Technische Normung in Europa: Mit einem Ausblick auf grundlegende Reformen der Legislative [1 ed.] 9783428493739, 9783428093731

Die nationalen und europäischen Institutionen und Prozeduren zur Rechtsetzung und -anwendung zeigen sich seit langem auß

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Technische Normung in Europa: Mit einem Ausblick auf grundlegende Reformen der Legislative [1 ed.]
 9783428493739, 9783428093731

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THOMAS ZUBKE-VON THÜNEN

Technische Normung in Europa

Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Herausgegeben im Auftrag des Instituts für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Erlangen-Nürnberg durch die Professoren Dr. Wolfgang Blomeyer und Dr. Karl Albrecht Schachtschneider

Band 12

Technische Normung in Europa Mit einem Ausblick auf grundlegende Reformen der Legislative

Von Thomas Zubke-von Thünen

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Zubke-von Thünen, Thomas: Technische Normung in Europa : mit einem Ausblick auf grundlegende Reformen der Legislative / von Thomas Zubkevon Thünen. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Beiträge zum europäischen Wirtschaftsrecht ; Bd. 12) Zugl.: Erlangen, Nürnberg, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09373-9

n2 Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0947-2452 ISBN 3-428-09373-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Was Ihr ererbt von Euren Müttern und Vätern, Ihr müßt es Euch erwerben, um es zu besitzen. Frei nach Goethe (Faust, der Tragödie erster Teil, 1808)

Meinen Eltern gewidmet

Vorwort "Nicht unserer Vorväter wollen wir trachten, uns würdig zu zeigen nein: unserer Enkelkinder."* Die vorliegende Arbeit wurde im Juni 1997 abgeschlossen und der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften vorgelegt. Sie enthält die methodisch einheitliche Analyse, Strukturierung und Bewertung der horizontal, vertikal und diagonal vernetzten Systeme der überbetrieblichen technischen Normung sowie der staatlichen Rechtssetzung und -anwendung im Umwelt- und Technikrecht in verschiedenen europäischen Nationalstaaten, der Europäischen Union sowie auf internationaler Ebene. Dadurch soll ein Beitrag zur Schaffung von Transparenz und zur Verdeutlichung der Zusammenhänge dieses komplexen integrierten Gesamtsystems im Schnittstellenbereich von Recht, Technik und Wirtschaft aus der Sicht eines in diesen Gebieten integrativ ausgebildeten Wirtschaftsingenieurs geleistet werden, der sich mehrere Jahre der Rechtswissenschaft gewidmet hat. Um diese Aufgabe zu erfüllen, ist - wie es der Firmengründer der Boston Consulting Group, Bruce D. Henderson, in anderem Zusammenhang treffend formulierte - neben der Fähigkeit zur interdisziplinären Systemanalyse, d.h. zur Aufschlüsselung und Strukturierung von Fakten und Erkenntnissen verschiedener Fachdisziplinen und zu deren simultaner und dynamischer Verknüpfung und Vernetzung als unabdingbare Voraussetzung die Aneignung einer mit der Komplexität der gestellten Aufgabe korrelierenden Mindestmenge an Wissen erforderlich: "Dieses Wissen muß erst eine kritische Masse erreichen, ehe es wirklich relevant wird. Ehe nicht genügend Beziehungen verarbeitet sind, die den Gesamtzusammenhang erkennen lassen, ist Wissen kaum mehr als eine Ansammlung von Mosaiksteinchen."1

* Bertha von Suttner, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. 1 Henderson, Β. D., Das Konzept der Strategie, S. 22.

8

Vorwort

Die kritische Masse an Wissen, die zur Bewältigung der vorliegenden Themenstellung erforderlich ist, schlägt sich nicht nur in dem Umfang der vorliegenden Arbeit nieder. Sie führt mit fortschreitender Durchdringung des Gesamtzusammenhanges insbesondere auch zu der Erkenntnis, daß die bestehenden Organisationsformen der staatlichen Rechtssetzung und -anwendung nicht nur für die wohlfahrtsoptimierende Bewältigung des exponentiell voranschreitenden wissenschaftlich-technischen Fortschritts ungeeignet sind, sondern daß sie darüber hinaus auch in weiten Bereichen der sich als Folge gleichfalls dynamisierenden wirtschaftlichen und allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung zunehmend versagen. Zur gleichen Zeit hat sich die überbetriebliche technische Normung von einem technisch-ökonomischen Regelungssytem der Marktteilnehmer zu einem gesamtgesellschaftlichen Willensbildungssystem aller Bürger entwickelt, welches dem staatlichen hinsichtlich seiner Eignung zur zeitnahen Bewältigung der hochdynamischen wissenschaftlich-technischen Entwicklung ebenso wie zur "künden-" bzw. bürgernahen Reaktion auf die sich ändernden gesellschaftlichen Wertvorstellungen deutlich überlegen ist. Die naheliegende, wenn auch bisher noch an keiner Stelle gezogene Schlußfolgerung ist, die Rechtssetzung durch die Legislative auf der Basis der geeigneten aufbau- und ablauforganisatorischen Prinzipien der technischen Normung zu reorganisieren, um zu einer Organisation der gesamtgesellschaftlichen Willensbildung zu gelangen, welche die ökologischen wie ökonomischen, technischen wie gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bestmöglich zu bewältigen in der Lage ist, um das drohende Kollabieren eines oder gar aller genannten Systeme im Interesse der nachfolgenden Generationen abzuwenden. In diesem Bestreben enthält der Ausblick im dritten Teil der Arbeit auf der Basis der systematischen Analyse, Strukturierung und Bewertung der überbetrieblichen technischen Normung der Teile I und I I dieser Arbeit den Versuch des Nachweises, daß die technischen Normungsprinzipien zur Ausbildung des allgemeinen Willens des Volkes - der "volonté générale" nach Rousseau2 - unter den heutigen hochkomplexen und -dynamischen Lebensumständen bestmöglich geeignet sind, sowie die Herleitung eines auf diesen Erkenntnissen basierenden dreistufigen bürgernahen Legislativmodells. Deren weitere Ausgestaltung bleibt einer diese Arbeit ergänzenden zukünftigen Abhandlung sowie denjenigen Bürgern Europas vorbehalten, welche die Notwendigkeit einer grundlegenden Änderung nicht nur der nationalen, sondern auch der europäischen Staatsorganisation auf der Basis eines neuen "contrat social", d.h. Gesell-

2

Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, passim.

Vorwort

schaftsvertrages 3, erkennen und zulassen können. Ihnen möge die Darlegung der beiden Ansätze im dritten Teil dieser Arbeit als Anregung dienen. Besonderen Dank möchte ich meinem hochverehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, aussprechen, der nicht nur die Betreuung meiner externen Industriepromotion übernommen, sondern auch deren Entstehung in zahllosen freundschaftlichen Läufen mit stetem Interesse und vielen wertvollen Hinweisen verfolgt und unterstützt hat. Des weiteren danke ich Herrn Prof. Dr. Harald Herrmann, Lehrstuhl für Privat- und Wirtschaftsrecht, der sich bereit gefunden hat, die Mühen der Zweitkorrektur meiner umfangreichen Dissertation auf sich zu nehmen, sowie Herrn Prof. Dr. Wolfgang Harbrecht, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen, und Herrn Prof. Dr. Volker H. Peemöller, Lehrstuhl für Prüfungswesen, deren freundliche Bereitschaft zur Abnahme der Prüfungen des Rigorosums an einer so gut besuchten Universität bei weitem nicht selbstverständlich ist. Ferner fühle ich mich namentlich Herrn Horst Ellenberger, geschäftsführender Gesellschafter der E-T-A Elektrotechnische Apparate GmbH, sowie den übrigen Herren der Geschäftsleitung für die Erlaubnis verpflichtet, die Promotion berufsbegleitend zu einer anspruchsvollen Industrietätigkeit als Assistent der Geschäftsleitung durchführen zu dürfen. In Liebe gedenke ich meiner Familie sowie allen meinen Freundinnen, die mich moralisch auf dem hinter mir liegenden Weg unterstützt haben, obwohl ich sie in Folge der Doppelbelastung durch Beruf und Promotion und vor allem in der abschließenden heißen Phase der Dissertationsfertigstellung leider über lange Strecken vernachlässigen mußte. Mein herzlicher Dank gebührt dabei meiner Mutter, Frau Eva-Maria Zubke, sowie Frau Stefanie Breitfeld, Frau Gudrun Heinzel, Frau Ute-Bärbel Hinderer und Frau Vicki Marx für die aufwendige und sorgfältige Korrektur des Dissertationstextes, Frau Sophie Lebacle und Frau Rachel Magnani für die professionelle Unterstützung bei der Übersetzung der französischen Texte, Frau Heike Duus für die sorgfältige Kontrolle des Literaturverzeichnisses sowie Herrn Alexander Tchernavski für die fachmännische Erstellung der für die Veröffentlichung der Arbeit notwendigen Druckvorlage.

3

Ebd.

10

Vorwort

Schließlich stehe ich für die umfangreiche - und erfreulicherweise fast ausschließlich kostenlose - Bereitstellung von Informationsmaterial, die offene (fern-)mündliche wie schriftliche - Auskunftbereitschaft und die stets freundliche, kooperative und aufmerksame Behandlung in der Schuld folgender Personen, Normenorganisationen und Firmen (die Aufzählung erfolgt in alphabetischer Reihenfolge der beiden genannten Ordnungskriterien i.V.m. dem "Ladiesfirst"-Prinzip): Association française de normalisation (AFNOR) - Madame Sylvaine Focqueur und Madame Nadine Philippe (Service Information/Centre de Documentation); British Standards Institution (BSI) - Customer Services Information; Comité Européen de Normalisation (CEN)/Comité Européen de Normalisation Electrotechnique (CENELEC); DIN Deutsches Institut für Normung e.V. - Frau Albert, Referat für Europäische Normung, Frau Fero-Ivanyi, Leiterin des Internationalen Sekretariats, Frau Wittmann, Leiterin des Europäischen Sekretariats, Herrn Downe, Leiter des Referats für Europäische Normung, Herrn Dr.-Ing. B. Hartlieb, Leiter der Stabsabteilung Technik, und allen Damen und Herren des DITR, der DIN-Bibliothek, des DIN-Archivs sowie der DIN-Auslandsnormenausleihe; Deutsche Elektrotechnische Kommission im DIN und VDE (DKE) - Frau Domian, Zentralreferat Internationales, Frau Ettel und Frau Kühler, Internationales Sekretariat, Frau Grintzalis und Frau Houston, Sekretariat Geschäftsleitung, Herrn Lehmann und Herrn Liess, stellvertretende Geschäftsführer der DKE, und Herrn Schwarzzenberger, Leiter des Technischen Beirats ETSI; Deutsche Gesellschaft für Qualität DGQ e.V. - Herrn P. Naumann, Ressort Gemeinschaftsarbeit; DVGW Deutscher Verein des Gasund Wasserfaches e.V. - Frau M. Wilson und Herrn Dotzauer; Ente Nazionale Italiano di Unificazione (UNI) - Herrn Mike Ganzoa, Manager International Projects und Herrn Lensi; European Telecommunications Standards Institute (ETSI) - Frau Nathalie Kounakoff, Corporate Communications und Herrn K.H. Rosenbrock, ETSI Direktor; Germanischer Lloyd (GL) AG - Frau Gesa Heinacher, Rechtsanwältin, LL.M. p.a. GL, und Frau Susanne Zell; International Electrotechnical Commission (IEC); International Organization for Standardization (ISO) - Herrn K. Cook, ISO Sales Department und Herrn Zygmunt Pestrakiewicz, Senior Information Officer; International Telecommunication Union (ITU) - Frau Sarah Parkes, ITU Press & Public Relations Office; RAL Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V. - Herrn Eihoff, Abteilung Recht; Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE) e.V. - Frau Ursula Gluske-Tibud, Presse; Verband der Technischen Überwachungs-Vereine VdTÜV e.V. - Herrn Hans-Joachim Zimmerling, Abt. Öffentlichkeitsarbeit; Verein Deutscher Ingenieure V D I - Herrn Dr.-Ing. Peter Gerber, Direktor des VDI, und Herrn Dr.-Ing. Frank W. Morell; Zentral verband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie ZVEI e.V. - Herrn Meyer-Oldenburg. Abschließend gilt mein besonderer Dank der Firma IHS Information Handling Services GmbH sowie Herrn Ralf Tannert, Sales Manager bei der IHS, für die kostenlose vier-

Vorwort

wöchige Überlassung der Sammlung "Technisches Recht auf CD-ROM" des Beuth-Verlages des D I N Deutsches Institut für Normung e.V., welche meine Recherchen bezüglich des deutschen Umwelt- und Technikrechts wesentlich vereinfacht und beschleunigt hat.

Hamburg, im September 1999

Thomas Zubke-von Thünen

Inhaltsübersicht Einleitung

53

Α. Hintergrund der Themenstellung

56

B. Problematik des Untersuchungsgegenstandes

73

C. Gegenstand und Zielsetzung der Untersuchung

78

D. Gang der Arbeit

83 Erster Teil

Begriffsdefinition, Klassifikationen, Funktionen und Bedeutung technischer Normen A. Begriffsdefinitionen 1. Der Begriff "Technik"

86 86 87

2. Der Begriff "Norm"

103

3. Die Begriffe "technische Norm" und "technische Normung"

105

4. Der Begriff "innerbetriebliche technische Norm"

119

5. Die Begriffe "Regel der Technik", "Typung" und "Standardisierung"

121

6. Die Begriffe "normativer Standard", "technischer Standard", "Produktstandard", "Produktionsstandard" und "Umweltqualitätsstandard" 125 B. Die Klassifikationen technischer Normen

127

C. Die Funktionen technischer Normen

133

1. Allgemeine Normenfunktionen

134

2. Spezielle Normenfunktionen

138

D. Die Bedeutung technischer Normen

157

1. Die volkswirtschaftliche Bedeutung technischer Normen

157

2. Die betriebswirtschaftliche Bedeutung technischer Normen

181

3. Die technische Bedeutung technischer Normen

202

4. Die gesellschaftliche Bedeutung technischer Normen

207

E. Resümee des 1. Teils

218

14

Inhaltsübersicht Zweiter Teil

Die Organisation der technischen Normung sowie Rechtsnatur und staatliche Rezeption technischer Normen A. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

222 227

1. Bundesrepublik Deutschland

231

2. Frankreich

504

3. Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland

553

4. Kurzübersicht über die technische Normung in einigen weiteren EU-Mitgliedsstaaten 600 5. Resümee des Abschnitts ILA

615

B. Auf Ebene der Europäischen Union

630

1. Die Organisation der europäischen Normung

632

2. Die Rechtsnatur der Europäischen Normen

684

3. Die Rezeption technischer Normen im Europäischen Unionsrecht

693

4. Resümee der Abschnitte II.B.2. und 3

789

C. Auf internationaler Ebene

804

1. Die Organisation der internationalen Normung

805

2. Die Rechtsnatur der internationalen Normen

823

3. Die Rezeption technischer Normen im Völkerrecht

830

Dritter Teil

Ausblick: Die Notwendigkeit grundlegender Reformen der Legislative

832

A. Die in materieller Hinsicht ungenügende Bestimmung des Schutz- und Sicherheitsniveaus technischer Systeme in Rechtsnormen 837 B. Die in formeller Hinsicht ungenügende Bestimmung des Schutz- und Sicherheitsniveaus technischer Systeme in Rechtsnormen 850 C. Die weitgehende Unzulänglichkeit der bisherigen Deutungen technischer Normen 872 D. Die Organisationsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung als 890 bestmögliche Form der Verwirklichung der "volonté générale" E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten technischer Normen

918

F. Lösungsansatz: Die Schaffung allgemeinverbindlicher normativer Regelungen.. 955 G. Möglichkeiten und Grenzen eines Ansatzes zur Reorganisation der Legislative auf der Basis der Organisationsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung 978 Schlußwort Literaturverzeichnis Sachregister

1042 1045 1106

Inhaltsverzeichnis Einleitung

53

Α. Hintergrund der Themenstellung

56

B. Problematik des Untersuchungsgegenstandes

73

C. Gegenstand und Zielsetzung der Untersuchung

78

D. Gang der Arbeit

83 Erster Teil

Begriffsdefinition, Klassifikationen, Funktionen und Bedeutung technischer Normen A. Begriffsdefinitionen 1. Der Begriff 'Technik" a) Etymologie - b) Historischer und neuzeitlicher Technikbegriff

86 86 87 87 88

c) Exkurs: Die Geschichte der Technik

89

d) Überblick verschiedener Definitionsansätze

91

e) Strukturierung, Analyse und Synthese eines neuen Definitionsansatzes

94

2. Der Begriff "Norm"

103

a) Etymologie

103

b) Wissenschaftlicher Kernbegriff

103

3. Die Begriffe "technische Norm" und "technische Normung"

105

a) Exkurs: Die Ursprünge technischer Normung

105

b) Überblick verschiedener Definitionsansätze

105

c) Definitionsauswahl und Begründung

110

d) Hauptnormenmerkmale

113

aa) Ein Dokument, das unter Beteiligung aller interessierten Kreise erstellt wird 113 bb) Ein Dokument, das im Konsens verabschiedet wird

114

cc) Ein Dokument, das von einer anerkannten normschaffenden Institution angenommen wird 115

16

nsverzeichnis

dd) Ein Dokument, das der Öffentlichkeit zugänglich ist

116

ee) Ein Dokument, das Regeln, Leitlinien oder Merkmale für die allgemeine und wiederkehrende Anwendung festlegt 116 ff)

Ein Dokument, dessen Anwendung nicht rechtsverbindlich vorgeschrieben ist 117

gg) Ein Dokument, das auf den gesicherten Ergebnissen von Wissenschaft, Technik und Erfahrung basiert 117 hh) Ein Dokument, das auf die Förderung optimaler Vorteile für die Gesellschaft abzielt 118 4. Der Begriff "innerbetriebliche technische Norm"

119

5. Die Begriffe "Regel der Technik", 'Typung" und "Standardisierung"

121

6. Die Begriffe "normativer Standard", "technischer Standard", "Produktstandard", "Produktionsstandard" und "Umweltqualitätsstandard" 125 B. Die Klassifikationen technischer Normen

127

C. Die Funktionen technischer Normen

133

1. Allgemeine Normenfunktionen

134

a) Informationsfunktion

134

b) Ordnungsfunktion

135

c) Rationalisierungsfunktion

136

d) Vereinheitlichungsfunktion

137

2. Spezielle Normenfunktionen

138

a) Austauschfunktion

138

b) Ergonomiefunktion

139

c) Gebrauchstauglichkeitsfunktion

140

d) Kompatibilitätsfunktion

141

e) Logistikfunktion

142

f) Prüffunktion

143

g) Qualitätsfunktion

144

h) Rechtsfunktion

145

i) Sicherheitsfunktion

147

j) Soziale Funktion

149

k) Technologietransferfunktion

150

1) Umweltschutzfunktion

152

m) Verbraucherschutzfunktion

154

n) Verständigungsfunktion

155

D. Die Bedeutung technischer Normen

157

nsverzeichnis

1. Die volkswirtschaftliche Bedeutung technischer Normen

157

a) Ansätze einer makroökonomisch-qualitativen Analyse

158

b) Beispiel: Der Weg zur globalen informations- und kommunikationstechnischen Vernetzung 170 c) Ansätze einer quantitativen Kosten-Nutzen-Betrachtung

177

2. Die betriebswirtschaftliche Bedeutung technischer Normen

181

a) Ansätze einer qualitativen Analyse

181

b) Beispiel: Die Normung von Qualitätssicherungssystemen nach ISO 9000 ff. 195 c) Ansätze einer quantitativen Kosten-Nutzen-Betrachtung

201

3. Die technische Bedeutung technischer Normen

202

4. Die gesellschaftliche Bedeutung technischer Normen

207

E. Resümee des 1 .Teils

218 Zweiter Teil

Die Organisation der technischen Normung sowie Rechtsnatur und staatliche Rezeption technischer Normen A. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union 1. Bundesrepublik Deutschland a) Die Organisation der technischen Normung

222 227 231 231

aa) Geschichte

231

bb) Gegenwärtige Situation

233

cc) Exkurs: Standardisierung in der ehemaligen DDR

236

(1) Terminologie

236

(2) Klassifikation der Standards

238

(3) Ziele der Standardisierung

238

(4) Organisation der Standardisierung

239

(5) Rechtliche Verbindlichkeit der Standards

241

(6) Deutsch-deutsche Normenunion

242

dd) Das "DIN Deutsches Institut für Normung e.V."

244

(1) Geschichte

244

(2) Organisation und Aufgabe

245

(3) Normungs verfahren und Deutsches Normen werk

251

(4) Kooperation mit anderen normschaffenden Institutionen

261

(5) Verhältnis zum Staat

265

2 Zubke-von Thünen

nsverzeichnis

(6) Finanzierung der Normungsarbeit

268

ee) Die "Deutsche Elektrotechnische Kommission im DIN und VDE"

ff)

(DKE)

270

(1) Exkurs: Der "Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE)"

270

(2) Gründungsvertrag und Geschichte

272

(3) Organisation und Aufgabe

274

(4) Normungsverfahren und DKE-Normenwerk

278

(5) Finanzierung der Normungsarbeit

283

Beispiele weiterer bedeutender normschaffender Institutionen

283

(1) Der "Verein Deutscher Ingenieure (VDI) e.V." 284 (2) Der "DVGW Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V." 286 (3) Die Ausnahme: Die "Germanische Lloyd (GL) AG" gg) Resümee des Abschnitts ILA.l.a) b) Die Rechtsnatur technischer Normen aa) Gesetze

289 292 299 302

bb) Rechtsverordnungen

303

cc) Allgemeine Verwaltungsvorschriften

305

dd) Autonome Satzungen des öffentlichen Rechts

309

ee) Gewohnheitsrecht

310

c) Die staatliche Rezeption technischer Normen

313

aa) Begriffsdefinition

313

bb) Rezeptionsarten

315

( 1 ) Arten der unmittelbaren Rezeption technischer Normen (a) Inkorporation (aa) Inkorporation in Gesetze und Rechtsverordnungen

317 317 317

(bb) Inkorporation in allgemeine VerwaltungsVorschriften... 319 (b) Verweisung (aa) Datierte Verweisung

327 327

α) Datierte Verweisung in Gesetzen und Rechtsverordnungen 327 ß) Datierte Verweisung in allgemeinen Verwaltungsvorschriften 332 (bb) Undatierte Verweisung

334

α) Undatierte Verweisung in Gesetzen und Rechtsverordnungen 334

nsverzeichnis

β) Undatierte Verweisung in allgemeinen Verwaltungsvorschriften 340 (cc) Allgemeine Verweisung

342

α) Normergänzende allgemeine Verweisung

343

ß)Normkonkretisierende allgemeine Verweisung

345

(2) Arten der mittelbaren Rezeption technischer Normen

361

(a) Mittelbare Rezeption durch normative Standards

362

(aa) Regelungsmethode

362

(bb) Rechtswirkung

377

(cc) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit

388

(dd) Beispiele

389

(b) Mittelbare Rezeption im Rahmen sonstiger offener Rechtsbegriffe 394 (aa) "Verkehrssitten" (§§ 157, 242 BGB) und "Handelsbräuche" (§ 346 HGB) 395 (bb) "Im Verkehr erforderliche Sorgfalt" (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB) 396 (cc) "Gesicherte arbeitswissenschaftliche (§ 91 BetrVG) (dd) Sonstige offene Rechtsbegriffe

Erkenntnisse" 399 400

(c) Mittelbare Rezeption technischer Normen als antizipierteSachverständigengutachten 403 (aa) Die Rechtsfigur des antizipierten Sachverständigengutachtens 403 (bb) Kritik an der Rechtsfigur des antizipierten Sachverständigengutachtens 407 α) Kritik bezüglich der Vielfalt der normativen Standards 407 ß) Kritik bezüglich der Erfüllung der an den Sachverständigen und sein Gutachten zu stellenden Anforderungen 408 γ) Kritik bezüglich der fehlenden Begründung und der mangelnden Konkretheit technischer Regeln.... 411 δ) Kritik bezüglich der in technischen Regeln getroffenen volitiven Wertentscheidungen 412 ε) Kritik bezüglich der Notwendigkeit der Rechtsfigur des antizipierten Sachverständigengutachtens... 413 (d) Mittelbare Rezeption technischer Normen auf öffentlichen Märkten 415

nsverzeichnis

cc) Regelungszweck

415

dd) Regelungsstruktur

418

(1) Die "allgemein anerkannten Regeln der Technik": Das Normenund Regelsystem des Bauordnungsrechts 423 (a) Die Gesetzesebene

423

(b) Die Verordnungsebene

428

(c) Die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften: Die baurechtliche Einführung technischer Normen 429 (d) Die Ebene der öffentlich-rechtlichen technischen Regelwerke 431 (e) Die Ebene der privatrechtlichen technischen Normenwerke. 431 (f) Rechtsfolgen für Normadressaten, Behörden und Gerichte .. 432 (2) Der "Stand der Technik": Das Normen- und Regelsystem des Immissionsschutzrechts 434 (a) Die Gesetzesebene

434

(b) Die Verordnungsebene

436

(c) Die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften

438

(d) Die Ebene der öffentlich-rechtlichen technischen Regelwerke 441 (e) Die Ebene der privatrechtlichen technischen Normenwerke. 442 (f) Rechtsfolgen für Normadressaten, Behörden und Gerichte .. 443 (3) Der "Stand von Wissenschaft und Technik": Das Normen- und Regelsystem des Kernenergierechts 445 (a) Die Gesetzesebene

445

(b) Die Verordnungsebene

447

(c) Die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften

449

(d) Die beratenden Ausschüsse

451

(e) Die Ebene der öffentlich-rechtlichen technischen Regelwerke 452 (0 Die Ebene der privatrechtlichen technischen Normenwerke. 452 (g) Rechtsfolgen für Normadressaten, Behörden und Gerichte .. 453 (4) Begriffs Vielfalt normativer Standards: Das Normen- und Regelsystem der Gerätesicherheit und der überwachungsbedürftigen Anlagen 455 (a) Die Gesetzesebene

455

(aa) Technische Arbeitsmittel

456

(bb) Überwachungsbedürftige Anlagen

458

nsverzeichnis

(b) Die Verordnungsebene

460

(aa) Technische Arbeitsmittel

460

(bb) Überwachungsbedürftige Anlagen

465

(c) Die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften

470

(aa) Technische Arbeitsmittel

470

(bb) Überwachungsbedürftige Anlagen

474

(d) Die Ebene der öffentlich-rechtlichen technischen Regelwerke 476 (aa) Technische Arbeitsmittel

476

(bb) Überwachungsbedürftige Anlagen

477

(e) Die Ebene der privatrechtlichen technischen Normenwerke. 484 (aa) Technische Arbeitsmittel

484

(bb) Überwachungsbedürftige Anlagen

485

(f) Rechtsfolgen für Normadressaten, Behörden und Gerichte.. 486 (aa) Technische Arbeitsmittel

486

(bb) Überwachungsbedürftige Anlagen

489

d) Resümee der Abschnitte ILA. 1 .b) und c) 2. Frankreich

490 504

a) Die Organisation der technischen Normung

504

aa) Geschichte

504

bb) Organisation und Aufgabe

509

cc) Normungsverfahren und französisches Normenwerk

516

dd) Finanzierung der Normungsarbeit

520

ee) Resümee des Abschnitts II.A.2.a)

521

b) Die Rechtsnatur technischer Normen

530

c) Die staatliche Rezeption technischer Normen

533

aa) Begriffsdefinition

533

bb) Rezeptionsarten

533

( 1 ) Arten der unmittelbaren Rezeption technischer Normen

534

(a) Inkorporation ("incorporation")

534

(b) Verweisung ("référence")

535

(aa) Datierte Verweisung ("référence datée")

535

(bb) Undatierte Verweisung ("référence non datée")

535

(cc) Verweisung auf gültige Normen ("conformes aux normes en vigueur") 535

22

nsverzeichnis

(c) Allgemeinverbindlichkeitserklärung ("l'application d'une norme rendue obligatoire") 536 (2) Arten der mittelbaren Rezeption technischer Normen (a) Mittelbare Rezeption durch offene Rechtsbegriffe

539 539

(b) Technische Normen als Verkehrssitte und Handelsbrauch... 540 (c) Mittelbare Rezeption technischer Normen auf öffentlichen Märkten 541 (d) Sonstige Formen der mittelbaren Rezeption technischer Normen 544 cc) Regelungszweck

545

dd) Regelungsstruktur

546

(1) Das französische Rechtsgefüge für Drucksysteme

548

(2) Das französische Rechtssystem der Gerätesicherheit

549

d) Resümee der Abschnitte II.A.2.b) und c) 3. Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland a) Die Organisation der technischen Normung

550 553 553

aa) Geschichte

553

bb) Organisation und Aufgabe

555

cc) Normungsverfahren und britisches Normenwerk

561

dd) Verhältnis zum Staat

568

ee) Finanzierung der Normungsarbeit

573

ff)

573

Resümee des Abschnitts II.A.3.a)

b) Die Rechtsnatur technischer Normen

581

c) Die staatliche Rezeption technischer Normen

583

aa) Begriffsdefinition

583

bb) Rezeptionsarten

584

( 1 ) Arten der unmittelbaren Rezeption technischer Normen

584

(a) Inkorporation ("incorporation")

584

(b) Verweisung ("reference")

585

(aa) Der Grad der Verbindlichkeit der Verweisung auf technische Normen 585 α) Verbindliche Verweisung ("mandatory reference") 585 β) Die Erfüllung vermutende Verweisung ("deemed to satisfy reference") 585 (bb) Die Arten der Verweisung auf technische Normen

586

α) Datierte Verweisung ("dated reference")

586

nsverzeichnis

β) Undatierte Verweisung ("undated reference")

587

γ) Allgemeine Verweisung ("general reference")

587

(2) Arten der mittelbaren Rezeption technischer Normen (a) Mittelbare Rezeption durch offene Rechtsbegriffe

588 589

(b) Mittelbare Rezeption technischer Normen auf öffentlichen Märkten 589 (c) Technische Normen als "good practice" oder "sound and modern practice" 590 (d) Sonstige Formen der mittelbaren Rezeption technischer Normen 590 cc) Regelungszweck

591

dd) Regelungsstruktur

591

(1) Der "Health and Safety at Work etc. Act 1974"

593

(2) Der "Consumer Protection Act 1987"

595

(3) Der "Sale of Goods Act 1979"

595

d) Resümee der Abschnitte II.A.3.b) und c) 4. Kurzübersicht über die technische Normung Mitgliedsstaaten

596 in einigen weiteren EU600

a) Belgien

600

b) Dänemark

603

c) Griechenland

604

d) Italien

607

e) Niederlande

609

f) Portugal

611

g) Spanien

613

5. Resümee des Abschnitts ILA

615

B. Auf Ebene der Europäischen Union

630

1. Die Organisation der europäischen Normung

632

a) Die "Gemeinsame Europäische Normungsinstitution" CEN/CENELEC.... 632 aa) Geschichte

632

bb) Organisation und Aufgabe

634

cc) Normungsverfahren und CEN/CENELEC-Normenwerk

644

dd) Finanzierung der Normungsarbeit

657

b) Das "European Telecommunications Standards Institute" (ETSI)

657

aa) Geschichte

657

bb) Kooperation mit CEN/CENELEC

659

24

nsverzeichnis

cc) Organisation und Aufgabe

660

dd) Normungsverfahren und ETSI-Normenwerk

665

ee) Finanzierung der Normungsarbeit

670

c) Resümee des Abschnitts II.B.l 2. Die Rechtsnatur der Europäischen Normen a) Geschriebenes Unionsrecht

671 684 684

aa) Primäres Unionsrecht

684

bb) Sekundäres Unionsrecht

685

b) Ungeschriebenes Unionsrecht

688

aa) Allgemeine Rechtsgrundsätze

688

bb) Gewohnheitsrecht

689

cc) Richterrecht

691

c) Begleitendes Unionsrecht 3. Die Rezeption technischer Normen im Europäischen Unionsrecht a) Zielsetzungen des europäischen Integrationsprozesses

691 693 693

b) Notwendigkeit und Rechtsgrundlagen des Abbaus technischer Handelshemmnisse in der Europäischen Union 695 aa) Nationale technische Rechtsvorschriften als nichttarifäre Handelshemmnisse 696 bb) Nationale technische Normen als nichttarifäre Handelshemmnisse

696

cc) Auswirkungen technischer Handelshemmnisse

698

dd) Rechtsgrundlagen für den Abbau technischer Handelshemmnisse

702

ee) Die Notwendigkeit des simultanen Abbaus von Handelshemmnissen aus Rechts- und technischen Normen 703 c) Methoden des Abbaus technischer Handelshemmnisse aa) Gegenseitige Anerkennung ( 1 ) Beschreibung der Methode und ihrer Anwendung (2) Möglichkeiten und Grenzen der Methode bb) Harmonisierung ( 1 ) Das ursprüngliche Harmonisierungskonzept der EU (a) Die Methode der "totalen Harmonisierung"

705 705 705 709 714 715 716

(aa) Beschreibung der Methode und ihrer Anwendung

716

(bb) Möglichkeiten und Grenzen der Methode

717

(b) Die Methode der "optionellen Harmonisierung" (aa) Beschreibung der Methode und ihrer Anwendung

722 722

nsverzeichnis

(bb) Möglichkeiten und Grenzen der Methode (c) Die Methode der "Mindestvorschriften"

723 725

(aa) Beschreibung der Methode und ihrer Anwendung

725

(bb) Möglichkeiten und Grenzen der Methode

725

(d) Die Rezeption technischer Normen im Rahmen des ursprünglichen Harmonisierungskonzeptes der EU 727 (aa) Vereinbarungen über die Zusammenarbeit zwischen CEN/CENELEC und der Kommission vom 8./9. Januar bzw. 7. Mai 1974 728 (bb) Von der Kommission in den Vereinbarungen vorgesehene Arten der Rezeption technischer Normen 731 α) Inkorporation

731

ß) Datierte Verweisung

732

γ) Normkonkretisierende allgemeine Verweisung

735

Die "Neue Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung"

743

(a) Hintergrund

743

(b) Präzedenzfall "Niederspannungsrichtlinie"

744

(c) Maßgebliche Verlautbarungen der EU-Organe im Vorfeld der "Neuen Konzeption" 751 (aa) Die Mitteilung der Kommission vom 9. März 1982 über die Anwendung der Richtlinie 73/23/EWG (Niederspannungsrichtlinie) des Rates 751 (bb) Die Richtlinie des Rates über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (83/189/EWG) vom 28. März 1983 753 (cc) Die Schlußfolgerungen des Rates zur Normung vom 16. Juli 1984 756 (dd) Die allgemeinen Leitsätze für die Zusammenarbeit der Kommission und CEN/CENELEC vom 13. November 1984 757 (ee) Das Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes vom 14. Juni 1985 761 (ff) Die Mitteilung der Kommission über eine neue Konzeption der technischen Harmonisierung und Normung vom 31. Januar 1985 765 (d) Die Entschließung des Rates über Leitlinien einer neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung vom 7. Mai 1985 766 (aa) Beschreibung der Methode und ihrer Anwendung

766

26

nsverzeichnis

α) Die vier Grundprinzipien der "Neuen Konzeption" 767 ß) Die Hauptelemente der "Modellrichtlinie" (bb) Möglichkeiten und Grenzen der Methode

769 773

(e) Maßgebliche Verlautbarungen der EU-Organe im Anschluß an die Verabschiedung der "Neuen Konzeption" 782 (aa) Die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. April 1987 782 (bb) Der Rahmenvertrag der Kommission mit CEN/ CENELEC betreffend der Ausarbeitung Europäischer Normen von 1989 782 (cc) Das Grünbuch der Kommission zur Entwicklung der europäischen Normung vom 8. Oktober 1990 783 (dd)Die Entschließung des Rates zur Funktion der europäischen Normung in der europäischen Wirtschaft vom 18. Juni 1992 788 4. Resümee der Abschnitte II.B.2. und 3 C. Auf internationaler Ebene 1. Die Organisation der internationalen Normung a) Die "International Organization for Standardization" (ISO)

789 804 805 805

aa) Geschichte

805

bb) Organisation und Aufgabe

805

cc) Kooperation mit IEC und ITU

807

dd) Normungsverfahren und Normenwerk

809

ee) Finanzierung der Normungsarbeit

810

b) Die "International Electrotechnical Commission" (IEC)

810

aa) Geschichte

810

bb) Organisation und Aufgabe

811

cc) Kooperation mit ISO und ITU

814

dd) Normungsverfahren und Normenwerk

814

ee) Finanzierung der Normungsarbeit

815

c) Die "International Telecommunication Union" (ITU)

815

aa) Geschichte

815

bb) Organisation und Aufgabe

817

cc) Normungsverfahren und Normenwerk

819

dd) Finanzierung der Normungsarbeit 2. Die Rechtsnatur der internationalen Normen

820 823

nsverzeichnis

a) Primäres Völkerrecht

823

aa) Völkervertragsrecht

823

bb) Völkergewohnheitsrecht

825

cc) Die allgemeinen Rechtsgrundsätze

828

b) Sekundäres Völkerrecht

829

3. Die Rezeption technischer Normen im Völkerrecht

830

Dritter Teil

Ausblick: Die Notwendigkeit grundlegender Reformen der Legislative

832

A. Die in materieller Hinsicht ungenügende Bestimmung des Schutz- und Sicherheitsniveaus technischer Systeme in Rechtsnormen 837 B. Die in formeller Hinsicht ungenügende Bestimmung des Schutz- und Sicherheitsniveaus technischer Systeme in Rechtsnormen 850 C. Die weitgehende Unzulänglichkeit der bisherigen Deutungen technischer Normen 872 D. Die Organisationsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung als bestmögliche Form der Verwirklichung der "volonté générale" 890 E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten technischer Normen

918

F. Lösungsansatz: Die Schaffung allgemeinverbindlicher normativer Regelungen... 955 G. Möglichkeiten und Grenzen eines Ansatzes zur Reorganisation der Legislative auf der Basis der Organisationsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung 978 Schlußwort

1042

Literaturverzeichnis

1045

Sachregister

1106

Tabellenverzeichnis Tab. 1 :

Materieller Gehalt und postulierter Zweck der Technik

Tab. 2:

Eigenschaften technischer Produktionsprozesse und Systeme

Tab. 3:

Voraussetzungen und Grenzen der Erzeugungs-, Wiederverwertungs-

95 100

und Entsorgungsprozesse

102

Tab. 4:

Technologische Klassifikation technischer Normen

129

Tab. 5:

Die nationalen Normenorganisationen der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten 225 Normen werke, betreute europäische Sekretariate und Budget der nationalen Normenorganisationen der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten 230

Tab. 6: Tab. 7:

Die Finanzierung der Normungsarbeit des DIN im Jahre 1995

269

Tab. 8:

Die Finanzierung der Normungsarbeit der DKE im Jahre 1995

283

Tab. 9:

Rezeptionsarten und Rezeptionsebenen überbetrieblicher technischer Normen 316

Tab. 10: Übersicht über einige der in der deutschen Rechtsordnung verwendeten normativen Standards 390 Tab. 11 : Anzahl und Anteil verbindlich erklärter technischer Normen in den EUund EFTA- Mitgliedsstaaten 625 Tab. 12: Stimmengewichte der CEN/CENELEC-Mitglieder bei gewichteter Abstimmung 653

Abkürzungsverzeichnis Α.

Ausgabe

a.A.

anderer Ansicht

a.F.

alter Fassung

Abb.

Abbildung

ABl.

Amtsblatt

Abs.

Absatz

Abschn.

Abschnitt

ACEC ACET

Advisory Committee on Electromagnetic Compatibility (IEC) Advisory Committee on Electronics and Telecommunications (IEC)

ACOS AECMA

Advisory Committee on Safety (IEC) Association Europeénne des Constructeurs de Matériel Aérospatial (Europäische Vereinigung der Hersteller von Luft- und Raumfahrtgeräten)

AEI AENOR AFNOR AG AGL

Associazione Electrotecnica Italiana Asociación Espanola de Normalización y Certifìcación Association française de normalisation Assemblée Générale (Generalversammlung bei CEN/CENELEC) Ausschuß für Gashochdruckleitungen

AgV

Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände

AK AKF AMD ArbSch. ARD

Arbeitskreis (DKE) Arbeitskreis Finanzplanung (DKE) amended, Amendment Arbeitsschutz Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Allgemeiner Ausschuß der Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Minister der Länder Artikel Associated Body (Assoziierte Organisation von CEN/CENELEC) Amt für Standardisierung, Meßwesen und Warenprüfung (DDR) Abwassertechnische Vereinigung Auflage

ARGEBAU Art. ASB ASMW ATV Aufl.

30

Abkürzungsverzeichnis

Ausg. AVV BAM BAnz.

allgemeine Verwaltungsvorschrift Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung Bundesanzeiger

BArbBl.

Bundesarbeitsblatt

Bd.

Band Berlin

BE bearb.

Ausgabe

bearbeitet Belgisch Elektrotechnisch Comité British Electrotechnical Committee

BEC BEC Beil. ber.

Beilage berichtigt

bes. BEUC BGBl.

besonders Europäisches Büro der Verbraucherverbände Bundesgesetzblatt

BIN

Belgisch Instituut voor Normalisatie

BIP

Bruttoinlandsprodukt Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung

BMA BMI BMP BMVg BMWi BN BReg. BS BSI Bsp. BT

Der Bundesminister für Inneres Der Bundesminister für Post- und Fernmeldewesen Der Bundesminister für Verteidigung Der Bundesminister für Wirtschaft Bureaux de Normalisation Bundesregierung British Standard British Standards Institution

BTS BTTF BTWG BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BW

Beispiel Bureau Technique (Technisches Büro bei CEN/CENELEC) Bureau Technique Sectorielle (Technisches Sektorbüro bei CEN) Bureau Technique Task Force (CENELEC) Bureau Technique Working Group (CENELEC) Bundesverfassungsgericht Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württemberg

BY bzgl.

Bayern bezüglich

Abkürzungsverzeichnis

bzw. CA

beziehungsweise Conseil d'Administration (Verwaltungsrat bei AFNOR, CEN/ CENELEC)

ca. CCA

circa CENELEC Certification Agreement

CCC

CENCER Certification Committee (CENCER Zertifizierungskomitee bei CEN)

CCIR CCITT

Comité Consultatif International des Radiocommunications (ITU) Comité Consultatif International Télégraphique et Téléphonique (ITU)

CD

Committee draft (Komitee-Entwurf bei ISO, IEC)

CDC

CENELEC-Entscheidungskomitee

CDC

Entscheidungskomitee (CENELEC)

CDL

Comité de Lecture (Normenprüfstelle bei CEN/CENELEC)

CEB

Comité électrotechnique belge

CECC

CENELEC Electronic Components Committee (CENELECKomitee für Bauelemente der Elektronik)

CEE (CEE-él)

Commission internationale de réglementation en vue de l'approbation de l'equipement électrique, International Commission on the Rules for the Approval of the Electrical Equipment, Internationale Kommission für die Regelung der Zulassung elektrischer Ausrüstungen (heute IECEE)

CEF

Comité électrotechnique français

CEI CEN

Comitato Elettrotecnico Italiano Comité Européen de Normalisation (Europäisches Komitee für Normung)

CENCER

CEN Certification (CEN-Zertifizierung)

CENEL

Comité Européen de coordination des Normes Electrotechniques (heute CENELEC)

CENELCOM

Comité Européen de coordination des Normes Electrotechniques des pays membres des Communautés Européennes (heute CENELEC) Comité Européen de Normalisation Electrotechnique (Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung) Conféeréence Européenne des Administrations des Postes et des Télécommunications (Europäische Konferenz der Post- und Fernmeldeverwaltungen) Comité Electrotechnique Suisse

CENELEC CEPT

CES CISPR CLC

Comité International Spécial des Perturbations Radioélectriques (IEC) Kurzform für CENELEC

CN

Commission de Normalisation (AFNOR)

32

Abkiirzungs Verzeichnis

CNR COCOR

Consiglio Nazionale delle Ricerche Commission de Coordination, Coordinating Committee on the Nomenclature of Iron and Steel Products, Koordinierungsausschuß für die Nomenklatur der Eisen- und Stahlerzeugnisse

COP COS COSAC

Comité d'Orientation et de Programmation (AFNOR) Comité d'Orientation Stratégique (AFNOR) Comité d'Orientation et de Suivi des Activités de Consommation (AFNOR)

CPC

CENELEC Progamming Committee (Programmkomitee bei CENELEC)

CPS CS CSN CWP

Commission Permanente de Standardisation Central Secretariat (Zentralsekretariat bei CEN/CENELEC) Comité supérieur de normalisation Costed Work Programm (ETSI)

d. d.h. DAA DAbF

der, des das heißt Deutscher Aufzugausschuß Deutscher Ausschuß für brennbare Flüssigkeiten

DAcA dass. DATech

Deutscher Acetylenausschuß dasselbe Deutsche Akkreditierungsstelle Technik

DB

Durchführungsbestimmung (DDR)

DBA DD

Deutscher Druckbehälterausschuß Drafts for Development (Vornorm bei B SI)

DDA Def. DEK DEK ders. deutl. DExA DFL dgl. DGQ DGWK DI-Norm dies. DIN DIN-Mitt.

Deutscher Dampfkesselausschuß Definition Deutsche Elektrotechnische Kommission (heute DKE) Dansk Elektroteknisk Komite derselbe deutlich Deutscher Ausschuß für explosionsgeschützte Anlagen Direction Finance et Logistique (AFNOR) dergleichen Deutsche Gesellschaft für Qualität e.V. Deutsche Gesellschaft für Warenkennzeichnung mbH Deutsche Industrie-Norm (heute DIN-Norm) dieselbe Deutsches Institut für Normung e.V. DIN-Mitteilungen + elektronorm

Abkrzungs Verzeichnis

DIN-V

DIN-Vornorm

DIS

Draft International Standard (Internationaler Norm-Entwurf bei ISO, IEC)

DISC

Delivering Information Solutions to Customers (BSI)

DITR

Deutsches Informationszentrum für technische Regeln

DKE

Deutsche Elektrotechnische Kommission im DIN und VDE

DNA

Deutscher Normenausschuß (heute DIN)

DS

Dansk Standard (früher: Dansk Standardiseringsrâd)

DTU

document technique unifié

DVGW

Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V.

DVO

Durchführungsverordnung

DVT

Deutscher Verband Technisch-Wissenschaftlicher Vereine

EACEM

European Association of Consumer Electronic Manufacturers

EAG

Europäische Atomgemeinschaft (auch EURATOM)

ebd.

ebenda

EBU ECE

European Broadcasting Union Wirtschaftskommission für Europa (Economic Commission for Europe) des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen

ECISS

European Committee for Iron and Steel Standardization (Europäisches Komitee für Eisen- und Stahlnormung) European Computer Manufacturing Association Eletronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport European Free Trade Association (Europäische Freihandelszone)

ECMA EDIFACT EFTA EG

Europäische Gemeinschaft

EGB EGKS ELOT

Europäischer Gewerkschaftsbund Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Ελληυικόζ Οργαυισμόζ Τυποποιησηζ (Ellinikos Organismos Typopoiisis) European Electrotechnical Sectoral Committee for Testing and Certification

ELSECOM EN endg. Engl. ENV

Europäische Norm (CEN/CENELEC) endgültige Fassung Englisch Europäische Vornorm (CEN/CENELEC)

EOTC

European Organization for Testing and Certification (Europäische Organisation für Prüfung und Zertifizierung) Engineering Standards Committee (heute BSI) et cetera Electrotechnical Council of Ireland

ESC etc. ETCÌ

3 Zubke-von Thünen

34

Abkrzungs Verzeichnis

ETR

European Telecommunication Report (ETSI)

ETS

European Telecommunications Standard (Europäische Telekommunikationsnorm) European Telecommunications Standards Institute (Europäisches Institut für Telekommunikationsnormen)

ETSI etz

Elektrotechnische Zeitschrift

EU EuGH EurACS EURATOM EUREAU

EWOS EWR

Europäische Union (früher Europäische Gemeinschaften) Gerichtshof der Europäischen Union European Association of Classification Societies Europäische Atomgemeinschaft (auch EAG) Union der Wasservereinigungen von Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (heute Europäische Gemeinschaft) European Workshop for Open Systems Europäischem Wirtschaftsraum

EXP F&E f. FB FBV

la norme expérimentale (Vornorm bei AFNOR) Forschung und Entwicklung folgende Fachbereich (DKE) Fachbereichsvorsitzender (DKE)

FC FDGB FEANI

Finance Committee (ETSI) Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (DDR) Europäischer Verband Nationaler Ingenieurorganisationen

ff. Fn.

fortfolgende Fußnote

Franz.

Französisch

GABI. (z.B. BW) GAK GATT GBl. geänd. d. GK GL GMB1. GN

Gemeinsames Amtsblatt (z.B. Baden-Württemberg)

GO GPN

Geschäftsordnung Grands Programmes de Normalisation (AFNOR)

EWG

Gemeinschafts-Arbeitskreis (von DIN und DKE) General Agreement on Tariffs and Trade Gesetzblatt (DDR) geändert durch Gemeinschafts-Komitee (von DIN und DKE) Germanischer Lloyd AG Gemeinsames Ministerialblatt Grundnorm

Abkürzungsverzeichnis

GSM

35

Global System for Mobile Communications

GUK

Gemeinschafts-Unterkomitee (von DIN und DKE)

GVB1. (z.B. BW)

Gesetz- und Verordnungsblatt (z.B. Baden-Württemberg)

h.M.

herrschende Meinung

HAR

Harmonization Agreement for Cables and Cords (CENELEC)

HD HE

Harmonisierungsdokument (CEN/CENELEC) Hessen

HOM

la norme française homologué (AFNOR)

Hrsg.

Herausgeber

HS

Halbsatz

HSC

Health and Safety Commission

HSE

Health and Safety Executive

I-ETS i.a. i.d.F.d. i.d.F.v. i.d.R.

Interim-European Telecommunication Standard (ETSI) im allgemeinen in der Fassung der/des in der Fassung von in der Regel

i.d.S. i.E. i.e.

in diesem Sinne im Ergebnis id est

i.S.d. i.S.v. i.V.m.

im Sinne der/des im Sinne von in Verbindung mit

IACS IBN

International Association of Classification Societies Institut beige de normalisation

ICONE

Index Comparatif des Normes en Europe (CEN/CENELEC)

IEC

IECQ IEE

International Electrotechnical Commission (Internationale Elektrotechnische Kommission) IEC System for Conformity Testing to Standards for Safety of Electrical Equipment IEC Quality Assessment System for Electronic Components Institution of Electrical Engineers

IGH IGU

Internationaler Gerichtshof International Gas Union

IMCC

ISDN Standards Management and Coordination Committee (ETSI) insbesondere Instituto Português da Qualidade

IECEE

insbes. IPQ

3*

36

Abkrzungserzeichnis

IPRC IS ISA ISO

Intellectual Property Rights Committee (ETSI) International Standard (Internationale Norm bei ISO, IEC) Federation of the National Standardizing Associations International Organization for Standardization (Internationale Organisation für Normung)

Ital. ITM

Italienisch Inspection du travail et des mines

ITSTC

Information Technology Steering Committee (Informationstechnik-Lenkungskomitee bei CEN/CENELEC, CEPT und ETSI) International Telecommunication Union (Internationale Fernmeldeunion) International Water Supply Association Journal Officiel de la Republique Française

ITU IWSA J.O. JCG JEEC jew. m.w.N. Jg. JPC JPG JTC JTPC JWG Κ k.A. Kap. KDT KOM Komm. z. KRdL KTA LA lat. LC LC-E

Joint Coordination Group (Gemeinsamer Koordinierungsausschuß CEN/CENELEC/ETSI) Joint ECMA/ETSI Coordination Group jeweils mit weiteren Nachweisen Jahrgang Joint Programming Committee (Gemeinsames Programmkomitee CEN/CENELEC) Joint President Group (CEN/CENELEC, ETSI) Joint Technical Committee (Gemeinsames Technisches Komitee CEN/CENELEC) Joint Technical Programming Committee (Gemeinsames Programmkomitee ISO/IEC) Joint Working Group (Gemeinsame Arbeitsgruppe CEN/ CENELEC) Komitee (DKE) Keine Angaben Kapitel Kammer der Technik (DDR) Kommission der Europäischen Union Kommentar zu Kommission der Reinhaltung der Luft (gemeinsames Normungsgremium von DIN und VDI) Kern technischer Ausschuß Lenkungsausschuß (DKE) lateinisch Linking Comission EU-Kommission (CENELEC) Linking Comission EFTA-Sekretariat (CENELEC)

Abkrzungs Verzeichnis

lit.

Buchstabe

M-V

Mecklemburg-Vorpommern

m.E.

meines Erachtens

m.N.

mit Nachweisen

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

m.z.N.

mit zahlreichen Nachweisen

MB1. (z.B. RP)

Ministerialblatt (z.B. der Landesregierung von Rheinland-Pfalz)

MC

Marks Committee (CENELEC)

N/SN

Normes, Stratégies Normatives (AFNOR)

NADI

Normenausschuß der Deutschen Industrie (heute DIN)

NALS ND

Normenausschuß Akustik, Lärmminderung und Schwingungstechnik (gemeinsames Normungsgremium von DIN und VDI) Niedersachsen

NDI

Normenausschuß der Deutschen Industrie (heute DIN)

NEC NEK

Nederlands Elektrotechnisch Comité Norsk Elektroteknisk Komite

NET NF NIST

Norme Européenne de Télécommunication (TRAC) Norme Française National Institute of Standards and Technology

Nke NNI Nr. NSAI/EOLAS NSE NÜA

Normenausschuß Kerntechnik im DIN Nederlands Normalisatie - Instituut Nummer(n) National Standards Authority of Ireland Norges Standardizeringsforbund Normenausschuß Überwachungsbedürftige Anlagen

NW

Nordrhein-Westfalen

NWIP

New work item proposal (ISO, IEC)

o.ä. OECD OEK ON

oder ähnlich(e, -er, -es) Organization for Economic Cooperation and Development Österreichisches Elektrotechnisches Komitee (beim Österreichischen Verband für Elektrotechnik (ÖVE)) Österreichisches Normungsinstitut

OVG

Oberverwaltungsgericht

PC PNE-Regeln

Programming Committee (Programmkomitee CEN/CENELEC) règles pour la rédaction et la présentation des normes européennes (Regeln für den Aufbau und die Gestaltung Europäischer Normen)

Port. prEN

Portugiesisch Projet EN (Europäischer Norm-Entwurf bei CEN/CENELEC)

38

prENV prHD

Abkrzungs Verzeichnis

Projet ENV (Europäischer Vornorm-Entwurf bei CEN/ CENELEC) Projet HD (Europäischer Harmonisierungsdokument-Entwurf bei CEN/CENELEC)

PSP RAL RGBl. RGW RL Rn.

Produits, Services, Prestations (AFNOR) Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V. Reichsgesetzblatt Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe Richtlinie Randnummer(n)

Rs. RSK

Rechtssache Reaktorsicherheitskommission

S.

Satz

S. s.

Seite siehe

Sart. II SC sec. SEE SEK

Sartorius II: Internationale Verträge - Europarecht Sub-Committee (Unterkomitee bei CEN/CENELEC, ETSI, ISO/IEC, ITU) section Service de l'énergie de l'état Svenska Elektriska Kommissionen

SESCO SFS

Suomen Sähköteknillinen Standardisoimisyhdistys SESCO ry Suomen Standardisoimisliitto SFS ry

SG SG SH SIS Slg. SNGQ SNV sog. Span. Spstr. SR SRC SSB

Secretary General (Generalsekretär bei CEN/CENELEC) General Secretariat (Generalsekretariat bei ITU) Schleswig-Holstein Standardiseringen i Sverige Sammlung Nationales System für Qualitätsmanagment (Portugal) Schweizerische Normen-Vereinigung sogenannte(n, -r) Spanisch Spiegelstrich Berichter-Sekretariate (CEN/CENELEC) Strategie Review Committee (ETSI) Sachverständigenkommission zur Sicherung des Brennstoffkreislaufs Strahlenschutzkommission

SSK

Abkürzungsverzeichnis

STRI Tab.

The Icelandic Council for Standardization/Technological Institute of Iceland Tabelle

TB

Technischer Beirat (DKE, GL)

TBETSI

Technischer Beirat ETSI (DKE)

TBINK

Technischer Beirat internationale und nationale Koordinierung (DKE)

TBKON

Technischer Beirat Konformitätsbewertung (DKE)

TBR

Technical Basis for Regulation (ETSI)

TBS

Technischer Beirat Struktur (DKE)

TC

Technical Committee (Technisches Komitee bei CEN/CENELEC, ETSI, ISO/IEC, ITU)

TDM

Tausend DM

TF

Task Force (CENELEC)

TGL

Technische Normen, Gütevorschriften und Lieferbedingungen

THE

Technical Help to Exporters

TQM TRA TRAC TRAC TRB TRbF TRD

Total Quality Management Technisches Regelwerk für Aufzüge Technical Recommendation Application Committee Technische Regeln für Acetylenanlagen und Calciumcarbidlager Technische Regeln für Druckbehälter Technische Regeln für brennbare Flüssigkeiten Technische Regeln für Dampfkessel

TRGL

Technische Regeln für Gashochdruckleitungen

TRR

Technische Regeln für Rohrleitungen

TRSK u. u.a. u.a.m. u.U. überarb. UK UNI UNO UP USE usw. UTE UTR

Technische Regeln für Getränkeschankanlagen und und andere und anderes mehr unter Umständen überarbeitet Unterkomitee (DKE) Ente Nazionale Italiano di Unificazione United Nations Organization (Vereinte Nationen) User Promotion (ETSI) Union des syndicats de Γ électricité und so weiter Union technique de l'électricité Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts

40

UVV V v.

Abkrzungserzeichnis

Unfallverhütungsvorschrift Verordnung von, vom

VDE

Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE) e.V.

VDEW VDI VDI-Z.

Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke Verein Deutscher Ingenieure VDI-Zeitschrift

VDI n.

VDI nachrichten

VdS VdTÜV vgl. vol. völ.

Verband der S ach Versicherer Verband der Technischen Überwachungs-Vereine e.V. vergleiche volume völlig

vs. VVB VWP

versus Vereinigung Volkseigener Betriebe (DDR) Voluntary Work Programm (ETSI)

WEEB

Western European EDIFACT Rat)

WFEO WG z.T.

Weltverband der Ingenieurvereine Working Group (Arbeitsgruppe bei CEN/CENELEC, ETSI, ISO/IEC, ITU) zum Teil

z.Zt. zit. zul. geänd. d. ZVEI

zur Zeit zitiert zuletzt geändert durch Zentral verband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V.

EDIFACT

Board

(Westeuropäischer

Abkürzungsverzeichnis mehrfach zitierter Rechtsnormen und amtlicher Verlautbarungen 10. BImSchV

Zehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über die Beschaffenheit und die Auszeichnung der Qualitäten von Kraftstoffen - 10. BImSchV) v. 13.12.1993 (BGBl. 1,1993, Nr. 66, S. 2036-2040)

12. BImSchV

Zwölfte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung - 12. BImSchV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 20.09.1991 (BGBl. I, 1991, Nr. 54, S. 18911913), geänd. d. GefStoffV v. 26.10.1993 (BGBl. I, 1993, Nr. 57, S. 1782-1810)

2. DVO z. EnWG

Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Förderung der Energiewirtschaft (Energiewirtschaftsgesetz) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 14.01.1987 (BGBl. 1,1987, S. 146)

AbfG

Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen (Abfallgesetz - AbfG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.08.1986 (BGBl. I, 1986, Nr. 44, S. 1410-1420, ber. BGBl. I, 1986, S. 1501), zul. geänd. d. 2. Ausführungsgesetz zum Baseler Übereinkommen v. 30.09.1994 (BGBl. 1,1994, S. 2771)

AcetV

Verordnung über Acetylenlager und Calciumcarbidlager (AcetV) (Artikel 5 der Verordnung zur Ablösung von Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.02.1980 (BGBl. I, 1980, Nr. 8, S. 220-228), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09. 1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325)

AMG

Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz AMG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 19.10.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 73, S. 3018-3067)

ArbStättV

Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung ArbStättV) v. 20.03.1975 (BGBl. I, 1975, Nr. 32, S. 729-742), zul. geänd. d. Verordnung v. 01.08.1983 (BGBl. I, 1983, Nr. 35, S. 1057)

AtG

Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz- AtG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 15.07.1985 (BGBl. I, 1985, Nr. 41, S. 15651583), zul. geänd. d. AtGÄndG7 v. 19.07.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 46, S. 1618-1623)

42

Abkrzungs Verzeichnis

AufzV

Verordnung über Aufzugsanlagen (AufzV) (Artikel 3 der Verordnung zur Ablösung von Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.02.1980 (BGBl. I, 1980, Nr. 8, S. 205-213), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325)

BauO BY

Bayrische Bauordnung (BauO BY) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 18.04.1994 (GVB1. BY, 1994, Nr. 9, S. 251-289)

BauO HE

Hessische Bauordnung (BauO HE) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 20.12.1993 (GVB1. I HE, 1993, Nr. 32, S. 655-706), geänd. d. NatSchRÄndG HE v. 19.12.1994 (GVB1. I HE, 1994, Nr. 31, S. 775-793)

BauO M-V

Landesbauordnung Mecklemburg-Vorpommern (BauO M-V) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 26.04.1994 (GVB1. M-V, 1994, Nr. 11, S. 518-550)

BauO NW

Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO NW) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 07.03.1995 (GVB1. NW, 1995, Nr. 29, S. 218-246, ber. in GVB1. NW, 1995, S. 982)

BauPrüfV NW

Verordnung über bautechnische Prüfungen (BauPrüfV) NW (GVB1. NW, 1984, Nr. 73, S. 774-786), geänd. d. BauPrüfVÄndV NW 1 v. 15.11.1989 (GVB1. NW, 1989, Nr. 60, S. 632636)

BBankG

Gesetz über die Deutsche Bundesbank i.d.F.d. Bekanntmachung v. 22.10.1992 (BGBl. I, 1992, 1782), zul. geänd. d. EinführungsG z. Insolvenzordnung v. 05.10.1994 (BGBl. I, 1994, S. 2911)

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 23.12.1988 (BGBl. I, 1989, Nr. 1, S. 1-31)

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) v. 18.08.1896 (RGBL, 1896, S. 195), zul. geänd. d. Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (UmwBerG) v. 28.10.1994 (BGBl. I, 1994, S. 3210)

BImSchG

Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 14.05.1990 (BGBL I, 1990, S. 881-901), zul. geänd. d. ÄndG v. 19.07.1995 (BGBL I, 1995, S. 930)

Bundesrepublik Deutschland/ Bundesregierung, Stellungnahme zum Grünbuch

Stellungnahme der Bundesregierung zum Grünbuch der Kommission. Abgedruckt in: DIN-Mitt. 70 (1991): S. 369-370

Abkürzungsverzeichnis

Bundesrepublik Deutschland/ DIN, Erläuterungen zum Normungsvertrag

Erläuterungen zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem DIN Deutsches Institut für Normung e.V. Abgedruckt in: DIN (Hrsg.). Grundlagen der Normungsarbeit des DIN. DIN-Normenheft 10. 6., geänd. Aufl. Berlin, Wien, Zürich, 1995. S. 48-51

Bundesrepublik Deutschland/ DIN, Normungsvertrag

Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister für Wirtschaft, und dem DIN Deutsches Institut für Normung e.V., vertreten durch dessen Präsidenten, vom 5. Juni 1974. Abgedruckt in: DIN (Hrsg.). Grundlagen der Normungsarbeit des DIN. DIN-Normenheft 10. 6., geänd. Aufl. Berlin, Wien, Zürich, 1995. S. 43-45

ChemG

Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz - ChemG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 25.07.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 47, S. 1703-1732), zul. geänd. d. Gesetz v. 27.06.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 40, S. 1440)

DampfkV

Verordnung über Dampfkesselanlagen (Dampfkesselverordnung - DampfkV) (Artikel 1 der Verordnung zur Ablösung von Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.02.1980 (BGBl. I, 1980, Nr. 8, S. 173-184), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325)

Décret n° 84-73

Verordnung Nr. 84-73 vom 26. Januar 1984 über den Obersten Rat der Normung. In inoffizieller Übersetzung abgedruckt in: Schulz, K.-P./Trotier, R. Neue französische Rechtsverordnungen über Normung. DIN-Mitt. 63 (1984): S. 255

Décret n° 84-74

Verordnung Nr. 84-74 vom 26. Januar 1984 über den Status der Normung (Décret n° 84-74 du 26 janvier 1984 fixant le statut de la normalisation (J.O., 1984, S. 490); in inoffizieller Übersetzung abgedruckt in: Schulz, K.-P./Trotier, R. Neue französische Rechtsverordnungen über Normung. DIN-Mitt. 63 (1984): S. 255-257), zul. geänd. d. Verordnung Nr. 93-1235 vom 15. November 1993 (Décret n° 93-1235 du 15 novembre 1993 portant modification du décret n° 84-74 du 26 janvier 1984 fixant le statut de la normalisation (J.O., 1993, S. 15850))

Décret n° 90-653

Décret n° 90-653 du 18 juillet 1990 portant modification du décret n° 84-74 du 26 janvier 1984 fixant le statut de la normalisation (J.O., 1991, S. 8904)

Décret n° 91-283

Décret n° 91-283 du 19 mars 1991 portant modification du décret n° 84-74 du 26 janvier 1984 fixant le statut de la normalisation (J.O., 1991, S. 3873)

Décret n° 93-1235

Décret n° 93-1235 du 15 novembre 1993 portant modification du décret n° 84-74 du 26 janvier 1984 fixant le statut de la normalisation (J.O., 1993, S. 15850)

44

Abkrzungserzeichnis

DruckbehV

Verordnung über Druckbehälter, Druckgasbehälter und Füllanlagen (Druckbehälterverordnung - DruckbehV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 21.04.1989 (BGBl. I, 1989, Nr. 20, S. 843869), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325)

DSG BW

Gesetz zum Schutz vor Mißbrauch personenbezogener Daten bei der Datenverarbeitung (Landesdatenschutzgesetz BW- DSG BW) v. 04.12.1979 (GBl. BW, 1979, Nr. 21, S. 534-543), geänd. d. DSGÄndG BW v. 30.06.1982 (GBl. BW, 1982, Nr. 14, S. 265-266)

EAGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) v. 25.03.1957 (BGBl. II, 1957, S. 1014; i.d.F.d. Europäischen Unionsvertrages v. 07.02.1992, BGBl. II, 1992, S. 1253/ 1286, geänd. d. Beitrittsvertrag v. 24.06.1994, BGBl. II, 1994, S. 2022, i.d.F.d. Beschlusses v. 01.01.1995, ABl. EG Nr. L 1, S. 1) (auch EURATOMV)

EEA

Einheitliche Europäische Akte v. 28.02.1986 (ABl. EG Nr. L 169 v. 29.06.1987, S. 1; Bulletin EG Beilage 2/86; BGBl. II, 1986, S. 1102; Sart. II, Nr. 151; i.d.F.d. Europäischen Unionsvertrages v. 07.02.1992, BGBl. II, 1993, S. 1253/1295)

EGKSV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKSV, Vertrag über die Montanunion) v. 18.04. 1951 (BGBl. II, 1952, S. 447 i.d.F.d. Europäischen Unionsvertrages v. 07.02.1992, BGBl. II, 1993, S. 1253/1282, geänd. d. Beitrittsvertrag v. 24.06.1994, BGBl. II, 1994, S. 2022, i.d.F.d. Beschlusses v. 01.01.1995, ABl. EG Nr. L 1, S. 1)

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft v. 25.03.1957 (BGBl. II, 1957, S. 766, i.d.F.d. Vertrages über die Europäische Union v. 07.02.1992, BGBl. II, 1992, S. 1253/ 1256, geänd. d. Beitrittsvertrag v. 24.06.1994, BGBl. II, 1994, S. 2022, i.d.F.d. Beschlusses v. 01.01.1995, ABl. EG Nr. L I , S. 1) (vormals EWGV)

ElexV

Verordnung über elektrische Anlagen in explosionsgefährdeten Räumen (ElexV) (Artikel 4 der Verordnung zur Ablösung von Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.02.1980 (BGBl. I, 1980, Nr. 8, S. 214-220), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325)

ElexVVwV

Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Verordnung über elektrische Anlagen in explosionsgefährdeten Räumen (Artikel 4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ablösung von allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) v. 27.02.1980 (BAnz., 1980, Nr. 43, S. 5; BArbBl., 1980, Nr. 4, S. 120)

Abkrzungs Verzeichnis

ElexVVwVVerz

Explosionsschutz elektrischer Betriebsmittel; Bezeichnung von Normen i.S.d. § 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur ElexV (ElexVVwVVerz) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 16.03. 1989 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1989, Nr. 5, S. 93)

EnEG

Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden (Energieeinsparungsgesetz - EnEG) v. 22.07.1976 (BGBl. I, 1976, Nr. 87, S. 1873-1875), geänd. d. EnEGÄndG 1 v. 20.06.1980 (BGBl. I, 1980, Nr. 30, S. 701-702)

Entschließung des Rates 85/C 136/01 „Neue Konzeption"

Entschließung des Rates v. 07.05.1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung (85/C 136/01)- ABl. EG Nr. C 136 v. 04.06.1985, S. 2

Entschließung des Rates 92/C 173/01 „Funktion der europäischen Normung"

Entschließung des Rates vom 18. Juni 1992 zur Funktion der europäischen Normung in der europäischen Wirtschaft (92/C 173/01) - ABl. EG Nr. C 173 v. 09.07.1992, S. 1

EnWG

Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft (Energiewirtschaftsgesetz) v. 13.12.1935 (RGBl. I, 1935, Nr. 139, S. 1451-1456), zul. geänd. d. Einführungsgesetz zum StGB v. 02.03.1974 (BGBl. I, 1974, S. 169)

EURATOMV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) v. 25.03.1957 (BGBl. II, 1957, S. 1014; i.d.F.d. Europäischen Unionsvertrages v. 07.02.1992, BGBl. II, 1992, S. 1253/1286, geänd. d. Beitrittsvertrag v. 24.06.1994, BGBl. II, 1994, S. 2022, i.d.F.d. Beschlusses v. 01.01.1995, ABl. EG Nr. L 1,S. 1) (auch EAGV)

EUV

Vertrag über die Europäische Union v. 07.02.1992 (ABl. EG Nr. C 191 v. 19.07.1992, S. 1 -; BGBl. II, 1992, S. 1253, geänd. d. Beitrittsvertrag v. 24.06.1994, BGBl. II, 1994, S. 2022, i.d.F.d. Beschlusses v. 01.01.1995, ABl. EG Nr. L 1, S. 1)

EWGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) v. 25.03.1957 (BGBl. II, 1957, S. 766) (heute EGV)

Frankreich/ Ansprache des Industrieministers

Ansprache des französischen Industrieministers anläßlich der ersten Sitzung des Obersten Rates für Normung. Abgedruckt in: Wächter, Th. Neue Impulse für die Normungsarbeit in Frankreich. (Übersetzung des Artikels „Laurent Fabius setzt den Obersten Rat für Normung ein": Enjeux 49 (1984) S. 3-6 durch den ZVEI). DIN-Mitt. 63 (1984): S. 610-612

Frankreich/ Rundschreiben des Premierministers

Rundschreiben des Premierministers vom 26. Januar 1984 über die Bezugnahme auf Normen im öffentlichen Beschaffungswesen und in den Rechtsverordnungen. Abgedruckt in: Schulz, K.-P./Trotier, R. Neue französische Rechtsverordnungen über

46

Abkrzungserzeichnis

Normung (inoffizielle Übersetzung). DIN-Mitt. 63 (1984): S. 257-258 FStrG

Bundesfernstraßengesetz (FStrG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 19.04.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 25, S. 854-866)

GasHDrLtgV

Verordnung über Gashochdruckleitungen (GasHDrLtgV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 17.12.1974 (BGBl. I, 1974, Nr. 138, S. 3591-3595), zul. geänd. d. GSGÄndG 2 v. 26.08.1992 (BGBl. I, 1992, S. 1564)

GefStoffV

Verordnung über gefährliche Stoffe (Gefahrstoffverordnung GefStoffV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 26.10.1993 (BGBl. I, 1993, Nr. 57, S. 1782-1810), zul. geänd. d. GefStoffVÄndV 2 v. 19.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 64, S. 2557-2561)

GenTG

Gesetz zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz GenTG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 16.12.1993 (BGBl. I, 1993, Nr. 67, S. 2066-2083), geänd. d. Inkrafttreten d. EWRAG v. 27.04.1993 (BGBl. I, 1993, Nr. 17, S. 512-561)

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23.05.1949 (BGBl., 1949, S. 1), zul. geänd. d. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 27.10.1994 (BGBl. I, 1994, S. 3146)

GhVNW

GSGVwV GSGVwV, Verzeichnis A GSGVwV, Verzeichnis Β GSGVwV, Verzeichnis C

Verordnung über den Bau und Betrieb von Geschäftshäusern (Geschäftshausverordnung- GhV) NW (GVB1. NW, 1969, Nr. 16, S. 168-173), geänd. d. GhVÄndV NW v. 12.06.1969 (GVB1. NW, 1969, Nr. 16, S. 168-173) Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über technische Arbeitsmittel (GSGVwV) v. 27.10.1970 (BAnz., 1970, Nr. 205), zul. geänd. d. GSGVwVÄndVwV 1992 v. 06.08.1992 (BAnz., 1992, Nr. 153, S. 6950) Verzeichnis A der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über technische Arbeitsmittel i.d.F.d. Bekanntmachung v. 03.1992 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1992, Nr. 3, S. 26-66) Verzeichnis Β der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über technische Arbeitsmittel i.d.F.d. Bekanntmachung v. 03.1992 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1992, Nr. 3, S. 66-73) Verzeichnis C der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über technische Arbeitsmittel i.d.F.d. Bekanntmachung v. 03.1992 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1992, Nr. 3, S. 73-76)

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 20.02.1990 (BGBl. I, 1990, S. 235), zul. geänd. d. UmwBerG v. 28.10.1994 (BGBl. I, 1994, S. 3210)

HGB

Handelsgesetzbuch (HGB) v. 10.05.1897 (RGBl., 1897, S. 219), zul. geänd. d. Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (UmwBerG) v. 28.10.1994 (BGBl. I, 1994, S. 3210)

Abkürzungsverzeichnis

HPflG

Haftpflichtgesetz (HPflG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 04.01. 1978 (BGBl. I, 1978, S. 145)

KOM (85) 19 endg. „Neue Konzeption"

Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament: „Technische Harmonisierung und Normung: eine neue Konzeption" - KOM (85) 19 endg. v. 31.01.1985

KOM (85) 310 endg. „Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes"

Vollendung des Binnenmarktes: Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat vom 14.06.1985. KOM (85) 310 endg. Luxemburg 1985

KOM (87) 290 endg. „Grünbuch Telekommunikation"

Auf dem Wege zu einer dynamischen europäischen Volkswirtschaft: Grünbuch über die Entwicklung des gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsendgeräte. KOM (87) 290 endg. Brüssel 1987

KOM (87) 617 endg. „Mitteilung Beteiligung Verbraucher"

Mitteilung der Kommission über die Beteiligung der Verbraucher an der Normung. KOM (87) 617 endg. Luxemburg 1988

KOM (90) 456 endg. „Grünbuch europäische Normung"

Grünbuch der EG-Kommission zur Entwicklung der europäischen Normung: Maßnahmen für eine schnellere technologische Integration in Europa. KOM (90) 456 endg. Brüssel 1990 = ABl. EG Nr. C 20 v. 28.01.1991, S. 1. (Anm.: die Seitenangaben bezüglich der Zitate des Grünbuchs beziehen sich auf die erstgenannte Quelle)

KOM endg.

521

Mitteilung der Kommission: Normung in der europäischen Wirtschaft (Folgemaßnahmen zum Grünbuch der Kommission von Oktober 1990) - KOM (91) 521 endg. = Ratsdok. 4398/92 = BRDrs. 105/92, S. 1

KOM/ Generaldirektion für Binnenmarkt und gewerbliche Wirtschaft III/ B/3, Dok. 27/90

Dok. 27/90 v. 22.06.1990. Abgedruckt in: DIN-Mitt. 70 (1991): S. 106-107

Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01)

Leitlinien einer neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung (Anhang II der Entschließung des Rates v. 07.05.1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung (85/C 136/01)) ABl. EG Nr. C 136 v. 04.06.1985, S. 1 (2) -

Leitsätze für die Zusammenarbeit KOMCEN/CENELEC

Allgemeine Leitsätze für die Zusammenarbeit zwischen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und den europäischen Normenorganisationen Europäisches Komitee für Normung (CEN) und Europäisches Komitee für Elektrotechnische Normung (CENELEC). Abgedruckt in einer Übersetzung von C. Mohr in DIN-Mitt. 64 (1985), S. 78-79 und in CEN/ CENELEC, Memorandum N°4, KEG/CEN/CENELEC, passim

(91)

48

Abkrzungserzeichnis

LuftVG

Luftverkehrsgesetz (LuftVG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 14.01.1981 (BGBl. I, 1981, Nr. 4, S. 61-78), zul. geänd. d. Gesetz v. 19.10.1994 (BGBl. I, 1994, S. 2978)

MBO

Musterbauordnung (MBO) i.d.F.v. 10.12.1993

MedGV

Verordnung über die Sicherheit medizinisch-technischer Geräte (Medizingeräteverordnung - MedGV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 14.01.1985 (BGBl. I, 1985, Nr. 2, S. 93-99), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325)

Mitteilung

Mitteilung der Kommission 80/C 256/02 über die Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 („Cassis de Dijon") - ABl. EG Nr. C 256 v. 03.10.1980, S. 2

der Kommission 80/C 256/02 Mitteilung der Kommission 82/C 59/02

Mitteilung der Kommission 82/C 59/02 über die Anwendung der Richtlinie 73/23/EWG des Rates vom 19. Februar 1973 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen - Niederspannungsrichtlinie - ABl. EG Nr. C 59 v. 09.03.1982, S. 2-

NiederspV (l.GSGV)

Erste Verordnung zum Gesetz über technische Arbeitsmittel (NiederspV - l.GSGV) v. 11.06.1979 (BGBl. I, 1979, Nr. 27, S. 629)

PflSchG

Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz PflSchG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 15.09.1986 (BGBl. I, 1986, Nr. 49, S. 1505-1519), zul. geänd. d. Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - 31. StrÄndG - 2. UKG v. 27.06.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 40, S. 1440)

RL 73/23/EWG (Niederspannungsrichtlinie)

Richtlinie des Rates vom 19.02.1973 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen (73/23/EWG) - ABl. EG Nr. L 77 v. 26.03.1973, S. 29 -, geänd. d. RL 93/68/EWG v. 22.07.1993 - ABl. EG Nr. L 220 v. 30.08.1993, S. 1

RL 83/189/EWG

Richtlinie des Rates vom 28.03.1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (83/189/EWG) - ABl. EG Nr. L 109 v. 26.04.1983, S. 8 -, zul. geänd. d. die Entscheidung 96/139/EG der Kommission v. 24.01.1996 - ABl. EG Nr. L 32 v. 10.02.1996, S. 32 -

RVO

Reichsversicherungsordnung (RVO) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 15.12.1924 (RGBl. I, 1924, S. 779), zul. geänd. d. Agrarsozialreformgesetz 1995 (ASRS 1995) v. 29.07.1994 (BGBl. I S. 1890)

SchankV

Verordnung über Getränkeschankanlagen (Getränkeschankanlagenverordnung - SchankV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.11.

Abkürzungsverzeichnis

1989 (BGBl. I, 1989, Nr. 54, S. 2044-2052), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325) Schlußfolgerungen des Rates (Anhang I der Entschließung 85/C 136/01)

Schlußfolgerungen zur Normung (Anhang I der Entschließung des Rates v. 07.05.1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung (85/C 136/01) - ABl. EG Nr. C 136 v. 04.06.1985, S. 1 (2)

SchO BY

Verordnung über die Schiffahrt auf den bayrischen Gewässern (Schiffahrtsordnung - SchO BY) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 09.08.1977 (BVB1. BY, 1977, Nr. 21, S. 469-480), geänd. d. SchOÄndV BY ν. 10.02.1981 (BVB1. BY, 1981, Nr. 3, S. 3536)

SprengG

Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz SprengG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 17.04.1986 (BGBl. I, 1986, Nr. 18, S. 577-598), zul. geänd. d. Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz v. 19.10.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 72, S. 2978)

SSV

Verordnung über die Sicherheit der Seeschiffe (Schiffssicherheitsverordnung - SSV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 21.10.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 78, S. 3282-3344, ber. BGBl. I, 1994, Nr. 84, S. 3532)

StGB

Strafgesetzbuch (StGB) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 10.03.1987 (BGBl. I, 1987, S. 945, ber. S. 1160), zul. geänd. d. Ausführungsgesetz Seerechtsübereinkommen 1982/1994 v. 06.06.1995 (BGBl. I, 1995, S. 778)

StrlSchV

Verordnung über den Schutz von Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung - StrlSchV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 30.06.1989 (BGBl. I, 1989, Nr. 34, S. 13211375, ber. S. 1926), zul. geänd. d. MedPG v. 02.08.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 52, S. 1963-1984)

StVZO

Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 28.09.1988 (BGBl. I, 1988, Nr. 49, S. 17932063), zul. geänd. d. Verordnung v. 06.01.1995 (BGBl. I, 1995, S. 8)

StWG

Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StWG) v. 08.06.1967 (BGBl. I, 1967, S. 582), zul. geänd. d. PostneuordnungsG v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, S. 2325)

TA Lärm

Allgemeine Verwaltungsvorschrift über genehmigungsbedürftige Anlagen nach § 16 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 48 BImSchG): Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) v. 16.07.1968 (BAnz., 1968, Nr. 137, Beilage, S. 116)

4 Zubke-von Thünen

50

Abkrzungserzeichnis

TA Luft

Erste allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft - TA Luft) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.02.1986 (GMB1., 1986, Nr. 7, S. 95-143, ber. GMBl., 1986, Nr. 11, S. 202)

UWG

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) v. 07.06.1909 (RGBL, 1909, S. 499), zul. geänd. d. Markenrechtsreformgesetz v. 25.10.1994 (BGBL I, 1994, S. 3082)

VbF

Verordnung über Anlagen zur Lagerung, Abfüllung und Beförderung brennbarer Flüssigkeiten zu Lande (Verordnung über brennbare Flüssigkeiten - VbF) (Artikel 6 der Verordnung zur Ablösung von Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.02.1980 (BGBL I, 1980, Nr. 8, S. 229253), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09.1994 (BGBL I, 1994, Nr. 61, S. 2325)

Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM

Zusammenarbeit zwischen CEN und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften hinsichtlich der Arbeiten der EGKommission auf dem Gebiet der Harmonisierung abweichender technischer Gesetzgebung der Mitgliedsstaaten und der Anwendung harmonisierter Normen in Richtlinien der Gemeinschaft. Abgedruckt in einer Übersetzung von R. M. Orth-Guttmann in DIN-Mitt. 53 (1974), S. 202-204

Vereinbarung über die Zusammenarbeit CENELEC/KOM

Zusammenarbeit zwischen CENELEC und den Dienststellen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Abgedruckt in einer Übersetzung von R. Winckler in en 28 (1974), S. 386-387

Vereinigtes Königreich/ BSI, Bye-laws

Bye-laws 1981, amended 1989 and 1992. Hrsg. BSI

Vereinigtes Königreich/ BSI, Memorandum of Understanding

Memorandum of Understanding between the United Kingdom Government and the British Standards Institution on standards. 24. November 1982. Abgedruckt in: BSI, BS 0-2: 1991-10/ AMD 1993-11 S. 17-18 Annex A. In deutscher Übersetzung von Klaus-Peter Schulz auch abgedruckt in: DIN-Mitt. 62 (1983): S. 202-203

Vereinigtes Königreich/BSI, Royal Charter

Royal Charter 1981, amended 1989 and 1992. Hrsg. BSI.

Verordnung 1836/93/EWG

Verordnung des Rates vom 29.06.1993 über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (1836/93/EWG) - ABL EG Nr. L 168 v. 10.07.1993, S. 1 -

Abkürzungsverzeichnis

51

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 19.03.1991 (BGBl. I, 1991, S. 686), zul. geänd. d. Magnetschwebebahnplanungsgesetz v. 23.11.1994 (BGBl. I, 1994, S. 3486)

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) v. 25.05.1976 (BGBl. I, 1976, S. 1253), zul. geänd. d. Postneuordnungsgesetz v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325)

WaffG

Waffengesetz (WaffG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 08.03.1976 (BGBl. I, 1976, Nr. 23, S. 432-455), zul. geänd. d. Verbrechensbekämpfungsgesetz v. 28.10.1994 (BGBl. I, 1994, S. 3186)

WärmeschutzV

Verordnung über einen energiesparenden Wärmeschutz bei Gebäuden (Wärmeschutzverordnung - WärmeschutzV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 18.06.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 55, S. 21212132)

WHG

Gesetz Zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz- WHG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 23.09.1986 (BGBl. I, 1986, Nr. 50, S. 1529-1544), zul. geänd. d. Einunddreißigstes Strafrechtsänderungsgesetz- Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität v. 27.06.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 40, S. 1440)

ZPO

Zivilprozeßordnung (ZPO) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 12.09. 1950 (BGBl. I, 1950, S. 533), zul. geänd. d. Siebzehntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes v. 04.11.1994 (BGBl. I, 1994, S. 3346)

*

Einleitung "Wissenschaft und Technik sind heute keine marginalen Sektoren unserer Gesellschaft, sondern sind die Leitvariablen ihrer Entwicklung."* Nichts in der Geschichte der Menschheit hat deren Entwicklung so grundlegend und nachhaltig beeinflußt wie der wissenschaftliche und technische Fortschritt. Er markiert nach der klassischen abendländischen Anthropologie durch seine Anfänge den Beginn der Menschheit, kennzeichnet beispielsweise als Agrar-, industrielle und informationstechnische Revolution Meilensteine tiefgreifender Veränderungen der menschlichen Kultur sowie des menschlichen Zusammenlebens1 - und mag vielleicht eines Tages infolge der massiven Umweltveränderungen, welche mit der intensiven Technisierung aller Lebensbereiche i.V.m. dem progressiven Wachstum der Weltbevölkerung einhergehen, und die sich global existenzbedrohend auswirken können, ursächlich für das Ende der Menschheit und zugleich vieler weiterer höherer Lebensformen auf der Erde sein2. Den Zielsetzungen, einerseits den Menschen durch die praktische Umsetzung der exponentiell zunehmenden wissenschaftlich-technischen Erkenntnisse in konkrete technische Systeme immer faszinierendere Möglichkeiten von steigendem Nutzwert zu eröffnen und damit die Basis für die Existenz und den Wohlstand der weiterhin stark wachsenden Menschheit zu schaffen, und andererseits die dadurch entstehenden konkreten Gefahren und potentiellen Risiken für die Menschen, ihre Sachgüter und die Umwelt abzuwehren bzw. durch Vorsorge auf ein tolerables Maß zu reduzieren 3, haben sich im wesentlichen zwei soziale * Böhme, G., Der normative Rahmen wissenschaftlich-technischen Handelns, S. 12. 1 Vgl. zum vorhergehenden Kap. I.A.l.c). 2 Diese als "Artensterben" bezeichnete Reduzierung der über Jahrmillionen evolutionär entstandenen biologischen Vielfalt hat bereits heute alarmierende Ausmaße angenommen, zumal die resultierenden Auswirkungen auf das Gleichgewicht der jeweiligen Ökosysteme kaum abzuschätzen und daher gegenüber der Nachwelt auch nicht zu verantworten sind. 3 Die Ambivalenz dieser Zielsetzung schlägt sich u.a. darin nieder, daß in der öffentlichen Meinung die Skala der Werturteile über die Technik sowie die Chancen und Risiken des technischen Fortschritts von der unkritischen Bejahung alles technisch Machbaren bis hin zur totalen Ablehnung jeglicher (modernen) technischen Errungenschaft reicht. So hielten nach Untersuchungen des Instituts für Demoskopie in Allensbach noch im Jahre 1966 72 % der deutschen Bevölkerung die Technik "eher für einen Segen" als "eher für einen Fluch" (so nur 3 %); 20 Jahre später, im Jahre 1986, war der Prozentsatz

54

Einleitung

Regelungssysteme menschlichen Zusammenlebens verschrieben: die staatlichen Organe der Rechtssetzung und -anwendung und die privaten Organisationen der überbetrieblichen technischen Normung. Obwohl in der Bundesrepublik Deutschland die genannten Aufgaben gemäß unserer Verfassung zumindest bezüglich der wesentlichen Entscheidungen den staatlichen gesetzgebenden Organen obliegen, beschränken sich diese fast ausschließlich auf die Normierung allgemeiner generalklauselartiger schütz- und sicherheitstechnischer Anforderungen sowie auf die Ausgestaltung des formalen technischen Genehmigungs- und Überwachungsverhältnisses. Die Aufgabe der Festlegung detaillierter, unter anderem schütz- und sicherheitstechnischer Spezifikationen nehmen hingegen seit nunmehr über einem Jahrhundert die privaten technischen Normenorganisationen wahr, deren Arbeitsergebnisse - die überbetrieblichen technischen Normen - die staatlichen Organe der Rechtssetzung und -anwendung zur Erfüllung ihrer genannten Aufgaben in vielfältiger Weise rezipieren. Während dieser Sachverhalt in der Bundesrepublik Deutschland im Zentrum zahlreicher juristischer Untersuchungen steht4, haben im deutschen Schrifttum entsprechende Entwicklungen in den europäischen Nachbarstaaten weit weniger Beachtung gefunden 5, und auch der vergleichbare vorläufige Abder Technikbefürworter um rund 2 / 5 auf nur noch 44 % gefallen, während sich der Anteil der Skeptiker mit 15 % verfünffacht hatte. Bungard, W. u.a., Technikbewertung: Einleitung, S. 7. Demzufolge führte Rapp, F., Determinanten, S. 31 im Jahre 1987 aus: "Das gegenwärtige Urteil über die Technik ist so unsicher und zwiespältig, daß man fast von einer Krise des Technikbewußtseins sprechen kann." 4 Vgl. u.a. Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht; Brinkmann, W., Verbraucherschutz; Conradi, Β., Mitwirkung außerstaatlicher Stellen; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts; Eichener, V. u.a., Umweltinteressen; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung; Kypke, U., Verbraucherinteresse; Lehmann, K. u.a., Normung und Umweltschutz; Marburger, P., Regeln; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften; Murswiek, D., Staatliche Verantwortung; Nickusch, K.-O., Normativfunktion; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen; Plagemann, H. u.a., Unbestimmte Rechtsbegriffe; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht; Rengeling, H.-W., Stand der Technik; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards; Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik; Schwierz, M., Privatisierung des Staates; Vieweg, K , Normsetzung; ders., Atomrecht und technische Normung. 5 Vgl. Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen; ferner die Beiträge in: BMWi - Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.), Recht und Technik - Rechtliche Regelungen für Anlagen, Geräte und Stoffe im deutschen Recht und im europäischen Recht, Bonn, 1985; Lindackers, Κ. H. (Hrsg.), Sicherheitsaspekte technischer Standards: Ein europäischer Vergleich am Beispiel druckführender Behältnisse, Berlin u.a., 1992; Lukes, R. (Hrsg.), Gefahren und Gefahrenbeurteilung im Recht: Rechtliche und technische Aspekte von Risikobeurteilungen, insbesondere bei neuen Technologien, Köln u.a., 1980.

Einleitung

schluß der Evolution der technischen Harmonisierung zwecks Abbau der diesbezüglichen Handelsschranken auf Ebene der Europäischen Union - die sogenannte "Neue Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" 6 scheint in dieser Hinsicht erst in den letzten Jahren in das Bewußtsein der juristischen Disziplin gedrungen zu sein7. Schließlich stellt die im Zeitalter der Entwicklung der Weltgemeinschaft zum "Global Village" immer bedeutendere juristische Durchdringung etwaiger Zusammenhänge des quantitativ explosionsartig anwachsenden und qualitativ zunehmend bedeutsamen Völkerrechts mit der internationalen technischen Normung einen gänzlich weißen Fleck auf der Landkarte der juristischen Wissenschaft dar. Obgleich sich die Systeme sowohl des Rechts als auch der technischen Normung auf den genannten drei Ebenen der europäischen Nationalstaaten, der Europäischen Union und der internationalen Völkergemeinschaft durch zunehmende und insbesondere bezüglich der ersten beiden Ebenen bereits weit fortgeschrittene Verflechtungen auszeichnen, welche die isolierte Darstellung einer einzelnen Ebene korrelierend erschweren und zumindest eine genaue Schnittstellendefinition erfordern, fehlt es bislang an einer Abhandlung, welche die Systeme der überbetrieblichen technischen Normung sowie deren Vernetzungen mit den staatlichen Systemen der Rechtssetzung und -anwendung auf allen genannten Ebenen einheitlich analysiert und bewertet, sowie die zugrundeliegenden Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausarbeitet. Diese Lücke zumindest partiell zu schließen, ist Zielsetzung dieser Arbeit. Sie soll damit einen Beitrag zur Schaffung von Transparenz und zur Verdeutlichung der Zusammenhänge dieses komplexen integrierten Gesamtsystems im Schnittstellenbereich von Recht, Technik und Wirtschaft leisten. Darüber hinaus sollen die vorhandenen Schwachstellen der Integration von Rechts- und technischen Normen aufgezeigt und ein Lösungsansatz zu deren Überwindung entwickelt werden. Bevor im einzelnen der Gegenstand und die Zielsetzung der Arbeit (dazu C) sowie der Gang der Untersuchung (dazu D) dargelegt werden, hat der interessierte Leser im folgenden Gelegenheit, sich - ohne in die Arbeit einsteigen zu müssen - etwas ausführlicher über den Hintergrund der zuvor skizzierten Themenstellung (dazu A) und die Problematik dieses Untersuchungsgegenstandes (dazu B) zu informieren.

6

Entschließung des Rates 85/C 136/01 "Neue Konzeption". Vgl. Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung; Ensthaler, J., Zertifizierung, Akkreditierung und Normung; Griller, S., Europäische Normung und Rechtsangleichung; Niederbacher, J., Recht der Technik; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel; Schellberg, K.-U., Technische Harmonisierung; femer Anselmann, N., Technische Vorschriften und Normen; ders., Bezugnahme auf harmonisierte technische Regeln. 7

Α. Hintergrund der Themenstellung "Mit dieser außerstaatlichen Normenbildung bahnt sich im Hinblick auf die traditionelle Rechtsquellenlehre eine Entwicklung an, die die unbedingte und ausnahmslose Vorherrschaft des vom Staat geschöpften Rechts faktisch aus den Angeln heben könnte. ... Dieses Schattendasein [der Autonomie der Technik] ist umso unverständlicher, als die Technik in unserem technisierten Zeitalter nahezu alle Lebensbereiche erfaßt und für unsere Sicherheit im einzelnen wie im Ganzen eine überragende Bedeutung gewonnen hat. Gefährlich mutet es deshalb an, wenn man bei näherer Betrachtung feststellen muß, daß das weite Feld der technischen Normung beinahe ausschließlich von privaten Kräftegruppen beherrscht wird. ... Dieses [staatssoziologische Phänomen] wird gewöhnlich mit dem Etikett »Pluralismus' versehen und soll die allmähliche Aushöhlung der Souveränität und Autorität des Staates durch die Macht der Verbände und Interessengruppen aufzeigen. Handelte es sich bisher nur um ein Fliehen des Staates aus der ihm sittlich obliegenden Verantwortung in die Verantwortungslosigkeit, so offenbaren sich hier- im Prinzip!Kräftegruppen, die an den Grundfesten des Staates rütteln und seine Aufgabe in Frage stellen."* Derjenige, der sich mit der Thematik des deutschen Umwelt- und Technikrechts beschäftigt, und dabei von seinen rechtlichen Grundkenntnissen ausgeht, daß die Regelung dieses Bereiches eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates darstellt, sieht sich zu seiner Überraschung mit Aussagen wie diesen konfrontiert: "Alle staatlichen Stellen, die mit technischer Rechtsetzung befaßt sind, sollten eine strenge Bedarfsprüfung durchführen. In den Fällen, in denen technische Regeln (insbesondere DIN-Normen) bestehen, die in der Praxis auch befolgt werden, erübrigt sich u.U. eine rechtliche Regelung dieser Materie."1 "Wer in der Materie »Technik4 arbeitet oder von ihr berührt wird, bezieht heute fast ausschließlich die DIN-Normen, fast gar nicht das Gesetzblatt."2 * So bereits 1964 (!) Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 1 f. 1 Empfehlung 9 einer Arbeitsgruppe des Abteilungsleiterausschusses für Rechts- und VerwaltungsVereinfachung des BMWi im Jahre 1989 an alle Bundesressorts, die vom Bundesjustizminister seit Ende 1990 bei Rechtsförmlichkeitsprüfung von Gesetzen und Verordnungen berücksichtigt wird. BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 37. Vgl. auch Böckenförde, D., Rechtsetzung und technische Normen, S. 31 f. 2 Aus der Sicht der BReg. Min-Rat Strecker, Α., Verknüpfung, S. 55. Vgl. auch Mohr, P.M., Normen, S. 38.

Α. Hintergrund der Themenstellung

57

"Die am Maßstab der allgemein anerkannten Regeln der Technik ausgerichteten sicherheitstechnischen Anforderungen an Gas- oder Elektrogeräte und -anlagen werden für den gesamten Bereich der Versorgung mit elektrischer und gasförmiger Energie durch die technischen Normen des DVGW und des VDE inhaltlich konkretisiert. Oder kürzer: Auf dem Gebiet der Versorgung mit Elektrizität und Gas besteht das Recht der Sicherheitstechnik faktisch aus den VDE- und DVGW-Bestimmungen."3 "Auf die dritte Frage nach dem Inhalt eines solchen Gesetzes [des technischen Sicherheitsrechts], etwa in der Gentechnik, möchte man rasch antworten: es soll das Wesentliche enthalten. Wenn man dann aber vergleichend in die bisherigen Gesetze des technischen Sicherheitsrechts schaut, dann ergibt eine Bestandsaufnahme den Eindruck, daß dort - überspitzt gesagt - eine umgekehrte Wesentlichkeitstheorie gilt, daß nämlich alles oder vieles wesentliche, vor allem die einzelnen Grenzwerte, erst in den Regelwerken kommt."4 "Die Fälle, in denen Norminhalte nicht identisch sind mit den anerkannten Regeln der Technik, dürften jedoch so selten, wenn überhaupt gegeben oder nachweisbar sein, daß die Widerleglichkeit der Vermutung mehr oder weniger reine Theorie bleibt."5 Nun ist die Erscheinung einer sogenannten "gesellschaftlichen", außerhalb der Rechtssetzung durch die staatlichen Gewalten stattfindenden Normenbildung oder gar Rechtssetzung mit kollektiver Wirkung für die Rechtswissenschaft nichts Außergewöhnliches. So kennen die Rechtsquellenlehren im deutschen, europäischen und im Völkerrecht sämtlich das Gewohnheitsrecht als originäre Rechtsquelle. Außerhalb dieses Rechtsquellensystems existieren in der Bundesrepublik Deutschland unter anderem das Kirchenrecht, das Tarifrecht der Sozialpartner, das Verbandsrecht der Vereine und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Wirtschaft 6. Außergewöhnlich ist jedoch, verglichen mit diesen Formen "gesellschaftlicher" Normenbildung, die exzeptionelle Dimension, welche die außerstaatliche Normsetzung der technischen Normenorganisationen bezüglich des Schutzes und der Sicherheit von Mensch, Umwelt und Sachgütern mittlerweile erreicht hat, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer (grund-) rechtlichen Bedeutung, die entsprechend dem verfassungsmäßigen Rang und der lebenstatsächlichen Relevanz der genannten Rechtsgüter kaum zu überschätzen ist, als auch in bezug auf den materiellen Umfang dieser Normsetzung, der die diesbezüglichen staatlichen Regelungen der mehrstufigen Normen- und Regelsysteme des Umwelt- und Technikrechts nicht nur um ein mehrfaches, sondern gleich um einige Zehner3

Aus der Sicht der Wissenschaft Marburger, P., Regeln, S. 82. Aus der Sicht der Wissenschaft Wahl, R., Wortbeitrag in: VVDStRL48 (1990), S. 293. 5 Aus der Sicht der BReg. Min-Rat Strecker, Α., Verknüpfung, S. 49. 6 Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 1; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 48, 57. 4

58

Einleitung

potenzen übertrifft 7 . Hinzu kommt, daß es sich bei der technischen Normung nicht um einen ungeregelten und unsystematischen Prozeß der evolutionären Ausbildung einer außerrechtlichen tatsächlichen Ordnung tradierter und sich dabei weiterentwickelnder gesellschaftlicher Anschauungen und Verhaltensweisen handelt, wie dies beispielsweise bei den "guten Sitten" (§§ 138 Abs. 1, 826 BGB, § 1 UWG), der "Verkehrssitte" (§§ 157, 242 BGB), dem "Handelsbrauch" (§ 346 HGB) oder der "im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB) der Fall ist. Technische Normen werden vielmehr in einem komplexen, in allen Einzelheiten formalisierten und durchorganisierten Willensbildungsprozeß von allein in der Bundesrepublik Deutschland vielen zehntausend Experten als Delegierte der jeweils am Normungsgegenstand "interessierten Kreise" unter Einschluß der Öffentlichkeit innerhalb des durch die technischen Normenorganisationen bereitgestellten organisatorischen Rahmens erarbeitet und als zwar rechtlich unverbindliche, aber dennoch mit allgemeinem normativen Geltungsanspruch im etymologischen Wortsinn einer "Regel" bzw. "Richtschnur" ausgestattete Empfehlung der technischen Normenorganisationen veröffentlicht. Angesichts der hier geschilderten Wirklichkeit, die sich nur begrenzt mit den verfassungsgemäßen Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie in Einklang bringen läßt, mag das zu Beginn des Kapitels angeführte, über 30 Jahre alte Zitat von Nickusch als beispielhafter Ausdruck "juristischen Unbehagens" des rechtskundigen Fachmanns angesehen werden. Um zu belegen, daß dieses keine veraltete, exotische Einzelmeinung darstellt, sei an dieser Stelle ein etwas ausführlicheres, dafür umso informativeres Zitat des ehemaligen Bundesjustizministers und Mitglieds des Bundestages Vogel erlaubt: "Auf den Juristen wirkt das technische Normenwerk zugleich befriedigend und beunruhigend. Befriedigend, weil mit Hilfe dieses Normenwerkes auf dem empfindlichen, von starken Interessengegensätzen gekennzeichneten Spannungsfeld zwischen technischem Fortschritt und rechts staatlichem Ordnungsbedürfnis ,Ruhe' herrscht. Beunruhigend, weil sich die technische Norm, die ja nur als Empfehlung ohne Rechtsnormqualität auftritt, dem herkömmlichen System der Rechtsquellen entzieht." "Die Erfahrung zeigt, daß der Wirkungsgrad der technischen Normen beachtlich ist und sich mit dem staatlicher Normen durchaus messen kann. Ein erstaunliches Phänomen, das noch viel mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde, wenn es nicht... ebenso erstaunlicherweise kaum in das Bewußtsein der fraglichen Disziplinen ge7

Ein herausragendes Beispiel dafür ist die inklusive Anhängen fünfseitige Niederspannungsrichtlinie (RL 73/23/EWG), die beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland rund 50 % des DKE- (DIN-VDE-) Normenwerkes von z.Zt. 1.300 DIN-VDENormen mit 21.670 Seiten und nahezu der gleichen Anzahl an DIN-VDE-Norm-Entwürfen mit 29.860 Seiten rezipiert, so daß den 5 Seiten Gesetzestext 50.000 technische Normen - entsprechend dem Faktor 104 - gegenüberstehen. Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)(2)(b) und Kap. II.A.l.a)ee)(4).

Α. Hintergrund der Themenstellung

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drungen wäre. ... Tatsächlich weisen die technischen Normen einen in seiner Intensität noch weitgehend unerforschten, offensichtlich aber sehr starken Sozialbezug auf. Sie legen den Qualitätsstandard fest, den der Bürger auf dem Markt vorfindet, sie haben weitreichenden und chancenverteilenden Einfluß auf die Wettbewerbsbedingungen, vor allem aber legen sie fest, in welchem Maße Leben und Gesundheit des Bürgers gegen die Gefahren des technischen Fortschritts zu sichern sind." "Die staatliche Verantwortung für den Schutz wichtiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit ist umfassend und unteilbar. Der Verbraucherschutz und der Gedanke der Humanität am Arbeitsplatz treten noch hinzu. ... Bei dieser Situation muß es auf den ersten Blick überraschen, daß der Staat ein weites und so bedeutsames Feld der Regelung einem außerstaatlichen Normgeber überläßt. Dabei geben weniger Normen zu denken, die technische Vorgaben ohne eine zusätzliche Wertung nachvollziehen. Vielmehr sind es die Normen, denen Wertungen zugrunde liegen, die nicht allein an technischen Vorgaben orientiert sind, etwa die Steuerung des Wettbewerbs oder der Verbraucherschutz. Hier wird der Boden der Politik betreten. Kritisch wird es aber vor allem dann, wenn der außerstaatliche Normgeber zugleich darüber entscheidet, in welchem Maße auf Leben und Gesundheit des Bürgers Rücksicht zu nehmen ist. Hier liegt die eigentliche verfassungs- und rechtspolitische Problematik." "Verwendet der Gesetzgeber eine solche Generalklausel, so geht er davon aus, daß der Stand der Technik bereits in technischen Normen umschrieben und auf diese Weise für den Fachmann faßbar geworden ist oder zumindest, daß die Normungsgremien sich des betreffenden Bereichs besonders annehmen werden. Dies bedeutet weiter, daß die Normungsgremien für den Inhalt der zu beachtenden Regeln, für die rechtlichen Sanktionen ihrer Verletzung und damit für den Schutz der betroffenen Rechtsgüter eine gesteigerte Verantwortung tragen. De facto geht in diesen Fällen natürlich unter dem Vorbehalt nachträglichen Eingreifens des Gesetzgebers - die Schutzgewährung auf das Institut über ... Man könnte sagen: Bei der Generalklauselmethode vertraut der Gesetzgeber einer Institution, bei der Verweisung vertraut er einer Regel."8 Um diese Ausführungen verstehen und einordnen zu können, bedarf es folgender Hintergrundinformation: In der Bundesrepublik Deutschlandf 9 stellen der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Menschen, seiner Sachgüter und der Umwelt als Grundrechte gemäß den Art. 2 Abs. 1 S. 1 und 14 Abs. 1 S. 1 GG bzw. als Rechtspflichten entsprechend Art. 20 a GG objektivrechtliche Wertentscheidungen der Verfassung dar 10 . Diese begründen eine umfassende Verantwortung des Staates, die erforderlichen Rahmenbedingungen nicht nur für die wissenschaftlich-technische Entwicklung als Lebensgrundlage der wachsenden Menschheit, sondern auch für den Schutz der genannten Rechtsgüter vor Gefah8

Vogel, H.-J., Eröffnungsansprache, S. 11 ff. Vgl. zum folgenden Kap. II.A.l. 10 BVerfGE 7, S. 198 (205); 35, S. 79 (114); 39, S. 1 (41); 49, S. 89 (141 f.); 53, S. 30 (57). Vgl. auch Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 179 m.z.w.N. von Entscheidungen und Beschlüssen des BVerfG. 9

60

Einleitung

ren und un verhältnismäßigen Risiken 11 dieser Entwicklung zu schaffen 12. Innerhalb des Staates ist von den drei staatlichen Gewalten aufgrund des aus Art. 20 Abs. 3 GG resultierenden "allgemeinen Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes" 13 zuvorderst der parlamentarische Gesetzgeber berufen und verpflichtet, die notwendigen Entscheidungen zu fällen 14 . Dieser hat gemäß der heute zur ständigen Rechtsprechung des BVerfG gehörenden "Wesentlichkeitslehre" in grundlegenden normativen Bereichen und insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen 15 und darf

11 Der aus dem traditionellen Polizeirecht stammende Gefahrenbegriff kennzeichnet eine Sachlage, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden der zu schützenden Rechtsgüter führt. Für Kausalverläufe unterhalb der - wie auch immer definierten - Gefahrenschwelle hat sich im Anschluß an wegweisende Entscheidungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Begriff des "Risikos" durchgesetzt, welches sich - wie die Gefahr - als Produkt aus Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmt. Innerhalb dieses Risikobereiches kennzeichnet schließlich der Ausdruck "Restrisiko" die aufgrund der Begrenztheit des menschlichen Erkenntnisvermögens auch bei bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge verbleibende Schadenswahrscheinlichkeit, die als unentrinnbar gilt und insofern als sozial-adäquate Last von allen Bürgern zu tragen ist. Vgl. dazu BVerfGE 49, S. 89 (137 ff.); 53, S. 30 (59); BVerwGE 69, 37 (43); 72, 300 (315 ff.); vgl. ferner aus der Literatur Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 52 f.; Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 186 ff. sowie die Nachweise in Kap. II.A.l.c)cc). 12 Vgl. neben den Nachweisen der vorherigen Fußnote grundlegend Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, passim, insbes. S. 23 f., 101 f. und 399 (vgl. auch das Beispiel auf S. 20 f.); Schmidt, R., Der Staat der Umweltvorsorge, passim; vgl. ferner Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 178 ff., 204; Marburger, P., Regeln, S. 114 f., 143; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 59 f.; ders., Technische Sicherheit, S. 16; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 27; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 156; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 96; Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 130; Scholz, R., Technik und Recht, S. 692. 13 BVerfGE 49, S. 89 (126) unter Hinweis auf BVerfGE 40, S. 237 (248). In der Literatur wird der Gesetzesvorbehalt auch auf die breitere Grundlage des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 S. 1 GG) und des demokratischen Gebots (Art. 20 Abs. 1 und 2, 21, 28, 38 und 79 Abs. 3 GG) gestützt. Kremser, H., Verfassungsrechtliche Zulässigkeit technischer Regelwerke, S. 277 f. m.w.N. 14 BVerfGE 49, S. 89 (126 ff.); 53, S. 30 (56); Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 169; Kremser, H., Verfassungsrechtliche Zulässigkeit technischer Regelwerke, S. 277 f.; Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 88; Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 400; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 120 ff.; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 164; Vogel, H.-J., Eröffnungsansprache^. 12. 15 BVerfGE 34, S. 165 (192 f.); 40, S. 237 (249); 41, S.251 (260); 45, S. 400, (417 f.); 47, S. 46 (78 ff.); 48, S. 210 (221); 49, S. 89 (126 ff.); 57, S. 295 (320 f.); 58, S. 257 (268 ff.); 84, S. 212 (226); vgl. auch BVerfGE 89, S. 195 (186 ff., 203 ff.). Dazu Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 891 f. Bereits das Pr. OVG hatte darauf hingewiesen, daß es sich bei den an der "gesetzlich vorgeschriebenen Form nicht teilhabenden Bekanntmachungen immer nur um Anord-

Α. Hintergrund der Themenstellung

61

dies nicht der zweiten und dritten Gewalt überlassen16. Den Gesetzen des Umwelt- und Technikrechts kommt somit neben anderem die Aufgabe zu, die grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates zumindest in den wesentlichen Punkten in das einfache Recht und damit die Rechts Wirklichkeit umzusetzen17 und dabei den zentralen und ambivalenten Interessenkonflikt des Umwelt- und Technikrechts zu entscheiden: Welche Risiken der Technik - d.h. welches Maß an Sicherheitsrisiken, an Gesundheitsgefährdung an Umweltbelastung u.a.m. sind um ihrer Vorteile willen in Kauf zu nehmen, mit anderen Worten die Frage zu beantworten: "Wie sicher ist sicher genug?"18 Diese Aufgabe stellt angesichts der Bedeutung von Wissenschaft und Technik für den Wohlstand einer Nation im heutigen scharfen globalen Wettbewerb einerseits und der massiven Veränderungen und auch Gefährdungen der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen und aller anderen Lebewesen durch die zunehmend technikdominierte Lebenswirklichkeit des "technischen Zeitalters" andererseits zumindest eine, wenn nicht gar die wichtigste Aufgabe des Staates und specialiter des Gesetzgebers der modernen Industriegesellschaft dar 19 . Ungeachtet dessen ist für die Regelungsstruktur des deutschen Umwelt- und Technikrechts charakteristisch, daß der Gesetzgeber praktisch durchgängig 20 davon abgesehen hat, die zum Schutz des Menschen, seiner Sachgüter, der Umwelt oder anderer verfassungsmäßiger Rechtsgüter notwendigen Beschaffenheitsund Verhaltensanforderungen selbst materiell zu normieren und sich auf die Festlegung allgemeiner Schutz- und Sicherheitsziele und/oder die Umschreibung der technischen Sicherheitspflichten mit offenen Rechtsbegriffen 21 sowie

nungen ergänzenden Inhalts, um zusätzliche Vorschriften", um Nachträge handeln dürfe, während alle wesentlichen Bestandteile an die gesetzlich vorgeschriebenen Formen gebunden seien. Zit. bei Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 207. 16 Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 179 f.; Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 88; Maunz, T., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 80 Rn. 6; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 160, 164; Vogel, H.-J., Eröffnungsansprache, S. 12. 17 Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 83 f. m.z.N. 18 Vieweg, K., Atomrecht und technische Normung, S. 212 ff. m.z.N. 19 Lukes, R. u.a., Vorwort, S. 1. 20 Fälle einer gesetzlichen Normierung konkreter Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen bezüglich technischer Systeme sind äußerst selten. Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 83; ders., Atomrecht, S. 243. 21 Begriffe wie z.B. "schädliche Umwelteinwirkungen", "erforderliche Vorsorge" oder "berechtigte Interessen", aber auch "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik", "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik" werden zum überwiegenden Teil in Literatur (vgl. die Nachweise in Fn. 525 in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß)) und Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerfGE 21, S. 73 (79); 49, S. 89 (136 f.)) als "unbestimmte Rechtsbegriffe" bezeichnet.

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Einleitung

die Ausgestaltung des formalen technischen Genehmigungs- und Überwachungsverhältnisses beschränkt. Dieser Sachverhalt ist derart symptomatisch, daß im deutschen Umwelt- und Technikrecht vielfach von der Geltung einer "umgekehrten Wesentlichkeitslehre" die Rede ist: "Alles Wesentliche steht nicht im Gesetz" 22 . Die Begründung hierfür lautet regelmäßig, daß ein Spannungsverhältnis zwischen Recht und Technik bestünde, indem Rechtsnormen und vor allem Gesetze eine statisch-bewahrende Ordnungsaufgabe erfüllten, während Wissenschaft und Technik auf permanenten Fortschritt und dynamische Veränderung ausgerichtet seien23. Darüber hinaus wird häufig, wenn auch in unterschiedlicher Zu-

Der Ausdruck "unbestimmter Rechtsbegriff' erscheint jedoch nicht nur sprachlich verunglückt; denn abgesehen davon, daß ein "unbestimmter Begriff' ein Widerspruch in sich ist - denn ein Begriff kann nicht unbestimmt sein, da er ansonsten seine Begriffsqualität verlieren würde (Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 853) -, stellte seine Verwendung in einer Rechtsnorm darüber hinaus auch einen Verstoß gegen die Verfassung dar. Selbst materiell offene und daher nicht unmittelbar subsumible Rechtsbegriffe, die wegen ihrer Offenheit mehr als andere der näheren, häufig wertenden Bestimmung bedürfen, müssen die Erkenntnis darüber erlauben, ob ein Ausdruck, ein Tatbestand oder eine Konkretisierung in den Bereich des offenen Begriffes fällt oder nicht. Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 852 ff., 922 f.; vgl. auch ders., Das Sozialprinzip, 38 ff., 71 ff.; ders., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 124 ff. Daher soll in dieser Arbeit statt des Ausdrucks "unbestimmter Rechtsbegriff' der Terminus "offener Rechtsbegriff ' Verwendung finden. 22 Breuer, R., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 279; Gusy, C., Verrechtlichung technischer Standards, S. 112; Murswiek, D., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 297; Wahl, R., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 293. Vgl. auch Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 83; ders., Atomrecht, S. 241, 243; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 1. 23 I.d.S. BVerfGE 49, S. 89 (137); 53, S. 30 (58 f.); BVerwGE 72, S. 300 (311 f.); Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 2; ders., Recht und Technik, S. 9; Börner, A.-R., Spannungsfeld, passim; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 46, 61; ders., Internationale Orientierung, S. 55; ders., Umweltgesetzbuch, S. Β 60; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 26 ff.; Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, S. 66 f.; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 17; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 35 f.; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 12 f.; Marburger, P., Regeln, S. 118 f., 147, 381; ders., Bezugnahme, S. 30 f.; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 27; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 15 f.; Nickusch, K.-O., Unzulässige Verweisung, S. 812; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 75 f.; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 155 f., 168, 170; Reihlen, H., Begrüßungsworte, S. 10; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 40; Scholz, R., Technik und Recht, S. 691 f.; ders., Verhältnis, S. 85 ff.; ders., Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 125 f.; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 4, 9 f.; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 37; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 18, 20; Wolfensberger, H., Die anerkannten Regeln der Technik, S. 11; Zeidler, W., Wortbeitrag in: BMWi Studienreihe (53) 1985, S. 79 ff.

Α. Hintergrund der Themenstellung

63

sammenstellung und Gewichtung angeführt, daß es dem Gesetzgeber an Sachverstand 24 und dem Gesetzgebungsverfahren infolge seiner "notwendigen Umständlichkeit, Schwerfälligkeit und Langwierigkeit" an der notwendigen Flexibilität 25 - insbesondere auch bezüglich der erforderlichen laufenden Anpassung an den wissenschaftlich-technischen Fortschritt 26 - fehle, daß die detaillierte Normierung von Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen zu umfangreich und zeitaufwendig 27 und der Gesetzgeber dementsprechend von dieser Aufgabe zu entlasten28 sei, daß der Gesetzestext sich nicht für die Wiedergabe detaillier-

Erhard, R., Technische Standards, S. 3, spricht von einer Antinomie von Recht und Technik, und Falck, E., Technik und Recht, passim, sogar von einer "gegenseitigen Kampfstellung" von Recht und Technik. Differenzierter äußern sich hingegen Haier, U., Eröffnung, S. 1; Lukes, R., Atomrecht, S. 241 f.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 13 ff., 42 f. 24 Baden, E., Dynamische Verweisungen, S. 625; Backherms, J., Recht und Technik, S. 14; Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 2, 244; Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 50 f.; ders., Rezeption technischer Regeln, S. 49 f.; Conradi, Β., Mitwirkung außerstaatlicher Stellen, S. 20 ff.; Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 193; Karpen, H.-U, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 126 f.; Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 94; ders., Atomrecht, S. 242, 245; Nicklisch, F., Technologierecht, S. 511; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 204; ders., Unzulässige Verweisung, S. 812; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 171; Pfaffelhuber, J., Entscheidungshilfen, S. 84 f.; Plagemann, H. u.a., Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 5, 8; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 11, 32 f.; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1181; Vieweg, K , Produktbezogener Umweltschutz, S. 520. 25 Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2633; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 217 f.; ders., Unzulässige Verweisung, S. 813; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 42; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 28; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9 ff., 12. 26 BVerfGE 49, S. 89 (137); Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S.49f.; DIN, Partnerschaft, S. 57 f.; Lukes, R., Atomrecht, S. 242, 245; Nicklisch, F., Technologierecht, S. 511; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 204; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 170; Pfaffelhuber, J., Entscheidungshilfen, S. 84 f.; Plagemann, H. u.a., Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 5; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 32; Scholz, R., Technik und Recht, S. 699; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9 f.; Stefener, W., DIN-Normen, S. 33; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 18. 27 Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2633; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1181. 28 Beauvais, E. v., Rechtsvorschriften für technische Gegenstände, S. 9; Boulin, P. u.a., AFNOR, S. 2; Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 50, 70; Erhard, R., Technische Standards, S. 5; Krieg, K. G. u.a., Leitfaden, S. 12; Lukes, R., Industrielle Normen und Standards, S. 25; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 203; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 101; Stefener, W., DIN-Normen, S. 33; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 52.

64

Einleitung

ter technischer Anforderungen eigne 29 und folglich davon freigehalten werden müsse30 u.a.m. 31 . Aus diesen Gründen hat der deutsche Gesetzgeber die materielle Bestimmung der allgemeinen gesetzlichen Schutz- und Sicherheitsziele entweder in abstrakt-genereller Form durch Ermächtigungen der Exekutive zum Erlaß von Rechtsverordnungen, allgemeinen Verwaltungsvorschriften u.a.m. an die zweite Gewalt delegiert oder der konkret-individuellen Einzelfallregelung auf der Rechtsanwendungsebene überlassen. In der Praxis nimmt jedoch die Exekutive ihre Ermächtigungen häufig entweder überhaupt nicht wahr 32 , oder verzichtet weitgehend in Rechtsverordnungen und überwiegend auch in allgemeinen Verwaltungsvorschriften zugunsten allgemeiner Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen auf eigene detaillierte schütz- und sicherheitstechnische Regelungen, wofür im wesentlichen ebenfalls die im vorhergehenden Absatz genannten Ursachen gelten sollen 33 .

29

Lukes, R., Atomrecht, S. 242, 245; ders., Einführung, S. 4; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 217 f.; ders., Unzulässige Verweisung, S. 813. 30 Erhard, R., Technische Standards, S. 5; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 126 f.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 100 f.; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 52. Vgl. zum Vorhergehenden bzgl. der Europäischen Union KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 4 und die Mitteilung der Kommission 82/C 59/02; vgl. ferner aus der Literatur Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1186; Sauer, M., Neues Konzept, S. 600. 31 Auf diese größtenteils Symptome, nicht aber die Ursachen benennenden Argumente wird im Abschn. 6 des Ausblicks noch näher eingegangen. 32 Vgl. für das Bundes-Immissionsschutzrecht Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 43; Marburger, P., Regeln, S. 97, für das Kernenergierecht Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 59 f. und für das Recht der überwachungsbedürftigen Anlagen Marburger, P., Regeln, S. 61; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 48. Vgl. zu diesen Rechtsgebieten Kap. II.A.l.c) dd)(2), Kap. II.A.l.c)dd)(3) und Kap. II.A.l.c)dd)(4). 33 Vgl. neben den in den Fn. 23 bis 30 dieses Kapitels genannten Nachweisen Backherms, J., Recht und Technik, S. 14; Baden, E., Dynamische Verweisungen, S. 625; Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 244; Di Fabio, U., Umweltschutz durch Bauproduktnormung, S. 1271; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 43; Lukes, R., Atomrecht, S. 243; ders., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 94; ders., Einführung, S. 4; Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 17; Nikkusch, K.-O., Normativfunktion, S. 203 f.; Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 29; Pfaffelhuber, J., Entscheidungshilfen, S. 84 f.; Plagemann, H. u.a., Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 5; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 57; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 48; Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 137, welche sich in ihren Aussagen sämtlich explizit (auch) auf die Exekutive beziehen. Α. A. Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 42; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 11.

Α. Hintergrund der Themenstellung

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Statt dessen werden in erheblichem Umfang entweder abstrakt-generell in Gesetzen, Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften - gegebenenfalls über die Zwischenstufe der Regelwerke öffentlich-rechtlicher technischer Ausschüsse34 - oder spätestens konkret-individuell auf der Rechtsanwendungsebene durch Behörden und Gerichte die einschlägigen technischen Normen(werke) der privaten Normenorganisationen rezipiert. Insbesondere die allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Umwelt- und Technikrechts sind weitgehend nichts anderes als eine detailliert ausgearbeitete Bezugnahme auf die jeweils einschlägigen privaten technischen Regelwerke, sofern sie nicht deren Ergebnisse wie beispielsweise die TA Luft und die TA Lärm inkorporieren . Alle diese überbetrieblichen technischen Normen enthalten Detailregeln zur Lösung konkreter die Sicherheit, den Umweltschutz, die Ergonomie usw. betreffende Probleme. Damit werden als charakteristische Regelungsstruktur des Umwelt- und Technikrechts die materiellen schütz- und sicherheitstechnischen Detailregelungen zum weitaus überwiegenden Teil in privaten technischen Normen festgelegt, die so den "eigentlichen sicherheitstechnisch-materiellrechtlichen Gehalt" 36 des Umwelt- und Technikrechts verkörpern und den Normadressaten als Handlungs-, sowie den Behörden und den mit der Kontrolle der Exekutiventscheidungen befaßten Gerichten als Entscheidungsmaßstäbe dienen, welche Risiken der Technik um der Vorteile der wissenschaftlich-technischen Entwicklung willen in Kauf zu nehmen sind. Diese staatliche Rezeption außerrechtlicher Ordnungsgefüge hat eine lange Tradition in Deutschland. Bereits im Mittelalter stellten die Entwicklung technischer Regeln des Handwerks und die Kontrolle ihrer Einhaltung Aufgaben dar, die der Staat- obwohl die Normierung und Durchsetzung des "Handwerkrechts" zu dessen originären Pflichten zählte - nicht in dem Maße erfüllen konnte, wie die Zünfte es vermochten; denn ihm fehlten sowohl die genauen Kenntnisse der Bedürfnisse und Bedingungen des Handwerkerstandes als auch der technischen Einzelheiten des handwerklichen Fertigungsprozesses 37. Diese 34 In einigen Normen- und Regelsystemen existiert noch eine Zwischenstufe in Form von technischen Regelwerken öffentlich-rechtlicher technischer Ausschüsse, wie beispielsweise den von den gemäß § 11 Abs. 2 GSG eingesetzten technischen Ausschüssen erarbeiteten Regelwerken im Normen- und Regelsystem der überwachungsbedürftigen Anlagen oder den vom Kerntechnischen Ausschuß erstellten technischen Regeln im Normen- und Regelsystem des Kernenergierechts, die sich jedoch selbst häufig, zum Teil sogar systematisch auf die einschlägigen technischen Normen der privaten normschaffenden Institutionen beziehen bzw. diese inkorporieren. Vgl. dazu Kap. ILA. l.c)dd)(3)(e) und Kap. II.A.l.c)dd)(4)(d)(bb). 35 Vgl. Kap. II.A.l.c)dd)(2)(c). 36 Marburger, P., Regeln, S. 69. 37 Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 47 f.

5 Zubke-von Thünen

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Einleitung

Regelungstechnik bewährte sich so gut, daß das preußische allgemeine Landrecht von 1794 in seinem strafrechtlichen Teil (2. Teil, 20. Titel: "Von den Verbrechen und deren Strafen") die "allgemein anerkannten Regeln der Baukunst" als Maßstab für ein sicherheitstechnisch ordnungsgemäßes Verhalten im Bauwesen anlegte und damit neben mündlich tradierten technischen Regeln im wesentlichen die Zunftregeln der beim Bau tätigen Handwerker rezipierte 38. Nachdem im Zuge der industriellen Revolution sowohl das Gefahrenpotential als auch die Anwendungsintensität der technischen Systeme stark zugenommen hatte - erinnert sei an die sich mit steigender Verbreitung der Dampfmaschine häufenden Kesselexplosionen sowie die Unfälle in Zusammenhang mit der Nutzung von Gas und Elektrizität -, versuchte der Gesetzgeber in den allgemeinen polizeirechtlichen Bestimmungen für Dampfkessel von 1871 39 und 1890 40 abschließend die entsprechenden sicherheitstechnischen Anforderungen festzulegen 41 . Infolge der "empfindlichen Informationslücke" des Staates gegenüber den technisch-wissenschaftlichen Verbänden - namentlich dem V D I -, und des vergeblichen Versuchs, diese durch Einstellung von Dampfkesselexperten zu schließen, sah sich der Gesetzgeber gezwungen, in den "Allgemeinen polizeilichen Bestimmungen über die Anlegung von Landdampfkesseln" v. 17.12.190842 sowie den "Allgemeinen polizeilichen Bestimmungen über die Anlegung von Schiffsdampfkesseln" v. 17.12.190843 von dieser Regelungsmethode Abstand zu nehmen und stattdessen, wie vom V D I vorgeschlagen, durch den normativen Standard der "anerkannten Regeln der Wissenschaft und Technik" die technischen Normen des V D I zu rezipieren 44. Mit wenigen Ausnahmen, die zumeist gleichfalls scheiterten, behielten die rechtssetzenden Organe diese Regelungstechnik in allen weiteren Regelungsgebieten des Umwelt- und Technikrechts bei, die infolge der fortschreitenden wissenschaftlich-technischen Entwicklung entstanden. Nachdem diese Methode ungeachtet dieser langen

38 Marburger, P., Regeln, S. 149 ff.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 47 ff. Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 568 in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa). 39 RGBl., 1871, S. 122. 40 RGBl., 1890, S. 163. 41 Berg, W., Verwaltungsprozeß, S. 281. 42 RGBl., 1909, S. 3. 43 RGBl., 1909, S. 51. 44 Marburger, P., Regeln, S. 151 ff.; ders., Bezugnahme, S. 38; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 51 ff. (die sogar von einer diesbezüglichen "Inkompetenz des Staates" spricht); Nicklisch, F., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 76; ders., Wortbeitrag in: DIN Normungskunde Bd. 17, S. 57. Vgl. ferner Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 59 f.; Marburger, P., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 29. Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 568 in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa).

Α. Hintergrund der Themenstellung

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Tradition erst im Jahre 1975 durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen dem B M W i und dem D I N geregelt wurde, findet sie seit 1990 entsprechend dem ersten von den fünf zu Beginn dieses Kapitels angeführten Zitaten bei der Gesetzgebung systematisch Anwendung. Bezüglich der Entwicklungsgeschichte unterschiedlich, jedoch im Ergebnis mit der Bundesrepublik Deutschland in vielerlei Hinsicht vergleichbar, sind die Verhältnisse in Frankreich* 5. Dieses ist, wie beispielsweise auch Schweden, ein Staat mit etatistischer Rechtskultur, die in aller Regel wenig Raum für eine Kooperation mit "gesellschaftlichen Kräften" läßt 46 . Hinzu kommt die traditionell enge Verflechtung der starken staatlichen Zentralgewalt mit der Wirtschaft. Diese geht zurück auf die Zeit des Merkantilismus, in welcher der Staat zur Füllung der öffentlichen Kassen nicht nur eigene Wirtschaftsbetriebe zu führen begann, sondern auch durch Verpachtung oder Konzessionierung entsprechende wirtschaftliche Monopole ausnutzte. Auch während des und nach dem 2. Weltkrieg verfolgte die französische Regierung eine Politik der straffen zentralen Planung und Lenkung des Wirtschaftslebens, die sich bis heute in einem breiten Spektrum von staatseigenen Unternehmen über die Vielzahl konzessionierter Unternehmen bis hin zu der Masse der subventionierten Unternehmen manifestiert 47 . Seit Mitte des 19. Jahrhunderts folgte der französische Gesetzgeber für lange Zeit einer Rechtsphilosophie, die sich mit der Festlegung grundsätzlicher Anforderungen an technische Systeme, verbunden mit einer Informationspflicht der Hersteller und Betreiber gegenüber der zuständigen Behörde, einem Selbstbescheinigungsverfahren oder Vergleichbarem begnügte, und somit auf die Eigenverantwortlichkeit von Herstellern und Betreibern vertraute 48. Nachdem sich diese Regelungstechnik im Zuge der Vergrößerung des Gefahrenpotentials technischer Systeme i.V.m. deren stark steigender Verbreitung und Nutzung als nicht mehr ausreichend erwies, folgte eine Phase des Versuches stärkerer staatlicher Normierung technischer Detailanforderungen 49, die sich jedoch nicht selten als Behinderung des technischen Fortschritts erwiesen bzw. mit diesem nicht Schritt zu halten vermochten 50. Hinzu kamen Akzeptanzprobleme bezüglich technischer Spezifikationen, die allein von praxisfremden und begrenzt sachverständigen Staatsorganen ausgearbeitet wurden und die vielfache Über-

45

Vgl. zum folgenden Kap. II.A.2. Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 59. 47 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 8, 12. 48 Baylac, G., Der französische Ansatz, S. 39 ff; Becker, U., Gerätesicherheit, S. 151, 153. 49 Baylac, G., Der französische Ansatz, S. 39 ff. 50 Becker, U., Gerätesicherheit, S. 151, 153. 46

5*

68

Einleitung

schneidungen mit einschlägigen technischen Normen aufwiesen; denn häufig haben staatliche Regelsetzer Vorschriften erlassen, ohne die existierenden technischen Normen der interessierten Kreise zu berücksichtigen 51. Die französische Regierung empfand es jedoch zunehmend als Nachteil, daß technische Spezifikationen gleichzeitig und getrennt voneinander in Rechts- und in technischen Normen festgelegt waren, denn zum einen bedeutete es Doppelarbeit, zum andern kam es zu Widersprüchen. Aus diesen Gründen, explizit aber auch aufgrund der erwarteten besseren Befolgung technischer Normen aufgrund der breiteren Akzeptanz dank der Beteiligung aller interessierten Kreise, legte der Premierminister anläßlich der Neuregelung des Normungssystems im Jahre 1984 fest, daß sich Rechtsnormen zukünftig auf gültige technische Normen beziehen und im Rahmen des Möglichen frei von technischen Spezifikationen bleiben sollen. Mit dieser weitgehenden Bezugnahme auf technische Normen wurde eine "in Frankreich bisher unbekannte Entwicklung der Befugnisteilung eingeleitet. Sicherlich haben dabei das deutsche Vorbild und die sich daraus ergebenden Erfolge der deutschen Industrie Pate gestanden."52 Damit gleicht die Regelungsstruktur des französischen Umwelt- und Technikrechts heute weitestgehend der deutschen, indem innerhalb des Textes entsprechender Vorschriften auf detaillierte (sicherheits-) technische Spezifikationen zugunsten der Rezeption technischer Normen verzichtet wird. Bei diesen Vorschriften handelt es sich hauptsächlich um Bestimmungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Personen und Tieren oder der Erhaltung der Flora, dem Schutz des Verbrauchers u.a.m. besondere Anforderungen an technische Systeme stellen. Hinsichtlich der Entwicklungsgeschichte wiederum unterschiedlich, jedoch im Resultat ebenfalls mit der Bundesrepublik Deutschland komparabel, sind die Verhältnisse im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland Obwohl auch der britische Gesetzgeber bei der Bewältigung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung bald an seine Grenzen stieß - so stellte 1971 ein britischer Parlamentsausschuß mit "eindrucksvoller Klarheit" heraus, daß hin51

Boulin, P., Normalisation, S. 99. Ungeachtet dessen waren technische Normen auch schon vorher für allgemeinverbindlich erklärt oder auch durch andere Rezeptionsarten in die Rechtsordnung einbezogen worden. Vgl. Kap. II.A.2 und insbes. Kap. II.A.2.c); vgl. ferner Lukes, R., EWGund EFTA-Staaten, S. 32 ff.; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 10 f. 52 So der Generaldirektor der EU Braun, F., Nationale Rechtsvorschriften, S. 187. Diese Tatsache hob auch der französische Industrieminister explizit in seiner Ansprache anläßlich der ersten Sitzung des Obersten Rates für Normung hervor. Frankreich/ Ansprache des Industrieministers. 53 Vgl. zum nachfolgenden Kap. II.A.3.

53

.

Α. Hintergrund der Themenstellung

69

sichtlich technischer Sachverhalte in der Gesetzgebung ein Vakuum entsteht und sich laufend vergrößert 54 -, bestand im Vereinigten Königreich lange Zeit eine weitgehende Trennung zwischen der Rechts- und der technischen Normung 55 . Stattdessen war das britische Rechtssystem im Umwelt- und Technikrecht weitgehend geprägt durch eine intensive Kooperation von Verwaltung und Normadressaten. Beispielsweise wurden die Anforderungen an luftverschmutzende Anlagen, die nur in einigen wenigen Fällen durch gesetzliche Emissions- und Konzentrationswerte bestimmt und ansonsten durch offene Rechtsbegriffe umschrieben waren, in der Regel durch die Behörde in Form von Auflagen bestimmter Emissionsgrenzwerte für den Einzelfall festgelegt. Bei dieser Grenzwertfeststellung verblieb den zuständigen Behörden ein relativ weiter Gestaltungsspielraum 56. Eine Zäsur in dieser Rechtsphilosophie markiert der sogenannten "RobensReport" 51 von 1972. Dieser kam im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit und die Sicherheit am Arbeitsplatz durch rechtliche Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen für technische Anlagen und Geräte zu dem Ergebnis, daß die bestehenden gesetzlichen Regelungen verstreut in verschiedenen Gesetzen enthalten waren, die Aktualität der vorhandenen gesetzlichen Regelungen "unterschiedlich", d.h. zum Teil unzureichend war, die Rechtssetzung durch Rechtsverordnungen durchweg zu lange Zeit in Anspruch nahm und der Gesetzesvollzug zersplittert durch verschiedene Behörden erfolgte. Darüber hinaus führten selbst in behördeneigener Bewertung beispielsweise des "Departments of Health and Social Security" die Erstellung von technischen Standards nur durch behördeneigene Sachverständige nicht zu brauchbaren Ergebnissen. Als Schlußfolgerung empfahl die Robens-Kommission die Beschränkung der Gesetzgebung auf Grundsatzforderungen, welche im Hinblick auf die laufende technische Entwicklung offen und flexibel sein und die insbesondere durch technische Normen konkretisiert werden sollten. Diese Empfehlungen stellten die britische Regierung und die BSI im Jahre 1982 in einem Vertrag (" memorandum of understanding" ) auf eine einvernehmliche rechtliche Grundlage, in welcher die britische Regierung der BSI zusagt, im Rahmen von Rechtsvorschriften auf deren technische Normen zu verweisen, sofern geeignete Normen vorliegen und sie eine Bezugnahme auf technische Spezifikationen für notwendig hält.

54

Lukes, R., Atomrecht, S. 242 f. Braun, F., Nationale Rechtsvorschriften, S. 188. 56 Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 134 ff., 149, 177. 57 Benannt nach dem Chairman des "Committee on Safety and Health at Work", das am 29.05.1970 vom Secretary of State for Employment eingesetzt worden war; dem Parlament vorgelegt: Juli 1972; veröffentlicht: HMSO 1972 Cmnd. 5034; zit. bei: Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 63 ff. 55

70

Einleitung

Dementsprechend zeichnet sich die Regelungsstruktur des britischen Umwelt- und Technikrechts heute dadurch aus, daß sich die rechtlichen Vorschriften weitgehend auf die Festlegung allgemeiner Bestimmungen zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Menschen, seiner Sachgüter und der Umwelt beschränken, die durch die unmittelbare oder mittelbare Rezeption technischer Normen materiell konkretisiert werden. Zu diesem Zweck nehmen britische Gesetze auf rund 1.000 technische Normen Bezug 58 . Bezüglich der Entwicklungsgeschichte wiederum unterschiedlich, jedoch im Ergebnis ebenfalls mit der Bundesrepublik Deutschland vergleichbar sind die Verhältnisse in der Europäischen Union 59. Im Rahmen der Verwirklichung eines Gemeinsamen Europäischen Marktes, seit der EEA auch eines Binnenmarktes, stellt sich nach dem zügigen, bereits am 1. Juli 1968 vollendeten Abbau der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten die Beseitigung der durch unterschiedliche nationalstaatliche technische Normen und Vorschriften verursachten "technischen Handelshemmnisse" als wesentlich komplexere und langwierigere Aufgabe dar, der jedoch bezüglich der Verwirklichung des freien Warenverkehrs eine zentrale Bedeutung zukommt. Denn solange diese technischen Schranken nicht abgebaut sind, müssen die Hersteller der Europäischen Union auf einen Heimatmarkt von der Größe eines Erdteils verzichten und sich stattdessen auf einzelstaatliche Teilmärkte ausrichten, da unterschiedliche nationale Anforderungen an technische Systeme in Rechts- und/oder technischen Normen die Anpassung oder sogar spezifische Entwicklung und Herstellung dieser technischen Systeme entsprechend den individuellen Besonderheiten jedes einzelnen nationalen Absatzmarkts erzwingen und so die Produktion in größeren und damit kostengünstigeren Serien verhindern, welche zu niedrigeren Preisen für die Verbraucher und einer größeren internationalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie führen. Nachdem sich das auf den Bestimmungen der Art. 30-36 EGV basierende Konzept der gegenseitigen Anerkennung von technischen Vorschriften infolge der Ausnahmeregelungen des Art. 36 EGV i.V.m. der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Umwelt- und Technikrecht als nur begrenzt wirksam erwies, entschied sich der Rat in seiner Entschließung vom 28. Mai 1969 für eine Rechtsangleichung mittels Richtlinien nach Art. 100 EGV. Im Rahmen dieses ursprünglichen Harmonisierungskonzepts wandten Kommission und Rat überwiegend die Methode der "totalen Harmonisierung" an, indem sie in detaillierten "technischen Anhängen" der Richtlinien jedes technische Detail regelten, das bis dahin in technischen Vorschriften oder Normen ei-

58 Zahlenangabe der BSI für 06/1990, entnommen aus: Schellberg, K - U , Technische Harmonisierung, S. 65. 59 Vgl. zum nachfolgenden Kap. II.B.

Α. Hintergrund der Themenstellung

71

nes Mitgliedsstaates festgelegt worden war. Jedoch führten die Komplexität und die Vielschichtigkeit des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zu massiven Arbeitsrückständen und erheblichen Erarbeitungszeiträumen der Richtlinien von bis zu 15 Jahren bei einer in Relation zum Umfang der Regelungsmaterie des Umwelt- und Technikrechts, d.h. der riesigen Zahl an technischen Vorschriften und Normen in den EU-Mitgliedsstaaten, nahezu unbedeutenden Regelungsleistung. Zudem war der "totalen Harmonisierung" im wesentlichen nur in solchen Bereichen Erfolg beschieden, in denen in größerem Umfang auf technische Normen zurückgegriffen werden konnte. Dagegen erwies sich die 1973 verabschiedete "Niederspannungsrichtlinie" (RL 73/23/EWG), welche zugunsten der umfassenden Rezeption technischer Normen gänzlich auf eigene detaillierte Festlegungen verzichtete, hinsichtlich ihrer Harmonisierungswirkung mit weitem Abstand am erfolgreichsten. Aus diesen Gründen machte der Rat diese Regelungstechnik im Jahre 1985 zur Grundlage der "Neuen Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung Die in Anhang I I dieser Entschließung normierten "Leitlinien einer neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" sind - auf eine knappe Formel gebracht - nichts anderes als die Verallgemeinerung und geringfügige Weiterentwicklung des Verweisungs- und Konkretisierungskonzepts der Niederspannungsrichtlinie. Dementsprechend beschränkt sich die Harmonisierung der Rechtsvorschriften heute weitestgehend auf die Normierung grundlegender Sicherheitsanforderungen, zu deren Konkretisierung hinsichtlich der technischen Detailregelungen auf harmonisierte Europäische Normen verwiesen wird. Dazu hat die Kommission mit CEN/ CENELEC am 13. November 1984 eine Vereinbarung über "Allgemeine Leitsätze für die Zusammenarbeit zwischen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und den europäischen Normenorganisationen Europäisches Komitee für Normung (CEN) und Europäisches Komitee für Elektrotechnische Normung (CENELEC)" sowie Rahmenverträge bezüglich der Ausarbeitung mandatierter Europäischer Normen geschlossen, die sie im Jahre 1989 erneuerte. Bis zum 1. Januar 1993 - dem Stichtag der Verwirklichung des Binnenmarktes verabschiedete der Rat nach der "Neuen Konzeption" vierzehn Richtlinien mit jeweils sehr weitem Regelungsbereich, zu deren Konkretisierung die europäischen Normenorganisationen weit über 1.200 mandatierte 60 und zahlreiche weitere, freiwillig erstellte Europäische Normen erarbeitet haben. Folglich liegen nun auch hier der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland vergleichbare Verhältnisse vor:

60

Vgl. die entsprechenden Zahlenangaben in KOM (91) 521 endg., Anhang, S. 34 f.

72

Einleitung

"Die Neue Konzeption hat den Sinn der Normung verändert. Während Normung auf technische Kompatibilität und Sicherheit zielt, übernimmt sie nun - stärker noch als im nationalen Recht - Aufgaben, die eigentlich staatliche sind, nämlich die Berücksichtigung öffentlicher Belange wie Umweltschutz, Ressourcenschonung, Verbraucherschutz oder Arbeitsschutz. Dabei werden zwar durch die Richtlinien abstrakte Zielvorgaben gesetzt, die konkreter sind als die Technikstandards des deutschen Umwelt- und Technikrechts. Dennoch werden die maßgeblichen Inhalte der Sicherheits-, Umwelt- und Verbraucherschutzanforderungen nicht in diesen, sondern in den europäischen Techniknormen festgelegt. ... Nicht die abstrakten qualitativen Zielvorgaben der Richtlinien enthalten die wirksamen Steuerungskonzepte, sondern die europäischen Techniknormen. Sie entscheiden letztlich über das effektive Schutzniveau für Grundrechte und wesentliche Fragen der gegenwärtigen und künftigen Lebensbedingungen. ... Die Neue Konzeption führt somit zu einer faktischen Delegation von Rechtsetzungsmacht: Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat ihm zustehende und von ihm zu erledigende Aufgabenbereiche auf Normungsorganisationen übertragen ..." 61 . Damit haben nicht nur die staatlichen Organe in der Bundesrepublik Deutschland seit Beginn des 20. Jahrhunderts die erforderlichen Regelungen bezüglich der Förderung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung bei gleichzeitiger optimaler Gefahrenabwehr und Risikovorsorge systematisch und weitgehend an die privaten Normenorganisationen delegiert. Ebenso verfahren kenntlich an den entsprechenden Normenverträgen, -gesetzen und Entschließungen - seit 1982 auch die staatlichen Organe des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, seit 1984 ebenfalls die der Französischen Republik und seit 1985 gleichermaßen die der Europäischen Union, wobei diese Regelungstechnik sowohl in Frankreich als auch in dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland und in der Europäischen Union bereits zuvor Anwendung fand. Dabei mag diese zeitliche Abfolge Zufall sein; sie kann aber auch als Vorbereitung der Nationalstaaten auf die letztgenannte europäische Entwicklung gedeutet werden. In jedem Fall verspricht eine systematische Untersuchung dieser Entwicklungen und Zusammenhänge in den genannten Staaten sowie der Europäischen Union interessante Ergebnisse.

61

Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1184 f.

Β. Problematik des Untersuchungsgegenstandes "Die wirtschaftliche, technische und rechtliche Bedeutung der technischen Normung ist schwer zu überschätzen. Sie bildet einen Brennpunkt im Schnittfeld von Technik, Wirtschaft und Recht."* Die wissenschaftliche Durchdringung des Untersuchungsgegenstandes, i.e. der genannten Regelungssysteme der Rechts- und der technischen Normung und ihrer Verflechtungen, stellt sich aus wenigstens vier Gründen ebenso komplex und vielschichtig wie herausfordernd und interessant dar: Erstens zeichnen sich die Regelungssysteme durch ein hohes Maß an Interdisziplinarität aus, indem sich die technische Rechtssetzung und Normung im Schnittstellenbereich einer Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen - insbesondere der Rechts-, Technik- und Wirtschaftswissenschaften 1 - vollzieht und für alle drei Fachgebiete von gleichermaßen hoher Relevanz ist. Darüber hinaus sind auch innerhalb einer Wissenschaft regelmäßig eine Vielzahl von Teilbereichen betroffen, wie beispielsweise in den Rechtswissenschaften sämtliche drei großen Rechtsgebiete, d.h. nicht nur das Öffentliche Recht - hier vorwiegend das Umwelt- und Technikrecht sowie das Verfassungs- und Verwaltungsrecht -, sondern auch Teilbereiche des Privat- und des Strafrechts. Schließlich berührt die staatliche und private Regelung technischer Sachverhalte gerade in den Rechtswissenschaften eine Reihe ganz elementarer rechtsspezifischer Fragen, wie beispielsweise die Aufgaben und Kompetenzen der drei staatlichen Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative, die Geltungskraft und Bindungswirkung von Rechtsnormen - namentlich von Verwaltungsvorschriften - und die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der geschilderten staatlichen Selbstbeschränkung i.V.m. der weitgehenden Delegation für das Gemeinwohl wesentlicher Aufgaben an Private. Zweitens stellen sich sowohl das staatliche wie auch das private Regelungssystem ebenso umfang- wie variations reich dar. Auf staatlicher Seite gleicht beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland kein Regelungssystem des * Vieweg, K , Technische Normen, S. 57. Ähnlich ders., Produktbezogener Umweltschutz, S. 511. 1 Interessante Erkenntnisse der Materie lassen sich unzweifelhaft auch aus philosophischen, psychologischen, natur-, sozial- und politikwissenschaftlichen Blickwinkeln gewinnen.

Einleitung

74

Umwelt- und Technikrechts dem anderen. Obwohl sich gewisse Grundstrukturen isolieren lassen, sind die Abweichungen davon so erheblich, so daß ein einheitliches Regelungsschema, welches die Durchdringung der Materie vereinfachen würde, nicht gefunden werden kann. Einzig auf Ebene der Europäischen Union ist die Variantenvielfalt infolge der "Modellrichtlinie", welche der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" des Rates zugrunde liegt, geringer. Auf privater Seite resultieren Komplexität und Umfang des Regelungssystems aus der Vielzahl existierender technischer Normenorganisationen und Regelwerke, die in aller Regel historisch im Zuge der Entstehung und Ausdifferenzierung neuer wissenschaftlich-technischer Fachdisziplinen entstanden sind. Heute betreuen beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland 131 private und 49 öffentlich-rechtliche technische Regelsetzer 208 technische Normenwerke mit über 50.000 technischen Regeln2; jährlich werden etwa 4.500 neue technische Regeln erstellt, gleichzeitig verlieren über 3.750 ihre Gültigkeit 3 . Dabei gelten in einzelnen Fachgebieten im allgemeinen mehrere Regelwerke verschiedener Herausgeber, die durch ein Netz von Verflechtungen und Querverweisen untereinander verbunden sind. In den EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten existieren über 150.0004, weltweit mehr als 500.000 technische Normen, bei einem Zuwachs der letzteren von 20.000 Normen jährlich 5 . Drittens sind beide Regelungssysteme sowohl in sich als auch miteinander zu einem komplexen Gesamtsystem vernetzt. Beide Systeme operieren - bestehende föderalistische und andere substaatliche Strukturen nicht eingeschlossen - geographisch gesehen auf drei Ebenen: der nationalen, der supranationalen und der internationalen Ebene. Jede geographische Ebene der beiden Regelungssysteme stellt entsprechend den vorherigen Ausführungen für sich betrachtet ein in sich verflochtenes (Sub-) System dar. Darüber hinaus sind die Systemebenen nicht nur vertikal - d.h. innerhalb eines Regelungssystems -, sondern auch horizontal d.h. auf der gleichen Ebene zwischen beiden Regelungssystemen - sowie auch diagonal - d.h. auf unterschiedlichen Ebenen zwischen beiden Regelungssystemen - miteinander vermascht. Aufgrund der Tatsache, daß diese Vernetzungen infolge der Europäisierung und Internationalisierung der wirtschaftlichen und politischen Strukturen stetig an Bedeutung gewinnen, lassen sie die isolierte Betrachtung einzelner Ebenen der Regelungssysteme praktisch kaum noch zu: Im Rahmen der technischen Normung werden nationale Normungsprojekte dank institutionalisierter Verfahren bei gegebenem Interesse systematisch auf 2 3 4 5

Stand September 1993. DITR, Sammlung technisches Recht, S. A2. DIN, Geschäftsbericht 1990/91 S. 30 f.; dass., Wissen, S. 2. Vgl. Kap. H.A. AFNOR, Catalogue 1993, S. 9; ISO, ISO in figures, S. 4.

Β. Problematik des Untersuchungsgegenstandes

75

der europäischen oder gar der internationalen Ebene durchgeführt. Auf Rechtsnormebene vereinheitlichen Europäische Richtlinien nach der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" handelshemmende nationale technische Rechtsvorschriften der EU-Mitgliedsstaaten, indem sie von diesen ins nationale Recht zu überführen sind. Dabei rezipieren diese Richtlinien nicht nur Europäische, sondern gegebenenfalls auch einschlägige internationale und nationale Normen. Gleiches gilt für nationale technische Rechtsvorschriften, die infolge der fortschreitenden europäischen und internationalen Harmonisierung technischer Normen neben nationalen zunehmend auch auf Europäische und internationale Normen Bezug nehmen. Viertens erfordert die progressive Dynamik des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und, damit einhergehend, der Lebenswirklichkeit sowie der gesellschaftlichen Entwicklung gleichfalls eine steigende Adaptionsgeschwindigkeit und Weiterentwicklung der entsprechenden Regelungssysteme. Diese stellt sich jedoch in der Praxis deutlich unterschiedlich dar: Während sich die staatlichen Systeme sowohl aufbau- als auch ablauforganisatorisch weitgehend resistent gegenüber notwendigen Veränderungen erweisen und sich die zunehmende Dynamik und Komplexität allenfalls in einer höheren personellen Besetzung sowie einem "nahezu unüberschaubaren Beiratswesen" 6 der überwiegend exekutiven Gesetzesvorbereitung niederschlagen, vollzog sich die Entwicklung der Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation der Normenorganisationen noch nie so dynamisch wie in den letzten Jahren. Durch den geschilderten Umfang und die Komplexität i.V.m. der Dynamik der Regelungssysteme wird eine integrierte Gesamtbetrachtung, welche die dargestellte Interdisziplinarität 7 und die Vernetztheit des Untersuchungsgegenstandes eigentlich erfordern, zumindest erschwert, wenn nicht - zumindest für eine Einzelperson - gar unmöglich gemacht. Hinzu kommt infolge der Interdisziplinarität des Untersuchungsgegenstandes vor allem in der älteren, teils aber auch noch in vergleichsweise aktueller Literatur eine mehr oder minder deutlich

6

Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 19. Fischerhof forderte bereits 1969 die gegenseitige Durchdringung von Technologie und Jurisprudenz als Aufgabe unserer Zeit: "Der Jurist muß daher in der Lage sein, die Strukturen der technischen Welt zu erkennen, in den Kategorien der Technologie zu denken, um ihre gesellschaftlichen Probleme mit Weisheit zu lösen." Fischerhof, H., Technologie und Jurisprudenz, S. 1193. Und auch der ehemalige Präsident des Bundessozialgerichts Wannagat befürwortete in mehreren Veröffentlichungen (Wannagat, G., Neuer Diplomstudiengang, S. 220 f.; ders., Juraingenieur, S. 306; ders., Der Technologiejurist, S. 9 f.) einen neuen interdisziplinären Studiengang Juraingenieur oder Technologiejurist, welcher "technischen Sachverstand mit juristischer Urteilskraft verquicken" soll. Wannagat, G., Der Technologiejurist, S. 10. Vgl. auch Koch, H., Begrüßungswort, S. 8. 7

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Einleitung

geäußerte gegenseitige Skepsis der beteiligten Disziplinen sowohl auf der wissenschaftlichen 8 als auch auf der fachlichen 9 und der persönlichen 10 Ebene, die lange Zeit die interdisziplinäre Verständigung und den gemeinsamen fachlichen Dialog erschwert hat 11 . Als Folge fand bislang in der Literatur nur vereinzelt eine integrierende Betrachtung der Aspekte zumindest der wesentlichen von der technischen Rechtssetzung und Normung betroffenen wissenschaftlichen Disziplinen statt 12 ; vielmehr behandelte jedes Fachgebiet vornehmlich seine fachspezifischen Fragestellungen, die, soweit ersichtlich, abgesehen von kurzen Exkursen in keinem Fall über die Untersuchung einer der genannten Ebenen - national, supranatio-

8

Vgl. z.B. Oftinger, K., Konfrontation, S. 262: "Wir stehen vor einer partiellen Überwältigung des Rechts durch die Technik. Die vom Recht geschützten Werte werden technischen Zwecken und Idealen geopfert. Maßstäbe des Technikers ersetzen die Maßstäbe des Juristen. Juristisches Denken weicht technischem Denken." Ihm folgend noch 1989 Kimminich, O., Recht und Technik, S. 74. Vgl. ferner Fischerhof, H., Technologie und Jurisprudenz, S. 1194; Forsthoff, E., Strukturwandlungen, S. 211 f.; Giger, H., Vorwort, S. VII ff.; Jonas, H., Technik, S. 81 ff.; Keller, M., Zum Geleit, S. V; Sachsse, H., Probleme, S. 50 f., 79 f. Vielfach wurde in diesem Zusammenhang auch das Thema der "Ingenieurethik" und der "Dreierrollenkonflikt" des Ingenieurs als Techniker, als Angestellter und als mündiger Bürger behandelt: "Der Ingenieur steckt in einem Di- oder sogar Trilemma: Die Orientierung am Gemeinwohl, in den Ethikkodizes gefordert, steht oft im Konflikt mit dem eigenen Karriereinteresse und/oder dem Geschäftsinteresse des Unternehmens." Lenk, H., Ethikkodizes, S. 196. Vgl. auch Maccormac, E. R., Ingenieurethik, S. 222. 9 Vgl. zum Beispiel aus der Sicht des Technikers und Normenfachmannes Winckler, R., Harmonisierungsbestrebungen, S. 63: "So muß man feststellen, daß die Bewältigung der Technik im politischen oder gesetzgeberischen Raum heute weniger denn je als gelungen bezeichnet werden kann." 10 Vgl. beispielsweise Bockelmann, P., Technik und Recht, S. 252, aus dessen Sicht als Jurist "die Techniker dem Recht und den Personen, die zur Pflege des Rechts berufen sind, mit einiger Abneigung - jedenfalls nicht gerade mit Zuneigung" - begegnen. 11 Mittlerweile hat sich die gegenseitige fachspezifische Skepsis weitgehend gelegt, und es gibt zahlreiche Ansätze einer interdisziplinären Zusammenarbeit und Diskussion. So sind folgende fachübergreifende Veranstaltungen und auf solchen Diskursen basierende Veröffentlichungen explizit der interdisziplinären Zusammenarbeit und dem Wissensaustausch gewidmet: das bereits seit 1972 regelmäßig unter Leitung von Rudolf Lukes abgehaltene Deutsche Atomrechts-Symposium; DIN (Hrsg.), Verweisung auf technische Normen in Rechtsvorschriften, Berlin, Köln, 1982; DIN (Hrsg.), Technische Normung und Recht, Berlin, Köln, 1979; Hosemann, Gerhard (Hrsg.)., Risiko - Schnittstelle zwischen Recht und Technik, Berlin, Offenbach, 1982; Lukes, Rudolf (Hrsg.), Gefahren und Gefahrenbeurteilung im Recht: Rechtliche und technische Aspekte von Risikobeurteilungen, insbesondere bei neuen Technologien, Köln u.a., 1980; Lukes, Rudolf/ Birkhofer, Adolf (Hrsg.), Rechtliche Ordnung der Technik als Aufgabe der Industriegesellschaft, Köln u.a., 1980.; VDE (Hrsg.), Technisches Sachverständigenwesen: Entscheidungshilfe für Rechtsprechung, öffentliche Hand und Wirtschaft, Berlin, 1978 u.a.m. 12 Vorbildlich nicht nur in dieser Hinsicht ist Marburger, P., Regeln, passim.

Β. Problematik des Untersuchungsgegenstandes

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nal und international - hinausgehen und die selbst auf der gewählten Ebene aufgrund der genannten Gegebenheiten häufig nur spezifische, eng begrenzte Fragestellungen bearbeiten.

C. Gegenstand und Zielsetzung der Untersuchung "Prioritäten setzen heißt auswählen, was liegenbleiben soll."* Entsprechend den vorhergehenden Ausführungen fehlt es bislang an einer Abhandlung, welche die Systeme der überbetrieblichen technischen Normung sowie deren Verflechtungen mit den staatlichen Gefügen der Rechtssetzung und -anwendung auf allen genannten Ebenen einheitlich analysiert und bewertet sowie die zugrundeliegenden Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausarbeitet. Zielsetzung dieser Untersuchung ist es, diese Lücke zumindest partiell zu schließen, indem sie versucht, für die nationale, europäische und internationale Ebene folgende vier Fragestellungen zu beantworten: 1.

Welches sind die aktuell von der technischen Normung erfüllten Funktionen, und welche Bedeutung haben diese in wirtschaftlicher, technischer und gesellschaftlicher Hinsicht?

2.

Worin liegt die Befähigung der technischen Normenorganisationen zur Wahrnehmung der für das Gemeinwohl wesentlichen Aufgaben innerhalb dieses Funktionsspektrums?

3.

Kommt den technischen Normen aufgrund der Erfüllung dieser gemeinwohlrelevanten Aufgaben genuine Rechtsverbindlichkeit zu?

4.

Auf welche Weise rezipieren Legislative, Exekutive und Judikative die technischen Normen, welche für das Gemeinwohl wesentliche Aufgaben erfüllen, im Rahmen von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung?

Auf der Basis dieser Erkenntnisse sollen darüber hinaus folgende zwei aufeinander aufbauende Thesen dargelegt werden: 1.

Entsprechend der ersten These sind die typischen Organisationsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung unter Berücksichtigung der heutigen komplexen und hochdynamischen Lebensverhältnisse geeignet, den Willen des Volkes - die "volonté générale" nach Rousseau1 - zwar nicht in reiner Form, jedoch bestmöglich zu verwirklichen. * Helmar Nahr, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. 1 Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, passim.

C. Gegenstand und Zielsetzung der Untersuchung 2.

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Gemäß der zweiten These sind die aus der mangelhaften Integration der Rechts- und der technischen Normen resultierenden schwerwiegenden Probleme des Umwelt- und Technikrechts nur durch eine grundlegende Reorganisation der Legislative zu lösen, welche die Ausarbeitung hinreichend bestimmter, aktueller, sachverständiger und praxisorientierter Gesetze durch eine weitgehend selbstregelnde Gesellschaft ermöglichen soll.

Wie jede wissenschaftliche Forschungsarbeit können auch rechtswissenschaftliche Erörterungen nicht ohne Kenntnis der zugrundeliegenden Lebenswirklichkeit angestellt werden. Den ersten Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit bildet daher die Analyse, Strukturierung und Darstellung der aktuellen Wirklichkeit der technischen Normung 2, die neben den notwendigen begrifflichen Klärungen insbesondere die Feststellung des von der technischen Normung gegenwärtig erfüllten Funktionsspektrums sowie die Prüfung ihrer aktuellen Bedeutung in wirtschaftlicher, technischer und gesellschaftlicher Hinsicht umfassen. Diese Analysen schaffen nicht nur die Grundlage für die Beantwortung der drei nachfolgenden Fragestellungen; sie liefern gleichfalls das notwendige Gerüst an Hintergrundinformationen, Fakten und Erkenntnissen für das Verständnis und die Beantwortung zahlreicher, auch juristischer Detailfragen, was sich in entsprechend häufigen Verweisen auf diese Erkenntnisse niederschlägt. Darüber hinaus versucht diese Abhandlung damit auch der im vorhergehenden Kapitel genannten Anforderung einer interdisziplinären, integrativen Sichtweise der vorliegenden Problematik im Schnittstellenbereich von Recht, Technik und Wirtschaft gerecht zu werden. Da diese erste Fragestellung in der Literatur in dieser Form nicht beantwortet wird, stützten sich die betreffenden Untersuchungen primär auf eine Vielzahl praxisnaher Veröffentlichungen, insbesondere aus den Publikationsorganen der Normenorganisationen. Die im vorhergehenden Kapitel ausgeführte weitreichende Delegation der Festlegung detaillierter schütz- und sicherheitstechnischer Spezifikationen von den staatlichen Organen an die technischen Normenorganisationen führt in der einschlägigen Literatur in aller Regel zu der Suche nach Gründen dafür, warum die staatlichen Organe die Normierung detaillierter technischer Spezifikationen nicht zu leisten vermögen, wobei diese im vorhergehenden Kapitel aufgelisteten Argumente größtenteils Symptome, nicht aber die tatsächlichen Ursachen benennen3. Nicht eine der Abhandlungen beschäftigt sich jedoch mit dem weitaus

2 "Hier gibt es noch zu viele vorgefaßte Meinungen; man muß sehr genau sein, um in diesem Bereich alle Folgewirkungen der neuen europäischen Politik zu erfassen." Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 10 bezüglich der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung". 3 Vgl. dazu die Ausführungen im Ausblick dieser Arbeit.

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Einleitung

interessanteren Thema, warum es im Rahmen der überbetrieblichen technischen Normung möglich ist, diese zentralen Aufgaben des Gemeinwohls zu erfüllen, die Gesetz- und Verordnungsgeber bzw. Kommission und Rat wahrnehmen müßten, die sie aber auf dem zunehmend komplexen, interdisziplinären und hochdynamischen Gebiet der Technik nicht wahrzunehmen in der Lage sind. Die Beantwortung dieser Frage bildet somit den zweiten Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Dazu werden Aufbauorganisation und Normungsverfahren der Normenorganisationen einer genauen Analyse unterzogen, was zugleich die Abrundung der Veranschaulichung der aktuellen Wirklichkeit der technischen Normung darstellt. Solange diese Wirklichkeit und vor allem die Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation der Normenorganisationen nicht oder nur oberflächlich in die Betrachtungen einbezogen werden, können Erklärungsansätze zu dieser wie auch zu weiterführenden Fragen und insbesondere zu Lösungen der zahlreichen Schwachstellen der heutigen Normen- und Regelsysteme des Umwelt- und Technikrechts nur Scheininterpretationen liefern. Aus dem dritten Untersuchungsgegenstand - der Rechtsqualität der technischen Normen - ergeben sich ihre unmittelbaren Wirkungen gegenüber Normanwendern, d.h. Behörden und Gerichten, sowie Normadressaten, d.h. Herstellern, Anlagenbetreibern, Importeuren, Händlern u.a.m. Dieser Untersuchungsgegenstand ist nicht nur vor dem Hintergrund der Erfüllung genuin staatlicher Aufgaben durch technische Normen von Interesse, sondern berücksichtigt auch die vom ehemaligen Bundesjustizminister Vogel geäußerte Erfahrung, daß der Wirkungsgrad der technischen Normen beachtlich ist und sich mit dem staatlicher Normen durchaus messen kann. Während diese Frage für die Bundesrepublik Deutschland häufig thematisiert worden ist, existieren entsprechende Untersuchungen für andere europäische Staaten, die Europäische Union sowie das Völkerrecht selten bzw. gar nicht. Der vierte Untersuchungsgegenstand resultiert aus der Tatsache, daß aufgrund der Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch die überbetriebliche technische Normung für die Nationalstaaten bzw. die Europäische Union die Notwendigkeit entsteht, die entsprechenden technischen Normen für die Rechtssetzung und -anwendung nutzbar zu machen. Dabei sind nicht nur die verschiedenen Rezeptionsmechanismen auf den drei Rezeptionsebenen - der normativen, der administrativen und der judikativen - von Interesse, sondern auch deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit sowie der resultierende Grad der Verrechtlichung der technischen Normen, d.h. die entstehende Bindungswirkung für Normanwender und -adressaten. Um auf der Basis dieser Einzelaspekte eine Gesamtbetrachtung zu ermöglichen, erfolgt darüber hinaus die Analyse der Verflechtungen zwischen den Rechtsnormen der unterschiedlichen Ebenen sowie zwischen ihnen und den technischen Normen, indem exemplarisch die Regelungsstrukturen einiger bedeutender Normen- und Regelsysteme des Umweltund Technikrechts untersucht werden.

C. Gegenstand und Zielsetzung der Untersuchung

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Der Ausblick im dritten Teil der Arbeit schließlich versucht auf der Basis der Untersuchungsergebnisse dieser vier Fragestellungen in einer stringenten Kausalkette zwei aufeinander aufbauende Thesen zu verifizieren: Entsprechend der ersten These handelt es sich bei dem Verfahren der Erarbeitung technischer Normen unter der Voraussetzung der Einhaltung der typischen Verfahrensprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung um einen von der Rechtsordnung weitgehend unbeeinflußten gesamtgesellschaftlichen Willensbildungsprozeß, welcher über den konsensualen Ausgleich der jeweils betroffenen Gruppen- und Individualinteressen den Willen des Volkes - die "volonté générale " nach Rousseau - zwar nicht in reiner Form, jedoch unter den heutigen Lebensverhältnissen und insbesondere im Hinblick auf die zunehmend komplexe, interdisziplinäre und hochdynamische wissenschaftlich-technische Entwicklung bestmöglich zu verwirklichen in der Lage ist. Dazu ist nachzuweisen, daß die Rechtsnormen weder materiell noch formell die wesentlichen normativen Leitentscheidungen bezüglich des Schutz- und Sicherheitsniveaus technischer Systeme fällen, so daß diese in den technischen Normenwerken als materiellem Kernstück des Umwelt- und Technikrechts in einem Verfahren getroffen werden, welches den Volkswillen in bestmöglicher Weise hervorzubringen vermag. Gemäß der zweiten These ist ebenso unausweichlich wie dringend eine grundlegende Reorganisation der Aufbau- und Ablauforganisation der Legislative erforderlich, um zu einer Organisation der gesamtgesellschaftlichen Willensbildung zu gelangen, welche geeignet ist, die ökologischen, ökonomischen, des 21. Jahrhunderts technischen und gesellschaftlichen Herausforderungen optimal zu bewältigen, um das drohende Kollabieren eines oder gar aller genannten Systeme im Interesse der nachfolgenden Generationen abzuwenden. Dies folgt unmittelbar daraus, daß die heutigen rechtssetzenden Organe infolge ihres diesbezüglichen Unvermögens die gemeinwohlrelevanten materiellen Normierungen des Umwelt- und Technikrechts auf der Basis von gesetzlichen oder vertraglichen Regelungen in weitem Umfang an die technischen Normenorganisationen delegieren mußten, jedoch die Integration dieser privaten technischen Normenwerke in die staatliche Rechtsordnung trotz der Entwicklung zahlreicher Rezeptionsarten und der Ausgestaltung ebenso kunstvoller wie ineffizienter, unübersichtlicher und deshalb unpraktikabler mehrstufiger Normen· und Regelsysteme bis heute nur ungenügend bewerkstelligt haben. Das durch diese Integration entstehende Regelungs-Gesamtsystem ist folglich nicht in der Lage, die rechtsstaatlichen Prinzipien und die verfassungsgemäßen Aufgaben staatlicher Rechtssetzung - d.h. im Umwelt- und Technikrecht im Rahmen der Förderung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung als Lebensund Wohlstandsgrundlage den notwendigen Rechtsgüterschutz insbesondere bezüglich Leben und körperlicher Unversehrtheit des Menschen, seiner Sachgüter und der Umwelt zu gewährleisten - in vergleichbarem Maße zu erfüllen, wie es hinreichend bestimmte und aktuelle allgemeinverbindliche Rechtsnormen

6 Zubke-von Thünen

82

Einleitung

vermögen. Zur Lösung dieser Probleme wird ein auf dem idealisierten direktdemokratischen Willensbildungsmodell Rousseaus sowie den erfolgreichen Organisationsprinzipien der technischen Normung basierender praxisnaher und damit realistischer Ansatz einer legislativen Organisationsstruktur entwickelt, welcher nicht nur auf die weitestmögliche Identität von Rechtssetzendem und Rechtsunterworfenem, mit anderen Worten auf Autonomie bzw. eine selbstregelnde Gesellschaft abzielt, sondern auch die Ausarbeitung hinreichend bestimmter, aktueller, sachverständiger und praxisorientierter Gesetze ermöglicht. Dabei lassen die Erkenntnisse dieser Arbeit nicht nur auf die Übertragbarkeit dieses Modells auf andere Felder der Politik auf nationaler Ebene, sondern auch auf die Europäische Union und sogar die internationale Ebene schließen.

D. Gang der Arbeit "Res tantum cognoscitur, quantum diligitur."* In dem der rechtlichen Untersuchung vorgeschalteten ersten Teil werden zunächst die Begriffe "technische Norm" und "technische Normung" definiert, wobei ein besonderes Gewicht auf den häufig vernachlässigten Hauptmerkmalen der technischen Normen liegt. Daran schließt sich çine Darstellung der grundlegenden Klassifikationen technischer Normen an, gefolgt von der Systematisierung ihrer wichtigsten Funktionen sowie der Analyse ihrer Bedeutung in volkswirtschaftlicher, betriebswirtschaftlicher, technischer und gesellschaftlicher Hinsicht. Der zweite Teil als zusammenfassende Klammer für die Beantwortung der juristischen Fragestellungen ist entsprechend den drei Untersuchungsebenen gebildet aus den Nationalstaaten innerhalb der Europäischen Union, der Europäischen Union selbst und der internationalen Völkergemeinschaft - dreigeteilt, wobei jedes Segment im Interesse der Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit über einen einheitlichen, gemäß den im vorhergehenden Kapitel aufgeführten Untersuchungsgegenständen wiederum dreigeteilten Aufbau verfügt: Der erste Abschnitt unterzieht jeweils zur Beantwortung der Frage nach der Befähigung der technischen Normenorganisationen der betreffenden Ebene zur Wahrnehmung der gemeinwohlrelevanten Aufgaben deren Aufbauorganisation und Normungsverfahren einer detaillierten Analyse. Der zweite Abschnitt ist darauf aufbauend der Klärung gewidmet, ob den technischen Normen aufgrund der Erfüllung für das Gemeinwohl wesentlicher Aufgaben genuine Rechtsverbindlichkeit zukommt. Der dritte Abschnitt jedes der drei Teile zeigt schließlich - sofern vorhanden - die staatlichen Rezeptionsmechanismen auf, mit denen sich Legislative, Exekutive und Judikative die gemeinwohlrelevante Aufgaben erfüllenden technischen Normen für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung nutzbar machen. Der Ausblick im dritten Teil der Arbeit schließlich entwickelt auf der Basis des Nachweises, daß die Organisationsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung die "volonté générale" nach Rousseau unter den heutigen komplexen und dynamischen Lebensverhältnissen bestmöglich zu verwirklichen * Augustinus, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender.

6*

84

Einleitung

in der Lage sind, einen Ansatz zur Reorganisation der Legislative, welcher die Ausarbeitung hinreichend bestimmter, aktueller, sachverständiger und praxisorientierter Gesetze durch eine weitgehend selbstregelnde Gesellschaft ermöglichen soll, um die ökologischen, ökonomischen, technischen und gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts optimal zu bewältigen. Obwohl die vorliegende Forschungsarbeit nur einen Ausschnitt der Gesamtproblematik der Vernetzung von Rechts- und technischer Normsetzung behandelt und die entsprechenden Sachverhalte auf das Wesentliche zu reduzieren versucht, ist sie dennoch - bedingt durch die Komplexität und Vielschichtigkeit des Untersuchungsgegenstandes - vergleichsweise umfangreich. Deshalb wurden im Interesse der Leserzufriedenheit folgende Maßnahmen zur leichteren Erschließung und Bewältigung des Inhalts der Abhandlung realisiert: Zunächst wurde diese Einleitung vergleichsweise ausführlich gestaltet, um einen komprimierten Überblick über die Themenstellung zu ermöglichen; der weiteren zügigen und komprimierten Information dienen insgesamt zehn Resümees umfangreicher Untersuchungsabschnitte der Arbeit; zusätzlich unterstützt eine Inhaltsübersicht der ersten drei Gliederungsebenen die Suche nach den gewünschten Informationen und das Verständnis des Gesamtaufbaus der Abhandlung; darüber hinaus weisen die drei Untersuchungsebenen des zweiten Teils eine weitgehend einheitliche Struktur auf, um die Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit der Informationen und Erkenntnisse zu erleichtern; eine weitergehende gezielte Suche eines Themenbereiches ermöglicht ein Sachwortregister im Anschluß an die Arbeit; darüber hinaus erleichtern zahlreiche Tabellen das Verständnis komplexer oder umfangreicher Zusammenhänge; ferner sind die Nachweise zu Rechtsnormen und anderen amtlichen Verlautbarungen, auf die mehrfach an verschiedenen Stellen der Untersuchung Bezug genommen wird, zentral in einem separaten Verzeichnis im Anschluß an das Abkürzungsverzeichnis zusammengestellt; andernfalls findet sich der vollständige Nachweis unmittelbar an der zitierten Stelle; des weiteren wird auf Fakten oder Erkenntnisse anderer Kapitel, die zum Verständnis des aktuellen Abschnitts notwendig sind, im Text oder in den Fußnoten verwiesen; befindet sich die Information in einer Fußnote, wird zusätzlich deren Nummer angegeben; nicht zuletzt bietet ein Ausblick im dritten Teil der Arbeit die Möglichkeit, sich über weitergehende Schlußfolgerungen und Lösungsansätze zu in-

D. Gang der Arbeit

85

formieren, welche die Grundlage künftiger wissenschaftlicher Untersuchungen bilden können. Schließlich ist die Arbeit so verfaßt, daß neben den wesentlichen Informationen im Haupttext zu bestimmten Aspekten mehr oder minder umfangreiche Ergänzungen, Hintergrundinformationen, andere Ansichten u.a.m. in den Fußnoten enthalten sind, die sich teils für das Grundverständnis der jeweiligen Thematik, teils für ein vertiefendes Problembewußtsein als hilfreich oder gar unabdingbar erwiesen haben. Obwohl die Auswahl dieser Informationen notwendigerweise subjektiv sein muß, sollen sie dem Leser nicht vorenthalten werden, ohne jedoch den Haupttext für den sachkundigen oder nur grundlegend interessierten Leser unnötig aufzubauschen. Dieses Verfahren vereinigt die Vorteile einer stofflich engen Darstellung der Themenbereiche mit der Möglichkeit eines besseren Verständnisses der Informationen anderer Fachbereiche und einer tieferen bzw. problemorientierteren Information.

Erster Teil

Begriffsdefinition, Klassifikationen, Funktionen und Bedeutung technischer Normen A . Begriffsdefinitionen "Normung ist, was passen würde, wenn man es kriegen könnte."* Durch die Menge des Wissensstoffes, die im Rahmen der Auseinandersetzung mit einer interdisziplinären wissenschaftlichen Fragestellung wie der vorliegenden zu verarbeiten ist, steigen die Anforderungen an die Beherrschung der Sprache als das primäre Instrument der Aufnahme, Formulierung und Vermittlung von Wissen1. Insbesondere setzt dies eindeutige und unmißverständliche Begriffe voraus. Denn der Begriff, d.h. die durch Abstraktion invarianter Merkmale gewonnene Vorstellung von Gegenständen, Eigenschaften und Beziehungen, gehört neben der Aussage, d.h. der Formulierung eines Sachverhalts in Form eines Behauptungssatzes, zu den Grundelementen menschlichen Denkens und Erkennens 2. Somit ist die Bestimmung der wesentlichen Merkmale eines Begriffes - die Begriffsdefinition - eine unabdingbare Voraussetzung für jegliche verbale wie skripturale Kommunikation. Dabei wird unter Definition von lateinisch "definire" "abgrenzen, bestimmen" - die Festlegung eines Begriffes durch die Herstellung von Beziehungen zu bekannten oder bereits definierten Begriffen mit dem Ziel verstanden, diesen Begriff von anderen abzugrenzen3. Im folgenden werden die zentralen Begriffe der vorliegenden Themenstellung "technische Norm" und "technische Normung" für die überbetriebliche Ebene definiert und in diesem Zusammenhang deren zentrale Wesensmerkmale herausgearbeitet. Gegenstand der Untersuchungen bilden dabei zunächst die

* Aus einem Protokoll der Normenprüfstelle des DIN kurz nach Beendigung des zweiten Weltkrieges; zit. in: Geuther, Α., Chronik, S. 709. 1 Brockhaus-Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 26: Deutsches Wörterbuch, A-GLUB, Vorwort. 2 Brockhaus-Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 3: BED-BRN, S. 30 i.V.m. Bd. 2 APUBEC, S. 357. 3 Muschalla, R., Terminologie, S. 18.

Α. Begriffsdefinitionen

87

beiden Begriffsbestandteile "Technik" und "Norm", deren Ergebnisse nachfolgend als Grundlage der Begriffsbestimmung der zusammengesetzten Ausdrücke "technische Norm" und "technische Normung" dienen. Abschließend erfolgt dann noch eine Abgrenzung der überbetrieblichen zu den innerbetrieblichen technischen Normen sowie zu einigen anderen eng verwandten Termini.

1. Der Begriff "Technik" a) Etymologie Das seit dem 18. Jahrhundert in der deutschen Sprache gebräuchliche Wort "Technik" 4 wurde dem neulateinischen Ausdruck "technica" entlehnt, welcher "Kunst, Künste; Anweisung zur Ausübung einer Kunst oder Wissenschaft" bedeutet. "Technica" beruht seinerseits auf dem griechischen Ausdruck "τεχνικοζ" ("technikós"), welcher mit "kunstvoll, kunstgemäß; sachverständig, fachmännisch" übersetzt werden kann und von dem griechischen Substantiv "τέχνη" ("téchnê") - "Handwerk, Kunst, Kunstfertigkeit; Wissenschaft" - abgeleitet ist 5 .

4 Engl, "technology", franz. "technique", ital. "tecnica", span, "tècnica", port, "tècnica". Wirtschafts-Wörterbuch, S. 578. 5 Duden "Etymologie", S. 737 f. Hervorhebenswert ist in diesem Zusammenhang die enge begriffliche Verwandtschaft der Begriffe "Kunst" und "Technik", die im griechischen "téchnê" einen gemeinsamen sprachlichen Ursprung finden. So spricht man beispielsweise bis heute von der Erfindung der Buchdruckerkunst, die ihrem Wesen nach unstreitig eine technische Entwicklung ist und aufgrund der Normung der Lettern oft als Exempel mittelalterlicher technischer Normung herangezogen wird. Ein anderes Beispiel findet sich in einer recht aktuellen Anzeige des dem DIN Deutsches Institut für Normung e.V. zugehörigen Beuth-Verlages. Dieser wirbt für seinen "Führer durch die Baunormung 1990" als "Die kompakte Information zu den Regeln der Baukunst". Dabei ist diese Begriffswahl des Beuth-Verlages durchaus kompatibel zu der Terminologie der Landesbauordnungen a.F. beispielsweise von Berlin, Saarland und Rheinland-Pfalz, die - ebenso wie der § 330 StGB i.d.F.d. Bekanntmachung v. 1871 - auf die einschlägigen bautechnischen Regeln als "allgemein anerkannte Regeln der Baukunst", und nicht, wie sonst üblich, als "allgemein anerkannte Regeln der Technik" verweisen. Und obgleich der Ausdruck "allgemein anerkannte Regeln der Technik" mittlerweile sowohl im Strafrecht durch die "Kleine Strafrechtsreform" von 1975 (§ 323 Abs. 1 und 2 StGB) als auch im Bauordnungsrecht durch die Musterbauordnung (§ 3 Abs. 3 S. 1 MBO) i.d.F.d. Bekanntmachung v. Dezember 1992 eingeführt wurde, nimmt beispielsweise § 3 Abs. 2 S. 4 BauO BY noch in dieser aktuellen Fassung auf die "allgemein anerkannten Regeln der Technik und Baukunst" Bezug. Sprachlich Vergleichbares gilt im übrigen auch für den englischsprachigen Raum, wo "Stand der Technik" mit "state of the art" (und nicht etwa "state of technology") übersetzt wird, oder die französischsprachigen Länder, wo für "anerkannte Regel der

88

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

b) Historischer

und neuzeitlicher Technikbegriff

Das aristotelische Verständnis des Wortes "τέχνη" im Sinne von Kunstfertigkeit 6 bildet bis heute eine von mindestens zwei grundsätzlich verschiedenen Bedeutungen, in denen das Wort "Technik" in der deutschen Sprache Verwendung findet. Dieser historische Technikbegriff bezeichnet Methoden des menschlichen Schaffens und Vollbringens, des Könnens und der (Kunst-) Fertigkeit. Während sich die Verwendung des Wortes Technik in diesem Zusammenhang im alten Griechenland auf das handwerklich-produktive Gestalten7 und die Kunst beschränkte, wurde sie im Laufe der Zeit auf nahezu alle anderen menschlichen Tätigkeitsfelder übertragen, in denen gewisse Fertigkeiten eine Rolle spielen8. So ist es üblich, beispielsweise in Politik, Medizin und Sport von der rethorischen Technik innerhalb politischer Debatten, der Operationstechnik in der Chirurgie oder der Aufschlagtechnik im Tennis zu sprechen9. Andererseits bezeichnen wir mit dem Ausdruck Technik als Sammelbegriff alle vom Menschen 10 geschaffenen künstlichen Gegenstände mit einem prakti-

Technik" der Ausdruck "règle de l'art" (seltener "règle technique reconnue") verwendet wird. 6 Meyers Lexikonredaktion, Großes Taschenlexikon, Bd. 22 Tec-Uns, S. 5. Auf die zweite grundlegende Bedeutung von "téchnê" im Sinne einer Wissenschaft wird im folgenden nicht weiter eingegangen, da in der deutschen Sprache die beiden Begriffe Technik und Wissenschaft deutlich voneinander abgegrenzt werden. Es sei jedoch an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß seit Beginn der technisch-wissenschaftlichen Revolution vor etwa vier Jahrzehnten der Ausdruck 'Technikwissenschaften" in den deutschen Sprachgebrauch Einzug gehalten hat, der als Sammelbegriff diejenigen Wissenschaften bezeichnet, welche Wirkungsweise, Entwicklung und Nutzung der Technik zum Gegenstand haben. Buchheim, G. u.a., Technikwissenschaften, S. 11 f. 7 So heißt griech. "tékton" "Zimmermann, Baumeister". Duden "Etymologie", S. 737. 8 Bockelmann, P., Technik und Recht, S. 251; Meyers Lexikonredaktion, Großes Taschenlexikon, Bd. 22 Tec-Uns, S. 5. 9 Nicht gefolgt werden kann Definitionen, die diesen Technikbegriff als "subjektiven Technikbegriff', als "personenbezogenes, auf Wissen und Übung bezogenes Können" definieren; so namentlich Marburger, P., Regeln, S. 7 f. Denn die rhetorische Technik eines Politikers, die Operationstechnik eines Chirurgen oder die Aufschlagtechnik eines Tennisspielers sind durchaus in ihrem Kern als personenunabhängige Methoden objektivierbar und können so im Sinne von lat. "technica" - "Anweisung zur Ausübung einer Kunst oder Wissenschaft" - anderen Personen mündlich, schriftlich oder durch Anschauung vermittelt werden. Diese Personen lernen dann ebenfalls, diese Technik zu beherrschen, worauf im übrigen zahlreiche Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen sowie entsprechende Bild- und Tonträger, Bücher u.a.m. abzielen. 10 Für die Intention dieser Arbeit ist es notwendig und hinreichend, den Begriff "Technik" hoministisch zu deuten. Im Kontext anderer Fragestellungen können z.B. auch Vogelnester, Bienenwaben oder Ameisen- und Termitenbauten als technische Arte-

Α. Begriffsdefinitionen

89

sehen Verwendungszweck 11. Der Begriff Technik in dieser umfassenden Bedeutung hat sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt, wobei er gelegentlich bereits früher benutzt wurde 12 . Nur dieser neuzeitliche Technikbegriff ist Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen. Dabei wird als Einstieg und zum besseren Verständnis zunächst in einem Exkurs die Entwicklungsgeschichte der Technik kurz skizziert. c) Exkurs: Die Geschichte der Technik Der Beginn der Menschheit ist nach der klassischen abendländischen Anthropologie durch die Anfänge menschlicher Technik determiniert 13. Sie bezeichnet erstmals jenen fortentwickelten Primaten mit dem Gattungsnamen "homo", welcher zur Werkzeugherstellung fähig ist 14 . Die Geschichte der hoministischen Technik ist demnach so alt wie die Menschheit selbst15. Sie beginnt vor rund drei Millionen Jahren im Paläolithikum, der Altsteinzeit, mit dem "homo habilis", dem "fähigen Menschen", der als früher Jäger und Sammler bearbeitete Steine zum Ausgraben von Wurzeln und Erlegen von Wild verwendete 16 . Die Entwicklung führt über Mittelsteinzeit (Mesolithikum), Jungsteinzeit (Neolithikum), Agrarrevolution, Bronzezeit, Eisenzeit, die Technik des Mittelalters und die industrielle Revolution im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts

fakte betrachtet und unter den Begriff Technik subsumiert werden. Vgl. z.B. Mumford, L., Mythos, S. 15. 11 Rapp, F., Technik und Naturwissenschaften, S. 108. 12 Der Historiker Franz Schnabel gab als erster im Dritten Band "Erfahrungswissenschaften und Technik" der vierbändigen Reihe "Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert" eine umfassende Abhandlung der Technik in ihrer Gesamtheit. Vgl. dazu die Ausführungen bei Dessauer, F., Streit um die Technik, S. 19 und 107. 13 Diese Sichtweise wird in der "Chronik der Technik" sehr prägnant auf den Punkt gebracht: "Nicht die Technik beginnt mit dem Menschen, der Mensch beginnt mit der Technik." Harenberg, B., Chronik der Technik, S. 7; vgl. auch Steinbuch, K., Mensch und Technik, Sp. 19. 14 Benjamin Franklin hat vor rund hundert Jahren den frühesten Menschen als "Toolmaking animal", als ein Werkzeuge herstellendes Tier bezeichnet. Hierbei liegt die Betonung auf dem Wort "herstellen", da auch Menschenaffen und andere Tiergattungen unbearbeitete Naturstoffe als Werkzeuge für bestimmte und immer wiederkehrende Tätigkeiten benutzen. Ebenso hatte der Vormensch zur Erhöhung des Momentes seines Armes unbearbeitete Steine, Stöcke und Knochen verwendet. Verlag Harri Deutsch, ABC Technik, Bd. 2: L-Z, S. 1042. 15 Boeck, W., Ingenieuraufgaben, S. 1198; Timm, Α., Technikgeschichte, S. 45; Verlag Harri Deutsch, ABC Technik Bd. 2: L-Z, S. 1042. 16 Boeck, W., Ingenieuraufgaben, S. 1198; Harenberg, B., Chronik der Technik, S. 7 f.; Meyers Lexikonredaktion, Großes Taschenlexikon, Bd. 22: Tec-Uns, S. 5.

90

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

zur wissenschaftlich-technischen Revolution 17 in der Mitte unseres Jahrhunderts 18 und zur aktuell stattfindenden informations- und kommunikationstechnischen Revolution des ausgehenden zweiten und des beginnenden dritten Jahrtausends19. Jedoch unterscheidet sich die moderne industrielle Technik seit ihrer Emanzipation in der industriellen Revolution und ihrem weiteren grundlegenden Wandel in der wissenschaftlich-technischen Revolution in ihren Auswirkungen grundsätzlich von der vorindustriellen Technik. Es besteht kein Zweifel daran, daß die "Technik im technischen Zeitalter " 20 das Leben der Menschheit und ihre Umwelt mehr beeinflußt hat als irgendeine andere Entwicklung der jüngeren menschlichen Vergangenheit 21: "Man kann den Einbruch der modernen Technik und ihre Folgen für schlechthin alle Lebensfragen gar nicht überschätzen" 22. Ebenso unbestritten ist aber auch, daß der technische Entwicklungsprozeß in seiner exponentiellen Dynamik 23 bis heute weder in ethischer, kultureller, öko-

17

Der Terminus wurde von dem britischen Physiker und Wissenschaftshistoriker J. D. Bemal geprägt und bezeichnet die organische Verbindung und Wechselwirkung von Wissenschaft und Technik mit ihren technischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Auswirkungen. Brentjes, B. u.a., Geschichte der Technik, S. 421. Robert A. Brady, Professor an der Universität Berkeley, California, USA, unterscheidet vier eng verflochtene Gebiete der technisch-wissenschaftlichen Revolution: Die chemische Revolution der materiellen Grundlagen der Industrie, die Revolution der Normung und technischen Beschreibung (Spezifikation) im Hinblick auf die Auswahl der besten Methoden, Prozesse, Produkte usw., die Revolution der Elektronik und Automatisierung in den verarbeitenden Methoden der Industrie, und die Revolution im System der Energieversorgung. Aufgeführt bei S avelli, L., Rationalisierung, S. 19 ff. 18 Brentjes, B. u.a., Geschichte der Technik, S. 11 ff.; Harenberg, B., Chronik der Technik, S. 8 ff.; Verlag Harri Deutsch, ABC Technik, Bd. 2: L-Z, S. 1042 ff. 19 Vgl. Kap. I.D.l.b). 20 Freyer, H. u.a., Technik im technischen Zeitalter. Lenk sprach bereits sechs Jahre später (1971) von der Wandlung des technischen zum technologischen Zeitalter, mit dem er die "zunehmend innige Verflechtung" von Wissenschaft, Technik und Industrie seit der wissenschaftlich-technischen Revolution zu kennzeichnen suchte. Lenk, H., Technologisches Zeitalter, S. 7. Schnabel sprach schon 1930 vom naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter. Vgl. die Ausführungen bei Dessauer, F., Streit um die Technik, S. 107. 21 Hinsichtlich der Auswirkungen auf die Entwicklung der Menschheit wird der industriellen Revolution in der hoministischen Geschichte nur ein Ereignis gleichgestellt: Die agrarische Revolution ca. 15.000 - 3.000 vor Christi Geburt, die jedoch, gleichfalls auf der Entwicklung technischer Arbeitsmittel zur Ackerbewirtschaftung und Viehzucht beruhend, auch als technische Entwicklung einzustufen ist. Brentjes, B. u.a., Geschichte der Technik, S. 22. 22 Jaspers, K , Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949, S. 98, zit. in: Lenk, H., Technikphilosophie. 23 Zur Zeit verdoppeln sich die naturwissenschaftlichen und technischen Kenntnisse etwa alle fünf Jahre, wobei dieses Intervall ständig kleiner wird (Harenberg, B., Chronik

. Begriffsdefinitionen

91

logischer, ökonomischer noch sozialer Dimension hinreichend aufgearbeitet worden ist 24 . d) Überblick verschiedener Definitionsansätze Ein Anzeichen der unzulänglichen Technikbewältigung bildet die Tatsache, daß eine allgemeingültige Definition des modernen Technikbegriffes bis heute nicht gefunden worden ist. Die Herleitung einer solchen Definition stellt keine einfache Aufgabe dar, wie verschiedene ausführliche Abhandlungen dieses Themas in der Literatur dokumentieren 25. Noch 1990 lieferten selbst führende Persönlichkeiten des "Vereins Deutscher Ingenieure" (VDI) nur eine grobe Vorgabe einer Definition des Begriffes Technik als "nicht nur das, was unsere Lebensumstände verbessert, sondern was das Gesamtrisiko vermindert", begleitet von dem Appell, sich "im V D I . . . darauf [zu] verständigen, was wir unter Technik verstehen" 26. Viele wissenschaftliche Arbeiten und Veröffentlichungen - nicht nur auf dem Gebiet des technischen Rechts - verzichten daher auf der Technik, S. 584; vgl. auch Ernst, H., Denken auf der Überholspur, S. 39), der das Intervall auf 5-7 Jahre beziffert). Das bedeutet: Was immer die Menschheit seit Anbeginn ihrer Existenz bis zum Jahr 1995 an technischem Wissen erworben hat, zur Jahrtausendwende wird sie über doppelt so viele Kenntnisse verfügen. Diesen Sachverhalt illustriert Ernst, H., ebd., sehr plastisch durch folgende Zahlenangaben: "Jede Minute wird eine neue chemische Formel entwickelt, alle drei Minuten ein neuer physikalischer Zusammenhang entdeckt, alle fünf Minuten eine neue medizinische Erkenntnis gewonnen". 24 Ein mögliches Forum für einen Diskurs zur Technikfolgenabschätzung und zur Bestimmung des Wohlfahrtsoptimums in praktisch allen technischen Bereichen bilden die Lenkungs- und Arbeitsgremien der technischen normschaffenden Institutionen, deren technische Normen neben und in Zusammenhang mit der staatlichen Gesetzgebung eine zentrale Bedeutung für die Technik erlangt haben. Vgl. dazu bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.c), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.C), in bezug auf das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.C) sowie die Europäische Union betreffend Kap. II.B.3.c)bb)(l)(d)(bb) und Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d) (aa). 25 Vgl. u.a. Lenk, H., Technikphilosophie, S. 198 ff.; Marburger, P., Regeln, S. 7 ff.; Moser, S., Kritik, S. 11 ff. 26 So namentlich Hansjörg Sinn, in: Sinn, H., Glaubwürdigkeit, S. 117. Daß sich der VDI intensiv mit dem gesamten Umfeld der Technik auseinandersetzt, belegt eine seit 1990 im VDI-Verlag erscheinende zehnbändige Reihe zu dem Thema "Technik und Kultur", deren Einzelwerke sich den "gegenseitigen Bedingtheiten" (Georg-AgricolaGesellschaft, VDI) von Technik zu Philosophie, Religion, Wissenschaft, Medizin, Bildung, Natur, Kunst, Wirtschaft, Staat und Gesellschaft widmen. Ebenso der 1990 erschienene Entwurf der VDI-Richtlinie 3780 "Empfehlungen zur Technikbewertung". Der "Technik-Dialog" im VDI wurde nach zweijähriger Pause erst vor kurzem mit dem Schwerpunkt "Verantwortung des Ingenieurs" wieder aufgenommen. Conrady, H., Debatte um die Verantwortung.

92

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

eine Definition des Begriffes Technik ganz; andere negieren die Möglichkeit einer allgemeinen, abstrakten Definition des neuzeitlichen Technikbegriffs vollständig 27 . Ohne in die tiefere Begriffsphilosophie einzusteigen, und vor allem ohne Vollständigkeit zu reklamieren - die Definitionsansätze von "Technik" sind Legion -, werden an dieser Stelle einige ausgewählte Definitionen des neuzeitlichen Technikbegriffs aus der Literatur angeführt 28. Die traditionellen wertphilosophischen Technikdeutungen können aufgrund ihrer einseitigen und wertenden Darstellung in der Literatur bereits als überzeugend widerlegt gelten und bleiben im Rahmen dieser Arbeit unberücksichtigt 29. So wurde "die Technik" unter anderem definiert als: [ 1] "Anwendung theoretischer Naturerkenntnisse auf die verschiedenen Lebensgebiete im Interesse der von Menschen gesetzten Ziele ... im Dienste der Herstellung eines Werkes, eines Gebrauchsdinges"30 (1958) [ 2] "Aufbau und Erhaltung eines spezifisch menschlichen Lebensraumes durch zweckgerichtete Umbildung der natürlichen Umwelt im Rahmen der Naturgesetze" 31 (1965) [ 3] "zielbewußte Ausnutzung der Naturkräfte im Dienste des Menschen"32 (1969) [ 4] "die auf die Kenntnis der Naturgesetze gestützte und in den Dienst der menschlichen Lebensführung und Daseinsgestaltung gestellte Beherrschung der Natur" 33 (1969) [ 5] "Verfahren oder die Wissenschaft zur Nutzbarmachung von Kräften oder Stoffen" 34 (1972) [ 6] künstliche Schöpfung von Artefakten mit einem praktischen Verwendungszweck35 (1973)

27

So z.B. Hüning, Α., Der Technikbegriff, S. 11. Die Definitionen werden chronologisch nach dem Jahr ihrer Veröffentlichung, welches im Anschluß an die Definition genannt ist, aufgeführt. Benannt ist, soweit ersichtlich, das Jahr der Erstveröffentlichung, sofern die Definition nicht modifiziert wurde. 29 So z.B. bei Lenk, H., Technikphilosophie, S. 198 ff. u. insbes. 202 ff.; Marburger, P., Regeln, S. 8 ff.; Moser, S., Kritik, S. 11 ff. Insbesondere die beiden ersten Werke enthalten einen gut strukturierten Überblick über die klassischen Technikdeutungen. 30 Moser, S., Kritik, S. 80. 31 Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 8. 32 Fischerhof, H., Technologie und Jurisprudenz, S. 1193. 33 Bockelmann, P., Technik und Recht, S. 251. 34 Timm, Α., Technikgeschichte, S. 5. 35 Rapp, F., Technik und Naturwissenschaften, S. 108. 28

Α. Begriffsdefinitionen

93

[ 7] "alle Prozesse und Ausrüstungen, die dazu dienen, die Natur für den Menschen nutzbar zu machen. ... In allen Fällen bewirkt sie eine Gestaltung der Natur aufgrund der Kenntnis der Naturgesetze in Form von energetischen oder stofflichen Prozessen. Betrachtet man auch die Information ebenso wie Energie und Materie als eine Grundkategorie der Natur, dann umschließt Technik ferner informationelle Prozesse"36 (1976) [ 8] "der im Rahmen der Naturgesetze planmäßig sich vollziehende, von Exaktheit und Rationalität getragene und auf permanenten Fortschritt gerichtete Prozeß der Erzeugung (Produktion) und Verwendung (Konsumtion) materieller, energetischer und informationeller Systeme. Die Funktionen dieser Systeme bestehen in der Umwandlung, Speicherung oder dem Transport von Materie, Energie und Information"37 (1979) [ 9] bewußt herbeigeführte Prozesse zur planmäßigen Ausnutzung von Rohstoffen und Energien"38 (1983) [10] "alle Mittel und Verfahren, die dazu dienen, die Kräfte der Natur für den Menschen nutzbar zu machen"39 (1985) [11] "alle Maßnahmen, Verfahren und Einrichtungen zur Beherrschung und zweckmäßigen Nutzung der Naturgesetze und der von der Natur gebotenen Energien und Rohstoffe" 40 (1986) [12] Arbeitsmittel zur Befriedigung von gesellschaftlichen Bedürfnissen 41 (1987) [13] "Theorie und ... Wirklichkeit von Gegenständen und Verfahren, die zur Erfüllung individueller und gesellschaftlicher Bedürfnisse durch konstruktive Leistung im Rahmen der Naturgesetze geschaffen werden und insgesamt weltgestaltend wirken" 42 (1987) [14] "das Gesamt der Bemühungen, mit Hilfe materieller Gestaltung diesen Anpassungsprozeß [der Umwelt] entsprechend den eigenen Bedürfnissen und Lebensnotwendigkeiten zu optimieren" (1988) [15] "die Gesamtheit der Verfahren (geregelten Denk- und Handlungsvollzüge) und Mittel (Sachen, Gegenstände)..., durch die die Menschen ihre natürliche Umwelt und sich selbst bzw. ihre Lebensäußerungen als Naturwesen umformen - mit dem 36

Steffens, F., Technologie und Produktion, Sp. 3853. Marburger, P., Regeln, S. 23. 38 Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 13. 39 Duden "Bedeutungswörterbuch", S. 633. 40 Brockhaus Vorauslexikon, 19. Aufl., Bd. 5: SIE-Z, S. 238. Auf die Wiedergabe der Technikdefinition der neuen Ausgabe des Brockhaus (dieser Band erschienen 1993) wurde verzichtet, da diese fast inhaltsgleich die Technikdefinition Marburgers wiedergibt. Brockhaus-Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 21: SR-TEO, S. 672 f. 41 Brentjes, B. u.a., Geschichte der Technik, S. 7 f. 42 Hüning, Α., Das Schaffen des Ingenieurs, S. 57. 43 Bungard, W., u.a., Technikbewertung: Versäumnisse, S. 157. 37

94

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Ziel, ihre jeweils geschichtlich erreichten Lebensbedingungen zu erhalten und zu verbessern"44 (1988) [16] das "konstruktive menschliche] Schaffen von Erzeugnissen, Vorrichtungen und Verfahren unter Benutzung der Stoffe und Kräfte der Natur und unter Berücksichtigung der Naturgesetze" ( 1989) [17] alle "zweckgerichtet und bewußt geschaffene[n] Güter, Produkte, Systeme und Funktionseinheiten im Kontext menschlicher Daseinsgestaltung"46 (1989) [18] "die Menge der nutzenorientierten, künstlichen, gegenständlichen Gebilde (Artefakte bzw. Sachsysteme), die Menge menschlicher Handlungen und Einrichtungen, in denen Artefakte entstehen, und die Menge menschlicher Handlungen, in denen Artefakte verwendet werden"47 (1990) e) Strukturierung,

Analyse und Synthese eines neuen Definitionsansatzes

Eine detaillierte Diskussion aller achtzehn oben aufgeführten Definitionen würde den gegebenen Rahmen der Arbeit bei weitem sprengen. Daher soll an dieser Stelle ein anderer Weg beschritten werden, indem der Inhalt der Definitionen in einem ersten Schritt strukturiert und analysiert wird, um in einem zweiten Schritt durch die Synthese der Analyse-Ergebnisse zu einem neuen Definitionsansatz zu gelangen. Innerhalb der Strukturierung des Gedankengehaltes der Definitionen lassen sich neben dem eigentlichen materiellen Kern und einem postulierten Zweck noch Voraussetzungen, Grenzen und Eigenschaften der Technik isolieren. Dabei können materieller Kern und postulierter Zweck zwar weitestgehend separiert, jedoch häufig nicht isoliert dargestellt werden, ohne daß die Intention der Definition darunter leidet. Aus diesem Grund werden diese beiden Aspekte in der folgenden Tabelle nebeneinander aufgezeigt und im weiteren parallel behandelt.

44

Oldemeyer, E., Technikakzeptanz, S. 34. Klopfer, M., Technik, Sp. 3587; fast identisch Brockhaus Naturwissenschaft und Technik, Bd. 5: SO-Z, S. 105. 46 Jaufmann, D. u.a., Jugend und Technik, S. 36. 47 Ropohl, G., Technisches Problemlösen, S. 111 in einer Weiterentwicklung des Realtechnikbegriffs von F. v. Gottl-Ottilienfeld. Fast identisch bereits 1988 Ropohl, G., Technisierung, S. 83. 45

Α. Begriffsdefinitionen

95

Tabelle 1 Materieller Gehalt und postulierter Zweck der Technik Definition

Materieller Gehalt

Postulierter Zweck

[1]

Herstellung eines Werkes, eines Für die verschiedenen Lebensgebiete des Menschen Gebrauchsdinges

[2]

Umbildung der natürlichen Um- Aufbau und Erhaltung eines speziwelt fisch menschlichen Lebensraumes

[3]

Ausnutzung der Naturkräfte

Im Dienste des Menschen

[4]

Beherrschung der Natur

Im Dienst der menschlichen Lebensführung und Daseinsgestaltung

[5]

Verfahren, Wissenschaft

Nutzbarmachung von Kräften oder Stoffen

[6]

Schöpfung von Artefakten

[7]

Ausrüstungen sowie stoffliche, energetische oder informationelle Prozesse

[8]

Prozeß der Erzeugung (Produk- Umwandlung, Speicherung oder tion) und Verwendung (Konsum- Transport von Materie, Energie und tion) materieller, energetischer Information und informationeller Systeme

[9]

Prozesse

Ausnutzung von Rohstoffen und Energien

[10]

Mittel und Verfahren

Nutzbarmachung der Kräfte der Natur für den Menschen

[11]

Maßnahmen, Verfahren und Ein- Beherrschung und Nutzung der Naturgesetze und der von der Natur gerichtungen botenen Energien und Rohstoffe

[12]

Arbeitsmittel

[13]

Theorie und Wirklichkeit von Ge- Erfüllung individueller und gesellschaftlicher Bedürfnisse genständen und Verfahren

[14]

Gesamt der Bemühungen zur ma- Optimierung des Anpassungsprozesses der Umwelt entsprechend den teriellen Gestaltung eigenen Bedürfnissen und Lebensnotwendigkeiten

[15]

Gesamtheit der Verfahren (geregelten Denk- und Handlungsvollzüge) und Mittel (Sachen, Gegenstände)

-

Gestaltung der Natur, um diese für den Menschen nutzbar zu machen

Befriedigung von gesellschaftlichen Bedürfnissen

Umformung der natürlichen Umwelt des Menschen und sich selbst bzw. seiner Lebensäußerungen als Naturwesen, mit dem Ziel, die jeweils geschichtlich erreichten Lebensbedingungen zu erhalten und zu verbessern - Fortsetzung -

96

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

- Fortsetzung -

[16]

Das Schaffen von Erzeugnissen, Vorrichtungen und Verfahren unter Benutzung der Stoffe und Kräfte der Natur

[17]

Güter, Produkte, Systeme und Menschliche Daseinsgestaltung Funktionseinheiten

[18]

Die Menge der Gebilde (Artefakte bzw. Sachsysteme), die Menge menschlicher Handlungen und Einrichtungen, in denen Artefakte entstehen, und die Menge menschlicher Handlungen, in denen Artefakte verwendet werden

Die Strukturierung des Inhalts macht deutlich, daß der materielle Gehalt sowie der postulierte Zweck des Großteils der oben aufgeführten Definitionen nicht geeignet ist, den Begriff Technik auf der einen Seite hinreichend präzise und auf der anderen Seite umfassend genug zu definieren. Als Grundlage einer neutralen Technikdeutung grundsätzlich ungeeignet sind Definitionen von Technik als Umbildung (Def. 2), Beherrschung (Def. 4), Gestaltung (Def. 7), Anpassung (Def. 14) oder Umformung (Def. 15) der Natur. Denn wie schon bei den traditionellen wertphilosophischen Technikdefinitionen handelt es sich auch bei diesen Begriffsbestimmungen um ausnahmslos wertorientierte Definitionsansätze 48. Dies wird deutlich im Zusammenhang mit dem jeweils postulierten Zweck der Technik, nämlich dem "Aufbau und [der] Erhaltung eines spezifisch menschlichen Lebensraumes" (Def. 2) im "Dienst der menschlichen Lebensführung und Daseinsgestaltung" (Def. 4) "entsprechend den eigenen [menschlichen] Bedürfnissen und Lebensnotwendigkeiten" (Def. 14), um "die Natur für den Menschen nutzbar zu machen" (Def. 7), "mit dem Ziel, ... [die] jeweils geschichtlich erreichten Lebensbedingungen zu erhalten und zu verbessern" (Def. 15). Diese wertorientierte Sichtweise ist in etwas abgeschwächter Form auch in dem jeweils postulierten Zweck der Definitionen eins, drei, zehn und siebzehn enthalten, welche die Technik in die "Dienste des Menschen" (Def. 3) oder in den "Kontext menschlicher Daseinsgestaltung" (Def. 17) stellen. Durch diese Technikdeutungen werden alle technischen Systeme, die diesen Zielen nicht genügen, d.h. bei deren Herstellung, Verwendung oder durch deren bloße Existenz Gefahren und Beeinträchtigungen für den Menschen, seinen Besitz und/oder die Umwelt ausgehen oder ausgehen können, aus dem Tech48

Vgl. Kap. I.A.l.e),S.94.

Α. Begriffsdefinitionen

97

nikbegriff ausgeschlossen. Ist es damit schon fraglich, ob beispielsweise die friedliche Nutzung der Kernenergie aufgrund ihres hohen Gefahrenpotentials unter einen solchen Technikbegriff fällt, sind spätestens die thermonuklearen Massenvernichtungswaffen mit ihrer Fähigkeit zur globalen Vernichtung allen irdischen Lebens nach diesen Definitionen grundsätzlich nicht unter den Begriff Technik subsumierbar. Darüber hinaus wird durch diese Technikdeutungen auch nicht der fortschreitenden Zerstörung der natürlichen Umwelt durch die negativen externen Effekte der massiven Technisierung aller menschlichen Lebensbereiche Rechnung getragen, die zu einem grundlegenden Wandel in der Beziehung von Mensch zu Technik und Natur geführt hat. Denn die heute in den industriellen Zivilisationen lebenden Menschen sehen ihr grundlegendes existentielles Problem nicht länger in der Frage, wie sie sich mit Hilfe der Technik gegen die Unbilden der Natur am effektivsten zu schützen vermögen, sondern wie sie die ihnen noch verbliebene Natur vor der endgültigen Zerstörung durch die intensive Nutzung der Technik durch eine immer größere Anzahl von Menschen bewahren können. In einer Technikdefinition für das Fachgebiet des technischen Rechts müssen aber die Gefahren der Nutzung diskreter technischer Systeme ebenso berücksichtigt werden wie die negativen externen Effekte der Technisierung aller Lebensbereiche im allgemeinen. Denn die Beeinträchtigung und Gefährdung von Mensch und Natur ist ohne Zweifel der Hauptberührungspunkt von Recht und Technik. Es scheint somit geboten, sich jeglicher wertorientierter Zieldefinition im Zusammenhang mit der Technik zu enthalten und eine neutrale Technikdefinition anzustreben 49. Vernachlässigt man jegliche wertorientierte Darstellung, so zeigt die weitere Betrachtung der Definitionen, daß die Technik überwiegend als die Menge materieller Werke, Gebrauchsdinge, Ausrüstungen, Artefakte, Systeme, Prozesse usw. (Def. 1, 6, 7, 12, 13, 14, 15, 17, 18), als Nutzung der Naturkräfte (Def. 3, 10) oder die Gesamtheit beider Aspekte (Def. 5, 9, 11, 16) beschrieben wird. Dabei scheint als Sammelbegriff für die vom Menschen geschaffenen materiellen wie energetischen technischen Artefakte der aus der Kybernetik stammende Ausdruck "System" - von griechisch "συστεμα" ("systema") "das aus mehreren Teilen zusammengesetzte und gegliederte Ganze" 50 - am geeignesten, 49

Eine wertneutrale Definition entspricht dem Wesen der Technik ohnehin am ehesten, da diese in ihrem Kern weder konstruktiv noch destruktiv ist. Es ist in diesem Zusammenhang wenig hilfreich, die Ambivalenz des Menschen in den Begriff der Technik zu projizieren. Denn es ist der Mensch, der entscheidet, ob er beispielsweise die Lasertechnik in der Medizin oder in der Rüstung einsetzt. Es kann jedoch kaum ernsthaft bestritten werden, daß sowohl der Laser in der Medizin wie auch der in der Rüstung ein technischer Gegenstand ist. 50 Duden "Etymologie", S. 730.

7 Zubke-von Thünen

98

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

umfassendsten und auch am elegantesten zu sein, so daß der materielle Kern der genannten Definitionen als Gesamtheit materieller und energetischer Systeme zusammengefaßt werden kann. Davon abgegrenzt soll das Wort Prozeß, welches von dem lat. "processus" "Fortschreiten; Fortgang, Verlauf' abgeleitet worden ist 51 , im Zusammenhang mit der Erzeugung und Verwendung technischer Systeme gebraucht werden. Die Einbeziehung materieller und energetischer Systeme in eine Technikdefinition ist ohne Zweifel notwendig, aber noch nicht hinreichend. Denn es wird damit weder dem stürmischen Umbruch der bisherigen Industriegesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten durch Entwicklung und Integration der Kommunikations- und Informationstechnik Rechnung getragen - als Stichworte seien an dieser Stelle nur Computer Integrated Manufacturing, globale informationstechnische Vernetzung und Künstliche Intelligenz genannt -, noch genügt dieser Ansatz beispielsweise der Gentechnik. Dieser Aspekt der informationellen Systeme wird einzig in den Definitionen sieben und acht berücksichtigt. Faßt man die bisherigen Überlegungen zusammen, so kann die Technik in Anlehnung an die Definition acht von Marburger als die Menge materieller, energetischer und informationeller Systeme definiert werden, wobei dessen Begriffsbestimmung interessanterweise nur den Prozeß der Erzeugung und Verwendung52 dieser Systeme, nicht aber die Systeme selbst mit einschließt. In Verbindung mit dem in dieser Hinsicht umfassenden Ansatz von Ropohl (Def. 18) und den in keiner Definition enthaltenen - den Lebenszyklus technischer Systeme abschließenden - Prozessen der Wiederverwertung (Recycling) und der Entsorgung technischer Systeme53 ergibt sich folgende Technikdeutung: Die Technik umfaßt die Menge der materiellen, energetischen und informationellen Systeme sowie die Prozesse der Erzeugung, Verwendung, Wiederverwertung und Entsorgung dieser Systeme. Diese Definition ist jedoch noch zu weit gefaßt, da sie natürlichen wie artifiziellen Systemen, Technik wie Kunst genügt. Zur weiteren Konkretisierung des Begriffes bietet sich noch die funktionale Einschränkung der Technik in Defini-

51

Ebd., S. 556. Es ist im Hinblick auf die Themenstellung dieser Arbeit sinnvoll, die Verwendung technischer Systeme in den Technikbegriff mit einzuschließen, da oft erst durch die individuelle oder gesellschaftliche Verwendung technischer Systeme Folgen für rechtlich geschützte Güter entstehen. 53 Einschließlich der anfallenden Produktionsabfälle im weiteren Sinne, der Hilfsund Betriebsstoffe usw. Ohne diese in der Definition explizit zu erwähnen, sollen die den jeweiligen Abschnitten des Lebenszyklusses zuzurechnenden logistischen Prozesse mit unter die entsprechenden Begriffe subsummiert werden. 52

A. Begriffsdefinitionen

99

tion acht sowie der postulierte Zweck der Definitionen zwölf und dreizehn an. Jedoch sind die möglichen Funktionen technischer Systeme heutzutage so vielfältig, daß eine weitere Konkretisierung des Technikbegriffs über diesen Ansatz kaum möglich erscheint; in jedem Fall gehen die Funktionen technischer Systeme auch bei weitestmöglicher Abstraktion deutlich über die in Definition acht genannten Funktionen Umwandlung, Speicherung oder den Transport von Materie, Energie und Information hinaus54. Und unter den Terminus "Erfüllung gesellschaftlicher und individueller Bedürfnisse" (Def. 13; eingeschränkt auch Def. 12) lassen sich ausnahmslos alle Bestrebungen des Menschen subsumieren, so daß auch dieser Passus wenig hilfreich ist. Da sich aus materiellem Gehalt und postuliertem Zweck der Definitionen keine weiteren Aspekte mehr entnehmen lassen, bieten sich als zusätzliche Konkretisierungsmöglichkeiten der Prozesse der Erzeugung technischer Systeme 55 wie auch der Systeme selbst die in den Definitionen genannten Eigenschaften an; dementsprechend werden zunächst die Eigenschaften der Produktionsprozesse technischer Systeme und anschließend die Eigenschaften der technischen Systeme selbst diskutiert: So werden Produktionsprozesse als zielbewußt (Def. 1,3) charakterisiert. Diese Eigenschaft ist zwar sicherlich zutreffend, aber auf der anderen Seite auch so allgemeingültig, daß sie kaum einen Beitrag zur Abgrenzung dieses Begriffes im Sinne des lat. "definire" 56 leisten kann. Gleiches gilt für die Attribute zweckgerichtet (Def. 2, 17), künstlich (Def. 6) sowie bewußt herbeigeführt bzw. geschaffen (Def. 9, 17). 54

So ist zum Beispiel ein Haus ohne Zweifel ein technisches System mit vielen technischen Subsystemen; seine Hauptfunktion liegt aber weniger in der "Speicherung" von Hab und Gut, als vielmehr in dem Schutz seiner Bewohner vor den Unbilden des Wetters, vor wilden Tieren und Ungeziefer sowie vor allem auch in der Wahrung der Intimsphäre. 55 Da in den betrachteten Definitionen weitestgehend nur Eigenschaften der Produktionsprozesse technischer Systeme angeführt werden, beschränken sich die nachfolgenden Betrachtungen zunächst auch nur auf die genannten Produktionsprozesse. Einzig Marburger in seiner Technikdefinition (Def. [8]) ordnet dem Prozeß der Verwendung technischer Systeme dieselben Eigenschaften wie dem Produktionsprozeß zur weiteren Konkretisierung zu. Dies ist m.E. nicht möglich, da technische Systeme gleichermaßen rational wie irrational, zweckgerichtet wie ziellos verwendet werden können. So dürfte niemand bestreiten wollen, daß die Produktion eines PKW ein rationeller Prozeß ist, hingegen bei dessen Verwendung die Ratio bisweilen auf der Strecke bleibt. Dies gilt nicht nur für privates, sondern ebenso für staatliches Handeln: Läßt sich beispielsweise die Produktion technischer Massenvernichtungswaffen zur Sicherung des Kräftegleichgewichts noch als rational rechtfertigen, solange die Menschheit sich nicht global auf deren Abschaffung einigen kann oder will, so würde dies bei deren Verwendung kaum noch jemand behaupten können. 56 Vgl. Kap. I.A.

7*

100

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Tabelle 2 Eigenschaften technischer Produktionsprozesse und Systeme Definition

Eigenschaften technischer Produktionsprozesse

[1],[3]

Systeme

zielbewußt, im Interesse der von Menschen gesetzten Ziele

[2], [17]

zweckgerichtet

[6]

künstlich zweckmäßig, praktischer Verwendungszweck

[6], [11] [8]

exakt, rational, auf permanenten Fortschritt gerichtet

[8], [9]

planmäßig

[9], [17]

bewußt herbeigeführt, geschaffen weltgestaltend

[13] [13], [16]

konstruktiv nutzenorientiert, künstlich, gegenständlich

[18]

Eine etwas genauere Betrachtung verdient das Attribut der Planmäßigkeit, mit welchem der technische Produktionsprozeß in den Definitionen acht und neun charakterisiert wird. In der Herleitung der Definition acht wird als Begründung dieser "essentielle[n] Eigenschaft" ausgeführt, daß heutzutage planmäßig organisierte industrielle Forschungsstäbe technische Innovationen entwickeln; jedoch relativiert der Autor diese Aussage bereits im nächsten Satz durch die Einschränkung, daß technische Neuentwicklungen auch heute noch wenn auch selten - die Leistung einzelner genialer Erfinder sind 57 . Davon zeugen im übrigen zahlreiche Patentanträge von Einzelpersonen, aber auch viele Verträge von Industrieunternehmen mit ihren Forschungs- und Entwicklungsmitarbeitern über die Nutzungsrechte der von ihnen entwickelten technischen Systeme. Das Attribut Planmäßigkeit kann daher in einer allgemeingültigen Technikdefinition keine Berücksichtigung finden. Dasselbe gilt für die Eigenschaft der Exaktheit (Def. 8). Diese ist zwar unzweifelhaft ein Charakteristikum der Technikwissenschaften 58. Für die technischen Produktionsprozesse trifft diese Eigenschaft jedoch nur mit Einschrän57 58

Marburger, P., Regeln, S. 23. Vgl. Fn. 6 in Kap. I.A.l.b).

Α. Begriffsdefinitionen

101

kungen zu. So lehrt uns die industrielle Praxis, daß die technische Exaktheit bereits in der Forschungs- und Entwicklungsphase ihre Grenzen im zeitlichen und finanziellen Aufwand und entsprechenden Kosten-Nutzen-Betrachtungen findet. Hingegen ist das Attribut der Rationalität (Def. 8) aufgrund der engen Verknüpfung von Naturwissenschaft und Technik als Konkretisierungsmerkmal des technischen Produktionsprozesses in jedem Fall geeignet. Gleiches gilt für die Eigenschaft des permanenten Fortschritts (Def. 8), sofern darunter die mit einer Weiterentwicklung verbundene Veränderung zumindest eines Aspekts eines technischen Systems verstanden wird. Und letztlich kann jeder technische Produktionsprozeß unzweifelhaft als konstruktiv (Def. 13, 16) charakterisiert werden. Da eine weitere Determinierung der Konsumptionsprozesse bereits ausgeschlossen wurde 59 , ist noch die Übertragung der Attribute auf die verbleibenden Prozesse des Lebenszyklus technischer Systeme - Wiederverwertung und Entsorgung - zu prüfen. So wird im Rahmen dieser Prozesse unter Einbeziehung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in ständiger Verbesserung der technischen Systeme angestrebt, einerseits im Rahmen des Recycling das Optimum an Materie und Energie einer sinnvollen Wiederverwendung zuzuführen, und andererseits sinnvoll nicht weiterverwendbare Reststoffe mit dem Ziel zu entsorgen, negative Auswirkungen auf Mensch und Natur so weit wie möglich zu vermeiden bzw. zu begrenzen. Damit können auch diese Prozesse als rational, konstruktiv und auf permanenten Fortschritt gerichtet charakterisiert werden. Die technischen Systeme selbst werden als zweckmäßig (Def. 6, 11) und nutzenorientiert (Def. 18) bezeichnet, was - im Gegensatz zu den Ergebnissen der oft zweckfreien (Grundlagen-) Forschung der Wissenschaften - unstreitig der Fall ist. Seit jeher wurde mit einer technischen Entwicklung ein bestimmter Nutzen oder ein besonderer Zweck verfolgt 60 . Dieser Sachverhalt läßt sich etwas allgemeiner auch derart formulieren, daß jedes technische System der Erfüllung einer praktischen Funktion dient. Weiterhin ist für die technischen Systeme das Attribut künstlich ein wichtiger Kernbegriff zur Abgrenzung technischer von natürlichen Systemen. Hingegen scheint die Eigenschaft weltgestaltend (Def. 13) zur weiteren Konkretisierung kaum geeignet. Unter Berücksichtigung der ausgewählten Eigenschaften kann der Begriff Technik damit folgendermaßen definiert werden: 59

Vgl. Fn. 55 in diesem Kapitel. Diese Ziel vorgaben können durchaus abstrakter Natur sein, wie z.B. die technische Realisierung des Lasers zur Erzeugung monochromatischer, kohärenter elektromagnetischer Wellen Ende der fünfziger Jahre. Die industriellen Anwendungsmöglichkeiten der Lasertechnik in Medizin, Astrologie, Unterhaltungselektronik usw. folgten jedoch erst sehr viel später. 60

102

Teil 1: Begriffsdefinition technischer Normen

Die Technik umfaßt die Menge aller künstlichen, der Erfüllung einer praktischen Funktion dienenden materiellen, energetischen und informationellen Systeme, die konstruktiven, rationalen und auf permanenten Fortschritt gerichteten Prozesse hinsichtlich Erzeugung, Wiederverwertung und Entsorgung dieser Systeme sowie die Prozesse der Verwendung dieser Systeme. Abschließend sind noch die Voraussetzungen und Grenzen der ErzeugungsWiederverwertungsund Entsorgungsprozesse zu untersuchen: Tabelle 3 Voraussetzungen und Grenzen der Erzeugungs-, Wiederverwertungs- und Entsorgungsprozesse Definition

Voraussetzungen

Grenzen

der Erzeugungs-, Wiederverwertungs- und Entsorgungsprozesse [1] [4], [7], [11], [16] [2], [8], [13]

theoretische Naturerkenntnisse Kenntnis/Berücksichtigung der Naturgesetze im Rahmen der Naturgesetze

Es ist sicherlich unbestritten, daß die Technik die Naturgesetze nicht überwinden kann und darin ihre Grenze findet. Die Kenntnis der Naturgesetze ist jedoch nicht notwendigerweise eine Voraussetzung für die technische Entwicklung. Erst seit Beginn des technischen Zeitalters im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts und verstärkt seit dem Beginn des technisch-wissenschaftlichen Zeitalters in der Mitte unseres Jahrhunderts erfolgte die technische Entwicklung in zunehmendem Maße systematisch auf der Grundlage naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Technik vornehmlich als eigenschöpferisch-zufallsbasiert zu charakterisieren 61, und bis heute finden sich Beispiele der Wissenschaft vorauseilender technischer Entwicklungen62. Somit kann der neuzeitliche Technikbegriff abschließend wie folgt definiert werden:

61

So ging z.B. auch bei der Erfindung der Dampfmaschine (1769 durch J. Watt), die nach h.M. den Beginn des technischen Zeitalters determiniert, die praktische Konstruktion der wissenschaftlichen Erklärung der Wirkungszusammenhänge voraus. LexikonInstitut Bertelsmann, Technik-Lexikon, S. 459; Verlag Harri Deutsch, ABC Technik, Bd. 2: L-Z, S. 1043. 62 So spielen empirisch-technische Erkenntnisse, denen die wissenschaftliche Untermauerung zumindest zum Teil fehlt, bis heute eine nicht zu vernachlässigende Rolle in der Praxis so bedeutender technischer Gebiete wie der Chemie - z.B. im Falle der chemischen Katalyse (vgl. dazu aktuell Lossau, N., Neue Katalysatoren schneidern Kunststoffe nach Maß, S. 9) - oder der Elektrotechnik. Beckmann, M., Umweltrecht, S. 1430; Winckler, R., Wortbeitrag in: BMWi Studienreihe (53) 1985, S. 93.

f

A. Begriffsdefinitionen

103

Definition "Technik" Die Technik umfaßt die Menge aller künstlichen, der Erfüllung einer praktischen Funktion dienenden materiellen, energetischen und informationellen Systeme, die sich im Rahmen der Naturgesetze vollziehenden konstruktiven, rationalen und auf permanenten Fortschritt gerichteten Prozesse hinsichtlich Erzeugung, Wiederverwertung und Entsorgung dieser Systeme sowie die Prozesse der Verwendung dieser Systeme.

2. Der Begriff "Norm" a) Etymologie Das deutsche Wort "Norm" 6 3 wurde in mittelhochdeutscher Zeit (12. bis 15. Jahrhundert; damals: "norme") dem lateinischen Ausdruck "norma" entlehnt, welcher "Winkelmaß" und im übertragenen Sinn "Maßstab, Regel, Richtschnur, Vorschrift" bedeutet64. Das lateinische "norma" hat sich seinerseits aus den lateinischen Begriffen (g)noscere - "erkennen, wissen, anerkennen" - und dem damit zusammenhängenden "gnorima" entwickelt. "Gnorima" ist - vermutlich durch etruskische Vermittlung - aus dem griechischen "γνφμονα" ("gnömona"), dem Akkusativ des Wortes "γνσμον" ("gnömön") - "Kenner, Beurteiler; Maßstab, Richtschnur" - hervorgegangen, welches zu "γιγνσσκειν" ("gignöskein") - "erkennen, kennenlernen, urteilen" - gehört 65 . b) Wissenschaftlicher

Kernbegriff

Das Wort Norm ist ein vieldeutiger wissenschaftlicher Kernbegriff. Allgemeinen Definitionsansätzen folgend sind Normen auf Verbindlichkeit und Vereinheitlichung angelegte Regeln oder Maßstäbe, die bestimmen, wie ein theoretischer oder praktischer Sachverhalt, ein materieller Gegenstand oder ein Verhalten beschaffen sein soll, um bestimmten Ansprüchen zu genügen66. Normen können somit als Sollenssätze verstanden werden. Neben dieser allgemeinen Bedeutung wird das Wort Norm mit jeweils unterschiedlich konkretisierten In-

63 Engl, "standard", franz. "norme", ital. "norma", span, "norma", port, "norma". Wirtschafts-Wörterbuch, S. 424. 64 Langenscheidts Taschenwörterbuch Latein, S. 352. 65 Duden "Etymologie", S. 489; Muschalla, R., Geschichte der Normung, S. 42; Muschalla, R., Überregelung, S. 514. 66 VDI, Empfehlungen zur Technikbewertung, S. 302; Brockhaus-Enzyklopädie, 17. Aufl., Bd. 13 MOT-OSS, S. 550 f.

104

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

halten in einer Vielzahl wissenschaftlicher Fachgebiete verwendet, so z.B. in der Mathematik 67 , der Medizin 68 und der Petrographie 69, aber auch im Arbeitsrecht der ehemaligen kommunistischen Staaten70. Der Wirtschaftsingenieur lernt im Verlaufe seines Studiums den Begriff Norm vor allem in folgenden drei Wissenschaften kennen: In den Sozialwissenschaften werden Normen als Maßstäbe für eine wertende Beurteilung menschlichen Handelns im regulativen oder ethischen Sinne verstanden. Im Unterschied zur "ethischen Norm" als "absolutem Sollen" oder "der Sittlichkeit" hat die "soziale Norm" oder "Sitte" keinen allgemeinen, sondern nur einen auf das gesellschaftliche Gefüge begrenzten Geltungsbereich71. In den Rechtswissenschaften werden unter Normen im vollen Bedeutungsumfang seiner sprachlichen Wurzeln Rechtssätze verstanden. Eine rechtliche Sollensanforderung besteht grundsätzlich aus Tatbestand und Rechtsfolge 72. In diesem Fachgebiet wird z.B. von "Normenkollision" 73 und von "Normenkontrolle" 74 gesprochen. In den Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften wird unter einer Norm zumeist eine technische Norm verstanden, die entweder innerbetrieblich in einem Unternehmen, einer Unternehmensgruppe oder einem Konzern oder aber überbetrieblich auf nationaler oder internationaler Ebene oder für bestimmte überstaatliche Wirtschaftsräume erarbeitet wird. Die überbetrieblichen technischen Normen und die institutionalisierte überbetriebliche technische Normung sind Gegenstand der vorliegenden Untersu-

67

In der Mathematik kennt man z.B. die Norm einer komplexen Zahl N(z) oder die Norm eines normierten Vektorraumes V. Brockhaus Naturwissenschaft und Technik, Bd. 4: NI-SN, S. 13. 68 In der Medizin bedeutet normales Befinden schlichtweg Wohlbefinden im Sinne von Gesundheit. Brockhaus-Enzyklopädie, 17. Aufl., Bd. 13: MOT-OSS, S. 551. 69 In der Petrographie ist der normative Mineralbestand der aus der chemischen Analyse errechnete und auf bestimmte Normminerale bezogene mögliche Mineralbestand von magmatischen Gesteinen, deren tatsächliche Zusammensetzung sich nicht direkt ermitteln läßt. Brockhaus-Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 15: MOE-NOR, S. 693. 70 In der ehemaligen Sowjetunion war die Arbeitsnorm das dem Arbeiter auferlegte (und mit dem Minimallohn abgegoltene) Produktionsminimum. Brockhaus-Enzyklopädie, 17. Aufl., Bd. 13: MOT-OSS, S. 551. 71 König, R., Soziale Normen, Sp. 1388 ff.; Brockhaus-Enzyklopädie, 17. Aufl., Bd. 13: MOT-OSS, S. 550 f.; Brockhaus-Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 15: MOE-NOR, S. 693 f. 72 Statt vieler Marburger, P., Regeln, S. 286 f. 73 Unter Normenkollision wird das Aufeinandertreffen von Rechtsnormen gleicher Geltungskraft verstanden, die von verschiedenen Gesetzgebern erlassen worden sind und dasselbe Rechtsverhältnis betreffen. 74 Normenkontrolle ist die Prüfung der Vereinbarkeit einer Rechtsnorm mit einer Norm höheren Ranges durch ein Gericht, z.B. eines Bundesgesetzes mit der Verfassung durch das Bundesverfassungsgericht.

Α. Begriffsdefinitionen

105

chungen und bedürfen somit weiterer begrifflicher Klärung. Hiervon müssen die "innerbetrieblichen technischen Normen" und die "innerbetriebliche technische Normung" abgegrenzt werden, was im Anschluß an dieses Kapitel geschieht.

3. Die Begriffe "technische Norm" und "technische Normung" a) Exkurs: Die Ursprünge technischer Normung Die Erstellung und Anwendung technischer Normen mit dem Ziel des Austausches, der Kompatibilität und der Verständigung 75 läßt sich bis weit ins Altertum zurückverfolgen 76. So verwendeten die Ägypter bereits um 7.000 v. Chr. zylindrische Steine als Wägestücke für entsprechende Waagen, normten etwa 4.000 v. Chr. die "königliche Elle" mit den Untermaßen Fuß, Spanne, Handbreite und Fingerbreite auf 526 mm als Längenmaßsystem, verwendeten aus Nilschlamm hergestellte Ziegel im Format 410 mm * 200 mm * 130 mm und bauten ca. 2.500 v. Chr. die Cheopspyramide bei Gizeh aus behauenen Steinen einheitlicher Abmessungen. Die Bewohner der Stadt Catal-Hüyük in der südlichen Türkei errichteten 6.500 v. Chr. ihre Stadt aus Einheitsziegeln des Formats 8 cm * 16 cm * 32 cm und normten bereits 6.000 v. Chr. Spindel und Webstuhl; und auch die Chinesen besaßen bereits 2.700 v. Chr. ein einheitliches Längenmaßsystem; dieses gründete sich auf den Abstand zwischen zwei Knoten eines Bambusstammes, der, als Flöte benutzt, einen ganz bestimmten Ton erzeugte 77. b) Überblick verschiedener Definitionsansätze Die Ausdrücke "technische Norm" oder "technische Normung" erfahren im deutschen Recht nirgendwo eine Legaldefinition. An dieser Stelle sollen deshalb einige Begriffsbestimmungen privater Verbände und aus der Literatur angeführt werden, wobei der überwiegende Teil der deutschsprachigen Autoren 75

Zu diesen Normenfunktionen vgl. Kap. I.C.2.a), Kap. I.C.2.d) und Kap. I.C.2.n). Einige Autoren datieren die Ursprünge hoministischer technischer Normung auf den Beginn der Werkzeugerstellung durch den Menschen - und damit auf den Beginn der Menschheit selbst (vgl. Kap. I.A.l.c) -, da sich anhand archäologischer Funde eine Bevorzugung einiger weniger Werkzeugformen nachweisen läßt. So z.B. Niederbacher, J., Recht der Technik, S. 43 m.N. 77 Boulin, P., Présentation, S. 17 f.; Dhen, K., Produktivitätssteigerung, S. 12 ff.; Muschalla, R., Vorgeschichte der technischen Normung, S. 32, 39, 79 ff., 88; ders., Geschichte der Normung, S. 45 ff.; Pullwitt, E., Die innerbetriebliche Normung, S. 1-1; Turotzi, H., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 143. Hinsichtlich der weiteren geschichtlichen Entwicklung der technischen Normung vgl. insbesondere Muschalla, R., Vorgeschichte der technischen Normung, passim. 76

106

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

die bis August 1991 gültige Definition des Deutschen Instituts für Normung DIN e.V. mehr oder weniger wörtlich übernommen hat 78 . [1]

"Normung ist das einmalige Lösen einer sich wiederholenden technischen und/ oder organisatorischen Aufgabe unter Mitarbeit möglichst aller Beteiligten mit dem Ergebnis einer, den jeweiligen Stand der Technik/Organisation auswertenden zeitlich begrenzten Bestlösung. (1952)

[2]

Eine technische Norm ist eine von den interessierten Kreisen in Gemeinschaftsarbeit aufgestellte technische Bestimmung oder Regel für die Herstellung oder Errichtung, die Beschaffenheit oder Bezeichnung sowie die Anwendung oder Verwendung von Gegenständen, wobei Gegenstand in diesem Sinne sowohl eine körperliche Sache als auch ein Verhalten oder Verfahren sein kann.80 (1967)

[3]

Normung ist das Ergebnis einer von allen interessierten Kreisen gemeinschaftlich durchgeführte Vereinheitlichung mit dem Ziel, Begriffe, Erzeugnisse, Verfahren u.a.m. im Bereich der Wissenschaft, Technik, Wirtschaft und Verwaltung festzulegen und zu ordnen.81 (1971)

[4]

"Normung ist eine planmäßige, unter Beteiligung der jeweils interessierten Kreise gemeinschaftlich durchgeführte Vereinheitlichungsarbeit. Sie dient einer sinnvollen Ordnung und einer Information aller Kreise über den Stand der Technik auf den jeweiligen Normungsgebieten. Ziel der Normung ist ein rationelles und den humanitären Erfordernissen entsprechendes Arbeiten in Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und Verwaltung. Hierbei bedeutet Normung eine Vereinheitlichung, und zwar nicht nur von ... materiellen Gegenständen ...[,] sondern auch von ... immateriellen Gegenständen."82 (1972)

[5]

Eine technische Norm ist eine "technische ... [Spezifikation] oder ein anderes Dokument, das für jedermann zugänglich ist und unter Mitarbeit und im Einvernehmen oder mit allgemeiner Zustimmung aller interessierten Kreise erstellt wurde. Sie beruht auf abgestimmten Ergebnissen von Wissenschaft, Technik und Praxis. Sie erstrebt einen größtmöglichen Nutzen für die Allgemeinheit. Sie ist von einer 78

Im August 1991 wurde die Norm DIN 820-3: 1975-03 ersetzt durch die Fassung DIN 820-3: 1991-08 (aktuelle Fassung: 1994-04), mit zahlreichen Verweisungen auf die Europäische Norm EN 45 020: 1991-05 (aktuelle Fassung: 1993-09). Mit den nicht nur innerhalb der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten, sondern auch international gültigen Definitionen der Begriffe 'Technische Normung" und 'Technische Norm" der EN 45 020: 1993-09, welche unter Punkt zehn aufgeführt werden, verlor die Definition des DIN ihre Gültigkeit. Sie wird jedoch weiterhin in DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 2 aufgeführt. 79 Kienzle, O., Seminar für technische Normung, TH Hannover 1952/53 (unveröffentlicht), zit. in: Bauer, C.-O., Normungsfähigkeit, S. 444. 80 Lukes, R., Urheberrechtsfragen, S. 7; ders., Wettbewerbsbeschränkungen, S. 157. 81 Brockhaus-Enzyklopädie, 17. Aufl., Bd. 13 MOT-OSS, S. 556. Auf die Wiedergabe der Definition des Begriffes Normung der neuen Ausgabe des Brockhaus (dieser Band erschienen 1991) wurde verzichtet, da diese fast inhaltsgleich die Definition des DIN wiedergibt. Brockhaus-Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 15 MOE-NOR, S. 698. 82 Turotzi, H. u.a., Sachbenummerung, S. 1439.

Α. Begriffsdefinitionen

107

auf nationaler,... [supranationaler] oder internationaler Ebene anerkannten Organisation gebilligt worden" 83. Eine technische Spezifikation ist ein "Dokument, das

83 Die in DIN 820-3: 1975-03 Anhang A aufgeführten 28 Definitionen der ECE wurden in englischer, französischer und russischer Sprache verabschiedet. Die deutsche Übersetzung der Definition A.3. ist hinsichtlich zweier Termini nicht stringent und somit verbesserungsbedürftig: Erstens ist die Übersetzung der Begriffe "technical specification" bzw. "spécification technique" inkonsequent und daher mißverständlich, da in Definition Nr. 2 hierfür der Ausdruck "technische Spezifikation" gewählt wurde, in Definition Nr. A.3 hingegen der Terminus "technische Beschreibung". Ebenso ist bei den Definitionen Nr. A.18 und A.19 verfahren worden. Der Ausdruck "Beschreibung" ist daher in dieser Definition durch den Begriff "Spezifikation" ersetzt worden, auch um begrifflich konsistent bezüglich der Definition neun der RL 83/189/EWG des Rates zu sein. Zweitens benutzt das DIN als Übersetzung des englischen "regional" bzw. des französischen "régional" - vermutlich aufgrund des Gleichklanges - das Wort "regional"; dieses Sprachverständnis setzt sich bis in die aktuelle Fassung der Norm DIN 820-3: 1994-04 i.V.m. der Norm EN 45 020: 1993-09 fort, so beispielsweise in letzterer auf S. 11 Abschn. 1 Nr. 1.6.2 oder S. 15 Abschn. 3 Nr. 3.2.2. Dies ist jedoch weder kompatibel zur deutschen noch zur europäischen Verwendung dieses Begriffe. So wird der Begriff "regional" im deutschen Sprachgebrauch zur Kennzeichnung nationaler Teilgebiete verwendet, was beispielsweise in den Worten "Regionalliga" oder "Regionalprogramm" zum Ausdruck kommt. Und auf europäischer Ebene hat der Begriff "Region" durch die Änderung der römischen Verträge durch die EEA 1986 Einzug in den EGV gehalten. Wurde bis dato von Gebieten gesprochen, um Teilbereiche der Mitgliedsstaaten zu benennen - so z.B. in Art. 130 lit. a) und c) -, so trat dann der Ausdruck der Region als Synonym für Gebiet hinzu, so beispielsweise in den Art. 130a. Abs. 2 und 130c EGV. Dieses Verständnis von "regional" liegt auch dem in der jüngeren Vergangenheit geprägten Ausdruck "Europa der Regionen" zugrunde, durch welchen die föderative Struktur der Europäischen Union betont werden soll. Vgl. u.a. die Artikelreihe "Europa der Regionen" des Handelsblattes, wo beispielsweise im ersten Artikel von Regionen und Grenzregionen innerhalb der Nationalstaaten die Rede ist (z.B. den Artikel o.V., 15 % der EG-Fläche sind "Grenzregionen", S. 8).

In dieser Arbeit wird statt des Wortes "regional" der Begriff "supranational" im Sinne von "überstaatlich", aber auf einen bestimmten geographischen, politischen oder wirtschaftlichen Raum wie z.B. den der EU, ASEAN oder NAFTA beschränkt, benutzt. Es sei an dieser Stelle mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, daß im Rahmen dieser Arbeit keine weiteren Schlußfolgerungen mit diesem Begriff verknüpft werden. Insbesondere soll damit nicht die Übertragung eines Teils der Rechtssetzungsbefugnis von den Mitgliedsstaaten auf die Europäische Union impliziert werden. M.E. erscheint weder sinnvoll noch überhaupt notwendig, den Terminus "Supranationalität" als "übernationale Staatlichkeit" zu definieren, statt von "supranationaler Staatlichkeit" zu sprechen und sich so auf den originären Wortsinn zu beschränken. In Abgrenzung dazu soll der Begriff "international" im Sinne von "global" oder "weltweit" verstanden werden. Diese Vereinbarung ist zwar begrifflich nicht optimal, da "international" dem engeren Wortsinn nach "zwischenstaatlich" bedeutet und somit begrifflich bereits bei Vereinbarungen, Verträgen etc. zwischen zwei Staaten zutreffend ist. Auf der anderen Seite wird der Begriff "international" auch im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch im obigen Sinne verwendet, die Vereinbarung befindet sich - im Gegensatz zur Verwendung des Begriffes "regional" durch das DIN - nicht im Wider-

108

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Merkmale eines Erzeugnisses oder einer Dienstleistung festlegt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit, Abmessungen. Es kann Festlegungen über Terminologie, Bildzeichen, Prüfung, Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung oder Beschriftung enthalten. Eine technische Spezifikation kann auch die Form einer Anleitung für die Praxis haben"84. (1974) [6]

"Normung ist die planmäßige, durch die interessierten Kreise gemeinschaftlich durchgeführte Vereinheitlichung von materiellen und immateriellen Gegenständen zum Nutzen der Allgemeinheit. Sie darf nicht zu einem wirtschaftlichen Sondervorteil einzelner führen. Sie fördert die Rationalisierung und Qualitätssicherung in Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und Verwaltung. Sie dient der Sicherheit von Menschen und Sachen sowie der Qualitätsverbesserung in allen Lebensbereichen. Sie dient außerdem einer sinnvollen Ordnung und der Information auf dem jeweiligen Normungsgebiet". Eine "Norm ist das herausgegebene Ergebnis der Normungsarbeit." (1975)

[7]

"Normung ist ein Mittel zur Ordnung und Grundlage für ein sinnvolles Zusammenarbeiten und Zusammenleben. Die Normung bietet Lösungen für immer wiederkehrende Aufgaben an unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der Wissenschaft und Technik und unter Beachtung der wirtschaftlichen Gegebenheiten, und dies vor dem Hintergrund der jeweiligen Wertordnungen und sozialen Tatbestände."86 (1989)

Eine Legaldefinition erfährt der Begriff technische Normung zum einen auf nationaler Ebene in Frankreich durch das Décret n° 84-74 vom 26. Januar 1984 87 über den Status der Normung: [8]

"Zweck der Normung ist die Bereitstellung von Referenzdokumenten, die die Lösung von technischen und wirtschaftlichen Problemen enthalten, die im Zusammenhang mit Erzeugnissen, Gütern und Dienstleistungen wiederholt in den Beziehungen zwischen Partnern im wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, technischen und sozialen Bereich auftreten." 88 (1984)

spruch zum EGV, und nicht zuletzt ist dieses Sprach Verständnis auch kompatibel zu der Terminologie der zahlreichen deutschsprachigen Normenorganisationen. 84 Definition der "Wirtschaftskommission für Europa" ("Economic Commission for Europe" (ECE)) des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen, abgedruckt in: DIN, DIN 820-3: 1975-03 S. 8 Anhang A Nr. A.2 und A.3. 85 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 2 i.V.m. dass., DIN 820-3: 1975-03 S. 2 Nr. 6. Vgl. auch die Ausführungen in Fn. 78 in diesem Kapitel. 86 Muschalla, R., Normenwerk, S. 13. 87 Obwohl das Décret n° 84-74 vom 26.01.1984 inzwischen mehrfach geändert wurde - zuletzt durch Décret n° 93-1235 vom 15.11.1993 -, ist die Definition in Artikel 1 bis heute unverändert geblieben. 88 Décret n° 84-74, Art. 1.

Α. Begriffsdefinitionen

109

und zum anderen auf europäischer Ebene durch den Rat der Europäischen Union* 9, welcher in Art. 1 der "Richtlinie des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften" die Definition des GATT-Kodex von 1979 über technische Handelshemmnisse übernommen hat: [9]

Eine technische Norm ist eine "technische Spezifikation, die von einer anerkannten Normenorganisation zur wiederholten oder ständigen Anwendung angenommen wurde, deren Einhaltung jedoch nicht zwingend vorgeschrieben ist..." Eine technische Spezifikation ist nach Art. 1 Nr. 1 dieser Richtlinie eine "Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale eines Erzeugnisses vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren" 90. (1983)

Schließlich existieren auf internationaler Ebene für die Mitgliedsorganisationen der "International Organization for Standardization " (ISO) und der "International Electrotechnical Commission " (IEC) seit Herausgabe des gemeinsamen ISO/IEC-Leitfadens 2: 198691 einheitliche, wenn auch unverbindliche Definitionen der Begriffe "Norm" und "Normung". Durch die Übernahme der Begriffsbestimmungen dieses Leitfadens in die Europäischen Norm EN 45 020: 1991-05 92 durch das "Comité Européen de Normalisation" (CEN) und das " Comité Européen de Normalisation Electrotechnique" (CENELEC) sind die nachfolgend angeführten Definitionen seit dem 17. Mai 1991 für die

89 Mit dem in Maastricht geschlossenen Vertrag über die Europäische Union (EUV) vom 07.02.1992 wird der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) vom 25.03.1957 entsprechend Art. G A. EUV als Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) und die Gesamtheit der Verträge - der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKSV) vom 18.04.1951, der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV, EURATOMV) vom 25.03.1957 und der EGV - gemäß Art. A EUV als "Europäische Union" bezeichnet. Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 5; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 334; Schachtschneider, K. Α., Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 1 f. Diese Bezeichnung soll im folgenden in dieser Arbeit durchgängig Verwendung finden. Einzige Ausnahme sind die Bezeichnungen von Rechtsvorschriften, die vor dem EUV erlassen wurden. 90 Art. 1 Nr. 2 und 4 RL 83/189/EWG. 91 Aktuelle Ausgabe: 1991. 92 Aktuelle Ausgabe: 1993-09. Die nachfolgend angeführten Definitionen blieben bei der Neufassung der Norm unverändert.

110

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

nationalen Normenorganisationen der EU-Mitgliedsstaaten aufgrund deren ÜbernahmeVerpflichtung Europäischer Normen verbindlich 93 : [10] Eine technische Norm ist ein "Dokument, das mit Konsens erstellt und von einer anerkannten Institution angenommen wurde und das für die allgemeine und wiederkehrende Anwendung Regeln, Leitlinien oder Merkmale für Tätigkeiten oder deren Ergebnisse festlegt, wobei ein optimaler Ordungsgrad in einem gegebenen Zusammenhang angestrebt wird. ... Normen sollten auf den gesicherten Ergebnissen von Wissenschaft, Technik und Erfahrung basieren und auf die Förderung optimaler Vorteile für die Gesellschaft abzielen"94. "Für die Öffentlichkeit zugängliche Normen" sind nationale, supra- und internationale Normen.95 Technische Normung(sarbeit) ist die "Tätigkeit zur Erstellung von Festlegungen für die allgemeine und wiederkehrende Anwendung, die auf aktuelle und absehbare Probleme Bezug haben ... Wichtige Vorteile der Normung(sarbeit) sind die Verbesserung der Eignung von Erzeugnissen, Verfahren und Dienstleistungen für ihren geplanten Zweck, die Vermeidung von Handelshemmnissen und die Erleichterung der technischen Zusammenarbeit"96. (1991) Im Gegensatz zu dem Begriff "Technik" bestehen für die Ausdrücke "technische Norm" bzw. "technische Normung" bereits mehrere für die vorliegende Untersuchung geeignete Definitionsansätze, welche die wesentlichen Merkmale technischer Normen beinhalten. Es ist daher nicht notwendig und auch wenig sinnvoll, einen eigenen Definitionsansatz herauszuarbeiten, als vielmehr aus den vorhandenen Begriffsbestimmungen einen geeigneten im Hinblick auf die Themenstellung dieser Arbeit auszuwählen und diesen gegebenenfalls angesichts eigener Erkenntnisse geringfügig zu modifizieren. c) Definitionsauswahl

und Begründung

Eine Eingrenzung der Menge der Definitionen bezüglich ihrer Eignung für diese Untersuchung läßt sich anhand zweier, hinsichtlich der Themenstellung dieser Arbeit relevanter Aspekte vergleichsweise einfach vornehmen:

93 Die nationalen Normenorganisationen sind als CEN/CENELEC- und ETSIMitglieder entsprechend den Geschäftsordnungen der europäischen Normenorganisationen gehalten, einer Europäischen Norm ohne jede Änderung den Status einer nationalen Norm zu geben und entgegenstehende nationale Normen zurückzuziehen. Vgl. dazu Kap. II.B.l.a)cc) bezüglich CEN/CENELEC und Kap. II.B.l.b)dd) hinsichtlich ETSI. In diesem Fall wurde als spätestes Datum der Veröffentlichung einer identischen nationalen Norm sowie für die Zurückziehung entgegenstehender nationaler Normen der 15. November 1991 festgelegt. Vgl. dazu CEN/CENELEC, EN 45 020: 1991-05, S. 2. 94 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 13 Abschn. 3 Nr. 3.2. 95 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 15 Abschn. 3 Nr. 3.2.1 ff. 96 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 9 Abschn. 1 Nr. 1.1.

. Begriffsdefinitionen

111

Zum einen sind für die vorliegende Untersuchung, welche die technische Normung innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten sowie innerhalb der Europäischen Union selbst behandelt, insbesondere diejenigen Definitionen zweckmäßig, die innerhalb der Europäischen Union eine gewisse Geltungskraft besitzen, mithin also die Definitionen fünf der ECE, neun des Rates bzw. des GATT-Kodexes sowie zehn von ISO/IEC bzw. CEN/CENELEC. Zum anderen sind von diesen verbleibenden Definitionen diejenigen besonders geeignet, welche die technische Normung vermittels ihrer Hauptmerkmale möglichst präzise und umfassend charakterisieren. Bei einer Betrachtung der verbliebenen Definitionen zeigt sich, daß die Definitionen fünf der ECE und zehn von ISO/IEC bzw. CEN/CENELEC sehr umfassende Begriffsbestimmungen der technischen Normung darstellen, während die Definition neun des GATT-Kodexes bzw. der Richtlinie 83/189/EWG des Rates diese durch vergleichsweise weniger Kriterien charakterisiert. Der Grund für die Unterschiede in der Begriffsbestimmung des Rates gegenüber denen der ECE und ISO/IEC bzw. CEN/CENELEC liegt in jeweils unterschiedlichen Betrachtungsweisen und Zielsetzungen, die mit den Definitionen verfolgt werden. Ziel der von ECE und ISO/IEC formulierten Definitionen ist die Festschreibung derjenigen Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit das Ergebnis eines Normungsverfahrens auf internationaler, europäischer oder nationaler Ebene international einheitlich als "technische Norm" bezeichnet werden kann. Da diese Begriffsbestimmungen die wesentlichen Kriterien des Normungsverfahrens festlegen, sind sie als verfahrensorientiert zu charakterisieren. Dagegen wurde die Normung in der Definition des Rates bzw. des GATT-Kodexes lediglich unter dem Aspekt der "Verminderung möglicher Beeinträchtigungen des freien Warenverkehrs" betrachtet 97. Dabei war es ausdrücklich Ziel des Rates, diejenigen Kriterien festzulegen, die eine technische Norm haben muß, damit sie zur Beseitigung der technischen Handelshemmnisse beitragen kann 98 . Somit hat diese Definition einen ergebnisorientierten Charakter 99. Da die Zielsetzung der vorliegenden Untersuchung in der Beantwortung der Frage liegt, inwieweit die (Verfahrens-) Prinzipien der überbetrieblichen technischen Normung geeignet sind, in einer Gemeinschaft das gute Zusammenleben aller mit allen zu regeln, ist eine durch den Wegfall wesentlicher Aspekte der technischen Normung einseitige Definition für die Intention dieser Arbeit ungeeignet.

97

Vgl. den viertletzten Absatz der Begründung des Rates zur RL 83/189/EWG. Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 11. 99 So i.E. auch Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 31; Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 11. 98

112

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Ein Vergleich der beiden verbleibenden Definitionen fünf der ECE und zehn von ISO/IEC bzw. CEN/CENELEC zeigt, daß beide Definitionen gleichermaßen tauglich sind, die Begriffe der technischen Norm bzw. technischen Normung umfassend zu bestimmen. Aufgrund ihrer größeren Aktualität, ihrer über den europäischen Rahmen hinausgehenden internationalen Geltungskraft und insbesondere wegen ihrer Verbindlichkeit auch für die nationalen Normenorganisationen der EU soll die Definition zehn von ISO/IEC bzw. CEN/CENELEC im Rahmen dieser Arbeit Verwendung finden. Sie enthält - in einem Punkt jedoch nur implizit durch die Verweisung auf eine weitere Definition der Norm EN 45 020: 1993-09 100 und mit Ausnahme des in Definition neun genannten Aspekts der rechtlichen Unverbindlichkeit- die grundlegenden, weitgehend auch aus deutscher Sicht durch das D I N in der Definition sechs i.V.m. seinen Arbeitsgrundsätzen 101 festgelegten und als Hauptnormenmerkmale bezeichneten Bestimmungsmerkmale technischer Normen: ein Dokument, das unter Beteiligung aller interessierten wurde (Def. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 10),

Kreise erstellt

ein Dokument, das im Konsens verabschiedet wurde (Def. 5, 10), ein Dokument, das von einer anerkannten normschaffenden genommen wurde (Def. 5, 9, 10), ein Dokument, das der Öffentlichkeit

Institution an-

zugänglich ist (Def. 5, 10),

ein Dokument, das Regeln, Leitlinien oder Merkmale für die allgemeine und wiederkehrende Anwendung festlegt (Def. 1, 7, 8, 9, 10), ein Dokument, dessen Anwendung nicht rechtsverbindlich ist (Def. 9),

vorgeschrieben

ein Dokument, das auf den gesicherten Ergebnissen von Wissenschaft, Technik und Erfahrung basiert (Def. 1, 5, 7, 10), ein Dokument, das auf die Förderung schaft abzielt (Def. 4, 5, 7, 6, 10). 100

optimaler Vorteile für die Gesell-

Das erstgenannte Hauptnormenmerkmal - die Beteiligung aller interessierten Kreise - wird von der Definition zehn von CEN/CENELEC bzw. ISO/IEC nur implizit durch die in Kap. I.A.3.d)bb), aufgeführte Definition des Begriffes "Konsens" erfüllt. In diesem Zusammenhang wird jedoch in der Norm EN 45 020: 1993-09 auf S. 5 im Abschnitt "Für den Leser" explizit darauf hingewiesen, daß "die Definition von Normung (1.1) zusammen gelesen werden [sollte] mit den Definitionen von Norm (3.2) und Konsens (1.7)". 101 Diese sind in den zehn Grundsätzen der Normungsarbeit des DIN enthalten. Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(3).

Α. Begriffsdefinitionen

113

Da diese Definitionsmerkmale, die gleichzeitig die bedeutendsten Wesensund Verfahrenseigenschaften der überbetrieblichen technischen Normung darstellen, als Basis für die Ausführungen vor allem im Ausblick dieser Arbeit von grundlegender Bedeutung sind, sollen sie im folgenden in der gebotenen Kürze erläutert werden. d) Hauptnormenmerkmale aa) Ein Dokument, das unter Beteiligung aller interessierten Kreise erstellt wird Um begrifflich von einer technischen Norm sprechen zu können, ist die Hinzuziehung aller betroffenen Interessen bei deren Ausarbeitung erforderlich. Dieses Definitionsmerkmal unterscheidet überbetriebliche technische Normen zum einen von innerbetrieblichen technischen Normen 102 sowie der technischen Normung durch Staat, Marktprozesse oder Kartelle 103 , zum anderen aber auch von staatlichen technischen Vorschriften. Denn während eine technische Vorschrift zwar von einem demokratisch legitimierten gesetz- oder verordnungsgebenden Organ, jedoch ohne die Notwendigkeit der Beteiligung der interessierten gesellschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und anderen Kreise ausgearbeitet, angenommen und veröffentlicht wird - bestenfalls ist deren Anhörung wie in den Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen in den §§ 4 Abs. 1 S. 3, 7 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 2, 23 Abs. 1, 26 Abs. 2, 29 Abs. 2, 32-35, 43, 53 Abs. 1 S. 2, 55 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 51 BImSchG, §§5 a Abs. 2 S. 2, 14 i.V.m. §16 AbfG oder §11 Abs. 1 GSG vorgeschrieben 104 - und in Folge für jedermann verbindlich ist, stellt eine technische Norm das Ergebnis des direkten Interessenausgleichs aller von den Festlegungen der Norm Betroffenen dar. Diese sollen in jedem Technischen Komitee durch entsandte und entscheidungsbefugte Delegierte repräsentativ vertreten sein, wofür in aller Regel die Normenorganisationen Sorge zu tragen haben 105 .

102

Vgl. Kap. I.A.4. Vgl. Kap. II. 104 Dazu kritisch Breuer, R., Umweltgesetzbuch, S. Β 72 ff. Gleiches gilt im übrigen auch auf der Ebene der Europäischen Union, wo sich die Kommission ausdrücklich das Recht vorbehält, "von jeglicher Anhörung ab[zu]sehen, sofern sie sich für hinreichend informiert hält, um Vorschläge zu unterbreiten". Vgl. dazu die Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil B, Abschn. II Nr. 1 Abs. 3. 105 Vgl. bezüglich des deutschen DIN Kap. II.A.l.a)dd)(2), bezüglich der französischen AFNOR Kap. II.A.2.a)bb) und bezüglich der britischen BSI Kap. II.A.3.a)bb). 103

8 Zubke-von Thünen

114

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Die Zusammenarbeit aller interessierten Kreise - Hersteller, Abnehmer, Verbraucher, Gewerkschaften, Wissenschaft, Umweltschutzverbände, Behörden u.a.m. - im Rahmen der Normungsarbeit ist zwingend erforderlich, um die bestehenden, häufig divergierenden Interessen und Bedürfnisse zunächst auf Gruppenebene 106 zu einem allen gleichermaßen gerecht werdenden Ausgleich zu bringen und so die für eine möglichst umfassende Einführung und Anwendung der eo ipso rechtlich unverbindlichen technischen Normen 107 notwendige breite Akzeptanz bei allen von den Festlegungen der technischen Norm Betroffenen sicherzustellen. Denn eine derartige Akzeptanz läßt sich nur dann erzielen, wenn das Ergebnis der Normungsarbeit nicht nur einseitig die Interessen etwa der gut organisierten und finanziell potenten Hersteller widerspiegelt, sondern das Ergebnis eines konsensualen Diskurses aller von der jeweiligen Norm betroffenen Interessengruppen darstellt und darüber hinaus jedem einzelnen Bürger ein Mitspracherecht einräumt. Daher ist das Definitionskriterium der "Beteiligung aller interessierten Kreise" - zusammen mit den nachfolgend aufgeführten Definitionskriterien der konsensualen Beschlußfassung und der Beteiligung der Öffentlichkeit - als das entscheidende Wesensmerkmal 108 der Normungsarbeit und damit auch deren Definition anzusehen. bb) Ein Dokument, das im Konsens verabschiedet wird Aufgabe der in den Normenausschuß entsandten Vertreter der interessierten Kreise ist nicht nur die Erarbeitung einer Lösung, die von der einfachen Mehrheit der Beteiligten getragen und akzeptiert wird; vielmehr soll die Lösung im Konsens aller beteiligten Vertreter der interessierten Kreise verabschiedet werden. Dabei bedeutet "Konsens" in dem von den Normenorganisationen verstandenen Begriffsinhalt nicht notwendigerweise Einstimmigkeit, worauf in der Norm EN 45 020: 1993-09 in Abschnitt 1 in der Anmerkung zu Punkt 1.7. explizit hingewiesen wird. Vielmehr wird Konsens von diesen als "allgemeine Zustimmung, die durch das Fehlen aufrechterhaltenen Widerspruchs gegen wesentliche Inhalte seitens irgend eines wichtigen Anteiles der betroffenen Interessen und durch ein Verfahren gekennzeichet ist, das versucht, die Gesichtspunkte

106

Hinzu kommen umfassende Beteiligungsrechte für Individualpersonen, was im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Willensbildung von essentieller Bedeutung ist. Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen. 107 Vgl. Kap. I.A.3.d)ff). 108 So explizit auch die Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01), Abschn. B. Nr. V.4 Spstr. 2.

Α. Begriffsdefinitionen

115

aller betroffenen Parteien zu berücksichtigen und alle Gegenargumente auszuräumen", definiert 109 . Konsens im Sinne dieser Definition soll jedoch nicht nur zwischen den verschiedenen interessierten Kreisen innerhalb des die Norm erarbeitenden Ausschusses, sondern zwischen allen von der Norm betroffenen Bürgern in dem gesamten räumlichen Wirkungskreis der technischen Norm erzielt werden, da sich diese als freiwillige Empfehlung nur aufgrund ihrer Akzeptanz bei allen Anwendern durchzusetzen vermag. Zu diesem Zweck wird jede Norm einem öffentlichen Einspruchsverfahren unterworfen, um festzustellen, ob sie zu Einwänden Anlaß gibt oder Ansätze zu ihrer Verbesserung bestehen. cc) Ein Dokument, das von einer anerkannten normschaffenden Institution angenommen wird ISO/IEC bzw. CEN/CENELEC verwenden an dieser Stelle den sehr allgemeinen Begriff der "Institution" im Sinne eines "Rechts- oder Verwaltungskörper [s], der bestimmte Aufgaben und eine bestimmte Zusammensetzung hat" 1 1 0 . Geeigneter - da einerseits sinnvoll konkretisierend, andererseits noch umfassend genug - ist die Bezeichnung "normschaffende Institution" als eine "Institution, die auf dem Gebiet der Normung anerkanntermaßen Tätigkeiten durchführt" 111 . Die Anerkennung einer normschaffenden Institution kann durch eine staatliche Stelle im Wege einer Übereinkunft oder eines Vertrages 112 , einer Rechtsvorschrift 113 oder auch einer königlichen Konzession 114 erfolgen, oder abersowohl mit als auch ohne förmliche Anerkennung - durch die verschiedenen interessierten Kreise, wobei sie deren Anerkennung jedoch wegen des grundsätzlich rechtlich unverbindlichen Charakters technischer Normen in jedem Fall bedarf. Die Annahme einer technischen Norm durch eine anerkannte Normenorganisation bedeutet vor allem, daß diese Norm nach den kodifizierten und anerkannten Verfahrensrichtlinien dieser Organisation beantragt, erarbeitet und veröf109

CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 11 Abschn. 1 Nr. 1.7. Ebd. S. 17 Abschn. 4 Nr. 4.1. 111 Ebd. S. 17 Abschn. 4 Nr. 4.3. Auf die bemerkenswerten Inkonsistenten hinsichtlich der Verwendung der Ausdrücke "normenschaffende Institution", "normenschaffende Organisation", "Normenorganisation" sowie "Normungsinstitut" in den Abschnitten 4.3. und 4.4. inklusive der entsprechenden Unterpunkte soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. 112 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(5). 113 Vgl. Kap. II.A.2.a). 114 Vgl. Kap. II.A.3.a)dd). 110

8*

116

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

fentlicht worden ist, von denen die zentralen - Beteiligung aller interessierten Kreise, konsensualer Diskurs, öffentliches Umfrageverfahren usw. - hier im Rahmen der Definitionsanalyse aufgelistet sind. dd) Ein Dokument, das der Öffentlichkeit zugänglich ist Seinem Wortlaut nach besagt dieses Definitionsmerkmal, daß eine technische Norm jedermann zugänglich ist, der Einsicht in diese Norm begehrt. Dieser Forderung wird durch die Normenorganisationen dergestalt Rechnung getragen, daß technische Normen - einschließlich jeder gewünschten ausländischen nationalen, supra- oder internationalen Norm - von den Normenorganisationen bzw. ihren zugehörigen Verlagen durch jedermann gegen eine entsprechende Verkaufsgebühr bezogen werden können. Zusätzlich existieren beispielsweise für DIN-Normen weltweit 155 Auslegestellen, in denen die Normen eingesehen werden können 115 . Tatsächlich werden der Öffentlichkeit durch die technischen Normenorganisationen deutlich weitreichendere Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten eingeräumt; diese erstrecken sich beispielsweise beim DIN von der öffentlichen Bekanntmachung der Entscheidung bezüglich Annahme oder Ablehnung des Normungsantrages und des Absetzens von Normungsarbeiten über die Veröffentlichung des Norm-Entwurfes und des Erscheinens neuer oder überarbeiteter technischer Normen bis hin zu den Rechten der Antragstellung, der Stellungnahme und der Vertretung der individuellen Ansichten und Interessen in Schlichtungs- und Schiedsverfahren durch "jedermann" 116 . ee) Ein Dokument, das Regeln, Leitlinien oder Merkmale für die allgemeine und wiederkehrende Anwendung festlegt Der erste Abschnitt dieses Definitionsteiles - die Festlegung von Regeln, Leitlinien oder Merkmalen - dokumentiert die Zielsetzung der Ausarbeitung einer technischen Norm, die nicht der Dokumentation eines vorgefundenen IstZustandes, sondern vielmehr der Festlegung von Regeln, Leitlinien oder Merkmalen für die Transformation eines bestehenden Ist-Zustandes in einen im konsensualen Diskurs der interessierten Kreise ermittelten Soll-Zustand dient. Technische Normen sind damit in vollem Bedeutungsumfang ihrer sprachlichen Wurzeln Normen i.S.v. Maßstab oder Richtschnur 117 . 115 116 1,7

Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(3). Vgl. ebd. Vgl. Kap. I.A.2.

Α. Begriffsdefinitionen

117

Der zweite Abschnitt dieses Definitionsteiles - für die allgemeine und wiederkehrende Anwendung - wird zur Abgrenzung gegenüber solchen technischen Spezifikationen herangezogen, die nur im Einzelfall - beispielsweise in Pflichten- oder Lastenheften, vertraglichen Vereinbarungen oder Ausschreibungen Anwendung finden sollen. Bereits Kienzle nannte als Charakteristikum der Normungsarbeit die Lösung einer sich wiederholenden Aufgabe 118 , da der Normungsprozeß als Methode zur Regelung eines Einzelfalles bei weitem zu aufwendig ist. ff) Ein Dokument, dessen Anwendung nicht rechtsverbindlich vorgeschrieben ist Dieses vom Rat in seiner Definition neun genannte Definitionskriterium - der Begriff "zwingend" wurde hier durch den treffenderen Ausdruck "rechtsverbindlich" ersetzt - dient wesentlich der Abgrenzung rechtlich unverbindlicher technischer Normen 119 von technischen Vorschriften; diese sind auf europäischer Ebene legaldefiniert als "technische Spezifikationen sowie sonstige Vorschriften einschließlich der einschlägigen VerwaltungsVorschriften, deren Beachtung de jure oder de facto für das Inverkehrbringen oder die Verwendung in einem Mitgliedsstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie - vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 10 der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses verboten wird" 1 2 0 . gg) Ein Dokument, das auf den gesicherten Ergebnissen von Wissenschaft, Technik und Erfahrung basiert Nach den in D I N 820 festgeschriebenen Bestimmungen des Deutschen Instituts für Normung e.V. soll in technischen Normen der Stand der Technik kodi118

Vgl. obige Definition. Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.b), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.b), das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland betreffend Kap. II.A.3.b) und im Hinblick auf die Europäische Union Kap. II.B.2. 120 Art. 1 Nr. 9 RL 83/189/EWG. ISO/IEC bzw. CEN/CENELEC definieren eine technische Vorschrift als eine "Vorschrift, die technische Anforderungen entweder direkt oder durch Bezugnahme auf Normen oder Einverleibung des Inhaltes von Normen, technischen Beschreibungen oder Anleitungen für die Praxis festlegt". Eine Vorschrift selbst determinieren diese Institutionen als ein "Dokument, das verbindliche, rechtliche Festlegungen trifft und das von einer Behörde erstellt wird". CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 17 Abschn. 3 Nr. 3.5 und 3.5.1 119

118

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

fiziert werden 121 , wobei im Rahmen ihrer Erarbeitung der jeweilige "Stand der Wissenschaft und Technik zu berücksichtigen" - d.h. als Erkenntnisquelle und zur Positionsbestimmung zu nutzen und gegebenenfalls miteinzubeziehen ist 1 2 2 . In gleicher Weise kann dieses Definitionsmerkmal von ISO/IEC bzw. CEN/CENELEC verstanden werden, was ihre Definition des Begriffes "Stand der Technik" als "entwickeltes Stadium der technischen Möglichkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt, soweit Erzeugnisse, Verfahren und Dienstleistungen betroffen sind, basierend auf den diesbezüglichen gesicherten Erkenntnissen von Wissenschaft, Technik und Erfahrung" 123 nahelegt. hh) Ein Dokument, das auf die Förderung optimaler Vorteile für die Gesellschaft abzielt Mit der Maxime "Gemeinnutz vor Eigennutz" proklamierte bereits Kienzle den gesamtgesellschaftlichen Nutzen als Zielsetzung der technischen Normung im Sinne einer überbetrieblichen Gemeinschaftsarbeit aller interessierten Kreise 124 . Diese Formulierung findet sich sinngemäß bis heute in der Definition sechs des DIN, nach der die Normung zum Nutzen der Allgemeinheit und nicht zu einem wirtschaftlichen Sondervorteil einzelner führen soll. Dies bedeutet nichts anderes, als daß im konsensualen Diskurs aller interessierten Kreise und der Öffentlichkeit im Rahmen des Normungsprozesses die Normierung des gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsoptimums in technischen Beschaffenheitsund Verhaltensregeln angestrebt wird. Auf der Basis der hier gewonnenen Erkenntnisse lassen sich die Begriffe "Technische Norm" und "Technische Normung" in geringfügiger Modifikation der Begriffsdefinition zehn von ISO/IEC bzw. CEN/CENELEC wie folgt definieren:

121 Vgl. DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 5 Abschn. 4, wonach DIN-Normen spätestens alle fünf Jahre zu überprüfen und ggf. zu überarbeiten sind, wenn sie "nicht mehr dem Stand der Technik" entsprechen; d.h. DIN-Normen sollen den Stand der Technik normieren. 122 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 f. Abschn. 5 Nr. 5.7. 123 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 9 Abschn. 1 Nr. 1.4. 124 Kienzle, O., Typung, S. 21.

Α. Begriffsdefinitionen

119

Definition "Technische Norm" und "Technische Normung(sarbeit)": Eine technische Norm ist ein Dokument, das unter Beteiligung aller interessierten Kreise im Konsens erstellt und verabschiedet, von einer anerkannten normschaffenden Institution angenommen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Sie legt für die allgemeine und wiederkehrende Anwendung Regeln, Leitlinien oder Merkmale für Tätigkeiten oder deren Ergebnisse fest, deren Anwendung nicht rechtsverbindlich vorgeschrieben ist, wobei ein optimaler Ordungsgrad in einem gegebenen Zusammenhang angestrebt wird. Normen sollten auf den gesicherten Ergebnissen von Wissenschaft, Technik und Erfahrung basieren und auf die Förderung optimaler Vorteile für die Gesellschaft abzielen. Technische Normung(sarbeit) ist die Tätigkeit zur Erstellung von Festlegungen für die allgemeine und wiederkehrende Anwendung, die auf aktuelle und absehbare Probleme Bezug haben. Wichtige Vorteile der Normung(sarbeit) sind die Verbesserung der Eignung von Erzeugnissen, Verfahren und Dienstleistungen für ihren geplanten Zweck, die Vermeidung von Handelshemmnissen und die Erleichterung der technischen Zusammenarbeit. Das begriffliche Gegenstück zu den "überbetrieblichen technischen Normen" stellen die "innerbetrieblichen technischen Normen" dar; diese sind Gegenstand des nachfolgenden Kapitels.

4. Der Begriff "innerbetriebliche technische Norm" Bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in vielen größeren deutschen Unternehmen sogenannte "Normalien-Bücher" erstellt, die zumeist betriebsintern - die Vereinheitlichungen wurden aus Konkurrenzgründen häufig nicht aufeinander abgestimmt 125 - viele Artikel normten und damit insbesondere deren innerbetriebliche Kompatibilität und Austauschbarkeit sicherstellten 126. Für diese betriebsinternen technischen Normen hat sich in Abgrenzung zu den im vorhergehenden Kapitel definierten überbetrieblichen technischen Normen der Begriff "innerbetriebliche technische Normen " durchgesetzt. Bis heute werden innerbetriebliche technische Normen für die spezifischen Bedürfnisse einer privaten oder öffentlichen Körperschaft konzipiert 127 . Innerbetriebliche Normung ist notwendig, weil die individuellen Anforderungen ei-

125

Wölker, T., Der Deutsche Normenausschuß, S. 551. Die "Kompatibilitätsfunktion" ist bis heute eine grundlegende Normungsfunktion. Vgl. dazu Kap. I.C.2.d). Ferner Gabler Wirtschafts-Lexikon, Bd. 2 L-Z, Sp. 623; Seelbach, K., Internationale Normung, S. 613. 127 Werknormen werden i.d.R. von einer eigenen Normenabteilung, einem Normenbüro oder einer Normenstelle erstellt und mit eigenem Normzeichen versehen. 126

120

Teil 1: Begriffsdefinition technischer Normen

nes Unternehmens nicht immer durch überbetriebliche technische Normen erfüllbar sind 128 . Man unterscheidet zwei Arten von innerbetrieblichen technischen Normen: Werknormen und Werkfassungen. Während Werknormen "das Ergebnis der Normungsarbeit... eines Unternehmens (Betriebes, Werkes), einer Behörde oder einer Körperschaft (Verbandes, Vereines) für eigene Bedürfnisse [sind]" 1 2 9 , handelt es sich bei Werkfassungen um die ergänzte, geänderte oder gekürzte Fassung der Norm einer anerkannten Normenorganisation 130. Bis heute steht die Art und Weise der innerbetrieblichen Normung den Unternehmen prinzipiell frei; jedoch empfiehlt das DIN, die Normen der Reihe 820 "Normungsarbeit", Teile 1, 3 (i.V.m. CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09), 4, 15 und 21 bis 29 bei der Werknormung sinngemäß anzuwenden131. Auch der innerbetrieblichen technischen Normung wird in Literatur und Praxis ein hoher betriebswirtschaftlicher Stellenwert eingeräumt. So gilt die Werknormung als wirksames Mittel zur vorbeugenden Kostenminimierung 132 und als eine Investition auf lange Sicht, vergleichbar mit den Aufwendungen für richtungsweisende Forschungsvorhaben 133. Dabei sind Bedeutung und Nutzen der innerbetrieblichen technischen Normung für den Serienfertiger, der wenige gleichartige Erzeugnisse in großen Mengen herstellt, naturgemäß geringer als für den Einzel-, Kleinserien- und Variantenfertiger, der viele verschiedene Erzeugnisse in kleinen Stückzahlen produziert. 128

Überbetriebliche Normen werden für einen gesamten Industrie- oder Dienstleistungsbereich erarbeitet; daher bringt nicht selten erst die sinnvolle Auswahl für den eigenen Betrieb Vorteile. So erfordern beispielsweise gewisse überbetriebliche Normen vor ihrer Anwendung die Entscheidung, welche Größen, Stoffe, Toleranzfelder usw. im Unternehmen benutzt werden sollen. Fehlt diese innerbetriebliche Auswahl, so ist es unwahrscheinlich, daß verschiedene Konstrukteure beispielsweise bei der Wahl von Schrauben für die gleiche Anwendung ein Exemplar mit gleicher Kopfform, gleichem Durchmesser, gleicher Länge, gleichem Werkstoff und gleicher Ausführung wählen. Dabei liegen die betriebswirtschaftlichen Nachteile in Einkauf, Lagerhaltung, Fertigung, Logistik usw., die diese "Freiheit" des Konstrukteurs mit sich bringt, auf der Hand. DIN, Innerbetriebliche Normungsarbeit: Grundlagen, S. V; Karpinski, H., Werknormung, S. 383. 129 DIN, DIN 820-3: 1994-04 S. 4 Abschn. 2 Nr. 47. 130 Turotzi, H., Normung, S. 246 ff.; Hinterhuber, H. H., Normung, Typung und Standardisierung, Sp. 2778 f. 131 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 1; dass., DIN 820-3: 1994-04 S. 1 Abschn. 1; dass., DIN 820-4: 1986-01 S. 1 Abschn. 1; dass., DIN 820-15: 1985-09 S. 1 Abschn. 1; dass., DIN 820-21 bis DIN 820-29, jeweils S. 1 Abschn. 1 (diese werden zukünftig abgelöst durch DIN, DIN 820-2; vgl. DIN, DIN V 820-2: 1992-06 S. 2 Abschn. Vorbemerkung). 132 Karpinski, H., Werknormung, S. 383. 133 Turotzi, H., Normung, S. 244; ders., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 143; Turotzi, H. u.a., Sachbenummerung, S. 1439. Ähnlich Karpinski, H., Werknormung, S. 383 u. 386.

Α. Begriffsdefinitionen

121

Da innerbetriebliche technische Normen ex definitione keine Belange des allgemeinen Interesses oder des Gemeinwohls regeln und somit auch nicht staatlich rezipiert werden 134 , beschränken sich die weiteren Untersuchungen auf die überbetriebliche technische Normung, im folgenden kurz technische Normung genannt. Dabei ist jedoch unbestritten, daß insbesondere bei größeren Unternehmen ein intensiver Kontakt zwischen Werknormung und überbetrieblicher Normung besteht, wobei versucht wird, "die Interessen des Unternehmens möglichst umfassend in [überbetriebliche] Normungsvorhaben einzubringen" 135 . In einem engen Zusammenhang mit den Begriffen "technische Norm" bzw. "technische Normung" stehen die Ausdrücke "Regel der Technik", "Typung" und "Standardisierung". Diese sollen im folgenden von den erstgenannten Begriffen abgegrenzt werden.

5. Die Begriffe "Regel der Technik", "Typung" und "Standardisierung" Dazu, was unter "Regel der Technik " oder "technischer Regel " zu verstehen ist, finden sich im Schrifttum nur spärliche Aussagen; denn viele Autoren setzen das Begriffselement "Regel der Technik" als bekannt voraus und wenden sich sogleich der Betrachtung des im Sicherheitsrecht häufig verwendeten normativen Standards "allgemein anerkannte Regel der Technik" zu, das Augenmerk dabei auf den Terminus "allgemein anerkannte" gerichtet 136 . Lediglich kurze Umschreibungen sind häufiger anzutreffen. An dieser Stelle sei die wohl umfassendste Definition technischer Regeln in ihren Kernaussagen wiedergegeben, welche sich bei Marburger findet. Nach dieser sind technische Regeln Strukturbedingungen, die sich aus der Struktur eines technischen Systems ableiten. Die Struktur selbst wird durch die Art, Menge und Anordnung der Eingangsgrößen und Operatoren gebildet. Der Gestaltungsspielraum der Regeln der Technik wird einerseits durch den Stand wissenschaftlich-technischer Erkenntnis, andererseits durch die dem System vorgegebenen Zielsetzungen eingeschränkt 137. 134

Einzig die Werknormen oder -fassungen von nationalen Monopolbetrieben oder uneingeschränkten Marktführern - in diesem Zusammenhang wird auch von De-factoNormen gesprochen (vgl. Kap. II) - können durch ihre beträchtliche Außenwirkung Einfluß auf das Gemeinwohl nehmen. Dieser Aspekt soll jedoch im folgenden nicht weiter betrachtet werden. 135 Karpinski, H., Werknormung, S. 383. Ähnlich Pullwitt, E., Die innerbetriebliche Normung, S. 1-8. 136 So beispielsweise auch in der Norm EN 45 020: 1993-09 S. 9 Abschn. 1 Nr. 1.5. Vgl. zu dieser Problematik insbesondere die Ausführungen bei Marburger, P., Regeln, S. 24. 137 Marburger, P., Regeln, S. 38 f.

122

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Anhand dieser Definition läßt sich die überwiegende Anzahl technischer Normen 138 unschwer als Regeln der Technik identifizieren, da in ihnen Strukturbedingungen technischer Systeme festgelegt werden. Differenziert man zwischen verbal tradierten und schriftlich fixierten technischen Regeln 139 , so sind technische Normen neben staatlichen technischen Vorschriften und technischen Festlegungen in Lehrbüchern, Montageanleitungen usw. eine Teilmenge der schriftlich fixierten Regeln der Technik. Im Zusammenhang mit technischen Normen findet vielfach auch der Begriff "Typen" (bzw. "Typung") Verwendung, so u.a. auch im GWB in den §§5 Abs. 1 und 38 Abs. 2 Nr. 2 1 4 0 . Während im GWB keine Legaldefinition der Begriffe enthalten ist 1 4 1 , werden diese im betriebswirtschaftlichen wie - daran angelehnt - im juristischen Schrifttum überwiegend einheitlich voneinander abgegrenzt. So ist bei der Vereinheitlichung von Einzelteilen von Normung, bei der von Endprodukten hingegen von Typung die Rede; durch diese sollen Klassen

138

Die Sammlung technischer Normen einer Normenorganisation umfaßt zumeist auch Normblätter, in denen beispielsweise organisatorische oder rechtliche Fragen geregelt sind. (Beispiele: DIN, DIN 31 - "DIN; Name DIN; Verbandszeichen DIN"; die Normen des DIN der Reihe DIN 820- "Normungsarbeit"; VDI, VDI 1000: 1981-10"Richtlinienarbeit; Grundsätze und Anleitungen"; DVGW, GW 100: 1980-04 "Grundsätze für das DVGW-Regelwerk"; VDE, VDE0022: 1994-09 - "Satzung für das Vorschriftenwerk des Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE) e.V."; die Normen der BSI der Reihe BS 0 - "A standard for standards" usw.). 139 Marburger, P., Regeln, S. 47 f.; vgl. auch Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 214. Mündlich tradierten technischen Regeln kommt heute in der Industrie nur noch eine geringe Bedeutung zu. Anders kann es sich jedoch im Handwerk verhalten, wo in weit größerem Umfang das technische Wissen direkt von dem Meister auf den Lehrling übergeht. So weist Marburger darauf hin, daß es im Handwerk - namentlich im Bauhandwerk - ein auf die Zünfte zurückgehenden festen Bestand tradierter technischer Erfahrungsregeln gibt, die kraft langer Überlieferungen inhaltlich feststehen. Marburger, P., Regeln, S. 149 f. 140 Es sei an dieser Stelle ausdrücklich betont, daß hier nicht begriffliche Festlegungen von Normen und Typen i.S.d. §§ 5 Abs. 1 und 38 Abs. 2 Nr. 2 GWB erarbeitet werden sollen. Bei einer solchen Zielsetzung wäre es bedenklich, alles unter die Begriffe Normen und Typen zu subsumieren, was in den Tätigkeitsbereich Normenverbände fällt, da dann die Ausfüllung dieser nicht legaldefinierten Begriffe faktisch bei den privatrechtlichen Normenorganisationen läge. Vgl. dazu z.B. Stefener, W., DIN-Normen, S. 95 ff. 141 Auch das DIN Deutsches Institut für Normung e.V. gibt in seinem "Merkblatt für DIN-Normen als Normen- und Typenempfehlungen nach § 38 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)" im Abschnitt 3 "Was sind Normen und Typen im Sinne des GWB ?" entgegen der Überschrift keine Definition des Begriffes "Type", sondern verweist auf die "bereits vorhandenen Begriffe". DIN, Merkblatt für DIN-Normen, passim.

Α. Begriffsdefinitionen

123

von Endprodukten mit beliebig gearteten gemeinsamen Merkmalen zusammengefaßt werden 142 . Diese Definitionsabgrenzungen sind jedoch aus mehreren Gründen mangelhaft. Erstens werden sie der Vielfalt der überbetrieblichen Normungstätigkeit nicht gerecht, da z.B. immaterielle Produkte wie Dienstleistungen (Dienstleistungsnormen), aber auch der Verständigung dienende Normen (Verständigungsnormen) 143 gänzlich unberücksichtigt bleiben. Zweitens erfolgt, soweit ersichtlich, nirgends eine Zuordnung von (Roh-) Material, Baugruppen und Halbfertigerzeugnissen zu einer der beiden Gruppen. Und drittens ergeben sich Schwierigkeiten bei der Einordnung beispielsweise von einteiligen Endprodukten sowie solchen Erzeugnissen, die einerseits als Endprodukt verkauft und andererseits in übergeordneten Produkten weiterverarbeitet werden. Die Grenzen zwischen Normen und Typen sind nach diesen Festlegungen also fließend 144 . Um diesem Dilemma zu entgehen, wurden verschiedene Konstrukte zur Abgrenzung beider Begriffe geschaffen, die jedoch bei genauerer Betrachtung als generelle Unterscheidungsmerkmale wenig Bestand haben 145 . Der Wert einer Differenzierung zwischen Normung und Typung ist somit zweifelhaft. Hingegen erscheint es wesentlich sinnvoller, die Typen als zwei Normenarten 146 , nämlich als Produkt- und Typnormen, den Normen zuzurechnen 147. Dieses Verständnis ist durchaus kompatibel mit der Praxis überbetrieblicher technischer Normung, in welcher auf europäischer Ebene in der Norm EN 45 020: 1993-09 Produktnormen als eigene Normenart unterschieden werden. Die Typ142 Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1367; Gutenberg, E., Die Produktion, S. 127; Hinterhuber, H. H., Normung, Typung und Standardisierung, Sp. 2780; Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 457; Steffens, F., Technologie und Produktion, Sp. 3858. 143 Zu diesen als Normarten bezeichneten Gruppierungen technischer Normen vgl. Kap. I.B. 144 Was auch schon einige der in Fn. 142 dieses Kapitels aufgeführten Autoren - so beispielsweise Gutenberg, E., Die Produktion, S. 127, Hinterhuber, H. H., Normung, Typung und Standardisierung, Sp. 2780 oder Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 457 feststellen. 145 So spricht z.B. Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 457 von Typung, wenn die Vereinheitlichung Wirkungen auf den Absatz hat. Bleibt hingegen die Breite des Produktspektrums unberührt, so definiert er die Vereinheitlichung als Normung. Wenig überzeugend sind auch die diesbezüglichen Ausführungen von Hinterhuber, H. H., Normung, Typung und Standardisierung, Sp. 2780, der die Normung auf technische Merkmale beschränken will, hingegen kommerzielle Überlegungen zur Grundlage der Typung macht. 146 Zur Klassifikation der Normen nach Normenarten vgl. Kap. I.B. 147 So im Ansatz bereits 1972 Schmidt, H. u.a., Normungstechnik, S. 2-3; vgl. auch Marburger, P., Regeln, S. 42 und Turotzi, H., Normung, S. 244, welche jedoch ebenso wie Schmidt Typen lediglich als Typnormen definieren. Zu den Definitionen dieser Normenarten vgl. Kap. I.B.

124

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

normen wurden auf nationaler Ebene vom DIN Deutsches Institut für Normung e.V. bis 1975 ebenfalls als eine von zwölf Normenarten differenziert 148 . Wenn also im folgenden von Normung die Rede ist, so fällt unter diesen Terminus auch die Stufung sowie die Vereinheitlichung von materiellen Fertigprodukf

149

ten Der Begriff "Standardisierung " wird in der Literatur vielfach unterschiedlich definiert. Einige Autoren benutzen Normung und Standardisierung als synonyme Begriffe 150 , andere definieren als Standardisierung die innerbetriebliche Auswahl einiger weniger (Norm-) Teile 1 5 1 ; dritte verwenden Standardisierung als Oberbegriff zu Normung und Typung 152 , und wieder andere gebrauchen den Begriff Standardisierung als Oberbegriff zu dem Wort Normung, welches sie im wesentlichen auf die Vereinheitlichung in Konstruktion und Fertigung beschränkt wissen wollen 153 . In dieser Arbeit soll der Begriff Standardisierung im Sinne des Duden als Synonym für Vereinheitlichung Verwendung finden 154 . Um weitere sprachliche Verwirrungen von vornherein auszuschließen, sei an dieser Stelle noch angemerkt, daß in der ehemaligen DDR "Standardisierung" die offizielle Bezeichnung für Normung war 1 5 5 und daß auch die englischsprachigen Nationen das Wort "Standardization" für Normung benutzen156.

148 Das DIN führte in der Norm 820 Blatt 1 von Juni 1960 Typnormen als eine von zwölf Normarten auf. Danach enthalten Typnormen Festlegungen bezüglich der Stufung bestimmter Enderzeugnisse nach Art, Form, Größe oder sonstigen gemeinsamen Merkmalen (Beispiele: DIN, DIN 55150 "Einständer-Lufthämmer: Baugrößen"; DIN, DIN 69525 "Ständer-Einheiten: Baugrößen", DIN, DIN 69631 "Bohr-Einheiten mit Pinole: Baugrößen"). In der Ausgabe DIN 820-3: 1975-03 S. 5 Nr. 51-61 des DIN erfolgte dann eine neue Einteilung der Normarten, welche in der aktuellen Ausgabe vom August 1991 unverändert übernommen wurde und die ihre Ergänzung in der Norm EN 45 020: 1993-09 S. 19 f. Abschn. 5 findet. Die in diesen beiden Normen vorgenommene Klassifikation der Normenarten ist in Kap. I.B, wiedergegeben. 149 So im übrigen bereits 1941 Kienzle, O., Typung, S. 21 ff. 150 Andexser, W., Standardisierung, S. 131; Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1354; Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 38; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 57, 59; Shearer, A. J., Einsparungen, S. 596. 151 Eckert, W., Normung und Standardisierung, S. 3 ff. 152 Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 457; Kreikebaum, H., Standardization, Sp. 2250. 153 Hesser, W. u.a., Kostenreduzierung, S. 153 ff. 154 Duden "Fremdwörterbuch", S. 739. 155 Dementsprechend wurden technische Normen als Standards bezeichnet. Vgl. Kap. II.A.l.a)cc)(l); ferner DIN, DIN 820-3: 1975-03 S. 2 Nr. 6; Ökonomisches Lexikon Bd. 2 L-Z, S. 730 f. 156 Großwörterbuch Wirtschaftsenglisch, S. 925; der französische Ausdruck für Normung ist "normalisation" (Dictionnaire économique, S. 266), der italienische "normaliz-

Α. Begriffsdefinitionen

125

Abschließend ist aufgrund verschiedentlich vorzufindender Begriffsverwirrungen in der juristischen Literatur 157 noch auf einige gängige Begriffskombinationen mit dem Wort "Standard" einzugehen.

6. Die Begriffe "normativer Standard", "technischer Standard", "Produktstandard", "Produktionsstandard" und "Umweltqualitätsstandard" In Übereinstimmung mit zahlreichen Autoren der juristischen Literatur 158 soll mit dem Begriff "normativer Standard" eine spezielle Kategorie offener Rechtsbegriffe - wie "allgemein anerkannte Regeln der Technik", "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik" - bezeichnet werden, die insbesondere im Umwelt- und Technikrecht vielfach Verwendung finden. Indem sich diese Begriffe bezüglich ihrer Nähe zur Front des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts unterscheiden, determinieren sie nach der herrschenden Rechtsansicht, die auf der sogenannten "3-Stufen-Theorie" Breuers basiert 159, unterschiedliche Sicherheitsniveaus, die in aller Regel durch die unmittelbare oder mittelbare Rezeption technischer Normen in die Rechtsordnung konkretisiert werden 160. Obwohl von einigen Autoren anstelle des oder synonym zum Begriff "normativer Standard" verwendet 161, soll im Rahmen dieser Arbeit der Ausdruck "technischer Standard" eine bestimmte technische Regelbeschaffenheit eines technischen Systems - beispielsweise die Ausrüstung aller Autos zumindest ab der Mittelklasse mit Airbag für Fahrer und Beifahrer, weil sich aufgrund Ver-

zazione" (Pons Globalwörterbuch Italienisch, S. 468), der spanische "normalización" (Pons Kompaktwörterbuch Spanisch, S. 217). 157 Vgl. dazu die Ausführungen bei Marburger, P., Bezugnahme, S. 28. 158 Erhard, R., Technische Standards, S. 3; Marburger, P., Regeln, S. 168 f.; ders., Bezugnahme, S. 28; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 44; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 13. Mißverständlich Nicklisch, F., Rechtsvorschriften für Anlagen, S. 14. Kritisch zum Begriff "normativer Standard" Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 68 ff. 159 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 46 ff., insbes. 67 f. Diese hat auch Eingang in die höchstrichterliche Rechtsprechung gefunden. Vgl. insbes. BVerfGE 49, S. 89(135 f.). 160 Vgl. dazu Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc) und Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a). 161 Vgl. z.B. Nicklisch, F., Funktion und Bedeutung technischer Standards, passim; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 2 ff., 17 ff.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 12 ff. Teilweise wird auch der Begriff "wissenschaftliche und technische Standards" verwendet. Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, z.B. S. 2633.

126

Teil 1: Begriffsdefinition technischer Normen

brauchersensibilisierung und Wettbewerb andere Fahrzeuge kaum mehr absetzen lassen - bedeuten. Als Untergruppen der technischen Standards können "Produkt- und Produktionsstandards" aufgefaßt werden. Während bezüglich der im Umwelt- und Technikrecht vorrangigen Merkmalsausprägung "Sicherheit" ein "ProduktStandard" Sicherheitsanforderungen von technischen Erzeugnissen bestimmt, beziehen sich "Produktionsstandards" auf die Gefahren und Risiken des Produktionsverfahrens, mithin den Prozeß der Erzeugung technischer Systeme. Von beiden unterscheiden sich die sogenannten "Umweltqualitätsstandards indem sie, ohne Produkte oder Produktionsverfahren direkt zu regeln, bestimmte Standards bezüglich der Umweltqualität festlegen und damit indirekt auf Produkte und Produktion Einfluß nehmen162. Nach der Definition der zentralen Begriffe der zu behandelnden Themenstellung ist die Erarbeitung einiger Grundlagenkenntnisse bezüglich der Klassifikation technischer Normen für das weitere Verständnis der vorliegenden Arbeit unerläßlich. Diesem Thema ist das nachfolgende Kapitel gewidmet.

162

Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 84 ff.; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 336.

Β. Die Klassifikationen technischer Normen Die Menge der technischen Normen läßt sich nach verschiedenen Klassifikationskriterien systematisieren. So unterscheidet man nach der Normungsebene 1 innerbetriebliche2 und überbetriebliche technische Normen, wobei letztere in provinzielle3, nationale, supranationale und internationale4 technische Normen eingeteilt werden. Im Hinblick auf den fachlichen Geltungsbereich 5 spricht man von Grundnormen und von Fachnormen. Erstere ist eine Norm, die "ein weitreichendes Anwendungsgebiet hat oder allgemeine Festlegungen für ein bestimmtes Gebiet enthält", wie z.B. Normen für Begriffe, Einheiten, Maße und Gewichte usw.; letztere "ist eine Norm ... mit [spezifischen 6] Festlegungen für ein bestimmtes Fachgebiet", z.B. für das Bauwesen, die Elektrotechnik oder die Informationsverarbeitung7.

1

Die Normungsebene ist definiert als "geographischer, politischer oder wirtschaftlicher Umfang der Teilnahme an der Normung(sarbeit)". CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 9 Abschn. 1 Nr. 1.6. 2 Vgl. Kap. I.A.4. 3 Diese Normungsebene haben CEN/CENELEC mit der Neuausgabe der Norm EN 45 020: 1993-09 zusätzlich zu den bis dato üblichen drei Normungsebenen aufgenommen. Dabei ist eine Provinznorm definiert als "Norm, die auf der Ebene eines Teilgebietes eines Landes angenommen wurde und der Öffentlichkeit zugänglich ist" (CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 15 Abschn. 3 Nr. 3.2.4). Dementsprechend verstehen CEN/CENELEC unter Provinznormung diejenige "Normung, die stattfindet (sie) auf der Ebene eines Teilgebietes eines Landes". CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 11 Abschn. 1 Nr. 1.6.4. 4 Zu den entsprechenden Begriffsdefinitionen vgl. die Ausführungen in Fn. 83 in Kap. I.A.3.b). 5 Das DIN bezeichnet diese Klassifikation wenig aussagekräftig als "Arten der Normen nach dem Grad der Normung". DIN, DIN 820-3: 1994-04, S. 4. 6 Eingefugt vom Autor, um die terminologische Abgrenzung zu den allgemeinen Festlegungen für ein bestimmtes (Fach-)Gebiet in der Grundnorm deutlich zu machen. 7 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 19 Abschn. 5 Nr. 5.1 i.V.m. DIN, DIN 820-3: 1994-04 S. 4 Abschn. 2 Nr. 49. Das DIN differenziert in der Norm DIN 820-3: 1994-04 S. 4 Abschn. 2 Nr. 48-50 wie bereits in der Norm DIN 820-3: 1975-03 S. 5 Nr. 48-50 neben Grund- und Fachnorm weiterhin nach der Fachgrundnorm. Eine Fachgrundnorm ist der unveränderten Definition des DIN zufolge "eine Grundnorm ... für ein bestimmtes Fachgebiet". Im

128

Teil 1: Begriffsdefinition technischer Normen

In einer Differenzierung nach dem Grad der Normung eines materiellen oder immateriellen Gegenstandes bezüglich Breite, Tiefe und Umfang 8 lassen sich Vollnormen (in Breite und Tiefe vollständig genormt), Teilnormen (in Breite und/oder Tiefe nur teilweise genormt) und Rahmennormen (Festlegung nur allgemeiner Merkmale) unterscheiden. Innerhalb der strukturellen Klassifikation wird zwischen verfahrensorientierten und ergebnisbezogenen Normen differenziert. Während verfahrensorientierte Normen genau die Mittel beschreiben, die anzuwenden sind, damit der Normungsgegenstand tatsächlich die von ihm geforderten Merkmale aufweist, enthalten ergebnisbezogene Normen lediglich eine genaue Beschreibung der von ihrem Gegenstand geforderten Merkmale 9. Die technologische Klassifikation ist eine Kategorisierung nach den Haupttätigkeitsbereichen der Normung. Nach diesem Schema werden Normen in nahezu allen nationalen, supra- und internationalen Normenwerken unterteilt. Das "Comité Européen de Normalisation" (CEN) und das "Comité Européen de Normalisation Electrotechnique" (CENELEC) sowie die EU-Kommision verwenden die folgende Klassifikation 10:

Zusammenhang mit der Definition der Grundnorm in DIN 820-3: 1975-03 als "eine Norm ... mit großer Anwendungsmöglichkeit und von allgemeiner grundlegender Bedeutung" war diese Differenzierung logisch sinnvoll. In der durch CEN/CENELEC übernommenen ISO-Definition wird eine Norm mit allgemeinen Festlegungen für ein bestimmtes (Fach-) Gebiet jedoch explizit als Grundnorm definiert, so daß die Aufrechterhaltung der Normenart "Fachgrundnorm" in der vorliegenden Definition logisch falsch ist. 8 Eine breite Norm beinhaltet viele Gesichtspunkte des Normungsgegenstandes; sie ist für einen bestimmten Gesichtspunkt tief, wenn sie viele der möglichen Festlegungen zu diesem Gesichtspunkt enthält; und eine Norm, die innerhalb eines vorgesehenen Bereiches viele der vorhandenen Normungsmöglichkeiten erfaßt, nennt man umfangreich. Hinterhuber, H. H., Normung, Typung und Standardisierung, Sp. 2779; Schmidt, H. u.a., Normungstechnik, S. 2-4 f. 9

Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 14.

10

Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 15 f.; Schröder, B., Europäische Normung und Handwerk, S. 66 f.

Β. Die Klassifikationen technischer Normen

129

Tabelle 4

Technologische Klassifikation technischer Normen Kennziffer

Bereich

Β

Bauwesen

C

Chemikalien, chemische Verfahrenstechnik und Lebensmittelerzeugnisse

F

Grundnormen

H

Haushalts- und Freizeitgeräte

I

Maschinenbau

M

Metalle

Ν

Nichtmetalle

S

Gesundheit, Umweltschutz und medizinische Geräte

Τ

Transport, Fördermittel und Verpackung

υ

Allgemeine elektrotechnische Normen

ν

Elektronik

w

Elektrotechnik

χ

Unbestimmtes Normungsgebiet

ζ

Informationstechnik

Die Systematisierung nach dem materiellen Inhalt ergibt das Spektrum möglicher Anwendungen technischer Normen; innerhalb dieser funktionellen Klassifikation werden folgende Normenarten 11 unterschieden: Deklarationsnormen, die Aufstellungen von Charakteristika enthalten, für welche Werte oder andere Daten anzugeben sind, um das Erzeugnis, das Verfahren oder die Dienstleistung zu beschreiben (Beispiele: Deklarationsnormen für Treibstoffe, für Eisenmetalle, für Kunststoffe). Dienstleistungsnormen zur Festlegung derjenigen Anforderungen, die durch eine Dienstleistung erfüllt werden müssen, um deren Gebrauchstauglichkeit12 sicherzu11

Die nachfolgend aufgeführten Normenarten schließen einander nicht gegenseitig aus; so kann beispielsweise eine Qualitätsnorm auch gleichzeitig eine Prüfnorm sein, wenn sie ebenfalls Prüfverfahren für entsprechende Kenndaten festlegt. Vgl. dazu auch CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 19 Abschn. 5 Anmerkung. 12 Unter Gebrauchstauglichkeit wird die Fähigkeit eines Erzeugnisses, eines Verfahrens oder einer Dienstleistung verstanden, einen bestimmten Zweck unter festgelegten Bedingungen zu erfüllen. CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 11 Abschn. 2 Nr. 2.1. Die Gebrauchstauglichkeit umfaßt als Sammelbegriff neben der Qualität noch weitere Aspekte wie Sicherheit, Lebensdauer, Wartungs- und Umweltfreundlichkeit u.a.m. Boulin, P., Normalisation, S. 98; ISO, Benefits, S. 112 f.; Reihlen, H., Warenkennzeichnung, S. 53.

9 Zubke-von Thünen

130

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

stellen (Beispiele: Dienstleistungsnormen für Reinigungen, für die Wartung von Kraftfahrzeugen, für Handel, Banken und Versicherungen). Liefernormen zur Regelung technischer Grundlagen und Bedingungen für Lieferungen (Beispiele: technische Lieferbedingungen für Schrauben und Muttern, für Förderseile, für Stehleitern). Maßnormen, in denen Maße und Toleranzen von materiellen Gegenständen festgelegt werden (Beispiele: Festlegung von Papierformaten, von Toleranzfeldern für die Passungen zweier Teile wie beispielsweise Kolben und Zylinder, von Abmessungen für Schrauben, Muttern, Bolzen). Planungsnormen, durch die Planungsgrundsätze und -grundlagen für Entwurf, Berechnung, Aufbau, Ausführung und Funktion von Anlagen, Bauwerken und Erzeugnissen geregelt werden (Beispiele: Normen für Entwurf, Bau und Betrieb von Stauanlagen, für Berechnung und Ausführung von Mauerwerk, Geschoßhöhen und Treppensteigungen). Produktnormen 13, in denen Anforderungen festgelegt werden, die von einem Erzeugnis oder einer Gruppe von Erzeugnissen erfüllt sein müssen, um deren Gebrauchstauglichkeit sicherzustellen (Beispiele: Normen für allgemeine Anforderungen an Feuerwehrfahrzeuge, für Schrittmotoren, für Niederspannungsschaltgeräte, für Bewertungsgruppen von Lötverbindungen, für Materialfehler bei Materialien). Prüfnormen zur Normung von Prüfverfahren sowie ergänzenden, sich auf die Prüfung beziehenden Festlegungen, wie z.B. Probenentnahme, Anwendung statistischer Methoden, Reihenfolge der einzelnen Prüfungen usw. (Beispiele: Prüfung metallischer Werkstoffe durch Zugversuch oder Kerbschlagbiegeversuch, Härteprüfungen nach Brinell, Rockwell, Vickers). Qualitätsnormen, welche die für die Verwendung eines materiellen Gegenstandes wesentlichen Eigenschaften und objektiven Beurteilungskriterien enthalten (Beispiele: Normen für die Qualität von Baustoffen, Mauer- und Dachziegeln, für die Güte von Schnittflächen). Schnittstellennormen, in denen Anforderungen festgelegt werden, die sich mit der Kompatibilität von (sozio-) technischen Systemen an Verbindungsstellen beschäftigen (Beispiele: Normen für die Schnittstellen von CIM-Komponenten, für Computerschnittstellen, für Schnittstellen von HiFi-Anlagen). Sicherheitsnormen zur Abwendung von Gefahren für Menschen, Tiere und Sachen bei der Herstellung, Vermarktung, Verwendung, Wiederverwertung und Entsor-

13 Das DIN definiert diese Normenart im Widerspruch zur EN 45 020: 1993-09 als Gebrauchstauglichkeitsnorm. Im Rahmen der EN 45 020: 1993-09 wird der Begriff Gebrauchstauglichkeit jedoch als zentraler, übergeordneter Begriff benutzt (vgl. CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 11 Abschn. 2 Anmerkung), so daß es sinnvoller erscheint, den Begriff Gebrauchstauglichkeitsnorm als Oberbegriff zu Produkt-, Verfahrens- und Dienstleistungsnormen zu verwenden.

