Techno-Esoterik in der säkularisierten Moderne: Überzeugungsstrategien, Apparate und die Formung des modernen Subjekts [1. Aufl.] 978-3-658-27302-6;978-3-658-27303-3

Esoterik ist ubiquitär – sie bestimmt vielfach die praktische Ausgestaltung individueller Lebensführung und ist fester B

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Techno-Esoterik in der säkularisierten Moderne: Überzeugungsstrategien, Apparate und die Formung des modernen Subjekts [1. Aufl.]
 978-3-658-27302-6;978-3-658-27303-3

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-V
Einleitung (Nils Menzler)....Pages 1-9
Theoretische Vorarbeiten (Nils Menzler)....Pages 11-69
Esoterische Materialitäten I – Stoffe: »Belebtes Wasser« (Nils Menzler)....Pages 71-83
Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde« (Nils Menzler)....Pages 85-115
Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt (Nils Menzler)....Pages 117-147
Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen (Nils Menzler)....Pages 149-178
Zusammenführung (Nils Menzler)....Pages 179-194
Back Matter ....Pages 195-212

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Nils Menzler

Techno-Esoterik in der säkularisierten Moderne Überzeugungsstrategien, Apparate und die Formung des modernen Subjekts

Techno-Esoterik in der säkularisierten Moderne

Nils Menzler

Techno-Esoterik in der säkularisierten Moderne Überzeugungsstrategien, Apparate und die Formung des modernen Subjekts

Nils Menzler Bochum, Deutschland Dissertation Ruhr-Universität Bochum, 2019

ISBN 978-3-658-27302-6 ISBN 978-3-658-27303-3  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-27303-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Inhalt 

Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .





Theoretische Vorarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Esoterik – Begriff und Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Paraphysik«, »Parawissenschaft« und »Pseudowissenschaft« . . . . Phantasmen gegenwärtiger Esoterik: Spirituelle Deutung von Technologie in moderner Gnosis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parallelität der Entwicklung von Spiritismus / Okkultismus und technischer Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Esoterische Hybriden. Latour und die Tätigkeiten von Reinigung und Übersetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  





Esoterische Materialitäten I – Stoffe: »Belebtes Wasser«





Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«  . Wasseraufbereitung mit dem »Aqua-Power-Joint« . . . . . . . . .  . Schutz vor Elektrosmog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 



Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  . »E-Meter« und »Quintstation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  . Exkurs: (Selbst-)Vermessung: Esoterik als Selbstoptimierung und die Figur des »Experten« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  . Stressmessung und Polygraphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 



Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen . . . Religionsgeschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . Propheten neuerer Bewegungen . . . . . . . . . . . . . . . Ganzheitlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



Zusammenführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

Literatur

. . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

 

   

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 

 Einleitung Esoterik ist ubiquitär. Sie bestimmt vielfach die praktische Ausgestaltung individueller Lebensführung und ist fester Bestandteil einer kollektiven Wissenskultur. In Buchhandlungen werden ganze Regale von Büchern vorgehalten, die sich mit Reiki, Tarot, Channeling, Entschlackungen, Geistigem Heilen, Handlesen, Anthroposophie, Homöopathie, Bachblüten, Lichtfasten, Naturkräften oder Engeln beschäftigen; gleichzeitig werden im Internet und auf großen Messen Produkte angeboten wie etwa Himalaya-Salz, Heilsteine, kolloidales Silber sowie Kissen und Decken und allerhand technische Apparaturen, die mit Präfixen wie »feinstofflich«, »Quant-« oder »Tachyonen-« ausgestattet werden. Angehörige der Prominenz fallen durch esoterische Anwandlungen auf: Der Schauspieler Tom Cruise, bekanntester Anhänger der Scientology-Religion, wollte New Yorker Feuerwehrmänner mithilfe eines sogenannten »Purification Rundown« von den Giften reinigen, mit denen sie bei ihren Einsätzen am . September  kontaminiert worden sein sollen, der deutsche Fußballtrainer Thomas Tuchel ließ seine Spieler Transzendentale Meditation praktizieren; die Liste an Berühmtheiten ließe sich weiter fortsetzen. In den Medien wird dies öfter als Kuriosum oder als Betrugsmasche diskutiert. Impfgegner und Homöopathen liefern sich ebenfalls Gefechte mit Anhängern tatsächlicher Wissenschaftlichkeit. Esoterik steht unter Verdacht. Ebenso verbreitet wie ihre Angebote sind »skeptische« Stellungnahmen. Die vorliegende Arbeit will kein weiteres Skeptiker-Buch werden, sondern diesen eine kulturwissenschaftliche Flankierung geben. Sie befasst sich mit der Frage, wie Esoterik heute konfiguriert ist, und was das über den derzeitigen Status der Subjektbildung in der modernen Gesellschaft sagt. Der Umsatz des deutschen Esoterikmarkts wird in journalistischen Artikeln immer wieder auf zweistellige Milliardenbeträge jährlich geschätzt, wobei es aber schwer ist, einzugrenzen, was überhaupt zu diesem Bereich zählt. Im Buchhandel finden sich Bücher mit esoterischer Ausrichtung auch unter den Rubriken Sport, Kochen, Medizin, Belletristik, Religion, Wissenschaft, Sachbuch oder Philosophie. Außer Büchern rechnen sich dazu Gegenstände oder Zubehör: Amulette, Pendel, Tarotkarten, Heilsteine, Ketten und Anhänger (»Engelsrufer«), kleine Figuren wie Engel oder Pyramiden. In Apotheken und Drogeriemärkten finden Markt



Belastbare Zahl liegen nicht vor.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Menzler, Techno-Esoterik in der säkularisierten Moderne, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27303-3_1



 Einleitung

sich Arzneimittel, Gesundheitsprodukte, Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmittel esoterischen Zuschnitts: Ätherische Öle, homöopathische Globuli, Bachblüten, Demeter-Produkte (deren Lebensmittel nach der »biologisch-dynamischen« Landwirtschaft Rudolf Steiners angebaut werden), Teemischungen. Esoterische Großmessen wie die Lebensfreude oder Spiritualität und Heilen gastieren in vielen deutschen Städten. Innerhalb dieses Sammelsuriums besonders auffallend ist eine Prominenz technischer Apparaturen, die als mediale Agenten moderner Esoterik auftreten. Sieht man sich den aktuellen Markt an, so trifft man auf einen ganzen Fuhrpark von technischen Mess- und Therapiegeräten, die qua Registrierung und Aussendung von verschiedenen ›Wellen‹, ›Schwingungen‹ oder ›Frequenzen‹ schädliche Belastungen und Krankheitsquellen aufspüren oder behandeln sollen, andererseits auf Karten, Scheiben oder Aufkleber, die sich wie ein Schild zwischen den Menschen und gefährliche ›Strahlen‹ schieben und damit etwa Schutz vor »Elektrosmog« bieten sollen. Zu nennen sind hier zum Beispiel Aufkleber mit Namen wie Neutralizer, GeoSyn oder E-MuneChip, die Schachtel BIOPOL in der Art einer Black box, deren Inneres unzugänglich ist, eine weitere Schachtel BODY guard, und weitere mit ähnlichen synkretistischen Namen. Beruhen soll die Wirkung der Artefakte also nicht, wie man unter dem Stichwort Esoterik vermuten könnte, auf rein übernatürlichen, okkulten Kräften: stattdessen wird ihre Wechselwirkung mit Strahlungen auf Basis aktueller wissenschaftlicher Diskurse begründet, mittels eines der Physik, Biologie oder Medizin entlehntem Vokabular. Technische Apparaturen

Subjektivierung Im medien- und kulturwissenschaftlichen Blick wird vor allem virulent, dass mithilfe der angesprochenen technischen Geräte Menschen zum Teil biokybernetisch vermessen und beurteilt werden können. ›Energiefelder‹, ›Auren‹ usw. werden aufgezeichnet und mit Normen abgeglichen. Hierhinter verbirgt sich die Gesetzmäßigkeit der modernen Subjektivierung. Das moderne Subjekt befindet sich in einer Logik, die es immerzu dazu anhält, sich selbst zu optimieren im Hinblick auf quantifizierbare Normen. Es wird zu Eigenverantwortlichkeit erzogen, wenn ihm suggeriert wird, es sei ›Belastungen‹ ausgesetzt, die sich noch nicht in Unwohlsein, wohl aber in negativen Messbildern äußerten. Zu konstatieren ist damit einhergehend eine fortschreitende Medikalisierung. Man denke beispielsweise an gelegentliche Schlafstörungen. War dies noch vor einigen Jahren vielleicht etwas

 Einleitung



Unangenehmes, aber Unbedenkliches, kann ein Betroffener heute zum Patienten werden, der sich – gemessen an populären Normen wie ›acht Stunden Schlaf‹, ›zwei Liter am Tag trinken‹ – strafbar gegenüber sich selbst macht und aus einem breiten Angebot von vermeintlichen Lösungen wählen muss (Schlaflabor, Medikamente, Baldrian, Feng Shui, Entspannungsübungen, magnetische Bettwäsche, Homöopathie, asiatische Massagetechniken u.v.m.). Der Befund, dass genau diese Problematisierung von Devianz das Selbst zur fortschreitenden Selbstverbesserung mobilisiert, ist in der Soziologie bereits erhoben. Zu diesen neoliberalen Selbsttechniken, zu denen moderne Esoterik wie alternative Medizin und Wellness gehören, gibt es weitreichende soziologische und philosophische Forschungen, beginnend mit Michel Foucault , in der Soziologie (Ulrich Bröckling ), in der Philosophie (Sloterdijk , Tiquun ) und neuerdings auch in der Wirtschaftswissenschaft (Philip Mirowski ). Fokuspunkt dieser Arbeit wird es sein, wie diese Mechanismen auch im Bereich der Esoterik greifen, die doch nach ihrem Selbstverständnis der Hort von Entspannung und nicht von Wettkampf ist. Entscheidend für diese Studie wird hier die mediale Seite dieses Zusammenhangs sein: Mit medientechnischen Apparaten werden die Subjekte vermessen – auch mit esoterischen medientechnischen Apparaten. Die Rationalität dieser esoterischen Optimierungsargumentation begründet sich in Wissenschaftlichkeit und Technizität ihrer Agenten und Argumente, also nach dem Prinzip, mit dem zeitgenössische Esoterik sich selbst als valides Angebot verkauft: als scheinbar wissenschaftliches Wissen. In dieser Arbeit wird unter anderem anhand von »Aktivierern« und »Schutzschilden« (sogenannten »Elektrosmog-Schutzprodukten«) untersucht werden, wie Esoterik mit rhetorischen, grafischen und technischen Mitteln ihren eigenen Legitimierungsdiskurs Rationalität

     

Michel Foucault: Technologien des Selbst. In: Technologien des Selbst. Hrsg. v. Luther Martin. Frankfurt am Main: S. Fischer , S. –. Ulrich Bröckling: Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. . Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp . Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern. Über Anthropotechnik. Frankfurt am Main: Suhrkamp . Tiqqun: Kybernetik und Revolte. Zürich und Berlin: Diaphanes . Philip Mirowski: Never Let a Serious Crisis Go to Waste. How Neoliberalism Survived the Financial Meltdown. London und New York: Verso . Siehe hierzu das Kapitel . zu »(Selbst-)Vermessung: Esoterik als Selbstoptimierung und die Figur des ›Experten‹.«



 Einleitung

bestreitet. Das Bekenntnis zu Wissenschaftlichkeit soll Legitimität herstellen, technische Anwendungen kreieren erst Wissenschaftlichkeit und Objektivität. Dies wird eines der zentralen Untersuchungsfelder dieser Arbeit bilden. Semantisch ist die Esoteriksprache jedoch nicht nur durch Wissenschaftsförmigkeit, sondern auch durch das gekennzeichnet, was man als zivilisationskritisch und als »eastern« fassen kann: In ihrer Sprache sind mit Wert aufgeladene Begriffe wie »östlich«, »natürlich«, »sanft« oder »ganzheitlich« prominent vertreten. In diesem Licht fällt eine im esoterischen Diskurs verbreitete Opposition zwischen Technik und Natur auf, im konkreten Beispiel etwa zwischen »Schulmedizin« und »Pharmaindustrie« auf der einen und »natürlicher« Alternativmedizin auf der anderen Seite. Die Naturliebe der Esoterik vermischt sich mit einem technik- und physikgläubigen Paradigma, was sich in solchen Labels wie etwa »Quantenhomöopathie« widerspiegelt. Es wird hier eine Vereinigung von rationalem und spirituellem Diskurs vollzogen, die sich als Vermischung des Entmischten beschreiben ließe. Dabei spielt zum Beispiel der Begriff »Information« eine große Rolle, der ja vornehmlich ›kalter‹ (ein esoterisch negativ konnotiertes Begriffsfeld) militärischer Nachrichtentechnik entspringt, in der Esoterik jedoch unter anderem von Vertretern der »Wassergedächtnis«-Hypothese vereinnahmt wird. Auch verweisen Homöopathen gerne auf Studien, die die Wirksamkeit ihrer Mittel versichern. Man sieht sich also im gleichen Diskurs sprechen wie ›echte‹ Naturwissenschaft. Wie wurde bisher in Öffentlichkeit und Forschung auf Esoterik reagiert? In der Publikumsliteratur überwiegen solche Positionen, die der Skeptiker-Bewegung zuzurechnen sind. Darunter fallen zum Beispiel Colin Goldners Psycho-Szene  oder Johannes Fischlers New Cage  , die einen Überblick über mannigfaltige Ausprägungen von moderner Esoterik bieten. Diese Texte kommen jedoch selten über einen Entlarvungs-Gestus hinaus, mit dem sie kommerzielle und mutmaßlich betrügerische Aspekte zeitgenössischer Esoterik herausarbeiten. In Skeptiker



  

Vgl. Colin Campbells Buch über die Easternization des Westens (Colin Campbell: The Easternization of the West. A Thematic Account of Cultural Change in the Modern Era. Boulder, Colorado: Paradigm ) und Christopher Partridges Schrift über dessen »Wiederverzauberung« (Christopher Partridge: The Re-Enchantment of the West. Bd. : Alternative Spiritualities, Sacralization, Popular Culture, and Occulture. London und New York: T & T Clark International ). Siehe dazu Kapitel  dieser Arbeit. Colin Goldner: Die Psycho-Szene. Erw. u. völlig überarb. Neuaufl. Aschaffenburg: Alibri . Johannes Fischler: New Cage. Esoterik .. Wie sie die Köpfe leert und die Kassen füllt. Wien: Molden .

 Einleitung



diesem Kontext steht auch in Deutschland der Verein GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften), deren Zeitschrift Skeptiker und die jährliche Konferenz Skepcon, in dessen Arbeit auch kulturwissenschaftliche Ansätze abgebildet werden. Für den deutschsprachigen Raum weiterhin zu erwähnen ist das Online-Wiki Psiram (www.psiram.com), das zahlreiche Einträge über Esoterik und Esoterikprodukte versammelt. Eine Vereinigung auf internationaler Ebene ist das CSI (Committee for Skeptical Inquiry). An dieser Stelle ist zu bemerken, dass sich die vorliegende Arbeit nicht dafür interessiert, ob die Behauptungen über die Wirksamkeit der behandelten Esoterik-Produkte wahr sein können. Dies ist eine Aufgabe für Physiker, Chemiker, Ingenieure und Juristen. Im medienkulturwissenschaftlichen Blick ist vielmehr interessant, warum überhaupt und wie esoterisch gedacht und gesprochen wird. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Esoterik bewegt sich bisher noch meist im religionswissenschaftlichen Feld. Die in dieser Arbeit vorgestellte Vorgehensweise orientiert sich dabei an medienkulturwissenschaftlichen und wissenshistorischen Ansätzen, deren Zugangsweise sich davon unterscheidet. Die vorhandene religionswissenschaftliche Forschung zu Esoterik hat sich meist auf einen klassischen Kanon esoterischer Schriften aus dem . Jahrhundert kapriziert; in der hier vorliegenden Arbeit sollen jedoch auch gegenwärtige und vor allem auch die materiellen esoterischen Phänomene (die Apparate) berücksichtigt werden. Klassische Beschäftigungen mit Esoterik haben meist einen dreispurigen Verlauf der Geschichte gesehen: Wissenschaft, Religion und ›legitime‹ Esoterik. Hier wird jedoch die Vorgehensweise verfolgt, diese drei Reiche als miteinander verzahnt zu betrachten. Es existiert jedoch auch eine religionssoziologische Esoterikforschung, die stärker auf die individualisierenden und kommerziellen Aspekte der Esoterik abhebt. Dort wurde unter anderem der Zusammenhang von etwa New Age und Konsumismus aufgezeigt. Auch die Fokussierung auf das Selbst und Wohlbefinden in einer Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft spiegelt sich in einer Esoterik wieder, die das Heilige im Inneren des Ich selbst verortet, im Unterschied zu älteren Religionen. Dieses Subjekt muss dabei an sich selbst arbeiten, um sich zu verbessern, um gewissermaßen durch Optimierung selig zu werden. Auch die Annahme, dass Aufklärung mit Entzauberung gleichzusetzen sei (und Esoterik damit eine GegenEsoterikforschung



 Einleitung

bewegung zur Säkularisierung), wurde bereits angefochten. Forschungen wie die zu »Aufklärung im Bezugsfeld neuzeitlicher Esoterik« haben dies herausgearbeitet. Esoterische Ansätze, etwa die Theosophie im . Jahrhundert, lehnen Wissenschaft nicht komplett ab. Wie Olav Hammer betont hat, tritt Wissenschaft in der modernen Esoterik als ein ambivalentes Anderes auf, das sowohl integriert, als auch übertrumpft werden soll. Im Sinne der historisch ausgerichteten Vorgehensweise wird klar, dass der Begriff »Esoterik« einer Bedeutungsverschiebung unterworfen ist. Entgegen der traditionellen, religiösen Esoterik, die auf ein geheimes oder geheimbundmäßiges Wissen anspielt (worauf auch die eigentliche Wortbedeutung hinweist – griechisch esōterikós ›dem inneren Bereich zugehörig‹), drängt die moderne Esoterik auf Verbreitung. Das kann man klar an dem kommerziellen Charakter vieler Angebote wie den oben genannten technischen Apparaten ersehen. Nichtsdestotrotz bleibt ihnen der Gestus des Unentdeckten zueigen; Matthias Erdbeer hat deswegen von einem »öffentlich Geheimen« gesprochen. Dieser exoterischen Logik der Esoterik will sich das Projekt ebenfalls zuwenden. Zu diesem Themenaspekt gehört auch die Neigung zeitgenössischer Esoterik, rhetorisch einen Verweigerungsdiskurs gegenüber der modernen Wissenschaft zu verlassen, und sich stattdessen um einen sprachlichen Anschluss zu bemühen. Zwar werden in der Esoterik moderne Naturwissenschaft und Medizin oft abgelehnt, es wird jedoch auf Vokabular und Vorstellungen aus diesen Bereichen zugegriffen und so eine Sprache und Vorstellungswelt mit hybridem Charakter erschaffen. Versteht man medientechnische Apparate nicht als bloße Vehikel, sondern als eigenständige Akteure, die an der Produktion von Wissen teilhaben, so sind die Ausarbeitungen von Bruno Latour einschlägig, die hierzu befragt werden. Das Theoriewerk Latours ist ebenso einschlägig wenn es darum geht, neuere spirituellen Bewegungen und die rationale Moderne nicht als Antipoden zu sehen, sondern sie als zwei Seiten der selben Medaille zu verstehen. Exoterik

  

So der Name einer DFG-Forschergruppe an der Universität Halle, die von – bestand. Olav Hammer: Claiming Knowledge. Strategies of Epistemology from Theosophy to the New Age. Leiden . Robert Matthias Erdbeer: Die Signatur des Kosmos. Epistemische Poetik und die Genealogie der Esoterischen Moderne. Berlin und New York , S. .

 Einleitung



Die vorliegende Arbeit will die Faktur und Struktureigenschaften der so eklektischen, synkretistischen und phantasievollen esoterischen Artefakte, Aussagesysteme und Bedeutungsproduzenten untersuchen. Was machen sie überhaupt und warum? Sie fragt nach ihrer Rhetorik, also: Mit welchen Mitteln versuchen sie, zu überzeugen? Andererseits fragt sie nach den Möglichkeitsbedingungen esoterischer Aussagen: In welchen Milieus werden diese Aussagen formuliert? Im Hinblick auf das heranzuziehende Material bedeutet dies, dass die angebotenen technischen Apparaturen selbst dazugehören wie die sie begleitenden erläuternden Texte, ebenso wie historische wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche diskursbegründende Texte. Die Analyse vielgestaltiger moderner esoterischer Phänomene wird in der vorliegenden Arbeit mit den Mitteln einer medienwissenschaftlichen Apparatetheorie, mit der angesprochenen soziologischen und kulturwissenschaftlichen Subjekttheorie sowie anhand einer Untersuchung ihrer Rhetorik bewältigt werden. So werden die historische Genese, die rhetorischen, performativen, narrativen Strukturen und die Rolle von medientechnischen Apparaten in der Esoterik untersucht. Aus diesen Vorbemerkungen ergibt sich für die vorliegende Arbeit die Kapitelgliederung. Unter dem auf diese Einleitung folgenden Kapitelpunkt  werden zunächst theoretische Vorarbeiten geleistet. Der Begriff »Esoterik« wird hinsichtlich seiner Geschichte und Definitionen erarbeitet, was einen Überblick über den Forschungsstand einschließt. Danach geht es um »Paraphysik« als Paradigma in gegenwärtiger esoterischer Literatur, die sich wissenschaftlich geben und rechtfertigen will. Die Paraphysik wird in ihren historischen Ausprägungsformen dargestellt. Dazu gehören einige Bemerkungen zu der Debatte darum, was »Pseudowissenschaft« sei. Daran an schließt sich die Besprechung gegenwärtiger Strömungen, die Technologie spirituell deuten. Namentlich handelt es sich dabei um »Cyber-« und »Techgnosis«, die das mystische und esoterische Potential gegenwärtiger Medientechnologien begrifflich fassen. Die Argumentation zeichnet die spirituelle Dimension technologischer Entwicklungen nach und ist daher relevant für die im weiteren Verlauf der Arbeit erfolgende Diskussion esoterischer Apparate. In diesem Zusammenhang geht es auch um die in der Medienkulturwissenschaft geführte Debatte um den Nexus von Praktiken des Okkultismus und der Entwicklung technischer Übertragungsmedien im . Jahrhundert. Ein abschließender Unterabschnitt zu Bruno Latours Konzept der Hybriden bezieht sich wiederum auf die Outline dieser Arbeit



 Einleitung

Doppelgesichtigkeit der Esoterik, zugleich neuartige technologische Konzepte zu inkorporieren und eine un-technologisierte Natürlichkeit zu beschwören. Hybriden stillen das moderne Verlangen nach Erfindungen, Innovationen und Verwissenschaftlichung und leisten Latoursche ›Übersetzungsarbeit‹, indem sie das vereinen, was geschieden war: den wissenschaftlichen und den transzendentalen Ansatz, die man seit dem . Jahrhundert voneinander trennen wollte. Im zweiten Teil der Arbeit werden dann die infragestehenden esoterischen Phänomene der Analyse unterzogen: Sie werden befragt hin auf ihr Wissen, die medientechnische Generierung dieses Wissens, die Rationalisierungsstrategien, mit denen sie sich positionieren und schließlich auf ihr Potential hin auf subjektivierende Effekte. Dabei geraten vier Arten von Positionen im Netzwerk der Esoterik in das Sichtfeld: Stoffe, Geräte, Nutzer und Lehrmeister von Esoterik. Zu jeder Kategorie werden jeweils beispielhafte Fälle besprochen. Bei den Stoffen ist dies Wasser, bei den Geräten eine Vorrichtung zur »Wasseraufbereitung«, das E-Meter der Scientologen und esoterische »Schutzschilde«, bei den Nutzern geht es um Geräte der Vermessung und ihre Subjekte, bei den Lehrmeistern werden einige bekannte Figuren in Augenschein genommen, die im Zusammenhang mit den vorher besprochenen Geräten und Lehren stehen. In dieser Struktur, mit den vier Pfeilern Geräten, Stoffen, Nutzern und Lehrern liegt auch der Titel der vorliegenden Arbeit begründet, »Zeitgenössische Esoterik: Überzeugungsstrategien, Apparate und die Formung des modernen Subjekts«. Es geht um die Überzeugungs- und Begründungsstrategien, in denen medientechnische Apparate eine gewichtige Rolle spielen. Auf diese Weise wird die zentrale Frage nach der anthropologischen Wirkmächtigkeit der Esoterik in den Fokus gerückt. Kapitel , »Esoterische Materialitäten I – Stoffe: Belebtes Wasser« behandelt dann Wasser als eines der wichtigen Elemente, an denen sich zeitgenössische esoterische Lehren entfalten; nicht überraschend, zieht man die reiche Kulturgeschichte des Wassers in Betracht. Dieses Kapitel der Arbeit wendet sich den Konzepten von sogenanntem »aktivierten« oder »vitalisierten« Wasser zu, das in der Esoterik immer wieder eine große Rolle spielt. Dabei geht es vor allem um eine behauptete Speicherfähigkeit des Wassers. Auch unter diesem medientheoretischen Vorzeichen wird das Phänomen besprochen.

 Einleitung



Das vierte Kapitel widmet sich dann den esoterischen Apparaten. Zum einen – das Thema aus Kapitel  wieder aufgreifend – einem Gerät, das damit wirbt, gewöhnliches Wasser ›vitalisieren‹ zu können, indem es Informationen oder Partikel auf Wasser übertrage. Zum anderen geht es in diesem Teil der Arbeit um eine Art von auf dem Esoterikmarkt verkauften Schutzschilden, die im Zusammenhang mit der Diskussion um »elektromagnetische Hypersensibilität« stehen. Hier geht es darum, vor »Strahlungen« zu schützen. Nach der Diskussion des sogenannten »Aqua-Power-Joint« folgt ein Abschnitt zu der Angst vor Elektrosmog und technische Schutzmaßnahmen vor dieser gefühlten Bedrohung. Vor dem Hintergrund dieser Pseudotechniken wird diskutiert, wie vermeintliche wissenschaftliche Autoritäten, Zertifikate und Gutachten in den Paratexten der Geräte als Überzeugungsmaßnahmen aufgefahren werden. Das fünfte Kapitel widmet sich noch einmal esoterischen Materialitäten, diesmal in Form von Messgeräten, die gegenwärtig Konjunktur haben, und den durch die Messvorgänge geformten Subjekten, daher unter dem Titel: »esoterisches Personal«. Besprochen werden das »E-Meter« der Scientology und die »Quintstation«, ein Gerät, welches in der Alternativmedizin eingesetzt wird. Kapitel  befasst sich mit einer anderen Art des Personals: Die Gurus und Lehrmeister, die als Vermittler moderner esoterischer Denksysteme auftreten. Auf den Überblick zum Begriff und die Vorstellung verschiedener »Meister« folgt eine Diskussion vor dem Hintergrund des Konzepts der »Ganzheitlichkeit«, das zentrale Bedeutung für moderne Esoterik hat und für deren Stiftung die Gurufiguren einstehen, bevor eine Zusammenführung der Erkenntnisse die Arbeit abschliesst.

 Theoretische Vorarbeiten . Esoterik – Begriff und Forschung Macht man sich auf die Suche nach einer Definition des Begriffs Esoterik, so stößt man auf sehr unterschiedliche Akzentuierungen. Dies stellt auch der französische Religionswissenschaftler Antoine Faivre in seinem Standardwerk fest. Journalismus und Buchhandel ordnen unter den Begriff die verschiedensten Dinge ein. Im Sinne einer Arbeitsdefinition folgt die vorliegende Arbeit zunächst dieser von außerwissenschaftlicher Seite aufgestellten de-facto-Definition, rechnet also all jenes dem Terminus Esoterik zu, was von Markt und Diskurs so bezeichnet wird. Die Grenzen des Untersuchungskorpus werden somit vorgefunden. Der Begriff Esoterik ist jedoch nicht nur durch gegenwärtiges Angebot bestimmt (siehe Einleitung), sondern auch durch seine Geschichte. Deswegen werden im Folgenden auch die historischen und systematischen Überlegungen referiert, die die Wissenschaft bereits zum Thema Esoterik angestellt hat. Denn, wie Faivre richtig bemerkt, haben die heutigen »Schaufensterauslagen« ihren Ursprung in dem, was in »Bibliotheken und Museen« zu finden ist. Schauen wir uns zunächst das Wort »Esoterik« selbst an. »Eso« bedeutet »innerlich, im Inneren« , esōterikós wie bereits erwähnt ›dem inneren Bereich zugehörig‹. Als Substantiv existiert »Esoterik« erst seit der deutschen Aufklärungsliteratur ; das Adjektiv ist wesentlich älter, trat bereits im zweiten Jahrhundert nach Christus auf. Wie Faivre weiterhin richtig schlussfolgert, lässt sich das, was Esoterik umfasst oder ausmacht, nicht mit der lexikalischen Bedeutung des Wortes erschließen; vielmehr gelte es, zu beschreiben, welche Funktionen dieses Wort übernehme. Es sei hier angemerkt, dass die Bezugnahme auf das »Innere« auf den Status des esoterischen Wissens als geheim verweist und seine (ehemalige) Zirkulation in schwer zugänglichen Gruppen. Faivre folgt dieser Definition von Esoterik als GeheimwisBegriffsdefinition

   



Antoine Faivre: Esoterik. Übers. v. Peter Schmidt. Braunschweig: Aurum , S. . Ebd., S. . Unter anderem ebd., S. . Wouter Hanegraaff: Esotericism and the Academy. Rejected Knowledge in Western Culture. Cambridge: University Press , S. . Siehe zur Geschichte, wann diese Begriffe dort das erste mal auftauchten, genauer: Aufklärung und Esoterik. Wege in die Moderne. Hrsg. v. Monika NeugebauerWölk, Renko Geffarth und Markus Meumann. Berlin und Boston: De Gruyter . Hanegraaff: Esotericism and the Academy, S. .

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Menzler, Techno-Esoterik in der säkularisierten Moderne, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27303-3_2



 Theoretische Vorarbeiten

sen ebenfalls, gibt jedoch zu bedenken, dass diese Bestimmung etwas zu eng ist; sei doch esoterisches Wissen meist leicht zugänglich, handele es sich doch im Wesentlichen um »offene Geheimnisse«, wofür Faivre die Alchemie als Beispiel heranzieht, deren Erkenntnisse seit dem . Jahrhundert per Literatur festgehalten wurden. Eine etwas andere Wendung erfährt der Begriff als Wissen um eine ›höhere‹, spirituelle Erkenntnis. Es handelt sich dabei aber nicht um ein Phänomen, das der Religion, die ja auch spirituelles Wissen gegen einen Eintritt in die Gemeinschaft bietet, gleicht und sich nur durch eine häretische Haltung zu etablierten Religionen auszeichnet. Derartige Definitionen entstammen eher einem Impuls, von Seiten der Religion gegen Esoterik vorzugehen, wie Faivre anführt. In der Forschung gibt es inzwischen eine Reihe von Einführungen und wissenschaftlichen Monographien zum Thema. Zu nennen sind von Stuckrad, Was ist Esoterik?  ; Versluis, Magic and Mysticism ; GoodrickClarke, The Western Esoteric Traditions  ; Faivre, Esoterik ; Knoblauch, Die Welt der Wünschelrutengänger und Pendler  ; Knoblauch, Populäre Religion. Auf dem Weg in eine spirituelle Gesellschaft  ; Zinser, Esoterik. Eine Einführung  ; Hanegraaff, New Age Religion and Western Culture  ; Hanegraaff, Esotericism and the Academy  ; Hanegraaff, Esotericism: A Guide for the Perplexed  ; Luckmann, Die unsichtbare Religion und von Stuckrads Habilitationsschrift Schamanismus und Esoterik. Einführungen und Zugänge

            

Vgl. Faivre: Esoterik, S. . Kocku von Stuckrad: Was ist Esoterik? Kleine Geschichte des geheimen Wissens. München: Beck . Arthur Versluis: Magic and Mysticism. An Introduction to Western Esotericism. Lanham: Rowman & Littlefield Publishers . Nicholas Goodrick-Clarke: The Western Esoteric Traditions. A Historical Introduction. Oxford: Oxford University Press . Faivre: Esoterik. Hubert Knoblauch: Die Welt der Wünschelrutengänger und Pendler. Erkundungen einer verborgenen Wirklichkeit. Frankfurt am Main und New York: Campus . Ders.: Populäre Religion. Auf dem Weg in eine spirituelle Gesellschaft. Frankfurt am Main und New York: Campus . Hartmut Zinser: Esoterik. Eine Einführung. München: Fink . Wouter Hanegraaff: New Age Religion and Western Culture. Esotericism in the Mirror of Secular Thought. Leiden und New York: Brill . Ders.: Esotericism and the Academy. Ders.: Esotericism. A Guide for the Perplexed. London: Bloomsbury . Thomas Luckmann: Die unsichtbare Religion. Mit einem Vorw. v. Hubert Knoblauch. Frankfurt am Main: Suhrkamp . Kocku von Stuckrad: Schamanismus und Esoterik. Kultur- und wissenschaftsgeschichtliche Betrachtungen. Leuven: Peeters .

. Esoterik – Begriff und Forschung



Weiterhin instruktiv sind die Sammelbände Polemical encounters. Esoteric discourse and its others  , Fluide Religion. Neue religiöse Bewegungen im Wandel  , Die Enzyklopädik der Esoterik und Constructing Tradition sowie Kilchers Aufsatz Seven Epistemological Theses on Esotericism , Stuckrads Aufsatz zur Bestimmung des Ortes von Esoterik in der gegenwärtigen Forschung und Canciks Eintrag im Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe . Einen umfassenden Überblick gibt das von Hanegraaff herausgegebene Nachschlagewerk Dictionary of Gnosis and Western Esotericism. Die Esoterikforschung hat ihren Gegenstand oft als Gegenbewegung zur Säkularisierung verstanden. In der »entzauberten« Welt einer rationalen Moderne (so die stilbildende Formulierung Max Webers ) diene sie als Refugium verdrängter Bedürfnisse nach Spiritualität. Aufgrund dessen war und ist sie vornehmlich Forschungsgegenstand der Religionswissenschaften. Inzwischen hat sich in der Forschung jedoch eine differenziertere Ansicht durchgesetzt: Esoterische Bewegungen waren eng verflochten mit fortschrittlichen Projekten wie etwa den Geheimgesellschaften zu Zeiten der Aufklärung. Dies hat unter anderem eine Forschergruppe der Universität Halle mit ihrer Arbeit zum Thema »Aufklärung im Bezugsfeld neu    





  

Polemical encounters. Esoteric discourse and its others. Hrsg. v. Olav Hammer und Kocku von Stuckrad. Leiden: Brill . Fluide Religion. Neue religiöse Bewegungen im Wandel. Theoretische und empirische Systematisierungen. Hrsg. v. Dorothea Lüddeckens und Rafael Walthert. Bielefeld: Transcript . Die Enzyklopädik der Esoterik. Hrsg. v. Andreas Kilcher und Philipp Theison. München: Fink . Constructing Tradition. Means and Myths of Transmission in Western Esotericism. Hrsg. v. Andreas Kilcher. Leiden und Boston: Brill . Andreas Kilcher: Seven Epistemological Theses on Esotericism. Upon the Occasion of the th Anniversary of the Amsterdam Chair. In: Hermes in the Academy. Ten Years’ Study of Western Esotericism at the University of Amsterdam. Hrsg. v. Wouter Hanegraaff und Joyce Pijnenburg. Amsterdam: Amsterdam University Press , S. –. Kocku von Stuckrad: Die Esoterik in der gegenwärtigen Forschung. Überblick und Positionsbestimmung. In: Zeitenblicke  (), Nr. . : http://www.zeitenblicke.de/2006/1/Stuckrad/ index_html (besucht am . . ). Hubert Cancik: Esoterik. In: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Hrsg. v. Hubert Cancik, Burkard Gladigow und Matthias Laubscher. Bd. . Stuttgart, Berlin und Köln: Kohlhammer , S. –. Dictionary of Gnosis and Western Esotericism. Hrsg. v. Wouter Hanegraaff.  Bde. Leiden: Brill . Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Wissenschaft als Beruf. Hrsg. v. Johannes Winckelmann.  [Ndr. Tübingen: Mohr ]. So etwa Partridge: Alternative Spiritualities, Sacralization, Popular Culture, and Occulture und James Webb: The Occult Underground. La Salle: Open Court .



 Theoretische Vorarbeiten

zeitlicher Esoterik« gezeigt. Gleichwohl bietet Esoterik durch universalistische, holistische Wissensangebote einen Widerpart zur Aufspaltung und Fragmentierung des Wissens in einer immer komplexer werdenden Moderne. In der religionswissenschaftlichen Forschung ist das Thema bereits seit zwei Jahrzehnten virulent. Die Autoren Antoine Faivre , Kocku von Stuckrad oder Wouter Hanegraaf haben Traditionslinien von der Spätantike über die Frühe Neuzeit bis hin zu den New-Age-Bewegungen des . Jahrhunderts verfolgt. Ein anderer Forschungsansatz versucht nicht, Kontinuitäten zu finden, sondern den spezifisch modernen Charakter der Esoterik soziologisch und psychologisch zu beleuchten. Lüddeckens und Walthert sehen Esoterik im Kontext von neuen religiösen Bewegungen und heben auf die Bindungsschwäche moderner Heils-Suchender ab, die Spiritualität in verschiedensten Formen gewissermaßen konsumieren – was dann auch Gemeinschaftserfahrungen etwa beim »Public Viewing« eines Fußballspiels einschließt. Luckmann beobachtet eine »unsichtbare«, Fürstenberg spricht in diesem Zusammenhang von einer »vagabundierenden Spiritualität«. Die Perspektive dieser Studien ist die einer Religionswissenschaft und Religionssoziologie, die den Ort der Religion verschoben sieht, von ihren klassischen Institutionen hin zu spirituellen Milieus. Auch empirische religionssoziologische Studien haben nachgewiesen, dass sich ein zunehmender Teil der Bevölkerung esoterischen Ge

  

    

Vgl. Aufklärung und Esoterik. Rezeption – Integration – Konfrontation. Hrsg. v. Monika NeugebauerWölk. Tübingen: Niemeyer , auch Aufklärung und Esoterik. Hrsg. v. Monika Neugebauer-Wölk. Hamburg: Meiner ; Aufklärung und Esoterik. Wege in die Moderne. Diethard Sawicki: »Dirty Thinking«. Moderne Esoterik als theoretische und methodische Herausforderung. In: Aufklärung und Esoterik. Wege in die Moderne, S. –. Faivre: Esoterik. Stuckrad: Schamanismus und Esoterik; ders.: Überlegungen zur Transformation des esoterischen Diskursfeldes seit der Aufklärung. In: Aufklärung und Esoterik. Wege in die Moderne, S. –; Polemical encounters. Hanegraaff: New Age Religion and Western Culture; ders.: Esotericism and the Academy; ders.: Esotericism. Fluide Religion. Luckmann: Die unsichtbare Religion. Friedrich Fürstenberg: Der Trend zur Sozialreligion. In: Religion und Verantwortung als Elemente gesellschaftlicher Ordnung. Hrsg. v. Bodo Gemper. Siegen: Vorländer , S. –. Vgl. auch Reinhart Hummel: Kult statt Kirche. Wurzeln und Erscheinungsformen neuer Religiosität außerhalb und am Rande der Kirche. In: Neue Religiosität und säkulare Kultur. Hrsg. v. Günter Baadte und Anton Rauscher. Graz, Wien und Köln: Styria , S. –; Knoblauch: Populäre Religion und zur Marktfömigkeit von Religion Hartmut Zinser: Der Markt der Religionen. München: Fink .

. Esoterik – Begriff und Forschung



meinschaften im Sinne von Religionen zuwendet. An dieser Stelle findet sich der Anschluss esoterischer Angebote an Wellness und persönliche Gesundheitspflege. Den meisten Ansätzen ist gemein, dass sie den Begriff der Esoterik problematisieren, und dabei gelegentlich zu einer anderen Nomenklatur kommen: Von Stuckrad spricht von »Esoterischem«, da seiner Ansicht nach das, was esoterisch ist, erst in der Rückschau diskursiv so bezeichnet werden kann; Franz Höllinger und Thomas Tripold sprechen vom »holistischen Milieu« , deren Anhängern sie einen modernen »narzisstischen« Charakter attestieren. Gemein ist diesen Ansätzen ferner, dass sie als wesentliche Qualität der Esoterik ihr ›ganzheitliches‹, ›vollkommenes‹ Wissen ansehen. Daneben stellen sich wissenschaftliche Ansätze, die die Geschichte der Esoterik als Metaphern- und Narrativspender für die Utopien der Hochtechnologien und des Cyberspace aufarbeiten. Auch hier bleibt das Streben nach Gnosis, nach höherem Wissen, zentral für den Begriff der Esoterik. Kilcher und Theisohn verstehen in diesem Zusammenhang Esoterik als enzyklopädische Schreibweise, die den kühnen Versuch unternimmt, universales Wissen zu erzeugen. Die Autoren zeigen, wie die esoterischen Argumentationsstrategien und Ziele – wie etwa ›Universalität‹ und ›Allwissenheit‹ – rhetorische Verfahren sind. Festgestellt wurde in der Forschung weiterhin, dass Esoterik selbst in ihren Ausprägungen im . Jahrhundert einem Wandel unterworfen ist. Entgegen der traditionellen Esoterik, die auf ein geheimes oder geheimbundmäßiges Wissen anspielt, sucht moderne Esoterik – gerade unter neuesten vernetzten Bedingungen – die Verbreitung. Im Internet, wo Distribution und Rezeption einer weitaus größeren Masse möglich ist, wird sie nachgerade ›exoterisch‹. Dennoch bleibt ihr der Gestus des Verborgenen zueigen. Erdbeer prägt daher die Formulierung vom »öffentlich

  



Etwa Religiöse Vielfalt in Nordrhein-Westfalen. Empirische Befunde und Perspektiven der Globalisierung vor Ort. Hrsg. v. Markus Hero, Volkhard Krech und Helmut Zander. Paderborn: Schöningh . Franz Höllinger und Thomas Tripold: Das holistische Milieu zwischen neuer Spiritualität und postmoderner Wellness-Kultur. Bielefeld: Transcript . Unter anderem Erik Davis: Techgnosis. Myth, Magic and Mysticism in the Age of Information. Updated ed. with new afterword. London: Serpent’s Tail ; Die Enzyklopädik der Esoterik; Hartmut Böhme: Enträumlichung und Körperlosigkeit im Cyberspace und ihre historischen Vorläufer. In: Die Politik der Maschine. Computer Odyssee . Hrsg. v. Peter Dencker. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut , S. –; Stef Aupers, Dick Houtman und Peter Pels: Cybergnosis. Technology, Religion, and the Secular. In: Religion: Beyond a Concept. Hrsg. v. Hent de Vries. New York: Fordham University Press , S. –. Die Enzyklopädik der Esoterik.



 Theoretische Vorarbeiten

Geheimen«. Eberlein bemerkt dazu, geheim seien anthroposophische, freimaurerische Organisationen heute nicht mehr, wenn man sie leicht finden kann, sie zu Vortragsabenden einladen, sie als Vereine registriert sind und man ihre maßgeblichen Schriften auch in allen wissenschaftlichen Bibliotheken findet. Soziologisch gesehen seien sie »bürokratisch aufgebaute Freizeitorganisationen«. Im Geltungsbereich moderner Rationalitätsstandards lässt sich zugleich ein Versuch des Anschlusses an wissenschaftlich valorisierte Diskurse ausmachen, woran anknüpfend Kilcher von der »Verwissenschaftlichung« der Esoterik spricht. Es bleibt festzuhalten, dass es keinen einheitlichen und wissenschaftlich belastbaren Esoterikbegriff gibt. Oft bleibt er in der Forschung religiös besetzt und einem traditionellen Kanon verhaftet, selbst wenn in der Selbstbezeichnung unter Esoterik zum Beispiel die Anwendung von Teebaumöl und Übungen in Beckenbodengymnastik verstanden werden. Diese weniger religiösen esoterischen Phänomene werden dabei aus der Forschung meist ausgeklammert. Ebenso wird Esoterik mit dem Anspruch, ›wissenschaftlich‹ aufzutreten, dem Bereich der »Pseudowissenschaft« zugeordnet und damit der weiteren Analyse entzogen. Die Debatte über das Themengebiet der Pseudowissenschaft ist bereits ausführlich bestritten. Aufgrund der religions- und sozialwissenschaftlichen Ausrichtung der Forschungslage besteht ein Desiderat, den Gegenstand aus medienwissenschaftlicher Sicht zu betrachten, insbesondere, wenn es um zeitgenössische Angebote auf dem Esoterikmarkt geht, die von den klassischen Esoterikbegriffen mit ihrer Orientierung an Hermetik u. dergl. nur unzureichend erfasst werden. Die medienapparative Seite moderner Esoterik ist bisher zwar noch nicht eingehend erforscht – doch nicht nur Texte, sondern auch materielle Anordnungen und Instrumente sind epistemisch relevant. Vereinzelte Ansätze jedoch gibt es – und es gibt Wissenshistorische Zugänge

   



Erdbeer: Die Signatur des Kosmos, S. . Gerald L. Eberlein: Geheimwissenschaften. In: Kleines Lexikon der Parawissenschaften. Hrsg. v. dems. München: C.H. Beck , S. –, hier S. . Kilcher: Seven Epistemological Theses on Esotericism. Michael W. Friedlander: At the Fringes of Science. Boulder: Westview ; Michael Shermer: Why People Believe Weird Things. Pseudoscience, Superstition, and Other Confusions of our Time. Revised and expanded. Mit einem Vorw. v. Stephen Jay Gould. New York: Henry Holt . Vgl. Michael Hagner: Bye-bye science, welcome pseudoscience? Reflexionen über einen beschädigten Status. In: Pseudowissenschaft. Konzeptionen von Nichtwissenschaftlichkeit in der Wissenschaftsgeschichte. Hrsg. v. Dirk Rupnow u. a. Frankfurt am Main: Suhrkamp , S. –. Und vgl. die Bemerkungen dazu weiter unten in dieser Arbeit im Kapitel ..

. Esoterik – Begriff und Forschung



einen methodischen Zugang, der sich hierfür besonders eignet: Die Wissenschaftszweige der historischen Epistemologie und der Science and Technology Studies (STS) haben den Zusammenhang von Wissensproduktion und ihrer technischen Apparate in weiten Teilen er- und bearbeitet. Sie fragen danach, wie Wissen nicht nur von Ideen, sondern auch von ihren sozialen, historischen oder technischen Kontexten hervorgebracht wird. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Arbeiten Hans-Jörg Rheinbergers hinzuweisen, der die technischen Konstellationen der Wissensgewinnung betrachtet hat. Auch die Gegenstände »seriöser« Wissenschaft existieren nicht ohne ihre technische Produktion; auch die Autoritäten und Sätze seriöser Wissenschaft sind lediglich sozial und durch Gesten abgesichert. Daneben wurden auch wissenschaftliche Rationalitätsbegründungen wie »Objektivität« bereits historisch diskutiert. Die Akteur-Netzwerk-Theorie, maßgeblich von Bruno Latour ausgearbeitet, erweitert den Begriff der agency auch auf nicht-menschliche Akteure. Diese Studien haben jedoch bisher keine spezifisch esoterischen Dinge in Augenschein genommen, sondern sich hauptsächlich der Generierung naturwissenschaftlichen Wissens zugewandt. Auch die neuere Medienkulturwissenschaft hat wichtige Arbeiten auf dem Gebiet des Studiums der Apparate und Medientechniken geleistet; dabei ist besonders auf Forschungen zum Zusammenhang von Spiritismus, physikalischen Äthertheorien und Medien um und vor  hinzuweisen. Die Entwicklung moderner Kommunikationsmedien gründet, wie herausgearbeitet wurde, auf einem medientechnischen Imaginären, das von okkulten Vorstellungen geprägt ist. Überhaupt geht die moderne Konzeption des ›Mediums‹ auf technische wie auf spiritistische Modelle zugleich zurück ; und es wurde auf die Homonymie von technischem und personalem Medium verwiesen. In diesem Kontext ist auch das DFG-Projekt an der Universität Siegen zum Thema »Die Immanentisierung spiritistischer Wirkungen im . Jahrhundert.    



Hans-Jörg Rheinberger: Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas. . Aufl. Göttingen: Wallstein . Lorraine Daston und Peter Galison: Objektivität. Frankfurt am Main: Suhrkamp . Bruno Latour: Reassembling the Social. An Introduction to Actor-Network-Theory. Oxford: Oxford University Press . Davis: Techgnosis, Stefan Andriopoulos: Okkulte und technische Television. In: . Beiträge zur Archäologie der Medien. Hrsg. v. Stefan Andriopoulos und Bernhard J. Dotzler. Frankfurt am Main: Suhrkamp , S. –. Wolfgang Hagen: Radio Schreber. Der »moderne Spiritismus« und die Sprache der Medien. Weimar: VDG , Marcus Hahn und Erhard Schüttpelz: Trancemedien und Neue Medien um . Ein anderer Blick auf die Moderne. Bielefeld: Transcript .



 Theoretische Vorarbeiten

Transformationen der menschlichen und technischen Medien« angesiedelt, das methodisch u. a. auf die Theoreme der STS im Sinne Latours zurückgreift und in dessen Rahmen eine ethnographische Feldstudie zu »medialem Heilen« erschienen ist. Das Siegener Projekt ist in der DFG-Paketgruppe »Gesellschaftliche Innovation durch ›nichthegemoniale Wissensproduktion‹ –  ›Okkulte‹ Phänomene zwischen Mediengeschichte, Kulturtransfer und Wissenschaft,  bis « angesiedelt. Forschungen zur neueren Zeit nach  sind dagegen noch selten. Für das Feld der medienkulturwissenschaftlichen Epistemologie ist ebenfalls auf die Arbeit von Rieger und Bühler hinzuweisen. Die Autoren haben unter ihrem Begriff der »Wissensfigur« unter anderem auch esoterische Praxen in Augenschein genommen, so etwa randständige Forschungen zur ›Kommunikation der Pflanzen‹ , sowie eine Verortung von »Heilsteinen« vor dem Hintergrund physikalischer Referenztheorien, die die Glaubwürdigkeit der Stein-Theorien sicherstellen sollen. Rieger hat weiterhin zum Holismus und den Maximalisierungsansprüchen von esoterischen Weltentwürfen gearbeitet sowie zur »Unbescheidenheit« als Gestus einer Textsorte, die in esoterischen Zusammenhängen zum Einsatz kommt. Ungeachtet dieser neueren Zugänge haben sich diejenigen Ansätze, die sich in systematischer Hinsicht spezifisch »Esoterik« gewidmet haben, eher einem festgeschriebenen Kanon älterer, valorisierterer Spielarten zugewandt. Im Allgemeinen hat sich die Esoterikforschung meist auf einen abendländischen Korpus und Begriff von Esoterik kapriziert. Eberlein nennt beispielhaft einschlägige Namen und Begriffe wie Pico della Mirandola, Hermetismus, Rosenkreuzer, Freimaurer, Theosophie, Anthroposophie, Gnosis. Im klassischen Geschichtsmodell von Antike – Mittelalter – Neuzeit lässt die maßgebliche Studie von Faivre die Esoterik in der Epoche der Renaissance Antoine Faivre

 

 

 

Ehler Voss: Mediales Heilen in Deutschland. Eine Ethnographie. Berlin: Reimer . Stefan Rieger: No brain, no gain. Aporien floraler Verständigung. In: Floriographie. Die Sprachen der Blumen. Hrsg. v. Isabel Kranz, Alexander Schwan und Eick Wittrock. Paderborn: Fink , S. –. Ders.: Quarz. In: Benjamin Bühler und Stefan Rieger: Bunte Steine. Ein Lapidarium des Wissens. Berlin: Suhrkamp , S. –. Ders.: Weltgedächtnis. Zur Universalisierung von Übertragungsräumen. In: Übertragungsräume. Medialität und Raum in der Moderne. Hrsg. v. Eva Johach und Diethard Sawicki. Wiesbaden: Reichert , S. –. Ders.: Manifest. Zur Logik einer Erzählform. In: Nach Feierabend . Hrsg. v. David Gugerli u. a. Zürich und Berlin: Diaphanes , S. –. Gerald L. Eberlein: Einleitung. In: Kleines Lexikon der Parawissenschaften, S. –.

. Esoterik – Begriff und Forschung



beginnen, also im lateinischen Abendland zur Zeit des . Jahrhunderts. Hier habe man verschiedene Strömungen hellenistischer (Faivre nennt »Stoizismus, Gnostizismus, Hermetismus, Neupythagorismus« ) und abrahamitischer Religiosität zu einer Einheit zusammengezogen. Beispielhafte Vertreter seien Marsilio Ficino oder Pico della Mirandola gewesen. Signifikant sei das Auftauchen der Begriffe philosophia occulta und philosophia perennis. Dieser außerhalb der offiziellen Religionen liegende Mystizismus wurde später als Esoterik bezeichnet. Faivre zufolge gab es im Mittelalter noch keine Ausdifferenzierung zwischen Theologie und einem derartigen Mystizismus, und von daher ergebe der Begriff Esoterik für die vor-neuzeitliche Zeit noch keinen Sinn. Faivre pointiert das, was Esoterik ist, anhand der mittelalterlichen Absenz der Differenz von Innen und Außen: »Wer von ›Esoterik‹ spricht, meint damit ›den Weg zu etwas, das innerlicher ist‹, und dieses ›Innere‹ ist nichts anderes als die Tatsache, daß man sich ›außen‹ befindet. Im Mittelalter gibt es dieses ›Innerliche‹ nicht, da man stets ›innen‹ ist.« Damit spielt Faivre darauf an, dass im Zuge der epistemologischen Umwälzungen der frühen Neuzeit eine Differenz zwischen innen und außen aufgetreten ist, die das Konzept einer Innerlichkeit erst ermöglicht hat, zu der dann Esoterik einen Zugang verschaffen soll. Faivre beschreibt es so, dass in dieser Zeit Esoterik eine Art Mediatorfunktion zwischen Theologie und der damals neuen Naturwissenschaft übernahm. Esoterik stiftete eine Verbindung vom »Einzelnen zum Universalen«. Die Kosmologie war in dieser Zeit nicht länger der Theologie und Metaphysik untergeordnet, sondern   



Faivre: Esoterik, S. . Ebd., S. . Die neu geformten Konzepte von Individuum, Interpretation und Wissenschaftlichkeit – die durch technische und institutionelle Umwälzungen wie der Verbreitung des Buchdrucks und der Zentralperspektive, der Alphabetisierung, der Städtegründungen, der Einrichtung moderner Verwaltung, der Reformation, der Emanzipation von der Ständeordnung, durch Kartographie und Entdeckung / Eroberung neuer Kontinente, der anatomischen Erkundung des menschlichen Körpers sowie der Durchsetzung des heliozentrischen Weltbilds und mehr geformt wurden –, arbeiten an der Ziehung einer vorher so nicht gekannten Innen/Außen-Grenze. Vgl. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Übers. v. Ulrich Köppen. In: ders.: Die Hauptwerke. Mit einem Nachw. v. Axel Honneth und Martin Saar. Frankfurt am Main: Suhrkamp , Ferdinand Tönnies: Gesamtausgabe. Bd. ,: Geist der Neuzeit. Teil II, III und IV. Hrsg. v. Bärbel Carstens und Uwe Carstens. Berlin und New York: De Gruyter , Elizabeth Eisenstein: Die Druckerpresse. Kulturrevolutionen im frühen modernen Europa. Übers. v. Horst Friessner. Wien: Springer . Faivre: Esoterik, S. .



 Theoretische Vorarbeiten

eher gleichrangig. Konkurrierende Erkenntnisse zu integrieren war nun eine der Funktionen der Esoterik. In ihrer vereinenden und ausgleichenden Eigenschaft wäre Esoterik eine Gegenbewegung zum säkularen Denken, das sich seit dem Ende des Mittelalters durchsetzte. Faivre sieht das esoterische Denken als komplementär zum rationalen Denken der aristotelischen Logik und der Wissenschaft allgemein. Wie wir später sehen werden, ist das esoterische Denken heute von Rationalität durchzogen. Faivre definiert Esoterik aber nicht als Gesamtheit der von ihm genannten Strömungen, sondern als eine »Denkform«, durch die all die genannten Phänomene ausgezeichnet sind. Er bezieht sich auf einen Kanon des RenaissanceZeitalters und nennt unter anderem Alchemie, Astrologie und Magie; daneben Arithmosophie, christliche Kabbala, philosophia perennis, Magia naturalis und Sophiologie. Unter den neueren Phänomenen sind Goethes Farbenlehre und Hahnemanns Homöopathie inzwischen so kanonisiert, dass sie Faivres Blick standhalten, ebenso Gruppierungen wie die Rosenkreuzer und die Antroposophische Gesellschaft. Aber auch Umberto Ecos Romane und die Schriften Julius Evolas haben die nötige Schöpfungshöhe, um im Faivre’schen Modell zu gelten. Die von Faivre gemeinte Form zu denken setzt sich dabei aus sechs Kriterien zusammen: Vier dieser Elemente seien dabei »grundlegend« , das heißt, sie müssen vorhanden sein, um Esoterik identifizierbar zu machen; ihr gemeinsames Vorhandensein reicht dabei auch aus, um Esoterikhaftigkeit zu konstituieren. Das erste Kriterium ist nach Faivre das Denken in »Entsprechungen«. Gemeint ist das altertümliche und mittelalterliche »Mikrokosmos-Makrokosmos-Weltbild«, in dem allgegenwärtige Korrespondenzen den Kosmos durchdringen. »Das gesamte Universum ist ein riesiges Spiegeltheater«, so Faivre. In diesem Universum entsprechen etwa die Züge des menschlichen Gesichts den Formationen am Sternenhimmel , oder die sieben Metalle entsprechen den sieben Planeten. In dieser Welt gelten statt der Konzepte der Logik die des »eingeschlossenen Dritten« und der »Synchronizität«. Zudem ist alles »Zeichen«, jedes Ding beinhaltet ein Geheimnis, auf das es verweist. Die Welt sei demnach ein »linguistisches Phänomen« – Faivre deutet die Faivres Kriterien

  

Faivre: Esoterik, S. . Ebd., S. . Vgl. auch Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. .

. Esoterik – Begriff und Forschung



esoterische Welt also als semiotisch. Dieses Weltbild ist kein exklusiv esoterisches. Das zweite grundlegende Kriterium für Esoterik nach Faivre ist die »lebende Natur«. Damit ist ein animistischer Gedanke gemeint, nach dem die Natur Offenbarungen bereithalte. »Der im Imaginären der Renaissance so bedeutende Begriff der magia erinnert genau an diese Idee einer Natur, die in all ihren Formen als im wesentlichen lebendig angesehen und die oft von einem Licht oder einem verborgenen Feuer beseelt und durchflossen wird.« Hierauf gründet etwa die Verwendung von Steinen, Metallen oder Pflanzen zur »Wiederherstellung eines physischen oder psychischen Gleichgewichts«. Auf dieser Nutzbarmachung der lebenden Natur basieren dann auch Magie, Alchemie, Homöopathie und tierischer Magnetismus. Aber nicht nur Heilungs- und Transformationspraktiken läge dieses Naturprinzip zugrunde, auch die Gnosis, das Verlangen nach Erkenntnis. Mit Faivre gedacht könnte man diese esoterische Eigenart auch als eine Demarkationslinie zwischen westlicher und östlicher Esoterik verstehen, da sich die orientalische Spiritualität eher naturverneinend und monistisch (in dem Sinne, dass die Realität der Natur infrage gestellt wird) verhalte. Dies könne jedoch auch für die moderne Theologie gelten, die die Natur den Wissenschaften überlassen habe. Das dritte grundlegende Kriterium für Esoterik bilden nach Faivre »Imagination und Meditationen«. Die Theorie der Entsprechung sieht vor, dass Dinge auf andere Dinge verweisen. Dies setze eine Einbildungskraft voraus, so Faivre. Diese Einbildungskraft sei auch ein Instrument der Gnosis, sie sei das Mittel, das »Äußerlichkeiten durchdringt, um Bedeutungen, ›Beziehungen‹ hervorbrechen zu lassen, um Unsichtbares, ›mundus imaginalis‹ sichtbar zu machen, zu welchem das körperliche Auge keinen Zugang hat [...]«. Viertens folgt in Faivres Schema die »Erfahrung der Transmutation«. Dabei geht es um materielle und auch geistige Verwandlung, im Sinne alchemistischer Metamorphose, der Verwandlung von Blei in Gold, und im Sinne einer gnostischen Erkenntnis, die als Wiedergeburt des Individuums verstanden werden kann – etwa in der Theosophie. Zu diesen vier Eigenschaften der abendländischen Esoterik ge     

Alle Zitate: Faivre: Esoterik, S. –. Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd.



 Theoretische Vorarbeiten

sellen sich laut Faivre oft zwei weitere. Dies ist einmal die »Praxis der Konkordanz« und einmal die »Transmission oder Initiation durch Meister«. Mit ersterem ist eine esoterische Tendenz zum Synkretismus, zum Zusammenschließen und Verknüpfen verschiedener Glaubenslehren gemeint. Faivre zeigt dies vor allem an Strömungen des . Jahrhunderts, in dem westliche und östliche Lehren zusammengedacht werden, in dem eine vergleichende Religionswissenschaft etabliert wird, im Rahmen derer einige Esoteriker von einer ursprünglichen »Urtradition« sprechen. Zweites meint die Idiosynkrasie vieler esoterischer Lehren, ihre Inhalte von Meister- oder Gurufiguren an Adepten vermitteln zu lassen. Wesentlich bei der Übermittlung der Kenntnisse und Glaubensinhalte sei dabei ihre Unbezweifelbarkeit, so Faivre, und ihre Unmöglichkeit ohne Meisterfigur. Tatsächlich ist dieses Kriterium das einzige, bei dem Faivre auf eine soziale Komponente anspielt – in diesem Fall auf ein Verhältnis zwischen Meister und Schüler. Diese Eigenschaft steht in Verbindung mit der Reglementierung von Zugängen zu Wissen, die ja auch in der esoterischen Tradition des Aufklärungszeitalters (Freimaurer, Illuminaten) eine Rolle spielt. Faivre warnt allerdings davor, Esoterik mit »Initiation« und religiösem Außenseitertum zu verwechseln (was häufig nur aus inquisitorischen Motivationen heraus geschehe). Laut Faivre kann die Initiation Bestandteil instituiert-religiöser als auch esoterischer Gruppen sein, und das Vorhandensein eines ketzerischen Dogmas sei kein definierendes Merkmal einer esoterischen Lehre; ein solches könne auch innerhalb einer Religionsgemeinschaft bestehen. Ein Beispiel Faivres für ein esoterisches Wissensfeld ist die Astrologie. Waren Astrologie, Magie und Alchemie einst traditionelle Wissenschaften, existiert zumindest die Astrologie weiter, in Zirkeln und vor allem als Praktiken des Einzelnen, aber eben außerhalb etablierter Wissenschaft. Horoskope finden sich in den Esoterik-Abteilungen der Buchhandlungen und in Zeitschriften. Astrologie entspreche dem Bedürfnis, »die Einheit von Mensch und Universum dank einer auf dem Prinzip der Ähnlichkeit basierenden Sprache der Ganzheit wiederzufinden.« Als Deutung von Zeichen zeige sie Merkmale einer gnostischen Praxis: Wenn dieses Bedürfnis bewußt wird und wenn es auf eine Reflexion hinausläuft – auf eine wahre Hermeneutik der »Zeichen« –, die sowohl eine Praxis als auch eine Gnosis   

Faivre: Esoterik, S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. –.

. Esoterik – Begriff und Forschung



integriert, dann kann man von »esoterischer« Astrologie reden. Gnosis ist für Faivre ein notwendiger Aspekt: Auch in der Alchemie unterscheide man zwischen »Bläsern« und »Philosophen«, also denjenigen, die nur an der Herstellung von Gold, und denjenigen, die an Gnosis interessiert sind. Faivre versteht wohlgemerkt Esoterik nicht ausschließlich als geheimes Wissen, was seine Definition von anderen abgrenzt. Faivre verfolgt dabei einen engen und genau definierten Esoterikbegriff. Obwohl er zu Anfang seiner Studie feststellt, dass das Label »Esoterik« ein sehr weites Feld bezeichne, legt er eine präzise Esoterikdefintion vor, indem er Esoterik als spezifische Denkform eines spezifischen westlichen Kanons betrachtet. Kritik an Faivre Ursprünglich von der Literaturwissenschaft kommend war Faivre der Erste, der westliche Esoterik als Forschungsfeld erschloss und damit das Verständnis dessen, was Esoterik sei, nachhaltig prägte. Seine Typologie wurde jedoch inzwischen immer wieder als essentialistisch kritisiert; der häufigste Vorwurf ist, dass er seine Kriterien anhand eines festgelegten Korpus abendländischer Esoterik entwickelt hat, was zur Folge habe, dass Esoterik dann nur genau die Phänomene umfasst, auf Grundlage derer ihre Qualitäten erst bestimmt worden seien. Ein zweiter Vorwurf lautet, dass Faivre Esoterik mit seinem Schema zu stark als eigenes Themenfeld definiert, das dann klar abgegrenzt von anderen religiösen und wissenschaftlichen Strömungen sei. Kocku von Stuckrad vertritt die Ansicht, man müsse den Esoterikbegriff dahingehend modifizieren, dass er den statischen Kanon zu transzendieren vermag. Dafür wählt er anstelle von Faivres »Denkform«-Begriff den Terminus »Diskurs«. Der Autor verweist in seinem Definitionsansatz zunächst – wie viele andere – auf das Marktangebot und nennt Spielarten wie New Age, Teebaumöl, Beckenbodenmassage und Zen-Meditation. Mit der Kulturgeschichte der Esoterik habe dies jedoch wenig zu tun (von Stuckrad gehört hier zu den Autoren, die einen normativen Aspekt in ihrem Esoterikverständnis haben). Auch von Stuckrad übt Kritik am Faivre-Paradigma, indem er zu bedenken gibt, dass in Faivres Modell nur das zur Esoterik zähle, was vorher Grundlage für die Bestimmung der Kriterien war. Von Stuckrad ist dagegen der Ansicht, Esoterik als Phänomen sei ohnehin kein vorliegender Gegenstand, sondern ein Forscherkonstrukt. Da man »kulturelle Prozesse«  

Faivre: Esoterik, S. . Stuckrad: Was ist Esoterik?, S. .



