voraus: 'Futurum

('futurum exactum')

x folgt strikt aufy geht y strikt voraus: die Zeitintervalle und y haben kein Zeitintervall z gemein Die Zeitdiagramme (25)-(28) erläutern die unterschiedlichen zeitlichen Verwendungen. (25) 'Präsens'

E S

>~>

·**

||

vertrekt geht weg (26) 'futurisches Präsens'

E

S

·*>·

| |

vertrekt geht weg (27) 'Futurum

E S

»

E'

| |

zal wird

(28) 'Futurum »

vertrekken weggehen

('futurum exactum') E S II zal wird

E"

E'

M

11

vertrokken weggegangen

zijn sein

->

76 In den Diagrammen wird kein gesonderter Referenzpunkt benutzt. Die Ereignisse können ohne Vermittlung gesonderter Referenzen zueinander in Beziehung stehen. Denn die Zeit der Ereignisse selbst kann als Referenzzeit dienen, wie in (24) festgelegt ist. Die Autonomie der betreffenden Verben ist ein integrierender Bestandteil der kompositionellen Analyse. Im Folgenden gehe ich auf diese Autonomie der unterschiedlichen Verben der zusammengesetzten Tempora und der damit bezeichneten unterschiedlichen Ereignisse näher ein.

5.

Die Aktionsart der Infinitiyfügung kann temporalen Effekt haben

Die These, daß das Hilfsverb der Fügung wenfen+Infinitiv ausschließlich eine modale Rolle spielt, ist besonders von Vater (1975) vertreten worden. Er bestreitet Saltveits These (1960), daß der Ausdruckswert der Fügung werden+Infiniuv zwischen einer vorherrschenden Zeitfunktion, und zwar einem Zukunftsbezug, und einer reinen Modalitätsfunktion variiere. Saltveit sieht zwischen Aussagen wie (29) und (30) einen deutlichen Unterschied, obwohl er beide als modal bezeichnet. (29)

Es wird (schon) wahr sein.

(30)

Er wird (schon) (bald) kommen.

Saltveit (1960: 48-49) stellt Folgendes fest: 'Die erste [Aussage] bezieht sich immer auf Gegenwärtiges, soweit kein Element hinzutritt, das Zukunftsbezug bewirkt; die zweite dagegen kann sich - auch ohne bald - nur auf Zukünftiges beziehen.' Nicht klar ist, ob Saltveit meint, daß die eventuelle zukunftsbezogene Bestimmung Teil des betreffenden Satzes sein soll. Beispiel (31) zeigt, daß eine solche Bedingung zu streng ist. (31)

Peter hat etwas gegessen, das ihm nicht bekommen ist. Ich denke, daß er heute abend nicht mit von der Partie ist. Er wird krank sein.

Peters Erkrankung liegt in der Zukunft. Die Infinitivfügung krank sein interpretiere ich als strikt folgend auf die modale Bewertung, ausgedruckt mit wird. Auch nach Vaters Ansicht ist die werden-Fügung immer modal. Sein Grundgedanke ist der (Vater 1975: 119): Wenn eine reine Schilderung des Sachverhalts - ohne modale Färbung beabsichtigt ist, sind immer die Tempora ohne werden einsetzbar. Die werden-Fügang - losgelöst von temporalen Bestimmungen - sei im Grunde niemals eindeutig futurisch zu verstehen. Hinsichtlich der zw/fen-Fügung bin ich grundsätzlich derselben Meinung. Vaters zweiter Punkt erfordert aber eine Nuancierung. Die Aktionsart der Infinitivfügung kann nämlich temporalen Effekt haben. Ist die Aktionsart der Infinitivfügung als terminativ oder telisch zu betrachten, dann gibt es

77 bei der zullen-Fügung und, soweit ich es beurteilen kann, auch bei der werden-Pügmg bevorzugt eine 'futurische' Interpretation. Ohne daß irgendeine kontextuelle Zeitangabe direkt Anlaß dazu gibt, kann die werden/zullen-fügang manchmal so interpretiert werden, daß das Ereignis des infiniten Verbs dem Ereignis des finiten Verbs folgt. Diese Lesart kann auf die Aktionsart der Infinitivfügung zurückgeführt werden, falls sie sich als terminativ oder als telisch betrachten läßt (Janssen 1983). Diese Präferenz hat ein Pendant in einer von Saltveit (1960: 47) genannten Beobachtung Erbens, daß die modale Funktion 'besonders in Verbindung mit dem Infinitiv durativer Verben' auftritt. Beide Präferenzen kommen in Fällen wie (32) und (33) deutlich zum Ausdruck. (32)

Peter zal

vertrekken.

Peter wird weggehen. (33)

Peter zal

vertrokken

zijn.

Peter wird weggegangen sein. Es ist nur unter besonderen Umständen möglich, (32) als eine ausschließlich modale Aussage zu interpretieren. Wenn der Infinitiv stark betont ist und als nicht-terminativ aufgefaßt wird, dann kann der Satz eine nicht-futurische Lesart erhalten: 'Was macht Peter doch?' - 'Peter wird beim Weggehen sein.' (siehe Janssen 1983: 75; so auch Schecker 1988: 144-45). Dagegen läßt sich (33) losgelöst vom Kontext nicht leicht als 'futurum exactum' interpretieren. Dies wird auch von Vater (1975: 98) betont. Allerdings ist eine zukunftsbezogene Interpretation im richtigen Kontext wohl möglich, wie er mit (34) zeigt. (34)

Nun dauert es nicht mehr lange, und Peter wird weggegangen sein.

Der Gegensatz der Sätze (32) und (33) zeigt aufs neue den Wert der kompositioneilen Analyse der zusammengesetzten Tempora. Denn der Unterschied läßt sich durch die Anwesenheit von zijnlsein erklären, das in der Fügung zal vertrokken zijnlwird weggegangen sein eine nichtterminative oder atelische Rolle erfüllt. Offensichtlich ist die Relation zwischen zullen/werden und zijnlsein entscheidend. Dazu stellen sich auch die Fälle in (35) und (36). (35)

Peter zal

thuis zijn.

Peter wird zu Hause sein. (36)

Peter zal

ziek zijn.

Peter wird krank sein. Auch in diesen Sätzen ist eine Interpretation möglich, nach der das mit der Infinitivfügung angedeutete Ereignis der mit wird angedeuteten modalen Bewertung strikt folgt. Aber losgelöst vom Kontext ist diese Interpretation sicherlich nicht die bevorzugte, sondern vielmehr jene, in der sich die mit wird angedeutete modale Bewertung und das mit der Infinitivfügung umschriebene Ereignis überlappen.

78 Folglich könnte man sich jedoch mit Recht fragen, wie sinnvoll es ist, Sätze anders als als Aussagen in ihrem Kontext zu analysieren.

6.

Die wcrden/zullen-FügM/tg ist kein grammatischer Einzelfall

Was eine mehrfache Lesart betrifft, ist die Fügung von werden/zullen + Infinitiv mit Kombinationen wie zum Beispiel wollen, können, dürfen, sollen, müssen, hoffen, oder wünschen + Infinitiv (turtle 1967: 102-104; Vater 1975: 94; Janssen 1983: 68, 1988: 124-25) zu vergleichen. In den Sätzen unter (37) sind im Grunde zwei Interpretationen möglich: Das Ereignis der Infinitivfügung ist entweder gleichzeitig oder nachzeitig in bezug auf das mit dem finiten Verb bezeichnete Ereignis. (37) a

Peter wird dabei sein. Peter will dabei sein. Peter kann dabei sein. Peter darf dabei sein. Peter soll dabei sein. Peter muß dabei sein. Peter hofft dabei zu sein.

b

Peter wünscht dabei zu sein.

Peter zal erbij zijn. Peter wil erbij zijn. Peter kan erbij zijn. Peter mag erbij zijn. Peter moet erbij zijn. Peter moet erbij zijn. Peter hoopt erbij te zijn. Peter wenst erbij te zijn.

Kombinationen mit einem Infinitiv wie weg(zu)gehen l (te) vertrekken haben unverkennbar eine bevorzugte Interpretation: nämlich daß das Ereignis der Infinitivfügung hinsichtlich des Ereignisses des finiten Verbs nachzeitig ist. Nun betrachte man nach (37) noch (38). (38) a

Peter wird weggehen.

b

Peter zal vertrekken.

Peter will weggehen.

Peter wil vertrekken.

Peter kann weggehen. Peter darf weggehen.

Peter kan vertrekken. Peter mag vertrekken.

Peter soll weggehen.

Peter moet vertrekken.

Peter muß weggehen. Peter hofft wegzugehen.

Peter moet vertrekken. Peter hoopt te vertrekken.

Peter wünscht wegzugehen.

Peter wenst te vertrekken.

Zwischen (37) und (38) zeigt sich ein scharfer Gegensatz in der Bevorzugung der Interpretation der betreffenden Infinitivfügungen. Der Unterschied in den Lesartpräferenzen kommt im Gegensatz zwischen einer Kombination mit einem Infinitiv Präsens und einer Kombination mit einem Infinitiv Perfekt wie in (39) und (40) wieder klar zum Ausdruck.

79 (39) a b

Peter hoopt te slagen. Peter hofft durchzukommen.

(40) a

Peter hoopt geslaagd te zijn

b

Peter hofft durchgekommen zu sein.

Bei (39) ist die Interpretation der Nachzeitigkeit die bevorzugte, bei (40) dagegen die Interpretation der Gleichzeitigkeit, bzw. Vorzeitigkeit. Wir können also schließen, daß eine Parallelität zwischen Kombinationen mit werden und Kombinationen sowohl mit Modalverben als auch mit Vollverben wie hoffen und wünschen besteht. Weiter kann festgestellt werden, daß diese Parallele auch ein gutes Indiz für den Wert der kompositionellen Analyse der zusammengesetzten Tempora ist. In einer kompositioneilen Analyse hat das Hilfsverb zullenfwerden einen eigenen, relativ unabhängigen Status. Wird diese Autonomie anerkannt, dann ist die interpretative Diskrepanz zwischen (31) und (32) und zwischen (39) und (40) leichter zu verstehen.

7.

werden/zullen läßt sich als nur modal bestimmen

Hinsichtlich der Interpretation der zullen/werden-Fügung hat sich bisher Folgendes herausgestellt. Bei Konstruktionen mit zullen/werden ist die Wahl zwischen einer bevorzugten temporalen und einer rein modalen Interpretation nicht durch das Hilfsverb bedingt; der Lesartwechsel ist vielmehr von der Interpretation des Infmitiwerbs abhängig. Das Ereignis der Infinitivfügung ist, abhängig vom Kontext, als gleichzeitig oder nachzeitig hinsichtlich der Zeit der mit zullen/werden angedeuteten modalen Bewertung zu interpretieren. Laut Matzel und Ulvestad (1982) sind einander zukunftsbezogene Aussagen mit werden und solche mit einer Präsensform gleichwertig (1982: 313), d.h. auswechselbar zu verwenden (1982: 319). Sie bestimmen jedoch eine Klasse von zukunftsbezogenen Aussagen, in denen die Form mit werden obligatorisch ist. Ihre Beispiele sind (41)-(46). (41) a b

Glaubst du, Herman wird sich argem? Denk je dat Herman zieh zal ergercn?

(42) a

Onkel Peter kommt... Na, der wird Augen machen,

b (43) a b (44) a b

(Dom Peter komt... Nou, die zal vreemd opkijken. Aber so schlimm ist das doch gar nicht...-Werden wir gleich sehen, Maar dat is toch helemaal niet zo erg... - Zullen we zo zien. Das wird sich erst in drei Tagen... herausstellen, Dat zal pas met een dag of drie... blijken.

80

(45) a b (46) a b

Wenn ich Ihnen den Namen nenne, werden [S]ie jubeln, Wanneer ik u de naam noem, zult u juichen. Mensch, werde ich froh sein, wenn wir wieder in Hamburg sind! Man, wat zal ik blij zijn als we weer in Hamburg zijn!

Matzel und Ulvestad (1982: 319-321) nennen für obligatorisches Futur I die folgenden Bedingungen. Die Sätze seien subjektiv und entbehrten des Merkmals [+Gewähr]. Die meisten Verben oder Verbphrasen der ergänzenden Infinitivfügung seien in dieser Gebrauchsweise nicht mit Adverbien wie absichtlich, willentlich und vorsätzlich kompatibel (1982: 321). 'Meistens ist der Zeitbezug Zukunft nur aus dem Kontext erschließbar, oder er wird durch einen gewöhnlich nachfolgenden wenn-Sutz angezeigt' (1982: 321). Nehmen wir nun an, daß diese Klasse von Fällen auf diese Weise hinreichend charakterisiert ist. Können diese Beispiele dann der Auffassung im Weg stehen, daß werden nur modal zu interpretieren ist? Ich glaube nicht, und zwar aus folgenden Gründen. Erstens scheint mir eine futurische Interpretation im entsprechenden Satz ohne werden/zullen nicht in allen Fällen ausgeschlossen (W.Abraham und H.Vater halten nur (42)a für obligatorisch, sonst seien ebenso gut Präsensformen möglich; pers. Mitteilg.). Siehe zum Beispiel (47) gegenüber

(44). (47) a b

Das stellt sich erst in drei Tagen Dat blijkt

heraus,

pas met een dag of drie.

Zweitens beziehen sich nahezu alle Charakteristika einschließlich der adverbialen Zeitbestimmung nur auf die ergänzende Infinitivfügung. Der von Matzel und Ulvestad befürwortete Ausnahmestatus dieser Klasse wird also nicht durch werden bestimmt, sondern bestenfalls durch die ergänzende Infinitivfügung. Drittens ist laut Matzel und Ulvestad der Zeitbezug Zukunft bei der fraglichen Gruppe von Sätzen meistens nur aus dem Kontext oder auf Grund eines we«n-Satzes erschließbar. Nehmen wir nun an, daß weder der Kontext noch der wenn-S&lz als solcher imstande ist, eine zukunftsbezogene Interpretation zu erzwingen. Die einfachste Erklärung der zukunftsbezogenen Interpretation scheint dann zu sein, werden dafür als zuständig zu betrachten und zwar in einer rein temporalen Qualität. Ich möchte allerdings noch eine andere Lösung vorschlagen. Siehe dazu die Sätze unter (48) (Janssen 1983: 70). (48) a

Gelet op zijn verplichtingen eiders

zal de minister niet aanwezig zijn

bij de openingsplechtigheid. In Anbetracht seiner anderweitigen Verpflichtungen wird der Minister nicht bei der Eröffnungsfeier anwesend sein.

81

b ? Gelet op zijn verplichtingen elders

i§ de minister niet aanwezig

bij de openingsplechtigheid. In Anbetracht seiner anderweitigen Verpflichtungen ist der Minister nicht bei der Eröffnungsfeier anwesend, c

Gelet op zijn verplichtingen eiders

15 de minister stellig niet aanwezig

bij de openingsplechtigheid. In Anbetracht seiner anderweitigen Verpflichtungen ist der Minister sicherlich nicht bei der Eröffnungsfeier anwesend. Nur im a-Satz tritt das Hilfsverb zullenlwerden auf; in dem b- und c-Satz steht das Hauptverb im Präsens. Dem b-Satz läßt sich nur eine lächerliche Interpretation zuordnen: 'Beachtet man, daß der Minister irgendwo anders Verpflichtungen hat, dann ist er nicht bei der Eröffnungsfeier anwesend'. Der c-Satz mit der modalen Bestimmung stellig 'sicherlich' ist jedoch unzweifelhaft akzeptabel und zwar mit Zukunftsbezug. Was wird durch modale Elemente wie stellig 'sicherlich' ausgelöst? Sie drücken aus, daß die Sicht auf das im Restsatz angedeutete Ereignis vom Relevanzgesichtspunkt aus verschleiert ist; d.h. zwischen dem Relevanzgesichtspunkt und dem betreffenden Ereignis besteht eine gewisse Opazität. Der Relevanzgesichtspunkt ist im Kontext von (41)-(46) die Situation der Sprechhandlung. Im Kontext dieser Sätze ist es nicht plausibel, Opazität zwischen der Situation der Sprechhandlung und einem eventuellen, sich gleichzeitig zutragenden Ereignis in Betracht zu ziehen. So bleibt in diesem Fall nur die Möglichkeit, Opazität zwischen der Situation der Sprechhandlung und einem sich eventuell nachzeitig abspielenden Ereignis anzunehmen (siehe auch Dieling 1982: 326). Wenn die Infinitivfügung jedoch als nachzeitig zu interpretieren ist, tritt der Argumentation oben zufolge der modale Beitrag des Hilfsverbs zullenlwerden hinter dem Nachzeitigkeitsbezug zurück: die Modalität büßt an Prominenz ein, verschwindet aber nicht völlig, wie (18)-(19) beweisen. Da eine Aussage über ein zukünftiges Ereignis zur Sprechzeit nie faktisch bewertbar ist, hat eine solche Aussage auch immer modalen Wert. Aussagen über Zukünftiges mit zullenlwerden und Aussagen über Zukünftiges mit einer Präsensform unterscheiden sich somit dadurch, daß die modale Betrachtungsweise nur in den Aussagen mit zullenlwerden in Worte gefaßt wird. In ihrem Buch Tempus fugit vertritt Fabricius-Hansen (1986: 145) den folgenden Standpunkt: Mit der werden-Fügung kann explizit zu verstehen gegeben werden, daß die Verifikation noch aussteht und die Behauptung mit einem gewissen Vorbehalt zu nehmen ist. Sie betrachtet aber die Nichtverifizierbarkeit des Restsatzes als eine pragmatische Bedingung, die automatisch redundant wird, wenn der Bezugsrahmen des Satzes durch irgendwelche Mittel auf den Zukunftsbereich eingeengt ist. Ihrer Ansicht nach deckt sich die Bedeutung des Futurs nicht mit seiner pragmatischen Funktion, sondern sie umfaßt eine echt temporale Komponente. Sie erläutert dies an Hand von Beispiel (49)a und b.

82

(49) a

Im Dezember 1790 wird Jean-Fransois Champollion geboren. 1801 holt ihn sein Bruder nach Grenoble und übernimmt seine Erziehung. Er wird viel für den Familiennamen leisten.

b

... Er leistet viel für den Familiennamen.

Das 'historische Futur' im letzten Satz des Textausschnitts (49)a erlaubt keinen Austausch durch eine Präsensform wie in (49)b. Laut Fabricius-Hansen kann keine Rede davon sein, daß der Erzähler zur Sprechzeit den 'Restsatz-im-Kontext' nicht für verifiziert oder verifizierbar hält. Ist aber der Relevanzgesichtspunkt im Kontext von (41)-(46) die Situation der Sprechhandlung, dann ist er beim letzten Satz von (49)a in der frühen Jugend Champollions zu finden. Von diesem Zeitbezirk aus wird Champollions später zu erwerbender Verdienst für seinen Familiennamen betrachtet (siehe auch Schecker 1988: 165). Der besondere narrative Wert des 'historischen Futurs' liegt hierin, daß mit werden die Sicht auf das im Restsatz umschriebene Ereignis so präsentiert wird, als sei es vom betreffenden Gesichtspunkt aus verschleiert.

8.

Schluß

Die zu//en-Fügung und die werden-Fügung lassen beide mehrere Interpretationen zu, wobei die Interpretationen beider Fügungen sich paarweise systematisch ähneln. Dies scheint ein starkes Indiz gegen die Annahme zu sein, daß mehrere Bedeutungen des Hilfsverbs vorliegen. Sowohl zullen als auch werden ist jeweils nur eine einzige Bedeutung zuzuordnen. Als annähernde Charakterisierung von zullen/werden (siehe Janssen 1983: 69-70; fürs Deutsche ähnlich Dieling 1982: 328 und Vennemann 1987:236-37) läßt sich vorschlagen: 'Es gibt gute Gründe zu sagen, daß...'

83

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(1989a) Present and Past: Counterparts of this and that. L.A.U.D. Series A, No. 269. (1989b) 'Tempus: interpretatie en betekenis', in: De Nieuwe Taalgids (im Druck). Matzel, K. & Ulvestad, B. (1982) 'Futur I und futurisches Präsens', in: Sprachwissenschaft 7, 282-328.

84 Saltveit, L. (1960) 'Besitzt die deutsche Sprache ein Futur?', Der Deutschunterricht 12, 46-65. Schecker, M. (1988) 'Über die Zukunft des Futur. Oder: Tempus und Zeit im Standarddeutschen', in: U.Maas & W. van Reijen (Hg.), Geteilte Sprache. Festschrift für Rainer Märten. Amsterdam, 131-173. Vater, H. (1975) ' Werden als Modalverb', in: J.P.Calbert & H.Vater, Aspekte der Modalität, Tübingen, 71-148. Vennemann, Th. (1987) 'Tempora und Zeitrelationen im Standarddeutschen', in: Sprachwissenschaft 12, 234-249. Vetter, D.C. (1973) 'Someone solves this problem tomorrow', in: Linguistic Inquiry 4,104-108. Wallace, S. (1982) 'Figure and ground: The interrelationships of linguistic categories', in: PJ.Hopper (Hg.), Tense-aspect: Between semantics and pragmatics, Amsterdam etc., 201-223. Waugh, L.E. (1987) 'Marking time with the pass6 composo: toward a theory of the perfect', in: Lingvisticae Investigationes 11, 1-47.

Preterite, ( P r e s e n t - ) P e r f e c t and Future* Joachim Ballweg ( I n s t i t u t für deutsche Sprache, Mannheim)

0.

Introduction

1.

The tense-logical language ADETAL 2 ( V )

1.1

Syntax of ADETAL

1.2

Semantics of ADETAL 2 ( V )

2.

Preterite versus

3.

Does German have a Future?

4.

Conclusion

0.

Introduction

Among the

2(V) (Present-)Perfect

many peculiarities

of

the

German

tense

system which

make its description or reconstruction such a d i f f i c u l t task to perform, there is one outstanding stumbling-block, v i z . the relation between the - morphologically simple - Preterite and the compound - ( P r e s e n t - ) P e r f e c t . Disregarding problems of variety South, the Preterite either modal verbs, e . g . (1)

doesn't

in spoken German

exist

or is

in the

restricted

to

Er wollte kommen.

there still remains one basic problem about these two tenses: In some contexts, there seems to be no - or at least no important d i f f e r e n c e in meaning, as in ( 2 ) (a) (b) (3)

Gestern waren wir klettern. Gestern sind wir klettern gewesen. - aber daß mein Mann mich nahmt trotz einem Kind, daß er Angela ein liebevoller Vater geworden ist, der keinen Unterschied gemacht hat zwischen ihr und seinen eigenen Kindern, das weißt Du nicht. (Jung, Die Magd vom Zellerhof, 43)

86 In other cases, the difference matters: (4)

Heute -ist das Furiose zurückgetreten zugunsten einer auf wenige signifikante Elemente reduzierten Darstellung. (Freisinger Tageblatt, 8 . / 9 . 9 . 1 9 7 3 )

So if we want to avoid the theoretically u n s a t i s f a c t o r y solution of two variants of the (Present-) Perfect of which only one would be equivalent to the Preterite, we have to look for an analysis which is flexible enough to f u r n i s h the necessary semantic d i f f e rences between the two tenses on the

one hand,

and to

show, on

the other hand, how these differences can almost be cancelled in cases like ( 2 b ) a n d ( 3 ) .

1.

The tense-logical language ADETAL 2 ( V )

The following pages will present the outlines of a reconstruction in the framework of a tense-logical language ADETAL 2 ( V ) . To keep technicalities at a minimum, we will give a rather informal outline.

1.1

Syntax of ADETAL

2(V)

Syntactically, ADETAL 2 ( V ) is a language of propositional logic, enriched with tense operators and temporal adverbials. The set of tense operators, taking formulae into tensed formulae, is TO, which is to be T 0 1 u T 0 2 , where T01 is to be { Pres, Pret, Fut } , T02 is to be { Perf } . This split mirrors in the syntactical rules, as all elements of TO operate on untensed formulae to yield tensed ones, and, moreover, the operators in T01 operate on formulae already tensed by P e r f ! The idea behind this construction, of course, is to render the compound tenses of German, v i z . ( P r e s e n t - ) P e r f e c t , PreteritePerfect and Future-Perfect, by compound formulae in the language of logical reconstruction. Simple formulae of ADETAL 2 ( V ) correspond to 6erman sentencoids with the main verb in the i n f i n i t i ve, viz. p: wir sein klettern, perfectivized formulae correspond

87 to

sentencoids

with

the

main

verb

in

the

infinitive

of

the

perfect, v i z . P e r f ( p ) : wir sein klettern gewesen and f i n a l l y , the Operators of T01 take these into ' n o r m a l 1 fjerman sentences with the corresponding tense forms: Wir

Pres(p)

sind

klettern.

waren

Pret(p) Fut(p)

II

Pres(Perf(p))

II

üerden

Pret(Perf(p)) Fut(Perf(p))

"

sein.

Kt f ' L 14

sind

"

gewesen.

waren

II

II

werden

"

We w i l l , for the time being, neglect all status and treatment of

the

gewesen sein. problems concerning the

Future and Future P e r f e c t . We will

take these up in section 3. The temporal adverbs are treated in a t o t a l l y

liberal w a y ,

operating on formulae s i m p l i c i t e r , regardless if these are tensed or

not.

will

Before we can comment on that

have

to

say

something

about

in

the

any sensible w a y , we interpretation

of

our

language f i r s t .

1.2

Semantics

of

ADETAL

2(V)

The semantic universe of our language is worlds, given als functions

to be a set

of possible

from simple formulae and time inter-

vals to truth values. To make this fit

to our descriptive needs,

we superimpose some structure: - First,

we postulate that

our universe of possible worlds has

the structure of a tree. - Second, we stipulate for each model we define relative to our tree

of

possible

worlds,

a

designated world,

intuitively, and two designated intervals, Reichenbach these

the

real one,

in the tradition of

and adopting a perspective of A q v i s t ' s ,

intervals

as

the

time of

reference

and the

we see

time

from

88 where the f i r s t has been obtained. The original time of reference and time from where will be given by another designated

interval, the time of speech. Once we have singled out a real world w at the speech time (t° h e n c e f o r t h ) , we also can designate the real past of our world w . Graphically, we have the following picture:

The lines represent "worlds" in the sense of temporal world"real world" and and the line -Ι ι ι ι ι indicates the segments its past up to t°. ° The branches emerging from after t are to be understood as the possible futures of the real world with respect to t°. Among these, we can again designate some as the prima-facie-futures, i.e. the courses the world is more (or even most) likely to take. So we get a picture like this:

,to,

89

where

M i l represents the real world up to t°,

the dotted lines

represent the possible f u t u r e s , and the line with the f u l l dots the prima-facie-futures of the designated world. For the sake of convenience, we call the union of the real world up to t° with all

its

W t0) w (t°) 0< futures Ω ^ , and the restriction of n4

to the p r i m a - f a c i e - f u t u r e s , Ω

Vt0) 4

Relative to the sketched semantic background, we can now give truth-conditions for tensed formulae. The general idea about the f u n c t i o n of tense-operators is that they introduce restrictions on the relative positions of the time of reference and the time from where in the universe structured as above, and that they, pace Reichenbach, be set up as functions from formulae, worlds and pairs of time intervals to truth values. Let us start with the truth-conditions for the present tense. Consider the following sentences: (5)

Die Sonne scheint.

(6) (7)

Der Kaminfeger kommt. Der drei igj hrige Krieg bricht

Only in ( 5 ) , it

aus.

seems, do we have a strict restriction that the

time of reference

should at least overlap the time of

speech,

which serves as time from where. (6) is very naturally understood as an announcement that the chimney-sweep will come, i.e. the time of reference must be in the f u t u r e , and in (7) we simply know that the event happened long ago, so the time of reference must be in the past. The moral to be drawn is of course that the present tense imposes no restriction on the £· time of reference t 1 So an interpretation f u n c t i o n g for our operator Pres has to be: g ( P r e s ( α ),

w S

Das deutsche Tempussystem kann - wenn man die Futurtempora (deren temporaler Charakter zweifelhaft ist, vgl. Saltveit 1960, Vater 1975,1983) wegläßt - folgendermaßen charakterisiert werden:

(35)

Kontextuell

Intrinsisch

S,R

R < S

E,R

Präs

Prät

E < R

Perf

Plusqu

E > R

Präsens und Präteritum stimmen hier in ihrer intrinsischen, Präsens und Perfekt in ihrer kontextuellen Bedeutung überein. Perfekt und Präteritum sind in beiden Dimensionen unterschieden. Sie können gleichwohl dieselbe

121

Zeitreferenz (= deiktische Interpretation) haben. Das Plusquamperfekt teilt die intrinsische Bedeutung mit dem Perfekt, die deiktische mit dem Präteritum. Die deiktische Deutung im Hinblick auf die Beziehung zwischen E und S stimmt mit der von Perfekt und Präteritum überein.

(36) Es klingelte

Int.: Kont.:

E,R R < S

Deikt.: E < S

Es hat geklingelt

Es hatte geklingelt

Int.: Kont.:

E < R R,S

Int.: E < R Kont.: R < S

Deikt.:

E < S

Deikt.:E < S

Die Übereinstimmung hinsichtlich der deiktischen Deutung erklärt, warum Perfekt und Präteritum in vielen Kontexten austauschbar sind ( v g l . 3 7 ) . Die Unterschiedlichkeit in der Bedeutung erklärt, warum sie es nicht in allen Fällen sind (vgl.38,39):

(37)

a Die Katze lag gestern auf dem Tisch. b Die Katze hat gestern auf dem Tisch gelegen.

(38)

a Warte auf mich, bis ich gegessen habe. b Sie bekommen die Ware, wenn Sie bezahlt haben, c Sobald Maria den Brief geschrieben hat, bringt sie i h n . zur Post

(38 1 )

a *Warte auf mich, bis ich aß. b *Sie bekommen die Ware, wenn Sie bezahlten, c *Sobald Maria den Brief schrieb, bringt sie ihn zur Post.

(39)

a Hans wußte, daß es regnete. b Hans wartete darauf, daß der Bus kam.

122

c Die Kinder waren leise, damit der Vater nicht aufwachte. (39 1 )

a Hans wußte, daß es geregnet hat. b *Hans wartete darauf, daß der Bus gekommen ist. c *Die Kinder waren leise, damit der Vater nicht aufgewacht ist.

(39'a) ist nicht ungrammatisch, hat aber eine andere Deutung als (39a). Die intrinsische Bedeutung einer gegebenen Tempusform ist unveränderlich, die kontextuelle Bedeutung darf in Abhängigkeit vom Kontext verschoben werden. Eine Verschiebung der kontextuellen Bedeutung hat eine Verschiebung auch der deiktischen (=temporalreferentiellen) Deutung zur Folge:

(40)

Hans hat das· Problem gelöst Int.:

E < R

Kont.:

R, S

Deikt.: E < S (41)

Grundbedeutung 'Vergangenheit 1

Hans hat das Problem morgen gelöst

Int.: Kont.:

E < R S < R

Deikt.: E > S

Verschiebung in die Zukunft 'Zukunft1

123

In ( 4 1 ) sind als deiktische Deutungen auch ' E , S ' und < S' mit den 1 Oberzeilen ( < R ' und 'S < R ) verträglich. Diese, im Prinzip möglichen, Deutungen können durch eine generalisierte Implikatur (Levinson 1987, 1988) ausgeschlossen werden, wenn man Zeitrelationen als skalare Anordnungen sieht. Für die Verschiebung der Grundbedeutung gelten zwei Regeln: C1 Die intrinsiscne Bedeutung bleibt konstant C2 Die kontextuelle Bedeutung kann nur verschoben werden, wenn S und R assoziiert sind ( R , S ) . Ähnliche Verschiebungsregeln finden sich in Hornstein (1977). C1 und C2 erlauben das Perfectum Futuri, sie verbieten aber eine Verschiebung des Präteritums (vgl. 4 2 ) . (42)

*Hans löste das Problem morgen.

Wohl kann die vergangene Zukunft (Morgen war Weihnachten) durch das Präteritum ausgedrückt werden (ebenso wie die gegenwärtige Zukunft durch das Präsens). Morgen ist dann aber nicht relativ zur aktuellen Sprechzeit, sondern relativ zu einer in die Erzählung verschobenen fiktiven Sprechzeit (der 'Erlebten Rede') zu deuten. Das Problem der fiktiven 'Deixis am Phantasma' (Bühler 1934) und ihr Verhältnis zur anaphorischen Temporalbindung in narrativen Texten ist sehr komplex und kann hier nicht behandelt werden. Die Verschiebungsregeln erklären auch, warum z.B. (38) im Gegensatz zu ( 3 8 ' ) möglich ist. In Sie bekommen die Ware (e ), uenn Sie bezahlt haben (e ) , liegt die Sprechzeit S vor den Ereigniszeiten E und E . Es handelt sich um ein Futurpräsens und ein Futurperfekt. Die Ereigniszeit E fungiert in Bezug auf E als Referenzzeit ( v g l . 3 8 ' ' ) :

124

(38'')

bezahlt haben S


Erzählzeit< gemacht wird. Es scheint auch zuzutreffen, daß in bestimmten Registern des Geschriebenen wie der Zeitungssprache sich textsortenspezifische Funktionsdifferenzierungen herausgebildet haben. So wird in Schlagzeilen und Kurz-(Sensations-)-Meldungen das Prät verwendet. Der Anteil des Pf steigt in Kommentaren und längeren Berichten" (Eisenberg 1986: 120). Allgemeine Beschreibungen des Präteritumschwunds enthalten oft eine gewisse Widersprüchlichkeit, die ein Indiz dafür ist, daß in Bezug auf die Funktionen von Präteritum und Perfekt im Deutschen von einer verwirrenden Situation gesprochen werden kann. Wenn für weite Teile des deutschen Sprachgebiets Präteritumschwund festgestellt wird, kann über einen mehr oder weniger intensiven Einsatz dieser Tempusform kaum Sinnvolles gesagt werden. Daß Präteritalformen vor allem im mündlichen Sprachgebrauch selten werden, ist nicht verwunderlich, da der Abstand zwischen der dialektal oder umgangssprachlich gefärbten, gesprochenen Sprache und der Standardsprache hier größer ist als beim schriftlichen Sprachgebrauch: Dialektbedingte Interferen-

139

zen schlagen am ehesten im mündlichen Sprachgebrauch durch 6 . Es ist klar, da/B die Zuordnung eindeutiger Tempusinterpretationen dadurch erschwert wird. Außerdem sind auch muttersprachliche Urteile immer unter dem Gesichtspunkt des regional bestimmten Tempussystems der Informanten zu bewerten. Der Schwerpunkt liegt in diesem Beitrag beim Gebrauch des Perfekts im Deutschen und Niederländischen. Dazu müssen aber auch das Präsens und die Präteritaltempora herangezogen werden. Ganz allgemein läßt sich feststellen, da/3 die verbalen Formeninventare der beiden Sprachen kaum voneinander abweichen: Unterschiede liegen vor allem im Bereich der Konjunktivformen vor, die im Niederländischen nur noch spärlich vorkommen und zwar fast ausschlie/31ich in standardisiertem, archaischem Sprachgebrauch. 3.1 Nach der umfassendsten bisher vorgelegten Beschreibung des Niederländischen, Geerts et al. 1984 (im Folgenden ' A N S ' ) , übernehmen Perfekt und Präteritum im Niederländischen immer unterschiedliche Aufgaben. Sätze wie (7) und (8) unten bringen durch die Tempuswahl einen Bedeutungsunterschied zum Ausdruck: Das Perfekt kommt hier nämlich nach 'ANS' vor, wenn auf einen vereinzelten, bestimmten Sachverhalt verwiesen wird, während durch das Präteritum ein unbeschränkt fortdauernder Sachverhalt oder eine Gewohnheit impliziert wird: (7)

Vorig jaar heeft opa nog gefietst. (Einzelgeschehen) Im vorigen Jahr hat Opa noch geradelt.