Β. Die Klassifikationen technischer Normen

131

gung technischer Erzeugnisse (Beispiele: Normen für Sicherheitsfragen der Kerntechnik, für Atemschutzgeräte, für Schutzarten bei elektrischen Einrichtungen). Stoffiiormen zur Festlegung von physikalischen, chemischen und technischen Eigenschaften von Stoffen (Beispiele: Normen für Baustoffe, Stähle, Kunststoffe). Verfahrensnormen, die Anforderungen an Verfahren spezifizieren, um deren Gebrauchstauglichkeit sicherzustellen (Beispiele: Verfahren für die Preßtechnik von Formmassen, für das Phosphatieren von Stahlteilen, für die Herstellung von Ziegelsplittbeton). Verständigungsnormen, in denen terminologische Sachverhalte14, Zeichen oder Systeme zwecks eindeutiger und rationaler Verständigung genormt werden (Beispiele: Normen für Einheiten, Maße und Gewichte, Formelzeichen, Fachausdrücke)15. In der Literatur erfolgt nach demselben Klassifikationskriterium oftmals eine vereinfachte, übergeordnete Gruppenbildung; als Beispiel sei hier die Unterscheidung in Qualitätsnormen, Rationalisierungsnormen16 und Sicherheitsnormen genannt17. Anhand der funktionellen Klassifikation wird deutlich, daß sich die Funktionen technischer Normen bei weitem nicht mehr auf die originären Aspekte der Rationalisierung, Vereinheitlichung, Austauschbarkeit und Kompatibilität beschränken18; so wurde bereits vor über 50 Jahren anläßlich des 25-jährigen Jubiläums des D I N von führenden Persönlichkeiten des DIN und des V D I festgestellt, daß die technische Normung keineswegs "Sache der Technik allein" ist,

14

Normen, die sich mit Fachausdrücken und deren Definitionen beschäftigen, werden als Terminologienormen bezeichnet und können als Teilmenge den Verständigungsnormen zugerechnet werden. (DIN, DIN 820-3: 1994-04 S. 5 Abschn. 2 Nr. 61 i.V.m. CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 21 Abschn. 5 Nr. 5.2). 15 Zum Vorhergehenden vgl. DIN, DIN 820-3: 1994-04 S. 4 f. Abschn. 2 Nr. 51-61 i.V.m. CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 21 Abschn. 5 Nr. 5.2-5.8. Vgl. femer Kienzle, O., Typung, S. 22, der bereits nach Normenarten differenziert. Daneben werden in der Literatur zum Teil noch weitere Normarten unterschieden, so z.B. Konstruktionsnormen, Sortierungsnormen und Typnormen (zu letzteren vgl. Kap. I.A.5). Dhen, K , Produktivitätssteigerung, S. 21 ff.; Turotzi, H., Normung, S. 245 f. 16 Als Rationalisierungsnormen werden in diesem Zusammenhang Normen bezeichnet, die der Vereinheitlichung von Produkten und Verfahrensweisen durch Festlegung von Abmessungen, Toleranzen und anderer, fertigungstechnisch relevanter Größen dienen. 17 Beispielsweise bei Marburger, P., Regeln, S. 45 f.; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 9. 18 Hellmich, W., Sinn der Normungf.; Leinweber, Seminar, 18; Marburger, P., Regeln. Vgl. ferner Kap. I.C.l.c), Kap. I.C.l.d), Kap. I.C.2.a) und Kap. I.C.2.d) sowie Kap. ILA. La).

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sondern "in allen Lebensbereichen" wirkt" 19 und "dem Zusammenwirken der Menschen auf allen Gebieten"20 dient. Tatsächlich erfüllen technische Normen neben ihrer durch die zunehmend komplexe und dynamische Entwicklung der Technik und der Internationalisierung der Märkte in den letzten Jahrzehnten erheblich gewachsenen technischen und ökonomischen Bedeutung - heutzutage auch eine Vielzahl von Funktionen auf gesellschaftlicher und sozialer Ebene. Insbesondere hat die Normung in erheblichem Umfang Aufgaben des Gemeinwohls, beispielsweise in den Bereichen Sicherheitstechnik, Arbeits-, Verbraucher·, Umweltschutz und Ergonomie, übernommen21. Den Umfang dieser Tätigkeiten verdeutlichen Zahlenangaben, nach denen bereits Anfang der achtziger Jahre - bei zunehmender Tendenz - weit über die Hälfte aller Normungsarbeiten des D I N neben technischen eindeutige Bezüge zu nichttechnischen Bereichen hatten22, und Ende der achtziger Jahre allein Sicherheitsnormen mit ca. 2.200 Normen über 20 % des gesamten Deutschen Normenwerkes des DIN ausmachten23. Um einen aktuellen Überblick über den Stand und den Umfang dieser Entwicklungen zu erhalten, ist die Darstellung der Funktionen technischer Normen und - darauf aufbauend - deren volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, technische und gesellschaftliche Bedeutung Gegenstand der beiden nachfolgenden Kapitel.

19

Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 76; ders., Grenzen, S. 622.

20

So der Kurator des DNA vom VDI, Waldemar Hellmich, anläßlich der 25-JahrFeier des DNA am 17. November 1942. Hellmich, W., Sinn der Normung, S. 65. 21

Vgl. beispielsweise die Bestimmungen des Vertrages zwischen dem BMWi und dem DIN Deutsches Institut für Normung e.V. in Kap. II.A.l.a)dd)(5); ferner Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 32; dies., Zusammenhänge II, S. 657; Zwingmann, B., Mitwirkung der Gewerkschaften, S. 39. 22 23

Kypke, U., Verbraucherinteresse, S. 91 f.

Diese Zahl setzt sich zusammen aus 1.000 Sicherheitsnormen des technischen Normenwerkes des DIN Deutsches Institut für Normung e.V. (Angabe für 1987 aus: Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 3) und 1.200 Sicherheits- (DIN-VDE-) Normen des elektrotechnischen Normenwerks der Deutschen Elektrotechnischen Kommission im DIN und VDE (DKE) (Angabe für 1990 aus: DKE, Normung und Sicherheit, S. 2 f.; VDE, Sichere Elektrotechnik, S. 6 f.), die ebenfalls zum Deutschen Normenwerk des DIN gehören.

C. Die Funktionen technischer Normen Der Begriff "Normenfunktion" wurde durch Kienzle geprägt1, der diesen als "den zwangsläufigen Zusammenhang zwischen einer Norm als unabhängig Veränderlicher und den von ihrem Inhalt abhängigen und damit beabsichtigten Wirkungen"2 definierte. Etwas pragmatischer wird in neueren Publikationen des DIN mit dem Ausdruck "Normenfunktion" die Wirkung einer Norm auf die Praxis bezeichnet3. Bei den Normenfunktionen lassen sich allgemeine Normenfunktionen, die mehr oder minder ausgeprägt bei jeder Norm vorliegen, und spezielle Normenfunktionen, die von den verschiedenen Normarten abgeleitet werden können, unterscheiden4.

1

Vgl. Bauer, C.-O., Normungsfähigkeit, S. 445; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 20; dies., Zusammenhänge II, S. 659; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226. 2 Kienzle, O., Seminar für technische Normung, TH Hannover 1952/53 (unveröffentlicht), zit. in: Bauer, C.-O., Normungsfähigkeit, S. 444. Ähnlich ders., Normung und Wissenschaft, S. 72; fast identisch ferner Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 20; dies., Zusammenhänge II, S. 659; Krieg, K. G. u.a., Leitfaden, S. 12. So führte Kienzle aus: "Vor Ausarbeitung einer Norm müssen die Funktionen zusammengestellt werden, die sie ausüben soll; hieraus ergibt sich ihr notwendiger Inhalt". Kienzle, O., Seminar für technische Normung, TH Berlin 1943 (unveröffentlicht), zit. in: Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 20. Ähnlich bereits Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 73. Die zu erfüllenden Funktionen wiederum sind abhängig von den mit der Norm angestrebten Zielen der interessierten Kreise. Bauer, C.-O., Normungsfähigkeit, S. 444 f.; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 20; dies., Zusammenhänge II, S. 659. 3 Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 21; ähnlich Nitsche, H., Grundlagen, S. 226. 4 Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 22; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226. Analog - allerdings sind hier lediglich die Ziele der Normung aufgeführt - CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 13 f. Abschn. 2. Diese Normenfunktionen wurden im Grundsatz bereits vor über fünf Jahrzehnten durch Kienzle aufgestellt. Dieser unterschied zwischen allgemeinen Funktionen - Energetische Funktion, Ordnungsfunktion -, organischen Funktionen - Fortschrittsfunktion, Verkehrsfunktion, Gesundheitsfunktion, Erziehungsfunktion, Sprachfunktion, Propagandafunktion (von Kienzle nicht etwa parteipolitisch, sondern im Sinne einer effektiven Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse definiert), Wehrfunktion, Rechtsfunktion - und mechanischen Funktionen - Gütefunktion, Häufungsfunktion, Bevorratungsfunktion, Tauschfunktion. Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 68, 72 f.; vgl. auch ders., Grenzen, S. 622.

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

1. Allgemeine Normenfunktionen Unabhängig davon, welche der im vorhergehenden Kapitel aufgeführten Normenaiten vorliegen, werden durch diese stets vier allgemeine Funktionen erfüllt, und zwar die der Information, Ordnung, Rationalisierung und Vereinheitlichung auf dem jeweiligen Normungsgebiet: a) Informationsfunktion Die in den Normenwerken der nationalen, supra- und internationalen Normenorganisationen enthaltene Ansammlung konzentrierter und sorgfältig zusammengestellter Kenntnisse und Erfahrungen der Experten der verschiedenen interessierten Kreise stellt ein ständig aktualisiertes technisch-ökonomischsoziales Lexikon dar5, welches der Information der interessierten Kreise auf dem jeweiligen Normungsgebiet dient6. Den Normenwerken kann nicht nur der jeweilige Stand der Technik bezüglich Sicherheits-, Umweltschutz-, Gebrauchstauglichkeitsanforderungen u.a.m. für Erzeugnisse, Verfahren oder Dienstleistungen entnommen werden7, sondern auch die unter rechtlichen Gesichtspunkten ordnungsgemäße technische Beschaffenheit und das ordnungsgemäße Verhalten im Regelfall 8. (Beispiele: Information über den Stand der Sicherheits-

Zum Teil wurde diese Einteilung und Benennung fast unverändert noch bis in die achtziger Jahre übernommen (z.B. bei Krieg, K. G. u.a., Leitfaden, S. 11 f.), zum Teil modifiziert und/oder ergänzt (vgl. Bauer, C.-O., Normungsfähigkeit, S. 445; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 21; dies., Zusammenhänge II, S. 659; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226 ff.). Da die bisherigen Modifikationen teils hinsichtlich ihrer begrifflichen Aktualität, teils hinsichtlich der Vollständigkeit der benannten Funktionen zwar in Ansätzen, jedoch nicht in vollem Umfang überzeugen, soll im folgenden der Versuch einer weitergehenden Aktualisierung der Normungsfunktionen vorgenommen werden. 5 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 4, 14; Boulin, P., Présentation, S. 19; CEN, CEN, S. 2; DIN, Wissen, S. 2; IEC/ISO, Internationale Normung, S. 26; Petrick, K. u.a., Qualitätssicherung und Normung, S. 55. Die Informationsfunktion beinhaltet - in abgeschwächter Form - die Erziehungs- und Propagandafunktion (vgl. zu dieser obige Ausführungen in Fn. 4) nach Kienzle. Vgl. Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 73. 6 So formuliert in der Definition des DIN in Kap. I.A.3.b). Vgl. auch Boulin, P. u.a., AFNOR, S. 2. 7 Vgl. dazu die Aufstellung der Normenarten im vorhergehenden Abschnitt. 8 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 3 Abschn. 6 Nr. 6.1; vgl. auch die Ausführungen in Kap. II.A.l.b) und den einschlägigen Unterabschn. des Kap. II.A.l.c).

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technik, den Stand der Umweltschutztechnik, die gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse9). b) Ordnungsfunktion Zielsetzung der technischen Normung ist die Schaffung eines optimalen Ordnungsgrades10 auf dem jeweiligen Normungsgebiet11, was durch die Anwendung für das gesamte Normenwerk gültiger, genormter Regeln und Methoden während des Normungsprozesses erreicht werden soll. Auf diese Weise führt die Normung zu mehr Gliederung und Transparenz des Normungsgebietes sowie seines Umfeldes und macht die strukturellen Zusammenhänge sichtbar12. (Beispiele: Systematische Ordnung von Begriffen 13, von Fertigungsverfahren 14, von mechanischen und elektrischen Baureihen15 nach geometrisch gestuften Normzahlreihen 16). 9 Vgl. die entsprechenden im nachfolgenden Kapitel aufgeführten speziellen Funktionen technischer Normen. 10 Diese ist begrifflich und inhaltlich identisch mit der Ordnungsfunktion nach Kienzle. Vgl. Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 68, 72; vgl. auch Hellmich, W., Sinn der Normung, S. 65, 67. 11 Vgl. Def. 10 in Kap. I.A.3.b); ähnlich auch DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 2 und 5 Nr. 5.2. 12 Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 23 f., 34 ff.; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226 f. Die Vorteile der Informations- und Ordnungsfunktion kommen nur dann voll zum Tragen, wenn die nationalen technischen Normenwerke transparent, überschneidungsund widerspruchsfrei sind. Eine entsprechende kritische Untersuchung für die Bundesrepublik Deutschland am Beispiel der Normung gewindefurchender Schrauben findet sich bei Susanto, Α., Entwicklung von Normen, passim. Nach Susanto fuhren insbesondere die Vielzahl technischer Regelersteller respektive Normenwerke für ein Sachgebiet (ebd., S. 19 ff.), Schwachstellen der Methodik der Normenentwicklung (ebd., S. 31 ff.) und eine nicht praxisgerechte Verweistechnik auf andere Normen (ebd., S. 22 ff.; April 1986 existierten 643 Schrauben- und 478 Mutternormen, davon 586 bzw. 452 vom DIN (ebd., S. 19 ff., 94)) zu Wiederholungen, Widersprächen und Unvollständigkeiten (ebd., S. 24, 120, 125, 147) und somit zu mangelnder Übersichtlichkeit, Anwender- und Datenverarbeitungsfreundlichkeit (ebd., S. 125). 13 Leinweber, Seminar, S. 2; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 34 ff.; Nitsche, H., Grundlagen, S. 227. 14 Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 44 ff.; Herpel, M., Qualitätssicherung, S. 356 f. 15 Wie z.B. Maß- und Toleranzreihen von Getrieben und Wellendurchmessern, Kapazitätsreihen von Kondensatoren oder - wie bei dem ehemaligen Arbeitgeber des Verfassers - Stromstärkenreihen von elektromechanisehen Überstromschutzschaltem. 16 Festgelegt in der Norm DIN 323. Vgl. auch Hellmich, W., Sinn der Normung, S. 66; Kienzle, O., Normungszahlen, passim u. insbes. S. 1; Krieg, K. G. u.a., Leitfaden, S. 12.

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

c) Rationalisierungsfunktion Technische Normen sollen dazu beitragen, Produktions-, Konsumptions-, Recycling- und Entsorgungsprozesse materieller, energetischer und informationeller technischer Systeme17 sowie das Erbringen von Dienstleistungen zweckmäßiger, einfacher und wirtschaftlicher 18 zu gestalten und somit deren Effizienz 19 bzw. Wirkungsgrad 20 zu erhöhen, mithin rationeller zu gestalten21. Materiell führen technische Normen durch Einsparungen an Werk-, Hilfsund Betriebsstoffen, Arbeitsleistung, Energie usw. zu einem effizienteren Einsatz knapper Ressourcen22 (beispielsweise durch die Vereinheitlichungsfunktion 23 , Normen für technisch-wirtschaftliches Konstruieren 24, für die Logistik25, für energiesparende Gebäudeheizung, Wasserbereitung, baulichen Wärmeschutz und wärmeschutztechnischen Prüfungen 26 oder durch Beschleunigung

17

Vgl. die in Kap. I.A.l.e) herausgearbeitete Technikdefinition. In Anlehnung an die Definition des Begriffes "Rationalisierung" bei Savelli, L., Rationalisierung, S. 17; vgl. auch BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.1. lit. c). 19 BSI, BSI Today, S. 6; Krieg, K. G. u.a., Leitfaden, S. 12. 20 Muschalla, R., Überregelung, S. 514; Turotzi, H., Normung, S. 251. 21 Die Rationalisierungsfunktion im Sinne dieser Arbeit beinhaltet die Energetische Funktion - also die Ersparnis von Energie im weitesten Sinne - nach Kienzle. Vgl. Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 68, 72; vgl. auch Hellmich, W., Sinn der Normung, S. 65. Laut der Definition des DIN (vgl. Definition in Kap. I.A.3.b)) soll die technische Normung die Rationalisierung in Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und Verwaltung fördern. Dennoch findet sich die Rationalisierungsfunktion, soweit ersichtlich, in keiner vom DIN publizierten Klassifikation der Normenfunktionen. Im Gegensatz dazu charakterisieren viele Autoren die Rationalisierungsfunktion als das hervorstechendste ökonomische Merkmal technischer Normen, so z.B. Dhen, K , Produktivitätssteigerung, S. 8 f.; Marburger, P., Regeln, S. 248; Müller, B., Produktivität, S. 502 ff.; Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 16; Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 97. Es ist in diesem Zusammenhang nicht verwunderlich, daß die betriebswirtschaftliche Literatur die technische Normung vornehmlich als Rationalisierungsprozeß qualifiziert; so nennt beispielsweise Gutenberg die Normung einen "Rationalisierungsprozeß ganz bestimmter Art". Gutenberg, E., Die Produktion, S. 127. 22 Shearer, A. J., Einsparungen, S. 596; BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.1. lit. c). Vgl. auch Muschalla, R., Überregelung, S. 514; Turotzi, H., Normung, S. 251. 23 Leinweber, Seminar, S. 15. 24 Heller, W. u.a., Kostengünstiges Konstruieren, S. 663. Vgl. auch Reihlen, H., Rohstoffnutzung, S. 708 f. 25 Seelbach, K , Internationale Normung, S. 613. 26 Kiehl, P. u.a., Maßnahmen zur Energieeinsparung, S. 422 ff.; Horn, M., Energiewirtschaftliche Auswirkungen, passim. 18

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und Rationalisierung des Genehmigungsverfahrens für kerntechnische Anlagen durch entsprechende Normen 27). Immateriell führt jede technische Norm zu einer Einsparung an geistiger Energie, da diese nur bei Erstellung und Aktualisierung der Norm aufgewendet werden muß und die Norm dann von jedermann ohne diesbezügliche schöpferische Eigenleistung angewandt werden kann28. (Beispiele: Bei normgerechten Erzeugnissen verringert sich der notwendige Umfang der technischen Dokumentation hinsichtlich Leistungen und/oder Beschaffenheit; Verständigungsnormen erübrigen alle weiteren Überlegungen über Einheiten, Maße, Gewichte usw.; die Normung von Konstruktionen technischer Erzeugnisse bewirkt, daß der Konstruktionsaufwand hinsichtlich der genormten Sachmerkmale nur einmal verursacht wird 29 ; Baunormen entlasten den Bauingenieur, indem sie ihm bewährte technische Lösungen und Berechnungsverfahren an die Hand geben30). d) Vereinheitlichungsfunktion Eine weitere elementare Funktion technischer Normen ist die Vereinheitlichung31 von Erzeugnissen, Verfahren und Dienstleistungen durch Auswahl der optimalen Anzahl von Maßen, Qualitäten, Stoffen usw. auf Basis systematischer und rationaler Auswahlkriterien, um die bestehenden Bedürfnisse bestmöglich zu befriedigen 32. Diese Vereinheitlichung kann einzelne Aspekte (Rahmen- oder

Zwar qualifizierte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Studie im Auftrag des BMWi 1981 technische Normen (z.B. über Mindestwirkungsgrade von Heizkesseln oder Höchstwerten von Abgastemperaturen) explizit nicht als Instrument der Energiepolitik im engeren Sinne; jedoch schaffen diese durch die exakte Definition von Begriffen, durch Festlegungen von reproduzierbaren Rechen- und Prüfverfahren sowie von wärmetechnischen Kennziffern von Bauteilen erst die Voraussetzungen für einen breiten Einsatz energiesparender Techniken und die Durchsetzung energiepolitischer Ziele. Horn, M., Energiewirtschaftliche Auswirkungen, S. 9, 75 ff. 27 Becker, K. u.a., Normenausschuß Kerntechnik, S. 525, 530. 28 BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.1. lit. c); Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 22; Händel, S. u.a., Erfolgsberechnung, S. 8; Leinweber, Seminar, S. 15; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226. 29 Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 22; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226. 30 So die Einschätzung des Ministeriums für Bauen und Wohnen des Landes Nordrhein-Westfalen. Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 50. 31 Die Vereinheitlichungsfunktion beinhaltet die Häufungsfunktion nach Kienzle. Vgl. Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 73. 32 BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.1. lit. f); CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 13 Abschn. 2 Nr. 2.4; Kienzle, O., Typung, S. 21 ff.

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Teilnormen), aber auch komplette Erzeugnisse, Verfahren oder Dienstleistungen umfassen (Vollnormen 33) und führt über eine Verringerung der möglichen Ausprägungen stets zu steigenden Mengen. Im Bereich der industriellen Fertigung ist die Vereinheitlichungsfunktion somit Grundvoraussetzung für die Massenproduktion34. Damit ist die Vereinheitlichungsfunktion zusammen mit der Rationalisierungsfunktion bestimmend hinsichtlich der betriebswirtschaftlichen Bedeutung technischer Normen 35. (Beispiele: die Vereinheitlichung von Begriffen, Maßen, Gewichten usw. in Verständigungsnormen; die Reduzierung der praktisch unbegrenzten Anzahl von Größen, Maßen und Toleranzen, technisch möglicher Produkttypen usw. auf eine technisch wie wirtschaftlich sinnvolle, genormte Anzahl (z.B. auf Basis der geometrischen Normzahlreihen (DIN 323) 36 ; die Normung eines einheitlichen Fahrscheinverkaufs- und -entwertungssystems für öffentliche Verkehrsmittel, von einheitlichen Formularen für die Heizkostenabrechnung37).

2. Spezielle Normenfunktionen a) Austauschfunktion Seit Beginn der technischen Normungsaktivitäten ist die Gewährleistung der Fähigkeit eines Erzeugnisses, ohne Nacharbeit anstelle eines anderen benutzt zu werden, ein wesentliches Ziel der technischen Normung38. Die Austauschbar-

33

Vgl. Kap. I.B. Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 73; Nitsche, H., Grundlagen, S. 228; Pratten, C., Economies of scale, S. 21 ff. 35 Vgl. dazu Kap. I.B. Die Vereinheitlichungsfunktion war eine der ersten Zielsetzungen technischer Normungsaktivitäten. BSI, History, S. 1. Sie bildet i.V.m. der Austausch- und Kompatibilitätsfunktion die Grundlage für die rationelle Fertigung von Massengütern und war damit bestimmend für den Übergang von der Handwerks- zur Industriegesellschaft. 36 Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 23; Henjes, G., Nummerungstechnik, S. 4-1 ff.; Krieg, K. G., Normzahlen, S. 1-46 ff.; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226. 37 Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 3. 38 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 13 Abschn. 2 Nr. 2.3. Vgl. auch AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 17. Im Rahmen des mechanische Austauschbaus soll ein Produkt mit jedem nach der gleichen technischen Norm gefertigten austauschbar sein und seine Funktion erfüllen, so daß bei einem Ausfall problemlos Ersatz geleistet werden kann. Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1356, 1363; Friedewald, H.-J., Rationalisierung, S. 514; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 25 f.; Hinterhuber, H. H., Normung, Typung und Standardisierung, Sp. 2777; Nitsche, H., Grundlagen, S. 227. Hinsichtlich Frankreich vgl. Correge, S., La normalisation, S. 1. 34

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keit 39 kann in Vollnormen das komplette Erzeugnis (vollständige Austauschbarkeit) und in Rahmen- oder Teilnormen nur die für die Funktion wichtigen Merkmale (funktionelle Austauschbarkeit), die Abmessungen (dimensionelle Austauschbarkeit) oder einige wesentliche, für einen vollen funktionellen Austausch jedoch nicht ausreichende Merkmale (partielle Austauschbarkeit) umfassen40. (Beispiele: Mechanischer Austauschbau durch Normung des Systems von Toleranzen und Passungen, von Schrauben und Muttern, von Gewinden, Kegelund Zylinderstiften u.a.m.41; Normung zwecks Austausch von Verschleißteilen (Glühlampen, Batterien, Bremsbelägen, Einsatz- und Aufsteckwerkzeuge für Werkzeugmaschinen)42). b) Ergonomiefunktion Technische Normen können direkt und indirekt zur Humanisierung der Arbeitswelt beitragen43. Ein direkter Beitrag wird durch die Ergonomienormung geleistet, in deren Rahmen überprüfbare qualitative arbeitswissenschaftliche Standards definiert werden, die als Bezugsgrundlage für die betriebliche Arbeits- und Technikgestaltung zur Verfügung stehen. Die zentrale Bedeutung der Ergonomienormung zeigt sich darin, daß heute in Deutschland der Inhalt der gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse", von denen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates entsprechend § 91 BetrVG abhängig ist, im wesentlichen durch technische Normen bestimmt wird 44. (Beispiele: ErgonomieDie unverändert hohe Bedeutung der Austauschfunktion zeigt sich beispielsweise darin, daß Philosophie und Prinzip der IEC-Arbeit insbesondere die Sicherstellung von Austauschbarkeit und Kompatibilität von Komponenten und Baugruppen auf allen Fertigungsstufen umfassen, so daß sie in komplexen Systemen eingebaut werden können. DKE, Trends in information technology, S. 13. Auch die französische "Association française de normalisation" (AFNOR) betont die essentielle Bedeutung dieser Funktionen für alle Produkte, die Teil eines Ganzen oder in ein Netzwerk integriert sind. Boulin, P., Normalisation, S. 97 f. 39 Die Austauschfunktion entspricht der Tauschfunktion nach Kienzle. Vgl. Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 73. 40 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 13 Abschn. 2 Nr. 2.3; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 26 f. 41 Arnim, H. v., Anleitung, S. 99 ff.; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 25 f.; Orth, K , Schrauben und Muttern, S. 496 ff.; Junker, G., Schraubenkrieg, S. 322; Nitsche, H., Grundlagen, S. 227; Seelbach, K , Internationale Normung, S. 617 f. 42 Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 25 f.; Nitsche, H., Grundlagen, S. 227. 43 Etwas allgemeiner wird durch das DIN die Humanisierung der Technik als Ziel der technischen Normung postuliert. DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 f. Abschn. 5 Nr. 5.7. Vgl. auch AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 26 f. 44 Welsch, J., Betriebliche Technikgestaltung, S. 27. Vgl. auch Anzinger, R., Verknüpfung der Verweisungstechniken, S. 98; Hartlieb, B. u.a., Erfindung, S. 361.

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

normen zur Gestaltung von Arbeitsplätzen, -mittein, -abläufen usw. in Büro, Fabrik, Krankenhaus, Haushalt nach arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen45). Auf der anderen Seite treffen eine Reihe von technische Normen Vorentscheidungen über arbeitspolitische Gestaltungsspielräume und können durch eine soziale Arbeits- und Technikgestaltung nach arbeitswissenschaftlichen Kriterien einen indirekten Beitrag zur Humanisierung der Arbeitswelt leisten. Beispielsweise entscheidet die Normung von CIM-Systemen darüber, ob die betriebliche Arbeitsgestaltung die Optionen von Gruppenarbeit, ganzheitlichen Arbeitszuschnitten, qualifikations- und kommunikationsfördernden Arbeitsinhalten - und damit die Überwindung zerstückelter tayloristischer Arbeitsformen - zu verwirklichen in der Lage ist, oder ob sie diese dabei behindern46. In diesem Sinne strukturieren technische Normen die Gestaltung der Arbeit und legen in erheblichen Maße die betrieblichen Spielräume nicht nur hinsichtlich der technischen Lösungsmöglichkeiten, sondern auch hinsichtlich der sozialen Bedingungen fest 47 . Da technische Normen eine Vielzahl von Arbeitnehmerinteressen im Hinblick auf eine sichere, gesunde und humane Gestaltung der Arbeitsbedingungen berühren, haben Gewerkschaften verschiedene Normen tarifvertraglich oder betrieblich als verbindlich vereinbart 48. c) Gebrauchstauglichkeitsfunktion Technische Normen tragen in vielfältiger Weise dazu bei, die Eignung von Erzeugnissen, Verfahren oder Dienstleistungen zu verbessern, einen bestimmten Zweck unter festgelegten Bedingungen zu erfüllen 49, indem sie Festlegungen bezüglich Qualitäts-, Schutz- und Sicherheitsaspekten treffen 50, aber auch Anforderungen an Lebensdauer, Leistung, Wartungsfreundlichkeit oder sonstige Eigenschaften sowie deren Prüfmethoden festlegen. Die Gebrauchstauglichkeit als Kompromiß zwischen den Anforderungen gewerblicher wie nichtgewerblicher Anwender, den Möglichkeiten der Hersteller und den verursachten Kosten

45 Jungbluth, Α., Ergonomienormung, S. 319; Zimmermann, N., Sicherheitsnormen, S. 340 ff. 46 So die Ansicht der Gewerkschaften. Welsch, J., Betriebliche Technikgestaltung, S. 27. Vgl. auch Seliger, G., CIM, S. 325 ff. 47 Zwingmann, B., Mitwirkung der Gewerkschaften, S. 40. 48 Ebd., S. 42. 49 Vgl. die Definition des Begriffes "Gebrauchstauglichkeit" in Fn. 12 f. in Kap. I.B. 50 Vgl. dazu die entsprechenden, nachfolgend aufgeführten speziellen Normenfunktionen.

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unterliegt einer ständigen Weiterentwicklung aufgrund steigender Ansprüche der Benutzer und der fortschreitenden technischen Entwicklung51. d) Kompatibilitätsfunktion Mit vergleichbarer Bedeutung wie die Austauschfunktion 52 bewirkt die Kompatibilitätsfunktion die Eignung von Erzeugnissen, Verfahren und Dienstleistungen, gemeinsam unter bestimmten Bedingungen verwendet werden zu können und die wesentlichen gestellten Anforderungen zu erfüllen, ohne unannehmbare Wechselwirkungen hervorzurufen 53. Hierunter fällt insbesondere auch die Normung der Schnittstellen der verschiedenen Systeme bzw. Systemelemente, die miteinander in Beziehung treten, sowie der geräteseitigen Schnittstellen - wie Tastaturlayout oder Anordnung von Bedienungselementen soziotechnischer Systeme54. (Beispiele: Normung von Toleranzen und Passungen; von Spannung, Stromstärke und Frequenz des öffentlichen Stromnetzes; der Schnittstellen von HiFi-Geräten, welche die Kombination modularer Geräte unterschiedlicher Hersteller erlauben; von Anschlußmaßen (Baueinheiten von Werkzeugmaschinen, Zapfwellenanschluß von Ackerschleppern u.a.m. ) 5 5 ; auf dem Gebiet der (Tele-) Kommunikations- und Informationstechnik, um die nationale und internationale Kommunikationsfähigkeit unterschiedlicher technischer Systeme und Komponenten sicherzustellen56).

51

Boulin, P., Normalisation, S. 98; ISO, Benefits, S. 112 f.; Reihlen, H., Warenkennzeichnung, S. 53. 52 Vgl. Fn. 38 in diesem Kapitel. 53 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 11 Abschn. 2 Nr. 2.2. Auch dieser Aspekt wurde seit Beginn der institutionalisierten technischen Normung verfolgt. Zielsetzung war, die Teile eines Systems nicht mehr in mühsamer Kleinarbeit zusammenzupassen, sondern mit bestimmten Toleranzen vorzufertigen und dann ohne jede Nacharbeit mit dem ebenfalls im entsprechenden Toleranzbereich festgelegten anderen Teil zusammenzufügen. Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1356, 1363; Friedewald, H.-J., Rationalisierung, S. 514; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 25 f.; Hinterhuber, H. H., Normung, Typung und Standardisierung, Sp. 2777; Nitsche, H., Grundlagen, S. 227. 54 BSI, History, S. 3; Boulin, P., Présentation, S. 22; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 25 f.; ISO, Benefits, S. 102 ff.; Nitsche, H., Grundlagen, S. 227. 55 Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 25 f.; Nitsche, H., Grundlagen, S. 227. 56 Andexser, W., Standardisierung, S. 131; Berger, W. G. u.a., Ökonomische Bedeutung, S. 490; Boulin, P., Présentation, S. 22; DIN, Informationsverarbeitung 7, Vorwort; Höller, H. u.a., Endgerät, S. 40.

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

e) Logistikfunktion Technische Normen unterstützen und verbessern den mikro-, meta- und makrologistischen Material- und Informationsfluß 57, da erst durch einen hohen Normungsgrad störungsfreie logistische Fluß- und Unterstützungsssysteme mit hoher Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit ermöglicht werden58: Im Rahmen der Mikro-Logistik 59 wird auf materieller Ebene beispielsweise durch Normung von Behältern, Lager- und Kommissioniersystemen u.a.m. eine ununterbrochene logistische Kette aufgebaut, bei der innerbetriebliche Transporte in Form von mechanisch bewegbaren Einheiten derart erfolgen, daß eine Bearbeitungseinheit einer Ladeeinheit, Transporteinheit, Lagereinheit und gegebenenfalls auch noch einer Bestelleinheit bzw. Verkaufseinheit entspricht60. Auf der informationellen Seite kann als Beispiel die Normung der Schnittstellen im Rahmen des Computer Integrated Manufacturing (CIM) 6 1 sowie von logistischen Begriffen, Kennzeichnungen und Codes62 angeführt werden. Normungsbeispiele aus dem Bereich der Meta-Logistik 53 stellen materiell die Normung von Paletten und Containern64, Transport- und Umschlaghilfsmitteln 65 und von Kriterien zur Gestaltung von Güterumschlagplätzen66 dar. Informationell sind die Normung des ISO-OSI-Schichtenmodells und verschiedener genormter Datenaustauschformate zwecks zwischenbetrieblichem Datenaustausch67 sowie die Vereinheitlichung der Gestaltung von Formularen, der Mit-

57

Die Logistikfunktion beinhaltet Teile der Verkehrsfunktion nach Kienzle. Vgl. Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 72 f. 58 Eckert, W., Normung und Standardisierung, S. 3 f., 9 f. 59 Die "Mikro-Logistik" umfaßt die logistischen Systeme einzelner öffentlicher oder privatwirtschaftlicher Organisationen. Brockhaus-Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 13 LAHMAF, S. 489. 60 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 15; Eckert, W., Normung und Standardisierung, passim; Krämer, E., ISO-Palette, S. 89. 61 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. I.D.l.b). 62 Eckert, W., Normung und Standardisierung, S. 12 f. 63 Unter den Begriff "Meta-Logistik" werden alle Kooperationsformen zwischen mikrologistischen Systemen subsumiert. Brockhaus-Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 13 LAHMAF, S. 489. 64 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 15; BSI, History, S. 1 und 3; Krämer, E., ISO-Palette, S. 89; Ludwig, Ν., Welthandel und Weltnormung, S. 213. 65 Eckert, W., Normung und Standardisierung, S. 15. 66 Engberg, B. C., Materialfluß, S. 735 f.; Eckert, W., Normung und Standardisierung, S. 15. 67 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. I.D.l.b).

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teilungsarten für den Zahlungsverkehr und der Magnetstreifen für Identifikationskarten68 zu nennen. Im Rahmen der Makro-Logistik 69 strebt die Normung materiell die dimensionelle Kompatibilität70 im Zuge von Transportketten an, um den Transport und die Lagerung von Waren in verschiedenen Transport- und Lagermedien ohne Umladen bei optimaler Raumausnutzung71 und so die Arbeitsteilung zwischen den Verkehrsmitteln auf volkswirtschaftlicher Ebene zu ermöglichen72. Beispielsweise hat die Normung der Spurweiten von Eisenbahnschienen, von Spannung und Frequenz des elektrischen Stromes, von Rohrleitungen für Wasser, Öl, Gas usw. den Aufbau entsprechender zusammenhängender Netze in Deutschland erst ermöglicht73. Als informationelles Beispiel ist die international genormte automatische Identifikation von Containern per Funk anzuführen 74. f) Prüffunktion Der Normung von einheitlichen und eindeutigen Prüf- und Meßverfahren d.h. vorgeschriebenen technischen Verfahrensweisen zur Bestimmung eines oder mehrerer Merkmale eines bestimmten Erzeugnisses, Verfahrens oder einer Dienstleistung75 - für den Nachweis der Konformität zu Festlegungen technischer Normen kommt eine erhebliche Bedeutung zu 76 : Mehr als 30 % aller internationalen Normen betreffen Prüfungen, Tests und Analysen77. Denn Angaben über genormte Anforderungen verschiedenster Art- wie beispielsweise hinsichtlich Gebrauchstauglichkeit, Qualität oder Sicherheit- bedürfen hinsichtlich ihrer Vergleichbarkeit der objektiven Prüfbarkeit 78, damit kompatible 68

CEN, Normen für Europa, S. 2; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 25. Die "Makro-Logistik" bezieht sich auf die Gestaltung der Infrastruktur einer Region, einer Volkswirtschaft oder eines Wirtschaftsraumes. Brockhaus-Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 13 LAH-MAF, S. 489. 70 Vgl. die Ausführungen hinsichtlich der Kompatibilitätsfunktion in diesem Kapitel. 71 Ludwig, N., Welthandel und Weltnormung, S. 213; Eckert, W., Normung und Standardisierung, S. 7. 72 Reihlen, H., Rohstoffnutzung, S. 712 f. 73 Leinweber, Seminar, S. 15 f.; Seelbach, K , Internationale Normung, S. 613. 74 DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 16. 75 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 35 Abschn. 12 Nr. 12.1 i.V.m. 12.2. 76 CEN, Normen für Europa, S. 1. 77 ISO, Benefits, S. 114. 78 Bosserhoff, H.-W., Verbraucherrelevante Erzeugnisse, S. 207; Susanto, Α., Entwicklung von Normen, S. 37. Vgl. auch CEN/CENELEC, GO Teil 3 Abschn. 2 Nr. 2.2.4 und 2.2.5. 69

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Daten für Vergleiche und Diskussionen auf allen Ebenen zur Verfügung stehen79. Dementsprechend haben etwa CEN und CENELEC in ihrer gemeinsamen Geschäftsordnung festgelegt: "Normen, die Merkmale enthalten, deren Werte in der Norm nicht festgelegt sind und die die Hersteller anzugeben haben, müssen jedoch Angaben darüber enthalten, wie diese Werte zu messen und anzugeben sind"80. (Beispiele: Normen über Speichel- und Schweißechtheit von Kinderspielzeug; über die Haltbarkeit von Lack- oder sonstigen Überzügen; über Nikotin- und Kondensatgehalt in Zigaretten81 usw.). g) Qualitätsfunktion Die Qualitätsfunktion 82 technischer Normen läßt sich in einen produktorientierten, auf Erzeugnisse, Verfahren oder Dienstleistungen ausgerichteten und in einen systematischen, die Qualitätssicherungssysteme selbst betreffenden Aspekt differenzieren: Produktorientierte Bestimmungen zur Qualität können sich sowohl auf den Lieferzustand als auch auf einen längeren Zeitraum des Gebrauches beziehen83. Festgelegt werden, solange aus Sicherheitsgründen nichts anderes gilt, Mindestwerte oder Qualitätsbereiche84 auf einem hohen, nicht aber dem höchstmöglichen Niveau, da Qualitätsziele und Wirtschaftlichkeit sowie das Verhältnis von Preis und Zweck des Erzeugnisses gegeneinander abgewogen werden85. Dennoch tritt eine Qualitätssteigerung gegenüber dem nichtgenormten Erzeugnis auf, da die Abnehmer, Konsumenten und Wissenschaftler ihre wissenschaftlichen, ihre technischen und ihre Wertvorstellungen in die Normung mit einbringen können, die Kenntnisse und Erfahrungen vieler Fachleute zusammengetragen werden 86 und die flexible Anpassung an die steigenden technischen Möglichkeiten durchführbar ist87. (Beispiele: Qualitätsnormen für Möbel, Kühl79

ISO, Benefits, S. 90. CEN/CENELEC, GO Teil 3 Abschn. 2 Nr. 2.2.3. 81 Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 3. 82 Die Qualitätsfunktion beinhaltet die Gütefunktion nach Kienzle. Vgl. Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 73. 83 Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 29. 84 Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 97. 85 BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.1. lit. a); Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 66; Hartlieb, Β. u.a., Zusammenhänge I, S. 29 f.; Nitsche, H., Grundlagen, S. 227. 86 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 4, 18; Boulin, P. u.a., AFNOR, S. 2; Hartlieb, Β. u.a., Zusammenhänge I, S. 29; Kienzle, Ο., Normung und Wissenschaft, S. 73; Nitsche, H., Grundlagen, S. 227; Vaucelle, B., Dynamique, S. 1. 87 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 27. 80

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schränke, Waschgeräte; für Dentalwerkstoffe, medizinische Chirurgie, orthopädische Implantate, Dialysegeräte, Brutkästen; für Korrosionsschutzsysteme usw.). Systemisch sollen Normen die Qualitätssicherung in Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und Verwaltung fördern 88; indem in den entsprechenden Normen Grundforderungen an den Qualitätssicherungsprozeß hinsichtlich Qualitätsmanagement, -planung, -lenkung und -prüfung selbst gestellt werden. Diese Normen können erhebliche praktische Auswirkungen zeitigen, wie das aktuelle Beispiel der Normenreihe ISO 9000 ff. über Qualitätssicherungs-Nachweisstufen für Industrie und Dienstleistung belegt89. h) Rechtsfunktion Die Rechtsfunktion 90 technischer Normen umfaßt zwei Aspekte: Zum einen eine Rechtssetzungs-Unterstützungsfunktion, mit der die Entlastung des Gesetzund Verordnungsgebers bei der Erarbeitung von Regelungen mit technischem Inhalt bezeichnet werden soll, und zum anderen eine RechtsanwendungsUnterstützungsfunktion, die zur Entlastung von Verwaltung und Gerichten beiträgt. Beides basiert auf der Kodierung des Standes der Technik in technischen Normen und deren laufender Aktualisierung durch die autorisierten Fachleute der interessierten Kreise 91: technischer Normen gründet sich Die Rechtssetzungs-Unterstützungsfunktion auf Rechtsverordnungen, Verträge oder Vereinbarungen legislativer Organe auf nationaler92 und europäischer93 Ebene mit den entsprechenden Normungsinsti88

Vgl. dazu auch die Definition des DIN in Kap. I.A.3.b). Vgl. dazu Kap. I.D.2.b). Weitere Beispiele sind die QS-Nachweisführungen anhand der Allied Quality Assurance Publications AQAP 1, AQAP 4, AQAP 9 für Lieferanten militärischen Materials, anhand der ΚΤΑ 1401 für Kernkrafthersteller und anhand der kanadischen, weltweit angewandten CSA- bzw. CAN-Normen im Energiebereich. Petrick, K. u.a., Qualitätssicherungssysteme, S. 236; dies., Qualitätssicherung und Normung, S. 58. 90 Die Rechtsfunktion im Sinne dieser Arbeit ist eine Erweiterung der Rechtsfunktion nach Kienzle. Vgl. Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 73. 91 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(3). 92 Vgl. beispielsweise für die Bundesrepublik Deutschland den Vertrag zwischen dem BMWi und dem DIN, für Frankreich das Décret n° 84-74 sowie für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland das Memorandum zwischen der britischen Regierung und der British Standards Institution. Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. II.A.l.a)dd)(5), Kap. II.A.2.a) und Kap. II.A.3.a)dd). 93 Vgl. die Vereinbarungen zwischen der Kommission der Europäischen Union und den europäischen Normenorganisationen in Kap. II.B.3.c)bb)(l)(d)(aa), Kap. II.B.3.c) bb)(2)(c)(dd) und Kap. II.B.3.c)bb)(2)(e)(bb). 89

10 Zubke-von Thünen

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

tutionen; diese Vereinbarungen ermöglichen es der Legislative und der Exekutive in der Funktion des Verordnungsgebers, als besondere Rechtssetzungsmethode zur Beschreibung von Beschaffenheitsanforderungen technischer Systeme sowie entsprechender menschlicher Verhaltensanforderungen auf technische Normen durch Inkorporation 94, verschiedene Arten der Verweisung95 oder normative Standards96 Bezug nehmen zu können oder diese für allgemeinverbindlich zu erklären 97. Diese Möglichkeit der Verknüpfung von Rechtsvorschriften mit technischen Normen entlastet den Gesetz- und Verordnungsgeber von der grundsätzlich ihm selbst obliegenden Aufgabe, technische Regeln zu erarbeiten, soweit der Schutz des Menschen, seiner Sachgüter und der Umwelt es erfordert, zumal Gesetz- und Verordnungsgeber kaum in der Lage sind, dem technischen und naturwissenschaftlichen Fortschritt in angemessener Zeit Rechnung zu tragen, was den Zielen einer effektiven Sicherheits- und Umweltpolitik zuwiderlaufen würde. Im Rahmen der Rechtsanwendungs-Unterstützungsfunktion entlasten technische Normen sowohl die Verwaltung als auch die Gerichte. Auf der einen Seite wird der Verwaltungsvollzug von Genehmigungs- und Überwachungsbehörden dadurch vereinfacht, daß der Rückgriff auf die in technischen Normen festgelegten Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen möglich ist und so die eigenständige Konkretisierung der allgemeinen gesetzlichen Vorgaben durch die Exekutive entfallen kann98. Auf der anderen Seite ziehen Gerichte technische Normen nicht nur im Umwelt- und Technikrecht, sondern auch im Zivil- und Strafrecht in großem Umfang im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zur Ent-

94

Vgl. in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.c)bb)(l)(a)(aa), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.c)bb)(l)(a), bezüglich des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.c)bb)(l)(a) und im Hinblick auf die Europäische Union Kap. II.B.3.c)bb)(l)(d)(bb)a). 95 Vgl. in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.c)bb)(l)(b), bezüglich des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.c)bb)(l)(b)(bb)a) und im Hinblick auf die Europäische Union Kap. II.B.3.c)bb)(l)(d)(bb)ß) und Kap. II.B.3.c)bb)(l)(d)(bb)/). 96 Vgl. in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.c)bb)(2)(a) und bezüglich des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.c)bb)(2)(a). 97 Vgl. hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.c)bb)(l)(c). 98 Vgl. in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.c)bb)(l)(a)(bb), Kap. ILA. 1 .c)bb)( 1 )(b)(aa)ß), Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(bb)ß) sowie insbesondere Kap. II. A.l.c)dd)(l)(c), Kap. II.A.l.c)dd)(2)(c), Kap. II.A.l.c)dd)(3)(c) und Kap. II.A.l.c)dd) (4)(c).

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scheidungsfindung heran, was diese von der Durchführung eigener Untersuchungen und der Einholung von Sachverständigengutachten entlastet". Schließlich ist im Rahmen der Rechtsfunktion von Bedeutung, daß den Marktteilnehmern durch technische Normen ein umfassendes Wissen über alle wichtigen Faktoren der Geschäftsabwicklung zur Verfügung steht, wodurch Konflikte im Handelsprozeß, die zu rechtlichen Auseinandersetzungen führen können, grundsätzlich eingeschränkt werden 100, was unmittelbar die Erhöhung der Sicherheit im Geschäftsverkehr zur Folge hat 101 . i) Sicherheitsfunktion Der Schutz von Leben und Gesundheit102 im Rahmen der überbetrieblichen technischen Normung gehörte bereits Ende des letzten Jahrhunderts zu den Aufgaben der technisch-wissenschaftlichen Vereine in Deutschland103. Vor dem Hintergrund der stetig zunehmenden Technisierung aller Lebensbereiche und des damit einhergehenden zunehmenden Gefahrenpotentials hat die Sicherheitsfunktion technischer Normen - welche die Bereiche Arbeits-, Gesundheits- und Unfallschutz umfaßt 104 - neben anderen Schutzfunktionen wie Daten-, Verbraucher-, Umwelt- 105 und Erzeugnis schütz 106 ständig an Bedeutung gewonnen. Die Sicherheitsfunktionen technischer Normen werden aufgrund der hohen technisch-wissenschaftlichen Dynamik, welcher der Gesetzgeber häufig nicht zu 99 Vgl. in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland die einschlägigen Ausführungen in den Unterabschn. des Kap. II.A.l.c)bb) sowie Kap. II.A.l.c)dd)(l)(f), Kap. II.A.l.c)dd)(2)(f), Kap. II.A.l.c)dd)(3)(g) und Kap. II.A.l.c)dd)(4)(f). 100 Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 48. 101 Molsberger, J., Volkswirtschaftlicher Nutzen, S. 398. 102 Die Sicherheitsfunktion umfaßt die Gesundheitsfunktion nach Kienzle. Vgl. Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 73. 103 Vgl. Kap. II.A.l.a)aa) und Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa). 104 Die ISO unterscheidet hier vier Normungsbereiche: 1. Gesundheitsfaktoren bezogen auf Luft, Wasser, Nahrung, toxische Stoffe, Lärm, Radioaktivität usw.; 2. medizinisches Material, Geräte und Ausrüstungen; 3. Sicherheitsanforderungen für Produkte, Systeme, Verfahren usw.; 4. Sicherheitsausrüstungen. ISO, Benefits, S. 89 ff. Zur bedeutsamen Rolle der Normung im Bereich des Lebensmittelsektors - früher z.T. als Ernährungsfunktion bezeichnet - bei AFNOR, DIN und CEN vgl. AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 26 f.; Bohnsack, U., Lebensmittel, S. 59 f.; CEN, Annual Report 1991, S. 12; Xintré, E. de, Harmonisation, passim. 105 Zu den beiden letztgenannten vgl. die nachfolgenden Ausführungen in diesem Kapitel. Vgl. auch BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 Abschn. 2 Nr. 2.1. lit. b). 106 Gegen klimatische oder andere schädliche Einflüsse während seiner Benutzung, seines Transportes oder seiner Lagerung. CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 13 Abschn. 2 Nr. 2.7.

10*

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

folgen in der Lage ist, durch technische Normen oft erst ermöglicht 107. Demzufolge bestehen die Normen- und Regelsysteme des Umwelt- und Technikrechts in Deutschland in ihrem materiellen Kern heute vor allem aus überbetrieblichen technischen Normen, welche die zum Schutz vor Gefahren bei Herstellung, Verwendung, Recycling und Entsorgung technischer Systeme erforderlichen Verhaltensweisen und Produktbeschaffenheiten beschreiben108. Zielsetzung der Normungsarbeiten in diesem Bereich ist es, vermeidbare Gefahren für Personen und Güter möglichst auszuschließen und unvermeidbare auf ein vertretbares Ausmaß zu reduzieren, wobei keine absolute Sicherheit angestrebt wird, sondern in Abhängigkeit von dem Gefahrenpotential das höchste praktikable Sicherheitsniveau unter Berücksichtigung von Erfordernissen des Einsatzes, der Zweckmäßigkeit, der Annehmlichkeit und der Wirtschaftlichkeit erreicht werden soll 109 . Dazu werden auch nichttechnische Faktoren wie menschliches Verhalten in die Betrachtungen eingeschlossen110. Analog zur Qualitätsfunktion steigt das Sicherheitsniveau durch die technische Normungsarbeit, da Abnehmer, Konsumenten und Wissenschaftler ihre wissenschaftlichen, ihre technischen und ihre Wertvorstellungen in die Normung mit einbringen können, Kenntnisse und Erfahrungen vieler Fachleute zusammengetragen werden 111 - in Normen fließen beispielsweise gesammelte Daten von Hausunfällen ein 112 - und die flexible Anpassung an die sich fortentwickelnden technischen Möglichkeiten durchführbar ist 113 . (Beispiele: Normen für Leitsätze sicherheitsgerechten Gestaltens technischer Erzeugnisse114; für Si107

Vgl. dazu die vorhergehenden Ausführungen hinsichtlich der Rechtsfunktion technischer Normen. Vgl. ferner AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 19; Boulin, P., Normalisation, S. 98; Brockhaus-Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 15 MOE-NOR, S. 698; BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.1; dies., History, S. 3; Petrick, K. u.a., Qualitätssicherung und Normung, S. 55; Reihlen, H., Begrüßungsworte, S. 10; Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 100 f. Vgl. femer die Definition sechs des DIN in Kap. I.A.3.b). 108 Zusammen mit den technischen Regeln der öffentlich-rechtlichen technischen Ausschüsse und den Unfallverhütungsvorschriften der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Letztere mußten jedoch im Rahmen der nationalen Umsetzung der Maschinenrichtlinie in erheblichem Umfang zurückgezogen werden. Vgl. Kap. ILA. 1 .a) dd)(4) und Kap. II.A.l.c)dd)(4)(d). 109 BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 24 Abschn. 13 Nr. 13.2. 110 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 13 Abschn. 2 Nr. 2.5. Vgl. auch Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 102. 111 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 4, 18; Boulin, P. u.a., AFNOR, S. 2; Hartlieb, Β. u.a., Zusammenhänge I, S. 29; Nitsche, H., Grundlagen, S. 227. 112 BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 24 Abschn. 13 Nr. 13.4.3. 113 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 27. 114 Ludwig, Ν., Sicherheitsgerechtes Gestalten, S. 424; Seeger, O. W., Sicherheitsanforderungen, S. 385.

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ktionen technischer Normen

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cherheitsanforderungen an Geräteschalter, Elektrowerkzeuge 115, Kinderspielzeug 116 , Personenaufzüge 117; für die Explosionssicherheit von Getreidesilos118; für medizinisch-technische Geräte 119, Kondome, Personenschutzausrüstung120; für die Kritikalitätssicherheit bei der Herstellung und Handhabung von Kernbrennstoffen, Notstromversorgung von Kernkraftwerken oder Anforderungen an persönliche Schutzausrüstungen beim Umgang mit offenen radioaktiven Stoffen 121 ). j) Soziale Funktion Bei Einhaltung und Anwendung der Regeln des Normenerstellungsprozesses - insbesondere der Beteiligung aller interessierten Kreise und der Öffentlichkeit sowie des Konsensprinzips122 - sind technische Normen geeignet, gesellschaftliche Bedürfnisse im Bereich der Technik zu konkretisieren und das allgemeine Wohl zu verwirklichen 123. Dementsprechend erfüllen technische Normen heute über die genannten Sicherheits- und Schutzfunktionen hinaus noch weitere sozial-ökonomische Funktionen zur Steigerung der Lebensqualität 124 . Hier ist beispielsweise der Beitrag technischer Normen zur Humanisierung der Arbeits weit 125 zu nennen, die Wiederbelebung von Siedlungsgebieten und Lebenszentren126 oder die Bestrebung von ETSI auf europäischer und AFNOR, BSI und D I N 1 2 7 auf nationaler Ebene, im Rahmen der Normung die

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Kämmer, K , Qualitätssicherung, S. 364. ISO, Benefits, S. 127. 117 Dey, W., Sicherheitsnormung, S. 300. 118 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 27. 119 CEN, Annual Report 1991, S. 9 ff.; Söder, E. u.a., Medizintechnik, S. 324 ff.; ISO, Benefits, S. 89; Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 102; Zimmermann, N., Sicherheitsnormen, S. 340 ff. 120 CEN, Annual Report 1991, S. 9 ff.; ISO, Benefits, S. 89. 121 Becker, Κ. u.a., Normenausschuß Kerntechnik, S. 525. 122 Vgl. in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.a)dd)(3), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.a)cc), bezüglich des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.a)cc) und im Hinblick auf die Europäische Union Kap. II.B.l.a)cc) und Kap. II.B.l.b)dd). 123 Vgl. die Definitionen der Begriffe "technische Norm" und "technische Normung" in Kap. I.A.3. 124 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 26 f., 29. 125 Vgl. die vorhergehenden Ausführungen zur Ergonomiefunktion. 126 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 26 f. 127 Dies wurde als Auflage des DIN-Präsidiums für alle Normenausschüsse verbindlich vorgeschrieben. DIN, Präsidialbeschluß 7/1975, abgedruckt in: DIN, Grundlagen 116

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Bedürfnisse kleiner Kinder sowie alter oder behinderter Menschen zu berücksichtigen, das Leben behinderter Menschen und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu erleichtern sowie Fragen der Rehabilitation zu behandeln128. Hinsichtlich behinderter Menschen umfaßt die Normung schwerpunktmäßig bauliche Maßnahmen für Behinderte im allgemeinen und für Wohnungen Schwerbehinderter im besonderen; Gegenstände der Normung sind ferner Rollstühle, Unterarmstützen, Krankenhausmöbel, die Brailleschrift u.a.m. 129 . k) Technologietransferfunktion Die in den nationalen, supra- und internationalen Normenwerken enthaltene Ansammlung konzentrierter und sorgfältig zusammengestellter Kenntnisse und Erfahrungen ermöglicht als eine leicht zugängliche Informationsquelle über den Stand der Technik 130 einen effektiven Technologietransfer innerhalb der Industrieländer sowie zwischen Industrie- und Entwicklungsländern: Innerhalb der Industrieländer sorgen technische Normen für einen Technologietransfer zwischen den eine Norm erarbeitenden und den von ihr betroffenen interessierten Kreisen. Durch den interdisziplinären Wissensaustausch im Rahmen der Normungsarbeit wird ein günstiges Klima für Innovationen geschaffen und insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen technologisches Know-How zur Verfügung gestellt131. Beispielsweise verringert die Normung von Grundlagen und Verfahren z.B. der Kostenrechnung oder der Konstruktion den erheblichen Aufwand für Erarbeitung, Aktualisierung und Pflege dieser In-

der Normungsarbeit des DIN, S. 33 f. Vgl. auch DIN, Behinderte und alte Menschen, passim. 128 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 26 f., 29; BSI, BS 0-3: 1991-11/ AMD 1993-11 S. 24 Abschn. 13 Nr. 13.4.4 und 13.4.7.b); DIN, Präsidialbeschluß 7/1975, abgedruckt in: DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN, S. 33 f.; dass., Behinderte und alte Menschen, passim; ETSI, Annual Report 1991, S. 9. 129 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 29; Koch, H., Normung - Hemmnis oder Stimulans, S. 400; Reihlen, H., 34. Präsidiumssitzung, S. 206; Schmidt, H., Normung von Rollstühlen, S. 30. So existiert beispielsweise ein eigenständiges DIN-Taschenbuch zum Thema "Bauen für Behinderte und alte Menschen", in denen 17 Normen und Normteile - teils speziell zu dieser Thematik, teils allgemeine Baunormen mit entsprechenden Festlegungen - aufgeführt sind. DIN, Behinderte und alte Menschen, passim. 130 Vgl. die obigen Ausführungen zur Informationsfunktion technischer Normen. 131 Boulin, P., Présentation, S. 18; Correge, S., La normalisation, S. 4; Schulz, K.-P., Neuordnung des Normenwesens, S. 327; VDI, VDI 1000: 1981-10 S. 2 Abschn. 1 Nr. 1.3.

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formationen, was die Anwendung dieser Verfahren in kleinen und mittleren Unternehmen überhaupt erst ermöglicht 132. Zwischen Industrie- und Entwicklungsländern bilden technische Normen ein wesentliches Hilfsmittel des Technologietransfers und dienen damit auch der wirtschaftlichen Zusammenarbeit133. Da das industrielle und technologische Niveau eines Landes und seine Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt entscheidend durch die Güte seines Normen-, Meß- und Prüfwesens bestimmt sind, stärkt der Aufbau technischer Normenwerke die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Schwellen- und Entwicklungsländer und erleichtert ihre Teilnahme am Welthandel134; dementsprechend messen die Regierungen der Schwellen-

132

Heller, W. u.a., Kostengünstiges Konstruieren, S. 663. Vgl. auch die Ausführungen zur Informations- und Rationalisierungsfunktion im vorausgehenden Kapitel. 133 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 28; Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 61; DIN, Wissen, S. 2; ISO, Benefits, S. 21; IEC/ISO, Internationale Normung, S. 26; Kaiser, T.-C, Zusammenarbeit DIN - Entwicklungsländer, S. 49; UTE, Qu'est-ce que l'ute?; Vaucelle, B., Dynamique, S. 1. 134 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 28; Becker, K., Normung und Technologietransfer, S. 140; DIN, Präsidialbeschluß 8/1978, abgedruckt in: DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN, S. 36 f. Das DIN betreibt diese Entwicklungshilfe seit Jahrzehnten, um den Weg für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit diesen Ländern zu bereiten. Kaiser, T.-C., Zusammenarbeit DIN - Entwicklungsländer, S. 49. Einige Autoren stellen in diesem Zusammenhang fest, daß der Export des nationalen Normensystems in Schwellen- oder Entwicklungsländer gleichermaßen den Versuch darstellt, wirtschaftliche Vorteile im internationalen Handel zu erzielen, indem der Marktzugang für andere Industrienationen erschwert und das Entwicklungsland zu einer willkommenen Ausweitung des heimischen Absatzmarktes wird. So beispielsweise Bolenz, E, Technische Normung, S. 133. Zwischen den verschiedenen Industriestaaten hat sich in dieser Hinsicht anscheinend ein Wettbewerb um die Einführung der jeweiligen nationalen Normen-, Meß- und Prüfsysteme herausgebildet. Becker, K , Normung und Technologietransfer, S. 141. Dieser Wettbewerb dürfte sich aufgrund der weltweiten Bildung supranationaler Wirtschaftsblöcke und der hier angestrebten Vereinheitlichung der jeweiligen technischen Normen (vgl. in bezug auf die Europäische Union Kap. II.B.3.a) und die Unterabschn. in Kap. II.B.3.b)) auf diese Ebene verlagern, und sich femer aufgrund der verstärkten Tendenz zur Schaffung internationaler Normen (vgl. hinsichtlich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.a)dd)(3)) zunehmend relativieren. Dennoch wird beispielsweise auf Grundlage bestehender Kooperationsverträge des DIN mit China (1979)- welches 5.000 DIN-Normen ins Chinesische übersetzt hat - und der GUS (1989) in der Literatur angeführt, daß diese Länder nach DIN-Normen produzieren. Kämpfer, S., Kraft der Norm, S. 16; Kaiser, T.-C., Zusammenarbeit DIN - Entwicklungsländer, S. 50. Neben Kooperationsabkommen ist das DIN im Rahmen von Förderprogrammen der deutschen Bundesregierung und des PHARE-Programmes zur wirtschaftlichen Förderung der mittel- und osteuropäischen Länder durch die Kommission tätig. Kaiser, T.-C., Zusammenarbeit DIN - Entwicklungsländer, S. 49.

152

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

und Entwicklungsländer der technischen Normung große Bedeutung für ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt bei 135 . I) Umweltschutzfunktion Die Umweltschutzfunktion läßt sich in einen medienorientierten - Luft, Wasser und Boden betreffenden -, einen produkt-, anlagen-, Verfahrens- und verhaltensorientierten - auf Erzeugnisse, Dienstleistungen, technische Anlagen, Verfahren und menschliches Verhalten ausgerichteten -, einen systemischen - die Umweltschutz-Managementsysteme selbst betreffenden - und einen pädagogischen Aspekt differenzieren: UmIn medien-, produkt-, anlagen-, Verfahrens- und verhaltensorientierten weltschutznormen werden die gesellschaftlichen Zielvorgaben und Wertvorstellungen durch Feststellung des gegenwärtig technisch-wirtschaftlich Erreichbaren 136 und gesamtgesellschaftlich für notwendig oder wünschenswert Erachteten zum einen hinsichtlich Boden-, Wasserschutz, Lärmminderung und Luftreinhaltung, und zum anderen hinsichtlich des Schutzes der Umwelt vor unvertretbaren Schädigungen im Rahmen der Erzeugung, Verwendung, Wiederverwertung und Entsorgung technischer Erzeugnisse sowie durch Dienstleistungen, technische Anlagen, Verfahren und menschliches Verhalten konkretisiert 137. Während bei den medienorientierten Umweltschutznormen die Meßtechnik und -planung im Vordergrund steht, umfassen produktorientierte Umweltschutznormen im Rahmen aller Phasen des Produktlebenszyklus insbesondere die umweltgerechte Rohstoffgewinnung, die ressourcenschonende Herstellung unter Vermeidung von Reststoffen und Emissionen, die Gewährleistung einer möglichst geringen Umweltbelastung bei Distribution und Konsumption, die gezielte Wiederverwertung von Produkten, Produktionsabfällen und Stoffen (Recycling) sowie die umweltgerechte Entsorgung nicht rückgewinnbarer Reststoffe. In diesem Zusammenhang leistet auch die (materielle) Rationalisierungsfunktion durch Ressourcenschonung und Energieeinsparung einen direkten Beitrag zur Entlastung der Umwelt 138 . Um die Gesamtheit der verschiedenartigen Umwelteinflüsse unterschiedlicher technischer Systeme überhaupt vergleichen zu können, ist die Schaffung einer einheitlichen genormten Beurteilungsbasis in Form von Ökobilanzen ("product life cycle assessment") unabdingbare Voraussetzung. Diese 135

Sturen, O., Zusammenarbeit, S. 10. DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 19; Lehmann, K., Umweltschutz, S. 31. 137 Boulin, P., Normalisation, S. 98; CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 13 Abschn. 2 Nr. 2.6; Vieweg, K., Produktbezogener Umweltschutz, S. 509 f., 512 f., 535 ff. 138 ISO, Benefits, S. 23. 136

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153

dienen einerseits der ökologischen Optimierung von Erzeugnissen oder Dienstleistungen, und andererseits einer ganzheitlichen, medienübergreifenden Quantifizierung aller Umweltauswirkungen über deren gesamten Lebenszyklus139. Schließlich legen anlagen- und verfahrensorientierte technische Normen umweltrelevante Anforderungen an technische Anlagen und Verfahren zum Herstellen, Behandeln und Handhaben von Produkten fest, während verhaltensorientierte Normen Regeln für ein umweltgerechtes menschliches Verhalten aufstellen140. (Beispiele: medienorientierte Normung bestmöglicher Analyse- und Meß verfahren beispielsweise für Dioxin 141 ; produktorientierte Normen über asbestfreie Abwasserrohre, umweltgerechte Korrosionsanstriche, zur Produktkreislaufanalyse 142; anlagenorientierte Normen über Klärwerke 143; verfahrensorientierte Normen über Methoden und Verfahren zur kontinuierlichen Überwachung der Radioaktivität in Abluft und Abwasser von Kernkraftwerken 144 ; verhaltensorientierte Normen mit Vorgaben über umweltfreundliche Beschaffung, Prüfung, Nutzerinformation 145). Systemisch sollen im Rahmen der EU-Verordnung zum freiwilligen ÖkoAudit 146 in Analogie zur Normenreihe ISO 9000 ff. die Anforderungen an Umwelt-Management-Systeme und zur Reihe ISO 1001 Iff. an das Audit von Umweltschutz-Managementsystemen im Konsens aller interessierten Kreise genormt werden. Diese vermutlich Anfang 1996 in Kraft tretenden "ÖkoNormen" der Reihe ISO 14 000 ff. werden ergänzt durch weitere Normen zu Ökobilanzen, Methoden der Feststellung des erreichten Umweltbeitrags ("environmental performance evaluation") und Umweltkennzeichnungen147.

139 Da die methodische Ausgestaltung der Ökobilanzen bislang nicht vereinheitlicht worden ist, kann es bei unterschiedlicher Ausnutzung der Bilanzierungsspielräume zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen. Daher wird eine entsprechende Vereinheitlichung dringend gefordert. Vieweg, K , Produktbezogener Umweltschutz, S. 515. Vgl. femer AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 28 f.; CEN, Annual Report 1991, S. 10; ISO, Benefits, S. 89 ff., 97 ff.; Lehmann, K , Umweltschutz, S. 31 ff.; Lehmann, K. u.a., Normung und Umweltschutz, S. 193 f., 197 ff.; Schiffer, H.-W., Umweltschutz, S. 371; Susanto, Α., Entwicklung von Normen, S. 37; Vieweg, K , Produktbezogener Umweltschutz, S. 514 ff. 140 Vieweg, K , Produktbezogener Umweltschutz, S. 536 f. 141 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 28; CEN, Annual Report 1991, S. 12. 142 Lehmann, Κ., Umweltschutz, S. 32. Vgl. ferner die zahlreichen Beispiele bei Lehmann, K. u.a., Normung und Umweltschutz, passim. 143 Vieweg, K , Produktbezogener Umweltschutz, S. 536. 144 Becker, K. u.a., Normenausschuß Kerntechnik, S. 525. 145 Vieweg, K , Produktbezogener Umweltschutz, S. 536. 146 Verordnung 1836/93/EWG. 147 BSI, Annual Report 1991-92, S. 3, 9; Petrick, K , Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen, S. 9; Vieweg, K , Produktbezogener Umweltschutz, S. 519.

154

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Durch die Normung der Bedingungen für die Vergabe von Umweltkennzeichen kann eine Norm auch eine pädagogische Funktion ausüben, indem entsprechende - gegebenenfalls auch durch Behörden erteilte - Umweltkennzeichen wie der "blaue Umweltengel" die Verbraucher über die Umweltfreundlichkeit von Produkten informieren und sie zu deren Bevorzugung vor weniger umweltfreundlichen Produkten veranlassen148. m) Verbraucherschutzfunktion Das aufgrund des technischen Fortschritts zunehmend unüberschaubare Warenangebot und die ständig steigende Komplexität der angebotenen Produkte führen dazu, daß eine unmittelbare fachmännische Beurteilung und Prüfung der Erzeugnisse durch den Abnehmer weitestgehend ausgeschlossen ist 149 . Dementsprechend beinhaltet die Verbraucherschutzfunktion neben Anforderungen an Schutz und Sicherheit sowie an Kompatibilität, Eigenschaften und Leistungen technischer Erzeugnisse insbesondere auch den Aspekt der Information des nichtgewerblichen Endverbrauchers. Um die Vorteile, die sich für den Verbraucher aus Produkt-, Qualitäts-, Sicherheits- und anderen Normarten und -funktionen ergeben, auch transparent zu machen, haben die Normenorganisationen Zeichen der Normenkonformität und Zeichen zur Warenkennzeichnung150 geschaffen, mit deren Hilfe die Erfüllung bestimmter Normen und die Anwendbarkeit von Erzeugnissen für festgelegte Verwendungszwecke ausgedrückt und für den Verbraucher erkennbar wird. Diese basieren auf genormten, allgemein anerkannten Festlegungen und Prüfverfahren auf nationaler, supra- und internationaler Ebene151. (Beispiele: Normung von Kleider- und Schuhgrößen; von Informationsetiketten über Zusammensetzungen, Inhaltsstoffe, gefährliche Substanzen usw.; von Gefahr- und Vorsichtszeichen152).

148

Becker, K. u.a., Normenausschuß Kerntechnik, S. 525. Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 18; Volkmann, D., Warenkennzeichnung, S. 396; Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 100 f. 150 Vgl. in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.a)dd)(3), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.a)cc), bezüglich des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.a)cc) und im Hinblick auf die Europäische Union Kap. II.B.l.a)cc). 151 Vgl. dazu die obigen Ausführungen zur Prüffunktion technischer Normen; femer Höpp, H., Qualitäts- und Sicherheitszeichen, S. 378; Reihlen, H., Warenkennzeichnung, S. 43 f.; Volkmann, D., Warenkennzeichnung, S. 396 f. 152 ISO, Benefits, S. 125. 149

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n) Verständigungsfunktion Basis jeder Normungstätigkeit ist die Festlegung der Verständigungsgrundlagen für den jeweils betrachteten Bereich von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft. Dies umfaßt neben der Normung von Größen, Einheiten, Zeichnungselementen u.a.m. insbesondere auch die Terminologienormung 153, d.h. die Definition der jeweiligen Fachausdrücke. Auf diese Weise leisten technische Normen einen Beitrag zur Erleichterung und Rationalisierung der technischen Zusammenarbeit154 und zu einer eindeutigen Verständigung auf dem betreffenden Normungsgebiet155. Vor dem Hintergrund einer aufgrund der exponentiellen Dynamik des technischen Fortschritts sich immer mehr differenzierenden Wirklichkeit 156, der zunehmenden Technisierung aller Lebensbereiche, der Integration und Vernetzung wissenschaftlicher Disziplinen und technischer Fachgebiete157 und der laufend komplexer werdenden Erzeugnisse, Verfahren und 153

Die Verständigungsfunktion beinhaltet Teile der Verkehrsfunktion und die Sprachfunktion nach Kienzle. Vgl. Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 72 f. 154 Vgl. die Definition des Begriffs "technische Normung" von ISO/IEC bzw. CEN/CENELEC in Kap. I.A.3.b); Boulin, P., Présentation, S. 18; Hens, A. T., Internationale Unternehmen, S. 380; Kienzle, Ο., Normung und Wissenschaft, S. 73; Nitsche, H., Grundlagen, S. 227. Vgl. femer die Ausführungen zur Informations-, Ordnungs- und Rationalisierungsfunktion technischer Normen im vorhergehenden Kapitel. Man denke nur an die Verwirrung, die bis heute die zahlreichen verschiedenen Definitionen von Einheiten zur quantitativen Bezeichnung von Meßwerten verursachen. So sind in der Chronik der Technik allein für Längenmaße 14 auf der Welt aktuell gebräuchliche Einheiten aufgeführt (dies sind im einzelnen: Meter, inch (USA), inch (UK, differiert wie auch die Folgemaße zum amerikanischen Pendant (hier um -72,8 * 109 m)), foot (USA), foot (UK), yard (USA), yard (UK), mile (UK), statute mile (USA), nautical mile (UK), internationale Seemeile, Angstrom, typographischer Punkt, Lichtjahr), von denen nur eines - das Meter - zum "Système International d'Unités" - den SIEinheiten - gehört; bei den Flächenmaßen beträgt das entsprechende Verhältnis 17:3, bei den Volumenmaßen 21:2. Insgesamt werden an dieser Stelle für 62 Meßwerte für Raummaße, Winkel, Masse, Zeit, Kraft, Energie, Leistung, vi skosi metri sehe Größen, Temperatur und Wärme, elektrische und magnetische Größen, lichttechnische Größen, radiologische Größen und Stoffmengengrößen 284 Einheiten aufgeführt, von denen nur 84 zu den SI-Einheiten gehören. Harenberg, B., Chronik der Technik, S. 587 ff. 155 So formuliert in der Definition sechs des DIN in Kap. I.A.3.b); femer BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.1. lit. d); CEN/CENELEC, GO Teil 3 Abschn. 1 Nr. 1.1; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 24; Hinterhuber, H. H., Normung, Typung und Standardisierung, Sp. 2777; Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 73; Nitsche, H., Grundlagen, S. 227; Turotzi, H., Normung, S. 244. Je größer der geographische Geltungsbereich der Verständigungsnormen ist, desto wirksamer und rationeller kann von den Verständigungsmitteln Gebrauch gemacht werden. Nitsche, H., Grundlagen, S. 227. 156 Vgl. die Ausführungen in Fn. 23 in Kap. I.A.l.c). 157 Technische Fachgebiete wie Maschinenbau, Elektrotechnik, Verfahrenstechnik, Lebensmitteltechnologie, Abfallwirtschaft usw., die sich historisch - auch bezüglich der

156

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Dienstleistungen nimmt die Verständigungsfunktion einen hohen Stellenwert ein. (Beispiele: Normung von Einheiten, mathematischen und naturwissenschaftlichen Formelgrößen, Symbolen, Bild- und Schaltzeichen u.a.m. 158 ; von Verkehrszeichen, Warnsymbolen, -färben 159; von Mitteilungsarten im Zahlungsverkehr, Bankleitzahlen und internationalen Wertpapier-Kennummern, des internationalen Währungsschlüssels160). Die in diesem Kapitel versuchte Aktualisierung der Normenfunktionen im Hinblick auf Strukturierung, Inhalt und Bezeichnung umfaßt - ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben - die wesentlichen aktuellen Funktionen technischer Normen. Diese stellen damit eine geeignete Basis für die Betrachtungen der nachfolgenden Kapitel dar, in welchen die Bedeutung technischer Normen in volkswirtschaftlicher, betriebswirtschaftlicher, technischer und gesellschaftlicher Hinsicht sowohl allgemein als auch anhand einiger konkreter Beispiele dargelegt wird.

zugehörigen Fachsprache - unterschiedlich entwickelt haben, wachsen technologisch immer dichter zusammen. Eine einheitliche Terminologie ist hier die Voraussetzungen für eine effiziente interdisziplinäre Verständigung und Zusammenarbeit bei der Lösung interdisziplinärer Aufgabenstellungen unter Einbeziehung der wirtschaftlichen und juristischen Fachbereiche. Die Normung von Begriffen erleichtert auch die Verständigung zwischen der Wirtschaft und dem Staat als Gesetzgeber und Rechtsprecher. Muschalla, R., Terminologie, S. 18; Petrick, K. u.a., Qualitätssicherung und Normung, S. 53. 158 Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 24 f.; Nitsche, H., Grundlagen, S. 227; Reihlen, H., Normung überspringt alle Grenzen, S. 132; Strecker, Α., Gesetzliche Einheiten, S. 776 f. 159 ISO, Benefits, S. 85 ff. 160 Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 25; Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 17; Nitsche, H., Grundlagen, S. 227.

D. Die Bedeutung technischer Normen 1. Die volkswirtschaftliche Bedeutung technischer Normen Mit dem Bestreben, zwecks Senkung der volkswirtschaftlichen Kosten das Rationalisierungsprinzip für einzelne Wirtschaftszweige, Staaten, supranationale Wirtschaftsgemeinschaften und sogar die Weltwirtschaft durchzusetzen, hat die technische Normung eine Bedeutung erlangt, die weit über das Interesse einzelner Betriebe hinausgeht1. So wird die technische Normung beispielsweise in Frankreich als strategisches Instrument zur Steigerung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit nicht nur einzelner Unternehmen oder Industriezweige, sondern auch der gesamten französischen Volkswirtschaft angesehen und ihr eine zentrale Rolle bei der "Wiedereroberung des französischen Binnenmarktes" und der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der französischen Industrie auf dem Gemeinsamen Europäischen Markt und dem Weltmarkt eingeräumt2. Eine vergleichbare Ansicht vertritt neben Regierung3 und Industrie4 des Vereinigten 1

Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1354. "Für diejenigen, die die Norm benutzen, ist es eine Waffe, ein effizientes Werkzeug, um in den Markt einzudringen, und ein Mittel, seine Technologie und seine industrielle Praxis geltend zu machen." Correge, S., La normalisation, S. 1. Ähnlich auch Boulin, P., Présentation, S. 17: "Für alle, die auf ausländischen Märkten gegen die Konkurrenz gekämpft haben, ist die Norm eine strategische Waffe ..." Vgl. auch Frankreich/Ansprache des Industrieministers; AFNOR, Catalogue 1993, S. 9; dies., Rapport d'activité 1989, S. 4, 6; Boulin, P., Présentation, S. 24; Boulin, P. u.a., AFNOR, S. 2; Correge, S., La normalisation, S. 1 ff.; Schulz, K.-P., Neuordnung des Normenwesens, S. 327; Vaucelle, B., Dynamique, S. 1. Vgl. ferner die Ausführungen in Kap. II.A.2.a) bb) und Kap. II.A.2.a)ee). So wird beispielsweise vom französischen Normungsbüro für Stahlröhren berichtet, daß es französischen Unternehmen im "Wirtschaftskrieg" der industrialisierten Länder auf diesem Gebiet durch die Schaffung von 55 technischen Normen in acht Jahren gelungen ist, die Marktführerschaft zu gewinnen, was durch die Tatsache dokumentiert werde, daß sich weltweit 70 % der Kunden in ihren Aufträgen auf französische Normen beziehen. AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 10. 3 "In den kommenden Jahren wird die British Standards Institution eine entscheidende Rolle bei der Steigerung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit durch Qualitätsverbesserung spielen. Sie haben die volle Unterstützung der Regierung Ihrer Majestät." Thatcher, M., Rede vor dem BSI, S. 232 f. Dementsprechend wurde als Ziel des Weißbuches "Normen, Qualität und internationale Wettbewerbsfähigkeit" der britischen Regierung, welches die Grundlage des "Memorandums of Understanding" zwischen der Regierung und der BSI bildet (vgl. dazu Kap. II.A.3.a)dd)), in erster Linie die Steige2

158

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Königreichs von Großbritannien und Nordirland auch die EU-Kommission, die gemeinsame Europäische Normen nicht nur als Vehikel zur Beseitigung technischer Handelshemmnisse, sondern auch als Instrument zur Bündelung europäischer Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen sowie der Ausschöpfung der Möglichkeiten des Gemeinsamen Europäischen Marktes qualifiziert 5. Einen erheblichen Anteil an dieser Entwicklung hat zweifellos das international außerordentlich hohe Ansehen des DIN, dessen Normen in der ganzen Welt einen überragenden Respekt genießen, und deren zertifizierte Einhaltung einen automatischen Vorteil auf den Exportmärkten für deutsche Produkte begründet6. Im folgenden sollen die volkswirtschaftlichen Implikationen technischer Normen aus makroökonomischer Sicht 7 bewertet und anhand eines aktuellen Beispieles konkretisiert werden. In einem dritten Kapitel folgen einige quantitative Ergebnisse von volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Betrachtungen der technischen Normung. a) Ansätze einer makroökonomisch-qualitativen

Analyse

Technische Systeme stellen heute im technischen Zeitalter8 die wesentliche Grundlage moderner, technisch orientierter Volkswirtschaften dar. Da diese technischen Systeme, wie in den vorhergehenden Kapiteln dargelegt, entscheidend durch technische Normen geprägt werden, erlangen diese als deren integraler Bestandteil eine herausragende volkswirtschaftliche Bedeutung. So wäre ohne technische Normen ein modernes industrielles Wirtschaften insbesondere deshalb undenkbar, weil erst durch sie eine rationelle volkswirtschaftliche Arbeitsteilung je nach Normungsebene auf nationaler, supranationaler oder sogar

rung der Leistungsfähigkeit der britischen Industrie und ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit proklamiert. Oberheiden, W. u.a., Neue britische Normenpolitik, S. 201. 4 BSI, BSI Standards Catalogue 1993, S. vii; dies., Annual Report 1991-92, S. 3; dies., BSI Today, S. 6 f.; Krieg, K. G., 75 Jahre BSI, S. 83; Seidl, M., BSI im Geschäftsjahr 1977/78, S. 720. 5 Vgl. Kap. II.B.3.a) und Kap. II.B.3.b)cc). 6 Fisher, Andrew, Measuring up to high standards: The EC fight for common technical requirements. Abgedruckt in: DIN, Geschäftsbericht 1988/89, S. 37; Nicolas, F., Normalisation européenne, S. 5; Sydow, H. S. v., Erwartungen der KOM, S. 15 f. Vgl. auch das Zitat des ehemaligen Präsidenten der EU-Kommission Jacques Delors zu Beginn des Kap. II.B. 7 Also unter der Berücksichtigung des Verhaltens von zusammengefaßten Wirtschaftseinheiten (z.B. alle privaten Haushalte, alle Unternehmen, Staat, Ausland). Hingegen analysiert die MikroÖkonomik das Funktionieren eines Wirtschaftssystems unter der Berücksichtigung des Verhaltens von Einzelwirtschaften. 8 Vgl. Kap. I.A.l.c).

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internationaler Ebene ermöglicht wird 9. Denn mit der fortschreitenden Ausdifferenzierung neuer Teilmärkte 10, vorangetrieben durch Spezialisierung und Rationalisierung, aber auch durch die mit neuen Technologien einhergehende zunehmende Komplexität und Vernetzung zahlreicher technischer Produkte und Dienstleistungen, wächst die Komplexität der Beziehungsstrukturen und die Interdependenz der einzelnen Wirtschaftssubjekte und Branchen11. Häufig sind einzelne Unternehmen entweder hinsichtlich ihrer begrenzten Forschungs- und Entwicklungs-, Produktions- und/oder Finanzkapazität nicht mehr in der Lage, alle Komponenten ihrer Produkte selbst zu entwickeln und zu fertigen, oder sie sind gegenüber Spezialanbietern nicht konkurrenzfähig, die aufgrund der von ihnen realisierten Größeneffekte ("economies of scale"12) einen höheren Standard bezüglich Forschung und Entwicklung, Produktion und Vertrieb bei oft geringeren Kosten realisieren können. In zahlreichen hochtechnologischen Bereichen sind selbst einzelne Nationen heute nicht mehr in der Lage, Entwicklung, Produktion und Finanzierung entsprechender Projekte allein zu tragen13. In diesem Bereich zwingt ein enormer Ressourcenbedarf für Forschung und

9 Hartlieb, B., Bedeutung des DIN, S. 75; Hinterhuber, H. H., Normung, Typung und Standardisierung, Sp. 2777; Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 17; Pokomy, F., Kosten, S. 33; Welsch, J., Betriebliche Technikgestaltung, S. 26. 10 Eine Marktdifferenzierung, d.h. die Ausdifferenzierung mehrerer Marktstufen eines zuvor einheitlichen Marktes, ist erst mittels einer Marktkompatibilisierung durch überbetriebliche technische Normen erreichbar, da durch die Marktdifferenzierung komplexe Verflechtungen zwischen den einzelnen Märkten und starke Abhängigkeiten der einzelnen Produzenten entstehen. Davon unbenommen tragen technische Normen auch insofern zur Konstituierung neuer Märkte bei, indem sie durch Begrenzung der möglichen Vielfalt eine Vergleichbarkeit des Angebots und damit Wettbewerb erst ermöglichen. Bolenz, E., Technische Normung, S. 27 f.; Zwingmann, B., Mitwirkung der Gewerkschaften, S. 39. 11 Boulin, P., Présentation, S. 18; Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, S. 32; ISO, Benefits, S. 20. 12 Vgl. Kap. I.D.2.a). 13 Derartige Großprojekte finden sich beispielsweise in der Luft- und Raumfahrtindustrie, der Telekommunikation, der Medizintechnik, der Kerntechnik und der Mikroelektronik. Berger, H., Rechtsverbindliche Strahlenschutzvorschriften, S. 8; ISO, Benefits, S. 20, 92; Karweger, Α., Europäische Luftfahrtindustrie, S. 19. Als Mitte der siebziger Jahre die Forschungs- und Entwicklungskosten eines Telefon-Vermittlungssystems bei einer Lebensdauer von 20 Jahren rund 50 Mill. US$ betrugen, konnten es sich die meisten europäischen Nationen immer noch leisten, ihre eigene einheimische Telekommunikationsindustrie zu unterstützen. Zehn Jahre später hatten die F&E-Kosten die 500 Mill. US$-Grenze durchbrochen, während sich die Lebensdauer der technischen Systeme halbiert hatte. Bartlett, S. V., Standards, S. 14. Und heute liegen beispielsweise die F&E-Kosten von ISDN-Komponenten bereits in der Größenordnung von mehreren Mrd. DM, so daß diese Kosten nur bei weltweiten Märkten aufgebracht werden können. Nationale und selbst kontinentale Märkte sind dafür zu klein. DKE, Trends in information technology, S. 26; Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 15.

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Entwicklung, verbunden mit relativ kleinen nationalen Märkten für Hochtechnologien bei gleichzeitig immer kürzer werdenden Produktzyklen zu internationaler Kooperation14. Als Resultat dieser Entwicklung werden neben Rohstoffen, Halbzeugen und Normteilen zunehmend auch komplexe Baugruppen bis hin zu kompletten Erzeugniskomponenten immer häufiger fremdbezogen 15. Die so entstehenden Verflechtungen erzeugen zunehmende Abhängigkeiten der Marktteilnehmer untereinander und einen damit korrelierenden Bedarf an überbetrieblichen regulativen Leistungen16. Denn durch die Aufteilung von Forschung, Entwicklung und Fertigung entstehen als grundsätzliches technisches Merkmal derartiger arbeitsteiliger Strukturen Schnittstellen. Hier ist es Aufgabe der technischen Normung, den Endzustand der jeweiligen Systemkomponenten unabhängig vom einzelnen Entwickler und Hersteller so festzulegen, daß eine nachbearbeitungsfreie Endmontage ermöglicht wird und für den Abnehmer ein homogenes Produkt entsteht, bei dem die Schnittstellen nicht sichtbar werden und in Betrieb und Wartung keine Auswirkungen haben17. Dementsprechend sind diese komplexen, arbeitsteiligen und hochgradig spezialisierten Produktionsformen einer modernen Volkswirtschaft ohne eine kollektive überbetriebliche technische Normung kaum zu realisieren, da erst diese die notwendige Koordination der aufeinander bezogenen Produktionsschritte und Handlungssequenzen auf den verschiedenen Produktions- und Marktstufen ermöglicht18. Die technische Normung wird damit Voraussetzung für den interindustriellen Produktionsprozeß und Warenaustausch in einem sich zunehmend globalisierenden Leistungserstellungsprozeß19, woraus sich eine wachsende Bedeutung der supra- und internationalen Normung ergibt 20.

14

Riesenhuber, H., Entwicklungsbegleitende Normung, S. 121. Berger, H., Rechtsverbindliche Strahlenschutzvorschriften, S. 8; ISO, Benefits, S. 20, 92; Karweger, Α., Europäische Luftfahrtindustrie, S. 19. 16 Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, S. 32; ISO, Benefits, S. 20. 17 In amerikanischen internationalen Luftfahrtprojekten stellt der Projektverantwortliche allen Kooperationspartnern ein komplettes und für diese verbindliches Normensystem zur Verfügung. Auch im europäischen Airbus-Projekt wird mit einem einheitlichen und für alle Partner obligatorischen Normensystem gearbeitet. Weniger, E., Multinationale Gemeinschaftsprojekte, S. 615 ff. Vgl. auch die nachfolgenden Ausführungen zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der Kompatibilitätsfunktion. 18 Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, S. 33; Welsch, J., Betriebliche Technikgestaltung, S. 26. 19 Boulin, P., Présentation, S. 18; ISO, Benefits, S. 11. Vgl. auch JB, Globalisierung nimmt dramatisch zu, S. 11, sowie die einschlägigen Artikel des Spiegel Nr. 39 v. 23.09.1996: 'Total Global: Wie der Turbo-Kapitalismus die Welt verändert". 20 Riesenhuber, H., Entwicklungsbegleitende Normung, S. 121; vgl. auch Boulin, P., Présentation, S. 20. 15

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161

Dementsprechend finden technische Normen als von allen Wirtschaftsakteuren akzeptiertes Bezugssystem in den zunehmend komplexen, auf arbeitsteiligen und hochspezialisierten Strukturen beruhenden Volkswirtschaften der Industrienationen heute bei nahezu sämtlichen Wirtschaftstätigkeiten Verwendung21. Ein Unternehmen, das ein Angebot ausschreibt oder Lieferanten sucht, benutzt Normen, die das gesuchte Erzeugnis beschreiben und gegebenenfalls Anforderungen an das Qualitäts-Managementsystem des Lieferanten festlegen 22. Der Entwicklungs-, Produktions- und Prüfprozeß erfolgt ebenso unter Benutzung der in Normen kodifizierten Regeln der Technik wie die anschließende Vermarktung und der Vertrieb des Produktes23. Schließlich erfolgt selbst das Begleichen der Rechnungen nach genormten Verfahren 24. In diesem Sinne kommt der technischen Normung auch hinsichtlich der Integration der Volkswirtschaften der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu einem Gemeinsamen Europäischen Markt 25 eine ebenso große integrative wie wirtschaftliche Bedeutung zu, da dieser auf vielen Gebieten durch gemeinsame Europäische Normen erst entsteht, während unterschiedliche nationale technische Normen den wirtschaftlichen Integrationsprozeß als sogenannte "nichttarifäre Handelshemmnisse" behindern. Einheitliche Europäische Normen leisten dadurch im Gegensatz zur Methode der gegenseitigen Anerkennung einen wichtigen Beitrag zur internationalen Konkurrenzfähigkeit der europäischen Wirtschaft gegenüber den anderen bedeutenden Wirtschaftsnationen und -blocken, da diese die Voraussetzung der Realisierung transeuropäischer Netze im Sinne des Art. 3 lit. η) EGV schaffen 26, die volkswirtschaftliche Arbeitsteilung auf europäischer Ebene erleichtern, über die Größe der innereuropäischen Absatzmärkte entscheiden und damit die kostengünstigere Produktion in größeren Serien ("economies of scaUm neue globale Märkte zu schaffen, ist die Erstellung internationaler Normen unentbehrlich. Beispielsweise hat der Telefaxdienst über Jahrzehnte nur ein Schattendasein geführt, weil es keine gemeinsamen internationalen Normen gab. Erst nachdem internationale CCITT-Empfehlungen erarbeitet worden waren, erlebten die Technik und Dienstleistung des Telefaxdienstes einen "gewaltigen Boom". Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 17. 21 Boulin, P. u.a., AFNOR, S. 2. 22 Vgl. Kap. I.D.2.b). 23 Genormt werden sogar Vertragstypen hinsichtlich Garantie und Service lei stungen. AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 6, 11, 20. 24 Vgl. Kap. I.C.2.n). 25 Vgl. die entsprechenden Ausführungen in Kap. II.B.3.a) und den Unterabschn. des Kap. II.B.3.b). 26 Wie beispielsweise das transeuropäische Netz für digitale Mobilfunktelefone, zu dessen Definition mehr als 100 European Telecommunication Standards (ETS) notwendig waren, oder das Euro-ISDN, welches durch über 200 ETS spezifiziert wird. ETSI, ETSI, S. 2, 7. Vgl. dazu auch die Ausführungen bezüglich des ETSI in Kap. II. B.l.b).

11 Zubke-von Thünen

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le") ermöglichen27. Über die europäischen Grenzen hinaus sind für exportorientierte Volkswirtschaften wie die der Bundesrepublik Deutschland insbesondere internationale Normen von Bedeutung, da erst diese durch Beseitigung nationaler und supranationaler technischer Handelshemmnisse globale Absatzmärkte für Waren und Dienstleistungen schaffen und so den Welthandel fördern 28. Technische Normen können ebenfalls als ein Vehikel der Begrenzung negativer externer Effekte 29 des industriellen Produktionsprozesses und der Produkte dienen, indem sie auch außertechnische Kriterien und Wertbezüge im Rahmen des Interessenausgleichs der interessierten Kreise widerspiegeln. Dieser Sachverhalt wird besonders offenkundig in den Schutz- und Sicherheitsfunktionen technischer Normen, aber auch der Ergonomie- und der Sozialfunktion. Durch die Minderung potentieller technischer Risiken für Leben, Gesundheit und Sachgüter des Menschen sowie die Umwelt bilden technische Normen ein Mit-

27

So ausgeführt im Oktober-Bericht 1992 der Deutschen Bundesbank, entnommen aus der Süddeutschen Zeitung, Do., d. 05.10.1992, S. 33. Vgl. dazu auch Kap. II.B.3. b)cc). Durch gemeinsame Europäische Normen lassen sich sogar so konträre Zielsetzungen wie Reduzierung der Kosten und Erhöhung der Sicherheit miteinander vereinbaren. So würden nach Meinung der EU-Kommission strenge, gemeinsame Sicherheitsnormen nicht nur die Zuverlässigkeit von Kernkraftwerken erhöhen, sondern gleichzeitig zu einer erheblichen Senkung der Baukosten führen, da die betreffenden Unternehmen dann ihre Ausrüstung europaweit anbieten könnten. Damit wäre es den Bauträgem möglich, noch mehr Geld in SicherheitsVorkehrungen zu investieren. Welsch, J., Betriebliche Technikgestaltung, S. 27. 28 Beauvais, E. v., Rechtsvorschriften für technische Gegenstände, S. 6; ISO, Benefits, S. 21; Petrick, Κ. u.a., Qualitätssicherung und Normung, S. 55. Vgl. auch die Ausführungen in Kap. II.A.l.a)dd)(3). 29 Man spricht von externen Effekten, wenn durch Produktion, Konsumption, Recycling oder Entsorgung eines Gutes durch eine Entscheidungseinheit Einflüsse auf die Aktivitäten einer oder mehrerer anderer Entscheidungseinheiten ausgeübt werden, die nicht durch einen Preismechanismus gesteuert werden. Schlieper, U., Pareto-Optima, S. 39. So können technische Normen nach Ansicht der Gewerkschaften durchaus Bestandteil eines präventiven Konzeptes zur vorausschauenden Risikovermeidung durch entsprechende Gestaltung der Technik sein. Welsch, J., Betriebliche Technikgestaltung, S. 26 f. Und nach Ansicht des Bundesumweltministers anläßlich eines Berichtes der Koordinierungsstelle Umweltschutz im DIN sind DIN-Normen ein wichtiges Instrument, um produktbezogene Umweltschutzziele durchzusetzen - trotz umweltrelevanter Defizite in einigen Teilen des Normenwerkes. Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, S. 43. Schließlich zog 1991 auch der Vizepräsident des Umweltbundesamtes (UBA) eine positive Bilanz der Zusammenarbeit mit dem DIN - Koordinierungsstelle Umweltschutz - auf nationaler und europäischer Ebene bezüglich Umweltfragen. Troge, Α., Sicht des Umweltbundesamtes, S. 284.

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tel, die selbstdestruktiven Kräfte des Marktes zu begrenzen und damit dessen Fortbestand abzusichern30. Eine detaillierte Betrachtung der Funktionen technischer Normen 31 zeigt, daß sämtlichen im vorhergehenden Abschnitt aufgeführten allgemeinen Normenfunktionen in der Literatur eine mehr oder minder große volkswirtschaftliche Bedeutung eingeräumt wird. So sind technische Normen für hochentwickelte Industriestaaten ein unentbehrliches Medium der Ordnung und der Information auf volkswirtschaftlicher Ebene32 und dienen damit auch der Vorbereitung und Erleichterung politischer Entscheidungen33 (Ordnungs- und Informationsfunktion). Von herausragender volkswirtschaftlicher Bedeutung ist die bereits im vorhergehenden Kapitel erwähnte Rationalisierungsfunktion technischer Normen. So erhöhen technische Normen die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft durch die gesamtwirtschaftliche Rationalisierung der Prozesse der Erzeugung, Verwendung, Wiederverwertung und Entsorgung technischer Systeme34, die Verbesserung des Wirkungsgrades der körperlichen und geistigen menschlichen Arbeit 35 sowie der gesamtwirtschaftlich effizienten Allokation knapper Ressourcen36. Letztlich wird auch der Vereinheitlichungsfunktion eine entscheidende volkswirtschaftliche Bedeutung zugemessen, die sich durch Steigerung der Wirtschaftlichkeit bei Produktion, Distribution und Konsumption von Waren und Gütern in einem bedeutsamen Anteil des heute erreichten Lebensstandards manifestiert 37.

30

S. 33. 31

Bolenz, E., Technische Normung, S. 28 f.; Eichener, V. u.a., Umweltinteressen,

Zu den nachfolgend aufgeführten Normenfunktionen vgl. die Ausführungen in den jeweils einschlägigen Unterabschnitten in Kap. I.C. 32 Horn, M., Energie wirtschaftliche Auswirkungen, S. 75. 33 Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 61; Turotzi, H. u.a., Sachbenummerung, S. 1441. 34 Lukes, R., Industrielle Normen und Standards, S. 24; Hinterhuber, H. H., Normung, Typung und Standardisierung, Sp. 2777. 35 Muschalla, R., Überregelung, S. 514; Turotzi, H., Normung, S. 251. 36 Niederbacher, J., Recht der Technik, S. 50. Beispielsweise führte 1901 die Vereinheitlichung von Stahlprofilen und Schienen in Großbritannien zu Einsparungen bei der Stahlproduktion von einer Million £ pro Jahr, und die von Metallfolien und Behältern im zweiten Weltkrieg zu einer Einschränkung des Stahlverbrauchs um 40.000 Tonnen jährlich. BSI, History, S. 1, 3. In Deutschland werden durch geeignete Normung bei der Herstellung von Schraubenmuttern ca. 5400 t Stahl jährlich eingespart. Brockhaus-Enzyklopädie, 17. Aufl., Bd. 13 MOT-OSS, S. 556. Vgl. auch Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1354; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 23; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226. 37 Boulin, P. u.a., AFNOR, S. 2.

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Im Rahmen der speziellen Normenfunktionen wird der Austauschfunktion eine große volkswirtschaftliche Bedeutung eingeräumt, da die Austauschbarkeit von Erzeugnissen die Grundlage der industriellen Produktion sowie des Handelsaustausches innerhalb einer Volkswirtschaft darstellt38. Über die Humanizu einer Erhöhung der sierung der Arbeitswelt führt die Ergonomiefunktion Leistungsfähigkeit und Verfügbarkeit der Arbeitnehmer und damit der Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Der Kompatibilitätsfunktion kommt nicht nur eine zentrale Bedeutung hinsichtlich ihres Beitrags zur eingangs dargelegten volks- bzw. weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung zu; sie ist darüber hinaus grundlegende Voraussetzung für die Schaffung national bzw. supranational kompatibler Netze inklusive der entsprechenden Schnittstellen39 sowie neuerdings auch für die Integration und Vernetzung von wissenschaftlichen und technischen Fachgebieten im Zuge der Entwicklung hin zu Systemtechnologien 40 . Damit sich die hier angestrebten effizienzsteigernden Integrationseffekte tatsächlich erzielen lassen, ist die Schaffung der Kompatibilität zwischen den Systemteilen durch technische Normen unverzichtbare Voraussetzung41. Eine zunehmende volkswirtschaftliche Bedeutung hat die Logistikfunktion aufgrund der steigenden Nachfrage nach effektiven meta- und makrologistischen Transportketten im Just-In-Time-Zeitalter erlangt. Normen zur Sicherung von Mindestanforderungen im Hinblick auf das Qualitätsniveau von Erzeugnissen, Verfahren und Dienstleistungen sowie von Qualitätssicherungssystemen sind selbst für Industriestaaten unentbehrlich, da hierdurch die internationale WettbewerbsIndem fähigkeit einer Volkswirtschaft gesteigert wird 42 (Qualitätsfunktion). technische Normen zur Verhütung oder zumindest Begrenzung von Schäden an Menschen, ihrem dinglichen Besitz und der Umwelt beitragen, vermindern sie

38

Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 16. Beispiele für zu spät begonnene Normung zumeist auf supranationaler Ebene sind die technischen Bedingungen in elektrischen Energieverteilungsnetzen (110/220 V, 50/60 Hz), die geometrische Ausprägung von elektrischen Gerätesteckern, die Spurweiten von Eisenbahnen, die analogen Telekommunikationsnetze sowohl leitungsgebunden als auch per Funk sowie die Datenaustauschfähigkeit von DV-Systemen verschiedener Hersteller. "Aufwendige Anpassungsarbeiten sind das Ergebnis dieser nicht genutzten Normungschancen. Nachträgliche Korrekturen scheitern meist an der Finanzierung der notwendigen technischen Umstellung." Bestel, H., Zukunft, S. 597. 40 Beispielsweise im Informations-, Kommunikations- oder Logistikbereich. 41 Welsch, J., Betriebliche Technikgestaltung, S. 27; Horn, M., Energiewirtschaftliche Auswirkungen, S. 78. 42 So ist der Ausdruck "Made in Germany", eingeführt von Großbritannien zur Abwehr deutscher Importe, durch die hohen deutschen Qualitätsanforderungen in technischen Normen zu einem Markenzeichen hoher Qualität geworden. Becker, G. W., Qualität und Sicherheit, S. 272; Horn, M., Energiewirtschaftliche Auswirkungen, S. 78. 39

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die durch Schädigungen verursachten volkswirtschaftlichen Kosten43. Von volkswirtschaftlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der vorhergehend erwähnte Beitrag technischer Normen zur Begrenzung negativer externer Effekte wie beispielsweise Personen- und Sachschäden oder die fortschreitende Umweltzerstörung; diese führen zu einem systembedingten und damit systematischen Verfehlen des gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsoptimums und können die Stabilität von privatwirtschaftlich organisierten Produktions- und Wirtschaftssystemen insgesamt gefährden. Hingegen werden bei Einhaltung der zentralen Verfahrenseckpunkte des technischen Normungsverfahrens 44 durch technische Normen viele Sicherheits- und Schutzfunktionen erst ermöglicht, da der Gesetzgeber nicht in der Lage ist, dem technischen und naturwissenschaftlichen Fortschritt und den Änderungen der gesellschaftlichen Wertvorstellungen in angemessener Zeit Rechnung zu tragen45 (Rechts-, Sicherheits- und Umweltfunktion). Letztlich kommt Verständigungsnormen in einer hochentwickelten Volkswirtschaft eine besondere Bedeutung zu, da sie eine unentbehrliche Grundlage der Verständigung zwischen allen Beteiligten sind46 und zur Schaffung von Marktübersicht und fairen Wettbewerbsbedingungen beitragen47 (Verständigungsfunktion ). Neben den genannten positiven Effekten können technische Normen jedoch auch negative volkswirtschaftliche Auswirkungen zeitigen. So steht dem erreichten, mehr schlecht als recht monetär quantifizierbaren volkswirtschaftlichen Nutzen ein wesentlich einfacher zu beziffernder und nicht unerheblicher finanzieller Aufwand gegenüber, der im Rahmen der Normungsarbeiten des D I N Deutsches Institut für Normung e.V. zu etwa 90 % von den interessierten Kreisen getragen werden muß48. Weitaus bedeutsamer ist jedoch die Möglichkeit einer Behinderung des Wettbewerbs durch technische Normen im Rahmen ihrer eingangs beschriebenen marktkonstituierenden Wirkung sowohl auf nationaler als auch auf supra- und internationaler Ebene. Eine solche Behinderung 43

Lukes, R., Industrielle Normen und Standards, S. 24 f. Vgl. Kap. I.A.3.d). 45 Vgl. die Ausführungen zur Rechts- und Sicherheitsfunktion technischer Normen in Kap. I.C.2.h) und Kap. I.C.2.Ì). 46 Dhen, K , Produktivitätssteigerung, S. 21; ISO, Benefits, S. 79 ff.; Müller, B., Produktivität, S. 507. 47 I.d.S. Schröder, B., Mitarbeit des Handwerks, S. 4. 48 Vgl. Kap. I.D.l.c). Dies gilt gleichermaßen für die technische Normung auf supranationaler Ebene. So hat der Präsident der französischen Normenorganisation AFNOR hinsichtlich des europäischen Integrationsprozesses ausgeführt: "Die Aufwendungen für die Normung sind beträchtlich. Sie übertreffen diejenigen um einiges, die mit dem einheitlichen europäischen Markt zusammenhängen, der die nötige Rolle als Initialzünder gespielt hat." Boulin, P., Présentation, S. 24. 44

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kann unbewußt erfolgen 49, aber auch gezielt durch die Vertreter von Industrie und Handel in den Normungsgremien herbeigeführt werden. Hierbei sind auf nationaler Ebene insbesondere zwei Formen zu unterscheiden: Die unterlassene und die protektionistische Normung. Von unterlassener Normung ist die Rede, wenn Substitutionsprodukte - also beispielsweise Kunststoffe als Substitute von Metallen oder Keramik -, konstruktive Alternativen oder andere technische Lösungswege in den einschlägigen Normen keine Berücksichtigung finden 50. Im Rahmen der protektionistischen Normung werden die Anforderungen bewußt derart festgelegt, daß nur einige Hersteller sie erfüllen können, andere dazu jedoch entweder gar nicht oder erst nach einer kostspieligen Umstellung ihrer Produktionsanlagen in der Lage sind51. Auf supranationaler Ebene ist darüber hinaus52 hinsichtlich negativer Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Wettbewerb die Tatsache von Bedeu49 Beispielsweise hat die Anerkennung der genormten Strahlenschutzregeln als Regeln der Technik dazu geführt, den kommerziellen Wettbewerb in diesem Bereich gänzlich auszuschalten. "Es lohnte sich nämlich nicht, mehr technischen Strahlenschutz anzubieten, als die anerkannten Regeln verlangten, denn der Aufwand dafür war beträchtlich, und die Nichtbeachtung dieser Regeln war erst Recht nicht zu verkaufen." Berger, H., Rechtsverbindliche Strahlenschutzvorschriften, S. 8. 50 Bauer, C.-O., Normungsfähigkeit S. 447; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 92 ff. Technische Normen können als Vehikel fungieren, eine mögliche Substitutionskonkurrenz zu be- oder gar zu verhindern, indem entweder die Normung für das Substitut unterbleibt oder dessen Anwendung in einem genormten Gesamtprodukt ausgeschlossen wird. So finden sich im Schrifttum selbst für den Fall qualitativ überlegener Neuentwicklungen wie der im Beispiel genannten Kunststoffe Berichte, daß sich diese auf den durch Stoff-, Prüf- und Sicherheitsnormen abgeschirmten Märkten der ElektrizitätsWirtschaft sowie der Gas- und Wasserversorgung nur schwer etablieren konnten, was insbesondere auf die Dominanz der Metall- und Keramikhersteller in den Normungsgremien zurückgeführt wird. Bolenz, E., Technische Normung, S. 30 f.; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 92 f.; Marburger, P., Regeln, S. 270; Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 48; Stefener, W., DIN-Normen, S. 92. Nur bei Vorliegen deskriptiver Spezifikationen, in denen konkrete technische Lösungen, Verfahrensweisen, Stoffe u.a.m. festgeschrieben werden, ist es allerdings gerechtfertigt, davon zu sprechen, daß technische Normen im Zuge der Marktkonstitution gleichzeitig die Marktposition und die Marktchancen der einzelnen Marktteilnehmer präjudizieren oder gar einen "marktschließenden" Effekt haben. Beschränken sich die Festlegungen in den technischen Normen hingegen auf Leistungs-, Qualitäts- oder Funktionsmerkmale, so trifft diese Feststellung nur mehr teilweise zu, da alle technischen Systeme, die diese Anforderungen erfüllen, unabhängig vom Lösungsweg automatisch der Norm genügen. Zu allgemein daher Bolenz, E., Technische Normung, S. 30; Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 48. 51 Aufgrund dessen erreichen die zu diesen neuen Normen konformen Produkte jener in den Normenausschüssen dominierenden Hersteller dann oft einen viel größeren Marktanteil, als dies vorher der Fall war. Stefener, W., DIN-Normen, S. 84 ff., 91. 52 Auch auf supra- und internationaler Ebene gilt das zuvor Ausgeführte im übertragenen Sinne: Hier gewinnt diejenige Nation, welche ihre nationalen technischen Nor-

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tung, daß voneinander abweichende nationale technische Normen als "nichttarifäre Handelshemmnisse" ausländische Wareneinfuhren ebenso wirksam behindern können wie Einfuhrzölle oder mengenmäßige Beschränkungen53. Indem ausländische Anbieter durch Marktprozesse oder die staatliche Rezeption

men auf diesen Ebenen durchzusetzen vermag, in dem Maße Wettbewerbsvorteile, in dem die anderen Nationen gezwungen werden, ihre nationale Produktion den geänderten Anforderungen anzupassen. Diese Umstellungen können insbesondere bei Grundnormen (vgl. Kap. I.B) mit kaum abschätzbaren Kosten verbunden sein, wie beispielsweise die mehrfach angekündigte, bislang jedoch allenfalls marginal begonnene Umstellung der verschiedenen Maß- und Gewichtssysteme der angelsächsischen Länder auf das international genormte Sl-System verdeutlicht. Praktisch ein Unterfall des Gesagten, der aber gleichermaßen mit kaum überschaubarem Anpassungsaufwand verbunden ist, stellt die internationale Vereinheitlichung des Systems der mechanischen Verbindungselemente dar, die bezüglich eines Unterfalles als sog. "Schraubenkrieg" zwischen dem metrischen ISO- und dem amerikanischen Zoll-System vielfach auch die Tagespresse beschäftigte (vgl. hierzu Junker, G., Schraubenkrieg, passim; Junker, G. H., ISA, S. 27 ff.) Trotz zunehmender Einsicht aller Beteiligten in die Notwendigkeit international einheitlicher Lösungen erschweren nach wie vor nicht nur technische Schwierigkeiten, sondern auch protektionistisches Denken die supra- und internationalen Normungsarbeiten, wodurch teilweise sogar Einigungen ganz verhindert oder Kompromisse erzwungen werden, die nicht immer das technische Optimum widerspiegeln. In diesem Zusammenhang erweist sich auch der jeweils unterschiedliche nationale Stand der Technik der supra- oder international an der technischen Normung beteiligten Länder als Einigungshemmnis: Denn während die hochtechnisierten Länder auf das Niveau in ihren nationalen Normen nicht verzichten wollen, befürchten die weniger entwickelten Länder im Falle von supra- oder internationalen Normen auf höchstem Niveau eine Diskriminierung ihrer eigenen Normen und Produkte. Sparenberg, H., Protektionismus erschwert Normung, S. 18/TL S. 40. Vgl. auch Kayser, K , Kopfzerbrechen über Einheitskopf, S. 15 f., TL 37 f. Als Ergänzung zum Gesagten sei angemerkt, daß diese Ausführungen gleichermaßen für technische Festlegungen in Rechtsnormen gelten. So wird von einem Fall in der Europäischen Union berichtet, bei dem der Entwurf einer EU-Richtlinie für Gabelstapler auf Initiative Frankreichs eine Pedalanordnung analog zu der im Auto vorsah. Ein großer deutscher Hersteller rüstet dagegen seine Gabelstapler mit zwei Pedalen für Vorwärts- und Rückwärtsfahrt aus. Aufgrund der erforderlichen erheblichen Umstellungskosten wurde der Richtlinien-Entwurf durch die Bundesrepublik Deutschland blockiert. Psotta, M., Technische Sicherheitsnormen sind versteckte Handelshemmnisse, S. 15. 53 Dabei sind die Auswirkungen technischer Normen auf den Warenverkehr um so größer, je grundlegender und weitreichender die Anforderungen einer technischen Norm sind. Einen besonderen Stellenwert nehmen demnach die Grundnormen ein: Beispielsweise vermochte sich ein vom VDI Ende des 19. Jahrhunderts genormtes metrisches Gewindesystem in der Praxis nicht durchzusetzen, weil es von den englischen und USamerikanischen Systemen erheblich abwich und der stark exportorientierte deutsche Maschinenbau den Verlust seiner Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt befürchtete. Stattdessen wurde auf internationaler Ebene 1898 das SI-Gewinde ("Système International") als internationales metrisches Gewindesystem verabschiedet. Marburger, P., Regeln, S. 183 ff.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 50; vgl. dazu auch die Ausführungen in der vorhergehenden Fußnote.

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nationaler technischer Normen 54 gezwungen werden, spezifische Produkte für den entsprechenden nationalen Markt konform zu den dort geltenden nationalen technischen Normen zu entwickeln und zu produzieren, müssen diese gegenüber den heimischen Produzenten zum Teil erhebliche Kostennachteile in Kauf nehmen55. Darüber hinaus können sie die "economies of scale" hoher Produktionsstückzahlen nicht realisieren. Diese Arten von Handelshemmnissen haben besonders in der EU nach der Aufhebung der Zollschranken eine nicht unerhebliche Bedeutung für die Abschottung nationaler Märkte gegen unerwünschte ausländische Konkurrenz erlangt56. Dementsprechend räumten 11.000 europäische Unternehmen im Rahmen ihrer Befragung im sogenannten "CecchiniBericht" im Jahre 1988 der Beseitigung der Handelshürden durch technische Normen und Vorschriften nach der Beseitigung der administrativen Schranken die zweithöchste Priorität ein 57 . Die aus den technischen Handelshemmnissen resultierenden volkswirtschaftlichen Verluste für Unternehmen und Verbraucher wurden auf 40 bis 50 Mrd. ECU pro Jahr beziffert 58. Wie bereits zuvor ausgeführt, liegt die auf die Schaffung des Gemeinsamen Europäischen Marktes bezogene einzig technisch wie wirtschaftlich sinnvolle Lösung dieses Problems in der Erarbeitung einheitlicher Europäischer Normen 59. Denn erst so entsteht 54

Vgl. Kap. II.A.l.c), Kap. II.A.2.c) und Kap. II.A.3.c). Beispielsweise mußten in Italien Hebezeuge auf eine ganz bestimmte Art berechnet werden, die eine komplette Umkonstruktion erforderlich werden ließen, wenn ein Kran nach Italien geliefert werden sollte. Eckstein, D., Vereinheitlichung von Normen, S. 16. 56 Vgl. Kap. II.B.3.a). 57 Für die Unternehmen in Dänemark, Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland hat dieser Aspekt sogar die höchste Priorität. Cecchini, P., Europa '92, S. 26, 46 ff. 58 Vgl. Kap. II.B.3.b)cc). 59 Das von den Normenorganisationen verfolgte Konzept der "functional or performance specifications", nach dem funktions- oder leistungsorientierte Anforderungen statt beschreibender Spezifikationen genormt werden, ist zwar ein Fortschritt und als solcher sinnvollerweise auch auf allen Normungsebenen umzusetzen und anzustreben; in diesem Zusammenhang ist der Nutzen des genannten Ansatzes jedoch begrenzt. Zwar erfolgt durch "functional or performance specifications" im Gegensatz zu nationalen Normen mit beschreibenden (konstruktiven) Spezifikationen eine Marktöffnung für gleichwertige ausländische Produkte, welche die geforderten Funktionen und Leistungen auf andere Weise erfüllen bzw. erbringen, so daß diese nach entsprechenden Prüfungen uneingeschränkt vermarktungsfähig sind. Jedoch verhindert diese nicht, daß gegebenenfalls national unterschiedliche Funktionen und Leistungsniveaus genormt werden, deren Einhaltung wiederum durch spezifische nationale Prüfverfahren nachzuweisen ist, so daß sich die Produzenten weiterhin gezwungen sehen, nach wie vor entweder verschiedene Produkte für die einzelnen nationalen Märkte oder aber ein Produkt herzustellen, welches alle national geforderten Funktionen und die jeweils höchsten nationalen Leistungsanforderungen erfüllt - ganz zu schweigen von den Kosten und zeitlichen Verzögerungen bei der Markteinführung durch die zahlreichen Prüfungen. Zu op55

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ein gemeinsamer, in seinen technischen Anforderungen einheitlicher innereuropäischer Markt, der dann jedoch auch für außereuropäische Anbieter deutlich an Attraktivität gewinnt60 - was aufgrund des sich weiter verschärfenden Wettbewerbs von vielen europäischen Unternehmen, aber auch Arbeitnehmern und Gewerkschaften nicht in demselben Maße begrüßt wird wie von den europäischen Konsumenten61. Um schließlich die Problematik der nichttarifären Handelshemmnisse durch technische Normen nicht nur auf die Ebene supranationaler Wirtschaftsblöcke wie EU, ASEAN und NAFTA zu verlagern, muß die Erstellung international einheitlicher Normen das finale Ziel der Bemühun•

62

gen sein . Zur Verdeutlichung dieser Ausführungen - zwar nicht in ihrer Gänze, aber doch in einigen wesentlichen Teilbereichen -, soll im folgenden die volkswirtschaftliche Bedeutung der technischen Normung am Beispiel der aktuellen Entwicklung von der innerbetrieblichen über die zwischenbetriebliche hin zur umfassenden globalen informations- und kommunikationstechnischen Vernetzung kurz aufgezeigt werden. In dem gesamten Bereich dieser Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts63 ist die technische Normung seit jeher von großer

timistisch deshalb Schröder, B., Europäische Normung und Handwerk, S. 75 f.; realistischer dagegen Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 14 f. Dennoch ist es gewiß ein Fortschritt, daß das DIN-Präsidium im Interesse des GATT bereits im Jahre 1983 die Normenausschüsse zur Einhaltung dieses Konzepts aufgefordert hat. Hahn-Woernle, S. u.a., Normung und Entbürokratisierung, S. 246. Vgl. zum Konzept der "functional or performance specifications" auch die Ausführungen in Fn. 276 in Kap. I.D.3. 60 Beispielsweise war ein Ergebnis einer Branchenanalyse der europäischen Aufzugsindustrie, daß infolge der europäischen Harmonisierung der nationalen technischen Normen zusätzlich zur Verschärfung des EU-intemen Wettbewerbs nicht-europäische Anbieter - z.B. aus Japan - auf den europäischen Markt drängen, da dieser nunmehr mit nur einer einzigen Norm - der EN 81 - abzudecken ist. Plinke, W., Branchenanalyse,

S. 20.

61 Dies führt u.a. dazu, daß Druck auf die europäischen Normenorganisationen wie beispielsweise das "European Telecommunications Standards Institute" (ETSI) ausgeübt wird, ausländische Konkurrenz insbesondere aus den USA und Japan zu verhindern. Weinstein, S., Global standards, S. 24. 62 Was zu einer weiteren erheblichen Belebung des Wettbewerbs führt, wie in den letzten Jahren eindrucksvoll auf dem Telekommunikationssektor vorgeführt: "Die nationale Ära der Telekommunikation, das erkannte Alcatel-Chef Suard frühzeitig, ist zu Ende. Im Zuge der Deregulierung und Liberalisierung sowie der internationalen Standardisierung kann nur überleben, wer seine Produkte für den Weltmarkt entwickeln und auch dort verkaufen kann." Preissner-Polte, Α., Alcatel SEL S. 29. 63 So die Einschätzung des amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore in seiner bereits als historisch gewerteten Rede vor der "International Telecommunication Union" (ITU) in Buenos Aires. Gore, Α., Rede vor der ITU in Buenos Aires, passim. Vgl. auch den Minister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Rüttgers, J., Interview, S. 93.

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Bedeutung, um auf nationaler wie internationaler Ebene die Kompatibilität und Kommunikationsfähigkeit unterschiedlicher technischer Systeme, Komponenten und Dienste sicherzustellen64. Die Entwicklung nahm ihren Anfang in der Industrie mit der rechnergesteuerten integrierten und flexiblen Automation der Fertigungsverfahren ("Computer Aided Manufacturing" (CAM)) und führte über die informationstechnische Integration zunächst der betriebswirtschaftlich-planerischen Unternehmensfunktionen in "Produktionsplanungs- und -steuerungssystemen" (PPS-Systemen) und anschließend zusätzlich der technischen Unternehmensbereiche im "Computer Integrated Manufacturing" (CIM) hin zur zwischenbetrieblichen Vernetzung von Unternehmen verschiedener Wirtschaftsstufen ("Computer Aided Industry" (CAI)) 65 . Parallel dazu materialisiert sich in Form supranationaler integrierter Daten- und Kommunikationsnetze wie dem europäischen oder amerikanischen ISDN (Integrated Services Digital Network), internationalen technischen Kommunikationsnormen wie dem Mobilfunk (Global System for Mobile Communications (GSM)) oder dem Bildschirmtelefon und global verfügbaren Informationsdiensten wie Internet oder Compuserve nicht nur eine weitergehende Vernetzung der wirtschaftlichen, sondern auch der Beginn der Vernetzung öffentlicher und privater Bereiche. Doch dies stellt erst den Anfang einer - unter dem Schlagwort "Information Highway" bzw. "Datenautobahn" ins allgemeine Bewußtsein gerückten - umfassenden globalen informations- und kommunikationstechnischen Vernetzung weiter Teile des privaten und öffentlichen Lebens dar, die als "Digitale Revolution" die industrielle in ihren Auswirkungen noch weit übertreffen 66 und zu einem volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruch "ungeahnten Ausmaßes"67 führen soll. b) Beispiel: Der Weg zur globalen informationskommunikationstechnischen Vernetzung

und

Auf der Grundlage der Mikroelektronik hat die Informations- und Kommunikationstechnik einen tiefgreifenden Wandel der wirtschaftlichen Strukturen eingeleitet; die Verfügbarkeit von Informationen und die Möglichkeit umfassender Kommunikation sind zu wettbewerbsentscheidenden Produktionsfakto-

64 Andexser, W., Standardisierung, S. 131; Berger, W. G. u.a., Ökonomische Bedeutung, S. 490; DIN, Informationsverarbeitung 7, Vorwort; Höller, H. u.a., Endgerät, S. 40. 65 Daß CAM, CIM und CAI auch von entscheidender betriebswirtschaftlicher Bedeutung sind, bedarf keiner Erwähnung. 66 So der Herausgeber der US-Zeitschrift "Wired", Rosetto, L., Interview, S. 230. 67 Böndel, B., Informationsgesellschaft, S. 79, 82; vgl. auch die Einschätzung des Ulmer Wissenschaftlers Radermacher, F.-J., Interview, S. 126.

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ren geworden68. Bereits für die Einführung der rechnergesteuerten integrierten und flexiblen Automation der Fertigungsverfahren ("Computer Aided Manufacturing" (CAM)) werden Produktivitätssteigerungen in der Größenordnung von 250 % sowie erhebliche Kostensenkungen durch Lern- und Größenwirkung prognostiziert 69. Folglich schätzt die EU-Kommission CAM als "wahrhaftige Revolution" und auf längere Sicht entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten europäischen Industrie und ihre Position in der Weltwirtschaft ein 70 . Da das volle Potential der fortgeschrittenen Fertigungstechnik erst durch die Integration in automatische fertigungstechnische Systeme ausgeschöpft wird 71 , und diese Integration nur durch einen modularen Aufbau und die Sicherstellung einer herstellerunabhängigen Kompatibilität der verschiedenen Module durch Normung der Schnittstellen möglich ist72, avanciert die technische Normung zum strategischen Schlüssel der Automatisierung. Hier besteht jedoch aufgrund der nationalen Barrieren insbesondere gegenüber den USA und Japan ein Rückstand der Europäer 73. Beispielsweise können bislang bei einem großen Automobilhersteller nur 15 % der vorhandenen 40.000 programmierbaren Geräte außerhalb ihres eigenen Verfahrensbereiches kommunizieren, was zur Folge hat, daß 30 - 50 % der Kosten für eine zusätzliche Automatisierung direkt mit der Schaffung der Kompatibilität der Geräte in Bezug stehen74. Damit ist die Wettbewerbsposition der europäischen Industrie oft prekär, da sie das Handikap beträchtlicher Kostennachteile überwinden muß. Die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Marktes mittels entsprechender Europäischer Normen ermöglicht nicht nur den Anwendern die Integration der verschiedenen Komponenten automatisierter Fertigungsanlagen ohne hohe Anpassungskosten, sondern führt gleichzeitig bei den Herstellern zu einer Senkung der Produktionskosten75. Die weitere Integration von CAM mit den wesentlichen technischen - Konstruktion (Computer Aided Design (CAD)), Arbeitsvorbereitung (Computer Aided Planing (CAP)), Qualitätskontrolle (Computer Aided Quality Assurance (CAQ)) u.a.m. - und betriebswirtschaftlich-organisatorischen Unternehmensfunktionen hinsichtlich Produktionsplanung und Steuerung (PPS) wird "Compu68

Hartlieb, B. u.a., CIM erfordert die Normung, S. 561. KOM, Fortgeschrittene Fertigungstechnik, S. 6, 52. 70 KOM, Fortgeschrittene Fertigungstechnik, S. 5, 13. Daß diese Aussage bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat, belegt Braun, W., Europäisches Management, S. 409. 71 "Unter diesen Voraussetzungen addieren sich die einzelnen Vorteile nicht, sie multiplizieren sich". KOM, Fortgeschrittene Fertigungstechnik, S. 6. 72 Ebd., S. 15. 73 Ebd., S. 6 f. 74 Ebd., S. 7, 14 f. 75 Ebd., S. 6, 8 f. 69

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ter Integrateci Manufacturing " (CIM) 10 genannt. Ist bereits die Realisierung des CAM ein entscheidender volkswirtschaftlicher Wettbewerbsfaktor zwischen den Industrienationen, so gilt CIM als eine der zehn wichtigsten Schlüsseltechnologien unseres Jahrzehnts. Es wird erwartet, daß diejenigen Volkswirtschaften, die diesen Innovationsprozeß technisch, organisatorisch und ausbildungsmäßig am schnellsten realisieren und leistungsfähig gestalten können, sich im internationalen Wettbewerb behaupten werden; dementsprechend kommt der Beherrschung der Informationstechnik und deren Integration in Industrie, Handel und Dienstleistung wegen ihrer technischen und wirtschaftlichen Auswirkungen77 für die Weiterentwicklung und Konkurrenzfähigkeit der deutschen und europäischen Volkswirtschaften eine existentielle Bedeutung zu. Jedoch ist die aktuelle Situation in vielen Unternehmen immer noch durch heterogene, proprietäre Hard- und Softwareumgebungen mit häufig mehrfach redundanter Datenhaltung gekennzeichnet, welche aufgrund ihrer Inkompatibilität nicht direkt miteinander kommunizieren können78. Somit ist die einzig praktikable Möglichkeit zur Realisierung von CIM die Erstellung eines einheitlichen CIMGesamtkonzeptes sowie die Erarbeitung einheitlicher Methoden und Werkzeuge zur Gestaltung modularer, kompatibler, herstellerunabhängiger, anwendungsspezifischer CIM-Systeme auf der Basis grundlegender Modelle für Produktund Betriebsmitteldaten sowie Steuerungskonzepte79. Grundlage der Normung in diesem Bereich ist das 7-Schichten OSI (Open Systems Interconnection) -

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CIM ist eine Unternehmensstrategie mit dem Ziel, rechnergestützte Verfahren und Arbeitsmethoden untemehmensweit einzuführen und so zu integrieren, daß einmal erzeugte Daten redundanzfrei ausgetauscht werden können und ein durchgängiger Informationsfluß zwischen den technischen und den administrativen Bereichen entsteht. Eversheim, W., Weg zu CIM, S. 241; Hartlieb, B. u.a., CIM erfordert die Normung, S. 561 f. 77 So wird proklamiert, daß sich durch CIM Produktivität und Flexibilität weit stärker steigern und die Kosten senken lassen als durch jede andere Form der Produktionstechnik. Westkämper, E., Flexible automatische Fertigung, S. 9 f. Weitere Zielsetzungen einer CIM-Strategie finden sich bei Eversheim, W., Weg zu CIM, S. 241, 245; Hartlieb, B. u.a., CIM erfordert die Normung, S. 561 f.; Krallmann, H., CIM verändert die Normung, S. 67; Seliger, G., CIM Grundkonzept, S. 325; Wamecke, H.-J. u.a., CIM bedarf der Normung, S. 361. 78 Hartlieb, B. u.a., CIM erfordert die Normung, S. 561; Wamecke, H.-J. u.a., CIM bedarf der Normung, S. 361. 79 Derartige Forschungsvorhaben werden z.Zt. bei DIN, CEN und ISO durchgeführt. DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 14. Vgl. auch DIN, Geschäftsbericht 1988/89 S. 8; Eversheim, W., Weg zu CIM, S. 241; Hartlieb, B. u.a., CIM erfordert die Normung, S. 562; Krallmann, H., CIM verändert die Normung, S. 67; Neumann-Mahlkau, G., Integrierte Auftragsabwicklung, S. 381 f.; Riesenhuber, H., Entwicklungsbegleitende Normung, S. 122 f.; Wamecke, H.-J. u.a., CIM bedarf der Normung, S. 361; Westkämper, E., Flexible automatische Fertigung, S. 14.

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Referenzmodell der International Organization for Standardization (ISO) 80 . Durch kompatible modulare Systeme läßt sich die volkswirtschaftliche Blindleistung, welche durch Anpassungen, Umstellung und Doppelentwicklungen entsteht81, vermeiden und eine wirksame betriebliche Integration der Informationssysteme ermöglichen. Dementsprechend wird der volkswirtschaftliche Nutzen einer CIM-Normung als unüberschaubar groß quantifiziert, da in allen Bereichen betrieblicher Leistungserstellung Synergieeffekte durch Integration der Informationssysteme entstehen82. Die physischen Grenzen eines Unternehmens überwindend, dient die Vernetzung des zwischenbetrieblichen Daten- und Informationsaustausches - "Computer Integrated Industry " (CAI) genannt - der papierlosen Übermittlung notwendiger Daten zwischen den im Leistungserstellungsprozeß verbundenen Unternehmen verschiedener Wirtschaftsstufen 83, was angesichts der eingangs beschriebenen fortschreitenden Spezialisierungs- und Globalisierungstendenzen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Zu diesem Zweck wurden auf internationaler Ebene, aufbauend auf dem ISO-OSI-Modell, hersteiler- und systemneutrale sowie branchenübergreifende Datenaustauschformate definiert. Dabei wird das Ziel verfolgt, empfangene Daten - z.B. die eines übertragenen Auftrags, einer Rechnung oder einer technischen Zeichnung - papierlos übertragen und auto-

80 Die Netzebene (Schichten 1-3) stellt die hardwarespezifische Kompatibilität der Möglichkeit des Datenaustausches zweier Endsysteme her. Die Dienstebene (Schichten 4-7) spezifiziert den Datenaustausch. Höller, H. u.a., Endgerät, S. 41 ff. Dabei zeigen Zeitungsberichte immer wieder auf, daß sich der Einsatz neuer Technologien allzu oft aufgrund der schleppenden - meist internationalen - Normierungszyklen von durchschnittlich 6-8 Jahren verzögert. Obwohl für die offenen ISO - Systemnormen "OSI" (Open Systems Interconnection) ein Anwenderinteresse von 99 % ermittelt wurde, halten sich Hersteller wie Anwender lieber noch an ihre proprietären Systeme oder an De-facto-Normen. O.V., Einsatz von OSI, Computerwoche 18 Nr. 29 (19.07.1991), S. 1 f. 81 Eigner, M., Normung für CAD, S. 443. 82 Wamecke, H.-J. u.a., CIM bedarf der Normung, S. 364. Nach Ansicht zahlreicher Autoren üben CIM und die Normung eine starke Wechselwirkung aufeinander aus. CIM bedarf der Normung (Wamecke, H.-J. u.a., CIM bedarf der Normung, S. 361 ff.; Hartlieb, B. u.a., CIM erfordert die Normung, S. 562 ff.; Kunsmann, Α., Normung, S. 9 ff.; Westkämper, E., Flexible automatische Fertigung, S. 9 ff.), aber CIM verändert auch die Normung (Krallmann, H., CIM verändert die Normung, S. 67 ff.; Krieg, K. G. u.a., Rechnerintegrierte Produktion, S. 251 ff.), da für die Normung von CIM neue Konzepte und Vorgehens weisen notwendig sind, welche die Normung insgesamt verändern (Wamecke, H.-J. u.a., CIM bedarf der Normung, S. 367). Krallmann stellt dazu fest, "daß CIM und Normung wie siamesische Zwillinge verwachsen sind" (Krallmann, H., CIM verändert die Normung, S. 366; vgl. auch Warnecke, H.-J. u.a., CIM bedarf der Normung, S. 361). 83 Höller, H. u.a., Endgerät, S. 42.

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

matisch weiterverarbeiten zu können84. Die Normung der Datenaustauschformate ist nicht nur ein wesentlicher Schritt auf dem Wege von betrieblichen EDVInseln zur zwischenbetrieblichen Integration, sondern birgt auch enorme Rationalisierungspotentiale und Zeitgewinne, da mit ihrer Hilfe eingehende technische, Geschäfts- und sonstige Dokumente ohne Ausdruck, physischen Transport und erneute, stets fehlerbehaftete und zeitaufwendige manuelle Erfassung direkt maschinell weiter verarbeitet werden können85. Die zwischenbetriebliche Vernetzung von Unternehmen markiert jedoch erst den Beginn der Entstehung eines "virtuellen" weltumspannenden Wirtschaftsraumes auf der Basis globaler Informations- und Kommunikationsnetze. Angesichts der Tatsache, daß in den USA bereits heute 60 % aller bestehenden und 80 % aller neu geschaffenen Arbeitsplätze in Zusammenhang mit der Informationsbeschaffung und -Verarbeitung stehen86, wird die Schaffung von "Information-Highways", verbunden mit einer klaren Strategie und Politik im Bereich der Telekommunikation sowie einem allgemeinen Zugang der Bürger zu den entsprechenden Informationsdiensten, von der amerikanischen Regierung als Schlüssel des wirtschaftlichen Wachstums nationaler wie internationaler Volkswirtschaften im 21. Jahrhundert angesehen. Da nach Al Gores Vision das globale Netzwerk aus hunderten von einzelnen Netzwerken bestehen soll, die von verschiedenen Firmen mit unterschiedlichen Technologien erstellt werden87, ist die Sicherstellung der Kompatibilität dieser technischen Subsysteme durch die Normung von Schnittstellen, Endgeräten, Übertragungsprotokollen u.a.m. eine conditio sine qua non sowohl für die Entwicklung der globalen Informationsund Kommunikations- Infrastruktur als auch die Sicherstellung der weltweiten Verfügbarkeit entsprechender Dienste. Dementsprechend haben sich die G7Staaten auf ihrem ersten Treffen bezüglich der Realisierung des Informations-

84

DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 15; Grabowski, H., Normteile in CADSystemen, S. 450 f.; Hartlieb, B. u.a., CIM erfordert die Normung, S. 563; Höller, H. u.a., Endgerät, S. 41 ff.; Wamecke, H.-J. u.a., CIM bedarf der Normung, S. 364; o.V., Schnittstellennormung für CIM, S. 613 ff. Als Beispiele seien EDIFACT (Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport) zum Austausch von Geschäftsdokumenten (Rechnungen, Lieferscheinen usw.), STEP (Standard for the Exchange of Product Model Data) zum Austausch von Produktdaten und IGES (Initial Graphics Exchange Standard) zum Austausch von technischen Zeichnungen genannt. Weitere Software-Schnittstellen für CIM und CAI finden sich bei den drei letztgenannten Literaturquellen. 85 Höller, H. u.a., Endgerät, S. 43. 86 Auch in der Bundesrepublik Deutschland hängen nach Aussagen des Ministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung Jürgen Rüttgers schon heute mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze direkt oder indirekt mit der Informationstechnik zusammen. Vgl. Sobull, D., Auf der Datenautobahn zu mehr Arbeitsplätzen?, S. BW 6. 87 Vgl. zum Vorhergehenden Gore, Α., Rede vor der ITU in Buenos Aires, passim.

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Highways Anfang 1995 neben dem freien Netzzugang insbesondere auf die Harmonisierung der entsprechenden technischen Normen geeinigt. Die Entstehung dieses weltumspannenden Wirtschaftsraumes ist wiederum Denn nur ein Aspekt der Entstehung einer globalen Informationsgesellschaft. daß die informations- und kommunikationstechnische Vernetzung längst nicht mehr auf Industrie und Handel beschränkt ist, sondern bereits in hohem Maße Einzug in den Privatbereich gehalten hat, belegen die exponentiellen Zuwachsraten von Teilnehmern an den nationalen und globalen Informationsnetzen wie Telekom Online, Internet oder Compuserve88, Hand in Hand gehend mit einer sich zur Zeit alle sieben Monate verdoppelnden Anzahl vernetzter PersonalComputer89 als multifunktionale und multimediale Datenendgeräte, die nach dem Stand der Technik bereits die Funktionen von (Bildschirm-) Telefon, Video-Konferenzsystem, FaxModem, Anrufbeantworter, Rundfunk-, Fernseh-, Audio- und Videogerät übernehmen können. Damit besteht die Möglichkeit, den gesamten Informationsaustausch über ein multimediafähiges Netzwerk wie beispielsweise das amerikanische 56-kBit- oder das europäische 64-kBit-ISDN mit PCs als entsprechende multimediale Endgeräte abzuwickeln; dementsprechend wurden in den USA 1993 erstmals mehr Personal Computer als Fernsehgeräte verkauft 90. Doch damit sind noch längst nicht alle - zumindest in Pilotprojekten - bereits technisch realisierten informations- und kommunikationstechnischen Möglichkeiten aufgezählt: Deren Liste beginnt bei so bodenständigen Dingen wie E-Mail (Electronic Mail), Electronic Shopping oder Telebanking und geht über Videokonferenzen 91, Telearbeit 92, Teleteaching93, interaktives Fernsehen, interaktives vernetztes Spielen und Video on Demand bis hin zu der Erschaffung künstlicher (computersimulierter) Wirklichkeiten (Cyberspace 88

Experten sagen eine Explosion der Nutzung dieser Online-Dienste voraus. Foerster, U. u.a., Weltpostamt, S. 34. So hat allein das Internet bereits heute weltweit 30 Millionen Mitglieder, deren Anzahl bis 1999 auf über 200 Millionen steigen soll. Böndel, B., Informationsgesellschaft, S. 82. Dementsprechend befürchten Wissenschaftler, denen das vor 25 Jahren für militärische Zwecke eingerichtete Datennetz zur Nutzung übergeben worden war, für die Zukunft chaotische Zustände im Internet - vor allem wegen der fehlenden Regelungen wichtiger Sachfragen. Vgl. Münch, V., Wissenschaftler fürchten das Chaos im Internet, S. 9. 89 Vgl. DW, Firmen wollen selbst Multimedia-Normen setzen, S. 11. 90 Foerster, U. u.a., Weltpostamt, S. 34. 91 Videokonferenzen zwischen mehreren vernetzten PC-Anwendern verbinden die Funktion eines Bildschirmtelefons mit der Möglichkeit der simultanen gemeinsamen Bearbeitung von Texten, Grafiken, Daten usw. durch die Teilnehmer. 92 Die Ausübung der beruflichen Tätigkeit am via Modem mit dem Firmen-Rechnernetz verbundenen PC in den eigenen vier Wänden wird bereits heute von Firmen wie Allianz, BP, HP, IBM, Mitsubishi oder den Nürnberger Versicherungen praktiziert. 93 Karle, R., Teleteaching: An den Hochschulen beginnt die multimediale Ära, S. BW 6.

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bzw. Virtual Reality) wie elektronischen Bibliotheken, Museen u.a.m.94 So existiert bereits eine globale virtuelle Hochschule, bestehend aus über 200 Professoren95, eine virtuelle Bank - die First Visual Holdings Inc. aus San Diego - und sogar virtuelle Währungen, die beispielsweise in Form sogenannter "Cyberbucks" der holländischen Digicash Inc. für den Handel in den globalen Informationsnetzen genutzt und auch wieder in "materielles" Geld zurückgetauscht werden können96. Während sich die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Visionen deutscher Politiker zum Thema Information Highway bislang im wesentlichen unter das Stichwort "panem et circenses"97 subsumieren lassen - obwohl die Bürger nach einer Umfrage das Medium vorrangig vor allen kommerziellen Diensten unter anderem zu politischen Wahlen, zur Weiterbildung und zur Teilnahme an Meinungsforen nutzen wollen98 -, sieht Al Gores Vision die vernetzte Weltgemeinschaft als Voraussetzung für ein neues athenisches Zeitalter der Demokratie in den von der globalen Informations-Infrastruktur geschaffenen Foren, für einen globalen Diskurs, in dem jeder, der dies wünscht, seine Meinung äußern kann, und für die Entwicklung der Menschheitsfamilie hin zum Bewußtsein gemeinsamer globaler Verantwortung für unseren Planeten99. So existieren in den USA bereits heute in fast allen Kommunen lokale Netzwerke (Community Networks) wie beispielsweise das MetroConnect der Stadt New York, das für die Bürger umfangreiche Informationen, angefangen von den Angeboten der Pizzabäcker bis hin zu den Gesetzesvorhaben der Stadt, bereitstellt100. Nach diesen überwiegend qualitativen Ausführungen sollen als Abschluß der volkswirtschaftlichen Betrachtungen noch einige in der Literatur wiedergegebe-

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Vgl. zum vorhergehenden die Artikel in Spektrum der Wissenschaft: Dossier: Datenautobahn, passim; in Spiegel Speziai Nr. 3/1995 "Abenteuer Computer: Elektronik verändert das Leben", passim; in der Wirtschaftswoche Nr. 9 (49. Jg.) v. 23.02.1995, S. 76-134; in Die Welt, Sonderteil Informations- und Kommunikationstechnik v. 28.02.1995, S. 8 sowie v. 08.03.1995, S. WR 1 - WR 8, auf deren einzelne Aufführung hier verzichtet werden soll. 95 Böndel, B., Informationsgesellschaft, S. 82. 96 Hendricks, Β., Digitales Geld: Virtuelle Portokasse, S. 114. 97 Dem römischen Satiriker Juvenal (Satiren X, 81) zufolge bedarf es lediglich "Brot und Spielen", um das Volk zufrieden zu stellen - ein Leitsatz, den Staatsmänner immer wieder zur Grundlage ihrer Politik gemacht haben. Duden "Zitate und Aussprüche", S. 354. 98 Böndel, B., Informationsgesellschaft, S. 84. 99 Vgl. zum Vorhergehenden Gore, Α., Rede vor der ITU in Buenos Aires, passim. 100 Böndel, B., Informationsgesellschaft, S. 78 ff.

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ne Ansätze einer Kosten-Nutzen-Betrachtung der technischen Normung auf volkswirtschaftlicher Ebene dargelegt werden. c) Ansätze einer quantitativen Kosten-Nutzen-Betrachtung Dem erheblichen monetären Nutzen, den technische Normen auf volkswirtschaftlicher Ebene erzeugen 101, steht ein nicht zu vernachlässigender volkswirtschaftlicher Aufwand gegenüber102. Beide sind nur begrenzt quantifizierbar, da zu diesem Zweck alle durch technische Normungsprojekte verursachten Kosten und Einsparungen in allen Normenorganisationen, Unternehmen (Industrie, Handel, Dienstleistungen) sowie in der Konsumsphäre in die Betrachtung miteinbezogen werden müßten. Ist ersteres noch verhältnismäßig einfach zu bestimmen, erfordert letzteres nicht nur die sorgfältige Analyse primärer und sekundärer Auswirkungen für den Einzelbetrieb, sondern auch für alle Betriebe auf derselben wie auch den vor- und nachgelagerten Wirtschaftsstufen. Darüber hinaus sind aber auch die Opportunitätskosten für die Betrachtung relevant; beispielsweise wäre der Staat im Rahmen seiner Schutz- und Fürsorgepflicht gezwungen, eine Vielzahl technischer Detailregelungen selbst zu erarbeiten, würde dies nicht durch die Normenorganisationen geschehen. Der monetär quantifizierbare volkswirtschaftliche Nutzen technischer Normen ergibt sich aus dem quantifizierbaren Anteil der zu Beginn dieses Abschnittes aufgeführten Normenfunktionen, welche zur Senkung bzw. Vermeidung des entsprechenden volkswirtschaftlichen Aufwands - beispielsweise durch Einsparungen begrenzt verfügbarer Ressourcen (Rationalisierungsfunktion), durch Vermeidung von Personen- und Sachschäden (Sicherheits- und Schutzfunktion 103), durch Begrenzung der Umweltschäden (Umweltfunktion) oder zu einer Steigerung des Sozialproduktes - beispielsweise durch rationelle Arbeitsteilung (Kompatibilitätsfunktion), Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer (Ergonomiefunktion) oder durch erhöhte Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft durch ein hohes Qualitätsniveau (Qualitätsfunktion) - führen. Ein indirekter Nutzen entsteht daraus, daß durch die Normung ein intensiver Informationsaustausch zwischen den Experten ermöglicht, Forschungsarbei-

101

Einen Eindruck des von technischen Normen betroffenen Aktivitätsvolumens erhält man bei ISO, Benefits, S. 78 ff. 102 Die ISO charakterisiert folgerichtig die Erarbeitung einer Norm als Investition mit entsprechenden Aufwänden und Erträgen. ISO, Benefits, S. 33. 103 Durch entsprechende Normen sinken trotz der durch sie verursachten Kosten in einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die Aufwendungen für gesundheitliche Schäden, Verletzungen, Todesfälle, materielle Schäden, Reparaturen, Versicherungen u.a.m. Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 65 f.

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ten angeregt, Herstellverfahren in Frage gestellt, neue Qualitätsperspektiven eröffnet, Probleme für die Produktgestaltung klargelegt werden u.a.m.104. Ein erster Block der monetär quantifizierbaren volkswirtschaftlichen Kosten besteht aus den im jeweiligen Haushalt quantifizierten Aufwendungen für die hauptamtliche Betreuung, die Veröffentlichung und die praktische Einführung der Ergebnisse der Normungsarbeit derjenigen Normungsinstitutionen, die für die Normenerstellung verantwortlich zeichnen105. Erheblich höher sind jedoch die bei den interessierten Kreisen anfallenden Kosten: Neben den Mitglieds-, Förder- und sonstigen Beiträgen an die Normungsinstitutionen entstehen im Rahmen des Normerstellungsprozesses erhebliche Kosten durch die Finanzierung der ehrenamtlichen Mitarbeiter der nationalen, europäischen und internationalen Arbeitsgremien 106, die Durchführung entsprechender Berechnungs- und Forschungsverfahren 107, den strengen, konsensorientierten Normenprozeß 108 und die Preisgabe von Informationen 109. Im Rahmen der Einführung und Anwendung der Normen fallen Verkaufs- und eventuell Vervielfältigungsgebühren für die Normen sowie Einführungs- 110, Umstellungs-111 und Anwendungskosten112 an; ferner können Kosten aus volkswirtschaftlichen Wettbewerbsnachteilen resultieren 113. 104

S. 28.

105

Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 54; Hartlieb, B., Wirtschaftlichkeit,

Vgl. in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.a)dd)(6) (DIN) und Kap. II.A.l.a)ee)(5) (DKE), hinsichtlich Frankreich (AFNOR) Kap. II.A.2.a)dd), bezüglich des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland (BSI) Kap. II.A.3.a)ee) und im Hinblick auf die Europäische Union Kap. II.B.l.a)dd) (CEN/ CENLEC) und Kap. II.B.l.b)ee) (ETSI). 106 In der DKE ist bereits Anfang der siebziger Jahre ein Verfahren entwickelt worden, welches laufend die Kosten der ehrenamtlichen Mitarbeit an der Normung im Inund Ausland erfaßt. Pokorny, F., Kosten, S. 101; Schröder, B., Europäische Normung und Handwerk, S. 86 f. 107 ASTM, 75 Years, zit. in: Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 53; vgl. auch Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 51. 108 Die "American Society for Testing and Materials" (ASTM) hebt hervor: Das freiwillige System ist teuer. Wenn die ASTM im vollständigen Konsensverfahren Normen mit der höchsten Zuverlässigkeit hervorbringt, dann ist es wahrscheinlich auch das teuerste Verfahren. ASTM, 75 Years, zit. in: Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 53. Gleichzeitig ist es aber auch das wirtschaftlichste Verfahren, da eine Norm, die nicht akzeptiert und umgesetzt wird, keinen Nutzen erzeugt, aber dennoch - wenn auch in geringerem Umfang - Kosten verursacht. 109 Bolenz, E., Technische Normung, S. 7. 110 Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 51. 111 Bolenz, E., Technische Normung, S. 7. 112 So greifen Konstrukteure im Mittel zehn Mal am Tag auf Normen zurück, wobei branchenabhängig Maximalwerte von 18 Zugriffen auftreten. Multipliziert mit einer

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Erste Kosten-Nutzen-Betrachtungen der technischen Normung auf nationaler Ebene haben in Frankreich im Jahre 1956 die Kosteneinsparungen auf rund 2 Mrd. Francs pro Jahr beziffert, denen Aufwendungen von jährlich 80 bis 100 Mio. Francs gegenüberstanden114; dies ergibt eine Kosten-Nutzen-Relation von 1:20 bis 1:25. In den USA wurden 1966 Kosten in Höhe von 0,2 % gegenüber Einsparungen von 1 % - jeweils bezogen auf den Industrieumsatz - ermittelt 115, also eine Kosten-Nutzen-Relation von 1:5. Untersuchungen für die Bundesrepublik Deutschland haben im Jahre 1972 jährliche Kosten in Höhe von 600 Mio. D M - entsprechend 0,1 % des Industrieumsatzes - gegenüber jährlichen Kosteneinsparungen in Höhe von 4,2 Mrd. D M bzw. 0,7 % des Industrieumsatzes festgestellt 116, also eine Kosten-Nutzen-Relation von 1:7; 1978 standen Kosten von 2 Mrd. D M (0,2 % des Industrieumsatzes) p.a. Kosteneinsparungen in Höhe von 7-12 Mrd. D M (0,7 bis 1,2% des Industrieumsatzes) p.a. gegenüber 117 , was einer Kosten-Nutzen-Relation von 1:3,5 bis 1:6 gleichkommt. Auf Ebene einzelner Normungsinstitutionen bezifferte das DIN den volkswirtschaftlichen Nutzen der DIN-Normen für das Jahr 1988 mit rund 10 Mrd. DM, denen Kosten in Höhe von 2,2 Mrd. D M für die Erarbeitung und Anwendung der Normen gegenüberstehen118, was einer Kosten-Nutzen-Relation von 1:5 entspricht. Die genannten Kosten von 2,2 Mrd. D M tragen zu rund 50 % die interessierten Kreise, welche die rund 35.000 ehrenamtlichen Mitarbeiter 119 der Arbeitsgremien des D I N und der supra- und internationalen Repräsentation finanzieren. Kosten von etwa einer Milliarde D M entstehen durch die Anwendung der Normen und werden durch die jeweiligen Benutzer aufgebracht, wäh-

nach Normungsebene (vgl. Kap. I.B) differierenden Zugriffszeit ergibt sich ein Zeitaufwand von mindestens 10 % der täglichen Arbeitszeit, die nur zum Suchen der Normen benötigt wird. Dazu kommt die Zeit für die Überführung der Information in die Konstruktionsunterlage. Grabowski, H., Normteile in CAD-Systemen, S. 449. 113 Beispielsweise können hohe, das internationale Niveau deutlich übersteigende Anforderungen an Sicherheit und Umweltschutz in nationalen Normen für die Produzenten dieses Landes auch von Nachteil sein, da die Produktionskosten erhöht werden. Nunnenkamp, P., Technische Handelshemmnisse, S. 10. 114 Schmick, W., Kosten, S. 152. 115 Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 41 ff. 116 Pokorny, F., Kosten, S. 227 ff. 117 Händel, S., Wirtschaftlichkeit, S. 659 ff., insbes. S. 661; Stübler, H. u.a., Kosten und Nutzen, S. 593 ff. Neuere Angaben liegen auch dem DIN nicht vor. Vgl. Hartlieb, B., Wirtschaftlichkeit, S. 29. 118 DIN, Finanzierung, S. 3. 119 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(2).

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rend der Haushalt des D I N rund 6 % der Gesamtkosten umfaßt 120. Etwas anders stellt sich die Aufschlüsselung der Kosten für den Bereich der elektrotechnischen Normung der DKE dar; diese hat für 1991 als Gesamtkosten der elektrotechnischen Normung 164,1 Mio. D M ermittelt; davon entfielen 140,2 Mio. D M (85,4%) auf die an der Normung interessierten Kreise, 21,8 Mio. D M (13,3 %) auf Personal- und Sachkosten der DKE-Geschäftsstelle und 2,1 Mio. D M (1,3 %) auf Beiträge an europäische und internationale Normenorganisationen121. Damit schlagen sich knapp 10 % der Gesamtaufwendungen für die überbetriebliche Normung der deutschen Volkswirtschaft in den Haushalten der hauptamtlich mit der Normung befaßten Geschäftsstellen und den zugehörigen Dienstleistungsabteilungen nieder, während über 90 % der Kosten durch die ehrenamtlichen Mitarbeiter aufgebracht werden 122. Diese Zahlen entsprechen Berechnungen in den Vereinigten Staaten, nach denen die Kosten der interessierten Kreise etwa das Zehnfache der Verwaltungskosten der Normenorganisationen ausmachen123. Für einzelne Normenfunktionen - in diesem Falle die Erarbeitung von Sicherheitsnormen und specialiter für Arbeitssicherheit- hat der Arbeitskreis "Kosten der elektrotechnischen Normung" der DKE Kosten und Nutzen von jeweils rund 2 Mrd. D M von 1981 bis 1985 ermittelt, also eine Kostendekkung 124 . Da neben Wissenschaft, Verbrauchern, Gewerkschaften und anderen interessierten Kreisen insbesondere auch die gewinnorientierten Industrie-, Handelsund Dienstleistungsunternehmen sowie das Handwerk freiwillig bereit sind, alljährlich für die Kosten der überbetrieblichen technischen Normung aufzukommen, muß sich diese Investition für die Unternehmen rentieren. Dazu bemerkt der Präsident des DIN: "Wir können voraussetzen, daß die ehrenamtlichen Mitarbeiter an der Normung von ihren Behörden, Institutionen oder Unternehmungen mit einem klaren Verständnis der eigenen Interessenlage entsandt werden. Ohne das persönliche Engagement der Beteiligten geringschätzen zu wollen, darf das D I N eine hinreichende Kosten/Nutzen-Abwägung vermu120 DIN, Finanzierung, S. 3 ff.; Händel, S. u.a., Kosten und Nutzen, S. 1033 f., die im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten auf die erheblichen Kosten der Anwendung der Normen aufmerksam machten. 121 Alle Zahlen für 1991, entnommen aus: DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 10; DKE, Normung und Sicherheit, S. 1. Vgl. auch die Ausführungen in Händel, S. u.a., Erfolgsberechnung, S. 140 ff. sowie den Vorbericht zur Studie in Händel, S. u.a., Kosten und Nutzen, S. 1032 ff. 122 Händel, S. u.a., Kosten und Nutzen, S. 1033; Reihlen, H., Finanzierung, S. 83. 123 ASTM, 75 Years, zit. in: Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 53; vgl. auch ebd., S. 54. 124 Händel, S. u.a., Erfolgsberechnung, S. 105 f. sowie 124 ff.

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ten" 125 . Die Betrachtung dieser betriebswirtschaftlichen Bedeutung technischer Normen ist Gegenstand des nachfolgenden Kapitels.

2. Die betriebswirtschaftliche Bedeutung technischer Normen a) Ansätze einer qualitativen Analyse "Die für den Konsumenten mit großen Ersparnissen verbundene Normung bringt für den Produzenten so ungeheure Gewinne, daß er sein Geld kaum unterbringen kann" 126 . Mit dieser euphorischen Aussage bemaß Anfang der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts Henry Ford den monetären Nutzen technischer Normung. Da sich die betriebswirtschaftliche Bedeutung technischer Normen jedoch nicht mehr allein in den monetären Segnungen von Norm- und Wiederholteilen oder auch in einem Beitrag zur Steigerung der Produktivität von Arbeitsprozessen und Senkung der Betriebskosten127 erschöpft, sondern viele Faktoren des betrieblichen Erfolges - Produktivität, Qualität, Innovation, Logistik u.a.m. - beeinflußt 128, soll im folgenden die bewährte Methode der Differenzierung der Bedeutung technischer Normen nach den Normenfunktionen auch auf die betriebswirtschaftliche Ebene angewandt werden. Bei genauerer Betrachtung erweist es sich jedoch hinsichtlich einiger Normenfunktionen als problematisch, eine Abgrenzung der betriebswirtschaftlichen Bedeutung der überbetrieblichen technischen Normung von der innerbetrieblichen vorzunehmen. Denn eine direkte, unveränderte Übernahme ist nur bei einem Teil der technischen Normen möglich, während andere der Auswahl, Eingrenzung oder Spezifikation durch die Werknormenabteilung bedürfen, damit die Unternehmen den vollen Nutzen der entsprechenden Normen realisieren können129. Weiterhin sind gewisse überbetriebliche Normen für bestimmte Un-

125 Reihlen, H., Finanzierung, S. 84. Für die DKE ähnlich Lehmann, M., DKE: Organisation und Arbeitsweise, S. 7; aus der Sicht der Industrie vgl. Kessler, C., Sicht eines Großbetriebes, S. 21. 126 Ford, H., Mein Leben und Werk, S. 173. Ford zielt dabei nicht nur auf die innerbetriebliche Typnormung ab, sondern insbesondere auch auf die Kompatibilität durch Normung von Baugruppen. Ebenda, S. 174 f. 127 So u.a. bei Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1353 ff.; Hinterhuber, H. H., Normung, Typung und Standardisierung, Sp. 2777; Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 456 f. 128 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 5. 129 Während für viele, beispielsweise der Kompatibilitäts-, Ergonomie-, Sicherheitsoder Verständigungsfunktion dienende Normen eine unveränderte betriebliche Übernahme sinnvoll oder gar geboten ist, bedürfen andere Normen hinsichtlich der be-

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

ternehmen in vollem Umfang und ohne Einschränkungen anwendbar, während dieselben Normen von anderen Unternehmen für die eigenen Betriebsverhältnisse aufbereitet werden müssen130. Dementsprechend betont auch das DIN: "Die Vorteile der Normung bestehen nicht nur durch das Benutzen von DINNormen, sondern [auch] in der Ergänzung durch innerbetriebliche Normungsarbeit" 131. Quantitative Untersuchungen zu diesem Thema haben ergeben, daß 1983 in deutschen Unternehmen vom innerbetrieblichen Normenbestand durchschnittlich 29,5 % auf unveränderte überbetriebliche technische Normen, 31,5 % auf Werkfassungen und 39 % auf Werknormen entfielen 132. Noch deutlicher wird der direkte betriebswirtschaftliche Nutzen überbetrieblicher technischer Normen anhand von Untersuchungen zwischenbetrieblicher Handelsströme: So entfielen 1980 von den Fremdbezügen eines Werkes eines großen deutschen Elektrotechnikunternehmens rund 50 % auf genormte Erzeugnisse133. Ein nahezu identisches Bild spiegelt eine Analyse der Fremdbezüge eines anderen großen deutschen Konzerns im Jahre 1983 wider, dessen Gesamteinkaufsvolumen in Höhe von 7,4 Mrd. D M zu rund 50 % aus genormten Erzeugnissen bestand134. Schließlich sind im Maschinenbau sogar zwei Drittel aller fremdbezogenen Artikel überbetrieblich genormt, nur ein Drittel hingegen betriebsspezifisch 135. Diese Zahlen untermauern Aussagen aus der Praxis, nach denen erst dann eine eigene Werknorm erarbeitet wird, wenn für ein bestimmtes Problem keine überbetriebliche Norm existiert und die Initialisierung eines überbetrieblichen Normungsvorhabens keinen Erfolg gebracht hat 136 . Denn der Nutzen einer technischen Norm für das Unternehmen ist um so größer, je höher deren Nor-

triebswirtschaftlich besonders bedeutsamen Vereinheitlichungs-, Austausch- und Rationalisierungsfunktion häufig der innerbetrieblichen Einschränkung. 130 So ist es beispielsweise vorstellbar, daß überbetriebliche technische Normen für Schrauben von einem Schraubenhersteller direkt angewendet werden können, während andere Industrieunternehmen diese Normen betriebsintern einschränken müssen. Fände hier keine Auswahl statt, so bliebe es dem Zufall überlassen, ob verschiedene Konstrukteure für Schraubverbindungen ähnlicher Beanspruchung gleiche Schrauben bezüglich Durchmesser, Länge, Material, Kopf und Ausführung wählen würden. 131 DIN, Innerbetriebliche Normungsarbeit: Grundlagen, S. IV. Vgl. auch Kap. I. A.4. 132 Grabowski, H., Normteile in CAD-Systemen, S. 450. Vgl. auch Kap. I.A.4. 133 Bei den 4 wichtigsten Bezugsgruppen machten genormte Teile sogar knapp zwei Drittel der Fremdbezüge aus. Müller, B., Produktivität, S. 506. 134 Hartlieb, B. u.a., Erfindung, S. 362. 135 Grabowski, H., Normteile in CAD-Systemen, S. 449 f. 136 Krieg, K. G. u.a., Leitfaden, S. 18 f.

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mungsebene ist; denn bei der Übernahme einer nationalen, supranationalen oder gar internationalen Norm werden gleichzeitig Vorteile über das Unternehmen hinaus auf diesen Ebenen realisiert, beispielsweise hinsichtlich Betrieb und Service, Berücksichtigung von Konsumentenbedürfnissen, wissenschaftlichen Erkenntnissen u.a.m. Den größten Nutzen für ein Unternehmen hat dementsprechend eine internationale Norm 137 . Im- und exportorientierte Branchen wie die 1îfi

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chemische Industrie oder die Elektrotechnik , aber auch Verbraucherorganisationen wie die Stiftung Warentest 140 räumen deshalb der internationalen Normung ausdrücklich Vorrang ein. Trotz der nachgewiesen hohen betriebswirtschaftlichen Bedeutung ist bei den folgenden Ausführungen stets zu beachten, daß der nachfolgend qualifizierte Aufwand oder Nutzen technischer Normen nicht allein durch die überbetriebliche, sondern erst in Verbindung mit der innerbetrieblichen Normung vollständig realisiert werden kann 141 . Dabei erfolgt keine Unterteilung in Produktion, Handel und Dienstleistung, da eine derartige Differenzierung keine weiteren, für die Arbeit relevanten Erkenntnisse liefert 142. Eine Analyse der allgemeinen Normenfunktionen 143 zeigt sehr schnell auf, daß alle genannten Normenfunktionen von erheblicher betriebswirtschaftlicher Bedeutung sind. So ermöglicht die geordnete, strukturierte Darstellung der Informationen in technischen Normen einen umfassenden Überblick für alle interessierten Kreise über den Stand der Technik und schafft so erst die Voraussetzung für die Anwendung vieler Verfahren vor allem in kleinen und mittleren 137

ISO, Benefits, S. 11, 18. Bolenz, E., Technische Normung, S. 131. 139 Kessler, C., Sicht eines Großbetriebes, S. 22. 140 Insbesondere aufgrund der höheren Mobilität der Verbraucher. Hüttenrauch, R., Mitwirkung der Verbraucher, S. 31, 34. 141 Hinsichtlich der Würdigung der betriebswirtschaftlichen Bedeutung überbetrieblicher technischer Normen vgl. beispielsweise Preibusch, K , Internationale Normung, S. 304 ff.; Rentsch, H., Internationale Normung, S. 301 ff. Es wird in diesem Zusammenhang sogar proklamiert, daß insbesondere ohne überbetriebliche internationale Normen, die von vielen Unternehmen direkt als Werknormen übernommen werden, in einer im- und exportorientierten Volkswirtschaft heute kaum ein Unternehmen lebensfähig wäre. Sturen, O., Industrielle Produktivität, S. 508. 142 Zu beachten ist lediglich eine andere Gewichtung der genannten Aspekte in Distributions- und Dienstleistungsuntemehmen. Beispielsweise entfallen im Handel sämtliche Auswirkungen auf Konstruktion, Produktion, Qualitätskontrolle usw., wohingegen Aufwand und Nutzen bezüglich Einkauf, Lagerhaltung, Logistik, Verwaltung, Vertrieb usw. besonders ins Gewicht fallen, weil im Handel Personal- und Logistikkosten sowie die Verzinsung des in die Warenbestände investierten Kapitals die wesentlichen Kostenfaktoren darstellen. 143 Zu den nachfolgend aufgeführten Normenfunktionen vgl. die Ausführungen in den jeweils einschlägigen Unterabschnitten in Kap. I.C. 138

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Unternehmen144. Unternehmen informieren sich vom Moment der Entwicklung bis hin zum Vertrieb ihres Produktes über die in Normen kodifizierten Regeln der Technik, welche die Marktgewohnheiten widerspiegeln und zu Markteinführung und Verkaufsförderung beitragen145 ( Informations - und Ordnungsfunktion i.V.m. Technologietransferfunktion). Von zentraler betriebswirtschaftlicher Bedeutung ist die Rationalisierungsfunktion technischer Normen. Indem diese darauf abzielen, einen wirtschaftlichen Wert mit geringerem Aufwand bzw. höherer Produktivität als bislang hervorzubringen, erzeugen sie Kostenvorteile auf allen Stufen des betrieblichen Leistungserstellungsprozesses vom Auftrags- bzw. Materialeingang bis zum Versand. Beispielsweise ergibt sich bei genormten Artikeln eine Rationalisierung des Warenaustausches, da Beschreibung, Qualitätskontrolle, Prüfung oder Probenahme der Ware weniger aufwendig gestaltet werden können146. Aus technischen Normen resultiert eine Vereinfachung der betrieblichen Konstruktionsarbeit, indem für häufig wiederkehrende Aufgaben zeitlich begrenzte, technisch-wirtschaftlich optimale und voll durchkonstruierte Lösungen vorgegeben 147 , durch die Vereinheitlichung von Maßen und Toleranzen Nachbearbeitung vermieden, aufgrund geeigneter "Sparkonstruktionen" ein geringerer Werkstoffverbrauch erreicht und Entscheidungen über Bemaßung, Toleranzen, Gebrauchstauglichkeit u.a.m. vereinfacht werden 148. In der Logistik helfen technische Normen, manuelle Tätigkeiten durch Umfüllen, Umladen u.a.m. an logistischen Schnittstellen zu minimieren 149 und die Raumausnutzung im Lager 150 und auf den Transportmedien zu optimieren. In der Qualitätskontrolle wurde durch die Normung von Prüfabläufen und -Protokollen eine Reduzierung des Verwaltungsaufwandes um 60 % ermittelt 151. Als letztes Beispiel seien Normen über Wartung, Instandsetzung und vorbeugende Instandhaltung ge-

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Vgl. die Ausführungen zur Technologietransferfunktion in Kap. I.C.2.k). AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 6, 11. 146 Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 58 ff.; Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 457; Turotzi, H., Normung, S. 251. 147 Durch das Anwenden technischer Normen werden 5-10 % Zeit bei der Konstruktionsarbeit eingespart. Hände, K , Wirtschaftlichkeit, S. 298; vgl. auch Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1354 f.; Dhen, K , Produktivitätssteigerung, S. 8; Hinterhuber, H. H., Normung, Typung und Standardisierung, Sp. 2777; Turotzi, H., Normung, S. 251; ferner die Ausführungen zur Rationalisierungsfunktion in Kap. I.C.l.c). 148 Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 61. 149 Engberg, B. C., Materialfluß, S. 735. 150 Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 57. 151 Müller, B., Produktivität, S. 506. 145

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nannt, welche nicht nur die Ausfallquote von Betriebsmitteln, sondern auch den Umfang spezieller Ausbildungsmaßnahmen verringern 152. Den größten betriebswirtschaftlichen Stellenwert unter den allgemeinen Normenfunktionen genießt zweifellos die Vereinheitlichungsfunktion, welche i.V.m. der Rationalisierungsfunktion - erhebliche Kostenvorteile auf allen Stufen des Leistungserstellungsprozesses erzeugt. Diese Kostenvorteile beruhen auf zwei voneinander abhängigen Effekten, die in der Betriebswirtschaftslehre mit dem Begriff "Skalenerträge" ("economies of scale") bezeichnet werden 153: Die Vereinheitlichung führt durch die Verringerung möglicher Ausprägungen stets zu steigenden Mengen, wodurch die Kosten eines Produktes, Verfahrens oder einer Dienstleistung beispielsweise durch einen geringeren Fixkostenanteil (für Forschung und Entwicklung, Konstruktion usw.) 154 , durch höhere Spezialisierung von Arbeitskräften 155 und Anlagen oder geringere Logistikkosten sinken. Zum anderen werden durch die Vereinheitlichung die Kosten der Vielfalt reduziert, die entsprechend den nachfolgenden Ausführungen in nahezu allen betrieblichen Abteilungen auftreten 156: Verwaltung 151 : Durch die Freigabe eines neuen Artikels 158 entstehen in zahlreichen Untemehmensbereichen Verwaltungskosten für die Erstellung, Verteilung und Pflege von Unterlagen, Zeichnungen, Daten usw., die bei der Verwendung eines Norm- oder Wiederholteils nicht anfallen. So entsteht bei eigengefertigten Artikeln 152

Fehlende Normung in diesem Bereich hat weitreichende Folgewirkungen: es muß nicht nur mehr gelernt werden, sondern das Gelernte wird auch seltener angewandt, woraus eine jeweils erneute Einarbeitung mit den zunächst üblichen Bedienungsfehlem resultiert. Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 29; Münster, K.-D. u.a., Normung für CNC-Technik, S. 520. 153 Pratten, C., Economies of scale, S. 21 ff. 154 Die Stückzahl ist bekanntermaßen die Basis für eine Senkung der fixen Stückkosten. Friedewald, H.-J., Rationalisierung, S. 516. 155 Viele betriebliche Abteilungen wie Konstruktion, Entwicklung, Fertigungssteuerung, Fertigung, Qualitätskontrolle u.a., aber auch Zulieferer gewinnen während der Produktion eines Teiles wertvolle Erfahrungen; mit jeder Wiederverwendung amortisiert sich das auf diese Weise investierte Know-How ohne weiteres Zutun. Zudem tritt der sog. Lernkurveneffekt auf, d.h. durch Wiederholung einheitlicher Aufgaben wird ein operatives Handlungswissen erworben, das zu einer effektiveren Arbeitsweise führen kann. Brauchle, H., Flexible Produktion, S. 27. 156 Zur Entwicklung der Varianten Vielfalt in einer Firma mit und ohne Normung vgl. ISO, Benefits, S. 16. 157 Der Begriff "Verwaltung" soll in diesem Zusammenhang als Verwaltungstätigkeit verstanden werden, welche in unterschiedlicher Ausprägung in jeder Unternehmensabteilung anfällt. Die genannten Untemehmensabteilungen werden nachfolgend nur dann nochmals separat aufgeführt, wenn neben dem Verwaltungsaspekt noch weitere Auswirkungen der Vereinheitlichungsfunktion auftreten. 158 Der Begriff "Artikel" soll als Sammelbegriff für Einzelteile, Baugruppen und Produkte sowie Roh-, Hilfs-, Betriebsstoffe, Halbzeuge usw. verstanden werden.

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

zusätzlicher Verwaltungsaufwand in Entwicklung, Konstruktion, Zeichnungsprüfung und -Verwaltung, Labor, Musterbau, Arbeitsvorbereitung, Betriebsmittelkonstruktion, -bau, -beschaffung, Produktionsplanung und -Steuerung, Fertigung und internem Rechnungswesen/Kostenträgerrechnung , bei fremdbezogenen Artikeln in Einkauf und externem Rechnungswesen160, und in beiden Fällen bei der Datenpflege von Stamm-, Bestands- und Bewegungsdaten, in Disposition, Lager, Montage, Qualitätskontrolle, Logistik und bei der Inventur 161. Konstruktion: Die Anwendung überbetrieblicher technischer Normen - beispielsweise des ISO-Normensystems für Toleranzen und Passungen- und Normungsprinzipien - beispielsweise des Prinzips dezimalgeometrischer Normzahlen nach DIN 323 - führen zu einer sinnvollen Einschränkung der unbegrenzten technischen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Konstruktion. Die daraus resultierende Ausrichtung auf Normgrößen bewirkt den Fortfall des Konstruktionsaufwands für Planung, Berechnung, Zeichnung usw. etwaiger Zwischengrößen, womit die Konstruktion der Normgrößen sorgfältiger und dennoch kostengünstiger erfolgen kann. Bei Bedarf liegen alle technischen Unterlagen derartiger Norm- und Wiederholartikel vor, d.h. für die Funktionen, die diese Artikel übernehmen können, ist keine Neukonstruktion erforderlich. Erfaßt die Norm nicht alle erforderlichen Sachmerkmale, so braucht der Konstrukteur seine Überlegungen nur auf die nicht genormten Sachmerkmale zu konzentrieren 162. Femer wird durch die Anwendung dezimalgeometrischer Normzahlreihen eine grundsätzliche Vomormung geschaffen, die zum Konstruieren in Reihen entsprechend den Normzahlen führt . D.h. eine Stufung schon von kleinen Artikeln pflanzt sich nach dem Größenfortpflanzungsgesetz der Technik unmittelbar auf andere Artikel fort, wenn diese Gegen-

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AK N, Kosteneinsparung, S. 5; Brauchle, H., Flexible Produktion, S. 26; Fremgens, G. J., Kostensenkung, S. 337; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 23; Imberty, M., Konkrete Anwendung, S. 466; Meinl, F., Kosten der Einführung, S. 474; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226; Pätzold, H., Konstruktions- und Fertigungsaufwand, S. 341; Siver, D., Wertanalyse, S. 297. 160 Brauchle, H., Flexible Produktion, S. 26; Imberty, M., Methode zur Bewertung, S. 461; Siver, D., Wertanalyse, S. 297; Turotzi, H., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 144. 161 Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1355; Brauchle, H., Flexible Produktion, S. 26; Fremgens, G. J., Kostensenkung, S. 337; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 23; Imberty, M., Methode zur Bewertung, S. 461; ders., Konkrete Anwendung, S. 466; Pätzold, H., Konstruktions- und Fertigungsaufwand, S. 341; Siver, D., Wertanalyse, S. 297; Turotzi, H., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 144. 162 Beitz, W., Konstruktions- und Fertigungsaufwand, S. 351; Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1355; Dhen, K , Produktivitätssteigerung, S. 8; Fremgens, G. J., Kostensenkung, S. 337; Grabowski, H., Normteile in CAD-Systemen, S. 449; Hände, K , Wirtschaftlichkeit, S. 299; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 23; ISO, Benefits, S. 38; Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 456 f.; Kreikebaum, H., Standardization, Sp. 2250 f.; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226; Turotzi, H., Normung, S. 251. 163 Krieg, K. G., Normzahlen, S. 1-46 ff.; vgl. auch in der aktuellen Auflage Henjes, G., Nummerungstechnik, S. 4-1 ff.

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stücke (Anschlußstücke, Spiegelstücke, Fertigungsmittel) oder Halbzeuge sind oder dem gleichen Kraft- oder Funktionssystem angehören164. Betriebsmittelkonstruktion, -bau, -beschaffung: Neue Artikel erfordern i.d.R. Investitionen für Fertigungsmittel wie Werkzeuge, Prüfmittel, Vorrichtungen und Spannzeuge bis hin zu Produktionsmitteln wie Maschinen, Automaten oder Anlagen165. Werden jedoch die Artikel nach Normzahlen gestuft konstruiert, so erfolgt automatisch auch die Stufung vieler Betriebsmittel nach Normzahlen. Hand in Hand mit den Kosteneinsparungen für Betriebsmittelkonstruktion und -bau bzw. -beschaffung 166 für die entfallenden Zwischengrößen geht der rationellere Einsatz der verbleibenden Betriebsmittel167, die nunmehr entsprechend aufwendiger und weniger fehleranfällig konstruiert werden können168. Es ist weniger Kapital im Anlagevermögen gebunden, und das Verschrottungsrisiko der Betriebsmittel sowie der Lernaufwand des Personals werden reduziert 1 . Instandhaltung: Je einheitlicher die Betriebsmittel beschaffen sind, desto weniger herstellerspezifische Ersatzteile, Diagnosehilfsmittel und Programmiergeräte müssen für deren Instandhaltung beschafft werden, und desto geringer ist der Lernaufwand des Personals170. Arbeitsvorbereitung: In Bezug auf die Arbeitsvorbereitung gilt das zur Konstruktion Gesagte analog hinsichtlich der Erstellung und Pflege von Arbeitsplänen und Prämienzeiten, der Rationalisierung usw.171 Einkauf: Die Zahl der unterschiedlichen Kaufartikel,* die für Produktion oder Weiterverkauf zu beschaffen sind, verringert sich aufgrund der Vereinheitlichungsfunktion technischer Normen, woraus für die verbleibenden Artikel durch ihren relativ höheren Verbrauch entsprechend größere Beschaffungsmengen bei konstantem Lagerumschlag resultieren. Dadurch sinken die bestellfixen Kosten je Einheit, Rabatte können besser ausgenutzt werden und eventuelle Mindermengenzuschläge

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Friedewald, H. J., Normung, S. 530; Kienzle, O., Normungszahlen, S. 1 ff.; Krieg, K. G. u.a., Leitfaden, S. 12. 165 Dies kann aufgrund des steigenden Flächenbedarfs u.U. sogar zu der Notwendigkeit baulicher Erweiterungen führen. Brauchle, H., Flexible Produktion, S. 28. 166 Friedewald, H. J., Normung, S. 530 f.; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 23; Imberty, M., Methode zur Bewertung, S. 463; Kienzle, O., Normungszahlen, S. 1 ff.; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226, 228; Pätzold, H., Konstruktions- und Fertigungsaufwand, S. 341 167 Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 28. 168 Friedewald, H.-J., Rationalisierung, S. 514. 169 Berg, F., Bedeutung der Normung, S. 295 f.; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 29; Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 456; Turotzi, H., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 144. 170 Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 29; Münster, K.-D. u.a., Normung für CNC-Technik, S. 520. Vgl. femer die vorausgehenden Ausführungen zur Rationalisierungsfunktion in diesem Kapitel. 171 Beitz, W., Konstruktions- und Fertigungsaufwand, S. 351; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 23, 28; Imberty, M., Methode zur Bewertung, S. 463.

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

entfallen 172, während zugleich die Anzahl der Bestellvorgänge und somit der Personalbedarf im Einkauf sinkt173. Ferner steigen Markttransparenz und Vergleichbarkeit der Angebote, da durch die Vielfaltreduzierung eine gründlichere Analyse des Marktes für jeden Beschaffungsartikel möglich ist 4 . Produktion: In Analogie zum Einkauf verringert sich durch die Vereinheitlichungsfunktion der Normung die Anzahl der eigengefertigten Artikel, deren Produktion für die Montage oder den Weiterverkauf erfolgen muß, auf relativ weniger Artikel, die aufgrund ihres relativ höheren Verbrauchs in entsprechend größeren Stückzahlen produziert werden können175. Dies führt zu weniger Fertigungslosen mit höheren Losgrößen, wodurch die losfixen Kosten - Arbeitspapiererstellung, Rüstaufwand, Ausschuß bei Maschinenanlauf usw. - sinken und im umgekehrten Maße die Produktivität der entsprechenden Anlagen steigt176. Selbst einem Auftrags- und Variantenfertiger ist so die Produktion vieler Normartikel in Serie möglich 177 . Damit können produktivere Fertigungsverfahren eines höheren Automati sierungs- oder Spezialisierungsgrades genutzt werden, die erst bei größerer Stückzahl wirtschaftlich einzusetzen sind 178 , und die durch entsprechend häufige Fertigung oft ausgereifter sind179. Femer trägt die Produktion großer Stückzahlen gleicher Erzeugnisse dazu bei, die Auftragsabwicklung zu beschleunigen und so die Kapitalbindung zu reduzieren, woraus i.V.m. der oben dargelegten Senkung der Herstellkosten ein höherer Kapitalertrag resultiert 180.

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AK N, Kosteneinsparung, S. 5; Brauchle, H., Flexible Produktion, S. 27; Fremgens, G. J., Kostensenkung, S. 337; Hände, K , Wirtschaftlichkeit, S. 299; Hartlieb, B., Wirtschaftlichkeit, S. 26; IFAN, Vorteile von Normungsprojekten, S. 13; ISO, Benefits, S. 38; Turotzi, H., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 144. 173 AK N, Kosteneinsparung, S. 5; Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 62; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 28; IFAN, Vorteile von Normungsprojekten, S. 13; Lukes, R., Industrielle Normen und Standards, S. 24. 174 AK N, Kosteneinsparung, S. 5; Brauchle, H., Flexible Produktion, S. 27; Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 457. 175 ISO, Benefits, S. 14, 38; Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 456; Turotzi, H., Normung, S. 251; Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 97. 176 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 17; ISO, Benefits, S. 14; Brauchle, H., Flexible Produktion, S. 28; Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 68; Hartlieb, Β. u.a., Zusammenhänge I, S. 28; Ludwig, N., Welthandel und Weltnormung, S. 212; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226; Pätzold, H., Konstruktions- und Fertigungsaufwand, S. 341; Turotzi, H., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 144. 177 Eckert, W., Normung und Standardisierung, S. 4, 28; Friedewald, H. J., Normung, S. 520, 522 f. 178 AK N, Kosteneinsparung, S. 6; Brauchle, H., Flexible Produktion, S. 28; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 23; Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 456; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226. 179 Friedewald, H.-J., Rationalisierung, S. 514. 180 AK N, Kosteneinsparung, S. 5 f.; Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1355; Fremgens, G. J., Kostensenkung, S. 338; Turotzi, H., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 144; Turotzi, H., Normung, S. 251.

D. Die Bedeutung technischer Normen

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Logistik: Durch die Vereinheitlichungsfunktion wird die Anzahl der verschiedenen, innerhalb der bzw. zwischen den betrieblichen Abteilungen zu transportierenden, umzuschlagenden und zu lagernden Artikel verringert. Für die Lagerhaltung resultiert daraus eine Verminderung des notwendigen Lagerbestandes, wodurch die Lagerhaltungskosten - verursacht durch Inanspruchnahme von Lagerraum, Kapitalbindung usw. - verringert und die Kontrolle über den Warenbestand inklusive Inventur verbessert werden 181. Aufgrund der damit einhergehenden Reduzierung des Einlagerungs-, Verwaltungs- und Kommissionieraufwands ist weniger Lagerpersonal notwendig182. Hinzu kommt die Verringerung der Gefahr von Ladenhütern und damit des Verschrottungsrisikos durch plötzliche Schwankungen auf dem Absatzmarkt, technische Änderungen oder zu hoch liegende Mindestabnahmemengen bei Kaufartikeln, die nicht rechtzeitig aufgebraucht werden können183. Zusätzlich erhöht sich der Kapitalertrag durch kürzere Lagerdurchlaufzeiten und größere Umschlaghäufigkeit bei gleichzeitig besserer Bedarfsbefriedigung184. Letztlich führt die Vereinheitlichung der eigengefertigten Komponenten zu geringeren Kosten für die Ersatzteil-Lagerung 185, während der Fremdbezug von Normteilen aufgrund deren kurzfristiger und zuverlässiger Lieferbarkeit geringere Sicherheitsbestände zuläßt186. In der innerbetrieblichen Logistik sind weniger Artikel in größeren Mengen zu transportieren und umzuschlagen, was zugleich den Einsatz größerer Transporteinheiten und kostengünstigerer Transportmittel ermöglicht 187 . Im Rahmen der überbetrieblichen Logistik kann der Transport in genormten, raumoptimalen und damit kostengünstigeren Verpackungen erfolgen 1 . Qualitätskontrolle: Durch die Vereinheitlichungsfunktion werden die Kosten für die Wareneingangs- und internen Qualitätskontrollen reduziert, weil weniger Artikel und damit weniger Abmessungen, Toleranzen, Qualitäten usw. zu prüfen sind

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AK N, Kosteneinsparung, S. 6; Berg, F., Bedeutung der Normung, S. 295 f.; Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1355; Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 62; Fremgens, G. J., Kostensenkung, S. 338; Friedewald, H.-J., Rationalisierung, S. 514; Hartlieb, B., Wirtschaftlichkeit, S. 26; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 28; IFAN, Vorteile von Normungsprojekten, S. 13; Imberty, M., Methode zur Bewertung, S. 461; ders., Konkrete Anwendung, S. 465; ISO, Benefits, S. 23, 38; Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 457; Nitsche, H., Grundlagen, S. 228; Turotzi, H., Normung, S. 251; ders., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 144. 182 Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 62; Pätzold, H., Konstruktions- und Fertigungsaufwand, S. 341. 183 AK N, Kosteneinsparung, S. 6; Brauchle, H., Flexible Produktion, S. 30; Turotzi, H., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 144. 184 Fremgens, G. J., Kostensenkung, S. 338; Friedewald, H.-J., Rationalisierung, S. 514; Hände, K , Wirtschaftlichkeit, S. 299; Hartlieb, B., Bedeutung des DIN, S. 77; Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 456 f.; Pratten, C., Economies of scale, S. 21 ff.; Turotzi, H., Normung, S. 251; ders., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 144. 185 Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen hinsichtlich des Kundendienstes. 186 ISO, Benefits, S. 38. 187 Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 69; ISO, Benefits, S. 38; Pätzold, H., Konstruktions- und Fertigungsaufwand, S. 341. 188 Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 457.

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

und sich genormte Artikel durch ein Mindest-Qualitätsniveau auszeichnen189. Gleichzeitig verbessert sich die Qualität, weil die Arbeitskräfte besser eingearbeitet und bessere Fertigungs- und Meßmittel eingesetzt werden können190, während umgekehrt das Fehler- und Qualitätsrisiko mit jedem neuen Artikel steigt191. Vertrieb: Bestehen neue Produkte zu einem möglichst hohen Anteil aus vorhandenen Artikeln, erhöht sich die Überschaubarkeit der Vorbereitungsarbeiten für den Produktionsanlauf, während die Produktanlaufzeit ("time to market") und Lieferzeit ("time to manufacture") sinken. Angebote und Terminzusagen für neue Erzeugnisse werden bei Verwendung von Norm- und Wiederholartikeln sicherer, was bei hartem Wettbewerb oder der Vereinbarung von Konventionalstrafen einen wesentlichen Vorteil darstellt 192. Ferner können in diesem Fall Kosten vorteile aufgrund der oben geschilderten Effekte realisiert werden. Bezüglich des Vertriebs genormter Artikel bestehen infolge ihrer vielseitigen Verwendbarkeit bessere Absatzmöglichkeiten bei geringerem Absatzrisiko und geringerem Aufwand des Vertriebs; femer besteht die Möglichkeit, die Artikel aufgrund der kostengünstigeren Produktion in großen Stückzahlen preisgünstiger anzubieten193. Kundendienst: Reaktionsvermögen und Aufwand eines Kundendienstnetzes werden stark von der Vielfalt der Ersatzteile beeinflußt, welche noch viele Jahre nach dem Auslauf des Produktes den Kundendienst beschäftigen 194. Rechnungswesen: Die aufgeführten Auswirkungen der Vereinheitlichungsfunktion senken durch die Verringerung der Artikelanzahl vornehmlich den Aufwand im Bereich der Kostenträger- (Zeit- und Stück-) Rechnung mit Plan- und Istwerten195. Im Rahmen der speziellen Normenfunktionen gewährleisten Maßnormen i.V.m. Gebrauchstauglichkeitsnormen die Austauschbarkeit von (Roh-)Mate-

189 Hartlieb, B., Wirtschaftlichkeit, S. 26; Petrick, K. u.a., Qualitätssicherung und Normung, S. 51; Turotzi, H., Normung, S. 251; ders., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 144. 190 Friedewald, H.-J., Rationalisierung, S. 514; Zwieten, J. W. van, Qualitätssicherung, S. 475. 191 Brauchle, H., Flexible Produktion, S. 27. 192 Ebd., S. 26 f.; Eigner, M. u.a., CAD-Normteiledatei, S. 150. So wird von der Konstruktion zweier vergleichbarer Maschinen - einmal mit DVunterstützter Sachmerkmalleiste nach DIN 4000-1, einmal ohne - berichtet, daß 310 (von 2840) versus 672 (von 2928) Teile neu entwickelt, die Entwicklungszeit um 15 % unterschritten bzw. um 36 % überschritten wurden bei Entwicklungskosten von 1,9 Mio. DM gegenüber 2,6 Mio. DM. Hartlieb, B., Wirtschaftlichkeit, S. 27 f. 193 Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1355; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 28. 194 Berg, F., Bedeutung der Normung, S. 295 f.; Brauchle, H., Flexible Produktion, S. 30; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 29. 195 AK N, Kosteneinsparung, S. 5; Brauchle, H., Flexible Produktion, S. 27; Dhen, K , Produktivitätssteigerung, S. 8; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 23; Meinl, F., Kosten der Einführung, S. 474.

D. Die Bedeutung technischer Normen

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rialien, Komponenten und Ersatzteilen und erleichtern, beschleunigen und verbilligen damit sowohl Beschaffung als auch Instandhaltung in erheblichem Maße 196 . Durch die Austauschbarkeit von genormten Erzeugnissen verschiedener Hersteller entfällt die Abhängigkeit von nur einem Lieferanten, wodurch unter anderem auch die Entstehung von Ersatzteilmonopolen mit überhöhten Preisen verhindert wird 197 (Austauschfunktion). Von erheblicher betriebswirtschaftlicher Bedeutung ist die Kompatibilitätsfunktion technischer Normen, die durch Schnittstellennormen auf der Abnehmerseite die Kombination technischer Systemkomponenten verschiedener Hersteller ermöglicht 198 und auf der Anbieterseite durch die Option der Beschränkung des Angebotes auf entsprechend genormte Zulieferartikel, Komponenten und Module den Markteintritt kleiner und 196

ISO, Benefits, S. 23; Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 62; Hinterhuber, H. H., Normung, Typung und Standardisierung, Sp. 2777; Turotzi, H., Technischwirtschaftliche Aspekte, S. 144; ders., Normung, S. 251. So wird beispielsweise berichtet, daß sich die Reparaturzeit von Lokomotiven durch die überbetriebliche Normung entscheidender, oft auszuwechselnder Teile von 110 auf 20 Tage verkürzten. Stefener, W., DIN-Normen, S. 5. 197 ISO, Benefits, S. 111 ; Münster, K.-D. u.a., Normung für CNC-Technik, S. 520. Vor der Normung waren Produzenten oft abhängig von einem bestimmten Hersteller von Rohmaterial und Komponenten. Wenn das Material anderweitig bezogen wurde, traten nicht selten Werkzeugbrüche auf, Maße und Toleranzen im Rahmen der Weiterverarbeitung konnten nicht eingehalten werden, Verschlüsse paßten nicht u.a.m. Durch die technische Normung wurden Eigenschaften, Toleranzen, Passungen usw. eindeutig definiert, so daß die meisten Materialien und Komponenten nun von jedem Lieferanten im In- oder Ausland beschafft werden konnten. Auf diese Weise ist es sogar möglich, eine gesamte Fertigung ohne größere Änderungen, den Bau neuer Werkzeuge o.ä. in ein anderes Land zu verlegen, da Materialien und Komponenten weltweit zu beziehen sind. ISO, Benefits, S. 114 f. 198 Wird im Bereich komplementärer Erzeugnisse - wie Fotoapparat und Film, Felge und Reifen, Kassettenrecorder und Musikkassette - oder komplexer technischer Funktionssysteme - wie Logistik-, Büroorganisations-, Kommunikations- und Informationssysteme - keine Kompatibilität durch technische Normen geschaffen, besteht lediglich eine - wenn auch durch Normen uneingeschränkte - Έχ-ante-Konkurrenz" der verschiedenen auf dem Markt angebotenen Systeme. Hat sich der Käufer jedoch für ein System entschieden, so findet er sich als "Gefangener" dieses Systemanbieters wieder, da der Wechsel zu einem anderen Fabrikat oft nur um den Preis eines kompletten Systemaustausches erkauft werden kann und somit eine "Ex-post-Konkurrenz" praktisch nicht existiert. So wird beispielsweise im Bereich von CIM die Festlegung international genormter Schnittstellen für alle CIM-Komponenten angestrebt, um auf der Angebotsseite den Wettbewerb unter den Herstellern zu verstärken und auch kleineren Anbietern die Möglichkeit zu eröffnen, einzelne kompatible CIM-Module anzubieten, und auf der Nachfrageseite aufgrund der Kompatibilität der CIM-Komponenten für Investitionssicherheit sowie die Möglichkeit der betriebsindividuell optimalen Zusammenstellung der CIM-Module zu sorgen. Abbott, L., Qualität, S. 154; DIN, Wissen, S. 5, 16; Eversheim, W., Weg zu CIM, S. 245; Hartlieb, B. u.a., CIM erfordert die Normung, S. 564; Höller, H. u.a., Endgerät, S. 42; P. G., Consumer, S. 16; Riesenhuber, H., Entwicklungsbegleitende Normung, S. 121; Wamecke, H.-J. u.a., CIM bedarf der Normung, S. 361 ff.

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

mittlerer Unternehmen erleichtert, da für diese der Zwang entfällt, das gesamte Produktsystem anbieten zu müssen199. Die Sicherstellung der Kompatibilität durch überbetriebliche Schnittstellennormung ist ebenfalls Voraussetzung für die Vernetzung und Integration der logistischen Teilsysteme im und zwischen Unternehmen zu effizienten und kostengünstigen Material- und Informationsflüssen 200 (Logistikfunktion). Des weiteren führt die Erfüllung anerkannter und eindeutiger Vorschriften beispielsweise von Qualitäts-, Gebrauchstauglichkeits-, Stoff- und Liefernormen bei Erzeugnissen, Verfahren oder Dienstleistungen auf der Abnehmerseite zu einer Vereinfachung der entsprechenden Prüfmaßnahmen und somit zu geringeren Prüfkosten, da die aufgrund der Normenkonformität eingehaltenen Eigenschaften und Qualitäten keiner Nachprüfung ΛΛ1

ΛΛΛ

mehr bedürfen und praktisch weniger Reklamationen auftreten (Qualitätsfunktion). Ferner wird die Sicherheit im Betrieb durch einheitliche Bedienungsvorschriften und genormte, unfallverhütende Gestaltung der Maschinen und Werkzeuge nach entsprechenden Sicherheitsnormen verbessert, so daß es zu weniger Unfällen kommt 203 (Sicherheitsfunktion). Schließlich unterstützt ein allen Beteiligten bekanntes genormtes technisches System einen reibungslosen Dialog zwischen allen Abteilungen innerhalb des Unternehmens sowie mit Zulieferern, Kunden und Dienstleistern204. Durch den Bezug auf technische Normen und darin festgelegte Bezeichnungen, Beschreibungen, Kennzeichnungen, 199

Boulin, P., Présentation, S. 18; Hartlieb, Β. u.a., Erfindung, S. 362; Mortsiefer, F., Vereinheitlichung, S. 229; Picht, H., Empfehlungen, S. 332. So hat der frühere Bundesminister für Forschung und Technologie in seiner Funktion als europäischer Rats Vorsitzender der Forschungsminister in einem Memorandum festgestellt: "Es liegt im Interesse wichtiger europäischer Industriezweige,... daß durch eine frühzeitige Festlegung geeigneter Schnittstellen die Märkte für eine Vielzahl europäischer Anbieter offengehalten" und dadurch unerwünschte Monopolisierungstendenzen ausgeschlossen werden. Zit. nach DIN, Geschäftsbericht 1988/89, S. 7; vgl. auch Riesenhuber, H., Entwicklungsbegleitende Normung, S. 122. 200 Eckert, W., Normung und Standardisierung, S. 3 ff.; Salzer, J. J., Materialfluß, S. 599. Vgl. auch die Ausführungen zu CAM, CIM und CAI in Kap. I.D.l.b). 201 Fremgens, G. J., Kostensenkung, S. 338; Müller, B., Produktivität, S. 503; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226. 202 Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 68. 203 Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1355; Turotzi, H., Normung, S. 251; ders., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 144. 204 AFNOR, Catalogue 1993, S. 9; dies., Rapport d'activité 1989, S. 13; AK Ν, Kosteneinsparung, S. 5; Boulin, P., Présentation, S. 18. Beispielsweise liegt ein wesentlicher Vorteil der EN 81 für Aufzüge für den Anwender (Architekten, Bauherren, Aufzugsbetreiber) darin, daß allen Beteiligten das technische Konzept der Norm bekannt ist und darüber nicht mehr verhandelt werden muß. Die Bauherren können schon vor der Detailplanung des Gebäudes die Aufzüge europaweit ausschreiben, was bislang nicht möglich war. Eckstein, D., Vereinheitlichung von Normen^. 18.

D. Die Bedeutung technischer Normen

193

Klassifikationen, Einheiten, Maße, Toleranzen, Zusammensetzungen, Qualitäten u.a.m. als Referenzdokumente besteht häufig die Möglichkeit, auf umfangreiche Warenbeschreibungen oder zumindest die genormten Aspekte zu verzichten. Dadurch werden Bestellvorgang, Auftragsbearbeitung, Wareneingangskontrolle und die finanzielle Abwicklung vereinfacht, beschleunigt und weniger fehleranfällig, wodurch insgesamt weniger Kosten anfallen 205. Zusätzlich geben Normen Käufern und Verkäufern ein umfassendes Wissen über alle wichtigen Faktoren der Geschäftsabwicklung; dadurch können Konflikte und Mißstände, die nicht selten zu rechtlichen Auseinandersetzungen führen, vermieden werden 206 . Ferner wird eine mögliche Übervorteilung eines Käufers durch einheitliche Liefervorschriften in Liefernormen eingeschränkt oder sogar verhindert 207. Insgesamt entlasten Normen bei Routinearbeiten, vermindern die Häufigkeit von Fehlern und Irrtümern, vereinfachen Vertragsbeziehungen 208 und schaffen Marktübersicht und faire Wettbewerbsbedingungen209 (Verständigungsfunktion). Wie bereits im Kontext der volkswirtschaftlichen Bedeutung der technischen Normung dargelegt, steht dem hier qualifizierten betriebswirtschaftlichen Nutzen ein nicht unbeträchtlicher Aufwand für die Mitgliedschaft in den normschaffenden Institutionen, Bezug und insbesondere Erarbeitung und Anwendung der Normen gegenüber. So können die Rationalisierungseffekte technischer Normen durch gegenläufige Faktoren - wie die Notwendigkeit der Anschaffung neuer Produktionsanlagen, Kosten für die Produktionsumstellung, die Änderung bestehender logistischer Teilsysteme usw. - vermindert, ausgeglichen oder gar überkompensiert werden. Hiervon sind marktschwächere Konkurrenten - meist 205

1981 wurden jeden Arbeitstag weltweit über 200 Millionen Seiten Produktinformation erstellt und verteilt. ISO, Benefits, S. 83 f. "Durch den Bezug auf eine grundlegende ... Norm können hunderte von Seiten Übermittlungstexte ersetzt und dennoch die Qualität der Nachricht verbessert werden". Denn mit der Norm hängen weitere - Terminologie-, Prüfnormen usw. - zusammen. Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 61. Vgl. auch Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1355; Boulin, P., Présentation, S. 18; BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 6 Abschn. 3 Nr. 3.1.4 und 3.2; Fremgens, G. J., Kostensenkung, S. 338; Friedewald, H.-J., Rationalisierung, S. 515; Hartlieb, B., Wirtschaftlichkeit, S. 26; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 23; Hinterhuber, H. H., Normung, Typung und Standardisierung, Sp. 2777; ISO, Benefits, S. 38; Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 457; Ludwig, Ν., Welthandel und Weltnormung, S. 212; Nitsche, H., Grundlagen, S. 226; Turotzi, H., Normung, S. 251; ders., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 144. 206 Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 48. 207 Turotzi, H., Normung, S. 251; ders., Technisch-wirtschaftliche Aspekte, S. 144; Hände, K , Wirtschaftlichkeit, S. 299; Hartlieb, B., Bedeutung des DIN, S. 77. 208 AFNOR, Catalogue 1993, S. 9. 209 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 5; Schröder, Β., Mitarbeit des Handwerks, S.4.

13 Zubke-von Thiinen

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

kleine und mittlere Unternehmen - infolge ihrer geringeren Ausbringungsmenge, aber auch aufgrund ihres geringeren Einflusses auf die Normungsprojekte 210 relativ stärker belastet als Unternehmen mit höheren Marktanteilen 211. Selbst eine Gefährdung des Bestandes einzelner Unternehmen wird hierbei nicht ausgeschlossen212. Auch der durch mannigfaltige Vorteile gekennzeichneten Vereinheitlichungsfunktion sind Grenzen gesetzt. So darf die Anzahl der genormten Artikel nicht zu gering sein, da ansonsten die Anpassung an die zu lösenden Aufgaben einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern würde. Hinzu kommt, daß durch Wegfall der Zwischengrößen in vielen Fällen ein größerer Artikel verwendet werden muß, als eigentlich erforderlich wäre. Dies pflanzt sich, wie oben hinsichtlich der Konstruktion beschrieben, entsprechend dem Größenfortpflanzungsgesetz der Technik auf alle Artikel, die Gegenstücke oder Halbzeuge des genormten Artikels sind oder dem gleichen Kraft- oder Funktionssystem angehören, sowie die entsprechenden Betriebs-, Transport- und Verpackungsmittel u.a.m. fort. Hier muß unter Berücksichtigung der technischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Rahmenbedingungen eine optimale Lösung angestrebt werden 213. Einen nicht zu vernachlässigenden Kostenblock stellt ferner der Aufwand für die Ermittlung der einschlägigen technischen Normen dar, welche bei der Herstellung der Produkte zu beachten sind. So steht der oben angeführten Rationalisierung technischer Normen im Bereich der Konstruktion in Höhe von 5-10% des Konstruktionsaufwandes ein Suchauf-

210 Es ist unbestritten, daß für kleinere Unternehmen, die sich am Normungsprozeß nicht beteiligen, Nachteile entstehen können. Vgl. dazu die Ausführungen bezüglich der unterlassenen und der protektionistisehen Normung in Kap. I.D.l.a). Vgl. ferner Boulin, P., Normalisation, S. 101. Es ist sogar die Rede davon, daß technische Normen als Wettbewerbswaffe gegen nicht in den Normungsgremien vertretene Gruppierungen eingesetzt werden. Als Beispiel möge an dieser Stelle der Fertighausbau dienen, bei dem industrielle und handwerkliche Fertigungsweise in Konkurrenz zueinander stehen. Hier benutzt die Industrie technische Normen als Wettbewerbswaffe gegen das nicht in den Normungsgremien vertretene Handwerk, indem sie versucht, strenge Normen durchzusetzen, welche einen hohen Investitionsbedarf erzeugen, um die Handwerker so als Konkurrenten auszuschalten. Bolenz, E., Technische Normung, S. 129. Warum das Handwerk sich durch seine Verbände nicht an der technischen Normung beteiligt oder zumindest die gegebenen Einspruchs- und Mitspracherechte der Öffentlichkeit wahrnimmt, bleibt dabei jedoch unklar. 211 Eckstein, W., Rationalisierungskartelle, S. 45; Kortzfleisch, G. v., Sortenvielfaltkosten, S. 240, 244. 212 Eckert, W., Normung und Standardisierung, S. 4, 9. 213 Beispielsweise nach dem Prinzip der dezimalgeometrischen Normzahlen. Nitsche, H., Grundlagen, S. 228; Reihlen, H., Rohstoffnutzung, S. 708.

D. Die Bedeutung technischer Normen

195

wand von ebenfalls etwa 10 % 2 1 4 gegenüber. Darüber hinaus bedingt die Zusammenarbeit im Normungsverfahren immer die Preisgabe von Informationen, bei der latent die Gefahr besteht, daß Konkurrenten zu viel über den eigenen Entwicklungsstand erfahren 215. Schließlich hat das Unternehmen die Kosten der Gefahrenabwehr- und Risikovorsorgemaßnahmen im Rahmen der vielfältigen Schutzfunktionen technischer Normen zu tragen und kann diese nicht- wie heute vielfach noch im Umweltbereich möglich - auf "die Allgemeinheit" abwälzen. Da die betriebswirtschaftlichen Aspekte der Rationalisierungs- oder auch der Vereinheitlichungsfunktion im Schrifttum und auch in dieser Arbeit hinlänglich ausgeführt wurden, soll im folgenden die betriebswirtschaftliche Bedeutung des systemischen Aspektes der Qualitätsfunktion am aktuellen Beispiel der Normung von Qualitätssicherungssystemen im Rahmen der Normen ISO 9000 ff. dargestellt werden, welche in den vergangenen Jahren erhebliche betriebswirtschaftliche Folgewirkungen gezeitigt haben216. b) Beispiel: Die Normung von Qualitätssicherungssystemen

nach ISO 9000 ff.

Eine steigende Zahl von Unternehmen verlangt im nationalen wie internationalen Handel von seinen Lieferanten den Nachweis der wesentlichen Elemente eines Qualitätssicherungssystems, welche die Befähigung des Zulieferers beeinflussen, seine Produkte konsequent auf dem geforderten Qualitätsniveau zu produzieren. Eine entsprechende Nachweisführung wird - nicht selten von einem Audit des entsprechenden Kunden im Zulieferunternehmen begleiteti.d.R. vertraglich vereinbart und so neben die Qualitätsforderung an das Produkt selbst gestellt217. Hintergrund dieser Entwicklung sind die von den großen In-

214

Vgl. die Ausführungen in Fn. 112 in Kap. I.D.l.c). Besonders betroffen waren hiervon bisher die exportorientierten Unternehmen; hier tritt jedoch eine Vereinfachung durch gemeinsame Europäische oder internationale Normen ein. 215 Bolenz, E., Technische Normung, S. 135. 216 BSI, History, S. 4. Selbstverständlich haben die Normen der Reihe ISO 9000 ff. auch erhebliche volkswirtschaftliche Auswirkungen. So wurde festgestellt, daß mit der Durchsetzung dieser Qualitätssicherungssysteme Qualität zum Allerweltsprodukt geworden ist und selbst komplexe Fertigungsprozesse und intelligente Dienstleistungen in Niedriglohnländer verlegt werden können. Schnitzler, L., Made in Irgendwo, passim, insbes. S. 54. Parallel dazu nahm der Anteil der Deutschen, welche die deutsche Qualität im internationalen Vergleich für die beste halten, von 1989 bis 1993 um 60 % - von absolut 25 % auf 10 % - ab. O.V., Deutsche Wertarbeit, S. 13. 217 Petrick, K , Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen, S. 1, 12; Petrick, K. u.a., Qualitätssicherungssysteme, S. 236; dies., Qualitätssicherung und Normung, S. 58.

1*

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

dustrieunternehmen ausgehenden218 Bestrebungen, Kosten zu senken, indem die Doppelarbeit der zweifachen Qualitätskontrolle an der Schnittstelle Lieferant Kunde durch die Reduzierung oder den Fortfall der Wareneingangskontrolle vermieden wird. Um jedoch das damit verbundene Risiko von Fehlerfolgekosten im Falle der ungeprüften Weiterverarbeitung von Kaufartikeln gering zu halten, verlangt der Kunde als Vertrauensbeweis in die Qualitätsfähigkeit seiner Lieferanten den Nachweis eines funktionierenden Qualitätssicherungssystems, d.h. deren Fähigkeit, die gestellten Qualitätsforderungen systematisch zu erfüllen. Nicht selten erfolgt daher möglichst schon vor der Auftragsvergabe eine Prüfung des Qualitätssicherungssystems des Lieferanten daraufhin, ob dessen betrieblicher Leistungserstellungsprozeß überhaupt Erzeugnisqualität erwarten läßt 219 . Seit der Veröffentlichung der im ISO/TC 176 "Quality Management and Quality Assurance" erarbeiteten Normen der Reihe ISO 9000 ff. 2 2 0 im Jahre 1987 ersetzen diese in zunehmendem Maße firmenindividuelle Anforderungen und Normen für Qualitätssicherungssysteme in sämtlichen Industrie- und Dienstleistungssektoren221, und neutrale Zertifizierungen substituieren die kundenindividuellen Qualitätsaudits222. Die Normen ISO 9001, 9002 oder 9003

218

Dieser Trend setzt sich mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung bei den Zulieferern der Großunternehmen - wie beispielsweise bei dem ehemaligen Arbeitgeber des Verfassers - fort, welche ihrerseits die Wareneingangskontrolle aufgrund der nachgewiesenen Qualitätsfähigkeit ihrer Zulieferer reduzieren. 219 Boulin, P., Présentation, S. 22 f.; Petrick, K., Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen, S. 12; Petrick, K. u.a., Qualitätssicherung und Normung, S. 58; dies., Qualitätssicherungssysteme, S. 237. 220 Dies sind im einzelnen: ISO 9000:1987 = EN 29000:1987 = DIN/ISO 9000:1987 "Leitfaden zur Auswahl und Anwendung der Normen zu Qualitätsmanagement, Elementen eines Qualitätssicherungssystems und zu Qualitätssicherungs-Nachweisstufen"; ISO 9001:1987 = EN 29001:1987 = DIN/ISO 9001:1987 "Qualitätssicherungssysteme; Qualitätssicherungs-Nachweisstufe für Entwicklung und Konstruktion, Produktion, Montage und Kundendienst"; ISO 9002:1987= EN 29002:1987 = DIN/ISO 9002:1987 "Qualitätssicherungssysteme; Qualitätssicherungs-Nachweisstufe für Produktion und Montage"; ISO 9003:1987= EN 29003:1987= DIN/ISO 9003:1987 "Qualitätssicherungssysteme; Qualitätssicherungs-Nachweisstufe für Endprüfungen"; ISO 9004:1987= EN 29004:1987= DIN/ISO 9004:1987 "Qualitätsmanagement und Elemente eines Qualitätssicherungssystems: Leitfaden". Zu diesen Grundnormen sind bereits einige Ergänzungsnormen bzw. Norm-Entwürfe erschienen, wie z.B. für den Bereich der Verfahrenstechnik der Entwurf DIN ISO 9004-3 "Qualitätsmanagement und Elemente eines Qualitätssicherungssystems: Leitfaden für verfahrenstechnische Produkte". Vgl. Petrick, K , Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen, S. 2 ff. 221 BSI, BSI Today, S. 7, 18. 222 Beispielsweise durch die DQS (Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen mbH) oder den TÜV (TÜVZert).

D. Die Bedeutung technischer Normen

197

werden in zunehmendem Maße in Verträgen herangezogen, um von den Lieferanten bestimmte Elemente des Qualitätssicherungssystems zu fordern respektive diese den Kunden zuzusichern223. Vor allem Großunternehmen, Regierungsstellen und öffentliche Auftraggeber haben die Erfüllung einer der genannten Normen als Grundlage ihrer Auftragsvergabe in vielen Bereichen festgelegt 224. Darüber hinaus ist beispielsweise die Zulassung von Kraftfahrzeugen vom Bundeskraftfahramt ab 1996 und auch die Vergabe von öffentlichen Aufträgen in der EU ab einer bestimmten Größe von einer Zertifizierung abhängig225. Auf der anderen Seite haben viele Industrie-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen226 die Norm ISO 9004 für den Aufbau ihres internen Qualitätssicherungssystems und dessen Dokumentation in einem Qualitätssicherungs-Handbuch genutzt227, da die Qualität zum vordringlichen Wettbewerbsfaktor avan-

Auch für das Audit von QSS entsprechend der Normenreihe ISO 9000 ff. gibt es festgelegte Regeln und Qualifikationskriterien. Diese sind in ISO 10 011 Teil 1: "Leitfaden für das Audit von Qualitätssicherungssystemen:Auditdurchführung", ISO 10 011 Teil 2: "Leitfaden für das Audit von Qualitätssicherungssystemen: Qualifikationskriterien für Qualitätsauditoren" und ISO 10 011 Teil 3: "Leitfaden für das Audit von Qualitätssicherungssystemen: Management von Auditprogrammen" festgeschrieben. Zwischen den europäischen Zertifizierungsstellen der EU und EFTA besteht eine multilaterale Vereinbarung über eine Zusammenarbeit und z.T. bereits über eine gegenseitige Anerkennung der Zertifikate, so daß hier keine Handelshemmnisse entstehen. DS, Certification, S. 3; Petrick, Κ., Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen, S. 16 ff. 223 BSI, BSI Today, S. 18; DS, Certification, S. 1 ff.; Petrick, K , Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen, S. 1; Petrick, K. u.a., Qualitätssicherungssysteme, S. 238; dies., Qualitätssicherung und Normung, S. 61. 224 BSI, BSI Today, S. 7; o.V., ISO 9000, S. 34. 225 Vgl. So, Alles ISO?, S. BW1. 226 Daß der Nachweis eines Qualitätssicherungssystems auch für Dienstleistungsunternehmen höchste Priorität genießt, belegt die Norm ISO 9004-2 "Qualitätsmanagement und Elemente eines Qualitätssicherungssystems Teil 2: Leitfaden für Dienstleistungen", die neben Qualitätsanforderungen an die Dienstleistung und an das Erbringen derselben zahlreiche weitere Aspekte wie das Dienstleistungs-Lastenheft, die Bewertung der Dienstleistungsqualität durch das Unternehmen und den Kunden, Verbesserung der Gestaltung der Dienstleistung, Personalmotivation, -Schulung und -entwicklung, Kontaktbereich und Kommunikation mit den Kunden u.a.m. umfaßt und welche an das Gaststätten- und Hotelgewerbe, den Kommunikationsbereich, den Gesundheitsbereich, Instandhaltung, Versorgungsbetriebe, Transportunternehmen, Schulungseinrichtungen, das Finanzwesen (Banken, Versicherungen usw.), Berufsbereiche (Architekturbüros, Notariate, Schulen usw.), Verwaltungen, technische Dienstleistungen (Beratungsdienste, Fotodienste, usw.), wissenschaftliche Dienstleistungen (Forschung, Durchführung von Studien) u.a.m. gerichtet ist. Petrick, K , Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen, S. 4. 227 Das Qualitätssicherungs-Handbuch ist ein Dokument, das Qualitätspolitik und Qualitätssicherungssystem einer Organisation beschreibt. Petrick, K , Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen, S. 1, 11.

198

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

eiert ist und erwartet wird, daß die Nichterfüllung der ISO 9000-Normen "sehr schnell zu einem Ausschlußkriterium auf breiter Basis werden" kann 228 . Insbesondere für den Marktzugang zu "regulierten Märkten" avanciert der Nachweis von Qualitätssicherungssystemen gemäß ISO 9001, 9002 oder 9003 immer mehr zu einem Muß, das "über Sein oder Nichtsein" auf diesen Märkten entscheidet229. Diese regulierten Märkte lassen sich grob in zwei Typen mit unterschiedlich strengen Qualitätssicherungs-Nachweisforderungen einteilen: Der regulierte Markt vom Typ 1 stellt einen rein von der Nachfragerseite definierter Markt dar, der beispielsweise beim Militär oder der Automobil-, Luft- und Raumfahrtindustrie vorliegt. Häufig sind hier kleine oder mittlere Unternehmen Zulieferer von hochkomplexen und oft selbstentwickelten Produkten. Dementsprechend wird bereits heute - neben eventuell bereits bestehenden Normen und Vorschriften - der Nachweis der Zertifizierung von QS-Systemen gemäß ISO 9001 gefordert, die neben Montage und Produktion auch Entwicklung, Konstruktion und Kundendienst in den Nachweis miteinbezieht. Auf regulierten Märkten vom Typ 2 - z.B. für Kleinteile für die Automobil- oder Elektroindustrie - sind bisher noch die QS-Nachweisforderung gemäß ISO 9003, welche sich allein auf die Endprüfung beschränkt, vorherrschend; jedoch geht auch hier

228

O.V., ISO 9000, S. 34; vgl. auch o.V., Zertifizierte Qualität, S. 1; BSI, BSI Today^. 18. So führt Bey, I., Qualitätsmanagement, S. 173, treffend aus: "Globale Produktionsund Vermarktungsstrategien und der Druck der Abnehmer lassen vielfach auch keine andere Wahl zu, als sich mit der Einführung eines Qualitätsmanagementsystems zu befassen und ein Zertifikat nach DIN ISO 9000 anzustreben und vorzuweisen". 229 Bech, K , Qualitätssicherung, S. 52. Auch bei dem ehemaligen Arbeitgeber des Verfassers war diese Tatsache - neben der traditionellen Qualitätsorientierung - ein maßgeblicher Grund für eine beschleunigte Einführung und Zertifizierung eines Qualitätssicherungssystems entsprechend ISO 9001. Hinzu kam die verstärkte Forderung nach einer ISO 9001-Zertifizierung auf Exportmärkten wie beispielsweise Großbritannien. Dieses besitzt hinsichtlich der Zertifizierung der Normenreihe ISO 9000 ff. erstens aufgrund eines bereits 1983 gestarteten nationalen Qualitätsprogrammes vom britischen Ministerium für Handel und Industrie in Zusammenarbeit mit der BSI, zweitens der Tatsache, daß die Normen der Reihe ISO 9000 ff. im wesentlichen auf der britischen Norm BS 5750 beruhen und drittens der Verknüpfung der Vergabe der nationalen Normenkonformitätszeichen (Kite- und Safety Mark) mit der Beurteilung des Qualitätssicherungssystems einen erheblichen Vorsprung gegenüber Deutschland (Anfang 1994 waren über 14.000 britische gegenüber rund 650 deutschen Unternehmen zertifiziert). O.V., Zertifizierte Qualität, S. 1; BSI, History, S. 4; dass., BSI Today, S. 18; DS, Certification, S. 3; Oberheiden, W. u.a., Neue britische Normenpolitik, S. 201; Thatcher, M., Rede vor dem BSI, S. 232 f. Jedoch nimmt auch in Deutschland die Zahl der ISO-9000-Zertifizierungen exponentiell zu. Marburger, P., Technische Normung, S. 173.

D. Die Bedeutung technischer Normen

199

der Trend eindeutig in die Richtung schärferer Nachweisforderungen wie der ISO 9001 230 . Neben diesen ökonomischen Aspekten trägt insbesondere auch die EUProdukthaftungsrichtlinie 231 dazu bei, daß Unternehmen auch auf freien, nicht regulierten Märkten Qualitätssicherungssysteme gemäß ISO 9000 ff. einführen und zertifizieren lassen; denn der Nachweis entsprechender Qualitätssicherungsmaßnahmen wirkt entlastend hinsichtlich aller Arten der Produkthaftung der Haftung des Produzenten aus der Nichterfüllung von Qualitätsforderungen, aufgrund von gesetzlichen oder vertraglichen Forderungen, Garantieerklärungen, durch unerlaubte Handlung oder Fahrlässigkeit232 -, da die Rechtsprechung diese als Entlastungsbeweise des Produzenten anerkennt bzw. sie als strafmildernd gewichtet233, weil durch die präventive Wirkung von Qualitätssicherungsmaßnahmen der Entstehung von Fehlern und damit Schadensfällen vorgebeugt wird 234 . So ist nach europäischem Produkthaftungsrecht die Entlastung des Herstellers bei verschuldensunabhängiger Haftung nur noch dann möglich, wenn dieser nachweisen kann, daß beim Inverkehrbringen Fehler des Produktes nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht erkennbar waren. Zum Nachweis dieses Sachverhaltes können dokumentierte Maßnahmen zur Qualitätssicherung bei der Entwicklung, Fertigung, Montage und Betreuung des Produktes beitragen und auf diese Weise zur Entlastung im Falle des Vorwurfs schuldhaften Verhaltens führen 235. Aber auch im nationalen Recht - beispielsweise im französischen Rechtsgefüge für technische Drucksysteme - ist der Nachweis der Konformität zur Normenreihe ISO 9000 ff. mittlerweile von grundlegender Bedeutung im Rahmen der entsprechenden Zulassungsverfah-

230

Bech, K , Qualitätssicherung, S. 52; Schönbach, G., Qualität, S. 59 ff. Richtlinie des Rates vom 25.07.1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (85/374/EWG) - ABl. EG Nr. L 210 v. 07.08.1985, S. 29 -. Vgl. dazu grundlegend z.B. Marburger, P., Produkthaftungsrecht, passim. 232 Boehling, W. H., Europa 1992, S. 218; Petrick, K , Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen, S. 18; Petrick, K. u.a., Qualitätssicherungssysteme, S. 238; dies., Qualitätssicherung und Normung, S. 61. 233 Bech, K , Qualitätssicherung, S. 52. 234 Aufgrund der verminderten Haftpflichtrisiken haben ISO 9000-zertifizierte Unternehmen vielfach reduzierte Versicherungsbeiträge zu entrichten. Bech, K , Qualitätssicherung, S. 52 f.; Petrick, K , Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen, S. 18; Petrick, K. u.a., Qualitätssicherungssysteme, S. 238; dies., Qualitätssicherung und Normung, S. 61. 235 Petrick, K , Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen, S. 18; Petrick, K. u.a., Qualitätssicherungssysteme, S. 238; dies., Qualitätssicherung und Normung, S. 61. 236 Vgl. Kap. II.A.2.c)dd)(l). 231

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Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Dem hohen Aufwand, der unstreitig bei Einführung und Zertifizierung einer Norm der Reihe ISO 9000 ff. in einem Unternehmen entsteht237 - die "Auswirkungen der Normen ISO 9000 ff. werden zu dramatischen Veränderungen im gesamten Produktionsprozeß führen, da ihre Ausstrahlungskraft (strikte Kundenorientierung) weit in das allgemeine Umfeld ... hineinreicht"238 -, stehen eine Reihe von positiven Auswirkungen gegenüber. Indem das qualitätsrelevante Wissen der Mitarbeiter im Qualitätssicherungshandbuch und in Verfahrensanweisungen dokumentiert wird, steht es nicht nur allen Mitarbeitern zur Verfügung, sondern bleibt auch dem Unternehmen im Falle eines etwaigen Ausscheidens des Mitarbeiters erhalten. Auch steigt durch die betriebliche Verständigung und Fixierung von Organisationsformen, Zuständigkeiten, Verfahrensabläufen usw. die Transparenz und Güte des betrieblichen Qualitätssicherungssystems. Entsprechend der Erkenntnis, daß die Beherrschung des Prozesses für die Erzeugnisqualität bestimmend und daher eine Prüfung der Erzeugnisqualität allein nicht ausreichend ist, wird die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gestärkt 239 und der Marktzugang zu regulierten Märkten sichergestellt. Die aufgrund der Einführung und unabhängigen Auditierung der Normen der Reihe ISO 9000 ff. geschaffene allgemeine Vertrauensbasis bezüglich der Qualität im Handelsverkehr 240 erspart den Zulieferunternehmen viele Audits von Kunden nach deren eigenen Normen 241 . Schließlich wird die Einführung der Normen ISO 9000 ff. als gute Basis für die Implementierung der Unternehmensphilosophien "Kontinuierlicher Verbesserungsprozeß" (KVP) und "Total Quality Ma-

237

Dieser Aufwand hängt selbstverständlich von dem jeweiligen Stand des Qualitätssicherungssystems des Unternehmens ab. Gehören - wie bei dem ehemaligen Arbeitgeber des Verfassers - Qualitätssicherung und Einführung von TQM zu den wesentlichen Unternehmenszielen, so hält sich der Aufwand für Einführung und Zertifizierung selbst der Norm ISO 9001 in Grenzen. 238 Bech, K , Qualitätssicherung, S. 54. 239 Petrick, K. u.a., Qualitätssicherungssysteme, S. 237. 240 Petrick, K. u.a., Qualitätssicherungssysteme, S. 236; dies., Qualitätssicherung und Normung, S. 58. 241 Wie eingangs beschrieben, waren viele Kunden dazu übergegangen, das Qualitätssicherungssystem ihres Lieferanten selbst einem Audit zu unterziehen und übten damit einen starken Druck und auch Einfluß auf dessen internes Qualitätssicherungssystem aus. In diesem Zusammenhang fanden eine Vielzahl in der Abwicklung sehr unterschiedliche Kundenaudits statt, bei denen jedoch häufig das gleiche System geprüft wurde. Petrick, K , Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen, S. 12; Petrick, K. u.a., Qualitätssicherungssysteme, S. 236; dies., Qualitätssicherung und Normung, S. 58. So wurden bei dem ehemaligen Arbeitgeber des Verfassers im Mittel jährlich 10 Kundenaudits von ein bis drei Tagen Dauer durchgeführt, deren Zahl sich im ersten Jahr nach der Zertifizierung auf zwei nurmehr eintägige Audits reduziert hat.

D. Die Bedeutung technischer Normen

201

nagemenf ' (TQM) gewertet, deren Umsetzung einen Wettbewerbsfaktor höchster Priorität darstellt 242. c) Ansätze einer quantitativen Kosten-Nutzen-Betrachtung Soweit ersichtlich, liegen keine veröffentlichten Ergebnisse einer auf einen Betrieb oder Konzern bezogenen Kosten-Nutzen-Gesamtrechnung hinsichtlich der überbetrieblichen technischen Normung vor; es konnte nicht einmal eine auf ein Unternehmen bezogene Kostenbetrachtung für die ehrenamtliche Mitarbeit in den Normenausschüssen, Mitgliedsgebühren in den Normenorganisationen, Bezugsgebühren für Normen usw. gefunden werden. Es existieren lediglich Berechnungskonzepte für einzelne Normungsprojekte 243, die Ermittlung der Kosten bezüglich der Erstellung und Anwendung technischer Normen in Abhängigkeit der Unternehmensgröße 244 und eine grobe Rentabilitätsabschätzung auf Unternehmensebene245. Von den oben qualifizierten, betriebswirtschaftlich relevanten Normenfunktionen sind einzig die Einsparungen hinsichtlich der Vereinheitlichungsfunktion quantifiziert worden. So haben Praxisrechnungen am Beispiel von Verbindungselementen nachgewiesen, daß im Maschinen- und Apparatebau nur 15 % der gesamten Kosten eines geringwertigen Teiles reine Einkaufskosten darstellen, während 85 % der Kosten im Umfeld, d.h. in Form von allgemeinen Beschaffungskosten sowie durch Eingangskontrolle, Lagerung, Transporte, Montagevorbereitung usw., entstehen246. In Frankreich wurde durch ein Wicklungsnormenprojekt der AFNOR 30-35 % Zeiteinsparung in Entwicklung, Arbeitsvorbereitung und Produktion durch Vereinheitlichung und Zurverfügungstellung notwendiger Informationen erreicht. Auf der anderen Seite verlieren französische Unternehmen gemäß einer Untersuchung des französischen Industrieministeriums pro Jahr 100-200 Mrd. FF durch schlechte Qualität, was zukünftig durch entsprechende technische Normen verhindert werden soll 247 . Für die Einführungskosten eines neuen Artikels wurden, je nach Größe und Struktur des Be-

242

Bey, I., Qualitätsmanagement, S. 173; BSI, Annual Report 1991-92, S. 13; o.V., ISO 9000, S. 34. 243 Vgl. beispielsweise Händel, S. u.a., Erfolgsberechnung, S. 29 ff.; IFAN, Vorteile von Normungsprojekten, passim; Imberty, M., Methode zur Bewertung, S. 449 ff.; ders., Konkrete Anwendung, S. 465 ff.; ISO, Benefits, S. 21 ff. 244 Händel, S. u.a., Erfolgsberechnung, S. 99 ff. 245 Ebd., S. 118 ff. 246 Mayer, H., Internationale Schraubennormung, S. 151. 247 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 5.

202

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

triebes, Durchschnittswerte zwischen 2.000,-DM 2 4 8 und 2.891,-DM 2 4 9 ermittelt. Ähnliche Untersuchungen in den USA haben Werte in der Größenordnung von 250,- bis 3.000,- US$ ergeben 250. Die laufenden administrativen Kosten eines Artikels wurden zu 800,- D M 2 5 1 bis 1.000,- D M 2 5 2 pro Jahr berechnet. Andere Untersuchungen ergaben einen durchschnittlichen Einführungs- und Verwaltungsaufwand pro Artikel von 4000,- D M in fünf Jahren253.

3. Die technische Bedeutung technischer Normen Als globale Zielsetzungen technischer Normung im Bereich der Technik selbst wird durch die Normenorganisationen die Entwicklung der Technik 254 und die Erleichterung der technischen Zusammenarbeit255 postuliert. Während ersteres differenziert zu betrachten ist, stellt letzteres zweifellos eine der wichtigsten Aufgaben der technischen Normung im Bereich der Technik dar. In den traditionellen technischen Fachgebieten soll im Rahmen der technischen Normung der "Stand der Technik" niedergeschrieben werden 256, womit ex definitione aus dem Fundus fortgeschrittener technischer Möglichkeiten die technisch-ökonomisch-sozial vorteilhafteste ermittelt und zur Norm erhoben wird und demzufolge eine Entwicklung der Technik nur begrenzt im Rahmen ergänzender und vertiefender Versuche und Untersuchungen257, der beispiels-

248 249

S. 475. 250

König, L., Verwaltungsaufwand, S. 399 f. Durchschnittswert aus 35 Teilen in 10 Firmen. Meinl, F., Kosten der Einführung,

Si ver, D., Wertanalyse, S. 297. Mit Schwankungsbreiten zwischen DM 150,- bis DM 2000,- pro Jahr. Pätzold, H., Konstruktions- und Fertigungsaufwand, S. 341. 252 König, L., Verwaltungsaufwand, S. 399 f. Vgl. auch Eigner, M. u.a., CADNormteiledatei, S. 149. 253 Mit Schwankungsbreiten zwischen DM 600,- und DM 10.000,-. Pätzold, H., Senkung des Konstruktions- und Fertigungsaufwands, S. 341. 254 BSI, BSI Today, S. 5 f.; DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 f. Abschn. 5 Nr. 5.7. 255 Vgl. die Definition des Terms "Normung" von ISO/IEC bzw. CEN/CENELEC in Kap. I.A.3.b). 256 Vgl. beispielsweise bezüglich des deutschen DIN Kap. II.A.l.a)dd)(2). 257 Beispielsweise muß bei komplizierten technischen Zusammenhängen gelegentlich erheblicher Forschungsaufwand geleistet werden, um eine technische Norm mit allgemeiner Zustimmung erstellen zu können. So berichtet Hosemann, G., Erstellung sicherheitstechnischer Normen, S. 110, daß im Rahmen der Anpassung einer 30-seitigen Norm an den Stand der Technik Forschungsaufwendungen in Höhe von 1,1 Mio. DM zuzüglich Beratungskosten des Normenauschusses in Höhe von 100.000 DM aufgewendet werden mußten. 251

D. Die Bedeutung technischer Normen

203

weise beim DIN geforderten Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse 258 oder allgemein im Rahmen der Wissensbündelung von Experten aller interessierten Kreise stattfindet 259. Anders verhält es sich in hochsicherheitssensitiven Bereichen wie beispielsweise der Nutzung der Kernenergie, wo de jure in technischen Normen der "Stand von Wissenschaft und Technik" kodifiziert werden soll, oder in den hochinnovativen Technologien von großer wissenschaftlicher und/oder wirtschaftlicher Bedeutung wie beispielsweise der Biotechnologie, der Mikrosystemtechnik oder auch CIM (Computer Integrated Manufacturing), bei denen die entwicklungsbegleitende Normung zur Anwendung gelangt, da hier die technische Normung die wissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten direkt begleitet und so zum "integralen Bestandteil der Technikgestaltung" wird. Dabei hat die entwicklungsbegleitende Normung - gekennzeichnet durch die Herausgabe von Vornormen - sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen, wobei deren Zielsetzung regelmäßig darin liegt, durch eine frühestmögliche Terminologie-, Schnittstellen- und Sicherheitsnormung die aufwendige nachträgliche Herstellung der kommunikativen und technischen Kompatibilität zu vermeiden und die Gefahren neuer Technologien frühzeitig zu begrenzen oder gar auszuschalten260. Dabei ist prinzipiell unbestritten, daß die Normenwerke als eine ständig aktualisierte und effizient auszuwertende Informationsgrundlage 261 des Standes der Technik grundsätzlich dazu beitragen, weiterführende technische Forschungsarbeiten zu erleichtern und Doppelarbeiten hinsichtlich Forschung und Entwicklung zu verhindern 262. 258

DIN-Normen "haben den jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik ... zu berücksichtigen". DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 f. Abschn. 5 Nr. 5.7. 259 Vgl. beispielsweise BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 10 Abschn. 3 Nr. 3.3. Damit soll nicht gesagt werden, daß durch die technische Normung nicht der Boden für den wirtschaftlichen Durchbruch und damit auch die weitere technische Entwicklung bereitet werden kann. Beispielsweise wird berichtet, daß der Durchbruch der Videokonferenzsysteme erst nach Schaffung internationaler, anspruchsvoller technischer Normen erfolgte. Weinstein, S., Global standards, S. 24. 260 Vgl. zum vorhergehenden AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 7; BSI, BSI Today, S. 8; CEN/CENELEC, Memorandum N°4, KEG/CEN/CENELEC allgemeine Leitsätze, Nr. 2; DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 4 Abschn. Erläuterungen; dass., DIN 820-4: 1986-01 S. 7 Abschn. Erläuterungen; dass., Geschäftsbericht 1988/89, S. 6 ff.; dass., Geschäftsbericht 1990/91, S. 12 ff.; Hartlieb, B. u.a., CIM erfordert die Normung, S. 562 f.; Höller, H. u.a., Endgerät, S. 40; Kämpfer, S., Kraft der Norm, S. 12, 17 f.; Reihlen, H., 43. Präsidiumssitzung, S. 2; ders., 42. Präsidiumssitzung, S. 2; ders., 39. Präsidiumssitzung, S. 3; Riesenhuber, H., Entwicklungsbegleitende Normung, S. 121 ff.; Vaucelle, B., Dynamique, S. 1. 261 Beispielsweise durch die Anwendung modemer Medien der Informationstechnik wie der CD-ROM. Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(3). 262 BSI, BSI Today, S. 6; Boulin, P., Présentation, S. 17 und 19, der diese als "Werkzeug der technischen Entwicklung" bezeichnet.

204

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Die eingangs postulierte Erleichterung der technischen Zusammenarbeit wird durch zahlreiche Normenfunktionen 263 unterstützt. Angesichts der exponentiellen Dynamik des technischen Fortschritts ist im Rahmen der allgemeinen Normenfunktionen zunächst die Informations- und Ordnungsfunktion von Bedeutung; indem in technischen Normen in Gemeinschaftsarbeit aller Beteiligter die Strukturbedingungen technischer Systeme entsprechend dem Stand der Technik systematisiert, niedergeschrieben und den interessierten Kreisen zugänglich gemacht werden, dienen jene als fortlaufend aktualisierte und effizient auszuwertende Informationsgrundlage der technischen Zusammenarbeit aller Beteiligter. Aufgrund der gemeinsamen Erarbeitung und Nutzung überbetrieblicher technischer Normen ist es möglich, in deren Erarbeitung einen größeren Aufwand zu investieren, als dies im einzelnen Betrieb wirtschaftlich sinnvoll möglich wäre; zudem fließen hier die Erfahrungen vieler Experten ein. Dementsprechend ist die technische Lösung qualitativ hochwertiger 264 (Rationalisierungsfunktion). Im Rahmen der speziellen Normenfunktionen ist zunächst die Austauschfunktion relevant, welche die Wiederverwendung von Teilen, Plänen, Prüfeinrichtungen usw. sicherstellt und insbesondere über die erleichterte Instandhaltung zur besseren Verfügbarkeit sowie Zuverlässigkeit technischer Systeme beiträgt. Ferner steigt die Qualität durch genormte Prüfverfahren 265 (Qualitätsund Prüffunktion). Von herausragender technischer Bedeutung ist die Kompatibilitätsfunktion technischer Normen, welche in hohem Maße die nationale und internationale technische Spezialisierung und Arbeitsteilung verbessert oder sogar erst ermöglicht 266, die wiederum einen nicht unbedeutenden Anteil an dem hohen Stand der technischen Entwicklung hat. Auch die Integration bislang autonomer technischer Systeme wie beispielsweise Computer, Telefon, Fax, Fernseher, Audio- und Videoanlage zu multifunktionalen Endgeräten wird erst durch die Schaffung der Kompatibilität der Einzelsysteme ermöglicht 267. Schließlich leisten technische Normen durch die Festlegung von Einheiten, Maßen, Begriffen usw. angesichts des exponentiellen technischen Fortschritts i.V.m. der Vernetzung vieler Fachgebiete einen unverzichtbaren Beitrag zur eindeutigen Verständigung in und zwischen den jeweiligen technischen Fach263

Zu den nachfolgend aufgeführten Normenfunktionen vgl. die Ausführungen in den jeweils einschlägigen Unterabschnitten in Kap. I.C. 264 So sind z.B. überbetrieblich genormte Teile sorgfältiger konstruiert. Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1355; Dhen, K , Produktivitätssteigerung, S. 8; Hände, K , Wirtschaftlichkeit, S. 299; Kreikebaum, H., Standardization, Sp. 2250 f.; Turotzi, H., Normung, S. 251. 265 AK N, Kosteneinsparung, S. 5 f. 266 Vgl. Kap. I.D.l.a). 267 Bartlett, S. V., Standards, S. 13.

D. Die Bedeutung technischer Normen

205

gebieten und zur Vereinfachung der Kommunikation und rationellen Zusammenarbeit innerhalb und zwischen allen Phasen des Produktlebenszyklusses von der Entwicklung und Konstruktion über die Schaffung der Produktionsgrundlagen bis hin zur Produktion 268. Als konkretes Beispiel seien die Normen für technische Zeichnungen, die "Sprache des Ingenieurs", angeführt, die dank ihrer Vereinheitlichung in technischen Normen im gesamten Bereich von Wissenschaft und Technik weltweit verstanden wird 269 (Verständigungsfunktion). Damit technische Normen kein Hindernis für die exponentiell fortschreitende technische Entwicklung bilden, müssen sie in immer kürzeren Zeitabständen aktualisiert werden 270. Diesen Aspekt berücksichtigt schon Kienzle in seiner Definition technischer Normen durch den Passus der "zeitlich begrenzten Bestlösung"271. Eine technische Norm kann auf zweierlei Arten fortschrittshemmend wirken: Zum einen, indem sie den Stand der Technik festschreibt und so technische Weiterentwicklungen keinen Eingang in die Praxis finden, und zum anderen, indem zugunsten der in der Norm im Interesse der Vereinheitlichung festgeschriebenen Lösung grundsätzlich andere, technisch vielleicht entwicklungsfähigere Lösungswege unterdrückt werden. Beim Festhalten an dieser Norm bestände für diese günstigeren Lösungen keine Möglichkeit der Verwirklichung272. Darüber hinaus besteht grundsätzlich die Gefahr, daß wegen der geleisteten Vorarbeiten und Investitionen in den Unternehmen, an deren Amortisation naturgemäß ein starkes betriebswirtschaftliches Interesse besteht, aus

268 AK N, Kosteneinsparung, S. 5; Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1355; Geiger, W., Einheitliche Fachsprache, S. 288 ff.; Kreikebaum, H., Standardization, Sp. 2250. 269 Dhen, K , Produktivitätssteigerung, S. 24; DIN, Wissen, S. 15; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 25; Müller, B., Produktivität, S. 507. 270 Kienzle ging 1950 noch von einem zehnjährigen Überprüfungsintervall aus. Kienzle, O., Grenzen, S. 623. Heute sind durch viele deutsche normschaffende Institutionen sowie die "British Standards Institution" (BSI) fünf, durch die "Association française de normalisation" (AFNOR) sogar drei Jahre festgeschrieben. Vgl. in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.a)dd)(3) (DIN), Kap. II.A.l.a)ee)dd) (DKE), Kap. II.A.l.a)ff)(l) (VDI) und Kap. II.A.l.a)ff)(2) (DVGW), hinsichtlich Frankreich (AFNOR) Kap. II.A.2.a)cc), bezüglich des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland (BSI) Kap. II.A.3.a)cc) und im Hinblick auf die Europäische Union Kap. II.B.l.a)cc) (CEN/CENELEC) und Kap. II.B.l.b)dd) (ETSI). Von weiter sinkenden Überarbeitungsfristen ist auszugehen. Vgl. ferner BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.2.5; Boulin, P., Présentation, S. 19; Hände, K., Wirtschaftlichkeit, S. 300; Reihlen, H., Rohstoffnutzung, S. 708; Stefener, W., DIN-Normen, S. 83. 271 Vgl. die Def. 1 von Kienzle in Kap. I.A.3.b). 272 Lukes, R., Industrielle Normen und Standards, S. 24; Molsberger, J., Volkswirtschaftlicher Nutzen, S. 398 f.

206

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Gründen der Vermeidung etwaiger Umstellungskosten273 oder auch aufgrund der bewußten Behinderung einer möglichen Substitutionskonkurrenz274 an einer veralteten technischen Lösung festgehalten und ihr durch Aufnahme oder Beibehalten in einer Norm weitere Geltung verschafft wird 275 . Dabei ist grundsätzlich die Gefahr des "Einfrierens" des Standes der Technik um so mehr gegeben, je höher der Grad der Normung hinsichtlich Breite, Tiefe und Umfang und je beschreibender statt ergebnisorientierter 276 eine Norm konzipiert ist 277 . Zu Recht besteht daher die Forderung, die Normung auf die notwendigen Festlegungen zu beschränken, ergebnisorientierte statt beschreibende Normen zu erstellen und statt genauer Festlegungen Unter- und Obergrenzen, Bandbreiten und Klassen vorzugeben, um eine rasche Anpassung an veränderte Situationen zu gewährleisten278. Zusätzlich enthalten beispielsweise alle Sicherheitsnormen eine Klausel, nach der eine andere als die in der Norm festgelegte Gestaltung der Produkte jederzeit möglich ist, solange das geforderte Sicher-

273 Um die mit erheblichen Kosten verbundene Umstellung ihrer Entwicklungsprozesse und Produktionsanlagen zu vermeiden oder zumindest auf ein Minimum zu beschränken, wurde beispielsweise das sonst grundlegende Prinzip der Normzahlen durch zwei namhafte deutsche Hersteller Mitte der sechziger Jahre bei mehreren DIN-Normen außer Kraft gesetzt. Stefener, W., DIN-Normen, S. 84. 274 Vgl. dazu die Ausführungen zur protektionistischen Normung in Kap. I.D.l.a), Kap. I.D.2.a) und Kap. I.D.3. 275 Jacob, H., Industriebetriebslehre, S. 457; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 60; Stefener, W., DIN-Normen, S. 85. 276 Um eine Behinderung des technischen Fortschritts und die Entstehung technischer Handelshemmnisse auszuschließen, arbeiten technische Normenorganisationen heute zunehmend nach dem Konzept der "functional or performance specifications". Dabei werden auf der Grundlage der Funktions- und Leistungsanforderungen der Nutzer an die technischen Systeme funktions- oder leistungsorientierte Normen erstellt, statt in "beschreibenden Spezifikationen" ("descriptive specifications") genau bestimmte Materialien, konstruktive Lösungen oder Verfahrensweisen festzulegen und so andere gleichwertige oder gar überlegene Lösungsmöglichkeiten auszuschließen. Lehmann, K , Umweltschutz, S. 33 f.; Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 14 f.; Schröder, B., Europäische Normung und Handwerk, S. 75 f.; Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 51. Vgl. ferner die Ausführungen in Fn. 59 in Kap. I.D.l.a). Wurden früher beispielsweise in den einschlägigen Normen für Schraubenschlüssel alle technischen Details - von Größen und Form über Werkstoff und Wärmebehandlung bis hin zur Kennzeichnung - festgelegt, sind heute lediglich die zur funktionellen Kompatibilität, Gebrauchstauglichkeit und Verständigung notwendigen Merkmale wie z.B. Schlüssel weiten, Härte und Prüfdrehmo mente genormt. Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 27. 277 Vgl. Kap. I.B. 278 Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1355 f.; Bosserhoff, H.-W., Verbraucherrelevante Erzeugnisse, S. 199 ff.; Kreikebaum, H., Standardization, Sp. 2253 f., 2257; Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 14 ff.; Zwieten, J. W. van, Qualitätssicherung, S. 477.

D. Die Bedeutung technischer Normen

207

heitsniveau eingehalten wird 279 . Dementsprechend nehmen die Vorwürfe der Behinderung von Innovationen durch technische Normen ab 280 , da sich auch die Normenorganisationen selbst zum Ziel gesetzt haben, nicht so viel wie möglich, sondern nur soviel wie nötig zu normen, wobei Normen stets einen Rahmen für zukünftige technologische Entwicklungen bieten sollen281. So wird heute beispielsweise von Verbraucherseite eine - theoretisch wie praktisch mögliche Behinderung des technischen Fortschritts durch technische Normen dann weitgehend ausgeschlossen, wenn der Staat den Wirtschaftsbeteiligten den notwendigen Freiraum läßt und statt verfahrensorientierter ergebnisbezogene Normen erarbeitet werden 282.

4. Die gesellschaftliche Bedeutung technischer Normen Erklärtes Ziel der technischen Normung als offenem, konsensualem Diskurs aller interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit ist "die Förderung optimaler Vorteile für die Gesellschaft", d.h. die Ermittlung und Normierung des sich als Wohlfahrtsoptimum konkretisierenden Gemeinwohls283. Insbesondere die Berücksichtigung der technischen und der Wertvorstellungen der von den Normungsprojekten jeweils betroffenen gesellschaftlichen Gruppen - Industrie, Handel, Dienstleistung, Arbeitnehmer, nichtgewerbliche Endverbraucher, Wissenschaftler u.a.m. - sowie interessierter Einzelpersonen in dem technischen Normungsprozeß 284 stellt die "conditio sine qua non" der Steigerung der Le279

Bolenz, E., Technische Normung, S. 146 f. AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 6. Daß sie jedoch noch aktuell sind, belegt z.B. folgende Aussage des Ministeriums für Bauen und Wohnen des Landes Nordrhein-Westfalen: "Kritik ist jedoch dann berechtigt, wenn durch die Flut bautechnischer Normen, insbesondere von Normen zur Beschreibung und Eingrenzung von Produkten und Bauteilen, einer innovationsfeindlichen ,Traditionierung des Bauens' der Boden bereitet wird und auf der anderen Seite neue Lösungen, z.B. im Bereich des ökologischen, energie- und ressourcenschonenden Bauens, behindert werden". Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 50. 281 So z.B. von der Gemeinsamen Europäischen Normungsinstitution CEN/ CENELEC in ihrer gemeinsamen Geschäftsordnung festgeschrieben. Vgl. CEN/ CENELEC, GO Teil 3 Abschn. 1 Nr. 1.1. 282 Bosserhoff, H.-W., Verbraucherrelevante Erzeugnisse, S. 200 ff., 208. Vgl. auch die Ausführungen im vorangegangenen Kapitel sowie in Kap. I.B. 283 Vgl. die Definitionen der Begriffe "technische Norm" und "technische Normung" von CEN/CENELEC, DIN und ECE in Kap. I.A.3.b) sowie die Ausführungen zu den einzelnen Hauptmerkmalen technischer Normen bzw. der technischen Normung in den Kap. des Abschn. I.A.3.d). 284 Vgl. in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.a)dd)(2) und Kap. II.A.l.a)dd)(3) (DIN), Kap. II.A.l.a)ee)(3) und Kap. II.A.l.a)ee)dd) (DKE), Kap. II. A. I.a)f0(l) (VDI) sowie Kap. II.A.l.a)ff)(2) (DVGW), hinsichtlich Frankreich (AFNOR) 280

208

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

bensqualität dar 285 , da auf diese Weise die Technik den gesellschaftlichen Anforderungen angepaßt, oder - in der Terminologie des DIN - humanisiert286 wird (soziale Funktion). Der Erfolg dieses gesamtgesellschaftlichen Willensbildungsprozesses liegt vor allem in der damit erreichten breiten Akzeptanz der technischen Normen - 91 % der Bundesbürger der alten Bundesländer287, 85 % λοο

OQQ

der Briten und 68 % der Franzosen kennen und schätzen technische Normen -, welche als Indiz für einen breiten gesellschaftlichen Konsens über das erreichte Wohlfahrtsoptimum zu werten ist. So sehen beispielsweise hinsichtlich der gesellschaftlichen Gruppe der Endverbraucher selbst Normungsgegner die Vorteile der Normung auf Seiten der Konsumenten290, da technische Normen auch eine ethische Grundlage für die Wirtschaft schaffen, die es dem wirtschaftlich Starken wesentlich erschwert, den wirtschaftlich Schwachen zu übervorteilen 291. Aufgrund ihres Entstehungsprozesses bildet eine Norm eine objektive Qualitätsreferenz, die auch von "schwarzen Schafen" unter den Herstellern nicht mißachtet werden kann, weil sie bei den Anwendern bekannt ist 292 . Auf der anderen Seite schätzen nicht erst seit der grundlegenden Wandlung der Märkte von Verkäufer- zu Käufermärkten viele Hersteller den Diskurs mit Verbraucherschutzorganisationen in den Normungsgremien, da dieser es ihnen erlaubt, ihre Produkte auf deren Bedürfnisse abzustimmen293.

Kap. II.A.2.a)bb) und Kap. II.A.2.a)cc), bezüglich des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland (BSI) Kap. II.A.3.a)bb) und Kap. II.A.3.a)cc) und im Hinblick auf die Europäische Union Kap. II.B.l.a)bb) und Kap. II.B.l.a)cc) (CEN/ CENELEC) sowie Kap. II.B.l.b)cc) und Kap. II.B.l.b)dd) (ETSI). 285 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 26 f.; BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.1. lit. b); DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 2 286 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 f. Abschn. 5 Nr. 5.7. Vgl. auch AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 16 ff. 287 Kypke, U., Verbraucherinteresse, S. 149. 288 BSI, Consumers, S. 1. 289 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 19. Eine drastische Veränderung, wenn man bedenkt, daß vor der weitgehenden Öffnung und Privatisierung der französischen Normung 99 % der Franzosen Normen für etwas uninteressantes, politisches hielten. Nicolas, F., Normalisation européenne, S. 1. 290 Bolenz, E., Technische Normung, S. 135. Vgl. auch AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 16. 291 Boulin, P., Normalisation, S. 100, 102; Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 57. Vgl. auch Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1355; Turotzi, H. u.a., Sachbenummerung, S. 1441. 292 Boulin, P., Normalisation, S. 100; ders., Présentation, S. 18. 293 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 17.

D. Die Bedeutung technischer Normen

209

In diesem Zusammenhang fordern Verbraucherverbände neben Sicherheitsund Verständigungs- "vor allem Qualitätsnormen"294 für einen Endverbraucher, der einem überhaupt nicht mehr zu überschauenden Konsumgüterangebot gegenübersteht (Verbraucherschutzfunktion). Während sich noch vor wenigen Jahrzehnten das Wirtschaftsleben für den Konsumenten geradezu statisch vollzog - es gab nur ein begrenztes Angebot technischer Produkte, mit denen er aufgrund des von Generation zu Generation vererbten Erfahrungsschatzes recht gut zurechtkam, die Wettbewerbssituation auf den Märkten war weitgehend frei von erkennbaren Aggressivitäten, und Auslandsanbieter traten kaum in Erscheinung -, haben der technische Fortschritt und der liberalisierte Welthandel zu einer drastischen Ausdehnung des Warenangebots geführt, so daß die Märkte selbst für Fachleute kaum noch überschaubar sind. Parallel dazu nimmt die Komplexität der Produkte hinsichtlich Aufbau, Funktionsumfang und Zusammensetzung zu. Oft konkurrieren verschiedene Produktgruppen um die Befriedigung des gleichen Bedürfnisses, deren Eignung für den gedachten Gebrauchszweck dem Verbraucher weitgehend unbekannt ist. Diese Entwicklung hat dazu geführt, daß eine unmittelbare fachmännische Beurteilung und Prüfung der Erzeugnisse durch den Abnehmer weitestgehend ausgeschlossen ist 295 . Hingegen wird der Verbraucherschutz durch zahlreiche der nachfolgend aufgeführten Normenfunktionen 296 unterstützt, da die kollektive Normung unter anderem durch die damit bewirkte Einhaltung gewisser Mindestanforderungen technischer Erzeugnisse und die zugehörige Konformitätskennzeichnung zu einer Verbesserung der Markttransparenz führt 297. So erklärte Lukes bereits Ende der siebziger Jahre im Rahmen einer umfangreichen Untersuchung des französischen Normensystems hinsichtlich des Normenkonformitätszeichens "NF' ("Norme Française") der französischen Normenorganisation "Association française de normalisation" (AFNOR): "La marque NF ist nach wie vor das wichtigste Mittel des staatlichen Verbraucherschutzes", indem sie es dem Verbraucher ermöglicht, lediglich solche Produkte zu kaufen, welche die in den einschlägigen technischen Normen festgelegten Eigenschaften aufweisen 298. Für

294 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 16 f.; BSI, Consumers, S. 1; Schirmer, W., Verbraucheraspekte, S. 349 f. Vgl. auch die vorstehende Qualitätsfunktion. 295 Boulin, P., Normalisation, S. 100; ders., Présentation, S. 18; Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, S. 30; Schirmer, W., Verbraucheraspekte, S. 349 f.; ders., Wie vernünftig sind Verbraucher, S. 501; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 18; Volkmann, D., Warenkennzeichnung, S. 396; Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 100 ff. 296 Zu den nachfolgend aufgeführten Normenfunktionen vgl. die Ausführungen in den jeweils einschlägigen Unterabschnitten in Kap. I.C. 297 Beauvais, E. v., Rechtsvorschriften für technische Gegenstände, S. 5; Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 46. 298 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 50. Vgl. auch Kap. II.A.2.a)cc).

14 Zubke-von Thünen

210

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

die Bundesrepublik Deutschland hat eine Untersuchung der Stiftung Warentest aus dem Jahre 1975 ergeben, daß sich von den 75 % der Verbraucherschaft, die mit Qualitäts- und Gütezeichen vertraut waren, 61 % generell und weitere 33 % in Einzelfällen bei ihrer Kaufentscheidung an diesen Zeichen orientieren 299. Und auch die Normenorganisationen anderer Länder wie die "British Standards Institution" (BSI) haben sich zum Ziel gesetzt, der "Fokuspunkt" für die Verbesserung des Verbraucherschutzes im jeweiligen Land zu werden 300. Von den verbleibenden Normenfunktionen sind zunächst einmal die Ratiovon nalisierungs-, Vereinheitlichungs-, Austausch- und Kompatibilitätsfunktion erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung, indem sie die Massenproduktion entsprechend preisgünstiger industrieller Güter ermöglicht und damit zu einem hohen Versorgungsgrad der Bevölkerung beigetragen haben. Aufgrund der Austauschfunktion erleichtert und beschleunigt sich auch für den Endverbraucher die Instandhaltung durch eine zügige Ersatzteilbeschaffung, wodurch Unterbrechungen der Nutzung bestmöglich begrenzt werden 301. Darüber hinaus ist es dem Konsumenten heute möglich, komplementäre Produkte unterschiedlicher Hersteller - wie beispielsweise Lampenfassung und Glühlampe, Kleinbild-Spiegelreflexkamera und Kleinbildfilm, Skistiefel und Skibindung - problemlos zu kombinieren und so eine für ihn optimale Wahl zu treffen 302. Nicht nur für die Endverbraucher, sondern insbesondere auch für die Gruppe der Arbeitnehmer ist die Ergonomiefunktion technischer Normen hinsichtlich der betrieblichen Arbeits- und Technikgestaltung von erheblicher Relevanz, da heute jene den Inhalt "gesicherter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse" weitestgehend bestimmen, von denen unter anderem das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 91 BetrVG abhängig ist 303 . Zum Schutz der Verbraucherinteressen durch

299

Brinkmann, W., Normung und Verbraucherinformation, S. 236. BSI, Annual Report 1991-92, S. 3. 301 Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1355; Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 2; Hüttenrauch, R., Mitwirkung der Verbraucher, S. 31. 302 BSI, Consumers, S. 1; Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 2; ders., Nutzen für den Verbraucher, S. 9 ff.; DIN, Wissen, S. 5; Hüttenrauch, R., Mitwirkung der Verbraucher, S. 31. Vgl. auch die Ausführungen bezüglich der protektionistischen Normung bzw. der Substitutionskonkurrenz in Kap. I.D. La), Kap. I.D.2.a) und Kap. I.D.3. Daß dies bei weitem nicht so selbstverständlich ist, merkt der Konsument, sobald er den Geltungsbereich der jeweiligen Norm verläßt und feststellen muß, wie unterschiedlich in anderen europäischen Ländern so grundlegende Dinge wie die elektrischen Steckverbindungen oder das analoge Telefonnetz, in den USA darüber hinaus noch Spannung und Frequenz des öffentlichen Stromnetzes und in den angelsächsischen Ländern das gesamte Einheiten- und Maßsystem festgelegt sind. 303 Vgl. Kap. I.C.2.b). 300

D. Die Bedeutung technischer Normen

211

eine angemessene und gleichbleibende Gebrauchstauglichkeit und Qualität304 von Produkten und Dienstleistungen tragen die Gebrauchstauglichkeits- und Qualitätsfunktion technischer Normen bei 305 , die neben den Schutzfunktionen für Verbrauchervereinigungen die höchste Priorität besitzen306. Indem bei Normenkonformität dem Abnehmer bekannte Gebrauchstauglichkeits- bzw. Qualitätsniveaus garantiert sind, werden Hersteller daran gehindert, die Dienstleistungs- und Produktqualität unbemerkt - d.h. bei gleichem äußeren Erscheinungsbild, physikalischen Eigenschaften usw. - abzusenken307. Die Benutzer profitieren von weniger Ausfällen, Reparaturen und einer längeren Lebensdauer des Produktes und können sich bei dessen Auswahl auf die Kriterien konzentrieren, die ihnen wichtig sind 308 . Schließlich wird von Fällen berichtet, in denen eine ganze Industrie in Folge von Normen mit Mindestanforderungen hinsichtlich Qualität und Gebrauchstauglichkeit, die in einem vernünftigen Verhältnis zu Preis und Zweck des Produktes stehen, durch Marktprozesse dazu gebracht wurden, ihre Produktqualität auf das genormte Niveau anzuheben309. In direktem Zusammenhang mit diesen Funktionen steht der gesellschaftliche Nutzen der Prüffunktion technischer Normen, die für einheitliche und objektive Meßbarkeit der Eigenschaften eines Produktes - wie Qualität, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit und Umweltverträglichkeit - oder auch einer Dienstleistung sorgt. Denn erst die Festlegung von Prüfverfahren und -methoden etwa hinsichtlich der allgemeinen Prüfbedingungen, -geräte, -anordnung, -materialien und/oder -durchführung stellt die Reproduzierbarkeit der Prüfergebnisse unabhängig von Ort und Person sicher und ermöglicht damit die Vergleichbarkeit der wesentlichen Eigenschaften von Produkten und Dienstleistungen für den Konsumenten. So wird in Prüfnormen für den Verbraucher vor allem der prakti304 Genormt wird regelmäßig nicht die maximal mögliche Spitzenqualität, sondern Untergrenzen für eine solide, gehobene Gebrauchstauglichkeit und Qualität, deren Überschreitung durchaus normgerecht und auch technisch erreichbar ist. Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 92; Marburger, P., Regeln, S. 270. 305 AFNOR, Catalogue 1993, S. 39; dies., Rapport d'activité 1989, S. 0, 16 f.; BSI, History, S. 3; dass., Consumers, S. 2; Bosserhoff, H.-W., Nutzen für den Verbraucher, S. 16 ff.; Boulin, P., Présentation, S. 18 f.; Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 63; Schirmer, W., Verbraucheraspekte, S. 349 f. 306 Vgl. AFNOR, Catalogue 1993, S. 39; dies., Rapport d'activité 1989, S. 16 f.; BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.1. lit. a); dies., Consumers, S. 1; dies., BSI Today, S. 4, 20; dies., Picture; Schirmer, W., Verbraucheraspekte, S. 349 f. 307 Z.B. die 1-4-Sternekategorisierung bei Kühlschränken, Verbrauchsangaben für PKW für 90 km/h, 120 km/h und Stadtverkehr oder Mindestanforderungen an Konsumgüter wie HiFi-Geräte, Fahrräder oder Kugelschreiberminen. AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 20; Bosserhoff, H.-W., Nutzen für den Verbraucher, S. 17 ff.; Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 67; Correge, S., La normalisation, S. 3; DIN, Wissen, S. 5. 308 DIN, Wissen, S. 5; ISO, Benefits, S. 23. 309 Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 66.

14*

212

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

sehe Gebrauch in Mittelwert- und Grenzbedingungen simuliert, ergänzt durch Zeitraffermethoden zur Simulation von Dauerbelastungen310. Die Prüfergebnisse- ausgedrückt in festgelegten physikalischen Dimensionen mit genormten Begriffen - ermöglichen dem Konsumenten die Beurteilung, wie gut beziehungsweise um wieviel besser oder schlechter diese Eigenschaft bei vergleichbaren Produkten ausgeprägt ist. Diese Normen bilden die Grundlage von Produktinformationen, Gütezeichen311 und vergleichenden Warentests beispielsweise der Stiftung Warentest 312. "Zusammenfassend kann man feststellen, daß die durch Norm gesicherte, wahrheitsgemäße Ausweisung von Kennwerten ... ein geeignetes Mittel ist, dem Verbraucher nach seinen individuellen Bedürfnissen eine kritische Kaufentscheidung zu ermöglichen"313. Da die Angabe aller theoretisch möglichen Prüfwerte den Verbraucher überfordern würde und er ferner auch nicht alle Aspekte zu beurteilen vermag, wendet der Verbraucherrat des DIN folgende Regelung an: Für wesentliche, durch die Normung beurteilbar gemachte Eigenschaften sollen dem Verbraucher durch die technische Normung Kennwerte zur Verfügung gestellt werden, die es ihm ermöglichen, verschiedene Angebote mit seinen Bedürfnissen und Preisvorstellungen in Übereinstimmung zu bringen; für andere weniger wichtige oder nicht beurteilbare Eigenschaften muß er sich auf die Einhaltung bestimmter Mindestanforderungen verlassen können314. Somit systematisieren technische Normen die Eigenschaften, welche die Fachkreise für ein Produkt oder eine Dienstleistung als bedeutend ansehen315. In jedem Fall helfen Prüfnormen bei Durchsetzung von Reklamatio310 Jedem bekannt sind die entsprechenden Prüfverfahren für Nikotin und Kondensat. Bosserhoff, H.-W., Nutzen für den Verbraucher, S. 12. Ein anderes Beispiel ist die Prüfung der Gebrauchstauglichkeit von Staubsaugern anhand verschiedener genormter Prüfteppiche, -gewebe und -stäube. Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 4, 96. 311 Wie beispielsweise das GS-Zeichen des Gerätesicherheitsgesetzes sowie zahlreiche Gütezeichen des Deutschen Instituts für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V. (RAL). Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 4. 312 Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 3 f. "In der Testarbeit der Stiftung Warentest spielen Normen jedenfalls eine außerordentlich wichtige Rolle. Es gibt wohl kaum ein Prüfprogramm zu einem Testvorhaben, dem nicht Normen zugrunde liegen. Daß die Stiftung Warentest in ihrer Prüfpraxis über DIN-Normen hinausgeht, kommt nach meiner Beobachtung relativ selten vor." Brinkmann, W., Normung und Verbraucherinformation, S. 238. 313 Bosserhoff, H.-W., Verbraucherrelevante Erzeugnisse, S. 202. 314 Bosserhoff, H.-W., Nutzen für den Verbraucher, S. 21 f.; ders., Bedeutung der technischen Normung, S. 3. 315 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 16; Boulin, P., Présentation, S. 18; BSI, Consumers, S. 1; Berg, F., Bedeutung der Normung, S. 296; Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 1355; Bosserhoff, H.-W., Nutzen für den Verbraucher, S. 7, 11 ff., 27; Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, S. 30; Volkmann, D., Warenkennzeichnung, S. 396.

D. Die Bedeutung technischer Normen

213

nen, da sie die objektive Nachprüfbarkeit von Herstellerangaben ermöglichen316. Eine immer größere Bedeutung genießt die Rechtsfunktion technischer Normen, weil die erreichte relative Vollständigkeit des DIN-Normenwerkes gerade im Bereich verbraucherrelevanter Produkte die Rechtsposition des Verbrauchers insofern verbessert, als er nicht mehr im einzelnen beweisen muß, welche Sicherheitsmaßnahmen dem Hersteller erkennbar und zumutbar gewesen wären, sondern er sich auf die technische Norm als Maßstab beziehen kann 317 . Den höchsten gesellschaftlichen Stellenwert jedoch genießen nach wie vor die Sicherheitsfunktionen - Arbeits-, Gesundheits- und Unfallschutz - technischer Normen 318 ; denn diese bilden einerseits die materielle Basis weiter Bereiche des deutschen wie auch des europäischen technischen Sicherheitsrechts319, und werden andererseits auch in staatlich nicht reglementierten Bereichen zur freiwilligen Zusicherung eines gewissen Sicherheitsniveaus seitens der Hersteller - sei es freiwillig aus Werbezwecken, sei es aufgrund des Nachfrageverhaltens sensibilisierter Verbraucher - in großem Umfang herangezogen320. So sollen "Sicherheitsnormen ... mehr als die moderne Medizin dazu beigetragen [haben], die Zahl der Patienten in Krankenhäusern zu verringern" 321. Der gesellschaftliche Bedarf an technischen Sicherheitsnormen wird eindrucksvoll durch die Tatsache belegt, daß bei Fehlen entsprechender nationaler und auch internationaler technischer Normen die nationalen Sicherheitsnormen anderer Industriestaaten mit bekanntermaßen hervorragendem Schutzniveau herangezogen werden 322. 316

Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 4, 7. Kypke, U., Verbraucherinteresse, S. 116 f. 318 Neben einer objektiven Information. Bosserhoff, H.-W., Nutzen für den Verbraucher, S. 22; vgl. femer AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 20; BSI, Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 3; BSI, BSI Today, S. 4; ISO, Benefits, S. 124. 319 Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.c)dd) und hinsichtlich der Europäischen Union Kap. II.B.3.c)bb)(2). Vgl. femer die Kap. I.C.2.h) und I.C.2.Ì). 320 Bosserhoff, H.-W., Nutzen für den Verbraucher, S. 14 ff. 321 Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 62. Vgl. auch Berger, K.-H., Normung und Typung, Sp. 155. So wird der Rückgang der Anzahl der tödlichen Elektrounfälle um knapp 50 % absolut (150 pro Jahr) und um über 90 % in Relation zur Einwohnerzahl und zum Stromverbrauch in einem Zeitraum von Anfang der fünfziger bis Ende der siebziger Jahre vornehmlich auf die strengen elektrotechnischen Normen des VDE zurückgeführt. Becker, K , Normung und Technologietransfer, S. 140; Boeck, W., Ingenieuraufgaben, S. 1201. 322 So zu beobachten beispielsweise bei Fahrradhelmen (gefertigt entweder nach ANSI 90,4, SNELL (USA), AS 2063.1 (Australien), bfu R 8602 (Schweiz), BS 6863 (Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland), KOVFS 1985:6 oder SPMET 2.85 (Schweden); in Europa bestehen erst seit neuestem entsprechende Norm317

214

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Da jedoch die Vielfältigkeit und Kompliziertheit moderner technischer Systeme immer mehr zunimmt, ist dem Bürger die Beurteilung des theoretisch notwendigen wie auch des praktisch gewährleisteten Sicherheitsniveaus nur noch selten möglich323. Daher besteht entsprechend den obigen Ausführungen zur Prüffunktion eine Hauptaufgabe technischer Sicherheitsnormen darin, für diejenigen Eigenschaften technischer Systeme, die infolge technischer Kompliziertheit nicht vom Verbraucher überschaut werden können, entsprechende Mindestanforderungen festzulegen 324. Darüber hinaus werden durch technische Normen auch die Anforderungen an Gebrauchsanleitungen bezüglich der erforderlichen Sicherheitshinweise für Installation, Benutzung und Wartung von Konsumgütern festgeschrieben 325. Angesichts der fortschreitenden Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlage von Menschen, Tieren und Pflanzen gewinnt die Umweltschutzfunktion technischer Normen zunehmend an Bedeutung, und zwar sowohl hinsichtlich der medien-, produkt-, anlagen-, Verfahrens- und verhaltensorientierten als auch der systemischen und pädagogischen Aspekte326. Der Stellenwert der technischen Normung im Bereich des Umweltschutzes läßt sich am besten durch die Tatsache verdeutlichen, daß technische Normen die materielle Basis weiter Teile des Umweltrechts der Bundesrepublik Deutschland bilden, welches zu den fort-

Entwürfe (E DIN 33 954, E DIN EN 1078). Vgl. ADAC, ADAC-Fahrradtest 1992; Stiftung Warentest, Köpfe schützen, S. 12), Computermonitoren (andere als strahlungsarme, nach den MPR- und TCO-Empfehlungen des Schwedischen Instituts für Messungen und Testverfahren zertifizierte Monitore sind heute praktisch unverkäuflich; vgl. Berke, J. u.a., Unsichtbare Gefahren, S. 60; Markt & Technik Nr. 50 v. 06.12.1991, S. 29; PC-Windows 11/93, S. 38) oder Autocrash-Versuchen (bis vor kurzem noch nach amerikanischen durchgeführt, nun nach Europäischen Normen). 323 So waren zur Normung eines hundertprozentig sicheren Gitterabstandes von Kinderbetten, durch den eine Strangulation ausgeschlossen ist, umfangreiche Reihenmessungen an Kindern erforderlich. Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 3. 324 Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 2. Aufgabe des Verbrauchers bleibt dann allerdings immer noch, auf die Normenkonformität der von ihm gewünschten Produkte zu achten. So bewertete z.B. Europas größte Skizeitschrift "ski" des DSV unter dem Motto: "Unbestechliche DIN-Norm: Skitest '91" die nicht normenkonformen, dafür aber um so imageträchtigeren "Racing"Skistöcke durchweg als mangelhaft oder gar ungenügend, weil sie u.a. die zum Schutz der Augen in der entsprechenden DIN-Norm vorgegebene Mindestgröße der Aufprallfläche des Griffs unterschritten und auch das Normkriterium "Maximaler Druck beim Aufprall", einer Sicherheitsprüfung gegen Eindringen oder Durchdringen des menschlichen Körpers durch den Ski stock, nicht erfüllten. Die Norm gibt hier einen maximalen Druck vor, der von Grifffläche und Ausknickkraft des Rohres abhängig ist und nicht überschritten werden darf. DSV, ski Test Special Winter 1991/92, Titelblatt, S. 4 ff. 325 BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 25 Abschn. 13 Nr. 13.4.5 ff. 326 Vgl. Kap. I.C.2.1).

D. Die Bedeutung technischer Normen

215

schrittlichsten der Welt zählt 327 , und daß sich auch die EU-Richtlinie über das freiwillige "Öko-Audit" 3 2 8 auf technische Normen stützt329. Ein anderes Beispiel des Umweltschutzbeitrags technischer Normen ist die Normung von Prüfverfahren und Ökobilanzen, welche die Grundlage für die Bewertung der Umweltrelevanz von Produkten, Anlagen, Verfahren und Dienstleistungen bilden 330 Wo eine Warenbeschreibung mit einer Anhäufung von Phantasienamen über Inhaltsstoffe, Werkstoffe, Funktionen usw. eine Warenbeurteilung unter Umständen sogar bewußt verhindern soll, sorgen verständliche und einheitliche genormte Begriffe - aber auch Zeichen, Symbole, Pictogramme z.B. auf Bedienungsknöpfen - für Klarheit 331. Daher genießt die Schaffung eindeutiger Einheiten, Begriffe, Klassifikationen u.a.m., sowie von Qualitätsmaßstäben, Prüfrichtlinien, Warenkennzeichnung und die Verleihung von Gütezeichen im Rahmen einen hohen Stellenwert hinder Informations- und Verständigungsfunktion sichtlich der Verbraucheraufklärung. Durch Festlegung der wesentlichen Eigenschaften von Produkten und Dienstleistungen und entsprechender Warenkennzeichnungs- und -beschreibungssysteme entstehen intersubjektiv gültige Kontrollstandards als Voraussetzung für die Vergleichbarkeit von gewünschten und angebotenen Eigenschaften, die vom Verbraucher vergleichsweise leicht zu überprüfen sind, wodurch Markttransparenz geschaffen und eine rationelle Entscheidungsfindung des Konsumenten ermöglicht wird 332 . So überführen Verständigungs- und Prüfnormen einen unvollkommenen Markt, auf dem Tausch nur das Resultat eines auf ein spezifisches Gut ausgerichteten Interaktionsprozesses darstellt, in einen transparenten Markt, auf dem Tausch sich auf ein abstraktes Gut bezieht, das durch ein Bündel von Eigenschaften charakterisiert ist, die zuvor von den Marktteilnehmern definiert und anerkannt wurden 333. Durch 327

Vgl. dazu die Unterabschn. des Kap. II.A.l.c)dd). Verordnung 1836/93/EWG. 329 Vgl. Kap. I.C.2.1). 330 Lehmann, K. u.a., Normung und Umweltschutz, S. 209. 331 Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 2. 332 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 20; BSI, Consumers, S. 1; dies., BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 17 Abschn. 6 Nr. 6.4.2; Bosserhoff, H.-W., Nutzen für den Verbraucher, S. 30; Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 65, 69. Auf Qualitätsnormen basierende Qualitätsetiketten erlauben dem Verbraucher im Vergleich mit dem Preisetikett die Bestimmung des Wertes des Produktes. Auch beschreibende Etiketten - z.B. über Inhalts-, Zusatz- und Konservierungsstoffe - und informative Etiketten - z.B. über Vorsichtsmaßnahmen, zu beachtende Sicherheitsbestimmungen, Behandlung von Textilien, Arzneimitteldosierungen, Energiegehalt von Nahrungsmitteln etc. - können zur Verbraucheraufklärung dienen. Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 71 ff. 333 Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, S. 32. 328

216

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

diese Zusammenarbeit aller beteiligten Partner entspricht das Produkt den Anforderungen des Kunden und Anwenders in vielerlei Hinsicht, was nicht nur den Verbrauchern, sondern auch den Herstellern zugute kommt334. Schließlich enthalten eine Vielzahl von Liefernormen, aber auch Prüf- und Qualitätsnormen Regelungen bezüglich technischer Mängelrügen, Prüfbestimmungen sowie Bestimmungen allgemeiner Art (Rügefristen, Ersatzleistungen, Kostenübernahme, Mindermengenzuschläge, Kosten eventueller Prüfverfahren etc.), welche inhaltlich eine Ergänzung der gesetzlichen Vorschriften bilden335. Im Gegensatz zu den genannten positiven Effekten existieren jedoch auch kritische Stimmen - wie beispielsweise die der Stiftung Warentest -, die "einer solchen Verbraucherinformation skeptisch gegenüberstehen, ... die von Einrichtungen ausgeht, bei deren Entscheidungen die Industrie ein Übergewicht hat" 336 . Diese 20 Jahre alte Feststellung dürfte sich angesichts der Bestrebungen der Normungsinstitute um verstärkte Berücksichtigung der Verbraucherinteressen 337 und der grundlegenden Wandlung von Verkäufer- zu Käufermärkten 338 zwar relativiert haben, aus der Welt geschafft ist sie angesichts der chronischen finanziellen Unterlegenheit, des geringeren Fachwissens und der vergleichsweise schlechteren Organisation der großen Gruppe der Verbraucher jedoch sicherlich nicht. Aktuelleren Aussagen aus Frankreich zufolge bewerten französische Verbraucherschutzorganisationen die Zusammenarbeit mit AFNOR positiv, da Hersteller und Dienstleister zu Qualitäts- und Sicherheitsanstrengungen gebracht und die erarbeiteten Normen als Sieg für Konsumenten und Hersteller von Qualitätsprodukten angesehen werden 339. Hingegen ist die lange Zeit geäußerte Befürchtung, daß Normung zur Produktnivellierung oder gar Uniformität führe und so die Auswahlmöglichkeit der Verbraucher einschränke340, angesichts der exponentiellen Dynamik des technischen Fortschritts und der ange-

334

AFNOR, Catalogue 1993, S. 39. Stefener, W., DIN-Normen, S. 92 f., 97. Nach der neuesten Ausgabe von DIN 820-1 vom April 1994 dürfen vertragsrechtliche Bestimmungen sowie Festlegungen kaufmännischer Art jedoch nur insoweit Bestandteil einer Norm sein, "als sie in unmittelbarem und notwendigem Zusammenhang mit den wissenschaftlichen, den technischen oder technisch-wissenschaftlichen Fragestellungen stehen". DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 3 Abschn. 5 Nr. 5.8. 336 Hüttenrauch, R., Endverbraucher, S. 287 f. 337 Beispielsweise im DIN durch die Repräsentation der Verbraucher im DINPräsidium sowie die Einrichtung eines Verbraucherrates. Vgl. dazu Kap. II.A.l.a)dd)(2). 338 "Mehr und mehr sind es die Erwartungen der Verbraucher, die an oberster Stelle der Prioritätenliste jedes Unternehmens stehen - dort, wo sie auch hingehören". Thatcher, M., Rede vor dem BSI, S. 233. 339 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 18. 340 Vgl. z.B. Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 9. 335

D. Die Bedeutung technischer Normen

217

strebten Beschränkung der Normung auf die wesentlichen funktions- und leistungsorientierten Aspekte nicht mehr relevant. Neben dem Verbraucherschutz beeinträchtigen jedoch auch in anderen gesellschaftlich relevanten Bereichen - wie beispielsweise dem Umweltschutz verschiedene Negativbeispiele die grundsätzlich positive Würdigung des Beitrags der technischen Normung. So wurden beispielsweise die Ende der siebziger Jahre erschienenen DIN-Normen, die festlegten, daß Dämmstoffe aus Polyurethan-Hartschaum unter Mitwirkung von Halogenkohlenwasserstoffen als Treibmittel herzustellen waren, erst Ende 1990 um FCKW-freie Dämmstoffe erweitert 341. Ein weiteres Problem resultiert aus der Begrenzung negativer externer Effekte durch Anforderungen an Sicherheit, Gesundheits-, Umweltschutz usw. in technischen Normen, die infolge der verursachungsgerechten Zuordnung der entsprechenden Kosten zu höheren Produktionskosten und damit auch zu höheren Preisen führen 342; denn diese an sich begrüßenswerte Entwicklung kann sich, sofern sie sich auf die nationale Ebene beschränkt, i.V.m. einem freien Welthandel und niedrigeren Standards anderer Staaten negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Produkte oder Industrien auswirken und schlimmstenfalls zur Verlagerung der Produktion ins Ausland oder gar zum Konkurs der Industrien führen. Schließlich sei noch angemerkt, daß auch gesamtgesellschaftlich positive Effekte der technischen Normung - wie z.B. die Rationalisierungsfunktion, die zu einem hohen Versorgungsgrad der Bevölkerung ebenso beiträgt wie zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit von Industrie, Handel und Dienstleistung - von einzelnen Interessengruppen - in diesem Beispiel den Gewerkschaften - hinsichtlich der eigenen Interessen durchaus auch als negativ bewertet werden 343.

341

Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 48, 51. Weitere Beispiele finden sich u.a. bei Schiffer, H.-W., Umweltschutz, S. 372; Vieweg, K , Produktbezogener Umweltschutz, S. 512. 342 ISO, Benefits, S. 23. Dabei ist selbstverständlich unbestritten, daß die Kosten unabhängig von ihrer kalkulatorischen Verrechnung volkswirtschaftlich in gleicher Höhe anfallen. Sie werden nur nicht mehr den Betroffenen, der Gesellschaft als Ganzer oder zukünftigen Generationen aufgebürdet. 343 "Die durch die Existenz von Normen und deren breite Anwendung entstehenden Rationalisierungsrisiken können in den technischen Standardisierungsgremien nicht beseitigt werden". Höller, H. u.a., Endgerät, S. 44, der stattdessen für entsprechende Verhandlungen auf der Ebene der Branchenverbände plädiert.

E. Resümee des 1. Teils Unsere Lebenswirklichkeit wird nicht nur immer komplexer, sondern unterliegt darüber hinaus einem ständigen, sich beschleunigenden Wandel, der auf vielfältige Weise mit dem technischen Fortschritt verflochten, von diesem verursacht und getragen wird. Komplexität und Wandel werden determiniert durch die Verdoppelung der naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnisse in einem Intervall von zur Zeit fünf Jahren bei gleichzeitiger Vernetzung und zunehmender Interdependenz der einzelnen naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen, verbunden mit einer abnehmenden Halbwertszeit der Gültigkeit erworbener Kenntnisse. Folglich ist die Fähigkeit, unsere zunehmend technikdeterminierte Lebenswirklichkeit begreifen, beurteilen und auf dieser Basis steuern oder gar regeln zu können, für jeden einzelnen Menschen auf einen immer kleineren Ausschnitt limitiert. Ein Forum, ins Leben gerufen für das Schaffen von Ordnung sowie die Strukturierung des Wissens und der Erkenntnisse im Bereich der Technik ist die technische Normung, welche überbetrieblich auf nationaler, supranationaler und internationaler Ebene durchgeführt wird. Entsprechende technische Normen mit dem Ziel der Rationalisierung, der Vereinheitlichung, des Austausches und der Kompatibilität lassen sich bis weit in das Altertum zurück verfolgen. Insbesondere dem erheblichen monetären wie nichtmonetären Nutzen dieser Normenfunktionen verdankt die technische Normung im Zeitalter der Öffnung nationaler Märkte, der zunehmenden Spezialisierung und Arbeitsteilung sowie der Globalisierung des Leistungserstellungsprozesses ihre herausragende und ständig weiter steigende volks- und betriebswirtschaftliche Bedeutung, die - trotz mit der Normung verbundener beträchtlicher Kosten sowie anderer nichtmonetärer Nachteile - ursächlich für Fortbestand und Weiterentwicklung der technischen Normung ist. Die in diesem Zusammenhang gegebenen Beispiele zum einen die globale Informations- und kommunikationstechnische Vernetzung, und zum anderen die Festlegung von Anforderungen an Qualitätssicherungssysteme nach ISO 9000 ff. - verdeutlichen dabei nicht nur die aufgezeigten ökonomischen Sachverhalte, sondern belegen insbesondere auch den hohen faktischen Befolgungszwang der überbetrieblichen technischen Normen als konsensuale Vereinbarung der interessierten Kreise. Kaum überraschend ist auch die anhaltend zunehmende technische Bedeutung der technischen Normung hinsichtlich der Erleichterung der technischen Zusammenarbeit und - insbesondere in hoch-sicherheitssensitiven und -innova-

E. Resümee des 1. Teils

219

tiven Bereichen - der Weiterentwicklung der Technik angesichts des exponentiellen Wachstums der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und des technisch Realisierbaren bei ständig ansteigender Komplexität und Interdisziplinarität der technischen Systeme, wodurch dementsprechend auch eine interdisziplinäre Verständigung und Zusammenarbeit notwendig wird. Obwohl technische Normen nicht nur potentiell geeignet sind, den technischen Fortschritt zu behindern, sondern dies auch faktisch beispielsweise im Rahmen der Substitutionskonkurrenz von Werkstoffen getan haben, scheint der hier durch die überbetriebliche technische Normung geleistete Beitrag - wenn auch stets verbesserungsfähig unstreitig zu sein, was ebenso wie die volks- und betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge anhand zahlreicher praxisnaher Veröffentlichungen von Normungsfachleuten nachgewiesen werden konnte. Überraschend ist jedoch die Dimension der nichttechnischen Funktionen der technischen Normung sowohl hinsichtlich ihrer Vielfalt als auch ihres Umfangs und die daraus resultierende hohe gesellschaftliche Bedeutung der technischen Normung. So wurde beispielsweise für die Bundesrepublik Deutschland festgestellt, daß bereits Anfang der achtziger Jahre weit über die Hälfte aller Normungsarbeiten des D I N Deutsches Institut für Normung e.V. bei zunehmender Tendenz eindeutige Bezüge zu nichttechnischen Bereichen hatten, und daß Ende der achtziger Jahre jede fünfte DIN-Norm der Sicherheit diente - andere gemeinnützige Normenfunktionen noch gar nicht eingeschlossen. Diese Tatsache findet ihre Entsprechung in der Definition des Begriffes "technische Norm" durch die internationalen und europäischen Normenorganisationen, in denen explizit die Förderung optimaler Vorteile für die Gesellschaft proklamiert wird, was - ebenfalls als Hauptnormenmerkmale aus der Definition ableitbar - in einem konsensualen Diskurs aller interessierten Kreise unter Einbeziehung der Öffentlichkeit erreicht werden soll. Des weiteren läßt sich aus der genannten Definition die Schlußfolgerung ziehen, daß eine technische Norm nicht der Beschreibung eines bestehenden Ist-Zustandes, sondern im vollen Bedeutungsumfang der sprachlichen Wurzeln des Begriffes "Norm" als "Regel" bzw. "Richtschnur" der Transformation dieses Ist-Zustandes in den im konsensualen Diskurs aller interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit ermittelten Soll-Zustand dient. Als Indiz für die Wirksamkeit und die allgemeine Zufriedenheit mit diesem Forum des Ausgleichs der betroffenen Gruppen- und Individualinteressen kann die hohe Akzeptanz der technischen Normen nicht nur in der bundesdeutschen, sondern auch derfranzösischen und britischen Bevölkerung, und nicht nur bei industriellen Anbietern und Abnehmern, sondern beispielsweise auch bei den Gewerkschaften, den Konsumentenvereinigungen oder der Wissenschaft angesehen werden, was mittels einschlägiger Veröffentlichungen der genannten gesellschaftlichen Gruppen belegt wurde. Als ein solches Forum hat die überbetriebliche technische Normung in der Bundesrepublik Deutschland, den anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen

220

Teil 1 : Begriffsdefinition technischer Normen

Union sowie der Europäischen Union selbst in großem Umfang die Erfüllung von Aufgaben übernommen, die zumindest in Deutschland nach dem herkömmlichen Verständnis grundrechtlich geschützter Werte zunächst dem parlamentarischen Gesetzgeber, allenfalls noch in gewissen Grenzen dem dazu ermächtigten Verordnungsgeber obliegen1. Nickusch hat in diesem Zusammenhang bereits 1964 herausgestellt, "daß sich in dem Deutschen Normenausschuß2 eine gewaltige und allseits anerkannte Organisation entwickelt hat, die mit ihren Normen alle Lebensbereiche durchdringt und zum Gemeinwohl auch vielfach Aufgaben wahrnimmt, die ihrem Inhalt nach eigentlich in den Bereich des Staates fallen" 3. Herausgearbeitet wurden diesbezüglich in Abschnitt C des ersten Teils die große Gruppe der Sicherheits- und Schutzfunktionen - insbesondere Arbeits-, Daten-, Gesundheits-, Unfall-, Verbraucher- und Umweltschutz sowie der Schutz menschlichen Eigentums -, der Bereich der Ergonomie sowie verschiedene soziale Funktionen wie beispielsweise die Berücksichtigung der Bedürfnisse von Kindern, Behinderten und alten Menschen. Aus diesen Erkenntnissen leiten sich zwei Fragenkomplexe ab: Erstens ist es im Rahmen der überbetrieblichen technischen Normung offensichtlich möglich, zentrale Aufgaben des Gemeinwohls zu erfüllen, die Gesetzund Verordnungsgeber bzw. Kommission und Rat wahrnehmen müßten, die sie aber - aus den in der Einleitung genannten Gründen - auf dem zunehmend komplexen, interdisziplinären und hochdynamischen Gebiet der Technik nicht wahrzunehmen in der Lage sind. Worin also liegt die Befähigung der überbetrieblichen technischen Normenorganisationen zur Wahrnehmung dieser gemeinnützigen Aufgaben? Zur Beantwortung dieser Frage sind Aufbauorganisation und Normungsverfahren der nationalen Normenorganisationen der EUMitgliedsstaaten, der europäischen Normenorganisationen der EU und EFTA sowie der internationalen Normenorganisationen einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Zweitens entsteht aufgrund der Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch die überbetriebliche technische Normung für die Nationalstaaten bzw. die Europäische Union die Notwendigkeit, die entsprechenden technischen Normen für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung - wie in den Ausführungen zur Rechtsfunktion technischer Normen in Kapitel I.C.2.h) beschrieben - nutzbar zu machen, sofern derartigen technischen Normen aufgrund der Erfüllung dieser öffentlichen Aufgaben nicht ohnehin genuine Rechtsverbindlichkeit zukommt. 1

Vgl. dazu die Ausführungen in der Einleitung und im Ausblick. Dem heutigen DIN Deutsches Institut für Normung e.V. Vgl. zu diesem die Ausführungen in den Unterabschn. des Kap. II.A.l.a)dd). 3 Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 49, der diese Aussage später auf alle entsprechenden Organisationen erweitert; vgl. ebd., S. 195. 2

E. Resümee des 1. Teils

221

Im Anschluß an die Ausführungen zur Organisation der technischen Normung sind demnach die Fragen einer möglichen Rechtsverbindlichkeit technischer Normen sowie der staatlichen Rezeptionsmechanismen zu beantworten. Damit sind die Organisation der technischen Normung sowie Rechtsnatur und staatliche Rezeption technischer Normen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene Gegenstand der Untersuchungen im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit.

Zweiter Teil

Die Organisation der technischen Normung sowie Rechtsnatur und staatliche Rezeption technischer Normen "Normung ist... fremdes Land. Kaum jemand kennt die Wege und Regeln der Normierer." "Normung kommt... nicht von oben - obwohl sie so wirkt. Normung wächst vielmehr aus der Erfahrung von unten."* Überbetriebliche technische Normen werden zum weitaus überwiegenden Teil innerhalb normschaffender Institutionen - institutionalisierter Normenorganisationen, technisch-wissenschaftlicher Verbände oder Berufsverbände - erarbeitet. Daneben existieren jedoch noch einige andere Formen überbetrieblicher technischer Normung, welche davon abzugrenzen sind. Erstens schafft der Staat technische Normen, indem er in Wahrnehmung seiner hoheitlichen oder fiskalischen Aufgaben oder als öffentlicher Unternehmer Güter herstellt oder nachfragt und durch seine Position am Markt, die häufig eine Monopolstellung ist, eigene technische Normen durchzusetzen in der Lage ist, wie z.B. in den Bereichen der Wehrtechnik oder Energiewirtschaft. Zweitens entstehen technische Normen infolge von Marktprozessen, und zwar entweder durch die eindeutige technische Überlegenheit eines Produktes oder Verfahrens, durch einen zeitlichen Vorsprung bei der Markteinführung einer neuen Technik oder durch die starke Marktstellung eines Marktführers, dessen Vorgaben die übrigen Wettbewerber folgen müssen. In diesem Fall spricht man von "De-facto-Normen"1, welche von Mitbewerbern genutzt werden, um ihre Produkte als kompa-

* Redaktion "Die Mitbestimmung", Welt der Norm; Kämpfer, S., Kraft der Norm, S. 13. 1 Als Beispiele für De-facto-Normen können der IBM-Standard für Personal-Computer und das japanische System "VHS" bei Videorecordern angeführt werden. Dieses konnte sich aufgrund seines zeitlichen Vorsprunges bei der Markteinführung gegen das europäische System "Video 2000" trotz dessen technologischer Überlegenheit durchsetzen. Ein weiteres Beispiel ist das von GM entwickelte und seinen Zulieferern vorgeschriebene MAP ("Manufacturing Automation Protocol"), in welchem Schnittstellennormen für Hard- und Software zur Integration automatisierter Fertigungsanlagen kodifiziert sind und das sehr bald von über 100 amerikanischen Firmen gestützt wurde. KOM, Fortgeschrittene Fertigungstechnik, S. 6. Vgl. auch Groenke, L., Normung von Schnittstellen, S. 227. Mittlerweile ist das MAP Gegenstand nationaler, europäischer

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

223

tibie Alternativen am Markt anzubieten. Drittens können sich schließlich mehrere Unternehmen einer Branche oder auch vor- und nachgelagerter Wirtschaftsstufen zu einem Normenkartell zusammenschließen, indem sie Absprachen über die Herstellung oder den Bezug eirtheitlicher Produkte zum Zwecke der Rationalisierung und Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit treffen. Diese Fälle überbetrieblicher technischer Normung - die staatliche Normung, die De-factoNormung sowie die Rationalisierungskartelle im Sinne des GWB mit Ausnahme der institutionalisierten Normenorganisationen 2- werden im folgenden nicht weiter behandelt, da es sich hier nicht um einen gesamtgesellschaftlichen Willensbildungsprozeß zur Verwirklichung des Gemeinwohls handelt. Aus diesem Grund sind auch die nationalen, europäischen und internationalen Zertifizierungs- und Akkreditierungssysteme nicht Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen. Den Gegenstand der Untersuchungen dieses Kapitels bilden vielmehr allein privaten die Organisation und der Normungsprozeß der institutionalisierten Normenorganisationen sowie die Rechtsnatur und die staatliche Rezeption ihrer Arbeitsergebnisse. Dabei ist unter einer "Normenorganisation" eine normschaffende Institution3 zu verstehen, "die auf nationaler, ... [supranationaler] oder internationaler Ebene anerkannt ist und als wesentliche Funktion, Dank (sie) ihrer Statuten, die Erstellung, Anerkennung oder Annahme von Normen hat, welche der Öffentlichkeit zugänglich sind"4. Eine nationale normschaffende Institution wird nur dann als nationale Normenorganisation bezeichnet, wenn sie als nationales Mitglied der entsprechenden supra- und internationalen Normenorganisation in Frage kommt5, mithin die bedeutendste nationale normshaffende Institution auf dem betreffenden Fachgebiet darstellt. Auf der internationalen Ebene sind dies die "International Electrotechnical Commission" (IEC) - zuständig für den Bereich der Elektrotechnik -, die "International Telecommunication Union" (ITU) - zuständig für den Sektor Telekommunikation - und die "International Organization for Standardization" (ISO),

und internationaler Normung in DKE, CENELEC und IEC. ZVEI, Tätigkeitsbericht 1990, S. 87 f. 2 Die institutionalisierten Normenorganisationen wie beispielsweise das DIN Deutsches Institut für Normung e.V. fallen als Rationalisierungsverbände i.S.d. § 5 Abs. 1 GWB auch unter das deutsche Kartellgesetz. Die Empfehlungen von Rationalisierungsverbänden bedürfen jedoch nach § 38 Abs. 2 Nr. 2 GWB weder der Anmeldung bei der Kartellbehörde, noch der ausdrücklichen Bezeichnung, daß sie unverbindlich sind. DIN, Merkblatt für DIN-Normen, S. 177 ff. 3 Vgl. die Definition des Begriffes in Kap. I.A.3.d)cc). 4 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 19 Abschn. 4 Nr. 4.4. Vgl. auch Kap. I.B. 5 Ebd. S. 19 Abschn. 4 Nr. 4.4.1.

224

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

welche die technische Normung in den übrigen Fachgebieten wahrnimmt. In analoger Aufgabenteilung existieren auf europäischer Ebene das "Comité Européen de Normalisation Electrotechnique" (CENELEC), das "European Telecommunications Standards Institute" (ETSI) und das "Comité Européen de Normalisation" (CEN). Auf nationaler Ebene gibt es in den EU- und EFTAMitgliedsstaaten aufgrund der bis vor wenigen Jahren durchgehend hoheitlichen Zuständigkeit für die Telekommunikation erst wenige eigenständige, für die Telekommunikation zuständige nationale Normenorganisationen6; zumeist werden diese Aufgaben entweder von der technischen oder - soweit vorhanden - der elektrotechnischen Normenorganisation mit übernommen: Dabei zeichnen sich diese Ebenen insbesondere seit der systematischen Rezeption technischer Normen im Rahmen des europäischen Harmonisierungsprozesses des nationalen Umwelt- und Technikrechts der EU-Mitgliedsstaaten - als Meilensteine sind hier die "Niederspannungsrichtlinie" (RL 73/23/EWG) auf elektrotechnischem Gebiet und die methodische Verweisung auf technische Normen in sämtlichen Richtlinien nach der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung"7 zu nennen - und der daraufhin entfalteten bemerkenswerten Dynamik der europäischen Normung durch zunehmende Verflechtungen in der Aufbau- und der Ablauforganisation aus. Hierzu gehört die konsequente Bildung von Spiegelgremien innerhalb der nationalen normschaffenden Institutionen zu den im Bereich der europäischen und internationalen Normenorganisationen gebildeten Arbeitsgremien ebenso wie die umfassende und systematische Verlagerung der Normungsaktivitäten auf die europäische oder möglichst sogar internationale Ebene8. Damit ist die isolierte Darstellung einer einzelnen Normungsebene aufgrund der zahlreichen Schnittstellen und Verflechtungen kaum

6 So gibt es bislang erst in Dänemark mit der NTA ("Telestyrelsen, National Telecom Agency"), in Finnland mit dem THK ("Telehallintokeskus"), in Italien mit dem CONCIT ("Comitato Nazionale di Coordinamento per le Tecnologie dell'Informatione") und in Schweden mit dem ITS ("Informationstekniska standardiseringen") eigene nationale Normenorganisationen für die Telekommunikations- und Informationstechnik. Vgl. die Entscheidung 96/139/EG der Kommission über die Änderung der Liste der Normungsgremien in den Mitgliedsstaaten im Anhang II der Richtlinie 83/189/EWG des Rates v. 24.01.1996 - ABl. EG Nr. L 32 v. 10.02.1996, S. 32 -. 7 Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01). Vgl. dazu Kap. II. B.3.c)bb)(2)(d). 8 Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.a)dd)(2) und Kap. II.A.l.a)dd)(3), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.a)bb) und Kap. II.A.2.a)cc), in bezug auf das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.a)bb) und Kap. II.A.3.a)cc) sowie im Hinblick auf die weiteren behandelten EU-Mitgliedsstaaten die Unterabschn. des Kap. II.A.4; vgl. femer, die Europäische Union betreffend, Kap. II.B.l.a)cc) und schließlich die grundlegenden volkswirtschaftlichen Ausführungen in Kap. I.D.l.a).

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

225

noch sinnvoll möglich. Um dennoch den Umfang der Arbeit in zumindest "tragbaren" Grenzen zu halten, liegt im folgenden die Betonung auf der Untersuchung der nationalen und europäischen Normungsebenen, während sich die Analyse der internationalen Normungsebene auf die Darlegung der wesentlichen Fakten und Erkenntnisse hinsichtlich der Organisation der internationalen Normenorganisationen sowie der Rechtsnatur ihrer Arbeitsergebnisse beschränkt. Diese Vereinfachung ist möglich, da sich aus der Organisation der internationalen Normenorganisationen und aufgrund der auf dieser Ebene - soweit ersichtlich - fehlenden Vernetzung von Rechts- und technischen Normen keine weiteren Erkenntnisse bezüglich der Themenstellung der vorliegenden Arbeit ableiten lassen. Tabelle 5 Die nationalen Normenorganisationen der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten Mitgliedsstaat

Technische Normenorganisation

Elektrotechnische Normenorganisation

Institut beige de normalisation/ Belgisch Instituut voor Normalisatie Dansk Standard

CEB/ BEC

Comité électrotechnique beige/Belgisch Elektrotechnisch Comité

DS

Dansk Standard

DIN

Deutsches Institut für Normung e.V.