 Theoretische Vorarbeiten

studiere, sei die Rede von »Esoterischem« als Diskurselement zutreffender als der Begriff »Esoterik«, der eine »zusammenhängende Lehre« oder einen »klar identifizierbaren Traditionsbestand« impliziere. Esoterisch sind für von Stuckrad der Anspruch auf eine bestimmte Konfiguration des Wissens (dieses Wissen sei nämlich »eigentlich« und »absolut«) und bestimmte Modi der Gewinnung dieses Wissens, nämlich Initiation, Gnosis, Dazugehören zu einem inneren Zirkel. Der Zugang zu diesem verborgenen Wissen, die Eingangstür zwischen Immanenz und Transzendenz, werde dabei oft von gewissen »Autoritäten« bewacht – das Guruprinzip, auf das später in dieser Arbeit zurückgekommen wird. Des Weiteren beschreibt von Stuckrad esoterische Bewegungen als soziale Devianz-Erscheinungen gegenüber etablierten Religionen. Auch von Stuckrad verweist auf das Entsprechungsdenken, monistisch und holistisch qualifiziert. Der Autor behält also viele der Kriterien Faivres bei, akzentuiert den Aspekt des Geheimnisses und öffnet den Begriff, indem er ihn als Diskursphänomen versteht, für eine Anwendung quer durch die Religionsgeschichte und in angrenzenden Wissensformen. Auch wissenschaftliches Denken könne im Modus des Esoterischen stattfinden. Wouter Hanegraaff, der ein für die Esoterikforschung bedeutendes Buch (genanntes New Age Religion and Western Culture) und viele weitere einschlägige Texte verfasst hat, stellt fest, dass Esoterik einmal typologisch (am prominentesten mit den Faivre’schen Kriterien) und einmal historisch verstanden werden kann (als spezifischer Kanon westlicher Esoteriklehren). Dennoch übt auch er Kritik an Faivres Modell: Dessen Begriff impliziere ein christliches Verständnis von »echter« Esoterik, das folglich viele Phänomene ausklammere. Außerdem verfestige Faivre die Ansicht, dass Esoterik eine Aufrechterhaltung der ›verzauberten‹ Welt oder eine Wiederverzauberung sei, während alles andere, Nicht-Esoterische, säkular sei. Hanegraaff betont jedoch, dass ja auch die Esoterik selbst sich seit dem . Jahrhundert säkularisiert habe. Ein Punkt, den man später noch an den Verwissenschaftlichungsgesten moderner Esoterik wird nachvollziehen können. Hanegraaf warnt davor, die Faivre’schen Kriterien kontextlos anzuwenden, denn so würden Hanegraaff

    

Stuckrad: Was ist Esoterik?, S. . Ebd., S. . Wouter Hanegraaff: Esotericism. In: Dictionary of Gnosis and Western Esotericism, S. –. Ders.: Esotericism and the Academy, S. . Ebd.

. Esoterik – Begriff und Forschung



die Grenzen dessen, was Esoterik ist, verwässert. Hanegraaff versteht in einem Aufsatz zu verbotenem und ausgegrenztem Wissen Esoterik als diskursiv verfassten, ideologischen Begriff: Damit beschreibe die Religionswissenschaft, was sie für problematisch erachte. Von Stuckrad teilt die Ansicht, dass die Setzung, was esoterisch sei, dazu geführt hat, etwa Gnosis aus dem Christentum auszuschließen, wodurch jedoch die Verwandtschaft beider Denkweisen verschleiert wurde. Auch der Kulturwissenschaftler Andreas Kilcher betont den diskursiven Aspekt dessen, was als Esoterik verstanden wird. Er betrachtet folglich die Weisen, auf denen esoterisches Wissen geformt, vermittelt, transformiert, verteidigt oder abgewertet wird. Eine zentrale Eigenschaft, die Kilcher im esoterischen Denken ausmacht, ist ein Optimismus gegenüber dem Wissen, also im Unterschied zum Glauben, der in der Religion privilegiert ist. In ihrer Wissensgläubigkeit ähnele Esoterik der neuzeitlichen Wissenschaft. Esoterisches Wissen verhalte sich dabei nicht in ausschließlicher Opposition zum etablierten (kirchlichen oder akademischen) Wissen, sondern komplementär. Magie, Alchemie, Astrologie, Alternativmedizin und Parapsychologie verstünden sich als Erweiterungen der entsprechenden Disziplinen Physik, Chemie, Astronomie, Medizin und Psychologie. Aus der Sichtweise der arrivierten Fächer jedoch erscheinen die genannten Esoteriklehren als Pseudowissenschaft. Kilcher

Der Religionswissenschaftler Olav Hammer wendet sich speziell moderner Esoterik zu, deren Geburtsstunde er im Jahr  verortet. Strömungen, die er erforscht hat, sind unter anderem Theosophie, Okkultismus oder New Age. Hammer stellt heraus, dass diese Lehren sich zwar auf prämoderne Traditionen und prämodernes Wissen berufen, selbst aber unter den Bedingungen moderner Rationalitätsanforderungen operieren. Daher bedienen sie sich auch szientistischer Sprechweisen. Insgesamt identifiziert er drei diskursive Strategien, mit denen esoterischen Wissen sich zu legitimieren versuche: Die erste ist die Berufung auf alte Hammer

 

Hanegraaff: Esotericism and the Academy, S. . Ders.: Forbidden Knowledge. Anti-Esoteric Polemics and Academic Research. In: Aries  (), S. –, hier S. –.  Stuckrad: Die Esoterik in der gegenwärtigen Forschung.  Kilcher: Seven Epistemological Theses on Esotericism, S. .  Ebd.  Ebd., S. .



 Theoretische Vorarbeiten

Traditionen , die zweite ist eine szientistische Sprechweise und die dritte ist das Herausstellen von persönlichen Erfahrungen, die Bedeutung von Initiation als Mittel der Weitergabe von Wissen. Eines seiner Beispiele ist Reiki, das Handauflegen zum Zwecke der Heilung: diese Praktik beruft sich auf altes ostasiatisches Wissen, ihre Anwendung wird durch Initiation gelehrt, und ihr Wirkprinzip soll nicht auf Übernatürlichem, an das man glauben müsse, beruhen, sondern auf dem feinstofflichen Prinzip (also im Zwischenraum zwischen Rationalität und Irrationalität) einer universellen Lebensenergie (wie der vis vitalis im Mesmerismus; siehe Kapitel .). Auch Hammer stellt fest, dass Esoterik aus Eigensicht eine Art von Geheimwissenschaft darstellt, aus der Außenperspektive jedoch wie eine Pseudowissenschaft erscheint. Auch sei es eine maßgeblich moderne Eigenschaft, dass moderne Esoterik sehr auf die Verbesserung des Ich abziele (siehe dazu die Verweise auf die Studie von Heelas ) und damit der Logik des Kapitalismus folge. Die Grundierung davon sieht er in der Tatsache, dass in der Moderne alle Aspekte des Lebens ›reflektiert‹ werden könnten: Wie habe ich zu leben, welche Entscheidungen treffe ich für mich usw.; im Unterschied zur eher schicksalsergebenen Lebenseinstellungen früherer Jahrhunderte. Für die klassische Esoterik sind die von Faivre festgestellen Kriterien (unter Einschluss der Bedenken von Hanegraaff und von Stuckrad) sehr wertvoll für die Analyse, auf die wir auch in dieser Arbeit zurückgreifen werden. Die Begriffsarbeit dieser Autoren kapriziert sich allerdings meist, wie gesagt, auf eine klassische Vorstellung von Esoterik. (Eine besonders hervorzuhebene Ausnahme bildet der eben erwähnte Ansatz von Olav Hammer.) Modernste Esoterikphänomene, wie sie in dieser Arbeit behandelt werden, bestehen dagegen auch aus technischen Applikationen, sich wissenschaftlich gerierenden Konzepten und einem Versprechen von individuell gelingender Lebensführung. In diesem Zusammenhang spielen Überlegungen zum Ich-Bezug neuerer Esoterik eine Rolle, die die eben referierten Autoren noch nicht beachtet haben. Es gibt neuere Ansätze, in denen dies erfolgt. Während Faivre und    

Hammer: Claiming Knowledge, S.  ff. Ebd., S.  ff. Ebd., S.  ff. Paul Heelas: The New Age Movement. The Celebration of the Self and the Sacralization of Modernity. Oxford und Cambridge: Blackwell Publishers .  Hammer: Claiming Knowledge, S. –.

. Esoterik – Begriff und Forschung



die Religionswissenschaft von einem anerkannten high-brow-Kanon ausgehen, hat die angelsächsische Literatur die zeitgenössische Esoterik mit dem modernen Individualismus in Verbindung gebracht (etwa Heelas ; im deutschsprachigen Raum bemerkt Eberlein, dass Esoterik heute ein Ausdruck von »Individualkultur« sei ). Hierauf wird in dieser Arbeit noch genauer eingegangen werden. Nach dem Blick auf die Beschäftigung mit älterer Esoterik noch einige Bemerkungen zum Forschungsstand im Bezug auf neuere Esoterik. Diese wird vor allem gesellschaftstheoretisch analysiert. In dieser Hinsicht wurde sie am einschlägigsten, wie bereits erwähnt, vor der Folie der Säkularisierung untersucht. Dieses Theorem gründet sich auf Max Webers These von der »Entzauberung der Welt« , die sich im Rahmen von Technisierung und Rationalisierung moderner Gesellschaft vollziehe. Esoterik wäre dann eine im Verborgenen stattfindende Gegenreaktion auf Säkularisierung, ein Refugium spiritueller Ganzheit, welches James Webb etwa »occult underground« genannt hat. Neuere Arbeiten haben diesen Gedanken jedoch abgelöst. Es wurde gezeigt, dass Esoterik und Aufklärung zusammenwirkten. Esoterik selbst hat sich zu einer modernen Ausprägung gewandelt. Die bereits zitierten Arbeiten von Neugebauer-Wölk zeigen dies ebenso wie die Forschungen von Pasi sowie Kripal und Hanegraaff zu den Strömungen des Okkultismus: Dort fanden soziale, kulturelle und wissenschaftliche Experimente statt, die als kulturell fortschrittsbringend gelten können. Der amerikanische Soziologe Edward Tiryakian war schon in den er Jahren einer Zur Säkularisierungsthese

 Paul Heelas: Spiritualities of Life. New Age Romanticism and Consumptive Capitalism. Malden: Blackwell .  Eberlein: Einleitung, S. .  Weber: Wissenschaft als Beruf.  Webb: The Occult Underground.  Aufklärung und Esoterik; Aufklärung und Esoterik. Rezeption – Integration – Konfrontation; Aufklärung und Esoterik. Wege in die Moderne.  Marco Pasi: The Modernity of Occultism. Reflections on Some Crucial Aspects. In: Hermes in the Academy, S. –.  Hidden Intercourse. Eros and Sexuality in the History of Western Esotericism. Hrsg. v. Wouter Hanegraaff und Jeffrey Kripal. Leiden: Brill .  Umfassend zu Säkularisierung siehe das vierbändige Werk von Bryan Turner (Secularization. Hrsg. v. Bryan Turner.  Bde. New York: Sage ); außerdem der Artikel von Sheehan (Jonathan Sheehan: Enlightenment, Religion, and the Enigma of Secularization. In: American Historical Review  (), S. –) und das Buch von Heelas (Paul Heelas: Challenging Secularization Theory. The Growth of ›New Age‹ Spiritualities of Life. In: Secularization. Bd. , S. –).



 Theoretische Vorarbeiten

der Wenigen, die von Esoterik als der »geheimen Ratio der Neuzeit« sprachen. Esoterik selbst unterliegt einer Verwissenschaftlichung, gleichzeitig umfasst sie aber auch Eigenheiten, die sie als Container von mystischem, alten Wissen ausweisen. Weitere Charakteristiken von Esoterik, die die Forschung für ältere und neuere Esoterik herausgearbeitet hat, sind ihr hybridisierender und synkretistischer Charakter. Von Stuckrad verweist auf Neigungen zur Universalisierung, auf Holismus. Esoterik neigt dazu, geschlossene Weltbilder zu präsentieren und einen maximalen Erkenntnisanspruch zu erheben. Kontingenz hat in diesen Entwürfen keinen Platz. In der vorliegenden Arbeit werden jedoch weniger solche Großentwürfe, sondern eher kleinteilige Apparate besprochen. Diese haben mit ihrer qua Technizität objektivierenden Eigenschaft jedoch Anteil an der Etablierung kontingenzfreier Systeme. Die Spiritualität technischer Anwendungen und die Durchdringung gegenwärtiger Medien- und Technikkultur sind Gegenstand von Kapitel . (zur spirituellen Deutung von Technologie) dieser Arbeit. Die moderne Esoterik, als Gegenstand auch dieser Arbeit, entwickelt sich in der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts, zugleich mit der Ausdifferenzierung der Wissenschaften – siehe hierzu auch die Ausführungen von Aupers et al. zur »modernen Gnosis«. Spiritismus und Okkultismus, die Mitte des . Jahrhunderts entstehen, stehen ebenfalls an der Schnittstelle von Wissenschaft und Esoterik. Eine wichtige Rolle spielen die sozialen Orte esoterischen Wissens: Das sind im Aufklärungszeitalter die Logen und Geheimgesellschaften (Freimaurer, Rosenkreuzer), zu Beginn des . Jahrhunderts der Ordo Templi Orientis, eine okkulte Organisation, mit der auch solche einflussreichen Figuren wie Rudolf Steiner, L. Ron Hubbard oder John Whiteside Parsons in Verbindung standen. Erdbeer und Sawicki vertreten die Auffassung, dass diese moderne Esoterik die fragmentierenden Effekte der Ausdifferenzierung der Wissensbereiche verhindern will. Die Proliferation von holistischem, Differenzierung rückgängig Weitere Charakteristiken

 Edward Tiryakian: Toward the Sociology of Esoteric Culture. In: American Journal of Sociology  (), Nr. , S. –.  Kilcher: Seven Epistemological Theses on Esotericism, S. .  Aupers, Houtman und Pels: Cybergnosis, siehe dazu Kapitel ..  Robert Matthias Erdbeer: Arithmetik des Lebens. Das Verfahren der numerischen Verklärung und die Mathesis der Esoterischen Moderne. In: Zahlen, Zeichen und Figuren. Mathematische Inspirationen in Kunst und Literatur. Hrsg. v. Andrea Albrecht, Gesa von Essen und Werner Frick. Berlin und New York: De Gruyter , S. –.  Sawicki: »Dirty Thinking«.

. »Paraphysik«, »Parawissenschaft« und »Pseudowissenschaft«



machendem Wissen in den etablierten Wissenschaften seit den er Jahren (in der theoretischen Physik, in Psychologie, Systemtheorie und Kybernetik), so Kaiser und Pickering , führe zu einer ›Esoterisierung‹ des naturwissenschaftlichen Wissens. Die Szene, in der New Age und psychologisch unterfütterte Selbstverbesserung ihr Coming-of-Age hatten, ist die kalifornische counter culture der er Jahre und der schon eher aufgekommene »Psycho-Boom«. Heutige Erscheinungsformen finden sich im Sektor von Kompetenz- und Persönlichkeitstrainings und in der humanistischen Psychologie , in denen die Forderung nach Selbstverwirklichung esoterische Züge aufweist. Verallgemeinernd können wir sagen: Esoterik erscheint uns als eine dynamische Konfiguration. Esoterische Phänomene vereinen gewisse Spezifika wie Gnosis, Weitergabe von Wissen durch Meister an Schüler, Transformationserfahrung; aber das, was Esoterisch ist, vererbt sich auch diskursiv: So ergibt sich das inzwischen enorm weite Angebot auf dem Esoterikmarkt. Charakteristika und Traditionslinien in den neuesten Erscheinungen herauszuarbeiten, wird die Aufgabe dieser Arbeit sein. Darunter fallen auch die Konsequenzen für die Subjektbildung (welche eben erst in der Neuzeit möglich ist, nach der kartesianischen Einführung der innen/außenGrenze) und der exoterische Trieb (auf die gleiche Weise ein nach-kartesianisches Phänomen). . »Paraphysik«, »Parawissenschaft« und »Pseudowissenschaft« Neuere Phänomene der Esoterik, die sich den Anschein der Wissenschaftlichkeit geben, werden oft den Spielarten Parawissenschaft und Pseudowissenschaft zugerechnet. Diese Begriffe sind bereits umfänglich Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung geworden. Der Begriff Parawissenschaft, der mit seinem Präfix

 David Kaiser: How the Hippies Saved Physics. Science, Counterculture, and the Quantum Revival. New York: Norton .  Andrew Pickering: The Cybernetic Brain. Sketches of another Future. Chicago und London: University of Chicago Press .  Jeffrey Kripal: Esalen. America and the Religion of no Religion. Chicago und London: University of Chicago Press .  Der sich selbst verwirklichende Mensch. Über den Humanismus der Humanistischen Psychologie. Hrsg. v. Jürgen Straub. Bielefeld: Transcript .



 Theoretische Vorarbeiten

para ein räumliches Daneben formuliert, konnotiert dabei eine Produktivität . Das Präfix pseudo verweist eher auf eine betrügerische Absicht. In einem Band, der sich dem marginalisierten Wissen der Parawissenschaften widmet , wird der Begriff dergestalt verstanden, dass diese Lehren auf die eigene prinzipielle Beweisbarkeit und Wissenschaftlichkeit abzielen. Durch diese Gemeinsamkeit seien alle diversen Erscheinungen unter einem Prinzip vereinbar: Der Soziologe Gerald Eberlein zählt zum Phänomenbereich alternative Medizin (wie etwa die Homöopathie) und auch Geheimlehren wie die Theosophie, umfasst damit also die in dieser Arbeit diskutierten Erscheinungen. In der zeitgenössischen Esoterik vermischen sich Anthroposophie und Hermetismus mit neumodischen Erscheinungen wie Wellness, Alternativmedizin, makrobiotischer Ernährung sowie mit fernöstlichen Traditionen und moderner Naturwissenschaft. Eberlein macht den Unterschied zwischen Wissenschaft und Parawissenschaft vor allem an einigen erkenntnistheoretischen Prinzipien fest, denen sich die Schulwissenschaft unterwerfe: Elementarismus, Kausalismus, Naturalismus, Szientismus, Methodismus, Technizismus; daneben auch an dem Streben danach, das Wissen zu mehren und zu verbreiten. Die von Eberlein genannten Kriterien umfassen im Wesentlichen solche Techniken wissenschaftlichen Forschens, die die Beobachtung von UrsacheWirkungs-Relationen ermöglichen und eine Nachvollziehbarkeit gewährleisten sollen. Parawissenschaften im Unterschied dazu träten, so Eberlein, mit einem Anspruch auf absolute Wahrheit, eigenen Instrumentarien und der Behauptung der gesicherten Existenz ihrer Gegenstände und Sätze auf. Die Schulwissenschaft dagegen ist dazu bereit, ihre eigenen Erkenntnisse und Hypothesen falsifizieren zu lassen. Weiterhin attribuiert Eberlein die parawissenschaftliche Wissensproduktion als holistisch, analogisch (das Denken in Entsprechungen, die mittelalterliche Parawissenschaft

 Vgl. Eva Johach: Fourier’sche Transformationen. Zur generativen Funktion esoterischen Wissens in Charles Fouriers Theorie des quatre mouvements. In: Literatur und Nicht-Wissen. Historische Konstellationen –. Hrsg. v. Michael Bies und Michael Gamper. Zürich: Diaphanes , S. –.  Kleines Lexikon der Parawissenschaften; vgl. zur Geschichte der Parapsychologie auch Barbara Wolf-Braun: Medizin, Okkultismus und Parapsychologie im . und frühen . Jahrhundert. Wetzlar: GWAB  und Heather Wolffram: The Stepchildren of Science. Psychical Research and Parapsychology in Germany, c. –. Amsterdam: Rodopi .  Gerald L. Eberlein: Vorwort. In: Kleines Lexikon der Parawissenschaften, S. – und ders.: Einleitung. In: Kleines Lexikon der Parawissenschaften, S. –.  Ders.: Einleitung, S. .  Vgl. ders.: Einleitung, S. .

. »Paraphysik«, »Parawissenschaft« und »Pseudowissenschaft«



Analogik), esoterisch, krypturgisch (auf das Wirken geheimer Kräfte rekurrierend) und subjektiv. Er pointiert den Unterschied zwischen Wissenschaft und Parawissenschaft darüber hinaus mittels zweier Gegensatzpaare: Information vs. Initiation und Aufklärung vs. Erleuchtung. »Paraphysik« gilt in diesem Verständnis als Unterkategorie von Parawissenschaft, und zwar als jenes Paradigma, aus welchem sich die meisten modernen esoterischen Theorien bedienen, die ihre Behauptungen naturwissenschaftlich untermauern wollen. Eberlein erstellt eine Systematik der verschiedenen Ausprägungen von heutiger Esoterik und Parawissenschaften. Er unterscheidet dabei konkludent: Ernährungsund Heilungsmethoden, idealistisch-spiritualistische Weltbilder sowie esoterische Psychologien / psychospirituelle Technologien, die der Verwirklichung des menschlichen Potentials dienen sollen. Unter diese dritte Klasse fallen unter anderem: Alchemie, Anthroposophie, Astrologie, Harmonik, I Ging, Magie, Mystik, Parapsychologie, Reinkarnation, Tarot. Unter den heutigen Formen kann man auch Scientology dieser Reihe zurechnen, da die religiöse Bewegung durch ähnliche Eigenschaften gekennzeichnet ist wie die genannten Lehren. Mit Paraphysik sind naturwissenschaftliche Konzepte gemeint, die von der institutionellen Physik nicht anerkannt werden, die dagegen von Alternativwissenschaftlern vertreten werden. Der Begriff Paraphysik wird auch oft als Unterkategorie der Parapsychologie definiert. Dies hat historische Gründe und geschieht vor allem im Namen der Freiburger Schule der Parapsychologie, die maßgeblich am  von Hans Bender gegründeten Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) betrieben wird. Sie versteht unter parapsychologischen Phänomenen erstens außersinnliche Wahrnehmung (ASW oder auf Englisch ESP – extra sensory perception) – d.h. Informationsaufnahme außerhalb bekannter sensorischer Kanäle – und zweitens Psychokinese, also eine direkte ›psychische‹ Wirkung einer Person auf physikalische Systeme, die den bisher bekannten oder akzeptierten physikalischen Erklärungsmodellen zu widersprechen scheint. Der im Kontext des IGPP tätige Physiker Walter v. Lucadou generalisiert mit dem großen amerikanischen Parapsychologen Joseph Banks Rhine, dass sich die daraus ableitenden parapsychologischen Fähigkeiten Hellsehen, Telepathie und Präkognition (also Vorherwissen) Fragen der »Informationsübertragung« beträfen. Dieser Übertragungsvorgang  Eberlein: Einleitung, S. .  Walter von Lucadou: Paraphysik. In: Kleines Lexikon der Parawissenschaften, S. –, hier



 Theoretische Vorarbeiten

sei physikalisch, in diesem Fall paraphysikalisch, zu erforschen, da die hierfür verwendeten Begriffe nicht Teil der anerkannten Physik, sondern lediglich ihnen verwandt seien. So war Bender der Ansicht, dass außersinnliche Wahrnehmung mit den Mitteln der bestehenden Naturwissenschaft nicht zu erklären sind. Etwa habe das menschliche Gehirn physikalisch nicht die Ausstattung wie die bekannten Rundfunk-Technologien, um Informationen über räumlich oder zeitlich entfernte Begebnisse aussenden oder empfangen zu können. Für Praekognition käme die klassische physikalische Übertragungstheorie ohnehin nicht in Frage, da hier durch die Zeit rückwärts gesendet werden müsste. Bender sieht daher die Zukunft der Wissenschaft allgemein außerhalb der derzeit etablierten Paradigmen: Der Ausgleich der beunruhigenden Spannung zwischen den uns vertrauten Erfahrungsbereichen und den Psi-Phänomenen ist eines der großen zukünftigen Probleme der parapsychologischen Forschung, das nur in enger Verbindung mit anderen Wissenschaftszweigen einer Lösung näher gebracht werden kann. Diese Integration wird sicher nicht auf dem Hintergrund eines materialistischen oder mechanistischen Weltbildes erfolgen können.

Parapsychologie will also, so die Selbstauskunft, wissenschaftliche Methodik beibehalten, das herrschende materialistische Paradigma aber überwinden – so bildet sie ein Refugium für Transzendenz. Zur Paraphysik zählt v. Lucadou einige einschlägige naturwissenschaftliche Theorien, die im Lauf der Zeit aus dem Reich der valorisierten Wissenschaft verbannt worden sind; darunter die Phänomene »Animalischer Magnetismus« (Mesmer), »Astralleib« (Rudolf Steiner), »Aura«, »Bioenergie«, »Freie Energie«, »OdStrahlen« (nach C. von Reichenbach) und »Orgon-Energie« (Wilhelm Reich), die sich alle aus physikalischen Prinzipien ableiten. Paraphysikalische Phänomene werden heute über neutrinische, tachyonische, quantenphysikalische, systemund chaostheoretische Modelle erklärt, inzwischen auch über nanotechnologische. Dass v. Lucadou die Paraphysik vollumfänglich der Parapsychologie zurechnet, ist vielleicht wissenspolitisch motivierte Strategie, um die eigenen Zuständigkeiten auszuweiten. Der Wissenschaftshistoriker Marco Bischof, der allerdings selbst auch in den Grenzgebieten der Wissenschaften beheimatet ist, subsumiert in seiner S. .  Hans Bender: Parapsychische Phänomene als wissenschaftliche Grenzfrage. In: Freiburger Dies Universitatis  (/), S. –, hier S. .  Vgl. Lucadou: Paraphysik, S. .

. »Paraphysik«, »Parawissenschaft« und »Pseudowissenschaft«



Studie Tachyonen, Orgonenergie, Skalarwellen – Feinstoffliche Felder zwischen Mythos und Wissenschaft  paraphysikalische Phänomene unter ein übergeordnetes Konzept einer alles durchdringenden Lebensenergie oder eines alles durchdringenden Äthers. Seiner Auffassung nach existierte eine derartige Vorstellung in altertümlichen, vormodernen, nicht-westlichen, schlichtweg in allen Wissenskulturen außer der rationalistischen modernen westlichen Wissenschaft. Und selbst dort sei sie latent weiter vorhanden. Er lässt seine Geschichte dementsprechend bei Mana, Prana, Qi und Pneuma beginnen, rechnet Paracelsus’ Konzept des Archäus dazu, um dann ebenfalls die einschlägigen Theorien von Mesmer, Reichenbach, Reich zu referieren. (Siehe dazu Kapitel . dieser Arbeit). Tatsächlich verlaufen die Geschichten von Physik und Paraphysik parallel. Das eine inspirierte das andere, Wissen, das einmal physikalisch war, wird paraphysikalisch, wenn es sich unter den Regeln der Wissenschaftlichkeit nicht behaupten kann; aber es besteht die Möglichkeit der späteren Wiederaufnahme. Die Theosophie wollte anschlussfähig an neueste wissenschaftliche Erkenntnisse sein, gleichzeitig aber den behaupteten reduktionistischen Materialismus der etablierten Wissenschaften überwinden. Die Rhetorik hier ist keine der Abwendung, sondern der Überbietung. Als paradigmatische paraphysikalische Theorie wird oft der animalische Magnetismus des Franz Anton Mesmer genannt. Mesmer, der Ende des . Jahrhunderts als Heiler auftrat, ging davon aus, dass eine Magnetkraft zwischen Lebewesen herrschte und diese zur Heilung eingesetzt werden könnte. Zu seiner Zeit ging die Physik noch von der Existenz des Äthers aus und differenzierte nicht zwischen verschiedenen Kräften wie Schwerkraft, Elektrizität und dergleichen; Mesmer glaubte an eine alles durchdringende vis vitalis (die universelle Lebensenergie entsprechend der angesprochenen Naturkräfte Mana, Prana usw.). Diese sah Mesmer im »Natur-« oder »All-Magnetismus«, in dem alle festen Körper sich »eingetaucht« befänden. In einigen Menschen sei das Gleichgewicht der Kräfte durcheinander geraten, was zu Krankheit führe. Mesmer glaubte, in einem solchen Fall der Disharmonie heilen zu können, indem er sich Mesmer

 Marco Bischof: Tachyonen, Orgonenergie, Skalarwellen. Feinstoffliche Felder zwischen Mythos und Wissenschaft. Aarau: AT .  Franz Anton Mesmer: Mesmerismus. Oder System der Wechselwirkungen, Theorie und Anwendung des thierischen Magnetismus als die allgemeine Heilkunde zur Erhaltung des Menschen. Hrsg. v. Karl Christian Wolfahrt. Berlin: Nikolai , S. .



 Theoretische Vorarbeiten

der Kraft von Magneten bediente. Darin gleicht sein Ansatz im Wesentlichen der Erklärung der Elektrokrankheit, die in Kapitel . dieser Arbeit thematisiert wird. Mesmer entwickelte eine Kollektiv-Therapie, bei der mehrere Teilnehmer miteinander über Seile »verbunden« wurden. Eine »magnetische Flut« sollte so durch die Behandelten strömen. Bischof sieht verschiedene Wissensströmungen in der direkten Nachfolge des Mesmerismus. Der Somnambulismus, der Fluidalismus, Animismus, Hypnotismus oder Suggestionismus; Parapsychologie, Paraphysik, Radiästhesie, und schließlich in der Folge des Suggestionismus die Hypnoseforschung und Psychoanalyse. Über Bischof hinausgehend kann man dies weiterführen bis zur heutigen Elektrosmoglehre (siehe Kapitel .). Nachdem Mesmer in Paris mit Scharlatanerie-Vorwürfen konfrontiert wurde, stellte eine wissenschaftliche Kommission fest, dass es keinen neuartigen, von Mesmer behaupteten animalischmagnetischen physikalischen Effekt gab, dass mögliche Heilwirkungen seiner Praxis aber aufgrund von »Einbildung« möglich seien – damals wurden schon ähnliche Debatten geführt wie heute, wenn es etwa um Placebowirkungen der Homöopathie geht. Nachdem der Mesmerismus von der etablierten Medizin abgelehnt worden war, wurden seine nachfolgenden Ausbreitungsformen okkulter.  gründete Mesmer selbst die »Gesellschaft der Harmonie«, einem Zirkel, deren Symbolik dem Freimaurerischen entlehnt war. Mesmers Tendenz wies zunehmend hin in Richtung esoterischer Ikonographie und dem Gedanken, dass Wissen vom Meister auf Schüler zu übertragen sei. Der Mesmerismus in der Nachfolge seines Schöpfers befasste sich mehr mit Somnambulismus, und spaltete sich auf in zwei Strömungen, den Fluidalismus, der den physikalischen Aspekt betonte (des Fluidums oder des Magnetismus), und den Animismus, Hypnotismus oder Suggestionismus, der die Betonung mehr auf den psychischen Aspekt des Geschehens bei der Mesmerisation legte, vor allem auch auf die Person des Durchführenden. Der Fluidalismus berei Später entwickelte er seine Behandlungsmethode weiter in eine Richtung, in der es mehr auf seine eigene Präsenz und Fähigkeit als Arzt ankam als auf materielle Instrumente. Mesmer kann damit als Vorreiter der psychoanalytischen Arzt-Patienten-Relation gelten.  Bischof: Tachyonen, Orgonenergie, Skalarwellen, S. . Auffallend sind die Parallelen zu spiritistischen Séancen, und zu den zeitgenössischen Arrangements, etwa bei den in dieser Arbeit besprochenen Behandlungen mittels E-Meter oder Quintstation. Siehe dazu Kapitel .  Ebd., S. .  Ebd., S. .  Faivre: Esoterik, S. .

. »Paraphysik«, »Parawissenschaft« und »Pseudowissenschaft«



tete den Weg für Parapsychologie, Paraphysik, Radiästhesie, der Suggestionismus für die Hypnoseforschung und Psychoanalyse. Die Mesmer-Theorie eines alles durchdringenden Fluidums lebte fort in den Modellen von Reichenbach und Reich (Od und Orgon – siehe dazu das Kapitel . »Schutz vor Elektrosmog«). Wie das Begriffspaar Parawissenschaft / Paraphysik ist auch der Terminus Pseudowissenschaft gut ausgearbeitet. Pseudowissenschaft – also Wissen, welches sich für wissenschaftlich ausgibt ohne es zu sein – wird dabei anhand ihrer Grenze zu »Wissenschaft« definiert. Der Wissenschaftshistoriker Michael Hagner stellt fest, dass in der Moderne häufig das Kriterium der Falsifizierbarkeit herangezogen wird, um zwischen Wissenschaft und sich als Wissenschaft gerierende Nichtwissenschaft, also Pseudowissenschaft, zu unterscheiden. Dies geht auf die Arbeiten von Karl Popper zurück: Hypothesen müssen überprüfbar sein und verworfen werden, wenn empirische Befunde ihren Vorhersagen nicht entsprechen. Pseudowissenschaften sind allerdings so konstruiert, dass ihre Hypothesen nicht widerlegt, manchmal nicht einmal überprüft werden können. Zudem gehen Pseudowissenschaftler meist so vor, dass sie Widerlegungen ihrer Hypothesen gleich grundsätzlich ablehnen, indem sie sie als fehlerhaft oder betrügerisch einstufen. Tatsächlich hat sich aber das Wissenschaftsverständnis des Kritischen Rationalismus durchgesetzt. Legt man dessen Kriterien an, qualifizieren sich die in dieser Arbeit besprochenen Texte von Wasser- und Elektrosmog-Gurus (wie sie in Kapitel ,  und  behandelt werden) nicht als Wissenschaft: Aussagen werden nie durch genaue Quellenbelege gestützt, oft werden nur sehr vage Andeutungen auf Literatur gemacht; angeblich »physikalische« Beweisführungen werden selten mit Daten und Formeln, meist nur mit spärlich erläuterten graphischen Darstellungen untermauert, angegebenes Zahlenmaterial gibt kaum Auskunft über seine Herkunft. Auf diese Weise entziehen sich die Behauptungen einer Überprüfung. Neben der Falsifizierbarkeit gibt es noch andere Kriterien für Wissenschaftlichkeit. Man kann dies auch von institutioneller Seite aus betrachten: Esoteriker publizieren ihre Texte meist in eigenen Verlagen und treten auf dezidierten EsoterikKongressen oder in Nicht-Mainstream-Medien (einschlägige Web-Platformen) auf. Pseudowissenschaft

 Bischof: Tachyonen, Orgonenergie, Skalarwellen, S. .  Dieser Abschnitt zum Thema Pseudowissenschaft geht auf meine Masterarbeit zurück. Nils Menzler: Geldströme, Magnetfelder und die Weltlandbrücke. Lyndon LaRouche als Apokalyptiker, Ideologe, Wissenschaftler? Bochum: Masterarbeit .  Vgl. Hagner: Bye-bye science, welcome pseudoscience?, S. –.



 Theoretische Vorarbeiten

Sie zitieren keine aktuelle Literatur. Der Stil ist oft selbstherrlich und von Verfolgungswahn gekennzeichnet. Allerdings ist ein solcher Stil kein Ausschlusskriterium für Wissenschaftlichkeit von Thesen. Die Frage, wo die Demarkationslinie zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft liegt, oder es eine eine solche harte Grenze überhaupt gibt, spielt für den Gegenstand dieser Arbeit auch keine Rolle. Vielmehr soll untersucht werden, wie als Pseudowissenschaft bezeichnete esoterische Lehren versuchen, eine Überzeugungswirkung zu entfalten. Tatsächlich verstehen sich einige Parawissenschaften als sogenannte Observational Theories (OTs) – auch hier ist der Versuch zu registrieren, einen fachsprachlichen Begriff zu verwenden, um die Ernsthaftigkeit des eigenen Unterfangens zu untermauern. OTs existierten im weitgehenden Einklang mit den physikalischen Gesetzen; ihre Transgressionen werden als »schwache Verletzung« der Naturgesetze angesehen. Das Themenfeld Pseudowissenschaft ist bereits intensiv untersucht. Schon in den er Jahren hat der amerikanische Wissenschaftsjournalist Martin Gardner eine Zusammenstellung von damals in den USA populären Pseudowissenschaften zusammengetragen , von UFO-Glaube über Homöopathie, Alfred Korzybskis General Semantics und flatearth-Theorien bis hin zur Dianetik des Gründers der Scientology L. Ron Hubbard. Zwei zentrale Eigenschaften identifiziert Gardner, anhand derer man Pseudowissenschaften erkennen könne: Erstens eine schwache Beweislage (mangelnde »evidence« ), zweitens die wissenschaftliche Inkompetenz (mangelnde »scientific competence« ) ihrer Verfasser, die Gardner vor allem in wissenschaftlicher Isolation bewiesen sieht. (Natürlich gab es in der Wissenschaftsgeschichte auch bedeutende Leistungen von Menschen, die verfemt wurden.) Als typisch für Pseudowissenschaften sieht Gardner daneben paranoische Züge bei ihren Verfassern an. Allgemein stellt Gardner eine Liste von Eigenschaften auf, die er in pseudowissenschaftlicher Literatur immer wieder findet : Erstens, so schreibt Gardner, hielten sich Pseudowissenschaftler für Genies. (Da Gardner hier von Pseudowissenschaft betreibenden Personen ausgeht und  Lucadou: Paraphysik, S. .  Vertreter der wissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema sind: Shermer: Why People Believe Weird Things und Friedlander: At the Fringes of Science.  Martin Gardner: Fads and Fallacies in the Name of Science. New York: Dover , S. .  Ebd.  Ebd., S. –.

. »Paraphysik«, »Parawissenschaft« und »Pseudowissenschaft«



psychologisch-charakterologische Eigenschaften als maßgeblich ansieht, siehe hierzu Kapitel  zu »Gurus« und Propheten.) Zweitens: Pseudowissenschaftler bezeichneten ihre Konkurrenten beziehungsweise Kollegen (je nach Sichtweise) als ignorant und unehrlich. Drittens fühlten sich Pseudowissenschaftler zu Unrecht verfolgt. Sie sehen sich dabei als Wiedergänger von solchen verkannten wissenschaftlichen Genies wie etwa Galileo Galilei. Oft werden Pseudowissenschaften von Einzelkämpfern geschaffen, die einen Gestus kultivieren, sich wie ein Held allein gegen die herrschende Meinung zu stellen. Sie versuchen damit meist, zu einer Erlöserfigur zu werden. Sie können eine treue Anhängerschaft anziehen, die der einer Glaubensgemeinschaft gleicht. Außer auf sich selbst, berufen sich Pseudowissenschafts-Gurus häufig auf eine lange Traditionslinie von Denkern aus Pseudowissenschafts- und Wissenschaftsgeschichte. (Siehe hierzu Kapitel . zum Elektrosmog und Kapitel  über Gurus und Propheten.) Und fünftens, so Garndner, hätten Pseudowissenschaftler die Neigung, in einem komplexen Jargon und oftmals unter Verwendung von selbstgeschaffenen Begriffen zu schreiben. Dies wird paradigmatisch von L. Ron Hubbard betrieben. In dessen »Theorie des Verstandes« wimmelt es nur so von Fachausdrücken, die Hubbard eigens definiert: Dianetik, »analytischer« und »reaktiver Verstand«, Engramm, Key-in, Tonskala, Aberration, Dynamik, Auditing, Bank, Basik-Basik, Clear, Release, Dub-in, Dämon, Ketten, Sonik, Visio und mehr. Seinem Hauptwerk ist gar ein »Lexikon« genanntes Glossar beigegeben. Weiterhin führt Gardner als Charakteristik an: Alle Elemente des Weltbilds einer Pseudowissenschaft passen perfekt zusammen – »es gibt keine Kontingenz im Wahnsystem«. Erfüllt ein Text die fünf von Gardner festgelegten Kriterien, so leidet seine Glaubwürdigkeit. Das heißt aber nicht zwingend, dass die Thesen tatsächlich auch unwissenschaftlich sein müssen. Es ist denkbar, dass große wissenschaftliche Leistungen in einem derartigen Stil erbracht werden. Korrumpierte Glaubwürdigkeit allein bedeutet noch keine Unwissenschaftlichkeit. Im Sinne von Genremerkmalen treffen die genannten Stileigenschaften jedoch auf die Texte von Hubbard, von Emoto und von den Elektrosmog-Feinden zu. Andere Disziplinen haben eigene Begriffe gefunden, um das pseudowissen L. Ron Hubbard: Dianetik. Der Leitfaden für den menschlichen Verstand. Kopenhagen: New Era .  Vgl. Gardner: Fads and Fallacies, S. .  Menzler: Geldströme, Magnetfelder und die Weltlandbrücke, S. .



 Theoretische Vorarbeiten

schaftliche oder parapsychologische Denken zu beschreiben. Diese Begriffe sind dabei meist psychologisierend. Peter Brugger nähert sich dem parapsychologischen Denken als Neurologe und versteht paranormale Erscheinungen als »hyperkreatives« Mustersehen – Apophänie genannt. Das wäre dann – wie Paranoia und Verschwörungstheorien – ein pathologischer Befund. Shermer diskutiert die gleichen Denkvorgänge in Pseudowissenschaften unter den Termini »patternicity« (Mustersehen) und »agenticity« (Zuschreibung von Einflussnahme und Handlungsmacht). Trotz etwaiger Unterschiede werden beide Begriffe, Pseudowissenschaft und Parawissenschaft, im Folgenden synonym verwandt, da sie die gleichen Charakteristiken aufweisen und ihnen die gleichen historischen Phänomene zugerechnet werden. Die Unterschiede liegen, wie gesagt, vor allem in der Bewertung: Pseudowissenschaft als abwertender Begriff und Parawissenschaft als apologetischer. Bekannte Wissensformen die gleichermaßen unter Pseudo- und Parawissenschaft firmieren, sind etwa der Mesmerismus, die Homöopathie, Psi-Phänomene oder Theorien zu Elementarteilchen wie »Tachyonen« (postulierte Elementarteilchen, die sich schneller als das Licht bewegen sollen) und esoterische Deutungen der Quantenmechanik. Eines der prominentesten Beispiele einer alternativmedizinischen Parawissenschaft ist die Homöopathie. Zumindest eine ihrer Grundannahmen ist von ihrem Prinzip her nicht unverwandt mit einem heute allgemein anerkannten medizinischen Prinzip: dem Impfen. Auch heute noch erfreut sich Homöopathie in Deutschland einer großen Popularität. Die eigentlich Mittel sind, aus historischen und lobbyistischen Gründen, gar apothekenpflichtig, was ihnen eine gewisse medizinische Dignität verleiht. Aber auch Weiterentwicklungen bis hin zu »Homöopathie zum Aufmalen« bevölkern den esoterischen Markt. Samuel Hahnemann erfand die Heilmethode ab Ende des . Jahrhunderts als Gegenbewegung zu der zu seiner Zeit brutalen Medizin, die auf Aderlässen und ähnlichem beruhte. Hahnemann verwendet schon die Semantik »sanft« , die in der gegenwärtigen AlternativmediHomöopathie

 Peter Brugger: From Haunted Brain To Haunted Science. A Cognitive Neuroscience View of Paranormal and Pseudoscientific Thought. In: Hauntings and Poltergeists. Multidisciplinary Perspectives. Hrsg. v. James Houran und Rense Lange. Jefferson: McFarland & Co. , S. – , hier S. .  Wie auch L. Ron Hubbard sein Auditing und als milderes Gegenmodell zu seinerzeit üblichen gewalttätigen Eingriffen – wie etwa der Lobotomie – in der Psychiatrie verstand.  Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. . Aufl. Dresden: Arnold , S. .

. »Paraphysik«, »Parawissenschaft« und »Pseudowissenschaft«



zin eine kardinale Position einnimmt. Er verabreichte medizinische Mittel, deren Anwendung er folgendem Gesetz unterwarf: Gleiches solle mit Gleichen bekämpft werden (unter dem Wahlspruch: »similia similibus curentur« ). Das heißt, ein Medikament, welches in hoher Dosierung einen bestimmten Symptomkomplex auslösen würde, sei in der Lage, in niedriger Dosierung ebenjene Symptomatik zu bekämpfen. Zwar gilt die Homöopathie heute in der wissenschaftlichen Gemeinschaft einhellig als widerlegt, das Wirkprinzip findet sich dennoch – in abgewandelter Form – bei der Vakzination (der Impfung gegen übertragbare Krankheiten). Die Idee des Gleiches-mit-Gleichem-Bekämpfen war also durchaus wirkmächtig. Später gelangte Hahnemann zu der Ansicht, dass eine stärkere Verdünnung (mit Wasser oder Ethanol) seiner Wirkstoffe eine stärkere Heilwirkung entfalten könne. Dieses Verdünnungs-Prinzip gilt als naturwissenschaftlich widerlegt, spielt jedoch in der heutigen Esoterik eine große Rolle. Die homöopathischen »Potenzen« – wie die Mischungen nach der Zahl der Mischvorgänge genannt werden – können derart verwässert sein, dass sich theoretisch kein einziges Molekül eines Wirkstoffes mehr in einer Lösung befinden kann. Sollte das Mittel dennoch eine Wirkung entfalten, so die Esoteriker, sei dies ein Beweis dafür, dass Wasser in der Lage sein müsse, Informationen oder Energien jenseits der bekannten Molekülebene zu speichern (siehe Kapitel  dieser Arbeit). Neben der Homöopathie in der Medizin hat auch die Paraphysik stilbildende Lehren hervorgebracht, die geschichtlich oft analog zur Entwicklung der Physik verlaufen. Ihr Thema ist häufig »Informationsübermittlung«. Darunter fallen vier paraphysikalische Phänomene. Hellsehen, Telepathie, Präkognition und Telekinese, also Vorhersehen, Kommunikation mit Abwesenden / Gedankenlesen und Bewegen von entfernten Gegenständen (ohne eigene Berührung; genau wie bei der anscheinend immateriellen Kommunikation). Da es hier also um Kommunikation zwischen Menschen geht, fallen diese Theorien ebenfalls in den Bereich der Parapsychologie. Man hat versucht, Telepathie und Präkognition mit der »elektromagnetischen Hypothese« zu erklären, wie von Lucadou darlegt. In solchen Begriffen sind die Geschichten von Paraphysik, Naturwissenschaft und Medien eng miteinander verwoben. Die Entdeckung elektromagnetischer Wellen schien auch  Hahnemann: Organon der Heilkunst, S. .  Vgl. auch Joachim Hornung: Homöopathie. In: Kleines Lexikon der Parawissenschaften, S. –, wobei der Autor jedoch als Verfechter der Homöopathie erscheint.  Vgl. Lucadou: Paraphysik, S. .



 Theoretische Vorarbeiten

parapsychologische Phänomene wie Telepathie erklären zu können. Bezeichnend ist hier die Anekdote, wie der Erfinder der Elektroenzephalographie, Hans Berger, zu seiner Motivation kam. So erzählte er, als junger Soldat habe er eines Tages einen Unfall gehabt, und just später an dem selben Tag die einzige telegraphische Frage seines Vaters nach seinem Wohlbefinden erhalten, da wohl seine Schwester wiederum gegenüber den Eltern bekundet hätte, sie habe gespürt, ihm, Berger, sei etwas zugestoßen. Berger hatte sich erhofft, die EEG, die Messung der elektrischen Aktivität des Gehirns, könne Rückschlüsse auf eine telepathische Kommunikation zwischen Gehirnen zulassen. Diese sogenannte »elektromagnetische Hypothese« von Berger besagt, dass psychische Energie ähnlich elektromagnetischer Wellen zwischen Gehirnen übertragen werden kann, aber eben in eigener Form; während andere der Ansicht waren, dass diese Gehirn-Kommunikation mittels eines Bereichs des elektromagnetischen Spektrums vor sich gehen würde (etwa per ELF, extra low frequency waves). Medienhistorisch verbinden sich hier die damals neue Technik der Telegraphie, die Vorstellung von Telepathie und die Entwicklung einer neuen technischen Messmethode, der EEG. Dies berührt verschiedene andere Bereiche, wie Radiästhesie oder elektromagnetische Hypersensibilität (siehe dazu Kapitel .). Einen weiteren Auftrieb erhielt die esoterische Paraphysik nach dem Aufkommen der Quantenmechanik. Bereits  fand in Genf eine Tagung zu »Quantenphysik und Parapsychologie« statt. Die Kontraintuitivität des quantenmechanischen Modells, unter anderem der Welle-Teilchen-Dualismus, zog verschiedenste Theorien neben der arrivierten Kopenhagener Deutung nach sich – so etwa die Mechanik von David Bohm, die sich allerdings noch innerhalb der Grenzen der institutionalisierten Physik befindet, aber auch abseitigere Theorien, wie den ganzheitlichen Ansatz von Fritjof Capra, den der österreichische Physiker in seinem Buch Das Tao der Physik (zuerst  erschienen) vorgelegt hat . Dort denkt Capra die Implikationen der Quantenphysik mit fernöstlichen Weisheiten und einem Holismus der Natur zusammen, und begründet daraus seine Forderungen nach der Überwindung der kartesianischen Trennung und ein größeres UmweltbeQuantenmechanik und Esoterik

 Hans Berger: Psyche. Jena: Fischer , S. .  Lucadou: Paraphysik, S. .  Fritjof Capra: The Tao of physics. An exploration of the parallels between modern physics and eastern mysticism. Berkeley: Shambhala .

. »Paraphysik«, »Parawissenschaft« und »Pseudowissenschaft«



wusstsein. Derartige Auslegungen werden der Quantenmystik zugerechnet, deren Begriffsinventar Esoterikprodukte auf dem derzeitigen Markt gerne verwenden, was seit den ern häufig geschieht. Theoretisch spielt hier die Vakuumfluktuation eine große Rolle, also das Entstehen und sofortige Wiederzerfallen von TeilchenAntiteilchen-Paaren im Vakuum. Diese wird von Paraphysikern und Esoterikern oft als Quelle der vermuteten unerschöpflichen Weltenergie gesehen. Das Phantasma unerschöpflicher, emissionsfreier Energie tritt in der Esoterik häufig auf: die Außerkraftsetzung des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik findet sich in der Esoterik immer wieder, etwa bei Wilhelm Reich und bei Esoterikprodukten wie dem in dieser Arbeit besprochenen Wasseraufbereiter Aqua-Power-Joint (siehe Kapitel .). Holistische Umdeutungen von Relativitäts-, Quanten- und anderen modernen naturwissenschaftlichen Theorien finden sich in Paraphysik und Esoterik. Zu nennen sind unter anderem die »Geometrodynamik« von John Wheeler. , einer Umformulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie oder das sogennante »Cognitive Theoretic Model of the Universe« (CTMU) eines gewissen Christopher Langan. An dieser Theorie eines zeitgenössischen Paraphysikers lässt sich zeigen, wie die Paraphysik an neuere Entwicklungen der institutionellen Wissenschaft anschließt. Langan ist ein Außenseiter-Wissenschaftler, der vor allem durch seine Selbstinszenierung auf sich aufmerksam macht. (Zu seiner Biographie und Selbststilisierung siehe Kapitel  dieser Arbeit.) In mehreren Schriften, maßgeblich in einem -seitigen Paper legt Langan die CTMU vor, die eine Theory of Everything darstellen soll, also eine umfassende Erklärung für das Entstehen und das Funktionieren des Universums, also etwas, das Physiker wie Stephen Hawking in Publikumsbüchern herbeisehnen. Langan gibt vor, große Aporien der Wissenschaft lösen zu können, wie die Unvereinbarkeit von Quantenmechanik und Relativitätstheorie, die Auflösung des Widerspruchs zwischen Zufall und Determinismus, die Frage der Unumkehrbarkeit der Zeit, die Beschleunigung der Ausdehnung des Universums. Er will den Geist-Materie-Dualismus beenden (wie in der WisCTMU

 Zum Holismus siehe Kapitel . dieser Arbeit.  Vgl. Lucadou: Paraphysik, S. .  Christopher Langan: The Cognitive-Theoretic Model of the Universe. A New Kind of Reality Theory. In: Progress in Complexity, Information, and Design . : https://web.archive.org/ web/20180509221058/http://www.megafoundation.org/CTMU/Articles/Langan_CTMU_ 092902.pdf (besucht am . . ).



 Theoretische Vorarbeiten

senschaftsgeschichte bereits vielfach versucht oder getan) und, was ihn besonders umtreibt, er will eine Kritik der auf Zufall oder Kontingenz bauenden Darwinschen Evolutionstheorie formulieren, die er auf eine physikalisch-kosmologische Grundlage stellen möchte. Seine komplexe Darstellung hat im Wesentlichen das Ziel, das Universum als sich selbst perzipierendes und prozessierendes System zu bestimmen, das seine eigenen Regeln zu Weiterentwicklung und Prozessierung schreibt und schließlich seine eigene Deutung hervorbringt. Das Modell des Universums, so Langan, müsse ein Modell der Perzeption sein. Die Währung der Perzeption sei Information, die demzufolge Gegenstand von Langans Theorie ist, und die so modelliert werden müsse, dass sie die Möglichkeit der Selbstreflexion und Selbsthervorbringung enthalte. Die CTMU definiert das Universum oder die Realität als »Self-Configuring Self-Processing Language« , eine reflexive Sprache, die nicht nur durch Selbstreferenz und rekursive Selbstdefinition charakterisiert ist, sondern durch die vollständige Selbstkonfiguration und Selbst-Ausführung (»reflexive read-write functionality« in IT-Begriffen ausgedrückt). Information soll dabei eine Vereinigung von Materie und Geist sein, und die Vorstellung der Selbst-Regelgebung soll garantieren, dass es keinen Determinismus gebe. Denn Determinismus sei immer, so Langan, Fremd-Determinismus von außerhalb des Systems; der von Langan vertretene Selbstdeterminismus regele dagegen die vermeintliche Zufälligkeit in Quantenmechanik und Evolution. Echter Zufall wird von Langan als »Magie« abgelehnt. Die Selbsthervorbringung des Universums soll als Folie für die biologische Evolutionstheorie dienen. Insofern also das Universum sich seine eigenen Rahmenbedingungen schreibt, könne Langan das Konzept des Intelligent Design neu formulieren. Intelligent Design, also die Annahme, dass ein intelligenter Schöpfer die Entstehung des Universums in Gang gesetzt hat und die Weiterentwicklung und auch die biologische Evolution betreut und steuert. Dieses intelligente Schöpfung könne so erklärt werden, dass sie das Universum selbst sei. Das generelle Konzept Langans unterscheidet sich nicht von gängigen modernen Theorien wie Kybernetik und Systemtheorie, und die Vorstellung der sich im Laufe der Zeit selbst erkennenden Welt gemahnt gar an Hegels Entfaltung des Weltgeistes. Explizit bezieht er sich auf den eben erwähnten John Wheeler,  Langan: The Cognitive-Theoretic Model of the Universe, S. . Die Seitenzählung folgt hier einem von Langan selbst veröffentlichtem PDF und nicht der Zeitschriftenfassung.  Ebd., S. .  Vgl. auch »Gnosis« und »Demiurg« im nachfolgenden Kapitel.

. Phantasmen gegenwärtiger Esoterik: Spirituelle Deutung von Technologie in moderner Gnosis



den Urheber der Geometrodynamik. Auch erscheint es aufschlussreich, dass eine so aktuelle paraphysikalische Theorie sich am relativ jungen Informations-Begriff entfaltet. Der Unterschied zwischen anerkannten Theorien und der CTMU besteht einerseits in der mangelnden akademischen Akzeptanz, andererseits in den vollmundigen Ankündigungen und im umfassenden Anspruch. Die Kaprizierung auf das Thema des Intelligent Design steht in dem Kontext, dass Langan als DarwinKritiker auftritt und zumindest einen Aufsatz in einem christlichen amerikanischen Kreationisten-Sammelband platziert hat. Dabei macht seine Theorie ja den der Physik unverfügbaren Gott obsolet. Langan lässt ihn aber insofern aufleben, als Theologie und Spiritualität Ergebnisse des Selbst-Designs des Universums seien. Pseudowissenschaft und Parawissenschaft sind also Begriffe, um den wissenschaftlichen Status moderner esoterischer Lehren zu erheben. Der Terminus Parawissenschaft, der eine räumliches Verhältnis zu den Wissenschaften markiert, wird dabei häufiger in apologetischen Zusammenhängen verwendet, der Begriff Pseudowissenschaft dagegen in ›debunkenden‹ (entlarvenden) Ansätzen. Unter dem Pseudowissenschaftsbegriff werden eher charakterologische Eigenschaften und Überzeungungsstrategien beschrieben, während der Parawissenschaftsbegriff auf historische Parallelentwicklungen und einen epistemisch gleichwertigen Status hinweisen will. Die eben erwähnte CTMU stellt mit ihren Anschlüssen an informatisches und kybernetisches Wissen ein einschlägiges Beispiel dar, das zugleich eine Verbindungslinie zum nächsten Kapitel verkörpert, welches sich der spirituellen Deutung von Technologie zuwendet. . Phantasmen gegenwärtiger Esoterik: Spirituelle Deutung von Technologie in moderner Gnosis Im Laufe dieser Arbeit wenden wir uns technischen Apparaten und Anwendungen zu, denen ihre Hersteller metaphysische und heilerische Fähigkeiten zuschreiben.  Christopher Langan: Cheating the Millennium. The Mounting Explanatory Debts of Scientific Naturalism. In: Uncommon Dissent. Intellectuals who find Darwinism unconvincing. Hrsg. v. William Dembski. Wilmington: ISI . In diesem Sammelband ist auch der Physiker Frank Tipler vertreten, der in dieser Arbeit im Zusammenhang mit cybermystischen Theorien erwähnt wird.  Dieses Kapitel geht auf einen Artikel von mir zu Cybergnosis und Cybermystik zurück. Nils Menzler: Religion: Cybergnosis, Cybermystik. In: Handbuch Virtualität. Hrsg. v. Dawid Kasprowicz und



 Theoretische Vorarbeiten

Wasseraktivierer, E-Meter und dergleichen erschienen, wie mehrmals erwähnt, auf den ersten Blick wie bloße Scharlatanerie. Die spirituelle Deutung von technologischen Artefakten hat jedoch eine lange Tradition. Wie weiter unten zu sehen, hat David Noble das sogar bis zu mittelalterlichen Klöstergärten zurückgerechnet , oder, noch radikaler und auch zurecht, Erik Davis dies in der Schrift der Tora gesehen. Die Scheidung von profan und tranzendental sei durch die Einführung alphabetischer Schrift erst etabliert worden. Im darauf Folgenden verweist Davis darauf, wie in der jüdischen Tradition das Heilige erst dadurch hergestellt wurde, dass die Schrift selbst (die Tora-Rollen) als heilige Materialität betrachtet wurde. Der Zugang zum Heiligen wird über die Schrift geregelt, über Materialitäten und Praktiken, neben den Schriftrollen auch die Teffilin-Gebetsriemen und ihre praktische Handhabung. Diese Fetischisierung der Texte und des Rezeptionssvorgangs sei auch die Grundlage des monotheistischen Glaubens gewesen. Das Transzendente ist also grundsätzlich medial. Der rumänische Religionswissenschaftler Ioan Couliano vertritt in seiner berühmten Studie über die Renaissance die These, dass die moderne, auf naturwissenschaftlicher Grundlage entwickelte Technologie eine Umsetzung alter magischer Fantasien sei. Historians have been wrong in concluding that magic disappeared with the advent of »quantitative science.« The latter has simply substituted itself for a part of magic while extending its dreams and its goals by means of technology. Electricity, rapid transport, radio and television, the airplane, and the computer have merely carried into effect the promises first formulated by magic, resulting from the supernatural processes of the magician: to produce light, to move instantaneously from one point in space to another, to communicate with faraway regions of space, to fly through the air, and to have an infallible memory at one’s disposal.

Aber seit dem . Jahrhundert hat sich doch eine stärkere Fetischisierung von naturwissenschaftlichem Fortschritt und medientechnischen Innovationen im Hinblick auf Erlösungsphantasien herausgebildet. Religionswissenschaftler haben dies unter dem Begriff »moderne Gnosis« zusammengefasst. Diese Art der modernen Stefan Rieger. Heidelberg und Berlin: Springer  (im Erscheinen).  David Noble: The Religion of Technology. The Divinity of Man and the Spirit of Invention.  [Ndr. New York: Penguin ].  Davis: Techgnosis, S. .  Ebd., S. .  Ioan Coulinao: Eros and Magic in the Renaissance. Übers. v. Margaret Cook. Chicago , S. . Auch Davis bezieht sich auf diese Passage.

. Phantasmen gegenwärtiger Esoterik: Spirituelle Deutung von Technologie in moderner Gnosis



Gnosis ist nun die Grundlage für den gegenwärtigen Techno-Trend in der Esoterik. Aber auch holistische Technoreligionen wie Scientology und Raëlismus entstammen dieser Tradition. Derartige Weltentwürfe auf technologischer Basis finden sich in den Internet-Phantasien, die in den er Jahren unter den Namen Cybergnosis und Cybermystik ausformuliert worden sind. Moderne Gnosis Modern-gnostische Tendenzen sind seit den er Jahren fester Teil der Populärkultur: UFO-Gläubige, der Aufstieg des Buddhismus in Hollywood, Gäste der Sendung von Oprah Winfrey, die mit Engel-Ansteckern auftreten, Mystery-Fernsehserien und das Kartenspiel Magic the Gathering  sind Erscheinungen, die auch heute, fast  Jahre später, in gleicher Weise reüssieren. Die Begriffe Gnosis und Mystik bezeichnen eigentlich spätantike und mittelalterliche Denkschulen. Gnosis meint persönliches, religiöses Geheimwissen, ›höhere‹ Erkenntnis. Normalerweise werden mit Gnosis, Gnostik und Gnostizismus religiöse Lehren des zweiten und dritten Jahrhunderts nach Christus bezeichnet, in denen es darum geht, dieses höhere Wissen in seiner Existenz zu behaupten und ein Erlangen dieses Wissens durch Praxis zu versprechen. Gnosis ist eine christliche Tradition, doch nicht alle ihre Eigenschaften sind christlich: So beinhaltet sie zum Beispiel den Glauben daran, dass die physische Welt nur ein Trugbild sei, eine Art Kerker, geschaffen von einem falschen Gott, dem Demiurgen . Weiterhin ist es Teil gnostischer Lehre, die Gottesebenbildlichkeit des Menschen zu proklamieren – was christologisch ist, in christlicher Lehre jedoch hybrid erscheinen kann. Zentral für Gnosis ist daneben ihr Ziel der Transformation. In einem Moment der Erkenntnis, eben im Moment der Gnosis, würde der Mensch sein falsches Dasein transzendieren und seine ursprüngliche Göttlichkeit wiedererlangen. Diese Erkenntnis der Wahrheit kann dabei in der gnostischen Lehre nie durch sprachlich vermittelte rationale Gedanken erlangt werden, sondern immer nur durch die persönliche Erfahrung einer inneren Offenbarung. Ihr Wissen ist nicht frei zugänglich

 Ein Spiel, in dem die Sammelkarten als Zaubersprüche gespielt werden. Zu Anfang, , wurde das Hobby deswegen in den amerikanischen Medien auch empört und panisch als »okkult« und gar »satanisch« bezeichnet.  Davis: Techgnosis, S. .  Vgl. Hans Jonas: The Gnostic Religion. The Message of the Alien God and the Beginnings of Christianity. Boston und Beacon Hill: Beacon Press , S. .  Hanegraaff: New Age Religion and Western Culture, S. .



 Theoretische Vorarbeiten

– das unterscheidet es vom religiösen und rationalen Wissen. Wäre die gnostische Erkenntnis sprachlich vermittelbar, könne sie keine transzendenten Inhalte umfassen, wäre sie Teil einer Glaubenslehre, wäre sie einer fremden Autorität unterworfen – beides widerspräche ihrem Wesen. Religionswissenschaftler haben gnostische Aspekte in modernen Wissenssystemen ausgemacht und diese Strömungen daraus folgend als gnostisch oder moderngnostisch bezeichnet. Darunter fallen etwa okkulte Praktiken des . Jahrhunderts, New-Age-Phänomene der er/er Jahre und auch die Cyberspace-Fantasien der er und er Jahre. Der Esoterikforscher Diethard Sawicki gibt dabei jedoch zu bedenken, dass es nicht plausibel sei, der moderne Diskurs führe die spätantike Denkform ideengeschichtlich fort. Die modernen, als gnotisch bezeichneten Strömungen kann man gerechtfertigterweise so nennen, weil sie bestimmte Denk-Charakteristiken teilen, die nur eben nicht direkt von den älteren abstammen. Stattdessen kann man moderne Gnosis als eine Reaktion auf moderne Entwicklungen und Dispositive verstehen. Diese »moderne Gnosis« sei dabei eine Form des Diskurses (keine religiöse Bewegung mit festen und exklusiven Mitgliedschaften und Zugehörigkeiten), die im . Jahrhundert zeitgleich mit der Ausdifferenzierung von Wissenschaft und Religion entstand. Aupers et al. sehen dies vor allen in Buchpublikationen, deren Emergenz erst durch Konsumkultur und Entstehung eines kapitalistischen Buchmarkts ermöglicht war. Zwar sei die gnostische Denkweise der modernen Gnosis also medientechnologisch und institutionell grundiert, ihre Motive und Themen jedoch übernimmt sie zum Teil direkt von älteren Formen gnotischer Lehren. Ein Spezifikum der modernen Spielart ist jedoch die Überhöhung und Sakralisierung des Selbst. Neswald gibt der Geschichte einen anderen Spin als Aupers et al. und leitet die moderne gnostische Denkweise nicht aus dem medientechnischen Dispositiv des Buchmarkts, sondern aus der Entwicklung der Wissenschaft des . Jahrhunderts ab. Für sie ist die physikalische     

Hanegraaff: New Age Religion and Western Culture, S. . Vgl. Aupers, Houtman und Pels: Cybergnosis, S. . Faivre: Esoterik. Sawicki: »Dirty Thinking«, S. . Vgl. Elizabeth Neswald: »All Computation is one«. Der Große Programmierer, der Universalcomputer und die Auferstehung der Information. In: Cybermystik. Hrsg. v. Luca Di Blasi. München: Fink  (= Mystik und Moderne ), S. –, hier S. .  Aupers, Houtman und Pels: Cybergnosis.  Neswald: »All Computation is one«.

. Phantasmen gegenwärtiger Esoterik: Spirituelle Deutung von Technologie in moderner Gnosis



Theorie der Energie Basis für modern-gnostisches Denken, da in diesem Paradigma einer universellen Kraft, die das Universum durchwirkt, gnostische Logiken angelegt seien (vgl. dazu die vis vitalis-Konzepte, die im Elektrosmog-Kapitel dieser Arbeit angesprochen werden). Erik Davis versteht moderne Gnosis vor allem als psychische Verfassung, technologische Erkenntnis zu überhöhen und Information über Geist und Materie zu stellen. Eine Entwicklung hin zu einer Virtualisierung, die im Technologiezeitalter nach dem Zweiten Weltkrieg Fahrt aufnahm, deren Grundlage aber schon früher gelegt war. Die Kunsthistotikerin Linda Henderson und der Literaturwissenschaftler Bruce Clarke erarbeiten das vor allem an dem Paradigmenwechsel von Energie und Information, der sich in der Wissenschaftsgeschichte im . Jahrhundert vollzog, vor allem manifestiert in der Wissenschaft der Kybernetik. One can trace the movement from energy to information by following the sequence of events that has channeled thermodynamics and electromagnetics into computation and media technology, the merger of life and information sciences, and the virtualization of matter and energy.