(8)

Vorig jaar fietste opa nog. (Gewohnheit) ( ' A N S 1 , 460) Im vorigen Jahr radelte Opa noch.

Im zweiten Teilsatz von (9) ist nach 'ANS' das Perfekt ausgeschlossen, denn hier liegt ein bestimmter, definiter Sachverhalt vor: (9) Ik heb vorig jaar helaas gezakt

rijexamen gedaan: ik ben (/ ik zakte helaas). ( ' A N S 1 , 461)

Ich habe im vorigen Jahr Fahrprüfung gemacht: Ich bin leider durchgefallen (/ich fiel leider durch).

140

3.2 Bei der Beschreibung der Tempusfunktionen im Deutschen greifen Helbig/Buscha 1972/1986 (im Folgenden H/B) auf die Reichenbachschen Referenzschemata zurück7: Sätze wie (10) und (11) unterscheiden sich nach ihnen vor allem durch die relative Positionierung der Orientierungspunkte auf der Zeitachse: (10)

t_„

t 0b

^

(11)

t, l f.

t„,. Kb

^

Er arbeitete gestern den ganzen Tag. Er hat gestern den ganzen Tag gearbeitet.

H/B relativieren aber diese klare Beschreibung durch die Feststellung, da/3 die beiden Tempusformen in ihren 'Hauptbedeutungen 1 austauschbar seien und daß der Unterschied zwischen (10) und (11) , d.h. die unterschiedliche Lokalisierung von R in den beiden Zeitschemata, "objektiv schwer meßbar" sei ( H / B 1986, 1 2 7 f . ) . Heidolph et al. pflichten ihnen darin bei: Die Unterschiede zwischen Perfekt und Präteritum seien so minimal, daß diese Formen "im Text manchmal ohne ersichtliche semantische Motivierung [wechseln]" (Heidolph et al. 1981, 514) 8 . Diese Relativierungen sind berechtigt aufgrund der Vagheit, die dem deutschen Tempussystem durch den Präteritumschwund anhaftet und die in Grammatiken des Standarddeutschen selbstverständlich ihren Niederschlag finden muß. Die Abgrenzung des Perfekts vom Präteritum geschieht in manchen Beschreibungen durch die Annahme, da/0 dem Perfekt die besondere Aufgabe zufällt, "... den Abschluß oder Vollzug eines Geschehens (einer Handlung)" (Duden-Grammatik 1984, 145) festzustellen. Die "Abgeschlossenheit des Aktes" ( H / B 1972, 128) ist aber eine Eigenschaft, die sich aus der temporalen und aspektualen Struktur einer Proposition ergibt (vgl. dazu ten Gate 1988b). Diese Struktur ist bedingt durch den Charakter der Sachverhaltsbeschreibung, in der temporale Adverbien, das Tempus und möglicherweise auch die 'inhärente 1 Aktionsart des Verbs eine Rolle spielen; die Wahl einer Tempusform muß an sich für den aspektualen Charakter einer Proposition nicht entscheidend sein. So lassen sowohl (12a) wie (12b), die sich durch die Tempusformen Präteritum und Perfekt unterscheiden, nur die Schlußfolgerung zu, daß der beschriebene Sachverhalt (der Akt)

141

abgeschlossen

ist:

(12) (a) Johann Sebastian Bach ist am 28.7.1750 gestorben, (b) Johann Sebastian Bach starb am 28.7.1750. Dagegen ist bei (13) nicht auszuschließen, daß das beschriebene Geschehen bis zum Sprechzeitpunkt t_ö oder sogar darüber hinaus fortdauert: Das Perfekt miß hier also keinen Abschlu/3 implizieren. (13) Es hat den ganzen Tag geregnet. Es ist auch zweifelhaft, ob aus (14ab) gefolgert werden kann, daß das Regnen zum Zeitpunkt tc aufgehört hat oder noch fortO dauert, eine Folgerung, die sich aus der Zuordnung des Abgeschlossenheitsmerkmals für das Perfekt notwendigerweise ergeben sollte: (14) (a) Vor einer Stunde hat es (schon) geregnet (, und jetzt ist es immer noch nicht trocken). (b) Vor einer Stunde regnete es (schon) (, und jetzt ist es immer noch nicht trocken). Innerhalb der Tempussystematik verweist das Perfekt auf ein vor t o anzusetzendes Geschehen (also auf 'Vergangenes'), wobei aber der BetrachtZeitpunkt tR mit tg untrennbar verbunden ist: Im Diskurs kann es die Funktion des Perfekts sein, das 'Vergangene 1 deutlich gegenüber der 'Gegenwart 1 abzugrenzen oder die Folgen des 'Vergangenen' für den 'gegenwärtigen' Sachverhalt klarzustellen. Man vergleiche dazu (15): (15) "Die Straße ist naß". "Ja, es hat geregnet." ·?« ' Ja, es regnete". 3.3 Eine Schlußfolgerung aus dieser globalen Behandlung einiger deutscher und niederländischer grammatischer Beschreibungen ist, daß sich die TemporalSysteme namentlich auf dem Gebiet von Perfekt und Präteritum unterscheiden. Diese Formen übernehmen nach 'ANS 1 immer unterschiedliche Aufgaben, sind aber nach H/B und anderen Beschreibungen so gut wie immer austauschbar9 (wobei oft der süddeutsche Präteritumschwund dafür verantwortlich

142

gemacht wird). Die Verwendung des Perfekts unterliegt somit im Niederländischen genau wie im Dänischen (vgl. Ehrich & Vater 1989) strengeren Bedingungen als im Deutschen. Im Folgenden wenden wir uns den Funktionen des Perfekts zu.

4

·

Perf

PRÄS

Una

Perf

PRÄT

4.1 Bäuerle (1979, 79) vertritt den Standpunkt, "daß das Präteritum zwei morphologische Realisierungen hat, eine synthetische und eine analytische .. .": In seiner Beschreibung wird etwa das Präteritum des Verbs schlafen (Prät(schlafen)) sowohl durch (ich) schlief wie durch (ich) habe geschlafen realisiert, das Perfekt (Präs(Perf(schlafen))) nur durch (ich) habe geschlafen. Die Perfektform bringt demnach zwei temporale Funktionen zum Ausdruck. Fabricius-Hansen (1986, 131) spricht in gleichem Sinne von einem 'echten Perfekt 1 oder 'Präsens Perfekt" und einem analytischen Präteritum und setzt diese Unterscheidung in Verbindung mit dem jeweiligen Tempussystem; es gebe nämlich einerseits (im Norden des deutschen Sprachgebiets) ein System mit 'echtem1 Perfekt und Präteritum, andererseits (im Süden) ein System, das nur das Perfekt kennt. Wenn das Deutsche (oder wohl besser: Teilsysteme des Deutschen) zwei referenziell verschiedene Perfektverwendungen kennt, dann unterscheiden sich diese zwei Funktionen des Perfekts durch die Lokalisierung von R; vgl. (16): (16) (a) präsentisches Perfekt (Perf pRÄS ): (b) präteritales Perfekt (Perf pRÄT ):



tRg

tR£

tg

Hierdurch wird das Problem, das Heibig/Buscha (1986) für die Unterscheidung von Perfekt und Präteritum sehen, nämlich, daß die unterschiedliche Lokalisierung von R "objektiv schwer meßbar" ist ( H / B 1986, 1 2 7 f . ) , zwar nicht grundsätzlich gelöst, aber eine neue Dimension ist, daß die Schwierigkeit, Perfekt und Präteritum im Deutschen auseinanderzuhalten, jetzt dadurch erklärt werden kann, daß Perf s und Präteritum im deutschen

143

Sprachgebiet Konkurrenten sind, nämlich in verschiedenen Regionen die gleiche temporale Funktion erfüllen und sich somit in der Tat nicht unterscheiden. In Kontexten, die eine Interpretation des Perfekts als Perf pR s s erforderlich machen, ist aber die ursprüngliche Funktion des Perfekts wiederhergestellt und liegt somit durchaus eine Opposition zum Präteritum bzw. zum Perfpp,:,., vor, das in großen Teilen des deutschen Sprachgebiets die Funktion des Präteritums übernommen hat. Es ist keine leichte Aufgabe, Kriterien für die Unterscheidung von Perf pR j, - und Perf ^. -Sätzen zu entwickeln. Zu denken ist an Satzbeispiele wie (17-19) , in denen der Kontext einen vor S liegenden Betrachtzeitpunkt R suggeriert. In dem Falle sind, bei Verwendung des Perfekts, präteritale Lesarten zu erwarten: (17)

(a) (b) (c) (d) (e) (f)

(18)

(a) (b) (c) (d) (e) (f) (g)

(19)

(a) (b) (c) (d) (e) (f)

Weshalb hast du dich soeben nicht gemeldet? Na klar, ich schlief. Na klar, ich hab 1 geschlafen. Waarom heb je zojuist niet opgenomen? Wel, ik sliep. Wel, ik heb geslapen10.

Weshalb bist du so früh wieder nach Hause gekommen? Es gefiel mir da nicht. Es hat mir da nicht gefallen. Waarom ben je zo vroeg weer thuisgekomen? Het beviel mij daar niet. Het is mij daar niet bevallen. Ik vond het er niet leuk. Ich fand es da nicht angenehm. (h) Ik heb het er niet leuk gevonden. Ich habe es da nicht angenehm gefunden. Was hast du diesen Sommer gemacht? *Ich arbeitete11. Ich habe gearbeitet. Wat heb jij van de zomer gedaan? Ik werkte. Ik heb gewerkt.

144

(g) Wat is er met jou gebeurd?12 Was ist mit dir geschehen? (h) Ik ben gevallen. Ich bin gefallen, ? (i) Ik viel. Ich fiel. In (19) fällt der Betrachtzeitpunkt R mit S zusammen: Wenn in der Frage ein Präteritum erscheint, wird ein Präteritum in der Antwort erwartet, denn der Kontext legt es nahe, den vor S liegenden BetrachtZeitpunkt R beizubehalten. Die Inakzeptabilität von (19b, e) hängt aber damit zusammen, daß R durch die deiktische Adverbialbestimmung diesen Sommer (van de zomer) mit S zusammengelegt wird. Dadurch wird ein temporales Muster erzwungen, in das nur das Perfekt (Per f ,..„£,,) paßt. , Wenn aber umgekehrt der Kontext ein Zusammenfallen von t 0o und tD suggeriert, ist im Niederländischen wie wohl auch im I\ Deutschen das Präteritum erwartungsgemä/3 wenig akzeptabel, wie aus den Beispielsätzen (18·) hervorgeht13: ( 1 8 ' ) ( a ) Waarom ben je al weer terug? Weshalb bist du schon wieder zurück (da)? (b) Ik ben iets vergeten. Ich bin (habe) etwas vergessen. 7 (c) 'Ik vergat iets. Ich verga/ etwas. Das (deutsche) Perf_,rKA führt zu Interpretationsschwierigej{r _ i keiten. Es gibt eine starke Tendenz, einen einmal fixierten Orientierungspunkt R im Text beizubehalten: Dies geht aus der Beobachtung hervor, daß in literarischen 'Präsenstexten 1 gewöhnlich wohl das Perfekt, nicht aber das Präteritum vorkommt, während in 'Präteritaltexten' das Perfekt gewöhnlich fehlt. Es ist natürlich durchaus möglich, daß ein Orientierungspunktwechsel als stilistisches Mittel eingesetzt wird. Wenn aber Tempuswechsel in einem Text scheinbar willkürlich vorkommen, ist auch die Erklärung in Betracht zu ziehen, daß ein Perfp_£ T verwendet wird. Beide Möglichkeiten lassen sich für Textbeispiel ( 2 0 ) erwägen :

145

(20) Libysches Geld beschlagnahmt [1] Ende vergangener Woche hat ein Mailänder Richter [ . . . ] libysche Guthaben [ . . . ] beschlagnahmt. [2] Ein [ . . . ] Bauunternehmer hatte gegen libysche Staatsfirmen geklagt, die ihm seit Jahren Geld [ . . . ] schulden. [3] Nun drohen 20 weitere italienische Firmen, die für das Gadaffiregime Straßen [ . . . ] bauten, aber seit einigen Jahren nicht mehr bezahlt werden, mit ähnlichen Klagen [ . . . ] . [4] Geld genug haben die Libyer in Italien [ . . . ] . (Der Spiegel 11.08.1986)

In diesem Text wird der Orientierungspunkt E des ersten Satzes (hat beschlagnahmt) als BetrachtZeitpunkt für den zweiten Satz (hatte geklagt) benutzt. Im dritten Satz (drohen) wird zum ursprünglichen R-Punkt des ersten Satzes zurückgekehrt. Wenn das Perfekt im ersten Satz als Perf__ ist s _J. verstanden werden soll, cJ\A beim Plusquamperfekt im zweiten Satz kein R-Wechsel nötig; dafür gibt es aber einen starken Einschnitt gegenüber dem 3. und 4. Satz, da sich hier bei dieser Interpretation ein Text aus einem Präterital- und einem Präsensteil zusammensetzen würde. Wird dagegen das Perfekt des ersten Satzes als Perf™ i e interrMvno pretiert, ist die temporale Struktur des Textes einheitlicher und auch mehr mit den deiktischen Temporaladverbien im 1. und 3. Satz im Einklang. 4 . 2 Noch nicht diskutiert wurde die Frage, ob bei der Verteilung der beiden Perfekttempora auch aspektuale Kategorien wie die Aktionsarten eine Rolle spielen. Vgl. hierzu die Beispiele (21-25), die mögliche Antworten auf (21) darstellen: (21) (a) Was tat Hans, als du ihn heute morgen besuchtest? (b) Wat deed Hans toen je vanmorgen bij hem kwam? ( 2 2 ) ZUSTAND (state) (a) (b) (c) (d) (e)

Er lag im Bett. ·? -. 'Er hat im Bett gelegen-14. Hij lag in bed. Hij heeft in bed gelegen. * Hij was in bed aan het liggen. Er war im Bett am Liegen

/Er schlief. /Er hat geschlafen. / H i j sliep. / Hij heeft geslapen. / '"·*H i j was aan het slapen-1i-R0. / Er

war am

Schlafen.

146 (23)

AKTIVITÄT (activity)

(a) (b) (c) (d) (e)

Er arbeitete an seinem Buch. Er hat an seinem Buch gearbeitet. Hij werkte aan z " n boek. Hij heeft aan z ' n boek gewerkt. Hij zat aan z ' n boek te werken. Er saß an seinem Buch zu arbeiten. ( Hij was aan z ' n boek aan net werken.) Er war an seinem Buch am Arbeiten.

(24) HANDLUNG (accomplishment) (a) Er bohrte ein Loch in die Wand. (b) Er hat ein Loch in die Wand gebohrt. (c) Hij boorde een gat in de muur. (d) Hij heeft een gat in de muur geboord. (e) Hij was een gat in de muur aan het boren. Er war ein Loch in die Wand am Bohren.

/Er

öffnete

den

Tresor.

/Er hat den Tresor geöffnet. /Hij opende de brandkast. / Hij heeft de brandkast brandkast geopend. /Hij was de brandkast aan het openen. /Er war den Tresor am Öffnen.

(25) EREIGNIS (achievement) (a) (b) (c) (d) (e)

Er fand gerade seine Brille wieder. ·? 'Er hat gerade seine Brille wiedergefunden. Hij vond net z " n bril terug. Hij heeft net z ' n bril teruggevonden. Hij was net z"n bril aan het terugvinden. Er war gerade seine Brille am Wiederfinden.

Die niederländischen Perfektsätze in diesen Beispielen sind deshalb unakzeptabel, da durch den Fragesatz der Betrachtzeitpunkt R in die Vergangenheit verlegt wird, so da/3 im Antwortsatz R nicht ohne weiteres wieder in die Sprechzeit zurückgelegt werden kann. Das Plusquamperfekt ist bei all diesen Sätzen möglich, wenn der Antwortsatz um eine Beschreibung von Hans 1 Handlung zum Betrachtzeitpunkt R erweitert wird. Es liegt dann

147

Übereinstimmung zwischen dem Niederländischen und dem Deutschen vor; vgl. die Sätze ( 2 6 ) : (26) (a) Er hatte an seinem Buch gearbeitet und las gerade die Zeitung (/ ? hat gerade die Zeitung gelesen). (b) Hij had aan z ' n boek gewerkt en las net de krant (/was net de krant aan het lezen /zat net de krant te lezen /*heeft net de krant gelezen). Wenn meine Bewertungen richtig sind (hier könnte für verschiedene regionale Varianten differenziert werden), sind die 'Perfektsätze 1 (22b, 25b) zumindest weniger adäg_uat als die 'Präteritalsätze'. Hierfür gibt es dann folgenden Erklärungsansatz . Die Sätze (22-25) sind Sachverhaltsbeschreibungen mit unterschiedlicher Aktionsart16 , nämlich Zustände, Aktivitäten, Handlungen und Ereignisse (siehe Vendler 1967, ten Gate 1985). Bei Zuständen ( 2 2 ) und Ereignissen ( 2 5 ) ist die Perfektform als Perf pRÄ _ im Deutschen weniger adäquat, während die niederländischen progressive-Umschreibungen (22e) und (25e) rundweg schlecht sind. Es gibt Übereinstimmungen zwischen Zuständen und Ereignissen, die für diese Situation verantwortlich sein können: Bei beiden Aktionsarten ist z.B. ein 'echter1 Imperativ ausgeschlossen. Das deutsche Perf^,^ ist somit eine aspektual eingeschränkte Kategorie: Sie ist einsetzbar, wenn es sich um eine Sachverhaltsbeschreibung handelt, die eine Dauer beanspruchende Aktivität oder Handlung betrifft.

5.

Schluß

Es lassen sich folgende Ergebnisse verzeichnen:

1) Es ist eine unzulässige Vereinfachung, das Perfekt durch eine aspektuale Eigenschaft wie 'Abgeschlossenheit des Aktes 1 vom Präteritum abgrenzen zu wollen (vgl. Helbig/Buscha 1972, 128 und Duden-Grammatik 1984, 145), da diese Eigenschaft sich aus der gesamten temporalen und aspektualen Struktur einer Proposition ergibt. 2) Die gängige traditionelle Auffassung, Präteritum und Perfekt

143

seien auswechselbare Tempusformen und somit Varianten der gleichen Tempusform, ist, so allgemein formuliert, nicht richtig: Gleiche Funktion, d.h. gleichen referentiellen Bezug haben nur Perf^im und Präteritum. Perf^-^, und Präteritum sind also irKA L rKA i funktional auswechselbar, Perf__ und Präteritum aber nicht, x_ tivAo so daß ein Auswechseln der beiden Formen Perfekt und Präteritum Restriktionen unterliegt. 3) Perf p _i_-Verwendungen sind vor allem in Sachverhaltsbeschreibungen mit Aktivitäts- oder Handlungsaktionsart möglich. 4) Da in literarischen ' Präteritaltexten ' das Perfekt kaum vorkommt, kann das Perf - einer niedrigeren Stilebene zugeordnet werden: Perf p R v T dürfte überwiegend umgangssprachlich sein und namentlich im mündlichen Sprachgebrauch vorkommen. Diese Schlußfolgerungen können nur als vorläufig gesehen werden. Es gilt, zunächst das Vorkommen von Präterital- und Perfekt formen im deutschen Sprachgebiet an mehr sprachlichem Material eingehender zu erforschen. Auch die persönliche, dialektische oder gar idiolektische Präferenz eines Sprechers bei der Tempuswahl könnte ein Faktor sein, der besonders im mündlichen Ausdruck großen Einfluß hat. Durch die Unterscheidung von Perf-.^iund Perf.-..,^,, sowie durch den Vergleich mit dem Nieder£^K/V L ir Ivno ländischen, das kein Perf p R v T kennt, wird ein Ansatz zu einer besseren Einsicht in die Semantik der deutschen Vergangenheitstempora gegeben. Dabei ergibt sich auf der Basis des hier erörterten Materials auch die Notwendigkeit, für die Unterscheidung der beiden Perfekttempora die Aspektualität der Sachverhaltsbeschreibungen zu berücksichtigen1^. Da aspektuale Kategorien einen theoretisch noch wenig gefestigten Status haben, sollte man versuchen, bei der Beschreibung temporaler Funktionen nur dann auf sie zurückzugreifen, wenn die Behandlung im Rahmen der Zeitreferenz nicht weiterführt. Es bringt aber auch die Aspektforschung weiter, wenn gezeigt werden kann, daß eine umfassende Tempussemantik ohne Aspektkategorien nicht auskommt.

149

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150

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151

ANMERKUNGEN

1.

Gewöhnlich sind die Hilfsverben von dieser Reduktion ausgeschlossen.

2.

Da eine formal einwandfreie Beschreibung temporaler Funktionen erst auf der Basis korrekter Interpretationen erfolgen kann und dann relativ unproblematisch ist, liegt der Akzent hier mehr auf der Interpretation als auf formalen Beschreibungssystemen. Die Wichtigkeit zuverlässiger Interpretationen unterstreicht auch Fabricius-Hansens (1986) Untertitel "über die Interpretation temporaler Strukturen im Deutschen". Auch Janssen (1985) unterscheidet explizit zwischen der Bedeutung einer Tempusform und ihrer Interpretation.

3.

Die Orientierungspunkte (oder Intervalle) S und E sind wenig problematisch, aber die von Reichenbach (1947, 288) mehr implizit beschriebene Kategorie R ist nicht immer gut lokalisierbar: In manchen Beschreibungen (so u.a. Geerts et al. 1984) wird R auch nicht für alle Tempuskategorien eingesetzt. Wenn die Kategorie R, deren Funktion in (1) einleuchtet, die Differenzierung in (2) und (3) erklären soll, muß ihre Operationalisierbarkeit höchsten Anforderungen genügen . Hier soll lediglich . hervorgehoben werden, da/J die Funktion von R nicht für alle Tempus funkt i onen gleich gut begründet ist. In diesem Beitrag gehe ich aber davon aus, daß alle drei Orientierungspunkte bei der Fixierung jeder Tempusform benötigt werden, da die Tempusfunktionen sich so einheitlich beschreiben lassen.

4.

Siehe auch Heidolph et al. (1981, 508) und die Duden-Grammatik (1984, 145). Diese Einteilung paj3t auch gut zu der traditionellen niederländischen Terminologie, denn auch hier werden Präsens und Perfekt gegenüber Präteritum und Plusquamperfekt als engere Einheit empfunden; vgl. folgende Zusammenstellung: Präsens: Perfekt: Präteritum: Plusquamperfekt:

onvoltooid tegenwoordige tijd (o.t.t.) ('unabgeschlossene Gegenwart') voltooid tegenwoordige tijd (v.t.t.) ('abgeschlossene Gegenwart') onvoltooid verleden tijd (o.v.t.) ('unabgeschlossene Vergangenheit') voltooid verleden tijd (v.v.t.) ('abgeschlossene Vergangenheit')

'Voltooid 1 und Onvoltooid1 sind wohl ursprünglich als aspektuale Begriffe eingeführt worden, werden aber in der gegenwärtigen grammatischen Literatur wenig reflektiert. Eine ähnliche, aber über Lucko (1982) hinausführende Vereinfachung des Tempussystems erzielen auch Ballweg (1988), Janssen (1988) und Vennemann (1987), die Perfekt und Plus-

152

quamperfekt als semantisch kompositionale Formen beschreiben, die in direkter Beziehung zu dem Präsens bzw. dem Präteritum stehen und deshalb "keine eigenen temporalen Grundkategorien konstituieren" (Vennemann 1987, 235). Die gemeinsame Eigenschaft dieser zusammengesetzten Tempusformen ist, nach Vennemann, daß sie eine 'Relation der Nachzeitigkeit 1 zum Ausdruck bringen, während der Unterschied zwischen Perfekt und Plusquamperfekt sich durch ihre Zugehörigkeit zu der Präsens-, bzw. der Präteritalkategorie beschreiben läßt. 5.

Vgl. auch Fuchs (1988, 7 ) : "Es ist ... systematisch gesehen eine Verzerrung, wenn man 1Perfekt und Präteritum als beide 'Vergangenheit bezeichnend zusammenfaßt und dann nach der differentia specifica zwischen ihren Bedeutungen sucht".

6.

Übrigens hat bezeichnenderweise bisher auch keine der Standardgrammatiken des Deutschen (etwa Duden-Grammatik, Heibig/Buscha) den Unterschied zwischen Perfekt und Präteritum befriedigend beschrieben, wie unten gezeigt werden soll.

7.

Weniger explizit finden sich diese Schemata auch bei Eisenberg 1986.

8.

Vgl. hierzu auch Rothacker/Saile (1986, 107): "Die (einfache) Vergangenheit kann im Deutschen durch das Imperfekt und das Perfekt ausgedrückt werden. Die heutige Umgangssprache verwendet das Imperfekt nur noch selten. Von stilistischen Feinheiten abgesehen, kann das Imperfekt durch das Perfekt ersetzt werden, wenn nicht besondere Bedingungen dem entgegenstehen".

9. Ein typischer Beleg dafür wären folgende Sätze: (a) die blauesten Augen, die man je gesehen hat. (b) die blauesten Augen, die man je sah. (Der Spiegel 1985, 32: 126/127) (a) stand im Berichttext, (b) erschien als Bildunterschrift im gleichen Text. Die Entscheidung zwischen Perfekt und Präteritum richtet sich in (b) nach dem verfügbaren Platz! 10. Durch zusätzliche Kontextannahmen kann (17f) akzeptabel werden: Der Angesprochene ist durch die Frage irritiert, und es wird präsupponiert, da/ der Frager wußte, daß der Angesprochene schlief. Der Angesprochene gibt zu erkennen, daß die Beantwortung eines Anrufs von ihm nicht erwartet werden konnte. 11. (19b) wird von 'verstockten Oberdeutschen1 (die Terminologie entnehme ich Vennemann), die gelernt haben, daß das Deutsche ein Präteritum kennt und daß dieses Präteritum in etwa die gleichen Aufgaben wie das Perfekt hat, als Antwort auf (19a) für völlig normal gehalten. Natürlich ist jede Bewertung relativ zu einem angenommenen System zu se-

153

hen: Eine positive Bewertung von (I9b) besagt, daß die temporalen Funktionen in manchen deutschen Dialekten und Idiolekten sehr eigenwillig über die Tempusformen verteilt sind. Für solche Sprachformen t r i f f t möglicherweise in der Tat zu, daß die Entscheidung bei der Wahl zwischen Präteritum und Perfekt willkürlich ist. 12. Die niederländischen Beispielsätze (19g-i) und ihre Bewertung verdanke ich Theo Janssen (persönliche Mitteilung) . 13. Die Beispiele verdanke ich Theo Janssen (persönliche Mitteilung) . Für folgende Beispielsätze bin ich ihm weniger dankbar, da sie schlecht in meine Beschreibung passen: (a) Waarom ben je al weer Weshalb bist du schon wieder ·> (b) 'Ik ben vergeten je nog te zeggen dat . . . Ich bin (habe) vergessen dir noch zu sagen, daß . . . (c) Ik dat Ich daß

terug? zurück (da)? nog lets

te z eggen /

noch etwas zu sagen /

vergat je nog iets te zeggen / nog te zeggen .. . vergaß dir noch etwas zu sagen / noch zu sagen, .. .

Es gibt, wenn wir von der Möglichkeit einer falschen Bewertung absehen, verschiedene Möglichkeiten, die Ungereimtheit dieser Beispielsätze zu erklären: Zu denken wäre hier an eine Ellipse in der Antwortphrase, wodurch ein Betrachtzeitwechsel plausibel wird (vgl. dazu die Bemerkungen zum Beispieltext ( 2 0 ) ) ; oder aber es ließe sich die Möglichkeit verschiedener Lesarten des Verbs vergesseil bzw. verschiedener homonymer Verben erwägen, wodurch eine aspektuale Analyse ermöglicht wird (vgl. dazu die Erörterungen unter 4 . 2 ) . Es kann auch sein, da/3 sich das Verhalten von (b) und (c) dadurch erklären läßt, daß in (a) ein einfaches Präsens vorliegt. Eine Behandlung dieses Problems müßte auf umfangreicheres Material zurückgreifen: Ich möchte deshalb im Rahmen dieses Beitrags diese Frage nicht weiter verfolgen. 14. (22b) und (25b) sind interpretabel (für Oberdeutsche korrekt) mit einer Perf--^- Lesart. 15. Korrekt wäre der mit (22c: "Hij sliep.") äquivalente Ausdruck "Hij lag te slapen." (buchstäblich: Er lag zu scHafen) : dieser Ausdruck kann nicht ohne weiteres im Perfekt vorkommen: "**Hij heeft te slapen gelegen /**Hij heeft liggen te slapen" (aber: "Hij heeft liggen/zitten slapen") . Verteidigbar wäre eine Zuordnung der 'schlafen '-Sätze zu der Aktionsart der Aktivitäten, da sie in progressive-Kontexten möglich sind ("Hij lag te slapen") . Sie erlauben aber keine Imperativform (natürlich wohl Adhortativumschreibungen) , wodurch sie auch Eigenschaften der Zustandsaktionsart auf weisen.

154

16. Aktionsarten werden hier als Eigenschaften von Propositionen verstanden. Die von Löbner (1988, I 8 4 f f . ) unterschiedenen Aktionsarten sind eher 'Phasenaktionsarten 1 , bei denen es sich um eine Kategorie der internen Verbsemantik handelt (sieh für eine ausführliche Diskussion dieser Kategorie ten Gate 1985, 1 0 8 f f . ) . 17. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit den satzsemantischen Aufgaben von Temporaladverbien, insbesondere die Aufstellung von Kriterien dafür, ob ein Adverb auf Sprechzeit, Aktzeit und/oder Betrachtzeit Bezug nimmt, ist dafür unumgänglich.

Tempus im indirekten Referat Cathrine Fabricius-Hansen (Universität Oslo)

1. 2. 2.1. 2.2. 3. 4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.4. 5.

Einleitung Tempora außerhalb der indirekten Rede Zum Tempussystem in den skandinavischen Sprachen Allgemeines zur Tempussemantik Redewiedergabe Tempus in der indirekten Rede Eindeutig konjunktivische Tempusformen Indikativische bzw. modusindifferente Tempusformen Echte Redewiedergabe: Originalsprechzeit vor Wiedergabezeit Tempusgebrauch im Deutschen Tempusgebrauch in den skandinavischen Sprachen Typologische Zwischenbilanz Vorwegnehmende Redewiedergabe: Originalsprechzeit nach Wiedergabezeit Zusammenfassung

l.

Einleitung

Der vorliegende Aufsatz verfolgt zwei Ziele: Er behandelt einerseits im Rahmen einer Typologie der Redewiedergabe (Plank 1986) und anschließend an Solfjeld (1983a, b) den Tempusgebrauch in der sog. indirekten Rede im Deutschen und den nordisch-skandinavischen Sprachen (Dänisch, Norwegisch, Schwedisch), die in diesem Bereich ähnlich wie das Engl. und Ndl. vom Deutschen abweichen. In diesem Zusammenhang soll weiter die Berechtigung der von Comrie (1986) verfochtenen These überprüft werden, daß die sog. Tempusverschiebung oder -transposition im indirekten Referat nicht aus der Bedeutung der Tempora erklärbar, sondern als automatischer, rein (oberflächen-)grammatischer Prozeß der Angleichung zu verstehen sei. Für das Dt. wird der Gebrauch der konjunktivischen Tempora im indirekten Referat in jeder Standardgrammatik - s. stellvertretend für viele z.B. Heibig / Buscha (1986: 196ff.) - wie auch in verschiedenen Monographien (Jäger 1971, Kaufmann 1976) behandelt und bedarf folglich keiner ausführlichen Erörterung. Weniger Beachtung hat demgegenüber der Tempusgebrauch im indikativischen indirekten Referat (s. Kaufmann 1976: 35f., 118f.) gefunden, dem deshalb hier etwas mehr Aufmerksamkeit zukommt. Die einzigen mir bekannten umfassenderen Darstellungen bieten Olesen (1982), Solfjeld (1983a) und z.T. auch Ek (1986), die beiden letzten allerdings

156 beschränkt auf Konstruktionen mit dem redeeinführenden Verb in einem 'Vergangenheitstempus1. Auf diese Arbeiten stütze ich mich unten (§ 4.3.) weitgehend; so sind die mit'+' gekennzeichneten Beispiele ihnen - vor allem Solfjeld (1983a) - entnommen. Ansonsten werden die verschiedenen Konstruktionstypen lediglich anhand konstruierter Beispiele veranschaulicht, wie hier auch für die anderen besprochenen Sprachen pauschal auf Standarddarstellungen des Tempusgebrauchs im indirekten Referat verwiesen werden soll1. Es sei jedoch sogleich betont, daß die Empirie hinsichtlich des Tempusgebrauchs bei "vorwegnehmender Redewiedergabe" (s. §4.4.) auf etwas unfestem Boden steht. Es fehlt in diesem Bereich an konkreten Untersuchungen, die das unten vorgestellte, eher theoretische Skelett mit sprachlichem Fleisch hätten versehen können. 2.

Tempora außerhalb der indirekten Rede

2. l.