DKE

Finnland

SFS

Suomen Standardisoimisliitto SFS ry

Frankreich

AFNOR

Association française de normalisation

Belgien

IBN/ BIN

Dänemark Deutschland

DS

ELOT Griechenland

Irland

NSAI

Island

STRI

Deutsche Elektrotechnische Kommission im DIN und VDE SESKO Suomen Sähköteknillinen Standardisoimisyhdistys SESKO ry CEF/ Comité électrotechnique franUTE çais/Union technique de l'électricité ELOT Ελληυικόζ Οργαυισμόζ Τυποποιησηζ (Ellinikos Organismos Typopoiisis)

Ελληυικόζ Οργαυισμόζ Τυποποιησηζ (Ellinikos Organismos Typopoiisis) National Standards ETCÌ Authority of Ireland STRI The Icelandic Council for Standardization/ Technological Institute of Iceland

Electrotechnical Council of Ireland The Icelandic Council for Standardization/Technological Institute of Iceland

- Fortsetzung -

15 Zubke-von Thünen

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung - Fortsetzung -

Italien

UNI

Ente Nazionale Italiano di Unificazio-

CEI

Comitato Elettrotecnico Italiano

SEE

Service de l'énergie de l'état

NEC

Nederlands Elektrotechnisch Comité Norsk Elektroteknisk Komite

np

Luxemburg Niederlande Norwegen Österreich

ITM

Portugal

IPQ

Schweden Schweiz Spanien

Vereinigtes Königreich

NNI NSF ON

lie Inspection du travail et des mines Nederlands Normalisatie-Instituut Norges Standardizeringsforbund Österreichisches Normungsinstitut

Instituto Português da Qualidade Standardiseringen i SIS Sverige Schweizerische SNV NormenVereinigung AENOR Asociación Espanola de Normalización y Certificación British Standards BSI Institution

NEK OEK

IPQ SEK CES AEE

BEC

Österreichisches Elektrotechnisches Komitee (beim Österreichischen Verband für Elektrotechnik (ÖVE)) Instituto Português da Qualidade Svenska Elektriska Kommissionen Comité Electrotechnique Suisse Asociación Electrotécnica y Electrónica Espanola British Electrotechnical Committee

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Die Organisation der technischen Normung sowie die Rechtsnatur und die staatlichen Rezeptionsmechanismen der technischen Normen sind, wie im folgenden aufgezeigt, in ihrer Vielfalt bereits auf nationaler Ebene sehr komplex, so daß eine Begrenzung der Breite und/oder Tiefe der diesbezüglichen Untersuchungen unerläßlich ist. Da die beiden möglichen Extreme - die Beschränkung auf eine entsprechend tiefe Darstellung der genannten Aspekte innerhalb nur eines Mitgliedsstaates oder eine weniger detaillierte, dafür aber alle Mitgliedsstaaten umfassende Schilderung- m.E. gleichermaßen unbefriedigend sind, wurde für die folgende Darlegung ein dreistufiger Ansatz gewählt. Danach liegt ein Schwerpunkt auf den drei größten Wirtschaftsnationen der EU - Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland-, da deren nationale Normen werke Ende 1995 zusammengenommen deutlich über ein Drittel - Ende 1990 sogar noch knapp die Hälfte aller innerhalb der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten existierenden nationalen Normen umfassen bzw. umfaßten, sie mit weitem Abstand über die höchsten jährlichen Normungsbudgets innerhalb der EU und EFTA verfügen und sie zusammen über zwei Drittel aller technischen Sekretariate der "Gemeinsamen Europäischen Normungsinstitution CEN/CENELEC" betreuen1:

1

Anzahl der betreuten europäischen Sekretariate (CEN/CENELEC und ECISS) für Ende 1996, entnommen aus: CENELEC, Memento 1996, S. 22 ff.; DIN, schriftliche Auskunft des Referats für Europäische Normung v. 10.03.1997; Umfang des italienischen Normenwerkes aufgrund fehlerhafter Daten in ISO, Members, S. 53 für Ende 1996, entnommen aus: UNI, schriftliche Auskunft der Abteilung International Projects; alle übrigen Zahlenangaben in der Tabelle für Ende 1995, Budget in Schweizer Franken (SFR); entnommen aus: ISO, Members, passim. Dieses herausragende Engagement findet seine Fortsetzung auf internationaler Ebene, wo AFNOR, BSI und DIN knapp die Hälfte aller ISO-Sekretariate (TC, SC und WG) betreuen (DIN 522 = 19,2 %, BSI 449 = 16,5 % und AFNOR 277 = 10,2 % (ANSI (USA) 517= 19,0%, die anderen 88 Mitglieder 35,1 %)), und DKE, UTE und BEC über 40 % der IEC-Sekretariate (TC und SC) (UTE 34 = 17,4 %, DKE 24 = 12,3 %, BEC 24 = 12,3 % (USA 34 = 17,4 %, die anderen 44 Mitglieder 40,6 %)). Zahlenangaben für Ende 1996, entnommen aus: IEC, Directory 1997, S. 78 f.; ISO, Memento 1997, S. 164. Ein vergleichbares Bild ergibt sich schließlich bei den Gesamtleistungen der nationalen Normenorganisationen an die ISO, die sich aus den Sekretariatsleistungen, Mitgliedsbeiträgen und Vertriebserlösen errechnen: Hier tragen BSI (14%), DIN (14%) und AFNOR (11%) mit zusammen 39 % soviel bei wie die restlichen 86 Mitglieder oh-

15*

228

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Dabei erfolgt, wie es sich bei der Betrachtung eines komplexen Systems wie der Organisation der nationalen Normenorganisationen empfiehlt, eine Systemdifferenzierung in Aufbau- und Ablauf organisation; die entsprechenden ne ANSI (USA: 11 %), JIS (Japan: 5 %) und GOST (GUS: 5 %). Zahlenangaben für 1990, entnommen aus: DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 8. Hinsichtlich des Umfangs der nationalen Normenwerke der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten in der Tabelle ist zu beachten, daß zwar die entsprechenden Zahlenangaben in ISO, Members, nach unterschiedlichen Feldern und insbesondere auch der Elektrotechnik aufgeschlüsselt und nirgendwo mit "0" besetzt sind; dennoch läßt sich aus den Daten nicht in jedem Fall eindeutig schließen, ob das Normenwerk der elektrotechnischen Normenorganisation ganz, teilweise oder gar nicht in den aufgeführten Werten enthalten ist, so daß in den beiden letzteren Fällen neben den elektrotechnischen Normen der technischen Normenorganisation noch weitere elektrotechnische Normen der elektrotechnischen Normenorganisation existieren können. Eine weitere Fehlerquelle resultiert aus der Tatsache, daß neben den hier aufgeführten nationalen Normenorganisationen, welche die nationale Normung in den europäischen und internationalen Normenorganisationen vertreten, unter Umständen noch andere nationale normschaffende Institutionen bestehen, die weitere, in der Übersicht u.U. nicht erfaßte technische Normenwerke betreuen. Beispielsweise werden allein in der Bundesrepublik Deutschland von 132 technischen Regelsetzem 208 technische Regelwerke herausgegeben, die in ihrer Gesamtheit rund 50.000 technische Regeln enthalten (vgl. Kap. II.A.l.a)bb)). Davon sind in der Tabelle lediglich 23.500 Stück, also 47 %, berücksichtigt. Diese Zahl liegt zwar für andere EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten - insbesondere für solche mit ehemals staatlichen Normenorganisationen - näher an 100% oder erreicht sogar 100 %. Dennoch wäre danach für die EU und EFTA von einem Bestand von weit mehr als 158.000 nationalen technischen Normen auszugehen. Auf der anderen Seite werden Europäische und internationale Normen parallel in die nationalen Normenwerke aller EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten aufgenommen und so in einer Gesamtübersicht mehrfach erfaßt, was die Hauptursache des weit überproportionalen Anwachsens des Gesamtnormenbestandes in EU und EFTA von rund 107.000 Stück Ende 1991 (ISO, Member Bodies, passim) um knapp 30 % auf etwa 158.000 Stück Ende 1995 darstellen dürfte; tatsächlich haben sich die Normenwerke einiger Staaten wie beispielsweise Belgien und Griechenland in dieser Zeitspanne mehr als verdoppelt bzw. sogar nahezu verdreifacht. Darüber hinaus werden auf nationaler Ebene im Rahmen von Kooperationsverträgen zwischen den normschaffenden Institutionen teilweise technische Normen parallel in mehrere Normenwerke aufgenommen. Als Beispiele seien die sicherheitsrelevanten elektrotechnischen Normen des DKE genannt, welche sowohl als DIN-Normen als auch als VDE-Bestimmungen veröffentlicht werden, oder auch die Vorschriften des DVGW-Regelwerkes Gas, die zum Teil ebenfalls im DIN-Normenwerk enthalten sind. DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 4 Nr. 4.3; vgl. auch Kap. II.A.l. a)dd)(4). Daß die angegebenen Zahlen dennoch in etwa zutreffen, belegen Schätzungen von Experten, die den Umfang der nationalen Normenwerke der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten bereits im Jahre 1989 auf mindestens 120.000 technische Normen bezifferten, wovon 80.000 den damaligen 12 EU-Mitgliedsstaaten zugerechnet wurden. Marschall, H.-W., Zehn Jahre DITR, S. 583, 586. Zum Vergleich: Weltweit existieren mehr als 500.000 technische Normen, wobei jährlich rund 20.000 neue Normen hinzu kommen. AFNOR, Catalogue 1993, S. 9; ISO, ISO in figures, S. 4.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

229

Ausführungen für die genannten drei Staaten werden ergänzt um die wichtigsten Angaben zu Geschichte, Finanzierung und die Beziehungen zum Staat, woran sich in zwei weiteren Kapiteln Untersuchungen zu Rechtsnatur und staatlicher Rezeption der technischen Normen anschließen. Innerhalb dieses Schwerpunktes wiederum liegt die Betonung auf der Bundesrepublik Deutschland, indem für diese sowohl die Organisation der technischen Normung als auch Rechtsnatur und staatliche Rezeption technischer Normen vertieft behandelt werden, was unter anderem darin seinen Ausdruck findet, daß hier beispielhaft in je einem kurzen Abriß einige weitere, eng mit der nationalen Normenorganisation DIN kooperierende normschaffende Institutionen dargestellt werden. Auf der dritten Stufe erfolgt schließlich, stellvertretend für die übrigen EU-Mitgliedsstaaten, eine kurze Darstellung von Geschichte, Organisation und politischer Stellung der nationalen Normenorganisationen einiger weiterer EU-Mitgliedsstaaten. Diese wurden so ausgewählt, daß neben weiteren wirtschaftlich bedeutenden auch einige wirtschaftlich weniger bedeutende EU-Mitgliedsstaaten in der Betrachtung enthalten sind, um so eine möglichst repräsentative Untersuchung zu ermöglichen. Tabelle 6 Normenwerke, betreute europäische Sekretariate und Budget der nationalen Normenorganisationen der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten Mitglieds- Organisation Nationale Normenwerke Betreute europäische Sekretariate staat

Budget

Umfang Anteil kum- An- Anteil kum% muliert zahl % muliert % %

[in SFR]

Deutschland

DIN/DKE

23.500

14,9

14,9

91

29,4

29,4 129.000.000,-

Frankreich

AFNOR/ CEF, UTE

19.046

12,0

26,9

65

21,0

50,4 103.000.000,-

Vereinig- BSI/BEC tes Königreich

14.476

9,1

36,0

61

19,7

70,1 172.900.000,-

Schweden

SIS/SEK

11.200

7,1

43,1

7

2,3

72,4

20.690.000,-

Spanien

AENOR/ AEE

10.916

6,9

50,0

5

1,6

74,0

21.522.000,- Fortsetzung -

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

- Fortsetzung Italien

UNI/CEI

10.400

6,6

56,6

26

8,4

82,4

17.624.000,-

Niederlande

NNI/NEC

9.197

5,8

62,4

19

6,1

88,5

26.440.000,-

Belgien

IBN (BIN)/ CEB (BEC)

8.545

5,4

67,8

14

4,5

93,0

5.884.000,-

Finnland

SFS/ SESKO

7.060

4,5

72,3

1

0,3

93,3

11.297.109,-

Österreich

ON/OEK

7.033

4,4

76,7

0

0,0

93,3

14.300.000,-

Schweiz

SNV/CES

6.656

4,2

80,9

3

1,0

94,3

7.500.000,-

Portugal

IPQ

6.286

4,0

84,9

0

0,0

94,3

8.043.727,-

Dänemark

DS

5.955

3,8

88,7

10

3,2

97,5

24.000.000,-

Norwegen

NSF/ NEK

5.574

3,5

92,2

3

1,0

98,5

8.100.000,-

Griechenland

ELOT

4.386

2,8

95,0

1

0,3

98,8

4.646.000,-

Island

STRI

4.269

2,7

97,7

1

0,3

99,1

1.000.000,-

Irland

NSAI/ETCI

3.750

2,4

100,1

3

1,0 100,1

11.000.000,-

Luxemburg

ITM/SEE

k.A.

0,0

100,1 k.A

0,0 100,1

k.A.

Summe

/

158.249 100,1

/

310

100,1

/

/

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

231

1. Bundesrepublik Deutschland a) Die Organisation der technischen Normung aa) Geschichte Der technischen Normung - seit ihren Ursprüngen in den hochentwickelten Kulturen des Altertums1 bis zur Zunftordnung des späten Mittelalters aufgrund deren handwerklichen Strukturen nur punktuell und regional begrenzt vollzogen - wurde in der Bundesrepublik Deutschland durch den Übergang von der individuellen und überwiegend manuellen Handwerks- zur arbeitsteiligen, maschinellen Industrieproduktion im Rahmen der industriellen Revolution und das Aufbrechen der Zunftordnung durch Einführung der Gewerbefreiheit im Jahre 18692 eine bis heute stetig steigende Bedeutung zuteil. Denn ohne die Schaffung einer einheitlichen Verständigungsgrundlage sowie die Sicherstellung der Kompatibilität der entstehenden Schnittstellen und der Austauschbarkeit von Teilen und Baugruppen erwies sich der Aufbau einer rationellen arbeitsteiligen Industrieproduktion schnell als undurchführbar 3. Bald erfüllte die Normung noch weitere Funktionen, allen voran die Gewährleistung der technischen Sicherheit, deren Notwendigkeit durch die sich mit zunehmender Verbreitung der Dampfmaschine häufenden Kesselexplosionen sowie durch Unfälle bei der Nutzung von Gas und Elektrizität drastisch ins Bewußtsein gebracht worden 4

war . Dabei liegt die Verantwortung für die technische Normung seit der industriellen Revolution in Deutschland weitgehend in den Händen privatrechtlicher

1

Vgl. Kap. I.A.3.a). § 1 der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 (GBl., 1869, S. 245). Hinsichtlich der technischen Normung im Mittelalter - insbesondere in den Zünften vgl. Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 45 ff.; Muschalla, R., Geschichte der Normung, S. 45 ff. 3 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. I.D.l.a); femer Kap. I.C.2.a), Kap. I.C.2.d) und Kap. I.C.2.n). 4 Ausführlich hierzu Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 51 ff. Daß die Dampfkesselexplosion als eine der Gefahren, die zu einer Sensibilisierung vorhandener Gefahren der Technik führte, bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat, belegt der Allianz Schadensbericht für das Jahr 1994, in dem eine Kesselexplosion als Ursache des größten in der Feuerversicherung entstandenen Schadens aufgeführt wurde. Die Ursachen sind allerdings heutzutage weniger technischer Natur, sondern liegen vielmehr überwiegend in menschlichem Fehlverhalten. Vgl. o.V., Allianz sichert sich ab, S. 17. 2

232

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Vereinigungen 5. Der 1821 gegründete "Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes in Preußen" war der erste deutsche Verein, dessen Aktivitäten speziell technische Belange betrafen 6. Im Jahre 1846 - also zur gleichen Zeit, als in vielen größeren deutschen Unternehmen die ersten "Normalien-Bücher" entstanden7 - wurden als erstes deutsches Normungsprojekt auf überbetrieblicher Ebene Spurweiten und Kupplungseinrichtungen der deutschen Eisenbahn vereinheitlicht8. Ab 1860 setzten konkrete Normungsaktivitäten weiterer technischwissenschaftlicher Vereinigungen - des Vereins Deutscher Ingenieure VDI, des Verbandes Deutscher Elektrotechniker VDE, des Deutschen Vereins des Gasund Wasserfaches DVGW e.V. u.a. - mit dem Ziel ein, technische Normen als Marktvereinbarungen zu schaffen. Diese beschränkten sich zunächst auf punktuelle und branchenspezifische Festlegungen mit kleinem räumlichen und zeitlichen Wirkungskreis, wobei überwiegend Teile genormt wurden, die sich innerhalb eines Fertigungsgebietes häufig wiederholten. Das weitere Fortschreiten der industriellen Revolution sowie die mit ihr einhergehende Massenfabrikation und Arbeitsteilung führten zu einem rasch wachsenden Bedarf an technischen Normen, der mit dem Beginn des ersten Weltkrieges weiter zunahm9. Der rasch ansteigende Bedarf an Rüstungsgütern, welcher den raschen Aufbau einer rationellen Massenfertigung erforderlich werden ließ 10 , machte den Mangel an Koordination der Normungstätigkeiten der einzelnen technischwissenschaftlichen Vereinigungen offenkundig: Für einen Normungsgegenstand existierten nicht selten mehrere, sich widersprechende Normen verschiedener Vereinigungen, so daß die angestrebten Funktionen der technischen Normung insbesondere Rationalisierung, Vereinheitlichung, Austauschbarkeit, Kompatibilität- nur unvollständig erreicht wurden. Die Erkenntnis, daß die Normung nur als Gemeinschaftsaufgabe ihren Nutzen voll entfaltet, führte im Jahre 1916 zu der Schaffung einer zentralen Auslegestelle für Normen im Haus des V D I in Berlin. Dem folgte am 18. Mai 1917 die im Rahmen des Hindenburg5

Jedoch hat der Staat als Großabnehmer (z.B. Reichsbahn und Reichspost) sowie in seiner Hoheitsfunktion (z.B. Güteklassifikation von Eisen und Stahl im Brücken- und Dampfkesselbau) im Rahmen der De-facto-Normung sowie der staatlichen Normung bereits damals eine nicht zu vernachlässigende Rolle gespielt. Wölker, T., Der Deutsche Normenausschuß, S. 551. Vgl. auch die vorangehenden Ausführungen. 6 DVGW, 100 Jahre DVGW, S. 10; Muschalla, R., Geschichte der Normung, S. 51. 7 Vgl. Kap. I.A.4. 8 Diese technische Norm hat wesentlich dazu beigetragen, daß trotz der anfänglichen regionalen Zuständigkeiten im Eisenbahnwesen schon bald ein engmaschiges und kompatibles Eisenbahnnetz in Deutschland entstand. Dhen, K , Produktivitätssteigerung, S. 14; Marburger, P., Regeln, S. 182. 9 Dhen, K., Produktivitätssteigerung, S. 14; Leinweber, Seminar, S. 2; Wölker, T., Der Deutsche Normenausschuß, S. 550 ff. 10 Hellmich, W., Sinn der Normung, S. 65.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

233

Programms vom August 1916 beschlossene Gründung des VDI-Ausschusses "Normalienausschuß für den allgemeinen Maschinenbau" durch den V D I und das Königliche Fabrikationsbüro in Spandau, aus welchem sich später das "DIN Deutsches Institut für Normung e.V." entwickeln sollte; dieses Datum wird als Beginn der institutionalisierten Normung in Deutschland angesehen11. bb) Gegenwärtige Situation Bis heute überläßt der deutsche Staat die Ausarbeitung technischer Normen weitestgehend privatrechtlichen Vereinen 12. Entsprechend der geschichtlichen

11 DIN, Wissen, S. 6; Hellmich, W., Sinn der Normung, S. 65; Leinweber, Seminar, S. 2 ff.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 59; Muschalla, R., Geschichte der Normung, S. 51; Wölker, T., Der Deutsche Normenausschuß, S. 551 ff. Zur weiteren geschichtlichen Entwicklung des DIN vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(l). 12 Normend tätig sind entsprechend dem "DIN-Verzeichnis Deutscher und Internationaler technischer Regelwerke" jedoch auch 49 öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Behörden. Dieses sind zunächst einmal die Bereiche, die auf europäischer und/oder nationaler Ebene traditionell einer stärkeren staatlichen Einflußnahme unterliegen und für die technische Verordnungen und Richtlinien der EU sowie Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften des Bundes und der Länder erlassen werden. Weiterhin wird der Staat als Großabnehmer normend tätig, wie beispielsweise innerhalb der Bundeswehr deren für das Beschaffungswesen zuständige Normenabteilungen im Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz. Darüber hinaus sind im DIN-Verzeichnis eine Reihe weiterer öffentlicher Dienststellen und Institutionen - so u.a. verschiedene Bundes- und Landesministerien - aufgeführt, für welche die technische Normung jedoch nur periphere Bedeutung hat. Von erheblicher Bedeutung sind dagegen die technischen Regelwerke der öffentlichrechtlichen Ausschüsse wie beispielsweise des "Kerntechnischen Ausschusses" (KTA) im Bereich der Reaktorsicherheit (Bekanntmachung des BMU v. 01.09.1986 (BAnz. Nr. 183 v. 02.10.1986), geänd. d. Bek. d. BMU v. 23.12.1986 (BAnz. Nr. 18 v. 28.01.1987)), der "Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit" (§ 4 GenTG), des "Ausschusses für Gefahrstoffe" (AGS) (§ 52 GefStoffV) oder der Ausschüsse der überwachungsbedürftigen Anlagen nach § 11 GSG wie beispielsweise der "Deutsche Dampfkesselausschuß" (DDA) (§ 11 Abs. 2 GSG i.V.m. § 30 DampfkV). Diese gelten als teilrechtsfähige Verbände öffentlichen Rechts. Vgl. hierzu Marburger, P., Regeln, S. 62 ff. und insbes. 65 f.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 61. Relevant sind in diesem Zusammenhang schließlich noch die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften, die auf der Grundlage der Reichsversicherungsordnung (RVO) als autonomes Recht für die jeweiligen Bereiche der einzelnen Berufsgenossenschaften gelten (vgl. Fn. 377 in Kap. II.A.l.b)), die "Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit elektrischer Arbeit aus dem Niederspannungsnetz der E VU" und die "Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit Gas", welche auf Anordnungen auf Grundlage des Energiewirtschaftsgesetzes zurückgehen und Rechtsverordnungscharakter besitzen. Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 84 f.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Entwicklung ist die technische Normung in der Bundesrepublik Deutschland gekennzeichnet durch eine Vielzahl historisch gewachsener Normen- und Vorschriftenwerke, welche lange Zeit keiner systematischen Planung unterlagen. In einem bestimmten Fachgebiet gelten im allgemeinen mehrere Regelwerke verschiedener Herausgeber, die durch ein Netz von Verflechtungen und Querverweisen untereinander verbunden sind13. Die hieraus resultierende mangelhafte Transparenz und die Überschneidungen verstärkten sich nach 1950 durch das rapide Anwachsen der Normenwerke aufgrund der Ausweitung der Normungsaktivitäten auf den Gebieten Sicherheitstechnik, Umweltschutz, Ergonomie und Verbraucher schütz14. Für Transparenz und Koordination sorgen heute das DIN, welches zahlreiche Kooperationsverträge mit anderen Normungsinstitutionen geschlossen hat, sowie das "Deutsche Informationszentrum für technische Regeln" (DITR) im DIN, welches im Oktober 1979 vom DIN mit Unterstützung der Bundesregierung gegründet wurde 15. Das DITR unterhält eine bibliographische Datenbank

13

DITR, DITR im DIN, S. 3. Vgl. auch die Ausführungen in Fn. 309 in Kap. II.B.3.b)bb). So haben sich beispielsweise die technischen Regeln für den Bau eines Einfamilienhauses in Niedersachsen von 1972 bis 1982 verfünffacht, so daß es selbst dem Fachmann auf seinem Spezialgebiet kaum mehr möglich ist, den vollen Überblick zu behalten. DIN, DITR - Aufbau und Leistungen, S. 217. 14 Die technische Normung hatte zuvor im wesentlichen technisch-industrielle Probleme zum Gegenstand. Hartlieb, B., Bedeutung des DIN, S. 68. So verstand man zu Beginn der deutschen Normungsaktivitäten unter Normung "die Vereinheitlichung der Teile, die sich auf einem Fertigungsgebiet öfters wiederholen und ohne Nachteil in gleicher Form und deshalb in Massen und auf Vorrat hergestellt werden können". Hellmich, W., Die Not der deutschen Wirtschaft, 1919, S. 27, zit. in: Wölker, T., Der Deutsche Normenausschuß, S. 550. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. I.B. 15 DITR, Normen, Vorschriften, Richtlinien, S. 1; dass., DITR im DIN, S. 4; Marschall, H.-W., Zehn Jahre DITR, S. 581. Das DITR ist mittlerweile zur bedeutendsten Informationseinrichtung für Normen in Westeuropa geworden. Es ist seit 1984 die deutsche nationale Auskunftsstelle im Rahmen des in der RL 83/189/EWG festgelegten Informationsverfahrens über den Austausch von Informationen von in Vorbereitung befindlichen technischen Normen und des GATT-Abkommens über technische Handelshemmnisse. Außerdem ist das DITR der bundesdeutsche Partner für das internationale Informationssystem ISONET. Seit 1989 ist das DITR offiziell ernannte EU-Beratungsstelle für Unternehmen (EURODITR). DIN, Wissen, S. 2; dass., Geschäftsbericht 1988/89, S. 21 f. und 1990/91, S. 31; DITR, Normen, Vorschriften, Richtlinien, passim; dass., DITR im DIN, S. 4, 16 ff.; Marschall, H.-W., Zehn Jahre DITR, S. 582. Zum Service des DITR gehören gedruckte, Magnetband-, Disketten-, CD-ROM- und Online-Dienste, eine Sammlung technischen Rechts auf Mikrofilm, femer eine Bibliothek mit über 300.000 Normen aus aller Welt. DIN, Wissen, S. 13 f.; DITR, Normen, Vorschriften, Richtlinien, S. 5 ff.; dass., DITR im DIN, S. 5 ff.; Marschall, H.-W., Zehn Jahre DITR, S. 581 u. insbes. 585. Angedacht ist die Entwicklung hin zu Volltextdaten-

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

235

über alle für die Bundesrepublik Deutschland gültigen technischen Regeln16, welche sowohl sämtliche technischen Normen und Richtlinien privater Normenorganisationen als auch alle Gesetze und Verordnungen mit technischen Festlegungen enthält. Es werden Verflechtungen aufgezeigt und die Rechtsverbindlichkeit dargestellt17. Das DITR weist für die Bundesrepublik Deutschland über 50.000 technische Regeln18 in 208 technischen Normenwerken von 131 privaten19 und 49 öffentlich-rechtlichen technischen Regelsetzern nach. Jährlich kommen etwa 4.500 neue technische Regeln hinzu; gleichzeitig verlieren über 3.750 ihre Gültigkeit20. Bereits aus der saldierten jährlichen Zunahme von rund 750 technischen Regeln für die Bundesrepublik Deutschland läßt sich deren weiter wachsende Bedeutung erkennen. Bevor auf die beiden nationalen Normenorganisationen auf technischem und elektrotechnischem Gebiet innerhalb der Bundesrepublik Deutschland - das banken, was völlig neue Wege des Informationstransfers von technischen Dokumenten eröffnen würde. Marschall, H.-W., Zehn Jahre DITR, S. 588. 16 1990 umfaßte die DITR-Datenbank 24.000 DIN-Normen inklusive 3.000 Europäischer Normen, 10.000 technische Regeln anderer privater Regelersteller sowie 6.000 deutsche Rechtsvorschriften; ferner 11.000 Internationale Normen, 4.500 Schweizerische Normen, 6.500 Österreichische Normen sowie 8.500 amerikanische ASTMNormen. DIN, Geschäftsbericht 1988/89, S. 22; DITR, DITR im DIN, S. 4; Marschall, H.-W., Zehn Jahre DITR, S. 582. Unter Leitung des DIN und gemeinsam mit AFNOR und BSI hat das DITR eine monatlich auf CD-ROM erscheinende dreisprachige Datenbank "Perinorm" entwickelt. Perinorm umfaßt alle Normen und Norm-Entwürfe von AFNOR, BSI und DIN, ferner von ISO/IEC, CEN/CENELEC, ETSI, der Normenorganisationen Österreichs, der Schweiz sowie der Niederlande. Sie wird gegenwärtig ausgeweitet auf die Normenwerke aller CEN/CENELEC-Mitglieder, die dies beantragen, sowie auf einige große amerikanische Regelwerke. DIN, Perinorm; dass., Geschäftsbericht 1988/89, S. 21 f. und 1990/91, S. 8, 31; dass., Wissen, S. 13; Marschall, H.-W., Zehn Jahre DITR, S. 585 f. Seit neuestem wird als eine weitere Gemeinschaftsentwicklung der oben genannten Institutionen unter der Bezeichnung "Normimage" eine weitere, jeden zweiten Monat aktualisierte CD-ROM-Reihe angeboten; diese enthält den faksimilierten Volltext von deutschen, französischen, britischen, europäischen und internationalen Normen, geordnet nach Sachgebieten. Die erste Norm dieser Reihe über Grundlagen der Qualitätssicherung, Statistik und Instandhaltung enthält 700 bibliographische Einträge und umfaßt fast 11.000 Seiten aus mehr als 300 Dokumenten. Computer 2000 Deutschland GmbH, Pointer 1/1993, S. 269. 17 DIN, Geschäftsbericht 1988/89, S. 22; DITR, DITR im DIN, S. 4; Marschall, H.-W., Zehn Jahre DITR, S. 582. 18 Stand September 1993. DITR, Sammlung technisches Recht, S. A2. 19 Im Schrifttum finden sich z.T. deutliche höhere, jedoch wohl auf Mißverständnissen bezüglich der ausgewerteten Literatur beruhende Angaben; vgl. z.B. Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 78, der die Zahl der privaten Normenorganisationen auf 207 beziffert, oder Dette, G., Normung im Gasfach, S. 507, der von 210 privatrechtlichen Organisationen spricht. 20 DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 30 f.; dass., Wissen, S. 2.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

"DIN Deutsches Institut für Normung e.V." und die "Deutsche Elektrotechnische Kommission im D I N und VDE" (DKE) - eingegangen wird, ist die Standardisierung in der ehemaligen DDR Gegenstand eines kurzen Exkurses, da das Staatsgebiet der ehemaligen DDR nach ihrem Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland entsprechend Satz 2 des im Rahmen des Einigungsvertrages vom 31. August 199021 aufgehobenen Art. 23 GG ebenfalls der Europäischen Union angehört22. cc) Exkurs: Standardisierung in der ehemaligen DDR (1) Terminologie In diesem Abschnitt wurde - wie bereits an der Kapitelüberschrift erkenntlich - aus historischen Gründen bewußt darauf verzichtet, die in der ehemaligen DDR gebräuchlichen Begriffe in die Terminologie dieser Arbeit zu überführen. Wie bereits in Kapitel I.A.5 ausgeführt, stellte der Begriff "Standardisierung " in der ehemaligen DDR die staatliche Bezeichnung für den Ausdruck "technische Normung" dar; dementsprechend wurden technische Normen als "Standards" bezeichnet. Dagegen fand das Wort "Normung " als allgemeine, übergeordnete Bezeichnung für die verbindliche Festlegung von Vereinheitlichungen auf den unterschiedlichsten Gebieten von Staat und Gesellschaft Verwendung23.

21 BGBl. II, 1990, S. 889 f. Art. 10 Abs. 1 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 lautet: "Mit dem Wirksamwerden des Beitritts gelten in dem in Art. 3 genannten Gebiet die Verträge über die EU nebst Änderung und Ergänzung sowie die internationalen Vereinbarungen, Verträge und Beschlüsse, die in Verbindung mit diesen Verträgen in Kraft getreten sind." 22 Dies ist unstreitig. Entsprechend Art. 227 Abs. 1 EGV, Art. 198 EAGV sowie Art. 79 EGKSV gelten diese im gesamten europäischen Hoheitsgebiet aller Mitgliedsstaaten. Der Anwendungsbereich der Verträge ist demnach räumlich durch die jeweiligen Staatsgebiete der Mitgliedsstaaten begrenzt. Solange die völkerrechtliche Identität eines Mitgliedsstaates gewahrt bleibt, verändert sich mit einer Gebietsänderung auch der räumliche Geltungsbereich der Verträge. Nach h.M. hat der Beitritt der DDR die völkerrechtliche Identität der Bundesrepublik Deutschland nicht verändert. Für den Anwendungsbereich der Verträge gilt das Prinzip der beweglichen Vertragsgrenzen; i.d.S. hat Deutschland seit dem 3. Oktober 1990 ein erweitertes Staatsgebiet und ist dergestalt Mitglied der Europäischen Union. Dementsprechend bedurfte der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland keiner Vertragsänderung gemäß Art. 236 EGV, Art. 204 EAGV sowie Art. 95 EGKSV. Schachtschneider, Κ. Α., Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 3 f. 23 Ludz, P. C. u.a., DDR-Handbuch, S. 764 f.; Ökonomisches Lexikon Bd. 2, S. 730 f.; vgl. auch DIN, DIN 820-3: 1975-03 S. 2 Nr. 6. Dennoch wurde in der ehemaligen DDR neben dem Ausdruck Standardteile auch das Wort Normteile für vereinheit-

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

237

So bezeichnete die Rechtswissenschaft den Erlaß von Gesetzen und Verordnungen als Normung, während in der Wirtschaft die Normung neben der Standardisierung auch die Festlegung von Aufwandsnormen - z.B. von "Arbeitsnormen"24, "Materialverbrauchsnormen" 25 oder normativen Festlegungen über den rationellen Einsatz und den materiellen Verschleiß von Arbeitsgegenständen26 -, "Vorratsnormen" 27, "Kapazitätsausnutzungsnormen"28 und anderes mehr umfaßte. Diesen normativen Festlegungen kam im Hinblick auf die zentralen staatlichen Planungsentscheidungen große Bedeutung zu 29 . In der DDR wurde "Standardisierung" definiert als die planmäßige Ausarbeitung, Durchsetzung, Kontrolle und Überarbeitung von einheitlich anzuwendenden Bestlösungen einer sich wiederholenden Aufgabe, in der sich die gesellschaftlichen Anforderungen an deren Lösung ausdrücken. Die Standardisierung beinhaltete vor allem die Festlegung der Beschaffenheit von Arbeitsgegenständen, Arbeitsmitteln und Erzeugnissen, von Verfahren zur Herstellung, Prüfung, Konstruktion, Lagerung und Transport von Gütern sowie von Verständigungsmitteln (Begriffen, Formeln und Zeichen)30.

lichte Teile wie Schrauben, Muttern und Stifte verwendet. Ökonomisches Lexikon Bd. 2, S. 273 f. 24 Als Arbeitsnormung wurde die auf sozialistische Produktionsverhältnisse bezogene Festlegung des Aufwandes für bestimmte Arbeitsoperationen durch die Normenkommission der DDR definiert. Hierbei sollte die optimale Gestaltung des Produktionsprozesses einschließlich der erforderlichen Qualifikation der Arbeitskräfte berücksichtigt werden. Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 367 ff.; Ökonomisches Lexikon Bd. 1, S. 158 f., 272 f. 25 Als Materialverbrauchsnormung wurde in der ehemaligen DDR die Ermittlung von Plankennziffern bezeichnet, welche den "technisch-ökonomisch begründeten" Material- und Energieaufwand für die Herstellung eines bestimmten Erzeugnisses oder zur Durchführung einer entsprechenden Leistung gemäß den gegebenen und sich entwikkelnden technisch-ökonomischen Bedingungen festlegten. Ökonomisches Lexikon Bd. 2, S. 161 f.; Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 360 ff. 26 Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 366. 27 Als Vorratsnormen galten in der ehemaligen DDR "technisch-ökonomisch begründete" Plankennziffern, welche die durchschnittliche Höhe des Vorrates entsprechend den spezifischen Bedingungen der jeweiligen Industrie- und Handelsbetriebe und der volkswirtschaftlichen Erfordernisse bestimmten. Ökonomisches Lexikon Bd. 2, S. 1030 f.; Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 360 ff. 28 In Kapazitätsausnutzungsnormen wurden in den jeweiligen Produkten ausgedrückte Größen festgelegt, welche die Ausnutzung der Kapazität in den einzelnen Jahren unter Berücksichtigung der erreichbaren Bedingungen für eine höchstmögliche Produktion auswiesen. Ökonomisches Lexikon Bd. 1, S. 1026 f. 29 Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 335 ff. und insbes. 360 ff. 30 Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 346; Ludz, P. C. u.a., DDR-Handbuch, S. 764 f.; Ökonomisches Lexikon Bd. 2, S. 273, 730 ff.

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(2) Klassifikation

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

der Standards

Auch in der DDR 3 1 existierte eine Klassifikation der verschiedenen Standards entsprechend ihrer differierenden räumlichen Geltungsbereiche. Auf nationaler Ebene wurde gemäß den §§2 und 7-9 der StandardisierungsVerordnung32 - im folgenden als StandV bezeichnet - zwischen DDR- und Fachbereichstandards als staatliche Standards sowie Werkstandards als betrieblichen Standards differenziert. Während DDR-Standards die volkswirtschaftlich bedeutsamen Festlegungen zur Entwicklung von Erzeugnissen, Sortimenten und Verfahren sowie hinsichtlich technischer Sicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz enthielten, bestanden die Fachbereichstandards aus einer für den Fachbereich erforderlichen Auswahl von DDR-Standards sowie aus fachbereichsspezifischen ergänzenden Bestimmungen. Beide Arten trugen das Symbol "TGL" als Abkürzung für "Technische Normen, Gütevorschriften und Lieferbedingungen". Ein für den jeweiligen Betrieb ausgewählter DDR- oder Fachbereichstandard, erweitert um werkspezifische Bestimmungen, trug die Bezeichnung Werkstandard 33. Auf supra- und internationaler Ebene waren für die DDR weiterhin die Standards des RGW 34 sowie die internationalen Normen von ISO und IEC von Bedeutung35. Hinsichtlich der Reichweite des fachlichen Geltungsbereichs wurde zwischen Grundlagen- und Fachstandards, bezüglich der Standardarten zwischen Beschaffenheits-, Verfahrens- und Verständigungsstandards unterschieden36. (3) Ziele der Standardisierung Der sozialistische Staat der DDR maß der Standardisierung als Bestandteil der sozialistischen Wirtschaftsorganisation zur Prognose, Planung und Leitung des volkswirtschaftlichen "Reproduktionsprozesses" große Bedeutung bei. Pri31

Vgl. Kap. I.B. Verordnung vom 15. März 1984 über die Standardisierung - Standardisierungsverordnung- (GBl. I Nr. 12 S. 157) i.d.F. der zweiten Verordnung vom 1. März 1985 über die Standardisierung - Standardisierungsverordnung - (GBl. I Nr. 7 S. 81). Die Standardisierungsverordnung bildete mit ihren Durchführungsbestimmungen die wichtigste Rechtsquelle hinsichtlich der Standardisierung innerhalb der DDR. 33 Ludz, P. C. u.a., DDR-Handbuch, S. 1046 f. 34 Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe. 35 Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 347; Ludz, P. C. u.a., DDR-Handbuch, S. 1046 f. 36 Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 346; Ökonomisches Lexikon Bd. 2, S. 273, 730 ff. Vgl. zu den Ausführungen dieses Abschnittes auch Kap. I.B. 32

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

239

märes Ziel der Standardisierung war der Beitrag zu der als "Ökonomisches Grundgesetz des Sozialismus" bezeichneten Erreichung des sozialistischen Produktionszieles - der qualitativ wie quantitativ ständig besseren Befriedigung der materiellen Bedürfnisse der Bürger -, bei gleichzeitiger Minimierung der Gesamtheit der dazu benötigten "Reproduktionsfaktoren" 37. Als weitere wichtige Aufgaben wurden die Ermöglichung der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsteilung auf nationaler wie auf supranationaler Ebene, der Beitrag zur Rationalisierung, die Erhöhung der Effektivität der Volkswirtschaft, die Erreichung von Pionier- und Spitzenleistungen auf entscheidenden Gebieten sowie die ständige Vervollkommnung und Erweiterung der Produktion auf der Grundlage der führenden Technik angeführt 38. (4) Organisation der Standardisierung Bis zum Mauerbau 1961 war das DIN auch für die technische Normung innerhalb der DDR zuständig39. Aus dem anschließend mit dieser Aufgabe betrauten Amt für Standardisierung40 und dem Deutschen Amt für Meßwesen und Warenprüfung entstand am 1. Januar 1973 durch Zusammenschluß das Amt für Standardisierung, Meßwesen und Warenprüfung (ASMW). Die 850 hauptamtlichen Mitarbeiter dieses dem Ministerrat der DDR unterstellten Amtes waren bis zur deutsch-deutschen Normenunion41 zuständig für Planung, Anleitung, Koordination und Kontrolle der Standardisierung42. Die praktische Ausarbeitung der Standards erfolgte in erster Linie innerhalb von Kombinaten, Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) oder mehreren, zum Zwecke eines Standardisierungsprojektes durch einen Wirtschaftsvertrag zusammengeschlossenen Betrieben und Einrichtungen, zu deren Aufgaben auch die Initiierung neuer und die Aktualisierung vorhandener Standards gehörte. Zusätzlich wurden Standards durch das ASMW bei den VVB oder Kombinaten

37 Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 335 ff., 344 f.; Ludz, P. C. u.a., DDR-Handbuch, S. 1046. 38 Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 344; Ludz, P. C. u.a., DDR-Handbuch, S. 1047; Ökonomisches Lexikon Bd. 2, S. 273, 730 ff. 39 Geuther, Α., Chronik, S. 709; Krieg, K. G. u.a., Leitfaden, S. 13; Senk, G., Normenpraxis, S. 395. 40 Dieses wurde bereits am 1. November 1954 im Zusammenhang mit dem Erlaß einer Verordnung der DDR über die Einführung staatlicher Standards gegründet und der Staatlichen Planungskommission unterstellt. Geuther, Α., Chronik, S. 709. 41 Vgl. Kap.II.A.l.a)cc)(6). 42 Ludz, P. C. u.a., DDR-Handbuch, S. 1048. Zahlenangabe für 1990, entnommen aus: DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 3.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

in Auftrag gegeben sowie durch den Organisationsbereich Standardisierung des ASMW selbst erstellt 43 . Sämtliche staatlichen Standardentwürfe - DDR- wie Fachbereichstandards mußten nach § 6 Abs. 7 StandV vor Prüfungsausschüssen - zusammengesetzt aus Mitarbeitern des ASMW, der Ministerien, des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) und der Kammer der Technik (KDT) - verteidigt werden. Im Falle der Zustimmung wurden DDR-Standards vom Präsidenten des ASMW, Fachbereichstandards vom Leiter des zuständigen zentralen Staatsorgans bestätigt (§§7 und 8 StandV) und im Standardisierungsblatt des ASMW veröffentlicht 44. Werkstandards waren nach § 9 StandV vom Leiter des Betriebes zu bestätigen und für das Werk verbindlich bekanntzugeben, zu ändern oder zurückzuziehen 45. RGW-Standards wurden entsprechend der Konvention vom 21. Juni 1974 über die Anwendung der Standards des RGW 4 6 nach der Bestätigung der Ständigen Kommission für Standardisierung des RGW unmittelbar für die Zusammenarbeit der RGW-Mitgliedsstaaten verbindlich. Zusätzlich mußten sie ohne inhaltliche Veränderung in die Standardwerke der Partnerstaaten integriert werden. Dementsprechend waren RGW-Standards entgegenstehende nationale Festlegungen entweder aufzuheben oder entsprechend abzuändern. In der DDR erlangten RGW-Standards nach förmlicher Bestätigung durch den Präsidenten des ASMW entweder als ins Deutsche übersetzte RGW- oder als DDR-Standards den Status staatlicher Standards. Der RGW und die DDR übernahmen internationale Normen nur bei Widerspruchsfreiheit in das RGW- oder nationale Standardwerk. Folglich wurden jene von den Unternehmen auch erst in der Form eines staatlichen Standards beachtet47. Die Standardsammlung der ehemaligen DDR umfaßte 1991 rund 33.000 Standards und stellte damit weltweit das umfangreichste nationale Normenwerk dar 48 .

43 Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 344, 348; Ludz, P. C. u.a., DDR-Handbuch, S. 1048. 44 Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 344 ff.; Ludz, P. C. u.a., DDR-Handbuch, S. 1046 ff.; Picht, H., Empfehlungen, S. 332. 45 Ludz, P. C. u.a., DDR-Handbuch, S. 1046 f. 46 Konvention der RGW-Staaten vom 21. Juni 1974 über die Anwendung der Standards des RGW - Gbl. II S. 507. 47 Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 347, 351; Picht, H., Empfehlungen, S. 333. 48 Picht, H., Empfehlungen, S. 333; Reihlen, H., 43. Präsidiumssitzung, S. 1.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

(5) Rechtliche Verbindlichkeit

241

der Standards

Die im Sozialismus angestrebte "Leitung des gesellschaftlichen Produktionsprozesses im gesamtgesellschaftlichen Maßstab" erfolgte weitgehend mit Hilfe von DDR-Vorschriften 49, insbesondere den in Kapitel II.A.l.a)cc)(2) genannten staatlichen Standards. Diese nahmen deshalb in der Gesetzgebung der DDR einen breiten Raum ein. In Standards wurden Qualität, Gebrauchseigenschaften und Funktionstüchtigkeit von Produkten ebenso allgemeinverbindlich festgelegt wie in Aufwandsnormen der spezifische Material- und Energieaufwand bestimmter Erzeugnisse und Prozesse oder im Rahmen der Typnormung die Typenreihen von Endprodukten zur Ermöglichung einer kostengünstigen Massenproduktion50. Nach der Bestätigung der staatlichen DDR- bzw. Fachbereichstandards durch den Präsidenten des ASMW bzw. den Leiter des zuständigen zentralen Staatsorgans wurden diese durch Anordnung des Leiters des ASMW für verbindlich erklärt und im Gesetzblatt - Sonderdruck ST - veröffentlicht (§§7 und 8 StandV). Staatliche Standards waren als DDR-Vorschriften für die gesamte Volkswirtschaft der DDR verbindlich (§ 12 StandV). Dementsprechend bestand die einzige Möglichkeit des Abweichens von den eindeutigen Festlegungen der Standards unter Androhung von Strafen (Ordnungsstrafe, Schadenersatz, Qualitätsvertragsstrafe usw.) in der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung des ASMW bzw. eines anderen befugten Organs, sofern nicht die TGL selbst Ausnahmen vorsahen51. Darüber hinaus setzten zulässige Abweichungen vom Standard generell voraus, daß nachweislich volkswirtschaftliche Vorteile erzielt oder Nachteile verhindert werden konnten52. Dagegen war der Hersteller eines zwar fehlerhaften, aber TGL-konformen Produktes nach den einschlägigen DDR-Vorschriften von der Haftung befreit. 49

Die DDR war mangels eines freiheitlichen Prinzips und einer verfassungsgebundenen Gesetzlichkeit kein Rechtsstaat, sondern ein "UnrechtsStaat", eine Despotie. Deshalb gab es in diesem System keine Rechtsnormen, sondern nur DDR-Vorschriften, die zwar allgemein-, aber nicht rechtsverbindlich waren. Schachtschneider, Κ. A. (Gast, O.), Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 29 ff.; Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 519 ff.; Schachtschneider, Κ. A. (Beyer, Th. C. W.), Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 75 ff. 50 Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 338 f.; Ludz, P. C. u.a., DDR-Handbuch, S. 1047. 51 Im Falle von in Standards festgelegten Richtwerten galt ein gewisser Entscheidungsspielraum des Standardanwenders. Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 348. 52 §§ 6-12 der 2. DB zur StandV. Vgl. dazu Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 344, 348; Ludz, P. C. u.a., DDR-Handbuch, S. 1046; Picht, H., Empfehlungen, S. 332.

16 Zubke-von Thünen

242

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Während staatliche Standards allgemeinverbindlich waren, galten Werkstandards nur im Bereich eines Betriebes, Kombinats oder Instituts53. Hingegen wurden RGW-Standards nach deren Bestätigung durch die Ständige Kommission für Standardisierung des RGW und die Anerkennung durch den Präsidenten des ASMW für rechtswirksam erklärt und im Gesetzblatt der DDR veröffentlicht (§§ 6 und 7 RGW-Standard-V). (6) Deutsch-deutsche Normenunion Am 4. Juli 1990 unterzeichneten die Präsidenten von ASMW und DIN eine "Vereinbarung über die Schaffung einer Normenunion" 54, im folgenden als Vereinbarung einer Normenunion bezeichnet. Als Ziel proklamierte das DIN die Schaffung eines einheitlichen Deutschen Normenwerkes innerhalb von zwei Jahren55. Zeitgleich wurden die Kernpunkte dieser Vereinbarung durch die Regierung der DDR in der "Verordnung über die technische Normung in der Deutschen Demokratischen Republik" 56- nachfolgend als NormungsVerordnung betitelt - rechts wirksam bekanntgegeben. Entsprechend Punkt 1 der Vereinbarung einer Normenunion bzw. § 1 Abs. 1 der Normungsverordnung wird die Normungstätigkeit innerhalb des Staatsgebietes der DDR seit dem 1. Oktober 1990 wieder durch das DIN entsprechend seiner satzungsmäßigen Aufgaben wahrgenommen. Folglich hat sich das AMSW gemäß Punkt 3 der Vereinbarung einer Normenunion verpflichtet, seine Standardisierungstätigkeit bis spätestens zum 30. September 1990 einzustellen 57 . Zum gleichen Zeitpunkt ist laut § 5 Abs. 1 und 2 der Normungsverordnung die bis dahin geltende Standardisierungsverordnung mit den entsprechenden Durchführungsbestimmungen 58 außer Kraft gesetzt worden. Folglich hatten die

53

Kemper, M. u.a., Wirtschafts- und Außenwirtschaftsrecht, S. 347. DIN/ASMW, Vereinbarung einer Normenunion, passim. 55 Bestel, H., DDR übernimmt DIN-Normen, S. 268. 56 Verordnung vom 4. Juli 1990 über die technische Normung in der Deutschen Demokratischen Republik (GBl. I Nr. 46 S. 812). 57 Entsprechend der Präambel der Vereinbarung sowie der Punkte 6 und 7 der Anlage zur Vereinbarung hat das ASMW seine Mitgliedschaft bei ISO und IEC gekündigt. Die Vertretung des vereinigten Deutschland in den supra- und internationalen Normungsgremien wird seitdem durch das DIN bzw. die DKE wahrgenommen. Vgl. auch Reihlen, H., 43. Präsidiumssitzung, S. 1. 58 Dies sind im einzelnen: - Erste Durchführungsbestimmung vom 15. März 1984 zur StandardisierungsVerordnung - Regelung zur Durchführung der Standardisierungsarbeiten und zur Anwen54

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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bestehenden staatlichen Standards der DDR ab diesem Zeitpunkt nur noch den Charakter von Empfehlungen im Sinne der Deutschen Norm DIN 820 und galten als Niederschrift des "Standes der Technik" in der DDR (§ 3 Abs. 1 Normungsverordnung). Im Streitfall vor Gerichten in den neuen Bundesländern werden sie zumindest dann herangezogen, wenn es keinerlei Festlegungen zum Streitgegenstand im übrigen deutschen technischen Regelwerk gibt59. Ausnahmen hiervon waren gemäß Punkt 3 der Vereinbarung einer Normenunion bzw. § 1 Abs. 1 der Normungsverordnung das Gebiet der Militärstandardisierung, welches nach § 2 der Normungsverordnung bis zum 31. Dezember 1990 an das Ministerium für Abrüstung und Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland übergeben werden mußte60, sowie die im Rahmen der Standardisierung vorgenommene Rechtssetzung auf dem Gebiet des Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutzes. Danach blieben die in den Standards enthaltenen Festlegungen zum Schutz von Menschen, Umwelt und Sachwerten vor Gefahren bis zum 31. Dezember 1991 rechtsverbindlich (§ 3 Abs. 2 Normungsverordnung). Hoheitliche Aufgaben im Rahmen der Standardisierung innerhalb des RGW wurden nach Punkt 3 der Vereinbarung einer Normenunion bzw. § 1 Abs. 2 der Normungsverordnung ebenfalls weiterhin durch das ASMW wahrgenommen. Die Überführung des Inhalts einer TGL in das Deutsche Normenwerk ist bis heute in Form eines regulären Normungsantrages beim zuständigen Normenausschuß des D I N möglich61. Zusätzlich fand gemäß Punkt 3 der Anlage der Vereinbarung einer Normenunion von ASMW und DIN eine gemeinsame Überprüfung statt, nach der TGL ganz oder teilweise in das Deutsche Normenwerk übernommen werden sollten, wovon ca. 500 bis 1.000 TGL betroffen waren 62.

dung der DDR- und Fachbereichstandards sowie Werkstandards mit Qualitätsmaßstäben (GBl. I Nr. 18 S. 240). - Dritte Durchführungsbestimmung vom 27. November 1975 zur Standardisierungsverordnung - Standardisierung von Forderungen zur Gewährleistung der sozialistischen Landeskultur und des Umweltschutzes (GBl. I Nr. 47 S. 763). - Vierte Durchführungsbestimmung vom 24. Februar 1986 zur Standardisierungsverordnung (GBl. I Nr. 12 S. 162). - Fünfte Durchführungsbestimmung vom 17. April 1990 zur StandardisierungsVerordnung (GBl. I Nr. 27 S. 250). 59 Picht, H., Empfehlungen, S. 333. 60 Hier besteht ein Kooperationsabkommen des BMVg mit dem DIN. Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(4). 61 DIN, TGL-DIN? 62 Bestel, H., DDR übernimmt DIN-Normen, S. 268. Das DIN hält Belegexemplare sämtlicher TGL in einer Historien-Datenbank verfügbar und auch lieferbar. Reihlen, H., 43. Präsidiumssitzung, S. 2.

16*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Seit der Wiedervereinigung Deutschlands bearbeitet das DIN entsprechend Punkt 4 der Anlage zur Vereinbarung einer Normenunion diejenigen TGL weiter, deren Zurückziehung wegen internationaler Verpflichtungen oder aufgrund einer Bezugnahme in Rechtsnormen zunächst nicht möglich ist. Bis Ende 1990 hatten 500 juristische Personen der neuen Bundesländer die Mitgliedschaft im DIN erworben, und 2.500 ehrenamtliche Mitglieder arbeiteten in den Normungsgremien des DIN mit 63 . dd) Das "DIN Deutsches Institut für Normung e.V." (1) Geschichte Die Geschichte des D I N beginnt am 18. Mai 1917 mit der Gründung des VDI-Ausschusses "Normalienausschuß für den allgemeinen Maschinenbau"64, dessen Normen unter der Bezeichnung "DI-Normen" (Deutsche Industrie-Normen) veröffentlicht wurden 65. Bereits am 22. Dezember desselben Jahres erfolgte die Ausgliederung des Ausschusses aus dem V D I als selbständiger "Normenausschuß der Deutschen Industrie" (NADI, bald NDI), der am 16. April 1920 durch die Eintragung in das Vereinsregister des Amtsgerichtes Berlin-Mitte die Rechtsform eines eingetragenen Vereins bürgerlichen Rechts annahm. Aufgrund der Ausweitung der Tätigkeit des NDI auf nicht-industrielle Gebiete wie Handwerk, Verwaltung und Wissenschaft erhielt dieser im November 1926 den Namen "Deutscher Normenausschuß" (DNA); dessen technische Normungstätigkeit wurde bald als die umfassendste Gemeinschaftsarbeit bezeichnet, die es bis zu diesem Zeitpunkt in der Technik gab. Am 1. September 1975 erfolgte im Rahmen der Verabschiedung einer neuen Satzung aus Anlaß des Normungsvertrages mit der Bundesrepublik Deutschland66 die bislang letzte Umbenennung in "DIN Deutsches Institut für Normung e.V." 67 .

63

DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 3. Vgl. Kap.II.A.l.a)aa). 65 Beschluß vom 23. Juli 1917. Im März des folgenden Jahres wurde das erste deutsche Normblatt - die DI-Norm 1 über Kegelstifte - herausgegeben. 66 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(5). 67 Bosserhoff, H.-W., Nutzen für den Verbraucher, S. 33; Muschalla, R., Geschichte der Normung, S. 41, 52 f.; Reihlen, H., DIN, S. 417; Wölker, T., Der Deutsche Normenausschuß, S. 550 f. 64

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(2) Organisation und Aufgabe Das D I N ist als technisch-wissenschaftlicher eingetragener Verein bürgerlichen Rechts mit Sitz in Berlin organisiert; es ist "selbstlos tätig" und "verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des Abschnitts Steuerbegünstigte Zwecke' der Abgabenordnung"68. Die Mitgliedschaft steht Unternehmen und juristischen, nicht aber natürlichen Personen offen 69. Seine wichtigsten Organe sind die Mitgliederversammlung, das Präsidium, der Präsident, der Direktor und die Normenausschüsse70. Das oberste, wenn auch nur mit vergleichsweise wenigen Befugnissen 71 ausgestattete Organ des D I N ist die mindestens alle zwei Jahre abgehaltene Mitgliederversammlung, deren satzungsgemäße Aufgaben sich in der Entgegennahme des Geschäftsberichts, der Wahl der Mitglieder des Präsidiums und dessen Entlastung erschöpfen 72. Eine Gewichtung der Stimmen beispielsweise nach Mitgliedsbeitrag ist der Satzung nicht zu entnehmen; vielmehr verfügt jedes Mitglied über eine Stimme73. Die innere Struktur des DIN genügt somit demokratischen Grundsätzen74. Das Präsidium des DIN besteht aus mindestens 30, höchstens aber 45 ehrenamtlichen Mitgliedern, die im Berufsleben stehen müssen75. Diese werden für eine Amtsdauer von sechs Jahren schriftlich im Rahmen der Mitgliederversammlung gewählt76, und zwar derart, daß in zweijährigem Turnus jeweils ein Drittel der Mitglieder zur Wahl steht, wobei grundsätzlich die an der Normungsarbeit interessierten Kreise in einem angemessenen Ver-

68 DIN, Satzung, § 1 Abs. 1, 2 und 4 S. 1. Vgl. auch DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 3 Nr. 3.1. 69 DIN, Satzung, § 2 Abs. 1. Ende 1995 hatte das DIN 5.933 Mitglieder. DIN, Geschäftsbericht 1995/96, S. 2. Davon entstammten bereits Ende 1990 über 500 den neuen Bundesländern. DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 0, 3. 70 DIN, Satzung, § 4. 71 So gehört beispielsweise zu den Aufgaben der Mitgliederversammlung der British Standards Institution (BSI) im Vereinigten Königreich noch die zentrale Aufgabe der Entscheidung über die Änderungen der Statuten - i.e. Royal Charter und bye-laws - und den Fortbestand der Organisation. Vgl. Kap. II.A.3.a)bb). 72 DIN, Satzung, § 5 Abs. 1 und 3. 73 Vgl. dazu DIN, Satzung, § 5. 74 Soweit Verbände öffentliche Funktionen ausüben, müssen sie nach h.M. im Inneren demokratisch verfaßt sein. Vgl. Teubner, G., Organisationsdemokratie, S. 3 m.z.w.N. 75 DIN, Satzung, § 6 Abs. 1 Zu Organisation und Aufgaben des Präsidiums vgl. DIN, Geschäftsordnung des Präsidiums. 76 DIN, Satzung, § 5 Abs. 3 und 9 sowie § 6 Abs. 3.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

hältnis vertreten sein müssen77. Das Präsidium beschließt über alle wichtigen Sachfragen von der Satzung über die Grundsätze der Normungspolitik und die Geschäfts- und Finanzpolitik bis hin zur Auflösung des DIN 7 8 und ist damit dessen eigentliches Leitungs- und Lenkungsorgan79. Das Präsidium wählt aus seiner Mitte den ehrenamtlichen Präsidenten und seine beiden ehrenamtlichen Stellvertreter 80, welche Vorstand gemäß § 26 BGB sind. Zu den Aufgaben des Präsidenten gehört die Leitung der Mitgliederversammlungen und der Sitzungen des Präsidiums81. Die Geschäftsführung des DIN und der mit diesem verbundenen Gesellschaft in fachlicher, organisatorischer und kaufmännischer Hinsicht obliegt einem hauptamtlichen Direktor* 2. Dieser wird auf Vorschlag des Präsidenten und seiner beiden Stellvertreter vom Präsidium berufen 83 und gehört dem Präsidium von Amts wegen an 84 .

77

DIN, Satzung, § 6 Abs. 3 i.V.m. der Geschäftsordnung des Präsidiums, Nr. 2.6. Vertreten im DIN-Präsidium sind neben zahlreichen Unternehmen, Vereinen und Verbänden aus Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungssektor seitens des Bundes diverse Ressorts der deutschen Bundesregierung (im einzelnen die Ministerien für Arbeit und Sozialordnung, Forschung und Technologie, Inneres, Verteidigung, Wirtschaft, sowie Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit), die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) und das Bundesgesundheitsamt; seitens der Länder der Allgemeine Ausschuß der Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Minister der Länder (ARGEBAU) (vertreten durch das Ministerium für Bauen und Wohnen des Landes Nordrhein-Westfalen), der Deutsche Städtetag (vertreten durch den Bürgermeister der Stadt Stuttgart), das Ministerium für Umwelt und Gesundheit Mainz sowie das Land Berlin (vertreten durch die Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie); außerdem auf privater Ebene Vertreter aus Forschung und Wissenschaft, die Gewerkschaften (vertreten durch den Deutschen Gewerkschaftsbund), der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften e.V., Verbraucherverbände (namentlich die Stiftung Warentest), die Vereinigung der Technischen Überwachungsvereine VdTÜV, der VDI sowie die Präsidenten der österreichischen und schweizerischen Normungsinstitute. Als ständige Gäste des DIN-Präsidiums sind femer die Physikalisch-technische Bundesanstalt, die Telekom sowie die Bundesärztekammer vertreten. DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 34 ff.; dass., Mitgliedschaft. 78 DIN, Satzung, § 12; dass., Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 1 lit. a)-v) i.V.m. Abschn. 3. 79 DIN, Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 1 lit. a)-v); vgl. auch DIN, Satzung, § 6 Abs. 13. 80 DIN, Satzung, § 6 Abs. 2 und 8; vgl. femer DIN, Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 1 lit. b) und insbes. 5. 81 DIN, Satzung, §7 Abs. 1. 82 DIN, Satzung, § 8 Abs. 1 i.V.m. der Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 6. 83 DIN, Satzung, § 8 Abs. 1 i.V.m. der Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 1 lit. d) sowie Abschn. 6 Nr. 6.1 und 6.3. 84 DIN, Satzung, § 6 Abs. 2.

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Die technische Normung im D I N wird von 4.107 Arbeitsausschüssen oder Komitees85 durchgeführt, welche nach Fachgebieten in 99 Normenausschüssen9,6 zusammengefaßt sind oder - als ein "selbständiger Arbeitssausschuß im DIN" - auch eigenständig sein können87. Innerhalb eines Normenauschusses besteht die Möglichkeit, mehrere Arbeitsausschüsse zwecks Koordinierung der Arbeiten zu einem Fachbereich - gegebenenfalls mit einem eigenen Lenkungsgremium (Fachbeirat) - zusammenzufassen88. Die Organe eines Normenausschusses sind Mitarbeiterkreis, Beirat bzw. Lenkungsausschuß89, Arbeitsausschüsse bzw. Komitees, Vorsitzender und Geschäftsführer 90. Von diesen hat der Beirat bzw. Lenkungsausschuß als für die Planung, Koordinierung und Finanzierung der Normungsarbeit sowie für Grundsatzentscheidungen zuständiges Gremium 91 die Aufgabe, das Arbeitsprogramm des Normenausschusses systematisch unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit, des Standes der Technik, der Erkenntnisse der Wissenschaft und der Rechtsentwicklung sowie der europäischen und internationalen Harmonisierung technischer Regeln aufzustellen, für dessen Bearbeitung Prioritäten und Zeitpläne festzulegen und die Arbeitsfortschritte zu kontrollieren. Ferner obliegt ihm die Steuerung der Facharbeit und der Beteiligung an der europäischen und internationalen Normungsarbeit sowie deren Koordinierung innerhalb des Normenausschusses sowie ge85

Beide Ausdrücke werden vom DIN synonym verwendet. Vgl. die Definitionen DIN, DIN 820-3: 1994-04 S. 2 Abschn. 2 Nr. 12 und 14. 86 Ein "Normenausschuß im DIN ist ein Organ des DIN, das die Normung ... auf seinem Fach- und Wissensgebiet verantwortlich trägt" und "auf diesem auch die Mitarbeit bei der europäischen und internationalen Normung" wahrnimmt. DIN, DIN 820-3: 1994-04 S. 2 Abschn. 2 Nr. 8 i.V.m. dass., DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 3 Nr. 3.3; dass., Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 2. Die Normenausschüsse des DIN sind sektoral nach Fachgebieten gegliedert; so gibt es Normenausschüsse von Akustik und Schwingungstechnik über Luftreinhaltung bis zum Ausschuß Zertifizierungsgrundsätze. 87 DIN, Satzung, § 9 i.V.m. der Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 2 und 10 Nr. 10.6 lit. c) und d) sowie DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 3 Nr. 3.3. Alle Zahlenangaben für 1995, entnommen aus: DIN, Geschäftsbericht 1995/96, S. 2. Für alle Normen- und selbständigen Arbeitsausschüsse im DIN gilt die Richtlinie für Normenausschüsse. DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 1 Nr. 1.1. 88 DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 10 Nr. 10.12. 89 Beide Ausdrücke werden vom DIN synonym verwendet. Vgl. DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 f. Abschn. 3 Nr. 3.4; dass., DIN 820-3: 1994-04 S. 2 Abschn. 2 Nr. 9, 10; dass., Satzung, § 9. 90 DIN, Satzung, § 9 Abs. 2 i.V.m. der Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 5 Nr. 5.2. Organe eines selbständigen Arbeitsausschusses sind der Arbeitsausschuß selbst und der Obmann; er kann Unterausschüsse und/oder Arbeitskreise bilden. DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 5 Nr. 5.3. 91 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 f. Abschn. 3 Nr. 3.4.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

gebenenfalls mit anderen Normenausschüssen92. Innerhalb der Vorgaben des Beirates ist es die Aufgabe jedes Arbeitsausschusses, sein Arbeitsprogramm einschließlich Prioritätensetzung und Zeitplänen aufzustellen und fortzuschreiben93. Zur Bearbeitung von Teilaufgaben kann ein Arbeitsausschuß Unterausschüsse bzw. -komitees und/oder zeitlich befristete Arbeitskreise bilden94. Für ein bestimmtes Normungsprojekt ist jeweils nur ein Arbeitsgremium zuständig, welches diese Aufgabe auch in den europäischen und internationalen Normenorganisationen wahrnimmt95. Die Normenausschüsse des DIN weisen damit alle körperschaftlichen Strukturmerkmale eines Vereins auf, besitzen jedoch keine eigene Rechtspersönlichkeit; strukturell sind sie also nichtrechtsfähige Vereine 96. Diese besitzen ein hohes Maß an Autonomie innerhalb des einheitlichen, durch die Satzung, die Norm DIN 820, die Richtlinie für Normenausschüsse sowie die Beschlüsse des Präsidiums vorgegebenen Ordnungsrahmens des DIN 9 7 , was u.a. auch darin seinen Ausdruck findet, daß jeder Normenausschuß eine eigene Geschäftsordnung haben kann98, und einen eigenen, mit einer vom Finanzausschuß des Präsidiums festgelegten Eigenfinanzierungsquote versehenen Haushalt verwaltet 99. Normenausschüsse und Arbeitsausschüsse sind mit ehrenamtlichen Mitarbeitern m der interessierten Kreise - z.B. von Behörden, Berufsgenossenschaften, Gewerkschaften, Handel, Handwerk, Industrie, Prüfinstituten, Technischen Überwachern, Verbraucherverbänden und Wissenschaft - besetzt, welche von

92

DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 7 Nr. 7.7 lit. c), e) und f)· DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 10 Nr. 10.6 lit. b). Zu Organisation und Aufgaben der übrigen Organe des Normenausschusses vgl. die Abschnitte 6, 8, und 11 der genannten Richtlinie. 94 DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 10 Nr. 10.10 und 10.11. 95 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 3 Nr. 3.3. 96 Zur vereinsrechtlichen Struktur der Normenausschüsse vgl. Marburger, P., Regeln, S. 199 f. Das nachfolgende Organisationsschema der Normenausschüsse im DIN ist entnommen aus: DIN, Richtlinie für Normenausschüsse. Abgebildet in: DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN, S. 79. 97 Vgl. dazu DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 1 Nr. 1.2; Reihlen, H., Zusammenfassung, S. 72. 98 DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 1 Nr. 1.3. 99 Diese variiert zwischen 0 % - also einer reinen Finanzierung aus Haushaltsmitteln des DIN - bei einem ausschließlich querschnittsbezogenen Ausschuß wie dem Normenausschuß Einheiten und Formelgrößen, und 100%- also einer völligen Finanzierung aus Förderbeiträgen - bei einem ausschließlich fachbezogenen Ausschuß wie dem Normenausschuß Feuerwehrwesen. DIN, Finanzierung, S. 15. 100 Ein "Mitarbeiter ist ein für die Normungsarbeit... autorisierter und entscheidungsbefugter Fachmann aus dem jeweils interessierten Kreis; er ist ehrenamtlich tätig". DIN, DIN 820-3: 1994-04 S. 2 Abschn. 2 Nr. 17. 93

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den entsendenden Stellen autorisiert und entscheidungsbefugt sein müssen101. Um die Arbeits- und Diskursfähigkeit der Arbeitsgremien sicherzustellen, ist die Anzahl von Mitarbeitern eines Arbeitsausschusses auf 21 und die eines Unterausschusses auf 15 begrenzt, wobei Ausnahmen und auch die vorübergehende Mitarbeit von Spezialisten oder Gästen an bestimmten Normungsvorhaben möglich sind 102 . Die hauptamtlichen Bearbeiter 103 - i.e. die Angestellten des DIN - sind lediglich für die Überwachung der Normungstätigkeit sowie die Herstellung der Normen zuständig104. Ende 1995 waren im DIN 825 hauptamtliche Bearbeiter und 34.938 ehrenamtliche Mitarbeiter tätig, wovon 114 bzw. 2.500 aus den neuen Bundesländern stammten105. Bei der Zusammensetzung der Arbeits- und Lenkungsgremien der Normenausschüsse des D I N ist der Grundsatz zu beachten, daß die interessierten Kreise entsprechend den Besonderheiten des Arbeitsgebietes in einem angemessenen Verhältnis vertreten sind 106 . Im Streitfall über die Zusammensetzung eines Arbeitsausschusses kann zunächst das Lenkungsgremium des zuständigen Normenausschusses, danach die Geschäftsleitung und schließlich das Präsidium des DIN angerufen werden. Gleiches gilt sinngemäß für den Beirat bzw. Lenkungsausschuß des Normenausschusses107. Schließlich sollen auch der Vorsitzende des Normenausschusses und seine Stellvertreter unterschiedlichen interessierten Kreisen angehören108. Um eine angemessene Berücksichtigung der Verbraucherinteressen im Rahmen der Normungsarbeit sicherzustellen, wurde 1974 der Verbraucherrat des DIN 109 als ständiger Ausschuß des Präsidiums gebildet. Dieser setzt sich aus

101

DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 f. Abschn. 3 Nr. 3.4. DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 10 Nr. 10.1 i.V.m. 10.10. 103 Ein "Bearbeiter ist ein für die Normungsarbeit... hauptamtlich Tätiger". DIN, DIN 820-3: 1994-04 S. 2 Abschn. 2 Nr. 18. 104 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 f. Abschn. 3 Nr. 3.4 i.V.m. dass., DIN 820-3: 1994-04 S. 2 f. Abschn. 2 Nr. 8-27 "Organisation". 105 Die ersten beiden Zahlenangaben für 1995, entnommen aus: DIN, Geschäftsbericht 1995/96, S. 2; die letzten beiden Zahlenangaben für 1990, entnommen aus: DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 0, 3. Die Zahl der ehrenamtlichen Mitarbeiter ist seit 1990 von knapp 44.000 auf den heutigen Wert abgesunken, was auf die anhaltend angespannte Wirtschaftslage zurückzuführen sein dürfte. 106 DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 7 Nr. 7.3 lit. f) i.V.m. Abschn. 10 Nr. 10.4. lit. a) i.V.m. dass., DIN 820-1: 1994-04 S. 1 f. Abschn. 3 Nr. 3.4. 107 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 f. Abschn. 3 Nr. 3.4. 108 DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 8 Nr. 8.2. 1()9 Zu Organisation und Aufgaben des Verbraucherrates vgl. DIN, Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 4 Nr. 4.2.2. Im Verbraucherrat vertreten sind u.a. Stiftung Wa102

250

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

fünf hauptamtlichen, beim DIN angestellten sowie beliebig vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern zusammen110. Er berät und unterstützt die Lenkungs- und Arbeitsgremien des D I N auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene in Fragen, die für den nichtgewerblichen Endverbraucher von Interesse sind, beantragt Normungsvorhaben von besonderem Verbraucherinteresse, sorgt für die personelle Vertretung der Verbraucher in den Normenausschüssen und kann im Falle der Mißachtung von Verbraucherinteressen Schlichtungs- und Schiedsverfahren beantragen111. Darüber hinaus wurden für die effiziente Wahrnehmung weiterer gesamtgesellschaftlich relevanter Aufgaben im Rahmen der technische Normung im D I N zusätzliche Gremien eingerichtet, wie beispielsweise die Koordinierungsstelle Umweltschutz im DIN, welche im Jahre 1983 mit Unterstützung des Bundesumweltministers und des Umweltbundesamtes gegründet wurde, und der neben Vertretern des DIN und der Umweltbehörden des Bundes und der Länder auch Vertreter der Verbraucherverbände, der Gewerkschaften, der Industrie und der Umweltverbände angehören112. Satzungsgemäße Aufgabe des DIN ist die Aufstellung, Veröffentlichung und Förderung der Anwendung von technischen Normen, die der Rationalisierung, der Qualitätssicherung, dem Umweltschutz, der Sicherheit und der Verständigung dienen, durch Gemeinschaftsarbeit der interessierten Kreise zum Nutzen der Allgemeinheit113. Nach seinem Selbstverständnis ist das DIN der runde Tisch, an dem sich jedermann - unabhängig von seiner Staatsbürgerschaft -, der ein Interesse an der Normung hat, zusammensetzt, um als eine gemeinnützige Aufgabe der Selbstverwaltung der an der Normung interessierten Kreise unter Einschluß des Staates den jeweiligen Stand der Technik zu ermitteln und in Deutschen Normen niederzuschreiben 114. Das DIN vertritt als nationale Normenorganisation115 die deutsche Normung in der europäischen Normenorgani-

rentest, AgV, Verbraucherzentralen, Β AM, Universitäten u.a.m. Bosserhoff, H.-W., Nutzen für den Verbraucher, S. 35; ders., Verbraucherrat, S. 67. 110 DIN, Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 4 Nr. 4.2.2.5 i.V.m. 4.2.2.6. 111 DIN, Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 4 Nr. 4.2.2.1, 4.2.2.2 und 4.2.2.4 lit. c); Bosserhoff, H.-W., Verbraucherrat, S. 65; ders., Nutzen für den Verbraucher, S. 35; Köhne, A.-L., Verbrauchervertreter, S. 527 f.; Reihlen, H., 34. Präsidiumssitzung, S. 211. 112 Schiffer, H.-W., Umweltschutz, S. 371; Vieweg, K , Produktbezogener Umweltschutz, S. 537 ff. 113 DIN, Satzung, § 1 Abs. 2. 114 Bundesrepublik Deutschland/DIN, Erläuterungen zum Normungsvertrag, Abschn. I., vorletzter Absatz und Abschn. II, Zu § 1; DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN, S. 5; dass., Wissen, S. 3; dass., Finanzierung, S. 5; dass., Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 10 Nr. 10.4 lit. b); Möllmann, E. u.a., DIN, S. 9. 115 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 3 Nr. 3.1. Vgl. aber auch Bundesrepublik Deutschland/DIN, Normungsvertrag, § 1 Abs. 1, in welchem das DIN von der Bundes-

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

251

sation "Comité Européen de Normalisation" (CEN) sowie in der internationalen Normenorganisation "International Organization for Standardization" (ISO) und ist für die Umsetzung von deren Normungsergebnissen in Deutsche Normen zuständig116. Dabei hat sich das DIN zum Ziel gesetzt, "durch seine Normenausschüsse die deutschen Interessen nach besten Kräften in der übernationalen Normungsarbeit [zu] vertreten ... [und] sein Wissen und seine Erfahrung in bestmöglicher Weise ein[zu]bringen, damit die Europäischen Normen den deutschen Stand der Technik widerspiegeln"117. (3) Normungsverfahren

und Deutsches Normenwerk

Bei der Durchführung des Normungsverfahrens - wie auch bei Erfüllung seiner sonstigen satzungsgemäßen Aufgaben - orientiert sich das DIN an zehn Grundsätzen m: 1.

Freiwilligkeit: Niemand ist zur Mitarbeit im DIN oder zur Anwendung der DINNormen verpflichtet; letztere sind Empfehlungen mit keiner anderen Verbindlichkeit als der in ihnen liegenden sachlichen Kompetenz;

2.

Öffentlichkeit: Das DIN gibt alle Normungsvorhaben und Entwürfe zu DINNormen öffentlich bekannt, um "jedermann" - auch Ausländem - die Mitsprache zu ermöglichen; Kritiker haben das Recht, ihre Interessen in Schlichtungs- und Schiedsverfahren zu vertreten;

3.

Beteiligung aller interessierten Kreise: Jeder kann an der Erarbeitung technischer Normen teilnehmen; der Staat gilt dabei als ein wichtiger Partner, nicht weniger, nicht mehr;

4.

Konsens: Der Konsens der Beteiligten ist die Basis des Normungsverfahrens, indem der Inhalt einer Norm auf dem Wege gegenseitiger Verständigung mit dem Bemühen festgelegt wird, eine gemeinsame Auffassung zu erreichen und formelle Abstimmungen zu vermeiden;

5.

Ausrichtung am allgemeinen Nutzen: Ausgehend von der Erkenntnis, daß es keine wertfreie Normung gibt, haben DIN-Normen gesamtgesellschaftliche Ziele einzubeziehen: "der Nutzen für alle steht über dem Vorteil einzelner";

regierung als "die zuständige Normenorganisation für das Bundesgebiet" anerkannt wird. Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(5). 116 DIN, Satzung, § 1 Abs. 3; dass., DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 3 Nr. 3.2. Ferner hat das DIN bilaterale Vereinbarungen zur Zusammenarbeit mit allen osteuropäischen Ländern abgeschlossen. DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 24 f.; Kaiser, T.-C., Zusammenarbeit DIN - Entwicklungsländer, S. 49. 117 DIN, Europäische Normung 04.96, S. 24. 118 DIN, Zehn Grundgedanken, passim. Vgl. auch DIN, Finanzierung, S. 5; dass., Wissen, S. 3; femer Hahn-Woemle, S. u.a., Normung und Entbürokratisierung, S. 247; Petrick, K. u.a., Qualitätssicherung und Normung, S. 54 f.

252

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

6.

Ausrichtung an den wirtschaftlichen Gegebenheiten: Mit jeder Normsetzung geht eine Untersuchung ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen einher, wobei nur das unbedingt Notwendige genormt und die Normung nicht zum Selbstzweck erhoben werden soll;

7.

Ausrichtung am Stand der Technik: Das DIN sorgt für die schnelle Umsetzung neuer wissenschaftlich-technischer Erkenntnisse in DIN-Normen;

8.

Sachbezogenheit: DIN-Normen geben keine Weltanschauung wider, sondern sind ein Spiegelbild der Wirklichkeit und die Niederschrift des technischen Erfahrungsstandes;

9.

Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit: Da sich das DIN mit allen technischen Disziplinen befaßt, legt es im Interesse der Anwender besonderen Wert auf die Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit des Deutschen Normenwerkes;

10. Internationalität: Das DIN räumt im Interesse eines von technischen Hemmnissen freien Welthandels der internationalen Normung Vorrang vor der europäischen und beiden Priorität vor der nationalen Normung ein. In Zusammenhang mit der Normungsarbeit besonders hervorzuheben ist der Grundsatz der Gemeinwohlorientierung des DIN, zu dessen Verwirklichung sich dieses vertraglich mit der Bundesregierung verpflichtet hat 119 und welche nicht nur in dessen Satzung sowie den internen Richtlinien der Normungsarbeit festgeschrieben ist 120 , sondern die - in abgewandelten Formulierungen - in zahlreichen weiteren Publikationen121 und sogar in dessen bis 1991 gültiger Definition des Begriffes "Normung" immer wieder proklamiert wird 122 . Danach soll die Normung zum Nutzen der Allgemeinheit und nicht zu einem wirtschaftlichen Sondervorteil einzelner führen. Um dieses zu gewährleisten, ist die stringente Befolgung eines weiteren Grundsatzes - nämlich die Beteiligung aller interessierten Kreise - unabdingbar notwendig. Dieser Grundsatz ist im DIN umfassend verwirklicht, indem die Repräsentanz der an der Normung interessierten 119

Bundesrepublik Deutschland/DIN, Normungsvertrag, § 1 Abs. 2. DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 2 und S. 2 f. Abschn. 5 Nr. 5.7. 121 So wird beispielsweise festgestellt: "Ausgehend von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und den wirtschaftlichen Gegebenheiten, verfolgen die technischen Normen des DIN gesamtgesellschaftliche Ziele. Der Nutzen für alle steht über dem Vorteil einzelner." DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN, S. 5; vgl. auch dass., Wissen, S. 3. "Normung ist die planmäßige, durch die interessierten Kreise gemeinschaftlich durchgeführte Vereinheitlichung von materiellen und immateriellen Gegenständen zum Nutzen der Allgemeinheit. Sie darf nicht zu einem wirtschaftlichen Sondervorteil einzelner führen. ... Sie dient der Sicherheit von Menschen und Sachen sowie der Qualitätsverbesserung in allen Lebensbereichen." DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 2. DIN-Normen sollen vor unerwünschten Folgen der Technik schützen, und zum Unfallschutz, Arbeitsschutz, Umweltschutz, Verbraucherschutz und Datenschutz beitragen. Hartlieb, B., Bedeutung des DIN, S. 69. 122 Vgl. die Definition sechs des DIN in Kap. I.A.3.b). 120

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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Kreise in einem angemessenen Verhältnis in allen wichtigen Lenkungs- und Arbeitsgremien - angefangen vom höchsten Entscheidungsorgan, dem Präsidium 123 , über Instanzen von zentraler Bedeutung für die Normungsarbeit wie etwa die Normenprüfstelle oder auch der Finanzausschuß124 als ständige Ausschüsse des Präsidiums bis hin zu den Arbeits- und Lenkungsausschüssen der Normenausschüsse125 - vorgeschrieben wird. Um die Unterdrückung zahlenmäßig schwach repräsentierter interessierter Kreise zu verhindern, besteht darüber hinaus für die Normungsarbeit im DIN das Gebot, daß eine gemeinsame Auffassung bezüglich des Norminhaltes "im Wege gegenseitiger Verständigung" zu erlangen ist, wobei formelle Mehrheitsabstimmungen subsidiär zum Konsensprinzip zwar möglich, aber zu vermeiden sind126. Ferner werden als Verwirklichung eines weiteren Grundsatzes der Öffentlichkeit weitreichende Einflußmöglichkeiten im Rahmen des Normungsprozesses eingeräumt127, wodurch auch jedem, dessen Interessen nicht im Normenausschuß vertreten sind, Möglichkeiten der Mitgestaltung zur Verfügung stehen. Damit ist das Credo der Normungsarbeit im DIN der konsensuale Diskurs von sachkundigen128 Vertretern aller interessierten Kreise unter Beteiligung der Öffentlichkeit zur Verwirklichung des allgemeinen Nutzens129. Diese zentralen Grundprinzipien prägen seit dem Beginn der institutionalisierten technischen Normung in Deutschland die Normungsarbeit. Technische Normen wurden schon im NADI in überschaubaren, diskursfähigen Expertengremien, besetzt mit Repräsentanten aller interessierten Kreise und unter mittelbarer Beteiligung der Fachöffentlichkeit durch Veröffentlichung des NormEntwurfes und Möglichkeit der Stellungnahme erarbeitet und im Konsens ver-

123

Vgl. dazu die vorhergehenden Ausführungen zur Organisation des DIN. Vgl. zu den beiden vorhergehenden DIN, Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 4 Nr. 4.2.1.1 und 4.3.2.1. 125 Vgl. dazu die Ausführungen weiter oben in diesem Kapitel. 126 DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 5 f. Abschn. 6. In Ausnahmefällen ist eine einfache Mehrheitsabstimmung der anwesenden Mitarbeiter des Arbeitsgremiums vorgesehen. DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 13 Nr. 13.1. 127 Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen. 128 Die Grundsätze der Sachbezogenheit und insbesondere der Ausrichtung am Stand von Wissenschaft und Technik setzen m.E. unabdingbar die Sachkunde der Repräsentanten voraus. 129 Unbestritten ist, daß in der Praxis diese Grundsätze nicht immer hinreichend verwirklicht werden. Anlaß zur Kritik bietet insbesondere die traditionelle Dominanz der Industrie in sämtlichen Organen des DIN; beispielsweise liegt der Anteil von Vertretern der Industrie im Präsidium seit Jahrzehnten über 50 %. So repräsentierten im Jahre 1991 25 von 47 Mitgliedern des Präsidiums die Industrie. DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 34 ff.; für 1979 vgl. die Zahlenangabe bei Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 53. 124

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

abschiedet. Ziel war die Einbettung der Normungsarbeit in einen organisatorischen Rahmen, der neben anderem die bestmögliche Gewähr für die Auswahl der richtigen Experten, einen effektiven Ablauf des Normungsverfahrens sowie eine wirksame Kontrolle gültiger Normen hinsichtlich ihrer Aktualität bot 130 . Der Normungsprozeß im DIN ist in der Norm DIN 820 "Normungsarbeit" geregelt, die für alle Organe des DIN und insbesondere die Arbeit innerhalb der Normenausschüsse verbindlich gilt 131 . Der Geschäftsgang für die Erarbeitung einer DIN-Norm ist nach DIN 820-4: 1986-01 "Normungsarbeit; Geschäftsgang" i.V.m. DIN 820-1: 1994-04 "Normungsarbeit; Grundsätze" folgendermaßen vorgeschrieben 132. Die Normungsarbeit beginnt mit einem Normungsantrag, der von jedermann - unabhängig von seiner Staatsbürgerschaft - in schriftlicher Form mit Begründung gestellt werden kann 133 . Der zuständige Normenausschuß prüft, ob ein Normungsbedürfnis besteht und ob das Normungsvorhaben auf europäischer oder internationaler Ebene bereits bearbeitet wird oder dafür in Betracht kommt 134 , und entscheidet innerhalb von drei Monaten über Annahme oder

130 Holm, B., 50 Jahre DNA, S. 20 ff.; Kienzle, O., Normung und Wissenschaft, S. 69; ders., Typung, S. 21; Wölker, T., Der Deutsche Normenausschuß, S. 551. 131 DIN, Satzung, § 9; dass., Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 4 Nr. 4.2.1.4; dass., DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 1; dass., DIN 820-4: 1986-01 S. 1 Abschn. 1. Das DIN hat zahlreiche Definitionen zu Organisation sowie Stufen und Ergebnissen des Normungsprozesses festgelegt. Vgl. dazu DIN, DIN 820-3: 1994-04, insbes. S. 2 ff. Abschn. 2 Nr. 8-46. 132 Die hier geschilderten Bearbeitungsstufen gelten für die technischen Normen des DIN. Besondere Verfahren gelten für: Vomormen, Kurzverfahren ohne Veröffentlichung eines Norm-Entwurfes, Übernahme normenartiger Veröffentlichungen, Übernahme supra- und internationaler Normen oder normenartiger Veröffentlichungen sowie DIN-Normen, die gleichzeitig VDE-Bestimmungen sind. DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 4 f. Abschn. 3. 133 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 5 Nr. 5.1; dass., DIN 820-4: 1986-01 S. 2 Abschn. 2 Nr. 2.1.1; Hartlieb, B., Bedeutung des DIN, S. 70. Neben derartigen Normungsanträgen besteht eine Verpflichtung zur Normung, wenn der Staat oder seine Behörden Normen zur Konkretisierung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften benötigen. Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(5). Eine weitere Quelle sind Europäische sowie internationale Normen. Die weitaus größte Zahl der Normungsvorhaben besteht jedoch aus permanenten Aufträgen zur Überarbeitung des Normenwerkes, um es auf dem Stand der Technik zu halten. Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen in diesem Kapitel. 134 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 5 Nr. 5.2 lit. c) und d). Der unbedingte Vorrang der europäischen und internationalen vor der nationalen Normung wurde vom Präsidium des DIN in mehreren Beschlüssen festgeschrieben. Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen. Soweit bereits Ergebnisse europäischer oder internationaler Normungsarbeiten bestehen, müssen bzw. sollen diese möglichst ohne Änderungen über-

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Ablehnung des Antrages [Bearbeitungsergebnis A] 1 3 5 . Gegen eine Ablehnung kann der Antragsteller die Geschäftsleitung und gegen deren Entscheidung das Präsidium anrufen, das dann verbindlich entscheidet136. Umgekehrt kann gegen die Aufnahme eines neuen Normungsvorhabens der Vorsitzende des Normenausschusses und danach die Geschäftsleitung angerufen werden 137. Im Falle der Annahme wird das Normungsvorhaben in das Arbeitsprogramm eines Normenoder selbständigen Arbeitsausschusses aufgenommen; besteht kein zuständiger Normenausschuß, entscheidet das DIN-Präsidium auf Vorschlag des Direktors über die Gründung eines neuen Normenausschusses138, dessen Konstituierung mit allen interessierten Kreisen stattfindet 139. Innerhalb des Arbeitsauschusses erarbeiten Fachleute der interessierten Kreise auf Basis eines Norm-Vorschlages - entweder bereits mit dem Normungsantrag eingereicht oder im zuständigen Arbeitsausschuß angefertigt [Bearbeitungsergebnis B] - einen NormEntwurf [Bearbeitungsergebnis C] 1 4 0 . Hieraus wird ein Manuskript erstellt

nommen werden. DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 5 Nr. 5.2; dass., DIN 820-13: 1976-06 S. 1 Abschn. 1, S. 3 Erläuterungen; dass., DIN 820-13: Entwurf 1987-06 S. 2 Abschn. 2. 135 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 5 Nr. 5.2 i.V.m. dass., DIN 820-4: 1986-01 S. 2 Abschn. 2 Nr. 2.1.1. Die Entscheidung wird im "DIN-Anzeiger für technische Regeln" in der Zeitschrift "DIN-Mitteilungen + elektronorm" des Beuth-Verlages veröffentlicht. DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 5 Nr. 5.3 i.V.m. dass., DIN 820-4: 1986-01 S. 2 Abschn. 2 Nr. 2.1.4. 136 DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 2 Abschn. 2 Nr. 2.1.3. DIN, Geschäftsordnung des Präsidiums, Nr. 1 lit. q). Eine etwaige Ablehnung des Normungsantrages ist grundsätzlich durch den Präsidenten des DIN zu bestätigen. DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 5 Nr. 5.3; dass., DIN 820-4: 1986-01 S. 2 Abschn. 2 Nr. 2.1.4. Staatlicher Rechtsschutz wird hingegen nicht gewährt, da der Antragsteller keinen Rechtsanspruch auf Normung besitzt. Backherms, J., Recht und Technik, S. 13; Nickusch, K.-O., Unzulässige Verweisung, S. 812; Sonnenberger, H.-J., Grundfragen, S. 6, jew. m.w.N. 137 DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 2 Abschn. 2 Nr. 2.1.5. 138 DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 2 Abschn. 2 Nr. 2.1.2 i.V.m. der Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 1 lit. η) und der Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 3 Nr. 3.1 lit. a). 139 DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 3 Nr. 3.2 i.V.m. 3.3 lit. a); dass., DIN 820-4: 1986-01 S. 2 Abschn. 2 Nr. 2.1.1. 140 Der Antragsteller ist hierzu als Gast einzuladen und kann gegebenenfalls als Mitarbeiter in das entsprechende Arbeitsgremium aufgenommen werden. DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 2 Abschn. 2 Nr. 2.2.1 und 2.3.1. Wird ein Normungsantrag aus der Öffentlichkeit vom Arbeitsprogramm abgesetzt, ist dies dem Antragsteller mitzuteilen und im DIN-Anzeiger zu veröffentlichen. Der Antragsteller kann gegen diese Entscheidung wiederum Geschäftsleitung und Präsidium anrufen. DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 2 Abschn. 2 Nr. 2.2.2.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

[Bearbeitungsergebnis D], welches die Innere Normenprüfstelle des D I N 1 4 1 auf die Einhaltung der für die Normungsarbeit geltenden Regeln und Grundsätze überprüft und als Norm-Entwurf zum Verkauf freigibt [Bearbeitungsergebnis E] 1 4 2 . Während der Laufzeit dieses Norm-Entwurfs von mindestens vier Monaten 143 hat jedermann die Möglichkeit der schriftlich begründeten Stellungnahme in Form von Zustimmungen, Einsprüchen, Änderungs- und Ergänzungsvorschlägen [Bearbeitungsergebnis F] 1 4 4 , welche nach Ablauf der Einspruchsfrist im Arbeitsausschuß mit den dazu geladenen Einsprechenden beraten werden 145. Ist ein Stellungnehmender mit den Entscheidungen des zuständigen Arbeitsausschusses nicht einverstanden, steht ihm ein mehrstufiges Schlichtungs- und Schiedsverfahren zur Vertretung seiner Interessen offen 146. Ein erster Schlichtungsversuch erfolgt durch den Vorsitzenden des Normenausschusses; mißlingt dieser, so kann bei der Geschäftsleitung des DIN Schlichtung beantragt werden. Bleibt auch diese ohne Ergebnis, so besteht schließlich die Möglichkeit, das Präsidium des DIN anzurufen, welches einen Schiedsausschuß zur endgültigen Entscheidung einsetzt147. Dies hat für die weitere Bearbeitung der Norm - außer in den Bereichen Sicherheitstechnik und Gesundheitsschutz- keinerlei aufschiebende Wirkung 148 . Ergeben sich aus den Beratungen der Stellungnahmen wesentliche Änderungen des Inhaltes des Norm-Entwurfs, so ist ein zweiter Norm-Entwurf zu publizieren, um der Öffentlichkeit nochmals Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; dasselbe gilt bei Bedenken bezüglich der technischen Konzeption, der Wettbewerbsneutralität, der Vereinbarkeit mit internationalen

141

Zu Organisation und Aufgabenbereich der Normenprüfstelle siehe DIN, Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 4 Nr. 4.2.1. 142 DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 2 f. Abschn. 2 Nr. 2.3.1, 2.3.2 und 2.4.1; dass., Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 4 Nr. 4.2.1.11. 143 Bei laufenden supra- und internationalen Normungsvorhaben ist diese Frist kürzer, beträgt jedoch mindestens zwei Monate. Auf der anderen Seite soll die Laufzeit eines Norm-Entwurfes zwei Jahre nicht überschreiten. DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 3 f. Abschn. 2 Nr. 2.4.3 und 2.4.9. 144 Die Möglichkeit der Stellungnahme der Öffentlichkeit ist der primäre Grund für das Publizieren eines Norm-Entwurfes. DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 5 Nr. 5.3. 145 DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 3 Abschn. 2 Nr. 2.4.2, 2.4.3 und 2.4.5. 146 Die Schlichtung ist in wesentlichen Grundsätzen am schiedsgerichtlichen Verfahren orientiert. Lukes, R., Industrielle Normen und Standards, S. 23. 147 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 5 Nr. 5.3; dass., DIN 820-4: 1986-01 S. 3 Abschn. 2 Nr. 2.4.7; dass., Geschäftsordnung für das Schiedsverfahren, Abschn. 5, 6 und 7. Das Schiedsverfahren ist detailliert und im europäischen Vergleich sicherlich vorbildlich in der Geschäftsordnung für das Schiedsverfahren v. Oktober 1974 i.d.F.d. Bekanntmachung v. Januar 1986 geregelt. 148 DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 3 Abschn. 2 Nr. 2.4.7; dass., Geschäftsordnung für das Schiedsverfahren, Abschn. 8.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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Normen u.a.m. 149 Wenn alle VerbesserungsVorschläge in den Norm-Entwurf eingearbeitet und alle Differenzen beigelegt sind, wird die endgültige Fassung des Norm-Entwurfes verabschiedet [Bearbeitungsergebnis G]. Es folgt die Erstellung des Manuskriptes für die Norm [Bearbeitungsergebnis H], welches die Normenprüfstelle des D I N - ein ständiger Ausschuß des DIN-Präsidiums - auf Einhaltung der für Deutsche Normen geltenden Regeln und Grundsätze150 sowie auf Widerspruchsfreiheit zu anderen Normen, deutschen Rechts- und Verwaltungsvorschriften 151 sowie EU-Richtlinien152 prüft. Diese nimmt, sofern die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, nach Anfertigen eines Kontrollabzuges [Bearbeitungsergebnis J] die Norm im Auftrag des Präsidiums unter dem Verbandszeichen "DIN" als "Deutsche Norm" in das "Deutsche Normenwerk" 153 auf und gibt diese zum Verkauf durch den Beuth-Verlag frei [Bearbeitungsergebnis K], womit die Norm Gültigkeit erlangt 154. 149

DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.4.10. Der zuständige Arbeitsausschuß kann auch beschließen, einen Norm-Entwurf ersatzlos zurückzuziehen, was im DIN-Anzeiger mit Begründung und einer ausreichenden Einspruchsfrist anzuzeigen ist. Wird einem Einspruch nicht stattgegeben, so steht dem Einsprechenden das geschilderte Schlichtungs- und Schiedsverfahren offen. DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.4.11. 150 Das DIN hat die PNE-Regeln ("règles pour la rédaction et la présentation des normes européennes") der CEN/CENELEC-Geschäftsordnung Teil 3 als Vomorm DIN V 820-2: 1992-06 in die Normenreihe DIN 820 übernommen. Sie wird die entsprechenden nationalen Gestaltungsbestimmungen in DIN 820-21 bis -29 ablösen. Vgl. DIN, DIN V 820-2: 1992-06 S. 2 Abschn. Vorbemerkung. Entsprechend sind auch die anderen nationalen Normenorganisationen der EU und EFTA verfahren, um ein gemeinsames Erscheinungsbild sowohl nationaler als auch Europäischer technischer Normen in EU und EFTA sicherzustellen. 151 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 3 Nr. 3.6 und Abschn. 5 Nr. 5.4 und 5.5 i.V.m. dass., DIN 820-4: 1986-01 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.5.1 und 2.5.2 sowie S. 6 Abschn. 7. 152 Lehmann, M., DKE: Organisation und Arbeitsweise, S. 6. 153 Das Deutsche Normenwerk ist nach DIN "die Gesamtheit der vom DIN herausgegebene Deutschen Normen". DIN, DIN 820-3: 1994-04 S. 3 Abschn. 2 Nr. 37, 38. Eingang in das "Deutsche Normenwerk" des DIN finden auch Normen anderer nationaler Normenorganisationen, soweit Kooperationsvereinbarungen bestehen (vgl. dazu die Ausführungen im nachfolgenden Kapitel), sowie Europäische und internationale Normen. DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 4 Nr. 4.1 und 4.3. 154 DIN, Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 4 Nr. 4.2.1.4 i.V.m. dass., DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 4 Nr. 4.1; dass., DIN 820-4: 1986-01 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.5.3 und 2.6 sowie S. 6 Abschn. 8. Die in § 9 des Vertrages zwischen dem DIN und der Bundesregierung vom 05. Juni 1975 vereinbarte Unterrichtung der Öffentlichkeit über Änderungen und das Neuerscheinen von DIN-Normen im Bundesanzeiger ist im gegenseitigen Einvernehmen seit Mitte 1980 durch den Informationsdienst des DITR ersetzt worden. Zusätzlich unterrichtet die Zeitschrift "DIN-Mitteilungen + elektronorm" mit ihrem "DIN-Anzeiger für technische Regeln", der vollständig oder auszugsweise auch in anderen Fachzeitschrif-

17 Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Ende 1995 umfaßte das Deutsche Normen werk rund 23.480 technische Normen, wovon etwa 1.840 im genannten Jahr erschienen sind, sowie nahezu 8.100 Norm-Entwürfe; diese sind weltweit in 160 Auslegestellen einzusehen155. Angesichts eines Gesamtbestandes von über 50.000 deutschen technischen Regeln betreut das DIN nicht nur das mit Abstand größte technische Normenwerk in der Bundesrepublik Deutschland, sondern zugleich das größte nationale Normenwerk innerhalb der Europäischen Union 156 . Nach den zu Beginn dieses Kapitels postulierten Grundsätzen der Normungsarbeit des D I N sind bei der Erarbeitung von DIN-Normen der jeweilige "Stand der Wissenschaft und Technik" sowie die wirtschaftlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen157. Sie sollen sich als "anerkannte Regeln der Technik" in der Praxis einführen 158. Um ihre Aktualität zu gewährleisten, muß eine technische Norm spätestens alle fünf Jahre überprüft und gegebenenfalls entsprechend "dem Stand der Technik" überarbeitet werden 159, was die Normenprüfstelle des D I N überwacht160. Etwa 10 bis 12 % - Pokorny spricht sogar von 20 bis 25 % - des Normen Werkes unterliegen so jährlich der Änderung 161. Für die Überarbeitung gilt grundsätzlich der gleiche Geschäftsgang wie für die Herausgabe einer neuen Norm 162 . Ist eine Norm aus wissenschaftlichen, technischen oder aus anderen Gründen nicht mehr vertretbar oder besteht kein praktisches Normungsbedürfnis mehr, so muß die Norm ohne Ersatz zurückgezogen werden 163 .

ten wiedergegeben werden kann, über alle Normungsarbeiten und Veränderungen im Deutschen Normenwerk. DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 3 Nr. 3.7 i.V.m. dass., DIN 820-4: 1986-01 S. 6 Abschn. 8. 155 Alle Zahlenangabe für 1995, entnommen aus: DIN, Geschäftsbericht 1995/96, S. 2. 156 Vgl. Tab. 6 in Kap. H.A. Zahlenangabe für 1990, entnommen aus: DIN, Geschäftsbericht 1990/91 S. 0, 30. 157 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 f. Abschn. 5 Nr. 5.7. 158 Ebd. S. 3 Abschn. 6 Nr. 6.1. 159 DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 5 Abschn. 4. 160 DIN, Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 4 Nr. 4.2.1.13. 161 DITR, DITR im DIN, S. 3; Picht, H., Empfehlungen, S. 333; Pokorny, F., Auswirkungen des Normen Vertrages, S. 336. 1984 betrug das Durchschnittsalter einer DINNorm 8,6 Jahre. Reihlen, H., Europäische Normung- Bilanz und Vorschau, S. 7. 162 DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 5 Abschn. 4. 163 Diese Absicht ist mit Begründung und einer ausreichenden Einspruchsfrist (mindestens zwei Monate) im DIN-Anzeiger anzukündigen. Wird einem Einsprechenden nicht stattgegeben, so kann er in dem oben dargelegten Schlichtungs- und Schiedsverfahren seine Interessen vertreten. Eine etwaige ersatzlose Zurückziehung ist im DINAnzeiger bekanntzugeben. DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 5 Abschn. 5.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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Das Präsidium des D I N hat seit 1972 in verschiedenen Grundsatzerklärungen den Vorrang der internationalen vor der europäischen164 sowie den Vorrang beider vor der nationalen Normung 165 beschlossen, damit nicht nur ein von technischen Handelshemmnissen freier Gemeinsamer Markt in Europa, sondern auch ein freier Welthandel entsteht, der weder durch die europäischen noch die nationalen Normen als technische Handelshemmnisse im Sinne des GATTAbkommens beeinträchtigt wird 166 . Dementsprechend sind internationale Normen möglichst unverändert in das europäische und damit auch das nationale Normenwerk zu übernehmen167. Im Gegenzug soll die Anzahl neuer nationaler Normungsvorhaben des D I N auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt werden 168, denn "nur durch den Verzicht auf rein nationale Normungsarbeiten werden die Kapazitäten und Ressourcen frei, die für die europäische Normung benötigt werden". 169 Quantitativ verdeutlichen folgende Zahlen die Verlagerung der Normungsaktivitäten von den nationalen auf die übernationalen Normungsgremien: 1990 hatten nur noch 40 % der innerhalb des DIN bearbeiteten 18.400 Normungsvorhaben einen nationalen oder bilateralen Charakter, während 60 % europäisch oder international durchgeführt wurden; 1984 lag das Verhältnis noch bei 90 % zu 10 %. Insgesamt stimmt bereits ein Viertel des Deutschen Normenwerkes weitgehend mit europäischen und internationalen Normen

164

DIN, Präsidialbeschluß 5/1985, abgedruckt in: DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN, S. 37 f.; dass., Präsidialbeschluß 2/1972 vom 12. Mai 1972, abgedruckt in: Ludwig, N., Grundsatzbeschlüsse, S. 272 f.; dass., DIN 820-1: 1994-04 S. 4 Erläuterungen. Vgl. auch Möllmann, E. u.a., DIN, S. 19; Reihlen, H., 38. Präsidiumssitzung, S. 5; ders., 37. Präsidiumssitzung, S. 7. 165 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 4 Erläuterungen; dass., Wissen, S. 3; dass., Grundlagen der Normungsarbeit des DIN, S. 5 f. 166 DIN, Präsidialbeschlüsse 9/1978 und 5/1985, abgedruckt in: DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN, S. 35 ff.; dass., DIN 820-1: 1994-04 S. 4 Erläuterungen; dass., DIN 820-15: 1985-09 S. 9 Erläuterungen. Vgl. auch DIN, Geschäftsbericht 1990/ 91, S. 6; Reihlen, H., 42. Präsidiumssitzung, S. 1; ders., 38. Präsidiumssitzung, S. 5; ders., 37. Präsidiumssitzung, S. 7. 167 DIN, Präsidialbeschluß 3/1983, abgedruckt in: DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN 1987, S. 37; dass., DIN 820-15: 1985-09 S. 9 Erläuterungen. Vgl. auch DIN, Geschäftsbericht 1988/89, S. 2; Reihlen, H., 41. Präsidiumssitzung, S. 3; Krieg, K. G. u.a., DIN 820 "Normungsarbeit", S. 78. Dabei wird jedoch die Sicherung der Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit des Deutschen Normenwerkes als gleichrangiges Ziel und als Grundsatz der Normungsarbeit des DIN betrachtet. DIN, Präsidialbeschluß 3/1983, abgedruckt in: DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN 1987, S. 37; dass., DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 5 Nr. 5.2 und S. 4 Erläuterungen; vgl. ferner die Ausführungen zu Beginn dieses Kapitels. 168 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 5 Nr. 5.2. 169 DIN, Europäische Normung 04.96, S. 26.

17*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

überein. Dies spiegelt sich in einer linearen Abnahme der finanziellen Aktivitäten für nationale Normenprojekte des DIN wider 170 . Die Anwendung der Normen des Deutschen Normenwerkes steht jedermann frei 171 ; eine über den Verein hinausgehende oder auch nur vereinsinterne Bindungswirkung der Mitglieder besteht somit nicht. Jedem Gewerbetreibenden ist die Kennzeichnung seiner Produkte oder Dienstleistungen im Falle der Konformität mit den einschlägigen DIN-Normen unabhängig von einer Mitgliedschaft im D I N mit dem Namen DIN oder dessen Verbandszeichen "DIN" gestattet172. Mit diesem national eingetragenen und geschützten Verbandszeichen des DIN weist der Hersteller aus, daß das damit gekennzeichnete Erzeugnis den in der DIN-Norm festgelegten Anforderungen und den sonstigen berechtigterweise zu stellenden Gebrauchsanforderungen genügt; im Falle der Übereinstimmung von Erzeugnissen oder Dienstleistungen mit den bestehenden DINEN-Normen kann dies durch das Zeichen "DIN EN" ausgewiesen werden 173. Im Gegensatz zu diesen objektiv nicht überprüften Konformitätsaussagen durch den Hersteller erfolgt vor der Erteilung des DIN-Prüf- und Überwachungszeichens "DIN-Geprüft" eine unabhängige Prüfung der Übereinstimmung des betreffenden Erzeugnisses mit den einschlägigen DIN-Normen durch eine von der "DGWK Deutsche Gesellschaft für Warenkennzeichnung GmbH" anerkannte Prüfstelle 174. 170

DIN, Geschäftsbericht 1995/96, S. 11; vgl. auch DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 6 f., 25; DIN/Normenstelle Luftfahrt, Geschäftsbericht 1990, S. 1, 8 ff. 171 DIN, Präsidialbeschluß 4/1977, abgedruckt in: DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN, S. 33; dass., DIN 820-1: 1994-04 S. 3 Abschn. 6 Nr. 6.1. 172 DGWK, Benutzung des Verbandszeichens DIN, §§ 1 und 2. Vgl. auch DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 3 Abschn. 6 Nr. 6.5; Reihlen, H., Warenkennzeichnung, S. 43 ff.; Volkmann, D., Warenkennzeichnung, S. 396 ff. 173 DIN, DIN 820-3: 1994-04 S. 5 Abschn. 2 Nr. 70.1 und 70.2. 174 DGWK, Übertragung der Nutzungsrechte am Zeichen DIN; dies., Benutzung des Verbandszeichens DIN; dies., Übertragung der Nutzungsrechte am DIN-Prüf- und Uberwachungszeichen; dies., Benutzung des DIN-Prüf- und Überwachungszeichens; dies., Richtlinien für die Erteilung des DIN-Prüf- und Überwachungszeichens; dies., Richtlinien für die Anerkennung und Bezeichnung von Prüf- und Überwachungsstellen. Vgl. ferner DIN, Präsidialbeschluß 2/1973, abgedruckt in: DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN 1987, S. 36; Reihlen, H., Warenkennzeichnung, S. 45 ff. Die DGWK wurde durch Präsidialbeschluß des DIN vom 24. September 1971 am 30. November 1971 gegründet. DGWK, Gesellschaftsvertrag; dies., Grundsätze für die Zertifizierungsarbeit, Abschn. 0 Nr. 2. Vgl. auch Reihlen, H., Warenkennzeichnung, S. 43 ff.; Volkmann, D., Warenkennzeichnung, S. 396 ff. Die beiden genannten Verbandszeichen sind gemäß der §§22 ff. WZG (Warenzeichengesetz (WZG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 02.01.1968 (BGBl. I, 1968, S. 29 ff.), zul. geänd. d. Gesetz v. 02.09.1994 (BGBl. I, 1994, S. 2278). warenrechtlich geschützt. Werden sie für nicht DIN-normenkonforme Produkte verwandt, so stehen dem DIN gemäß § 24 WZG und geschädigten Mitbewerbern gemäß § 3 UWG Unterlassungs- und

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

(4) Kooperation mit anderen normschaffenden

261

Institutionen

Obwohl das D I N im Rahmen des ersten Weltkriegs zum Zwecke der Vereinheitlichung der Normungsarbeiten gegründet worden war, blieb die nachteilige, zu Widersprüchen führende Doppelarbeit zwischen dem damaligen DNA und anderen technischen Institutionen sowie das Konkurrenzverhältnis untereinander bestehen175. Um dem entgegenzuwirken, hat das DIN in der Folgezeit über 30 Kooperationsvereinbarungen mit privaten und öffentlichen technischen Regelsetzern geschlossen176. Dies sind zum einen die wichtigsten, traditionell in bestimmten technischen Bereichen tätigen privaten Regelsetzer wie der "Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE) e.V.", der "Verein Deutscher Ingenieure" V D I e.V., oder der "Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches e.V." D V G W 1 7 7 , und zum anderen die bedeutenden staatlichen normschaffenden Institutionen wie das Bundesministerium für Verteidigung, die technischen Ausschüsse für überwachungsbedürftige Anlagen nach § 11 Abs. 2 GSG 178 , der Kerntechnische Ausschuß (KTA) 1 7 9 oder die Berufsgenossenschaften. Zielsetzung ist neben der Rationalisierung der Normungsarbeit durch Beseitigung von Arbeitsbereichsüberschneidungen, mangelhafter Abstimmung und ungenügender Transparenz und der daraus resultierenden, sich teilweise widersprechenden Doppelarbeit regelmäßig ein effizienteres Einbringen der Arbeitsergebnisse der kooperierenden normschaffenden Institutionen und damit eine wirksamere Vertretung der deutschen Interessen vor allem auf europäischer, aber auch internationaler Ebene 180 . Umgekehrt werden internationale und europäische Normen ggf. Schadensersatzansprüche zu. Vgl. dazu Budde, E., Bedeutung und Schutz, S. 199 f.; Sonnenberger, H.-J., Grundfragen, S. 9 m.w.N. 175 Dette, G., Normung im Gasfach, S. 508 ff., mit Beispielen erster Kooperationsansätze der verschiedenen Verbände; Wölker, T., Der Deutsche Normenausschuß, S. 554. Trotz dieser Bemühungen bestehen sowohl die Konkurrenzverhältnisse unter den Normenorganisationen (mündliche Auskunft eines leitenden DIN-Mitarbeiters) als auch zumindest vereinzelte Widersprüche (vgl. z.B. BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 35 f.) bis heute fort. 176 Hahn-Woemle, S. u.a., Normung und Entbürokratisierung, S. 246. Über entsprechende Aktivitäten seitens des DIN, aber auch der anderer technischer Regelsetzer finden sich Informationen in zahlreichen Geschäftsberichten des DIN sowie in den jährlich erscheinenden Berichten über die Ergebnisse der ordentlichen Sitzungen des DIN-Präsidiums. 177 Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen. Zu Geschichte, Organisation und Arbeitsweise des VDE vgl. Kap. II.A.l.a)ee)(l), zu der des VDI vgl. Kap. II.A.l.a) ff)(l), und zu der des DVGW vgl. Kap. II.A.l.a)ff)(2). 178 Vgl. dazu Kap. II.A.l.c)dd)(4)(d)(bb). 179 Vgl. zu diesem Kap. II.A.l.c)dd)(3)(e). 180 Hinsichtlich des Kooperationsvertrages mit dem VDE vgl. Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 5; Thielen, H., Zehn Jahre DKE, S. 500; mit dem DVGW vgl. Merkel, W.,

262

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

in andere technische Regelwerke außer dem Deutschen Normenwerk nur übernommen, wenn eine besondere schriftliche Vereinbarung besteht181. Der nicht nur hinsichtlich der privaten Normenorganisationen wichtigste Kooperationsvertrag wurde am 13. Oktober 1970 zwischen DIN und VDE - den beiden größten deutschen Erstellern technischer Regeln - für den Bereich der Elektrotechnik geschlossen, welcher zur Gründung eines gemeinsamen Organs, der "Deutschen Elektrotechnischen Kommission DKE im DIN und VDE" (DKE), führte 182. Für das Gasfach besteht seit dem 1. Oktober 1968 - erneuert am 30. August 1983 -, und für das Wasserfach seit dem 21. April 1977 jeweils eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit des DIN mit dem DVGW. Die zentralen Bestimmungen dieser gleich strukturierten Vereinbarungen legen fest, daß die Weiterentwicklung des Deutschen Normenwerkes und des DVGWRegelwerkes in gegenseitiger Abstimmung und Zusammenarbeit erfolgt und daß, soweit zweckdienlich, ein zu regelnder Sachverhalt gleichzeitig in das DIN-Normenwerk und das DVGW-Regelwerk zu übernehmen ist 183 . Ferner wurden für das Gas- und Wasserfach wichtige DIN-Normen in das DVGWRegelwerk sowie eine Vielzahl von Arbeitsblättern des DVGW in das Deutsche Normen werk überführt 184. Mit dem VDI besteht seit dem 25. Juni 1981 eine Vereinbarung, die eine Übernahme der normungsfähigen VDI-Richtlinien in das Deutsche Normenwerk vorsieht; im Gegenzug werden Normungsvorhaben, Wasserversorgungstechnik - der DVGW, S. 9; Wunder, H., Vereinbarung DIN/DVGW, S. 364; mit dem VDI vgl. DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 9 und 19 f.; Morell, F. W., VDI-Richtlinien, S. 6; VDI, Tätigkeitsbericht 1990/91, S. 14; mit dem ATV vgl. Reihlen, H., 43. Präsidiumssitzung, S. 3; ders., 42. Präsidiumssitzung, S. 3; mit den Ausschüssen für überwachungsbedürftige Anlagen nach § 11 Abs. 2 GSG vgl. DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 18. 181 DIN, Präsidialbeschluß 18/1972, abgedruckt in: DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN 1987, S. 37. 182 Zu Geschichte, Organisation und Arbeitsweise der DKE sowie zum Kooperationsvertrag vgl. die Unterabschn. des Kap. II.A.l.a)ee). Vgl. femer DIN/VDE, Vertrag DIN/VDE, Abschn. 1. 183 Dette, G., Normung im Gasfach, S. 510; Merkel, W., Zusammenarbeit DVGW DIN, S. 127; Neun, J. u.a., Nationale und internationale Zusammenarbeit, S. 109 f.; Wunder, H., Vereinbarung DIN/DVGW, S. 364. Für die Kooperation auf dem Gebiet der Gastechnik bot insbesondere die mittlerweile aufgehobene 4. DVO zum Energiewirtschaftsgesetz Anlaß zur Kooperation; diese sollte ursprünglich u.a. folgenden Passus enthalten: "Anlagen zur Erzeugung, Speicherung, Fortleitung und Verteilung von Gas und Geräte zur Verwendung von Gas müssen den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Als anerkannte Regeln der Gastechnik gelten die Bestimmungen des Regelwerkes Gas des DVGW sowie die Normen des Deutschen Normenausschusses DNA, die in das Regelwerk Gas des DVGW einbezogen sind." Neun, J. u.a., Nationale und internationale Zusammenarbeit, S. 109. 184 Merkel, W., Wasserversorgungstechnik - der DVGW, S. 9; Wunder, H., Vereinbarung DIN/DVGW, S. 364.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

263

die sich als noch nicht normungswürdig erwiesen haben, an den V D I übergeben 185 . Auf dem Gebiet des Umweltschutzes besteht seit Mitte 1990 eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem D I N - Koordinierungsstelle Umweltschutz - und dem VDI, der "Abwassertechnischen Vereinigung" (ATV) sowie der "Forschungsgesellschaft für das Straßen- und Verkehrswesen". Ziel dieser Vereinbarung ist die Schaffung eines einheitlichen deutschen technischen Regelwerkes auf den Gebieten Lärmminderung, Luftreinhaltung, Abwasser und Gefahrguttransport 186. Zu diesem Zweck wurden zwei gemeinsame Gremien die "Kommission der Reinhaltung der Luft" (KRdL) sowie der Normenausschuß "Akustik, Lärmminderung und Schwingungstechnik" (NALS), jeweils im DIN und V D I - gegründet. Ergebnis dieser Kooperation ist das umfassendste Regelwerk auf dem Gebiet der Umwelttechnik in Europa 187. technischen Regelsetzern und dem Auch zwischen den öffentlich-rechtlichen DIN bestehen zahlreiche, ebenfalls überwiegend auf einzelvertraglicher Basis geschlossene Kooperationsabkommen188. So wurde im Juli 1977 eine Vereinbarung mit dem Bundesminister der Verteidigung über die Zusammenarbeit mit den drei DIN-Normenstellen Elektrotechnik, Luftfahrt und Marine getroffen 189. Auf das Jahr 1977 geht ebenfalls eine Übereinkunft mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung über die Zusammenarbeit des zu diesem Zweck neu gegründeten "Normenausschusses Überwachungsbedürftige Anlagen" (NÜA) im D I N mit den "Technischen Ausschüssen für überwachungsbedürftige Anlagen" nach § 11 Abs. 2 GSG zurück 190, die mittlerweile um alle Bereiche des Arbeitsschutzes und der Sicherheitstechnik erweitert wurde; dabei ist das Forum 185 "Der VDI unterstützt das Bemühen des DIN, das Deutsche Normenwerk als einheitliches, alle Gebiete der Technik umfassendes Regelwerk zu erstellen und es in den internationalen Gremien zu vertreten". VDI, VDI 1000: 1981-10 S. 2 Abschn. 1 Nr. 1.2 und 1.3 sowie S. 6 f. Abschn. 4 Nr. 4.7; DIN/VDI, Vereinbarung DIN/VDI. 186 DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 9 und 19 f.; Morell, F. W., VDI-Richtlinien, S. 6; Reihlen, H., 43. Präsidiumssitzung, S. 3 f.; ders., 42. Präsidiumssitzung, S. 3 und 5; ders., 41. Präsidiumssitzung, S. 1; VDI, Tätigkeitsbericht 1990/91, S. 14. 187 VDI, Tätigkeitsbericht 1992/93, S. 4; Reihlen, H., 43. Präsidiumssitzung, S. 3. Der Vizepräsident des Umweltbundesamtes bewertete das DIN 1991 nicht zuletzt aufgrund der Kooperationsabkommen mit dem VDI als "für die Einbringung von Umweltschutzbelangen in die europäische Normungsarbeit gut vorbereitet". Troge, Α., Sicht des Umweltbundesamtes, S. 283. 188 Diese wurden in Folge der besonderen Anerkennung des DIN im Rahmen des "Normenvertrages" zwischen der Bundesregierung und dem DIN geschlossen, da dieser weder die Bundesländer noch die öffentlich-rechtlichen Regelsetzer miteinbezieht. Vgl. Bundesrepublik Deutschland/DIN, Erläuterungen zum Normungsvertrag, Abschn. I., letzter Absatz sowie Kap. II.A.l.a)dd)(5). 189 Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 430. 190 Vereinbarung zwischen dem BMA und dem DIN (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1978, Nr. 3, S. 78); vgl. auch Reihlen, H., 34. Präsidiumssitzung, S. 207.

264

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

aller interessierten Kreise die Kommission Sicherheitstechnik im D I N 1 9 1 . Nach dem Willen des BMA sollen die von den Technischen Ausschüssen ermittelten technischen Regeln mit ihrem hohen Sicherheitsniveau in die europäische Normung eingebracht werden 192. Von Bedeutung in diesem Zusammenhang ist auch die bereits 1972 geschlossene und im August 1982 erneuerte Vereinbarung mit dem Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, welche auch das Berufsgenossenschaftliche Institut für Arbeitssicherheit und den Bundesverband der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand e.V. miteinbezieht193. Kernstück dieser Vereinbarung ist der Abschnitt 2, nach dem die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung die Sicherheitsmaßstäbe festlegen, die vom DIN unter Ausschluß von Verhaltensanweisungen - zu konkretisieren sind194. Entsprechend ist die Abgrenzung der öffentlichen Aufgaben der Berufsgenossenschaften - insbesondere das Setzen von Sicherheitsmaßstäben - von den privaten Aufgaben des DIN - die Konkretisierung der abstrakten Sicherheitsmaßstäbe durch technische Normen - geregelt 195. Auch diese Vereinbarungen wurden insbesondere im Hinblick auf die europäische Normung geschlossen196 und gewinnen in Zusammenhang mit den schwerwiegenden Beschränkungen insbesondere der Rechtssetzungskompetenzen der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung im Zuge der Umsetzung der EU-Maschinenrichtlinie in nationales Recht weitere Bedeutung197. Seit Mai 1977 besteht ein Übereinkommen mit dem Bun-

191

Lehmann, K , Sicherheitstechnik, S. 37. Vgl. dazu auch die Verwaltungsvorschrift des BMA als Ergänzung der genannten Vereinbarung zwischen dem BMA und dem DIN v. 15.12.1977: Einbringung von Technischen Regeln nach § 24 Gewerbeordnung (a.F.; heute § 11 GSG) über DIN in die Europäische Normung (CEN) v. 18.12.1989 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1990, Nr. 2, S. 133-134). Vgl. auch DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 18. 193 DIN u.a., Vereinbarung DIN/Berufsgenossenschaften/Unfallversicherungsträger. 194 Dabei ist ausdrücklich nicht Ziel oder Folge der Vereinbarung, Kompetenzen an Private zu entäußern. Buss, P., Zusammenarbeit gewerbliche Berufsgenossenschaften DIN, S. 295; Reihlen, H., 42. Präsidiumssitzung, S. 5. 195 Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 433. 196 Buss, P., Zusammenarbeit gewerbliche Berufsgenossenschaften - DIN, S. 295; Reihlen, H., 42. Präsidiumssitzung, S. 5. 197 Da die EU-Maschinenrichtlinie nicht durch UVV, sondern durch Rechtsverordnungen in nationales Recht umgesetzt worden war, hatte die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland die Berufsgenossenschaften dazu verpflichtet, sämtliche Bauund Ausrüstungsbestimmungen in ihren UVV bis zum 31.12.1992 zu streichen. Insgesamt wurden aufgrund der Maschinenrichtlinie rund 80 UVV geändert. Die Berufsgenossenschaften können nun eigenständig keine sicherheitstechnischen Vorschriften mehr erlassen. Vielmehr werden die übergeordneten Sicherheitsziele der Maschinenrichtlinie durch Europäische Normen konkretisiert. Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)(aa). Hierbei wirken die Berufsgenossenschaften "aktiv mit, um den deutschen Sicherheitsstandard auf einem möglichst hohen Niveau in der europäischen Normung zu veran192

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

265

desminister des Inneren über die Zusammenarbeit des "Kerntechnischen Ausschusses" (KTA) mit den Normenausschüssen des DIN und der DKE zwecks Erzielung eines einheitlichen und in sich widerspruchsfreien kerntechnischen Regelwerkes, dessen Regeln - sofern DIN oder DKE an ihrer Ausarbeitung beteiligt sind - als DIN-Normen respektive VDE-Bestimmungen veröffentlicht werden 198. Die enge private Zusammenarbeit des DIN mit den anderen privaten und öffentlich-rechtlichen Regelerstellern verhindert weitestgehend Doppelarbeiten, Überschneidungen und Widersprüche der einen Normungsgegenstand betreffenden technischen Regeln199. Dies ist nicht nur für die Akzeptanz der freiwillig zu befolgenden technischen Normen von erheblicher Bedeutung, sondern auch für die Rechtssicherheit im Falle der staatlichen Rezeption technischer Normen. (5) Verhältnis zum Staat Die Rechtsbeziehungen des DIN zur Bundesrepublik Deutschland werden in dem am 5. Juni 1975 zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem D I N geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag - im folgenden DIN-BMWiVertrag genannt - geregelt 200. Neben der Tatsache, daß das Normenwerk des DIN bereits zu diesem Zeitpunkt mit Abstand das weitaus umfangreichste war und zudem als einziges deutsches Regelwerk alle Bereiche der Technik umfaßkern". Doli, Α., Mehr Sicherheit in Europa, S. 4; Leichsenring, C., Berufsgenossenschaften, S. 3; Petermann, O., Arbeitssicherheit, S. 6; Strunk, W., Auswirkungen, S. 9. 198 Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 429. 199 Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 150 ff., insbes. 154, 155, 159 (öffentlich-rechtliche Regelersteller) sowie S. 162, 164, 166, 168, 170 ff. (private Regelersteller) hält Widersprüche gar für ausgeschlossen. 200 Beilage zum BAnz., 1975, Nr. 114, S. Iff. = ArbSch. 1975, S. 346 ff. = DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN, S. 43 ff.; vgl. femer die Ergänzung des Normungsvertrages hinsichtlich der RL 83/189/EWG, abgedmckt in: DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN, S. 46 f. Einen Vorläufer hat der DIN-BMWi-Vertrag in Nordrhein-Westfalen. Dort wurde zwischen dem Minister für Landesplanung, Wohnungsbau und öffentliche Arbeiten und dem DIN ein Vertrag über die beiderseitige Mitwirkung bei der Aufstellung von Baunormen geschlossen. Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 56. Der Vertrag ist in seiner aktuellen Fassung vom 22. Februar 1981 abgedmckt in: Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 58 f. Auf Basis von § 10 des DIN-BMWi-Vertrages sind inzwischen weitere Verträge zwischen Bundesministerien (z.B. BMVg, BMA), dem KTA sowie weiteren Landesregierungen (z.B. Bayern, Berlin) und dem DIN geschlossen worden. Böttger, J., Vertrag BRD-DIN, S. 41. Die obersten Bauaufsichtsbehörden der Länder haben gleichlautend entsprechende Verträge mit dem Normenausschuß Bauwesen im DIN abgeschlossen. BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 29.

266

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

te, stellten die im vorhergehenden Kapitel aufgeführten Kooperationsverträge des DIN mit den wichtigsten anderen privaten normschaffenden Institutionen den Grund für die Wahl des DIN als Kooperationspartner der Bundesregierung dar 201 . Als zentrale Bestimmung202 enthält der Vertrag in § 1 Abs. 2 die Verpflichtung des DIN, "bei seinen Normungsarbeiten das öffentliche Interesse zu berücksichtigen" und dafür Sorge zu tragen, "daß die Normen bei der Gesetzgebung, in der öffentlichen Verwaltung und im Rechtsverkehr als Umschreibungen technischer Anforderungen herangezogen werden können". Ergänzend hierzu heißt es in den für die Auslegung des Vertrages maßgeblichen Erläuterungen 203, daß dem D I N die Aufgabe zukommt, insbesondere auf den Gebieten der Sicherheitstechnik, des Gesundheits-, des Umwelt- und des Verbraucherschutzes sowie jenen Bereichen, für die ein besonderes gesamtwirtschaftliches oder arbeitswissenschaftliches Interesse besteht, "allgemein anerkannte Regeln der Technik zu schaffen, die es ermöglichen, in Rechtsvorschriften auf Normen Bezug zu nehmen"204. Dementsprechend wird in § 4 Abs. 1 des DIN-BMWiVertrages durch das D I N eine bevorzugte Behandlung der Normungsprojekte zugesagt, für welche die Bundesregierung ein öffentliches Interesse geltend macht. Zur Durchführung dieser Normungsprojekte kann die Bundesregierung dem DIN nach vorheriger Abstimmung eine Frist setzen, für deren Einhaltung durch die zuständigen Arbeitsgremien das DIN Sorge zu tragen hat. § 2 des Vertrages soll durch die Verpflichtung des DIN, der Bundesregierung auf Antrag Sitze in den Lenkungsgremien der Normenausschüsse einzuräumen und die jeweils in Betracht kommenden behördlichen Stellen bei der Normungsarbeit zu beteiligen, zu einer verstärkten Beteiligung des Staates an der Normung führen 205 . § 3 bedeutet durch eine entsprechende Verpflichtung des DIN gegenüber der Bundesregierung eine Verstärkung der vereinsinternen Verpflichtung der Organe des DIN, die Norm DIN 820 sowie die Richtlinien für Normenaus-

201 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(4); femer DIN, Partnerschaft, S. 59; Reihlen, H., 35. Präsidiumssitzung, S. 1. 202 Bundesrepublik Deutschland/DIN, Erläuterungen zum Normungsvertrag, Abschn. I., vorletzter Absatz. Vgl. femer DIN, Partnerschaft, S. 59. 203 Bundesrepublik Deutschland/DIN, Normungsvertrag, § 10 Abs. 3. 204 Bundesrepublik Deutschland/DIN, Erläuterungen zum Normungsvertrag, Abschn. I., 5. Absatz sowie Nr. II, Zu § 1. 205 Bundesrepublik Deutschland/DIN, Erläuterungen zum Normungsvertrag, Abschn. II, Zu § 2. Zu den Rechten der Behörden bei der Normung vgl. Köhler, C. u.a., Rechte der Behörden, passim. Kritisch zu der Tatsache, daß Voraussetzungen, Art und Umfang der behördlichen Mitwirkungsbefugnisse in dem Vertrag nicht geregelt werden, Marburger, P., Regeln, S. 606 f.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

267

schüsse einzuhalten206. In § 6 Abs. 1 des DIN-BMWi-Vertrages verpflichtet sich das DIN, alles in seiner Macht stehende zu tun, daß die Liberalisierung des Handels und der Abbau technischer Handelshemmnisse nicht durch DINNormen behindert werden, und trägt so der Verantwortung der Bundesregierung aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen - insbesondere dem EGV und dem GATT - Rechnung. In diesem Zusammenhang hat das DIN entsprechend § 6 Abs. 2 des Vertrages die Aufgabe, die Bundesregierung bei der Erfüllung ihrer sich aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen ergebenden Verpflichtungen auf dem Gebiet der Normung und der damit zusammenhängenden technischen Vorschriften zu unterstützen. Dies geschieht unter anderem durch den Auftrag des DIN, ein entgeltliches Informationssystem über nationale wie ausländische technische Regeln anzubieten207. Im Gegenzug erkennt die Bundesregierung in § 1 Abs. 1 des DIN-BMWiVertrages das DIN als "die zuständige Normenorganisation für das Bundesgebiet" 208 sowie als nationale Normenorganisation in den nichtstaatlichen europäischen209 und internationalen Normenorganisationen an. Sie erklärt die Absicht, die Normung im D I N im Rahmen der verfügbaren Mittel des Bundeshaushalts und entsprechend dem der Bundesregierung entstehenden Nutzen zu fördern (§ 1 Abs. 3 des DIN-BMWi-Vertrages). Nach § 4 Abs. 2 des Vertrages wird die Bundesregierung während der dem DIN für die öffentlich initiierten Normungsvorhaben gesetzten Frist entsprechende Regelungen weder selbst aufstellen noch durch Dritte aufstellen lassen, sofern diese nicht der Gesetzgebung oder dem Vollzug von Gesetzen dienen sollen oder sonstige öffentliche Interessen es erforderlich machen. § 5 Abs. 4 statuiert eine Beteiligungsmöglichkeit des DIN an den Beratungsausschüssen der Bundesregierung. § 8 verpflichtet die Bundesregierung, sich - unbeschadet ihrer internationalen Verpflichtungen - in der

2()6

Bundesrepublik Deutschland/DIN, Erläuterungen zum Normungsvertrag, Abschn. II, Zu § 3. 207 Bundesrepublik Deutschland/DIN, Normungsvertrag, § 7. Diese Funktion wird heute durch das DITR im DIN wahrgenommen. Vgl. dazu Kap. II.A.l.a)bb). 208 Dies stellt die hauptsächliche Verpflichtung der Bundesregierung gegenüber dem DIN dar. Bundesrepublik Deutschland/DIN, Erläuterungen zum Normungsvertrag, Abschn. I., vorletzter Absatz. § 1 Abs. 1 des DIN-BMWi-Vertrages schließt noch explizit Berlin (West) mit ein. Nach § 10 Abs. 1 erstreckt sich der Vertrag auf die Bereiche, für die der Bund Zuständigkeiten nach dem Grundgesetz besitzt. Seit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 gehört auch das Staatsgebiet der ehemaligen DDR inklusive Berlin (Ost) zum Bundesgebiet. Unabhängig davon ist das DIN seit dem 1. Oktober 1990 auch für die neuen Bundesländer zuständig. Vgl. Kap. II.A.l.a)cc)(6). 209 Die europäischen Normenorganisationen werden in § 1 Abs. 1 des DIN-BMWiVertrages zwar nicht explizit erwähnt, jedoch in den Erläuterungen zum Normungsvertrag, Abschn. II, Zu § 1.

268

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Verwaltung, bei Ausschreibungen und bei Bestellungen der DIN-Normen zu bedienen und für eine gleiche Verfahrensweise der anderen öffentlichen Auftraggeber Sorge zu tragen. Schließlich regelt § 5 Abs. 1-3 des Vertrages gegenseitige Informationspflichten. Gemäß § 11 kann der DIN-BMWi-Vertrag, der auf unbestimmte Zeit geschlossen wurde, von jeder Partei unter Einhaltung einer Frist von einem Jahr zum Ende eines jeden Jahres gekündigt werden. (6) Finanzierung der Normungsarbeit Das Rechnungswesen sowie die Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung des D I N und der mit ihm verbundenen Gesellschaften sind nach § 8 Abs. 3 der Satzung des D I N von einem Wirtschaftsprüfer oder einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu testieren und dem Finanzausschuß des Präsidiums vorzulegen210. Der Haushalt des D I N umfaßt die Aufwendungen der hauptamtlichen Betreuung, des Druckes, der Veröffentlichung und der Förderung der Einführung der Ergebnisse der Normungsarbeit, welche sich 1995 zu 48,6 % aus Personal-, 31,6% Geschäfts-, 10,4% Herstell- und 9,4% sonstigen Aufwendungen zusammensetzten211. Dafür stand dem DIN im selben Jahr ein Budget von rund 158,6 Mio. D M zur Verfügung, welches zu 66,4 % aus Verlagserlösen und eigener wirtschaftlicher Tätigkeit 212 , 18,0 % aus Beiträgen der Wirtschaft - Mitgliedsbeiträge, Beiträge zur Förderung der Facharbeit u.a.m. - sowie 15,6 % aus Beiträgen der öffentlichen Hand erwirtschaftet wurde 213:

210

DIN, Geschäftsordnung des Präsidiums, Abschn. 3 Nr. 3.2. DIN, Finanzierung, S. 3 ff. 212 Diese bemerkenswert hohe Eigenfinanzierungsquote des DIN ist seit vielen Jahren in etwa konstant. Vgl. beispielsweise die Bilanz von 1977 in Reihlen, H., Finanzierung, S. 85. 213 Zahlenangaben für 1995, entnommen aus: DIN, Geschäftsbericht 1995/96, S. 42; vgl. auch dass., Finanzierung, S. 11 f. Nicht eingerechnet sind die Haushalte der Geschäftsstellen der "externen" Normenausschüsse (wie beispielsweise der DKE, vgl. dazu Kap. ILA. 1 .a)ee)(5)), deren wichtigste Träger der VDE, der VDMA und der VDEh sind. Reihlen, H., Finanzierung, S. 85. Um die Vergleichbarkeit mit den Angaben der anderen europäischen Normenorganisationen zu ermöglichen, sei hier noch das Budget des DIN für 1995 in Schweizer Franken aufgeführt; dieses belief sich auf 129.000.000,- SFR und war damit - nach dem der "British Standards Institution" - das zweithöchste innerhalb des CEN und gleichzeitig auch der ISO. Vgl. dazu die Zahlenangaben in ISO, Members, passim. 211

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

269

Tabelle 7

Die Finanzierung der Normungsarbeit des DIN im Jahre 1995 Ausgaben [in TDM]

Einnahmen [in TDM] Verlags- und sonstige Erlöse

105.358 Personalkosten

77.062

Beiträge der Wirtschaft

28.541 Geschäftskosten

50.040

Beiträge der öffentlichen Hand

24.682 Herstellkosten

16.547

Sonstige Aufwendungen; Veränderung Rücklagen/ Vereinskapital Summe

158.581

Summe

14.932

158.581

Die öffentliche Hand leistet ihren Beitrag an der Finanzierung des DIN entsprechend § 1 Abs. 3 DIN-BMWi-Vertrag aufgrund der Bedeutung der technischen Normung für die Allgemeinheit und deren staatsentlastender Funktion214. Dementsprechend werden die öffentlichen Mittel zweckgebunden für solche Arbeiten vergeben, an denen ein öffentliches Interesse besteht, insbesondere für die Wirtschafts- und Wettbewerbsförderung, die Wehrtechnik 215, die Sicherheitstechnik sowie den Arbeits-, Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz, welche die zuständigen Bundesministerien mitfinanzieren, oder für die Bereiche Bau- und Wasserwesen, welche die Länder aufgrund ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeit finanziell unterstützen. Ferner beteiligt sich der Staat an den Mitgliedsbeiträgen für die europäischen und internationalen Normenorganisationen, an den Kosten der europäischen Normung sowie an Projekten mit Entwicklungsländern. Auch für die Beteiligung und die Übernahme von europäischen Sekretariaten stehen Zuschüsse des Bundesministeriums für Wirtschaft zur Verfügung. Hingegen können internationale Sekretariate vom DIN nur dann übernommen werden, wenn die interessierten Kreise die finanziellen Mittel si-

214

Vgl. die Ausführungen zur Rechtsfunktion in Kap. I.C.2.h). Der Anteil der öffentlichen Zuschüsse ist von 8 % zu Beginn der siebziger Jahre bis auf 17 % im Jahre 1978 gestiegen und liegt seitdem in dieser Größenordnung. Hauptursache des Anstieges sind die Finanzierung des Verbraucherrates und der Förderung von Normungsmaßnahmen im Interesse des Allgemeinwohls sowie der nationalen Verteidigung. Reihlen, H., Finanzierung, S. 87. 215 Eine Sonderstellung nahm bis zu Beginn der neunziger Jahre die Verteidigungsgerätenormung mit den DIN-Normenstellen Luftfahrt, Marine, Elektrotechnik ein, deren Finanzierung weitestgehend beim Bundesministerium für Verteidigung lag. Seitdem erfolgt nur noch eine projektbezogene Förderung auf Basis der in Kap. II.A.l.a)dd)(4) dargelegten KooperationsVereinbarung. DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 18.

270

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

cherstellen. Gleiches gilt für die Teilnahme hauptamtlicher Mitarbeiter des DIN an europäischen und internationalen Normungsarbeiten 216. ee) Die "Deutsche Elektrotechnische Kommission im DIN und VDE" (DKE) (1) Exkurs: Der " Verband Deutscher Elektrotechniker

(VDE) "

Die Geschichte des VDE beginnt am 22. Januar 1893 mit der Gründung des "Verbandes der Elektrotechniker Deutschlands" in Berlin durch Delegierte lokaler elektrotechnischer Vereine und Vertreter der Elektroindustrie. Der Name des eingetragenen Vereins wurde bereits kurze Zeit nach der Gründung in "Verband Deutscher Elektrotechniker" und später in die noch heute bestehende Bezeichnung "Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE)" abgeändert217. Ziele des Verbandes waren neben der Förderung der elektrotechnischen Wirtschaft und Wissenschaft insbesondere auch die Durchführung von Normungsprojekten, so daß bereits zwei Monate nach der Verbandsgründung auf Vorstandsbeschluß eine permanente Kommission zur Erarbeitung von Vorschriften über die Ausführung elektrischer Anlagen konstituiert wurde 218. Hierbei standen die Vereinheitlichungs-, Rationalisierungs- und Sicherheitsfunktion der Normung im Vordergrund, wobei die Aufstellung elektrischer Sicherheitsvorschriften bald den Schwerpunkt der Tätigkeit des VDE bildete219. Die Gründung des "Normenausschusses der Deutschen Industrie" (NADI, später D I N ) 2 2 0 im Jahre 1917 führte bei der technischen Normung zum Zwecke der Vereinheitlichung und Rationalisierung zunehmend zu Arbeitsbereichsüberschneidungen, welche erst im Jahre 1941 durch Aufgabenteilung - der VDE war ab diesem Zeitpunkt verantwortlich für die sicherheitstechnische Normung, der "Fachnormenausschuß Elektrotechnik im DNA" für die übrige elektrotechnische Normung - bereinigt wurden. Diese Aufgabenteilung blieb bis zur Gründung der "Deutschen Elektrotechnischen Kommission im DIN und VDE (DKE)" im Jahre 1970 bestehen, welche seitdem für die gesamte elektrotechnische Normung verantwortlich zeichnet221. 216 DIN, Finanzierung, S. 12 f., 15; dass., Wissen, S. 7; Reihlen, H., 43. Präsidiumssitzung, S. 3. 217 VDE, Satzung, § 1 Nr. 1 und 2; ders., Sichere Elektrotechnik, S. 1. 218 Mit dem Resultat, daß schon 1895 die erste VDE-Vorschrift über Kabelschuhe und Klemmschrauben veröffentlicht wurde; im selben Jahr erschien auch die erste Fassung der "Sicherheitsvorschriften für elektrische Starkstromanlagen". VDE, Sichere Elektrotechnik, S. 2. 219 Marburger, P., Regeln, S. 192. Vgl. auch Kap. I.C.2.Ì). 220 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(l). 221 Vgl. Kap. II.A.l.a)ee)(2) und Kap. II.A.l.a)dd)(4).

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

271

Die Organisation des VDE ist die eines gemeinnützigen eingetragenen Vereins bürgerlichen Rechts; sein Sitz ist Frankfurt a.M. 2 2 2 Die Organe des VDE sind der Vorstand 223, die Delegiertenversammlung, die Fachgesellschaften, die Hauptausschüsse, die Hauptversammlung und das Generalsekretariat; alle Organe bis auf das letztgenannte üben ihre Arbeit ehrenamtlich aus224. Die Mitgliedschaft im VDE steht fachgebunden 225 natürlichen Personen sowie Anstalten, Behörden, Körperschaften des öffentlichen Rechts, juristischen Personen und sonstigen Unternehmungen als ordentliche und außerordentliche Mitglieder sowie natürlichen Personen als Jung- und Ehrenmitglieder offen 226. Innerhalb des VDE bestehen Bezirksvereine, welche eine eigene Satzung und einen eigenen Namen führen können227. Der VDE trägt vier Fachgesellschaften, zwei davon - die GMA VDE/VDI-Gesellschaft Meß- und Automatisierungstechnik sowie die G M M VDE/VDI-Gesellschaft Mikroelektronik, Mikro- und Feinwerktechnik- zusammen mit dem VDI, ferner ein "VDI/VDE-Technologiezentrum Informationstechnik GmbH", verschiedene Fach- und Hauptausschüsse, das VDE Prüf- und Zertifizierungsinstitut u.a.m.228 Der VDE ist nach seiner Satzung und seinem Selbstverständnis eine technisch-wissenschaftliche Vereinigung, die sich für die Weiterentwicklung der Elektrotechnik und Elektronik zum Wohle der Gesellschaft einsetzt und die Berufsgruppe der Elektrotechniker fördert 229. Seine satzungsgemäßen Aufgaben umfassen unter anderem die Ausarbeitung, Herausgabe und Auslegung des

222

VDE, Satzung, § 1 Nr. 1 und 4. Entsprechend § 2 Nr. 2 seiner Satzung verfolgt der VDE ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des Abschnitts "Steuerbegünstigte Zwecke" der Abgabenordnung. Vgl. auch DKE, DKEGN/2-1: 1995-01 ergänzende Festlegung zu DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 3 Nr. 3.1; VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 3 Abschn. 3 Nr. 3.1.2. 223 Vorstand des VDE i.S.d. § 26 BGB sind der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende. VDE, Satzung, § 8 Nr. 4. 224 VDE, Satzung, § 7 Nr. 1 und 2. 225 Voraussetzung für eine Mitgliedschaft einer natürlichen Person als ordentliches oder außerordentliches Mitglied ist regelmäßig der Nachweis einer Ausbildung als Ingenieur, einer anderen wissenschaftlichen Ausbildung oder einer langjährigen Tätigkeit auf dem Gebiet der Elektrotechnik oder verwandter Berufszweige. VDE, Satzung, § 3 Nr. 2. lit. a) und Nr. 4. lit. a). Ebenso müssen Anstalten, Behörden, Körperschaften des öffentlichen Rechts, juristische Personen und sonstige Unternehmungen für den Erwerb der Mitgliedschaft auf dem Gebiet der Elektrotechnik oder verwandten Berufszweigen tätig sein. VDE, Satzung, § 3 Nr. 2. lit. b) und Nr. 4. lit. b). 226 VDE, Satzung, § 3 Nr. 1 bis 6. 227 VDE, Satzung, § 1 Nr. 3. 228 VDE, Tätigkeitsbericht 1995, S. 30. 229 VDE, VDE, S. 6.

272

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

VDE-Vorschriftenwerkes 230, die Mitarbeit an der Aufstellung von Normen für die Elektrotechnik sowie die Durchführung des VDE-Prüfwesens 231. Nach Ausdehnung seiner Aktivitäten auf die neuen Bundesländer seit dem 1. März 1991 beschäftigt der VDE rund 500 hauptamtliche Mitarbeiter in 34 Bezirksvereinen und 53 Zweigstellen - davon 120 in der DKE 2 3 2 -, und hat rund 36.000 Mitglieder, wovon rund 4.000 aus den neuen Bundesländern stam-

(2) Gründungsvertrag

und Geschichte

Die "Deutsche Elektrotechnische Kommission Fachnormenausschuß Elektrotechnik im DNA gemeinsam mit Vorschriftenausschuß des VDE" - Kurzname "Deutsche Elektrotechnische Kommission" (DEK) - wurde am 13. Oktober 1970 durch Vertragsschluß zwischen dem damaligen DNA und dem VDE als gemeinsames Organ gegründet234; die Trägerschaft übernahm der VDE 2 3 5 . Als

230

Dieses wird seit Gründung der "Deutschen Elektrotechnischen Kommission im DIN und VDE (DKE) " ausschließlich innerhalb der DKE erarbeitet und betreut. VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 1 Abschn. 1 Nr. 1.1. Vgl. dazu die nachfolgenden Kapitel. Das VDE-Vorschriftenwerk umfaßt neben Satzungen und sonstigen Grundsatzschriftstücken des VDE vornehmlich VDE-Bestimmungen und -Leitlinien - aufgrund des Kooperationsabkommens mit dem DIN zusammengefaßt als "DIN-VDE-Normen" bezeichnet-, VDE-Vornormen sowie Beiblätter zu den vorgenannten Schriftstücken (VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 2 Abschn. 1 Nr. 1.3 i.V.m. 1.4). VDE-Bestimmungen enthalten sicherheitstechnische Festlegungen für das Errichten und Betreiben elektrischer Anlagen sowie für das Herstellen und Betreiben elektrischer Betriebsmittel. VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 3 Abschn. 3 Nr. 3.1.1. Von diesen unterscheiden sich die VDELeitlinien durch einen wesentlich erweiterten Ermessensraum für eigenverantwortliches sicherheitstechnisches Handeln (VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 4 Abschn. 4 Nr. 4.1). Grundsätzlich repräsentieren die DIN-VDE-Normen die Sicherheitsnormen für das Gebiet der Elektrotechnik. VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 1 f. Abschn. 1 Nr. 1.1 und 1.4 sowie insbes. S. 2 f. Abschn. 2 Nr. 2.1, S. 3 Abschn. 3 Nr. 3.1 und S. 4 Abschn. 4 Nr. 4.1; ders., VDE-Vorschriftenwerk, S. 4. 231 VDE, Satzung, § 2 Nr. 3 lit. a), b) und d). 232 Erste Zahlenangaben für 1990, entnommen aus: VDE, Tätigkeitsbericht 1990, S. 3; ders., Sichere Elektrotechnik, S. 9; ders., Neue Bundesländer, S. 1; ders., VDE, S. 39; alle anderen Zahlenangaben für 1995, entnommen aus: VDE, Tätigkeitsbericht 1995, S. 23; ders., 100 Jahre VDE 0100, S. 9. 233 Erste Zahlenangaben für 1995, entnommen aus: VDE, 100 Jahre VDE 0100, S. 24; ders., Tätigkeitsbericht 1995, S. 19; letzte Zahlenangaben für 1993, entnommen aus: o.V., 36000 Mitglieder im VDE, Markt & Technik Nr. 7 vom 12. Februar 1993, S. 71. 234 DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 1, 4; vgl. auch DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 3 Nr. 3.1 sowie VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 1 Abschn. 1 Nr. 1.1.

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273

Zielsetzung wurde "die Zusammenfassung der nationalen und internationalen Erarbeitung von Normen und Vorschriften auf... [dem gesamten Gebiet der Elektrotechnik] in einer leistungsfähigen und schlagkräftigen einheitlichen Organisation ... im Interesse des Gemeinwohls" proklamiert 236. Dementsprechend nahm die DEK die elektrotechnische Normungs- und Vorschriftenarbeit wahr, die bis zu diesem Zeitpunkt in dem Vorschriftenausschuß des VDE und dem Fachnormenausschuß Elektrotechnik im DNA durchgeführt wurde 237. Im September 1973 wurde der Name der DEK auf "Deutsche Elektrotechnische Kommission im DNA und VDE" verkürzt und die Abkürzung in DKE geändert 238 . 1975 erhielt die DKE aus Anlaß der Namensänderung des DIN ihren heutigen Namen "Deutsche Elektrotechnische Kommission im DIN und VDE" (DKE) 2 3 9 .

Der Vertrag kann von jeder Vertragspartei beim Eintritt unvorhergesehener Entwicklungen mit einer Frist von einem Jahr jeweils zum Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden. DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 20. 235 DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 1; dies., Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 1 Nr. 1.4; VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 1 Abschn. 1 Nr. 1.1. 236 DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Vorwort. Vgl. auch Kap. ILA.l.a) dd)(4). Auch mit diesem Kooperationsvertrag wurde das Ziel verfolgt, den deutschen Stand der Technik soweit wie möglich in die europäische und internationale Normung einzubringen und so die deutschen Vorstellungen und Interessen auch auf diesen Ebenen wirksamer vertreten zu können. Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 5; Thielen, H., Zehn Jahre DKE, S. 500. Daneben sollte den Forderungen staatlicher Stellen nach einer einheitlichen Normenorganisation zur Gewährleistung von mehr Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz auf elektrotechnischem Gebiet entsprochen werden. Loew, H., DKE, S. 73. 237 DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 2. Damit wurden die seit 1941 getrennten Zuständigkeiten - ersterer war verantwortlich für die Erarbeitung von Sicherheitsbestimmungen auf dem Gebiet der Elektrotechnik, letzterer für die übrige elektrotechnische Normung - wieder in einer einheitlichen Organisation zusammengefaßt. Vgl. Kap. II.A.l.a)ee)(l); femer Loew, H., DKE, S. 73. Beide Gremien wurden mit der Gründung der DEK aufgelöst. Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 419. Vgl. auch DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 11, 12 und 13. 238 Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 423. Die Abkürzung "DEK" war in Europa bereits durch das "Dansk Elektroteknisk Komite" (DEK) belegt. 239 Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 426; Thielen, H., Erfolgreiche Tätigkeit, S. 1273; ders., Zehn Jahre DKE, S. 500.

18 Zubke-von Thünen

274

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

(3) Organisation und Aufgabe Die DKE ist ein Normenausschuß des DIN und gleichzeitig ein Geschäftsbereich des V D E 2 4 0 und arbeitet, wie die beiden unter bürgerlichem Vereinsrecht handelnden Organisationen, auf ausschließlich gemeinnütziger Grundlage; die Trägerschaft liegt unverändert beim VDE 2 4 1 . Entsprechend § 8 des DIN-VDEVertrages bestimmt sich die Organisation der DKE nach deren Geschäftsordnung242. Danach sind die Organe der DKE die Förderer-Gemeinschaft, der Lenkungsausschuß, der Vorsitzende, die Geschäftsführung mit Geschäftsstelle, die Fachbereiche und die Arbeitsgremien 243, so daß die DKE formal wie alle übrigen Normenausschüsse des DIN organisiert ist 244 . Das oberste Organ der DKE ist der Lenkungsausschuß (LA), zu dessen Aufgaben unter anderem die Steuerung der Aufgaben, die Festlegung des Arbeitsprogrammes sowie die Änderung der Geschäftsordnung der DKE gehören245. Der Lenkungsausschuß rekrutiert sich aus 35 2 4 6 führenden, ehrenamtlich täti-

240 DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 4; dies., Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 1 Nr. 1.3. 241 DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Vorwort; Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 417; ders., 15 Jahre DKE, S. 5. 242 DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 8; dies., Geschäftsordnung der DKE, Vorwort. 243 DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 2 i.V.m. DKE-GN/3-4: 1995-01 S. 1 f. Abschn. 3 lit. a)-f). Die Aufgaben der Organe sind in der Geschäftsordnung festgelegt; darüber hinaus gelten die in DKE-GN/3-4: 1995-01 aufgeführten, vom Lenkungsausschuß verabschiedeten Bestimmungen. DKE, DKE-GN/3-4: 1995-01 S. 1 f. Abschn. 1 und 3. 244 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(2). Faktisch haben jedoch die Organe der DKE deutlich mehr Kompetenzen als die der übrigen Normenausschüsse des DIN; so nimmt beispielsweise im Normungsverfahren der Lenkungsausschuß der DKE Aufgaben wahr, die ansonsten dem Präsidium des DIN vorbehalten bleiben, wie z.B. die Einsetzung eines Schiedsausschusses bei Meinungsverschiedenheiten bezüglich des Norm-Entwurfes. Vgl. dazu die Ausführungen des folgenden Kapitels. Das nachfolgende Organisationsschema der DKE - Stand 01.07.1993 - ist entnommen aus: DKE, DKE-GN/ 3-4: 1995-01 S. 6 Bild 1. 245 DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 3 Nr. 3.10 lit. a), e) und ο). Die Änderung der Geschäftsordnung bedarf jedoch der Zustimmung der vertragsschließenden Parteien, also DIN und VDE. Vgl. ebd., Abschn. 11. 246 Die Zahl von ursprünglich 27 und seit dem 27.11.1970 maximal 30 Mitgliedern (DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 3 Nr. 3.1) wurde nach der deutschdeutschen Wiedervereinigung um 5 Mitglieder aus den neuen Bundesländern erhöht. Gleiches gilt für den TBINK (vgl. zu diesem die Ausführungen weiter unten in diesem Kapitel). Orth, K , Übernahme der Normungsaktivitäten, S. 1 f.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

275

gen 247 Persönlichkeiten der wichtigsten an der Normungsarbeit interessierten Fachkreise, welche von den in Punkt 3.3 der Geschäftsordnung aufgeführten Institutionen248 vorgeschlagen und von der Förderer-Gemeinschaft bestätigt werden 249. Letztere besteht aus rund 400 Mitgliedsfirmen, 5 Verbänden der Elektrowirtschaft sowie 9 der elektrotechnischen Normungsarbeit eng verbundenen Vereinigungen 250. Der Lenkungsausschuß wählt den Vorsitzenden der DKE und seine beiden Stellvertreter, welche der Präsident des DIN und der Vorstand des VDE bestätigen bzw. berufen 251. Der Vorsitzende leitet die Kommission und vertritt sie nach innen und außen252. Die Geschäftsführung besteht aus einem Geschäftsführer und stellvertretenden Geschäftsführern, die vom Lenkungsausschuß bestellt und nach Bestätigung durch den Direktor des D I N vom VDE im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden der Kommission eingestellt werden 253. Die Geschäftsführung ist für eine ordentliche Geschäftsführung in fachlicher und finanzieller Hinsicht, für die Ausführung der Beschlüsse des Lenkungsausschusses und für die ordnungsgemäße Betreuung der Arbeitsgremien durch die von ihr geleitete Geschäftsstelle verantwortlich 254. Erarbeitung und Beschluß des sachlichen Inhalts der Normen geschehen innerhalb der DKE durch rund 5.000 ehrenamtliche Mitarbeiter - davon 150 aus den neuen Bundesländern 255 -, unterstützt durch 120 hauptamtliche Bearbeiter sowie 60 ehrenamtliche Mitarbeiter der Lenkungsgremien, in rund 140 Komitees (K), 200 Unterkomitees (UK) und 300 Arbeitskreisen (AK), welche auch für den Nor-

247

DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 3 Nr. 3.8. Hier sind insgesamt 13 private Vereine oder Verbände - neben DIN und VDE beispielsweise ZVEI, VdTÜV und VdS - sowie einige staatliche Organe und Körperschaften öffentlichen Rechts - beispielsweise BMA, BMWi, BMP, Berufsgenossenschaften und ARD - aufgeführt, deren jeweilige Kontingente in der Geschäftsordnung festgeschrieben sind. DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 3 Nr. 3.3. 249 DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 3 Nr. 3.5 i.V.m. Abschn. 5 Nr. 5.4 lit. a). Die Förderer-Gemeinschaft sind Institutionen, die durch finanzielle Zuwendungen dazu beitragen, daß die Kommission ihre Aufgaben erfüllen kann. DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 5 Nr. 5.1. 250 DKE, Normung und Sicherheit, S. 3. 251 DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 3 Nr. 3.10 lit. b) i.V.m. Abschn. 4 Nr. 4.1 und 4.2. 252 DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 4 Nr. 4.3 und 4.4. Die weiteren Aufgaben des Vorsitzenden sind in Abschn. 4 Nr. 4.5 der Geschäftsordnung festgelegt. 253 DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 4 Nr. 4.5 lit. b) i.V.m. Abschn. 6 Nr. 6.1 und 6.2. 254 DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 6 Nr. 6.5, 6.6 und 6.8. 255 Zahlenangabe für 1991, entnommen aus: DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 9. 248

1*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

meninhalt verantwortlich sind 256 . Diese Arbeitsgremien der DKE wurden spiegelbildlich zu den Technischen Komitees von CENELEC und IEC organisiert, so daß nur ein einziges deutsches Gremium für die gesamte nationale, europäische und internationale Normungsarbeit auf dem jeweiligen Fachgebiet zuständig ist 257 . Da die elektrotechnische Normung von der übrigen Normung immer weniger zu trennen ist, entstanden seit Gründung der DKE zahlreiche Gemeinschafts-Arbeitsgremien (GK, GUK oder GAK) zusammen mit einem oder mehreren anderen Gremien des D I N 2 5 8 . Zur besseren Koordinierung der Normungsarbeiten wurde die DKE in 9 Fachbereiche gegliedert, denen i.d.R. je ein Mitglied des Lenkungsausschusses als Fachbereichs Vorsitzender (FBV) vorsteht und die entsprechend den fachlichen, internationalen und nationalen Gegebenheiten in Sachgebiete aufgeteilt sind; diese dienen als Ordnungskriterium der DKE-Arbeitsgremien 259. Weiterhin hat der Lenkungsausschuß zur Unterstützung und Beschleunigung seiner Führungsaufgaben vier Technische Beiräte konstituiert260. Für die Koordinierung der nationalen elektrotechnischen Normungsarbeit und die Vertretung der deutschen Interessen in CENELEC und IEC ist der "Technische Beirat internationale und nationale Koordinierung" (TB INK) verantwortlich 261; der "Technische Beirat Struktur" (TBS) ist für Organisationsfragen, Normungstechnik und Arbeitsabläufe innerhalb der DKE zuständig262; der "Technische Beirat ETSI" (TBETSI) sorgt als Spiegelgremium zu der Technischen Versammlung des ETSI für die Koordinierung der nationalen ETSI-Arbeiten in den zuständigen Gremien von D I N und DKE und die Vertretung der deutschen In256

DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 7 Nr. 7.1 und 7.3. Alle Zahlenangaben für 1995, entnommen aus: DKE, Geschäftsbericht 1995, S. 3; VDE, 100 Jahre VDE 0100, S. 9. 257 DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 7 Nr. 7.2; DKE, DKE-GN/3-4: 1995-01 S. 4 Abschn. 5 Nr. 5.2.8 i.V.m. DKE-GN/3-8: 1995-01 S. 1 Abschn. 1. 258 DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 7 Nr. 7.1; DKE, DKE-GN/3-4: 1995-01 S. 3 Abschn. 5 Nr. 5.2.1; Lehmann, M., DKE: Organisation und Arbeitsweise, S. 5; ders., 15 Jahre DKE, S. 4; Loew, H., DKE, S. 74. 259 DKE, DKE-GN/3-4: 1995-01 S. 3 Abschn. 5 Nr. 5.1.1; vgl. auch DKE-GN/3-10: 1995-01 Abschn. 1 Nr. 1.1. 260 DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 3 Nr. 3.11; DKE, DKE-GN/3-4: 1995-01 S. 2 Abschn. 4 Nr. 4.1. 261 Aufgaben und Arbeitsweise des TBINK werden in einer vom Lenkungsausschuß verabschiedeten internen Richtlinie - der DKE-GN/3-5: 1995-01 - geregelt. DKE, DKEGN/3-4: 1995-01 S. 2 Abschn. 4 Nr. 4.1.1 i.V.m. DKE-GN/3-5: 1995-01 S. 1 Abschn. 1 Nr. 1.1. 262 Aufgaben und Arbeitsweise des TBS werden in einer vom Lenkungsausschuß verabschiedeten internen Richtlinie - der DKE-GN/3-6: 1988-04 - geregelt. DKE, DKEGN/3-4: 1995-01 S. 2 Abschn. 4 Nr. 4.1.2 i.V.m. DKE-GN/3-6: 1988-04 S. 1 Abschn. 1 Nr. 1.1.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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teressen auf europäischer Ebene 263 , und der "Technische Beirat Konformitätsbewertung" (TB KON) ist als nationales Spiegelgremium zu den entsprechenden internationalen und europäischen elektrotechnischen Organisationen wie ELSECOM, IECEE oder IECQ mit der Koordination der nationalen Aktivitäten der Konformitätsbewertung auf dem Gebiet der Elektrotechnik und Elektronik und der Wahrnehmung der deutschen Interessen auf dem Gebiet der europäischen und internationalen elektrotechnischen und elektronischen Prüf- und Zertifizierungsaktivitäten beauftragt 264. Ferner befaßt sich der "Arbeitskreis Finanzplanung" (AKF) mit der Planung des Jahreshaushaltes und der Erstellung der Jahresabrechnung, welche von der "Finanzkommission" überprüft wird 265 . Für die DKE als Normenausschuß des DIN gelten die in Kapitel II.A.l.a)dd)(4) aufgeführten Kooperationsabkommen, bei deren Festlegung die besonderen Belange der DKE Berücksichtigung fanden 266; vor allem ist die DKE in den Vertrag des D I N mit der Bundesregierung eingeschlossen267. Aufgabe der DKE als nationale elektrotechnische Normenorganisation der Bundesrepublik Deutschland ist die Erarbeitung, Veröffentlichung, Einführung und Auslegung von Normen und Sicherheitsbestimmungen auf dem gesamten Gebiet der Elektrotechnik 268. Sie hat diese Aufgabe seit dem 1. Oktober 1990 entsprechend dem Normenvertrag zwischen DIN und A S M W 2 6 9 auch in den neuen Bundesländern vollständig übernommen270. Die DKE vertritt die deutsche elektrotechnische Normung in den europäischen Normenorganisationen "Comité Européen de Normalisation Electrotechnique" (CENELEC) und 263 Aufgaben und Arbeitsweise des TBETSI werden in einer vom Lenkungsausschuß verabschiedeten internen Richtlinie - der DKE-GN/3-7: 1995-01 - geregelt. DKE, DKEGN/3-4: 1995-01 S. 2 Abschn. 4 Nr. 4.1.3 i.V.m. DKE-GN/3-7: 1995-01 S. 1 Abschn. 1 Nr. 1.1. 264 Der TBKON ist ein Gemeinschaftsgremium der DKE und der "Deutschen Akkreditierungsstelle Technik« (DATech), dessen Aufgaben und Arbeitsweise in einer vom Lenkungsausschuß verabschiedeten internen Richtlinie - der DKE-GN/3-8: 1995-01 geregelt werden. DKE, DKE-GN/3-4: 1995-01 S. 2 Abschn. 4 Nr. 4.1.4 i.V.m. DKEGN/3-8: 1995-01 S. 1 Abschn. 1 Nr. 1.1. 265 Aufgaben und Arbeitsweise des AKF werden in einer vom Lenkungsausschuß verabschiedeten internen Richtlinie - der DKE-GN/3-9: 1995-01 - geregelt. DKE, DKEGN/3-4: 1995-01 S. 3 Abschn. 4 Nr. 4.2.1 und 4.2.2 i.V.m. DKE-GN/3-9: 1995-01 S. 1 Abschn. 1 Nr. 1.1. 266 Loew, H., DKE, S. 74. 267 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(5). 268 DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 2; dies., Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 1 Nr. 1.1; VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 1 Abschn. 1 Nr. 1.1. 269 Als Organ des DIN ist die DKE in den Normenvertrag zwischen DIN und ASMW eingeschlossen. Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(6). Vgl. femer die Ausführungen weiter oben in diesem Kapitel. 270 VDE, Tätigkeitsbericht 1990, S. 20.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

"European Telecommunications Standards Institute" (ETSI) sowie in der internationalen Normenorganisation "International Electrotechnical Commission" (IEC) und ist für die Umsetzung der Normungsergebnisse in Deutsche Normen zuständig271. (4) Normungsverfahren

und DKE-Normenwerk

Für die elektrotechnische Normungsarbeit innerhalb der DKE gelten aufgrund der Organschaft im DIN grundsätzlich dessen Verfahrens- und Gestaltungsregeln272; diese wurden hinsichtlich des eigenständigen Regelwerkes für elektrotechnische Sicherheitsvorschriften des VDE, die VDE-Bestimmungen und -Leitlinien, welche als DIN-VDE-Normen ausschließlich in der DKE erarbeitet werden, mit dem VDE abgestimmt273. Im Rahmen der in Kapitel II.A.l. a)dd)(3) aufgeführten Arbeitsgrundsätze des DIN sei an dieser Stelle nur hervorgehoben, daß auch bei der Zusammensetzung der Organe der DKE - angefangen vom Lenkungsausschuß274 bis hin zu den Arbeitsgremien 275 - der Grund271 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 Abschn. 3 Nr. 3.2; DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 3; dies., Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 1 Nr. 1.2; DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 8; dies., Normung und Sicherheit, S. 1; VDE, 100 Jahre VDE 0100, S. 8; ders., VDE, S. 29. 272 DKE, DKE-GN/4-1: 1995-01 ergänzende Festlegung zu DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 2 Abschn. 2; vgl. femer Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 5; Loew, H., DKE, S. 74. 273 DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 6; dies., Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 1 Nr. 1.5; VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 2 Abschn. 1 Nr. 1.4. Verbindliche Grundlagen für die Arbeit der DKE stellen neben dem DIN/VDEVertrag mit seinen Anlagen 1 "Geschäftsordnung" und 2 "Grundsätze für die Kennzeichnung der elektrotechnischen Normungsarbeit" die Satzungen von DIN und VDE, die DIN- und VDE-Grundnormen - insbesondere die Normen DIN 820 und VDE 0022 -, die Richtlinien und Präsidialbeschlüsse des DIN, die Beschlüsse des VDEVorstandes sowie die Beschlüsse des Lenkungsausschusses der DKE und die von ihm verabschiedeten "Grundlagen der Normungsarbeit der DKE" (DKE-GN) i.d.F.v. Januar 1995. DKE, DKE-GN/1-0: 1995-01 S. 1 Abschn. 1 i.V.m. DKE-GN/3-4: 1995-01 S. 1 Abschn. 2 dar. Zu beachten sind femer - im Rahmen der europäischen und internationalen Arbeit - die Statuten und Geschäftsordnungen der europäischen und internationalen Normenorganisationen. Lehmann, M., DKE: Organisation und Arbeitsweise, S. 6. 274 Vgl. die Ausführungen weiter oben in diesem Kapitel. 275 Hinsichtlich der Zusammensetzung der Komitees kann im Streitfall der Lenkungsausschuß der DKE und danach das Präsidium des DIN und der Vorstand des VDE angerufen werden. DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 1 f. Abschn. 3 Nr. 3.4; DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 8. Sind Unterkomi tees autorisiert, ihre Arbeitsergebnisse selbständig zu verabschieden, müssen auch in ihnen die Fachkreise angemessen vertreten sein. DKE, DKE-GN/3-4: 1995-01 S. 5 Abschn. 5 Nr. 5.2.11. Um die Arbeitsfähigkeit der Arbeitsgremien der DKE sicherzustellen, ist deren Mitarbeiterzahl - abgesehen von Ausnahmefällen - begrenzt. Ursprünglich 15 in Komitees

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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satz der angemessenen Repräsentanz der an der Normung interessierten Kreise zu berücksichtigen ist 276 . Um Wiederholungen zu vermeiden und die Vergleichbarkeit zu erleichtern, werden im folgenden nur die Unterschiede zum Normenerstellungsprozeß des D I N aufgeführt. Der einzige, alle Arbeitsergebnisse der DKE betreffende Unterschied zum Normenerstellungsprozeß des DIN sind die zuständigen Instanzen in einem etwaigen Schlichtungs- und Schiedsverfahren. Analog zum DIN-Verfahren kann jedermann begründete Vorschläge, Stellungnahmen und Einsprüche zu den regelmäßig veröffentlichten DKE-Norm-Entwürfen einreichen, die - möglichst mit dem Urheber - im zuständigen Arbeitsgremium diskutiert werden; ist ein solcher Stellungnehmender mit der Entscheidung des Arbeitsgremiums nicht einverstanden, hat er auch in der DKE die Möglichkeit, seine Interessen in einem zweistufigen Schlichtungsverfahren zu vertreten, jedoch in der ersten Stufe unter Vorsitz des Fachbereichsvorsitzenden (DIN: Vorsitzender des Normenausschusses) und in der zweiten Stufe unter dem des TBINK (DIN: Geschäftsleitung). Führen diese Schiedsverfahren nicht zum Konsens, so steht dem Stellungnehmenden das Recht zu, den Lenkungsausschuß der DKE (DIN: Präsidium) anzurufen, welcher einen neutralen Schiedsausschuß zur Entscheidung einsetzt277. Daneben gibt es einige spezifische Unterschiede hinsichtlich der Ausarbeitung des VDE-Vorschriftenwerkes: So ist zunächst einmal das Antragsrecht für DIN-VDE-Normen so ausgestaltet, daß jedermann nicht nur die Erarbeitung neuer Normen, sondern auch die Änderung, Ergänzung und insbesondere auch die Aufhebung geltender DIN-VDE-Normen beantragen kann 278 . Mit dem Normungsantrag ist anzugeben, ob das Normungsvorhaben im VilamouraVerfahren 279 oder als "New work item proposal" (NWIP) bei IEC einzubringen und Unterkomitees sowie 10 in Arbeitskreisen (DKE, DKE-GN/3-4: 1995-01 S. 3 f. Abschn. 5 Nr. 5.2.2), wurde die obere Grenze der Mitarbeiterzahl nach der deutschdeutschen Wiedervereinigung auf 20 bzw. 15 erhöht. Orth, K , Übernahme der Normungsaktivitäten, S. 2; Lehmann, M., DKE: Organisation und Arbeitsweise, S. 6 f. Dennoch ist der Grundsatz der angemessenen Repräsentation der an der Normung interessierten Kreise zu gewährleisten. DKE, DKE-GN/3-4: 1995-01 S. 3 f. Abschn. 5 Nr. 5.2.2. 276 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(2). 277 DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 3 Abschn. 2 Nr. 2.4.7; DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 6; dies., Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 3 Nr. 3.10 lit. n); DKE, DKE-GN/4-1: 1995-01 ergänzende Festlegung zu DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 6 f. Abschn. 2 Nr. 2.4.7. 278 VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 3 Abschn. 3 Nr. 3.2.1 i.V.m. S. 4 Abschn. 4 Nr. 4.2. Dagegen sind in den einschlägigen Bestimmungen des DIN - insbesondere in DIN 820-4: 1986-01 - die Antragsrechte auf die Erarbeitung neuer Normen beschränkt. 279 Vgl. dazu Kap. II.B.l.a)cc).

280

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

ist 280 . Im Falle der Ablehnung eines Normungsantrags, dessen Ergebnis voraussichtlich auch in das VDE-Vorschriftenwerk aufgenommen wird, muß neben dem Präsidenten des D I N auch der Vorstand des VDE die Ablehnung bestätigen 281 . Für die Mitarbeit in den entsprechenden Gremien der DKE ist eine persönliche Mitgliedschaft im VDE erwünscht282, aber nicht Voraussetzung. Die Kennzeichnung des Norm-Entwurfs erfolgt im Auftrag des Geschäftsführers vom zuständigen Referenten auf Vorschlag des Arbeitsgremiums als VDEBestimmung entsprechend der Anlage 2 zum DIN-VDE-Vertrag 283 . Hinsichtlich der abschließenden Normenprüfung werden VDE-Bestimmungen nach der Freigabe durch den DKE-Vorsitzenden außer von der DIN-Normenprüfstelle noch unter Einschaltung des "VDE-Generalsekretariats, Verbindungsstelle Vorschriftenwerk" vom VDE-Vorstand auf ihren ordnungsgemäßen Verfahrensdurchlauf überprüft und in Kraft gesetzt, damit in das Deutsche Normenwerk und in das VDE-Vorschriftenwerk aufgenommen und zum Druck an den VDEVerlag ausgeliefert 284. Schließlich erfolgt die Bekanntgabe des Erscheinens von Entwürfen und Schlußfassungen von DIN-VDE-Normen außer in dem Publikationsorgan der DKE - den "DIN-Mitteilungen + elektronorm", welches über sämtliche nationale, europäische sowie internationale elektrotechnische Normungsaktivitäten berichtet 285 - auch in der etz ("Elektrotechnische Zeitschrift") und im Bundesanzeiger286, ebenso wie das Zurückziehen von DIN-VDE-NormEntwürfen und das ersatzlose Zurückziehen von DIN-VDE-Normen , um die Information und Mitarbeit der Öffentlichkeit zu gewährleisten.

280

DKE, DKE-GN/4-1: 1995-01 ergänzende Festlegung zu DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 2 Abschn. 2 Nr. 2.1.1. 281 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 5 Nr. 5.3. Vgl. Fn. 136 in Kap. II.A.l.a) dd)(3). 282 VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 3 Abschn. 3 Nr. 3.2.2. 283 Bei Meinungsverschiedenheiten über diese Kennzeichnung kann der Fachbereichsvorsitzende und, falls notwendig, durch diesen der Lenkungsausschuß angerufen werden. DKE, DKE-GN/4-1: 1995-01 ergänzende Festlegung zu DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.3.1. 284 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 3 Nr. 3.6; DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 4 Nr. 4.5 lit. d); DKE, DKE-GN/4-1: 1995-01 ergänzende Festlegung zu DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 5 und 8 ff. Abschn. 2 Nr. 2.4.1, 2.5.2, 2.5.3 und 2.6; VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 4 Abschn. 3 Nr. 3.2.4 und 3.2.5, Abschn. 4 Nr. 4.4 sowie S. 5 Abschn. 6 Nr. 6.4. 285 DIN/VDE, Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 10 Nr. 10.1 und 10.2. 286 DKE, DKE-GN/2-1: 1995-01 ergänzende Festlegung zu DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 3 Abschn. 3 Nr. 3.7 sowie DKE-GN/4-1: 1995-01 ergänzende Festlegung zu DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 5 und 15 f. Abschn. 2 Nr. 2.4.3 und Abschn. 8; VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 3 f. Abschn. 3 Nr. 3.2.3 sowie S. 4 Absch. 4 Nr. 4.5. 287 DKE, DKE-GN/4-1: 1995-01 ergänzende Festlegung zu DIN, DIN 820-4: 198601 S. 8 Abschn. 2 Nr. 2.4.11.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

281

Für die elektrotechnische Normungsarbeit der DKE gelten ebenfalls die Präsidialbeschlüsse des D I N hinsichtlich des Vorranges der internationalen vor der europäischen und beider vor der nationalen Normungsarbeit 289; daneben fordern auch VDE und DKE selbst die möglichst unveränderte Übernahme internationaler Arbeitsergebnisse in das VDE-Vorschriftenwerk und gleichzeitig in das DIN-Normenwerk 290. Tatsächlich ist jedoch der Internationalisierungsprozeß aufgrund des fortgeschrittenen Vilamoura-Verfahrens im Rahmen der elektrotechnischen Normungsarbeit 291 und nicht zuletzt auch wegen der EUNiederspannungsrichtlinie 292 praktisch abgeschlossen: Seit 1991 beträgt der Anteil der nationalen Normungsarbeiten der DKE konstant nur noch rund 2 % (1990 noch 5 %), während derjenige der europäischen und internationalen Normungsprojekte bei 98 % (1990 noch 95 %) liegt. Insgesamt sind ebenfalls unverändert bereits seit dem Jahre 1991 85 % der deutschen elektrotechnischen Normen mit CEN/CENELEC- und/oder IEC-Normen harmonisiert 293.

288 DKE, DKE-GN/4-1: 1995-01 ergänzende Festlegung zu DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 14 Abschn. 5. 289 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(3). 290 DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 17; Reihlen, H., 38. Präsidiumssitzung, S. 5; VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 1 f. Abschn. 1 Nr. 1.1. Nach Aussage des Geschäftsführers der DKE, Karl Ludwig Orth, hat die DKE "wesentlich zur engen Verzahnung von internationaler und europäischer Normung auf dem Gebiet der Elektrotechnik beigetragen. Es ist das erklärte Ziel, diesen Weg fortzusetzen und die Arbeitsprozeduren der internationalen Normung so zu beschleunigen, daß ihre Arbeitsergebnisse unverändert als Europäische und damit auch als deutsche Normen übernommen werden können". DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 17. Tatsächlich hat die DKE zahlreiche Maßnahmen zur Beschleunigung der nationalen, europäischen und internationalen Normungsarbeit ergriffen, z.B. durch die frühzeitige Einschaltung der betroffenen Fachöffentlichkeit im Rahmen eines besonderen Verfahrens für internationale Entwürfe, durch die Einführung sog. Vornormen neuer Art in Fachgebieten mit hoher Innovationsgeschwindigkeit und ein DKE-Schnellverfahren für dringende Fälle auf dem Gebiet der Sicherheitsnormung, d.h. im Falle unzulänglicher oder gar fehlender Festlegung in einer VDE-Bestimmung; CENELEC hat analog ebenfalls ein Schnellverfahren eingeführt und gibt entsprechende Vornormen heraus. DKE, DKE-GN/4-3: 1995-01 S. 1 Abschn. 1; Lehmann, M., DKE: Organisation und Arbeitsweise, S. 8; Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 437. 291 Vgl. Kap. II.B.l.a)cc) und Kap. II.B.l.c). 292 RL 73/23/EWG. Vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(b); ferner Loew, H., DKE, S. 74. 293 Zahlenangaben für 1995 entnommen aus: DKE, Geschäftsbericht 1995, S. 4; VDE, 100 Jahre VDE 0100, S. 9. Zahlenangaben für 1991 entnommen aus: DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 6; DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 6. Vgl. auch die entsprechenden Zahlenangaben für CENELEC und IEC in Kap. II.B.l.a)cc). "Bei fristgerechter Bearbeitung der 1992 laufenden Themen kann davon ausgegangen werden, daß mit dem Inkrafttreten des Binnenmarktes am 1. Januar 1993 in der Bundesrepublik und den anderen CENELEC-Ländern keine merklichen Handelshemmnisse aufgrund technischer Festlegungen in Normen der Elektrotechnik mehr be-

282

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Die Ergebnisse der Normungsarbeit der DKE werden grundsätzlich entweder als DIN-Normen, DIN-VDE-Normen, DIN-Vornormen, DIN-EN-Normen, DIN-IEC-Normen, DIN-ETS-Normen oder DIN-Normen aus dem CECC- und dem IECQ-System für gütebeständige Bauelemente der Elektronik in das Deutsche Normenwerk aufgenommen 294. DIN-VDE-Normen finden zusätzlich als VDE-Bestimmungen Eingang in das VDE-Vorschriften werk 295 . Für elektrotechnische Normen, die den Charakter von VDE-Bestimmungen haben, ist eine eindeutige Kennzeichnung im Hinblick auf diejenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften vereinbart, die auf VDE-Bestimmungen Bezug nehmen296. Herstellern ist die Kennzeichnung von normenkonformen Gegenständen nach DIN-VDE-Normen nur gestattet, wenn sie das Verbandszeichen DIN in Verbindung mit einem Verbandszeichen des VDE benutzen297. Ende 1995 betreute die DKE einen Bestand von rund 1.300 DIN-VDE-Normen mit 21.670 Seiten, nahezu der gleichen Anzahl an DIN-VDE-Norm-Entwürfen mit aufgerundet 29.860 Seiten, annähernd 4.200 DIN-Normen einschließlich ETS mit 59.150 Seiten und abgerundet 1.540 DIN-Norm-Entwurf mit etwa 37.720 Seiten. Davon entstammten annähernd 1.270 Normen und Norm-Entwürfe mit fast 37.820 Seiten aus dem Jahr 1995 298 .

stehen werden". DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 6. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. II.B.3.b)cc). 294 DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 6; dies., Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 1 Nr. 1.5; dies., Grundsätze für die Kennzeichnung, Abschn. 1; DKE, Normung und Sicherheit, S. 2; Lehmann, M., DKE: Organisation und Arbeitsweise, S. 3 und 8; Thielen, H., Erfolgreiche Tätigkeit, S. 1273; VDE, VDE, S. 29. 295 Elektrotechnische Normen der DKE werden zusätzlich in das VDE-Vorschriftenwerk aufgenommen und als VDE-Bestimmungen gekennzeichnet, wenn sie Festlegungen über die Abwendung von Gefahren für Menschen, Tiere und Sachen enthalten, die sich aus elektrischen Spannungen und Strömen, elektrisch verursachten Übertemperaturen, Störungen der Elektrizitätsversorgung, Störungen des Betriebes von elektrischen Anlagen, Geräten oder deren Teilen, elektrischen Gefahrenquellen, Funkentstörungen oder mechanischen, thermischen, toxischen, radiologischen und sonstigen Gefahrenquellen in elektrischen Anlagen, Geräten oder deren Teilen ergeben; ferner, wenn die Normen elektrische Anlagen, Geräte oder deren Teile betreffen, die in den Anwendungsbereich der 2. DVO zum Energiewirtschaftsgesetz, des Gerätesicherheitsgesetzes sowie sonstiger Rechtsnormen fallen, die der Abwendung von Gefahren für Menschen, Tiere und Sachen dienen. VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 2 f. Abschn. 2 Nr. 2.1; vgl. auch DIN/VDE, Grundsätze für die Kennzeichnung, Abschn. 2 Nr. 2.1 und 2.2 mit einem älteren Stand bezüglich des Inhaltes des VDE-Vorschriftenwerkes. 296 DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 6 und 7; dies., Grundsätze für die Kennzeichnung. 297 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 3 Abschn. 6 Nr. 6.5; VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 4 Abschn. 3 Nr. 3.3. 298 DKE, Geschäftsbericht 1995, S. 3, 26, 29 f.; VDE, 100 Jahre VDE 0100, S. 9.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

283

(5) Finanzierung der Normungsarbeit Da der VDE die Trägerschaft der DKE übernommen hat, ist der Haushalt der DKE ein Sonderhaushalt des VDE. Das Budget der DKE betrug im Jahre 1995 36.132 TDM, welches sich zu 88,9 % aus Erträgen aus dem Vertrieb der DKEArbeitsergebnisse durch den Beuth-Verlag des DIN und den VDE-Verlag des VDE, zu 7,8 % aus Förderer- und Verbandsbeiträgen und zu 3,3 % aus sonstigen Erträgen zusammensetzte. Dem standen Aufwendungen in Höhe von 34.111 T D M gegenüber, von denen 45,1 % auf Personalkosten und Aufwendungen für die Altersversorgung, 21,1 % auf Herstellkosten, 7,3 % auf Beiträge für internationale Normungsgremien und 26,5 % auf sonstige Aufwendungen entfielen 299: Tabelle 8

Die Finanzierung der Normungsarbeit der DK£ im Jahre 1995 Aufwendungen [in TDM]

Erträge [in TDM] Umsatzerlöse

32.110 Personalkosten und Aufwendungen für die Altersversorgung Herstellkosten

Förder- und Verbandsbeiträge

2.825

Sonstige Erträge

1.197 Beiträge für internationale Normungsorganisationen Sonstige Aufwendungen

Gesamterträge

36.132 Gesamtaufwendungen

15.375 7.209 2.505 9.022 34.111

ff) Beispiele weiterer bedeutender normschaffender Institutionen Neben den bereits aufgeführten gibt es in Deutschland noch eine Reihe weiterer, insbesondere auch aufgrund der Rezeption ihrer Arbeitsergebnisse in die deutsche Rechtsordnung, bedeutender normschaffender Institutionen, von denen drei - der "Verein Deutscher Ingenieure (VDI) e.V.", der "DVGW Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V." und die "Germanische Lloyd (GL) AG" - im folgenden kurz vorgestellt werden sollen.

299

DIN/VDE, Vertrag zur Gründung der DKE, Nr. 15 und 16; dies., Geschäftsordnung der DKE, Abschn. 8 Nr. 8.1 und 8.2. Alle Zahlenangaben für 1995, entnommen aus: DKE, Geschäftsbericht 1995, S. 22.

284

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

( 1 ) Der "Verein Deutscher Ingenieure (VDI) e. V. " Die Geschichte des V D I beginnt am 12. Mai 1856 mit seiner Gründung als weltweit erste technisch-wissenschaftliche Vereinigung. Als Zweck des Vereins proklamierte das Gründungsstatut u.a. das "Zusammenwirken der geistigen Kräfte deutscher Technik zur gegenseitigen Anregung und Fortbildung" 300. Bereits ab 1860 beschäftigte sich der V D I mit Fragen der technischen Vereinheitlichung; erstes Normungsprojekt war die Entwicklung und Einführung eines einheitlichen Längenmaßsystems auf metrischer Grundlage, welches ab 1864 unter den Mitgliedern verbreitet wurde und maßgeblich zur gesetzlichen Einführung des metrischen Maß- und Gewichtssystems am 1. Januar 1872 im Deutschen Reich beitrug 301. Die Organisation des V D I ist gemäß § 1 Nr. 3 i.V.m. § 2 Nr. 3 seiner Satzung 302 die eines eingetragenen, gemeinnützigen Vereins 303; sein Sitz ist Düsseldorf 304. Der V D I gliedert sich in Bezirksvereine 305, Fachgliederungen, VDIHauptgruppe und VDI-Freundeskreise (§ 1 Nr. 4.1 und 4.2, §§ 22-25 der Satzung); seine Organe sind der Deutsche Ingenieurtag, die Vorstands Versammlung, das Präsidium, die Organbeiräte und die Hauptgeschäftsstelle, deren Mitglieder mit Ausnahme des Direktors und der Hauptgeschäftsstelle ehrenamtlich tätig sind (§§ 12-20 der Satzung). Die Mitgliedschaft im V D I steht entsprechend den § § 4 - 7 der Satzung natürlichen wie juristischen Personen, Gesellschaften und Körperschaften als persönliche und fördernde Mitglieder offen. Vereinszweck ist nach § 2 der Satzung zum einen die Wahrnehmung berufsständischer Interessen seiner Mitglieder 306 , und zum anderen das Zusammenwirken aller geistigen Kräfte der Technik im Bewußtsein ethischer Verantwor300

S.4.

Börner, A.-R., DVGW-Regelwerk Gas, S. 263; Peters, T., Geschichte des VDI,

301 Peters, T., Geschichte des VDI, S. 9, 13 f. Bedeutung und Umfang dieses ersten Normungsprojektes werden deutlich, wenn man sich die verwirrende Vielfalt der gültigen Maßsysteme und -einheiten in den damaligen deutschen Staaten vergegenwärtigt; so gab es allein den "Fuß" als gebräuchlichstes Längenmaßsystem in 18 verschiedenen Abmessungen. Marburger, P., Regeln, S. 183 f. 302 Satzung vom 30.11.1977 i.d.F.v. 21.11.1989. 303 Der VDI dient ausschließlich und unmittelbar der Allgemeinheit und verfolgt ausschließlich gemeinnützige Ziele im Sinne des Gemeinnützigkeitsrechts (Abgabenordnung, Gesetz v. 16.03.1976). VDI, Satzung, § 3. 304 VDI, Satzung, § 1 Nr. 2. 305 Januar 1996 verfügte der VDI über 45 Bezirksvereine mit weit über 100 Bezirksgruppen und 600 Arbeitskreisen. VDI, Tätigkeitsbericht 1995/96, S. 16 f. 306 Wie die "Fortbildung der Ingenieure und ihre Förderung in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft" oder die "Förderung des technischen Nachwuchs". VDI, Satzung, § 2 Nr. 1.4 und 1.5.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

285

tung (Nr. 1.1), die Förderung der technischen Forschung und Entwicklung (Nr. 1.3) 307 und nicht zuletzt die Schaffung von anerkannten Regeln der Technik - insbesondere in Form von VDI-Richtlinien 308 - und von Prüfzeichen in freiwilliger Selbstverantwortung der Technik (Nr. 1.7). Di e fachliche Arbeit im V D I wird ehrenamtlich von 20.000 ehrenamtlichen Experten in 18 Fachgliederungen durchgeführt, welche zu diesem Zweck 721 Ausschüsse konstituiert haben309 (§ 23 der Satzung). Mit der Koordination der Arbeiten ist ein wissenschaftlicher Beirat betraut(§ 17 Nr. 2 der Satzung). Das Normungsverfahren ist im wesentlichen in der VDI-Richtlinie 1000 "Richtlinienarbeit; Grundsätze und Anleitungen" geregelt und entspricht grundsätzlich dem des D I N 3 1 0 . Insbesondere sind auch VDI-Richtlinien das fachgerechte Ergebnis konsensorientierter technisch-wissenschaftlicher Gemeinschaftsarbeit fachkompetenter ehrenamtlicher Fachleute aller interessierten Kreise - davon repräsentierten 50 % die Industrie, je 20 % Forschung und Lehre bzw. Behörden und jeweils 5 % technisch-wissenschaftliche Vereine und Freiberufler 311 -, welche i.d.R. für die Dauer der Bearbeitung eines Vorhabens, höchstens jedoch fünf Jahre, berufen werden 312. Jedermann kann Vorschläge für neue VDIRichtlinien einbringen und zu veröffentlichten VDI-Richtlinienentwürfen i.d.R. innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten Einspruch erheben und diesen vor dem Ausschuß vertreten 313. Die Aufnahme einer Richtlinienarbeit, das Erscheinen eines Richtlinienentwurfs sowie der Richtlinie werden in den Fachorganen publiziert 314. Schließlich besteht die Forderung, daß auch VDI-Richtlinien dem Stand der Technik entsprechen sollen; demzufolge sind sie, wenn notwendig, zu

307

Wobei als primäres Ziel der Wissenstransfer im Bereich der Technik proklamiert wird. VDI, Verzeichnis, S. II. 308 VDI-Richtlinien sind Regeln der Technik aktueller und zukünftiger Entwicklungen, deren Entwicklung noch nicht beendet und die daher zur Zeit der Bearbeitung (noch) nicht normungsfähig sind. VDI, VDI 1000: 1981-10 S. 2 Abschn. 1 Nr. 1.2 und 1.3. 309 Von den Fachgliederungen werden je zwei gemeinsam mit dem VDE und mit dem DIN als Gemeinschaftsorgane getragen. Zahlenangaben für März 1996, entnommen aus: VDI, Tätigkeitsbericht 1995/96, S. 7 f.; ders., Kurzbeschreibung. 310 VDI, VDI 1000: 1981-10 passim; vgl. auch Marburger, P., Regeln, S. 223; Morell, F. W., VDI-Richtlinien, S. 1 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 70. 311 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 51. 312 Wiederberufungen sind jedoch möglich. Für die Mitarbeit in den Ausschüssen ist eine VDI-Mitgliedschaft nicht erforderlich. VDI, VDI 1000: 1981-10 S. 2 ff. Abschn. 1 Nr. 1.3 und Abschn. 3. 313 VDI, VDI 1000: 1981-10 S. 4 ff. Abschn. 4 Nr. 4.1, 4.3 und 4.4. 314 Ebd., S. 4 ff. Abschn. 4 Nr. 4.1, 4.4 und Abschn. 5.

286

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

überarbeiten und spätestens alle fünf Jahre auf Aktualität zu überprüfen; falls sich hierbei ergibt, daß die gesamte Richtlinie oder Teile davon normungsfähig geworden sind, so wird sie vollständig oder teilweise in eine DIN-Norm überführt 315. Das Regelwerk des V D I umfaßte 1989 rund 1.500 Richtlinien316. Besonderes Gewicht haben die Richtlinien zur Lärmminderung und zur Reinhaltung der Luft, die einen wichtigen Beitrag zum technischen Umweltschutz darstellen und aufgrund ihrer Integration in die gesetzlichen und administrativen Regelungen des Immissionsschutzrechts und der Tatsache, daß sie von den Gerichten als Entscheidungsmaßstäbe herangezogen werden, weitestgehend die betriebliche wie behördliche Praxis im Immissionsschutz beherrschen 317. Die Finanzierung des V D I erfolgt durch Mitgliedsbeiträge, Zuwendungen und Schenkungen, Vermögen und Vermögenserträge sowie Erträge aus Ergebnissen der VDIArbeit (§ 3 der Satzung). Seit März 1990 ist der V D I wieder offiziell in den neuen Bundesländern vertreten; mit über 127.000 Mitgliedern im selben Monat des Jahres 1996 ist der V D I heute der größte technisch-wissenschaftliche Verein Westeuropas. Der V D I ist Mitglied im "Deutschen Verband Technisch-Wissenschaftlicher Vereine" (DVT), dem "Europäischen Verband Nationaler Ingenieurorganisationen" (FEANI) und dem "Weltverband der Ingenieurvereine" (WFEO) 318 . (2) Der "DVGWDeutscher

Verein des Gas- und Wasserfaches

e.V. "

Die Geschichte des DVGW beginnt am 21./22. Mai 1859 in Frankfurt am Main, wo er als "Verein deutscher Gasfachmänner und Bevollmächtigter deutscher Gasanstalten" als erster europäischer Fach verein auf dem Gebiet der Gasversorgung und - nach dem V D I - zweiter technisch-wissenschaftlicher Verein Deutschlands gegründet wurde 319. Als Vereinszweck verzeichneten die Statuten 315 Ebd., S. 2 ff. Abschn. 1 Nr. 1.3 und S. 6 f. Abschn. 4 Nr. 4.7. Vgl. femer Kap. II.A.l.a)dd)(4). 316 Diese Richtlinien sind thematisch in Bänden zusammengefaßt; z.Zt. existieren 20 Titel von Betriebstechnik über Meßtechnik und Regelungstechnik bis hin zu Verfahrenstechnik und Werkstofftechnik. Morell, F. W., VDI-Richtlinien, S. 4; VDI, Tätigkeitsbericht 1990/91, S. 14; ders., Verzeichnis, S. VII. 317 Marburger, P., Regeln, S. 97 ff., 225. 318 Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, S. 43; VDI, Tätigkeitsbericht 1990/91, S. 3, 5. Zahlenangabe für 1996, entnommen aus: VDI, Tätigkeitsbericht 1995/96, S. 4, 17; ders., Kurzbeschreibung. 319 DVGW, Satzung, § 1 Nr. 1; vgl. ferner Börner, A.-R., DVGW-Regelwerk Gas, S. 262 f.; Dahl, K , Das DVGW-Regelwerk, S. 383; DVGW, 100 Jahre DVGW, S. 17.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

287

die Vermittlung der "nähere[n] persönliche[n] Bekanntschaft der Fachkollegen", den Erfahrungsaustausch sowie die Durchführung von Untersuchungen und Versuchen auf dem Fachgebiet. Im Rahmen der ersten Vereinssatzung vom 25. Mai 1861 erhielt er den Namen "Verein von Gasfachmännern Deutschlands"320. Am 29. Mai 1869 wurde durch Versammlungsbeschluß auch die Wasserversorgung in die Vereinsaufgaben aufgenommen, worauf durch Satzungsänderung am 24. Mai 1870 die Umbenennung in "Verein von Gas- und Wasserfachmännern Deutschlands" erfolgte 321. Als Zielsetzung der erweiterten Vereinigung wurde nunmehr die Erarbeitung der technisch-wissenschaftlichen Grundlagen für den Aufbau zentraler Gas- und Wasserversorgungen in den Gemeinden und Städten Deutschlands proklamiert 322. Auf diesen Zeitraum datieren die ersten Normungsprojekte des DVGW, beginnend im Jahre 1872 mit der Entwicklung einer einheitlichen Methode zur Messung der Lichtstärke auf dem Gassektor323, während im Wasserbereich erst 1899 mit der Vereinheitlichung der Wasserzähler die erste technische Norm veröffentlicht wurde 324. Nachdem bereits am 19. Juni 1882 eine weitere Namensänderung in "Deutscher Verein von Gas- und Wasserfachmännern" stattgefunden hatte, erfolgte am 18. September 1903 beim Königlichen Amtsgericht zu Berlin die Eintragung des DVGW in das Vereinsregister unter dem Namen "DVGW Deutscher Verein von Gas- und Wasserfachmännern. Eingetragener Verein" 325 . 1976 wurde die bislang letzte Umbenennung in "DVGW Deutscher Verein des Gas- und Was-

320

DVGW, 100 Jahre DVGW, S. 17 f. Dahl, K , Das DVGW-Regelwerk, S. 383; DVGW, 100 Jahre DVGW, S. 18. 322 Merkel, W., Wasserversorgungstechnik - der DVGW, S. 1. 323 Die Verbreitung der Gasbeleuchtung stellte das Hauptanliegen des DVGW in den ersten Jahren seines Bestehens dar. Die Grundlage hierfür bildete die Entwicklung der Technik der Leuchtgasgewinnung aus Steinkohle im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts im Vereinigten Königreich, die - vermittelt durch britische Ingenieure - bald auch in Deutschland Verbreitung fand. Das Leuchtgas diente zunächst der Straßenbeleuchtung, um diese aufgrund polizeilicher Veranlassung sicherer zu machen. Später wurde es auch verwendet, um die Beleuchtung der Wohnräume zu verbessern, die auf lichtschwachen minderwertigen Kerzen oder ebenso lichtschwachen, mit Tier- und Pflanzenölen gespeisten Lampen beruhte. Ab etwa 1860 fand Gas zunehmend auch beim Heizen und Kochen Verwendung, während seine Bedeutung für Beleuchtungszwecke zugunsten des elektrischen Lichtes langsam zurückging. DVGW, 100 Jahre DVGW, S. 9 ff. und 81 ff. 324 Diese Normen basierten auf der Durchlaßfähigkeit in Kubikmetern pro Stunde [cbm/h], während die bis dahin vorhandenen Zählerkonstruktionen nach dem Durchmesser der Anschlußleitungen eingeteilt waren - eine Methode, die schon dem altrömischen Wassertarif zugrunde lag. DVGW, 100 Jahre DVGW, S. 80 f.; Marburger, P., Regeln, S. 179, 187 f. 325 Dahl, K , Das DVGW-Regelwerk, S. 383; DVGW, 100 Jahre DVGW, S. 18 f. 321

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

serfaches e.V. - Technisch-Wissenschaftliche Vereinigung" vollzogen326. Seit dem 3. Juli 1995 hat der DVGW seinen Sitz in Bonn 327 . Die Organisation des DVGW ist bis heute die des eingetragenen Vereins bürgerlichen Rechts, welcher ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des Abschnitts "steuerbegünstigte Zwecke" der Abgabenordnung von 1977 verfolgt 328. Gemäß § 3 der Satzung steht die Mitgliedschaft im DVGW fachgebunden 329 neben juristischen Personen des privaten und öffentlichen Rechts auch Privatpersonen - als persönliche und Ehrenmitglieder - offen. Die Organe des DVGW sind entsprechend § 6 der Satzung die Mitgliederversammlung, der Vorstand, das Präsidium, die Hauptgeschäftsführung sowie die Forschungsbeiräte Gas und Wasser. Das Präsidium ist der geschäftsführende Vorstand des Vereins im Sinne des § 26 BGB; die Hauptgeschäftsführung hat gemäß § 30 BGB Vertretungsmacht für die allgemeinen sowie alle Rechtsgeschäfte, welche die Verwaltungs- und Kassengeschäfte mit sich bringen 330. Der DVGW erfüllt als satzungsmäßigen Vereinszweck die Förderung des Gas- und Wasserfaches in technischer und technisch-wissenschaftlicher Hinsicht unter besonderer Berücksichtigung der Sicherheit und Hygiene331. Zu seinen Aufgaben gehören neben anderen die Ausarbeitung und Verbreitung des DVGWRegelwerkes und die Mitarbeit an einschlägigen Normen, die Einrichtung des DVGW-Prüf- und -Sachverständigenwesens sowie die fachliche Zusammenarbeit mit Behörden 332. Seit Mai 1990 nimmt der DVGW diese Aufgaben auch in den neuen Bundesländern mit eigenen DVGW-Landesgruppen wahr 333 . Die Normungsarbeit wird entsprechend § 11 der Satzung in DVGWFachausschüssen durchgefühlt. Die Erarbeitung der DVGW-Arbeits- und Merkblätter erfolgt dabei in weitgehender Anlehnung an die entsprechenden 326

Breton, O., Zum Geleit, S. 3; Merkel, W. u.a., DVGW, S. 28. DVGW, Jahresbericht 1995, S. 5. 328 DVGW, Satzung, § 2 Nr. 4. 329 Persönliche Mitglieder müssen eine Ausbildung als Ingenieur, eine andere wissenschaftliche Ausbildung oder in der Praxis erworbene Fachkenntnisse haben und i.d.R. im Gas-, Wasser- oder Abwasserfach tätig oder tätig gewesen sein. Ferner werden Studierende "einschlägiger Fachrichtungen" als Jungmitglieder aufgenommen. DVGW, Satzung, § 3 Nr. 2. "Hervorragende Fachleute" und andere um die Förderung des Vereinszweckes besonders verdiente Personen können zu Ehrenmitgliedern ernannt werden. DVGW, Satzung, § 3 Nr. 6. Als nichtpersönliche Mitglieder kommen neben Versorgungsunternehmen auf dem Gebiet des Gas- und Wasserfaches tätige juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts, Behörden, Institute und Unternehmen in Frage. DVGW, Satzung, § 3 Nr. 3. 330 DVGW, Satzung, § 8 Nr. 4 i.V.m. § 9 Nr. 4 f. 331 Ebd., §2 Nr. 1. 332 Ebd., § 2 Nr. 1 lit. a), b), c), d) und h). 333 Merkel, W., Wasserversorgungstechnik - der DVGW, S. 2. 327

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Teile der DIN-Norm 820 "Normungsarbeit" 334. Die Norm GW 100 "Grundsätze für das DVGW-Regelwerk" und die "Geschäftsordnung für die DVGW-Ausschüsse" legen die notwendige Transparenz und Öffentlichkeit des Verfahrens 335 sowie die Beteiligung der interessierten Kreise 336 fest. Auf supra- und internationaler Ebene ist der DVGW Mitglied in der "Union der Wasserversorgungsvereinigungen von Mitgliedsländern der Europäischen Union" (EUREAU), der "International Water Supply Association" (IWSA) und der "International Gas Union" (IGU) 3 3 7 . Durch die Kooperationsverträge mit dem D I N 3 3 8 wirkt der DVGW in 50 Gremien der europäischen und internationalen Normenorganisationen mit 339 . (3) Die Ausnahme: Die "Germanische Lloyd (GL) AG" Der Beginn der Geschichte des GL wird durch den 16. März 1867 markiert, an welchem er als Schiffsklassifikationsgesellschaft und Überwachungsorganisation für den Bau und die sicherheitstechnische Ausrüstung von Schiffen in Hamburg nach dem Vorbild des seit 1760 existierenden britischen "Lloyd's Register of Shipping" gegründet wurde. Der GL arbeitete zunächst auf genossenschaftlicher Basis mit königlich-preußischer Anerkennung340. Bereits 1968 gab er das erste Schiffsregister heraus341. Nachdem bereits im darauffolgenden Jahr der Sitz nach Rostock und im Jahr 1873 nach Berlin verlegt worden war, erfolgte am 5. Oktober 1889 die Umwandlung des GL in eine Aktiengesellschaft mit gemeinnützigem Charakter. Deren Aktionäre rekrutierten sich aus den Kreisen der Reeder, Werftbesitzer und Versicherer. Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges befindet sich die Hauptverwaltung des GL wieder in Hamburg; sein Sitz ist jedoch weiterhin Berlin 342 .

334

DVGW, GW 100: 1980-04 S. 6 Abschn. 4; vgl. auch Dahl, K , Das DVGWRegelwerk, S. 384. 335 DVGW, GW 100: 1980-04 S. 6 Abschn. 5; ders., Geschäftsordnung für die DVGW-Ausschüsse, S. 3 f. Abschn. 6. 336 Ebd., S. 5 Abschn. 3 Nr. 3.1.1; ders., Geschäftsordnung für die DVGW-Ausschüsse, S. 2 Abschn. 2 Nr. 2.1. 337 Merkel, W., Wasserversorgungstechnik - der DVGW, S. 13; Merkel, W. u.a., DVGW, S. 23. 338 Vgl. Kap. ILA.l.a)dd)(4). 339 Merkel, W., Wasserversorgungstechnik - Europäische Perspektive, S. 8 ff. 340 Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 38. 341 GL, Geprüfte Sicherheit. 342 GL, Satzung, § 1; ders., Germanischer Lloyd; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 38.

19 Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Die Organisation des GL ist bis heute die einer nicht gewinnorientierten Aktiengesellschaft mit gemeinnützigem Charakter 343. Die Organe des GL entsprechen den bei Aktiengesellschaften üblichen Gremien, nämlich Hauptversammlung, Aufsichtsrat und Vorstand 344, deren Aufgaben und Arbeitsweise in den §§5-19 der Satzung gemäß den Bestimmungen des AktG 3 4 5 geregelt sind; neben jenen existieren weiterhin ein technischer und ein Wirtschaftsbeirat sowie sechs Länderkomitees346. Der Kreis der Aktionäre setzt sich bis heute aus Reedern, Werftinhabern und Schiffsversicherern zusammen347. Ende 1995 beschäftigte die GL AG 1.057 Mitarbeiter 348. Nach seinem aktuellen Selbstverständnis stellt der GL eine "international anerkannte und weltweit tätige neutrale, technische Sachverständigenorganisation für fast alle Aufgaben in der Technik" dar 349 . Satzungsgemäßer Zweck der Gesellschaft ist "die Klassifizierung von Schiffen und Luftfahrzeugen, die Herausgabe von Registern und Vorschriften für Schiffe und Luftfahrzeuge, die Hebung der Sicherheit in der Schiffahrt und Luftfahrt sowie die Vornahme und Förderung von dahin gehenden Versuchen und Forschungsarbeiten, deren Ergebnisse der Allgemeinheit zugute kommen" 350 . Daneben erstreckt sich der Tätigkeitsbereich des GL auf die verschiedensten Gebiete der regenerativen Energie, des Umweltschutzes und der Meerestechnik. Der GL ist mit 400 Stationen in 115 Ländern vertreten und von 80 Regierungen zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben bevollmächtigt351. In der Bundesrepublik Deutschland wird der GL kraft Gesetz bei der Erfüllung von Bundesaufgaben auf dem Gebiet der Seeschiffahrt tätig. Nach § 5 Abs. 2 SeeAufgG 352 bedient sich das Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie, dem die Aufgaben des Bundes hinsichtlich der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung 343 344

S. 86.

345

GL, Germanischer Lloyd. GL, Satzung, §4. Vgl. auch das Organigramm in GL, Tätigkeitsbericht 1995,

Aktiengesetz v. 06.09.1965 (BGBl. I, 1965, S. 1089), zul. geänd. d. Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (UmwBerG) v. 28.10.1994 (BGBl. I, 1994, S. 3210). 346 GL, Germanischer Lloyd; ders., Klassifikations- und Bauvorschriften, S. V-l ff. 347 GL, Satzung, § 3. 348 GL, Geschäftsbericht 1995, S. 0. 349 GL, Germanischer Lloyd; ders., Zertifizierte Sicherheit; ders., Geprüfte Sicherheit. 350 GL, Satzung, § 1. 351 GL, Germanischer Lloyd. 352 Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt (Seeaufgabengesetz- SeeAufgG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 69, S. 2802-2808), geänd. d. SeeRÜbkAG v. 06.06.1995 (BGBl. I, 1995, Nr. 29, S. 778-787).

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von Daten über Seeschiffe 353 zur Ausführung übertragen sind, soweit sachdienlich, der Hilfe des GL. Und auch die See-Berufsgenossenschaft, an die der Bund weitgehend seine Aufgaben hinsichtlich der Überwachung der Schiffssicherheit354 zur Ausführung delegiert hat, greift entsprechend § 6 Abs. 1 S. 1 SeeAufgG bei Angelegenheiten der Schiffstechnik einschließlich der überwachungsbedürftigen Anlagen im Sinne des § 2 Abs. 2a GSG, der Festlegung des Freibords sowie bei den Überwachungsmaßnahmen im Ausland auf die Hilfe des GL zurück. Nach § 12 Abs. 1 SSV 3 5 5 kann die See-Berufsgenossenschaft von einer Besichtigung, d.h. einer Prüfung der Sicherheit und Seetüchtigkeit eines Schiffes gemäß den "Vorschriften für Klassifikation und Bau von stählernen Seeschiffen" des GL und der UVV für Dampf-, Motor- und Segelschiffe (Kauffahrteischiffe) 356, ganz oder teilweise absehen, wenn der GL im Rahmen seiner Klassifikationstätigkeit eine solche Besichtigung durchgeführt und ein Prüfzeugnis, das sogenannte "Klassenzertifikat", erteilt hat. Bezüglich dieser Kooperation besteht bereits seit 1894 ein Vertrag des GL mit der SeeBerufsgenossenschaft, nach welchem jener die Berufsgenossenschaft bei der Ausarbeitung sowie der Überwachung der Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften unterstützt357. Die technische Re geler Stellung ist in § 17 der Satzung des GL festgelegt. Anders als bei den vorher untersuchten Normenorganisationen unterliegt die Erarbeitung der Klassifikations- und Bauvorschriften keinen ausdrücklich fest353

§ 1 Nr. 12 SeeAufgG. § 1 Nr. 4 SeeAufgG. 355 Die in § 5 Abs. 1 der SSV a.F. (Verordnung über Sicherheitseinrichtungen für Fahrgast- und Frachtschiffe (Schiffssicherheitsverordnung - SSV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 31.05.1955 (BGBl. II, 1955, S. 645): ("Jedes Schiff muß den Regeln der Schiffbautechnik entsprechen. Bei Bauausführung, Einrichtungen und Werkstoffen, die den vom Bundesminister für Verkehr anerkannten Vorschriften des GL entsprechen, gilt diese Voraussetzung als erfüllt. Die Anerkennung nach Satz 1 ist im Verkehrsblatt bekanntzumachen.")) und in § 7 SSV a.F. (Verordnung über die Sicherheit der Seeschiffe (Schiffssicherheitsverordnung - SSV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 09.10.1972 (BGBl. I, 1972, S. 1933): ("Soweit das Übereinkommen von 1960 und diese Verordnung keine besonderen Anforderungen an Bauausführungen, Anordnungen, Anlagen, Einrichtungen, Werkstoffe und Ausrüstung enthalten, müssen diese den allgemein anerkannten Regeln der Schiffstechnik entsprechen. Dieser Forderung wird genügt, wenn das Schiff den Klassifikationsvorschriften des GL entspricht. Der Nachweis kann auch auf andere Weise geführt werden.")) enthaltenen Vermutungsregelungen der Erfüllung der "allgemein anerkannten Regeln der Schiffstechnik" bei Konformität eines Schiffes zu den Klassifikationsvorschriften des GL ist in der Neufassung der SSV entfallen. 356 Auch die UVV für Dampf-, Motor- und Segelschiffe (Kauffahrteischiffe) verweisen auf die Klassifikationsbestimmungen des GL. Marburger, P., Regeln, S. 227 f. 357 Die Überwachung der Einhaltung dieser Vorschriften erfolgt durch die Besichtiger des GL, welche zugleich technische Aufsichtsbeamte der See-Berufsgenossenschaft i.S.d. §§ 865, 712 ff. RVO sind. 354

1*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

gelegten Verfahrensregeln. Vielmehr werden diese durch einen auf Vorschlag des Vorstandes ernannten beratenden Ausschuß aus Fachleuten aus der Hauptverwaltung des GL, dessen Mitglieder der Bestätigung des Aufsichtsrates bedürfen, erarbeitet, nach Bedarf überprüft und dem fortgeschrittenen Stand der Technik angepaßt. Im Anschluß an die Zustimmung des technischen Beirats des GL erläßt der Vorstand nach Anhörung von Sachverständigen die Klassifikations- und Bauvorschriften. Der Technische Beirat - ein beratender Ausschuß im Sinne des § 17 der Satzung - hat 56 Mitglieder, von denen 47 die Reedereien, Werften, Schiffsbauzulieferindustrie und Versicherungswirtschaft repräsentieren. Lediglich fünf Mitglieder sind Vertreter der Wissenschaft, und jeweils eines nimmt die Interessen des Bundesverkehrsministeriums, des Ministeriums für Forschung und Technologie, der See- und der Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft wahr. Eine Publikation der Entwürfe und ein öffentliches Einspruchsverfahren sind nicht vorgesehen. Damit unterscheidet sich der GL, insbesondere hinsichtlich der repräsentativen Beteiligung aller interessierten Kreise sowie der Öffentlichkeit und Transparenz der Verfahrens, grundlegend von allen bislang behandelten Normenorganisationen. Das Vorschriftenwerk des GL umfaßt gemäß seiner satzungsmäßigen Aufgabe Vorschriften für Klassifikation, Besichtigung und Bau von Seeschiffen und Binnenschiffen, für Unterwassertechnik, meerestechnische Einrichtungen und Wassersportfahrzeuge sowie Grundsätze, Vorschriften und Richtlinien für zahlreiche weitere technische Gebiete 358 . Der GL ist Mitglied der "International Association of Classification Societies" (IACS) und der 1979 gegründeten "European Association of Classification Societies" (EurACS), deren Ziel u.a. in der Koordinierung der Arbeiten für die technische Normung ihrer Mitglieder in der Gemeinsamen Europäischen Normungsinstitution CEN/CENELEC liegt; dementsprechend ist der GL in einigen Komitees von CEN/CENELEC vertreten 359. gg) Resümee des Abschnitts ILA. La) Die technische Normung, die in Deutschland um die Mitte des 19. Jahrhunderts innerbetrieblich in den Unternehmen und überbetrieblich in den technischwissenschaftlichen Vereinigungen ihren Anfang nahm, verdankt ihr Entstehen privater Initiative aufgrund vornehmlich privatwirtschaftlicher Zwecke. Obwohl von Beginn an auch öffentliche Aufgaben - allen voran die der technischen Si358

Wie Dieselmotoren, Propeller, Pumpen, Verdichter, Armaturen, Rettungsmittel, Hebezeuge, Schleppgeschirr, Zugänge, Baumusterprüfungen, Elektrotechnik, Werkstofftechnik und Windkraftanlagen. GL, Veröffentlichungen. 359 EurACS, Informationsfaltblatt; GL, schriftliche Auskunft.

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cherheit beispielsweise von Dampfkesseln oder der Elektro- und Gasinstallationen - wahrgenommen wurden, standen die wirtschaftlichen Interessen lange Zeit und auch im Rahmen der beiden Weltkriege im Vordergrund 360. Seit dieser Zeit hat sich die technische Normung in Deutschland zu einem komplexen, vielfältig organisierten und sich immer mehr vernetzendem Normungssystem entwickelt, welches aus einer großen Anzahl überwiegend nach Berufsfeldern strukturierter und privatrechtlich organisierter normschaffender Institutionen besteht. Dabei belegt nicht nur die beträchtliche Menge der privaten technischen Regelsetzer selbst - mit jeweils einer großen Anzahl an Mitgliedern, umfangreichen Normenwerken und zahlreichen Normungsvorhaben -, sondern vor allem auch die große Zahl der in den Normungsgremien tätigen ehrenamtlichen Mitarbeiter und die zur Finanzierung der technischen Normung freiwillig aufgewendeten beträchtlichen Geldmittel die im ersten Teil dieser Arbeit gewonnene Erkenntnis, daß die technische Normung als technischökonomisches Regelungssystem im heutigen Wirtschaftsleben eine kaum zu überschätzende Bedeutung besitzt. Über diese Funktion als Organe der Selbstverwaltung der Wirtschaft 361 hinaus ist es den normschaffenden Institutionen gelungen, in erfolgreicher Fortführung der traditionellen Erfüllung sicherheitstechnischer Aufgaben die im ersten Teil der Untersuchung herausgearbeiteten weiteren öffentlichen Aufgaben zu übernehmen und offensichtlich zur weitgehenden Zufriedenheit aller auszuführen, ohne die ursprünglichen und originären Interessen ihrer Mitglieder zu vernachlässigen, ohne ihre institutionelle Unabhängigkeit durch Integration in den Staatsapparat zu verlieren und auch ohne finanziell von diesem abhängig zu werden. Folglich definiert sich beispielsweise das DIN nicht mehr nur als eine "Institution der Deutschen Wirtschaft" 362, sondern globaler als Institution der Selbstverwaltung und Erfüllung gemeinnütziger Aufgaben aller an der Normung interessierten Kreise 363, und hat sich entsprechend im Vertrag mit dem BMWi zur Wahrung der öffentlichen Belange bei seinen Normungsarbeiten verpflichtet. Zwar betreiben und finanzieren Industrie und Wirtschaft die technische Normung nach eigenen Angaben weiterhin zum eigenen Nutzen, ordnen sich aber den Verfahrensprinzipien der Normung als konsensorientiertem Inter-

360

Vgl. dazu auch Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 55, 58; Marburger, P., Regeln, S. 183 ff.; Sonnenberger, H.-J., Grundfragen, S. 3. 361 Vgl. z.B. bzgl. des DIN: Bundesrepublik Deutschland/DIN, Erläuterungen zum Normungsvertrag, Abschn. I Abs. 1 S. 1. 362 So noch in DIN, Wissen, S. 7. 363 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(2).

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

essenausgleich aller betroffenen Kreise und der Öffentlichkeit unter, weil ihnen primär an allgemein akzeptierten Normen liegt 364 . Obwohl die private technische Normung in Deutschland aufgrund ihres historischen Entstehungsprozesses in auffallend hohem Maße dezentral-heterogen organisiert ist, zeichnet sich in aller Deutlichkeit ein Angleichungsprozeß der wesentlichen Organisationsstrukturen der normschaffenden Institutionen ab 365 . In diesem Prozeß hat das DIN, das hinsichtlich seiner Organisation und Arbeitsweise bereits seit Ende der siebziger Jahre als typisch für alle anderen privaten normschaffenden Institutionen gilt 366 , eine Leitbildfunktion übernommen. Diese wurde seitdem nicht zuletzt durch die vom DIN mit den anderen privaten normschaffenden Institutionen abgeschlossenen Kooperationsverträge und deren sich ständig intensivierender Zusammenarbeit weiter verstärkt. Hierfür sind im wesentlichen zwei Ursachen verantwortlich: Erstens die zunehmende Notwendigkeit der staatlichen Rezeption technischer Normen, die im 1975 geschlossenen Vertrag des BMWi mit dem DIN ihre staatliche Anerkennung und ihren ordnungspolitischen Rahmen findet; da diese Rezeption technischer Normen seitens staatlicher Stellen nur bei einem Normungsverfahren analog DIN 820 empfohlen wird 367 , ergab sich für die anderen privaten Regelsetzer die Notwendigkeit, ihr Normungsverfahren den entsprechenden Regelungen des DIN anzugleichen. Ein zweiter Grund liegt in der ständig wachsenden Bedeutung der europäischen, aber auch der internationalen Normung 368. Da das DIN inklusive der DKE als Gemeinschaftsorgan von DIN und VDE traditionell das Zugangsmonopol zur europäischen und internationalen Normung besitzt, mußten alle anderen privaten wie auch die öffentlich-rechtlichen technischen Regelsetzer eine tragfähige Kooperationsbasis mit dem DIN finden, um ihre techni-

364

Kessler, C., Sicht eines Großbetriebes, S. 21 f. Weitgehende Übereinstimmung besteht traditionell hinsichtlich der Rechtsform der privaten normschaffenden Institutionen, die nahezu alle als rechtsfähige eingetragene Vereine bürgerlichen Rechts entsprechend den §§ 21 ff. BGB organisiert; die einzige ersichtliche Ausnahme bildet der GL, welcher die Rechtsform einer Aktiengesellschaft besitzt. Jedoch ist auch dieser ebenso wie alle anderen ausschließlich dem Gemeinwohl verpflichtet. Vgl. dazu Kap. II.A.l.a)ff)(3); femer Marburger, P., Regeln, S. 195 f.; Nikkusch, K.-O., Normativfunktion, S. 195. 366 Marburger, P., Regeln, S. 195 f. sowie 208 ff., 217 ff. und 222 ff. 367 Diese Forderung wird gleich in drei von neun Empfehlungen (Nr. 4, 7 und 8) einer Arbeitsgruppe auf Bundesressortebene zum Thema Verknüpfung von Rechtsvorschriften und technischen Regeln erhoben. Diese sind wiedergegeben bei Böckenförde, D., Rechtsetzung und technische Normen, S. 29, 31. Zur Einhaltung der Regelungen der DIN-Norm 820 hat sich das DIN gegenüber der Bundesregierung vertraglich verpflichtet. Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(5). 368 Vgl. Kap. II und insbes. Kap. II.A.l.a)dd)(3); femer die grundlegenden Ausführungen in Kap. I.D.l.a). 365

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sehen Regeln auf europäischer und internationaler Normungsebene effizient einbringen zu können369, wobei auch hier notwendigerweise gewisse, in DIN 820 beispielhaft verwirklichte Verfahrensanforderungen an den Normungsprozeß gestellt werden 370. Aufgrund dieser Entwicklung weisen alle privaten normschaffenden Institutionen mit Ausnahme des GL aufgrund seiner Rechtsform als Aktiengesellschaft ähnliche Grundstrukturen hinsichtlich Aufbau- und Ablauforganisation auf. So ist die Aufbauorganisation in der Regel als hierarchisches System, bestehend aus Mitgliederversammlung (bzw. Deutscher Ingenieurtag, Hauptversammlung o.ä.), Präsidium mit Vorstand, Geschäftsführung und Normenausschüssen (bzw. Fachgliederungen, Fachausschüsse o.ä.) sowie gegebenenfalls weiteren Organen gestaltet, wobei die Besetzung kollegialer Gremien i.d.R. bestmöglich die interessierten Kreise repräsentieren soll. Auf der eigentlichen Arbeitsebene sind die Normenausschüsse für die Normung auf einem jeweils abgeschlossenen Fachgebiet zuständig, wobei die eigentliche Normungsarbeit für definierte Sektoren dieses Fachgebietes von Arbeitsausschüssen durchgeführt wird. Diese sind für die Bearbeitung von Teilaufgaben dieser Sektoren in der Regel weiter in Unterausschüsse und gegebenenfalls (temporäre) Arbeitskreise untergliedert. Um trotz dieser weitgehenden Spezialisierung die Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Arbeitsergebnisse eines Normenausschusses auf seinem Fachgebiet sowie darüber hinaus auch bezüglich des übrigen Normenwerkes, der anderen nationalen sowie der europäischen und internationalen Normenwerke sicherzustellen, ist jeweils ein (wissenschaftlicher) Beirat (bzw. Lenkungsausschuß o.ä.) für die Planung und Koordinierung der Normungsarbeit sowie für Grundsatzentscheidungen zuständig. Während die planerischen Aufgaben insbesondere die Aufstellung und Fortschreibung des Arbeitsprogramms des Normenausschusses, die Festlegung von Prioritäten und Zeitplänen für dessen Bearbeitung sowie die Kontrolle der Arbeitsfortschritte umfassen, betreffen die koordinierenden Arbeiten die Abstimmung der Tätigkeiten der verschiedenen Gremien innerhalb des eigenen Normenausschusses, der eigenen Projekte mit den Tätigkeiten anderer Normenausschüsse sowie mit Arbeiten von Normenausschüssen anderer nationaler normschaffender Institutionen sowie der euro-

369 Wobei eine weitere Möglichkeit der Mitwirkung an der europäischen oder internationalen Normung die Zugehörigkeit zu internationalen Vereinigungen darstellt, die über Kooperationsabkommen mit den europäischen oder internationalen Normenorganisationen verbunden sind. Vgl. Kap. II.A.l.a)ff)(3), Kap. II.B und Kap. II.B.l.a)bb). 370 Waren die beteiligten 131 privaten Organisationen bereits zuvor von sehr unterschiedlicher Bedeutung, hat das DIN als ohnehin bedeutsamste Institution sowohl durch den Normungsvertrag mit dem BMWi als auch als Tor zur europäischen und internationalen Normung wegen deren stark ansteigender Bedeutung weiter signifikant an Bedeutung gewonnen.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

päischen und internationalen Normenorganisationen. Dabei wird die Koordination der nationalen Normungsarbeiten auf einem Fachgebiet mit den entsprechenden europäischen und internationalen Aktivitäten ebenso einfach wie effizient durch eine zu diesen spiegelbildliche Organisationsstruktur der Normungsgremien gewährleistet, wobei für ein bestimmtes Normungsprojekt jeweils nur ein Arbeitsgremium zuständig ist, welches diese Aufgabe auch in den europäischen und internationalen Normenorganisationen wahrnimmt. Ferner zeichnen sich nahezu alle normschaffenden Institutionen - Ausnahme ist auch hier wieder der GL - durch die Einhaltung bestimmter ablauforganisatorischer Rahmenbedingungen hinsichtlich der Ablauforganisation i.S.d. Normungsverfahrens aus, die aus den dargelegten Gründen im wesentlichen den Grundsätzen der Normungsarbeit des DIN entsprechen371. So wird die Normungsarbeit, die von jedermann beantragt werden kann, von ehrenamtlichen, bezüglich des zu behandelnden Normungsgegenstandes kompetenten Fachleuten durchgeführt 372. Diese müssen von den sie entsendenden interessierten Kreisen autorisiert und entscheidungsbefugt sein. Der offensichtlichen und auch den Normenorganisationen bewußten373 Tatsache, daß jeder betroffene Fachkreis in der Normungsarbeit die Verwirklichung der eigenen Vorstellungen und die Maximierung des eigenen Nutzens anstrebt, wird von den Normenorganisationen durch die Forderungen Rechnung getragen, daß jeder interessierte - bzw. exakter formuliert betroffene - Kreis in der Komiteearbeit vertreten sein muß, daß keiner Gruppe irgendwelche Vorrechte - beispielsweise durch Beteiligung einer unangemessen hohen Zahl von Mitarbeitern - gewährt wird, und daß die Beschlußfassung möglichst im Konsens zu erfolgen hat, wobei allerdings subsidiär die Anwendung die Mehrheitsregel vorgesehen ist. Der zusätzlichen Verhinderung einseitiger Regelungen wie auch der Einbeziehung weiteren Sachverstandes dient die regelmäßige Veröffentlichung eines Norm-Entwurfs mit der Möglichkeit der Stellungnahme von jedermann. Diese sind als Teil der Normungsarbeit zu berücksichtigen und können im Falle eines Dissenses mit dem Arbeitsgremium vom Stellungnehmenden im Rahmen mehrstufiger 371

Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(3). Viele dieser Normungsprinzipien wie die Beteiligung aller interessierten Kreise und das Konsensprinzip werden bereits seit den Anfängen der technischen Normung praktiziert oder doch zumindest postuliert. 372 Dabei spiegelt das Verhältnis der ehrenamtlichen Mitarbeiter zu den hauptamtlichen Bearbeitern, welche lediglich für die Einhaltung der Verfahrensregeln (Vgl. beispielsweise die "Checkliste zur Inkraftsetzung (Weißdruck) durch den VDE-Vorstand" für DIN-VDE-Normen. DKE, DKE-GN/4-6: 1995-01) und die Herausgabe der Norm zuständig sind, von etwa 50:1 die deutsche Normungsphilosophie wider, nach der die technische Normung in freiwilliger Selbstverwaltung der interessierten Fachkreise durchgeführt wird. 373 Vgl. die Nachweise in Fn. 125 in Kap. I.D.l.c).

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Schlichtungs- und Schiedsverfahren vertreten werden. Um schließlich der sich ändernden wissenschaftlichen und technischen Entwicklung sowie den sich wandelnden gesellschaftlichen Wertvorstellungen Rechnung zu tragen, räumen die normschaffenden Institutionen jedermann ein Antragsrecht auf Überarbeitung oder Zurückziehung der technischen Normen ein; unabhängig davon sind technische Normen regelmäßig - zumeist im Fünf-Jahres-Rhythmus - zu überprüfen und gegebenenfalls entsprechend dem fortgeschrittenen Stand der Technik zu überarbeiten oder zurückzuziehen, wenn kein Normungsbedürfnis mehr besteht. Mit diesen Erkenntnissen läßt sich nunmehr die erste am Ende des Teils I gestellte Frage nach den Gründen für die Befähigung der normschaffenden Institutionen zur Wahrnehmung der genannten öffentlichen Aufgaben zunächst für die Bundesrepublik Deutschland beantworten. Denn diese Befähigung resultiert ganz offensichtlich aus der Bewältigung dieser Aufgaben im Rahmen der traditionell für die Schaffung von Ordnung und die Strukturierung des Wissens und der Erkenntnisse im Bereich von Wissenschaft und Technik sowie der Schließung wirtschaftlich-technischer Vereinbarungen der Marktteilnehmer herausgebildeten und bewährten dargestellten typischen Strukturen der Aufbauund Ablauforganisation dieser Organisationen. Zum einen ermöglicht die Aufbauorganisation in Form einer Vielzahl fachspezifischer Normungsgremien die simultane Bearbeitung einer in weiten Grenzen beliebig großen Menge von Normungsaufgaben, wobei durch die fachkompetente Besetzung der einzelnen Gremien i.V.m. der Einbeziehung weiteren externen Sachverstands eine ebenso effiziente wie kompetente Aufgabenbewältigung sichergestellt wird. Allein mittels dieser Organisationsform ist die notwendige Erschließung des exponentiell zunehmenden Wissens in Wissenschaft und Technik zur bestmöglichen Erfüllung auch der im ersten Teil dieser Untersuchung herausgearbeiteten gemeinnützigen Regelungsaufgaben auf dem komplexen, interdisziplinären und hochdynamischen Gebiet der Technik realisierbar, da hier eine sequentielle Bearbeitung durch ein Gremium oder auch einige wenige Gremien erstens an der Unmöglichkeit der dazu unabdingbar notwendigen, entsprechend breiten und tiefen Qualifikation der Bearbeiter, zweitens an der Anzahl und dem mengenmäßigen Umfang der zu bearbeitenden Regelungsaufgaben sowie drittens an der notwendigen ständigen Anpassung an den fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand, die progressive technische Entwicklung und die sich ändernden gesellschaftlichen Wertvorstellungen zwingend scheitern muß 374 . Mit dem Erfordernis der Spezialisierung der Aufga374 Da es sich bei den in verschiedenen Normen- und Regelsystemen konstituierten öffentlich-rechtlichen Ausschüssen jeweils nur um einen Ausschuß handelt, ist es nicht weiter verwunderlich, daß diese nicht annähernd alle notwendigen Regeln erarbeiten

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benbewältigung geht allerdings ebenso notwendigerweise ein zunehmender Aufwand für die Koordinierung sowohl zwischen den selbständigen normschaffenden Institutionen als auch zwischen den innerhalb des gegebenen Ordnungsrahmens der normschaffenden Institutionen relativ autonomen Normenausschüssen selbst einher, um zu konsistenten, integeren und redundanzfreien Regelsystemen "aus einem Guß" zu gelangen. Dieses wird im System der technischen Normung innerhalb einer normschaffenden Institutionen durch ein gegebenenfalls gestuftes System von Lenkungsgremien, zwischen den verschiedenen nationalen normschaffenden Institutionen durch eine auf entsprechende Kooperationsvereinbarungen gestützte Zusammenarbeit bzw. Integration der Normenwerke sowie schließlich bezüglich der entsprechenden Aktivitäten auf europäischer oder internationaler Ebene durch eine zu diesen spiegelbildliche Organisationsstruktur der Normungsgremien i.V.m. einer eindeutigen Zuständigkeitsregelung im Sinne der alleinigen Verantwortlichkeit eines Arbeitsgremiums für ein bestimmtes Normungsprojekt sowohl auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene gewährleistet. Zum anderen ist das Normungsverfahren als konsensualer Diskurs sachkundiger Vertreter aller interessierten bzw. betroffenen Kreise unter Beteiligung der Öffentlichkeit augenscheinlich gleichermaßen für den Ausgleich der wesentlichen Gruppen- und Individualinteressen hinsichtlich technisch-wirtschaftlicher wie allgemeinwohlrelevanter Regelungsaufgaben mit dem Ziel der Verwirklichung des guten Zusammenlebens aller mit allen und zur Erzielung des größtmöglichen gemeinsamen Nutzens bzw. Wohlfahrtsoptimums geeignet. Zentrale Bedeutung kommt dabei der Verhinderung der Durchsetzung von (gruppen-) individuellen Interessen auf Kosten der Allgemeinheit durch die dargelegten typischen Verfahrensrichtlinien der Normerstellung zu, die insbesondere die ausnahmslose Beteiligung sämtlicher an einem Normungsgegenstand interessierten und betroffenen Kreise, eine möglichst konsensuale Beschlußfassung über die gemeinsam erarbeitete Lösung sowie ein - durch die Gewährleistung eines unparteiischen, transparenten und effizienten mehrstufigen Schlichtungs- und Schiedsverfahrens bestmöglich ausgestaltetes - öffentliches Einspruchsverfahren vorschreiben. Dabei ist die institutionell abgesicherte, tatsächliche Verwirklichung dieser zentralen Verfahrenseckpunkte unabdingbar, da ansonsten die gesamtgesellschaftlich bestmögliche Lösung der Regelungsaufgabe auch und insbesondere hinsichtlich der zu erfüllenden Aufgaben des allgemeinen Wohls systembedingt und damit systematisch verfehlt wird. Gleichzeitig ist hervorzuheben, daß die auf den genannten Prinzipien basierenden Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation der normschaffenden können, sondern selbst weitgehend technische Normen rezipieren. Vgl. dazu die einschlägigen Unterabschn. in Kap. II.A.l.c)dd).

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Institutionen nicht starr sind; vielmehr werden diese laufend den sich ändernden Erfordernissen der Lebens Wirklichkeit - seien es wirtschaftliche Entwicklungen wie die Internationalisierung der Leistungserstellung, des Handels und der Dienstleistungen, technische Entwicklungen wie die sich ständig verkürzenden Entwicklungs- und Lebenszyklen technischer Systeme, gesellschaftliche Entwicklungen wie die Forderung nach umfassender Berücksichtigung des Umweltschutzes in allen Phasen eines Produktlebenszyklusses oder politische Entwicklungen wie die europäische Integration - angepaßt. Entsprechend der zunehmenden Änderungsgeschwindigkeit der Lebenswirklichkeit vollzog sich die Entwicklung der Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation der normschaffenden Institutionen noch nie so dynamisch wie in den letzten Jahren, worin eine weitere Stärke dieser Organisationen begründet liegt. Die geschilderte Erfüllung öffentlicher Aufgaben bezüglich der Sicherung grundrechtlich geschützter Werte im Rahmen der überbetrieblichen technischen Normung führt regelmäßig zu der - auch in Kapitel I.E aufgeworfenen - Fragestellung, ob den privatrechtlichen Normenorganisationen eine etwaige Rechtssetzungsbefugnis und somit den technischen Normen ein rechtsverbindlicher Charakter zukommt und wie diese gegebenenfalls in das System staatlicher Hoheitsakte einzuordnen sind. Diese Untersuchung ist Gegenstand des nachfolgenden Kapitels. b) Die Rechtsnatur technischer Normen "Mit der dargestellten und herkömmlich bekannten gestuften staatlichen Rechtsetzung verquickt wird deshalb eine Fülle ständig changierender technischer Regeln, die mittels verschiedener Techniken in das geltende Recht inkorporiert werden und damit zu EntscheidungsVoraussetzungen, also zu Rechtsmaßstäben avancieren. Die normtechnischen Wege hierzu bilden im wesentlichen die Verweisungen, entweder durch das förmliche Gesetz selbst oder aber durch Rechtsverordnungen. Fehlen solche Verweisungen, so findet die Einbeziehung der technischen Regeln spätestens auf der Rechtsanwendungsebene statt, wo sie sodann ... in einer dunklen Ecke des geltenden Rechtsquellensystems ein praktisch höchst bedeutsames Dasein fristen."* Da nach dem Verfassungsprinzip der gewaltenteiligen Funktionenordnung (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG) die Rechtssetzungsbefugnis prinzipiell allein der Legislative zusteht, wird entsprechend dem herrschenden System der Rechtsquellenlehre im deutschen Staatsrecht außer den Gesetzen

* Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 163.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

und deren verfassungsmäßigen Derivativen - Rechtsverordnungen (Art. 80 GG) 3 7 5 und allgemeinen Verwaltungsvorschriften (Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2 S. 1, 86 S. 1 GG) 3 7 6 der Exekutive sowie autonomen Satzungen des öffentlichen Rechts377 - nur noch die rechtsbildende Gewohnheit378 als originäre Rechtsquelle anerkannt 379. 375 Rechtsverordnungen sind hoheitliche, abstrakt-generelle Regelungen der Regierungs- und Verwaltungsorgane. Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 12. Bezüglich der Einstufung von Rechtsverordnungen als originäre oder derivative Rechtsnormen werden konträre Ansichten geäußert; die hier dargestellte und m.E. zutreffende vertreten u.a. Marburger, P., Regeln, S. 333; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 132; Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 12; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 42; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 41. A.A. - die Rechtsverordnungen als originäre Rechtsquelle qualifizierend - Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 62 f.; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 61; Brinkmann, W., Verbraucherschutz, S. 11; Kypke, U., Verbraucherinteresse, S. 105. 376 Allgemeine Verwaltungsvorschriften sind abstrakt-generelle Anordnungen der Exekutivspitze an die Adresse der nachgeordneten Behörden, welche in der hierarchisch gegliederten Verwaltung als Instrument einer zentralen Steuerung des administrativen Handelns dienen. Marburger, P., Regeln, S. 414 f.; Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 31. Obwohl die Qualifikation allgemeiner Verwaltungsvorschriften als Rechtsnormen nach wie vor umstritten ist, erkennt eine wohl überwiegende Auffassung heute Verwaltungsvorschriften als Rechtsnormen an, deren ΒindungsWirkung je nach Art der Verwaltungsvorschrift von einer rein verwaltungsintemen Bindung als sog. "Innenrechtssätze" über eine indirekte Außenwirkung gegenüber den Bürgern infolge einer "Selbstbindung der Verwaltung" im Falle von Ermessensrichtlinien bis hin zu einer modifizierten Bindungswirkung der normergänzenden und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften des Umwelt- und Technikrechts auch für die Judikative reicht. Vgl. dazu sehr differenziert Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 30 ff. Femer Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 70; Lerche, P., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 84 Rn. 92 ff. (allerdings nur im weiteren Sinne, da ohne unmittelbare Rechtswirkung nach außen); Marburger, P., Regeln, S. 68, 330, 415; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 135; Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 159, jew. m.w.N. I.d.S. insbesondere auch als Vertreter des BMI Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 44. A.A. z.B. BVerwG in E 55, S. 250 (255): "Die auf Grund des § 48 BImSchG erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften sind keine Rechtsnormen." A.A. auch der ehemalige Präsident des BVerwG Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 13. Dementsprechend sollen allgemeine Verwaltungsvorschriften als Rechtsquelle mit in die vorliegende Untersuchung einbezogen werden. I.d.S. auch Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 30. 377 Öffentlich-rechtliche Satzungen sind Rechtsvorschriften, die von in den Staatsaufbau integrierten juristischen Personen des öffentlichen Rechts (z.B. Gemeinden, Universitäten, Sozialversicherungsträger usw.) im Rahmen der ihnen gesetzlich verliehenen Autonomie (Rechtssetzungsgewalt, Satzungsbefugnis) zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten erlassen werden. Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6

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Rn. 63. Vgl. auch Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 65; Heidi, J. E, VDE und GWB, S. 19. Nach h.M. gelten autonome Satzungen als derivative Rechtsquellen. Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 18; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 132 f. m.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG. Oft zitiertes Beispiel aus dem Bereich der Technik sind die von den Vertreterversammlungen der Berufsgenossenschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts und Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 646 Abs. 1 RVO) im Rahmen ihrer Autonomie gemäß der §§ 537, 546, 708 Abs. 1 Nr. 1 RVO erlassenen "Vorschriften über ... Einrichtungen, Anordnungen und Maßnahmen, welche die Unternehmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen zu treffen haben". Diese sog. Unfallverhütungsvorschriften (UVV) und ihre Änderungen bedürfen nach § 709 RVO der Genehmigung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung und sind dann für die Mitglieder und Versicherten der Berufsgenossenschaften verbindlich. Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 132; Marburger, P., Regeln, S. 267; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 63 f.; Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 63; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 96 f. 378 Gewohnheitsrecht entsteht, wenn ein bestimmtes Verhalten, ohne rechtlich geboten zu sein, von den Beteiligten in der Überzeugung rechtlicher Gebotenheit so lange gleichmäßig und allgemein geübt worden ist, bis das Gleichheitsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG einer Abweichung entgegensteht. Vgl. statt vieler Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 153. 379 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 64; Marburger, P., Regeln, S. 330; Nikkusch, K.-O., Normativfunktion, S. 69 ff.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 125; Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 1 ff.; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 42. Nicht eingegangen werden soll in diesem Zusammenhang auf Untersuchungen einer etwaigen allgemeinen Rechtsverbindlichkeit technischer Normen außerhalb des Systems der herrschenden Rechtsquellenlehre. Einer genaueren Betrachtung unterzogen wurden in diesem Zusammenhang das Richterrecht (Marburger, P., Regeln, S. 341 ff.; vgl. dazu auch allgemein Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 77 ff.), die "deskriptive Rechtsquellentheorie" (Marburger, P., Regeln, S. 348 ff.), die "Natur der Sache" (Marburger, P., Regeln, S. 353 ff.) und die Allgemeinverbindlichkeitserklärung technischer Normen (Marburger, P., Regeln, S. 358 ff.; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 46 ff., 210 f.; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 156). Nicht berücksichtigt werden ferner Sonderverordnungen (Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 58 ff.), die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts (Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., §6 Rn. 87 ff.), das Europäische Unionsrecht (Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 95 ff.) sowie das Völkervertrags- und -gewohnheitsrecht (Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 100 ff.). Hinsichtlich einer möglichen Verbindlichkeit technischer Normen als "Verkehrssitten" und "Handelsbräuche" (§§ 157, 242 BGB bzw. § 346 HGB) oder als "im Verkehr erforderliche Sorgfalt" (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB) vgl. Kap. II.A.l. c)bb)(2)(b)(aa) und Kap. II.A.l.c)bb)(2)(b)(bb). Aus den Untersuchungen ausgeklammert werden femer sämtliche Möglichkeiten einer potentiellen relativen Rechtsverbindlichkeit technischer Normen aufgrund von Gütezeichengemeinschaften (Marburger, P., Regeln, S. 372), Prüf- und Normenkonfomitätszeichen (Marburger, P., Regeln, S. 373 ff.), privatautonomer Rechtsgestaltung im Rahmen vertraglicher Vereinbarungen (Lukes, R., Industrielle Normen und Standards, S. 19; ders., Tragweite, S. 222 ff.; Marburger, P., Regeln, S. 375 f.; Zemlin, H., Die

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung aa) Gesetze

Weitgehend unstreitig ist, daß technische Normen keine Gesetze im formellen Sinn sind 380 , da Bundestag und Bundesrat (Art. 77 und 78 GG) und die Landtage (Art. 70 Abs. 1 GG) als verfassungsmäßige legislative Organe die originäre Rechtssetzungsbefugnis i.S.d. Grundsatzes der gewaltenteiligen Funktionenordnung (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG) innehaben und somit die Urheber technischer Normen in der Bundesrepublik Deutschland als privatrechtliche Körperschaften - organisiert fast ausschließlich als eingetragene Vereine, lediglich in einem Fall als Aktiengesellschaft 381 - keinerlei Gesetzgebungskompetenzen besitzen können382. Darüber hinaus sind technische Normen weder im vorgeschriebenen Gesetzgebungsverfahren (Art. 76 ff. GG) erlassen noch in der für Gesetze vorgesehenen Verkündigungsform (Art. 82 Abs. 1 GG) publiziert worden 383. Eine originäre, auf der Verfassung basierende Rechtssetzungsbefugnis der Normenorganisationen besteht somit nicht. Als Formen einer von den legislativen Organen verliehenen Rechtssetzungsbefugnis kommen eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen, von

überbetrieblichen technischen Normen, S. 109 ff.), innerbetrieblicher Verbindlichkeit durch Weisungsbefugnis entsprechend den §§ 164 ff. BGB (Marburger, P., Regeln, S. 377 f.), sowie insbesondere die verschiedenen Formen der verbandsautonomen Normsetzung in Form von abstrakt-generellen Vereinsempfehlungen, Vereinsrecht, Nebenordnungen und Empfehlungen i.S.d. § 676 BGB. Vgl. dazu mit durchaus kontroversen Standpunkten Marburger, P., Regeln, S. 369 ff., 540 ff.; Vieweg, K , Normsetzung, passim; ders., Verbandsnormen, passim; ders., Produktbezogener Umweltschutz, S. 521 ff.; femer DIN, Anwenden von DIN-Normen, Nr. II. 380 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 62; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 134; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 61; Kypke, U., Verbraucherinteresse, S. 102; Lukes, R., Juristische und institutionelle Aspekte, S. 55 f.; ders., Tragweite, S. 216; Marburger, P., Regeln, S. 330 ff.; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 45; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 76 ff., 92 ff., 121. A.A. Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 76 ff., 93; w.N. bei Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 159 f., der selbst die Gegenposition vertritt. 381 Vgl. bezüglich des DIN Kap. II.A.l.a)dd)(2), hinsichtlich des VDE Kap. II.A.l. a)ee)(l), in bezug auf die DKE Kap. II.A.l.a)ee)(3), den VDI betreffend Kap. ILA.l.a) ff)(l), in puncto DVGW Kap. II.A.l.a)ff)(2) und schließlich betreffs des GL Kap. ILA. l.a)ff)(3); vgl. femer das Resümee in Kap. II.A.l.a)gg). 382 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 62; Marburger, P., Regeln, S. 330 f.; ders., Bezugnahme, S. 32; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 25, 153 ff.; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 34 f.; Stefener, W., DIN-Normen, S. 25 f. 383 Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 66; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 131.

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Verwaltungsvorschriften und die Übertragung von Satzungsautonomie in Betracht. bb) Rechtsverordnungen Die Zulässigkeit einer bundesrechtlichen Verordnungsermächtigung der Exekutive durch den Gesetzgeber ist nach Art. 80 Abs. 1 GG zu beurteilen. Danach scheidet eine direkte Ermächtigung der privaten Normenorganisationen aus, weil die Bestimmung des Adressatenkreises in Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG erschöpfend geregelt und die Ermächtigung anderer Stellen damit ausgeschlossen ist 384 . Denkbar wäre hingegen eine Unterermächtigung gemäß Art. 80 Abs. 1 S. 4 GG, da hier der Adressatenkreis nicht enumerati ν beschränkt ist 385 . Jedoch verstößt nach heute weitaus herrschender Meinung eine Subdelegation von Rechtssetzungsbefugnissen in Form von Rechtsverordnungen auf nicht-staatliche Stellen gegen den Grundsatz der gewaltenteiligen Funktionenordnung der Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG und das demokratische Prinzip nach Art. 20 Abs. 1 und 2, 21, 28, 38 und 79 Abs. 3 GG 3 8 6 . Auch sind die formellen Voraussetzungen - sowohl die direkte Ermächtigung als auch die Möglichkeit der Subdelegation muß in einem Gesetz vorgesehen sein, und die Erteilung der Unterermächtigung hat in Form einer Rechtsverordnung zu erfolgen (Art. 80 384 Karpen, H.-U, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 129 f.; Marburger, P., Regeln, S. 333; Maunz, T., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 80 Rn. 38; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 155 f.; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 42; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 103; Stefener, W., DINNormen, S. 26 f. 385 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 63; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 130; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 42 f.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 103; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 65; Stefener, W., DIN-Normen, S. 27. 386 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 63; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 63; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 62; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 129 ff.; Maunz, T., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 80 Rn. 42; Marburger, P., Regeln, S. 333 ff., 392; Michaelis, R., Der Beliehene, S. 37 ff.; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 153 ff.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 132; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 43; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 15; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 122; Stefener, W., DINNormen, S. 27; vgl. auch Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 78, 105 f., 123. A.A. Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 65 ff. Auch zeigt die Entstehungsgeschichte des Art. 80 - die expressis verbis nur die Verlagerung rechtssetzender Gewalt von der Legislative auf die Exekutive vorsieht -, daß der Verfassungsgeber an die Übertragung von Rechtssetzungsmacht auf Private überhaupt nicht gedacht hat. Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 63; Marburger, P., Regeln, S. 333 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 132.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Abs. 1 S. 4 GG) - nicht gegeben, da bezüglich der privaten Normenorganisationen weder ein entsprechendes Gesetz noch eine derartige Rechtsverordnung existieren 387. Schließlich werden auch hier die zum Erlaß einer Rechtsverord-

387

Brinkmann, W., Verbraucherschutz, S. 11; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 144 f.; Maunz, T., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 80 Rn. 43; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 43. Obwohl die Grenzen insbesondere einer allgemeinen (undatierten) Verweisung auf ganze technische Normenwerke in Rechtsnormen und einer (Unter-) Ermächtigung zur Rechtssetzung nach wie vor strittig sind, wird die Begründung einer derivativen Rechtssetzungsbefugnis der Normenorganisationen durch allgemeine Verweisungen von der weitaus h.M. abgelehnt. Ebensowenig erlangen die hierdurch in Bezug genommenen technischen Normen den Rang von Rechtsnormen. Vgl. dazu Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b) (bb)a). Grundlage entsprechender Betrachtungen waren zumeist die beiden wohl bekanntesten Beispiele einer (normkonkretisierenden) allgemeinen Verweisung auf technische Normen des § 1 Abs. 1 und 2 der 2. DVO a.F. zum EnWG (Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Förderung der Energiewirtschaft (Energiewirtschaftsgesetz) vom 31.08.1937 (RGBl. I, 1937, S. 918) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 17.07.1942 (RGBl. I, 1942, S. 468)): "Elektrische Energieanlagen und Energieverbrauchsgeräte sind ordnungsgemäß, das heißt nach den anerkannten Regeln der Elektrotechnik einzurichten und zu unterhalten." "Als solche Regeln gelten die Bestimmungen des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE)." sowie des § 1 S. 2 der mittlerweile aufgehobenen 4. DVO zum EnWG (Vierte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Förderung der Energiewirtschaft (Energiewirtschaftsgesetz) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 07.12.38 (RGBl. I, 1938, S. 1732)): "Anlagen und Geräte zur Speicherung, zur Verteilung und zur Verwendung von Gas müssen den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Als anerkannte Regeln gelten unbeschadet der bestehenden behördlichen Vorschriften die vom Reichs wirtschaftsminister genehmigten Bestimmungen des Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern e.V. (DVGW)." Diese Verweisung wurde in Teilen der nachkonstitionellen Rechtsprechung, Schrifttum und zeitweilig sogar vom VDE selbst immerhin noch bis Ende der siebziger Jahre (vgl. OLG Stuttgart RBeil. 39 (1978), S. 77 (78)) als Derivation qualifiziert, aufgrund derer VDE- und DVGW-Bestimmungen als unmittelbar verbindliche Rechtssätze und teilweise die VDE-Bestimmungen specialiter auch als Schutzgesetze (Art. 2 EGBGB (Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche i.d.F.d. Bekanntmachung v. 21.09.1994 (BGBl. I, 1994, S. 2494), zul. geänd. d. Gesetz zur Anpassung vermögensrechtlicher und anderer Vorschriften (Vermögensrechtsanpassungsgesetz - VermRAnpG) v. 04.07.1995 (BGBl. I, 1995, S. 895)) i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB angesehen worden sind. Vgl. dazu mit jeweils ablehnender Kommentierung Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 63; Marburger, P., Regeln, S. 331 ff.; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 30 f 35 ff., 200 f.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 73 ff., insbes. 84 f. sowie 86 ff., insbes. 95 f., jew. m.z.N. aus Rechtsprechung und Literatur; ablehnend aus der Sicht des DIN auch Budde, E., Rechtliche Bedeutung, S. 147; ferner Conradi, Β., Mitwirkung außerstaatlicher Stellen, S. 51 ff.; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 144 f.; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 15 ff.; Lukes, R., Juristische und institutionelle Aspekte, S. 56; Michaelis, R., Der Beliehene, S. 50 ff. Zwar ist Art. 80 Abs. 1 GG auf die beiden Durchführungsverordnungen, die i.V.m. den §§13 Abs. 2, 16 Abs. 2 EnWG als Unterermächtigung für den VDE und den DVGW in Betracht kommen könnten, nicht anwendbar, da es sich um vorkonstitutionel-

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nung vorgegebenen Verfahrens- und Publikationserfordernisse nicht erfüllt. Eine derivative Rechtssetzungsbefugnis der Normenorganisationen in Form einer bundesrechtlichen Verordnungsermächtigung nach Art. 80 Abs. 1 GG liegt somit nicht vor 388 . cc) Allgemeine Verwaltungsvorschriften Obwohl - nach Praxis und herrschender Lehre - auch private Organisationen unter gewissen Voraussetzungen die Kompetenz zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften besitzen können, und ungeachtet der im Umwelt- und Technikrecht typischen innigen Verflechtung von Verwaltungsvorschriften und technischen Normen 389 , wird ein möglicher Rechtsnormencharakter technischer Normen als Verwaltungsvorschriften, soweit ersichtlich, in der Literatur an keiner Stelle thematisiert. Als Ermächtigungsgrundlagen zum Erlaß von allgemeinen Verwaltungsvorschriften kommen zunächst die Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2 S. 1 und 86 S. 1 GG in Betracht. Diese sind im Umwelt- und Technikrecht von besonderer Bedeutung, da technische Normen als Basis der Normen- und Regelsysteme des Umweltund Technikrechts für gewöhnlich durch die Behörden zur Ausführung der les Recht handelt. Jedoch war eine Delegation oder Subdelegation der Verordnungsmacht auf private, staatsunabhängige Verbände selbst im Dritten Reich ebenso wie in der Weimarer Reichs Verfassung ausgeschlossen. Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 63; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 78. Zudem geht aus einem Erlaß des Reichswirtschaftsministers vom 11.12.1937 (ElWirtsch 1938, 70, in Auszügen abgedruckt bei Marburger, P., Regeln, S. 400 sowie Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 81 f.) hervor, daß eine Beleihung des VDE mit Rechtssetzungsbefugnis niemals in der Absicht der rechts setzenden Organe lag. Schließlich wäre eine etwaige Ermächtigung nach Art. 129 Abs. 3 GG mit dessen Inkrafttreten erloschen. Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 16; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 78. In der neueren Literatur - und insbesondere seit der Neufassung der 2. DVO zum EnWG vom 14.01.1987 (vgl. Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß)) - wird dieser Ansatz jedoch, soweit ersichtlich, nirgends mehr vertreten. 388 Gleiches trifft auf die ehemals gültigen landesrechtlichen allgemeinen (undatierten) Verweisungen auf technische Normenwerke zu, wie z.B. die Verweisung auf die VDE-Bestimmungen in § 11 Abs. 4 bay. SchO (Bayrische Schiffahrtsordnung v. 19.06.1968 (GVB1. BY, 1968, S. 202), zit. bei Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 40). Hier gilt zwar Art. 80 Abs. 1 GG nicht, und die entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen enthalten zumeist keine Beschränkung des Adressatenkreises. Jedoch schließt das demokratische Prinzip die Übertragung von Rechtssetzungsbefugnissen auf Private auch in den Landesverfassungen und durch landesrechtliche Verweisungen auf technische Normenwerke aus. Marburger, P., Regeln, S. 335; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 21. 389 Vgl. dazu die einschlägigen Abschnitte in Kap. II.A.l.c)bb) und Kap. II.A.l.c)dd) sowie die diesbezüglichen zusammenfassenden Bemerkungen in Kap. II.A.l.d).

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diesbezüglichen Bundesgesetze herangezogen werden 390. Nach dem Wortlaut der Art. 84 Abs. 2 und 85 Abs. 2 S. 1 GG, welche die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder regeln, ist jeweils allein die Bundesregierung als Kollegium zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften berechtigt, so daß eine Ermächtigung anderer Stellen, sogar einzelner Bundesminister, ausgeschlossen ist 391 . Dagegen steht Art. 86 S. 1 GG, welcher hinsichtlich der Ausführung der Bundesgesetze durch den Bund der Bundesregierung die Befugnis zur Verabschiedung allgemeiner Verwaltungsvorschriften einräumt, unter dem Vorbehalt eines parlamentarischen Zugriffsrechts, welches grundsätzlich die Berechtigung auch anderer Stellen als der Bundesregierung zum Erlaß der entsprechenden Verwaltungsvorschriften ermöglicht 392. Dabei ist nach herrschender Meinung neben privatrechtlichen Handlungsformen des Bundes auch die Ermächtigung privatrechtlicher Organisationen wie beispielsweise der technischen Normenorganisationen zulässig393. Allerdings ist eine Berechtigung anderer Stellen als solcher, die dem Bund substantiell rechtlich zuzuordnen sind, ausgeschlossen 394 ; die privatrechtlichen Organisationen müssen sich in die Bundesorganisation einfügen und in diesem Sinne von ihr umfassend getragen sein, soll nicht der Rahmen bundesausschließlicher Verwaltung von vornherein gesprengt werden 395 . Diese Bedingung ist bei den untersuchten technischen Normenorganisa-

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Ebd. Letzteres ist allerdings nicht unumstritten; vgl. Lerche, P., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 84 Rn. 88 u. insbes. 109 ff. i.V.m. Art. 85 Rn. 36 m.N. auch der Gegenposition aus der Rechtsprechung des BVerfG. 392 Lerche, P., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 86 Rn. 102 ff. 393 Ebd., Art. 86 Rn. 51 ff., 107a.; vgl. auch Erichsen, H. U., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 12 Rn. 14. Diese pauschale Befürwortung der Ermächtigung Privater ist angesichts der Bandbreite existierender Arten von Verwaltungsvorschriften und specialiter der im Umweltund Technikrecht verbreiteten umfassenden gesetzeskonkretisierenden oder gar -ergänzenden Funktion allgemeiner Verwaltungsvorschriften und den ihnen zugebilligten indirekten Außenwirkungen bezüglich des Normadressaten kraft Selbstbindung der Verwaltung oder gar direkten Bindung der Gerichte im Falle normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften (vgl. Kap. II.A.l.c)bb)(l)(a)(bb)) im Hinblick auf das demokratische Prinzip der Verfassung nicht unproblematisch. Es scheint zumindest fragwürdig, ob der Exekutive bei außenwirksamen Verwaltungsvorschriften nach h.M. das gestattet werden soll, was ihr als Verordnungsgeber im Wege der Subdelegation nach h.M. verwehrt bleibt, nämlich die (Unter-) Ermächtigung Privater. Ohne daß diese Frage an dieser Stelle zu entscheiden wäre, kommt eine Ermächtigung der Normenorganisationen bereits aus den nachfolgenden formalen Gründen nicht in Frage. 394 Lerche, P., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 86 Rn. 104. 395 Ebd., Art. 84 Rn. 52 i.V.m. Rn. 28, 41 sowie 68 ff.; vgl. auch Erichsen, H. U., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 12 Rn. 14. 391

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tionen nicht erfüllt 396. Zudem bedarf es für die Ermächtigung anderer Stellen als der Bundesregierung zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften nach Art. 86 S. 1 GG dessen Wortlaut zufolge 397 eines formellen Bundesgesetzes398. Ein dementsprechendes Gesetz, welches die privatrechtlich organisierten normschaffenden Institutionen zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften zwecks Ausführung der Bundesgesetze ermächtigen würde, existiert jedoch nicht. Schließlich sind auch die für Verabschiedung und Veröffentlichung allgemeiner Verwaltungsvorschriften vorgeschriebenen Verfahrens- und Publikationsanforderungen bei technischen Normen nicht erfüllt, so daß eine Ermächtigung der Normenorganisationen zum Erlaß von allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2 S. 1 und 86 S. 1 GG auszuschließen ist. Über diese spezifischen verfassungsgemäßen Ermächtigungen der Exekutive zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften zur Ausführung von Bundesgesetzen hinaus ist nach herrschender Meinung der Exekutivgewalt eine allgemeine Befugnis zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften inhärent 399, die der hierarchisch-anweisenden vereinheitlichenden Steuerung des Verwaltungshandelns der nachgeordneten Behörden- und Verwaltungseinheiten dient. Die Grundlage dieser Befugnis bildet die auf die verschiedenen Verwaltungsinstanzen verteilte Organisations- und Geschäftsleitungsgewalt der Exekutive: Danach ist jede Behörde und jeder Verwaltungsträger befugt, im Rahmen seiner Organisationsund Geschäftsleitungsgewalt Verwaltungsvorschriften zu erlassen400. Wie dazu bereits aus den vorhergehenden Ausführungen zu entnehmen, können auch natürliche oder juristische Personen des Privatrechts Behördenfunktionen wahrnehmen, soweit sie durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes in den Funktionsbereich des Staates oder seiner rechtsfähigen Untergliederungen einbezogen und mit einer Rechtsstellung ausgestattet sind, die sie in die Lage versetzt, Hoheitsgewalt gegenüber Dritten auszuüben; derartig Beliehene gelten als Be-

396

Vgl. bezüglich des DIN Kap. II.A.l.a)dd)(2), hinsichtlich der DKE Kap. ILA.l.a) ee)(3), den VDI betreffend Kap. ILA.l.a)ff)(l), in bezug auf den DVGW Kap. II.A.l. a)ff)(2) und im Hinblick auf den GL Kap. II.A.l.a)ff)(3). 397 "... so erläßt die Bundesregierung, soweit nicht das Gesetz etwas Besonderes vorschreibt ..." 398 Lerche, P., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 86 Rn. 102 ff.; vgl. auch Erichsen, H. U., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 12 Rn. 14. 399 Gesetze, die den Erlaß von Verwaltungsvorschriften regeln, sind deshalb im allgemeinen Kompetenznormen und keine Ermächtigungsgrundlagen. Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 55 m.w.N. Eine Ausnahme von dieser Regel bilden u.a. die im vorherigen Abschnitt genannten allgemeinen VerwaltungsVorschriften. 400 Intersubjektive, d.h. behördenübergreifende Verwaltungsvorschriften bedürfen dagegen in aller Regel einer besonderen gesetzlichen Grundlage. Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 55.

*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

hörden im Sinne des VwVfG 4 0 1 . Jedoch wird eine derartige Beleihung der Normenorganisationen mit Hoheitsgewalt der öffentlichen Verwaltung weder in den Gesetzen, die auf technische Normen oder Normenwerke verweisen, noch in sonstigen Gesetzen vorgenommen. Auch der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem DIN beinhaltet trotz dessen Verpflichtung, "bei seinen Normungsarbeiten das öffentliche Interesse zu berücksichtigen" und dafür Sorge zu tragen, "daß die Normen bei der Gesetzgebung, in der öffentlichen Verwaltung und im Rechtsverkehr als Umschreibungen technischer Anforderungen herangezogen werden können"402, keine konkludente Übertragung von Hoheitsgewalt der öffentlichen Verwaltung, die dem DIN den Status eines Beliehenen vermitteln würde. Abgesehen davon, daß entsprechend den vorhergehenden Ausführungen der öffentlich-rechtliche Vertrag dafür nicht die erforderliche Rechtsform darstellt, ergibt sich diese Tatsache direkt aus dem Wortlaut der für die Auslegung des Vertrages maßgeblichen Erläuterungen 403, in denen eindeutig erklärt wird, daß weder die Anerkennung des DIN nach § 1 noch sonstige Regelungen des Vertrages noch das Mitwirken von Vertretern des Staates an der Normung eine Übertragung von Hoheitsbefugnissen beziehungsweise eine Beleihung bedeuten, sondern daß vielmehr die Normung in der Bundesrepublik Deutschland "eine Aufgabe der Selbstverwaltung der Wirtschaft" ist und bleiben soll 404 . Darüber hinaus enthalten die technischen Normenwerke der privaten Normenorganisationen, abgesehen von wenigen Ausnahmen - wie beispielsweise im Deutschen Normenwerk die Normenreihe DIN 820 -, keine technischen Normen, die das Innen Verhältnis der Normenorganisationen regeln; vielmehr beinhalten technische Normen fast ausschließlich normative Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen bezüglich technischer Systeme, die sich an "jedermann" richten, der mit diesen Systemen im weitesten Sinne befaßt ist. Schließlich sind auch in diesem Fall die für Verabschiedung und Veröffentlichung allgemeiner Verwaltungsvorschriften vorgeschriebenen Verfahrens- und Publikationserfordernisse nicht erfüllt, so daß auch eine Beleihung der Nor-

401

Erichsen, H. U., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 12 Rn. 14. Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(5). 403 Bundesrepublik Deutschland/DIN, Normungsvertrag, § 10 Abs. 3. 4iW Bundesrepublik Deutschland/DIN, Erläuterungen zum Normungsvertrag, Abschn. I., vorletzter Absatz und Nr. II, Zu § 1. Auch aus der Geschichte des Vertrages als Grundlage eines partnerschaftlichen Verhältnisses ergibt sich, daß durch den Vertrag keine Beleihung des DIN erfolgen sollte. Aus der Sicht der Exekutive vgl. u.a. Böttger, J., Vertrag BRD-DIN, S. 31 ff.; Vogel, H.-J., Eröffnungsansprache, S. 13 f. Aus der Sicht des DIN Budde, E., Das DIN aus rechtstatsächlicher Sicht, S. 285; Budde, E. u.a., DIN-Normen und Rechtsvorschriften, S. 440; Leitz, F. J. P., Zum Normenvertrag BRD - DIN, S. 57 ff.; Pokorny, F., Auswirkungen des Normenvertrages, S. 336 ff.; aus der Literatur statt vieler Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 58 ff. 402

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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menorganisationen mit Hoheitsgewalt der öffentlichen Verwaltung und eine daraus resultierende, der Exekutivgewalt inhärente Befugnis zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften nicht vorliegt. Als Ergebnis ist somit festzuhalten, daß die Normenorganisationen keine derivative Rechtssetzungsbefugnis in Form einer Ermächtigung oder Kompetenz zum Erlaß von allgemeinen Verwaltungsvorschriften besitzen. dd) Autonome Satzungen des öffentlichen Rechts Im Gegensatz zur Subdelegation von Rechtssetzungsbefugnissen in Form von Rechtsverordnungen an Private wird die Zulässigkeit der Beleihung Privater mit öffentlich-rechtlich verbindlicher autonomer Satzungsgewalt kontrovers diskutiert, jedoch nicht einhellig abgelehnt405. Ohne daß diese Frage entschieden zu werden brauchte, ist das Vorliegen einer entsprechenden Beleihung aufgrund des Fehlens zweier wesentlicher Voraussetzungen zu verneinen: Erstens muß die Beleihung mit autonomer Satzungsgewalt, sofern sie nicht unmittelbar durch die Verfassung 406 verbürgt ist, nach Praxis und herrschender Lehre durch ein einfaches (förmliches) Gesetz w erteilt werden 408, da sie als derivative Rechtssetzungsbefugnis vom Gesetzgeber "besonders zu verleihen" und bezüglich ihres Umfangs zu spezifizieren und zu begrenzen ist 409 . Eine derartige ausdrückliche Beleihung mit autonomer Satzungsgewalt findet sich jedoch weder 405

Für Zulässigkeit: Marburger, P., Regeln, S. 335; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 138 ff., 156 ff., 200; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 73; wohl auch Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 63 ff. Gegen eine Beleihung Privater: Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 65; Brinkmann, W., Verbraucherschutz, S. 12; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 62; Michaelis, R., Der Beliehene, S. 39 ff.; Stefener, W., DIN-Normen, S. 31. Allg. gegen die Rechtsfigur der Beleihung Schachtschneider, Κ. Α., Staatsuntemehmen und Privatrecht, S. 179, 204 f. (Fn. 174), 217 f.; ders., Freiberufliche Selbstverwaltung, 4. und 5. Kap. 406 Ein Beispiel hierfür ist die gemeindliche Satzungsautonomie, die aus Art. 28 Abs. 2 GG folgt. BVerwGE 6, S. 247 (252); Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 63. 407 Beispiele sind die Handwerksinnungen (§ 55 HandwO), die Ärztekammern (§ 31 S. 1 HeilBerG NW) und die Rundfunkanstalten (§ 1 Abs. 2 ZDF-Staats vertrag). Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 63. 408 BVerwGE 6, S. 247 (249 f.); Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 64; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 133 f., 199; Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 63; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 43. A.A. Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 36 f. m Auch wenn hier sachverhaltsbedingt nicht die strengen Maßstäbe der Ermächtigung der Exekutive zum Erlaß von Rechtsverordnungen anzulegen sind. BVerwGE 6, S. 247 (249 ff., insbes. 251); Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., §6 Rn. 63 ff., insbes. Rn. 66.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

in den Gesetzen, die auf technische Normen(werke) verweisen, noch in sonstigen Gesetzen410. Auch der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem D I N beinhaltet trotz dessen Verpflichtung, bei der Ausarbeitung von technischen Normen öffentliche und legislative Interessen zu berücksichtigen411, keine konkludente Übertragung von Hoheitsbefugnissen, die dem DIN den Status eines Beliehenen mit autonomer Satzungsgewalt vermitteln würden. Analog zu der im vorherigen Kapitel geprüften Beleihung der Normenorganisationen mit Hoheitsgewalt der öffentlichen Verwaltung folgt dies auch in diesem Falle aus der unzureichenden, da untergesetzlichen Rechtsform des öffentlichrechtlichen Vertrages sowie den oben ausgeführten Erläuterungen zum Vertrag 412 . Zweitens fehlt eine spezifische Staatsaufsicht über die technischen Normenorganisationen, der nach den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der parlamentarischen Verantwortung nach Praxis und herrschender Lehre jede Selbstverwaltung unterliegen muß 413 . Auch der genannte Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit dem DIN unterstellt dieses keiner Staatsaufsicht. Somit kann auch eine Ermächtigung der privaten Normenorganisationen zum Erlaß autonomen Satzungsrechts ausgeschlossen werden. Als Zwischenergebnis läßt sich daher festhalten, daß die privatrechtlich organisierten Normungsverbände weder eine originäre noch eine derivative Rechtssetzungsbefugnis besitzen und die überbetrieblichen technischen Normen folglich nicht schon auf Grund ihrer Verabschiedung durch die Verbände objektiv verbindliche Normen des positiven Rechts sind. ee) Gewohnheitsrecht Aufgrund des bei vielen Technikern bestehenden Glaubens, daß insbesondere die die Schutz- und Sicherheitsfunktionen 414 erfüllenden technischen Normen 410

Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 64; Marburger, P., Regeln, S. 335 f.; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 198 f.; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 43; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 78. 411 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(5). 412 Bundesrepublik Deutschland/DIN, Erläuterungen zum Normungsvertrag, Abschn. I., vorletzter Absatz und Nr. II, Zu § 1. Vgl. auch Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 60; Scholz, R., Verhältnis, S. 96 f. I.E. ebenso Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 59 ff. und 92 f., der jedoch aufgrund des Vertrages das DIN als besonders anerkannten Beliehenen identifiziert (ebd., S. 94, 119), beliehen jedoch nicht mit staatlichen, sondern mit gesellschaftlich-öffentlichen Aufgaben (ebd., S. 93 ff., 119). 413 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 37 ff.; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 64; Dürig, G., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 1 Rn. 116; Marburger, P., Regeln, S. 336; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 143 f., 200. 414 Vgl. Kap. I.C.2.b), Kap. I.C.2.Ì), Kap. I.C.2.1) und Kap. I.C.2.m).

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aufgrund ihrer vielfachen Rezeption in das Umwelt- und Technikrecht415 rechtsverbindlich seien416, ist eine mögliche Rechtsnormqualität technischer Normen kraft Gewohnheitsrecht zu prüfen. Allein die Vorstellung der Techniker von der Rechtsverbindlichkeit technischer Normen reicht jedoch für die Bildung von Gewohnheitsrecht nicht aus; diese erfordert vielmehr eine langandauernde tatsächliche und allgemeine Übung und Anwendung, verbunden mit der Überzeugung der beteiligten Verkehrskreise, durch diese Anwendung geltendes Recht zu befolgen, sowie der Formulierbarkeit dieser Übung als Rechtssatz417. Technische Normen werden aufgrund des fortschreitenden Standes der Technik und der sich ändernden gesellschaftlichen Wertvorstellungen regelmäßig - beispielsweise bei DIN, DKE, DVGW, VDE und V D I alle fünf Jahre - auf Aktualität überprüft und gegebenenfalls überarbeitet 418 und sind deshalb zum großen Teil nur von verhältnismäßig geringer Geltungsdauer419. Es mangelt daher überwiegend an einer langandauernden tatsächliche Geltung und Anwendung420. Selbst 415

Vgl. dazu die Ausführungen der nachfolgenden Kapitel. Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 64; Marburger, P., Regeln, S. 275 f., 339; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 44; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 74. Denn für den juristischen Laien ist die Bedeutung dieser Rechtssetzungsmethode nicht ohne weiteres durchschaubar. Selbst die Gerichte haben vereinzelt die VDEBestimmungen auf Grundlage des § 1 Abs. 2 der 2. DVO zum En WG a.F. als rechtlich verbindlich angesehen. Marburger, P., Regeln, S. 276, 331 ff. m.z.N. aus der Rechtsprechung. Vgl. dazu auch die vorhergehenden Ausführungen in Fn. 387 in Kap. II.A.l.b) bb). A.A. Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 154, der davon ausgeht, daß diese Fehlvorstellung inzwischen durch die juristische Literatur und das ständige Hinweisen der Normenorganisationen auf das Fehlen einer Anwendungspflicht korrigiert worden ist. 417 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 64; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 122 ff.; Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 73; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 118. 418 Vgl. bezüglich des DIN Kap. II.A.l.a)dd)(3), hinsichtlich der DKE Kap. ILA.l.a) ee)(4), in bezug auf den VDI Kap. ILA.l.a)ff)(l) und den DVGW betreffend Kap. ILA. La)ff)(2). 419 Beispielsweise unterliegen rund 10 bis 12 % des Deutschen Normenwerkes jährlich der Änderung, so daß DIN-Normen nur eine mittlere Gültigkeitsdauer von 8,6 Jahren erreichen. Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(3). Diese ist natürlich in Abhängigkeit von der Normenart und dem fachlichen Geltungsbereich zu differenzieren. So ist die Halbwertszeit der weniger vom technischen Fortschritt und sich ändernden gesellschaftlichen Wertvorstellungen betroffenen Grundnormen zweifellos höher als diejenige von Fachnormen in hochinnovativen Bereichen. Vgl. zu dieser Klassifikation technischer Normen Kap. I.B. 420 Das BVerwG hält in BVerwGE 20, S. 317, 322 einen Zeitraum von 20 Jahren nicht für ausreichend. Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 64; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 62; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 24; Kypke, U., Verbraucherinteresse, S. 105; Marburger, P., Regeln, S. 338 f.; Stefener, W., DIN-Normen, S. 27 ff. Völlig verneinen die Möglichkeit der langdauernden Übung Mohr, P. M., Technische 416

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

wo diese bejaht werden könnte, fehlt es an der zweiten Voraussetzung der Gewohnheitsrechtsbildung, nämlich der Überzeugung der beteiligten Verkehrskreise, durch die Anwendung geltendes Recht zu befolgen; hiervon kann nur dann die Rede sein, wenn die Rechtsanschauung der beteiligten Verkehrskreise im Einklang mit einer kontinuierlichen Praxis von Gerichten und Verwaltungsbehörden steht421. Die bundesdeutschen Gerichte haben eine unmittelbare Verbindlichkeit technischer Normen jedoch überwiegend verneint und zugleich betont, daß ihnen nur mittelbar rechtserhebliche Bedeutung zukommen könne, wenn sie beispielsweise zum Gegenstand gesetzlicher Verweisungen oder vertraglicher Vereinbarungen gemacht würden 422. Schließlich weisen auch die Normenorganisationen selbst regelmäßig darauf hin, daß die technischen Normen kraft Entstehung, Trägerschaft, Inhalt und Anwendungsbereich keinerlei rechtliche Verbindlichkeit besitzen, sondern ihre Anwendung jedermann - auch den Mitgliedern - freisteht 423. Eine Rechtsnormqualität technischer Normen aufgrund von Gewohnheitsrecht besteht folglich nicht424. Damit ist als Ergebnis festzuhalten, daß technische Normen privater Normenorganisationen weder originäre noch derivative Rechtsnormen noch Gewohnheitsrecht sind und somit aus sich heraus keine rechtliche Verbindlichkeit besitzen. Der Rechtsform ihrer Urheber entsprechend stellen sie vielmehr rein private, auf freiwillige Anwendung gerichtete Empfehlungen der jeweiligen Normenorganisationen für ein "einwandfreies technisches Verhalten" an "jederNormen und freier Warenverkehr, S. 22; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 44; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 118. 421 Marburger, P., Regeln, S. 339 f.; Stefener, W., DIN-Normen, S. 29 f., jew. m.w.N. auch aus der Rechtsprechung. 422 Vgl. aus der umfangreichen Rechtsprechung nur BVerwG NJW 1962, S. 506 (506 f.); ferner die vorhergehenden Ausführungen in Fn. 387. 423 Für das DIN und die DKE vgl. DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 3 Abschn. 6 Nr. 6.1; dass., Präsidialbeschluß 4/1977, abgedruckt in: DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN, S. 33; dass., Anwenden von DIN-Normen, Nr. II, dass., Partnerschaft, S. 57; DKE, DKE-GN/2-1: 1995-01 ergänzende Festlegung zu DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 5 Abschn. 6 Nr. 6.1.; ferner die Ausführungen des Leiters der Rechtsabteilung des DIN Budde, E., DIN-Normen und Recht, S. 12; ders., Rechtliche Bedeutung, S. 146; ders., Kartellrecht und DIN-Normen, S. 573; Budde, E. u.a., DIN-Normen und Rechtsvorschriften, S. 441. Für den DVGW vgl. GW 100: 1980-04 S. 5 Abschn. 3 Nr. 3.1; Dahl, K., Das DVGW-Regelwerk, S. 384 f.; für den VDE vgl. VDE 0022: 1994-09 S. 6 f. Abschn. 8; für den VDI vgl. VDI 1000: 1981-10 S. 2 f. Abschn. 1 Nr. 1.3., die allerdings durchweg nicht die sprachliche Eindeutigkeit der DIN 820 bzw. DKE-GN/2-1 erreichen. Vgl. ferner ISO, Members, S. 43. 424 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 64 f.; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 24 f.; Kypke, U., Verbraucherinteresse, S. 105; Lukes, R., Marburger, P., Regeln, S. 337 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 134; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 44; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 15 f.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 118; Stefener, W., DIN-Normen, S. 27 ff.

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mann" dar 425 . Als solche außerrechtlichen normativen Regelungen mit Empfehlungscharakter begründen sie weder juristisch verbindliche Rechte noch Pflichten für die Träger der privaten Normenorganisationen, noch für deren Mitglieder, noch für andere Bürger, noch für den Staat selbst, solange dieser nicht seinerseits die privaten Normen unmittelbar oder mittelbar auf der Rechtssetzungsund/oder Rechtsanwendungsebene durch legislative, exekutive oder judikative Hoheitsakte rezipiert. Dementsprechend sind die Rezeptionsarten technischer Normen auf den unterschiedlichen staatlichen Rezeptionsebenen sowie deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit und Rechtsfolgen Gegenstand des nachfolgenden Kapitels. c) Die staatliche Rezeption technischer Normen aa) Begriffsdefinition "... dieses mehrstufige staatliche Normensystem [der überwachungsbedürftigen Anlagen] enthält noch nicht die abschließende Regelung des technischen Sicherheitsrechts. Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften ziehen vielmehr ihrerseits in weitem Umfang private technische Regelwerke zur Bestimmung der einzelnen Sicherheitsmaßnahmen heran und bestimmen etwa, daß bei Einhaltung der Vorschriften des VDE oder des VDI, der DIN-Normen oder der Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften die »allgemein anerkannten Regeln der Technik' als erfüllt gelten sollen. ... Da die privaten technischen Regelwerke letztlich den Inhalt der Sicherheitsanforderungen konkretisieren und hier der wahre Puls des technischen Sicherheitsrechts zu schlagen scheint weil erst hiermit die Zielsetzungen und allgemeinen Klauseln Leben und Gestalt annehmen -..."*

425

Aus der umfangreichen Rechtsprechung vgl. BVerwG NJW 1962, S. 506 (506 f.); aus der noch umfangreicheren Literatur vgl. Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 62 ff.; Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 55; Brinkmann, W., Verbraucherschutz, S. 12; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 61 ff.; Marburger, P., Regeln, S. 330 ff.; ders., Sicherheitstechnische Normen, S. 121 f.; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 208; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 42 ff., 47; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 121; Scholz, R., Technik und Recht, S. 696 ff.; Sonnenberger, H.-J., Grundfragen, S. 7; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 35 f.; Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 112. Dies proklamieren auch die Normenorganisationen selbst. Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 423 in diesem Kapitel. * Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 38 f.

314

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Unter dem Begriff "staatliche Rezeption technischer Normen" 426 sollen alle Arten unmittelbarer und mittelbarer Bezugnahme 427 auf überbetriebliche technische Normen sowohl auf der Ebene der Rechtssetzung durch die Legislative und die Exekutive als auch auf der Ebene der Rechtsanwendung durch die Exekutive - insbesondere die Aufsichts- und Genehmigungsbehörden - sowie die mit der Kontrolle der Exekutiventscheidungen befaßten Gerichte verstanden werden 428. Dabei ist die unmittelbare Rezeption technischer Normen als normative Bezugnahme zu verstehen, bei der eine technische Norm durch Gesetz, Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschrift 429 direkt rezipiert wird. Hingegen besteht im Falle der mittelbaren Rezeption zwischen einer Rechtsvorschrift, in deren Rahmen eine technische Norm Rechtsverbindlichkeit erlangt, und der technischen Norm selbst noch ein zusätzliches Verbindungsglied etwa in Form einer normativen Ermächtigung der Exekutive zur abstrakt-generellen Rezeption einschlägiger technischer Normen beispielsweise durch allgemeine Verwaltungsvorschrift 430 oder ministerielle Einführung derselben431, eines konkretindividuellen Verwaltungsakts der Aufsichts- und Genehmigungsbehörden oder einer konkret-individuellen richterlichen Entscheidung, mithin eines weiteren normativen, administrativen und/oder judikativen Rezeptionsvorgangs432.

426 Teilweise werden hier in einer erweiterten Betrachtungsweise die in Kap. I.A.5, definierten technischen Regeln untersucht, womit im wesentlichen die technischen Regeln der öffentlich-rechtlichen technischen Ausschüsse in die Betrachtungen integriert werden. Vgl. statt vieler grundlegend Marburger, P., Regeln, passim; femer die Ausführungen in Fn. 12 in Kap. II.A.l.a)bb). Diese sind im folgenden nur am Rande und auch nur dort Gegenstand der Untersuchungen, wo sie in einem Normen- und Regelsystem des Umwelt- und Technikrechts eine Zwischenebene zwischen staatlichen Rechtsnormen und technischen Normen bilden. Unabhängig davon sei darauf hingewiesen, daß die Rechtsfragen bezüglich der staatlichen Rezeption technischer Regeln der öffentlich-rechtlichen technischen Ausschüsse in der Literatur im wesentlichen als identisch mit denen bei technischen Normen qualifiziert werden. Vgl. grundlegend Marburger, P., Regeln, passim. 427 Statt unmittelbar und mittelbar finden auch die Adjektive einstufig und zweistufig Verwendung. Vgl. BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 17. 428 Vgl. dazu Kap. I.C.2.h) sowie Kap. II.A.l.a)dd)(5). 429 Diese werden nach zunehmend h.M. als Rechtsnormen qualifiziert. Vgl. die Ausführungen in Fn. 376 in Kap. II.A.l.b)cc). 430 Die, für sich betrachtet, die technischen Normen wiederum unmittelbar rezipiert, im mehrstufigen mittelbaren Rezeptionssystem jedoch nur eine Zwischenstufe darstellt. 431 So z.B. § 3 Abs. 3 S. 1 BauO NW. Vgl. dazu Kap. II.A.l.c)dd)(l)(c). 432 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 35 f.; ders., Tragweite, S. 220 ff.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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bb) Rezeptionsarten Arten der unmittelbaren Bezugnahme auf technische Normen im deutschen Recht sind die Inkorporation, die datierte - auch starr oder statisch genannte Verweisung, die undatierte - auch als gleitend oder dynamisch bezeichnete433 Verweisung jeweils auf eine oder mehrere technische Normen sowie die allgemeine Verweisung auf ein ganzes Normenwerk, wobei die Verweisungsarten funktional als normergänzende oder normkonkretisierende Verweisungen434 ausgestaltet sein können. Darüber hinaus wird hinsichtlich der Strenge der Verweisung zwischen ausschließlicher und hinweisender Verweisung auf technische Normen unterschieden. Bei der ausschließlichen Verweisung erfolgt die Bezugnahme auf Normen derart, daß der einzige Weg zur Erfüllung der diesbezüglichen Anforderungen einer technischen Vorschrift die Befolgung der rezipierten Normen ist 435 . Hingegen legt eine hinweisende Verweisung auf Normen lediglich fest, daß ein (möglicher) Weg (neben anderen) zur Erfüllung der diesbezüglichen Anforderungen einer technischen Vorschrift die Befolgung der

433 Das Begriffspaar statisch - dynamisch (bzw. antizipierend) wurde geprägt durch Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 401, und hat auch Eingang in die höchstrichterliche Rechtsprechung (BVerfGE47, S. 285 (310 ff.)) gefunden. In dieser Arbeit soll dagegen das durch ISO und IEC international definierte und auch durch CEN und CENELEC in der EN 45 020: 1993-09 für die EU und EFTA übernommene Begriffspaar datiert- undatiert Verwendung finden, da hierdurch die Verweisungsmethode, die sich lediglich durch die Angabe oder das Fortlassen des (Ausgabe-) Datums unterscheidet, präziser gekennzeichnet wird als durch die Begriffspaare starr - gleitend bzw. statisch - dynamisch, die ihrer Begrifflichkeit nach die Funktion bzw. Folge dieser Methode benennen. Damit dürften dann auch MißVerständnisse wie z.B. das folgende ausgeschlossen sein: "Die Rechtsvorschrift verweist statisch oder starr, d.h. unter Angabe der genauen Fundstelle, auf die Bekanntmachung einer sachverständigen Stelle". So Anzinger, R., Verknüpfung der Verweisungstechniken, S. 96. 434 Differenzierungen und Bezeichnungen gehen zurück auf Marburger, P., Regeln, S. 385, 390 ff. Synonym werden an anderer Stelle die Begriffspaare unmittelbar - mittelbar, selbständig - unselbständig (Scholz, R., Technik und Recht, S. 705) oder Verweisungen ohne oder mit allgemeinem Sicherheitsmaßstab (Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 61) benutzt. 435 Engl, exclusive reference to standards, franz. référence exclusive aux normes. CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 33 Abschn. 11 Nr. 11.3.1. Eine technische Norm, deren Anwendung laut eines allgemeinen Gesetzes oder einer ausschließlichen Verweisung in einer Vorschrift zwingend ist, wird "(rechts)verbindliche Norm" (engl, "mandatory standard", franz. "norme obligatoire") genannt. CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 35 Abschn. 11 Nr. 11.4.

316

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Normen ist, auf die Bezug genommen wird 436 . In weitaus größerem Umfang werden technische Normen jedoch nicht unmittelbar, sondern mittelbar staatlich rezipiert. Die mit Abstand wichtigste Methode der mittelbaren Bezugnahme auf technische Normen ist die Rezeption durch sogenannte normative Standards wie beispielsweise die "(allgemein) anerkannten Regeln der Technik", den "Stand der Technik" oder den "Stand von Wissenschaft und Technik". Weiterhin sind hier neben anderem noch die Qualifikation technischer Normen als "Verkehrssitte" (§§ 157, 242 BGB) und "Handelsbrauch" (§ 346 HGB), als "gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse" (§91 BetrVG), als Erfüllung der "im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB) und als antizipierte Sachverständigengutachten sowie die Bezugnahme auf technische Normen auf öffentlichen Märkten zu nennen. Tabelle 9

Rezeptionsarten und Rezeptionsebenen überbetrieblicher technischer Normen Rezeptionsebene Rechtssetzungsebene Legislative

Exekutive

Inkorporation

Gesetz

Rechtsv., allg. VV

Datierte Verweisung

Gesetz

Rechtsv., allg. VV

Rezeptionsart

Rechtsanwendungsebene Exekutive Judikative

Unmittelbare Rezeptionsarten

Undatierte Verweisung

Gesetz

Rechtsv., allg. VV

Normergänzende allgemeine Verweisung

Gesetz

Rechtsverordnung

Normkonkretisierende allgemeine Verweisung

Gesetz

Rechtsverordnung

436

Verwaltungsakt

Richterspruch

Engl, "indicative reference to standards", franz. "référence indicative aux normes". CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 35 Abschn. 11 Nr. 11.3.2.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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Mittelbare Rezeptionsarten Durch normative Standards

Gesetz

Rechtsv., allg. VV

Verwaltungsakt

Richterspruch

Durch andere offene Rechtsbegriffe

Gesetz

Rechtsv., allg. VV

Verwaltungsakt

Richterspruch

Als antizipierte Sachverständigengutachten

Verwaltungsakt

Richterspruch

Auf öffentlichen Märkten

Vertrag

( 1 ) Arten der unmittelbaren Rezeption technischer Normen (a) Inkorporation (aa) Inkorporation in Gesetze und Rechtsverordnungen "Mit,Super' oder ,Super-Benzin' werden Ottokraftstoffe gekennzeichnet, die den für Super-Ottokraftstoff in DIN 51 600, Ausgabe Januar 1976 (Anlage 1) aufgestellten Mindestanforderungen hinsichtlich Klopffestigkeit, Dichte, Siedeverlauf und Siedepunkt entsprechen." (§ 1 Benzinqualitätsangabeverordnung a.F.437) Die direkteste Art der Rezeption von technischen Normen in formelle und materielle Gesetze ist die Inkorporation 438. Bei dieser Regelungsmethode wird der Text einer oder mehrerer technischer Normen vollständig oder auszugsweise in den Gesetzes- oder Verordnungstext, deren Anhang, oder, wie im obigen Beispiel, eine entsprechende Anlage als tatbestandliche Voraussetzung aufgenommen439. Die zuständigen Rechtssetzungskörperschaften verabschieden den

437

§ 1 der Verordnung über die Auszeichnung der Qualitäten von Ottokraftstoffen (Benzinqualitätsangabeverordnung) vom 16.01.1976 (BGBl. I S. 135) i.d.F.d. 3. ÄnderungsV vom 20.06.1985 (BGBl. I S. 1122); diese wurde mittlerweile ersetzt durch die 10. BImSchV, die nunmehr durch datierte Verweisung auf mehrere DIN- und DIN-ENNormen Bezug nimmt und auf eine Inkorporation verzichtet. 438 Auch als "Identifizierung" bezeichnet. Lukes, R., Tragweite, S. 216 f. 439 Die methodische Einordnung der Inkorporation technischer Normen in den Anhang oder die Anlage einer Rechtsvorschrift ist umstritten. Für die hier vertretene Lösung: Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 63; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 64; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 22; Kypke, U., Verbraucherinteresse, S. 106; Lukes, R., Juristische und institutionelle Aspekte, S. 56; ders., Tragweite, S. 216 f.; Marburger, P., Bezugnahme, S. 34 f.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 100; Scholz, R., Verhältnis, S. 92; Stefener, W., DIN-Normen, S. 31. A.A., diese Fälle der datierten Verweisung zuordnend, Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 69; Böckenförde, D., Rechtsetzung und technische Normen, S. 27; BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 3; Mar-

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Regelungstext inklusive des Inhalts der technischen Normen in dem dafür vorgesehenen Verfahren als Gesetz oder Rechtsverordnung, welche anschließend in dem jeweiligen amtlichen Verkündigungsorgan (BGBl., GVB1.) förmlich verkündet werden. Als Rechtswirkung dieser Regelungsmethode nimmt der Inhalt der inkorporierten technischen Norm im Range der rezipierenden Rechtsnorm an deren Rechtsgeltung teil, d.h. die technische Lösung der Norm wird verbindlich vorgeschrieben. Hingegen erlangt die rezipierte technische Norm selbst keine Rechtssatzqualität440. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Regelungsmethode ist unstreitig. Da die technische Norm in veröffentlichter Form vorliegt, kann der Gesetzoder Verordnungsgeber entscheiden, ob er ihren Inhalt rezipieren will. Im Falle der Rezeption kann der inkorporierte Norminhalt während des zeitlichen und innerhalb des gegenständlichen Geltungsbereiches der Rechtsnorm ohne den Willen des Gesetz- oder Verordnungsgebers nicht modifiziert werden. Insbesondere ändert eine Überarbeitung der inkorporierten technischen Norm an der tatbestandlichen Zugehörigkeit des rezipierten Normeninhalts zur Rechtsnorm nichts441. Weitere Beispiele für diese Regelungsmethode finden sich u.a. in der WärmeschutzV, in deren Anlage 1 Teile der DIN 4108 (Ausgabe 1981), insbesondere die Tabelle über die Wärmeschutzmindestwerte und in deren Anlage 4 Teile der D I N 18 055 (Ausgabe 1981), speziell die Tabelle 1 über die Fugendurchlaßkoeffizienten, übernommen worden sind; ferner in dem TKG 4 4 2 , welches in seiner Anlage 1 die DIN-Norm 60 001 Blatt 1 "Faserarten" aufgenommen hat, sowie in der II. B V 4 4 3 , die in ihrer Anlage 2 die DIN-Norm 277 "umbauter Raum" inkorporiert hat 444 .

burger, P., Regeln, S. 384. Unklar, da begrifflich wie systematisch nicht eindeutig Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 60. 440 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 68; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 63; Brinkmann, W., Verbraucherschutz, S. 13; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 22; wohl auch Lukes, R., Juristische und institutionelle Aspekte, S. 56; ders., Tragweite, S. 216. 441 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 68; BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 3, 5; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 64; Marburger, P., Bezugnahme, S. 34 f.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 100; Scholz, R., Verhältnis, S. 92; Stefener, W., DIN-Normen, S. 31 f. 442 Textilkennzeichungsgesetz (TKG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 14.08.1986 (BGBl. I, 1986, Nr. 41, S. 1285-1295). 443 Verordnung über wohnungswirtschaftliche Berechnungen (Zweite Berechnungsverordnung - II. BV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 12.10.1990 (BGBl. I, 1990, Nr. 55,

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(bb) Inkorporation in allgemeine Verwaltungsvorschriften "Die Norm DIN 1074, Ausgabe Mai 1991, - Holzbrücken - wird hiermit als technische Baubestimmung nach § 3 Abs. 2 der Landesbauordnung für Baden-Württemberg (LBO) baurechtlich eingeführt. Die Norm ist als Anlage abgedruckt." (Abschn. 1 S. 1 DIN1074EErl BW 445 ) Auch im Bereich der allgemeinen Verwaltungsvorschriften findet die Regelungsmethode der Inkorporation Anwendung, indem das rechtssetzende Organ analog zu den vorherigen Ausführungen der Text einer oder mehrerer technischer Normen vollständig oder auszugsweise in den Text der allgemeinen Verwaltungsvorschrift, deren Anhang, oder, wie im obigen Beispiel, eine entsprechende Anlage übernimmt. Die Verwaltungsvorschrift wird in dem dafür vorgesehenen Verfahren verabschiedet und anschließend in dem jeweiligen amtlichen Verkündigungsorgan - beispielsweise dem Bundesarbeitsblatt - bekanntgegeben. Als Rechtswirkung dieser Regelungsmethode nimmt der Inhalt der inkorporierten technischen Norm an der Rechtsgeltung der allgemeinen Verwaltungsvorschrift teil. Die Einschätzung der Rechtsgeltung allgemeiner Verwaltungsvorschriften ist jedoch noch umstrittener als deren Rechtsnormcharakter selbst und reicht von der Verneinung einer Β indungsWirkung sogar der nachfolgenden Behörden über eine mittelbare Verpflichtung der Normadressaten bis hin zu einer modifizierten Bindungswirkung selbst der Gerichte 446. Beim Studium der aktuellen Literatur zeigt sich jedoch zunächst einmal, daß die grundlegende Annahme einer verwaltungsinternen Bindungswirkung der von der Exekutivspitze erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften für die nachgeordneten Behörden heute unstreitig ist 447 , mithin die Ansicht der Negie-

S. 2178-2202), geänd. d. WohnRVsÄndV4 v. 13.07.1992 (BGBl. I, 1992, Nr. 32, S. 1250-1252). 444 So die Ergebnisse einer Untersuchung von Budde, E., Rechtliche Bedeutung, S. 147 f. 445 Einführung Technischer Baubestimmungen; DIN 1074; Holzbrücken; Ausgabe 05.91 v. 11.02.1993 (GABI. BW, Ausg. A, 1993, Nr. 8, S. 217-218). 446 Vgl. Marburger, P., Regeln, S. 414 m.N. A.A. Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 43, nach dem die verwaltungsinterne Bindungswirkung niemals umstritten war. 447 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 376 in Kap. II.A.l.b)cc). Femer BVerwGE55, S. 250 (255); Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 78 f.; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 68; Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 49 ff.; Lerche, P., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 84 Rn. 92 ff. sowie Art. 85 Rn. 38; Marburger, P., Regeln, S. 414 f.; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 62; Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 43; Rengeling,

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

rung jeglicher Bindungswirkung keiner weiteren Betrachtung bedarf. Darüber hinaus räumen selbst Autoren, die Rechtsnormcharakter und Außenwirkung allgemeiner Verwaltungsvorschriften grundsätzlich ablehnen, ein, daß Verwaltungsvorschriften in der Staats- und Verwaltungspraxis seit langem und in stetig zunehmendem Maße auch zur Verhaltenslenkung im Außenverhältnis zwischen Hoheitsträgern und Bürgern eingesetzt werden. Dies gilt vornehmlich für das Umwelt- und Technikrecht, wo die Verwaltungsvorschriften im wesentlichen mit der Zielsetzung der Gesetzesinterpretation und/oder -konkretisierung 448 Standards der Gefahrenabwehr, Risikovorsorge und/oder sonstige Anforderungen normieren oder entsprechende technische Normen rezipieren 449. Dementsprechend fehlt es nicht an Modellen, die diese faktische Außen- bzw. Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften zu legitimieren versuchen. Von diesen sind für den hier relevanten Bereich des Umwelt- und Technikrechts insbesondere die Theorie der Selbstbindung der öffentlichen Verwaltung, die Anerkennung eines Mandats der Exekutive zur Gesetzesinterpretation und/oder -konkretisierung in Form sogenannter norminterpretierender und -konkretisierender Verwaltungsvorschriften 450 sowie die Qualifikation bestimmter Verwal-

H.-W., Stand der Technik, S. 43; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 104; Scholz, R., Verhältnis, S. 91; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 47 f. 448 Teilweise ist in diesem Zusammenhang auch von einer normergänzenden Funktion allgemeiner Verwaltungsvorschriften die Rede (vgl. z.B. Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 39; Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 159). Dieses würde bedeuten, daß der Gesetzgeber für die von den allgemeinen Verwaltungsvorschriften betroffene Regelungsmaterie keinen entsprechenden Sicherheitsmaßstab vorgegeben hätte, was jedoch, soweit ersichtlich, nirgendwo der Fall ist. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Fn. 462 in diesem Kapitel. ^Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 159. Vgl. auch Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 203 ff. 450 Norminterpretierende Verwaltungsvorschriften dienen der abstrakt-generellen Entscheidung der bezüglich der Auslegung von Gesetzen regelmäßig auftretenden rechtlichen Zweifelsfragen, um die rechtsanwendenden Bediensteten von dieser Aufgabe im konkret-individuellen Fall zu entlasten. Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 35. Dagegen dienen normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften der Präzisierung allgemeiner, zumeist in Form offener Rechtsbegriffe normierter gesetzlicher Vorgaben. Beispiel einer Ermächtigung zum Erlaß einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift ist § 7 a Abs. 1 S. 3 WHG: "Die Bundesregierung erläßt mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften über Mindestanforderungen, die den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen; enthält Abwasser bestimmter Herkunft... gefährliche Stoffe ..., müssen insoweit die Anforderungen in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften dem Stand der Technik entsprechen". Das Gesetz fordert nicht unmittelbar die Einhaltung des Sicherheitsstandards der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" bzw. des "Standes der Technik", sondern verlangt, daß sich von der Bundesregierung zu erlassende allgemeine Verwaltungsvorschriften bezüglich ihrer Anforderungen an diesem Maßstab orientieren. Da hier die

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tungsvorschriften mit wissenschaftlich-technisch kompetentem Aussagegehalt als antizipierte Sachverständigengutachten von Bedeutung. Da jedoch das BVerwG die Rechtsfigur des antizipierten Sachverständigengutachtens im Wyhl-Urteil zugunsten der Theorie der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift aufgegeben hat 451 und sich Rechtsprechung und Literatur dieser Ansicht weitgehend angeschlossen haben452, sollen im folgenden lediglich die beiden ersten Ansätze betrachtet werden. Sofern allgemeine Verwaltungsvorschriften nicht nur rein interne Angelegenheiten der Behörden selbst regeln, ist nach vielfach vertretener Ansicht bereits die Annahme von deren verwaltungsinterner Bindungswirkung geeignet, dem Inhalt der Verwaltungsvorschrift - und damit auch dem rezipierten Normeninhalt - eine indirekte Außenwirkung zu verleihen, sofern der Behörde im Rahmen des Gesetzes Vollzuges ein Spielraum eigener Entscheidung zusteht453. Exekutive das Niveau der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" bzw. des "Standes der Technik" in nach außen wirksamen, grundrechtsrelevanten Verwaltungsvorschriften konkretisiert, liegt seitens der Exekutive eine Gesetzeskonkretisierung unter Ausschluß einer gesetzlichen Rechtmäßigkeitskontrolle vor. Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 156 f., der sogar von der Definition des Sicherheitsmaßstabs durch die Behörden ausgeht. Die Gerichte waren bis dahin von der vollen Justitiabilität offener Rechtsbegriffe ausgegangen. Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 124 m.N. aus der Rechtsprechung. 451 BVerwGE 72, S. 300 (320 f.). 452 Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 115. Auf die Rechtsfigur des antizipierten Sachverständigengutachtens wird - bezogen allerdings auf technischer Normen - im Rahmen der mittelbaren Rezeption technischer Normen in den Unterabschn. des Kap. II.A.l.c)bb)(2)(c) eingegangen. Allerdings erscheint es gleichermaßen zweifelhaft, ob sich die Figur der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift durchzusetzen vermag. Gegen eine entsprechende Anerkennung spricht auf nationaler Ebene neben der deutlichen und durchaus überzeugenden Ablehnung der Rechtsfigur in Teilen der Literatur (vgl. Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 191; Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 159, jew. m.z.w.N.) insbesondere auch die merkliche Zurückhaltung des BVerfG (BVerfGE78, S. 214 (227); 80, S. 257 (265)), welches diese als "Sonderfall des Atomrechts" apostrophiert und deren verfassungsrechtliche Beurteilung bislang offengelassen hat, und auf europäischer Ebene die eindeutige Ablehnung des Instruments der (normkonkretisierenden) Verwaltungsvorschrift zur Umsetzung europarechtlicher Richtlinien durch den EuGH (Rs. C-131/88 "Vertragsverletzung eines Mitgliedsstaates Nichtumsetzung einer Richtlinie- Grundwasser", Slg. 1991, S. 1-825; Rs. C-361/88 "Richtlinie - Natur der Maßnahme zur Umsetzung in innerstaatliches Recht - Luftverschmutzung", Slg. 1991, S. 1-2567; Rs. C-59/89 "Richtlinie - Natur der Maßnahme zur Umsetzung in innerstaatliches Recht - Luftverschmutzung - Blei", Slg. 1991, S. 1-2607). Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 53. 453 Nur innerhalb eines solchen "Spielraums", d.h. nur wenn der Exekutive ein die strikte Gesetzesbindung durchbrechender Ermessens- oder - bei der Anwendung offener Rechtsbegriffe - Beurteilungsspielraum durch das Gesetz eingeräumt wird (Papier, H.-J.,

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

In der berechtigten, durch die Publikation der allgemeinen Verwaltungsvorschrift in amtlichen Verkündungsblättern bestärkten Annahme, daß die Behörden sich nach den Vorschriften richten werden, orientieren die Betroffenen ihr Verhalten ebenfalls daran. Diese außenrechtssteuernde Funktion der Verwaltungsvorschriften als Folge einer auf ihnen basierenden tatsächlichen Verwaltungspraxis wird als Selbstbindung der Verwaltung bezeichnet454. Diese ist allerdings je nach der Art des Verwaltungshandelns von unterschiedlicher Intensität. Am schwächsten ausgeprägt ist sie bei der Beschaffung der sächlichen Verwaltungsmittel, da sich die Verwaltung hier privatrechtlicher Handlungsformen bedient und die technischen Normen nicht durch einseitigen Hoheitsakt der Exekutive, sondern durch einverständliche vertragliche Regelung für den Bürger Verbindlichkeit erlangen 455. Am stärksten ausgeprägt ist sie bei Verwaltungsvorschriften, die den Gesetzesvollzug mit dem Ziel einer einheitlichen Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Regelungen steuern, indem die zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörden angewiesen werden, die in den Verwaltungsvorschriften rezipierten technischen Normen als Konkretisierung des im jeweils zugrunde liegenden Gesetz vorgegebenen Sicherheitsmaßstabs anzusehen456.

Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 160), kann eine Verwaltungsvorschrift eine Außenwirkung kraft Selbstbindung entfalten. Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 69 m.z.N. aus Rechtsprechung und Literatur. 454 Nach diesem Ansatz besteht, gestützt auf den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG die Forderung, daß die Verwaltung ihr Ermessen gleichmäßig ausübt, was in dieser Betrachtung durch die entwickelte tatsächliche Verwaltungspraxis aufgrund des Erlasses und der regelmäßigen Beachtung allgemeiner Verwaltungsvorschriften begründet wird. Lerche, P., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 84 Rn. 101. Vgl. auch Brinkmann, W., Verbraucherschutz, S. 20; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 69; Marburger, P., Regeln, S. 415, 417 ff.; ders., Bezugnahme, S. 46; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 66; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 137 ff. Kritisch gegenüber der Figur Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 48 ff., der stattdessen für die Anerkennung eines originären Administrationsrechts mit Außenwirkung plädiert, und, sofern man "die alte Selbstbindungskonstruktion" erhalten wolle, deren Rechtfertigung nicht in Art. 3 GG, sondern im Vertrauensschutzgedanken sieht, damit eine Selbstbindung schon mit dem Erlaß und der ersten Anwendung der allgemeinen Verwaltungsvorschrift begründet werden kann. Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 51 m.N. aus der Rechtsprechung. 455 Marburger, P., Regeln, S. 415 f.; ders., Bezugnahme, S. 47. Allerdings kann man in diesem Fall kaum von einer ausgewogenen gemeinsamen Willenserklärung sprechen; vielmehr dürfte dem Betroffenen in der Praxis kaum eine andere Wahl bleiben, als die Wünsche des "Kunden" Staat zu erfüllen. 456 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 69 ff.; Marburger, P., Regeln, S. 414 ff.; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 59; Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 38, 47, 53; Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 159 ff.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, passim.

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Soweit es sich um rein norminterpretierende Verwaltungsvorschriften handelt, wird nach herrschender Meinung ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorgaben, begründet durch ein "Vorverlagern" der verbindlichen Letztentscheidungskompetenz durch den Gesetzgeber auf die administrative Ebene und eine daraus resultierende Einschränkung der judiziellen Interpretationskompetenz abgelehnt457. Die richterliche Kontrolle behördlicher Verwaltungsakte, die in Ausführung einer technische Normen inkorporierenden norminterpretierenden Verwaltungsvorschrift ergangen sind, erstreckt sich folglich auch darauf, ob die rezipierten Normen ihrem Inhalt nach die zugrundeliegende formelle oder materielle Gesetzesnorm zutreffend interpretieren 458. Auch bezüglich des Normadressaten entfalten nach herrschender Meinung norminterpretierende Verwaltungsvorschriften keine verpflichtende Wirkung 459 . Anders ist die Rechtslage bei den im Umwelt- und Technikrecht seit dem Wyhl-Urteil des BVerwG 460 anerkannten "normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften", die unter bestimmten Voraussetzungen - nämlich dann, wenn sie auf einer spezifischen verwaltungsgesetzlichen Grundlage beruhen und dieses betreffende Gesetz zugleich eine Beurteilungs- und Konkretisierungsermächtigung der Exekutive enthält461 - "für

Vgl. dazu bezüglich des Normen- und Regelsystems des Bauordnungsrechts Kap. II.A.l.c)dd)(l)(c) und hinsichtlich des Normen- und Regelsystems der Gerätesicherheit und der überwachungsbedürftigen Anlagen Kap. II.A.l.c)dd)(4)(c). 457 BVerwGE 72, S. 300, 320; BVerwG NJW 1962, S. 506 (507); Backherms, J., Recht und Technik, S. 13; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 69 ff., 75 ff.; Erichsen, H.-U., Unbestimmte Rechtsbegriffe - Problematik, S. 111 ff.; Lerche, P., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 84 Rn. 102 f.; Marburger, P., Regeln, S. 416; ders., Bezugnahme, S. 47; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 62 ff.; Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 47; Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 160; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 43. A.A. bezüglich der Einschränkung der judikativen Kontrollbefugnis Marburger, P., Regeln, S. 422 f. Grundsätzlich a.A. Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 156 f. 458 Marburger, P., Bezugnahme, S. 47. 459 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 69 ff., 75 ff.; Lerche, P., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 84 Rn. 102 f.; Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 47. 460 BVerwGE 72, S. 300. 461 Wenn das Gesetz erkennbar macht, daß die Verwaltung einen offenen Rechtsbegriff nicht nur anwenden, sondern für die Anwendung auf einer normativen Ebene erst durch Konkretisierung zur Vollzugsfähigkeit verhelfen soll, verleiht es einen Konkretisierungsauftrag an die Verwaltung. Wenn durch ein bestimmtes Verfahren oder durch die Einsetzung pluralistischer Gremien unter Anordnung zumindest faktischer Bindungswirkungen derer Voten erkennbar wird, daß der Verwaltung zudem eine begrenzte Letztentscheidungskompetenz in der Sache selbst übertragen werden soll, tritt neben die Konkretisierungskompetenz noch eine besondere Beurteilungsermächtigung. Di Fabio,

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

die Verwaltungsgerichte innerhalb der von der Norm gesetzten Grenzen verbindlich" sind 462 .