Information als körperlose Substanz eignet sich gewissermaßen noch besser als Grundstoff für gnostische Phantasmen der Überschreitung des Menschlichen und Irdischen. In der zeitgenössischen Esoterik ist dies abgebildet, wenn man die Prominenz von Semantiken der »Informiertheit« etwa von Wasser zur Kenntnis nimmt. Zwar gibt es auch weiterhin solche Betätigungsfelder wie »Energiemedizin« und »Quanten-Homöopathie«, aber der Wechsel von physikalischen zu informationellen Redeweisen ist vernehmbar. Eine Eigenart von Gnosis ist ihre paranoische Struktur: Es geht ihr um die Behauptung reiner Erkenntnis gegen dunkle Bedrohungen. So ist Gnosis auch eine Grundlage der amerikanischen Ideologie. In diesem Zusammenhang weist Davis auf die Schriften Thomas Jeffersons hin, der Ende des . Jahrhunderts die amerikanische Verfassung schrieb. Jefferson schwor bekanntlich »eternal hostility against every form of tyranny over the mind of man« . Die Amerikanische Gnosis

 From Energy to Information. Representation in Science and Technology, Art, and Literature. Hrsg. v. Linda Henderson und Bruce Clarke. Stanford: Stanford University Press .  Bruce Clarke: From Thermodynamics to Virtuality. In: From Energy to Information, S. –, hier S. .  Thomas Jefferson, zit. n. Davis: Techgnosis, S. .

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 Theoretische Vorarbeiten

Freiheit des Geistes wird hier paranoischer verstanden als etwa bei Kant, da die Unfreiheit bei Jefferson nur indirekt selbstverschuldet, nämlich als Folge einer feindlichen Belagerung angesehen wird, von der man sich kämpferisch zu befreien habe – dies ist der amerikanische Appell zur Eigenverantwortlichkeit. Für das amerikanische Selbst entstehe Authentizität aus Unabhängigkeit, also Unabhängigkeit von Unterdrückern. So sei nach dem Anglisten Harold Bloom die amerikanische Religion (also ihre Ausprägungen wie Evangelikalismus und Mormonentum) dergestalt strukturiert, dass sie davon ausgingen, es gebe etwas im Selbst, dass der Schöpfung vorausgehe. Dort könne man keinen sozialen Institutionen vertrauen, man vertraue nur dem Selbst selbst. Dementsprechend zitiert Davis Harold Bloom, der sagt, die amerikanische Religion glaube nicht, sondern wisse, und strebe nach immer mehr Wissen. ... the American Religion »does not believe or trust, it knows, though it wants always to know yet more. The American Religion manifests itself as an information anxiety, but that seems to me a better definition of nearly all religion than the attempts to see faith as a compulsive neurosis or as a drug.«

Freiheit wird also verstanden als der Zugang zu Information. Diesen Glauben nennt Davis »gnostisches Bewusstsein«. Der Begriff Mystik meint wie der Begriff Gnosis zunächst mittelalterliche und spätantike Denksysteme, konkret werden etwa die Lehren von Meister Eckhart oder Gregor von Nyssa diesem Spektrum zugerechnet. Die mystische Erfahrung ist eine religiöse Offenbarungserfahrung, die rational nicht erfasst werden kann. Wie auch bei der Gnosis wurden für die Mystik Entsprechungen in der Moderne Mystik

 Sich nicht zu unterwerfen – also ganz anders als in den älteren Paradigmen Katholizismus und Islam.  Vgl. Davis: Techgnosis, S. .  Harold Bloom: The American Religion. New York: Simon & Schuster , S. , zit. n. Davis: Techgnosis, S. . Die Passage, dass die amerikanische Religion nicht glaube, sondern wisse, pointiert der bekannteste bekennende Scientologe, der Schauspieler Tom Cruise. In einem Scientologyinternen Werbe-Video, das jedoch auf Youtube einsehbar ist, erklärt er immer wieder sein Credo, dass er im Besitz von speziellem Wissen und den richtigen Techniken sei, mit denen er die Welt verbessern könne: »You know these tools and you know that they work…«; »…being a Scientologist you look at someone and you know absolutely that you can help them«; »Being a Scientologist … when you drive past an accident it’s not like anyone else … as you drive past you know you have to do something about it because you know you’re the only one who can really help.« www.youtube.com/watch?v=OMvAXpqXj (besucht am ..).  Ebd. Vgl. auch den Wechsel hin zum Informationsparadigma.

. Phantasmen gegenwärtiger Esoterik: Spirituelle Deutung von Technologie in moderner Gnosis

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untersucht, etwa im Rahmen des Projekts »Mystik und Moderne« der Universität Siegen Mitte der er Jahre. Zentrale Eigenschaft der Mystik ist die Erfahrung der Einheit von Mensch, Natur und Gott. Die Subjekt/Objekt-Trennung, die entscheidendes Merkmal der neuzeitlichen Epistemologie ist, hat hier nicht stattgefunden. Es geht in der Mystik also um die »die Einheit der seienden Dinge mit einer umfassenden, vollkommenen Wirklichkeit, als Einheit von Mensch und Gott oder dem ›Absoluten‹«. Dieser Seinszustand ist unter dem Namen unio mystica bekannt. Der aus dem eben erwähnten Siegener Projekt hervorgegangene Band Cybermystik widmet sich mystischer Tendenzen im Hochtechnologiezeitalter. In seiner Einführung versteht der Herausgeber Luca Di Blasi Mystik als übergeordneten Begriff zu Hermetik und Gnosis. Später präzisiert er: Cybermystik und Cybergnosis seien komplementäre Begriffe, bei der Mystik die Utopie einer Vereinigung meint, Gnosis einen Erweckungsmoment, in dem das Individuum sich transformiert und emanzipiert von einem weltumspannenden, ebenfalls holistischen, aber feindlichen Verblendungssystem, in dem er lebenslang gefangen war. Die moderne Form der Gnosis manifestiert sich, so sehen es die meisten Autoren, seit dem . Jahrhundert. Für Aupers et al. sind die Grundpfeiler moderner Gnosis medientechnische Neuerungen der Zeit, die Entwicklung von Mystery-Literatur und okkulten Genres, während Neswald ihre Genese rein technisch-wissenschaftlich begründet sieht. Die okkulte Gnosis des . Jahrhunderts findet ihre Vorbereiter im europäischen Freimaurertum und im amerikanischen evangelikalen Protestantismus, die ebenfalls schon die Befreiung des Menschen propagierten. Neswald betont, dass die modernen und Cyber-Spielarten von Gnosis und Mystik nicht direkt inhaltlich auf den spätantiken Lehren aufbauen, sondern ihnen in der Struktur ihres Denkens ähneln. »Obwohl der Bilderschatz, die Metaphorik und die Denkmuster, auf die die Computerphantasien rekurrieren, an alte Topoi anknüpfen, wäre es Geschichte moderner Gnosis

 Klaus Vondung und K. Ludwig Pfeiffer: Einleitung. In: Jenseits der entzauberten Welt. Naturwissenschaft und Mystik in der Moderne. Hrsg. v. dens. Paderborn und München: Fink  (= Mystik und Moderne ), S. –, hier S. –.  Ebd., S. .  Cybermystik.  Luca Di Blasi: Kybernetik und Mystik. Zur Einführung in diesen Band. In: Cybermystik, S. –, hier S. .  Aupers, Houtman und Pels: Cybergnosis.  Neswald: »All Computation is one«.

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 Theoretische Vorarbeiten

irreführend, von einem nahtlosen Übergang zwischen dem Denken der Antike oder des Mittelalters und dem des späten . Jahrhunderts zu sprechen. Cybermystiker reagieren auch auf spezifische Veränderungen der Moderne.« Die Phantasmen moderner und zeitgenössischer Gnosis und Mystik führt Neswald zurück auf technologische Visionen des . Jahrhunderts, namentlich die Rechenmaschine Charles Babbages (–). In den Diskursen um den Babbage-Computer entfalteten sich bereits Ideen von informationellen Universen und virtueller Unsterblichkeit. Der naturwissenschaftliche Fortschritt diente als Motivspender: Dass man die ganze Welt unter dem Begriff der Energie interpretieren konnte, war Folge der Entdeckung des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik, und auch die spätere Variante, die Welt als Information zu deuten, geht letztlich auf dieses Konzept zurück. Der Ausspruch »alles ist Schwingung« vieler zeitgenössischer Esoterik fußt auf genau diesem Denken. Dass Kosmologie und die Theorie der physikalischen Energie seit den Entdeckungen der Naturwissenschaften seit dem . Jahrhundert in eins fallen, war die Grundlage dafür, dass in rezenten esoterischen und cybermystischen oder -gnostischen Gedankengebäuden die Information als der Webstoff des Universums angesehen wird. In der Nomenklatur gegenwärtiger »Übertragungs«-Geräte und -Verfahren lässt sich inzwischen ein semantisches Übergewicht der Informationsmetapher verbuchen. Immer noch werden Energien übertragen, aber eine Entkörperlichung, die Informationswerdung der ›guten Kräfte‹ nimmt zu. Information ist gewissermaßen eine gnostische Seinsstufe über der Energie. Und zugleich gilt Information in der Argumentationsweise vieler Esoteriker als das noch ›wissenschaftlichere‹ Konzept. Ein Grund, den Neswald anführt, um den Wandel von Energie zu Information als Gnosis-Spender zu erklären, ist auch, dass der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik, also das Gesetz der Entropie, den unweigerlichen Wärmetod des Universums festlegt. Das ewige Leben ist also physisch unmöglich. Die Verlagerung der Erlösung in einen virtuellen, aus Information gestrickten Raum jedoch eröffnet die Möglichkeit der Unendlichkeit wieder. Erik Davis zeichnet eine ähnliche Linie nach wie Neswald. Auch er sieht in der wissenschaftlichen Entwicklung im . Jahrhundert die Wegbereitung zeitgenössi Neswald: »All Computation is one«, S. .  Siehe zur Entwicklungslinie von Energie zu Information wie erwähnt auch: From Energy to Information.  Neswald: »All Computation is one«, S. .

. Phantasmen gegenwärtiger Esoterik: Spirituelle Deutung von Technologie in moderner Gnosis

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scher auf dem Informationsbegriff beruhender Cyberweltbilder. Mit der Entdeckung der galvanischen Zelle konnte die vitalistische Weltsicht das Lebens-Fluidum in der Elektrizität vermuten. Damit wurde die Materie-/Geist-Trennung des mechanistischen Zeitalters unterlaufen. Die Vorstellung der Elektrizität als zugrundeliegende Lebenskraft findet Davis dann auch in der kulturellen Imagination des romantischen Zeitalters, etwa in populären Erzählungen wie der FrankensteinGeschichte. Im . Jahrhundert ging die Entwicklung informationsbasierter Weltentwürfe weiter. Ein stilbildendes Beispiel ist die Noosphäre Teilhard de Chardins. In diesem kosmogenetischen Modell entwickelt sich die Welt in drei Stufen weiter. Die Hylooder Geosphäre ist durch unbelebte Materie bestimmt, die darauf folgende Biosphäre durch Lebewesen, und die finale, virtualisierte Noosphäre ist von Technologie und menschlicher Intelligenz konstituiert. Die global village-Vorstellung Marshall McLuhans hat man als eine entsakralisierte Variante der Teilhard’schen Noosphäre interpretiert , die zudem dessen Grundkonzept popularisierte. McLuhans elektrisch und medial aktualisierte Noosphärenversion war anschlussfähig und daher verwertbar für die späteren Internet- und Cyberspace-Vordenker. Aupers et al. sehen, wie erwähnt, die Geburtsszene moderner Gnosis weniger im physikalischen Energiebegriff, sondern in einem medientechnischen und kommerziellen Dispositiv: Die neuartigen mystischen und gnostischen Erzählungen haben erst aufgrund der Verbesserung der Drucktechnik und der Ausbildung eines kapitalistischen Buchmarkts als populäre Ware zirkulieren und sich vermehren können. Ihr Aufstieg verdankt sich also außer-religionsgeschichtlichen Faktoren. Im Lauf der Jahrzehnte haben sich die entsprechenden Literaturgenres ausdifferenziert in Form von Science-Fiction, Fantasy und Horror. Weitere Entwicklungsstufen moderner Gnosis und Mystik sind die Kybernetik (mit ihrer Etablierung des Informations-Paradigmas) und die New-Age-Bewegung mit ihren Aufbruch ins New Age

   

Davis: Techgnosis, S. . Ebd., S. . Di Blasi: Kybernetik und Mystik, S. . Vgl. Oliver Krüger: Gaia, God, and the Internet. The History of Evolution and the Utopia of Community in Media Society. In: Numen – International Review for the History of Religions  (), Nr. , S. –, hier S. .  Aupers, Houtman und Pels: Cybergnosis, S. .



 Theoretische Vorarbeiten

Vereinigungsphantasien und ihrer Ich-zentrierten Spiritualität. In Kalifornien der er Jahre formte sich ein fruchtbares Milieu, in dem ›gefühlige‹ Erscheinungen wie Rockmusik, politisch emanzipatorische Bestrebungen, die Hinwendung zu bewusstseinserweiternden Drogen und eine neue Art der Spiritualität eine Liaison mit technizistischen wie neuester Computertechnik, Kybernetik, Psychotechnologie und Selbstoptimierung eingingen. Emblematisch fand und findet dies statt im Esalen-Institut in Big Sur, dramatisch gelegen direkt an der Küste des Pazifik, gewissermaßen an der äußersten Grenze der westwärtigen Erschließung der Erde. Seit  werden Workshops zur Entfaltung des Selbst angeboten, basierend etwa auf dem Okkultismus, auf Gestalttherapie oder humanistischer Psychologie. Einer der berühmtesten Lehrer des Instituts war der Kybernetiker Gregory Bateson. In dem quasi klösterlichen Setting geht es nicht nur um die Überwindung der geographischen frontier, sondern auch um Sprengungen der Begrenzung des Menschseins selbst. Das Instrumentarium ist dabei sowohl spirituell als auch wissenschaftlichtechnisch verfasst. Verwandt mit Esalen sind Schulen und Lehren wie das Human Potential Movement oder das Biofeedback-Konzept, das eine kybernetische Appropriation von Yogi-Techniken der Beeinflussung von unbewussten Körperfunktionen darstellt, wie Davis anmerkt. In der Naturwissenschaft findet sich eine solche Verschränkung von physikalisch-technischem Wissen und Spiritualität unter anderem in Fritjof Capras Tao der Physik wieder, in der der österreichische Physiker eine holistische Interpretation der Quantenphysik vorgelegt hat (siehe dazu Kapitel . dieser Arbeit). Ebenso metonymisch wie die Klippen von Big Sur steht Steward Brands Whole Earth Catalog für das Wesen des New Age. Dieser Katalog war ein Verzeichnis von Produkten, mit denen man in Do-it-Yourself-Manier einerseits computertechnische Devices, andererseits Instrumente zum eigenständigen Überleben in der Wildnis herstellen konnte. Wie sein Name impliziert, vertrat der Whole Earth Catalog ein holistisches Weltbild, in dem Mensch und Natur in einer Symbiose lebten. Das Zimmern einer Hütte im Stile Waldens und das Zusammen Heelas: The New Age Movement; Paul Heelas und Linda Woodhead: The Spiritual Revolution. Why Religion is Giving Way to Spirituality. Malden: Blackwell  und Pascal Eitler: »Selbstheilung«. Zur Somatisierung und Sakralisierung von Selbstverhältnissen im New Age (Westdeutschland –). In: Das beratene Selbst. Zur Genealogie der Therapeutisierung in den ›langen‹ Siebzigern. Hrsg. v. Sabine Maasen, Pascal Eitler und Jens Elberfeld. Berlin: De Gruyter , S. –.  Davis: Techgnosis, S. .  Capra: The Tao of physics.

. Phantasmen gegenwärtiger Esoterik: Spirituelle Deutung von Technologie in moderner Gnosis



schrauben eines Personal Computers sind in der Logik des Whole Earth Catalog beides gleichermaßen emanzipierende, gnostische Akte, die den Menschen aus seinem Gefängnis, der falschen Welt der Industrialisierung, befreien helfen sollen. Es nimmt dabei nicht Wunder, dass der Katalog eben als Katalog kaufbarer Produkte in Erscheinung trat, wenn man sich den kommerziellen und konsumistischen Charakter der kalifornischen Szene vor Augen hält. Michael Schneider definiert in seiner begrifflichen Fassung der Bewegung drei maßgebliche Charakteristiken: »Paradigmenwechsel«, »Kosmisches Bewußtsein« und »Transformation«. Paradigmenwechsel meint die Aufhebungen der Dichotomien des rationalen Zeitalters – die Oppositionen von Mensch und Natur, von Geist und Materie, von Wissenschaft und Spiritualität. Im New Age solle der Mensch sich wieder als Teil der ganzen Natur fühlen – das meint Schneider mit dem Terminus »Kosmisches Bewusstsein«. Unter »Transformation« versteht Schneider dann ebenjenen Akt, in dem der Mensch sich befreit, sein Bewusstsein erweitert und wieder eins mit dem Universum wird. Historisch versteht Schneider das New Age als eine Reaktionsbewegung auf einschlägige Bedingungen der (post-)modernen Lebenswelt. In der zweiten Hälfte des . Jahrhunderts hätten sich politische Bilder, Wissenschaft, Ökologie und Religion in einer ideologischen Krise befunden, in der New Age eine neue Form von Sinn liefere. Charakteristische Merkmale der Verfasstheit des New Age seien dabei eine »schwache Institutionalisierung«, ein »zunehmende[r] Synkretismus«, eine »Marktorientierung« sowie eine »Privatisierung« von Glaubensformen, wie Schneider feststellt. Ziele von New-Age-Anhängern seien vor allem »Selbstfindungsprozesse« und »Möglichkeiten einer humaneren Gestaltung der Zukunft«. New Age sei kein fest definierter, monolithischer Korpus an Glaubensinhalten, sondern fungiere vielmehr als »Projektionsfläche unterschiedlichster Wünsche und Vorstellungen, wie Sehnsucht nach neuer Religiosität, Wahrnehmung zusätzlicher individueller Entwicklungspoten Michael Schneider: New Age. In: Kleines Lexikon der Parawissenschaften, S. –, hier S. . Weiterhin zum New Age Steven Sutcliffe: Children of the New Age. A History of Spiritual Practices. London: Routledge  und Christopher Partridge: Truth, Authority and Epistemological Individualism in New Age Thought. In: Journal of Contemporary Religion  (), Nr. , S. – . Zur Spiritualität in der Gegenwart siehe: Gordon Lynch: The New Spirituality. An Introduction to Progressive Belief in the Twenty-First Century. London: I. B Tauris .  Vgl. Schneider: New Age, S. .  Ebd., S. .  Ebd., S. .

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 Theoretische Vorarbeiten

tiale oder Hoffnung nach (mehr) Autonomie im gesellschaftlichen Handeln.« Schneider weist daneben darauf hin, dass New Age ein disseminiertes, alltägliches Phänomen geworden ist, dessen Präsenz teilweise gar nicht mehr auffällt: Viele seiner Ausgestaltungen werden praktiziert oder konsumiert, ohne dass es den Subjekten bewusst ist, dass sie sich im Metier des New Age befinden. Genannt werden hier von Schneider Phänomene wie etwa Meditationen oder Yoga, also fernöstliche spirituelle Praktiken, die von vielen Leuten ausgeübt werden, ohne dass sie sich selbst dabei als New-Age-Anhänger verstehen würden. New Age sei dabei aber merklich eine individualistische Angelegenheit, die kein gemeinschaftsstiftendes oder Protest-Potential entfaltet hätte (ganz im Unterschied zu modernen Strömungen wie etwa der Umwelt- und Friedensbewegungen). Einen wissenshistorischen Zugang vertreten Aupers et al. , die feststellen, dass das New Age gleichzeitig technikgläubig und technikpessimistisch war. Technologie auf Seiten großer Konzerne oder des Staates sei für das New Age anti-menschlich. Technologie jedoch, über die das Individuum persönlich und privat verfügte, wurde dagegen unter Computerpionieren als Befreiungsagent angesehen. Heroen des Silicon Valley wie der Apple-Gründer Steve Jobs, der zeitweise LSD und dem Buddhismus anhing, waren bekannt für ihre esoterischen Neigungen. Die technikaffine Spielart des New Age wird auch als New Edge bezeichnet. Der holistische Charakter des New Age lebt fort in den Cyber-Phantasien der er Jahre. Dort, in den er Jahren, herrschte eine Cyber-Euphorie, in der mystische und gnostische Gedanken florierten. Konkret banden sich solche Hoffnungen an das Internet und das emergierende World Wide Web, von dem man sich die Herstellung eines virtuellen Orts der Erlösung versprach. Vor allem wurden diese Phantasien in Literatur, Film und Wissenschaft formuliert. Zu der Strömung gehört essayistische und wissenschaftliche Literatur Cybermystik und Cybergnosis in den er Jahren

   

Schneider: New Age, S. . Vgl. ebd., S. . Aupers, Houtman und Pels: Cybergnosis, S. . Dorien Zandbergen: New Edge. Technology and Spirituality in the San Francisco Bay Area. Leiden: Diss. . : https://dorienzandbergen.files.wordpress.com/2015/02/dissertation_ zandbergen_updated1.pdf (besucht am . . ).

. Phantasmen gegenwärtiger Esoterik: Spirituelle Deutung von Technologie in moderner Gnosis

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wie etwa Davis , Dery , Turkle , Hayles oder Heim , die sich allesamt mit den Implikationen eines weltweiten Computernetzes und seiner imaginierten Vollendung (dem Cyberspace) befassen. Zum Teil wurde der Cyberspace gar als von der materiellen Welt entkoppelter virtueller Raum vorgestellt, dem paradiesische Qualitäten zukamen. Die Apostrophierungen reichen von »new Jerusalem« über »technological substitute for the Christian space of Heaven« und »global brain« zu »the Sacred«. Technologie kommt hier die Rolle zu, dem Menschen zu ermöglichen, sich in einem gnostischen Moment aus dem ›Gefängnis‹ der fleischlichen Welt befreien und ihm den Zugang zu einem mystischen allumfassenden, ewigen Bewusstsein auf Basis einer digitalen Existenz zu bereiten. Es gibt jedoch auch dystopische Wendungen dieser Erzählung, in dem das allumfassende Computersystem den Menschen unterwirft. Neben diese wissenschaftliche Literatur stellen sich Zeitschriften (Mondo  und Wired ), John Perry Barlows Declaration of Independence of Cyberspace  (ein Manifest für die Freiheit des Netzes) oder Figuren wie der damalige Virtual-RealityPionier Jaron Lanier. Die Filme Matrix () und eXistenZ (), die davon handeln, dass die Menschheit in virtuellen Realitäten gefangen ist, aus der sie sich gnostisch befreien wollen, konnten große Erfolge feiern. Vorher wurde das Thema bereits in der Cyberpunk-Literatur behandelt, zuerst in William Gibsons Neuro Davis: Techgnosis.  Mark Dery: Escape Velocity. Cyberculture at the End of the Century. London: Hodder und Stoughton .  Sherry Turkle: Life on the Screen. Identity in the Age of the Internet. New York: Simon & Schuster .  Katherine Hayles: How We Became Posthuman. Virtual Bodies in Cybernetics, Literature, and Informatics. Chicago: University of Chicago Press .  Michael Heim: The Metaphysics of Virtual Reality. Oxford und New York: Oxford University Press .  Michael Benedikt: Introduction. In: Cyberspace. First Steps. Hrsg. v. dems. Cambridge, Mass.: MIT Press , S. –, hier S. .  Margaret Wertheim: The Pearly Gates of Cyberspace. A History of Space from Dante to the Internet. London: Virago , S. .  Douglas Rushkoff: Cyberia. Life in the Trenches of Hyperspace. London: Flamingo Original , S. .  Nicole Stenger: Mind is a leaking rainbow. San Francisco: Harper Collins , S. . Vgl. zusammenfassend zu diesen Zuschreibungen: Ineke Noomen, Stef Aupers und Dick Houtman: In Their Own Image? Catholic, Protestant and Holistic Spiritual Appropriations of the Internet. In: Information, Communication & Society , S. .  John Parry Barlow: A Declaration of the Independence of Cyberspace. In: Electronic Frontier Foundation. : https://www.eff.org/cyberspace-independence (besucht am . . ).



 Theoretische Vorarbeiten

mancer von . Andere Vertreter dieses Genres sind Neal Stephenson, Vernor Vinge und Rudy Rucker. In ihren Büchern treten Figuren wie »electro-shamans« und »modern alchemists« auf, Gestalten, die im »Hack« und in der Vereinigung von Mensch und Maschine eschatologische Zustände erreichen. Im Cyberpunk fallen das Virtuelle und das Spirituelle in eins zusammen. Der virtuelle Raum formt ein Eingangstor, durch das das Spirituelle in die physische Realität eindringen kann. Davis ordnet der Cyber-Szene der er und er noch Raves, psychedelische Drogen und esoterische Verfahren der Selbstentfaltung zu. Auch das seit  stattfindende Burning Man-Festival gehöre dazu. Die Termini Cybergnosis und Cybermystik enthalten jeweils den Wortstamm »cyber«. Der orientiert sich an der Wissenschaft der Kybernetik. Schon in den theoretischen Ausarbeitungen der universellen Steuerungswissenschaft war ein »imaginäre[r] Überschuß« enthalten, der sich in Denkfiguren von universellen, allmächtigen Computersystemen zeige. Dieses System wäre entweder – mystisch – ein Vereinigungsagent, oder – dystopisch wie in den Matrix-Filmen – ein Knechtungsapparat. Phantasmen Das Denken über den Cyberspace eröffnet Möglichkeitsräume, deren Verfassung gängigen Rationalitätsstandards nicht genügen muss. Nicht nur die Maximalvariante einer religiösen Ewigkeit wird so imaginativ ausgestaltet, sondern auch politische Utopien entfalten sich entlang dieser Linien. Die Declaration of the Independence of Cyberspace etwa formuliert die Vorstellung einer radikalen Basisdemokratie. Ihrer Logik liegt der Cyberspace jenseits jeder räumlicher Verortbarkeit, so dass sich seine Einwohner jeder staatlichen Adressierbarkeit entziehen. In gnostischer Weise wäre das Individuum demnach vor dem Zugriff der bösen Macht (des Staats) geschützt – Cyberspace-Anhänger misstrauen institutionellen Autoritäten, die dem Selbst äußerlich sind. »Alles, was nicht selbst gewählt, sondern ›künstlich‹ und ›von außen‹ auferlegt ist und das Selbst somit vorgegebenen Verhaltensmustern unterwirft, wird abgelehnt.« Das Heilige verschiebt sich in dieser Lehre von

   

William Gibson: Neuromancer. New York: Ace Books . Aupers, Houtman und Pels: Cybergnosis, S. . Luca Di Blasi: Das Imaginäre der Kybernetik. In: Cybermystik, S. –, hier S. . Stef Aupers und Dick Houtman: »Realität ist voll ätzend«. Entfremdung und Cybergnosis. Übers. v. Gabriele Stein. In: Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie  (), S. –, hier S. .

. Phantasmen gegenwärtiger Esoterik: Spirituelle Deutung von Technologie in moderner Gnosis

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religiösen Instanzen hin in das Ich selbst. Im Cyberspace ist, wie bereits angeklungen ist, Information der zentrale Rohstoff. »[A] defining characteristic of the present cultural movement [is] the belief that information can circulate unchanged among different material substrates.« Information ist dann der Grundstoff, aus dem die Wirklichkeit geformt ist, Materialitäten dann nur falsche Trugbilder, die es zu überwinden gilt. Im Raum totaler Information gebe es nur Wahrheit: »A faulty fact will be challenged, a lie will be uncovered, plagiarism will be discovered. Cyberspace is a truth serum.« Wie Esoterik insgesamt ist der Cyberspace holistisch konzipiert (siehe auch Kapitel ., »Ganzheitlichkeit«), d. h. alles gilt als mit allem verknüpft. So weit gehen die kleinteiligen Apparate in Esoterik und Alternativmedizin, die noch Gegenstand dieser Arbeit werden, nicht. Ihre Hersteller und Verkäufer beschränken sich darauf, zu beteuern, die Welt bestehe aus »Information« oder »Schwingung«. Große, religiöse Weltentwürfe überlassen sie Techno-Religionen wie der Scientology, die auf dieses große Ganze gehen: In seiner höchsten Entfaltungsstufe soll der gnostisch geprägte Scientology-Anhänger (der »Thetan«) Herrscher über Raum und Zeit sein (über »MEST« – Hubbards Akronym für matter, energy, space, time). Die zentrale Erfahrung der modernen (wie auch der alten) Gnosis ist Transformation. (Vgl. auch das Kriterium von Faivre, Kapitel .. ) Ausagiert wird dieses Wandlungserlebnis etwa im Hochladen des Bewusstseins in das phantasierte Computersystem (mind uploading) oder in den Erweckungs- und Steigerungstransformationen, die Helden in Science-Fiction-Filmen und Computerspielen (dort heißen die Helden Avatare) erleben. Zu Berühmtheit gelangten die Anhänger der Sekte Heaven’s Gate, die Transformation wörtlich nahmen und mit Absicht einer Himmelfahrt gemeinsam Selbstmord begingen. Im Jahr  suizidierten sich die Mitglieder, weil sie glaubten, auf diese Weise von einem Raumschiff mitgenommen werden zu können (siehe Kapitel .). Selbsttötung ist allerdings die radikalste Variante, die höhere Seinsstufe zu erreichen. Oft werden technische Mittel ein   

Aupers und Houtman: »Realität ist voll ätzend«, S. . Hayles: How We Became Posthuman, S. . Rushkoff: Cyberia, S. –. »A thetan who is completely rehabilitated and can do everything a thetan should do, such as move MEST« (L. Ron Hubbard: Scientology -. Commerce: Bridge Publications , S. ); »a person who is able to create his own universe« (ebd., S. ).  Faivre: Esoterik, S. .

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 Theoretische Vorarbeiten

gesetzt, um den Schritt von der einen in die andere Welt zu vollziehen. In den Matrix-Filmen etwa sind dies bewusstseinsverändernde Tabletten und medizinische Schläuche, die den Körper penetrieren. Die mystische Spielart (bei der es um die Erfahrung der unio mystica geht) umfasst auch naturwissenschaftliche Theorien, die seit den er Jahren entstanden sind, die auf den ersten Blick nicht entgrenzende Akte, Erfahrungen der IchTranszendenz oder emphatische Verklärungen des Surfens im Internet zum Inhalt haben, die aber, auf den zweiten Blick, ebenfalls die technische Entwicklung religiös verklären. Damit sind Theorien gemeint, die den Computer naturalisieren und seine Funktionsweise kybernetisch zum grundlegenden Prinzip der Natur erklären und die, daraus folgend, mit der Weiterentwicklung der Computertechnologie die religiöse Erlösung des Menschen ersehen (vergleichbar mit Teilhards Noosphäre). Derartige Evolutionstheorien und Eschatologien finden sich etwa in den Schriften des Physikers Frank Tipler und in denen von Christopher Langan (CTMU, Kapitel . und .). In seiner Physik der Unsterblichkeit  errechnet Tipler eine kommende technologische Singularität (»Omegapunkt«), die alle vorstellbaren Realitäten virtuell emuliert und die damit allen jemals gelebt habenden Menschen die Ewigkeit garantiert – denn ihr Bewusstsein würde so reproduziert. Das ist die Ausführung dessen, was Neswald mit der Überwindung des Entropiegesetzes in der Virtualität meinte. Wie bereits erwähnt, sind es meist technische Instrumente, mit denen in der Gnosis der Moment der Erkenntnis und Transformation herbeigeführt wird – obwohl es ja eigentlich zu ihren Grundgesetzen gehört, dass dieser Moment aus dem Subjekt selbst heraus entstehen soll. Und Heiligkeit soll im New Age im Selbst selbt verortet sein? Wie passt Technik also hier hinein? In den modernen gnostischen und mystischen Bildern wird die Technik absolut gesetzt und damit auf eine Weise unsichtbar, ununterscheidbar vom Menschen und von der Welt. Dennoch kommen auch technischen Artefakten sakrale Eigenschaften zu. Diese – nur scheinbare – Paradoxie, also dass Technik der Weg zur Erlösung ist, gleichzeitig der Zustand der Erlösung un-technisch und un-medial sein soll, hat das spirituelle Denken schon länger bestimmt, nicht erst in der Moderne. Erik Davis verfolgt die elektro- und szientophilen Aspekte des New Age zurück Technische und mediale Erlösungsphantasien

 Frank Tipler: Die Physik der Unsterblichkeit. Moderne Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten. München: Piper .

. Phantasmen gegenwärtiger Esoterik: Spirituelle Deutung von Technologie in moderner Gnosis

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ins . Jahrhundert, er interpretiert sie als typisch amerikanische Vermischung von »positive thinking and technological fetishism«. Andere Autoren haben diese Allianz aber schon vorher in Europa ausgemacht: »Salvation by technology – the liberation of humanity from toil and want in order to indulge in the development of its ›higher nature‹ – has, of course, long been a feature of European thought«. Der Technologiehistoriker David Noble hat gar eine Geschichte der spirituellen Aufladung von Technologie geschrieben, die er in mittelalterlichen Klöstergärten beginnen lässt, in denen das alttestamentliche Paradies nachgebaut sei. Sawicki stellt heraus, dass die esoterische Annahme, der Mensch könne durch höheres Wissen zur Selbstüberschreitung, Selbstvollendung oder Selbsterlösung gelangen, nicht nur religiös sei, sondern immer schon eine praktische und technische Seite habe, was er bereits in der Antike angelegt sieht. Dabei verweist er auf Cassirers Technikbegriff, dem zufolge Technik und Theorie seit jeher als Erkenntnisinstrumente und Manifestationen des vorausschauenden Denkens verwandt seien. Diesen Gedanken findet man auch noch in den in dieser Arbeit besprochenen Geräten. Die spezifische Art des Fortschritts, die in Cyberpunk und den CyberspaceFilmen vorgestellt wird, unterscheidet sich von der klassischen Science-Fiction mit ihren Raketen und Wolkenkratzern und übermächtigen Waffensystemen in der Hinsicht, dass sie nicht nur eine dem Menschen äußerliche technizistische Welt präsentieren, sondern dass sie dessen ganzes Bewusstsein umschlingen. Die Intimität, die dort hergestellt wird, findet sich wieder in den esotechnischen Apparaten wie dem E-Meter oder der Quintstation, die Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind. Der eben angesprochene Scheinwiderspruch der Gnosis, das Sakrale sei allein im Selbst beheimatet, müsse aber technisch herbeigeholt werden, führt wieder zurück auf die Debatte um die Säkularisierung (Kapitel .). Aupers et al. verstehen dabei moderne Gnosis als ein Drittes zu ratio und Technologie auf der einen und Glaube und Religion auf der anderen Seite, das eine Möglichkeit biete, spirituelle, untechnisierte Praktiken sowie computerisierte und technologische Praktiken als    

Davis: Techgnosis, S. . Aupers, Houtman und Pels: Cybergnosis, S. . Sawicki: »Dirty Thinking«, S. . Peter Pels: Amazing Stories. How Science Fiction Sacralizes the Secular. In: Deus in Machina. Religion, Technology, and the Things in Between. Hrsg. v. Jeremy Stolow. New York: Fordham University Press , S. –, hier S. .



 Theoretische Vorarbeiten

gleichwertig nebeneinander zu denken: Nämlich als Verfahren, die den Moment der Gnosis, der höheren Erkenntnis herbeiführen können. So wird die Vorliebe der Cyberspace-Propheten, die einerseits vom hack in geschlossene Computersysteme träumen und andererseits auch eschatologische Momente im Satori des Buddhismus erfahren wollen, erklärbar. Die Existenz dieser modernen Gnosis überhaupt, so Aupers et al., sei möglicherweise lange von der Wissenschafts/Religions-Opposition verdeckt worden, eben durch die von Latour so genannte gereinigte Dichotomie (siehe Kapitel .). Der Säkularisierungsprozess vollzieht sich also doch nicht so rein und radikal, wie Max Weber das noch postuliert hatte. Sawicki pointiert das Potential moderer Gnosis und Mystik so: Es handele sich dabei um ein Feld, »in dem es möglich ist, auf existentielle Fragen des neuzeitlichen Menschen Antworten zu geben, die im Modus der Rationalität formuliert sind, gegenüber der akademischen Wissenschaft aber den Zusatzwert eines epistemologischen Überschusses ins Unendliche zu bieten.« Zum schon angesprochenen Unsichtbarwerden von Technologie in den VirtualReality-Phantasien von Gibson, Lanier oder den Wachowski-Geschwistern kann man festhalten, dass die Medienwissenschaft diese Invisibilisierung zur Charakteristik von Mediengeschichte überhaupt erhoben hat: So haben es Bolter und Grusin mit dem Begriff der immediacy gefasst, die damit das Naturalisieren von Medien meinen. Lanier wird von Douglas Rushkoff an einer Stelle mit folgender Prognose zitiert: In his speaking tours around the world, the dreadlocked inventor explains how the VR interface is so transparent that it will make the computer disappear. »Try to remember the world before computers. Try to remember the world of dreaming, when you dreamed and it was so. Remember the fluidity that we experienced before computers. Then you’ll be able to grasp VR.«

Die behauptete Auflösungstendenz der Technik, wenn es denn die richtige und ›endgültige‹ sei, wiederholt sich in der Argumentationsweise zeitgenössischer Esoteriker, die ihre (pseudo-)technischen Apparate vertreiben: Sie bescheinigen  Aupers, Houtman und Pels: Cybergnosis, S. .  Sawicki: »Dirty Thinking«, S. .  Jay David Bolter und Richard Grusin: Remediation. Understanding New Media. Cambridge, Mass.: MIT Press .  Rushkoff: Cyberia, S. –.

. Parallelität der Entwicklung von Spiritismus / Okkultismus und technischer Kommunikation



dem medialen Status quo widernatürliche Dekadenz und beschwören ein Zurückzur-Natur. Ihre eigenen technischen Geräte sollen dabei »sanft« operieren und ohnehin nach so apostrophierten »natürlichen« Prinzipien funktionieren. Moderne Gnosis und Mystik haben sich in Reaktion auf die technischen, medialen und wissenschaftlichen Fortschritte des . Jahrhunderts entwickelt. Diese Reaktion erfolgte zweigestaltig: Einmal in Form der Sakralisierung des Selbst und zum Zweiten in der Zuweisung eines »imaginären Überschuß« (Di Blasi), der Technik inne sei. Euphorie und Phobie, Pronoia und Paranoia, sind als zwei Seiten derselben Medaille in moderner Mystik und Gnosis vertreten – euphorisch in der technikgläubigen Sekte des Raëlismus (siehe Kapitel .), phobisch in der Angst vor Elektrosmog (Kapitel .), um zwei paradigmatische Erscheinungen zu nennen, die in dieser Arbeit noch vorgestellt werden. . Parallelität der Entwicklung von Spiritismus / Okkultismus und technischer Kommunikation Okkultismus und Spiritismus, im Sinne der Argumentation dieser Arbeit Spielarten der modernen Gnosis, sind Wissenssysteme, die sich mit Übertragung befassen – mit Geistersehen, Gedankenübertragung, Kommunikation mit dem Jenseits – und spielen von daher eine Rolle für die Entwicklung der heutigen Strahlungsund Übertragungs-Modelle in der Esoterik, wie sie in den nachfolgenden Kapiteln besprochen werden. Im . Jahrhundert war der Spiritismus ein gesellschaftliches Phänomen, bei dem Kunststücke wie das Herbeirufen von Verstorbenen aufgeführt wurden. Es handelte sich dabei freilich nicht um ein vollkommen von der technischwissenschaftlichen Entwicklung losgelöstes Phänomen, das im Vakuum exerziert wurde. Mit okkultistischen Praktiken gemeint sind zum Beispiel die Kommunikation mit Abwesenden ohne die bekannten Technologien oder die Kommunikation mit Toten, mit Geistern usw. Das Verborgene wird hier nicht – wie etwa das Jenseits in vielen Religionen – als unverfügbar konzipiert, sondern als prinzipiell zugänglich. Die Methoden, dieses Verborgene zu erreichen, liegen dabei außerhalb der institutionalisierten Wissenschaft und bestehenden Technologie. Sie existieren in Form von Ritualen, etwa dem Tischerücken oder Gläserrücken  Zum Okkultismus als modernem Phänomen siehe auch Alex Owen: The Place of Enchantment. British Occultism and the Culture of the Modern. Chicago und London: University of Chicago



 Theoretische Vorarbeiten

Die Geschichte des Okkultismus ist eng verwoben mit der Entwicklung der modernen Kommunikationsmedien, wie auch Stefan Andriopoulos gezeigt hat. Er begründet so die Entstehung des Fernsehens aus der Geschichte des Okkultismus heraus. Den Anlass für diese Wissensgeschichte bietet eine Reflexion über die erste drahtlose Fernsehübertragung in Deutschland vom . März . Andriopoulos referiert die Reaktionen auf diese erste Fernsehausstrahlung, die von einem Gefühl der Unheimlichkeit begleitet waren. Der Philosoph Ernst Bloch und der Schriftsteller Eugen Diesel (Sohn des berühmten Erfinders) sprachen von ›Zauber‹, ›Magie‹, »Wunderreich« und »Träume[n]«. Sollte hier etwas Übernatürliches geschehen? Ein »Totes, das Leben nachtäuscht« und »das, was plötzlich gespensterhaft [Herv. N.M.] erscheint«, schreibt Diesel in Reminiszenz an Freuds Text vom Unheimlichen. In Kunst und Werbung wurde das Fernsehen mit Hellseherei verglichen; es wurde etwa als Kristallkugel und Zauberspiegel beschrieben. Man sah in der technischen Television die Greifbarmachung von Unverfügbarem. Diesel sah sogar die Festigkeit der Welt in Gefahr, indem er befürchtete, dass in der neuen, künstlichen Welt »kaum noch etwas gilt«. Das Fernsehen wird also , so stellt Andriopoulos fest, als »unheimliche Instanz des Übernatürlichen oder Wunderbaren« angesehen. Es gilt einigen Kritikern als reale Implementierung von übernatürlichen Prinzipien – der Kommunikation mit Abwesenden oder Verstorbenen. Gleichzeitig mit diesen Ausführungen zum Fernsehen als Medium des Wunders erscheint etwa in der Zeitschrift für psychische Forschung ein Artikel über »Privathäusliche Phänomenik«, wie Andriopoulos zu berichten weiß, in dem ein gewisser Geheimrat Drießen von übernatürlichen Erscheinungen wie »völlig unerklärbare[n] Lichterscheinungen« und »Klopflaute[n]« in seinem Haus berichtet, die sich am stärksten in einem kleinen mit Familienbildern besetzten Schränkchen

     

Press  und zur historischen Linie vom Beginn der Neuzeit bis hin zu zeitgenössischen Computerphänomenen Doris Doering-Manteuffel: Das Okkulte. Eine Erfolgsgeschichte im Schatten der Aufklärung. Von Gutenberg bis zum World Wide Web. München: Siedler . Andriopoulos: Okkulte und technische Television. Zit. n. ebd., S. . Zit. n. ebd. Zit. n. ebd. Ebd. Was eine klassische Lesart von Medien überhaupt ist.

. Parallelität der Entwicklung von Spiritismus / Okkultismus und technischer Kommunikation



in der Ecke des Wohnzimmers zeigen sollen – was also materiell den frühen Fernsehapparat nachbildet. Dass sich Berichte über spiritistische Erscheinungen im häuslichen Bereich und über die Wundersamkeit des Fernsehens treffen, ist für Andriopoulos ein Symptom der »grundlegendere[n] Verschränkung von okkulter und technischer Television«. Und zwar sei die »spiritistische Forschung über das okkulte Fernsehen somnambuler Medien« »notwendige [...] Bedingung für die Erfindung und Implementierung des technischen Fernsehens« gewesen. D.h., die Auslassungen über spiritistische Phänomene seien Wegbereiter der (sich seit  über gut  Jahre erstreckenden) Entwicklung des Fernsehmediums gewesen – und dieses wäre damit gewissermaßen die Realisierung von spiritistischen Phantasmen. Die technologischen Erfindungen, die im Laufe der Entwicklung des Fernsehens gemacht wurden, standen laut Andriopoulos im wechselseitigen Austausch mit den okkulten Forschungen von etwa Charles Richet, William Crookes und Carl du Prel. Andriopoulos weist daneben auf andere Begriffe hin, in denen ebenfalls die Verwandtschaft zwischen Technik und Okkultismus mitschwingt: Telegraphie, Telepathie, Telephonie, Telekinese und Teleplastie. Auch das deutsche Wort »Fernsehen« sei bereits  sowohl in einem technischen als auch in einem okkulten Zusammenhang gebraucht worden (nämlich in Rapahel E. Liesegangs Schrift »Das Phototel. Beiträge zum Problem des electrischen Fernsehens« respektive in der Übersetzung eines Textes von Charles Richet, die Albert von Schrenck-Notzing unter dem Titel »Experimentelle Studien auf dem Gebiete der Gedankenübertragung und des sogenannten Hellsehens« veröffentlichte). Andriopoulos verweist hier auf die Ähnlichkeit der Konzeption von Richets hellsichtigen Medien (Personen, die räumlich und zeitlich entfernte Gegenstände ›sehen‹ können) und dem »Elektronischen Teleskop« von Paul Nipkow. Andriopoulos beschreibt die Funktionsweise des frühen teilmechanischen Fernsehens, bei dem Bilder nach der Funktionsweise der Nipkow-Scheibe zeilenweise abgetastet und in eine sequentielle Signalfolge umgewandelt, übertragen und rück    

Andriopoulos: Okkulte und technische Television, S. . Ebd. Ebd. Ebd., S. . Zu der Doppelbedeutung des Wortes Fernsehen siehe auch: Reiner Matzker: Fernsehen im . Jahrhundert. In: Medien / Kultur. Schnittstellen zwischen Medienwissenschaft, Medienpraxis und gesellschaftlicher Kommunikation. Hrsg. v. Knut Hickethier und Siegfried Zielinski. Berlin: Spiess , S. –.

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 Theoretische Vorarbeiten

umgewandelt werden. Dieses Prinzip der Umwandlung von Bildern in elektrische Signale sei »in vergleichbarer Form« in spiritistischen Texten zu finden. Der Autor stellt hier technische und okkultistische Schriften gegenüber, wie auf der einen Seite Benedikt Schöfflers »Die Phototelegraphie und das elektrische Fernsehen« von  und auf der anderen Seite etwa Carl du Prels »Die Entdeckung der Seele durch die Geheimwissenschaften« (), die eine Theorie von okkulter Fernübertragung formulieren. Die hellseherische Übertragung zwischen Individuen erfordere, so die spiritistische Theorie, eine Synchronizität zwischen Sender und Empfänger, was »synchrone Schwingung«, »Eigeninteresse« oder ›psychophysische Gleichstimmung‹ genannt wird – Begriffe, die sich in der heutigen Esoterik mehr oder weniger genau so wiederfinden lassen. Aber, so bemerkt Andriopoulos, auch für die technische Television ist Synchronizität notwendig – in einem rein technischen Sinne. Ein weiterer Beleg für die Verquickung von technischem Fortschritt und Okkultismus ist die Ansicht Carl du Prels, die Telegraphie sei geradezu ein Beweis für die Möglichkeit der Telepathie. Wenn eine solche Fernübertragung per Draht möglich sei, dann bei entsprechend hellsichtig begabten Personen ohne verbindenden Leiter. Beim wirklichen Fernsehen (und Rundfunk) war diese drahtlose Übertragung dann wirklich möglich. Deren unsichtbarer und unfühlbarer Übertragungsvorgang entsprach Carl du Prels Begriff des Fernsehens im Sinne von Hellseherei. Die »kulturelle Konstruktion« neuer technischer Medien im späten . Jahrhundert ist gekennzeichnet durch die Interaktion von Naturwissenschaften und Okkultismus. Andriopoulos zeigt, wie Forscher wie William Crookes in beiden Gebieten tätig waren, die sie aber noch gar nicht als unterschieden betrachteten. Sie suchten ja nach naturwissenschaftlichen Erklärungen für scheinbar übersinnliche Phänomene. Die Crookes’sche Röhre, eine der ersten Kathodenstrahlröhren, entwickelte der Wissenschaftler etwa, um zu zeigen, dass »Strahlung« der »vierte Aggregatzustand der Materie« sei. Dieser kurze Exkurs zum Verhältnis von Okkultismus und technischem Fernsehen zeigt: Die Phantasie scheint technische Entwicklungen zu präfigurieren. Vieles,     

Andriopoulos: Okkulte und technische Television, S. . Ebd., S. –. Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Crookes zit. n. ebd.

. Exkurs: Esoterische Hybriden. Latour und die Tätigkeiten von Reinigung und Übersetzen



was erfunden wurde, wurde schon vorher in seiner Funktion vorgestellt. Für das Fernsehen des . Jahrhunderts etwa könnte man sagen, dass es in der Imagination des . Jahrhunderts schon enthalten war. In diesem Sinne könnten heutige Esoterikprodukte eine Vorstellungswelt bilden, aus der sich möglicherweise zukünftige Entwicklungen speisen können. Es zeigt sich: Die Entwicklung neuer Technologien ging mit der Beflügelung der Phantasie einher. Dies kann man auch an den Cyber-Phantasmen, die sich an die Genese des Internets anknüpfen, sehen. Und auch im . Jahrhundert wurden schon die gleichen Debatten geführt: Für Carl du Prel war »Magie weiter Nichts als unbekannte Naturwissenschaft«. Die technischen Erfindungen des Okkultismus, auf die sich heutige Esoterikprodukte gründen, zeigen aber auch, dass die Geräte strukturell technisiert sind. Ihre eigene Konstitution unterläuft also das reaktionäre (back-to-nature-)Narrativ, das die Geräte auf der Oberfläche erzählen. . Exkurs: Esoterische Hybriden. Latour und die Tätigkeiten von Reinigung und Übersetzen Dass das esoterische Denken durchaus modern ist, obwohl es sich oft den Anschein der Zivilisationsfeindschaft gibt, kann man anhand von Bruno Latours HybridenThese zeigen. Die Moderne unterscheidet seit Descartes zwischen Subjekt und Objekt, zwischen geistigem Subjekt und materiellen Objekten, die sich dem Betrachter zeigen und die er manipulieren kann. Dieses Paradigma bestimmte lange Zeit das Denken der Philosophie. In der Beschäftigung mit esoterischen Pseudotechniken kann diese Trennung dazu verleiten, esoterische Geräte als lediglich akzidentielle Phänomene anzusehen. Latour vertritt einen Ansatz, der diese angesprochene Unterscheidung als Verirrung ansieht. Demnach befinden sich »Menschen« und »Dinge«, wie er sagt, auf einer Ebene. Mithilfe seines Verständnisses können wir  Siegfried Zielinski und Kerstin Bergmann: »Sehende Maschinen«. Einige Miniaturen zur Archäologie des Fernsehens. In: Televisionen. Hrsg. v. Stefan Münker und Alexander Roesler. Frankfurt am Main: Suhrkamp , S. –, hier S. . Doch nicht nur das Fernsehen eignet sich, dies zu zeigen: Auch das Radio gilt als vorweggenommen in der Vorstellung. Zum Zusammenhang von Radio (den neuen Medien) und Spiritismus hat Hagen im Rahmen von Daniel Paul Schrebers Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken gearbeitet. Hagen: Radio Schreber. Eberlein verweist daneben noch auf die Verbindungen von Okkultismus und Psychoanalyse; eine weitere Verknüpfung zwischen Wissenschaft und Parawissenschaft. Eberlein: Geheimwissenschaften, S. .  Zit. n. Andriopoulos: Okkulte und technische Television, S. .



 Theoretische Vorarbeiten

esoterische Apparate als Agenten in einem Verbund betrachten, der bestimmt, wie esoterisches Wissen erzeugt wird. In seinem berühmten Essay Wir sind nie modern gewesen, der im Original  erschien, unternimmt Bruno Latour den Versuch, zu zeigen, dass das Denken der Moderne dadurch charakterisiert ist, zwischen Mensch und Ding zu unterscheiden; dass aber genau diese Unterscheidung ein Trugschluss ist. Denn Menschen und Dinge sind hybride Entitäten, so Latours Ansicht, die immer schon in einem netzartigen Verbund stehen. Latour zeigt dies anhand seiner Lektüre einer Tageszeitung: Während die Themen der späten er Jahre, über die dort berichtet und debattiert wird – wie AIDS und FCKW –, komplexe Angelegenheiten sind, die Naturwissenschaft, Politik, lokale Begebnisse wie das Schicksal einer kleinen Fabrik und Alltagspraktiken wie das Betätigen einer Spraydose betreffen, sortiert die Zeitung diese Sujets fein säuberlich auf die verschiedenen Ressorts, so, als wären sie mit geraden Schnitten voneinander abscheidbar. Latour formuliert das an einem Beispiel folgendermaßen: Auf Seite  bringt die Frage, wieviel Zeilen das hochauflösende Fernsehen haben soll, die unterschiedlichsten Leute und Institutionen miteinander in Verbindung: Delors, Thomson, die EG, die Standardisierungskommissionen, wieder einmal die Japaner und die Fernsehproduzenten. Man braucht nur den Standard des Fernsehbildes um ein paar Zeilen zu verändern, und schon geraten Milliarden Francs, Millionen Fernsehzuschauer, Tausende Fernsehfilme, Hunderte von Ingenieuren und Dutzende Generaldirektoren in Bewegung.

Bewusst ordnet Latour hier Filme, Francs und Ingenieure auf einer Ebene an, auf der sie miteinander interagierten. Und doch bliebe für die Tageszeitungen die Taxonomie intakt: »Die Seiten Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Literatur, Kultur, Religion, Technik und Fiktion bilden nach wie vor die Rubriken, so als wäre nichts gewesen.« Latour identifiziert genauer eine Dreiteilung, nach der die moderne Wissenschaft alles ordne: Natur, Kultur und Diskurs. Stattdessen biete sich in der Realität aber eine Vermengung der Sphären. Und die Art der Wissenschaft, die Latour betreibe (die Science Studies), befasse sich nicht etwa nur mit Wissenschaft und Technik, sondern damit, wie diese »mit unseren Kollektiven und den Subjekten verwoben sind«: »Es ist die ganze französische Gesellschaft des . Jahrhunderts,  Bruno Latour: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropolgie. Übers. v. Gustav Roßler. Frankfurt am Main: Suhrkamp , S. .  Ebd.

. Exkurs: Esoterische Hybriden. Latour und die Tätigkeiten von Reinigung und Übersetzen

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die zum Vorschein kommt, wenn man an die Bakterien Pasteurs rührt.« Dabei gehe es aber nicht darum, lediglich offenzulegen, welche technischen Bedingungen und politischen Interessen hinter z.B. naturwissenschaftlicher Forschung stecken, sondern um ein großes Ganzes: wie sich die Gesellschaft, das Subjekt verändern, wenn technische Innovationen und neue Begrifflichkeiten die Bühne betreten. Latour kritisiert also nicht nur die Unterscheidung zwischen Mensch und Ding, sondern auch die Einführung der Dekonstruktion in die Geisteswissenschaften: Er geht davon aus, dass die Welt der Zeichen keine abgekoppelte, referenzlose eigene Welt ist, sondern dass die Sphären verknüpft sind, aufeinander einwirken: »[W]enn ich die Erfindung / Entdeckung der Peptidhormone beschreibe, spreche ich sehr wohl von den Peptiden selbst und nicht bloß von ihrer Repräsentation im Labor Professor Guillemins.« Latour veranschaulicht seine Behauptung der Unzulänglichkeit der drei von ihm ausgemachten Ansätze der Wissenschaft folgendermaßen: Der ›naturalisierende‹ Ansatz der Naturwissenschaften, der etwa von Molekülen spricht, blende Gesellschaft, Subjekt und Diskurs aus. Der ›sozialisierende‹ Ansatz (etwa von Bourdieu) gehe von Machtfeldern aus, unterschlage aber Text, Technik und Wissenschaft. Und ein Dekonstruktivist wie Derrida verkünde, es gebe keine Realitätsebene jenseits der Zeichen. Die Netze aber, von denen Latour spricht, seien zugleich: »real wie die Natur, erzählt wie der Diskurs, kollektiv wie die Gesellschaft« – um drei Wissenschaftsperspektiven abzubilden, Naturwissenschaft, Poststrukturalismus und Sozialwissenschaft. Latour identifiziert die Anthropologie als die Wissenschaft, die es – in der Erforschung traditioneller Kulturen – schafft, alle Ansätze zu verbinden. Die Anthropologie werde jedoch nur auf vormoderne Gesellschaften oder genauer Untersuchungsgegenstände angewandt. Die Frage, warum eine Anthropologie der Moderne nicht etabliert sei, bringt Latour zur weitergehenden Frage: Was ist die Moderne? Dies beantwortet Latour zunächst nicht, weist jedoch darauf hin, dass das Jahr  solche Umbrüche mit sich brachte, dass danach auch die Moderne zum Gegenstand der Anthropologie werden könnte. Im dann Folgenden konzipiert Latour den Begriff der Moderne als zweigestal   

Latour: Wir sind nie modern gewesen, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Jedenfalls war dies zur Zeit der Abfassung von Latours Text so. Heute sieht die wissenschaftliche Landschaft – wohl auch ein Verdienst Latours – anders aus.

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 Theoretische Vorarbeiten

tig. Sie zeichne sich einerseits durch die Tätigkeit der »Übersetzung«, andererseits durch die Tätigkeit der »Reinigung« aus. Die Übersetzung schaffe die hybriden Mischwesen zwischen Natur und Kultur, die Reinigung errichte zwei »vollkommen getrennte ontologische Zonen« ; in der einen Zone leben die Menschen, in der anderen halten sich alle nicht-menschlichen Wesen auf. Übersetzung bedeutet die Zusammenfügung der Teile, die dann ein Netz bilden, Reinigung bedeutet den Betrieb der Kritik, die Sphären von Natur, Gesellschaft und Diskurs zu unterscheiden. Latour meint nun, wenn man die Aufmerksamkeit gleichzeitig auf »die Arbeit der Reinigung und der Hybridisierung« richte, hörte man auf, modern zu sein – und je modern gewesen zu sein. Daher der Titel seines Essays. Der Versuch der Moderne – das sei ihr Paradox –, die Hybriden zu verneinen, habe eben zu ihrer besonderen Vermehrung geführt (Übersetzung) : die große Zahl an Erfindungen und Innovationen. Es ist dieser Kontext, in dem auch die esoterischen Apparate stehen, um die es in dieser Arbeit geht. Sie sind solche Teile eines Netzes an Dingen, von denen Latour spricht. Daneben praktiziert gegenwärtige Esoterik die Tätigkeit der Übersetzung, wenn man ihre hybridisierenden Elemente betrachtet – sie fügen zusammen, was vormals auseinanderdividiert war. Sie vereinen so etwa den wissenschaftlichen und den transzendentalen Ansatz, die man seit dem . Jahrhundert voneinander trennen wollte. Außerdem bedienen sie selbst in ihrer Erscheinung als neuartige technische Einrichtungen auch das Verlangen nach Erfindungen und Innovationen. Erik Davis bezieht sich direkt auf diese Ausführungen Latours, wenn er die ›magischen‹ Qualitäten von Technologie herausarbeitet: Die große Trennung, mit Davis Worten, erkläre den Menschen zum einzigen Akteur und die Dinge zu stummen, lahmen Teilen. Dabei sei die große Trennung immer nur imaginiert worden, in Wahrheit habe die Gesellschaft immer in der »anthropologischen Matrix« gelebt (daher der Titel Wir sind nie modern gewesen). Die Verleugnung der Hybriden (Subjekt / Objekt, Material / Akteur) habe erst in der modernen Welt so viele Hybriden (Waffen, Medizin, politische Konzepte usw.) hervorgebracht; die moderne Welt

   

Latour: Wir sind nie modern gewesen, S. . Ebd. Ebd., S. . »Die moderne Verfassung erlaubt gerade die immer zahlreichere Vermehrung der Hybriden, während sie gleichzeitig deren Existenz, ja sogar Möglichkeit leugnet.« Ebd., S. . Herv. im Original.

. Exkurs: Esoterische Hybriden. Latour und die Tätigkeiten von Reinigung und Übersetzen

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selbst habe aber verkannt, dass ihre Erfindungen Hybriden waren. Die esoterischen Stoffe und Apparate, die in den folgenden Kapiteln dieser Arbeit besprochen werden, können als Auflehnen gegen die »große Trennung« und gegen das ›Erkalten‹ der Dinge in der Moderne verstanden werden. So etwa wenn es darum gehen soll, den Stoff Wasser zu »beleben« – wie im nächsten Kapitel dargestellt wird.

 Davis eigener Ton ist dabei der beschwörende der McLuhanschen Stammestrommel-Utopie, der einer ursprünglichen, tribalistischen Welt, in der noch alles mit allem verknüpft ist (– wie wiederum in der Cyber-Utopie, der Davis anhängt). Davis: Techgnosis, S. .

 Esoterische Materialitäten I – Stoffe: »Belebtes Wasser« Es gehört zur zeitgenössischen Esoterik, sich als wissenschaftlich zu inszenieren. Und die Selbsttechniken dieser Esoterik sind in gleicher Weise quasi-wissenschaftlich wie diejenigen von Ernährung, Sport oder der Kontrolle des eigenes Konsums, mit denen man das eigene Selbst zu optimieren sucht. Esoterikprodukte auf dem heutigen Markt formulieren deswegen einen Imperativ, man müsse sich ihrer bedienen, um der ›heiligen Pflicht‹ nachzukommen, auf die eigene Gesundheit zu achten. Beispiele sind etwa die Magnetkissen der Firma Nikken oder Geräte zur Entfeuchtung der Raumluft. Sie suggerieren, mit ihrer auf wissenschaftliche Erkenntnisse gestützten Kraft das Leben der Anwender gesünder und besser machen zu können. Der Status quo des Lebens in der gegenwärtigen Welt sei verdorben, gefährlich; es sei geradezu fahrlässig, sich einfach dem Standard hinzugeben. Ein Feld, das in diesem Zusammenhang häufig bearbeitet wird, ist das des Wassers. Herkömmliches Leitungs- oder Trinkwasser gilt vielen Esoterikern als unrein und schädlich. Besser sei sogenanntes »belebtes«, »energetisiertes«, »aktiviertes« oder gar »levitiertes« Wasser. Diesem Wasser könne man habhaft werden, wenn man sich eines der einschlägigen Produkte zulegt, die gewöhnliches Wasser auf den erstrebten höheren Zustand heben wollen (ein Transformationsvorgang wie in den einleitenden Kapiteln beschrieben). Die in Frage stehenden Geräte firmieren unter Namen wie »Aqua-Lyros«, »Biopol« oder »Crystal Water Wasser-Vitalizer«. Bei diesen angesprochenen Geräten handelt es sich oft um eine Art von Patrone, die man an seine Wasserleitung klemmt, manchmal um Metallstäbe, die in das Wasser gehalten werden sollen (siehe hierzu das nachfolgende Kapitel zum Aqua-PowerJoint). Daneben gibt es Magneten oder pulverförmige Zusätze. In den Diskurs des aktivierten Wassers ist also seine kommerzielle Ausbeutung direkt eingebaut. Dass Wasser überhaupt in der Esoterik eine große Rolle spielt, überrascht nicht, wenn man die allgemein große kulturelle und rituelle Bedeutung des Wassers ansieht. Man denke da an die Bedeutung des Wassers in religiösen Zusammenhängen: Die Taufe, die Waschung, der heilige Fluss Ganges, das Wasser des Lebens im Märchen und in der Alchemie, das Wasser der Quelle am Wallfahrtsort Lourdes, das Weihwasser und dergleichen mehr. Narrative des Wassers finden sich im Zusammenhang mit der Epik Homers, bei Kolumbus’ Entdeckung Amerikas, es spiegelt sich in Piratengeschichten, Walfängerstories, in der biblischen Schöpfungsgeschichte Böhme

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Menzler, Techno-Esoterik in der säkularisierten Moderne, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27303-3_3



 Esoterische Materialitäten I – Stoffe: »Belebtes Wasser«

(Gott über den Wassern im Tohuwabohu), bei Nixen, Sirenen, Melusinen, Loreley und in Heraklits Fluss. Diese rituelle und erzählerische Bedeutung des Wassers entstammt seiner überlebenswichtigen Bedeutung für die Flüssigkeitsaufnahme und auch seiner sanitären Bedeutung: Wasser braucht man für Hygiene. Auch Sätze zwischen Wissenschaft und Aberglaube wie die inzwischen wieder aus der Mode geratene Empfehlung, man solle jeden Tag zwei Liter Wasser trinken , gründen sich hierauf. Wasserknappheit spielt in ärmeren Ländern und Zeiten eine existenzbedrohende Rolle. In den alten Erzählungen ist das Wasser nicht nur Grundmedium der Schöpfung oder reinigendes und heilendes Mittel, sondern tritt auch als schreckliche Naturgewalt auf , dabei ist zuvorderst auf die in vielen religiösen Überlieferungen enthaltenen Sintflut-Geschichten zu verweisen. Diese zweite Dimension ist heute rein dem wissenschaftlich-politischen Diskurs anheim gefallen. Naturkatastrophen beschäftigen die Nachrichten. Heil-Wirkung dagegen ist Teil von Gesundheit und Esoterik, nicht nur der zeitgenössischen. Heilen mit Wasser, durch Bäder oder Trinkkuren hat eine jahrhundertelange Tradition. In der modernen Form im europäischen Westen verkörpert etwa in Kuren, in KneippBädern und Thermen, laufen diese Praktiken zwar eigentlich den Methoden der Schulmedizin entgegen, sind aber in das Krankenversicherungswesen integriert. All’ diese Dimensionen, in denen Wasser von großer Bedeutung ist, hat Hartmut Böhme in der Einführung zu einem Sammelband über das Wasser angeführt, in dem kulturwissenschaftliche Aufsätze zum Thema Wasser kompiliert sind. Böhme legt zunächst dar, dass Wasser die »ursprünglichste und wichtigste Flüssigkeit« bilde. Heute sind wissenschaftliche Zugänge zum Wasser vorherrschend: Es spielt eine Rolle in Physik, Chemie, Biologie; bildet die Grundlage für Disziplinen wie Hydrologie und Hydrotechnik. Zwar sei Wasser kein Element im Sinne stofflicher  Vgl. Hartmut Böhme: Umriß einer Kulturgeschichte des Wassers. Eine Einleitung. In: Kulturgeschichte des Wassers. Hrsg. v. dems. Frankfurt am Main: Suhrkamp , S. –, hier S. .  In der Angewohnheit amerikanischer Keynote-Speaker, häufig einen Schluck Wasser aus einer Plastikflasche zu nehmen, zeigt sich die große Verwandtschaft von self help, self improvement, Unternehmenskommunikation und motivational speaking.  Böhme: Umriß einer Kulturgeschichte des Wassers, S. .  Vgl. Beatrix Pfleiderer: Vom guten Wasser. Eine kulturvergleichende Betrachtung. In: Kulturgeschichte des Wassers, S. –, hier S. .  Vgl. auch ebd., S. .  Böhme: Umriß einer Kulturgeschichte des Wassers, S. .