Zum Tempussystem in den skandinavischen Sprachen

Das Tempussystem der skandinavischen Sprachen stimmt wie das des Engl. und des Ndl. im wesentlichen mit dem des Deutschen überein. Es umfaßt hier wie dort zwei finite (Grund-) Tempora, das Präsens und das Präteritum (auch Imperfektum genannt), und die sog. zusammengesetzten Vergangenheitstempora Perfekt und Plusquamperfekt, die mit einer der Entsprechungen der Hilfsverben haben und sein im Präs. bzw. Prät. + Part. Perf. des Vollverbs gebildet werden; diese sollen weiterhin im Anschluß an Ballweg (1986,1988) als Präsensperfekt und Präteritumperfekt bezeichnet werden. Für die Bildung von Futurumschreibungen gibt es allerdings keine Entsprechung des dt. werden, vielmehr werden wie im Engl. und Ndl. vor allem Modalverbkonstruktionen (mit Äquivalenten von wollen und sollen), aber auch andere Konstruktionstypen zu diesem Zweck verwendet2. Den entscheidenden Unterschied zwischen dem Verbalsystem des Dt. und den anderen hier berücksichtigten germanischen Verbalsystemen stellt ein eigenes Konjunktivparadigma im Deutschen dar. Der sog. Konjunktiv I - morphologisch und diachron-semantisch Präsensformen des Konj. - hat in den anderen Sprachen keine Entsprechung mehr, von vereinzelten Formen und erstarrten Verwendungen in Wunschsätzen abgesehen. Und modusindifferente - diachron gesehen weitgehend indikativische - Präteritum(perfekt)formen tragen die Funktionen der indikativischen Präteritum(perfekt)formen und des Konjunktiv II im Deutschen3; dabei stehen der WürdeUmschreibung, dem sog. Konditional, des Dt. präteritale Modalverbperiphrasen (z.B. dän. / norw. ville l skulle + Infinitiv) gegenüber. Die Opposition zwischen sich entsprechenden Präsens(perfekt)- und Präteritum(perfekt)formen ist mithin in den skandinavischen Sprachen funktional gesehen bald rein temporaler, bald modaler Art. Andererseits ist der Unterschied zwischen präsentischen und entsprechenden präteritalen Formen des Konj. im Dt. semantisch-funktional gesehen nicht temporaler, sondern - wenn überhaupt vorhanden - ausschließlich modaler Natur (deshalb die Bezeichnungen 'Konj. und 'Konj. statt 'Konj. Präs.' bzw. 'Konj. Prät.' etc.). Interessant ist weiter, daß es keine eindeutig

157

indikativischen präteritalen Entsprechungen des Futurs (I) und Futurperfekts (*wurde kommen und *wurde gekommen sein) gibt. Deshalb werden in den meisten Standarddarstellungen des Dt. höchstens 6 verschiedene indikativische Tempora angesetzt. Die würde-Formen werden in allen Verwendungen als konjunktivisch gewertet, eine Praxis, die auch hier befolgt wird (vgl. auch Fabricius-Hansen 1986: 148). - Die Frage nach dem temporalen Stellenwert des Konditional ist viel zu kompliziert, um hier weiter berücksichtigt werden zu können. Exemplarisch (am Dän. / Norw.) lassen sich die verschiedenen Systeme wie in Fig. 1. darstellen. Deutsch Konjunktiv

Indikativ Präsens

b Präteritum

b (Kj. II) Präteritum

a (Kj. I) Präsens

geht kauft

ging kaufte

ginge kaufte

gehe kaufe

Präsensperf. ist gegangen hat gekauft

Präteritumperf. war gegangen hatte gekauft

Präteritumperf. wäre gegangen hätte gekauft

Präsensperf. sei gegangen habe gekauft

Futur wird gehen wird kaufen

Konditional würde gehen würde kaufen

Futur werde gehen weide kaufen

Futurperf. wird gegangen sein wird gekauft haben

Konditionalperf. würde gegangen sein würde gekauft haben

Futurperf. werde gegangen sein werde gekauft haben

a

B

D

Dänisch / Norwegisch A

B

C

D

a

b

Präsens gär//gär k0ber//kj0per

Präteritum gik // gikk k0bte // kj0pte

Präsensperf.

Präteritumperf.

ergäet//er/hargätt har k0bt // har kj0pt

var gäet // var/hadde gätt havde k0bt // hadde kj0pt

Futur vil(/skal)gä//vil(/skal)gä vil (/skal) k0be // vil (/skal) kj0pe

Konditional villegä//ville (/skulle) gä ville k0be // ville(/skulle) kj0pe

Futurperf.

Konditionalperf.

vil vaere gäet // vil vaere/ha gätt vil have k0bt // vil ha kj0pt

ville viere gäet // ville(/skulle) vaere/ha gätt ville have k0bt // ville ha kj0pt

Fig. 1. Das Tempussystem im Dt. und im Dän. l Norw.

158

2.2.

Allgemeines zur Tempussemantik

Eine vollständige, detaillierte Beschreibung des Tempusgebrauchs außerhalb der indirekten Rede kommt im Rahmen dieses Aufsatzes natürlich nicht in Frage. Das folgende ist deswegen lediglich als ein Versuch aufzufassen, die im vorliegenden Zusammenhang wesentlichen Tatsachen in möglichst einfacher Weise zusammenzufassen. Neuere, theoretisch anspruchsvolle Tempustheorien und -beschreibungen wie Bäuerle (1979) und Ballweg (1988) sind durch die Bemühung gekennzeichnet, als Reaktion auf 'indefinite' Tempuslogiken Priorscher Provenienz alle Tempusverwendungen 'definit1 zu deuten in dem Sinne, daß das Tempus eine Relation zwischen einer kontextueU vorgegebenen primären Orientierungszeit (meistens der aktuellen Sprechzeit) und einer durch die Überlappung mit einer weiteren kontextuell vorgegebenen Referenzzeit (Betrachtzeit) gleichfalls bestimmten Ereigniszeit (einer Zeit, zu der das im untemporalisierten Satzrest beschriebene 'Ereignis' stattfindet) spezifiziere. Damit kann man jedoch kaum allen Tempusverwendungen gerecht werden, wenigstens nicht ohne eine ungebührende Verwässerung des Begriffs der kontextuell vorgegebenen Referenz- oder Betrachtzeit (vgl. Fabricius-Hansen 1986: Kap. 1.3, .5.; 1987). Vor allem bietet das Präsensbzw. Präteritumperfekt in Sätzen wie (l)a und (2)-(3) im Unterschied zu (l)b einer solchen definiten Analyse Probleme: Inwiefern kann man hier von einer bestimmten, kontextuell vorgegebenen Zeit reden, zu der die angesprochene Person ggf. "Ran" sah, Anna ihren Mann kennenlernte oder ein beliebiger Akademiker studiert hat? Auch der Tempusgebrauch in komplexen Sätzen fügt sich nicht so leicht in dieses Schema. (1) (2) (3)

a b

Hast du "Ran" gesehen? Hast du gestern "Ran" gesehen? Zu der Zeit hatte Anna ihren Mann schon kennengelernt. Jeder Akademiker hat studiert.

Um den Definitheitsbegriff nicht allzu sehr zu strapazieren, nehme ich weiterhin an, daß Tempora grundsätzlich entweder 'definit' oder 'indefinit' verwendet werden können, wenn auch nicht jedes Tempus notwendigerweise beide Verwendungen kennt. Bei indefinitem Gebrauch drückt das Tempus aus, daß irgendeine Ereigniszeit - irgendein Wahrheitsintervall (Fabricius-Hansen 1986: 59,261) - des untemporalisierten Satzrestes in der für das Tempus charakteristischen Relation zur vorgegebenen Orientierungszeit steht. Bei definiter Verwendung spezifiziert das Tempus die Relation zwischen der Orientierungszeit und einer zweiten kontextuell vorgegebenen Zeit, der Betracht- oder Referenzzeit, mit der sich dann wiederum eine Ereigniszeit überlappt. Der Unterschied läßt sich anhand von Beispiel (l)a-b wie in Fig. 2. veranschaulichen.

159 Bz (a)

I

I

"».i

Ez (b)

'

1

>

Oz (= Sz)



Ez Oz: Orientierungszeit Sz: Sprechzeit Bz: Betrachtzeit Ez: Ereigniszeit

1

>

Oz (= Sz)

Fig. 3. Definiter vs. indefiniter Tempusgebrauch Als Orientierungszeit finiter (indikativischer) Tempora in einfachen Sätzen dient im Normalfall die Sprechzeit Die bei definitem Tempusgebrauch vorausgesetzte Betrachtzeit kann satzintern durch ein geeignetes Adverbial (vom Typ gestern, im Jahre 1982) oder satzextern durch den weiteren sprachlichen oder seltener nichtsprachlichen Kontext bereitgestellt werden4. Unter diesen Annahmen lassen sich die (indikativischen) Tempora vereinfacht folgendermaßen charakterisieren, wenn man vom 'historischen' Präsens und dem epistemischmodalen Gebrauch der Futurperiphrase, die uns in diesem Zusammenhang nicht zu interessieren brauchen, absieht: Das Präsens drückt aus, daß eine Ereigniszeit die Orientierungszeit überlappt oder ihr 'direkt' nachfolgt^, bzw. setzt voraus, daß die ereigniszeitüberlappende Betrachtzeit die Orientierungszeit überlappt oder ihr nachfolgt Das Präteritum wird wesentlich definit verwendet und drückt aus, daß Ereignis- bzw. Betrachtzeit der Orientierungszeit vorausliegt Das Futur (I) lokalisiert eine Ereigniszeit bzw. die Betrachtzeit nach der Orientierungszeit. Die Perfekttempora - das Perfekt, Plusquamperfekt und Futur II traditioneller Darstellungen - werden hier, wie jetzt immer üblicher wird6, kompositioneil analysiert, d.h. auch semantisch als Präsensperfekt, Präteritumperfekt und Futurperfekt verstanden. Mit der Perfektumschreibung an sich, d.h. mit der Konstruktion perfektbildendes Hilfsverb + Part. Perf. des Vollverbs, wird ausgedrückt, daß eine Ereigniszeit (bei indefiniter Verwendung) bzw. die Betrachtzeit (bei definiter Verwendung) einer kontextuell eingeführten (sekundären) Orientierungszeit vorausliegt. Diese muß, wenn man es mit einer 'satzwertigen' Perfekt-InfinitivKonstruktion zu tun hat, dem 'satzexternen' sprachlichen oder nichtsprachlichen Kontext zu entnehmen sein. So ist sie in (4) mit dem Zeitpunkt des Zugebens oder eventuell der diesen umgebenden Betrachtzeit zu identifizieren; dabei liegt in (4)b ein definites (infinites) Perfekt vor, während das Perfekt in (4)a je nach dem Zusammenhang indefinit oder definit gebraucht sein kann - letzteres, wenn während der Gerichtsverhandlungen von einer bestimmten Gelegenheit die Rede gewesen ist, bei der Hans Schmidt seine Frau geschlagen haben soll.

160

(4)

a

Hans Schmidt gab während der Gerichtsverhandlungen im Oktober 1981 zu, seine

b

Frau geschlagen zu haben. Hans Schmidt gab während der Gerichtsverhandlungen im Oktober 1981 zu, im April seine Frau geschlagen zu haben.

Handelt es sich hingegen um das Präsens-, Präteritum- oder Futurperfekt, wo das temporale Hilfsverb selber finit ist, so erhält man die sekundäre Orientierungszeit des Perfekts in Übereinstimmung mit dem finiten Obertempus (vgl. Ballweg 1986: 166ff.): Dieses spezifiziert in dem Fall nicht die Relation zwischen der primären Orientierungszeit (d.h. der Sprechzeit) und einer Ereignis- bzw. Betrachtzeit, sondern zwischen der primären und der sekundären, von der Perfektumschreibung vorausgesetzten Orientierungszeit, vor der eine Ereigniszeit bzw. die Betrachtzeit liegen muß. Beim Präsensperfekt fällt die sekundäre Orientierungszeit folglich mit der primären (der Sprechzeit) zusammen, oder sie ist mit einer kontextuell spezifizierten, nicht vor der Sprechzeit liegenden Zeit identisch. Das Perfekt selber kann dabei im ersten Fall indefinit oder definit verwendet sein - vgl. jeweils (5)a und (5)b -, während es im zweiten Fall normalerweise indefinit sein dürfte wie (5)c7. Beim Präteritum- und Futurperfekt muß die sekundäre Orientierungszeit entsprechend der Bedeutung des Obertempus der primären vorausliegen bzw. nachfolgen; vgl. (6-7). (5)

(6) (7)

a b

Hans Schmidt hat seine Frau geschlagen. Hans Schmidt hat im April dieses Jahres seine Frau geschlagen,

c

Übermorgen habe ich alles erledigt. Ende 1981 hatte Hans Schmidt schon mehrmals seine Frau geschlagen. Übermorgen werde ich alles erledigt haben.

Die hier sehr grob skizzierte Tempussemantik kann für das Dt. wie für die skandinavischen Sprachen (sowie das Engl. und Ndl.) Gültigkeit beanspruchen. Die vorhandenen Unterschiede dürften eher auf der pragmatischen Ebene liegen. Erwähnenswert ist in unserem Zusammenhang vor allem, daß die in (5)b veranschaulichte definite Verwendung des Präsensperfekt, d.h. seine Verwendung als 'Ersatz1 oder 'Variante' des Prät., die im Dt. keinen wesentlichen Restriktionen zu unterliegen scheint, in den anderen Sprachen nur noch in sehr beschränktem Ausmaß erlaubt ist. Das Präsensperfekt wird m.a.W. in diesen Sprachen überwiegend als 'echtes' (indefinites) Perfekt verwendet (vgl. Fabricius-Hansen 1986: 381 Anm. 62, Quirk et al. 1985: 192ff.). Über den temporalen 'Gehalt' der Konjunktivformen im Dt. ist vereinfachend folgendes zu sagen: Die einfachen Formen (Konj. Präs, und Prät.) haben temporal beide die Funktion des einfachen indikativischen Präsens, jedoch bezogen auf eine primäre Orientierungszeit, die in einer anderen 'möglichen Welt' liegt oder zu einem anderen Sprechakt (im weitesten Sinne) gehört als demjenigen, in dem der Konjunktivsatz verwendet wird. Relativ zu dieser Orientierungszeit dient

161

dann der Konj. des Präsens- und Präteritumperfekts als 'Vergangenheitstempus', in Übereinstimmung mit der obigen Beschreibung des (infiniten) Perfekts. Daß die modusindifferenten Präteritumformen in den skandinavischen Sprachen wie im Engl. und Ndl. auch konjunktivische Funktionen tragen, würde dann heißen, daß die primäre Orientierungszeit präteritaler Sätze nicht unbedingt mit der aktuellen Sprechzeit zu identifizieren ist, sondern nach den eben angedeuteten Parametern variieren kann. Im Abschnitt 4. soll die Angemessenheit der hier zugrundegelegten Tempussemantik, und zwar nicht zuletzt die Relevanz der Unterscheidung zwischendefinitemund indefinitem Perfekt für die Beschreibung des Tempusgebrauchs im indirekten Referat erprobt werden. 3.

Redewiedergabe

Unter Redewiedergabe oder Referat wird die Wiedergabe von Äußerungen, Reflexionen oder anderen Bewußtseinsinhalten einer Person P zu einer Zeit Z durch eine andere Person P' oder die gleiche Person zu einer anderen Zeit Z' verstanden. Die Person, deren Äußerung(en) oder Reflexion(en) wiedergegeben werden, sei die/der Wiedergegebene, der betreffende Sprech- oder Reflexionsakt der Original(sprech)akt, die Zeit, zu der er stattfindet, die Original(sprech)zeit genannt; die Person, die die betreffende(n) Äußerung(en) oder Reflexion(en) wiedergibt, heiße Wiedergebende(r), der Sprechakt, in dem die Wiedergabe gemacht wird, der Wiedergabe-Akt und die Zeit, zu der er stattfindet, die Wiedergabezeit. Wenn ich - als Wiedergebende - z.B. Satz (8)a am 1.8.1988 um 12 Uhr äußere, ist mithin die um 12 Uhr lokalisierte Äußerungszeit die Wiedergabezeit, während die Originalzeit, zu der die Wiedergegebene (Anna) den zitierten Satz (8)b tatsächlich verwendet(e), ein Teilintervall des 31. Juli sein muß. (8)

a

Anna fragte gestern: "Wieviele Eltern kann man haben?"

b

Wieviele Eltern kann man haben?

Wie aus der einleitenden Formulierung hervorgeht, setze ich voraus, daß die Wiedergegebene von der Wiedergebenden bzw. die Originalzeit von der Wiedergabezeit verschieden ist. Andernfalls handelt es sich nicht um einen Wiedergabe-Akt, sondern um einen performativen Sprechakt oder die unmittelbare Mitteilung eigener Reflexionen o.a. (s. Kaufmann 1976: 22), wie in (9). (9)

a

Ich frage dich, wieviele Eltern man haben kann,

b

Ich glaube, daß man vier Eltern haben kann.

Im Normalfall folgt auch bei Fremdreferat die Wiedergabezeit der Originalzeit nach: Man kann 'eigentlich' erst das wiedergeben, was vorher formuliert worden ist. Überlappung zwischen den beiden Zeiten, d.h. Simultanwiedergabe oder das Referieren habitueller, wiederholter Äußerungen /

162

Reflexionen (Man sagt, daß ...), dürfte in der Praxis relativ selten vorkommen und ist zudem uninteressant im Hinblick auf den Tempusgebrauch. Wegen der Überlappung der beiden Sprechzeiten kann in diesem Fall ohnehin keine Tempusverschiebung (s. u.) stattfinden. Geht schließlich die Wiedergabezeit der Originalzeit voraus wie in (10), so läßt sich im alltagssprachlichen Sinne kaum mehr von Referieren reden. Ich will diesen (Ausnahme-)Fall weiterhin als vorwegnehmende Wiedergabe und den anderen Fall als echte Wiedergabe bezeichnen. (10)

Vater wird sagen, daß man nur zwei Eltern haben kann.

Es werden bekanntlich traditionell zwei Grundtypen der Redewiedergabe unterschieden: das direkte Referat - Zitat -, wo die Äußerungen oder Reflexionen der Wiedergegebenen wortwörtlich wiedergegeben werden, und das indirekte (im weitesten Sinne), das zwar den Sinn des Gesagten oder Gedachten wiedergibt, aber gewisse Abweichungen in der sprachlichen Formulierung aufweist (vgl. Behaghel 1928: 695). Allerdings muß auch die direkte Redewiedergabe nicht in allen Hinsichten eine getreue Wiederholung des ursprünglich Gesagten oder Gedachten sein; wie Plank (1986) nachweist, brauchen nämlich sogenannte sprecherindexikalische Kennzeichen der Wiedergegebenen wie Sprechtempo, Pausen, Korrekturen, Tonfall nicht wiederholt zu werden, vielmehr lassen sich solche Faktoren auch im sog. direkten Referat als kennzeichnend für die Wiedergebende interpretieren. Charakteristisch für das direkte Referat ist ansonsten, daß alle in irgendeinem Sinne sprecheroder sprechsituationsabhängigen Ausdrücke oder Formulierungen aus der Sicht der Wiedergegebenen zur Originalzeit gewählt sind, sich also auf den Originalakt beziehen. Umgekehrt gilt für alle Formen nicht-direkten Referierens, daß sich mindestens eine Kategorie kontextrelativer Ausdrücke nach der Wiedergabesituation richtet (vgl. Kaufmann 1976). Relevant sind dabei die folgenden sprachlichen Kategorien (Plank 1986): A Deiktische Ausdrücke für Sprechaktrollen, d.h. Personal- und Possessivpronomina, einschließlich Variationen nach der sozialen Distanz zwischen Sprecher und Adressaten (du l ihr vs. Sie); B Kennzeichnungen oder Beschreibungen von Individuen, Gegenständen etc. aufgrund ihrer Beziehungen zum Sprecher (so kann etwa Genösse Gorbatschow als Generalsekretär Gorbatschow wiedergegeben werden); C raumdeiktische Ausdrücke (z. B. Adverbien wie hier und dort); D zeitdeiktische Adverbiale und Adjektive (wie heute, morgen); E Tempora; F Ausdrücke der epistemischen Distanz - "Ausdrucksformen, die anzeigen, auf welchem Wissenshintergrund der Wahrheitsgehalt von Aussagen beruht" (Plank 1986: 294), z.B. Modus, Modalverben, epistemische Adjektive und Adverbien wie wahrscheinlich, vermutlich.

163

Für den Wechsel vom Orginalsprechakt auf den Wiedergabe-Akt als Origo Sprecher- oder sprechsituationsabhängiger Ausdrücke wird im allgemeinen die Bezeichnung Verschiebung verwendet. Nicht-direkte Redewiedergabe ist demnach durch Verschiebungen in unterschiedlichen Dimensionen gekennzeichnet. Dabei besteht nach Plank (1986) ein Implikationsverhältnis - eine Art "deiktischer Hierarchie" - zwischen den Verschiebungsparametern, und zwar nicht nur fürs Deutsche, sondern universell. So können Verschiebungen der Raum- und Zeitdeiktika ausbleiben (Kategorie C, D), setzen aber auf jeden Fall die Pronominalverschiebung (A) - und angeblich auch eine entsprechende Umorientierung der Kennzeichnungen (B) - voraus. Und Tempora (E) und Ausdrücke der epistemischen Distanz (F), die gleichfalls unverschoben verwendet werden können oder müssen, erlauben nach Plank wiederum nur dann den Bezug auf den Wiedergabe-Akt, wenn sich auch Raum- und Zeitdeiktika danach richten. Es sei mithin die Implikationshierarchie E, F > C, D > A, B anzusetzen, wobei "X > Y" wie folgt zu lesen ist: "Wenn Kategorie X sich nach dem Wiedergabe-Akt orientiert, dann gilt das auch für Kategorie Y". Dagegen scheint nun die sog. erlebte Rede zu verstoßen, die ja gerade durch Pronominal- und Tempusverschiebung bei fehlender Verschiebung in den anderen Dimensionen gekennzeichnet ist (Kaufmann 1976: 152, Fabricius-Hansen 1986: 93, 177f., Plank 1986): (11) (l)Im Schaufenster der Bäckerei erblickte der Clochard sein Spiegelbild: ein viel zu weiter Filzmantel umgab ihn wie ein Ofenschirm, lange Bartstoppeln standen ihm wie Kaktusstacheln aus dem Gesicht. Er dachte an früher. (2) Früher hatte er jeden Morgen frische Brötchen auf seinem Frühstückstisch gehabt. (3) Immer diese Erinnerungen an früher! [...] (6) Aber morgen war Sonntag, und von irgendwas mußte er heute und morgen leben. (7) Die dicke Bäckersfrau da drin sah nicht unsympatisch aus, von der würde er sicher was bekommen (von der bekam / bekäme er sicher was). (8) Frauenspersonen wie die waren rauh, geizig waren sie nicht. (Kaufmann 1976: 152). Plank erklärt die erlebte Rede als "intentionale Verletzung der üblichen Normen der Wiedergabe von Rede und Reflexionen" (Plank 1986: 300), d.h. als eine Anomalie. Ist man nicht dazu bereit, so bleibt von der "deiktischen Hierarchie" wohl nur übrig, daß Pronominalverschiebung von Verschiebungen in den anderen obengenannten Dimensionen impliziert wird und folglich als das Sine qua non aller Formen nicht-direkter Redewiedergabe - indirekte, berichtete, erlebte Rede etc. zu gelten hat (vgl. Kaufmann 1976: 16). Diese wären dann ihrerseits nach den jeweils verschobenen bzw. unverschobenen Kategorien und dem syntaktischen Zusammenhang zwischen Redeanführung und Redewiedergabe (Plank 1986: 301ff.) zu differenzieren. Bei der folgenden Beschreibung des Tempusgebrauchs im indirekten Referat im Dt. und den skandinavischen Sprachen beschränke ich mich, wenn nichts anderes gesagt wird, auf den Fall, wo das Referat in der Form eines der Redeeinführung untergeordneten (Neben-)Satzes erscheint;

164

'berichtete' und 'erlebte1 Rede etc. bleiben mithin unbeachtet. Auf den Zusammenhang zwischen (fehlender) Tempusverschiebung und (fehlender) Verschiebung raum-zeit-deiktischer Adverbiale usw. soll soweit möglich auch nicht eingegangen werden, obwohl er zweifelsohne ein sehr wichtiger Aspekt des ganzen Problembereichs ist (Plank 1986, Comrie 1986, Wunderlich 1970: 206f.). Gänzlich ausgeklammert bleibt für das Deutsche die Frage, unter welchen Bedingungen überhaupt noch der Indikativ vorkommen darf. 4.

Tempus in der indirekten Rede

4. l.

Eindeutig konjunktivische Tempusformen

Was den Tempusgebrauch im eindeutig indirekten Referat im Dt. betrifft, ist das Wichtigste schon gesagt worden (§2.2.): Einfache Präsens- und Präteritumformen des Konjunktivs haben unterschiedslos die temporale Funktion des Ind. Präs, mit Bezug auf eine primäre Orientierungszeit, die intensional nicht identisch sein darf mit der Zeit, zu der der konjunktivische Satz verwendet wird. Im Fall eines Wiedergabe-Akts heißt dies natürlich, daß sich die konjunktivischen Tempora nicht nach der Wiedergabezeit, sondern nach der Originalzeit als primärer Orientierungszeit richten. Auch der Konditional (I) kann als 'Präsenstempus' zu verstehen sein (Heibig / Buscha 1986: 195), wenn er auch wahrscheinlich häufiger dem Futur (I) der direkten Rede entspricht, während der Konjunktiv des Futurs eindeutigen 'Zukunftsbezug' hat. Und die Konjunktivformen des Präsens- und Präteritumperfekts dienen als 'Vergangenheitsformen1, insofern sie die Originalzeit als sekundäre Orientierungszeit nehmen, wenn der Kontext keine andere liefert, und so eine Ereigniszeit bzw. die Betrachtzeit als vor der Originalzeit liegend hinstellen; vgl. dazu (12)-(14). (12) (13) (14)

Petra fragte ihn, wie ihm das Buch gefalle l gefiele t (gefallen würde). Petra fragte ihn, ob er den Film gesehen habe l gesehen hätte. Petra fragte ihn, ob er am Abend zu Hause sein werde l sein würde.

4.2. Indikativische bzw. modusindifferente

Tempusformen

Für den Gebrauch indikativischer (bzw. modusindifferenter) Tempusformen sind, wie schon deutlich geworden ist, zwei grundsätzlich verschiedene Prinzipien erkennbar Die Tempora können 'unverschoben' und 'verschoben' verwendet werden. Im ersten Fall wird von den beiden zur Verfügung stehenden Sprechzeiten die Originalzeit als primäre Orientierungszeit gewählt, d.h. die Tempora sind unverändert im Vergleich zur äquivalenten direkten Rede. Die Relation zwischen Originalzeit und Wiedergabezeit oder zwischen Ereignis- und Wiedergabezeit kann dabei genau wie bei direkter Redewiedergabe die Tempuswahl nicht beeinflussen, vielmehr bleibt die Wiedergabe-

165

zeit in dieser Hinsicht völlig irrelevant. Diesem Prinzip - Prinzip I bei Solfjeld (1983a) - scheinen (15-16)a und (17) zu folgen. (15) a b (16) a b (17)

Petra fragte ihn, wie ihm das Buch gefällt. Petra fragte ihn, wie ihm das Buch gefiel. Petra fragte ihn, ob er den Film gesehen hat. Petra fragte ihn, ob er den Film gesehen hatte. Petra fragte ihn, ob er am Abend zu Hause sein wird.

Tempusverschiebung besagt andererseits entsprechend der Verschiebung anderer deiktischer Kategorien (s. §3.), daß der Wiedergabe-Akt den Originalsprechakt als Bezugsrahmen ersetzt, d.h. daß die Wiedergabezeit die Funktion als primäre Orientierungszeit der Tempora übernimmt (Prinzip II nach Solfjeld 1983a). Es sind jedoch zumindest theoretisch zwei Varianten einer solchen Verschiebung denkbar. Die Originalzeit kann relevant bleiben, wenn nicht als primäre Orientierungszeit, so als zusätzliche Betrachtzeit der einfachen Tempora bzw. als sekundäre Orientierungszeit der Perfekttempora. Nach diesem Prinzip - Prinzip , Tempusverschiebung im traditionellen Sinne - lassen sich das Prät. in (15)b und das Präteritumperfekt in (16)b erklären: Die vor der Wiedergabezeit (der primären Orientierungszeit) liegende Originalsprechzeit dient als Betrachtzeit des finiten Prät., d.h. als Zeit, die in (15)b eine Ereigniszeit überlappen muß, und dementsprechend als sekundäre Orientierungszeit des Präteritumperfekts in (16)b, d.h. als Zeit, vor der eine Ereigniszeit lokalisiert sein muß. Man könnte sich aber auch vorstellen, daß die Originalzeit überhaupt nicht mehr, d.h. auch nicht als Betracht- oder sekundäre Orientierungszeit, mitberücksichtigt, sondern unbeachtet bleiben würde, wie es nach Prinzip I umgekehrt für die Wiedergabezeit der Fall ist. Nach einem solchen Prinzip - im folgenden als Prinzip II* bezeichnet - wären z.B. das Präsens in (18) und das Präteritum in (19) erklärbar - aber nicht allein danach: In beiden Fällen ist auch eine Deutung nach Prinzip I möglich, insofern auch im entsprechenden direkten Referat Präs. bzw. Prät. verwendet würde. (18) (19)

Anna teilte mir heute morgen mit, daß Hans diese Woche verreist ist. Anna behauptete gestern, daß Präsident Kennedy 1965 erschossen wurde.

An diesen Beispielen wird deutlich, daß die verschiedenen theoretisch möglichen Prinzipien der Tempuswahl nicht immer zu Unterschieden des faktischen Tempusgebrauchs führen werden. Ob ein Unterschied erkennbar werden muß oder nicht, hängt von der faktischen Relation zwischen Ereignis- bzw. Betrachtzeit und den beiden Sprechzeiten, Original- und Wiedergabezeit, ab. Unter welchen Bedingungen Prinzip I (Nicht-Verschiebung) und Prinzip II (Verschiebung im traditionellen Sinne) jeweils in verschiedene Tempora resultieren müßten, hat Solfjeld (1983a) für die echte Redewiedergabe sehr ausführlich dargestellt anhand authentischer sprachlicher Belege (im

166

Kontext). Im Anschluß daran werden in Fig. 3. mögliche Konstellationen von Ereignis- / Betrachtzeit, Originalzeit und Wiedergabezeit veranschaulicht, und zwar jeweils für die echte Redewiedergabe (A), wo die Wiedergabezeit der Originalzeit nachfolgt (vgl. Solfjeld 1983a: Kap. 7., Vannebo 1979: Kap. 5.4.1.), und die vorwegnehmende Redewiedergabe (B), wo das Umgekehrte der Fall ist. (f)

Ez/Bz

(b)

(a)

1

A: B:

Originalzeit Wiedergabezeit

(c)

(d)

(e)

1

Wiedergabezeit Originalzeit

Fig. 3. Konstellationen von Originalzeit, Wiedergabezeit und Ereignis- bzw. Betrachtzeit (EzJBz)

In Fig. 4., A und B wird für jede solche Konstellation schematisch dargestellt, welches Tempus nach der oben skizzierten Tempussemantik jeweils nach Prinzip , und II* zu erwarten ist (für die eingeklammerten Alternativen sei auf die Ausführungen unten verwiesen). Prinz. Konst. (a) (b) (c) (d) (e) (f)

I

Prät.,Präsensperf. Präs. Fut., Präs. Fut., Präs. Fut., Präs. Präs.

I (a) (b) (c) (d) (e) (f)

A: Originalzeit vor Wiedergabezeit II Präteritumperf. Prät. Prät. [Prät.]; Präs. [Prät.]; Fut., Präs. Prät.

B: Wiedergabezeit vor Originalzeit II

Prät., Präsensperf. Prät., Präsensperf. Prät., Präsensperf. Präs. Fut., Präs. Präs.

Prät., Präsensperf. Präs. Präsensperf. Fut., Präs. Fut., Präs. Fut., Präs.

II* wiel Prät., Präsensperf. Prät., Präsensperf. Präs. wiel wiel

II* wie I/II wie II Fut., Präs. wie II wie VII wie I

Fig. 4. Tempuserwartungen bei echter (A) und vorwegnehmender (B) Wiedergabe

Völlig unberücksichtigt bleibt dabei das Futurperfekt; das Präteritumperfekt wird nur soweit beachtet, als es nicht auch einem Präteritumperfekt im direkten Referat entspricht; und damit das Schema nicht nur auf das Dt., sondern auch auf die skandinavischen Sprachen (sowie das Engl. und Ndl.) anwendbar sei, wird schließlich auch von dem weitgehend dem Dt. eigenen definiten Präsensperfekt (s. oben §2.2.) abgesehen.

167

Aus dem Schema geht folgendes hervor: Prinzip H* müßte mit wenigen Ausnahmen zum gleichen Ergebnis fuhren wie entweder I oder . Eine Ausnahme bildet die Konstellation A (b), wo die Ereignis- / Betrachtzeit die Originalzeit überlappt und beide der Wiedergabezeit vorausliegen und wo folglich nach I und II jeweils Präsens und Präteritum verlangt wird; vgl. (15)a-b oben. Da nach II* die Überlappung zwischen Ereignis- / Betrachtzeit und Originalzeit unbeachtet bleibt, müßte nach II* auch ein indefinites Präsensperfekt möglich sein. Es scheint aber äußerst fraglich, ob (15)c als indirekte Entsprechung von (15)d gelten kann. Noch fraglicher wird eine solche Möglichkeit für Sprachen wie die skandinavischen, die die ziemlich uneingeschränkte Verwendung des Präsensperf. als definitem Vergangenheitstempus nicht kennen; vgl. das entsprechende dän. Satzpaar in (15'). (15) c d 1

(15 ) c d

?Petra fragte ihn / hat ihn gefragt, wie ihm das Buch gefallen hat. Petra fragte ihn / hat ihn gefragt: "Wie gefällt dir das Buch?" *Petra spurgte harn, hvad han har syntes om bogen. Petra spurgte harn: "Hvad synes du om bogen?"

Auch im Fall A (c), wo die Ereignis- bzw. Betrachtzeit nach der Original- und vor der Wiedergabezeit liegt, dürfte das nach II* erlaubte Präsensperfekt unangemessen sein: (20) a

*Anna teilte mir vorgestern mit / hat mir vorgestern mitgeteilt, daß Hans gestern / am nächsten Tag wiedergekommen ist.

b

Anna teilte mir vorgestern mit / hat mir vorgestern mitgeteilt: "Hans kommt morgen wieder."