U., Technische Baubestimmungen, S. 68 f.; Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 162, jew. m.w.N. 462 BVerwGE 72, S. 300 (316 f., 320 f.). Vgl. aus der Literatur: Beckmann, M., Umweltrecht, S. 323 f.; Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 49 f., 64 ff.; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 115, 156 f.; Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 68; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 145; Marburger, P., Bezugnahme, S. 47; Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 53; Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 159 ff. Der Sache nach auch Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 104. A.A. noch BVerwGE 55, S. 250 (255): "Die auf Grund des § 48 BImSchG erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften sind keine Rechtsnormen. Sie binden mithin nur die Verwaltung beim Vollzug des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, mangels normativer Geltung jedoch weder den Betreiber einer genehmigungsbedürftigen Anlage noch die Gerichte bei Anwendung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, und ziehen schließlich auch gegenüber den von den Immissionen einer genehmigungsbedürftigen Anlage betroffenen Personen keine normativen Grenzlinien zwischen zulässigen und unzulässigen Immissionen."; femer Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 78 f.; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 68; Becker, U., Gerätesicherheit, S. 151; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 69 ff., 75 ff.; ders., Internationale Orientierung, S. 49 ff.; Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 191 f.; Lerche, P., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 84 Rn. 103; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 104; Scholz, R., Verhältnis, S. 91; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 47 f. Hinsichtlich Interpretation und Beurteilung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften gehen die Meinungen weit auseinander: Auf der einen Seite spricht Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 53 von "normergänzenden und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften", die demnach nicht (nur) der Konkretisierung, sondern (auch) der Ergänzung gesetzlicher Vorgaben dienen. Diesbezüglich führt er an anderer Stelle aus: Vervollständigen allgemeine Verwaltungsvorschriften das förmliche Gesetzesrecht, indem sie bewußt offengelassene Gesetzeslücken schließen, avancieren sie zu administrativem Ergänzungsrecht (ebd., Rn. 39). Diese haben nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine unmittelbare, nicht erst durch Gesetz vermittelte Außenwirkung und erzeugen damit allgemeinverbindliches Recht (ebd., Rn. 45 m.z.N. aus Rechtsprechung und Literatur). Solche verhaltenslenkenden Verwaltungsvorschriften regeln mit allgemeinverbindlicher Wirkung das StaatBürger-Verhältnis und seien so bezüglich ihrer Bindungswirkung vergleichbar mit den Rechtsverordnungen im herkömmlichen Sinne, allerdings als ein nicht von der Verfassung abgeleitetes, originäres Exekutivrecht (ebd., Rn. 45), welches Ossenbühl auch für den Bereich der Ermessensrichtlinien reklamiert (ebd., Rn. 50 ff.). Demgegenüber führt Papier aus: "Die Trennung zwischen dem auf das Organwalterverhältnis ausgerichteten Innenrecht und den Gesetzen im materiellen Sinn, denen allein die Rechtsquelleneigenschaft im Staat-Bürger-Verhältnis zukommen kann, folgt zwingend aus dem geltenden Verfassungsrecht. Billigte man den Verwaltungsvorschriften eine Rechtssatzqualität zu und setzte man sie demgemäß auf eine gleiche Stufe wie die Rechtsverordnungen, so erhielte die Exekutive ein originäres, parakonstitutionelles Verordnungsrecht, das den Art. 80 Abs. 1 GG ebenso mißachtete wie den allgemeinen Grundsatz der Gewaltenteilung und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 2

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Übertragen auf die Inkorporation technischer Normen in eine allgemeine Verwaltungsvorschrift bedeutet das, daß zunächst einmal der inkorporierte Normeninhalt 463 grundsätzlich für die nachgeordneten Behörden als Dienstbefehl verbindlich ist. Handelt es sich dabei um Regelungen, deren Inhalt sich nicht auf behördeninterne Angelegenheiten beschränkt wie insbesondere die hier relevanten allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Umwelt- und Technikrechts, so erzeugen diese als verbindlicher Entscheidungsmaßstab ihrer Adressaten, d.h. in der Regel der zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörden, eine indirekte Außenwirkung kraft Selbstbindung der Verwaltung. Denn der Normadressat darf sich in aller Regel darauf verlassen, daß die für den Vollzug der jeweiligen normativen Regelung zuständige Genehmigungs- oder Überwachungsbehörde die gesetzlichen Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen als erfüllt ansieht, wenn das betreffende technische Erzeugnis den in die allgemeinen Verwaltungsvorschriften inkorporierten technischen Normen entspricht, und daß Beanstandungen sowie etwaige weitere, darüber hinausgehende behördliche Maßnahmen unterbleiben464. Handelt der Normadressat schließlich entsprechend den in eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift inkorporierten technischen Normen, so haben die Behörden und - soweit der Beurteilungsspielraum reicht - auch die Gerichte davon auszugehen, daß dem gesetzlich determinierten Schutz- und Sicherheitsniveau Genüge geleistet wurde 465. Diese Verpflichtung entfällt jedoch bei Vorliegen eines atypischen Sachverhaltes, d.h. wenn die rezipierten technischen Normen ungeeignet, fehlerhaft oder veraltet sind oder aus sonstigen Gründen dem normativen Schutz- und Sicherheitsniveau nicht gerecht werden 466. Damit erlangt letztlich der Inhalt der allgemeinen Verwaltungsvorschriften inklusive der rezipierten technischen Normen erst durch Verwaltungsakt für den Normadressaten Verund 3 GG)". Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 159 m.z.N. Ohne in diesen Meinungsstreit einzutreten, sollen die normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften aufgrund ihrer weitgehenden Akzeptanz in Rechtsprechung und Literatur in die Betrachtungen einbezogen werden. 463 Auch bei der Rezeption in allgemeine Verwaltungsvorschriften werden die rezipierten technischen Normen nicht selbst zu Verwaltungsvorschriften, sondern nur deren Inhalt. A.A. - die technischen Normen würden durch die Inkorporation selbst in den Rang allgemeiner Verwaltungsvorschriften erhoben - Marburger, P., Regeln, S. 68, 86. 464 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 78 f.; Marburger, P., Regeln, S. 415. 465 Marburger, P., Regeln, S. 425. 466 Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 22; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 62; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 9, jew. m.w.N. Daß solche Fälle praktisch, wenn auch selten, vorkommen, belegen die Beispiele aus der Rechtsprechung bei Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 3 ff.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

bindlichkeit467. Auf der anderen Seite können sowohl die Selbstbindung der Verwaltung als auch die normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften nicht Grundlage belastender Verwaltungsakte sein, die den Normadressaten zur Einhaltung der rezipierten technischen Normen zwingen; diesem steht es vielmehr frei, auch abweichende technische Lösungen zu wählen; er muß dann jedoch seinerseits die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen gegenüber den Behörden und gegebenenfalls den Gerichten nachweisen468. Gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Regelungsmethode bestehen - auch bei eventuellen Außenwirkungen der rezipierenden Verwaltungsvorschrift- keine Bedenken. Der inkorporierte Norminhalt ist dem Verwaltungsvorschriftengeber bekannt und kann ohne dessen Willen - auch durch eine Überarbeitung der entsprechenden technischen Norm durch die normschaffende Institution - nicht geändert werden 469. Bekannteste Beispiele für diese Regelungsmethode sind die allgemeinen Verwaltungsvorschriften TA Luft und TA Lärm auf Grundlage der §§48 und 51 BImSchG, die in erheblichem Umfang den Inhalt der einschlägigen VDIRichtlinien und DIN-Normen übernommen haben470, sowie die Einführung zahlreicher technischer Normen im Rahmen der Landesbauordnungen durch die obersten Landesbaubehörden mittels Inkorporation in ministerielle "Erlasse", "Bekanntmachungen" oder "Richtlinien" und deren Bekanntgabe im Ministerialblatt 471.

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Becker, U., Gerätesicherheit, S. 151. Marburger, P., Regeln, S. 425; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 66 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 93. 469 I.d.S., allerdings ohne explizite Nennung der Inkorporation Marburger, P., Regeln, S. 416 f.; ders., Bezugnahme, S. 48. I.E. ebenso Strecker, Α., Verknüpfung, S. 47 f., der allerdings als Begründung der Zulässigkeit den fehlenden Rechtsnormcharakter und den auf das Innen Verhältnis begrenzten Geltungsbereich allgemeiner Verwaltungsvorschriften anführt. 470 Und die darüber hinaus in datierter Form auf weitere DIN-Normen und VDIRichtlinien verweisen. Vgl. dazu Kap. II.A.l.c)dd)(2)(c). 471 Zum größeren Teil wird allerdings in datierter Form auf die entsprechenden technischen Normen verwiesen. Marburger, P., Regeln, S. 86 f.; Scholz, R., Verhältnis, S. 91; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 47 f. Dieser Einführungsvorgang wurde als (normkonkretisierende) allgemeine Verwaltungsvorschrift qualifiziert. Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 57, 74; Marburger, P., Regeln, S. 86; ders., Bezugnahme, S. 42; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 45 ff. Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 62 spricht von einem "besonderen Verwaltungsakt". A.A. Scholz, R., Technik und Recht, S. 698, 700 f.; ders., Verhältnis, S. 90, der diese Einführung als intermediär zwischen VerwaltungsVorschrift und Rechtsverordnung bzw. deren subdelegatarischen Einsatzes einordnet. 468

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(b) Verweisung Bei dem Instrument der Verweisung auf technische Normen in Rechtsvorschriften 472 erfolgt anstatt der Wiedergabe detaillierter (technischer) Festlegungen innerhalb einer Vorschrift die Verweisung auf eine oder mehrere technische Normen oder ein ganzes Normen werk 473 . Dabei erlangen die technischen Normen je nach Art der Verweisung - hier sind die datierte (starre, statische), die undatierte (gleitende, dynamische) und allgemeine Verweisung zu unterscheiden - und deren Funktionalität - als normergänzende oder normkonkretisierende Verweisung - eine unterschiedlich starke rechtliche Bedeutung. (aa) Datierte Verweisung α) Datierte Verweisung in Gesetzen und Rechtsverordnungen "In Kraftomnibussen sind Verbandskästen, die selbst und deren Inhalt an Erste-HilfeMaterial den Normblättem DIN 13 163, Ausgabe Dezember 1987 oder DIN 13 164, Ausgabe Dezember 1987 entsprechen, mitzuführen ..." "In anderen als den in Absatz 1 genannten Kraftfahrzeugen ... ist Erste-Hilfe-Material mitzuführen, das nach Art, Menge und Beschaffenheit mindestens dem Normblatt DIN 13 164, Ausgabe Dezember 1987 entspricht." "Soweit in dieser Verordnung auf DIN- oder ISONormen Bezug genommen wird, sind diese im Beuth Verlag GmbH, Postfach 1145, 1000 Berlin 30, VDE-Bestimmungen auch im VDE-Verlag, Bismarckstr. 33, 1000 Berlin 12, erschienen. Sie sind beim Deutschen Patentamt archivmäßig gesichert niedergelegt." (§§ 35h Abs. 1 und 3, 73 StVZO)

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Engl, "reference to standards (in regulations)", franz. "référence aux normes (dans la réglementation)". Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik ist im gesamten Bereich der Rechtssetzung seit langem von erheblicher Bedeutung. Vgl. aus der Rechtsprechung: BVerfGE 26, S. 338 (364 ff.); 47 S. 285; 64, S. 208; aus dem Schrifttum: DIN (Hrsg.), Verweisung auf technische Normen in Rechtsvorschriften, Berlin, Köln, 1982; Arndt, G., Dynamische Rechtsnorm ver Weisung, S. 789; Baden, E., Dynamische Verweisungen, S. 623 ff.; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, passim; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, passim; ders., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 39. 473 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1991-05 S. 35 Abschn. 11 Nr. 11.1; vgl. auch die Definition der ECE, abgedruckt in: DIN, DIN 820-3: 1975-03 S. 9 Anhang A Nr. A.7. Bei Verweisungen ist zu unterscheiden zwischen derjenigen Vorschrift, welche die Verweisung enthält - der "Verweisungsnorm" - und derjenigen Vorschrift, auf die verwiesen wird, dem "Verweisungsobjekt". Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 19; ähnlich Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 401.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Bei der Regelungsmethode der datierten (starren, statischen) Verweisung auf technische Normen 474 wird in Rechtsnormen zur Ergänzung ihres Tatbestandes 475 auf eine oder mehrere technische Normen oder auch Normteile in einer durch Normblattnummer und Ausgabe(datum) genau bezeichneten Fassung Bezug genommen, wobei diese Angaben gegebenenfalls durch Titel, Bezugsquelle und/oder Hinweise auf eine etwaige Bekanntmachung im Bundesanzeiger, eine archivmäßige Hinterlegung beim Deutschen Patentamt u.a.m. ergänzt werden 476 . Als Rechtswirkung einer datierten Verweisung wird der Inhalt der in Bezug genommenen technischen Norm in die rechtliche Regelung rezipiert und nimmt im Range der verweisenden Rechtsnorm an deren Rechtsgeltung teil; d.h., die technische Lösung der Norm wird für den betroffenen Normadressaten sowie die Behörden und Gerichte verbindlich vorgeschrieben 477. Gleiches gilt nicht für die rezipierte technische Norm selbst, deren Rechtscharakter als eine priva-

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Engl, dated reference (to standards), franz. référence datée (aux normes). Grundlegend zur datierten Verweisung aus der Sicht der Wissenschaft: Hunscha, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, passim; aus der Sicht der Verwaltung: Strecker, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Verwaltung, passim; aus der Sicht der Wirtschaft: Mayer, T. R., Die starre Verweisung aus Sicht der Wirtschaft, passim. 475 Soweit ersichtlich, ist die datierte Verweisung regelmäßig als ergänzende Bezugnahme einer unvollständigen Verweisungsnorm, also als normergänzende Verweisung, ausgestaltet. Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 136; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 30. A.A. Marburger, P., Regeln, S. 385 ff., jedoch wohl nur aus Gründen systematischer Vollständigkeit, da ohne Beispiele. 476 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 68; Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 208; BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 3; CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 33 Abschn. 11 Nr. 11.2.1; Erhard, R., Technische Standards, S. 6 ff.; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 64 f.; Marburger, P., Regeln, S. 384, 387; ders., Bezugnahme, S. 38; ders., Technische Sicherheit, S. 20; Mayer, T. R., Die starre Verweisung aus Sicht der Wirtschaft, S. 88 f.; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 401; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 55. Vgl. auch die Definition der ECE, abgedruckt in: DIN, DIN 820-3: 1975-03 S. 10 Anhang A Nr. A.8. 477 BVerfGE 47, S. 285 (309 f., 312 f.); Arndt, G., Dynamische Rechtsnormverweisung, S. 784 f.; Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 113; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 61; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 32; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 65; Marburger, P., Regeln, S. 387; ders., Bezugnahme, S. 38; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 107; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 55. Jedoch wird dem Inhalt der technischen Norm dadurch keine Allgemeinverbindlichkeit über den Geltungsbereich des rezipierenden Gesetzes hinaus verliehen. Erhard, R., Technische Standards, S. 6; Marburger, P., Regeln, S. 388; ders., Bezugnahme, S. 38.

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te, auf freiwillige Anwendung gerichtete Empfehlung unverändert bleibt478. Damit ist die Rechtswirkung der datierten Verweisung identisch mit derjenigen der Inkorporation. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Verweisung sind vornehmlich deren Vereinbarkeit mit dem demokratischen Prinzip, dem Gebot der Gesetzesbestimmtheit und -klarheit sowie den formalen Publikationserfordernissen zu untersuchen479. Da die technische Norm in veröffentlichter Form vorliegt, kann der Gesetz- oder Verordnungsgeber entscheiden, ob er ihren In478 Ferner konstituiert nach weitaus h.M. eine datierte Verweisung auf technische Normen entgegen früher verschiedentlich vertretener Ansicht auch keine derivative Rechtssetzungsbefugnis der Normenorganisationen. Arndt, G., Dynamische Rechtsnormverweisung, S. 784 f.; Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 69; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 65; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 65; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 30 ff., 131 f.; Lukes, R., Juristische und institutionelle Aspekte, S. 58; ders., Tragweite, S. 216 f.; Marburger, P., Regeln, S. 388; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 208; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 402; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 44; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 55; Stefener, W., DIN-Normen, S. 32 f. A.A. hinsichtlich des Rechtscharakters der rezipierten technischen Normen Hunscha, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 77. 479 Hingegen bedarf der aus den Art. 1 Abs. 3 sowie 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG abgeleitete Grundsatz der gewaltenteiligen Funktionenordnung des Staates in diesem Zusammenhang keiner Überprüfung, da sich die genannten Artikel nach herrschender Meinung ausschließlich auf den Staat und die "Staatsverfassung" und nicht auf die Gesellschaft und die "Gesellschaftsverfassung" beziehen: Während Art. 20 Abs. 2 GG sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Sinn der Vorschrift ausschließlich die Staatsgewalt, d.h. den Staat, regelt, folgt dies für die Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG daraus, daß sich diese direkt an die gesetzgebende, die vollziehende und die rechtsprechende Gewalt, d.h. die drei klassischen Staatsgewalten, wenden, die überdies in dem eindeutig ausgerichteten Art. 20 Abs. 2 GG bereits als solche eingeführt sind. Herzog, R., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 20 Abschn. I Rn. 51, Abschn. V Rn. 145 ff. und Abschn. VI Rn. 145 ff. Kritisch zur Trennung von Staat und Gesellschaft Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 159 ff. A.A. - die gewaltenteilige Funktionenordnung beinhalte nicht nur das Verbot von Übergriffen in Aufgabenbereiche anderer Hoheitsträger, sondern auch das Verbot der freiwilligen Preisgabe typischer Funktionen dieser Gewaltenträger - Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 27; Marburger, P., Regeln, S. 392. Namentlich greift eine staatliche rechtssetzende Gewalt durch eine statische Verweisung auf private technische Normen nicht in den durch die "Kernbereichslehre" des BVerfG (vgl. ebd., Abschn. V Rn. 115 m.z.N.) geschützten Kernbereich der beiden anderen Gewalten ein. Dies gilt gleichermaßen für sämtliche nachfolgend diskutierten Verweisungsarten einer staatlichen auf eine private technische Norm. Dennoch wird der Grundsatz der gewaltenteiligen Funktionenordnung häufig in die verfassungsrechtliche Prüfung der Verweisungsarten einbezogen. Vgl. bezüglich der statischen Verweisung auf technische Normen Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 101 ff., 136; Marburger, P., Regeln, S. 387.

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halt rezipieren will. Im Falle der Rezeption kann der bezogene Norminhalt während des zeitlichen und innerhalb des gegenständlichen Geltungsbereiches der Verweisungsnorm ohne den Willen des Gesetz- oder Verordnungsgebers nicht geändert werden. Selbst wenn die Normungsinstitution in der Zwischenzeit eine neue Ausgabe der rezipierten Norm veröffentlicht, bleibt für die Verweisung doch die datiert in Bezug genommene Ausgabe maßgebend, solange keine dementsprechende Änderung der verweisenden Rechtsnorm erfolgt 480. Da somit die statische Verweisung keinerlei Übertragung von Gesetzgebungsbefugnissen auf nicht demokratisch legitimierte außerstaatliche Stellen begründet, bestehen gegen die datierte Verweisung auf technische Normen im Hinblick auf das demokratische Prinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2, 21, 28, 38 und 79 Abs. 3 GG) der Verfassung keine materiell-verfassungsrechtlichen Bedenken481. Ebenso trägt nach allgemeiner Ansicht die hinreichend konkrete Bezeichnung der rezipierten Norm nach Normblattnummer und Ausgabedatum sowie die inhaltliche Klarheit der Norm selbst482 dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 S. 1 GG) abgeleiteten Gebot der Gesetzesbestimmtheit und -klarheit Rechnung483, so daß nach weitaus herrschender Meinung die datierte Verweisung materiell-verfassungsrechtlich unbedenklich ist 484 . Schließlich wird im An480 BVerfGE 47, S. 285 (312); Arndt, G., Dynamische Rechtsnormverweisung, S. 784; Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 208; CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 33 Abschn. 11 Nr. 11.2.1.; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 135 f., 162 f., 180; Marburger, P., Regeln, S. 387; ders., Technische Sicherheit, S. 20; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 401. 481 BVerfGE 8, S. 274 (302); 22, S. 330 (345 f.); 47, S. 285 (312); Arndt, G., Dynamische Rechtsnormverweisung, S. 784, 787; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 132 ff., 180; Marburger, P., Regeln, S. 387; ders., Bezugnahme, S. 39; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 32; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 401 f. 482 Die Erfüllung der Anforderung der inhaltlichen Klarheit technischer Normen wird, soweit ersichtlich, nirgends angezweifelt. 483 BVerfGE 5, S. 25 (31); 8, S. 274 (302); 22, S. 330 (346); 26, S. 338 (367); 47, S. 285 (311); BVerwG NJW 1962, S. 506; Arndt, G., Dynamische Rechtsnormverweisung, S. 784; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 150; Marburger, P., Regeln, S. 387; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 32; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 405 f. 484 BVerfGE 47, S. 285 (312); BVerwGE 55, S. 250 (264); Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 208; Brinkmann, W., Verbraucherschutz, S. 14; Erhard, R., Technische Standards, S. 6; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 65; Marburger, P., Regeln, S. 387; ders., Bezugnahme, S. 39; ders., Technische Sicherheit, S. 20; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 32; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 408. Dies gilt bei verfassungskonformer Auslegung gleichfalls für die sog. verdeckte undatierte Verweisung, bei der eine datiert in Bezug genommene technische Norm ihrer-

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schluß an die Rechtsprechung des BVerwG 485 die (datierte) Verweisung auf technische Normen auch hinsichtlich des formal-verfassungsrechtlichen Postulats ordnungsgemäßer Publikation gemäß Art. 82 Abs. 1 GG überwiegend für zulässig erachtet, da die technischen Normen für die Betroffenen zugänglich d.h. im Buchhandel sowie bei den Fachverlagen der Normenorganisationen zu verhältnismäßigen Preisen zu beziehen - und ihrer Art nach für amtliche Anordnungen geeignet sind 486 . seits in undatierter Form nicht nur norminterpretierend, sondern normergänzend auf andere technischen Normen weiterverweist, die- als Ketten Verweisung nach Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 106 f. - ihrerseits auf weitere technische Normen verweisen. Da der Sinn der verweisenden Rechtsnorm aufgrund der Verweisungsart ganz eindeutig derart zu interpretieren ist, nur die spezifizierte Fassung der technischen Norm zu rezipieren, ist eine verfassungskonforme Auslegung in eine durchgehende datierte Verweisung möglich und geboten. Danach findet eine inhaltliche Fixierung der durch Weiterverweisung bezogenen technischen Normen auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der verweisenden Rechtsnorm statt. Marburger, P., Regeln, S. 388 f., 395; ders., Bezugnahme, S. 40; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 56 f. Die verdeckte undatierte Verweisung stellt die Regel und nicht die Ausnahme dar, da ein modularer Aufbau der Normenwerke im Interesse der Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit des Normenwerkes und eines hohen Anwendemutzens nicht nur von der Wissenschaft gefordert (vgl. Susanto, Α., Entwicklung von Normen, passim), sondern auch von den Normenorganisationen in hohem Maße angestrebt wird (so beispielsweise von DIN und DKE: "Ein Normungsgegenstand darf nur an einer Stelle des Deutschen Normenwerkes behandelt werden. Die einzelnen Normen haben, wenn sie eine bereits an anderer Stelle des Deutschen Normenwerkes getroffene Festlegung übernehmen, auf die Fundstelle zu verweisen und sie nicht zu wiederholen". DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 4 Abschn. Erläuterungen; dass., DIN 820-4: 1986-01 S. 7 Abschn. Erläuterungen; vgl. auch DKE, DKE-GN/2-1: 1995-01 ergänzende Festlegung zu DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 5 Abschn. 5 Nr. 5.5; dies., DKE-GN/2-3: 1995-01 S. 1 Fn. 1). Dabei ist die undatierte Verweisung zu bevorzugen. DIN, DIN 820-23: 1983-09 S. 4 Abschn. 5 Nr. 5.1; vgl. auch DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 2 Abschn. 5 Nr. 5.5; dies., DIN 820-4: 1986-01 S. 6 Abschn. 7; dies., DIN 820-23: 1983-09 S. 4 Abschn. 5 Nr. 5.3. Allerdings schreibt das DIN für Normen, die von vornherein nach § 1 Abs. 2 der Vertrages mit der Bundesrepublik Deutschland für die Verweisung in Rechtsvorschriften vorgesehen sind, die datierte Verweisung vor. DIN, DIN 820-23: 1983-09 S. 5 Erläuterungen. 485 BVerwG NJW 1962, S. 506; vgl. auch Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 205 f. m.z.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur. 486 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 69 ff.; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 62; Debelius, J., Regeln der Technik, S. 55; Erhard, R., Technische Standards, S. 7 f.; Marburger, P., Regeln, S. 408 ff., 413; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 37 ff.; ders., Bezugnahme, S. 45. Eine Archivierung ist nicht zwingend erforderlich, da Belegstücke der Vorauflagen sowohl bei den normschaffenden Institutionen selbst als auch bei den Verlagen sowie in der Deutschen Bibliothek aufbewahrt werden, so daß eine weitere Redundanz weder sinnvoll noch notwendig erscheint. Marburger, P., Regeln, S. 412 f. Strengere Anforderungen - Angabe der Bezugsquelle, z.T. auch Archivierung des Verweisungsobjektes - stellen: Backherms, J., Recht und Technik, S. 12; Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 212; Brinkmann, W., Verbraucherschutz, S. 13 f.;

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Weitere Beispiele der datierten Verweisung auf überbetriebliche technische Normen finden sich u.a. in den §§ 55 a Abs. 1, 59 Abs. 2 StVZO, §§ 2 Nr. 12, 3 Abs. 1 Nr. 9 der 1. BImSchV 487 , § 2 Abs. 1 und 2, §§ 3, 4, 6 Nr. 1, 2, 3, 4 sowie § 9 der 10. BImSchV, §§ 39 Abs. 1 Nr. 8, 40 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 8, Abs. 14 Nr. 3 u.a.m. SSV, Nr. 2 a)-d) und Nr. 3 des Anhangs I zu § 3 Abs. 2 VbF sowie in dem Anhang 2 der SchankV. ß) Datierte Verweisung in allgemeinen Verwaltungsvorschriften "Die Norm DIN 4102 Teil 4, Ausgabe März 1994, - Brand verhalten von Baustoffen und Bauteilen; Zusammenstellung und Anwendung klassifizierter Baustoffe, Bauteile und Sonderbauteile - wird hiermit als technische Baubestimmung nach § 3 Abs. 2 der Landesbauordnung für Baden-Württemberg (LBO) baurechtlich eingeführt." (Abschn. 1 S. 1 DIN4102T4EErl BW 488 ) Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 32 ff., 37f.; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 56. Vgl. dazu auch die §§ 5 a Abs. 3, 15 Abs. 4 AbfG, §§ 7 Abs. 5, 23 Abs. 1 S. 3 BImSchG und § 5 Abs. 3 EnEG, die hinsichtlich der Verweisung "auf (jedermann zugängliche) Bekanntmachungen sachverständiger Stellen" die Archivierung beim Deutschen Patentamt mit einem entsprechenden Hinweis in der Rechtsverordnung festlegen. Eine Archivierung beim Deutschen Patentamt sieht auch Anhang 2 der SchankV vor. Noch weitergehender - Veröffentlichung im GMB1. des Bundes, im BAnz. oder in den MB1. der Länder - Arndt, G., Dynamische Rechtsnormverweisung, S. 788; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 66. A.A. - die Auffassung vertretend, daß die bezogenen technischen Normen in der gleichen Weise verkündet werden müßten wie die verweisende Rechtsnorm, d.h. mit ihrem vollen Wortlaut in dem für die verweisende Rechtsnorm selbst verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Verkündigungsorgan: Baden, E., Dynamische Verweisungen, S. 626; Conradi, Β., Mitwirkung außerstaatlicher Stellen, S. 53 f.; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 29; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 156 ff.; Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 90 f.; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 205 f.; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 405 ff.; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 44 ff.; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 17; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 110 ff.; Stefener, W., DIN-Normen, S. 36 ff.; Vogel, H.-J., Eröffnungsansprache, S. 15. 487 Erste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Kleinfeuerungsanlagen - 1. BImSchV) (Artikel 1 der Verordnung zur Neufassung der Ersten und Änderung der Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 15.07.1988 (BGBl. I, 1988, Nr. 34, S. 1059-1071), zul. geänd. d. BImSchVIÄndV 1 v. 20.07.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 46, S. 1680). 488 Bekanntmachung über die Einführung Technischer Baubestimmungen; DIN 4102 Teil 4; Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen; Zusammenstellung und Anwendung klassifizierter Baustoffe, Bauteile und Sonderbauteile; Ausgabe 1994.03 i.d.F.d. Bekanntmachung v. 20.10.1994 (GABI. BW, Ausg. A, 1994, Nr. 17, S. 840-841).

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Die datierte Verweisung ist mit Abstand die wichtigste Regelungsmethode der Rezeption technischer Normen in allgemeinen Verwaltungsvorschriften und erfolgt rechtstechnisch in derselben Art und Weise wie die datierte Verweisung auf technische Normen in Gesetzen und Rechts Verordnungen. D.h., es wird auf eine oder mehrere technische Normen oder auch Normteile in einer durch Normblattnummer und Ausgabe(datum) genau bezeichneten Fassung Bezug genommen. Hinsichtlich ihrer Rechtswirkung gleicht diese Regelungsmethode der Inkorporation, d.h., der Inhalt der datiert in Bezug genommenen technischen Normen nimmt an der Rechtsgeltung der allgemeinen Verwaltungsvorschrift teil. Neben der grundsätzlichen verwaltungsinternen Β indungsWirkung für die nachgeordneten Behörden kann sich der Normadressat im Falle eines administrativen Ermessens- oder Beurteilungsspielraums aufgrund der Selbstbindung der Verwaltung außer bei einem atypischen Sachverhalt darauf verlassen, daß die zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörden die gesetzlichen Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen bei Konformität zu den rezipierten technischen Normen als erfüllt ansehen. Im Falle normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften schließlich haben neben den Behörden - soweit der Beurteilungsspielraum reicht - zusätzlich auch die Gerichte davon auszugehen, daß den gesetzlichen Anforderungen genügt worden ist, wenn der Normadressat die datiert in Bezug genommenen technischen Normen beachtet hat, sofern nicht ein atypischer Sachverhalt vorliegt. Umgekehrt darf der Normadressat von den rezipierten technischen Normen abweichen, muß dann jedoch die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen nachweisen489. Bezüglich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Regelungsmethode bestehen selbst für den Fall einer etwaigen Außenwirkung allgemeiner Verwaltungsvorschriften keine durchgreifenden Einwände. Namentlich ist auch in diesem Fall der Regelungsinhalt der technischen Normen zum Zeitpunkt der Rezeption bekannt und bleibt aufgrund der datierten Verweisungsform auch bei einer Änderung der technischen Normen maßgebend, solange nicht die Verwaltungsvorschrift selbst modifiziert wird, so daß keine Verlagerung der Maßstabskompetenz von der Verwaltungsspitze auf nichtstaatliche Gremien stattfindet 490 .

489 Zur Rechtswirkung der datierten Verweisung in allgemeinen Verwaltungsvorschriften vgl. auch Marburger, P., Regeln, S. 425; ders., Technische Sicherheit, S. 21. A.A. Brinkmann, W., Verbraucherschutz, S. 19, der im Zusammenhang mit der GSGVwV von einer widerlegbaren gesetzlichen Vermutung ausgeht. 490 I.E. auch Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 214 f.; Marburger, P., Regeln, S. 416 f., 425; ders., Bezugnahme, S. 47 f.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Die datierte Verweisung auf technische Normen findet in großem Maßstab beispielsweise in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Gerätesicherheitsgesetz (GSGVwV) Anwendung; deren "Verzeichnis A" enthält eine Auflistung von über 1.300 491 DIN-Normen, DVGW-Arbeitsblättern und VDEBestimmungen, die sämtlich in einer bestimmten Fassung nach Normblattnummer, Titel und Ausgabedatum bezeichnet sind, während in einem "Verzeichnis C" technische Normen der nationalen Normenorganisationen anderer EU-Mitgliedsstaaten sowie zwischenstaatlicher Normungsinstitutionen rezipiert werden 492. In sicherlich vergleichbarer Größenordnung erfolgt eine datierte Inbezugnahme im Rahmen der ministeriellen Einführung technischer Normen auf der Grundlage der Landesbauordnungen493. Weitere Beispiele dieser Regelungsmethode finden sich u.a. in Abschn. 2 Nr. 2.4.2 Abs. 5, Nr. 2.4.4 Abs. 4, Nr. 2.6.2.7 u.a.m. der TA Luft, die auf rund 150 nach Normblattnummer und Ausgabedatum bezeichnete VDI-Richtlinien bzw. -blätter sowie eine DINNorm Bezug nimmt, oder in den Abwasserverwaltungsvorschriften nach § 7 a Abs. 1 S. 3 W H G 4 9 4 . (bb) Undatierte Verweisung α) Undatierte Verweisung in Gesetzen und Rechtsverordnungen "Der Schallpegel des Außengeräusches von Fahrzeugen darf, gemessen nach DINNorm 45 640 in seitlichem Abstand von 25 Metern von der Bordwand, 65 dB (1) nicht übersteigen." (§ 14 Abs. 7 SchO BY) Bei der Regelungsmethode der regelmäßig normergänzend ausgestalteten495 undatierten (gleitenden, dynamischen) Verweisung auf technische Normen 496 491 Zahlenangabe für Ende 1989, entnommen aus: Reihlen, H., 42. Präsidiumssitzung, S. 3. 492 Vgl. Kap. ILA. 1 .c)dd)(4)(c)(aa). 493 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 471 in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(a)(bb); femer Kap. II. A.l. c)dd)(l)(c). 494 Im Dritten Quartal 1995 existierten 18 derartige Allgemeine Verwaltungsvorschriften über Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwässern in Gewässer auf Bundesebene. Vgl. beispielsweise die Achtundvierzigste Allgemeine Verwaltungsvorschrift über Anforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe - 48. AbwVwV) v. 09.01.1989 (GMBl., 1989, Nr. 3, S. 42-43), zul. geänd. d. AbwVwVÄndVwV v. 31.01.1994 (GMBl., 1994, Nr. 19/20, S. 545-547), die in ihrer ursprünglichen Fassung datiert auf 2 DIN-Normen verwies. Auch die entsprechenden Änderungs-VerwaltungsVorschriften verweisen datiert auf DIN-Normen; z.B. rezipiert die AbwVwVÄndVwV 3 DIN-Normen. 495 Obwohl in der Literatur regelmäßig aufgeführt, existiert die undatierte Verweisung auf eine oder mehrere bestimmte Normen im Gegensatz zu der allgemeinen Ver-

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nimmt eine im Tatbestand unvollständig ausgestaltete Rechtsnorm unmittelbar verpflichtend auf eine oder mehrere technische Normen in ihrer jeweils aktuellen Fassung - üblicherweise lediglich durch Angabe der Nummer, optional auch des Titels - Bezug, so daß alle Folgeausgaben der bezogenen Norm(en) rezipiert werden, ohne daß es einer Änderung der Vorschrift bedarf 497. Dabei bestimmen sich Inhalt und Umfang der technischen Sicherheitspflichten stets durch die bezogenen technischen Normen, so daß die lückenhafte Verweisungsnorm erst durch Hinzunahme des Verweisungsobjekts vervollständigt wird 498 . Die Rechtswirkung der normergänzenden undatierten Verweisung entspricht derjenigen der normergänzenden datierten Verweisung. D.h. der Inhalt des Verweisungsobjekts - mithin der in Bezug genommenen technischen Normen wird zum Bestandteil der Verweisungsnorm und nimmt unabhängig von der ursprünglichen Rechtsqualität des Verweisungsobjektes an der Rechtsgeltung der Verweisungsnorm teil. Folglich ist die technische Lösung der Norm für den be-

weisung auf ganze Normenwerke im deutschen Recht, soweit ersichtlich, lediglich in Form einer ergänzenden Bezugnahme einer unvollständigen Verweisungsnorm, also als normergänzende Verweisung. Theoretisch wäre auch eine normkonkretisierende undatierte Verweisung denkbar, indem in Gesetz oder Rechtsverordnung selbst diejenigen technischen Normen im einzelnen bezeichnet werden, die einem entsprechenden allgemeinen normativen Sicherheitsmaßstab wie etwa den "anerkannten Regeln der Technik" genügen. Für diesen Fall gelten die Ausführungen zur normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung analog. 496 Engl, undated reference (to standards), franz. référence non datée (aux normes). Grundlegend zur undatierten und zur allgemeinen Verweisung aus der Sicht der Wissenschaft: Marburger, P., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, passim; aus der Sicht der Verwaltung: Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, passim; aus der Sicht der Wirtschaft: Buckenberger, H.-U., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wirtschaft, passim. 497 Sie ist i.d.R. durch die ausdrückliche Inbezugnahme der "jeweiligen Fassung", "jeweils geltenden Fassung" usw. gekennzeichnet, liegt aber regelmäßig auch dann vor, wenn die Verweisungsnorm bezüglich des Ausgabedatums bzw. der Fassung der bezogenen technischen Norm keine Bestimmung trifft. Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 71; Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 208; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 65; Marburger, P., Regeln, S. 384, 390; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 30, 39; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 401, 403. Vgl. auch CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 33 Abschn. 11 Nr. 11.2.2 sowie die Definition der ECE, abgedruckt in: DIN, DIN 820-3: 1975-03 S. 10 Anhang A Nr. A.9. A.A. Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 67 ff., 136 f., der ohne eine entsprechende explizite Bestimmung im Gesetz nur bei Identität des Normgebers für eine Deutung als undatierte Verweisung und ansonsten für eine verfassungskonforme Auslegung als datierte Verweisung plädiert. 498 Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 25; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 21 f., 29 f.; Marburger, P., Regeln, S. 385; ders., Bezugnahme, S. 39.

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troffenen Normadressaten sowie die Behörden und Gerichte verbindlich vorgeschrieben499. Hingegen werden die rezipierten technischen Normen nicht in den Rang von Rechtsnormen erhoben 500. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit wird die normergänzende undatierte Verweisung von der weit überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur als verfassungswidrig qualifiziert 501. Da sich die Verweisung auch auf künftige, veränderte Fassungen der in Bezug genommenen technischen Normen erstreckt, steht der Inhalt der verweisenden Rechtsnorm und damit die für den Normadressaten verbindliche Pflichtenlage nicht endgül499

BVerfGE 47, S. 285 (309 f.); Arndt, G., Dynamische RechtsnormverWeisung, S. 784 f.; Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 113; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 65; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 32. Vgl. ferner die Nachweise in Fn. 477 in Kap. ILA. l.c)bb)(l)(b)(aa)a). Unklar Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 63, der hier offensichtlich die unmittelbare undatierte bzw. allgemeine Verweisung und die mittelbare Rezeption technischer Normen durch zur Konkretisierung offener Rechtsbegriffe erlassene Verwaltungsvorschriften im Bauordnungsrecht vermengt. 500 Marburger, P., Bezugnahme, S. 32; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 44 ff., 47. Darin liegt der wesentliche Unterschied zwischen der undatierten Verweisung und einer Ermächtigung: Während die Ermächtigung eine Veränderung der Zuständigkeitsordnung bewirkt, bleibt bei der Verweisung die bestehende Kompetenzverteilung insofern unberührt, als der durch das Verweisungsobjekt konkretisierte Inhalt der Verweisungsnorm deren Urheber zugerechnet wird. Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 109 m.w.N. 501 Arndt, G., Dynamische Rechtsnormverweisung, S. 787, 789; Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 71 f.; ders., Recht und Technik, S. 12; Baden, E., Dynamische Verweisungen, S. 626; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 65; Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 114, 209; Brinkmann, W., Verbraucherschutz, S. 14 f.; BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 4; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 142 ff.; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 65 f.; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 27 f.; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 132 f., 136, 162, 180; Lukes, R., Industrielle Normen und Standards, S. 19; Marburger, P., Regeln, S. 390 ff.; ders., Bezugnahme, S. 40; ders., Technische Sicherheit, S. 21; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 403 f.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 107 f.; Scholz, R., Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 143; ders., Technik und Recht, S. 704 f.; Sonnenberger, H.-J., Grundfragen, S. 7; im Namen der BReg. Strecker, Α., Verknüpfung, S. 52. A.A., für eine Zulässigkeit der undatierten Verweisung in Abhängigkeit von der Bestimmtheit der Verweisungsnorm, der Grundrechtsrelevanz der Regelungen und der Strukturiertheit des betroffenen Rechts- bzw. Verweisungsgebietes BVerfGE 26, S. 338 (365 ff.); 47, S. 285 (312) (das BVerfG hat in dieser Entscheidung undatierte Verweisungen selbst bei fehlender Identität der Gesetzgeber nicht "schlechthin ausgeschlossen", obwohl sie "zur versteckten Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen" führt); weitere Nachweise bei Erhard, R., Technische Standards, S. 11 ff.; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 403.

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tig fest, sondern unterliegt der Veränderung durch Fortschreibung der direkt wie indirekt 502 rezipierten technischen Normen durch die privaten normschaffenden Institutionen. Damit wird nach ganz überwiegender Ansicht die Kompetenz zur Änderung des materiellen Inhalts der Rechtsvorschrift auf einen privatrechtlichen Verein als Träger des Normenwerks verlagert 503. Darin liegt nach herrschender Meinung ein Verstoß gegen das demokratische Prinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2, 21, 28, 38 und 79 Abs. 3 GG) der Verfassung 504, nach dem eine Delega502 Vgl. die obigen Ausführungen zur verdeckten Verweisung bzw. Kettenverweisung in Fn. 484 in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(aa)a). 503 Für die Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen: Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 101; Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 84; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 103; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 57 ff., 64 ff. (der undatierte Verweisungen grundsätzlich als staatliche Ermächtigungen verbindlicher, hoheitlicher Rechtssetzungsgewalt der Regelgeber gegenüber jedermann interpretiert, die Übertragung bezüglich des demokratischen Prinzips jedoch unhaltbarerweise für zulässig hält, und lediglich im Falle des Fehlens eines allgemeinen Sicherheitsmaßstabs als offene Legislativermächtigung qualifiziert und darin einen Verstoß gegen das Gebot der Gesetzesbestimmtheit und -klarheit sieht); ähnlich Stefener, W., DIN-Normen, S. 35 f. ("Quasi-Rechtsetzungsbefugnisse"). A.A., es liege keine förmliche Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen, wohl aber eine Übertragung von Rechtssetzungsmacht vor: Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 21. Nicht ganz eindeutig Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 143 vs. 144 f. A.A., den privaten normschaffenden Institutionen werde nicht Rechtssetzungsmacht im eigentlichen Sinn delegiert, ihnen werde lediglich im Hinblick auf den künftigen Inhalt der verweisenden Rechtsnorm gesetzgeberisches Ermessen eingeräumt: Marburger, P., Regeln, S. 391 f.; ders., Bezugnahme, S. 32, 40; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 42. A.A. - die Verweisung übertrage nicht die Befugnis zur Rechtssetzung, sondern beziehe unter Verzicht auf eigene, aus sich heraus verständliche Bestimmungen eines Rechtssatzmerkmals Wertvorstellungen, Verhaltensregeln oder Rechtssätze, die an anderer Stelle entwickelt sind, in die verweisende Rechtsvorschrift ein; der Gesetz- oder Verordnungsgeber behalte seine eigene Rechtssetzungszuständigkeit, erleichtere sich aber seine Aufgabe, indem er auf bereits vorhandene oder zukünftig zu schaffende Regelungen anderer Gremien Bezug nehme - Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 202 f. I.E. ebenso Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 44 ff., 47. 504 Arndt, G., Dynamische Rechtsnormverweisung, S. 785 ff., 789; Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 72; Conradi, Β., Mitwirkung außerstaatlicher Stellen, S. 26; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 142 ff.; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 27 f.; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 123 ff., 136, 180; Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 84, 90; Marburger, P., Regeln, S. 391 f.; ders., Technische Sicherheit, S. 21; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 403 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 239 f.; Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 43 f. Obwohl, wie bereits in Fn. 479 in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(aa)oc) ausgeführt, eine staatliche rechtssetzende Gewalt durch eine Verweisung auf private technische Normen nicht in den Kembereich der beiden anderen Gewalten eingreift, wird häufig auch ein

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

tion der Rechtssetzungsgewalt von den verfassungsmäßig bestimmten legislativen Organen nur in den Grenzen der Bestimmungen des Art. 80 Abs. 1 GG zulässig und eine Übertragung von Rechtssetzungsmacht auf nicht demokratisch legitimierte Stellen verfassungswidrig ist 505 . Ferner liegt durch die normergänzende undatierte Verweisung aufgrund der sich dynamisch verändernden Pflichtenlage nach herrschender Meinung auch ein Verstoß gegen das unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip der Verfassung (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 GG) abgeleitete Gebot der Gesetzesbestimmtheit und -klarheit vor, welches u.a. die inhaltliche Bestimmtheit des Gesetzes verlangt 506. Schließlich werden bezüglich dieser Verweisungsform noch Bedenken wegen der fehlenden Publikation der Rechtsänderung geäußert, die in demselben Organ wie der Erlaß zu verkünden ist 507 . Aufgrund der nunmehr mehrere Jahrzehnte währenden Diskussion und der heute einhelligen Ablehnung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der normergänzenden undatierten Verweisung auf technische Normen existieren in den aktuellen Rechtsvorschriften nur noch wenige undatierte Verweisungen auf Verstoß der normergänzenden undatierten Verweisung gegen den Grundsatz der gewaltenteiligen Funktionenordnung (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG) reklamiert. Vgl. Arndt, G., Dynamische Rechtsnormverweisung, S. 787 f.; Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 72; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 27 f.; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 101 ff., 136; Marburger, P., Regeln, S. 392; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 403 f.; Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 43 f. 505 Soweit es sich nicht lediglich um eine auf den Mitgliederkreis beschränkte Satzungsautonomie handelt. Marburger, P., Regeln, S. 351, 391 f. Vgl. auch Arndt, G., Dynamische Rechtsnorm Verweisung, S. 785 ff.; Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 72; Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 208; Conradi, Β., Mitwirkung außerstaatlicher Stellen, S. 26; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 27 f.; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 129 ff., 136, 173; Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 84, 90; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 402. Ob Art. 80 nur für die Exekutive oder auch für außerstaatliche Stellen gilt, ist umstritten. Vgl. Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 129; ferner Kap. II.A.l.b)bb). 506 BVerfGE 5, S. 25 (31); 8, S. 274 (302); BVerwG NJW 1962, S. 506; Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 72; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 161 f.; Marburger, P., Regeln, S. 390 f.; ders., Bezugnahme, S. 40; ders., Technische Sicherheit, S. 21; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 43; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 404; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 249 f.; Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 43; Stefener, W., DIN-Normen, S. 36. 507 BVerfGE 47, S. 285 (315); Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 208.

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technische Normen 508 . Aktuelle Beispiele finden sich in Nr. 4a des Anhangs I I der 12. BImSchV, die undatiert auf die VDI-Richtlinie 2263, Blatt 1 verweist, sowie in den §§22 und 23 i.V.m. der Anlage 2 zu § 23 Abs. 1 BauPrüfV NW: § 22 BauPrüfV NW erlaubt bei der Errichtung baulicher Anlagen i.S.d. § 2 Abs. 1 BauO NW die Verwendung oder den Einbau bestimmter, in § 22 BauPrüfV NW nach Produktgruppen enumerativ aufgeführter Baustoffe, Bauteile und Einrichtungen nur dann, wenn sie ein Prüfzeichen tragen. Von dieser Prüfzeichenpflicht stellt § 23 Abs. 1 BauPrüfV NW die in der Anlage 2 zu der Verordnung aufgeführten Baustoffe, Bauteile und Einrichtungen frei, wenn "1. sie in leicht erkennbarer und dauerhafter Weise den Namen des Herstellers oder sein Firmenzeichen und die DIN-Bezeichnung tragen und 2. der Hersteller der Baustoffe, Bauteile und Einrichtungen sich einer Überwachung gemäß § 24 BauO NW unterzieht und als Nachweis dafür auf den Baustoffen, Bauteilen und Einrichtungen das einheitliche bauaufsichtliche Überwachungszeichen angebracht ist". Hinsichtlich des letzten Erfordernisses lassen Nr. 4, 5 und 6 der Anlage 2 zu § 23 Abs. 1 BauPrüfV NW für bestimmte, durch undatiert in Bezug genommene DIN-Normen spezifizierte Anlagen und Baustoffe Ausnahmen nach Maßgabe dieser DIN-Normen zu, indem sie festlegen, daß "die Überwachung nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 ... nur erforderlich [ist], soweit DIN-Normen über die Baustoffe eine Überwachung vorsehen". Die Dynamik der Verweisung wird zusätzlich durch den letzten Satz der Anlage 2 unterstrichen: "Maßgebend sind die DIN-Normen in der jeweils geltenden Fassung". Darüber hinaus lassen sich noch Fälle einer "indirekten" undatierten Verweisung nachweisen. Ein Beispiel einer solchen "indirekten" undatierten Verweisungen findet sich u.a. in den oben zitierten §§ 22 und 23 i.V.m. Anlage 2 zu

508

Frühere Beispiele einer undatierten Verweisung auf technische Normen finden sich u.a. in § 5 Abs. 7 der niedersächsischen Zeltverordnung (ZeltV NS) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 21.05.1968 (GVB1. NS, 1968, S. 87): "Auf dem öffentlichen Zeltplatz muß für jeweils bis zu 100 Personen der Höchstbelegungsstärke mindestens ein Feuerlöscher nach DIN 14 406 an leicht zugänglicher Stelle angebracht sein"; in § 9 der hessischen Verordnung über die Verwendung von Benzol (hessische BenzolV) v. 6.5.1949 (GVB1. HE, 1949, S. 39): "Die elektrische Einrichtung der Räume muß den Vorschriften des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE 0165) für explosionsgefährdete Betriebsstätten entsprechen"; in § 17 der bayrischen Landesverordnung über die Lagerung von Sprengstoffen (bayrische SprengstofflagerV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 17.12.1969 (GVB1. BY, 1969, S. 402): "Die elektrische Einrichtung muß den Vorschriften für die Errichtung elektrischer Anlagen in explosionsgefährdeten Räumen - VDE 0166 - entsprechen" sowie in § 3 Abs. 4 der baden-württembergischen AVO/LBO (Allgemeine Ausführungsverordnung des Innenministers zur Landesbauordnung) v. 23.11.1965 (GVB1. BW, 1965, S. 305): "Die Steigleitungen sind vom zweiten Vollgeschoß an in jedem Geschoß mit C-Festkupplungen nach DIN 14307 auszustatten. Trockene Steigleitungen sind im Freien oder zu ebener Erde im Treppenraum in der Nähe des Einganges mit zwei B-Anschlüssen nach DIN 14308 zu versehen ...".

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§ 23 Abs. 1 BauPrüfV NW. Wie dort ausgeführt, stellt § 23 Abs. 1 BauPrüfV NW die in der Anlage 2 zu der Verordnung aufgeführten Baustoffe, Bauteile und Einrichtungen von der Prüfzeichenpflicht des § 22 BauPrüfV NW frei, wenn sie neben anderem die DIN-Bezeichnung tragen. Die Anlage 2 zu § 23 Abs. 1 BauPrüfV NW verweist in diesem Zusammenhang undatiert auf 58 DINNormen bzw. -Normblätter 509, die Beschaffenheitsanforderungen für mehrere hundert Baustoffe, Bauteile und Einrichtungen enthalten. Diese undatierte Verweisung ist insofern eine indirekte, als die Bezugnahme auf die DIN-Normen in der Verweisungsnorm nicht direkt erfolgt, sondern indirekt durch die Benennung eines qualifizierten Tatbestandsmerkmals in Form der Kennzeichnung der entsprechenden Produkte mit dem DIN-Zeichen. Erst in Verbindung mit den einschlägigen Bestimmungen des DIN, die ein Führen des DIN-Zeichens nur bei Konformität mit den einschlägigen DIN-Normen erlauben, ergibt sich für den Normadressaten die Pflicht zur Befolgung der bezeichneten DIN-Nor-

ß) Undatierte Verweisung in allgemeinen Verwaltungsvorschriften Die Regelungsmethode der normergänzenden undatierten Verweisung auf technische Normen in allgemeinen Verwaltungsvorschriften entspricht der undatierten Verweisung auf technische Normen in Gesetzen und Rechtsverordnungen. D.h. es werden eine oder mehrere technische Normen oder auch Normteile in ihrer jeweils aktuellen Fassung rezipiert 511. Die Rechtswirkung einer normergänzenden undatierten Verweisung gleicht denjenigen von Inkorporation und normergänzender datierter Verweisung, d.h. der Inhalt der datiert in Bezug genommenen technischen Normen nimmt an der Rechtsgeltung der allgemeinen Verwaltungsvorschrift teil. Neben der grundsätzlichen verwaltungsinternen ΒindungsWirkung für die nachgeordneten Behörden kann der Normadressat im Falle eines Ermessens- oder Beurteilungsspielraumes der Verwaltung infolge deren Selbstbindung in aller Regel darauf vertrauen, daß diese die rezipierten technischen Normen ihren Entscheidungen zugrunde legen. Im Falle normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften haben zugunsten des Normadressaten neben den Behörden - soweit der Beurteilungsspielraum reicht - zusätzlich auch die Gerichte davon auszugehen, daß den ge509

Zusätzlich wird zur Konkretisierung einzelner Merkmale auf weitere DINNormen verwiesen. 510 Vgl. dazu Kap. II.A.l.a)dd)(3). Vgl. auch Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 41. 511 Marburger, P., Regeln, S. 414 ff.; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 59.

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setzlichen Anforderungen genügt worden ist, wenn der Normadressat die rezipierten technischen Normen beachtet hat. Ausnahme ist auch hier das Vorliegen eines atypischen Sachverhalts. Umgekehrt darf der Normadressat von den rezipierten technischen Normen abweichen, muß dann jedoch die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen nachweisen. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Regelungsmethode ist nach den unterschiedlichen Bindungsebenen der allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu unterscheiden. Im Falle einer auf die Organwalterschaft begrenzten Β indungsWirkung wird trotz Verlagerung der Maßstabskompetenz von der Verwaltungsspitze auf nichtstaatliche Gremien 512 auch die normergänzende undatierte Verweisung auf technische Normen als zulässig angesehen. Selbst bei Annahme einer indirekten Außenwirkung kraft Selbstbindung der Verwaltung bestehen keine Einwände gegen die undatierte Verweisung, sofern die technischen Normen wie im Beispiel der Beschaffung der sächlichen Verwaltungsmittel nicht durch einseitigen Hoheitsakt der Exekutive, sondern durch einverständliche vertragliche Regelung für den Bürger verbindlich werden. Problematischer ist die Beurteilung dieser Regelungsmethode bezüglich derjenigen Verwaltungsvorschriften, die den Gesetzesvollzug steuern. Soweit es sich um reine norminterpretierende Verwaltungsvorschriften handelt, ergeben sich gegen die Inbezugnahme, auch wenn sie in undatierter Form geschieht, keine durchgreifenden Einwände. Denn da norminterpretierende Verwaltungsvorschriften die judizielle Interpretationskompetenz nicht einschränken, wird der Rechtsschutz für den Bürger (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht verkürzt; d.h. über die Auslegung der Gesetze entscheiden letztverbindlich die Gerichte. Die richterliche Kontrolle behördlicher Einzelakte, die in Ausführung einer auf technische Normen undatiert verweisenden Auslegungsrichtlinie ergangen sind, erstreckt sich folglich auch darauf, ob die bezogenen Normen ihrem Inhalt nach die fragliche Rechtsnorm zutreffend interpretieren. Hingegen ist die Zulässigkeit einer normergänzenden undatierten Verweisung in einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift aufgrund deren Β indungs Wirkung für die Verwaltungsgerichte nicht anders zu beurteilen als bei einer Rechtsverordnung, mithin also abzulehnen. Denn was der Exekutive in Form der Rechtsverordnung nicht gestattet wäre, darf ihr auch nicht im Wege einer in der Wirkung weitgehend gleichartigen normkonkretisierenden VerwaltungsVorschrift erlaubt sein513. Beispiele einer undatierten Verweisung auf technische Normen in allgemeinen Verwaltungsvorschriften finden sich in Abschn. 2 Nr. 2.13 und 512

Marburger, P., Regeln, S. 425. Marburger, P., Regeln, S. 416 f.; ders., Bezugnahme, S. 47 f. A.A. - für Zulässigkeit der normergänzenden undatierten Verweisung auch in normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften - Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 214 f. 513

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Abschn. 2.411 Abs. 1 lit. a), b) und Abs. 3 der TA Lärm, sowie in Abschn. 4 Nr. 4.3.1 lit. a), b), Nr. 4.3.2 lit. a), b), Nr. 4.3.3, Nr. 4.3.4 u.a.m. HBR SH 5 1 4 . Eine Mischung aus undatierter und allgemeiner Verweisung enthält § 7 EltBR HE 5 1 5 : "Für die elektrischen Anlagen gelten ... als anerkannte Regeln der Elektrotechnik die Bestimmungen des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE), insbesondere ... [es folgt eine Aufzählung von 6 undatiert in Bezug genommenen DIN-VDE-Normen]". (cc) Allgemeine Verweisung Bei der Regelungsmethode der allgemeinen Verweisung auf technische Normen 516 nimmt eine Rechtsnorm auf alle technischen Normen einer bestimmten normschaffenden Institution und/oder eines bestimmten Normungsgebietes Bezug, ohne diese im einzelnen zu bezeichnen517. Damit werden ohne Änderung der Verweisungsnorm nicht nur alle Folgeausgaben der aktuell existieren-

514 Richtlinien über den Bau und Betrieb von Anlagen zur Lagerung von Heizöl (Heizölbehälter-Richtlinien - HBR) SH i.d.F.d. Bekanntmachung v. 08.10.1980 (ABl. SH, 1980, Nr. 44, S. 690-695). 515 Richtlinien über Betriebsräume für elektrische Anlagen (EltBR) HE v. 10.05.1985 (Staats-Anzeiger HE, 1985, Nr. 21, S. 930-932). 516 Engl, general reference (to standards), franz. référence générale (aux normes). Die allgemeine Verweisung wird in der Literatur regelmäßig gemeinsam mit der undatierten Verweisung behandelt. Grundlegend zur undatierten und zur allgemeinen Verweisung aus der Sicht der Wissenschaft: Marburger, P., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, passim; aus der Sicht der Verwaltung: Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, passim; aus der Sicht der Wirtschaft: Buckenberger, H.-U., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wirtschaft, passim. Die allgemeine Verweisung auf ganze Normenwerke ist jedoch rechtssystematisch von grundlegend anderer Qualität als die undatierte Verweisung auf eine oder mehrere bestimmte technische Normen, da den Normenorganisationen in diesem Fall nicht nur die zukünftige Ausgestaltung des materiellen Regelungsinhalts zu einem oder mehreren genau bezeichneten Regelungsgegenständen übertragen wird, sondern vielmehr die Regelungskompetenz bezüglich eines gesamten Fachgebietes wie beispielsweise der Elektrotechnik. D.h. den Normenorganisationen ist über die inhaltliche Kompetenz der materiellen Ausgestaltung des Regelungsinhalts hinaus auch die Entscheidungskompetenz über die Aufstellung oder Nichtaufstellung von Regelungen zu allen in Frage kommenden Regelungsgegenständen, mithin also die weitgehende Gestaltungskompetenz dieses Fachgebietes in Breite, Tiefe und Umfang an die Hand gegeben. Deshalb wird die allgemeine Verweisung im Rahmen dieser Arbeit von der undatierten Verweisung begrifflich wie systematisch abgegrenzt. 517 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 33 Abschn. 11 Nr. 11.2.3. Vgl. auch die Definition der ECE, abgedruckt in: DIN, DIN 820-3: 1975-03 S. 10 Anhang A Nr. A.10.

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den technischen Normen dieser Institution bzw. auf diesem Gebiet, sondern auch alle zukünftig durch diese Institution bzw. auf diesem Gebiet zusätzlich geschaffenen technischen Normen rezipiert, während die von den Institutionen bzw. auf diesem Gebiet zurückgezogenen technischen Normen aus dem Rezeptionsumfang entfallen 518. Die allgemeine Verweisung findet in der deutschen Rechtspraxis sowohl als normergänzende als auch als normkonkretisierende Bezugnahme in Gesetzen und Rechtsverordnungen Verwendung 519. α) Normergänzende allgemeine Verweisung "Elektrische Anlagen müssen den VDE-Vorschriften entsprechen. Auf Verlangen der Untersuchungsstelle ist die normgerechte Ausführung nachzuweisen ..."(§ 11 Abs. 4 S. 1 SchO BY a.F.520) Die Regelungsmethode der normergänzenden allgemeinen Verweisung entspricht weitgehend derjenigen der normergänzenden undatierten Verweisung mit dem genannten grundlegenden Unterschied, daß hier eine im Tatbestand unvollständig ausgestaltete Rechtsnorm unmittelbar verpflichtend auf alle technischen Normen eines bestimmten Normungsgebietes oder - wie im obigen Bei518 Diese Aussage bezieht sich allerdings nur auf diejenigen technischen Normen, die für die gesetzlichen Zielsetzungen von Relevanz sind. 519 Die Verwendung dieser Rezeptionsform in allgemeinen Verwaltungsvorschriften ist wenig sinnvoll, da eine derart weitgefaßte Konkretisierung gesetzlicher Vorgaben weder der innenrechtlichen Steuerungsfunktion der nachgeordneten Behörden noch gegebenenfalls einer beabsichtigten außenrechtlichen Konkretisierungsfunktion von Gesetzen und Rechtsverordnungen in Form normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften genügt. Dessen ungeachtet existieren in der deutschen Rechtsordnung Fälle, in denen allgemeine Verwaltungsvorschriften in allgemeiner Form auf technische Normen verweisen. Diese werden dann jedoch durch einen weiteren administrativen Rezeptionsschritt - beispielsweise eine ministerielle Einführung - genau bezeichnet. Ein entsprechendes Beispiel findet sich in § 2 der ElexVVwV zur ElexV, der u.a. bestimmt, daß die zuständige Behörde bei der Prüfung, ob ein elektrisches Betriebsmittel den Anforderungen des § 3 Abs. 1 der ElexV, d.h. also den "allgemein anerkannten Regeln der Technik" entspricht, in der Regel davon auszugehen hat, "daß diese Anforderungen erfüllt sind, soweit das elektrische Betriebsmittel... den einschlägigen VDE-Bestimmungen ... entspricht, die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Bundesarbeitsblatt bezeichnet worden sind." 520 Bayrische Schiffahrtsordnung v. 19.06.1968 (GVB1. BY, 1968, S. 202). Zit. bei Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 40. Die aktuelle Vorschrift - die Verordnung über die Schiffahrt auf den bayrischen Gewässern (Schiffahrtsordnung- SchO BY) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 09.08.1977 (GVB1. BY, 1977, Nr. 21, S. 469-480), geänd. d. SchOÄndV BY ν. 10.02.1981 (GVB1. BY, 1981, Nr. 3, S. 35-36) - verweist in § 14 Abs. 4 nunmehr auf die "allgemein anerkannten Regeln der Technik".

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spiel - einer bestimmten normschaffenden Institution in ihrer jeweils aktuellen Fassung Bezug nimmt. Dabei werden Inhalt und Umfang der technischen Sicherheitspflichten stets durch die jeweils derzeitig einschlägigen technischen Normen des rezipierten Normenwerkes festgelegt, so daß erst die Hinzunahme des Verweisungsobjekts die lückenhafte Verweisungsnorm vervollständigt521. Die Rechtswirkung der normergänzenden allgemeinen Verweisung entspricht derjenigen der normergänzenden undatierten Verweisung. D.h. die technischen Lösungen der derzeit einschlägigen technischen Normen der normschaffenden Institution bzw. des Normungsgebietes sind für die betroffenen Normadressaten sowie die Behörden und Gerichte verbindlich vorgeschrieben. Hingegen bleibt der Rechtscharakter der technischen Normen als unverbindliche Empfehlung der privaten Regelsetzer unverändert 522. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit wird die normergänzende allgemeine Verweisung analog der normergänzenden undatierten Verweisung beurteilt 523, mithin von der weit überwiegenden und heute wohl einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur aufgrund des Verstoßes gegen das demokratische Prinzip, das Gebot der Gesetzesbestimmtheit und -klarheit sowie von Bedenken wegen der fehlenden Publikation der Rechtsänderung als verfassungswidrig qualifiziert. Aufgrund der nunmehr mehrere Jahrzehnte währenden Diskussion und der heute wohl einhelligen Ablehnung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der normergänzenden allgemeinen Verweisung existieren in den aktuellen Rechtsvorschriften, soweit ersichtlich, keine aktuellen Beispiele allgemeiner Verweisungen auf technische Normenwerke mehr.

521

Vgl. Kap. H.A. 1 .c)bb)( 1 )(b)(bb)a). Vgl. ebd. Da aufgrund der augenfälligen Diskrepanz von Regelungsumfang und Regelungstiefe der gesetzlichen Bestimmungen einerseits und dem allgemein rezipierten umfangreichen Normenmaterial andererseits eine kaum zu leugnende Nähe der allgemeinen Verweisung zu einer Ermächtigung oder Beleihung der normschaffenden Institutionen besteht, erfolgt in der Literatur häufig eine verfassungskonforme Umdeutung der Rechtswirkung der normergänzenden allgemeinen Verweisung analog zu der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung in eine widerlegliche Vermutung der Einhaltung der rechtlichen Anforderungen im Falle der Einhaltung der einschlägigen technischen Normen. Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen. 523 Vgl. Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(bb)a). 522

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ß) Normkonkretisierende allgemeine Verweisung "Bei der Errichtung und Unterhaltung von Anlagen zur Erzeugung, Fortleitung und Abgabe von Elektrizität sind die allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten. Von den allgemein anerkannten Regeln der Technik darf abgewichen werden, soweit die gleiche Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist. Soweit Anlagen auf Grund von Regelungen der Europäischen Gemeinschaften dem in der Gemeinschaft gegebenen Stand der Sicherheitstechnik entsprechen müssen, ist dieser maßgebend." "Die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik oder des in der Europäischen Gemeinschaft gegebenen Standes der Sicherheitstechnik wird vermutet, wenn die technischen Regeln des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE) beachtet worden sind." (§ 1 Abs. 1 S. 1 und 3 sowie Abs. 2 S. 1 der 2. DVO zum EnWG) Bei der Regelungsmethode der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung 524 in Gesetzen und Rechtsverordnungen werden die sicherheitstechnischen Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen durch die Verweisungsnorm vollständig festgelegt. Allerdings erfolgt die Normierung der Pflichtenlage nicht durch Detailbestimmungen, sondern mittels normativer Standards wie den "allgemein anerkannten Regeln der Technik", dem "Stand der Technik" oder dem "Stand von Wissenschaft und Technik" 525 , die auf unterschiedlichen tech524

Diese Regelungsmethode wird vom BMWi auch als "einstufige gesetzliche Vermutung" bezeichnet. BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 17. 525 Die genannten Termini werden in der Literatur nahezu ausnahmslos als normative, d.h. wertausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe gedeutet, jedoch verschiedenen gleichwohl sinnverwandten - Typen von Rechtsbegriffen zugeordnet. Obgleich keiner der verwendeten Begriffstypen der Rezeptionsfunktion technischer Normen vollständig genügt, soll in dieser Arbeit der Begriff "normativer Standard" Verwendungfinden, der in der deutschen Literatur in Anlehnung an anglo-amerikanisches Rechtsdenken eingeführt wurde. Erhard, R., Technische Standards, S. 3; Marburger, P., Regeln, S. 168 f.; ders., Bezugnahme, S. 28; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 44; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 13. Mißverständlich Nicklisch, F., Rechtsvorschriften für Anlagen, S. 14. Kritisch zum Begriff "normativer Standard" Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 68 ff. Vgl. dazu auch die Begriffsdefinitionen in Kap. I.A.6. Die juristisch-methodische Bedeutung normativer Standards liegt darin, daß die Anwendung dieser Gesetzesbegriffe nicht durch begrifflich-axiomatische Subsumption, sondern im Wege wertender und typisierender Konkretisierung erfolgt. Marburger, P., Bezugnahme, S. 28 f.; ders., Regeln, S. 167 ff. m.w.N. Während im Schrifttum weitestgehend Einigkeit darüber besteht, daß es sich bei den genannten Standards um normative, d.h. wertausfüllungsbedürftige Begriffe handelt, reicht das grundsätzliche Interpretationsspektrum hinsichtlich der Funktion wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe von der reinen Rezeptionsfunktion außerrechtlicher sozialer Ordnungsgefüge bis zur reinen Delegation der Konkretisierung bzw. Ausfüllung des gesetzlichen Ordnungsrahmens an die zweite und dritte Gewalt. Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 586 in Kap. II. A.l.c)bb)(2)(a)(aa).

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Wie bereits ausgeführt, finden sich in der Literatur noch einer Reihe weiterer juristischer Begriffstypen als Oberbegriff für die genannten Rechtsbegriffe. So werden sie überwiegend als "unbestimmte" - d.h. in der Terminologie dieser Arbeit "offene" (vgl. Fn. 28 in der Einleitung) - Rechtsbegriffe angesehen. BVerfGE 49, S. 89 (133 ff.); Budde, E., Begriffe, S. 738; ders., Rechtliche Bedeutung, S. 147; Debelius, J., Technik und Recht: Wechselwirkungen und Perspektiven, S. 259; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 32 f., 35, 50, 57, 62 ff.; Eichener, V. u.a., Gewerkschaftliche Normungsarbeit, S. 28; Erichsen, H.-U., Unbestimmte Rechtsbegriffe - Problematik, S. 101 ff.; ders., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 10 Rn. 3 ff. (i.S. eines normativen Begriffes, durch den ein metarechtliches Werturteil, ein Regelwerk oder ein durch Wissenschaft und/oder Technik erreichter Erkenntnisstand in die Rechtsordnung integriert wird); Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 16; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 32; Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 188; Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 60 ff.; ders., Industrielle Normen und Standards, S. 19; Marburger, P., Regeln, S. 110, 166 f.; ders., Bezugnahme, S. 34; Papier, H.-J., Rechtsvorschriften für Stoffe, S. 45; Plagemann, H. u.a., Unbestimmte Rechtsbegriffe, passim, insbes. S. 29; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 13; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 43; Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 48; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 13; Sonnenberger, H.-J., Grundfragen, S. 7; Winckler, R., Rechtsvorschriften für Materialien und Geräte, S. 29. Obwohl begrifflich zwischen "unbestimmtem Rechtsbegriff' und "Generalklausel" differenzierend, nicht ganz eindeutig Scholz, R., Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 126 ff.; ders., Technik und Recht, S. 702 f. vs. S. 706. Dabei zeichnen sich offene Rechtsbegriffe wie z.B. "Dunkelheit", "Gemeinwohl", "berechtigte Interessen", "gute Sitten" oder "unsittlich" dadurch aus, daß ihr Inhalt nicht durch einen festumrissenen Sachverhalt ausgefüllt wird, sondern bei der Rechtsanwendung auf einen gegebenen Tatbestand im Einzelfall einer Fixierung, insbesondere einer Wertausfüllung bedarf. Creifelds, C. u.a., Rechtswörterbuch, S. 1155. Häufig werden die genannten Rechtsbegriffe auch den "Generalklauseln" zugeordnet. Böckenförde, D., Rechtsetzung und technische Normen, S. 27 ff.; Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 50; Brinkmann, W., Verbraucherschutz, S. 15 ff.; BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, passim; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 136; Heinze, R. G., Techniknormierung, S. 10; Kypke, U., Verbraucherinteresse, S. 108; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 21; Nicklisch, F., Rechtsvorschriften für Anlagen, S. 14 ff.; ders., Kontrollierte Rezeption, S. 2633; ders., Technische Regelwerke, S. 841; Scholz, R., Verhältnis, S. 90; Vogel, H.-J., Eröffnungsansprache, S. 14 f. Auch die Generalklauseln wie beispielsweise "Treu und Glauben", "Rücksicht auf die Verkehrssitte", "allgemeine Verkehrsauffassung" oder die Befugnis der Polizei zur "Abwendung aller der Allgemeinheit drohenden Gefahren" gehören zu den normativen, d.h. wertausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen. Gesetzund Verordnungsgeber verwenden sie häufig, um durch eine allgemein gehaltene Formulierung möglichst viele Tatbestände zu erfassen. Dadurch soll der Gesetzeswortlaut von der Belastung mit detaillierten Merkmalen freigehalten und zugleich die Gefahr ungewollter Einengung des Anwendungsbereiches vermieden werden. Creifelds, C. u.a., Rechtswörterbuch, S. 461, 800. Es mag als Ausdruck der Tatsache, daß sich die beiden letztgenannten Begriffe "nur schwer gegeneinander abgrenzen" lassen (Marburger, P., Regeln, S. 166) und Abgrenzungsversuche "nicht in jeder Hinsicht... überzeugen" (ebd., S. 167), gelten, daß nicht selten beide Begriffe synonym oder auch als Teilmenge Verwendung finden. Anzinger, R., Verknüpfung der Verweisungstechniken, S. 97; Backherms, J., Recht und Technik,

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nischen Niveaus526 jeweils eine mehr oder minder große Bandbreite technischer Realisationsmöglichkeiten bezeichnen527. Zu deren Konkretisierung wird dann

S. 9; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 66 f.; Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, u.a. S. 1 f., 114, 126 ff. und bes. deutlich 138; Breuer, R., Umweltgesetzbuch, S. Β 63; Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, z.B. S. 64 (1. Abs.) vs. S. 64 (2. Abs.); Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 52, 68 vs. S. 65; Erhard, R., Technische Standards, S. 3, 5; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, z.B. S. 27, 44; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, z.B. S. 39; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, z.B. S. 25, 49 f. vs. S. 52; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 46; Vieweg, Κ., Atomrecht und technische Normung, S. 18, 141; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 19; wohl auch Nicklisch, F., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 68 ("generalklauselartige unbestimmte Gesetzesbegriffe"). Um schließlich die Begriffsverwirrung zu komplettieren, seien für die genannten Rechtsbegriffe noch die Bezeichnungen Blankettbegriffe (vgl. Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, z.B. S. 49 ff.), technische Standards (z.B. Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 12 ff. (der die technischen Standards als Untermenge der offenen Rechtsbegriffe auffaßt, sie aber zugleich als normative Standards bezeichnet (ebd., z.B. S. 242); Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 2 ff., 17 ff. (der aber auch den Ausdruck "unbestimmte Rechtsbegriffe" verwendet; ebd., S. 13 ff.)) sowie wissenschaftliche und technische Standards (so Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, z.B. S. 2633; vgl. auch ders., Funktion und Bedeutung technischer Standards, passim) aufgeführt. Grundlegend a.A. Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, passim, der die Termini "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik" begrifflich stringent im Anschlijß an Poppers Erkenntnistheorie zum einen als die Pflicht der Feststellung und uneingeschränkten Berücksichtigung des Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse um die Möglichkeiten von Schäden und deren Ausschluß (ebd., S. 93 f., 98 ff.), zum anderen als Pflicht zur empirischen Feststellung des weltweit fortschrittlichsten technischen Systems als Maßstab für die Risikovorsorge interpretiert (ebd., S. 129 ff., insbes. S. 136 ff.) und daher den Terminus des "unbestimmten Rechtsbegriffs" für diese Termini (ebd., S. 124 ff.) wie im übrigen auch generell (ders., Res publica res populi, S. 852 ff., 922 f.) strikt ablehnt. Vgl. auch ders., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 313 f. 526 Nach der - trotz namhafter Gegenpositionen - wohl herrschenden Rechtsansicht besteht im Anschluß an die sog. 3-Stufen-Theorie, die auf der wissenschaftlichen Arbeit von Breuer beruht (Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 46 ff., insbes. 67 f.) und auch Eingang in die höchstrichterliche Rechtsprechung gefunden hat (BVerfGE 49, S. 89 (135 f.); 53, S. 30 (58 f.)), zwischen den im Umwelt- und Technikrecht vielfach verwendeten normativen Standards "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik", "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik" ein Rangverhältnis. Indem diese sich bezüglich ihrer Nähe zur Front des wissenschaftlich-technischen Fortschritts unterscheiden, determinieren sie unterschiedliche Sicherheitsstufen. Während der Standard "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik" für die Bezugnahme auf die herrschende Auffassung unter den technischen Praktikern steht und ein mittleres Sicherheitsniveau kennzeichnet, wird mit dem Standard "Stand der Technik" i.S.d. § 3 Abs. 6 BImSchG der rechtliche Maßstab für das Erlaubte und Gebotene näher an die Front der technischen Entwicklung verlagert und damit eine Stufe höherer Sicherheit gewährleistet. Nach dem "Stand von Wissenschaft und Technik" schließlich ist diejenige Vorsor-

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ge gegen Schäden zu treffen, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen als erforderlich gilt, wodurch ein Höchstmaß an Sicherheit erreicht werden soll. Dafür: BVerfGE 49, S. 89 (135 f.); 53, S. 30 (59); BVerwG DVB1. 1972, S. 678 (680); Backherms, J., Recht und Technik, S. 10; Bender, B., Gefahrenabwehr und Risikovorsorge, S. 1430 f.; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 66 ff.; ders., Internationale Orientierung, S. 55 ff. u. insbes. 61 ff.; ders., Umweltgesetzbuch, S. Β 67; Brinkmann, W., Normung und Verbraucherinformation, S. 235; ders., Verbraucherschutz, S. 17; BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 4, 7 ff.; Budde, E., Begriffe, S. 738 f.; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 136, 140 f., 145 f., 156, 168 f.; Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 52; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 17; Feldhaus, G., BImSchR, Rn. 15 ff. zu §3; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 27 ff., 33 ff.; Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 188; Kypke, U., Verbraucherinteresse, S. 109 ff.; Mann, T., "Technisch möglich" als Rechtsbegriff, S. 181 ff.; Marburger, P., Regeln, S. 126, 145 ff., 158 ff., 164 ff.; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 12 ff., 19; ders., Bezugnahme, S. 34 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 77 ff.; Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 165; Plagemann, H. u.a., Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 9; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 19 ff.; trotz Kritik an der normativen Begriffsvielfalt zustimmend Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 14 ff. u. insbes. 19; Scholz, R., Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 126 ff., insbes. 133; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 216 ff. Nicht überzeugend, da eingeschränkt für Zwei-Stufen-Lehre durch Gleichsetzung der normativen Standards "Stand der Technik" und "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik" Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 144 ff. A.A., die normativen Standards bezeichnen kein begrifflich differenziertes (sicherheits-) technisches Anforderungsniveau, sondern rezipieren die Mehrheitsauffassung unter den führenden Fachleuten: Erhard, R., Technische Standards, S. 13 ff.; Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 63 ff.; ders., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 85; Nicklisch, F., Rechtsvorschriften für Anlagen, S. 19 ff.; ders., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 80 ff., 83; ders., Kontrollierte Rezeption, S. 2634, 2639 f.; ders., Technische Regelwerke, S. 841 ff. u. bes. deutl. 845; ders., Funktion und Bedeutung technischer Standards, S. 263 ff.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 31 ff.; Papier, H.-J., Rechtsvorschriften für Stoffe, S. 47, 57; Scholz, R., Technik und Recht, S. 708 ff. Obwohl an der wissenschaftlichen Haltbarkeit der 3-Stufen-Theorie angesichts zahlreicher Widersprüche - genannt seien an dieser Stelle nur die Vielzahl der existierenden normativen Standards (vgl. die Auflistung von über 40 normativen Standards in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(dd)), deren bezüglich des Gefahrenpotentials der geregelten technischen Systeme unsystematischer Verwendung sowie der teilweise mittels einem normativen Standard geregelten unübersichtlichen Vielfalt technischer Systeme mit erheblich divergierenden Gefahrenpotentialen (vgl. dazu insbes. Kap. II.A.l.c)dd)(4)) berechtigte Zweifel bestehen und auch geäußert wurden (vgl. dazu die Ausführungen im Ausblick), sei für die folgenden Untersuchungen die höchstrichterlich anerkannte herrschende Rechtsansicht zugrunde gelegt. 527 BVerfGE 49, S. 89 (136) unter Rekurs auf BVerwG DVB1. 1978, S. 591 (594) = BVerwGE 55, S. 250 (258): "Bei der Bestimmung der Grenze zwischen schädlichen und unschädlichen Umwelteinwirkungen durch [die] Festlegung von Immissionswerten [muß] hinlänglich berücksichtigt werden ..., daß bei den Dosis-Wirkungs-Beziehungen von Luftverunreinigungen im einzelnen noch Kenntnislücken und Unsicherheiten beste-

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unmittelbar, d.h. in der Verweisungsnorm selbst528, mittels Formulierungen wie "als ... gelten", "als solche ... gelten auch/insbesondere" oder - wie im gegebenen Beispiel - "Die Einhaltung ... wird vermutet" auf alle technischen Normen eines bestimmten Normungsgebietes oder - wie im Beispiel - einer bestimmten normschaffenden Institution Bezug genommen529. Dabei ist zutreffenderweise davon auszugehen, daß nur die jeweils einschlägigen, d.h. dem gesetzlichen Schutzziel verpflichteten technischen Normen des Normungsgebietes bzw. der normschaffenden Institution rezipiert werden sollen530. Nach - trotz einiger bedeutsamer Gegenpositionen in Rechtsprechung und Literatur - weitaus herrschender Meinung begründet eine normkonkretisierende allgemeine Verweisung als Rechtswirkung eine widerlegbare gesetzliche Tatsachenvermutung531 (§ 292 ZPO) dafür, daß den rechtlich gebotenen Schutz- und

hen und insoweit - im Bereiche nicht der rechtlichen Bewertung, sondern dem der naturwissenschaftlichen Feststellung und Beurteilung - gleichsam eine ,Bandbreite' der Auffassungen über die Wirkung von Luftverunreinigungen zu konstatieren ist." 528 Dementsprechend wird die normkonkretisierende undatierte Verweisung auch als einstufige Generalklauselmethode bezeichnet. So der Vertreter der BReg. Strecker, Α., Verknüpfung, S. 47 ff.; ähnlich auch BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 17. 529 BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 17; Marburger, P., Regeln, S. 385, 395; ders., Bezugnahme, S. 42; ders., Technische Sicherheit, S. 21; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 44. A.A. Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 19 ff., der nur hinsichtlich des normativen Standards "allgemein anerkannte Regeln der Technik", nicht aber hinsichtlich des "Standes der Technik" und des "Standes von Wissenschaft und Technik" den Ausdruck der Verweisung bejaht. Marburger hingegen läßt explizit jeden offenen Rechtsbegriff zu, "der die technischen Sicherheitspflichten umschreibt". Marburger, P., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 34. 530 Dementsprechend wird im Schrifttum richtigerweise darauf hingewiesen, daß es nicht Aufgabe dieser Begriffe sei, die technischen Normen in toto zu rezipieren. Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 50 f.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 121. Da die technischen Normen der Konkretisierung der normativen Standards dienen, steht deren Rezeption und Anwendbarkeit unter dem Vorbehalt ihrer Eignung bezogen auf die Aufgabe, Gefahren abzuwehren bzw. Risiken vorzubeugen. Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 70 f.; Marburger, P., Regeln, S. 154 ff., 464 ff. Jedoch enthalten technische Normenwerke, wie in Teil I ausführlich dargelegt, auch nicht sicherheitsrelevante Festlegungen technischer, wirtschaftlicher, organisatorischer und rechtlicher Art, welche als Konkretisierung der entsprechenden normativen Standards naturgemäß nicht in Betracht kommen. I.d.S. auch Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 51, 60 f., 97; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 61 f.; Stefener, W., DIN-Normen, S. 44 ff.; Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 115 f. 531 Die "praesumtio facti" begründet bis zum Beweis des Gegenteils die Vermutung einer bestimmten Tatsache. Budde, E., Rechtliche Bedeutung, S. 147; Hartmann, P., in: Baumbach, ZPO, 55. Α., § 292 Rn. 3, 5; Marburger, P., Die gleitende Verweisung aus

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Sicherheitspflichten Genüge getan wurde, wenn die ausdrücklich benannten technischen Normen bezüglich Herstellung, Verwendung, Wiederverwertung und/oder Entsorgung technischer Systeme sowie diese Systeme selbst betreffend zur Anwendung gelangten532. Die prozessuale Funktion einer widerleglichen gesetzlichen Tatsachenvermutung liegt in der Veränderung des Beweisthemas und in der Umkehr der (materiellen) Beweislast533. Da der Beweis des Gegenteils keinen Gegenbeweis, sondern den Hauptbeweis darstellt, wird dem Sicht der Wissenschaft, S. 35; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 50 f.; Stefener, W., DIN-Normen, S. 47, jew. m.w.N. 532 Backherms, J., Recht und Technik, S. 11; BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 17; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 66, 80; Budde, E., Rechtliche Bedeutung, S. 147; Lukes, R., Produzentenhaftung, S. 351; Marburger, P., Regeln, S. 396 ff.; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 226 ff.; ders., Bezugnahme, S. 42; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 27, 50 ff.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 241; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 19; Stefener, W., DIN-Normen, S. 46 f.; VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 5 f. Abschn. 8 Nr. 8.1. Zumeist beruht die Auslegung als Beweislastregel auf einer verfassungskonformen Auslegung der Verweisungsnormen, d.h. in der Annahme, daß es noch andere allgemein anerkannte Regeln der Technik bzw. dem Stand der Technik oder dem Stand von Wissenschaft und Technik genügende technische Lösungen außerhalb der rezipierten technischen Normenwerke gibt. Arndt, G., Dynamische Rechtsnorm Verweisung, S. 787; Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 75; ders., Recht und Technik, S. 11; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 70; Börner, A.-R., DVGW-Regelwerk Gas, S. 263 f.; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 62 ff.; Conradi, Β., Mitwirkung außerstaatlicher Stellen, S. 22; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 133; Lukes, R., Tragweite, S. 221; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 60 ff., 76 ff., 92 ff.; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 47. Zum Teil entspricht dies den Schlußfolgerungen einer teleologischen Gesetzesinterpretation. Marburger, P., Regeln, S. 397 ff. Auf eine Diskussion früherer Deutungen als gesetzliche Fiktion (vgl. z.B. Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 208), als unwiderlegliche gesetzliche Vermutung (vgl. z.B. Lukes, R., Tragweite, S. 221 bzgl. der ursprünglichen, bis 1949 geltenden gesetzestechnischen Intention des § 1 Abs. 2 der 2. DVO zu § 13 EnWG), als Kombination aus unwiderleglicher und widerleglicher Vermutung (vgl. z.B. Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 76 ff., 80 ff., 92 f., 141) oder als rein deklaratorischer Akt soll an dieser Stelle verzichtet werden, da sich diese sämtlich auf die alten Fassungen 2. und 4. DVO zum En WG bezogen. Vgl. dazu die Ausführungen bei Marburger, P., Regeln, S. 396 ff.; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 47 ff., jew. m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur. Die Auslegung der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung als Fiktion oder unwiderlegliche Vermutung würde eine unzulässige Rechtssetzungsermächtigung für private Organisation bedeuten. Arndt, G., Dynamische Rechtsnorm Verweisung, S. 787; Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 75; ders., Recht und Technik, S. 11; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 70; Lukes, R., Tragweite, S. 221; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 103 f.; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 47. 533 Hartmann, P., in: Baumbach, ZPO, 55. Α., § 292 Rn. 5 (anders jedoch Rn. 8); Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 242.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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Gegner die materielle Beweislast der durch die Vermutung begünstigten Partei zugeteilt534. D.h. als Folge dieser gesetzlichen Vermutung genießt der Nomadressat bei Beachtung der durch eine normkonkretisierende allgemeine Verweisung gesetzlich rezipierten technischen Normen den Vorteil der Beweislastumkehr gegenüber der normalen Regelung, nach der jede Partei die Beweislast für die Erfüllung der ihr günstigsten Norm trägt 535. Zur Auslösung dieser Vermutung bedarf es nur der Behauptung und im Streitfall des Beweises, daß die gesetzlich rezipierten technischen Normen beachtet worden sind. Gelingt dies, so ist der Normadressat zunächst von jeder weiteren Darlegungs- und Beweisführungspflicht der Erfüllung der ihm obliegenden Schutz- oder Sicherheitspflichten entbunden536. Die widerlegbare gesetzliche Vermutung kann zum einen durch die Widerlegung der Vermutungsbasis und zum anderen durch den vollen Beweis des Gegenteils (§ 292 ZPO, § 173 VwGO) entkräftet werden. Eine Beseitigung der Vermutungsbasis kann z.B. durch den Nachweis erfolgen, daß ein atypischer Geschehensablauf vorliegt, eine Konformität zu den gesetzlich in Bezug genommenen technischen Normen nicht besteht oder daß die Verfahrensvorschriften für die Aufstellung der technischen Normen, soweit diese für den Inhalt der Normen von substantieller Bedeutung sind, nicht eingehalten worden sind. Der Beweis des Gegenteils erfordert den Nachweis, daß eine rezipierte technische Norm den gesetzlich geforderten Gefahrenschutz bzw. die Risikovorsorge nicht, noch nicht oder nicht mehr gewährleistet; denn erstens kann eine technische Norm fehlerhaft oder zur Gefahrenabwehr und/oder Risikovorsorge nicht geeignet sein; ferner besteht zweitens die Möglichkeit, daß die in ihr normierte neue technische Lösung noch die erforderliche breite praktische Bewährung und damit bezüglich des normativen Standards "(allgemein) anerkannte Regeln der

534 Hartmann, P., in: Baumbach, ZPO, 55. Α., § 292 Rn. 8; Marburger, P., Regeln, S. 402 ff.; Stefener, W., DIN-Normen, S. 46. 535 Widerlegliche gesetzliche Tatsachenvermutungen sind nach heute vorherrschender Betrachtung Beweislastnormen. Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 75; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 70; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 145; Hartmann, P., in: Baumbach, ZPO, 55. Α., § 292 Rn. 5 (anders jedoch Rn. 8); Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 133; Lukes, R., Tragweite, S. 221; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 118 f.; Marburger, P., Regeln, S. 401 f.; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 228; ders., Technische Sicherheit, S. 21; ders., Bezugnahme, S. 42; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 51, 53 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 155; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 85; Stefener, W., DIN-Normen, S. 45 ff.; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 47. 536 Marburger, P., Regeln, S. 402; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 53 f.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Technik" die notwendige (allgemeine) Anerkennung fehlen 537; und schließlich kann drittens eine technische Norm veraltet und damit nicht mehr (allgemein) anerkannt sein bzw. es ihr an der bezüglich der normativen Standards "Stand der Technik" bzw. "Stand von Wissenschaft und Technik" notwendigen Aktualität mangeln, die mit der durch den normativen Standard geforderten Nähe zur technischen und gegebenenfalls wissenschaftlichen Entwicklungsfront korreliert 538. Damit bleibt die Ausfüllung der normativen Standards nicht mit abschließender und bindender Wirkung für Verwaltungsbehörden und Gerichte den privaten Normenorganisationen vorbehalten; vielmehr unterliegt die Frage, ob die technischen Normen dem normativen Sicherheitsstandard genügen, der behörd537 Deutlich in dieser Hinsicht Abschn. 4 Nr. 4.21 Abs. 2 der Technischen Regel für brennbare Flüssigkeiten (TRbF) 001 : "Allgemeines, Aufbau und Anwendung der TRbF' i.d.F.d. Bekanntmachung v. 12.1982 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1982, Nr. 12, S. 3637) des Deutschen Auschusses für brennbare Flüssigkeiten: "Werden neue Regeln für den Betrieb von Anlagen beschlossen, die ... fortschrittlich sind und bislang von der Fachwelt noch nicht allgemein akzeptiert sind, von denen aber erfahrungsgemäß anzunehmen ist, daß sie demnächst allgemein akzeptiert werden,...". Vgl. auch Abschn. 4 Nr. 4.12 TRbF 001. 538 Budde, E., Rechtliche Bedeutung, S. 147; Köhler, H., Haftungsrechtliche Bedeutung, S. 10; Marburger, P., Regeln, S. 402 f.; ders., Bezugnahme, S. 43 f.; ders., Technische Sicherheit, S. 18, 21; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 53 f.; Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2638 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 242; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 63 f.; Stefener, W., DIN-Normen, S. 44 ff.; Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 115 f. Marburger, P., Bezugnahme, S. 44 hält hier die von DIN, DKE, DVGW, VDE, VDI usw. zugelassene Geltungsdauer von maximal fünf Jahren bis zur Überprüfung und ggf. Revision oder Zurückziehung im allgemeinen für ausreichend. Dies erscheint angesichts der unterschiedlichen Anforderungen der normativen Standards - will man deren Stufung emst nehmen - i.V.m. den unterschiedlichen technischen Entwicklungsgeschwindigkeiten der einzelnen technischen Fachrichtungen zu undifferenziert zu sein. Kann in weniger innovativen Gebieten der "Stand der Technik" von vor 15 Jahren noch heute eine von den Fachleuten "anerkannte Regel der Technik" darstellen (a.A. Marburger, ebd.), ist bei dem Versuch der Kodifizierung des sich permanent fortentwickelnden "Standes der Technik" auf hochinnovativen Gebieten in technischen Normen die Wahrscheinlichkeit nicht gerade als gering anzusehen, daß sich in der Zeitspanne des notwendigen Verfahrensdurchlaufes der Norm vom Entwurfsstadium bis zu ihrer Veröffentlichung der Stand der Technik bereits wieder weiterentwickelt hat. Und zur Konkretisierung des normativen Standards "Stand von Wissenschaft und Technik" ist ein Zeitintervall von fünf Jahren angesichts der Verdopplung der naturwissenschaftlich-technischen Kenntnisse in etwa derselben Zeitspanne (vgl. die Ausführungen in Fn. 23 in Kap. I.A.l.c)) kaum ausreichend. Aus eben diesen Erwägungen wurden durch die normschaffenden Institutionen die Instrumente der parallel zur wissenschaftlich-technischen Entwicklung durchgeführten entwicklungsbegleitenden Normung sowie die Arbeit mit Projektteams, wie beispielsweise bei ETSI praktiziert (vgl. Kap. II.B.l.b)cc)), geschaffen.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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liehen und im Streitfall vollinhaltlich der richterlichen Prüfung 539. Erst im Falle eines non liquet, d.h. wenn der Richter nach Ausschöpfung aller Beweismittel weder von der vermuteten Tatsache noch von ihrem Gegenteil überzeugt ist, und diese Frage auch mit Hilfe von Sachverständigen nicht eindeutig geklärt werden kann, ist der Rechtsanwender an die vermutete Tatsache gebunden und muß sie seiner Entscheidung so zugrunde legen, als sei sie erwiesen 540. Im Zweifel soll nicht der individuelle, sondern der in den technischen Normen verkörperte institutionalisierte gesammelte Sachverstand der interessierten Kreise den Ausschlag geben541. Diese Rechtswirkungen sind von Bedeutung für die Rechtsposition des sicherungspflichtigen Normadressaten im Rahmen seiner Rechtsbeziehungen zu den zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörden. Bei Beachtung der rezipierten technischen Normen kann der Normadressat in aller Regel darauf vertrauen, daß er seinen gesetzlichen Schutz- und Sicherheitspflichten genügt hat und ihm damit Beanstandungen mit der Folge zeitraubender und kostspieliger Auseinandersetzungen mit den Genehmigungs- und Überwachungsbehörden und, sofern die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen dies vorsehen, Beschlagnahmungen, Vertriebs- bzw. Verwendungsverbote oder gar bußgeld- oder strafrechtliche Sanktionen erspart bleiben542. Und sollte der durch die Vermutung begünstigte Bürger im Wege der Verpflichtungsklage den Erlaß eines begünstigenden Verwaltungsaktes begehren, nimmt ihm die Vermutung die Beweislast ab und verlagert sie auf die beklagte Behörde 543. Jedoch ist der Normadressat nicht verpflichtet, die bezeichneten technischen Normen einzuhalten, sondern es steht ihm frei, davon abweichende technische Lösungen zu wählen,

539 BVerwG NJW 1962, S. 506 (507); Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 75; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 70; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 145; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 133 f.; Lukes, R., Tragweite, S. 221; Marburger, P., Regeln, S. 401 ff.; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 228; ders., Technische Sicherheit, S. 21; ders., Bezugnahme, S. 42; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 51; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 118 f.; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 47. 540 Marburger, P., Regeln, S. 401 f., 406; ders., Bezugnahme, S. 42 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 242. Damit handelt es sich bei der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung in der Interpretation als widerlegbare gesetzliche Vermutung nicht mehr um eine unmittelbare, rein normative Rezeption, sondern um eine intermediäre Regelungsmethode, die letztlich auf entsprechenden konkret-individuellen, mittelbaren administrativen und - im Falle der gerichtlichen Überprüfung - judikativen Rezeptionsakten beruht. 541 Marburger, P., Regeln, S. 406 f.; ders., Bezugnahme, S. 43. 542 Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 53 f. 543 Marburger, P., Regeln, S. 404.

23 Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

sofern dadurch das vorgeschriebene Sicherheitsniveau ebenfalls gewährleistet wird 544 , d.h. die Lösung dem normativen Standard ebenfalls genügt545. Auf die 544

Berg, W., Verwaltungsprozeß, S. 282; BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 23; Budde, E., Rechtliche Bedeutung, S. 147; Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 21. Vgl. auch die amtliche Begründung des inzwischen gestrichenen § 337 a StGB a.F. (Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik bei der Installation von Anlagen zur Gewinnung von Elektrizität und Gas): "Für Elektrizität und Gas bestehen deshalb auch einheitliche ... auf dem neuesten Stand der Technik gehaltene Richtlinien. Es sind dies für die Elektrizitätswirtschaft die Bestimmungen des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE) und für die Gaswirtschaft die Bestimmungen des DVGW Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW), die - nicht ausschließlich, aber in erster Linie - als allgemein anerkannte Regeln der Technik auf dem Gebiete der Elektrizität und des Gases gelten." Zit. bei Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 93 f. Da technische Normen im Interesse der Vereinheitlichung nur eine Lösung einer wiederkehrenden Aufgabe bezeichnen, existieren im Regelfall auch andere - im Sinne der vorhergehenden Anmerkung u.U. sogar fortschrittlichere - technische Lösungen oder Verhaltensweisen, die den Anforderungen des normativen Standards ebenfalls genügen. So zutreffend Köhler, H., Haftungsrechtliche Bedeutung, S. 10; Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 19; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 850; ders., Zulässige Abweichungen, S. 835 f. Daher bildet die bloße Abweichung von den Festlegungen der technischen Normen keine ausreichende Basis für eine widerlegliche Vermutung mit der Funktion einer Beweislastregel (so aber Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 133; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 62 f., 84 f., 141) bzw. einen prima-facie-Beweis aufgrund eines Erfahrungssatzes (i.d.S. jedoch Stefener, W., DIN-Normen, S. 48) eines Verstoßes gegen den normativen Standard. Marburger, P., Regeln, S. 398; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 58. Folglich können Rechtsnormen, die sich dieser Verweisungsmethode bedienen, nicht Grundlage für belastende Verwaltungsakte sein, mit denen dem Pflichtigen die Einhaltung der in Bezug genommenen technischen Norm auferlegt wird. Somit streitet die widerlegliche Vermutung nur zugunsten des Normadressaten. Marburger, P., Regeln, S. 400. Dementsprechend führen auch die normschaffenden Institutionen aus, daß eine technische Norm nicht die einzige, sondern nur eine Erkenntnisquelle für technisch ordnungsgemäßes Verhalten im Regelfall ist. Vgl. für das DIN: DIN, Anwenden von DINNormen, Nr. III.2; für den VDE: VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 3 Abschn. 2 Nr. 2.3; für den DVGW: Dahl, K , Das DVGW-Regelwerk, S. 384 f. Ferner muß insbesondere bezüglich des normativen Standards "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik" ein Abweichen von diesen Regeln im Interesse des technischen Fortschritts möglich sein. Aus Sicht der Industrie Berger, H., Rechtsverbindliche Strahlenschutzvorschriften, S. 9. 545 Und darüber hinaus dann, wenn das Verweisungsgesetz eine Abweichklausel dahingehend enthält, daß von dem normativen Standard "allgemein anerkannte Regeln der Technik" "abgewichen werden [darf], soweit die gleiche Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist". So in diesem Wortlaut § 3 Abs. 1 S. 3 GSG und § 3 Abs. 1 S. 3 MedGV. Ähnlich - mit Zustimmung der Behörde - auch § 8 Abs. 1 und 2 DampfkV sowie die gleichlautenden Paragraphen der übrigen Rechtsverordnungen zu den überwachungsbedürftigen Anlagen (vgl. dazu Kap. II.A.l.c)dd)(4)(b)(bb)). Vgl. ferner § 3 Abs. 3 S. 3

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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drei gängigsten normativen Standards546 angewandt, bedeutet dies: Eine technische Lösung, die von den im Verweisungsgesetz benannten überbetrieblichen technischen Normen abweicht, entspricht dem gesetzlich geforderten Sicherheits- und Schutzniveau "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik"

541

nur dann, wenn die abweichend

angewandte technische Regel ebenfalls "(allgemein) anerkannt" ist, d.h. wenn sie Eingang in die Praxis gefunden hat, sich dort in den Augen der Mehrheit der auf dem fraglichen Gebiet tätigen Fachleute bewährt hat und somit hinsichtlich der schütz- und sicherheitstechnischen Anforderungen als geeignet und richtig angesehen wird 548 . Dabei ist unerheblich, ob einzelne Fachleute oder eine kleine Gruppe

l.HS MBO sowie die entsprechenden Passi in den Landesbauordnungen (z.B< §3 Abs. 1 S. 3 BauO NW). 546 Obwohl, soweit ersichtlich, in normkonkretisierenden allgemeinen Verweisungen nur der Standard "allgemein anerkannte Regeln der Technik" Verwendung findet, sollen an dieser Stelle auch die anderen gängigen normativen Standards behandelt werden, um eine vollständige Betrachtung zu ermöglichen. 547 Engl, "acknowledged rule of technology", franz. "règle technique reconnue" ("règle de l'art"). CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 9 Abschn. 1 Nr. 1.5. "Allgemein anerkannte Regeln der Technik sind schriftlich fixierte oder mündlich überlieferte technische Festlegungen für Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, die nach herrschender Auffassung der beteiligten Kreise zur Erreichung des gesetzlich vorgegebenen Zieles geeignet sind und die sich in der Praxis allgemein bewährt haben oder deren Bewährung nach herrschender Auffassung in überschaubarer Zeit bevorsteht. Wirtschaftliche Gesichtspunkte sind im Rahmen der gesetzlichen Zielvorgabe als Teil der Verhältnismäßigkeitserwägungen zu berücksichtigen." BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 12 f., 15; vgl. auch ebda, Anhang 2. Zwischen den "allgemein anerkannten Regeln der Technik" und den "anerkannten Regeln der Technik" besteht nach heute einhelliger Meinung keine unterschiedliche Bedeutung. Vgl. dazu die Nachweise in der nachfolgenden Fußnote. 548 Dementsprechend genügt es nicht, daß lediglich im Fachschrifttum die Ansicht vertreten oder in Fachschulen die Ansicht gelehrt wird, die Regel entspräche den technischen Erfordernissen. So schon die vom Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung (RG, GA 39 (1891), S. 208 (209); RGSt 44, S. 75 (79 ff.); 56, S. 343 (346 f.)) formulierte Auffassung zu den "allgemein anerkannten Regeln der Baukunst" in § 330 StGB a.F. (heute § 323 StGB). Vgl. dazu Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 67; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 67; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 73; Feldhaus, G., BImSchR, Rn. 16 zu § 3; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 21; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 60 ff.; Scholz, R., Verhältnis, S. 95; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 46 f. Vgl. femer BVerfGE 49, S. 89 (135); Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 73; Börner, A.-R., DVGWRegelwerk Gas, S. 265 f.; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 55 ff.; Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2639; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 211 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 78; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 48 f., 149; Stefener, W., DIN-Normen, S. 43; Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 118 f.

2*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

von Fachleuten diese Regelung nicht anerkennen oder überhaupt nicht kennen. Maßgebend ist die Durchschnittsmeinung, die sich in Fachkreisen gebildet hat 549 . Dementsprechend besteht der Nachteil dieses Maßstabes darin, daß aufgrund der zeitlichen Verzögerung infolge des Erfordernisses der (allgemeinen) Anerkennung die Rechtsordnung stets hinter einer weiterstrebenden technischen Entwicklung hinterherhinkt 550; "Stand der Technik" 551 nur dann, wenn die abweichend angewandte technische Lösung ebenfalls einen fortschrittlichen Stand der technischen Entwicklung dar-

Auch das DIN ist nie von einer Identität technischer Normen und der "(allgemein) anerkannten Regeln der Technik" ausgegangen: Budde, E., Rechtliche Bedeutung, S. 147; ders., Begriffe, S. 739; ders., DIN-Normen und Recht, S. 12; Budde, E. u.a., DIN-Normen und Rechtsvorschriften, S. 442. A.A. Berg, W., Verwaltungsprozeß, S. 282 ff., der auch "unorthodoxe" Lösungen zulassen will. Grundsätzlich a.A., den Terminus "allgemeine Anerkennung" als objektive Richtigkeit deutend und dementsprechend auch einschlägige ausländische sowie internationale technische Normen zulassend, Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 52 ff., 59; ihm folgend Marburger, P., Regeln, S. 154 ff., 157; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 21 ff.; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 18; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 85 f. Grundsätzlich a.A. auch CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 9 Abschn. 1 Nr. 1.5., nach denen eine anerkannte Regeln der Technik eine technische Festlegung ist, die von der Mehrheit der repräsentativen Fachleute als Wiedergabe des Standes der Technik angesehen wird. 549 So die amtliche Begründung zum GSG (Bundestags-Drucksache V/834 vom 19. Juli 1966 zu § 3), zit. in: BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 11. 550 BVerfGE 49, S. 89 (135 f.) unter Rekurs auf Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 67 f.; vgl. auch Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 73. 551 Engl, "state of the art", franz. "état de la technique (état de l'art)". CEN/ CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 9 Abschn. 1 Nr. 1.5. Vgl. dazu die Legaldefinition des normativen Standards "Stand der Technik" in § 3 Abs. 6 BImSchG: "Stand der Technik im Sinne dieses Gesetzes ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen gesichert erscheinen läßt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, die mit Erfolg im Betrieb erprobt worden sind", sowie die praktisch gleichlautenden Legaldefinitionen des "Standes der Sicherheitstechnik" in § 2 Abs. 3 der 12. BImSchV, des "jeweiligen Standes der Technik und Organisation" in § 8 Abs. 2 des DSG BW sowie in § 6 Abs. 2 S. 2 Bundesdatenschutzgesetz a.F. (in der Neufassung vom 20.12.1990 (BGBl. I, 1990, Nr. 73, S. 2954-2981) sind sowohl der normative Standard als auch dessen Definition nicht mehr enthalten). Vgl. ferner die ebenfalls nahezu identischen Definition in Absch. 2 Nr. 2.1 TA Abfall (Zweite allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Abfallgesetz (TA Abfall); Teil 1 : Technische Anleitungen zur Lagerung, chemisch/physikalischen und biologischen Behandlung, Verbrennung und Ablagerung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen i.d.F.d. Bekanntmachung v. 12.03.1991 (GMB1., 1991, Nr. 8, S. 139-214)) sowie die Definition des "Standes der Lärmbekämpfungstechnik" in der TA Lärm.

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stellt und praktisch geeignet ist, das durch den normativen Standard konkretisierte Sicherheits- und Schutzniveau zu gewährleisten. Zum Nachweis der praktischen Eignung der abweichenden technischen Lösung reicht deren bloßer wissenschaftlicher Beweis nicht aus; vielmehr muß dazu die technische Lösung zumindest einmalig mit Erfolg - gegebenenfalls auch in Versuchs- oder Pilotanlagen - technisch realisiert und ihre Fortschrittlichkeit, d.h. ihre besondere Wirksamkeit und Effizienz hinsichtlich der Erfüllung des angestrebten Sicherheits- und Schutzzieles, unter gleichen äußeren Bedingungen objektiv erwiesen worden sein552. Dadurch wird der rechtliche Maßstab für das Erlaubte oder Gebotene an die Front der technischen Entwicklung verlagert, da die subjektive (allgemeine) Anerkennung der Fachleute für den Stand der Technik keine Rolle spielt . Während im Bereich der Gefahrenabwehr wirtschaftliche Gesichtspunkte - als Teil der Verhältnismäßigkeitserwägungen - keine Berücksichtigung finden, ist dem normativen Standard "Stand der Technik" nach verbreiteter Auffassung im Bereich der Risiko Vorsorge eine Begrenzung durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip immanent. Nicht allein die technischen Möglichkeiten, sondern auch ökonomische Erwägungen bestimmen danach den Stand der Technik. Die Formel wird somit als normativer Begriff

552

Feldhaus, G., BImSchR, Rn. 15, 17 und 19 zu § 3; Kremer, G., Struktur und Zustandekommen, S. 17; Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 12 ff.; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 20 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 25 f., jew. m.w.N. A.A. Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 129 ff., insbes. S. 136 ff., der den Stand der Technik als weltweit fortschrittlichsten Stand der technischen Entwicklung interpretiert. A.A. Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 67, der die praktische Bewährung für den Stand der Technik als nicht entscheidend ansieht. A.A. CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 9 Abschn. 1 Nr. 1.4; Marburger, P., Regeln, S. 162 f.; Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 93 f., nach denen die Formel des Standes der Technik auch die Berücksichtigung des Standes der (zugehörigen) Wissenschaft mit einschließe, da nur die wissenschaftliche Erkenntnis als hinreichendes Wissen um die Möglichkeiten von Schäden und deren Ausschluß akzeptabel sei. Unverständlich Börner, A.-R., DVGW-Regelwerk Gas, S. 265 f., demzufolge der Stand der Technik auch die allgemein anerkannten Regeln der Technik umfaßt. Da hier die objektive Eignung einer technischen Problemlösung für das angestrebte Sicherheitsziel maßgeblich ist, wird erreicht, daß neue, technisch bereits realisierte Problemlösungen ohne die zeitliche Verzögerung, die mit dem Erfordernis einer allgemeinen Anerkennung einhergehen, als Maßstab nutzbar gemacht werden können. BVerfGE 49, S. 89 (135 f.); Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 67 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 79. 553 Im Gegensatz zum objektiven Nachweis der Eignung stellt die Bundesregierung in ihrer Definition auf die subjektive Auffassung führender Fachleute ab: "Stand der Technik ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, der nach herrschender Auffassung führender Fachleute die Erreichung des gesetzlich vorgegebenen Zieles gesichert erscheinen läßt. Im Rahmen der gesetzlichen Zielvorgabe sind, als Teil der Verhältnismäßigkeitserwägungen, wirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, in Teilbereichen, je nach gesetzlicher Zielvorgabe, allerdings nur nachrangig. Das Verfahren oder ein vergleichbares Verfahren muß sich in der Praxis bewährt haben[,] oder das Verfahren sollte möglichst im Betrieb mit Erfolg erprobt worden sein." BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 13 f., 16f.; vgl. auch ebda, Anhang 2.

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gedeutet, der mittels einer wertenden Abwägung von wirtschaftlichem Aufwand und technischem Nutzen auszufüllen ist 554 ; "Stand von Wissenschaft und Technik" nur dann, wenn durch die abweichend angewandte technische Lösung objektiv nachweisbar diejenige Vorsorge gegen Schäden gewährleistet ist, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen555 für erforderlich gehalten oder die nach dem Stand der Technik tatsächlich praktiziert wird, sofern dieser den wissenschaftlichen Erkenntnissen vorauseilt556.

554

BVerfGE 49, S. 89 (135 f.) im Anschluß an Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 68; BVerwGE 55, S. 250 (254); Feldhaus, G., BImSchR, Rn. 19 zu § 3; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 35; Marburger, P., Regeln, S. 130 ff., 160, 162; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 12 ff., 119, 122 ff.; Nicklisch, F., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 84; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 83; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 166 f.; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 10 f. Besonders deutlich auch Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 11 ff. u. insbes. 21 f. sowie Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 26 ff., die jeweils im Anschluß an Feldhaus den "Stand der Technik" "als Ergebnis von Bewertungen und Abwägungen" eines zehn Kriterien enthaltenden Katalogs definieren, die u.a. auch die Investitions- und Betriebskosten beinhalten. A.A. Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 129 ff., insbes. S. 136 ff. m.w.N., der diesen Terminus objektiv als Pflicht zur Feststellung und Befolgung der weltweit fortschrittlichsten technischen Lösung interpretiert und dementsprechend eine Begrenzung durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip hinsichtlich Wirtschaftlichkeitsüberlegungen ablehnt. 555 Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat den "Stand der Wissenschaft" als "derzeitige menschliche Erkenntnisse" (BVerwG, DVB1. 1972, S. 678 (680), als den "neuesten Stand unwiderlegten möglichen Irrtums" (BVerfGE 49, S. 89 (143) definiert. Ganz so Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 100, 111 f.; ähnlich Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 68; Marburger, P., Regeln, S. 162 f.; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 7 f. jedoch kritisch bezüglich der Allgemeinheit einer solchen "Leerformel". 556 Gemäß der althergebrachten Praxis der Ingenieure, mehr für die Sicherheit zu tun als (wissenschaftlich) nötig, kann das nach dem Stand der Wissenschaft Erforderliche hinter dem nach dem Stand der Technik Üblichen zurückbleiben. Dementsprechend setzt die Formel vom Stand der Technik in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG "einen Maßstab erforderlicher Schadensvorsorge, welcher neben dem des Standes der Wissenschaft eigenständige rechtliche Bedeutung beansprucht". Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 129 ff. Die Synthese der Begriffe "Stand der Wissenschaft" und "Stand der Technik" ist aber auch insofern sinnvoll, als daß es bis heute vorkommt, daß der Stand der Technik dem Stand der wissenschaftlichen Erklärungsmodelle vorauseilt, wie z.B. im Bereich der chemischen Katalyse. Beckmann, M., Umweltrecht, S. 1430. Vgl. dazu auch Kap. I.A.l.e). A.A. BVerfGE 49, S. 89 (136); Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 33 f., nach denen der kumulierte Begriff dahingehend zu verstehen ist, daß nicht der Stand von Wissenschaft und Technik gemeinsam die Schadensmöglichkeiten und erforderliche Vorsorge bestimmt, sondern lediglich der Stand der wissenschaftlichen Er-

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Damit übt der Gesetzgeber nach Meinung des BVerfG einen noch stärkeren Zwang dahin aus, daß die rechtliche Regelung mit der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung Schritt hält. Läßt sich die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für notwendig erachtete Vorsorge selbst durch fortschrittlichste technische Systeme (noch) nicht verwirklichen, darf eine Genehmigung nicht erteilt werden. Folglich ist die erforderliche Schadensvorsorge nach diesem Standard nicht durch das gegenwärtig technisch Machbare begrenzt und verwirklicht so das bestmögliche Sicherheits- und Schutzniveau557. Analog zum normativen Standard "Stand der Technik" ist auch dieser Rechtsbegriff unter Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes so zu verstehen, daß bei der Bestimmung der als "notwendig erachteten Risikovorsorge" nicht absolut das technisch oder wissenschaftlich-technisch Machbare gefordert wird. Bei der Frage nach der Reichweite der Vorsorgepflicht sind auch die wirtschaftlichen Betreiberinteressen angemessen zu berücksichtigen, allerdings regelmäßig nur nachrangig gegenüber den Schutz- und Sicherheitsanforderungen 558. Gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung bestehen nach herrschender Meinung im Falle ihrer Deutung als widerlegbare gesetzliche Tatsachenvermutung keine durchgreifen-

kenntnisse. Der Stand der Technik entscheidet lediglich über die Erfüllbarkeit dieser Anforderungen durch entsprechende technische Mittel. 557 Grundlegend BVerwG, DVB1. 1972, S. 678 (680); diesem folgend BVerfGE 49, S. 89 (136); 53, S. 30 (58 f.). Vgl. femer Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 68; Feldhaus, G., BImSchR, Rn. 18 zu § 3; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 36 f., 77 ff. Aus der Sicht eines technischen Wissenschaftlers und Normenpraktikers kritisch hinsichtlich einer höheren Sicherheitsstufe durch Einbeziehung neuester, jedoch noch nicht hinreichend bewährter technischer Lösungen Hosemann, G., Erstellung sicherheitstechnischer Normen, S. 104. 558 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 35; Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 33 ff.; ders., Regeln, S. 130 ff.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 37 ff., 74; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 83. Dementsprechend definiert die Bundesregierung: "Stand von Wissenschaft und Technik ist der Entwicklungsstand fortschrittlichster Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, die nach Auffassung führender Fachleute aus Wissenschaft und Technik auf der Grundlage neuester wissenschaftlich vertretbarer Erkenntnisse im Hinblick auf das gesetzlich vorgegebene Ziel für erforderlich gehalten werden und die Erreichung dieses Zieles gesichert erscheinen lassen. Dabei können im Bereich der Gefahrenabwehr wirtschaftliche Gesichtspunkte - als Teil der Verhältnismäßigkeitserwägungen - keine Rolle spielen. Im Bereich der Vorsorge hat diese Vorrang vor wirtschaftlichen Gesichtspunkten." BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 14, 16; vgl. auch ebda, Anhang 2. A.A. Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 130, 139, der im Anschluß an BVerfGE 49, S. 89 (137, 141 f.); 53, S. 30 (59) aufgrund der staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG keine wie auch immer geartete Schadenstoleranz bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie zuläßt.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

den Einwände559. Da das Sicherheitsniveau durch die Anordnung, die "(allgemein) anerkannten Regeln der Technik", den "Stand der Technik" oder den "Stand von Wissenschaft und Technik" zu beachten560, abschließend im Gesetz bestimmt ist, genügt diese Regelungsmethode dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gesetzesbestimmtheit und -klarheit 561. Ferner liegt auch kein Verstoß gegen das demokratische Prinzip vor, indem unter Umgehung von Art. 80 Abs. 1 GG Rechtssetzungsmacht auf private Stellen verlagert würde, welche die Ausfüllung der normativen Standards abschließend und mit bindender Wirkung für Behörden und Gerichte den privaten Regelsetzern überließe. Denn als widerlegbare gesetzliche Tatsachenvermutung mit der Funktion einer bloßen Beweislastregel562 bewirkt die normkonkretisierende allgemeine Verweisung keine faktische Verlagerung von Rechtssetzungsbefugnissen mit der Folge, daß die rezipierten technischen Normen für die zweite und dritte Gewalt verbindlich wären. Vielmehr unterliegt die Frage, ob die rezipierten technischen Normen dem normativen Standard genügen, der behördlichen und im Streitfall voll der richterlichen Überprüfung. Daher ist diese Regelungsmethode auch in der undatierten allgemeinen Form zulässig563.

559

Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 62 ff., 66; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 144 ff.; Marburger, P., Regeln, S. 405 ff.; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 34 ff.; ders., Bezugnahme, S. 43; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 44 ff.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 240 f.; Scholz, R., Technik und Recht, S. 704 f.; ders., Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 143; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 61 ff. A.A. Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 208 f., der diese Rezeptionsart im Falle von "Übermaßformen der Verweisung" für verfassungswidrig hält, da sie sich im Ergebnis als "verschleierte... Delegationen" darstellen. Zur Bestimmung des "Übermaßes" gilt nach Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 207 die Formel: Je umfangreicher die durch das "winzige Korsett der bezugnehmenden Blankettrechtsnormen" im Wege der Verweisung rezipierten Regelungen sind, desto eher gerät die Verweisung in die Nähe der Delegation; darüber hinaus genügt nach Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 213 f. diese Rezeptionsart auch nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz des GG. A.A. auch Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 19 f. 560 Sofern die gesetzliche Regelung nicht zusätzlich andere, generalklauselartige Schutzzielbestimmungen enthält. Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. II.A.l.c)bb) (2)(a)(aa). 561 Marburger, P., Regeln, S. 405; ders., Technische Sicherheit, S. 21. 562 Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen. 563 Marburger, P., Regeln, S. 405 ff.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 241. Obwohl, wie bereits in Fn. 479 in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(aa)a) ausgeführt, eine staatliche rechtssetzende Gewalt durch eine Verweisung auf private technische Normen nicht in den Kernbereich der beiden anderen Gewalten eingreift, wird teilweise auch die Vereinbarkeit der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung mit dem Grundsatz

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Weitere Beispiele für diese Regelungsmethode finden sich in § 2 der 2. DVO zum En W G 5 6 4 ("Bei der Errichtung und Unterhaltung von Anlagen zur Erzeugung, Fortleitung und Abgabe von Gas sind die allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten. Von den allgemein anerkannten Regeln der Technik darf abgewichen werden, soweit die gleiche Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist." "Die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik wird vermutet, wenn die technischen Regeln des Deutschen Vereins des Gasund Wasserfachs e.V. (DVGW) beachtet worden sind"), in § 3 Abs. 2 EltBauV N W 5 6 5 ("Die elektrischen Anlagen müssen den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Als anerkannten Regeln der Technik gelten die Bestimmungen des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE-Bestimmungen)."), in § 2 EltBauV N D 5 6 6 ("Elektrische Anlagen in elektrischen Betriebsräumen müssen den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Als anerkannten Regeln der Technik gelten die Bestimmungen des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE-Bestimmungen)."), in § 13 Abs. 7 GhV NW ("Die elektrischen Anlagen sind nach den anerkannten Regeln der Technik herzustellen, zu ändern, zu unterhalten und zu betreiben. Als anerkannten Regeln der Technik gelten die Vorschriften des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE-Vorschriften). Die geltenden VDE-Vorschriften sind beim VDE-Verlag GmbH.(sic), Berlin 12, Bismarkstraße 33, als Sonderdruck veröffentlicht.") und in § 17 Abs. 3 GhV SL 5 6 7 ("Die elektrischen Anlagen müssen den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Als anerkannte Regeln der Technik gelten die Bestimmungen der Deutschen Elektrotechnischen Kommission - DKE - (VDE-Bestimmungen).") (2) Arten der mittelbaren Rezeption technischer Normen Wie bereits eingangs ausgeführt, wird von einer mittelbaren Rezeption technischer Normen gesprochen, wenn zwischen einer Rechtsvorschrift, in deren Rahmen eine technische Norm Rechtsverbindlichkeit erlangt, und der technischen Norm selbst noch ein zusätzliches Verbindungsglied etwa in Form einer normativen Ermächtigung der Exekutive zur abstrakt-generellen Rezeption ent-

der gewaltenteiligen Funktionenordnung (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG) geprüft. Vgl. Marburger, P., Regeln, S. 405 ff. 564 Ehemals § 1 der 4. DVO zum EnWG v. 07.12.1938 (RGBl. I, 1938, S. 1732). 565 Verordnung über den Bau von Betriebsräumen für elektrische Anlagen (EltBauV) NW v. 15.02.1974 (GVB1. NW, 1974, Nr. 12, S. 81-83). 566 Verordnung über den Bau von Betriebsräumen für elektrische Anlagen (EltBauV) ND v. 26.11.1975 (GVB1. ND, 1975, Nr. 30, S. 381-382). 567 Zehnte Verordnung zur Landesbauordnung (Geschäftshausverordnung - GhV) SL (ABl. SL, 1977, S. 910-919).

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

sprechender technischer Normen beispielsweise durch ministerielle Einführung derselben, einen konkret-individuellen Verwaltungsakt der Aufsichts- und Genehmigungsbehörden, einer konkret-individuellen richterlichen Entscheidung o.ä., mithin ein administrativer oder judikativer Rezeptionsvorgang besteht. Neben der indirekten Rezeption durch normative Standards, die mit Abstand die wichtigste Regelungsmethode im Umwelt- und Technikrecht darstellt, sind hier neben anderem noch die Qualifikation technischer Normen als Verkehrssitte (§§ 157, 242 BGB) und Handelsbrauch (§ 346 HGB), als gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse (§ 91 BetrVG), als Erfüllung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB), als antizipierte Sachverständigengutachten sowie die Bezugnahme auf technische Normen auf öffentlichen Märkten zu nennen. (a) Mittelbare Rezeption durch normative Standards (aa) Regelungsmethode Bei dieser im deutschen Recht seit langem568 angewandten und heute vorherrschenden 569 Regelungsmethode wird in ihrer grundsätzlichen Ausprägung in

568 Die mittelbare Rezeption außerrechtlicher Ordnungsgefüge durch normative Standards in die Rechtsordnung hat eine lange Tradition in der deutschen Rechtssetzungspraxis. Bereits das preußische allgemeine Landrecht von 1794 machte in seinem strafrechtlichen Teil (2. Teil, 20. Titel: "Von den Verbrechen und deren Strafen") die "allgemein anerkannten Regeln der Baukunst" zum Maßstab für ein sicherheitstechnisch ordnungsgemäßes Verhalten im Bauwesen und rezipierte damit neben mündlich tradierten technischen Regeln im wesentlichen die Zunftregeln der beim Bau tätigen Handwerker (Marburger, P., Regeln, S. 149 ff.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 47 ff.): "Baumeister, die bey einem Baue oder einer Reparatur, oder bey der Auswahl der Materialien dazu, wider die allgemein anerkannten Regeln der Baukunst dergestalt gehandelt haben, daß daraus eine Gefahr für die Einwohner oder das Publicum entsteht, sollen den Fehler auf eigene Kosten zu verbessern angehalten werden." (§ 768 PrALR) "Verfallen sie zum zweytenmale in dergleichen Fehler: so ist ihnen außerdem die fernere Treibung ihres Gewerbes, bey ein- bis zweyjähriger Gefängnißstafe, zu untersagen." (§ 769 PrALR, zit. u.a. bei Marburger, P., Regeln, S. 83; Wolfensberger, H., Die anerkannten Regeln der Technik, S. 25). Im Strafgesetzbuch für den Preußischen Staat vom 14. April 1851 wurde der gleiche Rechtsbegriff in § 202 aufgegriffen: "Baumeister und Bauhandwerker, welche bei der Ausführung eines Baues wider die allgemein anerkannten Regeln der Baukunst dergestalt gehandelt haben, daß hieraus für andere Gefahr entsteht, sollen mit Geldbuße von 50 bis zu 300 Thalem oder mit Gefängnis von 6 Wochen bis zu 6 Monaten bestraft werden. Im Rückfalle können sie zugleich der Befugnis zur selbständigen Betreibung ihrer Kunst oder ihres Gewerbes ver-

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einem ersten Schritt die Schutzzielbestimmung des Gesetzes und damit der Maßstab für die erforderlichen Schutzmaßnahmen auf Basis der im Grundrechtskatalog enthaltenen Wertordnung hinsichtlich der verfassungsmäßig zu schützenden Rechtsgüter normativ festgelegt; dies erfolgt im allgemeinen durch offene Rechtsbegriffe nach dem Muster der polizeirechtlichen Generalklausel wie z.B. "schädliche Umwelteinwirkungen"570, "erforderliche Vorsorge gegen Schäden"571 oder "Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere eine Gefährdung der öffentlichen Wasserversorgung" 572. Gleichzeitig erfolgt in einem zweiten Schritt durch die bekannten normativen Standards wie z.B. die "(allgemein) anerkannten Regeln der Technik", den "Stand der Technik" oder den "Stand von Wissenschaft und Technik" eine allgemeine Konkretisierung

lustig erklärt werden." Zit. bei Wolfensberger, H., Die anerkannten Regeln der Technik, S. 26. Die erste mittelbare Rezeption von technischen Regeln, welche durch interessenpluralistische Expertengremien aufgestellt wurden, in die staatliche Rechtsordnung findet sich in § 2 Abs. 1 der "Allgemeinen polizeilichen Bestimmungen über die Anlegung von Landdampfkesseln" v. 17.12.1908 (RGBl., 1909, S. 3) sowie in § 2 Abs. 1 der "Allgemeinen polizeilichen Bestimmungen über die Anlegung von Schiffsdampfkesseln" v. 17.12.1908 (RGBl., 1909, S. 51): "Jeder Dampfkessel muß in Bezug auf Baustoff, Ausführung und Ausrüstung den anerkannten Regeln der Wissenschaft und Technik entsprechen." Dagegen enthielten die allgemeinen polizeirechtlichen Bestimmungen für Dampfkessel von 1871 (RGBl., 1871, S. 122) und 1890 (RGBl., 1890, S. 163) noch abschließend die sicherheitstechnischen Anforderungen. Berg, W., Verwaltungsprozeß, S. 281. Ursache für die Abkehr der detaillierten gesetzlichen Regelungsmethode hin zur Anwendung dieser vom VDI vorgeschlagenen indirekten Rezeption technischer Normen war vornehmlich die "empfindliche Informationslücke" des Staates gegenüber den technisch-wissenschaftlichen Verbänden - namentlich dem VDI -, und der vergebliche Versuch, diese durch Einstellung von Dampfkesselexperten zu schließen. Marburger, P., Regeln, S. 151 ff.; ders., Bezugnahme, S. 38; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 51 ff. (die sogar von einer "Inkompetenz des Staates" spricht); Nicklisch, F., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 76; ders., Wortbeitrag in: DIN Normungskunde Bd. 17, S. 57. Vgl. ferner Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 59 f.; Marburger, P., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 29. 569 BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 4; Böckenförde, D., Rechtsetzung und technische Normen, S. 27. Diese wird auch als zweistufige gesetzliche Vermutung bezeichnet. BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 17. 570 §§1,3 Abs. 1, 4 Abs. 1 S. 1 und 2, 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 sowie S. 3, 23 Abs. 1 S. 1, 25 Abs. 2, 26 S. 1 u.a. BImSchG. 571 §§ 4 Abs. 2 Nr. 3, 5 Abs. 1 S. 2, 6 Abs. 2 Nr. 2, 7 Abs. 2 Nr. 3, 9 Abs. 2 Nr. 3 AtG. 572 § 6 WHG.

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der Risikogrenze durch Benennung des einzuhaltenden (sicherheits-) technischen Niveaus573. Dabei ist die Verwendung der normativen Standards innerhalb der großen Gruppe der unter diese Methode fallenden normativen Regelungen im einzelnen durchaus unterschiedlich, wobei sich im wesentlichen vier Grundstrukturen differenzieren lassen574. So wird in einer ersten Gruppe von Rechtsvorschriften auf die Proklamierung einer gesetzlichen Schutzzielbestimmung verzichtet, so daß der normative Standard den alleinigen Maßstab für die erforderlichen Schutzmaßnahmen bzw. die entsprechenden Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen darstellt: [1]

"Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger müssen so beschaffen sein, daß die Geräuschentwicklung das nach dem jeweiligen Stand der Technik unvermeidbare Maß nicht übersteigt." (§ 49 Abs. 1 StVZO);

[2]

"Der Betreiber einer Anlage hat zur Erfüllung der sich aus § 3 Abs. 1 oder 3 ergebenden Pflichten über die in den §§4 und 5 genannten Anforderungen hinaus ... die Wartungs- und Reparaturarbeiten nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik durchzuführen ..." (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 der 12. BImSchV575);

[3]

"Fenster ohne Öffnungsmöglichkeiten und feste Verglasung sind nach dem Stand der Technik dauerhaft und luftundurchlässig abzudichten." (Abschn. 1 Nr. 1.4 der Anlage 4 zur WärmeschutzV).

573 Börner, A.-R., DVGW-Regelwerk Gas, S. 265; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 17; Marburger, P., Regeln, S. 121 f.; ders., Technische Sicherheit, S. 16 f.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 31; Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2633 ff.; ders., Funktion und Bedeutung technischer Standards, S. 261; ähnlich BVerfGE 49, S. 89 (135) ("Maßstab für das Erlaubte oder Gebotene"); ähnlich auch Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 33, der die beiden Bestandteile als Schutzzielbestimmung und Festlegung der Risikogrenze durch das einzuhaltende sicherheitstechnische Ziel interpretiert. A.A. Marburger, P., Bezugnahme, S. 34, nach dem sich die sicherheitstechnischen Pflichten aus dem normativen Standard ergeben. A.A. Papier, H.-J., Rechtsvorschriften für Stoffe, S. 49 ff.; Scholz, R., Verhältnis, S. 94 f., 98 f., 102 ff. (zunächst exemplifizierend am Bauordnungsrecht, später (ebd., S. 105) generalisierend), nach denen der normative Standard als eine Verweisung auf einen spezifischen Bestand technischer Normen die gebotenen Mittel bezeichnet, um die in einer Risikoanalyse bestimmte potentiell gefährliche Ausgangslage in eine Übereinstimmung mit dem gesetzlichen Schutzziel als dem alleinigen gesetzlich maßgeblichen Sicherheitsstandard zu bringen. Vgl. dazu auch die nachfolgenden Ausführungen in Fn. 586. 574 BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 25 ff. unterscheidet zwei, Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 61 f., mehr als acht unterschiedliche Verwendungsarten. Die meisten Autoren verzichten auf eine Differenzierung der unterschiedlichen Verwendungsarten vollständig. 575 Es handelt sich zwar um ergänzende Anforderungen i.S.d. Immissionsschutzes; bezüglich der Wartungs- und Reparaturarbeiten jedoch stellt der normative Standard "allgemein anerkannten Regeln der Technik" den alleinigen Maßstab dar.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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In einer zweiten Gruppe von Rechtsvorschriften bilden die Schutzzielbestimmung des Gesetzes und der normative Standard einen gemeinsamen Maßstab für die erforderlichen Schutzmaßnahmen bzw. die entsprechenden Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen: [4]

"Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn ... die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist..." (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG);

[5]

"Technische Arbeitsmittel, für die in Rechtsverordnungen nach diesem Gesetz keine Anforderungen enthalten sind, dürfen nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie den Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften so beschaffen sind, daß Benutzer oder Dritte bei ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung gegen Gefahren aller Art für Leben oder Gesundheit soweit geschützt sind, wie es die Art der bestimmungsgemäßen Verwendung gestattet." (§ 3 Abs. 1 S. 2 GSG576);

[6]

"Wer bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Baues oder des Abbruchs eines Bauwerks gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt und dadurch Leib oder Leben eines anderen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." (§ 323 Abs. 1 StGB577),

wobei die durch den normativen Standard definierten Anforderungen gegebenenfalls als konkretisierende Teilmenge des durch die gesetzliche Schutzzielbestimmung festgelegten Sicherheitsmaßstabes fungieren: [7]

"Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, daß ... Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung ..." (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG578);

[8]

"Die Genehmigung [für Sprengstofflager] ist zu versagen, wenn ... keine Vorsorge gegen Gefahren für Leben, Gesundheit und Sachgüter Beschäftigter oder Dritter, insbesondere durch die den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechende Maßnahmen getroffen sind ..." (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 SprengG).

576

Ähnlich § 3 Abs. 1 MedGV. A.A. bzgl. des GSG Plagemann, H. u.a., Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 20, nach dem die allgemein anerkannten Regeln der Technik in diesem Falle einzig und allein die notwendigen Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen determinieren. 577 Nach der gleichen Grundkonzeption ist auch der § 323 Abs. 2 StGB aufgebaut. A.A. Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 61, nach dem der normative Standard in diesem Falle einzig und allein die notwendigen Beschaffenheitsund Verhaltensanforderungen determiniert. 578 A.A. Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 45 f., der dem normativen Standard neben seiner instrumenteilen Funktion der Rezeption technischer Normen auch alleinig die Funktion beimißt, die Risikogrenze zu ziehen.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

In einer dritten Gruppe von Rechtsvorschriften werden der Schutz- und Sicherheitsmaßstab, welcher der Schutzzielbestimmung des Gesetzes entsprechend dem Verfassungsrang des zu schützenden Rechtsgutes immanent ist, und der durch den normativen Standard bezeichnete Maßstab ergänzend und gleichberechtigt nebeneinander verwendet: [9]

"Der Erlaubnisnehmer hat Anlagen so zu errichten und zu unterhalten, daß sie den Anforderungen der Sicherheit und Ordnung sowie den allgemein anerkannten Regeln der Technik genügen." (§ 8 Abs. 2a S. 1 FStrG);

[10] "Die Biologische Bundesanstalt erteilt dem Antragsteller die Zulassung, wenn der Antrag den Anforderungen des § 12 entspricht und die Prüfung des Pflanzenschutzmittels ergibt, daß ... das Pflanzenschutzmittel nach dem Stande der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Technik hinreichend wirksam ist,... und ... das Pflanzenschutzmittel bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung oder als Folge einer solchen Anwendung a) keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier und auf [das] Grundwasser hat und b) keine sonstigen Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt, hat, die nach dem Stande der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht vertretbar sind." (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 und 3 PflSchG); [11] "Die Zulassung ist zu versagen,... soweit der Schutz von Leben, Gesundheit oder Sachgüter Beschäftigter oder Dritter bei bestimmungsgemäßer Verwendung [der explosionsgefährlichen Stoffe oder des Sprengzubehörs] nicht gewährleistet ist,... [oder] soweit die explosionsgefährlichen Stoffe oder das Sprengzubehör in ihrer Wirkungsweise, Brauchbarkeit oder Beständigkeit dem jeweiligen Stand der Technik nicht entsprechen oder ..."(§ 5 Abs. 2 Nr. 1 und 3 SprengG), wobei das durch den normativen Standard definierte Schutz- und Sicherheitsniveau gegebenenfalls als subsidiäre (Minimal-) Anforderung des untergesetzlich zu konkretisierenden gesetzlichen Sicherheitsmaßstabes fungiert: [12] "Eine Erlaubnis für das Einleiten von Abwasser darf nur erteilt werden, wenn die Schadstofffracht des Abwassers so gering gehalten wird, wie dies bei Einhaltung der jeweils in Betracht kommenden Anforderungen nach Satz 3 [einer durch die Bundesregierung zu erlassenden allgemeinen VerwaltungsVorschrift], mindestens jedoch nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik möglich ist." (§ 7 a Abs. 1 S. 1 WHG); [13] "Dampfkesselanlagen müssen nach den Vorschriften des Anhanges zu dieser Verordnung, einer auf Grund des § 11 Abs. 1 Nr. 3 des Gerätesicherheitsgesetzes in Verbindung mit Absatz 2 erlassenen Rechtsverordnung und im übrigen nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik errichtet und betrieben werden." (§ 6 Abs. 1 DampfkV 579); 579 Der Anhang enthält weitere allgemeine Sicherheitsanforderungen in Form offener, konkretisierungsbedürftiger Leitlinien. Vgl. dazu Kap. II.A.l.c)dd)(4)(b)(bb). Vgl. auch die entsprechenden, oft identischen Bestimmungen der Rechtsverordnungen zu den übrigen überwachungsbedürftigen Anlagen: § 3 Abs. 1 GasHDrLtgV, § 3

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[14] "Soweit 1. die Übereinkommen von 1974/88, 1966/88 oder 1973/78, 2. diese Verordnung oder 3. die für Funkgeräte vom Bundesministerium für Post und Telekommunikation oder den ihm nachgeordneten Stellen erlassenen Vorschriften keine besonderen Anforderungen an Bauausführungen, Anordnungen, Einrichtungen, Anlagen, Ausrüstung, Werkstoffe und an den Einbau sowie den Betrieb enthalten, sind die allgemein anerkannten Regeln der Technik anzuwenden ..." (§6 SSV). In einer vierten Gruppe von Rechtsvorschriften schließlich bestehen neben dem durch den normativen Standard fixierten allgemeinen Sicherheitsniveau zusätzlich normative Detailanforderungen. Zum Teil ergänzt dabei der normative Standard die in der Rechtsvorschrift festgelegten Detailanforderungen (Beispiel vierzehn), und teilweise werden die Anforderungen mit einem normativen Standard umschrieben und zu diesem zusätzliche Detailanforderungen postuliert (Beispiel fünfzehn), wobei die Vorrangigkeit der gesetzlich fixierten Detailanforderungen vor den mit dem normativen Standard umschriebenen Anforderungen im letzten Fall nicht eindeutig ist: [15] "Einrichtungen und Verbindungen von Fahrzeugen müssen so ausgebildet und befestigt sein, daß die nach dem Stand der Technik erreichbare Sicherheit - auch bei der Bedienung der Kupplung - gewährleistet ist. Die Zuggabel von Mehrachsanhängern muß bodenfrei sein. Die Zugöse dieser Anhänger muß jeweils in Höhe des Kupplungsmauls einstellbar sein ..."(§ 43 Abs. 1 StVZO) Wie aus Beispiel vierzehn ersichtlich, gibt es auch Mischformen der genannten vier Grundstrukturen. Als weitere Beispiele seien hier das Bauordnungsrecht der Länder und die Arbeitsstättenverordnung genannt, welche den der Schutzzielbestimmung des Gesetzes immanenten Maßstab und den durch den normativen Standard bezeichneten Maßstab ergänzend und gleichberechtigt nebeneinander verwenden und zugleich für Teilbereiche technische Details normieren: [16] "Bauliche Anlagen sowie andere Anlagen und Einrichtungen im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, daß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürliche Lebensgrundlage, nicht gefährdet werden." "Die von der obersten Bauaufsichtsbehörde durch öffentliche Bekanntmachung als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln sind zu beachten." (§ 3 Abs. 1, 3 Abs. 1 AufzV, § 3 Abs. 1 S. 1 ElexV, § 3 Abs. 1 AcetV, § 4 Abs. 1 VbF, § 4 Abs. 1 DruckbehV und § 3 Abs. 1 SchankV.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

und 4 MBO 580 ). Die §§12 ff. MBO enthalten weitere allgemeine Anforderungen an bauliche Anlagen und die Bauausführung, wie z.B. § 15 Abs. 1 S. 1 MBO: "Jede bauliche Anlage muß im Ganzen und in ihren einzelnen Teilen für sich allein standsicher sein." oder § 17 Abs. 1 MBO: "Bauliche Anlagen müssen so beschaffen sein, daß der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch orgebeugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind." [17] "Der Arbeitgeber hat... die Arbeitsstätte nach dieser Verordnung, den sonst geltenden Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften und nach den allgemein anerkannten sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen und hygienischen Regeln sowie den sonstigen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen einzurichten und zu betreiben." (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ArbStättV). Die §§ 5-55 enthalten weitere, allgemeine Anforderungen an Räume, Verkehrswege und Einrichtungen in Gebäuden, Pausen-, Bereitschafts-, Sanitärräumen u.a.m., wie z.B. § 5 S. 1 ArbStättV: "In Arbeitsräumen muß unter Berücksichtigung der angewandten Arbeitsverfahren und der körperlichen Beanspruchung der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit ausreichend gesundheitlich zuträgliche Atemluft vorhanden sein." oder § 6 Abs. 3 ArbStättV: "In Pausen-, Bereitschafts-, Liege-, Sanitär- und Sanitätsräumen muß mindestens eine Raumtemperatur von 21 °C erreichbar sein." Schließlich enthalten einige Vorschriften, welche den normativen Standard "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik" verwenden, eine Abweichklausel zugunsten des Normadressaten, welche die Anwendung einer anderen technischen Lösung erlaubt, sofern das durch den normativen Standard und/oder die gesetzliche Schutzzielbestimmung festgelegte Sicherheitsniveau gleichermaßen erfüllt wird: [zu 5]

"Von den allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie den Arbeitsschutzund Unfallverhütungsvorschriften darf abgewichen werden, soweit die gleiche Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist." (§ 3 Abs. 1 S. 3 GSG; § 3 Abs. 1 S. 3 MedGV);

[zu 13] "Die zuständige Behörde kann für Dampfkesselanlagen im Einzelfall aus besonderen Gründen Ausnahmen von § 6 Abs. 1 zulassen, wenn die Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist." (Einzelausnahme (Genehmigung)). "Die zuständige Behörde kann auf Antrag des Herstellers für Dampfkesselanlagen oder Anlagenteile Ausnahmen von § 6 Abs. 1 zulassen, wenn dies dem technischen Fortschritt entspricht und die Sicherheit auf andere Weise gewährleistet

580

A.A. Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 46 f.; Papier, H.-J., Rechtsvorschriften für Stoffe, S. 55 f.; Scholz, R., Verhältnis, S. 94 f., 104, nach denen durch § 3 Abs. 1 S. 1 MBO das normative Schutzgut und -ziel und damit der Sicherheitsstandard definiert werde, während durch den Verweis in Satz 2 die Mittel oder technischen Lösungen zur Erreichung des vorgegebenen Schutzzieles festgelegt würden; dieser erweitere nicht den durch Satz 1 auf die Gefahrenabwehr begrenzten Schutzumfang, sondern erschöpfe sich in seiner instrumentellen Funktion.

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ist." (Allgemeine Ausnahme (Bauartzulassung)) (§ 8 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 DampfkV 581); [zu 14] "Die See-Berufsgenossenschaft und das Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie können ... aus besonderen Gründen Ausnahmen zulassen, soweit eine vergleichbare Sicherheit des Schiffes oder die Abwehr von Gefahren für das Wasser auf andere Weise gewährleistet ist." (§ 8 Abs. 1 SSV); [zu 16] "Von den Technischen Baubestimmungen kann abgewichen werden, wenn mit einer anderen Lösung in gleichem Maße die allgemeinen Anforderungen des Absatzes 1 erfüllt werden ..." (§ 3 Abs. 3 S. 3 1. HS MBO); [zu 17] "Der Arbeitgeber darf von den in § 3 genannten Regeln und Erkenntnissen abweichen, wenn er ebenso wirksame Maßnahmen trifft. Auf Verlangen der zuständigen Behörde hat der Arbeitgeber im Einzelfall nachzuweisen, daß die andere Maßnahme ebenso wirksam ist." (§ 4 Abs. 2 ArbStättV), während andere Vorschriften eine Abweichklausel zugunsten der zuständigen Behörden für den Fall enthalten, daß das durch die "(allgemein) anerkannten Regeln der Technik" definierte Sicherheitsniveau nicht ausreicht, um besondere Gefahren abzuwehren: [zu 13] "Dampfkesselanlagen müssen femer den über § 6 Abs. 1 hinausgehenden Anforderungen genügen, die von der zuständigen Behörde im Einzelfall zur Abwendung besonderer Gefahren für Beschäftigte oder Dritte gestellt werden." (§ 7 S. 1 DampfkV 582) Im Rahmen dieser Regelungsmethode hat der Gesetzgeber weitestgehend davon abgesehen, die zum Schutz des Menschen, seiner Sachgüter oder der Umwelt vorzunehmenden Maßnahmen selbst materiell zu normieren. Lediglich in der vierten Gruppe der Klassifizierung sowie in den Beispielen sechzehn und siebzehn hat der Gesetz- oder Verordnungsgeber weitere Unterziele und -maßstäbe zumeist in vergleichsweise abstrakter Form auf der Rechtssetzungsebene normiert. In weitaus größerem Umfang hat er die Konkretisierung der Schutzund Sicherheitsziele entweder der konkret-individuellen Einzelfallregelung auf der Rechtsanwendungsebene überlassen (wie etwa im Strafrecht (Beispiel sechs)) oder in abstrakt-genereller Form durch Ermächtigungen der Exekutive

581 Zumeist identische Bestimmungen enthalten § 2 Abs. 1 GasHDrLtgV, § 5 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 AufzV, § 5 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 ElexV, § 5 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 AcetV, § 6 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 VbF, § 6 Abs. 1 und 2 DruckbehV und § 5 Abs. 1 und 2 SchankV. 582 Zumeist identische Bestimmungen enthalten § 4 GasHDrLtgV, § 4 AufzV, § 4 ElexV, § 4 S. 1 AcetV, § 5 S. 1 VbF, § 5 S. 1 DruckbehV und § 4 SchankV.

24 Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

zum Erlaß von Rechtsverordnungen 583, allgemeinen Verwaltungsvorschriften 584 und die Einführung der als "allgemein anerkannte Regeln der Technik" geltenden Technischen Baubestimmungen durch die oberste Bauaufsichtsbehörde und deren Veröffentlichung im Ministerialblatt, Staatsanzeiger o.ä. 585 der zweiten Gewalt übertragen 586, die gesetzlichen Vorgaben zu konkretisieren, wobei im 583

Vgl. z.B. §§ 2 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3, 4 Abs. 4, 5 a Abs. 2 S. 2, 5b S. 4, 7b S. 2, 11 Abs. 3 S. 4, 11 a Abs. 1 S. 3, 12 Abs. 3, 14, 15 Abs. 2 und 3 AbfG; §§ 7 Abs. 4 S. 3 und Abs. 5, 7 a Abs. 2, 10, 11, 12, 12a, 12 b Abs. 2, 12 c Abs. 4 S. 2, 13 Abs. 3 S. 1,21 Abs. 3 S. 1, 21 a Abs. 2 S. 1, 21 b Abs. 3 S. 1 AtG; §§ 4 Abs. 1 S. 3, 7 Abs. 1, 10 Abs. 10, 22 Abs. 1 S. 2, 23 Abs. 1, 26 Abs. 2, 27 Abs. 4, 29 Abs. 2, 32-35, 37, 43, 53 Abs. 1 S. 2, 55 Abs. 2 S. 3 BImSchG; §§ 4, 11 Abs. 1 GSG; §§ 7 a Abs. 1 S. 4, 19d, 27 WHG. 584 Vgl. z.B. § 4 Abs. 5 AbfG; § 48 BImSchG; § 10 GSG; §§ 7 a Abs. 1 S. 3, 19 g Abs. 5 S. 2 WHG. Die Befugnis der Exekutive zum Erlaß von allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Ausführung von Bundesgesetzen folgt im übrigen unabhängig von diesen gesetzlichen Regelungen aus Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2 und Art. 86 S. 1 GG. Über diese spezifischen verfassungsgemäßen Ermächtigungen hinaus ist nach h.M. der Exekutivgewalt eine allgemeine Befugnis zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften inhärent (vgl. Kap. H.A. 1 .b) cc)). Gesetze, die den Erlaß von Verwaltungsvorschriften regeln, sind deshalb im allgemeinen Kompetenznormen und keine Ermächtigungsgrundlagen. Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 55 m.w.N. 585 Vgl. z.B. § 3 Abs. 3 S. 1 BauO NW oder § 3 Abs. 3 S. 3 BauO HE. 586 Das grundsätzliche Interpretationsspektrum hinsichtlich der Funktion wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe, zu der nach weitaus h.M. auch die normativen Standards zählen (vgl. die Ausführungen in Fn. 525 in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß)), reicht von der reinen Rezeptionsfunktion außerrechtlicher sozialer Ordnungsgefüge bis zur reinen Delegation der Konkretisierung bzw. Ausfüllung des gesetzlichen Ordnungsrahmens an die zweite und dritte Gewalt. Nach der ersten Auffassung bedeutet ein offener Rechtsbegriff bzw. eine Generalklausel eine Ermächtigung der betroffenen Kreise, sich in außerrechtlichen Sozialordnungen ihr Recht selbst zu setzen. Der Rechtsanwender hat die entsprechenden sozialen Normen lediglich empirisch festzustellen und unmittelbar seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Die Ermächtigung ist allerdings dadurch eingeschränkt, daß dem Rechtsanwender eine Kontrollfunktion anhand von Rechtsnormen, Rechtsprinzipien und Wertmaßstäben der Verfassung zuerkannt wird, welche die Anerkennung von Unsitten und Mißbräuchen verhindern soll, weshalb diese Interpretation die Bezeichnung "kontrollierte Rezeption" trägt. Die Kontrollfunktion ist allerdings in Abhängigkeit von dem Grad der Anerkennung der Regel durch den betroffenen Personenkreis, also dem Grad der Befolgung, der Erwartung, der Sanktionsbereitschaft und der Legitimität der betreffenden Sozialnormen mehr oder minder eingeschränkt. Nicklisch, F., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 78 ff. im Anschluß an Teubner, G., Generalklauseln, S. 91 und m.w.N. Nach der letzteren Auffassung sind offene Rechtsbegriffe und Generalklauseln Aufträge an Behörden und Gerichte, das "Stück offengelassener Gesetzgebung" unabhängig von empirisch feststellbaren sozialen Wertvorstellungen durch eigene normative Entscheidungen im Wege administrativer und judikativer Rechtsfortbildung zu füllen, also das Recht selbständig zu entwickeln. Nicklisch, F., Zur rechtlichen Relevanz wissen-

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schaftlich-technischer Regelwerke, S. 78 ff. im Anschluß an Teubner, G., Generalklauseln, S. 91 und m.w.N. Kritisch zur Delegationslehre von den Gute-Sitte-Klauseln Schachtschneider, Κ. Α., Das Sittengesetz und die guten Sitten, S. 206 ff.; zurückhaltend davor schon ders., Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 385 ff., 421 ff. Tatsächlich wird in der Literatur ein entsprechend weites Spektrum an Interpretationen dieser Regelungsmethode vertreten. So deutet ein Teil der Autoren normative Standards als Verweisungen auf außerstaatliche, nichtnormative Wertmaßstäbe, Beurteilungsgrundsätze und Verhaltensregeln. Auf diesem Wege rezipiere die staatliche Rechtsordnung Erkenntnisse und Anforderungen, die sich in den Kreisen der Techniker und Naturwissenschaftler entwickelt haben und fortlaufend weiterentwickeln. Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 55, der jedoch im folgenden fälschlicherweise davon ausgeht, daß diese nicht dezisionistisch "gesetzt" seien, da sie ohne ein institutionalisiertes Verfahren und ohne einen Beschlußakt zustandekämen. Materiell betrachtet, gingen sie aus einem gesellschaftlichen Prozeß der Konsensbildung hervor, zu dem eine unorganisierte Vielzahl individueller Wertungen, Willensäußerungen und Handlungsweisen beitrage. Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 70 (vgl. jedoch ebd., S. 71: Zudem rege der staatliche Normgeber dazu an, daß die beteiligten Kreise die förmliche Aufstellung technischer Regeln betreibe); ders., Rezeption technischer Regeln, S. 65. Vgl. auch Marburger, P., Regeln, S. 167 ff.; ders., Bezugnahme, S. 28 f., nach dem die außerrechtlichen Wertmaßstäbe - nicht anders wie etwa bei den Gesetzesbegriffen "im Verkehr erforderliche Sorgfalt" (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB), "Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung" (§ 238 Abs. 1 S. 1 HGB) oder "Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns" (§ 347 Abs. 1 HGB) - durch Anschauung der Lebenswirklichkeit und Verdichtung typischer Verhaltensweisen zu normativen Verhaltensmaximen gewonnen werden. In vergleichbarer Interpretation ihrer normativen Bedeutung wird diese Regelungsmethode richtiger als Verweisung "auf einen spezifischen Bestand technischer Normen" (Papier, H.-J., Rechtsvorschriften für Stoffe, S. 49 ff.; Scholz, R., Verhältnis, S. 91 f., 94 f., 98 f.), oder gar auf die einschlägigen DIN-, DVGW-, VDE-, VDI- und andere Normen (Nickusch, K.-O., Unzulässige Verweisung, S. 811) gedeutet. Dabei steht diese Sichtweise durchaus im Einklang mit derjenigen des ehemaligen Bundesjustizministers Vogel: "Verwendet der Gesetzgeber eine solche Generalklausel, so geht er davon aus, daß der Stand der Technik bereits in technischen Normen umschrieben und auf diese Weise für den Fachmann faßbar geworden ist oder zumindest, daß die Normungsgremien sich des betreffenden Bereichs besonders annehmen werden. ... De facto geht in diesen Fällen - natürlich unter dem Vorbehalt nachträglichen Eingreifens des Gesetzgebers - die Schutzgewährung auf das Institut über." Vogel, H.-J., Eröffnungsansprache, S. 14 f.; ähnlich auch Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 48. Dabei ist jedoch die Interpretation dieser Regelungsmethode um diese Kemaussage herum durchaus unterschiedlich: Während nach Scholz die Rechtsnormen des Umwelt- und Technikrechts eigenständige Schutzgut- oder Zielbestimmungen enthielten und damit die Rezeption technischer Normen lediglich ein Rekurs auf (Prognosen über künftige) Kausalverläufe sei, der dem Gesetzesadressaten den Weg zur Erreichung des gesetzgeberischen Zieles bezeichne (Scholz, R., Verhältnis, S. 94 f., 98 ff., 102 ff., 104 f.), interpretiert beispielsweise Nickusch, K.-O., Unzulässige Verweisung, S. 812 die normativen Standards als Rechts Verweisung (in das schmale Korsett einer Blankettrechtsnorm werde ein ungeheures Material an Tatbeständen gepreßt; je umfangreicher aber der rezipierte Stoff sei, desto mehr gerate die Verweisung in die Nähe der Delegation; es bestimme "nicht mehr der staatliche Normgeber, was auf diesem Gebiet Rechtens ist, sondern allein die betreffenden nichtstaatlichen Gremien ..." Ähnlich auch Scholz, R., Verhältnis, S. 100 f.: Für den Fall, daß der Gesetzgeber eine "eigenständige Schutzgut- oder Zielbestimmung von

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gesetzgeberischer Normqualität" unterlasse, übertrage er "die inhaltliche Rechtsentscheidung dem Autor der technischen Norm". Für eine Verweisung auch Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 144 (der Sache nach handele es sich um einen Verweisungstatbestand); Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 69 (es handele sich um eine mittelbare undatierte Verweisung). A.A. Arndt, G., Dynamische Rechtsnorm Verweisung, S. 787; Erhard, R., Technische Standards, S. 13; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 21, 29 f.; Scholz, R., Technik und Recht, S. 703; ders., Verhältnis, S. 98 ff.; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 14 f., 19. Hinsichtlich der Deutung der normativen Ebene vergleichbar, bezüglich der Sichtweise der technischen Normen jedoch diametral entgegengesetzt, interpretiert Nicklisch diese Regelungsmethode als kontrollierte Rezeption technischer Normen bzw. Normenwerke als außerrechtliche soziale Ordnungsgefüge, die sowohl faktische technischwissenschaftliche Tatsachenfeststellungen als auch normative Werturteile enthalten. In einer ersten Stufe lege das Gesetz oder die Rechtsverordnung die von ihr verfolgten Zwecke und Schutzziele - ggf. mit konkretisierenden Unterzielen- fest, womit die Rechtsnorm in sich komplett abgeschlossen sei. In einer zweiten Stufe werde durch normative Standards auf technische Normen als geeignete Mittel zur jeweiligen Realisierung dieser Zwecke und Schutzziele Bezug genommen. Die dritte Stufe schließlich bildeten die Normenwerke der Normenorganisationen (DIN, VDE, VDI, DVGW u.a.m.). Da die technischen Normen zur Konkretisierung der sehr allgemeinen normativen Zweck- und Schutzgutbestimmungen und als institutionalisierter Ausgleich der diesen innewohnenden Zielkonflikte und der beteiligten Interessen rezipiert werden, müsse der Rechtsanwender vor deren Rezeption durch eine entsprechende Kontrolle sicherstellen, daß sie den normativen Zwecken Rechnung tragen (kontrollierte Rezeption). Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2635 ff.; ders., Rechtsvorschriften für Anlagen, S. 15 f.; ders., Technische Regelwerke, S. 842 ff.; ders., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 67 ff., 78 f., 80 f., 84 ff.; ders., Funktion und Bedeutung technischer Standards, S. 261 ff. Ganz in diesem Sinne auch Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 67 ff., 71; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 29 ff., 62 ff.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 21 ff.; Teubner, G., Generalklauseln, S. 91. Vgl. dazu auch Marburger, P., Regeln, S. 158 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 75; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 41 ff. (Normative Standards erfüllen eine Rezeptionsfunktion, durch die das Gesetz anstelle eigener wissenschaftlich-technische Detailregelungen die aktuell vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse und technischen Problemlösungen in Bezug nehme). Die wohl h.M. vertritt jedoch die Delegationstheorie. So insbesondere auch die Sicht der Exekutive: Jaumann, Α., Regelung technischer Sachverhalte, S. 10 f.; vgl. auch Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 37 ff., 74 sowie die entsprechenden Nachweise bei Nicklisch, F., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 81. Danach setzten die normativen Standards als offene, wertausfüllungsbedürftige Begriffe nur einen normativen Rahmen, der als ein Stück offengelassener Gesetzgebung vom Normanwender durch Wertung im Einzelfall auszufüllen sei. Rechtssetzung und Rechtsanwendung gingen bei Ihnen ineinander über, wobei die individuelle Regelungsaufgabe auf den Normanwender delegiert werde. Damit sei die Entscheidung, ob ein bestimmtes technisches System im Einzelfall den mit dem jeweiligen normativen Standard bezeichneten gesetzlichen Sicherheitsanforderungen genüge, Aufgabe der Behörden und letztlich der Gerichte. Der Rechtsanwender habe das "objektiv zur Gefahrenabwehr geeignete" herauszufinden. Diese Aufgabe ließe sich allerdings nicht im Wege

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einfacher Gesetzessubsumption bewältigen, sondern erfordere jeweils im Einzelfall eine wertende Konkretisierung, die sowohl auf der juristischen wie auf der technischnaturwissenschaftlichen Seite meist äußerst schwierige und komplizierte Abwägungsprobleme aufwerfe. Dabei sei die Feststellung von Fakten, Kausalverläufen und Erfahrungen Aufgabe der Wissenschaft und Technik, die Vornahme von Abschätzungen und Wertungen hingegen ausschließlich Sache der Rechtsanwender. Technische Normen erfüllten in diesem Zusammenhang die wichtige Funktion, dem Rechtsanwender den fehlenden wissenschaftlich-technischen Sachverstand zu vermitteln. Allerdings entsprächen sie nicht automatisch und ausnahmslos mit den durch die normativen Standards "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik", "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik" umschriebenen rechtlichen Sicherheitsanforderungen überein, nämlich dann nicht, wenn sie zur Gefahrenabwehr bzw. Risikovorsorge nicht geeignet, falsch, veraltet oder noch nicht ausreichend erprobt bzw. (allgemein) anerkannt seien. Dementsprechend sei diese Regelungsmethode keine normative Verweisung. Marburger, P., Regeln, S. 146 f., 164 ff., 168; ders., Sicherheitstechnische Normen, S. 128 f.; ders., Technische Sicherheit, S. 20. Vgl. auch Köhler, H., Haftungsrechtliche Bedeutung, S. 10. Grundsätzlich a.A. Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, passim, der die Termini "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik" im Anschluß an Poppers Erkenntnistheorie als Pflicht zur empirischen Feststellung zum einen des Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse i.S. der Menge der bislang nicht falsifizierten wissenschaftlichen Hypothesen (ebd., S. 93 f., 98 ff.), zum anderen des weltweit fortschrittlichsten technischen Systems i.S.d. tatsächlichen technischen Gebrauchs- und Versuchspraxis (ebd., S. 129 ff., insbes. S. 136 ff.) interpretiert, und folgerichtig sowohl die Rezeptionstheorie technischer Normen (ebd., S. 132 ff.) als auch die Delegationstheorie an die Rechtsanwender (ebd., S. 124 ff.) strikt ablehnt. Vielmehr hätte insbesondere die Formel vom "Stand der Technik" keine andere Rechtsqualität als die von der "im Verkehr erforderlichen Sorgfalt", welche nach § 276 BGB die Fahrlässigkeit definiert. Die Maßstäbe für die erforderliche Vorsorge gegen Schäden fänden sich insoweit in der sich ständig wandelnden Gebrauchs- und Versuchspraxis. Diese Wirklichkeit hätte der Gesetzgeber zum Maßstab des Sachlichen erhoben und ihr durch das Gesetz Normativität im Sinne gewollter, also gesetzlicher Verbindlichkeit beigemessen. Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 132, 135. Vgl. auch ders., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 313 f. M.E. ist die Funktion der normativen Standards einzelfallabhängig zu deuten, da sie je nach legislativer Ausgestaltung von der kontrollierten Rezeption technischer Normen im Falle der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung bis zur reinen Delegation der Gesetzeskonkretisierung an die Rechtsanwender in den Fällen reicht, in denen diesen keinerlei Rückgriff auf technische Normen vorgegeben ist. Wenn aber eine Pauschalaussage getroffen werden soll, legt m.E. die Tatsache, daß zum einen in vielen Fällen die Exekutive explizit zur abstrakt-generellen Konkretisierung der allgemeinen gesetzlichen Vorgaben ermächtigt und zum anderen oftmals mit dem Verweis auf "jedermann zugängliche Bekanntmachungen sachverständiger Stellen" indirekt auf die technischen Normenwerke Bezug genommen wird, den Schluß nahe, daß der Gesetzgeber im Umwelt- und Technikrecht die Beschreitung eines Mittelweges in der Form vorsieht, daß die Exekutive bei der Konkretisierung die soziale Realität - hier die technischen Normen - in ihre Entscheidungen miteinbeziehen und somit Rechts- und technische Normen integrieren soll. Diese Sichtweise kommt beispielsweise in den Rechtsverordnungen zu den überwachungsbedürftigen Anlagen nach § 11 GSG wie beispielsweise der ElexV zum Ausdruck, die in § 3 Abs. 1 S. 1 bestimmt: "Elektrische Anlagen in ex-

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Rahmen dieser Konkretisierung zum Teil explizit, in jedem Falle aber implizit der entsprechende gesetzliche Sicherheitsmaßstab vorgegeben bzw. zu beachten ist: [18] "Die Bundesregierung erläßt nach Anhörung der beteiligten Kreise mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften über Anforderungen an die Entsorgung von Abfällen nach dem Stand der Technik, vor allem solcher im Sinne des § 2 Abs. 2." (§ 4 Abs. 5 S. 1 AbfG); [19] "Zum Schutz der Beschäftigten und Dritter vor Gefahren durch Anlagen, die mit Rücksicht auf ihre Gefährlichkeit einer besonderen Überwachung bedürfen (überwachungsbedürftige Anlagen), wird die Bundesregierung ermächtigt, nach Anhörung der beteiligten Kreise durch Rechtsverordnung zu bestimmen,... daß solche Anlagen, insbesondere die Errichtung, die Herstellung, die Bauart, die Werkstoffe, die Ausrüstung und die Unterhaltung sowie ihr Betrieb bestimmten, dem Stand der Technik entsprechenden Anforderungen genügen müssen." (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 GSG); [20] "Der Bundesminister des Innern wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ... explosionsgefährliche Stoffe und Sprengzubehör allgemein zuzulassen, soweit diese Stoffe und Gegenstände in ihrer Wirkungsweise, Brauchbarkeit oder Beständigkeit dem jeweiligen Stand der Technik entsprechen und der Schutz von Leben, Gesundheit oder Sachgütern Beschäftigter oder Dritter bei bestimmungsgemäßer Verwendung gewährleistet ist..." (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SprengG); [21] "Die Bundesregierung erläßt mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften über Mindestanforderungen, die den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen; enthält Abwasser bestimmter Herkunft Stoffe oder Stoffgruppen, die ... als gefährlich zu bewerten sind ..., müssen insoweit die Anforderungen in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften dem Stand der Technik entsprechen." (§ 7 a Abs. 1 S. 3 WHG), wobei die Exekutive zum Teil durch speziell zu diesem Zweck konstituierte Fachausschüsse beraten wird:

plosionsgefährdeten Räumen müssen nach den Vorschriften des Anhangs zu dieser Verordnung, einer auf Grund des § 11 Abs. 1 Nr. 3 des Gerätesicherheitsgesetzes in Verbindung mit Absatz 2 erlassenen Rechtsverordnung sowie im übrigen nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik errichtet und betrieben werden.", femer im WHG, welches in § 7 a Abs. 1 S. 1 festlegt: "Eine Erlaubnis für das Einleiten von Abwasser darf nur erteilt werden, wenn die Schadstofffracht des Abwassers so gering gehalten wird, wie dies bei Einhaltung der jeweils in Betracht kommenden Anforderungen nach Satz 3 [einer durch die BReg. zu erlassenden AVV], mindestens jedoch nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik möglich ist" oder in § 10 lit. a) GSG: "Die Bundesregierung kann nach Anhörung des Ausschusses für technische Arbeitsmittel mit Zustimmung des Bundesrates ... in allgemeinen Verwaltungsvorschriften insbesondere ... die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften sowie die technischen Normen bezeichnen, in denen die allgemein anerkannten Regeln der Technik ihren Niederschlag gefunden haben ..."

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[22] "Zu den Aufgaben des Ausschusses gehört es, 1. die in § 17 Abs. 1 Satz 2 bezeichneten Regeln und Erkenntnisse über den Umgang mit Gefahrstoffen zu ermitteln, ... 3. dem jeweiligen Stand von Wissenschaft, Technik und Medizin entsprechende Vorschriften vorschlagen." (§ 52 Abs. 2 S. 1 GefStoffV); [23] "Die Kommission prüft und bewertet sicherheitsrelevante Fragen nach den Vorschriften dieses Gesetzes, gibt hierzu Empfehlungen und berät die Bundesregierung und die Länder in sicherheitsrelevanten Fragen der Gentechnik. Bei ihren Empfehlungen soll die Kommission auch den Stand der internationalen Entwicklung auf dem Gebiet der gentechnischen Sicherheit angemessen berücksichtigen." (§ 5 S. 1 und 2 GenTG); [24] "Die Ausschüsse sollen die Bundesregierung oder den zuständigen Bundesminister insbesondere in technischen Fragen beraten und ihnen dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechende Vorschriften vorschlagen ... Sie schlagen ihnen femer in Abstimmung mit dem Technischen Ausschuß für Anlagensicherheit nach § 31 a Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes dem Stand der Technik entsprechende Regeln (Technische Regeln) vor." (§ 11 Abs. 2 S. 2 und 3 GSG). Durch die in verschiedenen Gesetzen zu findende Ermächtigung, daß bezüglich "der Anforderungen ... auf (jedermann zugängliche) Bekanntmachungen sachverständiger Stellen (unter Angabe der Fundstelle) verwiesen werden" kann 587 , hat der Gesetzgeber darüber hinaus klargestellt, daß zur Konkretisierung gesetzlicher Vorgaben die technischen Normen(werke) der privaten normschaffenden Institutionen (wie DIN-Normen, DVGW-Arbeitsblätter, VDEBestimmungen, VDI-Richtlinien) herangezogen werden können588. Zum Teil sind der dritte und vierte Schritt - die Ermächtigung der Konkretisierung gesetzlicher Vorgaben durch die Exekutive sowie die dazu mögliche Heranziehung technischer Normen - auch kombiniert, wie in den folgenden Beispielen des Gerätesicherheitsgesetzes und der Bauordnung Nordrhein-Westfalen: [25] "Die Bundesregierung kann nach Anhörung des Ausschusses für technische Arbeitsmittel mit Zustimmung des Bundesrates ... in allgemeinen Verwaltungsvorschriften insbesondere ... die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften

587 Vgl. z.B. §§ 5 a Abs. 3, 15 Abs. 4 AbfG; §§ 7 Abs. 5, 23 Abs. 1 S. 3 BImSchG; § 5 Abs. 3 EnEG. 588 Erhard, R., Technische Standards, S. 4; Feldhaus, G., BImSchR, Rn. 4 zu § 7; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 17; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 4. Der normative Standard der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" hatte schon bei seiner ersten Verwendung im Umwelt- und Technikrecht in § 2 Abs. 1 der "Allgemeinen polizeilichen Bestimmungen über die Anlegung von Landdampfkesseln" v. 17.12.1908 (RGBl. 1909 S. 3) sowie in § 2 Abs. 1 der "Allgemeinen polizeilichen Bestimmungen über die Anlegung von Schiffsdampfkesseln" v. 17.12.1908 (RGBl. 1909 S. 51) die Funktion, vorhandene technische Normenwerke in die rechtliche Regelung zu rezipieren. Marburger, P., Bezugnahme, S. 38.

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sowie die technischen Normen bezeichnen, in denen die allgemein anerkannten Regeln der Technik ihren Niederschlag gefunden haben ..."(§ 10 lit. a) GSG); [26] "Als allgemein anerkannte Regeln der Technik gelten auch die von der obersten Bauaufsichtsbehörde durch öffentliche Bekanntmachung als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln." (§ 3 Abs. 3 S. 1 BauO NW). Tatsächlich hat die Exekutive vielfach in Rechtsverordnungen und auch in allgemeinen Verwaltungsvorschriften zugunsten allgemeiner Beschaffenheitsund Verhaltensanforderungen i.V.m. der Rezeption technischer Normen auf eigene detaillierte schütz- und sicherheitstechnische Regelungen verzichtet 589. Und selbst dort, wo eine untergesetzliche Konkretisierung der gesetzlichen Anforderungen und eine abstrakt-generelle administrative Rezeption technischer Normen wie beispielsweise im § 323 Abs. 1 und 2 StGB oder eine Bezugnahme auf technische Normen in Rechtsverordnungen wie in der Arbeitsstättenverordnung fehlt, werden diese auf der Ebene der Rechtsanwendung im konkretindividuellen Einzelfall durch Behörden und Gerichte herangezogen590. "Die Gerichte beschränken sich somit regelmäßig darauf, festzustellen, ob die Technischen Regeln der Technischen Ausschüsse, die DIN-Normen, VDE-Regeln usw. eingehalten bzw. der administrativen Genehmigungsentscheidung zugrunde gelegt wurden" 591. Damit stellt wie bei der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung die Rezeption technischer Normen in die rechtlichen Regelungen auch bei dieser Regelungsmethode die wesentliche Funktion der normativen Standards dar 592 . Allerdings ist im Gegensatz zu der genannten Methode die Rezeption in diesem Falle eine indirekte, indem auf eine Benennung der einschlägigen Normenwerke in den Rechtsvorschriften verzichtet wird, und zwar zugunsten entweder einer abstrakt-generellen Rezeption technischer Normen durch Inkorporation oder Verweisung in allgemeinen Verwaltungsvorschriften, durch ihre Einführung als Technische Baubestimmungen durch die oberste Bauaufsichtsbehörde oder eine vergleichbare amtliche Bekanntmachung -, oder 589

Vgl. die Ausführungen zu den Normen- und Regelsystemen des Bauordnungsrechts, des Immissionsschutzrechts, des Kernenergierechts sowie der Gerätesicherheit und der überwachungsbedürftigen Anlagen in den Unterabschn. des Kap. II.A.l.c)dd). 590 Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 67 f.; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 842 f. 591 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 97 m.N. aus der Rechtsprechung. 592 BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 25 ff.; Marburger, P., Regeln, S. 154; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 21 ff.; i.E. auch Papier, H.-J., Rechtsvorschriften für Stoffe, S. 56; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 94 f.; Scholz, R., Verhältnis, S. 94 f., 98 f. Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 69 ff. spricht dementsprechend von einer Dreiteilung der Anforderungen: durch den Gesetzgeber, durch die Fachbehörden und durch die Verkehrsauffassung der Fachleute.

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der konkret-individuellen Rezeption technischer Normen auf der Ebene der Rechtsanwendung, d.h. in der praktischen Anwendung der rechtlichen Bestimmungen auf den Einzelfall 593 . (bb) Rechtswirkung Hinsichtlich der Rechtswirkung der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards muß zwischen den unterschiedlichen, zuletzt genannten drei Varianten der untergesetzlichen Rezeption technischer Normen unterschieden werden, nämlich der abstrakt-generellen Rezeption technischer Normen durch Inkorporation oder Verweisung in allgemeinen Verwaltungsvorschriften, der abstrakt-generellen Einführung technischer Normen als Technische Baubestimmungen durch die oberste Bauaufsichtsbehörde und der konkret-individuellen Rezeption technischer Normen auf der Ebene der Rechtsanwendung: Bei der ersten Variante ist eine widerlegliche Vermutungsregel in allBehördenanweisungen, Richtlinien o.ä. zugemeinen Verwaltungsvorschriften, gunsten der dort bezeichneten technischen Normen enthalten. Beispielsweise normiert § 3 Abs. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum GSG die Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, bei der Prüfung eines technischen Arbeitsmittels davon auszugehen, daß es sich bei den vom BMA bezeichneten technischen Normen um allgemein anerkannte Regeln der Technik handelt. Da diese abstrakt-generelle Rezeption technischer Normen regelmäßig durch Inkorporation, datierte und/oder undatierte Verweisung geschieht, gilt uneingeschränkt das zu den entsprechenden unmittelbaren Rezeptionsmethoden im Zusammenhang mit allgemeinen Verwaltungsvorschriften Ausgeführte: Neben der grundsätzlichen verwaltungsinternen Bindungswirkung für die nachgeordneten Behörden kann sich der Normadressat im Falle eines Ermessens- oder Beurteilungsspielraums der Verwaltung aufgrund deren Selbstbindung in aller Regel darauf verlassen, daß die zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörden die gesetzlichen Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen bei Einhaltung der rezipierten technischen Normen als erfüllt ansehen. Im Falle normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften schließlich haben neben den Behörden soweit der Beurteilungsspielraum reicht - auch die Gerichte davon auszugehen, daß den gesetzlichen Anforderungen genügt worden ist, wenn die rezipierten technischen Normen vom Normadressaten Beachtung gefunden haben, sofern nicht ein atypischer Sachverhalt vorliegt. Umgekehrt darf der Normadressat von den rezipierten technischen Normen abweichen, muß dann jedoch die

593

Marburger, P., Bezugnahme, S. 34; Scholz, R., Verhältnis, S. 94.

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Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen nachweisen594. Die Rechtsfolge entspricht also der einer widerleglichen tatsächlichen Vermutung 595. Die zweite Variante, nämlich die Einführung technischer Normen als Technische Baubestimmungen durch die obersten Landesbaubehörden und deren Veröffentlichung im Ministerialblatt, wurde als normkonkretisierende allgemeine Verwaltungsvorschrift qualifiziert 596. Da die Exekutive ermächtigt ist, die fehlende legislative Konkretisierung nachzuholen, tritt der Einführungsakt an die Stelle einer normkonkretisierenden Einzel- oder Globalverweisung durch das Gesetz selbst597. Folglich sind zunächst einmal die als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Normen von jeder nachgeordneten Bauaufsichtsbehörde - unbeschadet der Abweichungsmöglichkeit nach § 3 Abs. 3 S. 3 MBO - als verbindliche Konkretisierung der in § 3 Abs. 1 und 2 MBO formulierten Schutzziele bei der Festlegung des Standards der Gefahrenabwehr strikt zu beachten, sofern nicht ein atypischer Sachverhalt vorliegt. Abgesehen von dieser Ausnahme hat die Bauaufsicht davon auszugehen, daß ein Bauherr die Schutzziele und -maßstäbe des Bauordnungsrechts - die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürliche Lebensgrundlage - nicht gefährdet, wenn er die als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Normen einhält598. Und entsprechend der Bindungswirkung der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift für die dritte Gewalt hat auch die Jurisdiktion die Einführungsentscheidung in den vom Gesetz gezogenen Grenzen zu beachten, sofern nicht der Einführungsakt selbst gegen höherrangiges Recht verstößt 599. Damit spricht auch hier bei Beachtung der rezipierten technischen Normen eine tatsächliche Vermutung für die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen 600. Diese Vermutung ist allerdings widerleglicher 594 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 78 f.; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 68; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 93; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 48. 595 Vgl. Kap. H.A. 1 .c)bb)( 1 )(a)(bb), Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(aa)ß) und Kap. II.A.l. c) bb)(l)(b)(bb)ß). I.E. ebenso BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 17 f.; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 48. 596 Vgl. die Ausführungen in Fn. 471 in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(a)(bb). 597 Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 74. 598 Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 73; Marburger, P., Regeln, S. 87; Scholz, R., Verhältnis, S. 100 f., 104 f. 599 Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 75. A.A. Marburger, P., Regeln, S. 87. 600 I.E. ebenso BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 17 f., 25 f.; Bub, H. u.a., Normung und Baurecht, S. 116. Diese wurden z.T. fälschlicherweise als rechtsverbindlich qualifiziert. Vgl. dazu die Nachweise bei Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 5. A.A. Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 66 f., der von einer widerlegbaren gesetzlichen Vermutung spricht.

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Natur, denn die Gerichte sind im zur Entscheidung stehenden Einzelfall - auch ohne Wahrnehmung der Widerlegungsoption im Sinne des § 3 Abs. 3 S. 3 MBO - inzident berechtigt und verpflichtet, die Technische Baubestimmung inhaltlich einer Evidenzkontrolle zu unterziehen und insbesondere zu prüfen, ob die technische Norm gegebenenfalls zur Gefahrenabwehr unzureichend, veraltet oder falsch ist und mithin ein atypischer Sachverhalt vorliegt 601. Hingegen besteht für die Bauherren keine Verpflichtung, die eingeführten Technischen Baubestimmungen zu befolgen. Vielmehr dürfen sie gemäß § 3 Abs. 3 S. 3 MBO von den Technischen Baubestimmungen abweichen, wenn sie mit einer anderen Lösung in gleichem Maße die allgemeinen Anforderungen des § 3 Abs. 1 MBO erfüllen 602. Allerdings verhält sich der Überwachungsunterworfene bei der Wahl neuer Baustoffe, Bauteile und Bauarten, die noch nicht in den allgemein anerkannten Regeln der Technik Eingang gefunden haben und als Technische Baubestimmungen eingeführt wurden, aus der Sicht der bauordnungsrechtlichen Gefahrenabwehr atypisch und muß demgemäß gegenüber Behörden und Gerichten seinerseits den Beweis dafür erbringen, daß die von ihm verwandten technischen Lösungen mit den gesetzlichen Anforderungen im Einklang stehen, mithin die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht gefährden 603. Diese Ausführungen gelten gleichermaßen für die weiteren existierenden Fälle dieser Regelungsmethode in Form einer amtlichen Bekanntmachung bestimmter technischer Normen. So ist beispielsweise in der Wärmeschutzverordnung mit den normativen Standards keine Vermutungsregel zugunsten bestimmter technischer Regeln oder Regelsetzer noch eine entsprechende Ermächtigung verbunden. Dem Bundesbauminister ist aber das Recht eingeräumt, durch Bekanntmachung im Bundesanzeiger auf Veröffentlichungen sachverständiger Stellen über die allgemein anerkannten Regeln der Technik hinzuweisen, wo-

601

Und die - im Falle des Sicherheitsmaßstabes der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" - dementsprechend nicht mehr (allgemein) anerkannt, oder umgekehrt zu neu und dementsprechend noch nicht allgemein anerkannt sind. Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 66 f., der allerdings die baurechtliche Einführung noch nicht allgemein anerkannter technischer Normen entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des normativen Standards als Gestaltungswirkung qualifiziert (ebd., S. 75). 602 Dafür spricht auch die in verschiedenen Landesbauordnungen zu findende Formulierung, daß als allgemein anerkannte Regeln der Technik "auch" oder "insbesondere" die von der obersten Bauaufsichtsbehörde durch öffentliche Bekanntmachung als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln gelten sollen. Damit geben sie klar zu erkennen, daß den gesetzlichen Anforderungen auch auf andere Weise Rechnung getragen werden kann. Vgl. z.B. § 3 Abs. 3 S. 1 BauO NW und § 3 Abs. 3 S. 3 BauO HE. 603 Bub, H. u.a., Normung und Baurecht, S. 116 f.; Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 75; Marburger, P., Regeln, S. 87; Scholz, R., Verhältnis, S. 100 f., 104 f.

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durch eine widerlegliche tatsächliche Vermutungswirkung erreicht wird 604 . Gleiches gilt für die Gefahrstoffverordnung: Hier hat nach § 52 Abs. 2 S. 1 GefStoffV der Ausschuß für Gefahrstoffe die Aufgabe, die in § 17 Abs. 1 S. 2 GefStoffV genannten Regeln und Erkenntnisse605 zu ermitteln. Mit der Bekanntmachung der Regeln und Erkenntnisse durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung gemäß § 52 Abs. 2 S. 2 GefStoffV entsteht für sie die widerlegliche Vermutung, daß es sich um allgemein anerkannte Regeln oder gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse i.S.v. § 17 Abs. 1 S. 2 GefStoffV handelt. Entsprechendes gilt für Bekanntmachungen über Feststellungen des Ausschusses zum Stand von Wissenschaft, Technik und Medizin (z.B. TRKWerte) 606 . Erfolgt schließlich in der dritten genannten Variante keine abstrakt-generelle administrative Rezeption der technischen Normen, die sich als "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik" in der Praxis eingeführt haben bzw. den "Stand der Technik" oder den "Stand von Wissenschaft und Technik" wiedergeben, so ist auf der Ebene der konkret-individuellen Rechtsanwendung durch die Exekutive - insbesondere die Aufsichts- und Genehmigungsbehörden - sowie die mit der Kontrolle der Exekutiventscheidungen befaßten Gerichte für den Einzelfall zu ermitteln, ob und in welchem Umfang die technischen Normen dem gesetzlichen Schutz- und Sicherheitsmaßstab genügen und zu dessen Konkretisierung herangezogen werden können607. Auf die gängigsten normativen Standards angewandt bedeutet dies 608 : Nur soweit sich die Lösung der technischen Normen als "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik" in die Praxis eingeführt bzw. solche bereits (allgemein) anerkannten Regeln in den technischen Normen ihren Niederschlag gefunden haben, dürfen diese als Konkretisierung des entsprechenden normativen Standards heran-

604

BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 19. A.A. aus Sicht der Verwaltung Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 45 f., der diese Methode als Hinweis auf eine von mehreren theoretisch möglichen Konkretisierungen des rechtlich maßgeblichen Standards deutet, durch den dem Normadressaten Möglichkeiten aufgezeigt werden sollen, wie er seinen technischen Sicherheitspflichten genügen kann. Vgl. auch Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 116. 605 "Im übrigen sind die allgemein anerkannten sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen und hygienischen Regeln einschließlich der Regeln über Einstufung, Sicherheitsinformation und Arbeitsorganisation sowie die sonstigen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse zu beachten." 606 BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 17. 607 Arndt, G., Dynamische Rechtsnormverweisung, S. 787; Marburger, P., Bezugnahme, S. 34. 608 Bezüglich Definition und Deutung der genannten normativen Standards vgl. Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß).

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gezogen werden 6()9. Es wird nicht auf die technische Norm als Sollenssatz verwiesen, sondern auf die technische Regel in der technischen Norm, die Eingang in die Praxis gefunden hat, dort in den Augen der Mehrheit der auf dem fraglichen Gebiet tätigen Fachleute als bewährt gilt und somit hinsichtlich der schütz- und sicherheitstechnischen Anforderungen als geeignet und richtig angesehen wird. Es findet ein Rekurs auf eine tatsächliche Erscheinung, nicht aber auf einen Sollenssatz - eine technische Norm - statt610. Dementsprechend können sich die Behörden und die Gerichte darauf beschränken, die herrschende Auffassung unter den technischen Praktikern zu ermitteln, um festzustellen, ob das jeweilige technische System den gesetzlichen Anforderungen entspricht oder nicht 611 . Nur solche technischen Normen dürfen als Konkretisierung des normativen Standards "Stand der Technik" herangezogen werden, deren technische Lösungen einen fortschrittlichen Stand der technischen Entwicklung darstellen, die des weiteren zumindest einmalig - gegebenenfalls auch als Versuchs- oder Pilotsystem technisch realisiert worden sind und die den Nachweis ihrer praktischen Eignung und ihrer Fortschrittlichkeit, d.h. ihrer besonderen Wirksamkeit und Effizienz hinsichtlich der Erfüllung des angestrebten Sicherheits- und Schutzzieles, unter gleichen äußeren Bedingungen erbracht haben612. Dementsprechend gestaltet sich bei der Formel vom Stand der Technik die Feststellung und Beurteilung der maßgeblichen Tatsachen für Behörden und Gerichte schwieriger. Denn hier reicht es nicht aus, die herrschende Auffassung unter den Experten des jeweiligen Fachgebietes zu ermitteln, sondern die Behörden und Gerichte "müssen in den Meinungsstreit der Techniker eintreten, um zu ermitteln, was technisch notwendig, geeignet, angemessen und vermeidbar ist" 613 . Zur Konkretisierung des normativen Standards "Stand von Wissenschaft und Technik" dürfen nur solche technischen Normen herangezogen werden, deren technische Lösungen objektiv nachweisbar diejenige Vorsorge gegen Schäden gewährleistet, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen als erforderlich gilt, oder die solche Lösungen normieren, die den wissenschaftlichen Erkenntnissen vorauseilen und als Stand der Technik im Sinne des vorherigen Absatzes angesehen werden können614. Diese Formel wirft jedoch für Behörden und Gerichte noch mehr Erkenntnisprobleme auf als die Formel vom Stand der Tech-

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Vgl. ebd. Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 20 f. 611 BVerfGE 49, S. 89 (135 f.) unter Rekurs auf Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 67 f.; vgl. auch Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 73. 612 Vgl. Kap. ILA. 1 .c)bb)( 1 )(b)(cc)ß). 613 BVerfGE 49, S. 89 (136) im Anschluß an Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 68. A.A. Nicklisch, F., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 75, 81, 83 ff.; ders., Kontrollierte Rezeption, S. 2633 ff., 2640 f.; ders., Technische Regelwerke, S. 841 ff.; Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 117 ff. 614 Vgl. Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß). 610

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nik. "Sie kommen bei sich widersprechenden Sachverständigengutachten in aller Regel nicht umhin, zu wissenschaftlichen Streitfragen Stellung zu nehmen."615. Allerdings besteht bezüglich des normativen Standards "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik" aufgrund des formalisierten Verfahrens der Normenerstellung, welches insbesondere Sachkunde, ausgewogene interessenpluralistische Zusammensetzung und Weisungsunabhängigkeit der Normungsgremien sowie die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Kodifizierung der technischen Normen (Initiativ- und Einspruchsrechte inklusive Schlichtungs- und Schiedsverfahren) vorschreibt 616, und der daraus resultierenden hohen faktischen Befolgung der technischen Normen als Sollenssätze, die i.d.R. (allgemeine) Anerkennung finden 617, die weitgehende Gewähr, daß entweder - als Ausnahme - schon in der Praxis weit verbreitete, bereits (allgemein) anerkannte Lösungen in die technischen Normen einfließen, oder - als Regelfall - genormte neue technische Lösungen eine baldige (allgemeine) Anerkennung erfahren. Damit spricht nach verbreiteter Auffassung ein allgemeiner Erfahrungssatz 618 615 Grundlegend BVerwG, DVB1. 1972, S. 678 (680); diesem folgend BVerfGE 49, S. 89 (136); 53, S. 30 (58 f.). 616 Vgl. bzgl. des DIN Kap. II.A.l.a)dd)(3); femer Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 80 ff.; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 70; Marburger, P., Regeln, S. 155 f., 422 ff.; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 211 f.; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 56 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 23; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 60; Stefener, W., DIN-Normen, S. 45. Hinsichtlich der Anforderungen an die Zusammensetzung des regelgebenden Gremiums, das Verfahren sowie den Regelungsgegenstand siehe Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 157 ff. 617 Die Tatsache, daß in technischen Normen zumeist nicht bereits allgemein anerkannte, sondern überwiegend neue Lösungen festgelegt werden, findet häufig keine Berücksichtigung. Vgl. z.B. BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 20; Brinkmann, W., Verbraucherschutz, S. 18. Explizit betonen diese Tatsache u.a. Budde, E., Rechtliche Bedeutung, S. 147; Marburger, P., Regeln, S. 155; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 56; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 60 f.; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 20 f.; Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 115 f. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. I.D.l.a), Kap. I.D.2.a), Kap. I.D.3, Kap. I.D.4 und Kap. I.E. 618 Erfahrungssätze sind abstrakte Regeln, die entweder aus Beobachtungen des täglichen Lebens und Kenntnissen ihrer allgemeinen Bildung oder aus besonderer Einsicht und Sachkunde kraft wissenschaftlicher, gewerblicher oder künstlerischer Tätigkeit gewonnen werden. Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 199 m.w.N. Ganz im Sinne der vorherigen Ausführungen begründen Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 80 ff., Marburger, P., Regeln, S. 155 f., 464 ff., ders., Technische Sicherheit, S. 18 und Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 60 f. den Erfahrungssatz mit der Erarbeitung der technischen Normen durch weisungsunabhängige Expertengremien unter ausgewogener Beteiligung hochqualifizierter Fachleute aller interessierten Kreise in einem reglementierten Verfahren, das die Mitwirkung der (Fach-)Öffentlichkeit ermöglicht, die Berücksichtigung des Standes von Wissenschaft und Technik sowie die periodische Revision entsprechend dem Stand der Technik vorschreibt (und zusätzlich

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nach Marburger das große Ansehen und der hohe Verbreitungsgrad der technischen Normen in der technischen Praxis sowie deren empirisch nachweisbare Eignung zur Gefahrenabwehr). Ähnlich resultiert nach Ansicht des BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 20 der Erfahrungssatz aus den Bekanntmachungen bestimmter Regelsetzer bei Einhaltung eines Normungsverfahrens analog zu DIN 820. Nach Köhler, H., Haftungsrechtliche Bedeutung, S. 11 resultiert der Erfahrungssatz aus der Sorgfalt bei der Aufstellung der technischen Normen und dem Vertrauen, das sie bei dem Gesetzgeber und in der Bevölkerung genießen. Für eine Vermutung, daß technische Normen allgemein anerkannte Regeln der Technik darstellen, auch Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 68 f.; Köhler, H., Haftungsrechtliche Bedeutung, S. 10 f. ("tatsächliche Vermutung"); Marburger, P., Regeln, S. 155 f. (der hier von einer widerlegbaren Vermutung, auf S. 464 jedoch auch von einem "hinreichend starken Erfahrungssatz" spricht); Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 60 f., 141 (technische Normen haben "prima facie die Vermutung für sich, allgemein anerkannte Regeln zu sein"); Sonnenberger, H.-J., Grundfragen, S. 8. Für alle Rechtsgebiete geht BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 20 unhaltbarerweise grundsätzlich von einer widerleglichen faktischen Vermutung dafür aus, daß eine technische Norm zum Zeitpunkt ihres Erscheinens eine allgemein anerkannte Regel der Technik darstellt. Nach Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 29 f. besteht bei Einhaltung (Nichteinhaltung) der technische Normen eine einfache (widerlegbare) Vermutung, daß die allgemein anerkannten Regeln der Technik eingehalten (nicht eingehalten) sind. Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 19 spricht allgemein von einem Beweis des ersten Anscheins für die Übereinstimmung der technischen Normen mit den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Strecker, Α., Verknüpfung, S. 49 geht von einer grundsätzlichen widerleglichen Vermutung der Identität der Norminhalte mit den allgemein anerkannten Regeln der Technik aus. Nach Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 21 spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, daß die Normen dem auf den allgemein anerkannten Regeln der Technik beruhenden Stand der Praxis entsprechen. Schließlich führen auch die Normungsverbände wie beispielsweise das DIN aus: "Für sicherheitstechnische Festlegungen in DIN-Normen besteht außerdem eine tatsächliche Vermutung dafür, daß sie »anerkannte Regeln der Technik' sind." DIN, Präsidialbeschluß 4/1977, abgedruckt in: DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN, S. 33; vgl. auch DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 3 Abschn. 6 Nr. 6.1. Fast wortgleich auch der VDE, VDE-Vorschriftenwerk, S.4. Grundsätzlich a.A. Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 212, nach dem der Erfahrungssatz seine eigentliche Rechtfertigung durch die in eigenständiger Entscheidungsverantwortung ausgeübte Kontrolle der an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gebundenen Exekutive bei der Rezeption des außerrechtlichen Erkenntnisstandes erhält (und dessen Stärke neben den institutionellen Garantien für die genannten Organisations- und Verfahrensmerkmale der Normenerstellung auch von dem Umfang des verarbeiteten Erfahrungsmaterials, der staatlichen Mitwirkung, der Eindeutigkeit der Festlegung und der Aktualität der technischen Norm abhängt). Nicht überzeugend schließlich Stefener, W., DIN-Normen, S. 46, der den Erfahrungssatz aus der Tatsache ableitet, daß es bei Einhaltung dessen, was bei der gegebenen Sachlage allgemein üblich ist, nicht zu Schäden kommt.

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dafür, daß die im Hinblick auf das gesetzliche Schutz- und Sicherheitsziel einschlägigen Festlegungen619 technischer Normen jedenfalls der bedeutenden Normungsverbände, namentlich des DIN, DVGW VDE, und VDI, die "(allgemein) anerkannten Regeln der Technik" im Sinne des normativen Standards wiedergeben620. Und auch bezüglich der normativen Standards "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik" spricht ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, daß die einschlägigen Festlegungen technischer Normen den Stand der Technik bzw. den Stand von Wissenschaft und Technik im Sinne dieser normativen Standards wiedergeben; dieser Erfahrungssatz gründet sich neben den im vorherigen Absatz genannten Verfahrensmerkmalen der Normenerstellung insbesondere auf die Pflicht der Normenausschüsse zur Berücksichtigung des Standes von Wissenschaft und Technik sowie zur periodischen Revision und Anpassung der verabschiedeten Normen an den fortgeschrittenen wissenschaftlichen Erkenntnisstand und den technischen Entwicklungsstand621. Alle drei genannten Erfahrungssätze finden ihre Bestätigung in der empirisch nachweisbaren Tatsache, daß die Einhaltung technischer Normen der Entstehung von Schäden in aller Regel wirksam vorbeugt 622. Die herrschende prozeßrechtliche Lehre unterscheidet drei Stufen von Erfahrungssätzen: Absolute Erfahrungssätze oder Erfahrungsgesetze, die derart gesichert erscheinen, daß sie nach menschlichem Ermessen keiner Durchbrechung zugänglich sind; qualifizierte Erfahrungssätze oder Erfahrungsgrundsätze, welche die Abstraktion von Vorgängen darstellen, die sich in aller Regel gleichartig abspielen, mithin also durch eine besondere Verläßlichkeit gekennzeichnet sind; und schließlich einfache Erfahrungssätze, nach denen sich gewisse Geschehens619

Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 530 in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß). Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 80 ff.; Budde, E., Rechtliche Bedeutung, S. 147; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 68 f.; Lukes, R., Produzentenhaftung, S. 351; Marburger, P., Regeln, S. 464; Nikkusch, K.-O., Normativfunktion, S. 211; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 57, 59, 61. A.A. Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 154 ff., 164, der dies nur bei deutlicher Trennung von naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnissen und wertenden, gesellschaftliche Zielkonflikte entscheidenden Festlegungen bejaht. Ablehnend auch Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 120 ff. 621 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 80 ff.; Budde, E., Rechtliche Bedeutung, S. 147; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 68 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 212 ff. A.A. Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 154 ff., 164, der dies nur bei deutlicher Trennung von naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnissen und wertenden, gesellschaftliche Zielkonflikte entscheidenden Festlegungen bejaht. Ablehnend auch Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 120 ff. 622 Marburger, P., Regeln, S. 464; ders., Technische Sicherheit, S. 18. 620

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abläufe wiederholen und sich auch zukünftig mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wiederholen werden 623. Nach weit verbreiteter Ansicht sind die genannten Organisations- und Verfahrensmerkmale der Normenerstellung bei entsprechenden institutionellen Garantien sowohl notwendig als auch hinreichend624, um einen qualifizierten Erfahrungssatz 625 annehmen zu können, welcher eine tatsächliche (einfache, faktische) Vermutung 626 für die Übereinstimmung der in den technischen Normenwerken im Hinblick auf das gesetzliche Schutz- und Sicherheitsziel getroffenen einschlägigen Bestimmungen mit dem jeweiligen normativen Standard begründet. Dieser hat für die richterliche Beweiswürdigung (§ 108 VwGO) die Bedeutung eines Anscheinsbeweises (Beweis des ersten Anscheins, prima-facie-Beweis) für die Übereinstimmung eines normenkonformen technischen Systems mit dem normativen Standard627. Dieser kann nicht nur durch den vollen Gegenbeweis, sondern auch durch die Erschütterung der Erfahrungstatsache - den Beweis der ernsthaften Möglichkeit eines atypischen, d.h. eines anderen als des erfahrungsgemäß angenommenen oder Geschehensablaufes - widerlegt werden, wobei allerdings die Tatsachen, aus denen sich diese Möglichkeit ergibt, eines vollen Beweises bedürfen 628. 623

Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 80; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 155; Vieweg, K., Atomrecht und technische Normung, S. 200, jew. m.w.N. 624 Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 619 in diesem Kapitel. 625 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 80; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 201, jew. m.w.N. Vgl. auch Marburger, P., Regeln, S. 464, der von einem "hinreichend starken Erfahrungssatz" spricht, und Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 23, 212 ff., der im Regelfall von einem qualifizierten Erfahrungssatz ausgeht. 626 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 212. Vgl. auch Marburger, P., Regeln, S. 464. A.A. Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 201, nach dem der Ausdruck "tatsächliche Vermutung" in diesem Zusammenhang terminologisch falsch ist. 627 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 81; Budde, E., Rechtliche Bedeutung, S. 147; Debelius, J., Regeln der Technik, S. 56; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 68; Lukes, R., Produzentenhaftung, S. 351; Marburger, P., Regeln, S. 464; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 212; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 18 f.; Stefener, W., DINNormen, S. 45; VDE, VDE-Vorschriftenwerk, S. 4; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 201. A.A. Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 144; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 154 ff., 164, welche dies nur bei deutlicher Trennung von naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnissen und wertenden, gesellschaftliche Zielkonflikte entscheidenden Festlegungen bejahen. Ablehnend auch Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 120 ff. 628 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 81; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 68 f.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 123; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 155; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 212; Stefener, W., DIN-Normen, S. 45 ff.; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 201.

25 Zubke-von Thünen

386

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Der Anscheinsbeweis findet auch in Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß Anwendung, obwohl die Verwaltungsbehörden und -gerichte nach dem Untersuchungsgrundsatz (§ 24 Abs. 1 VwVfG, § 86 Abs. 1 VwGO) grundsätzlich die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufes in Betracht ziehen müssen629. Der Anscheinsbeweis hat daher im Verwaltungsprozeß keine beweisschaffende Wirkung und zunächst keine Auswirkungen auf die materielle Beweislast630. Anders als im Zivilprozeß 631 hat das Gericht im Verwaltungsprozeß grundsätzlich von sich aus alles Beweismaterial zu beschaffen, d.h. sowohl die den Erfahrungssatz als auch die einen möglichen Gegenbeweis begründenden Tatsachen632. Daher kann eine Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts nicht allein darauf gestützt werden, daß eine technische Norm einschlägig ist und für deren Übereinstimmung mit den allgemein anerkannten Regeln der Technik, dem Stand der Technik oder dem Stand von Wissenschaft und Technik ein qualifizierter Erfahrungssatz spricht 633. Obwohl es prinzipiell im Ermessen des Richters steht, welcher Mittel zur Sachaufklärung er sich bedient, wird es als ermessensfehlerhaft im Sinne einer ungenügenden Sachaufklärung angesehen, wenn das Gericht eine Untersuchung unterläßt, deren Notwendigkeit in Anbetracht des gesamten Sachverhalts offensichtlich ist. Eine Pflicht zur Nachprüfung technischer Festlegungen ergibt sich somit vor allem hinsichtlich einer möglichen Atypizität des vorliegenden Sachverhalts sowie bezüglich einer un-

629

Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 81 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 155 f. 630 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 212 f.; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 201. A.A. Marburger, P., Regeln, S. 464 f., der als Rechtsfolge des prima-facie-Beweises eine Beweislastregel annimmt. Für die Entkräftung des prima-facie-Beweises sei es keinesfalls ausreichend, daß es trotz der Beachtung der technische Norm zum Eintritt eines Schadens gekommen ist. Vielmehr müsse der volle Beweis des Gegenteils erbracht sein, indem nachgewiesen wird, daß gleichartige Schäden trotz Befolgung der Regel häufiger aufgetreten sind, daß die technische Norm zur Gefahrenabwehr generell ungeeignet oder daß sie technisch überholt, d.h. veraltet ist. A.A. auch Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 123; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 155: Die entscheidende Stelle müsse im Rahmen ihrer Überzeugungsbildung qualifizierte Erfahrungssätze als Beweiswürdigungsregeln beachten; prima facie hätte sie von dem typischen Geschehensablauf auszugehen. A.A. auch Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 121, der grundsätzlich eine Beweislastregel bei der Beachtung technischer Normen auch ohne ausdrückliche dahingehende Bestimmung im Rahmen der allgemeinen Sorgfaltspflicht für das gesamte Recht annimmt, soweit der in Frage stehende Tatbestand die Anwendung technischer Regeln umfaßt. 631 Vgl. hierzu auch Kap. II.A.l.c)bb)(2)(b). 632 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 81 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 213. 633 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 82 m.w.N.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

387

zureichenden Aktualität des Normeninhalts634. Namentlich dort, wo die Umsetzung neuer Erkenntnisse in die sicherheitstechnische Praxis gefordert ist, also bei der Konkretisierung der Standards "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik", muß sorgfältig geprüft werden, ob die in Betracht kommenden technischen Normen diesen Anforderungen genügen635. Dabei ist der Richter auf die Hilfe von Sachverständigen angewiesen, deren Aussagen er ebenso wie die Festlegungen in technischen Normen - allerdings lediglich einer Plausibilitätskontrolle unterziehen kann 636 . Anlaß zu einer weitergehenden - inhaltlichen - Überprüfung besteht für den Richter erst dann, wenn eine Partei die sachgerechte Wiedergabe der jeweiligen normativen Standards in den technischen Normen substantiiert in Frage stellt, indem sie entweder die "innere Berechtigung" des Erfahrungssatzes aufgrund der Nichteinhaltung der zentralen Organisations- und Verfahrensprinzipien der technischen Normenerstellung (Sachkunde, Zusammensetzung, Verfahren, Öffentlichkeit, Aktualität usw.), oder aber die Sachgerechtheit der technischen Festlegung selbst - sie sei fehlerhaft, unvollständig oder zur Gefahrenabwehr bzw. Risikovorsorge nicht geeignet - anzweifelt 637. In diesem Fall muß der Anwender der technischen Norm den vollen Beweis erbringen, daß er sich technisch richtig verhalten hat 638 . Erst im Falle des non liquet, d.h. wenn die rechtsanwendende Behörde oder das Gericht weder vom Vorliegen noch vom Nichtvorliegen der Voraussetzungen überzeugt ist, resultiert aus dem Anscheinsbeweis eine Bindung des Rechtsanwenders an die Vermutung, so daß er der technischen Norm wegen ihrer erhöhten Richtigkeitsgewähr den Vorrang vor dem

634 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 82; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 213. 635 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 81 f.; Köhler, H., Haftungsrechtliche Bedeutung, S. 10 f.; Marburger, P., Regeln, S. 464 f.; ders., Technische Sicherheit, S. 18; ders., Bezugnahme, S. 37. 636 Ebenso wie der Richter bei der Würdigung eines Individualgutachtens an äußerlichen Beurteilungskriterien ansetzen muß (Unabhängigkeit des Gutachters, wissenschaftliches Renommee, Sorgfältigkeit der Begründung usw.), kann es ihm auch nicht verwehrt sein, die abstrakten Festlegungen lediglich unter formalen Gesichtspunkten (Zusammensetzung und Verfahren bei der Regelerstellung, exekutive Kontrolle bei der Rezeption, Aktualität usw.) zu prüfen. Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 213 f.; vgl. auch Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 82; Marburger, P., Bezugnahme, S. 37; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 20 f. 637 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 214. Vgl. auch Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 81 f.; Köhler, H., Haftungsrechtliche Bedeutung, S. 10 f.; Marburger, P., Regeln, S. 464 f.; ders., Technische Sicherheit, S. 18; ders., Bezugnahme, S. 37. 638 Budde, E., Rechtliche Bedeutung, S. 147.

25*

388

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Individualgutachten einräumen muß 639 . Die materielle Beweislast, die bei Anfechtungsklagen grundsätzlich bei der Behörde liegt, verlagert sich dann auf den Kläger 640 . Auf der anderen Seite ist der Normadressat nicht an die in einer einschlägigen technischen Norm vorgegebene Lösung gebunden; vielmehr kann er auch andere Lösungen wählen, sofern dadurch der bezeichnete Schutz- und Sicherheitsstandard gleichfalls eingehalten wird, wofür allerdings der Gefahrenabwehrpflichtige die Beweislast trägt 641. In allen drei Fällen - der Rezeption technischer Normen durch allgemeine Verwaltungsvorschriften, deren ministerielle Einführung sowie des Fehlens einer Zwischenebene zur unmittelbaren Rezeption technischer Normen - erhalten die rezipierten technischen Normen keinen Rechtsnormencharakter 642, noch werden Rechtssetzungsbefugnisse auf die Normenorganisationen übertragen 643. (cc) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Nach weitaus herrschender Meinung ist die legislative Beschränkung auf offene, normative Standards innerhalb großzügig bemessener Schranken verfassungsrechtlich zulässig644. Dies gilt sowohl in bezug auf ihre instrumentale Auf-

639

Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 91; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 201. 640 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 214. 641 BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 22 ff., 25; Köhler, H., Haftungsrechtliche Bedeutung, S. 11; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 51; Scholz, R., Verhältnis, S. 100 f. 642 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 74 f.; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 67 f.; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 69. 643 Arndt, G., Dynamische Rechtsnorm Verweisung, S. 787; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 20. 644 BVerfGE 49, S. 89 (133) unter Hinweis auf BVerfGE 21, S. 73 (79); 31, S. 255 (264); 37, S. 132 (142); Arndt, G., Dynamische Rechtsnormverweisung, S. 787; Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 75; Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 69 f.; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 139 ff.; Kremser, H., Verfassungsrechtliche Zulässigkeit technischer Regelwerke, passim; Lukes, R., Tragweite, S. 221; Marburger, P., Regeln, S. 170 ff., 395 ff.; ders., Bezugnahme, S. 31, 34, 38; Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 29; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 80 ff.; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 13; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 47. A.A. Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 208 f., der diese Rezeptionsart im Falle von "Übermaßformen der Verweisung" für verfassungswidrig hält, da sie sich im Ergebnis als "verschleierte ... Delegationen" darstellen. Zur Bestimmung des "Übermaßes" gilt nach Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 207 die Formel: Je umfangreicher die durch das "winzige Korsett der bezugnehmenden Blankettrechtsnormen" im Wege

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

389

gäbe, die hinsichtlich der Gefahrenabwehr und Risikovorsorge einschlägigen privaten oder behördlichen technischen Regeln zu rezipieren, als auch für ihre normative Funktion, den Grad der erforderlichen Sicherheit und damit die Grenze des erlaubten technischen Risikos zu bestimmen645. So hatte das BVerfG bereits in seinem Beschluß vom 3. Februar 1975 - 1 BvR 454/74 - zur TA Luft 1964 ausgeführt, es sei gegenwärtig verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, "wenn der Gesetzgeber die Genehmigungsvoraussetzungen seinerseits lediglich mit ausfüllungsbedürftigen Begriffen umschreibt und für den Erlaß ergänzender allgemeiner Verwaltungsvorschriften ... ein Verfahren vorschreibt, das für die Ermittlung zumutbarer Immissionsgrenzwerte die Berücksichtigung der wesentlichen Gesichtspunkte erwarten läßt". (dd) Beispiele In deutschen Rechts- und Verwaltungsvorschriften existieren zahlreiche Anwendungsfälle der in vielfältigen Variationen verwendeten normativen Standards 646:

der Verweisung rezipierten Regelungen sind, desto eher gerät die Verweisung in die Nähe der Delegation. Darüber hinaus genügt nach Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 213 f. diese Rezeptionsart auch nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz des GG. A.A. noch 1994 Eiberle-Herm, V., Rechtliche Rezeption technischer Bewertungskriterien, 5. 244, der diese Rezeptionsart als eine normergänzende bzw. eine gesetzesändernde Verweisung und eine verfassungswidrige Delegation staatlicher Rechtssetzungsmacht qualifiziert. 645 Marburger, P., Regeln, S. 172; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 13. 646 Nachweise der nachfolgend aufgeführten Rechts- und Verwaltungsvorschriften in alphabetischer Reihenfolge ihrer Abkürzungen, sofern nicht im AbkürzungsVerzeichnis der Rechtsnormen zu Beginn der Arbeit enthalten: 1. SprengV: Erste Verordnung zum Sprengstoffgesetz (1. SprengV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 01.02.1991 (BGBl. I, 1991, Nr. 7, S. 169-215), zul. geänd. d. MarkenRRefG v. 25.10.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 74, S. 3082-3125); 2. SprengV: Zweite Verordnung zum Sprengstoffgesetz (2. SprengV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 05.09.1989 (BGBl. I, 1989, Nr. 42, S. 1620-1645); 6. GSGV Sechste Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz (Verordnung über das Inverkehrbringen von einfachen Druckbehältern - 6. GSGV) v. 25.06. 1992 (BGBl. I, 1992, S. 1171), zul. geänd. d. Art. 2 der Verordnung v. 12. Mai 1993 (BGBl. I, 1993, S. 704); DruckLV: Verordnung über Arbeiten in Druckluft (Druckluftverordnung DruckLV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 04.10.1972 (BGBl. I, 1972, Nr. 110, S. 1909-1928), geänd. d. JArbSchG v. 12.04.1976 (BGBl. I, 1976, Nr. 42, S. 965-984); Elt BauV BE: Verordnung über den Bau von Betriebsräumen für elektrische Anlagen (Elt BauV BE) ν. 15.10.1974 (GVB1. BE, 1974, Nr. 96, S. 2671-2673);

390

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung Tabelle 10

Übersicht über einige der in der deutschen Rechtsordnung verwendeten normativen Standards Normativer Standard

Fundstelle

[1]

(den hierfür jeweils in Betracht kommenden) Regeln der Technik

§ 18 b Abs. 1 WHG.

[2]

Technische Regeln

§ 11 Abs. 2 S. 3 GSG.

[3]

sicherheitstechnische Regeln

§ 31 a Abs. 1 S. 3, Abs. 4 BImSchG.

[4]

anerkannte Regeln der Technik

§ 3 Abs. 2 EltBauV BE; § 3 Abs. 2 EltBauV SL; § 8 Abs. 2a S. 1 FStrG; § 2 Abs. 1 S. 3 HPflG; § 14 Abs. 4 SchO BY.

[5]

anerkannte Regeln der Sicherheits- Abschn. 3 Nr. 3.4.2 Pkt. 106 und 3.4.4 Pkt. 116 der Anlage 1 der 1. SprengV. technik - Fortsetzung -

Elt BauV SL: Verordnung über den Bau von Betriebsräumen für elektrische Anlagen (Elt BauV SL) v. 08.09.1976 (ABl. SL, 1976, Nr. 44, S. 969-970); FluLärmG: Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (FluLärmG) v. 30.03.1971 (BGBl. I, 1971, Nr. 28, S. 282-287), zul. geänd. d. BBauGÄndG v. 08.12.1986; FluLärmG BE: Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm in Berlin (FluLärmG BE) ν. 07.02.1975 (GVB1. BE, 1975, Nr. 17, S. 671-673); KrWaffG: Ausführungsgesetz zu Artikel 26 Abs. 2 des Grundgesetzes (Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen - KrWaffG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 22.11.1990 (BGBl. I, 1990, S. 2506), zul. geänd. d. Verbrechensbekämpfungsgesetz v. 28.10.1994 (BGBl. I, 1994, S. 3186); PatG: Patentgesetz (PatG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 16.12.1980 (BGBl. I, 1981, Nr. 1, S. 1-25), zul. geänd. d. MarkenRRefG v. 25.10.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 74, S. 3082-3125); PBefG: Personenbeförderungsgesetz (PBefG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 08.08.1990 (BGBl. I, 1990, Nr. 40, S. 1690-1705), zul. geänd. d. PlVereinfG v. 17.12.1993 (BGBl. I, 1993, Nr. 69, S. 2123-2135); Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ProdukthaftungsgeProdHaftG: setz - ProdHaftG) v. 15.12.1989 (BGBl. I, 1989, Nr. 59, S. 2198-2200), zul. geänd. d. MarkenRRefG v. 25.10.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 74, S. 3082-3125); RöV: Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenstrahlenverordnung - RöV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 08.01.1987 (BGBl. I, 1987, Nr. 3, S. 114-133), zul. geänd. d. MedPG v. 02.08.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 52, S. 1963-1984); WaffG: Waffengesetz (WaffG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 08.03.1976 (BGBl. I, 1976, Nr. 23, S. 432-455), zul. geänd. d. Verbrechensbekämpfungsgesetz v. 28.10.1994 (BGBl. I, 1994, S. 3186);

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

391

- Fortsetzung -

[6]

anerkannte pharmazeutische Regeln

§ 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AMG.

[7]

allgemein anerkannte Regeln der Technik

§ 3 Abs. 1 AcetV; § 3 Abs. 1 AufzV; §§ 20 Abs. 1 S. 2 und 3, Abs. 3 S. 1, 24 Abs. 1 S. 1 BauO BY; §§ 3 Abs. 3, 17 Abs. 1-3, 57 Abs. 1 S. 1, 58 Abs. 1 S. 1 BauO M-V; §§ 3 Abs. 1 und 3, 20 Abs. 1-3 BauO NW; § 6 Abs. 1 Nr. 2 der 12. BImSchV; § 6 Abs. 1 DampfkV; § 4 Abs. 1 DruckbehV; § 4 DruckLV; § 3 Abs. 1 S. 1 ElexV; § 8 Abs. 2a S. 1 FStrG; § 3 Abs. 1 GasHDrLtgV; §§ 3 Abs. 1 S. 2 und 3, 10 lit. a) GSG; §§ 20 Abs. 3, 23 Abs. 1 MBO; § 6 Abs. 1 S. 1 MedGV; § 3 Abs. 1 SchankV; § 6 SSV; § 17 Abs. 2 Nr. 1 SprengG; § 323 Abs. 1 und 2 StGB; § 4 Abs. 1 VbF; Abschn. 1 Nr. 1.5.1 Abs. 2, 1.5.3 Abs. 4, Abschn. 2 Nr. 2.1.2 S.2, Abschn. 5 Nr. 5.3 der Anlage 1 sowie Abschn. 2 der Anlage 4 zur WärmeschutzV; § 7 a Abs. 1 S. 1 und 3 1. HS WHG.

[8]

die ... in einem Mitgliedsstaat der § 2 Abs. 2 der 6. GSGV. Europäischen Gemeinschaft... geltenden allgemein anerkannten Regeln der Technik

[9]

allgemein anerkannte Regeln der Sicherheitstechnik

§ 7 ElexV; § 24 Abs. 1 SprengG.

[10]

allgemein anerkannte sicherheistechnische Regeln

§§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 2 der 2. SprengV.

[11]

allgemein anerkannte Regeln der Technik und Baukunst

§ 3 Abs. 2 S. 4 BauO BY.

[12]

sicherheitstechnische, arbeitsmedizi- § 20b Nr. 2 lit. a) ChemG. nische und hygienische Regeln sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse

[13]

allgemein anerkannte sicherheits- § 3 Abs. 1 Nr. 1 ArbStättV. technische, arbeitsmedizinische und hygienische Regeln sowie den sonstigen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen - Fortsetzung -

392

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

- Fortsetzung -

[14]

allgemein anerkannte sicherheits- § 17 Abs. 1 S. 2 GefStoffV. technische, arbeitsmedizinische und hygienische Regeln einschließlich der Regeln über Einstufung, Sicherheitsinformation und Arbeitsorganisation sowie die sonstigen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse

[15]

Stand der Technik

§ 4 Abs. 5 S. 1 AbfG; § 906 Abs. 1 S. 3 BGB; §§ 3 Abs. 6 S. 1, 5 Abs. 1 Nr. 2, 14 S. 2, 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 41 Abs. 1, 48 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG; § 19 Abs. 3 Nr. 4 lit. b) ChemG; § 5 Abs. 1 S. 1 EnEG; §§ 26 Abs. 1 und 2, 36 Abs. 2, 3, 4 u.a.m. GefStoffV; § 23 S. 2 GenTG; § 11 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 und Abs. 2 S. 3 GSG; § 3 Abs. 1, 2 und 3, §4 PatG; §§21 Abs. 1, 36 Abs. 1 PBefG; §3 Abs. 2 Nr. 5 RöV; §43 Abs. 1 S. 1 StVZO; Abschn. 1 Nr. 1.4 der Anlage 4 zur WärmeschutzV; § 7 a Abs. 1 S. 3 2. HS WHG.

[16]

jeweiliger Stand der Technik

§§2 Abs. 1 Nr. 4, 32 Abs. 1 Nr. 16 LuftVG; §§ 5 Abs. 2 Nr. 3, 6 Abs. 1 Nr. 1 SprengG; § 49 Abs. 1 StVZO; § 23 Abs. 2 Nr. 3 WaffG.

[17]

Stand der Sicherheitstechnik

§31 a Abs. 1 S. 3 BImSchG; §§2 Abs. 3, 3 Abs. 4, 8 der 12. BImSchV.

[18]

(der in der Europäischen Gemeinschaft gegebene) Stand der Sicherheitstechnik

§ 2 Abs. 1 Nr. 1 NiederspV.

[19]

Stand der Schallschutztechnik

§ 7 FluLärmG; § 7 FluLärmG BE.

[20]

jeweiliger Stand der Lärmbekäm- Abschn. 2 TA Lärm. pfungstechnik

[21]

jeweiliger Stand der Technik und § 8 Abs. 2 DSG BW. Organisation

[22]

Stand der internationalen Entwicklung auf dem Gebiet der gentechnischen Sicherheit

§ 5 S. 2 GenTG.

[23]

dem Stand der Technik entsprechende Regeln (Technische Regeln)

§ 11 Abs. 2 S. 3 GSG.

[24]

dem Stand der Sicherheitstechnik entsprechende Regeln (sicherheitstechnische Regeln)

§31 a Abs. 1 S. 3 BImSchG.

Nr. 2.211

lit. a),

2.31

- Fortsetzung -

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

393

- Fortsetzung -

[25]

Stand der Technik, Arbeitsmedizin § 19 Abs. 3 Nr. 3 ChemG. und Hygiene sowie den gesicherten sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen, hygienischen und sonstigen arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen

[26]

Stand von Wissenschaft und Tech- §§ 4 Abs. 2 Nr. 3, 5 Abs. 1 S. 2, 6 Abs. 2 Nr. 2, 7 Abs. 2 Nr. 3, 9 Abs. 2 nik Nr. 3 AtG; §§ 6 Abs. 2 S. 1, 16 Abs. 1 Nr. 2 GenTG; §11 Abs. 2 S. 2 GSG; §§ 6 Abs. 1 Nr. 5, 10 Abs. 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 Nr. 5, 28 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 S. 3, 31 Abs. 1, 41 Abs. 1 Nr. 3, 72 Abs. 1, 77 Abs. 4 S. 2 StrlSchV.

[27]

Stand der Wissenschaft und Technik

§§7 Abs. 2 S. 2, 13 Abs. 1 Nr. 4 GenTG; § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG; § 4 Abs. 1 Nr. 1 SprengG.

[28]

jeweiliger Stand von Wissenschaft und Technik

§ 28 Abs. 2 Nr. 1 AcetV; § 26 Abs. 4 Nr. 1 AtG; § 24 Abs. 2 Nr. 1 AufzV; § 30 Abs. 2 Nr. 1 DampfkV; § 36 Abs. 2 Nr. 1 DruckbehV; § 18 Abs. 2 ElexV; § 14 Abs. 2 Nr. 1 GasHDrLtgV; § 19 Abs. 2 Nr. 1 SchankV; § 25 Abs. 1 Nr. 1 VbF.

[29]

Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Technik

§ 15 Abs. 1 Nr. 1 PflSchG.

[30]

Stand der wissenschaftlichen, technischen und militärischen Erkenntnisse

§ 1 Abs. 2 KrWaffG.

[31]

jeweiliger Stand von Wissenschaft, Technik und Medizin

§ 52 Abs. 2 S. 1 GefStoffV.

[32]

Stand der Wissenschaft

§§6 Abs. 1 S. 1, 7 Abs. 1 Nr. 1-4, 15 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 u.a.m. GenTG.

[33]

Stand der medizinischen Wissenschaft

§ 26 Abs. 5 AtG.

[34]

Erkenntnisse Wissenschaft

[35]

Erfordernissen Technik

[36]

Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis

der

medizinischen §§ 5 Abs. 2, 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AMG.

der medizinischen § 25 Abs. 1 S. 2 und 3 RöV. § 20 Abs. 6 S. 2 ChemG. - Fortsetzung -

394

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

- Fortsetzung -

[37]

Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse

§ 26 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 AMG; §§ 11 Abs. 1 S. 1, 16 c Abs. 2 Nr. 1, 16 d Abs. 1, 17 Abs. 4, 20 Abs. 4, 23 Abs. 2 S. 1 und 2 ChemG; § 15 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) PflSchG.

[38]

Stande der wissenschaftlichen Erkenntnisse

§ 15 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) PflSchG.

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jeweiliger Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse

§§ 5 Abs. 2, 7 Abs. 2 S. 1 AMG.

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jeweils gesicherter Stand der wissen- §§ 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 4 und S. 3, 25 a schaftlichen Erkenntnisse Abs. 1,26 Abs. 1 S. 2 AMG.

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gesicherte kenntnis

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gesicherte sicherheitstechnische, ar- § 30 Abs. 2 Nr. 1 GenTG. beitsmedizinische, hygienische und sonstige arbeits wissenschaftlichen Erkenntnisse

wissenschaftliche

Er-

§13 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 S. 2 ChemG; § 52 Abs. 3 GefStoffV.

(b) Mittelbare Rezeption im Rahmen sonstiger offener Rechtsbegriffe Die im vorherigen Kapitel dargestellte Rechtssetzungsmethode des Verzichts auf detaillierte normative Regelungen zugunsten der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards findet - wie an den zahlreichen gegebenen Beispielen ersichtlich - vornehmlich im öffentlichen Recht, specialiter im Umwelt- und Technikrecht, und nur in Ausnahmefällen im Privatrecht (vgl. z.B. § 906 Abs. 1 S. 3 BGB, § 2 Abs. 1 S. 3 HPflG) und im Strafrecht (vgl. z.B. § 323 Abs. 1 und 2 StGB) Anwendung. Jedoch gibt es insbesondere in den beiden letztgenannten Rechtsgebieten zahlreiche weitere Regelungsbereiche, in denen das Recht zu bestimmten Aspekten gleichfalls keine eigenständigen normativen Regelungen enthält, sondern mittels offener Rechtsbegriffe auf eine außerrechtliche tatsächliche Ordnung, auf Anschauungen und Verhaltensweisen des Verkehrs und der Gesellschaft als Maßstab verweist und sie durch Inbezugnahme zu rechtlichen Sollensmaßstäben erhebt. Diese offenen Rechtsbegriffe sind keine Begriffe mit eigenem schon vorhandenem, aus ihnen selbst oder dem Sinn des Gesetzes zu entwickelnden materiellen Beurteilungsmaßstab, sondern stellen "offene Rahmenbegriffe", "Fenster des Rechts auf gesellschaftliche, außerrechtliche Standards" dar. Wie bereits im vorhergehenden Kapitel ausgeführt, handelt es sich um eine besondere Art der Technik der Normsetzung, wenn mit derartigen ausfüllungs- und konkretisierungsbedürftigen Begriffen als Tatbestandselementen eine schon vor dem Recht bestehende und außerhalb seiner Normen existierende und sich weiterentwickelnde Ordnung unter gewissen Bedingungen in das Recht einbezogen wird. Die tatsächli-

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

395

che Ordnung ist hier nicht nur Gegenstand und Regelungsobjekt des Rechts, sondern gibt diesem seinen Inhalt und seine materiellen Maßstäbe, an die der Verweisungsbegriff dann Rechtsfolgen knüpft 647. So nehmen insbesondere im Zivilrecht zahlreiche offene Rechtsbegriffe Bezug auf die tatsächliche Übung des redlichen Wirtschaftsverkehrs. Beispielsweise ist die Anknüpfung an die "Verkehrssitte" für die Vertragsauslegung von Bedeutung (§ 157 BGB) und bestimmt für Schuldverhältnisse auch den Umfang der Leistungspflichten im Rahmen von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Als umfassende tatsächliche Ordnung gilt unter Kaufleuten der "Handelsbrauch" (§ 346 HGB). Entsprechend der "im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB) bestimmt sich gemäß des herrschenden objektiven Fahrlässigkeitsbegriffs das Ausmaß der Sorgfaltspflichten. Der Maßstab der "guten Sitten" gilt nicht nur im Vertrags- und Haftungsrecht, sondern auch im Wettbewerbsrecht (§§ 138 Abs. 1, 826 BGB, § 1 UWG). Vorbehaltlich einer Richtigkeitskontrolle hat der Rechtsanwender bei der Konkretisierung und Auslegung dieser offenen Rechtsbegriffe auf dem Wege der Beweiserhebung die einschlägigen sozialen Anschauungen zu ermitteln und seiner Entscheidung zugrundezulegen, wobei vielfach technische Normen rezipiert werden 648. Dieses wird im folgenden anhand einiger Beispiele ausgeführt. (aa) "Verkehrssitten" (§§ 157, 242 BGB) und "Handelsbräuche" (§ 346 HGB) Die Frage, ob technische Normen als Verkehrssitten (§§ 157, 242 BGB) und deren Sonderformen für den kaufmännischen Rechtsverkehr, als Handelsbräuche (§ 346 HGB), aufgefaßt werden können, ist Gegenstand zahlreicher rechtlicher Untersuchungen. Entsprechend den Wortbestandteilen "Sitte" und "Brauch" bildet die in einem bestimmten Verkehrskreis herrschende tatsächliche Übung eine unabdingbare Voraussetzung für die Annahme einer Ver-

647

Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 49 f. m.z.N. Wie bereits in Fn. 586 in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa), ausgeführt, ist die hier genannte nur eine der in der Literatur bestehenden Interpretationsansätze der Konkretisierung offener Rechtsbegriffe auf der Rechtsanwendungsebene. Das grundsätzliche Interpretationsspektrum hinsichtlich der Funktion wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe reicht von der reinen Rezeptionsfunktion außerrechtlicher sozialer Ordnungsgefüge bis zur reinen Delegation der Konkretisierung bzw. Ausfüllung des gesetzlichen Ordnungsrahmens an die zweite und dritte Gewalt. Vgl. ebd. 648 Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 42. Diese als "kontrollierte Rezeption" bezeichnete Deutung der Rechtsfolge offener Rechtsbegriffe ist, wie bereits in der vorletzten Fußnote ausgeführt, nur eine der in der Literatur bestehenden Interpretationsansätze. Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 586 in Kap. ILA. 1 .c)bb)(2)(a)(aa).

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

kehrssitte oder eines Handelsbrauches. Demzufolge faßt die herrschende Meinung die Verkehrssitte und den Handelsbrauch als rein faktische Verhaltensregelmäßigkeit, nämlich als die den Geschäftsverkehr beherrschende tatsächliche Übung auf 649 . Dagegen sind technische Normen als normative Regeln Richtschnur und Maßstab für ein zukünftiges Verhalten der Normadressaten. Dementsprechend können nur solche technischen Normen als (technische) Verkehrssitten bzw. als (technische) Handelsbräuche aufgefaßt werden, die sich in der technischen Praxis durchgesetzt haben und tatsächlich befolgt werden 650. Als Verkehrssitten und Handelsbräuche haben technische Normen Einfluß auf die Auslegung von Verträgen und den Inhalt der Leistungspflicht, selbst wenn sie nicht ausdrücklich zum Vertragsgegenstand gemacht worden sind. Denn nach den §§ 157, 242 BGB und § 346 HGB sind Verträge unabhängig vom Parteiwillen nach Verkehrssitte und Handelsbrauch auszulegen und bei Lücken durch ergänzende Deutung zu komplettieren651. (bb) "Im Verkehr erforderliche Sorgfalt" (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB) Der schuldrechtliche Grundsatz (§ 276 BGB), nach dem der Schuldner für das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt haftet, bestimmt sämtliche Schuldverhältnisse bis hin zur unerlaubten Handlung. Wie in Kapitel II.A.l.c)bb)(2)(a)(bb) dargelegt, spricht für die technischen Normen zumindest der bedeutenden normschaffenden Institutionen - insbesondere von DIN, 649 Marburger, P., Regeln, S. 364; Sonnenberger, H.-J., Verkehrssitten, z.B. S. 61 ff., 69, 72, 107, 178, jew. m.z.N. 650 Marburger, P., Regeln, S. 363 ff. I.d.S. auch Debelius, J., Regeln der Technik, S. 56; Lukes, R., Juristische und institutionelle Aspekte, S. 56; ders., Tragweite, S. 220, 228 (für das Gebiet der Elektrotechnik). A.A. - mit der Begründung, daß technische Normen i.d.R. einen neuen technischen Standard schaffen und nicht das bisher Übliche normen - Lukes, R., Industrielle Normen und Standards, S. 18 f.; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 35 f. Ebenfalls a.A. - dagegen spreche u.a., daß es sich nicht um Festlegungen der Vertragspartner bzw. die Anschauung der beteiligten Kreise über verkehrsgerechtes Verhalten, sondern um die Normung von Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen durch Fachleute handele - Sonnenberger, H.-J., Grundfragen, S. 8. 651 Sonnenberger, H.-J., Grundfragen, S. 8. Von rechtlicher Bedeutung ist dies namentlich für die Konkretisierung vertraglicher Nebenpflichten: Errichtet beispielsweise ein Bauunternehmer ein Wohnhaus auf der rechtlichen Grundlage eines Werkvertrages (§§631 ff. BGB) mit dem Bauherrn, und sind ihm wie üblich die anzuwendenden Bauverfahren, also die bautechnischen Regeln, weder vertraglich noch durch das materielle Bauordnungsrecht in allen Einzelheiten vorgeschrieben, so kann es für die Konkretisierung seiner werkvertraglichen Leistungspflicht durchaus von Bedeutung sein, was in der Baupraxis bewährt und üblich ist. Marburger, P., Regeln, S. 366.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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DVGW, VDE und V D I - aufgrund ihrer Organisations- und Verfahrensprinzipien der Normenerstellung ein qualifizierter Erfahrungssatz dafür, daß sie "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik" darstellen. Aufgrund dieser Tatsache werden technische Normen sowohl zur Konkretisierung der im Zivilrecht gebotenen (äußeren) Sorgfalt wie auch als Maßstab dessen herangezogen, was an Kenntnissen und Fähigkeiten von einem Techniker allgemein erwartet werden darf (innere Sorgfalt). Denn zum einen werden technische Normen als gesamter Sachverstand der Fachkreise zum Zeitpunkt des Entstehens der Norm, als eine von der repräsentativen Fachwelt aufgestellte und getragene Empfehlung und aufgrund dessen als eine anerkannte Erkenntnisquelle für technisch, insbesondere sicherheitstechnisch ordnungsgemäßes Handeln und Verhalten im Regelfall angesehen652; zum anderen geben sie einen ständig fortgeschriebenen Bestand technischen Wissens in den einzelnen technischen Fachbereichen wieder, dessen Kenntnis von jedem Techniker erwartet werden darf 653 . Dementsprechend greift die Rechtsprechung im Rahmen der Haftung für technisch bedingte Schäden nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. den weiteren einschlägigen Paragraphen - insbesondere den zahlreichen Rekursionen auf die "im Verkehr erforderliche Sorgfalt" wie z.B. in den §§ 833 S. 2, 834 S. 2 oder 836 S. 2 BGB - sowohl zur Konkretisierung der notwendigen äußeren Sorgfalt im Umgang mit technischen Systemen als auch zur Feststellung der Vorhersehbarkeit und des Erfordernisses der Kenntnis bestimmter technischer Gefahren sowie der geeigneten Mittel zur Gefahrenabwehr (innere Sorgfalt) ständig auf technische Normen zurück 654. So ist die Rechtsprechung in einer Vielzahl von Entscheidungen davon ausgegangen, daß demjenigen, der bei Herstellung, Inverkehrbringen, Verwendung, Wiederverwertung oder Entsorgung potentiell gefährlicher technischer Systeme die einschlägigen technischen Normen beachtet hat, ein Verstoß gegen die im Verkehr erforderliche (äußere) Sorgfalt (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB) und somit ein schuldhaft-fahrlässiges Verhalten nicht vorgeworfen werden kann 655 . 652 Sie sind ausdrücklich nicht die einzige, sondern eine wichtige Erkenntnisquelle unter mehreren. Dahl, K , Das DVGW-Regelwerk, S. 384 f.; DIN, Partnerschaft, S. 57; Hartlieb, B. u.a., Erfindung, S. 361; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 30; Möllmann, E. u.a., DIN, S. 9 f.; VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 5 Abschn. 8; Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 105. 653 Marburger, P., Regeln, S. 459 f., 466,473 f. 654 Ebd., S. 456 ff. m.N. aus der Rechtsprechung. 655 Ebd., S. 459 ff., 466 m.N. aus der Rechtsprechung. Vgl. auch Dahl, K , Das DVGW-Regelwerk, S. 384 f.; Franzki, H., Sachverständige im Prozeß, S. 20 f.; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 30. Nach Dahl, K , Das DVGW-Regelwerk, S. 384 f. spricht ein Beweis des ersten Anscheins dafür, daß derjenige, der die technischen Normen anwendet, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bei Planung, Bau und Betrieb technischer Systeme eingehalten hat.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Eine Ausnahme gilt für den Fall, daß eine technische Norm sicherheitstechnisch unzureichend, fehlerhaft, unvollständig oder veraltet ist 656 . Jedoch kann selbst in diesem Fall die Einhaltung der technischen Norm den Schädiger vom Vorwurf der Schuldhaftigkeit oder gar Fahrlässigkeit entlasten, allerdings nur, wenn dieser keine Kenntnis von der Unzulänglichkeit oder Unvollständigkeit der technischen Norm hatte und diese entsprechend dem Standard seines Berufskreises auch nicht haben mußte. Eine umfassende, über offensichtliche Mängel hinausgehende Prüfungspflicht hinsichtlich der in technischen Normen ausdrücklich dargestellten sicherheitstechnischen Lösungen wird vom Normadressaten hingegen nicht verlangt. Dementsprechend existieren zahlreiche Gerichtsentscheidungen, nach denen sich der verantwortliche Techniker innerlich sorgfältig und damit nicht schuldhaft-fahrlässig i.S.v. § 276 Abs. 1 S. 2 BGB verhält, wenn er die einschlägigen technischen Normen beachtet. Er muß jedoch regelmäßig überprüfen, ob der jeweilige konkrete Fall durch die abstrakt-generellen Festlegungen der Norm überhaupt abgedeckt ist und ob die technische Norm eine bestimmte Gefahr eigentlich erfaßt oder ob zusätzliche Sicherheits Vorkehrungen erforderlich sind, weil eine besondere, in der Norm nicht berücksichtigte Gefahrenlage besteht657. Nach Debelius, J., Regeln der Technik, S. 56 spricht bei Einhaltung der einschlägigen technischen Normen eine widerlegliche Beweisvermutung (prima-facie-Beweis) dafür, daß das Erzeugnis den Anforderungen der Sicherheitstechnik entspricht, der Beklagte die erforderliche Sorgfalt gewahrt hat und ihn kein Verschulden trifft, somit ein Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB aufgrund der Verletzung eines nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgutes nicht besteht. Nach Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 211 begründet die Befolgung der technischen Normen die widerlegliche Vermutung dafür, daß die im Verkehr erforderliche Sorgfalt sowohl in zivil- als auch in strafrechtlicher Hinsicht erfüllt worden ist. Nach Stefener, W., DIN-Normen, S. 45 ff. spricht zum einen bei Einhaltung der technischen Normen eine tatsächliche Vermutung dafür, die allgemein anerkannten Regeln der Technik beachtet zu haben. Bei Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik spricht im Zivil- und Strafrecht hinsichtlich der Frage der Kausalität des (fahrlässigen) Verschuldens wiederum eine tatsächliche Vermutung dafür, daß der Betreffende sich ordnungsgemäß verhalten hat. Noch anders formuliert Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 18, daß die Organisations- und Verfahrensprinzipien der technischen Normung die "Erwartung" begründen, daß die technischen Normen einen ausreichenden Sicherheitsstandard gewährleisten. 656 Marburger, P., Regeln, S. 559 zitiert hier weitere Entscheidungen, bei denen durch die Gerichte zur Wahrung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt über die Normfestlegungen hinausgehende Anforderungen gestellt werden, wenn z.B. deren Unzulänglichkeit bei Anwendung der durch die Umstände gebotenen Sorgfalt erkennbar sind. Dabei werden jedoch keine in technischen Normen vorgesehenen Schutzmaßnahmen für unzureichend erklärt; vielmehr handelt es sich regelmäßig um zusätzliche, in den einschlägigen Normen nicht vorgesehene Schutzmaßnahmen. 657 Marburger, P., Regeln, S. 458 ff., 466 ff. m.N. aus der Rechtsprechung.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

399

Hingegen begründet ein Abweichen von technischen Normen aber keine widerlegliche Vermutung bzw. einen prima-facie-Beweis eines Verstoßes gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik oder gar die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, da neben den technischen Normen auch andere sicherheitstechnisch ordnungsgemäße technische Regeln existieren, die dem normativen Standard der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" ebenfalls genügen658. Allerdings hat derjenige, der abweichend von den technischen Normen handelt, im Schadensfall nachzuweisen, daß er mit seiner Vorgehensweise die gleiche Sicherheit auf andere Weise gewährleistet659. (cc) "Gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse" (§ 91 BetrVG) Zu den der sozialen Selbstverwaltung unterliegenden Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung gehören die gewerblichen Berufsgenossenschaften, deren rechtlicher Handlungsrahmen in der Reichsversicherungsordnung (RVO) abgesteckt ist. Die Verknüpfung zwischen der RVO und den von den Berufsgenossenschaften erarbeiteten Unfallverhütungsvorschriften sowie den einschlägigen technischen Normen erfolgt über ausfüllungsbedürftige Begriffe wie die "allgemein anerkannten Regeln der Technik" oder die "gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse"660. Da sich zum einen die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften aufgrund ihres Kooperationsvertrages mit dem D I N auf das Setzen von Sicherheitsmaßstäben beschränken, welche vom D I N durch technische Normen konkretisiert werden, und zum anderen die Rechtssetzungskompetenzen der berufsgenossenschaftlichen Selbstverwaltung im Zuge der Umsetzung der EU-Maschinenrichtlinie in nationales Recht zugunsten der Konkretisierung durch technische Normen schwerwiegende Einschränkungen erfahren haben661, wird der materielle Inhalt der offenen Rechtsbegriffe heute im wesentlichen durch technische Normen bestimmt. Damit sind technische Normen auch hinsichtlich der betrieblichen Arbeits- und Technikge-

658 So zu Recht Marburger, P., Regeln, S. 469 ff., der lediglich eine Ausnahme bei einer selten vorliegenden zwingenden technischen Norm zuläßt, die keine Abweichung erlaubt. Gleichwohl wird in Rechtsprechung und Literatur nicht selten die gegenteilige Ansicht vertreten. Vgl. z.B. Debelius, J., Regeln der Technik, S. 56; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 91 f.; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 29 f.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 140 f. Vgl. femer die entsprechenden Nachweise bei Marburger, P., Regeln, S. 459 ff. und 469. 659 Dahl, K , Das DVGW-Regelwerk, S. 384 f. 660 Peter, G. u.a., Arbeitsschutz, S. 37 f.; vgl. auch Anzinger, R., Verknüpfung der Verweisungstechniken, S. 98. 661 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(4).

400

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

staltung von erheblicher Relevanz, da von den "gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen" auch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 91 BetrVG 662 abhängig ist. (dd) Sonstige offene Rechtsbegriffe Über die genannten Beispiele hinaus kommt technischen Normen, sofern sie als "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik" zu qualifizieren sind, auch für die Auslegung anderer offener Rechtsbegriffe im Zivil- und Strafrecht erhebliche Bedeutung zu 663 . Im Bereich des Zivilrechts spielen technische Normen insbesondere im Verlagsrecht und im Recht der außervertraglichen Haftung eine nicht unerhebliche Rolle. Die Verletzung übernommener Vertragspflichten entsprechend den §§ 433 ff., 631 ff. BGB hat der Schuldner zu vertreten, wenn ihm Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Insbesondere werden technische Normen bei der Bestimmung von Gewährleistungsansprüchen aufgrund der Fehlerhaftigkeit einer Sache, die deren Wert oder Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen (oder dem nach dem Vertrage vorausgesetzten) Gebrauch aufheben oder mindern (§§ 459, 633 BGB), herangezogen664. Die Verletzung von Rechten Dritter hat der Schädiger ebenfalls zu vertreten, wenn er rechtswidrig und fahrlässig gehandelt hat. Der Fahrlässigkeitsbegriff ist ein objektiver, d.h. er ist am Verhaltensstandard der Gruppe zu messen, welcher der Schuldiger bzw. der Schädiger angehört. Bei der Bestimmung des Verhaltensstandards spielen technische Normen infolge der Vermutung eine Rolle, daß sie "(allgemein) anerkannte Re-

662 "Werden die Arbeitnehmer durch Änderungen der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufs oder der Arbeitsumgebung, die den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit offensichtlich widersprechen, in besonderer Weise belastet, so kann der Betriebsrat angemessene Maßnahmen zur Abwendung, Milderung oder zum Ausgleich der Belastungen verlangen." Vgl. dazu auch Kap. I.C.2.b) und Kap. I.D.4. 663 Hinsichtlich ihrer Bedeutung im Zivil-, insbesondere im Vertrags- und Haftungsrecht vgl. Kypke, U., Verbraucherinteresse, S. 114 ff.; Marburger, P., Regeln, S. 427 ff.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 25 ff.; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 21; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 125 ff.; Sonnenberger, H.-J., Grundfragen, S. 8. Hinsichtlich ihrer Bedeutung im Strafrecht vgl. Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 29 ff.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 146 ff.. 664 Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 2; Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 77 ff.; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 69; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 33 f.; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 21; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 125 f., 128.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

401

geln der Technik" sind 665 . Entsprechend den Ausführungen in Kapitel II.A.l.c) bb)(2)(a)(bb) begründet die Einhaltung der einschlägigen technischen Normen einen Beweis des ersten Anscheins für ein einwandfreies und richtiges Verhalten des Herstellers. Denn wer technische Normen anwendet, hält sich an das, was von der Fachwelt für richtig und geeignet zur Gefahrenabwehr angesehen wird. Bei Einhaltung der einschlägigen Normen hat der Hersteller seiner Sorgfaltspflicht, soweit sie auf die Beachtung von technischen Normen bei der Produktion eines Artikels gerichtet ist, genügt; es liegt damit keine Verletzung der Sorgfaltspflicht und kein Verschulden vor. Ausnahme hiervon ist das Vorliegen eines atypischen Sachverhalts - d.h. Fehlerhaftigkeit, Unvollständigkeit, fehlende Aktualität oder fehlende allgemeine Anerkennung der angewandten technischen Normen -, den der Hersteller bei entsprechender Sorgfalt hätte entdecken können. Im Falle der Gefährdungshaftung, bei welcher der Hersteller auch ohne Verschulden haftbar ist, führt die Einhaltung der einschlägigen technischen Normen regelmäßig zum Verneinen des Kausalzusammenhangs666. Auch im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Produkthaftung konkretisieren technische Normen den offenen Rechtsbegriff "wenn sie ... nicht die Sicherheit bietet, die man zu erwarten berechtigt ist" 667 . Darüber hinaus werden technische

665

Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 75 f.; Sonnenberger, H.-J., Grundfragen, S. 8. 666 Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 75 f., 90 ff. Vgl. z.B. § 2 Abs. 1 HPflG: "Wird durch die Wirkungen von Elektrizität, Gasen, Dämpfen oder Flüssigkeiten, die von einer Stromleitungs- oder Rohrleitungsanlage oder einer Anlage zur Abgabe der bezeichneten Energien oder Stoffe ausgehen, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Inhaber der Anlage verpflichtet, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Das gleiche gilt, wenn der Schaden, ohne auf den Wirkungen der Elektrizität, der Gase, Dämpfe oder Flüssigkeiten zu beruhen, auf das Vorhandensein einer solchen Anlage zurückzuführen ist, es sei denn, daß sich diese zur Zeit der Schadensverursachung in ordnungsmäßigem Zustand befand. Ordnungsgemäß ist eine Anlage, solange sie den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht und unversehrt ist." Tatsächlich ziehen Behörden und Gerichte ständig technische Normen heran, um mit ihrer Hilfe die Ordnungsmäßigkeit von Gegenständen, Leistungen oder Verhaltensweisen auf dem Gebiet der Technik zu beurteilen. Dabei läßt die neuere Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte eine deutliche Zurückhaltung erkennen, die Aussagen der technischen Normen in Frage zu stellen. In vielen Fällen gehen die Behörden wie auch die Gerichte davon aus, daß mit Einhaltung der einschlägigen technischen Normen dem rechtlich Geforderten Genüge getan ist. Als Begründung für dieses Vorgehen wird zumeist auf die Art und Weise des Zustandekommens der technischen Normen, deren naturwissenschaftlich-technisch fundierte Aussagekraft sowie deren Anerkennung und Bewährung in der Praxis verwiesen. Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 8 f.; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 842. 667 Vogel, H.-J., Eröffnungsansprache, S. 15.

26 Zubke-von Thünen

402

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Normen im Vertragsrecht bei der Bestimmung der wesentlichen Eigenschaften (§ 119 Abs. 2 BGB) einer Sache rezipiert 668. Nicht nur im öffentlich-rechtlichen 669, sondern auch im zivilrechtlichen Immissionsschutzrecht (§ 906 BGB) haben die Gerichte vielfach auf die VDIRichtlinie 2058 "Beurteilung von Arbeitslärm in der Nachbarschaft" - teils in Ergänzung zur TA Lärm - zur Beurteilung der Erheblichkeit von Lärmimmissionen zurückgegriffen, so daß deren Richtwerte im Ergebnis meistens als die maßgeblichen Abgrenzungskriterien zwischen zulässigen und unzulässigen Lärmeinwirkungen den Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind670. Im Versicherungsrecht eignen sich technische Normen, einen Beurteilungsmaßstab bei der Frage einer Gefahrenerhöhung zu bilden671. Auch im Rahmen des Deliktrechts können technische Normen im Einzelfall relevant werden 672. Große Bedeutung erlangen technische Normen schließlich durch die Aufnahme der Bestimmung in die Allgemeinen Lieferbedingungen der elektrotechnischen Industrie, daß für alle Lieferungen und Leistungen die VDE-Bestimmungen gelten sollen, oder durch die Festlegung in der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB), daß die Vertragsleistung unter Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zu erfolgen hat 673 . Im Strafrecht werden technische Normen - außer im Rahmen von § 323 Abs. 1 und 2 StGB - für die Fragen der Kausalität und des Verschuldens bei Körperverletzungs- (§§ 223, 230 StGB) und Tötungsdelikten (§ 222 StGB) her674

angezogen

668 Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 33 f.; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 21. 669 Vgl. zum Normen- und Regelsystem des Immissionsschutzrechts Kap. ILA. 1 .c) dd)(2). 670 Begründet wurde dies i.d.R. mit der Feststellung, daß sie auf langjähriger wissenschaftlicher Erfahrung beruhen, im Zusammenwirken fachlich kompetenter Vertreter aller interessierten Kreise sorgfältig ausgearbeitet worden und daher allgemein anerkannt sind; folglich sei ihre Anwendung durch die Gerichte frei von Ermessensfehlern. Marburger, P., Regeln, S. 98 m.z.N. aus der Rechtsprechung. 671 Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 69; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 21. 672 Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 69; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 143 ff. 673 Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 32 f. 674 Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 69; Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 36; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 123; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 21.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

403

(c) Mittelbare Rezeption technischer Normen als antizipierte Sachverständigengutachten (aa) Die Rechtsfigur des antizipierten Sachverständigengutachtens Die Qualifikation technischer Normen, aber auch der auf ihnen basierenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften als antizipierte Sachverständigengutachten geht auf Beiträge von Trabandt 675, Schäfer 676 und Plischka677 zurück, wurde von Breuer 678 hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Folgen näher präzisiert und fand mit dem Voerde-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts679 auch Eingang in die höchstrichterliche Rechtsprechung. Diesem Ansatz kommt eine erhebliche praktische Bedeutung zu, da 91 % aller Gerichtsurteile voll und weitere 5 % überwiegend mit den Gutachten übereinstimmen680. Nach den grundlegenden Ausführungen Breuers darf sich der Verwaltungsrichter im Verwaltungsprozeß aufgrund der prozessualen Untersuchungsmaxime (§ 86 VwGO) nicht ohne weiteres mit dem Eingreifen einer normativen oder tatsächlichen Vermutung begnügen, sondern muß von sich aus auch den Möglichkeiten eines atypischen Geschehens nachgehen. Daher kann die Sachentscheidung eines Verwaltungsgerichts nicht allein darauf gestützt werden, daß eine technische Norm einschlägig ist und für deren Übereinstimmung mit den "(allgemein) anerkannten Regeln der Technik", dem "Stand der Technik" oder dem "Stand von Wissenschaft und Technik" eine normative Vermutung oder ein qualifizierter Erfahrungssatz spricht. "Gerade die Amtsermittlung über komplizierte technische Einzelheiten und deren Subsumption unter die pauschalen gesetzlichen Schlüsselformeln stellt die Gerichte indessen oft vor eine schier unlösbare Aufgabe. In dieser Lage sind die Gerichte auf Sachverständigengut-

675

Trabandt, H., Die Regeln der Elektrotechnik, S. 6, spricht hinsichtlich § 2 Abs. 2 der 2. DVO zum EnWG a.F. von der "Vorwegnahme eines Sachverständigengutachtens". 676 Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 121, prägte dann den Begriff des "antizipierten Sachverständigengutachtens" (hauptsächliche Bedeutung technischer Normen sei die prozessuale als Beweislastregeln, die als eine Art antizipierte Sachverständigengutachten in weitem Umfang Einfluß auf die bei der freien Beweis Würdigung des Gerichts zu treffenden Wertungen nähmen). 677 Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 58 bezeichnete sie im Anschluß daran als "allgemeine vorweggenommene Sachverständigengutachten". 678 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 81 ff.; ders., Rechtliche Bedeutung der Verwaltungsvorschriften, S. 34 ff.; ders., Gerichtliche Kontrolle, S. 112. 679 BVerwGE 55, S. 250 (256 ff.). 680 Pieper, H., Sachverständigenwesen, S. 97.

2*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

achten angewiesen, die den gordischen Knoten aus unsicheren Prognosen und subjektiven Wertungen oft ebenfalls nicht aufzulösen vermögen." Als möglichen Ausweg aus diesem Dilemma schlägt Breuer die Möglichkeit vor, daß das (Verwaltungs-) Gericht technische Normen und auf ihnen fußende Verwaltungsvorschriften im Prozeß ähnlich wie Parteigutachten oder Gutachten privater Organisationen als antizipiertes Sachverständigengutachten überprüft und der Sachentscheidung ohne ein weiteres, förmlich eingeholtes Gutachten zugrunde legt. Anders als die widerlegbare normative oder tatsächliche Vermutung kann damit ein antizipiertes Sachverständigengutachten im Verwaltungsprozeß (und im Verwaltungsverfahren) seinem Gewicht entsprechend681 beweisschaffende Wirkung entfalten. Voraussetzung dafür ist, daß die regelbildenden Gremien die Kriterien der besonderen Sachkunde, Repräsentation, Unabhängigkeit und Verfahrenspublizität erfüllen, daß die betreffende Regel hinreichend konkret, differenziert und plausibel und nicht veraltet ist und daß der zu beurteilende konkret-individuelle Sachverhalt keine atypischen Besonderheiten aufweist, die von den abstrakt-generellen Festlegungen der technischen Norm nicht erfaßt werden. Unter diesen Umständen darf ein Gericht eine technische Norm seiner Beurteilung zugrunde legen, ohne nach dem Untersuchungsgrundsatz zu weiterer förmlicher Beweiserhebung verpflichtet zu sein. Zwar sind die Gerichte i.d.R. nicht ohne sachverständige Hilfe in der Lage, zu beurteilen, inwieweit die betreffende technische Norm die Voraussetzungen für die Qualifikation als Sachverständigengutachten erfüllt, so daß zumeist die Einholung eines förmlichen Gutachtens unerläßlich ist. Dieses braucht sich dann jedoch nicht auf die Beurteilung der technischen Sachfrage selbst zu beziehen, sondern hat allein die Qualifikation der betreffenden technischen Festlegung zum Gegenstand, was eine erhebliche Vereinfachung der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung bedeutet. Ein weiteres fachliches Gutachten wäre - wie bei jedem Gutachten - erst dann erforderlich, wenn die technische Norm offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder es Anlaß zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters - hier des zuständigen Normenaus-

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Das Gewicht eines Sachverständigengutachtens hängt grundsätzlich von seiner inhaltlichen Schlüssigkeit und Überzeugungskraft sowie von der Persönlichkeit des Gutachters ab. Dementsprechend wird das Ausmaß, in dem eine technische Regel auf die Willensbildung eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde einwirken kann, von der fachlichen Autorität des Gremiums, der Art ihres Zustandekommens, ihrer inhaltlichen Schlüssigkeit, Plausibilität und Aktualität bestimmt. Diese Würdigungspflicht geht nach ständiger Rechtsprechung sogar so weit, daß ein Richter, der von den Aussagen eines Gutachtens abweichen will, seine abweichende Auffassung hinreichend begründen muß. Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 125 m.N. aus der Rechtsprechung.

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schusses - gibt. Bei fachlichen Divergenzen zwischen dem regelbildenden Verbands- oder Verwaltungsausschuß und einem einzelnen Sachverständigen muß jedoch dem Urteil des Ausschusses aufgrund dessen überlegener fachlicher Legitimation mehr Gewicht beigemessen werden 682. Denn ein so zusammengesetzes Expertengremium ist eher als der einzelne Sachverständige in der Lage, den Stand von Wissenschaft und Technik zu ermitteln und die sicherheitstechnischen Probleme umfassend zu erkennen und zu lösen683. Im Anschluß an Breuer hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem VoerdeUrteil 684 die Immissionsgrenzwerte der TA Luft aufgrund ihres "naturwissen682

Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 206 f. Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 140. 684 BVerwGE 55, S. 250 (256, 258, 260 f.), unter Rekurs auf Breuer, R., Rechtliche Bedeutung der Verwaltungsvorschriften, S. 35, allerdings mit abweichender Argumentation. So nennt das BVerwG zur Begründung seiner These folgende fünf Kriterien: 1. Die gesetzlich vorgeschriebene Art und Weise der Ermittlung der Immissionswerte (BVerwGE 55, S. 250 (256)); 2. Die zentrale Zusammenfassung der Erkenntnisse und Erfahrungen von Fachleuten verschiedener Fachgebiete durch die Bundesregierung (ebd., S. 256, ausgeführt S. 259 f.); 3. Die Funktion der Grenzwerte, den Vollzugsbehörden zentral ermittelte naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln; 4. Die Notwendigkeit abstrakt-genereller Entscheidungsgrundlagen für einen gleichmäßigen Gesetzesvollzug; und 5. Die verläßlichere "Basis" der Grenzwerte gegenüber konkreten Einzelfallermittlungen der Genehmigungsbehörden (zu 3.-5. ebd., S. 257). Vgl. dazu Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 206. Dagegen erkennt Breuer (ebd., S. 34 f., Kap. V: "Heranziehung von Verwaltungsvorschriften nach § 48 BImSchG als antizipierte Sachverständigengutachten aufgrund der Übernahme technischer Regeln") die TA Luft explizit nicht aufgrund der "obligatorischen Anhörung der 'eteiligten Kreise' (§ 51 BImSchG)" durch die Bundesregierung, sondern allein deshalb als antizipiertes Sachverständigengutachten an, da sie "weitgehend die Inhalte sogenannter technischer Regeln [übernimmt], zu denen neben den DIN-Normen auf dem Gebiet des Immissionsschutzes vor allem die VDI-Richtlinien gehören". Letztere können aufgrund "ihres Aufstellungsverfahrens und der Merkmale der regelbildenden Ausschüsse ... als antizipierte Sachverständigengutachten angesehen werden und in dieser Eigenschaft auch gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt werden. ... Soweit Verwaltungsvorschriften die Grenzwerte und die sonstigen Schutzanforderungen der technischen Regeln übernehmen, kann auch ihr Inhalt als antizipiertes Sachverständigengutachten verwertet und gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt werden ... die Autorität und rechtliche Beachtlichkeit antizipierter Sachverständigengutachten [kommt] den Verwaltungsvorschriften nicht originär, sondern ausschließlich derivativ aufgrund und im Umfang der Übernahme technischer Regeln" zu. Zustimmend Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 208. Allerdings führt auch das BVerwG nachfolgend (E 55, S. 250 (258)) aus: "Grundlage der TA Luft [ist] u.a. das Richtlinienwerk der Kommission Reinhaltung der Luft beim 683

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schaftlich fundierten fachlichen Aussagegehaltes", der durch das in den §§ 48, 51 BImSchG vorgeschriebene Verfahren der zentral durch die Bundesregierung ermittelten Erkenntnisse und Erfahrungen von Fachleuten verschiedener Fachgebiete gewährleistet werde und auch für Gerichte bedeutsam sei, "vorbehaltlich besserer Erkenntnisse"685 als antizipiertes Sachverständigengutachten qualifiziert. Am Maßstab dieser Grenzwerte kann nach Auffassung des Gerichts beurteilt werden, ob Immissionen geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft (§ 3 Abs. 1 BImSchG) herbeizuführen. In der Folge haben auch andere Gerichte technische Regeln behördlicher wie außerbehördlicher Stellen als antizipierte Sachverständigengutachten zur Entscheidungsfindung herangezogen686, wobei im Falle von Divergenzen zwischen behördlichen Vorschriften und privaten technischen Normen die Festlegungen aktuelleren Datums - zumeist die der technischen Normen - als antizipierte Sachverständigengutachten verwendet wurden 687. Verein Deutscher Ingenieure e.V. ..., in der über 600 unabhängige Sachverständige und Wissenschaftler an der Feststellung des Standes der Technik, der Untersuchung der Ausbreitungsbedingungen für Gas und Stäube sowie der Wirkung luftverunreinigender Stoffe und der Ermittlung von Meßgeräten und Verfahren zur Feststellung von Emissionen und Immissionen arbeiten". 685 BVerwGE 55, S. 250 (258). Ähnlich führt das Gericht später (ebd., S. 260) aus: "... ist davon auszugehen, daß die Immissionswerte der TA Luft weltweit gewonnene Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse über die Eignung bestimmter Schadstoffe zur Herbeiführung der in § 3 Abs. 1 BImSchG genannten Beeinträchtigungen repräsentieren, sofern sich nicht aufgrund neuer gesicherter Erkenntnisse ergibt, daß die Grenze zwischen schädlicher und unschädlicher Umwelteinwirkung bei einem anderen Emissionswert liegt". 686 Zuletzt BVerwG DVB1. 1993, S. 1149 (1150 f.). Vgl. bzgl. weiterer Nachweise Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 164 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 110 f.; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 189. 687 Denn nicht selten erwiesen sich die Festlegungen in allgemeinen Verwaltungsvorschriften gegenüber denen der weiterentwickelten technischen Normen als veraltet. So Schloß Marburger, P., Regeln, S. 93 1979 aus dem Vorliegen einer stark veränderten Neuausgabe der VDI-Richtlinie 2058 zum Lärmschutz, daß die auf der alten Ausgabe der VDI- Richtlinie basierende TA Lärm "derzeit nur noch bedingt als Richtlinie zur Konkretisierung der Lärmschutzanforderungen nach dem BImSchG geeignet ist". Vgl. dazu auch Backherms, J., Recht und Technik, S. 13; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 42 ff.; Lukes, R. u.a., Länderbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 165 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 100; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 31 f. Beispielsweise hat das OVG Münster, GewArch 1979, S. 68 f. bezüglich bestehender Divergenzen zwischen der TA Lärm und der aktuelleren VDI-Richtlinie 2058 "Beurteilung von Arbeitslärm in der Nachbarschaft" (Ausgabe Juni 1973) ausgeführt, daß für die rechtliche Beurteilung "in der Regel die neuere Vorschrift zugrunde zu legen" sei, und seiner Entscheidung dementsprechend die Grenzwerte der neueren VDI-Richtlinie herangezogen.

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(bb) Kritik an der Rechtsfigur des antizipierten Sachverständigengutachtens Nach diesem anfänglich "ungebremsten Eingang in die Verwaltungs- und verwaltungsgerichtliche Praxis" und die wissenschaftliche Literatur 688 begegnete die These, abstrakt-generelle technische Spezifikationen in allgemeinen Verwaltungsvorschriften oder anderen untergesetzlichen Regelungen wie technischen Normenwerken könnten der Gerichtsentscheidung als antizipierte Sachverständigengutachten zugrundegelegt werden, binnen kurzem erheblichen dogmatischen Bedenken und wurde in der Folge von einer zunehmenden Anzahl von Stimmen in Rechtsprechung und Literatur abgelehnt689. α) Kritik bezüglich der Vielfalt der normativen Standards Erstens wird argumentiert, daß sich technische Regeln und specialiter technische Normen nur dann als antizipierte Sachverständigengutachten über die "(allgemein) anerkannten Regeln der Technik", den "Stand der Technik", den 688

Papier, H.-J., Verwaltungs Vorschriften im Recht der Technik, S. 161. Für die Rechtsfigur des antizipierten Sachverständigengutachtens: BVerwGE 55, S. 250 (256 ff.). Vgl. aus der Literatur: Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 81 ff.; ders., Rechtliche Bedeutung der Verwaltungsvorschriften, S. 34 ff.; Franzki, H., Sachverständige im Prozeß, S. 20 f. (antizipierte abstrakte Sachverständigengutachten); Lukes, R., Atomrecht, S. 246 (vorweggenommene Sachverständigenstellungnahmen); Marburger, P., Bezugnahme, S. 37; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 29; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 125 ff.; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 850; ders., Rechtsvorschriften für Anlagen, S. 25; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 58; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 121; Scholz, R., Technik und Recht, S. 696 f.; ders., Verhältnis, S. 91, 106; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 195 ff. Mit gewissen Einschränkungen auch Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 19 f. 689 Vgl. die Nachweise aus der Rechtsprechung bei Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 110 f. Aus der Literatur vgl. Backherms, J., Recht und Technik, S. 13 f.; Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 155 ff.; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 113 ff.; Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 91; ders., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 63; Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 157 ff.; ders., Regeln, S. 286 ff., 298; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 164 ff.; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 175; Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 160 f., 164 ("beweisrechtliche Verlegenheitskrücke"); Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 44; Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 141 f.; Scholz, R., Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 137; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 13; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 19 f. Eingeschränkt Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 210 ff., der von einer falsa demonstratio, einer falschen Begriffswahl, nicht jedoch von einem Irrtum in der Sache spricht.

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"Stand von Wissenschaft und Technik" in einem bestimmten Sachgebiet der Technik qualifizieren lassen, wenn die Normenwerke genau das wiedergeben, was nach dem Gesetz unter diesem normativen Standard zu verstehen ist 690 . Da die Rechtsordnung eine Vielzahl unterschiedlicher normativer Standards unterscheidet691, müßten dementsprechend auch die Normen werke einer Vielzahl unterschiedlicher Standards genügen. Dies ist aus mehreren Gründen zweifelhaft: Zum ersten bleibt selbst in Rechtsprechung und juristischer Literatur die inhaltliche Bedeutung der Standards und insbesondere die Frage, ob mit unterschiedlichen Standards jeweils ein unterschiedliches Sicherheitsniveau bezeichnet werden solle, umstritten. Zum zweiten nehmen die an der Normung interessierten Kreise wenig Rücksicht auf die in Gesetzen und Verordnungen formulierte Vielzahl unterschiedlicher Standards, sondern richten ihr Sicherheitsstreben am Risikopotential des jeweiligen technischen Systems und an der traditionellen, bewährten und durchweg geübten Praxis des Ingenieurs aus, die Sicherheit seiner Konstruktionen durch die Berücksichtigung von großzügigen Sicherheitsfaktoren in seinen Berechnungen zu gewährleisten. Und zum dritten entwickelt sich der in den interessenpluralistisch zusammengesetzten Ausschüssen erarbeitete Kompromiß aus dem Ausgleich der bezüglich der Lösung der technischen Problemstellung beteiligten Interessen, orientiert sich jedoch nicht an der normativen Schutzzielbestimmung692. ß) Kritik bezüglich der Erfüllung der an den Sachverständigen und sein Gutachten zu stellenden Anforderungen Zweitens stellt die Rechtsordnung gewisse Anforderungen an den Sachverständigen und sein Gutachten - nämlich Sachkunde, Unparteilichkeit, Objektivität und Unabhängigkeit693 -, denen auch ein technischer Regelsetzer und die von

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Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 844. Vgl. Kap. H.A. 1 .c)bb)(2)(a)(dd). 692 Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 844; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 208. Dementsprechend spricht sich Vieweg, K., Atomrecht und technische Normung, S. 44. ff. für eine Institutionalisierung präziser Vorgaben für die an dem Normungsprozeß Beteiligten aus, welchem qualitativen Anspruch bzw. normativen Standard ihre Regeln zu genügen haben. 693 Voraussetzung der Würdigung einer Stellungnahme als (antizipiertes) Sachverständigengutachten ist zunächst die besondere Sachkunde und Eignung des Gutachters (vgl. z.B. § 36 Abs. 1 GewO (Gewerbeordnung i.d.F.d. Bekanntmachung v. 01.01.1987 (BGBl. I, 1987, Nr. 8, S. 425-461), zul. geänd. d. GewO/GastGÄndG v. 23.11.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 83, S. 3475-3485))), zu der bei der Beurteilung technischer Sachverhalte auch die technische Ausstattung und die fachübergreifende Zusammenarbeit von Angehörigen der verschiedenen betroffenen Fachrichtungen (vgl. z.B. § 12 Abs. 1 691

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ihm erstellte Regel insbesondere hinsichtlich der personellen Besetzung der regelerstellenden Gremien und des Verfahrens zur Regelerstellung genügen muß, wenn dieses in einem Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren als sachverständige Äußerung Berücksichtigung finden soll. Während das Kriterium der Sachkunde, soweit ersichtlich, aufgrund der Besetzung der Ausschüsse mit Experten der verschiedenen betroffenen Wissensgebiete (z.B. Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Medizin) sowie der unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche (z.B. Industrie, Handel, technische Überwachung, Behörden, Wissenschaft) unstreitig als erfüllt gilt, werden die Eigenschaften der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit sowohl allgemeinen Verwaltungsvorschriften bzw. sonstigen öffentlich-rechtlichen technischen Regeln als auch privaten technischen Normen in Teilen der Literatur abgesprochen694. Denn hinsichtlich der ersteren ist beispielsweise im Atomrecht die Exekutive nicht nur Autor der dieses Regelungsgebiet betreffenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften, Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke und anderer technischer Regeln, sondern zugleich als öffentlicher Unternehmer auch Partei diesbezüglicher Verwaltungsstreitverfahren 695. Im Hinblick auf die technischen Normen der privaten normschaffenden Institutionen sind zwar die technischen Normenausschüsse als selbständige Untergliederungen rechtsfähiger Privatrechtskörperschaften dem unmittelbaren Zugriff einzelner Interessenten entzogen. Bedenken gegen deren Objektivität und Neutralität könnten sich jedoch

Nr. 11 AtG) gehört. Hinzu kommt die "vornehmste Pflicht des gerichtlichen Sachverständigen" zur Objektivität und Unparteilichkeit bei der Gutachtenerstellung (vgl. die §§ 20, 21 VwVfG sowie § 65 VwVfG i.V.m. den §§ 406, 42, 41 Nr. 1-4 und 6 ZPO). Vgl. dazu Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 207; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 194, der zusätzlich die Eigenschaften Konkretheit und Aktualität der Sachverständigenaussagen fordert. 694 Für die Erfüllung der letztgenannten Kriterien durch technische Normenwerke: Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 844, 847; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 208; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 173 ff., 233 ff. Kritisch bezüglich der Erfüllung der Kriterien bezüglich behördlicher technischer Vorschriften Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 842 ff.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 207 f., und bezüglich technischer Normen Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 168 f.; Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 66 (der jedoch einräumt, daß es bei Entscheidungen an der Front wissenschaftlicher und technischer Erkenntnisbildung kaum Unparteilichkeit geben kann, und somit die einem Sachverständigengremium gesetzlich eingeräumte Standardisierungsaufgabe auch zugleich einen Auftrag zur Wertung enthält). 695 Breuer, R., Rechtliche Bedeutung der Verwaltungsvorschriften, S. 35; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 207 f., die jedoch beide den Einwand dadurch entkräftet sehen, "daß die Autorität und rechtliche Beachtlichkeit antizipierter Sachverständigengutachten den Verwaltungsvorschriften nicht originär, sondern ausschließlich derivativ aufgrund und im Umfang der Übernahme technischer Regeln zukommt".

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aus dem Übergewicht einzelner Interessengruppen ergeben. Denn der Mitarbeiterkreis der Normungsgremien setzt sich, neben Vertretern von Behörden, technischer Überwachung, Wissenschaft, Verbraucherverbänden, Umweltschutzverbänden und anderen zum größten Teil aus Fachleuten der finanzstarken Wirtschaftsunternehmen in ihren verschiedenen Funktionen als Produzent, Importeur, Händler und Abnehmer zusammen. Damit ist es unvermeidbar, daß neben technisch-wissenschaftlichem Sachverstand auch andere, insbesondere wirtschaftliche, Interessen eingebracht werden. Gegen diese Tatsache gibt es prinzipiell nichts einzuwenden. Vielmehr wäre es lebensfremd und unvernünftig, wollte man sicherheitstechnische Normen ohne Rücksicht auf ökonomische Notwendigkeiten aufstellen. Auch das technische Sicherheitsrecht muß die gesamtwirtschaftlichen Belange berücksichtigen, zielt also auf einen Kompromiß zwischen Sicherheit und Wirtschaftlichkeit ab, wobei die Sicherheit im Zweifel Vorrang hat. Es entspricht somit den rechtlichen Vorgaben, wenn bei der Aufstellung sicherheitstechnischer Normen wirtschaftliche Gegebenheiten Beachtung finden. Jedoch besteht die Gefahr, daß in der Ausschußarbeit partikuläre Interessen dominieren und so das sicherheitstechnisch Notwendige mit Rücksicht auf Rentabilitätsgesichtspunkte vernachlässigt wird. Dieser Gefahr suchen die Normungsverbände durch ihre Verfahrensrichtlinien vorzubeugen, indem sie eine ausgewogene interessenrepräsentative Besetzung der Ausschüsse, den Vorrang des Konsensprinzips vor dem Mehrheitsprinzip bei Entscheidungen, die Veröffentlichung der Norm-Entwürfe und die Möglichkeit eines Einspruchsverfahrens einschließlich Schlichtungsund Schiedsverfahren 696 vorsehen. Darin liegt zwar keine institutionelle Garantie der gebotenen Interessenbalance; dennoch werden die Ergebnisse der Normungsarbeit, wie die Praxis zeigt, in den weitaus meisten Fällen sowohl den Postulaten der Ausgewogenheit und Neutralität als auch den sicherheitstechnischen Erfordernissen gerecht 697. Da im übrigen auch Sachverständige oftmals interessengeprägt seien und von einem Einzelsachverständigen daher nur selten Objektivität und Neutralität erwartet werden könne, wird die Interessenrepräsentanz aller Betroffenen in einem regelerstellenden Gremium vielfach sogar als die beste Lösung zur Erarbeitung sachverständiger Aussagen angesehen698. 696 Vgl. bezüglich des DIN Kap. II.A.l.a)dd)(3), hinsichtlich der DKE Kap. ILA.l.a) ee)(4), in bezug auf den VDI Kap. II.A.l.a)ff)(l) und in puncto DVGW Kap. ILA.l.a) ff)(2). 697 Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 19; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 187 ff., 206 f., 232 ff. 698 Lukes, R., Atomrecht, S. 246; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 194 f., 234 f., der dazu ausführt, daß das Kriterium der fachlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit bei kollegialen regelerstellenden Gremien bereits dann als erfüllt

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γ) Kritik bezüglich der fehlenden Begründung und der mangelnden Konkretheit technischer Regeln Drittens lassen die technischen Regeln vielfach eine nachprüfbare Begründung ihrer Ergebnisse vermissen, die im Rahmen der freien Beweiswürdigung durch den Richter zur Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit und der Beurteilung von eingeflossenen Interessen und Zielvorstellungen notwendig ist 699 . In diesem Zusammenhang wird auch bemängelt, daß es sich bei den Festlegungen der technischen Regeln um abstrakt-generelle Aussagen bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt des wissenschaftlich-technischen Erkenntnisstandes handelt, nicht aber um die Begutachtung eines konkreten Einzelfalles zum Zeitpunkt der richterlichen Beweisaufnahme 700. Daraus resultiert die Forderung nach einem hohen Auflösungsgrad der Sachaussagen, also eine auch für die Einzelanwendung hinreichend konkrete und differenzierte Information sowie eine verfahrensmäßige Gewährleistung ihrer Aktualität durch die im Verfahren institutionalisierte Pflicht zur Beobachtung der Veränderungen des Standes von Wissenschaft und Technik und gegebenenfalls die Änderung der technischen Normen. Daß allerdings die Mehrzahl der technischen Normen unverändert oder mit nur geringen Modifikationen von Unternehmen als Werknormen oder -fassungen übernommen wird, spricht für deren hinreichenden Auflösungsgrad, die festgelegten Überarbeitungsfristen für ihre Aktualität701.

gelten kann, wenn das regelerstellende Gremium als solches fachlich weisungsfrei ist, da etwaige fachliche Weisungsbindungen der einzelnen Experten durch eine entsprechende verfahrensmäßig abgesicherte Repräsentanzkonstellation mit ergänzendem Quorumserfordernis in ausreichendem Maße ausgeglichen werden. Denn durch die Kumulation interessenspezifischen SachVerstandes ist es möglich, im Wege der gremiuminternen Kontrolle die angestrebte Neutralisierung und Verobjektivierung der Aussage zu erreichen. 699 Zu fordern wäre diesbezüglich eine Dokumentation des Einigungsprozesses, die so ausführlich wie nötig und so knapp wie möglich die technischen und volitiven Gründe für die Auswahl bzw. das Verwerfen von Lösungen, die Festlegung von Grenzwerten usw. enthält, so daß der Entscheidungsprozeß nachvollziehbar wird. Beispielsweise erarbeitet der Kerntechnische Ausschuß begleitend zum Regelerstellungsverfahren eine Dokumentationsvorläge, in der insbesondere Überlegungen, Vorgehen und Meinungsbildung während der Regelerarbeitung dokumentiert werden. Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 46, 206. 700 Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 92; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 844, 847; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 209. 701 Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 195, 207, 238.

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δ) Kritik bezüglich der in technischen Regeln getroffenen volitiven Wertentscheidungen Viertens wird als wohl schwerwiegendstes Argument angeführt, daß es sich bei den Festlegungen technischer Regeln nicht um bloße Transformationen faktischer Gesetzlichkeiten und um wertneutrale Beschreibungen empirischer Sachverhalte auf der Basis naturwissenschaftlichen und technischen Sachverstandes handelt, sondern auch um volitive Wertentscheidungen von tatbestandlich normierten Wertungsfragen (wie z.B. "schädliche Umwelteinwirkungen", "erhebliche Nachteile" oder "erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft" in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG). Insbesondere dann, wenn nicht nur über technische Minimalanforderungen zur Gefahrenabwehr, sondern über zukunftsgestaltende Vorsorgemaßnahmen zu entscheiden ist, gilt es die naturwissenschaftlich-technischen Gesetzlichkeiten mit den ökonomischen Daten und politisch-gesellschaftlichen Erfordernissen und Zielsetzungen in Einklang zu bringen, mithin also politische, soziale, ökonomische und ökologische Zielkonflikte zu lösen, was nicht von privatem Sachverstand antizipiert werden kann. Denn indem technische Regeln Entscheidungen über den Grenzbereich beispielsweise von schädlichen und unschädlichen Umwelteinwirkungen beinhalten, treffen sie Aussagen über das rechtlich Erlaubte bzw. Verbotene, die allein den staatlichen Instanzen vorbehalten sind702. In diesem Sinne hat beispielsweise der VGH Baden-Württemberg hinsichtlich der erforderlichen Vorsorge i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ausgeführt, daß die entsprechenden Bestimmungen der TA Luft (insbesondere Nr. 2.4.3 und 3.1.2.4) "nicht Ausdruck besonderen technischen Sachverstandes, sondern vielmehr Ergebnis einer umweltpolitischen Wertung" 703 seien und mithin als Willensentscheidung und Ergebnis von Wertungen und Abwägungen politischer Instanzen nicht als wissenschaftlich-technisches Sachverständigengutachten angesehen werden kön-

702 Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 114 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 164 ff.; Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 161; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 44; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 210; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 206. A.A. - die Beinhaltung voliti ver Wertentscheidungen stehe der Qualifizierung technischer Normen als antizipiertes Sachverständigengutachten nicht entgegen - Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 140; ders., Technische Sicherheit, S. 19 f.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 127 f. 703 VGH Bad.-Württ., GewArch 1980, S. 197 (201). 704 Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 842; Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 161; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 207 ff., 210; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 13.

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ε) Kritik bezüglich der Notwendigkeit der Rechtsfigur des antizipierten Sachverständigengutachtens Über die genannte sachliche Kritik hinausgehend stellen schließlich einige Autoren sogar die Notwendigkeit der Rechtsfigur des antizipierten Sachverständigengutachtens in Frage. Dies wird erstens damit begründet, daß im Ergebnis kein Unterschied zwischen dem antizipierten Sachverständigengutachten und dem Beweis des ersten Anscheins aufgrund eines qualifizierten Erfahrungssatzes für die Übereinstimmung der Festlegungen der einschlägigen technischen Normen mit den jeweiligen normativen Standards besteht. Bei Vorliegen abstrakt-genereller technischer Festlegungen ändert sich für den Richter das Beweisthema, und die materielle Beweislast verlagert sich im Falle des non liquet auf den Kläger. Hierdurch wird erreicht, daß sich die richterliche Überprüfung im Regelfall auf die Einhaltung der jeweiligen abstrakten Festlegungen, den Ausschluß atypischer Fälle sowie die Erfüllung der formellen Voraussetzungen des Erfahrungssatzes beschränken kann 705 . Zweitens hat das antizipierte Sachverständigengutachten nur eine geringe Konkretisierungswirkung, da auch die Sachverständigenaussage - die vorweggenommene im besonderen Maße - der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegt und bereits durch eine entgegengesetzte Sachverständigenaussage in ihrer Beweiskraft erschüttert werden kann 706 . Damit liegt es nicht nur im Ermessen des Gerichts, ob es das Vorliegen der gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzungen nur durch die Verwertung der Festlegungen des antizipierten Sachverständigengutachtens überprüfen und lediglich ein Gutachten über die Aktualität der Richtwerte bzw. deren Sachgerechtigkeit für den konkreten Einzelfall einholt oder zusätzlich auch noch individuelle Sachverständigenaussagen gemäß den prozessualen Vorschriften heranziehen will. Es ist auch die Widerlegung des antizipierten Sachverständigengutachtens mit einem einfachen Sachverständigenbeweis möglich707. "Daß dies der angestrebten Rechtssicherheit bei der Konkretisierung der Genehmigungsvoraussetzungen ... nicht gerade dienlich ist, liegt auf der Hand." 708 Wie bereits zuvor ausgeführt, wird jedoch im Zweifel technischen Regeln von Expertengremien - insbesondere technischen Normen - der Vorrang gegenüber abweichenden Auffassungen einzelner Sachverständiger eingeräumt, sofern jene in einem rechtsstaatlichen Ansprüchen genügenden, festgelegten Verfahren unter ausgewogener Beteiligung der betroffe705 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 215. Ihm folgend Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 164 ff. 706 Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 91 f. 707 Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 65. 708 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 109.

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nen Interessen erarbeitet, in allgemein zugänglicher Form publiziert und regelmäßig dem fortgeschrittenen Stand der Technik angepaßt werden 709. Denn hinsichtlich der besonderen Sachkunde vereinigen die regelerstellenden Gremien ein so hohes Maß an Sachverstand in sich, daß es kaum denkbar ist, diesen breiten Konsens der führenden Fachleute, der unter der Mitwirkungsmöglichkeit der Öffentlichkeit zustandegekommen ist, diesbezüglich zu überbieten710. Drittens wird schließlich argumentiert, daß eine unmittelbare Verwertung technischer Normen durch Gerichte und andere Rechtsanwender - sei es im Wege des Urkundsbeweises, sei es im Wege der Heranziehung allgemein zugänglicher Informationsquellen - prozessual ohnehin keine Probleme aufwerfe. Auch ohne die Dogmatik des antizipierten Sachverständigengutachtens haben Gerichte bei der Anwendung von Rechtsvorschriften sowohl des Verwaltungsrechts als auch des Zivil- und Strafrechts insbesondere im Zusammenhang mit der Konkretisierung offener Rechtsbegriffe auf technische Normen zurückgegriffen, ohne daß eine solche Bezugnahme in dem betreffenden Gesetz oder den einschlägigen untergesetzlichen Regelungen vorgesehen wäre 711 . Die Rezeption technischer Normen kann entweder durch die Behörden und Gerichte direkt erfolgen oder auch indirekt, indem berufene Sachverständige auf sie zurückgreifen. Denn auch Sachverständige kommen nicht umhin, sich der technischen Normen zu bedienen, da sie ansonsten für jeden Einzelfall die Arbeit leisten müßten, die von den regelerstellenden Gremien in abstrakt-genereller Form für alle gleichartigen Fälle geleistet wird. Ein einzelner Sachverständiger, "der als Person auch auf seinem Fachgebiet nicht allwissend sein kann", ist damit regelmäßig überfordert 712.

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Marburger, P., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 29. Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 848 ff. 711 Auf judikativer Ebene haben technische Normen schon zu Zeiten des Reichsgerichts als Entscheidungskriterien Verwendung gefunden. Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 186 m.N. aus der Rechtsprechung. Zur nachkonstitutionellen Rechtsprechung vgl. die zahlreichen Nachweise bei Marburger, P., Regeln, S. 341 ff., 505 ff.; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 187 f. Vgl. femer Marburger, P., Bezugnahme, S. 36 f.; Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2636; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 11. Wenn technische Normen durch rechtskräftiges Urteil unter Prozeßparteien rechtliche Verbindlichkeit erlangen - z.B. wenn das Gericht im Haftpflichtprozeß die Sorgfaltspflichten bei der Herstellung oder Verwendung elektrischer Anlagen nach bestimmten VDE-Bestimmungen bemißt - handelt es sich regelmäßig nur um eine auf den konkreten Fall bezogene Rechtsgeltung inter partes. Denn eine über die Wirkung der materiellen Rechtskraft hinausreichende Präjudizienbindung ist dem deutschen Rechtssystem fremd. Marburger, P., Regeln, S. 346 f.; ders., Bezugnahme, S. 32; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 186. 712 Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 848 ff. 710

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Die genannte Kritik führte schließlich dazu, daß das Bundesverwaltungsgericht die Rechtsfigur des antizipierten Sachverständigengutachtens im WyhlVerwaltungsvorUrteil 713 zugunsten der Theorie der normkonkretisierenden schrift aufgegeben hat, woraufhin sich Rechtsprechung und Literatur dieser Ansicht in zunehmendem Maße angeschlossen haben714. Dementsprechend ist die Rechtsfigur des antizipierten Sachverständigengutachtens im Rahmen der mittelbaren Rezeptionsmethoden von zunehmend vernachlässigbarer Bedeutung. (d) Mittelbare Rezeption technischer Normen auf öffentlichen Märkten Schließlich werden technische Normen in großem Umfang von der öffentlichen Verwaltung, bei öffentlichen Ausschreibungen sowie bei Beschaffungsmaßnahmen der öffentlichen Verwaltung und anderer öffentlicher Auftraggeber herangezogen, wozu sich die Bundesregierung - unbeschadet ihrer internationalen Verpflichtungen - in § 8 des am 5. Juni 1975 zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem DIN geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrages verpflichtet hat 715 . Für den Bürger entfalten die technischen Normen auf diese Weise keine unmittelbare, wohl aber eine mittelbare Β indungsWirkung in den Fällen, in denen er Geschäfte mit Unternehmen oder Institutionen innerhalb der staatlichen Einflußsphäre zu tätigen beabsichtigt716. Wenn beispielsweise in den Versorgungsbedingungen eines öffentlichen Energieversorgungsunternehmens nur eine Belieferung normenkonformer Anlagen vorgesehen ist, dann bedeutet das bei der monopolartigen Stellung dieser Unternehmen in der Praxis, daß nur noch normenkonforme Anlagen vermarktungsfähig sind. Ebenso kann die öffentliche Hand aufgrund ihrer wirtschaftlichen Macht den von öffentlichen Aufträgen stark abhängigen Wirtschaftszweigen (z.B. Luftfahrt oder Wehrtechnik) die Beachtung der technischen Normen auch ohne deren Rezeption in Rechtsvorschriften praktisch aufzwingen 717. cc) Regelungszweck Wie aus den Beispielen der vorangegangenen Kapitel ersichtlich, werden technische Normen nicht nur im öffentlichen Recht - hier insbesondere im Um-

713 714 715 716 717

BVerwGE 72, S. 300 (320 f.). Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 115. Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(5). Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 35 f. Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 37 f.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

weit- und Technikrecht als Teilgebiet des Verwaltungsrechts - rezipiert, sondern in erheblichem Umfang auch im Privat- und im Strafrecht. Dementsprechend vielgestaltig ist der Regelungszweck der Rechtsnormen, die auf technische Normen Bezug nehmen. Es handelt sich dabei neben den genannten Regelungen bezüglich des Wirtschaftslebens 718 und zur Beurteilung von Straftatbeständen hauptsächlich um Bestimmungen, die zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Menschen, seiner Sachgüter und der Umwelt 719 regelmäßig zur Abwehr von Gefahren und zum Teil auch zur Vorsorge gegen Risiken der Technik besondere Anforderungen an die Prozesse der Herstellung, Verwendung, Wiederverwertung und Entsorgung technischer Systeme sowie an diese Systeme selbst stellen720. Dabei kennzeichnet der aus dem traditionellen Polizeirecht stammende Gefahrenbegriff eine Sachlage, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die zu schützenden Rechtsgüter führt 721. Für Kausal Verläufe unterhalb der - wie auch immer defi718

Die neben dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im allgemeinen u.a. den Schutz von gewerblichen und nichtgewerblichen Abnehmern, den Schutz der Allgemeinheit vor Vermögensnachteilen, den Datenschutz sowie allgemein den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bereich der Wirtschaft zum Ziel haben. Vgl. dazu die Untersuchungen in den Unterabschn. des Kap. I.C. Vgl. auch Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 20 m.N. 719 Wobei die Regelungen nicht nur Flora und Fauna, sondern auch Luft, Wasser, Boden, den optimalen Einsatz von Ressourcen u.a.m. betreffen. Vgl. dazu die Ausführungen zur Umweltschutzfunktion in Kap. I.C.2.1). 720 Vgl. z.B. § 1 Nr. 2 AtG: "Zweck dieses Gesetzes ist es, ... Leben, Gesundheit und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie und der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen zu schützen ...", § 1 BImSchG: "Zweck des Gesetzes ist es, Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkungen ... zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen." und § 3 Abs. 1 S. 1 und 2 GSG: "Technische Arbeitsmittel dürfen nur in den Verkehr gebracht werden, wenn ... Leben oder Gesundheit oder sonstige ... Rechtsgüter der Benutzer oder Dritter bei bestimmungsgemäßer Verwendung nicht gefährdet werden. Technische Arbeitsmittel, für die in Rechtsverordnungen nach diesem Gesetz keine Anforderungen enthalten sind, dürfen nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie ... so beschaffen sind, daß Benutzer oder Dritte bei ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung gegen Gefahren aller Art für Leben oder Gesundheit soweit geschützt sind, wie es die Art der bestimmungsgemäßen Verwendung gestattet." Vgl. dazu auch Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 15; Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 16; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 26; Plagemann, H. u.a., Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 5; Schachtschneider, Κ. Α., Umweltverträglichkeit, S. 473; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 20. Vgl. ferner die Ausführungen in Kap. I.A.l.e). 721 Das preußische OVG definierte die polizeirechtliche Gefahr stets als "Sachlage, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt", wobei als Maßstab für das Vorliegen einer hinreichenden Wahr-

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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nierten - Gefahrenschwelle hat sich im Anschluß an wegweisende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 722 der Begriff des Risikos durchgesetzt, welches sich - wie die Gefahr - als Produkt aus Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmt. Beide Begriffe gehen also ineinander über. Während für die Mehrzahl der Regelungsgebiete des Umwelt- und Technikrechts lediglich die Abwehr von Gefahren vorgeschrieben wird, hat der Gesetzgeber für gewisse technische Systeme mit einem nachgewiesenermaßen hohen Schadenspotential wie beispielsweise überwachungsbedürftige Anlagen i.S.d. BImSchG, Anlagen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie oder der Gentechnik darüber hinaus die Vorsorge gegen Risiken zur Pflicht gemacht723. Neben dem sich in diesen Aussagen materialisierenden Schutzzweck von Rechtsgütern gegen die Gefahren und Risiken der Technik wird durch die entsprechenden Rechtsnormen in aller Regel zugleich ein Förderungszweck in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht im Sinne der Schaffung der unterneh-

scheinlichkeit die allgemeine Lebenserfahrung herangezogen wurde. Seilner, D., Bewertung technischer Risiken, S. 183 m.z.N. aus der Rechtsprechung des preußischen OVG, des BVerwG und der Literatur. Vgl. auch die bei Lukes, R., Gefahren und Gefahrenbeurteilung, S. 21 ff. und Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 95 wiedergegebenen Formulierungen, ebenfalls jew. m.z.N. Im Umwelt- und Technikrecht hat sich in Anlehnung an den Risikobegriff der Naturwissenschaften als Produkt aus Schadensumfang und Eintrittswahrscheinlichkeit die Forderung durchgesetzt, daß die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts proportional zum möglichen Schadensumfang zu reduzieren ist (Je-desto-Formel), wobei die Wahrscheinlichkeit entsprechend dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis durch Sachverständige ermittelt wird. Sellner, D., Bewertung technischer Risiken, S. 183 f. 722 BVerfGE 49, S. 89 (137 ff.); 53, S. 30 (59). 723 Vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG: "Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn ... die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist, ...",§ 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG: "Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, daß ... Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung, ...", § 1 Nr. 1 GenTG: "Zweck dieses Gesetzes ist es,... Leben und Gesundheit von Menschen, Tiere, Pflanzen sowie die sonstige Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge und Sachgüter vor möglichen Gefahren gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen ..." sowie § 6 Abs. 2 S. 1 GenTG: "Der Betreiber hat die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um die in § 1 Nr. 1 genannten Rechtsgüter vor möglichen Gefahren zu schützen und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen." Vgl. auch Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 52 f.; Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 186 ff. sowie die folgenden Ausführungen zu den Regelungssystemen des Immissionsschutzes und der Kernenergie. Bezüglich der vorhandenen Begriffsverwirrung hinsichtlich der Ausdrücke Gefahr, Risiko und Restrisiko vgl. die Ausführungen von Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 35.

27 Zubke-von Thünen

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merischen Investitionssicherheit und der Durchsetzung neuer Technologien angestrebt724, wobei der Schutzzweck regelmäßig Priorität vor dem Förderungszweck genießt725. dd) Regelungsstruktur Die Regelungsstruktur der Bezugnahme auf technische Normen im deutschen Recht ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß in den entsprechenden Rechtsnormen auf detaillierte technische Spezifikationen zugunsten der Inkorporation des Inhalts technischer Normen, der Verweisung auf eine oder mehrere technische Normen, auf ein ganzes Normenwerk oder allgemein den Verweis auf die "(allgemein) anerkannten Regeln der Technik", den "Stand der Technik", den "Stand von Wissenschaft und Technik" oder andere offene Rechtsbegriffe, in deren Rahmen dann regelmäßig eine administrative oder judikative Rezeption technischer Normen stattfindet, verzichtet wird. Dabei kann die rechtliche Normierung sowohl sämtliche Phasen des Lebenszyklus eines technischen Systems, insbesondere726 die Herstellung 727 bzw. die Einfuhr 728, den

724

"Es ist nicht nur Technikfolgenbegrenzungsrecht, sondern meist auch Technologieförderungsrecht, nie aber Technikverhütungsrecht." Murswiek, D., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 209 m.w.N. Der Förderungszweck wird teils explizit - vgl. § 1 Nr. 1 AtG: "Zweck dieses Gesetzes ist es, ... die Erforschung, die Entwicklung und die Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken zu fördern", oder § 1 Nr. 2 GenTG: "Zweck dieses Gesetzes ist, ... den rechtlichen Rahmen für die Erforschung, Entwicklung, Nutzung und Förderung der wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Gentechnik zu schaffen." -, teils implizit - z.B. im BImSchG - in den Rechtsnormen zum Ausdruck gebracht. Vgl. zum letzteren auch Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 84 f. m.z.N. aus Rechtsprechung und Literatur; ferner Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 35; Marburger, P., Regeln, S. 130 ff.; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 11 ff.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 26 ff. 725 Vgl. zum Kernenergierecht BVerfGE 53, S. 30 (58) unter Verweis auf BVerwG, DVB1. 1972, S. 678 (680); vgl. allgemein Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 84 f. m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur. 726 Die folgende Aufzählung umfaßt zwar die wesentlichen Prozeßabschnitte des Lebenszyklusses technischer Systeme, ist jedoch nicht als vollständig anzusehen; beispielsweise werden in den §§ 4 ff. AtG und im § 1 Abs. 1 S. 1 i.V.m. den §§ 7 ff., 17 f. SprengG darüber hinaus auch Anforderungen an die Logistik - also Lagerung, Verkehr und Beförderung - radioaktiver bzw. explosionsgefährlicher Stoffe gestellt. 727 Vgl. z.B. § 13 Abs. 7 GhV NW: "Die elektrischen Anlagen sind nach den anerkannten Regeln der Technik herzustellen, zu ändern, zu unterhalten und zu betreiben. Als anerkannten Regeln der Technik gelten die Vorschriften des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (VDE-Vorschriften)." Vgl. auch § 7 AtG; § 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. den §§ 32 ff. BImSchG; § 7 Abs. 2 SprengG.

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Vertrieb , die Verwendung - gegebenenfalls eingeschränkt für einen bestimmten Zweck 731 -, die Wiederverwertung und die Entsorgung732 als auch die Unter den Begriff der "Herstellung" fallen auch die Tätigkeiten des Bauens (vgl. z.B. § 2 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. den §§ 41 ff. BImSchG, die den Bau öffentlicher Straßen, Eisenbahnen, Magnetschwebebahnen und Straßenbahnen regeln) und der Errichtung (vgl. z.B. § 2 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. den §§ 4 ff. BImSchG, welche die Errichtung (und den Betrieb) immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger sowie nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen regeln). 728 Wobei nicht selten ebenfalls die Ausfuhr geregelt wird, wie z.B. § 3 Abs. 1 AtG: "Wer Kernbrennstoffe einführt oder ausführt, bedarf der Genehmigung." Vgl. auch § 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. den §§ 32 ff., 36 BImSchG; § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 GSG; §§ 1 Abs. 1 S. 1, 2 Abs. 1 S. 1, 5 Abs. 1 S. 1 und 15 SprengG. 729 Der Vertrieb kann neben dem eigentlichen Inverkehrbringen, also dem Überlassen des technischen Systems an andere (§ 2 Abs. 3 S. 1 GSG) - gegebenenfalls durch Einfuhr (§ 2 Abs. 3 S. 3 GSG) -, auch die Ausstellung, also das Ausstellen oder Vorführen technischer Systeme zum Zwecke der Werbung (§ 2 Abs. 4 GSG) umfassen. Vgl. z.B. § 1 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 und § 3a S. 1 GSG, nach dem technische Arbeitsmittel nur bei Erfüllung bestimmter Beschaffenheitsanforderungen in Verkehr gebracht und/oder im Einzelhandel ausgestellt werden dürfen. Vgl. auch § 2 Abs. 1 Nr. 2 1.V.m. §§ 32 ff. BImSchG; § 5 Abs. 1 S. 1 SprengG. 730 Vgl. z.B. § 5 Abs. 1 S. 1 SprengG: "Explosionsgefährliche Stoffe und Sprengzubehör dürfen nur ... verwendet werden, wenn sie ihrer Zusammensetzung, Beschaffenheit und Bezeichnung nach von der Bundesanstalt zugelassen sind...", sowie die §§ 7 ff. SprengG, die u.a. den Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen regeln. Unter den Begriff der Verwendung soll auch die Unterhaltung i.w.S. subsumiert werden. Vgl. z.B. § 1 Abs. 1 S. 1 der 2. DVO zum EnWG: "Bei der Errichtung und Unterhaltung von Anlagen zur Erzeugung, Fortleitung und Abgabe von Elektrizität sind die allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten." oder § 2 Abs. 1 S. 1 der 2. DVO zum EnWG: "Bei der Errichtung und Unterhaltung von Anlagen zur Erzeugung, Fortleitung und Abgabe von Gas sind die allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten." 731 Vgl. z.B. § 3 Abs. 1 S. 2 GSG, der entsprechende Beschaffenheitsanforderungen nur für die bestimmungsgemäße Verwendung technischer Arbeitsmittel i.S.d. § 2 Abs. 5 GSG, nicht aber für eine andere als die bestimmungsgemäße Verwendung oder für Sonderanfertigungen nach Kundenspezifikation (§ 3 Abs. 2 GSG) statuiert. Eine Beschränkung auf die bestimmungsgemäße Verwendung findet sich u.a. auch in den §§5 Abs. 2 Nr. 2, 6 Abs. 1 Nr. 1 SprengG. Vgl. ferner die §§ 16 ff. StVZO, die weder Anforderungen bezüglich Herstellung oder Inverkehrbringen von Fahrzeugen noch deren genereller Verwendung regeln, sondern die lediglich für Zulassung und Verwendung von Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen die Erfüllung der einschlägigen, in StVO und StVZO festgelegten Vorschriften vorschreiben (§ 16 Abs. 1 StVZO). 732 Vgl. dazu aus produktorientierter Sicht grundlegend die Bestimmungen des AbfG, welche die Vermeidung, Verwertung und die das Gemeinwohl nicht beeinträchtigende Entsorgung von beweglichen Sachen regeln (§ 1 Abs. 1 i.V.m. den §§ la, 2 Abs. 1 AbfG; ferner z.B. § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG: "Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, daß ... Reststoffe vermieden werden, es sei denn, sie werden ordnungsgemäß und schadlos verwertet oder, soweit Vermeidung und Verwertung technisch nicht möglich oder unzumutbar sind, als Abfälle ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt..." und § 9a AtG: "Wer Anlagen, in denen mit

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Beschaffenheit der technischen Systeme selbst erfassen 733. Diese rechtlichen Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen 734 untersagen ihren Adressaten die Herstellung bzw. die Einfuhr, den Vertrieb, die Verwendung, die Wiederverwertung und die Entsorgung der betreffenden technischen Systeme, wenn die entsprechenden Prozesse und/oder die technischen Systeme selbst nicht den gesetzlichen Beschaffenheits- und/oder Verhaltensanforderungen genügen735. Der deutsche Staat überwacht die Einhaltung der Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen dieser Herstellungs-, Einfuhr-, Vertriebs-, Verwendungs-, Wiederverwertungs- und Entsorgungsregelungen sowie der Beschaffenheitsanforderungen bezüglich der technischen Systeme selbst mit verschiedenen Mitteln von unterschiedlicher Intensität. Als entsprechende Regelungstechniken des Verwaltungsrechts sind in Reihenfolge abnehmender Kontrolldichte zu unterscheiden: die Zulassung bzw. Genehmigung736, die Bauartzulassung oder TyKernbrennstoffen umgegangen wird, errichtet... [oder] betreibt, ... hat dafür zu sorgen, daß anfallende radioaktive Reststoffe sowie ausgebaute oder abgebaute radioaktive Anlagenteile ... schadlos verwertet oder als radioaktive Abfälle geordnet beseitigt werden ..." Aus medienorientierter Sicht vgl. z.B. § 3 Abs. 1 Nr. 4, 4a und 5 i.V.m. § 7a WHG, das die Anforderungen an die Einleitung von Stoffen bzw. Abwasser in oberirdische Gewässer, Küstengewässer und das Grundwasser normiert. 733 Vgl. z.B. die §§ 7 und 23 BImSchG, die neben Errichtung und Betrieb explizit die Beschaffenheit genehmigungsbedürftiger bzw. nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen regeln, die §§32 ff. BImSchG, die Bestimmungen bezüglich der Beschaffenheit von Anlagen, Stoffen, Erzeugnissen, Brennstoffen, Treibstoffen und Schmierstoffen enthalten, und die §§38 ff. BImSchG, die u.a. die Beschaffenheit (und den Betrieb) von Fahrzeugen bestimmen. Vgl. femer § 5 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Nr. 2 SprengG. 734 Die rechtlichen Anforderungen beziehen sich nicht nur auf materielle Gegenstände wie beispielsweise Anlagen, Geräte oder Stoffe, sondern auch auf entsprechendes menschliches Verhalten. Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 63; ders., Industrielle Normen und Standards, S. 17. 735 Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 106 ff.; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 26 f.; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 19 ff. 736 Diese auch als Erlaubnispflicht bezeichnete Methode macht die Erlaubnis für die Herstellung, Einführung, Vertrieb, Verwendung usw. jedes einzelnen technischen Systems von einer behördlichen Zulassung abhängig, die nach Prüfung und Bejahung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen ausgesprochen wird. Als präventive Vollerhebung ist die Zulassung das stärkste staatliche Mittel zur Überprüfung der Befolgung entsprechender Vorschriften. Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 181; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 28; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 22 f.. Von besonderer Bedeutung ist diese Regelungsmethode im Rahmen der Anlagengenehmigung - z.B. für ortsfeste Anlagen zur Erzeugung, Verarbeitung oder Spaltung von Kernbrennstoffen (§ 7 AtG), für emittierende Anlagen (§ 4 BImSchG), überwachungsbedürftige Anlagen (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 GSG) oder Lager für explosionsgefährliche Stoffe (§ 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SprengG) - und der Stoffzulassung - z.B. für Arzneimittel (§§ 21,

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pengenehmigung737 - ausgestaltet jeweils als Präventivkontrollen in Form eines präventiven Verbots mit Genehmigungsvorbehalt738 -, die allgemeine Erlaubnis mit Eingriffsvorbehalt 739 sowie Kombinationen dieser Kontrollarten 740. Als

25 AMG), Pflanzenschutzmittel (§ 11 Abs. 1 S. 1 PflSchG) oder explosionsgefährliche Stoffe und Sprengzubehör (§ 5 Abs. 1 S. 1 SprengG). Beispiele für weitere Regelungsgebiete finden sich z.B. in § 12 AbfG, §§ 3, 4, 6, 9, 9c AtG und § 7 SprengG. 737 Im Rahmen der Bauartzulassung oder Typengenehmigung werden ein oder mehrere Muster des fraglichen technischen Systems auf ihre Übereinstimmung mit den rechtlichen Beschaffenheitsanforderungen überprüft und im Falle eines positiven Resultats die Zulassung für diese Bauart oder Type erteilt, deren Wirkung sich auf alle nach diesem Muster hergestellten technischen Systeme erstreckt. Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 182; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 28; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 23 f. Hinsichtlich der Bauartzulassung vgl. z.B. die Musterzulassungen von Anlagen, Geräte und Vorrichtungen, die radioaktive Stoffe enthalten oder ionisierende Strahlen erzeugen (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 AtG), von umweltgefährlichen Anlagen oder Anlagenteilen (§ 33 BImSchG), von überwachungsbedürftigen Anlagen (§ 11 Abs. 1 Nr. 2a GSG), von Luftfahrzeugen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 LuftVG) und von Fahrzeugteilen (§ 22a StVZO). Hinsichtlich der Typengenehmigung vgl. z.B. die Typengenehmigung baulicher Anlagen, die in derselben Ausführung an mehreren Stellen errichtet werden sollen, nach § 72 MBO oder die allgemeine Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge gemäß § 20 StVZO. Vgl. auch § 21 BauPrüfV NW, wo der Begriff "Typenprüfung" verwendet wird. Der Sinn der sprachlichen Unterscheidung zwischen Bauart- und Typgenehmigung ist jedoch fragwürdig. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. I.A.5. 738 Dieser stellt das typische Instrument der Gefahrenabwehr und Risikovorsorge im Umwelt- und Technikrecht dar. Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 181. Dieses Grundregelungsmuster erfährt in den verschiedenen rechtlichen Regelungen durchaus eine unterschiedliche Ausgestaltung, beispielsweise als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und Versagungsermessen (§ 7 Abs. 2 AtG), als präventives Verbot (§ 4 BImSchG) mit Anspruch auf Genehmigung (§ 6 i.V.m. den §§ 5 und 7 BImSchG) oder als repressives Verbot mit administrativer Erlaubnis- und Bewilligungserfordernis (§ la i.V.m. § 2 Abs. 1 WHG) und Versagungsermessen (§ 6 WHG). Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 10 f. m.N. aus Rechtsprechung und Literatur. 739 Im Falle einer allgemeinen Erlaubnis mit Eingriffsvorbehalt schreibt die betreffende Rechtsnorm zwar die Beachtung bestimmter Beschaffenheitsanforderungen zwingend vor, erlaubt jedoch deren Herstellung, Vermarktung oder Verwendung ohne vorherige behördliche Kontrolle. Erweist es sich, daß ein Produkt den Beschaffenheitsan- J forderungen nicht entspricht, so stehen den Behörden die gesetzlich vorgesehenen Eingriffsrechte zu. Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 28; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 24 f. Beispiele: Kommt nach § 25 Abs. 1 BImSchG "der Betreiber einer Anlage einer vollziehbaren behördlichen Anordnung ... nicht nach, so kann die zuständige Behörde den Betrieb der Anlage ganz oder teilweise bis zur Erfüllung der Anordnung untersa- . gen"; § 5 GSG: "Stellt die zuständige Behörde fest, daß von einem technischen Arbeitsmittel ... eine Gefahr für Leben oder Gesundheit der Benutzer oder Dritter.... droht, trifft sie alle erforderlichen Maßnahmen, um das Inverkehrbringen oder die Inbetriebnahme dieses Arbeitsmittels zu verhindern oder zu beschränken oder es aus dem Verkehr zu ziehen. ..." Vgl. auch die §§ 17a, 23, 24, 25, 32a, 33 WHG.