 Esoterische Materialitäten I – Stoffe: »Belebtes Wasser«



Unteilbarkeit (mehr), doch die Tatsache, daß Wasser in nahezu allen Wissenschaften und Techniken vorkommt oder spezifische Wissens- und Praxisregionen begründet, begründet die Erstrangigkeit dieses Naturstoffs. Themengebiete, die Böhme in diesem Zusammenhang nennt, sind unter anderem die Sicherung des Trinkwassers, Meeresfarmen, Verschmutzung von Meeren, Seen und Flüssen oder saurer Regen – es geht also um ökologische Fragen, die von ihrem Geltungsbereich nicht weniger als die Zukunft der Menschheit betreffen. Wasser sei folglich ein »lebenstragendes Medium, das mit großer Sensibilität auf die destruktiven Momente der technischen Zivilisation und des Naturraubbaus reagiert.« Böhme liest das Wasser fast, als sei es mana oder die vis vitalis: [...] weil das Wasser keine Grenzen kennt; weil es sich nicht nur in einem komplexen natürlichen Weltkreislauf bewegt, sondern in jedem Augenblick auch die Körper aller Menschen und Lebewesen sowie die Körper der Gesellschaften, der Häuser und Fabriken, der Städte und Dörfer durchströmt und weil dieser anthropogene Kreislauf des Wassers unvermeidlich eingeschlossen ist und ihn zugleich verändert, ist es im unmittelbar vitalen Interesse – Wasser als Lebensstoff –, zu einer weltweiten Ordnung des Wassers zu kommen.

Wasser ist hier eine alles durchwirkende Kraft – wie der Äther, das Chi, die Lebenskraft in den weiteren in dieser Arbeit diskutierten Theorien. Zwar hätten die modernen Naturwissenschaften dem Wasser den Status der Elementarität entzogen, seine kulturelle Bedeutung ist jedoch ungebrochen, sei es wissenschaftlich, politisch (etwa im Bezug auf Wasserknappheit oder Dürre und Versteppung) oder kulturell. Aufgrund der Bandbreite der Bereiche, die das Wasser betrifft, sei ein Zugang zu ihm über Einzeldisziplinen (wie in der Moderne üblich) »unangemessen«, so Böhme – und es steht zu vermuten, dass es eben wegen dieser holistischen Spannweite zum Gegenstand der Esoterik geworden ist. Auch bieten real existierende Probleme der Trinkwasserversorgung aufgrund von Fehlverhalten des Menschen einen Anschlusspunkt für Esoterik-Gurus, die daran ihre eigene Lehre entfalten und Verbesserung qua ihrer selbst versprechen. Für die Philosophie sei das Wasser in den letzten  Jahren als Bildspender geradezu prägend gewesen, solange die Philosophie selbst noch naturphilosophisch    

Böhme: Umriß einer Kulturgeschichte des Wassers, S. . Ebd. Ebd., S. . Ebd., S. .



 Esoterische Materialitäten I – Stoffe: »Belebtes Wasser«

ausgerichtet war und sich noch nicht – im Unterschied zu heute – als erkenntnisund wissenschaftstheoretisch verstanden hat. Auch in der Kultur (also etwa Erzählungen und Ikonographie) sei das Wasser vielfältig in Mythen, Bildern und Symbolen enthalten, was nach Böhme seiner vielgestaltigen Erscheinungsform in der Natur und seiner Rolle bei der Entstehung des Lebens zu verdanken sei. Die reiche Kultur der Wassermythen und des Wasserdenkens sei, so der Kulturwissenschaftler Böhme, seit dem . Jahrhundert eingeschränkt: »Die Naturphilosophie ist nach ihren Höhepunkten bei den Vorsokratikern, in der Renaissance und der Romantik aufgrund des Siegeszuges der positiven Wissenschaften in Mißkredit geraten.« Tatsächlich nimmt es deswegen nicht Wunder, dass sich das Fortleben dieser Wassermythen in der zeitgenössischen Esoterik vollzieht. In diesem Zusammenhang führt selbst der der Esoterik unverdächtige Autor Hartmut Böhme die Beschaffenheit von Wasser ins Feld gegen die neuzeitliche Wissenschaft und ihren Satz von der Verschiedenheit von Subjekt und Objekt: Wer mit der Erscheinungsvielfalt des Wassers vertraut ist, wird leichter einräumen, daß jene Trennung von Subjekt und Objekt, wie sie für die neuzeitliche Wissenschaft kennzeichnend wurde, ein Irrweg ist oder zumindest nur zur halben Wahrheit führt. Das Wasser zu ›objektivieren‹, es zu einem dem Menschen gegenüberstehenden Stoff zu verfremden, der als eben fremder erkannt und dann technisch verfügbar gemacht wird: das entspricht zwar dem allgemeinen neuzeitlichen Zug zum Fremdmachen der Natur. Doch in solche Erkenntnis kann die unaufhebbare Angewiesenheit des Menschen auf Wasser ebensowenig eingehen wie die Tatsache, daß der Mensch niemals als souveränes Subjekt dem Stoff Wasser gegenübertritt.

Der Mensch sei gegenüber dem Wasser immer zugleich Objekt und Subjekt, er sei immer Handelnder und Betroffener. Die moderne Wissenschaft entwickelte sich dagegen an unerreichbaren oder nicht mehr betroffenen Dingen: Den Himmelskörpern und dem Leichnam. In der Wissenschaftsgeschichte wäre es also nach Böhmes Argumentation angelegt, sich von den Dingen zu distanzieren – zu objektivieren. Wasser wäre eine Manifestation von Unbestimmtheit, von Auflösung von Subjektivität und Objektivität – und ist von daher äußerst passend für  Naturwissenschaftliche Darstellungen der Entstehung des Lebens jedoch – also jeden Geschichten von der Formung der ersten sich reproduzierenden Molekülclustern in einem wässrigen Medium – sind natürlich Produkte jenes neuzeitlich-wissenschaftlichen Blicks, der dem Wasser seinen mythischen Status entzogen hat.  Böhme: Umriß einer Kulturgeschichte des Wassers, S. .  Ebd., S. .  Vgl. ebd., S. .

 Esoterische Materialitäten I – Stoffe: »Belebtes Wasser«



unio-mystica-Vorstellungen von Esoterik. In den kulturellen Symbolbildungen habe das Wasser einen unerschöpflich reichen Ausdruck gefunden. Böhmes Rhetorik gleicht an einigen Stellen fast der der einschlägigen Wasser-Gurus wie Masaru Emoto (siehe unten): Der Mensch sei ein »immer schon mit dem Wasser verbundenes Lebewesen« und der Bezug des Menschen zum Wasser als »Element des Lebens und der Kultur« sei in den industrialisierten Gesellschaften verloren gegangen. Böhme sieht das als eine Verfallserscheinung der Zivilisation an: Heute, nach der triumphalen, aber auch beängstigenden Erfahrung mit neuzeitlicher Wissenschaft und Technik, zeigen sich die Negativfolgen dieser Entmythologisierung der Natur [...] Zu denken sei da an Umweltschäden, Trinkwasserknappheit, Klimawandel. Eine der kulturell stärksten Symboliken, die Böhme im Zusammenhang mit Wasser nennt, ist der Bach oder die Quelle als Zentrum des locus amoenus, einer der wichtigen Topoi der westlichen Kunst- und Literaturgeschichte. Diese Ikonographie wird, für unseren Zusammenhang wichtig, vor allem im Diskurs um das »Grander-Wasser« aufgegriffen, indem Johann Grander als großväterlicher AlmWeiser inszeniert wird, der liebliche Quellen erkundet. Die Ursprünglichkeit des Wassers für das Leben wird bezeugt schon in alten Kosmogonien; bei Thales von Milet oder im Alten Testament; wie auch zeitgenössische Ökologen emphatisch sagten, »›Wasser ist Leben‹«. Die Heilkraft des Wassers wurde seit Hippokrates beschworen, so Böhme. Schon lange sei Wasser mit Reinigung und Heilung identifiziert worden und es spiele eine Rolle in der Körperhygiene, im Badewesen, beim Sport, in der Mode, Moral, Medizin, Balneologie und Sanitätstechnik. Laut Böhme verliert das Element Wasser seit dem . Jahrhundert seine Bedeutung für den »Bildungsprozess der Subjektivität«. Es wird hierin abgelöst von maschinischen Vorstellungen. Dadurch wird es aber sozusagen »›frei‹ für neue semiotische Besetzungen« – eben in der Esoterik.

      

Böhme: Umriß einer Kulturgeschichte des Wassers, S. . Ebd. Ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd. Ebd., S. . Ebd.



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Die Ethnographin Beatrix Pfleiderer hat sich in einem Aufsatz der semantischen Aufladung von Wasser angenommen – eine Aufladung, die auf diese Weise genau so in der zeitgenössischen Esoterik vorgenommen wird. Pfleiderers Untersuchungsgegenstand reicht dabei von mittelalterlichen Heilquellen bis zu Mineralwasser aus dem Supermarkt. Die symbolischen Qualitäten, die dem Wasser jeweils zugeschrieben werden, wiederholen sich dabei und werden von Pfleiderer in einem binären Schema gesammelt. In Objekten und Vorgängen wie bei der Schöpfung, beim Weihwasser, Taufwasser oder etwa Gangeswasser hat die Autorin verschiedene Charakteristiken identifiziert, die sich tatsächlich für natürliches und mythisches Wasser nicht unterscheiden : Wasser ist entweder unrein und damit ungesund oder rein und damit gesund. Verwendet wird Wasser unter anderem für Reinigung, Buße, Heilung – Wasser fungiert als heilendes Agens. Beispielhaft untersucht Pfleiderer das Etikett einer Mineralwasserflasche, das unter anderem folgenden Satz formuliert: »Odenwaldquelle ist ein quellfrisches naturgesundes Mineralwasser von ursprünglicher Reinheit aus der unberührten Tiefe des Odenwaldes.« Daneben listet die Autorin folgende Charakteristika und Bedeutungen auf, die dem Wasser mittels des Flaschen-Etiketts zugeschrieben werden: »quellfrisch«, »ursprünglich«, »Reinheit«, »unberührt«, »Tiefe«, »unverfälscht«, »Quellort«, »natürlich«, »belebend«. Die übergeordnete Kategorie aller dieser Begriffe sei: natürlich. Natürlich sei das Wasser wegen seiner Herkunft aus der Tiefe, welche ein Außen repräsentiere (das die Natur sei). Die Autorin fasst es wie folgt zusammen: »Diese ›Reinheit‹, die ›ursprünglich‹ ist, weil sie von außerhalb kommt, verleiht dem Wasser in der Flasche eine charismatische Kategorie, die es mit Wirkungen wie ›belebend‹ und ›erfrischend‹ versieht.« Weiterhin stellt Pfleiderer in einem Schema dar, wie die Heilkraft des Wassers räumlich und in Bezug auf den menschlichen Körper wirke: Von »außerhalb« komme es, aus der »Tiefe«, sei »rein« und »heilend«. Im Körper stelle es eine »Ordnung« her. Dieses anti-entropische, ordnende Vermögen wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit immer wieder begegnen. Pfleiderer

     

Vgl. Pfleiderer: Vom guten Wasser, S. . Zit. n. ebd., S. –. Ebd., S. . Ebd. Ebd. Ebd.

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Jenseits der heilenden Wirkung konstatiert Pfleiderer auch eine transformative: Im Ritual fungiere Wasser als Agens der symbolischen Reinigung. Während also etwa im Kuraufenthalt oder beim Trinken von Mineralwasser der Körper von den Zivilisationstoxinen gereinigt werden soll, gehe es im rituellen Prozess um eine andere Form der Veränderung: Die Reinwerdung geschieht durch die aufgenommene Verbindung zum Heiligen schlechthin, wobei das Wasser als übertragendes Agens betrachtet wird. Wasser dient also als Pfad zur Transzendenz. (Pfleiderer wählt hier als Beispiel die heilige Quelle von Lourdes, aber in der vorliegenden Untersuchung findet sich diese Denkfigur auch immer wieder.) Die Heiligkeit in Pfleiderers Beispiel Lourdes emaniert aus einer anderen Zeit: Der intakten Vergangenheit, der Vor-Zeit. Die Vergangenheit wird also – wie das Wasser – ebenfalls mit transzendenten Bedeutungen aufgeladen. Diese Verklärung finden wir in der Esoterik immer wieder. Unter anderem reüssiert das Wasser im esoterischen und heilpraktischen Bereich in den Bezeichnungen von Kurorten, die sich ein »Bad« oder »Heilbad« vor den Namen stellen dürfen, in Thermen, Kneipp-Bädern, beim Inhalieren von Wasserdampf, beim Baden in radioaktiven Quellen, beim Schwimmen im Toten Meer usw. In ihren Begründungen beziehen sich Esoteriker dabei oft auf die physikalischen und chemischen Idiosynkrasien des Wassers, mit denen man einschlägig im Schulunterricht vertraut gemacht wird. Da ist zu nennen unter anderem die Dichteanomalie des Wassers oder die für seine niedrige molare Masse verhältnismäßig hohen Schmelz- und Siedepunkte. Hierfür verantwortlich sind die Wasserstoffbrückenbindungen, die Wasser in der flüssigen Phase ausbildet. So schließen sich mehrere Moleküle kurzzeitig (im Picosekundenbereich) zu vernetzten Clustern zusammen. Diese Molekülcluster gelten Wassergurus als Ankerpunkt, an den sie ihre Theorie eines Wassergedächtnisses knüpfen. Ihr bekanntester Vertreter ist Masaru Emoto. Emoto ist eine der einschlägigen Personen im Bereich der Wasser-Esoterik. Ein Großteil der Literatur zum aktivierten Wasser und der Erläuterungen zu den angesprochenen Gerätschaften orientiert sich an den Kernideen, die von einigen Pionieren auf diesem Gebiet formuliert worden sind. Diese Wasser-Meister sind unter anderen der österreichische Naturforscher Viktor Schauburger (–), Wilfried Hacheney (–), Johann Grander (–) und genannter Masaru Emoto (–).  Pfleiderer: Vom guten Wasser, S. .



 Esoterische Materialitäten I – Stoffe: »Belebtes Wasser«

Der japanische Außenseiter-Forscher Masaru Emoto publizierte seit den er Jahren zum Thema Wasser. Die Grundthese war dabei, dass die molekulare Struktur des Wassers durch das menschliche Bewusstsein beeinflussbar sei. Positive Gedanken und Gefühle sollte Wasser reinigen können. Die Methode, derer Emoto sich bediente, um Reaktionen und Beschaffenheit von Wasser festzustellen, war die Fotografie von Eiskristallen. Unter dem Vergrößerungsglas ästhetisch ansprechende Eiskristalle seien Ausdruck eines guten Zustandes des Wassers. Unter anderem in seinem Buch The Hidden Messages in Water schildert Emoto die Ergebnisse seiner Forschung. Der Prolog zu diesem Buch gibt Aufschluss über Emotos Selbstverständnis, das in der Tradition esoterischer Gelehrter steht. Dieser Prolog dokumentiert nämlich ein Wissenschafts- und Wissensverständnis, das im Verlauf dieser Arbeit immer wieder zu sehen war. Zuallererst stellt Emoto seine Arbeit unter das Motto des Glücks und des gelingenden Lebens , was ja Zentralthemen zeitgenössischer Lebensoptimierung wie Esoterik sind. Ebenso ins Bild passt, dass Wasser als Grundlage des Lebens dargestellt wird, wie auch in populärwissenschaftlicher biologischer Literatur zu finden: Signifikant sei es, dass der Mensch zu  aus Wasser bestehe. Emotos einfacher Schluss dabei ist: Da der Mensch zu einem Großteil aus Wasser bestehe, führe sauberes Wasser im Körper zu Glück und Gesundheit. Und dabei sei nur fließendes Wasser als ›gut‹ einzustufen. Krankheiten und Tod werden von Emoto auf das Stocken des Blutflusses im menschlichen Körper zurückgeführt - eine Anlehnung an die mittelalterliche Humoralpathologie. Dies bedeutet aber nicht anderes als: ähnlich wie bei der Scientology werden schlechte Emotionen verantwortlich gemacht für körperliche Gebrechen. Desweiteren bezieht sich Emoto explizit auf Hahnemanns simile-Prinzip der Homöopathie, welches er bereits auf Hippokrates zurückführt. Emoto sagt, bei großer Verdünnung, wie sie in der Homöopathie angewendet wird, sei zwar keine Materie des zugeführten Stoffs mehr im homöopathischen Präparat vorhanden, die Eigenschaften dieses Mittels jedoch blieben erhalten. Emoto sagt, Wasser habe die Fähigkeit, Information zu kopieren und zu speichern. Nicht nur von chemischen Stoffen, auch von Lebewesen nehme Wasser Information auf. Emoto

 Masaru Emoto: The Hidden Messages in Water. Übers. v. David A. Thayne. New York: Atria , S. xiii.  Ebd., S. xv.  Ebd., S. xviii.

 Esoterische Materialitäten I – Stoffe: »Belebtes Wasser«



Emotos Kerngeschäft waren Fotografien von Eiskristallen, die sich aus gefrorenem Wasser gebildet hatten, das aus natürlichen Gewässern oder Wasserversorgungssystemen von Großstädten entnommen war. Das Wasser hatte Emoto zum Teil behandelt, indem er es positiven oder negativen ›Eindrücken‹ ausgesetzt hatte. Anhand der Eiskristalle wollte er den Gütegrad und die Gedächtnisfähigkeit von Wasser aufzeigen. So habe das Wasser sehr schöne Kristalle gebildet, wenn es aus natürlichen Quellen stammte (also in unverbrämtem Zustand vorlag) oder wenn es klassischer Musik ausgesetzt wurde (und also positive Energien gespeichert gehabt hätte). Dagegen bildete es chaotische, unsymmetrische Kristalle, wenn es den Wasserleitungen der Großstadt Tokio entstammte oder wenn es mit negativen Worten bedacht wurde. Das Wasser werde also nicht nur in seiner Struktur beschädigt, wenn es in unreinen Systemen zirkulierte, es konnte sich auch merken, welchen positiven oder negativen Emotionen von Menschen es ausgesetzt worden war. Emoto bettet diese Erkenntnisse ein in eine Geschichte, wie er zu seinem Wissen gekommen sei. Signifikant ist, dass hier wieder eine Geschichte der Prädetermination oder der Kraft des Willens erzählt wird. Inspiriert sei er gewesen zunächst durch die Forschungen Jacques Benvenistes, der Ende der er Jahre einen vermeintlichen Beweis der Homöopathie qua Nachweis des Wassergedächtnisses vorgelegt hatte. . Der Immunologe Jacques Benveniste vom staatlichen französischen INSERM-Forschungsinstitut erregte  Aufsehen, da ein Artikel von ihm in NATURE veröffentlicht wurde, in dem er meinte nachweisen zu können, hochgradig verdünnte Antigene könnten über einen »Gedächtniseffekt« des Wassers weiße Blutzellen (Leukozyten) beeinflussen. Stark verdünnte Flüssigkeiten könnten selbst dann noch eine Wirkung auf Blutkörperchen erzielen, wenn in ihnen kein einziges Wirkstoff-Molekül mehr nachweisbar sei. Es handelt sich also im Prinzip auch um einen Nachweis der Wirkung der Homöopathie. Obwohl mehrmals nachgewiesen wurde, dass dies nicht stimmte , führte Benveniste seine Forschungen abseits der Öffentlichkeit weiter fort und meinte später, auf Wasser     

Emoto: The Hidden Messages in Water, S. xxiv. Ebd., S. xxiii. Ebd. Ebd., S. xix. Siehe hierzu etwa Helge Bergmann: Wasser, das Wunderelement? Wahrheit oder Hokuspokus. Weinheim: Wiley-VCH , S. –.



 Esoterische Materialitäten I – Stoffe: »Belebtes Wasser«

könne Information auch per Internet und Telefon übertragen werden. Während Benveniste also von einem wissenschaftlichen Beweis sprach, beruft sich Emoto zusätzlich dazu auf seine eigene Intuition. An die Beschwörungen der »Kraft des Wassers« und der Einzigartigkeit einer jeden Schneeflocke schließt die Beteuerung an, Emoto habe von Anfang an gespürt, dass er vor einer besonderen Erkenntnis gestanden habe, was ihn jegliche Widerstände habe überwinden lassen. »What you really know is possible in your heart is possible. We make it possible by our will.« Der Prozess der wissenschaftlichen Innovation wird hier als von zwei Prinzipien geleitet gesehen: Einmal durch Vorbestimmung, durch eine nicht-kontingente Welt, die in Zeichen und Gefühlen Vorausblicke auf ihre eigene Zukunft zulässt, und einmal durch eine metaphysische Kraft des individuellen Wollens. Daneben stellt Emoto seinen Arbeitsprozess en Detail dar, bei welcher Temperatur das Wasser gefroren wird usw. Ein deutscher Benveniste wäre Bernd Kröplin, Ingenieur und ehemals Professor an den Universitäten in Dortmund und Stuttgart und bekannt für das gescheiterte »Cargolifter«-Projekt, das Lastenluftschiffe herstellen wollte. Er meint, die Rückstände von getrockneten Tropfen könnten Aussagen z.B. über die Person machen, die diese Tropfen verloren hat. Kröplin macht tatsächlich etwas sehr Ähnliches wie Emoto: Auch er veröffentlicht Fotografien. Diese zeigen die Spuren eines Tropfens aus – einmal wieder – Lourdes, oder, als Negativbeispiel, eines Tropfens, der Handystrahlung ausgesetzt war. Eine Immunisierungsstrategie des Wissenschaftlers Kröplin ist es, sich im Bereich »Kunst« zu registrieren. Seine Arbeiten wurden unter anderem auf der EXPO  ausgestellt. Kröplin wie Emoto gehen in der Hinsicht ähnlich vor, indem sie Experimente inszenieren und in gleicher Weise auf bestehende wissenschaftliche Konzepte wie etwa Wassercluster zurückgreifen, um sich selbst Autorität zu verschaffen. Die kulturelle und symbolische Bedeutung von Wasser bildet dabei die Tradition, in der sie stehen, wovon die These des Wassergedächtnisses nur eine Spielart darstellt. Den esoterischen Charakter macht dabei die Vorstellung aus, dass die Übertragung von Informationen oder Kräften ohne äußerliche oder sichtbare  Emoto: The Hidden Messages in Water, S. xxii.  Ebd. Zur Kritik der methodischen Mängel bei Emoto siehe Bergmann: Wasser, das Wunderelement?, S. –.  Bernd Kröplin: Welt im Tropfen. Gedächtnis- und Gedankenformen im Wasser. Buch zur Ausstellung. Stuttgart: Gutesbuchverlag .

 Esoterische Materialitäten I – Stoffe: »Belebtes Wasser«



Energieaufwendung vonstatten geht. Geräte wie der Aqua-Power-Joint werben meist damit, ohne Stromanschluss, ohne Chemikalien, ohne Verschleiß zu arbeiten. Offenbar hat die Behauptung, den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik außer Kraft setzen zu können, also ›von allein‹ Ordnung herstellen zu können, zentrale Bedeutung für die Formulierung parawissenschaftlicher Theoriemodelle wie für die Attraktivität von Scharlatanerieprodukten. Der Chemiker Helge Bergmann, der auch in die Szene der Skeptiker gehört, hat zwei Bücher vorgelegt, in denen er sich mit den Wasser-Mythen der derzeit populären Esoteriker aus naturwissenschaftlicher Sicht auseinandersetzt. Bergmann zeigt, dass die Rede von der »Kristallstruktur« des Wassers, die in Esoteriklehren immer wieder vorkommt, falsch ist. Er erklärt unter anderem, woher die Rede vom »rechts-« und »linksdrehenden« Wasser kommt und erläutert, wie das Gesetz der »Schwingungen«, von denen fast alle esoterischen Lehren sprechen, aus naturwissenschaftlicher Perspektive zu bewerten ist. Bergmann zitiert verschiedene Internetquellen und unter anderem auch das Buch Mythos Wasser  , in denen von rechtsdrehendem Wasser die Rede ist. Bergmann verweist darauf, dass es zwar in der Teilchenphysik »linken« und »rechten« Elektronenspin gebe, dies aber untauglich sei, die Existenz von linksund rechtsdrehendem Wasser zu behaupten. Bewertung dieser Wasser-Theorien durch Bergmann

Bergmann gibt den unterschiedlichen Gebrauch des in der Esoterik so häufig gebrauchten Begriffs Schwingung in tatsächlicher Physik und in Esoterik-Kreisen wieder. Die immer wieder auftretenden Begriffe Schwingung, Frequenz und Resonanz erläutert Bergmann folgendermaßen: Schwingungen seien eine Art der periodischen Bewegung, die zwei Kriterien erfüllen müssen: der sich bewegende Körper müsse eine stabile Gleichgewichtslage besitzen und die periodische Bewegung müsse durch zwei Umkehrpunkte geführt werden. Dies wäre etwa bei einem Uhrenpendel der Fall. Eine »harmonische« Schwingung liege vor, wenn die Bewegung als Sinuskurve dargestellt werden könne. Der Begriff Alles ist Schwingung

 Zur methodischen Kritik an Kröplin siehe Bergmann: Wasser, das Wunderelement?, S. –.  Vgl. ebd., S. .  Johannes Pausch: Mythos Wasser. Mitschnitte des Villacher Wassersymposiums . Villach: KI Esoterik .  Bergmann: Wasser, das Wunderelement?, S.  ff.  Vgl. ebd., S. .



 Esoterische Materialitäten I – Stoffe: »Belebtes Wasser«

»harmonisch« wird hier in einer rein mathematischen Definition verwendet, aber aufgrund seiner Konnotation wird dies in der Esoterik gerne aufgegriffen. »Frequenz« ist die Häufigkeit der Schwingung. Bei elektromagnetischen Wellen werden die Wellen durch schwingende elektrische und magnetische Kraftfelder erzeugt. Bergmann zeigt dann, wie Esoteriker durch Rechenoperationen auf angebliche Schwingungsfrequenzen der Erde, des menschlichen Körpers und gar von Organen kommen. Dies habe aber nichts mit Physik zu tun. Eine alte Verbindung von symbolischer Aufladung von Wasser mit technischem Gerät bildet das Rutengehen. Diese Praxis ist schon altertümlich überliefert, aber erst im . Jahrhundert bildete sich die Spielart »Radiästhesie« aus, die Gesundheitsschäden durch Erdstrahlen proklamiert und damit die Sache medikalisiert. Tatsächlich gibt es laut Bergmann eine natürliche, radioaktive Strahlung aus dem Boden, die allerdings für die Rutengänger keine Rolle spiele. Historisch gibt es jedoch gewisse Schnittmengen in der Entwicklung des physikalischen und esoterischen Wissens. Neben der Wünschelrute beschreibt Bergmann ein Gerät, das »entstören« und vor gefährlichen Erdstrahlen schützen soll. Es sei dies ein einfacher Kasten, in dem gewöhnliche Elektronikteile verbaut wären, die jedoch keine Funktion hätten. Es handelt sich dabei also um Esoterikprodukte, wie sie in dieser Arbeit behandelt werden. Bergmann listet auf, in welcher Hinsicht Esoterik (hier: Radiästhesie) methodisch unzureichend verfährt, obwohl sie beteuert, wissenschaftlich zu arbeiten: Beobachtungen werden nur und ausschließlich in der Natur gemacht, nicht unter Laborbedingungen, Messdaten werden nicht konkret erhoben, Doppelblindversuche gibt es nicht, ihre Ergebnisse seien nur bedingt reproduzierbar, Stoffe, Eigenschaften und Ereignisse werden nicht klar definiert, Ursache und Wirkung werden nicht ergründet, Theorien und Modelle werden nicht an neue Erkenntnisse angepasst. Bergmann legt dar, dass die Beweise von Esoterik-nahen Wissenschaftlern (etwa Louis Rey), Wasser könne möglicherweise Informationen in seinen Wassserstoffbrückenbindungen speichern, unzureichend sind. Bergmann bemerkt auch die paranoische Eigenart von Esoterik, verschiedenste Rutengehen

   

Bergmann: Wasser, das Wunderelement?, S. –. Vgl. ebd., S. –. Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. –.

 Esoterische Materialitäten I – Stoffe: »Belebtes Wasser«



Theorien zu verknüpfen. Der Schweizer Homöopath Hanspeter Seiler beruft sich nicht nur auf Hahnemann, sondern gibt auch an, die Wirkweise der Homöopathie mit dem animalischen Magnetismus Mesmers und mit der Quantenmechanik erklären zu können. Bergmann bietet eine Übersicht über die verschiedenen Wasserlehren in der gegenwärtigen Esoterik. Da gibt es »salziges Wasser«, destilliertes Wasser, das auch in der Alternativmedizin angeboten wird, und »Sauerstoff-Wasser«. Die verschiedenen Angebote im Bereich der technischen Wasseraufbereitung kategorisiert Bergmann in physikalische und physikalisch-chemische Verfahren. Zu ersteren gehörten »Levitation«, »Magnetisierung«, »Verwirbelung« (unter anderem von Wasser-Guru Wilfried Hacheney angeboten) und »Energetisierung«, zu zweiten »Reduktion«, »Oxidation«, »Ionisation« und »Superionisation«. All dies wird in Form von Produkten auf dem Esoterikmarkt angeboten. Auch »basisches« Wasser ist als Heilmittel erhältlich; ein chemischer Zustand, der laut Bergmann allerdings sehr gewöhnlich ist. Verallgemeinernd kann man also sagen, dass die verschiedenen Aufbereitungsverfahren nur durch ihre Semantik funktionieren. Ins Auge fällt, wie sehr Wasser in gegenwärtigen esoterischen Strömungen mit ›höherer‹ Bedeutung aufgeladen wird. Mit den Begriffen Latours, die im vorhergehenden Kapitel aufgegriffen worden sind, kann man sagen, dass gegen die »große Trennung« der Moderne opponiert wird, wenn Wasser wieder ›zum Leben erweckt‹ werden soll oder als Spender dieses urtümlichen Lebens gilt. Die Wassermythen der Esoterik evozieren ein (imaginiertes) Zeitalter, in dem noch die gesamte Natur lebendig und integriert erschien, bevor die Wissenschaft (wenn auch nur scheinbar) die Welt in lebende Subjekte und tote Objekte unterteilte. Diese Restituierung eines proklamierten Urzustands wird dabei jedoch oft wiederum mittels technischer Instrumente hergestellt, was Gegenstand des folgenden Kapitels sein wird.

 Vgl. Bergmann: Wasser, das Wunderelement?, S. – und www.hanspeterseiler.ch. Seiler betreibt auch eine »ganzheitliche Körpertherapie Polarity« und ist unter anderem mit einem Vortrag zum Zusammenhang von »Physik und Liebe« in Erscheinung getreten, gehalten vor der WilhelmReich-Gesellschaft. Hanspeter Seiler: Physik und Liebe. . : http://www.hanspeterseiler. ch/site/pdf/berlin-2015.pdf (besucht am . . ). Einmal mehr zeigt sich die wechselseitige Anschlussfähigkeit esoterischer und alternativmedizinischer Theorien.  Bergmann: Wasser, das Wunderelement?, S.  und S. .

 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde« . Wasseraufbereitung mit dem »Aqua-Power-Joint« Der Wassermythen-Debunker Bergmann kommt auf sogenannte »Wasseraktivierer« zu sprechen. Das sind also solche Geräte, die, wie eben erwähnt, Wasser energetisieren, informieren, aktivieren, levitieren sollen. Der Webauftritt eines dieser Produkte wird im Folgenden eingehend vorgestellt. Viele der dort beobachtbaren Eigenheiten lassen sich in diesem Produkt-Genre immer wieder vorfinden. Der sogenannte »Aqua-Power-Joint« ist ein Gerät, das, wie viele andere im Bereich der sogenannten »Wasserbelebung« (auch Wasseraktivierung, -verwirbelung, -magentisierung, -levitation u. ä. genannt, s. o.) angesiedelt ist. Der Hersteller bezeichnet es als »Wasserbeleber und Kalktransformer«, der die Qualität von Wasser verbessern und es gesünder machen soll. Menschen, Tiere und Pflanzen, die solches belebtes Wasser verwendeten oder tränken, zeigten eine »deutliche Verbesserung der körperlichen Zustände« und es habe die Fähigkeit, die Wirksamkeit von alternativmedizinischen Anwendungen wie Bachblüten, Homöopathie, Schüsslersalzen und »Spagyrik« zu steigern. Die Funktion wird folgendermaßen erklärt: Der Aqua-Power-Joint gebe dem Wasser die »ursprüngliche Information der natürlichen Quellen zurück«, indem es »über . Heilenergiefrequenzen aus der Bioresonanz sowie sämtliche Schumannfrequenzen« produziere.  Unter dem Menüpunkt »Funktionsweise« findet sich im gleichen Stil eine noch umfangreichere Darstellung des Funktionsprinzips: »Der Aqua-Power-Joint erzeugt durch Vereinigung von Dia-, Para- und Ferromagnetismus sowie eines Akkumulationsaufbaues einen permanenten, sich ständig erneuernden Energiewirbel mit Heilinformationen.« Hier werden wieder mehrere  Das Produkt wird unter anderem von einer Firma »Bia GmbH« in Bodenkirchen über folgende Website angeboten: www.aqua-power-joint.info (zuletzt besucht am ..). Dieser Website entstammen alle folgenden Zitate. Das Gerät wird auch noch über verschiedene andere Seiten vertrieben und stammt ursprünglich aus Österreich. Sollte die Website irgendwann vom Netz genommen werden, so ist sie über die »Wayback Machine« des Internet Archive abrufbar, zu erreichen unter web.archive.org.  Diese Funktionslogik (Wasser habe eine ursprüngliche, natürliche Energie, diese könne verloren gehen und später re-aktiviert werden, indem der Aqua-Power-Joint Schumannfrequenzen produziere, die das Wasser reinigten; und dieses Wasser habe dann einen heilenden Einfluss auf seinen Konsumenten), so ist anzumerken, muss man sich aus dem etwas inkohärenten Beschreibungstext auf der Website herleiten, da die verschiedenen Begriffe meist unerläutert aufgeworfen werden.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Menzler, Techno-Esoterik in der säkularisierten Moderne, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27303-3_4



 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«

Begriffe und Prinzipien der Physik und Technik aufgerufen. Genauer betrachtet: Drei Arten des Festkörpermagnetismus, »Akkumulationsaufbau«, »Energie«, »Wirbel«, »Information« (hier: »Heilinformation«). Semantisch ist der Wirbel mit dem Wasser verknüpft (im Sinne eines Strudels); Magnetismus, Energie und Information bilden eine Semantik der Manipulation, Veränderung, kraftvollen Wirkung, die der Aqua-Power-Joint zeitigen soll. Dieser angesprochene »Energiewirbel mit Heilinformationen« soll vom Aqua-Power-Joint auf das Wasser, das im Haushalt verwendet wird, übertragen werden, indem er »mittels hochwertiger er Feinsilberaufhängung« an der Wasserleitung befestigt wird. Auf den Bildern auf der Website ist zu sehen, dass der Aqua-Power-Joint mit einer Art Draht (aus Silber, so wird suggeriert) an Wasserrohre gehängt werden soll. Im Zusammenhang mit dem Magnetismus wird auf die Edelmetalle Gold, Silber und Platin verwiesen (etwa: »Diamagnetismus: herrscht in Wasserstoff, reinem Gold und Silber sowie in Heilwasser«). Auffällig ist hier die Vermischung von Semantiken der modernen Naturwissenschaft (»Diamagnetismus«), der klassischen Symbolik von Gold – etwa in der Alchemie – und Silber und dem esoterischen oder magischen Begriff des »Heilwassers«. Dabei ist festzustellen, dass der Magnetismus schon in Mesmers »animalischem Magnetismus« eine Rolle als heilende Kraft spielte. Ein weiterer hybrider Begriff aus Naturwissenschaft und Esoterik, der in diesem Zusammenhang auftaucht, ist der der »Lebensenergie«, die sich durch den Magnetismus des Aqua-Power-Joints aufbauen können soll. Die Bezeichnung »belebtes Wasser« sei synonym zu »rechtsdrehendes Wasser«. Es soll hier der Eindruck entstehen, Wasser

 Wie auch bei »Grander-Wasser«-Anwendungen üblich. Bergmann berichtet neben diesen Aktivierungskapseln auch von Scheiben aus Chromstahl oder Holz, auf die man Getränkebehältnisse stellen solle, um das Wasser in ihnen zu ›aktivieren‹. Bergmann: Wasser, das Wunderelement?, S. .  Die Virulenz der Edelmetalle auf dem Esoterikmarkt zeigt ein kurzer Blick in das Angebot von Amazon. Dort finden sich Bücher mit den Titeln: Heilen mit Gold: Kolloidales Gold und weitere Goldarzneien, Gold als Medizin: Von der Goldkur der Hildegard von Bingen bis zur Goldsole in der Naturheilkunde, Kolloidales Silber: Das große Gesundheitsbuch für Mensch, Tier und Pflanze. Wirkt antibiotisch, hemmt Entzündungen, stärkt das Imunsystem, Kolloidales Gold. Das energetische Goldwasser für das geistige & körperliche Wohlbefinden: Hintergründe, Wirkung, Anwendung, Herstellung und die entsprechenden Produkte: »Kolloidales Gold ppm/ml - Beste Qualität Durch Spezielles Verfahren - Mit Gratis Sprühflasche - Höchstmögliche Reinheitsstufe von ,«, »Kolloidales Gold, der höchsten Qualität, Tiroler Goldwasser, Qualitätsprodukt aus Tirol - ml« und »Kolloidales Silber, der höchsten Qualität, Tiroler Silberwasser - Qualitätsprodukt aus Tirol - ppm ml Flasche«.

. Wasseraufbereitung mit dem »Aqua-Power-Joint«



könne mittels des Aqua-Power-Joints auf Molekülebene verändert werden. Die Erklärung der Funktionsweise und der positiven Wirkungen des belebten Wassers geht weiter: Noch einmal wird auf die Wechselwirkung zwischen den Edelmetallen verwiesen, und es wird gesagt, das mit dem Aqua-Power-Joint belebte Wasser stärke das Immunsystem des Menschen. Und weiter heißt es: »Ein spezielles Farb-Licht-Spektralglas mit genialen , x HZ (aus Farblichtspektrum) [sic] zur natürlichen Erhaltung und Veredelung von heilfördernden Energien, schützt vor schädlichen Einflüssen, wie Elektrosmog, Erdstrahlen usw.« Es bleibt unklar, wo dieses Glas sich befinden soll, ob etwa im Aqua-Power-Joint selbst. Die FrequenzAngabe im Zusammenhang mit dem Glas meint wohl eigentlich , x  Hz, was ungefähr die Schwingfrequenz der Wellen am äußersten Ende des Spektrums des sichtbaren Lichts darstellt. Es ist nicht deutlich, ob es sich hier um einen Schreibfehler oder um Unkenntnis der zitierten physikalischen Größe handelt. In jedem Fall ist damit nun das Feld der Strahlenabwehr aufgerufen, was eines der am häufigsten beworbenen Features der auf dem zeitgenössischen Esoterikmarkt angebotenen Geräte darstellt. Daran anschließend wird noch angeführt, der Aqua-Power-Joint enthalte »alle Mineralien, Spurenelemente und Kristalle, die der Mensch benötigt«. Auch hier ist die Darstellung nicht ganz klar, wo genau die Kleinkörper sich befinden und ob sie und wie sie vom Aqua-Power-Joint auf Wasser übertragen werden können. »Mineralien und Spurenelemente« sind seit Jahrzehnten beliebte Protagonisten des Diskurses über gesunde Ernährung. Die Molkereiprodukte- und Süßigkeitenindustrie wirbt mit dem Kalziumgehalt ihrer Erzeugnisse, Eisenmangel wird entsprechend behandelt und in Drogeriemärkten finden sich Brausetabletten, die den Menschen mit Magnesium und Vitaminen versorgen. »Kristall« als Begriff findet sich in diesem Diskurs normalerweise nicht, da der Ausdruck eine ganze  Wasser ist aber kein chirales Molekül, worauf mit »rechtsdrehend« wohl angespielt werden soll. Chiral sind Moleküle, die durch unterschiedliche Anordnung ihrer Atome verschiedene spiegelbildliche Konfigurationen ausbilden, die nicht durch Drehung zur Deckungsgleichheit gebracht werden können – vergleichbar verhalten sich die beiden Hände des Menschen zueinander. Dies spielt eine Rolle in der optischen Aktivität durchsichtiger Materialien – die mitunter als rechtsdrehend und linksdrehend qualifiziert sind –, nicht jedoch beim Wasser. Irritierend mag die Formulierung seitens der Aqua-Power-Joint-Website erscheinen, der »Volksmund« bezeichnete belebtes Wasser als »rechtsdrehend«, wodurch »belebtes Wasser« als Fachterminus etabliert werden soll und »rechtsdrehend« als schon in den populäresoterischen Sprachgebrauch eingegangen identifiziert wird. Denn »rechtsdrehend« ist ja kein volkstümlicher, sondern ein naturwissenschaftlicher Begriff.



 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«

Vielfalt von kristallinen Materialien bezeichnet und die Eigenschaft der Kristallhaftigkeit im populären Diskurs über Gesundheit bisher eher keine Rolle spielt. Allerdings zieht die esoterische Wassergedächtnis-Hypothese oft eine »Kristallstruktur« des Wasser zu Begründung dessen heran, weshalb Wasser in der Lage sein soll, Informationen zu speichern. In der Rede über den Aqua-Power-Joint geht es wohl um die symbolische Kraft des Wortes Kristall. Ein letzter Hinweis gilt der Fertigung in Handarbeit, was symbolisch die Natürlichkeit des Produkts betonen möchte. An diese Beschreibung der Funktionsweise schließt sich eine Auflistung der Fähigkeiten (»Vorteile–Argumente«) des Aqua-Power-Joints an. Das Spektrum seiner Wirksamkeit ist ungemein breitgefächert und wird hier nur stark verkürzt wiedergegeben: Nicht nur werde der Geschmack des Wassers verbessert, auch seine Verträglichkeit für die Haut wird beworben und der angeblich positive Einfluss auf die Haltbarkeit von mit belebtem Wasser gewaschenem Obst und Gemüse. Auch ökonomisch sei der Aqua-Power-Joint eine lohnende Investition, da Fische in belebtem Wasser schneller heranwüchsen, Geflügel, das vom Wasser tränke, mehr Eier legte und Kühe mehr Milch gäben. Pflanzen sprießten schneller und es seien weniger Chemikalien notwendig, um Pools zu reinigen oder Schädlinge zu bekämpfen. Auch nicht-lebende Substanzen profitierten vom Einsatz des AquaPower-Joints, so wirke er in der Spülmaschine kalklösend, und helfe mit seiner Effizienz auch, einen niedrigeren Wasserverbrauch herbeizuführen. Bemerkenswert ist, dass dem Produkt eine wundersame Wirkung zugeschrieben wird, wie es bei Scharlatanerie-Produkten seit Jahrhunderten üblich ist. Offenbar ist ein maximaler Werbeeffekt höher gewichtet als die Glaubwürdigkeit des Wirkungsspektrums. Auffällig ist, dass im Fall der hier untersuchten Inszenierung eines Geräts kaum medizinische und spezifische Krankheiten heilende Wirkungen angepriesen werden; dies mag der Rechtslage geschuldet sein. Die deklarierten Wirkeffekte werden von einer Reihe von testimonials bestätigt. Ein Landwirt lässt verlauten: »Die Legestatistik meiner Hühner ist seit dem Einbau des Aqua-Power-Joint deutlich gestiegen. Sie sind auch gesünder.« Der »Hausfrau Herta Josy Kaimer« helfe belebtes  Kristalle sind, wegen ihrer Regelmäßigkeit und ihres Glanzes, seit jeher Gegenstand symbolischer Aufladung. Edelsteine und Kristalle sind ein eigenes Thema in der gegenwärtigen Esoterik. In Form von Anhängern und Amuletten werden sie angeboten. Waldorfschulen verkaufen Halbedelsteine. Zu »energetisierten Quarzkristallen« und »Powerkristallen« siehe Rieger: Quarz.  Zu Gerichtsurteilen zu belebtem, levitiertem, aktivierten Wasser usw. siehe Bergmann: Wasser, das Wunderelement?, S. –.

. Wasseraufbereitung mit dem »Aqua-Power-Joint«



Wasser beim Baden und Wäsche waschen. Ein Grazer Zahnarzt versichert, das irritierte Zahnfleisch seiner Patienten würde schneller abheilen. Insgesamt finden sich zwölf solcher Stellungnahmen. Diese optimistischen Berichte werden flankiert durch die Auflistung einiger »Gutachten«, die dem Aqua-Power-Joint qua ihrer Autorität wissenschaftliche Integrität bestätigen sollen. Dies ist besonders signifikant mit Blick auf die Strategien, die esoterisch-pseudowissenschaftliche Produktwerbungen anwenden, um sich Wissenschaftlichkeit und Rationalität zuzusprechen. Unter dem angesprochenen Menüpunkt »Gutachten« finden sich acht Stellungnahmen, genauer von einem »Ökologiebüro Graz [...] unter der Leitung von Dr. Romana Ull, Biologin«, vom »gerichtlich zertifizierte[n] und beeidete[m] Sachverständigen« Dr. Wolfgang R. Auer, von einem Franz Pirker, »Energetiker«, von vier Professoren der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), und unter dem Namen eines Prof. Guttenberger von der Universität Graz findet sich der Verweis auf eine von ihm begutachtete Doktorarbeit. Im einzelnen bestätigen die zitierten Gutachten folgendes: Das Grazer Ökologiebüro bescheinigt eine »deutlich verbesserte Energiebilanz der Meridiane« im menschlichen Körper nach dem Konsum von aktiviertem Wasser. Bezug ist hier die »Meridiananalyse nach Dr. Voll«. Die Meridiane sind in der Traditionellen Chinesischen Medizin angenommene Energiekanäle, die durch den Körper laufen; der deutsche Mediziner Reinhard Voll war ein Vertreter der Elektroakupunktur, die sich auf jene älteren Konzepte beruft. Volls eigene pseudowissenschaftliche Apparatur wird in der Esoterik-Szene öfter dazu benutzt, die Wirksamkeit anderer Geräte zu testen. Der »Umweltmediziner« und »Sachverständige« Wolfgang Auer bezeugt, die Verwendung des Aqua-Power-Joints sei aus »komplementär-medizinischer Sicht« zu befürworten und positive Wirkungen auf das Immunsystem seien »signifikant erkennbar«. Die Verwendung des Wortes »signifikant« evoziert hier die Sprache von mit statistischen Methoden operierenden wissenschaftlichen Studien; das Wort soll die Nicht-Zufälligkeit der Ergebnisse beglaubigen. Der »Energetiker« Pirker habe die Wirksamkeit des Aqua-Power-Joints mit einem »bioenergetischen« Verfahren namens »ETAScan« bestätigt. ETAScan ist eines Gutachten

 Für eine naturwissenschaftliche Einschätzung zu den Experimenten, Studien und Diplomarbeiten an der Universität Graz siehe Bergmann: Wasser, das Wunderelement?, S.  und S. .



 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«

der vielen auf dem Markt erhältlichen Messgeräte, vergleichbar etwa der »Quintstation« (siehe Kapitel .), die Muster von »Schwingungen«, die der menschliche Körper aussendet, erkennen sollen. Wie schon im Fall der Elektroakupunktur nach Voll wird hier ebenfalls ein alternativmedizinisches Gerät benutzt, um das Wirken eines anderen beweisen zu wollen. Die vier Stellungnahmen aus dem Umfeld der Wiener BOKU-Universität behaupten unter anderem, in Studien mit Kontrollgruppen hätte festgestellt werden können, dass mit dem Aqua-Power-Joint behandeltes Wasser den Ertrag von Hühnermast und Obstanbau erhöht. Das gleiche gelte für Gemüse: die Biologieprofessorin Karoline Jezik wird zitiert, dass bei »behandelten Spinatpflanzen höhere Trockenmassegehalte erreicht wurden«. Erklärt wird dies abermals mit wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen Begrifflichkeiten, und sprachlich ungelenk: »Die Ergebnisse der °Brix als Summenfaktor der löslichen Trockensubstanz, in Flüssigkeit und daher annähernd der Zuckergehalt, lagen bei Radieschen und Spinatpflanzen deutlich höher als beim Leitungswasser. Die Werte des Stressfaktors ›P-Wert‹ als Maß für die biologische Qualität der Produkte liegen bei Spinat und Salat niedriger als bei Leitungswasser [...]« In °Brix wird tatsächlich die relative Dichte von Flüssigkeiten gemessen, und da Obst und Gemüse zum großen Teil aus Wasser bestehen, wird ihre Güte auch in °Brix erhoben – je höher, desto weniger wässrig. Der sogenannte »P-Wert« als Indikator für den »Stresslevel«, den ein pflanzliches Lebewesen erleidet, geht auf den ebenfalls unter den Gutachtern genannten »Prof. Herbert Keppel« zurück. Das hinter diesen (auf einer Vielzahl von Websites in der Esoterik- und Pseudowissenschaftsszene genannten) Stellungnahmen real existierende Forschungsinstitute und Forscher stehen, hat bereits die Presse auf den Plan gerufen. Die als Kritikerin von Alternativmedizin bekannt gewordene Journalistin Christa Federspiel hat in einem Artikel für die Zeitschrift Falter  , der online in einer erweiterten Version verfügbar ist, die Tätigkeit einiger der genannten Professoren unter die Lupe  Christa Federspiel: Die Boku-Causa. Akademische Titel dank Esoterik-Arbeiten. In: Falter , Nr. , S. –.  Dies.: Esoterik und Pseudowissenschaft an der Universität für Bodenkultur. In: Kritisch gedacht, . Apr. . : http : / / scienceblogs . de / kritisch - gedacht / 2014 / 04 / 24 / esoterik - und pseudowissenschaft- an- der- universitaet- fuer- bodenkultur/ (besucht am . . ), hieraus die folgenden Zitate. Es handelt sich bei »Kritisch gedacht« um das Blog der »Gesellschaft für kritisches Denken« (GkD), der Wiener Unterabteilung der »Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V.« (GWUP), der weiter oben in dieser Arbeit

. Wasseraufbereitung mit dem »Aqua-Power-Joint«



genommen. Federspiel hat sich verschiedene Diplom- und Doktorarbeiten, die die Hochschullehrer angenommen haben, angesehen, und ist zum Schluss gekommen, dass hier tatsächlich pseudowissenschaftliches und esoterisches Wissen reproduziert und erzeugt wird. Die bereits erwähnte Prof. Jezik betreute, wie Federspiel herausfand, unter anderem eine Diplomarbeit zum Thema »Mögliche kosmische Einflüsse des Mondes auf den Anbau von Radieschen, Karotten und einjährigem Sonnenhut ... nach Maria Thun« ; andere Qualifikationsschriften, die an der BOKU geschrieben worden sind, waren unter anderem den Themen »Einfluss informierter Wässer auf Wachstum und Ertrag von Hafer und Erbse« oder »Bioelektronik nach Vincent« gewidmet. Prof. Jezik selbst verfasste noch ein Gutachten zum »Lichtquantenpulver« der Firma Helioda. Der Artikel Federspiels insinuiert, hinter der Finanzierung der bestätigenden Studien und Gutachten stünden Firmen, die die entsprechenden untersuchten Produkte vertrieben. Neben die logische Unzulänglichkeit der Gutachten tritt also der Verdacht, dass sie aus finanziellem Interesse heraus erstellt worden sind. Die wissenschaftlich anmutenden Gutachten werden allerdings gleich entwertet, wenn man auf der Website herunterscrollt, denn dort steht – wohl aus rechtlichen Gründen – ein Disclaimer, der zum Inhalt hat, dass nach wissenschaftlichen Maßstäben keine Wirkung beweisbar ist: »Hinweis: Die dargestellten Wirkungen des Produktes können zurzeit aufgrund der allgemein anerkannten naturwissenschaftlichen Methoden und Meinungen noch nicht nachgewiesen werden. Die Erkenntnisse beruhen auf alternativen Konzepten und Berichten zufriedener Anwender.« Die Formulierung von den »allgemein anerkannten naturwissenschaftlichen Methoden und Meinungen« und der Hinweis darauf, dass die Wirkungen »noch nicht« (Hervorhebung vom Verf.) nachgewiesen werden könnten, weisen darauf hin, dass man hier die Kompetenz der Wissenschaft zumindest etwas in Frage stellt, und es ist die in esoterischen und pseudowissenschaftlichen Zusammenhängen häufig anzutreffende Ansicht zu erkennen, dass die behaupteten Phänomene theoretisch naturwissenschaftlich zu erklären wären; dass es nur eben derzeit noch nicht möglich sei. Man beruft sich also nicht auf übernatürliche Kräfte, sondern tatsächlich auf die Physik. angesprochenen Skeptiker-Vereinigung.  Maria Thun (–) war Herausgeberin des Aussaatkalenders, eines Kalenders für die Landwirtschaft nach »biologisch-dynamischen« Prinzipien, die auf Rudolf Steiner zurückgehen. Bei Thun geht es dabei um die Stellung des Mondes.



 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«

Unter dem Punkt »Funktionstest« auf der Aqua-Power-Joint-Page wird ein Experiment beschrieben, mit dem ein jeder Kunde selbst die Wirksamkeit des Geräts überprüfen können soll. Der Nutzer wird also selbst zum experimentellen Wissenschaftler, der einen quasi-wissenschaftlichen Beweis führen kann. Man wird angewiesen, zwei Gläser mit einer »säuerlichen« oder »scharfen« Flüssigkeit zu füllen, und dann eines dieser Gläser wiederum kurz in ein größeres Gefäß zu stellen, in das zuvor etwas »belebtes« Wasser gegeben wurde. Die Flüssigkeit, die nun dergestalt beeinflusst und ›aktiviert‹ wurde, würde nach dieser Behandlung deutlich besser schmecken. Hierzu ist anzumerken, dass ein solcher Experimentvorschlag natürlich hoch suggestiv ist und dazu da, den Käufer, der sich bereits für einen Aqua-Power-Joint entschieden hat, in seiner Meinung zu bestärken. Der vorgeschlagene Versuch genügt keinen echten wissenschaftlichen Standards; und es ist davon auszugehen, dass jemand, der seine teure Anschaffung rechtfertigen möchte, subjektiv den ›besseren Geschmack‹ empfindet usw. Liest man auf der Website, findet sich als nächstes der Menüpunkt »Montageanleitung«. Die Installation des Aqua-Power-Joints wird als extrem einfach beschrieben: Man muss ihn lediglich mittels der beiden an ihm befestigten biegbaren Drähte an ein Wasserrohr hängen. Hier lassen sich wieder zwei signifikante Punkte ausmachen: Zuerst wird wieder einmal das Phantasma der grenzenlosen, quasi-magischen, die Gesetze der Physik ignorierenden Kraft beschworen: Der Aqua-Power-Joint sei »wartungsfrei«, er funktioniere »ohne Stromanschluss« oder »chemische Zusätze« und seine Wirkung trete »sofort nach Einbau« ein. Zweitens wird eine Reihe von Warnungen ausgegeben, deren Nichtbeachtung die Wirkung des Produkts einschränken könnte. Möglicherweise dienen sie dazu, sich gegen Einwände, dass Gerät funktioniere gar nicht, zu immunisieren, denn auf diese Weise kann der Fehler immer dem Nutzer zugeschoben werden. Beispiele für diese Imperative sind: »Verwenden Sie keine [...] Zange« und »Elektromagnetische Felder (Pumpen, Generatoren u.s.w.) sollten ca.  Meter vom Aqua-Power-Joint entfernt sein.« Hier wird nebenbei noch das Gebiet der Elektrosensibilität angespielt; von elektrischen, magnetischen oder elektromagnetischen Feldern gehe eine schädliche Wirkung aus (siehe dazu das nachfolgende Kapitel . dieser Arbeit). Auf der Aqua-Power-Joint-Website folgen noch zwei Menüpunkte. Unter »Garantie« wird versichert, der Aqua-Power-Joint funktioniere wartungsfrei für  Jahre (eine so lange Funktionszeit evoziert das Phantasma, das Gesetz der Entropie

. Wasseraufbereitung mit dem »Aqua-Power-Joint«



gelte nicht), und es wird darauf hingewiesen, er sei »patentiert« – was neben den ›wissenschaftlichen Gutachten‹ eine weitere Quelle der Autorität darstellt. Unter »Bestellung« erfährt man schließlich als allerletztes den Preis:  Euro. Die Website bietet daneben noch Exkurse zu Wasser als »Informationsträger« und zu schädlichen Belastungen durch Wasseradern, Handywellen, Elektrosmog usw., und bietet zum Schutz davor ein weiteres Gerät an, den »Vita Tronic«, einen blauen Kasten, der durch die Erzeugung einer »Multivitalfrequenz« einen »harmonischen Magnetfeldausgleich« erziele. Dass der Aqua-Power-Joint  Jahre lang ohne merkbare Leistungsaufnahme und ohne Wartung funktionieren soll, lässt an ein präelektrisches Zeitalter denken, in dem die physikalischen Limitierungen, denen Automaten unterliegen, noch kein Thema gewesen sein konnten. Selbsttätige Dinge lebten oder waren auf magische Weise animiert. Nach der hergebrachten Erzählung (in der Folge Max Webers) habe die Entwicklung der modernen Technologien dazu geführt, dass die alten Träume nach übernatürlicher Kommunikation und Kraft zugunsten einer klaren, säkularen Weltsicht aufgelöst worden sind. Die Welt sei entzaubert worden. Erik Davis dagegen meint, dass dies nicht stimme: Alte Phantasmen seien bestehen geblieben und bildeten noch immer eine Triebfeder für zukünftige Erfindungen und Praktiken. Als ein Beispiel liefert Davis das mechanistische Bild der ›Welt als Maschine‹, dessen Bestandteile das Fließband, die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und die Bürokratie seien; diese Vorstellung von der Welt gründe sich letztendlich auf christliche Mythen, auf das in der Offenbarung des Johannes versprochene Neue Jerusalem, auf die protestantische Arbeitsethik und auf den biblischen Imperativ, der Mensch möge sich die Natur Untertan machen. Heute dagegen sei dieses industrialisierte Weltbild abgelöst durch ein informationelles, in dem die Vernetzung von Daten, Information im Zentrum stehe. Medien, also die Techniken der Kommunikation und Informationsübertragung, seien technokulturelle Hybriden (siehe Kapitel .). Sie sind zum Teil gefertigte, materielle Dinge, auf der anderen Seite transportieren sie das, was nicht wiegbar ist. Von daher entsprechen sie dem Leben in der »anthropologischen Matrix«, von der Bruno Latour spricht. Bei prä-zivilisierten Menschen seien Kultur und Natur nicht unterscheidbar, sondern kulturelle und natürliche Erscheinungen Informationelles Weltbild

 Davis: Techgnosis, S. .



 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«

seien untrennbar miteinander verwoben. Und genau das Gleiche gelte auch im digitalen Zeitalter. Die Trennung zwischen Natur und Kultur und auch zwischen profaner und heiliger Sphäre kann nicht mehr aufrecht erhalten werden. Im Aqua-Power-Joint vereinigen sich Technizität und Technik-Ablehnung. Die menschlichen Kulturerrungenschaften werden als Verirrungen bewertet; die Lösung, die Wiederherstellung des propagierten naturbelassenen Urzustandes, obliegt allerdings einem technischen Gerät. Dies ist die Denkweise der modernen Gnosis. Die Antike Gnosis, ihre Vorgängerin, verstand die materielle Welt als ein Gefängnis, dem es zu entfliehen galt, zurück zur geistigen Vollkommenheit und Einheit. Gnostik stellt eine Welt der Einheit vor, die Welt der Einen Natur – im Sinne der Gaia-Hypothese. Jedes Lebewesen sei Teil des großen Ganzen der lebendigen Erde. Dieser vorgestellte Holismus soll die vollzogene Trennung zwischen Natur und Zivilisation wieder schließen – mithilfe der Technik. In den Ankündigungen zu Produkten wie dem Aqua-Power-Joint, diese funktionierten ohne externe Energiezufuhr, findet sich ebenfalls wieder das Phantasma der negativen Entropie. Viele esoterische Theorien spinnen die Geschichte von Energieerzeugung aus dem Nichts: ein Widerspruch gegen den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik (Kapitel .). Dies gilt etwa auch für Wilhelm Reichs Orgon-Vorstellung (siehe das nachfolgende Kapitel). Laut dem Psychoanalytiker reichere sich Orgon-Energie dort an, wo sie schon vorhanden sei – statt auf einen Ausgleich der Konzentrationen hinzuwirken, wie es etwa der Fall ist, wenn man kaltes und warmes Wasser zusammenschüttet. Derartiges Denken ist nicht nur eine Immunisierungsstrategie gegen Einwände (etwa, dass die beworbene Laufzeit des Aqua-Power-Joints bei  Jahren läge), sondern geradezu die Grundausstattung des modern gnostischen Denkens. Hierzu gehört auch die Vorstellung, es gebe Kommunikation ohne Verlust und ohne sichtbares Medium; vollständige Übertragung und vollständiges Verstehen seien möglich. Die Art und Weise, mit der der Aqua-Power-Joint beworben wird, zeigt die typischen Charakteristika gegenwärtiger Esoterik. Semantiken von Reinheit, Belebung und Natürlichkeit kommen zum Einsatz. Ein behaupteter natürlicher Urzustand soll mithilfe eines technischen Instruments wiederhergestellt werden. Die Funktionsweise dieses Geräts wird mit energetischen und informationellen Begriffen  Vgl. Davis: Techgnosis, S. .  Bischof: Tachyonen, Orgonenergie, Skalarwellen, S. .

. Schutz vor Elektrosmog



beschrieben: Es wird ›geschwungen‹ und ›übertragen‹. Überzeugen will die Werbung mit allerlei Autoritätsmarkern: wissenschaftlich anmutende Fachbegriffe, professorale Gutachten, und – anscheinend für die Zwecke nicht kontraproduktiv – übersteigerte Behauptungen großartiger Wirksamkeit. Diese Übertreibung scheint dabei durchaus Strategie zu sein: Damit wird die Zielgruppe darauf eingeschworen, Teil einer kleinen Gruppe zu sein, die über ein Geheimwissen verfügt. . Schutz vor Elektrosmog Die Motive und Überzeugungsstrategien, die in der Wasseresoterik aufscheinen – Privilegierung der Natürlichkeit, Energie und Information, Autoritätszeichen, Geheimlehre –, finden sich auch in dem Bereich gegenwärtiger Esoterik, der sich mit dem Thema Elektrosmog befasst. In dieser Spielart stehen jedoch »Strahlungen«, zumal sogenannte »feinstoffliche«, ganz besonders im Zentrum der Argumentation. An dieser unsichtbaren Kraft entfalten sich die Bewertungen von gewinnbringend und schädlich, von gutartig und bösartig. Ging es bei Geräten wie dem »AquaPower-Joint« und der Theorie des »aktivierten Wassers« noch um Strahlungen mit gewinnbringenden Effekten, befassen sich aktuelle Theorien des alternativen Spektrums ebenso häufig mit solchen elektromagnetischen Emissionen oder Feldern, die für den Menschen eine Gefahr darstellen sollen. Elektrische Geräte und Sendeund Empfangsstationen des Alltagslebens wie Mobiltelefone, Oberleitungen oder überhaupt jede Art von elektrischen Apparaten (bis hin zu Küchengeräten, Lampen, Steckdosen) werden als Erzeuger des sogenannten »Elektrosmogs« verstanden. Mit Elektrosmog sind elektromagnetische Strahlungen solcher Frequenz gemeint, die nicht dem Licht oder Wärmestrahlung und auch nicht Röntgen- oder radioaktiver Strahlung zuzurechnen sind. Nach orthodoxem Kenntnisstand sind die Mengen und Intensitäten, denen der Mensch im Alltag ausgesetzt ist, unbedenklich; tatsächliche Gefahren wie zu große Mengen an radioaktiver Strahlung sind hinlänglich bekannt und (im Alltag, so lange kein Reaktorunfall oder dergleichen eintritt) eingehegt. Im Rahmen technischer Anwendungen werden relevante Belastungen unter dem Begriff EMUV (elektromagnetische Umweltverträglichkeit) verhandelt. Die Gefährlichkeit der Strahlungen, die dem athermischen und nicht-radioaktiven »Elektrosmog« zugerechnet wird, ist nicht anerkannt und wird vor allem in esoterischen Kreisen behauptet. Menschen, die meinen, besonders empfindlich auf



 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«

Elektrosmog zu reagieren, berichten häufig von schweren Beeinträchtigungen der Lebensqualität und ausgeprägten Krankheitssymptomen. Darunter fallen etwa Kopfschmerzen, Schwindel, Bluthochdruck oder Schlaflosigkeit. Die selbst erfahrene Fähigkeit, die Präsenz von elektrischen und elektromagnetischen Feldern wahrnehmen zu können, wird dabei als »Elektrosensibilität« bezeichnet, und Menschen, die zudem an den beschriebenen Krankheitssymptomen leiden, bezeichnen sich als »elektromagnetisch Hypersensitive«. Inzwischen ist dieses Krankheitsbild zum Thema von Popkultur und medialem Spott geworden. In der vielgelobten Fernsehserie Better Call Saul des Fernsehsenders AMC leidet eine der Hauptfiguren an der Krankheit, was zu allerhand skurrilem Vermeidungsverhalten führt. Der SerienAnwalt Chuck McGill betritt seine eigene Kanzlei aus Angst vor Feldstrahlung nicht mehr, sitzt zuhause in einem verdunkelten Haus, und kocht nur stromlos mit Campingequipment. In den seltenen Fällen, in denen er seine Behausung überhaupt noch verlässt, trägt er ein Sakko, das er innen mit Aluminiumfolie ausgekleidet hat. Besucher bittet er, Mobiltelefone und Armbanduhren draußen im Briefkasten zu lassen, wenn sie das Haus betreten. Die Beschwerden mögen real sein, ihre Ursache wird jedoch nach allen Erkenntnissen, die in wissenschaftlichen Studien gewonnen wurden, in der menschlichen Psyche und nicht in den Feldern selbst gesehen. Zur Klärung des Sachverhalts (das Thema ist durchaus virulent und nicht vollständig klar) werden immer wieder experimentelle Forschungen durchgeführt. So konnten Probanden, die angaben, unter dem erwähnten Krankheitsbild zu leiden, in Doppelblindstudien nicht zuverlässig erkennen, ob sie den schädlichen Feldern tatsächlich ausgesetzt waren. Es liegen Metaanalysen vor, die keine Beweise fanden, dass elektrosensible Personen eine sich von Normalpersonen unterscheidende erhöhte Sensibilität gegenüber elektromagnetischen Feldern aufwiesen. Es gibt allerdings auch in der naturwissenschaftlichen  Etwa in der Untersuchung: Stacy Eltiti u. a.: Does Short-Term Exposure to Mobile Phone Base Station Signals Increase Symptoms in Individuals Who Report Sensitivity to Electromagnetic Fields? A Double-Blind Randomized Provocation Study. In: Environmental Health Perspectives  (), Nr. , S. –. Für die Durchführung des Experiments wurden übrigens »Biofeedback«-Systeme des Herstellers Thought Technology Ltd. verwendet; also ähnliche Apparaturen zur Messung körperlicher Reaktion wie der Verringerung des Hautwiderstands, wie sie weiter unten in Kapitel  dieser Arbeit im Zusammenhang mit Verhören und später Esoterikprodukten thematisiert werden.  G.J. Rubin, J. Das Munshi und S. Wessely: Electromagnetic hypersensitivity. A systematic review of provocation studies. In: Psychosomatic Medicine  (), Nr. , S. – und G.J. Rubin, R. Nieto-Hernandez und S. Wessely: Idiopathic environmental intolerance attributed to electro-

. Schutz vor Elektrosmog

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Community eine Minderheitenmeinung, dass elektromagnetische Felder auch eine athermische, physiologische Wirkung haben könnten. Ob elektromagnetische Felder (und in welcher Dosis) tatsächlich schädliche Wirkungen auf den Menschen haben, soll ohnehin nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. Vielmehr soll es darum gehen, zu erkunden, wie die Elektrosensibilitäts-Szene argumentativ operiert. Auf dem Esoterikmarkt finden sich sowohl praktische Mittel, sich vor den Strahlungen zu schützen, als auch Literatur, die das Phänomen, die Gefahren und mögliche Gegenmaßnahmen erklärt. Die dafür grundlegende Theorie des Elektrosmogs haben Autoren in zahlreichen Büchern dargelegt, die dabei einen recht homogenen Wissenskanon vertreten. Stellvertretend seien hier deswegen fünf Bücher genauer untersucht, die paradigmatisch genannt werden können und die selbst schon in sich redundant argumentieren. Es handelt sich dabei um Silvio Hellemann: Ständig unter Strom. Das Handbuch für Elektrosensible und alle, die ohne Elektrosmog leben möchten , Dominik Rollé: Störquellen erkennen – Gesundheitsrisiken vermeiden , Harald Moritz: Elektrosmog. Ursachen – Gesundheitsrisiken – Schutzmaßnahmen , Ulrich Dierssen und Stefan Brönnle: Der Mensch im Kraftfeld der Technik und Barbara und Peter Newerla:

 

   

magnetic fields (formerly ›electromagnetic hypersensitivity‹). An updated systematic review of provocation studies. In: Bioelectromagnetics  (), Nr. , S. –. Das zitierte Journal Bioelectrodynamics befasst sich in wissenschaftlicher Weise mit den Auswirkungen von elektromagnetischen Feldern auf lebende Organismen. D. E. McCarthy u. a.: Electromagnetic hypersensitivity. Evidence for a novel neurological syndrome. In: International Journal of Neuroscience  (), S. –. Weitere, die genannt werden könnten, wären unter anderem: Siegfried Kiontke: Tatort Zelle. Wie Elektrosmog-Attacken unseren Organismus bedrohen. Münsing: Vitatec ; Wolfgang Maes: Stress durch Strom und Strahlung. Baubiologie: Unser Patient ist das Haus. Bd. : Elektrosmog, Mobilfunk, Radioaktivität, Erdstrahlung, Schall, Licht. . Aufl. Neubeuern: Institut für Baubiologie und Nachhaltigkeit ; Werner P. H. Müller: Krankmacher Elektrosmog. Real – legal – letal: Schützen Sie sich und Ihre Kinder. Greifswald: Müller  oder Ann Louise Gittleman: Warum Ihr Handy nicht Ihr Wecker sein sollte. Effektive Möglichkeiten, sich vor Elektrosmog zu schützen. München: Goldmann  – für die Zwecke dieser Arbeit reicht aufgrund der allgemeinen Homogenität dieser Texte eine Auswahl. Silvio Hellemann: Ständig unter Strom. Das Handbuch für Elektrosensible und alle, die ohne Elektrosmog leben möchten. Darmstadt: Synergia . Dominik F. Rollé: Elektrosmog. Störquellen erkennen – Gesundheitsrisiken vermeiden. Aarau und München: AT Verlag . Harald Moritz: Elektrosmog. Ursachen – Gesundheitsrisiken – Schutzmaßnahmen. ., überarb. und erw. Aufl. Aachen: Shaker . Ulrich Kurt Dierssen und Stefan Brönnle: Der Mensch im Kraftfeld der Technik. Unsere körperliche, seelische und geistige Resonanz zum Elektrosmog. Saarbrücken: Neue Erde .