Drittens ist die Situation B (c) zu erwähnen, wo die Ereignis- / Betrachtzeit umgekehrt nach der Wiedergabe-, aber vor der Originalzeit liegt. In dem Fall wäre nach II*, wo allein die Relation zwischen Wiedergabezeit und Ereignis- / Betrachtzeit die Tempuswahl bestimmt, natürlich Futur oder Präsens zu erwarten. Es fällt jedoch schwer, auch nur eine der Varianten in (21/21')a als indirekte Wiedergabe der direkten Rede in (21/21')b aufzufassen oder zu akzeptieren (s. §4.4.). (21) a

*Anna wird übermorgen behaupten, daß sie morgen krank sein wird. *Anna wird übermorgen behaupten, daß sie morgen krank ist. *Anna wird übermorgen behaupten, daß sie am Tag vorher krank sein wird. *Anna wird übermorgen behaupten, daß sie am Tag vorher krank ist.

(21) b

Anna wird übermorgen behaupten: "Ich war gestern krank / Ich bin gestern krank gewesen."

(2 ) a

*I overmorgen vil Anna pästä at hun v/7 vcere syg i morgen. *I overmorgen vil Anna pasta at hun er syg i morgen. *I overmorgen vil Anna pästa at hun vil vcere syg dagen f0r.

168

*I overmorgen vil Anna pasta at hun er syg dagen f0r. b

I overmorgen vil Anna pästä: "Jeg var syg i gär."

Wir müssen somit feststellen, daß Verschiebung nach Prinzip II*, obwohl theoretisch möglich, nirgends eindeutig nachweisbar ist als bestimmend für die Tempuswahl im indirekten Referat. Daraus ist wiederum zu folgern, daß diese auf jeden Fall durch die Relation zwischen Ereignis- / Betrachtzeit und Originalzeit mit bedingt sein muß; denn gerade das ist den beiden anderen Prinzipien - der fehlenden Tempusverschiebung (I) und der Tempusverschiebung im traditionellen Sinne (II), wo die Originalzeit bei echter Redewiedergabe als Betrachtzeit des Prät. bzw. sekundäre Orientierungszeit der Perfekttempora dient - gemeinsam. Mit anderen Worten: Die Beziehung zwischen Ereignis- / Betrachtzeit und (Original-)Sprechzeit ist ein wichtiger Bestandteil dessen, was in der direkten Rede mit den Tempora ausgedrückt wird, und muß deshalb ins indirekte Referat mit hinübergerettet werden; dies gilt selbstverständlich insbesondere dann, wenn die Ereigniszeitlokalisierung über das Tempus allein und nicht (zusätzlich) über eine kontextuell vorgegebene Betrachtzeit erfolgt, d.h. wenn in der direkten Rede indefiniter Tempusgebrauch vorliegt. Wenden wir uns jetzt mit dieser Einsicht dem faktischen Tempusgebrauch in echter (4.3.) und vorwegnehmender (4.4.) Redewiedergabe zu. 4.3. Echte Redewiedergabe: Originalsprechzeit vor Wiedergabezeit 4.3.1. Tempusgebrauch im Deutschen Bei echter Redewiedergabe kommen im Dt. unverschobene wie verschobene Tempusformen vor (s. Kaufmann 1976: 34 und vor allem Solfjeld 1983a). Bei der Konstellation (a) in Fig. 3.A und 4.A - Ereignis- / Betrachtzeit vor beiden Sprechzeiten - wirkt sich der Unterschied als Prät. oder Präsensperfekt nach I versus Präteritumperfekt nach II aus; allerdings lassen sich Präteritum und Präsensperf. auch nach II* erklären. Vgl. außer (19) oben die folgenden Belege (mit'+' markierte Beispiele sind Solfjeld 1983a oder eventuell Ek 1986 entnommen): (22) +

(23) (24) + (25) +

[...] die Strafen für betrunkene Fahrer sind viel zu niedrig, meint Herr Neumann aus Solingen und sagte dazu, daß er am siebten Januar von einem Betrunkenen angefahren wurde. (I/II*) Meine Frau erzählte mir neulich / hat mir neulich erzählt, daß du wieder geheiratet hast. (Vil*) Vielleicht hatte der Intematsleiter auch erfahren, daß ich neulich für eine ganze Mark 'Warschauer Brot' gekauft hatte. ( ) Tonio erfuhr dort, [... ] daß Kids aus Washington eigens hergekommen waren, um sich in New York den Boxkampf anzusehen. ( )

169

Im Fall (b), wo die Ereignis- / Betrachtzeit die Originalzeit überlappt, der Wiedergabezeit jedoch vorausliegt, erhält man nach I Präsens, nach II Präteritum; vgl. außer (15a-b): (26) +

Ich saß am Filmabend des Frauenvereins hinter Ihnen. [...] Sie fragten mich, ob mich Dir Hut stört. (I)

(27) +

Also wollte Pierre wohl gleich wissen, woran wir mit der Mieze sind. (I)

(28) +

Aber als sie im Labor anrief, hieß es, er war gar nicht dort. ( )

(29) +

Ein bißchen später hörte ich vom Sheriff [...], daß ausgerechnet dieser Bursche [...] in einem Schienenlager ganz in der Nähe war. ( )

Im Fall (c), wo die Ereignis- / Betrachtzeit zwischen Original- und Wiedergabezeit liegt, ist nach I Futur oder Präsens zu erwarten und auch unschwer zu belegen: (30) a+

Und dann wollte ich fragen, ob er mit mir nach Hause kommt. (I)

(31) a+

Wir hatten alle Angst, daß sie den Lastwagenfahrer mitnehmen. (I)

(32) a+

Sie war nur in Sorge, was Paul machen wird, (l)

Nach der §2. skizzierten Tempussemantik müßte Prinzip

hingegen in diesem Fall eigentlich nicht

anwendbar sein; es gibt eben im Dt. kein eindeutig indikativisches - einfaches oder zusammengesetztes - Tempus der 'Nachvergangenheit', das eine Ereigniszeit bzw. die Betrachtzeit nach einer der primären Orientierungszeit vorausliegenden (sekundären) Orientierungszeit lokalisieren könnte. Dafür wird der zumindest formal konjunktivische Konditional verwendet, der denn auch neben Konj. Präs. / Fut. / Prät. als generelle Alternative zu 'unverschobenen' Konstruktionen wie den obigen zur Verfügung steht: (30) b

Und dann wollte ich fragen, ob er mit mir nach Hause kommen würde.

(31) b

Wir hatten alle Angst, daß sie den Lastwagenfahrer mitnehmen würden.

(32) b

Sie war nur in Sorge, was Paul machen würde.

So lassen sich wohl auch (20)c und (33)a kaum als 'indirekte' Entsprechungen der direkten Rede in (20)b oben und (33)b aufassen (vgl. Kaufmann 1976: 118f.). (20) c

*Anna teilte mir vorgestern mit/ hat mir vorgestern mitgeteilt, daß Hans gestern wiederkam. *Anna teilte mir vorgestern mit / hat mir vorgestern mitgeteilt, daß Hans am nächsten Tag wiederkam.

(33) a b

*Hans versicherte, daß er an der Sitzung selbst teilnahm. Hans versicherte: "Ich nehme an der Sitzung selbst teil."

170

Andererseits sind auch unter Umständen nach II(*) zu erwartende indikativische Präteritalformen akzeptable Alternativen zu den unverschobenen präsentischen; vgl. (34) und (30-31 )c. (34) + (30) c (31) c

Dee Force dachte, daß dieser Stich tödlich war, wenn er nicht dafür sorgte, daß der größte Teil des eingespritzen Giftes nicht in die Blutbahn kam. ( ) Und dann wollte ich fragen, ob er mit mir nach Hause kam. Wir hatten alle Angst, daß sie den Lastwagenfahrer mitnahmen.

Die gleiche (teilweise) Austauschbarkeit von Ind. Prät. und Konditional (und damit auch Konj. Prät. bzw. Präs.) finden wir in der erlebten Rede; vgl. Satz (7) im Beispiel (l 1) und Kaufmann (1976: 152ff.). Es hat also den Anschein, als ob das Präteritum nicht einfach oder nicht nur, wie oben (§2.) angenommen wurde, dazu dient, eine vorgegebene ereigniszeitüberlappende Betrachtzeit als vor der Sprechzeit liegend zu hinzustellen, sondern unter Umständen die Funktion des Präsens haben kann relativ zu einer vor der Sprechzeit liegenden Referenzzeit; das Präteritum drückt dann als indefinites Tempus aus, daß eine Ereigniszeit diese als sekundäre Orientierungszeit zu verstehende Referenzzeit überlappt oder ihr 'direkt' nachfolgt. Eine notwendige, wenn auch deutlich keine hinreichende Bedingung für die Funktion des Prät. als 'Präsens in der Vergangenheit' wäre dann, daß es sich bei der betreffenden Betrachtzeit um die Zeit eines Sprechoder Reflexionsaktes handelt, wie es in Redewiedergabekonstruktionen der Fall ist8. Fall (d) (s. Fig. 3. und 4. A), der etwa in (35)a vorliegt, unterscheidet sich nur durch die Überlappungsrelation zwischen Ereignis- / Betrachtzeit und Wiedergabezeit von (c) und verlangt deshalb nach I wieder das Präsens oder Futur wie in (35)b. Beide Tempora sind jedoch auch als II*-Ausdrücke für Fall (d) bzw. (e) deutbar, falls eine solche Deutung mit vorhandenen Betrachtzeitadverbialen etc. kompatibel ist (s. Fig. 4. A). (35) a b (36) a

Hans sagte gestern / hat gestern gesagt: "Ich komme morgen wieder." Hans sagte gestern / hat gestern gesagt, daß er heute wiederkommt. (I) Hans sagte gestern / hat gestern gesagt, daß er am nächsten Tag wiederkommt. (I) Anna teilte vorletzten Montag mit, daß sie diese Woche / in der folgenden Woche verreist ist/verreist sein wird. (I)

Man könnte sich vielleicht vorstellen, daß das Präteritum auch in diesem Fall verwendbar sei als Nachvergangenheitstempus, d.h. um auszudrücken, daß eine Ereigniszeit der vor der primären Orientierungszeit (Wiedergabezeit) liegenden, als sekundäre Orientierungszeit dienenden Originalsprechzeit nachfolgt. Dies erscheint jedoch hier entschieden problematischer als im Fall (c): (35)c und (36)b sind m.E. als Alternativen zu (35)b, (36)a kaum akzeptabel. Das dürfte damit zusammenhängen, daß das Präteritum grundsätzlich auch als normales auf die primäre Orientierungszeit (i. e. die Wiedergabezeit) bezogenes 'Vergangenheitstempus' erklärbar sein muß, das in Übereinstimmung mit seiner Bedeutung einen adverbial spezifizierten sprechzeitüberlappenden Zeitraum

171

wie 'heute' oder 'diese Woche', in dem eine Ereigniszeit lokalisiert sein muß, auf den vor der Sprechzeit liegenden Teil einschränkt; und diese Interpretation ist zwar mit der Konstellation (c), nicht aber mit (d) vereinbar. Deshalb erscheint allein der in (35)d, (36)c vorliegende Konditional (bzw. der Konj. Prät./Präs./Fut.) eine brauchbare Alternative zu unverschobenen Indikativformen. (35) c d

*Hans sagte gestern / hat gestern gesagt, daß er heute wiederkam. (II) *Hans sagte gestern / hat gestern gesagt, daß er am nächsten Tag wiederkam. (II) Hans sagte gestern / hat gestern gesagt, daß er heute wiederkommen würde. Hans sagte gestern / hat gestern gesagt, daß er am nächsten Tag wiederkommen würde.

(36) b c

*Anna teilte vorletzten Montag mit, daß sie diese Woche / in der folgenden Woche verreist war. (II) Anna teilte vorletzten Montag mit, daß sie diese Woche / in der folgenden Woche verreist sein würde.

Im Fall (e), wo die Ereignis- / Betrachtzeit beiden Sprechzeiten nachfolgt, sind Präsens- oder Futurformen zu erwarten, egal, ob die Original- oder die Wiedergabezeit als primäre Orientierungszeit genommen wird (Solfjeld 1983: Kap. 8.4 und 12.). Die Relation zwischen Original- und Wiedergabezeit läßt sich dabei nicht mehr berücksichtigen. Um das zu erreichen, muß der Konditional verwendet werden - und das schließt wiederum wie jeder Konjunktiv im indirekten Referat die Berücksichtigung der Relation zwischen Ereignis- / Betrachtzeit und Wiedergabezeit aus. (37) a

Hans sagte neulich, daß er übermorgen wiederkommt. (I/II)

(38) a+ (39) a+

James wollte, daß Sie an seinem Grab Moonlight and Roses singen. (VII) Dachten Sie nicht daran / Haben Sie nicht daran gedacht, daß Sie eines Tages einen Platz da draußen brauchen werden. (VII)

Fall (f) liegt vor, wenn ein und dieselbe Ereigniszeit - ein und dasselbe Wahrheitsintervall - der im Referat ausgedrückten, notwendigerweise 'imperfektiven' (Fabricius-Hansen 1986: Kap. IV.4., S.2.-3.) Proposition die Original- und die Wiedergabezeit zugleich überlappt, d.h. es muß von einem 'Zustand1 die Rede sein, der eine gewisse Dauer haben kann. Nach I erscheint im indirekten Referat dann natürlich Präsens, das sich freilich auch nach II* erklären läßt (40) + (41) +

Ich hatte schon von Dan gehört, daß ein Angeklagter nicht wohnt, sondern wohnhaft ist. (VII*) Sie sagten selbst, daß Goldman lange offen hat. (l/U*)

Da die Ereigniszeit die vor der Wiedergabezeit liegende Originalzeit überlappt, ist die Bedingung für die Verwendung des Prät. nach gleichfalls erfüllt. Es wird dann jedoch auf die Originalzeit als Betrachtzeit und damit auch auf einen / den vor der Wiedergabezeit liegenden Teil der faktischen

172

Ereigniszeit fokussiert. D.h., es wird zwar, genau wie im direkten Referat der Überlappungsrelation zwischen Ereignis- und Originalzeit Rechnung getragen, die Relation zwischen Ereignisund Wiedergabezeit bleibt jedoch unberücksichtigt. Deshalb dürfte Ind. Prät. in solchen Fällen auch weniger frequent sein als im Fall (b) oben - das Prät. legt nahe, daß die Ereigniszeit der Wiedergabezeit ganz vorausliegt; vgl. dazu (42-43)a als Wiedergabe der direkten Rede in (42-43)b. (Näheres zu den Belegen, die an sich auch als (a)-Fälle mit unverschobenem Prät. - Ereignis- vor Originalzeit - deutbar sind, siehe Solfjeld 1983a: Kap. 9.). (42) a+ b (43) a+

Die Mädchen hatten erzählt, daß es tierisch weh tat das erste Mal. ( ) "Es tut tierisch weh das erste Mal." [...] Er schilderte noch einmal die Lage am Ende des Krieges, erwähnte die Ausnahmegesetze, das Kriegsrecht, und mußte bekennen, daß in solch einer Zeit Simulantentum geahndet werden mußte.

b

"In solch einer Zeit muß Simulantentum geahndet werden."

Es sei jedoch daran erinnert, daß das Präsens als einfaches Tempus sich nach einer einzigen Orientierungszeit richtet und demnach explizit eigentlich nur einer der beiden Ereignis-SprechzeitRelationen gerecht werden kann: Faßt man es als unverschoben, d.h. als originalzeitbezogen auf, so fehlt wie im direkten Referat ein direkter Bezug auf die Wiedergabezeit; und deutet man es als verschoben, d.h. als wiedergabezeitbezogen, so kann der Bezug auf die Originalzeit nur implizit erschlossen werden, und zwar von der Betrachtung aus, daß die Tempuswahl irgendwie doch die Relation zwischen Ereignis- / Betrachtzeit und Originalzeit mit berücksichtigen muß (§4.2.). Denn daraus läßt sich folgendes schließen: Wenn ein Tempus im indirekten Referat sich scheinbar nach der Wiedergabezeit orientiert, ohne daß die Originalzeit etwa als zusätzliche Orientierungszeit eines Perfekttempus ins Spiel kommt, dann muß damit implizit signalisiert werden, daß die Originalzeit in der gleichen Relation zur Ereignis- / Betrachtzeit steht wie die Wiedergabezeit; sonst ist die Tempuswahl mit dem übergeordneten Prinzip der 'recoverability' der Beziehung zwischen Originalsprechzeit und Ereignis- bzw. Betrachtzeit nicht verträglich. Mit anderen Worten: Die Tempuswahl nach II* kann nur dann erlaubt sein, wenn Ereignis- / Betrachtzeit in derselben Relation zu den beiden Sprechzeiten steht und folglich eine Tempuswahl nach I zum gleichen Ergebnis führen würde - d.h. in den Situationen (a), (e) und (f) von Fig. 3., A, wo sie beide(n) Sprechzeiten jeweils vorausliegt, nachfolgt und überlappt Der indikativische Tempusgebrauch im Deutschen bei echter indirekter Redewiedergabe läßt sich jetzt zusammenfassend wie folgt beschreiben (vgl. Solfjeld 1983a, b): Die Tempora können immer nach Prinzip I (unverschoben) verwendet werden, aber auch nach Prinzip

(*) - mit der

Wiedergabezeit als primärer Orientierungszeit und der Originalzeit, wenn nötig, als sekundärer Orientierungszeit -, soweit das mit dem übergeordneten Prinzip verträglich ist, daß das Tempus auch die Relation zwischen Ereignis- / Betrachtzeit und Originalsprechzeit widerspiegele.

173

4.3.2.

Tempusgebrauch in den skandinavischen Sprachen

In den skandinavischen Sprachen ebenso wie im Engl. und Ndl. sind unverschobene Tempusformen nicht anwendbar in denjenigen Fällen, wo Verschiebung (nach oder II*) und Nicht-Verschiebung zu verschiedenen Ergebnissen führen (vgl. Solfjeld 1983b, 1983a: Kap. 15., Ek 1986, Vannebo 1979: Kap. 5.4.1.). So ist im Fall (b) nur das Prät. (nach II) akzeptabel, das Präsens wie in (26'-27')a ist als Beschreibung der Situation (b) in Fig. 3., A abweichend, es wird, wenn möglich, im Sinne von Fall (f) interpretiert; vgl. untenstehende dän. Übersetzungen von (26-29). Diese Verwendung des modusindifferenten - Prät. läßt sich natürlich einerseits wie das entsprechende Prät. im Dt. erklären, d.h. aus der rein temporalen Bedeutung des Prät. ableiten; sie kann aber auch dem dt. Konj. entsprechend als Ausdruck der 'Wiedergabemodalität1 aufgefaßt werden, als Signal dafür, daß der aktuelle Sprechakt als zeitlicher Orientierungspunkt durch einen anderen, und zwar früheren Sprechakt ersetzt worden ist, bezogen auf den das Präteritum die Funktion des Präsens hat (s. §4.1.). (26') a b (27') a b (28') (29')

[...] *De spurgte mig om Deres hat generer mig. (I) [...] De spurgte mig om Deres hat generede mig. ( ) *Derfor ville Pierre straks have at vide hvüke chancer vi hör hos pigen. (I) Derfor ville Pierre straks have at vide hvilke chancer vi havde hos pigen. ( ) Men da hun ringede til laboratories hed det sig at han ikke vor der. ( ) Senere h0rte jeg af sheriffen at netop denne fyr befand! sig i et skinnelager lige i naerheden.(II)

Auch im Fall (c) kommt - neben dem Konditional - nur das Prät. in Frage, das dementsprechend auch 'Nachvergangenheit' ausdrücken kann; vgl. (30'-31')b vs. (30'-31')a. Es muß jedoch u. U. wohl u.a. um die Relation zwischen Ereignis- bzw. Betrachtzeit und Originalzeit zu verdeutlichen der Konditional verwendet werden, wie im Dt. der (konditionale oder nichtkonditionale) Konjunktiv; vgl. (20')a vs. (20')b. (30') a b c (31') a b c (20') a

*Og sä skulle jeg til at sp0rge om han gär med mig hjem. (I) Og sä skulle jeg til at sp0rge om han gik med mig hjem. ( ) Og sä skulle jeg til at sp0rge om han ville gd med mig hjem. (Kond.) * Vi var alle sammen bange for at de tager Iastbilchauff0ren med sig.(I) Vi var alle sammen bange for at de tog Iastbilchauff0ren med sig. ( ) Vi var alle sammen bange for at de ville l skulle tage Iastbilchauff0ren med sig. (Kond.) *Anna meddelte mig i forgärs at Hans kom igen i gär. (II) ?Anna meddelte mig i forgärs at Hans kom igen dagen efter. (II)

174

b

Anna meddelte mig i forgars at Hans ville komme igen i gär. (Kond.) Anna meddelte mig i forgärs at Hans ville komme igen dagen efter.

Die Tatsache, daß Präsens- und Futurformen nicht vorkommen, wenn sie eindeutig nach Prinzip I zu erklären wären, erlaubt zunächst die Verallgemeinerung, daß Prinzip I in diesen Sprachen bei echter Wiedergabe nicht verwendbar ist (vgl. Solfjeld 1983b, Ek 1986). Im Fall (d) ist Präsens zwar u. U. verwendbar, es wird aber - wie auch das Futur automatisch als wiedergabezeitbezogen, d.h. als Präsens nach (*) aufgefaßt. Interessanterweise scheint es im Unterschied zum Präsens im Dt. nicht kompatibel mit einem anaphorischen, in der Originalzeit verankerten Betrachtzeitadverbial wie dagen efter 'am nächsten Tag' (s. FabriciusHansen 1986:176ff.); und ein deiktisches Adverbial wie i dag 'heute' und i morgen 'morgen' kann nur als wiedergabezeitbezogen, d.h. als verschoben aufgefaßt werden, wiederum anders als im Dt. (s. Plank 1986). Beides macht deutlich, daß Präsens (und Futur) in solchen Fällen tatsächlich als verschobene Tempora zu erklären sind. Das heißt, von den Vorschlägen in (35')b kann lediglich der erste dem direkten Referat in (35')a entsprechen. (35') a b

(36') a

Hans sagde i gär: "Jeg kommer igen i morgen." Hans sagde i gär at han kommer igen i dag. (II*) *Hans sagde i gär at han kommer igen dagen efter. *Hans sagde i gär at han kommer igen i morgen. Anna meddelte forrige mandag at hun er l vil vcere bortrejst i denne uge. ( *)

Darüber hinaus ist in diesem Fall ebenso wie im Dt. der Konditional immer möglich. Unter Umständen ist auch das ja modusindifferente Präteritum verwendbar, das im Unterschied zum Ind. Prät. im Dt. (s. oben) keine Vorzeitigkeitsrelation zwischen Ereignis und Wiedergabe-Akt zu verlangen oder nahezulegen scheint, wenn es als Präsens relativ zur Originalzeit dient. Da jedoch die Möglichkeit des Prät. sich dann nicht aus der Relaüon zwischen Ereignis- / Betrachtzeit und Wiedergabezeit begründen läßt, ist es jetzt nicht mehr rein temporal erklärbar, sondern muß in erster Linie als Ausdruck der Wiedergabemodalität, als Entsprechung des Konj. im Deutschen, gedeutet werden. Und dies legt es nahe, es auch in den bisher besprochenen Fällen so aufzufassen, obwohl es dort grundsätzlich rein temporal wie modal-temporal beschreibbar war (s. dazu Ek 1986: 29). (35*) c d (36') b

Hans sagde i gär at han kom igen i dag. (II) Hans sagde i gär at han kom igen dagen efter. (II) Hans sagde i gär at han ville l skulle komme igen i dag / dagen efter. (Kond.) Anna meddelte forrige mandag at hun vor bortrejst denne uge. ( )

c

Anna meddelte forrige mandag at hun ville vcere bortrejst denne uge. (Kond.)

175

Im Fall (e) kommen neben Konditional und Prät. auch Futur und Präsens vor, die zwar an sich nach I oder 11* erklärbar sind, aber aus den obenerwähnten Gründen wieder in erster Linie als wiedergabebezogen interpretiert werden müssen. Für das Prät. gilt dabei das Obengesagte. (37') a b c 1 (39 ) a b

Hans sagde for nylig at nan kommer igen i overmorgen. ( *) Hans sagde for nylig at han kom igen i overmorgen. ( ) Hans sagde for nylig at han ville komme igen i overmorgen. (Kond.) Tankte De ikke pä at De vilfd brug for en plads derude? ( *) Tankte De ikke pä at De ville fd brug for en plads derude? (Kond.)

Im Fall (f) sind wie im Dt. (nach II) verschobenes Präteritum und Präsens verwendbar, wobei das Präsens hier natürlich als ü*-Tempus zu erklären und das Prät. wie im Dt. oft doppeldeutig ist. (41') a b (42') a b

De sagde selv at Goldman har Isnge äbent ( *) De sagde selv at Goldman havde laenge äbent ( ) Pigerne havde fortalt at det g0r sknekkelig ondt f0rste gang. (II*) Pigerne havde fortalt at det gjorde skraekkelig ondt f0rste gang. (II)

Es fehlt jetzt nur noch Fall (a), wo Ereignis- / Betrachtzeit beiden Sprechzeiten vorausliegt. Hier kommt erwartungsgemäß teils Präteritumperfekt (nach ), teils aber auch Präteritum vor. Das Prät. kann allerdings nach der oben gemachten Verallgemeinerung im Gegensatz zum Prät im Dt. ausschließlich nach Prinzip II* zu erklären sein. (22") a b (23') a b

I den forbindelse nzvnte hr. Neumann fra Solingen at han den syvende Januar blev pdkQrt af en beruset person. ( *) I den forbindelse nxvnte hr. Neumann fra Solingen at han den syvende Januar vor hievet pdk0n af en beruset person. ( ) Min kone fortalte for nylig at du har giftet dig igen. ( *) Min kone fortalte for nylig at du havde giftet dig igen. ( )

4.3.3. Typologische Zwischenbilanz Zusammenfassend stellen wir für skandinavische Sprachen - genereller: für germanische Sprachen mit modusindifferentem Präteritum - folgendes fest: Prinzip I ist bei echter Wiedergabe nicht anwendbar. Prinzip II* läßt sich verwenden, soweit das betreffende Tempus auch der Relation zwischen Ereignis- bzw. Betrachtzeit und Originalzeit gerecht wird. Vom Prinzip , wie wir es für das Deutsche festgestellt haben, gibt es eine modusindifferente Variante, insofern das Präteritum des finiten Verbs ausschließlich die Relation 'Originalzeit vor Wiedergabezeit1 ausdrückt; dabei wird mit der Perfektumschreibung (d.h. dem Präteritumperfekt) und dem Konditional eine

176 Ereigniszeit jeweils vor und nach der Originalzeit lokalisiert, während das einfache Präteritum lediglich festlegt, daß die Ereigniszeit der Originalzeit nicht vorausliegt. Die Beziehung zwischen Ereignis- und Wiedergabezeit bleibt irrelevant, dies im Gegensatz zum Dt., wo der Ind. Prät. zu verlangen scheint, daß die Ereigniszeit der Wiedergabezeit nicht ganz nachfolgt, und insofern zugleich als Präsens in Bezug auf die Originalzeit und normales Präteritum in Bezug auf die Wiedergabezeit interpretierbar sein muß.

4.4.

Vorwegnehmende Redewiedergabe: Originalsprechzeit nach Wiedergabezeit

Wenden wir uns jetzt der vorwegnehemenden Redewiedergabe zu, wo die Originalzeit der Wiedergabezeit nachfolgt (s. Fig. 3., B). In Fig. 4. B ist dargestellt, welches Tempus jeweils nach Prinzip I und II(*) bei welcher Ereignis- bzw. Betrachtzeitlokalisierung zu erwarten ist. In der Tat scheinen freilich im Dt. wie in den skandinavischen Sprachen ausschließlich unverschobene bzw. nicht eindeutig verschobene Tempusformen erlaubt. Das heißt, obwohl die Orientierung nach der Wiedergabezeit im Dt. alternativ zur Orientierung nach der Originalzeit erlaubt und in den skandinavischen Sprachen obligatorisch ist, wenn die Originalzeit der Wiedergabezeit vorausgeht, scheint sie bei der umgekehrten Lage von Original- und Wiedergabezeit in beiden Sprach(grupp)en ausgeschlossen. Das gleiche gilt, wie zu erwarten war, für das Engl. und Ndl.9. So ist im Fall (b), wo die Ereignis- / Betrachtzeit die Wiedergabezeit überlappt und der Originalzeit vorausliegt, nach (*) zu erwartendes Präsens unakzeptabel, akzeptabel hingegen nach I zu erwartendes Prät. oder Präsensperfekt (sofern im Dt. überhaupt noch der Indikativ akzeptiert wird): (44) a

Anna wird behaupten, daß sie heute krank war / gewesen ist. (I)

b (44') a

*Anna wird behaupten, daß sie heute krank ist. (U/U*) Anna vil pästä at hun vor / hör varet syg i dag. (I)

b

*Anna vil pästä at hun er syg i dag. (U/U*)

Im Fall (c), bei der Relation 'Ereignis- / Betrachtzeit zwischen Original- und Wiedergabezeit' findet man teils ausschließlich nach I erklärbares Präteritum, teils Präsensperfekt, das mit I und II gleich verträglich ist; völlig abweichend sind nach II* zu erwartendes Präsens und Futur (vgl. §4.2.) Die Sache verkompliziert sich noch dadurch, daß das unverschobene Tempus sich in diesem Fall anscheinend nicht oder schlecht mit einem Verschobenen1, d.h. in der Wiedergabezeit verankerten Betrachtzeitadverbial verträgt - der Vergangenheitsbezug des einen reimt sich nicht recht mit dem Zukunftsbezug des anderen (s. Comrie 1986: 287). So ist die (45)a-Variante mit morgen l i morgen entschieden weniger akzeptabel als die Variante mit am Tag vorher l dagenf0r, während für (45)b vielleicht kein so eindeutiger Unterschied festzustellen ist; meine Intuitionen sind jedoch in diesem Bereich gemeinhin etwas unsicher.

177 (45) a

Anna wird übermorgen behaupten, daß sie am Tag vorher krank war. (I) *Anna wird übermorgen behaupten, daß sie morgen krank war. (I)

b

Anna wird übermorgen behaupten, daß sie am Tag vorher krank gewesen ist. (l/II) ?Anna wird übermorgen behaupten, daß sie morgen krank gewesen ist. (l/E)

c

*Anna wird übermorgen behaupten, daß sie am Tag vorher / morgen krank ist l sein wird. ( *)

(45') a

Anna vil pästa i overmorgen at hun var syg dagen f0r. (I) *Anna vil pästä i overmorgen at hun var syg i morgen. (I)

b

Anna vil pästä i overmorgen at hun har vcerel syg dagen f0r. (VII) ?Anna vil pästä i overmorgen at hun har vcerel syg i morgen. (VH)

c

*Anna vil pästä i overmorgen at hun er l vil vcere syg dagen f0r / i morgen.

Im Fall (d) und (f) ist zwar Präsens erlaubt, Futur hingegen kaum, obwohl es nach II(*) auch möglich sein sollte: (46) a b (46') a b (47) a b 1

(47 ) a b

Anna wird (morgen) behaupten, daß sie krank ist. ( / / *) *Anna wird (morgen) behaupten, daß sie krank sein wird. (II/II*) Anna vil pästa (i morgen) at hun er syg. (I/IVII*) *Anna vil pästä (i morgen) at hun vil vcere syg. (WH*) Anna wird behaupten, daß Trinken eine Krankheit ist. ( / / *) *Anna wird behaupten, daß Trinken eine Krankheit sein wird. ( / *) Anna vil pästä at det er en sygdom at drikke.(I/Il/n*) *Anna vil pästä at det v/7 vcere en sygdom at drikke. ( / *)

Im Fall (a) und (e) schließlich, wo die Ereignis- / Betrachtzeit beiden Sprechzeiten vorausliegt bzw. nachfolgt, läßt sich zwischen 'unverschobenen' und 'verschobenen1 Tempora nicht mehr unterscheiden; wir finden hier erwartungsgemäß jeweils Präteritum / Präsensperfekt und Präsens / Futur. (48)

Anna wird behaupten, daß sie vor einigen Tagen krank war l gewesen ist. ( / / *)

1

(48 )

Anna vil pästä at hun var l (har vceret) syg for nogle dage siden.

(49) a

Anna wird morgen behaupten, daß sie am nächsten Tag / übermorgen krank sein wird. (I/IVII*)

b

Anna wird morgen behaupten, daß sie nächsten Tag / übermorgen krank verreist. ( / / *)

(49') a

Anna vil pästä i morgen at hun v/7 vcere syg i overmorgen / dagen efter. ( / / *)

b

Anna vil pästä i morgen at hun rejser i overmorgen / dagen efter. ( / / *)

178 Die Tatsache, daß bei vorwegnehmender Wiedergabe keine Tempusverschiebung erlaubt ist, betrachtet Comrie (1986) vom Engl. ausgehend als wesentliches Argument für die Annahme, daß die Verschiebung zu einem präteritalen Tempus, die mit gewissen Ausnahmen verlangt wird, wenn "the tense of the verb of reporting is past" (Comrie 1986: 279) (d.h. bei echter Wiedergabe), nicht aus der Semantik der Tempora folge, sondern durch eine eher mechanische grammatische "rule of sequence of tenses" bestimmt sei. Ganz ohne Semantik kommt er allerdings nicht aus, weil auch die Ausnahmen eine Erklärung verlangen: Sequence of tenses rule (revised version). If the tense of the verb of reporting is non-past, then the tense of the original utterance is retained; if the tense of the verb of reporting is past, then the tense of the original utterance is backshifted into the past, except that if the content of the indirect speech has continuing applicibility, the backshifting is optional. (Comrie 1986: 284f.) Das Ausbleiben der Tempusverschiebung bei vorwegnehmendem indirektem Referat ist aber m. E. aus dem übergeordneten Prinzip ableitbar, daß die Beziehung zwischen Ereignis- / Betrachtzeit und Originalzeit mit berücksichtigt werde; denn diese Forderung ist bei vorwegnehmender Wiedergabe nicht erfüllt in den Fällen, wo I und (*) verschiedene Tempora nach sich ziehen: Präsens im Fall (b) und Präsens oder Futur im Fall (c) werden der Tatsache nicht gerecht, daß von einem relativ zur Originalzeit vergangenen Ereignis die Rede ist; und Futur im Fall (d) oder (f) läßt die Überlappung von Ereignis- / Betrachtzeit und Originalzeit außer Acht. Denn beide Tempora, Präsens und Futur, setzen eine einzige Orientierungszeit voraus, sie können nicht 'Nicht-Vergangenheit' bzw. 'Zukunft' - und schon gar nicht 'Vergangenheit' - relativ zu einer nach der primären liegenden sekundären Orientierungszeit ausdrücken, sondern beziehen sich direkt auf die primäre Orientierungszeit1^; wenn deshalb die Wiedergabezeit als solche zu verstehen wäre, müßte der Bezug auf die Originalzeit verlorengehen. Der Tempusgebrauch in vorwegnehmender indirekter Redewiedergabe im Dt. und in den skandinavischen Sprachen ist mithin mit der für echte Redewiedergabe gültigen Verallgemeinerung verträglich, daß Tempusverschiebung nach II(*) im Dt. verwendet werden kann und in den skandinavischen Sprachen verwendet werden muß, sofern es mit dem obenerwähnten übergeordneten Prinzip vereinbar ist: Die Verschiebung ist eben in den Differenzfällen mit diesem Prinzip nicht vereinbar.