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weitere Regelungstechniken sind ferner das Planfeststellungsverfahren zur Integration komplexer raumbedeutsamer technischer Vorhaben in ihre räumliche Umgebung741, die Anzeigepflicht, d.h. die Information staatlicher Behörden durch eine entsprechende Inpflichtnahme Privater 742, die Erteilung von Auflagen 743 und schließlich das repressive Verbot 744 zu nennen. Neben diese zumeist präventiven Kontrollen wissenschaftlicher und technischer Entwicklungen tritt die technische Überwachung, die rechtlich regelmäßig als Kombination aus Eigenüberwachung durch den Betreiber und Fremdüberwachung durch amtlich anerkannte Sachverständige oder staatliche Behörden ausgestaltet ist, als begleitende Kontrolle 745. Die Rechtsfolge des Verstoßes gegen eine dieser Vorschriften ist regelmäßig eine doppelte: Zum einen eine polizeirechtliche, bestehend aus dem Verbot der Herstellung, Vermarktung oder Verwendung des betreffenden Erzeugnisses und/oder gegebenenfalls seine Beschlagnahmung, und zum anderen eine sanktionsrechtliche, bestehend aus der Verhängung von Bußgeldern oder Kriminalstrafen 746. Im folgenden wird die Regelungsstruktur einiger besonders bedeutsamer Bereiche des Umwelt- und Technikrechts vorgestellt, wobei die Beispiele so gewählt sind, daß jedes der drei nachfolgend vorgestellten Normen- und Regelsysteme durch einen anderen der drei wichtigsten normativen Standards determiniert wird: das Bauordnungsrecht durch die "allgemein anerkannten Regeln der Technik (und Baukunst)", das Bundes-Immissionsschutzrecht durch den "Stand

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So können beispielsweise nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 AtG Anlagen, Geräte und Vorrichtungen, für die im AtG keine speziellen Regelungen i.S. eines präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt festgelegt sind, nach einer Bauartprüfung allgemein zugelassen werden. 741 Vgl. z.B. die §§ 7 ff. AbfG; § 9b AtG. Vgl. dazu Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 182 ff. 742 Die Anzeigepflicht kann inhaltlich als Genehmigungssurrogat (§ 4 Abs. 1 und 2 ChemG; § 5 GasHDrLtgV (Verordnung über Gashochdruckleitungen i.d.F.d. Bekanntmachung v. 17.12.1974 (BGBl. I, 1974, Nr. 138, S. 3591-3595), zul. geänd. d. GSGÄndG 2 v. 26.08.1992 (BGBl. I, 1992, S. 1564)); §§ 8 Abs. 2, 9 Abs. 1 GenTG; § 8 a Abs. 1 S. 1 TierSchG (Tierschutzgesetz (TierSchG) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 17.02.1993 (BGBl. I, 1993, Nr. 7, S. 254-265), geänd. d. EWRAG v. 27.04.1993 (BGBl. I, 1993, Nr. 17, S. 512-561))), als Störfallanzeige (§ 21 Abs. 3 GenTG; § 11 der 12. BImSchV; § 36 StrlSchV) oder als Abweichungsanzeige (§ 20 AMG) ausgestaltet sein. Vgl. dazu Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 181, bezüglich der seinerzeit aktuellen Fassungen der genannten Gesetze und insbesondere dem Entwurf zum GenTG. 743 Vgl. z.B. § 9 AbfG; § 4 WHG. 744 Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 16. 745 Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 184 f.; Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 16. 746 Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 28.

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der Technik" und das Kernenergierecht durch den "Stand von Wissenschaft und Technik". Sowohl aufgrund der in ihm zu findenden Vielfalt an normativen Standards - die neben den drei genannten auch noch einige andere beinhaltet -, als auch wegen seiner überragenden wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Bedeutung wird im Anschluß daran noch das Normen- und Regelsystem der Gerätesicherheit und der überwachungsbedürftigen Anlagen dargelegt. Um dem Bemühen gerecht zu werden, die Arbeit in zumindest "tragbaren" Grenzen zu halten, ist dabei eine Beschränkung der Darstellung des "ebenso kunstvollen wie - zumindest auf den ersten Blick - komplizierten Systems ineinandergreifender legislativer, administrativer und privater Normen" 747 auf die wesentlichen Strukturen unerläßlich. (1) Die "allgemein anerkannten Regeln der TechnikDas Regelsystem des Bauordnungsrechts

Normen- und

(a) Die Gesetzesebene Dem Bund steht entsprechend dem Rechtsgutachten des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juni 1954 748 für die Regelung des Rechts der städtebaulichen Planung, der Baulandumlegung, der Zusammenlegung von Grundstücken, des Bodenverkehrs, der Erschließung sowie der Bodenbewertung, soweit sie sich auf diese Gebiete bezieht, keine eigene, sondern nur die konkurrierende Zuständigkeit unter den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG zu. Insbesondere liegt das Baupolizeirecht - heute als Bauordnungsrecht bezeichnet - als Teil des allgemeinen Polizeirechts grundsätzlich in der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Abgesehen von dem vom Bund erlassenen Baugesetzbuch (BauGB 749 ) und dem Bauproduktengesetz (BauPG 750 ) besteht die Erwartungshaltung, daß

747 Marburger, P., Regeln, S. 58 bezüglich des Rechts der überwachungsbedürftigen Anlagen. 748 BVerfGE 3, S. 407. 749 I.d.F.d. Bekanntmachung v. 08.12.1986 (BGBl. I, 1986, S. 2253), zul. geänd. d. MagnetschwebebahnplanungsG v. 23.11.1994 (BGBl. I, 1994, S. 3486). In diesem sind das Bundesbaugesetz (BBauG) sowie das Städtebauförderungsgesetz (StBauFG) a.F. aufgegangen. 750 Gesetz über das Inverkehrbringen von und den freien Warenverkehr mit Bauprodukten zur Umsetzung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Bauprodukte (Bauproduktengesetz - BauPG) v. 10.08.1992 (BGBl. I, 1992, S. 1495), wobei in diesem die wirtschaftlichen Aspekte, die in der Kompetenz des Bundesgesetzgebers liegen, geregelt wurden, während dem Aspekt der Gefahrenabwehr als Kompetenz der Länder in den Landesbauordnungen (z.B. in den §§ 20-28 BauO NW) Rechnung getragen wird. Boeddinghaus, G. u.a., BauO NW, Einführung, S. 2.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

der Bund von seiner weiteren Gesetzgebungskompetenz namentlich im Bereich des Wohnungswesens nach Art. 74 Nr. 18 GG, die ihn auch zum Erlaß von bauordnungsrechtlichen Vorschriften für Wohngebäude ermächtigt, auch zukünftig keinen Gebrauch machen wird, solange die Länder das Bauordnungsrecht möglichst einheitlich und umfassend regeln 751. Als Instrument der Vereinheitlichung des Bauordnungsrechts der Bundesländer mit dem Ziel, die aus den unterschiedlichen bauordnungsrechtlichen Vorschriften für die Bauwirtschaft und für die ebenfalls über Ländergrenzen hinweg tätig werdende Bauverwaltung des Bundes entstehenden Probleme zu beseitigen, dient die im Auftrag der "Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Minister der Länder" (ARGEBAU) durch die "Musterbauordnungs-Kommission" des "Deutschen Instituts für Bautechnik" erarbeitete "Musterbauordnung" (MBO), die nunmehr in der Fassung vom 10. Dezember 1993 vorliegt 752. Die MBO sollte nach dem Willen der Ministerkonferenz der ARGEBAU von den Ländern bei der Neufassung oder Novellierung ihrer Landesbauordnungen zugrunde gelegt werden, wobei den Länderparlamenten Spielraum für Abweichungen verbleibt, um den unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Bundesländern Rechnung zu tragen 753 . Aufgrund der tatsächlich bestehenden zahlreichen Regelungsvarianten der auf Gesetzesebene einschlägigen Landesbauordnungen (LBO) erfolgt eine weitgehende Beschränkung der nachfolgenden Untersuchungen auf die MBO, wobei hinsichtlich zentraler Bestimmungen auf landesrechtliche Regelungen hingewiesen wird 754 . Regelungsgegenstand des Normen- und Regelsystems des Bauordnungsrechts sind entsprechend § 1 Abs. 1 MBO die in § 2 Abs. 1, 2 und 9 MBO le751

Böckenförde, D. u.a., MBO i.d.F.v. 10.12.1993, S. VII f. Vgl. zum Normen- und Regelsystem des Bauordnungsrechts Böckenförde, D. u.a., MBO i.d.F.v. 10.12.1993, Einleitung; Boeddinghaus, G. u.a., BauO NW, passim; Bub, H. u.a., Normung und Baurecht, S. 109 ff.; Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 52 ff.; Marburger, P., Regeln, S. 83 ff. 752 Böckenförde, D. u.a., MBO i.d.F.v. 10.12.1993, S. VII. Die erste, am 31.10.1959 verabschiedete "MBO 1960" hatte u.a. die Ergebnisse der Arbeiten des "Ausschusses für Technische Baubestimmungen" (ETB-Ausschuß) im Deutschen Normenausschuß - dem heutigen DIN - übernommen, welcher bereits im Jahre 1947 seine früheren Arbeiten wieder aufgenommen hatte. Böckenförde, D. u.a., MBO i.d.F.v. 10.12.1993, S. VIII f. 753 Böckenförde, D. u.a., MBO i.d.F.v. 10.12.1993, S. XVII. 754 So führen Boeddinghaus, G. u.a., BauO NW, Einführung, S. 3 bezüglich der Vereinheitlichungsfunktion der MBO aus: "Die mit der Musterbauordnung angestrebte Vereinheitlichung des Bauordnungsrechts droht nicht nur verloren zu gehen; von einem einheitlichen Bauordnungsrecht kann schon heute nicht mehr die Rede sein." Vgl. auch Böckenförde, D. u.a., MBO i.d.F.v. 10.12.1993, S. XVIII.

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galdefinierten baulichen Anlagen, Bauprodukte und Grundstücke sowie "andere Anlagen und Einrichtungen, an die in diesem Gesetz oder in Vorschriften aufgrund dieses Gesetzes Anforderungen gestellt werden", mit Ausnahme jedoch der in § 1 Abs. 2 MBO enumerativ aufgeführten technischen Systeme. Regelungszweck des Bauordnungsrechts der Bundesländer ist die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im allgemeinen sowie für Leben und Gesundheit der Menschen und für die natürlichen Lebensgrundlagen im besonderen755, indem in der Zentralvorschrift oder "materiellrechtlichen Grundnorm" 156 des § 3 MBO in den Absätzen 1 und 2 hinsichtlich baulicher Anlagen und Bauprodukte bestimmt wird: "Bauliche Anlagen sowie andere Anlagen und Einrichtungen im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, daß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden." "Bauprodukte dürfen nur verwendet werden, wenn bei ihrer Verwendung die baulichen Anlagen bei ordnungsgemäßer Instandhaltung während einer dem Zweck entsprechenden angemessenen Zeitdauer die Anforderungen dieses Gesetzes oder aufgrund dieses Gesetzes erfüllen und gebrauchstauglich sind." Die früher in Ergänzung dieser Bestimmungen in § 3 MBO a.F. enthaltenen Anweisungen: "Die allgemein anerkannten Regeln der Technik sind zu beachten." "Als allgemein anerkannte Regeln der Technik gelten auch die von der obersten Bauaufsichtsbehörde durch öffentliche Bekanntmachung als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln." wurden in der Neufassung des § 3 Abs. 3 MBO unter Fortfall des generellen Sicherheitsmaßstabes der "allgemein anerkannten Regeln der Technik"757 zugun755

Die Bestimmung erschöpft sich nicht mehr in der klassischen baupolizeilichen Gefahrenabwehr, sondern berücksichtigt ökologische Belange ebenso wie die zweckangemessene Gebrauchstauglichkeit von Bauprodukten. Boeddinghaus, G. u.a., BauO NW, zu § 3, Rn. 2. Hingegen war früher die Gefahrenabwehr das alleinige Regelungsziel des Bauordnungsrechts. Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 52, 73; Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 48. 756 Boeddinghaus, G. u.a., BauO NW, zu § 3, Rn. 2. 757 Zuvor bestimmte sich der von den Landesbauordnungen geforderte Sicherheitsstandard für bauliche Anlagen und Bauprodukte dort, wo das Gesetz selbst keine eigenen Anforderungen festlegtet, nach den "allgemein anerkannten Regeln der Technik". Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 52, 73. A.A. Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 46 f.; Papier, H.-J., Rechtsvorschriften für Stoffe, S. 55 f.; Scholz, R., Verhältnis, S. 94 f., 104, nach denen durch § 3 Abs. 1 MBO a.F. das normative Schutzgut und -ziel und damit der Sicherheitsstandard fixiert ist, während durch den Verweis in § 3 MBO a.F. auf die "allgemein anerkannten Regeln

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sten der ausschließlichen Bezugnahme auf die von der obersten Bauaufsichtsbehörde - gemäß § 58 Abs. 1 lit. c) MBO die zuständigen Minister der Länder als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln neu gefaßt 758 : "Die von der obersten Bauaufsichtsbehörde durch öffentliche Bekanntmachung als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln sind zu beachten. Bei der Bekanntmachung kann hinsichtlich ihres Inhalts auf die Fundstelle verwiesen werden. Von den Technischen Baubestimmungen kann abgewichen werden, wenn mit einer anderen Lösung in gleichem Maße die allgemeinen Anforderungen des Absatzes 1 erfüllt werden; § 20 Abs. 3 und § 23 bleiben unberührt." 759 Diese Änderung hat die baurechtliche Einführung in ihrer Bedeutung insofern verstärkt, als nach der Neufassung des § 3 MBO in Zukunft nur noch die von der obersten Bauaufsichtsbehörde als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln und nicht mehr sämtliche "allgemein anerkannten Regeln der Technik" zu beachten sind. Allerdings ist diese Beschränkung der Bestimmung auf die von der obersten Bauaufsichtsbehörde als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln nur von relativ wenigen Landesparlamenten im Rahmen der Neufassungen ihrer Landesbauordnungen - wie beispielsweise der BauO B R 7 6 0 - nachvollzogen worden. Die meisten Landesbauordnungen stellen in ihrem § 3 auch weiterhin die "allgemein anerkannten Regeln der Technik" - wie z.B. die BauO HE, die BauO M-V, die BauO NW und die BauO SH 7 6 1 - bzw. die "allgemein anerkannten Regeln der Technik und Baukunst" - so die BauO BY - als grundsätzlichen Sicherheitsmaßstab auf, wobei die von der obersten Bauaufsichtsbehörde als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln regelmäßig als Teilmenge der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" definiert werden:

der Technik" die Mittel oder technischen Lösungen zur Erreichung des vorgegebenen Schutzzieles festgelegt werden; dieser erweitere nicht den durch Abs. 1 auf die Gefahrenabwehr begrenzten Schutzumfang, sondern erschöpfe sich in seiner instrumenteilen Funktion. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa), insbes. Fn. 580. 758 Wobei in den in diesem Absatz zitierten §§20 Abs. 3 und 23 MBO die allgemein anerkannten Regeln der Technik nach wie vor gleichberechtigt neben den von der obersten Bauaufsichtsbehörde eingeführten Technischen Baubestimmungen stehen. 759 4«pür Abbruch baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 und für die Änderung ihrer Benutzung gelten Absätze 1 und 3 sinngemäß." (§ 3 Abs. 4 MBO) 760 Bremische Landesbauordnung und Änderung des Bremischen Landesstraßengesetzes i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.03.1995 (GBl. BR, 1995, Nr. 22, S. 211-249). 761 Landesbauordnung für das Land Schleswig-Holstein (BauO SH) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 11.07.1994 (GVB1. SH, 1994, Nr. 12, S. 321-363).

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"Bauliche Anlagen sowie andere Anlagen und Einrichtungen im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, daß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet wird. Die der Wahrung dieser Belange dienenden allgemein anerkannten Regeln der Technik sind zu beachten. Von diesen Regeln kann abgewichen werden, wenn eine andere Lösung in gleicher Weise die allgemeinen Anforderungen des Satzes 1 erfüllt. § 20 Abs. 3 und § 24 bleiben unberührt." "Als allgemein anerkannte Regeln der Technik gelten auch die von der obersten Bauaufsichtsbehörde durch öffentliche Bekanntmachung als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln. Bei der Bekanntmachung kann hinsichtlich ihres Inhalts auf die Fundstelle verwiesen werden. Die Beachtung der technischen Regeln ist, soweit sie eingeführt sind, von den Bauaufsichtsbehörden gemäß § 72 Abs. 5 zu prüfen." (§ 3 Abs. 1 und 3 BauO NW 762 ) Ungeachtet dieses grundlegenden Unterschieds werden sowohl in den §§ 1252 MBO als auch in den entsprechenden Bestimmungen der Landesbauordnungen - wie beispielsweise in den §§ 12-55 BauO NW - die generalklauselartigen Anforderungen des § 3 Abs. 1 und 2 MBO bzw. § 3 Abs. 1 und 2 BauO NW für die einzelnen Regelungsgegenstände des § 1 Abs. 1 i.V.m. § 2 MBO weiter konkretisiert, wobei allerdings keine technischen Detailbestimmungen getroffen, sondern lediglich Schutzziele und Schutzbestimmungen allgemeiner Art benannt bzw. aufgestellt werden 763 , wie z.B.:

762 § 72 Abs. 5 BauO NW bestimmt: "Die Beachtung der technischen Regeln ist, soweit sie nach § 3 Abs. 3 eingeführt sind, zu prüfen." Hierdurch wird der gesetzlich festgelegte präventive Prüfungsumfang erheblich eingeschränkt, da bei der Behandlung des Bauantrags nur die Beachtung derjenigen technischen Regeln geprüft wird, die nach § 3 Abs. 3 BauO NW als Technische Baubestimmungen eingeführt worden sind. Damit wird ein auf den ersten Blick im Ergebnis zu den Regelungen der MBO vergleichbares Resultat erzielt; es besteht jedoch ein wichtiger Unterschied: Es steht im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, darüber hinaus auch die Einhaltung weiterer - nach wie vor nach § 3 Abs. 1 S. 2 BauO NW gesetzlich vorgeschriebener - "allgemein anerkannter Regeln der Technik" zu prüfen. Damit sind dem Normadressaten weiterhin eine Vielzahl technischer Normen vorgeschrieben, mit deren potentieller Überprüfung er zu rechnen hat. Boeddinghaus, G. u.a., BauO NW, zu § 3, Rn. 6 i.V.m. zu § 72, Rn. 40 f. 763 So bezüglich der Landesbauordnungen a.F. bereits Marburger, P., Regeln, S. 85,

88.

Der Grund dafür ist, daß die technische Entwicklung von Baustoffen, Bauteilen und Bauarten sowie entsprechende Rationalisierungsmaßnahmen nach dem zweiten Weltkrieg eine so hohe Dynamik entfaltet haben, daß sich das Instrument der Bauordnung zur Regelung technischer Detailanforderungen als zu starr und die zuvor in der Bauordnung enthaltenen technischen Bestimmungen sehr schnell als veraltet erwiesen haben. Daher sollte mit dem Instrument der MBO ein von detaillierten Bestimmungen freies und dementsprechend an den technischen Fortschritt anpassungsfähigeres Bauordnungsrecht geschaffen werden. Böckenförde, D. u.a., MBO i.d.F.v. 10.12.1993, S. VIII f.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

"Jede bauliche Anlage muß im Ganzen und in ihren einzelnen Teilen für sich allein standsicher sein" (§ 15 Abs. 1 S. 1 MBO; fast identisch § 15 Abs. 1 BauO NW), oder "Bauliche Anlagen müssen so beschaffen sein, daß der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch vorgebeugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind." (§ 17 Abs. 1 MBO; ähnlich, jedoch detaillierter auch § 17 Abs. 1 BauO NW) Die Generalklausel des § 3 Abs. 1 und 2 MBO gilt zwar im Sinne einer "materiellrechtlichen Grundnorm" des Bauordnungsrechts als unverzichtbar, aber sie ist ersichtlich unzureichend, über eine grobe Orientierung hinsichtlich der Schutz- und Sicherheitsziele hinaus die konkrete Beurteilung eines Bauvorhabens bzw. von Bauprodukten unter Sicherheitsgesichtspunkten rechtlich anzuleiten 764 . Da die §§ 12 -52 MBO gleichfalls nur allgemeine sicherheitstechnische Anforderungen enthalten, fällt die Aufgabe der erforderlichen weiteren, notwendigerweise wesentlich detaillierter angelegten Konkretisierung zunächst der untergesetzlichen Regelungsebene der Rechtsverordnungen zu. (b) Die Verordnungsebene Ein umfangreicher Ermächtigungskatalog zum Erlaß von Rechtsverordnungen durch die oberste Bauaufsichtsbehörde - entsprechend § 58 Abs. 1 lit. c) MBO die zuständigen Minister - ist in § 81 MBO in insgesamt sieben Absätzen mit jeweils bis zu sieben Unterpunkten enthalten. Hinsichtlich der Konkretisierung der allgemeinen Anforderungen des § 3 Abs. 1 und 2 MBO ist dabei der erste Absatz des § 81 MBO einschlägig. Von dessen sieben Einzelermächtigungen ist wiederum die Nummer 1 besonders bedeutsam, indem diese eine umfassende Ermächtigung der Konkretisierung der allgemeinen Sicherheitsanforderungen der §§ 12-50 enthält: "Zur Verwirklichung der in § 3 Abs. 1 und 2 bezeichneten Anforderungen wird die oberste Bauaufsichtsbehörde ermächtigt, durch Rechts Verordnung Vorschriften zu erlassen über 1. die nähere Bestimmung allgemeiner Anforderungen in den §§ 4 bis 50 .. ," 7 6 5

764 Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 58; vgl. auch ebd., S. 52, 73; Boeddinghaus, G. u.a., BauO NW, zu § 3, Rn. 2. 765 Eine entsprechende Ermächtigung bezüglich der beiden in der Generalermächtigung der Nr. 1 nicht genannten §§ 51 und 52 MBO enthält § 81 Abs. 1 Nr. 3 MBO, nach der die oberste Bauaufsichtsbehörde die Befugnis erhält, durch Rechtsverordnungen Vorschriften zu erlassen über "besondere Anforderungen oder Erleichterungen, die sich aus der besonderen Art oder Nutzung der baulichen Anlagen für Errichtung, Änderung, Unterhaltung, Betrieb und Benutzung ergeben (§§ 51 und 52), sowie über die Anwendung solcher Anforderungen auf bestehende bauliche Anlagen dieser Art".

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Von dieser umfassenden Ermächtigung haben die obersten Landesbaubehörden im bautechnischen Bereich in der Vergangenheit nur sehr spärlich Gebrauch gemacht. Und selbst dort, wo Rechtsverordnungen detaillierte materielle technische Anforderungen aus DIN-Normen übernommen und verbindlich vorgeschrieben hatten, wurden diese wieder aufgehoben und stattdessen die entsprechenden technischen Normen baurechtlich eingeführt 766. Dementsprechend liegen heute, soweit ersichtlich, keine Rechtsverordnungen mit detaillierten materiellen bautechnischen Anforderungen mehr vor, so daß der Verordnungsgeber die Konkretisierung der allgemeinen Schutzziele und Sicherheitsanforderungen der Zentralnorm des § 3 Abs. 1 und 2 MBO sowie der §§ 12-52 MBO an die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften delegiert. (c) Die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften: Die baurechtliche Einführung technischer Normen Die MBO enthält keine explizite Ermächtigung der Exekutive zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften. Auch von dem grundsätzlichen Recht zur Regelung des Verwaltungshandelns der nachfolgenden Behörden durch allgemeine Verwaltungsvorschriften haben die Exekutivspitzen der Länder - mit Ausnahme des Erlasses allgemeiner Verwaltungsvorschriften zur baurechtlichen Einführung technischer Regeln767 - bislang keinen Gebrauch gemacht. Jedoch haben die obersten Bauaufsichtsbehörden auf der Grundlage der in die Landesbauordnungen umgesetzten Ermächtigung des § 3 Abs. 3 S. 1 MBO zahlreiche technische Regeln entweder - wie zuvor ausgeführt - durch Erlaß einer Verwaltungsvorschrift oder durch ihre Rezeption in ministeriellen "Erlassen", "Bekanntmachungen" und "Richtlinien" sowie deren Bekanntgabe im Ministerialblatt als Technische Baubestimmungen baurechtlich "eingefiihrt was der Rechtsnatur nach ebenfalls als normkonkretisierende Verwaltungsvor766

Bub, H. u.a., Normung und Baurecht, S. 115. So finden sich im Normen- und Regelsystem der Bauordnung von RheinlandPfalz zahlreiche aufgrund des § 3 Abs. 4 BauO RP (Landesbauordnung für RheinlandPfalz v. 27.02.1974 (GVB1. S. 53, BB 213-1), geänd. d. Gesetz v. 02.07.1980 (GVB1. S. 145)) in Form von allgemeinen Verwaltungsvorschriften als Technische Baubestimmungen eingeführte technische Normen, wie beispielsweise die "Verwaltungsvorschrift zur Einführung der Norm DIN 4420; Arbeits- und Schutzgerüste; Ausgabe März 1980" (DIN1986T1,2,4EErlÄndEErl RP) v. 18.08.1980 (MB1. RP, 1980, Nr. 22, S. 632), die "Verwaltungsvorschrift zur Einführung der Norm DIN 4017; Baugrund" (DIN4017T1, 2EErl RP) v. 06.08.1980 (MB1. RP, 1980, Nr. 22, S. 626-627) und die "Verwaltungsvorschrift zur Einführung der Norm DIN 1053 Teil 4; Mauerwerk; Bauten aus Ziegelfertigbauteilen; Ausgabe September 1978" (DIN1053T4EErl RP) v. 05.08.1980 (MB1. RP, 1980, Nr. 22, S. 625-626, geänd. d. DIN 1053T4EErlÄndEErl RP 1981 v. 26.06. 1981), welche darüber hinaus auf 4 weitere DIN-Normen und -Normteile verweist. 767

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

schrift zu qualifizieren ist 768 . Eingeführt wurden hauptsächlich privatrechtliche technische Normen, allen voran die des DIN, aber auch durch die Baubehörden erstellte technische Regeln769. Beispielsweise finden sich im Normen- und Regelsystem des Bauordnungsrechts von Baden-Württemberg zahlreiche "Bekanntmachungen über die Einführung" oder schlicht "Einführungen" von DIN-Normen als Technische Baubestimmungen, die entweder durch Inkorporation 770 - wie z.B. Abschn. 1 S. 1 des DIN1074EErl BW 7 7 1 : "Die Norm DIN 1074, Ausgabe Mai 1991, - Holzbrücken - wird hiermit als technische Baubestimmung nach § 3 Abs. 2 der Landesbauordnung für Baden-Württemberg (LBO) baurechtlich eingeführt. Die Norm ist als Anlage abgedruckt." oder durch datierte Verweisung - wie z.B. Abschn. 1 S. 1 der DIN 4102 T4 EErl BW 7 7 2 : "Die Norm DIN 4102 Teil 4, Ausgabe März 1994, - Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen; Zusammenstellung und Anwendung klassifizierter Baustoffe, Bauteile und Sonderbauteile - wird hiermit als technische Baubestimmung nach § 3 Abs. 2 der Landesbauordnung für Baden-Württemberg (LBO) baurechtlich eingeführt." als verbindliche Richtlinien für die Bauaufsichtsbehörden in das Bauordnungsrecht des Bundeslandes Baden-Württemberg rezipiert werden. Im Ergebnis enthält damit auch die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften im Normen- und Regelsystem des Bauordnungsrechts keinerlei materielle Konkretisierung der allgemeinen Schutzziele und Sicherheitsanforderungen der Zentralnorm des § 3 Abs. 1 und 2 MBO sowie der §§ 12-52 MBO, sondern de-

768

Vgl. die Ausführungen in Fn. 471 in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(a)(bb). Stellt die Landesbauordnung weiterhin primär auf die "allgemein anerkannten Regeln der Technik" ab, so besteht das Ziel der Einführung darin, klarzustellen, welche sicherheitsrelevanten technischen Regeln sich als allgemein anerkannt durchgesetzt haben (Feststellungswirkung). Die nach Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 52, 73 kontrafaktische Gestaltungswirkung, nach der die Behörden auch eine nicht anerkannte technische Norm oder Baubestimmung zu einer allgemein anerkannten Regeln der Technik erheben können, wurde bereits zuvor abgelehnt. Vgl. dazu Fn. 601 in Kap. II. A.l.c)bb)(2)(a)(bb). 770 Vgl. zur Inkorporation von und zur datierten Verweisung auf technische Normen in allgemeinen Verwaltungsvorschriften die Ausführungen in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(a) (bb) und Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(aa)ß). 771 Einführung Technischer Baubestimmungen; DIN 1074; Holzbrücken; Ausgabe 05.91 v. 11.02.1993 (GABI. BW, Ausg. A, 1993, Nr. 8, S. 217). 772 Bekanntmachung über die Einführung Technischer Baubestimmungen; DIN 4102 Teil 4; Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen; Zusammenstellung und Anwendung klassifizierter Baustoffe, Bauteile und Sonderbauteile; Ausgabe 1994.03 v. 20.10.1994 (GABI. BW, Ausg. A, 1994, Nr. 17, S. 840). 769

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legiert diese Aufgabe an die nachfolgenden Regelungsebenen der (baurechtlich eingeführten) öffentlich-rechtlichen sowie privatrechtlichen sicherheitstechnischen Regeln und technischen Normen. (d) Die Ebene der öffentlich-rechtlichen technischen Regelwerke Zwar haben die obersten Bauaufsichtsbehörden der Bundesländer von ihrem Recht, in ihren Erlassen von DIN-Normen abweichende Regelungen zu treffen, kaum Gebrauch machen müssen. Sie haben jedoch in einer Reihe von Fällen selbst öffentlich-rechtliche sicherheitstechnische Richtlinien aufgestellt und diese nach § 3 Abs. 3 S. 1 MBO baurechtlich eingeführt. Dies geschah vor allem dann, wenn Lücken in den privaten technischen Normenwerken bestanden. Sobald die normschaffenden Institutionen diese Lücken geschlossen hatten, wurden die entsprechenden Richtlinien wieder aufgehoben. Dementsprechend ist dieser Fall von so geringer praktischer Bedeutung, daß er im einschlägigen Fachschrifttum allenfalls beiläufig Beachtung findet 773. Damit erfolgt die inhaltliche Konkretisierung der allgemeinen Schutzziele und Sicherheitsanforderungen der Zentralnorm des § 3 Abs. 1 und 2 MBO sowie der §§ 12-52 MBO erst durch die Normenwerke der privaten normschaffenden Institutionen774. (e) Die Ebene der privatrechtlichen technischen Normenwerke Durch die obersten Bauaufsichtsbehörden sämtlicher Bundesländer sind bis zum dritten Quartal 1995 rund 1.350 technische Normen - insbesondere DINNormen - baurechtlich eingeführt worden 775, welche die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen detailliert konkretisieren. Diese bilden somit das "materielle Kernstück" des Bauordnungsrechts der Bundesländer776. Damit läßt sich als Ergebnis festhalten, daß weder durch Gesetz noch durch Rechtsverordnungen noch durch verwaltungsinterne Vorschriften die konkrete

773

Vgl. z.B. Bub, H. u.a., Normung und Baurecht, S. 11; Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 526. 774 So auch Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 156 f.; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 115; Marburger, P., Regeln, S. 67 ff.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 51. 775 Zahlenangabe inklusive Änderungen, Ergänzungserlasse usw. Quelle: Eigene Recherche in der Sammlung "Technisches Recht auf CD-ROM" des Beuth-Verlages des DIN, Stand 3. Quartal 1995. 776 Marburger, P., Regeln, S. 85 ff.; Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 48.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Beurteilung von Bauvorhaben oder Bauprodukten unter Sicherheitsgesichtspunkten mit dem Ziel ermöglicht wird, den Regelungszweck des Bauordnungsrechts der Bundesländer - die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im allgemeinen sowie für Leben und Gesundheit der Menschen und für die natürlichen Lebensgrundlagen im besonderen - zu verwirklichen. Vielmehr bleibt es den hochgradig differenzierten technischen Normenwerken vor allem des D I N vorbehalten, den wissenschaftlich-technischen Sachverstand für die Handhabung des staatlichen Genehmigungs- und Aufsichtsinstrumentariums zu erschließen. Nicht anders als in den übrigen Bereichen des Umwelt- und Technikrechts werden demnach auch im Normen- und Regelsystem des Bauordnungsrechts die materiellen technischen Detailregelungen in privaten technischen Normen festgelegt, die den Pflichtigen als Handlungs- und den Behörden und Gerichten als Entscheidungsmaßstäbe dienen. (f) Rechtsfolgen für Normadressaten, Behörden und Gerichte Die Einführung technischer Normen als Technische Baubestimmungen durch die obersten Landesbaubehörden und deren Veröffentlichung im Ministerialblatt wurde, wie bereits ausgeführt, als normkonkretisierende allgemeine Verwaltungsvorschrift qualifiziert. Da die Exekutive ermächtigt ist, die fehlende legislative Konkretisierung nachzuholen, tritt der Einführungsakt an die Stelle einer normkonkretisierenden Einzel- oder Globalverweisung durch das Gesetz selbst. Dementsprechend sind zunächst einmal die als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Normen von jeder nachgeordneten Bauaufsichtsbehörde - unbeschadet der Abweichungsmöglichkeit nach § 3 Abs. 3 S. 3 MBO - als verbindlich gemachte Konkretisierung der in § 3 Abs. 1 und 2 MBO formulierten Schutzziele bei der Festlegung des Standards der Gefahrenabwehr strikt zu beachten, sofern nicht ein atypischer Sachverhalt vorliegt, d.h. die rezipierten Normen fehlerhaft oder veraltet sind oder aus sonstigen Gründen dem Schutzziel des Gesetzes nicht (mehr) gerecht werden. Abgesehen von dieser Ausnahme hat die Bauaufsicht davon auszugehen, daß ein Bauherr die Schutzziele und -maßstäbe des Bauordnungsrechts - die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürliche Lebensgrundlage - nicht gefährdet, wenn er die als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Normen einhält777. Dementsprechend kann sich der Bauherr als Normadressat des Bauordnungsrechts außer bei atypischen Sachverhalten darauf verlassen, daß behördli-

777 Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 73 f.; Marburger, P., Regeln, S. 87; Scholz, R., Verhältnis, S. 100 f., 104 f.

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che Beanstandungen im bauordnungsrechtlichen Genehmigungsverfahren entsprechend den §§59 ff. MBO unterbleiben, sofern er die als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Normen einhält. Jedoch ergeben sich die sicherheitstechnischen Anforderungen für den Bauherrn aufgrund der Möglichkeit eines atypischen Sachverhalts endgültig erst durch die Festlegung in einem gerichtlich nachprüfbaren Verwaltungsakt. Hingegen sind die Bauherren weder verpflichtet, die eingeführten Technischen Baubestimmungen zu befolgen, noch können sie zu deren Einhaltung durch einen Verwaltungsakt gezwungen werden. Vielmehr dürfen sie gemäß § 3 Abs. 3 S. 3 MBO von den Technischen Baubestimmungen abweichen, "wenn mit einer anderen Lösung in gleichem Maße die allgemeinen Anforderungen des Absatzes 1 erfüllt werden" 778. Allerdings verhält sich der Überwachungsunterworfene bei der Wahl neuer Baustoffe, Bauteile und Bauarten, die nicht als Technische Baubestimmungen eingeführt worden sind, aus der Sicht der bauordnungsrechtlichen Gefahrenabwehr atypisch und muß demgemäß gegenüber Behörden und Gerichten seinerseits den Beweis dafür erbringen, daß die von ihm verwandten technischen Lösungen mit den gesetzlichen Anforderungen in Einklang stehen, mithin die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht gefährden (vgl. z.B. § 73 Abs. 1 S. 2 BauO N W ) 7 7 9 . Schließlich haben entsprechend der Β indungs Wirkung einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift für die dritte Gewalt auch die Gerichte die Einführungsentscheidung in den vom Gesetz gezogenen Grenzen zu beachten, sofern nicht der Einführungsakt selbst gegen höherrangiges Recht verstößt 780. Damit spricht bei Beachtung der rezipierten technischen Normen eine tatsächliche Vermutung für die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen 781. Diese Ver778 Dafür spricht auch die in verschiedenen Landesbauordnungen wie beispielsweise § 3 Abs. 3 S. 1 BauO NW und § 3 Abs. 3 S. 3 BauO HE auch nach ihrer Neufassung aufgrund der Änderung der MBO zu findende Formulierung, daß als allgemein anerkannte Regeln der Technik "auch" oder "insbesondere" die von der obersten Bauaufsichtsbehörde durch öffentliche Bekanntmachung als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln gelten sollen. Damit geben sie klar zu erkennen, daß den gesetzlichen Anforderungen auch auf andere Weise entsprochen werden kann. 779 Bub, H. u.a., Normung und Baurecht, S. 116 f.; Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 75; Marburger, P., Regeln, S. 87; Scholz, R., Verhältnis, S. 100 f., 104 f. 780 Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 75. A.A. Marburger, P., Regeln, S. 87. 781 I.E. ebenso BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 17 f., 25 f.; Bub, H. u.a., Normung und Baurecht, S. 116. Diese wurden z.T. fälschlicherweise als rechtsverbindlich qualifiziert. Vgl. dazu die Nachweise bei Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 5. A.A. Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 66 f., der von einer widerlegbaren gesetzlichen Vermutung spricht.

28 Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

mutung ist allerdings widerleglicher Natur, denn die Gerichte sind im zur Entscheidung stehenden Einzelfall - auch ohne Wahrnehmung der Widerlegungsoption im Sinne des § 3 Abs. 3 S. 3 MBO - inzident berechtigt und verpflichtet, die Technischen Baubestimmung inhaltlich einer Evidenzkontrolle zu unterziehen und insbesondere zu prüfen, ob die technische Norm gegebenenfalls zur Gefahrenabwehr unzureichend, veraltet oder falsch ist und mithin ein atypischer Sachverhalt vorliegt 782. (2) Der "Stand der Technik Das Normen- und Regelsystem des Immissionsschutzrechts (a) Die Gesetzesebene Regelungsgegenstand des Normen- und Regelsystems des Immissionsschutzrechts sind technische Anlagen. Das auf der Gesetzesebene einschlägige Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) unterscheidet dabei zwischen genehmigungsbedürftigen Anlagen (§§4 ff. BImSchG), welche "auf Grund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebes in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen,, (§ 4 Abs. 1 S. 1 BImSchG), und nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen (§§ 22 ff. BImSchG). Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen sind allein die Regelungen bezüglich der genehmigungsbedürftigen Anlagen, welche im Anhang der 4. BImSchV 783 , die im Rahmen der Ermächtigung des § 4 Abs. 1 S. 3 BImSchG ergangen ist, abschließend enumerativ aufgelistet sind, wobei auf Analogien zum Bereich der nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen in den Fußnoten hingewiesen wird.

782 Und die - im Falle des Sicherheitsmaßstabes der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" - dementsprechend nicht mehr (allgemein) anerkannt, oder umgekehrt zu neu und dementsprechend noch nicht allgemein anerkannt sind. Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 66 f., der allerdings die baurechtliche Einführung noch nicht allgemein anerkannter technischer Normen entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des normativen Standards als Gestaltungswirkung qualifiziert (ebd., S. 75). Vgl. zu den Ausführungen dieses Abschnitts auch Kap. II.A.l.c)bb)(l)(a)(bb), Kap. II. A.l.c)bb)(l)(b)(aa)ß), Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(bb)ß) und Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a) (bb). 783 Vierte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen - 4. BImSchV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 24.07.1985 (BGBl. I, 1985, S. 1586), zul. geänd. d. Verordnung v. 26.10.1993 (BGBl. I, 1993, S. 1782). Vgl. dazu auch Feldhaus, G., BImSchR, 4. BImSchV - 2.4 Vorbemerkung.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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Regelungszweck des Normen- und Regelsystems des Immissionsschutzrechts sind allein Umweltschutzbelange im Hinblick auf technische Anlagen784. Für die entsprechend § 4 Abs. 1 BImSchG genehmigungsbedürftigen Anlagen wird neben die Grundpflicht der Gefahrenabwehr des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, diese "so zu errichten und zu betreiben, daß ... schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können", in Nr. 2 dieses Paragraphen die Grundpflicht

zur Risikovorsorge

gestellt,

"Genehmigungsbedürftige Anlagen ... so zu errichten und zu betreiben, daß ... Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung."785 Während nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG schädliche Umwelteinwirkungen unabhängig von ihrer technischen Vermeidbarkeit verboten sind, verpflichtet § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG den Normadressaten nur zur technisch realisierbaren und wirtschaftlich verhältnismäßigen Emissionsbegrenzung786. Die Erfüllung dieser beiden Grundpflichten bildet neben anderem eine wesentliche Voraussetzung für die Genehmigungserteilung nach § 6 BImSchG 787 . Dabei bleibt allerdings die Frage, wie die Genehmigungsvoraussetzungen und insbesondere der die Vorsorgepflicht determinierende "Stand der Technik" im Detail zu bestimmen sind, abgesehen von den sehr allgemeinen Ansätzen der entsprechenden Legaldefinition in § 3 Abs. 6 BImSchG 788 vom Gesetzgeber 784

Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 12. Vgl. zum Normen- und Regelsystem des Bundes-Immissionsschutzrechts Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, passim; Marburger, P., Regeln, S. 89 ff.; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 9 ff.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 60 ff.; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 30 ff. 785 Feldhaus, G., BImSchR, zu § 5, insbes. Rn. 3 und 7; Marburger, P., Regeln, S. 90; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 12; Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 82. Analog bestimmt § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG bezüglich nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen: "Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, daß 1. schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind und 2. nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden 786 Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 46 m.N. aus Rechtsprechung und Literatur; vgl. dazu auch die Ausführungen zum normativen Standard "Stand der Technik" in Kap. H.A. 1 .c)bb)( 1 )(b)(cc)ß). 787 Feldhaus, G., BImSchR, zu § 6, insbes. Rn. 3. 788 "Stand der Technik im Sinne dieses Gesetzes ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen gesichert erscheinen läßt. Bei der

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

unbeantwortet. Daher sind es die untergesetzlichen Regelungen zur Konkretisierung der Betreiberpflichten, denen die Verwirklichung der gesetzlichen Vorgaben zufällt 789 . (b) Die Verordnungsebene Im BImSchG finden sich zahlreiche Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen teils auf Bundesebene - entweder durch die Bundesregierung (§§ 4 Abs. 1 S. 3, 7 Abs. 1, 10 Abs. 10, 22 Abs. 1 S. 2, 23 Abs. 1, 26 Abs. 2, 27 Abs. 4, 29 Abs. 2, 32-35, 37, 43 BImSchG) oder durch den Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (§§ 53 Abs. 1 S. 2, 55 Abs. 2 S. 3 BImSchG), teils durch die Landesregierungen (§ 49 BImSchG). Hinsichtlich der Konkretisierung der Betreiberpflichten für genehmigungsbedürftige Anlagen aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG ist § 7 Abs. 1 BImSchG einschlägig, wonach diese durch Rechtsverordnungen der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates und nach Anhörung der beteiligten Kreise entsprechend § 51 BImSchG präzisiert werden können. Dabei besteht explizit die Möglichkeit, auf "jedermann zugängliche Bekanntmachungen sachverständiger Stellen" - für den Anwendungsbereich des BImSchG sind insbesondere die von den VDIKommissionen "Reinhaltung der Luft" und "Lärmbekämpfung" herausgegebenen VDI-Richtlinien sowie die einschlägigen Normen des DIN relevant 790 - zu verweisen, die ihrerseits nach Datum und Bezugsquelle genau bezeichnet und beim Deutschen Patentamt archivmäßig gesichert niedergelegt werden müssen (§ 7 Abs. 5 BImSchG) 791 . Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, die mit Erfolg im Betrieb erprobt worden sind." Vgl. dazu die Ausführungen zum normativen Standard "Stand der Technik" in Kap. H.A. 1 .c)bb)(l)(b)(cc)ß). 789 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 36; Marburger, P., Regeln, S. 90; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 13. 790 Feldhaus, G., BImSchR, Rn. 4 zu § 7. Vgl. dazu auch Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa). 791 Eine entsprechende Verordnungsermächtigung für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen findet sich in § 23 Abs. 1 BImSchG, der bezüglich der Bekanntmachungen sachverständiger Stellen auf § 7 Abs. 5 BImSchG verweist. Auf Basis dieser Ermächtigung wurden acht Verordnungen erlassen: - Die Erste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Kleinfeuerungsanlagen - 1. BImSchV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 15.07.1988 (BGBl. I, 1988, S. 1059), zul. geänd. d. Verordnung v. 20.07.1994 (BGBl. I, 1994, S. 1680); - die Zweite Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung zur Emissionsbegrenzung von leichtflüchtigen Halogenkohlenwasserstoffen - 2. BImSchV) v. 10.12.1990 (BGBl. I, 1990, S. 2694), zul. geänd. d. Verordnung v. 05.06.1991 (BGBl. I, 1991, S. 1218);

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Zur Konkretisierung der Betreiberpflichten für genehmigungsbedürftige Anlagen sind die folgenden Verordnungen erlassen worden: Die Zwölfte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall- Verordnung - 12. BImSchV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 20.09.1991 (BGBl. I, 1991, Nr. 54, S. 1891-1913), geänd. d. GefStoffV v. 26.10.1993 (BGBl. I, 1993, Nr. 57, S. 1782-1810); die Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Großfeuerungsanlagen - 13. BImSchV) v. 22.06.1983 (BGBl. I, 1983, S. 719); die Siebzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Verbrennungsanlagen für Abfälle und ähnliche brennbare Stoffe - 17. BImSchV) v. 23.11.1990 (BGBl. I, 1990, S. 2832). Jedoch beschränken sich deren Festlegungen auf die Angabe von Mindestforderungen - u.a. in Form von Grenzwerten -, während eine materielle Konkretisierung insbesondere der Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG

- die Siebente Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung zur Auswurfbegrenzung von Holzstaub - 7. BImSchV) v. 18.12.1975 (BGBl. I, 1975, S. 3133); - die Achte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Rasenmäherlärm-Verordnung - 8. BImSchV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 13.07.1992 (BGBl. I, 1992, S. 1248), zul. geänd. d. Verordnung v. 27.04.1993 (BGBl. I, 1993, S. 512); - die Zehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über die Beschaffenheit und die Auszeichnung der Qualitäten von Kraftstoffen - 10. BImSchV) v. 13.12.1993 (BGBl. I, 1993, S. 2036); - die Achtzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Sportanlagenverordnung - 18. BImSchV) v. 18.07.1991 (BGBl. I, 1991, S. 1790); - die Zwanzigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung zur Begrenzung der Kohlenwasserstoffemissionen beim Umfüllen und Lagern von Ottokraftstoffen - 20. BImSchV) v. 07.10.1992 (BGBl. I, 1992, S. 1727); - die Einundzwanzigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung zur Begrenzung der Kohlenwasserstoffemissionen bei der Betankung von Kraftfahrzeugen- 21. BImSchV) v. 07.10.1992 (BGBl. I, 1992, S. 1730). Die Festlegungen in diesen Verordnungen sind jedoch - wie die der entsprechenden Verordnungen hinsichtlich der überwachungsbedüiftigen Anlagen - überwiegend allgemein gehalten oder verweisen auf den "Stand der Technik" (vgl. z.B. § 3 Abs. 1 und 2 der 20. BImSchV oder § 3 Abs. 1 der 21. BImSchV). Von der Verweisungsmöglichkeit auf technische Normen wird lediglich vereinzelt z.B. in den §§ 2 Nr. 12, 3 Abs. 1 Nr. 9 der 1. BImSchV, § 2 Abs. 1 und 2, §§ 3, 4, 6 Nr. 1, 2, 3, 4 sowie § 9 der 10. BImSchV und in den Nr. 2.1, 2.3, 3.1 und 3.2 des Anhangs der 18. BImSchV durch genaue Bezeichnung der DIN-, DIN-EN-, DIN-IEC-Normblätter bzw. VDI-Richtlinien und des Ausgabedatums Gebrauch gemacht.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

fehlt 792 . Auch von der Ermächtigung zum Verweis auf technische Normen wird nur spärlich Gebrauch gemacht: So nimmt Nr. 4a des Anhangs I I der 12. BImSchV die VDI-Richtlinie 2263, Blatt 1 in Bezug, und die §§ 8 Abs. 2, 12 Abs. 1 und 17 Abs. 4 der 13. BImSchV verweisen datiert auf die DIN-Normblätter D I N 51 603 Teil 1 (Ausgabe Dezember 1981) und DIN 51 603 Teil 2 (Ausgabe Oktober 1976). Statt dessen enthalten auch die Rechtsverordnungen wiederum zahlreiche offene Rechtsbegriffe wie beispielsweise "erforderliche Vorkehrungen", "ausreichende Warn-, Alarm- und Sicherheitseinrichtungen", "ausreichend zuverlässige Meßeinrichtungen" (§§3 Abs. 1, 4 Nr. 3 der 12. BImSchV), "in geeigneter Weise zu überwachen", "ordnungsgemäß und schadlos zu verwerten" (§§3 Abs. 2, 7 Abs. 1 S. 1 der 17. BImSchV), oder verweisen ebenfalls auf den "Stand der Technik" (vgl. z.B. die §§ 5 Abs. 1 S. 2, 6 Abs. 1 S. 2 und 19 Abs. 1 S. 2 der 13. BImSchV) oder den analog zum Begriff "Stand der Technik" des § 3 Abs. 6 BImSchG definierten "Stand der Sicherheitstechnik" (vgl. z.B. die §§ 2 Abs. 3, 3 Abs. 4 und § 8 der 12. BImSchV), so daß sich die notwendigen sicherheitstechnischen Detailregelungen hinsichtlich der Risikovorsorge für genehmigungsbedürftige Anlagen nur zu einem geringen Teil den Rechtsverordnungen entnehmen lassen793. Damit delegiert der Verordnungsgeber die Konkretisierung der dem "Stand der Technik" entsprechenden Risikovorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch genehmigungsbedürftige Anlagen auf die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften. (c) Die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften Auf Basis der Ermächtigung zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften in § 48 i.V.m. § 51 BImSchG hat die Bundesregierung zahlreiche Verwaltungsvorschriften verabschiedet. Von diesen ist hinsichtlich der genehmigungsbe792

So die Ergebnisse der Untersuchungen von Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 43 und Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 57 bezüglich der 12. und 13. BImSchV, obwohl in letzterer in § 1 Abs. 1 S. 2 explizit proklamiert wird: "Sie [die 13. BImSchV] enthält Anforderungen, die zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen nach § 5 Nr. 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu erfüllen sind." Ob die 13. BImSchV diesen Anforderungen angesichts ihres Alters von nunmehr über 13 Jahren dieser Zielsetzung respektive dem "Stand der Technik" noch genügen, erscheint mehr als zweifelhaft, zumal die Festlegungen vielfach die Anforderungen der TA Luft von 1974 übernommen haben bzw. mit diesen Anforderungen äquivalent sind (vgl. z.B. Feldhaus, G., BImSchR, Rn. 1, 3 zu § 3, Rn. 1, 4 zu § 4 und Rn. 1 zu § 5), so daß sich die Festlegungen in vielen Fällen auf den Stand der Technik von vor über 22 Jahren beziehen. 793 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 49; Marburger, P., Regeln, S. 97; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 63.

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dürftigen Anlagen insbesondere die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) von Bedeutung. So wurde nicht nur in der Übergangsvorschrift des § 67 Abs. 5 BImSchG bis zum 4. September 1978 auf Nr. 4 der TA Luft vom 28. August 1974 verwiesen 794; auch einige der einschlägigen Bundesimmissionsschutz-Verordnungen beziehen sich auf die TA Luft bzw. haben deren Festlegungen inkorporiert 795. Neben der TA Luft ist für das Immissionsschutzrecht noch die auf der Grundlage des § 16 Abs. 3 S. 2 GewO a.F. 796 ergangene und nach § 66 Abs. 2 BImSchG übergeleitete Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) von besonderer Bedeutung. Diese bleibt im Immissionsschutzrecht bis zum Inkrafttreten einer neuen, auf § 48 BImSchG zu stützenden allgemeinen Verwaltungsvorschrift weiterhin anwendbar, wobei aufgrund des Alters der TA Lärm bei ihrer Anwendung sorgfältig zu prüfen ist, inwieweit sie noch mit der neueren Rechtslage übereinstimmt797. In TA Luft und TA Lärm ist die Grundpflicht der Gefahrenabwehr aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG relativ weitgehend konkretisiert. Darüber hinaus soll in der TA Luft entsprechend ihrer Zielsetzung aus Nr. 1 S. 1 auch die ungleich schwieriger zu präzisierende Grundpflicht der Risikovorsorge aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen mittels einer Reihe von Immissions- und Emissionsgrenzwerten einschließlich Bestimmungen zu entsprechenden Meßverfahren sowie zur Ableitung von Abgasen näher bestimmt werden. Ob angesichts der relativ langen Aktualisierungszeiträume - die letzten Aktualisierungen der TA Luft erfolgten 1986, 1974 und 1964 - und des hohen Alters der TA Luft von nunmehr über zehn Jahren die Festlegungen noch dem die Vorsorgemaßnahmen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG determinierenden normativen Standard "Stand der Technik" genügen, erscheint mehr als zweifelhaft. Darüber hinaus wird der Regelungsbereich durch die TA Luft nur unvollständig abgedeckt798. Wohl nicht 794

Und damit entsprechend den nachfolgenden Ausführungen indirekt auf zahlreiche VDI-Richtlinien. Vgl. auch Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, S. 44. 795 Zu entsprechenden Verweisungen vgl. z.B. die §§ 6 Abs. 5 Nr. 2, 11 Abs. 5 Nr. 2, 29 Abs. 1 S. 2 und 33 Abs. 1 Nr. 3 der 13. BImSchV; zu Inkorporationen vgl. die Ausführungen in Fn. 793 des vorhergehenden Kapitels. 796 Gewerbeordnung (GewO) v. 04.08.1960 (BGBl. I, 1960, S. 690). 797 Von ihrer Aktualität bezüglich des Standes der Technik ganz zu schweigen. Feldhaus, G., BImSchR, Vorbemerkung zum Kommentar der TA Lärm. 798 Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen hinsichtlich der globalen Verweisung der TA Luft auf die Normenwerke von VDI und DIN. Nur eine geringe Konkretisierungswirkung der Grundpflicht zur Risikovorsorge des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG bescheinigen der TA Luft auch Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 43 ff., 72; Marburger, P., Regeln, S. 92; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 43 ff., 61 ff.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 98.

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zuletzt aus diesem Grunde verweist die TA Luft für den Bereich der Luftreinhaltung hinsichtlich der Begrenzung von Emissionen darüber hinaus auf den "Stand der Technik" (Abs. 2 des Abschn. 2 Nr. 2.2.1.1 lit. b) der TA Luft) und zur Beurteilung, inwieweit Einwirkungen der von einer Anlage ausgehenden Luftverunreinigungen als Gefahren, erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft anzusehen sind, auf den "Stand der Wissenschaft" und die "allgemeine Lebenserfahrung" (2. Abs. d. Abschn. 2 Nr. 2.2.1.3 lit. b) TA Luft) und bestimmt darüber hinaus in Abschn. 2 Nr. 2.2.1.4 S. 2: "Ob sonstige Maßnahmen zur Vorsorge erforderlich sind, ist aufgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG im Einzelfall zu entscheiden." Im Gegensatz zur TA Luft hat die TA Lärm darauf verzichtet, die Grundpflicht zur Risikovorsorge gegen schädliche Einwirkungen durch Schallwellen entsprechend dem Stand der Technik durch Einzelanforderungen bzw. die Festlegung von Emissions- oder Immissionswerten zu konkretisieren, sondern verweist in ihrer zentralen Bestimmung des Abschn. 2 Nr. 2.211 lit. a) auf den in Abschn. 2 Nr. 2.31 definierten "jeweiligen Stand der Lärmbekämpfungstechnik" 799 . Sowohl die TA Luft als auch die TA Lärm beruhen im wesentlichen auf Vorarbeiten der entsprechenden VDI-Kommissionen 80°, die seit dem zwischen DIN und V D I geschlossenen Kooperationsvertrag als "Kommission der Reinhaltung der Luft" (KRdL) und "Normenausschuß Akustik, Lärmminderung und Schwingungstechnik" (NALS) gemeinsame Normungsgremien von DIN und V D I bilden 801 . Dementsprechend sind die Technischen Anleitungen der Behörden mit den privaten technischen Normenwerken eng verzahnt. So bestimmt der 2. Abs. des Abschn. 3 Nr. 3.1.1 der TA Luft zur Konkretisierung des Standes der Technik hinsichtlich der Begrenzung und Feststellung von Emissionen: "Soweit 2.3 [Immissionsgrenzwerte für krebserzeugende Stoffe], 3.1 [allgemeine Emissionsgrenzwerte] oder 3.3 [besondere Regelungen für bestimmte Anlagenarten] keine oder keine vollständigen Regelungen zur Begrenzung der Emissionen enthalten, sollen zu Prozeß- und Gasreinigungstechniken Richtlinien des VDIHandbuches Reinhaltung der Luft und DIN-Normen herangezogen werden."

799 Diese Definition ist seit der Legaldefinition des Standes der Technik in § 3 Abs. 6 BImSchG nicht mehr gültig. Feldhaus, G., BImSchR, Abs. 1 der Rn. "Stand der Technik" zu Absch. 2 Nr. 2.31 der TA Lärm. 800 Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, S. 44; Feldhaus, G., BImSchR, Rn. "VDIRichtlinie 2058" zu Absch. 2 Nr. 2.321 der TA Lärm; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 49; Marburger, P., Regeln, S. 93, 97 ff.; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 45; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 67; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 32. 801 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(4).

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Und auch die Konkretisierung des "jeweiligen Standes der Lärmbekämpfungstechnik" des Abschn. 2 Nr. 2.211 lit. a) der TA Lärm erfolgt durch die einschlägigen VDI-Richtlinien und DIN-Normen 802 . In diesem - und anderem - Zusammenhang wird neben den Inkorporationen in der TA Luft auf rund 150 VDI-Richtlinien bzw. -blätter und eine DIN-Norm und in der TA Lärm mehrfach undatiert auf zwei DIN-Normen verwiesen. Im Ergebnis enthält damit auch die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften im Normen- und Regelsystem des Immissionsschutzrechts nur eine ansatzweise materielle Konkretisierung der dem "Stand der Technik" entsprechenden Risikovorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch genehmigungsbedürftige Anlagen, womit diese Aufgabe an die nachfolgenden Regelungsebenen der öffentlich-rechtlichen sowie privatrechtlichen sicherheitstechnischen Regeln und technischen Normen delegiert wird. (d) Die Ebene der öffentlich-rechtlichen technischen Regelwerke Mit der Novellierung des BImSchG vom 11. Mai 1990 wurde beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gemäß § 31 a Abs. 1 S. 1 BImSchG ein Technischer Ausschuß für Anlagensicherheit gebildet. Dieser berät die Bundesregierung oder den zuständigen Bundesminister in sicherheitstechnischen Fragen, welche die Verhinderung von Störfällen und die Begrenzung ihrer Auswirkungen betreffen, und schlägt dem Stand der Sicherheitstechnik entsprechende Regeln - sogenannte sicherheitstechnische Regeln vor (§ 31 a Abs. 1 S. 2 und 3 BImSchG). Diese können entsprechend § 31 a Abs. 4 BImSchG vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Aufgabe des technischen Ausschusses ist es, das vorhandene Wissen auf dem Gebiet der Sicherheit von Anlagen zu erfassen und neue Erkenntnisse zu fördern. Damit soll die Grundlage für die untergesetzliche Normierung in Form von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften insbesondere hinsichtlich der dem "Stand der Sicherheitstechnik" entsprechenden technischen Sicherheitsanforderungen geschaffen werden 803. Zur Ergänzung der Aufgaben des Technischen Ausschusses für Anlagensicherheit wurde im Rahmen der eingangs genannten Gesetzesänderung beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eine Störfall802

Feldhaus, G., BImSchR, Abs. 2 der Rn. "Stand der Technik" zu Absch. 2 Nr. 2.31 der TA Lärm. 803 Entsprechend der amtlichen Begründung (BT-Drucks. 11/4909, S. 20), zit. bei Feldhaus, G., BImSchR, zu § 31a.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Kommission gebildet (§ 51 a Abs. 1 S. 1 BImSchG). Diese soll die Bundesregierung beraten und gemäß § 51 a Abs. 2 BImSchG in regelmäßigen Zeitabständen sowie aus besonderem Anlaß Möglichkeiten zur Verbesserung der Anlagensicherheit aufzeigen. Eine Erarbeitung und/oder Veröffentlichung technischer Regeln ist hier - zumindest explizit - nicht vorgesehen. Mit den beiden interessenpluralistisch besetzten Kommissionen (§§ 31 a Abs. 2 S. 1, 51 a Abs. 1 S. 2 BImSchG) als qualifizierte Fachgremien soll eine umfassende, sachkundige und auch die widerstreitenden Interessen berücksichtigende Beratung der Bundesregierung in Fragen der Anlagensicherheit sichergestellt werden 804. Soweit ersichtlich, ist eine über diese Beratungsfunktion hinausgehende Veröffentlichung technischer Regeln zur Konkretisierung der Betreiberpflichten entsprechend § 5 BImSchG bislang nicht geschehen. Damit obliegt die Aufgabe der materiellen Konkretisierung der dem "Stand der Technik" entsprechenden Risikovorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch genehmigungsbedürftige Anlagen der letzten Regelungsebene der privatrechtlichen technischen Normen. (e) Die Ebene der privatrechtlichen technischen Normenwerke Dementsprechend wird der unterhalb der Ebenen von Gesetz, Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften verbleibende Freiraum durch eine große Anzahl privatrechtlicher technischer Normen ausgefüllt, die zum Teil durch die genannten Inkorporationen und Verweisungen auf Ebene der Rechtsverordnungen und Technischen Anleitungen in das Immissionsschutzrecht rezipiert werden 805. In den vornehmlich in Bezug genommenen VDIRichtlinien, aber auch in den DIN-Normen, finden sich viele detaillierte Ausgestaltungen der Betreiberpflichten aus § 5 BImSchG, insbesondere auch insoweit, als es um die nach dem Stand der Technik möglichen Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung und damit um die Konkretisierung der Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG geht, die in den einschlägigen Rechtsverordnungen und weitgehend auch in den Technischen Anleitungen offenbleibt 806.

804 Gemäß der amtlichen Begründung (BT-Drucks. 11/4909, S. 23 f), zit. bei-Feldhaus, G., BImSchR, zu § 51a. 805 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 54; 806 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 49 ff., 72; Marburger, P., Regeln, S. 97 ff.; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 45, 47; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 67; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 32.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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Neben den ausdrücklich in Bezug genommenen gibt es eine Vielzahl weiterer, für den Immissionsschutz bedeutsame technische Normen, die von den Genehmigungs- und Überwachungsbehörden als administrative Entscheidungsmaßstäbe verwendet und von den Anlagenbetreibern beachtet werden 807. Insbesondere dem Regelwerk des V D I kommt aufgrund seiner zukunftsorientierten Zielsetzung in dem dynamischen Bereich der an den technischen Fortschritt gekoppelten Emissionsbegrenzungsmaßnahmen, aber auch hinsichtlich neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse bezüglich der Grenze von schädlichen zu "unschädlichen" Immissionsbelastungen eine erhebliche Bedeutung zu. Besonderes Gewicht haben dabei die VDI-Richtlinien zur Lärmminderung und zur Reinhaltung der Luft, die aufgrund ihrer Rezeption in die genannten Rechtsverordnungen und Technischen Anleitungen des Immissionsschutzrechts sowie dank der Tatsache, daß sie von Behörden und Gerichten als Entscheidungsmaßstäbe herangezogen werden, weitestgehend die betriebliche wie behördliche Praxis im Immissionsschutz beherrschen 808. Damit läßt sich als Ergebnis festhalten, daß lediglich die Schutzpflicht der Gefahrenabwehr für den Normalbetrieb und für Störfälle genehmigungsbedürftiger Anlagen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG durch die einschlägigen Regelungen der 12., 13. und 17. BImSchV in Form von Mindestforderungen und Grenzwerten sowie der TA Luft und TA Lärm relativ weitgehend festgelegt wird. Für die weitere umwelttechnische Beurteilung der Anlage insbesondere hinsichtlich der ungleich schwerer konkretisierbaren Vorsorgepflicht, die wenn überhaupt - allenfalls in Ansätzen in der TA Luft präzisiert wird, bleibt es den hochgradig differenzierten technischen Normenwerken vorbehalten, den wissenschaftlich-technischen Sachverstand für die Handhabung des staatlichen Genehmigungs- und Überwachungsinstrumentariums zu erschließen. Nicht anders als in den übrigen Bereichen des Umwelt- und Technikrechts werden also auch im Immissionsschutzrecht die materiellen technischen Detailregelungen überwiegend in privaten technischen Normen festgelegt, die den Pflichtigen als Handlungs- und den Behörden und Gerichten als Entscheidungsmaßstäbe die-

(f) Rechtsfolgen für Normadressaten, Behörden und Gerichte Von dem unterhalb der Ebene des formellen Gesetzes vorhandenen Regelungsgefüge erzeugen lediglich die hinsichtlich der Schutzpflicht der Gefahren807

Marburger, P., Regeln, S. 100. Vgl. Fn. 308 in Kap. H.A. 1 .a)ff)(l). Femer Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 54; Marburger, P., Regeln, S. 97 ff. 809 Marburger, P., Regeln, S. 97 ff., 225. 808

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

abwehr für den Normalbetrieb und für Störfälle genehmigungsbedürftiger Anlagen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG einschlägigen Regelungen der 12., 13. und 17. BImSchV inklusive der datiert in Bezug genommenen technischen Normen eine unmittelbare und allgemeine Bindungswirkung sowohl für den Normadressaten als auch für Behörden und Gerichte. Die im übrigen behandelten Technischen Anleitungen und die in ihnen rezipierten technischen Normen, aus denen sich die weiteren materiellen Anforderungen der Betreiberpflichten überwachungsbedürftiger Anlagen bezüglich der Gefahrenabwehr und der Risikovorsorge ergeben, sind weder aus sich heraus rechtsverbindlich, noch werden sie durch rechtsnormative Bezugnahme rezipiert. Für sie gelten demnach hinsichtlich der Rechtsfolge die entsprechenden Ausführungen in den Kapiteln ILA. l.c)bb)(l)(a)(bb), ILA. 1 .c)bb)( 1 )(b)(aa)ß) und II.A.l.c)bb)(l)(b)(bb) ß). Danach binden die Technischen Anleitungen inklusive der rezipierten technischen Normen, deren Inhalt infolge der Inkorporationen und Verweisungen an der Rechtsgeltung der Technischen Anleitungen teilnimmt, zunächst einmal grundsätzlich verwaltungsintern als Dienstbefehle die zuständigen Genehmigungsbehörden. Diese müssen die Festlegungen der Technischen Anleitungen und der in ihnen rezipierten technischen Normen befolgen, sofern nicht ein atypischer Sachverhalt vorliegt, d.h. die technischen Normen fehlerhaft oder veraltet sind oder aus sonstigen Gründen dem Schutzziel der Gefahrenabwehr bzw. Risikovorsorge des Gesetzes nicht (mehr) gerecht werden. Dementsprechend können sich die Anlagenbetreiber als Normadressaten des Bundes-Immissionsschutzrechts außer im Falle eines atypischen Sachverhalts darauf verlassen, daß behördliche Beanstandungen im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren unterbleiben, sofern sie sich an die Vorgaben der Technischen Anleitungen und der rezipierten technischen Normen halten. Jedoch ergeben sich die umwelttechnischen Anforderungen für den Anlagenbetreiber aufgrund der Möglichkeit eines atypischen Sachverhalts endgültig erst durch die Festlegung in einem gerichtlich nachprüfbaren Verwaltungsakt. Auf der anderen Seite können die Anlagenbetreiber auch andere technische Lösungen als die in den Technischen Anleitungen und den rezipierten technischen Normen bezeichneten wählen; jedoch führt eine Überschreitung der Grenzwerte regelmäßig zu der Ablehnung der Genehmigung810. Qualifiziert man schließlich die Technischen Anleitungen als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, so haben gemäß der Bindungswirkung einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift für die dritte Gewalt auch die

810

Marburger, R, Regeln, S. 96.

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Gerichte die Technischen Anleitungen und die in ihnen rezipierten technischen Normen innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen zu beachten811. (3) Der "Stand von Wissenschaft des Kernenergierechts

und Technik

Das Normen- und Regelsystem

(a) Die Gesetzesebene Regelungsgegenstand des Normen- und Regelsystems des Kernenergierechts 812 sind entsprechend § 7 des auf der Gesetzesebene einschlägigen Atomgesetzes (AtG) neben der Ein- und Ausfuhr (§ 3 AtG), der Beförderung (§ 4 AtG), der Verwahrung, dem Besitz und der Ablieferung (§§5 und 6 AtG), der Bearbeitung, Verarbeitung und sonstigen Verwendung von Kernbrennstoffen außerhalb genehmigungspflichtiger Anlagen (§ 9 AtG), der Verwertung radioaktiver Reststoffe und Beseitigung radioaktiver Abfälle (§ 9a AtG) u.a.m. der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 AtG legaldefinierten Kernbrennstoffe insbesondere die Errichtung, der Betrieb, der Besitz, die Veränderung, die Stillegung, der Einschluß und der Abbau von ortsfesten und ortsveränderlichen Anlagen "zur Erzeugung oder zur Verarbeitung oder zur Spaltung von Kernbrennstoffen oder zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe". Im folgenden soll allein das Normen- und Regelsystem bezüglich dieser genehmigungspflichtigen Anlagen betrachtet werden. Regelungszweck des Normen- und Regelsystems des Kernenergierechts ist gemäß § 1 Nr. 1 AtG die Förderung der Erforschung, Entwicklung und Nutzung der Atomenergie zu friedlichen Zwecken (Förderungszweck), wobei nach § 1 Nr. 2 AtG Leben, Gesundheit und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie und der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen zu schützen und durch Kernenergie oder ionisierende Strahlen verursachte Schäden auszugleichen sind (Schutzzweck). Ungeachtet der Reihenfolge der Regelungsziele im Gesetz genießt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung der in § 1 Nr. 2 AtG nor-

811

Hinsichtlich der Rechtsfolgen im Falle der Interpretation der allgemeinen Verwaltungsvorschriften als antizipierte Sachverständigengutachten vgl. die Ausführungen in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(c). Vgl. zu den Ausführungen dieses Abschnitts auch Kap. II.A.l.c)bb)(l)(a)(bb), Kap. ILA. 1 .c)bb)( 1 )(b)(aa)ß), Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(bb)ß) und Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(bb). 812 Vgl. zum Normen- und Regelsystem des Atomrechts Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, passim; Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 127 ff.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, passim; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 76 ff.; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 33 ff.; Ziegler, E., Atomgesetz, passim.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

mierte Schutzzweck Vorrang gegenüber dem Förderungszweck des § 1 Nr. 1 AtG 8 1 3 . Das Genehmigungsverfahren für kerntechnische Anlagen ist nach § 7 Abs. 1, 2 und 2a AtG als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und Versagungsermessen der Genehmigungsbehörden ausgestaltet814. So stellt § 7 Abs. 1 AtG ortsfeste Anlagen zur Erzeugung, Bearbeitung, Verarbeitung oder Spaltung von Kernbrennstoffen oder zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe unter einen Genehmigungsvorbehalt. Für die Genehmigungserteilung ist die Einhaltung des in § 7 Abs. 2 AtG normierten Pflichtenkatalogs Voraussetzung815. Die zentrale Genehmigungsvoraussetzung für kerntechnische Anlagen findet sich in § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG, wonach eine Genehmigung nur dann erteilt werden darf, wenn "die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist." 816 Abgesehen von § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG, nach dem "der erforderliche Schutz der Anlage gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter" zu gewährleisten ist, umschreibt das Gesetz mit dieser Formel das gesamte Sicherheitskonzept, also alle sicherheitstechnischen Anforderungen an die Beschaffenheit der Anlage und den Umgang mit ihr, die erfüllt sein müssen, damit die

813 Wird nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen eine Vorsorge gegen Schäden für erforderlich gehalten, die sich technisch (noch) nicht verwirklichen läßt, so darf die Genehmigung nicht erteilt werden. Die erforderliche Vorsorge wird mithin nicht durch das technisch Machbare begrenzt. Vgl. dazu die Ausführungen und Nachweise bezüglich des normativen Standards "Stand von Wissenschaft und Technik" in Kap. II. A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß). Zweck des Gesetzes ist weiterhin "zu verhindern, daß durch Anwendung oder Freiwerden der Kernenergie die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet wird" und "die Erfüllung internationaler Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der Kernenergie und des Strahlenschutzes zu gewährleisten" (§ 1 Nr. 3 und 4 AtG). 814 BVerfGE 49, S. 89 (144 f.); Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 34; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 78; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 33. 815 Für Kernbrennstoffe wird in § 9 Abs. 2 AtG ein nahezu identischer Pflichtenkatalog normiert. 816 Marburger, P., Regeln, S. 101; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 33 ff. und insbes. 37 ff.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 78; Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 81 ff.; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 212. Strengere Anforderungen an die Risikovorsorge des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG stellt § 7 Abs. 2a AtG für Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen, die der Erzeugung von Elektrizität dienen, worauf jedoch nicht näher eingegangen werden soll.

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Genehmigung erteilt werden kann 817 . Über diese Bestimmung hinaus enthält das AtG keine konkreten Festlegungen bestimmter sicherheitstechnischer Anforderungen 818. Daher sind es die untergesetzlichen Regelungen zur Konkretisierung der Betreiberpflichten, denen die Verwirklichung der gesetzlichen Vorgaben zufällt 819 . (b) Die Verordnungsebene Aufbauend auf der in § 1 normierten Zweckbestimmung des AtG enthält dieses zahlreiche Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen entweder für die Bundesregierung (§§ 10, 11, 12, 12 b Abs. 2, 12 c Abs. 4 S. 2, 13 Abs. 3 S. 1, 21 Abs. 3 S. 1, 21 a Abs. 2 S. 1, 21 b Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 54 Abs. 1 AtG) oder den zuständigen Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (§§ 7 Abs. 4 S. 3 und Abs. 5, 7 a Abs. 2, 10, 12a i.V.m. § 54 Abs. 1 AtG), von denen für die Konkretisierung der "nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche[n] Vorsorge gegen Schäden" i.S.d. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG vor allem die umfangreiche Ermächtigung des § 12 AtG einschlägig ist 820 Von den auf dieser Ermächtigungsgrundlage ergangenen zahlreichen Rechtsverordnungen finden sich einzig in der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) Anhaltspunkte für eine Konkretisierung der offenen Rechtsbegriffe

817

So zutreffend Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 5 f. D.h. der Sicherheitsstandard der über die Grundpflicht zur Gefahrenabwehr hinausgehenden Grundpflicht zur Risiko Vorsorge wird im Atomrecht durch den normativen Standard "Stand von Wissenschaft und Technik" geprägt. Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 35; Marburger, P., Regeln, S. 121, 130 ff. A.A. Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 37 ff., 74, nach dem nicht der Stand von Wissenschaft und Technik den Maßstab liefert, sondern Konkretisierungskriterien aus dem Gesetz gewonnen werden müssen. Vgl. dazu die Ausführungen bezüglich des normativen Standards "Stand von Wissenschaft und Technik" in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß). 818 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 78; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 33. 819 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 36. Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 37 ff., 85 vertritt zwar die Ansicht, daß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG trotz seines geringen Bestimmtheitsgrades Wertungsmaßstäbe für die Überprüfung kemtechnischer Anlagen entnommen werden können, diese im Wege der Auslegung ermittelten Kriterien jedoch so abstrakt und wertausfüllungsbedürftig seien, daß ein großer Bedarf an konkretisierenden Regelungen sowohl hinsichtlich des notwendigen Sicherheitsstandards als auch der geeigneten Schutzmaßnahmen bestehe: "Ohne zusätzliche Normen, welche die gesetzlichen Wertungsmaßstäbe in Detailregelungen umsetzen, ist die dringend erforderliche Rechtssicherheit nicht zu gewährleisten." Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 85. 820 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 78.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG, während die anderen ergangenen Rechtsverordnungen keine sicherheitstechnischen Detailregelungen enthalten821. Bedeutsam ist hier insbesondere der § 28 StrlSchV, in dem die sogenannten "Strahlenschutzgrundsätze" niedergeschrieben sind822. Die in § 28 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchV normierte Schutzpflicht fordert, daß "jede unnötige Strahlenexposition oder Kontamination von Personen, Sachgütem oder der Umwelt" vermieden wird. Zusätzlich ist in § 28 Abs. 1 Nr. 2 StrlSchV als Vorsorgepflicht festgelegt, daß "jede Strahlenexposition oder Kontamination von Personen, Sachgütem oder der Umwelt unter Beachtung des Standes von Wissenschaft und Technik und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles auch unterhalb der in dieser Verordnung festgesetzten Grenzwerte so gering wie möglich zu halten" ist 823 . Darüber hinaus erfolgt auch in der StrlSchV lediglich eine ansatzweise Präzisierung der gesetzlichen Vorgaben durch die Normierung von allgemeinen Schutzgrundsätzen und Dosisgrenzwerten in den §§28 und 44 ff. StrlSchV, wobei in den §§44 ff. StrlSchV die zulässigen Dosisgrenzwerte für die Bevölkerung und die Umwelt und in den §§49 ff. StrlSchV die maximal zulässigen Dosisgrenzwerte bezüglich beruflich strahlenexponierter Personen für den Normalbetrieb der Anlage sowie für Störfälle verbindlich festgelegt sind. Bezüglich der weiteren Konkretisierung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG verweist auch die StrlSchV in § 28 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 S. 3 - wie auch in vielen anderen Fällen 824 - auf den "Stand von Wissenschaft und Technik"825. So ist nach § 28 Abs. 3 S. 3 StrlSchV für eine ausreichende Störfallvorsorge der "Stand von Wissenschaft und Technik" maßgebend. Dies wird in § 28 Abs. 3 S. 4 StrlSchV dahingehend konkretisiert, daß die "Genehmigungsbehörde ... diese Vorsorge insbesondere dann als getroffen ansehen [könne], wenn der Antragsteller bei der Auslegung der Anlage die Störfälle zugrunde 821 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 54 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 85 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 79; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 34. 822 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 79. 823 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 55 f. 824 Neben § 28 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 S. 3 StrlSchV beispielsweise noch in den §§ 6 Abs. 1 Nr. 5, 10 Abs. 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 Nr. 5, 31 Abs. 1, 41 Abs. 1 Nr. 3, 72 Abs. 1,77 Abs. 4 S. 2 StrlSchV. 825 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 56 ff.; Marburger, P., Regeln, S. 103 f.; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 129 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 85 ff., insbes. S. 93; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 34; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 141.

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gelegt hat, die nach den vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit nach Anhörung der zuständigen obersten Landesbehörden im Bundesanzeiger veröffentlichten Sicherheitskriterien und Leitlinien für Kernkraftwerke die Auslegung eines Kernkraftwerks bestimmen müssen." Damit läßt der Verordnungsgeber im wesentlichen die technischen Anforderungen offen und delegiert die Konkretisierung des offenen Rechtsbegriffs der "nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche[n] Vorsorge gegen Schäden" auf die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften 826. (c) Die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften Im Regelungssystem des kerntechnischen Rechts existieren keine hinsichtlich der Konkretisierung der "nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche[n] Vorsorge gegen Schäden" i.S.d. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG einschlägigen allgemeinen Verwaltungsvorschriften 827. Diese Regelungslücke füllt stattdessen ein "schwer überschaubares" 828, aus ministeriellen Richtlinien des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den vom BMU übernommenen Empfehlungen und Leitlinien sachverständiger Gremien, den "Sicherheitskriterien und Leitlinien für Kernkraftwerke" inklusive der "Interpretationen zu den Sicherheitskriterien" und der "Beschreibungen der gegenwärtigen Praxis zu den Sicherheitskriterien" 829 sowie den kerntechnischen Regeln des "Kern-

826 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 56 ff.; Marburger, P., Regeln, S. 103 f.; ders., Atomrechtliche Schadens Vorsorge, S. 129 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 85 ff., insbes. S. 93; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 34; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 141. 827 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 60; Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 133; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 96; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 80; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 35; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 141. Als Begründung wurde angeführt, daß vor einer Festschreibung bestehender Anforderungen in abstrakt-generellen Verwaltungsvorschriften die Sammlung ausreichender Erfahrungen auf dem Gebiet der Kemtechnologie abgewartet werden sollte. Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 80. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß in dem Regelungssystem des Kernenergierechts überhaupt keine allgemeinen Verwaltungsvorschriften existieren. Ein Beispiel ist die allgemeine Verwaltungsvorschrift v. 21.02.1990 (BAnz. Nr. 64 a ν. 31.03.1990), erlassen auf Basis des § 45 Abs. 2 StrlSchV bezüglich der zu treffenden Annahmen hinsichtlich der Dosisgrenz werte der Strahlenexposition einer Referenzperson. 828 So ausdrücklich Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 132. Vgl. femer Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 93 ff.; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 141 f. 829 Bzgl. der Nachweise zu den vorhergehenden Bestimmungen vgl. Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 141 f.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

technischen Ausschusses" (KTA) und den einschlägigen technischen Normen der privaten normschaffenden Institutionen830 geknüpftes Netz. Von den genannten verwaltungsinternen Vorschriften kommt für die Konkretisierung der "nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche[n] Vorsorge gegen Schäden" i.S.d. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG insbesondere den "Sicherheitskriterien und Leitlinien für Kernkraftwerke " eine wesentliche Bedeutung zu 831 . Diese waren ursprünglich "als fachtechnischer Teil für eine noch zu erlassende allgemeine Verwaltungsvorschrift" erarbeitet worden 832. Sie beschreiben in Form konkretisierungsbedürftiger Leitlinien die Sicherheitsziele, die bei der Auslegung von Kernkraftwerken zu realisieren sind833. Die Sicherheitskriterien haben nicht den Charakter von technischen Detailregelungen für die Errichtung und den Betrieb kerntechnischer Anlagen, sondern beinhalten Grundsätze sicherheitstechnischer Anforderungen, die wiederum zahlreiche offene Rechtsbegriffe wie die Adjektive "erforderlich", "ausreichend", "angemessen" usw. enthalten834. "Die inhaltliche Beschreibung der Sicherheitskriterien zeigt, daß sie in erheblichem Maße von wissenschaftlich-technischen Erkenntnissen und Einschätzungen abhängig sind."835 Auch in den zahlreichen Richtlinien des B M U finden sich keine konkreten technischen Detailfestlegungen 836. Gleiches gilt für die aufgrund der Weisungsbefugnis des BMU für die Aufsichts- und Genehmigungsbehörden der Länder ergangenen behördlichen Richtlinien zur Vereinheitlichung der Genehmigungspraxis der Länderbehörden; diese beinhalten, trotz teilweise materieller Festlegungen, keine detaillierte Präzisierung sicherheitstechnischer Anforderungen an Kernkraftwerke 837.

830 Vgl. bezüglich des KTA Kap. II.A.l.c)dd)(3)(e), und hinsichtlich der privaten normschaffenden Institutionen Kap. II.A.l.c)dd)(3)(g). 831 Vgl. die Ausführungen am Ende des vorhergehenden Kapitels. Ferner Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 80. 832 BMI (Hrsg.), Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen und Strahlenschutz, 2. Aufl., Bonn 1974, S. 45 und BT-Drucks. 7/3871, S. 29, zit. bei: Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 142. Vgl. auch Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 134 f. 833 Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 142. 834 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 81 f. Vgl. auch Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 134 f.; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 35. 835 Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 95. "Es kann insofern als bezeichnend angesehen werden, daß neben der Zurückhaltung bei der inhaltlichen Konkretisierung der Sicherheitsanforderungen auch deren Verrechtlichung nicht wie zunächst vorgesehen durchgeführt wurde." Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 64. 836 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 82. 837 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 60 ff.

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Damit enthält auch das Regelungsgeflecht der Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften neben wenigen materiellen Anforderungen und gelegentlichen detaillierten Konstruktionsspezifikationen überwiegend allgemein gefaßte Regelungen, Sicherheitsziele und Grundanforderungen mit verhältnismäßig geringem Auflösungsgrad 838, so daß die Konkretisierung der "nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche[n] Vorsorge gegen Schäden" i.S.d. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG weitgehend den nachfolgenden Regelungsebenen überlassen bleibt. (d) Die beratenden Ausschüsse Der für die kerntechnische Sicherheit und den Strahlenschutz zuständige Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 839 läßt sich bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben durch die "Reaktorsicherheitskommission " (RSK), die "Strahlenschutzkommission" (SSK) und die "Sachverständigenkommission zur Sicherung des Brennstoffkreislaufs" (SSB) beraten 840. Von diesen sind hinsichtlich der Konkretisierung der Betreiberpflichten des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG die RSK und die SSK von Bedeutung, da beide Gremien neben Empfehlungen für den Einzelfall auch abstrakt-generelle Empfehlungen und Leitlinien erarbeiten. Diese enthalten jedoch überwiegend lediglich allgemeine Schutzzielbestimmungen, die zur Interpretation der atomrechtlichen Betreiberpflichten ohne weitergehende Konkretisierungen in detaillierteren technischen Regelungen für den Rechtsanwender kaum handhabbar sind. Nur im Ausnahmefall, wenn keine technischen Regeln anderer regelerstellender Gremien existieren, werden ausführlichere Festlegungen zu technischen Details getroffen. Somit bleibt die Umsetzung der gesetzgeberischen Zielvorgaben des staatlichen Genehmigungs- und Überwachungsinstrumentariums im Atomrecht den technischen Regelwerken vorbehalten, auf welche auch die Empfehlungen und Leitlinien der beratenden Ausschüsse hinsichtlich der Festlegung sicherheitstechnischer Details verweisen 841.

838

Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 93 f. Die Aufsicht und Genehmigung kerntechnischer Anlagen wird durch die Länder im Auftrag des Bundes ausgeführt (Art. 85 und 87c GG i.V.m. § 24 AtG). Dabei unterstehen die jeweiligen Landesbehörden den Weisungen des für die kemtechnische Sicherheit und den Strahlenschutz zuständigen Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Marburger, P., Regeln, S. 102; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 35. 840 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 82. 841 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 64; Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 137 ff.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, 839

29*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

(e) Die Ebene der öffentlich-rechtlichen technischen Regelwerke Eine weitergehende Konkretisierung der atomrechtlichen Betreiberpflichten erfolgt durch die Regeln des "Kerntechnischen Ausschusses" (KTA) 842, der die Rechtsform eines teilrechtsfähigen Verbandes des öffentlichen Rechts besitzt843. Der KTA ist mit 50 Repräsentanten der interessierten Kreise in einem vorgegebenen Verhältnis besetzt, die neben anderem auch bei Aufstellung technischer Regeln an eine konsensorientierte Beschlußfassung ( 5 / 6 Mehrheit) gebunden sind 844 . Obwohl teilweise als wichtigstes regelaufstellendes Gremium im Bereich der Kerntechnik bezeichnet845, lagen bis zum Ende der achziger Jahre erst wenige Regelblätter des KTA mit detaillierten Lösungen sicherheitstechnischer Problemstellungen vor 846 , welche zudem, abgesehen von einigen eigenen Unterausschüssen des KTA, überwiegend von privaten Regelerstellern, insbesondere dem "Normenausschuß Kerntechnik im DIN" (NKe), erarbeitet wurden, und die neben eigenen detaillierten Regelungen häufig auf technische Normen privater Normenorganisationen, insbesondere des DIN, verweisen847. Damit erfolgt die inhaltliche Konkretisierung der gesetzgeberischen Zielvorgaben des staatlichen Genehmigungs- und Überwachungsinstrumentariums im Atomrecht weitgehend erst durch die Normenwerke der privaten normschaffenden Institutionen. (f) Die Ebene der privatrechtlichen technischen Normenwerke Die privaten technischen Normen, vor allem die DIN-Normen des "Normenausschuß Kerntechnik im DIN" (NKe), aber auch des VDE, VDI, DVGW u.a.m., enthalten detaillierte Beschreibungen sicherheitstechnischer AnfordeS. 101, 103; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 84; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 35 f. 842 Dieser wurde 1972 durch Bekanntmachung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft gebildet, 1974 in die Zuständigkeit des Bundesministers des Inneren und schließlich in die Zuständigkeit des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit übernommen. Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 132 m.N. 843 Marburger, P., Regeln, S. 106; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 105 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 85. 844 Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 104, 107; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 86. 845 Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 103. 846 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 64 ff.; Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 140 ff. 847 Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 108; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 87; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 37.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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rungen und haben sich - zusammen mit den existierenden technischen Regelblättern des KTA - als hinreichend ausgeprägte Konkretisierungen für die sicherheitstechnische Beurteilung von Kernenergieanlagen nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG erwiesen 848. Damit läßt sich als Ergebnis festhalten, daß das unterhalb der Ebene des formellen Gesetzes vorhandene Regelungsgefüge nur wenig zur rechtlich verbindlichen Konkretisierung der "nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche[n] Vorsorge gegen Schäden" des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG beiträgt. Lediglich die Schutzpflichten der Gefahrenabwehr für den Normalbetrieb und für Störfälle der Anlage werden durch die einschlägigen Regelungen der Strahlenschutzverordnung in Form von Strahlenschutzgrundsätzen und durch - allerdings durch das Minimalgebot relativierte - Dosisgrenzwerte teilweise festgelegt. Für die weitere sicherheitstechnische Beurteilung der Anlage - insbesondere hinsichtlich der ungleich schwerer konkretisierbaren Vorsorgepflicht - bleibt es den hochgradig differenzierten technischen Regelwerken vorbehalten, den wissenschaftlich-technischen Sachverstand für die Handhabung des staatlichen Genehmigungs- und Überwachungsinstrumentariums nutzbar zu machen849. Nicht anders als in den übrigen Bereichen des Umwelt- und Technikrechts werden also auch im Kernenergierecht die materiellen technischen Detailregelungen in technischen Normen - in diesem Fall nicht nur privater, sondern auch öffentlich-rechtlicher regelsetzender Institutionen - festgelegt, die den Pflichtigen als Handlungs- und den Behörden und Gerichten als Entscheidungsmaßstäbe dienen. (g) Rechtsfolgen für Normadressaten, Behörden und Gerichte Von dem unterhalb der Ebene des formellen Gesetzes vorhandenen Regelungsgefüge erzeugen lediglich die einschlägigen Regelungen der Strahlenschutzverordnung eine unmittelbare und allgemeine Bindungswirkung sowohl für den Normadressaten als auch für Behörden und Gerichte. Die übrigen behandelten Richtlinien, Regeln und Normen sind weder aus sich heraus rechtsverbindlich, noch werden sie durch rechtsnormative Bezugnahme rezipiert 850.

848

Becker, K. u.a., Strahlenschutz-Normungswerk, S. 311 ff.; Beckmann, M., Umweltrecht, S. 1430 f.; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 68 ff., 71; Marburger, P., Regeln, S. 104 ff.; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 139; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 93 f. 849 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 72; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 167. 850 Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 167.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Im Bereich des unterhalb der rechtlich normativen Ebene angesiedelten Regelungsgeflechts aus ministeriellen Weisungen, Richtlinien, Sicherheitskriterien, Leitlinien, Empfehlungen von Sachverständigengremien, kerntechnischen Regeln und technischen Normen entfalten allein die Weisungen des für die kerntechnische Sicherheit und den Strahlenschutz zuständigen BMU nach Art. 85 Abs. 3 GG Bindungswirkung gegenüber den Genehmigungsbehörden. Tatsächlich wird das Genehmigungsverfahren in erheblichem Maße durch die Weisungen des B M U gesteuert851. Alle anderen sicherheitstechnischen Schutzzielbestimmungen und Detailregelungen besitzen prinzipiell auch verwaltungsintern keine Verbindlichkeit. Zwar sind die Genehmigungsbehörden gehalten, im Rahmen ihrer Amtspflicht zur Sachverhaltsermittlung (§ 24 Abs. 1 VwVfG i.V.m. den §§ 14, 14a und 15 Abs. 1 AtVfV 8 5 2 ) die genannten wissenschaftlichtechnischen sachverständigen Verlautbarungen als Entscheidungshilfe bzw. Erkenntnisquelle heranzuziehen, da diese von qualifiziertem, in bestimmten Organisationsformen institutionalisierten Sachverstand getragen werden und deshalb eine tatsächliche Vermutung dafür begründen, daß sie den Stand von Wissenschaft und Technik zutreffend wiedergeben. Ein Befolgungszwang in dem Sinne, daß die Behörden bei ihrer Entscheidung an diese sachverständigen Stellungnahmen gebunden wären, besteht jedoch nicht853. Als Rechtsfolge dieser Regelungsstruktur werden für den Normadressaten die sicherheitstechnischen Anforderungen im Atomrecht erst im Einzelfall durch die Genehmigungsbehörden und im - praktisch regelmäßig auftretenden Streitfall die Gerichte verbindlich konkretisiert. Damit erlangen die einschlägigen technischen Regeln und Normen erst im individuellen Genehmigungsverfahren für den Normadressaten Verbindlichkeit, sofern die Genehmigungsbehörde und im Streitfall die Gerichte ihren Entscheidungen diese technischen Regeln und Normen zugrunde legen854.

851

Marburger, P., Regeln, S. 102; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 35. Verordnung über das Verfahren bei der Genehmigung von Anlagen nach § 7 des Atomgesetzes (Atomrechtliche Verfahrensverordnung - AtVfV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 03.02.1995 (BGBl. I, 1995, Nr. 8, S. 180-187). 853 Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 144 f. Vgl. auch die Ausführungen in Kap. ILA. 1 .c)bb)(2)(a)(bb). Hinsichtlich der Bindungswirkung technischer Normen aufgrund eines Anscheinsbeweises oder ihrer Deutung als antizipierte Sachverständigengutachten vgl. die Ausführungen in Kap. ILA. 1 .c)bb)(2)(a)(bb) und Kap. II.A.l.c)bb)(2)(c). 854 Marburger, P., Atomrechtliche Schadens Vorsorge, S. 144 ff., 148 f. Vgl. auch die Ausführungen in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(bb). Hinsichtlich der Bindungswirkung technischer Normen aufgrund eines Anscheinsbeweises oder ihrer Deutung als antizipierte Sachverständigengutachten vgl. die Ausführungen in Kap. ILA. 1 .c)bb)(2)(a)(bb) und Kap. II.A.l.c)bb)(2)(c). 852

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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(4) Begriffsvielfalt normativer Standards: Das Normen- und Regelsystem der Gerätesicherheit und der überwachungsbedürftigen Anlagen (a) Die Gesetzesebene Regelungsgegenstand des Normen- und Regelsystems der Gerätesicherheit und der überwachungsbedürftigen Anlagen ist nach dem auf der Gesetzesebene einschlägigen Gerätesicherheitsgesetz (GSG* 55) zum einen "das Inverkehrbringen und Ausstellen technischer Arbeitsmittel, das gewerbsmäßig oder selbständig im Rahmen einer wirtschaftlichen Unternehmung erfolgt" (§ 1 Abs. 1 GSG), und zum anderen "die Errichtung und ... [der] Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen, die gewerblichen oder wirtschaftlichen Zwecken dienen oder durch die Beschäftigte gefährdet werden können ..." (§ la GSG) 856 . Das GSG ist von herausragender Bedeutung, da es neben den eigentlichen technischen Arbeitsmitteln - Werkzeugen, Arbeitsgeräten, Arbeits- und Kraftmaschinen, Hebe- und Fördereinrichtungen, Beförderungsmitteln u.a.m. (§ 2 Abs. 1 S. 1 GSG) - auch Schutzausrüstungen, Einrichtungen zum Beleuchten, Beheizen, Kühlen, Be- und Entlüften, Haushalts-, Sport-, Freizeit-, Bastelgeräte und Spielzeug (§ 2 Abs. 2 GSG) sowie darüber hinaus noch die in § 2 Abs. 2a GSG abschließend enumerativ aufgezählten überwachungsbedürftigen Anlagen 857 inklusive der Meß-, Steuer- und Regeleinrichtungen umfaßt, die dem si855 Zum Normen- und Regelsystem der Gerätesicherheit a.F. vgl. Brinkmann, W., Verbraucherschutz, S. 21 ff.; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 48 ff.; Marburger, P., Regeln, S. 71 ff.; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 21 ff. Zum Normen- und Regelsystem der überwachungsbedürftigen Anlagen a.F. vgl. Marburger, P., Regeln, S. 58 ff.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 46 ff.; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 17 ff. 856 Diese wurden aufgrund des weiten Maschinenbegriffs der sog. MaschinenRichtlinie (Richtlinie des Rates vom 14.06.1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten für Maschinen (89/392/EWG) - ABl. EG Nr. L 183 v. 29.06.1989, S. 9 -, zul. geänd. durch RL 93/68/EWG v. 22.06.1993 - ABl. EG Nr. L 220 v. 30.08.1993, S. 1 -) in das GSG integriert. Vgl. dazu BR-Drs. 202/92, S. 45, zit. in Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 356. Vor der Novelle des GSG im Jahre 1992 waren die §§24 ff. GewO a.F. die gesetzliche Grundlage des Normen- und Regelsystems der überwachungsbedürftigen Anlagen. 857 Dies sind im einzelnen: 1. Dampfkesselanlagen; 2. Druckbehälteranlagen außer Dampfkessel; 3. Anlagen zur Abfüllung von verdichteten, verflüssigten, oder unter Druck gelösten Gasen; 4. Leitungen unter innerem Überdruck für brennbare, ätzende oder giftige Gase, Dämpfe oder Flüssigkeiten;

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

cheren Betrieb dieser Anlagen dienen (§ 2 Abs. 2a S. 2 GSG). Damit wird durch das GSG mit wenigen, in den §§ 1 Abs. 2, la Nr. 2 und 3 sowie 2a S. 3 GSG benannten Ausnahmen der weitaus größte Teil des Spektrums industriell gefertigter Serien-Erzeugnisse inklusive der überwachungsbedürftigen Anlagen geregelt. Darüber hinaus erlangt das GSG dadurch ständig wachsende Bedeutung, daß mit seiner letzten umfassenden Novellierung im Jahre 1992 die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, die Harmonisierungsrichtlinien der EU nach Art. 100 a EGV für Beschaffenheitsanforderungen an technische Arbeitsmittel und ihnen gleichgestellte technische Erzeugnisse auf der Grundlage des GSG umsetzen zu können858. Auf diese Weise sind bislang elf EU-Richtlinien zur Sicherheit technischer Arbeitsmittel im Rahmen des GSG durch Rechtsverordnungen in nationales Recht überführt worden 859. (aa) Technische Arbeitsmittel Regelungszweck des GSG hinsichtlich technischer Arbeitsmittel ist die Abwehr von Gefahren für Leben und körperliche Unversehrtheit sowie sonstige in den Rechtsverordnungen nach § 4 Abs. 1 GSG aufgeführte Rechtsgüter von den Benutzern technischer Arbeitsmittel inklusive der ihnen gemäß § 2 Abs. 2 GSG gleichgestellten Erzeugnisse sowie Dritten, indem § 3 Abs. 1 S. 1 und 2 GSG bestimmt: 'Technische Arbeitsmittel dürfen nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie den in den Rechtsverordnungen nach diesem Gesetz enthaltenen sicherheitstechnischen Anforderungen und sonstigen Voraussetzungen für ihr Inverkehrbringen entsprechen und Leben oder Gesundheit oder sonstige in den Rechtsverordnungen aufgeführte Rechtsgüter der Benutzer oder Dritter bei bestimmungsgemäßer Verwendung nicht gefährdet werden. Technische Arbeitsmittel, für die in Rechtsverordnungen nach diesem Gesetz keine Anforderungen enthalten sind, dürfen nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie den Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften so beschaffen sind, daß Benutzer oder Dritte bei ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung gegen Gefahren aller Art für

5. 6. 7. 8. 9.

Aufzugsanlagen; Elektrische Anlagen in besonders gefährlichen Räumen; Getränkeschankanlagen und Anlagen zur Herstellung kohlensaurer Getränke; Acetylenanlagen und Calciumcarbidlager; Anlagen zur Lagerung, Abfüllung und Beförderung von brennbaren Flüssigkeiten. 858 Entsprechend der mit der Gesetzesnovellierung verfolgten Zielsetzung der Bundesregierung. Vgl. dazu BT-Drucks. 12/2693, S. 1 und 17 f., zit. in: Peine, F.-J., GSG: Kommentar, Einführung, Rn. 95 f. 859 Vgl. Kap. H.A. 1 .c)dd)(4)(b)(aa).

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Leben oder Gesundheit soweit geschützt sind, wie es die Art der bestimmungsgemäßen Verwendung gestattet." Damit normiert § 3 Abs. 1 S. 1 und 2 GSG ein Verkehrsverbot für sicherheitstechnisch mangelhafte technische Arbeitsmittel, indem diese nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie den geforderten Sicherheitsstandard erfüllen 860: "Stellt die zuständige Behörde fest, daß von einem technischen Arbeitsmittel bei bestimmungsgemäßer Verwendung eine Gefahr für Leben oder Gesundheit der Benutzer oder Dritter oder für ein anderes in einer Rechtsverordnung nach § 4 Abs. 1 genanntes Rechtsgut droht, trifft sie alle erforderlichen Maßnahmen, um das Inverkehrbringen oder die Inbetriebnahme dieses Arbeitsmittels zu verhindern oder zu beschränken oder es aus dem Verkehr zu ziehen." (§ 5 Abs. 1 S. 1 GSG) Der benannte Sicherheitsstandard ist ein zweigeteilter, der sich zum einen für den europarechtlich harmonisierten Bereich aus den in als Rechtsverordnungen umgesetzten EU-Richtlinien festgelegten sicherheitstechnischen Anforderungen (§ 3 Abs. 1 S. 1 GSG), und zum anderen für den übrigen, nicht harmonisierten Bereich aus den allgemein anerkannten Regeln der Technik, den Arbeitsschutz- und den UnfallverhütungsVorschriften (§ 3 Abs. 1 S. 2 GSG) ergibt. Damit ist § 3 Abs. 1 S. 1 GSG im europarechtlich harmonisierten Bereich lex specialis zu § 3 Abs. 1 S. 2 GSG, der "Kernvorschrift" oder "Zentralnorm" des Gesetzes: Nur wenn die in Form von Rechts Verordnungen umgesetzten EURichtlinien bezüglich des betreffenden technischen Arbeitsmittels keine Sicherheitsanforderungen enthalten, kommt § 3 Abs. 1 S. 2 GSG zur Anwendung861. Dabei darf von diesen für diesen Regelungsbereich außerhalb der Rechtsverordnungen aufgestellten drei kumulativen Beschaffenheitsmaßstäben - den allgemein anerkannten Regeln der Technik, den Arbeitsschutz- und den Unfallverhütungsvorschriften - entsprechend § 3 Abs. 1 S. 3 GSG "abgewichen werden, soweit die gleiche Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist", so daß dem Normadressaten ein zweiter, völlig gleichwertiger Weg zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen offensteht 862. Weder im einen noch im anderen Fall ist der von den technischen Arbeitsmitteln einzuhaltende Sicherheitsstandard durch ausdrückliche Anordnung mate860

Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 3, Rn. 12 und 16. Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 3, Rn. 14a f. m.w.N. 862 Dies ist notwendig, um einerseits den technischen Fortschritt und andererseits den freien Warenverkehr nicht zu behindern, indem auf diese Weise gleichwertige oder überlegene fortschrittliche, aber noch nicht allgemein anerkannte technische Lösungen ebenso wie gleichwertige oder überlegene ausländische, im Inland jedoch nicht allgemein anerkannte Lösungen für den Verkehr zugelassen werden. Becker, U., Gerätesicherheit, S. 151; Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 3, Rn. 84 ff. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. I.D.l.a). 861

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

rieller Sicherheitsmaßstäbe festgelegt. Statt dessen wird auf die in den Rechtsverordnungen festgelegten sicherheitstechnischen Anforderungen bzw., falls diese nicht existieren, auf die "allgemein anerkannten Regeln der Technik", die Arbeitsschutz- und die UnfallverhütungsVorschriften verwiesen863. Dementsprechend delegiert der Gesetzgeber die Aufgabe der Erarbeitung der materiellen Sicherheitsanforderungen zur Abwehr von Gefahren durch technische Arbeitsmittel und diesen nach § 2 Abs. 2 GSG gleichgestellte Erzeugnisse an die untergesetzlichen Regelungsebenen. (bb) Überwachungsbedürftige Anlagen Regelungszweck des GSG hinsichtlich der in § 2 Abs. 2a GSG enumerativ aufgezählten, mit Ausnahme jedoch der in § la Nr. 2 und 3 GSG genannten überwachungsbedürftigen Anlagen ist der Schutz "der Beschäftigten und Dritter vor Gefahren durch Anlagen, die mit Rücksicht auf ihre Gefährlichkeit einer besonderen Überwachung bedürfen (überwachungsbedürftige Anlagen ..." (§ 11 Abs. 1 S. 1 vor Nr. 1 GSG). Geschützt sind alle Rechtsgüter dieser Personen, also nicht nur Leben und Gesundheit. Dabei werden nur Gefahren erfaßt, die unmittelbar von der Anlage ausgehen, nicht dagegen mittelbare Gefahren für den Menschen, vermittelt etwa durch schädliche Einwirkungen auf dessen natürliche Lebensgrundlagen864. Aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 2 Abs. 2a S. 4 GSG - "Überwachungsbedürftige Anlagen stehen den Arbeitseinrichtungen im Sinne des Absatzes 1 gleich, soweit sie nicht schon von Absatz 1 erfaßt werden" - finden die Vorschriften des GSG, insbesondere über das im zweiten Abschnitt des GSG geregelte Inverkehrbringen und Ausstellen von technischen Arbeitsmitteln, selbst dann für überwachungsbedürftige Anlagen Anwendung, wenn diese nicht die in § 2 Abs. 1 GSG normierten Begriffsmerkmale eines technischen Arbeitsmittels erfüllen 865. Jedoch werden in den Paragraphen des Zweiten Abschnitts des GSG die materiellen Sicherheitsanforderungen des § 3 Abs. 1 GSG auch hinsichtlich der überwachungsbedürftigen Anlagen nicht näher spezifiziert.

863

"Nach seiner derzeitigen Konzeption ist das Gesetz allerdings nur ausnahmsweise selbst Rechtsgrundlage für die Festlegung von Beschaffenheitsanforderungen. Diese sind vielmehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu entnehmen sowie den Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften ...". So die Ausführungen der Bundesregierung in BT-Drucks. 12/2693, S. 17 f., zit. in: Peine, F.-J., GSG: Kommentar, Einführung, Rn. 96; vgl. auch ebd., zu § 3, Rn. 2 und 8. 864 Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu §§ 1, la, 2, Rn. 91 i.V.m. zu § 11, Rn. 4 ff. 865 Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu §§ 1, la, 2, Rn. 92.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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Darüber hinausgehende besondere Vorschriften allein für die Errichtung und den Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen sind im Dritten Abschnitt des GSG in den §§ 11 ff. enthalten. Hier hat sich der Gesetzgeber - wie bereits zuvor in den §§24 ff. GewO a.F. - der Normierung selbst allgemeiner sicherheitstechnischer Anforderungen im Gesetz gänzlich enthalten und sich auf eine umfassende Ermächtigung der Bundesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen beschränkt, wobei dieser jedoch mittels normativer Standards bestimmte Sicherheitsniveaus vorgegeben werden. In Abs. 1 der grundlegenden Ermächtigungsnorm des § 11 GSG wird die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung die zum Schutz der Beschäftigten und Dritter vor Gefahren durch die in § 2 Abs. 2a Satz 1 GSG aufgeführten Anlagen erforderlichen Bestimmungen zu erlassen. Geregelt werden kann eine Anzeigepflicht (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 GSG) 866 , ein Erlaubnisvorbehalt (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 GSG) 867 , eine Bauartzulassung (§ 11 Abs. 1 Nr. 2a GSG) 868 , die Normierung bestimmter, dem Stand der Technik entsprechender Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 GSG) 869 , die technische Überwachung (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 866 Anzeigepflichtig ist z.B. der Beginn der Errichtung einer vom Erlaubnis vorbehält freigestellten Dampfkesselanlage (§ 12 Abs. 4 S. 1 DampfkV), die Errichtung einer Gashochdruckleitung (§ 5 Abs. 1 GasHDrLtgV) und die Errichtung einer Aufzugsanlage (§7 Abs. 1 S. 1 AufzV). Ausführlich dazu Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 21 f. Bezüglich der Nachweise der Rechtsverordnungen vgl. Kap. II.A.l.c)dd)(4) (b)(bb). 867 Ein Erlaubnisvorbehalt besteht z.B. für die Errichtung, den Betrieb und die wesentliche Änderung einer Dampfkesselanlage (§ 10 Abs. 1, § 13 Abs. 1 S. 1 DampfkV), einer Acetylenanlage (§ 7 Abs. 1, § 9 Abs. 1 S. 1 AcetV), einer in § 9 Abs. 1 VbF genannten Anlage zur Lagerung, Abfüllung oder Beförderung brennbarer Stoffe (§ 9 Abs. 3 Satz 1, § 10 S. 1 VbF) sowie für die Inbetriebnahme eines Mühlen-, Lagerhausoder Behindertenaufzugs oder dessen Wiederinbetriebnahme nach einer wesentlichen Änderung (§ 8 Abs. 1 AufzV). Ausführlich dazu Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 23 f. 868 Bauartzulassungen sind z.B. in § 14 DampfkV, § 10 AcetV, § 12 VbF und § 22 DruckbehV vorgesehen. Ausführlich dazu Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 25. 869 Von dieser Ermächtigung ist bezüglich der Normierung von Verhaltenspflichten der Betreiber umfassend (vgl. dazu Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 26), hinsichtlich der Festlegung von Beschaffenheitsanforderungen jedoch lediglich in den Anhängen entsprechender Rechtsverordnungen (vgl. dazu Kap. ILA. 1 .c)dd)(4)(b)(bb)) in Form allgemeiner, konkretisierungsbedürftiger Sicherheitsleitlinien Gebrauch gemacht worden. Eigenständige technische Rechtsverordnungen mit detaillierten Festlegungen, die für Aufzugsanlagen, brennbare Flüssigkeiten und Getränkeschankanlagen erlassen wurden, sind inzwischen aufgehoben und durch technische Regeln ersetzt worden, da sich das Instrument der Rechtsverordnung als zu unflexibel gegenüber dem technischen Fortschritt erwiesen hat - und dies, obwohl erstens als Verfahrensvereinfachung zur Erleichterung der notwendigen Anpassung der Rechtsverordnungen, die allein technische Vorschriften zum Inhalt haben, an die fortschreitende technische Entwicklung entsprechend § 11 Abs. 4 GSG eine Zustimmung des Bundesrates nicht not-

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

GSG) 8 7 0 und deren Kosten (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 GSG) 871 sowie die Einsetzung von technischen Ausschüssen (§ 11 Abs. 2 GSG) 872 . Da weder die aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 2 Abs. 2a S. 4 GSG auch für die überwachungsbedürftigen Anlagen geltenden Vorschriften bezüglich des Inverkehrbringens und Ausstellens technischer Arbeitsmittel noch die darüber hinausgehenden besonderen Vorschriften allein für die Errichtung und den Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen die notwendigen materiellen Sicherheitsanforderungen näher spezifizieren, fällt diese Aufgabe der nachfolgenden Regelungsebene der Rechtsverordnungen zu. (b) Die Verordnungsebene Im GSG finden sich zahlreiche Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen zum Teil auf Bundesebene durch die Bundesregierung (§ 4 Abs. 1 und 2, § 11 Abs. 1, § 14 Abs. 2 S. 2 und Abs. 5 sowie § 15 S. 3 GSG), zum Teil auf Landesebene durch die Landesregierungen (§ 14 Abs. 4 GSG). (aa) Technische Arbeitsmittel Hinsichtlich der Konkretisierung der gesetzlichen Anforderungen an das Inverkehrbringen und Ausstellen technischer Arbeitsmittel ist § 4 GSG einschlä-

wendig ist, und zweitens von der Möglichkeit der Übertragung der Ermächtigung zum Erlaß dieser technischen Rechtsverordnungen auf die zuständigen Minister nach § 11 Abs. 3 GSG durchgängig Gebrauch gemacht wurde, was eine weitere Verfahrens Vereinfachung darstellt. Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 28 f. 870 Das Gesetz unterscheidet dabei zwischen Prüfungen vor Inbetriebnahme (vorgesehen z.B. in § 15 Abs. 1 DampfkV, § 9 Abs. 1 S. 1 AufzV und § 12 Abs. 1 Nr. 1 ElexV), regelmäßig wiederkehrenden Prüfungen (vorgesehen z.B. in § 16 DampfkV, §§ 10, 23 und 30b DruckbehV und § 10 AufzV) sowie Prüfungen aufgrund behördlicher Anordnungen aus "besonderem Anlaß", i.d.R. bei Vorliegen einer konkreten Gefahr und insbesondere von Schadensfällen (vorgesehen z.B. in § 20 DampfkV, § 13 AufzV und § 12 Abs. 5 S. 1 ElexV). In einigen Verordnungen (z.B. in § 9 Abs. 5 DruckbehV, § 9 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 2 AufzV, § 7 Abs. 5 i.V.m. § 6 Abs. 2 SchankV) kann die Abnahmeprüfung für bestimmte Bauteile durch eine Baumusterprüfung ersetzt werden. Von der Bauartzulassung unterscheidet sich die Baumusterprüfung dadurch, daß es bei ihr im Anschluß an die Sachverständigenprüfung keiner behördlichen Zulassung bedarf. Vgl. zum vorhergehenden ausführlich Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 25, 31 ff. 871 Vgl. dazu Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 35 f. 872 Vgl. Kap. ILA. 1 .c)dd)(4)(d)(bb). § 11 ist insoweit inhaltsgleich mit § 24 Abs. 1 und 4 GewO a.F. Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu §§ 1, la, 2, Rn. 92 i.V.m. zu § 11, Rn. 1 ff.

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gig, der eine Ermächtigung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zum Erlaß von Rechtsverordnungen einerseits zur Erfüllung von Verpflichtungen aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen und andererseits zur Normierung von Sicherheitsstandards für den Fall statuiert, daß keine einschlägigen technischen Normen oder Arbeitsschutz- und UnfallverhütungsVorschriften existieren873. Bezüglich der Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen zur Erfüllung von Verpflichtungen aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen bestimmt § 4 Abs. 1 GSG: "Die Bundesregierung kann nach Anhörung des Ausschusses für technische Arbeitsmittel mit Zustimmung des Bundesrates zur Erfüllung von Verpflichtungen aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen oder zur Durchführung von Rechtsakten des Rats oder der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Sachbereiche dieses Gesetzes betreffen, Rechtsverordnungen erlassen. Durch Rechtsverordnungen nach Satz 1 können, auch zum Schutz anderer als der in § 3 Abs. 1 Satz 2 genannten Rechtsgüter, sicherheitstechnische Anforderungen und sonstige Voraussetzungen des Inverkehrbringens oder Ausstellens, insbesondere Prüfungen, Produktionsüberwachung, Bescheinigungen, Kennzeichnung, Aufbewahrungs- und Mitteilungspflichten, sowie behördliche Maßnahmen geregelt werden." Auf der Basis dieser Verordnungsermächtigung hat die Bundesregierung bislang neun Rechtsverordnungen zur nationalen Umsetzung von elf Richtlinien der EU erlassen874:

873

Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 4, Rn. 2. Entsprechend Art. 189 S. 4 EGV ist eine Richtlinie "für jeden Mitgliedsstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überläßt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel". Die EU hat im Zuge ihres Harmonisierungsprogramms zur Beseitigung von Handelshemmnissen folgende Richtlinien erlassen, die sich auf technische Arbeitsmittel i.S.d. GSG beziehen (vgl. Peine, F.-J., GSG: Kommentar, Einführung, Rn. 94 und 110, zu § 3 Rn. 7 und zu § 4 Rn. 2 ff.): - Richtlinie des Rates vom 19.02.1973 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen (73/23/EWG)- ABl. EG Nr. L 77 v. 26.03.1973, S. 29, geänd. d. RL93/68/EWG v. 22.07.1993 - ABl. EG Nr. L 220 v. 30.08.1993, S. 1; - Richtlinie des Rates vom 17.09.1984 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über gemeinsame Vorschriften über Hebezeuge und Fördergeräte (84/528/EWG) - ABl. EG Nr. L 300 v. 19.11.1984, S. 72, zul. geänd. d. RL 88/665/EWG v. 21.12.1988 - ABl. EG Nr. L 382 v. 31.12.1988, S. 42; - Richtlinie des Rates vom 12.05.1986 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdungen durch Lärm am Arbeitsplatz (86/188/EWG) - ABl. EG Nr. L 137, S. 28; - Richtlinie des Rates vom 26.05.1986 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Überrollschutzaufbauten (ROPS) bestimmter Baumaschinen (86/295/EWG) - ABl. EG Nr. L 186 v. 08.07.1986, S. 1; 874

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Erste Verordnung zum Gesetz über technische Arbeitsmittel (NiederspV 1. GSGV) v. 11. Juni 1979 (BGBl. I, 1979, S. 629); Zweite Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz (Verordnung über die Sicherheit von Spielzeug (SpielzSiV) v. 21. Dezember 1989 (BGBl. I, 1989, S. 2541), zul. geänd. d. Art. 2 der Verordnung v. 12. Mai 1993 (BGBl. I, 1993, S. 704); Dritte Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz (Maschinenlärminformations-Verordnung- 3. GSGV) v. 18. Januar 1991 (BGBl. I, 1991, S. 146), zul. geänd. d. Art. 2 der Verordnung v. 12. Mai 1993 (BGBl. I, 1993, S. 704); Vierte Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz (Schutzaufbauten-Verordnung 4. GSGV) v. 18. Mai 1990 (BGBl. I, 1990, S. 957), zul. geänd. d. Art. 2 der Verordnung v. 12. Mai 1993 (BGBl. I, 1993, S. 704); Fünfte Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz (Verordnung über kraftbetriebene Flurförderzeuge - 5. GSGV) v. 6. Dezember 1991 (BGBl. I, 1991, S. 2179), zul. geänd. d. Art. 2 der Verordnung v. 12. Mai 1993 (BGBl. I, 1993, S. 704); Sechste Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz (Verordnung über das Inverkehrbringen von einfachen Druckbehältern - 6. GSGV) v. 25. Juni 1992 - in Kraft

- Richtlinie des Rates vom 26.05.1986 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Schutzaufbauten gegen herabfallende Gegenstände (FOPS) bestimmter Baumaschinen (86/296/EWG) - ABl. EG Nr. L 186 v. 08.07.1986, S. 10; - Richtlinie des Rates vom 22.12.1986 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über kraftbetriebene Flurförderzeuge (86/663/EWG) - ABl. EG Nr. L 384 v. 31.12.1986, S. 12, geänd. d. Richtlinie der Kommission vom 16.12.1988 (89/240/EWG) - ABl. EG Nr. L 100, S. 1; - Richtlinie des Rates vom 25.06.1987 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten für einfache Druckbehälter (87/404/EWG) - ABl. EG Nr. L 220 v. 08.08.1987, S. 48, zul. geänd. durch RL 93/68/EWG v. 22.07.1993 - ABl. EG Nr. L 220 v. 30.08.1993, S. 1; - Richtlinie des Rates vom 03.05.1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Sicherheit von Spielzeug (88/378/EWG) - ABl. EG Nr. L 187 v. 16.07.1988, S. 1, ber. ABl. EG Nr. L 37 v. 09.02.1991, S. 42, geänd. d. RL 93/68/EWG v. 22.07.1993 - ABl. EG Nr. L 220 v. 30.08.1993, S. 1; - Richtlinie des Rates vom 14.06.1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten für Maschinen (89/392/EWG) - ABl. EG Nr. L 183 v. 29.06.1989, S. 9, zul. geänd. durch RL 93/68/EWG v. 22.06.1993- ABl. EG Nr. L 220 v. 30.08.1993, S. 1; - Richtlinie des Rates vom 21.12.1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten für persönliche Schutzausrüstungen (89/686/EWG) - ABl. EG Nr. L 399 v. 30.12.1989, S. 18, zul. geänd. durch RL 93/95/EWG v. 29.10.1993 - ABl. EG Nr. L 276 v. 09.11.1993, S. 11; - Richtlinie des Rates vom 29.06.1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten für Gasverbrauchseinrichtungen (90/396/EWG) - ABl. EG Nr. L 196 v. 26.07.1990, S. 15, geänd. durch RL 93/68/EWG v. 22.06.1993- ABl. EG Nr. L 220 v. 30.08.1993, S. 1.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

463

getreten am 1. Juli 1992 (BGBl. I, 1992, S. 1171), zul. geänd. d. Art. 2 der Verordnung v. 12. Mai 1993 (BGBl. I, 1993, S. 704); Siebte Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz (Gasverbrauchseinrichtungsverordnung - 7. GSGV) v. 26. Januar 1993 (BGBl. I, 1993, S. 133); Achte Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz (Verordnung über das Inverkehrbringen von persönlichen Schutzausrüstungen - 8. GSGV) v. 10. Juni 1992 - in Kraft getreten am 1. Juli 1992 (BGBl. I, 1992 S. 1019), zul. geänd. d. Art. 2 der Verordnung v. 12. Mai 1993 (BGBl. I, 1993, S. 704); Neunte Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz (Maschinenverordnung 9. GSGV) v. 12. Mai 1993 (BGBl. I, 1993, S. 704) (Art. 1 der Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz und zur Änderung von Verordnungen zum Gerätesicherheitsgesetz v. 12. Mai 1993 (BGBl. I, 1993, S. 704)). Diese auf Grundlage des § 4 Abs. 1 GSG in Rechtsverordnungen umgesetzten EU-Richtlinien enthalten durchweg keine materiellen Anforderungen, sondern nur allgemein gefaßte Sicherheitsgrundsätze bzw. Schutzziele. Der Grund hierfür ist, daß die zweite bis neunte Verordnung zum Gerätesicherheitsgesetz auf der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung " des Rates der Europäischen Union basieren, nach dem die Harmonisierungsrichtlinien in Folge des Scheiterns der Totalharmonisierung regelmäßig nur noch allgemeine Anforderungen enthalten, welche durch mandatierte Europäische Normen von CEN/CENELEC und ETSI konkretisiert werden 875. Präzedenzfall für diese Regelungsmethode war die Niederspannungsrichtlinie, die als Erste Verordnung zum Gesetz über technische Arbeitsmittel (NiederspV) in das deutsche nationale Recht umgesetzt wurde. So bestimmt § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 als zentrale Vorschrift der 1. GSGV hinsichtlich der "Beschaffenheit elektrischer Betriebsmittel zur Verwendung bei einer Nennspannung zwischen 50 und 1 000 V für Wechselstrom und zwischen 75 und 1 500 V für Gleichstrom" (§ 1 S. 1 der 1. GSGV): "Der Hersteller oder Einführer von elektrischen Betriebsmitteln, die technische Arbeitsmittel oder Teile von solchen sind, darf diese gewerbsmäßig oder selbständig im Rahmen einer wirtschaftlichen Unternehmung nur in den Verkehr bringen oder ausstellen, wenn 1. die elektrischen Betriebsmittel entsprechend dem in der Europäischen Gemeinschaft gegebenen Stand der Sicherheitstechnik hergestellt sind, 2. die elektrischen Betriebsmittel bei ordnungsgemäßer Installation und Wartung sowie bestimmungsgemäßer Verwendung die Sicherheit von Menschen, Nutztieren und die Erhaltung von Sachwerten nicht gefährden."

875 Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01). Vgl. dazu die Unterabschnitte in Kap. II.B.3.c)bb) und insbes. in Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d).

464

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Alle anderen Verordnungen sind gemäß den vorherigen Ausführungen nach einem weitestgehend einheitlichen Schema aufgebaut 876 und normieren in ihrem jeweiligen § 2 die Sicherheitsanforderungen durch offene Rechtsbegriffe, gegebenenfalls auch normative Standards (wie "die ... in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft... geltenden allgemein anerkannten Regeln der Technik" (§ 2 Abs. 2 der 6. GSGV)) sowie den Verweis auf die allgemeinen Sicherheitsgrundsätze der jeweils zugrundeliegenden EU-Richtlinie. Beispielsweise bestimmt § 2 der SpielzSiV: "Spielzeug darf nur in den Verkehr gebracht werden, wenn es den in Anhang I I der Richtlinie 88/378/EWG angegebenen wesentlichen Sicherheitsanforderungen auch unter Berücksichtigung der Dauer seines vorhersehbaren und normalen Gebrauchs entspricht und bei einer bestimmungsgemäßen Verwendung unter Berücksichtigung des üblichen Verhaltens von Kindern die Sicherheit oder Gesundheit von Benutzern oder Dritten nicht gefährdet." Hinsichtlich der Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen für den Fall des Fehlens einschlägiger technischer Normen oder Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften bestimmt § 4 Abs. 2 GSG: "Die Bundesregierung kann nach Anhörung des Ausschusses für technische Arbeitsmittel und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, daß technische Arbeitsmittel oder Teile von technischen Arbeitsmitteln nur in den Verkehr gebracht oder ausgestellt werden dürfen, wenn sie bestimmten, dem Gefahrenschutz nach § 3 dienenden Anforderungen entsprechen, soweit Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften oder technische Normen, auf die in einer Verwaltungsvorschrift nach § 10 verwiesen werden kann, oder Rechtsverordnungen nach Absatz 1 oder nach § 11 nicht bestehen." Von dieser Verordnungsermächtigung, die ursprünglich für den Fall geschaffen wurde, daß das Schutzziel des GSG verfehlt werden könnte, sofern es an eindeutig zu handhabenden Sicherheitsmaßstäben in Form von technischen Normen oder Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften fehlte, hat die deutsche Bundesregierung bislang keinen Gebrauch gemacht877. Damit delegiert

876 Einzig die 3. GSGV weicht aufgrund ihrer anderen, informativen Zwecken dienenden Zielsetzung von diesem Schema ab. 877 Dies hat zwei Gründe: Zum einen ist die Verordnungsermächtigung nur subsidiär, da der Verordnungsgeber einzig dann tätig werden darf, "soweit Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften oder technische Normen ... nicht bestehen". Zum anderen sind die Normenorganisationen im Falle von Regelungslücken den Normungsanträgen der Regierung bzw. der zuständigen Ministerien stets nachgekommen. Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 4, Rn. 21 f.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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der Verordnungsgeber die Aufgabe der materiellen Konkretisierung der generalklauselartigen Sicherheitsanforderungen des § 3 Abs. 1 GSG sowie der ins nationale Recht umgesetzten EU-Richtlinien an die nachfolgende Regelungsebene der verwaltungsinternen Vorschriften. (bb) Überwachungsbedürftige Anlagen Von den Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen ist hinsichtlich der Ausgestaltung der Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen für die Errichtung und den Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen § 11 Abs. 1 Nr. 3 GSG einschlägig; dieser bestimmt: "Zum Schutze der Beschäftigten und Dritter vor Gefahren durch Anlagen, die mit Rücksicht auf ihre Gefährlichkeit einer besonderen Überwachung bedürfen (überwachungsbedürftige Anlagen), wird die Bundesregierung ermächtigt, nach Anhörung der beteiligten Kreise durch Rechtsverordnung zu bestimmen,... daß solche Anlagen, insbesondere die Errichtung, die Herstellung, die Bauart, die Werkstoffe, die Ausrüstung und die Unterhaltung sowie ihr Betrieb bestimmten, dem Stand der Technik entsprechenden Anforderungen genügen müssen. Anforderungen technischer Art können in besonderen Vorschriften (technische Vorschriften) zusammengefaßt werden; hierbei sind die Vorschläge des Ausschusses (Absatz 2) zu berücksichtigen ..." Dabei kann die Bundesregierung die Ermächtigung durch Rechtsverordnung ganz oder teilweise auf den zuständigen Bundesminister übertragen 878. Auf der Ermächtigungsgrundlage des § 24 Abs. 1 Nr. 3 GewO a.F. - des heutigen § 11 Abs. 1 Nr. 3 GSG - sind acht bis heute einschlägige Verordnungen ergangen879:

878

Von dieser Delegationsmöglichkeit hat die Bundesregierung hinsichtlich der technischen Vorschriften - zum Teil eingeschränkt auf bestimmte Regelungsbereiche der Rechtsverordnungen - regelmäßig Gebrauch gemacht und dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in § 6 Abs. 2 DampfkV, § 3 Abs. 2 AufzV, § 3 Abs. 2 ElexV, § 3 Abs. 2 AcetV, § 4 Abs. 3 VbF und § 4 Abs. 2 DruckbehV zum Erlaß "technische^] Vorschriften in Ergänzung des Anhanges zu dieser Verordnung" sowie in § 13 GasHDrLtgV zum Erlaß technischer Vorschriften für die Errichtung und den Betrieb von Gashochdruckleitungen ermächtigt. Soweit es sich um technische Vorschriften in Ergänzung des Anhangs I zu § 3 Abs. 1 SchankV handelt, hat die Bundesregierung ihre Ermächtigung auf den Bundesminister für Wirtschaft übertragen (§ 3 Abs. 2 SchankV). Vgl. dazu auch Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 43. 879 Nachdem medizinisch-technische Geräte nicht mehr unter die überwachungsbedürftigen Anlagen i.S.d. § 2 Abs. 2a GSG subsumiert werden, ist die Ermächtigungsgrundlage zum Erlaß der MedGV in das Medizinproduktegesetz v. 02.08.1994 (BGBl. I, 1994, S. 1963) übernommen worden. Peine, F.-J., GSG: Kommentar, Einführung, Rn. 110, zu §§ 1, la, 2, Rn. 113, zu § 11, Rn. 20.

30 Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Verordnung über Gashochdruckleitungen (GasHDrLtgV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 17.12.1974 (BGBl. I, 1974, Nr. 138, S. 3591-3595), zul. geänd. d. GSGÄndG 2 v. 26.08.1992 (BGBl. I, 1992, S. 1564); Verordnung über Dampfkesselanlagen (Dampfkesselverordnung - DampfkV) (Artikel 1 der Verordnung zur Ablösung von Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.02.1980 (BGBl. I, 1980, Nr. 8, S. 173-184), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325); Verordnung über Aufzugsanlagen (AufzV) (Artikel 3 der Verordnung zur Ablösung von Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.02.1980 (BGBl. I, 1980, Nr. 8, S. 205-213), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325); Verordnung über elektrische Anlagen in explosionsgefährdeten Räumen (ElexV) (Artikel 4 der Verordnung zur Ablösung von Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.02.1980 (BGBl. I, 1980, Nr. 8, S. 214-220), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325); Verordnung über Acetylenlager und Calciumcarbidlager (AcetV) (Artikel 5 der Verordnung zur Ablösung von Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.02.1980 (BGBl. I, 1980, Nr. 8, S. 220-228), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325); Verordnung über Anlagen zur Lagerung, Abfüllung und Beförderung brennbarer Flüssigkeiten zu Lande (Verordnung über brennbare Flüssigkeiten - VbF) (Artikel 6 der Verordnung zur Ablösung von Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.02.1980 (BGBl. I, 1980, Nr. 8, S. 229-253), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325);

Die GasHDrLtgV wurde zusätzlich von! Bundesminister für Wirtschaft auf der Grundlage des § 13 Abs. 2 En WG in Verbindung mit Art. 129 Abs. 1 GG, die SchankV vom Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit im Einvernehmen mit den Bundesministern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und für Wirtschaft auf der Grundlage des § 10 Abs. 1 S. 1 LmBG (Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz v. 15.08.1974 (BGBl. I, 1974, S. 1945)) erlassen. A.A. Marburger, P., Regeln, S. 61 und Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 48, nach denen die genannten Rechtsverordnungen keine technischen Vorschriften i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 3 GSG, sondern "Grundverordnungen" darstellen. Diese Aufspaltung der Rechtsverordnungen in eine "Grundverordnung", die sich auf die Formulierung abstrakter Sicherheitsziele mit Leitliniencharakter beschränkt, und eine zugehörige "Technische Verordnung", die dann die technischen Detailanforderungen verbindlich normiert, wird vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung jedoch nicht mehr praktiziert, da sich letztere als zu wenig flexibel erwiesen haben. Vgl. ebd.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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Verordnung über Druckbehälter, Druckgasbehälter und Füllanlagen (Druckbehälterverordnung - DruckbehV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 21.04.1989 (BGBl. I, 1989, Nr. 20, S. 843-869), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325); Verordnung über Getränkeschankanlagen (GetränkeschankanlagenverordnungSchankV) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 27.11.1989 (BGBl. I, 1989, Nr. 54, S. 2044-2052), zul. geänd. d. Gesetz v. 14.09.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 61, S. 2325). Durch die Verordnung zur Ablösung von Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes) und die Neufassung der zuvor von den anderen Rechtsverordnungen grundsätzlich verschiedenen SchankV im Jahre 1989 880 wurden alle Rechtsverordnungen weitestgehend nach einem einheitlichen Konzept abgefaßt. Danach regeln die Rechtsverordnungen in erster Linie die formelle Seite des Erlaubnis- und Überwachungsverfahrens, während sie materiellrechtlich nur die allgemeinen sicherheitstechnischen Anforderungen bestimmen. Ohne den das Regelungssystem der überwachungsbedürftigen Anlagen seit der Gesetzesänderung der GewO a.F. im Jahre 1990 beherrschenden normativen Standard "Stand der Technik" des § 11 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 GSG 8 8 1 aufzugreifen, bestimmt beispielsweise § 6 Abs. 1 DampfkV:

880

Diese regelte zuvor alle technischen Details im Anhang selbst (vgl. dazu Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 113; Marburger, P., Regeln, S. 59 ff.; ders., Bezugnahme, S. 50), enthält in der aktuellen Fassung jedoch keine sicherheitstechnischen Detailanforderungen mehr, sondern nur allgemeine Sicherheitsforderungen in Form offener, konkretisierungsbedürftiger Leitlinien und offener Rechtsbegriffe (vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen). 881 Obwohl durch Gesetzesänderung der GewO vom 09.11.1990, die unverändert in das GSG übernommen wurde, der "Stand der Technik" als verbindlicher Maßstab sowohl für die technischen Vorschriften nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 GSG als auch für die von den technischen Ausschüssen (in Abstimmung mit dem Technischen Ausschuß für Anlagensicherheit nach § 31 a Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes) zu erarbeitenden Technischen Regeln in § 11 Abs. 2 S. 3 GSG statuiert wurde, gilt nach den Rechtsverordnungen als zentrale Genehmigungsvoraussetzung der jeweiligen überwachungsbedürftige Anlagen nach wie vor einhellig der Maßstab der "allgemein anerkannten Regeln der Technik". Um das klassische Begriffstrio der normativen Standards zu komplettieren, wird bereits seit Jahrzehnten in der GewO a.F. und nach der Überführung der Vorschriften über überwachungsbedürftige Anlagen in das GSG auch in dessen § 11 Abs. 2 S. 2 bestimmt, daß sich die technischen Ausschüsse bei ihren Vorschlägen von Vorschriften im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 3 GSG an dem "Stand von Wissenschaft und Technik" zu orientieren haben - eine Bestimmung, die sich im übrigen auch durchgängig in sämtlichen Rechtsverordnungen zu den überwachungsbedürftigen Anlagen wiederfindet. Da in der (sicherheits-) technischen Praxis die technischen Normen der privaten Normenorganisationen wie auch die technischen Regeln der technischen Ausschüsse der überwachungsbedürftigen Anlagen fortlaufend an den Stand der Technik angepaßt wer-

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468

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

"Dampfkesselanlagen müssen nach den Vorschriften des Anhangs zu dieser Verordnung, einer auf Grund des § 11 Abs. 1 Nr. 3 des Gerätesicherheitsgesetzes in Verbindung mit Absatz 2 erlassenen Rechtsverordnung und im übrigen nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik errichtet und betrieben werden." 882 Der Anhang der DampfkV enthält ebenfalls keine sicherheitstechnischen Detailanforderungen, sondern nur allgemeine Sicherheitsforderungen in Form offener, konkretisierungsbedürftiger Leitlinien883. Beispielsweise bestimmt Nr. 1 des Anhangs zu § 6 Abs. 1 DampfkV:

den und somit diesen repräsentieren, wird ungeachtet des unbekümmerten Umgangs mit den verschiedenen normativen Standards im Normen- und Regelsystem der überwachungsbedürftigen Anlagen der "Stand der Technik" als verbindlicher Maßstab für den (sicherheits-) technischen Standard der überwachungsbedürftigen Anlagen angesehen und angenommen, daß sowohl mit dem "Stand von Wissenschaft und Technik" als auch mit den "allgemein anerkannten Regeln der Technik" dasselbe sicherheitstechnische Niveau gemeint sei. So - trotz seiner grundsätzlichen Zustimmung zur Stufentheorie Breuers (Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 3, Rn. 37 ff.) - ausdrücklich Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 41 f. m.w.N.; vgl. dazu auch die Ausführungen in Fn. 526 in Kap. ILA. 1 .c)bb)( 1 )(b)(cc)ß). Nur am Rande sei vermerkt, daß damit der Fundus begrifflicher Vielfalt innerhalb dieses einen Normen- und Regelsystems der technischen Arbeitsmittel und überwachungsbedürftigen Anlagen noch keineswegs erschöpft ist. So dürfen gemäß § 2 Abs. 2 der 6. GSGV bestimmte einfache Druckbehälter "nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie den ... in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft... geltenden allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen", sollen nach § 7 ElexV im Falle des Betriebs elektrischer Anlagen in einem Raum, in dem eine explosionsfähige Atmosphäre entstehen kann, "unter Anwendung der allgemein anerkannten Regeln der Sicherheitstechnik Maßnahmen getroffen werden, die die Bildung explosionsfähiger Atmosphäre in gefahrdrohender Menge verhindern oder einschränken", und müssen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 der NiederspV "die elektrischen Betriebsmittel entsprechend dem in der Europäischen Gemeinschaft gegebenen Stand der Sicherheitstechnik hergestellt" werden. 882 Identische Bestimmungen enthalten § 3 Abs. 1 AufzV, § 3 Abs. 1 S. 1 ElexV (die darüber hinaus in § 7 bezüglich Maßnahmen zur Verhinderung einer explosionsfähigen Atmosphäre bestimmt: "Werden elektrische Anlagen in einem Raum betrieben, in dem eine explosionsfähige Atmosphäre entstehen kann, sollen unter Anwendung der allgemein anerkannten Regeln der Sicherheitstechnik Maßnahmen getroffen werden, die die Bildung explosionsfähiger Atmosphäre in gefahrdrohender Menge verhindern oder einschränken"), § 3 Abs. 1 AcetV, § 4 Abs. 1 DruckbehV und § 3 Abs. 1 SchankV. Abgesehen vom Fehlen des Passus bezüglich der zu erlassenden Rechtsverordnung auch identisch § 3 Abs. 1 GasHDrLtgV; bezüglich des Anhangs in Abhängigkeit von der Gefahrenklasse in drei Gruppen differenzierend, aber ansonsten identisch § 4 Abs. 1 VbF. 883 So bereits Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 113 (zu allen Rechts Verordnungen); Marburger, P., Regeln, S. 60, 70; ders., Bezugnahme, S. 50 (bezüglich der DampfkV a.F.). Gleiches gilt für den Anhang zu § 3 Abs. 1 GasHDrLtgV, den Anhang zu § 3 Abs. 1 ElexV, den Anhang zu § 3 Abs. 1 AcetV, den Anhang I zu § 4 Abs. 1 DruckbehV den Anhang I der SchankV und weitgehend auch für den Anhang zu § 3 Abs. 1 AufzV, der

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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"Der Dampfkessel und die zur Dampfkesselanlage gehörenden Speisewasservorwärmer, Überhitzer, Zwischenüberhitzer, Druckausdehnungsgefäße und Dampfkühler müssen der Bauart und dem Werkstoff nach so beschaffen und so errichtet und ausgerüstet sein, daß sie den bei der vorgesehenen Betriebsweise zu erwartenden Beanspruchungen sicher widerstehen." Auch die weiteren Sicherheitsanforderungen des Anhangs zu § 6 Abs. 1 DampfkV werden weitestgehend durch offene Rechtsbegriffe wie "ausreichend gereinigt werden können" (Nr. 3), "nicht mehr als unvermeidbar gefährdet" (Nr. 4) oder "ausreichend zugänglich" (Nr. 5) charakterisiert. Und von der Ermächtigung zum Erlaß der genannten technischen Rechtsverordnungen wurde, wie bereits erwähnt, bislang kein Gebrauch gemacht. In den Rechtsverordnungen sind lediglich behördliche Einzelmaßnahmen geregelt, indem unter anderem die zuständige Behörde entsprechend § 8 Abs. 1 und 2 DampfkV ermächtigt wird, Ausnahmen von § 6 Abs. 1 DampfkV zuzulassen, zum einen als Einzelausnahme "aus besonderen Gründen" im Rahmen der Genehmigung von Dampfkesselanlagen, "wenn die Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist", und zum anderen auf Antrag eines Herstellers in Serie gefertigter Anlagen als allgemeine Ausnahme im Rahmen der Bauartzulassung für Dampfkesselanlagen oder Anlageteile, "wenn dies dem technischen Fortschritt entspricht und die Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist" 884 . Darüber hinaus kann die zuständige Behörde gemäß § 7 S. 1 DampfkV i.V.m. § 12 Abs. 1 S. 2 GSG im Einzelfall zur Abwendung besonderer Gefahren für Be-

daneben allerdings auch einige konkrete Konstruktionsanforderungen stellt, sowie den Anhang II der VbF, der neben umfangreichen, überwiegend allgemeinen Bestimmungen für eine Vielzahl differenzierter technischer Systeme zum Teil auch Verweise auf DINNormen enthält. 884 So bereits bezüglich der DampfkV a.F. Marburger, P., Regeln, S. 65 f. Identische Bestimmungen enthalten § 5 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 AufzV, § 5 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 ElexV (diese enthält in § 3 Abs. 1 S. 2 eine weitere Abweichungsoption, indem "Von Satz 1 ... abgewichen werden [darf], soweit eine Prüfstelle, die nach Artikel 14 der Richtlinie Nr. 76/117/EWG des Rates vom 18. Dezember 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung in explosibler Atmosphäre (ABl. EG Nr. L 24 S. 45) der Kommission der Europäischen Gemeinschaften mitgeteilt worden ist, eine Kontrollbescheinigung erteilt hat und die Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist"), § 5 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 AcetV, § 6 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 VbF, § 6 Abs. 1 und 2 DruckbehV und § 5 Abs. 1 und 2 SchankV. Hingegen bedarf laut § 2 Abs. 1 GasHDrLtgV, der nicht zwischen Einzel- und Bauartzulassung unterscheidet, nur das Abweichen von den Vorschriften des Anhangs zu dieser Verordnung der behördlichen Genehmigung. "Im übrigen kann [auch ohne behördliche Genehmigung] von den allgemein anerkannten Regeln der Technik abgewichen werden, wenn die Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist."

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

schäftigte oder Dritte über § 6 Abs. 1 DampfkV hinausgehende Anforderungen an Dampfkesselanlagen stellen885. Damit läßt der Verordnungsgeber die sicherheitstechnischen Detailregelungen zur Abwehr von Gefahren durch überwachungsbedürftige Anlagen offen und delegiert deren Bestimmung an die nachfolgende Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften. (c) Die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften Ermächtigungen zum Erlaß von allgemeinen Verwaltungsvorschriften durch die Bundesregierung finden sich in den §§ 10 und 14 Abs. 3 GSG. (aa) Technische Arbeitsmittel Von diesen Ermächtigungen ist hinsichtlich der Konkretisierung der Anforderungen des § 3 Abs. 1 GSG und der genannten Rechtsverordnungen an das Inverkehrbringen und Ausstellen technischer Arbeitsmittel § 10 lit. a) GSG einschlägig; dieser bestimmt: "Die Bundesregierung kann nach Anhörung des Ausschusses für technische Arbeitsmittel mit Zustimmung des Bundesrates zur Durchführung der Vorschriften des Zweiten Abschnitts in allgemeinen Verwaltungsvorschriften insbesondere ... die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften sowie die technischen Normen bezeichnen, in denen die allgemein anerkannten Regeln der Technik ihren Niederschlag gefunden haben ..." § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 der von der Bundesregierung in Ausführung dieser Vorschrift erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum GSG (GSGVwV) weist die zuständige Behörde - i.d.R. die Gewerbeaufsichtsämter - an, "vor ihrer Entscheidung zu prüfen, ob das technische Arbeitsmittel so beschaffen ist, daß es ... den allgemein anerkannten Regeln der Technik, die dem Gefahrenschutz im Sinne des § 3 des Gesetzes dienen, insbesondere den technischen Normen oder den Regeln der Sicherheitstechnik im Sinne der §§3 und 4 dieser Vorschriften ... entspricht". Bezüglich der technischen Normen hat die zuständige Behörde gemäß § 3 Abs. 1 GSGVwV "bei der Prüfung technischer Arbeitsmittel i.S. der Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GSG davon auszugehen, daß es sich bei den von ... [DIN, VDE und DVGW] aufgestellten technischen Normen, die der Bundes-

885 Identische Bestimmungen enthalten § 4 GasHDrLtgV, § 4 AufzV, § 4 ElexV, § 4 S. 1 AcetV, § 5 S. 1 VbF, § 5 S. 1 DruckbehV und § 4 SchankV.

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minister für Arbeit und Sozialordnung im Bundesarbeitsblatt, Fachteil Arbeitsschutz, bezeichnet, um allgemein anerkannte Regeln der Technik handelt...". Auf diese vom BMA bezeichneten technischen Normen wird im Verzeichnis A der GSGVwV datiert, d.h. unter Angabe von Normblattnummer, Titel und Ausgabedatum, verwiesen 886. Den technischen Normen dieser deutschen Normenorganisationen sind gemäß § 3 Abs. 2 GSGVwV die "von den Normungsorganisationen anderer Staaten oder zwischenstaatlichen Normungsorganisationen aufgestellten, den Voraussetzungen des § 3 des Gesetzes entsprechenden technischen Normen, die der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Bundesarbeitsblatt, Fachteil Arbeitsschutz, bezeichnet", gleichwertig. Entsprechendes gilt für die von CEN/CENELEC und ETSI zu der NiederspV (1. GSGV), der SpielzSiV (2. GSGV), der 6. GSGV und der 8. GSGV erarbeiteten Europäischen Normen, für die § 3 Abs. 3 bis 6 GSGVwV zu § 3 Abs. 1 GSGVwV vergleichbare Bestimmungen aufstellt. Beispielsweise bestimmt § 3 Abs. 3 GSGVwV bezüglich der NiederspV (1. GSGV): "Die zuständige Behörde hat bei einer nach Maßgabe des § 2 vorgenommenen Prüfung von elektrischen Betriebsmitteln, die der Ersten Verordnung zum Gesetz über technische Arbeitsmittel unterliegen, davon auszugehen, daß die Voraussetzungen des § 2 dieser Verordnung gegeben sind, wenn die Normen im Sinne der Artikel 5 bis 7 der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Februar 1973 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen eingehalten sind; der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung wird diese Normen im Bundesarbeitsblatt bekanntmachen."

886 Gegenüber der allgemeinen Verweisung auf ein ganzes technisches Normenwerk soll die Entscheidung des BMA über die Aufnahme einzelner technischer Normen verhindern, daß auf veraltete technische Normen Bezug genommen wird. Backherms, J., Recht und Technik, S. 11 f. Dieser Zielsetzung genügen die Anhänge zu der GSGVwV angesichts relativ langer Aktualisierungszeiträume und eines aktuellen Alters von nunmehr jeweils über vier Jahren, in denen in Anbetracht der Aktualisierungszeitspanne der privaten technischen Normenwerke von fünf Jahren statistisch gesehen über 80 % der technischen Normen der bezeichneten normschaffenden Institutionen überarbeitet oder zumindest überprüft worden sind, jedoch nicht. Zudem können weder der BMA noch sein diesbezüglich maßgebliches Beraterorgan, der Ausschuß für technische Arbeitsmittel, über eine auch nur annähernd vergleichbare Kompetenz bezüglich der Beurteilung des aktuellen Standes der Technik auf dem nahezu unüberschaubaren Regelungsgebiet des GSG verfügen, wie die an der Ausarbeitung der technischen Normen beteiligten Heerscharen von Experten der interessierten Kreise.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Auf diese vom BMA bezeichneten technischen Normen wird im Verzeichnis C 8 8 7 der GSGVwV datiert verwiesen. Bezüglich der Regeln der Sicherheitstechnik hat die zuständige Behörde entsprechend § 4 Abs. 1 GSGVwV bei einer Prüfung nach Maßgabe des § 2 GSGVwV die Durchführungsregeln zu Unfallverhütungsvorschriften der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, die Richtlinien, Sicherheitsregeln und Merkblätter der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften e.V., des Bundesverbandes der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften e.V. und der Bundesarbeitsgemeinschaft der gemeindlichen Unfallversicherungsträger e.V. sowie die Regeln der Sicherheitstechnik (Richtlinien, Leitsätze, Merkblätter) des V D I und des VdTÜV heranzuziehen, die der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Bundesarbeitsblatt, Fachteil Arbeitsschutz, bezeichnet. Gleiches gilt nach 887

Ebenso wie die nationalen Normenorganisationen können übernationale und ausländische Normenorganisationen ihre Normen für die Aufnahme in das Verzeichnis C anmelden, sofern das in Deutschland übliche Sicherheitsniveau nicht unterschritten wird. Angesichts der zunächst schleppenden europäischen Harmonisierungserfolge der europäischen Normenorganisationen wurden auf französischen Druck infolge bilateraler deutsch-französischer Abkommen zunächst 118 französische Normen von AFNOR durch den BMA gemäß § 3 Abs. 2 GSGVwV in deren Verzeichnis C aufgenommen. Beauvais, E. v., Rechtsvorschriften für technische Gegenstände, S. 12. Ähnlich ist in Frankreich verfahren worden: Wenn sich eine französische Rechtsnorm auf eine französische technische Norm bezieht, die auf diese Weise verbindlich vorgeschrieben wird, so muß die Regelung die Anerkennung der Äquivalenz der ausländischen Normen von anderen Mitgliedsstaaten vorsehen, sobald die ausländische Norm ein gleiches Sicherheitsniveau gewährleistet, was von AFNOR überprüft wird. In der Praxis muß der Mitgliedsstaat, der den Wunsch hat, daß seine nationale Norm als Äquivalent zu einer obligatorischen französischen Norm anerkannt wird, einen Antrag an die französischen Verwaltungsbehörden schicken, welche diese Regelung erlassen hat. Die ausländischen Normen, die als äquivalent anerkannt worden sind, werden in die französische Rechtsnorm aufgenommen, so daß zu diesen konforme Produkte ebenfalls als konform zu der Anordnung angesehen werden. Chaumard, M., Contexte juridique, S. 6. Dieser Ansatz der gegenseitigen Anerkennung technischer Normen ist - im Gegensatz zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Normenwerkes - jedoch heftig umstritten und wird m.E. vollkommen zu Recht von sachkundigen Kreisen sowohl in Deutschland als auch in Frankreich aufgrund in der Praxis unlösbarer Probleme als "Irrweg" bezeichnet. Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. I.D.l.a) und Kap. II.B.3. c)bb)(2)(c)(ee); vgl. ferner Winckler, R., Rechtsvorschriften für Materialien und Geräte, S. 36 ff. Ganz in diesem Sinne führt der Vertreter des BMWi fast entschuldigend (vgl. dazu insbes. den letzten Absatz seines Wortbeitrags) an, die Lösung basiere auf Absprachen der Wirtschaftsminister und Regierungschefs beider Länder, wobei "Die beiden Regierungschefs natürlich nicht über Normen sachkundig diskutieren" konnten und das Problem an hohe Fachbeamte delegiert haben. Beauvais, E. v., Wortbeitrag in: BMWi Studienreihe (53) 1985, S. 76 f.

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§ 4 Abs. 2 GSGVwV für die sicherheitstechnischen Regeln anderer Organisationen, soweit der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Bundesarbeitsblatt, Fachteil Arbeitsschutz, auf diese Regeln der Sicherheitstechnik unter Bezeichnung der Organisation Bezug nimmt. Auf diese vom BMA benannten sicherheitstechnischen Regeln wird im Verzeichnis Β der GSGVwV datiert verwiesen. Dennoch ist dem Normadressaten die Einhaltung dieser technischen Normen und sicherheitstechnischen Regeln nicht zwingend vorgeschrieben. "Weicht das technische Arbeitsmittel in seiner Beschaffenheit von diesen dem Gefahrenschutz dienenden Regeln und Vorschriften ab", so hat die zuständige Behörde laut § 2 Abs. 1 S. 2 GSGVwV "zu prüfen, ob die gleiche Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist", so daß dem Normadressaten sowohl hinsichtlich des durch EU-Richtlinien harmonisierten Bereichs entsprechend § 3 Abs. 1 S. 1 GSG als auch bezüglich des übrigen, nicht harmonisierten Bereichs gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 GSG ein zweiter, völlig gleichwertiger Weg zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen offensteht. Zusätzlich folgt dies für den nicht europarechtlich harmonisierten Bereich aus § 3 Abs. 1 S. 3 GSG, nach dem "von den allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie den Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften ... abgewichen werden [darf], soweit die gleiche Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist". In diesem nicht europarechtlich harmonisierten Bereich können die Normadressaten ferner eine nicht in den Anhängen der GSGVwV bezeichnete, jedoch gleichfalls "allgemein anerkannte Regel der Technik" anwenden, sofern dadurch das gleiche Sicherheitsniveau gewahrt bleibt 888 . Im Ergebnis enthält auch die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften im Normen- und Regelsystem der technischen Arbeitsmittel keinerlei materielle Konkretisierung der generalklauselartigen Sicherheitsanforderungen des § 3 Abs. 1 GSG sowie der ins nationale Recht umgesetzten EU-Richtlinien, so daß diese Aufgabe den nachfolgenden Regelungsebenen der in der GSGVwV rezipierten öffentlich-rechtlichen sowie privatrechtlichen sicherheitstechnischen Regeln und technischen Normen zufällt.

888 Dies folgt auch aus den Wortlauten sowohl von § 2 Abs. 1 Nr. 1 GSGVwV als auch von § 3 GSGVwV, die keine abschließende Konkretisierung des § 3 Abs. 1 S. 2 GSG in der Weise begründen, daß nur die in den Verzeichnissen bezogenen technischen Normen als "allgemein anerkannte Regeln der Technik" gelten, sondern dem Wortlaut nach die Existenz anderer, in den Verzeichnissen nicht genannter allgemein anerkannter Regeln der Technik voraussetzen; im übrigen wäre die Beschränkung auf die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bezeichneten technischen Normen auch von der Ermächtigung des § 10 GSG nicht gedeckt. Becker, U., Gerätesicherheit, S. 151; Marburger, P., Regeln, S. 75; ders., Bezugnahme, S. 49; ders., Technische Sicherheit, S. 22.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

(bb) Überwachungsbedürftige Anlagen Hinsichtlich der Konkretisierung der Pflichten der Normadressaten bezüglich der Abwehr von Gefahren durch überwachungsbedürftige Anlagen findet sich im GSG keine explizite Ermächtigung der Exekutive zum Erlaß von allgemeinen Verwaltungsvorschriften. Dessen ungeachtet ist ein der Systematik der Rechtsverordnungen weitgehend entsprechendes System von Verwaltungsvorschriften auf der Grundlage des Art. 84 Abs. 2 GG erlassen worden, wobei für zwei Typen überwachungsbedürftiger Anlagen - nämlich Gashochdruckleitungen und Getränkeschankanlagen - keine allgemeinen Verwaltungsvorschriften existieren: Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Dampfkesselverordnung (DampfkVVwV) (Artikel 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ablösung von allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. heute nach §11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) v. 27.02.1980 (BAnz., 1980, Nr. 43, S. 4; BArbBl., 1980, Nr. 4, S. 118-119); Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Druckbehälterverordnung (DruckbehVVwV) (Artikel 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ablösung von allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) v. 27.02.1980 (BAnz., 1980, Nr. 43, S. 4-5; BArbBl., 1980, Nr. 4, S. 119-120); Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Aufzugsverordnung (AufzVwV) (Artikel 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ablösung von allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) v. 27.02.1980 (BAnz., 1980, Nr. 43, S. 5; BArbBl., 1980, Nr. 4, S. 120); Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Verordnung über elektrische Anlagen in explosionsgefährdeten Räumen (ElexVVwV) (Artikel 4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ablösung von allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) v. 27.02.1980 (BAnz., 1980, Nr. 43, S. 5; BArbBl., 1980, Nr. 4, S. 120); Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Acetylenverordnung (AcetVwV) (Artikel 5 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ablösung von allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) v. 27.02.1980 (BAnz., 1980, Nr. 43, S. 5; BArbBl., 1980, Nr. 4, S. 120-121); Allgemeine VerwaltungsVorschrift zur Verordnung über Brennbare Flüssigkeiten (BFVVwV) (Artikel 6 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ablösung von allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes)) v. 27.02.1980 (BAnz., 1980, Nr. 43, S. 5; BArbBl., 1980, Nr. 4, S. 121).

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Durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ablösung von allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu Verordnungen nach § 24 der Gewerbeordnung (a.F. - heute nach § 11 des Gerätesicherheitsgesetzes) vom 27. Februar 1980 wurden mit einer Ausnahme alle bestehenden Verwaltungsvorschriften nach einem einheitlichen Konzept abgefaßt. Stellvertretend für die übrigen Verwaltungsvorschriften sei an dieser Stelle die Bestimmung des § 1 der DampfkVVwV wiedergegeben: "Prüft die zuständige Behörde, ob eine Dampfkesselanlage den Anforderungen des § 6 Abs. 1 der Dampfkesselverordnung entspricht, so hat sie in der Regel davon auszugehen, daß diese Anforderungen erfüllt sind, soweit die Dampfkesselanlage den vom Deutschen Dampfkesselausschuß ermittelten und vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Bundesarbeitsblatt bekanntgemachten Technischen Regeln entspricht." Als einzige Ausnahme von dieser Regel benennt die ElexVVwV unmittelbar die zur Konkretisierung der gesetzlichen Anforderungen der Gefahrenabwehr bezüglich elektrischer Anlagen in explosionsgefährdeten Räumen einschlägigen technischen Normen, indem sie in § 2 bestimmt: "Prüft die zuständige Behörde, ob ein elektrisches Betriebsmittel den Anforderungen des § 3 Abs. 1 der Verordnung über elektrische Anlagen in explosionsgefährdeten Räumen entspricht, so hat sie in der Regel davon auszugehen, daß diese Anforderungen erfüllt sind, soweit das elektrische Betriebsmittel - den einschlägigen VDE-Bestimmungen oder - den VDE-Bestimmungen, die aufgrund einer Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung in explosionsgefährlicher Atmosphäre übernommen worden sind, entspricht, die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Bundesarbeitsblatt bezeichnet worden sind." In diesem Zusammenhang wird in einem Verzeichnis zur ElexVVwV 8 8 9 als Bekanntmachung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung datiert auf siebzehn technische Normen Bezug genommen, nämlich fünf von der DKE erarbeitete nationale DIN-VDE-Normen, fünf als DIN-VDE-Normen von CENELEC übernommene Europäische Normen und Harmonisierungsdokumente sowie auf sieben als DIN-VDE-Normen von CENELEC übernommene Europäische Normen, welche eine Richtlinie des Rates der EU zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung in explosibler Atmosphäre rezipiert.

889

ElexVVwVVerz.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Damit enthalten auch die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu den Rechtsverordnungen der überwachungsbedürftigen Anlagen, soweit existent, keinerlei materielle sicherheitstechnische Regelungen, sondern verweisen auf die von den jeweils zuständigen technischen Ausschüssen ermittelten technischen Regeln und in einem Fall - der ElexVVwV - unmittelbar datiert in einem Anhang auf die einschlägigen technischen Normen von DKE und CENELEC. Damit läßt die Exekutive auch in ihrer Funktion als das Verwaltungshandeln vereinheitlichender Regelgeber durch allgemeine Verwaltungsvorschriften die sicherheitstechnischen Detailregelungen zur Abwehr von Gefahren durch überwachungsbedürftige Anlagen offen und delegiert deren Bestimmung an die öffentlich-rechtlichen technischen Regelersteller bzw. die privatrechtlichen normschaffenden Institutionen. (d) Die Ebene der öffentlich-rechtlichen technischen Regelwerke (aa) Technische Arbeitsmittel Die insgesamt 252 8 9 0 vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bekanntgemachten und im Verzeichnis Β der GSGVwV bezeichneten sicherheitstechnischen Regeln der in der GSGVwV spezifizierten öffentlich-rechtlichen Institutionen - namentlich die Durchführungsregeln zu Unfallverhütungsvorschriften der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und die Richtlinien, Sicherheitsregeln und Merkblätter der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften e.V., des Bundesverbandes der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften e.V. und der Bundesarbeitsgemeinschaft der gemeindlichen Unfallversicherungsträger e.V. sowie die sicherheitstechnischen Regeln anderer Organisationen, auf die der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Bundesarbeitsblatt, Fachteil Arbeitsschutz, unter Bezeichnung der Organisation verweist, konkretisieren die generalklauselartigen Sicherheitsanforderungen des § 3 Abs. 1 GSG sowie die ins nationale Recht umgesetzten EU-Richtlinien nur bis zu einem gewissen Grad. Denn auch diese sicherheitstechnischen Regeln und insbesondere die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften verwenden häufig normative Standards wie die "allgemein anerkannten Regeln der Technik"891 oder die "elektrotechnischen Regeln" 892 oder rezipieren bestimmte technische Nor-

890

Stand 1983. Reihlen, H., 35. Präsidiumssitzung, S. 1 Lukes, R., Produzentenhaftung, S. 351. 892 Beispielsweise bestimmt die Unfallverhütungsvorschrift "Elektrische Anlagen und Betriebsmittel" (VBG 4) vom 01.04.1979, daß elektrische Anlagen und Betriebsmittel 891

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

Eine weitere mögliche Präzisierung der generalklauselartigen Sicherheitsanforderungen des § 3 Abs. 1 GSG sowie der ins nationale Recht umgesetzten EU-Richtlinien könnte durch etwaige technische Regeln des nach § 8 Abs. 1 S. 1 GSG beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung eingesetzten "Ausschusses für technische Arbeitsmittel", der die Rechtsform eines teilrechtsfähigen Verbandes des öffentlichen Rechts besitzt, erfolgen. Der Ausschuß für technische Arbeitsmittel ist zusammengesetzt aus "sachverständige[n] Personen aus dem Kreis der für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden der Länder, der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, des Deutschen Institutes für Normung e.V., der Arbeitgebervereinigungen, der Gewerkschaften und der beteiligten Verbände" (§ 8 Abs. 1 S. 3 GSG). Die in den §§ 4 Abs. 1 und 2, 6, 8 Abs. 1, 8a und 11 GSG normierten Pflichten des Ausschusses sind jedoch rein beratender Natur; insbesondere hat er "die Aufgabe, die Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und für Gesundheit hinsichtlich der Durchführung dieses Gesetzes zu beraten" (§ 8 Abs. 1 S. 2 GSG). Die Erstellung öffentlich-rechtlicher technischer Regeln ist dabei weder de jure vorgesehen, noch wird sie de facto durchgeführt 894. Neben den sicherheitstechnischen Regeln der eingangs genannten öffentlichrechtlichen Institutionen fällt damit die Aufgabe der materiellen Konkretisierung der generalklauselartigen Sicherheitsanforderungen des § 3 Abs. 1 GSG sowie der ins nationale Recht umgesetzten EU-Richtlinien in weitem Umfang den in den Anhängen der GSGVwV bezeichneten technischen Normen zu. (bb) Überwachungsbedürftige Anlagen Nach § 11 Abs. 2 S. 1 GSG können in den von der Bundesregierung zu erlassenden Rechtsverordnungen Vorschriften über die Einsetzung von technischen Ausschüssen getroffen werden. Während danach die Bildung technischer Ausschüsse grundsätzlich im Ermessen der Bundesregierung steht, ist sie nach § 11 Abs. 2 S. 4 GSG zwingend vorgeschrieben, wenn Anforderungen technischer Art gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 GSG in besonderen "technischen Vorschriften" zusammengefaßt werden, wobei im Rahmen von deren Erarbeitung die Vorschläge des jeweiligen Ausschusses zu berücksichtigen sind (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 2. HS GSG). Zu den in § 2 Abs. 2a GSG enumerativ aufgeden elektrotechnischen Regeln entsprechend errichtet, betrieben, geändert und instandgehalten werden müssen, und rezipiert in ihrem Anhang die einschlägigen VDE-Richtlinien. Lux, R., Die Rolle der europäischen Normen, S. 12; VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 6 Abschn. 8 Nr. 8.6. 893 Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 26; Lukes, R., Produzentenhaftung, S. 351. 894 Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 8, Rn. 4 f.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

führten überwachungsbedürftigen Anlagen wurden folgende technische Ausschüsse durch Rechtsverordnung nach § 11 Abs. 2 S. 1 GSG eingerichtet: Der "Ausschuß für Gashochdruckleitungen" (AGL) nach § 14 Abs. 1 S. 1 GasHDrLtgV; der "Deutsche Dampfkesselausschuß" (DDA) nach § 30 Abs. 1 S. 1 DampfkV; der "Deutsche Aufzugausschuß" (DAA) nach § 24 Abs. 1 S. 1 AufzV; der "Deutsche Ausschuß für explosionsgeschützte elektrische Anlagen" (DExA) nach § 18 Abs. 1 S. 1 ElexV; der "Deutsche Acetylenausschuß" (DAcA) nach § 28 Abs. 1 S. 1 AcetV; der "Deutsche Ausschuß für brennbare Flüssigkeiten" (DAbF) nach § 25 Abs. 1 S. 1 VbF; der "Deutsche Druckbehälterausschuß" (DBA) nach § 36 Abs. 1 S. 1 DruckbehV; der "Deutsche Ausschuß für Getränkeschankanlagen" (Getränkeschankanlagenausschuß) nach § 19 Abs. 1 S. 1 SchankV. Sämtliche technischen Ausschüsse sind ihrer Rechtsnatur nach teilrechtsfähige Verbände des öffentlichen Rechts895. Ihre personelle Zusammensetzung ist in Grundzügen durch eine nicht vollständige Aufzählung der mindestens zu berücksichtigenden interessierten Kreise in § 11 Abs. 2 S. 5 GSG 8 9 6 und detailliert unter abschließender Angabe aller entsendender Stellen und der Anzahl ihrer Vertreter in den jeweiligen Rechtsverordnungen zu den verschiedenen überwachungsbedürftigen Anlagen geregelt 897. Nach § 11 Abs. 2 S. 2 und 3 GSG ist es gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe der technischen Ausschüsse, "die Bundesregierung oder den zuständigen Bundesminister insbesondere in technischen Fragen [zu] beraten und ihnen dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechende Vorschriften ... [im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 GSG über die Errichtung und den Betrieb von überwachungsbedürftigen Anlagen, sowie] ihnen ferner in Abstimmung mit dem Technischen Ausschuß für Anlagensicherheit nach

895

Marburger, P., Regeln, S. 65 f.; Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 37. Dem Verordnungsgeber steht es frei, neben den gesetzlich vorgeschriebenen Stellen - den beteiligten Bundesbehörden, den obersten Landesbehörden, der Wissenschaft, der technischen Überwachung sowie "insbesondere Vertreter der Hersteller und der Betreiber der Anlagen" - weitere entsendende Stellen zu benennen. Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 39. 897 Vgl. § 14 Abs. 1 S. 2 GasHDrLtgV, § 30 Abs. 1 S. 2 DampfkV, § 24 Abs. 1 S. 2 AufzV, § 18 Abs. 1 S. 2 ElexV, § 28 Abs. 1 S. 2 AcetV, § 25 Abs. 1 S. 2 VbF, § 36 Abs. 1 S. 2 DruckbehV und § 19 Abs. 1 S. 2 SchankV. 896

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§ 31 a Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes dem Stand der Technik entsprechende Regeln (Technische Regeln)" vorzuschlagen. Ohne den traditionell das Bundes-lmmissionsschutzrecht wie seit 1990 auch das Normen- und Regelsystem der überwachungsbedürftigen Anlagen beherrschenden normativen Standard "Stand der Technik" des § 11 Abs. 2 S. 3 GSG aufzugreifen, wird die Aufgabe der öffentlich-rechtlichen technischen Ausschüsse in den Rechtsverordnungen mit Ausnahme der ElexV übereinstimmend wie folgt - exemplifiziert am Beispiel der Aufgabe des DDA entsprechend § 30 Abs. 2 DampfkV - konkretisiert 898: "Der Deutsche Dampfkesselausschuß hat die Aufgabe, hinsichtlich der Dampfkesselanlagen 1. den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung insbesondere in technischen Fragen zu beraten und ihm dem jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechende Vorschriften vorzuschlagen und 2. die in § 6 Abs. 1 bezeichneten [allgemein anerkannten] Regeln [der Technik] zu ermitteln." Als einzige Ausnahme ist dem DExA laut § 18 Abs. 2 ElexV nur der erste Teil der genannten Aufgabenstellung übertragen worden, da die einschlägigen technischen Normen bereits in dem in Ergänzung der ElexVVwV erlassenen ElexWwVVerz durch datierte Verweisung benannt sind und sich somit die Regelungsebene der öffentlich-rechtlichen technischen Regeln erübrigt. Dementsprechend erarbeitet der DExA auch kein technisches Regelwerk. Während das Vorschlagsrecht für technische Vorschriften im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 GSG bei der Ausschußtätigkeit praktisch kaum mehr Bedeutung besitzt, stellt die in Nr. 2 des § 30 Abs. 2 DampfkV genannte Ermittlung der die Genehmigung überwachungsbedürftiger Anlagen - im Beispiel von Dampfkesselanlagen nach § 6 Abs. 1 DampfkV - bestimmenden "allgemein anerkannten Regeln der Technik" die Hauptaufgabe der technischen Ausschüsse im Beispiel des DDA - dar. Dieser Sachverhalt wurde durch die Einfügung der Vorschrift des § 24 Abs. 4 S. 3 GewO a.F. - des heutigen § 11 Abs. 2 S. 3 GSG - auch auf gesetzlicher Ebene dokumentiert, wobei der § 11 Abs. 2 S. 3 GSG allerdings, wie schon erwähnt, die Erstellung dem "Stand der Technik" entsprechender technischer Regeln vorschreibt 899.

898

Identische Bestimmungen, bezogen auf den jeweiligen Geltungsbereich der Rechtsverordnung und den jeweils zuständigen Minister, enthalten § 24 Abs. 2 AufzV, § 28 Abs. 2 AcetV, § 25 Abs. 2 VbF und § 19 Abs. 2 SchankV, nahezu wortgleiche Bestimmungen auch § 14 Abs. 2 GasHDrLtgV und § 36 Abs. 2 DruckbehV. 899 Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 41.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

In Erfüllung dieser Aufgabe werden von den genannten Ausschüssen folgende öffentlich-rechtliche technische Regelwerke erarbeitet: AGL: "Technische Regeln für Gashochdruckleitungen" (TRGL); DDA: "Technische Regeln für Dampfkessel" (TRD); DAA: "Technisches Regelwerk für Aufzüge" (TRA); DAcA: "Technische Regeln für Acetylenanlagen und Calciumcarbidlager" (TRAC); DAbF: "Technische Regeln für brennbare Flüssigkeiten" (TRbF); DBA: "Technische Regeln für Druckbehälter" (TRB) und "Technische Regeln für Rohrleitungen" (TRR); Getränkeschankanlagenausschuß: "Technische Regeln für Getränkeschankanlagen" (TRSK). Die technischen Regeln der Ausschüsse enthalten zum Teil detaillierte Sicherheitsanforderungen an die entsprechenden überwachungsbedürftigen Anlagen, wie beispielsweise in der TRD 001 9 0 0 als grundsätzlicher Anspruch an das eigene Regelwerk ausgeführt wird: "Die TRD enthalten die sicherheitstechnischen Anforderungen an die Werkstoffe, Herstellung, Berechnung, Ausrüstung, Aufstellung und Prüfung sowie für den Betrieb von Dampfkesselanlagen." (Abschn. 2 S. 1 TRD 001) "Die TRD enthalten die sicherheitstechnischen Anforderungen, die auf Grund normaler Betriebsverhältnisse zu stellen sind." (Abschn. 3 Nr. 3.1 S. 1 TRD 001) Bei der Einhaltung der in den technischen Regeln wiedergegebenen "allgemein anerkannten Regeln der Technik" 901 oder des "Standes der Technik" 902 900

Technische Regeln für Dampfkessel (TRD) 001: "Aufbau und Anwendung der TRD" i.d.F.d. Bekanntmachung v. 06.1970 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1970, Nr. 9, S. 234-235), zul. geänd. d. BArbBl., 1984, Nr. 4, S. 60. Nahezu identische Bestimmungen enthalten z.B. Nr. 3.1 Abs. 1 TRAC 001 (Technische Regeln für Acetylenanlagen und Calciumcarbidlager (TRAC) 001: "Allgemeines, Aufbau und Anwendung der TRAC" i.d.F.d. Bekanntmachung v. 09.1975 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1975, Nr. 9, S. 359-360), zul. geänd. d. BArbBl., 1982, Nr. 11, S. 48), Abschn. 3 Abs. 1 TRbF 001 (Technische Regeln für brennbare Flüssigkeiten (TRbF) 001: "Allgemeines, Aufbau und Anwendung der TRbF' i.d.F.d. Bekanntmachung v. 12.1982 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1982, Nr. 12, S. 36-37)) und Abschn. 2 Nr. 2.1 TRG 001 (Technische Regeln Druckgase (TRG) 001: "Allgemeines, Aufbau und Anwendung der TRG" i.d.F.d. Bekanntmachung v. 09.1989 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1989, Nr. 9, S. 50-51)). 901 Vgl. z.B. Abschn. 3 Nr. 3.2 TRAC 001: "Von den TRAC, in denen die allgemein anerkannten Regeln der Technik ihren Niederschlag gefunden haben ..." Identische Bestimmungen enthalten z.B. Abschn. 3 Abs. 3 TRbF 001 und Abschn. 2 Nr. 2.1 i.V.m. Abschn. 3 Nr. 3.2 TRB 001 (Technische Regeln für Druckbehälter (TRB) 001:

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sind entsprechend den Bestimmungen der allgemeinen Verwaltungsvorschriften die sicherheitstechnischen Anforderungen der Rechtsverordnungen im Regelfall erfüllt: "Die TRSK enthalten sicherheitstechnische und hygienische Anforderungen, bei deren Anwendung die Vorschrift des § 3 Abs. 1 SchankV im Regelfall erfüllt ist. Die TRSK schließen nicht aus, daß daneben andere technische Regeln nach dem Stand der Technik bestehen und in besonderen Fällen angewendet werden." (Abschn. 2 Nr. 2.1 S. 1 und 2 TRSK 001) Da, wie aus dem gegebenen Beispiel erkenntlich, aufgrund der in den Rechtsverordnungen geregelten, gegebenenfalls behördlich zu genehmigenden Abweichungsmöglichkeit von den allgemein anerkannten Regeln der Technik die technischen Regeln der öffentlich-rechtlichen technischen Ausschüsse nicht die einzige Möglichkeit zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen darstellen, enthalten die technischen Regeln darüber hinaus in Abhängigkeit der Ausgestaltung des behördlichen Genehmigungsverfahrens entsprechende Hinweise zum Verhalten des Normadressaten im Falle von Abweichungen vom Inhalt der technischen Regeln: "Von den TRAC, in denen die allgemein anerkannten Regeln der Technik ihren Niederschlag gefunden haben, darf nur abgewichen werden, wenn die zuständige Behörde hierfür eine Ausnahme bewilligt hat." (Abschn. 3 Nr. 3.2 TRAC OOl903)

"Allgemeines; Aufbau und Anwendung der TRB" i.d.F.d. Bekanntmachung v. 05.1983 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1983, Nr. 5, S. 55-56), zul. geänd. d. BArbBl., 1989, Nr. 2, S. 106). 902 Die nachfolgend zitierte TRSK 001 (Technische Regeln für Getränkeschankanlagen (TRSK) 001: "Aufbau und Anwendung der TRSK" i.d.F.d. Bekanntmachung v. 12.1993 (BAnz., 1993, Nr. 243a, S. 7-8)) greift damit wie beispielsweise auch die TRA 001 (Technisches Regelwerk für Aufzüge (TRA) 001: "Allgemeines, Aufbau, Anwendung" i.d.F.d. Bekanntmachung v. 11.1990 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1990, Nr. 11, S. 50-52), berichtigt d. BArbBl., 1990, Nr. 12, S. 35) im Gegensatz zu sämtlichen Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften sowie vielen anderen öffentlich-rechtlichen technischen Regeln den das Recht der überwachungsbedürftigen Anlagen seit nunmehr sechs Jahren beherrschenden normativen Standard "Stand der Technik" auf. Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 882 in Kap. ILA. 1 .c)dd)(4)(b) (bb). 903 Identische Bestimmungen bezüglich der behördlichen Einzelgenehmigung enthalten z.B. Abschn. 3 Abs. 3 der TRbF 001 und Abschn. 2 Nr. 2.1 i.V.m. Abschn. 3 Nr. 3.2 der TRB 001. Hinsichtlich der Bauartzulassung bestimmt beispielsweise Abschn. 3 Nr. 3.3 der TRAC 001: "Wird in begründeten Sonderfällen von der TRD abgewichen, so hat der Sachverständige die Erlaubnisbehörde im Zuge des Bauartzulassungsverfahrens auf die vorgesehenen Abweichungen und die hierfür maßgebenden Gründe hinzuweisen sowie anzugeben, auf welche andere Weise den sicherheitstechnischen Anforderungen genügt ist."

31 Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Wie die überbetrieblichen technischen Normen sind auch die technischen Regeln der fortschreitenden technischen Entwicklung anzupassen, ohne daß jedoch wie bei den Normenorganisationen ein fester Überarbeitungszeitraum festgeschrieben wurde 904. Diese Änderungen wie auch neue technische Regeln erlangen entsprechend den Bestimmungen in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften der überwachungsbedürftigen Anlagen erst dann Gültigkeit, wenn sie durch den zuständigen Minister anerkannt und im einschlägigen Publikationsorgan bekanntgemacht worden sind, wie beispielsweise in Abschn. 2 Nr. 2.2 der TRAC 001 ausgeführt: "Die TRAC werden durch Beschluß des Deutschen Acetylenausschusses den fortschreitenden technischen Erkenntnissen angepaßt. Die TRAC sowie künftige Beschlüsse des DAcA zur Änderung oder Ergänzung der TRAC werden entsprechend der allgemeinen Verwaltungsvorschrift wirksam, wenn sie vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Bundesarbeitsblatt, Fachteil Arbeitsschutz, bekanntgemacht worden sind." 9 0 5 Trotz des nicht unbeträchtlichen Umfanges der technischen Regelwerke der öffentlich-rechtlichen Ausschüsse- im dritten Quartal 1995 existierten 30 TRGL, 62 TRD, 15 TRAC, 51 TRbF, 30 TRB, 6 TRR, 28 TRSK und 19 T R A 9 0 6 - konkretisieren die technischen Regeln der Ausschüsse die allgemeinen sicherheitstechnischen Leitlinien der Anhänge der Rechtsverordnungen sowie die "allgemein anerkannten Regeln der Technik" in weiten Bereichen nicht ab-

904 Insgesamt vermag die Aktualität der technischen Regeln der öffentlich-rechtlichen Ausschüsse nicht zu überzeugen. Dies spiegelt sich außer in dem hohen Alter vieler technischer Regeln beispielsweise auch darin wider, daß von den technischen Regeln, welche die Verweisungen auf die technischen Normen der privaten Normenorganisationen auflisten und die für den Normadressaten dementsprechend eine wichtige Hilfestellung der praktischen Handhabung des Regelwerkes darstellen, nur eine einzige nämlich die TRB 002 (Technische Regeln für Druckbehälter (TRB) 002: "Allgemeines; Zusammenstellung der in den TRB in Bezug genommenen technischen Normen und Vorschriften" i.d.F.d. Bekanntmachung v. 05.1985 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1985, Nr. 5, S. 60-66), zul. geänd. d. BArbBl., 1995, Nr. 2, S. 100) - regelmäßig aktualisiert wird und sich auf einem aktuellen Stand befindet. Hingegen ist der Aussagegehalt entsprechender Verzeichnisse in technischen Regeln, die ein Alter von über 15 Jahren aufweisen - wie z.B. die TRA 002 (Technisches Regelwerk für Aufzüge (TRA) 002: "Verzeichnis der in der TRA angeführten DINNormen, AD-Merkblätter und VDE-Bestimmungen" i.d.F.d. Bekanntmachung v. 12.1981 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1981, Nr. 12, S. 93-97)) - angesichts der in diesem Zeitraum erfolgten dreimaligen Aktualisierung des gesamten privaten technischen Normenbestandes als praktisch wertlos einzuschätzen. 905 Identische oder sinngemäße Bestimmungen bezüglich der Aktualisierung enthalten beispielsweise Abschn. 2 Abs. 4 i.V.m. Abschn. 4 der TRbF 001, Abschn. 3 Nr. 3.1 TRB 001 und Abschn. 3 Nr. 3.1 der TRA 001. 906 Quelle: Eigene Recherche in der Sammlung "Technisches Recht auf CD-ROM" des Beuth-Verlages des DIN, Stand 3. Quartal 1995.

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schließend, da sie vielfach auf eigene Festlegungen verzichten und statt dessen technische Normen privater Normenorganisationen rezipieren. Diese Bezugnahme erfolgt systematisch, wie beispielsweise aus der Bestimmung des Abschn. 2 S. 2 der Grundnorm des Regelwerkes für Dampfkessel TRD 001 deutlich wird: "Die TRD stützen sich weitgehend auf DIN-Normen." 907 Dementsprechend rezipieren die 65 TRD des technischen Regelwerks für Dampfkessel gemäß der Anlage 1 der TRD 001 9 0 8 Mitte 1991 insgesamt 189 DIN-, 5 DIN-VDE- und 3 DIN-ISO-Normen sowie darüber hinaus auf 96 VdTÜV-Werkstoffblätter, 7 Arbeitsstätten-Richtlinien nach § 3 Abs. 2 der Arbeitsstättenverordnung, eine Technische Regel für Gefahrstoffe, 18 Unfallverhütungsvorschriften der gewerblichen Berufsgenossenschaften, 10 Berufsgenossenschaftliche Schriften und 29 Vereinbarungen. Daneben verweisen die TRD auch ganz allgemein beispielsweise auf "die jeweils geltenden DIN-Normen" 909 . Gleiches gilt für die technischen Regelwerke der anderen technischen Ausschüsse, auch wenn diese nicht eine dem Abschn. 2 S. 2 der TRD 001 entsprechende explizite Bestimmung enthalten910. 907

Wie bereits in der TRD 001 selbst praktiziert, z.B. in Abschn. 4 Nr. 4.1.4 S. 1: "Über die Prüfungen sind unter Beachtung der TRD über Werkstoffe Abnahmezeugnisse nach DIN 50 049 auszustellen.", in Abschn. 4 Nr. 4.1.5: "Die Prüfeinrichtungen für Ablieferungsprüfungen sind nach den jeweils geltenden DIN-Normen zu prüfen." und in Abschn. 4.1.6 S. 3: "Bevorzugt sollen Werkstoffe entsprechend den DIN-Normen verwendet werden." 908 Technische Regeln für Dampfkessel (TRD) 001 Anlage 1: "Zusammenstellung wichtiger Normen, Merkblätter u. dgl." i.d.F.d. Bekanntmachung v. 05.1991 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1991, Nr. 5, S. 69-77). 909 Vgl. die beiden letzten Nachweise in Fn. 908 in diesem Kapitel. 910 Beispielsweise verweisen die 28 TRSK entsprechend TRSK 001 Anlage 1 (Technische Regeln für Getränkeschankanlagen (TRSK) 001 Anlage 1: "Zusammenstellung wichtiger Normen, Merkblätter und dgl." i.d.F.d. Bekanntmachung v. 12.1993 (BAnz., 1993, Nr. 243a, S. 9-12)) auf insgesamt 53 DIN-Normen, 39 AD-Merkblätter, 3 ASR, 9 Empfehlungen der Kunststoff-Kommission des Bundesgesundheitsamtes, 15 Technische Regeln Tanks, 2 Technische Regeln Druckgase, 2 Technische Regeln Druckbehälter, 3 Unfallverhütungsvorschriften sowie 2 Vorschriften des GL für Klassifikation und Bau von stählernen Schiffen. Die 19 TRA verweisen laut TRA 002 auf 70 DIN-Normen bzw. Normteile, 25 VDE-Bestimmungen bzw. Teile derselben sowie 1 AD-Merkblatt. Und gemäß der TRbF 002 Teil 1 (Technische Regeln für brennbare Flüssigkeiten (TRbF) 002 Teil 1 : "Zusammenstellung von Normen, Merkblättern, Unfallverhütungsvorschriften und dgl. zu den TRbF der Reihen 100 und 200" i.d.F.d. Bekanntmachung v. 04.1983 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1983, Nr. 4, S. 42-46), zul. geänd. d. BArbBl., 1986, Nr. 3, S. 74-75)) wird allein in den Reihen 100 und 200 der TRbF, die 20 der insgesamt 51 technischen Regeln dieses Regelwerkes umfassen, auf 108 DIN-Normen bzw. Normteile, 14 VDE-Bestimmungen, 32 AD-Merkblätter bzw. -teile, 2 TRD, 1 TRgA, 2 Arbeitsstättenrichtlinien, 6 Unfallverhütungsvorschriften, 3 Werkstoffblätter sowie einige technische Normen von ISO, RAL u.a. in datierter Form verwiesen.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Damit erfolgt die inhaltliche Konkretisierung der allgemeinen Sicherheitsleitlinien der Anhänge der Rechtsverordnungen sowie der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" für weite Bereiche erst durch die Normenwerke der privaten normschaffenden Institutionen911. (e) Die Ebene der privatrechtlichen technischen Normenwerke (aa) Technische Arbeitsmittel Die unterste Stufe und zugleich das "materielle sicherheitstechnische Kernstück" 912 im Normen- und Regelsystem der Gerätesicherheit bilden die in den Verzeichnissen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum GSG benannten technischen Normen der privaten normschaffenden Institutionen. Hierbei kommt den im Verzeichnis A der GSGVwV zusammengestellten technischen Normen von DIN, VDE und DVGW sowie den zu diesen sicherheitstechnisch äquivalenten, im Verzeichnis C der GSGVwV zusammengestellten technischen Normen der Normenorganisationen anderer EU-Mitgliedsstaaten und der europäischen Normenorganisationen eine besondere Bedeutung zu, da die zuständige Behörde entsprechend § 3 Abs. 1 bis 6 GSGVwV bei der Prüfung technischer Arbeitsmittel i.S. der Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 S. 1 und 2 GSG davon auszugehen hat, daß durch diese technischen Normen die allgemeinen Anforderungen der als Rechtsverordnung umgesetzten EU-Richtlinien erfüllt sind bzw. es sich bei diesen technischen Normen um "allgemein anerkannte Regeln der Technik" handelt. Die herausragende Bedeutung der technischen Normen dieser normschaffenden Institutionen wird durch die außerordentlich hohe Anzahl der in den Verzeichnissen A und C rezipierten Normen belegt. So belief sich allein die Anzahl der im Verzeichnis A der GSGVwV rezipierten DIN-Normen einschließlich der europäisch harmonisierten Normen mit sicherheitstechnischen Festlegungen im Sinne des GSG Ende 1989 auf

Vgl. dazu auch die Aufstellungen in der TRGL 004 (Technische Regeln für Gashochdruckleitungen (TRGL) 004: "Zusammenstellung wichtiger Normen, Merkblätter, Unfallverhütungsvorschriften und dergleichen" i.d.F.d. Bekanntmachung v. 01.1987 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1987, Nr. 1, S. 76-82)), der TRB 002 und der TRR 010 (Technische Regeln für Rohrleitungen (TRR) 010: "Allgemeines; Zusammenstellung der in den TRR in Bezug genommenen technischen Normen und Vorschriften" i.d.F.v. 05.1993 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1993, Nr. 5, S. 28-31), geänd. d. BArbBl., 1995, Nr. 5, S. 40). 911 So auch Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 156 f.; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 115; Marburger, P., Regeln, S. 67 ff.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 51. 912 Marburger, P., Regeln, S. 77.

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1.295 Stück 913 , wobei die Anzahl der rezipierten technischen Normen nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Vielfalt und Komplexität der technischen Arbeitsmittel und den ihnen nach § 2 Abs. 2 GSG gleichgestellten Erzeugnisse ständig zunimmt914. Hingegen hat die zuständige Behörde laut § 4 Abs. 1 GSGVwV bei einer Prüfung nach Maßgabe des § 2 GSGVwV die sicherheitstechnisch relevanten Richtlinien, Leitsätze und Merkblätter des V D I und des VdTÜV - ebenso wie die öffentlich-rechtlichen sicherheitstechnischen Regeln der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, der Berufsgenossenschaften und der Bundesarbeitsgemeinschaft der gemeindlichen Unfallversicherungsträger e.V. - lediglich "heranzuziehen". (bb) Überwachungsbedürftige Anlagen Auch im Normen- und Regelsystem der überwachungsbedürftigen Anlagen repräsentieren die technischen Normen der privaten normschaffenden Institutionen - allen voran des DIN - die unterste Stufe und - zusammen mit den materiellen Bestimmungen der von den öffentlich-rechtlichen technischen Ausschüssen erarbeiteten Regelwerken - den "eigentlichen sicherheitstechnisch-materiellrechtlichen Gehalt" 915 des Rechts der überwachungsbedürftigen Anlagen. Damit läßt sich als Ergebnis festhalten, daß weder durch Gesetz noch durch die Rechtsverordnungen noch durch verwaltungsinterne Vorschriften die materiellen Sicherheitsanforderungen zur Abwehr von Gefahren für Leben oder Gesundheit der Benutzer oder Dritter bei bestimmungsgemäßer Verwendung technischer Arbeitsmittel und diesen nach § 2 Abs. 2 GSG gleichgestellten Erzeugnisse einerseits sowie zum Schutz der Beschäftigten und Dritter vor Gefahren durch die Errichtung und den Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen andererseits festgelegt werden. Vielmehr bleibt es neben den öffentlich-rechtlichen technischen Regelwerken der technischen Ausschüsse der überwachungsbedürftigen Anlagen insbesondere den hochgradig differenzierten technischen Normenwerken der privaten normschaffenden Institutionen und insbesondere des D I N vorbehalten, den wissenschaftlich-technischen Sachverstand für die Handhabung des staatlichen Genehmigungs- und Aufsichtsinstrumentariums zu 913

Reihlen, H., 42. Präsidiumssitzung, S. 3. So belief sich die Anzahl der im Jahr 1983 rezipierten DIN-Normen und VDEBestimmungen auf 914 Stück, und die Anzahl der im Jahre 1986 in Bezug genommenen DIN-Normen, VDE-Bestimmungen und DVGW-Arbeitsblätter auf rund 1.000 Stück. Heidi, J. E., VDE und GWB, S. 26; Reihlen, H., 35. Präsidiumssitzung, S. 1. 915 Marburger, P., Regeln, S. 68 f. Ganz so auch Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 20. 914

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

erschließen. Nicht anders als in den übrigen Bereichen des Umwelt- und Technikrechts werden also auch im Normen- und Regelsystem der Gerätesicherheit und der überwachungsbedürftigen Anlagen die materiellen technischen Detailregelungen überwiegend in privaten technischen Normen festgelegt, die den Pflichtigen als Handlungs- und den Behörden und Gerichten als Entscheidungsmaßstäbe dienen. (f) Rechtsfolgen für Normadressaten, Behörden und Gerichte (aa) Technische Arbeitsmittel In bezug auf den ersten des zweiteiligen Sicherheitsstandards des § 3 Abs. 1 GSG, der sich für den europarechtlich harmonisierten Bereich aus den allgemeinen sicherheitstechnischen Anforderungen der als Rechtsverordnungen umgesetzten EU-Richtlinien (§ 3 Abs. 1 S. 1 GSG) ergibt, hat die zuständige Behörde nach § 3 Abs. 3 bis 6 GSGVwV 9 1 6 bei der Prüfung technischer Arbeitsmittel, die der einschlägigen Rechtsverordnung unterliegen, davon auszugehen, daß die allgemeinen sicherheitstechnischen Anforderungen der in Rechtsverordnungen umgesetzten europarechtlichen Richtlinien erfüllt sind, wenn die entsprechenden, von der EU-Kommission mandatierten Europäischen Normen eingehalten wurden, die der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Bundesarbeitsblatt bekanntgemacht hat und auf die AnhangC der GSGVwV datiert Bezug nimmt. Hinsichtlich technischer Arbeitsmittel des übrigen, nicht harmonisierten Bereichs, dessen Sicherheitsstandard sich aus den allgemein anerkannten Regeln der Technik, den Arbeitsschutz- und den UnfallverhütungsVorschriften (§3 Abs. 1 S. 2 GSG) ergibt, hat die zuständige Behörde nach § 3 Abs. 1 GSGVwV bei der Prüfung dieser technischen Arbeitsmittel davon auszugehen, daß die von DIN, VDE und DVGW aufgestellten technischen Normen, die der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Bundesarbeitsblatt bezeichnet hat und auf die im Anhang A der GSGVwV datiert verwiesen wird, allgemein anerkannte Regeln der Technik sind. Gleiches gilt nach § 3 Abs. 2 GSGVwV für die Normen ausländischer oder internationaler Normenorganisationen bei analoger Bezeichnung durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. 916 Daß die GSGVwV nicht für alle Rechtsverordnungen zum GSG entsprechende Regelungen enthält, sei als Nachlässigkeit des Verwaltungsvorschriftengebers gedeutet, da alle als Rechtsverordnungen des GSG umgesetzten EU-Richtlinien - außer dem "Präzedenzfall" der Niederspannungsrichtlinie - nach der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" erstellt worden sind und somit durch mandatierte Europäische Normen konkretisiert werden. Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01); vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d).

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Damit sind die in den Verzeichnissen A und C der GSGVwV datiert in Bezug genpmmenen technischen Normen für die zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörden als sogenannte "Innenrechtssätze" verbindlich. Als solche stellen sie deren bindende Entscheidungsmaßstäbe dar, solange kein atypischer Sachverhalt vorliegt, d.h. die rezipierten Normen fehlerhaft oder veraltet sind oder aus sonstigen Gründen dem Schutzziel des Gesetzes nicht (mehr) gerecht werden und somit Anlaß besteht, an der Einschätzung des BMA zu zweifeln. Liegt ein solcher Anlaß vor und wird er durch eine Nachprüfung bestätigt, so hat die zuständige Behörde die von ihr ermittelte herrschende Meinung der Fachleute ihrem weiteren Handeln zugrunde zu legen. Vorbehaltlich eines solchen atypischen Sachverhalts müssen die zuständigen Verwaltungsbehörden bei Konformität zu den rezipierten technischen Normen zugunsten des sicherungspflichtigen Normadressaten vermuten, daß das betreffende technische Erzeugnis den gesetzlichen Beschaffenheitsanforderungen entspricht, und dürfen es nicht gemäß den §§3 Abs. 1, 3a, 5 und 6 GSG beanstanden917. Hingegen haben die Behörden die sicherheitstechnischen Regeln der in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 GSGVwV genannten Organisationen sowie die Regeln der Sicherheitstechnik anderer Organisationen (§ 4 Abs. 2 GSGVwV), die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Bundesarbeitsblatt bezeichnet wurden, bei einer Prüfung technischer Arbeitsmittel nur "heranzuziehen" - d.h. als Erkenntnisquelle zu nutzen -, sind aber nicht verpflichtet, diese als "allgemein anerkannte Regeln der Technik" oder Erfüllung der in den Rechtsverordnungen normierten allgemeinen Schutz- und Sicherheitsanforderungen anzusehen 918 . Demnach brauchen Hersteller und Importeure eines zu den in den Verzeichnissen A und C GSGVwV bezeichneten technischen Normen konformen Produkts als Normadressaten des GSG behördliche Beanstandungen nach §§3 Abs. 1, 3a, 5 und 6 GSG außer bei atypischen Sachverhalten nicht zu befürchten. Gleiches gilt entsprechend den vorherigen Ausführungen allerdings nicht für die im Verzeichnis Β der GSGVwV bezeichneten Regeln der Sicherheits-

917

Diese Verpflichtung begründet demzufolge eine widerlegliche Vermutung für die Qualifikation der in das Verzeichnis der AVV aufgenommenen Normen als "allgemein anerkannte Regeln der Technik" und entspricht somit der Rechtsfolge einer normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung auf ein technisches Normenwerk. So explizit die Bundesregierung in BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 18; vgl. auch Becker, U., Gerätesicherheit, S. 151; Marburger, P., Regeln, S. 414 f.; ders., Bezugnahme, S. 49; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 62; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 9; Ossenbühl, F., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 6 Rn. 43; Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 3, Rn. 45; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 48. 918 Marburger, P., Regeln, S. 75 f.; ders., Bezugnahme, S. 49.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

technik. In diesem wie auch im ersten Fall aufgrund der Möglichkeit eines atypischen Sachverhalts ergeben sich die sicherheitstechnischen Anforderungen für Hersteller oder Importeur unmittelbar erst durch die Festlegung in einem gerichtlich nachprüfbaren Verwaltungsakt 919. Auf der anderen Seite ist den Normadressaten die Einhaltung der bezeichneten technischen Normen und sicherheitstechnischen Regeln rechtlich nicht zwingend vorgeschrieben. Auch können sie nicht zu deren Einhaltung durch einen Verwaltungsakt gezwungen werden. Vielmehr dürfen Hersteller und Importeure von den technischen Normen und Regeln der Sicherheitstechnik abweichen, sofern sie das durch diese determinierte Sicherheitsniveau einhalten. Dies folgt grundsätzlich aus § 2 Abs. 1 S. 2 GSGVwV sowohl für den europarechtlich durch EU-Richtlinien harmonisierten Bereich nach § 3 Abs. 1 S. 1 GSG als auch für den übrigen, nicht harmonisierten Bereich nach § 3 Abs. 1 S. 2 GSG. Nach § 2 Abs. 1 S. 2 GSGVwV muß die zuständige Behörde prüfen, ob die gleiche Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist, wenn das technische Arbeitsmittel in seiner Beschaffenheit von den dem Gefahrenschutz dienenden Normen, Regeln und Vorschriften abweicht. Zusätzlich folgt dies für den nicht europarechtlich harmonisierten Bereich aus § 3 Abs. 1 S. 3 GSG, nach dem "von den allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie den Arbeitsschutzund UnfallverhütungsVorschriften ... abgewichen werden [darf], soweit die gleiche Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist". In diesem nicht europarechtlich harmonisierten Bereich können die Normadressaten ferner eine nicht in den Anhängen der GSGVwV bezeichnete, jedoch gleichfalls "allgemein anerkannte Regel der Technik" anwenden, sofern dadurch das Sicherheitsniveau gewahrt bleibt. Allerdings muß der Hersteller oder Importeur im Falle der Abweichung von den bezeichneten technischen Normen nach den allgemeinen zivilrechtlichen Beweisregeln bei den Prüfstellen oder gegebenenfalls vor Gericht den Nachweis führen, daß und wie er das gleiche Sicherheitsniveau für sein technisches Arbeitsmittel mit der abweichenden Lösung erreicht hat 920 . Da durch § 10 lit. a) GSG die Exekutive ermächtigt wird, die fehlende legislative Konkretisierung des § 3 Abs. 1 GSG nachzuholen, indem sie in der GSGVwV die Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften sowie die technischen Normen zu bezeichnen hat, in denen die "allgemein anerkannten Regeln der Technik" niedergelegt sind, tritt diese Bezeichnung an die Stelle einer normkonkretisierenden Einzel- oder Globalverweisung durch das Gesetz selbst. Damit kann die GSGVwV als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift aufgefaßt werden, womit entsprechend der ΒindungsWirkung einer norm919

Becker, U., Gerätesicherheit, S. 151. Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 78 f.; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 99; Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 3, Rn. 87 f. 920

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konkretisierenden Verwaltungsvorschrift für die dritte Gewalt auch die Gerichte die Rezeption der Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften sowie der technischen Normen in den Anhängen der GSGVwV in den vom Gesetz gezogenen Grenzen beachten müssen921. (bb) Überwachungsbedürftige Anlagen Indem die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu den Rechtsverordnungen der überwachungsbedürftigen Anlagen bestimmen, die Überwachungsbehörde habe in der Regel davon auszugehen, daß die von der jeweiligen Verordnung aufgestellten allgemeinen Sicherheitsanforderungen erfüllt seien, soweit die Anlage den vom zuständigen Ausschuß ermittelten und durch den zuständigen Minister veröffentlichten 922 technischen Regeln entspreche, sind analog zu den vorherigen Ausführungen bezüglich der technischen Arbeitsmittel die technischen Regeln der öffentlichen Ausschüsse und mit ihnen die rezipierten technischen Normen der privaten normschaffenden Institutionen für die Behörde als Dienstbefehle verbindlich. Dabei bedeutet die Relativierung durch den Passus "in der Regel", daß die Behörden nur dann an die technischen Regeln und Normen gebunden sind, solange kein atypischer Sachverhalt vorliegt. Gleiches gilt für den Regelungsbereich der ElexV, deren allgemeine Verwaltungsvorschrift die maßgeblichen technischen Normen selbst abschließend aufführt 923. Dementsprechend können sich die Normadressaten - Hersteller, Errichter und Betreiber der Anlage - außer bei Vorliegen eines atypischen Sachverhalts darauf verlassen, daß die Behörden ihren Anträgen stattgeben, sofern sie die be-

921 Bezüglich einer gewissen BindungsWirkung der Gerichte im Falle der Qualifizierung der rezipierten technischen Normen als antizipierte Sachverständigengutachten vgl. Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 3, Rn. 51 f.; femer Kap. II.A.l.c)bb)(2)(c). Vgl. zu den Ausführungen dieses Abschnitts auch Kap. II.A.l.c)bb)(l)(a)(bb), Kap. ILA. 1 .c)bb)( 1 )(b)(aa)ß), Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(bb)ß) und Kap. ILA. 1 .c)bb)(2)(a)(bb). 922 Die Bekanntmachung der Regeln durch den zuständigen Minister ist der Rechtsnatur nach auch eine allgemeine Verwaltungsvorschrift; da die technischen Regeln in ihrem vollem Wortlaut inkorporiert werden, erhält deren inkorporierter Inhalt selbst den Charakter von Verwaltungsvorschriften, d.h. für nachgeordnete Verwaltungsbehörden verbindliche Rechtsnormen. Marburger, P., Regeln, S. 68. 923 Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 115; Marburger, P., Regeln, S. 415; ders. Haftungs- und versicherungsrechtliche Bedeutung S. 51; Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 30. Demgemäß spricht auch im Recht der überwachungsbedürftigen Anlagen bei Einhaltung der einschlägigen technischen Regeln und Normen eine widerlegliche Vermutung dafür, daß die Anforderungen der jeweiligen Rechtsverordnung gewahrt sind. Marburger, P., Bezugnahme, S. 51 f.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 10.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

zeichneten technischen Regeln und Normen einhalten. Aufgrund der Möglichkeit eines atypischen Sachverhalts ergeben sich die sicherheitstechnischen Anforderungen für die Normadressaten auch in diesem Fall unmittelbar erst durch die Festlegung in einem gerichtlich nachprüfbaren Verwaltungsakt. Hingegen sind die technischen Regeln und Normen für die Normadressaten nicht verbindlich vorgeschrieben. Zum einen kann der Normadressat auch ohne Ausnahmegenehmigung eine von den technischen Regeln divergierende technische Lösung wählen, wenn diese ebenfalls eine allgemein anerkannte Regel der Technik darstellt 924. Zum anderen können sie entsprechend den Regelungen der Rechtsverordnungen sowohl im Rahmen der Einzel- als auch der Bauartzulassung - gegebenenfalls "aus besonderen Gründen" - von den allgemein anerkannten Regeln der Technik abweichen, "wenn die Sicherheit auf andere Weise gewährleistet ist", was jedoch in aller Regel der behördlichen Genehmigung bedarf 925 . In beiden Fällen trifft sie dann allerdings die (materielle) Beweislast dafür, daß trotz des Abweichens von den technischen Regeln und Normen die Sicherheitsanforderungen gleichermaßen erfüllt werden 926. Schließlich sind die Gerichte nicht an die durch die zuständigen Minister veröffentlichten öffentlich-rechtlichen technischen Regeln und die durch diese rezipierten technischen Normen gebunden. Sie wären dies allenfalls dann, wenn man die Veröffentlichung als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift qualifizieren würde. Dieser Ansatz wird jedoch, soweit ersichtlich, in Zusammenhang mit dem Recht der überwachungsbedürftigen Anlagen nirgendwo vertre-

d) Resümee der Abschnitte II.A.l.b) und c) Mit diesen Erkenntnissen läßt sich nunmehr die zweite am Ende des Teils I gestellte Frage zunächst für die Bundesrepublik Deutschland beantworten, ob technischen Normen aufgrund der in Kapitel I.E ausgeführten Erfüllung von ursprünglich dem Staat obliegenden öffentlichen Aufgaben durch die normschaf-

924

Marburger, P., Regeln, S. 62; ders., Bezugnahme, S. 53; ders., Produkthaftungsrecht, S. 114 ff., 117; Nicklisch, F., Zulässige Abweichungen, S. 835 f. 925 Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 115; Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 30. 926 Marburger, P., Regeln, S. 62. 927 Vgl. bezüglich einer gewissen Bindungswirkung der Gerichte im Falle der Qualifizierung der rezipierten technischen Normen als antizipierte Sachverständigengutachten Peine, F.-J., GSG: Kommentar, zu § 11, Rn. 30; femer Kap. II.A.l.c)bb)(2)(c). Vgl. zu den Ausführungen dieses Abschnitts auch Kap. II.A.l.c)bb)(l)(a)(bb), Kap. ILA. 1 .c)bb)( 1 )(b)(aa)ß), Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(bb)ß) und Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(bb).

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fenden Institutionen Rechtsnormcharakter zukommt oder - sollte dies nicht der Fall sein - wie diese in die staatliche Rechtsordnung rezipiert werden. Dazu ist zunächst einmal festzustellen, daß deutsche technische Normen keine Rechtsnormen darstellen: Sie sind weder Gesetze des Bundestags und Bundesrats oder der Landtage, noch Rechtsverordnungen der Exekutive, noch allgemeine Verwaltungsvorschriften, noch autonome Satzungen des öffentlichen Rechts, noch Gewohnheitsrecht. Ferner kommt den technischen Normen auch keinerlei rechtliche Verbindlichkeit aufgrund einer Beleihung der normschaffenden Institutionen und insbesondere des DIN mit hoheitlichen Aufgaben infolge des Normenvertrages mit der Deutschen Bundesregierung zu. Vielmehr entfalten die technischen Normen als Ergebnis eines kollektiven Willensbildungsprozesses der interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit aus sich heraus keine rechtliche Verbindlichkeit, sondern sind rechtlich unverbindliche Empfehlungen der deutschen normschaffenden Institutionen an jedermann. Abstrakt-generelle rechtliche Verbindlichkeit erlangen technische Normen allein in Folge von Rezeptionsakten des Gesetz-, Verordnungs- und Verwaltungsvorschriftengebers. Die Rezeption außerrechtlicher Ordnungsgefüge hat eine lange Tradition in der deutschen Rechtssetzungspraxis. Bereits das preußische allgemeine Landrecht von 1794 machte in seinem strafrechtlichen Teil die "allgemein anerkannten Regeln der Baukunst" zum Maßstab für ein sicherheitstechnisch ordnungsgemäßes Verhalten im Bauwesen und rezipierte damit die Zunftregeln der am Bau tätigen Handwerker. Auch in der Folgezeit verzichtete der Staat fast vollständig auf den Erlaß detaillierter schütz- und sicherheitsrelevanter rechtlicher Regelungen bezüglich technischer Systeme. Die einzige Ausnahme bildete das Eingreifen des staatlichen Gesetzgebers im Bereich der Sicherheit der Dampfkessel 928: Hier enthielten die allgemeinen polizeirechtlichen Bestimmungen für Dampfkessel von 1871 929 und 1890 930 abschließend die sicherheitstechnischen Anforderungen. Aber auch in diesem Regelungsbereich zog sich der Staat mit der Gründung und Professionalisierung der technischwissenschaftlichen Vereine aus dem Bereich des technischen Sicherheitsrechts zurück und beschränkte seine Arbeit auf eine rahmensetzende Funktion. So stellen die nachfolgenden Regelungen des § 2 Abs. 1 der "Allgemeinen polizeilichen Bestimmungen über die Anlegung von Landdampfkesseln" v. 17. Dezember 1908 931 und des § 2 Abs. 1 der "Allgemeinen polizeilichen Bestimmun-

928 929 930 931

Marburger, P., Regeln, S. 189; Sonnenberger, H.-J., Grundfragen, S. 3. RGBl., 1871, S. 122. RGBl., 1890, S. 163. RGBL, 1909, S. 3.

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gen über die Anlegung von Schiffsdampfkesseln" v. 17. Dezember 1908 932 die erste Rezeption von technischen Normen, welche durch interessenpluralistische Expertengremien aufgestellt wurden, in die staatliche Rechtsordnung dar. Ursache für die Abkehr von der detaillierten gesetzlichen Regelungsmethode hin zur Anwendung dieser vom V D I vorgeschlagenen indirekten Rezeption technischer Normen war vornehmlich die "empfindliche Informationslücke" des Staates gegenüber den technisch-wissenschaftlichen Verbänden - namentlich dem V D I -, und der vergebliche Versuch, diese durch Einstellung von Dampfkesselexperten zu schließen933. Obwohl entsprechend diesen Ausführungen die staatliche Rezeption technischer Normen bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts praktische Anwendung findet, wurde diese erst im Jahre 1975 durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag der Bundesregierung mit der wichtigsten normschaffenden Institution Deutschlands - dem D I N - auf eine einvernehmliche rechtliche Grundlage gestellt. Der Vertrag enthält als zentrale Bestimmung die Verpflichtung des DIN, "bei seinen Normungsarbeiten das öffentliche Interesse zu berücksichtigen" und dafür Sorge zu tragen, "daß die Normen bei der Gesetzgebung, in der öffentlichen Verwaltung und im Rechtsverkehr als Umschreibungen technischer Anforderungen herangezogen werden können". Insbesondere kommt dem DIN danach die Aufgabe zu, auf den Gebieten der Sicherheitstechnik, des Gesundheits-, des Umwelt- und des Verbraucherschutzes sowie jenen Bereichen, für die ein besonderes gesamtwirtschaftliches oder arbeitswissenschaftliches Interesse besteht, "allgemein anerkannte Regeln der Technik zu schaffen, die es ermöglichen, in Rechtsvorschriften auf Normen Bezug zu nehmen". In diesem Zusammenhang wird das D I N nicht nur zu einer bevorzugten Behandlung der Normungsprojekte verpflichtet, für welche die Bundesregierung ein öffentliches Interesse geltend macht, sondern die Bundesregierung kann darüber hinaus dem D I N nach vorheriger Abstimmung eine Frist setzen, für deren Einhaltung durch die zuständigen Arbeitsgremien das D I N Sorge zu tragen hat. Im Gegenzug sagt die Bundesregierung zu, während dieser Frist entsprechende Regelungen weder selbst aufstellen noch durch Dritte aufstellen zu lassen, sofern diese nicht der Gesetzgebung oder dem Vollzug von Gesetzen dienen sollen oder sonstige öffentliche Interessen es erforderlich machen. Schließlich hat das DIN noch zugesagt, der Bundesregierung auf Antrag Sitze in den Lenkungsgremien der Normenausschüsse einzuräumen und die jeweils in Betracht kommenden behördli932

RGBL, 1909, S. 51. Marburger, P., Regeln, S. 151 ff.; ders., Bezugnahme, S. 38; Nicklisch, F., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 76; ders., Wortbeitrag in: DIN Normungskunde Bd. 17, S. 57. Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 51 ff. spricht sogar von einer "Inkompetenz des Staates" hinsichtlich der Dampfkesselüberwachung. 933

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chen Stellen bei der Normungsarbeit zu beteiligen, was zu einer verstärkten Beteiligung des Staates an der Normung führen soll. Neben dem DIN werden überdies die Normen des DVGW, des V D I sowie der DKE bzw. des VDE in großem Umfang rezipiert. Dementsprechend haben sich auch diese normschaffenden Institutionen auf ihre gesetzeskonkretisierenden Aufgaben eingestellt und sie zum Teil in ihren Statuten verankert, wie z.B. der VDE in seinen Bestimmungen bezüglich der Aufnahme von technischen Normen in das VDE-Vorschriftenwerk: "Femer werden elektrotechnische Normen hierin aufgenommen, die elektrische Anlagen, Geräte oder deren Teile betreffen, die in den Anwendungsbereich der Zweiten Durchführungsverordnung zum Energiewirtschaftsgesetz, des Gerätesicherheitsgesetzes (GSG) oder sonstiger Rechtsnormen fallen, die der Abwendung von Gefahren für Menschen, Tiere oder Sachen dienen."934 Im Hinblick auf die staatliche Rezeption technischer Normen kennt das deutsche Recht zahlreiche Arten der unmittelbaren und mittelbaren Bezugnahme, durch welche die eo ipso rechtlich unverbindlichen technischen Normen Rechtswirkungen entfalten, die in Abhängigkeit von der Rechtsqualität des rezipierenden Hoheitsaktes sowie der Art der Rezeption von unterschiedlicher Intensität sind. Als Folge einer unmittelbaren Bezugnahme auf technische Normen durch Inkorporation, datierte Verweisung, undatierte Verweisung und normergänzende allgemeine Verweisung nimmt der Inhalt der rezipierten technischen Norm(en) im Range der rezipierenden Rechtsnorm an deren Rechtsgeltung teil. D.h. im Falle der Rezeption in Gesetzen und Rechtsverordnungen ist die technische Lösung der rezipierten Norm(en) für Normadressaten, Behörden und Gerichte verbindlich vorgeschrieben. Hingegen wird nach weitaus herrschender Meinung als Rechtswirkung einer normkonkretisierenden undatierten Verweisung in Gesetzen und Rechtsverordnungen lediglich eine widerlegbare gesetzliche Tatsachenvermutung mit der Funktion einer bloßen Beweislastregel dafür begründet, daß den rechtlich gebotenen Schutz- und Sicherheitspflichten Genüge geleistet wurde, wenn die ausdrücklich benannten technischen Normen Anwendung fanden. Damit kann der Sicherungspflichtige Normadressat zwar in aller Regel darauf vertrauen, daß er bei Beachtung der rezipierten technischen Normen seinen gesetzlichen Schutz- und Sicherheitspflichten genügt hat und ihm damit Sanktionen der Genehmigungs- und Überwachungsbehörden erspart bleiben. Jedoch unterliegt die Frage, ob die technischen Normen dem normativen Sicherheitsstandard genügen, der behördlichen und im Streitfall vollinhaltlich der richterlichen Prüfung, so daß als Konsequenz die rechtlichen Anforderungen an den Normadressaten abschließend erst durch einen gerichtlich nachprüfbaren Verwaltungsakt konkretisiert werden. Erst im Falle eines non li934

VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 2 f. Abschn. 2 Nr. 2.1.

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quet ist der Rechtsanwender an die vermutete Tatsache gebunden und muß sie seiner Entscheidung so zugrunde legen, als sei sie erwiesen. Auf der anderen Seite ist der Normadressat nicht verpflichtet, die bezeichneten technischen Normen einzuhalten, sondern es bleibt ihm freigestellt, davon abweichende technische Lösungen zu wählen, sofern dadurch das vorgeschriebene Sicherheitsniveau ebenfalls gewährleistet wird, d.h. die Lösung dem normativen Standard ebenfalls genügt. Auch im Falle der unmittelbaren Bezugnahme auf technische Normen durch Inkorporation, datierte Verweisung und undatierte Verweisung in allgemeinen Verwaltungsvorschriften nimmt der Inhalt der rezipierten technischen Norm(en) im Range der rezipierenden Rechtsnorm an deren Rechtsgeltung teil. Hinsichtlich deren Rechtswirkung ist jedoch allein die Bindungswirkung für die nachfolgenden Behörden unumstritten. Hingegen sehen sich sämtliche Legitimierungsversuche des zunehmend ausufernden Einsatzes von allgemeinen Verwaltungsvorschriften im Umwelt- und Technikrecht zur Verhaltenslenkung im Außenverhältnis zwischen Hoheitsträgern und Bürgern einer wachsenden Kritik ausgesetzt, ganz zu schweigen von der nach wie vor nicht abschließend geklärten Frage der gerichtlichen Nachprüfbarkeit auf entsprechende Verwaltungsvorschriften gestützter Verwaltungsakte. Trotz der - m.E. allein aufgrund der als Gesetzesinterpretation oder -konkretisierung verbrämten, in ihrem Ausmaß kaum mehr tolerablen faktischen Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen auf die Ebene der Verwaltungsvorschriften - mehr als berechtigten Kritik werden sowohl die Figur der Selbstbindung der Verwaltung als auch die Rechtsfigur der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift in die Betrachtungen mit einbezogen935. Bezüglich der ersteren besteht die Annahme einer außenrechtssteuernden Funktion der Verwaltungsvorschriften als Folge einer auf ihnen basierenden tatsächlichen Verwaltungspraxis: In der berechtigten, durch die Publikation der allgemeinen Verwaltungsvorschrift in amtlichen Verkündungsblättern bestärkten Annahme, daß die Behörden sich nach den Vorschriften richten werden, orientieren die Normadressaten ihr Verhalten ebenfalls daran. Bezüglich der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften wird proklamiert, daß diese unter bestimmten Voraussetzungen auch für die Verwaltungsgerichte innerhalb der von der Norm gesetzten Grenzen verbindlich sind.

935

Hingegen ist die Qualifikation bestimmter Verwaltungsvorschriften mit wissenschaftlich-technisch kompetentem Aussagegehalt als antizipierte Sachverständigengutachten von Rechtsprechung und Literatur mittlerweile weitgehend aufgegeben worden undfindet in Zusammenhang mit den allgemeinen Verwaltungsvorschriften keine weitere Beachtung. Bezüglich der Qualifikation technischer Normen als antizipierte Sachverständigengutachten vgl. Kap. II.A.l.c)bb)(2)(c).

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Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der unmittelbaren Rezeptionsmethoden gelten allein die Inkorporation, die datierte Verweisung und die normkonkretisierende allgemeine Verweisung in Gesetzen und Rechtsverordnungen sowie die Inkorporation, die datierte und die undatierte Verweisung in allgemeinen Verwaltungsvorschriften - letztere allerdings mit Ausnahme der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften - als verfassungsrechtlich zulässig. Hingegen werden die regelmäßig normergänzend ausgestaltete undatierte Verweisung und die normergänzende allgemeine Verweisung auf technische Normen in Gesetzen und Rechtsverordnungen in Rechtsprechung und Literatur nahezu einhellig als verfassungswidrig qualifiziert. Gleiches gilt auch für die undatierte Verweisung in normkonkretisierenden Verwaltungs Vorschriften. Wesentlich häufiger erfolgt jedoch eine mittelbare Bezugnahme auf technische Normen. Die in diesem Zusammenhang mit weitem Abstand wichtigste Rezeptionsmethode ist die mittelbare Rezeption durch normative Standards, die sich in einer Vielzahl von Gestaltungsvarianten unter Verwendung einer hohen Anzahl an Begriffen - im Rahmen dieser Arbeit wurden für einen begrenzten Ausschnitt des Umwelt- und Technikrechts über 40 verschiedene normative Standards nachgewiesen - in der deutschen Rechtsordnung wiederfindet. Allen diesen Varianten ist gemein, daß der Gesetzgeber im Rahmen dieser Regelungsmethode weitestgehend davon absieht, die zum Schutz des Menschen, seiner Sachgüter, der Umwelt oder anderer Rechtsgüter notwendigen Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen selbst materiell zu normieren und sich auf die Festlegung allgemeiner Schutz- und Sicherheitsanforderungen unter anderem in Form von normativen Standards beschränkt. Stattdessen delegiert er die Konkretisierung der Schutz- und Sicherheitsziele entweder an die konkret-individuelle Einzelfallregelung auf der Rechtsanwendungsebene oder in abstraktgenereller Form durch Ermächtigungen der Exekutive zum Erlaß von Rechtsverordnungen, allgemeinen Verwaltungsvorschriften oder etwa die Einführung der als "allgemein anerkannte Regeln der Technik" geltenden Technischen Baubestimmungen durch die oberste Bauaufsichtsbehörde und deren Veröffentlichung im Ministerialblatt an die zweite Gewalt, die gesetzlichen Vorgaben zu konkretisieren. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber durch die in verschiedenen Gesetzen zu findende Ermächtigung, bezüglich "der Anforderungen [könne] ... auf (jedermann zugängliche) Bekanntmachungen sachverständiger Stellen (unter Angabe der Fundstelle) verwiesen werden", klargestellt, daß die Möglichkeit besteht, zur Konkretisierung gesetzlicher Vorgaben auch die technischen Normen(werke) der privaten normschaffenden Institutionen heranzuziehen. In der Praxis hat die Exekutive tatsächlich vielfach in Rechtsverordnungen und auch in allgemeinen Verwaltungsvorschriften zugunsten allgemeiner Beschaffenheits· und Verhaltensanforderungen i.V.m. der Rezeption technischer Normen auf eigene detaillierte schütz- und sicherheitstechnische Regelungen verzichtet.

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Hinsichtlich der Rechtsfolge dieser Rezeptionsmethode ist zwischen den verschiedenen Arten der untergesetzlichen Rezeption zu unterscheiden. Werden die technischen Normen in allgemeinen Verwaltungsvorschriften rezipiert oder ministeriell eingefühlt, gilt uneingeschränkt das zu den entsprechenden unmittelbaren Rezeptionsmethoden im Zusammenhang mit allgemeinen Verwaltungsvorschriften Ausgeführte. Erfolgt hingegen keine abstrakt-generelle administrative Rezeption der technischen Normen, so spricht ein qualifizierter Erfahrungssatz und damit eine tatsächliche Vermutung für die Übereinstimmung der in den technischen Normenwerken im Hinblick auf das gesetzliche Schutz- und Sicherheitsziel getroffenen einschlägigen Bestimmungen mit dem jeweiligen normativen Standard. Dieser hat für die richterliche Beweiswürdigung im Zivilprozeß die Bedeutung eines Anscheinsbeweises, dessen Widerlegung jedoch nicht nur durch den vollen Gegenbeweis, sondern bereits durch die Erschütterung der Erfahrungstatsache möglich ist. Der Anscheinsbeweis findet auch im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß Anwendung, kommt dort jedoch aufgrund des behördlichen und gerichtlichen Untersuchungsgrundsatzes erst im Falle eines non liquet zum Tragen. Damit werden auch bei dieser Rezeptionsmethode die rechtlichen Anforderungen an den Normadressaten abschließend erst durch einen gerichtlich nachprüfbaren Verwaltungsakt konkretisiert. Neben der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards, die vornehmlich im öffentlichen Recht- specialiter im Umwelt- und Technikrecht - und nur in Ausnahmefällen im Privatrecht und im Strafrecht Anwendung findet, werden insbesondere in den beiden letztgenannten Rechtsgebieten im Rahmen der Konkretisierung zahlreicher weiterer offener Rechtsbegriffe - wie beispielsweise der "Verkehrssitte", dem "Handelsbrauch" oder der "im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" - auf der Rechtsanwendungsebene technische Normen rezipiert. Von erheblicher Bedeutung ist ferner die Bezugnahme auf technische Normen auf den öffentlichen Märkten, während die Qualifikation technischer Normen als antizipierte Sachverständigengutachten in Rechtsprechung und Literatur zunehmend aufgegeben wurde und deshalb eine zu vernachlässigende Rolle spielt. Regelungszweck der Rechtsnormen, die technische Normen rezipieren, ist zum einen der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Menschen, seiner Sachgüter und der Umwelt stets vor den Gefahren und teilweise auch vor den Risiken der Technik, und zum anderen die Förderung der Technik in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht im Sinne der Schaffung der unternehmerischen Investitionssicherheit und der Durchsetzung neuer Technologien, wobei dem Schutzzweck regelmäßig Vorrang vor dem Förderungszweck eingeräumt wird. Für die Regelungsstruktur dieser Rechtsgebiete, die im allgemeinen durch die Rezeptionsart der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch norma-

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tive Standards gekennzeichnet sind, ist entsprechend der diesbezüglichen Ausführungen charakteristisch, daß die Rechtsnormen zugunsten der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards auf detaillierte schütz- und sicherheitstechnische Spezifikationen verzichten und sich auf die Festlegung allgemeiner schütz- und sicherheitstechnischer Anforderungen sowie die Ausgestaltung des formalen technischen Genehmigungs- und Überwachungsverhältnisses beschränken. Diese Aussage wurde anhand der Regelungsstruktur einiger besonders bedeutsamer Bereiche des Umwelt- und Technikrechts verifiziert, wobei die Beispiele so gewählt wurden, daß jedes der drei zuerst vorgestellten Normen- und Regelsysteme durch einen anderen der drei wichtigsten, der Drei-Stufen-Theorie zugrundeliegenden normativen Standards determiniert wird: Das Bauordnungsrecht durch die "allgemein anerkannten Regeln der Technik (und Baukunst)", das Bundes-Immissionsschutzrecht durch den "Stand der Technik" und das Kernenergierecht durch den "Stand von Wissenschaft und Technik". Sowohl aufgrund der in ihm zu findenden widersprüchlichen Vielfalt an normativen Standards - die neben den drei genannten auch noch einige andere beinhaltet -, als auch wegen seiner überragenden wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Bedeutung wurde viertens noch das Normen- und Regelsystem der Gerätesicherheit und der überwachungsbedürftigen Anlagen vorgestellt. Ergebnis der Untersuchungen war in allen vier Rechtsgebieten, daß weder durch Gesetz noch durch Rechtsverordnungen noch durch verwaltungsinterne Vorschriften des jeweiligen Normen- und Regelsystems die abschließende konkrete Beurteilung des Regelungsgegenstandes bzw. der Regelungsgegenstände mit dem Ziel ermöglicht wird, den jeweiligen Regelungszweck des entsprechenden Normen- und Regelsystems zu verwirklichen. Während Gesetz und Rechtsverordnungen durchgängig nur allgemeine schütz- und sicherheitstechnische Anforderungen stellen, sind die allgemeinen Verwaltungsvorschriften weitgehend nichts anderes als eine detailliert ausgearbeitete Bezugnahme auf die jeweils einschlägigen privaten technischen Regelwerke. Auch soweit die Verwaltungsvorschriften - wie etwa die TA Luft im Normen- und Regelsystem des Bundes-Immissionsschutzrechts - selbst detaillierte Regelungen enthalten, stützen sie sich inhaltlich doch weitgehend auf die im Rahmen der normschaffenden Institutionen durchgeführten Vorarbeiten bzw. deren einschlägige technische Normen, in diesem Beispiel etwa die der "Kommission der Reinhaltung der Luft" (KRdL) sowie des Normenausschusses "Akustik, Lärmminderung und Schwingungstechnik" (NALS) als gemeinsame Normungsgremien von DIN und VDI. Dementsprechend bleibt es regelmäßig den hochgradig differenzierten, anwendungsorientierten technischen Normenwerken der privaten normschaffenden Institutionen, insbesondere von DIN, DKE (bzw. VDE), DVGW und VDI,

32 Zubke-von Thünen

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vorbehalten, den wissenschaftlich-technischen Sachverstand für die Handhabung des staatlichen Genehmigungs- und Überwachungsinstrumentariums zu erschließen und die auf den Rechtssetzungsebenen weitgehend unbeantworteten Wertungsfragen des zulässigen Restrisikos der technischen Systeme zu entscheiden und materiell zu normieren - im Normen- und Regelsystem der überwachungsbedürftigen Anlagen gemeinsam mit den von den gemäß § 11 Abs. 2 GSG eingesetzten technischen Ausschüssen erarbeiteten Regelwerken, im Kernenergierecht zusammen mit den vom Kerntechnischen Ausschuß erstellten technischen Regeln, die sich jedoch selbst häufig, zum Teil sogar systematisch auf die einschlägigen technischen Normen der privaten normschaffenden Institutionen beziehen bzw. inhaltlich auf diesen beruhen. Damit werden als grundsätzliche charakteristische Regelungsstruktur des Umwelt- und Technikrechts die materiellen schütz- und sicherheitstechnischen Detailregelungen zum weitaus überwiegenden Teil in privaten technischen Normen festgelegt, die den "eigentlichen sicherheitstechnisch-materiellrechtlichen Gehalt"936 des Umweltund Technikrechts ausmachen und den Pflichtigen als Handlungs- und den Aufsichts- und Genehmigungsbehörden sowie den mit der Kontrolle der Exekutiventscheidungen befaßten Gerichten als Entscheidungsmaßstäbe dienen. In den wenigen Ausnahmefällen, in denen die staatlichen rechtssetzenden Organe versucht haben, die materiellen technischen Einzelfragen bezüglich der Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen gefährlicher technischer Systeme eigenständig zu regeln, bestehen neben dem beinahe sprichwörtlichen Defizit an Sachverstand vor allem Probleme damit, dem technischen Fortschritt in angemessener Zeit zu folgen. Beispielsweise wurde im Zusammenhang des Normen- und Regelsystems des Bundes-Immissionsschutzes aufgezeigt, daß die 13. BImSchV, die gemäß ihres § 1 Abs. 1 S. 2 explizit Festlegungen zur Risikovorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 5 Nr. 2 BImSchG enthalten soll, diesen Anforderungen respektive dem "Stand der Technik" angesichts ihres Alters von nunmehr über 13 Jahren schon lange nicht mehr genügt, zumal die Bestimmungen der 13. BImSchV vielfach auf den Normierungen der TA Luft von 1974 beruhen bzw. mit diesen äquivalent sind, die sich ihrerseits weitestgehend auf die wiederum zeitlich zuvor erarbeiteten einschlägigen VDI-Richtlinien und DIN-Normen stützen, so daß sich die Festlegungen der 13. BImSchV in vielen Fällen auf den Stand der Technik von vor über 22 Jahren beziehen. In anderen Bereichen wie dem Regelungsbereich der Arbeitsstättenverordnung erfolgte - wenn auch unter den Fittichen des Staates die Etablierung außergesetzlicher "Normungsverfahren" in Form sogenannter "Arbeitsstättenrichtlinen" 937. Eine ähnliche Zielsetzung wird mit der Konstituie936 937

Marburger, P., Regeln, S. 69. Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 56.

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rung zahlreicher öffentlich-rechtlicher technischer Ausschüsse verfolgt, deren Aufgabenrepertoir von der Beratung über die Erstellung technischer Regeln bis hin zum Vorschlag technischer Rechtsverordnungen reicht. Aus der aufgezeigten Entwicklung resultiert nicht nur eine drastisch gestiegene Bedeutung der technischen Normenorganisationen und der technischen Normen, die über die ursprüngliche Funktion der ersteren als Selbstverwaltungsorgane der deutschen Wirtschaft und den originären Charakter der letzteren als private, auf freiwillige Anwendung gerichtete Empfehlungen der technischen Normenorganisationen für ein einwandfreies Verhalten weit hinausreicht, sondern gleichermaßen auch die Notwendigkeit einer geänderten Deutung und Interpretation der technischen Normen bzw. des technischen Normungsverfahrens. Denn indem die technischen Normen der privaten normschaffenden Institutionen "das materielle sicherheitstechnische Kernstück"938 des Umwelt- und Technikrechts bilden und als solches durch den Gesetz- und Verordnungsgeber, die Aufsichts- und Genehmigungsbehörden sowie die mit der Kontrolle der Exekutiventscheidungen befaßten Gerichte als Entscheidungsmaßstäbe für die allgemein formulierten gesetzlichen Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen rezipiert werden, erlangen die technischen Normen eine rechtliche Bedeutung, der ihre Charakterisierung als (technische) Erfahrungssätze, Kausalitätsvorhersagen, antizipierte Sachverständigengutachten o.ä. schon lange nicht mehr gerecht wird 939 . Bezüglich des Rechts der Energieversorgung 940 bringt Marburger diesen Sachverhalt sehr prägnant auf den Punkt941: "Die am Maßstab der allgemein anerkannten Regeln der Technik ausgerichteten sicherheitstechnischen Anforderungen an Gas- oder Elektrogeräte und -anlagen werden für den gesamten Bereich der Versorgung mit elektrischer und gasförmiger Energie durch die technischen Normen des DVGW und des VDE inhaltlich konkretisiert. Oder kürzer: Auf dem Gebiet der Versorgung mit Elektrizität und Gas besteht das Recht der Sicherheitstechnik faktisch aus den VDE- und DVGW-Bestimmun-

938

Marburger, P., Regeln, S. 77. Vgl. dazu die Ausführungen im Ausblick. 940 Vgl. Kap. ILA. 1 .c)bb)( 1 )(b)(cc)ß). 941 Ähnlich Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 136: "Als Beispiel seien die Elektrotechnik sowie die Gas- und Wasserversorgung genannt, wo die VDEBestimmungen, die DVGW-Arbeitsblätter und jeweils ergänzend die einschlägigen DIN-Normen mit faktisch weitgehend gesetzesähnlicher Wirkung herrschen, obwohl ihre Anwendung keineswegs gesetzlich zwingend vorgeschrieben ist." 942 Marburger, P., Regeln, S. 82. Zu ähnlichen Feststellungen kommen teils allgemein, teils zu bestimmten Rechtsgebieten Bohnsack, U., Lebensmittel, S. 59 f.; Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 47 f.; DIN, Geschäftsbericht 1988/89, S. 11; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheits939

32*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Damit "treffen sie Entscheidungen, die wichtige Bereiche des Sozial- und Wirtschaftslebens gestalten und von deren Auswirkungen jedermann mehr oder weniger intensiv betroffen wird. Zugleich handelt es sich um Sozialgestaltungen, auf die eine Industriegesellschaft nicht verzichten kann. Die Tätigkeit der Normungsverbände liegt also im öffentlichen Interesse, anders formuliert: Mit der Ausarbeitung und Veröffentlichung technischer Regeln nehmen die Normungsverbände eine öffentliche Aufgabe wahr." 943 Die Erfüllung dieser öffentlichen Aufgaben 944 durch die normschaffenden Institutionen funktioniert offensichtlich so gut, daß beispielsweise im Normenund Regelsystem der Gerätesicherheit der Verordnungsgeber nur tätig werden darf, "soweit Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften oder technische Normen, auf die in einer Verwaltungsvorschrift nach § 10 verwiesen werden kann ... nicht bestehen" (§ 4 Abs. 2 GSG). Ein weiteres Indiz für die Qualität der Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch die normschaffenden Institutionen ist die Tatsache, daß Behörden und Gerichte bei konkret-individuellen Entscheidungen im Umwelt- und Technikrecht regelmäßig auch dann auf technische Normenwerke zurückgreifen, wenn abstrakt-generelle normative oder administrative Bezugnahmen auf entsprechende technische Normen fehlen 945. Ungeachtet dessen ist die Integration der privaten technischen Normenwerke in die staatliche Rechtsordnung trotz der Entwicklung zahlreicher Rezeptionsarten und der Ausgestaltung ebenso kunstvoller wie ineffizienter, unübersichtlicher und deshalb unpraktikabler mehrstufiger Normen- und Regelsysteme bislang als mangelhaft zu bezeichnen. Die einzigen Rezeptionsmethoden, die eine allgemeine rechtliche Verbindlichkeit der technischen Normen gleichermaßen für Normanwender und Normadressaten erzeugen und somit die erforderliche Rechtssicherheit gewährleisten - nämlich die Inkorporation, die datierte, die undatierte und die normergänzende allgemeine Verweisung in Gesetzen und Rechtsverordnungen - werden kaum bzw. aus verfassungsrechtlichen Gründen überhaupt nicht (mehr) angewandt. Bei allen anderen und insbesondere auch bei der mit weitem Abstand vorherrschenden Rezeptionsmethode der mittelbaren

technischen Rechts, S. 116; Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 190 f.; Kypke, U., Verbraucherinteresse, S. 103 f.; Lukes, R., 150 Jahre, S. 11 ff., 32 ff.; ders., Urheberrechtsfreie Werke, S. 1595 f.; Marburger, P., Regeln, S. 68 f., 77, 82, 85 ff., 97 ff., 104 ff., 110 ff., 117 ff., 267; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 11 f., 235; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 11 ff., 45; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 38 ff. 943 Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 136. 944 Vgl. zur Lehre von den öffentlichen Aufgaben Schachtschneider, Κ. Α., Freiberufliche Selbstverwaltung, passim; ders., Staatsuntemehmen und Privatrecht, passim, insbes. 173 ff. 945 Bartsch, M., DIN als marktbeherrschendes Unternehmen, S. 67; Berg, W., Verwaltungsprozeß, S. 284; Marburger, P., Bezugnahme, S. 36 f.

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Rezeption durch normative Standards i.V.m. der abstrakt-generellen administrativen Rezeption der einschlägigen technischen Normen bleibt die Konkretisierung der schütz- und sicherheitstechnischen Anforderungen an den Normadressaten - trotz der durch sie begründeten normativen, administrativen oder tatsächlichen Vermutungen für die Übereinstimmung der einschlägigen technischen Normen mit den gesetzlichen Anforderungen - abschließend erst dem jeweiligen individuellen Verwaltungsakt der zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörden überlassen. Zu dessen Überprüfung steht der gesamte gerichtliche Instanzenzug zur Verfügung 946, wobei im Falle von Großanlagen und speziell bei Kernkraftwerken von dieser Möglichkeit der mehrinstanzlichen gerichtlichen Kontrolle der behördlichen Entscheidung regelmäßig Gebrauch gemacht wird. Diese Tatsache trägt nicht nur durch die Vervielfachung des Aufwands - mit der Anzahl der behördlichen und gerichtlichen Entscheidungsverfahren als Multiplikator - zur vielbeklagten Überlastung von Behörden und Gerichten bei, sondern hat auch durch die unvertretbar langen Genehmigungsverfahren, die einander teilweise schon in den Grundsatzfragen und stärker noch in den Einzelheiten widersprechen, eine ungenügende Rechts- und Investitionssicherheit für die Normadressaten und namentlich die Großanlagenbetreiber zur Folge. Umgekehrt ist - oftmals auch durch eine explizite Abweichungsbefugnis in den Rechtsnormen vorgesehen - der Normadressat bei den Rezeptionsarten der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung, der mittelbaren Rezeption durch normative Standards und andere offene Rechtsbegriffe sowie generell der administrativen Rezeption technischer Normen nicht verpflichtet, diese einzuhalten. Vielmehr kann er auch eine andere technische Lösung wählen, muß dann jedoch nach den allgemeinen zivilrechtlichen Beweisregeln bei den Genehmigungs- und Überwachungsbehörden und gegebenenfalls vor Gericht nachweisen, daß und wie er das gleiche Sicherheitsniveau für sein Erzeugnis mit der abweichenden Lösung erreicht hat. Jedoch befolgen Normanwender und Normadressaten selbst in diesen Fällen, in denen die Einhaltung der technischen Normen aufgrund der Rezeptionsart nicht zwingend vorgeschrieben oder sogar eine explizite Abweichungsbefugnis in der entsprechenden Rechtsnorm vorgesehen ist, die rezipierten technischen Normen nahezu ausnahmslos. So wird in der Literatur mehrfach berichtet, daß sich beispielsweise die zuständigen Gewerbeaufsichtsämter im Normenund Regelsystem der Gerätesicherheit ausschließlich an den in den Verzeichnissen der GSGVwV rezipierten technischen Normen orientieren: Entsprach ein Erzeugnis nicht den vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung benann-

946

Vgl. Fn. 452 in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(a)(bb).

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ten technischen Normen, erließen sie Untersagungsverfügungen ohne jede Prüfung, ob der Normadressat andere, nicht bezeichnete allgemein anerkannte Regeln der Technik beachtet oder von den anerkannten Regeln abweichende, jedoch mindestens in vergleichbarem Maße sichere Lösungen gewählt hatte947. Auch im Bauordnungsrecht ergibt sich für den privaten Bauherrn eine faktische Befolgungspflicht der als technische Baubestimmungen eingeführten technischen Normen, weil er im Falle einer Abweichung neben der Bürde komplizierter Nachweisverfahren zusätzlich nachträgliche Änderungs- oder gegebenenfalls Abbruchanordnungen und darüber hinaus die Einschränkung oder den Widerruf der Zulassung riskiert, sofern die entsprechende Prüfung und Erprobung zu einem negativen Ergebnis führt 948. Als letztes Beispiel wird schließlich für das Normen- und Regelsystem der überwachungsbedürftigen Anlagen ausgeführt, daß sich die Gerichte hier regelmäßig darauf beschränken, festzustellen, ob die technischen Regeln der öffentlich-rechtlichen Ausschüsse sowie die einschlägigen technischen Normen der privaten normschaffenden Institutionen eingehalten bzw. der administrativen Genehmigungsentscheidung zugrunde gelegt wurden 949. Das beschriebene Verhalten der Normanwender hat zur Folge, daß die Normadressaten die technischen Normen auch dann weitestgehend befolgen, wenn die Einhaltung der technischen Normen aufgrund der Rezeptionsart nicht zwingend vorgeschrieben oder sogar eine explizite Abweichungsbefugnis in den Rechtsnormen vorgesehen ist, nach welcher der Normadressat bei Gewährleistung eines mindestens gleichwertigen Schutz- und Sicherheitsniveaus auch eine andere technische Lösung wählen kann. Selbst die Verwaltung räumt ein, daß derjenige, der von den ministeriell eingeführten oder bekanntgemachten technischen Normen abweicht, mit beträchtlichen und vielfach nicht zu überwindenden Beweisschwierigkeiten belastet ist 950 . Denn der im Falle der Abweichung nach den allgemeinen zivilrechtlichen Beweisregeln bei den Genehmigungsund Überwachungsbehörden und gegebenenfalls vor Gericht zu erbringende 947

Vgl. die Nachweise bei Marburger, P., Bezugnahme, S. 50. Selbst Gerichte haben noch in den achziger Jahren die in den Verzeichnissen der GSGVwV benannten technischen Normen als verbindlich angesehen. Derartige Verwaltungsakte werden in der Literatur folgerichtig als rechtswidrig und entsprechende Urteile als falsch angesehen, wenn sie nicht erkennen lassen, daß die Übereinstimmung mit sonstigen allgemein anerkannten Regeln der Technik oder die Abweichungsbefugnis nach § 3 Abs. 1 S. 3 GSG geprüft wurde. Marburger, P., Bezugnahme, S. 50. 948 Bub, H. u.a., Normung und Baurecht, S. 117; Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 75; Marburger, P., Regeln, S. 87. 949 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 97 m.N. aus der Rechtsprechung. 950 Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 45 f. Vgl. auch Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 116.

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Nachweis, daß und wie der Normadressat das gleiche Sicherheitsniveau für sein Erzeugnis mit der abweichenden Lösung erreicht hat, ist nicht selten mit erheblichen Kosten und zeitlichen Verzögerungen bei der Markteinführung des betroffenen Produktes verbunden, so daß der Nutzen der Abweichung nicht nur die daraus resultierende Rechtsunsicherheit, sondern auch die damit einhergehenden betriebswirtschaftlichen Nachteile (über-) zu kompensieren in der Lage sein muß. Schließlich folgt die Bereitschaft der Normadressaten zur Befolgung der technischen Normen in hohem Maße aus ihrer unmittelbaren und/oder mittelbaren Mitbestimmung des technischen Norminhalts durch ihre Vertreter in den Normenausschüssen der technischen Normenorganisationen und/oder im öffentlichen Einspruchs verfahren 951. In der Praxis bleibt daher die Abweichungsbefugnis von den rezipierten technischen Normen vielfach bloße Theorie 952, da die Normadressaten mit der Abweichung das nicht immer leicht zu kalkulierende Risiko behördlicher und/ oder gerichtlicher Beanstandungen und wirtschaftlicher Verluste eingehen953. Insbesondere bei größeren Investitionsentscheidungen haben die Normadressaten aber regelmäßig ein erhebliches Interesse daran, die Behördenentscheidung mit einem möglichst hohen Sicherheitsgrad vorhersehen zu können954. Dementsprechend wird beispielsweise der weitaus überwiegende Teil der unter das GSG fallenden industriellen Serienerzeugnisse normenkonform produziert, da die Hersteller so Beanstandungen, die in die laufende Produktion eingreifen und somit schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen könnten, nicht zu befürchten haben955.

951

Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 94. Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 116; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 93; Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 45 f. 953 Bub, H. u.a., Normung und Baurecht, S. 117; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 99; Marburger, P., Regeln, S. 62. 954 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 93 955 Marburger, P., Regeln, S. 75. Femer sind solche Prüfungen in Prüfstellen zeitaufwendig und kostspielig. Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 100. 952

504

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

2. Frankreich a) Die Organisation der technischen Normung aa) Geschichte Der Beginn der institutionalisierten nationalen technischen Normung in Frankreich datiert auf das Jahr 1907, in welchem - wie in vielen anderen Ländern als Reaktion auf die 1905 gegründete "International Electrotechnical Commission" (IEC) - gleich zwei arbeitsteilig organisierte elektrotechnische Normenorganisationen konstituiert wurden: Zum einen die "Union des syndicats de Γ électricité" (USE), welche für die Durchführung der Normungsarbeiten zuständig war, und zum anderen das "Comité électrotechnique français" (CEF), dessen Aufgabe sich in der Vertretung der französischen Interessen in der IEC erschöpfte. Während CEF diese Interessenvertretung bis heute in den übernationalen elektrotechnischen Normenorganisationen wahrnimmt, ging die Aufgabe der Erarbeitung elektrotechnischer Normen ab dem Jahre 1947 von der USE auf die "Union technique de l'électricité" (UTE), einem bereits 1900 gegründeten Normungsbüro ("Bureaux de Normalisation" (BN)), über1. Als Reaktion auf die Materialschlachten des ersten Weltkrieges, zahlreiche Engpässe bei der Massenproduktion von Rüstungsgütern und die aus ihrer Sicht sehr erfolgreiche Arbeit der Normenorganisation ihres Feindes2 wurde durch Rechtsverordnung ("décret") vom 10. Juni 19183 die öffentlich-rechtliche "Permanente Normungskommission" ("Comission Permanente de Standardisation" (CPS)) als für Frankreich außerhalb der elektrotechnischen Normung alleinig zuständige technische Normenorganisation gegründet4. In dieser vollständig in die staatliche Verwaltung eingegliederten und bis in alle bürokratischen Einzelheiten geregelten Kommission waren vornehmlich Abgeordnete der Ministerien vertreten. Die fehlende Praxisnähe, vereint mit einer dirigistischen Arbeitsweise und daraus resultierend fehlender Akzeptanz der interessierten Kreise sowie geringer finanzieller Unterstützung durch die Wirtschaft führten bald zum Ver-

1 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 20 f.; Marburger, P., Technische Normung, S. 193; UTE, Rapport d'Activité 1992, S. 10. 2 Das heutige DIN wurde zum Zwecke der Vereinheitlichung und Rationalisierung der deutschen Rüstungsproduktion gegründet. Vgl. dazu Kap. II.A.l.a)aa) und Kap. II.A.l.a)dd)(l). 3 J.O. v. 12.06.1918. 4 Bolenz, E., Technische Normung, S. 6; Boulin, P., Présentation, S. 20; ISO, Member Bodies, S. 27; Tourneur, J. C., L'AFNOR, S. 1.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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sagen der CPS und schließlich zu deren Auflösung im Jahre 19285. Als Nachfolgeorganisation wurde durch Rechtsverordnung vom 24. April 1930 das "Oberste Normungskomitee" ("Comité supérieur de normalisation" (CSN)) eingesetzt, das jedoch in der Folgezeit gleichfalls nur eine geringe Bedeutung erlangte6. Für die Zukunft weitaus bedeutsamer sollte sich die im Jahre 1926 von den maßgeblichen Wirtschafts- und Ingenieurverbänden als Konkurrenz zur CPS entsprechend dem Gesetz vom 1. Juli 1901 gegründete private, nicht gewinnorientierte "Association française de normalisation" (AFNOR) erweisen. Ähnlich wie in Deutschland hatten die in loser Arbeitsbeziehung miteinander verbundenen Wirtschafts- und Ingenieurverbände schon jahrelang technische Normen für ihre Mitglieder erarbeitet und dabei Erfahrungen hinsichtlich der Koordination der beteiligten Interessen und der Durchsetzbarkeit der technischen Normen bei ihren Mitgliedern gesammelt. Dementsprechend erwies sich die mit der staatlichen CPS bzw. später der CSN konkurrierende AFNOR schnell als die leistungsfähigere Organisation7. Die AFNOR fungierte dabei als Bindeglied zwischen den bestehenden "berufsständischen Normungsbüros" (" Bureaux de Normalisation " (BN)), denen die Durchführung der Normungsarbeiten übertragen worden war, und der CPS bzw. später der CSN, indem sie die Erarbeitung von Normen durch das jeweils zuständige BN anregte, Frankreich in der "International Organization for Standardization" (ISO) vertrat und die Normungsarbeiten wahrnahm, die von keinem Normungsbüro übernommen wurden8. Die Auflösung des CPS führte im Jahre 1928 zur funktionalen Eingliederung der AFNOR in die staatliche Verwaltung, indem sie als "concessionnaire de service public" - vergleichbar dem beliehenen Unternehmen nach deutschem Verwaltungsrecht - anerkannt und ihre Satzung durch eine ministerielle Verordnung ("arrêté ministériel"9) erlassen wurde; dabei behielt die AFNOR die private Rechtsform als nicht gewinnorientierter Verein entsprechend dem Gesetz 5 Mit den Worten: "Les normes ne peuvent être imposées: elles sont nécessairement établies par les industriels d'accord avec les intermédiaires et le consomateur et leur élaboration est du domaine privé." faßte das französische Industrieministerium die Erfahrungen von 12 Jahren behördlicher technischer Normung zusammen und überließ der privaten "Association française de normalisation" (AFNOR) das Feld der Normung allerdings nicht, ohne sie zuvor als "concessionnaire de service public" funktional in die Verwaltung einzugliedern. Bolenz, E., Technische Normung, S. 5 f.; vgl. dazu auch die nachfolgenden Ausführungen dieses Kapitels. 6 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 15 f. 7 Bolenz, E., Technische Normung, S. 6. 8 Boulin, P., Présentation, S. 20; ISO, Member Bodies, S. 27; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 5 f.; Tourneur, J. C., L 1 AFNOR, S. 1. 9 V. 31.10.1928 (J.O. v. 01.11.1928).

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

vom 1. Juli 1901 bei 10 . Das Dekret vom 24. Mai 194111 stellte die technische Normung erstmals auf eine gesetzliche Grundlage und legte den Status der französischen Normung fest. Insbesondere wurde das Normungssystem dem Industrieminister unterstellt, wobei ein dem Industrieminister unterstehender Normungskommissar ("commissaire à la normalisation") die Funktion des Regierungskommissars bei der AFNOR ausübte. Zugleich ersetzte das neugeschaffene "Comité Consultatif de Normalisation" (CCN) das von Anfang an wenig bedeutsame CSN. Hinsichtlich der von der AFNOR und den BN erarbeiteten technischen Normen wurde unterschieden zwischen den mittels ministerieller Verordnung ("arrêté ministériel") des Industrieministers "staatlich anerkannten französischen Normen" ("normes françaises homologuées") mit förmlichem Anhörungsverfahren und den lediglich durch den Normungskommissar "registrierten französischen Normen" ("normes françaises enregistrées") mit vereinfachtem Normungsverfahren 12. Knapp zwei Jahre später erfolgte die Anerkennung von der AFNOR als gemeinnützige Organisation ("association reconnue d'utilité publique")13, deren Finanzierung nach weiteren vier Jahren durch die Erhebung einer parafiskalen Steuer14 sichergestellt wurde 15. technischen Normung war Auch diesem Ansatz einer staatlich-dirigistischen in der Folgezeit nur ein begrenzter Erfolg beschieden. Ein Grund hierfür lag in der limitierten Sach- und Fachkompetenz der beteiligten staatlichen Stellen in punkto technischer Normung. Diesbezüglich mag als bezeichnend gelten, daß zwar laut ministerieller Verwaltungsvorschrift aus dem Jahre 1941 16 die "staatlich anerkannten französischen Normen" ("normes françaises homologuées") auf Entscheidung des Normungskommissars erstellt werden sollten, in der Praxis jedoch die Initiativen stattdessen direkt von den interessierten Kreisen, der AFNOR oder den BN ausgingen. Ferner wurde der Versuch, die überbetrieblichen technischen Normen inhaltlich durch den Normungskommissar überprüfen zu lassen, zugunsten einer - der zeitlichen wie fachlichen Limitierung einer Einzelperson eher entsprechenden - formalen Prüfung bereits im Jah-

10

S. 14. 11

Bolenz, E., Technische Normung, S. 5; Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten,

J.O.v. 28.05.1941. Vgl. dazu ausführlich Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 5 ff., 23 ff.; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 8 f. 13 Dekret v. 05.03.1943 (J.O. v. 12.03.1943). Vgl. dazu die Vorworte der Verordnungen Nr. 84-73 v. 26.01.1984 und 84-74 v. 26.01.1984; femer ISO, Member Bodies, S. 27. 14 Gesetz v. 24.03.1947. 15 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 17 f. 16 Instruction Provisoire sur l'Etablissement des Normes ν. 05.11.1941 (J.O. ν. 06.12.1941). 12

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re 1964 eingestellt17. Auch die übrigen Kompetenzen nahm der Normungskommissar nur in enger Abstimmung mit der AFNOR vor, so daß seine Hauptaufgabe in der Kommunikation zwischen den an der Normung interessierten Ministerien und der AFNOR bzw. den BN bestand18. Ein zweiter Grund für den begrenzten Erfolg lag in der Erarbeitung der technischen Normen durch Fachingenieure, die häufiger von den Behörden als von den Unternehmen - und hier zumeist den großen (staatlichen) Unternehmen - stammten, und in der Verwendung der technischen Normung als subtiles Interventionswerkzeug des französischen Staates19. Folglich sahen die französischen Wirtschaftspartner die technische Normung als Verlängerung der staatlichen Gesetzgebung und als Werkzeug der Dominanz der großen (staatlichen) Firmen über die (Privat-) Wirtschaft an, die infolge der praxisfremden Vereinheitlichung zur Uniformierung führte, die Entwicklung von Produkten stoppte und ein Hindernis der technischen Entwicklung war 20 . Aus der Sicht der meisten interessierten Kreisen stellte sich die technische Normung als ein externer Zwang dar, mit dem man auskommen mußte, und nicht als Ausdruck eines kollektiven Einigungsprozesses, an welchem sie teilnehmen konnten21. Als Folge davon fanden die technischen Normen - außer denjenigen, die aus Gründen der Sicherheit oder Kompatibilität allgemeinverbindlich erklärt oder auf andere Art in Rechtsnormen rezipiert worden waren 22 - nur in einigen Verwaltungen und großen Unternehmen Anwendung, hingegen kaum Beachtung von kleinen und mittleren Unternehmen, Handel und Verbrauchern bei ihren wirtschaftlichen Transaktionen23. Aus diesem Grunde wurde im Februar 1984 die Verordnung vom 24. Mai 1941 außer Kraft gesetzt24 und das Normungssystem in Frankreich mit Hilfe zweier Décrets (Rechtsverordnungen) n° 84-73 und n° 84-74 - beide vom 26. Januar 1984 -, nach denen ein "Oberster Rat für Normung" ("conseil supérieur de la normalisation") eingesetzt und der "Status der Normung" ("le statut de la normalisation") festgelegt wurde, neu geregelt. Die Reform war zum einen durch ein - wenn auch begrenztes - Zurücknehmen des staatlichen Einflusses respektive eine Aufwertung der Stellung von der AFNOR im französischen Nor-

17 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 25 f. Dieser Sachverhalt ist aufgrund der in Kap. I.D.l.a) beschriebenen volkswirtschaftlichen Entwicklung hin zu komplexen, arbeitsteiligen, hochgradig spezialisierten und international vernetzten Industrie- und Wirtschaftsstrukturen kaum verwunderlich. 18 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 22 f. 19 Boulin, P., Normalisation, S. 97; Correge, S., La normalisation, S. 1 f. 20 Boulin, P., Présentation, S. 17. 21 Boulin, P., Normalisation, S. 97. 22 Vgl. dazu Kap. II.A.2.c)bb)(l)(c). 23 Boulin, P., Présentation, S. 21. 24 Mit Ausnahme des 1. Absatzes des 21. Artikels; vgl. Décret n° 84-74, Art. 19.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

mungssystem sowie eine Öffnung des Normungssystems für die anderen interessierten Kreise gekennzeichnet, was sich beispielsweise in der Verringerung der Anzahl staatlicher Vertreter im Verwaltungsrat von der AFNOR zugunsten der Beteiligung anderer interessierter Kreise und der Übertragung von Kompetenzen des Industrieministers an die AFNOR 25 niederschlug. Zum anderen sah die Reform die Intensivierung der Bezugnahme auf Normen in Rechtsvorschriften sowie auf öffentlichen Märkten vor 26 . Im Rahmen der Änderung des Décrets Verordnung n° 84-74 vom 26. Januar 1984 durch die Décrets n° 90-653 vom 18. Juli 1990, n° 91-283 vom 19. März 1991 und n° 93-1235 vom 15. November 1993 wurde unter anderem der Oberste Rat für Normung aufgelöst 27 und durch einen "interministeriellen Normenausschuß" ("le groupe interministériel des normes") unter der Leitung eines "interministeriellen Normenabgeordneten" ("délégué interministériel aux normes") ersetzt, welcher den bisherigen Normungskommissar ("commissaire à la normalisation") ablöste28. Wie aus der Darlegung der geschichtlichen Entwicklung der technische Normung in Frankreich ersichtlich, war der Staat nahezu von Beginn der institutionalisierten Normung an bis zur Gegenwart ein integraler Bestandteil des französischen Normungssystems. Der Grund hierfür liegt in der traditionell engen Verflechtung der starken staatlichen Zentralgewalt mit der Wirtschaft. Diese geht zurück auf die Zeit des Merkantilismus, in welcher der Staat zur Füllung der öffentlichen Kassen nicht nur eigene Wirtschaftsbetriebe zu führen begann, sondern auch durch Verpachtung oder Konzessionierung entsprechende wirtschaftliche Monopole ausnutzte. Auch während des und nach dem 2. Weltkrieg verfolgte die französische Regierung eine Politik der straffen zentralen Planung und Lenkung des Wirtschaftslebens, die sich bis heute in einem breiten Spektrum von staatseigenen Unternehmen über die Vielzahl konzessionierter Unternehmen bis hin zu der Masse der subventionierten Unternehmen manifestiert. Erst in jüngster Zeit lassen sich Lockerungstendenzen dieser Politik unter dem Einfluß des zunehmenden globalen Wettbewerbs im Rahmen der WTO und der Entstehung des Gemeinsamen Europäischen Marktes i.V.m. der politischen Integration zur Europäischen Union konstatieren29. Entsprechend diesen Gege25

Frankreich/Ansprache des Industrieministers. Vgl. das entsprechende Rundschreiben des Premierministers an die Minister und Staatssekretäre. Frankreich/Rundschreiben des Premierministers, passim. 27 Décret n° 91-283, Art. 2. 28 Décret n° 91-283, Art. 3 i.V.m. 3.1. 29 Was sich u.a. in Form von ersten Reprivatisierungen der ehemals verstaatlichten großen Industriebetriebe - vom Kohlebergbau über die Energiewirtschaft und die Luftfahrtlinien bis hin zum Automobilbau - und Dienstleistungsunternehmen - z.B. der großen Banken und Versicherungen - manifestiert. Dessen ungeachtet hat der französische Staat in verschiedenen Wirtschaftsbereichen einschneidend regelnd und fördernd in das Wirtschaftsleben eingegriffen, um die Konkurrenzfähigkeit der französischen Wirtschaft 26

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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benheiten werden die Beziehungen der Normenorganisationen zum Staat nicht in einem separaten Kapitel dargestellt, sondern - wie bereits hier geschehen - in die jeweiligen Kapitel integriert, da es aufgrund der Verflechtung kaum möglich ist, zwischen den privatrechtlich organisierten Normungsvereinigungen und -tätigkeiten und den zuständigen staatlichen Institutionen und Tätigkeiten zu unterscheiden. bb) Organisation und Aufgabe Das französische Normungssystem besteht aus drei Ebenen. Die erste Ebene wird durch die französische Regierung, vertreten durch die Ministerien und insbesondere den französischen Industrieminister, gebildet30. Dieser sorgt nach Beratung mit dem interministeriellen Normenausschuß für die Festlegung der Normungspolitik des Staates für alle Erzeugnisse, Güter und Dienstleistungen, und für die Übereinstimmung der Tätigkeiten der verschiedenen Beteiligten auf diesem Gebiet. Er legt die allgemeinen Richtlinien für die Erstellung von Normen fest und überwacht die Arbeit der französischen Normungsorgane31. Der "interministerielle Normenausschuß" (" groupe interministériel des normes ") ist dementsprechend damit beauftragt, den Industrieminister beim Festlegen der Ausrichtung der nationalen und internationalen Normenpolitik des Staates und bei der Ausarbeitung der Ergebnisse dieser Politik zu unterstützen. Er umfaßt die ministeriellen Verantwortlichen für die Normung, die von dem jeweiligen Minister 32 ernannt werden, ebenso wie die Repräsentanten der interministeriellen, von der Normung betroffenen Organe, welche der Premierminister nominiert 33. Mit der Leitung und als Hauptreferent des Ausschusses ist ein vom Pre-

im Gemeinsamen Europäischen Markt zu stärken. Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 8, 12. 30 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 10. 31 Décret n° 84-74, Art. 2. 32 Die Ministerien sind in den Dekreten jeweils enumerativ aufgeführt. 33 Décret n° 84-74, Art. 3. Vor seiner Auflösung war der "Oberste Rat für die Normung" ("Conseil Supérieur de la Normalisation") dafür zuständig, dem Industrieminister die allgemeine Ausrichtung der Normungsarbeiten unter Berücksichtigung der nationalen und internationalen wirtschaftlichen Erfordernisse, der "Großen Normungsprogramme" ("Grands Programmes de Normalisation" (GPN)) und der im Wirtschaftsplan zum Ausdruck gebrachten Bedürfnisse der Wirtschafts- und Sozialpartner vorzuschlagen (Décret n° 84-73, Art. 1). Im Obersten Rat für die Normung waren alle an der Erstellung und Anwendung eines vollständigen, zusammenhängenden und hochwertigen Normensystems Beteiligten vertreten mit dem Ziel, ein wachsendes Engagement der Bevölkerung und mittelständischen Unternehmen an der Erstellung und Anwendung der Normen sicherzustellen (Frankreich/Ansprache des Industrieministers). Im einzelnen zu nennen sind der Präsident der AFNOR als Vorsitzender, 15 staatliche Vertreter, und - auf Erlaß des Industrieministers

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

mierminister per Dekret auf Ratschlag der Minister bestallter "interministerieller Normenabgeordneter" (" délégué interministériel aux normes ") beauftragt 34, der die Aufgaben des Regierungsbeauftragten bei der AFNOR übernimmt35. Dieser ist hierarchisch neben den Industrieminister gestellt, um die ihm von diesem übertragenen Befugnisse auszuüben, und kann zu diesem Zweck vom Industrieminister Zeichnungsbefugnis entsprechend den Bedingungen des Dekrets vom 23. Januar 1947 erhalten36. Tatsächlich hat der Industrieminister seine Befugnisse zum großen Teil auf den interministeriellen Normenabgeordneten übertragen 37. Ein stellvertretender Abgeordneter, ernannt durch Erlaß des Premierministers und des Industrieministers, unterstützt den interministeriellen Normenabgeordneten und vertritt ihn im Falle seiner Abwesenheit oder Verhinderung 38. Die zweite Ebene - die "Association française de normalisation" (AFNOR) bildet den zentralen Kern des französischen Normungssystems39. Die AFNOR ist bis heute als ein eingetragener Verein des privaten Rechts gemäß dem Gesetz vom 1. Juli 1901 organisiert, der nicht gewinnorientiert und ausschließlich auf gemeinnütziger Grundlage ("association reconnue d'utilité publique") arbeitet und gemäß des Dekrets vom 1. März 1984 als Beliehener Aufgaben des öffentlichen Dienstes ("concessionnaire de service public") wahrnimmt40. Die Mitgliedschaft in der AFNOR steht natürlichen und juristischen Personen offen 41. Ihre wichtigsten Organe sind ein Verwaltungsrat, ein Präsident, ein Generaldirektor und die Generalversammlung der Mitglieder. Indem die Satzung der

für die Dauer von 3 Jahren ernannt - 4 Repräsentanten der gewählten Vertreter der kommunalen Körperschaften, 15 Vertreter aus Industrie, Landwirtschaft, Handel und Dienstleistungssektor, 5 Repräsentanten der bedeutendsten französischen Arbeitnehmergewerkschaften, je 3 Vertreter der Verbraucherverbände, von Normenbüros, von Prüfstellen und technischen Zentralstellen für Industrie und Landwirtschaft, von Forschung und Lehre, sowie der Normungskommissar und der Generaldirektor von der AFNOR (Décret n° 84-73, Art. 2). 34 Décret n° 84-74, Art. 3 i.V.m. Art. 3.1. 35 Décret n° 84-74, Art. 4. 36 Décret n° 84-74, Art. 3.1. 37 AFNOR, Catalogue 1993, S. 10. 38 Décret n° 84-74, Art. 3.1. 39 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 0; Boulin, P., Normalisation, S. 98; Boulin, P. u.a., AFNOR, S. 2. 40 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 0; Boulin, P., Normalisation, S. 98; Correge, S., La normalisation, S. 2; ISO, Member Bodies, S. 27; dies., Members, S. 42. 41 Die Mitglieder der AFNOR genießen zahlreiche Privilegien; insbesondere ist ihnen die Mitarbeit in den Planungs- und Steuerungskomitees der AFNOR vorbehalten. AFNOR, Catalogue 1993, S. 18.

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AFNOR von der Regierung erlassen wird, bestimmt diese die wichtigsten Organe der AFNOR und ernennt darüber hinaus zum Teil auch deren Mitglieder 42. Die AFNOR wird von einem "Verwaltungsrat" (" Conseil d'Administration" (CA)) geführt, dessen Mitglieder zu 60 % die Industrie und zu 40 % die anderen an der Normung interessierten Kreise 43 vertreten 44. Die Mitglieder des CA werden zum Teil unmittelbar von der Regierung ernannt, zum Teil auf Vorschlag der Generalversammlung durch den Industrieminister berufen 45. Dem Verwaltungsrat ist das "Steuerungs- und Planungskomitee" (" Comité d'Orientation et de Programmation" (COP)) - bestehend aus 6 Vertretern der verschiedenen Berufszweige, 2 Vertretern des Staates und 4 "Persönlichkeiten" - angegliedert; dessen Aufgaben umfassen die Festlegung der Ziele und Prioritäten, die Sicherstellung der Kohärenz der Programme, die Abschätzung der verfügbaren Gesamtmittel und das Vorschlagen von Maßnahmen zur Erleichterung, Entwicklung und Verbesserung der Normungsarbeit 46. Ebenfalls beim Verwaltungsrat wurde das "Komitee für die Steuerung und Verfolgung der konsumrelevanten Normungsaktivitäten" ("Comité d'Orientation et de Suivi des Activités de Consommation" (COSAC)) eingerichtet, welches u.a. mit der Ausarbeitung eines Normungsprogramms für den Verbraucherschutz, der Bewertung technischer Normen unter dem genannten Aspekt sowie der Vertretung der französischen Verbraucherinteressen in den übernationalen Normungsgremien beauftragt ist 47 . Der Präsident der AFNOR wird - ebenso wie die zwei bis drei Vizepräsidenten - vom Verwaltungsrat gewählt; ihm obliegt die Vertretung der Or-

42

Marburger, P., Technische Normung, S. 191. Zu diesen vgl. die Aufzählung im nachfolgenden Kapitel. 44 Boulin, P., Normalisation, S. 98; Correge, S., La normalisation, S. 2. 45 Marburger, P., Technische Normung, S. 193. 46 AFNOR, Stratégies normatives, S. 4; Tourneur, J. C., L AFNOR, S. 2. 47 Marburger, P., Technische Normung, S. 193. Bereits 1982 wurde bei der AFNOR ein Verbraucherbüro ("Bureau Consommation de Γ AFNOR") als dauerhafte Instanz für die Zusammenarbeit und den Kontakt mit den Verbraucherverbänden eingerichtet, um die Teilnahme der Konsumenten an den Normungsarbeiten und der Zertifizierung zu erleichtem, die Normung konkreter auf deren Bedürfnisse abzustimmen und eine gütige Regelung im Streitfall sicherzustellen. Aber auch über die Schaffung dieser Institutionen hinaus sind AFNOR und UTE bemüht, den Verbraucherbedürfnissen bei der französischen Normungsarbeit auf allen Ebenen Rechnung zu tragen. So sitzen zwei Vertreter von Verbraucherorganisationen im Verwaltungsrat und sieben in den COS der AFNOR. Femer arbeiten Repräsentanten aller Verbraucherorganisationen in den Normungskommissionen mit und nehmen jedes Jahr an einigen hundert Sitzungen teil, was durch das Staatssekretariat des Konsums und durch den Industrieminister finanziert wird. Schließlich sind die Verbrauchervereinigungen auch an den Prüfungen der Vergabe und den Kontrollen für das NF-Zeichen (vgl. zu diesem die nachfolgenden Ausführungen) beteiligt. AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 18; Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 49 f.; UTE, Qu'est-ce que Tute? 43

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

ganisation und die Festsetzung ihrer Aufgaben. Dabei erhält er Unterstützung von einem Generaldirektor, dem die gesamte Verwaltung der AFNOR untersteht und der durch den Verwaltungsrat auf Vorschlag des Präsidenten nach Zustimmung der Regierung ernannt wird. Die Befugnisse der Generalversammlung der Mitglieder sind schließlich abgesehen von der Zustimmungspflicht zum Haushalt des Verbandes lediglich beratender Natur 48. Auf der operativen Ebene besteht die AFNOR aus drei Bereichen: Der Bereich "Normen/Normungsstrategien" ("Normes, Stratégies Normatives" (N/SN)) ist für die Durchführung der horizontalen sowie aller nicht durch die Normungsbüros wahrgenommenen Normungsarbeiten durch ihm direkt zugeordnete Normenausschüsse49, die Durchführung der RL 83/189/EWG 50 , die Ermittlung des Normungsbedarfes und die Erstellung der Normungsstrategien zur Unterstützung der französischen Industriepolitik verantwortlich. Die Normungsstrategien werden seit 1988 dezentral für 19 Sektoren, die "Großen Normungsprogramme" ("Grands Programmes de Normalisation" (GPN)) 51, durch je ein "Komitee für strategische Steuerung" ("Comité d'Orientation Stratégique" (COS)) erstellt. Innerhalb eines COS haben die wichtigsten Entscheidungsbeauftragten der jeweils betroffenen Partner die Aufgabe, einen Konsens für die Zusammenfassung der nationalen Strategien hinsichtlich des jeweiligen GPN zu erarbeiten und darauf aufbauend die Normungsarbeit def nächsten drei Jahre auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene zu organisieren, die Prioritäten unter besonderer Berücksichtigung der im Wirtschaftsplan der Regierung zum Ausdruck gebrachten nationalen Prioritäten zu bestimmen52, die Kosten zu ermitteln, die Finanzierung zu sichern und die Normungsarbeiten bei den Normungsbüros oder - in den horizontalen Sparten und in den Sektoren ohne Normungsbüro - in den Normenausschüssen des Bereichs N/SN der AFNOR

48

Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 19. AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 0, 10; Boulin, P., Normalisation, S. 98; Correge, S., La normalisation, S. 3. 50 AFNOR, Stratégies normatives, S. 1. 51 AFNOR, Catalogue 1993, S. 10; Diese erstrecken sich von Landwirtschaft/Nahrungsmitteln (GPN 1) über Elektrotechnik/Elektronik (GPN 3) und Umweltschutz (GPN 18) bis hin zu Grundnormen (GPN 19). Eine Übersicht über die GPN ist in AFNOR, Stratégies normatives, S. 2, enthalten. Beispiele einzelner GPN finden sich in: AFNOR, Les technologies (GPN 2); dies., Le bâtiment (GPN 4); dies., La productique (GPN 12). 52 Die AFNOR ist gesetzlich verpflichtet, jedes Jahr ein allgemeines Programm für die Normungsarbeiten entsprechend dem von ihr bei den Wirtschafts- und Sozialpartnern und bei den Normungsbüros ermittelten Bedarf festzulegen, wobei insbesondere die im Wirtschaftsplan zum Ausdruck gebrachten nationalen Prioritäten berücksichtigt werden sollen. Décret n° 84-74, Art. 6. 49

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zu veranlassen53. Jedes Jahr werden die Programme der COS durch deren Präsidenten vor dem COP vorgetragen 54, welches vor allem bei den horizontalen Themen mitwirkt, den Zusammenhang aller definierten Programme sicherstellt und diese für gültig erklärt und verabschiedet55. Ein zweiter Bereich "Produkte, Dienstleistungen, Leistungen" (" Produits , Services, Prestations" (Ρ SP)) ist für Normungsinformationen (Datenbanken, Auskunft, CD-ROM u.a.m.56), Entwicklung und Beratung (innerbetriebliche Lehrgänge, technische Exportberatung u.a.m.57), die Herausgabe von Ausarbeitungen und Normen, die Förderung der Einführung der Normen sowie Produkt- und Unternehmenszertifizierungen zuständig58. Schließlich zeichnet der Bereich "Leitung Finanzen und Logistik" (" Direction Finance et Logistique" (DFL)) für Dienstleistungen im Bereich Einkauf, Buchhaltung, Datenverarbeitung, Verkauf und Logistik verantwortlich 59. Die dritte Ebene schließlich bilden 31 6 0 überwiegend den verschiedenen Berufs- und Industrieverbänden sowie technisch-wissenschaftlichen Instituten angegliederte "Normungsbüros" (" Bureaux de Normalisation" (BN)) und 110861 53

AFNOR, Stratégies normatives, S. 1 ff.; dies., Catalogue 1993, S. 10; Boulin, P., Présentation, S. 23; Correge, S., La normalisation, S. 3; Tourneur, J. C., L AFNOR, S. 2, 4. Vor dem Hintergrund der Ausweitung der Normungsaktivitäten auf nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche, was zahlreiche neue - mehr politisch als technisch versierte Teilnehmer an der Normung zur Folge hat, erhalten die Arbeitsprogramme eine eher strategische als technische Bedeutung. Daher sollte die Lösung dieser strategischen Aufgaben der 90er Jahre nicht allein der AFNOR und den Normungsbüros überlassen werden, sondern unter Beteiligung aller wirtschaftlich Verantwortlichen erfolgen. Die Verantwortlichen der französischen Normung sehen in dieser engen strategischen Einbindung aller betroffenen Partner bei der Erarbeitung von Normungsstrategien sowie deren Prioritäten und Finanzierung einen entscheidenden Vorteil des französischen Normungssystems gegenüber denjenigen in der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland. Tourneur, J. C., LAFNOR, S.4. 54 AFNOR, Stratégies normatives, S. 4; Tourneur, J. C., LAFNOR, S. 2. 55 AFNOR, Stratégies normatives, S. 1; Boulin, P., Présentation, S. 23. 56 Die Servicepalette der AFNOR entspricht im großen und ganzen der des DIN. Vgl. AFNOR, Catalogue 1993, S. 18; dies., Rapport d'activité 1989, S. 31. 57 Eine Dienstleistungsabteilung der AFNOR, die 1977 gegründete NOREX, gibt französischen Unternehmen Auskunft, welche Normen, technische Regeln oder Anerkennungsprozessen ein Produkt auf einen bestimmten ausländischen Markt entsprechen muß. AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 12. 58 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 0; Boulin, P., Normalisation, S. 98; Correge, S., La normalisation, S. 3. 59 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 0. 60 Diese sind im einzelnen aufgeführt in: AFNOR, Catalogue 1993, S. 12 ff.; dies., Stratégies normatives, S. 3. 61 Zahlenangabe für Ende 1992, entnommen aus: AFNOR, Catalogue 1993, S. 10. 33 Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

"Normenausschüsse" (" Commissions de Normalisation" (CN)), welche bei den für die entsprechenden Fachbereiche zuständigen Normungsbüros oder direkt bei der AFNOR innerhalb des Bereiches NSN eingerichtet sind. Während die Normungsbüros alle für das Funktionieren der Normenausschüsse notwendigen administrativen Arbeiten durchführen 62, obliegt den Normenausschüssen - beauftragt durch die AFNOR oder das von der AFNOR bestimmte zuständige Normungsbüro - die Erarbeitung der durch die COS vorgesehenen oder den interministeriellen Normenabgeordneten nachgesuchten technischen Normen, sowie für die Vorbereitung der französischen Positionen innerhalb der europäischen und internationalen Normungsarbeiten. Ist kein geeignetes Normungsbüro vorhanden oder ist das Normungsbüro nicht imstande, rechtzeitig die von ihm verlangten Norm-Entwürfe zu liefern, so kann die AFNOR eigene Normenausschüsse einsetzen63. Entsprechend Art. 7 des Décrets n° 84-74 sind die Normenausschüsse in einem ausgewogenen Verhältnis mit Repräsentanten der verschiedenen interessierten Kreise zu besetzen, wofür die AFNOR Sorge zu tragen hat64. Jedes Normungsbüro besitzt einen eigenen rechtlichen Status, meist als privatrechtliche, seltener als öffentlich-rechtliche oder gemischt öffentlich-privatrechtliche Organisation. Unabhängig davon sind alle BN "concessionnaire de service public" hinsichtlich der Normungsarbeit, was dem beliehenen Unternehmer des deutschen Verwaltungsrechts entspricht65. Ungeachtet ihres Rechtscharakters kann jede Organisation, die den Nachweis ihrer technischen Befähigung zur Durchführung von Normungsarbeiten in einem bestimmten Bereich erbringt, durch einvernehmlichen Beschluß des Industrieministers und der übrigen betroffenen Minister nach Stellungnahme des Verwaltungsrates von der AFNOR als Normungsbüro für den spezifizierten Zuständigkeitsbereich zugelassen werden66. Die BN unterliegen damit dem staatlichen Einfluß in vergleichbarer Weise wie die AFNOR. Sie besitzen darüber hinaus auch gegenüber der AFNOR nicht annähernd die Eigenständigkeit, wie sie die Fachnormenausschüsse des D I N innehaben; vielmehr sind Arbeitsweise und Arbeitsprogramm weitestgehend von der AFNOR geprägt67.

62

Boulin, P., Normalisation, S. 98. Décret n° 84-74, Art. 7 und 9. 64 Vgl. auch AFNOR, Stratégies normatives, S. 4; dies., Catalogue 1993, S. 10; Tourneur, J. C., L'AFNOR, S. 2. 65 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 7, 19 f.; Tourneur, J. C., L'AFNOR, S. 3. 66 Décret n° 84-74, Art. 8; vgl. auch AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 10. 67 Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 49 f. 63

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Das größte, bedeutendste und zugleich älteste Normungsbüro ist die 1900 gegründete "Union technique de l'électricité " (UTE) 68, welche in unmittelbarer Nachbarschaft zur AFNOR angesiedelt ist. UTE ist ein Verein ("association") entsprechend dem Gesetz vom 1. Juli 190169. Die wichtigsten Organe der UTE sind ein Präsident, ein Ehrenpräsident, ein Direktionskomitee und eine Direktion 70 . Die UTE ist für die Erstellung, Herausgabe, Vertrieb und Einführung von Normen, die Konstruktion und Installation von elektrischen und elektronischen Materialien betreffen, sowie für die Durchführung der entsprechenden Normungsarbeiten auf europäischer und internationaler Ebene zuständig71. Damit überschneidet sich die Tätigkeit der UTE mit dem Kompetenzbereich der AFNOR; allerdings wird der weitaus überwiegende Teil der UTE-Normen als französische Normen in das AFNOR-Regelwerk übernommen. In diesem Fall übermittelt die UTE ihre Normen an die AFNOR zwecks Überprüfung und Bestätigung. Hingegen sind die verschiedenen Konformitätszeichen für elektrotechnische und elektronische Produkte der UTE heute Teil des allgemeinen Systems des NF-Zeichens, welches die AFNOR verwaltet72. "Schnittstelle" der UTE zu CENELEC, CECC und IEC ist nach wie vor das "Comité électrotechnique français" (CEF); ebenfalls ein Verein nach dem Gesetz vom 1. Juli 1901, verfügt CEF nicht über eigene Mittel, so daß die gesamte notwendige Logistik von der UTE gestellt wird 73 . Dasfranzösische Normungssystem um die AFNOR hat die Aufgabe, Frankreich ein Normensystem zur Verfügung zu stellen, das vollständig, widerspruchsfrei und von hohem Niveau ist, um der Wirtschaft Frankreichs noch mehr Zusammenhalt zu geben74 und durch die Steigerung von Qualität, Zuverlässigkeit und Sicherheit französischer Erzeugnisse die Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsfähigkeit derfranzösischen Volkswirtschaft zu verbessern75. Dazu

68

UTE, Rapport d'activité 1988, S. 5 ff.; Boulin, P., Présentation, S. 20. UTE, Rapport d'Activité 1992, S. 1. 70 Ebd., S. 3. 71 Ebd., Rapport d'Activité 1992, S. 2; UTE, Qu'est-ce que l'ute? Innerhalb der UTE ist das "Comité de Normalisation de Composants Electroniques" für die Normung der elektronischen Komponenten zuständig. UTE, UTE C 00-019: 1992-09 S. 4 Absch. 1 Nr. 1.1. 72 UTE, Rapport d'Activité 1992, S. 2. 73 Ebd., S. 2, 10; vgl. auch Kap. II.A.2.a)aa). 74 Frankreich/Rundschreiben des Premierministers, Einleitung. 75 In diesem Zusammenhang hat der französische Industrieminister auf seiner Ansprache anläßlich der ersten Sitzung des Obersten Rates für Normung ausgeführt: "Wir müssen die Normung zu einem der Grundpfeiler unserer Wettbewerbsfähigkeit machen. ... Im gegenwärtigen Kampf um eine schnelle Modernisierung der Industrie muß Frankreich seine Kräfte an allen Fronten mobilisieren. Und die Normung ist an allen Fronten gegenwärtig. ... Wir müssen uns dieser - auf dem Konsensweg zur besseren Or69

3*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

hat die AFNOR den öffentlichen Auftrag erhalten, unter Aufsicht des Industrieministers den Bedarf an neuen Normen zu ermitteln, die Normungsarbeiten in den BN zu koordinieren, die Norm-Entwürfe zentral zu erfassen und zu prüfen, die Kohärenz des Normenwerkes sicherzustellen, die Normen zu verbreiten, die Normung zu fördern, die Ausbildung in der Normungstätigkeit wahrzunehmen und die französischen Interessen in den übernationalen nichtstaatlichen Normenorganisationen zu vertreten 76. Dementsprechend repräsentiert und koordiniert die AFNOR die französischen Interessen in CEN, ETSI und ISO, während UTE via CEF die französische Normung in CENELEC und IEC repräsentiert 77. Die AFNOR hat 6.500 Mitglieder, davon knapp 3.000 Unternehmen78; 748 Personen sind als hauptamtliche Mitarbeiter angestellt79, und mehr als 27.000 Fachleute arbeiten ehrenamtlich an der Normung mit 80 . Bei UTE waren 1992 129 Mitarbeiter hauptamtlich beschäftigt 81. cc) Normungsverfahren und französisches Normenwerk Grundlage des französischen Normungsverfahrens 82 von der Ermittlung des Normungsbedarfes über die Entwicklung geeigneter Strategien und die Zuteiganisation unserer Wirtschaft entwickelten - gemeinsamen Werkzeuge, d.h. der Normen, und darüber hinaus der Zertifizierungssysteme ... bedienen." 76 Vgl. dazu die vorhergehenden Ausführungen sowie Décret n° 84-74, Art. 5; femer AFNOR, Stratégies normatives, S. 1 f.; dies., Catalogue 1993, S. 10; dies., Rapport d'activité 1989, S. 10; Boulin, P., Normalisation, S. 98; Correge, S., La normalisation, S. 3; Tourneur, J. C., L'AFNOR, S. 3. 77 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 0; dies., Stratégies normatives, S. 2, 4; Tourneur, J. C., L'AFNOR, S. 2; UTE, Qu'est-ce que l'ute?; dies., Rapport d'activité 1988, S. 5 ff. 78 Frankreich/Ansprache des Industrieministers; ISO, Members, S. 42. 79 Davon werden 250 von anderen Organisationen finanziert. ISO, Members, S. 42. 80 AFNOR, Catalogue 1993, S. 10. 81 UTE, Rapport d'Activité 1992, S. 17. 82 Die vor 1984 bestehende Unterscheidung zwischen den durch den Industrieminister mittels ministerieller Verordnung ("arrêté ministériel") staatlich anerkannten Normen ("normes françaises homologuées") mit förmlichem Anhörungsverfahren und den lediglich durch den Normungskommissar registrierten Normen ("normes françaises enregistrées") mit vereinfachtem Normungsverfahren wurde zugunsten einer grundsätzlichen Bestätigung durch den Verwaltungsrat der AFNOR aufgehoben, so daß nunmehr ein einheitliches Normungsverfahren vorliegt. Allerdings wird bei der Erstellung von Normen mit geplanter verbindlicher Anwendungspflicht die Einhaltung verschiedener Bedingungen - aufgeführt in AFNOR, NF X 00-001: 1993-09, S. VIII Annexe NFüberwacht. Vgl. zu der alten Regelung Kap. II.A.2.a)aa). Auf die Darstellung der Unterschiede bezüglich der Normungsverfahren anderer Normenarten - i.e. Vornormen ("la norme expérimentale" (EXP)), Dokumentationshefte ("le fascicule de documentation" (FD)) und Referenzdokumente ("le document de réfé-

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lung der Ressourcen bis hin zur Ausarbeitung und Prüfung der Normen ist der konsensorientierte freie Diskurs von Experten aller betroffenen "Partner besondere von Staat, öffentlichen Gebietskörperschaften, Industrie, Handel, Dienstleistung, Landwirtschaft, Gewerkschaften, gewerblichen und nichtgewerblichen, privaten und öffentlichen Verbrauchern bzw. Verbrauchervereinigungen, Laboratorien, technischen Zentren, Wissenschaftlern bzw. Universitäten, Juristen und repräsentativen Privatorganisationen wie z.B. Umweltverbänden83. Wie in Deutschland, können auch in Frankreich Anträge für technische Normen von jedermann gestellt werden. De jure steht insbesondere auch dem interministeriellen Normenabgeordneten ein entsprechendes Initiativrecht zu 84 . De facto hat sich jedoch schon früher gezeigt, daß von keiner Seite - auch nicht von der Regierung - ein Zwang zur Normung ausgeübt werden kann; in verschiedenen derartigen Normungsvorhaben war es aufgrund mangelnder Bereitwilligkeit bestimmter Kreise der Wirtschaft nicht möglich, brauchbare Ergebnisse zu erzielen 85. Dementsprechend geht in der Praxis die Initiative für Normungsvorhaben fast ausschließlich von den an der Normung interessierten Kreisen, den bei den Berufsverbänden angesiedelten Normungsbüros und CEN/CENELEC-, ETSI- sowie ISO-, IEC- und ITU-Projekten aus86. Auf der Basis des so ermittelten Normungsbedarfes 87, der darauf aufbauenden Nor-

rence" (RE)) - wird an dieser Stelle verzichtet. Vgl. dazu AFNOR, Catalogue 1993, S. 23. 83 AFNOR, Catalogue 1993, S. 9 f.; dies., Rapport d'activité 1989, S. 0, 6, 27 f.; dies., Stratégies normatives, S. 1 f.; Boulin, P., Normalisation, S. 98; ders., Présentation, S. 19; Correge, S., La normalisation, S. 1 ff.; UTE, Rapport d'Activité 1992, S. 2; dies., Qu'est-ce que l'ute? Zu diesem Zweck hat die AFNOR alle ihre Steuerungs- und formellen wie informellen Entscheidungsinstanzen sowohl auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene für die interessierten Kreise in großem Umfang geöffnet. Dabei ist die AFNOR bemüht, die Partner, die von dem Regelungsbereich der geplanten Norm betroffen werden, so früh wie möglich zusammenzuführen. AFNOR, Stratégies normatives, S. 2. 84 Décret n° 84-74, Art. 9. 85 "Mit dem Problem der »unterlassenen Normung' kann man auch in Frankreich nur dann fertig werden, wenn außerhalb der die Normung hemmenden Kreise genügend an der Normung interessierter technischer Sachverstand verfügbar ist. Die gesetzlich gegebenen Eingriffsmöglichkeiten haben an dem Problem so gut wie nichts verändert." So zur Zeit der Geltung der Rechtsverordnung vom 24. Mai 1941 der Direktor des DIN Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 51. 86 Marburger, P., Technische Normung, S. 195 f.; Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 46. 87 Vor der Annahme des Normungsprojektes wird zunächst eine Bedarfsanalyse durchgeführt, in der die interessierten Kreise u.a. zu der Notwendigkeit und Durchführbarkeit des Normungsprojektes befragt werden. AFNOR, NF X 00-001: 1993-09, S. I Abschn. 0 Introduction.

ins-

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

mungsstrategien der COS bzw. des COP sowie der Festlegung der Prioritäten und Zuteilung der Ressourcen vergibt die AFNOR die Normungsarbeiten an das zuständige Normungsbüro oder veranlaßt die Normungsarbeiten in den horizontalen Bereichen sowie in den Sektoren ohne Normungsbüro in seinen Normenausschüssen. Gleichzeitig werden Normungsvorhaben im "Offiziellen Normenanzeiger" ("Bulletin Officiel de la Normalisation") bekanntgegeben88. Ist kein geeignetes Normungsbüro vorhanden oder das Normungsbüro nicht imstande, rechtzeitig die von ihm verlangten Norm-Entwürfe zu liefern, so kann die AFNOR eigene Normenausschüsse einsetzen89. Ein fertiggestellter Norm-Entwurf wird von einer Kommission des Bereichs N/SN der AFNOR, bestehend aus Repräsentanten der interessierten Kreise, insbesondere auf Kohärenz mit den vorhandenen Normen und Vereinbarkeit mit den Gesetzen überprüft und kann von der AFNOR im "Bulletin Officiel de la Normalisation" oder im "Amtsblatt der französischen Republik" ("Journal Officiel de la Republique Française") veröffentlicht werden; eine Verpflichtung hierzu besteht bei Normenentwürfen des Normungsprogrammes und auf Verlangen des interministeriellen Normenabgeordneten. In einem Einspruchsverfahren, das nicht weniger als zwei Wochen betragen darf, wird der Norm-Entwurf einer allgemeinen öffentlichen Prüfung unterworfen, wodurch die AFNOR "feststellt, ob er dem allgemeinen Interesse entspricht und nicht zu Einwänden Anlaß gibt"90. Der zuständige Normenausschuß prüft die im Zuge des Einspruchsverfahrens eingegangenen Stellungnahmen und berücksichtigt sie bei der Erstellung der Norm. Ist es bei Meinungsverschiedenheiten nicht möglich, einen gemeinsamen Konsens zu erzielen, trifft der Verwaltungsrat der AFNOR oder eine von ihm autorisierte Stelle die Entscheidung. Im Zuge des Einspruchsverfahrens teilen auch die verschiedenen Ministerien dem Normenausschuß die ihrer Meinung nach an dem Norm-Entwurf vorzunehmenden Änderungen mit. Eventuelle, hieraus resultierende Schwierigkeiten werden dem interministeriellen Normenabgeordneten unterbreitet 91, womit klar zum Ausdruck kommt, daß in diesem Falle der Verwaltungsrat der AFNOR nicht die höchste Instanz darstellt. Ergeben sich aus dem Einspruchsverfahren erhebliche Änderungen, ist ein zweiter Norm-Entwurf zu veröffentlichen 92. Sind alle Mei88

Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 46. Vgl. dazu die Ausführungen des vorherigen Kapitels sowie Décret n° 84-74, Art. 7 und 9; ferner AFNOR, Stratégies normatives, S. 1 f.; dies., Catalogue 1993, S. 10; UTE, Qu'est-ce que l'ute? 90 Décret n° 84-74, Art. 10. 91 . Décret n° 84-74, Art. 10. Vgl. ferner Frankreich/Ansprache des Industrieministers; AFNOR, Stratégies normatives, S. 2; dies., Rapport d'activité 1989, S. 6; Boulin, P., Présentation, S. 19; Marburger, P., Technische Normung, S. 197; Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 46; UTE, Qu'est-ce que l'ute? 92 Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 46. 89

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nungsverschiedenheiten beigelegt, so wird die Norm durch den Verwaltungsrat der AFNOR oder den von ihm autorisierten Generaldirektor bestätigt ("l'homologation"), wobei der interministerielle Normenabgeordnete ein Vetorecht besitzt. Den Abschluß des Normungsverfahrens bildet im darauffolgenden Monat die Veröffentlichung der Liste der im Verlauf eines Monats bestätigten Normen ("normes françaises homologuées " (HOM)) im Amtsblatt der französischen Republik93. Eine Bestätigung der Konformität eines Produktes oder einer Dienstleistung mit französischen Normen kann auf Antrag des Herstellers oder Anbieters durch Aufbringen eines von AFNOR oder UTE erteilten Zeichens ("marque N F ' ("Norme Française")) im Sinne eines Tauglichkeitszeugnisses entsprechend den Gesetzen Nr. 78-23 vom 10. Januar 1978 und der Verordnung vom 9. Juli 1980 erfolgen 94. Die Zeichen - z.T. ergänzt durch informative Etiketten mit Informationen über die wesentlichen Eigenschaften - werden auf Grundlage von Prüfungen eines unabhängigen Instituts nach Laborversuchen, ständigen Kontrollen in der Fabrik und Probenahmen im Handel vergeben und können durch ein Komitee, in welchem die interessierten Kreise repräsentativ vertreten sind, auch wieder entzogen werden95. Im Falle der NichtZufriedenheit mit einem zertifizierten Produkt stehen AFNOR und UTE als Ansprechpartner zur Verfügung, um eine gütige Regelung mit dem Lieferanten zu treffen 96. Wie auch beim DIN, sind die Verantwortlichen innerhalb des französischen Normungssystems angehalten, jedesmal, wenn es möglich ist, internationale oder Europäische Normen zu erarbeiten, welche die nationalen Normen erset93

Décret n° 84-74, Art. 11; AFNOR, Catalogue 1993, S. 23. Für die bestätigten französischen Normen ist eine offizielle Zustimmung des Staates notwendig oder zumindest erwünscht, bevor sie zur Referenz in einem Gesetz herangezogen werden, wenn diese Normen einen großen Einfluß im Bereich der öffentlichen Hand ausüben, bevor sie als Basis der Vergabe des Zeichens NF dienen, wenn sie das öffentliche Interesse, die Gesundheit, die Sicherheit und den Personenschutz betreffen, wenn sie geeignet sind, Prozesse oder Rechtsstreite zu regeln oder wichtige juristische Auswirkungen haben u.a.m. AFNOR, Catalogue 1993, S. 23. Hinsichtlich der Gestaltung technischer Normen gelten für AFNOR und UTE - wie für alle anderen Normenorganisationen der EU/EFTA - die pne-Regeln ("règles pour la rédaction et la présentation des normes européennes") von CEN/CENELEC, die als Norm NF Χ 00-001: 1993-09 in das französische Normenwerk übernommen worden sind. AFNOR, NF X 00-001: 1993-09, passim, insbes. S. I f. 94 Décret n° 84-74, Art. 15; vgl. femer Frankreich/Rundschreiben des Premierministers, Nr. 2 95 Das NF-Zeichen hat einen Anteil von 70 % der Zertifizierungsaktivitäten französischer und ausländischer Unternehmen in Frankreich. AFNOR, Catalogue 1993, S. 39 f.; dies., Rapport d'activité 1989, S. 8; UTE, Rapport d'Activité 1992, S. 2; dies., Qu'est-ce que l'ute? 96 AFNOR, Catalogue 1993, S. 40.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

zen97. Dementsprechend stimmen die meisten französischen Normen mit Europäischen oder internationalen Normen überein98. Ende 1995 betreute die AFNOR ein Normenwerk 99 von 19.046 technischen Normen, davon 2.387 aus dem Bereich der Elektrotechnik 100; dieses wird jährlich um 1.000 neue Normen ergänzt 101. Französische Normen sind spätestens alle drei Jahre auf Aktualität zu überprüfen 102; etwa 15-25 % der französischen Normen unterliegen so jährlich der Änderung 103. dd) Finanzierung der Normungsarbeit Die AFNOR unterliegt der wirtschaftlichen und finanziellen Kontrolle des französischen Staates gemäß den Bestimmungen der Verordnung Nr. 55-733 vom 26. März 1955 104 . Mit 103 Mill. SFR - erwirtschaftet zu 77,7 % durch Beurteilungen und Zertifizierungen, Veröffentlichungen, Mitgliedsbeiträge und "Sonstiges" sowie zu 22,3 % durch staatliche Subventionen - verfügte die AFNOR im Jahre 1995 nach BSI und DIN über das dritthöchste Budget innerhalb von CEN und ISO 1 0 5 .

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Boulin, P., Normalisation, S. 99, 102. AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 27; UTE, Qu'est-ce que l'ute? Während Europäische Normen vollständig und unverändert zu übernehmen sind (vgl. Kap. II.B.l.a)cc) und Kap. II.B.l.b)dd)), gibt es für die Übernahme internationaler Normen drei Optionen, deren unterschiedlicher Grad der Äquivalenz in ihrem Titel angezeigt wird: IDT signifie reproduction intégrale (vollständige Reproduktion); EQV signifie contenu technique avec écarts techniques mineurs et/ou modifications rédactionelles (identischer Inhalt mit kleineren technischen Abweichungen und/oder redaktionellen Veränderungen); NEQ signifie contenu technique non équivalent (nicht äquivalenter technischer Inhalt). AFNOR, NF X 00-001: 1993-09, S. VII Annexe ND. Vgl. auch AFNOR, Catalogue 1993, S. 23; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 1. 99 Das französische Normenwerk umfaßt nicht nur Normen der AFNOR, sondern in deutlich geringerem Umfang auch Normen anderer Organisationen (z.B. reine UTEoder DTU- (document technique unifié-) Normen). Quelle: Eigene Recherche in Perinorm im DITR. 100 ISO, Members, S. 42. 101 Boulin, P., Présentation, S. 21. 102 Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 51; vgl. auch AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 28; Boulin, P., Présentation, S. 19 103 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 28 f. 104 Décret n° 84-74, Art. 17. 105 Vgl. dazu die Zahlenangaben für 1995, entnommen aus: ISO, Members, passim und insbes. S. 42. In französischen Franc trugen im Geschäftsjahr 1991 zu den Gesamteinnahmen in Höhe von 1.253,6 Mio. FF die verschiedenen Partner 1.000 Mio. FF (79,7 %) für die Mitarbeit der Experten in den französischen, europäischen oder internationalen Normen98

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ee) Resümee des Abschnitts II.A.2.a) Wie in der Bundesrepublik Deutschland verdankt die institutionalisierte nationale technische Normung in Frankreich, die in den im Jahre 1907 gegründeten nationalen elektrotechnischen Normenorganisationen USE und CEF ihren Anfang nahm 106 , ihr Entstehen der privaten Initiative maßgeblicher französischer Ingenieur- und Berufsverbände. Aus Anlaß der Materialschlachten des ersten Weltkriegs und auf der Grundlage seiner traditionell engen Verflechtung mit der Wirtschaft hat der französische Staat in der Folgezeit versucht, dieses technisch-ökonomische Regelungssystem zunächst organisatorisch und dann funktional in den Staatsapparat zu integrieren und für seine Zwecke einer staatlich-dirigistischen Wirtschaftspolitik nutzbar zu machen. Denn damals wie heute setzt die französische Regierung große Erwartungen in das technische Normungssystem, das durch die Schaffung eines vollständigen und widerspruchsfreien französischen Normenwerks von hohem Niveau der Wirtschaft Frankreichs noch mehr Zusammenhalt geben und durch die Steigerung von Qualität, Zuverlässigkeit und Sicherheitfranzösischer Erzeugnisse die Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsfähigkeit derfranzösischen Volkswirtschaft verbessern soll 107 . Demzufolge ist für das französische Normungssystem insbesondere die enge Verflechtung mit der starken staatlichen Zentralgewalt prägend, die nahezu seit den Anfängen der institutionalisierten überbetrieblichen technischen Normung besteht. Trotz dieser Prämissen bleibt die Entwicklung desfranzösischen Normungssystems von einer stetigen, wenn auch begrenzten Rücknahme des staatlichen Einflusses auf die Normungstätigkeit gekennzeichnet, die aufgrund der nachfol-

ausschüssen, die Normungsbüros 141 Mio. FF (11,3 %) und die AFNOR selbst 112,6 Mio. FF (9,0 %) bei. Tourneur, J. C., LAFNOR, S. 2. Die Normungsbüros selbst werden von den Berufsvereinigungen und Firmen finanziert, die in Zusammenarbeit mit der AFNOR an der Erarbeitung und Weiterentwicklung der technischen Normen teilnehmen. AFNOR, Stratégies normatives, S. 4; Tourneur, J. C., L'AFNOR, S. 2. In einigen GPN - beispielsweise Bauwesen, Elektrotechnik, Elektronik, Haushaltsgeräte, Sport, Freizeit, Umwelt - trägt die Industrie mehr als 50 % der Gesamtkosten. Tourneur, J. C., L'AFNOR, S. 2. 106 Außerhalb der institutionalisierten nationalen Normung wurden bereits zuvor in den Ingenieur- und Berufsverbänden sowie den bereits ab 1900 gegründeten Bureaux de Normalisation überbetriebliche technische Normungsarbeiten durchgeführt. Vgl. Kap. II.A.2.a)aa). 107 Vgl. dazu die Ausführungen des französischen Industrieministers in Fn. 75 in Kap. II.A.2.a)bb). Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 13 spricht in diesem Zusammenhang auch von der Wahrung der französischen Wirtschaftsinteressen im Rahmen einer Politik des Protektionismus.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

gend dargelegten negativen Auswirkungen des staatlichen Einflusses auf die technische Normung vorgenommen wurde. Wie in der Bundesrepublik Deutschland ist auch in Frankreich der Versuch einer behördlichen technischen Normung durch das CPS sehr bald gescheitert. Die Hauptgründe für dieses Scheitern liegen in der fehlenden Repräsentanz der meisten interessierten Kreise zugunsten der Besetzung der Gremien durch Abgeordnete der Ministerien, der daraus resultierenden fehlenden Praxisnähe und dem mangelnden Sachverstand, einer bis in alle bürokratischen Einzelheiten geregelten Ablauforganisation vereint mit einer dirigistischen Arbeitsweise und der sich aus all diesem ergebenden fehlenden Akzeptanz durch die interessierten Kreise sowie der geringen finanziellen Unterstützung insbesondere durch die Wirtschaft. Auch nach der Übertragung der Normungstätigkeiten an die private AFNOR und die berufsständischen BN blieb weiterhin ein großer staatlicher Einfluß auf das technische Normungssystem erhalten, indem die AFNOR und die BN als service public in beträchtlichem Maße in die staatliche Verwaltung - wenn auch nicht organisatorisch, so doch funktional - eingegliedert wurden 108. Die Rechtsgrundlage des Dekrets vom 24. Mai 1941 bildete die Basis für nahezu jeden für wünschenswert gehaltenen Eingriff des Staates in die Normenorganisation und in die Verwendung einzelner überbetrieblicher technischer Normen 109. Kennzeichnend für diese Situation war die Beurteilung des damaligen französischen Normungssystems durch den Direktor des DIN: "AFNOR wirkt in vieler Hinsicht wie eine dem Kommissar nachgeordnete Behörde." 110 Diesem Ansatz einer staatlich-dirigistischen technischen Normung war in der Folgezeit zum einen aufgrund der geringen Kompetenz der beteiligten staatlichen Stellen bezüglich der technischen Normung, zum anderen wegen der fehlenden Akzeptanz der Bevölkerung im allgemeinen und der interessierten Kreise im besonderen gleichfalls nur ein begrenzter Erfolg beschieden. Infolge der geringen Beteiligung der meisten interessierten Kreise zugunsten der Erarbeitung der technischen Normen überwiegend durch Fachingenieure der Be-

108 Darüber hinaus wurde die Satzung der AFNOR von der Regierung erlassen, ein dem Industrieminister unterstellter Normungskommissar übte die Funktion des Regierungskommissars bei der AFNOR aus, und die Mitglieder entscheidender Organe der AFNOR wie beispielsweise des Verwaltungsrats ernannte die Regierung. Die technischen Normen der AFNOR und den BN wurden entweder durch Verordnung des Industrieministers staatlich anerkannt oder durch den Normungskommissar registriert. Die Finanzierung der AFNOR stellt eine parafiskale Abgabe auf Basis des Gesetzes vom 24.03.1947 sicher. Schließlich konnten technische Normen für allgemeinverbindlich erklärt werden. Vgl. dazu ausführlich Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 5 ff., 13. 109 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 45. 110 Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 72.