 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«

Strahlung und Elektrosmog. Ein praktischer Leitfaden für sichere, strahlenfreie Lebensräume  . In allen diesen Werken geht es fundamental um eine »Strahlen«-Paranoia (die sich, historisch, bis zu den Anfängen der elektronischen Telekommunikation zurückverfolgen lässt, wie später zu zeigen ist). Grundannahme dieser Texte ist, dass die Wirklichkeit aus »Schwingungen« bestehe, und dass elektrische Geräte schädliche Schwingungen erzeugten und die natürliche ›Harmonie‹ der irdischen und kosmischen Vorgänge verletze. Damit ist – wie so häufig bei den in der vorliegenden Arbeit untersuchten Diskursen – eine Opposition gegen den vermeintlichen Antihumanismus der neuzeitlichen Naturwissenschaft aufgerufen. Die Welt bestehe nicht aus distinkten Objekten, die sich gewissermaßen gleichgültig und ›kaltherzig‹ gegenüberstünden, sondern sie sei ein Gewebe von harmonisch sich ergänzenden Teilhabern an einem großen und guten Ganzen. Bei Newerla und Newerla lautet der Titel des ersten Kapitels »Alles schwingt – die Welt ist Klang«. Um die These, die Welt sei »Klang« und Schwingung, zu untermauern, setzen die Autoren die Technik der unscharfen Quellenangabe ein und berufen sich auf die Autoritätsfigur des ›weisen Physikers‹ : »Ein berühmter Physiker hat einmal gesagt: ›Alles ist Schwingung‹.« Die weiteren Begriffe, die die Texte strukturieren, sind »Feld«, »Strahlen« und »Wellen«. Feste Materie bestehe aus der Überlagerung verschiedener Schwingungen. Zur Erläuterung werden Begrifflichkeiten der modernen Physik aufgerufen, anhand derer bewiesen werden soll, das alles in der Welt miteinander vernetzt, feinstofflich und »klingend« und »schwingend« sei. Die Ganzheit dieses Weltzustandes sei dabei Grundlage für die Unversehrtheit des Menschen: Gesundheit, so Hellemann, sei »Harmonie« und »Ganzwerdung«. Das Medium dieser holistischen Phantasie ist das alte physikalische Konzept des Äthers. Der Äther wird als alles durchdringendes Fluidum verstanden, das die feinstoffliche Grundlage aller Existenz darstelle. Er sei in praktisch allen Wissenskulturen vorhanden, seine Synonyme seien die Alles ist Schwingung



 Barbara Newerla und Peter Newerla: Strahlung und Elektrosmog. Ein praktischer Leitfaden für sichere, strahlenfreie Lebensräume. . Aufl. Saarbrücken: Neue Erde .  Ein Residuum dieser Theorie findet sich auch noch in der aktuellen Naturwissenschaft, nämlich in den ›schwingenden Saiten‹ der Stringtheorie.  Die sich oft in der Medienperson Albert Einsteins, dem ersten Wissenschafts-Star im Sinne des medialen Starsystems des . Jahrhunderts, manifestiert; hier jedoch unspezifiziert bleibt. Auch andere Figuren wie Niels Bohr oder Werner Heisenberg sind möglich.  Newerla und Newerla: Strahlung und Elektrosmog, S. .  Hellemann: Ständig unter Strom, S. .

. Schutz vor Elektrosmog



einschlägigen: Pneuma, Prana, Qi, Orgon, Sheldrakes morphogenetische Felder , Od, Spiritus, Vitalität oder Aura – »Jedes Volk kennt ein Wort für jene Kraft, die Bewußtsein und Körper verbindet.« Diese Substanz sei nicht Geist, nicht Körper, sondern ein Dazwischen, so Dierssen und Brönnle. Hellemann, der auch Autor eines Buchs mit dem Titel Die feinstoffliche Lebensenergie  ist, begründet seinen Ätherbegriff in ähnlicher Weise aus ›altem Wissen‹: »Obwohl die Vorstellung der ›Lebensenergie‹ uralt ist, werden dafür die unterschiedlichsten Begriffe verwandt, was zugleich auch ein deutlicher Hinweis auf die schwer fassbare Natur dieser Energieform ist.« Er verweist auf Traditionen verschiedener Bereiche und verknüpft das Vorliegende mit einer Vielzahl von Begriffen, wie etwa auch »Akupunktur«: »Bei den Chinesen seit langem als Chi bekannt, beruht auch heute noch die Wirksamkeit der Akupunktur auf einem Verstärken, beziehungsweise Vermindern eben dieser Energie in den Meridianen des Organismus. Hier im Westen ominös als ›Heiligenschein‹ bekannt, kennt man in Asien seit Jahrtausenden ein den Körper umgebendes Energiefeld als Aura. Bei den Indern heißt diese feinstoffliche Energie Prana und spielt beim Yoga eine herausragende Rolle.«

Im Zusammenhang mit der Theorie des Äthers wird die Naturwissenschaft von Hellemann ideologisch interpretiert, indem er sie als Agentin einer Säkularisierung darstellt: Die ätherlose Physik der Relativitätstheorie sei Vertreterin einer rein materiellen Weltsicht. Diese Vorstellung einer alles durchwirkenden, unsichtbaren Substanz ist in der Esoterikgeschichte grundlegend. Sie findet sich bei Mesmer, bei Reichenbach, in Wilhelm Reichs Orgontheorie. Faivre erläutert gar, das Konzept eines »Feuerprinzip[s] mit Universalcharakter«, zwischen Natürlichem und Übersinnlichem, sei von »großer Bedeutung« für das »kosmologische Imaginäre des Abendlandes«, und er verfolgt es zurück bis zum platonischen Konzept der Weltseele. Neuzeitliche Forschungen zu Elektrizität und Magnetismus, im . Jahrhundert bei Rudolf Gockel und im . Jahrhundert bei Athanasius Kircher, hätten sich in diesem semantischen Feld bewegt. Universelle Lebenskraft

   

Dierssen und Brönnle: Der Mensch im Kraftfeld der Technik, S. . Hellemann: Ständig unter Strom, S. . Dierssen und Brönnle: Der Mensch im Kraftfeld der Technik, S. . Silvio Hellemann: Die feinstoffliche Lebensenergie. Theorie und Praxis subtiler Kräfte und Wirkungen. Darmstadt: Synergia .  Ders.: Ständig unter Strom, S. .  Faivre: Esoterik, S. .



 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«

Eine Manifestation dieses Denkens stellt der animalische Magnetismus Franz Anton Mesmers dar (siehe Kapitel . zur Paraphysik). Mesmers Glaube an ein alles durchwirkendes Magnet-Medium, in dem alle Lebewesen eingetaucht seien und sein Glaube daran, dass magnetische Ungleichgewichte in einzelnen Lebewesen Krankheiten auslöse, gleicht im Wesentlichen der Erklärung der Elektrokrankheit bei Hellemann, Dierssen usf. Auch in der Od-Lehre Karl von Reichenbachs (–) findet sich die Vorstellung von der alles durchdringenden Kraft. Der Chemiker nannte sie »Od« und erklärte, sogenannte »Sensitive«, besonders begabte Menschen, könnten in dunklen Räumen bei Magneten schwache Lichterscheinungen wahrnehmen – vergleichbar mit den »Elektrosensiblen« der heutigen Diskussion. Man hat weiterhin Freuds Konzept von der Libido Charakteristiken der alles durchdringenden Lebenskraft bescheinigt wie auch dem Konzept der »Orgon-Energie« seines Schülers Wilhelm Reich. Der Begriff Orgon ist sprachlich mit Organismus, aber auch mit Orgasmus verwandt, was auf die Ursprünge in der psychoanalytischen Libido verweist. In elektrisch nicht leitenden Materialien wie Gummi, Watte oder Sand glaubte Reich, elektrische Felder mit einem Elektroskop oder Elektrometer nachweisen zu können, die von der kosmischen Energie Orgon stammen sollten. Es klingt im Übrigen so, als hätte sich Star-Wars-Schöpfer George Lucas mit seiner Theorie der »Midichlorianer« aus Episode I stark von Reich inspirieren lassen. Es gibt in der Star-Wars-Saga die Lebenskraft »Macht« (engl. Force), und besonders begabte, auserwählte Menschen, die über diese Macht in besonderem Maße verfügen können, die Jedi Knights. Im Film Episode I von  fällt dem erfahrenen Jedi Qui-Gon Jinn die besondere Begabung des kleinen Anakin Skywalker auf, und er verifiziert diese, indem er dessen Blut untersucht und dort eine extrem erhöhte Konzentration  Karl von Reichenbach: Der sensitive Mensch und sein Verhalten zum Ode. Bd.  u. . Stuttgart und Tübingen: Cotta – und vgl. auch Bischof: Tachyonen, Orgonenergie, Skalarwellen, S. –.  Ebd., S. .  Dabei glaubte Reich an die Existenz einer dem Menschen innewohnenden Orgon-Energie. Nach Reich sind Orgonbläschen der Ursprung der sogenannten Bione, der kleinsten, subzellulären Ureinheiten des Lebens, aus denen Zellen und somit das gesamte organische Leben entsteht. Wilhelm Reich: Die Bione. Zur Entstehung des vegetativen Lebens. Oslo, Kopenhagen und Zürich: Sexpol . Siehe auch die neuere wissenshistorische Studie James Strick: Wilhelm Reich, Biologist. Cambridge, Mass.: Harvard University Press  und Diethard Sawicki: Das wunderbare Leuchten einer erneuerten Welt. Wilhelm Reichs Bionexperimente und seine Entdeckung der Orgonenergie. In: Wunder. Hrsg. v. Alexander Geppert. Berlin: Suhrkamp , S. –.

. Schutz vor Elektrosmog



der sogenannten Midichlorianer feststellt, mikroskopisch kleine Lebewesen, die zum einen die Grundlage der Zellen und damit des Lebens sein sollen, zum anderen als Medium der »Macht« fungieren. Auf diese Weise ist Reichs Konzept weit in die Popkultur disseminiert. Die Fähigkeit, Energie in Information umzuwandeln – wie es für Kommunikation seit der Telegraphie möglich war –, auf die Wundersamkeit dieses Vermögens stützen sich die Esoteriker, wenn sie heute noch von Lebensenergien und -äthern sprechen. Auch Davis arbeitet heraus, wie die Elektrizität Mesmer, und wie die Erkenntnisse über elektromagnetische Wellen und die Formulierung eines ätherlosen Weltbilds über Faraday, Maxwell und Einstein die esoterischen Weltbilder beeinflussten. Aber auch hier gibt es einen Kurzschluss mit älteren Zeiten: Die traditionelle chinesische Medizin geht schon von Kanälen aus, die den menschlichen Körper durchziehen, ganz ähnlich zum modernen Strömungs-/Strahlungs-Gedanken. Mesmer war hiervon inspiriert. Das fließende Chi scheint zwischen körperlich und geistig zu liegen, also feinstofflich zu sein. Die moderne Esoterik (in Form von Elektroakupunktur, Bioenergetik, Orgon-Therapie) gibt sich als technologische Variante dieser chinesischen Meridian-Lehre aus. Doch nicht nur das Konzept der ubiquitären, aber unsichtbaren und un-fühlbaren Lebenskraft, das in der Elektrosmog-Theorie verwendet wird, ist alt; auch die Angst vor möglichen negativen Auswirkungen dieser Kraft geht weit in die Geschichte zurück. Ein Beispiel: Die Zeitung The Atlanta Constitution befürchtete im Jahre  körperliche Schäden durch die damals neue drahtlose telegraphische Übertragung: When the wireless age arrived – and wireless telephony will soon be added to wireless telegraphy – our air will be so charged with electricity that human beings will feel its influence in a hundred different ways. Already it seems to have attacked our teeth. Tomorrow we may find, that our hair is dropping out from the same cause, and eventually it may deprive us of our senses and even our lives.

Die berühmt gewordene psychische Krankheit des Richters Daniel Paul Schreber (die er in seinem Buch Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken verarbeitet  Rolfe Hensigmuller: Why Wireless Telegraphy May Make Us All Toothless, Hairless and Insane. In: The Atlanta Constitution, . Apr. . : http://earlyradiohistory.us/1911why.htm (besucht am . . ).  Daniel Paul Schreber: Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken. Nebst Nachträgen und einem Anhang über die Frage: ›Unter welchen Voraussetzungen darf eine für geisteskrank erachtete Person gegen ihren



 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«

hat, in dem er unter anderem seine Angst vor Beeinflussung durch »Strahlen« beschreibt), wurde auch als Angst vor den damals neuen Telekommunikationsmedien interpretiert. Definitionen Die Konzepte einer esoterischen Lebensenergie, die die Welt durchwirkt und deren Gleichgewicht durch moderne, vom Menschen geschaffene Technologien gestört sei, bildet die Grundlage für die Argumentation der im Folgenden vorgestellten Bücher. So spricht Hellemann von ›gutartiger‹ Strahlung. Seiner Darstellung nach gibt es drei Arten von Strahlungen, denen sich der Mensch im Laufe der Evolution angepasst habe und die positive Wirkungen hätten oder gar lebensnotwendig seien: Die sogenannte »Erdstrahlung« (»Eigenresonanzen der  Spurenelemente[] der Erdkruste«), »Atmosphärische Strahlung« (»Schumannfrequenzen«, »exakt in analoger Resonanz mit den Gehirnen aller Säuger«) und »Sonnenstrahlung«. Diese gutartige Strahlung sei Quelle menschlicher Energie: »Ein Drittel seiner Lebensenergie erhält der Mensch über die Nahrung, falls sie denn unmanipuliert ist, und in etwa zwei Drittel als Energie- bzw. Lichtnahrung« Dierssen und Brönnle binden in ähnlicher Weise populäre Theorien ein: Die Umpolung des Magnetfelds der Erde etwa (die sich ja tatsächlich zur Zeit, langsam, vollzieht) oder die in der Esoterikszene immer wieder aufgegriffene »Schumann-Resonanz« (das Auftreten stehender Wellen entlang des Erdumfangs). Rollé definiert »Elektrosensibilität«, das Vermögen, auf elektrische Abläufe zu reagieren, als »Grundlage des Leben[s]« Ohne sie könne keine Zelle überleben und kein Gedanke gedacht werden. Hierin zeigt sich also eine Aktualisierung der von Bischof beschriebenen vita-Vorstellung , nach der eine alles durchdringende, unsichtbare Kraft den Lebensgrund für alles Wirkliche darstelle. Im Modell der Elektrosmog-Paranoiker ist diesem Feld jedoch eine Gefahr inne, wenn die



    

erklärten Willen in einer Heilanstalt festgehalten werden?‹ Mit einem Nachw. v. Wolfgang Hagen. Berlin: Kadmos . Hagen: Radio Schreber und ders.: »Warum sagen Sie’s nicht (laut)?« Das Radio und Schrebers »Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken«. In: : http://www.whagen.de/vortraege/ SchreberCollBasel2003/vortrag.htm (besucht am . . ). Hellemann: Ständig unter Strom, S. . Ebd., S. . Dierssen und Brönnle: Der Mensch im Kraftfeld der Technik, S. . Rollé: Elektrosmog, S. . Siehe weiter oben in diesem Kapitel und Kapitel . dieser Arbeit; dort besprochen: Bischof: Tachyonen, Orgonenergie, Skalarwellen.

. Schutz vor Elektrosmog



Wohlordnung (»Harmonie«) beschädigt sei. Die Strahlung, so Rollé, der man im heutigen, technisierten Alltagsleben ausgesetzt sei, sei dabei für jeden schädlich, also auch für diejenigen, die nichts davon bemerkten; aber die Elektrosensiblen (oder -hypersensiblen), also diejenigen, die den Einfluss bewusst spürten, litten besonders darunter. Ein Zuviel an Strahlung oder die falsche Art der Belastung sei also schädlich für Mensch und Natur. Die schiere Menge der Störfaktoren, die die Autoren auflisten, nimmt große, gar paranoische Ausmaße an. Newerla und Newerla nennen allein die folgenden Schadquellen: Amateurfunk, Sendeanlagen, Autos, Babyphone, Bahnlinien, Bildschirme, Headsets / Bluetooth, Computer, Lampen-Dimmer, elektrische Leitungen, Elektrogeräte, Elektroheizungen, Nachtspeicheröfen, Empfangsanlagen, Energiesparlampen / Leuchtstoffröhren, Federkernmatratzen, Fernsehgeräte, Flachbildschirme, Schnurlostelefone, Funkschalter mit Piezotechnik, Uhren und Wecker / Funkwecker, Fußbodenheizung, die Forschungsanlage HAARP, Handys, Heizdecken, Hochspannungsleitungen, Induktionsherde, Kinderspielzeug, Kopfhörer, Glühlampen, Mikrowellenherde, Netzteile, Niedervoltlampen, Notebooks, Photovoltaikanlagen, Powerline Communications, RFID, Radar, Rundfunksender, Salzkristalllampen, Satellitenschüsseln, Sicherungskästen / Zählerkästen, Sonnenkollektoren, Tageslichtspektrumlampen, Trafos, Verlängerungskabel, Wasserbetten, WLAN. Als Verstärkungsfaktoren der elektromagnetischen Belastung werden unter anderem »Stress« (siehe dazu das Kapitel . dieser Arbeit zur Messung der elektrodermalen Aktivität), künstliche Kleidungsmaterialien, »trockene Raumluft« oder das Tragen »energetisierender Produkte« genannt. Konsequenz sei eine Verwirrung der Informationsflüsse: »Wenn wir nun in Resonanz mit einer HochfrequenzSendeanlage sind, werden die gesendeten Informationen, weil sie kohärent zu unseren Körper-Licht-Signalen sind (!), in unserem Organismus aktiv. Wir werden verwirrt, emotional aufgewühlt oder krank.« Die Autoren spielen hier auf ein Eingewobensein des Menschen in den ganzen Kosmos an, wie es auch in der mittelalterlichen Analogik angenommen wurde. Driessen und Brönnle gehen allerdings Schadquellen und Gesundheitsfolgen

 Reine Luft ist ebenfalls ein wiederkehrendes Thema; »Raumluftentfeuchter« zählen zu den gängigen Produkten auf dem Esoterik-Markt  Rollé: Elektrosmog, S. .  Dierssen und Brönnle: Der Mensch im Kraftfeld der Technik, S. .



 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«

von einem Störfall durch moderne medientechnische Anwendungen aus. Als Folgen der Exposition für den Menschen listen Dierssen und Brönnle unter anderem Panikattacken, Neurosen und Psychosen, Demenz und die Schädigung des Erbguts auf. Moritz berichtet ebenfalls von der Schädigung des Erbguts, führt daneben Tinnitus, Rückenschmerzen, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Schlafstörungen und ähnliches mehr als mögliche Konsequenzen auf. Wie häufig in alternativmedizinischen Zusammenhängen werden eigentlich alle gängigen, oft unspezifisch hervorgerufenen Krankheiten genannt. Moritz bezeichnet gar Handynutzung als krebserregend. Der Autor spricht von   Elektrosensiblen in der Gesellschaft, die besonders unter den Einflüssen litten. Nicht nur der Mensch, auch die Umwelt leide unter der elektromagnetischen Pollution: »Weil das gesamte elektromagnetische Frequenzspektrum bis fast zum Bereich des infraroten Lichts ( Hz) hinauf mit technischen Signalen voll gestopft [sic] ist, spricht man folgerichtig auch von ›elektromagnetischer Umweltverschmutzung‹. De facto hat es unsere Zivilisation in knapp  HF-Jahren geschafft, den ganzen lebenswichtigen Äther vollständig zu vermüllen und zu vergiften.« (In der vitalistischen Logik der Texte sind der Mensch und die Natur ja ohnehin das gleiche, und so nimmt es nicht Wunder, dass das, was für das eine schädlich sei, es auch für das andere sei.) Die Autoren der hier vorliegenden Texte schlagen verschiedene Maßnahmen vor, um sich vor schädlicher Strahlung zu schützen. Dies bedeutet vor allem die Ablehnung der Verwendung von elektronischen Geräten: So solle man insgesamt weniger technische Instrumente benutzen und insbesondere auf WLAN und Mobiltelefonie verzichten. Besonders Autor Hellemann schlägt einen umfangreichen Katalog an Maßnahmen vor. Dieser bezieht sich auf die Einrichtung des persönlichen Lebensraums, auf klimatische Aspekte und auf Abschirmungsmaterialien. Daneben wird die Verwendung von »natürlichen« Materialien empfohlen. Kunststoff und Synthetik sollen etwa in der Kleidung vermieden werden. Die empfohlene Abschirmung greift auf die verschiedensten Bereiche des Haushalts aus: »Isolierende Untergründe und Materialien können leitbar gemacht werden mit speziellen Farben, Klebern, Vliesen, Folien, Bodenbelägen etc.« Auf FußGegenmaßnahmen

 Moritz: Elektrosmog, S. .  Hellemann: Ständig unter Strom, S. .  Ebd., S. .

. Schutz vor Elektrosmog



bodenheizungen soll kein Teppich verlegt werden. Kunststoffbeschichtete Möbel sollen gewachst oder überklebt oder mit »Naturstoffen« gestrichen werden. Elektrische Geräte wie Computer und Fernseher sollen mit leitfähigen Stoffen abgeschirmt werden. Es sollen Schuhe mit leitfähigen Sohlen getragen werden. Dazu soll »Naturkleidung« aus Baumwolle, Seide, Viskose, Leinen, Leder, Wolle usw. getragen werden. Brillengläser sollen »elektrostatisch neutral« sein, Brillengestelle metallfrei. Von U-Bahn- und Straßenbahntrassen soll der eigene Wohnraum mindestens  Meter weit entfernt sein. Auch die Wohnungseinrichtung ist Gegenstand der Schutz-Empfehlungen. Dabei geht es um Materialien, Farbcodierungen, Temperaturen und Entfernungen. So solle man keine Möbel aus Stahlrohren benutzen, möglichst alle Spiegel entfernen und man habe auf die Stellung des Bettes, das zudem nicht aus Metallrohren bestehen solle, im Zimmer zu achten. Im Schlafzimmer sollen unter  Luftfeuchtigkeit und eine Temperatur von optimal ° C herrschen. Es soll mindestens zweimal pro Stunde gelüftet werden. Hellemann empfiehlt gar, bei Bahnfahrten keineswegs den ICE  zu benutzen, da dessen Antriebsmotoren an den Achsen der Fahrgastwagen liegen und deswegen die Feld-Belastung immens sei. Auch die Farbe von Lämpchen an elektronischen Geräten wird in den Fokus gerückt – rote seien gefährlicher als grüne. Weiterhin verschafften Abhilfe gegen Strahlenbelastung Tätigkeiten aus dem Bereich des ›Natürlichen‹: Spaziergänge in der Natur, Barfußgehen, Kleidung aus »natürlichen Materialien«. Daneben werden einschlägige Praktiken der Esoterik und Alternativmedizin angeraten: »Energieübungen«, Meditation, Psychokinesiologie, Edukinestik, NLP (Neuro-linguistisches Programmieren). Neben dem Sich-Fernhalten und den eben beschriebenen Ausgleichspraktiken geht es auch um Artefakte, die Nutzer vor der gefährlichen Strahlung schützen sollen. Moritz rät zu Materialien zur physischen Abschirmung wie spezielle Tapeten, Folien oder »Abschirm-Anstriche« (die etwa unter dem Namen »Geovital T Alpha« verkauft werden). Das Sich-Hüllen in Aluminiumfolie ist inzwischen ikonisch und Zielscheibe von populärem Spott geworden (»Aluhut«). Daneben weist Moritz auf Messgeräte hin, mit denen man die Feldbelastung registrieren und quantifizieren    

Hellemann: Ständig unter Strom, S. . Vgl. ebd., S. . Rollé: Elektrosmog, S. . Moritz: Elektrosmog, S. .



 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«

könne, etwa Spektrumanalysatoren. Von den hier behandelten Autoren zwar meist abgelehnt, aber auf dem Esoterikmarkt äußerst populär sind die schon zu Kapitelbeginn genannten ElektrosmogSchutzprodukte. In Gestalt von Plättchen, Holzkugeln, Keilen, Aufklebern, Kristallen oder Edelsteinen und mit Phantasienamen (unter anderem auch »GEO-SAFE«, »Harmonizer«, »Polarizator«, »Gabriel-Chip«) sollen diese Objekte, etwa auf das eigene Mobiltelefon geklebt, schützende Wirkung entfalten. Moritz bezeichnet diese Artikel allerdings als wirkungslos und betrügerisch, da sie seinen physikalischen Tests nicht standhalten würden – ein Teil der Überzeugungsstrategie, sich gegenüber konkurrierenden Systemen abzugrenzen (s. u.). Eine letzte Maßnahme stellt ein sogenannter »Netzfreischalter« dar, der unter anderem von Dierssen und Brönnle empfohlen wird. Ein Netzfreischalter ist ein elektrisches Schaltelement, das im Haus installiert wird, und das, nachdem ein Nutzer alle Geräte eines Haushaltes ausgeschaltet hat, die Netzspannung für das gesamte Haus abschaltet. Die normalerweise vorhandene – und von Elektrosensiblen als gefährlich verstandene – Restspannung im Hausnetz soll dadurch weiter reduziert werden. In den Texten der Elektrosmog-Gegner wird er geradezu zu einem magischen Artefakt. Die vorgeschlagenen Abwehrmaßnahmen sind also vielfältig. Wie aber versuchen die untersuchten Autoren zu überzeugen? Im Allgemeinen geschieht dies über eine Verwissenschaftlichung des Diskurses und über eine starke Kultivierung einer »Outsider«-Position. So schreibt Moritz: »Wissenschaftliche Forschungsergebnisse bestätigen meine These und belegen, dass dauerhafte Belastungen durch elektromagnetische Felder Einfluss auf das Immunsystem, den Hormonhaushalt, die Biosynthese und das Nervensystem des menschlichen Organismus haben.« Eine seriöse Belegpraxis schließt dies jedoch nicht mit ein, meist fehlt der Verweis auf Quellen für die zitierten Erkenntnisse. Zudem lässt sich konstatieren, dass eine Vermischung von Terminologien aus verschiedenen Registern stattfindet. Begriffe wie die physikalische »magnetische Flussdichte« und eher unscharfe wie »Körperspannung« begegnen sich auf einer Ebene. Die Texte bedienen sich bestimmter dramaturgischer Effekte. Es beginnt oft mit einem anekdotischen Einstieg. Moritz berichtet davon, dass der Sohn des Autors Argumentation

 Moritz: Elektrosmog, S. .

. Schutz vor Elektrosmog



an einem Krankheitsbild litt, das »schulmedizinisch nicht therapierbar« gewesen sei. Daraufhin folgt zunächst eine propädeutische Einführung in die Theorie der Elektrizität, mitsamt Schaubildern. Damit soll die technisch-naturwissenschaftliche Autorität des Textes beglaubigt werden. Moritz etwa entwirft Schemata und strukturiert seinen Gegenstand. So unterteilt er zum Beispiel Gesundheitsstörungen infolge von Elektrosensibilität in drei Stufen. Auch Hellemann unterscheidet drei Entwicklungsstufen der menschlichen Fühligkeit gegenüber Elektromagnetismus: »Elektrosensibilität«, »Elektrosensitivität« und »Elektroallergie«. Gerade Moritz verwendet verstärkt das Mittel der Tabelle. Seine Aufstellungen informieren darüber, wie weit verbreitete Geräte die von der ElektrosmogCommunity selbst aufgestellten Grenzwerte überschreiten (die natürlich weitaus niedrigere Grenzwerte sind als die der Behörden – zum Phantasma der Niederschwelligkeit siehe Kapitel . – »E-Meter« und »Quintstation«). Auch Hellemann untermauert seine Thesen mit physikalischen Erklärungen und Schaubildern. Verweise auf zitierte Quellen bleiben eher aus, außer in der Schrift von Hellemann, die von den in der vorliegenden Arbeit besprochenen auch die längste und detaillierteste und mit den meisten Belegen und Verweisen auf Forschung und Geschichte ausgestattete ist. Aber auch Dierssens und Brönnles Buch enthält immerhin  Literaturangaben. Der häufigere Fall ist jedoch, keine echten Belege anzugeben. Argumentationsrhetorisch wird eine immunisierende Strategie verfolgt, so zum Beispiel von Moritz: Er vermute, dass es »niemals« einen wissenschaftlichen Beweis für die schädlichen Wirkungen elektromagnetischer Felder werde geben können. Jeglicher mögliche zukünftige Beweis seiner Thesen werde ohnehin abgeschmettert werden. Er appliziert die Paranoia der Pseudowissenschaften, indem er insinuiert, dass alle Studien zum Thema Elektrosmog tendenziös seien. Telekommunikationsunternehmen und Stromversorger wären dafür verantwortlich, mit ihrer Finanzkraft würden sie die Forschungslandschaft beherrschen. Moritz verweist im Anschluss daran auf einige Studien, die ihn stützen sollen, bietet jedoch keine vollständigen Quellenangaben. Die vermuteten Gefahren von Elektrosmog werden katastrophisiert und hierarchisiert: So sind etwa für Rollé neuere Technologien schädlicher als ältere: »So kann    

Moritz: Elektrosmog, S. . Ebd., S. –. Hellemann: Ständig unter Strom, S. . Moritz: Elektrosmog, S. .



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man zum Beispiel den Elektrosmog einer Taschenlampe getrost vernachlässigen. Leider lässt sich vom hauseigenen Funktelefon dasselbe bei Weitem nicht sagen.« Metaphorisch wird das semantische Feld der elektromagnetischen Übertragung mit Ausdrücken aus dem kriegerischen Bereich beschrieben: »Gepulste Strahlung (PM), die als biologisch gefährlichste gilt. Sie findet sich bei Radar, Funktelefon, Satellitenstrahlung sowie bei den orbitalen Ortungssystemen und vielem mehr. Hier wird eine Trägerwelle ›zerhackt‹ und die Information quasi wie Schrot zerschossen […]« Weiterhin ist die Rede von »Sperrfeuer« und »Trommelfeuer«. So wird die vermutete physische Gefahr für den Menschen veranschaulicht – das »Heeresgerät« (Kittler) kann schließlich seinen ursprünglichen Verwendungszweck nicht verleugnen. Metaphorik: Beschießen

Eine weitere vielgenutzte Überzeugungstechnik der Autoren ist die Anrufung von Geistesgrößen und bekannten Paradigmen aus der Wissenschafts- und Esoterikgeschichte. Von den mannigfaltigen Bezügen ist das Aufgreifen der Äthertheorie der prävalenteste (s.o.). Der Äther der vorrelativistischen Physik fungierte als Medium für Licht (und jede Art elektromagnetischer Welle). In der modernen physikalischen Theorie pflanzt sich das Licht jedoch mediumlos fort. Dieses Modell wird von Esoterikern häufig abgelehnt. Dierssen und Brönnle verstehen Licht als »Ätherwirbel« , analog zu Schall als Kompressionsphänomen der Luft. Diese Erklärung schließen die Autoren an verschiedene esoterische und alternativwissenschaftliche Wissensbestände an. Das physikalische Ätherverständnis gleitet über in eine Diskussion der subtilen Kommunikation zwischen Lebewesen. Über die erwähnten »Ätherwirbel« kommunizierten »unsere Zellen […] miteinander«, wie die Arbeiten von Fritz-Albert Popp zeigten , dessen Theorien hier mit der Elektrosmog-Diskussion verquickt werden. (Popp ist ein deutscher Biophysiker, der seit den er Jahren die Existenz sogenannter »Biophotonen« proklamiert. Seiner Ansicht nach verständigten sich also Zellen verschiedener Lebewesen auf Lichtbasis; eine Theorie, die nur Bezugnahme auf Theorien und auf Geistesgrößen

   

Rollé: Elektrosmog, S. . Hellemann: Ständig unter Strom, S. . Ebd., S. . Zwar wird die relativistische Physik abgelehnt, doch berufen sich Esoteriker häufig auf die Quantenmechanik, die als mystisch und anti-logisch präsentiert wird.  Dierssen und Brönnle: Der Mensch im Kraftfeld der Technik, S. .  Ebd.

. Schutz vor Elektrosmog



in Esoterikkreisen Anerkennung gefunden hat). Dierssen und Brönnle leiten die Elektrosmogtheorie aus der »Radiästhesie« ab, also dem Rutengehen. Radiästhesie und Elektrosensibilität bedeuteten beide »Strahlenfühligkeit« , seien also synonym. Über die hier im Fokus stehenden fünf Bücher hinweg finden sich Verweise auf zahlreiche maßgebliche Elemente esoterischen Wissens. Chakren, Akupunktur, Homöopathie, Reiki, Hermes Trismegistos, Radiästhesie, Wilhelm Reich, Nikola Tesla, Georg Agricola finden Erwähnung. Die bekannten Erzählungen kommen zum Einsatz: Die neuzeitliche Wissenschaft und die christliche Religion seien körperfeindlich und hätten das alte, »östliche« Körperwissen bekämpft. Schwermetalle (Metall gehört in der derzeitigen esoterischen Logik in Opposition zu Holz zum Paradigma des Künstlichen und Schädlichen) sollen laut Hellemann Elektrosensibilität verstärken. Gegen die Belastung durch diese Schwermetalle eigne sich das Vorgehen des Ausleitens, so Hellemann. Hierfür bewirbt der Autor eine Reihe von alternativmedizinischen Verfahren und Arzneien. Neben den schon genannten Begriffen Homöopathie, Akupunktur und Reiki nennt Hellemann auch Kolonhydrotherapie, Instinktotherapie, Psychokinesiologie nach Dietrich Klinghardt, Zeolith (TMAZ) (»Vulkanmineralien« zur »Entgiftung«) und Chelat-Therapie als wirksame Verfahren. Auch Szenegrößen treten auf: Hellemann verweist auf Alexander Tarasov, einen Erfinder von Elektrosmog-Schutzgeräten (mit den Namen »Nabat« und »Atox Bio Computer«) und Direktor einer »Russischen Akademie der Naturwissenschaften«, die wohl in Anlehnung an die renommierte »Russische Akademie der Wissenschaften« benannt ist. Die Autoren geben ihre Ämter mit einschlägigen Berufsbezeichnungen an: »Baubiologe«, »Lebenshilfe-Coach«, »Radiästhet«, »Geomant«, »Landschaftsökologe« (Dierssen und Brönnle) oder »Elektrobiologe« (Moritz). Im Zusammenhang mit der Geomantie nennt Moritz die Wasserlehren von Emoto und Kröplin als Bezugspunkte (siehe Kapitel ). Weiterhin berichtet Moritz von der heilenden Wirkung von Magneten – eine Referenzierung des animalischen Magnetismus Mesmers. Neben den erwähnten esoterischen Hausgöttern werden auch etablierte Geistesgrößen wie Bertrand Russell, Adorno, Hesse oder  Fritz-Albert Popp: Biologie des Lichts. Grundlagen der ultraschwachen Zellstrahlung. Berlin: Parey .  Dierssen und Brönnle: Der Mensch im Kraftfeld der Technik, S. .  Hellemann: Ständig unter Strom, S. –.  Vgl. Moritz: Elektrosmog, S. –.



 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«

Hölderlin zitiert. Moritz stellt sein Buch unter das Motto eines Zitats aus Wilhelm Meister, Dierssen und Brönnle greifen auf Rudolf Steiner zurück, der vor dem Gefahrenpotential der Elektrizität gewarnt hat: »Die Elektrizität, die nach ihrer Entdeckung als die Seele des natürlichen Daseins gepriesen wurde, sie muß erkannt werden in ihrer Kraft, von der Natur in die Unter-Natur hinabzuleiten. Es darf der Mensch nur nicht mitgleiten.« Auch Hellemann stellt eines seiner Kapitel unter das Motto Rudolf Steiners. Steiner war, wie die heutigen Autoren, zugleich Technik-Skeptiker als auch Vertreter einer radikalen Fortschrittsgläubigkeit (wenn dieser wissenschaftliche Fortschritt sich denn im Sinne seiner »Geisteswissenschaft« vollzöge). Der Argumentationsstil ist konfrontativ. Entgegenstehende Meinungen, die zitiert werden, werden als »Lüge« denunziert. Die etablierte Wissenschaft ignoriere und unterdrücke die beunruhigenden Erkenntnisse der Elektrosmog-Community. In verschwörungstheoretischer Manier wird das eigene Wissen als intentional bedroht und unterdrückt angesehen: Forschungen werden fast ausschließlich von der Wirtschaft finanziert, die ein Interesse daran hat, daß die Ergebnisse ihren Zielen entsprechen. Im Fall von unliebsamen Ereignissen wurden Studien in mehreren Fällen jahrelang geheimgehalten und Forscher massiv unter Druck gesetzt.

Bei Rollé bezieht sich diese Angst auf die Geräte selbst: Durch DECT-Telefone könnten, so schreibt er, die Telefongesellschaften die Nutzer kontinuierlich aushorchen. Dass sich derartige Verschwörungstheorien an die Angst vor Strahlen  Rudolf Steiner: Anthroposophische Leitsätze. Der Erkenntnisweg der Anthroposophie. Das MichaelMysterium. Dornach: Verlag der Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung , S. .  Etwa Hellemann: Ständig unter Strom, S. .  Newerla und Newerla: Strahlung und Elektrosmog, S. .  Rollé: Elektrosmog, S. . Inzwischen scheinen diese an das Romanszenario von Orwells  gemahnenden Ängste vor Überwachung allerdings immer stärker begründet zu sein. Spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden oder seit der flächendeckenden Verbreitung von Smartphones scheinen dystopische Szenarien Realität geworden zu sein. Ein kurzer Blick in die Tagespresse oder auf Nachrichtenseiten zum Thema Technologie genügt, um von – nur zum Beispiel – WLAN-Tracking, das Ladengeschäfte betreiben, zu lesen, oder von sogenanntem Ultraschall-Tracking, bei dem Smartphones für den Menschen nicht mehr hörbare Töne aussenden, um heimlich Informationen zu übermitteln: Stefan Krempl: Tracking: Forscher finden Ultraschall-Spyware in  Android-Apps. In: Heise Online, . Mai . : https: //www.heise.de/newsticker/meldung/Tracking-Forscher-finden-Ultraschall-Spyware-in-234Android-Apps-3704642.html (besucht am . . ).

. Schutz vor Elektrosmog



koppeln, war, wie erwähnt, schon bei Daniel Paul Schreber der Fall. Der Meinung, die breite Masse der Gesellschaft werde durch Medien sediert, manipuliert und damit zahm gehalten, sind nicht exklusiv Elektrosmog-Paranoiker: Es war dies ja auch das Kerntheorem des Medienbilds der Kritischen Theorie, die lange prägend für die öffentliche Diskussion von Medien in Deutschland überhaupt war. Zum Teil schließt sich das paranoische Denken der Autoren an bekannte Verschwörungstheorien der höchsten Eskalationsstufe an. So erzählt Hellemann im Zusammenhang mit der Erfindung des Wechselstroms die Episode, der Nachlass Teslas sei vom FBI beschlagnahmt worden, und die Erkenntnisse Teslas wären »ungefähr  Jahre später im militärischen Dunstkreis des HAARP-Projekts« aufgetaucht; es gibt Einlassungen zu den Bilderbergern und dramatische Geschichten wie diejenige, die UN und Prinz Philipp verfolgten den Plan, große Teile der Menschheit auszurotten. Zu den konfrontativen Glaubwürdigkeitsstrategien gehört, vor allem auch die direkte Konkurrenz anzugreifen. So betont der Autor Moritz immer wieder, sein Ansatz sei gerade nicht »esoterisch«, sondern rein wissenschaftlich-technisch; und Dierssen und Brönnle sprechen sich gegen die angesprochenen Aufkleber und »Harmonisierungs«-Produkte (siehe unten) aus , beteuern, dass allein die von ihnen empfohlenen Abschirmungs-Artikel wirksam seien. Die Argumentation folgt hier dem Muster, sich selbst als Vertreter einer naturwissenschaftlich-technischen Methode zu präsentieren, deren Gegenstände und Erkenntnisse eben nur noch nicht von der etablierten Wissenschaft anerkannt seien. Konkurrierende Ansätze aus dem eigenen Bereich werden als unfundierte Esoterik diffamiert. Über andere Elektrosmog-Schutzprodukte sagt Moritz: »Es handelt sich hierbei ausschließlich um esoterische Artikel, die vielfach nur einem Zweck dienen, das Einkommen der Anbieter zu steigern, deren moralische Beurteilung mir als Techniker nicht zusteht, und die ich an dieser Stelle auch nicht vornehmen möchte.« Moritz sieht die Wissensautorität einer Sprecherposition vor allem in Ausbildung und Berufsstand begründet: Fähig, sich zu Elektrosmog zu äußern, seien Elektrotechniker, Umwelttechniker oder die schon erwähnten »Elektrobiologen«. Von betrügerischen Absichten, die Moritz unter den Stichwörtern Kaffeefahrten, Magnetdecken und  Hellemann: Ständig unter Strom, S. .  Dierssen und Brönnle: Der Mensch im Kraftfeld der Technik, S. .  Moritz: Elektrosmog, S. .



 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«

Wellness subsumiert, will er sich dezidiert abgrenzen. Diese Art des Binnenkampfes ist allgemein kennzeichnend für die Esoterikszene. So berichtet Klotz von ihrer Feldforschung im Bereich der »Quantenesoterik«, dass es dort häufig aufgetreten sei, dass Proponenten der Quantenesoterik den Begriff selbst und alle, die ihn verwendeten, kritisierten, und dabei ihren eigenen Ansatz als einzig richtigen darstellten. »Viele[,] mit denen ich gesprochen habe[,] führten zwar das Wort Quantenheilung im Titel, kritisierten jedoch die Verwendung des Begriffs in ihrem eigenen Vortrag.« Die direkte Konkurrenz betreibe »Quantenquatsch«, während man selbst die wahre »Quantenmystik« praktiziere. Die theologische Dimension mächtiger, unsichtbarer Strahlen scheint zumindest Dierssen und Brönnle unterschwellig klar zu sein. Sie proklamieren eine Ähnlichkeit zwischen Mobilfunk-Strahlung und der Aussendung des Heiligen Geistes, indem sie behaupten, dass Sendeanlagen zum Teil in Kreuzen auf christlichen Kirchtürmen »versteckt« werden. Dabei entspreche die Art der Strahlung durchaus göttlichen Emissionen: Die »aufmodulierte Pulsung von  Hz« des Mobilfunks und ein daraus berechneter sogenannter »Lercherwert« lägen nahe der Werte, die in Kirchen und in der Präsenz des Heiligen Geistes messbar wären. Die Elektrosmog-Theorie hat auch einen physiologischen Aspekt: Die vermuteten Belastungen stellt Moritz unter den Stress-Begriff : »Elektrosmog bewirkt – einfach ausgedrückt – nichts anderes, als den menschlichen Körper in einen künstlichen Stresszustand zu versetzen, der Einfluss auf das endokrine System des Körper[s] hat und dadurch z. B. den Hormonhaushalt (Melatonin!) und den Stoffwechsel verändert und ähnliche Symptome wie Stress auslöst.« Im parawissenschaftlichen und alternativmedizinischen Bereich ist das physiologische Paradigma freilich bedeutsam. So verwundern die Verweise auf Melatonin, den Hormonhaushalt unter Stress und »Freie Radikale« nicht. »Schwingungen« oder »Informationen« gehen in dieser Theorie direkt auf den Körper über:  Moritz: Elektrosmog, S. .  Lisa Jane Klotz: Quantenphysik und Esoterik. Über die innere Notwendigkeit renitenten Randgeschehens für die Autopoiesis von Funktionssystemen. Bielefeld: Transcript , S. .  Ebd.  Siehe dazu die Ausführungen in Kapitel  dieser Arbeit.  Moritz: Elektrosmog, S. .  Ebd., S. .

. Schutz vor Elektrosmog



»Wenn Sie ein Babyphon benutzen oder benutzt haben und schon einmal gelaufen sind, um ihr schreiendes Kind zu beruhigen, das aber seltsamerweise ganz ruhig in seinem Bettchen lag und schlief, wissen Sie, was in diesem Fall mit ihrem Körper passierte – in ihrer Nachbarschaft funkte ein anderes Babyphon auf derselben Frequenz, ein anderes Kind schrie, und Sie haben falsch reagiert, weil Sie die falschen Signale empfingen.«

Bedeutsam erscheint die Formulierung, die Eltern selbst hätten die falschen Signale empfangen, seien also gleichwertig Teil der Informationskette wie das technische Gerät des Babyphons: »Sie haben falsch reagiert, weil Sie die falschen Signale empfingen.« In diesem konstruierten Fall war der Mensch zwar nicht direkt schuld am Misslingen der Kommunikation, aber die Fehl-Information war Ergebnis eines Fehlers. Dieser Fehler wäre vermeidbar und der Vorgang prinzipiell steuerbar. Durch eine wachsamere Lebensführung, so die Insinuierung vieler dieser Textstellen, sei ein gelingenderes Leben möglich. Um sich etwa vor der gefährlichen »Resonanz« von Mobilfunkstrahlung zu schützen, solle man bestimmte Bewegungsabläufe, Abstände zu den Geräten und dergleichen gewissermaßen trainieren und einüben: »Man muß an sich arbeiten, um herauszufinden, was in mir denn da in Resonanz gehen will.« Damit ist der Anschluss an den modernen Optimierungsdiskurs geschaffen. Das Leben und der menschliche Körper erscheinen veränderund gestaltbar. Vorsichtsmaßnahmen der Elektrosmog-Szene dienen der Kontingenzvermeidung und zwängen Körper und Leben in ein ähnliches Korsett wie es auch bei den meisten Self-Help-Lehren der Fall ist (zur Selbstoptimierung siehe Kapitel .). Geräte Im Umkreis der Elektrosmog-Phobiker werden verschiedene Geräte und Accessoires vertrieben, die ihre Käufer vor Strahlungen schützen sollen. Zwar argumentieren die eben genannten Autoren gegen Konkurrenzprodukte, aber alle Geräte und Bücher stützen sich auf dieselbe Basistheorie. Eine dieser Artefakte ist der »Harmoni Harmonisierer«, der auf Amazon zum Preis von  Euro angebtoten wird. Im Haus platziert, soll das Kästchen vor den Schadwirkungen von Elektrosmog schützen. In der Beschreibung des Geräts finden sich alle bisher zusammengetragenen Motive. So wird auf eine naturwissenschaftliche Funktionsweise verwiesen (» Komponenten: Elektronische und Festkörperphysikalische«) und die Wirksamkeit durch  Newerla und Newerla: Strahlung und Elektrosmog, S. .  Ebd.  Dierssen und Brönnle: Der Mensch im Kraftfeld der Technik, S. .



 Esoterische Materialitäten II – Apparate: »Aktivierer« und »Schutzschilde«

Experten-Stellungnahmen beglaubigt (»Hohe Wirksamkeit in  Heilpraktiker-Tests und Baubiologen-Test bestätigt«). Neben diesen Box-artigen Artefakten werden vor allem noch Schutzaufkleber und Messgeräte angeboten. Die Sticker heißen zum Beispiel »Orgonit-MiniSchild« oder »eLink EMF Neutralisierer« und sollen auf Handys oder Computer geklebt werden und gefährliche Strahlung abzuschirmen oder zu »harmonisieren«. Mit den Messgeräten (etwa dem »DT–« der Firma »iParaAiluRy«) wollen ElektrosmogParanoiker auch kleinste Störquellen im Haushalt aufspüren. Für die folgenden Überlegungen können drei Aspekte als zentral für den Diskurs um den Elektrosmog festgehalten werden: Zum einen den Neovitalismus, dem die Autoren anhängen, zum zweiten ihre Überzeugung, einer kleinen Gemeinde Ausgeschlossener anzugehören, die über besonderes Wissen verfügen, und zum dritten der Glaube an die Gestaltbarkeit des Lebens. . Eine vitalistische Deutung von Technologie bedeutet, diese als belebt zu verstehen. Eine solche Tendenz findet sich in Mesmers animalischem Magnetismus, in der Od-Lehre Reichenbachs, bei Teilhard de Chardin, in Rupert Sheldrakes morphogenetischen Feldern und bei vielen weiteren. Auch die Elektrosmog-Theoretiker überhöhen menschengemachte Technik in dieser Weise. Und ebenso hat auch Davis schon festgestellt, dass der technische Fortschritt keineswegs das Magische aus dem menschlichen Denken verdrängt hat. Man könne es vielmehr auch so sehen, dass die modernen Erfindungen umsetzen, was man sich lange schon gewünscht hat: Mit einem Fingerschnippen Licht erzeugen (Glühbirne), sich rasend schnell fortbewegen (Eisenbahn und Auto), fliegen (Flugzeug), sich mit Abwesenden unterhalten (Telegraphie, Telephonie, Internet), ein unfehlbares Gedächtnis zur Hand zu haben (Kameras, Computer, Google usw.). Unsere Natur ist also bereits eine Super-Natur, eine Natur, die das Übernatürliche inkorporiert. Davis führt in diesem Zusammenhang eine gewichtige Unterscheidung ein: Zwischen Fazit Elektrosmog

 Dies sind nur einige Beispiele. Es findet sich ein Fülle an weiteren Anti-Elektrosmog-Produkten, siehe etwa unter www.weberbio.de oder www.gabriel-technology.de, wo Produkte wie der »WeberIsis Ray-Harmony-Chip« oder der »Gabriel-Chip« angeboten werden. Die Firma Weber vertreibt daneben auch den »Weber-Isis-Beamer«, den »Weber-Isis-Orgonstrahler«, das »WeberIsis-Energiebrett« oder den »Weber-Isis-Fruchttransformator«, Utensilien, die mithilfe eigener Emissionen schützen, heilen und reinigen sollen, vergleichbar dem zuvor besprochenen AquaPower-Joint.  Davis: Techgnosis, S. .

. Schutz vor Elektrosmog



naturwissenschaftlichen Prinzipien, die für den Menschen nachvollziehbar sind und denen, die dies nicht sind. Die physikalische Gesetzmäßigkeit etwa der Ballistik ist nachzuempfinden und spürbar ; elektromagnetische Vorgänge (Elektrizität, Telekommunikation) laufen jedoch für den Menschen weitgehend unwahrnehmbar ab. Das Telefonieren mit einem Handy etwa müsste für einen Menschen, der nur einige Dekaden vor uns gelebt hat, wie Magie erscheinen – oder wie Verrücktheit. (Und auch auf uns wirken Menschen, die mit einem Headset telefonieren, im ersten Augenblick immer noch höchstgradig irritierend, wenn man als Beobachter im ersten Moment das Ohrteil nicht wahrnimmt.) Vitalistische Interpretationen des Elektromagnetismus lagen am Anfang nah und man verstand etwa Elektrizität als vis vitalis, als Lebens-Fluidum, als Funke, der das Leben bringt (und nebenbei die Geist-/Materie-Trennung überwindet). Dies findet sich noch in der FrankensteinErzählung wieder, oder, wie Davis sagt, auch noch im Klonschaf Dolly. Der Vitalismus und die Natur-Überhöhung, die sich in der Elektrosmog-Angst zeigt, trägt paranoische Züge. Wie auch in der Wasseresoterik wird die menschliche, technische Zivilisation als bösartig verstanden. Die Angst, in einem Netz aus elektromagnetischen Wellen gefangen zu sein, ist dabei die gnostische Furcht, in der falschen Welt eingesperrt zu sein. Die ›Strahlungen‹ bilden dabei das angsteinflößende, falsche Gesicht des Fluidums – seit der Erfindung der Elektrizität und der technischen Telekommunikation. Anders als in der klassischen Gnosis fehlt den Elektrosensiblen allerdings die Vision, sich in einem Akt der Transformation final zu befreien. Sie gehen in kleinen Schritten vor. Das Zurück-zur-Natur ist dabei nur mit technischen Mitteln zu haben – auch das war in der Wasseresoterik auf ähnliche Weise der Fall. Ebenso ähneln sich die Beleihungen bei der technisch-wissenschaftlichen Sprache, um Autorität zu markieren. Paranoisch zu nennen ist aber auch der Glaube der Elektrosmog-Gegner, alles kontrollieren und sich vor den schädlichen Feldern schützen zu wollen. Es ist ohnehin eine Kerneigenschaft gegenwärtiger Esoterik: Sie geht davon aus, das Leben sei kontingenzfrei zu steuern. Das wichtigste Mittel, das diese Ansicht hervorbringt und zugleich immer wieder überprüft und beweist, sind technische Messgeräte. Ihnen ist das nächste Kapitel gewidmet.

 Vgl. Davis: Techgnosis, S. –.  Vgl. ebd., S. .

 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt Wasser und Elektrosmog, die beiden zuvor behandelten Themenfelder, haben gezeigt, dass es in der gegenwärtigen Esoterik unter anderem um folgende Dinge geht: Das Begehren, mit wissenschaftlichen Mitteln zu überzeugen und der Glaube an die Gestaltbarkeit des Lebens. Besonders verdichtet zeigt sich das in der Anwendung technischer Apparate, die Wissen über den Menschen produzieren. Ihre quantitativen Messwerte wirken besonders objektiv und damit überzeugend. Zugleich behaupten sie die Veränderbarkeit des Subjekts, das sie durch ihre Messvorgänge erst herstellen. Sie formen dadurch erst auf neue Weise, was der Mensch ist. Diese ›harte‹ Vermessung des Menschen erscheint auf den ersten Blick paradox, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass diese Methoden ja vor allem in der Alternativmedizin und in New-Age-artigen spirituellen Bewegungen zum Einsatz kommt, in denen rhetorisch vor allem von Natürlichkeit, Behutsamkeit und ›Sanftheit‹ die Rede ist. Dieser sehr moderne Zusammenhang wird im Folgenden anhand zweier paradigmatischer Geräte untersucht, einem alternativmedizinischem Messgerät, der sogenannten »Quintstation«, und dem »E-Meter« der Scientology, das in deren psychotherapeutischem Verfahren zum Einsatz kommt. Die technische Unzuverlässigkeit dieser Apparate hat dabei Methode für die paranoische Überzeungungsstrategie der gegenwärtigen Esoterik, die immer einen Anschluss an den wissenschaftlichen Mainstream sucht, sich zugleich aber als Außenseiter inszeniert. . »E-Meter« und »Quintstation« Ein Gerät, das in alternativmedizischen Feldern zur Anwendung kommt und als stellvertretend für viele andere vergleichbaren Zuschnitts gelten kann, ist, wie erwähnt, die sogenannte »Quintstation« (die Vorsilbe unterscheidet sich, beachtenswert, nur um einen Vokal von »quant«, welche wie erwähnt ja öfter bei Esoterikprodukten vorkommt). Das Gerät sieht aus wie ein medizinischer Monitor, erfordert aber ein recht kompliziertes Setup; es besteht aus der eigentlichen Station, zwei Silikon-Armen, die an den Körper des Patienten gehalten werden, und einer Software, die auf einem externen Computer läuft. Laut Anleitung des HerstelQuintstation

 Vorgestellt auf www.quintsysteme.com.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Menzler, Techno-Esoterik in der säkularisierten Moderne, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27303-3_5



 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

lers basiere die Funktionsweise der Station auf den Erkenntnissen der »Holopathie« (einem alternativen Heilverfahren) nach Dr. Christian Steiner und auf den Arbeiten des Physikers Burkhard Heim. Heim war ein deutscher Physiker, der bei C. F. v. Weizäcker promoviert wurde und jahrzehntelang an einer eigenen einheitlichen Feldtheorie gearbeitet hat, aber mit seinen Thesen niemals in der Wissenschaftsgemeinde reüssieren konnte. Heim starb in den er Jahren. In der Quintstations-Anleitung werden eine ganze Reihe einschlägiger pseudowissenschaftlich-esoterischer Begriffe verwendet, darunter »Bioenergetik«, »Radionik«, »Vektor-Optimierung« oder das »Aufschwingen von Substanzinformationen«. Die Quintstation sei folgendermaßen anzuwenden: Das Computerprogramm erzeuge gewisse Frequenzmuster, diese würden auf die Quintstation überspielt, und dann von der Quintstation wiederum über die beiden Arme, Applikatoren genannt, auf den Patienten übertragen werden. Damit sollen alle möglichen Arten von Störungen des »Energiesystems« des Menschen diagnostiziert und therapiert werden können. Ein wissenschaftliches Sprechen wird simuliert. Diagramme, graphische Kurven und Begriffe, die aus Fremd- und Naturwissenschaftswörtern zusammengesetzt sind, sollen eine wissenschaftliche Beglaubigung der Wirksamkeit liefern. Auffallend ist dabei die typische Beteuerung, dass Wirkungen mit besonders niedrigen Kräften erzielt werden können: Es gilt ein Niederschwelligkeits-Phantasma. Zumindest die deutsche Rechtsprechung ist der Meinung, dass diese Wirksamkeit nicht existiert, muss die Informationsbroschüre doch einen Disclaimer mitdrucken, der daraufhinweist, die Wirkung sei »wissenschaftlich nicht erwiesen« und das Gerät für eine »medizinische Diagnose oder Therapie« »nicht geeignet«. Bedienungsanleitungen sind dabei ein Baustein der Verteidigungsstrategie gegen einen möglichen Vorwurf der Scharlatanerie: Denn Misserfolg wird immer auf einen unausgebildeten oder gerade unfähigen menschlichen Bediener geschoben – wie es auch schon beim Aqua-Power-Joint der Fall war. Auch verweist die Internetseite des Quintstations-Herstellers auf eine quantitative medizinische Studie samt Kontrollgruppe, die die positive Wirkung des Geräts bestätigen soll. Die Quintstation zeichnet sich durch eine Ähnlichkeit zu anderen Geräten aus, etwa solche, die tatsächlich in der Medizin Verwendung finden, wie EKG etc., aber auch zum E-Meter der Scientology. Per Website sind Infomaterialien, Demos, Software und Seminare zum Thema bestell- und buchbar. Neben der Quintstation (erhältliche Modelle: »Quintstation

. »E-Meter« und »Quintstation«



« und »Quintstation «) werden über die Website außerdem die Kleinvariante »Quintbox« (»eine QuintStation im Taschenformat« – »speichert bis zu fünf verschiedene Anwendungsprogramme und ist damit der perfekte persönliche EnergieBegleiter für Ihren Klienten«), der »QuintChip« (»einen kleinen Metallchip, auf den Sie energetische Informationen ›prägen‹ können«), das »QuintDrink«-Gerät, mit dem Getränke und andere Flüssigkeiten »elektronisch energetisier[t]« werden sollen und Produkte zur Abwehr von Elektrosmog (»QuintStick« (USB-Stick), »Quintfilm« (Klebefolie für Handys) und »QuintPlug« ) angeboten. Das den Quint-Geräten zugrundeliegende Heilparadigma nennt sich »Holopathie« und betont die Ganzheitlichkeit, in der der Mensch gesehen werden soll (»Ganze Medizin für ganze Menschen«). Das holopathische Textmaterial des Vertreibers bezieht sich explizit, wie erwähnt, auf Christian Steiner. Steiner ist ein österreichischer Arzt und Autor des Buches Zeit der Plagen?. Hierin hat der Autor die Basis für die Quint-Medizin formuliert. Schaut man sich diesen Text an, so fällt zunächst die gängige Choreographie auf. Steiner postuliert Niedergang und Entmenschlichung der Zivilisation. Schon das Inhaltsverzeichnis verrät die Gefahrenquellen: Radioaktive Schwermetalle, Elektrosmog, Stress, Umweltfaktoren. Der Weg zur Heilung sei »Energiemedizin«. Legitimiert wird sie durch ihre Abstammungslinie: Chinesische Medizin, Homöopathie, morphogenetische Felder, Elektroakupunktur, Bioresonanz und Radionik seien ihre Vorgänger; Rupert Sheldrake, Teilhard de Chardin, Masaru Emoto, Fritjof Capra, Burkhard Heim, Gerhard Rummel, Reinhold Voll die Gewährsmänner. Auch wird die Wassergedächtnis-Hypothese als Erkläransatz in Anspruch genommen. Die Steiner’sche Energiemedizin ist dabei um Verwissenschaftlichung und Technisierung bemüht. Rhetorisch gibt er sich zunächst diplomatisch: Der Autor möchte einen Beitrag zur »Entkrampfung« des belasteten Verhältnisses von Schul- und Alternativmedizin Christian Steiner

 Dabei handelt es sich um ein Steckernetzteil, das vor Elektrizität schütze, dabei jedoch selbst von den Vorzügen neuester »digitaler« Technik profitiere: »Einfach in eine Steckdose stecken (am besten im Schlafzimmer) – fertig! Eine Kontrollleuchte zeigt an, dass das Gerät in Betrieb ist und die gespeicherten Schwingungsspektren wiedergibt. [...] Sein Stromverbrauch ist sehr gering (nur ca. W). Da das Gerät auf Digitaltechnik beruht, bleiben die gespeicherten Frequenzspektren für unbegrenzte Zeit permanent ohne Qualitätseinbußen erhalten.« (Alle Zitate von www.quintsysteme.com.)  Christian Steiner: Zeit der Plagen? Warum chronische Symptome zunehmen und was man dagegen tun kann. Norderstedt .



 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

leisten. Medizinisch gehe es bei der Energiemedizin um »ausleitende Verfahren« , womit auf ältere Aderlass-Medizin rekurriert wird, und es handelt sich dabei um jene Begriffsbilder (»Ausleiten«, »Entschlacken«), die im Zusammenhang mit der Obsession um eine Reinigung stehen – siehe dazu unter anderem den Abschnitt zum Raëlismus in dieser Arbeit (unter Kapitel .). Bei Steiner ging es um die Entfernung von Schwermetallen aus dem menschlichen Körper, die darin in klinisch nicht messbaren Mengen vorhanden seien. Das ist eine oftmals wiederkehrende Argumentation in der Alternativmedizin: Es gebe Dinge, die physikalisch existierten, aber von der bestehenden Wissenschaft noch nicht erkannt werden könnten – wohl aber mit den Methoden der Esoterik, in der Holopathie. Steiner ( ), der selbst auch als Arzt praktizierte, gibt sich nicht als Feind, sondern ein Ergänzer der Schulmedizin. Laut Steiner wirke die Holopathie auf das »Energiesystem« des Menschen, dessen Existenz von der Schulmedizin nicht anerkannt werde. Auffallend werden Patienten mit chronischen und diffusen Krankheitsbildern angesprochen, die immer mal wieder eine subjektive Verbesserung ihres Zustands bemerken können – die sie dann auf die alternativmedizinischen Anwendungen zurückführen. Steiner befürwortete daneben die Einnahme von verschiedensten Nahrungsergänzungsmitteln, etwa Vitamintabletten wie sie in Apotheken und Drogeriemärkten angeboten werden und wie sie auch etwa die Scientology empfiehlt. Einher mit der Verteufelung von Medikamenten der evidenzbasierten Medizin geht also die erhöhte Einnahme von alternativen Nahrungsergängzungsmitteln. Die Wissenschaftlichkeit seiner Aussagen will Steiner mit Diagrammen und Daten untermauern. Seine Beobachtung dabei ist, dass in den letzten Jahrzehnten die Lebenserwartung der Menschen (damit sind mutmaßlich Deutschland oder die entwickelten Länder gemeint) nicht nennenswert stieg, wohl aber die Anzahl der Krankenhaustage und die Menge der verschriebenen Medikamente. Obwohl dies mannigfaltige Gründe haben kann (größere Sorge bei den Menschen, bessere Diagnosen, aggressiveres Wirtschaften von Krankenhäusern und Pharmafirmen), leitet Steiner daraus einen tatsächlichen Anstieg der Prävalenz solcher Krankheiten ab. Die üblichen Verweise auf Studien, die die Gefährlichkeit von »Strahlung« beweisen  Steiner: Zeit der Plagen?, S. .  Ebd.  Ebd., S. .