5.

Zusammenfassung

Als übergeordnetes Prinzip des Tempusgebrauchs im indirekten Referat gilt, daß das Tempus im Referat die Relation zwischen Ereignis- / Betrachtzeit und Originalzeit explizit oder implizit mit ausdrücken muß, und zwar vor allem, ob jene dieser vorausliegt oder nicht (§4.2.).

179

Grundsätzlich sind zwei Hauptarten des Tempusgebrauchs im indirekten Referat zu unterscheiden: Entweder richtet sich die Tempuswahl nach der Originalzeit als primärer Orientierungszeit (Prinzip I, 'unverschobene' Tempora), oder sie orientiert sich nach der Wiedergabezeit, wobei der Originalzeit die Funktion als Betrachtzeit oder als sekundäre Orientierungszeit der Perfekttempora zukommen kann (Prinizp ); eine scheinbare Nicht-Berücksichtigung der Originalzeit (Prinzip *) setzt aus dem obengenannten Grunde voraus, daß die Relation zwischen Ereignis- bzw. Betrachtzeit und Originalzeit mit der Relation zwischen Ereignis- bzw. Betrachtzeit und Wiedergabezeit identisch ist (§4.2.). Aus der übergeordneten Forderung leitet sich ab, daß die finiten Tempora bei vorwegnehmender Wiedergabe, - wenn die Originalzeit der Wiedergabezeit nachfolgt -, sich nach der Originalzeit richten, d.h. wie in der direkten Rede verwendet werden müssen; eine Tempusverschiebung ist mithin in diesem Fall prinzipiell nicht zu erwarten (§4.4.). Bei echter Redewiedergabe - wenn die Originalzeit der Wiedergabezeit vorausliegt - sind im Dt. im Indikativ Prinzip I und, soweit mit der übergeordneten Forderung verträglich, auch Prinzip II(*) verwendbar. (Welche Faktoren sonst eventuell die Nicht-Verschiebung oder Verschiebung begünstigen mögen, mußte hier außer Acht bleiben.) Mit dem einfachen Präteritum nach II wird ausgedrückt, daß eine Ereigniszeit bzw. die Betrachtzeit die Originalzeit überlappt oder ihr nachfolgt und dabei - in Übereinstimmung mit der 'Grundbedeutung' des Ind. Prät. - der aktuellen Sprechzeit, d.h. der Wiedergabezeit, vorausliegt (4.3.1.). Die konjunktivischen Tempora hingegen spezifizieren lediglich die Relation zwischen Ereignis- / Betrachtzeit und Originalzeit, die Wiedergabezeit bleibt dabei irrelevant und ist insofern nicht mehr als primäre Orientierungszeit zu verstehen (4.1.). In den skandinavischen Sprachen (sowie im Engl. und Ndl.) kommt bei echter Redewiedergabe nur noch Prinzip (*) zur Anwendung; scheinbar unverschobene Tempora sind als Ergebnisse der Verschiebung nach H* zu verstehen. Allerdings ist zu beachten, daß Verschiebung nach II in diesen Sprachen, wo das Präteritum modusindifferent ist, etwas anderes heißt als im Dt.: Das einfache 'verschobene' Präteritum drückt nur noch aus, daß die Originalzeit der Wiedergabezeit vorausliegt und eine Ereigniszeit bzw. die Betrachtzeit die Originalzeit überlappt oder ihr nachfolgt; die Relation zwischen Ereignis- / Betrachtzeit und Wiedergabezeit bleibt hingegen unspezifiziert, dies im Gegensatz zum Ind. Prät., aber in Übereinstimmung mit dem einfachen Konjunktiv im Dt. (4.3.2.). Insofern ist Tempusverschiebung nach II in diesen Sprachen funktional auf einmal der Modusverschiebung und der (indikativischen) Tempusverschiebung nach im Dt. gleichzustellen: Sie drückt wie die Modusverschiebung aus, daß ein anderer Sprechakt als der aktuelle als Orientierungspunkt zu gelten hat, lokalisiert jedoch zugleich, wie die indikativische Tempusverschiebung im Dt., diesen anderen Sprechakt vor der aktuellen (Wiedergabe-)Sprechakt.

180

ANMERKUNGEN

1

Siehe z.B. zum Dän.: Mikkelsen (1975: §§148ff.)( Olesen (1982); Norw.: Vannebo (1979: Kap. 5.4.); Schwed.: Thoreil (1973: 131f.); Ek (1986: 24ff.); Engl.: Quirk et al. (1985: 1021ff.); Ndl.: Geerts et al. (1984: 477ff.).

2

Siehe zu allgemeinen Darstellungen der Tempora Mikkelsen (1975: §§148ff.), Diderichsen (1966: 122if.); Vannebo (1979); Thoreil (1973: 121ff.); Quirk et al. (1985: 175ff.); Geerts et al. (1984: 428ff.).

3

Eine Ausnahme bildet Schwed., das eindeutige Konjunktivformen des Prät. starker Verben kennt (z.B. Konj. ginge vs. Ind. gick von gd 'gehen'). Sie sind jedoch immer durch Indikativformen ersetzbar und kommen ohnehin immer seltener vor (Thoreil 1973: 131).

4

Für Details siehe Fabricius-Hansen (1986: Kap. - ).

5

Zum 'unmittelbaren Zukunftsbezug' des sprechzeitverankerten Präsens siehe FabriciusHansen (1986: 75ff., 347ff.)

6

Siehe z.B. Fabricius-Hansen (1986), Ballweg (1986, 1988), Vennemann (1987), Janssen (1988), Löbner (1988).

7

Konstruktionen wie Ich muß Ihrer Auffassung widersprechen, daß heute kein noch aktiver Journalist Konrad Adenauer früher kennengelernt hat als Sie." (zitiert bei B all weg 1986:170) gehören zur Ausnahme.

8

Es sei in dem Zusammenhang jedoch daran erinnert, daß das Präteritum in normalen Erzähltexten - bis auf den Anfangssatz - semantisch auch weitgehend wie das Präsens fungiert bezogen auf ein in einem Vorgängersatz erwähntes Ereignis; wenn der Präteritalsatz kein eigenes Betrachtzeitadverbial o. ä. enthält, wird das im Satz beschriebene Ereignis ja im Normalfall als zeitlich überlappend oder 'unmittelbar1 nachfolgend im Verhältnis zum betreffenden vorerwähnten Ereignis aufzufassen sein. Von daher gesehen kann die Möglichkeit des präteritalen Zukunftsbezugs in der Redewiedergabe wohl eigentlich nicht wundernehmen. Siehe dazu auch Fabricius-Hansen (1986: H.4., 7., V.3.).

9

Siehe dazu Vannebo (1979: Kap. 5.4.1.3.), Quirk et al. (1985: 175ff.,1021ff.), Geerts et al. (1984: 477ff.), Janssen (1989).

10 Die Tatsache, daß das Futur im Unterschied zu den Perfekttempora nur noch eine Orientierungszeit erlaubt, ist ein schwerwiegendes Argument dafür, es als semantisch einfaches, obwohl morphologisch komplexes Tempus einzustufen ist, d.h. für eine semantisch nicht-kompositionale Analyse des Futur (vgl. Fabricius-Hansen 1986: 147f.).

181

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Referat - vor allem Berichtete Rede - im Deutschen und Norwegischen Herbert Pütz (Universität Trondheim)

1. 2. 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 3.

Einführung Redewiedergabe Berichtete Rede im Deutschen Berichtete Rede im Norwegischen Berichtete Rede aus der Sicht des Norwegischen Berichtete Rede kontrastiv Schluss

1.

Einführung

Das Deutsche verfügt zur Kennzeichnung des Referats, auch Redewiedergabe genannt, über das morphologische Mittel des Referatkonjunktivs. Das Norwegische hat keinen Referatkonjunktiv. Diese Diskrepanz wird vor allem interessant in der Berichteten Rede, wo im Deutschen der Konjunktiv meist die einzige Kennzeichnung einer Aussage als Referat darstellt. Mit diesem Problem setze ich mich auseinander. Dazu möchte ich im folgenden zunächst eine generelle Übersicht über die Redewiedergabe liefern (2.), dann auf die Berichtete Rede im Deutschen näher eingehen (2.1.). Danach behandle ich die Berichtete Rede im Norwegischen (2.2.) und zwar zuerst aus der Sicht des Norwegischen (2.2.1.) und dann kontrastiv im Vergleich zu Berichteter Rede im Deutschen (2.2.2.). Im Schluss (3.) fasse ich die Ergebnisse zusammen. Die Untersuchung ist in grossen Teilen empirisch und enthält demnach viele Beispiele. Wenn es Belege sind, wird angegeben S5p (Spiegel) erste Zahl Nummer, 2. Zahl Jahr, 3. Zahl Seite, dergleichen bei Stern, volle Angaben sonst. Selbstproduzierte Beispiele sind getestet. Bei der Behandlung des Norwegischen verweise ich häufig auf im voraus abgehandelte Phänomene im Deutschen, dies, um dem Leser unnötige Hakelei mit noch mehr norwegischen Beispielen zu ersparen. So erklären sich auch die womöglich etwas kopflastig erscheinenden Teile, die der Behandlung des Norwegischen vorangehen.

184

2.

Redewiedergabe

Die Möglichkeit. Äusserungen anderer oder von einem selbst wiederzugeben, und sei es nur durch Wiederholung, scheint eine universelle sprachliche Erscheinung zu sein, vgl. etwa Coulmas: "Utterances can be made the subject of other utterances. They can be criticized, questioned, commented on, or simply be reported. Language can be used to refer to language. We can talk about talk. This is true for all natural languages and is, indeed, a fundamental feature whose absence disqualifies any sign system as a human language." 1 Wenn eine Sprache - so Haberland - die grammatischen Mittel besitzt, die garantieren, dass jemand, der eine Äusserung wiederholt, nicht den ursprünglichen Sprechakt wiederholt, sondern ihn nur vorzeigt ("displayed") und, dass ersichtlich ist, welche Äusserung wiederholt wird, wessen Äusserung es ist, wann und wo sie gemacht wird und an wen sie gerichtet ist, dann verfügt sie über die Möglichkeit der Redewiedergabe.2 Was dieses NurVorzeigen u.a. bedeutet, zeigt ein Besipiel in Haberland: Wenn ein Zeuge vor Gericht äussert: "Und dann sagte der Angeklagte 'du bist ein gemeiner Faschist'", dann wiederholt der Zeuge eine Äusserung des Angeklagten, aber er wiederholt nicht die ursprüngliche Beleidigung und kann deshalb auch nicht dafür belangt werden. 3 Um es mit Coulmas zu sagen: "In quotation, the normal referential function of words is suspended, because the words that we utter when we quote are not our own". 4 Unter den Begriff der Redewiedergabe - darauf weist etwa Kaufmann hin (er verwendet den Terminus 'Redeerwähnung') - fällt mehr als nur das Referieren von tatsächlich von anderen oder einem selbst Geäussertem. Es kann sich auch um eine Äusserung handeln, die zum Zeitpunkt des Referierens noch gar nicht stattgefunden hat, wie etwa (1)

Morgen werde ich ihm sagen, dass es so nicht weitergeht,

oder um eine denkbare Äusserung wie (2)

Möglicherweise hat er gesagt, dass es so nicht weitergeht,

oder um eine fiktive Äusserung, vgl.

1. Coulmas, S. 2 2. Haberland, S. 219 3. Haberland, S. 220 4. Coulmas, S. 12

185

(3)

Vielleicht hätte ich ihm doch sagen sollen, dass es so nicht weitergeht.

oder um "innere Rede", so Kaufmanns Bezeichnung, vgl. (4)

Ich dachte, so kann es nicht weitergehen. 5

Ausgangspunkt für Redewiedergabe ist eine Modell-Äusserung oder ein Modell, sei es auch nur zukünftig, fiktiv oder gedacht.6 Es ist von einem Modell-Sprecher, sei er auch nur zukünfig, fiktiv oder gedacht, produziert worden, möglicherweise nur in "innerer Rede", und wird von einem Reporter-Sprecher wiedergegeben. Redewiedergabe kann direkt geschehen (oratio recta) oder indirekt (oratio obliqua). Der Bereich der Erlebten Rede oder, wie es bei Steube 85, heisst. "Erlebte Rede und Erlebtes Denken" bleibt im folgenden unberücksichtigt, weil er in unserer Problemstellung nicht relevant ist. 7 Bei direkter Redewiedergabe leiht der Reporter-Sprecher dem Modell-Sprecher seine Stimme, indem er exakt dessen Worte wiederholt, wobei allerdings "Sprechtempo, Lautstärke, Pausen, Versprecher. Selbstkorrekturen. Tonfall, Dialekt, eventuell die Sprache" der beiden Äusserungen nicht übereinstimmen müssen. * Jedoch weist Kutschera auf folgendes hin. Der Satz (5)

Galilei sagte: "Die Erde bewegt sich".

sei nicht wahr, weil Galilei nicht Deutsch sprach.9 Stimmt man dem zu, wären die Forderungen an die Exaktheit der direkten Redewiedergabe noch rigider. Auf jeden Fall aber kann eine persönliche Stellungnahme oder zusätzliche Information des Reporter-Sprechers in die direkte Redewiedergabe nicht eingehen, sie hat immer eine de dictoInterpretation.10 Direkte Redewiedergabe und Modell sind synonym. Laut Li, der sich auf Partee 1971 bezieht, sind die Sätze 5. Kaufmann, S. I8f, man vergleiche auch Wichter. Kap. 5. 6. Die Bezeichnungen 'Modell-Äusserung' und 'Modell' habe ich von Haberland. S. 219. entlehnt. 7. Steube 85, S. 391. Steubes Artikel geht ausführlich auf die Erlebte Rede ein. Vgl. auch Haberland (S. 232, wo weitere Literaturangaben stehen, weiter Kaufmann S. 15 Iff. 8. Plank. S. 285f 9. Kutschera 1971, zitiert aus Steube 86. S. 335 10. Vgl. Coulmas S. 3f

186 (6)

John sagte: "Dies Theorem ist falsch".

und

(7)

John sagte: "Dies Theorem ist nicht wahr".

nicht synonym und (7) wäre demnach keine direkte Wiedergabe des Modells (8)

Dies Theorem ist falsch.

weil John die Direktanführung in (7) nicht geäussert hat. In direkter Redewiedergabe bleiben die Personen—Raum—Zeitdeixis des Modellsprechers gewahrt. Die deiktischen Referenzen des Reporter-Sprechers gehen in sie nicht ein.11 Jedes Modell kann in direkter Redewiedergabe erscheinen, also auch etwa in (9)

Da sagte Peter: "Ach so".

Bei indirekter Rede leiht der Reporter-Sprecher nicht einfach dem Modell-Sprecher seine Stimme und wiederholt nur dessen Aussage. So kann in diesem Fall nicht etwa Tonfall oder Dialekt des Modells nachvollzogen werden, worauf Plank hinweist.12 Sollte Zille je gesagt haben (10)

Ick bin een Bälina.

so lässt sich dies Modell direkt wiedergeben: (11)

Zille hat gesagt: "Ick bin een Bälina".

aber nicht indirekt (12)

Zille hat gesagt, dat er een Bälina is.

Der Dialekt würde hier als Eigenheit des Reporter-Sprechers aufgefasst. Das Modell ist bei indirekter Redewiedergabe - darauf weist Coulmas hin - durch den Reporter-Sprecher analysiert. Diese Analyse kann de dicto sein oder de re. Wenn sie de dicto ist, dann besteht die Anpassung in Massnahmen, die durch die Grammatik der

11. Ausführlicheres zur Deixis in unserem Zusammenhang etwa bei Li, S. 30 ff. 12. Plank, S. 287

187

gegebenen Sprache angezeigt sind ohne darüber hinausgehende Abänderungen des Modells. Wenn sie de re ist. dann hat darüber hinaus der Reporter-Sprecher das Modell verändert, je nachdem wie er es verstanden hat oder entsprechend eigenem Wissen oder eigener Überzeugung abändern will. Indirekte Redewiedergabe und Modell müssen also nicht strikt synonym sein. In dem Sinne trifft Haberlands Definition zu: "Any report of a model speech act by another speech act which reenacts the model speech act, is called direct reported speech [...]. Any report of a model speech act which merely reports the contents of the model, is called indirect reported speech |...]". 1 3 So wäre also der Satz (13)

John sagte, dass das Theorem nicht wahr sei.

eine angemessene - de re - indirekte Wiedergabe des Modells (8). Ebenso kann Peters Aussage (14)

Dieser Mann ist ein Held.

aus Pauls Mund indirekt wiedergegeben werden als (15)

Peter sagt, dass dieser Feigling ein Held ist.

wobei dann Paul "dieser Mann" des Modells nach eigener, vielleicht gehässiger Überzeugung zu "dieser Feigling" geändert hat. Solche Fakten stimmen übrigens nicht mit der Aussage von Frimann Olesen überein, nach der indirekte Rede immer in direkte Rede zurückzuführen sein soll.14 Eine weit verbreitete Charakterisierung der indirekten Wiedergabe als Bericht ohne Gewähr seitens des Berichters scheint nicht unplausibel. Valentin meint dazu "qu'une information donnee n'engage pas la responsabilite de celui qui la transmet". 15 In der indirekten Wiedergabe hat sich die deiktische Orientation verlagert, und zwar von der Perspektive des Modell-Sprechers zur Perspektive des Reporter-Sprechers, das ist Teil der Analyse des Modells seitens des Reporter-Sprechers. Indirekte Rede "has its deictic center in the report situation" sagt Coulmas.16 Wenn etwa Peter zu Paul in Hamburg sagt 13. Haberland S. 220 14. Frimann Olesen, S. 93 15. Valentin, S. 29 16. Coulmas. S. 6

188

(16)

Ich habe dich gestern hier nicht getroffen.

dann kann Paul - er sei nun nicht mehr in Hamburg - einen Tag später dies Modell referieren durch (17)

Peter sagte, er habe mich dort vorgestern nicht getroffen.

Weiter brauche ich auf diese Deixisverschiebung hier nicht einzugehen, sie ist in der Literatur ausgiebig abgehandelt worden. Ich brauche hier ebenfalls nicht auf die Frage näher einzugehen, welche Typen von Modellen nicht ohne Umschreibung in die indirekte Wiedergabe eingehen können, wie etwa das oben als Beispiel direkt wiedergegebene Modell im Satz (9)

Da sagte Peter: "Ach so".

nicht durch (18)

*Da sagte Peter, dass ach so.

indirekt referierbar ist oder auch das Modell (19)

Meinen Hut habe ich verloren,

nicht durch einen dass-Satz (20)

*Da sagte Petra, dass ihren Hut sie verloren habe.

Solchen Sätzen zugeordnete Typen sind behandelt in etwa Steube 85. Die sogenannte Tempusverschiebung in indirekter Rede, die gewirkt hat, wenn etwa der Satz (21)

Peter behauptete: "Ich bin krank",

wiedergegeben wird als (22)

Peter behauptete, dass er krank war.

17. Man vergleiche etwa Coulmas, Haberland, Hammarberg/Viberg, Kaufmann, Li, Plank.

189

ist hei der Beschreibung der Redewiedergahe im Deutschen kein wesentlicher Faktor, da sie einerseits unter bestimmten Bedingungen nicht obligatorisch wirkt, vgl. (23)

Peter behauptete, dass er krank ist.

und andererseits ja der Konjunktiv eine Alternative ist. Auf die Tempusverschiebung komme ich bei der Behandlung des Norwegischen zurück. Indirekte Redewiedergabe enthält den - de re- oder de dicto-referierten - Inhalt eines Modells in dessen oben besprochener möglicher Vielfältigkeit. Daneben wird sie nach allgemeiner Auffassung etabliert durch eine Redeeinleitung - z.B. ein Verb - und möglicherweise durch eine Konjunktion, etwa dass oder ob. die den untergeordneten Satz einleitet, der den Modellinhalt enthält. Eine Standardkonstruktion wäre also (24)

Peter sagte, dass er krank sei.

Die Konjunktion kann fehlen, wie etwa in (25)

Peter sagte, er sei krank.

Diese beiden Arten der indirekten Redewiedergabe - mit Konjunktion eingeleiteter bzw. uneingeleiteter Satz, der den Modellinhalt enthält - sind durchweg äquivalent, allerdings besteht ein Unterschied in bezug auf die de dicto- bzw. die de re-Wiedergabe. Steube weist darauf hin, "dass uneingeleitete konjunktivische indirekte Rede ein Zitieren im engeren Sinne bedeutet, weil die fremden Gedanken mit den fremden Worten wiedergegeben werden müssen" - also de dicto.1 Wenn Peter das Modell äussert (26)

Ich habe mein Auto verkauft,

dann ist die Wiedergabe (27)

Peter sagte, dass er seine Karre verkauft habe.

in der Terminologie von Ewald Lang 83, auf den sich Steube bezeiht, ein faires Zitat. Kein faires Zitat ist dagegen diese de re-Wiedergabe mit einem konjunktionslosen Satz, also (28)

Peter sagte, er habe seine Karre verkauft.

18. Steube 86. S. 360

190

weil der Hörer "Karre" als Teil des Modells auffasst und dies demnach falsch rekonstruiert, indem er annimmt, dass der eher abwertende Ausdruck "Karre" vom ModellSprecher geäussert worden ist. Eine Fehlinterpretation wird jedoch nicht eintreten in Fällen, in denen man von pragmatischer Kollision sprechen kann. Nach unserem Wissen von der Welt sind z.B. Feiglinge keine Helden. Wenn nun Peter das Modell äussert Paul ist ein Held und ich Paul für einen Feigling halte und als Reporter-Sprecher das Modell wiedergebe durch (29)

Peter sagt, dieser Feigling sei ein Held.

dann liegt eine pragmatische Kollision vor, und ein Hörer wird kein falsches Modell rekonstruieren. Vergleichbar sind die Verhältnisse in (30), Herr Meier ist selbst der Zeuge, (30)

Einer der Zeugen versicherte, er, Herr Meier, habe den Vorfall nicht deutlich genug beobachten können.

indem der Hörer es als Normalfall versteht, dass das Modell nicht lautete ich, Herr Meier, habe ..., ein Zeuge ist ja zu Anfang einer Vernehmung bereits nach seinem Namen befragt worden, sondern dass der Reporter-Sprecher den Namen des Zeugen aus Gründen der Deutlichkeit als eigenen Kommentar hinzugefügt hat. So gesehen liegt die uneingeleitete Art der indirekten Redewiedergabe zwischen direkter Rede und indirekter Rede mit Konjunktion, worauf auch Steube im angegebenen Aufsatz hinweist. In dem Satz, der den Modellinhalt enthält, befindet sich im Deutschen eventuell der Referatkonjunktiv. Ob dieser Konjunktiv - gegebenenfalls in Relation zum Tempus eines redeeinleitenden Verbs - stehen kann oder muss oder auch nicht darf, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung, auch nicht die Frage ob in obengenannter Konstruktion der Konjunktiv fester steht, wenn die relevante Konjunktion fehlt. Die einschlägige Literatur ist voll von solchen Diskussionen. Ältere Standardliteratur hält ihn in bezug auf genannte Konstruktion unter bestimmten Bedingungen teils für obligatorisch, teils für fakultativ. Becher/Bergenholtz halten ihn - bei anderer hinreichender Setzung der Redewiedergabe - für fakultativ und stilistisch bedingt, ebenso Steube 85. die ihn als textsortenbedingt bezeichnet, Kasper hält ihn für fakultativ, ebenso Viorel: "Wenn indirekte Rede bereits hinreichend gekennzeichnet ist, so steht der Konjunktiv I als redundantes Signal und kann durch den Indikativ ersetzt werden ...". 19

19. Becher/Bergenholtz S. 451, Steube 85. S. 401, Kasper S. 11 If, Viorel S. 60

191

Ich neige zu letzterer Auffassung, Voraussetzung für die fakultative Verwendung des Konjunktivs ist aber dann, dass ein redeeinleitendes Element im selben komplexen Satz vorkommt wie auch das referierte Modell. Kasper ist überzeugt, dass der Bericht ohne Gewähr nicht durch den Konjunktiv manifestiert wird, sondern durch das redeeinleitende Verb selbst. 20 Redeeinleitende Elemente sind Verben, und zwar nicht nur Verben des Sagens und Denkens,sondern auch solche Verben, die einerseits eine Einstellung bezeichnen, andererseits die Äusserung einer Einstellung bezeichnen können, wie im Satz (31)

Peter bedauerte, dass er krank sei.

der eine indirekte Redewiedergabe ist. 21 Allerdings ist hier der Konjunktiv in disambiguierender Funktion obligatorisch, weil sonst bedauern faktiv interpretiert würde. Übrigens kann der eingebettete Satz in (31) auch konjunktionslos stehen, was bei faktivem bedauern nicht möglich ist. Auch redeeinleitenden Verben entsprechende Substantive können diese Funktion haben, so etwa neben (32)

Peter behauptet, dass er krank ist.

auch (33)

Peter kommt mit der Behauptung, dass er krank ist.

Redeeinleitende Elemente müssen nicht, wie in den obigen Beispielen, dem den Modellinhalt enthaltenden Satz übergeordnet sein, sie können ihm untergeordnet sein, vgl. (34)

Wie Peter behauptet, ist Paul krank,

oder parenthetisch nebengeordnet, vgl. (35)

Peter ist, so behauptet Paul, wieder mal krank.

(36)

Peter ist. so Pauls Behauptung, wieder mal krank.

Dazu zwei Belegbeispiele, eins mit Indikativ, eins mit Konjunktiv:

20. KasperS. 111 21. Vgl. dazu Kasper, S. 109f.

192

(37)

Versagt die Droge, wird das Kind erwürgt. Viele Mädchen, so der Bericht, verdanken ihr Leben einzig dem Umstand, dass die Mutter, die das Kind töten muss, nach der Geburt stundenlang bewusstlos war. (Sp 3/89/136)

(38)

Ein "wunderschöner Fremdling von den Bergen der Türkei und des Libanon", so klagt das britische Wissenschaftsmagazin "New Scientist", sei dabei, weite Teile der britischen Inseln mit einer dicken Blätterdecke zu überziehen, ... (Sp 30/88/153)

Die beiden folgenden Beispiele zeigen, dass so auch alleine die Funktion der Redeeinleitung tragen kann, vgl. (39)

Doch auch der Halley-Tourismus über den Äquator wird sich wohl nur für die Veranstalter lohnen. Auch auf der Südhalbkugel, so der selbsternannte KometenRepräsentant Ryan, sei "kein Komet für Faule". (Sp 41/85/277)

(40)

Vor allem in den Ballungszentren, so Goetze, werde das Unterrichten allmählich "zur Qual". (Sp 15/88/29)

Weiter kann das redeeinleitende Element nach einem oder mehreren referierten Sätzen eventuell zusammen mit einem rückweisenden Pro-Element - stehen, vgl. (41)

Peter ist krank. Das behauptet jedenfalls Paul.

Neben solchen expliziten redeeinleitenden Elementen gibt es implizite, die ich deshalb so nenne, weil sie im selben Simplex-Satz stehen, der auch den Modellinhalt enthält. Das gilt z.B. für Ausdrücke, die nominale Redeeinleitungselemente enthalten wie nach Angabe von/Genitiv, zufolge der Aussage von/Genitiv, laut Auskunft von/Genitiv, oder nur mit Angabe des Modellsprechers wie etwa Peter zufolge, laut DPA. Nach etwa kann auch in Pronominaladverbien vorkommen wie in (42)

Die Polizei hat ihre Vermutung endlich bekanntgegeben. den Mörder lange zu erpressen versucht.

Danach hat das Opfer

oder, wie der folgende Beleg zeigt, auch relativisch. vgl. (43)

Jedoch ist der SPIEGEL einer Fehlinformation aufgesessen, wonach der stellvertretende Geheimdienstleiter, Konrad Koch, wegen einer Frauengeschichte abgelöst worden sei. (Sp 6/84/9)

Ebenso gilt dies für die Konstruktion für + Modell-Sprecher wie in dem Satz (44)

Für die Gelehrten des Mittelalters war die Erde eine Scheibe.

193

der sich umschreiben lässt als (45)

Die Gelehrten des Mittelalters meinten, die Erde sei eine Scheibe.

Zu der Gruppe der impliziten Redeeinleitungen gehört auch angeblich wie im Satz (46)

Angeblich ist Paul der Täter,

umschreibbar als (47)

Jemand behauptet, Paul sei der Täter.

Weiter gehören dazu Subjektanhebungsverben wie ansehen als, betrachten als, halten für. Der Satz (48)

Man hält Peter für den Täter,

lässt sich umschreiben als (49)

Man meint, Peter sei der Täter.

Ebenso gehören dazu die epistemisch verwendeten wollen und sollen. erscheint der Modell-Sprecher als Satz-Subjekt. Der Satz (50)

Bei wollen

Peter will den Brief geöffnet haben,

ist umschreibbar als (51)

Peter behauptet, den Brief geöffnet zu haben.

Was sollen betrifft, so geht die fast einhellige Meinung der Literatur dahin, dass der Modell-Sprecher in Sätzen mit diesem Verb eine nicht genannte Quelle ist. Also habe der Satz (52)

Peter soll krank sein,

die Entsprechung (53)

Jemand behauptet, das Peter krank ist.

So bei etwa Calbert, der den Satz Peter soll sehr fleissig arbeiten erklärt mit Peter is said to work very hard. They say that.... bei Kaufmann, der umschreibt mit es heisst, dass....

194

Ähnlich bei Reinwein, bei Palmer, der die Paraphrase people say angibt, Coulmas, der behauptet "the verb sollen indicates lack of a specifiable source of information". 2Z Das stimmt sicher dahingehend, dass das Subjekt eines Satzes mit finitem epistemischem sollen nicht Modell-Sprecher ist. Andererseits scheint es aber auch wahrscheinlich, dass in dem Satz (54)

Nach Aussagen Peters soll Paul der Mörder sein.

Peter nicht ausgesagt hat, dass Paul der Mörder sein soll, sondern, dass Paul der Mörder ist, vgl. auch den Beleg (55)

Kumpel Carl, eine windige Figur, hatte mal als Croupier gearbeitet und soll nach Angaben eines Beteiligten immer gut mit Kokain bestückt gewesen sein. (Sp 10/89/116)

in dem wahrscheinlich das Modell kein soll enthält. Die Verhältnisse müssten näher untersucht werden, jedenfalls behauptet Glas, es bestehe "in epistemischen soll-Sätzen die Möglichkeit durch ... eine Präpositionalgruppe ... auf den assertierenden Aktanten und seine Äusserung Bezug zu nehmen." 23

2.1.

Berichtete Rede im Deutschen

Der Skopus der redeeinleitenden Elemente als Referatsignale geht nicht über die Grenze des komplexen Satzes hinaus, in dem sie enthalten sind. Geht Redewiedergabe über die Satzgrenze hinaus und ist in der Folge kein neues redeeinleitendes Element enthalten, liegt Berichtete Rede vor. Diese enthält Referatkonjunktiv. Sie liegt auch vor, wenn im näheren oder weiteren vorangehenden Kontext sich kein redeeinleitendes Element befindet. Berichtete Rede ist Redewiedergabe ohne redeeinleitendes Element. Zur Erläuterung ein Beispiel mit dem schon erwähnten so, das zeigt, dass Indikativ möglich ist innerhalb des Satzskopus' dieses redeeinleitenden Elements, aber Konjunktiv nachher steht. (56)

Hilft das nicht, folgt eine Todesdosis Opium. Versagt die Droge, wird das Kind erwürgt. Viele Mädchen, so der Bericht, verdanken ihr Leben einzig dem Umstand, dass die Mutter, die das Kind töten muss, nach der Geburt stundenlang

22. Calbert, S. 16; Kaufmann, S. 57f; Reinwein, S. 30f; Palmer, S.73; Coulmas, S. 22. 23. Glas, S. 102

195

bewusstlos war. Nur der Dorflehrer hätte sich bislang gegen diese "mörderische Tradition" gewandt. (Sp 3/89/136) Und ein Beleg mit der Konstruktion wie ... (57)

Wie Jim Markham, Büroleiter der "New York Times" in Bonn, mir erklärte, waren die Angehörigen der Waffen-SS nach deutschem Verständnis Soldaten quasi regulärer militärischer Einheiten. Sie seien zum Teil bereits in jungen Jahren zum Dienst in der Waffen-SS gezwungen worden und nicht wie die SS für die Greuel des Holocaust verantwortlich. Diese Unterscheidung werde in Amerika nicht gemacht. (Sp 44/88/169)

Trotz eventueller Zusatzsignale wie etwa der Deixisverschiebung steht der Konjunktiv in Berichteter Rede obligatorisch. Der Konjunktiv dient als Disambiguierung zwischen der Interpretation einer Aussage als Wiedergabe eines Modells seitens eines ReporterSprechers einerseits und als eigene Aussage des Reporter-Sprechers andererseits.

Im

Beispiel (58)

US-Juristen begrüssten den Freispruch. Er hat den Unterschied zwischen einer Seifenoper und einem fair trial deutlich gemacht.

berichtet ein Reporter über ein Gerichtsurteil, im originalen Beleg (59)

US-Juristen begrüssten den Freispruch. Er habe den Unterschied zwischen einer Seifenoper und einem fair trial deutlich gemacht. (Sp 25/85/188)

berichtet der Reporter über ein Gerichtsurteil und referiert darin ein von US-Juristen geäussertes Modell. Der Konjunktiv macht den Unterschied. Der Konjunktiv in Berichteter Rede ist obligatorisch. Gegenteilige Behauptungen scheinen mir nicht stichhaltig, denkbar sind sie im Hinblick etwa auf folgendes Beispiel. (60)

Peter schreibt, er ist krank. Er bleibt im Bett und nimmt Pillen. schreibt er noch, dass er vorläufig nicht zum Dienst gehen kann.