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hörden und der großen (staatlichen) Unternehmen in Verbindung mit der Nutzung dieser Normen als subtile Interventionswerkzeuge des Staates sank die Anerkennung der technischen Normen durch die interessierten Kreise und das Volk so weit ab, daß schließlich 99 % desfranzösischen Volkes technische Normen für etwas langweiliges Politisches hielten111; denn die meisten interessierten Kreise sahen die technische Normung als Verlängerung der staatlichen Gesetzgebung und als Werkzeug der Dominanz der großen (staatlichen) Firmen über die Wirtschaft an 112 , als einen externer Zwang, mit dem man auskommen mußte, und nicht als den Ausdruck eines kollektiven Einigungsprozesses, an welchem sie teilnehmen konnten113. Kennzeichnend für diesen Zustand sind die Ausführungen des französischen Industrieministers in seiner Ansprache anläßlich der ersten Sitzung des Obersten Rates für Normung: "Vor der Reform hatten Staat und Berufsverbände eine praktisch ausschließliche Verantwortung für Beschlüsse im Bereich der Normung. Die Normung in dieser Zeit hat uns das Bild einer kleinlichen und autoritären Bürokratie hinterlassen."114 Diese Situation machte Frankreich aus der Sicht des Präsidenten der AFNOR zu einer Ausnahme unter den Industrieländern, da in der Bundesrepublik Deutschland und weitestgehend auch im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland sowie den Vereinigten Staaten von Amerika die Normen von den Verbrauchern ebenso anerkannt wurden wie von den Produzenten und dementsprechend eine wichtige Rolle für die Wirtschaftsakteure spielten115. Hinzu kam, daß die französische Regierung und auch die französischen Wirtschaftspartner mit zunehmendem Erfolg und steigender Bedeutung der Europäischen Normen als Werkzeug für die Schaffung des Gemeinsamen Europäischen Marktes ihre Einstellung zur technischen Normung geändert hatten: Die technischen Normen wurden in steigendem Maße als ein Werkzeug im Dienste des Willens des Volkes und der wirtschaftlichen Strategie der Marktteilnehmer angesehen116. Dementsprechend sollte in einer Reform des französischen Normungssystems wie in anderen liberalen Ländern die technische Normung den

111

Nicolas, F., Normalisation européenne, S. 1. Boulin, P., Présentation, S. 17. 113 Boulin, P., Normalisation, S. 97. 114 Frankreich/Ansprache des Industrieministers. 115 Boulin, P., Normalisation, S. 97; ders., Présentation, S. 21. 116 Nicolas, F., Normalisation européenne, S. 1. Vgl. auch Boulin, P., Présentation, S. 23 f.; Correge, S., La normalisation, S. 1. Auch sah sich Frankreich insbesondere gegenüber der Bundesrepublik Deutschland wegen des auch international außerordentlich hohen Ansehens der DIN-Normen hinsichtlich der Vertretung der französischen Interessen bei den europäischen Normungsverhandlungen in einer schlechteren Position. Nicolas, F., Normalisation européenne, S. 5. 112

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

interessierten Kreisen als Aufgabe übertragen und die staatliche Funktion auf eine Koordinierungsrolle begrenzt werden 117. Hinter dieser Entwicklung steht die zentrale Erkenntnis, daß der Wert einer Norm zu einem großen Teil aus der Art und Weise ihrer Erstellung resultiert und von den Garantien hinsichtlich Neutralität, Offenheit und Transparenz abhängt, die dieser Normungsprozeß seinen Beteiligten bietet118. Denn eine technische Norm, die ihrem Wesen nach kollektiv ist, bezieht ihre Legitimation und ihren Wert aus der Zustimmung aller verschiedenen an der Normung interessierten Partner, deren Interessen mitunter sehr weit divergieren 119. Erst als gemeinsame Aufgabe aller interessierten Kreise wird durch die Normung erreicht, daß die Interessen der vielfältigen Parteien in einer ausgewogenen Weise Berücksichtigung finden und ein Ergebnis im allgemeinen Interesse möglich ist 120 , so daß jede Interessengruppe gleichermaßen von der gemeinsamen Lösung profitiert, ohne daß dies zum Nachteil einzelner - insbesondere nicht beteiligter - interessierter Kreise geschieht121. Auch hat die AFNOR eingesehen, daß allein die ehrenamtlichen Experten der interessierten Kreise den Reichtum des Normungssystems darstellen, indem sie ihr wissenschaftliches und technisches Wissen im Rahmen der Interessenvertretung der sie entsendenden interessierten Kreise einbringen 122. Schließlich ist, obwohl von den Verantwortlichen nicht explizit hervorgehoben, darüber hinaus die Beteiligung der Öffentlichkeit von essentieller Bedeutung, da sie es jedermann ermöglicht, etwaige, nicht durch die interessierten Kreise vertretene, individuelle Interessen im Rahmen von Initiativ· und Einspruchsrechten zu verfolgen. Dementsprechend wurden Außau- und Ablauforganisation des französischen Normungssystems so gestaltet, daß die interessierten Kreise und auch die Öffentlichkeit weitgehend vertreten sind bzw. Einfluß auf das Normungsgeschehen nehmen können. Die Aufbauorganisation ist - abgesehen von der durch den Industrieminister und den interministeriellen Normenausschuß unter der Leitung des interministeriellen Normenabgeordneten gebildeten staatlichen Ebene - ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland als hierarchisches System ausgebildet, in dessen kollektiven Organen die interessierten Kreise angemessen repräsentiert sein sollen. Die AFNOR besteht im Bereich der Linie im wesentlichen aus der Generalversammlung der Mitglieder, einem Verwaltungs-

117

Correge, S., La normalisation, S. 2. Vgl. auch Boulin, P. u.a., AFNOR, S. 2. So der Präsident der AFNOR: Boulin, P., Normalisation, S. 98; ders., Présentation, S. 20. 119 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 6. 120 Boulin, P., Présentation, S. 20. 121 Ebd., S. 18. 122 AFNOR, Catalogue 1993, S. 10, 39. 118

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rat, einem Präsidenten, einem Generaldirektor und den Normenausschüssen, die sich allerdings nur zu einem geringen Teil bei der AFNOR selbst, zum überwiegenden Teil jedoch bei den Normungsbüros befinden, die nach Staat und AFNOR die dritte Ebene des Normungssystems bilden. Um trotz dieser hochspezialisierten Arbeitsstrukturen von über 1.100 Normenausschüssen in 31 BN und bei der AFNOR die Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der technischen Normen sowohl innerhalb eines Fachgebietes als auch darüber hinaus bezüglich des übrigen Normenwerkes sicherzustellen, und um eine gemeinsame nationale und sektorale Normungsstrategie aller interessierten Kreise unter besonderer Berücksichtigung der staatlichen Wirtschafts-, Industrie- und Normungspolitik erarbeiten und umsetzen zu können, ist ein abgestuftes hierarchisches System strategischer Steuerungs- und/oder Planungskomitees, bestehend aus dem "Steuerungs- und Planungskomitee" ("Comité d'Orientation et de Programmation" (COP)) und den 19 "Komitees für strategische Steuerung" ("Comité d'Orientation Stratégique" (COS)), zuständig für die 19 sektoralen Großen Normungsprogramme" ("Grands Programmes de Normalisation" (GPN)), geschaffen worden. In dieser engen strategischen Einbindung aller betroffenen Partner und insbesondere der neuen - mehr politisch als technisch versierten - Teilnehmer an der Normung bei der Entwicklung der Normungsstrategien, dem Setzen von Prioritäten und der Sicherstellung der Finanzierung sehen die Verantwortlichen der französischen Normung als einen entscheidenden Vorteil des französischen gegenüber den deutschen und britischen Normungssystemen an 123 . Hinsichtlich der Ablauforganisation werden heute in Frankreich wie in der Bundesrepublik Deutschland technische Normen, die jedermann beantragen kann, in Normenausschüssen durch sachverständige Vertreter aller interessierten Kreise erarbeitet. Diese bemühen sich in einem freien Diskurs aller Standpunkte unter Einbeziehung der Öffentlichkeit, eine für alle akzeptable und von allen getragene Lösung zu finden 124. Dieser Konsens zwischen den betroffenen sozial-ökonomischen Partnern und der Öffentlichkeit, der nach Aussagen der Verantwortlichen im allgemeinen innerhalb vernünftiger Fristen und ohne starke 123

Tourneur, J. C., L'AFNOR, S. 4; Vaucelle, B., Dynamique, S. 1. Entgegen dieser Aussage besitzen auch BSI und DIN entsprechende Steuerungs- oder Strategiegremien. Ob sich allerdings ein derart komplexes System wie das der technischen Normung der Bedarf an der Erarbeitung neuer, der Überarbeitung vorhandener, der Abschaffung überflüssiger technischer Normen u.a.m. - überhaupt zentral planen und steuern läßt, erscheint mehr als zweifelhaft. Hingegen ist eine gemeinsame strategische Ausrichtung aller Teilsysteme durchaus sinnvoll und notwendig. 124 In diesem Sinn betrachtet die AFNOR seine Kommissionen als Rednertribünen für die angewandte Forschung, vollkommen vergleichbar mit dem, was die großen Kongresse für die fundamentale Forschung bedeuten. AFNOR, Stratégies normatives, S. 2; dies., Rapport d'activité 1989, S. 6, 29.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Spannungen erreicht wird, garantiert die Anerkennung der gefundenen Lösung125. Im Falle eines Dissenses besteht die Möglichkeit, den Verwaltungsrat der AFNOR anzurufen, der dann in der Streitfrage entscheidet. Schließlich sind technische Normen alle drei Jahre auf Aktualität zu überprüfen und gegebenenfalls zu überarbeiten oder zurückzuziehen, sofern nicht bereits zuvor durch einen Anwender die Überarbeitung aufgrund von Fehlern, Unvollständigkeiten, mangelnder Aktualität oder aus anderen Gründen beantragt wird. Ein zweiter Weg der Rückkopplung bezüglich der Qualität der technischen Normen besteht in der Möglichkeit der Abnehmer, im Falle der NichtZufriedenheit mit einem zertifizierten Produkt AFNOR und UTE als Vermittler in Anspruch zu nehmen, um eine gütige Regelung mit dem Lieferanten zu treffen. Damit ist das Credo der französischen Normungsarbeit - von der Ermittlung des Normungsbedarfes über die Entwicklung geeigneter Strategien und die Zuteilung der Ressourcen bis hin zur Erarbeitung und Prüfung der Normen - nicht anders als das der deutschen der konsensorientierte freie Diskurs von Experten aller betroffenen "Partner" unter Einschluß der Öffentlichkeit zum allgemeinen Nutzen. Hand in Hand mit dieser Entwicklung ging eine - wenn auch begrenzte Rücknahme des staatlichen Einflusses auf das französische Normungssystem, die sich insbesondere in der Übertragung von Kompetenzen des Industrieministers und des früheren Normungskommissars an die AFNOR - so werden heute sämtliche technischen Normen statt durch den Industrieminister oder den früheren Normungskommissar durch den Verwaltungsrat der AFNOR bestätigt - und der Verringerung der Anzahl staatlicher Vertreter im Verwaltungsrat, aber auch den anderen Strategie-, Lenkungs- und Arbeitsgremien der AFNOR zugunsten der Beteiligung anderer interessierter Kreise manifestiert. Die Rücknahme des staatlichen Einflusses spiegelt sich auch deutlich in der staatlichen Finanzierungsquote der AFNOR wider: Während im Jahre 1972 die staatlichen Zuwendungen noch 53,3 % der Gesamtaufwendungen der AFNOR deckten, sank dieser Prozentsatz für das Jahr 1995 auf 22,3 %. Trotz dieser Rücknahme ist der Einfluß des Staates auf die technische Normung nach wie vor beträchtlich und ungleich größer als in der Bundesrepublik Deutschland. Noch immer legt der französische Industrieminister - bzw. im Falle der Aufgabendelegation der interministerielle Normenabgeordnete - die Normungspolitik "für alle Erzeugnisse, Güter und Dienstleistungen" fest, koordiniert diesbezüglich die Tätigkeiten der verschiedenen Beteiligten, bestimmt die allgemeinen Richtlinien für die Erstellung der Normen und überwacht die

125

Boulin, P., Normalisation, S. 98; Correge, S., La normalisation, S. 2. Vgl. auch Boulin, P., Présentation, S. 19; Boulin, P. u.a., AFNOR, S. 2.

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Arbeit derfranzösischen Normungsorgane 126. Die Satzung der AFNOR wird von der Regierung erlassen, die zum Teil auch die Mitglieder zentraler Organe wie dem Verwaltungsrat ernennt. Der interministerielle Normenabgeordnete hat die Aufgabe des Regierungsbeauftragten bei der AFNOR inne und besitzt ein Vetorecht bezüglich der Bestätigung der technischen Normen durch den Verwaltungsrat der AFNOR. Darüber hinaus ist für die bestätigten französischen Normen eine offizielle Zustimmung des Staates zumindest erwünscht, bevor sie zur Referenz in einem Gesetz herangezogen werden, wenn diese Normen einen großen Einfluß im Bereich der öffentlichen Märkte ausüben, bevor sie als Basis der Vergabe des Zeichens NF dienen, wenn sie das öffentliche Interesse, die Gesundheit, die Sicherheit und den Personenschutz betreffen, wenn sie geeignet sind, Prozesse oder Rechtsstreite zu regeln, wichtige juristische Auswirkungen haben u.a.m. - mit anderen Worten also fast in jedem Fall. Des weiteren unterliegt die AFNOR nach wie vor der wirtschaftlichen und finanziellen Kontrolle desfranzösischen Staates. Und schließlich bedeutet die Ablösung des alle interessierten Kreise repräsentierenden Obersten Rates für die Normung durch den nur aus Vertretern der Exekutive zusammengesetzten interministeriellen Normenausschuß einen klaren Rückschritt hinsichtlich der Öffnung des französischen Normungssystems für die privaten interessierten Kreise zugunsten der wieder rein staatlichen Festlegung der grundsätzlichen Normungspolitik und -strategie. Ungeachtet der Rücknahme des staatlichen Einflusses wird der technischen Normung ein immer höherer politischer Stellenwert eingeräumt, was sich u.a. an der hierarchischen Stellung der mit der Normung befaßten staatlichen Stellen ausdrückt127: Entsprach der Normungskommissar in etwa einem deutschen Ministerialdirektor 128, so ist der diesen ersetzende interministerielle Abgeordnete als Leiter und Hauptreferent des interministeriellen Normenausschusses hierar-

126

In diesem Zusammenhang bleibt unklar, wie die Ablösung des alle interessierten Kreise repräsentierenden Obersten Rates für die Normung durch den nur aus Vertretern der Exekutive zusammengesetzten interministeriellen Normenausschuß zu werten ist. Einerseits kann dieser Vorgang einen Rückschritt in der Öffnung des französischen Normungssystems für die privaten interessierten Kreise zugunsten der wieder rein exekutiven Festlegung der grundsätzlichen Normungspolitik bedeuten. Andererseits hat die AFNOR nach eigenen Angaben ihre sämtlichen Gremien in weitem Umfang für die interessierten Kreise geöffnet, so daß die Repräsentation in einem zusätzlichen Wasserkopf überflüssig geworden sein mag. 127 Wobei diese zum Teil auch aus dem erweiterten Aufgabenspektrum der technischen Normung resultiert, aufgrund derer beispielsweise auf ministerialer Ebene nicht mehr allein der Industrieminister, sondern auch die anderen Minister an der Normung interessiert sind, was sich beispielsweise in der Ablösung des dem Industrieminister unterstellten Normungskommissars durch den interministeriellen Normenabgeordneten bzw. -ausschuß ausdrückt. 128 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 21.

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chisch neben den Industrieminister gestellt ("... est placé auprès du ministre chargé de l'industrie ..."). Darüber hinaus übernimmt seit der Änderung des Décrets n° 84-74 vom 26. Januar 1984 durch das Décret n° 91-283 vom 19. März 1991 erstmalig der Premierminister Funktionen im Rahmen der überbetrieblichen technischen Normung, indem er den interministeriellen Normenabgeordneten und zusammen mit dem Industrieminister dessen Stellvertreter ernennt sowie die Repräsentanten der von der Normung betroffenen interministeriellen Organe im interministeriellen Normenausschuß bestimmt. Schließlich drückt sich der gestiegene politische Stellenwert der technischen Normung auch deutlich in der vorgesehenen weitgehenden Referenz technischer Gesetze und Rechtsverordnungen auf technische Normen, der - beibehaltenen - Möglichkeit, technische Normen für allgemeinverbindlich zu erklären sowie der umfassenden Bezugnahme auf technische Normen auf öffentlichen Märkten aus129. Im Zuge dieser Entwicklung hat die technische Normung in Frankreich - allerdings sehr viel später als in der Bundesrepublik Deutschland - zahlreiche neue Aufgaben übernommen, die nicht allein die technische, sondern auch die allgemeine soziale und gesellschaftliche Entwicklung betreffen, wie z.B. Arbeitsschutz, Gesundheit und Hygiene, Nahrungsmittel, technische Sicherheit, Umweltschutz, Verbraucherschutz und Wasserkreislauf 130. Damit nimmt die AFNOR als anerkannt gemeinnütziger Verband ("association reconnue d'utilité publique") und Beliehener mit öffentlichen Diensten ("concessionnaire de service public") in großem Umfang Aufgaben zur Verbesserung der Lebensqualität und Steigerung des Gemeinwohls wahr 131 . Diesbezüglich gilt für die erste am Ende des Teils I gestellte Frage nach den Gründen für die Befähigung der normschaffenden Institutionen zur Wahrnehmung dieser öffentlichen Aufgaben für Frankreich das bereits für die Bundesrepublik Deutschland Ausgeführte: Nämlich daß die Befähigung aus der Bewältigung dieser Aufgaben im Rahmen der dargestellten Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation des Normungssystems erfolgt, die sich traditionell für die Schaffung von Ordnung und die Strukturierung des Wissens und der Erkennt-

129

Vgl. dazu die Ausführungen der nachfolgenden Kapitel. AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 26 f., 30; Boulin, P., Présentation, S. 18. Vgl. dazu auch die Ausführungen in den einschlägigen Unterabschnitten des Kap. I.C. Etwa 15 % des französischen technischen Normenwerkes betreffen mittlerweile diese öffentlichen Aufgaben. Boulin, P., Normalisation, S. 100. 131 Kennzeichen dieser Entwicklung ist nicht zuletzt das offensichtliche Interesse auch der übrigen Ministerien außerhalb des Industrieministeriums an der überbetrieblichen technischen Normung, die sich in der Ablösung des dem Industrieminister unterstellten Normungskommissars durch den interministeriellen Normenausschuß unter der Leitung des dem Industrieminister gleichgestellten interministeriellen Normenabgeordneten und dessen Ernennung durch den Premierminister widerspiegelt. 130

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nisse im Bereich von Wissenschaft und Technik sowie der Schließung wirtschaftlich-technischer Vereinbarungen der Marktteilnehmer herausgebildet und bewährt haben und die laufend den sich ändernden Erfordernissen der Lebenswirklichkeit angepaßt werden 132. Folglich treffen die entsprechenden Schlußfolgerungen des Kapitels ILA.l.a)gg) hinsichtlich der Bundesrepublik Deutschland, die hier keiner Wiederholung bedürfen, auf Frankreich gleichermaßen zu. Dabei tritt am Beispiel Frankreichs durch die geschilderte Entwicklung der staatlichen Einflußnahme auf das französische Normungssystem und deren Folgen abermals deutlich zutage, daß die Schaffung effizienter Arbeitsund Entscheidungsstrukturen zur Wahrnehmung dieser öffentlichen Aufgaben allein nicht ausreichend ist, solange die technischen Normen vornehmlich durch Behördenvertreter erarbeitet und als staatliches Steuerungswerkzeug benutzt werden. Um diese Aufgaben zur (weitgehenden) Zufriedenheit aller zu lösen und so (möglichst) allgemeine Akzeptanz zu erlangen, sind darüber hinaus auch die umfassende Beteiligung aller von der Norm Betroffenen durch deren ausgewogene Repräsentation in sämtlichen Leitungs-, Lenkungs-, Strategie- und Arbeitsgremien bei gleichzeitig umfassenden Initiativ- und Mitspracherechten der Öffentlichkeit sowie die Sicherstellung einer hohen Qualität der Normen durch die Einbindung möglichst qualifizierter Experten dieser interessierten Kreise unabdingbar. Charakteristisch für diese Feststellung ist die zunehmende Anerkennung technischer Normen in Frankreich - 68 % der Franzosen kennen und schätzen heute technische Normen 133 -, die sich u.a. auch in der beachtlichen Zahl von über 27.000 Fachleuten, die ehrenamtlich in den Normenausschüssen die technischen Normen erarbeiten, sowie der zunehmend bedeutenden Rolle der französischen Normung im europäischen Normungssystem134 widerspiegelt. Diese gestiegene Anerkennung beruht allein auf den beiden vornehmlichen Effekten der Öffnung des Normungssystems für alle Gruppen- und Individualinteressen, nämlich der Identifizierung aller Bürger mit der Normungsstrategie und den technischen Normen selbst aufgrund der repräsentativen und individuellen Beteiligung (-smöglichkeit) und der konsensualen Ausgewogenheit der kollektiv erarbeiteten Lösungen, sowie der Erschließung des riesigen Potentials privaten Sachverstands durch die Beteiligung der in der jeweiligen Frage fachkompetenten Vertreter der interessierten Kreise und der (Fach-) Öffentlichkeit. Hingegen ist die marginale Rücknahme der staatlichen

132

Die hochdynamische Entwicklung des französischen Normungssystems hat alle Prognosen widerlegt, die einen Endzustand der Entwicklung von Rechtsgrundlagen und organisatorischer Entwicklung vorhersagten. So Ende der siebziger Jahre Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 43. 133 Vgl. Kap. I.D.4. 134 Die sich u.a. in der stark gestiegenen Zahl der durch AFNOR bzw. UTE betreuten Sekretariate der europäischen Normenorganisationen ausdrückt. Vgl. Tab. 6 in Kap. H.A. Vgl. ferner Boulin, P., Présentation, S. 21. 34 Zubke-von Thünen

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Kompetenzen kaum von Bedeutung; denn angesichts des Umfangs der verbliebenen staatlichen Möglichkeiten der Einflußnahme kann von einer Beschränkung der staatlichen Aufgabe auf eine Koordinierungsfunktion kaum eine Rede sein. Vor dem Hintergrund dieses nach wie vor erheblichen staatlichen Einflusses auf das französische Normungssystem ist nunmehr der erste Teil der zweiten, am Ende des Kapitels I.E gestellten Frage zu beantworten, ob technischen Normen aufgrund der Erfüllung der oben ausgeführten, genuin dem Staat obliegenden öffentlichen Aufgaben Rechtsnormcharakter zukommt, und wie diese gegebenenfalls in das System staatlicher Hoheitsakte einzuordnen sind135. b) Die Rechtsnatur technischer Normen Die Rechtsquellenlehre im französischen Staatsrecht unterscheidet wie in Deutschland zwischen Gesetzen im formellen Sinn ("les lois") - verabschiedet vom Parlament - und im materiellen Sinn ("les règlements") als von der Exekutive erlassene Verordnungen 136. Während vor Inkrafttreten der Verfassung der V. Republik im Jahre 1958 in Frankreich das Parlament grundsätzlich die Gesetzgebungshoheit innehatte und ein Legislativrecht der Exekutive ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland und im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland nur aufgrund gesetzlicher Ermächtigung für den Spezialfall zustand, besitzt die Exekutive nunmehr eine autonome Rechtssetzungsgewalt, die zumindest quantitativ erheblich über die des Parlaments hinausgeht137.

135

In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß zumindest bis Ende der siebziger Jahre Rechtsfragen bezüglich Rechtsnatur und staatlicher Rezeption technischer Normen in der französischen juristischen Literatur kaum problematisiert wurden; vielmehr galten diese aufgrund der Einrichtung einer Normungsbehörde, deren Ausstattung mit Grundkompetenzen sowie der Inpflichtnahme der nationalen Normenorganisation AFNOR und der BN als "concessionnaire de service public" als erschöpfend behandelt. Auch gibt es in Frankreich kaum eine rechtliche Diskussion um die kartellrechtliche Relevanz technischer Normen. Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 9 ff., 41. 136 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 29. Andere Rechtsquellen wie die vom französischen Verfassungsgericht ("Conseil d'Etat") entwickelten ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsätze ("principes généraux du droit"; vgl. dazu Savoi, E., Frankreich, S. 217 ff.) sowie das Völkervertragsund -gewohnheitsrecht (vgl. ebd., S. 215 ff., 221) werden nicht in die Betrachtung einbezogen. Naturrecht, Gewohnheitsrecht und Richterrecht gelten in Frankreich nicht als Rechtsquelle. Savoi, E., Frankreich, S. 217, 221. 137 Lukes spricht in diesem Zusammenhang von einem Nebeneinander zweier Rechtssetzungsorgane. Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 30; vgl. auch Savoi, E., Frankreich, S. 215.

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"La loi " wird als Ausdruck der "volonté générale", d.h. des allgemeinen Volkswillens, in Form einer vom traditionell hoch angesehenen Parlament erlassenen Willensäußerung in Gesetzesform verstanden138. Die Ermächtigungsgrundlage zum Erlaß von Gesetzen bildet Art. 34 der französischen Verfassung; in diesem sind in zwei Abschnitten die Gebiete enumerativ aufgeführt, in denen das Parlament Gesetzgebungsbefugnisse umfassender Art bzw. lediglich durch Bestimmung der Grundzüge besitzt139. Da die durch den Verwaltungsrat der AFNOR bestätigten technischen Normen keine wie immer geartete Willensäußerung der beiden Kammern des Parlaments - der Assemblée Nationale und des Senats - darstellen, sind sie keine Gesetze im formellen Sinn 140 . "Le règlement " ist der allgemeine Ausdruck für von der Exekutive erlassene Verordnungen. Verordnungen des Staatspräsidenten und des Ministerpräsidenten werden "décrets" genannt; Verordnungen der Minister sowie der regionalen und lokalen Verwaltungsorgane heißen "arrêtés", unterschieden je nach der Urheberschaft in "ministériel", "préfectorial" und "municipal". Schließlich kann die Exekutivspitze noch für den Bürger unverbindliche, nur behördeninterne Bindungswirkung entfaltende Verwaltungsvorschriften ("circulaires") und Anweisungen ("décisions") erlassen. Ermächtigungsgrundlage der verordnungsgebenden Gewalt der Exekutive ist zum einen Art. 37 der Verfassung, welcher der Exekutive eine autonome Rechtssetzungsgewalt in allen Bereichen verleiht, die nicht in Art. 34 der Verfassung genannt werden. Zum anderen steht der Exekutive Rechtssetzungsgewalt in den Gebieten zu, deren lediglich grundsätzliche Regelung dem Parlament vorbehalten ist; nach Art. 21 der Verfassung erfolgt die Ausfüllung dieser Rahmengesetze durch règlements der Exekutive141. Daneben haben die Leiter von Behörden kraft richterlicher Rechtschöpfung, d.h. ohne verfassungsmäßige Grundlage, die Befugnis, durch Verordnungen das ordnungsgemäße Funktionieren ihrer Dienststelle sicherzustellen. Diese berechtigen und verpflichten den Bürger jedoch nur im Rahmen seines Kontaktes mit der betreffenden Behörde. Schließlich kann sich die Regierung gemäß Art. 38 der Verfassung vom Parlament durch ein Ermächtigungsgesetz ("loi d'habilita-

138

S. 214. 139

Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 10; Savoi, E., Frankreich,

Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 30. Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 10. 141 Betrifft die Regelung das gesamte nationale Territorium, steht die Befugnis zum Erlaß gesetzesausführender Verordnungen grundsätzlich dem Ministerpräsidenten zu; ist die Bedeutung der Regelung hingegen auf ein "département" oder eine Gemeinde beschränkt, obliegt die Kompetenz zur Gesetzesausfüllung den regionalen oder lokalen Behörden ("préfet", "maire"). Einzelne Minister besitzen nur dann Verordnungsgewalt, wenn sie durch Gesetz ("loi" oder "décret") dazu ermächtigt werden, und zwar für den in der Ermächtigungsnorm festgelegten Bereich. Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 30 ff. 140

3*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

tion") die zeitlich begrenzte Befugnis einräumen lassen, durch "ordonnances" genannte gesetzesvertretende Verordnungen die Durchführung ihres Regierungsprogrammes sicherzustellen, was jedoch bisher nur in Notstandszeiten geschehen ist 142 . Französische technische Normen lassen sich nicht als Verordnungen ("règlements" in der Form von "décrets" oder "arrêtés"), Verwaltungsvorschriften ("circulaires"), Anweisungen ("décisions"), behördeninterne Verordnungen für das ordnungsgemäße Funktionieren ihrer Dienststelle oder Verordnungen zur Durchführung des Regierungsprogramms der Exekutive qualifizieren, da sie nicht durch eines der genannten Exekutivorgane, sondern durch die Normenausschüsse und den Verwaltungsrat der AFNOR oder den von ihm autorisierten Generaldirektor erarbeitet bzw. bestätigt werden 143 und eine Übertragung der genannten Befugnisse auf Private, soweit ersichtlich, nirgendwo de jure vorgesehen oder de facto bezüglich der AFNOR erfolgt ist. Obwohl im Schrifttum nicht explizit diskutiert, begründet auch die funktionale Eingliederung der AFNOR in die staatliche Verwaltung als "concessionnaire de service public " - vergleichbar dem beliehenen Unternehmen nach deutschem Verwaltungsrecht -, verbunden mit der Anerkennung als gemeinnützige Organisation ("association reconnue d'utilité publique"), keine wie immer geartete Rechtsverbindlichkeit der technischen Normen. Vielmehr wird sowohl von den staatlichen als auch den privaten Partnern der technischen Normung einmütig betont, daß technische Normen freiwillige Vereinbarungen der Wirtschaftspartner darstellen. Somit sind technische Normen weder Gesetze im formellen oder materiellen Sinn, noch behördeninterne Regelungen, noch zeitlich begrenzte Verordnungen zur Sicherstellung der Durchführung des Regierungsprogrammes. Dementsprechend entfalten sie als Ergebnis eines kollektiven Willensbildungsprozesses der interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit zum Nutzen der Allgemeinheit aus sich heraus keine rechtliche Verbindlichkeit, sondern stellen rechtlich unverbindliche Empfehlungen der für Frankreich zuständigen Normenorganisation AFNOR an "jedermann" dar 144 . Rechtliche Verbindlichkeit kann ihnen allein in Folge von Rezeptionsakten des französischen Gesetz- und 142 Die ordonnances sind normalerweise Gegenstand der Gesetzgebung und haben Gesetzesrang. Savoi, E., Frankreich, S. 215; vgl. ferner Lukes, R., EWG- und EFTAStaaten, S. 31. Zur Notstandsgesetzgebung vgl. ebd., S. 31 f. 143 So auch Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 10. 144 Dies ist unstreitig. AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 6, 20; Boulin, P., Présentation, S. 20; ders., Normalisation, S. 100; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 3; Correge, S., La normalisation, S. 1; Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 45; Marburger, P., Technische Normung, S. 199; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 10.

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Verordnungsgebers zukommen145. Diese Betrachtungen sind Gegenstand des nachfolgenden Kapitels. c) Die staatliche Rezeption technischer Normen aa) Begriffsdefinition Analog zu den entsprechenden Untersuchungen für die Bundesrepublik Deutschland sollen unter dem Begriff "staatliche Rezeption technischer Normen" alle Arten unmittelbarer und mittelbarer Bezugnahme auf private technische Normen in staatlichen Hoheitsakten - insbesondere Gesetzen und Rechtsverordnungen - verstanden werden. Während im Falle der unmittelbaren Rezeption die technische Norm durch die entsprechende Rechtsnorm direkt rezipiert wird, besteht im Falle der mittelbaren Rezeption zwischen einer Rechtsvorschrift, in deren Rahmen eine technische Norm Rechtsverbindlichkeit erlangt, und der technischen Norm selbst noch ein zusätzliches Verbindungsglied, etwa in Form einer Verwaltungsvorschrift, einer richterlichen Entscheidung

bb) Rezeptionsarten Arten der unmittelbaren Bezugnahme auf technische Normen im französischen Recht sind die Inkorporation ("incorporation"), die datierte oder starre Verweisung ("référence datée aux normes" bzw. "identification rigide"), die undatierte oder gleitende Verweisung ("référence non datée aux normes" bzw. "identification glissante") sowie die allgemeine Verweisung auf gültige Normen ("conformes aux normes en vigueur"); schließlich besteht noch die Möglichkeit, technische Normen für allgemeinverbindlich zu erklären ("l'application d'une norme rendue obligatoire"). Dabei kann das Anwendungsfeld eines Gesetzes, welches Bezug auf technische Normen nimmt, von allgemeiner Reichweite sein, so daß alle Bürger diesen Regelungen unterworfen sind147, oder von begrenzter

145 Darüber hinaus erlangen technische Normen, wenn sie von Vertragsparteien vereinbart werden, eine auf dieses Vertragsverhältnis begrenzte juristisch Verbindlichkeit. Boulin, P., Normalisation, S. 100; ders., Présentation, S. 20; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4. 146 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 35 f.; ders., Tragweite, S. 220 ff. 147 1990 hatten fast 150 Normen auf diese Weise durch Gesetze - z.T. in Verbindung mit der Anwendung des Art. 12 des Décrets n° 84-74 - Rechtsverbindlichkeit erlangt. AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 3 Abschn. 3.1; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4; vgl. dazu auch die nachfolgenden Ausführungen. 1989 wurde noch von 400 rechtlich verbindlichen Normen gesprochen. AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 20.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Reichweite, indem der Geltungsbereich der Rechtsnorm auf eine bestimmte Anwendung oder auf einen genau bestimmten Adressatenkreis beschränkt ist 148 . Schließlich kann die Verweisung auf Normen eine teilweise Verweisung sein, indem die Vorschrift nur bestimmte Abschnitte der technischen Norm rezipiert, deren Anwendung in Folge verbindlich ist, während die übrigen Abschnitte freiwillig anwendbar bleiben149. In weit größerem Umfang werden technische Normen jedoch nicht unmittelbar, sondern mittelbar durch die Rechtsnormen rezipiert 150. Als wichtigste Methoden der mittelbaren Bezugnahme auf technische Normen sind die mittelbare Rezeption durch offene Rechtsbegriffe, die Bezugnahme auf technische Normen auf öffentlichen Märkten sowie die judikative Qualifikation technischer Normen als Verkehrssitte bzw. Handelsbrauch zu nennen. (1) Arten der unmittelbaren Rezeption technischer Normen (a) Inkorporation ("incorporation") Dasfranzösische Recht kennt wie das deutsche den Rezeptionsmechanismus der Inkorporation, d.h. die vollständige oder auszugsweise Übernahme des Normentextes in formelle oder materielle Gesetze ("lois", "règlements") oder deren Anhang. Der Inhalt technischer Normen wird damit als Bestandteil des jeweiligen Rechtssatzes vom zuständigen gesetzgebenden Organ verabschiedet und teilt insoweit die Rechtsnatur dieser Rechtsnormen, d.h., er entfaltet unmittelbare Β indungs Wirkung für den Normadressaten 151.

Eine Liste der verbindlichen Normen durch direkte oder allgemeine VorschriftStand 1990 - ist enthalten in AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 6 ff. 148 So beispielsweise der Erlaß des Landwirtschaftsministeriums vom 08.01.1970, der u.a. für die Laboratorien, denen die offiziellen Methoden der Milchanalyse genehmigt sind, die Methode "Gerber", die neben anderem die Benutzung einer Milchpipette gemäß der Norm NF Β 35-523 vorsieht, verbindlich vorschreibt; ferner der Erlaß des Innenministers vom 21.09.1978, der die Konformität zu den Normen NF C 71-800 und NF C 71-801 hinsichtlich der Sicherheit der Beleuchtung in öffentlichen Gebäuden festlegt. AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 3 Abschn. 3.1; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4. 149 So beispielsweise im Erlaß vom 23.07.1987 für Hinweise zu Werbezielen oder informativen Zwecken der Charakteristika von Geräten. Diese Hinweise müssen den Abschnitten der angeführten Normen entsprechen. AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 4 Abschn. 3.1. 150 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 20; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4. 151 A.A. Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 33, der nicht nur den Inhalt, sondern auch die technische Norm als rechtsverbindlich qualifiziert.

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(b) Verweisung ("référence") (aa) Datierte Verweisung ("référence datée") Von einer datierten Verweisung ("référence datée aux normes") oder synonym von einer starren Bezugnahme ("identification rigide") ist die Rede, wenn die rezipierten technischen Normen durch ihre Bezeichnung und ihr (Ausgabe-) Datum vollständig präzisiert sind. In diesem Fall darf nur die genannte Fassung der Norm angewendet werden. Jede Überarbeitung der Norm verlangt eine Überarbeitung der Vorschrift, welche die Anwendung der Norm verbindlich macht, wenn die Bezugnahme auf die Neufassung der Norm erwünscht ist. Beispiele für die datierte Verweisung finden sich u.a. in den Vorschriften über Apparate für brennbare Gase 152 . (bb) Undatierte Verweisung ("référence non datée") Bei einer undatierten Verweisung ("référence non datée aux normes") oder synonym einer gleitenden Bezugnahme ("identification glissante") erfolgt keine Festlegung des (Ausgabe-) Datums der bezeichneten technischen Norm in der rezipierenden Rechtsvorschrift. Damit werden auch zukünftige Fassungen der technischen Norm in Bezug genommen, ohne daß es einer Änderung der rezipierenden Rechtsnorm bedarf 153. Für den Normadressaten ist damit die jeweils gültige Fassung der technischen Norm verbindlich, außer wenn die technische Norm eine Übergangsfrist enthält, während der die Anwendung der vorherigen Fassung noch gestattet bleibt. Die undatierte Verweisung findet beispielsweise in dem Erlaß vom 29. Juni 1979 für Immobilienausstattungen mit Briefkästen Anwendung154. (cc) Verweisung auf gültige Normen ("conformes aux normes en vigueur") Die Verweisung auf gültige Normen stellt - wie im deutschen Recht die allgemeine Verweisung - eine Erweiterung der undatierten Verweisung dar. Sie

152 AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 3 Abschn. 3.1; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 3. 153 Nach den gesetzlichen Regelungen von 1941 galt dies als unbedenklich, da die Anerkennung der Normen durch ministerielle Verordnung ("arrêté ministériel") des Industrieministers vorgenommen wurde. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Fn. 161 in Kap. II.A.2.c)bb)(l)(c). 154 AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 3 Abschn. 3.1; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 3.

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wird im französischen Recht begrifflich wie systematisch von dieser abgegrenzt, da keine wie immer geartete Bezeichnung bestimmter Normen oder Normgruppen erfolgt 155. Die Vorschrift benennt die anzuwendenden Normen nicht, sondern schreibt lediglich vor, daß Produkte und Dienstleistungen den gültigen Normen entsprechen müssen ("conformes aux normes en vigueur"). Es ist Aufgabe des Wirtschaftsteilnehmers, sich über die jeweils gültigen technischen Normen zu informieren. Eine Verweisung auf gültige Normen findet sich in den Sicherheitsvorschriften gegen Brand in öffentlichen Gebäuden vom 25. Juni 1980 sowie im Erlaß vom 21. August 1967 156 über Früchte und Gemüse französischer Herkunft 157. (c) Allgemeinverbindlichkeitserklärung ("Γapplication d'une norme rendue obligatoire") Anders als in der Bundesrepublik Deutschland besteht schließlich in Frankreich die Möglichkeit, technischen Normen durch ihre Allgemeinverbindlichkeitserklärung unmittelbare Rechtsgeltung zu verschaffen. Rechtsgrundlage der Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist Art. 12 des Décrets n° 84-74 vom 26. Januar 1984 i.d.F. des Décrets n° 93-1235 vom 15. November 1993. Danach kann die Anwendung einer bestätigten Norm oder einer anerkannten, äquivalenten, in Frankreich aufgrund einer internationalen Übereinkunft anwendbaren Norm für allgemeinverbindlich erklärt werden, sofern dies aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Personen und Tieren oder der Erhaltung der Flora, des Schutzes nationaler Kulturschätze mit künstlerischem, historischem oder archäologischem Wert oder aus zwingenden Gründen im Zusammenhang mit der Wirksamkeit steuerlicher Kontrolle, der Redlichkeit von Geschäftsvorgängen und dem Schutz des Verbrauchers geboten ist. Als Gegenstand der Allgemeinverbindlichkeitserklärung kommen Normen in Frage, die sich im Stadium der Erstellung, der Einführung und der Veröffentlichung, nicht aber solche, die sich schon im Gebrauch befinden 158. Bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung handelt es sich regelmäßig um einen Rechtssetzungsakt in Form eines "arrêté ministériel" (ministerielle Verordnung) des jeweils zuständigen Ministers, gestützt auf die genannte Verordnung. Gesetzestechnisch findet dabei die Form

155

Vgl. dazu die entsprechende Differenzierung im Recht der Bundesrepublik Deutschland in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(bb) und Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc). 156 J.O. vom 03.09.1967. 157 AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 4 Abschn. 3.1; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 3. 158 AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 2 Abschn. 2.

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der undatierten Verweisung Anwendung, d.h., die jeweilige Norm wird mit ihrer offiziellen Bezeichnung, jedoch ohne Ausgabedatum benannt159. Als Rechtsfolge erhalten die allgemeinverbindlich erklärten Normen die Qualität eines Rechtssatzes mit allgemeiner Bindungswirkung für alle Staatsbürger 160. Wie bereits hinsichtlich der undatierten Verweisung ausgeführt, wird bei dieser Gesetzestechnik durch Überarbeitung der zugrundeliegenden Normen auch der materielle Inhalt der diese allgemeinverbindlich erklärenden ministeriellen Verordnung geändert 161. Ist darüber hinaus in einer allgemeinverbindlich erklärten Norm die Kennzeichung mit dem Normenkonformitätszeichen "marque N F ' der AFNOR festgelegt, so gewinnt auch diese Kennzeichnung rechtsverbindlichen Charakter und wird in entsprechender Weise von der AFNOR überprüft 162. Die Bestimmungen des Art. 12 sehen eine Ausnahmeregelung für den Fall vor, daß bei der Anwendung der allgemeinverbindlich erklärten Normen Schwierigkeiten auftreten; geschieht dies, können Vertreter der Hersteller, Importeure, Händler, öffentlichen Verwaltung oder sonstige Betroffene Anträge auf Ausnahmen bei der AFNOR stellen. Die Ausnahme wird durch Entscheidung des Industrieministers auf Vorschlag des interministeriellen Normenabgeordneten nach Prüfung eines von der AFNOR erstellten Berichtes gewährt. Sie

159

Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 33 m.N.; Marburger, P., Technische Normung, S. 197; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 10 m.z.N. 160 Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4; Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 37; Marburger, P., Technische Normung, S. 197. 161 Nach den gesetzlichen Regelungen von 1941 galt dies als unbedenklich, da die Anerkennung der Normen durch ministerielle Verordnung ("arrêté ministériel") des Industrieministers, mithin von derselben Instanz, vorgenommen wurde. Lukes, R., EWGund EFTA-Staaten, S. 34; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 10 f. Nach der Reform der Normung im Jahre 1984 erfolgt die Bestätigung der Normen nunmehr durch den Verwaltungsrat der AFNOR, wobei allerdings der interministerielle Normenabgeordnete ein Vetorecht besitzt und darüber hinaus für die bestätigten französischen Normen eine offizielle Zustimmung des Staates notwendig oder zumindest erwünscht ist, bevor diese zur Referenz in einem Gesetz herangezogen werden. Dennoch sollte die Gesetzgebungstechnik der undatierten bzw. allgemeinen Verweisung auch in Frankreich zunehmenden Bedenken begegnen, da praktisch eine Delegation der Bestimmung des materiellen Inhalts der arrêté ministériel an eine zwar unter staatlicher Aufsicht stehende, aber dennoch privatrechtliche Organisation erfolgt. Jedoch lassen sich auch der aktuellen Literatur keine derartigen Bedenken entnehmen. Vgl. Marburger, P., Technische Normung, S. 197. Hinsichtlich Bedenken gegen die ordnungsgemäße Publikation vgl. Lukes, R., EWGund EFTA-Staaten, S. 32 ff. u. insbes. 34 f. 162 Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 61.

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ist gegebenenfalls Gegenstand eines gemeinsamen Beschlusses des Industrieministers und der übrigen betroffenen Minister 163. Die Einhaltung der für allgemeinverbindlich erklärten Normen wird zum einen dadurch gewährleistet, daß die betreffenden Produkte einer besonderen Zulassungskontrolle bedürfen 164; von dieser sind nur solche Produkte befreit, für welche die Normenkonformität durch Zertifizierung und Vergabe des Normenkonformitätszeichens "marque NF" der AFNOR 1 6 5 nachgewiesen ist. Zum anderen stellt die Nichtbeachtung der für allgemeinverbindlich erklärten Normen regelmäßig einen Straftatbestand gemäß den Bestimmungen des Artikels R 26-15e des Strafgesetzbuches dar 166 , oft einhergehend mit einem Verstoß gegen Art. 1 des Gesetzes vom 1. August 1905 167 - dem französischen UWG -, sofern gleichzeitig eine Täuschung vorliegt, oder gegen das Gesetz vom 2. Juli 1963 168 , sofern auf ihm eine täuschende Werbung beruht 169. Daneben wurden in einigen Gesetzen und Dekreten - wie beispielsweise im Arbeitsgesetzbuch oder in der Straßenverkehrsordnung - strengere Strafsanktionen festgeschrieben 170. Bis Ende 1995 erlangten auf diese Weise rund 190 Normen aus Gründen der Sicherheit - beispielsweise für Schwenkkräne, Spielzeug, Grillgeräte -, der Gesundheit und Hygiene - u.a. für Rohre aus Zement, Asbest -, des Kampfes gegen den Betrug - etwa für die Auszeichnung von Bettlaken und Decken, die Klassifizierung von Leder, die Charakteristika von Kristall -, der Rationalisierung des Austausches - zum Beispiel des Anschlusses für Fernseher - und des Umweltschutzes den rechtlichen Status der Allgemeinverbindlichkeit171. Allerdings finden sich in der Literatur auch Hinweise dafür, daß die Allgemeinverbindlich-

163

Décret n° 84-74, Art. 12 i.V.m. Art. 18. Importeure müssen bei der Verzollung ihrer Produkte deren Konformität mit den allgemeinverbindlichen Normen nachweisen. 165 Vgl. Kap. II.A.2.a)cc). 166 Der allerdings, eingestuft als Verstoß gegen Dekrete oder Verordnungen einer Verwaltungsbehörde, mit einer nur wenig abschreckenden Geldstrafe bis zu 20 FF belegt ist; jedoch stellt die Zollfahndung regelmäßig so viele Strafmandate aus, wie nicht normenkonforme Produkteinheiten festgestellt werden. Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4; Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 37. 167 Gesetz v. 01.08.1905 gegen den Warenbetrug mit Ergänzungsgesetz vom 05.08.1908. 168 Art. 5 de la Loi de Finances Nr. 63-628 v. 02.07.1963, Rectificative pour 1963 portant maintien de la stabilité économique et financière. 169 Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4; Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 37. 170 Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4. 171 AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 2 Abschn. 2; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4; ISO, Members, S. 42. 164

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keitserklärung technischer Normen in Einzelfällen auch als protektionistische Maßnahme vorgenommen worden ist 172 . (2) Arten der mittelbaren Rezeption technischer Normen Wie bereits eingangs ausgeführt, ist die mittelbare Rezeption technischer Normen durch ein zusätzliches Verbindungsglied zwischen einer Rechtsvorschrift, in deren Rahmen eine technische Norm rechtserheblich wird, und der technischen Norm selbst gekennzeichnet. Neben der mittelbaren Rezeption durch offene Rechtsbegriffe, der Bezugnahme auf technische Normen auf öffentlichen Märkten und der judikativen Qualifikation technischer Normen als Verkehrssitte bzw. Handelsbrauch sind in diesem Zusammenhang noch Rechtsvorschriften, bei denen die Konformität zu den rezipierten technischen Normen eine Vermutung für die Einhaltung bestimmter Tatbestandsmerkmale der Rechtsnorm begründet, Rechtsnormen, bei denen die Normenkonformität die Erfüllung bestimmter Auflagen erleichtert, Vorschriften, die durch indirekte Beschreibung auf technische Normen Bezug nehmen, sowie besondere Verwaltungsakte, durch die im Einzelfall einer Person das Verhalten gemäß den Anforderungen einer technischen Norm vorgeschrieben wird, von Bedeutung. (a) Mittelbare Rezeption durch offene Rechtsbegriffe Aufgrund ihres Erstellungsprozesses gelten überbetriebliche technische Normen als eine Kodifizierung der anerkannten Regeln der Technik173 und solchermaßen als anerkannte Erkenntnisquellen für ein technisch ordnungsgemäßes Verhalten im Regelfall 174. Dementsprechend werden sie von Behörden und Gerichten zur Ausfüllung offener Rechtsbegriffe wie "règles de l'art", "état de l'art" oder "usages loyaux et constants" herangezogen. Rechtsfolge dieser Rezeption ist eine Beweislastumkehr: Wer sich nach französischen Normen richtet, hat im Streitfall die widerlegbare Vermutung für sich, daß sein Verhalten im rechtlichen Sinne einwandfrei ist und er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt erfüllt hat. Bei der - durchaus zulässigen - Wahl einer anderen technischen Lö172

So z.B. im Falle von Haushaltskühlschränken oder der oben genannten Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Abmessungen von Bettwäsche. Vgl. dazu Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 28. 173 Wobei entsprechend den Ausführungen in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(bb) i.d.R. nicht bereits allgemein anerkannte, sondern neue, dem Stand der Technik entsprechende Lösungen genormt werden, die allerdings aufgrund des konsensualen Einigungsprozesses aller interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit i.d.R. allgemeine Anerkennung finden. 174 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 20; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4.

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sung muß der Normadressat hingegen die Einhaltung eines äquivalenten Schutzoder Sicherheitsniveaus nachweisen175. (b) Technische Normen als Verkehrssitte und Handelsbrauch Eine bestätigte technische Norm entfaltet mittelbare Rechtserheblichkeit, da sie als eine zusammenfassende Beschreibung dessen angesehen wird, was auf dem von der jeweiligen Norm erfaßten Bereich zumindest bei der Mehrzahl der Fachleute als üblich und richtig und somit als anerkannte Regel der Technik gilt. Gerichte und Behörden werten insofern im allgemeinen die technischen Normen als Verkehrssitte bzw. Handelsbrauch der jeweiligen Berufsstände 176. Aufgrund dessen können bestätigte technische Normen im Zivilrecht - specialer im Vertragsrecht - Bedeutung bei der Auslegung von Verträgen erlangen; dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es um die Frage geht, ob eine Leistung als ordnungsgemäße Vertragserfüllung - etwa i.S.d. Art. 1135, 1159, 1160 Code Civil, welche die Berücksichtigung der Verkehrssitte fordern - gilt. Sind beispielsweise Qualitätsanforderungen der zu liefernden Ware nicht vertraglich festgelegt, so kann die Anwendung der einschlägigen technischen Normen als verkehrsüblich und nur die Lieferung normenkonformer Waren als ordnungsgemäße Vertragserfüllung angesehen werden 177. Ferner rezipieren die Gerichte auch im Deliktsrecht im Rahmen der Haftung gemäß der Art. 1382 ff. Code Civil technische Normen zur Entscheidungsfindung, da diese das allgemein übliche Verhalten für den Umgang mit technischen Anlagen und Geräten umschreiben178. Schließlich wird nach Art. 1 des Gesetzes über den Warenkauf vom 1. August 1905 179 mit Gefängnis oder Geldstrafe bestraft, wer beim Verkauf von Waren über deren Eigenschaften, Zusammensetzung oder Inhalt täuscht. Liegen keine diesen Sachverhalt regelnden Verordnungen vor, haben Gerichte die Anwendung überbetrieblicher technischer Normen in verschiedenen Fällen auch dann als handelsüblich angesehen, wenn diese lediglich in einer

175

AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 20; Boulin, P., Présentation, S. 20; ders., Normalisation, S. 100; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 3 f.; Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 42. 176 Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4; Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 36, 38, 40, 47; Marburger, P., Technische Normung, S. 199; Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 42; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 11 f. 177 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 39; Marburger, P., Technische Normung, S. 199; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 11. 178 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 39; Marburger, P., Technische Normung, S. 199; Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 42; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 11 f. 179 D.P. 1906.04.47.

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einfachen Verwaltungsvorschrift enthalten oder auch nur vom damaligen Normungskommissar registriert worden waren 180. Aufgrund der Qualifizierung technischer Normen als Verkehrssitte bzw. Handelsbrauch kann die unrichtige Behauptung der Konformität mit bestätigten Konsequenzen führen, selbst wenn die Normen Normen zu strafrechtlichen nicht für allgemeinverbindlich erklärt wurden 181. (c) Mittelbare Rezeption technischer Normen auf öffentlichen Märkten In Frankreich dient die technische Normung als ein wesentliches Instrument zur Regelung der öffentlichen Märkte. Als größter Kunde französischer Unternehmen erbrachten 1989 rund 200.000 Geschäftsabschlüsse des Staates und seiner öffentlichen Einrichtungen mit 45.000 Unternehmen ein Finanzvolumen von 500 Mrd. FF und damit rund 10 % des französischen BIP 1 8 2 . Dementsprechend war bereits vor der Reform des französischen Normungssystems im Jahre 1984 im öffentlichen Beschaffungswesen der Bezug auf bestätigte technische Normen vorgeschrieben 183, was jedoch nur von wenigen Behörden wirklich beachtet wurde 184. Dementsprechend hat der französische Premierminister aus Anlaß der Neuordnung des Normenwesens im Jahre 1984 nochmals hervorgehoben, daß es weder wirtschaftlich ist, Zeit in die Ausarbeitung behördeneigener technischer Spezifikationen zu investieren, wenn es bereits technische Normen gibt, noch die Industrie dadurch zu unterschiedlicher Herstellung zu zwin„185 gen . Rechtsgrundlage der Referenz auf technische Normen auf den öffentlichen Märkten ist heute Art. 13 des Décrets n° 84-74 vom 26. Januar 1984, modifiziert durch die Décrété n° 90-653 vom 18. Juli 1990 und n° 93-1235 vom 15. November 1993 im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Harmonisierung der Vertragsabschlüsse auf öffentlichen Märkten. Diese schreibt verbindlich die Referenz auf Europäische Normen, oder - wenn diese nicht existieren 180

Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 40; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 11 f. m.N. aus der Rechtsprechung. 181 Lukes, R, EWG- und EFTA-Staaten, S. 40. 182 AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 22 f. 183 Frankreich/Rundschreiben des Premierministers, Nr. 1. 184 So ist noch nie ein öffentlicher Auftrag wegen Nichtbeachtung der bestätigten französischen Normen annulliert worden. Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 40 f. 185 "Die Normungsarbeiten haben ja gerade zum Ziel, Spezifikationen zu erstellen, die die Bedürfnisse der verschiedenen interessierten Kreise berücksichtigen." Dementsprechend ist es notwendig, daß sich die Beschaffungsstellen an der Ausarbeitung der Normen beteiligen. Frankreich/Rundschreiben des Premierministers, Nr. 1; vgl. auch AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 22 f.

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auf internationale Normen, oder - falls auch diese nicht existieren - auf nationale Normen vor. Nach Art. 13 (1°) des Décrets n° 84-74 ist, unbeschadet der anzuwendenden gesetzlichen Regelungen, die Anwendung oder die ausdrückliche Erwähnung der bestätigten Normen oder anderer, in Frankreich aufgrund internationaler Vereinbarungen anwendbarer Normen in Bedingungen, Spezifikationen und Lastenheften für die vom Staat, von seinen Gebietskörperschaften und deren öffentlichen Einrichtungen sowie den staatlich subventionierten Unternehmen abgeschlossenen Geschäften verbindlich vorgeschrieben 186. Existieren keine Europäischen oder internationalen Normen und erfolgt die Referenz auf bestätigte französische Normen, so sind die für die Geschäfte oder Verträge Verantwortlichen verpflichtet, Angebote eines anderen Mitgliedsstaates der EU, die den dort gültigen Normen entsprechen, gleichermaßen zu berücksichtigen, wenn diese mit den bestätigten französischen Normen äquivalent sind187. Darüber hinaus ist die Anwendung oder die ausdrückliche Erwähnung derjenigen bestätigten französischen Normen, die Europäische Normen umsetzen, verbindlich in den allgemeinen Dokumenten oder in den Pflichtenheften der durch das Gesetz Nr. 92-1282 vom 11. Dezember 1992 bestimmten Verträge in den Bereichen Wasser, Energie, Transport und Telekommunikation vorgeschrieben 188. Wie im Rahmen der Bestimmungen für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung, sind auch für die Verpflichtung der Anwendung oder ausdrücklichen Erwähnung der bestätigten technischen Normen auf öffentlichen Märkten bzw. der europäisch harmonisierten französischen Normen in den Bereichen Wasser, Energie, Transport und Telekommunikation im Falle auftretender Schwierigkeiten Ausnahmeregelungen vorgesehen für folgende Spezialfälle: a)

Daß ein Projekt eine Innovation enthält, für die ein Rückgriff auf bestehende Normen ungeeignet wäre; die Ausnahmeregelung betrifft in diesem Fall nur die entsprechende Innovation;

b)

wenn die Anwendung der Normen dazu führen würde, daß nicht passendes Zubehör für bereits bestehende Einrichtungen erworben wird oder unangemessene Kosten oder technische Schwierigkeiten entstehen; Bedingung für die Ausnahme ist

186

In wörtlicher Übersetzung lautet Art. 13 (1°) des Décrets n° 84-74: "a)Für Geschäfte in gleichem oder höherem Umfang wie in den Artikeln 123 (1°) und 321 (1°) des Gesetzes für öffentliche Geschäfte durchgeführt durch die Personen, die den Anordnungen des 2. und 3. Buches dieses Gesetzes unterworfen sind; b) Die Verträge, die der Publikationspflicht und dem Wettbewerb unterworfen sind, beschrieben in Titel II des Gesetzes Nr. 91-3 vom 3.1.1991." Vgl. dazu auch AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 5 Abschn. 3.6; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4. 187 Décret n° 84-74, Art. 13 (1°). Vgl. auch Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4. 188 Décret n° 84-74, Art. 13 (2°).

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jedoch, daß Fristen festgelegt werden, innerhalb derer die Normen Anwendung finden; c)

wenn diese Normen mit keiner Anordnung versehen sind, welche die Feststellung der Konformität der Produkte betrifft oder wenn keine technischen Möglichkeiten bestehen, diese Konformität in befriedigender Weise herbeizuführen;

d)

wenn sich der öffentliche Markt auf die Entwicklung und die Produktion von Waffen, Munition und Kriegsmaterial erstreckt 189.

Über diese Ausnahmefälle hinaus kann bei der Anwendung der europäisch harmonisierten technischen Normen in den Bereichen Wasser, Energie, Transport und Telekommunikation eine Ausnahme von deren Anwendungspflicht gemacht werden, wenn sie ungeeignet für die individuell vorgesehene Anwendung sind oder sie nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen190. In den Vereinbarungen oder Verträgen besteht die Verpflichtung, die Normen, die zu respektieren sind, die Normen, von denen abgewichen wird, und die Gründe dieser Abweichung aufzuführen. Zusätzlich ist die AFNOR mittels eines Abweichungsformulars über die Abweichungen und deren Begründungen zu informieren, damit diese Aspekte bei der nächsten Überarbeitung der Normen Berücksichtigung finden können. Die AFNOR berichtet darüber jedes Jahr an den interministeriellen Normenausschuß191. Für die Überwachung der Anwendung dieser Vorschriften werden in jedem von der Normung betroffenen und in dieser Eigenschaft auf einer vom Premierund Industrieminister erstellten Liste eingetragenen Ministerium ein oder mehrere verantwortliche Beamte für die technische Normung ernannt, welche die Verbindung zwischen ihrem Resssort und dem Industrieminister aufrecht erhallt,192 ten Hinsichtlich der Rechtsfolge ist die verbindliche Anwendung technischer Normen auf öffentlichen Märkten als innerdienstliche Anweisung der Behörden zu qualifizieren. Für den Bürger entfalten die technischen Normen auf diese Weise keine unmittelbare, wohl aber eine mittelbare Bindungswirkung in den Fällen, in denen er Geschäfte mit Unternehmen oder Institutionen innerhalb der staatlichen Einflußsphäre zu tätigen beabsichtigt193. Wenn beispielsweise in den Versorgungsbedingungen eines öffentlichen Energieversorgungsunternehmens nur eine Belieferung normenkonformer Anlagen vorgesehen ist, dann bedeutet

189

Décret n° 84-74, Art. 13 (1°) und (2°) i.V.m. Art. 18 (2°) und (3°). Décret n° 84-74, Art. 13 (1°) und (2°) i.V.m. Art. 18 (3°). 191 Décret n° 84-74, Art. 18 (3°) und (4°); vgl. auch Chaumard, M., Contexte juridique, S. 5. 192 Décret n° 84-74, Art. 14. 193 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 35 f. 190

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dies bei der monopolartigen Stellung dieser Unternehmen in der Praxis, daß nur noch normenkonforme Anlagen vermarktungsfähig sind. Ebenso kann aufgrund der wirtschaftlichen Macht der öffentlichen Hand den von öffentlichen Aufträgen stark abhängigen Wirtschaftszweigen (z.B. Luftfahrt, Wehrtechnik, Telekom und Bahn) die Beachtung der technischen Normen auch ohne deren Rezeption in Rechtsvorschriften praktisch aufgezwungen werden 194. (d) Sonstige Formen der mittelbaren Rezeption technischer Normen Eine weitere Form der mittelbaren Rezeption technischer Normen, die wie die mittelbare Rezeption durch offene Rechtsbegriffe eine widerlegbare Übereinstimmungsannahme mit den gesetzlich festgeschriebenen Anforderungen begründet, stellen Vorschriften dar, welche sich auf die Festlegung essentieller, verbindlich zu beachtender Anforderungen beschränken, zu deren Konkretisierung mittelbar auf technische Normen verwiesen wird. Die Rezeption der technischen Normen erfolgt entweder durch Veröffentlichung einer Liste derjenigen Normen, welche eine Vermutung der Konformität zu den Bestimmungen der Vorschrift begründen, und zwar in Form einer Bekanntmachung des Industrieministeriums im Amtsblatt der französischen Republik195, oder als Anlage zur Bekanntmachung bezüglich der Anwendung des entsprechenden Dekrets 196. Konforme Produkte zu den in Bezug genommenen technischen Normen gelten gleichzeitig als konform zu den grundlegenden rechtlichen Anforderungen. Auf der anderen Seite ist die Beachtung der rezipierten technischen Normen für den Normadressaten nicht verbindlich; vielmehr darf dieser eine andere technische Lösung wählen, sofern damit das gleiche Schutz- und Sicherheitsniveau gewährleistet wird 197 . Ferner kann eine Rezeption technischer Normen in Rechtsvorschriften dazu dienen, die Erfüllung bestimmter gesetzlicher Auflagen zu erleichtern. Auch hier ist die Beachtung der aufgeführten Normen für den Normadressaten nicht 194

Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 37 f. Eine solche Veröffentlichung erfolgt zweimal im Jahr, um die Liste den sich entsprechend dem Stand der Technik ändernden technischen Normen anzupassen. Bsp.: Erlaß Nr. 85-712 vom 11.07.1985 bezüglich des Anschlusses geeigneter Produkte an das staatliche Telekommunikationsnetz. AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 4 Abschn. 3.2. 196 J.O. vom 01.11.1985. Bsp.: Dekret Nr. 89-662 vom 12.09.1989 zur Umsetzung der europäischen Spielzeugrichtlinie AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 4 Abschn. 3.2; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4. 197 Bsp.: Dekret Nr. 75-848 vom 28.08.1975 zur nationalen Umsetzung der europäischen Niederspannungsrichtlinie. AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 4 Abschn. 3.2. Vgl. auch AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 20; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 3. 195

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verbindlich, befreit ihn aber davon, den Nachweis der Einhaltung von in der Vorschrift festgelegten Spezifikationen oder Spezifikationsniveaus zu erbringen . Darüber hinaus nehmen eine Vielzahl technischer Vorschriften durch indirekte Beschreibung auf französische Normen Bezug. Die Funktionen dieser Vorschriften sind, ebenso wie die Auswirkungen der verschiedenen Verweise, sehr unterschiedlich. Beispielsweise werden die in technischen Normen festgelegte Versuchsmethoden, Stichprobenerfassungen oder Analysen in der Gesetzgebung als offizielle Methoden anerkannt, um bestimmte Eigenschaften von Produkten, die auf den Markt gebracht werden, zuverlässig und reproduzierbar kontrollieren zu können. So legt der Erlaß vom 6. Januar 1988 die Hinweise fest, die auf den Verpackungen derjenigen Farben und Lacken anzugeben sind, bei denen der Bleigehalt "bestimmt nach der Norm NF Τ 30-201" über einer bestimmten Grenze liegt. Die aufgeführte Norm legt keine Werte fest, sondern beschreibt nur eine Meßmethode, die als Referenzmethode einer möglichen Kontrolle der Verwaltungsbehörde dient. Ein anderes Beispiel ist der Erlaß vom 25. August 1987 für die Kontrolle von Flaschen, die als Meßgefäße benutzt werden. Um die Gleichmäßigkeit der Flaschenherstellung sicherzustellen, muß der Hersteller diese mit Hilfe interner Kontrollmethoden überwachen, die sich u.a. auf die Norm NF X 06-031 beziehen. Der Hersteller kann von der technischen Norm abweichen, sofern er die Einhaltung der entsprechenden Fertigungstoleranzen auf andere Art und Weise gewährleistet199. Schließlich erfolgt eine mittelbare Rezeption noch durch die Empfehlung der Einhaltung bestimmter technischer Normen durch circulaires ministérielles oder andere Verwaltungsakte, durch die im Einzelfall einer Person das Verhalten gemäß den Anforderungen einer technischen Norm vorgeschrieben wird 200 . cc) Regelungszweck Bei den Rechtsnormen, die technische Normen auf eine der genannten Arten rezipieren, handelt es sich hauptsächlich um Bestimmungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Personen und Tieren oder der Erhaltung der Flora, des Schutzes nationaler Kulturschätze mit künstlerischem, historischem oder ar198

Bsp.: Dekret für Druckgeräte vom 04.03.1978, geändert und ersetzt am 02.04. 1979. AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 4 Abschn. 3.3; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4. 199 AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 5 Abschn. 3.4; dies., Rapport d'activité 1989, S. 20; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 4. 200 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 35 f., 39 f.; ders., Tragweite, S. 220 ff.

35 Zubke-von Thünen

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chäologischem Wert, aus zwingenden Gründen im Zusammenhang mit der Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen, der Redlichkeit von Geschäftsvorgängen und dem Schutz des Verbrauchers besondere Anforderungen an technische Systeme stellen201. Vornehmlicher Regelungszweck der rezipierenden Rechtsnormen ist damit wie in der Bundesrepublik Deutschland neben der Regelung des Wirtschaftslebens vor allem der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Menschen, seiner Sachgüter sowie der Tier- und Pflanzenwelt 202. dd) Regelungsstruktur Die Regelungsstruktur der Bezugnahme auf technische Normen im französischen Recht gleicht weitestgehend der deutschen, indem innerhalb des Textes entsprechender Vorschriften auf detaillierte (sicherheits-) technische Spezifikationen zugunsten einer Inkorporation technischer Normen, einer Verweisung auf eine oder mehrere technische Normen, auf ein ganzes Normenwerk oder allgemein die "règles de l'art" verzichtet wird, so daß die formalen, in Gesetzen festgelegten Schutz- und Sicherheitsbestimmungen durch die rezipierten technischen Normen materiell konkretisiert werden 203. Ist die Anwendung der benannten technischen Normen durch eine technische Vorschrift verbindlich vorgeschrieben, so legt diese eine oder mehrere Beweismethoden für die Konformität des Regelungsgegenstandes mit den rezipierten technischen Normen fest. Wird hingegen die Einhaltung der Bestimmungen der Vorschrift durch eine einfache Bestätigung der Normenkonformität angenommen, so beschreibt die Vorschrift eingehend die Beweisarten für die Normenkonformität sowie andere mögliche Beweisarten der Einhaltung der Anforderungen der Vorschrift 204. Da die Normenkonformitätszeichen von AFNOR als Tauglichkeitszeugnisse im Sinne des Gesetzes Nr. 78-23 vom 10. Januar 1978 und der Verordnung vom 9. Juli 1980 gelten, ist die Überwachung der Befolgung dieser Rechtsverordnungen auf dieser technischen Ebene durch die Verwaltung nicht notwendig, da die Normenkonformitätszeichen als eine Art des Nachweises der Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen angesehen werden 205.

201

So die enumerative Aufzählung in Art. 12 des Décrets n° 84-74. Vgl. dazu auch AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 20, 27; Boulin, P., Présentation, S. 20; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 3. 202 Vgl. die entsprechenden Ausführungen in Kap. II.A. 1 .c)cc). 203 AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 3 Abschn. 3. Vgl. femer die nachfolgenden Ausführungen. 204 AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 5 Abschn. 3.5. 205 Frankreich/Rundschreiben des Premierministers, Nr. 2.

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Bei dieser umfassenden Rezeption technischer Normen in die Rechtsordnung handelt es sich um eine Neuerung, die erst im Rahmen der Neugestaltung des französischen Normungssystems im Jahre 1984 implementiert wurde 206. Zuvor gab es in Frankreich unklare Verhältnisse zwischen Rechtssetzung und technischer Normung; nicht selten haben Behörden Regelungen erlassen, ohne sich auf die existierenden Normen zu beziehen207. Die französische Regierung empfand es jedoch zunehmend als Nachteil, daß technische Spezifikationen für Erzeugnisse gleichzeitig und getrennt voneinander in Rechts- und in technischen Normen festgelegt wurden, denn zum einen bedeutete es Doppelarbeit, zum andern kam es zu Widersprüchen. Aus diesen Gründen, explizit aber auch aufgrund der erwarteten besseren Befolgung technischer Normen infolge der breiteren Akzeptanz dank der Beteiligung aller interessierten Kreise, legte der Premierminister anläßlich der Neuregelung des Normungssystems 1984 fest, daß sich Rechtsnormen zukünftig auf gültige technische Normen beziehen und im Rahmen des Möglichen frei von technischen Spezifikationen bleiben sollen 208 . Liegen im Einzelfall keine entsprechenden technischen Normen vor oder sind die vorhandenen Normen nicht ausreichend, um die von der staatlichen regelsetzenden Dienststelle festgelegten Ziele zu erreichen, so kann diese an die AFNOR einen Normungsantrag mit gewünschten Mindestanforderungen und Fertigstellungstermin richten und sich an den Normungsarbeiten beteiligen. Umgekehrt kann der interministerielle Normenabgeordnete durch sein Veto-

206 Diese Tatsache hob der französische Industrieminister explizit in seiner Ansprache anläßlich der ersten Sitzung des Obersten Rates für Normung hervor. Frankreich/Ansprache des Industrieministers. Technische Normen waren vereinzelt schon auf Basis der Rechtsverordnung von 1941 für allgemeinverbindlich erklärt oder auch durch andere Rezeptionsarten in die Rechtsordnung einbezogen worden. Vgl. dazu Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 32 ff.; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 10 f. Ein Umdenkprozeß dieses grundlegenden Ausmaßes seitens der französischen Regiemng setzte jedoch erst relativ spät ein. So hat diese erst 1982 erklärt, daß sie sich der Bedeutung der Normung als Ergänzung zur Rechtssetzung bewußt sei und gefordert, daß diese Rechtssetzungsmethode von allen Beteiligten mehr und besser angewendet werde. Dies geht aus einem Bericht hervor, der im Juli 1982 auf Initiative des Ministers für Forschung und Industrie mit dem Ziel der Untersuchung, wie die Normung besser den wirtschaftlichen und sozialen Zielsetzungen der französischen Regierung anzupassen sei, veröffentlicht wurde. Schulz, K.-P., Neuordnung des Normenwesens, S. 327. 207 Boulin, P., Normalisation, S. 99. 208 Dies vorbehaltlich der Bestimmungen über den Arbeitsschutz. Mit der Überwachung der Einhaltung dieser Vorgaben wurde der Minister für Industrie und Forschung betraut, welcher sämtliche technischen Rechtsnormen gegenzuzeichnen hat. Frankreich/ Rundschreiben des Premierministers, Nr. 2. Vgl. auch AFNOR, NF X 00-003: 1990-07 S. 3 Abschn. 3; Chaumard, M., Contexte juridique, S. 3.

3*

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recht die Bestätigung von Normen, die für die öffentliche Verwaltung nicht annehmbar sind, verhindern 209. Im folgenden wird die Regelungsstruktur zweier Bereiche des öffentlichen Rechts - das der Drucksysteme und das der Gerätesicherheit - kurz erläutert. (1) Das französische Rechts gefüge für Drucksysteme Seit der Neuordnung des Rechtsgefüges für Drucksysteme im Jahre 1865 praktizierte Frankreich für lange Zeit eine Rechtsphilosophie, die sich mit der Festlegung grundsätzlicher Anforderungen, verbunden mit einer Informationspflicht der Hersteller und Betreiber gegenüber der zuständigen Behörde, begnügte, und somit auf die Eigenverantwortlichkeit von Herstellern und Betreibern vertraute. Ein Beispiel dafür ist das Dekret vom 2. April 1926 über Dampfbehälter, welches nur wenige elementare Bestimmungen enthält. Nach einer kurzen Phase des Versuches stärkerer staatlicher Normierung technischer Detailanforderungen, bereits teilweise verbunden mit einer Bezugnahme auf technische Normen, wird seit Mitte der achtziger Jahre wieder auf die Festlegung sicherheitstechnischer Details verzichtet und stattdessen auf technische Normen verwiesen 210. So bezieht sich beispielsweise der Ministerialerlaß vom 14. Dezember 1989 über die zulässigen Belastungsobergrenzen für Gasdruckkessel ausdrücklich auf französische und auch nichtfranzösische technische Normen für den Bau von Druckbehältern, wobei hier die Selbstbescheinigung durch den Hersteller zusätzlich eine Zertifizierung entsprechend den Normen NF X 50-131, 132, 133- korrespondierend EN 29 001, 29 002, 29 003 bzw. ISO 9001, 9002, 9003 - erfordert 211. Und auch die neue französische Konstruktionsrichtlinie für Druckbehälter (CODAP) rezipiert eine Vielzahl technischer Normen 212 . Damit enthält das französische Rechtsgefüge zur Gewährleistung der Sicherheit von Drucksystemen nur wenige konkrete Auflagen; statt dessen werden anstelle der Eigenverantwortung von Herstellern und Betreibern in zunehmendem Maße technische Normen in Bezug genommen213.

2(19

Nr. 2.

210 211 212 2,3

Vgl. Kap. II.A.2.a)cc); ferner Frankreich/Rundschreiben des Premierministers, Baylac, G., Der französische Ansatz, S. 39 ff. Ebd., S. 47. Vgl. femer Kap. I.D.2.b). Baylac, G., Der französische Ansatz, S. 47 ff. Ebd., S. 39, 49.

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(2) Das französische Rechtssystem der Gerätesicherheit Das französische System der Gerätesicherheit stellt, anders als das deutsche, kein "flächendeckendes" System systematischer Gesetzgebung dar. Besondere Bedeutung haben einerseits die Schutzvorschriften für Maschinen und Geräte nach dem französischen Arbeitsgesetzbuch ("Code du Travail"), und andererseits die auf Basis des Art. 12 des Décrets n° 84-74 allgemeinverbindlich erklärten technischen Normen 214 . Die Rechtsverordnungen ("décrets") des Code du Travail normieren überwiegend nur allgemeine Schutzziele, verbunden mit einem Selbstbescheinigungsverfahren der Hersteller oder Anwender. Für bestimmte Maschinen und Geräte sind darüber hinaus zusätzliche, jedoch ebenfalls sehr allgemein gehaltene Sicherheitsanforderungen festgelegt, die nur selten materiell durch ein arrêté ministériel konkretisiert werden. Lediglich für die Bereiche, in denen eine Bauartprüfung vorgesehen ist, sind die Schutzziele etwa zur Hälfte durch arrêtés konkretisiert worden, die sich jedoch als Behinderung des technischen Fortschritts erwiesen 215. Deshalb nehmen die entsprechenden arrêtés seit 1978 im Zuge der Neuregelung des Rechtsgefüges der Gerätesicherheit in zunehmendem Maße auf technische Normen Bezug 216 . Im Falle der durch ministerielle Verordnung ("arrêté ministériel") allgemeinverbindlich erklärten Normen legen diese das sicherheitstechnische Niveau von Maschinen und Geräten, die eingeführt oder in den Verkehr gebracht werden sollen, umfassend fest 217. Die Konformität des betroffenen Produktes mit der allgemeinverbindlichen Norm muß gemäß den Bestimmungen des arrêté entweder durch Herstellerbescheinigung, durch ein Normenkonformitätszeichen ("marque NF") von der AFNOR oder durch Zulassung mittels ministeriellem Verwaltungsakt erfolgen. Aufgrund des oft hohen Konkretisierungsgrades sicherheitstechnischer Anforderungen in den entsprechenden technischen Normen, von denen Abweichungen im Interesse des technischen Fortschritts oder zur Akzeptanz gleichwertiger ausländischer sicherheitstechnischer Lösungen nur durch behördliche Ausnahmegenehmigung möglich sind218, stellt die Allgemeinverbindlichkeitserklärung technischer Normen die stärkste Form staatlicher Regelung im Rahmen des französischen Systems der Gerätesicherheit dar 219 . 214 215 216 217 218 219

Vgl. Kap. II.A.2.c)bb)(l)(c). Becker, U., Gerätesicherheit, S. 151, 153. Braun, F., Nationale Rechtsvorschriften, S. 187. Becker, U., Gerätesicherheit, S. 153. Vgl. Kap. II.A.2.c)bb)(l)(c). Becker, U., Gerätesicherheit, S. 155.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

d) Resümee der Abschnitte II.A.2.b) und c) Mit diesen Erkenntnissen läßt sich nunmehr die zweite am Ende des Teils I gestellte Frage für Frankreich beantworten, ob technischen Normen aufgrund der in Kapitel I.E ausgeführten Erfüllung von ursprünglich dem Staat obliegenden öffentlichen Aufgaben durch die normschaffenden Institutionen Rechtsnormcharakter zukommt, oder - sollte dies nicht der Fall sein - wie diese in die staatliche Rechtsordnung rezipiert werden. Wie deutsche technische Normen sind auch französische technische Normen keine Rechtsnormen: Sie sind weder Gesetze des Parlaments ("les lois"), noch Verordnungen der Exekutive ("les règlements"), noch behördeninterne Regelungen ("circulaires" oder "décisions"), noch zeitlich begrenzte Verordnungen zur Sicherstellung der Durchführung des Regierungsprogrammes ("ordonnances"). Ferner erlangen technische Normen auch keinerlei rechtliche Verbindlichkeit aufgrund der Beleihung der AFNOR mit hoheitlichen Aufgaben. Vielmehr entfalten die technischen Normen als Ergebnis eines kollektiven Willensbildungsprozesses der interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit aus sich heraus keine rechtliche Verbindlichkeit, sondern sind rechtlich unverbindliche Empfehlungen der für Frankreich zuständigen Normenorganisation AFNOR an jedermann. Abstrakt-generelle rechtliche Verbindlichkeit kommt technischen Normen allein in Folge von Rezeptionsakten des französischen Gesetz- und Verordnungsgebers zu. Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland wurde in Frankreich nach dem Scheitern der behördlich durchgeführten Normung bereits im Jahre 1941 per Dekret das Verhältnis und die Befugnisse des Staates bezüglich der privaten AFNOR festgelegt. Dieses Dekret beinhaltete - ebenso wie dessen aktuelle Fassung aus dem Jahre 1984 - insbesondere die staatliche Anerkennung, die Rezeption und specialiter die Allgemeinverbindlichkeitserklärung technischer Normen durch den französischen Industrieminister. Diesbezüglich kennt das französische Recht wie das deutsche zahlreiche Arten der staatlichen Rezeption technischer Normen, die zu unterschiedlicher rechtlicher Verbindlichkeit führen. Als Folge einer unmittelbaren Bezugnahme auf technische Normen durch Inkorporation ("incorporation"), datierte Verweisung ("référence datée aux normes"), undatierte Verweisung ("référence non datée aux normes") sowie allgemeine Verweisung auf gültige Normen ("conformes aux normes en vigueur") nimmt der Inhalt der rezipierten technischen Norm(en) an der Rechtsgeltung der rezipierenden Rechtsnorm teil; d.h., die Spezifikationen der technischen Norm werden dem Normadressaten verbindlich vorgeschrieben. Gleiches gilt für die auf der Grundlage des Art. 12 des Décrets n° 84-74 durch ministerielle Verordnung ("arrêté ministériel") allgemeinverbindlich erklärten Normen ("Γapplication d'une norme rendue obligatoire").

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Abweichungen von diesen undatiert in Bezug genommenen Normen sind nur durch behördliche Ausnahmegenehmigung möglich. Anders als in der Bundesrepublik Deutschland begegnen in Frankreich auch nach der Reform des französischen Normungssystems im Jahre 1984, soweit ersichtlich, weder die undatierte noch die allgemeine Bezugnahme auf technische Normen (verfassungs-) rechtlichen Bedenken, obwohl die Bestätigung der technischen Normen seitdem nicht mehr durch den Industrieminister bzw. den Normungskommissar, sondern durch den Verwaltungsrat der AFNOR vorgenommen wird 220 . In wesentlich größerem Umfang erfolgt eine mittelbare Rezeption technischer Normen durch offene Rechtsbegriffe. Rechtsfolge dieser Rezeption ist eine Beweislastumkehr: Wer sich nach den einschlägigen Normen richtet, hat im Streitfall die widerlegbare Vermutung für sich, daß sein Verhalten im rechtlichen Sinne einwandfrei ist. Bei der zulässigen Wahl einer anderen technischen Lösung ist hingegen die Einhaltung eines äquivalenten Schutz- oder Sicherheitsniveaus durch den Normadressaten nachzuweisen. Darüber hinaus entfalten bestätigte technische Normen mittelbare Rechtserheblichkeit, indem sie von Behörden und Gerichten in aller Regel als Verkehrssitte bzw. Handelsbrauch der jeweiligen Berufsstände, als eine zusammenfassende Beschreibung des von zumindest der Mehrzahl der Fachleute als üblich und richtig angesehene gewertet werden. Von großer Bedeutung ist ferner die Referenz auf technische Normen auf den öffentlichen Märkten, die nicht nur dem Staat, seinen Gebietskörperschaften und deren öffentlichen Einrichtungen, sondern auch den staatlich subventionierten Unternehmen, abgesehen von genau definierten Ausnahmen, verbindlich vorgeschrieben ist. Schließlich existieren in der französischen Rechtsordnung noch weitere Arten der mittelbaren Bezugnahme auf technische Normen, welche die Normadressaten nicht zur Befolgung der technischen Normen zwingen, sondern auch andere Lösungen zulassen, sofern diese das normative Schutz- und Sicherheitsniveau gleichermaßen erfüllen 221. Entsprechend den von der technischen Normung erfüllten öffentlichen Aufgaben besteht der Regelungszweck der rezipierenden Rechtsnormen neben der

220

Nach den gesetzlichen Regelungen von 1941 galt dies als unbedenklich, da die Anerkennung der Normen durch ministerielle Verordnung ("arrêté ministériel") des Industrieministers vorgenommen wurde. Vgl. dazu Fn. 161 in Kap. II.A.2.c)bb)(l)(c). 221 Auch im Bereich der öffentlichen Märkte wird eine technische Norm erst durch die beiderseitige Willenserklärung der Vertragspartner verbindlich vorgeschrieben, wobei aus den in Kap. II.A.2.c)bb)(2)(c) genannten Gründen Abweichungen von den technischen Normen möglich sind. Fordert der öffentliche Vertragspartner jedoch explizit die Einhaltung der technischen Normen, so bleibt dem privaten Vertragspartner in der Praxis keine andere Möglichkeit, als die technischen Normen zu befolgen, sofern er den Zuschlag für den Auftrag erhalten will.

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Ordnung des Wirtschaftslebens vor allem in dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Menschen, seiner Sachgüter sowie der Tier- und Pflanzenwelt, wobei sich die rechtlichen Vorschriften weitgehend auf die Festlegung allgemeiner Schutz- und Sicherheitsbestimmungen beschränken, die durch unmittelbare oder mittelbare Bezugnahme auf technische Normen materiell konkretisiert werden. Obwohl diese Regelungsstruktur bereits zuvor in begrenztem Maße verfolgt wurde, ist sie erst seit der Reform des Normungssystems im Jahre 1984 systematisch verwirklicht, um die aus der getrennt voneinander vorgenommenen Festlegung technischer Spezifikationen in Rechts- und in technischen Normen resultierenden Doppelarbeiten und Widersprüche zu beseitigen. "Abgesehen von dem Fortfall der oben genannten Nachteile, hat dieses Verfahren den Vorteil, daß alle interessierten Kreise berücksichtigt und die gesetzlichen Bestimmungen somit besser befolgt werden, weil sie auf breiter Zustimmung beruhen." 222 Diese Feststellung des französischen Premierministers verdient aus zweierlei Gründen Beachtung: Zum einen ist Frankreich wie beispielsweise auch Schweden ein Staat mit etatistischer Rechtskultur, die in aller Regel wenig Raum für eine Kooperation mit "gesellschaftlichen Kräften" läßt 223 . Mit der geschilderten weitgehenden Bezugnahme auf technische Normen im Rahmen der Neuordnung der Rechtsgefüges der Gerätesicherheit und der Drucksysteme wurde eine "in Frankreich bisher unbekannte Entwicklung der Befugnisteilung eingeleitet. Sicherlich haben dabei das deutsche Vorbild und die sich daraus ergebenden Erfolge der deutschen Industrie Pate gestanden."224 Zum anderen erkennt der französische Premierminister den technischen Normen explizit eine bessere Befolgung als den rechtlichen Regelungen zu, weil sie auf breiter Zustimmung - nämlich dem Konsens aller interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit - beruhen 225. Diese bessere Befolgung ist insbesondere auch deshalb bemerkenswert - zugleich aber auch erklärlich -, weil die technischen Normen aus sich heraus keine zwingende Verbindlichkeit besitzen, sondern allein wegen ihrer hohen fachlichen Qualität und des alle Interessen berücksichtigenden Konsenses befolgt werden.

222

Frankreich/Rundschreiben des Premierministers, Nr. 2. Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 59. 224 So der Generaldirektor der EU Braun, F., Nationale Rechtsvorschriften, S. 187. 225 Hinzu kommt die vom Premierminister nicht erwähnte Tatsache, daß die technischen Normen aufgrund der Erschließung des riesigen Potentials privaten Sachverstands von hoher Qualität sind. 223

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3. Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland a) Die Organisation der technischen Normung aa) Geschichte Anläßlich eines Normenentwurfs von Schrauben und Stahlträgern eines Londoner Eisenwarenhändlers und Mitglieds in der British Iron Trade Federation wurde am 26. April 1901 das "Engineering Standards Committee" (ESC) als weltweit erste nationale technische Normenorganisation auf freiwilliger Basis gegründet1. Infolge des erheblichen Bedeutungszuwachses der technischen Normung insbesondere im 1. Weltkrieg änderte sich im Jahre 1918 der Name der Organisation in "British Engineering Standards Association" (BESA), verbunden mit der Eintragung als juristische Person des privaten Rechts2. Dieser verlieh die britische Krone am 22. April 1929 eine "königliche Konzession" ("Royal Charter" 3), in welcher die Ziele des Verbandes festgelegt wurden. Infolge der weiteren Ausweitung der Aktivitäten der BESA auf die Bereiche Chemie und Bauwesen erfolgte durch eine ergänzende Royal Charter vom 5. November 1931 die bis heute letzte Namensänderung in "British Standards Institution" (BSI) 4 . Aus dem weiteren erheblichen Bedeutungszuwachs der technischen Normung im 2. Weltkrieg 5 resultierte im Jahre 1942 die Anerkennung der BSI durch die britische Regierung als einzige Organisation im Vereinigten Königreich für die Herausgabe nationaler Normen. Nach abermaligen Ergänzungen der Royal Charter von 1929 in den Jahren 1968 und 1974 wurde diese zugunsten der bis heute gültigen Royal Charter von 1981 aufgehoben6, um die Statuten der BSI zu revidieren und zu konsolidieren7. Diese Royal Charta bildet

1

BSI, History, S. 1; Geuther, Α., Chronik, S. 707; ISO, Members, S. 94; Krieg, Κ. G., 75 Jahre BSI, S. 83; Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 71; Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 73. 2 BSI, History, S. 1; dies., BSI Today, S. 3, 5; Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 71. 3 Eine Royal Charter ist eine vom britischen Monarchen durch seinen Kronrat bzw. Geheimen Staatsrat ("Privy Council") gewährte Konzession als juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts, die regelmäßig nur Rechtssubjekten mit überregionaler öffentlicher Bedeutung erteilt wird. Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 72. 4 Vereinigtes Königreich/BSI, Royal Charter, Vorwort; BSI, BS 0-2: 1991-10/ AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.1; ISO, Members, S. 94; Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 72. 5 BSI, History, S. 2; dies., BSI Today, S. 3. 6 Vereinigtes Königreich/BSI, Royal Charter, Vorwort i.V.m. Art. 1. 7 Ebd., Vorwort.

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mit ihren Ergänzungen ("amendments") und Verordnungen ("bye-laws"8) sowie einem am 24. November 1982 vom Staatssekretär für Handel und dem Präsidenten der BSI unterzeichneten Vertrag ("memorandum of understanding") zwischen der Regierung des Vereinigten Königreiches und der BSI 9 bis heute die rechtliche Grundlage für Organisation, Aufgabe, Normungsverfahren und staatliche Rezeption der technischen Normen der BSI. Bereits zwei Jahrzehnte vor dem Beginn der Normungsaktivitäten des ESC im Jahre 1882- begann das "British Electrotechnical Committee" (BEC) der "Institution of Electrical Engineers" (IEE), einer berufsständischen Vereinigung, mit der Erarbeitung und Herausgabe von elektrotechnischen Normen unter der Bezeichnung "regulations". 1871 als "Society of Telegraph Engineers" gegründet, erhielt die Institution 1888 ihre heutige Bezeichnung und wurde 1921 im Rahmen einer Royal Charter von der britischen Krone anerkannt. Im Zuge organisatorischer Vereinheitlichungsbestrebungen der nationalen technischen Normung übernahm die BSI Anfang der siebziger Jahre die elektrotechnische Normung vom "British Electrotechnical Committee and Electrotechnical Council". Obwohl die internationale Vertretung der elektrotechnischen Normungsarbeit weiter unter der Bezeichnung "British Electrotechnical Committee" ausgeübt wird, erfolgte damit die vollständige organisatorische Eingliederung der elektrotechnischen Normungstätigkeit in die BSI 10 . Damit ist die BSI, die nunmehr in nahezu allen Wirtschaftsbereichen 11 technische Normen aufstellt, die mit Abstand bedeutendste Normenorganisation im Vereinigten Königreich12. 8 Ergänzungen vom 18. April 1989 und vom 11. Februar 1992. Vereinigtes Königreich/B SI, Royal Charter, Vorwort. 9 Vereinigtes Königreich/British Standards Institution, Memorandum; ISO, Members, S. 94. 10 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 91 f.; Marburger, P., Technische Normung^. 201. 11 Mit wenigen Ausnahmen, wie beispielsweise Nahrungsmittel und medizinische Geräte. Vereinigtes Königreich/British Standards Institution, Memorandum of Understanding, Vorwort, letzter Satz. 12 Außer der BSI erarbeiten noch rund 40 weitere normschaffende Institutionen zumeist Wirtschaftsverbände und Berufsvereinigungen - technische Normen. Die ursprüngliche Vereinbarung hinsichtlich der Abgrenzung der Tätigkeit der BSI gegenüber den anderen normschaffenden Institutionen war, daß unter der Regie der BSI diejenigen Normen erarbeitet werden sollten, die mehrere Industriesparten betreffen, während wirtschaftszweigspezifische Normen von der jeweiligen Wirtschafts- oder Berufsorganisation zu erstellen waren. Jedoch hat sich die Kompetenz zur Normerstellung vornehmlich infolge der Berichte verschiedener Regierungskommissionen (vgl. dazu Kap. II.A.3.a) dd)) auch in diesen Bereichen mit der Begründung einer höheren Neutralität gegenüber industriezweigspezifischen Interessen sowie einer höheren Sachkunde hinsichtlich der Organisation der Normungsarbeit mehr und mehr zu der BSI verlagert. Lukes, R., EWGund EFTA-Staaten, S. 70, 91. Diese Entwicklung dürfte sich ähnlich wie in der Bundes-

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bb) Organisation und Aufgabe Die Grundstruktur der Organisation der BSI wird festgelegt durch die Royal Charter, ihre Ergänzungen ("amendments") und Verordnungen ("bye-laws"), die zusammen die Verfassung der juristischen Person bilden und insbesondere die Aufgaben der Institution, die Aufgaben und Kompetenzen der Organe, die Anforderungen an die Buchführung sowie die Bedingungen der Mitgliedschaft regeln. Danach stellt die BSI bis heute eine unabhängige, nicht gewinnorientierte Körperschaft des privaten Rechts dar 13. Mitglieder der BSI können natürliche und juristische Personen als "eingeschriebene Mitglieder" ("subscribing members") und - sofern sie im BSI Board, einem Business Board, einem Council oder Committee der BSI tätig sind - als "Ausschußmitglieder" ("committee members") mit besonderen Qualifikationsanforderungen, Rechten und Privilegien werden14. Oberstes Organ der BSI ist die jährlich abgehaltene "Hauptversammlung" ("General Meeting") der eingeschriebenen Mitglieder 15. Während Ausschußmitglieder kein Stimmrecht haben, verfügen eingeschriebene Mitglieder über jeweils eine Stimme, ebenso wie die Mitglieder des Vorstands, unabhängig davon, ob sie eingeschriebene Mitglieder sind oder nicht16. Qualifizierte Stimmrechte - z.B. nach der Höhe der Beträge - bestehen demnach nicht, so daß mit dieser Regelung eine demokratische Willensbildung in der Organisation gewährleistet ist 17 . Zu den Aufgaben der Hauptversammlung gehören u.a. die Wahl des Präsidenten und neuer Vorstandsmitglieder als Ersatz für die Ausscheidenden sowie die Entgegennahme des Jahresberichts der BSI und des Prü-

republik Deutschland durch die stark steigende Bedeutung der europäischen und internationalen Normungsarbeit noch weiter intensivieren, da die BSI die einzig autorisierte Instanz zur Vertretung der britischen Interessen in diesen Organisationen ist. 13 Vereinigtes Königreich/BSI, Royal Charter, Art. 1; vgl. auch BSI, BSI Today, S. 4, 14; Marburger, P., Technische Normung, S. 201. 14 Explizit benannt werden (natürliche) Personen, Unternehmen, Handelsgesellschaften, Städte und Gemeinden, öffentliche Versorgungsbetriebe, Personengesellschaften, Verbände, Wissenschaftliche, Berufs- und Handelsorganisationen. Vereinigtes Königreich/BSI, Royal Charter, Art. 4; dies., Bye-Laws: Sec. I: Members, Bye-law 1 ff.; vgl. auch BSI, BSI Today, S. 15. 15 Vereinigtes Königreich/BSI, Bye-laws: Sec. VII: General Meetings, Bye-law 45. 16 Vereinigtes Königreich/BSI, Bye-laws: Sec. I: Members, Bye-law 6 i.V.m. sec. VII: General Meetings, Bye-law 55 lit. (a). 17 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 75. Früher standen die Beschlüsse der Mitgliederversammlung zur Disposition des BSIPräsidiums, da sie nicht im Widerspruch zu dessen Entscheidungen stehen durften und sogar von diesem aufgehoben werden konnten; die Mitgliederversammlung hatte demnach nicht mehr als eine beratende Funktion. Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 74.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

fungsberichts der jährlichen Bilanz18. Ferner kann die Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit und vorbehaltlich der Zustimmung des Kronrates neue byelaws beschließen und bestehende ändern, ergänzen oder zurückziehen, sofern diese nicht im Widerspruch zur Royal Charter stehen19, und mit DreiviertelMehrheit die Royal Charter ändern, ergänzen oder zurückziehen, was der Zustimmung des britischen Monarchen bedarf 20. Unter der Mitgliederversammlung ist das "BSI-Präsidium" ("BSI Board"), der "Vorstand" ("Governing Body") der BSI 21 , als Leitungs- und Lenkungsorgan verantwortlich für die Politik der BSI. Dem Präsidium, das von einem Präsidenten und einem Vorsitzenden geleitet wird und die interessierten Kreise repräsentieren soll 22 , obliegt die alleinige Verwaltung des Einkommens und der Mittel der BSI sowie die Ernennung von Mitarbeitern 23. Das BSI Board kann "Geschäftsvorstände" ("Business Boards"), "Räte" ("Councils") und "Ausschüsse" ("Committees") gründen, die für eine zweckmäßige Organisation der Arbeit der BSI benötigt werden 24; es darf Befugnisse an die "Geschäftsvorstände" ("Business Boards") delegieren25. Das Business Board, welches die Ausarbeitung der technischen Normen koordiniert, heißt "Normenvorstand" ("Standards Board") 26. Dieser erstellt zur strategischen Planung der Normungsarbeit in Zusammenarbeit mit der britischen Regierung einen Fünfjahresplan27; dabei sind Normungsarbeiten, welche die britische Regierung als von nationalem Interesse einstuft, vorrangig zu behandeln, wobei die jeweiligen Prioritäten im Einvernehmen mit dem jeweiligen Normenausschuß und gemäß

18

Vereinigtes Königreich/B SI, Bye-laws: Sec. VII: General Meetings, Bye-law 45. Vereinigtes Königreich/BSI, Royal Charter, Art. 12. 20 Ebd., Art. 13. 21 Ebd., Art. 5. 22 Das BSI Board setzt sich zusammen aus dem Präsidenten, einem Vorsitzenden, dem Vorsitzenden des Standards Board, dem Geschäftsführer (Chief Executive), dem Finanzdirektor, bestimmten Angestellten sowie maximal acht Personen, die nicht Angestellte der BSI sind. Diese werden individuell aufgrund ihres Sachverstandes und ihrer Erfahrung sowie kollektiv unter Berücksichtigung der Vielzahl von Interessen, welche die BSI unterstützt und denen sie dient, ernannt. Vereinigtes Königreich/BSI, Bye-laws: Sec. II: Board, Bye-law 8 lit. (a)-(g). Damit ist die Anzahl der "externen" Vertreter der interessierten Kreise im BSI Board außergewöhnlich gering. 23 Vereinigtes Königreich/BSI, Royal Charter, Art. 7. 24 Vereinigtes Königreich/BSI, Bye-laws: Sec. IV: Business Boards, Councils and Committees, Bye-law 20. 25 BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.2; dies., Annual Report 1991-92, S. 1. 26 Vereinigtes Königreich/BSI, Bye-laws: Sec. IV: Business Boards, Councils and Committees, Bye-law 22. 27 BSI, Annual Report 1991-92, S. 9. 19

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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des gemeinsam vereinbarten Fünf-Jahres-Planes festgelegt werden28. Zur Erfüllung seiner Aufgaben hat das Standards Board sieben "Normungsräte" ("Standards Councils") eingesetzt, die für die Normungsprogramme auf ihrem Sektor verantwortlich zeichnen29. Die Standards Councils leiten über sechzig "Normungspolitikausschüsse" ("Standards Policy Committees"), welche für die Förderung der Normung und die Leitung der Arbeit der "Technical Committees" in ihrem Bereich - die Genehmigung des Beginns der Normungsarbeiten, die Prioritätenvergabe für die von ihnen autorisierten Normungsprojekte und die Überwachung des Fortschritts der Projekte - zuständig sind30. Die Standards Policy Committees entwickeln Strategiepläne für ihre Bereiche, um ein rollierendes Arbeitsprogramm für ihre Normenausschüsse führen zu können; dieses wird jedes Jahr hinsichtlich der geänderten Anforderungen und der verfügbaren Bearbeiterressourcen aktualisiert31. Die Standards Policy Committees konstituieren die "Normenausschüsse" ("Technical Committees"), die sie für die Arbeit für notwendig erachten32. Diese sind verantwortlich für die Ausarbeitung und den Inhalt der veröffentlichten technischen Normen sowie die Erfüllung anderer ihnen übertragener Aufgaben; dazu können sie "Unterausschüsse" ("Technical Subcommittees"), "Gremien" ("Panels") oder zeitlich befristete "Arbeitsgruppen" ("Temporary Working Groups") für die technische Detailarbeit bilden33. Wo immer praktikabel, wird die Ausschußstruktur an diejenige der europäischen und internationalen Normenorganisationen angeglichen, so daß das "Technical Committee", das für die 28 Vereinigtes Königreich/British Standards Institution, Memorandum of Understanding, Art. 3 Abs. i S. 1 f. Diese Verpflichtung ist dementsprechend in den Normungsrichtlinien der BSI festgeschrieben in BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 8 Abschn. 3 Nr. 3.1.4. 29 Diese sind im BSI Standards Catalogue aufgeführt. BSI, BSI Standards Catalogue 1993, S. vii; vgl. ferner Vereinigtes Königreich/BSI, Bye-laws: Sec. IV: Business Boards, Councils and Committees, Bye-law 27; BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.2; dies., Annual Report 1991-92, S. 2. 30 Vereinigtes Königreich/BSI, Bye-laws: Sec. IV: Business Boards, Councils and Committees, Bye-law 27, 28 und 33; vgl. auch BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.2; dies., BSI Standards Catalogue 1993, S. vii; dies., Annual Report 1991-92, S. 2. 31 Das Arbeitsprogramm umfaßt neben der regelmäßigen Überarbeitung existierender Normen auch den Bedarf neuer Arbeiten auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 8 Abschn. 3 Nr. 3.1.1. und 3.1.2 i.V.m. S. 13 Abschn. 4 Nr. 4.1.1. 32 Vereinigtes Königreich/BSI, Bye-laws: Sec. IV: Business Boards, Councils and Committees, Bye-law 35. 33 Vereinigtes Königreich/BSI, Bye-laws: Sec. IV: Business Boards, Councils and Committees, Bye-law 38; Vgl. auch BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 6 Abschn. 2 Nr. 2.3.5.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

nationale Normungsarbeit zuständig ist, zugleich die Verantwortung für die entsprechende europäische und internationale Arbeit trägt 34. Alle "Councils" und "Committees" inklusive deren Unterstrukturen sollen repräsentativ mit Vertretern der jeweils betroffenen Interessen besetzt werden. Zu diesem Zweck kann die BSI Vereinbarungen mit anderen Organisationen eingehen35. Als Ausnahme dieser generellen Organisationsstruktur erstatten die Standards Policy Committees des früheren Standards Council for Automation and Information dem DISC-Board ("Delivering Information Solutions to Customers (through international standards)") direkt Bericht 36, und die "Technical Committees" im Bereich Bauen, Hoch- und Tiefbau übernehmen die Aufgaben der "Standards Policy Committees" und sind dem entsprechenden "Technischen Sektorvorstand für Bauen, Hoch- und Tiefbau" ("Technical Sector Board for Building and Civil Engineering") unmittelbar verantwortlich. Ferner werden bestimmte Normenausschüsse - mit Verantwortung für Grundnormen auf den Gebieten Qualität, Management und Statistik- über ein Standards Policy Committee direkt dem Normenvorstand zugeordnet, und andere Normenausschüsse unterstehen direkt dem Standards Council oder sogar dem Standards Board 37. Als weitere Organe der BSI sind darüber hinaus noch die "Geschäftsführung" ("Management Executive"), verschiedene "Sektorvorstände" ("Sector Boards") - darunter das "British Electrotechnical Committee and Electrotechnical Council", zuständig für die elektrotechnische Normung -, ein "Vorstandsausschuß für Qualitätspolitik" ("Board Committee for Quality Policy"), "BSI Zertifizierungsräte" ("BSI Certification Authorities (Councils)"), ein "Prüfungsausschuß" ("Audit Committee"), ein "Ausschuß für Einstellung und Vergütung" ("Appointments and Remuneration Committee") sowie der "KonsumentenNormungsberatungsausschuß" ("Consumer Standards Advisory Committee") zu

34 BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 5 Abschn. 2 Nr. 2.2 sowie S. 13 Abschn. 4 Nr. 4.3.1. Vgl. auch Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 83 f. 35 Vereinigtes Königreich/BSI, Bye-laws: Sec. IV: Business Boards, Councils and Committees, Bye-law 21; vgl. auch BSI, Annual Report 1991-92, S. 1, 5, 12; dies., Picture. 36 BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.2. 37 Vereinigtes Königreich/BSI, Bye-laws: Sec. IV: Business Boards, Councils and Committees, Bye-law 39; vgl. auch BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.2; dies., BSI Standards Catalogue 1993, S. vii; dies., Annual Report 1991-92, S. 2. In jedem Fall ernennt das Standards Board, Standards Council oder Standards Policy Committee, welches ein Technical Committee gründet, den Vorsitzenden dieses Committees. Vereinigtes Königreich/BSI, Bye-laws: Sec. IV: Business Boards, Councils and Committees, Bye-law 40.

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nennen. Letzterer überwacht die Normungsarbeiten der BSI und stellt, wenn notwendig, die Repräsentation der Konsumenten (-ansichten) sicher38. 1992 hatte die BSI 1.911 Angestellte und 29.181 eingeschriebene Mitglieder; 25.900 ehrenamtliche Ausschußmitarbeiter erstellten die technischen Normen in rund 1.000 aktiven der insgesamt 3.395 Normenausschüssen und Unterausschüssen39. Aufgabe der BSI ist die Rationalisierung der volkswirtschaftlichen Produktions- und Konsumptionsprozesse durch die Erstellung, Veröffentlichung, Einführung und Überarbeitung technischer Normen, die Schulung und Förderung ihrer Anwendung sowie Prüfungs- und Qualitätssicherungsdienste40. Dazu be-

38 BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 5 Abschn. 2 Nr. 2.3.3; dies., BSI Today, S. 8; dies., Consumers, S. 4. Mit Beginn der Verbrauchernormung bereits während des zweiten Weltkrieges ist die BSI nach eigener Darstellung die weltweit erste nationale Normenorganisation, welche die Wichtigkeit des Beitrages der Konsumenten zur technischen Normung erkannt hat. Bereits kurz nach Ende des 2. Weltkrieges, im Jahre 1951, wurde zur Unterstützung der direkten Beteiligung der Konsumenten der "Frauen-Beratungsausschuß" ("Woman's Advisory Committee") ins Leben gerufen, dem 1955 die Gründung eines "Beratungsrates der Normung von Konsumgütern" ("Advisory Council on standards for Consumer Goods") folgte; daraus ging dann der oben genannte Ausschuß hervor. BSI, History, S. 2 ff.; dies., BSI Today, S. 3. Vgl. auch Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 89 f.; Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 82; ders., 42. Präsidiumssitzung, S. 7. Seit 1982 ist die Beteiligung der Verbraucher an der Normung institutionell durch Art. 4 Abs. 2 des Memorandums der BSI mit der britischen Regierung abgesichert. Jedoch bereitete auch der BSI - zumindest in der Vergangenheit - die effiziente Repräsentation der Verbraucherinteressen Probleme. Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 56. 39 BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.2; dies., Annual Report 1991-92, S. 3 f., 24. 40 Wörtlich heißt es in der Royal Charter: "Ziel und Zweck, für den die Institution gegründet wurde, sind: a) die Koordination der Anstrengungen von Produzenten und Benutzem für die Verbesserung, Vereinheitlichung und Vereinfachung von Materialien, Produkten und Prozessen, um die Produktion und Distribution zu erleichtem, und die nationale Verschwendung von Zeit und Material zu eliminieren, die durch die Produktion einer unnötigen Vielzahl von Mustern und Größen von Artikeln für ein und dieselbe Bestimmung verursacht werden; b) die Erstellung von Normen für die Qualität von Gütern und Dienstleistungen, die Vorbereitung und Förderung der allgemeinen Akzeptanz britischer Normen und damit verbundener Pläne, und von Zeit zu Zeit die Überarbeitung, Änderung und Ergänzung der Normen und Pläne, so wie Erfahrung und Umstände es erfordern; c) die Registrierung, Prüfung und Erteilung von Normenkonformitätszeichen im Namen der Institution, oder die Lizensierung der Erteilung solcher Zeichen oder anderer Nachweise, Zertifikate, Namen, Beschreibungen oder Embleme; d) das Ergreifen aller Maßnahmen, die wünschenswert erscheinen, um die Ziele und Interessen der Institution zu schützen." Vereinigtes Königreich/BSI, Royal Charter,

560

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

treibt die BSI ein ausgedehntes eigenes Prüfinstitut, ein System der Normenkonformitätskennzeichnung, eine Druckerei und umfassende Informationsdienste41. Neben der reinen Verbesserung der industriellen Leistungsfähigkeit haben in den vergangenen Jahrzehnten die Tätigkeiten der BSI bezüglich der Förderung von Gesundheit, Qualitätssicherung, Sicherheit, Umweltschutz, Verbraucherschutz u.a.m. erheblich an Bedeutung gewonnen42. Im Rahmen der Erfüllung dieser Aufgabe vertritt die BSI als zuständiges Mitglied des Vereinigten Königreichs die britische Normung in CEN und ISO und koordiniert die nationalen Interessen hinsichtlich ETSI, während das "Electrotechnical Council of BSI" als "British Electrotechnical Committee" die elektrotechnische Normung in CENELEC, CECC und IEC wahrnimmt43. Aufgrund der engen Verbindung des Vereinigten Königreichs mit den Commonwealth-Ländern entwickelte die BSI eine starke Aktivität im Bereich der internationalen Normung, in dem sie lange Zeit eine führende Rolle spielte. Britische Normen prägen bis heute die Normungsarbeit im gesamten Commonwealth44.

Art. 3 lit. a)-d); vgl. auch BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.1. Insbesondere die Geschäftsfelder Qualitätssicherung und Prüfung ("Testing") haben in den letzten Jahren, erkenntlich vor allem an den hier erzielten hohen Erträgen, erheblich an Bedeutung gewonnen. BSI, BSI Today, S. 4, 10; ISO, Members, S. 94. 41 Diesbezüglich entspricht das Angebot der BSI grundsätzlich dem von AFNOR und DIN. Vgl. in bezug auf das DIN Fn. 15 in Kap. II.A.l.a)bb) und hinsichtlich der AFNOR Kap. II.A.2.a)bb). Erwähnenswert ist die seit 1992 in die anderen Informationsdienste der BSI integrierte Abteilung 'Technical Help to Exporters" (THE), die britische Exporteure hinsichtlich der auf ausländischen Märkten einzuhaltenden technischen Regeln informiert. BSI, Annual Report 1991-92, S. 12; dies., BSI Standards Catalogue 1993, S. χ ff.; dies., BSI Today, S. 11 ff.; Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 73. 42 Lukes, R, EWG- und EFTA-Staaten, S. 89. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß die Definition von Ziel und Zweck der Institution noch immer fast wörtlich den Festlegungen der Royal Charter von 1929 (wiedergegeben in: ISO, Members, S. 94) entspricht, und daß somit eine Erweiterung der Royal Charter um die genannten öffentlichen Aufgaben trotz der anerkanntermaßen umfangreichen Tätigkeiten der BSI auf diesen Gebieten bisher nicht stattgefunden hat. 43 BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 13 Abschn. 4 Nr. 4.1.1; dies., Annual Report 1991-92, S. 2, 7; ISO, Members, S. 94. 44 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 73 f.; Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 73, 83.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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cc) Normungsverfahren und britisches Normenwerk Das Normungsverfahren der BSI - wie auch seine anderen Aktivitäten - wird bestimmt von sechs Grundprinzipien: 1.

soll die BSI ihre Aufgaben im nationalen Interesse ausführen 45; das bedeutet, bezogen auf das Normungsverfahren, daß die Festlegungen einer britischen Norm zu keinem individuellen Vorteil führen dürfen 46, sondern daß jede technische Norm unparteiisch und objektiv sein und der gesamten Gemeinschaft nutzen soll47;

2.

hat sich die BSI in dem Memorandum mit der britischen Regierung verpflichtet, ein ausgewogenes Gleichgewicht aller interessierten Kreise auf allen Ausschußebenen sicherzustellen48 und diese zur aktiven Mitarbeit an der Erstellung von britischen Normen zu ermutigen49, so daß jede Norm von dem gemeinsamen Willen aller Betroffenen getragen wird 50. Daher gehört es zu den Normungsprinzipien der BSI, zu Beginn der Normungsarbeiten zunächst festzustellen, welche Gruppen die Norm zu nutzen beabsichtigen bzw. von ihr betroffen sind51. Diese sollen, wo immer möglich, durch autorisierte Vertreter repräsentativer Organisationen der (industriellen) Hersteller, der gewerblichen und nichtgewerblichen Verbraucher, der Berufsinstitutionen, der Gewerkschaften, der Forschungsorganisationen, der Regierungsministerien, der lokalen Behörden, der Zertifizierungsorganisationen, der Prüfungslaboratorien und von Lehreinrichtungen sowie durch individuelle Experten repräsentiert werden52. Dabei hat die Vertretung jedes interessierten Kreises nur durch jeweils ein Mitglied zu erfolgen, da die Größe eines Ausschusses häufig einen Kompromiß zwischen einer vernünftig breiten Basis der Repräsentation und der Begrenzung auf eine arbeitsfähige Anzahl von Mitgliedern darstellt53;

3.

sollen die Mitglieder des Normenausschusses über verschiedene Sichtweisen des Normungsgegenstandes nicht durch formale Abstimmung, sondern im Konsens entscheiden. Das bedeutet, daß Einwände entweder angenommen oder nicht aufrechterhalten werden, oder daß sich die interessierten Kreise darauf verständigen,

45

BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 5 Abschn. 2 Nr. 2.3.1. BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Unterabschn. 2.2.4; dies., BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 28 Abschn. 14 Nr. 14.1.1. 47 BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Unterabschn. 2.2.4; dies., BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 10 Abschn. 4 Nr. 4.2.2. 48 Entsprechend den Ausführungen im vorhergehenden Kapitel ist die Repräsentation der interessierten Kreise in allen wichtigen Gremien der BSI - angefangen vom BSI Board bis zu den technical committees und deren Untergliederungen - in den Statuten der BSI festgeschrieben. 49 Vereinigtes Königreich/British Standards Institution, Memorandum of Understanding, Art. 4 Abs. ii und Art. 6 Abs. i. 50 BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 5 Abschn. 2 Nr. 2.3.1. 51 BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 10 Abschn. 4 Nr. 4.1.1. 52 BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 5 Abschn. 2 Nr. 2.3.3. 53 Ebd., S. 5 Abschn. 2 Nr. 2.3.3 und 2.3.4. 46

36 Zubke-von Thünen

562

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

daß diese Einwände von zu geringer Bedeutung sind, als daß sie weitere Verzögerungen der Arbeit rechtfertigen würden54; 4.

müssen die interessierten Kreise die zu erarbeitende technische Norm tatsächlich wollen, da die erfolgreiche Erarbeitung und Anwendung technischer Normen auf dem Willen aller Beteiligter und Betroffener beruht, eine freiwillige Vereinbarung untereinander für einen bestimmten Zweck zu treffen 55;

5.

sind technische Normen zu planen, indem der soziale und/oder wirtschaftliche Nutzen mit den Kosten für Erarbeitung, Veröffentlichung und Pflege der Norm verglichen wird 56 ;

6.

sollen Normen um der Wirtschaftlichkeit der Anstrengungen willen auf der obersten - also möglichst internationalen - Normungsebene 57 erarbeitet werden, auf der die Bedürfnisse der interessierten Kreise in einem akzeptablen Zeitraum miteinander vereinbar sind58.

Damit ist das Credo der britischen Normungsarbeit - nicht anders als das der deutschen und französischen - der freie, konsensorientierte Diskurs aller interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit zum Nutzen der Allgemeinheit. Wie AFNOR und DIN, ist die BSI nach Satzung und Selbstverständnis59 ein Forum des Diskurses und des Konsenses aller interessierten Kreise, dessen Ergebnisse in technischen Normen kodifiziert werden, wobei die BSI diese Normungsprinzipien seit Beginn ihrer Normungstätigkeiten postuliert60. Grundlage der Normungsarbeit der BSI 61 sind die Leitlinien und Festlegungen der dreiteiligen Norm BS 0 "A Standard for Standards", zu deren Einhal-

54

Ebd., S. 5 Abschn. 2 Nr. 2.3.1. Die britische Regierung hat die Anwendung des Konsensprinzips zeitweilig kritisiert. Vgl. dazu Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 57. Die BSI sieht dieses jedoch zusammen mit der Einbeziehung aller interessierten Kreise vollkommen zu Recht als essentielle Voraussetzung für eine breite und allgemeine Anwendung der rechtlich unverbindlichen technischen Normen an. Vgl. beispielsweise BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 6 Abschn. 3 Nr. 3.1.1. 55 BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Unterabschn. 2.2.2. 56 Der Normungsprozeß ist grundsätzlich ein Auswahlprozeß. Eine Norm kann nur das enthalten, worauf sich die interessierten Kreise zu diesem Zeitpunkt geeinigt haben. Diese müssen entscheiden, wann und wie beispielsweise in einer sich schnell entwikkelnden Technologie oder zur Befriedigung der neuen Gemeinschaftsbedürfnisse bezüglich Sicherheit oder Umwelt genormt werden soll. BSI, BS 0-1: 1991-10/ AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Unterabschn. 2.2.5. 57 Vgl. Kap. I.B. 58 BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 f. Abschn. 2 Unterabschn. 2.2.6. 59 Vgl. dazu z.B. BSI, BSI Today, S. 4 f.; dies., Picture. 60 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 71. 61 Veröffentlichungen der BSI umfassen neben den hier relevanten Britischen Normen ("British Standards" (BS)) noch Vornormen ("Drafts for Development" (DD)),

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tung sich die BSI gegenüber der britischen Regierung vertraglich verpflichtet hat62. Danach kann jedermann Anträge für neue oder die Verbesserung existierender Normen stellen63, welche der Normungspolitikausschuß anhand der in BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 aufgeführten Ziele und Prinzipien der Normung prüft 64. Im Falle der Annahme des Projektes inklusive dessen zeitlichen Rahmens wird der Beginn der Normungsarbeiten sowohl für neue als auch zu überarbeitende Normen in den BSI News bekanntgegeben und das Projekt dem zuständigen Normenausschuß zugewiesen65. Gleiches gilt im Falle der Aufnahme europäischer oder internationaler Normungsprojekte, die im Normungsprogramm des entsprechenden nationalen Ausschusses enthalten sind66. Um eine zügige Erstellung des Norm-Entwurfs sicherzustellen, müssen durch den zuständigen Ausschuß spätestens beim zweiten Zusammentreffen Zieltermine für die Veröffentlichung des Normenentwurfs im Hinblick auf die öffentliche Stellungnahme und die eigene Zustimmung zur endgültigen Norm innerhalb des durch den Normungspolitikausschuß vorgegebenen zeitlichen Rahmens festgelegt werden67. Explizit als Maßnahme zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit erfolgt vor der Erstellung des Norm-Entwurfs die Anfertigung eines kurzen Dokuments ("brief'), in welchem u.a. klar der Kreis der Benutzer der Norm sowie deren Bedürfnisse, die durch die Norm zu befriedigen sind, identifiziert werden sollen, damit die Norm eine möglichst breite Anwendung findet. Nach Festlegung von Reichweite und Art der Norm 68 erarbeitet das "Technical Committee" oder ein Unterausschuß einen Norm-Entwurf 69. Dieser steht nach Ankündigung in

Veröffentlichte Dokumente ("Published Documents" (PD)), Ergänzungen ("Amendments" (AMD)) u.a.m. BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 6 Abschn. 2 Nr. 2.1-2.7. 62 Vereinigtes Königreich/British Standards Institution, Memorandum of Understanding, Art. 4 Abs. i S. 1. 63 BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 8 Abschn. 3 Nr. 3.1.3. 64 Ebd., S. 8 Abschn. 3 Nr. 3.1.4. 65 Wenn kein geeignetes BSI-Committee besteht, klärt BSI die Dringlichkeit, den Wert und die Praktikabilität der beantragten Norm mit allen interessierten Parteien und konstituiert im Falle eines positiven Entscheids ein entsprechendes technical committee. BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 8 Abschn. 3 Nr. 3.1.4; vgl. dazu auch die Ausführungen im vorhergehenden Kapitel. 66 BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 8 Abschn. 3 Nr. 3.2.1. 67 Ebd., S. 8 Abschn. 3 Nr. 3.2.2. 68 Vgl. Kap. I.B. 69 Basis des Norm-Entwurfs können neben mit dem Antrag eingebrachten Entwürfen z.B. (internationale) De-facto-Normen, national akzeptierte Normen kompetenter technischer Verbände oder Werknormen führender Hersteller oder Anwender sein. BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 8 f. Abschn. 3 Nr. 3.2.3. Vgl. auch BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.2.3.

36*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

den BSI News für eine öffentliche Stellungnahme zur Verfügung, die normalerweise eine Zeitspanne von 8 Wochen umfaßt 70. Der Normenausschuß überprüft alle substanziellen Kommentare und lädt gegebenenfalls Einsprechende zu Diskussionen ein. Wo Kommentare einen Mangel an Konsens über den "Stand der Technik" ("state of the art") aufdecken, sind Nutzen und Reichweite der Norm zu überdenken und gegebenenfalls eine Vornorm ("Draft for Development") herauszugeben. Bei grundsätzlichen Änderungen kann ein zweiter Entwurf für erneute öffentliche Kommentare publiziert werden71. Nach Erreichen des Konsenses über den Inhalt des Entwurfs wird dieser geprüft, verlegt, mehrfach abgezeichnet - u.a. dokumentiert der Vorsitzende des Normenausschusses durch seine Unterschrift bei nationalen Normen die Diskussion aller Stellungnahmen und den Konsens über den Inhalt - und veröffentlicht 72. Ist in den Diskussionen kein Konsens über den Inhalt des Norm-Entwurfs erreichbar, so wird versucht, diesen in einem mehrstufigen Schlichtungs- und Schiedsverfahren herbeizuführen. Denn das erklärte Ziel der BSI hinsichtlich ihrer Normungsarbeit ist nicht nur die möglichst schnelle Entwicklung einer technischen Norm, sondern auch die Sicherstellung von deren allgemeiner Akzeptanz und Anwendung. Daher sieht die BSI den Konsens über den Inhalt einer Norm als eine conditio sine qua non an 73 . Erste Instanz des Schlichtungsverfahrens bei nationalen Normungsprojekten ist der zuständige "Abteilungsleiter" ("Head of Department"), welcher in Zusammenarbeit mit dem "Vorsitzenden des Normenausschusses" ("Technical Committee Chairman") Maßnahmen zur Erreichung des Konsenses vorschlägt. Im Falle eines Mißerfolges erfolgt ein zweiter Schlichtungsversuch durch den "Leiter der technischen Abteilung" ("Head of the Technical Department") gemeinsam mit dem "Vorsitzenden" ("Chairman") und dem "Schriftführer" ("Secretary") des zuständigen "Stan-

70

BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 9 Abschn. 3 Nr. 3.2.4. Ebd., S. 9 Abschn. 3 Nr. 3.2.5; vgl. auch BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 22 Abschn. 11, insbes. Nr. 11.1.1. 72 BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 9 f. Abschn. 3 Nr. 3.2.6, 3.2.7 und 3.2.8. Keine britische Norm soll im Namen oder im Auftrag der BSI herausgegeben werden, ohne daß sie der Vorsitzende des für seine Ausarbeitung verantwortlichen Committees, der Vorsitzende des zuständigen Standards Policy Committees und der BSI "Geschäftsführer" ("Chief Executive") unterzeichnet hat. Vereinigtes Königreich/BSI, Bye-laws: Sec. V: British Standards, Bye-law 43 lit. (a)-(c). Wie bei AFNOR und DIN erfolgt die Gestaltung britischer Normen nach internationalen bzw. europäischen Regeln. Dazu sind in BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 die IEC/ISO Directives, Part 3: 1989 "Drafting and presentation of International Standards" und die CEN/CENELEC Internal Regulations, Part 3: 1990 "Rules for the drafting and presentation of European Standards" niedergelegt. BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 4 Foreword. 73 Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 54 in diesem Kapitel. 71

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dards Policy Committee". Diese sollen sich in Diskussionen mit den interessierten Kreisen, dem Vorsitzenden und dem Schriftführer des "Technical Committee", dem Vorsitzenden des "Standards Council", dem "Standards Directorate" und "beliebigen anderen" bemühen, einen Konsens herbeizuführen. Ist auch auf dieser Ebene keine Einigung möglich, und würde die trotz Dissens verabschiedete technische Norm zu fortdauernden Streitigkeiten führen, so erfolgt der Abbruch des Projektes. Erscheint trotz des fehlenden Konsenses in einigen Punkten die Verabschiedung der Norm sinnvoll, entscheidet als höchste Instanz ein Gremium aus drei Mitgliedern des Standards Board, welches nach Anhörung der Argumente der beteiligten Kreise entweder Maßnahmen zur Erreichung eines vernünftigen Grades allgemeiner Zustimmung und einer optimalen Nutzung der entstehenden Norm vorschlägt oder den Abbruch des Projektes aufgrund des Nichterreichens eines Konsenses beschließt. Die Entscheidung dieses Gremiums ist endgültig und bindend für alle Parteien74. Bei europäischen oder internationalen Normungsprojekten ist im Regelfall die gleiche Prozedur vorgesehen; diese darf jedoch aus Zeitmangel gegebenenfalls gekürzt werden. Eine endgültige Entscheidung trifft hier der "Technische Direktor" ("Technical Director") der BSI 75 . Jede britische Norm ist vom zuständigen Normenausschuß spätestens alle fünf Jahre - im Falle besonderer Anlässe auch früher - auf Aktualität bezüglich des technischen Fortschritts oder sich ändernder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen zu untersuchen, da sie sonst irrelevant werden oder den Fortschritt behindern kann76. Dadurch stellt die BSI sicher, daß die britischen Normen zu jeder Zeit "anerkannte Regeln der Technik" ("sound and modern practice") wiedergeben77. Der entsprechende Vorschlag des Normenausschusses - Bestätigung (gegebenenfalls mit kleinen Änderungen), Aktualisierung, gänzliche Überarbeitung, Erklärung für veraltet oder Zurückziehung - wird in den BSINews publiziert, um während eines Zeitraumes von sechs Wochen der Öffentlichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dabei entspricht der Ge-

74

BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. lOf. Abschn. 3 Nr. 3.4.1. Ebd., S. 10 f. Abschn. 3 Nr. 3.4.2. 76 BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2 Nr. 2.2.5 i.V.m. dass., BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 12 Abschn. 3 Nr. 3.7.1. 77 Vereinigtes Königreich/B ri ti sh Standards Institution, Memorandum of Understanding, Art. 4 Abs. ii; BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 12 Abschn. 3 Nr. 3.7.2. Wobei entsprechend den Ausführungen in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(bb) i.d.R. nicht bereits allgemein anerkannte, sondern neue, dem Stand der Technik entsprechende Lösungen genormt werden, die allerdings aufgrund des konsensualen Einigungsprozesses aller interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit i.d.R. allgemeine Anerkennung finden. 75

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

schäftsgang bei technischer Aktualisierung und gänzlicher Überarbeitung dem der Herausgabe einer neuen Norm 78 . Das Normenwerk der BSI umfaßte Ende 1995 14.476 technische Normen, wovon 2.836 aus dem Bereich der Elektrotechnik stammten79; es wird um rund 1.500 neue Normen pro Jahr ergänzt80. Die BSI hat sich im Memorandum mit der britischen Regierung dazu verpflichtet, im Interesse eines freien europäischen und internationalen Handels die internationale Harmonisierung technischer Normen anzustreben, indem sie ihre Normungsaktivitäten, wenn immer möglich, auf die internationale oder europäische Ebene verlagert 81; hierbei wird sie von der britischen Regierung im Interesse des britischen Handels und der Industrie unterstützt82. Dennoch legen BSI und BEC nach eigenen Angaben erst seit Ende der achtziger Jahre den Schwerpunkt auf die europäische Normungsarbeit und verlagern die Entwicklung neuer Normen inzwischen zunehmend von der nationalen Ebene (Reduzierung des Anteils von 53 % im Jahre 1991 auf 42 % im Jahre 1992) auf die europäische (Steigerung des Anteils von 12 % im Jahre 1991 auf 18 % im Jahre 1992) und die internationale Ebene (Steigerung des Anteils von 35 % im Jahre 1991 auf 40 % im Jahre 1992). Dementsprechend stellen heute europäische und internationale Normungsprojekte den Großteil der Arbeiten der BSI dar 83. Der zum internationalen oder europäischen Normenausschuß spiegelbildliche BSINormenausschuß ernennt die gewöhnlich aus zwei bis drei Mitgliedern bestehende Delegation des Vereinigten Königreichs und beauftragt sie, den im konsensualen Diskurs aller interessierten Kreise ermittelten nationalen Standpunkt und nicht den ihrer entsendenden Organisationen - zu vertreten 84. Sofern die europäischen oder internationalen Normungsprojekte im Zusammenhang mit nationalen oder europarechtlichen Vorschriften stehen, steht es einem Repräsentanten des zuständigen Ministeriums frei, die Delegation zu begleiten85.

78 79 80

S. 4.

BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 12 Abschn. 3 Nr. 3.7.2 und 3.7.3. ISO, Members, S. 94. Wobei diese Zahl starken Schwankungen unterliegt. BSI, Annual Report 1991-92,

81 Vereinigtes Königreich/British Standards Institution, Memorandum of Understanding, Art. 5 Abs. iv; vgl. auch BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 f. Abschn. 2 Nr. 2.1 lit. e) und 2.2.6; dies., History, S. 4; dies., Annual Report 1991-92, S. 3 f., 9. 82 Vereinigtes Königreich/British Standards Institution, Memorandum of Understanding, Art. 5, Abs. ii. 83 BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 5 Abschn. 2 Nr. 2.2; dies., Annual Report 1991-92, S. 4, 9. 84 Ebd., S. 13 Abschn. 4 Nr. 4.3.1 und 4.3.2 lit. b). 85 Ebd., S. 13 Abschn. 4 Nr. 4.3.1.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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Seit 1973 gibt die BSI die von ihr erstellten sogenannten "codes of practice" ebenfalls als technische Normen heraus. "Codes of practice" wurden beispielsweise in den Bereichen Kanalisation, Feuerbekämpfiing, elektrische Ausrüstung u.a.m. erarbeitet und bildeten die Zusammenfassung von Empfehlungen, die auf einem bestimmten Gebiet als "good practice", also als anerkennenswerte und anerkennungsfähige Verkehrssitte anzusehen waren. Ursprünglich von Behörden und dann unter der Verantwortung eines besonderen Divisional Councils von BSI-Committees erarbeitet, stellt deren Eingliederung in die überbetriebliche technische Normung den Abschluß der Übernahme dieser ursprünglich vom Staat vorgenommenen Tätigkeit durch die BSI dar 86. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist noch die - aufgrund der weitgehenden Eigenfinanzierung unstreitig notwendige87 - ausgeprägte betriebswirtschaftliche Denkweise innerhalb der BSI hinsichtlich der Normungsarbeiten. Da sich die BSI unter anderem durch den Verkauf von Normen finanziert, räumt sie technischen Normen mit hohem Verkaufserlöspotential folgerichtig eine hohe Bedeutung ein 88 . Und auch bei der aktiven Beteiligung an europäischen und internationalen Normungsarbeiten hat die BSI ihre Absicht bekundet, die verfügbaren Ressourcen auf die Arbeiten zu konzentrieren, die zu einem signifikanten Rückfluß der notwendigen Anstrengungen in das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland führen 89. Ein Hersteller kann ungeprüft die Normenkonformität seiner Waren durch Angabe der entsprechenden britischen Norm kenntlich machen; er ist jedoch verantwortlich für die Richtigkeit seiner Angaben unter dem "Trade Descriptions Act 1968" 90 . Dagegen darf er ein Produkt erst dann mit den BSINormenkonformitätszeichen "Kitemark" und "Safety Mark" versehen, wenn eine unabhängige ("third party") Prüfung des Produktes die Konformität mit den einschlägigen Normen respektive den zu berücksichtigenden Sicherheitsnormen ergeben hat und das Qualitätssicherungssystem des Herstellers auf Einhaltung

86 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 86, dessen Darstellung in diesem Punkt jedoch widersprüchlich ist, da er an anderer Stelle - S. 93 ff. - nochmals ausführlich über die Erstellung technischer "codes of practice" durch die Behörden berichtet. Da auch Marburger in einer aktuellen Veröffentlichung (Marburger, P., Technische Normung, S. 201) noch ausdrücklich die behördlichen "codes of practice" erwähnt, sei angenommen, daß es sich hier um die benannten Bereiche behördlicher Regelerstellung handelt. 87 Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen zur Finanzierung der BSI. 88 Wobei geringe erwartete Verkaufserlöse niemals der Grund für die Zurückweisung eines Normungsantrages sein sollen. BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 8 Abschn. 3 Nr. 3.1.4. 89 Ebd., S. 13 Abschn. 4 Nr. 4.2.2. 90 BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 6 Abschn. 3 Nr. 3.1.4 i.V.m. dies., BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 16 Abschn. 6 Nr. 6.4.1.

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der Anforderungen der Normenreihe ISO 9000 (BS 5750) 91 überprüft wurde. Kunden können sich im Falle von Beschwerden über Produkte mit Kitemark oder Safety-Mark direkt an die BSI wenden, welche den Fall untersucht92. Darüber hinaus bietet die BSI zwei weitere Firmenzertifizierungszeichen für Industrie, Handel und Dienstleistung an 93 . Früher als relativ bedeutungslos angesehen94, existierten 1993 1.885 Kitemark- und Safety Mark-Lizenzen, und 14.793 Unternehmen und Fachhändler wurden als Registered Firms and Stockists zertifiziert, wobei diese Tendenz stark zunehmend ist95. dd) Verhältnis zum Staat Anders als in der Bundesrepublik Deutschland wurde das Verhältnis der BSI zum Staat bereits frühzeitig durch die Verleihung einer "königlichen Konzession" ("Royal Charter") am 22. April 1929 geregelt. Die Royal Charter, erlassen vom "Kronrat" ("Privy Council") im Auftrag des Monarchen, legte die Ziele des Verbandes fest und bestimmte, daß es Aufgabe der BSI ist, technische Normen zu erstellen, für ihre Einführung in die Praxis zu sorgen und eine Normenkonformitätskennzeichnung durchzuführen, und daß im Sinne des Monarchen keine andere Institution die gleiche Tätigkeit ausüben soll96. 1942 folgte die Anerkennung der BSI durch die britische Regierung als einzige Organisation im Vereinigten Königreich für die Herausgabe nationaler Normen.

91

Vgl. Kap. I.D.2.b). Die Spezifikationen einer technischen Norm sollten es ermöglichen, die Konformität zu ihren Anforderungen sowohl durch den Hersteller ("first party") als auch den Käufer ("second party") als auch einen unabhängigen dritten ("third party") verifizieren zu können. BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 14 Abschn. 5 Nr. 5.7.1. 92 Die Beibehaltung des zertifizierten Qualitätsniveaus der Produktion wird nach Vergabe von Kitemark oder Safety Mark im Rahmen unangekündigter Besuche fortlaufend überprüft. BSI, Picture; dies., Consumers, S. 4; dies., BSI Today, S. 18; dies., BSI Standards Catalogue 1993, S. vi. 93 Als registriertes Unternehmen mit beurteilter Fähigkeit ("BSI Registered Firm of Assessed Capability"), was einer Zertifizierung nach ISO 9000 ff. entspricht, und als registrierter Fachhändler ("BSI Registered Stockist"), womit die Einführung und Anwendung eines Qualitätssicherungssystems für Fertigung, Lagerung, Handhabung und Verpackung zertifiziert wird. BSI, Picture; dies., BSI Today, S. 18; dies., BSI Standards Catalogue 1993, S.v. 94 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 86 ff. 95 BSI, Annual Report 1992-93, S. 3 f., 24. So beliefen sich die Zahlen für 1992 noch auf 1.788 Kitemark und Safety Mark Licences und 11.210 Registered Firms and Stockists, was einer jährlichen Zunahme von rund 5 bzw. 30 % entspricht. BSI, Annual Report 1991-92, S. 24. 96 Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 73 f.

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Nach Beendigung des 2. Weltkrieges setzte die Regierung des Vereinigten Königreichs in gewissen Zeitabständen durch die Exekutivspitze Kommissionen ein, die verschiedene Aspekte der überbetrieblichen technischen Normung untersuchten und ihre Ergebnisse und Empfehlungen in Berichten veröffentlichten97. Angesichts der Knappheit der Wirtschaftsgüter in der Nachkriegszeit fand im Lemon-Report von 1949 eine Analyse der technischen Normung vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Steigerung der Effizienz der Produktion statt. Zugleich wurde hinsichtlich der Aufgabe des Verbraucherschutzes versucht, den bestehenden Schwierigkeiten einer hinreichenden Organisation der Abnehmer in den Normungsgremien durch Einschaltung öffentlicher Forschungsinstitute sowie die Aufforderung an die BSI, sich um eine stärkere Organisation der Abnehmerinteressen zu bemühen, zu begegnen. Auch der ein Jahr später veröffentlichte Cunliffe-Report" untersuchte Strukturfragen der BSI im Hinblick auf die gesamtwirtschaftlichen Vorteile der Normung. Dabei erging bezüglich einer angemessenen Konsumentenrepräsentanz in den normaufstellenden Gremien die Forderung nach einer hinreichenden Beteiligung von Verbraucherorganisationen und Regierungsvertretern. Der nachfolgende MolonyReport 100 von 1962 stand schließlich ganz im Zeichen des Verbraucherschutzes. Dabei wurde die BSI als Institution zur Erstellung von technischen Spezifikationen für den Verbraucherschutz als begrenzt geeignet qualifiziert, da die BSI technische Normen für Verbrauchsgüter nicht rasch genug erstellte, vorhandene Normen teilweise veraltet waren und zum Teil nur geringe Qualitätsanforderungen enthielten. Bezüglich technischer Sicherheitsnormen empfahl der Report, zum Schutz der Verbraucher gegen Verletzungsgefahren durch technische Produkte eine behördliche Kompetenz zur Erarbeitung von Konstruktions- und Beschaffenheitsnormen für bestimmte Güter zu konstituieren. Der "Consumer Protection Act 196Γ' verlieh diese Befugnis dem "Home Secretary of State". Eine Trendwende hinsichtlich der Beurteilung der BSI bezüglich der Wahrnehmung von Aufgaben des Gemeinwohls im allgemeinen und des Verbrau97

Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 55 ff. Benannt nach dem Chairman des "Committee for Standardization of Engineering Products", das im November 1948 vom Minister of Supply eingesetzt worden war; bekanntgemacht im House of Commons am 22.11.1948; veröffentlicht: HMSO 1949; zit. bei: Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 56 f. 99 Benannt nach dem Chairman des "Committee on the Organization and Constitution of the British Standards Institution", das am 23.06.1949 durch den President of the Board of Trade eingesetzt worden war; veröffentlicht: HMSO 1950; zit. bei: Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 57 ff. 100 Benannt nach dem Chairman des "Committee on Consumer Protection", das am 30.06./24.07.1959 durch den President of the Board of Trade eingesetzt worden war; vorgelegt: April 1962; dem Parlament vorgetragen: Juli 1962; veröffentlicht: HMSO 1962 Cmnd. 1781; zit. bei: Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 59 ff. 98

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

cherschutzes im besonderen markiert der Mensforth-Report m von 1971, der allgemeine Schutz- und Sicherheitsfragen behandelte. Abgesehen von hochsicherheitssensitiven Bereichen wie Arzneimitteln oder der Kernenergie, bei denen der Staat nicht auf eigene Anforderungen verzichten könne, wurden von der Kommission technische Normen für die Beurteilung der Qualität und der besonderen Eigenschaften von Produkten vornehmlich in punkto Sicherheit und Unschädlichkeit auch gegenüber der Umwelt ausdrücklich für notwendig und auch hinreichend erachtet. Noch einen Schritt weiter ging der Robens-Report 102 von 1972, der den Schutz der Gesundheit und die Sicherheit am Arbeitsplatz durch Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen für technische Anlagen und Geräte untersuchte. Dabei kam die Kommission zu dem Ergebnis, daß eine Streuung der bestehenden gesetzlichen Regelungen auf verschiedene Gesetze vorlag, die Aktualität der vorhandenen gesetzlichen Regelungen "unterschiedlich", d.h. zum Teil unzureichend war, die Rechtssetzung durch Rechtsverordnungen ("regulations") durchweg zu lange Zeit in Anspruch nahm und der Gesetzesvollzug zersplittert durch verschiedene Behörden erfolgte. Als Schlußfolgerung empfahl die Kommission die Schaffung eines neuen Gesetzes, welches im Hinblick auf die laufende technische Entwicklung offen und flexibel sein und praktisch nur Grundsatzanforderungen enthalten sollte. In Verbindung damit war zwar auch die Ermächtigung der Exekutive zum Erlaß von Rechtsverordnungen ("regulations") vorgesehen; jedoch sollten, wenn immer möglich, zur Konkretisierung der weitgefaßten gesetzlichen Grundsatzanforderungen technische Normen und "codes of practice" herangezogen werden. In diesem Zusammenhang stellte der Report ausdrücklich klar, daß nur die Regelungen in Gesetzen der parlamentarischen Kontrolle voll unterlägen, und daß bei den vorgesehenen regulations der Exekutive lediglich die - auch sonst im englischen Staatsrecht bestehende - "negative resolutions procedure" gelten solle. Darüber hinaus würden ferner eine große Anzahl von Sicherheitsvorschriften in rechtlich unverbindlichen technischen Normen und "codes of practice" keiner parlamentarischen Kontrolle mehr zugänglich sein, so daß insoweit eine Verringerung der Rechtsstaatlichkeitsgrundsätze die zwangsläufige Konsequenz sei. Damit betonte der Report ausdrücklich, daß dieser Vorschlag einen Rückzug des Gesetzgebungsorgans aus dem sicherheitstechnischen Bereich bedeute, was von der Kommission explizit gebilligt wurde. Als Ausgleich schlug die Kommission 101 Benannt nach dem Chairman des "Committee on the Means of Authenticating the Quality of Engineering Products and Materials", das am 25.06.1968 vom Minister of Technology eingesetzt worden war; fertiggestellt Oktober 1970; veröffentlicht: HMSO 1971 - SBN 11 470 225 X; zit. bei: Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 61 f. 102 Benannt nach dem Chairman des "Committee on Safety and Health at Work", das am 29.05.1970 vom Secretary of State for Employment eingesetzt worden war; dem Parlament vorgelegt: Juli 1972; veröffentlicht: HMSO 1972 Cmnd. 5034; zit. bei: Lukes, R, EWG- und EFTA-Staaten, S. 63 ff.

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eine Vergrößerung der Befugnis der Exekutive vor, welche die Befugnis zur Überprüfung der Anwendung von technischen Normen und "codes of practice" durch eine dafür neu zu schaffende Behörde "National Authority for Safety and Health at Work" sowie gegebenenfalls zur Schaffung behördeneigener technischer Normen und Codes erhalten solle103. Diese Entwicklung fand ihren bisherigen Höhepunkt 1982 in Form der Herausgabe eines Weißbuchs mit dem Titel "Normen, Qualität und internationale Wettbewerbsfähigkeit" ("Standards, Quality and international Competitiveness"), in welchem das Handelsministerium der britischen Regierung seine künftige Politik gegenüber der BSI dargelegt hat. Kernstück dieses Weißbuchs ist ein am 24. November 1982 unterzeichneter Vertrag (" memorandum of understanding") zwischen der BSI und der britischen Regierung, in dem diese die BSI als nationale Normenorganisation anerkennt104. Gleichzeitig wird der Status der britischen Norm als "anerkannte Regel der Technik" ("sound and modern technical practice") bestätigt, die aufgestellt und angewendet wird, um dem öffentlichen Interesse zu dienen105. Diese Gemeinwohlverpflichtung der BSI ist fixiert in Art. 2 Abs. i S. 1 des Memorandums, demzufolge die BSI der Regierung zusichert, bei allen Normungsarbeiten das öffentliche Interesse uneingeschränkt zu berücksichtigen. Insbesondere hat die BSI entsprechend den zwischen ihr und der britischen Regierung vereinbarten Prioritäten die bestehenden britischen Normen zu überprüfen und gegebenenfalls zu überarbeiten, so daß sie gemeinsam mit neu erstellten Normen als eindeutige Festlegungen technischer Anforderungen in Rechtsvorschriften bezugsfähig sind106. Folgerichtig ist die BSI verpflichtet, Normen, die technischen Rechtsvorschriften entgegenstehen, zu ändern, zurückzuziehen bzw. erst gar nicht erst zu veröffentlichen 107. Dabei genießen Normungsarbeiten, die von der Regierung als im nationalen Interesse stehend betrachtet werden, grundsätzlich Vorrang 108. Zudem sollen nach Art. 2 Abs. ii des Memorandums die technischen Normen, soweit sie einschlägig sind, für eine Verweisung in Verträgen der öffentlichen Hand geeignet sein. In Art. 5 Abs. iv

103 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 59 ff. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. II.A.3.c)dd)(l). 104 Dies schließt die europäische und internationale Normungsarbeit mit ein. Vgl. dazu die Ausführungen des vorangehenden Kapitels. 105 Vereinigtes Königreich/British Standards Institution, Memorandum of Understanding, Vorwort i.V.m. Art. 4 Abs. ii. 106 Ebd., Art. 2 Abs. i S. 2; vgl. auch BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 4 Abschn. 2Nr. 2.1.d) i.V.m. dies., BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. lOff. Abschn. 4. 107 Ebd., Art. 2 Abs. iv S. 3. 108 Ebd., Art. 3 Abs. i S. 1.

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des Memorandums übernimmt die BSI die Aufgabe, unter Berücksichtigung der sich aus den EU-Richtlinien ergebenden Verpflichtungen die Erarbeitung Europäischer Normen zu fördern, die sich soweit wie möglich auf internationale Normen mit breiter Basis stützen und die in den EU-Richtlinien nach Art. 100 EGV verweisungsfähig sein sollen. Bei Angelegenheiten, welche die bestehende oder beabsichtigte Rechtssetzung des Vereinigten Königreichs oder der Europäischen Union berühren, hat die BSI nach Beratung mit den interessierten Kreisen dafür Sorge zu tragen, daß der Standpunkt der Delegierten des Vereinigten Königreichs in den europäischen Normenorganisationen mit dem Standpunkt der Regierung übereinstimmt, den diese aufgrund eigener Betrachtungen eingenommen hat 109 . Im Gegenzug sagt die britische Regierung zu, die Normungsarbeiten finanziell zu unterstützen110, und im Rahmen von Vorschriften auf technische Normen der BSI zu verweisen, sofern geeignete Normen vorliegen und sie eine Bezugnahme auf technische Spezifikationen für notwendig hält 111 . Im Bereich der öffentlichen Märkte verpflichtet sich die britische Regierung, Normen der BSI anstelle von eigenen Spezifikationen als Grundlage ihrer Aufträge zu verwenden, sofern sich diese dafür eignen112. Liegen nach Ansicht der Regierung keine geeigneten Normen vor, so wird entsprechend Art. 2 Abs. iv S. 1 f. des Memorandums zwischen der britischen Regierung und der BSI eine Frist für die Erstellung geeigneter Normen vereinbart, innerhalb derer die Regierung von einer eigenen Regelerstellung absieht. Um die geforderte Eignung der zu schaffenden technischen Normen sicherzustellen, trägt die Regierung dafür Sorge, daß ihre Vertreter aktiv auf jeder Arbeitsstufe vom Präsidium bis zu den Lenkungs- und Arbeitsgremien der BSI mitarbeiten und die Tauglichkeit entsprechender Normen für die gesetzliche Verweisung oder die öffentliche Beschaffung im Rahmen des Normungsverfahrens - vor Veröffentlichung des Norm-Entwurfs sowie bei der Endabstimmung - bekanntgeben113. Das Memorandum gilt laut Art. 8 unbefristet bis zu einer einvernehmlichen Änderung oder der Kündigung durch eine Partei nach Anhörung der anderen.

109 BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 15 Abschn. 4 Nr. 4.6.7. Vgl. auch Oberheiden, W. u.a., Neue britische Normenpolitik, S. 201. 110 Vgl. die Ausführungen des nachfolgenden Kapitels. 111 Vereinigtes Königreich/British Standards Institution, Memorandum of Understanding, Art. 2 Abs. iii S. 1. 112 Ebd., Art. 2 Abs. iii S. 2. 113 Ebd., Art. 4 Abs. iii S. 1 und 3.

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ee) Finanzierung der Normungsarbeit Das BSI Board ist verantwortlich für eine wahrheitsgetreue Buchführung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten sowie der Einnahmen und Ausgaben der BSI 1 1 4 . Dazu führt sie drei voneinander getrennte Buchhaltungen, welche zu einer Jahresabschlußbilanz konsolidiert werden. Der erste Haushalt umfaßt die Kosten für Erstellung, Überarbeitung und Förderung der britischen Normen, die internationale Normungsarbeit und die Informationsdienste. Die Finanzierung dieses Haushalts erfolgt durch Mitgliedsbeiträge, Verkäufe von Dokumenten und staatliche Subventionen115. Dabei richtet sich die finanzielle Unterstützung der britischen Regierung nach dem Umfang der von anderen Organisationen an die BSI gezahlten freiwilligen Beiträge und nach dem Nutzen, den die Allgemeinheit aus dem nationalen Normenwerk zieht, wobei für dringend erforderliche Arbeiten im nationalen Interesse zusätzliche staatliche Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden können116. Der zweite Haushalt für Zertifizierungen und Qualitätssicherung trägt sich selbst durch Beiträge für Zertifizierungen, Beurteilungen und Inspektionen vornehmlich der Qualitätssicherungssysteme von Unternehmen nach ISO 9000 ff. Diese beiden Haushalte stellen jeweils gut des Gesamthaushaltes dar 117 . Der dritte Haushalt schließlich umfaßt mit J / 7 des Gesamthaushaltes den Bereich der (Labor-) Prüfungen 118. Mit 172,9 Mill. SFR erwirtschaftet zu 62,6 % durch Beurteilungen und Zertifizierungen, zu 11,4 % durch Veröffentlichungen, zu 6,8 % durch Mitgliedsbeiträge, zu 3,9 % durch staatliche Subventionen und zu 15,3 % durch "Sonstiges" - verfügte die BSI im Jahre 1995 mit Abstand über das höchste jährliche Budget innerhalb von CEN und ISO 1 1 9 . ff) Resümee des Abschnitts II.A.3.a) Die überbetriebliche technische Normung im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, die im Jahre 1882 in der "Institution of Elec114

Vereinigtes Königreich/BSI, Bye-laws: See. III: Finance, Bye-law 16 lit. (a) und

(b).

115

BSI, Annual Report 1991-92, S. 16; dies., BSI Today, S. 15; dies., Picture. Vereinigtes Königreich/British Standards Institution, Memorandum of Understanding, Art. 1 Abs. i S. 1 und 2 i.V.m. Art. 3 Abs. i S. 3 und Abs. ii. 117 Zu den Gesamteinnahmen in Höhe von 74,1 Mill. £ trugen im Geschäftsjahr 1991/92 der Normenverkauf 31,2 Mill. £, die Qualitätssicherung 33,6 Mill. £ und die Laborprüfungen 9,3 Mill. £ bei. BSI, Annual Report 1991-92, S. 4 f., 16 ff. 118 BSI, BSI Today, S. 16 f.; dies., Picture. 119 Vgl. dazu die Zahlenangaben für 1995, entnommen aus: ISO, Members, passim und insbes. S. 94. 116

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trical Engineers" (IEE), einer technisch-wissenschaftlichen Vereinigung, ihren Anfang nahm, verdankt wie in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich ihr Entstehen privater Initiative aufgrund vornehmlich privatwirtschaftlicher Zwecke. Obwohl durch die britischen normschaffenden Institutionen sehr bald auch öffentliche Aufgaben - hervorzuheben ist hier insbesondere der frühe Zeitpunkt der institutionalisierten Berücksichtigung der Verbraucherinteressen 120 - wahrgenommen wurden, standen die wirtschaftlichen Interessen noch bis nach Beendigung des zweiten Weltkriegs im Vordergrund 121. Seitdem hat sich die technische Normung im Vereinigten Königreich zu einem komplexen Normungssystem entwickelt, welches aus rund 40 normschaffenden Institutionen - zumeist Wirtschaftsverbänden und Berufsvereinigungen besteht. Aufgrund der vollständigen Integration der elektrotechnischen Normungsarbeiten in die BSI und deren sukzessiver Übernahme auch der Normungsarbeiten der anderen normschaffenden Institutionen122 ist die BSI heute nicht nur im Vereinigten Königreich, sondern auch unter den Normenorganisationen der EU und EFTA die mit Abstand größte Normenorganisation 123, wobei sich diese zentralisierende Entwicklung aufgrund des exklusiven Zugangs der BSI zu den europäischen und internationalen Normenorganisationen im Zuge deren steigender Bedeutung noch weiter verstärken wird. Wie in der Bundesrepublik Deutschland belegen auch im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland neben der beträchtlichen Zahl der privaten technischen Regelsetzer - mit einer hohen Anzahl an Mitgliedern, umfangreichen Normenwerken und zahlreichen Normungsvorhaben - insbesondere die große Zahl der in den Normungsgremien tätigen ehrenamtlichen Mitarbeiter und die zur Finanzierung der technischen Normung freiwillig aufgewendeten beträchtlichen Geldmittel die im ersten Teil dieser Arbeit gewonnene Erkenntnis, daß die technische Normung als technisch-ökonomisches Regelungssystem im heutigen Wirtschaftsleben eine kaum zu überschätzende Bedeutung besitzt.

120

Vgl. die Ausführungen in Fn. 38 in Kap. II.A.3.a)bb). So definierte die Royal Charter von 1929 als vornehmliche Aufgabe der BSI die Koordination der Anstrengungen von Herstellern und Benutzem hinsichtlich der Verbesserung, Normung und Vereinfachung technischer Systeme und gewerblicher Materialien, der Vereinfachung von Produktion und Handel sowie der Beseitigung der nationalen Verschwendung von Material und Zeit, welche aus der Produktion einer unnötigen Vielzahl von Typen und Größen von Artikeln für ein und dieselbe Verwendung resultierte. ISO, Members, S. 94. Auch die ersten Reports der Exekutive nach Beendigung des zweiten Weltkriegs behandelten vornehmlich die Steigerung der Effizienz der Produktion. Vgl. Kap. II.A.3.a)dd). 122 Vgl. Fn. 12 in Kap. II.A.3.a)aa). 123 Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 73. 121

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Über die Erfüllung der technisch-ökonomischen Funktionen hinaus ist es der BSI gelungen, sich der im ersten Teil der Untersuchung herausgearbeiteten öffentlichen Aufgaben anzunehmen und diese zur weitgehenden Zufriedenheit aller auszuführen, ohne die ursprünglichen und originären Interessen ihrer Mitglieder zu vernachlässigen, ohne ihre institutionelle Unabhängigkeit durch Integration in den Staatsapparat zu verlieren und auch ohne finanziell von diesem abhängig zu werden. Dazu konstatierte Lukes bereits Ende der siebziger Jahre: "Mit bemerkenswertem politischem und taktischem Einfühlungsvermögen und Geschick übernahm BSI jeweils vom Staat angetragene Aufgaben [des Allgemeininteresses], ja wirkte sogar schon an der Aufgabenentstehung mit." 124 "Insgesamt ist bei BSI die Entwicklung von einem industriebestimmten Normungsverein zu einer unabhängigen, selbständigen - und auf beides bedachten - Normenorganisation unverkennbar." 2 5 Zwar bescheinigten die in diesem Zusammenhang durch die Exekutivspitze eingesetzten Kommissionen der BSI anfänglich eine begrenzte Eignung zur Erstellung von technischen Spezifikationen für den Verbraucherschutz, da technische Normen für Verbrauchsgüter nicht rasch genug erstellt wurden, vorhandene Normen teilweise veraltet waren und zum Teil nur geringe Qualitätsanforderungen enthielten; und bezüglich technischer Sicherheitsnormen wurde empfohlen, zum Schutz der Verbraucher gegen Verletzungsgefahren durch Güter eine behördliche Kompetenz für die Erarbeitung von Konstruktions- und Beschaffenheitsnormen für bestimmte Güter zu schaffen. Jedoch erwiesen sich die staatlichen Organe hinsichtlich der Erfüllung dieser öffentlichen Aufgaben keinesfalls als überlegen: So kam der Robens-Report von 1972 im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit und die Sicherheit am Arbeitsplatz durch Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen für technische Anlagen und Geräte zu dem Ergebnis, daß die bestehenden gesetzlichen Regelungen verstreut in verschiedenen Gesetzen enthalten waren, die Aktualität der vorhandenen gesetzlichen Regelungen "unterschiedlich" war, die Rechtssetzung durch Rechtsverordnungen durchweg zu lange Zeit in Anspruch nahm und der Gesetzesvollzug zersplittert durch verschiedene Behörden erfolgte. Gegenüber den technischen Normen beanspruchten zur Zeit des Robens-Reports behördliche Codes und Standards eine im Durchschnitt 66% längere Ausarbeitungszeit nämlich fünf Jahre statt drei Jahre -, wobei von Bearbeitungszeiten von bis zu 124 Signifikantestes Beispiel hierfür sind die Bemühungen der BSI um den Verbraucherschutz. Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 72 f., 89 f. Ein aktuelleres Beispiel ist der Umweltschutz: Nach BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 26 Abschn. 13 Unterabschn. 13.8 sollen alle Normenausschüsse eine möglichst sorgfältige Abschätzung des Einflusses durchführen, den eine Norm auf die Umwelt haben könnte. 125 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 74.

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fünfzehn Jahren berichtet wird. Darüber hinaus machten auch die Behörden selbst - so z.B. das Department of Health and Social Security - die Erfahrung, daß die Erstellung von Standards und Codes nur durch behördeneigene Sachverständige nicht zu brauchbaren Ergebnissen führt und daher in den Arbeitsgremien neben Behördenvertretern auch Sachverständige aus der Industrie und anderen interessierten Kreisen unerläßlich sind. Diese Erfahrungen bestätigten sich im Rahmen der Tätigkeit eines überministeriellen Normungsgremiums, dem "Public Sector Standardization Team": Dieses erarbeitete von 1969 bis 1974 ganze 18 Public Authority Standards126. Damit ist wie in Deutschland und Frankreich auch im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland der Versuch einer behördlichen technischen Normung als gescheitert anzusehen. Als Schlußfolgerung empfahl die Robens-Kommission die Beschränkung der Gesetzgebung auf Grundsatzforderungen, die insbesondere durch technische Normen konkretisiert werden sollen. Diese Empfehlung wurde im Vertrag der britischen Regierung mit der BSI auf eine einvernehmliche rechtliche Grundlage gestellt, in dem die britische Regierung zusagt, im Rahmen von Rechtsvorschriften auf technische Normen der BSI zu verweisen, sofern geeignete Normen vorliegen und sie eine Bezugnahme auf technische Spezifikationen für notwendig hält. Im Gegenzug hat sich die BSI dazu verpflichtet, bei allen Normungsarbeiten das öffentliche Interesse uneingeschränkt zu berücksichtigen. Danach wurde der Status der britischen Normen als "anerkannte Regeln der Technik" ("sound and modern technical practice") bestätigt, die aufgestellt und angewendet werden, um dem öffentlichen Interesse zu dienen127. Hinsichtlich der institutionellen Unabhängigkeit der BSI ist hervorzuheben, daß der britische Monarch schon frühzeitig - nämlich bereits im Jahre 1929 seinen Einfluß auf die BSI geltend machte, indem er ihr eine Royal Charter verlieh. Diese Royal Charter bildet in ihrer aktuellen Fassung zusammen mit ihren Ergänzungen ("amendments") und "bye-laws" bis heute die Verfassung der juristischen Person, indem sie insbesondere die Aufgaben der Institution, die Aufgaben und Kompetenzen der Organe, die Anforderungen an die Buchführung sowie die Bedingungen der Mitgliedschaft festlegt. Durch die Bestimmungen der Royal Charter ist der BSI jedoch zumindest konzeptionell eine umfassende Gestaltungsmöglichkeit dieser Verfassung und damit auch eine weitgehende Eigenständigkeit eingeräumt worden, indem sowohl die bye-laws als auch die Royal Charter selbst von der Hauptversammlung der BSI mit einfacher Mehrheit bzw. mit Dreiviertel-Mehrheit geändert, ergänzt oder zurückgezogen 126

Ebd., S. 95. Vereinigtes Königreich/British Standards Institution, Memorandum of Understanding, Vorwort i.V.m. Art. 4 Abs. ii. 127

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werden können, wobei allerdings der Kronrat bzw. der britische Monarch jeweils ein Vetorecht besitzen. Wie weit die Gestaltungsmöglichkeiten der Statuten und damit die Eigenständigkeit der BSI in der Praxis reicht, hängt damit vom Gebrauch der Vetorechte des Kronrates bzw. des britischen Monarchen ab, da diese in der Lage sind, jedwede von der Hauptversammlung der BSI beschlossene Änderung zu blockieren. Für eine gewisse Unabhängigkeit der BSI von der britischen Regierung spricht, daß deren Verhältnis nicht durch ein einseitig erlassenes Gesetz, sondern durch einen am 24. November 1982 vom Staatssekretär für Handel und dem Präsidenten der BSI unterzeichneten Vertrag ("memorandum of understanding") - also eine gemeinsame Willenserklärung - geregelt ist, der entsprechend Art. 8 auch nur einvernehmlich geändert und durch jede der beiden Parteien nach Anhörung der anderen gekündigt werden kann. Im Vergleich zu den eindeutig formulierten Verpflichtungen der BSI räumen die entsprechenden Bestimmungen bezüglich der britischen Regierung dieser einen weitreichenden Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum ein ("... und sie eine Bezugnahme auf technische Spezifikationen für notwendig hält...", "... sofern sich diese dafür eignen ..."). Eine direkte Einschränkung der Eigenständigkeit der BSI bzw. genauer gesagt des Selbstbestimmungsrechts der interessierten Kreise enthält darüber hinaus Art. 5 Abs. iv des Memorandums, in dem sich die BSI dazu verpflichtet, bei Angelegenheiten, welche die bestehende oder beabsichtigte Rechtssetzung des Vereinigten Königreichs oder der Europäischen Union berühren, dafür Sorge zutragen, daß der Standpunkt der Delegierten des Vereinigten Königreichs in den europäischen Normenorganisationen mit dem Standpunkt der Regierung übereinstimmt, den diese aufgrund eigener Betrachtungen eingenommen hat 128 . Schließlich ist hinsichtlich des von Lukes als vordringlich eingeschätzten Problems der finanziellen Unabhängigkeit der BSI mit dem Ziel, ihre "Stellung als neutrale nationale Normenorganisation - ungeachtet der beachtlichen Inanspruchnahme staatlicher Finanzzuschüsse - gegenüber dem steigenden staatlichen Einfluß zu halten"129, auf die mehr als beachtliche Reduzierung der staatlichen Zuschüsse als einem an der technischen Normung interessierten Kreis von über 50 % Mitte der siebziger Jahre 130 auf beeindruckende 3,9 % im Jahre 1995

128

Obwohl die Rechtssetzung betreffend, soll nicht etwa der Standpunkt des legislativen Organs, also des Parlaments, sondern des exekutiven Organs - der britischen Regierung - übernommen werden. 129 Lukes, R, EWG- und EFTA-Staaten, S. 74. 130 Ebd.; vgl. auch Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 84.

37 Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

zu verweisen, so daß eine finanzielle Abhängigkeit vom Staat nicht (mehr) besteht. Im übrigen hat die BSI schon immer ihre Unabhängigkeit gegenüber den staatlichen Behörden gewahrt, indem sie trotz des hohen Anteils staatlicher Gelder stets die volle Selbstbestimmung für ihre Entscheidungen beanspruchte und den Staatsvertretern in den Lenkungsgremien nur den Platz Gleicher unter Gleichen zubilligte131. Mit diesen Erkenntnissen läßt sich nunmehr die erste am Ende des Teils I gestellte Frage nach den Gründen für die Befähigung der normschaffenden Institutionen zur Wahrnehmung dieser öffentlichen Aufgaben für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland beantworten: Denn wie in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich resultiert die Eignung zur Bewältigung dieser Aufgaben aus den spezifischen Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation der BSI (und der anderen normschaffenden Institutionen), die sich traditionell für die Schaffung von Ordnung und die Strukturierung des Wissens und der Erkenntnisse im Bereich von Wissenschaft und Technik sowie der Schließung wirtschaftlich-technischer Vereinbarungen der Marktteilnehmer herausgebildet und bewährt haben, und die laufend den sich ändernden Erfordernissen der Lebenswirklichkeit angepaßt werden. Diesbezüglich gilt hier das betreffend der Bundesrepublik Deutschland in Kapitel II.A.l.a)gg) Ausgeführte. Wenn in diesem Zusammenhang die britische Regierung kritisiert, daß es in der BSI zu viele Normenausschüsse gäbe 132 , so geschieht dies unter Verkennung der durch die exponentiell zunehmenden naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnisse und Entwicklungen geprägte steigende Komplexität unserer technikdeterminierten Lebenswirklichkeit, durch welche die Fähigkeit, diese Lebenswirklichkeit begreifen, beurteilen und auf dieser Basis steuern oder gar regeln zu können, für jeden einzelnen Menschen auf einen immer kleineren Ausschnitt limitiert ist 133 - oder umgekehrt, die bei als konstant angenommenen geistigen Fähigkeiten des Menschen eine immer größere Anzahl an Gremien notwendig macht, um diese zunehmend komplexe Wirklichkeit regeln zu können. Die Aufbauorganisation der BSI ist ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland und - abgesehen von der staatlichen Ebene - auch in Frankreich als hierarchisches System ausgestaltet, bestehend aus der "Hauptversammlung" ("General Meeting") der eingeschriebenen Mitglieder, dem "BSI Board" als "Governing Body" nebst Präsident und Vorsitzendem, der "Geschäftsführung" ("Management Executive"), den "Sektorvorständen" ("Sector Boards"), den

131 132 133

Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 84. Thatcher, M., Rede vor dem BSI, S. 232. Vgl. Kap. I.E.

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"Geschäftsvorständen" ("Business Boards")- darunter auch der "Normenvorstand" ("Standards Board") -, den "Räten" ("Councils") - einschließlich der sieben "Normungsräte" ("Standards Councils") -, den "Normungspolitikausschüssen" ("Standards Policy Committees"), den "Ausschüssen" ("Committees") und einigen weiteren spezifischen Organen. Alle kollegialen Gremien vom BSI Board über die councils bis zu den committees und deren Unterstrukturen sollen jeweils repräsentativ mit Vertretern der betroffenen Interessen besetzt werden. Auf der eigentlichen Arbeitsebene sind die "Normenausschüsse" ('Technical Committees") für die technische Normung auf jeweils einem abgeschlossenen Fachgebiet zuständig, wobei die eigentliche Normungsarbeit i.d.R. für jeweils definierte Teilbereiche dieses Fachgebietes in "Unterausschüssen" ("Technical Subcommittees"), "Gremien" ("Panels") und "zeitlich befristeten Arbeitsgruppen" ("Temporary Working Groups") durchgeführt wird. Um trotz dieser weitgehenden Spezialisierung die Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Arbeitsergebnisse eines Normenausschusses auf seinem Fachgebiet sowie darüber hinaus auch bezüglich des übrigen Normenwerkes, der anderen nationalen sowie der europäischen und internationalen Normenwerke sicherzustellen, ist ein hierarchisch abgestuftes Planungs- und Steuerungssystem, bestehend aus dem "Normenvorstand" ("Standards Board"), sieben "Normungsräten" ("Standards Councils") und über sechzig "Normungspolitikausschüssen" ("Standards Policy Committees") verantwortlich für die Erstellung des Fünf-Jahres-Planes für die technische Normung in Zusammenarbeit mit der britischen Regierung, die Koordination der Normungsprogramme, die Entwicklung der Strategiepläne und die Fortschreibung der rollierenden Arbeitsprogramme der Normenausschüsse. Dabei wird die Koordination der nationalen Normungsarbeiten auf einem Fachgebiet mit den entsprechenden europäischen und internationalen Aktivitäten wie in der Bundesrepublik Deutschland ebenso einfach wie effizient durch eine zu diesen spiegelbildliche Organisationsstruktur der Normungsgremien gewährleistet, wobei für ein bestimmtes Normungsprojekt jeweils nur ein Arbeitsgremium zuständig ist, welches diese Aufgabe auch in den europäischen und internationalen Normenorganisationen wahrnimmt. Im Zusammenhang mit den aufbauorganisatorischen Betrachtungen hervorzuheben ist die mit maximal acht BSI-externen Vertretern der interessierten Kreise im "BSI Board" sehr begrenzte Repräsentationsmöglichkeit der Vielzahl der von der technischen Normung betroffenen Interessen, verglichen beispielsweise mit dem Präsidium des DIN. Bemerkenswert ist ferner die im "LeanManagement-Zeitalter" ungewöhnlich tiefe Hierarchiestruktur der BSI, dieohne Berücksichtigung von "General Meeting" sowie "Technical Subcommittees", "Panels" und "Temporary Working Groups" - beachtliche 6 Hierarchiestufen umfaßt. Bei alledem besitzt die BSI in der Beurteilung des Direktors

3*

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des D I N den einheitlichsten Aufbau unter den europäischen nationalen Nor134

menorganisationen Hinsichtlich der Ablauforganisation wird die Normungsarbeit, die jedermann beantragen kann, von ehrenamtlichen, bezüglich des zu behandelnden Normungsgegenstandes kompetenten Fachleuten durchgeführt, welche in ihrer Zusammensetzung die betroffenen Interessen repräsentieren sollen. Um die Ausgewogenheit und allgemeine Akzeptanz der Lösung sicherzustellen, hat die Beschlußfassung im Konsens zu erfolgen. Der zusätzlichen Verhinderung einseitiger Regelungen wie auch der Einbeziehung weiteren Sachverstands dient die regelmäßige Veröffentlichung der Norm-Entwürfe mit der Möglichkeit der Stellungnahme durch jedermann, die als Teil der Normungsarbeit zu berücksichtigen sind. Im Falle eines Dissenses mit dem Arbeitsgremium steht den Stellungnehmenden ein mehrstufiges Schlichtungs- und Schiedsverfahren zur Vertretung ihrer Interessen offen. Schließlich werden die technischen Normen regelmäßig im Fünf-Jahres-Rhythmus überprüft und gegebenenfalls überarbeitet oder zurückgezogen, sofern nicht bereits zuvor durch einen Anwender die Überarbeitung aufgrund von Fehlern, Unvollständigkeiten, mangelnder Aktualität oder aus anderen Gründen beantragt wird 135 . Ein zweiter Weg der Rückkopplung bezüglich der Qualität der technischen Normen besteht in der Möglichkeit der Abnehmer, sich im Falle der NichtZufriedenheit mit einem mit Kitemark oder Safety-Mark zertifizierten Produkt direkt an die BSI zu wenden, welche den Fall untersucht. Damit ist das Credo der britischen Normungsarbeit - nicht anders als das der deutschen und französischen - von der strategischen Planung der Normungsarbeit im Fünfjahresplan, den sektoralen Normungsprogrammen und Strategieplänen über die rollierenden Arbeitsprogramme der Normenausschüsse bis hin zur Erarbeitung und Prüfung der Normen der freie, konsensorientierte Diskurs aller interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit zum Nutzen der Allgemeinheit. Die geschilderte Erfüllung öffentlicher, genuin dem Staat obliegender Aufgaben im Rahmen der überbetrieblichen technischen Normung führt regelmäßig zu der - bereits am Ende des Kapitels I.E aufgeworfenen - Fragestellung, ob den privatrechtlichen Normenorganisationen eine etwaige Rechtssetzungsbefugnis und somit den technischen Normen ein rechtsverbindlicher Charakter zukommt 134

Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 73. Zu diesem Zweck enthalten alle britischen Normen folgenden Hinweis: "Jede Person, welche eine Ungenauigkeit oder Mehrdeutigkeit bei der Anwendung einer britischen Norm entdeckt, sollte die BSI unverzüglich benachrichtigen, so daß die Angelegenheit schnell untersucht werden kann." BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 12 Abschn. 4 Unterabschn. 4.6.2. 135

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und wie diese gegebenenfalls in das System staatlicher Hoheitsakte einzuordnen sind. Diese Untersuchung ist Gegenstand des nachfolgenden Kapitels. b) Die Rechtsnatur technischer Normen Obwohl das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland kein Bundesstaat ist - was schon darin zum Ausdruck kommt, daß lediglich ein Parlament über die ungeteilte Gesetzgebungsgewalt verfügt -, existieren bis heute dennoch in England und Wales, in Nordirland und in Schottland drei voneinander verschiedene Rechtsordnungen. Daher wird, wo es notwendig ist, in den Fußnoten auf entsprechende Unterschiede hingewiesen, wobei insbesondere die schottische Rechtsordnung aufgrund des historischen kontinentalen Einflusses von den beiden ersteren abweicht136. Im britischen Rechtssystem, welches sich durch eine ungeschriebene Verfassung auszeichnet, genießt die gesetzgebende Gewalt des Parlaments gemäß der Doktrin der uneingeschränkten parlamentarischen Souveränität ("supremacy of parliament" bzw. "legislative supremacy") eine uneingeschränkte Gesetzgebungsbefugnis. Diese unterliegt keinerlei nationalrechtlichen Schranken137, da eine höherrangige, besonders geschützte Grundrechtscharta, die als Prüfungsmaßstab für parlamentarische Gesetze herangezogen werden könnte, nicht existiert; vielmehr ist es dem Parlament möglich, selbst Grundrechte mit einfacher Mehrheit abzuändern oder sogar zu beseitigen. Dementsprechend steht das Parlamentsgesetz ("act of parliament" ) in der Normenhierarchie über allen anderen Rechtsquellen138. Britische technische Normen sind schon deshalb keine Gesetze, da sie nicht von den beiden gesetzgebenden Kammern des Parlaments - dem "House of Lords" und dem "House of Commons" - erlassen werden, sondern von der BSI als einer Körperschaft des privaten Rechts. Die untergeordnete oder abgeleitete Gesetzgebung ("statutory instruments") in Form von Rechtsverordnungen der Exekutive ("regulations") unterliegt dem Gesetz über Rechts Verordnungen ("Statutory Instruments Act 1946") und beruht regelmäßig auf einer Kompetenzübertragung durch Parlamentsgesetz auf

136

Kingston, P. u.a., Vereinigtes Königreich, S. 715. Außerhalb des nationalrechtlichen Rahmens muß sich das Parlament natürlich an die von ihm ratifizierten internationalen Vereinbarungen und Konventionen halten, auf die jedoch in diesem Zusammenhang nicht weiter eingegangen wird. 138 Folglich beschränkt sich die Aufgabe der Gerichte, bezogen auf das Parlament, auf die Auslegung und Anwendung der parlamentarischen Gesetze. Eine das Parlament kontrollierende Instanz wie das deutsche Verfassungsgericht gibt es nicht. Für England, Wales und Nordirland vgl. Kingston, P. u.a., Vereinigtes Königreich, S. 719, 723, 754, 760 f.; für Schottland vgl. ebd., S. 816 f. 137

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

entsprechende Exekutivorgane wie Regierungsstellen, Regierungsmitglieder oder Lokalbehörden. Eine weitere, den Rechtsverordnungen hierarchisch untergeordnete Art der abgeleiteten exekutiven Gesetzgebung sind die sogenannten "bye-laws" - meist in Form von örtlichen Satzungen, Ortsrechtsnormen oder Ausführungsverordnungen -, die auf einer Kompetenzübertragung an örtliche Verwaltungsbehörden oder andere Verwaltungsorgane beruhen, aber nicht unter den "Statutory Instruments Act 1946" fallen 139 . Da die BSI als Körperschaft des privaten Rechts nicht zur staatlichen Exekutivgewalt zählt, können britische technische Normen weder als Rechtsverordnungen in Form von "regulations" noch als "bye-laws" einer durch das Parlament ermächtigten zentralen oder lokalen Exekutive qualifiziert werden. Des weiteren liegt auch keine Beleihung der BSI mit hoheitlichen Aufgaben vor. Als Rechtsgrundlage einer solchen Beleihung kämen die Royal Charter, erlassen vom Kronrat im Auftrag des Monarchen, und das Memorandum of Understanding zwischen der BSI und der britischen Regierung in Betracht. Jedoch bedeutet die Royal Charter lediglich die Feststellung, daß die BSI zur Aufgabe haben soll, technische Normen zu erstellen, für ihre praktische Einführung zu sorgen und eine Normenkonformitätskennzeichnung durchzuführen, und daß im Sinne des Monarchen keine andere Institution die gleiche Tätigkeit auszuüben berechtigt ist 140 . Und auch dem Memorandum of Understanding zwischen der BSI und der Britischen Regierung läßt sich keine explizite oder auch nur konkludente Übertragung von Hoheitsbefugnissen entnehmen141. Schließlich be-

139

Für England, Wales und Nordirland vgl. Kingston, P. u.a., Vereinigtes Königreich, S. 724; für Schottland vgl. ebd., S. 819. 140 Vgl. Kap. II.A.3.a)dd). 141 Vgl. dazu die obigen Ausführungen. Auf eine Betrachtung weiterer Rechtsquellen im Vereinigten Königreich wird im Rahmen dieser Arbeit verzichtet. Für England, Wales und Nordirland sind in der Reihenfolge ihrer Bedeutung zusätzlich das Richterrecht der Obergerichte ("case law", "lawyer's law" oder "judge-madelaw") nach der Doktrin des Präzedenzfalls ("stare decisis") als die nach dem Parlamentsgesetz zweitwichtigste Rechtsquelle überhaupt zu nennen; femer das häufig aus Gerichtsentscheidungen hervorgegangene Gewohnheitsrecht im Sinne von Gemeinem Recht ("common law"), das ebenfalls ungeschriebene Billigkeitsrecht ("equity") sowie das Völkervertrags- und -gewohnheitsrecht. Vgl. dazu Kingston, P. u.a., Vereinigtes Königreich, S. 725 ff. In Schottland gelten als weitere Rechtsquellen das hier ebenfalls sehr bedeutende Richterrecht, ferner einfaches Gesetzesrecht ("public general statutes") mit Geltungskraft im Hoheits- und Gerichtbarkeitsbereich Schottlands, parlamentarische Lokalgesetze und Gesetze im Interesse einer Einzelperson ("local or personal Acts of Parliament"), gerichtliche Verfahrensgrundsätze, Gewohnheitsrecht ("civil law" und "common law") sowie das Völkervertrags- und -gewohnheitsrecht. Vgl. dazu Kingston, P. u.a., Vereinigtes Königreich, S. 817 ff.

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gründet auch die Rezeption technischer Normen in Gesetzen keine Delegation von hoheitlichen Befugnissen an die Normenorganisation, da der Gesetzgeber stets in der Lage ist, eine Bezugnahme jederzeit aufzuheben und sie entweder durch einen anderen Bezug oder durch Einfügen der notwendigen technischen Festlegungen in den Gesetzestext selbst zu ersetzen142. Damit kommt britischen technischen Normen eo ipso keine Rechtsverbindlichkeit zu. Vielmehr sind sie als Ergebnis eines kollektiven Willensbildungsprozesses der interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit zum Nutzen der Allgemeinheit143 rechtlich unverbindliche Empfehlungen der für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland zuständigen Normenorganisation BSI an "jedermann" 144. Sie können somit allein aufgrund eines staatlichen Rezeptionsaktes rechtliche Verbindlichkeit erlangen 145. Diese Betrachtungen sind Gegenstand des nachfolgenden Kapitels. c) Die staatliche Rezeption technischer Normen aa) Begriffsdefinition Wie bereits im Rahmen der vorhergehenden Untersuchungen ausgeführt, sollen unter dem Begriff "staatliche Rezeption technischer Normen" alle Arten unmittelbarer und mittelbarer Bezugnahme auf private technische Normen in staatlichen Hoheitsakten verstanden werden. Während im Falle der unmittelbaren Rezeption die Rechtsnorm eine technische Norm direkt rezipiert, besteht im Falle der mittelbaren Rezeption zwischen einer Rechtsvorschrift, in deren Rahmen eine technische Norm Rechtsverbindlichkeit erlangt, und der technischen Norm selbst noch ein zusätzliches Verbindungsglied in Form einer behördlichen Vorschrift, einer Anerkennung durch den zuständigen Minister, eines von der Ministerialbehörde erlassenen "code of praxis" u.a.m.

142

BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 6 Abschn. 3 Nr. 3.3.1. Ebd. S. 6 Abschn. 3 Nr. 3.1.2. 144 Dies ist unstreitig. BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 6 Abschn. 3 Nr. 3.1.1; dies., Consumers, S. 4; dies., Picture; ISO, Members, S. 94; Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 102 ff.; Marburger, P., Technische Normung, S. 203; Reihlen, H„ Normenorganisationen, S. 73. 145 Abgesehen von der rechtlichen Verbindlichkeit technischer Normen für die Vertragspartner im Falle ihrer Aufnahme in Verträge. Vgl. dazu BSI, BS 0-1: 1991-10/ AMD 1993-11 S. 6 Abschn. 3 Nr. 3.1.1, 3.1.4 und 3.2 sowie dies., BS 0-3: 1991-11/ AMD 1993-11 S. 12 Abschn. 4 Nr. 4.7.1. 143

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bb) Rezeptionsarten Arten der unmittelbaren Bezugnahme auf technische Normen im britischen Recht sind die Inkorporation ("incorporation"), die datierte Verweisung ("dated reference"), die undatierte Verweisung ("undated reference") und die allgemeine Verweisung ("general reference"), wobei jede dieser Methoden entweder als verbindliche Verweisung ("mandatory reference") oder aber als eine die Erfüllung vermutende Verweisung ("deemed to satisfy reference") ausgestaltet sein kann. Wichtigste Methode der mittelbaren Bezugnahme auf technische Normen ist die Rezeption durch offene Rechtsbegriffe wie beispielsweise "best practicable means", "as far as (reasonable) practicable", "approved codes of practice" oder "merchandable quality". (1) Arten der unmittelbaren Rezeption technischer Normen (a) Inkorporation ("incorporation") Das britische Recht kennt wie das deutsche und französische den Rezeptionsmechanismus der Inkorporation. Dabei werden technische Normen entweder wörtlich - z.B. beinhalten die "Carry-Cots (Safety) Regulations" die technischen Festlegungen des BS 3881 - oder nahezu wortgetreu - so basieren beispielsweise die technischen Anforderungen der "Oil Heater Regulations" von 1972 und 1976 auf dem BS 3300 und stimmen mit dessen Wortlaut nahezu überein - in Rechtsvorschriften übernommen. Der Inhalt technischer Normen wird damit als Bestandteil des jeweiligen Rechtssatzes vom zuständigen gesetzgebenden Organ verabschiedet und teilt insoweit die Rechtsnatur dieser Rechtsnormen, d.h. entfaltet unmittelbare Bindungswirkung für den Normadressaten. Diese Art der Rezeption begegnet im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland keinen rechtlichen Bedenken146. Nicht die überbetriebliche technische Norm als solche erlangt rechtliche Verbindlichkeit, sondern lediglich deren inkorporierter Inhalt.

146 Abgesehen von hier nicht interessierenden Urheberrechtsproblemen. Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 68, 93 f., 104 m.w.N.

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(b) Verweisung ("reference") (aa) Der Grad der Verbindlichkeit der Verweisung auf technische Normen Für die Verweisung auf technische Normen in Rechtsvorschriften existieren im Vereinigten Königreich zwei verschiedene Arten, die sich grundsätzlich hinsichtlich der rechtlichen Verbindlichkeit der rezipierten technischen Normen unterscheiden: oc) Verbindliche Verweisung ("mandatory reference") Ausnahmslos im technischen Sicherheitsrecht angewandt, wird durch die verbindliche Verweisung die Einhaltung bestimmter technischer Normen als zwingende gesetzliche Vorgabe statuiert. D.h. der Normadressat hat die rezipierte technische Norm oder den in Bezug genommenen Teil von ihr zu befolgen oder ein bestimmtes Ergebnis entsprechend einer genormten Prüfung nachzuweisen um die gesetzlichen Anforderungen zu befolgen. Damit wird der Inhalt der rezipierten technischen Normen bzw. Normteile als zu erfüllendes Tatbestandsmerkmal im Rahmen der gesetzlichen Anforderungen rechtlich verbindlich vorgeschrieben 147. Beispielsweise fordern einige nach dem "Road Traffic Act" erlassene Verordnungen die Übereinstimmung sicherheitsrelevanter Produkte wie Sicherheitsglas oder Motorradsturzhelme mit den einschlägigen BSI-Normen inklusive deren Normenkonformitätsprüfung und Kennzeichung mit dem "Kitemark"-Zeichen 148. Ein anderes Beispiel ist ein Gesetz von 1964, welches den Verkauf von Schlafbekleidung verbietet, die nicht den britischen Normen entspricht149. ß) Die Erfüllung vermutende Verweisung ("deemed to satisfy reference") Diese Rezeptionsmethode ist unter Verwendung von Klauseln wie "deemed to satisfy", "deemed to fulfill" u.a.m. so ausgestaltet, daß die Einhaltung der rezipierten technischen Normen als zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen hinreichend und geeignet gilt, ohne daß andere Möglichkeiten ausgeschlossen sind. Ähnlich wie bei der normkonkretisierenden Verweisung nach deut-

147

BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 6 Abschn. 3 Nr. 3.3.2 lit. a); Marburger, P., Technische Normung, S. 205. 148 BSI, Consumers, S. 1; Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 87; Marburger, P., Technische Normung, S. 205. 149 BSI, History, S. 4.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

schem Recht wird dadurch eine Vermutung für die Einhaltung der gesetzlichen Pflichten begründet, soweit der Normadressat die in Bezug genommenen technischen Normen beachtet hat. Die überbetriebliche technische Norm wird also nicht Tatbestandsmerkmal der Rechtsnorm; vielmehr sind vom Rechtsanwender bestimmte Tatbestandsmerkmale der Rechtsnorm im Falle der Befolgung der rezipierten technischen Norm als erfüllt anzusehen. Hingegen kann von jedem, der eine andere Lösung wählt, der Beweis verlangt werden, daß seine alternative Lösung den Anforderungen der Vorschrift in gleichem Maße genügt, d.h. zumindest dasselbe Schutz- und Sicherheitsniveau gewährleistet wie die rezipierten technischen Normen. Diese Methode findet in der neueren Gesetzgebung bevorzugt Anwendung, wobei mehrere Gesetze neueren Datums zusätzlich bestimmen, daß die gesetzlichen Anforderungen nicht nur durch Befolgung der technischen Normen, sondern auch auf andere Weise erfüllt werden können 150 . Ein frühes Beispiel dieser Methode stellt die "Electric Supply Regulation 1937" dar, die allgemein auf "Regulations of the Institution of Electrical Engineers" und auf BSI-Normen verweist, wobei durch den Passus "deemed to fulfill the requirements of this regulation" eindeutig klargestellt wird, daß die Einhaltung der technischen Normen für die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen nicht zwingend ist, sondern bei Normenkonformität nur eine Vermutung für die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen besteht151. (bb) Die Arten der Verweisung auf technische Normen α) Datierte Verweisung ("dated reference") Bei der auch im deutschen und französischen Recht geläufigen datierten Verweisung werden die rezipierten Normen derart - im allgemeinen durch Angabe von Nummer und Erstellungsjahr - bestimmt, daß nachfolgende Ausgaben der Normen ohne Änderung der Vorschrift nicht anwendbar sind152. Da auch britische Normen nicht nur datiert, sondern auch undatiert auf andere Normen und BSI-Veröffentlichungen verweisen153 - wobei es sich jedoch regelmäßig 150

BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 7 Abschn. 3 Nr. 3.3.2 lit. b); Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 97, 104 f., 107 f.; Marburger, P., Technische Normung, S. 205; Oberheiden, W. u.a., Neue britische Normenpolitik, S. 201. 151 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 96 f., 107 ff. m.w.N. 152 BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 7 Abschn. 3 Nr. 3.3.3 lit. a); Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 109; Marburger, P., Technische Normung, S. 205. 153 BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 9 Abschn. 3 Nr. 3.5.1. Vgl. beispielsweise die Verweisungen in BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 3 Abschn. 1 Nr. 1.2.1; BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 3 Abschn. 1 Nr. 1.2.1; BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 5 Abschn. 1 Nr. 1.2.1.

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nicht um normative, sondern nur um informative Verweise handelt154 -, werden eventuelle undatierte Weiterverweisungen der rezipierten Norm auf andere technische Normen oder Veröffentlichungen als datierte Verweisungen auf diejenigen Ausgaben der Dokumente gedeutet, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Rechtsvorschrift gültig waren 155. Die datierte Verweisung stellt seit den siebziger Jahren die übliche Praxis im Vereinigten Königreich dar. So nimmt eine Reihe von Rechtsverordnungen - erlassen im Rahmen verschiedener parlamentarischer Gesetze - datiert auf rund 300 britische Normen Bezug156. ß) Undatierte Verweisung ("undated reference") Ebenso wie in Deutschland und Frankreich, werden bei der undatierten Verweisung eine oder mehrere spezielle Normen derart - normalerweise durch Angabe ihrer Nummer - bestimmt, daß die folgenden Ausgaben der Norm ohne die Notwendigkeit einer Änderung der Vorschrift anwendbar sind157. Die undatierte Verweisung gilt seit den siebziger Jahren im Vereinigten Königreich als verfassungsrechtlich unzulässig, da sie eine rechtswidrige Übertragung staatlicher Rechtssetzungsbefugnis an private Institutionen bedeutet; daher wird diese Verweismethode in der neueren Gesetzgebung nicht mehr angewandt158. Beispiele für undatierte Verweisungen auf technische Normen finden sich in dem "Merchant Shipping Medical Sales Act 1968", welcher auf die Normen BS 3522 und BS 691 "as amended" verweist, oder in den "Regulations for Protective Helmets for Motor Cycles", welche die Normen BS 2001 und BS 1869 "as amended" in Bezug nehmen159. γ) Allgemeine Verweisung ("general reference") Bei der allgemeinen Verweisung werden alle Normen einer bestimmten Normenorganisation und/oder eines bestimmten Normungsgebietes ohne individuelle Bezeichnung rezipiert. Diese Art der Verweisung findet anders als in Deutschland und Frankreich nicht nur in Form einer undatierten Bezugnahme Anwendung, bei der jede Änderung des rezipierten Normenwerkes ohne Modi-

154

BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 9 Abschn. 3 Nr. 3.5.2 und 3.5.3. Lukes, R, EWG- und EFTA-Staaten, S. 109 f. 156 BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 7 Abschn. 3 Nr. 3.3.3; Lukes, R, EWGund EFTA-Staaten, S. 109; Marburger, P., Technische Normung, S. 205. 157 BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 7 Abschn. 3 Nr. 3.3.3 lit. b). 158 Lukes, R, EWG- und EFTA-Staaten, S. 67,97, 110. 159 Ebd., S. 108. 155

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fikation der rezipierenden Rechtsvorschrift Gültigkeit erlangt, sondern auch in Form einer datierten Verweisung, welche allgemein die zu einem bestimmten Zeitpunkt gültigen technischen Normen in Bezug nimmt 160 . Früher in aller Regel nicht problematisiert 161, werden allgemeine Verweisungen in der undatierten Form seit den siebziger Jahren aufgrund der unzulässigen Übertragung staatlicher Rechtssetzungsbefugnis an private Institutionen als unzulässig angesehen und daher nicht mehr angewandt162. Hingegen existieren bezüglich der datierten allgemeinen Verweisung, soweit ersichtlich, keine Bedenken. Ein Beispiel für eine undatierte allgemeine Verweisung stellen die "Electric Supply Regulations 1937" dar, in denen auf die "Regulations of the Institution of Electrical Engineers" und auf BSI-Normen Bezug genommen wird 163 . Ein Beispiel für eine datierte allgemeine Verweisung findet sich in sec. A 4 (5) c (I) der "Building Regulations 1976" 164 . (2) Arten der mittelbaren Rezeption technischer Normen Wie bereits eingangs ausgeführt, ist von mittelbarer Rezeption dann die Rede, wenn zwischen einer Rechtsvorschrift, in deren Rahmen eine technische Norm rechtserheblich wird, und der technischen Norm selbst noch ein zusätzliches Verbindungsglied besteht. Die mit Abstand bedeutendste derartige Rezeptionsmethode im britischen Recht stellt die mittelbare Rezeption durch offene Rechtsbegriffe dar. In aller Kürze wird darüber hinaus noch auf die mittelbare Rezeption technischer Normen auf öffentlichen Märkten, die Qualifizierung technischer Normen als "Good Practice" sowie die Bedeutung technischer Normen unter dem "Restrictive Trade Practices Act 1976" eingegangen.

160 BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 7 Abschn. 3 Nr. 3.3.3 lit. c); Marburger, P., Technische Normung, S. 205. Allerdings stellt eine allgemeine Verweisung in datierter Form im Hinblick auf den sich beschleunigenden technischen Fortschritt, die sich weiterentwickelnden wissenschaftlichen Erkenntnisse und die sich wandelnden gesellschaftlichen Bedürfnisse eine wenig sinnvolle Regelungsmethode dar, weil sie den einmal erreichten Stand zementiert. 161 Als Ausnahme von dieser Regel wurde bereits 1937 von einem Londoner Gericht eine allgemeine undatierte Bezugnahme auf technische Normen für unzulässig erklärt. Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 69. 162 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 67, 97, 104, 108, 110; Marburger, P., Technische Normung, S. 205. 163 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 96 f., 106 ff. m.w.N. 164 Marburger, P., Technische Normung, S. 205.

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(a) Mittelbare Rezeption durch offene Rechtsbegriffe Bei dieser Regelungsmethode sind die rechtlichen Vorgaben durch offene Rechtsbegriffe wie beispielsweise "best practicable means", "all practicable measures", "all practicable steps", "as far as (reasonable) practicable", "approved codes of practice" oder "merchandable quality" umschrieben. Diese werden außer durch technische Normen auch durch von der Ministerialbehörde erlassene oder anerkannte "codes of practice" oder "approved standards" konkretisiert, bei denen es sich sowohl um Verhaltensrichtlinien als auch um technische Spezifikationen handeln kann. Auch diese informellen Richtlinien und Empfehlungen rezipieren technische Normen verschiedenster Art und Herkunft, insbesondere BSI-Normen. Die Rechtsfolge der Beachtung von Codes bzw. Normen ist in den einzelnen Gesetzen unterschiedlich geregelt; sie können sowohl eine Beweislastumkehr begründen - so z.B. sec. 17 des "Health and Safety at Work etc. Act 1974" -, als auch eine Auslegungshilfe darstellen, wie beispielsweise sec. 17 des "Control of Pollution Act 1974" 165 . Dementsprechend werden wie in der Bundesrepublik Deutschland die technischen Normen erst durch den Einzelentscheid der zuständigen Behörde bzw. des Gerichtes für den Normadressaten verbindlich, bei dem Behörden und Gerichten insbesondere im Falle der Rezeption technischer Normen als Auslegungshilfe ein relativ weiter Beurteilungsspielraum verbleibt 166. (b) Mittelbare Rezeption technischer Normen auf öffentlichen Märkten Im Bereich der öffentlichen Märkte hat sich die britische Regierung in Art. 2 Abs. iii S. 2 des Memorandums mit der BSI verpflichtet, technische Normen anstelle von eigenen Spezifikationen als Grundlage ihrer Aufträge zu verwenden, sofern sich diese dafür eignen. Liegen nach Ansicht der Regierung keine geeigneten Normen der BSI vor, vereinbaren die britische Regierung und die BSI eine Frist für die Erstellung geeigneter Normen, innerhalb derer die Regierung von einer eigenen Regelerstellung absieht. Im Rahmen entsprechender Normungsarbeiten geben Vertreter des Staates die Eignung der entstehenden technischen Norm für die öffentliche Beschaffung sowohl vor der Veröffentlichung des Norm-Entwurfs als auch bei der Endabstimmung bekannt167.

165

Ebd.; vgl. auch Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 138. Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 134 ff., 149, 177. 167 Vereinigtes Königreich/British Standards Institution, Memorandum of Understanding, Art. 2 Abs. iv S. 1 f. 166

590

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Hinsichtlich der Rechtsfolge kann die verbindliche Anwendung technischer Normen auf öffentlichen Märkten als innerdienstliche Anweisungen qualifiziert werden. Für den Bürger entfalten die technischen Normen auf diese Weise keine unmittelbare, wohl aber eine mittelbare Β indungs Wirkung in den Fällen, in denen er Geschäfte mit Unternehmen oder Institutionen innerhalb der staatlichen Einflußsphäre zu tätigen beabsichtigt168. Wenn beispielsweise in den Versorgungsbedingungen eines öffentlichen Energieversorgungsunternehmens nur eine Belieferung normenkonformer Anlagen vorgesehen ist, dann bedeutet dies bei der monopolartigen Stellung dieser Unternehmen in der Praxis, daß nur noch normenkonforme Anlagen vermarktungsfähig sind. Ebenso kann aufgrund der wirtschaftlichen Macht der öffentlichen Hand den von öffentlichen Aufträgen stark abhängigen Wirtschaftszweigen (z.B. Luftfahrt, Wehrtechnik, Telekom und Bahn) die Beachtung der technischen Normen auch ohne deren Rezeption in Rechtsvorschriften praktisch aufgezwungen werden 169. (c) Technische Normen als "good practice" oder "sound and modern practice" Im Vereinigten Königreich gelten technische Normen weder generell als "Verkehrssitte" ("good practice") noch als "anerkannte Regeln der Technik" ("sound and modern practice"), was die Rechtsfolge nach sich zöge, daß die Einhaltung der einschlägigen technischen Normen die Vermutung oder den Beweis des ersten Anscheins für die Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen begründe. Ob und inwieweit dies der Fall ist, muß im Einzelfall durch die zuständige Behörde bzw. das Gericht entschieden werden 170. (d) Sonstige Formen der mittelbaren Rezeption technischer Normen Nach dem "Restrictive Trade Practices Act 1976" sind Vereinbarungen der Benutzung britischer Normen von den Erfordernissen der Registrierung durch den Generaldirektor für fairen Handel ausgeschlossen, da diese im öffentlichen Interesse als Übereinkünfte aller Beteiligter erstellt und verbreitet werden 171.

168

Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 35 f. Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 37 f. 170 Marburger, P., Technische Normung, S. 203. Etwas mißverständlich hier Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 102 f.; vgl. auch ebd., S. 69. Dennoch wurden die technischen Normen im Vertrag zwischen der Regierung des Vereinigten Königreiches und der BSI ausdrücklich als anerkannte Regeln der Technik" ("sound and modem practice") qualifiziert. Vgl. Kap. II.A.3.a)cc) und Kap. II.A.3.a)dd). 171 BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 6 Abschn. 3 Nr. 3.1.2. 169

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

591

cc) Regelungszweck Rechtsnormen, welche technische Normen auf eine der genannten Arten rezipieren, finden sich im Rechtssystem des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland insbesondere im technischen Sicherheitsrecht 172. Vornehmlicher Regelungszweck der rezipierenden Rechtsnormen ist damit, wie in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich, der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Menschen, seiner Sachgüter und der Umwelt. Zu diesem Zweck werden in britischen Gesetzen unmittelbar oder mittelbar rund 1.000 technische Normen rezipiert 173. dd) Regelungsstruktur Die Regelungsstruktur der Bezugnahme auf technische Normen im britischen Recht gleicht weitestgehend der deutschen und französischen, indem innerhalb des Textes entsprechender Rechtsvorschriften auf detaillierte (sicherheits-) technische Spezifikationen zugunsten der Inkorporation technischer Normen, der Verweisung auf eine oder mehrere technische Normen, auf ein ganzes Normenwerk oder der Verwendung offener Rechtsbegriffe wie "best practicable means", "as far as (reasonable) practicable", "approved codes of practice" oder "merchandable quality" verzichtet wird. Den rezipierten technischen Normen kommt dabei die Aufgabe zu, die formalen, in Gesetzen festgelegten Schutzund Sicherheitsbestimmungen materiell zu konkretisieren 174. Indem dieses Rechtssetzungsverfahren die Normierung detaillierter technischer Bestimmungen im Gesetzestext erübrigt, vermeidet es den Nachteil der mehrfachen Festlegung technischer Kriterien 175. Dabei bestand traditionsgemäß im Vereinigten Königreich lange Zeit eine weitgehende Trennung zwischen der Gesetzgebung und der technischen Normung176. Nach dem zweiten Weltkrieg, unter dem Eindruck von Versorgungsengpässen und dem notwendigen Aufbau der Wirtschaft, wurde die technische Normung seitens der britischen Regierung zunächst nur hinsichtlich ihrer Möglichkeiten der Effektivitätssteigerung der Produktion und später erst bezüglich 172

BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 24 Abschn. 13 Nr. 13.3; Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 106; Marburger, P., Technische Normung, S. 205. 173 Zahlenangabe der BSI für 06/1990, entnommen aus: Schellberg, K.-U, Technische Harmonisierung, S. 65. 174 Vgl. die entsprechenden Ausführungen bezüglich der Bundesrepublik Deutschland in Kap. II.A.l.c)dd) und hinsichtlich Frankreich in Kap. II.A.2.c)dd). 175 BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 6 Abschn. 3 Nr. 3.3.1. 176 Braun, F., Nationale Rechtsvorschriften, S. 188.

592

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

ihres Beitrags zu Verbraucherschutz, Sicherheit am Arbeitsplatz, Qualitätssicherung u.a.m. untersucht. Diese Entwicklung, deren erster wichtiger Meilenstein der Robens-Report von 1972 war, in welchem das erste Mal in aller Konsequenz die Verweisung auf technische Normen in gesetzlichen Regelungen hinsichtlich des Schutzes von Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz gefordert wurde 177 , fand ihren vorläufigen Abschluß in dem 1982 in Folge des Weißbuchs "Normen, Qualität und internationale Wettbewerbsfähigkeit" geschlossenen Vertrag der britischen Regierung mit der BSI, in welchem jene die Notwendigkeit einer engeren Verknüpfung von Gesetzgebung und Normung nicht nur offiziell anerkennt, sondern - ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland 178 - auch auf eine vertragliche Grundlage stellt179. Dennoch hat im Vereinigten Königreich bis heute die staatliche technische Regelsetzung neben der privaten technischen Normung eine zwar signifikant abnehmende, gleichwohl aber nicht zu vernachlässigende Bedeutung. Zahlreiche Sachverständigengremien wie beispielsweise die "Health and Safety Commission" erarbeiten unter der Verantwortung verschiedener Ministerien technische Regeln zur Konkretisierung und praktischen Anwendung gesetzlicher Vorgaben. Die Behörden erlassen diese Regeln zumeist informell als sogenannte "codes of practice", die gewöhnlich nur verwaltungsintern verbindlich sind und keine unmittelbare Außenwirkung haben180. Behördliche Normen oder "codes of practice" werden hauptsächlich in den originär hoheitlichen Bereichen Sicherheit, Gesundheitsschutz, Umweltschutz, Qualitätssicherung und Verbraucherschutz erstellt, und zwar entweder für den eigenen Gebrauch der Verwaltungsbehörde, oder zur Bezugnahme in regulations der Exekutive. Auch wenn die Ausarbeitung häufig unter Beteiligung privater Experten erfolgt 181, entstehen die Normen oder Codes unter der Verantwortung der Behörde und lediglich unter Mitwirkung Behördenfremder. Damit ist der Sachverhalt grundsätzlich anders als in der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise bei der TA Luft oder TA Lärm, bei denen die technischen Regeln von Privaten unter der Mitwirkung von Behördenvertretern erarbeitet und dann durch Inkorporation und Verweisung in die allgemeinen Verwaltungsvorschriften von den Behörden übernommen wurden 182. Nach Lukes liegt dieser staatlichen technischen Regel177

Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen zum "Health and Safety at Work etc. Act 1974". 178 Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(5). 179 Vgl. Kap. II.A.3.a)dd). 180 Marburger, P., Technische Normung, S. 201. 181 Zum Versagen der allein durch Behörden Vertreter durchgeführten technischen Normung vgl. die Ausführungen in Kap. II.A.3.a)ff). 182 Lukes, R., EWG- und EFTA-Staaten, S. 94 ff. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. H.A. 1 .c)bb)(2)(c) und Kap. II.A.l.c)dd)(2).

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Setzung die Erwägung zugrunde, daß entweder keine technischen Normen privater Organisationen mit befriedigenden Regelungen vorhanden sind oder daß die Erstellung technischer Normen nicht schnell genug erfolgen kann, wobei zur Zeit des Robens-Reports - also 1972 - die Ausarbeitung behördlicher Codes und Standards eine im Durchschnitt 66 % längere Ausarbeitungszeit - nämlich fünf Jahre, statt drei Jahre wie bei technischen Normen - und eine maximale Bearbeitungszeit von 15 Jahren benötigte183. Nach dem Abschluß des Memorandums der BSI mit der britischen Regierung im Jahre 1982 und der darin festgelegten Stillhaltevereinbarung des Art. 2 Abs. iv S. 1 f., nach der die britische Regierung innerhalb einer abgesprochenen Frist für die Erstellung geeigneter technischer Normen von einer eigenen Regelerstellung absieht, werden im Hinblick auf Gesetzesvorhaben heute in der Regel britische Normen erstellt 184. Dabei erfordert die Änderung einer Norm, auf die in Vorschriften Bezug genommen wird, die Beratung mit dem verantwortlichen Ministerium 185. Diese Regelungsstruktur nach dem neuen Ansatz sei am Beispiel dreier Gesetze - dem "Health and Safety at Work etc. Act 1974", dem "Consumer Protection Act 1987" und dem "Sale of Goods Act 1979" - erläutert: (1) Der " Health and Safety at Work etc. Act 1974 " Die Festlegungen des "Health and Safety at Work etc. Act 1974" beschränken sich auf die Normierung einer Reihe von allgemeinen Verpflichtungen, welche durch Gesundheits- und Sicherheitsverordnungen in Form von "regulations" der Exekutive ergänzt und konkretisiert werden können. Zu den allgemeinen gesetzlichen Verpflichtungen gehört, daß der Arbeitgeber Gesundheit, Sicherheit und Wohlergehen der Beschäftigten bei der Arbeit sicherzustellen hat (sec. 2), und er bei ihm nicht beschäftigte Personen keinen Gesundheitsund Sicherheitsrisiken aussetzen darf (sec. 3). Ferner haben Konstrukteure, Hersteller, Importeure und Lieferanten dafür Sorge zu tragen, daß jedes Produkt und jede Substanz hinsichtlich der Benutzung bei der Arbeit oder mit dieser in engem Zusammenhang stehender Umstände oder Aktivitäten sicher und ohne Risiko für die Gesundheit ist, daß Produkte und Substanzen angesichts neuer und ernsthafter Risiken zu überarbeiten sind, daß die relevante sicherheitstechnische Information zur Verfügung steht und daß eine angemessene Forschung und Untersuchung durchgeführt worden ist (sec. 6). Schließlich statuiert das 183 184 185

Lukes, R., EWG und EFTA-Staaten, S. 95. Ebd., S. 94 f. BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 11 Abschn. 3 Nr. 3.6.6.

38 Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Gesetz noch Verpflichtungen für die Gebäudeverwalter - und zwar einerseits in Beziehung zu denen, die in diesen Gebäuden arbeiten oder Anlagen oder Materialien in ihnen benutzen (sec. 4), und andererseits hinsichtlich des Ausstoßes schädlicher Emissionen in die Atmosphäre (sec. 5) - und für die Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer eigenen Gesundheit und Sicherheit sowie der von anderen (sec. 7) 1 8 6 . Diese generellen Verpflichtungen werden, ebenso wie viele Verpflichtungen in den Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften der Exekutive ("regulations"), durch den Ausdruck "so weit wie es vernünftig praktikabel ist" ("so far as is reasonable practical") eingeschränkt. Dies impliziert die Berücksichtigung des gegenwärtige Niveaus der Praxis und die Abwägung der Kosten von Sicherheitsmaßnahmen gegen den damit erzielbaren Nutzen 187 . Kraft der Bestimmungen des Gesetzes besteht die Möglichkeit, technische Normen in den Rechtsverordnungen zu rezipieren, sie für deren Ziele zu billigen, oder sie als "anerkannte Regeln der Praxis" ("approved codes of practice") in Bezug zu nehmen, wodurch auf "eine Norm, eine Beschreibung und jede andere dokumentierte Form von praktischer Anleitung" ("a standard, a specification and any other documentary form of practical guidance") verwiesen wird 188 . Darüber hinaus kann auch die Gesundheits- und Sicherheitsbehörde ("Health and Safety Executive" (HSE) 1 8 9 ) technischen Normen eine gewisse Geltung verschaffen. So werden beispielsweise einschlägige technische Normen in den HSE Anleitungsbemerkungen ("guidance notes") angeführt und optional zusätzlich durch einen Hinweis der Kenntnisnahme der HSE in ihrem Vorwort hervorgehoben 190. Die HSE legt die genaue Rolle einer jeden Norm anhand verschiedener Kriterien fest. Dazu zählen insbesondere die Beteiligung von Repräsentanten der HSE und anderer wesentlicher Interessen an der Normungsarbeit, die klare Identifikation der Sicherheitsanforderungen in der Norm, die Anerkennung durch HSC oder HSE, daß die Sicherheitsaspekte der Norm ihren Anforderungen entsprechen, und die Fähigkeit des BSI-Ausschusses, die Anerken-

186

BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 25 Abschn. 13 Nr. 13.5.1. Ebd. S. 25 Abschn. 13 Nr. 13.5.2. 188 Ebd. S. 25 Abschn. 13 Nr. 13.5.3; vgl. auch Shearer, A. J., Einsparungen, S. 598. 189 Diese hat die Aufgabe, dem Gesetz Geltung zu verschaffen und das entsprechende politische Organ - die Gesundheits- und Sicherheitskommission ("Health and Safety Commission" (HSC) - zu beraten. 190 Dieser Hinweis lautet: "Die Health and Safety Executive (HSE) empfiehlt die Benutzung dieser Britischen Norm denjenigen, die Verpflichtungen aus dem Health and Safety at Work etc. Act 1974 haben. Die Norm wurde in Zusammenarbeit mit HSE Vertretern erstellt, und es wird auf sie in entsprechenden HSE Publikationen Bezug genommen." BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 26 Abschn. 13 Nr. 13.5.5. Eine Liste entsprechender Normen wird von HSE veröffentlicht. BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 25 Abschn. 13 Nr. 13.5.3. 187

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nung der Norm innerhalb des Zeitraumes der beabsichtigten Rezeption durch die Gesetzgebung sicherzustellen 1 9 1 . Ein Hersteller oder Lieferant, der zu britischen Normen konforme Produkte unter Angabe der Benutzungsbedingungen verkauft, weist dadurch in den Grenzen der Reichweite und des Geltungsbereichs der Norm die Erfüllung der allgemeinen Anforderungen entsprechend sec. 6 des Health and Safety at Work etc. Act nach; gleiches gilt für die Verantwortung der Arbeitgeber hinsichtlich Gebäuden und Arbeitern bei der Beachtung britischer Normen als "codes of practice" 192. (2) Der " Consumer Protection Act 1987" Auch der "Consumer Protection Act 1987" legt bezüglich der Sicherheit von Konsumprodukten ausschließlich grundsätzliche Sicherheitsanforderungen fest. Danach erfüllen Konsumgüter die generellen Sicherheitsanforderungen nur dann, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände sicher sind. See. 10(3) (b) des Gesetzes sieht vor, daß der zuständige Minister ("Secretary of State") die technischen Normen in der Form anerkennen kann, daß sie ein materielles Sicherheitsniveau konkretisieren, welches die generellen Sicherheitsanforderungen des Gesetzes erfüllt 193. Derart anerkannte britische Normen können um den Passus "... Dennoch ist die Übereinstimmung mit dieser britischen Norm, angeführt unter der Anerkennung der 'Safety Standards Regulations 1987', eine Möglichkeit der Erfüllung der allgemeinen Sicherheitsanforderungen des Abschnitts 10 des Consumer Protection Act 1987" ergänzt werden 194. Bei Befolgung der bezeichneten Normen spricht somit eine Vermutung für die Einhaltung der grundsätzlichen Sicherheitsanforderungen des Consumer Protection Act; hingegen muß derjenige, der von den in den rezipierten Normen bezeichneten technischen Lösungen abweicht, die Einhaltung eines zumindest gleichen Sicherheitsniveaus nachweisen195. (3) Der " Sale of Goods Act 1979" Auch der "Sale of Goods Act 1979" legt bezüglich der Anforderungen an Konsumprodukte nur grundsätzliche Qualitätsanforderungen fest, indem er vorschreibt, daß Güter von marktfähiger Qualität ("merchandable quality") sein

191 192 193 194 195

3*

BSI, BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 S. 26 Abschn. 13 Nr. 13.5.4. Ebd., S. 25 Abschn. 13 Nr. 13.5.2. Ebd., S. 24 Abschn. 13 Nr. 13.4.1. Ebd., S. 24 Abschn. 13 Nr. 13.4.2. BSI, Consumers, S. 3.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

sollen. Die Erfüllung dieser allgemeinen gesetzlichen Anforderung kann durch die Einhaltung der einschlägigen technischen Normen nachgewiesen werden; hingegen muß derjenige, der von den technischen Normen abweicht, den Nachweis erbringen, daß er ebenfalls das durch die technischen Normen materiell konkretisierte Qualitätsniveau einhält196. d) Resümee der Abschnitte Il.AJ.b) und c) Mit diesen Erkenntnissen läßt sich nunmehr die zweite am Ende des Kapitels I.E gestellte Frage für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland beantworten, ob technischen Normen aufgrund der in Kapitel II.A.3. a)ff) ausgeführten Erfüllung von genuin dem Staat obliegenden öffentlichen Aufgaben durch die normschaffenden Institutionen Rechtsnormcharakter zukommt, oder - sollte dies nicht der Fall sein - wie diese in die staatliche Rechtsordnung rezipiert werden. Wie deutsche und französische technische Normen sind auch britische technische Normen keine Rechtsnormen: Sie stellen weder Parlamentsgesetze ("acts of parliament"), noch Rechtsverordnungen ("regulations"), noch "bye-laws" in Form von örtlichen Satzungen, Ortsrechtsnormen oder Ausführungsverordnungen dar. Ferner liegt auch keine Beleihung der BSI mit hoheitlichen Aufgaben oder eine wie immer geartete funktionale Eingliederung in die Verwaltung vor, aufgrund derer britischen Normen rechtliche Verbindlichkeit zukommen könnte. Als Ergebnis eines kollektiven Willensbildungsprozesses der interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit entfalten britische Normen aus sich heraus keine rechtliche Verbindlichkeit, sondern sind rechtlich unverbindliche Empfehlungen der für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland zuständigen Normenorganisation BSI an jedermann. Abstrakt-generelle rechtliche Verbindlichkeit kommt technischen Normen allein in Folge von Rezeptionsakten des britischen Gesetz- und Verordnungsgebers zu. Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland wurde das Verhältnis des britischen Monarchen zur privaten BSI bereits im Jahre 1929 durch eine königliche Konzession ("Royal Charter") geregelt, die in ihrer aktuellen Fassung zusammen mit dem im Jahre 1982 unterzeichneten Vertrag (" memorandum of understanding ") zwischen der Regierung des Vereinigten Königreiches und der BSI die rechtliche Grundlage insbesondere auch für die staatliche Rezeption der technischen Normen der BSI darstellt. In diesem Memorandum hat

196

Ebd., S. 2.

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sich die BSI verpflichtet, bei allen Normungsarbeiten das öffentliche Interesse uneingeschränkt zu berücksichtigen. Entsprechend den zwischen ihr und der britischen Regierung vereinbarten Prioritäten muß die BSI die bestehenden britischen Normen überprüfen und gegebenenfalls überarbeiten, so daß sie gemeinsam mit neu erstellten Normen als eindeutige Festlegungen technischer Anforderungen in Rechtsvorschriften bezugsfähig sind. Dabei genießen Normungsarbeiten, die von der Regierung als im nationalen Interesse stehend betrachtet werden, grundsätzlich Vorrang. Im Gegenzug hat sich die britische Regierung verpflichtet, während einer mit der BSI vereinbarten Frist für die Erstellung geeigneter Normen von einer eigenen Regelerstellung abzusehen, und im Rahmen von Vorschriften auf technische Normen der BSI zu verweisen, sofern geeignete Normen vorliegen und sie eine Bezugnahme auf technische Spezifikationen für notwendig hält. Um die geforderte Eignung der zu schaffenden technischen Normen sicherzustellen, trägt die Regierung dafür Sorge, daß ihre Vertreter aktiv auf jeder Arbeitsstufe vom Präsidium bis zu den Lenkungs- und Arbeitsgremien der BSI mitarbeiten und die Tauglichkeit entsprechender Normen für die gesetzliche Verweisung oder die öffentliche Beschaffung im Rahmen des Normungsverfahrens - vor Veröffentlichung des NormEntwurfs sowie bei der Endabstimmung - bekanntgeben. Hinsichtlich des europäischen Integrationsprozesses hat die BSI zugesichert, unter Berücksichtigung der sich aus den EU-Richtlinien ergebenden Verpflichtungen die Erarbeitung Europäischer Normen zu fördern, die sich soweit wie möglich auf internationale Normen mit breiter Basis stützen und die in den EU-Richtlinien nach Art. 100 EGV verweisungsfähig sein sollen. Bei Angelegenheiten, welche die bestehende oder beabsichtigte Rechtssetzung des Vereinigten Königreichs oder der Europäischen Union berühren, obliegt es der BSI, nach Beratung mit den interessierten Kreisen sicherzustellen, daß der Standpunkt der Delegierten des Vereinigten Königreichs in den europäischen Normenorganisationen mit dem Standpunkt der Regierung übereinstimmt, den diese aufgrund eigener Betrachtungen eingenommen hat. Hinsichtlich der staatlichen Rezeption technischer Normen kennt das britische Recht wie das deutsche und französische zahlreiche Arten der Bezugnahme, die zu unterschiedlicher rechtlicher Verbindlichkeit führen. Als Folge einer unmittelbaren Bezugnahme auf technische Normen durch Inkorporation ("incorporation"), datierte Verweisung ("dated reference"), undatierte Verweisung ("undated reference") und allgemeine - datierte oder undatierte - Verweisung ("general reference") nimmt der Inhalt der rezipierten technischen Norm(en) an der Rechtsgeltung der rezipierenden Rechtsnorm teil. Während im Falle einer Inkorporation und einer verbindlichen (datierten, undatierten oder allgemeinen) Verweisung ("mandatory reference") die Spezifikationen der rezipierten technischen Norm(en) dem Normadressaten als zu erfüllendes Tatbestandsmerkmal verbindlich vorgeschrieben werden, gilt bei einer "die Erfüllung vermutenden

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

(datierten, undatierten oder allgemeinen) Verweisung" ("deemed to satisfy reference") die Einhaltung der rezipierten technischen Normen als zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen hinreichend und geeignet, ohne daß andere Möglichkeiten ausgeschlossen sind. Allerdings muß derjenige, der eine andere Lösung wählt, den Beweis erbringen, daß seine alternative Lösung den Anforderungen der Vorschrift in gleichem Maße genügt, d.h. zumindest dasselbe Schutz- und Sicherheitsniveau gewährleistet wie die rezipierten technischen Normen. Diese Methode wird in der neueren Gesetzgebung bevorzugt angewandt. Wie in der Bundesrepublik Deutschland gilt im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland sowohl die undatierte als auch die allgemeine Verweisung in undatierter Form als verfassungsrechtlich unzulässig, da sie eine rechtswidrige Übertragung staatlicher Rechtssetzungsbefugnis an private Institutionen bedeutet; daher werden diese Verweismethoden in der neueren Gesetzgebung nicht mehr angewandt. Wesentlich häufiger erfolgt jedoch eine mittelbare Bezugnahme auf technische Normen durch offene Rechtsbegriffe. Die Rechtsfolge der Beachtung technischer Codes oder Normen ist in den einzelnen Gesetzen unterschiedlich geregelt; sie können sowohl eine Beweislastumkehr begründen, als auch eine Auslegungshilfe darstellen. Dementsprechend werden wie in der Bundesrepublik Deutschland die technischen Normen im Rahmen dieser Rezeptionsmethode erst durch den Einzelentscheid der zuständigen Behörde bzw. der Gerichte für den Normadressaten verbindlich, bei dem Behörden und Gerichten insbesondere im Falle der Rezeption technischer Normen als Auslegungshilfe ein relativ weiter Beurteilungsspielraum verbleibt. Als weitere mittelbare Rezeptionsmethoden sind noch die Referenz auf technische Normen auf den öffentlichen Märkten - die allerdings zur weitgehenden Disposition der britischen Regierung steht -, und die Befreiung von der Registrierung durch den Generaldirektor für fairen Handel unter dem "Restrictive Trade Practices Act 1976" zu nennen. Hingegen gelten britische Normen im Gegensatz zu Deutschland und Frankreich weder generell als "Verkehrssitte" ("good practice") noch als "anerkannte Regeln der Technik" ("sound and modern practice"); ob und inwieweit dies der Fall ist, muß im Einzelfall durch die zuständige Behörde bzw. das Gericht entschieden werden. Gemäß den von der technischen Normung erfüllten öffentlichen Aufgaben besteht der Regelungszweck der rezipierenden Rechtsnormen neben der Ordnung des Wirtschaftslebens vor allem in dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Menschen, seiner Sachgüter sowie der Umwelt. Die Regelungsstruktur zeichnet sich dadurch aus, daß sich die rechtlichen Vorschriften weitgehend auf die Festlegung allgemeiner Schutz- und Sicherheitsbestimmungen beschränken, die durch die unmittelbare oder mittelbare Bezugnahme auf technische Normen materiell konkretisiert werden. Drei Gesetze der "Health and Safety at Work etc. Act 1974", der "Consumer Protection Act

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1987" und der "Sale of Goods Act 1979" - belegen diesen Sachverhalt exemplarisch. Obwohl der Verzicht auf eigenständige rechtliche Regelungen zugunsten der Bezugnahme auf technische Normen bereits zuvor in begrenztem Maße angewandt wurde, spielt diese Regelungsmethode erst seit 1982 in Folge der entsprechenden vertraglichen Vereinbarung der britischen Regierung mit der BSI eine größere Rolle. Denn traditionsgemäß bestand im Vereinigten Königreich lange Zeit eine weitgehende Trennung zwischen der Gesetzgebung und der technischen Normung. Das britische Rechtssystem war im wesentlichen geprägt durch eine intensive Kooperation von Verwaltung und Normadressaten. Beispielsweise wurden die Anforderungen an luftverschmutzende Anlagen, die nur in einigen wenigen Fällen durch gesetzliche Emissions- und Konzentrationswerte bestimmt und ansonsten durch offene Rechtsbegriffe umschrieben worden waren, in der Regel durch die Behörde in Form von Auflagen bestimmter Emissionsgrenzwerte für den Einzelfall festgelegt. Bei dieser Grenzwertfeststellung verblieb den zuständigen Behörden ein relativ weiter Gestaltungsspielräum 197 . Daneben hat im Vereinigten Königreich bis heute die staatliche technische Regelsetzung insbesondere in den originär hoheitlichen Bereichen Sicherheit, Gesundheitsschutz, Umweltschutz, Qualitätssicherung und Verbraucherschutz eine zwar abnehmende, aber dennoch nicht zu vernachlässigende Bedeutung. Zahlreiche Sachverständigengremien wie beispielsweise die "Health and Safety Commission" erarbeiten unter der Verantwortung verschiedener Ministerien technische Regeln zur Konkretisierung und praktischen Anwendung gesetzlicher Vorgaben. Die Behörden erlassen diese Regeln zumeist informell als sogenannte "codes of practice", die gewöhnlich nur verwaltungsintern verbindlich sind und keine unmittelbare Außenwirkung haben. Seit dem 1982 geschlossenen Memorandum der britischen Regierung mit der BSI werden die gesetzlichen Vorschriften jedoch üblicherweise durch technische Normen konkretisiert.

197

Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 134 ff., 149, 177.

600

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

4. Kurzübersicht über die technische Normung in einigen weiteren EU-Mitgliedsstaaten a) Belgien Die Geschichte der institutionalisierten belgischen Normung beginnt im Jahre 1909 mit Gründung des "Comité électrotechnique belge" (CEB), welches wie die entsprechenden elektrotechnischen Normenorganisationen anderer Industriestaaten - insbesondere zur Vertretung der nationalen Interessen in der 1905 gegründeten "International Electrotechnical Commission" (IEC) ins Leben gerufen wurde1. Erst im Jahre 1919 erfolgte die Institutionalisierung einer technischen Normenorganisation, der "Association belge de standardisation" (ABS), ebenfalls auf private Initiative. Deren Normungsaktivitäten übernahm im Jahre 1946 das "Institut belge de normalisation" (IBN), welches am 25. Februar 1946 auf der Grundlage des Gesetzes ("decree-law") betreffend die Normung vom 20. September 1945 konstituiert worden war, und das bis heute als nationale Normenorganisation für die technische Normung in Belgien zuständig ist. Am 7. Juli 1958 erfolgte eine grundlegende Änderung der Satzung des IBN durch königlichen Erlaß, und am 30. Juli 1976 wurde das Normungsverfahren des IBN und insbesondere auch die Übernahme Europäischer und internationaler Normen in einem weiteren königlichen Erlaß geregelt, um die Möglichkeit zu schaffen, diese vom belgischen Monarchen anerkennen zu lassen2. Die Organisation des belgischen Normungssystems umfaßt - nach französischem Vorbild - drei Ebenen: Die erste Ebene, gebildet aus dem belgischen Wirtschaftsminister und dem von diesem ernannten Normungskommissar3, ist für die Aufsicht und die Überwachung der gesamten Normungstätigkeit sowie die Sicherstellung der Berücksichtigung des Gemeinwohls zuständig und besitzt das Vorschlagsrecht für die staatliche Anerkennung der Normen ("Γ homologation"). Die zweite Ebene, das IBN, wurde vom belgischen Monarchen in den oben genannten königlichen Erlässen mit der Durchführung der technischen Normung in Belgien betraut und bildet so den eigentlichen Kern des belgischen Normungssystems. Das IBN ist bis heute ein gemeinnütziger, nicht gewinnorientierter Verband auf gesetzlicher Grundlage4, der Ende 1995 60 Mitarbeiter

1

Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 22. ISO, Members, S. 24. 3 Der Normungskommissar ist ein Abgeordneter der Regierung. IBN, '89 rapport annuel, S. 3. 4 IBN, '89 rapport annuel, S. 34; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 22. 2

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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beschäftigte5. Die wichtigsten Organe des IBN sind die Hauptversammlung, ein Verwaltungsrat nebst Direktionsausschuß, ein Generaldirektor und die Normungskomitees. Der Verwaltungsrat bildet zur Erledigung der laufenden Geschäfte einen Direktionsausschuß und ernennt den Generaldirektor, welcher mit der Leitung der Verwaltung beauftragt ist. Die Vollmitgliedschaft im IBN können an der Normung interessierte juristische Personen - z.B. rechtsfähige Vereine, Verbände, Körperschaften, Anstalten u.a.m. - sowie natürliche Personen als deren Vertreter erwerben. Ansonsten werden natürliche Personen nur als assoziierte Mitglieder ohne Stimmrecht aufgenommen6. Die dritte Ebene des belgischen Normungssystems bilden schließlich die Normungskomitees, deren ältestes und bedeutendstes das "Comité électrotechnique belge" (CEB) ist. Aufgabe des IBN sind die Erarbeitung, der Vertrieb und die Förderung der Einführung technischer Normen, die Zertifizierungen von Produkten und Qualitätssicherungssystemen von Unternehmen, die Metrologie sowie die Durchführung von Laboruntersuchungen und Schulungen7. Das Normungsverfahren des IBN entspricht weitestgehend denen von AFNOR, BSI und DIN: Nach Annahme eines von jedermann einzubringenden Normungsvorschlages erfolgt die Erstellung eines Norm-Entwurfs durch einen möglichst alle interessierten Kreise repräsentierenden Normenausschuß. Anschließend wird der Norm-Entwurf zwecks allgemeiner Stellungnahme veröffentlicht. Nach Diskussion und gegebenenfalls Berücksichtigung eingehender Änderungsanträge, die im Falle eines Dissenses in Schlichtungs- und Schiedsverfahren vertreten werden können, wird die technische Norm geprüft und als belgische Norm veröffentlicht 8. Die Konformität seiner Produkte oder Dienstleistungen zu belgischen Normen kann ein Hersteller bzw. Dienstleister nach einer entsprechenden Zertifizierung durch das Normenkonformitätszeichen "BENOR" kenntlich machen9. Aufgrund der deutlichen Zunahme der europäischen Normungsaktivitäten von CEN/CENELEC und ETSI haben IBN und CEB angesichts ihrer begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen bereits Ende der achziger Jahre beschlossen, die nationalen Normungsarbeiten zu verringern und so weit wie möglich auf europäischer und internationaler Ebene fortzuführen. Die Verfolgung der Aktivitäten der europäischen und internationalen Normenorganisatio-

5

Davon wurden 15 durch andere Organisationenfinanziert. ISO, Members, S. 24. IBN, '89 rapport annuel, S. 3; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 22 f. 7 ISO, Members, S. 24. 8 Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 23. 9 IBN, '89 rapport annuel, S. 28. 6

602

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

nen und die Beteiligung an ihren Normungsarbeiten wird von IBN und CEB als Hauptaufgabe und grundlegendes Prinzip ihrer Aktivitäten angesehen. Dementsprechend haben sie ihre Steuerungs- und Normungsgremien im Hinblick auf die Aufbauorganisation der europäischen Normenorganisationen reorganisiert und optimiert, um die belgische Verwaltung, die Industrie, die Verbraucher sowie die anderen interessierten Kreise so eng wie möglich in die europäischen und internationalen Steuerungs- und Arbeitsgremien einzubinden mit dem Ziel, die belgischen Interessen zu wahren10. Die wenigen verbleibenden nationalen Normungsaktivitäten betreffen hauptsächlich Gebiete, auf denen keine europäischen und/oder internationalen Normen existieren und für die nähere Zukunft auch nicht geplant sind. Dabei stehen die nationalen Normungsaktivitäten unter dem Vorbehalt, daß das IBN die entstehenden nationalen technischen Normen zurückzieht, sobald die europäischen Normenorganisationen entsprechende Europäische Normen erarbeiten und veröffentlichen, was auch schriftlich in den nationalen technischen Normen vermerkt ist. Gleiches gilt für internationale Normen, welche möglichst unverändert als belgische Normen zu übernehmen sind. Durch diese Verlagerung der Normungsaktivitäten auf die europäische und internationale Ebene und die nationale Übernahme der diesbezüglichen Ergebnisse können nach Ansicht der belgischen Verantwortlichen mit den begrenzten Mitteln am besten und schnellsten Resultate erzielt werden11. Ende 1995 umfaßte das belgische Normenwerk 8.545 technische Normen, davon 2.143 aus dem Bereich der Elektrotechnik12. Dabei hatten die nationalen Normen bereits im Jahre 1989 zuvor nur noch einen Umfang von insgesamt 250 Seiten13. Das IBN verfügte im Jahre 1995 über ein Budget von 5,9 Mio. SFR; dessen Finanzierung erfolgte zu 33,0 % durch staatliche Subventionen, zu 20,0 % durch Mitgliedsbeiträge, zu 30,0 % durch Veröffentlichungen, zu 2,5 % durch Zertifizierungen und zu 14,5 % durch "Sonstiges"14. Ihrer Rechtsnatur nach sind belgische Normen rechtlich unverbindliche Empfehlungen der für Belgien zuständigen nationalen Normenorganisationen IBN und CEB an "jedermann"15. Als Ergebnis eines kollektiven Willensbildungsprozesses der interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit zum 10 11 12 13 14 15

Ebd., S. 15 f., 18,31. Ebd., S. 15 f. ISO, Members, S. 24. IBN, '89 rapport annuel, S. 18. ISO, Members, S. 24. Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 22 f.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

603

Nutzen der Allgemeinheit können sie allein aufgrund eines staatlichen Rezeptionsaktes rechtliche Verbindlichkeit erlangen. Ende 1995 waren in Belgien rund 1% der technischen Normen für die Bürger allgemeinverbindlich vorgeschrieben16. b) Dänemark Die Geschichte der dänischen Normung beginnt mit der Gründung eines unabhängigen Ausschusses für die Normung von Schrauben und Muttern durch eine Maschinenbaufirma. Jedoch wurde diesem Normenausschuß in der Folgezeit und auch nach dessen Eingliederung in den privaten "Verband dänischer Hoch- und Tiefbauingenieure" ("Dansk Ingeni0rforening") nur eine unzureichende staatliche Anerkennung zuteil. Aus diesem Grunde forderten das "Dansk Ingeni0rforening" und die "Vereinigung der dänischen Industrie" ("Industrirâdet") im Jahre 1925 den dänischen Handelsminister auf, eine offizielle nationale Normenorganisation für Dänemark ins Leben zu rufen. Dieser konstituierte daraufhin am 29. Januar 1926 den "Dansk Standardiseringsrâd" (DS) als unabhängigen privaten Verband. Während der DS fortan als staatlich anerkannte nationale Normenorganisation für die technische Normung auf allen Fachgebieten mit Ausnahme der Elektrotechnik zuständig war, zeichnete für letztere das "Dansk Elektroteknisk Komite" (DEK), eine vom DS unabhängige Vereinigung, verantwortlich 17. Infolge der stark angestiegenen europäischen Normungsaktivitäten wurden am 1. Januar 1992 der DS, das DEK und das "Code of Practice Committee" zum "Dansk Standard" (DS) als unabhängige nichtstaatliche Normenorganisation zusammengefaßt 18. Die Organisation des DS ist bis heute die eines vom Staat unabhängigen Verbands des privaten Rechts. Der DS wurde vom dänischen Industrieminister als technologische Dienstleistungsorganisation qualifiziert und ist als offiziell anerkannte nationale Normenorganisation zuständiges Mitglied in CEN/ CENELEC, ISO, IEC und der "Nordic Standardization Co-operation" (INSTA). Ende 1995 beschäftigte der DS 162 Mitarbeiter 19. Aufgabe des DS ist die Erarbeitung, Herausgabe und Förderung der Anwendung technischer Normen sowie die Zertifizierung von Produkten und Qualitätssicherungssystemen von Unternehmen20. 16 17 18 19 20

ISO, Members, S. 24. ISO, Member Bodies, S. 23. ISO, Members, S. 37. Ebd. Ebd.

604

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Im Jahre 1973 hat der DS als erste europäische nationale Normenorganisation eine Erklärung veröffentlicht, nach der Dänemark ab diesem Zeitpunkt"abgesehen von ein oder zwei Spezialfällen" - auf die Erarbeitung nationaler technischer Normen verzichtet und seine Tätigkeiten vollständig auf die europäische und internationale Ebene verlagert. Dementsprechend wurde der DS umfassend dahingehend reorganisiert, eine fast ausnahmslose Konzentration auf die europäische und internationale Arbeit zu ermöglichen21. Das dänische Normenwerk umfaßte Ende 1995 5.955 technische Normen, davon 877 aus dem Bereich der Elektrotechnik22. Ein Hersteller kann die Konformität seiner Produkte mit den einschlägigen dänischen Normen durch das DS-Zeichen kenntlich machen; dazu sind unabhängige Prüfungen des Produktes vor der Vergabe und in regelmäßigen Abständen danach sowie eine begrenzte Prüfung der Produktion erforderlich. Ferner führt der DS Zertifizierungen des Qualitätssicherungssystems von Unternehmen nach ISO 9000 ff. durch23. Der DS verfügte im Jahre 1995 über ein Budget von 24,0 Mio. SFR; dessen Finanzierung erfolgte zu 28 % durch staatliche Subventionen, zu 20 % durch Mitgliedsbeiträge und Veröffentlichungen, zu 27 % durch Zertifizierungen und zu 25 % durch "Sonstiges"24. Ihrer Rechtsnatur nach sind dänische Normen rechtlich unverbindliche Empfehlungen der für Dänemark zuständigen nationalen Normenorganisation DS an "jedermann". Als Ergebnis eines kollektiven Willensbildungsprozesses der interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit zum Nutzen der Allgemeinheit können sie allein aufgrund eines staatlichen Rezeptionsaktes rechtliche Verbindlichkeit erlangen. Ende 1995 waren in Dänemark rund 8% der technischen Normen für die Bürger allgemeinverbindlich vorgeschrieben25. c) Griechenland Die Geschichte der technischen Normung in Griechenland beginnt im Jahre 1931 mit Gründung der "Technischen Kammer". Nach einer Unterbrechung im Zweiten Weltkrieg setzte das "Komitee für Normung" der Technischen Kammer mit Unterstützung des Griechischen Produktivitätszentrums, der Athenischen Industrie- und Handelskammer und dem griechischen Industrieverband 21 22 23 24 25

DS, Ende der nationalen Normung, S. 204. ISO, Members, S. 37. DS, Certification, S. 1 ff.; vgl. auch die Ausführungen in Kap. I.D.2.b). ISO, Members, S. 37. Ebd.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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die Normungsaktivitäten fort. Ab 1968 übernahm die "Abteilung für Normung" innerhalb des Industrieministeriums die Normungsarbeit, deren Normen der Industrieminister bestätigte26. Im Juni 1976 verabschiedete das Hellenische Parlament das Gesetz 372, welches zur Gründung der "Hellenischen Organisation für Normung" ("Ελληυικόζ Οργαυισμόζ Τυποποιησηζ" "Ellinikos Organismos Typopoiisis" (ELOT)) als einzig gesetzlich anerkannte und autorisierte nationale Normenorganisation führte 27. Die bereits bestehende "Griechische Elektrotechnische Kommission" wurde kurz darauf als "Elektrotechnische Gruppe" organisatorisch in ELOT integriert 28. Die Organisation des griechischen Normungssystems umfaßt zwei Ebenen, deren erste durch den Staat gebildet wird. Das Gesetz 372, welches mit französischer Beratung entstand, unterstellt die ELOT der Aufsicht der "Abteilung für Normung" 29 des Industrieministeriums 30, welcher die ELOT halbjährlich Bericht zu erstatten hat. Die "Abteilung für Normung" ist für alle mit der Normung und Zertifizierung verbundenen staatlichen Maßnahmen zuständig31. Die ELOT, welche die zweite Ebene des Normungssystems darstellt, ist bis heute als private, gemeinnützige und nicht gewinnorientierte Institution organisiert. Das oberste Organ der ELOT, ein aus acht Personen bestehender Vorstand, wird vom Industrieminister konstituiert. Er setzt sich aus dem Präsidenten, dem Direktor, je einem Vertreter des Industrie- und des Handelsministeriums und vier Vertretern von Organisationen der Wirtschaft zusammen32. Der Vorstand wird durch einen "Nationalen Normungsrat" beratend unterstützt, dessen 36 Mitglieder die im Gesetz 372 festgelegten Institutionen repräsentieren. Damit ist gewährleistet, daß alle an der Normung interessierten Kreise einschließlich Wissenschaft und Verbraucher repräsentiert werden33. Für die Geschäftsführung ist ein direkt dem Vorstand unterstellter Direktor zuständig, dem zur Erfüllung seiner Aufgaben ein Stellvertreter, eine Geschäftsstelle und ein juristischer Berater zur Verfügung stehen34. Dem Geschäftsführer unterstehen weiterhin die Abteilungen Planung und Entwicklung, nationale Normung, Laboratorien, Zertifizierung sowie Finanzen und Vertrieb 35. Die eigentliche technische Normung 26

ISO, Members, S. 45; Becker, K., ELOT, S. 405. ISO, Members, S. 45; Mohr, C., Griechenland, S. 167. 28 Becker, K., ELOT, S. 406. 29 Diese war vor ELOT mit der Normungsaufgabe betraut. Vgl. die Ausführungen weiter oben in diesem Kapitel. 30 Becker, K , ELOT, S. 405; ISO, Members, S. 45; Mohr, C., Griechenland, S. 167. 31 Mohr, C., Griechenland, S. 167. 32 Becker, K , ELOT, S. 405 f.; Mohr, C., Griechenland, S. 167. 33 Ebd. 34 Becker, K , ELOT, S. 406; Mohr, C., Griechenland, S. 167. 35 Becker, K , ELOT, S. 406. 27

606

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

wird in rund 40 Arbeitsausschüssen durchgeführt 36. Ende 1995 waren in der ELOT 72 hauptamtliche Mitarbeiter angestellt37. Es ist gesetzliche Aufgabe von ELOT, "Hellenische Normen" für Produkte, Materialien und Dienstleistungen zu erarbeiten, zu vertreiben und deren Anwendung zu fördern, ein offizielles griechisches Verzeichnis nationaler, ausländischer, Europäischer und internationaler Normen zu führen, Normenkonformitätszeichen und -Zertifikate für Erzeugnisse und Qualitätssicherungssysteme von Unternehmen zu erteilen, Laboruntersuchungen vorzunehmen und Schulungen durchzuführen 38. Die ELOT vertritt als die einzig vom Gesetzgeber autorisierte und anerkannte nationale Normenorganisation die griechische Normung in CEN/CENELEC und ISO 39 . Die Richtlinien der griechischen Normungsarbeit sind in einer Grundnorm gemäß der D I N 820 zusammengestellt40 und entsprechen im wesentlichen denen von AFNOR, BSI und DIN 4 1 . Laut Artikel 3 des Gesetzes 372 müssen Hellenische Normen mit den Normen der ISO harmonisiert und laufend dem Stand der Technik angepaßt werden42. Demzufolge handelt es sich bei den meisten Hellenischen Normen um griechische Übersetzungen europäischer oder internationaler Normen 43. Ende 1995 umfaßte das Hellenische Normenwerk 4.386 Normen, davon 483 aus dem Bereich der Elektrotechnik44. Die ELOT verfügte im Jahre 1995 über ein Budget von 4,6 Mio. SFR; dessen Finanzierung erfolgte zu 71 % durch staatliche Subventionen, zu 1 % durch Mitgliedsbeiträge, zu 6 % durch Einnahmen aus Veröffentlichungen, zu 18 % durch Zertifizierungsaktivitäten und zu 4 % durch "Sonstiges"45, wobei der Haushalt der ELOT der Genehmigung des Industrieministers bedarf 46. Ihrer Rechtsnatur nach sind Hellenische Normen rechtlich unverbindliche Empfehlungen der für Griechenland zuständigen nationalen Normenorganisation ELOT an "jedermann". Als Ergebnis eines kollektiven Willensbildungspro-

36

Ebd. ISO, Members, S. 45. 38 ISO, Members, S. 45; Mohr, C., Griechenland, S. 167. 39 ISO, Members, S. 45; Mohr, C., Griechenland, S. 167; Becker, K., ELOT, S. 406. 40 Becker, K., ELOT, S. 406. 41 Insbesondere dürfen auch Hellenische Normen nicht im Widerspruch zu den Gesetzen stehen. Becker, K., ELOT, S. 406. 42 Mohr, C., Griechenland, S. 167. 43 Becker, K., ELOT, S. 406. 44 ISO, Members, S. 45. 45 Ebd. 46 Mohr, C., Griechenland, S. 167. 37

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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zesses der interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit zum Nutzen der Allgemeinheit ist ihre Anwendung grundsätzlich freiwillig, solange sie nicht vom Industrieministerium für allgemeinverbindlich erklärt worden sind. Dies betrifft in erster Linie solche Normen, die der Gesundheit und der Sicherheit der Bürger sowie dem Umweltschutz dienen47. Im Jahre 1995 waren in Griechenland rund 0,4 % des Hellenischen Normenwerkes für die Bürger allgemeinverbindlich vorgeschrieben48. d) Italien Wie in zahlreichen anderen Industrienationen beginnt die Geschichte der institutionalisierten Normung in Italien mit der Gründung einer elektrotechnischen Normenorganisation, um die italienischen Interessen in der "International Electrotechnical Commission" (IEC) zu vertreten. Das "Comitato Elettrotecnico Italiano" (CEI) war von 1907 an zunächst innerhalb der "Associazione Elettrotecnica Italiana" (ΑΕΙ) tätig und wurde im Jahre 1910 als unabhängiger Verband eingetragen. Erst am 26. Januar 1921 entstand auf private Initiative der mechanischen Industrie das "Institut für mechanische Normung" ("Comitato generale per l'Unificazione nell'Industria Meccanica" (UNIM)). Aufgrund der Ausweitung seiner Aktivitäten nahm das U N I M 1928 seinen heutigen Namen "Ente Nazionale Italiano di Unificazione" (UNI) an, welche der italienische Monarch durch den königlichen Erlaß Nr. 1107 vom 18. Juli 1930 staatlich anerkannte. Nach dem zweiten Weltkrieg - am 28. Dezember 1946 - wurde UNI als juristische Person in Form eines Idealvereins konstituiert, deren rechtlicher Status der Präsident der italienischen Republik per Verordnung vom 22. September 1955 festlegte. Auf der Grundlage von Vereinbarungen aus dem Jahre 1962 arbeiten UNI und CEI eng mit dem nationalen Forschungsrat "Consiglio Nazionale delle Ricerche" (CNR) zusammen, dem durch Gesetz vom 1. März 1945 offiziell die gesamte Normungsarbeit übertragen worden war. In der Praxis jedoch nutzt der CNR das ihm verliehene Normungsmonopol kaum aus, sondern delegiert die Normungsarbeiten mit Ausnahme weniger Spezialgebiete fast ausnahmslos an UNI und CEI, deren Aufgabengebiete durch eine Vereinbarung voneinander abgegrenzt sind49. Die Organisation des italienischen Normungssystems umfaßt - wie das französische und belgische - drei Ebenen: Die erste Ebene wird durch die Exekutive und insbesondere den nationalen Forschungsrat gebildet, der als eine Art An47

Ebd. ISO, Members, S. 45. 49 CEI, Relazione Attività 1988, S. 3; ISO, Member Bodies, S. 38; dies., Members, S. 53; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 25 f. 48

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

stalt des öffentlichen Rechts organisiert und dem Präsidenten des Ministerrates direkt unterstellt ist 50 . Trotz des ihm verliehenen Normungsmonopols hat der CNR seine Tätigkeit weitestgehend auf eine Initiativ- und Kontrollfunktion beschränkt und delegiert die Normungsarbeit in aller Regel an die beiden privaten Normenorganisationen UNI und CEI 5 1 . Diese bilden als zweite Ebene den zentralen Kern des Normungssystems. Die UNI ist bis heute als ein nicht gewinnorientierter Idealverein des privaten Rechts organisiert und vom Staat anerkannt. Die Mitgliedschaft in der UNI steht neben Behörden, Körperschaften, Unternehmen und Unternehmensverbänden auch natürlichen Personen offen. Ende 1995 waren bei der UNI 146 Mitarbeiter beschäftigt 52. Trotz ihrer privatrechtlichen Organisationsform unterliegt die UNI dem staatlichen Einfluß, indem dieser weitgehende Rechte bei der Besetzung zentraler Organe der UNI hat: So werden 12 der mindestens 24 Mitglieder des Verwaltungsrates, der u.a. den Präsidenten und den Direktor der UNI wählt sowie die Mitglieder der zentralen technischen Kommission ("Commissione Centrale Tecnica") bestimmt53, unmittelbar von Ministerien oder Staatsverwaltungen entsandt54. Die dritte Ebene des italienischen Normungssystems bilden schließlich zahlreiche Wirtschaftsverbände und Vereinigungen. In diesen ist die überwiegende Anzahl der technischen Kommissionen angesiedelt, in welchen die eigentliche Normungsarbeit durchgeführt wird. Die UNI entfaltet als Dachverband dieser Verbände und Vereinigungen bei der technischen Normungsarbeit nur dann Aktivitäten, wenn kein Fachverband zuständig ist, Fragen von allgemeinem Interesse betroffen sind oder Überschneidungen existieren. Ansonsten beschränkt sich die UNI auf die Übernahme der Koordinierungs-, Sammlungs- und Publikationsfunktionen der technischen Normungsarbeit 55. Die Aufgaben der UNI bestehen aus der Erarbeitung, dem Verkauf und der Förderung der Anwendung technischer Normen, der Zertifizierung von Produkten und Qualitätssicherungssystemen von Unternehmen und der Durchführung von Schulungen56. UNI und CEI vertreten als die zuständigen nationalen Nor-

50

Lukes, R., EWG und EFTA-Staaten, S. 143. Ebd., S. 190. 52 Davon wurden 40 Mitarbeiter durch andere Organisationenfinanziert. ISO, Members, S. 53. 53 Dieser obliegt die Überwachung und Koordinierung der gesamten technischen Arbeit. 54 Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 26; ISO, Members, S. 53. 55 ISO, Members, S. 53; Lukes, R., EWG und EFTA-Staaten, S. 146; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 26. 56 ISO, Members, S. 53. 51

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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menorganisationen für die technische bzw. elektrotechnische Normungsarbeit Italien in den europäischen und internationalen Normenorganisationen57. Das Normungsverfahren von UNI und CEI stimmt weitgehend mit dem der anderen nationalen Normenorganisationen überein: Normungsanträge, die jedermann stellen kann, werden von der zentralen technischen Kommission an einen Fachverband oder eine Kommission der UNI bzw. CEI delegiert. Diese legt den erstellten Norm-Entwurf der zentralen technischen Kommission vor, welche die Norm veröffentlicht und prüft, ob die Norm die Zustimmung aller interessierten Kreise findet. Nach einer weiteren - weniger technischen, sondern mehr formalen 58 - Prüfung durch den CNR wird die technische Norm als UNI- bzw. CEI-Norm publiziert 59. Ende 1996 umfaßte das italienische Normen werk 10.400 technische Normen 60. Die UNI verfügte im Jahre 1995 über ein Budget von 17,6 Mio. SFR; dessen Finanzierung erfolgte zu 32,2 % durch staatliche Subventionen, zu 19,9 % durch Mitgliedsbeiträge, zu 35,3 % durch Veröffentlichungen, zu 1,4 % durch Zertifizierung und zu 11,2 % durch "Sonstiges"61. Ihrer Rechtsnatur nach sind italienische Normen rechtlich unverbindliche Empfehlungen der für Italien zuständigen nationalen Normenorganisationen UNI bzw. CEI i.V.m. dem CNR an "jedermann". Als Ergebnis eines kollektiven Willensbildungsprozesses der interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit zum Nutzen der Allgemeinheit ist ihre Anwendung grundsätzlich freiwillig, solange sie nicht in Gesetzen oder Rechtsverordnungen rezipiert werden. Ende 1995 waren in Italien rund 5 % der technischen Normen für die Bürger allgemeinverbindlich vorgeschrieben62. e) Niederlande Die Geschichte der institutionalisierten niederländischen Normung beginnt im Jahre 1911 mit der Gründung des "Nederlands Electrotechnisch Comité" (NEC) als niederländisches Mitglied der IEC. Fünf Jahre später entstand das "Hoofdcommissie voor de Normalisatie in Nederland" (HCNN), um die techni57

CEI, Relazione Attività 1988, S. 3. Lukes, R., EWG und EFTA-Staaten, S. 171 und 192. 59 Neben den technischen Normen existieren noch Experimentalnormen, Empfehlungen und CNR-UNI-Normen, welche vom CNR erarbeitet und durch UNI veröffentlicht werden. 60 UNI, schriftliche Auskunft der Abteilung International Projects. 61 ISO, Members, S. 53. 62 Ebd. 58

39 Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

sehe Normung zu fördern und die vielfältigen Aktivitäten auf diesem Gebiet zu koordinieren. Im Jahre 1919 erfolgte die staatliche Anerkennung des HCNN durch Konstituierung einer privaten, nicht gewinnorientierten Organisation - der "Stiftung für Normung in den Niederlanden" ("Stichting Fonds voor de Normalisatie in Nederland") - unter dessen Führung. Diese wurde 1949 in "Stichting voor de Normalisatie in Nederland" und 1959 im Rahmen der Anpassung der Satzung aufgrund einer Gesetzesänderung für Stiftungen in "Nederlands Normalisatie-Instituut" (NNI) umbenannt63. Bis heute ist die Organisation des NNI die einer privaten, nicht gewinnorientierten Stiftung. Mitglieder des NNI können Unternehmen, öffentliche Behörden und Anstalten sowie natürliche Personen werden. Ende 1995 beschäftigte das NNI 210 Angestellte. Das "Niederländische Elektrotechnische Komitee" ("Nederlands Electrotechnisch Comité" (NEC)), das für die elektrotechnische Normung in den Niederlanden verantwortlich zeichnet, arbeitet eng mit dem NNI zusammen und gibt seine Normen unter Beachtung der von NNI aufgestellten Grundsätze heraus. Eine wie immer geartete staatliche Aufsicht über die Normenorganisationen besteht nicht; ein gewisser staatlicher Einfluß besteht dennoch durch die satzungsmäßig verankerte Zustimmung des niederländischen Wirtschaftsministers zur Ernennung des Präsidenten des NNI 6 4 . Das NNI hat im wesentlichen drei Aufgaben zu erfüllen: erstens die aktive Beteiligung des niederländischen Handels und der Industrie bei der Entwicklung internationaler und Europäischer Normen sowie, wo noch sinnvoll, nationaler Normen sicherzustellen; zweitens den Nutzen der technischen Normen und der technischen Normung in den Niederlanden zu unterstützen, was die Erarbeitung, den Vertrieb und die Förderung der Anwendung technischer Normen einschließt; und drittens als eine zentrale Informationsquelle über technische Normen und die technische Normung in den Niederlanden zu fungieren, was durch entsprechende Schulungsmaßnahmen unterstützt wird 65 . Das Normungsverfahren des NNI entspricht in seinen Grundzügen dem der anderen nationalen Normenorganisationen Europas. So ist grundsätzlich jedermann berechtigt, einen Normungsvorschlag einzureichen. Der Vorstand ("Algemeen Bestuur") beurteilt den Vorschlag und entscheidet über die Einsetzung einer Normungskommission. Deren Norm-Entwurf wird nach der Beurteilung durch die Geschäftsstelle und nach Zustimmung des "Technische Raad" veröffentlicht. Unter Berücksichtigung der eingegangenen Änderungsvorschläge be-

63

S. 24. 64 65

ISO, Member Bodies, S. 49; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, ISO, Members, S. 66; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 24. ISO, Members, S. 66.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

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schließt der "Technische Raad" die endgültige Normfassung und veranlaßt deren Veröffentlichung als NEN-Norm. Ende 1995 umfaßte das niederländische Normen werk 9.197 Normen, davon 3.415 aus dem Bereich der Elektrotechnik 66 . Das NNI verfügte im Jahre 1995 über ein Budget von 26,4 Mio. SFR; dessen Finanzierung erfolgte zu 1,5 % durch staatliche Subventionen, zu 31,0 % durch Mitgliedsbeiträge, zu 57,0 % durch Veröffentlichungen und zu 10,5 % durch "Sonstiges"67. Ihrer Rechtsnatur nach sind niederländische Normen rechtlich unverbindliche Empfehlungen der für die Niederlande zuständigen nationalen Normenorganisationen NNI und NEC an "jedermann". Als Ergebnis eines kollektiven Willensbildungsprozesses der interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit zum Nutzen der Allgemeinheit ist ihre Anwendung grundsätzlich freiwillig, solange sie nicht in Gesetzen oder Rechtsverordnungen rezipiert werden. In den Niederlanden waren Ende 1995 keine technischen Normen allgemeinverbindlich vorgeschrieben68. f) Portugal Die Geschichte der portugiesischen Normung beginnt im Jahre 1929 mit der Gründung der "Portugiesischen Elektrotechnischen Kommission" (CEP) zur Vertretung der portugiesischen Interessen in der "International Electrotechnical Commission" (IEC). Erst 19 Jahre später entstand die "Allgemeine Inspektion für landwirtschaftliche und industrielle Produkte" (IGPAI) für die technische Normung auf den anderen Sektoren. Nachdem im Jahre 1952 der portugiesische Gesetzgeber die Normung auf eine gesetzliche Grundlage gestellt hatte, gingen im Jahre 1977 die meisten Aufgaben von CEP und IGPAI auf den neugegründeten "Allgemeinen Aufsichtsrat für Qualität" ("Direcçâo General da Qualidade" (DGQ)), eine Dienststelle des Innenministeriums69, über. Anläßlich des Eintritts von Portugal in die Europäische Union am 1. Januar 1986 erfolgte die bislang letzte grundlegende Reorganisation des portugiesischen Normungssystems, indem das neu etablierte "Portugiesische Qualitätsinstitut" ("Instituto Português

66

ISO, Members, S. 66; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 24 f. ISO, Members, S. 66. 68 Ebd. Da die ISO diese Aussage auch für die Bundesrepublik Deutschland trifft, bedeutet sie nicht, daß der Inhalt technischer Normen durch deren Rezeption in Gesetze und Rechtsverordnungen keine rechtliche Verbindlichkeit erlangen kann. 69 Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 26. 67

3*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

da Qualidade" (IPQ)) zur zuständigen nationalen Organisation des 1983 veröffentlichten "Nationalen Systems für Qualitätsmanagement" (SNGQ) - seit 1993 "Portugiesisches System für Qualität" (SPQ) - erklärt und mit den Aufgaben Metrologie, technischen Normung und Ausbildung betraut wurde 70. Obwohl das IPQ als Abteilung in das Industrieministerium eingebunden ist 71 , handelt es heute weitgehend unabhängig von der Regierung. Ein selbständiges oder dem IPQ untergeordnetes elektrotechnisches Normungsinstitut existiert nicht72. Ende 1995 beschäftigte das IPQ 219 Angestellte73. Aufgaben des IPQ sind neben der Erarbeitung, Veröffentlichung und Förderung der Anwendung technischer Normen auch die Metrologie, die Durchführung von Laboruntersuchungen und Schulungen, die Zertifizierung von Produkten und Qualitätssicherungssystemen von Unternehmen sowie die Akkreditierung von juristischen Personen74. Ende 1995 umfaßte das portugiesische Normenwerk men, davon 936 aus dem elektrotechnischen Bereich75.

6.286 technische Nor-

Das IPQ verfügte im Jahre 1995 über ein Budget von 8,0 Mio. SFR; dessen Finanzierung erfolgte zu 35,0 % durch staatliche Subventionen, zu 5,0 % durch Mitgliedsbeiträge, zu 4,0 % durch Veröffentlichungen, zu 21,5 % durch Zertifizierungen und zu 34,5 % durch "Sonstiges"76. Ihrer Rechtsnatur nach sind portugiesische Normen rechtlich unverbindliche Empfehlungen der für Portugal zuständigen nationalen Normenorganisation IPQ an "jedermann". Als Ergebnis eines kollektiven Willensbildungsprozesses der interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit zum Nutzen der Allgemeinheit ist ihre Anwendung grundsätzlich freiwillig, solange sie nicht in Gesetzen oder Rechtsverordnungen rezipiert werden. Ende 1995 waren in Portugal rund 10 % der technischen Normen für die Bürger allgemeinverbindlich vorgeschrieben77.

70 71 72 73 74 75 76 77

Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 20; ISO, Members, S. 74. ISO, Members, S. 74; Kaiser, T.-C, Normung in Spanien, S. 103. Schellberg, K.-U., Technische Harmonisierung, S. 70 f. ISO, Members, S. 74. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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g) Spanien Die Geschichte der institutionalisierten spanischen Normung beginnt mit der Gründung des staatlichen "Nationalinstituts für Arbeitsrationalisierung" ("Instituto Nacional de Racionalización del Trabajo") durch einen Beschluß des "Höchsten Rates für wissenschaftliche Forschung" ("Consejo Superior de Investigaciones Cientificas") auf seiner Sitzung am 6. Juni 194678. Die Aufgabe des Instituts war u.a. die "Normung all jener Elemente der nationalen Produktion oder Ausrüstung, deren Eigenschaften oder Anwendungen das erfordern oder rechtfertigen". Im Zuge des Bedeutungszuwachses und der Ausweitung der Normungsaktivitäten im Rahmen der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung Spaniens änderte das Institut im Jahre 1972 seinen Namen zunächst in "Nationalinstitut für Rationalisierung und Normung" ("Instituto Nacional de Racionalización y Normalización" (IRANOR)) und später in "Instituto Espanol de Normalización". Anläßlich des Eintritts von Spanien in die Europäische Union am 1. Januar 1986 wurde das spanische System für Normung und Zertifizierung durch den königlichen Erlaß 1614/1985 vom 1. August 1985 mit dem Ziel einer höheren Effizienz reorganisiert und die Normungs- und Zertifizierungsaufgaben von IRANOR auf den neugegründeten privaten, nicht gewinnorientierten Verband "Asociación Espanola de Normalización y Certificación" (AENOR) übertragen 79. Durch den königlichen Erlaß und die Verordnung des Ministeriums für Industrie und Energie vom 26. Februar 1986 wurde AENOR als einzige zugelassene Institution für die Durchführung von Normungs- und Zertifizierungsaufgaben in Spanien anerkannt80. Bis heute ist die Organisation der AENOR die eines privaten, nicht gewinnorientierten Vereines nach dem spanischen Vereinsgesetz, ausgestattet mit eigener juristischer Persönlichkeit. Die wichtigsten Organe der AENOR sind die Hauptversammlung der Mitglieder, ein Vorstand, ein Verwaltungsausschuß, eine Normenkommission, eine Zertifizierungskommission sowie die technischen Normungs- und Zertifizierungsausschüsse. Die Hauptversammlung aller Mitglieder ist das höchste Gremium der AENOR und trifft in letzter Instanz alle Entscheidungen von höchster Wichtigkeit. Der Vorstand konkretisiert die von der Hauptversammlung vorgegebene politische Richtung und handelt mit weit78

Vereinzelt waren Normungsvorhaben bereits seit der Zeit der Diktatur des Generals P. de Rivera (1923-1926) durch verschiedene Einrichtungen durchgeführt worden. Kaiser, T.-C., Normung in Spanien, S. 104. 79 Sowohl das Ministerium für Industrie und Energie als auch die spanischen Industrieverbände versprachen sich von einem privaten Normungsinstitut eine höhere Leistungsfähigkeit. Kaiser, T.-C., Normung in Spanien, S. 103 f. Vgl. auch ISO, Members, S. 82. 80 Kaiser, T.-C., Normung in Spanien, S. 104.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

gehenden Befugnissen innerhalb der von den Statuten vorgegebenen Grenzen. Während die Normenkommission das verantwortliche Gremium für die Koordinierung und Planung der den technischen Normenausschüssen übertragenen Normungsarbeiten ist, umfaßt der Zuständigkeitsbereich der Zertifizierungskommission die Koordinierung und Überwachung der Zertifizierungsaktivitäten der Technischen Zertifizierungsausschüsse. Die Technischen Normenausschüsse sind auf genau definierten Arbeitsfeldern autorisiert für die Normungsarbeit, während die Technischen Zertifizierungsausschüsse für die Erarbeitung von Richtlinien und besonderen Regeln für die Zertifizierung verantwortlich zeichnet. Schließlich ist die AENOR mit den für die Durchführung der anfallenden Verwaltungsarbeiten notwendigen technischen und administrativen Diensten ausgestattet, an deren Spitze eine Generaldirektion die Verantwortung für die gesamte Geschäftsführung der AENOR trägt. Diese wird durch ein Generalsekretariat und zwei administrative Abteilungen für die Normung und die Zertifizierung unterstützt81. Ende 1995 beschäftigte die AENOR 170 Mitarbeiter 82. Aufgaben der AENOR sind die Erarbeitung, Veröffentlichung und Förderung der Anwendung technischer Normen, die Zertifizierung von Produkten und Qualitätssicherungssystemen von Unternehmen sowie die Durchführung von Schulungen83. Ende 1995 umfaßte das spanische Normenwerk davon 2.030 aus dem Gebiet der Elektrotechnik84.

10.916 technische Normen,

Die AENOR verfügte im Jahre 1995 über ein Budget von 21,5 Mio. SFR; dessen Finanzierung erfolgte zu 14,0 % durch staatliche Subventionen, zu 4,8 % durch Mitgliedsbeiträge, zu 17,6 % durch Veröffentlichungen, zu 49,6 % durch Zertifizierungen und zu 14 % durch "Sonstiges"85. Ihrer Rechtsnatur nach sind spanische Normen rechtlich unverbindliche Empfehlungen der für Spanien zuständigen nationalen Normenorganisation AENOR an "jedermann". Als Ergebnis eines kollektiven Willensbildungsprozesses der interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit zum Nutzen der Allgemeinheit ist ihre Anwendung grundsätzlich freiwillig, solange sie nicht in Gesetzen oder Rechtsverordnungen rezipiert werden. Ende 1995 waren in Spanien rund 20 % der technischen Normen für die Bürger allgemeinverbindlich vorgeschrieben86. 81 82 83 84 85 86

Ebd., S. 104 f. ISO, Members, S. 82. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

615

5. Resümee des Abschnitts ILA. Die Geschichte der überbetrieblichen technischen Normung beginnt in einigen der betrachteten EU-Mitgliedsstaaten in Abhängigkeit von dem wirtschaftlichen Entwicklungsverlauf bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts, in welchem innerbetrieblich in den großen Unternehmen und überbetrieblich in technisch-wissenschaftlichen Vereinigungen und Berufsverbänden erste Normungsprojekte durchgeführt wurden. Die Notwendigkeit einer überbetrieblichen technischen Normung ergab sich zum einen aus der mit der Industriellen Revolution einhergehenden Massenfabrikation, die Rationalisierung, Austauschbarkeit und Kompatibilität der technischen Systeme erforderlich machte, und zum anderen aus der Entstehung zusammenhängender Versorgungsnetze insbesondere für Strom und Gas sowie Verkehrsnetze vorwiegend des Bahnverkehrs, für die eine der wichtigsten Voraussetzungen die Schaffung der Kompatibilität der geographischen und funktionalen Teilsysteme war. Parallel zu diesen wirtschaftlichen Interessen, die lange Zeit und auch in den beiden Weltkriegen im Vordergrund standen, wurden jedoch vom Beginn der überbetrieblichen technischen Normung an auch schütz- und sicherheitstechnische Regeln festgelegt, um eine ausreichende Sicherheit der neuartigen technischen Systeme und damit eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu gewährleisten. Aus diesen technisch-wissenschaftlichen Vereinigungen und Berufsverbänden, die zu einem großen Teil bis heute normend tätig sind, entwickelten sich zwischen dem letzten Drittel des 19. und dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die vorgestellten nationalen Normenorganisationen. Dabei wurden die bestehenden elektrotechnischen Normenorganisationen hauptsächlich zur Vertretung der nationalen Interessen in der 1905 gegründeten "International Electrotechnical Commission" (IEC) und zeitlich zumeist vor den technischen Normenorganisationen gegründet. Ungeachtet der Vernetzung und Integration zahlreicher technischer Fachgebiete im allgemeinen und der Entwicklung der Elektrotechnik und Elektronik zu einer Querschnittsdisziplin im besonderen sind die elektrotechnischen Normenorganisationen nur zum Teil - wie beispielsweise im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland - in die technischen Normenorganisationen integriert worden. In den anderen EU-Mitgliedsstaaten wie z.B. in der Bundesrepublik Deutschland - entstanden gemeinsame Institutionen der technischen und elektrotechnischen nationalen Normenorganisationen, während sich in den übrigen Ländern die elektrotechnischen Normenorganisationen, soweit existent, bis heute oftmals eine weitgehende Unabhängigkeit bewahrt haben. Diese läßt sich allerdings nur mehr rein historisch erklären, während die Trennung bezüglich der Sacharbeit aus den vorhergehend genannten Gründen im wesentlichen als nachteilig zu bewerten ist.

616

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Neben der im ersten Teil dieser Untersuchung herausgearbeiteten Funktion der technischen Normung als technisch-ökonomisches Regelungssystem ist es den ursprünglich überwiegend als Organe der Selbstverwaltung der Wirtschaft gegründeten nationalen Normenorganisationen gelungen, in erfolgreicher Fortführung der traditionellen Erfüllung sicherheitstechnischer Aufgaben die in Kapitel I.C herausgearbeiteten weiteren öffentlichen Aufgaben zu übernehmen und offensichtlich zur weitgehenden Zufriedenheit aller auszuführen, ohne die ursprünglichen und originären Interessen ihrer Mitglieder zu vernachlässigen. Dementsprechend definiert sich beispielsweise das DIN nicht mehr nur als eine "Institution der Deutschen Wirtschaft", sondern globaler als Institution der Selbstverwaltung und Erfüllung gemeinnütziger Aufgaben aller an der Normung interessierten Kreise. Auch in den anderen betrachteten Ländern mit privaten nationalen Normenorganisationen ist, wie Lukes es bezüglich der BSI formulierte, die Entwicklung von industriebestimmten Normungsvereinen hin zu unabhängigen, selbständigen und gleichermaßen auf die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben bedachten Normenorganisation unverkennbar. Die Befähigung der nationalen Normenorganisationen zur Bewältigung dieser Aufgaben liegt in der in allen betrachteten EU-Mitgliedsstaaten in ihren Grundstrukturen und Prinzipien vergleichbaren Aufbau- und Ablauforganisation der nationalen Normenorganisationen, die sich traditionell für die Schaffung von Ordnung und die Strukturierung des Wissens und der Erkenntnisse im Bereich von Wissenschaft und Technik sowie der Schließung wirtschaftlich-technischer Vereinbarungen der Marktteilnehmer herausgebildet und bewährt haben, und die das Credo der technischen Normung - den konsensualen Diskurs von sachkundigen Vertretern aller interessierten Kreise unter Beteiligung der Öffentlichkeit zur Verwirklichung des allgemeinen Nutzens - verwirklichen sollen: Zum einen ermöglicht die Aufbauorganisation aller untersuchten nationalen Normenorganisationen in Form einer Vielzahl fachspezifischer Normungsgremien die simultane Bearbeitung einer in weiten Grenzen beliebig großen Menge von Normungsaufgaben, wobei durch die fachkompetente Besetzung der einzelnen Gremien i.V.m. der Einbeziehung weiteren externen Sachverstands eine ebenso effiziente wie kompetente Aufgabenbewältigung sichergestellt wird. Allein mittels dieser Organisationsform ist die notwendige Erschließung des exponentiell zunehmenden Wissens in Wissenschaft und Technik zur bestmöglichen Erfüllung auch der im ersten Teil dieser Untersuchung herausgearbeiteten gemeinnützigen Regelungsaufgaben auf dem komplexen, interdisziplinären und hochdynamischen Gebiet der Technik realisierbar, da hier eine sequentielle Bearbeitung durch ein Gremium oder auch einige wenige Gremien erstens an der Unmöglichkeit der dazu unabdingbar notwendigen, entsprechend breiten und tiefen Qualifikation der Bearbeiter, zweitens an der Anzahl und dem men-

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

617

genmäßigen Umfang der zu bearbeitenden Regelungsaufgaben sowie drittens an der notwendigen ständigen Anpassung an den fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand, die progressive technische Entwicklung und die sich ändernden gesellschaftlichen Wertvorstellungen zwingend scheitern muß. Mit dem Erfordernis der Spezialisierung der Aufgabenbewältigung geht allerdings ebenso notwendigerweise ein zunehmender Aufwand für die Koordinierung sowohl zwischen den auf der nationalen Ebene vorhandenen selbständigen normschaffenden Institutionen als auch zwischen den innerhalb des gegebenen Ordnungsrahmens der einzelnen normschaffenden Institutionen häufig weitgehend autonomen, zum Teil bei anderen technisch-wissenschaftlichen Vereinen oder Berufsverbänden lokalisierten Normenausschüssen1 selbst einher, um zu konsistenten, integeren und redundanzfreien Regelsystemen "aus einem Guß" zu gelangen. Dieses wird im System der technischen Normung innerhalb einer normschaffenden Institutionen durch ein gegebenenfalls gestuftes System von Strategie· und Lenkungsgremien2, zwischen den verschiedenen nationalen norm-

1 Hinsichtlich des räumlichen und organisatorischen Integrationsgrads der Technischen Komitees in bezug auf die nationalen Normenorganisationen bestehen in den untersuchten EU-Mitgliedsstaaten durchaus beträchtliche Unterschiede: So ist beispielsweise in Frankreich die Mehrzahl der Technischen Komitees, die mit der Ausarbeitung der Normen beauftragt werden, räumlich dezentral bei Berufsverbänden oder anderen Institutionen lokalisiert, während im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland die meisten Technischen Komitees räumlich in die BSI integriert sind. Während allerdings trotz der räumlich dezentralen Lokationen den Technischen Komitees in Frankreich ihre Organisationsstruktur weitestgehend vorgeschrieben ist, vereinen die deutschen nationalen Normenorganisationen bezüglich ihrer Technischen Komitees räumliche Dezentralität mit weitgehender organisatorischer Eigenständigkeit als nichtrechtsfähige Vereine, allerdings innerhalb des ordnungspolitischen Rahmens insbesondere der DIN 820 und der Richtlinien für die Normenausschüsse. Vgl. zu diesen Ausführungen auch Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 26. 2 Ungeachtet des damit verbundenen administrativen Aufwands erfüllen die Strategie· und Lenkungsgremien, in denen in allen hier untersuchten Normenorganisationen regelmäßig alle an der Normung interessierten Kreise vertreten sein sollen, wichtige Aufgaben bezüglich der konsensualen Entwicklung einer gemeinsamen strategischen Ausrichtung der Normungsarbeiten. Beispielsweise wird von französischer Seite diese strategische Aufgabe der Lenkungsgremien der AFNOR - dem "Steuerungs- und Planungskomitee" ("Comité d'Orientation et de Programmation" (COP)) und den 19 Komitees für strategische Steuerung ("Comité d'Orientation Stratégique" (COS)), zuständig für die 19 sektoralen "Großen Normungsprogramme" ("Grands Programmes de Normalisation" (GPN)) -, in welchen alle betroffenen Partner die Normungsstrategien entwikkeln und die Ressourcen zuteilen, als entscheidender Vorteil der neuen Organisation von AFNOR gegenüber den nationalen Normenorganisationen der anderen EU-Mitgliedsstaaten angesehen. Diese drückt sich beispielsweise darin aus, daß innerhalb kurzer Zeit gemeinsame nationale Strategien auf durchaus brisanten Sektoren wie beispielsweise dem Wasserkreislauf, den Nahrungsmitteln und der Umwelt erarbeitet und verabschiedet und mit den notwendigen, auch finanziellen Mitteln versehen wurden. Davon profitieren sowohl die von der Normung betroffenen Partner, die einen konkreten

618

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

schaffenden Institutionen durch eine auf entsprechende Kooperationsvereinbarungen gestützte Zusammenarbeit bzw. Integration der Normenwerke sowie schließlich bezüglich der entsprechenden Aktivitäten auf europäischer oder internationaler Ebene durch eine zu diesen spiegelbildliche Organisationsstruktur der Normungsgremien i.V.m. einer eindeutigen Zuständigkeitsregelung im Sinne der alleinigen Verantwortlichkeit eines Arbeitsgremiums für ein bestimmtes Normungsprojekt sowohl auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene gewährleistet. Zum anderen ist das Normungsverfahren als konsensualer Diskurs sachkundiger Vertreter aller interessierten Kreise unter Beteiligung der Öffentlichkeit augenscheinlich gleichermaßen für den Ausgleich der wesentlichen Gruppenund Individualinteressen hinsichtlich technisch-wirtschaftlicher wie allgemeinwohlrelevanter Regelungsaufgaben mit dem Ziel der Verwirklichung des guten Zusammenlebens aller mit allen und zur Verwirklichung des größtmöglichen gemeinsamen Nutzens geeignet. In allen betrachteten Ländern kann grundsätzlich jedermann einen Antrag zur Aufnahme einer Normungsarbeit stellen, wobei Normungsanträge vom Staat mit der Absicht, die entstehenden technischen Normen in Gesetzen, Rechtsverordnungen oder behördeninternen Richtlinien zu rezipieren oder auf öffentlichen Märkten zu verwenden, in allen Ländern de jure - z.B. in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich oder dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland - oder de facto vorrangig behandelt werden. Ungeachtet dessen billigen de jure alle nationalen Normenorganisationen den Staatsvertretern sowohl in den technischen Ausschüssen als auch in den Lenkungsgremien nur den Platz Gleicher unter Gleichen zu 3 . Nur in einem einzigen Fall kann der Staat de jure auf den Inhalt technischer Normen auf andere Weise Einfluß nehmen als durch den Weg der aktiven Mitarbeit in den Fachgremien: Im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland hat die BSI entsprechend dem 1982 unterzeichneter Memorandum of Understanding bei europäischen Normungsprojekten, welche die bestehende oder beabsichtigte Rechtssetzung des Vereinigten Königreichs oder der Europäischen Union berühren, dafür Sorge zu tragen, daß der Standpunkt der Delegierten des Vereinigten Königreichs in den europäischen Normenorganisationen mit dem Standpunkt der Regierung übereinstimmt, den diese aufgrund eigener BeEinfluß auf die Entscheidungen und die Prioritäten nehmen und klarer die Auswirkungen dieser Wahl abschätzen können, als auch die AFNOR und die BN, denen die klare Steuerung der Normungsarbeiten und der erzielte Konsens bzw. das Ausbleiben von Meinungsverschiedenheiten über die Verwendung der Mittel zugute kommt. Tourneur, J. C., LAFNOR, S. 4. 3 De facto wird in einigen EU-Mitgliedsstaaten - z.B. in Finnland - dem Einspruch eines Behördenvertreters besonderes Gewicht beigemessen, wenn der Staat eine Bezugnahme auf die entsprechende Norm plant. Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 19.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

619

trachtungen eingenommen hat. Damit ist in diesem immer bedeutsamer werdenden Bereich das Grundprinzip der Selbstverwaltung der interessierten Kreise de jure praktisch aufgehoben. Zentrale Bedeutung kommt dabei der Verhinderung der Durchsetzung von (gruppen-) individuellen Interessen auf Kosten der Allgemeinheit durch die dargelegten typischen Verfahrensrichtlinien der Normerstellung zu, die insbesondere die repräsentative Beteiligung aller an einem Normungsgegenstand interessierten und betroffenen Kreise, eine möglichst konsensuale Beschlußfassung über die gemeinsam erarbeitete Lösung sowie ein öffentliches Einspruchsverfahren vorschreiben. Einsprüche gegen den Norm-Entwurf behandelt in allen betrachteten Ländern das zuständige Arbeitsgremium, wobei der Einsprechende im Falle von Meinungsverschiedenheiten regelmäßig seine Interessen in einem Schlichtungs- und Schiedsverfahren - entweder formal eingerichtet wie z.B. auf vorbildliche Art und Weise im D I N oder in nicht formalisierten Verfahren vertreten kann. Schließlich überwacht in allen betrachteten Staaten das Präsidium oder eine beauftragte Kommission die Einhaltung dieser Verfahrensregeln 4. Diese institutionell abgesicherte, tatsächliche Verwirklichung der zentralen Verfahrenseckpunkte ist von grundlegender Bedeutung, da ansonsten die gesamtgesellschaftlich bestmögliche Lösung der Regelungsaufgabe auch und insbesondere hinsichtlich der zu erfüllenden Aufgaben des allgemeinen Wohls systembedingt und damit systematisch verfehlt wird. Über diese Gemeinsamkeiten hinaus läßt sich eine zunehmende Angleichung der nationalen Normenorganisationen feststellen, der Organisationsstrukturen für die insbesondere zwei Gründe ausschlaggebend sind: Zum einen das außerordentlich hohe Ansehen des D I N bzw. der DIN-Normen sowohl in den anderen EU-Mitgliedsstaaten als auch auf der Ebene der EU selbst, das - wie am Beispiel der Neugestaltung des französischen Normensystems illustriert - dazu geführt hat, daß diese sich bei der Organisation ihrer Normenorganisationen mehr oder weniger stark am deutschen Beispiel orientieren 5; und zum anderen die außerordentlich gestiegene Bedeutung der europäischen und internationalen Normung, welche die Ausrichtung der Aufbau- und Ablauforganisation der nationalen Normenorganisationen auf die Strukturen der europäischen und internationalen Institutionen zur Folge hatte. Diese Auswirkungen des europäischen Integrationsprozesses sind vor allem bei den nationalen Normenorganisationen der kleineren EU-Mitgliedsstaaten unverkennbar. Aufgrund der aus der Ver-

4

Vgl. zum vorhergehenden auch Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 18 f. So auch die Sicht der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland: Beauvais, E. v., Rechtsvorschriften für technische Gegenstände, S. 11. Vgl. dazu auch das Zitat zu Beginn des nachfolgenden Kapitels. 5

620

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

wirklichung des Gemeinsamen Europäischen Marktes resultierenden deutlichen Zunahme der europäischen, aber auch der internationalen Normungsaktivitäten haben die nationalen Normenorganisationen beispielsweise von Belgien, Dänemark und Griechenland angesichts ihrer begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen beschlossen, auf nationale Normungsarbeiten soweit wie möglich zu verzichten und Normungsprojekte stattdessen auf europäischer und internationaler Ebene fortzuführen 6. Dementsprechend haben die nationalen Normungsinstitutionen ihre Organisation dahingehend restrukturiert, eine fast ausnahmslose Konzentration auf die europäische und internationale Arbeit zu ermöglichen. Schließlich gibt es auf dem Gebiet der Elektrotechnik nicht zuletzt aufgrund der frühzeitig erlassenen EU-Niederspannungsrichtlinie selbst in den großen Industrienationen wie der Bundesrepublik Deutschland praktisch keine rein nationale technische Normung mehr7. Dabei sind aufgrund des historisch frühen Einsetzens der elektrotechnischen Normung in den Regelwerken alle für die Elektrotechnik wesentlichen Sachverhalte vollständig abgedeckt8. Als weitere elementare Gemeinsamkeit9 wurde in allen betrachteten EUMitgliedsstaaten als Organisationsform der nationalen Normenorganisationen die eines Vereins, eines Verbandes oder einer Stiftung des privaten Rechts gewählt, welche regelmäßig nicht gewinnorientiert zur Gemeinnützigkeit verpflichtet sind. Dies gilt auch für Italien, in welchem zwar der nationale Forschungsrat "Consiglio Nazionale delle Ricerche" (CNR), der als eine Art Anstalt des öffentlichen Rechts organisiert und dem Präsidenten des Ministerrates direkt unterstellt ist 10 , das offizielle Normungsmonopol innehat, der aber seine Tätigkeit weitestgehend auf eine Initiativ- und Kontrollfunktion beschränkt und die Normungsarbeit an die beiden privaten Normenorganisationen UNI und CEI delegiert. Dies trifft schließlich auch für die belgischen, französischen und griechischen Normenorganisationen zu, obwohl diese unter der Aufsicht und dem Einfluß staatlicher Organe stehen.

6

Dies entspricht dem effektivsten Einsatz der beschränkten finanziellen Mittel, da eine internationale oder Europäische technische Norm für das einzelne Land nur etwa ein Drittel der Kosten einer eigenständigen nationalen Norm verursacht. Zudem wird die in immer kürzeren Zeitabständen notwendige Überarbeitung des technischen Normenwerkes entsprechend dem Stand der Technik gleichfalls immer teurer. DS, Ende der nationalen Normung, S. 204. Vgl. auch Mohr, C., Antwort, S. 537. 7 DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 6. 8 Winckler, R., Rechtsvorschriften für Materialien und Geräte, S. 30. 9 Zielsetzung dieser Arbeit ist kein detaillierter Organisationsvergleich der betrachteten nationalen Normenorganisationen. Es werden lediglich die Punkte herausgestellt, die für den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit relevant sind. 10 Lukes, R., EWG und EFTA-Staaten, S. 143.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

621

Ungeachtet dessen ist hervorzuheben, daß die auf den genannten Prinzipien basierenden Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation der nationalen Normenorganisationen nicht starr sind; vielmehr werden diese laufend den sich ändernden Erfordernissen der Lebenswirklichkeit angepaßt, seien es wirtschaftliche Entwicklungen wie die Globalisierung der Leistungserstellung, des Handels und der Dienstleistungen, technische Entwicklungen wie die sich ständig verkürzenden Entwicklungs- und Lebenszyklen technischer Systeme, gesellschaftliche Entwicklungen wie die Forderung nach umfassender Berücksichtigung des Umweltschutzes in allen Phasen eines Produktlebenszyklus oder politische Entwicklungen wie die europäische Integration. Gemäß der zunehmenden Änderungsgeschwindigkeit der Lebenswirklichkeit vollzog sich die Entwicklung der Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation der nationalen Normenorganisationen noch nie so dynamisch wie in den letzten Jahren, worin eine weitere Stärke dieser Organisationen begründet liegt. Während die nationalen Normenorganisationen in einem Teil der betrachteten EU-Mitgliedsstaaten - wie beispielsweise der Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland - seit jeher privatrechtlich organisiert sind, waren sie in anderen - etwa in Frankreich, Portugal und Spanien - zeitweilig und bezüglich der beiden letztgenannten noch bis in die achziger Jahre in den staatlichen Behördenapparat integriert. Als Hauptgründe für die Privatisierung und das Scheitern der staatlichen technischen Normung sind beispielsweise in Frankreich die fehlende Repräsentanz der meisten interessierten Kreise zugunsten der Besetzung der Gremien durch Abgeordnete der Ministerien, die daraus resultierende fehlende Praxisnähe und der mangelnde Sachverstand, eine bis in alle bürokratischen Einzelheiten geregelte Ablauforganisation vereint mit einer dirigistischen Arbeitsweise und die sich aus all diesem ergebende fehlende Akzeptanz durch die interessierten Kreise sowie die geringe finanzielle Unterstützung insbesondere durch die Wirtschaft verantwortlich. Auch im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland erwiesen sich die staatlichen Organe hinsichtlich der Erfüllung der im ersten Teil herausgearbeiteten öffentlichen Aufgaben keinesfalls als überlegen: So kam der Robens-Report von 1972 hinsichtlich des Schutzes der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz durch Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen für technische Anlagen und Geräte zu dem Ergebnis, daß die bestehenden gesetzlichen Regelungen verstreut in verschiedenen Gesetzen vorlagen, die Aktualität der vorhandenen gesetzlichen Regelungen "unterschiedlich", d.h. teilweise unzureichend war, die Rechtssetzung durch Rechtsverordnungen ("regulations") durchweg zu lange Zeit in Anspruch nahm und der Gesetzesvollzug zersplittert durch verschiedene Behörden erfolgte. Gegenüber den technischen Normen beanspruchten zur Zeit des Robens-Reports behördliche Codes und Standards eine im Durchschnitt 66% längere Ausarbeitungszeit - nämlich fünf statt drei Jahre -, wobei von Bearbei-

622

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

tungszeiten von bis zu fünfzehn Jahren berichtet wird. Diese Erfahrungen bestätigten sich im Rahmen der Tätigkeit eines überministeriellen Normungsgremiums, nämlich des "Public Sector Standardization Teams": Dieses erstellte von 1969 bis 1974 ganze 18 Public Authority Standards. Als Schlußfolgerung empfahl die Robens-Kommission die Beschränkung der Gesetzgebung auf Grundsatzforderungen, deren Konkretisierung insbesondere durch technische Normen erfolgen sollte. Ähnliche Erfahrungen wurden in der Bundesrepublik Deutschland bezüglich der detaillierten rechtlichen Normierung der sicherheitstechnischen Anforderungen an Dampfkessel gewonnen, die nach einer kurzen Periode Anfang des 20. Jahrhunderts zugunsten der vom V D I vorgeschlagenen Beschränkung der gesetzlichen Anforderungen auf Grundsatzforderungen i.V.m. der Konkretisierung durch die Rezeption von technischen Normen wieder aufgegeben wurde. Schließlich bildeten auch in Spanien und Portugal die Starrheit und Ineffizienz der administrativen Normungstätigkeit die Ursache für deren Scheitern11. Dabei wurde am Beispiel des französischen Normensystems verdeutlicht, daß für die Akzeptanz der technischen Normen weniger der öffentlich-rechtliche bzw. privatrechtliche Status ausschlaggebend ist, sondern vielmehr die Gestaltung des Normungssystems als Selbstverwaltungsaufgabe der interessierten Kreise und der Öffentlichkeit unter Anwendung der zuvor ausgeführten Normungsprinzipien. Auch in Frankreich hat sich bestätigt, daß die Legitimation und der Wert einer Norm zu einem großen Teil aus der Art und Weise ihrer Erstellung resultiert: Aus der Zustimmung aller verschiedenen an der Normung interessierten Partner, aus den Kenntnissen und Erfahrungen der in die Normungsgremien entsandten ehrenamtlichen Experten der interessierten Kreise und aus den Initiativ- und Mitspracherechten der Öffentlichkeit 12. In gleicher Weise machten im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland die Behörden - wie das Department of Health and Social Security - die Erfahrung, daß die Ausarbeitung von Standards und Codes nur durch behördeneigene Sachverständige nicht zu brauchbaren Ergebnissen führt und daher in den Arbeitsgremien neben Behördenvertretern auch Sachverständige aus der Industrie und anderen interessierten Kreisen unerläßlich sind13. Trotz der Erfüllung der im ersten Teil der Arbeit ausgeführten öffentlichen Funktionen führten die Untersuchungen bezüglich der Rechtsnatur technischer

11

Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 20. Vgl. dazu die Ausführungen bezüglich des Scheitems des Ansatzes einer zwar privatrechtlich organisierten, aber dennoch staatlich-dirigistischen technischen Normung in Kap. II.A.2.d). 13 Vgl. Kap. II.A.3.a)dd). 12

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

623

Normen zu dem Ergebnis, daß diese in keinem der betrachteten EU-Mitgliedsstaaten Rechtsnormen mit einer allgemeinen oder begrenzten Verpflichtung zur Einhaltung darstellen. Als Ergebnis eines kollektiven Willensbildungsprozesses der interessierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit entfalten sie aus sich heraus regelmäßig keine rechtliche Verbindlichkeit, sondern sind rechtlich unverbindliche Empfehlungen der nationalen Normenorganisationen an jedermann. Abstrakt-generelle rechtliche Verbindlichkeit kommt technischen Normen allein in Folge von Rezeptionsakten der staatlichen rechtssetzenden Organe zu. In einigen der EU-Mitgliedsstaaten wurden diesbezüglich im Rahmen der allgemeinen Ordnung des Verhältnisses der nationalen Normenorganisationen zum Staat schriftliche Regelungen getroffen: So sind die staatliche Anerkennung und Rezeption technischer Normen in Belgien, Frankreich, Italien, Portugal und Spanien in (einseitigen) Normengesetzen geordnet14. Hingegen bestehen in der Bundesrepublik Deutschland wie auch im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland einvernehmliche, beiderseitige Vereinbarungen in Form von Normenverträgen, wobei der BSI darüber hinaus noch eine Royal Charter vom britischen Monarchen verliehen wurde. In den anderen EU-Mitgliedsstaaten erfolgt die staatliche Rezeption technischer Normen - wie vor Abschluß des Normenvertrages zwischen der Bundesregierung und dem DIN sowie bezüglich der anderen normschaffenden Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland bis heute - ohne spezifische rechtliche Grundlage. Bezüglich der staatlichen Rezeption technischer Normen werden in den Rechtsordnungen aller untersuchten EU-Mitgliedsstaaten überwiegend dieselben Rezeptionsarten verwendet15, die jeweils zu einer vergleichbaren rechtlichen Verbindlichkeit führen. Als Folge einer unmittelbaren Bezugnahme auf technische Normen durch Inkorporation, datierte Verweisung, undatierte Verweisung und allgemeine Verweisung nimmt der Inhalt der rezipierten technischen Norm(en) an der Rechtsgeltung der rezipierenden Rechtsnorm teil; d.h. im Falle der Rezeption in Gesetzen und Rechtsverordnungen werden die Spezifikationen der technischen Norm(en) dem Normadressaten verbindlich vorgeschrieben. In Frankreich führt darüber hinaus auch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu allgemeiner rechtlicher Verbindlichkeit der entsprechenden technischen Normen, während die in der Bundesrepublik Deutschland angewandte normkonkretisierende allgemeine Verweisung nach herrschender Meinung lediglich eine widerlegbare gesetzliche Tatsachenvermutung mit der

14

Ebenso in Finnland und Österreich. Vgl. dazu auch Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 26; Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 15. 15 Vgl. auch Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 18.

624

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Funktion einer Beweislastregel dafür begründet, daß den rechtlich gebotenen Schutz- und Sicherheitspflichten genügt worden ist, wenn die ausdrücklich benannten technischen Normen Beachtung fanden. Schließlich gilt im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland bei einer "die Erfüllung vermutenden (datierten, undatierten oder allgemeinen) Verweisung" ("deemed to satisfy reference") die Einhaltung der rezipierten technischen Normen als zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen hinreichend und geeignet, ohne daß andere Möglichkeiten ausgeschlossen werden; allerdings muß derjenige, der eine andere Lösung wählt, den Beweis erbringen, daß seine alternative Lösung den Anforderungen der Vorschrift in gleichem Maße genügt, d.h. zumindest dasselbe Schutz- und Sicherheitsniveau gewährleistet wie die rezipierten technischen Normen. Außer in Frankreich, in welchem technische Normen durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung allgemeine rechtliche Verbindlichkeit erlangen, werden auch in anderen EU-Mitgliedsstaaten technische Normen rechtlich bindend vorgeschrieben. Verbindlich sind nach der Definition von CEN/CENELEC technische Normen, deren Anwendung laut eines allgemeinen Gesetzes oder einer ausschließlichen Verweisung in einer Vorschrift zwingend ist16. Die Anzahl und der Anteil der allgemeinverbindlichen technischen Normen an den nationalen technischen Normenwerken sind für die Mitgliedsstaaten von EU und EFTA in der folgenden Tabelle 11 zusammengestellt17. Während in der Bundesrepublik Deutschland und im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland die undatierte und die (normergänzende) allgemeine Verweisung als verfassungswidrig qualifiziert werden, begegnen in Frankreich auch nach der Reform des französischen Normungssystems im Jahre 1984, soweit ersichtlich, weder die undatierte noch die (normergänzende) allgemeine Bezugnahme auf technische Normen (verfassungs-) rechtlichen Bedenken, obwohl die Bestätigung der technischen Normen seitdem nicht mehr in

16 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 35 Abschn. 11 Nr. 11.4. Vgl. auch die Definition der ECE, abgedruckt in: DIN, DIN 820-3: 1975-03 S. 9 Anhang A Nr. A.6. Die Zahlenangaben sind insofern unlogisch, als beispielsweise auch in der Bundesrepublik Deutschland, deren Anteil an verbindlichen Normen laut ISO 0,0 % beträgt, technische Normen beispielsweise durch Inkorporation oder datierte Verweisung in Gesetzen und Rechtsverordnungen in Bezug genommen und so verbindlich vorgeschrieben werden; daher muß angenommen werden, daß entweder die ISO für die Erhebung dieser Zahlen keine oder nur ungenügende Definitionen vorgegeben hat, oder daß vorhandene Definitionen seitens der nationalen Normenorganisationen keine Beachtung fanden. 17 Zahlenangaben für Ende 1995, entnommen aus: ISO, Members, passim; Ausnahme: Umfang des italienischen Normenwerkes aufgrund fehlerhafter Daten in ISO, Members, S. 53 für Ende 1996, entnommen aus: UNI, schriftliche Auskunft der Abteilung International Projects.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

625

der Verantwortung des Industrieministers bzw. des Normungskommissars/interministeriellen Normenabgeordneten liegt, sondern in der des Verwaltungsrats der AFNOR. Tabelle 11

Anzahl und Anteil verbindlich erklärter technischer Normen in den ËU- und EFTA- Mitgliedsstaaten Mitgliedsstaat

Organisation

Umfang nationa- Anzahl ver- Anteil verles Normenwerk bindlicher bindlicher Normen Normen

BR Deutschland

DIN/DKE

23.500

0

0,0%

Vereinigtes reich

BSI/BEC

14.476

0

0,0%

König-

Schweden

SIS/SEK

11.200

0

0,0%

Niederlande

NNI/NEC

9.197

0

0,0%

Schweiz

SNV/CES

6.656

0

0,0%

Island

STRI

4.269

0

0,0%

Irland

NSAI/ETCI

3.750

11

0,3 %

Griechenland

ELOT

4.386

18

0,4%

Frankreich

AFNOR/CEF, UTE

19.046

190

1,0%

Belgien

IBN (BIN)/ CEB (BEC)

8.545

85

1,0%

Italien

UNI/CEI

10.400

520

5,0%

Dänemark

DS

5.955

476

8,0%

706

10,0 %

629

10,0 %

Finnland

S FS/S ES KO

7.060

Portugal

IPQ

6.286

Norwegen

NSF/NEK

5.574

596

10,7 %

Österreich

ON/OEK

7.033

1.027

14,6 %

Spanien

AENOR/AEE

10.916

2.183

20,0 %

Luxemburg

ITM/SEE

k.A.

k.A.

158.249

379

Summe/Mittelwert

/

k.A. 4,8%

Wesentlich häufiger findet in den drei untersuchten EU-Mitgliedsstaaten die mittelbare Bezugnahme auf technische Normen Anwendung, wobei die mittelbare Rezeption technischer Normen durch offene Rechtsbegriffe mit weitem Abstand die bedeutendste Rezeptionsmethode darstellt. Ungeachtet der Art und Weise der untergesetzlichen Rezeption technischer Normen werden in allen un-

40 Zubke-von Thünen

626

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

tersuchten EU-Mitgliedsstaaten bei dieser Rezeptionsmethode die rechtlichen Anforderungen und damit die Pflichtenlage für den Normadressaten abschließend erst durch einen gerichtlich nachprüfbaren Verwaltungsakt konkretisiert. Neben dieser Rezeptionsart existieren in den Rechtsordnungen der untersuchten EU-Mitgliedsstaaten noch weitere Formen der mittelbaren Rezeption technischer Normen, wie etwa deren Qualifikation als Verkehrssitte bzw. Handelsbrauch der jeweiligen Berufsstände, die Referenz auf technische Normen auf den öffentlichen Märkten oder die Qualifikation technischer Normen als antizipierte Sachverständigengutachten. Gemäß den von der technischen Normung erfüllten öffentlichen Aufgaben besteht der Regelungszweck der rezipierenden Rechtsnormen in allen untersuchten EU-Mitgliedsstaaten neben der Ordnung des Wirtschaftslebens vornehmlich in dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Menschen, seiner Sachgüter sowie der Umwelt. Die Regelungsstruktur der entsprechenden Rechtsgebiete zeichnet sich dadurch aus, daß sich die rechtlichen Vorschriften weitgehend auf die Ausgestaltung des formalen technischen Genehmigungsund Überwachungsverhältnisses sowie die Festlegung allgemeiner Schutz- und Sicherheitsbestimmungen beschränken18, welche in der Bundesrepublik Deutschland in aller Regel und in den anderen untersuchten EU-Mitgliedsstaaten in zunehmendem Maße durch die mittelbare Bezugnahme auf technische Normen durch offene Rechtsbegriffe 19, seltener auch die anderen unmittelbaren und mittelbaren Rezeptionsarten, materiell konkretisiert werden. Dabei verdeutlichten exemplarische Untersuchungen der Normen- und Regelstruktur von vier bedeutenden Rechtsgebieten für die Bundesrepublik Deutschland, daß im deutschen Umwelt- und Technikrecht weder durch Gesetz noch durch Rechtsverordnungen noch durch verwaltungsinterne Vorschriften des jeweiligen Normen- und Regelsystems die abschließende konkrete Beurteilung des Regelungsgegenstandes mit dem Ziel ermöglicht wird, den jeweiligen

18

So auch Lukes, R., Einführung, S. 1 f. Wie beispielsweise "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik", "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik" in der Bundesrepublik Deutschland, "the danger of pollution is prevented in the best possible way" in Dänemark, "règle de l'art" ("règle technique reconnue"), "état de l'art" ("état de la technique") und "efficacité des techniques disponibles" ("Wirksamkeit der verfügbaren Techniken") in Frankreich, "regola specifiche della buona tecnica", "regola d'arte" und "il più ristretti limiti che il progresso della tecnica consenta" ("Immissionen in den engsten Grenzen, die der technische Fortschritt erlaubt") in Italien, "best practicable means" in den Niederlanden sowie "acknowledged rule of technology", "state of the art" und "best practicable means" im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland. Vgl. dazu neben den Ausführungen in den einschlägigen Kapiteln dieser Arbeit Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 2, 120, 127, 138 f. 19

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

627

gesetzlichen Regelungszweck zu verwirklichen. Vielmehr bleibt es regelmäßig den hochgradig differenzierten, anwendungsorientierten technischen Normenwerken der privaten normschaffenden Institutionen - gegebenenfalls i.V.m. den Regelwerken bestehender öffentlich-rechtlichen Ausschüsse - vorbehalten, den wissenschaftlich-technischen Sachverstand für die Handhabung des staatlichen Genehmigungs- und Überwachungsinstrumentariums zu erschließen und die auf den Rechtssetzungsebenen weitgehend unbeantworteten Wertungsfragen des zulässigen Restrisikos der technischen Systeme zu entscheiden und materiell zu normieren. Damit werden als grundsätzliche charakteristische Regelungsstruktur des deutschen Umwelt- und Technikrechts die materiellen schütz- und sicherheitstechnischen Detailregelungen zum weitaus überwiegenden Teil in privaten technischen Normen festgelegt, die den eigentlichen sicherheitstechnischmateriellrechtlichen Gehalt bzw. das materielle sicherheitstechnische Kernstück des Umwelt- und Technikrechts ausmachen und den Normadressaten als Handlungs- und den Aufsichts- und Genehmigungsbehörden sowie den mit der Kontrolle der Exekutiventscheidungen befaßten Gerichten als Entscheidungsmaßstäbe dienen. Jedoch ergeben sich aufgrund der mit wenigen Ausnahmen fast ausnahmslos administrativen Rezeption der einschlägigen technischen Normen im Rahmen der Konkretisierung offener gesetzlicher Rechtsbegriffe die schutzund sicherheitstechnischen Anforderungen an die Normadressaten abschließend erst durch die Festlegung in einem gerichtlich nachprüfbaren Verwaltungsakt der zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörden, wobei im Falle von Großanlagen und speziell bei Kernkraftwerken regelmäßig von dieser Möglichkeit der mehrinstanzlichen gerichtlichen Kontrolle der behördlichen Entscheidung Gebrauch gemacht wird. Dieses deutsche System technischer Regeln zur Konkretisierung des Umwelt- und Technikrechts ist einzigartig in Europa20. Weder Frankreich 21 noch

20

So führte die Kommission in Nr. 49 ihrer "Bewertung der Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes: Bericht der Kommission an den Rat vom 23.02.1983 - Kommission (83) 80 endg. - aus: "Die Nützlichkeit der Normung von Industrieerzeugnissen ist seit langem erwiesen. Allerdings wurde ein doppelter zusätzlicher Schritt sehr rasch in einem einzigen Land - Deutschland - vor fast hundert Jahren getan. Zunächst wurde festgestellt, dass (sie) die Qualität der Erzeugnisse desto besser wurde, je mehr detaillierte technische Angaben in den Normen vorgesehen waren, und dass (sie) sich gleichzeitig die berufliche Qualifikation der Arbeitskräfte verbesserte. Angesichts dieser Feststellung fasste (sie) die Industrie den strategischen Beschluss (sie), die Normung mit grossem (sie) finanziellem und materiellem Aufwand kooperativ voranzutreiben. Die deutsche Normung hat rasch einen so hohen Standard erreicht, dass (sie) der Staat, wenn seine Verpflichtungen auf dem Gebiet der öffentlichen Ordnung (Gesundheitswesen, Sicherheit, Verbraucherschutz usw.) sein Einschreiten erforderlich machten, auf die von Fachleuten ausgearbeitete Norm verweisen zu können glaubte." 21 Vgl. dazu Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 115 ff.

40*

628

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland 22 verfügen über Vergleichbares, obwohl auch in diesen beiden EU-Mitgliedsstaaten, wie bereits ausgeführt, die Regelungssysteme des Umwelt- und Technikrechts zunehmend nach dem Konzept der mittelbaren Rezeption technischer Normen ausgestaltet werden. Noch ist jedoch beispielsweise das System der Genehmigung von Industrieanlagen im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland im wesentlichen geprägt durch eine intensive Kooperation von Verwaltung und Anlagenbetreibern. Die Anforderungen an luftverschmutzende Anlagen sind nur in einigen wenigen Fällen in Form von gesetzlichen Emissions- und Konzentrationswerten festgelegt. Größte Bedeutung kommt dem Konzept der offenen Rechtsbegriffe wie beispielsweise den "best practicable means" zu, welches in allen grundlegenden britischen Regelungen über Umweltgenehmigungsverfahren Anwendung findet und in dessen Rahmen in der Regel für den Einzelfall unterschiedliche Emissionsgrenzwerte in Form von Auflagen festgelegt werden. Hierbei verbleibt den zuständigen Behörden ein relativ weiter Spielraum bei der Grenzwertfeststellung. Dessen ungeachtet wurde in Frankreich ebenso wie in dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland durch die Einführung dieser Regelungsmethode der systematischen Rezeption technischer Normen und die Umgestaltung bedeutender Rechtsgebiete, in denen technische Normen in zunehmendem Maße das materielle sicherheitstechnische Kernstück bilden, eine bis dahin unbekannte Entwicklung der Befugnisteilung eingeleitet, wobei das deutsche Vorbild und die sich daraus ergebenden Erfolge der deutschen Industrie bei dieser Entwicklung Pate gestanden haben. Indem die technischen Normen durch den Gesetz- und Verordnungsgeber, die Aufsichts- und Genehmigungsbehörden sowie die mit der Kontrolle der Exekutiventscheidungen befaßten Gerichte rezipiert werden, erlangen sie in den genannten EU-Mitgliedsstaaten eine rechtliche Bedeutung, die über den Charakter privater sachverständiger Empfehlungen weit hinausreicht. Denn es werden in den technischen Normen Entscheidungen getroffen, die wichtige Bereiche des Sozial- und Wirtschaftslebens gestalten, von deren Auswirkungen jedermann mehr oder weniger intensiv betroffen ist, und auf die eine Industriegesellschaft nicht verzichten kann. Dementsprechend nehmen, wie bereits im Resümee des ersten Teils ausgeführt, die nationalen Normenorganisationen mit der Ausarbeitung und Veröffentlichung technischer Regeln eine öffentliche Aufgabe wahr. In diesem Zusammenhang ist besonders bemerkenswert, daß der französische Premierminister den technischen Normen explizit eine bessere Befolgung als den rechtlichen Regelungen zuerkennt, weil sie auf breiter Zustimmung - nämlich dem Konsens aller inter-

22

Vgl. dazu Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 134 ff.