. »E-Meter« und »Quintstation«



sollen, fehlen ebenfalls nicht. Ein allgemeiner Kulturpessimismus zeichnet Steiners Schrift aus: Die Konzentrationsfähigkeit der Bevölkerung nehme aufgrund von Smartphones und immer verfügbarer Online-Medien beständig ab. Nicht nur die ewig aktiven medientechnischen Apparate, auch die zunehmende Arbeitsbelastung setze die sensiblen Seelen der Bevölkerung unter Druck. Einen psychischen Apparat zum entscheidenden Faktor für Gesundheit zu erklären, stimmt überein mit der generellen Ansicht in Esoterik und Alternativmedizin (siehe auch hier Scientology). Spezifisch modern ist dabei der Glaube, man habe es jederzeit selbst in der Hand, durch entsprechende Maßnahmen die eigene gesundheitliche Verfassung zu gestalten. Den Selbstheilungs-Imperativ formuliert Steiner mit dem Verweis auf alte Tradition: Daher besteht die vorrangige Aufgabe der Medizin bzw. des Patienten darin, dem »inneren Arzt« alle Mittel zur Verfügung zu stellten [sic], die er braucht (richtige Ernährung, Sport, Vitamine, Pflanzen, Spurenelemente etc. seltener: Arzneimittel, OP´s [sic]) und ihm alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen (Ausleitung, Entgiftung, möglichst biologische Umgebung). Heilung ist dann eine logische Konsequenz.

Als Folge von Stress identifiziert Steiner »Entzündungen«, und folgt damit dem medizinischen Erkenntnisstand als auch der gängigen Semantik, nach der Esoterik auf Beruhigung und Ausgleich hinarbeite. Abhilfe schaffen könne hier die Energiemedizin, die eine moderne Umsetzung alter Einsichten aus der traditionellen asiatischen Medizin sei: »Energie« entspreche »Chi«. Der Steinersche Energiebegriff sei gültig für all jene Medizin, die Steiner als historische Vorläufer ausgemacht hatte: Akupunktur, Homöopathie et cetera. Nach diesem Verständnis falle herkömmliche Medizin in den Bereich biochemischer Prozesse, während die »Energiemedizin« auf biophysikalischen Prinzipien beruhe. Die biophysikalischen Vorgänge im Menschen seien dessen »Lebensenergie«, womit also sowohl auf den mana/chi/prana-Fluidumsbegriff angespielt wird als auch auf die moderne Naturwissenschaft. Allerdings befindet sich in dieser Logik die Lebensenergie ja im Bereich des »Feinstofflichen« und ist somit der gängigen Physik (und auch einer Überprüfung durch experimentelle wissenschaftliche Methoden) nicht zugänglich.    

Vgl. Steiner: Zeit der Plagen?, S. . Vgl. ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .



 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

Steiner erklärt sein Konzept von »Energie« und »Chi« mit der Metapher des Elektromagnetismus. Elektromagnetismus beschreibt Steiner als »Magie«, da wir ja das Feld etwa eines Handymasts nicht wahrnehmen können – ein Mobiltelefon aber kann dieses Feld in für uns verstehbare Laute verwandeln. Analog dazu wirkten auch im menschlichen Körper derartige Felder. Sie fungierten dort als »Vitalkräfte«: Diese »induzieren« die richtigen biochemischen Reaktionen an der richtigen Stelle, zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Form, sodass die richtigen räumlichen Zusammenhänge von Zellen entstehen, die die Grundstruktur des Bewegungsapparats, der Organe und vor allem des Gehirns bilden. Dass dieses Energiefeld gewissermaßen ein Gedächtnis bildet, einen Bauplan darstellt, in diesem gleicht Steiners Hypothese der Theorie der morphogenetischen Felder nach Rupert Sheldrake. Sheldrake sagt ja, dass seine morphogenetischen Felder gestaltgebend für die Struktur des Universums seien und unabhängig von Raum und Zeit existierten. Der englische Biologie Rupert Sheldrake behauptet die Existenz von sogenannten »morphischen Feldern«. Laut Sheldrake können Formen und Gestalten, wenn sie einmal aufgetreten sind, ohne materiellen Träger im Universum gespeichert werden und danach immer wieder auftreten. Sheldrakes Theorie orientiert sich am physikalischen und auch am späteren biologischen Feldbegriff. Einige Biologen der er Jahre wie Hans Spemann oder Alexander Gurwitsch gingen davon aus, dass ganzheitliche embryonale und Entwicklungsfelder an Prozessen während der Morphogenese mitwirkten, da die Entstehung von Organismen nicht allein anhand lokaler biochemischer Voränge erklärbar war. Da es bei Sheldrake nicht nur um Morphogenese geht, sondern in seinen Feldern alles mögliche gespeichert werden kann, erweiterte er den Begriff auf die Formel »morphische Felder«. Ein Beispiel für ein morphisches Feld seien Populationen von Meisen gewesen, die immer besser gelernt hätten, Getränkebehälter zu öffnen, ohne dass sie in einem physischen Kontakt zueinander gestanden hätten. Ertel berichtet darüber, dass Sheldrakes Postulat der morphischen Felder in der institutionellen Wissenschaft widerlegt worden ist. Beweisen wollte Sheldrake seine Theorie, indem er zum Beispiel Probanden erfundene und echte Wörter lernen oder erkennen ließ. Die echten sollen Sheldrake

 Steiner: Zeit der Plagen?, S. –.  Vgl. Suitbert Ertel: Morphische Felder. In: Kleines Lexikon der Parawissenschaften, S. –, hier S. .

. »E-Meter« und »Quintstation«



aufgrund ihrer höheren »morphischen Resonanz« leichter zu merken sein. Dargelegt hat Sheldrake seine Theorie etwa in den Büchern Das schöpferische Universum, Der Wissenschaftswahn , Der siebte Sinn des Menschen oder A New Science of Life  . Wie auch Steiner oder die Elektrosmog-Paranoiker wendet Sheldrake einen großen Teil seiner Argumentation darauf, die etablierten Naturwissenschaften als reduktionistisch zu diskreditieren. Sheldrake will dabei in seinem Werk ›philosophische Fragen‹ behandeln; damit tut er es anderen populärwissenschaftlich publizierenden Naturwissenschaftlern gleich, und der deutsche Titel Der Wissenschaftswahn kann durchaus als gewollte Anspielung auf Richard Dawkins’ Der Gotteswahn verstanden wissen. Sheldrakes Bücher sind jedoch sprachlich, gestalterisch, intellektuell, redaktionell und von ihrer gesamten Produktion her hochwertiger gefertigt als die oft im Selbstverlag veröffentlichten Werke der sonst in dieser Arbeit besprochenen Autoren. Ihre Art, überzeugen zu wollen, ähnelt sich aber. Unter Rückgriff auf die immer noch kontraintutive Quantenphysik soll dem Leser das Gefühl vermittelt werden, die Natur halte Geheimnisse bereit, die die valorisierte Wissenschaft nicht erklären könne, ja dem Publikum gar etwas vorenthalte (»[...] science is incomplete« ). Die Verweise auf anspruchsvolle physikalische und biologische Konzepte sollen den Lesern intellektuell schmeicheln. Die Wirkung ist ungleich stärker, wenn Forscher wie Sheldrake, die es tatsächlich einmal zu beträchtlichem Renommée gebracht haben, sich in dieser Weise betätigen. Im Übrigen folgt auch Sheldrake der Lesart von Technologie als Magie (so seien Laser und Wasserstoffbomben vor ihrer Erfindung unvorstellbar gewesen, weswegen sie der Beweis seien, dass Übernatürliches Realität werden kann) und macht sich für ein integriertes, prä-kartesianisches Weltbild stark, in dem die Trennung von Geist und Materie noch nicht vollzogen sei. Der Kern des Menschen sei nicht gewissermaßen in seinem Schädel gefangen (wie es eben die kartesianische Subjektkonstruktion vorsieht): »I have suggested that

 Rupert Sheldrake: Der Wissenschaftswahn. Warum der Materialismus ausgedient hat. Übers. v. Jochen Lehner. München: Droemer .  Ders.: Der siebte Sinn des Menschen. Gedankenübertragung, Vorahnungen und andere unerklärliche Fähigkeiten. Übers. v. Michael Schmidt. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch .  Ders.: A New Science of Life. The Hypothesis of Formative Causation. A New Edition with an Appendix of Comments, Controversies and Discussions Provoked by the First Edition. London: Blond .  Ders.: The Sense of Being Stared At. In: The Sixth Sense Reader. Hrsg. v. David Howes. Oxford, New York: Berg , S. –, hier S. .



 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

minds are not confined to the insides of heads, but stretch out beyond them.« Sheldrake ist also der Ansicht, die Dinge könnten Informationen in sich speichern, welche mit heutigen wissenschaftlichen Methoden nicht feststellbar seien. Esoteriker wie Christian Steiner sind nun der Ansicht, dass diese feinstofflichen, verborgenen Informationen jedoch zugänglich seien, wenn man auf spezielle Geräte – in diesem Fall die Quintstation – zurückgreift. Er führt in die Alternativmedizin eine Unterscheidung ein zwischen solchen Verfahren, die auf subjektiver Einschätzung beruhen (etwa Reiki, die Lehre vom Handauflegen) und denen, die messend vorgehen (eben der technisierten Holopathie). Wie auch die Elektrosmog-Autoren vermutet Steiner eine Verschwörung der Pharmaindustrie, die Alternativmedizin sabotieren und deswegen Studien unterdrücken würde. Damit erklärt er auch, dass die formaljuridisch erforderlichen Unwirksamkeits-Disclaimer, die alle Hersteller von Holopathie- und ähnlichen Geräten drucken müssen, für ungültig, da sie eben bloß erzwungen seien. Auch betätigt sich Steiner als Befürworter von großen Datensammlungen: Die digitale Homöopathie helfe der Holopathie bei der Behandlung von chronischen Krankheiten. Dabei handele es sich um eine »Datenbank mit dzt. . digital gespeicherten Substanzschwingungen von Testmedikamenten.« Messen, speichern: Mithilfe dieser Praktiken wird das neu geformt, was der Mensch ist. Obwohl die esoterische Alternativmedizin davon spricht, ›sanft‹ zu arbeiten und den Menschen vor den Unbillen der Zivilisation und Technisierung zu schützen, beruft sie sich auf jene Methoden der Vermessung und Normierung, die in der Kulturwissenschaft als verantwortlich für die Konstitution des modernen Subjekts angesehen werden. Nicht mehr die (ältere, und von den Esoterikern ebenfalls oft zitierte) Viersäftelehre bestimmt, was der Mensch sei, sondern moderne Verfahren der Quantifizierung – seien sie auch, wie im Fall der Quint-Reihe, nur pseudologisch arbeitend. Der Einsatz von Medien und Apparaten in (PseudoQuintstation als Messinstrument

    

Sheldrake: The Sense of Being Stared At, S. . Vgl. Steiner: Zeit der Plagen?, S. . Vgl. ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. hierzu die beiden nachfolgenden Kapitel dieser Arbeit und die einschlägige Literatur: Stefan Rieger: Schall und Rauch. Eine Mediengeschichte der Kurve. Frankfurt am Main: Suhrkamp ; ders.: Die Individualität der Medien. Eine Geschichte der Wissenschaften vom Menschen. Frankfurt am Main: Suhrkamp ; ders.: Arbeit an sich. Diskurse der Selbstsorge in der Moderne. In: Anthropologie der Arbeit. Hrsg. v. Ulrich Bröckling und Eva Horn. Tübingen: Narr ,

. »E-Meter« und »Quintstation«



)Wissenschaft, (Pseudo-)Medizin und Religion ging historisch oftmals mit Szientismus einher, wobei die Geräte eine objektivierende Wirkung entfalten, die bei der wissenschaftlichen Beglaubigung esoterischer Claims helfen. Nicht nur in der Alternativmedizin findet sich diese Art der Messung, sondern auch in stärker spirituell angelegten Ausprägungen: In besonders dramatischer Form wird es in der Scientology-Organisation durchgeführt, deren »Auditing« und »E-Meter« ikonisch geworden sind. Scientology wird in Deutschland – von Boulevard-Sendungen und populistischen Politikern – mit Argwohn betrachtet. Dabei geht es zumeist um die ausbeuterischen Qualitäten der selbsternannten Kirche, die Passanten in Fußgängerzonen mit »kostenlosen Stresstests« lockt, um sie dann in teuren Auditing-Kursen über den Tisch zu ziehen und materiell und emotional abhängig zu machen. Die Frage nach dem verbrecherischen Potential der Organisation ist jedoch eine für Juristen. Hier soll nachgezeichnet werden, wie die Scientology ein technisches Gerät benutzt, um ihre Wissenschaftsreligion zu plausibilisieren. Bei diesem Gerät handelt es sich um das sogenannte E-Meter (»Elektropsychometer«), das bei dem Auditing genannten Therapie-Verfahren zum Einsatz kommt. Es handelt sich dabei um ein Gerät, das aus einer Basis-Einheit mit Drehreglern und einem Zeigerelement sowie zwei Elektroden besteht. Über die Elektroden, die Probanden während der Befragung im Auditing in den Händen halten, ermittelt das Gerät den elektrischen Widerstand des Körpers und gibt ihn als Wert per Zeiger aus. Technisch gleicht dieses Gerät also den Psychogalvanometern, wie sie weiter unten in dieser Arbeit beschrieben werden. Scientology

Hubbards Theorie der Dianetik ist ein Musterbeispiel für die Verwissenschaftlichung religiöser Inhalte oder die Religiosierung rationaler Konzepte der modernen Wissensgesellschaft. Grundlage des scientologischen Wissenssystem bildet das Buch Dianetik: Der Leitfaden für den menschlichen Verstand. Die Dianetik erschien zuerst , und noch heute wird sie an Scientology-Werbeständen als erstes Buch angeboten. Dianetik

S. –; und die Arbeiten von Michel Foucault in diesem Zusammenhang, wie etwa: Foucault: Technologien des Selbst.  Vgl. dazu Bühler und Rieger: Bunte Steine und dies.: Das Wuchern der Pflanzen. Ein Florilegium des Wissens. Frankfurt am Main: Suhrkamp .  Hubbard: Dianetik.



 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

Dianetik war bei Erscheinen bloß als ein sogenanntes Self-Help-Buch angelegt und noch nicht als religionsstiftender Text. Zur Zeit der Veröffentlichung war Hubbard lediglich als Science-Fiction-Autor bekannt. In der Dianetik formuliert Hubbard seine Vorstellung von der Funktionsweise des menschlichen Verstandes (englisch: »mind«, im Deutschen auch »Geist«), und orientierte sich dabei an psychoanalytischen und kybernetischen Konzepten. Demnach funktioniert der menschliche Verstand oder Geist wie ein Computer, der auf der Basis von ihm vorliegenden Daten vorhersagbar und nach Hubbards Meinung ›korrekt‹ handelt. Ein erfolgloses Leben liege in sogenannten Engrammen begründet, die in das Gehirn eingeschrieben seien und dem Verstand »falsche Daten« lieferten, woraus dann die ›unkorrekten‹ Handlungsanweisungen des Gehirns resultierten. Engramme wiederum seien die gespeicherte Erinnerung an traumatische Erlebnisse. Diese Aufzeichnungen können laut Hubbard mit der Methode des Auditings, einer Therapieform ähnlich der Psychoanalyse, gelöscht werden. Die Dianetik war  ein Erfolg auf dem amerikanischen Buchmarkt. In der Folge bot Hubbard zahlreiche Seminare und Vorführungen an, auf denen er sich als innovativer Forscher präsentierte. Als die wissenschaftliche Welt auf ihn aufmerksam wurde, sprach sie ihm (durch Verlautbarung der American Medical Association und der American Psychiatric Association) jedoch jegliche Wissenschaftlichkeit ab. Hubbard goss die Praxis des Auditings in ein immer stärkeres Formenkorsett, band sie auch namensrechtlich an sich und institutionalisierte sie bald zu einer ganzen Religion, die er Scientology nannte. Von da an sollten nur noch befugte Mitglieder der Scientology-Organisation dazu berechtigt sein, Befragungen unter dem Namen Auditing auszuüben. In der Dianetik definiert Hubbard den »Verstand« als ein aus zwei Teilen zusammengesetztes Ganzes. Dies setzte sich aus dem sogenannten analytischen und dem sogenannten reaktiven Verstand zusammen. Der analytische Verstand vollziehe dabei das bewusste und differenzierte Erleben und Handeln des Menschen. Er sei das freie Ich des Menschen. Dieser Teil des Verstandes handele immer ›korrekt‹ im Bezug auf die ihm vorliegenden ›Daten‹, d.h. rational und zielführend: »Der analytische Verstand ist nicht nur ein guter Computer, er ist ein perfekter Computer. [...] Er kann sich in keiner Weise irren, solange ein Mensch halbwegs intakt ist...«.  Hubbard: Dianetik, S. .  Ebd., S. .

. »E-Meter« und »Quintstation«



Dass der Verstand sich nicht »irre« und »zielführend« handele, bedeutet, dass er nach Hubbards Verständnis immer das Richtige tue, was dem biologischen ›Überlebenstrieb‹ entspreche. Dieses Überleben bezieht sich auf vier (biologische) Bereiche, die Hubbard die »vier Dynamiken« nennt: Erstens das individuelle Überleben, zweitens das Überleben im Hinblick auf die Fortpflanzung (Sexualität, Kindererziehung), drittens das Überleben der Gruppe, in der das Individuum lebt und schließlich das Überleben der Menschheit als Spezies. Der Erfolg »auf« diesen Dynamiken bemisst sich auf der »Tonskala«, deren Werte zwischen »Vergnügen« und »Schmerz« angesiedelt sind, mit den Extremwerten »potentielle Unsterblichkeit« und »Tod«. Als mächtige und souveräne Schaltzentrale kontrolliert der analytische Verstand den menschlichen Körper und dessen individuelles wie soziales Handeln. Dennoch haben gewöhnliche Menschen Unzulänglichkeiten, handeln leichtsinnig oder gar selbstgefährdend. Wie erklärt sich dieses Verhalten, wenn der analytische Verstand doch unfehlbar sei? Laut Hubbard arbeite der analytische Verstand dann dem »Überlebensprinzip« entgegen, wenn ihm »falsche Daten« vorlägen. Und diese falschen Daten lege ihm der reaktive Verstand vor. In seiner »Engrammbank« speichere der reaktive Verstand ›falsche Datensätze‹, eben die bereits erwähnten »Engramme«. Unter großer Schmerzerfahrung, bei Bewusstlosigkeit oder bei ungeborenen Kindern sei der analytische Verstand deaktiviert, stattdessen zeichne der reaktive Verstand alle Sinneswahrnehmungen eines schrecklichen Geschehens auf. Hubbard nennt dafür als Beispiel immer wieder Szenen häuslicher Gewalt. In einem Hubbard’schen Gewaltszenario, in dem der Vater eines Kindes dessen Mutter misshandelt, registriere der reaktive Verstand des Jungen beispielsweise das Geräusch des zur gleichen Zeit laufenden Wasserhahnes. Höre nun der erwachsene Mensch dieses Geräusch irgendwann noch einmal, werde sein Engramm »restimuliert«, und der reaktive Verstand liefere dem analytischen einen Datensatz, der das Handeln des analytischen Verstandes in falsche Bahnen leite. Ein solches »unvernünftiges« Handeln nennt Hubbard »Aberration«, das Zwänge, Verdrängungen, Neurosen und Psychosen umfasse. Hubbard baut hier eine Dicho Vgl. Hubbard: Dianetik, S. ii–iii, .  Eine eigenwillige Verwendung von Präpositionen gehört zu den Kennzeichen von Hubbards idiosynkratischem Jargon.  Hubbard: Dianetik, S. .  Vgl. ebd., S. .  Vgl. ebd., S. v.

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 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

tomie Vernunft / Wahnsinn auf, in dem Phänomene wie Erfolg und Gesundheit auf die Seite der Vernunft fallen und Versagen und Krankheit auf die Seite des Wahnsinns. Aufgrund von Engramm-Restimulierungen werde ein Mensch in den immer wieder gleichen Situationen aberriert handeln. Jegliche Fehler des Menschen beruhten laut Hubbard auf Aberrationen. Gäbe es keine aberrierten Menschen, gäbe es keine Geisteskrankheiten und keine psychosomatischen Krankheiten, da diese durch das Fehlverhalten des menschlichen Verstands entstünden. So seien zum Beispiel häufige Erkältungen Symptom eines »Mitgefühlsengramms«. Jemand habe erfahren, dass man für eine Krankheit Mitleid bekommt, weshalb dies als Engramm aufgezeichnet worden sein könnte. Fühlt sich dieser Jemand nun verlassen, werde sein Engramm restimuliert, und der analytische Verstand veranlasse das Ausbrechen der Krankheit. Nach Hubbards Logik sind Menschen, die an Krankheiten leiden, zumeist selbst dafür verantwortlich (er versteht gar Kurzsichtigkeit als psychosomatische Krankheit). Damit reproduziert er in gar übersteigerter Weise das neoliberale Narrativ, demzufolge das Leben voll und ganz gestaltbar sei. In der Dianetik legt Hubbard nicht nur sein Modell des menschlichen »Verstandes« vor, sondern präsentiert zugleich eine umfassende Therapie für jegliche Schädigungen am Verstand, eben das Auditing. Das Auditing ist eine formal der Psychoanalyse ähnliche Form der Therapie, bei der ein Auditor einen Patienten durch gezieltes Nachfragen jene traumatischen Situationen abermals durchleben lässt, in denen seine Engramme vermeintlich entstanden sind. Durch mehrmaliges Wiedererleben der verletzenden Ereignisse würden die Engramme »umgespeichert«. Sie würden von der bank des reaktiven Verstandes umkopiert in einen anderen Bereich, von dem aus sie nicht mehr negativ wirken können. Trigger hätten dann keine Aberrationen mehr zur Folge. Der von allen Aberrationen befreite Mensch, der von Hubbard so genannte Clear, sei frei von Krankheiten, profitiere von einer gesteigerten Intelligenz und haben eine höhere ›Überlebenschance‹, um in Hubbards Jargon zu bleiben. Aufschlussreich sind auch die Überzeugungsstrategien, die im Werbematerial der Scientology zum Einsatz kommen. Sie sind alarmistisch: Eine ›unbewusste‹ Lebensweise sei geradezu lebensgefährlich. In dieser Hinsicht ähnelt Scientology  Vgl. Hubbard: Dianetik, S. .  Vgl. ebd., S. vi.  Bewusstheit und Wachheit sind zentrale Semantiken für Hubbard wie auch für viele technikgläu-

. »E-Meter« und »Quintstation«



vielen alternativen Gesundheitsratgebern. Die Bewusstwerdung wird vor allem mit Persönlichkeitstest und physiologischer Messung, also technizistisch, herbeigeführt. Hierbei kommt das E-Meter zum Einsatz. Das Auditing wird mithilfe des E-Meters durchgeführt. Der Auditor stellt dem Probanden intime Fragen nach dessen früheren Erlebnissen und Taten. Das E-Meter quittiert Aufregung, wie ein Lügendetektor, mit einem stärkeren Ausschlag der Nadel. Laut Scientology-Lehre sollen damit die schädlichen Engramme sichtbar gemacht werden. Die Scientology-Kritiker Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck verstehen das E-Meter-gestützte Auditing dagegen als Mittel, Scientology-Anhänger unter Druck zu setzen: E-Meter

Sein eigentlicher Zweck entspricht seiner technischen Funktion. Die Sekte nutzt ihr »Mikroskop« auf perfide Weise tatsächlich als Lügendetektor. Mittels Blechbüchsencheck wird der Proband (Preclear) stundenlang über intime Geheimnisse, schmerzhafte und erregende Erlebnisse ausgefragt. Ist er aufgeregt, etwa, weil ihm eine Frage unangenehm ist, schlägt die Nadel aus. Nun hat sein Auditor einen klaren Hinweis darauf, dass irgendetwas nicht stimmt; er hakt nach, drängt und droht.

Der Imperativ, das Innere und eigene Verfehlungen offenzulegen, gemahnt an die testify-Kultur, die man im amerikanischen Evangelikalismus findet. Auch soll das Auditing ein durchaus unangenehmer Vorgang sein, gleich den polizeilichen Verhören, in denen ebenfalls Lügendetektoren zum Einsatz kommen (siehe Kapitel .). Man baut auf den Euphorie-Effekt, den Teilnehmer oft erleben, wenn die Tortur endlich vorbei ist. Das In-die-Ecke-Drängen von Patienten und Anhängern kennt man von randständigen psychotherapeutischen Praktiken, Self-Help-Seminaren und christlichen Sekten. Die Technizität des Vorgangs bedeutet, das seine Ergebnisse als objektiv erscheinen, oder, wie Nordhausen und von Billerbeck es fassen: Das Faszinosum sei »offenbar die Möglichkeit, dass die eigenen Gedanken, Gefühle und psychischen Probleme technisch messbar und obendrein leicht reparierbar sein sollen.« Scientology seien die ersten gewesen, die das eigentlich unzuverlässige Prinzip der bige und kontingenzfeindliche Esoterik-Gurus.  Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck: Scientology. Wie der Sekten-Konzern die Welt erorbern will. . Aufl. Berlin: Links , S. .  Ebd. Wobei man anmerken kann, dass die moderne Gehirnforschung einem ähnlichen Anspruch folgt.



 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

Hautwiderstandsmessung kommerzialisiert hätten. Ein E-Meter schlägt, über die Scientology-Organisation bezogen, mit mindestens  Dollar zu Buche. Dass Hubbard auf einen technischen Apparat setzt, den »menschlichen Verstand« zu heilen, verwundert nicht, wenn er den menschlichen Geist ohnehin als technisch definiert. Schließlich funktioniere der Verstand wie ein Computer, er habe verschiedene Speicher-Bänke, zwischen denen Daten verschoben werden können. Dieses Umspeichern durch Auditing funktioniere eben in jedem Fall, zuverlässig wie eine Ingenieursleistung. Ein derartiges Bild des Aufbaus der menschlichen Psyche war in der Psychologie zur Zeit Hubbards weit verbreitet. Schon Freud bediente sich in der Traumdeutung technischer Metaphern, um den menschlichen Geist zu beschreiben. So spricht der Psychoanalytiker vom »seelischen« und »psychischen Apparat«, der in seiner Funktionsweise einem »Mikroskop«, »Fernrohr« oder »photographischen Apparat« vergleichbar wäre. Freud stellt in technizistischer Manier das Verhältnis der verschiedenen »Systeme« innerhalb dieses Apparates gar mit geometrischen Schaubildern dar. Auch die von Norbert Wiener auf ihren Namen getaufte Kybernetik erfuhr ab ca.  Konjunktur. Diese Wissenschaft bietet die Möglichkeit, das Verhalten von jeglichen Entitäten, seien sie elektronisch, biologisch, ökonomisch etc., vorauszusagen, indem sie sie als Systeme fasst. Eine ähnliche Vorstellung einer »Steuerung« hat auch Hubbard, wenn er davon spricht, in der Dianetik könne man »auf Knopfdruckbasis arbeiten«. Das Modell des reaktiven Verstandes, der »ausschließlich auf der Grundlage von körperlichen Schmerzen und schmerzlicher Emotion« funktioniere und auf einer »Reizreaktions-Grundlage« handele, deckt sich mit dem Bild, das der Behaviorismus von der Psyche hatte. Dem Paradigma der Psychologie zufolge, das in Amerika in der ersten Hälfte des . Jahrhunderts entstand, funktioniere das menschliche Verhalten als Stimulus-Response-Mechanismus.

 Sigmund Freud: Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet. Bd.  u. : Die Traumdeutung – Über den Traum. Hrsg. v. Anna Freud. . Aufl. Frankfurt am Main: S. Fischer , S. –.  Michael Hagner und Erich Hörl: Überlegungen zur kybernetischen Transformation des Humanen. In: Die Transformation des Humanen. Beiträge zur Kulturgeschichte der Kybernetik. Frankfurt am Main: Suhrkamp , S. –, hier S. .  Hubbard: Dianetik, S. .  Ebd., S. v.

. »E-Meter« und »Quintstation«



Besonders bemerkenswert ist, dass Hubbard die Psychiatrie als das Paradigma für die Erklärung des Menschen überhaupt ansieht. Hubbard reduziert den menschlichen Geist auf einen potentiellen Träger von Geisteskrankheiten, deren Absenz völlige Freiheit und Lösung aller Probleme bedeute – individueller und zivilisatorischer Art. Hubbard ordnet alle Aspekte menschlichen Lebens in sein Vernunft/Wahnsinn-Binärschmea ein. So fallen Erfolg (persönlicher oder finanzieller), gelingende zwischenmenschliche Beziehungen, Gesundheit, moralisch gutes Handeln, kluge Politik etc. auf die Seite der Vernunft beziehungsweise des analytischen Verstandes. Misserfolg, Krankheit, Kriminalität etc. – und jegliche Abweichung von Hubbards Normvorstellungen, zum Beispiel auch Homosexualität – fallen unter die Aberration beziehungsweise die Unvernunft, also den Wahnsinn, der schlimmstenfalls zu Neurosen, Psychosen und schließlich zum Tod führen könne. Diese Vorstellung lässt sich auf psychologische Theorien des . und frühen . Jahrhunderts zurückführen, die eben zum Beispiel Kriminalität oder sexuelle Devianz als »Geisteskrankheiten« verstanden (das paradigmatische Werk in diesem Zusammenhang ist Richard von Krafft-Ebings Psychopathia Sexualis von ). Diese mag Hubbard möglicherweise gekannt haben, seine Theorie geht jedoch noch einige Schritte weiter. Auf überspitzte Weise veranschaulicht Michel Foucaults These, die Moderne als ›Zeitalter der Vernunft‹ definiere sich überhaupt erst über den Wahnsinn, nachdem man diesen in der »Erschaffung« von psychischen Krankheiten und der Einrichtung von Irrenhäusern dingfest gemacht hatte. Der Therapieansatz der Dianetik, einen einzelnen Patienten von seinen individuellen Hemmnissen zu befreien, um dadurch schließlich nicht nur ihn selbst, sondern die ganze Gesellschaft zu »klären«, steht laut Gerald Willms im Kontext einer »Individualitätslogik« auf größerer Ebene in der modernen Gesellschaft. Willms ordnet die Dianetik dem Genre der success books zu – Ratgebern für die persönliche Lebensverbesserung, die inzwischen die Regale der Buchhandlungen zu Tausenden füllen und als dessen erster Vertreter Dale Carnegies How to win friends and influence people von  gelten darf. Willms begründet mit dieser Gattungszu-

 Weswegen er allerdings die institutionalisierte Psychiatrie als seinen allergrößten Feind – weil Hauptkonkurrenten – ansieht.  Diese These entfaltete Foucault zuerst  in: Michel Foucault: Histoire de la folie à l’âge classique. Folie et déraison. Paris: Plon .

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 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

gehörigkeit auch den »zwingend[en] Stil« Hubbards. Willms zufolge erfüllen diese Bücher ein Bedürfnis nach individualpsychologischen Mitteln zur Erlangung von Erfolg (»success«), nach dem zu streben ein zentraler amerikanischer Wert sei. Unter Rückgriff auf Max Webers Protestantismus-These erklärt Willms, dass dem zunächst religiös motivierten angloamerikanischen Streben nach Reichtum und Erfolg ein Moment der Psychologisierung innewohnt: Angesichts der Ungewissheit, ob das Individuum vor Gott bestehe und nach dem Tod errettet werde, resultiere ein Leidensdruck, der auf jedem Einzelnen laste. In Reichtum und Erfolg sehe der Mensch seine Errettung schon angedeutet. Deswegen würde er so hart arbeiten, um eben diese Vorzeichen zu sehen. Der Erfolg der Freudschen Psychoanalyse hätte die längst verbreitete Einsicht, dass »Armut nicht nur eine Charakterschwäche[,] sondern auch eine Form der Geisteskrankheit sein könnte«, lediglich eine »vermeintlich naturwissenschaftlich-medizinische Legitimation« verliehen. Dies bedeutete »eine letzte Säkularisierung, die die völlige Ersetzung des religiösen durch das individuell-therapeutische Denken ermöglichte.« Heute füllten diese Lücke individuelle Therapieprogramme. Willms verweist dabei auch noch auf das Neurolinguistic Programming, das in Ratgeberliteratur und Kursen propagiert wird, und, was seine Logik anbelangt, laut Willms »direkt von ihm [Hubbard] abgeschrieben« sein könnte. In die Kerbe der »asozialen« Logik, der zufolge individuell-egoistischer Erfolg dem Allgemeinwohl diene, schlagen neben Scientology nun eine ganze Reihe von anderen neuen amerikanischen Religionen, die die Verbesserung des Selbst durch individuelles Training anbieten; unter der Anbehaltung eines religiösen Mantels, der freilich nur zur Tarnung dient. George D. Chryssides nennt diese Religionen »self religions«, und führt darunter neben Scientology Erhard Seminar Training, Programmes Ltd, School of Economic Science und Transzendentale Meditation auf.  Gerald Willms: Scientology. Kulturbeobachtungen jenseits der Devianz. Bielefeld: Transcript , S. .  Auch der . amerikanische Präsident Donald Trump, der mit ähnlichen Selbstbeweihräucherungen wie Hubbard auffällt, ist bekannt für ein solches success book – namentlich The Art of the Deal. (Und die Lobby des Trump Tower in Manhattan mit vergoldetem Plastik und einem Überangebot von Büchern, Druckerzeugnissen und DVDs mit dem Konterfei des Namensgebers ähnelt derer der sich in räumlicher Nähe befindlichen Lobby der Church of Scientology am Times Square.)  Willms: Scientology, S. .  Ebd., S. .  Ebd., S. .

. »E-Meter« und »Quintstation«



Die meisten dieser Organisationen gibt es heute nicht mehr; die Transzendentale Meditation, der unter anderem der bekannte Hollywood-Regisseur David Lynch angehört, schafft es jedoch immer wieder mit kuriosen Einlassungen ihrer Vertreter auf die Klatschseiten der Zeitungen – in Deutschland kürzlich, als der Fußballtrainer Thomas Tuchel auf die Praktiken zurückgreifen ließ. Ihr Trainigsprogramm besteht in Meditationen und »yogischem Fliegen«. Ganz ähnlich wie Dianetik verspricht Transzendentale Meditation Heilung von Krankheiten wie Asthma, Migräne und Sehschwierigkeiten. Die ideologische Grundlage dieser Religionen, die er ähnlich wie Willms sieht, nennt Chryssides treffend »Human Potential Movement«. Die Institutionalisierung dieser Individualitätslogik in Gruppen und Religionen scheint also Methode zu haben. Außerhalb von Religionen und religionsähnlicher Gemeinschaften ist dieses Denken Mainstream geworden – wie das folgende Kapitel dieser Arbeit zeigt. Die kosmogonische und theologische Dimension von Hubbards Scientology-Lehre erinnern an cybermystische und cybergnostisches Entwürfe. Während dem Clear mentale und körperliche Robustheit sowie intellektuelle Fähigkeiten weit über denen eines normalen Menschen zugesprochen werden, sei der noch über dem Clear stehende Thetan – das Endprodukt jahrelanger Auditing-Sessions – ein von profaner Körperlichkeit losgelöstes Wesen, das über Raum, Zeit und Leben frei gebieten könne. Auf der Thetan-Stufe III schließlich (in der Scientology-Organisation können immer noch höhere Seinsstufen erreicht werden – gegen Bezahlung freilich) werden die Aufstiegskandidaten schließlich mit Hubbards unter Verschluss gehaltener Weltschöpfungs-Geschichte vertraut gemacht. Dies entspricht schematisch exakt dem Moment der Erkenntnis in der Gnosis: Ein einzelner Augenblick, in dem das Subjekt geheimes Wissen erlangt und dadurch eine Transformation durchmacht. Dieses Wissen liegt jenseits menschlicher Rationalität, denn selbst ein Thetan der unteren Levels würde dieses Wissen nicht verstehen können, ja es sei sogar gefährlich für ihn – so die Propaganda der Sekte. Im Pantheon der neuen Ego-Religionen nimmt Scientology wohl vor allem wegen seines ikonischen E-Meters eine Sonderstellung ein. Wie ein heiliges Artefakt steht er im Zentrum des Auditings, das wiederum im Zentrum der ganzen Kosmogonie und Theologie

 Vgl. George D. Chryssides: Exploring New Religions. London und New York: Cassell , S. .  Ebd., S. .

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 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

Scientology-Lehre steht. . Exkurs: (Selbst-)Vermessung: Esoterik als Selbstoptimierung und die Figur des »Experten« Wie soeben geschildert, können esoterische Messgeräte als neoliberale Agenten verstanden werden. Im Folgenden soll noch einmal exkursartig dargelegt werden, wie dies theoretisch zu fundieren ist. Der Begriff der »Subjektkonstitution« geht auf Michel Foucault zurück, der beschrieb, wie seit dem . Jahrhundert ein Prozess der »Subjektivierung« eintrat. Menschen wurden von staatlicher und wissenschaftlicher Seite ungefähr seit dieser Zeit systematisch registriert, vermessen, in Raster eingeordnet. Es geschah dies aus dem Bestreben, das Volk regierbar und der wissenschaftlichen Erforschung erschließenbar machen zu wollen. Effekt davon ist jedoch, dass diese erfassten Menschen erst hierdurch, so Foucaults These, zu Subjekten werden. Einen Überblick über Theorien des (Neo-)Liberalismus gibt der Soziologe Ulrich Bröckling in seiner Arbeit Das unternehmerische Selbst. Darin schreibt der Autor eine Geschichte der Ökonomisierung des Selbst, indem er den ausbeuterischen, paradoxalen Kern der Theorien des Neoliberalismus herausarbeitet: Die in Frage stehenden Theorien verlangen vom Individuum, stets besser als andere werden zu wollen, was zwingend dazu führe, dass es Gewinner und Verlierer gebe, Aufsteiger und Absteiger; dass also Verbesserung nur auf Kosten anderer zu erlangen ist, den anderen, die dann dem neoliberalen Imperativ nicht folgen können und scheitern. Und notwendigerweise führt dies dazu, dass auch ein erfolgreiches Individuum sein Ziel niemals erreichen kann – wie ein Pferd, das einer Möhre hinterherjagt, die sein Reiter ihm vor die Nüstern hält. Der unternehmerische Imperativ injiziert dabei die ständige Angst, zu scheitern. Es entsteht ein Zustand der  Einschlägig: Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Übers. v. Walter Seitter. Frankfurt am Main: Suhrkamp . Literatur zum Subjektbegriff ist unter anderem: Ders.: Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesung am Collège de France –. Hrsg. v. Michel Sennelart. . Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp ; ders.: Geschichte der Gouvernementalität II. Die Geburt der Biopolitik. Vorlesung am Collège de France –. Hrsg. v. Michel Sennelart. . Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp ; Judith Butler: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung. Übers. v. Reiner Ansén. Frankfurt am Main: Suhrkamp ; Ulrich Bröckling: Jeder könnte, aber nicht alle können. In: Mittelweg   (), Nr. , S. –; Christine Hauskeller: Das paradoxe Subjekt. Unterwerfung und Widerstand bei Judith Butler und Michel Foucault. Tübingen: Edition Diskord .  Bröckling: Das unternehmerische Selbst.

. Exkurs: (Selbst-)Vermessung: Esoterik als Selbstoptimierung und die Figur des »Experten«



Dauererregung, den viele mit Entspannungstechniken bekämpfen wollen, wobei das, was entspannend sein soll, in Wahrheit wieder nur dazu dient, die Leistungsfähigkeit zu erhalten. Das Schicksal der Esoterik ist es also, dass sie das System, vor dessen Auswirkungen sie schützen soll, am Laufen hält. Bröckling stellt zunächst dar, wie das Selbst paradoxal verfasst ist: Ein Selbst bringt sich selbst hervor, indem es eine Außenperspektive gegenüber sich selbst einnimmt und dadurch eine Vorstellung von sich entwickelt. Als Bedingung für diesen »Akt der Subjektivierung durch Objektivierung« muss es »in rudimentärer Form« schon existiert haben. Es formt sich also selbst, in Abgrenzung von externen Instanzen; braucht diese Instanzen dabei jedoch und unterwirft sich ihnen zum Teil. Es ist in diesen neueren Theorien kein vollständig autonomes Ich mehr, wie es noch im kartesianischen Paradigma eines war. Es ist im Unterschied zu diesem beständig Einwirkungen der Macht ausgesetzt. Unter dem Einfluss dieser Macht ergeben sich dem Subjekt Handlungsoptionen. Das Subjekt ist also weder vollständig frei, noch vollständig fremdbestimmt. Auch ist Subjektivierung rekursiv. Bröckling sagt, eine Genealogie der Subjektivität zu schreiben, hieße, zu untersuchen, welches Wissen und welche Verfahren jeweils zum Einsatz kommen, um Subjekte zu konstituieren. Neben diesem diskursanalytischen Zugang beruft sich Bröckling auch auf die Systemtheorie: Mit Luhmann erläutert Bröckling, ein historisch kontingenter Modus der Subjektivierung sei die Individualisierung, bei der der Einzelne sich durch das definiert, was ihn von allen anderen unterscheidet. Individuen würden dabei in der Beobachtung stark typisiert. Das heißt, ein Individuum orientiert sich an bestehenden Vorlagen, sei es durch Imitation oder Abgrenzung. Die in der heutigen Zeit hierfür veranschlagten Semantiken, die aufgefahren werden, um Individuen zu typisieren und zur Individualisierung anzuhalten, untersucht Bröckling in seiner Arbeit, indem er sie aus »nationalökonomischen,  Zum Themenkomplex, welche immense Wirkung der psychologische Beratungssektor in den letzten Jahrzehnten gewonnen hat, sie auch Das beratene Selbst.  Vgl. Bröckling: Das unternehmerische Selbst, S. .  Ebd.  Subjektivierung ist nicht abschließbar, derjenige, der sie ausübt, und demjenigen, der sie gilt, sind ein und dasselbe: deswegen ist der Vorgang rekursiv. Vgl. Rieger: Arbeit an sich; ders.: Die Suggestionen des Selbst. Zur Emergenz rekursiver Individualisierung. In: Blinde Emergenz? Interdisziplinäre Beiträge zu Fragen kultureller Evolution. Hrsg. v. Thomas Wägenbaur. Heidelberg: Synchron , S. –.

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 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

psychologischen und soziologischen Theorien« aber auch populären Formaten wie Ratgebern zur Selbstoptimierung, Kreativitäts- und Kommunikationstechniken, Management-Handreichungen usw. abschöpft. Bröckling verweist auf die Paradoxie des Experten (die sich im Sinne der Fragestellung dieser Arbeit auf das Expertentum des esoterischen Gurus übertragen ließe): Der Experte predige die Selbstbestimmung, stelle aber gleichzeitig, indem er diesen Rat gebe, eine Autorität dar, die wisse, was gut für die beratene Person sei. Der Beratene wird so als Hilfsbedürftiger konstruiert. Bröckling bringt sein Konzept des unternehmerischen Selbst folgendermaßen auf den Punkt: »In der Figur des unternehmerischen Selbst verdichten sich sowohl normatives Menschenbild wie eine Vielzahl gegenwärtiger Selbst- und Sozialtechnologien, deren gemeinsamer Fluchtpunkt die Ausrichtung der gesamten Lebensführung am Verhaltensmodell der Entrepreneurship bildet.« Das unternehmerische Selbst ist also ein Konstrukt, das als Vorbild zur Verfügung steht und dessen Verhaltensweisen durch Praktiken eingeübt werden. Das unternehmerische Selbst ist aber keine Entität, kein Typus, der mit statistischen Methoden in der Gesellschaft vorfindbar wäre; keine Teilgruppe der Gesellschaft stellt die ›Unternehmer‹ dar, stattdessen ist das unternehmerische Selbst eine Weise, Menschen zu adressieren und eine Richtungsvorgabe, die das Verhalten von Menschen dirigiert. Der Aufstieg des unternehmerischen Selbst ist parallel zu sehen mit dem Durchsetzen einer neoliberalen Ideologie in der Politik; seit  respektive  regierten Margaret Thatcher und Ronald Reagan, die mit ihren marktradikalen policies die unternehmerische Selbstverantwortung und einen Abbau des Wohlfahrtsstaates forcierten. Bröckling arbeitet heraus, wie die amerikanische Regierung dieser Zeitepoche nicht nur das Unternehmertum zu etwas spezifisch Amerikanischem deklarierte, sondern wie diese Verlautbarungen und die sie begleitenden Maßnahmen Vorgänge der Mobilisierung sind. Paul du Gay und Graeme Salaman referierend, weist Bröckling darauf hin, dass das Alltagshandeln selbst von Personen,      

Bröckling: Das unternehmerische Selbst, S. . Vgl. ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Vgl. ebd., S. . Paul du Gay und Graeme Salaman: The Cult(ure) of the Customer. In: Journal of Management Studies  (), S. –.

. Exkurs: (Selbst-)Vermessung: Esoterik als Selbstoptimierung und die Figur des »Experten«



die in ihrer Rede die Ideologie des Unternehmertums ablehnen, von dieser geprägt sein können. Das unternehmerische Selbst sei deswegen kein bloßer »Diskurs« aus gesprochener Sprache und Text, sondern materielle Praxis. Bröckling führt die Arbeiten von Nikolas Rose an, der zeigte, dass in der Logik des unternehmerischen Selbst ökonomischer Erfolg und Selbstverwirklichung Hand in Hand gehen. Das unternehmerische Selbst soll nicht nur den Umsatz des Unternehmens, für das es arbeitet, steigern, sondern auch beständig an sich selbst arbeiten, Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen und den persönlichen Erfolg maximieren. Psychotherapeutische Angebote etwa dienten dann dazu, dem Patienten zu helfen, anpackerischer ans eigene Leben zu gehen und den Umsatz weiter zu steigern, sollte er aus eigener Kraft in die Stagnation geraten. Therapie (und z.B. auch Coaching u.v.m. fällt hierunter) stattet das unternehmerische Selbst mit Techniken aus, mit denen es selbständig seine Ziele definieren können und Pläne zur Erreichung dieser Ziele ausarbeiten und umsetzen können soll. Dieses Regime des Selbst sei nicht mehr das (nach Foucault) »Überwachen und Strafen« der Disziplinargesellschaft, sondern ein Regime, das die »Selbststeuerungspotentiale aktiviert«. Als wichtigsten Taktgeber für die Adressierung eines unternehmerischen Selbst seit den er Jahren identifiziert Bröckling nicht etwa die Soziologie oder die Politik, sondern die Management-Literatur. Als erfolgreichste Publikation dieses Genres gilt In Search of Excellence von Tom Peters und Robert H. Waterman aus dem Jahr . Daneben nennt Bröckling noch Intrapreneuring von Gifford Pinchot. Die beiden genannten Werke richten sich als Ratgeber an eine Unternehmenswelt, an die sie die Empfehlung richtet, ihre Angestellten im mittleren Management zum unternehmerischen Denken anzuleiten. Diese leitenden Angestellten sollen in ihrer Projektplanung und -Durchführung, Mitarbeiterführung  Vgl. Bröckling: Das unternehmerische Selbst, S. .  Vgl. ebd.  Vgl. Nikolas Rose: Das Regieren unternehmerischer Individuen. In: Kurswechsel , Nr. , S. –, hier: S.  f.  Bröckling: Das unternehmerische Selbst, S. .  Thomas J. Peters und Robert H. Waterman: In Search of Excellence. Lessons from America’s Best-Run Companies. New York . Bröckling verweist zurecht auf die Überblicksdarstellung Paul Wright: Excellence. In: London Review of Books, . Mai , S. –, die diesen Trend in den er Jahren bearbeitet.  Gifford Pinchot: Intrapreneuring. Why you Don’t Have to Leave the Corporation to Become an Entrepreneur. New York .



 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

usw. so denken, als seien sie selbst keine Untergebenen der nächsthöheren Ebene, sondern als seien sie für den ökonomischen Erfolg ihrer Abteilung verantwortlich wie der Lenker eines Konzerns. Dafür sollen ihnen die Unternehmen die nötigen Freiheiten einräumen; Bröckling weist aber darauf hin, wie hierdurch ein Paradox kreiert wird, das zwischen der Unabhängigkeit der niederen Führungskraft und seiner Bindung an die Ziele des Gesamt-Unternehmens entsteht. Auch hebt der Autor hervor, dass hier, in den er Jahren, noch nicht ein jeder, sondern erst einmal nur führende Angestellte als unternehmerische Selbste angesprochen wurden (später sollten praktisch alle Mitglieder einer Gesellschaft folgen). Wie Bröckling ausführt, wurde in den er Jahren dieses Konzept des Unternehmertums dergestalt modifiziert und radikalisiert, dass nun der einzelne Mensch sich nicht nur als Unternehmer, sondern als Unternehmen begreifen sollte: Es handelt sich um die Vorstellung einer Ich-AG. Die entsprechenden Ratgeber formulieren die Empfehlung, ein jeder solle sich selbst als eine am Markt platzierte Ware begreifen, die sich in diesem Umfeld behaupten muss. Gleichzeitig sei das Ich auch der Manager dieses Produkts. Entscheidend ist, dass diese Warenhaftigkeit und diese Geschäftsführerschaft in diesem Modell niemals erlischt, nicht nach Feierabend und nicht nach einer Kündigung. Die Ich-AG ist also ein Projekt, das die gesamte Lebensgestaltung erfasst. Deswegen werde nun auch die Freizeitgestaltung usw. zum Teil der Optimierung des Ichs im Sinne seiner eigenen AG. Hier zeigt sich also zum ersten Mal, wie auch private esoterische Praktiken Teil unternehmerischer und narzisstischer Konzeptionen des Selbst sind. Wesentlich ist die Übertragung der Verantwortung für das eigene Glück auf den Einzelnen. Laut Bröckling stellt dieser Zusammenhang ein Dilemma da, was er zunächst für den angestellten Menschen ausführt: Wichtig sei es dabei für diesen, eine Balance zu finden aus »rückhaltlose[m] Einsatz für die Firma« und »achtsame[m] Umgang mit den eigenen Kräften« – im Sinne Bröcklings eine Catch--Zwickmühle, in der man Schaden erleidet und aus der man nicht entkommen kann. Generalisierend können wir in diesem Licht nun auch esoterische Praktiken betrachten als Mittel, die Arbeitsfähigkeit des Individuums zu erhalten – oder zumindest sein Funktionieren in der Gesellschaft. Bröckling spricht vor allem von Ratgeberliteratur und kulturellen Praktiken  Bröckling: Das unternehmerische Selbst, S. –.  Ebd., S. .

. Exkurs: (Selbst-)Vermessung: Esoterik als Selbstoptimierung und die Figur des »Experten«



innerhalb von Wirtschaftsunternehmen. Deren Mechanismen, ihre VerbessserungsImperative und die Ideologie der Gestaltbarkeit, lassen sich auf die moderne Esoterik abbilden, die jedoch ihre eigene Geschichte hat: Der Ursprung für die modernen ›Seelentechnologien‹ liegt in den er und er Jahren, als die Hippies »sakrale Technologien« – Drogen sowie geistige und körperliche Praktiken – für sich entdeckten. In den er Jahren war es vor allem die von Hollywood ausgehenden Buddhismus und Yoga, die dieses Genre abdeckten. Erik Davis ist der Meinung: All’ die modernen spirituellen Technologien, die heute im Angebot sind, seien gewissermaßen ein Training für das und eine Vorwegnahme des Zeitalters des zunehmend designten Menschen (Neuroimplantate, Gentechnik, Psychopharmaka usw.). Davis versteht moderne gnostische Maßnahmen daher als Pflege, Design des eigenen Bewusstseins, eines selbstbewussten und eigengeleiteten Umgangs mit dem eigenen Geist. Heute verschmelzen Esoterik, Selbstoptimierung und kalifornischer Lifestyle etwa in Produkten wie dem Bulletproof Coffee. Der sogenannte Bulletproof Coffee ist ein Rezept des »Biohackers« Dave Asprey, das er inzwischen in Form kommerzieller Produkte vertreibt. Es handelt sich dabei um eine Dareichungsform, bei der Kaffee mit Butter und Öl zusammen als kohlenhydratefreies Frühstück serviert wird. Dieses Gemisch vereint viele der im Verlauf dieser Arbeit bereits thematisierten Aspekte: Der Kaffee entstammt aus dem Umfeld des Silicon Valley, in dem Leistung und Selbstverbesserung zentrale Werte sind. Die origin story des Bulletproof Coffee vereint Legendenbildung (Asprey sei auf einer HimalayaTour mit dem Getränk vertraut gemacht worden), die mythische Semantik von Naturvölkern (zu verwenden seien Yak-Butter oder Ghee sowie Kokosöl) und (pseudo?-)wissenschaftliche Erklärungen (auf die »mittelkettigen Triglyceride« und den Verzicht auf Kohlenhydrate käme es an). Diese beiden Seiten kommen allgemein in der »Paleo-Diät«, der Ernährung nach Art der Zeit vor dem Ackerbau, zum Einsatz. Schon im Begriff des »Biohacking« zeigt sich diese Überdeterminierung als Natur und Technologie zugleich. Weiterhin typisch ist eine eingehende Kommerzialisierung – über die Website bulltproof.com werden eine Vielzahl an Kaffee-Produkten und Nahrungsergänzugsmitteln vertrieben sowie »Bulletproof Cafés« beworben. Im Werben mit erhöhter »Awareness«, »Aufmerksamkeit«, »Wachsamkeit« und »KonBulletproof Coffee

 Davis: Techgnosis, S. .  Vgl. ebd., S. .



 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

zentration« wiederholen sich jene Begriffe, die schon für L. Ron Hubbard zentral waren und derzeit für dem esoterischen Selbstoptimierungsimperativ verpflichteten Fußballtrainern gerade en vogue sind (so etwa bei Thomas Tuchel, der beständig von »Wachheit« spricht und seine Spieler Transzendentale Meditation praktizieren ließ). Dieses Beispiel zeigt noch einmal: In esoterischen, alternativmedizinischen Lehren und spirituell angehauchten Ernährungs- und Unternehmenswissenschaften greift immer der selbe Mechanismus. Das Wissen und dessen Anwendungen in Praktiken der Selbstsorge führt zu verstärkter, vermeintlicher »Selbstbestimmung der Menschen […] in Belangen der Gesundheit« im »Zuge neoliberaler Subjektkonstitution«. Wie diese Selbstsorge in der modernen Esoterik praktisch mittels technischer Messgeräte durchgeführt wird, ist Teil des folgenden Kapitels. . Stressmessung und Polygraphen Die Selbstsorge in der modernen Esoterik gründet sich auf den Abgleich mit physiologischen Messparametern. Was dort zum Einsatz kommt, soll Thema dieses Kapitels sein. Die im Folgenden behandelten Geräte wollen dabei über das Samplen von Daten über den Körper Rückschlüsse auf dessen innere, geistige Verfassung ziehen. Praktisch gehen sie so vor, dass sie dem Patienten oder Anhänger einer religiösen Bewegung bestimmte Mängel nachweisen, die er oder sie dann bekämpfen müsse. In diesem Sinne ist diese Art der Behandlung neoliberal, weil sie den Einzelnen in die Verantwortung zieht, sein eigenes Leben erfolgreich zu gestalten. Technikhistorisch gehen die hier zur Anwendungen kommenden Mittel jedoch auf eine andere Ordnung zurück, nämlich die der Disziplinierung. Die Messung der elektrodermalen Aktivität kam zuerst in kriminalistischen Zusammenhängen auf, wie zu zeigen sein wird. Das jedoch, was hier veranschlagt wird – die Existenz von »Stress«–, ist inhärent neoliberal, da der Stressbegriff von Anpassungsleistungen ausgeht. In einer weiteren, das technizitisch-neoliberale Denken verschleiernden Wendung wird Stress als Metapher für die Einflüsse der modernen, technischen Zivilisation eingeführt, die es abzuwehren gelte. Ein derartiges Arrangement aus Messgeräten und ausgegebenen Zahlenwerten zeigt zudem, wie sehr Esoterik sich im . Jahrhundert verwissenschaftlicht hat.  Rieger: Quarz, S. .

. Stressmessung und Polygraphen



All dies zusammengenommen soll zeigen, wie die technischen und epistemischen Bedingungen gegenwärtiger Esoterik nicht reaktionär, sondern zutiefst modern sind. Derzeit tritt Messung physiologischer Parameter außerhalb der Schulmedizin und dem Leistungssport nicht nur in einer sektenartigen Religion wie Scientology auf, sondern auch als Feature von Fitness-Produkten, wie Apps oder sogenannter Self-Tracker. Der derzeitige Überbegriff für solche Anwendungen ist »Quantified Self« (QS). Die Kulturwissenschaft hat sich diesem Thema bereits eingängig gewidmet. Der Zugang zum Thema findet meist über die Begriffe »Optimierung« und »neoliberale Subjektkonstitution« statt. QS wird unter Bezugnahme auf grundlegende Texte von Michel Foucault , Jürgen Link und Ulrich Bröckling als eine Technik verstanden, mit der sich Individuen selbst überwachen und mit Normen abgleichen können. Auf diese Weise reglementieren sie sich selbst und streben eine Anpassungsleistung an bestehende, selbst erkannte Anforderungen an. So machen sie sich fit für einen Verdrängungswettkampf, der aussiebt, wer sich auf dem kapitalistischen Arbeits-, Liebes- und Prestige-Markt durchsetzt. In der Moderne gelte ein »Optimierungsimpuls«, wie Duttweiler und Passoth festhalten. Vergleiche zwischen Subjekten werden möglich durch Erhebungen in Zahlenform. In der Wirtschaft, in der Medizin, statistischer Wissenschaft und im Leistungssport sind solche zahlenmäßigen Rankings schon lange Gang und Gebe. Doch auch im Bereich der persönlichen Lebensführung, etwa in Fitness, Ernährung und Spiritualität, breitet es sich aus, persönliche »Leistungen« zu quantifizieren. Solche statistischen Komparationen ziehen Subjekteffekte nach sich, so die einhellige These in der Forschung. Die Folge sei, dass sich Subjekte selbständig bestimmten Erwartungen und Regimes unterwürfen, ohne dass sie dazu disziplinarisch gezwungen (Selbst-)Vermessung

 Teile dieses Kapitels gehen auf Arbeiten von mir zurück, deren Ergebnisse in einem Artikel veröffentlicht werden: Nils Menzler: ›Freier‹ Stresstest. Von Verhören, Scientology und Alternativmedizin zu Self-Trackern. In: Aller guten Dinge sind frei? Utopie und Unbehagen in der technisierten Welt. Hrsg. v. Dennis Niewerth und Stefan Rieger. Berlin u. a.: LIT-Verlag  (im Erscheinen).  Foucault: Überwachen und Strafen und ders.: Technologien des Selbst.  Jürgen Link: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Westdeutscher Verlag: Opladen .  Bröckling: Das unternehmerische Selbst.  S. Duttweiler und J. Passoth: Self-Tracking als Optimierungsprojekt? In: Leben nach Zahlen. Self-Tracking als Optimierungsprojekt? Hrsg. v. S. Duttweiler u. a. Bielefeld: Transcript , S. – , hier S. .



 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

werden müssten: sie täten es schlicht freiwillig. Foucault zufolge stehen gar die Erfassung, Vermessung, Quantifizierung des Menschen am Anfang der Moderne. Selbstbeschreibung fand zuvor meist als narrative Praxis statt (Tagebuch, Beichte, Briefe, später Psychoanalyse). Benjamin Franklin trug beispielsweise jeden Abend in eine Tabelle ein, wie er sich über den Tag hinweg gegenüber bestimmten moralischen Anforderungen verhalten hatte. Neben diese Arten der Selbsterfassung, die auf die Kulturtechnik der Schrift basieren, treten inzwischen immer mehr Praktiken, die mit technischer Hilfe durchgeführt werden. Dabei handelt es sich um Geräte, die meist dem medizinischen Feld entstammen, wie zum Beispiel historisch früh die Personenwaage, das Fieberthermometer oder Blutdruckgeräte. Sie operieren mit von der eigenen Körpererfahrung losgelösten Maßen (etwa dem metrischen System statt am Körper orientierten Einheiten wie die Elle); medizinische Parameter wie Atem- und Pulsfrequenz ersetzen die eigene Wahrnehmung durch vermeintlich objektive Feststellungen, die zudem in grafischen Darstellungen zur Anschauung gebracht und in einer Patientenakte verbucht werden. Effekt dieser Quantifizierungen ist nicht nur eine Normierung, sondern auch der Glaube, dass der menschliche Körper und das Leben veränderund gestaltbar erscheinen. Die Gegenstände dieser Erfassung, also die Menschen, werden zu »Subjekten«, da sie, so vermessen und ›zerteilt‹, einer Regierung und Verwaltung unterworfen werden können – gegenwärtig ihrer eigenen. Wie schon angesprochen, hat das Messen einen objektivierenden, verwissenschaftlichenden Effekt. Messergebnisse gelten als ›wahrer‹ als subjektive Erfahrungsberichte: »Werden Bewußtseins- und Wahrnehmungsschwellen durch Experimentalanordnungen und ihre technischen Apparate unterlaufen, wird der Mensch scheinbar erneut wahrheitsfähig.« Dieses neue Wissen über den Menschen stellt aufgrund der vom ihm implizierten Modifizierbarkeit eine Aufforderung  Duttweiler und Passoth: Self-Tracking als Optimierungsprojekt?, S. .  Alexandra Manzei: Zur gesellschaftlichen Konstruktion medizinischen Körperwissens. Die elektronische Patientenakte als wirkmächtiges und handlungsrelevantes Steuerungsinstrument in der (Intensiv-)Medizin. In: Körperwissen. Hrsg. v. R. Keller und M. Meuser. Wiesbaden: VS , S. –.  Vgl. M. Bode und D. Kristensen: The Digital Doppelgänger within. A study on self-tracking and the quantified self movement. In: Assembling Consumption. Researching Actors, Networks and Markets. Hrsg. v. R. Canniford und D. Bajde. New York: Routledge , S. –; Minna Ruckenstein: Visualized and Interacted Life. Personal Analytics and Engagements with Data Doubles. In: Societies  (), Nr. , S. –.  Rieger: Die Individualität der Medien, S. .

. Stressmessung und Polygraphen



dazu da, eigenverantwortlich zu handeln und nach Verbesserung zu streben. Inzwischen ist dieser Mechanismus Mainstream geworden. Von der Scientology wird er schon seit den er Jahren vorgelebt. Diese esoterische Sekte ist also keine Verirrung, sondern gar eine Übersteigerung modernen Gedankenguts. Im Namen von Hubbards Schrift The Way to Happiness wiederholt sich das Ziel, was Selbstvermessung eingeschrieben ist: Das persönliche Glück, das selbst wiederum eine dezidiert moderne Erscheinung ist. Im Bereich von Körper, Psychologie und Esoterik wird Abweichung oft als gesundheitsgefährdend definiert. Gerade der »Stress-Test« der Scientology vermittelt den Probanden das Gefühl, in vielen Bereichen der Lebensführung falsch zu handeln und sich damit in Gefahr zu bringen. Eine der häufigsten Anwendungen im Rahmen von Selbstvermessung ist, wie etwa beim E-Meter, die Messung von körperlichen Stressreaktionen. Historisch begann die Stressmessung als Instrument der Kriminalistik, fand dann aber ihren Weg in das Feld der Selbstoptimierung. Gerade dieser Parameter stellt eine besonders intime Beziehung zwischen Testsubjekt und Geräte her, da er Auskunft über Gefühle und innere Zustände des Probanden geben soll, die ihm selbst nicht einmal vollständig bewusst sind. Warum gilt gerade Stress als zentraler Auskunftsgeber über einen Menschen? Das Phänomen Stress wurde als eine der zentralen Erfahrungen der Moderne beschrieben und wird als Terminus insbesondere seit den er Jahren vielfach diskutiert und in Ratgeberbüchern verhandelt. Stress gilt als Reaktion auf die Anforderungen der postindustriellen Leistungsgesellschaft; »Stressresistenz« wird immer wieder als Schlüsselqualifikation in anspruchsvollen Berufen genannt. Zwar waren auch die Menschen in den Fabriken des . Jahrhunderts erheblicher Belastung ausgesetzt, aber dies wurde eher unter den Begriffen Erschöpfung und Ermüdung diskutiert. Der Begriff Stress wurde zwar zuerst in der Materialwissenschaft verwendet, Stress

 Duttweiler und Passoth: Self-Tracking als Optimierungsprojekt?, S. .  Vgl. auch Stefanie Duttweiler: Sein Glück machen. Arbeit am Glück als neoliberale Regierungstechnologie. Konstanz: UVK .  Patrick Kury: Der überforderte Mensch. Eine Wissensgeschichte vom Stress zum Burnout. Campus: Frankfurt am Main , S. ; S. .  Wolfgang Martynkewicz: Das Zeitalter der Erschöpfung. Die Überforderung des Menschen durch die Moderne. Aufbau: Berlin .