Und dann

Es Hesse sich anführen, der 2. Satz ist ambig und deshalb auch als Berichtete Rede zu verstehen. Meine Informanten sind nicht einverstanden und deuten diesen Satz als Sprecherkommentar, was aus linguistischer Sicht nicht verwundert. Die deutsche Sprache hat hier zu Disambiguierung den Konjunktiv, und er würde in unserem Fall - Ambiguität vorausgesetzt - auch disambiguierend verwendet.

Aber es liegt keine Ambiguität und

keine Berichtete Rede vor. Ich habe in meiner Belegsammlung kein Beispiel, das dem oben - selbstverfassten - Beispiel analog wäre. Anders ist das Verhältnis in folgendem Beleg.

196

(61)

Wo Weizsäcker dazu aufruft, "ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit" des "Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, dass es zu einem Teil des eigenen Innern wird", weil für die Gegenwart blind werde, wer vor der Vergangenheit die Augen verschliesst (Stern 9/88/18)

Es ist unwahrscheinlich, dass bei diesem Beispiel der Reporter-Sprecher dem Bundespräsidenten als eigenen Kommentar das Subjekt wer vor der Vergangenheit die Augen verschliesst des referierten Kausalsatzes in den Mund legt. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Subjektsatz Redewiedergabe ist. Der Indikativ verschliesst ist dann deshalb möglich, weil die Redewiedergabe durch die Konjunktivform werde bereits deutlich genug etabliert ist. Vergleichbar ist dieser Fall mit der Modusverwendung in etwa ich würde es ihm sagen, wenn er es wollte, wo durch die Form würde die Bedeutung des Potentialis in diesem Bedingungsgefüge bereits etabliert ist, so dass die Form wollte nicht mehr distinkt sein muss. Ich habe übrigens nur wenige Beispiele wie das obige gefunden. Ich muss an dieser Stelle, was die obligatorische Verwendung des Konjunktivs in Berichteter Rede betrifft, mit einer Einschränkung kommen. Sie bezieht sich auf eine Konstellation, wie sie im schon erwähnten Beispiel (41) zum Ausdruck kommt. (41)

Peter ist krank. Das behauptet jedenfalls Paul.

Hier folgt die relevante Redewiedergabe nicht dem Satz mit redeeinleitendem Element, sie geht ihm voraus. Die Redewiedergabe im vorausgehenden Satz enthält selbst kein redeeinleitendes Element und ist somit nach meiner Definition Berichtete Rede. Ich nenne diese Variante aus mnemotechnischen Gründen Rückwärts-Berichtete Rede. Der Konjunktiv kann fehlen und Tempusverschiebung findet nicht statt, zumindest nicht obligatorisch, ich habe keinen derartigen Beleg. Demnach liegt - sieht man von der Verwendung von Anführungszeichen ab - formaler Zusammenfall mit direkter Rede vor, wenn keine deiktischen Elemente vorkommen, die, einerseits Modell-Sprecher-bezogen, andererseits Reporter-Sprecher-bezogen disambiguierend sein könnten. So gesehen könnte der erste Satz in (41) auch direkte Redewiedergabe sein. Dieser mögliche Zusammenfall spielt für den Informationsgehalt beider Typen keine grosse Rolle, denn unter diesem Gesichtspunkt sind sie, sieht man von der oben besprochenen pragmatischen Kollision ab, auch was das Postulat des fairen Zitierens betrifft, annähernd gleich. Es kann in der Rückwärts-Berichteten Rede auch Konjunktiv stehen, vgl. (62)

Zwischen I960 und 1980 starben 18,6 Prozent mehr Männer an Krebs - Schuld daran sind die Raucher: 85 Prozent dieses Anstiegs sei auf die erhöhte Zahl der Lungenkrebs-Opfer unter den Krebstoten zurückzuführen (plus 76 Prozent). Dies ist das Fazit einer Studie der Weltgesundheitsorganisation ... (Sp 19/85/221)

197

Er ist aber eben nicht obligatorisch, und ich muss meine frühere Behauptung dahingehend korrigieren, dass bei Rückwärts-Berichteter Rede der Konjunktiv fakultativ steht. Zur Illustration ein Beleg, der mir interessant erscheint, weil zunächst RückwärtsBerichtete Rede vorkommt, dann das Pro-Element das und die Redeeinleitung (geht) angeblich (hervor) in einem eigenen Satz, und weil dann in der nachfolgenden Berichteten Rede die Konjunktivform lägen steht. (63)

Margaret Thatchers Falkland-Lorbeer verwelkt. Um eine drohende FalklandNiederlage zu verhüten, sollen die Premierministerin und ihr Kriegskabinett sogar einen Nuklear-Angriff auf die argentinische Stadt Cordoba erwogen haben. Das geht angeblich aus Informationen hervor, auf die sich vergangene Woche das angesehene britische Magazin "New Statesman" berief. Außerdem lägen Dokumente vor, die zeigten (Sp 8/85/140)

Ich komme nun auf die Redewiedergabe "nach vorne" zurück, nenne sie weiter Berichtete Rede und weise auf die Rückwärts-Berichtete Rede, die ja eine Subklasse von Berichteter Rede ist, gegebenenfalls besonders hin. Allerdings hat nun der Term 'Berichtete Rede' eine doppelte Bedeutung: einmal umfasst er die Gesamtheit, einmal nur einen Teil, nämlich ausgenommen Rückwärts-Berichtete Rede. Das ist unschön, dürfte aber keine Verwirrung stiften. 24 Stimmt man Steubes weiter oben besprochenen Bemerkungen über die de dicto-Wiedergabe im Sinne des fairen Zitats bei konjunktionslos eingebetteten Nebensätzen mit Redeeinleitung im übergeordneten Satz zu, dann gilt diese Beobachtung jedenfalls auch für die Berichtete Rede. Aber auch hier scheint bei pragmatischer Kollision de re-Wiedergabe möglich. Denkbar wäre ein Beispiel wie (64)

Peter sagt, Paul sei ein Held. Dieser Feigling habe mehr Mut als andere.

wobei dieser Feigling als Kommentar des Reporter-Sprechers aufgefasst wird. Gefunden habe ich eine solche Konstellation allerdings nicht. Berichtete Rede kann im Anschluss an alle weiter oben aufgeführten redeeinleitenden Elemente vorkommen.

24. Das Beispiel (41) Hesse sich auch anders deuten. Der erste Satz könnte auch Sprecher-Aussage sein, dann nämlich, wenn der Sprecher Pauls Behauptung, die er zu seiner eigenen Meinung gemacht hat, nun als eigene Behauptung äussert. Aber es kann eben auch Berichtete Rede vorliegen, weil Konjunktiv im ersten Satz möglich ist. Es wäre zu untersuchen, wie hier die Grenze zwischen Referat und SprecherAussage zu ziehen wäre. Im folgenden Beispiel, einem Gespräch zwischen A und B ist sie überschritten. A: Peter ist krank. B: Woher weisst du das? A: Paul hat es gesagt. Der erste Satz ist nicht Referat, es kann kein Konjunktiv stehen, also nicht: Peter sei krank.

198

Berichtete Rede nach Sätzen mit explizit redeeinleitenden Elementen ist so häufig, dass ich dafür keine Beispiele anzuführen brauche. Beispiele nach implizit redeeinleitenden Elementen findet man in der einschlägigen Literatur seltener. Darum führe ich dazu hier einige Belege an. Redeeinleitendes Element für: (65)

Diese Szene, die stets aufs neue kolportiert wird und sich wechselweise auf einer Pan-Am, einer TWA- oder United-Airlines-Maschine ereignet haben soll, hat für die Soziologin Arlie Russell Hochschild Schlüsselcharakter: Sie mache ... deutlich .... (Sp 6/84/202)

Subjektanhebungsverben: (66)

Branchenkenner halten deshalb die Preiserhöhungs-Argumente des Unternehmens für vorgeschoben. Da werde bloss die Gelegenheit genutzt, mitzunehmen, was mitzunehmen sei. (Sp 16/88/134)

(67)

Die Röster von Jakobs fühlten sich verkannt. Da ihr Kaffee durch das neue Verfahren ergiebiger geworden sei, habe der Verbraucher mit dem 400-GrammPaket genausoviel Kaffeegenuss in der Kanne wie vorher mit dem Einpfünder. (Stern 48/83/230)

(68)

Das amerikanische Psycho-Team fand die seelische Konflikt-Theorie nicht bestätigt. Die Patienten hätten meist "gute Manieren gehabt, ..." (Sp 3/89/170)

Sollen: (69)

Im Kunartal östlich von Kabul sollen sie die Felder mit ätzenden Chemikalien unfruchtbar gemacht, Bewässerungsgräben planiert und Schafherden mit Maschinengewehren niedergemäht haben. 20 Jahre werde es dauern, bis im Kunartal wieder Menschen leben könnten. (Sp 10/81/154)

(70)

Gegen Wulf, der einen Untergebenen massiv unter Druck gesetzt haben soll, liegt inzwischen bei der Staatsanwaltschaft eine Anzeige wegen "Nötigung" vor. Obendrein habe es Wulf unterlassen, selbst für eine zügige und umfassende Aufklärung zu sorgen. (Sp 3/85/61)

Wollen: (71)

Entgegen den Aussagen der Pflegekräfte, die ihr das Medikament verabreicht haben, will Berzewski nun Lydia Hagemann nur "in die Voruntersuchung" miteinbezogen haben. Und die sei nicht genehmigungspflichtig. (Stern 4/86/132)

(72)

Ins "Museum menschlicher Monstrositäten" will Leder die Todesstrafe verbannt sehen. Dort gebühre ihr "ein Platz als Beispiel dafür, aus welchen Abgründen des Wahns sich die Menschlichkeit heraufkämpfen mußte". (Sp 21/80/252)

199

Berichtete Rede erscheint aber auch ohne direkten Kontakt mit einem Vorgängersatz, der ein redeeinleitendes Element enthält. Zur Veranschaulichung gebe ich Beispiele. Das redeeinleitende Element kann im weiter zurückliegenden Kontext stehen wie in folgendem Beleg. (73)

Weder ihren Eltern noch ihren Freundinnen hat sie von ihrer Liebe erzählt. "Ich habe ein Netz von Lügen aufgebaut, wo ich hinfahre, mit wem ich mich treffe", sagt sie. Trotzdem wurde an der Schule über ihre Beziehung getratscht: "Offen gesagt hat's keiner. Das war so widerlich." Nach einem Jahr machte die Lehrerin Schluss. Sie könne den ständigen Zwang zur Lüge, das Leben mit der Angst, nicht mehr aushaken. (Sp 13/84/266)

Im folgenden Beleg kann das in den Vor-Kontext ohne Redeeinleitung eingestreute Fragment einer direkten Wiedergabe als auslösendes Signal für Berichtete Rede gelten. (74)

Sofort nach Bekanntwerden des Unglücks hatte Spilker, Leiter des bundesweit größten Zentrums für die Behandlung schwerer Verbrennungen, "extra Betten frei gemacht, obwohl die Station am Wochenende voll war". Doch die Reaktion der Einsatzleitung in Kaiserslautem auf Hilfsangebote von Spezialisten aus dem gesamten Bundesgebiet sei "gleich Null" gewesen. (Sp 36/88/27-28)

Es gibt Fälle, wo sich aus sprachlichen Mitteln im Vorkontext nur noch indirekt auf ein Berichtete Rede bedingendes Signal schliessen lässt. Im folgenden Beleg ist es der Umstand, dass die Nation in der Presse etwas lesen konnte, wobei das, was zu lesen war, zunächst als eigene Reporter-Aussage erscheint und dann als Reporter-Referat - eben als Berichtete Rede. (75)

Was Tricot nicht erfuhr oder nicht niederschrieb, konnte die Nation nach und nach in der immer intensiver recherchierenden Presse lesen. Dazu gehört, daß die DGSE-Teams, die das Greenpeace-Schiff beschattet, unterwandert und gesprengt haben, frühzeitig identifiziert wurden - von den DST-Geheimdienstlern des Innenministers Pierre Joxe. Schon am 17. Juli, also mehr als drei Wochen bevor Tricot seine Ermittlungen aufnahm, habe Joxe den Staatspräsidenten und den Premierminister, am 18. Juli Verteidigungsminister Hernu informiert. (Sp 40/85/166)

Beim Erschliessen eines Signals für die Berichtete Rede im folgenden Beleg hilft nur noch das pragmatische Wissen weiter, dass die "Prawda" eine Zeitung ist, aus der hier berichtet wird. (76)

Der Druck auf Kursänderung beim Militär hält an: Schon im März hatte die "Prawda" am immer noch von der Glorie des Grossen Vaterländischen Krieges getragenen Selbstbewusstsein der Sowjetsoldaten gekratzt - sie seien mitnichten die Elite der Republik. (Sp 49/87/151)

2OO

Auch im folgenden Beleg lassen Angaben wie "Zeugenstuhl", "Vernehmung" die Deutung zu, dass es sich um eine Gerichtsverhandlung handelt und die Berichtete Rede Referat einer Zeugenaussage ist. (77)

Der bullige Mann auf dem Zeugenstuhl gab sich auch nach fünfstündiger Vernehmung noch gelassen - obwohl die auf ihn niederprasselnden Fragen immer neue Ungereimtheiten in seinen Aussagen zutage brachten. Er habe sich gar nichts vorzuwerfen, ja vorbildlich gehandelt. (Sp 3/89/137)

Der folgende Beleg ist der erste Satz eines Stern-Artikels. Es gibt also keinen vorausgehenden Kontext. Als Signal für das unvermittelte Auftreten der Berichteten Rede kann hier wohl unser Wissen über die aktuelle politische Situation gelten. (78)

Der österreichische Bundespräsident Kurt Waldheim, wegen des Umgangs mit der Wahrheit in Verruf geraten, nahm seinen deutschen Amtskollegen Richard von Weizsäcker als Entlastungszeugen in Anspruch - auch der sei Wehrmachtsoffizier gewesen. (Stern 9/88/16)

Beim Erschliessen eines Signals für die Berichtete Rede im nächsten Beleg hilft die Allgemeinkenntnis der Situation weiter, dass jemand, der an einer Tür klingelt, dann auch zur Begründung etwas zu sagen hat, (79)

Kurz bevor der Firmenchef, wie jeden Morgen, zu seiner Zentrale in MünchenAllach aufbrechen wollte, klingelte es. Am schmiedeeisernen Gartentor stand eine junge Frau, blass und von schmächtiger Statur: Sie habe einen persönlichen Brief zu überbringen. (Sp 6/85/36)

wobei der Doppelpunkt die Situation orthographisch verdeutlichen mag. Auch im folgenden Beleg, bei dem Berichtete Rede eher wie aus heiterem Himmel erscheint - es handelt sich um den Vorspann zu einem Spiegel-Artikel -, fällt die Interpretation, dass es sich dabei um die referierte Aussage der Manager handelt, nicht schwer. (80)

Manager der Neuen Heimat erledigen Dienstliches bisweilen auch im Puff - das sei im Geschäftsleben nicht ungewöhnlich. (Sp 49/87/95)

Die Belegbeispiele sind so gewählt, dass in ihnen die Berichtete Rede auslösenden Signale von Beispiel zu Beispiel schwächer werden, von sprachlichen Signalen im VorKontext zu pragmatischen Signalen, die abnehmen bis zu solchen Auslösesignalen, die aufgrund allgemeiner Situationskenntnis des Lesers erschliessbar sind. Aber bei allen Beispielen scheint das Auftreten der Berichteten Rede plausibel und das zugrundeliegende Modell rekonstruierbar. Die Plausibilität ist nicht nur bedingt durch den Konjunktiv

201

sondern eben auch durch die Erschliessbarkeit von auslösenden Signalen. Berichtete Rede kann nicht nur einfach so auftreten. Ein Gegenbeispiel mag das verdeutlichen. (81)

Er lag ruhig im Sand, er lag allein in der Dunkelkeit vor dem Strom, sein Kopf ruhte in den aufgestützten Händen, und sein Blick lief über das Wasser, ernst und genau. Es sei trübes, drängendes Wasser, das der Strom heranbringe, es fliesse glatt vorbei und schnell . . . .

Es handelt sich um den abgewandelten Anfang von Lenz' "der Mann im Strom", und hier erscheint mir Berichtete Rede nicht plausibel. Berichtete Rede kommt nicht nur in selbständigen sondern auch in eingebetteten Sätzen vor. Dafür Beispiele. Relativsatz: Der erste Beleg ist der Vorspann zu einem Stern-Artikel. (82)

Der war's: Nach der Befreiung zeigt ein russischer Gefangener auf einen deutschen Wachmann, der Kameraden von ihm geschlagen habe. (Stern 14/85/87)

(83)

Mehr als der saure Regen beunruhigt den Milliardär der Borkenkäfer, der heute aus Kostengründen nicht mehr ausreichend bekämpft werden könne. (Sp 34/83/162)

Meine zahlreichen Belege sind fast ausnahmslos nicht-restriktiv, also semantisch relativ selbständig. Das kann der Grund für ihre Häufigkeit sein. Konditionalsatz: (84)

Mitglieder der Schrebergartenvereins in Köln-Ossendorf wollten ihren Vereinskameraden Baum sogar vor den Kadi zerren, wenn der nicht umgehend seine Parzelle "in Ordnung" bringe. (Stern 43/81/268)

Temporalsatz: (85)

Ihm selbst hat der Oberste Staatsanwalt des Königreichs inzwischen die Amnestie angeboten. Doch El Lute hat abgelehnt, solange nicht auch jene etwa 30 anderen Häftlinge freikämen, die wie er noch unter dem längst abgeschafften Sondergesetz gegen Terrorismus und Banditentum verurteilt worden und bis heute inhaftiert sind. (Sp 30/78/120)

Kausalsatz: (86)

Der sowjetische Kunstspringer Alexander Potnow siegte erst, als er einen verpatzten Sprung wiederholen durfte, weil die Zuschauer ihn gestört hätten. (Sp 48/80/132)

202

Konzessivsatz: (87)

Mannesmann will in Moskau einen ersten Vertrag über ein Joint-Venture unterzeichnen, obwohl die Deutschen nur sehr vage Vorstellungen darüber hätten, wie sie eine gemeinsame Firma betreiben könnten. (Sp 43/88/4)

Lokalsatz: (88)

Gänzlich unhygienisch geht es bei einer Unterbrechung in der engen Teeküche zu, wo einen "überall der feuchtwarme Atem der Kollegen" anwabere. (Sp 22/88/85)

In folgendem Beleg mit einem Finalsatz liegt meines Erachtens keine Berichtete Rede vor.

(89)

Im letzten Spitzengespräch mit Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff sagten sie eine drei Monate währende Grundversorgung der hundert Freien Tankstellenorganisationen zu - damit die ihre Geschäfte in Ruhe liquidieren könnten. (Sp 24/79/23)

Er ist grob umschreibbar als (90)

Sie sagten zu, dass sie ... versorgen würden, damit ...

wobei dann der Finalsatz im Skopus eines redeeinleitenden Elements liegt. Deutlich wird dies beim folgenden Beleg mit Kausalsatz, (91)

Eine Gruppe junger SPD-Kandidaten für das Europa-Parlament rät den Europäern gar zur Gründung einer eigenen Energieagentur unter Ausschluß der USA, weil von den Amis im Ernstfalle ja doch nichts Gutes zu erwarten sei. (Sp 24/79/20)

wo Gründung als Nominalisierung aufzufassen ist und umschrieben werden kann ...rät den Europäern dazu, sie sollten ... gründen, weil ... wo dann der Adverbialsatz im Skopus von raten zu steht.

2.2.

Berichtete Rede im Norwegischen

Viele der Regelmässigkeiten die oben für das Referat im Deutschen beschrieben worden sind, gelten auch für die Redewiedergabe im Norwegischen.

Auch das Norwegische hat

die Möglichkeit der direkten und der indirekten Wiedergabe, inklusive den beschriebenen

203

Besonderheiten, hat redeeinleitende Elemente, allerdings nicht die Entsprechung zum epistemischen wollen und auch keine direkte Entsprechung zum so des Deutschen.2 Parallel laufen die Möglichkeiten zur Einbettung mit bzw. ohne Konjunktion, die Deixisverschiebung. die Besonderheiten der de dicto- bzw. de re-Wiedergabe. Auf eine neuerliche Beschreibung kann ich also verzichten. Aber das Norwegische hat keinen Referatkonjunktiv. Als Standardausdrucksmittel für die Redewiedergabe im Norwegischen gilt die Tempusverschiebung. So kann das von Peter im Präsens geäusserte Modell (92)

Jeg er syk. (ich bin krank)

referiert werden als (93)

Per sä at nan var syk. (Peter sagte dass er war krank)

wobei hier das redeeinleitende Verb Vergangenheit ausdrückt und im Präteritum steht, während das Verb im referierten Modell in bezug auf das Modell vom Präsens ins Präteritum verschoben erscheint. Solche Tempusverschiebung ist in der einschlägigen Literatur beschrieben.26 Ich will hier, auf meine Zwecke zugeschnitten, zusammenfassen, da es mir ja um die Berichtete Rede geht.

Die Hauptregel ist, dass - in bezug auf das Tempus im Modell - bei

Redewiedergabe das Verb in dem das Modell referierenden Satz verschoben wird, und zwar vom Präsens zum Präteritum, vom Präteritum/Perfekt zum Plusquamperfekt und vom Futur zum Futurum praeteriti l . Also etwa (94)

Per sä: "Jeg kommer snart". (Peter sagte ich komme bald)

zu

(95)

Per sä at han kom snart. (Peter sagte dass er kam bald)

Entsprechend (96) zu (97) und (98) zu (99) (96)

Per sä: "Jeg var syk forleden." (Peter sagte ich war krank neulich)

25. Allerdings berichtet mir Kollege Leirbukt. dass es in seinem - einem nprdnorwegischen - Dialekt Sätze gibt wie Og han vil vaere lokalkjent! (Und der will die Gegend hier kennen!) Ich nehme das zur Kenntnis. 26. Man vgl. etwa Berkov. Frimann Olesen (fürs Dänische), Lie, Vannebo, Western.

204

(97)

Per sa at han hadde vaert syk forleden. (Peter sagte dass er war gewesen krank neulich)

(98)

Per sa: "Jeg skal hjelpe Pal. (Peter sagte ich werde helfen Paul)

(99)

Per sa at han skulle hjelpe Pal. (Peter sagte dass er würde helfen Paul)

Diese Regel gilt, wenn das redeeinleitende Verb - wie in den Beispielen - in einem Vergangenheitstempus steht. Steht es im Präsens (oder Futur) kann nicht verschoben werden. Satz (100)

Per sier ofte at han er tratt. (Peter sagt oft dass er ist müde)

kann nicht wiedergegeben werden als (101)

Per sier ofte at han var tratt.

Das var (war) würde hier Vorzeitigkeit gegenüber der Redeeinleitung ausdrücken. Weiter gilt, dass bei redeeinleitendem Verb im Präteritum ein präsentisches Verb des Modells nicht verschoben werden muss, wenn der Inhalt eher allgemeingültig ("noget almengjeldende" bei Western) oder zum Zeitpunkt des Referierens noch gültig ist (so etwa Vannebo), etwa in (102)

Du sa at Per er i utlandet. (Du sagtest dass Peter ist im Ausland)

Noch eine Abweichung von der Hauptregel scheint zu sein, dass bei Vorzeitigkeit und präteritaler Redeeinleitung das Verb des Modellinhalts nicht tempusverschoben werden muss. Meine Informanten weisen aber darauf hin, dass die Vorzeitigkeit dann explizit angezeigt sein sollte, z.B. durch ein Adverb wie in (103)

Per sa at Pal var syk forleden. Peter sagte dass Paul war krank neulich

wobei das Modell dann ist. geäussert von Paul (104)

Jeg var syk forleden. (Ich war krank neulich)

Diese Beobachtungen sind nicht weiter aufregend. Sie treffen, bei Referat mit redeeinleitendem Element im Satzskopus, auch für das Deutsche zu, und im Norwegischen wie im Deutschen ist dann ja das Referat durch das redeeinleitende Element im selben komplexen Satz als solches gekennzeichnet. So gesehen sind die Abweichungen

205

von der Hauptregel der Tempusverschiebung für die Identifizierung des Referats nicht hinderlich. Wichtiger scheint die Tempusverschiebung für die Berichtete Rede, über die ich in der Literatur über das Norwegische kaum etwas gefunden habe. Hier ist sie das einzige dem Konjunktiv des Deutschen vergleichbare Kennzeichnungsmittel. Generell befragt, meinen meine Informanten, in Berichteter Rede solle Tempusverschiebung stattfinden, wo dies möglich ist. So sollte es also heissen, wenn das Modell ist (105)

Jeg var syk forleden. Jeg lä i sengen hele dagen og kästet opp. Ich war krank neulich. Ich lag im Bett den ganzen Tag und übergab mich

im Referat (106)

Per sä at Pal var syk forleden. Peter sagte, dass Paul war krank neulich. Han hadde ligget i sengen hele dagen og kästet opp. Er hatte gelegen im Bett den ganzen Tag und sich übergeben

aber in der Berichteten Rede nicht (107)

Han la i sengen hele dagen og kästet opp. Er lag im Bett den ganzen Tag und übergab sich

denn dann würde dieser letzte Satz nicht als Berichtete Rede aufgefasst werden sondern als Kommentar des Reporter-Sprechers. Aber viele meiner norwegischen Belege - auf einige komme ich zurück - bestätigen diese Behauptung nicht. Es gibt auch Beispiele, wo in Berichteter Rede Verben nichtverschoben auftreten, obwohl Verschiebung möglich wäre, was Informanten bei deren Beurteilung bestätigen. Diese Diskrepanz im Verhalten derselben Informanten mag auf eine Kollision zwischen normativem Denken und empirischem Material zurückzuführen sein. Wenn es nun aber der Fall ist, dass in Berichteter Rede einerseits die Tempusverschiebung nicht immer stattfinden kann, andererseits trotz gegebener Möglichkeit nicht immer muss, dann kann sie, kontrastiv gesehen, nicht als vollwertiges Äquivalent zum deutschen Konjunktiv gelten. Dann ist auch zu vermuten, dass bei der Berichteten Rede im Norwegischen andere Faktoren auch mit im Spiele sind, und auch, dass die Berichtete Rede womöglich im Norwegischen eine andere Distribution aufweist als im Deutschen. Noch aus einem anderen Grund ist die Tempusverschiebung im Norwegischen nicht immer formal disambiguierend zwischen Berichteter Rede und Sprecherbehauptung, dann nämlich, wenn verschobene und nicht verschobene Formen formal zusammenfallen. So

206

heisst etwa die Satzfolge (108) auf Norwegisch (109) und deutsch (l 10) auf Norwegisch

(111) (108)

Er sagte, dass er krank war. Er lag im Bett.

(109)

Han sa at han var syk. Man lä i sengen. Er sagte dass er war krank. Er lag im Bett

(110)

Er sagte, dass er krank war. Er liege im Bett,

(l 11)

Han sa at han var syk. Han lä i sengen.

wobei in ( 1 1 1 ) das ja verschoben ist. in (109) nicht. Dem Norwegischen fehlt also ein dem Deutschen entsprechendes morphologisches Mittel zur Distinktion zwischen Referat und Sprecher-Aussage.

2.2.1.

Berichtete Rede aus der Sicht des Norwegischen

Dieser Umstand gestaltet eine vergleichende Untersuchung der Redewiedergabe, speziell der Berichteten Rede, zwischen dem Deutschen und dem Norwegischen schwierig. Ein kleiner Exkurs mag als Erläuterung dienen. Man denke sich die - chronologisch inkompatible - Situation, dass ein Deutscher einen des Deutschen mächtigen Altsachsen anredet und ihm sagt: "Morgen gehen wir ins Kino". Er würde eine Antwort riskieren wie etwa: "Wer wir, wir zwei oder wirmehrere?" Das Altsächsische hat bekanntlich neben Singular und Plural auch die morphologische Kategorie Dualis, und entsprechend wäre der Angeredete daran gewöhnt, in den Kategorien Person', '2 Personen', 'mehr als zwei Personen' zu denken, in dieser Beziehung differenzierter als der Deutsche, der keinen morphologischen Dualis kennt und der Frage verblüfft gegenüberstände. Auf die Verblüffung würde der Altsächsisch sprechende Gesprächspartner vielleicht noch vorwurfsvoll reagieren, weil er sich wundert, dass der Deutsche so unpräzise antwortet und eine so wichtige Distinktion sprachlich nicht ausgedrückt hat. Natürlich kann der Deutsche in diesem Bedarfsfall die Distinktion lexikalisch explizit formulieren und antworten: "Wir zwei". Ursprünglich hat er nicht so formuliert, womöglich weil ihm der Situationskontext klar schien.

Aus

vergleichbarem Grund würde der Deutsche, redete er in einer Menschengruppe einen Polynesier gleichlautend an, die Frage riskieren: "Wir inklusive mir oder ohne mich?" Es gibt polynesische Sprachen, so wird mir berichtet, die morphologisch differenzierte Formen für das inklusive und das exklusive wir haben. Norweger wundern sich oft, wenn

207

hei der Übersetzung eines wenn-Satzes ins Norwegische ein Deutscher auf die Frage, oh es sich um einen Temporal- oder einen Konditionalsatz handelt, zunächst einmal stutzig reagiert. Der Norweger benötigt dieses Wissen, denn im Norwegischen heisst es temporal när und konditional hvis. Das Norwegische hat keine morphologische Kategorie, die unerscheidet zwischen dem, was ein Reporter-Sprecher selbst behauptet und zwischen dem, was er als Modell-Inhalt, also als Aussage eines anderen in indirekter Redewiedergabe referiert. Die deutsche Sprache hat sie, verwendet sie und setzt voraus, dass sie verwendet wird. Das macht die Informantenbefragung mit Norwegern schwierig. Sie übersetzen relevante deutsche Beispiele ins Norwegische und reagieren verblüfft auf den eventuellen Einwand, die norwegische Entsprechung sei im Prinzip nicht eindeutig in bezug auf die Frage, wer denn was behauptet oder referiert. Ihnen war die prinzipielle Mehrdeutigkeit nicht bewusst, und nun zwingen sie sich - nach langer Diskussion, auch mit anderen Informanten, zu einer disambiguierenden Lösung, z.B. einer lexikalischen, für ein Beispiel, das im Ausgangspunkt für sie gar nicht ambig war.

Gegenüber dem isoliert

betrachteten Beispiel (112)

Han sa at nan var syk. Han lä i sengen.

ist der Informant in bezug auf die Frage, wer den Folgesatz geäussert hat, unsicher, weil ihm zur Entscheidung der Kontext fehlt. Die Reaktion auf folgende Beispiele ist anders. (113)

Da jeg ringle Per, sa han at nan var syk. Han lä i sengen. Als ich anrief Peter, sagte er dass er war krank. Er lag im Bett

(114)

Da jeg besekte Per, sa han at han var syk. Als ich besuchte Peter, sagte er dass er war krank.

Han lä i sengen. Er lag im Bett

Im ersten Beispiel wird der Folgesatz klar als Berichtete Rede aufgefasst, also er liege im Bett, im zweiten Beispiel wird der Folgesatz nicht als Berichtete Rede gedeutet, also er lag im Bett. Der pragmatische Kontext macht die Entscheidung einleuchtend: Wer jemanden anruft, sieht dessen Situation nicht und hat nur verbalen Kontakt. Daher die Entscheidung des Informanten: Peter hat auch gesagt, dass er im Bett liege.

Wenn

jemand jemanden besucht, sieht er die Situation, und es ist wahrscheinlicher, dass der Sprecher Peter im Bett liegen sieht als dass Peter im Bett liegend einem Beobachter mitteilt das er im Bett liegt. Also ist der Folgesatz eigener Kommentar des ReporterSprechers, obwohl im Prinzip jeder der Folgesätze in den beiden Beispielen ambig in bezug auf die relevanten Faktoren ist.

208

Nehmen wir folgenden Beleg, in dem die Zeitung "Adresseavisen" telefonische Leserreaktion auf einen Aprilscherz behandelt. (115) (a) De som ringle var hellig forbannet, for ä si det mildt, Diejenigen die anriefen waren heilig entrüstet um zu sagen es mild og oppfordret Adresseavisen til ä kjere Kommunen hardt und forderten auf Adresseavisen dazu zu fahren die Kommune hart i denne saken. in dieser Sache (b) Dette kunne ikke vaere lovlig. Das konnte nicht sein gesetzlich. (c) Ogsä Journalisten som hadde skrevet artikkelen fikk Auch der Journalist der hatte geschrieben den Artikel bekam (in) sitt pass päskrevet. og det ble hevdet at seinen Pass aufgeschrieben und es wurde behauptet dass Adresseavisen bürde holde seg for god til ä trykke et slikt Adresseavisen sollte halten sich für zu gut um zu drucken einen solchen "galmannsforslag". "Vorschlag eines Verrückten" (Adresseavisen 3.4.89, S. 8) Diejenigen, die anriefen, waren zutiefst entrüstet, um es mild zu sagen, und forderten Adresseavisen auf, in dieser Angelegenheit hart gegen die Kommune vorzugehen. So etwas könne nicht gesetzlich sein. Auch der Journalist, der den Artikel geschrieben hatte, wurde hart kritisiert, und es wurde behauptet, dass Adresseavisen sich zu schade sein solle, um solch einen "Vorschlag eines Verrückten" zu drucken. Das kunne in (115) (b) kann ein verschobenes kan sein, wobei dann Redewiedergabe vorliegt, und zwar des Modells (116)

Det kan ikke vaere lovlig. Das kann nicht sein gesetzlich

von Anrufern geäussert.