Α. In den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

629

essierten Kreise unter Einschluß der Öffentlichkeit - beruhen. Diese bessere Befolgung ist insbesondere auch deshalb bemerkenswert - zugleich aber auch erklärlich -, weil die technischen Normen aus sich heraus keine zwingende Verbindlichkeit besitzen, sondern allein wegen ihrer hohen fachlichen Qualität und des alle Interessen berücksichtigenden Konsenses Beachtung finden. Dennoch ist die Integration dieser privaten technischen Normenwerke in die staatliche Rechtsordnung trotz der Entwicklung zahlreicher Rezeptionsarten und der Ausgestaltung ebenso kunstvoller wie ineffizienter, unübersichtlicher und deshalb unpraktikabler mehrstufiger Normen- und Regelsysteme bislang als mangelhaft zu bezeichnen. Die einzigen Rezeptionsmethoden, die eine allgemeine rechtliche Verbindlichkeit der technischen Normen gleichermaßen für Normadressaten, Behörden und Gerichte erzeugen - nämlich die Inkorporation, die datierte, die undatierte und die normergänzende allgemeine Verweisung in Gesetzen und Rechtsverordnungen - werden kaum bzw. mit Ausnahme Frankreichs aus verfassungsrechtlichen Gründen überhaupt nicht angewandt. Bei allen anderen und insbesondere auch bei der mit weitem Abstand vorherrschenden Rezeptionsmethode der mittelbaren Rezeption durch normative Standards oder sonstige offene Rechtsbegriffe werden die schütz- und sicherheitstechnischen Anforderungen an den Normadressaten abschließend erst in dem jeweiligen individuellen Verwaltungsakt konkretisiert, zu dessen Überprüfung der gesamte gerichtliche Instanzenzug zur Verfügung steht. Dabei wird insbesondere bei Großanlagen und praktisch regelmäßig bei Kernkraftwerken von dieser Möglichkeit der mehrinstanzlichen gerichtlichen Kontrolle der behördlichen Entscheidungen Gebrauch gemacht. Diese Tatsache trägt nicht nur durch die Vervielfachung des Aufwands - mit der Anzahl der behördlichen und gerichtlichen Entscheidungsverfahren als Multiplikator - zur vielbeklagten Überlastung von Behörden und Gerichten bei, sondern hat auch durch die unvertretbar langen Genehmigungsverfahren, die einander teilweise schon in den Grundsatzfragen und stärker noch in den Einzelheiten widersprechen, eine ungenügende Rechts- und Investitionssicherheit für die Normadressaten und namentlich die Großanlagenbetreiber zur Folge. Auf der anderen Seite befolgen Normanwender und Normadressaten die rezipierten technischen Normen fast ausnahmslos selbst in den Fällen, in denen die Einhaltung der technischen Normen aufgrund der Rezeptionsart nicht zwingend vorgeschrieben oder sogar eine explizite Abweichungsbefugnis in der entsprechenden Rechtsnorm vorgesehen ist. In der Praxis hat die Abweichungsbefugnis keine große Bedeutung, da die Normadressaten mit der Abweichung das nicht immer leicht zu kalkulierende Risiko behördlicher und/oder gerichtlicher Beanstandungen und damit wirtschaftlicher Verluste eingehen.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union "Die Geschichte hat gezeigt: Die DIN-Norm steht für deutsche Qualität und Fertigung und ist somit ein Trumpf im Exportgeschäft. Ich hoffe, daß die Bezeichnung .Hergestellt in der Europäischen Gemeinschaft, und die Konformität mit unserem Normenwerk eine ähnliche Bedeutung erlangen werden wie die erwähnte Wirkung des DIN."* Wie auf nationaler Ebene in einigen EU-Mitgliedsstaaten - beispielsweise der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland 1 - bestehen auch auf supra- und internationaler Ebene eine große Anzahl von normschaffenden Institutionen. So sind allein in dem 1989 erschienenen Verzeichnis des amerikanischen Handelsministeriums in Zusammenarbeit mit dem "Nationalen Institut für Normung und Technologie" ((National Institute of Standards and Technology (NIST)) 338 supra- und internationale Organisationen aufgeführt, welche normungs- und normungsverwandte Aktivitäten durchführen 2. * Jacques Delors, ehemaliger Präsident der EU-Kommission, 1987 im Zentralorgan der französischen Normung: Enjeux Nr. 80, Mai-Juni 1987, S. 18. Zitiert in: DIN, Europäische Normung 04.92, S. 32; Mohr, C., Antwort, S. 537. 1 Vgl. die entsprechenden Ausführungen in den Kap. II.A.l, II.A.2 und II.A.3. 2 U.S. Department of Commerce/NIST, Organizations Conducting Standards-Related Activities, S. iii, passim. Wie auf nationaler Ebene sind auch auf europäischer Ebene nicht nur privatrechtliche, sondern auch durch supranationale öffentlich-rechtliche Institutionen und Behörden für die technische Normung verantwortlich. Beispielsweise setzte im Jahre 1969 die "Wirtschaftskommission für Europa" ("Economic Commission for Europe" (ECE)) des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen einen Ausschuß ein, in dem sich Regierungsvertreter mit der Erarbeitung technischer Normen beispielsweise im Bereich der Terminologie oder des Kraftfahrzeugwesens beschäftigten. Eine gewisse Bedeutung erlangte in diesem Zusammenhang die internationale Vereinheitlichung von zentralen Begriffen der technischen Normung; 28 entsprechende Definitionen der ECE sind abgedruckt in DIN 820-3: 1975-03 Anhang A (Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 51). Mittlerweile wurden die Begriffsdefinitionen abgelöst durch den ISO/IEC-Leitfaden 2, den CEN/CENELEC in der EN 45 020: 1991-05 weitgehend unverändert übernommen hat. Ein weiteres Beispiel ist der im September 1953 durch die damalige Hohe Behörde die heutige Kommission - eingesetzte "Koordinierungsausschuß für die Nomenklatur der Eisen- und Stahlerzeugnisse" ("Coordinating Committee on the Nomenclature of Iron and Steel Products", "Commission de Coordination" (COCOR)), der die Eisen-

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

631

Innerhalb der Gruppe der supranationalen normschaffenden Institutionen sind für den geographischen Bereich von EU und EFTA drei private, rechtlich eigenständige Normenorganisationen von herausragender Bedeutung, welche zugleich die Aufteilung der Facharbeit der auf der internationalen Ebene maßgeblichen Normenorganisationen "International Organization for Standardization" (ISO), "International Electrotechnical Commission" (IEC) und "International Telecommunication Union" (ITU) 3 widerspiegeln: Das "Comité Européen de Normalisation" (CEN), das "Comité Européen de Normalisation Electrotechnique" (CENELEC) und das "European Telecommunications Standards Institute" (ETSIf. Dabei ist unter einer supranationalen Normenorganisation eine Normenorganisation zu verstehen, "deren Mitgliedschaft dem entsprechenden nationalen Institut jedes Landes aus lediglich einer geographischen, politischen oder wirtschaftlichen Zone offensteht" 5. Aufgrund ihrer weit überragenden Bedeutung und im Interesse der Begrenzung des Umfangs der Arbeit sind die folgenden Ausführungen auf diese drei Organisationen beschränkt. Dabei werden CEN und CENELEC, die sich zur "Gemeinsamen Europäischen Normungsinstitution" zusammengeschlossen haund Stahlnormung in der EGKS durchführte und deren Ergebnisse als "EURONORMEN" veröffentlichte. Im Jahre 1986 wurden die Aufgaben von COCOR auf das neugebildete "Europäische Komitee für Eisen- und Stahlnormung" ("European Committee for Iron and Steel Standardization" (ECISS)) übertragen, welches heute als ASB mit CEN verbunden ist (vgl. dazu Kap. II.B.l.a)bb)). Bis heute koordiniert und überwacht COCOR die Aktivitäten des ECISS. DIN, Europäische Normung 04.96, S. 13; Reihlen, H., 39. Präsidiumssitzung, S. 4; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 47 ff.; vgl. auch BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 8 Annex A Nr. A.l und A.2; DIN, DIN 820-13: 1976-06 S. 3 Erläuterungen. Schließlich erstellte die Kommission seit Mitte der siebziger Jahre technische Regeln für den Entwurf, die Bemessung und die Ausführung von Gebäuden und Ingenieurbauwerken, die sie als "EUROCODES" veröffentlichte. Aufgrund der begrenzten Harmonisierungseffekte übergab die Kommission Ende 1989 die Normungsarbeiten an CEN, so daß auch diese nunmehr im privatrechtlichen Rahmen erarbeitet werden. Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 49 f. Wie die geschilderten öffentlichen, so sind auch die meisten privaten Organisationen lediglich von begrenzter sektoraler Bedeutung. Ein etwas kurioses Beispiel ist die "International Egg Commission" (IEC) mit Sitz in London, UK, welche u.a. Normen für Eierprodukte und Schaleneier entwickelt. U.S. Department of Commerce/NIST, Organizations Conducting Standards-Related Activities, S. 206. 3 Vgl. zu diesen die Ausführungen in Kap. U.C.l.a), Kap. Il.C.l.b) und Kap. II.C.l.c). 4 Zusätzlich zu den Normenorganisationen der EU sind die nationalen Normenorganisationen der verbleibenden EFTA-Mitgliedsstaaten Island, Norwegen und Schweiz sowie einige osteuropäische Staaten Mitglieder der genannten Organisationen, letztere allerdings überwiegend im Assoziiertenstatus. Vgl. dazu die Ausführungen der nachfolgenden Kapitel. 5 CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09 S. 19 Abschn. 4 Nr. 4.4.2.

632

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

ben6, wegen der in diesem Zusammenhang eingeleiteten Integrationstendenzen hinsichtlich ihrer Aufbau- und insbesondere Ablauforganisation gemeinsam behandelt. Im Hinblick auf die übrigen normschaffenden, aber auch die anderen an der technischen Normung interessierten Institutionen sei noch ergänzend angemerkt, daß deren Zusammenarbeit mit den drei genannten supranationalen Normenorganisationen - ähnlich wie auf nationaler Ebene in einigen EUMitgliedsstaaten7 - in erheblichem Umfang institutionell geregelt ist. So hat beispielsweise allein CEN zum Zwecke des gegenseitigen Informationsaustausches und der Koordination der Normungsarbeiten über 125 europäischen Organisationen, die ein Interesse an der Normung haben, einen "Status der Zusammenarbeit" ("liason status") eingeräumt8 und vier Organisationen als "Assoziierte Körperschaft" ("Associated Body" (ASB)) anerkannt9.

1. Die Organisation der europäischen Normung a) Die "Gemeinsame Europäische Normungsinstitution

" CEN/CENELEC

aa) Geschichte Initialzündung der europäischen Normungsaktivitäten auf elektrotechnischem Gebiet war die erste beratende Sitzung der Leiter der nationalen elektrotechnischen Normenorganisationen der damaligen sechs EWG-Mitgliedsstaaten im Dezember 1958, die im Jahre 1959 zur Gründung der "Gruppe der Sechs" ab 1963 "Comité Européen de coordination des Normes Electrotechniques des pays membres des Communautés Européennes" (CENELCOM) genannt - und zur Institutionalisierung gemeinsamer Normungsarbeiten führte. Die Zielsetzung der Vereinigung bestand in der Harmonisierung solcher nationalen Normen der EWG-Mitgliedsstaaten, die zu Handelshemmnissen führten. 1960 entstand parallel zu CENELCOM auf EFTA-Ebene das "Comité Européen de coordination des Normes Electrotechniques" (CENEL), als dessen Zielsetzung die Prüfung von IEC-Normen hinsichtlich einer einheitlichen Übernahme innerhalb der damaligen 13 EFTA-Mitgliedsstaaten proklamiert wurde. Aufgrund der für Anfang 1973 geplanten Erweiterung der EWG um Dänemark, Irland und das

6

Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen. Vgl. z.B. bezüglich des DIN der Bundesrepublik Deutschland Kap. ILA.l.a) dd)(4). 8 CEN, Annual Report 1991, S. 17. Vgl. auch CEN, Memento 1991, S. iii; dass., Notes on CEN, S. 2. 9 Vgl. Kap. II.B.l.a)bb). 7

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

633

Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland beschlossen die Mitgliedsorganisationen von CENEL und CENELCOM am 13. Dezember 1972 in einer gemeinsamen Sitzung, CENEL mit CENELCOM ab dem 1. Januar 1973 in einer Organisation unter dem bis heute gültigen Namen "Comité Européen de Normalisation Electrotechnique " (CENELEC) 10 mit Sitz in Brüssel zu vereinigen11. 1976 erfolgte die Konstituierung von CENELEC als internationaler, gemeinnütziger, technisch-wissenschaftlicher Verein belgischen Rechts12. Als Normenorganisation für die übrigen technischen Bereiche wurde am 22./23. März 1961 in Paris das "Comité Européen de Normalisation" (CEN) 13 von den nationalen technischen Normenorganisationen der damaligen 13 EWGund EFTA-Staaten gegründet. Vorausgegangen war eine lose, am 24. Oktober 1957 begonnene Zusammenarbeit der Direktoren der benannten Normenorganisationen mit dem Ziel der Steigerung der Produktivität durch die technische Normung im Interesse des wirtschaftlichen Wiederaufbaus Europas, initiiert im Rahmen des Marshall-Planes und unter Leitung der OECD 14 . Die in den ersten drei Resolutionen definierte Zielsetzung der Vereinigung bestand in der Beseitigung technischer Handelshemmnisse durch gemeinsame europäische Normungsarbeiten, um den Austausch von Waren und Dienstleistungen zu erleichtern; dabei sollten Schwerpunkte entsprechend den Anforderungen der EU und EFTA gebildet und - wo immer möglich - die ISO-Empfehlungen übernommen werden15. Im Jahre 1975 verlegte CEN seinen Sitz nach Brüssel. Ein Jahr später folgte wie bei CENELEC die Konstituierung von CEN als internationaler, gemeinnütziger, technisch-wissenschaftlicher Verein belgischen Rechts, dessen Satzung am 29. Januar 1976 im belgischen Amtsblatt "Moniteur Belge" veröffentlicht wurde 16.

10

Engl. "European Committee for Electrotechnical Standardization", deutsch "Europäisches Komitee für Elektrotechnische Normung", abgekürzt CENELEC. CENELEC, Satzung, Art. 1. 11 CENELEC, Satzung, Art. 1; dass., Elektrotechnische Normen, S. 4; dass., Catalogue 1992, S. 1; Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 5; Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 422; Orth, K , CENELEC gegründet, S. 98. 12 CENELEC, Satzung, Art. 1; Wamer, Α., Normung und Zertifizierung, S. 199. 13 Engl. "European Committee for Standardization", deutsch "Europäisches Komitee für Normung", abgekürzt CEN. CEN, Satzung, Art. 2. 14 Ludwig, N., CEN, S. 16; Reihlen, H., Regionale Normung, S. 347; Young, P. C., CEN - Ursprung, Ziele, Arbeiten, Zukunft, S. 230. Einige dieser Normenorganisationen arbeiteten bereits seit den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts zusammen. DIN, CEN/CENELEC und ETSI, S. 99. 15 Ludwig, N., CEN, S. 14, 16; Young, P. C., CEN - Ursprung, Ziele, Arbeiten, Zukunft, S. 230. 16 CEN, CEN, S. 1; dass., Normen für Europa, S. 3; Warner, Α., Normung und Zertifizierung, S. 199.

634

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Im Oktober 1981 haben die Generalversammlungen von CEN und CENELEC einer "Vereinbarung über die gegenseitige Zusammenarbeit" zugestimmt und sich zur "Gemeinsamen Europäischen Normungsinstitution" 17 zusammengeschlossen. Neben der gemeinsamen Nutzung von räumlichen und technischen Einrichtungen und der Integration zahlreicher Dienstleistungen18 bestehen seitdem Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Satzungen, der Geschäftsordnungen, der Regeln für die Normungsarbeit 19 und der anderen Grundsatzdokumente20. Damit werden die Ziele verfolgt, die Normungsprogramme zu koordinieren, Doppelarbeiten zu vermeiden, die Betriebskosten zu senken21 und die Basis für ein einheitliches, gemeinsames oder zumindest koordiniertes Auftreten gegenüber Dritten zu schaffen 22. bb) Organisation und Aufgabe Unbenommen der Vereinheitlichungstendenzen und der vereinbarten engen Kooperation ist die Organisation beider Institutionen bis heute die zweier satzungsmäßig unabhängiger, freiwillig zusammenarbeitender internationaler, nicht gewinnorientierter Vereine nach belgischem Recht23 mit Sitz in Brüssel24. Gemeinsame Gremien existieren bislang nur in Form des "CEN/CENELECPräsidialausschusses", welcher sich aus den Präsidialausschüssen beider Vereine zusammensetzt und dessen Vorsitzender die Gemeinsame Europäische Nor-

17 Die ursprüngliche Bezeichnung lautete "Zusammengefaßte Normungsinstitution in Westeuropa". CEN/CENELEC, Vereinbarung über die gegenseitige Zusammenarbeit, Einleitung.; dies., Memorandum N°3, Einleitung. In neueren Publikationen - vgl. beispielsweise CEN/CENELEC, GO Teil 1 A, Abschn. 1; dies., GO Teil 2 Abschn. 3 Nr. 3.4.2.3 - wird jedoch der oben genannte Ausdruck verwendet. Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Organisation beider Vereine erfolgten bereits 1976 und führten ein Jahr später zur Verabschiedung einer Richtlinie für die Zusammenarbeit von CEN und CENELEC, welche im Oktober 1981 durch die oben genannte Richtlinie ersetzt wurde. CEN/CENELEC, Memorandum N°3, Einleitung; vgl. auch Mohr, C., Kurzinformation CEN/CENELEC, S. 10. 18 CEN/CENELEC, Memorandum N°3, Art. 2 i.V.m. Art. 3. Vgl. femer CEN, CEN, S. 1; dass., Notes on CEN, S. 1. 19 1985 trat die erste Fassung gemeinsamer Regeln für die Normungsarbeit in Kraft. DIN, CEN/CENELEC und ETSI, S. 101. 20 CEN/CENELEC, Memorandum N°3, Art. 10. 21 Ebd., Art. 4 i.V.m. Art. 13. 22 Ebd., Art. 1 i.V.m. Art. 3, 5, 7, 8, 9 und 10. 23 Entsprechend dem belgischen Gesetz vom 25.10.1919 i.d.F.d. Bekanntmachung v. 06.12.1954. CEN, Satzung, Art. 1 i.V.m. Art. 4 und 41; CENELEC, Satzung, Art. 1 i.V.m. Art. 3 und 22; CEN/CENELEC, Memorandum N°3, Art. 1. 24 CEN, Satzung, Art. 3; CENELEC, Satzung, Art. 2.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

635

mungsinstitution CEN/CENELEC vertritt 25, einem "Gemeinsamen Programmkomitee" ("Joint Programming Committee" (JPC)) "Eisenbahnwesen" und einem "Gemeinsamen Technischen Komitee" ("Joint Technical Committee" (JTC)) "Informationstechnik und Automatisierungstechnik" mit 10 "Gemeinsamen Arbeitsgruppen" ("Joint Working Groups" (JWG)) 26 . Ansonsten bestehen auf Gebieten, in denen sich die Facharbeiten beider Organisationen überschneiden, enge Beziehungen der jeweils zuständigen Gremien von CEN/ CENELEC 27 . Während Aufbauorganisation, Aufgabenbereich und Verantwortung des technischen Managements und der Ausschüsse von CEN/CENELEC in Teil 2 der gemeinsamen Geschäftsordnung nahezu einheitlich geregelt sind, gelten für den organisatorischen Überbau der Vereine, die Regeln für die Mitgliedschaft u.a.m. zwar überwiegend ähnliche, aber in einigen Punkten voneinander abweichende Festlegungen, die aus getrennten Satzungen und einem zweigeteilten Teil 1 der "gemeinsamen" Geschäftsordnung resultieren; auf diese Unterschiede wird im folgenden gesondert hingewiesen28. Die Mitgliedschaft in CEN steht dem nationalen Normungsinstitut, die in CENELEC dem nationalen elektrotechnischen Komitee oder der mit den elektrotechnischen Normungsarbeiten betrauten nationalen Organisation mit Rechtspersönlichkeit als juristische Person sowie dem Leiter eines solchen Komitees bzw. einer solchen Organisation ohne Rechtspersönlichkeit als natürliche Person offen. In beiden Vereinen wird nur jeweils ein Mitglied eines tatsächlichen oder potentiellen Mitgliedsstaates der EU oder EFTA als nationales Mitglied aufgenommen 29.

25

CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 3 Nr. 3.4.2.1, 3.4.2.2 und 3.4.2.3. DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 45 ff.; dass., CEN/CENELEC und ETSI, S. 95. Vgl. dazu auch die nachfolgenden Ausführungen in diesem Kapitel. 27 So bezüglich Grundsatzfragen auf der Ebene der Generalversammlungen und hinsichtlich der Abgrenzung der Normungsarbeiten auf der Ebene des gemeinsamen CEN/CENELEC-Präsidialausschusses sowie der Zentralsekretariate. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 3 Nr. 3.4.1. 28 Daß bisher nur eine Vereinheitlichung, nicht aber eine wirkliche Integration der beiden Vereine stattgefunden hat, erweist sich insbesondere an dieser zweigeteilten Geschäftsordnung Teil 1 "Organisation und Verwaltung", aus der i.V.m. den getrennten Satzungen Unterschiede in der Aufbauorganisation beider Vereine resultieren. Femer findet sich in Teil 2 und 3 der Geschäftsordnung sowie einigen Memoranden der wenig Klarheit schaffende Hinweis, daß sich der Ausdruck CEN/CENELEC "je nach Kontext auf CEN oder auf CENELEC oder auf CEN und CENELEC zusammen" bezieht. Vgl. beispielsweise CEN/CENELEC, GO Teil 2, Anmerkung S. 4; dies., GO Teil 3, Vorwort, Anmerkung 1; dies., Memorandum N°2, Anmerkung. 29 CEN, Satzung, Art. 6 Nr. 6.1 und 6.2; CENELEC, Satzung, Art. 6 i.V.m. Art. 7. 26

636

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Die Organe von CEN/CENELEC sind jeweils die "Generalversammlung" ("Assemblée Générale" (AG)) der Mitglieder, ein "Verwaltungsrat" ("Conseil d'Administration" (CA)), ein "Generalsekretär" ("Secrétaire Général") und ein oder mehrere "Rechnungsprüfer" ("Commissaire aux Comptes")30. Die Satzung von CEN benennt darüber hinaus noch ein "Präsidium" ("presidency"), die von CENELEC einen "Schatzmeister" ("Trésorier") sowie den unmittelbaren "Altpräsidenten" ("Président sortant" ) 3 1 . Ferner haben CEN/CENELEC zur Erfüllung ihrer Aufgaben jeweils folgende Gremien eingesetzt: Ein Zentralsekretariat (CS), ein Technisches Büro (BT), Technische Komitees (TC), Unterkomitees (SC), Arbeitsgruppen (WG), Programmkomitees (CPC) und BerichterSekretariate (SR). CEN verfügt darüber hinaus über CENCER-Zertifizierungskomitees (CCC), CENELEC über CENELEC-Entscheidungskomitees (CDC), ein CENELEC Electronic Components Committee (CECC), ein Prüfzeichenkomitee (MC) und zwei Verbindungskomitees (LC und LC-E) zur EUKommission und zum EFTA-Sekretariat 32. Höchstes Organ von CEN/CENELEC ist die jeweilige Generalversammlung, in der die ordentlichen Mitglieder stimmberechtigt und die assoziierten Mitglieder beobachtend durch Delegationen vertreten sind33. Da jedes Mitglied unabhängig von der Höhe seiner Beitragszahlung oder anderen wirtschaftlichen Einflußgrößen jeweils nur über eine Stimme verfügt, wird eine föderalistischen Grundsätzen genügende Willensbildung innerhalb der beiden Generalversammlungen gewährleistet. Diese sind befugt, Art und Umfang des jeweiligen Vereinszwecks unanfechtbar auszulegen. Sie haben die umfassendsten Befugnisse zur Ratifizierung der Rechtsakte, welche die Vereine betreffen, und alle notwendigen Vollmachten zur Verwirklichung des jeweiligen Vereinszwecks von

Bislang sind in CEN/CENELEC lediglich die nationalen Normenorganisationen aller EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten - die mit Ausnahme von Luxemburg auch die ISObzw. IEC-Mitgliedschaft besitzen -, jedoch noch keine Normenorganisationen eines anderen europäischen Staates als ordentliche Mitglieder vertreten. Diesen steht jedoch in beiden Vereinen eine assoziierte Mitgliedschaft offen, welche bemerkenswerter Weise nur in der Satzung des CEN in Art. 6 Nr. 6.3 geregelt ist. Z.Zt. sind die nationalen Normenorganisationen von Bulgarien, Polen, Rumänien, Slowakischer Republik, Tschechischer Republik, der Türkei, Ungarn und Zypern assoziierte Mitglieder von CEN/ CENELEC. DIN, CEN/CENELEC und ETSI, S. 95 f.; dass., Europäische Normung 04.92, S. 13; DITR, Normen, Vorschriften, Richtlinien, S. 4. 30 CEN, Satzung, Art. 6 Nr. 6.1; CENELEC, Satzung, Art. 5. 31 CENELEC, Satzung, Art. 5; CEN/CENELEC, GO Teil 1B, Abschn. 1. 32 CEN/CENELEC, GO Teil 1A, Abschn. 1; dies., GO Teil 1B, Abschn. 1 i.V.m. Abschn. 2 Nr. 2.5 f. 33 Vertreter der europäischen Hersteller-, Verbraucher- und Gewerkschafts verbände haben seit 1991 das Recht zur Teilnahme als Beobachter an der CENELECGeneralVersammlung. DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 8

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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CEN/CENELEC 34 . Die Generalversammlungen wählen die Präsidenten und jeweils einen oder mehrere - bei CENELEC bis zu drei - Vizepräsidenten, die den Vorsitz des jeweiligen Vereins führen 35. Geleitet und verwaltet werden CEN/CENELEC von je einem durch die Generalversammlung gewählten Verwaltungsrat, die sie offiziell in allen rechtlichen und außerrechtlichen Angelegenheiten vertreten. Bei CENELEC obliegt dem Verwaltungsrat darüber hinaus die Durchführung der von der Generalversammlung gefaßten Beschlüsse36. Die Generalsekretäre - bei CEN auf Vorschlag des Verwaltungsrates von der Generalversammlung ernannt, bei CENELEC vom Verwaltungsrat unter Vorbehalt der Bestätigung durch die Generalversammlung angestellt - leiten das jeweilige Zentralsekretariat, sind mit der Geschäftsführung des Vereins betraut und üben alle diesbezüglichen Befugnisse aus. Insbesondere sind sie mit der Haushaltsführung und der Buchhaltung des jeweiligen Vereins beauftragt, bei CENELEC unter Überwachung durch einen von der Generalversammlung ernannten Schatzmeister. Dem Generalsekretär von CEN obliegt ferner die Ausführung der Beschlüsse von Generalversammlung und Verwaltungsrat sowie von diesen eingesetzten Ausschüssen37. Die Aufgabe eines oder mehrerer von der Generalversammlung beauftragter belgischer Rechnungsprüfer besteht in der uneingeschränkten Überwachung und Kontrolle aller Geschäftsvorgänge der Vereine 38. Die Normungsarbeiten in CEN/CENELEC werden durch jeweils ein Technisches Büro (BT) gesteuert, zu dem jedes Mitglied eine entscheidungsbefugte Persönlichkeit entsendet39. Im Rahmen dieser Steuerungsfunktion kommen den Technischen Büros eine Reihe technischer Managementaufgaben zu, wie etwa die Pflicht, die Normungsprogramme zu koordinieren und dabei die Vermeidung von Überschneidungen sicherzustellen, die rasche Ausführung der Normungsprogramme durch das Zentralsekretariat, die Technischen Komitees und andere Gremien zu fördern und zu überwachen, in Fragen der Bezugnahme auf

34 CEN, Satzung, Art. 4 und 16; vgl. auch Art. 18, 22, sowie vertiefend Art. 4, 5, 6 Nr. 6.3, 7, 10, 11, 15, 24, 25, 33, 34, 36, 37 und 38; CENELEC, Satzung, Art. 3 und 10; CEN/CENELEC, GO Teil 1B, Abschn. 2 Nr. 2.1 ff. 35 CEN, Satzung, Art. 24; CENELEC, Satzung, Art. 11. 36 CEN, Satzung, Art. 25 (vgl. auch die Art. 26 ff.); CENELEC, Satzung, Art. 12 und 14 i.V.m. CEN/CENELEC, GO Teil 1B, Absch. 3 Nr. 3.2. 37 CEN, Satzung, Art. 33; CENELEC, Satzung, Art. 11 und 15; CEN/CENELEC, GO Teil 1A, Abschn. 5; ebd., Teil 1B, Absch. 5 Nr. 5.1. 38 CEN, Satzung, Art. 34; CENELEC, Satzung, Art. 11. 39 Vertreter der EU-Kommission und des EFTA-Sekretariats werden als Beobachter zu den Sitzungen des Technischen Büros eingeladen. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 2 Nr. 2.1.2 und 2.1.3; vgl. auch CEN, Memento 1991, S. iv.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

nationale Normen in EN und HD zu entscheiden u.a.m.40 Das BT wird nach Bedarf durch Programmkomitees - gegebenenfalls gemeinsame CEN/ CENLECProgrammkomitees - beraten, die für die Aufstellung und zumindest jährliche Fortschreibung des Normungsprogramms auf ihrem Gebiet zuständig sind41; zusätzlich sollen die Komitees eine zusammenhängende Koordination, Planung und Programmgestaltung der Normungstätigkeiten innerhalb eines bestimmten Bereiches sicherstellen und Prioritäten und Zeitpläne für die Erarbeitung neuer und die Überarbeitung bestehender Normen empfehlen mit dem Ziel, zusammenhängende und widerspruchsfreie technische Normen in annehmbarer Frist zu erstellen42. Jedes CEN/CENELEC-Mitglied ist zur Benennung eines Delegierten für jedes Programmkomitee berechtigt43. Zuständig für die Erstellung, Änderung und Auslegung technischer und elektrotechnischer Europäischer Normen 44 sind die Technischen Komitees (TC) von CEN/CENELEC, die vom jeweiligen Technischen Büro eingesetzt und aufgelöst werden45. Ein Technisches Komitee kann unter bestimmten Voraussetzungen Unterkomitees bilden und temporäre Arbeitsgruppen für bestimmte kurzfristige Aufgaben einsetzen46. Wenn Normungs- oder Harmonisierungsarbeiten gemeinsame technische und elektrotechnische Aspekte haben und somit die Gefahr von Doppelarbeiten und Widersprüchen gegeben ist, oder wenn CEN/CENELEC ein gemeinsames Mandat von der EU-Kommission oder dem EFTA-Sekretariat erteilt wird, setzt der CEN/CENELEC-Präsidialausschuß Gemeinsame Programmkomitees, Gemeinsame Technische Komitees und/oder Gemeinsame Arbeitsgruppen ein 47 . Die Sekretariate der TCs übernehmen im

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CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 2 Nr. 2.1.1, insbes. lit. b) und h). Abweichend von der Geschäftsordnung ist das technische Management des CEN gemäß den Hauptsektoren der CEN-Aktivitäten (vgl. Kap. I.B) in Technische Sektorbüros (BTS) untergliedert, an die das Technische Büro Teile seiner Aufgaben und Verantwortung delegiert hat. Die BTS sind für die Planung und Steuerung der Normungsarbeit in ihrem Fachbereich - bislang existieren BTS in den Bereichen Bauwesen, Maschinenbau sowie Gesundheit und Umwelt - zuständig; sie setzen sich aus nationalen Delegationen der hauptamtlichen Bearbeiter der nationalen Normenorganisationen sowie der ehrenamtlichen Mitarbeiter der interessierten Kreise (Hersteller, Benutzer, Konsumenten, ...) zusammen. CEN, Annual Report 1991, S. 8; dass., Memento 1991, S. iv; dass., Normen für Europa, S. 3; DIN, Europäische Normung 04.96, S. 11; dass., CEN/ CENELEC und ETSI, S. 95. 41 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 2 Nr. 2.2.3. 42 CEN/CENELEC, GO Teil 1B, Absch. 7 sowie Teil 2 Abschn. 2 Nr. 2.2.1. 43 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 2 Nr. 2.2.2. 44 Ebd., Abschn. 2 Nr. 2.3.1. 45 Ebd., Abschn. 2 Nr. 2.1.1 lit. e). 46 Ebd., Abschn. 2 Nr. 2.4.1 und 2.5.1. 47 Ebd., Abschn. 9 Nr. 9.1.1.

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allgemeinen CEN- bzw. CENELEC-Mitglieder 48; dementsprechend sind sie dezentral bei diesen lokalisiert49. An den Sitzungen eines TC dürfen üblicherweise nicht mehr als drei Delegierte jedes CEN/CENELEC-Mitgliedes teilnehmen, wobei dieses beim Zusammenstellen und Vorbereiten seiner Delegation dafür Sorge zu tragen hat, "daß die Delegation einen einheitlichen nationalen Standpunkt vertritt, der die Meinung aller von der Arbeit betroffenen Fachkreise berücksichtigt."50 Für Gebiete, auf denen bei ISO oder IEC, nicht aber bei CEN/CENELEC TCs bestehen, sind einzelne Mitglieder mit Berichter-Sekretariaten betraut, welche das Technische Büro mit Informationen über solche ISO- und IECArbeiten versorgen, die für CEN/CENELEC von Belang sein könnten51. Darüber hinaus setzt das Technische Büro (BT) von CENELEC Task Forces (TF) sogenannte BTTF - als TCs mit vereinfachtem Normungsverfahren ein, durch die nationale Normungsvorhaben der Mitgliedsorganisationen aufgegriffen werden52. Auch innerhalb des Technischen Büros des CEN bestehen verschiedene Arbeitsgruppen, wie z.B. die 1991 bei CEN gegründete ad-hoc-Gruppe "Umwelt", die mittlerweile in eine Arbeitsgruppe des Technischen Büros umgewandelt wurde 53. Im Rahmen der Organisation von CENELEC sind noch drei weitere Ausschüsse von Bedeutung: Das "CENELEC Marks Committee" (MC) setzt sich aus höchstens drei Delegierten jedes Mitgliedes zusammen und behandelt Fragen der gegenseitigen Anerkennung nationaler Konformitätszeichen für elektrotechnische Produkte sowie allgemeine Fragen hinsichtlich Zertifizierungsver-

Bislang existiert ein Gemeinsames Programmkomitee sowie ein Gemeinsames Technisches Komitee (CEN/CENELEC TC 1 : Kriterien für Konformitätsbegutachtungsstellen). CENELEC, Memento 1992, Abschn. 3; DIN, Europäische Normung 04.96, S. 12. 48 CEN, Normen für Europa, S. 3. Im allgemeinen wird das europäische und das entsprechende internationale Sekretariat vom gleichen Mitglied übernommen. CENELEC, Elektrotechnische Normen, S. 21. 49 AFNOR, Stratégies normatives, S. 4; Tourneur, J. C., LAFNOR, S. 2. 50 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 2 Nr. 2.3.2; vgl. auch CEN, Memento 1991, S. iv; DIN, Europäische Normung 04.96, S. 11. Vertreter der EU-Kommission, des EFTA-Sekretariats und anderer europäischer und internationaler Organisationen mit besonderem Interesse an der Normungsarbeit dürfen an Sitzungen des TC als Beobachter und ohne Stimmrecht teilnehmen. CEN/ CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 2 Nr. 2.3.5; dies., Memorandum N°2, Einleitung; dies., Memorandum N°5, Einleitung. 51 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 2 Nr. 2.6.1; CEN, Memento 1991, S. iv; DIN, Europäische Normung 04.96, S. 11. 52 DIN, CEN/CENELEC und ETSI, S. 97. 53 Vieweg, K , Produktbezogener Umweltschutz, S. 59.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

fahren zur Beseitigung entsprechender Handelshemmnisse54. Das 1970 gegründete "CENELEC Electronic Components Committee" (CECC) ist für die Harmonisierung von nationalen Normen auf dem Gebiet der Bauelemente der Elektronik mit oder ohne Gütebestätigung zuständig55, wobei es seit 1989 seine Spezifikationen im Interesse eines einheitlichen europäischen Normensystems auch als EN veröffentlicht 56. Schließlich hat die CENELEC Generalversammlung 1991 das "European Electrotechnical Sectoral Committee for Testing and Certification" (ELSECOM) innerhalb der CENELEC ins Leben gerufen, welches mittlerweile organisatorisch in die Ende 1990 mit dem Ziel der gegenseitigen Anerkennung der nationalen Konformitätskennzeichen konstituierte "European Organization for Testing and Certification" (EOTC) integriert wurde. Zielsetzung von ELSECOM ist die Wahrnehmung der Interessen von Herstellern, Anwendern (einschließlich Verbrauchern und Arbeitern), dritten Organisationen (z.B. Zertifizierungsstellen und Prüflaboratorien) und sonstigen interessierten Kreisen in Bezug auf die Marktansprüche für Konformitätsbeurteilungen auf dem gesamten Gebiet der Elektrotechnik und Elektronik 57. Auch CEN hat ein Rahmensystem für die europäische Zertifizierung geschaffen: Zu den Dienstleistungen von "CEN Certification" (CENCER) gehört neben der Vergabe eines europäischen Normenkonformitätszeichens auch die gegenseitige Anerkennung von Prüf- und Überwachungsergebnissen der nationalen CEN-Mitglieder 58. Ferner sind mit CEN vier europäische Organisationen als "Associated Body" (ASB) verbunden, deren Normungsergebnisse nur noch das

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CEN/CENELEC, GO Teil 1B, Absch. 9 Nr. 9.1.1, 9.1.2 und 9.2; CENELEC, Elektrotechnische Normen, S. 9. Zu diesem Zweck betreibt das MC zwei Zertifiziemngssysteme: Das "CENELEC Zertifizierungsabkommen" ("CENELEC Certification Agreement" (CCA)) zur gegenseitigen Anerkennung von Prüfungen bei Haus- und Installationsgeräten und das "Harmonisierungsabkommen über Kabel und Leitungen" ("Harmonization Agreement for Cables and Cords" (HAR)) zur gegenseitige Anerkennung von Prüfungen bei Kabeln und Leitungen. Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 131; Winckler, R\ u.a., 26. Generalversammlung von CENELEC, S. 99. 55 CEN/CENELEC, GO Teil IB, Absch. 6 Nr. 6.1; vgl. auch BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 9 Annex A Nr. A.l; CENELEC, Memento 1992, Abschn. 4. Die Verfahrensregeln für das CECC - Teile 1-13/CECC 00 100- CECC 00 113 sind abgedruckt in: DIN 45 901 Teile 1-6, 8, 9, 11-13, 701-703. 56 CENELEC, Annual Report 1991, S. 12; Winckler, R. u.a., 25. Generalversammlung von CENELEC, S. 427. 57 CENELEC, Catalogue 1992, S. 5 ff.; dass., Memento 1992, Abschn. 4; dass., Annual Report 1991, S. 9. 58 CEN, CEN, S. 5; dass., Normen für Europa, S. 2.

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formelle Anerkennungsverfahren von CEN/CENELEC durchlaufen müssen59: Die "Association Europeénne des Constructeurs de Matériel Aérospatial" (AECMA), welche die Luftfahrtnormung bis zur Schlußabstimmung im CEN vorbereitet; das "European Committee for Iron and Steel Standardization" (ECISS), welches für die Eisen- und Stahlnormung im Rahmen der EGKS zuständig ist 60 ; das "Western European EDIFACT 6 1 Board" (WEEB) zur Schaffung der Grundlagen für den überbetrieblichen elektronischen Datenaustausch62; und schließlich der "European Workshop for Open Systems" (EWOS), in welchem die europäischen Fachleute direkt an den OSI-Normen des ISOKonzepts für offene Kommunikationssysteme63 mitarbeiten64. Obwohl die Beteiligung der interessierten Kreise im Rahmen der Normungsarbeiten von CEN/CENELEC nicht direkt, sondern indirekt durch die Bildung eines Konsenses aller interessierten Kreise auf nationaler Ebene durch die CEN/CENELEC-Mitgliedsorganisationen und die Vertretung dieser Lösung durch nationale Delegationen auf europäischer Eben erfolgt, kooperieren CEN/ CENELEC mit europäischen Interessenverbänden wie dem "Europäischen Gewerkschaftsbund" (EGB) oder dem "Europäischen Büro der Verbraucherverbände" (BEUC) bezüglich der Programmarbeit und der allgemeinen Normungsgrundsätze. Ferner sind als Ausnahmen von dieser Regel Beobachter des EGB autorisiert, im Programmkomitee für die Planung auf dem Gebiet der Maschinensicherheit teilzunehmen, und die EU-Kommission kann auf der Basis eines 1977 mit CEN/CENELEC verabschiedeten Memorandums Verbrauchervertreter in ihre Delegation auf europäischer Ebene einbeziehen65. 59 Um von CEN/CENELEC als ASB anerkannt zu werden, sind strenge Voraussetzungen bezüglich des NormungsVerfahrens zu erfüllen. Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 36. 60 Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 2 in Kap. II.B. 61 "Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport". 62 Vgl. Kap. I.D.l.b). 63 Vgl. ebd. 64 CEN, Normen für Europa, S. 3; DIN, CEN/CENELEC und ETSI, S. 96; dass., Europäische Normung 04.96, S. 13; Reihlen, H., Regionale Normung, S. 348; Wengel, J., Europäisches Normungsgeschehen, S. 33. 65 Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 37. Basierend auf den Ergebnissen einer Konferenz zur Erörterung der Normungsverfahren im Juni 1987 mit Vertretern der Kommission, CEN/CENELEC, nationalen und internationalen Verbraucherorganisationen und der Industrie hat die Kommission in einer Mitteilung den Rat und die EU-Mitgliedsstaaten auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Mitwirkung der Konsumenten bei der Normung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu stärken. Die Beteiligung der Verbraucher beim CEN/CENELEC-Verfahren durch Beobachter wird durch das bei der Kommission unter Vertrag stehende BEUC im Rahmen einer 1983 geschlossenen Vereinbarung koordiniert und finanziert, erfolgt jedoch erst relativ spät im weit fortgeschrittenen Meinungsbildungsstadium des Norm-Entwurfes.

41 Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Ende 1991 waren 36 Mitarbeiter im CENELEC-Zentralsekretariat und 13 im CECC-Zentralsekretariat beschäftigt; die Normungsarbeit leisteten rund 35.000 technische Experten in 54 TCs, 17 SCs, 138 WGs, 60 TFes und WGs des Technischen Büros sowie 26 WGs des CECC 66 . CEN bearbeitete Ende 1991 mit seinen insgesamt - einschließlich der 23 TC der ECISS und 9 Kommissionen der AECMA - 240 TCs über 4.000 Normprojekte 67. Satzungsmäßiger Vereinszweck von CEN ist die Durchführung der technischen Normung auf europäischer Ebene zur Förderung der Entwicklung des Austausches von Waren und Dienstleistungen sowie zum Abbau von Handelshemmnissen, deren Ursache in abweichenden nationalen technischen Normen liegt. Darunter wird die Harmonisierung 68 der nationalen Normen der CENMitglieder, die Förderung der einheitlichen Einführung von internationalen Normen durch die CEN-Mitglieder und die Erarbeitung Europäischer Normen verstanden, wenn keine geeigneten internationalen oder andere Normen vorDie Kommission erachtet daher eine verstärkte Beteiligung der Verbraucher am Meinungsbildungsprozeß auf nationaler Ebene und deren Entsendung als stimmberechtigte Mitglieder nationaler Delegationen in die CEN/CENELEC-Sitzungen als unabdingbar. Obwohl auf der Konferenz Konsens über die Notwendigkeit der Verbraucherbeteiligung bestand, stellte die Kommission fest, daß nur in zwei Mitgliedsstaaten die Konsumenten zufriedenstellend in den nationalen Normungsprozeß einbezogen sind. Da eine Vertretung der Käufer auf nationaler Ebene kaum oder nicht vorhanden ist, spiegelt sich diese unzureichende Verbrauchervertretung auf Unionsebene im CEN/CENELEC-System wider. Die Kommission hat demzufolge den Mitgliedsstaaten empfohlen, die Beteiligung der Konsumenten an der Normung zu stärken, und Aktionen hinsichtlich neuer Arbeitsweisen von CEN/CENELEC und der Ausarbeitung eines Prioritätenprogramms für die Normung von Verbrauchsgütern im Interesse der Verbraucher zu unternehmen. KOM (87) 617 endg. "Mitteilung Beteiligung Verbraucher", S. 2 ff. Die Koordinierung der Käuferinteressen in der europäischen Normung nimmt zur Zeit ein Sekretariat des Beratenden Verbraucherausschusses (CCC) wahr, der dem Europäischen Verbraucherbüro (BEUC) angehört und von der Kommission finanziert wird. Da das DIN, die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) e.V. und das BEUC die Aktivitäten des CCC als nicht ausreichend ansehen, schlagen sie die Gründung eines Europäischen Verbraucherausschusses vor, der eng mit CEN/ CENELEC und ETSI zusammenarbeiten soll. Köhne, A.-L., Verbrauchervertreter, S. 529; Reihlen, H., 43. Präsidiumssitzung, S. 6. 66 CENELEC, Annual Report 1991, S. 10 f.; dass., CENELEC, S. 4; DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 11. 67 DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 22. CEN führt keine weiteren statistischen Angaben im Jahresbericht. 68 Unter Harmonisierung ist die Vermeidung oder Beseitigung von Unterschieden im technischen Inhalt von Normen mit gleichem Anwendungsbereich oder Zweck zu verstehen, die zu Handelshemmnissen führen. Dabei gilt die Harmonisierung von nationalen Normen als erreicht, wenn die gemäß den nationalen Normen eines Mitgliedes hergestellten Erzeugnisse ohne Änderung als konform zu den Normen der übrigen Mitglieder angesehen werden können und umgekehrt. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 3 Nr. 3.1.1 i.V.m. Abschn. 4 Nr. 4.4.1.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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handen sind, die als Bezugsdokumente dienen können. Der Vereinszweck von CEN besteht darüber hinaus in der Zusammenarbeit mit der EU, der EFTA und anderen supra- und internationalen staatlichen Organisationen, so daß es diesen möglich ist, in ihren Richtlinien und anderen Rechtsgrundlagen auf Europäische Normen und Harmonisierungsdokumente zu verweisen69. Analog hat sich CENELEC neben der Harmonisierung der von den zuständigen nationalen Organisationen veröffentlichten elektrotechnischen Normen gleichfalls die Zusammenarbeit mit der EU, der EFTA und anderen supra- und internationalen staatlichen Organisationen im genannten Sinne zum Ziel gesetzt70. Indem CENELEC für alle Fragen der Normung und Zertifizierung auf elektrotechnischem und elektronischem Gebiet zuständig ist, während CEN diese Tätigkeiten auf allen anderen technischen Gebieten mit Ausnahme der Telekommunikation 71 ausübt, entspricht die Aufteilung der Facharbeit derjenigen der internationalen Normenorganisationen IEC und ISO 72 . Das vorrangige Ziel von CEN/CENELEC liegt in der Schaffung eines einheitlichen, in sich widerspruchsfreien, zeitgerecht erstellten und auf breitestmöglichem Konsens beruhenden europäischen technischen Normenwerkes als Grundlage für die Verwirklichung des Gemeinsamen Europäischen Marktes ohne Binnengrenzen für Waren und Dienstleistungen und für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Europas auf dem Weltmarkt 73; dabei orientieren sich die Europäischen Normen und Harmonisierungsdokumente mit Blick auf den Welthandel und den internationalen Technologietransfer soweit wie möglich an den Normen der internationalen Normenorganisationen74. Über diese originäre Zielsetzung hinaus sollen Europäische Normen auch verweisungsfähig für EU69 CEN/CENELEC, GO Teil 1A, Abschn. 1; dass., Memento 1991, S. iii; dass., Notes on CEN, S. 2. 70 Des weiteren fördert CEN die Entwicklung von Verfahren zur gegenseitigen Anerkennung der Ergebnisse von Normen-Konformitätsprüfungen, sowie von europäischen Systemen zur Normen-Konformitätsbewertung; analog ist ein weiterer Vereinszweck von CENELEC die Beseitigung der Handelshemmnisse, die sich direkt oder indirekt aus den Bestimmungen der Mitgliedsländer zur Angabe oder Bestätigung eines Erzeugnisses ergeben können, insbesondere bei der Verwendung eines Prüfzeichens oder einer Konformitätsbescheinigung. CEN, Satzung, Art. 4 i.V.m. CEN/CENELEC, GO Teil 1 A, Abschn. 1; CENELEC, Satzung, Art. 3; CEN/CENELEC, Memorandum N°l, Vorwort. Vgl. ferner CEN, Memento 1991, S. iii; dass., Notes on CEN, S. 2; DIN, Geschäftsbericht 1988/89 S. 12 und 14. 71 Hier ist das "European Telecommunications Standards Institute" (ETSI) zuständig. Vgl. Kap. II.B.l.b). 72 CEN/CENELEC, Memorandum N°3, Art. 2 i.V.m. Art. 11. 73 CEN, CEN, S. 1 f.; dass., Notes on CEN, S. 2; CENELEC, Elektrotechnische Normen, S. 3, 5, 7 und 19; dass., Electrotechnical Standards, S. 4; dass., Catalogue 1992, S. 2; DIN, Wissen, S. 9. 74 CENELEC, Electrotechnical Standards, S. 4; DIN, Wissen, S. 9.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Richtlinien, nationale Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Zertifizierungsregeln und andere Dokumente sein. Um die genannten Ziele zu erreichen, muß eine Europäische Norm widerspruchsfrei, klar, genau und so vollständig wie notwendig innerhalb der durch ihren Anwendungsbereich festgelegten Grenzen sein, den Stand der Technik erschöpfend berücksichtigen, einen Rahmen für zukünftige technologische Entwicklungen bieten und verständlich für qualifizierte Personen sein, die an ihrer Erstellung nicht teilgenommen haben75. Nach Selbstverständnis und Geschäftsordnung sind CEN/CENELEC "europäische Foren des Erfahrungs- und Meinungsaustausches" der Fachleute aller interessierten Kreise 76 zur Bildung eines Konsenses über technische Normen zum unmittelbaren Nutzen für Industrie und Handel in Europa sowie zum Schutz von Verbrauchern und der Umwelt. Dank der Beiträge der Fachleute bilden CEN/CENELEC "eine in Europa einzigartige Quelle an Fachwissen"77. Dabei reklamieren beide Vereine, auf keinerlei Weise in den Wettbewerb von Industrie- und Handelsunternehmen einzugreifen 78. cc) Normungsverfahren und CEN/CENELEC- Normenwerk Wie auch die Normungsverfahren auf nationaler Ebene, sollen durch die gemeinsamen CEN/CENELEC-Regeln für die Normungsarbeit die grundsätzlichen Normungsprinzipien garantiert werden: Sicherung der interessenpluralistischen Ausgewogenheit durch die Repräsentation aller interessierten Kreise in den nationalen Lenkungs- und Normungsgremien79;

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CEN/CENELEC, GO Teil 3 Abschn. 1 Nr. 1.1 und 1.8. Wie Regierungen, Körperschaften des öffentlichen Rechts, Hersteller, Anwender, Verbraucher, Gewerkschaften u.a.m. CEN/CENELEC, GO Teil 1A, Abschn. 1. 77 CEN, CEN, S. 1 f.; dass., Notes on CEN, S. 2; CENELEC, Elektrotechnische Normen, S. 3, 5, 7 und 19; dass.; Catalogue 1992, S. 2. 78 CEN, Satzung, Art. 4 i.V.m. CEN/CENELEC, GO Teil 1A, Abschn. 1 und CENELEC, Satzung, Art. 3. Vgl. ferner CEN, Memento 1991, S. iii; dass., Notes on CEN, S. 2. Diese Aussage ist jedoch in ihrer Absolutheit nicht haltbar. Vgl. dazu Kap. I.D. La) und Kap. I.D.2.a) sowie Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)(bb). 79 Die Beteiligung der interessierten Kreise bei der Normungsarbeit erfolgt bei CEN/CENELEC indirekt durch Bildung eines Konsenses aller von der technischen Norm Betroffenen auf nationaler Ebene durch die CEN/CENELEC-Mitgliedsorganisationen und der Vertretung dieser Lösung durch nationale Delegationen auf europäischer Ebene. CEN/CENELEC, Memorandum N°2, Einleitung; dies., Memorandum N°5, Einleitung. Insbesondere bezüglich Verbrauchern und Gewerkschaften hat die CEN/ CENELEC-Generalversammlung den Mitgliedern empfohlen, deren aktive Mitarbeit in den entsprechenden Normungsprojekten und nationalen Delegationen zu fördern und ihnen die Möglichkeit zur Mitwirkung bei Grundsatzfragen zu bieten, die ihre Interessen 76

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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Offenheit und Transparenz des Normungsverfahrens und Schutz der Interessen einzelner Bürger durch ein (auf nationaler Ebene durchgeführtes) öffentliches Einspruchsverfahren 8( ); Solidarität zwischen den Mitgliedern und kollektiver Nutzen der Entscheidungen durch Konsens bei den Beschlüssen sämtlicher Gremien im allgemeinen81 und bei der Normungsarbeit im besonderen82; Freiwilligkeit der Teilnahme an der Normungsarbeit und der Anwendung der Europäischen Normen, indem diese als freiwillige konsensuale Übereinkunft zwischen den interessierten Kreisen unter Beteiligung der Öffentlichkeit zum allgemeinen Nutzen erarbeitet werden83; Erschließung des Fachwissens von weit über hunderttausend europäischen Fachleuten84 von Industrie, Handel, Behörden, Hochschulen, Gewerkschaften, Verbraucherorganisationen, Umweltverbänden u.a.m. mittels der Erarbeitung der technischen Normen durch ehrenamtliche Experten aller interessierten Kreise und die Einbeziehung weiteren "externen" Sachverstandes durch die Möglichkeit der Stellungnahme von jedermann im öffentlichen Einspruchsverfahren; Internationalität durch Übernahme von Arbeitsergebnissen der internationalen Normenorganisationen, wenn möglich; Sicherstellung der technischen Kohärenz der europäischen und nationalen Normenwerke zum Nutzen der Anwender durch die Verpflichtung der nationalen Mit-

berühren. CEN/CENELEC, Memorandum N°2, Nr. 1 ff.; dies., Memorandum N°5, Nr. 1 ff. 80 Vgl. dazu die Ausführungen zu Punkt 1. 81 "In allen Fällen, in denen ein Beschluß gefaßt werden muß, ist mit größtem Nachdruck Einstimmigkeit anzustreben." CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 5 Nr. 5.1.1. Falls Einstimmigkeit oder zumindest Konsens i.S.d. in Kap. I.A.3.d)bb) gegebenen Definition nicht erreichbar ist, können je nach Regelung Beschlüsse auch mit gewichteter vgl. die nachfolgenden Ausführungen zum Abstimmungsverfahren über Normen - sowie einfacher Mehrheit - vgl. beispielsweise die Regelung hinsichtlich der Beschlüsse in Programmkomitees in CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 2 Nr. 2.2.3 - getroffen werden. 82 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 1 Nr. 1.1.2; vgl. auch dies., Memorandum N°l, Vorwort sowie die nachfolgenden Ausführungen in Fn. 109 in diesem Kapitel. 83 Da die Anwendung der Europäischen Normen - außer, wenn sie verbindlich durch EU-Richtlinien vorgeschrieben werden - freiwillig ist, beruht sie auf ihrer Akzeptanz bei denen, die sie benutzen sollen; daher ist es wichtig, daß man sich auf sie im Konsens geeinigt hat. BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 15 Abschn. 4 Nr. 4.6.3. 84 Allein in AFNOR, BSI und DIN wird die technische Normungsarbeit von rund 90.000 ehrenamtlichen Experten der interessierten Kreise geleistet, öffentlich Einsprechende nicht mitgerechnet. Vgl. in bezug auf die Bundesrepublik Deutschland Kap. II. A.l.a)dd)(2) und Kap. II.A.l.a)ee)(3), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.a)bb) und bezüglich des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland Kap. ILA.3. a)bb).

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

glieder, eine angenommene Norm als nationale Norm einzuführen und widersprechende nationale Normen zurückzuziehen85. Arbeitsergebnisse von CEN/CENELEC sind CEN/CENELEC-Normen - i.e. Europäische Normen (EN) und Harmonisierungsdokumente (HD) -, Europäische Vornormen (ENV) und CEN/CENELEC-Berichte 86. Eine EN ist mit der Verpflichtung zur nationalen Einführung durch die Mitgliedsorganisationen verbunden, indem ihr der Status einer nationalen Norm gegeben und entgegenstehende nationale Normen außer Kraft gesetzt werden87. Ein HD ist durch öffentliche Ankündigung von HD-Nummer und -Titel und Zurückziehen ihm entgegenstehender nationaler Normen zu übernehmen88. Dabei ist es erlaubt, nationale Normen zum Normungsgegenstand des HD beizubehalten oder sogar neu zu erstellen, sofern deren technischer Inhalt dem des HD entspricht89. ENV werden wie ihre Pendants auf nationaler Ebene90 als beabsichtigte zukünftige Norm zur vorläufigen Anwendung entweder als Instrument der entwicklungsbegleitenden Normung auf technisch hochinnovativen Gebieten oder bei dringendem Bedarf einer technischen Leitlinie erarbeitet, wenn Gesichtspunkte der Sicherheit von Personen und/oder Sachen keine Rolle spielen. ENV sind durch die Mitglieder auf nationaler Ebene unverzüglich in geeigneter Weise verfügbar zu machen, und ihr Vorhandensein ist in gleicher Weise wie bei EN und HD anzukündigen. Während der Gültigkeitsdauer einer ENV von maximal drei Jah85 Vgl. zum Vorhergehenden CEN, Annual Report 1991, S. 5; dass., Normen für Europa, S. 1 ff.; dass., Notes on CEN, S. 2; CENELEC, Elektrotechnische Normen, S. 5, 19; dass., Electrotechnical Standards, S. 4; CEN/CENELEC, Memorandum N°2, Einleitung; dies., Memorandum N°5, Einleitung; DIN, Europäische Normung 04.96, S. 6. 86 Die Bezeichnungen dieser Dokumente auf den Stufen der CEN/CENELECUmfrage und der formellen Abstimmung lauten prEN, prHD, prENV und BerichtsEntwurf. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 1 Nr. 1.1.1. Die Kennzeichnung "pr" steht für frz. "projet", also "Entwurf. 87 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 3 Nr. 3.1.4 i.V.m. Abschn. 5 Nr. 5.2.2. 88 Ebd., Abschn. 3 Nr. 3.1.5 i.V.m. Abschn. 5 Nr. 5.2.3. 89 Ebd., Abschn. 5 Nr. 5.2.3.2. Die Zielsetzung von CEN/CENELEC besteht darin, möglichst EN zu erarbeiten. Nur wenn die Überführung in identische nationale Normen unnötig, unpraktisch oder eine Einigung nur durch Einräumung von Β-Abweichungen (zu diesem Terminus vgl. die nachfolgenden Ausführungen in diesem Kapitel) zu erreichen ist, werden HD erstellt. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 1 Nr. 1.1.5 i.V.m. Abschn. 4 Nr. 4.1.9. HD sind aufgrund der schlechteren Vergleichbarkeit und Kontrolle der Implementierung sowie der Feststellung der jeweils national gültigen technischen Regeln lediglich als Übergangslösung zu bewerten, weshalb CENELEC plant, seine bestehenden HD weitestgehend in EN umzuwandeln. Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 131. 90 Frankreich "Norme expérimentale", Vereinigtes Königreich "Draft for Development", Deutschland "Vornorm".

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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ren dürfen entgegenstehende nationale Normen beibehalten werden. Danach erfolgt entweder die Umwandlung der ENV in eine EN, eine einmalige Verlängerung der Laufzeit um weitere zwei Jahre, ihre Ablösung durch eine überarbeitete ENV oder ihre Zurückziehung91. CEN/CENELEC-Berichte dienen schließlich der Information 92. Anträge auf Normungsarbeiten können die nationalen Mitglieder, die CEN/ CENELEC-Fachgremien, die EU-Kommission, das EFTA-Sekretariat, eine internationale Organisation oder eine europäische Wirtschafts-, Berufs-, Fachoder Wissenschaftsorganisation an das Technische Büro stellen93. Dieses ent91

CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 1 Nr. 1.1.5 i.V.m. Abschn. 3 Nr. 3.1.11 und Abschn. 7 Nr. 7.1.1, 7.6.1, 7.6.2 und 7.7. Vgl. auch Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 131; Riesenhuber, H., Entwicklungsbegleitende Normung, S. 121 ff. 92 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 1 Nr. 1.1.5. 93 Ebd., Abschn. 4 Nr. 4.1.2 und 4.1.3; vgl. auch DKE, DKE-GN/4-2: 1995-01 S. 1 Abschn. 2. Obwohl Art. 3 der RL 83/189/EWG nur die Unterrichtung der nationalen Normenorganisationen über die geplanten Arbeiten durch ein oder mehrere andere nationale Normenorganisationen vorsieht, haben die CEN/CENELEC-Mitglieder den Grundsatz einer solchen Beteiligung als Beitrag zur Harmonisierung auf europäischer und internationaler Ebene akzeptiert und entsprechende verbindliche Regelungen für eine entsprechende passive oder aktive Teilnahme geschaffen. CEN/CENELEC, Memorandum N°7, Art. 2 i.V.m. Art. 3, 4 und 5. Um die Harmonisierung nationaler Normungsarbeiten effektiver zu bewältigen, hat CENELEC im Mai 1988 das sog. "Vi lamoura-Verfahren" eingeführt, welches zwischenzeitlich nach zweimaliger Revision in der Version vom Juli 1993 vorliegt und Notifizierungsverfahren sowohl für neue nationale Normungsarbeiten (Teil I) als auch für die Überarbeitung bestehender nationaler Normen (Teil II) vorschreibt. Auf Basis der Meldungen des Informations Verfahrens gemäß RL 83/189/EWG, nach der alle nationalen Vorhaben für technische Normen und technische Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzukündigen sind, teilt CENELEC neue nationale Normungsvorhaben allen nationalen Komitees mit der Maßgabe mit, innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten zu erklären, ob sie an einer Mitarbeit interessiert sind. Ebenso wird - falls vorhanden das entsprechende Komitee von CENELEC notifiziert, welches zur Durchführbarkeit der vorgeschlagenen Arbeiten auf europäischer Ebene Stellung nimmt. Ist das CENELEC-Komitee in der Lage, die Arbeiten durchzuführen und einen Schlußentwurf zum angegebenen Zieldatum vorzulegen, wird dieses mit der Ausarbeitung einer prEN betraut, wobei es das Projekt entsprechend der Kooperationsvereinbarung mit der IEC zunächst dieser zur Bearbeitung anbietet. Ist das CENELEC-Komitee nicht in der Lage, die Arbeit durchzuführen, oder besteht kein zuständiges Technisches Komitee, wird bei weniger als vier interessierten nationalen Komitees eine Arbeitsgruppe des Technischen Büros von CENELEC ("Bureau Technique Working Group" (BTWG)) eingesetzt, welche unter Leitung des notifizierenden nationalen Komitees und unter Teilnahme der anderen interessierten nationalen Komitees die Normungsarbeiten durchführt. Gleiches gilt bei vier oder mehr interessierten nationalen Komitees, wobei das Normungsprojekt gemäß der Kooperationsvereinbarung mit der IEC zunächst dieser zur Bearbeitung angeboten wird. Falls schließlich innerhalb der dreimonatigen Frist kein

648

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

scheidet - u.a. unter Berücksichtigung der Pläne des zuständigen Programmkomitees - über Annahme oder Ablehnung des Antrages94. Im Falle der Annahme haben Programm- und Technische Komitees alle entsprechenden geplanten oder vollendeten internationalen Normungsarbeiten ihres Fachgebietes in Betracht zu ziehen95, da ein TC in aller Regel erst dann seine Tätigkeit aufnehmen darf, wenn keine einschlägigen internationalen Normen existieren96. Falls ein Normungsgegenstand bereits von ISO/IEC behandelt wird, ist unter Verantwortung des Technischen Büros jegliche CEN/CENELEC-Arbeit darauf gerichtet, die ISO/IEC-Norm zu übernehmen und falls nötig zu vervollständigen97. Ist beides nicht der Fall, so ist gemäß der Geschäftsordnung ein europäisches Normungsprojekt zur Befriedigung eines besonderen europäischen Bedürfnisses zu initiieren 98 und dessen Ergebnis, soweit zweckmäßig, als Vorschlag durch ein Mitglied von CEN bzw. CENELEC an ISO oder IEC zu leiten99. In diesem Zusammenhang sind im Jahre 1991 Vereinbarungen sowohl zwischen CEN und ISO (Wiener Vereinbarung) als auch zwischen CENELEC und IEC (Luganer Vereinbarung) 100 über eine engere europäisch-internationale Zuanderes CENELEC-Mitglied Interesse bekundet, gilt das Vorhaben als rein nationale Angelegenheit. In einem vergleichbaren Notifizierungsverfahren für die Überarbeitung bestehender nationaler Normen ist bestimmt, daß bei Interesse von vier oder mehr nationalen Komitees an der Überarbeitung die entsprechenden Arbeiten auf europäischer Ebene durchzuführen sind; andernfalls können die Arbeiten auf nationaler Ebene - jedoch unter Beteiligung der maximal zwei anderen interessierten nationalen Komitees - weitergeführt werden, wobei die aktualisierte nationale Norm anschließend dem Erstfragebogenverfahren von CENELEC zu unterziehen ist. CENELEC, Vilamoura-Verfahren, passim; vgl. auch Warner, Α., Normung und Zertifizierung, S. 200; Winckler, R., Europa, S. 205; Winckler, R. u.a., 26. Generalversammlung von CENELEC, S. 98. CEN prüft z.Zt. die Übernahme dieses Verfahrens (Reihlen, H., Zusammenfassung, S. 68), wobei bereits eine positive Willenserklärung des CEN-Präsidiums vorliegt. Reihlen, H., 43. Präsidiumssitzung, S. 6. 94 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 2 Nr. 2.1.1 lit. c) i.V.m. Abschn. 4 Nr. 4.1.4. 95 Ebd., Abschn. 2 Nr. 2.2.1, 2.3.1 und 2.3.4. 96 Ausnahmen sind besondere Anträge beispielsweise der EU-Kommission oder des EFTA-Sekretariats. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 4 Nr. 4.3.1; CEN, Normen für Europa, S. 2. 97 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 4 Nr. 4.1.1, 4.1.5 und 4.1.7 lit. a). Europäische Normen sind auch ein Vehikel zur einheitlichen Einführung Internationaler Normen in Westeuropa. Vgl. dazu die Ausführungen bezüglich des Vereinszwecks von CEN/CENELEC. 98 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 4 Nr. 4.1.7 lit. b). 99 Ebd., Abschn. 4 Nr. 4.5.10; vgl. auch DKE, Geschäftsbericht 1989, S. 4. 1(X) Erste Informationsabkommen wurden bereits 1989 zwischen den Institutionen geschlossen. DIN, Europäische Normung 04.96, S. 17; Mohr, C., ISO und CEN, S. 319 f.; Winckler, R., Europa, S. 205 ff. Ferner hat sich CEN in Satzung und Geschäftsordnung

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

649

sammenarbeit abgeschlossen worden. Diese sehen neben dem Austausch technischer Informationen durch die Zentralsekretariate und der Abstimmung der Normungsarbeiten durch gemeinsame Koordinierungsgremien auf BT-Ebene und gemeinsame Koordinierungssitzungen auf TC-Ebene insbesondere die Prüfung jedes neuen, von CEN/CENELEC zur Bearbeitung angenommenen Vorhabens dahingehend vor, ob ISO oder IEC es innerhalb einer von CEN/ CENELEC gesetzten Frist bearbeiten können. Zusätzlich haben die Normenorganisationen eine parallele Abstimmung über Norm-Entwürfe auf europäischer und internationaler Ebene vereinbart, die auf einer dieser Ebenen entstanden sind. Auf diese Weise werden die Norm-Entwürfe in den gemeinsamen Mitgliedsländern der europäischen und internationalen Normenorganisationen nur einmal der nationalen Abstimmung inklusive dem öffentlichen Einspruchsverfahren unterworfen. Die nationalen Normenorganisationen übermitteln die resultierenden nationalen Stellungnahmen dann zugleich CEN und ISO bzw. CENELEC und IEC. Ist die Durchführung der Normungsarbeiten auf internationaler Ebene innerhalb der Frist nicht möglich, oder erscheint der vereinbarte Termin für einen internationalen Norm-Entwurf ("Draft International Standard" (DIS)) - insbesondere bei einem Mandat der EU-Kommission oder des EFTASekretariats - während der Bearbeitung gefährdet, sind CEN/CENELEC berechtigt, die Arbeiten selbst zu übernehmen; deren Ergebnis wird jedoch auch den internationalen Organisationen zur Annahme vorgeschlagen101. Ziel ist es, eine möglichst große Anzahl der benötigten technischen Normen rechtzeitig auf internationaler Ebene zu erstellen, Doppelarbeiten zu vermeiden und die Normungsarbeiten zu beschleunigen102.

zur Zusammenarbeit mit der ISO verpflichtet, wobei allerdings die Zusammenarbeit zwischen CENELEC und IEC - erkenntlich insbesondere an dem fortgeschrittenen "Vilamoura-Verfahren" (vgl. CENELEC, Vilamoura-Verfahren, passim) - weiter gediehen ist. CEN, Satzung, Art. 4; CEN/CENELEC, GO Teil 1A, Abschn. 1. 101 BSI, Annual Report 1991-92, S. 11; CEN, Memento 1991, S. viii; CENELEC, Annual Report 1991, S. 4; dass., Catalogue 1992, S. 7; dass., Elektrotechnische Normen, S. 17; dass., Electrotechnical Standards, S. 7; DKE, DKE-GN/4-2: 1995-01 S. 1 Abschn. 2; dies., DKE-GN/4-8: 1995-01 S. 1; dies., DKE-GN/4-9: 1995-01 S. 1; dies., Geschäftsbericht 1991, S. 7; IEC, Structure and Operations, S. 6 f.; ISO/CEN, Wiener Vereinbarung, Nr. 1 ff.; Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 6 f.; Winckler, R., Europa, S. 205 ff. 102 "Das Problem der rechtzeitigen Verfügbarkeit von Normen, die bei ihrem Erscheinen den aktuellen Stand der Technik wiedergeben, ist so alt wie die Normung selbst. Mit der ständig wachsenden Innovationsrate auf vielen technischen Gebieten hat dieses Problem noch an Schärfe zugenommen und ist mit den herkömmlichen Mitteln der Normenerarbeitung besonders auf der internationalen Ebene nicht mehr beherrschbar." Früher wurden internationale Normungsergebnisse in "Reihenschaltung" auf die europäische und die nationale Ebene umgesetzt, was bei einer Bearbeitungsdauer eines Normungsvorhabens in der IEC von 5 bis 8 Jahren und anschließender Neudiskussion und Abstimmung in CENELEC durchschnittlich 7 und in Einzelfällen auch bis zu

650

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Die verbleibenden europäischen Normungsarbeiten (EN oder HD) können das Ergebnis der Arbeit eines TC, des sogenannten "Fragebogenverfahrens" oder einer Kombination aus beidem sein103. Zunächst stellt das Technische Büro durch Ausgabe eines Erstfragebogens das Interesse an dem Normungsgegenstand und dessen Status der Harmonisierung fest 104. Da die Grenzlinie zwischen nationalen Normen und Vorschriften von Land zu Land variiert, sollen die Mitglieder ferner den Einfluß nationaler Vorschriften und eines etwaigen Prüfund Zulassungszwangs auf die Harmonisierung erläutern 105. Wenn es das Technische Büro nicht anders bestimmt, definiert die Ausgabe des Erstfragebogens zugleich den Beginn der Stillhalteverpflichtung, die es den CEN/ CENELEC-Mitgliedern untersagt, eine neue oder überarbeitete nationale Norm, die nicht vollständig mit der EN oder dem HD übereinstimmt, zu veröffentlichen106. Sofern innerhalb der Beantwortungsfrist von drei Monaten mindestens drei Mitglieder die Harmonisierung schriftlich beantragen, gilt ein ausreichendes Interesse an der Harmonisierung als gegeben107. Steht bereits ein als prEN oder prHD geeignetes Bezugsdokument - z.B. in Form einer internationalen Norm - zur Verfügung, so wird es den Mitgliedern zu einer dreimonatigen schriftlichen Umfrage ("Fragebogenverfahren") zugelei-

10 Jahre in Anspruch nahm. Durch die "Parallelschaltung" der Verfahren von IEC und CENELEC haben diese Organisationen die Zeitspanne um über ein Jahr reduzieren können. DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 7; Winckler, R., Europa, S. 205 f.; Winckler, R. u.a., 25. Generalversammlung von CENELEC, S. 428. Zusätzlich hat die IEC ihre bis zu 8 Jahren dauernden Normungsverfahren durch drastische Reorganisationsmaßnahmen auf durchschnittlich 5 Jahre verkürzt (IEC, Annual Report 1995, S. 7; Ziel ist, die maximale Dauer der Normenerstellung auf 5 Jahre zu begrenzen; DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 7), so daß die Erarbeitung einer internationalen Norm dank der neuen Verfahrensweisen heute nicht mehr länger dauert als die Erstellung einer Europäischen Norm. UTE, Rapport d'Activité 1992, S. 8. Zum Vergleich: Bei ISO beträgt die durchschnittliche Erarbeitungszeit einer internationalen Norm seit Beginn der neunziger Jahre mit leichten Schwankungen rund vier Jahre. ISO, Annual Report 1995, S. 16. 103 Beim Fragebogen verfahren steht jedem Land eine Antwort auf den jeweiligen vom BT versandten Fragebogen zu. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 4 Nr. 4.1.8; vgl. auch Nr. 4.2 und 4.3. 104 Ebd., Abschn. 4 Nr. 4.2.1. 105 Ebd., Abschn. 4 Nr. 4.2.6. 106 Ebd., Abschn. 1 Nr. 1.3.2 i.V.m. Abschn. 2 Nr. 2.1.1 lit. f), Abschn. 4 Nr. 4.2.3 sowie Abschn. 6 Nr. 6.1.1 und 6.2.1; vgl. femer CEN/CENELEC, Memorandum N°l, Art. 7. Bei einem Mandat der EU-Kommission oder des EFTA-Sekretariats beginnt die Stillhaltevereinbarung mit der grundsätzlichen Zustimmung des Technischen Büros zum Normenprojekt. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 6 Nr. 6.3. 107 Ebd., Abschn. 4 Nr. 4.2.4 und 4.2.8.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

651

tet 108 . Für den Fall, daß dieses Bezugsdokument substantieller Modifikation bedarf, oder wenn kein Bezugsdokument vorhanden ist, erarbeitet ein gegebenenfalls gemeinsames CEN/CENELEC-TC, -SC oder -WG einen Norm-Entwurf. In beiden Fällen soll Konsens, vorzugsweise einmütige Zustimmung erreicht werden 109. Anschließend erfolgt im Rahmen der "CEN/CENELEC-Umfrage" die Verteilung der drei Sprachfassungen (deutsch, englisch, französisch) an die Mitglieder, um innerhalb einer sechsmonatigen Frist Stellungnahmen der Öffentlichkeit einzuholen110. Findet der Inhalt des Entwurf ausreichende, vorzugsweise einhellige Zustimmung, erstellt das Normungsgremium unter Berücksichtigung der Stellungnahmen einen endgültigen Text 111 . Bei ungenügender Zustimmung kann das TC nach der Modifikation des Norm-Entwurfs eine zweite Umfrage beschließen112. Erhält der Norm-Entwurf auch dann keine ausreichende Zustimmung, sofern nicht B-Abweichungen vorgesehen werden, sollte das TC die Erstellung eines HD in Erwägung ziehen113. Werden die Nor108

Ebd., Abschn. 4 Nr. 4.1.5 und 4.2.4; vgl. auch Abschn. 9 Nr. 9.2.1. Ebd., Abschn. 4 Nr. 4.3.3; vgl. auch Abschn. 9 Nr. 9.2.1. "Der Vorsitzende [eines Technischen Komitees] muß alles in seiner Macht Stehende tun, einmütige Beschlüsse des Technischen Komitees zu erhalten. Wenn Einmütigkeit in einer Frage nicht erreichbar ist, sollte der Vorsitzende versuchen, Konsens herbeizuführen, statt sich einfach auf einen Mehrheitsbeschluß zu verlassen." CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 2 Nr. 2.3.3. Femer haben Vorsitzende und Sekretäre von TC und SC strikte Unparteilichkeit zu wahren, auf nationale Standpunkte zu verzichten und verfügen über kein Stimmrecht. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 2 Nr. 2.3.3 i.V.m. Nr. 2.3.4, 2.4.3 und 2.4.4. Vgl. auch BSI, BS 0-2: 1991-10/AMD 1993-11 S. 13 ff. 110 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 4 Nr. 4.3.4 und 4.3.5. 111 Ebd., Abschn. 4 Nr. 4.3.7. 112 Ebd., Abschn. 4 Nr. 4.3.8. 113 Ebd., Abschn. 4 Nr. 4.3.9. In der Praxis werden von Mitgliedern in vielen Fällen Abweichungen in Form von Änderung, Ergänzung oder Streichung in einer nationalen Norm gegenüber dem Inhalt der CEN/CENELEC-Norm gewünscht, die eine Harmonisierung behindern. Dabei gelten besondere nationale Bedingungen - wie klimatische Verhältnisse, elektrische Erdungsbedingungen usw. - nicht als Abweichungen. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 3 Nr. 3.1.7 und 3.1.8 i.V.m. Abschn. 4 Nr. 4.4.1 und 4.4.2. Während A-Abweichungen auf Rechtsvorschriften beruhen, deren Veränderung zum gegenwärtigen Zeitpunkt außerhalb der Kompetenz des CEN/CENELEC-Mitgliedes liegt, gründen sich B-Abweichungen auf besondere technische Anforderungen und können in einem HD für eine bestimmte Übergangsfrist noch erlaubt werden. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 3 Nr. 3.1.9 i.V.m. 3.1.10. Jedoch sind die nationalen Mitglieder durch die Geschäftsordnung verpflichtet, die nationale Notwendigkeit einer Abweichung kritisch zu prüfen und im Falle der Beantragung mit detaillierter schriftlicher Begründung je nach Zuständigkeit an das Technische Büro oder TC zu richten, welche über die Anträge auf nationale Abweichung beraten und entscheiden. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 4 Nr. 4.4.3 und 4.4.5. Die möglichen Entscheidungen von der Annahme des Antrages bis zur Einstellung des Normungsprojektes sind aufgeführt in: CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 4 Nr. 4.4.6 109

652

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

mungsarbeiten eingestellt oder der Zieltermin überschritten, hat das TC einen Situationsbericht beim BT einzureichen, welches im letzteren Fall über eine Fristverlängerung oder eine etwaige Einstellung entscheidet114. Wie auf nationaler Ebene steht den Mitgliedern von CEN/CENELEC ein Einspruchsverfahren offen 115. Jedoch werden Einsprüche eines Mitgliedes gegen Arbeitsentwürfe, prEN und prHD nur behandelt, wenn der Inhalt eines Entwurfes - z.B. aufgrund eines unzureichenden Sicherheits- oder Qualitätsniveaus - dem Ansehen von CEN/CENELEC Schaden zufügen könnte116. Über Einsprüche entscheidet - gegebenenfalls unter Berufung eines unparteiischen Schiedsausschusses - das Technische Büro, über Einsprüche gegen dieses letztinstanzlich die Generalversammlung 117. Für die weitere Arbeit mit Ausnahme der Ratifizierung hat der Einspruch keine aufschiebende Wirkung 118 . Die Satzung des CENELEC sieht darüber hinaus ein Schiedsverfahren vor, bei dem die CENELEC-Generalversammlung aufgrund des Berichtes des CENELEC-Präsidiums über die Beratungen eines Entscheidungskomitees (CDC), zusammengesetzt aus CENELEC-Präsident, Vizepräsidenten und Experten, in letzter Instanz beschließt119. Die Annahme des endgültigen Wortlauts eines prEN oder prHD erfolgt durch eine formelle gewichtete Abstimmung der Mitglieder analog Art. 148 EGV innerhalb einer Frist von zwei Monaten gemäß dem nachfolgenden Schlüssel, wobei jede Nein-Stimme begründet werden muß 120 :

lit. a)-i). Im Falle der Annahme sind Einzelheiten über alle angenommenen nationalen Abweichungen und die durch sie verursachten normativen, administrativen, wirtschaftlichen oder fachlichen Bedingungen sowie die Termine, nach denen die B-Abweichungen nicht mehr zugelassen sind, in einem informativen Anhang anzugeben. CEN/ CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 4 Nr. 4.7.4. 114 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 4 Nr. 4.3.10. 115 In dessen Rahmen können nicht nur Einsprüche gegen jede Tätigkeit oder Unterlassung eines TCs, sondern auch eines beliebigen anderen Gremiums oder Funktionärs erhoben werden, wenn das Mitglied der Meinung ist, daß die Tätigkeit oder Unterlassung nicht in Übereinstimmung mit der Satzung, der Geschäftsordnung oder den Zielen von CEN/CENELEC steht oder nicht in bestem Interesse der Schaffung eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsraumes oder öffentlicher Belange wie Sicherheit, Gesundheit oder Umweltschutz liegt. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Anhang A Nr. A.l. 116 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Anhang A Nr. A.2. 117 Ebd., Anhang A Nr. A.4 und A.5. 118 Ebd., Anhang A Nr. A.6. 119 CEN/CENELEC, GO Teil 1B, Absch. 8. 120 Das Verfahren der gewichteten Abstimmung wird neben den Abstimmungen über EN, HD und ENV auch bei Beginn und Aufhebung der Stillhalteverpflichtung sowie der Annahme von B-Abweichungen angewendet. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 4 Nr. 4.5.1 und 4.5.3 i.V.m. Abschn. 5 Nr. 5.1.4.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

653

Tabelle 12 Stimmengewichte der CEN/CENELEC-Mitglieder bei gewichteter Abstimmung Stimmengewichte bei gewichteter Abstimmung Deutschland

10 Portugal

5

Frankreich

10 Schweden

5

Italien

10 Schweiz

5

Vereinigtes Königreich

10 Dänemark

3

Spanien

8 Finnland

3

Belgien

5 Irland

3

Griechenland

5 Norwegen

3

Niederlande

5 Luxemburg

2

Österreich

5 Island

1

Für die Annahme eines Vorschlages durch eine gewichtete Abstimmung gelten die folgenden vier Mindestbedingungen, nach denen es 1.

mehr zustimmende als ablehnende Mitglieder (einfache Mehrheit ohne Enthaltungen), und

2.

mindestens 25 gewichtete Ja-Stimmen, und

3.

höchstens 22 gewichtete Nein-Stimmen, und

4.

höchstens 3 ablehnende Mitglieder geben muß bzw. darf 121.

Ist bei Auszählung der Stimmen aller Mitglieder jede der vier Bedingungen erfüllt, gilt der Entwurf als angenommen und muß von allen Mitgliedern übernommen werden 122 . Ist zumindest eine der Bedingungen nicht erfüllt, erfolgt eine gesonderte Zählung der Stimmen der Mitglieder aus der EU. Der Entwurf Stimmengewichte: Stand 1. Januar 1991, nach CEN/CENELEC, GO Teil 2: 1990-04 Abschn. 5 Nr. 5.1.4, geändert durch Beschluß der CENELEC-Generalversammlung vom 13./14. November 1990. Wiedergegeben in: DKE, DKE-GN/4-2: 1992-06 S. 5 Bild 1. 121 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 5 Nr. 5.1.5. 122 Ebd., Abschn. 5 Nr. 5.1.5.1 und 5.2.1.1. Vgl. auch Ebd., Abschn. 1 Nr. 1.3.1; CEN/CENELEC, Memorandum N°l, Art. 5. Die CEN/CENELEC-Mitglieder sind in den Grenzen ihrer rechtlichen Zuständigkeit als nationale Normenorganisationen an Beschlüsse gebunden, die nach Satzung und Geschäftsordnung gefaßt werden. Auch außerhalb seiner Zuständigkeit ist das Mitglied angehalten, sich mit allen Kräften zu bemühen, die notwendigen Änderungen herbeizuführen. Dies gilt insbesondere auch für Übernahme Europäischer Normen und etwaige entgegenstehende nationale Rechtsvorschriften. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 5 Nr. 5.1.1 und 5.1.2; vgl. auch CEN/CENELEC, Memorandum N°l, Art. 6.

654

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

gilt als angenommen, wenn durch deren Stimmen allein die vier genannten Bedingungen erfüllt sind. In diesem Fall besteht für die Mitglieder der EU zusammen mit den Mitgliedern der EFTA, die dem Entwurf zugestimmt haben, die Verpflichtung zu dessen Übernahme 123. Wurde keine Berufung eingelegt, stellt das BT die Annahme der EN oder des HD fest und bestimmt das Datum der Verfügbarkeit sowie die Termine für die nationale Übernahme, d.h. das Datum der Ankündigung der EN bzw. des HD, das Datum der Zurückziehung von entgegenstehenden nationalen Normen und bei EN das Datum der Veröffentlichung von identischen nationalen Normen oder Anerkennungen124. Bei negativem Abstimmungsergebnis entscheidet das BT über weitere Maßnahmen und gegebenenfalls über die Aufhebung der Stillhaltevereinbarung 125. Die Publikation Europäischer Normen erfolgt in den drei offiziellen CEN/ CENELEC-Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch als "Deutsche Fassung", "English Version" und "Version Française"126. Bevor die CEN/ CENELEC-Mitglieder die EN oder das HD auf nationaler Ebene verfügbar machen können, kontrolliert die Normenprüfstelle den endgültig angenommenen Wortlaut der Europäischen Norm in den drei Sprachfassungen sowohl redaktionell und formal als auch auf Konsistenz, Integrität und Redundanz bezüglich des übrigen Europäischen Normenwerkes 127. Sofern die Kommission die Norm in Auftrag gab, werden Titel und Fundstelle der Europäischen Norm - abgese-

123

CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 5 Nr. 5.1.5.2 und 5.2.1.2; vgl. auch DKE, DKE-GN/4-2: 1992-06 S. 5 Bild 1. 124 I.d.R. binnen einer Frist von sechs Monaten nach Verfügbarkeit. CEN/ CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 4 Nr. 4.5.5 i.V.m. Abschn. 5 Nr. 5.2.1.3., 5.2.2. und 5.2.3; vgl. auch ebd. Abschn. 3 Nr. 3.1.1 Iff. sowie CEN/CENELEC, Memorandum N°l, Art. 5. Sind nicht alle bestehenden nationalen Anforderungen in der EN enthalten, dürfen diese vorbehaltlich der Genehmigung durch CEN/CENELEC als zusätzliche nationale Aspekte in sog. "Restnormen" veröffentlicht werden. Vgl. dazu DKE, DKE-GN/4-2: 1995-01 S. 2 Abschn. 3. 125 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 4 Nr. 4.5.6. 126 Diese werden durch das deutsche, britische und französische Mitglied bereitgestellt. Die Texte in den drei offiziellen Sprachfassungen müssen technisch gleichwertig und strukturell identisch sein. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 1 Nr. 1.4.1 i.V.m. Abschn. 3 Nr. 3.2.1. und 3.1.18 sowie Teil 3 Abschn. 1 Nr. 1.5; vgl. auch dies., Memorandum N°l, Art. 2. 127 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 1 Nr. 1.4; vgl. auch dies., Memorandum N°l, Art. 3. Die Normenprüfstelle hat keine Vollmacht, über den fachlichen Inhalt zu beschließen. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 3 Nr. 3.2.7 i.V.m. Abschn. 4 Nr. 4.5.8 und 4.8.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

655

hen von ihrer generellen Bekanntmachung auf nationaler Ebene aufgrund der "

nationalen Uhernahmeverpflichtung

1ΛΟ

1IQ

- im Amtsblatt der EU veröffentlicht

Da Europäische Normen nur als nationale Normen herausgegeben werden, sind Aufbau, Gestaltung und Methodologie der Erarbeitung von EN, HD und ENV sowie deren Übernahme auf nationaler Ebene in PNE-Regeln ("règles pour la rédaction et la présentation des normes européennes") festgeschrieben, um die Identität des Sachinhalts und der Gestaltung in allen EU-Mitgliedsstaaten sicherzustellen. Soweit wie möglich, stimmen diese Regeln mit denen der ISO und der IEC überein 130. Ziel ist die Gewährleistung von Homogenität und innerem Zusammenhang des Europäischen Normenwerkes und der nationalen Normenwerke der EU-Mitgliedsstaaten131. Der Sekretär des zuständigen TC trägt dafür Sorge, daß in Abständen von nicht mehr als fünf Jahren Überprüfungen veröffentlichter EN und HD i.d.R. durch das Fragebogenverfahren des Technischen Büros mittels "Fortschreibebogen" daraufhin stattfinden, ob sie noch dem Stand der Technik und den gesellschaftlichen Wertvorstellungen entsprechen132. Dabei wird jede Abänderung, Ergänzung oder Streichung des Textes einer EN, eines HD oder einer ENV demselben Verfahren wie der ursprüngliche Text unterworfen 133.

128 Beispielsweise wird die Annahme der Europäischen Norm in der Bundesrepublik Deutschland im DIN-Anzeiger für technische Regeln und/oder der etz angezeigt, und DIN bzw. DKE leiten unverzüglich die Vorbereitungen zum Druck der entsprechenden deutschen Norm ein. DKE, DKE-GN/4-1: 1995-01 ergänzende Festlegung zu DIN, DIN 820-4: 1986-01 S. 12 f. Abschn. 3 Nr. 3.4. 129 Vgl. Leitsätze für die Zusammenarbeit KOM- CEN/CENELEC, Leitsatz 4 Spstr. 7. 130 CEN/CENELEC, GO Teil 3 Vorwort i.V.m. Abschn. 6 Nr. 6.1 ff. Vgl. auch CEN/ CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 1 Nr. 1.4.1; dies., Memorandum N°l, Art. 2; dies., Memorandum N°3, Art. 9. Grundsätzlich müssen die IEC/ISO-Regeln Teil 2 sowie die ISO/IEC-Leitfäden 2 (= CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09), 3, 15 und 21 auch bei der Erarbeitung von Europäischen Normen angewandt bzw. berücksichtigt werden. CEN/CENELEC, GO Teil 3 Anhang Β Nr. B.l. 131 CEN/CENELEC, GO Teil 3 Abschn. 1 Nr. 1.3 und 1.4. Darüber hinaus finden Belange der staatlichen Rezeption technischer Normen Berücksichtigung. Ist beispielsweise eine Bezugnahme auf die Europäische Norm in unterschiedlichen EU-Richtlinien vorgesehen, so sollen, wenn immer möglich, getrennte Normen oder Normteile erarbeitet werden; auf diese Weise bleibt die Möglichkeit der eindeutigen Notifizierung und klaren Verweisung auf solche Europäischen Normen bzw. Normteile gewahrt. CEN/CENELEC, GO Teil 3 Anhang Β Nr. B.3. 132 CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 2 Nr. 2.3.4 i.V.m. Abschn. 4 Nr. 4.2.1, 4.2.2 und 4.9.3. 133 Ebd., Abschn. 4 Nr. 4.9.2.

656

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Im Rahmen der RL 83/189/EWG haben CEN/CENELEC im Jahre 1985 eine bibliographische Datenbank - den "Vergleichenden Index Europäischer Normen" ("Index Comparatif des Normes en Europe" (ICONE)) - geschaffen, welche die Arbeitsprogramme der internationalen (ISO, IEC, ITU), europäischen (CEN/CENELEC, ETSI) und nationalen Normenorganisationen der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten sowie Informationen über die nationale Einführung internationaler und europäischer Normen enthält134. Anfang 1996 umfaßte das europäische Normenwerk von CEN/CENELEC und ETSI rund 8.000 Europäische Normen, Harmonisierungsdokumente und European Telecommunication Standards inklusive der entsprechenden Entwürfe 135 . Aufgrund der engen Zusammenarbeit und des parallelen Abstimmungsverfahrens der europäischen und internationalen Normenorganisationen beinhaltet das Normenwerk von CEN/CENELEC einen erheblich höheren Anteil übernommener internationaler Normungsergebnisse als das irgendeiner anderen Industrieregion der Welt: So stimmten Ende 1995 rund 60 % der Normen von CEN/CENELEC mit internationalen Normen der ISO und IEC überein 136. Während der Anteil unverändert übernommener ISO-Normen bei CEN zu diesem Zeitpunkt erst 40 % ausmachte137, beruhten bei CENELEC bereits Ende 1991 89 % der bis zu diesem Zeitpunkt verabschiedeten Normen auf IEC-Normen, wovon in absoluten Zahlen 72 % unverändert und 17 % modifiziert übernommen worden waren 138. Schließlich betrug der Anteil der unter dem Mandat der EU-Kommission und dem EFTA-Sekretariat erstellten Normen am gesamten Arbeitsprogramm von CEN im Jahre 1991 20%; bei CENELEC sind rund 50 % der Normungsarbeiten allein von der Niederspannungsrichtlinie betroffen 139 .

134

Das Projekt wurde durch einen Beschluß des Rates vom 25.11.1983 über einen Plan für die transnationale Entwicklung der Infrastruktur zur Unterstützung von Innovation und Technologietransfer - ABl. EG Nr. L 353 v. 15.12.1983, S. 15 - initiiert. Anselmann, N., Die Rolle der europäischen Normung, S. 938; CEN, Annual Report 1991, S. 14; DIN, Europäische Normung 04.92, S. 16. 135 DIN, Geschäftsbericht 1995/96, S. 2. 136 ISO, Annual Report 1995, S. 2. 137 DIN, Europäische Normung 04.96, S. 17. 138 CENELEC, Elektrotechnische Normen, S. 17; dass., Electrotechnical Standards, S. 1; dass., Annual Report 1991, S. 6; DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 8. Dieser Anteil ist bis Anfang 1996 nahezu konstant geblieben. DKE, Geschäftsbericht 1995, S. 12; IEC, 1996 Catalogue, S. 4; dies., Annual Report 1995, S. 5; VDE, 100 Jahre VDE 0100, S. 8. 139 CEN, Annual Report 1991, S. 9; Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 422; Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 131.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

657

dd) Finanzierung der Normungsarbeit Die Finanzierung von CEN/CENELEC erfolgt über Beiträge der ordentlichen und der assoziierten Mitglieder. Die Beiträge des CEN legt dessen Generalversammlung für jedes Geschäftsjahr fest 140, während sich deren Höhe bei CENELEC durch die Umlage der im Haushaltsplan vorgesehenen Ausgaben anhand eines Umlageschlüssels auf die einzelnen Mitglieder ergibt 141. Wie auf nationaler Ebene finanzieren die interessierten Kreise den größten Kostenblock, nämlich die Erarbeitung der Normen durch deren ehrenamtliche Experten 142. Den zweitgrößten Kostenanteil für die Sekretariate der TCs tragen größtenteils die CEN/CENELEC-Mitglieder 143 . Die verbleibenden Kosten von rund 5 Mio. ECU für das CEN-Zentralsekretariat wurden im Jahre 1991 bei CEN zu 33% durch Mitgliedsbeiträge, zu 31% und 6% durch die EU- bzw. EFTA-Unterstützung im Rahmen vertraglicher Regelungen über die Erarbeitung mandatierter Normen, zu 22% durch andere EU-/EFTA-Unterstützung (Informationsverfahren, Dritte Welt usw.) und zu 8% durch Verkäufe und "Sonstiges" finanziert 144. Bei CENELEC trugen im Jahre 1991 Mitgliedsbeiträge zu 57 % sowie EU- und EFTA-Zuschüsse zu 43 % zur Finanzierung der Ausgaben von 102 Mio. BF bei. Bei CECC wurden die Kosten von 1.655 T D M zu 60 % durch Mitgliedsbeiträge und zu 40 % durch EU- und EFTA-Zuschüsse gedeckt145. b) Das "European Telecommunications Standards Institute " (ETSI) aa) Geschichte Bis zum Inkrafttreten der römischen Verträge im Januar 1958 war die technische Normung innerhalb der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten im Bereich der Telekommunikation den nationalen Fernmeldeverwaltungen vorbehalten. Auf europäischer Ebene erarbeitete die im Jahre 1959 gegründete "Europäische 140

CEN, Satzung, Art. 15. Der Verteilungsschlüssel - von 8 für die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien und das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland bis 0,25 für Island - ist in der Satzung festgeschrieben. CENELEC, Satzung, Art. 16. 142 CEN, Normen für Europa, S. 2 f. Deren Höhe wurde bislang auf europäischer Ebene nicht quantifiziert. CEN, Annual Report 1991, S. 16. 143 CEN, Annual Report 1991, S. 16; DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 7 f. 144 CEN, Annual Report 1991, S. 16. Vgl. auch dass., Normen für Europa, S. 3. Bei Mandaten an CEN/CENELEC übernehmen die EU-Kommission und/oder das EFTA-Sekretariat bis zu 50 % der Kosten für das Sekretariat des TC und die anteiligen Kosten des Zentralsekretariats. DIN, Europäische Normung 04.96, S. 24. 145 CENELEC, Annual Report 1991, S. 10 f. 141

42 Zubke-von Thünen

658

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Konferenz der Post- und Fernmeldeverwaltungen" ("Conférence Européenne des Administrations des Postes et des Télécommunications" (CEPT)) unter anderem Empfehlungen für den Fernmeldebereich. Mitte der siebziger Jahre begonnene Bestrebungen der EU-Kommission hinsichtlich der Harmonisierung der Fernmeldenetze und -dienste im Hinblick auf den Gemeinsamen Markt zusammen mit einem Beschluß des Rates vom 17. Dezember 1984, einen Gemeinschaftsmarkt für Fernmeldeeinrichtungen und -endgeräte unter anderem mittels "einer Normenpolitik, die auf die Implementierung gemeinsamer, von internationalen Normen abgeleiteter Normen in der Gemeinschaft ausgerichtet ist", zu schaffen 146, führten im Jahre 1984 zu einem Abkommen ("Memorandum of Understanding") zwischen der EU-Kommission und der CEPT. In diesem verpflichteten sich 18 der 26 Mitgliedsländer der CEPT- nämlich die Mitgliedsstaaten der EU und der EFTA -, die noch zu schaffenden "Normes Européennes de Télécommunications" (NET) in ihren Ländern als verbindlich anzuerkennen und anzuwenden. Die als NET in Frage kommenden CEPTEmpfehlungen wurden von einem im Juli 1986 von den Unterzeichnern gegründeten "Technical Recommendation Application Committee" (TRAC) ausgewählt 147 . Jedoch stellte sich bald heraus, daß die CEPT die deutlich gestiegenen Anforderungen der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes bis Ende 1992 mit ihrer bisherigen Arbeitsweise und Zusammensetzung - vertreten waren lediglich die öffentlichen Verwaltungen, jedoch keine anderen interessierten Kreise - nicht bewältigen konnte148. Der Vorschlag der EU-Kommission im Rahmen des 1987 veröffentlichten Grünbuches über die Entwicklung des gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsendgeräte, ein europäisches Normungsinstitut für den Bereich der Telekommunikation ins Leben zu rufen 149, wurde von den Direktoren des 146 Protokoll der 979. Sitzung des Rates v. 17. Dezember 1984. Zit. in: KOM (87) 290 endg. "Grünbuch Telekommunikation", S. 22; vgl. auch ebd., S. 103. 147 Rosenbrock, K. H., ETSI, S. 6. 148 So gab es zu diesem Zeitpunkt in der EU noch eine außerordentlich große Vielfalt unterschiedlicher Telekommunikationssysteme. Kennzeichnend für die Situation war, daß - trotz des 20- bis 30-jährigen Bestehens entsprechender Normen - noch nicht einmal die internationalen Verkehrsausscheidungsziffern "00" sowie die Signaltöne für den Telefondienst in Europa einheitlich benutzt wurden. Rosenbrock, K. H., ETSI, S. 6. 149 "Auf der Grundlage gemeinsamer Finanzierung und eines kleinen permanenten Stabes, nach geschäftsmäßigen Grundsätzen unabhängig geführt, sollte dieses Institut in einem flexiblen Rahmen Experten sowohl der Fernmeldeverwaltungen als auch der Industrie heranziehen, um die Ausarbeitung von Normen und technischen Spezifikationen, unerläßlich für die Entwicklung eines wettbewerbsorientierten Umfeldes und von europäischen Diensten, wesentlich zu beschleunigen." KOM (87) 290 endg. "Grünbuch Telekommunikation", S. 189 sowie Abschn. Einführung, S. 5 und Abschn. Zusammenfassung S. 22.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

659

Fernmeldewesens innerhalb der CEPT im September 1987 angenommen; dies führte im Januar 1988 zum Beschluß der Gründung des "European Telecommunications Standards Institute" (ETSI) per Memorandum, welches den 31. März 1988 als Gründungstermin des Instituts festlegte. Die Telekommunikations-Kommission von CEPT hat ihre Normungspolitik- und -anerkennungsbefugnis auf ETSI übertragen und ihre fünf technischen Arbeitsgruppen für Normungsfragen ETSI unterstellt. Darüber hinaus ging sie gegenüber ETSI die Verpflichtung ein, enge Arbeitsbeziehungen zu anderen europäischen Normenorganisationen herzustellen150. Im Sommer 1992 wurde ETSI von der EUKommission als europäische Organisation zur Erstellung von Telekommunikationsnormen anerkannt151. bb) Kooperation mit CEN/CENELEC Nachdem es in Folge der Gründung des ETSI zu Problemen hauptsächlich aufgrund von Aufgabenbereichsüberschneidungen mit CEN/CENELEC kam, und auch als Reaktion auf das Grünbuch der EU-Kommission von 1991 152 , haben ETSI und CEN/CENELEC 1991 ein Grundsatzdokument über ihre Zusammenarbeit und ihr Selbstverständnis unterzeichnet, welches die Bildung gemeinsamer Gremien und verschiedene Formen der Zusammenarbeit vorsieht. Ziel ist neben der notwendigen Abgrenzung der Aufgabengebiete und Koordination der Normungstätigkeiten zur Vermeidung von Doppelarbeiten und Widersprüchen die Entwicklung gemeinsamer Positionen hinsichtlich grundsätzlicher Normungsprinzipien in Europa, die Angleichung der betreffenden Teile der Arbeitsregeln, ein gemeinsames Vorgehen bei künftigen Entwicklungen auf dem Gebiet der europäischen Normung und die Abstimmung des Dialogs mit der EU-Kommission153. Als erstes Koordinierungsorgan haben CEN/CENELEC und ETSI eine "Gemeinsame Präsidentengruppe" ("Joint President Group" (JPG)) eingesetzt, die von einem "gemeinsamen Koordinierungsausschuß" ("Joint Coordination Group" (JCG)) auf allen Gebieten mit Ausnahme der Informationstechnik beraten wird und weitere Gemeinschaftsausschüsse einsetzen kann. Auf dem Gebiet der Informationstechnik erfolgt die Planung und Koordinierung der europäi150

ETSI, Statutes, Art. 17; dass., Annual Report 1991, S. 0; dass., ETSI, S. 1. Vgl. auch BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 9 Annex A Nr. A.l; Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 4 f. 151 ETSI, Annual Report 1992, S. 1. 152 ETSI, Annual Report 1991, S. 2; Warner, Α., Normung und Zertifizierung, S. 200. 153 DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 8 f.; ETSI, Rules of Procedure, Art. 15 Nr. 15.2.

42*

660

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

sehen Normungsarbeit durch das bereits 1985 von CEN/CENELEC und CEPT gegründete 'Informationstechnik-Lenkungskomitee" ("Information Technology Steering Committee" (ITSTC)), das die Einführung des ISO-OSI-Modells und die Festlegung aller notwendigen Bedingungen für einen offenen Markt anstrebt, der den Einsatz von Informationstechnik-Geräten der unterschiedlichsten Hersteller zuläßt. Seit Dezember 1987 ist dem ITSTC die "Europäische Arbeitsgruppe für Offene Systeme" ("European Workshop for Open Systems" (EWOS)) angegliedert, in dem europäische Fachleute direkt an den OSI-Normen für das ISO-Konzept für offene Kommunikationssysteme mitarbeiten154; diese werden anschließend dem CEN/CENELEC-Abstimmungsverfahren unterworfen 155. Nach Ansicht von CENELEC und DKE ist der Abstimmungsprozeß von CEN/CENELEC und ETSI gut eingespielt, so daß "praktisch die drei Organisationen ihren Beitrag zu einem einheitlichen' Europäischen Normenwerk leisten, jede in ihrem speziellen Kapitel desselben Buches"156. cc) Organisation und Aufgabe Bis heute entspricht die Organisation des ETSI der eines nicht gewinnorientierten Vereins auf Grundlage des französischen Gesetzes vom 1. Juli 1901 und des Dekrets vom 16. August 1901; sein Sitz ist Sophia Antipolis in Südfrankreich 157 . Die wichtigsten Organe des ETSI sind die "Generalversammlung der Vollmitglieder" ("General Assembly" (GA)), die "Technische Versammlung" ("Technical Assembly" (TA)), "Technische Komitees" ("Technical Committees" (TC)), "Projektteams" ("Project Teams" (PT)), "Sonderkomitees" ("Special Committees" (SC)) und ein "Sekretariat" ("Secretariat") unter der Leitung des "Direktors" ("Director"), welcher durch einen "stellvertretenden Direktor" ("Deputy Director") unterstützt wird 158 .

154

Vgl. Kap. I.D.l.b). CEN, Memento 1991, S. vii; dass., Notes on CEN, S. 1; dass., Annual Report 1991, S. 7; CENELEC, Elektrotechnische Normen, S. 11; dass., Catalogue 1992, S. 3; DIN, CEN/CENELEC und ETSI, S. 99; ETSI, Annual Report 1991, S. 2; dass., Annual Report 1992, S. 11 ; Rosenbrock, K. H., ETSI, S. 13f. 156 "De facto the three organizations contribute to the »unique ' catalogue of European standards each in their specialized chapter of the same book." CENELEC, Catalogue 1992, S. 8; DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 8 f. 157 ETSI, Statutes, Art. 1 i.V.m. Art. 4. 158 ETSI, Statutes, Art. 10 i.V.m. dass., Rules of Procedure, Art. 2. 155

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

661

Die Generalversammlung der Vertreter der Vollmitglieder - gegebenenfalls gruppiert in nationale Delegationen159 - stellt unbeschadet der Zuständigkeiten der Technischen Versammlung die höchste Autorität des ETSI dar 160 . Als solche legt sie die allgemeine Politik des Instituts fest und entscheidet unter anderem über die Satzung, Geschäftsordnung, Führung und Auflösung des ETSI 1 6 1 . Die Technische Versammlung setzt sich gleichfalls aus den Vertretern der Vollmitglieder zusammen162. Sie ist die höchste Autorität innerhalb des ETSI für die Erstellung und Annahme von "Europäischen Telekommunikationsnormen" ("European Telecommunication Standards" (ETS)) 163 . Zu ihren Aufgaben und Kompetenzen gehören die Entscheidung über Gründung und Auflösung von Technischen Komitees und Projektteams, die Bestimmung ihrer Aufgabengebiete sowie die Genehmigung ihrer technischen Arbeitsprogramme inklusive der Festlegung von Prioritäten, Zeitplänen und der Überprüfung der Arbeitsfortschritte. Ferner obliegt der TA die Aufteilung des von der Generalversammlung zugewiesenen Finanzrahmens auf ein "Arbeitsprogramm mit Kostenangabe" ("Costed Work Programm" (CWP)) und ein "Freiwilliges Arbeitsprogramm" ("Voluntary Work Programm" (VWP)) 1 6 4 . Der Direktor, bzw. während seiner Abwesenheit der stellvertretende Direktor, ist der gesetzliche Vertreter des ETSI. Er hat bei der Führung und Verwaltung der Geschäfte des Instituts die oberste Entscheidungsbefugnis in allen Angelegenheiten mit Ausnahme derer, die aufgrund der Satzung der Generalversammlung oder der Technischen Versammlung vorbehalten sind165. Direktor und stellvertretender Direktor werden von der Generalversammlung ernannt 166 und in ihren Aufgaben vom Sekretariat unterstützt167. Ein von der Generalversammlung ernannter Rechnungsprüfer ist für die Kontrolle der Buchführung des ETSI verantwortlich 168. 159

ETSI, Rules of Procedure, Art. 3 Nr. 3.1. ETSI, Statutes, Art. 11 Nr. 11.1. 161 ETSI, Statutes, Art. 11 Nr. 11.2., Art. 19 und 20 i.V.m. dass., Rules of Procedure Art. 3 Nr. 3.2 i.V.m. 3.4. 162 Der Vorsitzende kann Nicht-Vollmitglieder als Gäste einladen. ETSI, Statutes, Art. 15 Nr. 15.1 i.V.m. dass., Rules of Procedure, Art. 6 Nr. 6.1 und 6.3. 163 ETSI, Rules of Procedure, Art. 6 Nr. 6.2 und 6.4.10. 164 Ers teres wird von den Mitgliedern, letzteres von der EU-Kommission und dem EFTA-Sekretariat im Rahmen von Mandatenfinanziert. ETSI, Statutes, Art. 15 Nr. 15.2 i.V.m. dass., Rules of Procedure, Art. 6 Nr. 6.4.2, 6.4.3 und 6.4.5; dass., Annual Report 1991, S. 12; Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 12. 165 ETSI, Statutes, Art. 14 Nr. 14.2 i.V.m. dass., Rules of Procedure, Art. 4 Nr. 4.1; vgl. auch die Aufgabenbeschreibung in den Nr. 4.2 und 4.3. 166 ETSI, Statutes, Art. 14 Nr. 14.1. 167 ETSI, Rules of Procedure, Art. 5 Nr. 5.1. 168 ETSI, Statutes, Art. 18. 160

662

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Die "Technischen Komitees" ("Technical Committees " (TC)) des ETSI sind Foren für die Erzielung eines Konsenses der europäischen Fachleute bei der Erarbeitung Europäischer Telekommunikationsnormen und für die Entwicklung eines einheitlichen europäischen Standpunktes gegenüber den internationalen Normenorganisationen, insbesondere der "International Telecommunication Union" (ITU). Sie setzen sich aus ehrenamtlichen Experten der Vollmitglieder, der assoziierten Mitglieder und der Berater zusammen. Nach Befürwortung durch den Direktor und nach Rücksprache mit dem Vorsitzenden der Technischen Versammlung dürfen auch Vertreter von Nichtmitgliedern in einem TC mitwirken 169. Die TCs haben die Aufgabe, unter Beachtung der Vorgaben der TA ihre Arbeitsprogramme selbst zu erarbeiten und regelmäßig zu aktualisieren, Meilensteine und Termine festzulegen u.a.m. 170 Im Rahmen der Anweisungen der Technischen Versammlung steht es den TCs frei, ihre Organisation selbst zu regeln 171. Insbesondere liegt es in ihrer Kompetenz, für die Normungsarbeiten Unterkomitees zu bilden172 . Darüber hinaus können von der TA für genau umrissene Aufgaben und zeitlich begrenzt "Projektteams" ("Project Teams" (PT)) und "Sonderkomitees" ("Special Committees" (SC)) eingesetzt werden. In Projektteams erarbeitet eine kleine Anzahl ausgewählter, besonders qualifizierter Experten in Vollzeit technische Normen oder Berichte bezüglich Themata, die besonders komplex oder dringend sind, um so Lösungen in erheblich kürzerer Zeit zu erbringen 173. Diese werden dann der Konsensbildung aller interessierten Kreise im entsprechenden TC unterworfen 174. Wie den TC steht es den PT im Rahmen der Anweisungen der Technischen Versammlung frei, ihre Organisation selbst zu regeln 175. Neben den PT verfügt ETSI über folgende Sonderkomitees: Ein "Strategie Review Committee" (SRC), welches die Technische Versammlung jedes Jahr einsetzt, um für bestimmte Bereiche Schwerpunkte der Normungsarbeit vorzuschlagen; indem sich das SRC aus den interessierten Kreisen rekrutiert, sollen die Normungsprogramme besser den Bedürfnissen des Marktes angepaßt werden. Ein "Program Advisory Committee", welches Projekte und deren Prioritäten innerhalb des ETSI-Arbeitsprogramms bestimmt. Ferner ein "Intellectual Property Rights Committee" (IPRC), ein "ISDN Standards Management and Coordination Committee" (IMCC), ein "Finance Committee" (FC) und schließlich die

169 170 171 172 173 174 175

ETSI, Rules of Procedure, Art. 8 Nr. 8.1 und Nr. 8.8. Ebd., Art. 8 Nr. 8.2; Rosenbrock, K. H., ETSI, S. 8. ETSI, Rules of Procedure, Art. 8 Nr. 8.5 i.V.m. 8.6 und Art. 9 Nr. 9.5. Ebd., Art. 8 Nr. 8.5. Ebd., Art. 9 Nr. 9.1 i.V.m. Art. 10; ETSI, ETSI, S. 6. ETSI, Rules of Procedure, Art. 9 Nr. 9.3. Ebd., Art. 8 Nr. 8.5 und 8.6 i.V.m. Art. 9 Nr. 9.5.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

663

"User Promotion" (UP), welche Empfehlungen für eine stärkere aktive Beteiligung der Anwender entwickelt176. Über die im vorhergehenden Kapitel aufgeführten Gemeinschaftsgremien und Regeln der Zusammenarbeit mit CEN/CENELEC hinaus hat ETSI ein Gemeinsames Technisches Komitee mit der "European Broadcasting Union" (JTC EBU/ETSI) für die gemeinsame Erstellung von Rundfunknormen in bezug auf Radio, Fernsehen, Daten und andere neue Dienstleistungen, einen gemeinsamen Koordinierungsausschuß mit der "European Computer Manufacturing Association" (ECMA) ("Joint ECMA/ETSI Coordination Group" (JEEC)) und eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit mit "Union internationale de chemins de fer" hinsichtlich mobiler Kommunikation geschlossen; ETSI pflegt darüber hinaus enge Beziehungen zur ITU, zu CEPT und zur "European Association of Consumer Electronic Manufacturers" (EACEM) 1 7 7 . Anders als bei CEN/CENELEC steht die Mitgliedschaft in ETSI juristischen Personen in den Kategorien Verwaltungen/Verwaltungsunternehmen/nationale Normenorganisationen, private Dienstanbieter/Forschungseinrichtungen/Unternehmensberatungen, Betreiber öffentlicher Netze, Hersteller, Benutzer u.a.m. 178 individuell und/oder zusammengefaßt in nationalen oder europäischen Organisationen179 als Vollmitglied, assoziiertes Mitglied und Beobachter offen 180 . Dabei sind auch mehrere nationale Normenorganisationen zugelassen181. Vollmitglied bei ETSI kann eine juristische Person, ein Unternehmen, eine Organisation oder eine Vereinigung werden, wenn ihr Sitz in einem Land im geographischen Zuständigkeitsbereich der CEPT liegt. Vollmitglieder dürfen direkt an der Arbeit des ETSI mitwirken, indem sie an den Sitzungen der beiden Versammlungen teilnehmen, Experten in die Komitees entsenden und Experten für die Projektteams vorschlagen182; sie sind allein stimmberechtigt183. Unterneh-

176

ETSI, Annual Report 1992, S. 4; Rosenbrock, K. H., ETSI, S. 10 f., 14. ETSI, JTC EBU/ETSI, S. 1; dass., Annual Report 1992, S. 4; Rosenbrock, K. H., ETSI, S. 10 f., 13 f. 178 ETSI, Statutes, Art. 6 Nr. 6.1 i.V.m. dass., Rules of Procedure, Art. 1 Nr. 1.1. 179 ETSI, Statutes, Art. 6 Nr. 6.2. 180 ETSI, Rules of Procedure, Art. 1. Obwohl die Mitgliedschaft nach der Satzung zunächst auf den geographischen Zuständigkeitsbereich von CEPT beschränkt ist (ETSI, Statutes, Art. 6 Nr. 6.3), hat die Generalversammlung von ETSI in der Ausgestaltung der Geschäftsordnung von ihrem satzungsmäßigen Recht Gebrauch gemacht, Mitgliedschaften mit geringeren Rechten und Pflichten für Bewerber vorzusehen, die nicht alle Voraussetzung für eine volle Mitgliedschaft erfüllen, um so den Verein international zu öffnen. ETSI, Statutes, Art. 6 Nr. 6.4. 181 ETSI, Rules of Procedure, Art. 14 Nr. 14.2. 182 Ebd., Art. 1 Nr. 1.2.1. 177

664

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

men oder Organisationen von Ländern außerhalb des geographischen Zuständigkeitsbereichs der CEPT steht eine assoziierte Mitgliedschaft im ETSI offen. Als solche haben sie im allgemeinen Anspruch auf die Teilnahme an den Sitzungen der beiden Versammlungen und die Entsendung von Experten in TCs jeweils mit Rederecht, aber ohne Stimmrecht184. Juristischen Personen, Unternehmen und Organisationen, welche die Voraussetzungen einer Vollmitgliedschaft erfüllen, können auch den Status eines Beobachters erlangen, der die Teilnahme an den Sitzungen der beiden Versammlungen mit Rederecht, aber ohne Stimmrecht ermöglicht 185. Die Vertreter der EU-Kommission und des EFTA-Sekretariats gelten als "Berater" des ETSI; als solchen steht ihnen die Teilnahme an den Sitzungen der beiden Versammlungen, der TCs sowie - vorbehaltlich der Zustimmung der zuständigen Versammlung - auch der Sonderkomitees jeweils mit Rederecht, aber ohne Stimmrecht offen 186. Ende 1992 hatte ETSI 316 Vollmitglieder, 8 assoziierte Mitglieder und 62 Beobachter187. Ende 1992 bzw. 1993 wurden in 12 TCs und 57 SCs 495 Technische Sitzungen mit über 2.500 ehrenamtlichen Experten im Umfang von über 50.000 Manntagen größtenteils in Sophia Antipolis, aber auch in vielen anderen Teilen Europas auf Einladung der Mitglieder durchgeführt. Zusätzlich leisteten rund 200 Experten in 47 PTs ein Arbeitsvolumen von 310 Mannmonaten im Costed Work Programme und 236 im Voluntary Work Programme in Sophia Antipolis. Betreut werden diese Tätigkeiten von 78 hauptamtlichen Mitarbeitern der Verwaltung des ETSI 1 8 8 . Satzungsmäßige Aufgabe des ETSI ist die Erstellung der technischen Normen, die für die Schaffung eines gemeinsamen europäischen TelekommunikatiNeben den Mitgliedsstaaten der EU und EFTA waren 1992 Vollmitglieder aus Bulgarien, Malta, Polen, Rumänien, der Slowakischen Republik, der Tschechischen Republik, der Türkei und Zypern vertreten. ETSI, Rules of Procedure, Anhang 3; dass., Annual Report 1992, S. 3; Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 7. 183 ETSI, Rules of Procedure, Art. 12 Nr. 12.1.2. 184 Ebd., Art. 1 Nr. 1.2.2. Als assoziierte Mitglieder sind u.a. Australien, Israel, Japan, Kanada, Neuseeland und die USA Teilnehmer der beiden Versammlungen. ETSI, ETSI, S. 5. 185 ETSI, Rules of Procedure, Art. 1 Nr. 1.2.3. 186 ETSI, Statutes, Art. 11 Nr. 11.3 und Art. 15 Nr. 15.3 i.V.m. dass., Rules of Procedure, Art. 1 Nr. 1.2.4. 187 Davon 193 = 61,1 % Hersteller, 42 = 13,3 % Öffentliche Netzwerkbetreiber, 32 = 10,1% Verwaltungen, 25= 7,9% Benutzer, 24= 7,6% private Dienstanbieter/Forschungsinstitute/u.a. ETSI, Annual Report 1992, S. 3. 188 ETSI, Annual Report 1992, S. 4, 6, 12; dass., ETSI, S. 2, 8; Flisi, C., Encounter, S. 15; Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 8. Zum Vergleich: Bei CEPT wurden lediglich 1-3 Tagungen pro Jahr durchgeführt. Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 5.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

665

onsmarktes notwendig sind 189 . Dies umfaßt die Bereiche Fernmeldeendeinrichtungen einschließlich Netzschnittstellen, gemeinsame Gebiete der Telekommunikation und Informationstechnik auf Basis der Entscheidungen des ITSTC sowie gemeinschaftliche Bereiche der Telekommunikation und der Rundfunkund Fernsehausstrahlung in Zusammenarbeit mit anderen betroffenen Organisationen wie der "European Broadcasting Union" 190 . Das ETSI verfolgt die Ziele der Entwicklung einer integrierten paneuropäischen Telekommunikationsinfrastruktur, der Erleichterung der Zusammenarbeit der unterschiedlichen bestehenden Fernmeldenetze und der Schaffung der Kompatibilität von Fernmeldeendeinrichtungen191 . Nach Satzung und Selbstverständnis stellt ETSI ein Forum dar, in dem die höchstqualifizierten Experten der verschiedensten wirtschaftlichen Interessen des Gemeinsamen Europäischen Marktes direkt vertreten sind und in einer neutralen Einrichtung einen umfassenden Diskurs mit dem Ziel eines Konsenses im Rahmen der Erarbeitung technischer Normen führen 192. dd) Normungsverfahren und ETSI-Normenwerk Wie aus den Ausführungen des vorhergehenden Kapitels deutlich wird, gelten auch im ETSI die klassischen Normungsgrundsätze 193'. Freiwilligkeit, Öffentlichkeit, Beteiligung aller interessierten Kreise, Sachbezogenheit, Erarbeitung durch Fachleute, Konsensorientierung, Ausrichtung am allgemeinen Nutzen.

189

ETSI, Statutes, Art. 2. ETSI, Statutes, Art. 3 i.V.m. dass., Rules of Procedure, Art. 14 Nr. 14.1 lit. a)-c). Vgl. auch die vorhergehenden sowie die Ausführungen in Kap. II.B.l.b)bb). 191 ETSI, Annual Report 1991, S. 0; Rosenbrock, K. H., ETSI, S. 6. 192 ETSI, Rules of Procedure, Art. 8 Nr. 8.1; dass., ETSI, S. 2, 8; Rosenbrock, Κ. Η., ETSI, S. 7. 193 Die nach den Worten des Direktors des ETSI explizit denen des DIN entsprechen sollen. Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 4, 8. Vgl. dazu Kap. II.A.l.a)dd)(3) und Kap. I.A.3.d). 190

666

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

So müssen sich die Mitglieder des ETSI bei allen Entscheidungen um Konsens bemühen194, wobei die Rechte von Minoritäten zu schützen sind195. Anders jedoch als in den Komitees von CEN/CENELEC, in denen die interessierten Kreise eines jeden Landes nur mittelbar durch nationale Delegationen vertreten sind, können die interessierten Kreise bei ETSI durch Entsendung ihrer höchstqualifizierten Experten unmittelbar an der Normungsarbeit teilnehmen. Während traditionell allein die öffentlichen Verwaltungen die Normung im Telekommunikationsbereich durchführten, wird heute durch die gründliche und umfassende Konsultation aller interessierten Kreise auf jeder Ebene von Forschung und Entwicklung (F&E) bis zum Endbenutzer sichergestellt, daß die Ergebnisse technisch korrekt sind, breitestmöglich bei allen Akteuren des Marktes akzeptiert werden und deshalb eine zügige Umsetzung durch die nationalen Normenorganisationen stattfindet. "Die ETS-Normen (sie) sind damit das Ergebnis einer Partnerschaft all jener, die vom europäischen Fernmeldebereich betroffen sind." 196 Ein weiteres zentrales Ziel des ETSI ist die zügige Normerstellung - möglichst innerhalb von zwölf Monaten -, damit die ETS nicht die rasant fortschreitende Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechniken behindern. Um seine Produkte rechtzeitig zu liefern, hat das ETSI deshalb effiziente Organisations- und Managementstrukturen, klare Zielvorgaben, eine wirkungsvolle Überwachung und Steuerung der Arbeiten sowie die Voraussetzung für effizientes Entscheiden mittels Delegation an untere Ebenen geschaffen bzw. verwirklicht 197. Arbeitsergebnisse des ETSI sind "Europäische Telekommunikationsnormen" ("European Telecommunication Standards" (ETS)), "Europäische Telekommunikations-Vornormen" ("Interim-European Telecommunication Standards" (I-ETS)) zur vorläufigen Anwendung in Bereichen, die aufgrund des technischen Fortschritts noch raschen Neuerungen unterliegen, und "Europäische Telekommunikationsberichte" ("European Telecommunication Reports" (ETR)). ETS und I-ETS beruhen entweder auf ETS- und I-ETS-Entwürfen eines Technischen Komitees des ETSI oder auf Schriftstücken von Organisationen, mit denen ETSI Kooperationsabkommen abgeschlossen hat, oder auf Schriftstücken

194

ETSI, Rules of Procedure, Art. 12 Nr. 12.1.1. Ebd., Art. 12 Nr. 12.1.3. 196 ETSI, ETSI, S. 2, 4 und 6; DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 8; Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 6; Wengel, J., Europäisches Normungsgeschehen, S. 33. 197 ETSI, Annual Report 1991, S. 16; Rosenbrock, K. H., ETSI, S. 12. Bis 1995 sollte mit Hilfe externer Beratung die Managementphilosophie des "Total Quality Management" (TQM) (vgl. dazu Kap. I.D.2.b)) eingeführt werden. ETSI, Annual Report 1992, S. 2, 4 und 11; dies., Annual Report 1991, S. 16; Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 12. 195

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

667

anderer - vor allem internationaler - Institutionen. Dabei ist die Ablauforganisation für ETS und I-ETS identisch ausgestaltet198. Wie bei CEN/CENELEC schreiben auch bei ETSI Satzung und Geschäftsordnung die internationale Ausrichtung der Normungsarbeit und damit die technische Harmonisierung über die Grenzen Europas hinaus vor. So soll die Tätigkeit des ETSI auf bestehenden oder in Vorbereitung befindlichen internationalen Normen aufbauen und, wo diese nicht existieren, zu der Erstellung von neuen harmonisierten internationalen Normen in den Aufgabenbereichen von ETSI beitragen 199. Damit stellt ETSI, wie bereits CEN/CENELEC, auch ein Vehikel der einheitlichen Übernahme internationaler Normen der ITU, ISO oder IEC als Europäische und damit nationale Normen der EU- und EFTAMitgliedsstaaten ohne nationale Wahlmöglichkeit dar. Dieses Prinzip wird jedoch in der Praxis durch zwei Aussagen eingeschränkt: Erstens müssen die internationalen Normen die bestmögliche Lösung wiedergeben, und zweitens sind sie, sofern sie noch nicht existieren, insbesondere im Rahmen neuer Technologien durch die internationalen Normenorganisationen schnell genug zu erarbeiten. Andernfalls werden wie bei CEN/CENELEC auch durch ETSI zunächst Europäische Normen als Basis nachfolgender internationaler Normen erstellt 200. Anträge für Normungsvorhaben können außer den ETSI-Mitgliedern, der EU-Kommission und dem EFTA-Sekretariat auch Nichtmitglieder stellen. Über die Anträge entscheidet die Technische Versammlung201. Ein ETS-Projekt, d.h. ein von der TA angenommenes Arbeitsvorhaben, wird von ihr in ein dreijähriges rollierendes Arbeitsprogramm aufgenommen; gleichzeitig entscheidet die TA über dessen Anwendungsbereich, Priorität und Fertigstellungsdatum202 und legt den Eintritt der Stillhaltevereinbarung fest, welche bis zu ihrer Aufhebung durch die TA oder dem Zurückziehen des ETS in Kraft bleibt. Innerhalb dieser Zeit dürfen die nationalen Normenorganisationen und ETSI-Mitglieder keine nationalen Normungstätigkeiten unternehmen, welche die Erarbeitung einer ETS vorbelasten könnten. Ferner ist es den nationalen Normenorganisationen untersagt, neue oder revidierte Normen zu veröffentlichen, die nicht vollständig

198

ETSI, Rules of Procedure, Art. 14 Nr. 14.1, 14.5 und 14.5bis; Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 14. 199 ETSI, Statutes, Art. 3 i.V.m. dass., Rules of Procedure, Art. 14 Nr. 14.7. 200 ETSI, Annual Report 1991, S. 2; dass., ETSI, S. 7; Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 6, 13. 201 ETSI, Statutes, Art. 15 Nr. 15.2 i.V.m. dass., Rules of Procedure, Art. 6 Nr. 6.4.2; Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 11 f. 202 Die Normungsprojekte werden mit den Methoden des Projektmanagements gesteuert, wozu eine Qualitäts-/Projektmanagementgruppe eingesetzt wurde. ETSI, Annual Report 1992, S. 1; dass., ETSI, ETSI, S. 6; Rosenbrock, K. H., ETSI, S. 11.

668

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

mit einer bestehenden ETS übereinstimmen203. Stehen keine Schriftstücke internationaler oder assoziierter Organisationen zur Verfügung, fertigt ein TC einen ETS- oder I-ETS-Entwurf an. Da es den TC freigestellt ist, wie sie sich organisieren, kann die Erstellung eines ETS oder I-ETS unterschiedlich verlaufen. Im Regelfall erarbeitet ein Technischer Unterausschuß, eine Expertengruppe oder in Ausnahmefällen ein Projektteam einen Norm-Entwurf, der vom TC verabschiedet und dem Direktor zur weiteren Veranlassung vorgelegt wird. Nach den in der Geschäftsordnung festgelegten Regeln müssen sich die Technischen Komitees bei der Verabschiedung von Norm-Entwürfen wie auch in allen anderen Fragen bemühen, Konsens zu erzielen. Wird kein Konsens erreicht, findet zunächst eine Probe- Einzelabstimmung der Vollmitglieder statt, um herauszufinden, ob eine Mehrheitsmeinung existiert, die gegebenenfalls in einen Konsens - einschließlich der ursprünglich widersprechenden Minderheit überführt werden kann. Ist auch dieser Vorgehensweise kein Erfolg beschieden, legt das TC alle Meinungen der Technischen Versammlung zur nationalen Ab204

Stimmung vor Der weitere Geschäftsgang ab diesem Punkt ist dann einheitlich geregelt: Der Norm-Entwurf wird innerhalb von 4 Wochen redaktionell im ETSI-Sekretariat ΛΛΓ

ΛΛ/

überarbeitet [A] und anschließend für 17 bzw. 21 Wochen der öffentlichen Befragung durch die nationalen Normenorganisationen unterworfen [B]. Das ETSI-Sekretariat sammelt innerhalb von zwei Wochen die eingehenden Stellungnahmen [C] und leitet sie dem zuständigen Gremium (TC, SC, PT, Expertengruppe) zur maximal achtwöchigen Behandlung zu. Im Falle der Überarbeitung des Norm-Entwurfs ist zu dokumentieren, ob dieser einstimmig angenommen wurde 207. Nach einer erneuten zweiwöchigen redaktionellen Prüfung durch das ETSI-Sekretariat [E] befinden die nationalen Normenorganisationen über

203

ETSI, Rules of Procedure, Art. 6 Nr. 6.4.7 i.V.m. Art. 14 Nr. 14.3.1. und Nr. 14.3.2. Ausnahmen sind ebd. in Art. 14.3.2 geregelt. 204 Ebd., Art. 6 Nr. 6.4.8 i.V.m. Art. 8 Nr. 8.4 und Art. 12 Nr. 12.5; vgl. femer Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 8, 12. Auch die staatlichen Femmeldeverwaltungen innerhalb der CEPT arbeiteten auf der Grundlage der konsensualen Einigung. Konnten diese jedoch keine einheitliche Meinung erzielen, zogen sie entweder die Diskussionen in die Länge oder einigten sich lediglich auf Empfehlungen mit Wahlmöglichkeiten. Somit konnten Minderheiten die Normungsarbeiten innerhalb der CEPT spürbar verzögern oder Ergebnisse ganz verhindern. Diesem Dilemma wird durch das indikative Abstimmen im TC und ggf. der nationalen Abstimmung in der Technischen Versammlung begegnet, wobei dieser in drei Jahren lediglich drei Fälle vorgelegt werden mußten. Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 12. 205 ETSI, Rules of Procedure, Art. 8 Nr. 8.3; Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 12 f. 206 Diese Frist gilt in der Sommerferienzeit. 207 ETSI, Rules of Procedure, Art. 14 Nr. 14.4; Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 13.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

669

den Entwurf und führen eine nationale Stellungnahme herbei [F] 2 0 8 . Das Ergebnis der Abstimmung wird innerhalb von 2 Wochen vom Sekretariat ermittelt und den nationalen Normenorganisationen mitgeteilt [G]. Die formale Annahme einer ETS oder I-ETS erfolgt wie bei CEN/CENELEC durch Abstimmung mit nationaler Wichtung209. Ein Norm-Entwurf gilt als angenommen, wenn er mehr als 70 % der gewichteten Stimmen erhält 210. Andernfalls werden nur die nationalen Stimmen der EU-Mitgliedsstaaten entsprechend Artikel 148 EGV ausgewertet. Stimmen dem Entwurf über 70 % der EU-Mitgliedsstaaten zu, so gilt die Norm als Europäische Telekommunikationsnorm in der Europäischen Union sowie in den übrigen Ländern, die mit "Ja" gestimmt haben211. In diesem Fall wird die Norm in Englisch verfügbar gemacht212, und die verantwortlichen Organisationen dieser Länder geben der Norm entweder durch Veröffentlichung eines identischen Textes oder durch Anerkennung den Status einer nationalen Norm und veranlassen das Zurückziehen aller im Widerspruch zu der angenommenen ETS stehenden nationalen Normen zu dem von der Technischen Versammlung festgesetzten Datum 213 . Im Falle der Ablehnung hat das ETSISekretariat innerhalb von 3 Wochen die Ursachen hierfür zu ermitteln und der Technischen Versammlung Empfehlungen für das weitere Vorgehen zu unterbreiten [H]. Nach Angaben des ETSI wird der so projektierte Zeitraum von 46 Wochen meist eingehalten214.

208

Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 13. ETSI, Rules of Procedure, Art. 14 Nr. 14.5. ETSI praktiziert in den beiden Versammlungen zwei Abstimmungsverfahren: Die Abstimmung mit nationaler Gewichtung- analog zu Art. 148 EGV und dem CEN/CENELEC-Abstimmungsverfahren - wird u.a. bei allen Angelegenheiten in Zusammenhang mit Ausarbeitung, Annahme und Anwendung der Normen sowie bei Streitigkeiten an Zwischen punkten der Ausarbeitung von Norm-Entwürfen angewandt (ETSI, Rules of Procedure, Art. 12 Nr. 12.2.1). Die Stimm Verteilung entspricht der innerhalb von CEN/CENELEC; zusätzlich haben Polen 5, die Türkei 5, die Tschechische und die Slowakische Republik 5, Rumänien 3, Zypern 2 und Malta 2 Stimmen erhalten (ETSI, Rules of Procedure, Anhang 3). In anderen Fällen erfolgt eine nach Beitragsklasse gewichtete Einzelabstimmung der Vollmitglieder (ETSI, Rules of Procedure, Art. 12 Nr. 12.2.2 i.V.m. Anhang 4). Vorbehaltlich anderer Regelungen der Geschäftsordnung gelten Abstimmungen mit mehr als 70 % Ja-Stimmen als angenommen. ETSI, Rules of Procedure, Art. 12 Nr. 12.3. 210 ETSI, Rules of Procedure, Art. 12 Nr. 12.3. Entsprechend wird auch beim Zurückziehen einer ETS verfahren. Ebd., Art. 14 Nr. 14.5ter. 211 Ebd., Art. 14 Nr. 14.5 i.V.m. 14.5bis. 212 Ebd., Art. 17 Nr. 17.2; vgl. auch ebd., Nr. 17.3 und 17.4. 213 Ebd., Art. 14 Nr. 14.6; vgl. auch VDE, VDE 0022: 1994-09 S. 1 f. Abschn. 1 Nr. 1.1. 214 Rosenbrock, K. H., ETSI, S. 13. 209

670

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Im Falle von Uneinigkeiten bei der Erarbeitung einer Norm erfolgt zunächst ein Schlichtungsversuch unter den Mitgliedern; ist die Schlichtung nicht erfolgreich, werden Streitfälle nach französischem Recht behandelt215. Ferner stellt die Technische Versammlung oder eine durch sie etablierte Struktur einen leicht verfügbaren Einspruchsmechanismus bereit, der sich mit Beschwerden von Nichtmitgliedern über den Inhalt von ETS beschäftigt 216. Auf Anfrage gesetzgebender Organe entwickelt ETSI innerhalb seiner Tätigkeitsfelder die "Technische Basis für Vorschriften" (" Technical Basis for Regulation" (TBR)). Zusätzlich zur normalen Erarbeitungsprozedur von ETS und I-ETS erfolgt bei entsprechenden Entwürfen eine weltweite öffentliche Befragung entsprechend den Festlegungen der GATT-Vereinbarungen und wie mit dem entsprechenden Gesetzgebungsorgan unter der Verantwortung des ETSIDirektors vereinbart. Eingehende Stellungnahmen zu technischen Punkten werden an ETSI, zu regulativen Punkten an das "Technical Recommendation Application Committee" (TRAC) zur weiteren Behandlung verwiesen217. Von 1989 bis 1992 verzeichnete ETSI einen exponentiellen Anstieg der veröffentlichten Normen. Im Jahr 1992 wurden 209 Norm-Entwürfe, 184 I-ETS, ETS, ETR und 40 Überarbeitungen veröffentlicht. Ende 1995 umfaßte das Normen werk des ETSI rund 700 ETS und I-ETS mit über 31.000 Seiten, wovon knapp 250 mit nahezu 12.000 Seiten allein aus dem genannten Jahr stammten; daß der Normungsbedarf auch mit dieser Anzahl an Normen noch nicht annähernd befriedigt ist, dokumentieren die zu diesem Zeitpunkt über 1.600 im Arbeitsprogramm von ETSI enthaltenen Normungsvorhaben 218. Dabei betrug im Jahre 1992 das Finanzvolumen der Mandate der EU-Kommission und des EFTA-Sekretariats an das ETSI 4 Mio. ECU 2 1 9 . ee) Finanzierung der Normungsarbeit Seiner Satzung folgend kann ETSI durch Mitgliedsbeiträge, Subventionen, Einkünfte aus seinen Vermögenswerten, Zahlungen für Dienstleistungen des Instituts sowie alle anderen gesetzes- und vorschriftenkonformen Instrumente finanziert werden 220. Dabei bestimmen sich die Mitgliedsbeiträge der Vollmitglieder und assoziierten Mitglieder proportional zur Anzahl der Beitragseinhei215 216 217 218 219 220

ETSI, Rules of Procedure, Art. 18. Ebd., Art. 6 Nr. 6.4.1 Obis. Ebd., Art. 14 Nr. 14.4 i.V.m. Art. 15 Nr. 15.1. ETSI, Annual Report 1992, S. 4, 12 und 14. Rosenbrock, K. H., ETSI, S. 12, 15. ETSI, Statutes, Art. 9.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

671

ten in der Beitragsklasse, die für ihre Mitgliedschaftskategorie gelten221. Bei Verwaltungen richtet sich die Beitragsklasse nach dem Bruttosozialprodukt des Mitgliedslandes222, bei anderen Mitgliedern nach der Höhe des Telekommunikationsumsatzes oder entsprechenden Werten 223 . Die Ausgaben und Rücklagen des ETSI in Höhe von 17.771 kECU im Jahre 1992 wurden zu 65,7 % gedeckt durch Mitglieds-/Beobachterbeiträge in Höhe von 11.677 kECU, zu 2,8% durch Zinsen in Höhe von 499 kECU, zu 0,2 % durch Zuwendungen für das Spezielle Sprachenkonto in Höhe von 30 kECU, zu 3,9 % durch den Erlös aus dem Verkauf von 32.000 Dokumenten in Höhe von 694 kECU und zu 27,4 % durch das Einkommen aus den Zahlungsverträgen des besonderen freiwilligen Budgets (EU/EFTA) in Höhe von 4.871 kECU 2 2 4 . c) Resümee des Abschnitts II.B.l. Die in Kapitel I.D. 1 beschriebene stetig ansteigende Bedeutung der supraund internationalen Normung als Voraussetzung für den internationalen industriellen Produktionsprozeß und Warenaustausch in einem sich zunehmend globalisierenden Leistungserstellungsprozeß bei fortschreitender supra- und internationaler Arbeitsteilung manifestiert sich in nicht weniger als 338 supra- und internationalen Organisationen, welche Normungs- und normungsverwandte Aktivitäten durchführen. Dabei belegen analog zur nationalen Ebene225 nicht nur die große Zahl dieser technischen Regelsetzer selbst - mit häufig einer hohen Anzahl an Mitgliedern bzw. einer flächendeckenden Repräsentation normschaffender Institutionen der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten, mit teilweise umfangreichen Normenwerken und zahlreichen Normungsvorhaben -, sondern vor allem auch die große Zahl der in den Normungsgremien tätigen ehrenamtlichen Mitarbeiter und die zur Finanzierung der technischen Normung freiwillig aufgewendeten beträchtlichen Geldmittel die kaum zu überschätzende Bedeutung der technischen Normung als technisch-ökonomisches Regelungssystem auch auf supra- und internationaler Ebene226.

221

ETSI, Rules of Procedure, Anhang 2, § 1. Ebd., Anhang 2, § 2. 223 Ebd., Anhang 2, § 5; vgl. auch Art. 1 Nr. 1.3.2. 224 ETSI, Annual Report 1992, S. 15, 18 f. 225 Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.a)gg), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.a)ee) und in bezug auf das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.a)ff). 226 Ungeachtet dessen muß in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen werden, daß auf Ebene der Europäischen Union eine umfassende Harmonisierung der nationalen technischen Normen der EU-Mitgliedsstaaten und damit einhergehend ein nennenswerter Aufbau der europäischen Normenwerke erst in Folge des systematischen Verweises auf 222

672

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Die auf europäischer Ebene mit weitem Abstand bedeutendsten Normenorganisationen sind das "Comité Européen de Normalisation" (CEN), das "Comité Européen de Normalisation Electrotechnique" (CENELEC) und das "European Telecommunications Standards Institute" (ETSI), welche die Aufteilung der Facharbeit der auf der internationalen Ebene maßgeblichen Normenorganisationen "International Organization for Standardization" (ISO), "International Electrotechnical Commission" (IEC) und "International Telecommunication Union" (ITU) widerspiegeln. Zielsetzung dieser wie auch der übrigen normschaffenden Institutionen auf Ebene der EU ist die Harmonisierung der nationalen Normen der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten durch die Erarbeitung gemeinsamer Europäischer Normen sowie die einheitliche Übernahme internationaler Normen mit dem Ziel der Beseitigung technischer Handelshemmnisse 221, um den Austausch von Waren und Dienstleistungen zu erleichtern und einen europäischen Binnenmarkt zu schaffen. Über diese Funktion als Organe der Selbstverwaltung von Wirtschaft und Technik hinaus ist es den europäischen Normenorganisationen gelungen, wie ihre Pendants auf nationaler Ebene die in Kapitel I.C ausgeführten öffentlichen Aufgaben des Gemeinwohls zu übernehmen228 und offensichtlich zur weitgehenden Zufriedenheit aller auszuführen, ohne ihre ursprünglichen und originären Zielsetzungen zu vernachlässigen, ohne ihre institutionelle Unabhängigkeit durch Integration in den europäischen Staatsapparat zu verlieren und auch ohne finanziell von diesem abhängig zu werden. Für die am Ende des Teils I gestellte Frage nach den Gründen für die Befähigung der Normenorganisationen zur Wahrnehmung der genannten öffentlichen Aufgaben gilt für die europäischen Normenorganisationen das zu den nationalen Normenorganisationen Ausgeführte: Diese resultiert auch auf europäischer Ebene aus der Bewältigung der öffentlichen Aufgaben im Rahmen der traditionell für die Schaffung von Ordnung und die Strukturierung des Wissens und der Erkenntnisse im Bereich von Wissenschaft und Technik sowie der

Europäische Normen in europäischen Richtlinien im Rahmen der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" (Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01); vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)) bzw. durch die Niederspannungsrichtlinie (RL 73/23/EWG; vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(b)) auf dem elektrotechnischem Sektor erfolgte. Vgl. dazu Kap. II.B.4. 227 Vgl. dazu die Ausführungen in den Unterabschn. des Kap. II.B.3.b). 228 Die rechtssetzenden Organe der Europäischen Union haben den europäischen Normenorganisationen im Rahmen der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" (Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01); vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)) sogar in noch stärkerem Maße genuin staatliche, da gemeinwohlrelevante Aufgaben übertragen als dies auf nationaler Ebene der Fall ist. Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1184.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

673

Schließung wirtschaftlich-technischer Vereinbarungen der Marktteilnehmer herausgebildeten und bewährten dargestellten typischen Strukturen der Aufbauund Ablauforganisation dieser Organisationen. Wie auf nationaler Ebene, ermöglicht auch auf europäischer Ebene zum einen die Aufbauorganisation in Form einer Vielzahl fachspezifischer Normungsgremien die simultane Bearbeitung einer in weiten Grenzen beliebig großen Menge von Normungsaufgaben, wobei durch die fachkompetente Besetzung der einzelnen Gremien i.V.m. der bei CEN/CENELEC allerdings nur mittelbar auf nationaler Ebene stattfindenden Einbeziehung weiteren externen Sachverstands durch Veröffentlichung des Norm-Entwurfs eine ebenso effiziente wie kompetente Aufgabenbewältigung sichergestellt wird. Allein mittels dieser Organisationsform ist die notwendige Erschließung des exponentiell zunehmenden Wissens in Wissenschaft und Technik zur bestmöglichen Erfüllung auch der im ersten Teil dieser Untersuchung herausgearbeiteten gemeinnützigen Regelungsaufgaben auf dem komplexen, interdisziplinären und hochdynamischen Gebiet der Technik realisierbar, da hier eine sequentielle Bearbeitung durch ein Gremium oder auch einige wenige Gremien erstens an der Unmöglichkeit der dazu unabdingbar notwendigen, entsprechend breiten und tiefen Qualifikation der Bearbeiter, zweitens an der Anzahl und dem mengenmäßigen Umfang der zu bearbeitenden Regelungsaufgaben, sowie drittens an der notwendigen ständigen Anpassung an den fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand, die progressive technische Entwicklung und die sich ändernden gesellschaftlichen Wertvorstellungen zwingend scheitern muß. Mit dem Erfordernis der Spezialisierung der Aufgabenbewältigung geht allerdings ebenso notwendigerweise ein zunehmender Aufwand für die Koordinierung sowohl zwischen den selbständigen normschaffenden Institutionen als auch zwischen den innerhalb des gegebenen Ordnungsrahmens der normschaffenden Institutionen relativ autonomen Technischen Komitees selbst einher, um zu konsistenten, integeren und redundanzfreien Regelsystemen "aus einem Guß" zu gelangen. Dieses wird innerhalb einer europäischen Normenorganisation durch ein gegebenenfalls gestuftes System von Lenkungsgremien und zwischen den verschiedenen europäischen normschaffenden Institutionen durch mehr oder minder enge Kooperationsvereinbarungen gewährleistet; deren Bandbreite reicht vom einfachen "Status der Zusammenarbeit" ("liason status") über den Status einer "Assoziierten Körperschaft" ("Associated Body" (ASB)) - deren Normungsergebnisse nur noch dem formellen Anerkennungsverfahren von CEN/CENELEC unterzogen werden - und die Einsetzung gemeinsamer Gremien und Angleichung der Arbeitsregeln von CEN/CENELEC und ETSI bis hin zum formalen Zusammenschluß von CEN und CENELEC zur "Gemeinsamen Europäischen Normungsinstitution" mit einer "gemeinsamen" Geschäftsordnung, einigen gemeinsamen Gremien und gemeinsamen Verfahrensregeln.

43 Zubke-von Thünen

674

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Zum anderen ist das Normungsverfahren als - bei CEN/CENELEC allerdings wiederum nur mittelbar auf nationaler Ebene durchgeführter - konsensualer Diskurs sachkundiger Vertreter aller interessierten bzw. betroffenen Kreise unter Beteiligung der Öffentlichkeit auch auf europäischer Ebene offensichtlich gleichermaßen für den Ausgleich der wesentlichen Gruppen- und Individualinteressen hinsichtlich technisch-wirtschaftlicher wie allgemeinwohlrelevanter Regelungsaufgaben mit dem Ziel der Verwirklichung des guten Zusammenlebens aller mit allen und zur Erzielung des größtmöglichen gemeinsamen Nutzens bzw. Wohlfahrtsoptimums geeignet. Zentrale Bedeutung kommt dabei der Verhinderung der Durchsetzung von (gruppen-) individuellen Interessen auf Kosten der Allgemeinheit durch die dargelegten typischen Verfahrensrichtlinien der Normerstellung zu, die insbesondere die ausnahmslose Beteiligung sämtlicher an einem Normungsgegenstand interessierten Kreise, eine möglichst konsensuale Beschlußfassung über die gemeinsam erarbeitete Lösung sowie ein öffentliches Einspruchsverfahren vorschreiben. Dabei ist die institutionell abgesicherte, tatsächliche Verwirklichung dieser zentralen Verfahrenseckpunkte unabdingbar, da ansonsten die gesamtgesellschaftlich bestmögliche Lösung der Regelungsaufgabe auch und insbesondere hinsichtlich der zu erfüllenden Aufgaben des allgemeinen Wohls systembedingt und damit systematisch verfehlt wird. Tatsächlich werden diese zentralen Verfahrenseckpunkte bei den beiden betrachteten europäischen Normenorganisationen in unterschiedlichem Maße verwirklicht. Auf der einen Seite sind sie im ETSI analog zu den nationalen Normenorganisationen in weitgehend einwandfreier Art und Weise umgesetzt, was unter anderem aus dessen Orientierung an den Normungsgrundsätzen und dem Normungsverfahren des DIN resultiert 229. Insbesondere steht nicht nur den nationalen Normenorganisationen, sondern auch juristischen Personen, Unternehmen, Organisationen oder Vereinigungen aller interessierten Kreise die Mitgliedschaft bei ETSI offen, die so in der Generalversammlung und der Technischen Versammlung der Mitglieder auf die Geschicke des Vereins via Satzung, Geschäftsordnung, Führung, Gründung und Auflösung von Technischen Komitees und Projektteams, Genehmigung von deren technischen Arbeitsprogrammen u.a.m. unmittelbar und umfassend Einfluß nehmen können. Des weiteren dürfen außer ETSI-Mitgliedern, der EU-Kommission und dem EFTASekretariat auch Nichtmitglieder Anträge für Normungsvorhaben stellen. Ferner erlauben es die direkten Repräsentationsstrukturen des ETSI den interessierten Kreisen, ihre qualifiziertesten Fachleute unmittelbar in die Arbeitsgremien von ETSI zu entsenden, um innerhalb der Rahmendaten der TA bei der Gestaltung

229 Vgl. die entsprechende Aussage des ETSI-Direktors in Fn. 193 in Kap. II. B.l.b)dd).

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

675

der Arbeitsprogramme mitzuwirken und am konsensualen Diskurs im Rahmen der Erarbeitung Europäischer Telekommunikationsnormen sowie der Entwicklung eines einheitlichen europäischen Standpunktes für die Arbeit in den internationalen Normenorganisationen teilzunehmen: Denn nach Satzung und Selbstverständnis stellt die ETSI ein Forum dar, in dem die höchstqualifizierten Experten der verschiedensten interessierten Kreise direkt vertreten sind und in einer neutralen Einrichtung einen umfassenden Diskurs mit dem Ziel eines Konsenses im Rahmen der Erarbeitung technischer Normen führen 230. Nach Aussage des Direktors des ETSI ist "Diese ,Alle-sitzen-an-einem-Tisch-Arbeitsweise' ... vom europäischen Fernmeldebereich sehr zustimmend aufgenommen worden." 231 Insbesondere läßt sich nach seinen Worten auf diese Weise ein national ausgerichtetes "Grüppchenbilden", welches eine Konsensfindung unnötig behindern würde, weitgehend ausschließen232. Schließlich wird im ETSI auch das öffentliche Einspruchsverfahren ebenso wie das Schlichtungs- und Schiedsverfahren direkt auf europäischer Ebene durchgeführt. Auf der anderen Seite bieten die Verfahrensregeln von CEN/CENELEC aufgrund eines deutlichen Verlustes an Normungskultur gegenüber den nationalen Normenorganisationen der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten und dem ETSI in mehrfacher Hinsicht Anlaß zur Kritik. So steht die Mitgliedschaft in CEN nur dem nationalen Normungsinstitut, die in CENELEC dem nationalen elektrotechnischen Komitee oder der mit den elektrotechnischen Normungsarbeiten betrauten nationalen Organisation mit Rechtspersönlichkeit als juristische Person sowie dem Leiter eines solchen Komitees bzw. einer solchen Organisation ohne Rechtspersönlichkeit als natürliche Person offen, wobei in beiden Vereinen jeweils nur ein Mitglied eines tatsächlichen oder potentiellen Mitgliedsstaates der EU oder EFTA als nationales Mitglied aufgenommen wird. Dementsprechend können die Organisationen der interessierten Kreise nur mittelbar über ihre Mitgliedschaft in den nationalen Normenorganisationen auf die Geschicke von CEN/CENELEC - sowohl, was die grundlegenden Kompetenzen der je-

230 « E T S I i s t i n e r s t e r L i n i e s e i n e Mitglieder." ETSI, Annual Report 1992, S. 1. Vgl. auch Kap. II.B.l.b)cc). 231 Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 7. In diesem Sinne fühlt sich ETSI als Vorreiter der direkten Beteiligung aller interessierten Kreise auf europäischer Ebene und als Präzedenzfall der entsprechenden Vorschläge des Grünbuchs der Kommission zur Entwicklung der europäischen Normung (KOM (90) 456 endg. "Grünbuch europäische Normung"; vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb) (2)(e)(cc)), wobei laufend weitere Anstrengungen zur Verbesserung des "fortschrittlichsten und offensten Programm der Benutzerbeteiligung aller europäischen Normungsinstitutionen" unternommen werden. ETSI, Annual Report 1991, S. 1; dass., ETSI, S. 4. 232 Stattdessen sollen die Aufgaben möglichst mit guten sachlichen Argumenten gelöst werden. Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 12.

4*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

weiligen Generalversammlung, als auch, was die (strategische) Planung und Steuerung der Normungsarbeiten anbelangt - Einfluß nehmen. Des weiteren ist auch die Willensbildung der europäischen Bürger im Rahmen des Normungsverfahrens von CEN/CENELEC als ein zweifaches Repräsentationssystem - der normungstypischen Gruppenrepräsentation i.V.m. der Möglichkeit der Partizipation von Einzelpersonen im öffentlichen Einspruchsverfahren auf nationaler und einer nachgeschalteten Repräsentation der Nationalstaaten auf europäischer Ebene - ausgestaltet. Ferner können Normungsanträge bei CEN/CENELEC nur von deren Mitgliedern - d.h. den nationalen Normenorganisationen - sowie von europäischen und internationalen Organisationen, nicht aber von Nichtmitgliedern oder einzelnen Bürgern gestellt werden. Schließlich findet das öffentliche Einspruchs- inklusive Schlichtungs- und Schiedsverfahren ebenfalls auf nationaler Ebene statt, während es auf europäischer Ebene im CEN/CENELEC nur ein sogenanntes "Berufungsverfahren" durch die CEN/CENELEC-Mitglieder gibt 233 . Erschwerend kommt hier hinzu, daß daraus resultierende Einsprüche eines CEN/CENELEC-Mitgliedes gegen Arbeitsentwürfe, prEN und prHD nur behandelt werden, wenn der Inhalt eines Entwurfes - z.B. aufgrund eines unzureichenden Sicherheits- oder Qualitätsniveaus - dem Ansehen von CEN/CENELEC Schaden zufügen könnte234. 233

Nicht zutreffend ist daher die Aussage des DIN, daß das Berufungsverfahren von CEN/CENELEC vergleichbar mit dem Schlichtungs- und Schiedsverfahren des DIN sei. DIN, Europäische Normung 04.96, S. 20 f. Vielmehr fordern sowohl der Vorstand der Stiftung Warentest (Hüttenrauch, R., Mitwirkung der Verbraucher, S. 36) als auch die Gewerkschaften (Zwingmann, B., Mitwirkung der Gewerkschaften, S. 40) ein Schlichtungs- und Schiedsverfahren analog zu dem des DIN auf europäischer Ebene, da dieses ebenso vorbildlich (Zwingmann, B., Mitwirkung der Gewerkschaften, S. 40) wie wirkungsvoll und bewährt (Hüttenrauch, R., Mitwirkung der Verbraucher, S. 36) sei. Vgl. dazu Kap. II.A.l.a)dd)(3). 234 Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 365 kritisieren darüber hinaus noch die Finanzierung der Technischen Sekretariate der TCs von CEN/CENELEC, welche teilweise durch ein einzelnes Industrieunternehmen erfolge, das auf diese Weise Einfluß auf die Geschäftsführung des Technischen Komitees und damit mittelbar auch auf die Normungsarbeit erlange. Daß diese Befürchtung trotz der ausdrücklichen Bestimmungen der Geschäftsordnung, nach der Vorsitzende und Sekretäre von TC und SC strikte Unparteilichkeit zu wahren und auf nationale Standpunkte zu verzichten haben und über kein Stimmrecht verfügen (CEN/ CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 2 Nr. 2.3.3 i.V.m. Nr. 2.3.4, 2.4.3 und 2.4.4), bis zu einem gewissen Grade berechtigt ist, belegt die folgende Aussage des DIN: "Die Zeiten sind vorbei, an denen jedermann froh war, wenn sich einer bereit fand, ein Sekretariat zu übernehmen. Die Zeiten sind vorbei, in denen DIN einen so überproportional großen Anteil für sich in Anspruch nehmen konnte." (1990 betreute das DIN noch 35% aller Technischen Sekretariate des CEN). Reihlen, H., 42. Präsidiumssitzung, S. 2. Zur Lösung dieses Problems schlagen Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 365, die Führung der Sekretariate durch hauptamtliche Mitarbeiter der europäischen Normenorganisationen vor. Bei der dazu notwendigen Finanzaus-

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Dementsprechend erfolgt in CEN/CENELEC die Erarbeitung Europäischer Normen als konsensualer Diskurs der höchstqualifizierten Vertreter aller interessierten Kreise unter Beteiligung der Öffentlichkeit ebenfalls nur mittelbar, indem dieser achtzehn Mal simultan auf nationaler Ebene in den jeweiligen Spiegelausschüssen der nationalen Normenorganisationen der EU- und EFTAMitgliedsstaaten durchgeführt und ein gemeinsamer europäischer Konsens anschließend zwischen achtzehn nationalen Delegationen ausgehandelt wird, die aus maximal drei Delegierten jedes CEN/CENELEC-Mitgliedes bestehen. Zwar hat dieses de jure beim Zusammenstellen und Vorbereiten seiner Delegation dafür Sorge zu tragen, "daß die Delegation einen einheitlichen nationalen Standpunkt vertritt, der die Meinung aller von der Arbeit betroffenen Fachkreise berücksichtigt". De facto erscheint die praktische Umsetzung dieser Forderung jedoch mehr als fragwürdig, da den nationalen Delegierten, die in aller Regel einem der interessierten Kreise und besonders der finanzstarken Industrie 235 an-

stattung von CEN/CENELEC ist zu berücksichtigen, daß der Kostenblock für die Sekretariate der TCs nach dem der ehrenamtlichen Mitarbeiter der interessierten Kreise die zweitgrößte Soll-Position im Haushalt von CEN/CENELEC darstellt. Vgl. Kap. II.B.l.a)dd). Weniger Anlaß zur Sorge sollte die bei Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 365 f. geäußerte Kritik bieten, daß trotz der Forderung des Grünbuchs der Kommission zur Entwicklung der europäischen Normung (KOM (90) 456 endg. "Grünbuch europäische Normung"; vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb) (2)(e)(cc)) nach direkter Teilnahme der europäischen Verbände der interessierten Kreise an der technischen Normungsarbeit auf europäischer Ebene (Ebd., S. 23 ff.) weder im Grünbuch selbst, noch in der 1992 veröffentlichten Mitteilung der Kommission bezüglich der Folgemaßnahmen zum Grünbuch (KOM (91) 521 endg.), noch in der Entschließung des Rates vom 18. Juni 1992 zur Funktion der europäischen Normung in der europäischen Wirtschaft (Entschließung des Rates 92/C 173/01 "Funktion der europäischen Normung"); vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(e)(dd)) diesbezüglich konkrete Vorgaben enthalten sind. Denn als Präzedenzfall und Vorbild können die in der Praxis überaus erfolgreichen Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation des ETSI gelten. Zuvor ist allerdings das Problem zu lösen, daß die Organisationsstrukturen der interessierten Kreise auf europäischer Ebene vielfach noch unzulänglich sind, um die für eine den technischen Normen von ETSI und den nationalen Normenorganisationen vergleichbare demokratische Legitimation notwendige direkte Beteiligung der interessierten Kreise in CEN/CENELEC zu ermöglichen. Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 365. 235 Da in den Delegationen der nationalen Normungsgremien der Mitgliedsstaaten, die in CEN/CENELEC die Europäischen Normen erarbeiten, ein Großteil der Vertreter aus der Industrie stammt und andere interessierte Kreise wie etwa die Verbraucher nur am Rande beteiligt sind, hat die Kommission verschiedene Vorstöße zur Stärkung der Mitwirkung dieser interessierten Kreise an den Normungsarbeiten unternommen. Zeitlich vor dem in dieser Hinsicht umfassendsten Positionspapier der Kommission - dem Grünbuch zur Entwicklung der europäischen Normung (KOM (90) 456 endg. "Grünbuch europäische Normung"; vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(e)(cc)) wurde bereits im Juni 1987 eine Konferenz zur Erörterung des europäischen Normungsverfahrens hin-

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

gehören, eine gehörige Portion Idealismus abverlangt wird, die gemeinsame nationale anstelle ihrer ursprünglichen, im Regelfall für sie günstigeren Lösung zu vertreten 236. Zudem ist schwer vorstellbar, wie abweichende Argumente einzelner Gruppen, mögen sie noch so gewichtig sein, auf dieser zweiten Repräsentationsebene Gehör finden können237. Der hieraus resultierende Verlust an "Kundenorientierung", d.h. der Berücksichtigung der Bedürfnisse aller interessierten Kreise und der interessierten Individualpersonen, zugunsten der Orientierung vornehmlich an den Bedürfnissen der in den Delegationen vertretenen interessierten Kreise hat zwangsläufig einen Verlust an Normungsqualität zur Folge, der um so stärker ist, je weniger interessenpluralistisch die Delegationen besetzt werden bzw. je kleiner diese sind 238 . Als Fazit reduziert diese zusätzliche Repräsentationsstufe die Wahrscheinlichkeit, daß sich durch die stellvertretende Beteiligung aller interessierten Fachkreise und einzelner interessierter Bürger an einem Normungsprojekt die unterschiedlichen Interessen gegenseitig ausbalancieren und am Ende zu einer Regelung führen, die als gesamteuropäisches Wohlfahrtsoptimum bzw. Nutzenmaximum allen Belangen gleichermaßen genügt239. Jedoch sollte bei aller Kritik nicht außer acht gelassen werden, daß der Willensbildungsprozeß des europäischen Volkes im nach wie vor bedeutendsten gesetzgebenden Organ der EU - dem Rat - ebenfalls zweistufig erfolgt, sofern man wohlwollend die nationalen Staats- und Regierungschefs des Rates als Delegierte ihrer nationalen gesetzgebenden Körperschaften betrachtet. sichtlich der Beteiligung der Verbraucher an der Normung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene abgehalten, zu der Vertreter von Kommission, CEN/ CENELEC, den nationalen und internationalen Verbraucherorganisationen und der Industrie geladen waren. KOM (87) 617 endg. "Mitteilung Beteiligung Verbraucher", S. 2, passim. 236 Vgl. auch Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 364, nach denen bei CEN/CENELEC hinsichtlich der "demokratischen Legitimation" der Europäischen Normen ein "deutliches Defizit" besteht. 237 Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 364. 238 So sind von den Normenanwendern immer häufiger Klagen zu hören, die Europäischen Normen seien - ähnlich wie die internationalen Normen, bei denen ein analoges Repräsentationssystem etabliert ist - zu umfangreich, enthielten zu viele Verweisungen, seien zu wenig verständlich und damit nicht ausreichend anwenderfreundlich. Als Grund hierfür wird in einem Positionspapier u.a. eine mangelhafte Beteiligung der Anwender zugunsten einer Überrepräsentation der Hersteller und eine daraus resultierende Verfehlung der Markterfordernisse durch Europäische Normen angeführt. Berghaus, H., Erwartungen, S. 90. 239 Noch weitergehender hier Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 365, nach denen eine entsprechende Erwartung bei CEN/ CENELEC keine Geltung beanspruchen könne und jedenfalls institutionell nicht begründet sei.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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Ungeachtet dieser Verfahrensmängel werden die Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation der europäischen Normenorganisationen ebenso wie die der nationalen Normenorganisationen laufend den sich ändernden Erfordernissen der Lebenswirklichkeit - seien es wirtschaftliche Entwicklungen wie die Internationalisierung der Leistungserstellung, des Handels und der Dienstleistungen, technische Entwicklungen wie die sich ständig verkürzenden Entwicklungs- und Lebenszyklen technischer Systeme, gesellschaftliche Entwicklungen wie die Forderung nach umfassender Berücksichtigung des Umweltschutzes in allen Phasen eines Produktlebenszyklusses oder politische Entwicklungen wie die systematische Rezeption Europäischer Normen in den Richtlinien nach der "Neuen Konzeption" - angepaßt. Entsprechend der zunehmenden Änderungsgeschwindigkeit der Lebenswirklichkeit vollzog sich die Entwicklung der Außauund Ablauforganisation der europäischen Normenorganisationen noch nie so dynamisch wie in den letzten Jahren, worin eine weitere Stärke dieser Organisationen begründet liegt. Bezüglich der auf europäischer Ebene offensichtlichen Relativierung des in Kapitel I.A.3.d)bb) als zentrales Wesensmerkmal der technischen Normung herausgearbeiteten Charakteristikums des Konsenses ist in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, daß das zunächst bei CENELEC, später auch bei CEN und ETSI praktizierte Verfahren der gewichteten Abstimmung auf ausdrückliches Ersuchen der Kommission eingeführt 240 und in bezug auf die einschlägigen Bestimmungen der Niederspannungsrichtlinie explizit als im "gegenseitigen Einvernehmen" geltend gebilligt wurde 241. Wie wichtig den Normenorganisationen trotz der unzweifelhaft notwendigen Vorkehrungen zur Verhinderung der Blockade gemeinsamer Lösungen durch Einzelne242 die Einhaltung des Verfah-

240 Dadurch sollte sichergestellt werden, daß von den gesetzgebenden Organen der Europäischen Union getroffene Entscheidungen auf der Normungsebene nicht konterkariert werden. Anselmann, N., Technische Vorschriften und Normen, S. 79; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 349. 241 Mitteilung der Kommission 82/C 59/02, Abschn. 4 Nr. 4.2.1 Abs. 2. Vgl. zu dieser Kap. II.B.3.c)bb)(2)(b). 242 Obwohl die Normenorganisationen regelmäßig die Bedeutung des Konsensprinzips für die Akzeptanz der technischen Normen hervorheben, erachten sie die Möglichkeit der Verhinderung eines Boykotts einer bestimmten Norm durch ein einziges oder einige wenige Mitglieder durch eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung als notwendigen und sinnvollen "heilsamen Zwang zum Kompromiß". DKE, Geschäftsbericht 1986, S. 3; Reihlen, H., Regionale Normung, S. 348 f.; ders., Zusammenfassung, S. 70; ders., Schwierigkeiten, passim. Während CENELEC dieses Verfahren seit dem Erlaß der Niederspannungsrichtlinie im Jahre 1973 praktiziert, wurde bei CEN bis zur Verabschiedung der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" im Jahre 1985 (Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01); vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)) nach dem Konsens-Prinzip gearbeitet. Zusätzlich bestand bei CEN im Falle der Ableh-

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

renseckpunktes Konsens i.V.m. der Beteiligung aller interessierten Kreise und der Öffentlichkeit ist, wird beispielsweise aus der Stellungnahme des DIN zum Grünbuch der Kommission zur Entwicklung der europäischen Normung 243 ersichtlich, welche hierin unter anderem die Bildung von Projektteams 244, eine regelmäßige Anwendung von Mehrheitsabstimmungen bei Zeitmangel und insbesondere für ihre Mandate 245 sowie kürzere Fristen für die öffentliche Anhörung 2 4 6 vorgeschlagen hatte 247 : "Der Einsatz von Project Teams kann im Einzelfall sinnvoll sein und wird auch schon praktiziert. Es müssen jedoch Vorkehrungen getroffen sein, daß das endgültige Arbeitsergebnis tatsächlich den Konsens der Fachkreise wiedergibt und nicht nur die Auffassung einzelner. Eine vorsichtige Anwendung von Mehrheitsentscheidungen bei der fachlichen Erarbeitung wird vom DIN im Grundsatz befürwortet, insbesondere dann, wenn einzelne das Beratungsergebnis unangemessen verschleppen. Ob eine solche Situation gegeben ist, muß von den Arbeitsgremien, insbesondere von deren Vorsitzenden, im Einzelfall entschieden werden. Eine Verkürzung der öffentlichen Einspruchsfrist darf jedoch die Mitwirkungsmöglichkeit der nicht unmittelbar in den Technischen Komitees vertretenen Öffentlichkeit nicht einschränken. Darunter würde

nung eines Norm-Entwurfes durch ein Mitglied keine Übernahmeverpflichtung für den Mitgliedsstaat, so daß als Konsequenz nur eine geringe Anzahl an Europäischen Normen verabschiedet werden konnte, von denen wiederum nur wenige in allen EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten einheitlich eingeführt worden sind. Als Resultat war kein Verweis auf diese EN in den Richtlinien der Europäischen Union möglich. Lux, R., Die Rolle der europäischen Normen, S. 13; Reihlen, H., Regionale Normung, S. 348 f.; ders., Schwierigkeiten, passim. Hingegen führte die Anwendung des qualifizierten Mehrheitsprinzips zu einer deutlichen Beschleunigung der Normenerstellung, wobei zusätzlich eine Normierung weitergehender Detailregelungen ermöglicht wurde, die ansonsten nie eine allgemeine Zustimmung gefunden hätten. Lux, R., Die Rolle der europäischen Normen, S. 13. Dabei stellt nach Ansicht der europäischen Normenorganisationen die im Rahmen der gewichteten Abstimmung notwendige "ausreichende Übereinstimmung" der beteiligten Länder eine hinreichend "breite" tatsächliche Anwendung ihres Inhalts sicher. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 1 Nr. 1.2.1; dies., Memorandum N°l, Art. 4. 243 DIN, Stellungnahme, passim. Vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(e)(cc). 244 Oder von Entwurfs-Sekretariaten, oder sogar die Beauftragung von außenstehenden Beratern. KOM (90) 456 endg. "Grünbuch europäische Normung", S. 26 Nr. 38 (i). 245 "Viel Zeit wird in den Technischen Komitees darauf verwendet, zu einem Konsens zu gelangen, bevor der Entwurf einer Europäischen Norm zur öffentlichen Anhörung veröffentlicht wird." KOM (90) 456 endg. "Grünbuch europäische Normung", S. 27 Nr. 38 (iv). 246 "Erhalten alle interessierten Gruppen Gelegenheit, sich an der europäischen Normungsarbeit zu beteiligen, und wird die Qualität der Informationen über diese Arbeit verbessert, besteht die Möglichkeit, die Dauer der öffentlichen Anhörung für den Entwurf einer Europäischen Norm von derzeit sechs Monaten zu verringern." KOM (90) 456 endg. "Grünbuch europäische Normung", S. 28 Nr. 38 (v). 247 Der entsprechende Passus aus der Stellungnahme des DIN ist im folgenden aufgrund seines fast plädoyerhaften Charakters wörtlich zitiert.

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die Akzeptanz der Normen leiden. Zu allen drei Empfehlungen - Project Teams, Mehrheitsentscheidungen, kürzere Umfragefristen - ist zu sagen, daß die freiwillige Normung vom Konsens lebt. Der Konsens ist die Grundlage der freiwilligen Normenanwendung. Konsensbildung erfordert Zeit." 248 Anlaß zu Kritik bietet jedoch angesichts der Vernetzung und Integration zahlreicher technischer Fachgebiete im allgemeinen und der Entwicklung der Elektrotechnik und Elektronik sowie der Informations- und Kommunikationstechniken zu Querschnittsdisziplinen im besonderen die sektorale Aufsplitterung der europäischen Normenorganisationen aufgrund der daraus resultierenden institutionellen Trennung der Sacharbeit, die einen unnötigen interinstitutionellen Aufwand für Abstimmung und Koordinierung erfordert 249. Das hinsichtlich der Rechtfertigung der Aufrechterhaltung dieses Zustandes einzig sachlich fundierte Argument der "efficiency by decentralization"250 spricht nicht notwendigerweise für getrennte eigenständige Institutionen, sondern kann - wie auch das Beispiel der weitgehend autonomen Normenausschüsse innerhalb des DIN oder der mit großer Eigenständigkeit ausgestatteten Technischen Komitees, Projektteams und Sonderkomitees innerhalb des ETSI zeigt - im Sinne von Warneckes "Fraktalem Unternehmen"251 auch innerhalb einer Organisation mit weitgehend eigenverantwortlichen Fachbereichen, Lenkungs- und Arbeitsgre248

DIN, Stellungnahme, S. 266. Vgl. die entsprechenden Ausführungen im Hinblick auf die nationalen Normenorganisationen der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten in Kap. II.A.5. Die Kommission verfolgt diesbezüglich einen bemerkenswerten Schlingerkurs: Während sie in der Vergangenheit mehrfach die Zusammenfassung von CEN/ CENELEC in einer juristischen Person vorgeschlagen hatte (DKE, Geschäftsbericht 1989, S. 4), befürwortete sie in ihren Grünbüchem über die Entwicklung des gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsendgeräte und zur Entwicklung der europäischen Normung die Etablierung weiterer sektoraler Normungsgremien, was im ersteren Falle zur Gründung des ETSI führte. Ungeachtet dessen hatte das Grünbuch der Kommission zur Entwicklung der europäischen Normung eine begrenzte Integration von CEN/CENELEC und ETSI zur Folge. ETSI, Annual Report 1991, S. 2. Vgl. Kap. II.B.l.b)bb). Die Sicht der Normenorganisationen ist hier uneinheitlich: Während die technischen Normenorganisationen wie CEN und DIN angesichts der Verflechtung aller Fachgebiete getrennte Normenwerke von CEN, CENELEC und ETSI für schädlich erachten und daher die Zusammenfassung der sektoralen Normenorganisationen zu einer einzigen Organisation befürworten (DIN, Geschäftsbericht 1988/89, S. 14; Mohr, C., CENGeneralversammlung 1989, S. 638; Reihlen, H., Zusammenfassung, S. 69), lehnen die elektrotechnischen Normenorganisationen diesen Vorschlag sowohl auf europäischer wie auf internationaler Ebene kategorisch ab. DKE, Geschäftsbericht 1989, S. 4. Vgl. aber DKE, Trends in information technology, S. 17, in dem auch diese einräumt, daß die Informationstechnologie für alle drei europäischen Normenorganisationen relevant ist und die etablierten Grenzen zwischen den Organisationen in Frage stellt. 250 Kessler, C., Sicht eines Großbetriebes, S. 23. 251 Wamecke, H.-J., Das Fraktale Unternehmen, passim, insbes. S. 152 ff. 249

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mien, aber unter gemeinsamen Rahmenbedingungen und Regeln realisiert werden 252 . Zur Abrundung dieses Resümees sind schließlich die beiden Aspekte der einerseits stark gestiegenen Bedeutung der europäischen im Rahmen der internationalen Normung und der andererseits systematischen Verlagerung der Normungsaktivitäten auf die internationale Ebene hervorzuheben. Erstere resultiert unmittelbar aus dem Bedeutungszuwachs der europäischen Normung im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses, der sowohl in ihrer zentralen Rolle bei der Verwirklichung des Gemeinsamen Europäischen Marktes 253 als auch in der systematischen staatlichen Rezeption Europäischer Normen in den Richtlinien nach der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" 254 begründet liegt. Der internationale Bedeutungszuwachs der europäischen Normung manifestiert sich in qualitativer Hinsicht beispielsweise darin, daß das ETSI in der internationalen Telekommunikationsnormung, die bislang von den USA dominiert wurde, mittlerweile die Führung übernommen hat, was in der Adaption zahlreicher ETS durch die "International Telecommunication Union" (ITU) seinen Ausdruck findet 255. In quantitativer Hinsicht offenbart sich die inzwischen beherrschende Rolle der nationalen Normenorganisationen der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten in der internationalen Normung beispielsweise darin, daß 70% aller Sekretariate der technischen Gremien von ISO und IEC durch CEN/CENELEC-Mitglieder betreut werden 256. Letzteres ist eine logische Folge der in Kapitel I.D.l beschriebenen Entwicklung von der monoindustriellen Fertigung hin zur interindustriellen Produktion 252 Daß hierbei den Fraktalen ein breiter Raum für organisatorische Innovationen und Anpassungen an sektorale Eigenheiten und Rahmenbedingungen verbleiben muß, belegen die wahrhaft beeindruckenden Erfolge des ETSI sowohl bezüglich Qualität als auch Geschwindigkeit hinsichtlich der Schaffung eines gemeinsamen europäischen Telekommunikationsmarktes. Vgl. Kap. II.B.4, S. 753. 253 Vgl. Kap. II.B.3.a) und Kap. II.B.3.b). 254 Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01); vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d).. 255 Weinstein, S., Global standards, S. 24. Die Führerschaft in der internationalen Normung hatte sich das ETSI explizit als Ziel gesetzt. ETSI, Annual Report 1991, S. 13. 256 Hinsichtlich der technischen Normenorganisationen liegt der Anteil der betreuten ISO-Sekretariate (TC, SC und WG ohne JTC1) durch CEN-Mitglieder sogar bei 63 % (1.720 von 2.721), wobei allein AFNOR, BSI und DIN über die Hälfte aller ISOSekretariate innehaben (DIN 522= 19,2%, BSI 449= 16,5% und AFNOR 277 = 10,2 % (ANSI (USA) 517 = 19,0 %, die anderen 88 Mitglieder 35,1 %)). Zahlenangaben für 1997, entnommen aus: ISO, Memento 1997, S. 164. Vgl. auch Reihlen, H., Regionale Normung, S. 347; ders., Zusammenfassung, S. 69.

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und Arbeitsteilung zunächst auf nationaler, dann supranationaler und schließlich internationaler Ebene und der daraus resultierenden Notwendigkeit externer überbetrieblicher regulativer Leistungen durch die überbetriebliche technische Normung: Hatte die nationale interindustrielle Arbeitsteilung zunächst die nationale Vereinheitlichung der innerbetrieblichen technischen Normen erfordert, bedingte die Verwirklichung des Gemeinsamen Europäischen Marktes im nächsten Schritt die Harmonisierung dieser nationalen technischen Normen, wobei sich parallel dazu bereits überall dort eine internationale Vereinheitlichung der technischen Normen der EU/EFTA sowie der anderen supranationalen Wirtschaftsblöcke wie ASEAN, NAFTA oder MERCOSUR als vordringlich erwies, wo der internationale interindustrielle Produktionsprozeß und Warenaustausch die Realisierung bestimmter, in Kapitel I.C beschriebener technischer Normenfunktionen wie Kompatibilität und Austauschbarkeit unabdingbar machte257. Kennzeichen dieser Entwicklung ist die institutionalisierte systematische Verlagerung der Normungsarbeiten auf die höchstmögliche Normungsebene 258 : Ein Normungsantrag an eine nationale Normenorganisation wird im Falle von dessen Annahme regelmäßig daraufhin überprüft, ob für diesen auf europäischer Ebene ein Interesse zur Bearbeitung besteht259; sollte dies zutreffen, so bieten die europäischen Normenorganisationen wiederum den internationalen Normenorganisationen im Rahmen der zwischen den zuständigen Organisationen geschlossenen Vereinbarungen die Ausarbeitung der technischen Norm an. Nur wenn auf internationaler Ebene an dem entsprechenden Normungsvorhaben kein Interesse besteht, oder aber die Durchführung der Normungsarbeiten auf internationaler Ebene innerhalb des von den europäischen Normenorganisationen vorgesehenen Zeitraumes nicht möglich ist, sind diese berechtigt, die Arbeiten selbst zu übernehmen. Deren Ergebnisse werden jedoch regelmäßig den internationalen Normenorganisationen zur vertraglich vereinbarten Parallelabstimmung vorgeschlagen260. Durch diese institutionalisierte Kooperation der eu257

Vgl. dazu auch ISO, Benefits, S. 18. Vgl. zum Begriff der Normungsebene die Ausführungen in Kap. I.B. Um die Einheitlichkeit der nationalen Normenwerke, die neben nationalen auch die von den europäischen und internationalen Normenorganisationen übernommenen Normen enthalten, zu gewährleisten, wurde eine nahezu identische Gestaltung der technischen Normen auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene in Form der PNERegeln festgelegt, welche die nationalen Normenorganisationen- z.B. AFNOR als NF X 00-001: 1993-09, BSI als BS 0-3: 1991-11/AMD 1993-11 und DIN als DIN V 820-2: 1992-06 - übernommen haben. 259 Vgl. z.B. bezüglich des DIN die Ausführungen in Kap. II.A.l.a)dd)(3). Für den Bereich der Elektrotechnik ist die entsprechende Vorgehens weise im sogenannten "Vilamoura-Verfahren" (vgl. CENELEC, Vilamoura-Verfahren, passim) detailliert geregelt; dessen Übernahme wird z.Zt. von CEN überprüft. Vgl. Kap. II.A.l.a)ee)(4) und Kap. II.B.l.a)cc). 260 Vgl. Kap. II.B.l.a)cc); femer CENELEC, Electrotechnical Standards, S. 7. 258

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ropäischen mit den internationalen Normenorganisationen war es den ersteren möglich, die Befürchtungen der letzteren zu zerstreuen, daß im Rahmen der europäischen Normung Handelshemmnisse entstünden261, was durch das ausdrückliche Bekenntnis von CEN/CENELEC und ETSI für ein offenes und gegen eine "Festung" Europa untermauert wurde 262. Die geschilderte Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Rahmen der überbetrieblichen technischen Normung führt regelmäßig zu der in Kapitel I.E aufgeworfenen und bereits bezüglich der technischen Normen der nationalen Normenorganisationen der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland diskutierten Fragestellung, ob den privatrechtlichen europäischen Normenorganisationen eine etwaige Rechtssetzungsbefugnis und somit den Europäischen Normen ein rechtsverbindlicher Charakter zukommt und wie diese gegebenenfalls in das System europarechtlicher Hoheitsakte einzuordnen sind. Diese Untersuchung bildet den Gegenstand des nachfolgenden Kapitels.

2. Die Rechtsnatur der Europäischen Normen Entsprechend der herrschenden Rechtsquellenlehre im Recht der Europäischen Union ist zwischen geschriebenem - primärem und sekundärem - Unionsrecht, ungeschriebenem Unionsrecht- allgemeinen Rechtsgrundsätzen, Gewohnheitsrecht und Richterrecht - sowie begleitendem Unionsrecht zu unterscheiden263. a) Geschriebenes Unionsrecht aa) Primäres Unionsrecht Als geschriebenes primäres Unionsrecht werden die Gründungsverträge der Europäischen Union einschließlich ihrer Annexe (Anlagen, Anhänge und Protokolle (Art. 239 EGV, Art. 207 EAGV, Art. 84 EGKS)) sowie deren spätere Ergänzungen und Änderungen inklusive der Beitritts- und Assoziierungsverträge (Art. 238 EGV) sowie der Übereinkünfte über die Organstruktur der Union

261

DIN/Normenstelle Luftfahrt, Geschäftsbericht 1990, S. 7. CENELEC, Annual Report 1991, S. 4. 263 Auch das ungeschriebene Unionsrecht gehört teils dem primären, teils dem sekundären Unionsrecht an. Bleckmann, Α., Europarecht, Rn. 237 ff.; Oppermann, T., Europarecht, Rn. 394 ff.; Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 14 ff. 262

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bezeichnet; diese bilden in ihrer Gesamtheit die Verfassung der Europäischen Union 264 . Dazu gehören unter anderem 265: Der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKSV, Vertrag über die Montanunion) vom 18. April 1951; der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) vom 25. März 1957; der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft EURATOMV) vom 25. März 1957;

(EAGV,

das Abkommen über gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften vom 25. März 1957266; der Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Fusionsvertrag - FusV) vom 8. April 1965267; die Einheitliche Europäische Akte (EEA) vom 28. Februar 1986; der Vertrag über die Europäische Union (EUV) vom 7. Februar 1992. Da Europäische Normen weder Verträge der genannten Art darstellen noch Bestandteil von deren Annexen, späteren Ergänzungen oder Änderungen sind, noch zwischen den Mitgliedsstaaten, vertreten durch deren Monarchen, Staatsoder Regierungschefs, abgeschlossen, noch durch deren Parlamente bzw. durch Volksabstimmung ratifiziert werden, sind sie nicht Bestandteil des geschriebenen primären Unionsrechts. bb) Sekundäres Unionsrecht Unter dem Begriff des geschriebenen sekundären Unionsrechts wird das von den Organen der Union nach Maßgabe der Gründungsverträge erlassene Recht -

264 Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 50 ff.; Bleckmann, Α., Europarecht, Rn. 237; Oppermann, T., Europarecht, Rn. 394 ff., insbes. 396; Schachtschneider, K. Α., Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 1 ff. 265 Schachtschneider, Κ. Α., Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 1 ff.; Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 14 f. 266 BGBl. II, 1957, S. 1156, geänd. d. Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 08.04.1965 (BGBl. II, 1965, S. 1454). 267 BGBl. II, 1965, S. 1454, zul. geänd. d. Vertrag über die Europäische Union v. 07.02.1992 (BGBl. II, 1992, S. 1253/1295).

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auch organgeschaffenes Recht oder Folgerecht genannt - zusammengefaßt. Zum sekundären Unionsrecht gehören folgende Formen der Rechtssetzung268: Verordnungen (Art. 189 Abs. 2 EGV, Art. 161 Abs. 2 EAGV) bzw. (allgemeine) Entscheidungen (Art. 14 Abs. 2 EGKSV) 269 ; Richtlinien (Art. 189 Abs. 3 EGV, Art. 161 Abs. 3 EAGV) bzw. Empfehlungen (Art. 14 Abs. 3 EGKSV) 270 ; (Einzelfall-) Entscheidungen (Art. 189 Abs. 4 EGV, Art. 161 Abs. 4 EAGV, Art. 14 Abs. 2 i.V.m. Art. 15 Abs. 2 EGKSV)271;

268 Die Rechtshandlungen werden in Art. 189 EGV, Art. 161 EAGV sowie Art. 14 und 15 EGKSV aufgelistet. Die materiell übereinstimmenden Kataloge verwenden allerdings unterschiedliche Bezeichnungen im EGV und EAGV einerseits und im EGKSV andererseits. Daneben sehen verschiedene Vertragsbestimmungen Rechtshandlungen vor, ohne sie nach einer der in den Katalogen aufgezählten Rechtshandlungsformen zu bezeichnen. Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 78. Im Regelfall erfolgt die Rechtssetzung innerhalb der Europäische Union in einem dreistufigen Verfahren, bestehend aus den Abschnitten Initiative, Beratung und Entscheidung. Diese Befugnisse sind zumeist verschiedenen Organen der Europäischen Union zugewiesen, so daß das allgemeine Merkmal der EU-Rechtsordnung das Zusammenwirken mehrerer Organe bei der Rechtssetzung ist. Vgl. dazu ausführlich Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 212 ff. 269 Zuständig für den Erlaß von Verordnungen sind in der EG das Europäische Parlament und der Rat gemeinsam, der Rat und die Kommission (Art. 189 Abs. 1 EGV) und in der EAG der Rat und die Kommission (Art. 161 Abs. 1 EAGV), wobei entsprechend den Bestimmungen des primären Unionsrechts die Kompetenzen des Rates überwiegen. Der Rat hat aber gemäß Art. 155 Spstr. 4 i.V.m. Art. 145 Spstr. 3 EGV und Art. 124 Spstr. 4 EAGV die Möglichkeit, die Kommission zum Erlaß von Durchführungsverordnungen zu ermächtigen. Zuständig zum Erlaß von (allgemeinen) Entscheidungen ist nach den Bestimmungen des EGKSV nur die Kommission (Art. 14 Abs. 1 EGKSV). Gemäß Art. 189 Abs. 2 EGV und Art. 161 Abs. 2 EAGV haben die Verordnungen allgemeine Geltung, sind in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem EU-Mitgliedsstaat. Art. 14 Abs. 2 EGKSV legt nur fest, daß die (allgemeinen) Entscheidungen in allen ihren Teilen Verbindlichkeit besitzen. Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 79. Vgl. auch Oppermann, T., Europarecht, Rn. 447 ff. 270 Die Kompetenz für den Erlaß von Richtlinien liegt in der EG bei dem Europäischen Parlament und dem Rat gemeinsam, dem Rat und der Kommission (Art. 189 Abs. 1 EGV) und in der EAG bei dem Rat und der Kommission (Art. 161 Abs. 1 EAGV). Zuständig zum Erlaß von Empfehlungen ist nach den Bestimmungen des EGKSV nur die Kommission (Art. 14 Abs. 1 EGKSV). Gemäß Art. 189 Abs. 3 EGV und Art. 161 Abs. 3 EAGV sind die Richtlinien für jeden Mitgliedsstaat, an den sie gerichtet werden, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel. Art. 14 Abs. 3 EGKSV enthält eine nahezu analoge Regelung für die Empfehlungen mit dem einzigen Unterschied, daß diese nicht nur an die Mitgliedsstaaten, sondern an "jeden" gerichtet werden können. Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 80. Vgl. auch Oppermann, T., Europarecht, Rn. 458 ff.

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Empfehlungen und Stellungnahmen (Art. 189 Abs. 5 EGV, Art. 161 Abs. 5 EAGV) bzw. Stellungnahmen (Art. 14 Abs. 4 EGKSV)272; ungekennzeichnete Rechtshandlungen des Rates oder der Kommission (EGV, EAGV, EGKSV passim)273; Verfahrens- und Geschäftsordnungen, die von den Organen der Union für sich selbst erlassen werden 274; allgemeine Programme, die von den Organen der Union erlassen werden 275; interorgane Vereinbarungen, die zwischen den Organen der Union abgeschlossen werden276. 271 Verantwortlich für den Erlaß von (Einzelfall-) Entscheidungen zeichnen in der EG das Europäische Parlament und der Rat gemeinsam, der Rat und die Kommission (Art. 189 Abs. 1 EGV), in der EAG der Rat und die Kommission (Art. 161 Abs. 1 EAGV) und in der EGKS nur die Kommission (Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 2 EGKSV). Gemäß Art. 189 Abs. 4 EGV und Art. 161 Abs. 4 EAGV sind Entscheidungen für die Adressaten - Mitgliedsstaaten, natürliche oder juristische Personen - in allen ihren Teilen verbindlich. Art. 14 Abs. 2 i.V.m. Art. 15 Abs. 2 EGKSV stellen in der sonst übereinstimmenden Regelung auf den Einzelfall - daher auch der Ausdruck Einzelfalloder Individual-Entscheidung - und nicht auf den Adressaten ab. Dies führt jedoch zu keiner unterschiedlichen rechtlichen Wirkung. Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 84. Vgl. auch Oppermann, T., Europarecht, Rn. 470 ff. 272 Die Abgabe von Empfehlungen und Stellungnahmen obliegt in der EG dem Europäischen Parlament und dem Rat gemeinsam, dem Rat und der Kommission (Art. 189 Abs. 1 EGV) und in der EAG dem Rat und der Kommission (Art. 161 Abs. 1 EAGV). Die Kommission wird durch Art. 155 Spstr. 2 EGV und Art. 124 Spstr. 2 EAGV als Ausnahme vom Prinzip der begrenzten Ermächtigung autorisiert, Empfehlungen oder Stellungnahmen nicht nur in den vertraglich vorgesehenen Fällen, sondern in bezug auf die in den Verträgen bezeichneten Gebiete dann abzugeben, wenn sie es für notwendig erachtet. In der EGKS ist nach den ausdrücklichen Vertragsbestimmungen nur die Kommission berechtigt, Stellungnahmen abzugeben (Art. 14 Abs. 1 EGKSV). Gemäß Art. 189 Abs. 5 EGV und Art. 161 Abs. 5 EAGV sind Empfehlungen und Stellungnahmen für ihre Adressaten - Mitgliedsstaaten, natürliche oder juristische Personen - nicht verbindlich. Art. 14 Abs. 4 EGKSV enthält eine analoge Regelung, kennt jedoch nur die (unverbindlichen) Stellungnahmen. Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 86. Vgl. auch Oppermann, T., Europarecht, Rn. 479 ff. 273 Das sind verbindliche Organbeschlüsse, für die das primäre Unionsrecht keine der eben genannten Formen des sekundären Unionsrechts vorsieht, wie z.B. in den Art. 7 Abs. 2, 44 Abs. 3 und 51 EGV. Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 16. 274 Verfahrens- und Geschäftsordnungen zählen an sich auch zu den ungekennzeichneten Rechtshandlungen. Als Beispiel kann die Verfahrensordnung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 19.06.1991 - ABl. EG 1991 Nr. L 176, S. 7 angeführt werden. Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 16. 275 Auch allgemeine Programme sind eigentlich den ungekennzeichneten Rechtshandlungen zuzurechnen. Ein Beispiel ist das Allgemeine Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit vom 18.12.1961 - ABl. EG 1962, S. 36gemäß Art. 54 Abs. 1 EGV. Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 16.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Dieser Übersicht zufolge wird das sekundäre europäische Unionsrecht ausschließlich von den Organen der Union nach Maßgabe der Gründungsverträge erlassen. Die Organe der EU sind in Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGV, Art. 3 Abs. 1 S. 1 EAG und Art. 7 S. 1 EGKSV enumerati ν aufgezählt. Es handelt sich um das Europäische Parlament bzw. die Gemeinsame Versammlung, den Rat bzw. besonderen Ministerrat, die Kommission bzw. Hohe Behörde, den Gerichtshof und den Rechnungshof. Da die europäischen Normenorganisationen in dieser Aufzählung nicht enthalten sind, sondern es sich bei ihnen um außerhalb der Organisationsstruktur der Europäischen Union stehende, privatrechtlich organisierte Vereinigungen handelt, können Europäische Normen auch nicht dem Bereich des geschriebenen sekundären Unionsrechts zugerechnet werden. Damit läßt sich als Zwischenergebnis festhalten, daß Europäische Normen keine Bestandteile des geschriebenen Unionsrechts darstellen277. b) Ungeschriebenes Unionsrecht aa) Allgemeine Rechtsgrundsätze Als allgemeine Rechtsgrundsätze des europäischen Unionsrechts werden zusammenfassend sowohl die der Unionsrechtsordnung selbst inhärenten als auch die den nationalen Rechtsordnungen der EU-Mitgliedsstaaten gemeinsamen Rechtsprinzipien bezeichnet278. Da die technischen Normen der europäischen Normenorganisationen weder Rechtsprinzipien der Unionsrechtsordnung noch der nationalen Rechtsordnungen der EU-Mitgliedsstaaten verkörpern, können sie nicht als allgemeine Rechtsgrundsätze des europäischen Unionsrechts gelten.

276

Als Beispiele für interorgane Vereinbarungen können die Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission über verschiedene Maßnahmen zur Gewährleistung einer besseren Abwicklung des Haushalts Verfahrens vom 30.06.1982 sowie die Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 04.03.1975 zur Einführung eines Konzertierungsverfahrens angeführt werden. Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 16. 277 So auch Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 69. 278 Die Geltung letzterer ergibt sich nicht unmittelbar aus dem primären Unionsrecht; vielmehr beschränkt dieses die Anwendung der allgemeinen Rechtsgrundsätze gemäß Art. 215 Abs. 2 EGV und Art. 188 Abs. 2 EAGV expressis verbis auf die außervertragliche (Amts-) Haftung der Europäischen Union. Dessen ungeachtet hat der EuGH in seiner Rechtsprechung die allgemeinen Rechtsgrundsätze über den Tatbestand der Amtshaftung hinausgehend zur Lückenschließung im Unionsrecht herangezogen. Damit hat er vor allem im Bereich des allgemeinen Verwaltungsrechts und der Grundrechte ungeschriebenes Unionsrecht geschaffen. Oppermann, T., Europarecht, Rn. 404; Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 16 f. m.w.N.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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bb) Gewohnheitsrecht Als Gewohnheitsrecht wird, wie bereits in Zusammenhang mit den analogen Untersuchungen für die Bundesrepublik Deutschland ausgeführt 279, durch Übung und Rechtsüberzeugung entstandenes ungeschriebenes Recht bezeichnet, welches das primäre oder sekundäre Unionsrecht ergänzt oder ändert 280. Dabei kann sich Gewohnheitsrecht nicht nur aus der Praxis der Mitgliedsstaaten und der Organe der Europäischen Union, sondern auch aus einer bestimmten Praxis der europäischen Bürger entwickeln281. Da in Technikerkreisen durchaus auch die Vorstellung existiert, daß insbesondere die Schutz- und Sicherheitsfunktionen 282 erfüllenden technischen Normen - gleichgültig ob nun nationalen oder europäischen Ursprungs - aufgrund ihrer vielfachen Rezeption in das Umweltund Technikrecht rechtsverbindlich seien283, ist eine mögliche Rechtsnormqualität Europäischer Normen von CEN/CENELEC und ETSI kraft Gewohnheitsrecht zu prüfen. Da allerdings die EN, ETS und HD nicht direkt, sondern erst nach ihrer obligatorisch wort- bzw. inhaltsgetreuen Übernahme in die nationalen Normenwerke der EU-Mitgliedsstaaten angewandt werden, kann allenfalls der Inhalt der transformierten Europäischen Normen gewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen284. Allein die Vorstellung von der Rechtsverbindlichkeit technischer Normen ist jedoch für die Bildung von Gewohnheitsrecht nicht ausreichend; diese erfordert vielmehr eine langandauernde tatsächliche und allgemeine Übung und Anwendung, verbunden mit der Überzeugung der beteiligten Verkehrskreise, durch diese Anwendung geltendes Recht zu befolgen, sowie der Formulierbarkeit dieser Übung als Rechtssatz285. Da EN und HD in Abständen von nicht mehr als fünf Jahren auf ihre Aktualität überprüft und gegebenenfalls überarbeitet wer279

Vgl. Kap. II.A.l.b)ee). Als Beispiel für den letzteren Aspekt bestimmt Art. 2 des Fusionsvertrages, daß der Rat aus Vertretern der Mitgliedsstaaten bestehen und daß jede Regierung eines ihrer Mitglieder entsenden soll. In der Praxis werden auch Staatssekretäre - unabhängig von ihrer innerstaatlichen Rechtsstellung - als Regierungsmitglieder angesehen und in den Rat entsendet. Oppermann, T., Europarecht, Rn. 401 f.; Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 17 f. 281 Vgl. Bleckmann, Α., Europarecht, Rn. 278, der es für denkbar hält, daß eine grenzüberschreitende Praxis der Bürger, etwa im internationalen Kaufrecht, nicht dem einen oder anderen nationalen Recht, sondern unmittelbar dem europäischen Unionsrecht zuzuordnen ist. Zustimmend Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 70. A.A. wohl Oppermann, T., Europarecht, Rn. 401. 282 Vgl. Kap. I.C.2.b), Kap. I.C.2.Ì), Kap. I.C.2.1) und Kap. I.C.2.m). 283 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 416 in Kap. II.A.l.b)ee). 284 So zutreffend Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 71. 285 Vgl. Kap. II.A.l.b)ee). 280

44 Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

den, was dann regelmäßig auch eine Aktualisierung der nationalen Normen nach sich zieht, sind sie zum großen Teil nur von verhältnismäßig geringer Geltungsdauer. Obwohl zu beachten ist, daß wegen der Besonderheiten des europäischen Unionsrechts analog zum Völkerrecht keine übersteigerten Anforderungen an die Bildung von Gewohnheitsrecht gestellt werden dürfen - insbesondere muß insoweit eine im Vergleich zu den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten kürzere Entstehungszeit genügen286-, fehlt es sogar bei Zugrundelegen dieser weniger strengen Anforderungen in aller Regel an einer sowohl in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten als auch in der Europäischen Union nachweisbaren langandauernden Übung 287 . Selbst in den Fällen, in denen diese langandauernde Übung bejaht werden könnte, mangelt es an der zweiten Voraussetzung der Gewohnheitsrechtsbildung, nämlich der Überzeugung der beteiligten Verkehrskreise, durch die Anwendung der Europäischen Normen geltendes Recht zu befolgen; hiervon kann nur dann die Rede sein, wenn die Rechtsanschauung der beteiligten Verkehrskreise im Einklang mit einer kontinuierlichen Praxis von Gerichten und Behörden steht. Die Organe der Europäischen Union haben jedoch regelmäßig und namentlich auch in ihren Ausführungen bezüglich der Rezeption technischer Normen im Rahmen der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" ausdrücklich betont, daß die Anwendung der Europäischen Normen fakultativ und es den Herstellern damit freigestellt ist, normenkonform zu produzieren oder nicht 288 . Auch die europäischen Normenorganisationen weisen laufend darauf hin, daß ihre technischen Normen kraft Entstehung, Trägerschaft, Inhalt und Anwendungsbereich keinerlei rechtliche Verbindlichkeit besitzen, sondern ihre Anwendung jedermann - auch den Mitgliedern - freisteht289. Eine Rechtsnormqualität Europäischer Normen aufgrund von Gewohnheitsrecht ist folglich nicht gegeben290.

286 Nach Oppermann, T., Europarecht, Rn. 401 sind u.U. sogar einige Jahre - als sog. "Instant Customary Law" - ausreichend. Vgl. auch Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 70 m.w.N. 287 Da Europäische Normen simultan in allen EU-Mitgliedsstaaten eingeführt und auch geändert werden, spielt es insofern keine Rolle, ob man nur einen oder alle EUMitgliedsstaaten betrachtet. A.A. Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 71 ff. 288 Dies ist das sog. 3. Grundprinzip der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung". Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01), S. 3. Vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d). 289 CEN/CENELEC, Memorandum N°L Art. 2; ETSI, ETSI, S. 6. 290 So auch Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 71 ff.

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cc) Richterrecht Als Richterrecht wird bezogen auf die Europäische Union die rechtsfortbildende und -schöpfende Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofs über die Aufgabe der bloßen Rechtsanwendung hinaus definiert 291. Eine Qualifikation Europäischer Normen als Richterrecht europäischen Ursprungs scheidet allein deswegen aus, weil deren Urheber die europäischen Normenorganisationen sind, und nicht der Gerichtshof der Europäischen Union. c) Begleitendes Unionsrecht Der Begriff begleitendes Unionsrecht bezeichnet alle Rechtsnormen, die ohne selbst Unionsrecht zu sein - als Bestandteile völkerrechtlicher Verträge der Förderung der Ziele der Europäischen Union dienen. Solche Verträge sind zum Beispiel in Art. 220 EGV vorgesehen, können aber auch unabhängig davon abgeschlossen werden 292. Da Europäische Normen von den privatrechtlich organisierten europäischen Normenorganisationen erarbeitet werden und als solche nicht zu den völkerrechtlichen Verträgen zählen, gehören sie nicht zu den Rechtsnormen des begleitenden Unionsrechts. Damit ist als Ergebnis festzuhalten, daß die Europäischen Normen der europäischen Normenorganisationen weder dem geschriebenen noch dem ungeschriebenen noch dem begleitenden Unionsrecht zuzuordnen sind und somit aus sich heraus keine rechtliche Verbindlichkeit besitzen293. Unbeschadet der Stillhalte· und Übernahmeverpflichtung durch die nationalen Normenorganisationen der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten stellen Europäische Normen der Rechtsform ihrer Urheber entsprechend nach der Transformation in nationale Normen wie diese rein private, auf freiwillige Anwendung gerichtete Empfehlungen der europäischen Normenorganisationen für ein einwandfreies Verhalten an "jedermann" dar. Als solche außerrechtlichen normativen Regelungen mit Empfehlungscharakter berechtigen und/oder verpflichten Europäische Normen we291 Beispiele für vom EuGH geschaffenes Richterrecht sind die Geltung der Grundrechte im Unionsrecht trotz fehlendem Grundrechtskatalog sowie die unmittelbare Wirksamkeit von Richtlinien. Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 18. 292 Beispiele für begleitendes Unionsrecht sind das Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen vom 29.02.1968 (BGBl. II 1972, S. 370) und das Übereinkommen über die Gründung eines Europäischen Hochschulinstituts vom 19.04.1972 - ABl. EG 1976 Nr. C 29, S. 1 -. Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 18. 293 I.E. auch Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 74; Lux, R., Die Rolle der europäischen Normen, S. 13; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 351.

4*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

der die Bürger der EU, noch die EU-Mitgliedsstaaten, noch die Europäische Union selbst, solange diese nicht ihrerseits die Europäischen Normen in ihren Rechtsakten rezipiert. Dementsprechend ist die Rezeption technischer Normen im Europäischen Unionsrecht Gegenstand des nachfolgenden Kapitels. Obwohl es grundsätzlich möglich und im Interesse der Einheitlichkeit der Ausführungen auch erwägenswert ist, die Informationen des nachfolgenden Kapitels in der gleichen Weise zu strukturieren, wie auf nationaler Ebene für die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland geschehen294, wurde für die nachfolgenden Kapitel ein anderer Aufbau gewählt. Während die Strukturierung auf nationaler Ebene die Methode - i.e. die Rezeptionsarten - in den Vordergrund stellt und die (Entwicklungs-) Prozesse der technischen Rechtssetzung untergeordnet im Rahmen dieser methodischen Struktur behandelt, liegt im nachfolgenden Kapitel die Betonung auf dem Prozeß, wobei die Methoden an den gegebenen Stellen im prozessualen Ablauf Berücksichtigung finden. Indem sich auf diese Weise der Aufbau der nachfolgenden Kapitel an Zielsetzung und Entwicklung des europäischen Integrationsprozesses und insbesondere den konzeptionellen Ansätzen der Organe der Europäischen Union bezüglich der divergierenden nationalen technischen Vorschriften und Normen orientiert, erlaubt er m.E. eine bessere Darstellung und ein umfassenderes und tieferes Verständnis der Rolle und der Bedeutung der nationalen technischen Rechtssetzung und Normung auf der einen und der europäischen Rechtsangleichung und Harmonisierung nationaler Normen auf der anderen Seite. Auch läßt dieser Prozeß im Hinblick auf die Themenstellung der vorliegenden Arbeit qualifiziertere Schlußfolgerungen zu als eine methodisch strukturierte Darstellung des gegenwärtigen Zustandes. In diesem Sinne werden nachfolgend auf der Basis der Zielsetzungen des europäischen Integrationsprozesses Notwendigkeit und Rechtsgrundlagen des Abbaus technischer Handelshemmnisse und die dabei von den rechtssetzenden Organen der Europäischen Union angewandten Methoden - strukturiert in die beiden grundlegenden Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und der in einem Spektrum unterschiedlicher methodischer Ausprägung verfolgten Harmonisierung technischer Vorschriften und Normen - erläutert. Dabei wird begleitend an den gegebenen Stellen auf die Entwicklung und die jeweiligen Arten der Rezeption technischer Normen im Europäischen Unionsrecht eingegangen.

294

Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.c), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.c) und in bezug auf das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.c).

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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3. Die Rezeption technischer Normen im Europäischen Unionsrecht a) Zielsetzungen des europäischen Integrationsprozesses Während der "Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl" (EGKSV) und der "Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft" (EAGV) die sektorale europäische Integration bestimmter Wirtschaftsbereiche - namentlich der Montanindustrie, d.h. der Grundstoffindustrie für Kohle und Stahl, und der friedlichen Nutzung der Kernenergie - zum Ziel haben, handelt es sich beim "Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft" (EGV) um einen Rahmenvertrag, mittels dessen in seiner ursprünglichen Fassung als "Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft" (EWGV) eine umfassende gesamtwirtschaftliche Integration aller EU-Mitgliedsstaaten erreicht werden soll. Seit den Revisionen der Römischen Verträge durch die "Einheitliche Europäische Akte" (EEA), die am 1. Juli 1987 in Kraft getreten ist, und den "Vertrag über die Europäische Union - Maastrichter Vertrag" (EUV), der am 1. November 1993 Geltung erlangte, sind die Ziele der Europäischen Union nicht mehr allein auf die wirtschaftliche Integration beschränkt295. Vielmehr wurden deren Aufgaben und Tätigkeiten insbesondere durch den EUV entsprechend den Art. 2, 3 und 3 a EGV auf nahezu alle Politikfelder ausgeweitet296. In Bezug auf die technische Normung ist jedoch allein die ursprüngliche Zielsetzung der Integration der Volkswirtschaften der EU-Mitgliedsstaaten297 durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes, seit der EEA auch eines Binnenmarktes 299,, von Bedeutung. Die Aufgabe der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes beinhaltet nach dem Leiturteil des Europäischen Gerichtshofs 295 Schachtschneider, Κ. Α., Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 1 f.; Schweitzer, M. u.a., Europarecht, S. 24. 296 Dazu ausführlich Schachtschneider, Κ. Α., Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, S. 7 ff. 297 Dies folgt aus dem unveränderten Abs. V der Präambel zum EGV. 298 Ob und inwiefern sich die beiden Begriffe unterscheiden, ist umstritten. Vgl. Bleckmann, Α., Europarecht, Rn. 8. Während die Einordnung dieser Ziele im EGV - die Errichtung des Gemeinsamen Marktes stellt nach Art. 2 EGV eine "Aufgabe der Gemeinschaft" dar, die des Binnenmarktes eine "Tätigkeit der Gemeinschaft im Sinne des Art. 2 EGV" (Art. 3 lit. c) EGV) - dafür spricht, daß die Verwirklichung des Binnenmarktes eine Teilaufgabe der Errichtung des Gemeinsamen Marktes darstellt, wurden vor Verabschiedung der EEA beide Begriffe beispielsweise durch die Kommission in ihrem Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes synonym verwendet: "Unzweideutiges Ziel des Vertrages war von Anfang an die Schaffung eines einheitlichen integrierten Binnenmarktes ..." KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 4 Nr. 4.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

im Fall "Gaston Schul" 299 "die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziele der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarktes möglichst nahekommen". Darüber hinaus wurde mit der EEA die schrittweise Verwirklichung des Binnenmarktes als "Raum ohne Binnengrenzen", der durch die Verwirklichung der vier Grundfreiheiten - des freien Verkehrs von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital - gekennzeichnet ist, durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten bis zum 31. Dezember 1992 beschlossen (Art. 3 lit. c) i.V.m. Art. 7 a EGV). Die vertraglich festgelegten Tätigkeiten der Europäischen Union zur Verwirklichung dieser Aufgaben umfassen nach Art. 3 lit. a) EGV unter anderem "die Abschaffung der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen bei der Einund Ausfuhr von Waren sowie aller sonstigen Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedsstaaten". Während die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft diese Aufgabe hinsichtlich der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen bereits am 1. Juli 1968 erfüllt hatte300, stellte sich die Beseitigung der "Maßnahmen gleicher Wirkung" als wesentlich komplexere und langwierigere Aufgabe dar. Denn an die Stelle der beseitigten Zölle trat eine Fülle sogenannter "nichttarifärer Handelsbarrieren" - technische Handelshemmnisse, Subventionen nicht wettbewerbsfähiger nationaler Wirtschaftszweige, Exportselbstbeschränkungsabkommen, Bevorzugung inländischer Anbieter bei der Vergabe öffentlicher Aufträge u.a.m. -, die sich insbesondere während der rezessiven Phasen der europäischen Volkswirtschaften vervielfachten, da jeder Mitgliedsstaat nicht nur gegenüber dritten Ländern, sondern auch gegenüber den Partnerstaaten in EU und EFTA seine Märkte und Industrien abzuschirmen suchte301. Innerhalb der nichttarifären Handelsbarrieren kommt den technischen Handelshemmnissen eine herausragende Bedeutung zu, da diese die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigen und den genannten Integrationsbestrebungen ent-

299 EuGH, Rs. 15/81 "Umsatzsteuer bei der Einfuhr von Gegenständen, die von Privatpersonen geliefert werden", Slg. 1982, S. 1409 (1431 f.). 300 Ursprünglich war die Verwirklichung der Zollunion auf der Grundlage der Artikel 9-17 EGV auf den Ablauf der Übergangsfrist am 31. Dezember 1969 terminiert; der Zeitpunkt wurde jedoch in einer auf Art. 14 und 235 EGV gestützten sog. "Beschleunigungsentscheidung" des Rates vom 26.07.1966- ABl. EG 1966, S. 2971 - auf den 1. Juli 1968 vorverlegt. Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 286; EmmerichFritsche, A. u.a., Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, S. 8 f. 301 KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 5 Nr. 6. Vgl. auch Bolenz, E., Technische Normung, S. 132; Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 19; Nunnenkamp, P., Technische Handelshemmnisse, S. 7 f.; Poser, G., Chancen und Risiken, S. 11.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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gegenstehen. Denn nach zutreffender Ansicht der Kommission und entsprechend den Ausführungen in Kapitel I.D.l.a) erhält der Binnenmarkt erst durch die Beseitigung der technischen Hemmnisse seine wirtschaftliche und industrielle Dimension, weil dem Hersteller die Realisierung der "economies of scale" durch die Produktion in größeren, kostengünstigeren Serien ermöglicht wird, woraus eine gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie auf dem Weltmarkt resultiert 302. Dementsprechend qualifiziert die Kommission in ihrem Weißbuch von 1985 die Beseitigung der technischen Schranken für den freien Warenverkehr als eine von drei zentralen Zielsetzungen der Politik der Europäischen Union zur Vollendung des Binnenmarktes303. b) Notwendigkeit und Rechtsgrundlagen des Abbaus technischer Handelshemmnisse in der Europäischen Union Technische Handelshemmnisse ergeben sich zum einen daraus, daß die nationalen Rechtsordnungen der EU-Mitgliedsstaaten in technischen Vorschriften unterschiedliche Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen an technische Systeme festlegen. Zum anderen resultieren auch aus den bestehenden privaten Normenwerken der nationalen Normenorganisationen technische Schranken für den freien Warenverkehr 304.

302

KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 6 Nr. 13. Die große Bedeutung der Vollendung des Binnenmarktes durch die Beseitigung der unionsintemen nichttarifären Handelshemmnisse ergibt sich aus der Tatsache, daß ein Großteil des Exports der EU-Mitgliedsstaaten innerhalb der EU abgewickelt wird. Rund 40% der Bruttoinlandsproduktion der EU- und EFTA-Staaten entfielen 1988 auf die Wertschöpfung industrieller Erzeugnisse. Davon dienten 81,5 % der Versorgung des europäischen Binnenmarktes, während 18,5 % in Drittländer exportiert wurden. Winckler, R., Binnenmarkt, S. 530. Als weiterer Beleg sei angeführt, daß im Jahre 1989 der Anteil des deutschen Elektroexports in die EU- und EFTA-Staaten 75 % vom gesamten Exportanteil betrug, der seinerseits mehr als 50 % der elektrotechnischen und elektronischen Produktion deutscher Unternehmen ausmachte. ZVEI, Zielpunkt Zukunft, S. 10; ders., Elektroindustrie in Zahlen. 303 Als weitere Zielsetzungen werden die Beseitigung der materiellen Schranken, d.h. der unionsintemen Grenzkontrollen, und der steuerlichen Schranken genannt. KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", passim u. insbes. S. 5 f. Nr. 10 sowie S. 9 ff., 17 ff. und 39 ff. Auf internationaler Ebene unterzeichneten bereits am 12.04.1979 die über hundert Mitglieder des GATT ein "Übereinkommen über Technische Handelshemmnisse", in dem ein weltweiter Abbau der nichttarifären Handelshemmnisse gefordert wird. Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 431 f. 304 Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 19; Cecchini, P., Europa '92, S. 47; KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 6 Nr. 13; dies., Cost of non-Europe vol. 1, S. 131 f., 165; dies., Cost of non-Europe vol. 6,

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

aa) Nationale technische Rechtsvorschriften als nichttarifäre Handelshemmnisse Als nichttarifäre Handelshemmnisse staatlichen Ursprungs wirken primär solche in den einzelnen Mitgliedsstaaten bestehenden Gesetze, untergesetzliche allgemeinverbindliche Rechtsnormen und behördeninterne Vorschriften, die Produktion, Import, Vermarktung, Verwendung, Recycling und/oder Entsorgung von technischen Systemen oder die Vermarktung von (technischen) Dienstleistungen von der Einhaltung bestimmter (technischer) Anforderungen abhängig machen. Zielsetzung dieser Anforderungen ist insbesondere der Schutz von Leben und Gesundheit der Menschen, seiner Sachgüter und der Umwelt vor den Gefahren und Risiken der Erzeugung, Verwendung, Wiederverwertung und Entsorgung technischer Systeme und der Systeme selbst sowie die Redlichkeit des Wirtschaftslebens, vor allem der Verbraucherschutz. Von erheblicher - sekundärer - Bedeutung sind ferner die national unterschiedliche Handhabung und Ausgestaltung sämtlicher Verwaltungsmaßnahmen überwiegend in Form von behördlichen Zulassungen, Kontrollen und Zertifizierungsmaßnahmen, welche die Einhaltung dieser Regelungen durch den Hersteller, Anbieter oder Importeur sicherstellen sollen305. bb) Nationale technische Normen als nichttarifäre Handelshemmnisse Daneben hat sich die weitgehende Beachtung der nationalen technischen Normenwerke als mindestens ebenso bedeutendes nichttarifäres Handelshemmnis herausgestellt wie die Befolgung der einschlägigen technischen 'XfYJ Rechtsvorschriften . Obwohl eo ipso rechtlich unverbindlich , erfahren S. 13; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 334. Beispiele nichttarifärer technischer Handelshemmnisse finden sich in KOM, Technische Handelshemmnisse, S. 8 ff. 305 Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 19; Cecchini, P., Europa '92, S. 47; KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 6 Nr. 13; dies., Cost of non-Europe vol. 1, S. 131 f., 165; dies., Cost of non-Europe vol. 6, S. 13 f.; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 334. Auf diese sekundären Aspekte wird jedoch im folgenden nicht weiter eingegangen. 306 Vgl. den viertletzten Absatz der Begründung des Rates zur RL 83/189/EWG. Vgl. femer KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 17 Nr. 60; KOM (90) 456 endg. "Grünbuch europäische Normung", S. 3 f. Aus der Rechtsprechung EuGH, Rs. 188/84 "Vertragsverletzung- Zulassung von Holzbearbeitungsmaschinen", Slg. 1986, S. 419 (420). Aus der Literatur Bolenz, E., Technische Normung, S. 31; Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 21; Marburger, P., Regeln, S. 590; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 2; Röh-

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technische Normen zum einen aufgrund ihrer Funktion als konsensual vereinbartes technisch-ökonomisches Regelungssystem aller Marktteilnehmer und der daraus folgenden marktkonstituierenden Wirkung sowie der in Kapitel I.D dargelegten Vorteile in volkswirtschaftlicher, betriebswirtschaftlicher, technischer und gesellschaftlicher Hinsicht eine erhebliche Marktdurchdringung und damit eine bis hin zum "faktischen Befolgungszwang" 308 charakterisierte Bindungswirkung. Folglich ist ein ausländischer Hersteller in vielen Fällen bereits aus Wettbewerbsgründen gezwungen, sein Produkt konform zu den einschlägigen nationalen Normen des Bestimmungslandes zu fertigen, wenn er nicht riskieren will, daß gewerbliche wie nichtgewerbliche Abnehmer auf den Kauf seiner Produkte aufgrund befürchteter Nachteile in puncto Sicherheit, Qualität, Gebrauchstauglichkeit, Kompatibilität, Austauschbarkeit, Verfügbarkeit von Ersatzteilen u.a.m. verzichten 309. Zum anderen werden technische Normen auf-

ling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 93; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 26 ff. 307 Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.b), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.b) und das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland betreffend Kap. II.A.3.b). 308 Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 21. 309 «Duj-Qh jjg Anpassung an ausländische Normen öffnen sich die ausländischen Märkte." AFNOR, Rapport d'activité 1989, S. 8. Insbesondere Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland werden innerhalb der EU häufig beschuldigt, mittels technischer Normen nichttarifäre Handelshemmnisse gegen ausländische Güter aufzubauen: Aus der Sicht Dänemarks steht "Auf der schwarzen Liste der Abschottung nationaler Märkte via Nationalnormen ... Frankreich ganz oben und Deutschland nicht weit dahinter." Französische Beispiele sind Pariser Schikanen des Typs, Zollabfertigung und Normenkonformitätsprüfung eingeführter Güter nach Clermont-Ferrand im Departement Pay-de-Dome zu verlegen (O.V., Europäische Normen/Geteiltes Echo auf Grünbuch, S. 15; vgl. auch Fisher, Andrew, Measuring up to high standards: The EC fight for common technical requirements. Abgedruckt in: DIN, Geschäftsbericht 1988/89, S. 37). Bezüglich der Bundesrepublik Deutschland ist nach Ansicht britischer Industrie- und Handelsunternehmen das DIN-Konformitätszeichen und das TÜV-Zeichen von zentraler Bedeutung für einen Vertragsabschluß mit deutschen Unternehmen: "You're dead over there without it." Hopkirk, Paddy, Mitbesitzer der Mill Automotive Group, in: Fisher, Andrew, Measuring up to high standards: the EC fight for common technical requirements. Abgedruckt in: DIN, Geschäftsbericht 1988/89, S. 37. Trotz dieser vergleichbaren Beurteilung durch Dritte wurde der Bundesrepublik Deutschland von Frankreich vielfach vehement vorgeworfen, ihr System der Sicherheitsgesetzgebung, der technischen Überwachung und der technischen Normung als Schutz gegen die ausländische Konkurrenz zu benutzen (vgl. z.B. O.V., Europäische Normen/Geteiltes Echo auf Grünbuch, S. 15; ferner die Aussagen der französischen Außenhandelsministerin Edith Cresson im Spiegel v. 02.01.84, zit. in Bolenz, E., Technische Normung, S. 5). Auf französischer Seite gelten technische Handelshemmnisse durch deutsche Normen und bestimmte Prüfverfahren als ursächlich für das starke Defizit der Franzosen im Warenverkehr mit Industriegütern (Winckler, R., CENELEC,

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

grund ihrer Rezeption in die Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten befolgt, und zwar oft auch dann, wenn nur eine widerlegliche gesetzliche oder tatsächliche Vermutung für die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen durch ihre Einhaltung spricht und/oder sogar explizit Abweichungsklauseln existieren 310. In diesen Bereichen ist beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland die Rede davon, daß technische Normen mit "faktisch weitgehend gesetzesähnlicher Wirkung herrschen, obwohl ihre Anwendung keineswegs gesetzlich zwingend vorgeschrieben ist" 311 . Erhebliche - sekundäre - Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang ferner der Zertifizierung der Konformität zu den einschlägigen technischen Normen durch von den nationalen Normenorganisationen erteilte Normenkonformitätszeichen zu 312 . cc) Auswirkungen technischer Handelshemmnisse Wie in Kapitel I.D.l.a) ausgeführt, erzwingen unterschiedliche nationale Anforderungen an technische Systeme in Rechts- und/oder technischen Normen S. 81). Klagen Frankreichs über technische Handelshemmnisse bei Exporten vor allem in die Bundesrepublik Deutschland gingen bereits in den sechziger Jahren dem Europäischen Parlament zu (Krämer, H. R., Technische Hemmnisse, S. 17 f.). Während die französische Zeitung "Le Monde" die Bundesrepublik als das "Königreich der Normen" bezeichnete (Lambsdorff, O. G., Königreich der Normen), wurde in der deutschen Tagespresse bereits von einem "Normenkrieg" zwischen Deutschland und Frankreich gesprochen. Vgl. "Kein Normenkrieg mit Frankreich", Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 04.05.1983, zit. in: Nunnenkamp, P., Technische Handelshemmnisse, S. 11. Ungeachtet dessen kann allein die Vielzahl technischer Regeln unterschiedlicher Urheber, die in der Bundesrepublik Deutschland bereits für vergleichsweise einfache Produkte gelten, auf ausländische Hersteller als "bürokratischer Perfektionismus" wirken. Beispielsweise teilte das DITR auf die Anfrage eines Fensterherstellers, welche technischen Regeln er bei der Herstellung von Fenstern für den Hochbau zu beachten habe, folgendes mit: 39 DIN-Normen, 1 VDI-Richtlinie, 5 Vereinbarungen des Deutschen Instituts für Gütesicherung und Kennzeichnung, 6 Richtlinien der Arbeitsgemeinschaft Industriebau, 1 Richtlinie der Fenster- und Fassadenhersteller, 3 Richtlinien des Fachverbandes für Bau- und Möbelhalbzeuge aus Kunststoff, 8 Empfehlungen des Instituts für Fenstertechnik sowie 1 Bundes- und 6 Länderverordnungen. Nunnenkamp, P., Technische Handelshemmnisse, S. 4 f. 310 Vgl. Kap. II.A.l.d). 311 Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 136. 312 Vgl. zum vorhergehenden auch Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 19; Cecchini, P., Europa '92, S. 47; DIN, Europäische Normung 04.96, S. 25 ff.; KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 6 Nr. 13; dies., Cost of non-Europe vol. 1, S. 132, 165; dies., Cost of non-Europe vol. 6, S. 14; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 334. Auf diesen sekundären Aspekt wird jedoch im folgenden nicht weiter eingegangen. Vgl. zu diesem Bereich ausführlich Ensthaler, J., Zertifizierung, Akkreditierung und Normung, passim.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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die Anpassung oder sogar spezifische Entwicklung und Herstellung technischer Systeme entsprechend den individuellen Besonderheiten jedes einzelnen nationalen Absatzmarkts. Damit entfallen wesentliche Vorteile der in Kapitel I.D.2. a) dargelegten Effekte der betriebswirtschaftlich relevanten Funktionen und hauptsächlich der Rationalisierungs- und Vereinheitlichungsfunktion technischer Normen. Insbesondere entstehen für ausländische Hersteller, die ihre Produkte gemäß den nationalen technischen Regeln konstruiert haben, zusätzliche Kosten, da die einschlägigen Informationen ausländischer Regelwerke ermittelt, verfügbar gemacht und in allen betroffenen betrieblichen Abteilungen verwaltet werden müssen und sich der Forschungs- und Entwicklungs- sowie der Konstruktionsaufwand erhöht 313, da häufig entweder eine konstruktive Änderung des Produktes und damit auch der Produktionsanlagen, Betriebs- und/oder Meßmittel oder - bei partieller oder gänzlicher Unvereinbarkeiten der technischen Regeln - sogar die Neuentwicklung- und -konstruktion des Produktes und der Aufbau einer zweiten Produktlinie notwendig sind. Als Folge wird die Serienproduktion in großen Stückzahlen erschwert oder gar verhindert, so daß die "economies of scale" hoher Produktionsstückzahlen nicht realisierbar sind. Ferner vervielfacht sich aufgrund kleinerer Lose der Aufwand für Logistik und Qualitätssicherung, die Lagerkosten für eine größere Vielfalt an Rohstoffen, Halbzeugen und Fertigerzeugnissen steigen und die zwischenbetriebliche Zusammenarbeit auf Ebene der Europäischen Union - etwa der Handel mit (System-) Komponenten - wird erschwert 314. Aufgrund dieser Effekte können sich unterschiedliche nationale Anforderungen an technische Systeme protektionistisch auswirken und den supranationalen Wettbewerb behindern, da durch die beschriebenen Effekte ausländische Hersteller gegenüber den heimischen Produzenten zum Teil erhebliche Kostennachteile in Kauf nehmen müssen und so der Anreiz für einen Produzenten eingeschränkt ist, neue Märkte zu erschließen. Könnte er hingegen seine Produkte ohne Anpassungen in einem anderen europäischen Land vertreiben, würde er durch die "economies of scale" hoher Produktionsstückzahlen seine Stückko313

So ergab eine Branchenanalyse, daß in der exportorientierten deutschen Investitionsgüterindustrie in vielen Branchen beträchtliche Anteile des F&E-Etats der Unternehmen auf die Anpassung ihrer Produkte an die verschiedenen nationalen technischen Vorschriften und Normen verwendet werden. Plinke, W., Branchenanalyse, S. 3. 314 Cecchini, P., Europa '92, S. 46, 48 und 57 f.; KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 6 Nr. 13 und S. 17 Nr. 60; dies., Cost of nonEurope vol. 1, S. 131; dies., Cost of non-Europe vol.6, S. 13; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 334 f.; Nunnenkamp, P., Technische Handelshemmnisse, S. 5 f., 21; Plinke, W., Branchenanalyse, S. 5; Vieweg, K , Technische Normen, S. 58 ff.; Zwieten, J. W. van, Qualitätssicherung, S. 477. Vgl. dazu die detailliert nach betrieblichen Funktionen aufgeschlüsselte betriebswirtschaftliche Bedeutung überbetrieblicher technischer Normen in Kap. I.D.2.a).

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

sten vermindern und so konkurrenzfähiger sowohl in seinen bisherigen Absatzgebieten als auch in den neuen Absatzgebieten auftreten, d.h. seine internationale Wettbewerbsfähigkeit steigern 315. Solange diese technischen Schranken nicht abgebaut sind, müssen die Hersteller der Europäischen Union auf einen Heimatmarkt von der Größe eines Erdteils verzichten und sich stattdessen auf einzelstaatliche Teilmärkte ausrichten 316 . Denn entsprechend den obigen Ausführungen erhält der Binnenmarkt erst durch die Beseitigung der technischen Hemmnisse seine wirtschaftliche und industrielle Dimension, da der freie Austausch der Waren sowie aufgrund der Verringerung der innereuropäischen Variantenvielzahl die Produktion in größeren und damit kostengünstigeren Serien ermöglicht werden, was zu einer größeren internationalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie führt 317. Dieser Aspekt ist besonders bedeutsam in bezug auf die neuen Technologien, deren Forschungs- und Entwicklungskosten sich mit realistischen Chancen auf internationale Wettbewerbsfähigkeit nur auf der Basis eines Heimatmarktes von kontinentaler Dimension amortisieren 318.

315

Cecchini, P., Europa '92, S. 17; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 335. 316 KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 17 Nr. 60. 317 Cecchini, P., Europa '92, S. 48; KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 6 Nr. 13; Müller-Merbach, H., Strategisches Europa-Management, S. 7; Plinke, W., Branchenanalyse, S. 7, 18; Winckler, R., Binnenmarkt, S. 19. So erwartet die Kommission von der Beseitigung der technischen Handelshemmnisse insbesondere durch die "Neue Konzeption" der Referenz von Rahmenrichtlinien auf Europäische Normen (Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01); vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)) beispielsweise in der "Schlüsselindustrie Telekommunikation" (KOM (87) 290 endg. "Grünbuch Telekommunikation", S. 2, 11, 19 f. und 24 sowie Abschn. Einführung, S. 1 ff. und Abschn. Zusammenfassung, S. 4 f.) durch mehr Wettbewerb (ebd., S. 14 ff., 43 ff. und 189 sowie Abschn. Zusammenfassung, S. 9 f., 22) die Entwicklung von Marktbedingungen, "die für den europäischen Benutzer Telekommunikationsdienste größerer Vielfalt, besserer Qualität und zu niedrigeren Kosten sicherstellen, um Europa voll an den Vorteilen - nach innen wie nach außen - eines starken Telekommunikationssektors teilhaben zu lassen" (ebd., S. 3), die "allen Marktteilnehmern gleiche Chancen... bieten" (ebd., S. 5), welche die Nutzung der "economies of scale and scope" ermöglichen (ebd., S. 27 f.), und die europaweit oder sogar auf internationalen Normen beruhend - weltweit Kompatibilität, Netzintegrität und Interoperatibilität internationaler Dienste gewährleisten (ebd., S. 103 sowie Abschn. Zusammenfassung, S. 11, 13 und 24). 318 Cecchini, P., Europa '92, S. 47 ff.; KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 17 Nr. 60; Riesenhuber, H., Entwicklungsbegleitende Normung, S. 121; Winckler, R., Binnenmarkt, S. 19. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. I.D. La). "Ich fordere alle ... Unternehmen auf, ihre besten Fachleute zur Teilnahme an diesen Arbeiten [Normung der Zukunftstechnologien] in Frankreich und in den internationalen

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Folglich wurde im sogenannten "Cecchini-Bericht" m im Jahre 1988 im Rahmen der Befragung von 11.000 europäischen Unternehmen der Beseitigung der Handelshürden durch technische Normen und Vorschriften nach der Beseitigung der administrativen Schranken die zweithöchste Priorität eingeräumt320. Die aus den technischen Handelshemmnissen resultierenden volkswirtschaftlichen Verluste auf Ebene der Europäischen Union wurden für Unternehmen und Verbraucher auf 40 bis 50 Mrd. ECU pro Jahr beziffert 321, bei einem Er-

Kommissionen zu entsenden. Eine solche Beteiligung ist eine gute Kapitalanlage für die Zukunft." Frankreich/Ansprache des Industrieministers. 319 Cecchini, P., Europa '92, passim. Die Grundlage dieses Berichtes bildet "ein nach Aufgabenstellung, Umfang und Methode beispielloses Forschungsprogramm" (ebd., S. 16, 23) der EU-Kommission über die "Kosten der NichtVerwirklichung Europas" bzw. the "Cost of non-Europe", welches von Cecchini geleitetet und in insgesamt 18 Bänden veröffentlicht worden ist; von diesen sind hinsichtlich der diskutierten Aspekte insbesondere die Bände 2, 3 und 6 sowie der Übersichtsband 1 von Bedeutung. Trotz seines beachtlichen Umfangs wurden im Auftrag der Kommission neben diesem Forschungsprojekt noch weitere thematisch ähnliche Untersuchungen durchgeführt, wie beispielsweise die über die "Barriers to entry and intensity of competition in European markets". 320 Cecchini, P., Europa '92, S. 26; KOM, Cost of non-Europe vol. 3, S. 6.· Bezüglich der Aufschlüsselung der Zahlenangaben nach Industriezweigen und Unternehmensgrößen vgl. ebd., S. 7 ff. Die Unternehmen in den Ländern mit den umfangreichsten technischen Normenwerken - in der Bundesrepublik Deutschland, in Frankreich und in dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland - sowie in Dänemark räumten diesem Aspekt sogar die höchste Priorität ein. Für Dänemark ist "Die Harmonisierung technischer Normen ... die eigentliche Chance für kleine und exportorientierte Länder." O.V., Europäische Normen/Geteiltes Echo auf Grünbuch, S. 15. Vgl. dazu auch die Stellungnahmen von Dieter Eckstein, dem Hauptgeschäftsführer beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer ("Das starre europäische Regelwerk lasse sich zwar nur schwer dem technischen Fortschritt anpassen, die Vorteile der offenen Märkte machten das aber deutlich wieder wett. Denn heute müssen die Exporteure beim Geschäft mit Italien oder Frankreich noch mühsam erkunden, ob dem nicht eine nationale Norm entgegensteht."), in: O.V., Europäische Normen/Geteiltes Echo auf Grünbuch, S. 15; Ulf Dinkelspiel, Stockholms Chefbeamter des EU-Integrationsprozesses ("Gemeinsame Normen in den technischen Bereichen sind für ein Land, dessen Bruttosozialprodukt sich zu einem Drittel aus dem Export erwirtschaftet, geradezu ein Himmelsgeschenk.") in: O.V., Europäische Normen/Geteiltes Echo auf Grünbuch, S. 15. 321 Dabei wurden die Kosten für Doppelarbeiten bei Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen nicht einmal mitgerechnet. Zahlenangabe der Kommission in ihrer Broschüre "Stichwort Europa" von 1987. Zit. bei Mohr, C., Antwort, S. 535. Aufgeschlüsselt nach Sparten wurden die Kosten der technischen Handelshemmnisse allein im Telekommunikationssektor auf 4,8 Mrd. ECU, im Bereich der Baumaterialien auf 2,5 Mrd. ECU und im Nahrungsmittelsektor allein für vier Erzeugnisse (Schokolade, Bier, Speiseeis und Teigwaren) auf 0,8 Mrd. ECU beziffert. Cecchini, P., Europa '92, S. 49.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

wartungswert der gesamten "Kosten der NichtVerwirklichung Europas" bzw. dem monetären Nutzen der EU-Marktintegration von rund 216 Mrd. ECU gemäß 5,4 % des BIP der Europäischen Union im Jahre 1988 322 . dd) Rechtsgrundlagen für den Abbau technischer Handelshemmnisse Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft sieht für die Errichtung des Gemeinsamen Marktes in Art. 3 lit. h) EGV die Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften vor, soweit dies für das Funktionieren des

Obwohl aufgrund der allgemein bekannten Problematik derartiger Abschätzungen und Prognosen eine gewisse Vorsicht bei der Betrachtung dieser wie auch der nachfolgenden Zahlenangaben angebracht und auch geäußert worden ist - vgl. z.B. Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 22; Vieweg, K , Technische Normen, S. 66 f. -, erscheint deren Größenordnung angesichts der Ausführungen in Kap. I.D. 1 und Kap. I.D.2 m.E. durchaus als realistisch. Dies sei anhand der Tatsache belegt, daß der ehemalige Arbeitgeber des Verfassers ein weltweit tätiges mittelständisches Elektrotechnik- und Elektronik-Unternehmen mit etwa 1.000 Mitarbeitern - jährlich ein fünf- bis sechsstelliger Betrag allein für die Zertifizierung der Konformität der Produkte zu ausländischen Normen aufwendet, um die entsprechenden Normenkonformitätszeichen führen zu dürfen. Nicht einbezogen und auch nicht quantifiziert worden sind die zweifellos um ein vielfaches höheren Kosten in Forschung und Entwicklung, Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Fertigung, Qualitätskontrolle, Logistik, Verwaltung u.a. betrieblichen Funktionsbereichen, die aus der höheren Variantenanzahl und/oder der Erfüllung der jeweils höchsten nationalen Anforderungen in den abweichenden ausländischen Normen resultieren. Auch die Bundesbank äußerte in ihrem Oktober-Bericht des Jahres 1992 die Erwartung, daß vor allem die Beseitigung der zahlreichen technischen Hemmnisse eine beträchtliche wirtschaftliche Dynamik auslöse. Im Handelsbereich erleichtere sich die wirtschaftliche Arbeitsteilung und ermögliche damit die Produktion in größeren Serien. Auch der Dienstleistungsverkehr erhalte starke Impulse. Zit. in Süddeutsche Zeitung, Do., d. 05.10.1992, Nr. 238, S. 33. 322 Dieser Wert entspricht dem Mittelwert des aufgrund der Kosteneinsparung durch Beseitigung der nichttarifären Handelshemmnisse sowie der Dynamik der Marktintegration gesamtwirtschaftlich erwarteten Nutzens der Verwirklichung des Binnenmarktes, der auf 4,3 % bis 6,4 % des BIP der EU-Mitgliedsstaaten im Jahre 1988 - was einer Bandbreite von 174 bis 258 Mrd. ECU entspricht - geschätzt worden ist. Cecchini, P., Europa '92, S. 15, 19, 49 und 112. Vgl. dazu auch KOM, Cost of non-Europe vol. 3, passim. Daneben werden als weitere positive Folgen des Binnenmarktes durch den anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung in der bezifferten Größenordnung ein Rückgang der öffentlichen Verschuldung, eine Dämpfung der Preissteigerungen bzw. Inflation, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verringerung regionaler und sozialer Ungleichgewichte erwartet. Cecchini, P., Europa '92, S. 18. Zum tatsächlichen volkswirtschaftlichen Erfolg des Binnenmarktes zum Jahreswechsel 1992/93 vgl. Harbrecht, W., Auf der Schwelle zum Binnenmarkt, passim.

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Gemeinsamen Marktes erforderlich ist 323 . Die Befugnisse zur Rechtsangleichung im Bereich der technischen Handelshemmnisse finden sich in Art. 100 EGV sowie spezifisch für die Verwirklichung des Binnenmarktes (vgl. Art. 7 a EGV) in Art. 100 a EGV 3 2 4 . Damit besitzen die rechtssetzenden Organe der EU sowohl die Aufgabe als auch die Kompetenz zur Angleichung derjenigen nationalstaatlichen technischen Vorschriften, welche die Grundfreiheit des freien Warenverkehrs einschränken oder behindern. Neben dem Abbau von Wettbewerbshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen durch Beseitigung legislativer Disparitäten325 mit dem Ziel der Verwirklichung des freien Warenverkehrs wird jede Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Umwelt- und Technikrechts durch die Zielsetzung eines wirksamen Schutzes des Menschen, seiner Sachgüter und der Umwelt vor den Gefahren und Risiken im Rahmen der Erzeugung, Verwendung, Wiederverwertung und Entsorgung technischer Systeme sowie durch diese Systeme selbst bestimmt. Der Zielerreichungsgrad dieser nicht notwendigerweise konfliktären Ziele hängt von der Art und Weise der Rechtsangleichung ab. Hier sind grundsätzlich zwei Methoden zu unterscheiden: Die gegenseitige Anerkennung nationaler Vorschriften und deren Harmonisierung durch Unionsrechtssetzung 326. ee) Die Notwendigkeit des simultanen Abbaus von Handelshemmnissen aus Rechts- und technischen Normen Wie in Kapitel II.B.l.a)bb) ausgeführt, gehört die Erarbeitung von Europäischen Normen zur Förderung des Austausches von Waren und Dienstleistungen und zum Abbau von Handelshemmnissen, die durch nationale technische bzw. elektrotechnische Normen hervorgerufen werden, zum satzungsmäßigen Vereinszweck von CEN/CENELEC. Obwohl damit auf den ersten Blick beiden in den vorhergehenden Kapiteln genannten Kategorien technischer Handelshemmnisse Genüge getan zu sein scheint, sind diese zwei (getrennten) Ansätze der Beseitigung technischer Handelshemmnisse zwar notwendig327, aber noch nicht hinreichend. Denn entsprechend den Ausführungen in den Kapiteln II.Α. 1 .c) dd), II.A.2.c)dd) und II.A.3.c)dd) bilden insbesondere im Umwelt- und Tech323 Beyer, T. C. W., Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, Teil I § 2 II; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 335 f. 324 Beyer, T. C. W., Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, Teil II § 2 II 1 und Teil II §2 III 1. 325 Oppermann, T., Europarecht, Rn. 1066. 326 Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 336. 327 So Oppermann, T., Europarecht, Rn. 1103; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 44 f.; Vieweg, K , Technische Normen, S. 58.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

nikrecht der EU-Mitgliedsstaaten die nationalen Rechtsvorschriften und die nationalen technischen Normen ein komplexes, nicht selten mehrstufiges vernetztes Normen- und Regelsystem. Dabei ist es in den verschiedenen nationalen Normen- und Regelsystemen durchaus willkürlich, wo die Schnittstelle zwischen diesen beiden Bereichen liegt, und welche Regelungsbereiche und -gegenstände durch Rechtsnormen, welche durch technische Normen geregelt werden. Dementsprechend differiert innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten die Abgrenzung zwischen staatlicher und privater technischer Regelsetzung in vielfältigen Variationen. Gegenstände, die in einem Land durch Rechtsvorschrift geregelt sind, stehen in einem anderen Land in einer rechtlich allgemeinverbindlich erklärten und in einem dritten in einer lediglich freiwillig zu befolgenden technischen Norm, die jedoch auf dem Markt de facto die gleiche Wirkung erzielen kann wie die staatliche Rechtsvorschrift 328. So ist beispielsweise die Festigkeit von Zement in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich in einer technischen Norm festgelegt, in Italien hingegen in einer staatlichen Verordnung. Die technischen Lieferbedingungen für Feuerlöscher sind im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland in unverbindlichen technischen Normen, in Frankreich in allgemeinverbindlich erklärten technischen Normen und in Schweden in staatlichen Verordnungen kodiert 329. Demzufolge muß jeglicher Ansatz, ob er nun die gegenseitige Anerkennung oder die Harmonisierung der Normen zum Ziel hat, beide Ebenen der Rechtswie der technischen Normen simultan berücksichtigen. Insbesondere ist eine Harmonisierung der technischen Normen in allen vorhergehend genannten Fällen ohne eine vorherige oder simultane Angleichung der entsprechenden Rechtsvorschriften nicht möglich bzw. bedingt sogenannte A-Abweichungen in den Europäischen Normen 330 , da diese als nationale Normen umgesetzt werden und als solche in den untersuchten EU-Mitgliedsstaaten regelmäßig nicht im Widerspruch zu den nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften stehen dürfen 331.

328 Berger, H., Rechtsverbindliche Strahlenschutzvorschriften, S. 8 ff.; Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 129; Winckler, R., Zusammenarbeit mit der Kommission, S. 385. Vgl. auch die Ausführungen in Kap. II.B.l.a)cc). 329 Frontard, R., Internationale Zusammenarbeit, S. 475. 330 Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 113 in Kap. II.B.l.a)cc). 331 Vgl. beispielsweise für die Bundesrepublik Deutschland die Ausführungen in Kap. II.A.l.a)dd)(3).

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c) Methoden des Abbaus technischer Handelshemmnisse aa) Gegenseitige Anerkennung (1) Beschreibung der Methode und ihrer Anwendung Bei der gegenseitigen Anerkennung von Produktstandards332 bleiben die nationalen Regelungen bestehen und gelten für die im Inland produzierten Waren fort, haben aber für Importe keine Gültigkeit. Diese sind vielmehr nach den Regelungen des Exportlandes zu beurteilen 333. Die Methode der gegenseitigen Anerkennung wird im Unionsrecht primär 334 durch die Art. 30-36 EGV verwirklicht 335 : Soweit die gesetzgebenden Organe der Europäischen Union keine harmonisierten Beschaffenheitsanforderungen an Erzeugnisse festgelegt haben, unterliegen die nationalen Bestimmungen dem Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen i.S.d. Art. 30 EGV. Dabei erfaßt Art. 30 EGV lediglich Maßnahmen der staatlichen Organe, während technische Normen, die von privaten Normenorganisationen aufgestellt werden und als solche nicht rechtsverbindlich sind, nach herrschender Meinung nicht unter die Vorschrift fallen 336 .

332

Vgl. dazu die Begriffsdefinitionen in Kap. I.A.6. In den Anfangsjahren der Europäischen Union gab es darüber hinaus Bemühungen zur Harmonisierung divergierender technischer Vorschriften und Normen durch Richtlinien, welche lediglich allgemeine Zielbestimmungen enthielten. Diesem Konzept war kein Erfolg beschieden, da die Handelshemmnisse nicht aus unterschiedlichen Zielbestimmungen, sondern aus detaillierten Bestimmungen in technischen Vorschriften und Normen resultieren. Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 70; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 41. Zum Verhältnis von gegenseitiger Anerkennung und Rechtsangleichung bezüglich der Beseitigung technischer Handelshemmnisse vgl. Beyer, T. C. W., Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, Teil I § 2 II sowie Teil I § 3 VI 3. 333 Hierunter fällt auch die Anerkennung von produktbezogenen Verwaltungsakten anderer Mitgliedsstaaten. Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 336. 334 Die Anerkennung von nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der EUMitgliedsstaaten durch Rechtsakte nach Art. 100 b EGV hat bisher weder im Bereich der technischen Handelshemmnisse noch anderswo eine praktische Anwendung erfahren und kann hier somit außer Betracht bleiben. Vgl. dazu ausführlich Beyer, T. C. W., Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, passim. 335 Vgl. dazu ausführlich Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 293 ff.; Beyer, T. C. W., Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, Teil I § 3 II 1. 336 Normadressaten der Art. 30 ff. EGV sind entsprechend deren Wortlaut die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die Beschränkungen des Handels abzubauen haben und keine neuen Handelshemmnisse errichten dürfen.

45 Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Maßgeblich für die Auslegung des Begriffes "Maßnahmen gleicher Wirkung" im Sinne von Art. 30, 36 EGV ist die weite Begriffsbestimmung, die der Europäische Gerichtshof in der "Dassonville-Entscheidung " 3 3 7 zugrundegelegt hat. Danach gilt als Maßnahme kontingentgleicher Wirkung "jede Handelsregelung der Mitgliedsstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern"338. Doch können die Mitgliedsstaaten beim Fehlen einer einschlägigen Unionsregelung weiterhin "sinnvolle" Maßnahmen ergreifen, wenn diese "keine Behinderung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten bewirken, mithin von allen Staatsangehörigen erbracht werden können" und - entsprechend Art. 36 S. 2 EGV "weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedsstaaten darstellen" ("rule of „_»>\339

reason ) . Die weitere Leitlinie für die Verwirklichung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung bildet das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall "Cassis de Dijon " 3 4 °, in dem dieser erstmals über eine Handelsregelung zu entscheiden hatte, die unterschiedslos auf eingeführte und einheimische Ware Anwendung fand, und in der er das Kriterium der "sinnvollen Maßnahme" präzisierte 341. Danach gilt ein Produkt grundsätzlich in allen EU-Mitgliedsstaaten als verZwar hat der EuGH den Art. 30 EGV im Fall "Buy Irish" (Rs. 249/81 "Maßnahmen gleicher Wirkung - Förderung inländischer Waren", Slg. 1982, S. 4005) auch auf privatrechtliche Organisationen für anwendbar erklärt, wenn deren Handeln staatlichen Stellen - beispielsweise wegen ihres beherrschenden Einflusses - zuzurechnen ist. Vergleichbare Umstände liegen im Bereich der technischen Normung durch private Normenorganisationen jedoch nicht vor, außer, wenn die Einhaltung dieser Normen de jure oder de facto durch staatliches Einwirken verbindlich vorgeschrieben wird. Vgl. dazu ausführlich Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 79 ff.; femer Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 336 f.; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 35 ff.; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 43, jew. m.w.N. z.T. auch der Gegenposition. A.A. Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 297 f., der eine umfassendere Drittwirkung bezüglich der von Privaten ausgehenden Handelshemmnisse annimmt. Diese ist allerdings laut Oppermann, T., Europarecht, Rn. 1160 von der Praxis bisher nicht aufgegriffen worden. 337 EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, S. 837. 338 Ebd., S. 837 Nr. 1 und S. 852 Rn. 5. 339 Ebd., S. 837 Nr. 2 und S. 853 Rn. 6. Vgl. dazu Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 296; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 337. 340 EuGH, Rs. 120/78 "Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen", Slg. 1979, S. 649. 341 Vgl. zur Cassis-Rechtsprechung Beyer, T. C. W., Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, Teil I § 3 IV 1 unter (1) m.z.N.; vgl. ferner Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 296.

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kehrsfähig, wenn es in einem Mitgliedsstaat rechtmäßig hergestellt und vermarktet worden ist 342 . Nach diesem mittlerweile zur ständigen Rechtsprechung gehörenden "Herkunftslandprinzip" w ist es grundsätzlich nicht mehr möglich, die Einfuhr von Erzeugnissen mit dem Argument zu verhindern, daß das betreffende Produkt nicht den sicherheitstechnischen Vorschriften des Einfuhrlandes entspricht. Allerdings hat diese Regel immer dann eine Ausnahme, wenn eine von innerstaatlichen Rechtsvorschriften herrührende Einschränkung des freien Warenverkehrs notwendig ist, um "zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes", mit denen ein "im allgemeinen Interesse liegendes Ziel [verfolgt wird], das den Erfordernissen des freien Warenverkehrs, der eine der Grundlagen der Gemeinschaft darstellt", vorgeht 344. Als "zwingende Erfordernisse" kommen alle anerkennenswerten, neben den im Urteil genannten vor allem die in Art. 36 EGV aufgeführten Gemeinwohlinteressen in Betracht 345, mithin Gründe der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, der Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums346. Darüber hinaus hat der Europäische Gerichtshof in seiner in zahlreichen Urteilen weiterentwickelten347 "Cassis de Dijon"-Rechtsprechung als "zwingende Erfordernisse" weitere Gemeinwohlinteressen wie beispielsweise den Umweltschutz348 anerkannt. In all diesen Fällen verbleibt den Mitgliedsstaaten auch weiterhin die Möglichkeit, nationale technische Vorschriften aufrechtzuerhal-

342

EuGH, Rs. 120/78 "Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen", Slg. 1979, S. 664 Rn. 14 f. 343 Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 24 m.z.N. aus der Rechtsprechung. Vgl. dazu auch differenziert Beyer, T. C. W., Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, Teil I § 21, Teil I § 3 VI 1 sowie Teil II § 4IV 2 (am Ende). 344 EuGH, Rs. 120/78 "Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen", Slg. 1979, S. 662 Rn. 8. 345 KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 5; vgl. auch Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 337. 346 Allerdings ist durch den EuGH bislang eine Berücksichtigung des Interesses an der Aufrechterhaltung der kulturellen Besonderheiten eines Mitgliedsstaates noch nicht als ein solches Erfordernis anerkannt worden. Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 296 m.N. aus der Rechtsprechung. 347 Umfangreiche Nachweise der diesbezüglichen Rechtsprechung bei Beyer, T. C. W., Rechtsnormanerkennung im Binnenmarkt, Teill § 3 VI 1 (1) und (2). Vgl. auch Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 296; Emmerich-Fritsche, Α., Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Teil D 4. Kap. Nr. 5 a) bb), jew. m.z.N. 348 EuGH, Rs. 302/86 "Freier Warenverkehr- Verpackungen für Bier und Erfrischungsgetränke", Slg. 1988, S. 4607 (4607 f. Rn. 1, passim).

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ten, selbst wenn diese den freien Warenverkehr einschränken oder gar verhindern 349. Allerdings dürfen diese nationalen Regelungen, wie bereits ausgeführt, weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedsstaaten darstellen (Art. 36 S. 2 EGV) und müssen zur Erreichung des vorgegebenen Zieles geeignet und zugleich verhältnismäßig sein. Nach dem zur ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gehörenden "Verhältnismäßigkeitsprinzip" 350 bzw. "Übermaßverbot" ist eine Regelung dann nicht gerechtfertigt, wenn das gleiche Ziel durch eine den Warenverkehr weniger beeinträchtigende Maßnahme verwirklicht werden kann 351 . In der weiteren Ausgestaltung dieser Rechtsprechungsgrundsätze ist der Europäische Gerichtshof über die gegenseitige Anerkennung von Rechtsvorschriften hinausgegangen und hat auch Durchführungsmaßnahmen, insbesondere technische Prüfungen und Kontrollen, mit in seine Rechtsprechung einbezogen. Im Fall "Biologische Produkte" 352 hat das Gericht zunächst zwar festgestellt, daß die Mitgliedsstaaten bei fehlender unionsrechtlicher Regelung im betreffenden Bereich grundsätzlich befugt sind, zum Schutz der öffentlichen Gesundheit das Inverkehrbringen von Erzeugnissen auch dann erneut einem Zulassungsverfahren zu unterziehen, wenn ein ähnliches Zulassungsverfahren bereits in einem anderen Mitgliedsstaat durchgeführt wurde. Den im nationalen Recht festgelegten Prüfungen sind jedoch hinsichtlich ihres Umfangs durch Art. 30, 36 EGV Grenzen gesetzt: Bei gleichem Prüfgegenstand muß sich das erneute Prüfverfahren des Importlandes auf die Bewertung der Gleichwertigkeit der bereits durchgeführten Prüfungen beschränken. Im "Dundalk-Fall"353 hat der Europäische Gerichtshof schließlich aus Art. 30, 36 EGV die Pflicht hergeleitet, bei einer Ausschreibung auf einem öffentlichen Beschaffungsmarkt nicht aus-

349

Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 295; Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 24 f. m.N. aus der Rechtsprechung. 350 Vgl. z.B. EuGH, Rs. 406/85 "Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag - Zulassung eingeführter Fahrzeuge", Slg. 1987, S. 2525. Vgl. dazu ausführlich Emmerich-Fritsche, Α., Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, passim. 351 Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 295; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 337 f.; Oppermann, T., Europarecht, Rn. 1163 ff. 352 EuGH, Rs. 272/80 "Schädlingsbekämpfungsmittel - Zulassung - Maßnahmen gleicher Wirkung", Slg. 1981, S. 3277; vgl. auch EuGH, Rs. 188/84 "Vertragsverletzung - Zulassung von Holzbearbeitungsmaschinen", Slg. 1986, S. 419. 353 EuGH, Rs. 45/87 "Öffentliche Bauaufträge - Gemeinschaftliches Ausschreibungsverfahren; Anwendbarkeit von Artikel 30 EWG-Vertrag", Slg. 1988, S. 4929.

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schließlich eigene nationale, sondern auch gleichwertige andere nationale technische Normen zugrundezulegen354. (2) Möglichkeiten und Grenzen der Methode Die auf den Art. 30 ff. EGV basierende Methode der gegenseitigen Anerkennung ist für die Rechtsangleichung innerhalb der Europäischen Union von beachtlicher Bedeutung355. Wenn entsprechend der in Kapitel II.B.3.b)ee) aufgezeigten Notwendigkeit der simultanen Beseitigung der durch technische Vorschriften und Normen hervorgerufenen technischen Handelshemmnisse simultan die gegenseitige Anerkennung beider Normenarten angestrebt wird, eröffnet diese Methode dem Anschein nach356 die Möglichkeiten, die bestehenden technischen Handelshemmnisse zu beseitigen, dem Entstehen neuer technischer Handelshemmnisse vorzubeugen und den Gemeinsamen Markt insoweit zu verwirklichen, als daß ein nationaler Produzent mit seinen gemäß den nationalen technischen Vorschriften und Normen hergestellten Gütern den gesamten Markt beliefern darf und somit die in Kapitel II.B.3.b)cc) beschriebenen negativen Effekte nicht auftreten; vielmehr kann er in größeren Serien produzieren und so die oft zitierten "economies of scale" realisieren. Jedoch sind dem praktischen Erfolg der Methode der gegenseitigen Anerkennung de jure wie de facto in vielfacher Hinsicht Grenzen gesetzt: Erstens werden durch die Methode der gegenseitigen Anerkennung nur die technischen Handelshemmnisse beseitigt, für deren Aufrechterhaltung sich die Mitgliedsstaaten nicht entsprechend den Ausführungen des vorhergehenden Kapitels auf "zwingende Gründe" des Gemeinwohls im Sinne des Art. 36 EGV 354 Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 338; vgl. zu weiterer, auch gegensätzlicher Rechtsprechung des EuGH ebd., S. 338 f. Vgl. hinsichtlich der Rezeption technischer Normen auf öffentlichen Märkten die Ausführungen in Fn. 437 in Kap. II.B.3.c)bb)(l)(d)(aa). 355 Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)(2)(c)(ee) und Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d). Vgl. ferner Harbrecht, W., Europa auf dem Weg zu einem einheitlichen Binnenmarkt, passim; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 339. 356 So hat die Kommission die "Cassis de Dijon"-Rechtsprechung des EuGH in ihrer Mitteilung 80/C 256/02 dahingehend interpretiert, daß nunmehr grundsätzlich in einem EU-Mitgliedsstaat rechtmäßig hergestellte und vermarktete Erzeugnisse in den Hoheitsgebieten der anderen Mitgliedsstaaten zuzulassen sind und ihre Einfuhr nicht deshalb beschränkt werden darf, weil im Herstellungsland legitime Ziele des Gemeinwohls mit anderen, in technischen Vorschriften vorgeschriebenen Mitteln verfolgt werden als denjenigen, die im Einfuhrstaat Anwendung finden. Daraus hat die Kommission gefolgert, daß Rechtsangleichungsmaßnahmen auf dem Gebiet gleichwertiger Handelsregelungen nicht mehr vorrangig sind. Vgl. dazu auch Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 296 f.

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und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs berufen können. Eine Berufung auf Art. 36 EGV scheidet nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Fall "Schumacher/Hauptzollamt Frankfurt" 357 aber erst dann aus, wenn "Richtlinien der Gemeinschaft die vollständige Harmonisierung aller zum Schutz von Menschen und Tieren notwendigen Maßnahmen vorsehen". Bis zu dieser vollständigen Harmonisierung sind für Einfuhren aus Drittstaaten wie auch für einheimische Produzenten auf dem nationalen Markt weiterhin die jeweiligen einzelstaatlichen Vorschriften maßgeblich. Zweitens ist für die Anwendbarkeit der Methode der gegenseitigen Anerkennung, vor allem im Bereich des Umwelt- und Technikrechts, Voraussetzung, daß in den übrigen Mitgliedsstaaten Vorschriften existieren, die ein gleichwertiges Schutzniveau gewährleisten. Denn nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im "Holzbearbeitungsmaschinen-Fall"358 verpflichten die Art. 30 ff. EGV die Mitgliedsstaaten nicht, in ihrem Hoheitsgebiet Geräte und Maschinen anderer EU-Mitgliedsstaaten zuzulassen, für die nicht nachgewiesen werden kann, daß sie das gleiche Maß an Sicherheit wie die nach nationalem Recht erlaubten Erzeugnisse garantieren. Fehlen solche Vorschriften, so können die daraus resultierenden und nach Art. 36 EGV gerechtfertigten Handelshemmnisse nur durch eine Harmonisierung der einschlägigen Rechtsvorschriften überwunden werden 359. Ohnehin ist ein solcher Nachweis insbesondere im Falle unterschiedlicher Methoden und Systeme zur Erreichung dieses Schutzniveaus außerordentlich schwer zu führen; auch im genannten "Holzbearbeitungsmaschinen-Fall" ist dieses Unterfangen wegen der grundsätzlichen Verschiedenheit der methodischen Ansätze- die Sicherheit von Holzbearbeitungsmaschinen wird in Frankreich durch detaillierte, nur durch weitgehende Automatisierung

357 EuGH, Rs. 215/87 "Einfuhr von Arzneimitteln - Vereinbarkeit mit den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag", Slg. 1989, S. 617 (638 f. Nr. 15). 358 EuGH, Rs. 188/84 "Vertragsverletzung - Zulassung von Holzbearbeitungsmaschinen", Slg. 1986, S. 419. 359 Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 339 f.; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 128 ff., 150; Oppermann, T., Europarecht, Rn. 1163. Insofern greift die zuvor geäußerte Auffassung der Kommission auf den Gebieten der Aufmachung, Zusammensetzung, Bezeichnung und Verpackung von Erzeugnissen, wo die Direktwirkung des Unionsrechts in erheblichem Umfang die Anwendung des innerstaatlichen Rechts beschränkt. Dagegen ist in weiten Bereichen des Umwelt- und Technikrechts insbesondere im Hinblick auf die in Art. 36 EGV genannten und darüber hinaus alle anerkennenswerten Gemeinwohlinteressen nach wie vor eine Rechtsangleichung auf der Ebene der Europäischen Union erforderlich. Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 297; Oppermann, T., Europarecht, Rn. 1168. In der Praxis boten die Bestimmungen des Artikel 36 EGV häufig Vorwand für handelshemmende Maßnahmen. Becker, U., Gerätesicherheit, S. 150.

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erfüllbare sicherheitstechnische Beschaffenheitsanforderungen, in der Bundesrepublik Deutschland dagegen durch gründliche Berufsausbildung und Schulung des Personals gewährleistet - mißlungen. Daraus folgt, daß die Identität der Schutzziele für die gegenseitige Anerkennung der Verkehrsfähigkeit der Produkte zwar notwendig, vielfach aber noch nicht hinreichend ist. Erforderlich ist in diesen Fällen darüber hinaus die Identität der Methoden und Systeme zur Gewährleistung dieses Schutzes, um die Vergleichbarkeit des Schutzniveaus überhaupt zu ermöglichen360. Da drittens die Prüfung der Identität des Schutzniveaus sowie gegebenenfalls auch der Methoden und Systeme zur Gewährleistung dieses Schutzes im Falle einzelstaatlicher differierender Vorschriften notwendigerweise einzelfallabhängig vorgenommen werden muß, erfolgt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Zulässigkeit nationaler Produktions-, Vermarktungs-, Verwendungs- oder Entsorgungsregelungen in aller Regel auch nur punktuell. Hingegen sind Urteile, welche die nationalen Qualitätsregelungen in toto für nicht anwendbar erklären, die Ausnahme. Demzufolge müßte streng genommen jede einzelstaatliche Vorschrift dem Europäischen Gerichtshof zu einer Vereinbarkeitsentscheidung mit europäischem Recht unterbreitet werden, um Rechtssicherheit zu erlangen. Mit einer derartigen Flut von Verfahren wäre der Europäische Gerichtshof jedoch bei weitem überfordert 361. Außerdem bleibt es infolge des Fehlens von Unionsgesetzgebung den Gerichtsinstanzen überlassen, Fragen zu entscheiden, die normalerweise in den Kompetenzbereich des Gesetzgebers fallen, woraus eine in hohem Maße schädliche Rechtsunsicherheit resultiert 362. Für alle übrigen, von den Ausführungen der ersten beiden Punkte nicht betroffenen Rechtsbereiche birgt die Methode der gegenseitigen Anerkennung viertens den Nachteil, daß damit zwar nicht juristisch, aber oft faktisch eine Rechtsangleichung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner erzielt wird. Da die Regierungen der Mitgliedsstaaten politisch kaum strengere Anforderungen für die im eigenen Land produzierten Waren gegenüber den importierten Produkten

360 Vgl. dazu ausführlich Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 138 ff. u. insbes. 142 ff.; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 87 f. Als Folge einer solchen Vorgehens weise wird jedoch eine weitere (technische) Entwicklung stark eingeschränkt. Deshalb sollte, wo immer möglich, das von den Normenorganisationen praktizierte Konzept der "functional or performance specifications" i.V.m. geeigneten Prüfnormen Anwendung finden. Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 59 in Kap. I.D.l.a) und Fn. 276 in Kap. I.D.3. 361 KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 5; vgl. auch Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 142 ff., 151; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 89, letztere jew. m.w.N. 362 KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 5.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

aufgrund der daraus resultierenden Inländerdiskriminierung aufrechterhalten können, findet eine Rechtsangleichung auf dem die Unternehmen am wenigsten belastenden Niveau statt und begründet die Gefahr, daß nationale Sicherheitsstandards gesenkt werden 363. Fünftens versagt die Methode der gegenseitigen Anerkennung in Fällen wie der Festlegung von Re sorptions grenzwerten beispielsweise von Pestiziden, Düngemitteln und Schwermetallen oder von Zusatzstoffen in Lebensmitteln. Zwar ist in diesem Bereich häufig ein im Ergebnis vergleichbares Schutzniveau in Form von Mensch, Tier und Umwelt zumutbaren bzw. zugemuteten Gesamthöchstmengen einzelner Stoffe in den Mitgliedsstaaten vorhanden. Genauso häufig unterscheiden sich jedoch die Regelungen bezüglich der bei einem bestimmten Lebensmittel erlaubten Grenzwerten. Die gegenseitige Anerkennung all dieser Einzelgrenzwerte hätte zur Folge, daß sich die einzelnen Resorptionsmengen kumulieren könnten und die zumutbaren Gesamthöchstmengen dadurch überschritten würden 364. Auch in diesem Fall gilt das unter zweitens Ausgeführte zur Notwendigkeit der Identität von Schutzzielen, Methoden und Systemen. Bezogen auf die gegenseitige Anerkennung technischer Normen werden sechstens durch diese Methode selbst bei angenommener Äquivalenz der schütz- und sicherheitstechnischen Inhalte viele der in Kapitel I.C beschriebenen Funktionen technischer Normen - insbesondere die Vereinheitlichungs-, Ordnungs-, Austausch-, Kompatibilitäts-, Logistik- und Verständigungsfunktion - nicht realisiert. Diese Funktionen, welche die Basis einer europaweiten Spezialisierung und Arbeitsteilung bilden 365 , entstehen nicht durch gegenseitige Anerkennung, sondern nur durch die Festlegung einer gemeinsamen bestmöglichen Lösung der sich wiederholenden technischen und/oder organisatorischen Aufgabe 366, mithin also durch gemeinsame Europäische Normen. Unmittelbar damit zusammenhängend vermag siebtens die gegenseitige Anerkennung aufgrund der in Kapitel I.D.l.a) beschriebenen Funktion der technischen Normen als technisch-ökonomisches Regelungssystem und ihrer daraus resultierenden marktkonstituierenden Wirkung den durch nationale technische nicht zu überwinden. Normen erzeugten faktischen Marktschließungseffekt Wenn sich z.B. auf dem deutschen Markt eine DIN-VDE-Norm über elektrische Installationsmaterialien durchgesetzt hat, wird sie infolge der zuvor genannten,

363

Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 336; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 86. 364 Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 88 f. 365 Vgl. Kap. I.D.l.a). 366 Vgl. die Def. 1 des Begriffes technische Normung von Kienzle in Kap. I.A.3.b).

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durch die gegenseitige Anerkennung nicht realisierten Funktionen technischer Normen auch ohne jede staatliche Einwirkung von Versorgungsunternehmen, Herstellern und Installateuren beachtet werden. Obwohl rechtlich unverbindlich, sind ausländische Anbieter dann ebenfalls gezwungen, nach dieser DIN-VDENorm zu produzieren, weil ihre Erzeugnisse sonst keine Abnehmer finden. Als Folge überwindet die Methode der gegenseitigen Anerkennung die in Kapitel II.B.3.b)cc) beschriebenen negativen Effekte der technischen Handelshemmnisse nur de jure, nicht aber de facto. Auch insoweit kann nur eine Harmonisierung der technischen Normen helfen 367. Achtens führt schließlich die Methode der gegenseitigen Anerkennung technischer Vorschriften und Normen mit den genannten Ausnahmen zwar zu einer Öffnung der nationalen Märkte der EU-Mitgliedsstaaten, nicht aber zu deren Verschmelzung zu einem Gemeinsamen Markt mit einheitlichen Regeln und Rahmenbedingungen. Es entwickelt sich zumindest im industriellen Bereich ein Wettbewerb unterschiedlicher Systeme statt eines Systems unverfälschten Wettbewerbs. Ziel der EU in dieser Hinsicht ist aber nicht ein Wettbewerb der durch nationale Rechtssysteme, Vorschriften und technische Normen gebildeten Rahmenbedingungen der Unternehmer, sondern ein Wettbewerb der Unternehmen, ihrer Standorte und Produkte selbst368. Ein solch unverfälschter Wettbewerb kommt aber nur bei weitgehend vergleichbaren Rahmenbedingungen zustande. Nachdem die Europäische Union zunächst die gegenseitige Anerkennung durch Richtlinien ohne vorherige Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften zu erreichen versucht hatte, gab sie - wohl nicht zuletzt aus den genannten Gründen - im Jahre 1962 diese Methode im Bereich des Umwelt- und Technikrechts zugunsten der Methode der Harmonisierung bis auf weiteres auf 369 . Seit 1985 wird die Methode der gegenseitigen Anerkennung im Rahmen der im Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes veröffentlichten neuen Strategie zur Beseitigung technischer Handelshemmnisse in all den Bereichen wieder vorrangig angewandt, in denen eine Harmonisierung aus gesundheits-, sicherheits-, Verbraucher-, umweit- oder industriespezifischen Gründen nicht unbedingt erforderlich ist 370 .

367 1.d.S. auch Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 340. Vgl. auch Kap. II.B.3.c)bb)(2)(c)(ee). 368 Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 85 m.N. 369 Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 341 m.N. 370 Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)(2)(c)(ee).

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

bb) Harmonisierung Bei der Harmonisierung von technischen Anforderungen werden europaweit geltende technische Standards371 geschaffen, welche die nationalen Regelungen ersetzen, optional zu diesen oder als Mindestvorschriften gelten und so den freien Warenverkehr verwirklichen sollen. Zielsetzung dabei ist es, für den harmonisierten Bereich eine Martktabschottung durch die Vorschreibung unterschiedlicher Sicherheitskonzeptionen auszuschließen. Rechtsgrundlagen der Harmonisierung bilden neben den Spezialermächtigungen des Art. 118 a EGV für den Bereich des Arbeitsschutzes und des Art. 130 s EGV für das Gebiet des Umweltschutzes vor allem die Art. 100 und 100 a EGV 312. Danach erläßt der Rat Richtlinien bzw. Maßnahmen für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der EU-Mitgliedsstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken (Art. 100 EGV) bzw. die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben (Art. 100 a EGV). Bezüglich des letzteren ist nach Art. 100 a Abs. 3 EGV in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz eine Rechtsangleichung auf einem hohen Schutzniveau anzustreben. Die Anwendung strengerer nationaler Vorschriften als die Harmonisierungsmaßnahmen sind nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 100 a Abs. 4 EGV möglich. Danach müssen diese durch wichtige Erfordernisse im Sinne des Art. 36 EGV oder in bezug auf den Schutz der Umwelt oder Arbeitsumwelt gerechtfertigt sein und durch die Kommission bestätigt werden 373.

371

Vgl. dazu die Begriffsdefinitionen in Kap. I.A.6. Der durch die EEA eingefügte Art. 100 a EGV ist im Verhältnis zu Art. 100 EGV eine Sondervorschrift für die binnenmarktbezogene Rechtsangleichung. Als wichtigster Unterschied gegenüber dem Einstimmigkeitserfordernis des Art. 100 EGV können nach Art. 100 a EGV Harmonisierungsmaßnahmen (d.h. nicht nur Richtlinien) vom Rat mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Langeheine, B., in: Grabitz/Hilf, KEU, Art. 100a Rn. 1. 373 Langeheine, B., in: Grabitz/Hilf, KEU, Art. 100a Rn. 68. Geschieht dies nicht, hat die EU-Maßnahme Vorrang. Der Mitgliedsstaat kann in einem solchen Fall nur vor dem EuGH klagen. Damit sind die Hürden für ein erfolgreiches Schutzklauselverfahren bei der Anwendung des Art. 100 a EGV sehr hoch. Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 340. 372

Β. Auf Ebene der Europäischen Union ( 1) Das ursprüngliche Harmonisierungskonzept

715

der EU

Nach dem Scheitern des Ansatzes der gegenseitigen Anerkennung schlug die Kommission in ihrem Aktionsprogramm vom 24.10.1962 374 den Weg der Rechtsangleichung ein. Die aus Anlaß dieses Aktionsprogramms begonnene eingehende Untersuchung der Kommission über Art und Ausmaß technischer Handelshemmnisse führte zu einem umfangreichen Katalog, der die Basis des im Jahr 1968 dem Rat vorgelegten "Entwurfs] einer Entschließung des Rates über ein allgemeines Programm zur Beseitigung der technischen Hindernisse im Warenverkehr, die sich aus Unterschieden in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ergeben", bildete375. In diesem schlug die Kommission dem Rat mehrere Harmonisierungsmodelle vor. In seiner Entschließung vom 28. Mai 1969 über ein "Programm zur Beseitigung der technischen Hemmnisse im Warenverkehr mit gewerblichen Erzeugnissen, die sich aus Unterschieden in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten ergeben" 316, entschied sich der Rat für eine Rechtsangleichung überwiegend mittels Richtlinien nach Art. 100 EGV 3 7 7 . Das Programm sah vor, daß in drei Phasen bis Ende 1969, Mitte 1970 und Ende 1970 etwa 115 Harmonisierungsrichtlinien für eine entsprechende Anzahl von Produkten378 nach detaillierten Zeitplänen für den Bereich der gewerblichen Wirtschaft aufzustellen waren. Trotz deutlicher Verzögerungen - die Kommission hatte bis Ende 1971 erst 46 Richtlinien Vorschläge vorgelegt, von denen der Rat lediglich 21 verabschiedet hatte379 - wurde das Programm am 21. Mai 1973 um weitere 25 Richtlinien auf nunmehr 160 Pro-

374 Memorandum der Kommission der EWG für das Aktionsprogramm der Gemeinschaft für die zweite Stufe. Zit. in: Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 341. 375 Dieses "allgemeine Programm" ist als Teil I Bestandteil des "Allgemeinen Programms zur Beseitigung der technischen Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Warenverkehr, die sich aus der Unterschiedlichkeit der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ergeben" v. 07.03.1968 - ABl. EG Nr. C 48 v. 16.05.1968, S. 24 -. 376 Dieses Programm ist als Teil I Bestandteil des "Allgemeinen Programms zur Beseitigung der technischen Hemmnisse im Warenverkehr, die sich aus Unterschieden in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten ergeben" - ABl. EG Nr. C 76 v. 17.06.1969, S. 1 -, welches als Teil II ein entsprechendes Programm für den Lebensmittelsektor enthält. 377 Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 23; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 341. 378 Es handelte sich dabei vornehmlich um Kraftfahrzeuge, landwirtschaftliche Maschinen und Schlepper, Meßgeräte, elektrische Apparate, Druckbehälter, Düngemittel, gefährliche Verbindungen und Aufzüge. Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 71. 379 Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 108.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

dukte und Produktgruppen 380 erweitert und im September 1973 mit dem Zieldatum 1. Januar 1976 neu terminiert 381. Dabei lagen dem Programm drei methodische Ansätze der Rechtsangleichung zugrunde: die Konzepte der "totalen" und der "optioneilen" Harmonisierung sowie das Konzept der Mindestvorschriften. (a) Die Methode der "totalen Harmonisierung" (aa) Beschreibung der Methode und ihrer Anwendung Im Rahmen des ursprünglichen Harmonisierungskonzepts der EU wandten Kommission und Rat zunächst grundsätzlich die Methode der "totalen Harmonisierung" an 382 . Dabei schreiben die entsprechenden Richtlinien vor, daß nur Waren, die den Festlegungen dieser Richtlinien entsprechen, innerhalb der Europäischen Union frei gehandelt werden dürfen. Hingegen sind entgegenstehende nationale rechtliche Regelungen ausgeschlossen383. Im Rahmen dieses Konzepts hatte sich die EU-Kommission zum Ziel gesetzt, jedes technische Detail, das bis dahin in technischen Vorschriften oder Normen eines Mitgliedsstaates

380 Hinzu kamen u.a. Krafträder, Verpackungen, Spielzeug, Baugeräte, Baumaschinen, Benzinzusätze und Heizöl. Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 72. 381 Entschließungen des Rates v. 21.05.1973 zur Ergänzung der Entschließung vom 28.05.1969 über ein Programm zur Beseitigung der technischen Hemmnisse im Warenverkehr mit gewerblichen Erzeugnissen, die sich aus Unterschieden in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten ergeben - ABl. EG Nr. C 38 v. 05.06.1973, S. 1 -; Entschließungen des Rates v. 17.12.1973 über die Industriepolitik ABl. EG Nr. C 117 v. 31.12.1973, S. 1 Um eine Gefährdung des Programms durch neue Rechtssetzungsinitiativen der Regierungen der Mitgliedsstaaten zu verhindern, vereinbarte der Rat zugleich eine befristete Stillhalteregelung, während der die Regierungen auf dem jeweiligen Gebiet auf den Erlaß von Vorschriften und die Vorlage von Gesetzesentwürfen verzichteten. Damit verbunden war eine Mitteilungspflicht der Staaten an die Kommission über alle entsprechenden Initiativen auch hinsichtlich der nicht im Programm genannten Produkte, um Transparenz im Hinblick auf zukünftige diesbezüglicher Angleichungsmaßnahmen zu schaffen. Allerdings war diese Vereinbarung als "Gentlemen's Agreement" unverbindlich und eröffnete den Mitgliedsstaaten ausdrückliche Derogationsmöglichkeiten, wenn eine Abweichung aus Gründen der Sicherheit oder Gesundheit erforderlich schien, so daß die Stillhalteregelung schließlich nur bei 11 der über 140 Richtlinien Anwendung fand. Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 71 f. 382 Joerges, C. u.a., Die Normung von Konsumgütem, S. 175; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 73. 383 Vgl. dazu die Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil Β Abschn. III Nr. 1; vgl. femer Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 73.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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festgelegt worden war, in den Richtlinien in "technischen Anhängen" selbst zu regulieren 384. Beispielsweise umfaßte der "Vorschlag [der Kommission] für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über vor dem Fahrersitz montierte Umsturzvorrichtungen mit zwei Pfosten für Schmalspurzugmaschinen mit Luftbereifung" 385 77 Druckseiten, davon 73 in 10 technischen Anhängen. Während die Richtlinien durch den Rat laut Art. 100 EGV einstimmig zu verabschieden waren, sah das Programm eine Ermächtigung für die Kommission zum Erlaß der notwendigen Änderungsvorschriften vor, um eine beschleunigte Anpassung der Richtlinien an den technischen Fortschritt zu ermöglichen. Allerdings bedurfte ein entsprechender Erlaß der Zustimmung der qualifizierten Mehrheit eines aus Vertretern der Mitgliedsstaaten gebildeten Ausschusses. Andernfalls wurde der Änderungsentwurf dem Rat zur qualifizierten Abstimmung vorgelegt, der innerhalb von drei Monaten gleichfalls mit qualifizierter Mehrheit entscheiden mußte386. Die Methode der "totalen Harmonisierung" hat z.B. Anwendung gefunden bei den Richtlinien und Richtlinien-Vorschlägen über die Kennzeichnung von Produkten (z.B. Textilbezeichnungen, Kristallglas, gefährliche Stoffe), über die Festsetzung der Mindestgrenze des biologischen Abbaus von Waschmitteln, auf dem Lebensmittelsektor sowie auf den Gebieten der Düngemittel und Kosmetika 3 8 7 . (bb) Möglichkeiten und Grenzen der Methode Die Methode der "totalen Harmonisierung" hat den Vorteil, daß die Bedingungen für das Inverkehrbringen der Produkte zwingend festgelegt werden, wobei die Mitgliedsstaaten im Geltungsbereich der Richtlinie weder höhere noch niedrigere Anforderungen normieren dürfen. Im Falle hinreichend detaillierter technischer Festlegungen bietet die Methode die Möglichkeit, die Voraussetzungen für einheitliche technische und sonstige Rahmenbedingungen im Gemeinsamen Markt bzw. Binnenmarkt zu schaffen. Sofern durch eine entsprechende Richtlinie gleichzeitig die Kontroll- und Prüfverfahren vereinheitlicht werden, erübrigen sich darüber hinaus auch die nochmaligen Verfahren ent384 DIN, Europäische Normung 04.96, S. 7; Eckstein, D., Vereinheitlichung von Normen, S. 16. 385 KOM (84) 400 endg. - ABl. EG Nr. C 222 v. 22.09.1985, S. 1 -. 386 Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 71. 387 Vgl. dazu die Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil Β Abschn. III Nr. 1 Abs. 1; vgl. ferner Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 73.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

sprechend den nationalstaatlichen Vorschriften, so daß die dadurch verursachten Kosten und Zeitverzögerungen bei der Importabwicklung entfallen. Als Ergebnis werden Wettbewerbsverzerrungen auf Grund unterschiedlicher nationaler technischer Vorschriften vollständig beseitigt388. Gegenüber der Methode der gegenseitigen Anerkennung bietet die Methode der "totalen Harmonisierung" grundsätzlich die Möglichkeit der Überwindung der dort auftretenden Probleme: Erstens scheidet im Falle einer vollständigen Harmonisierung aller zum Schutz von Menschen, deren Besitz, Tieren und Umwelt notwendigen Maßnahmen eine Berufung auf "zwingende Gründe" des Gemeinwohls im Sinne des Art. 36 EGV und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aus. Zweitens ist diese Methode auch in den Fällen anwendbar, wo nur in einigen, nicht aber in allen EU-Mitgliedsstaaten Vorschriften existieren, die ein gleichwertiges Schutzniveau gewährleisten. Drittens kommt es nicht zu Rechtsunsicherheiten und zu einer Überlastung des Europäischen Gerichtshofs, da es aufgrund der im Rahmen der totalen Harmonisierung erfolgenden Unionsgesetzgebung nicht den Gerichtsinstanzen überlassen bleibt, die diesbezüglichen Fragen zu entscheiden. Viertens hängt, anders als bei der Methode der gegenseitigen Anerkennung, bei der Methode der totalen Harmonisierung die Höhe des Schutz- und Sicherheitsniveaus von der politischen Entscheidung der europäischen Rechtssetzungsorgane ab 3 8 9 und ermöglichen damit die bezüglich des Binnenmarktes nach Art. 100 a Abs. 3 EGV in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltund Verbraucherschutz geforderte Rechtsangleichung auf einem hohen Schutzniveau. Fünftens eignet sich die Methode der totalen Harmonisierung auch für Fälle wie die Festlegung von Resorptions grenzwerten beispielsweise von Pestiziden, Düngemitteln und Schwermetallen oder von Zusatzstoffen in Lebensmitteln, indem neben der Identität der Schutzziele gegebenenfalls auch Methoden und Systeme normiert werden können. Sechstens ist es grundsätzlich denkbar, die im Rahmen der Methode der gegenseitigen Anerkennung nicht realisierbaren Funktionen technischer Normen insbesondere die Vereinheitlichungs-, Ordnungs-, Austausch-, Kompatibilitäts-, Logistik- und Verständigungsfunktion - auf Ebene der technischen Vorschriften zu verwirklichen, sofern diese die dazu notwendigen Festlegungen treffen. 388 389

S. 340.

Vgl. dazu auch Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 74. Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht,

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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Unter derselben Voraussetzung vermag siebtens diese Methode den durch nationale technische Normen als technisch-ökonomisches Regelungssystem erzeugten faktischen Marktschließungseffekt zu überwinden, da die Richtlinien der EU alle technischen Festlegungen enthalten und technische Normen, die diesen Festlegungen widersprechen, zurückgezogen werden müssen390. Die Methode genügt dann auch der in Kapitel II.B.3.b)ee) aufgezeigten Notwendigkeit der simultanen Beseitigung der durch technische Vorschriften und Normen hervorgerufenen technischen Handelshemmnisse. Achtens führt schließlich die Methode der totalen Harmonisierung zu einer Verschmelzung der nationalen Märkte der EU-Mitgliedsstaaten zu einem Gemeinsamen Markt mit einheitlichen Regeln und Rahmenbedingungen, d.h. zu einem System unverfälschten Wettbewerbs. Trotz ihrer Möglichkeiten ist diese Methode, wie bereits in den Ausführungen des vorangegangenen Kapitels erkenntlich, gescheitert391. Folgende Gründe sind für das Scheitern der Methode der totalen Harmonisierung verantwortlich: Erstens wird grundsätzlich bemängelt, daß die technische Detailharmonisie"3QO

1Q1

rung schwerfällig und unflexibel , umfangreich und zeitaufwendig ist. Diese "ausufernden technischen Detailregelungen"394 führten zweitens i.V.m. dem in Art. 100 EGV vorgesehenen Einstimmigkeitsprinzip der Beschlußfassung des Rates395 zu erheblichen Arbeitsrückständen und langen Erarbeitungszeiträumen. So waren Ende der siebziger Jahre - also drei Jahre nach dem zuletzt terminierten Abschlußzeitpunkt des Programms - etwa 115 Richtlinien des Rates und 17 Richtlinien der Kommission aufgrund ihr erteilter Ermächtigungen

390

Vgl. z.B. für die Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.a)dd)(3). Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 341; Schröder, B., Europäische Normung und Handwerk, S. 59. 392 Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 342. 393 Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1181. 394 Ein "eindrucksvolles" bzw. "besonders krasses" Beispiel ist nach Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 23 bzw. Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 341 der im vorherigen Kapitel wiedergegebene Richtlinienentwurf. Auch der Vorläufer der heutigen Spielzeugrichtlinie wurde als "superbürokratisch" charakterisiert und wäre ohne drastische Modifikation entsprechend der in Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d) dargelegten "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" niemals verabschiedet worden. Sauer, M., Neues Konzept, S. 602 f. 395 Beispielsweise blockierten Meinungsverschiedenheiten bezüglich des Schraubenabstandes die Verabschiedung der gesamten Maschinenrichtlinie a.F. Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 75. Vgl. auch Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1181. 391

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

verabschiedet worden. Davon betrafen über die Hälfte der verabschiedeten Ratsrichtlinien Kraftfahrzeuge einschließlich Ackerschlepper, darunter z.B. je eine Richtlinie für Kopfstützen, Radabdeckungen, Parkleuchten und Rückspiegel. Zu diesem Zeitpunkt lagen dem Rat darüber hinaus 40 Vorschläge der Kommission vor, deren Beratung im Rat noch nicht zum Abschluß gekommen war, wobei diese teilweise bereits länger als fünf Jahre andauerte396. Auch in der Folgezeit stellten zehnjährige Verhandlungs- und Konsultationsrunden keine Seltenheit dar. Beispielsweise waren die am 17. September 1984 vom Rat als Paket verabschiedeten 15 Richtlinien im Durchschnitt 9Vi Jahre alt, bei einem Höchstalter von 12 Jahren 397. Die längste Durchlaufzeit bis zur Verabschiedung im Rat benötigte allerdings mit 15 Jahren die Richtlinie "Flurförderzeuge" - und dies, obwohl der entsprechende europäische Herstellerverband fast alle notwendigen Detailunterlagen geliefert hatte398. Eng damit zusammenhängend wird drittens die fehlende realistische Fortschreibung des Programms als auch die unterbliebene Konzentration auf Kernprobleme kritisiert, obwohl die Mißerfolge bereits frühzeitig erkennbar wa„399

ren Viertens bestanden erhebliche Probleme und Verzögerungen bei der Umsetzung dieser Harmonisierungsrichtlinien in nationales Recht gemäß Art. 189 EGV. Da durch die detaillierten Harmonisierungsrichtlinien nach diesem Ansatz die bis dahin gültigen nationalen Vorschriften zum Teil beträchtlich geändert werden mußten, forderten die Regierungen der Mitgliedsstaaten im Hinblick auf die notwendigen Umgestaltungen der Produktionsprozesse der betroffenen Industrien und die Amortisation der bereits angeschafften Produktionsmittel, aber auch auf die Abkehr von den bewährten nationalstaatlichen Regelungen oft sehr lange Übergangszeiten400. Dennoch waren von den bis Ende der siebziger Jahre erlassenen Richtlinien bis zu diesem Zeitpunkt nur wenige in allen Mitgliedsstaaten vollständig umgesetzt und dementsprechend kaum prak-

396

Winckler, R., Harmonisierungsbestrebungen, S. 61. KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 4. 398 Eckstein, D., Vereinheitlichung von Normen, S. 16. Vgl. auch KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 19 Nr. 68; Lux, R., Die Rolle der europäischen Normen, S. 11; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 341 f.; Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 132; Sauer, M., Neues Konzept, S. 600; Wamer, Α., Normung und Zertifizierung, S. 201. 399 Winckler, R., Harmonisierungsbestrebungen, S. 61. Vgl. dazu auch die Ausführungen im vorhergehenden Kapitel. 400 Vgl. dazu die Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil Β Abschn. III Nr. 1 Abs. 3. 397

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tiziert worden 401. Daß die Mitgliedsstaaten auch in der Folgezeit selbst diese langen Übergangszeiten häufig nicht einhielten, belegt die Tatsache, daß die Kommission in den Jahren 1978 bis 1987 insgesamt 3.436 Vertragsverletzungsverfahren einleitete, von denen 1.224 speziell Fragen des Binnenmarktes und der gewerblichen Wirtschaft betrafen 402. Fünftens waren die Richtlinien als Folge der langen Erarbeitungs- und Beschlußzeiträume i.V.m. einer immer schneller voranschreitenden Technik403 häufig bereits bei ihrer Verabschiedung durch den Rat technisch veraltet. Zu diesen Durchlaufzeiten addierten sich die im vorhergehenden Absatz beschriebenen erheblichen Übergangszeiten und sonstigen zeitlichen Verzögerungen bei der notwendigen nationalstaatlichen Umsetzung, so daß sich der Abstand der Richtlinien zur technischen Entwicklung noch weiter vergrößern konnte, bevor sie in den Mitgliedsstaaten schließlich Geltung erlangten. Darüber hinaus erwies sich auch die notwendige schnelle Anpassung der Richtlinien an den fortschreitenden Stand der Technik - trotz der weitgehenden Delegation dieser Aufgabe an die Kommission - als nach deren Aussage "nicht immer möglich"404. Die hieraus resultierende Behinderung des technischen Fortschritts und damit auch der wirtschaftlichen Entwicklung steht im Widerspruch zu der in Art. 2 EGV niedergelegten Aufgabe der Europäischen Union einer harmonischen und ausgewogenen Entwicklung des Wirtschaftslebens 405. Sechstens normierten die verabschiedeten Richtlinien häufig nur bestimmte Elemente des Regelungsgegenstandes - beispielsweise wie oben genannt Kopfstützen, Radabdeckungen, Parkleuchten und Rückspiegel von Kraftfahrzeugen -, während die übrigen nicht harmonisierten Aspekte weiterhin die Entstehung eines wirklichen Binnenmarktes verhinderten 406. Aufgrund der beschriebenen Probleme im Zusammenhang mit der Beschlußfassung des Rates und der Umsetzung der Richtlinien nach dem Konzept der "totalen Harmonisierung" wurden von Kommission und Rat im Rahmen der Rechtsangleichung nach Art. 100 EGV auch andere Harmonisierungsmethoden verfolgt. Von diesen ist insbesondere die "optionelle Harmonisierung" von Bedeutung, die in den siebziger Jahren, die durch einen nur schleppenden Integra401

Winckler, R., Harmonisierungsbestrebungen, S. 62. Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 342 m.w.N. 403 KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 4. 404 Vgl. dazu die Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil Β Abschn. III Nr. 1 Abs. 3; vgl. aus der Literatur Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1181. 405 Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 75. 406 KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 4. 402

4

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tionsprozeß gekennzeichnet waren, das gebräuchlichste Verfahren darstellte. Denn sie galt nicht nur allgemein als die vorteilhafteste und flexibelste Methode 407 , sondern wurde vor allem von der Kommission als bestmögliche Lösung der genannten Probleme angesehen408. (b) Die Methode der "optionellen Harmonisierung" (aa) Beschreibung der Methode und ihrer Anwendung Die Methode der "optionellen Harmonisierung" - auch "fakultative Methode" genannt - beschränkt sich auf die Schaffung gemeinsamer Regelungen für den unionsinternen, grenzüberschreitenden Warenverkehr, ohne die bestehenden differierenden nationalen Vorschriften außer Kraft zu setzen. Die sogenannten "optionellen Richtlinien" verpflichten die Mitgliedsstaaten, den freien Verkehr von solchen Waren auf den Märkten ihres Hoheitsgebietes zuzulassen, die den Bestimmungen der Richtlinie entsprechen. Zugleich räumen sie den Mitgliedsstaaten jedoch die Freiheit ein, abweichende nationale Vorschriften für die gleichen Produkte weiterhin anzuwenden bzw. zu erlassen. Die Produzenten haben dann die Wahl, entweder nach nationalem oder nach europäischem Recht zu produzieren, wobei aufgrund der Vorteile des deutlich größeren Binnenmarktes nach einer eventuell notwendigen Anpassung der Produkte und Produktionseinrichtungen die vollständige Übernahme der europäischen Bestimmungen erwartet wurde 409 . Das Verfahren fand überwiegend in solchen Fällen Anwendung, in denen die Sicherheitsanforderungen in den Mitgliedsstaaten stark divergierten. Ein Beispiel dafür ist das Gebiet der Kraftfahrzeuge, wo zahlreiche auf diesen Grundsätzen basierende Richtlinien erlassen worden sind410.

407

Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 78. Vgl. dazu die Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil Β Abschn. III Nr. 2. 409 Ebd., Teil Β Abschn. III Nr. 2. Vgl. auch Anselmann, N., Bezugnahme auf harmonisierte technische Regeln, S. 102; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 77. 4,0 Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil Β Abschn. III Nr. 2. Die Kommission plant allerdings seit Anfang der neunziger Jahre die Umstellung dieser Richtlinien auf das Konzept der "totalen Harmonisierung". Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 78. 408

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(bb) Möglichkeiten und Grenzen der Methode Gegenüber der Methode der "totalen Harmonisierung" bietet das Konzept der "optioneilen Harmonisierung" die Möglichkeit, die dort auftretenden Verzögerungen bei der Beschlußfassung des Rates und der Umsetzung der Richtlinien zu vermeiden. Insbesondere war eine Übergangsfrist nach den Erfahrungen der Kommission bei dieser Methode nicht erforderlich, da die bei der "totalen Harmonisierung" erwähnten Vorbehalte der Regierungen der Mitgliedsstaaten entfielen. Denn nach dieser Methode verbleibt den Mitgliedsstaaten und vor allem den betroffenen Industrien ein größerer Spielraum für die Berücksichtigung nationaler Besonderheiten. So bleibt den Herstellern in einem Mitgliedsstaat mit weniger strengen Vorschriften nach wie vor die Wahl, unter Beibehaltung des nationalen Niveaus weiterhin nur für den einheimischen Markt zu produzieren, oder sich durch Anwendung der schärferen EU-Richtlinien auch den Weg zum europäischen Binnenmarkt zu öffnen 411. Tatsächlich führte diese Methode beispielsweise auf dem genannten Gebiet der Kraftfahrzeuge nach Aussage der Kommission zu Ergebnissen, die denen der totalen Harmonisierung vergleichbar waren. Denn die Unternehmen der Mitgliedsstaaten paßten aufgrund der Möglichkeit des Vertriebs ihrer Produkte auf dem gesamten Gemeinsamen Markt bzw. Binnenmarkt innerhalb einer sehr kurzen Frist ihre Fertigung den Spezifikationen der Richtlinien an 412 . Trotz der Überwindung einiger Nachteile der Methode der "totalen Harmonisierung" sind auch dem Erfolg dieses Verfahrens teils gleiche, teils andere Grenzen gesetzt: Erstens müssen die Richtlinien, um die genannten marktkonstituierenden Funktionen technischer Normen - insbesondere die Vereinheitlichungs-, Ordnungs-, Austausch-, Kompatibilitäts-, Logistik- und Verständigungsfunktion auf Ebene der technischen Vorschriften zu realisieren, einen hinreichenden Detaillierungsgrad aufweisen, so daß sich deren Regelungsumfang zumindest in dieser Hinsicht nicht wesentlich verringern dürfte. Insofern bleibt es bei den "ausufernden technischen Detailregelungen" einer "schwerfälligen und unflexiblen" Detailharmonisierung. Dies ist zweitens auch unabdingbare Voraussetzung, um den durch nationale technische Normen als technisch-ökonomisches Regelungssystem erzeugten faktischen Marktschließungseffekt zu überwinden. Sind die Festlegungen in den 411

Bezüglich der EU-Mitgliedsstaaten mit einem höheren nationalen Schutz- und Sicherheitsniveau vgl. die nachfolgenden Ausführungen unter "drittens". 412 Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil Β Abschn. III Nr. 2; vgl. auch Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 78.

46*

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Richtlinien hingegen nicht so detailliert, daß die einschlägigen nationalen technischen Normen angepaßt oder zurückgezogen werden müßten, bleibt der durch diese erzeugte Marktschließungseffekt weiter bestehen. Aus diesen beiden Aspekten folgt wie beim Konzept der "totalen Harmonisierung" unweigerlich auch in diesem Fall eine erhebliche Ausarbeitungs- und Beschlußdauer der optionellen Richtlinien, die im übrigen in den in Kapitel II.B.3.c)bb)(l)(a)(bb) zu diesem Punkt angeführten Zahlenangaben bezüglich Anzahl und Ausarbeitungsdauer enthalten sind. Drittens resultiert aus dieser Methode trotz der theoretischen Möglichkeit der Beibehaltung oder Normierung eines höheren nationalstaatlichen Schutz- und Sicherheitsniveaus praktisch eine Rechtsangleichung auf dem Niveau der EURichtlinien. Da die inländischen Produzenten bei dieser Methode die Wahl zwischen den strengeren Anforderungen der nationalen Rechtsvorschriften und den weniger rigiden Bestimmungen der EU-Richtlinie haben, werden sie aufgrund des zweifachen Kostenvorteils der weniger strikten Anforderungen und des größeren Absatzmarktes immer der EU-Richtlinie den Vorzug geben, so daß strengere nationale Anforderungen zwangsläufig erfolglos bleiben müssen. Umgekehrt ist es viertens den Mitgliedsstaaten durch eine signifikante Absenkung des nationalen Schutz- und Sicherheitsniveaus möglich, den einheimischen Industrien Vorteile zu verschaffen. Während diese Aussage für produktionstechnische Spezifikationen beispielsweise bezüglich des Umweltschutzes in jedem Fall zutrifft, gilt sie für produktspezifische Regelungen nur in solchen Fällen, in denen die Einsparungen aufgrund des abgesenkten Schutz- und Sicherheitsniveaus die "economies of scale" einer einzigen Großserie für den Gemeinsamen Markt überkompensieren. Die Hersteller müssen dann zwar für den grenzüberschreitenden Warenverkehr nach den Regelungen der EURichtlinie produzieren, können aber für das Inverkehrbringen ihrer Erzeugnisse auf dem heimischen Markt nach den weniger strengen nationalen Vorschriften fabrizieren und sich auf diese Weise Kostenvorteile gegenüber der ausländischen Konkurrenz verschaffen. Neben den so entstehenden Wettbewerbsverzerrungen entfallen auf diese Weise sämtliche Vorteile einer EU-einheitlichen Produktion, die Vergleichbarkeit des Angebotes wird erschwert, und für einen Teil der Erzeugnisse bleibt der Zugang zum Binnenmarkt weiterhin versperrt 413. Tatsächlich machten die Mitgliedsstaaten von ihrer - der optionellen Harmonisierungsmethode immanenten - Freiheit, abweichende nationale Regelungen zu erlassen, regen Gebrauch 414. 413

So i.E. auch Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 79. Vgl. auch KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 4. 414 Anselmann, N., Bezugnahme auf harmonisierte technische Regeln, S. 102; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 79.

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725

Aus diesen Gründen wird die Methode der "optioneilen Harmonisierung" heute zu Recht als ungeeignet qualifiziert, technische Handelshemmnisse abzubauen und den Gemeinsamen Europäischen Markt bzw. Binnenmarkt zu verwirklichen, weshalb sie mittlerweile kaum noch Anwendung findet 415. Neben den beiden genannten Harmonisierungsmethoden fand als dritter Ansatz zur Angleichung des Umwelt- und Technikrechts der EU-Mitgliedsstaaten in gewissen Bereichen die Methode der "Mindestvorschriften" Anwendung416. (c) Die Methode der "Mindestvorschriften" (aa) Beschreibung der Methode und ihrer Anwendung Die Methode der "Mindestvorschriften" beschränkt sich auf die Verabschiedung von Richtlinien, welche lediglich einen gemeinsamen verbindlichen schütz- und/oder sicherheitstechnischen Mindeststandard festlegen, den Staaten aber die Möglichkeit einräumen, Vorschriften höheren Niveaus zu erlassen417. Diese Methode findet vor allem dann Anwendung, wenn stark divergierende Schutz- und Sicherheitsniveaus in den einzelnen Mitgliedsstaaten keinen Konsens zulassen, weil auf der einen Seite die Mitgliedsstaaten mit einem hohen Schutzniveau keiner Absenkung desselben zustimmen und auf der anderen Seite die Mitgliedsstaaten mit einem geringeren Schutzniveau dessen Erhöhung zumeist aus wirtschaftlichen Erwägungen ablehnen. Die Schaffung von Mindestvorschriften ist ausdrücklich in Art. 118 a EGV für Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitswelt sowie in Art. 130 t EGV für den Bereich des Umweltschutzes vorgesehen418. (bb) Möglichkeiten und Grenzen der Methode Die Methode der "Mindestvorschriften" bietet die Möglichkeit, auch in den Bereichen zumindest eine gewisse Rechtsangleichung durch eine Begrenzung der technischen Standards innerhalb der EU nach unten zu verwirklichen, in de415

Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 140 f.; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 79. 416 In diesem Zusammenhang hat die Kommission ausdrücklich darauf hingewiesen, daß keines der Harmonisierungsverfahren sich in starrer Form in allen angenommenen Richtlinien oder Richtlinien-Entwürfen findet, sondern daß Variationen und Mischformen möglich sind. Vgl. dazu die Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil Β Abschn. III Nr. 4. 417 Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 79 f. 418 Ebd., S. 80.

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nen weder eine "totale" noch eine "optionelle" Harmonisierung möglich ist und in denen man einer Nivellierung der Rechtsvorschriften auf einem insgesamt niedrigeren Niveau als bei der Methode der gegenseitigen Anerkennung entgegentreten will 4 1 9 . Jedoch sind dem Erfolg der Methode der "Mindestvorschriften" in vielfacher Hinsicht Grenzen gesetzt. Ohne die zuvor diskutierten Punkte nochmals im einzelnen aufzuführen, sei nur darauf hingewiesen, daß diese Methode die Handelshemmnisse aufgrund unterschiedlicher nationaler technischer Normen überhaupt nicht und die aufgrund verschiedener nationaler technischer Vorschriften nur unterhalb des durch das Mindestniveau der Richtlinie festgelegten Standards beseitigt. Entscheiden sich die Mitgliedsstaaten mit einem höheren Schutzniveau für dessen Beibehaltung, so werden die durch diese technischen Vorschriften verursachten Handelshemmnisse nicht abgebaut. Selbst in den oben angesprochenen Bereichen des Arbeits- und Umweltschutzes, die als nicht-produktionsbezogene Bereiche noch als am ehesten für diese Harmonisierungsmethode geeignet gelten420, führen rigidere nationale Standards durch die sogenannte "Inländerdiskriminierung" der heimischen Hersteller zu Wettbewerbsverzerrungen, da diese entsprechend höhere Kosten zu tragen haben als ihre ausländischen Mitbewerber, welche lediglich die einschlägigen EUMindeststandards einzuhalten verpflichtet sind. Schließlich genügt dieses Konzept auch nicht der in bezug auf den Binnenmarkt nach Art. 100 a Abs. 3 EGV in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz geforderten Rechtsangleichung auf einem hohen Schutzniveau. Nach Wortlaut und Inhalt bezog sich das "Programm zur Beseitigung der technischen Hemmnisse im Warenverkehr mit gewerblichen Erzeugnissen" nur auf die Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten. Um jedoch weitere Nachteile hinsichtlich Ausarbeitungsdauer, Akzeptanz und Umsetzung sowohl der Richtlinien nach dem Konzept der "totalen" als auch der "optionellen" Harmonisierung zu vermeiden, begann die Kommission bereits frühzeitig damit, im Rahmen der Ausarbeitung von Richtlinienentwürfen zur Beseitigung technischer Hemmnisse im Warenverkehr technische Normen der europäischen sowie gegebenenfalls auch der internationalen oder der nationalen Normenorganisationen zu rezipieren und sich den darin dokumentierten Sachverstand zu Nutze zu machen421. Denn die Erfahrungen hatten gezeigt, daß

419

Ebd. Ebd., S. 80 f. m.w.N. 421 So z.B. bei den sehr zahlreichen Richtlinienvorschlägen zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten, welche technische Komponenten wie beispielsweise Kopfstützen, Rückspiegel, Lichtsignaleinrichtungen oder Sicherheitsgurte 420

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

727

die technischen Vorschriften in den Richtlinien nur dann Akzeptanz fanden, wenn sie auf den Ergebnissen von Arbeiten fußten, die von den zuständigen Kreisen aller Mitgliedsstaaten akzeptiert worden waren. Damit lag es nach Ansicht der Kommission "auf der Hand", daß die von den europäischen Normenorganisationen durchgeführten Normungsarbeiten für die Kommission eine wertvolle Unterstützung darstellten422. (d) Die Rezeption technischer Normen im Rahmen des ursprünglichen Harmonisierungskonzeptes der EU Um einen ordnungspolitischen Rahmen für die beabsichtigte Rezeption der Europäischen Normen zu schaffen, und angesichts der Tatsache, daß die EU und CEN/CENELEC in Teilbereichen gleiche Zielsetzungen verfolgen 423, hat die Kommission bereits wenige Jahre nach Ratifizierung des ursprünglichen Harmonisierungskonzepts mit CEN und CENELEC zwei eigenständige Vereinbarungen abgeschlossen: zum einen über die "Zusammenarbeit zwischen CEN und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften hinsichtlich der Arbeiten der EG-Kommission auf dem Gebiet der Harmonisierung abweichender technischer Gesetzgebung der Mitgliedsstaaten und der Anwendung harmonisierter Normen in Richtlinien der Gemeinschaft" 424, und zum anderen über die "Zusammenarbeit zwischen CENELEC und den Dienststellen der Kommission von Kraftfahrzeugen betreffen. Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 76. Auf nationaler Ebene wurde bereits 1975 in den Erläuterungen zum Normenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem DIN ausgeführt: "Die Organe der Europäischen Union erarbeiten für viele die öffentlichen Interessen berührende Einzelbereiche Richtlinien nach Art. 100 EWGV zur Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten. In diesen Richtlinien ist, soweit als möglich, eine Verknüpfung zwischen Rechtsvorschriften und technischen Normen vorgesehen." Bundesrepublik Deutschland/DIN, Erläuterungen zum Vertrag, Nr. I., Abs. 3 und 4. 422 Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil Β Abschn. IV Abs. 1 und 2. 423 So gehörte es schon seinerzeit zu den satzungsgemäßen Aufgaben von CEN und CENELEC, insbesondere durch die Aufstellung Europäischer Normen die Entwicklung und den Austausch von Waren und Dienstleistungen zu fördern, die auf technischen Festlegungen beruhenden Handelshemmnisse zu beseitigen, den Handel zwischen allen Mitgliedsländern zu liberalisieren sowie darüber hinaus Europäische Normen für die Referenz in Rechtsnormen der EU und anderer supranationaler Organisationen zur Verfügung zu stellen. Reihlen, H., Vertrag mit den Europäischen Gemeinschaften, S. 200. Zu den heutigen satzungsmäßigen Aufgaben von CEN/CENELEC vgl. Kap. II. B.l.a)bb). 424 In dieser Arbeit zitiert als Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM (vgl. den ausführlichen Nachweis in dem Abkürzungsverzeichnis mehrfach zitierter Rechtsnormen und amtlicher Verlautbarungen).