 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

wird jedoch seit den er Jahren vornehmlich als empirisches Konzept betrachtet. Zu den in diesem Gebiet maßgeblichen Forschern zählten der Mediziner Hans Selye, der zu Stress und dem »allgemeinen Adaptationssyndrom« arbeitete und der Physiologe Walter Cannon, der schon zu Zeiten des Ersten Weltkriegs den Begriff von fight-or-flight response schuf. In Erweiterung dieses physiologischen Verständnis wird Stress jedoch auch als Metapher verwandt und kann infolgedessen für jede Art infrastrukturelles System erhoben werden, dies bereits seit den er Jahren. Folglich werden nicht nur die Anhänger der Scientology-Organisation, sondern Bahnhöfe und Flughäfen Stresstest unterzogen. Wie schon an der Differenz zu Erschöpfung / Ermüdung ersichtlich, scheint Stress kein naturgegebenes Phänomen, sondern eine diskursive Schöpfung zu sein, die als Konsequenz daraus auch performativ wirkmächtig ist. Der eben schon im Bezug auf Selbstvermessung allgemein angesprochene Glaube an die Gestaltbarkeit des Lebens wird vor allem auch durch den Stressbegriff generiert. Laut Haller et al. ist dem Begriff ein Deutungspotential zueigen, mit dem sich eine Gesellschaft der »Elastizität« denken lasse. Gesellschaft wird also so verstanden, dass sie sich selbst und ihre Bestandteile ändern lassen. »Stressmanagement wurde zu einem zentralen Dispositiv der Wettbewerbsgesellschaft, das die Konzepte der Überlastung und Ermüdung aufhob und in Selbst- und Glückstechniken verwandelte«. Eine Konsequenz von Stressmessung soll die Reduktion von Stress sein, entweder durch Beseitigung von äußeren Stressoren oder durch besseren Umgang damit, d. i. durch Adaptationsvorgänge. Die Ergebnisse von Vermessung sollen Anpassungsleistungen nach sich ziehen. Auf diese Weise sollen etwa in der Esoterik und im Self-Help-Bereich Entspannung und neue »Energien« generiert werden.  Hans Selye: A Syndrome Produced by Diverse Nocuous Agent. In: Nature  (), Nr. , S. ; ders.: The Physiology and Pathology of Exposure to Stress. A Treatise Based on the Concepts of the General-Adaptation-Syndrome and the Diseases of Adaptation. Montreal: Acta ; ders.: Stress and disease. In: Science  (), Nr. , S. –.  W. Cannon: Stresses and Strains of Homeostasis. In: American Journal of the Medical Sciences  (), S. –.  L. Haller, S. Höhler und H. Stoff: Stress. Konjunkturen eines Konzepts. In: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History  (), Nr. , S. –, hier S. .  Vgl. Cornelius Borck: Kummer und Sorgen im digitalen Zeitalter. Stress als Erfolgsprodukt der fünfziger Jahre. In: Archiv für Mediengeschichte  (), S. –.  Vgl. Haller, Höhler und Stoff: Stress, S. .  Ebd., S. .  Ebd., S. .

. Stressmessung und Polygraphen



Geräte wie das E-Meter, die Quintstation und dergleichen reduzieren diesen Stress nun nicht von alleine, sondern benennen ihn lediglich und identifizieren ihn als Bedrohung für das Individuum. In Wirklichkeit erzeugen sie ihn also überhaupt erst dadurch, dass sie ihn erheben. Gleichzeitig geben sie das Versprechen ab, seinen Nutzer vom Stress befreien zu können – wenn er denn hart an sich arbeitet. Diese Selbstermächtigung geht aber mit einer Unterwerfung unter die vermeintlich objektiven Werte der Messinstanz einher – dies ist das Paradoxon der Subjektivierung. Die physiologische Feststellung von Stress wird zumeist über die Messung der Leitfähigkeit der Haut oder des Hautwiderstands vorgenommen. Historisch entstammt diese Praxis der Kriminalistik und der Ordnung staatlichen Zwangs. Der elektrische Widerstand der Haut ist eine Entdeckung des . Jahrhunderts. Zusammen mit anderen Parametern wie Blutdruck, Puls und Atmung und im Zusammenspiel mit einem Frageprotokoll wird seine Erhebung im sogenannten Polygraphen, dem Lügendetektor, eingesetzt. Anhand des so festgestellten Stress soll auf das Lügen des Untersuchten zurückgeschlossen werden. Geschichtlich begann die Erforschung hautelektrischer Erscheinungen am Ende des . Jahrhunderts. Zu Beginn sprach man von »psychogalvanischer Hautreaktion« (englisch Galvanic skin response), heute spricht man allgemeiner von »elektrodermaler Aktivität«. Genau genommen misst man bei diesen Vorgängen das kurzzeitige Absinken des elektrischen Leitungswiderstandes der Haut infolge vermehrter Schweißbildung. Auslöser für Schweißbildung ist die Erhöhung des Symapthikotonus, und der Auslöser wiederum für diese Erhöhung ist, davon geht man aus, das Erleben von Emotionen – wie eben der Angst beim Lügen. Allerdings kann die Schweißsekretion nicht nur durch Erregung, sondern auch durch andere Faktoren angeregt werden: durch hohe Temperaturen, Stoffwechselvorgänge, Bewegung und mehr. Für den Puls gilt das Gleiche. Die Korrelation von Messwert und der Feststellung von Lüge beim Polygraphen bedarf also der Interpretation. Wolfram Boucsein stellt dazu fest, dass die Messung der elektrodermalen Aktivität der Versuch sei, psychische Reaktionen physiologisch zu objektivieren. Hautwiderstandsmessgeräte kamen zunächst in kriminalistischen, experimenStressmessung per Polygraph

 Wolfram Boucsein: Elektrodermale Aktivität. Grundlagen, Methoden und Anwendungen. Berlin und Heidelberg: Springer , S. .  Ebd., S. .

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 Esoterische Materialitäten III und esoterisches Personal I – Messgeräte und ihr Subjekt

talpsychologischen Zusammenhängen und zur Loyalitätsprüfung von Geheimdienstmitarbeitern zum Einsatz. Inzwischen werden sie auch in esoterischen und alternativmedizinischen Feldern zur Anwendung gebracht, nicht nur bei der Scientology, sondern etwa auch beim »Biofeedback«-Verfahren (wo eine Sensibilität für unbewusste körperliche Reaktionen trainiert werden soll), in der »Bioresonanz«-Therapie und in der »Elektro-Akupunktur nach Voll«. In der Scientology-Organisation kommt die Messung der elektrodermalen Aktivität beim sogenannten Auditing mit dem E-Meter zum Einsatz (siehe Kapitel .). Dieses Auditing-Verfahren bietet die Sekte an Werbeständen in Fußgängzonen als »freien Stress-Test« an. Interessierte können sich dabei testen lassen, ob sie ›gestresst‹ sind – mit dem absehbaren Ergebnis, dass sie natürlich sehr unter Stress stehen und dringend etwas an ihrem Leben ändern müssten (am besten in Form eines Betritts bei der Scientology und dem Buchen weitere Auditings). Es entbehrt nicht einer unfreiwilligen Komik, dass das englische »free« (im Sinne von »kostenlos«) ungelenk mit »frei« übersetzt wird, womit das Thema »Freiheit« aufgerufen ist. Die Freiheit, die die Scientology ihren Mitgliedern verspricht, sei durch das Überqueren der Bridge to Total Freedom zu erlangen, wie der Weg durch die verschiedenen Bewusstseinsstufen in der Scientology-Organisation genannt wird. Ironischerweise könnte man das E-Meter jedoch als Agenten der Gefangennahme interpretieren: So unterwirft er einen Probanden ja den Messtechniken, den Normen, drängt zur Selbstoptimierung und dem Aufwenden von Unsummen, um die teuren Scientology-Kurse zu bezahlen. Die eben erwähnten Verfahren der Messung und Erhebung von physiologischen Daten über den Menschen folgen dem Gedanken, dass der Mensch sich aufgrund dieser Datengrundlage herausgefordert fühlen sollte, seine Lebensführung zu optimieren. Er wird sich selbst klar machen, dass es zu seinem besten sei. In diesem Aspekt unterscheiden sich die Messungen im Esoterik- und Self-Help-Bereich von den polizeilichen Lügendetektoren, denen die Qualitäten staatlicher Gewalt und Disziplinierung von Außen innewohnen. Auditing

 Zur Geschichte des Lügendetektors siehe: Ken Alder: The Lie Detectors. The History of an American Obsession. New York: Free Press .  Etwa: Gerhard Rummel: Bioresonanz. Therapie mit Zukunft. Elztal: Laub .  Friedrich-J. Begher: Elektroakupunktur nach Voll und Allergie. Uelzen: Medizinisch Literarische Verlagsgesellschaft .

. Stressmessung und Polygraphen



Detektoren, wie sie in esoterischen Zusammenhängen etwa bei der Scientology, bei der Bioresonanz oder in Form der Quintstation zum Einsatz kommen, ermöglichen es, Daten über die Körper von Anhängern und Patienten aufzuzeichnen und zu verwalten. Dieses Wissen dient dazu, den Nutzern zu vermitteln, sie mögen ihre Verhaltensweisen verbessern. Esoterische Lehren versprechen daraufhin Gesundheit, Erfolg und Erfüllung. Die vorliegenden soziologischen und kulturwissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema schlagen meist einen kapitalismuskritischen Ton an (siehe etwa den Exkurs zu Bröckling). Datenbasierte Selbstoptimierung hätte nämliche den Subjekteffekt, das Leben als in hohem Maß gestaltbar erscheinen zu lassen – durch Sport, Ernährungsgewohnheiten, Schlafrhythmen oder die Verhaltenspraktiken der Scientology (Saunagänge, Vitamin-B-Kuren, Teilnahme an Auditing-Kursen). Daneben wird eine enorme Technikgläubigkeit forciert. Nicht nur an der Tatsache der Datenerhebung selbst, sondern auch an der Geschichte der zum Einsatz kommenden Geräte lässt sich jedoch eine Geschichte der Unterwerfung nachzeichnen: Wenn nämlich jene Techniken normalisiert werden, die eigentlich dem Verhör entspringen. Messgeräte, die in Alternativmedizin und bei Esoterik-Gruppierungen zum Einsatz kommen, wirken so als Ausdruck kapitalistischer Machbarkeitslogik und Kontingenzfeindlichkeit. Sie erscheinen als Überantwortung der »Verwaltung« des Menschen an die externe, objektive Instanz einer (Pseudo-)Wissenschaft, und damit als Verlust von Freiheit und Autonomie. Das Subjekt, was sich gegenüber allen diesen Anforderungen verhält, ließe sich mit Ulrich Bröcklings Worten als ein »unternehmerisches« lesen.

 Rieger: Die Individualität der Medien, S. .

 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen Keine Lehre, kein Gerät, das ohne seinen Guru auskäme. Viele der Lehren, die in dieser Arbeit besprochen wurden, waren über ihren Lehrmeister definiert: Figuren wie L. Ron Hubbard, Masaru Emoto oder Christopher Langan. Schon Faivre hatte die Übertragung von Wissen von Lehrer zu Schüler zu einem der Kriterien für Esoterik erklärt. Gurus bilden eine zentrale Überzeugungsstrategie moderner Esoterik. Sie dienen als Gatekeeper esoterischen Wissens und von Erfahrungsmöglichkeiten der Ganzheitlichkeit. Außerdem sind sie die ersten Bediener esoterisch-technischer Geräte. Sie geben das Versprechen ab, den Anhängern und Kunden Heilung, Gnosis und die Teilhabe am Weltganzen zugänglich zu machen. Der Prophet ist derjenige, der als Medium zum ›Höheren‹ fungiert. Welche zentrale Rolle er spielt und wie er sich auszeichnet, will das folgende Kapitel untersuchen. Vor allem soll die Frage gestellt werden, wie er in Denksystemen der ›Ganzheitlichkeit‹ den Zugang zu eben diesem regelt. . Religionsgeschichtlicher Überblick Ein religionswissenschaftliches Nachschlagewerk klärt uns über maßgebliche Charakteristika eines Propheten auf. So schreibt Gustav Mensching, die Tätigkeiten des Propheten seien Verkünden und Vorhersagen. Im Unterschied zu einem Priester wirkte der Prophet nicht kraft seines Amtes, sondern aufgrund seines herausgehobenen Verhältnisses zur jeweiligen Gottheit. Der oft nicht-legitimierte Prophet mit seiner auf Umsturz abzielenden Verkündigungsgeste verkörpert einen Gegensatz zur Statik des beamteten Priestertums. Damit ist bereits auf den Aspekt angespielt, dass esoterische Führungspersönlichkeiten oft ihren eigenen, institutionell verpönten Sekten vorstehen und sich selbst ihre Position gegeben haben. Die Beziehung zur Gottheit ist eine individuelle Eigenschaft des Propheten, die nach Auskunft des Propheten durch die Gottheit gestiftet ist. Das von einem Propheten geschaffene Narrativ sieht dabei gewöhnlich vor, dass die Instituierung der besonderen GottMensch-Beziehung ohne Wissen, ohne Zutun und manchmal gar gegen den Willen  Gustav Mensching: Propheten. . Religionsgeschichtlich. . Die Gestalt des Propheten, . Erscheinungsformen. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Hrsg. v. Kurt Galling. ., völlig neu bearb. Aufl. Bd. . Tübingen: J. C. B. Mohr , Sp. –, hier Sp. .

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Menzler, Techno-Esoterik in der säkularisierten Moderne, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27303-3_6



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

des Propheten selbst geschieht. Der Prophet wird berufen. Charakteristisch ist, dass deswegen das, was ein Prophet verkündet, einen Absolutheitsanspruch geltend macht und in scharfer Konkurrenz mit etablierten Glaubenssätzen und Autoritäten steht – der Prophet artikuliert ein beständiges Dagegen. Die Figur des Propheten und ihre Verkündungen sind dabei mit dem Index der Endgültigkeit versehen; nach ihr kann konsequenterweise keine andere mehr kommen. Nach dem Ableben eines Propheten kommt es oft zu Machtkämpfen, und, wenn seine Organisation groß genug war, zu einer institutionalisierten Verwaltung seines Erbes, die ihn gewissermaßen am Leben halten soll. (Dies wird etwa in der Scientology-Organisation so praktiziert, die ihrem verstorbenen Gründer L. Ron Hubbard in jeder Niederlassung ein bezugsfertig eingerichtetes Büro vorhalten.) Ohne dies droht ein Ende des Kultes. So sind etwa auch die Legenden zu erklären, nach denen Religionsgründer nicht gewöhnlich sterben, sondern in einen ›höheren Seinszustand‹ übertreten – wie etwa von Hubbard und Osho berichtet wurde. Die Kommunikation zwischen Gott und Prophet erfolgt oft auf exklusive Weise in Form von Ritualen, ekstatischen Praktiken usw. Dabei kann das prophetische Ich durch das göttliche ersetzt werden (Besessenheit); der Prophet kann dann als direktes Sprachrohr der Gottheit dienen. Die Wahrhaftigkeit dessen, was der Prophet verkündet, wird oft durch von ihm ausgeübte Wundertaten beglaubigt. Dabei ist der Prophet kein reiner Seher, der nur Einzelereignisse vorhersagt, sondern vertritt eine religiöse Gesamtschau. Oft predigt der Prophet ein Zurück zum Urzustand, der in den bestehenden Institutionen abhanden gekommen sei. In diesem gleiche er, so stellt Mensching fest, dem »Reformator«, der aber meist nicht behauptete, göttlich inspiriert zu sein. Die berühmtesten Beispiele für Propheten stellen die Propheten des Alten Testaments sowie Mohammed und Buddha dar, deren Wirken schließlich zur Formung von Weltreligionen geführt hat. Das Wort Guru wird oft umgangssprachlich für Führer sektenartiger Organisationen und Neuer Religiöser Bewegungen gebraucht. Ursprünglich aus dem indischen Kontext (Sanskrit für »Ehrwürdiger«), bezeichnet es dort einen geistlichen Lehrmeister; im Speziellen die Brahmanen und auch die geistlichen Führer im Sikhismus, die als Vermittler zwischen Gott und Menschen auftreten oder von ih   

Vgl. Mensching: Propheten, Sp. . Ebd., Sp. . Vgl. ebd. Constantin Regamey: Guru. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Hrsg. v. Josef Höfer und Karl

. Religionsgeschichtlicher Überblick



ren Jüngern gar als Repräsentant Gottes angesehen werden. Laut dem Theologen Reinhart Hummel gehören »paranormale Fähigkeiten« zu den Qualifikationen einen Gurus. Dem Guru wird oft eine besondere Verehrung zuteil. Die findet sich gerade in den zeitgenössischen Ausprägungen von New-Age-Bewegungen wieder. Solche »Gurubewegungen«, die »Wege zu Entspannung, Erfolg, Selbstverwirklichung u./od. Befreiung« lehren, kamen seit dem Ende des . Jahrhunderts im Westen auf. Damit vereinen die meisten der im Folgenden besprochenen Figuren sowohl prophetische als auch Eigenschaften eines Gurus. Klotz bemerkt, dass Guru-Posen in der esoterischen Szene ausgeprägt sind. Die Referenten und Vertreter esoterischer Lehren und Produkte träten oft als ›Auserwählte‹ auf, deren Sprechen mit höherer Autorität gesegnet sei. Sie legitimierten sich etwa über eine besondere Verbindung zum ›höheren‹ Wissen oder über die Etablierung einer gegenüber anderen Anwesenden erhöhten Sprechposition. Im Rahmen ihrer Feldforschung zu »Quanten-Esoterik« stellt Klotz dazu fest: »Im esoterischen Bereich wird viel mit strengen Hierarchien gearbeitet. Oft wird eine höhere Sprecherposition dadurch markiert, daß eine Assistenzperson anwesend ist, der ab und zu ein Verweis erteilt wird.« Auch berichtet die Autorin davon, wie sich eine esoterische Referentin bei einem Vortrag zum Thema »Quantenesoterik« zu legitimieren suchte, indem sie sich als persönlich Delegierte der »Wissenschaft« gerierte mit der Aussage: »Mein Partner ist Physiker.« Diese Art der esoterischen Gurus, die sich bei allen Spielarten finden lässt, in der Wasser-Esoterik oder bei der Elektrosmog-Angst, hat ihre Vorbilder in der reichen Geschichte herausragender Figuren dieser Szene.

Rahner. ., völlig neu bearb. Aufl. Bd. . Freiburg im Breisgau: Herder , Sp. .  Reinhart Hummel: Guru. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Hrsg. v. Walter Kasper. ., völlig neu bearb. Aufl. Bd. . Freiburg im Breisgau: Herder , Sp. .  Ebd.  Reinhart Hummel: Gurubewegungen. In: Lexikon für Theologie und Kirche, Sp. –, hier Sp. .  Klotz: Quantenphysik und Esoterik, S. .  Ebd., S. .



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

. Propheten neuerer Bewegungen Wenden wir uns also einigen der wirkmächtigen prophetischen Gestalten der zeitgenössischen Esoterik zu. Oft gehört es für einen Gründer oder eine Gründerin einer esoterischen Lehre dazu, die eigene Auserwähltheit durch eine besondere, inspirierte Lebensgeschichte zu unterstreichen. L. Ron Hubbard, der Gründer der Scientology-»Kirche«, hat sich eine extravagante Biographie geschrieben. Seine Kindheitserfahrungen als Sohn eines weitgereisten Marinesoldaten und als Enkel eines landwirtschaftlich tätigen Großvaters verarbeitete Hubbard zu einer Autobiographie, die großartige Reise-, Entdecker- und »Cowboy«-Erlebnisse umfasst. Hubbards Lebensgeschichte wird in den Publikationen der Sekte in hagiographischem Stil dargestellt. Es wird eine Reihe von Wundertaten aus dem Kindheitsalter aufgezählt. So soll er als kleines Kind auf einem Pferd zu reiten vermocht haben, und er konnte angeblich bereits im Alter von vier Jahren lesen und schreiben. Auf der großväterlichen Ranch soll er Koyoten gejagt und sich erste Sporen als »Entdecker« verdient haben. Mit sechs Jahren soll er die Blutsbrüderschaft mit den Indianern des »Blackfeet«-Stammes geschlossen haben. Hubbard behauptete, im Alter von  Jahren der jüngste »Eagle Scout« der amerikanischen »Boy Scouts« geworden zu sein. Solche Erzählungen ähneln dem mittelalterlichen Literaturgenre der Legende (und sind auch in politischen Führerkulten, etwa gegenwärtig in Nordkorea, präsent). Das Thema, welches im Falle Hubbards variiert wird, ist das des Wunderkinds und frühreifen Overachievers, was sich auch in der Präsentation seines Erwachsenenlebens wiederfindet. Laut den Scientology-eigenen Publikationen war Hubbard ein vielseitig begabter Mensch. Mehreren seiner angeblichen Betätigungsfelder werden sogar einzelne Ausgaben einer biographischen Magazinreihe gewidmet. Diese sogenannte »Ron-Serie« im hauseigenen New-Era-Verlag handelt jeweils von »Ron« in einer spezifischen Rolle, dem »Schriftsteller«, »Philosoph[en]«, »Auditor«, »Kapitän«, »Künstler«, »Filmemacher«, »Pädagoge[n]«, »Menschenfreund«, »Musiker«, »Photograph[en]«, »Flieger«, »Forscher«, »ManaL. Ron Hubbard

 Vgl. Gerald Willms: Die wunderbare Welt der Sekten. Von Paulus bis Scientology. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht , S. . Esoterikgeschichtlich sei noch darauf verwiesen, dass L. Ron Hubbard – wie etwa auch Rudolf Steiner – Mitglied im Ordo Templi Orientis war. Eberlein: Einleitung, S. 

. Propheten neuerer Bewegungen



ger« und »Gartenbauexperte[n]«. Hubbards Lebensleistung, die angepriesen wird, um damit Werbung für die Scientology-Organisation zu machen, wird vor allem in Zahlen bemessen: » Schriften« und » Tonbandaufzeichnungen« sollen es sein, die der Religionsgründer hinterlassen habe. Mehr als »drei Millionen Kinder« sollen dank Hubbards Wirken das Lesen und Schreiben erlernt haben. Im Millionenbereich bewegen sich die meisten der Daten, die bezeugen sollen, wie großartig der Scientology-Führer war. Es geht um angebliche Verkaufszahlen seiner Science-Fiction-Literatur oder um die Reichweite moralischer Kodizes oder gar »Entdeckungen auf dem Gebiet der Verwaltung«, die das Leben der »Fabrikarbeiter in Albanien« erleichtert haben sollen. Stets wird auf eine weltweite Dissemination angespielt. Albanien, China, Südafrika, rund um den Globus mache sich der Einfluss Hubbards geltend. Preisungen von Seiten Dritter bleiben wie üblich ohne Quellenangabe. (So sei Hubbard mit »einigen der angesehensten Literaturpreisen der Welt ausgezeichnet« und als »einer der produktivsten und einflußreichsten Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts« bezeichnet worden. ) Seine herausragenden Fähigkeiten erstreckten sich über körperliche und geistige Bereiche. So sei er als Kunstflieger unter dem Namen »Flash« in Erscheinung getreten und er habe die »erste mineralogische Vermessung Puerto Ricos« durchgeführt, um nur zwei dieser zahlreichen Anekdoten anzuzitieren. Zentral ist für die scientologische Darstellung ihres Gründers nicht nur die zahlenmäßige Taxierung seiner Leistungen und der Exzess an Untermauerungen, sondern auch eine ästhetisierte visuelle Präsentation. Mannigfaltig sind die beigegebenen Photographien, die einen recht gewöhnlich, fast bieder aussehenden mittelalten Herrn in epochentypischer Kleidung der Mitte des vergangenen Jahrhunderts zeigen, unter freiem Himmel mit Hut und Mantel. Vor diesem konservativen Setting eines noch ruralen und spießigen Amerikas der er Jahre werden als Merkmale einer »moralischen Krise« Erscheinungen wie mangelnde Sauberkeit der Städte, Drogenkonsum und instabile Ehen benannt. Das Scientology-Anti-Drogen-Programm, mit dem die Organisation suchtkranke Menschen und deren Angehörige locken möchte, wird unmittelbar auf die ›naturwissenschaftlichen‹ Erkenntnisse von L. Ron Hubbard selbst zurückgeführt.  Siehe Übersicht in L. Ron Hubbard – ein Portrait. Von den Freunden Rons zusammengestellt. Neu Wulmstorf: New Era , S. .  Ebd., S. .  Ebd., S. .  Ebd., S. .



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

So wird ihm die bekannte LSD-Flashback-Theorie zugeschrieben , derzufolge nach mehrmaliger Einnahme der Substanz Trips später auch ohne Zuführen der Droge auftreten können, da sich minimale Rückstände des LSDs im menschlichen Fettgewebe ablagern sollen (realwissenschaftlich gilt die Fettablagerungstheorie als überholt). Ein weiteres Verfahren der Glorifizierung bildet die Ausstellung von Ehrenabzeichen, Urkunden und Gedenktafeln, die die großartigen Leistungen Hubbards bescheinigen sollen. So enthält das »Portrait«-Heft zum Beispiel Fotos von etlichen Stadtschlüsseln von Gemeinden in Amerika, die Hubbard überreicht worden sein sollen. Die Wissensgebiete, auf denen Hubbard Herausragendes geleistet haben soll, sind gerade die, auf denen eine Organisation wie die Scientology sich wohl anfällige potentielle Neukunden verspricht. Neben den Therapieangeboten für Suchtpatienten betrifft dies auch die Schülernachhilfe. Hubbard wird als hervorragender Innovator auf dem Feld der Pädagogik und Didaktik präsentiert und unter anderem als Autor von Büchern mit den Titeln »Learning How to Learn« und »How to Use a Dictionary – Picture Book for Children« und als Verfasser von Grammatiklehrbüchern ausgewiesen. Der Religionswissenschaftler Gerald Willms bewertet Hubbards Selbststilisierung als »größte[r] Entdecker und Abenteurer aller Zeiten« und »wissenschaftliches Allround-Genie« im Kontext von anderen Religionsstiftern als vergleichsweise »kindlich bescheiden«. Denn typisch für Propheten des Esoterischen und des New Age ist es, ›aufs Ganze‹ zu gehen und sich als singulär von einer Gottheit auserwählt zu gerieren. Hubbard beansprucht ›lediglich‹, über ein herausgehobenes wissenschaftliches Wissen und besondere Lebenserfahrung zu verfügen. Dies reicht aber, um ihn als Statthalter einer Gnosis, einer höheren Erkenntnis zu qualifizieren. Ein Guru, der dadurch in die Geschichte einging, dass er  Menschen dazu brachte, sich umzubringen, war der  geborene ehemalige Musikdozent Marshall Applewhite. Am . März  fand man die inklusive Applewhite  Opfer eines Massenselbstmords in einem Haus in der Marshall Applewhite, Heaven’s Gate

 L. Ron Hubbard – ein Portrait, S. .  Ebd., S. .  Willms: Die wunderbare Welt der Sekten, S. .

. Propheten neuerer Bewegungen



Nähe von San Diego, Kalifornien. Man rekonstruierte, dass die Anhänger von Applewhites »Heaven’s Gate« genannter Sekte davon ausgegangen waren, durch ihren Suizid ihre physische Hülle verlassen und anschließend von einem UFO mitgenommen werden zu können, das sich hinter dem die Erde passierenden Kometen Hale-Bopp hatte verbergen sollen. Zuerst bekannt wurde die Gruppierung in den er Jahren, damals noch unter der gemeinsamen Führung von Marshall Applewhite und Bonnie Nettles, die  an den Folgen einer Krebserkrankung starb. Die beiden entwickelten eine Lehre, die vor allem umfasste, dass Applewhite und Nettles auserwählt seien, Prophezeiungen der Bibel auszuführen. Sie mischten dabei Versatzstücke aus Religion, Esoterik und Science-Fiction.  kündigten sie per Aushang eine Veranstaltung an, auf der sie erklären wollten, zwei menschliche Wesen einer höheren Existenzform zu verkörpern, die drauf und dran seien, mittels eines UFOs wieder auf ihre höhere Seinsstufe befördert zu werden. Sie suchten Anhänger, die dieses Unternehmen mitmachen wollten und versprachen, dezidiert keine »religiöse« oder »philosophische« Organisation zu sein: Die von ihnen behauptete transzendentale Ebene sei »physisch« existent. Mit ihren Science-Fiction-Anleihen und spirituellen Umdeutungen von UFOs entsprachen Applewhite und Nettles, wie Chryssides bemerkt, dem Zeitgeist.  war das Buch Erinnerungen an die Zukunft von Erich von Däniken erschienen, das die sogenannte Präastronautik bekannt machte, die Ansicht, dass Außerirdische in prähistorischer Zeit die Erde besucht hätten und die Geschichte der Menschheit von dort aus beeinflusst hätten. (Siehe dazu weiter unten den Abschnitt zu Raël.) Fast zeitgleich, , fand die erste Mondlandung statt, und im Folgenden wurde Science-Fiction zum endgültigen Mainstream-Phänomen, was HollywoodBlockbuster wie E.T. – der Außerirdische bezeugen. Die Heaven’s-Gate-Vereinigung wird gemeinhin als »cybersect« verstanden,  James R. Lewis: Legitimating New Religions. New Brunswick: Rutgers University Press , S. .  »Two individuals say they were sent from the level above human, and are about to leave the human level and literally (physically) return to that next evolutionary level in a spacecraft (UFO) within months!« Zit. n. George D. Chryssides: Exploring New Religions. London: Continuum , S. .  Ebd., S. ; Übersetzung N.M.  Vgl. ebd., S. .  Paul Virilio: The Information Bomb. Übers. v. Chris Turner. London und New York: Verso ,



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

da sie nicht nur von der Idee eines zukünftigen, hypertechnologischen Zeitalters bewegt ist, sondern selbst auch die damals neuesten technologischen Kommunikationswege für sich nutzte. Applewhite kommunizierte via Videobotschaften auf VHS und schon per Internet. In den ern arbeiteten viele der Mitglieder in der Basis der Sekte an Computerarbeitsplätzen und an der Website. Die Website der Gruppe ist noch heute erhalten und dokumentiert Äußerungen Applewhites. In der Ikonographie und Symbolik von Heaven’s Gate tauchten popkulturelle Artefakte wie die Science-Fiction-Serie Star Trek auf. Zur Beschaffenheit von Applewhites und Nettles’ Glauben stellt Chryssides fest, dass sie hauptsächlich Ufologie und Christentum fusionierten; Ostasiatisches (das sonst in der zeitgenössischen Esoterik so populär ist) spielte keine große Rolle (jedenfalls nicht thematisch – implizit spielt die ostasiatische Weltsicht dennoch einen wichtigen Part im Hinblick auf die Fokussierung auf Ganzheitlichkeit und im Hinblick auf das Ideal des Verschwindens – bei Heaven’s Gate im Suizid). Ihr esoterisches Erbe bringt Lewis in Verbindung mit Helena Blavatsky und C.G. Jung ; ihre Rede vom »Next Level Evolutionary Kingdom Above Human« ließ sie einige Autoren, so berichtet Chryssides, als »gnostisch« klassifizieren. Die religiöse Vereinigung Heaven’s Gate vereint viele Tendenzen des New Age in zugespitzter Form in sich. Sie legte großen Wert auf Askese, Reinheit und Ordnung. Einige der männlichen Anhänger ließen sich sogar kastrieren, um den zölibatären Forderungen Genüge zu leisten. Im zentralen Gebäude der Sekte waren fast alle Gegenstände beschriftet und damit rationalisiert. Gefordert wurde von den Anhängern unter anderem: Verzicht auf materielle Besitztümer, die Verneinung menschlicher Emotionen und der Abbruch aller sozialen Beziehungen außerhalb der Gruppe , was für religiöse Orden dieser Façon durchaus nicht ungewöhnlich ist. Davis fällt daneben die gewollte Körperlosigkeit der Heaven’s-Gate-Gruppe auf. Im Unterschied zum ›bescheidenen‹ Hubbard (Willms) verstanden Applewhite und Nettles sich als Wiedergänger von Jesus Christus und Gott dem Vater; und

    

S. . Einzusehen unter www.heavensgate.com. Lewis: Legitimating New Religions, S. . Chryssides: Exploring New Religions, S. . Lewis: Legitimating New Religions, S. . Davis: Techgnosis, S. .

. Propheten neuerer Bewegungen



ließen sich unter anderem mit den einsilbigen Phantasienamen »Do« und »Ti« sowie »Bo« und »Peep« adressieren. Bo und Peep sollten möglicherweise auf ihre Rolle als Hirten einer Herde anspielen (»Little Bo-Peep has lost her sheep« ist ein Kinderlied), Ti und Do auf die DoReMi-Tonskala, die im Musikunterricht Anwendung findet. Durch diese basalen, möglicherweise an technische Signalübertragung erinnernden onomatopoetischen Namen evozieren die Sekten-Anführer eine kosmische und hypertechnische Dimension. Zentrale Werte der Heaven’s-Gate-Gruppe waren, so stellt Lewis heraus, »oneness«, »holis[m]«, »wholeness«, »community« – typisch für das sich an Theosophie und asiatischer Philosophie orientierende New-Age-Denken. Neben Verbundenheit sei es auch um Transformation gegangen (siehe Antoine Faivre), was sich in den für Heaven’s Gate wichtigen Begriffen wie »evolution«, »process«, »growth« ausdrücke. »Education« (Bildung) und »growth« (Wachsen der Persönlichkeit) seien dabei miteinander verwandt. Interessant ist bei Heaven’s Gate nicht nur die Obsession mit Sauberkeit, Reinheit, Mäßigung und Askese, sondern auch die Orientierung an edukativen Systemen (Lernen, Tests, verschiedene Klassen, in denen die Mitglieder eingeschrieben waren usw.), die zwar biographisch aus der früheren Tätigkeit Applewhites als Musikdozent erklärt werden kann, aber auch allgemein typisch für das Selbstoptimierungsdispositiv ist. Man denke nur an das Trendwort vom ›lebenslangen Lernen‹. Eine generationelle Erklärung Lewis’, warum Bildung für die Heaven’sGate-Anhänger so wichtig war, ist, dass sich die Anhänger zum großen Teil aus den Babyboomern rekrutierten, die in einem Denken aufgewachsen sind, das Bildung eine große Wichtigkeit zuweist. Zugleich stünden die Babyboomer aber, so Lewis, unter dem Eindruck der Studentenrevolution, was sie kritisch gegenüber festgefahrenen Strukturen im Bildungssystem machte und ihre eigenen Wege der Wissensgewinnung suchen ließ. Lewis bietet die Lesart an, den Selbstmord der Heaven’s-Gate-Mitglieder im Kontext des tibetanischen Buddhismus zu sehen, in dem das bewusste Sterben eine Form der Befreiung und Erleuchtung sei – eine Befreiung von den Zwängen des     

Lewis: Legitimating New Religions, S. . Ebd. Ebd., S. . Ebd., S. . Ebd., S. .



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

irdischen Lebens. Dem jedenfalls folgte die sekteninterne Argumentation. Eine Erklärung von außen ist eher die, dass der wähnende Tod des Gründers wahrscheinlich eben auch zu einem Ende der ganzen Vereinigung geführt hätte. Applewhite hätte deswegen zumindest unbewusst die Strategie des Massensuizids verfolgt, um eine mögliche Zerstörung seines Erbes zu verhindern. (Die Organisation war zu klein, um eine Institution zu gründen, die das Charisma des Führers nach seinem Tod hätte konservieren können.) In dieser Sache allein zeigt sich die enorme Machtfülle eines Gurus. Die zentrale Frage, die sich fast jeder Beschäftigung mit Heaven’s Gate gestellt hat, ist, wie ein Guru eine Gruppe in den Selbstmord treiben kann. Diese anscheinend monströse Fähigkeit hat Propheten und Gurus oft in die Nähe von Wahnsinn, psychologischen Dispositionen usw. gerückt. Der Grund für ihre Macht liegt aber wohl eher in strukturellen Beschaffenheiten. Lewis bemerkt, dass Propheten wie Applewhite sich nicht nur auf ihr persönliches Charisma verlassen müssen, um ihre Gefolgsleute von ihren Außenstehenden möglicherweise absurd erscheinenden Ideen – wie hier dem Massenselbstmord – zu überzeugen. Vielmehr beriefen sie sich auf bestehendes religiöses und New-Age-Wissen, das sie einbinden und erweiterten. Sie bauen dabei auf bei den Anhängern schon bestehendes Wissen auf. Lewis spielt gar auf die uncharismatische Erscheinung Applewhites an (»And how could a ›prophet‹ who looked like Mickey Mouse and sounded like Mr. Rogers lead a group of over three dozen people to their deaths?« ). Entscheidend für unsere Fragestellung bleibt also vielmehr, mit welchem Wissen und mit welchen Anschlüssen ein Prophet den Zugang zu höherem Wissen, erfüllter Existenz und der Welt der Zukunft zu ermöglichen verspricht. Raël Eine esoterische Figur, die in besonderer Weise die Entwicklung moderner Technologien begrüßt und zum Teil für sich reklamiert, ist das Oberhaupt der »Raëlianer«, der Franzose Claude Vorilhon, genannt Raël. Die Raëlianer stellen eine Neue Religiöse Bewegung dar, die sagt, dass ihr Hauptziel das Klonen von Menschen sei. Damit wollen sie das ewige Leben erreichen: Ein immer wieder geklonter und neu geborener Mensch, der auf diese Weise niemals sterben würde. Bewusstsein und Gedächtnis würden dabei mittels Computertechnologie konserviert und zwischen den verschiedenen Klon-Körpern übertragen werden.  Lewis: Legitimating New Religions, S. .  Ebd., S. .

. Propheten neuerer Bewegungen



Die Gruppierung will dabei mit Fakten überzeugen:  behauptete die Raëlianer-Firma Cloneaid, den ersten Menschen geklont zu haben – nur fünf Jahre nach dem Klonschaf Dolly. Dies rief ein großes – freilich ungläubiges und negatives – Medienecho hervor. Dieser erste Mensch soll, ganz biblisch, »Eve« geheißen haben. Die Raëlianer vertreten daneben die Ansicht, die Menschheit sei einst von Außerirdischen erschaffen worden, die zu einem gewissen Zeitpunkt in der Zukunft die Erde wieder besuchen würden. Diese extraterrestrischen Wesen seien darüber hinaus sehr bewandert in ebenjener Gentechnologie, der Raël nacheifert. Der menschliche Körper sei von den Elohim genetisch reproduzierbar, mit intaktem Gedächtnis und unter Beibehaltung der Persönlichkeit. Raëls zentrale Botschaften und seine Autobiographie sind in einem Band zugänglich gemacht, der drei frühere Schriften kompiliert. Es handelt sich dabei um den Band Intelligent Design. Message from the Designers  , der folgende frühere Bücher enthält: Le Livre Qui Dit La Vérité (Das Buch, das die Wahrheit sagt) aus dem Jahr , Les Extra-Terrestres M’ont Emmene Sur Leur Planete (Die Außerirdischen haben mich auf ihren Planeten mitgenommen) und Accueillir les Extra-Terrestres (Lasst uns die Außerirdischen willkommen heißen). In diesen (im Stil der monotheistischen Schriftreligionen) als »Buch –« bezeichneten Texten legt Raël dar, wie er Kontakt mit extraterrestrischen menschenähnlichen Wesen gehabt haben will, die ihn beauftragt hätten, den Weg des Klonens einzuleiten und einen baldigen Empfang der Außerirdischen vorzubereiten. Raël vertritt dabei, wie schon Applewhite und Nettles, die Ansicht, dass er keine übernatürlichen Phänomene behaupte, sondern dass die Existenz seiner Außerirdischen physikalische Realität und naturwissenschaftliche Wahrheit sei. Es gebe in seiner Lehre keinen mystischen Bestandteil, wobei sie natürlich auf verschiedenste Motive aus der menschlichen Religionsgeschichte zurückgreift. Ein Alleinstellungsmerkmal des Raëlismus ist, dass er nicht, wie viele andere Neue Religiöse Bewegungen, Askese predigt, sondern ganz gegensätzlich Sinnlichkeit und Sexualität propagiert. Religiöse Praktiken der Raëlianer umfassen  Dorothea Hahn: Eve soll erstes Klonbaby sein. In: Die Tageszeitung (Online-Ausgabe), . Dez. . : http://www.taz.de/1/archiv/?id=archivseite&dig=2002/12/28/a0085 (besucht am . . ).  Raël: Intelligent Design. Message from the Designers. O. O.: Nova Distribution .  Man findet Propagierung von Sexualität jedoch durchaus in religiösen Kulten, etwa bei Aleister



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

sinnliche Meditationen, die das Individuum sein volles Potential entfalten lassen sollen; hierbei handelt es sich um einschlägige Optimierungs-Rhetorik. Mittels der Meditationen sollen das Wissenschaftliche und das Spirituelle vermengt werden. Diese Gemengelage aus Heilsversprechen, technischen Lösungen, Überwindung des bekannten Menschen und Propagierung von freier Liebe ist es wohl, was die Anziehungskraft des Raëlismus auf den französischen Schriftsteller Michel Houellebecq ausgemacht hat, der Raël und die Raëlianer in seinem Roman Die Möglichkeit einer Insel literarisch verewigt hat. Im Werk des französischen Zeitdiagnostikers firmieren die Raëlianer als zugespitzte Ausprägung alles dessen, was modern ist. Im ersten Buch Raëls, dem Buch, das die Wahrheit sagt, erzählt Raël von seinem ersten Kontakt mit den Gästen aus dem All. Die Eingangsszene könnte einem klischeehaften Hollywoodfilm entstammen. Bei einer Exkursion in die Landschaft trifft Raël völlig unerwartet auf ein UFO, dem ein kleinwüchsiger, ansonsten menschengleicher Mann entsteigt. Dieser Besucher erklärt, er habe ihn, Vorilhon, per Telepathie an diesen abgelegenen Ort gebeten. Er gibt sich als »Elohim« zu erkennen, was bekanntlich eine Gottesbezeichnung aus dem Alten Testament darstellt. Der Außerirdische beginnt dann, Vorilhon eine Neuübersetzung und NeuInterpretation des . Buch Mose zu präsentieren, die dann besagt, Außerirdische seien für die Schöpfung verantwortlich. Eben Außerirdische jener Gattung, die vor Raël steht – und die alttestamentarische Gottesbezeichnung »Elohim« ist ja in der Tat ein Plural. Mehrere Tage lang unterrichtet der außerirdische Besucher Vorilhon in Bibelexegese und arbeitet dabei das Alte wie das Neue Testament ab. Wie weiter oben erwähnt, wurde erst einige Jahre vorher die Präastronautik-Theorie durch Erich von Däniken popularisiert (deren Pioniere schon in den Jahrzehnten zuvor unter anderem die Franzosen Robert Charroux, Louis Pauwels und Jacques Bergier waren). Auch von Däniken hatte Passagen aus der Bibel als direkte ZeuCrowley oder Osho.  Vgl. Anthony Grey: Foreword. In: Raël: Intelligent Design, S. xi–xxiii, hier S. xxii.  In Houellebecqs Roman treten die Raëlianer in leichter Verfremdung unter dem Namen »Elohim« auf.  Raël: Intelligent Design, S. .  Dessen Erstlingswerk: Erich von Däniken: Erinnerungen an die Zukunft. Ungelöste Rätsel der Vergangenheit. Düsseldorf: Econ .  Etwa Jacques Bergier und Louis Pauwels: Le Matin des magiciens. Introduction au réalisme fantastique. Paris: Gallimard  und Robert Charroux: Le livre des maîtres du monde. Évreux: Hérissey . Die These an sich taucht in der Science-Fiction-Literatur seit Anfang des . Jahrhunderts auf.

. Propheten neuerer Bewegungen



genberichte über hochtechnologische Phänomene gelesen. Letztere seien damals aber unbekannt, die Berichte somit unverständlich gewesen. Der Bericht aus dem Mund von Raëls Elohim, Sodom und Gomorra seien durch eine Atombombe ausgelöscht worden, stammt dabei direkt aus von Dänikens Werk, ohne dass Raël darauf hinweisen würde. Mit der Präastronautik-These bietet der Raëlismus eine scheinbar naturwissenschaftliche Erklärung der biblischen Schöpfungsgeschichte und stellt sich mit dem Buchtitel Intelligent Design in die Reihe der amerikanisch geprägten Darwin-Kritik. Dort bietet sich bibeltreuen Kreationisten mit dem Begriff »Intelligent Design« eine Möglichkeit, den christlichen Glauben und den Schein von Wissenschaftlichkeit in Einklang zu bringen. Der Raëlismus versteht sich selbst als atheistisch, da sein intelligenter Schöpfer keine Gottheit, sondern lediglich eine extraterrestrische Variante des Menschen sei, der keine transzendentale Qualität zukomme. Auffallend ist der epochentypische Bezug auf Atomwaffen, der sich so auch in der scientologischen Kosmogonie findet. Ein Teil des ersten Buches Raëls ist schließlich der Zukunftsutopie gewidmet, die in Gestalt der Beschreibung des Heimatplaneten des außerirdischen Besuchers auftritt. Die Lebensweise seiner Bewohner soll als Vorbild für die Menschen gelten. Der Elohim schildert es folgendermaßen: Aufgrund gentechnischer und medizinischer Fortschritte lebten die Außerirdischen etwa zehnmal länger als die irdischen Menschen, also rund  bis  Jahre. Nach ihrem Ableben könnten sie aus einer kleinen, dem Toten entnommenen Gewebeprobe direkt wieder geklont und damit neugeboren werden, wenn sie sich denn verdient genug gemacht hätten. In ihrer Gesellschaft gebe es nur freiwillige Arbeit, die zudem ausschließlich intellektuelle, also künstlerische oder wissenschaftliche Felder betreffe. (Die aktuelle Diskussion um AI, die bald auch die intellektuellen Tätigkeiten des Menschen überflüssig machen könnte, existierte zur Zeit der Abfassung von Raëls Schrift noch nicht.) Menschliches Fehlverhalten und Laster wie Kriminalität, Besitz oder Eifersucht seien nicht vorhanden; in einer Brave-New-World-artigen Wendung berichtet Elohim gar, dass Individuen, die unter psychischen Problemen litten, psychiatrisch äußerst intensiv behandelt würden. Dieser totalitäre Charakter, der vom Raëlismus aber als ausschließlich erstrebenswert präsentiert wird, zeigt sich  Vgl. Raël: Intelligent Design, S. –.  Ebd.



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

auch darin, dass es unter den sieben Milliarden Planetenbewohnern  sogenannte »Eternals« gebe, denen die Ehre zuteil würde, immer wieder reproduziert zu werden. Gefährliche und äußerst brutale Sportarten fungierten, so berichtet der Elohim, als Ventil, durch das vorhandene Aggressionen herausgelassen werden können. Auf diese Weise würde die sterile Welt in friedlicher Balance gehalten. Diese lebensgefährlichen Freizeitaktivitäten würden gewissermaßen die aggressiven Individuen unter den Bewohnern beanspruchen und eliminierten auf diese Weise das Bedürfnis der Gesamtbevölkerung, Kriege zu führen. Dazu gesellen sich noch übliche Technovisionen von kugelförmigen, extrem kondensierten Städten, die die natürliche Umwelt weitgehend schonten und ähnliches mehr. Wie schon mit dem Begriff der »Eternals« angespielt, ist die Regierungsform dieser Welt eine »Geniokratie« der  ausgewählten und intelligentesten Bürger. Eine Reihe von Aspekten und Motiven findet sich in den Botschaften des Elohim, die uns in der New-Age-Esoterik immer wieder begegnen. Neben Intelligenz und Weisheit wird etwa auch hier wieder klinische Reinheit propagiert. Dies findet sich etwa in der Wegweisung, die der Elohim Vorilhon für den Bau einer Botschaft für die Außerirdischen gibt: »An aseptic chamber should be built at the entrance to the conference room.« Daneben findet sich in den Texten Raëls immer wieder Zahlenmystik basierend auf der Zahl , zum Teil auch auf der Zahl . Auch die alte Analogie-These des Mittelalters findet sich im Raëlismus: Die Atome in den Zellen des Körpers seien winzig kleine Spiegelbilder des Universums, von Sonnensystemen und Galaxien, wie Anthony Grey es im Vorwort zu Intelligent Design zusammenfasst. Ebenfalls mittelalterlich ist die raëlistische Ansicht, Raum und Zeit verliefen zyklisch; und würden schließlich in der Zukunftswelt der Elohim in eine Stasis überführt, dem Pendant zum christlichen Ewigen Leben. Der Außerirdische beauftragt Vorilhon, seine Botschaft in der Welt zu verkünden, die ganze Menschheit zum technologischen Quantensprung anzuspornen und die Rückkehr der Elohim vorzubereiten. Vorilhon erklärt, dass er sich fortan Raël nannte. Es handelt sich hier um eine klassische Stellung des Propheten im Raëlismus

 Raël: Intelligent Design, S. .  Ebd., S. –. Eine ähnliche Vorstellung der Herrschaft der Klügsten findet sich beim IntelligentDesign-Vertreter Christopher Langan, siehe weiter unten.  Ebd., S. .  Grey: Foreword, S. xxii.

. Propheten neuerer Bewegungen



Propheten-Szene, in der ein Prophet auserwählt wird und im Folgenden als Sprachrohr für die Götter dient (siehe weiter oben). Ebenfalls charakteristisch ist, dass die Botschaft als endgültig (»final«, wie Anthony Grey im Vorwort bemerkt ) gilt, womit auf das Thema einer unmittelbar bevorstehenden Zeitenwende, ja das Ende der linear verlaufenden Zeit angespielt wird (was danach komme, ist die Ewigkeit, die keinen zeitlichen Index mehr hat, sondern in dem alles in Beständigkeit gehalten ist). Die Erzählung hat vor allem das Ziel, den Propheten Raël als auserwählte Gestalt zu etablieren, und ist deswegen gespickt mit Details, die ihn in eben diesem Licht erscheinen lassen. So verrät der Elohim-Botschafter nach Abschluss seiner Unterweisungen Vorilhon, dass just in dessen Geburtsjahr, , das »Zeitalter des Wassermanns« begonnen hätte; die Geburt Vorilhons also mit dem Anbruch der neuen Ära koinzidiere. In weiten Teilen bildet das Buch, das die Wahrheit spricht, die direkte Wiedergabe der Worte des Elohim-Botens. Raël bedient sich hier also prophetentypisch des inspirierten Sprechens im Modus des Zitats. In der weiteren Folge der Texte geht es immer wieder um eine Dramatisierung des Lebens des Propheten. Im zweiten Buch berichtet Raël, dass er retrospektiv gemerkt habe, dass er bereits als Kind ein Auserwählter gewesen sei; er erzählt, wie er den Planeten der Außerirdischen besuchte, und er verweist darauf, dass er am . Dezember gezeugt worden sei – ein weiterer Christus-Bezug. Eine Reihe von Anekdoten soll Zeichen und Beweise für die Herausgehobenheit seiner Person zutage fördern. Bezeichnend könnte die Geschichte eines alten Dorfbewohners sein, die Raël erzählt. Ein alter Mann in Vorilhons Heimatort, der ›Jesus Christus‹ genannt worden sei, da er lange Haare und einen Bart gehabt hatte und die Kinder ihn unheimlich gefunden hätten. Raël hätte als Kind nur eine kurze Begegnung mit ihm gehabt, aber später erfahren, dass dieser Mann der »Letzte Papst der Druiden« genannt worden war. Am Ende stellt sich folgerichtig heraus, dass Vorilhon die ganze Zeit mit dem Präsidenten der Elohim geredet hatte. Zu diesem Narrativ vom »unmöglichen Zufall« (wir haben es hier immer mit Kontingenzfeinden zu tun) stellt sich das Narrativ des Wunderkinds und der besonderen Begabung, welches auch bei L. Ron Hubbard zu finden war. So habe  Grey: Foreword, S. xiii.  Ein in der Esoterik immer wieder auftretendes Motiv.  Raël: Intelligent Design, S. .



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

sich Vorilhon in seinen jungen Jahren weniger für das Spielen mit anderen Kindern als für die Beobachtung von Insekten und das Lesen von Büchern interessiert , er sei vielseitig talentiert gewesen (Poesie, Musik, Mechanik) und seine Frühreife habe sich auch darin ausgedrückt, dass er bereits mit neun Jahren in die Pubertät gekommen sei. Ein paar Worte noch zur Glaubwürdigkeitsstrategie, die Raël verfolgt. Neben den Selbstbezeugungen, ein erwählter und erleuchteter Mensch zu sein, gibt es auch noch eine Beglaubigung von Dritter Stelle. Der sogenannte ›internationale Journalist‹ Anthony Grey funktioniert als Autoritätszeuge für Raël, indem er ein Vorwort zu Intelligent Design. Message from the Designers beisteuert. Er übernimmt hier eine ähnliche Funktion wie die Expertengutachten bei Esoterikprodukten. Grey sagt, Raël sei vertrauenswürdig – und wir sollen auf die Vertrauenswürdigkeit von Grey vertrauen, qua seines Amtes »internationaler Journalist«. Grey bemüht zunächst das Mittel der Hyperbolik, um Raëls Verkündungen mit Glaubwürdigkeit auszustatten – deren Ausmaß sei epochal: Es handelt sich um »the greatest revelation in mankind’s recorded history« und »simply the most important book to be published anywhere in the world for two thousand years.« Auch er beruft sich also direkt auf die Bibel als vermeintlich einflussreichstes Buch der Menschheitsgeschichte. Allerdings adressiert Grey auch direkt das Problem, dass Raëls Evangelium nicht allgemein anerkannt sei, da bisher niemand einen objektiven, physischen Beweis für die Existenz von Außerirdischen und UFOs gefunden habe. Greys Lösung hierfür gleicht in ihrem argumentationslogischen Aufbau einer Verschwörungstheorie. Auf der einen Seite beschuldigt er die angeblich ignoranten Mainstream-Nachrichtenmedien, auf der anderen Seite erklärt er, das Operieren der Elohim im Verborgenen habe Methode. Sie würden absichtlich nicht so offen in Erscheinung treten, um damit zu testen, ob die Menschheit überhaupt schon bereit sei, sich auf die  Jahre weiter fortgeschrittene Elohim-Technologie einzulassen. Glaubwürdigkeitsstrategie Raëls

    

Raël: Intelligent Design, S. . Ebd., S. . Grey: Foreword, S. xvi. Ebd., S. xxiii. Ebd., S. xvi.

. Propheten neuerer Bewegungen



In einem etwas kleineren Umfang finden wir diese exzessiven Biographien auch bei den kleineren Anbietern und Vertretern von Produkten und Seminaren, wie sie Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind. Die Leiterin einer deutschen sogenannten »Kryonschule« (online zu erreichen unter https://web.archive.org/web//https://www.shimaa.de/home/), Sabine Wenig, firmiert in ähnlicher Weise als Prophetin dieser Bewegung. Die »Kryonschule« bietet verschiedene Produkte und Dienstleistungen an. Dies sind etwa CDs (»Dein Zaubergarten«), Wandposter (»Dieses Bild wurde von Jesus energetisch aufgeladen«), geweihtes Wasser (»Segnungsessenz ›Wunscherfüllung‹«, die von »Hagia Sophia und Eshka energetisiert« wurde), Bücher und Seminare (»Jesusseminar«, »Channelingseminar«). Das Konzept des übernatürlichen Wesens »Kryon«, auf das sich die »Kryonschule« bezieht, geht auf den amerikanischen Autor Lee Carroll zurück, der auch Vertreter der »Indigo-Kinder«-These ist, einem auf dem heutigen Esoterikmarkt beliebten Sujet, das unter anderem eine Erklärung für die heutige Prävalenz von ADS- und ADHS-Erkrankungen bei Kindern geben will. Kryon sei nach Wenig ein übernatürliches Wesen »vom magnetischen Dienst« , welches über wenige auserwählte menschliche Medien kommuniziere. Sabine Wenig verkörpert die Vertretung dieser Lehre in Deutschland. In ihrer Selbstbeschreibung auf ihrer Website heißt es unter anderem, sie sei »[s]chon als Kind« »hellsichtig« gewesen und habe mit »Naturgeistern« gespielt. Wie auch bei Hubbard gehört es zu diesem Narrativ, dass die Auserwählten bereits im Kindesalter metaphysisch begabt gewesen seien. Der nächste Schritt ist ein Initiationserlebnis: Wenig, die sich »Sabine-Sangitar« nennt, sei von einem »Lehrer« »gerufen« worden, der sie über  Jahre auf ihren »Auftrag« vorbereitet hätte. Immer wieder erschienen ihr mystische Wesen, wie die Inkarnation Hildegards von Bingen oder einschlägige esoterische ›Meister‹ wie Maha Cohan oder Kuthumi. Die letzte der vielen Erscheinungen bildet Kryon selbst, der Wenig mitteilte, sie sei ein »Medium der Neuen Zeit«. Ein weiteres Sabine-Sangitar Wenig, Kryonschule

 Hier finden wir wieder die sentimentale Symbiose von moderner Technologie und Mystik; der Magnetismus (Technik) und der »Dienst« (mit dem moderne Verwaltungssysteme aufgerufen sind) auf der einen Seite und der Name Kryon, der an das alte Griechenland erinnert, auf der anderen Seite.  https://web.archive.org/web//http://www.shimaa.de/shimaa-team/alles-uebersangitar/, besucht am ...



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

Thema, das hier variiert wird, ist das der völligen Hingabe an das neu gefundene, geistliche Leben und die Aufgabe aller weltlichen Verpflichtungen; gleich einem Mönch oder Eremiten. Im Fall von Sabine Wenig bedeutete dies das Aufgeben der Arbeit als »Familientherapeutin«. Ebenfalls typisch sind die mannigfachen Qualifikationen, die Gurus anführen. Hier heißt es, Sabine-Sangitar Wenig sei ausgebildet in »humanistischer Psychotherapie, systemischer Familientherapie, Reiki« und »zum Bioenergietherapeuten« [sic]. Die Konstitutivität eines Erweckungserlebnisses bestätigt auch Klotz: Ein »Erlösungs-Narrativ« trete in fast allen Erzählungen esoterischer Gurus auf. »Die vortragende Person verweist stets auf eine hoffnungslose Phase im eigenen Leben, eine beinahe tödliche Krankheit. Die eigene Heilsgeschichte schafft Respekt und Authentizität. Gleichzeitig ordnet sie der Person einen authentischen ›Expertenstatus‹ zu.« Auch der im Kapitel über Paraphysik (.) erwähnte Christopher Langan versucht mit einer extravaganten Lebensgeschichte zu reüssieren. So behauptete er, den amerikanischen College-Einstufungstest SAT mit der Höchstpunktzahl abgeschlossen zu haben, und er verweist darauf, in populären Medien als »klügster Mann Amerikas« bezeichnet worden zu sein, da er angeblich bei einem speziellen Hochbegabten-IQ-Test das beste je erzielte Ergebnis für sich verbuchen konnte. Nach einem Collegeaufenthalt war er nicht mehr Teil der akademischen Welt, sondern verdingte sich angeblich als Türsteher in New York City und betrieb später eine Pferderanch. Seine Theorie fertigte er in seiner Freizeit aus. Damit sollen wohl der Status des wissenschaftlichen Underdogs und anpackerische Qualitäten vermittelt werden. Nachdem er sich mit der Hochbegabten-Vereinigung »Mega Society« zerstritten hatte (eine elitäre Vereinigung analog zum »Mensa«-Club für Hochbegabte), gründete er die ähnlich klingende »Mega Foundation«. Auch beruft er sich auf sein angeblich hartes Blue-Collar-Coming-of-Age als Türsteher, Bauarbeiter und Feuerwehrmann. Die Selbststilisierung zum Genie und Außenseiter ist eine übliche Vorgehensweise, um gegenüber der eigenen Zielgruppe eine Autorität zu entwickeln. Dies ist in der Geschichte immer wieder zu beobachten. Christopher Langan

 Klotz: Quantenphysik und Esoterik, S. .  Uncommon Dissent, S. –.

. Propheten neuerer Bewegungen



Der Ethnologe Ehler Voss, der unter anderem die soziale Struktur der deutschen Geistheiler-Welt beforscht hat, stellt die Rolle von Gurus oder Führern heraus. Er spricht von »Hellinger-, Aufsteller-, Reiki-, Schamanismus, Esoterik-, Heilpraktiker- oder Heiler-Szenen«. Der sozialwissenschaftliche Ausdruck für diese Art von Szenen lautet fuzzy communities. Konstitutiv sind jeweils Wortführer, die oft lebenslang Teil einer Szene bleiben und oft auch Geld damit verdienen (durch Verkauf von Artikeln) – die Gurus. Nach Voss gaben verschiedene Gurus, Schamanen und Heiler, mit denen er sich unterhalten habe, an, kaum jemals oder überhaupt gar keine Bücher zu ihrem jeweiligen Thema gelesen zu haben. Diese Medien selbst sind nicht auf andere Medien angewiesen, sondern seien, laut Eigenauskunft, meist von einer Gottheit selbst informiert worden. Derartige Szenen seien herkunfts- und altersunabhängig. Formale Mitgliedschaften gibt es eher nicht, und für Szenemitglieder ist es möglich, in mehreren Szenen zu sein, wenn sie dies mit ihrem Selbstbildnis vereinbaren können. Die Tatsache, dass sich Einzelne selbst als Teil einer Szene ansehen, bedeute jedoch noch nicht, dass die Etablierten diese Einzelnen auch akzeptieren. Oft teilen die Mitglieder einer Szene eine ähnliche Weltanschauung und ähnliche Codes. Heutzutage sind Szenen oft übers Internet organisiert und nicht lokal begrenzt, die Mitglieder kennen sich nicht alle persönlich. Oft sei es für Szenen wichtig, sich gegen den Mainstream abzugrenzen. Der Begriff »Subkultur« sei möglicherweise noch passender, da er eine größere Geschlossenheit impliziere. Eine noch größere Abwendung von der Mehrheitsgesellschaft sei hier zu verzeichnen. Reichsbürger und Prepper können hierunter fallen, während Esoterik-Anhänger sich oft in Szenen zusammenfinden und sich nicht unbedingt in sektenähnlichen Zusammenhängen organisieren. Die Veranstaltungen aber, an denen sie teilnehmen, sind durch einschlägige Szene-Gurus dominiert. Den Wahrheitsgehalt und die Ausschließlichkeit ihrer Aussagen versuchen diese Gurus meist durch Autoritätsargumente zu stützen. Ihre eigene Autorität speist sich dabei auf oft ausgeschmückte Autobiografien, in denen sie sich zu Universalgelehrten und zu Einzelkämpfern gegen eine Verschwörung stilisieren. Weil sie nun sagen, im Prinzip alles zu wissen und als einzige alles zu wissen, bringen sie sich in Voss: Zur sozialen Struktur

   

Voss: Mediales Heilen in Deutschland, S. . Ebd., S. . Ebd., S. . Vgl. ebd., S. .



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

eine Position, in der sie selbst der Gatekeeper zu dem »großen Ganzen« sind, das sie in ihrer mystischen Weltanschauung aufrufen. Nur über den Guru führt der Weg zur Ganzheitlichkeit. Und sie oder er fordert eine bedingungslose Gefolgschaft – wenn auch, wie Voss zeigt, die Bindungen in der Esoterik-Kultur oft nur schwach sind. Doch auch in der Guru-Thematik zeigt sich, dass sich vermeintliche Spleens esoterischer Szenerien auch in der Welt der valorisierten Wissenschaft finden; jedenfalls mindestens in deren Historie. Die Literaturwissenschaftlerin Stefanie Dreyfürst hat aufgezeigt, wie exponierte Gelehrte in der Frühen Neuzeit im Stil von Heiligen verehrt wurden. Dreyfürst führt dies auf eingeübte Praktiken des Katholizismus zurück, der Europa in dieser Zeit prägte. Erst seit der Aufklärung habe es in der Wissenschaft Bestrebungen zu geben, derartige Denkerkulte abzubauen. In Pop, Esoterik und Pop-Wissenschaft (Einstein) leben diese Ehrerbietungen aber bis heute fort. In der gegenwärtigen Esoterik kann man zwei Arten der Führerfiguren unterscheiden. Einmal gibt es da die naturwissenschaftlichen Gewährsmänner, die immer wieder angeführt und zitiert werden für ihre Theorien, in denen sie ein transzendentales Mehr, eine feinstoffliche Dimension in der Natur, postulieren. Darunter fallen solche Leute wie Fritz-Albert Popp, Rupert Sheldrake, Burkhard Heim, Fritjof Capra, Wolfgang Pauli. Meist können diese Menschen eine akademische Karriere vorweisen, die dann zum Ende kam, als ihre Thesen nicht mehr mit dem anerkannten Wissensbestand ihres Fachs kompatibel war. In esoterischen Kreisen werden sie verehrt; manchmal bedienen sie sich jener konfrontativen Taktiken, die Martin Gardner für Pseudowissenschaftler beschrieben hatte (Konkurrenten angreifen, einen eigenen Jargon benutzen). Daneben existieren jene Gurus, die ihre akademische Ausbildung meist nur behaupten und für sich einen religionsführergleichen Status beanspruchen, wie L. Ron Hubbard, Raël oder, als eine Art Mittelweg die Wassergurus wie Masaru Emoto. In ihnen zeigt sich besonders einschlägig die Verkitschung, der zeitgenössische Esoterik unterliegt. Selbstverfasste Super-Biographien, bunte Porträtdarstellungen im Stil totalitärer Führer, dies sind Zwei Varianten

 Stefanie Dreyfürst: Galileos Finger und Einsteins Pantoffeln. Ein kulturwissenschaftlicher Blick auf die quasi-religiöse Verehrung von Gelehrten von der Frühen Neuzeit bis heute. Vortrag auf der XXIV. GWUP-Konferenz Skepcon , .–.., Frankfurt am Main. : https://www. youtube.com/watch?v=caVOw89-4Fk (besucht am . . ).

. Ganzheitlichkeit



die Maßnahmen, die solche Gurus ergreifen. Diese Art von Selbstanpreisung findet sich dann auch in den zahlreichen Gutachten und Professoren-Expertisen, die bei den Themen belebtes Wasser und Elektrosmog so prominent sind. Schaut man sich die Überzeugungsstrategien gegenwärtiger Esoterik an, so nehmen Gurus neben den technischen Geräten die zentrale Stelle ein. Gurus spenden Glaubwürdigkeit qua ihrer intellektuellen und persönlichen Autorität. Ihre eigene Glaubwürdigkeit wiederum wird garantiert durch ihre Biographien. In diesen Lebensbeschreibungen geht es einerseits meist um die übermenschlichen Fähigkeiten der Propheten, andererseits darum, wie sie zu ihrem Wissen gelangt seien. Meist seien sie durch eine Kombination aus wissenschaftlich-experimenteller Forschung und göttlicher Eingebung zu ihren Erkenntnissen gekommen. Das ist auch genau das Format, in dem esoterisches Wissen heute funktioniert. In dem gnostischen Moment, in dem sie das ›höhere Wissen‹ empfangen haben, so die gängige Erzählung, haben sie Teilhabe am sogenannten großen Ganzen der Natur erfahren. Sie sind damit Zeugen für das holistische Weltbild der Esoterik. Diesem Aspekt widmet sich das folgende, letzte Kapitel. . Ganzheitlichkeit Esoterische Lehren sprechen also immer wieder von Ganzheitlichkeit. Ganzheitlichkeit in diesem esoterischen Sinn bedeutet ein Weltbild, das davon ausgeht, dass die Wirklichkeit nicht in einzelne diskrete, voneinander unabhängige Teile zerlegbar ist, sondern dass alles Wirkliche einen gemeinsamen großen Organismus bildet. Ist dieses Weltbild Grundlage von Weltanschauungen und Theorien, spricht man von Holismus. Nach Ansicht von Wissenshistorikern war diese Art zu denken in Kulturen vorherrschend, die vor oder jenseits vom westlichen analytischen Denken mit seiner Subjekt-/Objekt-Trennung existieren beziehungsweise existierten. Die ›ursprüngliche‹ Einheit sei im neuzeitlich-rationalen Weltbild aufgelöst. Der Ethnologe Claude Lévi-Strauss hat diese These als erster formuliert: Er sah das von ihm so genannte wilde Denken vor allem bei naturverbundenen Völkern, bei Stämmen, die abseits der Zivilisation lebten. Alle Lebewesen und Dinge seien  Vgl. Karen Gloy: Die Geschichte des ganzheitlichen Denkens. Verständnis der Natur. Köln: Komet , S. .  Claude Lévi-Strauss: Das wilde Denken. Übers. v. Hans Naumann. Suhrkamp: Frankfurt am Main .