Es kann sich aber im Prinzip auch um ein nicht-verschobenes

konnte handeln, und dann läge nicht Redewiedergabe vor sondern die Aussage des Reporters das konnte nicht gesetzlich sein. Aber so versteht das kein Norweger. In Satz (a) steht die Redeeinleitung auffordern mit der darauffolgenden Infinitivkonstruktion in dieser Angelegenheit hart gegen die Kommune vorzugehen, in Satz (c) steht wieder eine Redeeinleitung, nämlich behaupten

209

gefolgt von einer weiteren Redewiedergahe. Satz (b) ist. auch wegen seiner Bedeutung, im gegebenen Kontext Berichtete Rede, trotz der fehlenden morphologischen Eindeutigkeit. Das nächste Beispiel ist ein Ausschnitt aus einem authentischen norwegischen Text. (117) (a) Rettsm0tet var meget formell og korrekt. Die Gerichtsverhandlung war sehr formell und korrekt (b) Rettens medlemmer dreftet en rekke spersmäl Des Gerichts Mitglieder erörterten eine Reihe Fragen sä lenge forhandlingene pägikk. so lange (wie) die Verhandlungen andauerten. (c) Den tyske forsvarer fattet seg i korthet og sä vel det Der deutsche Verteidiger fasste sich in Kürze und sagte wohl das som skulle sies etter tyskernes oppfatning. was sollte gesagt werden nach der Deutschen Auffassung (d) Det matte tas hensyn til tiltaltes unge aider. Es musste genommen werden Rücksicht auf des Angeklagten junges Alter (e) Hans handlinger sky Idles ubetenksomhel. Seine Handlungen waren zurückzuführen auf Unbedachtsamkeit (f)

Han hadde trodd at han handlet til beste for sitt land Er hatte geglaubt dass er handelte zum Besten für sein Land hvilket selvf01gelig ikke var lilfelle - og tiltalte was selbstverständlich nicht war der Fall und der Angeklagte matte bli straffet sä mildt som mulig, musste werden bestraft so mild wie möglich

(g) En slund senere ble dommen opplest. Eine Weile später wurde das Urteil verlesen Die Gerichtsverhandlung war sehr formell und korrekt. Die Mitglieder des Gerichts erörterten eine Reihe Fragen, während die Verhandlung andauerte. Der deutsche Verteidiger fasste sich kurz und sagte wohl das, was nach Auffassung der Deutschen zu sagen war. Es müsse/musste auf das junge Alter des Angeklagten Rücksicht genommen werden. Sein Handeln sei/war auf Unbedachtsamkeit zurückzuführen. Er habe/hatte geglaubt, dass er zum Besten für sein Land handle/handelte - was natürlich nicht der Fall sei/war - und der Angeklagte müsse/musste so mild wie möglich bestraft werden. Eine Weile danach wurde das Urteil verlesen. Die Verhältnisse in dieser Passage scheinen nicht ganz so plausibel wie im vorigen Beispiel.

Zwar steht in Satz (c) sagte als Kandidat für eine Redeeinleitung, aber sagte

210

muss hier nicht so fungieren, der Satz lässt sich auch so deuten, dass der Richter das Nötige sagt/berichtet und dass das Folgende, Satz (d) bis (f) zusammenfassender Kommentar des Reporter-Sprechers ist, wobei dann nicht Berichtete Rede vorliegt und die Präteritalformen nicht verschobenes Präsens repräsentieren.

Weiter kann Satz (d)

Berichtete Rede sein und Satz (e) und Satz (f) Reporter-Kommentar. Auch ist die Deutung möglich, dass nur Satz (f) Kommentar ist und (d), (e) Berichtete Rede. Oder nur der Einschub in (f) was aber selbstverständlich nicht der Fall sei/war kann Kommentar sein - dann mit Indikativ - und der Rest Berichtete Rede. Alle Lösungen sind morphologisch gegeben, je nachdem, welche Präteritalform als Ergebnis der Tempusverschiebung gedeutet wird und welche nicht. Auch aus dem Textzusammenhang ist - aus deutscher Sicht - jede der möglichen Lösungen im Prinzip vertretbar. Man könnte sogar - aus deutscher Sicht - annehmen, dass von (d) bis (f) Berichtete Rede und Reporter-Kommentar satzweise alternieren. Aber keiner meiner norwegischen Informanten hat spontan eine andere Interpretation in Erwägung gezogen als Berichtete Rede von (d) bis (f), sie räumten allerdings nach längerer Diskussion ein, dass wegen der fehlenden Distinktion auch andere Deutungen denkbar wären, dann jedoch nur dermassen, dass an irgendeiner Stelle im relevanten Textteil, also zwischen (d) und (f) Berichtete Rede umschlagen könnte in ReporterKommentar.

Alle Informanten sind Germanisten oder das Deutsche

akzeptabel

beherrschende Linguisten oder Nordisten, und es ist denkbar, dass sie sich im Nachhinein sozusagen in das System des Deutschen hineinversetzt haben, das ja durch den Referatkonjunktiv klar zwischen Referat und Kommentar scheiden kann. Aber keiner von ihnen fand eine andere Deutung plausibler als ihre ursprüngliche. Da die relevante Distinktion im Norwegischen fehlt und im obigen Text verschobene und nicht-verschobene Formen morphologisch zusammenfallen, entscheidet sich offenbar der Norweger für die ihm kontextuell plausibelste Deutung, und es ist interessant, dass im obigen Fall die Deutungen von in diesem Fall 5 Informanten konvergieren. Das nächste Beispiel zeigt, dass der kontextuelle Zusammenhang trotz formaler Unklarheit eindeutig disambiguierend sein kann. Und es geht um die Frage der Tempusverschiebung. In dem Zeitungsartikel, dem der Beleg entnommen ist, geht es um Gerüchte. Bjern Borg habe mit Beruhigungspillen Selbstmord begehen wollen. Borgs Berater Alverdal versucht, die Gerüchte zu entkräften. (118) (a) Alverdal fortalte at Borg hadde f01t seg kvalm etter et Alverdal erzählte dass Borg hatte gefühlt sich übel nach einem

211

restaurantbesok og tok sovemedisin for a sovne. Restaurantbesuch und nahm Schlafmedizin um zu einschlafen (b) Men kvalmen ble verre, og om morgenen reiste nan til Aber die Übelkeit wurde schlimmer und am Morgen reiste er zum sykehuset etter anbefaling fra en lege. Krankenhaus auf Empfehlung von einem Arzt (c) Ogsä to venner av Björn Borg ... benektet overfor journalister Auch zwei Freunde von Bj0m Borg ... verneinten gegenüber Journalisten at Borg hadde fors0kt a begä selvmord. dass Borg hatte versucht zu begehen Selbstmord (Adresseavisen 8.2.89) Ich verzichte hier auf eine weitere Übersetzung. Es kann sich bei Satz (b) nicht um einen Reporter-Kommentar handeln. Der Reporter kennt nur Gerüchte und wird den Versuch Alverdals. diese zu entkräften nicht als eigene Behauptung formulieren. Es kommt also nur Redewiedergabe in Frage. Aber welche? Satz (b) enthält keine möglicherweise disambiguierenden deiktischen Elemente.

Es kann sich um direkte Rede, von Alverdal

geäussert, handeln. Es fehlen zwar Anführungszeichen, aber das kommt in norwegischen Zeitungen oft vor.

Aber keiner meiner Informanten hat direkte Rede als Erklärung von

Satz (b) vorgeschlagen, sie mussten auf diese Möglichkeit erst aufmerksam gemacht werden, was jedenfalls heisst, dass trotz formalem Zusammenfall mit direkter Rede Berichtete Rede auch möglich sein muss. Alle Informanten interpretieren diesen Satz spontan als Berichtete Rede. Und das ist darum interessant, weil hier keine Tempusverschiebung vorliegt, ble verre (wurde schlimmer) hätte sonst hadde blitt verre (war schlimmer geworden) heissen müssen. verschoben

sein müssen.

Ebenso hätte reiste zu hadde reist (war gereist)

Damit zeigt dieser Beleg, dass Tempusverschiebung

Berichteter Rede auch ausfallen kann.

in

Es ist also möglich, dass Berichtete Rede völlig

ohne formale Kennzeichnung vorkommen kann. Wie wichtig dann der Textzusammenhang ist, zeigt der Beleg. Es zeigt auch, dass im Norwegischen direkte Rede und Berichtete Rede zusammenfallen können, was im Deutschen nur bei der RückwärtsBerichteten Rede der Fall sein kann. Nicht immer ist der Textzusammenhang eine hinreichende Entscheidungshilfe, vgl. folgenden Zeitungsausschnitt. (l 19) (a) Ifolge politiet i Vest-Berlin observerte lokale innbyggere Zufolge der Polizei in West-Berlin beobachteten lokale Einwohner

212

tidlig sondag morgen at grensesoldater forte vekk en mann som früh Sonntag Morgen dass Grenzsoldaten führten ab einen Mann der hadde pravd ä kj0re igjennom sperringene med en lastebil. hatte versucht zu fahren durch die Sperren mit einem Lastwagen (b) Senere pa dagen ble de 0sttyske grensevaktene sett mens Später am Tag wurden die ostdeutschen Grenzwachen gesehen während de med hevede gevzerer truet en ung mann vekk fra muren. sie mit erhobenen Gewehren drohten einen jungen Mann weg von der Mauer (c) Det ble ikke 10snet skudd under episodene s0ndag, Es wurden nicht ausgelöst Schüsse während der Episoden Sonntag, opplyser politiet. erklärt die Polizei (Adresseavisen 11.4.89, S. 6) Nach Auskunft der West-Berliner Polizei beobachteten Einwohner aus der Gegend früh am Sonntag morgen, dass Grenzsoldaten einen Mann abführten, der versucht hatte, mit einem Lastwagen durch die Sperren zu fahren. Später am Tag wurde beobachtet / sei beobachtet worden, dass die DDRGrenzwachen einen jungen Mann mit angelegten Gewehren bedrohten / bedroht hätten und ihn von der Mauer entfernten / entfernt hätten. Es fielen keine Schüsse / seien keine Schüsse gefallen während der Vorfälle am Sonntag, erklärt die Polizei. Es handelt sich um einen Polizeibericht, dessen zitierter Ausschnitt mit einer Redeeinleitung beginnt (ifolge, zufolge) und aufhört (opplyser, erklärt). Modell-Sprecher ist die Polizei. Interessant ist Satz (b). Folgende Deutungen bieten sich an. Er kann direkte Rede sein, unmarkiert, die Polizei ist Modell-Specher. Er kann Reporter-Kommentar sein. Er kann Berichtete Rede sein - dann ohne Tempusverschiebung, sonst müssten die Präteritalformen ble (wurden) und truet (drohten) im Plusquamperfekt stehen. Es kann im Norwegischen häufig vorkommende - Rückwärts-Berichtete Rede sein, dann in bezug auf die am Ende stehende Redeeinleitung opplyser (erklärt). Die Informanten haben zwei Möglichkeiten in Erwägung gezogen, Berichtete Rede und Reporter-Kommentar, waren aber einhellig der Überzeugung, dass eine Entscheidung nicht möglich ist. Das lässt den Schluss zu, dass es im Norwegischen nicht immer, d.h. bei fehlender Plausibilität des Kontextes, nicht immer entscheidbar ist, ob Berichtete Rede vorliegt oder Reporter-Sprecher-Aussage. Die obigen Belege sollen für viele andere stehen, die ähnlich strukturiert sind und interpretiert werden. Ich möchte mit nur einem Beispiel eine Standardversion der Redewiedergabe im Norwegischen belegen. Sie entspricht der Rückwärts-Berichteten Rede im Deutschen.

213

(120)

Hun päpeker at nyrekruttering ma skje gjennom oppbygging Sie weist darauf hin dass Rekrutierung muss geschehen durch Aufbau av vitenskapelig kompetanse. Det er ikke gjort von wissenschaftlicher Kompetenz. Das wird nicht gemacht i en handvending. ... Man star med andre ord i fare i einem Handumdrehen ... Man steht mit anderen Worten in der Gefahr for a miste en hei generasjon med forskere pä AVH, mener für zu verlieren eine ganze Generation von Forschem in AVH, meint Sissel Lie. Sissel Lie

Diese Art der Berichteten Rede scheint typisch für's Norwegische. In Texten wie zum Beispiel Zeitungsberichten über die Rede eines Politikers findet man im Deutschen oft Berichtete Rede mit reihenweise wiederkehrender Konjunktiwerwendung, im Norwegischen abschnittweise Berichtete Rede - nicht immer zu unterscheiden von direkter Rede - mit einem Referatsatz mit redeeinleitendem Element am Schluss von jedem Abschnitt, wie in dem Textstück (120). das obendrein noch mit einem redeeinleitenden Element beginnt.

2.2.2.

Berichtete Rede kontrastiv

Um - auch aus kontrastiver Sicht - mehr über die Distribution der Berichteten Rede im Norwegischen zu erfahren, habe ich relevante Textteile aus dem Deutschen gewählt und von kompetenten Informanten übersetzen lassen. Es ist mir klar, dass dabei bisweilen deren normatives Denken die tatsächlichen Verhältnisse im Norwegischen möglicherweise nicht immer ganz adäquat wiederspiegelt. Ich liefere die deutschen Belege, die Übersetzung nur, wenn notwendig. Für den Standardfall, einen Satz mit redeeinleitendem Element in der Vergangenheit und einen Folgesatz mit Berichteter Rede, im Norwegischen gekennzeichnet durch Tempusverschiebung, habe ich oben Beispiele gegeben. Hier nur ein weiteres Beispiel (121)

Kommentare zum Präsidentenwechsel kamen auch aus dem Vatikan - natürlich mit erhobenem Zeigefinger. Die Abrüstung müsse fortgesetzt werden. (RTLFernsehen 21/1/89)

214

Die norwegische Entsprechung nedrustningen matte fortsette (die Abrüstung musste fortsetzen) entspricht der Erwartung. Im folgenden Beleg steht das redeeinleitende Element fiir in einem präsentischen Satz (ist ... Bestätigung). (122)

Dass er - und nicht der Aussenminister der westlichen Vormacht - Adressat des neuen sowjetischen Entgegenkommens wurde, ist für Genscher die Bestätitung des "immer grösseren Gewichts" der Bundesrepublik. Kreml-Chef Michail Gorbatschow meine es eben durchaus ernst, wenn er im deutsch-sowjetischen Verhältnis die "Schlüsselfunktion" für die Ost-West-Beziehungen sehe.

Die norwegische Entsprechung der Berichteten Rede kann hier kein tempusverschobenes Verb enthalten. Bei nur Präsensverwendung würde der relevante Satz aber als ReporterKommentar aufgefasst. Die Übersetzung des Informanten enthält ein in diesen Satz eingefügtes mener Genscher (meint Genscher), das diesen Satz als Referat kennzeichnet. Damit ist die norwegische Redewiedergabe als Entsprechung zur Berichteten Rede selbst nicht Berichtete Rede, sie scheint nach Sätzen mit präsentischem redeeinleitenden Verb ich habe auch Beispiele mit historischem Präsens mit gleichem Resultat - ausgeschlossen. Wir haben früher gesehen, dass es im Deutschen viele Fälle von Berichteter Rede gibt, der kein Satz mit redeeinleitendem Element vorangeht und wo auf das auslösende Signal über Kontext oder pragmatisches Wissen geschlossen werden muss. So etwa in folgendem Beispiel, das im Präteritum steht und Tempusverschiebung also im Prinzip möglich wäre. Es handelt sich um den Vorspann zu einem Stern-Artikel - es gibt somit keinen VorKontext. (123)

Der Bürgermeister von Wallers wollte die Schlaglochstrecken seiner Gemeinde für das Rennen sperren. Sie seien für die Fahrer zu gefährlich. Da gingen die Radsportfans der ganzen Gegend auf die Barrikaden. (Stern 18/87/165)

Die Übersetzung des relevanten Teiles ist: Hanmente de var for farlige (er meinte, sie waren zu gefährlich). Wieder ist ein redeeinleitendes Element eingefügt worden. Dieser Beleg - und viele andere getestete - zeigt, das ohne direkt vorangehenden Satz mit redeeinleitendem Element Berichtete Rede im Norwegischen nicht möglich ist und andere Arten der Redewiedergabe gewählt werden, hier Redeeinleitung in dem Satz, der im Deutschen den Konjunktiv enthält. Damit fallen fur's Norwegische alle solche Kandidaten für die Berichtete Rede aus. wie ich sie anhand der Beispiele (73) bis (80) für's Deutsche beschrieben habe. In fast alle diese Sätze werden in die Übersetzung der deutschen Berichteten Rede redeeinleitende Elemente eingeführt, meistens als Parenthese. Eine Ausnahme kann anhand des Beispiels (79) vorliegen. Von zwei Informanten wird der Satz der Berichteten Rede übersetzt zu Hun hadde fätt i oppdrag a overbringe et

215

person I i g brev (sie hatte bekommen zum Auftrag, zu üherbringen einen persönlichen Brief), also ohne redeeinleitendes Element, obwohl im Satz davor kein solches steht. Beide geben als Grund für diese Übersetzung an, dass der Doppelpunkt davor klarmache, dass das, was nun kommt, referierte Aussage sei, "warum sonst würde man Doppelpunkt setzen?" Ich habe den Satz dann mündlich getestet, ohne den Doppelpunkt mit vorzulesen. Resultat: Es wird eine Redeeinleitung eingefügt, etwa etter det nun selv sä (zufolge dem, was sie selbst sagte) oder angehängt, z.B. fortalte nun (erzählte sie). Es scheint also in geschriebenen Texten der Doppelpunkt als eine Art Ersatz für eine Redeeinleitung fungieren zu können, plausibler - hier pragmatischer - Kontext vorausgesetzt. Da die Reaktion wie auf Beispiel (79) singular ist, ziehe ich daraus keine Schlüsse. Ebenfalls fallen als Kandidaten für Berichtete Rede im Norwegischen eingebettete Sätze im Deutschen aus, die nicht im Satzskopus eines redeeinleitenden Verbs stehen, also die norwegischen Entspechungen von (82) bis (88). Als Beispiel diene die Übersetzung des Konditionalsatzes in (84) dersom han, som de sä, ikke eyeblikkelig fikk i orden parsellen sin (wenn er, wie sie sagten, nicht augenblicklich bekam in Ordnung die Parzelle seine). Solcher Berichteten Rede im Deutschen entspricht im Norwegischen Redewiedergabe mit eingefügten redeeinleitenden Elementen - übergeordnet, nebengeordnet, untergeordnet - wie das für's Deutsche weiter oben gezeigt worden ist. Bei fehlender expliziter Redeeinleitung im Deutschen muss im Norwegischen oft interpretiert werden, vgl. (124)

Den Streit um das Kind ... beendete ein Sorgenrechtsbeschluss des ... Landgerichts ... Der Junge kam zur Mutter, der Vater sei "berechtigt, das Kind ... in den Ferien ... zu sich zu nehmen ...". (Stern 12/82/266)

Die norwegische Entsprechung fügt neben einer Redeeinleitung auch noch den ModellSprecher ein, faren var if0Ige avgj0relsen berettiget ... (der Vater war zufolge der Entscheidung berechtigt ...). Es wird auch freier interpretiert, vgl. (125)

Der homosexuelle Schäfer hält seine Leute unter psychischer ... Abhängigkeit: Vor ihm dürfe niemand Geheimnisse haben . . . . (Sp 49/87/32)

Hier wird neben ingen mä ... sier han ... (niemand darf ... sagt er ...) auch vorgeschlagen han forlanger at ingen mä ha hemmeligheter (er verlangt dass niemand darf haben Geheimnisse). Wo die grammatischen Gegebenheiten es zulassen, wird als Alternative zum deutschen Konjunktiv oft skulle (sollen) verwendet, vgl.

216

(126)

Noch bevor der Pilot der Fühnmgsmaschine den Kommandierenden um einen Schiessbefehl ersuchen konnte, habe der hinter ihm sitzende Radaroftizier eine "Sparrow"-Rakete abgefeuert. (Sp 2/89/128)

Der - zum Zitieren zu lange - Vorkontext lässt im Deutschen einen Ersatz von habe durch soll ... haben zu.

Entsprechend Norwegisch, dessen Verwendung des epistemischen

sollen dem Deutschen zu entsprechen scheint, skal radaroffiseren ... ha fyrt av ... (soll der Radaroffizier ... gefeuert haben). Etwas längere Textausschnitte zeigen, wo kontrastive Probleme auftauchen und wie sie behandelt werden. Das folgende ist eine Kurznachricht aus der Pirmasenser Zeitung von Anfang März 89 (127) (a) Nach heftigen Schneestürmen und zahlreichen Lawinen werden in den französischen Alpen sechs Männer vermisst. (b) Die Gendarmerie berichtete in Chamonix, eine Windböe habe einen Schweizer Skiläufer auf dem Mont Blanc von einem Bergkamm geweht. (c) Der Mann liege möglicherweise unter einer Lawine begraben. (d) Das schlechte Wetter habe eine Suchaktion verhindert. (e) Im selben Bergmasiv sind ausserdem ein deutscher und drei britische Bergsteiger verschwunden. (f) Ihre Spur sei längst verweht, eine Suche aus der Luft bislang wegen der Schneestürme zu gefährlich. (g) Dennoch räumt die Gendarmerie den Bergsteigern Überlebenschancen ein. (h) Keine Hoffnung bestehe dagegen für einen 22jährigen Mexikaner, der bereits am 3. Januar in dem Gebiet spurlos verschwand. Der Text ist gekennzeichnet durch ständigen Wechsel zwischen Reporter-Referat und Reporter-Kommentar. Ich habe mehrere Übersetzungen und gebe hier eine gekürzt wieder. (128) (b) Politiet opplyste at et vindkast hadde blast en sveitisk Die Polizei erklärte dass eine Windböe hatte geblasen einen Schweizer skiloper ... ned fra en fjelltopp Skiläufer herunter von einem Bergkamm (c) og at mannen muligens la begravet under en lavine. und dass der Mann möglicherweise lag begraben unter einer Lawine (d) Det darlige vaeret hadde forhindret en leteaksjon. Das schlechte Wetter hatte verhindert eine Suchaktion (e) I det samme fjellmassiv er ogsa en tysk og tre britiske In demselben Bergmassiv sind auch ein deutscher und drei britische fjellklatrere forsvunnet. Bergsteiger verschwunden

217

(f)

Ifolge politiet er sporene etter dem forlengst gjenbläst ... Zufolge der Polizei sind die Spuren nach ihnen längst verweht

(g) Allikevel levner politiet fjellklatrerne overlevelsessjanser. Dennoch räumt ein die Polizei den Bergsteigern Überlebenschancen (h) Politiet levner derimot en ... meksikaner som forsvant Die Polizei räumt ein dagegen einem Mexikaner der verschwand sporl0st i omrädet ... intet häp. spurlos im Gebiet keine Hoffnung In Satz (c) ist hier der Skopus des redeeinleitenden Elements durch den Anschluss eines dass-Satzes verlängert worden. Das wäre hier nicht notwendig gewesen, denn Satz (d) zeigt, dass die Tempusverschiebung ausgereicht hätte zur Markierung von Berichteter Rede. Aber diese Möglichkeit der Skopuserweiterung ist interessant und wäre anwendbar auf Fälle, wo Tempusverschiebung nicht möglich ist. Satz (e) zeigt problemfreien Wechsel zurück zum Reporter-Kommentar, weil hier das Tempus vom verschobenen Plusquamperfekt in (d) zurückgeht zum Präsens. In Satz (f) liegt im Deutschen wieder an den früheren Kontext anschliessende Berichtete Rede vor. Dieser Übergang ist im Norwegischen nicht möglich. Bei fehlendem direkten kontextuellen Kontakt zu einem Satz mit redeeinleitendem Element muss - so dieses und andere Beispiele - zur Kennzeichnung von Redewiedergabe eine neue Redeeinleitung eingeführt werden, im Norwegischen hier if01ge (zufolge). Sonst würde der Satz als Reporter-Kommentar verstanden. Satz (g) wird wegen des Tempuswechsels wieder als Sprecher-Aussage interpretiert. In Satz (h) wird das interpretierende räumt ein eingefügt, damit wird dem Modell-Sprecher - der Gendarmerie - die Aussage sozusagen in den Mund geschoben, ohne dass der Satz Berichtete Rede ist. Satz (c) ist von anderen Informanten auch als selbständiger Satz mit Tempusverschiebung wiedergegeben worden. Andere Informanten schlagen bei Satz (f) statt if01ge die Lösung vor Politiet sier videre at ... (die Polizei sagt weiter, dass ...). Dieser Text zeigt, dass der Übergang Berichtete Rede - Kommentar, im Deutschen üblich und wegen Konjunktiv-Indikativwechsels eindeutig markiert, auch im Norwegischen machbar ist, falls die Tempusverhältnisse passen. Weiter zeigt er. dass Berichtete Rede im Norwegischen nur im direkten kontextuellen Kontakt mit einem Satz mit redeeinleitendem Element möglich ist. 1st der Kontakt durch einen Reporter-Kommentar unterbrochen, muss zur Wiedereinführung von Berichteter Rede ein neues redeeinleitendes Element her. das dann in nachfolgenden Sätzen wieder von Berichteter Rede gefolgt sein kann. Ferner zeigt der Text, dass Berichtete Rede, da wo sie Norwegisch als Adäquat zum Deutschen nicht möglich ist. durch Ausweitung des Skopus' des redeeinleitenden

218 Elements erweitert werden kann, wie weit, ist durch Bedingungen der Performanz determiniert. Ein etwas längerer Text soll diesen kontrastiven Teil abschliessen.

Der Text würde

wegen seines häufigen Wechsels zwischen Referat und Kommentar - im Deutschen morphologisch leicht zu markieren - im Norwegischen so nicht formuliert werden. Der Ausschnitt setzt einen Bericht fort, in dessen Anfang über die glückselige Selbstverbrennung einer indischen Witwe zusammen mit ihrem verstorbenen Mann erzählt wird. Er enthält das meiste der erörterten kontrastiven Problematik. Die Übersetzung ist ein Kompromiss zwischen verschiedenen Versionen von Informanten, von denen einige ihn resignierend für unübersetzbar hielten. (129)

(a)

Doch die Haridschan, die Unberührbaren im Ort, flüsterten einem indischen Reporter eine ganz andere Story zu. Danach sei am Todestag Schreien und Schimpfen aus dem Hause Singhs zu vernehmen gewesen - wie nach der Tradition üblich, wurde die junge Ehefrau für den frühen Tod ihres Mannes verantwortlich gemacht. Später hätten die Angehörigen eine offensichtlich mit schweren Rauschmitteln halb betäubte Rup Kanwar aus dem Haus gezerrt. Sie sei auf den Scheiterhaufen gelegt und mit Feuerholz bedeckt worden. Ein Schwager des Mädchens habe das Feuer dann entzündet. Etwa 5000 Menschen aus Deorala und Umgebung waren bereits herbeigeeilt und verfolgten das schaurige Ritual. Die Polizei griff nicht ein. Einmal gelang es der jungen Frau noch, sich zu befreien. Schreiend und um Gnade flehend sei sie davongelaufen. Doch sie sei wieder eingefangen und wiederholt mit Holzscheiten auf den Kopf geschlagen worden. Schreiend sei sie dann verbrannt. Zu Hunderttausenden wallfahrten Pilger in den nächsten Wochen voll Ehrfurcht vor dem Opfer nach Deorala. (Sp 18/88/179-181) Men Haridschan, de uantastelige pä stedet, hvisket en Doch die Haridschan die Unberührbaren im Ort flüsterten eine helt annen historie til en indisk reporter, ganz andere Geschichte zu einem indischen Reporter.

(b)

Ifelge dem hadde man den dagen hun d0de kunnet here Zufolge ihnen hatte man den Tag (als) sie starb gekonnt hören skrik og skjellsord fra huset til Singh Schreien und Schimpfen aus dem Hause von Singh -

(c)

slik som tradisjonen forlanger det ble den unge kvinnen gjort so wie die Tradition verlangt es. wurde die junge Frau gemacht ansvarlig for mannens tidlige d0d. verantwortlich für des Mannes frühen Tod

219

(d)

Senere hadde slektningene ifelge beretningen trukket en R.K. Später hatten die Verwandten zufolge dem Bericht gezerrt eine R.K. som 0yensynlig var halvt bed0vet med tunge rusmidler, die offensichtlich war halb betäubt mit schweren Rauschmitteln ut av huset. heraus aus dem Haus

(e)

De hadde lagt nenne pä bälet og dekket henne til Sie hatten gelegt sie auf den Scheiterhaufen und gedeckt sie zu med brenneved. mit Feuerholz

(f)

En svager til piken hadde sä tent pä. Ein Schwager von dem Mädchen hatte dann gezündet an.

(g)

Nä var allerede henimot 5000 mennesker fra Deorala og omegn Nun waren bereits etwa 5000 Menschen aus Deorala und Umgegend pä plass og fulgte det grusomme ritualet. zur Stelle und verfolgten das schaurige Ritual

(h)

Politiet grep ikke inn. Die Polizei griff nicht ein.

(i)

Enda en gang lyktes det den unge kvinnen ä komme seg 10s. Noch ein mal gelang es der jungen Frau zu kommen sich los.

(j)

If01ge beretningen hadde hun 10pt avgärde mens hun skrek Zufolge dem Bericht hatte sie gelaufen weg während sie schrie og tigget om näde. und flehte um Gnade

(k)

Likevel var hun blitt fanget inn igjen og gjentatte ganger Trotzdem war sie geworden gefangen ein wieder und wiederholte Male blitt slätt i hodet med vedskier. geworden geschlagen auf den Kopf mit Holzscheiten

(1)

Skrikende hadde hun sä brent opp. Schreiend war sie dann verbrannt

(m)

I hundretusentall valfarter pilgrimer i de kommende uker Zu Hunderttausenden wallfahrten Pilger in den nächsten Wochen til Deorala full av asrefrykt for offerhandlingen. nach Deorala voll von Ehrfurcht vor der Opferhandlung

220

Satz (h) ist problemlos - er enthält danach als Redeeinleitung. Satz (c) ist ReporterKommentar, den Wechsel Referat - Kommentar expliziert die Übersetzung durch interpretierende Einführung eines Verbs im Präsens (slik som traisjoncn forlanger det). Durch den Tempuswechsel scheint der Übergang Referat - Kommentar hinreichend gekennzeichnet. In Satz (d) nimmt das Deutsche ohne anderes Signal als den Konjunktiv die Berichtete Rede wieder auf. Das Norwegische hat hier keine eindeutige Morphologie und greift zu Lexikalischem, ifelge beretningen wird als redeeinleitendes Element eingefügt, es liegt nicht mehr Berichtete Rede vor. In (e) ist Berichtete Rede nach Redeeinführung im Vor-Satz und gegebener Tempusverschiebung kein Problem, entsprechend ist (f). Satz (g) ist Reporter-Aussage. Tempusverschiebung in (f) und Reporter-Aussage-Tempus in (g) fallen zusammen. Referat in (f) und Kommentar in (g) sind im Norwegischen nicht durch Tempus unterschieden. Das Problem ist also: wie kommt man aus der Berichteten Rede wieder heraus? Der Versuch mit Prateritum (var pä plass) statt Plusquamperfektum scheint nicht ausreichend. Bei Satz (g) haben die meisten Informanten resigniert. Ein Lösungsversuch ist die Einführung des deiktischen Elements nun, das aber auch nicht-deiktisch verwendbar ist und die Sachlage nicht klärt. Der Satz bleibt in bezug auf Referat oder Kommentar unklar. Satz (i) hat Prateritum und ist - optische Signale scheinen relevant - neuer Abschnitt. Die norwegische Entsprechung scheint für Norweger zufriedenstellend. Satz (j) enthält eine neue Redeeinleitung - es liegt also keine Berichtete Rede vor. In (k) - direkter Kontakt mit einem Satz mit Redeeinleitung liegt vor - passen die Tempusverhältnisse zur Deutung als Berichtete Rede, desgleichen (I). In (m) liegt Tempuswechsel zum Präsens vor - was als Wechsel zum ReporterKommentar aufgefasst wird.

3.

Schluss

Kommen wir nun zusammenfassend zu Schlussfolgerungen, singuläre Ausnahmen von Regelmässigkeiten lasse ich jetzt unbeachtet. Das Norwegische verfügt über alle die Arten der Redewiedergabe, die auch das Deutsche besitzt, verwendet sie aber nicht immer parallel. Berichtete Rede erfordert im Deutschen den Konjunktiv, im Norwegischen Tempusverschiebung. Ausnahme ist die Rückwärts-Berichtete Rede, bei der in beiden Sprachen beides nicht notwendig ist. Tempusverschiebung ist nicht immer hinreichende Alternative zum Konjunktiv des Deutschen.

Auch bei angewendeter Tempusverschiebung ist Berichtete Rede im Prinzip

221

nicht eindeutig. Die Interpretation des Kontextes - verbal oder pragmatisch - spielt hei der Deutung als Berichtete Rede eine wichtige Rolle. Im Deutschen ist Berichtete Rede möglich auch dann, wenn kein Satz mit redeeinleitendem Element vorangeht. Im Norwegischen ist sie nur möglich bei direktem Kontakt mit einem vorangehenden Satz, der ein redeeinleitendes Element enthält, vorausgesetzt. Tempusverschiebung ist möglich. Ob die Fälle von Berichteter Rede im Norwegischen, wo trotz gegebener Möglichkeit Tempusverschiebung nicht stattfindet, singuläre Ausnahmen sind oder nicht, habe ich nicht ermitteln können. Sind obige Bedingungen nicht gegeben, ist Redewiedergabemöglichkeit im Vergleich zur Berichteten Rede des Deutschen gewährleistet durch Einführung neuer redeeinleitender Elemente oder, in Grenzen, durch Skopuserweiterung solcher Elemente. Berichtete Rede liegt dann nicht vor. sie kommt norwegisch generell weniger vor als im Deutschen, während Rückwärts-Berichtete Rede frequent ist. aus kontrastiver Sicht nicht verwunderlich, denn da kann im Deutschen ja auch der Konjunktiv fehlen. Wie Berichtete Rede im Deutschen als welche Art von Redewiedergabe im Norwegischen unter Erhaltung pragmatischer Äquivalenz im Einzelfall wiederzugeben wäre, ist eine Frage für die Übersetzungswissenschaft. 21

27. Ich möchte hier vielen KoJlegen für geduldiges Informieren danken, vor allem Inge Amesen. Lars Evensen. Ädne Findreng. Torstein Fretheim, Sturla Hoyem. Herbert Krämer. Sigmund Kvam. Oddleif Leirbukt. Bernd Neumann. Helle Voss Pütz. Erling Vaagland. Finn-Henrik Aag.