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

in deren Holismus miteinander verknüpft. Die These (die in ihrer Ausschließlichkeit und Anwendung auf sogenannte »Wilde« sicher ein Klischee ist) ist nun, dass sich diese Art zu denken, in modernen esoterischen Denksystemen wiederfindet. Die Philosophin Karen Gloy berichtet in ihrer Geschichte des ganzheitlichen Denkens von regressiven Strömungen, die sich gegen die moderne Zivilisation wenden und absichtlich in archaischen, naturverbundenen Formen leben. Dazu zählt sie die Hippies, Anhänger indisch/östlich geprägter Gurus wie Maharishi Mahesh Yogi (Transzendentale Meditation) und Osho oder die Gründergeneration der Partei der Grünen. In diesen Bewegungen drücke sich ein ganzheitliches Naturverständnis aus: Die Natur werde als »organisches Ganzes« vorgestellt, in dem »[j]eder Teil […] mit jedem anderen in Wechselbeziehung« stehe und »[a]lles […] mit allem« zusammenhänge. Die Natur sei dabei ein umfassender holistischer Großapparat, in den alles Wirkliche integriert sei. Das Naturverständnis dieser regressiven Tendenzen rekurriert, wie erwähnt, auf das kulturhistorisch alte Naturverständnis, das Gloy das »magisch-mythische« nennt. Die Autorin rechnet diesem Eigenschaften wie das mythologische Erleben der Natur, Aberglaube, animistische Vorstellungen und den Glauben an eine geistige, alles durchwirkende Kraft (mana usw.; Gloy nennt das »Dynamismus«) zu. Gloy sieht neuzeitliche und moderne Entwicklungen wie Newtons Gravitationslehre, Ätherphysik, Parapsychologie und Psychoanalyse als Fortsetzungen dieses alten Denkens. (Von diesen Theorieentwicklungen des . bis . Jahrhunderts lässt sich dann weiterdenken zu zeitgenössischen esoterischen Lehren.) Gloy gliedert die angesprochene Denkart feiner auf: Unter den Stichpunkten Vitalismus, Holismus, New Age und Ökologie diskutiert die Wissenschaftlerin die Arten des ganzheitlichen Denkens im . Jahrhundert. Diese Strömungen sind, wie gesagt, gekennzeichnet durch ihre Opposition zum mechanistisch-maschinischen Weltbild, welches seit der Renaissance spross. Als paradigmatische Vertreter nennt Gloy

 Ernst Cassirer arbeitete vergleichbar zum »mythischen Denken«, das er so charakterisierte, dass sich in ihm die Dinge über Ähnlichkeitsbeziehungen arrangierten und dass es jedem Ding einen ›festen Platz‹ zuweise. Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Bd. : Das mythische Denken. Berlin: Bruno Cassirer .  Karen Gloy: Das Verständnis der Natur. Die Geschichte des wissenschaftlichen Denkens. Bd. . München: C. H. Beck , S. .  Ebd., S. .  Vgl. ebd., S. .

. Ganzheitlichkeit



Gloy etwa die Biologen Ernst Haeckel (–) und Jakob Johann von Uexküll (–). Nach deren Ansicht lassen sich die Vorgänge des Lebens nicht vollständig rein mechanisch erklären, und die Wirklichkeit sei so beschaffen, dass sich in den Teilen das Ganze zeige. Das Umweltbild der er Jahre, das sich im New Age und bei den grünen Parteien findet, war ganzheitlich ausgestaltet. »Die den Menschen einbeziehende Umwelt war systemisch konzipiert und trug holistische, teilweise geradezu totalitäre kybernetische Züge. Um  fassten Systemökologen die Subjekte und die Objekte aus Natur- und Sozialwissenschaften, aus Psychologie und Ökologie zu einem integralen Verständnis der Umwelt als Funktionsganzes, das durch Selbstorganisation und geschickte Regulierung gesteuert und optimiert werden könne.« In ganzheitlichen, holistischen Lehren findet sich trotz der ausgestellten Fortschrittsskepsis eine tiefe Verwandtschaft mit dem Denken der Kybernetik, das sich seit der Mitte des . Jahrhunderts ausbildete. Holistisches Denken leistet ein Zusammenkleben, eine Wiedervereinigung von Ausdifferenzierungen. Die Welt erscheint in dieser Sicht als ein einzelner Organismus. Darin ähnelt es dem Weltbild der Kybernetik mit seinen integrierten Systemen und Feedbackschleifen: Auch darin können alle Dinge als Teil eines großen Systems interpretiert werden, in dem alles aneinander angeschlossen ist. Ebenfalls kybernetisch ist die Ansicht, aus dem Zusammenspiel von einzelnen Teilen könne etwas entstehen, das nicht in den Einzelteilen angelegt ist: Das nennt man Emergenz. Das Emergenzdenken ist antireduktionistisch und damit dem Ganzheitsdenken verwandt. Man muss dazu allerdings anmerken, dass paranoisch strukturierte Denksysteme, wie etwa in der Gnosis, Emergenz ablehnen: In technoiden Zukunftsszenarien wie dem Cyberspace oder der Vorstellung in den Matrix-Filmen gilt normalerweise vollständige Berechenbarkeit (die dann allerdings durch titanische, gnostische Akte durchbrochen werden kann – in dem Erscheinen von transzendenten Erlöserfiguren, etwa in der Matrix-Trilogie der Held Neo). Verwandtschaft mit der Kybernetik

 Für eine genauere Unterscheidung siehe Gloy: Die Geschichte des ganzheitlichen Denkens, S. –. Neben den von Gloy genannten Autoren ist auch Martin Heidegger mit seiner ganzheitlichen Konzeption des In-der-Welt-Seins zu nennen, insbesondere auch seine regressive Fixierung auf das bäuerliche Leben.  Haller, Höhler und Stoff: Stress, S.  unter Berufung auf Howard T. Odum: Environment, Power, and Society. New York: Wiley-Interscience . Zum Stressbegriff siehe Kapitel . dieser Arbeit.



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

Wo schon die Rede von technischen Zukunftsvisionen ist: Über eine mögliche Rolle der Technik in ganzheitlichen Systemen ist in der vorliegenden Arbeit bereits gesprochen worden: Technik kann in holistischen Konstrukten als Weltgrundlage auftreten – und ist dann nicht von Natur zu unterscheiden. In den cybergnostischen und cybermystischen Großentwürfen eines weltumspannenden Computersystems ist sie dann animiert und naturalisiert. Das vorgestellte universelle Netz stiftet Ganzheitlichkeit. Gloy trifft allerdings eine Unterscheidung zwischen älteren Natur-Holismen und modernen ganzheitlichen Science-Fiction-Visionen: Das holistisch-organizistische Denken gründe auf der Annahme eines »statischen, unveränderlichen, in sich ruhenden, harmonischen Ganzen« , während die Zukunftsszenarien von der Steigerung und übernatürlichen Weiterentwicklung des Menschen handeln (»dynamischer Holismus«). Das kann man das einerseits gnostisch lesen, andererseits als spezifisch modern. Von der Steigerung und Verbesserung des Menschen zu reden, ist jedenfalls charakteristisch für das moderne Subjektverständnis und damit eben auch für das Subjekt der zeitgenössischen Esoterik. Ein universelles Netz

Die Wissenschaftshistorikerin Anne Harrington nimmt in ihrer Geschichte moderner Ganzheitslehren Max Webers Entzauberungsnarrativ zum Ausgangspunkt. Davon ausgehend richtet sie jedoch den Blick auf eine wissenschaftliche Strömung von Webers Zeitgenossenschaft bis hin zum New Age, die Webers Diagnose zwar teilt, seinem Befund jedoch die Vision einer neuen Ganzheit entgegenstellt. Sie bezieht sich dabei auf die Felder Biologie, Psychologie und Neurologie. Der Biologe Jakob von Uexküll etwa konzipierte ein Modell der Welt als Umwelt, als »einziges, planvolles System« , in dem Organismen und Natur ganzheitlich verbunden seien. Im Ganzheitsdenken wurden Begriffe wie Leben und Seele  dem der Maschine  gegenübergestellt, so stellt Harrington fest. Ferner identifiziert Harrington diese Tendenz als deutsche Eigenart – und thematisiert damit ihre Eigenschaft als Wegbereiter der politischen Ideologie der NS-Zeit. Der Philosoph Manuel Bachmann fasst die angesprochene Art, ganzheitlich zu denken, unter den Begriff »Analogiedenken« und rückt damit den Aspekt in den Weitere Zugänge

 Gloy: Die Geschichte des ganzheitlichen Denkens, S. .  Anne Harrington: Die Suche nach Ganzheit. Die Geschichte biologisch-psychologischer Ganzheitslehren: Vom Kaiserreich bis zur New-Age-Bewegung. Übers. v. Susanne Klockmann. Rowohlt: Hamburg , S. .  Ebd., S. .  Ebd., S. .

. Ganzheitlichkeit



Mittelpunkt, dass sich in dem Weltbild im Kosmos im Kleinen das wiederhole, was auch im Großen angelegt sei. Damit laufe es gegenwärtigen, »etablierten Rationalitätsstandards« zuwider. Foucault hatte das Analogiedenken unter die Episteme der Ähnlichkeit gefasst (siehe Kapitel .). Dass das Analogiedenken nicht nur in zeitgenössischen Esoteriken weiterlebt, sondern auch in der Alltagskultur, weist Gloy anhand gängiger Metaphern und Metonymien in der Sprache nach. Ein bekanntes Beispiel für die Beschwörung ganzheitlichen Denkens und eine einschlägige Position innerhalb der modernen Esoterik liefert der österreichische Physiker Fritjof Capra. Er unternahm schon in den er Jahren den Versuch, Muster älteren fernöstlichen Denkens auf die damals zeitgenössischen Erkenntnisse der Physik zu übertragen. Die behauptete ›Ganzheitlichkeit‹ des östlichen Denkens sei ein adäquaterer Umgang mit der Verfasstheit der Wirklichkeit, viel mehr als die westlich-neuzeitliche Rationalität, die die Welt gewissermaßen in einzelne Teile zerschnitten hatte. Neuere quantenphysikalische Erkenntnisse, die die Modelle der Newtonschen Mechanik und die Erwartungen klassischer Logik und Erkenntnistheorie herausfordern, sollen, so Capra, bestätigen, dass der ›östlich‹-holistische Ansatz der richtige sei, die Welt zu deuten. Mit seinem Buch schuf er die Blaupause für heute in der Esoterik-Szene allgegenwärtige Ansichten und bietet auch ein einschlägiges Exemplum für das Bemühen zeitgenössischer Esoterik, einen Anschluss an wissenschaftliche Diskurse herzustellen. Capra geht es um eine Verbindung von westlicher, reduktionistischer Naturwissenschaft und »östlicher« Philosophie beziehungsweise Mystik, worunter er Wissenslehren fasst als auch Praktiken wie etwa das Meditieren. Die bei der Nennung des Stichworts »Meditation« schon anklingende Prozesshaftigkeit ›östlicher‹ Erkenntnis und die Charakteristik der Allverbundenheit der Natur spiegelt sich auch in einer Erzählung, mit der Autor Capra seine eigene Wissensgewinnung beschreibt. Im Vorwort zur deutschsprachigen Neuausgabe von  schildert Capra seine Empfindung beim Verfassen des Werks, er habe dabei nur als Medium fungiert: »Manchmal hatte ich beim Schreiben sogar das Gefühl, dieses werde Capra

 Manuel Bachmann: Brücken zu einer vergessenen Denkform. In: Das Analogiedenken. Vorstöße in ein neues Gebiet der Rationalitätstheorie. Hrsg. v. Karen Gloy und Manuel Bachmann. Freiburg und München: Karl Alber , S. –, hier S. .  Karen Gloy: Das Analogiedenken unter besonderer Berücksichtigung der Psychoanalyse Freuds. In: Das Analogiedenken, S. –.



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

eigentlich nicht ›von mir‹, sondern nur ›durch mich‹ geschrieben.« Capras Vorstellung ist also als mystisch zu bezeichnen und gemahnt an die unio mystica. Schon im Vorwort der Erstausgabe hatte Capra bereits auf den Moment der Inspiration verweisen, der seinerseits gnostisch gewesen sei: Beim Sitzen »am Meer« und in Betrachtung der Wellen und der Konzentration auf das Atmen überkam ihn die Einsicht, seine Umgebung sei »Teil eines gigantischen kosmischen Tanzes.« Capra schreibt also, als sei er selbst von der integrierten Natur enthusiasmiert worden – eine Vorstellung, die auch in der Literatur der griechischen Antike, etwa bei Homer, bekannt ist. Capra beschreibt, wie ihm plötzlich abstrakte Konzepte der Physik – die Wechselwirkung kleinster Teilchen – anschaulich und erfahrbar wurden: als »Tanz Shivas« , der indischen Gottheit. Der Autor verweist auch auf den jenseits von Rationalität angesiedelten Erkenntnismodus von Mystik und Gnosis: »Die mystische Erfahrung läßt sich […] nicht aus Büchern lernen«. Das Programm seiner Schrift fasst Capra wie folgt zusammen: »Wir werden sehen, wie die beiden Fundamente der Physik des zwanzigsten Jahrhunderts – Quantentheorie und Relativitätstheorie – uns zwingen, die Welt auf sehr ähnliche Weise zu sehen, wie sie ein Hindu, Buddhist oder Taoist sieht […].« Das ›mystische‹ Merkmal dieser östlichen religiösen Traditionen sieht Capra jedoch auch in anderen (also etwa älteren europäischen) Lehren. Die Weltanschauung der modernen Physik sei derer »der Mystiker aller Zeitalter und Traditionen sehr ähnlich« , was, so kann man Capra lesen, folglich ein Hinweis auf ahistorische Allgemeingültigkeit sei. Capra zeichnet das Dogma der Trennung von Geist und Materie durch die gesamte europäische Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte nach, beginnend bei den vorsokratischen Griechen – mit der Implikation, diese westliche Wissenschaft sei ein Irrtum gewesen: Die Physik des . Jahrhunderts habe sich wieder – nach dem ›Irrweg‹ der Logik – dem mystischen Denken zugewandt. Ganz am Anfang sei die westliche Philosophie noch mystisch wie die östliche (chinesische und indische)  Fritjof Capra: Das Tao der Physik. Die Konvergenz von westlicher Wissenschaft und östlicher Philosophie. Vom Autor rev. und erw. Neuausg. Übers. v. Fritz Lahmann und Erwin Schuhmacher. . Aufl. d. Neuausg. Bern, München und Wien: Scherz , S. .  Ebd., S. .  Ebd.  Ebd., S. –.  Ebd., S. .  Ebd.

. Ganzheitlichkeit



gewesen. Das formalistische, abstrakte, unterscheidende Denken könne niemals der Reichhaltigkeit der Wirklichkeit gerecht werden. Dagegen stellt Capra das »absolute Wissen« der Mystik, das eine Erfahrung der Wirklichkeit abbilde, die intellektuelles Verstehen und sinnliches Erfahren umfasse. Dieses Wissen werde in einem höheren Bewusstseinszustand gewonnen, der meditativ oder mystisch genannt wird. »Normales, waches«, rationales Bewusstsein wird nur als eines unter vielen verstanden – alternative Zustände seien möglich. Hierzu ist festzustellen, dass ein Zustand höchster Wachheit, Klarheit, Erleuchtung, Präsenz des Bewusstseins in vielen Religionen zu den Merkmalen der Erlösung gehört. Und auch in den in dieser Arbeit behandelten Techno-Religionen gehört dies zum Kanon: Für den Scientology-Gründer L. Ron Hubbard ist die Wachheit (Nicht-Bewusstlosigkeit) und der »analytische« Verstand das Maß aller Dinge. Der meditative Zustand äußerster Wachheit sei dabei ein Zustand reiner Wahrnehmung ohne Bewertung oder Analyse des Wahrgenommenen (als Veranschaulichung dient die japanische Haiku-Dichtung). Diesen Geisteszustand verbrämt Capra als Haltung des Kriegers: Man ist an Bushido- und Bruce-Lee-Ästhetik gemahnt, also an die Ästhetik von Unterhaltungsfilmen, die fernöstliche Kampfkünste zum Thema haben. Capra beschreibt (wissenschaftliche) Kreativität als Ergebnis von internen Prozessierungsmechanismen in der Zerstreuung nach intensiver Konzentrations-Arbeit – wie es zahlreiche Künstler, Kreative und Wissenschaftler einschlägigerweise ebenfalls tun – und als nonverbal. Dies bringt er mit den meditativen Zuständen des Tao in Verbindung. Zur Methode Capras ist zu sagen, dass er mit dem Mittel der suggestiven Gegenüberstellung arbeitet. Dazu stellt er etwa ein Zitat des zen-buddhistischen Autors (und Theosophen) D. T. Suzuki mit einem von Werner Heisenberg gegenüber, die in dieser Nebeneinanderstellung ähnlich klingen. Auf einer Doppelseite werden einerseits per Hand geschriebene mathematische Formeln und andererseits asiatische Schrift gegenübergestellt. Dies dient der Illustration eines Kapitels mit dem Titel »Die Parallelen«. Es sollen wohl beide Schriften exotisch und mystisch aussehen. Und, wo gerade schon diese klingenden Namen erwähnt werden: Implizit geht es auch bei Capra um Lehrmeister und Gurus, die verschiedene Unterwerfungs- und Überwindungsposen einfordern als Mittel, Erkenntnis zu erlangen.  Capra: Das Tao der Physik, S. .  Ebd., S. –.



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

Capra identifiziert in den von ihm referierten Lehren Spezifika und weist ihnen diverse Eigenschaften zu. So sei im Buddhismus die Integrität des Selbst nur eine Illusion. Das chinesische Denken sei nicht logisch-abstrakt, sondern emotionalsuggestiv. »Die Chinesen glauben wie die Inder, daß es eine letzte Realität gibt, die den von uns beobachteten Dingen zugrunde liegt und die sie vereinigt« . Dies ist erkennbar ähnlich zum westlich-antiken platonischen Modell, nur noch mit einem zweiten Aspekt: In dieser Realität ist alles Eines. Den Glauben an eine zyklische Struktur des Weltenlaufs findet Capra wieder im östlichen Tao (bei Lao Tse) als auch im westlichen Altertum (bei Heraklit). Zur mystischen Ikonographie fernöstlicher Tradition gehören die  Hexagramme des I Ging, die Capra bespricht. Capra weist den beiden Sphären, in die das Denken unterteilt, westlich und östlich, komplementäre Eigenschaften zu: Das Östliche sei ›intuitiv‹, ›fließend‹, ›sinnlich‹ und ›weiblich‹, das Westliche ›rational‹, ›statisch‹, ›abstrakt‹ und ›männlich‹. Er bietet damit noch einmal eine quintessentielle Verdichtung der Semantik, die in dieser Arbeit besprochen wurde. Das mystische Prinzip beschreibt Capra als die Einheit aller Dinge, in der Trennung und Unterscheidung nicht existierten. Und auch nach der modernen Quantenphysik bestehe die Welt nicht aus diskreten Bestandteilen; nur in der Messung erscheine dies so. Tatsächlich sei alles in der Natur miteinander verwoben. Das Prinzip des »Gewebe[s]« gelte in der modernen Physik wie im Buddhismus. Auch die Relativität von Raum und Zeit gilt Capra als Einlösung buddhistischer Raumzeit- und Logikkonzepte. Feld-Konzepte seien mit dem gekrümmten Raum der modernen Physik identisch, somit sei das Feld nah an der östlich-mystischen Vorstellung eines alles durchwirkenden Grundstoffes. »In der östlichen Mystik wird die eine Realität als Essenz des Universums gesehen, die der Vielfalt von Dingen und Ereignissen zugrundeliegt und sie vereinigt. Die Hindus nennen sie ›Brahman‹, die Buddhisten ›Dharmakaya‹ (der Körper des Seins) oder ›Tathata‹ (So-Sein) und die Taoisten ›Tao‹.« Insbesondere das Einstein-Podolsky Capra: Das Tao der Physik, S. .  Ebd., S. .  Ein derartiges Binär-Schema könnte man, wollte man Capra spitzfindig begegnen, selbst als sehr westlich bezeichnen.  Vgl. Capra: Das Tao der Physik, S. .  Ebd., S. .  Vgl. ebd., S. .  Ebd., S. .

. Ganzheitlichkeit



Rosen-Paradoxon fasziniert Capra, und es dient ihm als argumentativer Baustein, die buddhistische Weltsicht eines Kosmos, in dem alles mit allem verknüpft ist, zu untermauern. Capra begeistert sich für David Bohm und dessen These, das Universum könnte nicht nur durch Materie, sondern auch durch Bewusstsein strukturiert sein. Schließlich ist noch festzustellen: In seinen Überlegungen essentialisiert und naturalisiert Capra das östliche Denken. Holistisches Denken bedeutet auch, gerade in seinen mystischen Ausformungen (siehe zu unio mystica Kapitel .), den Verlust des von der Welt abgetrennten Bewusstseins. Eine Erfahrung, die viele Gurus versprechen, folge man ihren praktischen Anweisungen (etwa in Meditationsübungen). Diese andersartigen Bewusstseinszustände werden auch oft bei charismatischen Medien beschrieben, die Kontakte zu Jenseitigem herstellen sollen (siehe Kapitel .). Begriffe für diese Seinszustände sind Trance oder Ekstase. Damit ist ein Außersichsein, ein Verlust der Ichgrenze gemeint. In der modernen neoliberalen Welt, etwa im Profisport, wird dieses Konzept unter dem Terminus flow verhandelt. Trifft ein Spieler etwa im Basketball mehrere Würfe hintereinander, wird vom flow oder vom in the zone-Sein gesprochen. Der Spieler erlebe dann das Vergessen der Zeit, und die volle Konzentration auf eine Sache, das »Verschmelzen« mit ihr, führe zum Ausblenden von äußeren Faktoren (Störungen, auch von Schmerzen) und eventuell auch zum Verlust der Ichgrenze. Der erfolgreichste NBA-Basketballtrainer der er Jahre und der Jahrtausendwende, Phil Jackson, galt gar als Anhänger der Zen-Philosophie und versuchte, diese Lehre in den Sport zu transferieren. Der Philosoph Wolfram Eilenberger hat dem deutschen Fußball-Nationalspieler Toni Kroos bescheinigt, er gelange durch seine Spielweise in einen »Zustand vollendeter Wachheit und flüssiger Seinseinheit, die nicht wenige Weltreligionen für das eigentliche Ziel ihres spirituellen Strebens halten. Und zwar in Form einer Differenziertheit der Wahrnehmung und Leibeskontrolle, in der unser nie ganz abgerissener Kontakt zu einer höheren Ebene des Daseins erlebbar wird. Ein Zustand partieller Flüssige Seinseinheit

 Vgl. Capra: Das Tao der Physik, S. .  Vgl. Voss: Mediales Heilen in Deutschland, S. –.  Zu flow vgl. das einschlägige, bezeichnenderweise in Self-Help-Form auftretende Buch: Mihály Csíkszentmihályi: Flow. Das Geheimnis des Glücks. Übers. v. Annett Charpentier. Klett-Cotta: Stuttgart .



 Esoterisches Personal II – Guru- und Prophetenfunktionen

Unsterblichkeit« sei das. In diesen Beispielen zeigt sich abermals, wie gnostisches, mystisches und holistisches Gedankengut in der Alltagskultur weiterhin verankert ist und wie eng die Verknüpfung esoterischer Lehren und Streben nach Leistung ist.

 Wolfram Eilenberger: Unsterblich werden mit Toni Kroos. In: Die Zeit (Online-Ausgabe), . Mai . : http : / / www . zeit . de / sport / 2017 - 05 / toni - kroos - real - madrid - champions league/komplettansicht (besucht am . . ).

 Zusammenführung Die vorliegende Arbeit hat sich zeitgenössischen esoterischen Phänomenen zugewandt. Dabei ist aufgefallen, dass die derzeit populären Spielarten sich eines technisch-naturwissenschaftlichen Vokabulars bedienen und desöfteren auf pseudotechnische Apparaturen zurückgreifen. Dies, so wurde gezeigt, ist in mehrfacher Hinsicht signifikant. Zum einen zeigt es, dass moderne Esoterik kein regressives Gegenmodell zum technisch-naturwissenschaftlichen Paradigma der Moderne darstellt, sondern gegenwärtigen Rationalisierungsanforderungen (scheinbar) genügt. Zum anderen ist aufgefallen, dass die angesprochenen Geräte und Theorien oft zu einer Vermessung des Individuums genutzt werden. In diesem Zusammenhang hat sich gezeigt, wie esoterische Lehren an der Konstitution des neoliberalen Subjekts mitarbeiten. Das hat durchaus gesamtgesellschaftliche Effekte: Esoterik ist kein Randphänomen, sondern vielfach präsent. Nicht nur in Büchern und in teuren, über das Internet oder auf Messen vertriebenen Geräten, sondern auch camoufliert, in Kalendersprüchen oder Wirtschafts-, Sport- und Psycholehren – ja sogar auf Produktverpackungen: Viele Bio-Hersteller drucken einen durchgestrichenen Bar-Code auf die Packung; durch den Strich sollen schädliche Energien neutralisiert werden. Leicht fällt es, derartige Esoterik-Phänomene als Kitsch und Betrug zu entlarven, aber das wird dem Gegenstand nicht gerecht, wenn man die weitgehende Verbreitung und Bedeutung bedenkt. Esoterik in seiner gegenwärtigen Form ist durch einige spezifische Charakteristika gegenüber älterer Esoterik ausgezeichnet. Wie schon erwähnt sind das eine naturwissenschaftlich-technische Anmutung sowie Aspekte der Quantifizierung des Menschen, daneben aber auch der Drang nach Verbreitung (›Exoterik‹) und kommerzieller Ausrichtung sowie eine Fokussierung auf das Konzept der Strahlung – letzteres ist eine Folge davon, dass Esoterik in das moderne Mediendispositiv eingebettet ist, in dem technische Kommunikationsmedien allgegenwärtig sind. Der Begriff Esoterik wurde in dieser Arbeit als umbrella term verwendet, der sowohl den klassischen Kanon, als auch das ganze heute existierende Angebot an Büchern, Lehren, Praktiken, Geräten, Parawissenschaften umfasst. Die Rubrizierungen sind dabei beliebig: Ob Esoterik verkaufsseitig etwa unter »Parapsychologie«, »Okkultismus« oder »New Age« angeboten wird, spielt nur in den Begriff

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Menzler, Techno-Esoterik in der säkularisierten Moderne, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27303-3_7

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 Zusammenführung

jeweiligen Konnotationen und den jeweiligen historischen Verweisen eine Rolle. Die wissenschaftliche Esoterikforschung hat sich meist auf den klassischen Kanon beschränkt (Kapitel .) und dabei den Begriff mittels spezifischer Eigenschaften umgrenzt. Die einschlägigste Definition hat Antoine Faivre vorgelegt. Seine sechs Kriterien waren: das Denken in Entsprechungen, Animismus, Imagination, Transmutation, Konkordanz / Synkretismus und die Wissensweitergaben von Meister zu Schüler. Esoterik tritt dabei als Geheimwissenschaft für Eingeweihte auf, wobei, wie erwähnt, heute ein paradoxer Hang zur Verbreitung zu verzeichnen ist – jedoch unter Beibehaltung eines elitären Eingeweihten-Gestus. Bei ›kleinteiligen‹ Phänomenen wie der Angst vor Elektrosmog wird der Erkenntnisprozess als wissenschaftlich-rational verstanden, größer angelegte Konzepte wie die esoterisch angehauchten Cyberspace-Utopien der er Jahre dagegen denken im Modus der Gnosis: Erkenntnis werde in einem einzelnen Moment (durch Transformation) und jenseits von Sprache und Rationalität gewonnen. In der Lehre der Scientology zum Beispiel vermischen sich beide epistemologischen Vorstellungen: Die technische Rationalität des E-Meters mit den Offenbarungsgeschichten von L. Ron Hubbard und den Initiationsereignissen, bei denen Sektenanhänger auf die Seinssstufen Clear und Operating Thetan gehoben werden. Lehren wie die von Scientology oder des Cyberspace sind durch einen groß angelegten Universalismus charakterisiert, aber auch profanere Konzepte wie etwa Elektrosmog-Angst zeichnen sich durch eine holistische Weltsicht aus: dass alles mit allem verknüpft sei. Das Konzept des Holismus verweist schon darauf, dass in dem genuin modernen Phänomen der zeitgenössischen Esoterik (Technik, Vermessung) Rückstände vormodernen Denkens enthalten sind. Dies gilt im Übrigen nicht nur für Esoterik. Allgemein zeigt dies, dass das starre, auf Max Weber zurückgehende Schema der Säkularisierung in seiner ursprünglichen Form nicht haltbar ist. Auf der einen Seite ist Kultur heute weiterhin mit transzendenten Konzepten durchsetzt, auf der anderen Seite hat sich moderne Esoterik so an aktuelle Rationalitätsansprüche angepasst, dass sie wissenschaftlich-technisch auftritt. Die Objektivität ihrer Wissensaussagen wird dabei auch durch technische Geräte hergestellt. Ohnehin ist Esoterik ein Diskurs- und Netzwerkphänomen, dass durch historische Genese, rhetorische, performative, narrative Strukturen und medientechnische Apparate geschaffen wird.

 Zusammenführung



Esoterik verwissenschaftlicht sich. Ihr wissenschaftlicher Status wird jedoch meist mithilfe der Begriffe »Pseudowissenschaft« und »Parawissenschaft« erhoben. Der Terminus Parawissenschaft, der ein räumliches Verhältnis zu den Wissenschaften markiert, wird dabei häufiger in apologetischen Zusammenhängen verwendet, der Begriff Pseudowissenschaft dagegen im Rahmen von ›debunkenden‹ (entlarvenden) Ansätzen. Unter dem Pseudowissenschaftsbegriff werden eher charakterologische Eigenschaften und Überzeugungsstrategien beschrieben, während der Parawissenschaftsbegriff auf historische Parallelentwicklungen und einen epistemisch gleichwertigen Status hinweisen will. Die gegenwärtigen Phänomene, die unter diesen Termini subsumiert werden, sind die gleichen, die auch in der Rubrik Esoterik auftauchen; es handelt sich dabei lediglich um eine andere Sichtweise auf die Dinge. Pseudo- und Parawissenschaft

Gegenwärtige Esoterik lädt ihre technischen Aspekte spirituell auf. Das gilt implizit für die Apparate der Scientology oder die Quintstation, noch expliziter für die Großentwürfe in Cybergnosis oder bei den Raëlianern. Technik wird hier eingesetzt als Instrument, das Erlösung herbeiführen können soll. Damit wird eine neue Perspektive auf die esoterischen Apparate geworfen. Anhand der Geschichte der modernen Gnosis ließ sich zeigen, dass die zeitgenössischen Erscheinungsformen keine direkte Fortführung spätantiken Gedankenguts ist, sondern eine Reaktion auf medientechnische, ökonomische und wissenschaftliche Umbrüche seit dem . Jahrhundert, die allerdings ähnliche »Denkformen« (Faivre) nach sich ziehen wie jene, die vor Jahrhunderten schon existierten. Mit Umwälzungen sind vor allem die Etablierung des physikalischen Energie-Paradigmas und später des kybernetischen Informations-Paradigmas gemeint. Diese Konzepte ermöglichten das Denken von vormodernen Fluidum-Vorstellungen unter den Bedingungen der modernen Naturwissenschaft. Fluidum ist nur ein Ausdruck für die alles durchwirkende Kraft oder den Grundstoff, aus dem die Welt gewebt sei, andere sind – wie mehrmals erwähnt – mana, chi, Orgon, Od, vis vitalis und weitere. Nicht nur große Weltentwürfe wie die in der »Cybergnosis« und »Cybermystik« gründen darauf, sondern auch die Strahlenangst der Elektrosmog-Paranoiker oder die »feinstofflichen Energien«, »Frequenzen« und »Schwingungen« und übertragenen »Quanten-Informationen«, die sich in den Textbeigaben im bunten Gerätepark um »Quintstation« oder »Aqua-Power-Joint« tummeln. Die Begriffe von Energie Moderne Gnosis und Mystik



 Zusammenführung

und Information funktionieren wie Währungen, mit denen sich alles vergleichen und aufrechnen lässt: In moderner Esoterik liegen etwa Technik, Natur und Praxis auf ein und derselben Ebene. Verfolgt man die geschichtliche Linie der modernen Variante der Gnosis, so lassen sich spezifische Muster jenseits der Wichtigkeit des Fluidums erkennen: So ist etwa ein Holismus zu verzeichnen sowie Phantasmen von Transformation. Paranoische und pronoische Varianten existieren: Die erste sieht eine dunkle Bedrohung in Form technischer Systeme und träumt von der Befreiung des Menschen (jedoch wiederum ebenfalls mithilfe von Technik, die sich selbst allerdings unsichtbar macht), der zweite sieht Technologie als Agenten der Herstellung einer unio mystica. In Cybergnosis und Cybermystik zeigt sich das paradoxe Verhältnis von Esoterik zu Technik. Daneben ist, spezifisch modern, eine starke Fokussierung auf das Ich (Sakralisierung des Selbst gar) und Kommerzialisierung in Produktförmigkeit auszumachen – historisch beides einhergehend mit der Durchsetzung des Kapitalismus. Viele der Phantasmen von einem romantischen Zurück-zur-Natur und von persönlicher, gegen die böse industrielle Technologie schützende Technik sowie die starke Ich-Konzentration, die sich in zeitgenössischer Esoterik finden, gehen auf die New-Age-Bewegung zurück, die einen Meilenstein in der Geschichte der modernen Gnosis bildet – in diesem zeitlich und räumlich verdichteten Punkt, Kalifornien der er und er Jahre, wurden viele heutige Trends vorweggenommen. Vor dem Hintergrund des Protestantismus amerikanischer Prägung hat der Literaturwissenschaftler Harold Bloom die moderne Gnosis als information anxiety identifiziert. In ihr gehe es weniger um Glauben als vielmehr um Wissen. Das ist etwas, was sich immer wieder an den in dieser Arbeit untersuchten Gegenständen zeigen ließ: Seien es die Beteuerungen der Scientologen, immer genau zu »wissen«, was zu tun sei, deren Bestrebungen, ›Falschinformationen‹ vom »analytischen Verstand« fernzuhalten oder seien es die Wasser-Gurus, Quintstation-Behandler und Elektrosmog-Paranoiker, die vor falscher ›Informierung‹ warnen. Bei allen diesen Vorgängen geht es um Übertragung. Die Arbeiten Information und Übertragung

 Sakralisierung von Technologie fand historisch freilich auch schon vor der Entwicklung der modernen Gnosis statt – Erik Davis und David Noble gehen Jahrhunderte und Jahrtausende zurück, wie in Kapitel . dargelegt.  Bloom: The American Religion, S. .

 Zusammenführung



zum Okkultismus und Spiritismus (siehe Kapitel . dieser Arbeit) haben gezeigt, wie sich diese esoterischen Spielarten parallel mit technischen Innovationen der Übertragung entwickelt haben – namentlich Telegraphie, Radio, später Fernsehen. Hier zeigte sich auch, wie Phantasmen als Innovationsstreiber für die technische Entwicklung fungieren können. Das ist ein weiteres Argument dafür, Esoterik nicht als vernachlässigbares Wissen zu betrachten. Sie hat immer schon kreatives Potential enthalten. Auf vielfache Weise ist also angesprochen, wie zeitgenössische Esoterik Teil gegenwärtiger Wissenskultur ist. Sie steht unter einem spezifischen Anspruchsregime (Wissenschaftlichkeit), sie ist komplex verwoben mit der Entwicklung moderner Technologie. Darin zeigt sich, dass die früher vertretene These, Esoterik bilde lediglich ein Auffangbecken für aussortiertes Wissen und stelle eine regressive Reaktion auf den technischen Fortschritt und die Säkularisierung dar, nicht haltbar ist. Man kann dies auch gut unter Rückgriff auf die Arbeiten Bruno Latours zeigen: Er hatte dargelegt, wie die gereinigten Dichotomien der Moderne nur eine Illusion sind. Die von ihm sogenannten Tätigkeit der Übersetzung erzeuge hybride Mischwesen zwischen Natur und Kultur. Esoterik betreibt Reinigung, wenn sie den industriell-technologischen Fortschritt als Bedrohung definiert, sie betreibt Übersetzung, wenn sie ihre technischen Apparate bewirbt, in denen das, was heute auseinanderdividiert ist, wieder vereinigt ist: altes, traditionelles, ›östliches‹ Wissen und die Paradigmen von moderner Naturwissenschaft – mana und Quantenphysik. In ihnen vermischt sich der rational-wissenschafltiche und der transzendental-mystische Ansatz. Zudem beschwören die holistischen Lehren der Esoterik, in deren Weltbild alles mit allem verknüpft ist, die »anthropologische Matrix«, in der wir laut Latour und vor allem auch laut dem Cyberspace-Forscher Erik Davis schon immer leben. Des Weiteren versteht Latour die Realität als ein Gewebe aus Natur, Kultur und Diskurs. Lose inspiriert hiervon hat sich die vorliegende Arbeit ihrem Thema, der gegenwärtigen Esoterik, über Texte, Materialitäten und Subjekte genähert. Alle diese Figurationen haben ihre eigene agency im Zusammenhang der Esoterik. So kann man auch die Apparate, die aus technisch-naturwissenschaftlichen Perspektive nichts tun (Quintstationen, Elektrosmog-Blocker, Aqua-Power-Joints haben physikalische keine Wirksamkeit), in ihrer Wirkmächtigkeit untersuchen. Esoterik und Moderne



 Zusammenführung

Im Sinne dieser Systematik hat sich die vorliegende Arbeit zunächst dem Feld des esoterisch aufgeladenen Wassers zugewandt. Auf dem Esoterikmarkt werden allerhand spezielle Wässer angeboten, die – spezifisch behandelt oder aus bestimmten Quellen stammend – ›gesünder‹ als herkömmliches Trinkwasser sein sollen. Zwei der bekanntesten Namen in diesem Bereich sind bei Johann Grander (mit seinem besonderen Trinkwasser) und Masaru Emoto (mit seinen Eiskristallen). Wasser ist dabei ein Stoff, der hier als Medium von Esoterik fungiert. In den vorhandenen esoterischen Lehren wird Wasser dabei zu einem feinstofflichen Fluidum (im Sinne der älteren mana/prana/chi-Vorstellungen und im Sinne von modernen Konzeptionen wie dem animalischen Magnetismus Mesmers) erhoben. Es sei Träger verborgener (Heil-)Kräfte und gewissermaßen im Stande, die neuzeitliche Verirrung der Subjekt/Objekt-Trennung und der damit einhergehenden Entfremdung des Menschen ›aufzulösen‹. Historisch ist Wasser besonders gut geeignet, diese Rolle in der modernen Esoterik zu übernehmen, wie die Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme und Beatrix Pfleiderer gezeigt haben: Seit jeher wird der Stoff symbolisch aufgeladen, von antiken Heilquellen bis zur Werberhetorik zeitgenössischer Trinkwässer im Supermarkt. In den kursierenden esoterischen Wasser-Lehren werden dem Stoff ein übernatürlich großes Heilvermögen zugeschrieben. Diese Behauptungen werden verbreitet im Namen einzelner Individuen (sprich etwa Grander oder Emoto), die zugleich als Naturforscher und inspirierte Entdecker gefeiert werden – wie die Gurus, die in dieser Arbeit ebenfalls thematisiert worden sind. Neben die Autorität dieser Figuren (meist Männer höheren Lebensalters) tritt die Autorität para- und pseudowissenschaftlicher Erläuterungen, die für eine Anschlussfähigkeit an gegenwärtige Rationalitätsdiskurse sorgen. Historisch gibt es immer wieder Berührungspunkte zwischen Wasser-Esoterik und wissenschaftlicher Forschung, früher etwa bei der Verschüttelungs- und Potenzen-Theorie von Hahnemanns Homöopathie, vor einigen Jahren etwa bei Benvenistes Arbeiten am INSERM. Die Demarkationslinie ist nicht immer ganz klar. Symbolisch fallen beim Thema Wasser noch zwei Aspekte ins Auge: Zum einen das Feld Reinheit / Reinigung / Ausleiten, das in Spiritualität und in Medizin (Heilung) schon immer eine große Rolle gespielt hat und auch in den in dieser Arbeit besprochenen Zukunfts-Sekten (Scientology, Raëlismus, Heaven’s Gate) eminent wichtig ist. Für den Zweck der Reinigung ist Wasser das Mittel schlechthin. Stoff: Belebtes, aktiviertes, levitiertes, energetisiertes, informiertes Wasser

 Zusammenführung



Zum zweiten entfaltet sich in der Theorie des aktivierten Wassers die moderne Medienlehre des Speicherns und Informierens. Unsichtbar und unerfassbar klein wie im Inneren einer Festplatte sei im Wasser »Information« niedergeschrieben. Die Rhetorik zeitgenössischer Wasser-Esoterik beruft sich häufig auf diesen Informationsbegriff, indem sie die Heilwirkung des Wassers weniger materiell, sondern eben informationell – die hochmoderne Version von feinstofflich – konzipiert. Und weiterhin: Im »informierten« Wasser zeigt sich mit Erik Davis gedacht die Kreuzung von Natur und Technik. Wasser tritt als natürlicher Stoff schlechthin auf, der mit technischen Mitteln so aufbereitet wird, dass er ›noch natürlicher‹ erscheint und so seine Technizität verschleiert. Apparat: Aqua-Power-Joint Eines der Geräte, mit denen Wasser »informiert« / »aktiviert« werden kann, ist der sogenannte Aqua-Power-Joint. Es handelt sich dabei, wie dargelegt, um ein Objekt in Form einer länglichen Dose, das auf simple Weise an häusliche Wasserleitungen geklemmt werden soll. Laut Beschreibung soll damit Wasser so veredelt werden, dass es positive Gesundheitswirkungen entfalte. Auffällig ist, dass ein sehr breites Wirkspektrum behauptet wird. Aber nicht nur dem so behandelten Wasser, auch dem Aqua-Power-Joint selbst werden übernatürliche Fähigkeiten zugeschrieben. So soll er ohne Energiezufuhr jahrelang arbeiten und Wasser reinigen, ohne dass das Wasser direkt durch ihn hindurch fließen müsse: Eine bloße räumliche Nähe ohne Kontakt reiche aus. So würde der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik (das Entropiegesetz) außer Kraft gesetzt. Das Phantasma unbegrenzter Kräfte findet sich in der zeitgenössischen Esoterik immer wieder. Dieser Aspekt ist transzendental: Ein Gerät wie der Aqua-Power-Joint wird dabei wie ein Heiliger Gral behandelt. In der Anpreisungsrhetorik lassen sich die typischen Merkmale heutiger Esoterik ausmachen: In den Erläuterungen zur Funktionsweise zeigt sich ein großer Synkretismus und finden sich zahlreiche Anspielungen auf die Esoterikgeschichte. Genannt werden etwa die Homöopathie oder der Magnetismus als feinstoffliche Kraft (im Sinne von Mesmer). Daneben wird die symbolische Kraft von Kristallen, Mineralien, Gold und Silber beschworen. Indem die Semantiken von »Schwingungen« und »Übertragungen« zum Einsatz kommen, werden die physikalischen und informationellen Diskurse zitiert, die in der gegenwärtigen Esoterik eine so große Rolle spielen. Verkaufslogisch wird so vorgegangen, dass die eigenen Be-

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hauptungen über die Wirkmächtigkeit des Aqua-Power-Joint mit testimonials und Gutachten von Wissenschaftlern und Professoren untermauert werden. Anscheinend ist es so, dass diese starke Übertreibung (Behauptung einer unrealistisch breiten und starken Wirkung, ein hoher Kaufpreis und die Beglaubigung durch zahlreiche erhabene Titelträger) geradezu Strategie ist: Damit wird eine starke Wir-gegen-den-Mainstream-Aura aufgebaut, die potentielle Käufer damit locken will, Teil eines elitären Zirkels werden zu können, der etwas verstanden hat, was der Rest der Gesellschaft nicht verstehen will. Diese Gegenüberstellungs-Logik funktioniert auch immunisierend. Skeptiker, die etwa den hohen Preis des Produkts für verdächtig halten mögen, gelten dann immer gleich als Feinde und nicht als satisfaktionsfähige Kritiker. Mit den gleichen Überzeugungsstrategien gehen die Elektrosmog-Paranoiker vor, die in Kapitel . dieser Arbeit behandelt worden sind. Sie sehen sich als einsame Kämpfer gegen die etablierte Wissenschaft, gegen herrschende Politik und gegen die Öffentlichkeit. Sie inszenieren sich als Mahner, die vor einer ubiquitären Gefahr warnen, die die Masse schlicht noch nicht erkannt habe. Lediglich eine Kaste an besonders Erwählten, die sogenannten Elektrosensiblen, habe die Fähigkeit, die schädliche Wirkung von Elektrizität und elektromagnetischen Feldern an ihrem eigenen Körper bewusst zu spüren, während sie die Allgemeinheit unbemerkt schädige. Die proklamierte Gefahr sei dabei Folge der Zivilisierung und Technisierung: Stromnetze, Rund- und Mobilfunk, WLAN. Die Liste an Schadquellen ist dabei ähnlich lang wie die Liste an positiven Effekten, die der Aqua-Power-Joint zeitigen soll. Die Mittel, die empfohlen werden, zeigen dabei das Technik-Paradoxon der Esoterik: Das Zurück-zur-Natur ist meist nur durch kommerzielle und (pseudo-)technische Geräte zu erreichen. Begrifflichkeiten des Elektrosmog-Denkens sind geprägt durch die Sprache der Physik. Wie immer soll damit eine wissenschaftliche Autorität simuliert werden, wobei das Denken einen transzendentalen Überschuss enthält. Die gesamte Vorstellung des Elektrosmogs orientiert sich an der Vorstellung des weltdurchwirkenden Fluidums, das bereits vielfach erwähnt wurde. Im Unterschied zu den pronoischen Heilslehren wie dem Mesmerismus oder älteren mana-Konzepten, in denen das Fluidum Grundstoff eines ›gutwilligen‹ Kosmos ist, zeigt sich hier jedoch eine paranoische Spielart, die Angst vor dem Netz oder Gewebe aus »Strahlen« hat. In der Elektrosmog und die Angst vor dem Strahlennetz

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Moderne ist diese Furcht seit der Entwicklung der technischen Telekommunikation immer präsent, von den Denkwürdigkeiten des Daniel Paul Schreber bis zu den Dystopien des Cyberpunk. Wissenschaft, Vermessung und das Subjekt der modernen Esoterik. Quintstation und E-Meter

Die Verwissenschaftlichung der Esoterik zeigt sich auch in den Tätigkeiten der Quantifizierung und des Messens. Nicht nur das Elektrosmog-Meter »DT–« (Kapitel .) zeugt davon. In einer weiteren Wendung werden Maßstäbe auch an die Anhänger esoterischer Lehren selbst angelegt. Dort vollzieht sich das, was die Formung des modernen Subjekts genannt wird. In der vorliegenden Arbeit wurden zwei einschlägige Beispiele dafür behandelt, die Quintstation (ein Gerät, welches in alternativer Medizin und Heilpraktik zum Einsatz kommt) und das E-Meter der Scientology. Beide wollen über die Erhebung von Körperdaten auf die ›geistigen‹ Zustände im Inneren schließen. Auf diese Weise wird dem getesteten Individuum meist ein Mangel nachgewiesen, auf den es mit einer Änderung seiner Lebensführung (und mit weiterer Anwendung der Geräte) zu reagieren habe. Unter diesem Zahlenregime ist das Subjekt des Tests angehalten, sich beständig freiwillig zu überwachen (lassen), sich abzugleichen und zu optimieren. In esoterischen Zusammenhängen findet dies meist in einer therapeutischen Anordnung von Patient (einfacher Interessent, medizinischer Patient oder Mitglied einer religiösen Bewegung) und Therapeut (Arzt, Heilpraktiker, Coach, »Auditor«) statt – einem Arrangement im Zwischenraum zwischen dem Zwang der älteren Ordnung und der vollends neoliberalen Selbstüberwachung, die beim sogenannten Quantified Self zu finden ist. Neoliberal ist diese Anordnung aber deswegen, weil das Subjekt freiwillig an den Diagnose- und Therapiesitzungen teilnimmt und der Therapeut dem Patienten ja lediglich ›hilft‹. Die Unterwerfung (subiectum) geschieht aus freien Stücken. Dabei kommt die Technologie, die etwa bei der Scientology zum Einsatz kommt, nämlich die Messung der elektrodermalen Aktivität, aus der älteren Ordnung der Zwangsüberwachung. Zuerst kam sie nämlich in Form eines Lügendetektors in der Kriminalistik zur Anwendung. Auf diese Weise gemahnt sie an ihr autoritäres Erbe. Dennoch ist ihr zentraler Imperativ die Aufforderung, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen. Gerald Willms hat pointiert, dass – um beim Beispiel Scientology zu bleiben – eine derartige Sekte nichts Verrücktes oder Irrationales

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darstellt, auch wenn konkrete Teilelemente absurd erscheinen mögen (etwa das jede Krankheit vollständig selbst verursacht sei). Stattdessen verkörpern sich in derartigen Arrangements nur zeitgemäße Konzepte des Ichs, von Glück und von Erkenntnisgewinn. Glück ist in diesem Modell persönlicher Erfolg. Das Ich ist etwas, das sein Schicksal vollständig selbst in der Hand habe, und Erkenntnis wird durch objektivierende Instanzen (Messgeräte) gewonnen. Spirituell gesehen unterscheidet sich moderne Esoterik damit etwa vom christlichen Glauben katholischer oder lutherischer Prägung, die das Glück ins Jenseits verschieben. Auf diese Weise bereinigt moderne Esoterik ihren Glauben von transzendentalen Elementen. Die meisten der zeitgenössischen esoterischen Anwendungen geben das Versprechen ab, als eine Art technische Wissenschaft des Geistes das Glück hier und jetzt herbeischaffen zu können. So gliedert sich moderne Esoterik ein in das Wissensparadigma der modernen Wissenschaften. Oder, anders ausgedrückt: Sie ist »eine religiosierte Variante der grundlegenden Kulturwerte der modernen Gesellschaft.« Mit der Vermessung physiologischer Zustände geht die Verwendung des Begriffs Stress einher, der sich auch bei Quintstation, Scientology oder Elektrosmog-Angst immer wieder findet und der zeigt, wie sehr moderne Esoterik Teil gegenwärtiger Wissenskultur ist. Dabei ist Stress nicht nur der umfassende Begriff für all’ die so oft verfemten negativen Einflüsse der menschlichen Zivilisation und Technisierung, sondern auch eine Metapher für die Störung des ›Energiesystems‹, der ›Harmonie‹ oder eben der Wohlordnung des Fluidums, das Grundlage für die Weltsicht aller in dieser Arbeit behandelten esoterischen Lehren ist. Die Überzeugungsstrategien, derer sich die Text- und Bildbeigaben zu den Apparaten Quintstation und E-Meter bedienen, sind wieder die gleichen wie schon beim energetisierten Wasser und bei den Elektrosmog-Kassandren. Es finden sich Nennungen einschlägiger Lehren und Gewährsmänner. Autoritäten werden aufgerufen, bei der Scientology tritt Gründer L. Ron Hubbard selbst als Geniefigur auf. In diesem Sonderfall kommt gar noch eine Einbettung in ein religiös-kosmogonisches Modell hinzu. Die neuzeitliche Physik Überzeugungsstrategien Scientology, Quintstation

 Auch beim Aqua-Power-Joint wurden schon Experimentalanordnungen beschrieben, siehe das entsprechende Kapitel.  Willms: Die wunderbare Welt der Sekten, S. .  Ebd.

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wird ebenso zitiert wie altertümliche Lehren, wobei beide verwendet werden, um das holistische, informationelle ›Schwingungs‹-Weltbild zu unterfüttern und um die Existenz feinstofflicher Kräfte zu behaupten, die die etablierte Wissenschaft nicht beweisen könne oder wolle. Objektiviert werden diese Kräfte allerdings durch die Geräte. Sprachlich wird jeweils ein eigener Fachjargon bemüht. Weiterhin ist eine starke Neigung zum Exzess zu konstatieren: Wirkspektren und Wirkmächtigkeit werden sehr hoch veranschlagt, ebenso die finanziellen Anschaffungskosten der Geräte. Wie schon gezeigt, bedeutet dieser Gestus der Überbietung: ›Wir gegen alle. Unsere Methode ist die einzig wahre. Alle anderen sind Lügner.‹ Neben Geräte, Texte und Subjekte treten Figuren, die mit der Aura ihrer Person für die Glaubhaftigkeit einer Lehre einstehen sollen. Diese Gurus sind gar die zentralen Elemente, wenn es um die Überzeugungsstrategien moderner Esoterik geht. Nicht umsonst sind die meisten Heilmethoden oder Vereinigungen nach ihren Schöpfern benannt (Mesmerismus, Elektroakupunktur nach Voll, Raëlismus, Kryon-Schule, Grander-Wasser). Die generelle Methode, dem Guru selbst Autorität zu verleihen, ist oft die Beigabe einer regelrechten Super-Biographie. Die meisten Propheten dieser Art werden als Abenteurer, Forscher, Hochgebabte, Polyhistoren beschrieben, die Wundertaten vollbracht hätten. Der Modus, in dem der Guru sein Wissen erlangt hat, sei dabei oft eine Mischung aus wissenschaftlicher Forschung, gnostischer Erkenntnis und Berufung durch eine höhere Macht gewesen. Der Guru ist also ein besonders Erwählter, der diese Eigenschaft auf seine Jünger übertragen kann: Deswegen spicht Raël von den »Eternals« und Hubbard hatte seine ›Eliteeinheit‹ »Sea Org« (Kapitel .). Diese Pose des Herausgehobenen hatte sich ja auch schon beim Elektrosmog-Wissen gezeigt. Die Ausnahmestellung des Gurus einer Bewegung begründet dabei eine Hierarchie, die sich in asymmetrischen Sprecherverhältnissen innerhalb der einzelnen Gruppen zeigt, wie Klotz es nachgewiesen hatte (Kapitel ). In den Gurus selbst manifestiert sich das, was sie predigen, auf besondere Weise. Zum einen ist das eine Radikalität in der so oft propagierten Reinheit und Askese. Claude Vorilhon, der Anführer der Raëlianer, tritt stets in einem weißen Gewand Gurus

 Ähnliche Verfahren, vielleicht etwas weniger übersteigert, findet man gegenwärtig auch in den Feldern Ernährung, Sport und Gesundheit. Siehe als nur ein Beispiel von vielen den in Kapitel . besprochenen Bulletproof Coffee.  Klotz: Quantenphysik und Esoterik, S. .

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auf. Sie stehen für die esoterischen Ideale Sauberkeit, Reinheit, Aseptizität, geistige Bildung, Überwindung der Körperlichkeit. Zum anderen stehen sie ein für den Holismus, den Glauben, dass alles mit allem verknüpft sei. Sie demonstrieren eine besonders enge Verbindung zum Kosmos, zum großen Ganzen der Natur. Sie sind Integrationsfiguren, deren Präsenz den Zugang zu esoterischem Wissen, gnostischer Erfahrung und Teilhabe am Weltganzen garantiert. Dieses Weltganze ist ein wiederkehrendes Motiv der Esoterik. Die ›Schwingung‹ erzeugenden Geräte, die in dieser Arbeit besprochen worden sind, die mesmeristischen Magnetfelder und dergleichen sind in dieser Vorstellung Äußerungen eines integrierten, harmonisch in sich geschlossenen Mega-Organismus, der das Universum sei. Das Holismus-Denken wurde ethnologisch immer als Merkmal älterer und abgekapselter Kulturen gedeutet, obwohl zu vermuten steht, dass diese Feststellung in ihrer Schablonenhaftigkeit bereits eine Verkitschung sein könnte. Die wahre Gemengelage ist komplexer. Denn zum Beispiel auch die moderne Kybernetik weist Eigenschaften holistischen Denkens auf – und so auch die davon inspirierte Techno-Esoterik, die Gegenstand dieser Arbeit war. In deren Maximalentwürfen von universellen Cyberspaces zeigt sich zudem, wie die Dichotomie Technik / Natur aufgelöst werden kann. ›Gute‹ technische Erzeugnisse sind dann ebenso animiert und magisch wie die Natur. Diejenige Technik, die zum Industriekomplex gehört, wird dagegen als dunkle Bedrohung empfunden, die es zu besiegen gelte. Ein besonders einschlägiges Beispiel für holistisches Denken in der modernen Esoterik bietet das Modell von Fritjof Capra. Der Physiker verband moderne Quantenphysik mit altem, fernöstlichem Wissen. Die Erkenntnisse der modernen Physik waren für ihn der Beweis, dass die Wissensordnung der westlichen Neuzeit nur eine Verirrung gewesen sein müsse. Stattdessen sei die Welt ein holistisches Gewebe. Capra wiederholt dabei die typischen Posen esoterischer Gurus, indem er etwa von einer Initiationsszene in der Beobachtung des Wellengangs berichtet. Sein Modus der Erkenntnis ist wissenschaftlich fundiert (Physik), überschreitet aber in einem zweiten Schritt die Grenzen der Rationalität. Die Endform dessen, was er gewinnt, sei aber dennoch: gesichertes Wissen. Ganzheitlichkeit

»Esoterik« heute ist also zunächst ein recht beliebig erscheinendes Label. Aber alle die diversen Dinge, die – auf dem Markt wie Zeitgenössische Esoterik quintessenziell

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in dieser Arbeit – unter diesem Begriff subsumiert werden, teilen dabei gewisse Charakteristika. Auf der einen Seite sind dies die klassischen Merkmale, die Faivre am einschlägigsten beschrieben hatte: das Denken in Entsprechungen, Animismus, die herausragende Rolle der Imagination, die Vorstellung einer Transmutation, Konkordanz und Synkretismus im Wissen, die Wissensweitergabe durch Meister. Von der klassischen Esoterikforschung weniger beachtet, ist Esoterik durch typische Überzeugungsstrategien gekennzeichnet, die sie vor allem in den kommerziellen Ausprägungen der heutigen Zeit zeigen: Es ist das bewusst übertreibende, konfrontative und verschwörungstheoretische Vorgehen. Die Begriffe jeweils kurrenten naturwissenschaftlichen Wissens werden dabei gewissermaßen als Köder verwendet. Doch es ließen sich auch spezifisch moderne Charakteristika ausmachen. Diese sind Ich-Bezogenheit, Kommerzialisierung, Technikgläubigkeit (bei gleichzeitiger paradoxer Zivilisationsskepsis), Wissen statt Glauben, Anschluss an moderne Rationalitäsanforderungen (›wissenschaftlicher‹ Fachjargon), und der Glaube an die Gestaltbarkeit des Lebens (Selbstoptimierung und -ermächtigung). Wissen statt Glauben ist eines der zentralen Merkmale moderner Esoterik. In ihr verbinden sich Wissensgewinnung mithilfe neuzeitlicher Rationalität, technischer (Mess-)Instrumente, gnostischer Erfahrung und Initiation durch Meisterfiguren. Folge der information anxiety (Harold Bloom) ist ein Streben nach dem Erlangen vollständiger Information und der Beseitigung von Kontingenz – der Wille nach der Beherrschung des Schicksals. Der gnostische Weltverschwörungsgedanke findet sich zumindest in Teilen beim Elektrosmog, vor allem bei der Scientology. Das Gefängnishafte an der Welt ist diesen Gnostikern nicht Unnatürlichsein, sondern das Vermittlungshafte. Das gnostische Subjekt will aus Propaganda, Verschwörung, Manipulation ausbrechen. Dieses Narrativ findet sich in Science-Fiction-Filmen wie Matrix und bei Sekten wie Scientology, Raëlismus und Heaven’s Gate. Der Holismus moderner Esoterik ist sowohl eine Reminiszenz an ältere Wissensordnungen als auch ein Aufgreifen hochmodernen kybernetischen Denkens. Gleiches gilt für esoterische Vorstellung eines Fluidums, das als feinstoffliche Substanz der Welt zugrunde läge und das Medium für die allumfassende Verknüpfung diene. Dieses Fluidum findet sich in älteren Vorstellungen von Naturvölkern als auch in den verschiedenen Theorien der modernen Naturwissenschaft, wie etwa dem Äther. Der semantisch scheinbare Widerspruch zwischen Hypermodernität und Zi-

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vilisationsskepsis lässt sich verstehen, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass es im . Jahrhundert die Tradition gibt, den Fortschritt so zu deuten, als würde er schließlich einen verloren gegangenen Urzustand wiederherstellen. In einer (von großen Erzählungen gereinigten) postmodernen und hyper-technologisierten Welt sehnten die Leute sich nach dem prämodernen, tribalistischen Mindset, so Erik Davis, und er schlussfolgert: Der Drang, neue Kommunikationsmedien zu erfinden, ist getrieben von »mystischen Impulsen« Auch McLuhan hatte den technischen Fortschritt als re-archaisierend interpretiert. Dies alles zeigt, dass gegenwärtige Esoterik keine Gegenbewegung zur Moderne darstellt, sondern durchaus sehr modern ist, ja dass sich in ihr gewisse Tendenzen gar in übersteigerter Form zeigen. Zwar in der öffentlichen Diskussion oft (wohl auch zurecht) als Betrugsmasche verfemt, übernimmt dieses »renitente Randgeschehen« (Klotz) eine Systemstelle in der Gesellschaft. Die derzeit florierenden populäresoterischen Phänomene stellen keineswegs skurrile, vernachlässigbare Erscheinungen dar, sondern führen geradewegs in den Kern moderner Subjekttechniken. Zum einen, weil sie fest verankert in den Logiken der Selbstoptimierung sind, zum anderen, weil ihr Wissen aus dem Repertoire der etablierten Wissenschaft kommt oder eben jenes Wissen darstellt, was aus dem Kanon verdrängt worden ist. Als drittes hat sich diese Arbeit für die Überzeugungsstrategien interessiert, derer sich zeitgenössische Esoterik-Spielarten bedienen. Auch hier zeigte sich ein gängiges Vorgehen. So sucht sie etwa Verbreitung – was im Widerspruch zum Wortteil »eso« steht. Sie nutzt dazu die Mittel der Werbung und digitalen Distribution und schafft den Anschluss an bestehendes populärwissenschaftliches Wissen. Zwar kultivieren esoterische Szenen ihre Außenseiter-Haltung gegen einen behaupteten Mainstream (der mit Begriffen wie »Schulmedizin« und mit Semantiken der sozialen Kälte apostrophiert wird), das esoterische Wissen ist aber kein abgerenzter Bereich von Wissen, das sich in Fundamentalopposition zum Etablierten befindet. Stattdessen ist dieses Wissen disseminiert in die verschiedensten Bereiche. Es findet sich in Bildung (Antroposophie), Gesundheitswesen (Homöopathie), Sport (Yoga, Profifußball) oder Unternehmenskultur (Managerseminare). Die Naturwissenschaft schließt immer wieder Wissen aus, welches als überkommmen gilt. In esoterischen Zusammenhängen kann es gewissermaßen ›überleben‹ und gegebenenfalls zurückgespeist werden – man denke an die verschiedenen  Davis: Techgnosis, S. .

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Techniken und Praktiken von Hautwiderstandsmessung, die zunächst in Kriminologie und Kriminalistik verwendet wurden, die dann in der Scientology-Religion zum Einsatz kamen und deren Verwendung nun im Zuge des Self-Trackings im Rahmen sportlicher Selbstsorge reüssiert. In der Nutzung von neuartigen Techniken und von naturwissenschaftlichen Wissensbeständen, in der Beleihung der Strategien von Werbung und des Kapitalismus, und in der Bedienung der neoliberalen Nachfrage nach Selbstoptimierungsangeboten ist die zeitgenössische Esoterik eine spezifisch moderne. Sie stützt sich auf ihr eigenes Wissensinventar und mitunter Jahrhunderte alte Traditionen, aber in ihrer derzeitigen Ausprägung ist sie ein geradezu mustergültig kontemporäres Phänomen. Esoterische Selbstauskünfte haben ein zwiegespaltenes Verhältnis hierzu: Auf der oberflächlichen Ebene konstruieren sie oft eine feindliche Stellung gegen alles Zivilisatorische, das als dekadent und schädlich diffamiert wird. Neuzeitliche Wissenschaft wird oft als eine Verirrung und Agent einer Entmenschlichung angesehen. Das Wissen, auf das Esoterik sich beruft, wird meist mit Attributen wie ›seit Urzeiten bekannt‹, ›natürlich‹ und dann daraus folgend als ›verträglich‹ und ›sanft‹ versehen. Das esoterische Wissen, das dieser Argumentation folgend dann schon viel älter als das Wissen der modernen westlichen Zivilisation sei, sei richtiger und werde sich, so das Narrativ, wieder durchsetzen. Zugleich kultivieren viele der in dieser Untersuchung behandelten esoterischen Lehren ein optimistisches Verhältnis zu technischen Neuerungen und wissenschaftlichen Fortschritten. Physikalische Quantentheorie, Nanowissenschaften und ältere Paradigmen wie Psychoanalyse, Elektroenzephalographie und ähnliches werden oft für die eigene Theorie vereinnahmt. Es geht dabei um symbolische Umdeutungen: So wie Fritjof Capra quantenphysikalische Erkenntnisse als Bestätigung der Wahrheit altertümlicher fernöstlicher Weltdeutungen versteht, um damit ein New-Age-Weltbild von kosmischer Harmonie zu verbreiten. Wissenschaftliches Wissen wird hier als Stoff verwendet, um daraus ein zivilisationsskeptisches semantisches Gewebe zu spinnen. Es geht dabei aber nicht um die Ablehnung der Moderne an sich, sondern lediglich um eine symbolische Opposition. Hervorzuheben sind allerdings auch esoterischen Bewegungen, die geradezu technikutopisch denken: Scientology, Raëlianer, Heaven’s Gate und die Reihe der vor allem seit den ern und ern reüssierenden Cybergnostikern und Cybermystikern. Hier finden sich gar posthumanistische Träume, in denen fortgeschrittene Computersysteme, virtuelle

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Realitäten und Gentechnik sprituelle und theologische Versprechen einlösen. Esoterik besetzt nicht unbedingt (nur) die Funktionsstelle der zunehmend aus der Gesellschaft schwindenden Kirchen, sondern auch genuin moderne Funktionen. In ihr vollzieht sich Streben nach guter Ernährung, einem gesunden und umweltfreundlichen Lebensstil, nach dem Gewinnen von wissenschaftlich abgesichertem Wissen, nach einem gelingenden Leben und Glück durch individuellen Erfolg. Ihre Überzeugungskraft zieht sie dabei aus einer technisch-wissenschaftlichen Anmutung, zu der die in dieser Arbeit thematisierten Apparate beitragen.

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