222 Literatur Becher, M. & Bergenholtz, H. (1985) 'Sei oder nicht sei. Probleme des Modusgebrauchs in der indirekten Rede', in: Nouveaux cahiers d'Allemand 3,4.443-457 Berkov, V.P. (1970) 'Tempusforskyvning i norsk', in: Maal og minne, Oslo, 26-47 Calbert, J.P. (1975) Toward the Semantics of Modality', in: Calbert, J.P. & Vater, H., Aspekte der Modalität, Tübingen, 1-70 Coulmas, F. (1986) 'Reported speech: Some general issues', in: Coulmas, F. (ed.), Direct and Indirect Speech, Berlin etc., 1-28 Frimann Olesen, O. (1982) 'Die Verbformen in der indirekten Rede im geschriebenen Dänisch und geschriebenen Deutsch. Eine kontrastive Beschreibung', in: Kopenhagener Beiträge zur germanistischen Linguistik 20, 86-112 Glas, R. (1984) Sollen im heutigen Deutsch. Bedeutung und Gebrauch in der Schriftsprache. Tübingen Haberland, H. (1986) 'Reported speech in Danish', in: Coulmas, F. (ed.), Direct and Indirect Speech, Berlin etc.. 219-253 Hammarberg, B. & Viberg, Ä. (1976) 'Reported speech in Swedish and ten immigrant languages', in: Karlsson, F. (ed.). Papers from the third Scandinavian conference in linguistics, Turku, 131-148 Kasper, Walter (1987) Semantik des Konjunktivs II in Deklarativsätzen des Deutschen. Tübingen Kaufmann. Gerhard (1976) Die indirekte Rede und mit ihr konkurrierende Formen der Redeerwähnung. München Li, Charles N. (1986) 'Direct speech and indirect speech. A functional study', in: Coulmas. F. (ed.). Direct and Indirect Speech. Berlin etc.. 29-45 Lie. Svein (1976) Innforing i norsk syntaks. Oslo etc. Palmer, F.R. (1986) Mood and Modality. Cambridge

223 Plank. Frans (1986) 'Über den Personenwechsel und den anderer deiktischer Kategorien in der wiedergegebenen Rede, in: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 14,3, 284-308 Reinwein, Joachim (1977) Modalverb-Syntax. Tübingen Steube. A. (1985) 'Erlebte Rede aus linguistischer Sicht', in: Zeitschrift für Germanistik 6,4, 389-406 (1986) 'Kontext und mögliche Welt (Eine Untersuchung der indirekten Rede)', in: Mey, L. (ed.), Language and Discourse. Test and Protest, Amsterdam, 327-372 Valentin, P. (19839 'Le discours indirect aux subjonctifs, in: Nouveaux cahiers d'Allemand 1,1, 2938 Vannebo, K.J. (1979) Tempus og tidsreferanse. Tidsdeiksis i norsk. Oslo Viorel. E. (1986) 'Der Modusgebrauch in der indirekten Rede', in: Kontroversen, alte und neue: Akten des Internationalen Germanisten-Kongresses 4, 60-63 Western, A. (1975) Norsk riksmalsgrammatikk. Oslo Wichter, Sigurd (1978) Probleme des Modusbegriffs im Deutschen. Tübingen

2,

ASPEKT UND AKTIONSART

Nominalreferenz, Zeitkonstitution, Aspekt, Aktionsart: Eine semantische Erklärung ihrer Interaktion Manfred Krifka (Universität Tübingen) 0.

Einleitung und Überblick

1.

Nominalreferenz

2.

Zeitkonstitution

3. 4.

Durative Adverbiale und Zeitspannen-Adverbiale Progressiv und Partitiv

5.

Perfektivität und Deßnitheit

6.

Aspekt, Aktionsart, Zeitkonstitution

0. Einleitung und Überblick Es ist mindestens seit Verkuyl (1972) bekannt, daß die nominalen Argumente von Verben Einfluß auf die Aspektklasse der Gesamtkonstruktion ausüben können.

Nach dem gängigen Test für

Telizität bzw. Atelizität - der Kombinierbarkeit mit durativen Adverbialen wie zehn Minuten lang und Zeitspannen-Adverbialen wie in zehn Minuten - ergeben sich Akzeptabilitätsunterschiede der folgenden Art: 1l)

(2)

a.

Anna aß zehn Minuten lang Äpfel/Apfelmus,

b.

*Anna aß zehn Minuten lang einen Apfel.

a. b.

*Anna aß in zehn Minuten Äpfel/Apfelmus Anna aß in zehn Minuten einen Apfel/ein Pfund Apfelmus.

In der vorliegenden Arbeit berichte ich über den Erklärungsansatz, den ich im Rahmen einer modelltheoretischen Semantik zur Beschreibung dieses Phänomens entwickelt habe. Ich konzentriere mich hierbei auf die zugrundeliegende Motivation und die intuitive Charakterisierung dieser Theorie. Leser, die an den Einzelheiten der Durchführung und an weiteren An Wendungsmöglichkeiten der Theorie interessiert sind, seien auf Krifka (1987, 1989) verwiesen; ein forschungshistorischer Abriß zu alternativen Theorien findet sich in Krifka (1986).

228

Darüber hinaus will ich zeigen, daß durch die begriffliche Präzisierung, die dieser Erklärungs ansatz erlaubt, sich eine fundierte Unterscheidung der Begriffe Zeitkonstitution, Aktionsart und Aspekt abzeichnet.

1.

N'ominalreferenz

Die nominale Distinktion, die für die Grundbeispiele (1,2) entscheidend ist, ist nicht, wie oftmals angenommen, die lexikalische Unterscheidung zwischen Individualnomina (count nouns) wie Apfel und Massennomina (mass nouns) wie Apfelmus, sondern eine andere, die beispielsweise Ausdrücke wie ein Apfel drei Äpfel

zwei Gläser Apfelmus, diese Äpfel oder auch Namen wie

Anna auf der einen und Ausdrücke wie Äpfel oder Apfelmus auf der anderen Seite zu Klassen zusammenfaßt. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen nominalen Ausdrücken wurde in Quine (1960) wie folgt bestimmt: Ausdrücke der zweiten Klasse haben die Eigenschaft der kumulativen Referenz: Wenn auf zwei Entitäten das Prädikat Äpfel oder Apfelmus angewendet werden kann, dann kann dies auch auf die Zusammenfassung angewendet werden (kurz: Äpfel und Äpfel ergibt wieder Äpfel; Apfelmus und Apfelmus ergibt wieder Apfelmus). Dies ist bei Ausdrücken wie drei Äpfel oder ein Pfund Apfelmus nicht der Fall: wenn dieses Prädikat auf zwei Entitäten angewendet werden kann, so ist es auf deren Zusammenfassung nicht mehr anwendbar (drei Äpfel und drei Äpfel ergeben mehr als drei Äpfel; ein Pfund Apfelmus und ein Pfund Apfelmus ergibt mehr als ein Pfund Apfelmus). Ausdrücke wie drei Äpfel oder ein Pfund Apfelmus können einfach als nicht kumulativ beschrie ben werden. Darüber hinaus ist jedoch auch eine engere Charakterisierung möglich: Wenn ein Objekt unter das Prädikat drei Äpfel (oder ein Pfund Apfelmus) fällt, so kann kein echter Teil davon unter dasselbe Prädikat fallen: ein echter Teil von drei Äpfeln sind eben keine drei Äpfel mehr, ein echter Teil eines Pfundes Apfelmus kein Pfund Apfelmus. Ich nenne Prädikate, die diese Eigenschaft haben. Prädikate mit gequantelter Referenz. Als übergreifenden Begriff verwende ich Nominalreferenz. In der Definition dieser Begriffe der kumulativen und der gequantelten Referenz spielt die Operation der Zusammenfassung und die Teilbeziehung eine wesentliche Rolle. Das zugrundeliegende mathematische Modell eines Summenhalbverbandes wurde in Link (19S3) auf die Semantik von Massennomina angewendet. An dieser Stelle will ich die zugrundeliegende semantische Begriffsbildung eher informell erläutern: eine systematischere Behandlung findet sich in Krifka (1989).

229

Zu je zwei Objekten x,y im Bereich der Entitäten, über die wir sprechen, gibt es deren Zusammenfassung oder Summe, notiert als xuy. Diese soll insbesondere kommutativ, idempotent und assoziativ sein: Kommutativ (d.h. xuy - yux), da es auf die Reihenfolge in der Zusammenfassung nicht ankommt: assoziativ (d.h. \u(yuz) = (xuy)uz). da es auf die Reihenfolge verschiedener Zusammenfassung nicht ankommt: idempotent (d.h. xux=x), da die Zusammenfassung einer Entität mit sich selbst diese nicht verändert. Aul der Grundlage der Summenoperation kann man nun die Teilbeziehung definieren: Ein Objekt soll genau dann als Teil eines Objekts y gelten, notiert als XEV. wenn die Zusammenfassung von und y gleich y ist - in diesem Fall liegt

bereits in y. Das heißt, wir legen fest: xEy ** xuy=y.

Nach dieser Definition ist jedes Objekt Teil von sich selbst; um diesen Grenzfall auszuschließen, kann man die Relation des echten Teils, notiert als xcy. formulieren, und zwar als xcy » xcy und x/y. Nützlich ist femer der Begriff der Überlappung zweier Entitäten x.y, notiert als x°y: Zwei Entitäten überlappen sich genau dann, wenn sie einen gemeinsamen Teil haben: xoy *+ es gibt ein z mit zEx und z^y.

Eine weitere Festlegung, die wir aus formalen Gründen treffen müssen, ist die der relativen Komplementarität: Wenn eine Entität Komplement von nicht gilt

echter Teil einer anderen Entität y ist, dann gibt es ein

relativ zu y - oder formal: wenn xcy, dann gibt es ein z mit xuz-y, sodaß

. Schließlich ist es sinnvoll zu fordern, daß keine Entität Teil aller anderen Entitäten

ist, d.h. daß es kein Nullelement gibt. Verbandsstrukturen, die nicht allzu viele Elemente enthalten, können recht gut mit sogenannten Hasse-Diagrammen veranschaulicht werden. In ihnen werden Elemente durch Kreise dargestellt. und die Teilbeziehung durch Linien, wobei das größere Element über dem kleineren liegt. Ein Summenhalbverband mit drei Grundelementen x,y,z hat dann das in Abbildung (

dargestellte

Hasse-Diagramm. Charakteristisch für Hasse-Diagramme von Summenhalbverbänden ist. daß es ein Element gibt, das als Zusammenfassung aller Elemente gilt; dieses steht an der Spitze einer Art Kegel. Es ist offensichtlich, daß bereits ein Verband mit wenig mehr Elementen zu ganz unübersichtlichen Hasse-Diagrammen führen würde. Man kann jedoch festlegen, daß die Elemente durch Punkte in einer Ebene repräsentiert werden (ähnlich wie in sogenannten Venn-Diagrammen), und daß die Teile eines Elements durch darunterliegende Punkte repräsentiert werden. Wir erhalten damit Repräsentationen der in Abbildung (2) dargestellten Art.

230

xuyuz

yuz

Abbildung 1: Hasse-Diagramm eines siebenelementigen Summen-Halbverbandes ohne NuUelement

Abbildung 2: Hasse-Veon-Diagramm eines Summenhalbverbandes Angenommen, der Bereich der Objekte, über den wir sprechen wollen, weist die Form eines Summenhalbverbandes auf. Wie können nun die zentralen Begriffe des kumulativen und des gequantelten Prädikats charakterisiert werden? Zunächst nehmen wir wie übbch an, daß die Bedeutung oder Extension eines Prädikats die Menge der Entitäten ist, auf die es zutrifft. Die Extension von kumulativen Prädikaten hat dann die Eigenschaft: Wenn immer zwei Entitäten x,y in ihr

231 liegen, dann liegt auch die Entität xuy in ihr. Die Extension von gequantelten Prädikaten hingegen hat die Eigenschaft: Wenn immer eine Entität

in ihr liegt, dann liegt kein echter Teil y von

x, ycx, in ihr. (Dies hat natürlich zur Folge, daß, wenn immer zwei verschiedene x,y in ihr liegen, deren Summe xuy nicht in ihr liegt).

Schließen sich Kumulativität und Gequanteltheit gegenseitig aus? Das scheint zunächst so, allerdings gibt es einen Grenzfall, wo sich beide überlappen, nämlich bei singulären Prädikaten, das sind Prädikate, die nur auf eine einzige Entität zutreffen. Ein singuläres Prädikat ist kumulativ: wenn es auf

zutrifft, dann trifft es auch auf xux zu (da ja gilt: xux - x). Es ist auch gequantelt,

da es keinen echten Teil von x gibt, auf den es zutreffen würde (ein echter Teil von x wäre ja von x verschieden). So ist es sinnvoll, den Begriff des strikt kumulativen Prädikats einzuführen. Dabei handelt es sich um nicht-singuläre Prädikate, die kumulativ sind. Es gilt, daß strikt kumulative Prädikate und gequantelte Prädikate sich ausschließen. Ein weiterer wichtiger Begriff ist der des Atoms eines Prädikats, eines kleinsten Teilchens in der Extension eines Prädikats, x ist ein Atom eines Prädikats, wenn x in dessen Extension liegt und es keinen echten Teil y von x gibt, d.h. kein y mit ycx, sodaß auch dieser echte Teil y in der Extension des Prädikats liegt. Unter einem atomaren Prädikat sei ein Prädikat verstanden, für das gilt: Alle Entitäten, auf die es zutrifft, enthalten als Teil ein Atom relativ zu diesem Prädikat. Wie verhält sich die Atomarität zu der Kumulativität und Gequanteltheit von Prädikaten? Es ist offensichtlich, daß jede Entität in der Extension eines gequantelten Prädikats zugleich ein Atom des Prädikats ist. Kumulative Prädikate hingegen haben nicht notwendigerweise Atome. In Venn-Diagrammen können Extensionen bekanntlich durch Teilgebiete dargestellt werden. In Hasse-Venn-Diagrammen von Summenverbänden ergeben sich dabei charakteristische Figuren für kumulative bzw. gequantelte Extensionen, wie in Abbildung (3) veranschaulicht. Es liegt nahe, Ausdrücke wie Äpfel oder Apfelmus als Prädikate mit kumulativer Extension zu charakterisieren, und Ausdrücke wie drei Äpfel oder ein Pfund Apfelmus als Prädikate mit gequantelter Extension. Allerdings sollten wir uns darüber klar werden, wie diese Ausdrücke semantisch zusammenhängen, in welcher Bedeutungsbeziehung beispielsweise Äpfel zu drei Äpfel steht und wie beide zu dem offensichtlich zugrundeliegenden Individualnomen Apfel stehen.

232

Abbildung Ja: Kumulative Extension

Abbildung 3b: Gequantelte Extension Hier ist der Begriff der Maßfunktion von zentraler Bedeutung. Darunter versteht man eine Zuordnung von Entitäten zu Zahlen. Beispielsweise kann man das Temperaturmaß "Grad Celsius" als eine Zuordung von Objekten zu Zahlen verstehen: Jedem Objekt Grad Celsius °C(x) zugeordnet, z.B. °C(xH24, falls Beispiel ist das Massemaß "Pfund"; jedem Objekt

wird seine Temperatur in

24 Grad Celsius warm ist. Ein anderes

wird seine Masse in Pfund Pf(x) zugeordnet.

Es gibt nun einen wichtigen Unterschied zwischen Maßen wie Grad Celsius (oder Karat als Goldreinheitsmaß oder dem IQ als Intelligenzmaß) auf der einen Seite und Maßen wie Pfund (oder Liter als Hohlmaß oder holländische Gulden als Wertmaß) auf der anderen Seite: erstere

233 sind sogenannte intensive, letztere extensive Maße. Extensive Maße unterscheiden sich von

intensiven darin, daß sie in einer systematischen Beziehung zu der Zusammenfassung der Objekte stehen, deren Maß sie sind. Diese Beziehung wird als Additivität bezeichnet. Sie drückt beispielsweise aus: wenn

3 Liter Wasser sind und y 4 Liter Wasser, und wenn

nicht überlappen, dann sind

und y sich

und y zusammen 7 Liter Wasser. Oder allgemein: Wenn m eine

additive Maßfunktion ist und x.y zwei meßbare Objekte sind, für die nicht xoy gilt, so gut m(xuy) - m(x) ·2 und die ei paarweise

verschieden sind. Beispielsweise steht (wiederholt) ein Buch lesen in iterativer Beziehung zu ein Buch lesen. Partitivität. P steht zu Q in der Relation der Partitivität, wenn P auf alle Teilereignisse zutrifft, auf die Q zutrifft. Das heißt für Ereignisprädikate P,Q in Partitivitäts-Relation: üe[P(e) « 3e'[Q(e')

ece']]· Ein Beispiel ist ein Buch lesen (verstanden als ein Buch von Anfang bis zum

Ende lesen) und an einem Buch lesen, das dazu in Partitivitäts-Relation stellt: Teile von Ereignisse, die unter ein Buch lesen fallen, können mit an einem Buch lesen bezeichnet werden. Mithilfe dieser Grundbegriffe können wir nun untersuchen, welche Eigenschaften wir für die thematische Relationen anzunehmen haben, die eine Übertragung der Referenzweise von nominalen Argumenten auf den verbalen Gesamtausdruck bewirken. Wir betrachten dabei nur den einfachsten Fall eines verbalen Ausdrucks mit einem nominalen Aktanten, der in der oben skizzierten Repräsentationsform die folgende Darstellung erhält: (11)

V-GESAMT: *eBx[VERB(e)

( )

TH-REL(e,x)]

Hier steht VERB für das verbale Prädikat, NOMEN für das nominale Prädikat, TH-REL für die thematische Relation und V-GESAMT für den verbalen Gesamtausdruck. Eine Voraussetzung, die für alle Fälle gilt, ist dabei, daß das verbale Prädikat kumulativ ist. Damit gleichen einfache verbale Prädikate den Massennomina, und ganz allgemein kann für sprachliche Prädikate Kumulativität als der unmarkierte Fall angenommen werden, demgegenüber die Quantelung eigens gekennzeichnet werden muß. Die erste Frage lautet: Unter welchen Bedingungen überträgt sich die Kumulativität des nominalen Prädikats auf den Gesamtausdruck? Es kann gezeigt werden, daß dies der Fall ist, wenn das nominale Prädikat kumulativ und die thematische Relation summativ ist: (12)

Wenn NOMEN kumulativ, VERB kumulativ und TH-REL summativ ist, dann ist V-GESAMT kumulativ.

Bei summativen thematischen Relationen wird also die Eigenschaft der Kumulativität des nominalen Prädikats auf den verbalen Gesamtausdruck übertragen. Da die Summativität eine grundlegende Eigenschaft von vermutlich allen thematischen Relationen ist, sollte diese Referenzweisen-Ubertragung unabhängig von spezifischen verbalen Prädikaten gelten.

243

Das eben angeführte Resultat genügt allerdings noch nicht, um die Verträglichkeit mit durativen Adverbialen wie drei Stunden lang zu erweisen, wenn diese, wofür in Abschnitt (3) argumentiert wird, ein nicht-gequanteltes Bezugsprädikat voraussetzen. Denn Kumulativität schließt als Randfall, nämlich bei singulären Prädikaten, Gequanteltheit nicht aus. Wir müssen bei (12) daher noch fordern, daß V-GESAMT auf mindestens zwei Ereignisse zutrifft, was im allgemeinen möglich ist. In diesem Zusammenhang ist es interessant, sich Beispiele mit definitem oder spezifischem Objekt anzusehen, wie zum Beispiel den Brief lesen. Wenn wir annehmen, daß den Brief auf genau ein

zutrifft, so läßt sich dieser Ausdruck als singuläres Prädikat darstellen, das heißt als

Randfall eines kumulativen Prädikats. Das heißt jedoch nicht, daß der komplexe Verbausdruck den Brief lesen ein singuläres Prädikat sein muß. Dies ist auch nicht zu erwarten, da der Ausdruck den Brief drei Stunden lang lesen unter gewissen Interpretationen von den Brief lesen zulässig ist, nämlich unter der iterativen Interpretation 'den Brief immer wieder lesen' und der ereignis-partitiven Interpretation 'an dem Brief lesen'. (13)

Wenn P ein beliebiges Prädikat ist und Q in Iterativ-Beziehung zu P steht, dann ist Q strikt kumulativ.

Dies ist unmittelbar klar: Wenn zwei Ereignisse ei und 62 aus mehreren P-Ereignissen bestehen, dann besteht auch deren Summe ei (14)

2 aus mehreren P-Ereignissen.

Wenn P ein singuläres Prädikat ist und Q in Partitiv-Beziehung zu P steht, und wenn die Entität, auf die P zutrifft, überhaupt echte Teile hat, dann ist Q strikt kumulativ.

Dies folgt aus der Abschlußeigenschaft von Teilen einer Entität: Wenn ei und ez Teile eines Ereignisses e sind, dann ist auch deren Summe ei

2 ein Teil von e.

Wenn wir annehmen, daß im Deutschen Iterativität und Ereignis-Partitivität nicht eigens markiert zu werden braucht, dann folgt daraus, daß ein Ausdruck wie den Brief lesen diese Interpretationen besitzt und darin strikt kumulativ ist. Damit ist er in diesen Interpretationen mit durativen Adverbialen wie drei Stunden lang kombinierbar. Unter welchen Bedingungen, wollen wir nun fragen, vererbt sich die Singularität des nominalen Prädikats NOMEN auf den Gesamtausdruck V-GESAMT? Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die partitive Interpretation ausgeschlossen wird und für die thematische Relation EreignisEindeutigkeit angenommen wird.

244 (15)

Wenn NOMEN singular ist und TH-REL ereignis-eindeutig, so ist V-GESAMT singular (falls es überhaupt auf ein Ereignis zutrifft)

Die Ereignis-Eindeutigkeit hat zur Folge, daß die iterative Interpretation nicht mehr möglich ist. Da NOMEN nur auf ein einziges Objekt zutrifft, kann wegen Ereignis-Eindeutigkeit von THREL auch V-GESAMT nur auf ein einziges Ereignis zutreffen. Beispiele für Verben mit ereigniseindeutigen thematischen Relationen sind Verben mit effizierten oder konsumierten Objekten, wie in den Brief schreiben oder den Apfel essen - einen Brief kann man nur einmal schreiben, einen Apfel nur einmal essen. Betrachten wir nun die Bedingungen, unter denen sich die Quantelung des nominalen Prädikats auf den Gesamtausdruck überträgt. Dies ist dann der Fall, wenn die thematische Relation objekteindeutig, ereignis-eindeutig und objekt-abbildend ist und die iterative und die ereignis-partitive Interpretation ausgeschlossen ist. (16)

Wenn TH-REL Objekt-eindeutig, ereignis-eindeutig und objekt-abbildend ist und wenn NOMEN gequantelt ist, so ist V-GESAMT gequantelt.

Ein Beispiel hierfür ist einen Brief schreiben : Zu jedem Schreibens-Ereignis gibt es genau ein Objekt, das geschrieben wird und zu jedem Objekt, das geschrieben wurde, genau ein SchreibEreignis, und schließlich entspricht jedem Teil des Schreibens ein Teil des Objekts. Somit sollte einen Brief schreiben gequantelt sein (falls der Ausdruck nicht ereignis-partitiv interpretiert wird). Dies ist auch tatsächlich der Fall, wie die folgenden Tests zeigen: (17)

a.

in einer Stunde einen Brief schreiben

b.

eine Stunde lang einen Brief schreiben

Die Kombinierbarkeit mit Zeitspannen-Adverbialen (a) zeigt die Übertragung der Quantelung von einen Brief auf einen Brief schreiben. Die Kombination mit durativen Adverbialen (b) erzwingt eine nicht-gequantelte Interpretation; diese ist nach unserer Theorie möglich, wenn einen Brief schreiben iterativ oder ereignis-partitiv interpretiert wird, und tatsächlich hat (b) eine iterative ("immer wieder einen Brief schreiben") und eine ereignis partitive Lesart ("an einem Brief schreiben"). Die Ereignis-Eindeutigkeit ist jedoch eine zu starke Forderung, um den ganz ähnlich gelagerten folgenden Fall zu erklären: (18)

a.

in einer Stunde einen Brief lesen

245

b.

eine Stunde lang einen Brief lesen

Es läßt sich zeigen, daß die Objekt-Eindeutigkeit und die Objekt-Abbildbarkeit, die wir für das syntaktische Objekt von lesen annehmen können, nicht genügt, aus der Quantelung von NOMEN die Quantelung von V-GESAMT abzuleiten. Allerdings kann man ableiten, daß V-GESAMT (soweit es nicht ereignis-partitiv interpretiert wird) ein atomares Prädikat ist. (19)

Wenn NOMEN gequantelt und TH-REL objekt-eindeutig und ereignis- abbildend ist. dann ist V-GESAMT atomar.

Dies legt die Annahme nahe, daß Zeitspannen-Adverbiale nicht fordern, daß ihre Bezugsprädikate gequantelt sind, sondern lediglich, daß sie atomar sind. In Abschnitt (3) werde ich zeigen, daß diese Annahme gerechtfertigt ist. Wir haben nun verschiedene Eigenschaften für thematische Relationen kennengelernt, welche die Übertragung bestimmter Referenzweise-Eigenschaften vom nominalen Prädikat auf das verbale Gesamtprädikat sichern. Die Kombination von dreien solcher Eigenschaften ist besonders interessant, nämlich von Objekt-Eindeutigkeit, Objekt-Abbildbarkeit und Ereignis-Abbildbarkeit; sie sei Gradualität genannt. Sie drückt aus, daß das Objekt dem Verb auf eine graduelle oder inkrementelle Weise unterworfen ist, das heißt, in der Art und Weise, wie es in dem Raum-ZeitDiagramm oben dargestellt wurde. Betrachten wir nun die Objekte verschiedener Verben in der Hinsicht, welche Eigenschaften ihre thematischen Relationen erfüllen:

Summativ

Beispiel einen Brief schreiben einen Apfel essen einen Brief lesen eine Katze streicheln eine Katze sehen

X X X X X

Gradual

Ereignis eindeut.

X

X X -

X

X -

Thematische Relation gradual effiziert gradual konsumiert gradual affiziert nicht-grad. affiziert Stimulus

Die Summativität der Objektrelationen ist der Grund, weshalb sich die Kumulativität des nominalen Prädikats auf den Gesamtausdruck überträgt. Als Test hierfür dient die Kombinierbarkeit mit durativen Adverbialen und die Nicht-Kombinierbarkeit mit Zeitspannen-Adverbialen (hier darf in drei Stunden natürlich nicht in futurischer Bedeutung interpretiert werden): (20)

a.

drei Stunden lang Briefe schreiben

246

(21)

b.

drei Stunden lang Äpfel essen

c.

drei Stunden lang Briefe lesen

d.

drei Stunden lang Katzen streicheln

e.

drei Stunden lang Katzen sehen

a.

*in drei Stunden Briefe schreiben

b.

*in drei Stunden Äpfel essen

c.

*in drei Stunden Briefe lesen

d.

*in drei Stunden Katzen streicheln

e.

*in drei Stunden Katzen sehen

Die Gradualität der Objektsrelation ist hingegen verantwortlich dafür, daß der Gesamtausdruck in nicht-iterativer und nicht-progressiver Interpretation die Gequanteltheit des nominalen Prädikats übernimmt. Die Ereignis-Eindeutigkeit sorgt dafür, daß die iterative Interpretation ausgeschlossen ist. Als Test hierfür dient die Kombination mit durativen Adverbialen: (22)

a.

drei Stunden lang fünf Briefe schreiben (nur partitiv)

b.

drei Stunden lang fünf Äpfel essen (nur partitiv)

c.

drei Stunden lang fünf Briefe lesen (nur partitiv oder iterativ)

d. e.

drei Stunden lang fünf Katzen streicheln drei Stunden lang fünf Katzen sehen

Wenn wir abschließend die entsprechende Kombinierbarkeit mit Zeitspannen-Adverbialen testen, erhalten wir Sonderinterpretationen für die nicht-gradualen Objektsrelationen. Ein Ausdruck wie in drei Stunden fünf Katzen sehen ist nur auf Ereignisse anwendbar, in denen die fünf Katzen mehr oder weniger nacheinander, auf keinen Fall aber alle gleichzeitig gesehen werden; ein Ausdruck wie in drei Stunden fünf Äpfel essen kann hingegen auf Ereignisse angewendet werden, in denen gleichzeitig an allen fünf Äpfeln gegessen wird. (23)

a. b.

in drei Stunden fünf Briefe schreiben in drei Stunden fünf Äpfel essen

c.

in drei Stunden fünf Briefe lesen

d.

in drei Stunden fünf Katzen streicheln (nur nacheinander)

e.

in drei Stunden fünf Katzen sehen (nur nacheinander)

Es zeigt sich, daß unsere formale Klassifikation verschiedener thematischer Relationen einen Einfluß auf die Akzeptabilität von Ausdrücken sowie auf ihre Interpretation besitzt.

247

3.

Durative Adverbiale und Zeitspannen-Adverbiale

Gegenstand dieses Abschnitts ist die Frage, aus welchen Gründen durative Adverbiale und Zeitspannen-Adverbiale überhaupt als Test für die Zeitkonstitution dienen können. Betrachten wir zunächst durative Adverbiale. Sie drücken offensichtlich dieselbe semantische Funktion aus wie Numerativphrasen im nominalen Bereich: (24)

a. b.

drei Stunden lang essen drei Pfund Apfelmus

In beiden Fällen darf der Bezugsausdruck nicht bereits gequantelt sein: (25)

a. b.

*drei Stunden lang drei Äpfel essen *drei Pfund drei Gläser Apfelmus

Durative Adverbiale und Numerativphrasen schränken die Extension eines Prädikats auf Fjititäten ein, die einen bestimmten Wert auf einer extensiven Maßfunktion einnehmen. Zwar schließt dies formal nicht aus, daß das Bezugsprädikat gequantelt ist. Aber die typische Anwendungsbedingung für durative Adverbiale und Numerativphrasen ist, daß sie aus einem "Kontinuum" von Entitäten, die unter das Bezugsprädikat fallen, Entitäten von bestimmter Größe spezifizieren. Das heißt, sie werden in Fällen angewendet, in denen die Extension des Bezugsprädikats aus Entitäten besteht, die zu Ketten xi, xz, xs ... angeordnet werden können, wobei jeweils eine Entität echter Teil der nächsten ist (d.h., ... xicx2CX3 ...). Sie spezifizieren dabei jeweils eine Entität aus einer solchen Kette. Das Bezugsprädikat kann daher nicht gequantelt sein; strikt kumulative Bezugsprädikate hingegen erfüllen diese Bedingung. Betrachten wir nun Zeitspannen-Adverbiale. Sie drücken offensichtlich aus, daß ein Ereignis, das unter das Bezugsprädikat fällt, in einem Zeitintervall der angegebenen Länge stattgefunden hat. Beispielsweise trifft (26)

in einer Stunde drei Äpfel essen

auf Ereignisse des Essens dreier Äpfel zu, die innerhalb einer Stunde stattgefunden haben. Man beachte dabei, daß diese Zeit nicht ganz in Anspruch genommen werden muß - auch wenn das Essen dreier Äpfel nur 50 Minuten dauert, hat man sie in einer Stunde gegessen. Aus pragmatischen Gründen wird der Sprecher jedoch ein möglichst "enges" Zeitintervall wählen, und der Hörer kann darauf vertrauen und davon ausgehen, daß die Ereignis-Zeit nicht wesentlich kürzer war. Zeitspannen-Adverbiale können als skalare Prädikate im Sinne von Hörn (1972)

248

angesehen werden, die stets pragmatische Implikaturen dieser Art auslösen. Wie läßt sich die Distribution von Zeitspannen-Adverbialen beschreiben? Sie können mit gequantelten Prädikaten wie fünf Äpfel essen kombiniert werden, aber auch mit Prädikaten, die nicht gequantelt sind, wie beispielsweise mit fünf Katzen sehen in der besonderen Interpretation, in der die fünf Katzen nicht gleichzeitig gesehen wurden. Sie können hingegen nicht kombiniert werden mit kumulativen Ausdrücken wie Äpfel essen oder Katzen sehen. Das hier zugrundeliegende Kriterium kann man das der "eindeutigen und ausgedehnten Atomarität" nennen: Fünf Äpfel essen besitzt, als gequanteltes Prädikat, eindeutige und ausgedehnte Atome - jedes Ereignis, das darunter fällt, ist zugleich ein Atom dieses Prädikats. Fünf Katzen sehen in der erzwungenen Lesart des sukzessiven Sehens besitzt eindeutige und ausgedehnte Atome: Wenn man nacheinander je eine Katze sieht, so hat man erst beim Anblick der fünften Katze fünf Katzen gesehen. Bei Äpfel essen oder Katzen sehen liegen jedoch andere Verhältnisse vor. Wenn, wofür wir in Abschnitt (1) argumentiert haben, Äpfel auch auf Teile eines Apfels zutrifft, so hat man mit dem ersten Biß in einen Apfel bereits Äpfel gegessen, und ähnlich mit dem ersten Anblick einer Katze bereits Katzen gesehen. Es gibt in diesen Fällen also keine eindeutigen und ausgedehnten Atome. Man kann nun die Distribution von Zeitspannen-Adverbialen aus deren Pragmatik ableiten. Zeitspannen-Adverbiale drücken aus, daß ein Ereignis in einem Zeitintervall bestimmter Länge stattgefunden hat, und aus pragmatischen Gründen wird hierzu ein möglichst kleines Intervall gewählt. Dies ist jedoch nur möglich, wenn das Bezugsprädikat eindeutige und zeitlich ausgedehnte Atome besitzt; dann kann die Laufzeit eines solchen Atoms zugrundegelegt werden. Gibt es keine solchen Atome, ist man gezwungen, immer kleinere und kleinere Intervalle zu wählen - und da die Atome nicht wohldefiniert sind, ist es im allgemeinen nicht besonders informativ, dafür Zeitintervalle anzugeben. Diese Erklärung wird dadurch unterstützt, daß Zeitspannen-Adverbiale, die ein besonders kurzes Zeitintervall ausdrücken, manchmal mit Prädikaten wie laufen oder Apfelmus essen kombinierbar sind: (27)

Anna hat in 0,3 Sekunden Apfelmus gegessen.

Dieser Satz kann beispielsweise als ein Bericht über einen - ziemlich merkwürdigen - Wettbewerb gelten, in dem es darauf ankommt, in möglichst kurzer Zeit etwas Apfelmus zu verschlingen. In solchen Fällen können die Atome hinreichend bestimmt und somit die Anwendungsbedingungen für Zeitspannen-Adverbiale erfüllt sein.

249

4.

Progressiv und Partitiv

In diesem und dem folgenden Abschnitt wollen wir einige Anwendungen der oben entwickelten Theorie der Referenzweisen-Übertragung zur Erklärung sprachlicher Erscheinungen betrachten. Wir beginnen mit der Semantik des Progressivs und dessen Markierungsmöglichkeiten. Progressive Verbausdrücke kann man in erster Näherung als ereignis-partitive Verbausdrücke analysieren (vgl. hierzu Abschnitt 2). Ein Ausdruck wie tofc>