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der Europäischen Gemeinschaften" 425. Die Vereinbarungen wurden am 8./9. Januar 426 bzw. 7. M a i 4 2 7 1974 von den Lenkungsausschüssen von CEN bzw. CENELEC verabschiedet, wobei jeweils ein offizieller Vertreter der zuständigen Dienststelle der Kommission an den abschließenden Beratungen und der Verabschiedung teilnahm428. (aa) Vereinbarungen über die Zusammenarbeit zwischen CEN/CENELEC und der Kommission vom 879. Januar bzw. 7. Mai 1974 In den Vereinbarungen räumt die Kommission CEN und CENELEC das Vorrecht ein, auf Anfrage Beiträge zur Normung zu liefern, da sie deren Europäische Normen von allen ihr zugänglichen technischen Normen als am besten geeignet für Ihre Anforderungen betrachtet429. Damit soll jedoch explizit keine Verpflichtung der Kommission begründet werden, auf die technischen Normen dieser Organisationen Bezug nehmen zu müssen, da "sie juristisch keinen Teil des ihr durch die Römischen Verträge übertragenen Vorschlagsrechts aufgeben oder delegieren kann" 430 . Teil A der Vereinbarung der Kommission mit CEN statuiert ein bestimmtes Verfahren, dessen Einhaltung Voraussetzung für die Inkorporation von und die Verweisung auf Europäische Normen des CEN in Richtlinien der Europäischen Union ist 431 . Dieses Verfahren sieht insbesondere die Erteilung genauer Mandate - in welchen die technischen Ziele und Anwendungsgebiete der geforderten Normungsarbeiten genannt und Terminvorschläge gemacht werden - sowie eine unverbindliche Stillhaltezusage der Kommission im Falle der Annahme und

425

In dieser Arbeit zitiert als Vereinbarung über die Zusammenarbeit CENELEC/ KOM (vgl. den ausführlichen Nachweis in dem Abkürzungs Verzeichnis mehrfach zitierter Rechtsnormen und amtlicher Verlautbarungen). 426 Orth-Guttmann, R.M., 20. Sitzung des CEN-Lenkungsausschusses, S. 199. 427 Winckler, R., Zusammenarbeit mit der Kommission, S. 386. 428 Es handelt sich bei diesen Vereinbarungen formal nicht um Verträge im üblichen Sinn, wenn auch die faktische Wirkung einer vertraglichen Regelung nahekommen soll. Winckler, R., Zusammenarbeit mit der Kommission, S. 386. A.A. Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 348, die von einer vertraglichen Vereinbarung sprechen. 429 Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Einleitung; vgl. auch Vereinbarung über die Zusammenarbeit CENELEC/KOM, Vorbemerkung, Abs. 2. 430 Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil A, Abs. 2; fast wortgleich Vereinbarung über die Zusammenarbeit CENELEC/KOM, Vorbemerkung, Abs. 1. 431 Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil B, Abschn. IV lit. (a) und (b).

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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Terminierung des Normungsprojekts durch CEN während dieser Frist vor 432 . Darüber hinaus räumt Teil A lit. e) der Vereinbarung die Möglichkeit der wechselseitigen Teilnahme von Vertretern der Kommission und von CEN an den jeweils relevanten Sitzungen der anderen Partei ein. Die Vereinbarung der Kommission mit CENELEC statuiert in drei Abschnitten für die Niederspannungsrichtlinie 433, andere technische Festlegungen und neue Richtlinien umfangreiche gegenseitige Informationsverpflichtungen unter anderem über bestehende, aus technischen Vorschriften oder Normen resultierende Handelshemmnisse434 und harmonisierte Europäische Normen 435 auf den beiden letztgenannten Gebieten sowie die Anwendung bestimmter Artikel der Niederspannungsrichtlinie 436 in diesem Bereich. Darüber hinaus ist in Abschn. 2 Nr. 2.3 der Vereinbarung bezüglich "anderer technischer Festlegungen" die wechselseitige Teilnahme von Vertretern der Kommission und von CEN an den jeweils relevanten Sitzungen der anderen Partei und in Abschn. 2 Nr. 2.4 der Vereinbarung die Anhörung von CENELEC im Falle der Anpassung von Richtlinien an den technischen Fortschritt vorgesehen. Schließlich verpflichtet sich CENELEC in den Abschn. 4 und 5, die Kommission über ihre sonstigen Arbeiten und Ergebnisse zu unterrichten und eine vollständige Sammlung auch der historischen Europäischen Normen und sonstigen Bezugsdokumente zu unterhalten. Damit sind diese Vereinbarungen eine erste, wenn auch rechtlich unverbindliche Grundlage der als "Mandate " bezeichneten Normungsaufträge der Kommission an die europäischen Normenorganisationen. Zugleich wird damit der Status von CEN und CENELEC als die für die technische Normung auf europäischer Ebene zuständigen Normenorganisationen von der Europäischen Union zum ersten Mal offiziell anerkannt. Schließlich stellen die Vereinbarungen eine erste Reaktion auf die in Kapitel II.B.3.b)ee) dargelegte, aus der engen nationalstaatlichen Verflechtung technischer Vorschriften und Normen resultierende Notwendigkeit der simultanen Beseitigung der sich aus beiden Normenarten ergebenden Handelshemmnisse dar. Für die Rezeption der von CEN und CENELEC erstellten technischen Normen in den Richtlinien der Europäischen Union hat die Kommission in den Vereinbarungen drei bereits von der nationalstaatlichen Ebene bekannte Rezep-

432

Ebd., Teil A, lit. a), c) und h). RL 73/23/EWG; vgl. zu dieser die Ausführungen in Kap. II.B.3.c)bb)(2)(b). 434 Vereinbarung über die Zusammenarbeit CENELEC/KOM, Absch. 1 Nr. 1.1.1, Abschn. 2 Nr. 2.1. 435 Ebd., Absch. 1 Nr. 1.1.2 und Abschn. 2 Nr. 2.1. 436 Ebd., Absch. 1 Nr. 1.1.3 und 1.1.4. 433

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

tionsarten vorgesehen: die Inkorporation, die datierte Verweisung und die normkonkretisierende allgemeine Verweisung 437. Dabei hat sie sich das Recht 437 Neben den genannten Rezeptionsarten finden auch im Umwelt- und Technikrecht der Europäischen Union offene Rechtsbegriffe zur Umschreibung des Schutz- und Sicherheitsniveaus Verwendung - wie beispielsweise "keine vermeidbare Beeinträchtigung der Gewässer, der Luft oder des Bodens", "Berücksichtigung der letzten wirtschaftlich realisierbaren technischen Fortschritte" oder "die besten verfügbaren technischen Mittel" -, zu deren Konkretisierung auf der nationalen Rechtsanwendungsebene technische Normen herangezogen werden können. Vgl. dazu Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 2, passim. Ferner werden technische Normen in großem Umfang im Bereich der öffentlichen Märkte rezipiert. Öffentliche Aufträge, die einen erheblichen Teil des Bruttosozialprodukts der EU-Mitgliedsstaaten ausmachen, waren lange Zeit ein privilegiertes Feld für den nationalen Protektionismus. Alle Staaten haben sich bemüht, insbesondere durch technische Spezifikationen oder die Referenz zu nationalen technischen Normen in diesem Bereich günstige Bedingungen für die Unternehmen ihres Landes zu schaffen und so die Aufträge im Inland zu halten. Boulin, P., Normalisation, S. 99 f.; KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 23 Nr. 81; Nicolas, F., Normalisation européenne, S. 3. Zum Abbau entsprechender Diskriminierungen und zur Durchsetzung der Bestimmungen der Art. 30 ff. EGV bezüglich des freien Warenverkehrs und der Art. 59 ff. EGV hinsichtlich der Freizügigkeit der Dienstleistungen, welche für öffentliche Aufträge uneingeschränkt Anwendung finden (KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 23 Nr. 82), hat der Rat in diesem Bereich eine Reihe von Richtlinien erlassen, welche für die Festlegung technischer Spezifikationen regelmäßig die Bezugnahme auf Europäische Normen oder, wenn diese nicht existieren, auf internationale Normen, oder - sofern auch diese nicht existieren - auf nationale Normen vorschreiben. Vgl. hinsichtlich öffentlicher Bauaufträge Art. 10 der Richtlinie des Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (71 /305/EWG) - ABl. EG Nr. L 185 v. 16.08.1971, S. 5 -, zul. geänd. d. Entscheidung der Kommission 92/456/EWG v. 31.07.1992- ABl. EG Nr. L 257 v. 03.09.1992, S. 33 -; in bezug auf öffentliche Lieferaufträge Art. 8 der Richtlinie des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (93/36/EWG) - ABl. EG Nr. L 199 v. 09.08.1993, S. 1 -; im Hinblick auf die Auftragsvergabe im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor Art. 18 der Richtlinie des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (93/38/EWG) - ABl. EG Nr. L 199 v. 09.08.1993, S. 84, ber. d. ABl. EG Nr. L 82 v. 25.03.1994, S. 40 -; in puncto öffentlicher Dienstleistungsaufträge Art. 14 der Richtlinie des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (92/50/EWG) - ABl. EG Nr. L 209 vom 24. 7.1992, S. 1 -. Demgegenüber werden die Rezeptionsarten der normergänzenden undatierten und allgemeinen Verweisung auf Europäische Normen aufgrund der Übertragung von Rechtssetzungsbefugnissen auf die europäischen Normenorganisationen als unionsverfassungswidrig angesehen und finden dementsprechend nirgendwo Anwendung. Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 161 f. A.A. Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 362, die Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Tele-

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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vorbehalten, nach ihrem Ermessen und nach Kontaktaufnahme mit den europäischen Normenorganisationen für jeden Anwendungsfall die geeignetste Lösung auszuwählen438. Die Darstellung dieser Rezeptionsarten ist Gegenstand der Ausführungen der nachfolgenden Kapitel. (bb) Von der Kommission in den Vereinbarungen vorgesehene Arten der Rezeption technischer Normen α) Inkorporation Bei der Regelungsmethode der Inkorporation wird der Text einer oder mehrerer technischer Normen vollständig oder auszugsweise in den Text der Rechtsvorschrift oder - das ist auf Ebene der Europäischen Union der Normalfall - in einen technischen Anhang als tatbestandliche Voraussetzung aufgenommen. Die zuständigen Rechtssetzungskörperschaften verabschieden den Richtlinientext inklusive des Inhalts der technischen Norm(en) in dem dafür vorgesehenen Verfahren, und publizieren ihn anschließend in dem amtlichen Verkündigungsorgan, dem Amtsblatt der Europäischen Union. Als Rechtswirkung dieser Regelungsmethode nimmt der Inhalt der inkorporierten technischen Norm(en) im Range der rezipierenden Rechtsnorm an deren Rechtsgeltung teil. D.h. im üblichen Falle der Rezeption in eine Richtlinie ist der Inhalt der technischen Norm(en) als integraler Bestandteil der Richtlinie gemäß Art. 189 Abs. 3 EGV, Art. 161 Abs. 3 EAGV und Art. 14 Abs. 3 EGKSV für jeden Mitgliedsstaat, an den sie gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überläßt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel. Hingegen erlangen die rezipierten technischen Normen selbst keine Rechtssatzqualität. Die unionsverfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Regelungsmethode ist unstreitig. Da die technischen Normen in veröffentlichter Form vorliegen, können die europäischen Rechtssetzungskörperschaften nach entsprechenden Überkommunikationssektor (93/38/EWG) - ABl. EG Nr. L 199 v. 09.08.1993, S. 84, ber. d. ABl. EG Nr. L 82 v. 25.03.1994, S. 40 - als normergänzende undatierte (in der Terminologie dieser Arbeit allgemeine) Verweisung qualifizieren. 438 Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil B, Abschn. IV lit. c) letzter Absatz. Die Kommission hat für die Europäischen Normen, die sie zu rezipieren beabsichtigt, vier Anforderungen aufgestellt: Die allgemeine Zugänglichkeit und Verfügbarkeit der Europäischen Normen in den Sprachen der juristischen Texte, die Sicherstellung der Authentizität der Europäischen Normen in Form von beglaubigten Exemplaren, die Beteiligung aller interessierten Kreise sowie die Archivierung historischer Normen und Normfassungen. Ebd., Teil Β Abschn. V.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Prüfungen entscheiden, ob sie ihren Inhalt rezipieren wollen. Im Falle der Rezeption kann der inkorporierte Norminhalt während des zeitlichen und innerhalb des gegenständlichen Geltungsbereiches der Richtlinie nur durch das für deren Überarbeitung vorgesehene Verfahren modifiziert werden. Insbesondere ändert eine Überarbeitung der inkorporierten technischen Norm(en) an der tatbestandlichen Zugehörigkeit des rezipierten Normeninhalts zur Rechtsnorm nichts439. Beispiele für die Inkorporation Europäischer Normen finden sich u.a. in folgenden Erstfassungen von Richtlinien des Rates: vom 19. November 1973 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Bescheinigungen und Kennzeichnungen für Drahtseile, Ketten und Lasthaken (73/361/EWG) 440 , die in einem dreiseitigen Anhang detaillierte Kennzeichnungsspezifikationen aus technischen Normen übernommen hat; vom 4. November 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Funkstörungen durch Elektro-Haushaltsgeräte, handgeführte Elektrowerkzeuge und ähnliche Geräte (76/889/EWG) 441 mit achtzehn Seiten technischen Spezifikationen im Anhang; vom 4. November 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Funk-Entstörung bei Leuchten mit Starter für Leuchtstofflampen (76/890/EWG) 442 , die in einem sechsseitigen Anhang detaillierte Spezifikationen technischer Normen inkorporiert hat; und vom 4. November 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Elektrizitätszähler (RL 76/891/EWG) 443 mit achtzehn Seiten technischen Spezifikationen im Anhang. ß) Datierte Verweisung Bei der Regelungsmethode der datierten (starren, statischen) Verweisung auf technische Normen wird in einer Rechtsvorschrift oder - das ist auf Ebene der Europäischen Union der Normalfall - in einem technischen Anhang der Richtlinie zur Ergänzung ihres Tatbestandes auf eine oder mehrere technische Nor-

439

Vgl. zum Vorhergehenden bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II. A.l.c)bb)(l)(a)(aa), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.c)bb)(l)(a) und in bezug auf das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.C) bb)(l)(a); vgl. femer Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil Β Abschn. IV lit. a). Vgl. aus der Literatur Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 156 f., 194 f. 440 ABl. EG Nr. L 335 v. 05.12.1973, S. 51. 441 ABl. EG Nr. L 336 v. 04.12.1976, S. 1. 442 ABl. EG Nr. L 336 v. 04.12.1976, S. 22. 443 ABl. EG Nr. L 336 v. 04.12.1976, S. 30.

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733

men oder auch Normteile in einer durch Normblattnummer und Ausgabe(datum) genau bezeichneten Fassung Bezug genommen; gegebenenfalls erfolgt eine Ergänzung dieser Angaben durch Titel, Bezugsquelle und/oder Hinweise auf eine etwaige Bekanntmachung im Amtsblatt der EU. Die Rechtswirkung einer datierten Verweisung stimmt mit derjenigen der Inkorporation überein: Da der Inhalt der in Bezug genommenen technischen Norm(en) in die rechtliche Regelung rezipiert wird und im Range der verweisenden Rechtsnorm an deren Rechtsgeltung teilnimmt, ist im üblichen Fall der Rezeption in eine Richtlinie der Inhalt der technischen Norm(en) gemäß Art. 189 Abs. 3 EGV, Art. 161 Abs. 3 EAGV und Art. 14 Abs. 3 EGKSV für jeden Mitgliedsstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überläßt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel. Gleiches gilt nicht für die rezipierten technischen Normen selbst, deren Rechtscharakter einer privaten, auf freiwillige Anwendung gerichteten Empfehlung unverändert bleibt. Die unionsverfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Regelungsmethode ist unstreitig. Da die technischen Normen in veröffentlichter Form vorliegen, bleibt den europäischen Rechtssetzungskörperschaften nach entsprechenden Überprüfungen die Entscheidung vorbehalten, ob sie diese rezipieren wollen. Im Falle der datierten Inbezugnahme kann der inkorporierte Norminhalt während des zeitlichen und innerhalb des gegenständlichen Geltungsbereiches der Richtlinie nur durch das für deren Überarbeitung vorgesehene Verfahren, nicht aber gegen den Willen der europäischen Rechtssetzungskörperschaften geändert werden. Selbst wenn die betreffende Normenorganisationen in der Zwischenzeit eine neue Ausgabe einer rezipierten Norm veröffentlicht, bleibt für die Verweisung doch die datiert in Bezug genommene Ausgabe maßgebend, solange nicht die verweisende Rechtsnorm selbst eine entsprechende Modifikation erfährt 444. 444 Vgl. zum Vorhergehenden bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. H.A. 1 .c)bb)( 1 )(b)(aa)a), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.c)bb)(l)(b)(aa) und in bezug auf das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.c) bb)(l)(b)(bb)a); femer Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil Β Abschn. IV lit. b). Vgl. aus der Literatur Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 158 ff., 194 f. Wie auf nationaler Ebene gelten diese Aussagen zur unionsverfassungsrechtlichen Zulässigkeit bei unionsverfassungskonformer Auslegung gleichfalls für die sog. verdeckte undatierte Verweisung, bei der eine datiert in Bezug genommene Europäische Norm ihrerseits in undatierter Form nicht nur norminterpretierend, sondern auch normergänzend auf andere Europäische Normen weiterverweist, die - als Kettenverweisung nach Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 106 f. - ihrerseits weitere technische Normen in Bezug nehmen. Denn wie in den Normenwerken der nationalen Normenorganisationen wird auch auf europäischer Ebene in EN, HD und ENV nicht nur datiert, sondern auch undatiert auf andere Europäische und internationale Normen und Harmonisierungsdokumente verwiesen (CEN/CENELEC, GO Teil 3 Abschn. 2 Nr. 2.3.3.1). Hinge-

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Beispiele der datierten Verweisung auf Europäische Normen finden sich u.a. in der Richtlinie des Rates vom 17. September 1984 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über elektrisch, hydraulisch oder ölmotorisch betriebene Aufzüge (84/529/EWG) 445 , die zur Egalisierung der nationalstaatlichen Bestimmungen hinsichtlich Bau, Prüfung und Kontrolle der in Art. 1 Abs. 1 RL 84/529/EWG legaldefinierten Aufzüge mit den in Art. 1 Abs. 2 RL 84/529/EWG enumerativ aufgeführten Ausnahmen in ihrem Anhang I Nr. 1 Spstr. 1 und 2 die EN 81-1 - Ausgabe Dezember 1985 - und EN 81-2 - Ausgabe November 1987 - mit geringfügigen, in Nr. 2 des Anhangs I genannten Modifikationen datiert in Bezug nimmt. Als weiteres Beispiel rezipiert die Richtlinie des Rates vom 17. September 1984 zur "Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die in der Humanmedizin und der Veterinärmedizin eingesetzten elektrischen Geräte" (84/539/EWG) 446 in ihrem Anhang I zur Fixierung der technischen Anforderungen, denen die in Anhang I I enumerativ aufgeführten Geräte entsprechen müssen, um im Hinblick auf Sicherheitsanforderungen den freien Verkauf und Verkehr sowie die Benutzung innerhalb der EU sicherzustellen, ein HD von CENELEC mit geringfügigen Modifikationen in datierter Form. Ein weiteres, mit der Zwischenstufe einer Einzelrichtlinie versehenes Beispiel für diese Rezeptionsmethode ist die Richtlinie des Rates vom 18. Dezember 1975 zur "Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung in explosibler Atmosphäre"

gen darf eine EN oder ein HD auf nationale Normen nur in durch das Technische Büro genehmigten Ausnahmefällen und auch nur datiert - d.h. unter Angabe des Ausgabedatums der nationalen Normen - verweisen. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 4 Nr. 4.7.3. Vgl. auch AFNOR, NF X 00-002: 1992-05 S. 4 Abschn. 2. Da der Sinn der verweisenden Rechtsnorm aufgrund der Verweisungsart ganz eindeutig so zu interpretieren ist, daß nur die spezifizierte Fassung der Europäischen Normen rezipiert werden sollen, ist eine unionsverfassungskonforme Auslegung in eine durchgehende datierte Verweisung möglich und geboten. Danach findet durch die datierte Verweisung eine inhaltliche Fixierung der durch Weiterverweisung bezogenen technischen Normen auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der verweisenden Rechtsnorm statt. Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 484 in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(aa)a). A.A. Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 196 ff., nach dem diese unionsverfassungskonforme Auslegung "wegen der damit einhergehenden inakzeptablen Rechtsunsicherheiten" untauglich und damit die Ketten Verweisung "nichts anderes als ein versteckter Transfer von Rechtssetzungszuständigkeiten" ist, somit gegen die demokratischen Grundprinzipien und den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts des Unionsrechts verstößt und folglich als unionsverfassungswidrig angesehen werden muß. 445 ABl. EG Nr. L 300 v. 19.11.1984, S. 86, zul. geänd. d. RL90/486/EWG v. 17.09.1990 - ABl. EG Nr. L 270 vom 02.10.1990, S. 21 -. 446 ABl. EG Nr. L 300 v. 19.11.1984, S. 179.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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(76/117/EWG) 447 . Diese bestimmt in Art. 4 Abs. 1 Spstr. 1, daß Verkauf, Verkehr und Verwendung elektrischer Betriebsmittel zur Verwendung in explosibler Atmosphäre innerhalb der EU nicht aus Sicherheitsgründen untersagt werden dürfen, sofern deren Übereinstimmung mit denjenigen harmonisierten Europäischen Normen zertifiziert worden ist, die der Rat in Einzelrichtlinien niedergelegt hat (Art. 4 Abs. 4 RL 76/117/EWG). Eine solche einschlägige Einzelrichtlinie stellt die Richtlinie des Rates vom 6. Februar 1979 "zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung in explosibler Atmosphäre dar, die mit bestimmten Zündschutzarten versehen sind" (79/196/EWG) 448 , die gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 76/117/EWG in ihrem Anhang I (Art. 3 RL 79/196/EWG) dreizehn Europäische Normen und Normteile unter Angabe von Nummer, Titel, Ausgabe und Datum datiert in Bezug nimmt. Im Sinne ihres analog formulierten Art. 4 rezipiert die Richtlinie des Rates vom 15. Februar 1982 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen in grubengasführenden Bergwerken (RL 82/130/EWG) 449 in ihrem Anhang A neun Europäische Normen unter Angabe von Nummer, Titel, Ausgabe und Datum in datierter Form, von denen eine in der Anlage 1 zur RL 82/130/EWG hinsichtlich eines Unterabschnittes modifiziert wird. γ) Normkonkretisierende allgemeine Verweisung Bei der Regelungsmethode der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung450 auf Europäische Normen in Rechtsvorschriften der Europäischen Union werden die sicherheitstechnischen Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen durch die Verweisungsnorm vollständig festgelegt. Allerdings ist die Pflichtenlage nicht durch Detailbestimmungen, sondern mittels normativer Standards wie den "allgemein anerkannten Regeln der Technik", dem "Stand der Technik" oder dem "Stand von Wissenschaft und Technik" festgelegt, die auf unterschiedlichen technischen Niveaus jeweils eine mehr oder minder große Bandbreite technischer Realisationsmöglichkeiten bezeichnen. In Ergänzung 447 ABl. EG Nr. L 24 v. 30.01.1976, S. 45, zul. geänd. d. AB SP/PORT v. 12.06.1985 - ABl. EG Nr. L 302 v. 15.11.1985, S. 210 -. 448 ABl. EG Nr. L 43 v. 20.02.1979, S. 208, zul. geänd. d. RL94/26/EG der Kommission v. 15.06.1994 - ABl. EG Nr. L 157 v. 24.06.1994, S. 33 -. 449 ABl. EG Nr. L 59 v. 02.03.1982, S. 10, zul. geänd. d. RL 94/44/EG der Kommission v. 19.09.1994 - ABl. EG Nr. L 248 v. 23.09.1994, S. 22 -. 450 Diese Rezeptionsart wird von der Kommission auch mißverständlich, da zu allgemein, als "Verweisung auf Normen" bezeichnet. Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil Β Abschn. IV lit. c).

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

dieser auch auf nationaler Ebene in der Bundesrepublik Deutschland angewandten Rezeptionsart451 erfolgt in einem Anhang der Richtlinie zwecks Präzisierung des durch den normativen Standard bezeichneten Sicherheitsniveaus die Normierung allgemeiner Sicherheitsgrundsätze, deren Einhaltung für den Normadressaten verbindlich ist. Zu deren und der Konkretisierung des normativen Standards wird dann unmittelbar, d.h. in der Verweisungsnorm selbst, unspezifiziert, d.h. ohne die technischen Normen im einzelnen zu bezeichnen, auf alle technischen Normen eines bestimmten Normungsgebietes oder einer bestimmten normschaffenden Institution Bezug genommen; dabei ist allerdings davon auszugehen, daß nur die jeweils einschlägigen, d.h. dem gesetzlichen Schutzziel verpflichteten technischen Normen des Normungsgebietes bzw. der normschaffenden Institution rezipiert werden sollen452. Für die Überarbeitung und Änderung dieser rezipierten Europäischen Normen zeichnen CEN/ CENELEC und ETSI gemäß den in den Kapiteln II.B.l.a)cc) und II.B.l.b)dd) beschriebenen Verfahren verantwortlich. Ungeachtet der damit einhergehenden Änderungen der in der rezipierenden Richtlinie normierten Beschaffenheits- und Verhaltens-

451

Vgl. dazu Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß). In einigen Fällen fehlt diese unmittelbare Bezugnahme, so daß die Rezeptionsart der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards vorliegt. Dabei enthalten die entsprechenden europäischen Rechtsnormen keine Beurteilungskriterien zur Konkretisierung des normative Standards. Vielmehr obliegt die nähere Bestimmung der Generalklausel den Mitgliedsstaaten, die diese entweder abstrakt-generell auf der Rechtssetzungsebene durch den Erlaß von Gesetzen und Rechtsverordnungen oder konkret-individuell auf der Rechtsanwendungsebene durch Entscheid von Behörden und/oder Gerichten näher konkretisieren können. Vgl. dazu Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 110 ff.; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 162 ff. Ein Beispiel für diese Rezeptionsart ist die Richtlinie des Rates vom 25.06.1987 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten für einfache Druckbehälter (87/404/EWG) - ABl. EG Nr. L 220 v. 08.08.1987, S. 48-, zul. geänd. d. RL 93/68/EWG des Rates v. 22.07.1993 - ABl. EG Nr. L 220 v. 30.08.1993, S. 1 -; diese bestimmt in Art. 3 Abs. 2: "Behälter, deren Produkt PS V nicht mehr als 50 bar 1 beträgt, müssen nach den in einem Mitgliedsstaat geltenden allgemein anerkannten Regeln der Technik hergestellt sein ...". Hinsichtlich weiterer Beispiele vgl. Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 163 ff. Die RL 87/404/EWG statuiert die gegenseitige Anerkennung der unterschiedlichen, in den Mitgliedsstaaten bereits getroffenen oder noch zu treffenden Regelungen, wobei hier den Mitgliedsstaaten ein weiter Konkretisierungsspielraum verbleibt. Damit ist diese Regelungsmethode aufgrund der in Kap. II.B.3.c)aa)(2) genannten systemimmanenten Grenzen und Nachteile der Methode der gegenseitigen Anerkennung zur Beseitigung der technischen Handelshemmnisse nur bedingt geeignet und wird im Rahmen dieser Arbeit nicht näher behandelt. 452

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

737

anforderungen sind CEN/CENELEC und ETSI nicht verpflichtet, die modifizierten Europäischen Normen der Kommission zur Billigung vorzulegen453. Indem die Richtlinie die nationalen Behörden der EU-Mitgliedsstaaten anweist, die Einfuhr, den Verkehr und die Verwendung eines Produkts im Falle von dessen Konformität zu den in ihr rezipierten technischen Normen zuzulassen bzw. nicht zu behindern oder gar zu untersagen, begründet sie eine widerlegbare gesetzliche Vermutung 454 dafür, daß die zu den rezipierten technischen Normen konformen Produkte dem durch den normativen Standard determinierten Sicherheitsniveau sowie den allgemeinen Sicherheitsgrundsätzen des Richtlinienanhangs entsprechen. Nach der Umsetzung in nationales Recht resultiert daraus z.B. in der Bundesrepublik Deutschland die Rechtswirkung einer widerlegbaren gesetzlichen Tatsachenvermutung (§ 292 ZPO) dafür, daß den rechtlich gebotenen Schutz- und Sicherheitspflichten genügt worden ist, wenn die ausdrücklich benannten technischen Normen bezüglich Herstellung, Verwendung, Wiederverwertung und/oder Entsorgung technischer Systeme sowie diese

453 Vgl. zum Vorhergehenden die Ausführungen in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß); ferner Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil Β Abschn. IV lit. c). Vgl. aus der Literatur Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 165 ff. 454 Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 204. A.A. Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 141 ff., 173 ff., nach dem die Rechtswirkung dieser im Rahmen der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" (Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01); vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)) durchgängig angewandten Rezeptionsart der von ihm als "Tatbestandsregeln" bezeichneten rezipierten Europäischen Normen den Mitgliedsstaaten gegenüber einer "qualifiziert widerlegbaren Tatbestandsbindung" entspricht. Darunter soll eine Mischung aus unwiderleglicher und widerleglicher Vermutung verstanden werden: Hinsichtlich der mitgliedsstaatlichen Gerichte kommt die Bindungswirkung der rezipierten technischen Normen einer unwiderleglichen Vermutung gleich. Da die Gerichte am Schutzklauselverfahren der "Modellrichtlinie" nicht beteiligt werden, und die Durchführung eines Schutzklauselverfahrens bei dem Erlaß von marktbeschränkenden Entscheidungen bezüglich normenkonformer Produkte zwingende Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme ist, sind die Gerichte im Ergebnis verpflichtet, die in den bezogenen Normen enthaltenen technischen Festsetzungen als rechtlich verbindliche Konkretisierung der gesetzlichen Sicherheitsanforderungen ihrer jeweiligen Entscheidung zugrundezulegen. Für die Verwaltungsbehörden ist die Vermutung jedoch widerlegbarer Natur, da diesen die Möglichkeit offensteht, auch bei normenkonformen Erzeugnissen vom NichtVorliegen der gesetzlichen Sicherheitsanforderungen auszugehen. A.A. auch Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1183, nach dem die Bindungswirkung der Europäischen Normen über die durch die normkonkretisierende allgemeine Verweisung im deutschen Recht begründete widerlegliche Vermutung weit hinausreicht. Zur verfassungskonformen Annahme einer durchgehenden Widerlegbarkeit der Vermutung im bundesdeutschen Recht vgl. die Ausführungen in Fn. 532 in Kap. H.A. 1 .c) bb)(l)(b)(cc)ß).

4

Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Systeme selbst betreffend Anwendung gefunden haben. Wie in diesem Zusammenhang für die Bundesrepublik Deutschland ausgeführt 455, liegt die prozessuale Funktion einer widerleglichen gesetzlichen Tatsachenvermutung in der Veränderung des Beweisthemas und in der Umkehr der (materiellen) Beweislast. Da der Beweis des Gegenteils keinen Gegenbeweis, sondern den Hauptbeweis darstellt, wird dem Gegner die materielle Beweislast der durch die Vermutung begünstigten Partei zugeteilt. D.h. als Folge dieser gesetzlichen Vermutung genießt der Normadressat bei Beachtung der durch eine normkonkretisierende allgemeine Verweisung gesetzlich rezipierten technischen Normen den Vorteil der Beweislastumkehr gegenüber der normalen Regelung, nach der jede Partei die Beweislast für die Erfüllung der ihr günstigsten Norm trägt. Zur Auslösung dieser Vermutung bedarf es nur der Behauptung und im Streitfall des Beweises, daß die gesetzlich rezipierten technischen Normen beachtet worden sind. Gelingt dies, so ist der Normadressat zunächst von jeder weiteren Darlegungs- und Beweisführungspflicht der Erfüllung der ihm obliegenden Schutz- oder Sicherheitspflichten entbunden. Macht er hingegen von seiner Möglichkeit einer abweichenden technischen Lösung Gebrauch, so trägt der Normadressat die volle Beweislast der Gleichwertigkeit seiner Lösung, d.h. der Einhaltung des durch den normativen Standard determinierten Sicherheitsniveaus sowie der allgemeinen Sicherheitsgrundsätze. Übernimmt man die als herrschende Meinung etablierte Argumentation hinsichtlich der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung auf deutscher Zulässigkeit Ebene 456 , so bestehen bezüglich der unionsverfassungsrechtlichen dieser Rezeptionsart keine Bedenken. Zum einen ist das Sicherheitsniveau durch die Anordnung, die "(allgemein) anerkannten Regeln der Technik", den "Stand der Technik" oder den "Stand von Wissenschaft und Technik" sowie die allgemeinen Sicherheitsgrundsätze des Richtlinienanhangs zu beachten, abschließend im Gesetz bestimmt. Zum anderen begründet die Konformität zu den rezipierten Europäischen Normen aufgrund der Möglichkeit ihrer Überprüfung im Schutzklauselverfahren lediglich eine widerlegbare und nicht eine unwiderlegbare gesetzliche Vermutung der Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen. Damit bewirkt die normkonkretisierende allgemeine Verweisung also keine faktische Verlagerung von Rechtssetzungsbefugnissen mit der Folge, daß die rezipierten technischen Normen für die nationalen Behörden und Gerichte verbindlich wären, indem sie die Ausfüllung der normativen Standards abschließend und mit bindender Wirkung für Behörden und Gerichte den privaten Regelsetzern überläßt. Vielmehr unterliegt die Frage, ob die rezipierten technischen Normen dem normativen Standard genügen, der behördlichen und im 455 456

Vgl. Kap. ILA. 1 .c)bb)( 1 )(b)(cc)ß). Ebd.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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Streitfall voll der richterlichen Überprüfung 457. Unter diesen Prämissen läßt sich weder ein Verstoß gegen das unionsrechtliche demokratische Prinzip noch das Prinzip der begrenzten Einzelzuständigkeit noch das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts konstatieren. Nach anfänglich weitgehender Zustimmung458 äußern sich im jüngeren Schrifttum jedoch in zunehmendem Maße 459 Autoren, welche die unionsverfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Rezeptionsart460 insbesondere im Anschluß an die Frage, "ob der Gemeinschaftsgesetzgeber berechtigt ist, mit bindender Wirkung für die Mitgliedsstaaten die sicherheitstechnischen Detailfestlegungen zum Schutz von Leben, Körper, Gesundheit, Sachgütern und Umwelt in so weitreichendem Maße nichtstaatlichen, privatrechtlich organisierten Normungsgremien zu überlassen"461, "die außerhalb des vertraglich vereinbarten Organisations-, Kompetenz- und Verantwortungszusammenhangs [der Unionsverträge] stehen"462, kritisch hinterfragen und teils partiell, teils sogar gänzlich verneinen. Als Verletzung des unionsrechtlichen demokratischen Prinzips, der nach Art. 3 und 4 EGV dem gesamten Vertrag zugrundeliegenden Maximen der begrenzten Einzelzuständigkeit und des institutionellen Gleichgewichts und/oder dem unionsrechtlichen Grundrechtsschutz wird erstens die faktische Verbindlichkeit und die weitgehend theoretische Abweichungsmöglichkeit von den Europäischen Normen bezüglich der Normadressaten 463, zweitens die weitgehende Bindungswirkung der Europäischen Normen gegenüber den Behörden der Mitgliedsstaaten, die normgemäße Erzeugnisse in aller Regel als richtlinienkon-

457 Ebd. Diese im originären bundesdeutschen Recht gegebene Möglichkeit der Überprüfung der rezipierten technischen Normen durch die Gerichte wird bezüglich der Europäischen Normen, welche durch die ins nationale Recht umgesetzten europäischen Richtlinien rezipiert werden, zunehmend verneint. Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen in diesem Kapitel. 458 Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 201 m.z.N. 459 Vgl. dazu umfassend Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 125 ff.; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 201 ff.; vgl. femer Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 359 ff.; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, passim. 460 Bezüglich ihres systematischen Einsatzes im Rahmen der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung". Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01); vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d). 461 Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 359; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1185. 462 Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1185. 463 Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 360 f., die auf S. 361 m.N. mehrfach auf das schwer zu durchschauende, komplizierte Regelungssystem hinweisen, das selbst von höchsten Gerichten teilweise mißinterpretiert wird; vgl. ferner Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 202 ff.; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1182 f.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

form akzeptieren müssen464, drittens die rechtliche Bindung der Mitgliedsstaatlichen Gerichte durch die rezipierten technischen Normen 465, viertens die weitgehende Delegation nicht nur der Festlegung technischer Sachverhalte, sondern auch des Treffens volitiver (politischer) Wertentscheidungen unter Abwägung unterschiedlicher Interessen und Rechtsgüter im Rahmen unzureichender, da zu unbestimmter gesetzlicher Vorgaben 466, fünftens die unter demokratischen Gesichtspunkten unzureichende Struktur des Normungsverfahrens von CEN/ CENELEC insbesondere bezüglich der Absicherung der interessenpluralistischen Ausgewogenheit467 und sechstens die fehlende Kontrolle der Europäischen Normen durch die rechtssetzenden Organe der Europäischen Union hinsichtlich der Erfüllung der grundlegenden Anforderungen der Richtlinien468 an464 Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 175 ff., 255 f. sieht hierin eine faktische Delegation von Hoheitsbefugnissen und deshalb einen Verstoß gegen die unionsrechtlichen Prinzipien der begrenzten Einzelzuständigkeit und des institutionellen Gleichgewichts. Jedoch weisen Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 363 völlig zu Recht auf die bestehende, wenn auch im Vergleich mit bundesdeutschem Recht erschwerte Überprüfungs- und Abweichungskompetenz der Behörden im Rahmen des Schutzklauselverfahrens hin. 465 Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 141 ff., 173 ff.; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1184. 466 Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 207 ff. Diese stelle eine EG-Vertrags widrige und daher unzulässige Delegation von Hoheitsbefugnissen auf die europäischen Normenorganisationen und damit eine Verletzung des demokratischen Prinzips sowie der Prinzipien des institutionellen Gleichgewichts und der begrenzten Einzelzuständigkeit dar. Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 175 ff., 230; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1184 f. 467 Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 364 ff.; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 214 ff. 468 Es wird lediglich durch die Kommission geprüft, ob die Europäischen Normen den jeweiligen Mandaten genügen. Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 366 f. Vgl. dazu auch die Reformüberlegungen bei Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 257 ff., 266, nach dem an der Verweisungstechnik dann festgehalten werden kann, wenn die Kommission die von den europäischen Normenorganisationen erarbeitenden Normen in einem noch zu schaffenden förmlichen Verfahren bestätigt. Es muß jedoch in diesem Zusammenhang in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen werden, daß - soll eine solche Bestätigung nicht nur formell, sondern auch fundiert materiell erfolgen - ein erhebliches Potential an Sachverstand in der bestätigenden Behörde notwendig ist, um die von den europäischen Normenorganisationen erstellten technischen Normen inhaltlich nachvollziehen und überprüfen zu können. M.E. ist im Falle der Einhaltung der typischen Verfahrensprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung - deren Überprüfung allein sinnvoll ist und machbar erscheint - eine behördliche Bestätigung weder notwendig noch legitim. In diesem Zusammenhang sei auch an die Erfahrungen in Frankreich erinnert, wo eine entsprechende Bestätigung durch den Normungskommissar bzw. interministeriellen Normenabgeordneten aufgrund dessen begrenzter fachlicher wie zeitlicher Ressourcen zugunsten einer Bestätigung durch den Verwaltungsrat von AFNOR wieder aufgegeben wurde. Vgl. dazu Kap. II.A.2.a)cc).

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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gesehen. Schließlich schränken die rezipierten Europäischen Normen durch ihre rechtsgleiche Wirkung die wirtschaftliche Betätigungs- und Berufsfreiheit der Hersteller ein 469 . Darüber hinaus wird als Verletzung der "binnenmarktpolitischen Notwendigkeit" des Bestimmtheitsgrundsatzes470 erstens die Unvollständigkeit des Regelungsgehalts, insbesondere der Sicherheitsanforderungen der Richtlinien471, zweitens das Fehlen Europäischer Normen zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Richtlinien472, drittens die Derogationsmöglichkeiten der EU-Mitgliedsstaaten aufgrund des Schutzklauselverfahrens 473 und viertens verschiedentlich auftretende Überschneidungen der Anwendungsbereiche von Richtlinien474 bemängelt 475 . Ein frühes Beispiel der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung stellt die Niederspannungsrichtlinie (RL 73/23/EWG) dar, auf die im Kapitel II.B.3. c)bb)(2)(b) detailliert eingegangen wird. Indem diese gewissermaßen den "Präzedenzfall" und das Modell der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" 476 darstellt, wenden sämtliche nach dieser Methode gestalteten Richtlinien diese Rezeptionsart an 477 . Ein weiteres Beispiel ist die Richtlinie des Rates vom 27. November 1980 zum Schutz der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische, physikalische und biologische Arbeitsstoffe

Realistischer Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1186 ff., der aufgrund der "Gefahr, die administrativen Ressourcen der Kommission zu überfordern und ihre 'kognitive' Abhängigkeit in Fragen technischer Sicherheitsbewertung zu verkennen", eine entsprechende Überprüfung auf "umstrittene Techniknormen" beschränken will. 469 Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1185. 470 Dieser ist jedoch keine verfassungsmäßige Doktrin. Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 232. 471 Ebd., S. 232 ff. 472 Ebd., S. 234 ff. 473 Ebd., S. 236 ff. 474 Ebd., S. 238 ff. 475 Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 352 f., 361 f. kritisieren, basierend auf der Annahme der Unzulässigkeit der verbindlichen Verweisung auf Europäische Normen im Rahmen der nationalen Umsetzung der EU-Richtlinien, zusätzlich teils eine entsprechend systemwidrige Umsetzung einiger Richtlinien in deutsches Recht, teils deren nicht systemkonforme Fassung durch Kommission und Rat. Hinsichtlich weiterer Kritikpunkte vgl. Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 241 ff. 476 Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01); vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d). 477 Vgl. deren Aufzählung in Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)(aa)ß).

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

bei der Arbeit (80/1107/EWG) 478 , die in ihrem Anhang IIa Abschn. Β in Nr. 3 und 4 im Anschluß an eine Reihe überwiegend allgemein gehaltener Anforderungen an Meßverfahren und spezielle meßtechnische Festlegungen zur Erfassung relevanter Partikelkollektive in der Luft am Arbeitsplatz in allgemeiner Form auf die einschlägigen Europäischen Normen des CEN verweist 479. Die beschriebene Rezeption technischer Normen spielte, obgleich sie im Programm des Rates ursprünglich nicht vorgesehen war, mittelbar eine tragende Rolle im ursprünglichen Harmonisierungskonzept der EU. Denn insbesondere der Methode der "totalen Harmonisierung" war im wesentlichen nur dort Erfolg beschieden, wo in größerem Umfang auf technische Normen zurückgegriffen werden konnte480. Obwohl sich die Kommission bei der Erarbeitung ihrer Vorschläge zur technischen Detailregelung häufig den in technischen Normen dokumentierten Sachverstand zunutze machte, bestand 1985 - in dem Jahr, in dem die Kommission offiziell das Scheitern des ursprünglichen Harmonisierungskonzepts einräumte - das spärliche Ergebnis einer sechzehnjährigen Harmonisierungsarbeit aus 117 Richtlinien des Rates und weiteren 56 Richtlinien der Kommission, die vornehmlich die Bereiche des Kraftfahrzeug- und Meßwesens sowie der Elektrogeräte regelten 481. Bezüglich der anderen in dem Programm vorgesehenen Produktgruppen gab es vielfach unüberwindbare Schwierigkeiten vorwiegend aufgrund der mangelhaften nationalen Kompromißbereitschaft der Ratsmitglieder, so daß die geplante Harmonisierung in die-

478

ABl. EG Nr.L 327 vom 3.12.1980, S. 8, zul. geänd. d. RL88/642/EWG v. 16.12.1988 - ABl. EG Nr. L 356 v. 24.12.1988, S. 74 -. 479 Anhang IIa Abschn. Β in Nr. 3 lit. h) RL 80/1107/EWG: "Soweit das Europäische Komitee für Normung (CEN) allgemeine Anforderungen an die Leistung von Meßverfahren und -geräten für Arbeitsplatzmessungen mit entsprechenden Prüfvorschriften veröffentlicht, sind diese für die Auswahl von geeigneten Meßverfahren heranzuziehen." Anhang IIa Abschn. Β in Nr. 3 und 4 lit. d) RL 80/1107/EWG: "Soweit das CEN Festlegungen für das Sammeln von Schwebstoffen am Arbeitsplatz trifft, sind vorzugsweise diese anzuwenden. Andere Methoden können angewendet werden, sofern sie hinsichtlich der Einhaltung der Grenzwerte zu demselben oder zu einem strengeren Ergebnis führen." Das CEN/TC 137 "Beurteilung der Exposition am Arbeitsplatz" erarbeitet in vier Arbeitsgruppen technische Normen, die diese EU-Richtlinie ausfüllen sollen. DIN, Geschäftsbericht 1990/91, S. 19. 480 Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 76. 481 KOM, in: Bull. EG 1/1985, S. 15. Zit. in: Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 23. Vgl. auch Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 72 f. In KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 3 beziffert die Kommission die Anzahl der Richtlinien auf insgesamt 177.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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sen Bereichen nicht durchgeführt werden konnte482. Trotz des sich bereits frühzeitig abzeichnenden Fehlschlagens der ursprünglichen Harmonisierungsstrategie und der in ihm verwendeten Methoden der totalen und optioneilen Harmonisierung sowie der Mindestvorschriften 483 setzte bei der Kommission erst Anfang der achziger Jahre ein Umdenken hinsichtlich der zukünftig zu verfolgenden Harmonisierungsstrategie ein, die schließlich im Jahre 1985 zur Verabschiedung einer "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" führte. (2) Die "Neue Konzeption für die technische Harmonisierung

und Normung "

(a) Hintergrund Mit der Absichtserklärung der Kommission zur systematischen Anwendung der in der "Niederspannungsrichtlinie" 484 praktizierten Harmonisierungstechnik 485 , der Integration dieses Ansatzes als zentralen Baustein in den Vorschlag einer "neuen Strategie" zur Beseitigung der technischen Schranken in dem Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes486, der Ausgestaltung dieses Ansatzes in den "vier fundamentalen Grundsätzen" sowie dem danach entworfenen "Schema einer Richtlinie für die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten zur Beseitigung technischer Handelshemmnis-

482

Niederbacher, J., Recht der Technik, S. 71; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 73. 483 So bezüglich der Methode der "totalen Harmonisierung" sehr deutlich der Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik des Europaparlaments PE 105048 endg. v. 16.06.1986-, zit. in Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 76. Heute greift die EU nur noch ausnahmsweise auf die Methode der "totalen Harmonisierung" zurück, wenn sichergestellt werden soll, daß in den Mitgliedsstaaten einheitliche technische Regelungen bestehen. Dies gilt insbesondere in sicherheitssensitiven Bereichen, wie z.B. im Lebensmittel- oder Arzneimittelrecht. Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 76 f. 484 Diese RL 73/23/EWG ist das Ergebnis einer von der Europäischen Union im Jahre 1966 veranstalteten "Studientagung auf elektrotechnischem Gebiet" mit Vertretern aller interessierten Kreise. Vgl. dazu KOM, Studientagung über die Normung auf elektrotechnischem Gebiet, passim. Vgl. aus der Literatur Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 5; Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 131; Wamer, Α., Normung und Zertifizierung, S. 199; VDE, Sichere Elektrotechnik, S. 8; Winckler, R., Harmonisierungsbestrebungen, S. 60. 485 Mitteilung der Kommission 82/C 59/02, letzter Abs. der Einleitung. 486 KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 17 ff. Nr. 60 ff.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

se durch 'Normenverweis'" durch die Kommission487 und der Annahme dieser Grundsätze sowie der sogenannten "Modellrichtlinie" als "Leitlinien einer neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" durch den Rat 488 haben die beiden Organe im Jahre 1985 schließlich die Konsequenzen aus dem Scheitern der bisherigen Harmonisierungspolitik gezogen. Denn die Untauglichkeit des ursprünglichen Harmonisierungskonzeptes führte dazu, daß die Beseitigung der technischen Handelshemmnisse und damit verbunden die Sicherung des freien Warenverkehrs praktisch nur einzelfallbezogen durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erfolgte 489. Neben dieser in Kapitel II.B.3.c)aa)(l) beschriebenen "Cassis de Dijon"-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 490 gingen entscheidende Impulse zu einer Neuorientierung vor allem von dem großem Erfolg der in der Niederspannungsrichtlinie praktizierten Harmonisierungstechnik aus 491 . (b) Präzedenzfall "Niederspannungsrichtlinie" Den Regelungsgegenstand der Niederspannungsrichtlinie bilden "elektrische Betriebsmittel zur Verwendung bei einer Nennspannung zwischen 50 und 1000 V für Wechselstrom und zwischen 75 und 1500 V für Gleichstrom mit Ausnahme der Betriebsmittel und Bereiche, die in Anhang II aufgeführt sind"492. Aufgrund dieses extrem weit gefaßten Anwendungsbereiches reguliert die Nie487

KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption" Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01); vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d). Zwar handelte es sich bei dieser Entschließung nur um eine politische Willensbekundung, die als solche juristisch unverbindlich ist (Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 26; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 13). Tatsächlich prägte sie jedoch als politische Leitentscheidung sämtliche in Folge zur Beseitigung technischer Handelshemmnisse verabschiedeten Rechtsangleichungsmaßnahmen des Rates, so daß sich bis heute alle Harmonisierungsrichtlinien sowohl am Aufbau als auch am Inhalt der Modellrichtlinie orientieren. Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 26. 489 KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 4. Vgl. auch Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 24. 490 Vgl. dazu die Mitteilung der Kommission 80/C 256/02. 491 Vgl. dazu die Mitteilung der Kommission 82/C 59/02; vgl. ferner aus der Literatur Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 26; Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 440; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 343; Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 131; Schröder, B., Europäische Normung und Handwerk, S. 60; Winckler, R., Harmonisierungsbestrebungen, S. 60. 492 Dies sind gemäß Art. 1 i.V.m. Anhang II der Niederspannungsrichtlinie insgesamt acht Betriebsmittelarten und -bereiche. 488

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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derspannungsrichtlinie elektrotechnische Systeme in einem Umfang von rund 70 % des gesamten Umsatzes mit elektrotechnischen Erzeugnissen dieses wichtigen europäischen Teilmarktes 493. Der Regelungszweck der Niederspannungsrichtlinie liegt entsprechend ihrem Art. 2 Abs. 1 in der Wahrung der Sicherheit von Menschen und Nutztieren sowie der Erhaltung von Sachwerten. Dabei umfaßt die Richtlinie sämtliche Sicherheitsaspekte der Betriebsmittel einschließlich des Schutzes gegen mechanische Gefahren 494. Hinsichtlich ihrer Regelungsstruktur ist die Niederspannungsrichtlinie der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung auf technische Normen des deutschen Sicherheitsrechts nachgebildet worden 495 und entspricht damit weitestgehend der Auffassung über die technische Rechtssetzung im Europarecht, für welche sich die Normungsexperten der bedeutendsten EU-Mitgliedsstaaten jahrelang ausgesprochen hatten496 und die auch auf europäischer Ebene durch

493 Dies entspricht einem Finanzvolumen von ca. 60 Mrd. DM jährlich allein in der Bundesrepublik Deutschland und etwa 80 Mrd. ECU jährlich in der Europäischen Union, wovon auf den unionsintemen Warenaustausch 35 Mrd. ECU entfallen. Zahlenangabe für die Bundesrepublik Deutschland für 1982, entnommen aus: Reihlen, H., 34. Präsidiumssitzung, S. 210; alle übrigen Zahlenangaben für 1982, entnommen aus: Mitteilung der Kommission 82/C 59/02. 494 Mitteilung der Kommission 82/C 59/02, Abschn. 2 Nr. 2.2 letzter Abs. 495 Diese Regelungstechnik war den Rechtssystemen der anderen EU-Mitgliedsstaaten bis dahin unbekannt. Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 112 ff. "Der deutsche Anteil ist dabei unübersehbar." Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 5. "Steter Tropfen höhlt den Stein. Gemeint sind damit die langjährigen zähen Bemühungen der Bundesregierung, die EG-Kommission und die Partner in der Gemeinschaft für diese Auffassung zu gewinnen." Sauer, M., Neues Konzept, S. 600. Vgl. auch Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 138 f.; Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 440; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 343. Zum Teil wird fälschlicherweise angenommen, die Niederspannungsrichtlinie sei dem Gerätesicherheitsgesetz - mithin der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards - nachgebildet worden. DIN, Europäische Normung 04.96, S. 7 f.; Schröder, B., Europäische Normung und Handwerk, S. 60. 496 Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 5. Beispielsweise forderten Vertreter des DIN - wie beispielsweise Ludwig, N., CEN, S. 15 im Jahre 1969 und Koch, H., Europäische Normungsarbeit, S. 353 im Jahre 1976 schon frühzeitig die Verweisung auf technische Normen im Rahmen der Rechtssetzung der EU zur technischen Harmonisierung. Vgl. auch DIN, Präsidialbeschluß 5/1985, abgedruckt in: DIN, Grundlagen der Normungsarbeit des DIN, S. 37 f.; dass., DIN 820-1: 1994-04 S. 4 Erläuterungen; Reihlen, H., 38. Präsidiumssitzung, S. 5.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

CEN/CENELEC 497 sowie auf internationaler Ebene durch die ISO/IEC, die ECE und im Rahmen des GATT vertreten wird 498 . Den Ausführungen in den Kapiteln II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc) und II.B.3.c)bb)(l) (d)(bb)%) zufolge werden bei dieser Rezeptionsart die sicherheitstechnischen Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen nicht durch materielle Detailbestimmungen festgelegt. Stattdessen ist mittels einer generalklauselartigen Normierung der Schutzzielbestimmung auf Basis der in der Europäischen Union zu schützenden (verfassungsgemäßen) Rechtsgüter i.V.m. der Bezeichnung der Risikogrenze durch den normativen Standard des "in der Gemeinschaft gegebenen Standes der Sicherheitstechnik" eine mehr oder minder große Bandbreite technischer Realisationsmöglichkeiten bezeichnet: "Die Mitgliedsstaaten treffen alle zweckdienlichen Maßnahmen, damit die elektrischen Betriebsmittel nur dann in den Verkehr gebracht werden können, wenn sie entsprechend dem in der Gemeinschaft gegebenen Stand der Sicherheitstechnik - so hergestellt sind, daß sie bei einer ordnungsgemäßen Installation und Wartung sowie einer bestimmungsgemäßen Verwendung die Sicherheit von Menschen und Nutztieren sowie die Erhaltung von Sachwerten nicht gefährden." (Art. 2 Abs. 1 Niederspannungsrichtlinie) In Ergänzung dieser allgemeinen Schutzzielbestimmung sind - in Abwandlung des ursprünglich in der Bundesrepublik Deutschland entwickelten Konzeptes der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung auf technische Normen - in einem zweiten Schritt einige grundlegende Sicherheitsziele in einem Anhang der Richtlinie rechtsverbindlich festgelegt:

497 Vgl. dazu das am 08.05.1974 vom CENELEC-Lenkungsausschuß angenommene CENELEC-Memorandum 1 : Verknüpfung zwischen Vorschriften und Normen, passim; femer die Vereinbarung über die Vereinbarung über die Zusammenarbeit CENELEC/ KOM, Abschn. 1 Nr. 1.1. 498 ISO und IEC haben 1974 gemeinsam den "ISO/IEC code of principles on 'reference to standards'" veröffentlicht, der in insgesamt 10 Grundsätzen die organisatorischen Bedingungen für die Erarbeitung internationaler Normen zusammenstellt, auf die in Gesetzen verwiesen werden soll. Auf dieser Grundlage hat die "Wirtschaftskommission für Europa" ("Economic Commission for Europe" (ECE)) des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen auf ihrer dritten Normentagung vom 10. bis 14.06.1974 Vorschläge zur Verknüpfung von Rechtsvorschriften und technischen Normen ausgearbeitet (ECE, Verweisung auf Normen, passim) und deren Beachtung den Mitgliedsstaaten empfohlen. Danach sollen die Regierungen der ECE-Länder weitestgehend Gesetze nach dem Prinzip der Verweisung auf nationale, supra- und vorzugsweise internationale Normen geben (ebd., Nr. 1. lit. a)), wobei unter den verschiedenen Varianten der Verweisung auf Normen diejenige zu wählen ist, die eine möglichst rasche Überarbeitung der Normen an die Erfahrung und den technischen Fortschritt ermöglicht (ebd., Nr. 3). Schließlich haben diese Prinzipien auch im G AT 1 -Normenkodex von 1980 ihren Niederschlag gefunden. DIN, Europäische Normung 04.92, S. 11.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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"Anhang I enthält eine Zusammenfassung der wichtigsten Angaben über die in Absatz 1 genannten Sicherheitsziele." (Art. 2 Abs. 2 Niederspannungsrichtlinie) Der besagte Anhang beinhaltet gegliedert in drei Gruppen - "Allgemeine Bedingungen", "Schutz vor Gefahren, die von elektrischen Betriebsmitteln ausgehen können" sowie "Schutz vor Gefahren, die durch äußere Einwirkungen auf elektrische Betriebsmittel entstehen können" - insgesamt elf allgemein formulierte Sicherheitsziele, wie beispielsweise: "Die elektrischen Betriebsmittel sowie ihre Bestandteile sind so beschaffen, daß sie sicher und ordnungsgemäß verbunden oder angeschlossen werden können" (Anhang I Nr. 1 lit. c) Niederspannungsrichtlinie); "Technische Maßnahmen sind gemäß Nummer 1 vorgesehen, damit... Menschen, Nutztiere und Sachen angemessen vor nicht elektrischen Gefahren geschützt werden, die erfahrungsgemäß von elektrischen Betriebsmitteln ausgehen" (Anhang I Nr. 2 lit. c) Niederspannungsrichtlinie); "Technische Maßnahmen sind gemäß Nummer 1 vorgesehen, damit die elektrischen Betriebsmittel... den vorgesehenen mechanischen Beanspruchungen so weit standhalten, daß Menschen, Nutztiere oder Sachen nicht gefährdet werden" (Anhang I Nr. 3 lit. a) Niederspannungsrichtlinie). Diese allgemeinen Sicherheitsziele sind die einzigen rechtsverbindlichen Vorschriften, denen die elektrischen Betriebsmittel genügen müssen, und deren Konformität durch das CE-Zeichen zu dokumentieren ist (Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Anhang I I I der Niederspannungsrichtlinie), damit sie innerhalb des Gemeinsamen Europäischen Marktes in den Verkehr gebracht und frei gehandelt werden können499: "Die Mitgliedsstaaten treffen alle zweckdienlichen Maßnahmen, damit der freie Verkehr der elektrischen Betriebsmittel innerhalb der Gemeinschaft nicht aus Sicherheitsgründen behindert wird, wenn diese Betriebsmittel unter den Voraussetzungen der Artikel 5, 6, 7 oder 8 den Bestimmungen des Artikels 2 entsprechen." (Art. 3 Niederspannungsrichtlinie) In einem dritten Schritt werden schließlich zur Konkretisierung der Schutzzielbestimmung sowie der allgemeinen Sicherheitsziele unmittelbar, d.h. in der Verweisungsnorm selbst, gestaffelt die technischen Normen verschiedener Normungsebenen - zunächst der europäischen, dann der internationalen und schließlich der nationalen Ebene - in Bezug genommen. Hinsichtlich der ersteren spricht eine einfache Vermutung für die Übereinstimmung elektrischer Be499

Mitteilung der Kommission 82/C 59/02, Abschn. 2 Nr. 2.3.1 Abs. 1. Maßnahmen zur Einschränkung des Inverkehrbringens oder des freien Warenverkehrs innerhalb der Europäischen Union dürfen die Mitgliedsstaaten nur im Rahmen des gemeinschaftlichen Schutzklauselverfahrens ergreifen (Art. 9 Niederspannungsrichtlinie). Ebd., Abschn. 2 Nr. 2.3.3.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

triebsmittel mit den allgemeinen Sicherheitszielen, wenn das Betriebsmittel entsprechend den im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten harmonisierten Normen hergestellt worden ist 500 : "Die Mitgliedsstaaten treffen alle zweckdienlichen Maßnahmen, damit die zuständigen Verwaltungsbehörden für das Inverkehrbringen nach Artikel 2 oder den freien Verkehr nach Artikel 3 insbesondere solche elektrischen Betriebsmittel als mit den Bestimmungen des Artikels 2 übereinstimmend erachten, die den Sicherheitsanforderungen der harmonisierten Normen genügen. Als harmonisierte Normen gelten diejenigen Normen, die im gegenseitigen Einvernehmen von den Stellen, die von den Mitgliedsstaaten nach Artikel 11 mitgeteilt wurden, festgelegt und die im Rahmen der einzelstaatlichen Verfahren bekanntgegeben worden sind. Die Normen sollen entsprechend dem technologischen Fortschritt sowie der Entwicklung der Regeln der Technik im Bereich der Sicherheit auf den neuesten Stand gebracht werden. Die Liste der harmonisierten Normen und deren Fundstellen werden zur Unterrichtung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht." (Art. 5 Niederspannungsrichtlinie) Sofern CEN/CENELEC noch keine harmonisierten Normen ausgearbeitet und veröffentlicht haben, ist von den zuständigen Verwaltungsbehörden die Erfüllung der Bestimmungen für das Inverkehrbringen elektrischer Betriebsmittel nach Art. 2 Niederspannungsrichtlinie anzunehmen und der freie Verkehr innerhalb der Europäischen Union nach Art. 3 Niederspannungsrichtlinie zu gewährleisten, sofern das Betriebsmittel zu denjenigen internationalen Normen

500

Ebd., Abschn. 3 Nr. 3.1. Bis 1994 waren auf diese Weise 224 EN (-Teile) und 154 HD (ohne Änderungen (AM)) durch die Kommission im Amtsblatt der EU veröffentlicht worden. Vgl. deren detaillierte Auflistung in: Mitteilung der Kommission in Anwendung der Richtlinie 73/23/EWG des Rates vom 19. Februar 1973 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen (92/C210/01) - ABl. EG Nr. C 210 v. 15.08.1992, S. 1 -, Abschn. 3; Mitteilung der Kommission in Anwendung der Richtlinie 73/23/EWG des Rates vom 19. Februar 1973 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen (93/C 18/04)- ABl. EG Nr. C 18 v. 23.01.1993, S.4-; Mitteilung der Kommission in Anwendung der Richtlinie 73/23/EWG des Rates vom 19. Februar 1973 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen (93/C 319/02)AB1. EG Nr. C 319 v. 26.11.1993, S. 2 -; Mitteilung der Kommission in Anwendung der Richtlinie 73/23/EWG des Rates vom 19. Februar 1973 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen (94/C 169/04)- ABl. EG Nr. C 169 v. 22.06. 1994, S. 4 f.; Mitteilung der Kommission in Anwendung der Richtlinie 73/23/ EWG des Rates vom 19. Februar 1973 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen (94/C 199/03) - ABl. EG Nr. C 199 v. 21.07.1994, S. 3 -.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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des IECEE 5 0 1 oder der I E C 5 0 2 konform ist, welche gemäß dem Verfahren des Art. 6 Abs. 2 und 3 Niederspannungsrichtlinie veröffentlicht worden sind (Art. 6 Abs. 1 Niederspannungsrichtlinie). Liegen auch keine derart veröffentlichten internationalen Normen vor, gelten die Art. 2 und 3 Niederspannungsrichtlinie bei Konformität zu den nationalen Normen des Mitgliedsstaates des Produzenten, wenn sie die gleiche Sicherheit bieten, die im Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates des Abnehmers gefordert wird (Art. 7 Niederspannungsrichtlinie) 503 . Schließlich ist die Erfüllung der Bestimmungen für das Inverkehrbringen elektrischer Betriebsmittel nach Art. 2 Niederspannungsrichtlinie und der freie Verkehr innerhalb der Europäischen Union nach Art. 3 Niederspannungsrichtlinie auch für solche Betriebsmittel gewährleistet, die nicht den in den Artikeln 5, 6 und 7 Niederspannungsrichtlinie spezifizierten technischen Normen entsprechen, sofern sie die Schutzzielbestimmung des Art. 2 und die in Anhang I Niederspannungsrichtlinie genannten Sicherheitsziele einhalten und dies mittels Konformitätsprüfung und CE-Kennzeichnung dokumentiert wird (Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Anhang III Niederspannungsrichtlinie) 504. soi System for Conformity Testing to Standards for Safety of Electrical Equipment". Vgl. dazu Kap. II.C.l.b)bb). 502 "International Electrotechnical Commission". Vgl. zu dieser Kap. U.C. 1 .b). 503 Nach Ansicht der Kommission kann aufgrund der Bestimmungen der Art. 2 und 8 Niederspannungsrichtlinie auf dem Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten nur die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen verlangt werden, die den in Artikel 2 und in Anhang I genannten Sicherheitszielen gleichkommen. Insbesondere erlaubt es der Satzteil am Ende von Artikel 7 Niederspannungsrichtlinie ("wenn sie die gleiche Sicherheit bieten, die in ihrem eigenen Hoheitsgebiet gefordert wird") den Mitgliedsstaaten nicht, die Einhaltung anderer Sicherheitsanforderungen als derjenigen zu verlangen, die den Sicherheitszielen genügen. Anderslautende nationale technische Normen sind nicht mehr anwendbar, entsprechende nationale technische Vorschriften unwirksam, wobei generell nationalstaatliche Rechtsvorschriften im Regelungsbereich der Niederspannungsrichtlinie, welche die Einhaltung bestimmter technischer Vorschriften verlangen, nicht mehr zwingend sind. Mitteilung der Kommission 82/C 59/02, Abschn. 3.1 und 3.2. Damit folgt nach Ansicht der Kommission (Ebd., Abschn. 4 Nr. 4.2.2 vorletzter Abs. i.V.m. Abschn. 6 Nr. 6.2.1) für Europäische Normen, die unter die Niederspannungsrichtlinie fallen, daß die Einhaltung der sog. A-Abweichungen, die auf nationalen Vorschriften beruhen, nicht mehr zwingend sind und daß die Verkehrsfähigkeit von Erzeugnissen, die einer solchen Norm entsprechen, innerhalb der EU nicht eingeschränkt werden darf, es sei denn durch das in der einschlägigen Richtlinie vorgesehene Schutzklauselverfahren. Vgl. dazu CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 3 Nr. 3.1.9; ferner Kap. II.B.l.a)cc). Vgl. dazu aber die Ausführungen zur Rechtsprechung des EuGH im "Holzbearbeitungsmaschinen-Fall" (EuGH, Rs. 188/84 "Vertragsverletzung - Zulassung von Holzbearbeitungsmaschinen", Slg. 1986, S. 419) in Kap. II.B.3.c)aa)(2). 504 Mitteilung der Kommission 82/C 59/02, Abschn. 2 Nr. 2.3.1 letzter Abs.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Obwohl auch der im Jahre 1968 dem Rat vorgelegte Entwurf des "Allgemeinen Programms zur Beseitigung der technischen Hindernisse im Warenverkehr" 505 diese Methode, nach der Richtlinien nur die Erfüllung von Grundsatzanforderungen vorschreiben und zu deren Präzisierung auf harmonisierte Europäische Normen verweisen, als eine mögliche Lösung genannt hatte, und in Folge sowohl das Europäischen Parlament 506 als auch der Wirtschafts- und Sozialausschuß507 in ihren Stellungnahmen zu dem genannten Entwurf diese Methode als erfolgversprechendste Lösung des Abbaus technischer Handelshemmnisse qualifizierten, wurde bis zum Jahre 1985 in der Praxis von diesem Modell nur ein einziges Mal - nämlich in der genannten Niederspannungsrichtlinie - Gebrauch gemacht508. Ein Grund hierfür lag in dem eingangs genannten extrem weiten Regelungsbereich der Niederspannungsrichtlinie. Indem diese einen großen Teil der nationalen elektrotechnischen Sicherheitsregelwerke betraf - beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland rund 50 % des DKE-(DIN-VDE-) Normenwerkes 509 -, die in den meisten Mitgliedsstaaten schon frühzeitig ein hohes Maß an Vollständigkeit erreicht hatten, wurden - bezogen auf diesen gigantischen Harmonisierungsbedarf - zunächst nur langsame Fortschritte erzielt. Die mittel- und langfristig von der Niederspannungsrichtlinie ausgehenden Impulse auf die europäischen elektrotechnischen Normungsaktivitäten waren jedoch so stark, daß heute eine nationale elektrotechnische Normung innerhalb der Europäischen Union praktisch nicht mehr existiert 510. Ein zweiter Grund bestand in anfängli-

505 "Entwurf einer Entschließung des Rates über ein allgemeines Programm zur Beseitigung der technischen Hindemisse im Warenverkehr, die sich aus Unterschieden in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ergeben". Dieses ist als Teil I Bestandteil des "Allgemeinen Programms zur Beseitigung der technischen Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Warenverkehr, die sich aus der Unterschiedlichkeit der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ergeben" v. 07.03.1968 - ABl. EG Nr. C 48 v. 16.05.1968, S. 24 -. Vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(l). 506 Vgl. Punkt 5 der "Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für ein Allgemeines Programm zur Beseitigung der technischen Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Warenverkehr, die sich aus der Unterschiedlichkeit der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ergeben" - ABl. EG Nr. C 108 v. 19.10.1968, S.39 (39) f. 507 Vgl. Punkt VI.3 der "Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu einem Allgemeinen Programm zur Beseitigung der technischen Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Warenverkehr, die sich aus der Unterschiedlichkeit der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ergeben" - ABl. EG Nr. C 132 v. 06.12.1968, S. 1 (4 f.). 508 Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 342; Winckler, R., Binnenmarkt, S. 18. 509 Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 422. 510 Vgl. Kap. II.A.l.a)ee)(4).

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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chen Unsicherheiten bei der Auslegung der wichtigsten Bestimmungen der Niederspannungsrichtlinie und in den daraus resultierenden Problemen bei deren Anwendung511. Ein dritter Grund ist schließlich in der damaligen Ansicht der Kommission und auch namhafter Juristen zu sehen, daß "die Niederspannungsrichtlinie ein einmaliger Sündenfall sei, der sich nie wiederholen würde" 512. (c) Maßgebliche Verlautbarungen der EU-Organe im Vorfeld der "Neuen Konzeption" (aa) Die Mitteilung der Kommission vom 9. März 1982 über die Anwendung der Richtlinie 73/23/EWG (Niederspannungsrichtlinie) des Rates Einen deutlichen Meinungswechsel der Kommission bezüglich des in der Niederspannungsrichtlinie praktizierten Harmonisierungsverfahrens markiert die im Anschluß an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall " Cremo nini/Vrankovich" 513 am 9. März 1982 veröffentlichte "Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 73/23/EWG des Rates vom 19. Februar 1973 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten betreffend

Während die Harmonisierung der nationalen technischen Normen mit dem Stichtag der Vollendung des Binnenmarktes am 31.12.1992 keineswegs abgeschlossen war - zu diesem Zeitpunkt gab es erst 3.000 Europäische Normen, gegenüber 110.000 derzeit gültigen nationalen Normen der CEN/CENELEC-Mitgliedsstaaten (DITR, Normen, Vorschriften, Richtlinien, S. 4; vgl. auch die aktuellen Zahlenangaben in Tab. 6 in Kap. II.A) -, standen auf dem elektrotechnischen Sektor bereits 1990 den jeweils 30.000 bis 35.000 Druckseiten der nationalen elektrotechnischen Normenwerke der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland (Zahlenangabe für 1988, entnommen aus: Winckler, R., 23. Generalversammlung von CENELEC, S. 564) 29.000 Seiten harmonisierter Normen gegenüber. Winckler, R. u.a., 26. Generalversammlung von CENELEC, S. 98. 511 Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen in Kap. II.B.3.c)bb)(2)(c)(aa). 512 Zit. nach Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 26; Sauer, M., Neues Konzept, S. 600; Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 5; Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 131; Winckler, R., Harmonisierungsbestrebungen, S. 60. 513 EuGH, Rs. 815/79 "Angleichung der Rechtsvorschriften über elektrische Betriebsmittel", Slg. 1980, S. 3583. Nach Urteil des EuGH im Fall "Cremonini/Vrankovich" haben Unionsregelungen in diesem Fall die Niederspannungsrichtlinie - grundsätzlich Vorrang vor nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, sofern nicht bestimmte, in Artikel 36 EGV spezifizierte und vom EuGH sehr eng ausgelegte Umstände eine Sonderregelung rechtfertigen. Daher darf der freie Warenverkehr für Erzeugnisse, die den einschlägigen Europäischen Normen entsprechen, im Geltungsbereich einer solchen Harmonisierungsrichtlinie in aller Regel nicht, auch nicht mit Hinweis auf Sicherheitsgründe, behindert werden. Reihlen, H., 34. Präsidiumssitzung, S. 210.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen - Niederspannungsrichtlinie" 514. Denn nach anfänglichen Problemen bei der Anwendung der Niederspannungsrichtlinie sah es die Kommission aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs insbesondere in diesem Fall als möglich an, die bisher bei der Auslegung der wichtigsten Bestimmungen der Niederspannungsrichtlinie bestehenden Unsicherheiten zu beenden, sowie Rechte und Pflichten der einzelnen Beteiligten genau zu bestimmen515. Auf dieser Basis, wegen des begrenzten Erfolges des ursprünglichen Harmonisierungskonzeptes und angesichts der "Vorteile ..., die ein auf dem Verweis auf Normen beruhendes System wie das der Niederspannungsrichtlinie für die Verwirklichung des freien Warenverkehrs in der Gemeinschaft und die Förderung der Innovationstätigkeit der Unternehmen aufweist" 516, hat die Kommission beschlossen, "bevor sie dem Ministerrat einen Richtlinienvorschlag im Rahmen der Beseitigung technischer Handelshemmnisse in anderen Industriesektoren unterbreitet, gründlich [zu] prüfen, ob die Anwendung dieses Systems sich als möglich und zweckmäßig erweist". Damit stellt die Mitteilung der Kommission vom 9. März 1982 einen wesentlichen Meilenstein der Abkehr vom ursprünglichen Harmonisierungskonzept hin zur systematischen Anwendung der in der Niederspannungsrichtlinie angewandten Harmonisierungsmethode und damit der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" dar.

514

Mitteilung der Kommission 82/C 59/02. Ebd., Einleitung, Abs. 7 i.V.m. Nr. 1. Im Rahmen ihres Verständnisses der Rechtsprechung des EuGH hat die Kommission in dieser Mitteilung den rechtlichen Rahmen der Richtlinie und ihre Anwendung für alle Beteiligten - vor allem Hersteller, Bescheinigungs- und Normungsstellen auf dem Gebiet der Elektrotechnik, Importeure, Händler und Benutzer - sowie für die Mitgliedsstaaten dargelegt. Ebd., passim. Insbesondere fordert die Kommission, da es sich um eine Richtlinie zur "vollständigen Harmonisierung" handelt, daß die Bestimmungen der Niederspannungsrichtlinie an die Stelle der entsprechenden einzelstaatlichen Vorschriften treten sollen und damit den freien Warenverkehr elektrischer Betriebsmittel in der Europäischen Union unter der Voraussetzung gewährleisten, daß diese den in der Richtlinie vorgesehenen Sicherheitsanforderungen genügen. Ebd., Abschn. 2 Nr. 2.1. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Fn. 503 in Kap. II.B.3.c)bb)(2)(b). 516 "Dieses System überlädt nicht die Gesetzgebung mit detaillierten Vorschriften technischen Inhalts und verzögert nicht die Anpassung an den technischen Fortschritt durch wiederholte Gesetzgebungsverfahren. Es handelt sich daher vom Standpunkt der Technik aus um ein flexibles und anpassungsfähiges System, das somit günstige Voraussetzung für die industrielle Innovation schafft. Außerdem regt es die Ausarbeitung harmonisierter Normen an und bietet gleichzeitig den Vorteil, den freien Verkehr von Waren, die nationalen Normen entsprechen, unter bestimmten Bedingungen zu ermöglichen." Ebd., Einleitung, viertletzter und vorletzter Abs. 515

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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(bb) Die Richtlinie des Rates über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (83/189/EWG) vom 28. März 1983 Zur Verhinderung neu entstehender Handelshemmnisse 517 hat die Europäische Union, beginnend mit dem 1. Januar 1985, durch die Richtlinie 83/189/ EWG ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften eingerichtet. Dieses findet bezüglich der technischen Normen aufgrund des EFTA-Ratsbeschlusses vom 24. Oktober 1984 518 und bezüglich der technischen Vorschriften kraft des am 19. Dezember 1989 von EU und EFTA unterzeichneten Übereinkommens519 im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Anwendung. auf dem Gebiet der technischen Vorschriften Das Informationsverfahren in den Art. 8-10 RL 83/189/EWG geregelt. Nach Art. 8 Abs. 1 Richtlinien 83/ 189/EWG müssen alle neuen nationalen technischen Vorschriften bereits im Entwurfsstadium der Kommission zur Kenntnis gebracht werden, welche darüber sämtliche EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten unterrichtet. Diese Mitteilung eines Entwurfes ist laut Art. 9 RL 83/189/EWG mit einer Stillhalteverpflichtung des betreffenden EU-Mitgliedsstaates von mindestens dreimonatiger und höchstens einjähriger Dauer verbunden, innerhalb derer der Entwurf einem multilateralen Einspruchsverfahren hinsichtlich seiner Verträglichkeit mit der Freiheit des Warenverkehrs zu unterziehen ist. Außerdem sollen ausdrückliche Anerkennungsklauseln in den nationalen Vorschriften sicherstellen, daß gleich-

517

Nach Art. 31 Abs. 1 EGV dürfen nichttarifäre Handelsbeschränkungen seit Inkrafttreten des EWGV - außer aufgrund der in Art. 36 EGV genannten Ausnahmen nicht mehr eingeführt werden ("Standstill"). Beutler, B. u.a., Die Europäische Union, S. 293. 518 Art. F. 1 des EFTA-Ratsbeschlusses lautet: "Im Hinblick auf den Beschluß der Räte der EFTA vom 23. Februar 1984, sich am Normungsinformations verfahren, das am 1. Januar 1985 anläuft, voll zu beteiligen, und die erklärte Absicht der EFTA, die Harmonisierung technischer Normen auf europäischer Ebene nach den in den Richtlinien zur Normungspolitik in Europa (Beschluß der Räte vom 8. Mai 1985) festgelegten Grundsätzen zu fördern, haben die EFTA-Länder alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, daß nationale Normen so lange nicht veröffentlicht werden, wie Europäische Normen auf den betreffenden Gebieten auf Antrag der EFTA erarbeitet werden." Zit. in: CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 6 Nr. 6.3. 519 Beschluß des Rates vom 29.09.1990 über den Abschluß des Übereinkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einerseits und der Republik Österreich, der Republik Finnland, der Republik Island, dem Königreich Norwegen, dem Königreich Schweden und der Schweizer Eidgenossenschaft andererseits über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften (90/518/EWG) - ABl. EG Nr. L 291 vom 23.10.1990, S. 1.

48 Zubke-von Thünen

ist

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

wertige technische Vorschriften und Prüfungen der übrigen EU- und EFTAMitgliedsstaaten anerkannt werden 520. Die technischen Normen der privaten Normenorganisationen sind Gegenstand eines gesonderten und eigenständigen Informationsverfahrens auf dem Gebiet der technischen Normen zwischen den im Anhang I I der Richtlinien 83/189/EWG enumerativ aufgezählten nationalen Normenorganisationen der EU-Mitgliedsstaaten, das in den Art. 2-4 der genannten Richtlinie geregelt ist 521 . Das Informationsverfahren verpflichtet die nationalen Normenorganisationen, die Kommission, die übrigen nationalen und die im Anhang I der RL 83/189/EWG aufgeführten europäischen Normenorganisationen CEN/ CENELEC und ETSI im Falle der Aufnahme neuer nationaler Normenprojekte, der Änderung einer nationalen Norm und der nicht äquivalenten Übernahme einer internationalen Norm zu unterrichten (Art. 2 Abs. 1 und 2 Richtlinien 83/ 189/EWG) 522 , ihnen auf Anforderung die entsprechenden Norm-Entwürfe zur Verfügung zu stellen (Art. 3 RL 83/189/EWG), den anderen nationalen Normenorganisationen das Recht zur aktiven oder passiven Teilnahme an den Normungsarbeiten einzuräumen sowie Stellungnahmen der interessierten Kreisen anderer EU-Mitgliedsstaaten zuzulassen (Art. 4 Abs. 1 Spstr. 2 und 3 RL 83/189/EWG). Der entsprechend Art. 5 RL 83/189/EWG konstituierte Ständige Ausschuß "Normen und technische Vorschriften " aus Vertretern der EU-Mitgliedsstaaten kann die Kommission auf der Basis der von dieser erarbeiteten Vorschläge zur Beseitigung bestehender oder vorauszusehender technischer Handelshemmnisse (Art. 6 Abs. 2 RL 83/189/EWG) insbesondere anregen, die europäischen Normenorganisationen zu ersuchen, innerhalb einer bestimmten Frist eine Europäische Norm zu erstellen (Art. 6 Abs. 3 Spstr. 1 RL 83/189/EWG). Während der Bearbeitung dieser Mandate durch die europäischen Normenorganisationen oder nach der Annahme einer Europäischen Norm sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit ihre Normenorganisationen "nichts unternehmen, was die angestrebte Harmonisierung beeinträchtigen könnte, und damit sie insbesondere in dem betreffenden Bereich kei520 Ausführlich hierzu Anselmann, N., Technische Vorschriften und Normen, S. 20 ff. 521 Es bestand bereits zuvor ein CEN/CENELEC-internes Informationsverfahren über neue Normungsvorhaben der Mitgliedsländer. Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 434. 522 Zu diesem Zweck haben CEN/CENELEC im Jahre 1985 eine bibliographische Datenbank - den "Index Comparatif des Normes en Europe" (ICONE) - geschaffen, welche die Arbeitsprogramme der internationalen (ISO, IEC, ITU), europäischen (CEN/ CENELEC, ETSI) und nationalen Normenorganisationen der EU- und EFTA-Mitgliedsstaaten sowie Informationen über die nationale Einführung internationaler und Europäischer Normen enthält. Vgl. Kap. II.B.l .a)cc).

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

755

ne neue oder überarbeitete nationale Norm veröffentlichen, die nicht vollständig mit einer bestehenden europäischen (sie) Norm übereinstimmt" (Art. 7 Abs. 1 RL 83/189/EWG) 523 . Damit ist die RL 83/189/EWG nach den rechtlich unverbindlichen Vereinbarungen der Kommission mit CEN/CENELEC 524 eine erste Rechtsgrundlage der Mandatserteilung der Kommission an die europäischen Normenorganisationen. Zugleich wird damit i.V.m. dem Anhang I der RL 83/189/EWG der Status von CEN/CENELEC und ETSI erstmalig in einer Rechtsvorschrift als die für die Normung auf europäischer Ebene zuständigen Normenorganisationen von der Europäischen Union anerkannt525. Indem schließlich der Ständige Ausschuß sowohl die Vorschläge zur Erteilung von Mandaten zur Beseitigung technischer Handelshemmnisse ausarbeitet als auch die Mandate koordiniert, die aus der Richtlinienerstellung der Ausschüsse der Kommission - u.a. nach der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" 526 - resultieren, ist "Der Ausschuß 83/189 ... der Angelpunkt der Zusammenarbeit zwischen Staat und Normung in Westeuropa"527.

523

Die Stillhalteverpflichtung gilt entsprechend Art. 7 Abs. 2 RL 83/189/EWG nicht für Arbeiten der nationalen Normenorganisationen, die diese auf Antrag der nationalen Behörden durchführen, und deren Arbeitsergebnisse in technischen Vorschriften rezipiert werden sollen. Hier greift das entsprechende Informationsverfahren über technische Vorschriften: "Die Mitgliedsstaaten teilen der Kommission gemäß Artikel 8 Abs. 1 jeden der unter Unterabs. 1 fallenden Antrag als Entwurf einer technischen Vorschrift mit und legen die Gründe dar, die die Festlegung einer solchen Vorschrift rechtfertigen" (Art. 7 Abs. 2 RL 83/189/EWG). Ansonsten beginnt die Stillhalteverpflichtung der CEN/CENELEC-Mitglieder mit der Zustimmung des BT zum Normenprojekt. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 6 Nr. 6.3. Vgl. dazu Kap. II.B.l.a)cc). 524 Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)(l)(d)(aa). 525 CEN/CENELEC, Memorandum N°4, Einführung, Nr. 3. 526 Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01); vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d). 527 DIN, Europäische Normung 04.96, S. 15. Der Anteil der unter dem Mandat der EU-Kommission und des EFTA-Sekretariats erstellten Normen am gesamten Arbeitsprogramm von CEN betrug im Jahre 1991 20 %; bei CENELEC sind rund 50 % der Normungsarbeiten allein von der Niederspannungsrichtlinie betroffen. Bei ETSI betrug schließlich im Jahre 1992 das Finanzvolumen der Mandate der EU-Kommission und des EFTA-Sekretariats 4 Mio. ECU. Vgl. Kap. II. B.l.a)cc) und Kap. II.B.l.b)dd).

48*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

(cc) Die Schlußfolgerungen des Rates zur Normung vom 16. Juli 1984 Am 16. Juli 1984 hat der Rat die sogenannten "Schlußfolgerungen zur Normung" gebilligt528, die als Fortführung der im vorherigen Kapitel behandelten RL 83/189/EWG des Rates 529 fünf "Grundsätze einer europäischen Normungspolitik" festlegen. Die Basis dieser Grundsätze und zugleich die zentrale Aussage der Schlußfolgerungen ist die vom Rat in deren Abs. 1 geäußerte "Auffassung, daß die Normung einen wichtigen Beitrag zum freien Verkehr mit Industriewaren darstellt; darüber hinaus trägt sie mit der Schaffung eines allen Unternehmen gemeinsamen technischen Umfeldes zur industriellen Wettbewerbsfähigkeit insbesondere auf dem Gebiet der neuen Technologien sowohl auf dem Gemeinschaftsmarkt als auch auf den Außenmärkten bei". Daher sehen die Grundsätze neben der Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Abschaffung überflüssiger technischer Vorschriften, zur gegenseitigen Anerkennung der Versuchsergebnisse der Zertifizierungsstellen und zu raschen Konsultationen im Einklang mit den Zielen der RL 189/83/EWG im Falle entstehender Handelshemmnisse530 vor allem die erweiterte Anwendung der Verweisung 531 vorrangig auf Europäische und erforderlichenfalls auf internationale oder nationale Normen im Rahmen der technischen Harmonisierung und den sehr zügigen Ausbau der Normungskapazität auf europäischer Ebene vor, um die Rechtsangleichung innerhalb der Europäische Union zu erleichtern 532. Nach dem im vorletzten Kapitel dokumentierten Meinungswechsel der Kommission bezüglich der in der Niederspannungsrichtlinie angewandten Harmonisierungstechnik dokumentieren die Schlußfolgerungen des Rates zur Nor-

528

Schlußfolgerungen des Rates (Anhang I der Entschließung 85/C 136/01). Vgl. die Leitsätze für die Zusammenarbeit KOM- CEN/CENELEC, Nr. 1 Abs. 1; femer die Schlußfolgerungen des Rates (Anhang I der Entschließung 85/C 136/01), Abs. 3 Spstr. 3; femer CEN/CENELEC, Memorandum N°4, KEG/CEN/ CENELEC allgemeine Leitsätze, Nr. 1. 530 Schlußfolgerungen des Rates (Anhang I der Entschließung 85/C 136/01), Abs. 3 Spstr. 1-3. 531 In der Terminologie der Kommission steht dieser Ausdruck für die normkonkretisierende allgemeine Verweisung auf technische Normen, mithin der in der Niederspannungsrichtlinie und der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" (Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01); vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)) verwendeten Rezeptionsmethode. 532 Schlußfolgerungen des Rates (Anhang I der Entschließung 85/C 136/01), Abs. 3 Spstr. 4 und 5. Zugleich soll die industrielle Entwicklung insbesondere in den neuen (Spitzen-) Technologien durch wirksame Nutzung der "Gemeinschaftsdimension" erleichtert werden. Schlußfolgerungen des Rates (Anhang I der Entschließung 85/C 136/01), Abs. 3 Spstr. 5 i.V.m. Abs. 4. 529

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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mung auch einen sich in diesem Gremium vollziehenden Meinungsumschwung, in den Harmonisierungsrichtlinien auf Europäische Normen Bezug zu nehmen, anstatt eigene detaillierte technische Spezifikationen zu erarbeiten. (dd) Die allgemeinen Leitsätze für die Zusammenarbeit der Kommission und CEN/CENELEC vom 13. November 1984 Gleichzeitig mit der Verabschiedung der Richtlinie 83/189/EWG am 28. März 1983 erging eine Aufforderung des Rates an die Kommission, im Hinblick auf die in der genannten Richtlinie vorgesehene Einbindung der europäischen Normenorganisationen bezüglich Abbau und Vermeidung technischer Handelshemmnisse mit CEN/CENELEC ein Abkommen zu schließen, um die Mitarbeit dieser Organisationen bei der Umsetzung der RL 83/189/EWG zu koordinieren 533. Auf der Basis der in den Kapiteln II.B.3.c)bb)(2)(c)(aa) und II. B.3.c)bb)(2)(c)(cc) dargelegten Absichtserklärungen von Kommission und Rat zur Anwendung des Prinzips der Verweisung auf Normen in den Harmonisierungsrichtlinien hat die Kommission mit CEN/CENELEC am 13. November 1984 534 eine Vereinbarung 535 über "Allgemeine Leitsätze für die Zusammenarbeit zwischen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und den europäischen Normenorganisationen Europäisches Komitee für Normung (CEN) und Europäisches Komitee für Elektrotechnische Normung (CENELEC)" 536 getroffen 537. Aufgrund einer am 30. April 1985 mit der EFTA unterzeichneten

533

Mohr, C., Das EG-Informationsverfahren, S. 323. Diese wurde am 13./14. Juni 1984 und am 30./31. Oktober 1984 von CEN bzw. CENELEC unterzeichnet. CEN/CENELEC, Memorandum N°4, Einführung, Nr. 5. 535 Es handelt sich dabei noch nicht um einen (Normen-) Vertrag, wie er beispielsweise in den Bundesrepublik Deutschland oder dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland existiert; es ist jedoch ein erster Schritt in diese Richtung. Mohr, C., Vereinbarung EG-Kommission - CEN/CENELEC, S. 78. Anselmann, N., Die Rolle der europäischen Normung, S. 940 spricht von einer "Vereinbarung politischer Natur". A.A. Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 95 f., der von einer "vertragliche[n] Grundlage", "die ihrer Rechtsnatur nach ... dem Normenvertrag zwischen der Bundesrepublik und dem DIN von 1975 ähnelt", ausgeht. 536 In dieser Arbeit zitiert als Leitsätze für die Zusammenarbeit KOM- CEN/ CENELEC (vgl. den ausführlichen Nachweis in dem Abkürzungsverzeichnis mehrfach zitierter Rechtsnormen und amtlicher Verlautbarungen). 537 Mohr, C., Vereinbarung EG-Kommission - CEN/CENELEC, S. 78. Vgl. auch CEN/CENELEC, Memorandum N°4, Einführung, Nr. 1. Wie bereits der Rat in seinen Schlußfolgerungen zur Normung vom 16. Juli 1984 verfolgt auch die Kommission in diesen allgemeinen Leitsätzen das Ziel einer "Gemeinschaftsstrategie zur Stärkung des Binnenmarktes als Grundlage für einen europäischen Wirtschaftsraum", wodurch "der Warenaustausch durch die zunehmende Beseitigung der Handelshemmnisse, die sich aus unterschiedlichen nationalen technischen 534

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Vereinbarung gelten die im folgenden aufgeführten allgemeinen Leitsätze seitdem im gesamten EWR 5 3 8 . Kernaussage dieser Vereinbarung ist die Zusage der Kommission, sich bei ihren Vorschlägen im Bereich der Harmonisierungsarbeiten der Europäischen Union gemäß Art. 100 EGV auf die Festlegung der wesentlichen Kriterien zu konzentrieren, welche die Erzeugnisse aus Sicherheits- und anderen Gründen des öffentlichen Interesses erfüllen müssen, und bezüglich der Festlegung der technischen Einzelheiten der Erzeugnisse auf technische Normen zu verweisen: 539. Dazu erteilt die Kommission CEN/CENELEC die Aufgabe, Europäische Normen insbesondere im Rahmen von Mehrjahresprogrammen, die gemäß Art. 6 der RL 83/189/EWG unter Beteiligung des Ausschusses "Normen und technische Vorschriften" aufgestellt werden, auszuarbeiten540. In diesen im Rahmen separat abgeschlossener Verträge erteilten Mandaten541 vereinbaren die Regeln ergeben, verbessert" und "die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft auf dem Binnenmarkt sowie auf Drittlandsmärkten insbesondere auch bei den neuen Technologien gestärkt werden. Dabei soll zunehmend auf internationale, europaweit harmonisierte und zur Umsetzung hinreichend präzise Normen oder - wenn diese nicht existieren - auf Europäische Normen, durch die die Arbeiten auf internationaler Ebene vorbereitet werden, zurückgegriffen werden." Leitsätze für die Zusammenarbeit KOMCEN/CENELEC, Nr. 1 Abs. 1 Spstr. 1 und 2. Vgl. auch ebd., Nr. 2 Spstr. 2 und Nr. 4 Spstr. 2. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß die Kommission das bis dahin immer herausgestellte Leitmotiv der Beseitigung der technischen Handelshemmnisse zwar weiterhin nennt, jedoch offensichtlich ihr Augenmerk zunehmend auf die Geschlossenheit und die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft der EU unter Einbeziehung der europäischen Normung richtet. Der Grund hierfür sind Befürchtungen, in den hochinnovativen Bereichen wie z.B. der Informations- und Kommunikationstechnik den Anschluß an Japan und die USA zu verlieren. Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 6. 538 Allgemeine Leitsätze für die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Freihandelszone (EFTA) und den Europäischen Normenorganisationen Europäisches Komitee für Normung (CEN) und Europäisches Komitee für Elektrotechnische Normung (CENELEC). CEN/CENELEC, Memorandum N° 4, EFTA/CEN/CENELEC allgemeine Leitsätze, passim. Vgl. auch Griller, S., Europäische Normung und Rechtsangleichung, S. 37. 539 Leitsätze für die Zusammenarbeit KOM- CEN/CENELEC, Leitsatz Nr. 2 Spstr. 1 i.V.m. Leitsatz Nr. 4 Spstr. 1. Darüber hinaus ist ein größerer Rückgriff auf technische Normen geeignet, zu einem beträchtlichen Fortschritt im Bereich der Zertifizierung insbesondere bezüglich deren gemeinschaftlicher Anerkennung beizutragen. Ebd., Nr. 2 Spstr. 1. 540 Ebd., Leitsatz Nr. 4 Spstr. 3. 541 Diese "Rahmenverträge betreffend die Ausarbeitung Europäischer Normen" vom Oktober bzw. Dezember 1985 regeln insbesondere die verwaltungsmäßigen und finanziellen Bedingungen der EU-Normungsmandate. Die Rahmenverträge, welche die eigentliche Rechtsgrundlage für die Mandate der Kommission an CEN/CENELEC darstellen, wurden sämtlichst nicht veröffentlicht. Vgl. dazu Anselmann, N., Die Rolle der europäischen Normung, S. 940 f.; Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 6. Zwischen

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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Vertragsparteien den zu normenden Gegenstand, die Fristen bezüglich der voraussichtlichen Dauer der Normungsarbeiten 542 sowie den von der EU für die Normungstätigkeiten zu leistenden Finanzbeitrag543. Innerhalb der für die Erstellung der technischen Normen eingeräumten Fristen verpflichtet sich die Kommission, keine technischen Spezifikationen zum gleichen Gegenstand zu verfassen oder anfertigen zu lassen, solange sich eine Initiative der Kommission im öffentlichen Interesse nicht als notwendig erweist 544. Schließlich sagt die Kommission zu, sich "immer wenn dies möglich erscheint" bei ihren öffentlichen Ausschreibungen auf geeignete Europäische Normen zu beziehen545. CEN/CENELEC übernehmen in der Vereinbarung die Verantwortung dafür, daß die in ihren Gremien ausgearbeiteten Normen den wesentlichen Anforderungen zum Schutz der Bürger- Sicherheit, Gesundheit, Verbraucherschutz u.a.m. 546 - genügen, wie sie durch die Richtlinien, auf die sich die Mandate beziehen, oder durch die Mandate selbst festgelegt werden 547. In diesem Zusammenhang räumen CEN/CENELEC der Kommission das Recht ein, an den Sit-

CEN/CENELEC und der EFTA wurden am 20.09.1989 ein weitgehend inhaltsgleicher "Framework Contract Relating to the Tasks to be Assigned to CEN/CENELEC Concerning European Standardization, Testing and Certification" abgeschlossen. Zit. nach Griller, S., Europäische Normung und Rechtsangleichung, S. 37. Innerhalb dieser "Framework Contracts" haben verschiedene Abteilungen der Kommission, hauptsächlich die Generaldirektion (Direction Générale (DG)) III ("Generaldirektion für Binnenmarkt und gewerbliche Wirtschaft") und die DG XIII ("Telekommunikation, Informationstechnologie und Innovation"), eine Reihe offizieller Abkommen mit CEN/CENELEC für die Erstellung Europäischer Normen entweder in bezug auf die von den DG zu erstellenden Richtlinien-Entwürfe oder auf sonstige Interessen an der technischen Normung getroffen. Auch diesen Abkommen hat sich die EFTA in Form von Parallelabkommen angeschlossen. Die Partizipation gesellschaftlicher Gruppen an der Normung ist vor allem Anliegen der DG V für "Beschäftigung, Arbeitsbeziehungen und soziale Angelegenheiten" sowie des Dienstes "Verbraucherpolitik". Wissenschaftliche Forschung im Rahmen der Normung wird hauptsächlich von der DG XII für "Wissenschaft, Forschung und Entwicklung" organisiert. Schließlich beschäftigen sich verschiedene DG noch unter industriepolitischen Aspekten mit der technischen Normung. CENELEC, Elektrotechnische Normen, S. 17; Wengel, J., Europäisches Normungsgeschehen, S. 33. 542 Art. 6 Abs. 3 i.V.m. Art. 7 RL 83/189/EWG. 543 Anselmann, N., Die Rolle der europäischen Normung, S. 940. Vgl. auch CEN, Annual Report 1991, S. 9. 544 Leitsätze für die Zusammenarbeit KOM- CEN/CENELEC, Leitsatz Nr. 4 Spstr. 4. Dabei behält sich die Kommission ausdrücklich das Recht vor, technische Arbeiten zur Vorbereitung eines Norm-Entwurfes durchzuführen, ohne auf CEN/CENELEC zurückzugreifen. Ebd., Leitsatz Nr. 4 Spstr. 6. 545 Ebd., Leitsatz Nr. 4 Spstr. 7. 546 Vgl. dazu die gemeinwohlrelevanten Normenfunktionen in Kap. I.C.2. 547 Leitsätze für die Zusammenarbeit KOM- CEN/CENELEC, Leitsatz Nr. 5 Spstr. 5.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

zungen der technischen Ausschüsse und der Technischen Büros teilzunehmen und stellen alle von der Kommission verlangten Informationen über die Durchführung der Normungsprogramme zur Verfügung 548. Darüber hinaus haben CEN/CENELEC zugesagt, für eine Verstärkung ihrer Zusammenarbeit und Vereinheitlichung ihrer Abstimmungsverfahren zu sorgen549 und die erforderliche Infrastruktur zu unterhalten, um die Erfüllung ihrer sich aus den Rahmenverträgen ergebenden Aufgaben sowie insbesondere die geordnete Durchführung der Mehrjahresprogramme sicherzustellen550. Um schließlich die Grundlage für eine weitreichende Anerkennung der Europäischen Normen zu schaffen, werden CEN/CENELEC gewährleisten, daß sich die interessierten Kreise - insbesondere staatliche Behörden, Industrie, Anwender, Verbraucher und Gewerkschaften - an der Ausarbeitung Europäischer Normen "wirklich beteiligen können", wobei sich die Kommission das Recht vorbehalten hat, gegebenenfalls zur Festlegung geeigneter Modalitäten beizutragen551.

548

Ebd., Leitsatz Nr. 5 Spstr. 2. Als Konsequenz haben CEN/CENELEC ihre Verfahrensregeln einander angeglichen, wobei CEN das schon seit der Gründung von CENELEC praktizierte gewichtete Abstimmungsverfahren übernommen hat. Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 6. Dieser Annäherungsprozeß hat schließlich in der weiteren Entwicklung zum Zusammenschluß von CEN und CENELEC zur "Gemeinsamen Europäischen Normungsinstitution" geführt. Vgl. dazu Kap. II.B.l. 550 Leitsätze für die Zusammenarbeit KOM- CEN/CENELEC, Leitsatz Nr. 5 Spstr. 1 und 5. 551 Ebd., Leitsatz Nr. 5 Spstr. 3. Da bislang die Beteiligung der interessierten Kreise aufgrund der Struktur des Willensbildungsprozesses innerhalb von CEN/CENELEC lediglich mittelbar in den entsprechenden Spiegelgremien auf nationaler Ebene stattfindet (vgl. Kap. II.B.l.a)cc)), hat die Kommission bezüglich der unmittelbaren Beteiligung der interessierten Kreise an der europäischen Normung mehrere Vorstöße unternommen. Beispielsweise hat sie in einer "Empfehlung der Kommission vom 10. Dezember 1987 betreffend die Einbeziehung und stärkere Mitwirkung der Verbraucher bei den Normungsarbeiten" (88/41/ EWG) - ABl. EG Nr. L 23 v. 28.01.1988, S. 26 -) in Nr. 1 lit. a) Spstr. 2 den Mitgliedsstaaten u.a. angeraten, sicherzustellen, daß eine Auswahl von Verbrauchervertretern, die von den nationalen Verbraucherorganisationen zu benennen sind, als Delegationsmitglieder der nationalen Normungsgremien in die betreffenden technischen Ausschüsse von CEN/CENELEC entsandt werden. Die in diesem Zusammenhang bislang umfassendste Initiative stellt das Grünbuch der Kommission zur Entwicklung der europäischen Normung (KOM (90) 456 endg. "Grünbuch europäische Normung") dar. Vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(e)(cc). 549

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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(ee) Das Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes vom 14. Juni 1985 Das Weißbuch der Kommission mit seinen rund 300 einzelnen552, im Anhang mit einem detaillierten "Zeitplan ßr die Vollendung des Binnenmarktes 1992" aufgeführten und bis Ende des genannten Jahres zu realisierenden Harmonisierungsvorschlägen war die Antwort der Kommission auf den Auftrag des Rates vom März 1985, ihre Vorstellungen für die Verwirklichung eines alle Bereiche umfassenden Binnenmarktes einschließlich der Beseitigung der technischen Handelshemmnisse darzulegen 553. Aufgrund des Scheiterns des ursprünglichen Harmonisierungskonzeptes hat die Kommission im genannten Weißbuch eine entwickelt, die aus drei simultan zu verfolgenneue Harmonisierungsstrategie den methodischen Ansätzen besteht: Erstens soll in allen Bereichen, in denen eine Harmonisierung technischer Vorschriften und Normen aus gesundheits-, sicherheits-, Verbraucher-, umweit- oder industriespezifischen Gründen nicht unbedingt erforderlich ist, wieder das Konzept der gegenseitigen Anerkennung angewandt werden 554; dabei beruft sie sich auf den Rat 555 , der in seinen "Schlußfolgerungen zur Normung" ausdrücklich festgestellt hat, "daß die von 552

Abs. 1. 553

Zahlenangabe aus KOM (90) 456 endg. "Grünbuch europäische Normung",

Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 84. Dies bedeutet nach Angaben der Kommission den Verzicht auf über 1.000 Richtlinien nach der alten Binnenmarktstrategie der Detailharmonisierung. Zahlenangabe aus KOM (90) 456 endg. "Grünbuch europäische Normung", Abs. 1. Obwohl die Kommission nach dem Scheitern des ursprünglichen Harmonisierungskonzepts mittels detaillierter Richtlinien weitestmöglich die gegenseitige Anerkennung anstrebt - "Die generelle Stoßrichtung der Kommission in diesem Bereich ist es, vom Ansatz der Rechtsangleichung wegzukommen und das Gewicht auf die gegenseitige Anerkennung und die Gleichwertigkeit der nationalen Regeln zu legen." (KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 6 Nr. 13) -, sind ihr die Grenzen der Wirksamkeit einer derartigen Strategie sowohl hinsichtlich der Beseitigung der Handelshemmnisse als auch der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie offensichtlich bewußt. Bezüglich des ersteren sieht die Kommission bereits in ihrer Mitteilung 80/C 256/02, S. 3 als Konsequenz aus der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Kap. II. B.3.c)bb)(l)(a)(aa)) in erster Linie dann einen Bedarf zur Rechtsangleichung, wenn die Mitgliedsstaaten sich unter Berufung auf "zwingende Erfordernisse" erfolgreich auf restriktivere nationale Vorschriften berufen können und dadurch Handelshemmnisse aufrechterhalten oder geschaffen werden (Ebd., S. 2 f.). Bezüglich des letzteren führt sie in ihrem Weißbuch aus: "Während aber eine solche auf die gegenseitige Anerkennung gestützte Strategie Handelshemmnisse beseitigen und zur Schaffung eines echten Gemeinsamen Marktes im kaufmännischen Sinne führen würde, ist es nicht sicher, ob sie zur Errichtung eines auf die industrielle Wettbewerbsfähigkeit gestützten expandierenden Marktes ausreicht, den ein einheitlicher Markt von kontinentaler Größe zur Folge haben kann." KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 18 Nr. 64. 555 KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 18 Nr. 63. 554

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

den Mitgliedsstaaten verfolgten Ziele im Bereich des Schutzes von Sicherheit und Gesundheit der Bürger und ferner im Bereich des Verbraucherschutzes grundsätzlich gleichwertig sind, auch wenn die technischen Mittel zu ihrer Erreichung voneinander abweichen"556. Zweitens soll sich in den übrigen Fällen die Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften darauf beschränken, in Richtlinien des Rates die zwingenden Erfordernisse für die Gesundheit und die Sicherheit der Bürger sowie zum Schutz der Verbraucher und der Umwelt festzulegen, die in allen Mitgliedsstaaten vorgeschrieben sein müssen und bei deren Beachtung ein Erzeugnis frei Verkehrs- bzw. vermarktungsfähig ist. Die notwendigen detaillierten technischen Spezifikationen der in den Harmonisierungsrichtlinien geregelten Produkte sind durch Europäische Normen zu definieren, bei deren Einhaltung die gesetzlich festgelegten Erfordernisse als erfüllt gelten557. Aus diesem Grunde soll drittens die Ausarbeitung Europäischer Normen von CEN/CENELEC, ETSI und anderen sektoralen europäischen Normenorganisationen weitestmöglich gefördert werden, nicht zuletzt auch aus Gründen der Harmonisierung der nationalen technischen Normen der EUMitgliedsstaaten558. Damit enthält das Weißbuch in den Punkten zwei und drei der vorgestellten Strategie die wesentlichen Grundelemente der nachfolgend dargelegten "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung", die vielfach Zustimmung gefunden hat. Jedoch ist, wie in Kapitel II.B.3.c)aa)(2) aufgezeigt, der in Punkt eins genannte grundlegende Ansatz der gegenseitigen Anerkennung von nationalen technischen Vorschriften mit zahlreichen methodenimmanenten Grenzen behaftet und stellt nur in Ausnahmefällen eine geeignete Lösung für die anstehenden Probleme dar 559 . Und auch die gegenseitige Anerkennung technischer Normen stellt, wie bereits in Kapitel II.A.l.c)dd)(4)(c)(aa) ausgeführt, keine praktikable Alternative zur europäischen Harmonisierung der technischen Normen dar 560 . Dies haben 556

Schlußfolgerungen des Rates (Anhang I der Entschließung 85/C 136/01), S. 2. Diese Aussage ist in Ihrer Pauschalität schlichtweg falsch. Vgl. dazu die Ausfühmngen in Kap. II.B.3.c)bb)(l)(a)(bb) insbesondere hinsichtlich der Rechtsprechung des EuGH im "Holzbearbeitungsmaschinen-Fall" (EuGH, Rs. 188/84 "Vertragsverletzung - Zulassung von Holzbearbeitungsmaschinen", Slg. 1986, S. 419). 557 Ebd., S. 19 f. Nr. 68. 558 KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 19 Nr. 65; vgl. dazu ausführlich ebd., S. 19 ff., Nr. 67 ff. 559 Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 150 f.; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 90 f.; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 68; Winckler, R., Harmonisierung technischer Normen, S. 89. 560 Sehr deutlich in dieser Hinsicht Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 150 f., nach dessen Fazit seiner Dissertation "eine beschleunigte Fortset-

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

763

schon die Erfahrungen im Zusammenhang mit der Niederspannungsrichtlinie gezeigt, in der die Möglichkeit der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen im Falle des Fehlens Europäischer und internationaler Normen ausdrücklich vorgesehen ist 561 . Zwar wurde im Rahmen der praktischen Anwendung der Niederspannungsrichtlinie die gegenseitige Anerkennung technischer Normen verschiedentlich erwogen, aber regelmäßig auch wieder verworfen, weil sich zeigte, daß die Überprüfung der Äquivalenz der nationalen technischen Normen einen vergleichbaren Arbeitsaufwand verursachte wie die Erstellung einer europäisch harmonisierten Norm. Dementsprechend haben die Mitgliedsstaaten auch 24 Jahre nach Inkrafttreten der Niederspannungsrichtlinie in der Praxis von dieser Möglichkeit noch keinen Gebrauch gemacht562. Auch die in den Richtlinien nach der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" systematisch vorgesehene Möglichkeit der gegenseitigen Anerkennung nationaler technischer Normen ist bis zum heutigen Tag Theorie geblieben 563 . Zusätzlich hat sich inzwischen die in den Kapiteln I.D.l.a) und II.B.3.b)cc) ausgeführte Erkenntnis durchgesetzt, daß nur Europäische Normen den Gemeinsamen Europäischen Markt bzw. Binnenmarkt verwirklichen, nationale Normen dagegen den gemeinsamen Wirtschaftsraum spalten564. Folglich wird die gegenseitige Anerkennung der technischen Normen außer von den Normungsfachleuten selbst565 auch von Vertretern des BMWi 5 6 6 , dem zung der Normungsarbeit auf europäischer Ebene durch die Normungsorganisationen CEN und CENELEC der einzig praktikable und erfolgversprechende Weg zur Vollendung des Gemeinsamen Binnenmarktes" ist. Ähnlich deutlich auch Vieweg, K , Technische Normen, S. 58, der als Grundthese die Formel aufstellt, daß der Grad der EUweiten Harmonisierung der technischen Normen in dem betreffenden Produktbereich mit einem entsprechenden Grad des freien Warenverkehrs korreliert. 561 Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)(2)(b). 562 Hass, W., Binnenmarkt und technische Regeln, S. 125; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 90; Winckler, R., Harmonisierung technischer Normen, S. 89. 563 Berghaus, H., Erwartungen, S. 90. 564 KOM (90) 456 endg. "Grünbuch europäische Normung", S. 3. 565 Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 132; Winckler, R., Binnenmarkt, S. 18 f.; vgl. auch DIN, Europäische Normung 04.96, S. 5 f.; ETSI, ETSI, S. 6. 566 "Oberstes Ziel muß aber die Harmonisierung der Normen bleiben. Ohne eine befriedigende Lösung dieser schwierigen Fragen wird der internationale Handel schwere Schäden nehmen." Beauvais, E. v., Rechtsvorschriften für technische Gegenstände, S. 12. Dieser ist zugleich der Meinung, daß die Politik der gegenseitigen Anerkennung technischer Normen im Rahmen des GSG (vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 888 in Kap. II.A.l.c)dd)(4)(c)(aa)) verfehlt und "daß dies ein klassisches Beispiel für eine notwendige Harmonisierung ist und eigentlich die einzige Methode zur Lösung der Probleme". Die gegenseitige Anerkennung kam auf höchste politische Weisung des Bundeskanzlers auf Drängen des französischen Staatschefs zustande, wobei "Die beiden

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Rat 567 und mittlerweile auch der Kommission568 einhellig abgelehnt und statt dessen die Harmonisierung der nationalen technischen Normen als grundsätzliche Methode zum Abbau der technischen Handelshemmnisse und zur Schaffung eines gemeinsamen technischen Umfeldes im Rahmen der Integration der Volkswirtschaften der EU-Mitgliedsstaaten gefordert. Daraus folgt unmittelbar, daß der Umfang des notwendigen europäischen Normenwerkes etwa dem Umfang des britischen, deutschen oder französischen Normenwerkes - die zwar bezüglich der Anzahl technischer Normen 569 , hingegen kaum hinsichtlich ihrer

Regierungschefs ... natürlich nicht über Normen sachkundig diskutieren [konnten]". Beauvais, E. v., Wortbeitrag in: BMWi Studienreihe (53) 1985, S. 76 f. 567 "Gemeinsame Normen und Spezifikationen sind eine Voraussetzung für einen offenen wettbewerbsorientierten Markt." Beschluß des Rates 87/95/EWG, zit. in KOM (87) 290 endg. "Grünbuch Telekommunikation", S. 112. 568 So forderte die Kommission CENELEC bereits 1982 (Mitteilung der Kommission 82/C 59/02, Abschn. 4 Nr. 4.2.3) dazu auf, für alle vom Regelungsbereich der Niederspannungsrichtlinie erfaßten Erzeugnisse "sobald wie möglich" harmonisierte Normen zur Verfügung zu stellen, da diese endgültig an die Stelle der nationalen technischen Normen der EU-Mitgliedsstaaten treten sollen. Ferner wird dies auch aus dem Weißbuch selbst deutlich: Hier benennt die Kommission die weitestmögliche Förderung der Harmonisierung nationaler technischer Normen durch die Ausarbeitung Europäischer Normen explizit nicht nur als notwendige Ergänzung der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" (Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01); vgl. dazu Kap. II.B.3. c)bb)(2)(d)), sondern als einen wesentlichen Beitrag im Prozeß der allmählichen Ersetzung nationaler Normen durch Europäische Normen in allen Bereichen. KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", S. 20 Nr. 69. Eindeutig formuliert die Kommission schließlich in ihrem Grünbuch zur Entwicklung der europäischen Normung: "Nationale Normen können nicht gegenseitig anerkannt werden. Denn weil Normen nicht vom Staat erlassen werden, sind sie unverbindlich; jeder Produzent ist frei, die zwingenden Erfordernisse mit anderen Mitteln zu erreichen, und kein Käufer kann gezwungen werden, ausländische Produkte anzuerkennen." Das "Prinzip der 'gegenseitigen Anerkennung' [kann] keine Anwendung finden auf den einzelnen Käufer im Markt, der die Freizügigkeit behält, eigene Anforderungen festzulegen und sich dabei oft auf nationale Normen bezieht. Nur durch die schrittweise Harmonisierung der Normen auf freiwilliger Basis läßt sich im EG-Binnenmarkt der wirtschaftliche Rationalisierungs- und Wettbewerbseffekt vollständig erreichen, der auch im EWG-Vertrag als vorrangiges Ziel genannt ist." "Der EG-Binnenmarkt wird für die europäische Industrie nur insoweit Wirklichkeit werden, als gemeinsame technische Normen nach und nach auf europäischer - statt auf nationaler Ebene entwickelt werden können." KOM (90) 456 endg. "Grünbuch europäische Normung", S. 3, 5. Vgl. auch im Jahre 1991 Sydow, H. S. v., Erwartungen der KOM, S. 16: "Technische Handelshemmnisse, die aus staatlichen Vorschriften erwachsen, können durch gegenseitige Anerkennung beseitigt werden. Aber technische Handelshemmnisse, die aus Normen erwachsen, können nur durch gemeinsame Normen beseitigt werden", wobei die erstere Aussage aus den in Kap. II.B.3.c)bb)(l)(a)(bb) genannten Gründen allenfalls für Teilbereiche zutreffend ist. 569 Vgl. die Zahlenangaben in Tab. 6 in Kap. ILA.

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Seitenanzahl differieren 570 - entsprechen muß, der offensichtlich für einen funktionierenden, durchorganisierten und rationell mit Normen arbeitenden nationalen Markt notwendig ist 571 . Dieser Punkt eins der im Weißbuch dargelegten neuen Strategie der Kommission zur Beseitigung der technischen Handelshemmnisse ist jedoch kein Bestandteil ihrer nachfolgend dargelegten "neuen Konzeption der technischen Harmonisierung und Normung"; diese basiert allein auf den genannten Punkten zwei und drei. (ff) Die Mitteilung der Kommission über eine neue Konzeption der technischen Harmonisierung und Normung vom 31. Januar 1985 Der Vorschlag der Kommission für eine neue Konzeption der technischen Harmonisierung und Normung basiert auf den Arbeiten der sogenannten "Williams-Gruppe" des Rates, einer im Mai 1984 eingesetzten Arbeitsgruppe aus Regierungsvertretern der EU-Mitgliedsstaaten unter Führung des Briten Williams, die ihre Ergebnisse Ende 1984 veröffentlichte 572. Der Vorschlag ist Folge der Erkenntnis der Kommission, daß die Arbeitsmethoden der technischen Harmonisierung in der Europäischen Union zwangsläufig geändert werden mußten, um den Europäischen Binnenmarkt bis Ende 1992 voll und ganz verwirklichen zu können573. Dabei kommt insbesondere den europäischen Normenorganisationen eine tragende Rolle zu, da nach Ansicht der Kommission die "Ursache der meisten Schwierigkeiten [des ursprünglichen Harmonisierungskonzepts] sehr wahrscheinlich in einer schlechten Rollenverteilung zwischen öffentlicher Hand einerseits und Normeninstitutionen andererseits zu suchen [ist], wobei sich die einen allzu häufig die Kompetenzen für die detaillierte Festlegung der technischen Produktspezifikationen anmaßen, die natürlicherweise eher den anderen zukommen"574.

570 Nach Angaben des Leiters der DKE betrug im Jahre 1988 der Umfang des britischen, deutschen und französischen Normenwerkes jeweils ca. 80.000 - 100.000 Seiten, wovon je rund 30 % - 24.000 - 30.000 Seiten - auf elektrotechnische Normen entfielen. Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 132. 571 Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 132; Winckler, R., Binnenmarkt, S. 18. 572 CEN/CENELEC, Memorandum N°4, Einführung, Nr. 4; Sauer, M., Neues Konzept, S. 601. Das Konzept folgt bestimmten Leitlinien, die das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 16. Oktober 1980 vorgegeben hat, und entspricht jenen der in Kap. II.B.3.c)bb)(2)(c)(cc) ausgeführten Schlußfolgerungen des Rates zur Normung vom 16. Juli 1984. KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 1. 573 Ebd. 574 Ebd., S. 4.

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Zentraler Kern der neuen Konzeption der Kommission sind die sogenannten "vier fundamentalen Grundsätze" 515 sowie das auf deren Basis entworfene "Schema einer Richtlinie für die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten zur Beseitigung technischer Handelshemmnisse durch 'Normenverweis'", welche den zukünftigen Richtlinienvorschlägen der Kommission nach Art. 100 EGV als "Modellrichtlinie" dienen soll 576 . Diese Grundsätze sowie die Modellrichtlinie hat der Rat in seiner nachfolgend ausgeführten Entschließung über "Leitlinien einer neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" wörtlich bzw. nahezu wortgetreu übernommen. (d) Die Entschließung des Rates über Leitlinien einer neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung vom 7. Mai 1985 (aa) Beschreibung der Methode und ihrer Anwendung Die "Leitlinien einer neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" 577 sind - auf eine knappe Formel gebracht - nichts anderes als die Verallgemeinerung und geringfügige Weiterentwicklung des Verweisungsund Konkretisierungskonzepts der Niederspannungsrichtlinie und verwirklichen allgemeinen damit systematisch die Rezeptionsart der normkonkretisierenden Verweisung im Rahmen der Beseitigung der technischen Handelshemmnisse durch Rechtsangleichung nach Art. 100 EGV 5 7 8 . Die Richtlinien nach der "Neuen Konzeption" sollen die einzelstaatlichen Schutzmaßnahmen - bezüglich der Sicherheit von Personen, Haustieren und Gütern sowie anderer wesentlicher Anforderungen des Allgemeinwohls, insbesondere der Gesundheit, der Sicherheit, der Verbraucher, der Umwelt usw. vereinheitlichen, um den freien Warenverkehr zu gewährleisten. Dabei dürfen sie das in den Mitgliedsstaaten bereits bestehende und begründete Schutzniveau nicht verringern, derweil die Verantwortung für die Sicherheit bei den Mitgliedsstaaten verbleibt 579. 575

Ebd., S. 7. Ebd., S. 1,9 ff. 577 Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01). 578 Vgl. hinsichtlich der allgemeinen Ausführungen zur Rezeptionsart der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung Kap. II.B.3.c)bb)(l)(d)(bb)x). Die Niederspannungsrichtlinie wird in der Begründung ausdrücklich als Vorbild für die neue Regelungstechnik hervorgehoben. Vgl. dazu KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 5. Vgl. aus der Literatur Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 26 f., 138 ff. u. 168 f.; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 343. 579 Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01), S. 3 f. 576

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Durch den Erlaß von Richtlinien, die jeweils einen möglichst großen Bereich von Produktkategorien vergleichbarer Gefahrenklassen abdecken, gemäß der "Neuen Konzeption" in "jedem nur möglichen Bereich" erwartete der Rat einerseits das äußerst komplexe Unterfangen der Harmonisierung der nationalen technischen Rechtsvorschriften zu Ende führen und andererseits die Erarbeitung Europäischer Normen fördern zu können, "was im Hinblick auf eine bessere Wettbewerbsfähigkeit ihrer Industrie von wesentlicher Bedeutung ist" 580 . α) Die vier Grundprinzipien der "Neuen Konzeption" Die "Neue Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" stützt sich auf die folgenden vier Grundprinzipien 581 : Erstens beschränkt sich die Harmonisierung der Rechtsvorschriften auf die oder sonstiger AnfordeFestlegung grundlegender Sicherheitsanforderungen rungen im Interesse des Gemeinwohls in Richtlinien nach Artikel 100 EGV. Dabei ist entsprechend dem durch die EEA bezüglich des Binnenmarktes eingefügten Art. 100 a Abs. 3 EGV für den Gesundheits-, Sicherheits-, Umwelt- und Verbraucherschutz ein hohes Schutzniveau zugrundezulegen. Diese essentiellen Anforderungen sind für die Hersteller ohne Vorbehalt verbindlich; d.h. diese dürfen von der Richtlinie geregelte Produkte in der Europäischen Union nur dann in den Verkehr bringen, wenn sie den gesetzlich normierten Anforderungen genügen. Als Ausgleich ist für richtlinienkonforme Erzeugnisse der freie Warenverkehr innerhalb der Europäischen Union uneingeschränkt gewährleistet582. Zweitens verweisen die Harmonisierungsrichtlinien hinsichtlich der technischen Detailregelungen auf harmonisierte Europäische Normen, die CEN/ CENELEC und ETSI 5 8 3 im Auftrag der Kommission erarbeiten; diese benötigen die Normadressaten, um Erzeugnisse herstellen und in den Verkehr bringen zu 580

Ebd., S. 3. Vgl. dazu auch Kap. II.B.3.c)bb)(2)(c)(dd). Ebd., S. 2. 582 1. Grundprinzip der "Neuen Konzeption": Ebd., S. 2. Vgl. aus der Rechtsprechung die Ausführungen zum Urteil des EuGH im Fall "Cremonini/Vrankovich" (Rs. 815/79 "Angleichung der Rechtsvorschriften über elektrische Betriebsmittel", Slg. 1980, S. 3583) in Fn. 515 in Kap. II.B.3.c)bb)(2)(c)(aa). Vgl. aus der Literatur Boulin, P., Normalisation, S. 99; Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 110; Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 26 f.; BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 7 Abschn. 3 Nr. 3.3.5; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 343; Merkel, W., Weg nach Europa, S. 589 f.; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 99; Sauer, M., Neues Konzept, S. 601. 583 Sowie gegebenenfalls anderen sektoriellen normschaffenden Institutionen. Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01), S. 3. 581

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können, die den in den Richtlinien festgelegten grundlegenden Anforderungen genügen584. Sobald diese Europäischen Normen verfügbar sind, erfolgt ihre Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union 585 . Drittens wird in den Grundprinzipien ausdrücklich betont, daß die rezipierten Europäischen Normen durch die Bezugnahme in den Harmonisierungsrichtlinien keinerlei Rechtsverbindlichkeit erhalten, sondern daß ihre Anwendung nach wie vor freiwillig bleibt 586 . Kein Produzent ist somit de jure gezwungen, die harmonisierten Normen anzuwenden; sofern er davon abweicht, hat er jedoch zu gewährleisten, daß sein Produkt auf andere Weise den grundlegenden Anforderungen der einschlägigen Richtlinie genügt, so daß für ihn de facto wie auf nationaler Ebene in der Bundesrepublik Deutschland587 ein erheblicher Anreiz zur Befolgung besteht588. Auf diese Weise ist sichergestellt, daß neuartige Produkte oder Verfahren, für die (noch) keine technischen Normen bestehen, nicht vom Markt ausgeschlossen werden 589. Viertens begründen die harmonisierten Europäischen Normen die widerlegbare Vermutung der Richtlinienkonformität, indem die Verwaltungen der Mitgliedsstaaten angewiesen werden, normenkonforme Erzeugnisse als den "grundlegenden Anforderungen" der Richtlinien genügend anzusehen590. Dar-

584 2. Grundprinzip der "Neuen Konzeption": Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01), S. 2; vgl. auch Kap. II.B.3.c)bb)(2)(c)(dd). Vgl. femer aus der Literatur Boulin, P., Normalisation, S. 99; Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 110; Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 27; BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 7 Abschn. 3 Nr. 3.3.5; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 343; Merkel, W., Weg nach Europa, S. 589 f.; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 99; Sauer, M., Neues Konzept, S. 601. 585 Vgl. Leitsätze für die Zusammenarbeit KOM- CEN/CENELEC, Leitsatz 4 Spstr. 7; femer BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 S. 7 Abschn. 3 Nr. 3.3.5. 586 3. Grundprinzip der "Neuen Konzeption": Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01), S. 3. Vgl. aus der Literatur Boulin, P., Normalisation, S. 99; Breuer, R., Internationale Orientierung, S. I l l ; Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 27; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 343; Merkel, W., Weg nach Europa, S. 589 f.; Rönck, R, Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 99; Sauer, M., Neues Konzept, S. 601. 587 Vgl. Kap. II.A.l.d). 588 Vgl. Kap. II.B.4. 589 Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 27; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 343; Niederbacher, J., Recht der Technik, S. 76; Sauer, M., Neues Konzept, S. 601. 590 4. Grundprinzip der "Neuen Konzeption": Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01), S. 3. Vgl. aus der Literatur Boulin, P., Normalisation, S. 99; Breuer, R., Internationale Orientierung, S. I l l ; Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 27; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen

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aus resultiert eine Umkehr der Beweislast: Nicht der Hersteller eines normgemäßen Produktes hat die Einhaltung der grundlegenden Anforderungen nachzuweisen, sondern die zuständige Verwaltungsbehörde muß gegebenenfalls deren Nichtberücksichtigung beweisen. Zusätzlich besteht für normenkonforme Erzeugnisse die Möglichkeit einer vereinfachten Zertifizierung bezüglich des CE-Zeichens591. Macht ein Hersteller von der im vorhergehenden Ansatz dargelegten Freiheit Gebrauch, nach anderen als in den technischen Normen kodifizierten technischen Regeln zu produzieren, trägt er die Beweislast für die Übereinstimmung seines Erzeugnisses mit den "grundlegenden Anforderungen" der einschlägigen Richtlinie592. Zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Systems müssen die rezipierten technischen Normen Qualitätsgarantien hinsichtlich der in den Richtlinien aufgestellten "grundlegenden Anforderungen" bieten. Dies stellt die Kommission durch entsprechende Festlegungen in ihren Mandaten sicher, deren Ausführung den allgemeinen Leitlinien genügen muß, die zwischen der Kommission und den europäischen Normenorganisationen vereinbart worden sind 593 . Außerdem sind Schutzklauselverfahren vorgesehen, die den zuständigen nationalen Behörden die Möglichkeit geben, nicht nur die Normenkonformität eines Erzeugnisses und die Gültigkeit einer entsprechenden Bescheinigung, sondern auch die Qualität einer rezipierten Norm anzufechten 594. ß) Die Hauptelemente der "Modellrichtlinie" Die vom Rat verabschiedeten Leitlinien enthalten im Teil Β im Sinne einer "Modellrichtlinie" ein aus den nachfolgend aufgeführten zehn "Hauptelementen" bestehendes allgemeines Schema, an denen sich die Richtlinien nach Art. 100 EGV gemäß der "Neuen Konzeption" zu orientieren haben595:

Gemeinschaftsrecht, S. 344; Merkel, W., Weg nach Europa, S. 589 f.; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 99. Vgl. ausführlich zur Diskussion der rechtlichen Geltung Europäischer Normen aufgrund ihrer Rezeption durch die Rezeptionsart der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung in den Richtlinien nach der "Neuen Konzeption" und deren Zulässigkeit Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 141 ff. und insbes. 144 ff. 591 Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 27; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 344; Niederbacher, J., Recht der Technik, S. 77. 592 4. Grundprinzip der "Neuen Konzeption": Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01), S. 3. 593 Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)(2)(c)(dd). 594 Ebd., S. 3. 595 Ebd., S. 4 ff.

4

Zubke-von Thünen

770

I.

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Anwendungsbereich In diesem ersten Abschnitt erfolgen die Festlegung des durch die Richtlinie zu regelnden, möglichst breiten Produktbereichs sowie die Spezifikation der Art der abzuwehrenden Gefahren.

II.

Allgemeine Bestimmungen für das Inverkehrbringen eines Erzeugnisses Im zweiten Abschnitt wird festgelegt, daß die unter die Richtlinie fallenden Produkte nur in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie bei einwandfreier Installierung und Wartung sowie zweckgerechter Benutzung keine Gefahr für die Sicherheit von Personen, Haustieren oder Gütern darstellen. Dabei haben die Richtlinien im Regelfall eine vollständige und nur in Ausnahmefällen eine optioneile Harmonisierung vorzusehen. Folglich muß im Regelfall jedes unter die Richtlinie fallende und in Verkehr gebrachte Erzeugnis den Anforderungen der Richtlinie entsprechen.

III. Grundlegende Sicherheitsanforderungen In Abschnitt drei werden die wesentlichen Sicherheitsanforderungen beschrieben, denen sämtliche unter die Richtlinie fallenden Erzeugnisse genügen müssen. Diese sind "ausreichend präzise" zu formulieren, so daß sie nach ihrer Umsetzung in nationales Recht "Verpflichtungen darstellen können, deren Nichteinhaltung Sanktionen nach sich ziehen kann", und daß es den für die Ausstellung von Bescheinigungen zuständigen Stellen möglich ist, bei Fehlen entsprechender Normen die Konformität der betreffenden Erzeugnisse unmittelbar nach Maßgabe dieser Anforderungen zu bescheinigen. IV. Freier Warenverkehr Dieser Abschnitt statuiert die Verpflichtung für die Mitgliedsstaaten, den freien Verkehr von Erzeugnissen, die - laut Erklärung und im Regelfall ohne Kontrolle den Anforderungen der Abschnitte II und III entsprechen, unter den in Abschnitt V genannten Bedingungen innerhalb des Gemeinsamen Marktes bzw. Binnenmarktes zuzulassen. Lediglich für den Fall, daß die grundlegenden Sicherheitsanforderungen der Richtlinie nicht lückenlos alle Aspekte abdecken, kann ein Mitgliedsstaat sich weiterhin auf den Schutz eines der in Art. 36 EGV genannten Rechtsgüter berufen und eine abweichende nationale Regelung rechtfertigen 596.

596 Die bislang nach der "Neuen Konzeption" erlassenen Richtlinien haben allerdings regelmäßig totalen Charakter; das bedeutet, daß sie abschließende Regelungen für die Gefahren und Risiken der Erzeugung, Verwendung, Wiederverwertung und Entsorgung der erfaßten technischen Systeme sowie der technischen Systeme selbst enthalten. Anselmann, N., Bezugnahme auf harmonisierte technische Regeln, S. 104; Niederbacher, J., Recht der Technik, S. 117; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 101.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

V.

771

Nachweise der Übereinstimmung und Auswirkungen Entsprechend den Festlegungen dieses Abschnitts haben die Mitgliedsstaaten von der Einhaltung der allgemeinen Bestimmungen des Abschnitts II und der grundlegenden Sicherheitsanforderungen des Abschnitts III auszugehen, wenn die Erzeugnisse mit einer Bescheinigung nach Abschnitt VIII versehen sind, in dem ihre Übereinstimmung mit den harmonisierten Europäischen Normen oder - als Übergangsmaßnahme - mit nationalen Normen bestätigt wird, sofern auf dem betreffenden Gebiet noch keine harmonisierten Normen vorliegen. Wenn ein Hersteller aus außergewöhnlichen Gründen keinerlei Norm angewendet hat, ist die Einhaltung der genannten Bestimmungen und Sicherheitsanforderungen von den Mitgliedsstaaten dennoch anzunehmen, wenn deren Einhaltung durch bestimmte, in Abschnitt VIII genannte Bescheinigungen bestätigt wird.

VI. Verwaltung der Normenliste Ist ein Mitgliedsstaat oder die Kommission der Auffassung, daß harmonisierte Europäische Normen bzw. Norm-Entwürfe nicht voll den allgemeinen Bestimmungen des Abschnitts II und den grundlegenden Sicherheitsanforderungen des Abschnitts III entsprechen, so muß er den nach Abschnitt IX zu konstituierenden Ausschuß gemäß Abschnitt X anrufen. Die Kommission entscheidet nach dessen Stellungnahme über die weitere Anwendung oder die Streichung der entsprechenden Norm aus der Normenliste der einschlägigen technischen Normen. VII. Schutzklausel Laut diesem Abschnitt sind die Mitgliedsstaaten befugt, im Falle der Gefährdung der Sicherheit von Personen, Haustieren oder Gütern durch ein Erzeugnis dessen freien Verkehr in der Europäischen Union einzuschränken. Ist das Erzeugnis mit einer Konformitätsbescheinigung nach Abschnitt VIII versehen, so unterrichtet der Mitgliedsstaat die Kommission, welche den Ausschuß konsultiert. Stellt die Kommission nach Anhörung des nach Abschnitt IX zu konstituierenden Ausschusses fest, daß die Maßnahme gerechtfertigt war, weist sie die übrigen Mitgliedsstaaten darauf hin, daß sie gleichfalls verpflichtet sind, das Inverkehrbringen des betreffenden Erzeugnisses zu verbieten. VIII. Bescheinigungen über die Übereinstimmung Als Bescheinigungen über die Übereinstimmung der Erzeugnisse mit den Anforderungen der Richtlinie sind in Abschnitt acht neben Konformitätsbescheinigungen, Prüfzeichen oder Ergebnissen von Prüfungen durch Dritte auch Konformitätserklärungen des Herstellers vorgesehen. Die nationalen Stellen, welche Prüfzeichen oder Konformitätsbescheinigungen ausstellen können, sind von jedem Mitgliedsstaat der Kommission und den anderen Mitgliedsstaaten mitzuteilen. IX. Ständiger Ausschuß Im Abschnitt neun ist die Einsetzung eines ständigen Ausschusses aus Vertretern der Mitgliedsstaaten unter Vorsitz eines Vertreters der Kommission vorgesehen. X.

Aufgaben des ständigen Ausschusses Entsprechend Abschnitt zehn erfüllt der Ausschuß alle Aufgaben, die ihm aufgrund der vorhergehenden Abschnitte zukommen, und kann darüber hinaus mit allen Fragen bezüglich der Anwendung der Richtlinie befaßt werden.

4*

772

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Bis zum 1. Januar 1993 - dem Stichtag der Verwirklichung des Binnenmarktes - wurden nach der "Neuen Konzeption" folgende Richtlinien verabschiedet 597 : Richtlinie des Rates vom 17. September 1984 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über elektrisch, hydraulisch oder ölmotorisch betriebene Aufzüge (84/529/EWG) - ABl. EG Nr. L 300 v. 19. November 1984, S. 86 -, zul. geänd. d. RL 90/486/EWG v. 17.09.1990 - ABl. EG Nr. L 270 vom 02. Oktober 1990, S. 21 -; Richtlinie des Rates vom 1. Dezember 1986 über die Geräuschemissionen von Haushaltsgeräten (86/594/EWG) - ABl. EG Nr. L 344 v. 6. Dezember 1986, S. 24, zul. geänd. d. RL 93/68/EWG v. 22. Juli 1993 - ABl. EG Nr. L 220 v. 30. August 1993, S. 1 -; Richtlinie des Rates vom 25. Juni 1987 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten für einfache Druckbehälter (87/404/EWG) - ABl. EG Nr. L 220 v. 8. August 1987, S. 48 -, zul. geänd. d. RL 93/68/EWG v. 22. Juli 1993 ABl. EG Nr. L 220 v. 30. August 1993, S. 1 -; Richtlinie des Rates vom 3. Mai 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Sicherheit von Spielzeug (88/378/EWG) - ABl. EG Nr. L 187 v. 16. Juli 1988, S. 1, ber. ABl. EG Nr. L 37 v. 9. Februar 1991, S. 42 -, geänd. d. RL 93/68/EWG v. 22. Juli 1993- ABl. EG Nr. L 220 v. 30. August 1993, S. 1 -; Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Bauprodukte (89/106/EWG) ABl. EG Nr. L 40 v. 12. Februar 1989, S. 12-, zul. geänd. d. RL 93/68/EWG v. 22. Juli 1993 - ABl. EG Nr. L 220 v. 30. August 1993, S. 1 -; Richtlinie des Rates vom 3. Mai 1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die elektromagnetische Verträglichkeit (89/336/EWG) ABl. EG Nr. L 139 v. 23. Mai 1989, S. 19, zul. geänd. d. RL 93/68/EWG v. 22. Juli 1993 - ABl. EG Nr. L 220 v. 30. August 1993, S. 1 -; Richtlinie des Rates vom 14. Juni 1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten für Maschinen (89/392/EWG) - ABl. EG Nr. L 183 v. 29. Juni 1989, S. 9 -, zul. geänd. d. RL 93/68/EWG v. 22. Juli 1993 - ABl. EG Nr. L 220 v. 30. August 1993, S. 1 -; Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten für persönliche Schutzausrüstungen (89/686/EWG) ABl. EG Nr. L 399 v. 30. Dezember 1989, S. 18 -, zul. geänd. d. RL 93/95/EWG v. 29. Oktober 1993 - ABl. EG Nr. L 276 v. 9. November 1993, S. 11 -; Richtlinie des Rates vom 20. Juni 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über nichtselbsttätige Waagen (90/384/EWG) - ABl. EG

597

Vgl. KOM, Eine neue gemeinsame Normungspolitik, S. 3 ff.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

773

Nr. L 189 v. 20. 7.1990, S. 1 -, zul. geänd. d. RL 93/68/EWG v. 22. Juli 1993 ABl. EG Nr. L 220 v. 30. August 1993, S. 1 -; Richtlinie des Rates vom 20. Juni 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte (90/385/ EWG) - ABl. EG Nr. L 189 v. 20. Juli 1990, S. 17, zul. geänd. d. RL 93/68/EWG v. 22. Juli 1993 - ABl. EG Nr. L 220 v. 30. August 1993, S. 1 -; Richtlinie des Rates vom 29. Juni 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten für Gasverbrauchseinrichtungen (90/396/EWG) - ABl. EG Nr. L 196 v. 26. Juli 1990, S. 15 -, geänd. d. RL 93/68/EWG v. 22. Juli 1993 ABl. EG Nr. L 220 v. 30. August 1993, S. 1 -; Richtlinie des Rates vom 29. April 1991 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Telekommunikationsendeinrichtungen einschließlich der gegenseitigen Anerkennung ihrer Konformität (91/263/EWG) - Abi EU. Nr. L 128 v. 23; Mai 1991, S. 1, geänd. d. RL 93/68/EWG v. 22. Juli 1993 - ABl. EG Nr. L 220 v. 30. August 1993, S. 1 -; Richtlinie des Rates vom 21. Mai 1992 über die Wirkungsgrade von mit flüssigen oder gasförmigen Brennstoffen beschickten neuen Warmwasserheizkesseln (92/ 42/EWG) - ABl. EG Nr. L 167 v. 22. Juni 1992, S. 17, geänd. d. RL 93/68/EWG v. 22. Juli 1993 - ABl. EG Nr. L 220 v. 30. August 1993, S. 1 -; Richtlinie des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (93/42/EWG) ABl. EG Nr. L 169 v. 12. Juli 1993, S. 1 -.

(bb) Möglichkeiten und Grenzen der Methode Die "Neue Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" genügt aufgrund der ihr immanenten simultanen Harmonisierung nationaler technischer Vorschriften und Normen in idealer Weise der in Kapitel II.B.3.b) ee) aufgezeigten Notwendigkeit der simultanen Beseitigung der durch technische Vorschriften und Normen hervorgerufenen technischen Handelshemmnisse und bietet wie das ursprüngliche Harmonisierungskonzept der Europäischen Union ebenfalls die Möglichkeit der Überwindung der im Zusammenhang mit der Methode der gegenseitigen Anerkennung auftretenden Probleme: Erstens scheidet im Falle einer vollständigen Harmonisierung aller zum Schutz von Menschen, deren Besitz, Tieren und Umwelt notwendigen Maßnahmen eine Berufung auf "zwingende Gründe" des Gemeinwohls im Sinne des Art. 36 EGV und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aus. Dieser Fall ist de jure der Normalfall i.S.d. Abschnitts I I der "Modellrichtlinie" und wurde de facto in den im vorherigen Kapitel aufgeführten, bislang vom Rat erlassenen Richtlinien nach der "Neuen Konzeption" regelmäßig angewandt. Für diesen Fall einer vollständigen Harmonisierung greift diese Methode zweitens auch in den Fällen, wo nur in einigen, nicht aber in allen EU-Mit-

IIA

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

gliedsstaaten Vorschriften existieren, die ein gleichwertiges währleisten.

Schutzniveau ge-

Drittens werden die im Rahmen des Konzeptes der gegenseitigen Anerkennung auftretenden Rechtsunsicherheiten, welche der Europäische Gerichtshof durch Einzelfallrechtsprechung entscheiden muß, zwar nicht beseitigt, aber doch zumindest verringert. Eine gewisse allgemeine Rechtsunsicherheit bleibt für den Sicherungspflichtigen Normadressaten jedoch aufgrund der Möglichkeit der Anfechtung einer rezipierten Europäischen Norm durch die nationalen Behörden eines EU-Mitgliedsstaates im Rahmen des Schutzklausel-Verfahrens weiterhin bestehen. Viertens hängt bei der Harmonisierung nach der "Neuen Konzeption" die Höhe des Schutz- und Sicherheitsniveaus zumindest de jure von der politischen Entscheidung der europäischen Rechtssetzungsorgane ab und gewährleistet damit die bezüglich des Binnenmarktes nach Art. 100 a Abs. 3 EGV in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz geforderte Rechtsangleichung auf einem hohen Schutzniveau. De facto wird man jedoch davon auszugehen haben, daß es innerhalb der wenig konkreten Vorgaben der Harmonisierungsrichtlinien nach der "Neuen Konzeption" weitgehend den europäischen Normenorganisationen überlassen bleibt, das konkrete Schutz- und Sicherheitsniveau der einzelnen, durch die Richtlinie erfaßten Produkte zu spezifizieren 598. Fünftens ist die "Neue Konzeption" auch in Fällen wie der Festlegung von Resorptions grenzwerten beispielsweise von Pestiziden, Düngemitteln und Schwermetallen oder von Zusatzstoffen in Lebensmitteln anwendbar, indem neben der Identität der Schutzziele, falls erforderlich, auch Methoden und Systeme entweder in den Richtlinien oder den Europäischen Normen festgeschrieben werden können. Sechstens verwirklicht die simultan erfolgende Harmonisierung der nationalen technischen Normen im Rahmen der Erarbeitung gemeinsamer Europäischer Normen die durch die Methode der gegenseitigen Anerkennung nicht realisierbaren Funktionen technischer Normen - insbesondere die Vereinheitlichungs-, Ordnungs-, Austausch-, Kompatibilitäts-, Logistik- und Verständigungsfunk-

598

"Die Politik der Verweisung auf Normen gibt dem europäischen Normungssystem einen großen Teil der Gesetzgebungsmacht, die vorher der öffentlichen Gewalt vorbehalten war." Boulin, P., Normalisation, S. 99; ähnlich ders., Présentation, S. 23. Vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(l)(d)(bb)%) und Kap. II.B.4.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

775

tion 599 - auf europäischer Ebene. Es entsteht ein durch die Harmonisierung der nationalen technischen Normen bezüglich seines technischen Umfeldes einheitlicher, homogener und konsistenter Binnenmarkt mit sämtlichen Vorteilen für die Unternehmen und Verbraucher 600. Dadurch wird siebtens der durch nationale technische Normen als technischökonomisches Regelungssystem erzeugte faktische Marktschließungseffekt überwunden, da die Europäischen Normen bzw. Harmonisierungsdokumente die nationalen Normen ersetzen bzw. harmonisieren. Achtens führt schließlich die "Neue Konzeption" zu einer Verschmelzung der nationalen Märkte der EU-Mitgliedsstaaten zu einem Gemeinsamen Markt mit einheitlichen Regeln und Rahmenbedingungen, d.h. zu einem System unverfälschten Wettbewerbs. Darüber hinaus werden durch die "Neue Konzeption" gleichfalls die im Rahmen des ursprünglichen Harmonisierungskonzepts der Europäischen Union aufgetretenen Probleme bewältigt, von denen hier nur auf die spezifischen Probleme des Ansatzes der "totalen Harmonisierung" eingegangen wird: Erstens entlastet die Konzeption die europäischen rechtssetzenden Organe von der schwerfälligen und unflexiblen technischen Einzelharmonisierung, die stattdessen durch die europäischen Normenorganisationen im Rahmen ihrer traditionell für die Schaffung von Ordnung und die Strukturierung des Wissens und der Erkenntnisse im Bereich von Wissenschaft und Technik sowie der Schließung wirtschaftlich-technischer Vereinbarungen der Marktteilnehmer herausgebildeten und bewährten typischen Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation durchgeführt wird 601 . Zweitens kommt es aufgrund der Konzentration der europäischen rechtssetzenden Organe auf die Festlegung allgemeiner Anforderungen nicht mehr zu Arbeitsrückständen und überlangen Entstehungszeiten der Richtlinien. Die Ausarbeitung der "(ausufernden) technischen Detailregelungen" obliegt stattdessen den leistungsfähigeren europäischen Normenorganisationen. Drittens entspricht das Konzept der häufig geäußerten Forderung nach der Konzentration der europäischen rechtssetzenden Organe auf die Kernprobleme respektive -festlegungen eines Regelungsbereiches bzw. -gegenständes.

599 600 601

Vgl. Kap. I.C. Vgl. dazu auch Riesenhuber, H., Entwicklungsbegleitende Normung, S. 121. Vgl. Kap. II.B.l.c), S. 672.

776

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Viertens wird über keinerlei Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Harmonisierungsrichtlinien nach der "Neuen Konzeption" in nationales Recht berichtet. Fünftens besteht bei den Richtlinien nach der "Neuen Konzeption" aufgrund ihrer Beschränkung auf lediglich grundlegende Sicherheitsanforderungen kaum noch die Gefahr des technischen Veraltens. Da ferner die materiellen technischen Detailfestlegungen in Europäischen Normen getroffen werden, welche die europäischen Normenorganisationen entsprechend ihren Statuten regelmäßig dem fortschreitenden Stand der Technik anpassen602, kommt es auch auf dieser Ebene nicht zu einer Behinderung des technischen Fortschritts und der wirtschaftlichen Entwicklung in den EU-Mitgliedsstaaten. Sechstens normieren die verabschiedeten Richtlinien nicht mehr nur bestimmte Elemente eines Regelungsgegenstandes, die allein für dessen freien Verkehr in der Europäischen Union noch nicht ausreichend sind, sondern gewöhnlich sogar große Gruppen von Erzeugnissen mit einem mehr oder minder vergleichbaren Gefahrenpotential 603. Schließlich bietet die Festlegung der materiellen Schutz- und Sicherheitsanforderungen in Europäischen Normen i.V.m. den Kooperationsabkommen der europäischen mit den internationalen Normenorganisationen gegenüber dem ursprünglichen Harmonisierungskonzept zusätzlich den Vorteil, daß neue Handelshemmnisse auf europäischer Ebene weitestmöglich vermeidbar sind. Indem, wo immer möglich, im Rahmen des europäischen Normungsprozesses internationale Normen übernommen oder, wo diese nicht existieren, europäische Normungsprojekte auf der internationalen Ebene durchgeführt, oder, wo dies nicht erreichbar ist, Europäische Normen erarbeitet und den internationalen Normenorganisationen zur parallelen Abstimmung vorgelegt werden, trägt die "Neue Konzeption" in bestmöglicher Weise den in Kapitel I.D.l.a) beschriebenen Erfordernissen eines von technischen Handelshemmnissen freien Welthandels Rechnung. Obwohl die "faktische Effektivität der ,Neuen Konzeption' angesichts der erzielten Harmonisierungserfolge nicht in Frage gestellt werden [kann]"604, wird 602

Vgl. Kap. II.B.l.a)cc). Vgl. dazu nur den extrem breiten Regelungsbereich der Niederspannungsrichtlinie (RL 73/23/EWG; vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(b)), welche elektrische Betriebsmittel zur Verwendung bei einer Nennspannung zwischen 50 und 1000 V für Wechselstrom und zwischen 75 und 1500 V für Gleichstrom erfaßt. Die breite Streuung des Gefahrenpotentials allein innerhalb dieser genannten Spannungsgrenzen - weitere Einflußfaktoren einmal außer acht gelassen - ist auch für den technischen Laien leicht vorstellbar. 604 Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 27. So auch die Sicht der Bundesregierung: Sauer, M., Neues Konzept, S. 600 f. Vgl. auch den Überblick der 603

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

auch an dieser Methode - über die bereits in Kapitel II.B.3.c)bb)(l)(d)(bb)Y) genannten Beanstandungen an der Rezeptionsart der normkonkretisierende allgemeine Verweisung selbst hinaus - Kritik geübt: Erstens wirft die Kommission den europäischen Normenorganisationen - ungeachtet der deutlichen Mißerfolge der EU-Rechtssetzungsorgane bei der techvor 605 . Da nischen Harmonisierung - eine zu langsame Arbeitsgeschwindigkeit die "Neue Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" nur mit einer effizienten Normungsarbeit funktioniert 606, gehen diese Klagen Hand in Hand mit Überlegungen, diese "Politik ... der Deregulierung und der Entbürokratisierung von nie gekannter Größe" 607 wieder rückgängig zu machen und stattdessen zur alten Vorgehensweise zurückzukehren. Denn hinter der "Neuen Konzeption" stand nach Aussagen der Kommission "keine Ideologie, sondern rein pragmatisch die Frage, wie schaffen wir es, den Binnenmarkt bis 1992 zu vollenden ... Wegen der Schwierigkeiten der Beschlußfassung im Rat wurde damals 1985 der Verweis auf die Normen weniger aus Überzeugung denn als Ausweg zur Grundlage der neuen Konzeption gemacht. Jetzt glauben viele, daß sich die Situation geändert hat. Der Rat ist entscheidungsfähiger geworden durch die Möglichkeit der Mehrheitsabstimmung. Und jetzt gibt es Stimmen, die sagen, so wie wir damals die Formulierung von technischen Regeln der Normung überlassen haben, genauso sollten wir jetzt, wo wir selber wieder arbeitsfähig geworden sind, das 'Lehen' zurücknehmen."608 Zweitens bemängelt kurioserweise unter anderem der Direktor des DIN, daß die Kommission anders als in der Bundesrepublik Deutschland, wo technische Normen vor ihrer staatlichen Rezeption durch die entsprechenden Bundes- und Landesanstalten überprüft werden, Europäische Normen ungeprüft übernimmt, da analoge Institutionen auf europäischer Ebene nicht existieren und die Kommission große Mühe hätte, sich inhaltlich mit den Normen auseinanderzuset-

Kommission über den Stand der Rechtsangleichung vom 1. Januar 1993, in: KOM, Eine neue gemeinsame Normungspolitik, S. 3 ff. 605 Sydow, H. S. v., Erwartungen der KOM, S. 13, 15 und 17. 606 Ebd., S. 12. 607 Ebd. 608 Ebd., S. 14. Entgegen dieser Äußerungen sieht das BMWi keine Gefahr der Rückkehr zur Detailharmonisierung: "Dem Spott, dem die EG-Kommission wegen der Detailharmonisierung häufig ausgesetzt war, wird sie nicht noch einmal eine Chance geben wollen." Sauer, M., Erwartungen des BMWi, S. 65. Dagegen hält Sydow, H. S. v., Erwartungen der KOM, S. 13, 15 und 17 die Kommission mittlerweile für effizienter als die Normenorganisationen.

778

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

zen 609 . Hinzu kommt, daß sich die Kommission, soweit ersichtlich, auch nicht unmittelbar an der Ausarbeitung der technischen Normen beteiligt610. Auf diese Weise könne das von Art. 100 a Abs. 3 EGV geforderte "hohe Schutzniveau" gefährdet werden, da namentlich bei der Abstimmung im Normungsverfahren nach dem Prinzip der nationalen Repräsentation die Gefahr der Normung "auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner" und damit der Absenkung des auf nationaler Ebene gewährleisteten Schutzniveaus bestehe611. Entgegen dieser Kritik hat die Kommission bemerkenswerter- und richtigerweise ausgeführt, daß im Falle der Befolgung der Verfahrensregeln der europäischen Normenorganisationen und der Nutzung der Partizipations- und Einspruchsmöglichkeiten durch die von der Normung betroffenen Kreise davon ausgegangen werden muß, daß die erarbeitete Norm die jeweils grundlegenden Anforderungen erfüllt. Als Folge hebt sie ausdrücklich hervor, daß eine "Genehmigung" einer bereits ordnungsgemäß verabschiedeten Norm "nicht in Betracht zu ziehen ist" 612 . Drittens kritisieren zahlreiche Autoren 613 wie auch die Normenorganisationen 614 die beabsichtigte Anwendung des im vorhergehenden Kapitel ausgeführm

Reihlen, H., Zusammenfassung, S. 68; ganz so auch Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 366 f.; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1186 ff. 610 Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 366 f. Vgl. zu der ausschließlich beratenden Rolle der sog. "Normenkontrolleure", die zwar aus Mitteln der Kommission bezahlt werden, aber der Infrastruktur von CEN/ CENELEC angehören, Berghaus, H., Erwartungen, S. 92. 611 Das in Art. 100 a Abs. 4 EGV und den jeweiligen sektoralen Richtlinien vorgesehene Abweichungs- und Schutzklauselverfahren kann erst nachträglich eingreifen und somit eine präventive Kontrolle nicht ersetzen. Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 367. 612 KOM/Generaldirektion für Binnenmarkt und gewerbliche Wirtschaft III/B/3, Dok. 27/90, Nr. 1 Abs. 4 f. Eine vergleichbare Ansicht vertritt hier offensichtlich die DKE: Wenn technische Normen das Ergebnis technischer Experten aller interessierten Kreise sind und ein öffentliches Einspruchsverfahren allen (fachlich) Interessierten eine Einspruchsmöglichkeit gibt, so sollte das Ergebnis ein gesundes Optimum zwischen Können und Wollen und für die Praxis brauchbar sein. Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 131 f. Diese Ansicht ist zutreffend. Denn jede andere als eine Überprüfung der Einhaltung der strategischen Vorgaben der "grundlegenden Sicherheitsanforderungen", der Verfahrensbedingungen der Normerstellung, der Vereinbarkeit der technischen Norm mit den Rechtsvorschriften und dem übrigen Normenwerk sowie den redaktionellen Vorgaben ist aufgrund und im Falle der Einhaltung der Verfahrensbedingungen weder notwendig, noch wegen des dazu notwendigen erheblichen Potentials an behördlichem Sachverstand finanzierbar, noch m.E. überhaupt legitim. 613 Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 102 m.z.N. 614 Winckler, R., Binnenmarkt, S. 21.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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ten Abschnitts III. 1 der "Modellrichtlinie", nach dem die allgemeinen Anforderungen in der Richtlinie hinreichend konkret sein müssen, um beim Fehlen entsprechender technischer Normen den Zertifizierungsstellen schon allein hiernach die Prüfung und Bescheinigung der Konformität der betroffenen Erzeugnisse mit den Anforderungen der Richtlinie zu ermöglichen. Diese weisen insbesondere auf die Gefahr einer Parallelnormung durch EU-Beamte zu den europäischen Normenorganisationen und damit einhergehend auf das Risiko eines Rückfalls in die Detailharmonisierung hin. Zusammen mit dem nicht immer klaren Gesamtkonzept der Richtlinien führt dies nach Ansicht des Vorsitzenden von CENELEC zu Überlappungen und sachlich nicht gerechtfertigter unterschiedlicher Behandlung verschiedener Produkte. "Es ließe im übrigen auch nicht den Blick für die Realitäten erkennen, wenn man glaube, ohne eine sorgfältig ausgearbeitete Norm zu reproduzierbaren und vergleichbaren Prüfergebnissen als Grundlage für einen freien Warenverkehr zu kommen."615 Diesen Standpunkt hat auch das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 8. April 1987 vertreten und die Kommission aufgefordert, auf die Festlegung detaillierter technischer Spezifikationen in den Richtlinien zu verzichten616. Tatsächlich sind die sicherheitstechnischen Festlegungen in den Richtlinien entgegen der Vorgabe der "Modellrichtlinie" nicht so präzise, daß nach ihnen selbst eine Zertifizierung möglich wäre. Erforderlich ist im Regelfall immer die Heranziehung einschlägiger harmonisierter Europäischer bzw. im Falle ihres Fehlens internationaler bzw. nationaler Normen 617. Viertens birgt die europäische Harmonisierung der nationalen technischen Normen selbst gewisse, nicht zu vernachlässigende Probleme. Denn wie in Kapitel I.D.l.a) ausgeführt, hat bei der Harmonisierung der nationalen Normen auf europäischer Ebene ebenso wie bei der Vereinheitlichung der Werknormen auf nationaler Ebene derjenige, der "seine nationale Norm in Europa durchsetzen kann, ... enorme Wettbewerbsvorteile" 618. So war ein wesentliches Ergebnis einer Branchenanalyse bezüglich der Auswirkungen der europäischen Normung auf die Aufzugindustrie, daß Veränderungen im Fertigungsprozeß in Deutschland praktisch nicht erforderlich waren, da die einschlägige EN 81 6 1 9 nicht zu-

615

Winckler, R. u.a., 18. Generalversammlung von CENELEC, S. 49. Vgl. dazu die Ausführungen im nachfolgenden Kapitel. 617 Joerges, C. u.a., Die Normung von Konsumgütern, S. 187; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 205. 618 Krumrey, H., Normen - Macht der Prädikate, S. 73 (Hervorhebung des Verfassers). Vgl. auch Eckstein, D., Vereinheitlichung von Normen, S. 16; Müller-Merbach, H., Strategisches Europa-Management, S. 7. 619 In EN 81 Teil 1 werden die sicherheitstechnischen Anforderungen an elektrisch betriebene Personen-, Lasten- und Kleingüteraufzüge geregelt, während EN 81 Teil 2 616

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

letzt durch das frühzeitige Engagement der deutschen Aufzugindustrie in der europäischen Normungsarbeit eine weitgehende Übereinstimmung mit der deutschen Norm aufweist 620. Insgesamt ist im deutschen Maschinen- und Anlagenbau der technische Standard so hoch, daß bei einer Europäisierung der DINNormen die deutsche Produktion kaum nachgebessert werden muß 621 . Nach der anfänglichen Dominanz der europäischen Normung durch das DIN bzw. die DKE haben jedoch mittlerweile auch die anderen EU-Mitgliedsstaaten die Relevanz eines derartigen Engagements erkannt 622. Insbesondere Frankreich hat begleitend zur Reorganisation seines Normungssystems und der Schaffung umfangreicher Mitwirkungsmöglichkeiten der interessierten Kreise- ein Mittel sind die COS und die GPN 6 2 3 - eine breit angelegte Kampagne gestartet unter dem Motto: Die Normung auf europäischer Ebene wird sich "mit Euch, ohne Euch ... oder gegen Euch" vollziehen624. Wenn sich Frankreich nicht an der europäischen Normung beteilige, bestimme die aktivere Konkurrenz die europäischen Normen für ihre Produkte. Dann müßten sich die französischen Unternehmen angesichts der Verweisung auf Normen auf europäischer Ebene und infolge des Marktdrucks der europäischen Handelspartner unter die von ihrer Konkurrenz definierten Normen unterordnen. Dies könne bis zur Auslöschung des Marktes für französische Produkte führen 625. Die Einsicht dieser Erkenntnisse hat mittlerweile dazu geführt, daß das Engagement der französischen interessierten Kreise in der europäischen Normung dem der deutschen in nichts

für hydraulisch betriebene Personenaufzüge gilt. Eckstein, D., Vereinheitlichung von Normen, S. 17; Plinke, W., Branchenanalyse, S. 13 f. 620 Eckstein, D., Vereinheitlichung von Normen, S. 17; Plinke, W., Branchenanalyse, S. 17. "Den soliden Hintergrund bildet eine frühzeitige intensive Mitwirkung in den nationalen und europäischen Normungsgremien, die zu einer für die deutschen Anbieter günstigen Ausformulierung der Norm geführt hat. Im Ergebnis bedeutet dies, daß für die Aufzughersteller in Deutschland die Chancen der Harmonisierung überwiegen." Plinke, W., Branchenanalyse, S. 25. Vor der Geltung der Norm war entsprechend den sehr unterschiedlichen Anforderungen an die Sicherheit von Aufzügen ein sicherheitstechnisches "Nord-Süd-Gefälle" in Europa zu erkennen, "welches sich recht drastisch in den Unfallzahlen widerspiegelt". Plinke, W., Branchenanalyse, S. 13 f. 621 Dieter Eckstein, Hauptgeschäftsführer beim "Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer" (VDMA), in: O.V., Europäische Normen/Geteiltes Echo auf Grünbuch, S. 15. 622 Boulin, P., Présentation, S. 23; Plinke, W., Branchenanalyse, S. 26. 623 Vgl. Kap. II.A.2.a)bb). 624 Boulin, P., Présentation, S. 23. 625 Ebd.; Nicolas, F., Normalisation européenne, S. 3.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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nachsteht626. Während neben den genannten großen Industrienationen beispielsweise auch die Niederlande eine Einigung auf Europäische Normen von hohem Niveau begrüßen 627, stehen insbesondere die südlichen EU-Mitgliedsf\) R

f\1 Q

Staaten wie beispielsweise Italien und Spanien trotz der Vorgaben des Art. 100 a Abs. 3 EGV dieser Entwicklung skeptisch gegenüber. Fünftens hebt der Rat im Anschluß an die Modellrichtlinie ausdrücklich hervor, daß sich die "Neue Konzeption" nur in jenen Bereichen anwenden läßt, in denen eine deutliche Unterscheidung zwischen "grundlegenden Anforderungen" und "Fertigungsspezifikationen " möglich ist. In all jenen Bereichen, in denen die grundlegenden Anforderungen des Allgemeinwohls den Einschluß zahlreicher Fertigungsspezifikationen erforderlich machen, damit der Staat seine Verantwortung für den Schutz seiner Bürger voll übernehmen kann, sind die Voraussetzungen für den "Normenverweis" nicht gegeben630. Die "Neue Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" hat seit ihrer Verabschiedung im Jahre 1985 ungeachtet der nicht immer konse-

626

Das mittlerweile ausgewogene Engagement zumindest der großen Industrienationen in der europäischen Normung verdeutlicht die Anzahl der betreuten Sekretariate der Technischen Komitees der europäischen Normenorganisationen, wiedergegeben in Tab. 6 in Kap. H.A. Vgl. auch Kap. I.D.l.a) und Kap. II.A.2.a)ee). 627 Nach Henk W. Huigen, dem Direktor des NNI, hat dieses international einen guten Stand, sein nationales Normenniveau zu verteidigen. Denn die Niederlande, die Bundesrepublik Deutschland und das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland würden einer Entwertung ihrer anspruchsvollen Normen auf das niedrige Niveau südlicher EU-Länder nicht zustimmen. Zit. in: O.V., Europäische Normen/Geteiltes Echo auf Grünbuch, S. 15. 628 So versicherte 1987 der italienische Industrieminister dem Europaparlamentarier Basil de Ferranti seine volle Unterstützung bei der Europäisierung der technischen Normen. "Die Ernüchterung kam im selben Ministerium, zwei Stockwerke tiefer. Ein Fachbearbeiter machte de Ferranti klar, daß europäische Normen in Italien nur insoweit erwünscht seien, wie sie die einheimische Industrie nicht beeinträchtigten." Zit. in: Bergius, M., Gegenseitige Anerkennung fällt nicht allen leicht, S. 15. 629 Das spanische Industrieministerium fürchtet bei der europäischen Harmonisierung der technischen Normen die Dominanz der stärksten EU-Partner, speziell der Deutschen mit ihrem DIN. O.V., Europäische Normen/Geteiltes Echo auf Grünbuch, S. 15. 630 Vgl. Nr. 2 lit. a) der "Kriterien zur Auswahl der prioritären Bereiche, in denen das neue Konzept zunächst angewendet werden kann" in: Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01), S. 8. Dieses Argument ist wenig überzeugend, wenn man sich die Qualität der sogenannten "grundlegenden Sicherheitsanforderungen", die ganz überwiegend aus generalklauselartigen Zielbestimmungen mit entsprechend breitem Interpretationsspektrum bestehen, vor Augen führt. Auch die deutsche Bundesregierung hat betont, daß diese allgemeinen Sicherheitsanforderungen zum Teil sehr abstrakt gefaßt seien. Vgl. die Ausführungen der Bundesregierung in BT-Drucks. 12/2693, S. 17 f., zit. in: Peine, F.-J., GSG: Kommentar, Einführung Rn. 98.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

quenten Umsetzung der Vorgaben der "Modellrichtlinie" in Kapitel II.B.3.c) bb)(2)(d)(aa)ß) aufgeführten Einzelrichtlinien keinerlei Modifikationen erfahren 631 . Dennoch sollen im folgenden die maßgeblichen Verlautbarungen der Organe der Europäischen Union im Anschluß an die Verabschiedung der "Neuen Konzeption" in aller Kürze wiedergegeben werden 632. (e) Maßgebliche Verlautbarungen der EU-Organe im Anschluß an die Verabschiedung der "Neuen Konzeption" (aa) Die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. April 1987 Nachdem der seinerzeitige Vizepräsident der Kommission Lord Cockfield am 1. September 1986 auf eine diesbezügliche parlamentarische Anfrage nochmals die Auffassung der Kommission bekräftigt hat, daß es in jedem Fall erforderlich sei, die zur Zertifizierung der Richtlinienkonformität notwendigen und hinreichenden Sicherheitsanforderungen in den Richtlinien selbst festzulegen 633 , hat sich das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 8. April 1987 dem im vorhergehenden Kapitel wiedergegebenen Standpunkt der Normenorganisationen angeschlossen und die Kommission aufgefordert, auf die Festlegung detaillierter technischer Spezifikationen in den Richtlinien zu verzichten: 334. (bb) Der Rahmenvertrag der Kommission mit CEN/CENELEC betreffend der Ausarbeitung Europäischer Normen von 1989 Im Jahre 1989 hat die Kommission mit CEN/CENELEC einen neuen "Rahmenvertrag betreffend der Ausarbeitung Europäischer Normen" abge-

631

Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, passim. Da "die technischen Handelshemmnisse nach wie vor ein großes Problem des Binnenmarktes" sind, beschäftigt dieses Thema unverändert zahlreiche Gremien der Europäischen Union. Ohne auf diese alle eingehen zu können, sei auf die hier nicht wiedergegebene aktuellste Äußerung der Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Technische Normen und gegenseitige Anerkennung" (96/C 212/02) - ABl. EG Nr. C 212 v. 22.07.1996, S. 7 - verwiesen, aus der auch das vorhergehende Zitat stammt (ebd., Abschn. 2 Nr. 2.3). 633 Antwort von Lord Cockfield im Namen der Kommission v. 01.09.1986 - ABl. EG Nr. C 19 v. 26.01.1987, S. 5 - auf die schriftliche Anfrage Nr. 119/86 von Frau Yvonne von Rooy (PPE - NL) an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 15.04.1986 (87/C 19/05) - ABl. EG Nr. C 19 v. 26.01.1987, S. 4 -. 634 Zit. nach Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 132; Sauer, M., Neues Konzept, S. 602. 632

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schlossen, der die alten, im Zusammenhang mit der Vereinbarung über "Allgemeine Leitsätze für die Zusammenarbeit zwischen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und den Europäischen Normenorganisationen Europäisches Komitee für Normung (CEN) und Europäisches Komitee für Elektrotechnische Normung (CENELEC)" 635 abgeschlossenen Rahmenverträge mit CEN und CENELEC von Oktober bzw. Dezember 1985 ersetzte. Abgesehen von geringfügigen Modifikationen und Ergänzungen - erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem die Möglichkeit des Einsatzes von Projektteams - stimmen dessen Inhalte weitgehend mit den alten Verträgen überein 636. (cc) Das Grünbuch der Kommission zur Entwicklung der europäischen Normung vom 8. Oktober 1990 Mit dem Ziel, alle privaten und öffentlichen interessierten Kreise auf die zentrale strategische Bedeutung der europäischen Normung für die Verwirklichung des EU-Binnenmarkts aufmerksam zu machen, legte die Kommission am 8. Oktober 1990 das "Grünbuch der EG-Kommission zur Entwicklung der europäischen Normung: Maßnahmen für eine schnellere technologische Integration in Europa" 637 vor. Dabei hob sie besonders die Funktionen der technischen Normung zum einen bezüglich der Gestaltung der zukünftigen technologischen Bedingungen für die Produkte des europäischen Marktes und zum anderen hinsichtlich der Konkretisierung der EU-Produktgesetze hervor 638. Obwohl die Kommission den europäischen Normenorganisationen eine bis zu diesem Zeitpunkt "spektakulär " - nämlich um den Faktor zehn 639 - gestiegene Arbeitsleistung attestierte, hielt sie eine weitere Beschleunigung der Erstellung besonders jener Europäischen Normen, die für die Durchsetzung der EUProduktgesetze erforderlich sind, für notwendig640. Denn trotz der "großen Anstrengungen" der europäischen Normenorganisationen, dem in den letzten Jahren stark erhöhten Bedarf an ihren Diensten zu entsprechen, überstieg die Nachfrage nach Europäischen Normen bei weitem das Angebot641. Denn nach An-

635

Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. II.B.3.c)bb)(2)(c)(dd). Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 97. 637 KOM (90) 456 endg. "Grünbuch europäische Normung". Die Seitenangaben bezüglich der Zitate des Grünbuchs beziehen sich auf die erstgenannte Quelle. 638 Letzteres wird als "das unmittelbare Ziel des europäischen Normungsprozesses" bezeichnet. Ebd., S. 5 ff. 639 In den sechs Jahren bis 1990 wurden über 800 Europäische Normen beschlossen, dreimal mehr als in den zwanzig Jahren davor. Ebd., S. 4. 640 Ebd., S. 6 f. 641 Ebd., S. 6. 636

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

sieht der Kommission wurden zu diesem Zeitpunkt mindestens weitere 800 Europäische Normen im Hinblick auf die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes bis zum 31. Dezember 1992 benötigt, was einer nochmaligen Verdreifachung der Arbeitsleistung der Normenorganisationen - entsprechend der Verabschiedung einer technischen Norm pro Tag - gleichkam. Deshalb appellierte die Kommission in ihrem Grünbuch zur Entwicklung der europäischen Normung an die europäischen Normenorganisationen, sowohl ihre Effizienz als auch ihre Zusammenarbeit untereinander zu verbessern, um dem erheblich gestiegenen Normungsbedarf gerecht zu werden; ansonsten sehe sich die Kommission gezwungen, "zum alten Ansatz der Detailharmonisierung zurückkehren „642 zu müssen Um die Normenorganisationen bei diesem Verbesserungsprozeß zu unterstützen, hat die Kommission auf der Basis einer im ersten Teil des Grünbuchs wiedergegebenen Ist- und Schwachstellenanalyse der europäischen Normung in bezug auf ihre eingangs genannte Bedeutung für den Europäischen Binnenmarkt Verändeim zweiten Teil mögliche Ansätze für aus ihrer Sicht erforderliche rungen des europäischen Normungssystems herausgearbeitet. Diese umfassen im wesentlichen643: Einen Appell an die europäische Industrie, ihr finanzielles, strategisches und fachliches Engagement bezüglich der europäischen Normung zu erhöhen; einen Aufruf an die europäischen Normenorganisationen, weitere Schritte zur kurzfristigen Verbesserung ihrer Effizienz bezüglich der europäischen Normungsarbeit zu unternehmen und eine "definitive Neustrukturierung" des europäischen Normungssystems in Erwägung zu ziehen, um eine sektoren-unabhängige Normenerstellung zu ermöglichen; dabei soll die Koordination durch eine neue über642

Ebd., S. 4. Vgl. auch Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)(bb). Ebd., S. 7 f., 21 ff. und 57 ff. Grundsätzlich haben alle normungsrelevanten Arbeitspapiere der Kommission signifikant zur Weiterentwicklung der europäischen Normenorganisationen beigetragen. So löste bereits das Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes bei CEN/CENELEC beachtliche Aktivitäten mit dem Ziel aus, Doppelarbeiten zu vermeiden und die Effizienz zu steigern. Triebfeder der Verbesserungen war jedoch häufig zumindest nicht primär die Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderungen, sondern die Angst vor staatlicher Einflußnahme auf die technische Normung als Selbstverwaltungsorgan der interessierten Kreise: "Die EG-Kommission wird jedoch ihren Druck auf die Normenorganisationen fortsetzen und ihre Idee von einer durch die EG-Kommission gesteuerten und beaufsichtigten europäischen Normenorganisation weiter verfolgen" (DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 6). Hinzu kamen Befürchtungen, die Kommission könne andere Wege im Rahmen der technischen Harmonisierung beschreiten als den der Konkretisierung durch technische Normen, oder diese wieder in staatliche Hand übernehmen, sollten die europäischen Normenorganisationen nicht zur termingerechten Erstellung der zur Konkretisierung der EU-Richtlinien erforderlichen Europäischen Normen in der Lage sein. DKE, Geschäftsbericht 1986, S. 2 f. 643

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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ordnete Organisationsebene, gebildet aus einem "Europäischen Normungsrat" und einem "Europäischen Normenausschuß", welche die strategische Richtung der europäischen Normung festlegen, sichergestellt werden; die stärkere direkte Beteiligung der interessierten Kreise an der europäischen Normungsarbeit; die Schaffung eigenständiger Europäischer Normen, die keine Umsetzung in nationale technische Normen mehr benötigen; eine langfristige Politik zur Finanzierung der europäischen Normenorganisationen mit dem Ziel, die von der Europäischen Union für die europäische Normung aufzubringenden Mittel zu senken; Maßnahmen, welche die europäischen Normenorganisationen in die Lage versetzen, auf die sich ändernden äußeren Bedingungen insbesondere in Osteuropa zu reagieren; eine Aufforderung an die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten, die Normung auf nationaler und europäischer Ebene stärker zu fördern und zu unterstützen; eine Empfehlung an den Rat, die Grundsätze für eine künftige Zusammenarbeit zwischen dem europäischen Normungssystem und den Behörden zu beschließen und sich zu einer langfristigen finanziellen Unterstützung zu verpflichten. Das DIN hat in seiner Stellungnahme zum Grünbuch 644 eine grundsätzliche Neustrukturierung des europäischen Normungssystems abgelehnt und dabei auf die beeindruckende Steigerung des Arbeitsvolumens von CEN/CENELEC verwiesen, welches diese - gemessen an der Mobilisierung des technischen Sachverstandes in ihren Arbeitsgremien - in den letzten sechs Jahren vor der Stellungnahme auf das achtfache erhöhen konnten 645 . Erforderlich sei daher nur eine "behutsame Weiterentwicklung und Optimierung" der Organisationsstruktur und Arbeitsweise von CEN/CENELEC auf der Basis eines vom DIN entwickel-

644

DIN, Stellungnahme, S. 265 ff. Der Präsident des DIN, E. Möllmann, bezeichnet das Grünbuch der Kommission als ein "staatliches Bevormundungspapier", das es "im Verbund mit unseren Partnern in Staat und Wirtschaft" abzuwehren gelte. Zit. in: Reihlen, H., 43. Präsidiumssitzung, S. 4. Vgl. auch Möllmann, E., Ansprache, S. 8. Auch die DKE hat die Vorschläge des Grünbuchs massiv abgelehnt, da hiermit den nationalen Normenorganisationen die Arbeitsgrundlage entzogen und ihre Verbindungen zu den interessierten Kreisen unterbrochen würde. Wamer, Α., Normung und Zertifizierung, S. 201. Diese Kritik aus Deutschland kam für die Kommission nach eigenen Angaben unerwartet, denn "das Grünbuch exportiert doch gewissermaßen das deutsche Modell der Normung und der Marktwirtschaft nach Europa". Sydow, H. S. v., Erwartungen der KOM, S. 16. 645 DIN, Stellungnahme, S. 265.

Zubke-von Thünen

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

ten Organisationsvorschlags 646, nicht eine grundsätzliche Restrukturierung 647. Darüber hinaus hält das D I N basierend auf der Einschätzung, daß die heranwachsenden europäischen Strukturen der einzelnen an der Normungsarbeit interessierten Kreise auch in der "voraussehbaren Zukunft" noch zu schwach seien, um eine effektive Vertretung dieser Kreise auf europäischer Ebene zu gewährleisten, weiterhin die nationale Delegation für notwendig 648 . Schließlich lehnt das D I N die Gründung weiterer sektoraler europäischer Normenorganisationen ab und betont den Vorrang der internationalen vor der europäischen und den Vorrang beider vor der nationalen - Normung, deren Träger ebenfalls die nationalen Normenorganisationen sind 649 . Die deutsche Bundesregierung hat sich in ihrer am 15. April 1991 der Kommission übermittelten Stellungnahme zum Grünbuch 650 weitestgehend der Position des DIN angeschlossen. Sie äußert "erhebliche Zweifel [daran], daß die Vorschläge der EG-Kommission zur grundlegenden Änderung der Struktur der europäischen Normung der richtige Weg zur Erreichung der mit dem Grünbuch verfolgten Ziele sind" 6 5 1 . Insbesondere würden nach Ansicht der Bundesregierung zeitraubende Umstellungen und daraus resultierende Verunsicherungen der Normenorganisationen und der hinter ihnen stehenden Wirtschaft die Erreichung des Binnenmarktzieles eher gefährden als fördern. In Anbetracht der kurzen Zeitspanne bis zur Verwirklichung des Binnenmarktes sollten statt revolutionärer Umstellungen evolutionäre Weiterentwicklungen des grundsätzlich funktionierenden Systems der europäischen Normung in Angriff genommen werden 652 . Wie auch das DIN, lehnt die Bundesregierung eine Schwächung der nationalen Normenorganisationen ab, die nach wie vor die entscheidenden Träger der europäischen und internationalen Normung sind. Die privatrechtliche Organisation der Normung, die auf dem Grundsatz der Selbstverwaltung und Selbstverantwortung der an der Normung interessierten Kreise basiere, dürfe nicht angetastet werden 653 . Dementsprechend spricht sich auch die Bundesregie-

646 Ebd., S. 266 f. Dieser wird von der deutschen Bundesregierung ausdrücklich unterstützt. Vgl. Bundesrepublik Deutschland/Bundesregierung, Stellungnahme zum Grünbuch, Nr. 2 Spstr. 5. 647 DIN, Stellungnahme, S. 265, 268. 648 Ebd., S. 265 f. Das DIN ist jedoch bereit, das Delegationsprinzip Ende der neunziger Jahre erneut zu überdenken. Reihlen, H., Zusammenfassung, S. 71. 649 DIN, Stellungnahme, S. 265. 650 Bundesrepublik Deutschland/Bundesregierung, Stellungnahme zum Grünbuch. Vgl. auch Sauer, M., Erwartungen des BMWi, S. 59 f. 651 Bundesrepublik Deutschland/Bundesregierung, Stellungnahme zum Grünbuch, Nr. 2 Abs. 2. 652 Ebd., Nr. 2 Spstr. 1. 653 Ebd., Nr. 2 Spstr. 2.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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rung gegen die Abschaffung des nationalen Delegationsprinzips, ebenso wie die Gründung weiterer sektoraler europäischer Normenorganisationen, aus 654 und betont abschließend ebenfalls den Vorrang der internationalen vor der europäischen Normung 655 . Schließlich erteilen bemerkenswerterweise auch die deutschen interessierten Kreise der Zielsetzung und/oder den Vorschlägen des Grünbuchs überwiegend eine Absage. Einen zentralen Schwachpunkt des Grünbuchs greifen die Gewerkschaften, Umwelt-, Mieter- und Verbraucherverbände auf, indem sie den Fokus des Grünbuchs auf die zeitliche Straffung des Normungsverfahrens und die Steigerung der Effizienz der europäischen Normungsarbeit bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Sicherung der Normenqualität bemängeln, woraus die Gefahr einer erschwerten Einbringung von öffentlichen, vornehmlich Umweltschutz- und -vorsorgezielen resultiere 656 . Darüber hinaus schätzen nicht nur so repräsentationsschwache Kreise wie der Mittelstand und das Handwerk, denen bereits die Besetzung von Normenausschüssen im nationalen Bereich zwecks Vertretung der mittelständischen bzw. der handwerklichen Interessen große Schwierigkeiten bereitet 657 , sondern selbst die vom Mittelstand aufgrund ihrer Finanzkraft als privilegiert eingestufte deutsche Großindustrie 658 eine unmittelbare Vertretung ihrer Interessen auf europäischer Ebene als "problematisch" ein und plädieren nicht zuletzt aufgrund der sprachlichen Probleme für die Beibehaltung des Delegationsprinzips 659. Und auch die Gewerkschaften sprechen sich spezifiziert gegen die überwiegende Anzahl der Vorschläge des Grünbuchs - wie die Schwächung des Konsensprinzips, die Verkürzung des öffentlichen Anhörungsverfahrens, die Zersplitterung der Normenorganisationen und die Etablierung Europäischer Normen nach "eigenem Recht" - aus 660 . Lediglich der Vorstand der Stiftung Warentest befürwortet die direkte Beteiligung der interessierten Kreise an der europäischen Normung 661 und die Abkehr vom 654

Ebd., Nr. 2 Spstr. 3 und 4. Ebd., Nr. 4. 656 Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 51; Zwingmann, B., Mitwirkung der Gewerkschaften, S. 45. 657 Mehr als drei Viertel aller Bauunternehmen in Europa haben weniger als 20 Beschäftigte. Eichbauer, F., Mitwirkung der mittelständischen Industrie, S. 49, 52 f.; Schröder, B., Europäische Normung und Handwerk, S. 51. 658 Eichbauer, F., Mitwirkung der mittelständischen Industrie, S. 54. 659 Kessler, C., Sicht eines Großbetriebes, S. 24. Vgl. auch DIN, CEN/CENELEC und ETSI, S. 108. 660 Zwingmann, B., Mitwirkung der Gewerkschaften, S. 45 f. 661 "Uns ist es wichtiger, daß ein Verbrauchervertreter mit Sitz und Stimme in einem europäischen Ausschuß vertreten ist, ganz egal, aus welchem Land er kommt, statt daß die Verbraucher in allen Ländern nur auf einer untergeordneten Ebene ihre Meinung sagen können." Hüttenrauch, R., Mitwirkung der Verbraucher, S. 37. 655

*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Konsensprinzip in den TCs zugunsten eines 80 %-Prinzips, um Einigungen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner und die Blockade durch wenige Außenseiter zu vermeiden 662. (dd) Die Entschließung des Rates zur Funktion der europäischen Normung in der europäischen Wirtschaft vom 18. Juni 1992 Den Schlußpunkt der politischen Diskussion über das Grünbuch der Kommission663 bildet die Entschließung des Rates vom 18. Juni 1992 zur Funktion der europäischen Normung in der europäischen Wirtschaft 664. Hierin bekräftigt der Rat in insgesamt 24 Punkten nochmals neben der strategischen Bedeutung der europäischen Normung für den europäischen Markt (Nr. 6), für Wirtschaft (Nr. 4) und Technik (Nr. 5) sowie für die Öffnung des öffentlichen Auftrags Wesens (Nr. 2) insbesondere seinen Willen, "den Weg der neuen Konzeption WEITER[ZU]BESCHREITEN, wo immer dies möglich ist" (Nr. 16); er ersucht deshalb die Kommission, "bei künftigen Entwürfen für gemeinschaftliche Rechtsvorschriften gegebenenfalls den Grundsatz des Verweises auf die Normen anzuwenden" (Nr. 21). In diesem Zusammenhang unterstreicht der Rat seine "Auffassung, daß die europäische Normung, obgleich sie auf freiwilliger Grundlage geregelt wird, auch dem öffentlichen Interesse dient, und deshalb auf Beziehung zwischen der Gemeineuropäischer Ebene eine partnerschaftliche schaft und den europäischen Normungsgremien fortgeführt und ausgebaut werden muß" (Nr. 9) 6 6 5 . Obwohl auch der Rat hervorhebt, "daß dringend europäische Normen mit hohem Qualitätsanspruch sowohl für die Anwendung der Richtlinien und die Durchführung der europäischen Politiken als auch für den Bedarf des Marktes zur Verfügung stehen müssen" (Nr. 13), erteilt er den im Grünbuch der Kommission zum Ausdruck kommenden Bestrebungen hinsichtlich der Reorganisation der europäischen Normenorganisationen zumindest in wesentlichen Punkten eine klare Absage. Neben der Würdigung der diesbezüglich bereits getrof-

662

Hüttenrauch, R., Mitwirkung der Verbraucher, S. 36. Berghaus, H., Erwartungen, S. 91. Vgl. zu der teilweise im Amtsblatt der EU veröffentlichten Diskussion zusammenfassend die 1992 veröffentlichte Mitteilung der Kommission bezüglich der Folgemaßnahmen zum Grünbuch (KOM (91) 521 endg.). 664 Entschließung des Rates 92/C 173/01 "Funktion der europäischen Normung". Zu Inhalt und Bedeutung der Ratsentschließung siehe Berghaus, H., Erwartungen, S. 91. 665 Diese erstmalige Betonung eines partnerschaftlichen Verhältnisses wird von der deutschen Bundesregierung als "besonders bedeutend" angesehen. Berghaus, H., Erwartungen, S. 91. 663

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fenen Maßnahmen der europäischen Normenorganisationen (Nr. 12) betont der Rat insbesondere "die Bedeutung eines kohärenten europäischen Normungssystems, das von den interessierten Parteien und für sie gestaltet wird und das auf Transparenz, Offenheit, Konsens, Unabhängigkeit von Einzelinteressen, Effizienz und Beschlußfassung auf der Grundlage einzelstaatlicher Vertretung beruht" (Nr. 8) und die Vermeidung "eine[r] Aufsplitterung der europäischen Normungsarbeiten und eine[r] Zunahme der Bürokratie des Systems, die seiner Effizienz abträglich wären" (Nr. 11), womit das nationale Delegationsprinzip bestätigt666 und der Schaffung eines zentralen europäischen Normungsrats und eines zentralen europäischen Normenausschusses eine Absage erteilt wird.

4. Resümee der Abschnitte II.B.2. und 3. "Die Europäische Gemeinschaft erläßt seit 1985 Technikrichtlinien nach dem Modell der "Neuen Konzeption". Diese Form der Rechtsetzung delegiert faktisch Rechtsetzungskompetenzen auf private Normungsorganisationen. ... Durch sie hat sie [die Europäische Union] sowohl für die Gesetzgebung wie auch den Gesetzesvollzug ein Mischsystem aus hoheitlichen und privatwirtschaftlichen Elementen etabliert."* Mit diesen Erkenntnissen läßt sich nunmehr die zweite am Ende des Teils I gestellte Frage für die Europäische Union beantworten, ob Europäischen Normen aufgrund der in Kapitel I.E ausgeführten Erfüllung von ursprünglich dem Staat obliegenden öffentlichen Aufgaben durch die europäischen Normenorganisationen Rechtsnormcharakter zukommt, oder - sollte dies nicht der Fall sein wie diese in die staatliche Rechtsordnung rezipiert werden. Bezüglich des ersteren ist festzustellen, daß Europäische Normen keine Rechtsnormen sind: Sie sind weder Bestandteil des geschriebenen primären noch sekundären Unionsrechts, noch des ungeschriebenen Unionsrechts in Form von allgemeinen Rechtsgrundsätzen, Gewohnheitsrecht oder Richterrecht, noch begleitendes Unionsrecht. Unbeschadet der Stillhalte- und Übernahmeverpflichtung der nationalen Normenorganisationen der EU- und EFTAMitgliedsstaaten sind Europäische Normen der Rechtsform ihrer Urheber entsprechend nach der Transformation in nationale Normen wie diese rein private, auf freiwillige Anwendung gerichtete Empfehlungen der europäischen Normenorganisationen für ein einwandfreies, unter anderem schütz- und sicherheitstechnisches Verhalten an "jedermann".

666

M.E. jedoch zu unrecht. Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. II.B.l.c). * Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1181.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Abstrakt-generelle rechtliche Verbindlichkeit kommt technischen Normen allein in Folge von Rezeptionsakten der europäischen rechtssetzenden Organe zu. Dabei erlangte die Rezeption Europäischer Normen im Rahmen der verschiedenen Ansätze zur Beseitigung der aus technischen Vorschriften und Normen resultierenden nichttarifären Handelshemmnisse im Zusammenhang mit der Zielsetzung der Integration der Volkswirtschaften der EU-Mitgliedsstaaten durch die Errichtung des Gemeinsamen Marktes bzw. Binnenmarktes eine unterschiedlich große Bedeutung. Bei dem von der Europäischen Union zunächst verfolgten, auf den Bestimmungen der Art. 30-36 EGV basierenden Konzept der gegenseitigen Anerkennung von Produktstandards bleiben die nationalen technischen Regelungen bestehen und gelten für die im Inland produzierten Waren fort, haben aber für Importe keine Gültigkeit; diese sind vielmehr nach den Regelungen des Exportlandes zu beurteilen. Danach ist ein Produkt grundsätzlich in allen EU-Mitgliedsstaaten verkehrsfähig, wenn es in einem Mitgliedsstaat rechtmäßig hergestellt und in Verkehr gebracht wurde. Obwohl die Methode der gegenseitigen Anerkennung für die Rechtsangleichung innerhalb der Europäischen Union nach wie vor beachtliche Bedeutung besitzt, was unter anderem auch in ihrer zentralen Stellung im Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes von 1985 ihren Ausdruck findet, war ihr im Umwelt- und Technikrecht nur ein begrenzter Erfolg beschieden. Ursache hierfür sind die Ausnahmeregelungen des Art. 36 EGV i.V.m. der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die eine von innerstaatlichen Rechtsvorschriften herrührende Einschränkung des freien Warenverkehrs dann rechtfertigt, wenn sie notwendig ist, um "zwingenden EΓfordernissen ,, gerecht zu werden, mit denen ein "im allgemeinen Interesse liegendes Ziel [verfolgt wird], das den Erfordernissen des freien Warenverkehrs, der eine der Grundlagen der Gemeinschaft darstellt", vorgeht. Als "zwingende Erfordernisse" gelten alle anerkennenswerten und insbesondere die in Art. 36 EGV genannten Gemeinwohlinteressen, mithin Gründe der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, der Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums, sowie darüber hinaus auch hier nicht genannte wie etwa der Umweltschutz. In all diesen Fällen bleibt den Mitgliedsstaaten auch weiterhin die Möglichkeit, nationale technische Vorschriften aufrechtzuerhalten, selbst wenn diese den freien Warenverkehr einschränken oder gar verhindern. Hier ist für die Methode der gegenseitigen Anerkennung Voraussetzung, daß in den übrigen Mitgliedsstaaten Vorschriften existieren, die ein gleichwertiges Schutzniveau gewährleisten. Ansonsten scheidet eine Berufung auf zwingende Erfordernisse i.S.d. Art. 36 EGV erst dann aus, wenn Richtlinien der Europäischen Union die vollständige Harmonisierung aller zum Schutz von

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

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Menschen und Tieren notwendigen Maßnahmen vorsehen. Erst durch letzteres werden auch zwei weitere gravierende Nachteile der Methode der gegenseitigen Anerkennung überwunden, nämlich die fehlende Verschmelzung der nationalen Volkswirtschaften zu einem Gemeinsamen Markt sowie die Gefahr der Rechtsangleichung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Auf Ebene der technischen Normen erübrigt die Methode der gegenseitigen Anerkennung prinzipiell die Erarbeitung gemeinsamer europäischer Normen. Jedoch werden dadurch viele der in Kapitel I.C beschriebenen Funktionen technischer Normen auf europäischer Ebene nicht verwirklicht. Dies hat zur Folge, daß - aufgrund der in Kapitel I.D.l.a) beschriebenen Funktion der technischen Normen als volkswirtschaftliches technisch-ökonomisches Regelungssystem und ihrer daraus resultierenden marktkonstituierenden Wirkung - die gegenseitige Anerkennung nationaler technischer Normen den durch diese erzeugten faktischen Marktschließungseffekt nicht zu überwinden vermag. Auch auf dieser Ebene kann also nur die Schaffung eines diese nationalen Systeme ablösenden europäischen technisch-ökonomischen Regelungssystems durch die europäische Harmonisierung der nationalen technischen Normen zum Erfolg führen, was mittlerweile wohl unstreitig ist. Nach dem Scheitern des Ansatzes der gegenseitigen Anerkennung im Bereich des Umwelt- und Technikrechts entschied sich der Rat in seiner Entschließung vom 28. Mai 1969 über ein Programm zur Beseitigung der technischen Hemmnisse angesichts der verschiedenen Möglichkeiten der Harmonisierung für eine Rechtsangleichung mittels Richtlinien nach Art. 100 EGV. Im Rahmen dieses ursprünglichen Harmonisierungskonzepts wandten Kommission und Rat zunächst grundsätzlich die Methode der "totalen Harmonisierung " an, bei der nur richtlinienkonforme Waren innerhalb der Europäischen Union frei gehandelt werden dürfen und entgegenstehende nationale rechtliche Regelungen ausgeschlossen sind. Dabei regelten sie in detaillierten "technischen Anhängen" der Richtlinien jedes technische Detail, das bis dahin in technischen Vorschriften oder Normen eines Mitgliedsstaates festgelegt worden war. Obwohl die Methode der "totalen Harmonisierung" Wettbewerbsverzerrungen auf Grund unterschiedlicher nationaler technischer Vorschriften vollständig zu beseitigen in der Lage ist, mußte sie aufgrund massiver Probleme bei der Beschlußfassung des Rates und der Umsetzung der Richtlinien schließlich weitestgehend aufgegeben werden. Denn die "ausufernden technischen Detailregelungen" der als "schwerfällig und unflexibel" charakterisierten Totalharmonisierung führten in Verbindung mit dem in Art. 100 EGV vorgesehenen Einstimmigkeitsprinzip der Beschlußfassung des Rates zu erheblichen Arbeitsrückständen und langen Erarbeitungszeiträumen bei einer in Relation zum Umfang der Regelungsmaterie des Umwelt- und Technikrechts "nahezu unbedeutend[en], da im Vergleich mit der "riesige[n] Zahl an technischen Vorschriften und Normen in allen Ländern"

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

nur einen geringen Bruchteil derselben abdeckenden Regelungsleistung667. Zusammen mit den beträchtlichen Problemen und Verzögerungen bei der Umsetzung dieser Harmonisierungsrichtlinien in nationales Recht waren diese - wenn nicht bereits bei ihrer Verabschiedung durch den Rat - spätestens zum Zeitpunkt ihres nationalen Inkrafttretens technisch veraltet. Die zur Lösung dieser Probleme gleichfalls im Rahmen des ursprünglichen Harmonisierungskonzepts verfolgten Konzepte der "optionellen Harmonisierung" und der "Mindestvorschriften " erwiesen sich aufgrund der ihnen immanenten Grenzen gleichfalls als wenig geeignet, das Ziel einer Integration der nationalen Volkswirtschaften der EU-Mitgliedsstaaten zu einem Gemeinsamen Markt bzw. Binnenmarkt zu erreichen. Als Konsequenz dieses Scheiterns werden die ersten beiden Methoden heute kaum noch und die letztere nur in solchen Bereichen angewandt, in denen stark divergierende Schutzniveaus in den einzelnen Mitgliedsstaaten wie beispielsweise in den Bereichen Arbeitsschutz (Art. 118 a EGV) und Umweltschutz (Art. 1301 EGV) keinen gemeinsamen europäischen Konsens zulassen. Obwohl im Programm zur Beseitigung der technischen Hemmnisse nicht vorgesehen, hat die Kommission bereits frühzeitig damit begonnen, im Rahmen der Ausarbeitung entsprechender Richtlinienentwürfe Europäische Normen zu rezipieren und sich den darin dokumentierten Sachverstand zu Nutze zu machen. Denn die Erfahrungen zeigten, daß die technischen Vorschriften in den Richtlinien nur dann auf Akzeptanz stießen, wenn sie auf den Ergebnissen von Arbeiten fußten, welche die betroffenen bzw. interessierten Kreise aller Mitgliedsstaaten akzeptierten, wie es bei den Arbeiten der europäischen Normenorganisationen der Fall ist. So war insbesondere der Methode der "totalen Harmonisierung" im wesentlichen nur da Erfolg beschieden, wo in größerem Umfang auf technische Normen zurückgegriffen werden konnte. Für die Rezeption der Europäischen Normen in den Richtlinien der Europäischen Union hat die Kommission in den Vereinbarungen über die Zusammenarbeit zwischen CEN/CENELEC und der Kommission vom 8./9. Januar bzw. 7. Mai 1974 drei bereits von der nationalstaatlichen Ebene bekannte Rezeptionsarten vorgesehen: Die Inkorporation, die datierte Verweisung und die normkonkretisierende allgemeine Verweisung. Letztere Rezeptionsart wandten Kommission und Rat im Rahmen des ursprünglichen Harmonisierungskonzepts trotz des damit erzielten großen Harmonisierungserfolges nur ein einziges Mal an, nämlich in der 1973 verabschiedeten "Niederspannungsrichtlinie". Obgleich die Kommission zunächst der Ansicht war, daß "die Niederspannungsrichtlinie ein einmaliger Sün-

667 So auch die Kommission in KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 3 Nr. 2 Spstr. 1.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

793

denfall sei, der sich nie wiederholen würde", bildete diese Rezeptionsart schließlich das zentrale Gestaltungselement der dem ursprünglichen Harmonisierungskonzept nachfolgenden "Neuen Konzeption". Trotz des sich bereits frühzeitig abzeichnenden Fehlschlagens der ursprünglichen Harmonisierungsstrategie und der in ihr verwendeten Methoden der totalen und optionellen Harmonisierung sowie der Mindestvorschriften wurde vom Rat erst im Jahre 1985 eine "Neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung " verabschiedet. Die in Anhang I I dieser Entschließung normierten "Leitlinien einer neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" sind - auf eine knappe Formel gebracht - nichts anderes als die Verallgemeinerung und geringfügige Weiterentwicklung des Verweisungs- und Konkretisierungskonzepts der Niederspannungsrichtlinie und verwirklichen damit systematisch die Rezeptionsart der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung in der europäischen Rechtssetzung zur Beseitigung technischer Handelshemmnisse: Danach beschränkt sich die Harmonisierung der Rechtsvorschriften auf die Normierung grundlegender Sicherheitsanforderungen, zu deren Konkretisierung hinsichtlich der technischen Detailregelungen auf harmonisierte Europäische Normen verwiesen wird. Diese bleiben rechtlich unverbindlich, begründen jedoch im Falle ihrer Einhaltung die widerlegbare Vermutung der Richtlinienkonformität, indem die Verwaltungen der Mitgliedsstaaten angewiesen werden, normenkonforme Erzeugnisse als den "grundlegenden Anforderungen" der Richtlinien genügend anzusehen. Daraus resultiert eine Umkehrung der Beweislast: Nicht der Hersteller eines normgemäßen Produktes hat die Einhaltung der grundlegenden Anforderungen nachzuweisen, sondern die zuständige Verwaltungsbehörde muß gegebenenfalls deren Nichtberücksichtigung beweisen. Dabei besitzen die Hersteller die Freiheit, auch nach anderen als in den rezipierten Europäischen Normen kodifizierten technischen Regeln zu produzieren, tragen dann jedoch die Beweislast für die Übereinstimmung ihrer Erzeugnisse mit den "grundlegenden Anforderungen" der Richtlinien. Bis zum 1. Januar 1993 - dem Stichtag der Verwirklichung des Binnenmarktes - wurden nach der "Neuen Konzeption" vierzehn Richtlinien mit jeweils sehr weitem Regelungsbereich verabschiedet, zu deren Konkretisierung die europäischen Normenorganisationen weit über 1.000 mandatierte 668 und zahlreiche weitere, freiwillig erstellte Europäische Normen erarbeitet haben.

668

Bis einschließlich 1991 wurden CEN/CENELEC und ETSI von der Kommission Mandate für 1.261 Europäische Normen zur Konkretisierung von Harmonisierungsrichtlinien nach der "Neuen Konzeption" erteilt; hinzu kommen im selben Zeitraum Mandate für 1.506 Europäische Normen für die Bereiche Informationstechnologie, Telekommunikation, öffentliches Auftragswesen, Eurocodes, Eisen- und Stahlindustrie sowie Luft- und Raumfahrt. Vgl. die entsprechenden Zahlenangaben in KOM (91) 521 endg., Anhang, S. 34 f.

794

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Die "Neue Konzeption" i.V.m. der exzeptionellen Arbeitsleistung der europäischen Normenorganisationen hat es nicht nur ermöglicht, die im Zusammenhang mit den Harmonisierungsmethoden der ursprünglichen Harmonisierungsstrategie aufgetretenen Probleme zu überwinden und einen ungleich größeren Regelungsumfang zu bewältigen. Darüber hinaus wird durch die europäische Harmonisierung der nationalen technischen Normen ein bezüglich seines technischen Umfeldes einheitlicher, homogener und konsistenter Gemeinsamen Europäischer Markt bzw. Binnenmarkt mit sämtlichen Vorteilen für die Unternehmen und Verbraucher verwirklicht. Obwohl angesichts dieser erzielten Harmonisierungserfolge die faktische Effektivität der "Neuen Konzeption" nicht in Frage gestellt werden kann, erhebt sich in zunehmendem Maße Kritik an dieser Harmonisierungsmethode und/oder deren Bestandteilen. .Auf Kritik stießen unter anderem die "zu geringe" Arbeitsgeschwindigkeit bzw. Normenproduktion der europäischen Normenorganisationen, die ungeprüfte Übernahme der in Richtlinien rezipierten Europäischen Normen durch die Kommission, die Forderung der Kommission nach hinreichend konkreten Anforderungen in den Richtlinien zur Zertifizierung der Richtlinienkonformität der Erzeugnisse sowie die Implikationen der Harmonisierung der nationalen technischen Normen auf den europäischen Wettbewerb. Darüber hinaus wurde verschiedentlich auch die unionsverfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Harmonisierungsmethode kritisch hinterfragt und entsprechende Verbesserungsansätze entwickelt. Ungeachtet dieser Kritik hat die "Neue Konzeption" bis heute keinerlei Modifikationen erfahren. Und auch die Gemeinsame Europäische Normungsinstitution CEN/CENELEC erwies sich trotz deutlicher organisatorischer Weiterentwicklung bis heute weitgehend resistent gegenüber grundsätzlichen Reformen beispielsweise im Sinne des Grünbuchs der Kommission zur Entwicklung der europäischen Normung. Als erstes wesentliches Fazit des geschilderten Prozesses der Harmonisierung der technischen Vorschriften und Normen ist festzuhalten, daß wie auf nationaler Ebene 669 die Erfüllung der in Kapitel I.C benannten Funktionen technischer Normen durch die europäischen Behörden und gesetzgebenden Organe gescheitert ist, was auch die Kommission einräumt: "Schließlich ist die Ursache der meisten Schwierigkeiten [der ursprünglichen Harmonisierungsstrategie] sehr wahrscheinlich in einer schlechten Rollenverteilung zwischen öffentlicher Hand einerseits und Normeninstitutionen andererseits zu suchen, wobei sich die einen allzu häufig die Kompetenzen für die detaillierte Festlegung der

669

Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.d), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.a)ee) und in bezug auf das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.a)ff).

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

795

technischen Produktspezifikationen anmaßen, die natürlicherweise eher den anderen zukommen."670 Führt man sich den Erfolg der "Neuen Konzeption" vor Augen, so wird deutlich, daß die für das Scheitern insbesondere der Methode der "totalen Harmonisierung" in Kapitel II.B.3.c)bb)(l)(a)(bb) angeführten Gründe allenfalls Symptome, nicht aber die tatsächlichen Ursachen der Probleme benennen. Denn im Grunde genommen bleibt das Konzept gleich, und es werden lediglich andere Institutionen - nämlich die europäischen Normenorganisationen - mit der Ausarbeitung der "ausufernden technischen Detailregelungen" der als "schwerfällig und unflexibel" bezeichneten technischen Detailharmonisierung betraut. Wie in Kapitel II.B.l.c), S. 672, erläutert, resultiert die Befähigung der europäischen Normenorganisationen zur Bewältigung dieser Aufgaben aus deren Erfüllung im Rahmen der traditionell für die Schaffung von Ordnung und die Strukturierung des Wissens und der Erkenntnisse im Bereich von Wissenschaft und Technik sowie der Schließung wirtschaftlich-technischer Vereinbarungen der Marktteilnehmer herausgebildeten und bewährten dargestellten typischen Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation dieser Institutionen. Hingegen ist der Rat als Einzelgremium und maßgebliches rechtssetzendes Organ in der Europäischen Union trotz der Vorarbeiten der Kommission und privater Verbände mit dieser Aufgabe in mehrfacher Hinsicht überfordert. Selbst der riesige Behördenapparat der Kommission vermag den notwendigen Sachverstand weder in der erforderlichen Breite noch der unerläßlichen Tiefe bereitzustellen, um die Aufgabe der Harmonisierung unzähliger technischer Vorschriften und Normen der Mitgliedsstaaten nicht nur quantitativ - d.h. den gesamten, aus der immensen Vielfalt und Komplexität technischer Prozesse und Systeme sowie deren Implikationen für Mensch und Umwelt resultierenden Regelungsumfang und qualitativ - d.h. in einer der Bedeutung der Regelungsmaterie angemessenen Qualität -, sondern auch hinreichend zügig und aktuell bewältigen zu können 671 . Darüber hinaus sahen sich weder Rat noch Kommission zur Anpassung der Richtlinien an den stetig fortschreitenden wissenschaftlich-technischen

670

KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 4. Gleichermaßen sind auch die originären Normungsarbeiten der Kommission in Form von "EURONORMEN" und "EUROCODES" als gescheitert anzusehen. Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 2 in Kap. II.B. 671 So auch Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1188. Dies führt zu der auf "nationaler Ebene seit langem unstreitige[n] Erkenntnis", daß der europäische Gesetzgebungsapparat zu langsam und zu praxisfern ist, um die Harmonisierung der technischen Vorschriften selbst realisieren zu können. Merkel, W., EGBestimmungen, S. 112. Vgl. auch Niederbacher, J., Recht der Technik, S. 66; Rohling, E., Überbetriebliche technische Normen, S. 107; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 75 f.

796

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Entwicklungsprozeß in der Lage 672 . Schließlich erwies sich die Tatsache, daß sich die Richtlinien von Kommission und Rat zu wenig an den Bedürfnissen der interessierten Kreise orientierten, als weiterer schwerwiegender Nachteil; so hat sich das Europaparlament in einer Stellungnahme gegen den ursprünglichen, technisch detaillierten Entwurf der Spielzeugrichtlinie wegen übergroßem Perfektionismus und wirklichkeitsfremdem Inhalt ausgesprochen673. Umgekehrt wird den Europäischen Normen eine "bemerkenswert gute" Aufgabenerfüllung attestiert, "verglichen mit den verwirrenden Netzen gewoben durch eine durchschnittliche Landwirtschafts-, Versicherungs- oder Sozialpolitikdirektive"674. Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel der in diesem hochdynamischen675 Bereich kaum mehr quantifizierbaren Überlegenheit der Leistungsfähigkeit der Organisationsstrukturen der europäischen und nationalen Normenorganisationen gegenüber den europäischen und nationalen Behörden ist das ETSI, welches innerhalb einiger weniger Jahre das zustande gebracht hat, wozu die europäischen staatlichen Fernmelde Verwaltungen innerhalb der 1959 gegründeten CEPT in dem gesamten Zeitraum ihrer Zusammenarbeit nicht in der Lage waren: Nämlich allgemein anerkannte technische Spezifikationen für ein einheitliches transeuropäisches Fernmelde-Festnetz - das Euro-ISDN - und für ein einheitliches transeuropäisches Netz für digitale Mobilfunktelefone - das heute international gültige GSM - zu entwickeln676. Dagegen fand das ETSI zu Beginn seiner Arbeiten im Jahre 1988 eine außerordentlich große Vielfalt unterschiedlicher Telekommunikationssysteme in der Europäischen Union vor. Kennzeichnend für die Situation war, daß die verschiedenen nationalen Fernmeldeverwaltungen trotz des 20- bis 30-jährigen Bestehens entsprechender Normen noch nicht einmal die internationalen Verkehrsausscheidungsziffern "00" sowie die Signaltöne für den Telefondienst in Europa einheitlich benutzten677; und im mobilen Telefoniebereich gab es in den damaligen zwölf Mitgliedsstaaten der

672

KOM (85) 310 endg. "Weißbuch Vollendung des Binnenmarktes", Nr. 67 ff. Vgl. aus der Literatur Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 71. 673 Ergebnis ist die heutige Spielzeugrichtlinie, die gemäß den Vorgaben der "Neuen Konzeption" nur allgemeine Schutzziele vorschreibt. Orth, K. u.a., 10. Generalversammlung von CENELEC, S. 156. 674 Bartlett, S. V., Standards, S. 14. 675 Dieses Adjektiv gilt allerdings erst seit der Übergabe der Normungsarbeiten durch die CEPT an das ETSI. 676 Zur Definition des transeuropäischen Netzes für digitale Mobilfunktelefone waren mehr als 100 ETS und zur Spezifikation des Euro-ISDN über 200 ETS notwendig. ETSI, ETSI, S. 2, 7. Dabei ist es ohne ETSI als "ehrlichen Makler" zweifelhaft, ob ISDN jemals europaweit einheitlich festgelegt worden wäre. Bartlett, S. V., Standards, S. 14. 677 Rosenbrock, K. H., ETSI, S. 6.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

797

Europäischen Union acht verschiedene Systeme für Autotelefone 678. Möglich wurden diese herausragenden Erfolge durch eine jährliche Arbeitsleistung von über 60.000 Manntagen, die von mehr als 2.700 ehrenamtlichen Experten in 495 Technischen Sitzungen pro Jahr zuzüglich der vollzeitlichen Projektarbeiten in 12 TCs, 57 SCs sowie 47 PTs erbracht wird. Im Gegensatz dazu belief sich die Arbeitsleistung der Behörden in der CEPT auf lediglich ein bis drei Tagungen pro Jahr, für die ein organisatorischer Rahmen von nur fünf technischen Arbeitsgruppen für Normungsfragen zur Verfügung stand679. Diese Zahl ist symptomatisch dafür, daß die CEPT den deutlich gestiegenen Anforderungen der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes bis Ende 1992 und specialer der Schaffung eines Gemeinsamen Europäischen Telekommunikationsmarktes mit ihrer bisherigen Arbeitsweise und Zusammensetzung- vertreten waren lediglich die öffentlichen Verwaltungen, jedoch keine anderen interessierten Kreise - nicht mehr gewachsen war. Dabei hat das ETSI selbst im Vergleich mit der Gemeinsamen Europäischen Normungsinstitution CEN/CENELEC - trotz deren im Grünbuch der EGKommission zur Entwicklung der europäischen Normung attestierten "spektakulär", nämlich um den Faktor zehn, gestiegenen Arbeitsleistung - eine mehr als beeindruckende Effizienz entwickelt. Diese manifestiert sich unter anderem in dem "zentralen Ziel" einer regulären Normerstellungszeit von weniger als einem Jahr, welche ETSI in dringenden Fällen durch den Einsatz von Projektteams und Sonderkomitees sogar noch weiter verringern kann, damit die ETS nicht die rasant fortschreitende Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechniken behindern. Möglich wird dies zum einen durch die konsequente Verwirklichung der zentralen Normungsprinzipien, d.h. dem konsensualen Diskurs fachkompetenter Vertreter aller interessierten Kreise und der Öffentlichkeit unmittelbar auf europäischer Ebene680. Während traditionell die Normung im Telekommunikationsbereich allein den öffentlichen Verwaltungen in der CEPT vorbehalten war 681 , stellt heute das ETSI durch die gründliche und 678 In diesem Zusammenhang wird berichtet, daß der ehemalige Präsident des Europaparlaments, Lord Henry Plumb, zwei Autotelefone installiert hatte, um wenigstens in Belgien, Luxemburg und Frankreich erreichbar zu sein. Krumrey, H., Normen - Macht der Prädikate, S. 73. 679 Rosenbrock, K. H., ETSI, S. 5. 680 Vgl. Kap. II.B.l.b)cc), Kap. II.B.l.b)dd) und insbesondere Kap. II.B.l.c). Vgl. femer zu den Hauptnormenmerkmalen Kap. I.A.3.d). 681 Auch die technischen Ausschüsse der CEPT arbeiteten auf der Grundlage der konsensualen Einigung. War es den Mitgliedern eines technischen Ausschusses jedoch nicht möglich, eine einheitliche Meinung zu erzielen, verschleppten diese entweder die Diskussionen, oder gaben Empfehlungen mit Wahlmöglichkeiten. Somit konnten Minderheiten die Normungsarbeiten innerhalb der CEPT spürbar verzögern oder einheitliche Ergebnisse sogar ganz verhindern. Diesem Dilemma begegnet das ETSI durch das

798

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

umfassende Konsultation aller interessierten Kreise auf jeder Ebene von Forschung und Entwicklung (F&E) bis zum Endbenutzer sicher, daß die ETS nicht nur der wissenschaftlich-technischen Entwicklung, sondern vor allem auch den Bedürfnissen sämtlicher Betroffener bzw. Interessierter bestmöglich gerecht werden und deshalb eine zügige Umsetzung durch die nationalen Normenorganisationen ebenso wie die anschließende breite Anwendung durch die Marktteilnehmer gewährleistet ist. "Die ETS-Normen (sie) sind damit das Ergebnis einer Partnerschaft all jener, die vom europäischen Fernmeldebereich betroffen sind." 682 Die Effizienz des ETSI gründet sich zum anderen auf den Einsatz modernster Organisations- und Managementmethoden, wie beispielsweise die Realisierung effizienter, sachorientierter Entscheidungsstrukturen durch klare Zielvorgaben i.V.m. der konsequenten Delegation der Entscheidungskompetenz an die jeweils unterstmögliche Ebene oder die Einführung der Managementphilosophie des "Total Quality Management" (TQM) 6 8 3 im ETSI 6 8 4 . Dabei wird das Verhältnis der rechtssetzenden Organe der Europäischen Union zu den europäischen Normenorganisationen bis heute im wesentlichen durch die am 13. November 1984 geschlossene Vereinbarung über "Allgemeine Leitsätze für die Zusammenarbeit zwischen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und den europäischen Normenorganisationen Europäisches Komitee für Normung (CEN) und Europäisches Komitee für Elektrotechnische Normung (CENELEC)" determiniert, welche entsprechende Vereinbarungen aus dem Jahre 1974 abgelöst hat. Diese Vereinbarungen, die keinen Vertragsrang besitzen, werden ergänzt durch 1985 abgeschlossene und 1989 erneuerte "Rahmenverträge betreffend die Ausarbeitung Europäischer Normen", welche die eigentliche Rechtsgrundlage für die Normungsaufträge ("Mandate") der Kommission an CEN/CENELEC darstellen. Eine darüber hinausgehende rechtliche oder gar gesetzliche Grundlage für die europäische Normung gibt es nicht. Die europäischen Normenorganisationen führen als privatrechtliche Körperschaften die Aufstellung und Verbreitung Europäischer Normen im Rahmen ihrer Statuten als eine ihrer satzungsgemäßen Aufgaben durch. Allerdings setzen die Richtlinie des Rates über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften 685, die Schlußfolgerungen des Rates zur

indikative Abstimmen im TC und ggf. durch die nationale Abstimmung in der Technischen Versammlung, wobei diese in drei Jahren lediglich über drei Fälle zu entscheiden hatte. Rosenbrock, K. H., ETSI, S. 12. 682 DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 8; ETSI, ETSI, S. 2, 4 und 6; Rosenbrock, Κ. H., ETSI, S. 6; Wengel, J., Europäisches Normungsgeschehen, S. 33. 683 Vgl. Kap. I.D.2.b). 684 Vgl. die Ausführungen in Fn. 197 in Kap. II.B.l.b)dd). 685 RL 83/189/EWG.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

799

Normung 686, die Entschließung des Rates über Leitlinien einer neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung 687 und die Entschließung des Rates zur Funktion der europäischen Normung in der europäischen Wirtschaft 688 die Existenz der europäischen Normenorganisationen voraus und enthalten somit indirekt deren rechtliche Anerkennung. Zusammen mit den genannten Vereinbarungen und Rahmenverträgen bilden diese Rechtsakte den rechtlichen Rahmen für die technische Normung auf europäischer Ebene689. Ungeachtet der beachtlichen Erfolge der europäischen Normenorganisationen und der daraus seit der Verfolgung der "Neuen Konzeption" resultierenden großen Fortschritte bezüglich der Beseitigung der technischen Handelshemmnisse und der Verwirklichung des Gemeinsamen Europäischen Marktes bzw. Binnenmarktes ist die Integration der privaten technischen Normenwerke in die europäische Rechtsordnung bislang nur mangelhaft gelungen. Die einzigen auf europäischer Ebene praktizierten Rezeptionsmethoden, die eine allgemeine rechtliche Verbindlichkeit der technischen Normen gleichermaßen für Normadressaten, Behörden und Gerichte erzeugen - nämlich die Inkorporation und die datierte Verweisung - finden in der "Neuen Konzeption" keine Berücksichtigung690. Hingegen begründet die Einhaltung der in den Harmonisierungsrichtlinien nach der "Neuen Konzeption" regelmäßig durch normkonkretisierende allgemeine Verweisung rezipierten Europäischen Normen lediglich eine widerlegbare Vermutung der Richtlinienkonformität, indem die Verwaltungen der Mitgliedsstaaten angewiesen werden, normenkonforme Erzeugnisse als den "grundlegenden Anforderungen" der Richtlinien genügend anzusehen. Infolge der Überprüfungs- und Abweichungskompetenz der Behörden bezüglich der rezipierten Europäischen Normen im Rahmen des Schutzklauselverfahrens konkretisiert abschließend erst der jeweilige individuelle Verwaltungsakt die schütz- und sicherheitstechnischen Anforderungen an den Normadressaten, so daß die Rechtsunsicherheit gegenüber dem Verfahren der gegenseitigen Anerkennung zwar verringert, aber bei weitem noch nicht beseitigt worden ist. Als zweites wesentliches Fazit ist der erhebliche Bedeutungszuwachs der Europäischen Normen infolge ihrer systematischen Rezeption in den Richtlini-

686

Schlußfolgerungen des Rates (Anhang I der Entschließung 85/C 136/01). Leitlinien des Rates (Anhang II der Entschließung 85/C 136/01). 688 Entschließung des Rates 92/C 173/01 "Funktion der europäischen Normung". 689 Vgl. dazu auch Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 348. 690 Nach Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 352 f. ist die rechtsverbindliche Verweisung auf Europäische Normen auch im Rahmen der nationalen Umsetzung der EU-Richtlinien nach der "Neuen Konzeption" unzulässig. 687

800

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

en nach der "Neuen Konzeption" hervorzuheben. Obwohl die Europäischen Normen selbst de jure nach wie vor rechtlich unverbindlich bleiben, erlangen sie de facto durch die Rezeption in den Richtlinien der "Neuen Konzeption" eine rechtliche Bedeutung, die über ihren originären Charakter als private, auf freiwillige Anwendung gerichtete Empfehlungen der europäischen Normenorganisationen für ein einwandfreies Verhalten weit hinausreicht. Zugunsten des Sicherheitspflichtigen Normadressaten erzeugt die normkonkretisierende allgemeine Verweisung erhebliche Beweiserleichterungen beim Nachweis der Einhaltung der grundlegenden Anforderungen der Harmonisierungsrichtlinien. Namentlich ist die Zertifizierung und damit der Nachweis der Richtlinienkonformität durch das CE-Zeichen bei normenkonformen Produkten deutlich vereinfacht. Um diese Beweisvorteile zu erlangen und Beanstandungen durch die Behörden des Importlandes zu vermeiden, halten die exportierenden Unternehmen die rezipierten Europäischen Normen weitgehend ein, auch wenn es ihnen formal freisteht, von diesen abzuweichen und auf dem Wege der Einzelzulassung nachzuweisen, daß sie die in nationales Recht überführten Anforderungen der Harmonisierungsrichtlinie erfüllen. Denn dieser Weg ist vergleichsweise teuer, zeitraubend und wegen der Beweislast des Herstellers riskant 691. Welcher Rechtsunsicherheit sich die Hersteller bei nicht normenkonformen Produktionsweisen aussetzen, zeigt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im "Holzbearbeitungsmaschinen-Fall"692, in welchem der Gerichtshof erhebliche Schwierigkeiten bei der Feststellung der Vergleichbarkeit des Sicherheitsniveaus der unterschiedlichen technischen Lösungen konstatierte. Die gleichen Probleme können sich für einen Hersteller ergeben, der ein durch eine Richtlinie nach der "Neuen Konzeption" geregeltes Produkt nicht konform zu den Europäischen Normen zu produzieren beabsichtigt. Der Produzent riskiert damit die Ablehnung der Verkehrsfähigkeit seines Produktes im Binnenmarkt und damit in der Regel erhebliche, unter Umständen sogar existenzgefährdende Verluste 693. Darüber hinaus müssen andere EU-Mitgliedsstaaten gemäß den Regelungen der meisten Richtlinien nach der "Neuen Konzeption" die Entscheidung der nationalen Zulassungsstellen nicht anerkennen, so daß die Zulassung unter Umständen nur in einem Mitgliedsstaat gilt. Im Ergebnis erzeugen die harmonisierten Europäischen Normen, obwohl sie konzeptionell nicht zwingend vorgeschrie-

691 Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 352; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 204; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1182 f. 692 EuGH, Rs. 188/84 "Vertragsverletzung - Zulassung von Holzbearbeitungsmaschinen", Slg. 1986, S. 419. Vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(l)(a)(bb). 693 Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 204.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

801

ben sind, gegenüber dem Normadressaten faktisch einen der rechtlichen Verbindlichkeit gleichgestellten Zwang zur Befolgung 694. Bemerkenswerter Weise haben, wie bereits in Kapitel II.B.l.c), ausgeführt, die europäischen Normungsaktivitäten und der Umfang des europäischen Normenwerkes - ungeachtet der Funktion der technischen Normung als technischökonomisches Regelungssystem und der Aussicht der ökonomischen Vorteile eines Gemeinsamen Europäischen Marktes bzw. Binnenmarktes - erst infolge der systematischen Rezeption Europäischer Normen durch die Harmonisierungsrichtlinien nach der "Neuen Konzeption" bzw. auf elektrotechnischem Sektor durch die Niederspannungsrichtlinie 695 einen nennenswerten Umfang angenommen. So stieg die Zahl der Europäischen Normen einschließlich der Norm-Entwürfe von 700 im Jahre 1980 über 1.750 im Jahre 1985 und 4.950 im Jahre 1989 auf rund 8.000 Anfang 1996. Diese rapide Zunahme des Normungsvolumens verdeutlicht die Arbeitsleistung, welche in den europäischen Normenorganisationen seit der Änderung der grundlegenden politischen Vorgaben Mitte der achtziger Jahre erbracht wird 696 . Die Intensivierung der europäischen Normungsarbeiten weist damit enge Parallelen zu entsprechenden Beobachtungen in der Bundesrepublik Deutschland auf, wo die systematische Bezugnahme auf technische Normen im Gerätesicherheitsgesetz697 die Ausarbeitung von Normen mit sicherheitstechnischen Festlegungen nicht nur für Arbeitsmittel, sondern auch für den Bereich von Heim und Freizeit beschleunigt hat 698 . Dies läßt den Schluß zu, daß nicht allein die Gestaltungsmöglichkeit der gemeinsamen technisch-ökonomischen Regeln, sondern erst die Möglichkeit der Partizi694

Dieser reicht über die durch die normkonkretisierende allgemeine Verweisung im deutschen Recht begründete widerlegliche Vermutungswirkung weit hinaus. Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1183 f. Vgl. auch Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 174; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 352, 363; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 204. 695 Aus der Niederspannungsrichtlinie resultierte eine wesentliche Intensivierung und Ausweitung der Arbeiten von CENELEC. CENELEC, Elektrotechnische Normen, S. 3, 7; dass., Catalogue 1992, S. 2 f.; Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 131. Bis zum Jahre 1992 sind zu ihrer Ausfüllung etwa 400 EN und HD für die elektrische Sicherheit eingeführt worden, die zu knapp 90 % auf internationalen Normen basieren. Lehmann, K , Sicherheitstechnik, S. 35. 696 Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 70. Für die Richtlinie über persönliche Schutzausrüstungen sind im Zeitraum von nur zwei Jahren über 60 Europäische Norm-Entwürfe erarbeitet worden, zur Konkretisierung der Maschinenrichtlinie über 30 Normen und Norm-Entwürfe. Lehmann, K , Sicherheitstechnik, S. 35 f. 697 Zum Normen- und Regelsystem der Gerätesicherheit und der überwachungsbedürftigen Anlagen vgl. Kap. II.A.l.c)dd)(4). 698 Lehmann, K , Sicherheitstechnik, S. 35.

Zubke-von Thünen

802

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

pation an der Setzung der rechtlichen Rahmenbedingungen die interessierten Kreise zur Erbringung der hohen materiellen wie immateriellen Leistungen bewegt, welche die Durchführung eines derart gigantischen Projektes wie die Beseitigung der technischen Handelshemmnisse im Interesse der Verwirklichung eines Gemeinsamen Europäischen Marktes erfordert. Hinsichtlich der europäischen Normenorganisationen ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Richtlinie und technischer Normung im Rahmen der "Neuen Konzeption" eine wesentliche Verschiebung des bisherigen Kräfteverhältnisses zwischen Rechtssetzung und Normung. Denn den europäischen Normenorganisationen werden durch die gesetzgebenden Organe der Europäischen Union in weitreichendem Maße die Ausarbeitung der sicherheitstechnischen Regelungen zum Schutz von Leben, Körper, Gesundheit und Sachgütern des Menschen sowie der Umwelt mit bis zu einem gewissen Grade bindender Wirkung für die Mitgliedsstaaten überlassen 699. Aufgrund der unbestimmten gesetzlichen Vorgaben beinhaltet diese Delegation nicht nur die Festlegung technischer Sachverhalte, sondern auch das Treffen volitiver normativer bzw. politischer Wertentscheidungen unter Abwägung unterschiedlicher Interessen und Rechtsgüter 700. Nicht mehr die rechtssetzenden Organe der Europäischen Union oder der Mitgliedsstaaten, sondern die interessierten Kreise innerhalb der europäischen Normenorganisationen bestimmen, welches konkrete Sicherheitsniveau innerhalb der weiten Bandbreite der rechtlichen Regelung für den jeweiligen Regelungsgegenstand ausreichend ist und wo konkret die Grenze zwischen "erlaubtem (Rest-)Risiko" und "rechtswidriger Gefahr" verläuft 701 . "Nicht die abstrakten qualitativen Zielvorgaben der Richtlinien enthalten die wirksamen Steuerungskonzepte, sondern die europäischen Techniknormen." 702 Damit übergibt die "Neue Konzeption" einen großen Teil der Gesetzgebungsmacht an die europäischen Normenorganisationen, die entsprechend den Bestimmungen der Unions Verträge originär die europäischen rechtssetzenden Organe besitzen 703 . Diese in Frankreich explizit geäußerte Ansicht 704 wird in der Bundesrepublik

699

S. 359. 700

Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht,

Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 175 ff., 230; Rönck, R., Technische Normen als Gestaltungsmittel, S. 207 ff.; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1184 f. 7Ü1 Marburger, P., Bezugnahme, S. 30 f.; Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 354; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1185. 702 Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1185. 703 "Die Neue Konzeption führt somit zu einer faktischen Delegation von Rechtsetzungsmacht." Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1181 u. insbes. 1185 f. 704 Boulin, P., Normalisation, S. 99; ders., Présentation, S. 23.

Β. Auf Ebene der Europäischen Union

803

Deutschland außer von Wissenschaftlern 705 auch von hohen Beamten geteilt, wenn diese ausführen: "Sie [die technischen Harmonisierungsrichtlinien nach der "Neuen Konzeption"] sind aber ohne die sie ergänzenden Europäischen Normen nicht viel wert." "Daß das moderne europäische technische Gesetzgebungswerk ohne die es ergänzenden harmonisierten Europäischen Normen weitgehend Makulatur bleibt, hat die Praxis erwiesen ..." 7 0 6 Damit bilden wie auf nationaler Ebene die technischen Normen der europäischen Normenorganisationen das materielle schütz- und sicherheitstechnische Kernstück der europäischen Harmonisierungsrichtlinien des Umwelt- und Technikrechts nach der "Neuen Konzeption". Durch diese Rezeption erlangen die Europäischen Normen eine rechtliche Bedeutung, die über den Charakter privater sachverständiger Empfehlungen weit hinausreicht. Wie die nationalen Normenorganisationen auf nationaler Ebene treffen die europäischen Normenorganisationen auf europäischer Ebene Entscheidungen, die wichtige Bereiche des Sozial- und Wirtschaftslebens gestalten und von deren Auswirkungen jedermann mehr oder weniger intensiv betroffen wird, und auf welche die Europäische Union nicht verzichten kann. Damit liegt die Tätigkeit auch der europäischen Normenorganisationen im öffentlichen Interesse oder anders formuliert: Mit der Ausarbeitung und Veröffentlichung Europäischer Normen nehmen die europäischen Normenorganisationen eine öffentliche Aufgabe 707 wahr 708 .

705

Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1181 u. insbes. 1185 f. "So sah sich der Rat - wegen des Fehlens einer ausreichenden Anzahl Europäischer Normen - gezwungen, die EMV-Richtlinie, die Maschinenrichtlinie und jetzt auch die Richtlinie über persönliche Schutzausrüstungen nach kurzer Zeit zu ändern. Dem Hersteller wurde durch diese Änderung ermöglicht, für eine begrenzte Übergangszeit noch nach nationalen Vorschriften produzierte Erzeugnisse in Verkehr zu bringen ..." So der Ministerialrat und Leiter des Referats "Recht und Technik, Normungswesen" Berghaus, H., Erwartungen, S. 90. Was für das europäisch harmonisierte Umwelt- und Technikrecht gilt, gilt in vergleichbarer Weise für das öffentliche Beschaffungswesen: Auch hier hängt die tatsächliche Öffnung der einzelnen nationalen Beschaffungsmärkte entscheidend davon ab, daß eine ausreichende Anzahl harmonisierter Europäischer Normen vorhanden ist. Berghaus, H., Erwartungen, S. 90. 707 Vgl. zur Lehre von den öffentlichen Aufgaben Schachtschneider, Κ. Α., Freiberufliche Selbstverwaltung, passim; ders., Staatsuntemehmen und Privatrecht, S. 173 ff. 708 Vgl. die entsprechenden Ausführungen von Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 136 bezüglich der Bundesrepublik Deutschland. 706

C. Auf internationaler Ebene Wie in Kapitel II.B ausgeführt, existieren auf supra- und internationaler Ebene wenigstens 338 Organisationen, welche normungs- und normungsverwandte Aktivitäten durchführen. Von diesen sind auf internationaler Ebene insbesondere drei private, rechtlich eigenständige internationale Normenorganisationen von Bedeutung: Die "International Organization for Standardization " (ISO), die "International Electrotechnical Commission " (IEC) und die "International Telecommunication Union" (ITU). Dabei ist eine internationale Normenorganisation definiert als eine Normenorganisation, "deren Mitgliedschaft dem entsprechenden nationalen Institut aller Länder offensteht" 1. Ungeachtet der in den Kapiteln I I und II.B.l dargelegten zunehmenden Vernetzung der Normungsebenen werden die folgenden Ausführungen bezüglich der Organisation der internationalen Normung im Interesse der Begrenzung des Umfangs der Arbeit zum einen in der Breite auf ISO, IEC und ITU sowie zum anderen in der Tiefe auf die Wiedergabe der wesentlichen Eckdaten dieser Organisationen beschränkt. Ersteres ist legitim wegen der weit überragenden Bedeutung der drei genannten Normenorganisationen auf der internationalen Ebene, letzteres aufgrund des abnehmenden Grenznutzens bezüglich der Gewinnung neuer Erkenntnisse durch weitergehendere Analysen: Denn die Prinzipien der Aufbau- und Ablauforganisation der genannten Organisationen sind weitestgehend vergleichbar mit denen der Gemeinsamen Europäischen Normungsinstitution CEN/CENELEC. Im Hinblick auf die übrigen normschaffenden, aber auch die anderen an der technischen Normung interessierten Institutionen sei noch ergänzend angemerkt, daß deren Zusammenarbeit mit ISO, IEC und ITU - ähnlich wie auf nationaler Ebene in einigen EU-Mitgliedsstaaten2 und auf europäischer Ebene3 in erheblichem Umfang formal geregelt ist. So kooperieren beispielsweise ISO und IEC zum Zwecke des gegenseitigen Informationsaustausches und der Ko-

1

CEN/CENELEC, EN 45 020: 1993-09, S. 19, Abschn. 4 Nr. 4.4.3. Vgl. z.B. in der Bundesrepublik Deutschland bezüglich des DIN Kap. ILA. La) dd)(4). 3 Vgl. Kap. II.B. 2

C. Auf internationaler Ebene

805

ordination der Normungsarbeiten mit 510 bzw. 200 internationalen Organisationen4.

1. Die Organisation der internationalen Normung a) Die "International Organization for Standardization " (ISO) aa) Geschichte Die Geschichte der internationalen technischen Normung geht zurück auf den 24.-26. September 1886, als in Dresden die erste internationale Normungskonferenz unter nordamerikanischer, russischer und europäischer Beteiligung stattfand. Gegenstand der Konferenz war ein Diskurs über die Notwendigkeit einer internationalen technischen Normung für die Materialprüfung unter Berücksichtigung der neuen und drängenden Erfordernisse sowohl der Wissenschaft als auch der Gesellschaft 5. Doch erst 40 Jahre nach dieser Konferenz und 20 Jahre, nachdem die IEC als erste internationale Normenorganisation entstanden war, wurde im Jahre 1926 die Gründung der "Federation of the National Standardizing Associations" (ISA) auf einer Konferenz in New York beschlossen und zwei Jahre später in Prag vollzogen6. Nachdem die ISA ihre Aktivitäten aufgrund des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1942 einstellen mußte, entschieden sich die Delegierten von 25 nationalen Normenorganisationen im Oktober 1946 auf einer Konferenz in London für die Gründung einer neuen internationalen Normenorganisationen, der "International Organization for Standardization" (ISO) 7 , welche als Nachfolgeorganisation der ISA am 23. Februar 1947 ihre Arbeit aufnahm 8. bb) Organisation und Aufgabe Die Organisation der "International Organization for Standardization", abgekürzt ISO 9 , ist die einer privatrechtlichen Körperschaft schweizerischen 4 Zahlenangaben für 1996, entnommen aus: IEC, 1996 Catalogue, S. 4; ISO, ISO in figures, S. 4. 5 Feilden, G. Β. R., The Dresden Conference, S. 5. 6 Junker, G. H., ISA, S. 25. 7 ISO, Statutes and Rules of Procedure, Vorwort; dies., Introduction to ISO, S. 1. 8 Ailleret, P., IEC - The First International Standards Body, S. 21; Grey, V., ISO, S. 46; ISO, Introduction to ISO, S. 1; UTE, Qu'est-ce que Tute?, S. 1. 9 ISO, Statutes, Art. 1. Dabei ist ISO, wie bereits aus der Buchstabenfolge erkenntlich, keine Abkürzung des Namens "International Organization for Standardization",

806

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Rechts mit Sitz in Genf, Schweiz10. Organe der ISO sind die jährlich stattfindende "Generalversammlung" ("General Assembly") der Mitglieder 11, ein "Rat" ("council"), ein "Technischer Managementvorstand" ("Technical Management Board"), "Technische Komitees" ("Technical Committees") und ein "Zentralsekretariat" ("Central Secretariat") 12. Die Führung der Organisation obliegt einem "Präsidenten" ("President"), zwei "Vizepräsidenten" ("Vice-Presidents"), einem "Schatzmeister" ("Treasurer") und einem "Generalsekretär" ("Secretary-General") 13. Zur Entwicklung ihrer Politik hat der Rat der ISO vier ("Policy Developement Committees") "Politik-Entwicklungskomitees" CASCO ("Conformity assessment"), COPOLCO ("Consumer needs")14, DEVCO ("Developing country needs") und INFCO/ISONET ("Information systems for standards and conformaty assessment") - eingesetzt15, die allen Mitgliedern mit Ausnahme der "Abonnement Mitglieder" ("subscriber members") offenstehen 16. Im Jahre 1996 waren im Zentralsekretariat der ISO in Genf 170 Mitarbeiter beschäftigt; hinzu kommen 500 Mitarbeiter in den technischen Sekretariaten der Technischen Komitees und Unterkomitees, die von den 34 Mitgliedsorganisationen, welche die Sekretariate übernommen haben, gestellt werden17. Die Mitgliedschaft in der ISO steht der hinsichtlich der technischen Normung im jeweiligen Land bedeutendsten nationalen Normenorganisation als "Mitgliedsorganisation" ("member body") und für die Länder ohne Mitgliedsorganisation der an der internationalen Normung interessierten nationalen Organisation als passives Mitglied (entweder als "correspondent member" oder als

sondern steht für das griechische "isos", welches "gleich" bedeutet. ISO, Introduction to ISO, S. 1 f. 10 ISO, Statutes, Art. 17 Nr. 17.1 i.V.m. 17.2. Vgl. auch AFNOR, Stratégies normatives, S. 4; Tourneur, J. C., LAFNOR, S. 2. 11 Jedes Mitglied darf maximal drei Delegierte entsenden, die jedoch durch eine zumindest in den Statuten nicht begrenzte Anzahl an Beobachtern begleitet werden dürfen. ISO, Statutes, Art. 6 Nr. 6.1 und 6.3; dies., Rules of Procedure, Clause 2 Nr. 2.1. Indem jede Mitgliedsorganisation über eine Stimme verfügt - passive Mitglieder dürfen in der Generalversammlung nur durch nicht stimmberechtigte Beobachter vertreten sein (ISO, Statutes, Art. 6 Nr. 6.5 und 6.6) -, ist eine den demokratischen Grundsätzen genügende Willensbildung innerhalb der ISO gewährleistet. 12 ISO, Statutes, Art. 5 Nr. 5.1. 13 Ebd., Art. 5 Nr. 5.2. 14 Bereits im Jahre 1965 wurde das ISO/TC "Verbraucherfragen" gegründet. Hüttenrauch, R., Endverbraucher, S. 286. 15 ISO, Powers and responsibilities, Abschn. 1 Abs. 2 Spstr. 5. 16 ISO, Statutes, Art. 6 Nr. 6.7 i.V.m. dies., Rules of Procedure, Clause 2 Nr. 2.7. 17 ISO, ISO infigures, S. 1.

C. Auf internationaler Ebene

807

"subscriber member") ohne Stimmrecht offen 18, wobei nur ein Mitglied pro Land zugelassen ist 19 . Im Jahre 1996 waren in der ISO 118 Staaten durch ihre nationale technische Normenorganisation oder eine andere an der internationalen Normung interessierte nationale Institution vertreten 20. Aufgabe der ISO ist die Förderung der weltweiten Entwicklung der technischen Normung und ihr verwandter Aktivitäten im Hinblick auf die Erleichterung des internationalen Austausches von Waren und Dienstleistungen sowie die Unterstützung der Zusammenarbeit in den Bereichen intellektueller, wissenschaftlicher, technologischer und wirtschaftlicher Tätigkeiten21. Dies beinhaltet neben anderem die weltweite Harmonisierung technischer Normen, die Erarbeitung, Herausgabe und Implementierung internationaler Normen sowie die Zusammenarbeit mit anderen internationalen normschaffenden Institutionen22. cc) Kooperation mit IEC und ITU Ihre satzungsmäßige Aufgabe nimmt ISO auf allen Gebieten mit Ausnahme der Elektrotechnik und Elektronik sowie der Telekommunikation wahr, für welche die IEC bzw. die ITU zuständig sind. Um trotz dieser Arbeitsteilung die "Kundenbedürfnisse" eines einheitlichen, widerspruchsfreien internationalen Normenwerkes zu befriedigen, welches unter bestmöglicher Nutzung der von den interessierten Kreisen gestellten Ressourcen innerhalb effizienter und kosteneffektiver Organisationsstrukturen entwickelt wird, arbeiten die drei Organisationen insbesondere auf dem Schnittstellengebiet der Informations- und Kommunikationstechnik eng zusammen23. Dabei hat die Kooperation von ISO und IEC, welche die Organisationen bereits 1947 erstmals schriftlich vereinbarten und 1976 erneuerten 24, wie die entsprechenden Bestrebungen von CEN/ CENELEC auf europäischer Ebene25 zu einer teilweisen Integration der Aufbau- und Ablauforganisation dieses "Systems für die gesamte internationale

18

ISO, Statutes, Art. 3 Nr. 3.1 Pkt. 3.1.1 und 3.1.2. Ebd., Art. 3 Nr. 3.2. 20 Davon hatten 85 den Status eines "member body", 24 (i.d.R. Entwicklungsländer ohne voll entwickelte nationale Normungsaktivitäten) den eines "correspondent members" und 9 (i.d.R. sehr kleine Volkswirtschaften) den eines "subscriber members" inné. ISO, ISO in figures, S. 1; dies., Annual Report 1995, S. 24. 21 ISO, Statutes, Art. 2 Nr. 2.1; vgl. auch dies., Benefits, S. 19. 22 ISO, Statutes, Art. 2 Nr. 2.2 Pkt. 2.2.1, 2.2.2 und 2.2.4 i.V.m. Art. 15. 23 ISO, Annual Report 1995, S. 1 f. 24 Abgedruckt in: Mohr, C., Vereinbarung IEC und ISO, S. 91. 25 Vgl. Kap. II.B.l.a)aa) und Kap. II.B.l.a)bb). 19

808

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Normung" 26 geführt 27: Bezüglich der Aufbauorganisation haben sie eine Reihe von gemeinsamen ISO/IEC-Koordinierungs- und Arbeitsgremien gebildet, u.a. eine "Präsidentengruppe für Politik und Organisation" (GPO) 28 , eine "Strategische ISO/IEC-Umwelt-Beratungsgruppe" ("ISO/IEC Strategie Advisory Group on Environment" (SAGE)) 29 und das "Gemeinsame ISO/IEC Technische Komitee" ("Joint ISO/IEC Technical Committee") JTC 1 "Informationstechnik" ("Information technology")30. Hinsichtlich der Ablauforganisation existieren seit mehreren Jahren gemeinsame, in den dreiteiligen "ISO/IEC-Directives" niedergelegte Regeln für die technische Arbeit, für die Methodik der Erarbeitung internationaler Normen sowie für den Entwurf und die Gestaltung internationaler Normen 31.

26 Diese Bezeichnung haben sich ISO und IEC in ihrer Vereinbarung von 1976 gegeben, was vom Rat der Europäischen Union in seiner Resolution 49/1976 ausdrücklich begrüßt wurde. Vereinbarung und Ratsresolution sind abgedruckt in: Mohr, C., Vereinbarung IEC und ISO, S. 91. Seit einigen Jahren treten ISO und IEC als "International Standardization Union ISO/IEC' auf. DIN, Geschäftsbericht 1988/89 S. 12; Reihlen, H., 40. Präsidiumssitzung, S. 2 f.; ders., 39. Präsidiumssitzung, S. 3. 27 Um angesichts der Entwicklung der Elektrotechnik und Elektronik zu Querschnittsdisziplinen Reibungsverluste in der Zusammenarbeit dieser zwei eigenständigen Körperschaften zu vermeiden, wird immer wieder die Vereinigung von ISO und IEC gefordert. DIN, Geschäftsbericht 1988/89, S. 14; Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 7; Reihlen, H., 41. Präsidiumssitzung, S. 2. 28 DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 7. 29 Dieses trägt dafür Sorge, daß alle TCs bei der Aufnahme neuer Arbeiten die Rückwirkung auf die Umwelt berücksichtigen und die Ergebnisse in ihren jährlichen Berichten nachweisen. DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 7 f. Vgl. dazu auch Vieweg, K , Produktbezogener Umweltschutz, S. 540 f. Daneben existieren u.a. ein "Joint Technical Programming Committee" (JTPC), das sich um gemeinsame Lösungen bei strittigen Zuständigkeiten bemüht, ein "ISO/IEC Advisory Board on Technological Trends" (ABTT), welches Gebiete identifiziert, in denen eine weltweite Vornormung sinnvoll erscheint, und eine "Harmonization Working Group" (HWG), welche für die Vereinheitlichung der Verfahren der Normenerarbeitung beider Organisationen zuständig ist. DKE, Geschäftsbericht 1991, S. 8; ISO/ IEC, Directives Part 1, Abschn. 1.3 Nr. 1.3.1; Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 7. 30 Dies ist bislang das einzige gemeinsame Arbeitsgremium von ISO und IEC. ISO, Compatible technology worldwide, S. 9. 31 ISO/IEC, Directives Part 1; dies., Directives Part 2; dies., Directives Part 3. Diese beinhalten: - Part 1 : Procedures for the technical work; - Part 2: Methodology for the developement of International Standards; und - Part 3: Drafting and presentation of International Standards.

C. Auf internationaler Ebene

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dd) Normungsverfahren und Normenwerk Gemäß den Festlegungen der ISO/IEC-Directives entspricht das Normungsverfahren von ISO im wesentlichen dem von CEN/CENELEC 32 , indem Normungsanträge in der Regel von den nationalen Mitgliedsorganisationen gestellt werden33, die im Falle von deren Annahme unter Beachtung der zentralen Verfahrenseckpunkte der technischen Normung - insbesondere der Beteiligung aller interessierten Kreise und der Öffentlichkeit im Rahmen eines konsensualen Diskurses zum Normungsgegenstand mit dem Ziel der Verwirklichung des Gemeinwohls - für die Erarbeitung eines gemeinsamen nationalen Standpunktes zuständig sind, den anschließend eine Delegation in den internationalen Normungsgremien vertritt 34. Ergebnis dieses Normungsverfahrens sind anerkannte internationale Normen 35. Für die technische Normungsarbeit in der ISO zeichnen 2.856 technische Gremien- 185 "Technische Komitees" ("Technical Committees" (TC)), 611 "Unterkomitees" ("Sub-Committees" (SC)), 2.022 "Arbeitsgruppen" ("Working Groups" (WG)) und 38 "spontane Studiengruppen" ("Ad Hoc Study Groups") - verantwortlich 36. Diese Gremien halten bei einem jährlichen Arbeitsprogramm von 7.176 Normungsprojekten37 jedes Jahr 1.676 technische Sitzungen ab, wobei jeden Tag im Mittel 15 technische Sitzungen irgendwo auf der Welt stattfinden 38. Ende 1995 umfaßte das Normenwerk der ISO 10.189 internationale Normen, entsprechend einem Umfang von 213.810 Seiten in englischer und französi-

32

Vgl. dazu Kap. II.B.l.a)cc). Daneben können Normungsanträge von Gremien oder Personen der ISO und IEC selbst - von dem Sekretariat des betreffenden TC oder SC, einem anderen TC oder SC, dem 'Technischen Managementvorstand" ("Technical Management Board"), einem seiner Beratungsgruppen ("Advisory Group") und dem Geschäftsführer ("Chief Executive Officer") - sowie einer anderen, mit ISO oder IEC zusammenarbeitenden Organisation, jedoch nicht von Bürgern gestellt werden. ISO/IEC, Directives Part 1, Abschn. 2 Nr. 2.3.2; vgl. auch IEC, Structure and Operations, S. 4. 34 Der Normungsprozeß gliedert sich in sechs "Phasen" ("stages"), die bei geeigneten Vorarbeiten zum Teil auch übersprungen werden können: "Vorschlagsphase" ("Proposal stage"), "Vorbereitungsphase" ("Preparatory stage"), "Komitee-Phase" ("Committee stage"), "(nationale und öffentliche) Umfragephase" ("Enquiry stage"), "Anerkennungsphase" ("Approval stage") und "Veröffentlichungsphase" ("Publication stage"). ISO/IEC, Directives Part 1, Abschn. 2; vgl. auch IEC, Structure and Operations, S. 4 ff.; ISO, Stages of the developement, passim. Vgl. dazu auch die vier Hauptaufgaben der ISO-Mitgliedsorganisationen in: ISO, Introduction to ISO, S. 3 f. 35 ISO, Statutes, Art. 4. Nr. 4.2. 36 Zahlenangaben für Anfang 1996, entnommen aus: ISO, ISO in figures, S. 1. 37 Zahlenangaben für das Jahr 1995, entnommen aus: ebd., S. 3. 38 Zahlenangaben für das Jahr 1995, entnommen aus: ebd., S. 4. 33

810

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

scher Sprache. Dabei ist das Normen werk seit 1990 in einer annähernd linearen Zunahme um durchschnittlich 482 technische Normen jährlich angewachsen39. ee) Finanzierung der Normungsarbeit Die ISO verfügte im Jahre 1995 über ein Budget von 29,5 Mio. SFR; dessen Finanzierung erfolgte zu 62,4 % durch Mitgliedsbeiträge, zu 31,9 % durch Verkaufserlöse, zu 2,5 % durch Abonnements des "ISO 9000 Forums" und zu 3,2 % durch "Sonstiges"40. Dabei macht dieser Haushalt nur etwa 20 % der tatsächlichen jährlichen operativen Ausgaben der ISO in Höhe von rund 150 Mio. SFR aus; die übrigen 80 % werden durch die 34 Mitgliedsorganisationen aufgebracht, welche die Sekretariate der TC und SC innehaben und die dafür notwendigen Ressourcen bereitstellen41. b) Die "International Electrotechnical

Commission " (IEC)

aa) Geschichte Die Geschichte der internationalen elektrotechnischen Normung beginnt mit dem ersten internationalen Kongreß der Elektriker in Paris vom 1. August bis 15. September 1881, auf welchem der Grundstein der elektrischen SI-Einheiten gelegt wurde. In Folge dieser und einer Vielzahl weiterer Konferenzen sowie der Gründung der "Internationalen Gesellschaft der Elektriker" ("Société International des Électriciens") im Jahre 1883 42 haben Regierungsdelegierte auf ihrer Sitzung im Rahmen des Internationalen Elektrizitätskongresses in St. Louis, USA, im September 1904 die Gründung der "International Electrotechnical Commission" (IEC) als weltweit erste internationale Normenorganisation beschlossen. Dieser Beschluß wurde mit der Ausarbeitung der Satzung auf der ersten Sitzung der Organisation im Jahre 1906 in London vollzogen43. Besondere Erwähnung verdient, daß auf Bestreben des ersten IEC-Generalsekretärs ("Secretary-General") Charles Le Maître das Konsensprinzip als "praktisch einstimmige Zustimmung" der an der Normungsarbeit beteiligten interessierten

39

Ebd., S. 2. ISO, Annual Report 1995, S. 27. 41 ISO, ISO infigures, S. 1. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. II.C.l.a)bb). 42 Die spätere "Société des Électriciens et Électroniciens" (SEE). UTE, Qu'est-ce que l'ute?, S. 1. 43 Ailleret, P., IEC - The First International Standards Body, S. 16; IEC, Statutes, Preamble; Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 3; UTE, Qu'est-ce que l'ute?, S. 1. 40

C. Auf internationaler Ebene

811

Kreise von Beginn an zu einer Grundlage der Normungsarbeiten erhoben wurde 44 . bb) Organisation und Aufgabe Die Organisation der "International Electrotechnical Commission", abgekürzt IEC, entspricht bis heute der einer korporativen Vereinigung in Form einer juristischen Person in Übereinstimmung mit den Art. 60 ff. des schweizerischen Zivilrechts mit Sitz in Genf, Schweiz45. Höchstes Organ der IEC ist die als "Rat" ("Council") bezeichnete "Generalversammlung" ("General Assembly") 46 , der neben den Präsidenten der als Vollmitglieder eingeschriebenen nationalen Komitees auch folgende Führungspersönlichkeiten der IEC angehören 47: Der "Präsident" ("President"), der "unmittelbare Altpräsident" ("Immediate Past President") oder der "künftige Präsident" ("President Elect"), die maximal drei "Vizepräsidenten" ("Vice-Presidents"), der "Schatzmeister" ("Treasurer") und der "Generalsekretär" ("Secretary-General") 48. Während die Präsidenten der Vollmitglieder unabhängig von der Höhe ihrer Beitragszahlung über eine Stimme verfügen 49, sind die Präsidenten der assoziierten Mitglieder nicht stimmberechtigt und nur als Beobachter im Council vertreten 50. Weitere Organe

44 Allerdings konnte bereits damals ein Konsens aller beteiligten Parteien nicht in gleichem Maße auf sämtlichen Gebieten erzielt werden. Im Falle des Verfehlens eines Konsenses mußte eine Autorität der IEC eine Entscheidung treffen. Ailleret, P., IEC The First International Standards Body, S. 16 f. Konsens im Rahmen der internationalen Normungsarbeit der IEC bedeutet allerdings den Konsens der Mitglieder, also der Delegierten der nationalen elektrotechnischen Komitees: "Die gesamte Organisation der IEC ist darauf ausgelegt, die führende Rolle der nationalen Komitees in allen Entscheidungsinstanzen der Kommission sicherzustellen. Dies ermöglicht den weitreichendsten Grad an Konsens über die Normungsarbeit, welcher auf internationaler Ebene erreichbar ist. Es ist Sache der nationalen Komitees, ihre Politik auf der nationalen Ebene entsprechend auszurichten." (IEC, Membership and Liaisons, S. 1.) Auf diese Weise soll dann mittelbar der Konsens aller interessierten Kreise und der Öffentlichkeit sämtlicher IEC-Mitgliedsstaaten erzielt werden, den die IEC bis heute i.V.m. der Beteiligung aller "Parteien, die von den Festlegungen der Norm betroffen sind", immer noch als wichtigstes Verfahrensmerkmal der technischen Normung hervorhebt. IEC, International standards and conformity assessment, S. 1. 45 "corporate association with legal entity in accordance with Articles 60 et seq. of the Swiss Civil Code". IEC, Statutes, Art. 1 i.V.m. Art. 3. 46 Ebd., Art. 7. 47 Ebd., Art. 8; IEC, Structure and Operations, S. 1 f. 48 IEC, Statutes, Art. 7. 49 Ebd., Art. 6. Dadurch ist eine den demokratischen Grundsätzen genügende Willensbildung innerhalb der IEC gewährleistet. 50 Ebd., Art. 8.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

der IEC stellen der "Management Ausschuß" ("Management Board") 51, das "Allgemeine Politikkomitee" ("General Policy Committee")52, das "Aktionskomitee" ("Committee of Action")53, das "Zentralsekretariat" ("Central Office") 54, die "Sektorausschüsse" ("Sector Boards")55 sowie die "Technischen Komitees" ("Technical Committees") und "Unterkomitees" ("Sub-Committees")56 dar. Darüber hinaus hat das Council im Jahre 1995 einen "Konformitäts-Beurteilungs-Vorstand" ("Conformity Assessment Executive") eingesetzt57, der die beiden bereits in der IEC bestehenden Konformitäts-Beurteilungsgremien - das "IEC-Gütebestätigungssystem für Bauelemente der Elektronik" ("IEC Quality Assessment System for Electronic Components" (IECQ)) 58 und das "IEC-System für Konformitätsprüfungen nach Sicherheitsnormen für elektrotechnische Erzeugnisse" ("IEC System for Conformity Testing to Standards for Safety of Electrical Equipment" (IECEE)) 5 9 - im Sinne eines geschlossenen Konformitäts-Prüfungssystems vervollständigt. 51

Ebd., Art. 9. Ebd., Art. 10. 53 Diesem obliegt das Management der Normungsarbeiten der IEC, welche durch drei Gruppen ausgeführt wird, die jeweils für ein bestimmtes technisches Gebiet und die dort tätigen Technischen Komitees inklusive Unterkomitees und Arbeitsgruppen zuständig sind: - Group A: General subjects and industrial electrotechnics; - Group B: Electronics, components and applications of information technology; - Group C: Safety, measurements and consumer goods. Bei der Erfüllung seiner Aufgaben wird das Aktionskomitee durch vier Beratungskomitees unterstützt: - "Advisory Committee on Electronics and Telecommunications" (ACET), - "Advisory Committee on Safety" (ACOS), - "Advisory Committee on Electromagnetic Compatibility" (ACEC), und - "Advisory Committee on Environmental Aspects" (ACEA). IEC, Statutes, Art. 11; dies., Structure and Operations, S. 2. 54 IEC, Statutes, Art. 17. 55 Diese wurden auf Beschluß des Councils im Jahre 1995 eingesetzt und fassen Technische Komitees mit gemeinsamen Interessen und Aktivitäten zusammen. IEC, Annual Report 1995, S. 2 f. 56 IEC, Statutes, Art. 18. 57 IEC, Annual Report 1995, S. 3. 58 Das im Jahre 1976 gegründete IECQ wurde Anfang 1982 in die IEC integriert. BSI, BS 0-1: 1991-10/AMD 1993-11 Annex A Nr. A.l; DKE, Normung und Sicherheit, S. 1; Lehmann, M., DKE: Organisation und Arbeitsweise, S. 5; ders., 15 Jahre DKE, S. 7. 59 Das IECEE geht hervor aus der im Jahre 1926 gegründeten "Installations-Fragen Kommission" (IFK) für die technische Normung von Niedervolt-Haushaltsgeräten, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahre 1946 ihren Namen in "Internationale Kommission für die Konformitätszertifizierung elektrotechnischer Erzeugnisse" ("International 52

C. Auf internationaler Ebene

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Die Mitgliedschaft in der IEC steht den nationalen elektrotechnischen Komitees der Länder, welche durch die Vereinten Nationen ("United Nations Organization" (UNO)) offiziell anerkannt sind, als "(Voll-) Mitglied" ("(Full) Member") oder als "assoziiertes Mitglied" ("Associate Member") mit eingeschränkten Rechten und reduzierten Beiträgen unter der Voraussetzung offen, daß diese die nationalen Interessen auf den Tätigkeitsfeldern der IEC vollständig repräsentieren. Dabei ist wie bei der ISO nur ein Mitglied pro Land zugelassen60. Der Mitgliedsstatus - entweder als volles oder assoziiertes Mitglied - wird anhand eines vom Rat verabschiedeten Berechnungsverfahrens der Mitgliedsbeiträge auf der Grundlage der ökonomischen Aktivitäten des sich bewerbenden Landes festgelegt 61. Im August 1996 waren die nationalen elektrotechnischen Komitees von 48 Ländern der Welt in der IEC als Vollmitglieder und die von weiteren 4 Ländern als assoziierte Mitglieder vertreten 62. Satzungsmäßige Aufgabe der IEC ist die Förderung der internationalen Zusammenarbeit in allen Fragen der technischen Normung und verwandten Angelegenheiten, sowie die Überprüfung der Normenkonformität, auf den Gebieten der Elektrotechnik, Elektronik und vergleichbarer Technologien, um so die internationale Verständigung zu unterstützen. Dieses Ziel wird von der IEC unter anderem durch die Herausgabe von Veröffentlichungen einschließlich internationaler Normen verfolgt 63.

Commission for Conformity Certification of Electrical Equipement" (CEE)) und später in "Internationale Kommission für die Regelung der Zulassung elektrischer Ausrüstungen" ("International Commission on the Rules for the Approval of the Electrical Equipment", "Commission internationale de réglementation en vue de l'approbation de l'equipement électrique" (CEE-él)) änderte und im Herbst 1985 in die IEC integriert wurde. Ailleret, P., IEC - The First International Standards Body, S. 21; BSI, BS 0-1: 1991-10/ AMD 1993-11 Annex A Nr. A.l; DKE, Normung und Sicherheit, S. 1; Lehmann, M., 15 Jahre DKE, S. 3, 7. 60 IEC, Statutes, Art. 5. 61 Während zur Erlangung einer Voll-Mitgliedschaft eine berechnete Beitragshöhe über dem niedrigsten, von einem Vollmitglied bezahlten Beitrag erforderlich ist, reicht für die assoziierte Mitgliedschaft ein Wert über der Hälfte des genannten Beitrags aus. Liegt die berechnete Beitragshöhe auch darunter, wird dem sich bewerbenden nationalen elektrotechnischen Komitee der Status eines "registrierten Abonnenten" ("Registered Subscriber") vorgeschlagen; dem Komitee steht jedoch auch eine assoziierte Mitgliedschaft im Falle der Zahlung eines Mitgliedsbeitrages in Höhe der Hälfte des niedrigsten, von einem Vollmitglied bezahlten Beitrags offen. IEC, Statutes, Art. 5 i.V.m. dies., Rules of Procedure, Clause 9. 62 IEC, Membership and Liaisons, S. 1; dies., Membership Directory, S. 1. Diese repräsentieren alle großen Handelsnationen, 85 % der Weltbevölkerung und 95 % der elektrischen Energieerzeugungskapazität. Teichmann, H., Background on IEC, S. 7. 63 IEC, Statutes, Art. 2.

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

cc) Kooperation mit ISO und ITU Zur Erfüllung ihrer Aufgaben kann die IEC mit anderen internationalen Organisationen, welche an ihren Tätigkeitsfeldern interessiert sind, kooperieren. Von besonderer Bedeutung ist die sogar in der Satzung erwähnte enge Zusammenarbeit mit der ISO, die sich gemäß den Ausführungen in Kapitel U.C.l.a) cc) auf eine Vereinbarung über die Bedingungen der Kooperation sowie der Teilung der Verantwortlichkeiten und Aktivitätsfelder im Rahmen der internationalen Normung stützt64, sowie die Zusammenarbeit mit der ITU im Bereich der Informationstechnik und Telekommunikation65. dd) Normungsverfahren und Normenwerk Wie in Kapitel U.C.l.a)cc) dargelegt, gelten aufgrund der weitreichenden Kooperation der IEC mit der ISO für beide Organisationen gemeinsame, in den dreiteiligen ISO/IEC-Directives festgelegte Regeln unter anderem für das Normungsverfahr en\ insofern gilt diesbezüglich das in Kapitel U.C.l.a)dd) im Hinblick auf die ISO Ausgeführte analog für die IEC. Die technische Normungsarbeit in der IEC wird in 897 technischen Gremien - 88 "Technischen Komitees" ("Technical Committees" (TC)), 109 "Unterkomitees" ("Sub-Committees" (SC)) und 700 "Arbeitsgruppen" ("Working Groups" (WG)) 6 6 - von über 10.000 ehrenamtlichen Experten aus aller Welt 67 bewerkstelligt. Im Juli 1996 umfaßte das Normenwerk der IEC über 3.500 internationale Normen und andere Publikationen, entsprechend einem Umfang von rund 130.000 Seiten in englischer und französischer Sprache68. Dabei ist es seit 1990 in einem annähernd progressiven Verlauf um zuletzt im Jahre 1995 etwa 440 Normen mit 17.000 Seiten69 angewachsen70.

64

IEC, Statutes, Art. 4. IEC, Annual Report 1995, S. 14. 66 Ebd., S. 15. 67 Teichmann, H., Background on IEC, S. 8. 68 IEC, Mission, S. 1. 69 IEC, Annual Report 1995, S. 5. 70 Dies entspricht einer Verdopplung der Normenproduktion in fünf Jahren als einem Ergebnis der verbesserten Prozeßstrukturen, unterstützt durch modernste Informations- und Kommunikationstechniken. Teichmann, H., Background on IEC, S. 6. 65

815

C. Auf internationaler Ebene

ee) Finanzierung der Normungsarbeit Die IEC verfügte im Jahre 1995 über ein Budget von 20 Mio. SFR; dessen Finanzierung erfolgte zu 60,7 % durch Mitgliedsbeiträge, zu 25,3 % durch Veröffentlichungen, zu 8,2 % durch Lizenzgebühren und zu 5,8 % durch "Sonstiges"71. Hinzu kommen die Ressourcen für die Sekretariate der TC und SC, die wie bei der ISO auch bei der IEC durch die jeweils zuständigen nationalen Mitgliedskomitees bereitgestellt werden72. Legt man die Zahlenangaben der ISO zugrunde, bei der 800 Sekretariate jährlich Kosten in Höhe von 120 Mio. SFR verursachen, so dürften sich die durch die 200 Sekretariate der TC und SC der IEC verursachten Kosten auf etwa 30 Mio. SFR pro Jahr belaufen, was sich zu jährlichen operativen Ausgaben der IEC von 50 Mio. SFR addieren würde 73. c) Die "International

Telecommunication

Union " (ITU)

aa) Geschichte Die Geschichte der internationalen Telekommunikationsnormung geht zurück auf den 17. Mai 1865, an dem 20 europäische Staaten nach zweieinhalbmonatiger Verhandlungsdauer das erste "Internationale Telegrafen-Abkommen" ("International Telegraph Convention") unterzeichneten und in diesem Zusammenhang die "Internationale Telegrafen-Vereinigung" ("International Telegraph Union") mit Sitz in Bern, Schweiz74, gründeten. Innerhalb dieses Rahmenabkommens wurde neben einheitlichen "Betriebsanleitungen" ("operating instructions") und gemeinsamen internationalen Tarif- und Abrechnungsregeln insbesondere gemeinsame technische Normen für die Telegrafen-Ausrüstung verabschiedet, um die internationale Verbindung der Telegrafen-Netze zu ermöglichen75. Die weitere Entwicklung und Diversifizierung der Telekommunikations-

71 72

se 4.

IEC, Annual Report 1995, S. 12. IEC, Structure and Operations, S. 3 f; vgl. auch dies., Rules of Procedure, Clau-

73 D.h., die Relation von Haushalts- zu Sekretariatskosten beträgt bei der IEC 2:3, im Gegensatz zu 1:4 bei der ISO. 74 Der Beschluß über den Sitz der Vereinigung wurde 1986 auf der Wiener Telegrafen Konferenz gefaßt. ITU, ITU Landmarks, S. 1. 75 Seit der Erfindung des ersten elektrischen Telegrafen im Jahre 1837 und dem ersten öffentlichen Versand einer telegrafischen Nachricht zwischen Washington D.C. und Baltimore, USA, durch Samuel Morse am 24. Mai 1844 mußten telegrafische Nachrichten an ausländische Empfänger aufgrund der Inkompatibilität der nationalen Systeme aufgeschrieben, übersetzt und in Papierform manuell über die Grenze transportiert werden, wo eine erneute Eingabe in das dortige Telegrafen-Netzwerk erforderlich war. ITU,

816

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

techniken führte in den Jahren 1924, 1925 und 1927 zur Gründung der beratenden Ausschüsse "International Telephone Consultative Committee" (CCIF), "International Telegraph Consultative Committee" (CCIT) und "International Radio Consultative Committee" (CCIR) in Paris und Washington, die vor allem für technische Studien und die Erarbeitung internationaler Normen auf ihren Gebieten zuständig waren 76. Um dieser Ausweitung des Tätigkeitsspektrums, welches bereits zu diesem Zeitpunkt alle Arten der Kommunikation durch Leitungen, optische Systeme, elektromagnetische Wellen und andere elektromagnetische Systeme umfaßte, auch hinsichtlich ihrer Titulierung gerecht zu werden, gab sich die Vereinigung im Jahre 1932 mit Wirkung ab dem 1. Januar 1934 ihren bis heute gültigen Namen "International Telecommunication Union" (ITU). Nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs - am 15. Oktober 1947 - erfolgte im Rahmen eines Abkommens mit den Vereinten Nationen ("United Nations Organization" (UNO)) die Eingliederung der ITU als "spezialisierte Geschäftsstelle" ("specialized agency"77) in die UNO; in diesem Zusammenhang verlegte die ITU ein Jahr später den Sitz ihrer Hauptverwaltung nach Genf, Schweiz. Ebenfalls im Jahre 1947 gründete sie das "International Frequency Registration Board" (IFRB) als weiteres ständiges Organ. Nachdem im Jahre 1956 CCIF und CCIT zum "International Telegraph and Telephone Consultative Committee" (CCITT) vereinigt worden waren 78, erfolgte im Jahre 1992 die bislang letzte umfassende Reorganisation von Aufbau- und Ablauforganisation, Managementpraktiken und Arbeitsmethoden der ITU mit dem Ziel, diese auf die Herausforderungen der neuen, zunehmend komplexen, interaktiven und wettbewerbsorientierten internationalen Telekommunikationswelt des dritten Jahrtausends vorzubereiten 79. Dabei wurden die ITU-Organe CCITT, CCIR und

ITU's History, S. 1; dies., ITU: a historical perspective, S. 3; dies., ITU Landmarks, S. 1. 76 ITU, ITU's History, S. 1; dies., ITU: a historical perspective, S. 6; dies., ITU Landmarks, S. 1. 77 "Specialized agencies" der UNO sind regelmäßig internationale Organisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit, die sich besonderen Ausprägungen menschlicher Bedürfnisse und Bemühungen annehmen und so die UNO in ihrer Arbeit bezüglich der Gestaltung der Zukunft der Welt unterstützen, wobei die ITU die älteste dieser "specialized agencies" ist. ITU, ITU: a historical perspective, S. 3. 78 ITU, ITU's History, S. 2; dies., ITU Landmarks, S. 1. 79 Ursache dieser 1989 eingeleiteten, zu den drei historisch umfassendsten Reorganisationen der ITU gehörenden Neustrukturierung dürfte nicht zuletzt die Gründung des "European Telecommunications Standards Institute" (ETSI) und dessen äußerst erfolgreiche Tätigkeit gewesen sein, die von der ITU zum einen als leistungsfähiger und innovativer Konkurrent, zum anderen als Gefahr hinsichtlich der Entstehung fragmentierter supranationaler Märkte eingeschätzt wird. Vgl. die entsprechenden Andeutungen in

C. Auf internationaler Ebene

817

IFRB ebenso wie das erst 1989 gegründete "Telekommunikations-Entwicklungsbüro" ("Telecommunications Development Bureau" (BDT)) aufgelöst und deren Aufgaben drei neugeschaffenen "Sektoren" zugeordnet80: einem "Radiokommunikationssektor" ("Radiocommunication Sector" (ITU-R)), einem "Telekommunikations-Normungssektor" ("Telecommunication Standardization Sector" (ITU-T)) und einem "Telekommunikations-Entwicklungssektor" ("Telecommunication Development Sector" (ITU-D)) 8 1 . bb) Organisation und Aufgabe Die Organisation der ITU ist bis heute die einer internationalen zwischenstaatlichen Organisation mit dem Status einer "specialized agency" der United Nations Organization (UNO) mit Sitz in Genf, Schweiz. Das höchste Organ der ITU stellt die "Versammlung der Generalbevollmächtigten" ("Plenipotentiary Conference") der Mitglieder dar 82 , welche alle vier Jahre stattfindet, und die über die langfristige strategische Politik der ITU sowie ihre Organisation und Aktivitäten entscheidet. Weitere Organe der ITU sind der "Rat" ("Council"), der im Auftrag der Versammlung der Generalbevollmächtigten tätig wird, "Weltkonferenzen für internationale Telekommunikation" ("World Conferences on International Telecommunications" (WCIT)), ein "Generalsekretariat" ("General Secretariat" (SG)) 83 und die bereits im vorhergehenden Kapitel genannten drei Sektoren: Zum ersten der "Radiokommunikationssektor" ("Radiocommunication Sector" (ITU-R)), bestehend aus "Supra-" und "Internationalen Radiokommunikationskonferenzen" ("World-" und "Regional Radiocommunication Conferences" (WRC, RRC)), "Radiokommunikationsversammlungen" ("Radiocommunication Assemblies" (RA)) und einem "Radio-Regulierungsausschuß" ("Radio Regulations Board" (RRB)) - welche durch "Studiengruppen"

ITU, ITU: An overview, S. 19 f.; dies., ITU's History, S. 3. Vgl. hinsichtlich des ETSI Kap. II.B.l.b). 80 ITU, ITU's History, S. 2 f.; dies., ITU: a historical perspective, S. 11 ff.; dies., ITU Landmarks, S. 2. 81 ITU, What is ITU?, S. 2; dies., ITU: An overview, S. 10; dies., Acronyms, S. 1. Die Sektorenbezeichnungen in diesen Nachweisen differieren von denen in der vorhergehenden Fußnote genannten Quellen. 82 Daneben können die UNO einschließlich ihrer "specialized agencies", die "Internationale Atomenergiekonferenz" ("International Atomic Energy Agency"), supranationale Telekommunikations-Organisationen und zwischenstaatliche Satellitenbetreiber an der Versammlung teilnehmen. ITU, What is ITU?, S. 1; dies., ITU: An overview, S. 10 f. 83 ITU, What is ITU?, S. 2 f.; dies., ITU: An overview, S. 10.

52 Zubke-von Thiinen

818

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

("Study Groups" (SG)) in der Wahrnehmung ihrer legislativen Aufgaben 84 unterstützt werden-, einer "Radiokommunikations-Beratungsgruppe" ("Radiocommunication Advisory Group" (RAG)) für strategische Beratung und einem Radiokommunikationsbüro ("Radiocommunication Bureau" (BR)) für administrative Aufgaben 85 . Zum zweiten der "Telekommunikations-Normungssektor" ("Telecommunication Standardization Sector" (ITU-T)), welcher seine Aufgaben auf der legislativen Ebene durch "Internationale TelekommunikationsNormungskonferenzen" ("World Telecommunication Standardization Conferences" (WTSC)) unter Beihilfe von "Studiengruppen" ("Study Groups" (SG)), eine "Telekommunikations-Normungs-Beratungsgruppe" ("Telecommunication Standardization Advisory Group" (TSAG)), zuständig für die strategische Beratung, und ein "Telekommunikations-Normungsbüro" ("Telecommunication Standardization Bureau" (TSB)) für die administrativen Aufgaben durchführt 86. Und zum dritten der "Telekommunikations-Entwicklungssektor" ("Telecommunication Development Sector" (ITU-D)), zusammengesetzt aus "Supra-" und "Internationalen Telekommunikations-Entwicklungskonferenzen" ("Regional-" und "World Telecommunication Development Conferences" (RTDC, WTDC)) - welche durch "Studiengruppen" ("Study Groups" (SG)) in der Wahrnehmung ihrer legislativen Aufgaben unterstützt werden -, einer "Telekommunikations-Entwicklungs-Beratungsgruppe" ("Telecommunication Development Advisory Board" (TDAB)) für die strategische Beratung und einem "Telekommunikations-Entwicklungsbüro" ("Telecommunications Development Bureau" (BDT)) für administrative Aufgaben 87 . Die Mitgliedschaft in der ITU steht den (Fernmelde-) Verwaltungen aller Staaten der Erde als "ITU-Mitgliedsstaat" ("ITU Member Country") und anderen an der Telekommunikation interessierten Organisationen - wissenschaftliche Organisationen, Industrieunternehmen, öffentliche und private Betreiber, Rundfunk- und Fernsehanstalten, supra- und internationale Organisationen u.a.m. als "Sektorenmitglieder" ("Sector Members") offen. Am 22. Februar 1996 umfaßte die ITU 185 Mitgliedsstaaten und 363 Mitglieder in den drei genannten Sektoren der ITU 8 8 . Aufgabe der ITU ist erstens die Annahme internationaler Vorschriften und Verträge, die alle terrestrischen und extraterrestrischen Nutzungen des Fre84 Diese werden grundsätzlich von Vertretern der Verwaltungen (bzw. Regierungen) der Mitgliedsstaaten während der genannten Konferenzen oder Versammlungen oder im Rat erfüllt. Vgl. dazu ausführlich ITU, ITU: An overview, S. 10 ff. 85 ITU, What is ITU?, S. 3 ff.; dies., Acronyms, S. 1. 86 ITU, What is ITU?, S. 6 ff.; dies., Acronyms, S. 1. 87 ITU, What is ITU?, S. 7 ff.; dies., Acronyms, S. 1. 88 ITU, What is ITU?, S. 1 f., 10 f.

C. Auf internationaler Ebene

819

quenzspektrums elektromagnetischer Wellen sowie die Nutzung der geostationären Satellitenumlaufbahn regeln und innerhalb derer die Mitgliedsstaaten ihre nationalen Vorschriften mit dem Ziel erlassen, auf internationaler Ebene eine umfassendere Annäherung an die Notwendigkeiten der Telekommunikation in der globalen Informationswirtschaft und -gesellschaft zu fördern. Zu den Pflichten der I T U gehört zweitens die Erarbeitung von internationalen Normen, um die weltweite Vernetzung von Telekommunikationssystemen unabhängig von der zugrunde liegenden Technologie zu ermöglichen und die Entwicklung und effiziente Nutzung der Telekommunikationseinrichtungen zu erleichtern, mit dem Ziel, die Effizienz der Telefondienste, ihre Zweckdienlichkeit und ihre allgemeine Verfügbarkeit für die Öffentlichkeit zu verbessern. Drittens obliegt der ITU schließlich die Förderung und Unterstützung der Entwicklung der Telekommunikation in den Entwicklungsländern, die Bereitstellung der dazu benötigten menschlichen und finanziellen Ressourcen und die Verbreitung der Vorzüge neuer Telekommunikationstechnologien für alle Menschen weltweit89. cc) Normungsverfahren und Normenwerk Die internationale Normungsarbeit im Telekommunikationsbereich90, die neben technischen Spezifikationen auch den Betrieb entsprechender technischer Systeme und die Tarife umfaßt, wird durch die Studiengruppen des Telekommunikations-Normungssektors (ITU-T) durchgeführt. Für das Normungsverfahren des ITU-T gelten mit Einschränkungen91 die üblichen Normungsgrundsätze. Insbesondere sind die Studiengruppen aus Experten der im Telekommunikationsbereich engagierten öffentlichen und privaten Beteiligten im wesentlichen nur der Anbieterseite - mit Verwaltungen, öffentlichen und privaten Telekommunikationsunternehmen, Netzbetreibern, Dienstanbietern u.a.m. - zusammengesetzt, die im konsensualen Diskurs internationale Normen für Telekommunikationsdienste, Betreibung, Leistung und Instandhaltung der Ausrüstung, Systeme, Netzwerke und Dienste, Tarifprinzipien sowie Abrechnungsmethoden erarbeiten 92. Die Anerkennung und gegebenenfalls auch Modifikation oder Zurückweisung der von den Studiengruppen erstellten Norm-Entwürfe erfolgt re89

ITU, What is ITU?, S. 1 ; vgl. auch detailliert ITU, ITU: An overview, S. 9. Vgl. dazu ausführlich ITU, Rules of procedure, passim. 91 Beispielsweise sind, soweit ersichtlich, wichtige interessierte Kreise wie Anwender, Verbraucher, Gewerkschaften und Umweltschutzverbände nicht an den Normungsarbeiten beteiligt. 92 "Dies ist einer von diesen seltenen Prozessen, in denen Wettbewerber harmonisch zusammenarbeiten, was verstehen hilft, warum eine gemeinsame Norm, ist sie einmal definiert und ihr zugestimmt, normalerweise im Konsens verabschiedet wird." ITU, Connecting the World, S. 3. Vgl. auch dies., What is ITU?, S. 6. 90

52*

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Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

gulär auf den Internationalen Telekommunikations-Normungskonferenzen, welche alle vier Jahre stattfinden 93. Da sich auch die ITU angesichts der Bedürfnisse der Normanwender i.V.m. der Konkurrenz durch supranationale Normenorganisationen wie dem ETSI zunehmend der zentralen Rolle des Faktors Zeit im Normungsprozeß bewußt zu werden scheint, hat sie als zweiten möglichen Weg der Verabschiedung von Norm-Entwürfen deren Anerkennung durch Korrespondenz der Mitglieder vorgesehen 94. Ergebnis der Normungsarbeiten sind die "ITU-T Empfehlungen" ("ITU-T Recommendations") des Telekommunikations-Normungssektors. Daneben erstellen und publizieren auch die anderen beiden Sektoren Empfehlungen: der Radiokommunikationssektor "ITU-R Empfehlungen" ("ITU-R Recommendations") und der Telekommunikations-Entwicklungssektor "ITU-D Empfehlungen" ("ITU-D Recommendations")95. Im Jahre 1994 umfaßte das Normenwerk der ITU 32.000 Seiten technischer Spezifikationen, wobei in den vier Jahren zuvor 379 neue Normen angenommen und 484 substantiell überarbeitet wurden. Diese Leistungen erbrachten außer den Delegationen der staatlichen (Fernmelde-) Verwaltungen über 235 private Unternehmen sowie rund 40 internationale Organisationen in ihrer Eigenschaft als Sektorenmitglieder 96. dd) Finanzierung der Normungsarbeit Das Gesamtbudget der ITU, welches sich im Jahre 1994 auf 154 Mio. SFR belief, setzt sich aus drei Einzelbudgets zusammen: dem ordentlichen Budget der ITU, welches Ausgaben bezüglich des Rates, allgemeine Ausgaben der Hauptverwaltung sowie der Konferenzen und Versammlungen der ITU ein93

ITU, ITU: An overview, S. 12. Dieser Weg bedarf des einstimmigen Beschlusses der Studiengruppe. ITU, ITU: An overview, S. 19 f. Tatsächlich dürfte die reguläre Verfahrensweise aufgrund des im ungünstigsten Falle vierjährigen, vollkommen unnötigen Zeitverlustes - die Teilnehmer einer Internationalen Telekommunikations-Normungskonferenz können die Prüfung von über 850 neuen oder substantiell überarbeiteten technischen Normen weder in zeitlicher noch in sachverständiger Hinsicht auch nur annähernd bewältigen - angesichts der rapiden technischen Entwicklung im Telekommunikationssektor, dem daraus resultierenden Bedürfnis der interessierten Kreise nach einer möglichst schnellen, entwicklungsnahen Bereitstellung gemeinsamer Rahmenbedingungen durch internationale Normen und einer als Reaktion auf diese Kundenwünsche angestrebten Normentwicklungszeit des ETSI von maximal einem Jahr (vgl. die Kap. II.B.l.b)dd) und II.B.l.c)) kaum mehr aufrechtzuerhalten sein. 95 ITU, Acronyms, S. 1. 96 ITU, ITU: An overview, S. 19. 94

C. Auf internationaler Ebene

821

schließt; dem "Spezialbuchführungs-Budget für technische Kooperation" ("Technical Cooperation Special Accounts Budget") für Verwaltungsausgaben der technischen Unterstützungsprojekte für Entwicklungsländer, im wesentlichen finanziert durch das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen; und das "Veröffentlichungsbudget" ("Publications Budget") für die Produktionskosten aller Publikationen, bestritten aus den Erlösen des Verkaufs der ITUVeröffentlichungen 97. Das ordentliche Budget der ITU wird durch ein aus jeweils zwei Komponenten in den beiden Mitgliedskategorien bestehendes Beitragssystem finanziert, das sich nicht nur grundlegend von dem der anderen supra- und internationalen Normenorganisationen, sondern auch von dem der Vereinten Nationen und den meisten anderen "UN specialized agencies" unterscheidet. In der Kategorie der ITU -Mitgliedsstaaten besteht die erste Komponente aus dem Beitrag der Mitgliedsstaaten, der jährlich im voraus zu entrichten ist. Die Höhe des Beitrages wird durch Multiplikation der Beitragseinheit ("contributory unit") mit der Beitragsklasse ("class of contributions") errechnet. Erstere ergibt sich aus der Division des jährlich in SFR verabschiedeten Budgets der I T U durch die Anzahl der von den Mitgliedsstaaten entrichteten Beitragseinheiten98, letztere kann auf der Versammlung der Generalbevollmächtigten für die Dauer von vier Jahren innerhalb der Spanne von "V 16 " bis "40" frei gewählt werden, wobei die Klassen "Vi6" und "V8" im wesentlichen den von den Vereinten Nationen als am wenigsten entwickelt eingestuften Ländern ("Least Developed Countries") vorbehalten ist. Der Beitrag der Mitgliedsstaaten deckt die Teilnahme in allen Sektoren und an allen Aktivitäten der ITU mit Ausnahme der supranationalen Radiokonferenzen ab. Für deren Teilnahme müssen die ITU-Mitgliedsstaaten als zweite Komponente dieser Mitgliedskategorie einen gesonderten Beitrag für supranationale Radiokonferenzen entrichten, ermittelt durch Division des gesamten Budgets der Konferenz durch die Anzahl der Beitragseinheiten der Mitgliedsstaaten dieser Region. In der Kategorie der ITU -Sektorenmitglieder besteht die erste Komponente aus dem Beitrag der Sektorenmitglieder für den gewählten Sektor, welcher jährlich im Voraus zu begleichen ist. Die Höhe des Beitrages errechnet sich durch Multiplikation von einem Fünftel der Beitragseinheit der Mitgliedsstaaten mit der Beitragsklasse ("class of contributions"). Letztere kann im Telekommunikations-Normungssektor und Radiokommunikationssektor innerhalb der Spanne von "V2" bis "40" und im Telekommunikations-Entwicklungssektor in-

97

Ebd., S. 27. Dieser betrug 1995 330.000 SFR und im Jahr davor 319.000 SFR. ITU, How the ITU is financed, S. 1. 98

822

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

nerhalb der Spanne von "Vi 6 " bis "40" von den Sektorenmitgliedern frei gewählt werden. Dieser Beitrag deckt die Teilnahme an allen Aktivitäten des jeweiligen Sektors einschließlich der Konferenzen und Versammlungen mit Ausnahme der Radiokonferenzen ab. Die Teilnahme daran erfordert ebenso wie die Teilnahme an der Versammlung der Generalbevollmächtigten, an den keinem Sektor zugehörigen "Welt-Konferenzen für internationale Telekommunikation" ("World Conferences on International Telecommunication" (WCIT)) sowie an den Konferenzen und Versammlungen derjenigen Sektoren, in denen der Beitragszahler nicht Mitglied ist, als zweite Komponente dieser Mitgliedskategorie einen zusätzlichen Beitrag der Sektorenmitglieder. Dieser wird auf der Basis einer Beitragseinheit ermittelt, die sich aus der Division des gesamten Budgets der Konferenz bzw. Versammlung durch das Fünffache der gesamten Anzahl der Beitragseinheiten der Sektorenmitglieder zum regulären Budget der ITU bestimmt". Bezüglich der am Ende des Teils I gestellte Frage nach den Gründen für die Befähigung der Normenorganisationen zur Wahrnehmung der in Kapitel I.C herausgearbeiteten öffentlichen Aufgaben gilt für die internationalen Normenorganisationen das zu den nationalen und europäischen Normenorganisationen Ausgeführte: Diese Fähigkeit resultiert auch auf internationaler Ebene aus der Bewältigung der öffentlichen Aufgaben im Rahmen der traditionell für die Schaffung von Ordnung und die Strukturierung des Wissens und der Erkenntnisse im Bereich von Wissenschaft und Technik sowie der Schließung wirtschaftlich-technischer Vereinbarungen der Marktteilnehmer herausgebildeten und bewährten dargestellten typischen Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation dieser Institutionen. Diesbezüglich gilt das in den einschlägigen Zusammenfassungen 100 und insbesondere bezüglich CEN/ CENELEC 101 Dargelegte. Analog zur Systematik der entsprechenden Untersuchungen auf nationaler und europäischer Ebene folgen nun Ausführungen zu Rechtsnatur und völkerrechtlicher Rezeption der internationalen Normen. Beides ist, soweit ersichtlich, noch nirgendwo zum Gegenstand juristischer Untersuchungen gemacht worden.

99

ITU, How the ITU is financed, S. 1; ITU, What is ITU?, S. 10 f. Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.a)gg), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.a)ee), in bezug auf das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.a)ff) sowie die Europäische Union betreffend Kap. II. B.l.c). 101 Vgl. Kap. II.B.l.c). 100

C. Auf internationaler Ebene

823

2. Die Rechtsnatur der internationalen Normen Entsprechend der herrschenden, auf Art. 38 Abs. 1 des IGH-Statuts gestützten völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre ist zwischen primärem Völkerrecht Völkervertrags- und -gewohnheitsrecht sowie den allgemeinen Rechtsgrundsätzen 102 - und sekundärem Völkerrecht zu unterscheiden 103. a) Primäres Völkerrecht aa) Völkervertragsrecht Unter einem völkerrechtlichen Vertrag wird eine ausdrückliche oder durch konkludente Handlungen zustandegekommene, vom Völkerrecht bestimmte Willenseinigung zwischen zwei oder mehreren Völkerrechtssubjekten verstanden, in denen sich diese zu bestimmten einseitigen oder korrespondierenden, gleichen oder verschiedenen, einmaligen oder wiederholten Leistungen, Unterlassungen oder Duldungen verpflichten 104 . Die technischen Normen der internationalen Normenorganisationen könnten erstens als völkerrechtliche Verträge zwischen den internationalen Normenorganisationen und ihren Mitgliedern, und zweitens als völkerrechtliche Verträge zwischen den Mitgliedern innerhalb des organisatorischen Rahmens der internationalen Normenorganisationen selbst aufgefaßt werden.

102 Art 38 Abs. 1 lit. c) des IGH-Statuts nennt als dritte Völkerrechtsquelle "die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze". Da heute zutreffenderweise nicht mehr zwischen zivilisierten und unzivilisierten Staaten unterschieden wird, verwendet die moderne Völkerrechtsliteratur nur noch den Ausdruck "allgemeine Rechtsgrundsätze". Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 243 f. 103 Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 223 ff.; Verdross, A. u.a., Universelles Völkerrecht, S. 257 f. Dabei wird grundsätzlich unterschieden zwischen universellem, d.h. global auf der ganzen Welt geltendem, und partikulärem, d.h. zwischen bestimmten Völkerrechtssubjekten verbindlichem Völkerrecht. Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 226 f. Daneben existieren weitere Völkerrechtsquellen wie beispielsweise formlos erzeugtes Völkerrecht, die in dieser Arbeit nicht berücksichtigt sind. Vgl. dazu Verdross, A. u.a., Universelles Völkerrecht, S. 258 ff. 104 Verdross, A. u.a., Universelles Völkerrecht, S. 270. Nach heute h.M. schafft jeder völkerrechtliche Vertrag Recht. Die frühere Unterscheidung zwischen rechts setzenden und rechtsgeschäftlichen völkerrechtlichen Verträgen ist mittlerweile aufgegeben worden. Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 231; Verdross, A. u.a., Universelles Völkerrecht, S. 271.

824

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

Voraussetzungen für das Zustandekommen eines völkerrechtlichen Vertrages sind in beiden Fällen nach der eingangs genannten Definition zum einen die Völkerrechtssubjektivität der Vertragspartner, und zum anderen der Wille der Parteien, ihre Vereinbarung dem Völkerrecht zu unterstellen 105. Bezüglich der ersten Bedingung gilt es heute als unstreitig, daß nicht nur Staaten, sondern auch internationale Organisationen und andere "Menschenverbände mit eigener rechtlicher Ordnung der inneren Verhältnisse" die Völkerrechtsfähigkeit besitzen können 106 . Jedoch ist es nur den durch Staaten gegründeten internationalen Organisationen möglich, die Völkerrechtssubjektivität zu erlangen, sofern ihnen die Gründerstaaten die Völkerrechtsfähigkeit verleihen und dies in der Satzung der Organisation dokumentieren 107. Hingegen können internationale Organisationen, die keine Staatenverbindungen darstellen, sondern sich aus natürlichen und juristischen Personen verschiedener Länder zusammensetzen, als sogenannte "nichtstaatliche internationale Organisationen" ("international nongovernmental organizations" (NGO)) nicht die Völkerrechtssubjektivität erhalten, da sie ihre Existenz nicht von Staaten oder anderen Völkerrechtssubjekten ableiten, sondern von natürlichen oder juristischen Personen nach innerstaatlichem Recht 108 . Damit verkörpern ISO und IEC als NGOs, gegründet von staatlichen und privaten nationalen Normenorganisationen, keine Völkerrechtssubjekte, was auch aus ihren Satzungen hervorgeht 109 . Ihre technischen Normen stellen damit weder völkerrechtliche Verträge zwischen ihnen und ihren Mitgliedern, noch zwischen ihren Mitgliedern selbst dar, da auch diese zum Teil als NGOs keine Völkerrechtssubjektivität besitzen. Im Gegensatz zu ISO und IEC verfügt die ITU über bestimmte Mitgliedskategorien, Sektoren und Organe, die allein den Staaten vorbehalten sind 110 . Als "specialized agency" der United Nations Organization (UNO) besitzt sie in diesen Bereichen Völkerrechtssubjektivität 111 ; dementsprechend gehört es beispielsweise zu ihren Aufgaben, internationale Vorschriften und Verträge anzunehmen, die alle terrestrischen und extraterrestrischen Nutzungen des Frequenzspektrums elektromagnetischer Wellen sowie die Nutzung der geostationären

105

Verdross, A. u.a., Universelles Völkerrecht, S. 270. Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 121 ff.; Verdross, A. u.a., Universelles Völkerrecht, S. 270 f. 107 Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 180 f. 108 Ebd., S. 209. 109 Vgl. Kap. II.C.l.a)bb) und Kap. II.C.l.b)bb). 110 Vgl. Kap. II.C.l.c)bb). 111 Vgl. dazu Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 183 ff. 106

C. Auf internationaler Ebene

825

Satellitenumlaufbahnen regeln, und innerhalb derer die Mitgliedsstaaten ihre nationalen Vorschriften erlassen 112. Die technischen Normen der ITU werden jedoch in einem eigenen Segment, dem ITU-T-Sektor, ausgearbeitet, dem nicht nur staatliche (Fernmelde-) Verwaltungen, Betreiber, Rundfunk- und Fernsehanstalten u.a.m., sondern auch an der Telekommunikation interessierte private Organisationen - private wissenschaftliche Institutionen, Industrieunternehmen, Betreiber, Rundfunk- und Fernsehanstalten, supra- und internationale Organisationen u.a.m. - als Mitglieder angehören. Demzufolge besitzt die ITU im ITU-T-Sektor keine Völkerrechtssubjektivität, so daß auch ihre technischen Normen damit weder völkerrechtliche Verträge zwischen der ITU und ihren Mitgliedern, noch zwischen ihren Mitgliedern selbst darstellen, da auch diese zum Teil als NGOs keine Völkerrechtssubjektivität besitzen. In jedem Fall fehlt es bei allen internationalen Normenorganisationen an der zweiten Voraussetzung für das Zustandekommen eines völkerrechtlichen Vertrages, nämlich am Willen der Parteien, ihre Vereinbarung dem Völkerrecht zu unterstellen. Eine derartige Klausel ist weder in den Regelungen des Normungsverfahrens noch in den internationalen Normen selbst dokumentiert. Damit sind die technischen Normen der internationalen Normenorganisationen kein Bestandteil des Völkervertragsrechts. bb) Völkergewohnheitsrecht Wie bereits in Zusammenhang mit den analogen Untersuchungen für die Bundesrepublik Deutschland 113 und die Europäische Union 1 1 4 ausgeführt, bezeichnet der Begriff Völkergewohnheitsrecht das durch wiederholte oder regelmäßige einheitliche Übung und Rechtsüberzeugung von Völkerrechtssubjekten entstandene ungeschriebene Recht, welches mithin weder durch ein rechtssetzendes Organ noch durch ausdrückliche Vereinbarung zwischen den Rechtssubjekten gesetzt worden ist 1 1 5 . In der Regel gelten in diesem Zusammenhang Völkerrechtssubjekte, nur die Staaten als mögliche gewohnheitsrechtbildende die durch ihre wiederholte oder regelmäßige, einheitlich geübte Praxis, die sogenannte "Staaten-" oder "Staatspraxis", Völkergewohnheitsrecht begründen;

112

Vgl. Kap. II.C.l.c)bb). Vgl. Kap. II.A.l.b)ee). 114 Vgl. Kap. II.B.2.b)bb). Entsprechend den Ausführungen in Fn. 103 in Kap. II.C.2, kann europäisches Gewohnheitsrecht als partikuläres Völkergewohnheitsrecht interpretiert werden. 115 Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 238 f.; Verdross, A. u.a., Universelles Völkerrecht, S. 279 ff. 113

826

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

dabei muß die Staatenpraxis unmittelbar die Regelung zwischenstaatlicher Beziehungen betreffen 116 . Da aufgrund ihrer intensiven Beschäftigung mit der Rezeption technischer Normen nicht anzunehmen ist, daß sich die staatlichen Organe über die Rechtsnatur internationaler technischer Normen im unklaren sind, kann die Existenz gewohnheitsrechtbildender, die rechtliche Verbindlichkeit internationaler Normen voraussetzender Akte der Staatenpraxis ausgeschlossen werden 117 . Erkennt man jedoch auch den einzelnen Menschen als Völkerrechtssubjekt an 1 1 8 , so ist es wie auf europäischer Ebene 119 möglich, daß sich Völkergewohnheitsrecht auch aus einer wiederholten oder regelmäßigen, einheitlich geübten Praxis individueller Menschen verschiedener Staaten entwickelt. Da in Technikerkreisen durchaus auch die Vorstellung existiert, daß insbesondere die Schutz- und Sicherheitsfunktionen 120 erfüllenden technischen Normen - gleichgültig ob nun nationalen oder internationalen Ursprungs - aufgrund ihrer vielfachen Rezeption in das Umwelt- und Technikrecht rechtsverbindlich seien 121 , ist eine mögliche Rechtsnormqualität internationaler Normen von ISO, IEC und ITU kraft Gewohnheitsrecht zu prüfen 122 . Allein die Vorstellung von der Rechtsverbindlichkeit technischer Normen ist jedoch für die Bildung von Gewohnheitsrecht nicht ausreichend; diese erfordert vielmehr entsprechend der eingangs gegebenen Definition als erste objektive Voraussetzung die wiederholte oder regelmäßige einheitliche Übung i.V.m. einer zweiten subjektiven Bedingung der Überzeugung, rechtlich zu diesem Ver-

116

Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 238, 241; Verdross, A. u.a., Universelles Völkerrecht, S. 279 ff. 117 Selbst wenn dies bejaht werden sollte, gelten die nachfolgenden Ausführungen entsprechend. 118 Diese Entwicklung ist noch nicht zum Abschluß gelangt. Vgl. die Ausführungen bei Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 215 ff. 119 Vgl. Kap. II.B.2.b)bb). 120 Vgl. Kap. I.C.2.b), Kap. I.C.2.Ì), Kap. I.C.2.1) und Kap. I.C.2.m). 121 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 416 in Kap. II.A.l.b)ee). 122 Anders als in der Europäischen Union, in der die Europäischen Normen von CEN/CENELEC und ETSI regelmäßig nicht direkt, sondern erst nach ihrer obligatorisch wort- bzw. inhaltsgetreuen Übernahme in die nationalen Normenwerke der EUMitgliedsstaaten Anwendung finden, ist es möglich, internationale Normen auch für die direkte und unmittelbare Verwendung von den internationalen Normenorganisationen zu beziehen. So kann je nachdem, ob eine internationale Norm in das Normenwerk überführt oder direkt angewandt wird, sowohl der Inhalt der transformierten als auch der der originären Norm gewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen. Vgl. Vgl. Kap. II. B.2.b)bb).

C. Auf internationaler Ebene

827

halten verpflichtet zu sein 123 . Da die internationalen Normenorganisationen ihre technischen Normen in Abständen von nicht mehr als fünf Jahren auf ihre Aktualität überprüfen und gegebenenfalls überarbeiten, sind diese zum großen Teil nur von verhältnismäßig geringer Geltungsdauer. Obwohl zu beachten ist, daß wegen der Besonderheiten des Völkerrechts i.V.m. der durch den raschen Wandel aller Lebensumstände gekennzeichneten Gegenwart keine übersteigerten Anforderungen an die Bildung von Gewohnheitsrecht gestellt werden dürfen insbesondere muß insoweit eine im Vergleich zu den einzelnen Staaten kürzere Entstehungszeit genügen, um von einer wiederholten oder regelmäßigen einheitlichen Übung sprechen zu können124 -, fehlt es sogar auf der Basis dieser weniger strengen Ansprüche zumeist an einer nachweisbaren wiederholten oder regelmäßigen einheitlichen Übung. Zusätzlich wird eine international einheitliche Übung dadurch erschwert, daß - unbeschadet der Aufgabe der Mitglieder beispielsweise der IEC, auf transparente Art und Weise deren internationale Normen in einem möglichst maximalen Umfang als nationale oder supranationale technische Normen zu implementieren125 -, keine Verpflichtung zur unveränderten Übernahme der internationalen Normen von ISO, IEC und ITU für deren Mitgliedsorganisationen besteht, wie dies auf europäischer Ebene bei CEN/CENELEC 126 der Fall ist. Vielmehr kann jedes Mitglied frei entscheiden, ob es die ISO-, IEC- oder ITUNorm ignorieren, direkt benutzen oder in das nationale oder supranationale Normenwerk übernehmen will, wofür drei Verfahren - die unveränderte, die modifizierte und die teilweise Übernahme - in Frage kommen127. Allerdings 123

Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 238 f.; Verdross, A. u.a., Universelles Völkerrecht, S. 279 ff. Zum Teil wird darüber hinaus die widerspruchslose Hinnahme der Gewohnheit seitens der anderen Völkerrechtssubjekte gefordert. Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 238 f. 124 Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 239; Verdross, A. u.a., Universelles Völkerrecht, S. 290 f. 125 IEC, Statutes, Art. 5. 126 Vgl. Kap. II.B.l.a)cc). 127 Beim Verfahren der unveränderten Übernahme wird der Inhalt einer internationalen Norm in autorisierter Übersetzung vollständig, unverändert und im Aufbau formgetreu wiedergegeben. Entsprechend den Bestimmungen des ISO/IEC-Guide 3 darf nur in diesem Fall eine nationale Norm:Nummer die ISO-/IEC-Norm-Nummer übernehmen. Das Verfahren der modifizierten Übernahme sieht ebenfalls die vollständige Darstellung des Inhaltes einer internationalen Norm in autorisierter Übersetzung bei formgetreuem Aufbau vor, läßt jedoch ihrem Umfang nach geringfügige nationale Modifikationen Änderungen durch lesbar bleibende Streichungen und/oder durch gekennzeichnete Ergänzungen -, zu. Schließlich wird beim Verfahren der teilweisen Übernahme der Inhalt einer internationalen Norm verändert - geändert, ergänzt, gekürzt - und im Regelfall im Aufbau nicht formgetreu wiedergegeben. DIN, DIN 820-15: 1985-09 S. 1 Abschn. 2.

828

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

stellt angesichts der fortschreitenden technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vernetzung der internationalen Staatengemeinschaft, deren zukünftiger Zustand bereits mit dem Schlagwort des "Global Village" charakterisiert wird, die praktisch ausnahmslos unveränderte Übernahme der internationalen Normen beispielsweise der ITU zunehmend den Regelfall dar, da diese die Verbindungsfähigkeit der Netzwerke garantieren und es technisch ermöglichen, Dienste weltweit anzubieten128. Selbst wo eine wiederholte oder regelmäßige einheitliche Übung tatsächlich vorliegt, mangelt es an der zweiten Voraussetzung der Gewohnheitsrechtsbildung, nämlich der subjektiven Überzeugung der beteiligten Völkerrechtssubjekte, rechtlich zu diesem Verhalten verpflichtet zu sein. Hiervon kann nur dann gesprochen werden, wenn die Rechtsanschauung der beteiligten Völkerrechtssubjekte im Einklang mit einer kontinuierlichen Praxis von Gerichten und Behörden steht. Es ist jedoch kein Fall bekannt, in dem der Internationale Gerichtshof von einer rechtlichen Verbindlichkeit internationaler technischer Normen ausgegangen wäre 129 . Und auch die internationalen Normenorganisationen weisen regelmäßig darauf hin, daß ihre technischen Normen kraft Entstehung, Trägerschaft, Inhalt und Anwendungsbereich keinerlei rechtliche Verbindlichkeit besitzen, sondern ihre Anwendung jedermann - auch den Mitgliedern freisteht. Eine Rechtsnormqualität internationaler Normen aufgrund von Gewohnheitsrecht ist folglich nicht gegeben. cc) Die allgemeinen Rechtsgrundsätze Unter allgemeinen Rechtsgrundsätzen sind solche bereits objektivierten Rechtsanschauungen zu verstehen, die alle Nationen in ihrem Land anerkennen, und welche die Grundlage des nationalen Rechts bilden, wie beispielsweise die Grundsätze des "bona fides", des Notstands und der Rechtskraft; darüber hinaus zählen dazu leitende, unbestrittene Grundsätze. Allgemeine Rechtsgrundsätze

Gleiches gilt für Norm-Entwürfe (Norm-Entwürfe der ISO sind "Draft International Standards" (DIS) und "Draft Proposals" (DP), der IEC "Central Office Documents" und "Secretariat Documents". DIN, DIN 820-15: 1985-09 S. 4 Abschn. 3 Nr. 3.8) und Fachberichte von ISO und IEC. DIN, DIN 820-15: 1985-09 passim. 128 ITU, What is ITU?, S. 6; dies., ITU: An overview, S. 12; dies., Connecting the World, S. 3. Allgemein gesprochen werden erst auf diese Weise die in Kapitel I.C dargelegten Funktionen technischer Normen - wie beispielsweise die Gewährleistung von Kompatibilität, Austauschbarkeit und Verständigungsfähigkeit- auf internationaler Ebene verwirklicht und so ein einheitlicher globaler Markt konstituiert. 129 Vgl. insbesondere Verdross, A. u.a., Universelles Völkerrecht, S. 276 ff.; femer Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 238 ff.

C. Auf internationaler Ebene

829

verkörpern also nicht die übereinstimmenden Rechtsnormen der verschiedenen Staaten als solche, sondern nur jene Rechtsanschauungen, welche die Grundlage des übereinstimmenden innerstaatlichen Rechts bilden und die auf den zwischenstaatlichen Verkehr übertragbar sind, oder die in anderer Weise von den Nationen anerkannt werden 130. Da die technischen Normen der internationalen Normenorganisationen keine derartige Grundlage des nationalen Rechts darstellen und die Nationen sie auch nicht als solche anerkennen, sind sie nicht den allgemeinen Rechtsgrundsätzen zuzurechnen. Damit kann zusammenfassend festgehalten werden, daß internationale Normen keine Bestandteile des primären Völkerrechts bilden. b) Sekundäres Völkerrecht Der Begriff "sekundäres Völkerrecht" bezeichnet all diejenigen Normen, welche Staatengemeinschaftsorgane auf der Grundlage von völkerrechtlichen Verträgen setzen, d.h. bei denen die rechtserzeugende Wirkung des Entstehungsvorgangs auf einer der genannten primären Rechtsquellen beruht. Das sekundäre Völkerrecht umfaßt sowohl die von den internationalen Gerichten und Schiedsgerichten erzeugten konkret-individuellen131 Urteile und Schiedssprüche, als auch die satzungsgemäßen Beschlüsse internationaler staatlicher Organisationen, die sowohl abstrakt-generellen wie konkret-individuellen Inhalts sein können132. Da die internationale Normenorganisationen weder internationale Gerichte noch internationale staatliche Organisationen darstellen, noch deren Normungsprozeß auf einer der genannten primären Rechtsquellen des Völkerrechts beruht, sind die technischen Normen von ISO, IEC und ITU auch nicht dem sekundären Völkerrecht zuzurechnen. Damit ist als Ergebnis festzuhalten, daß die internationalen Normen von ISO, IEC und ITU weder dem primären noch dem sekundären Völkerrecht zugehören und somit keine Rechtsnormen darstellen. Der Rechtsform ihrer Urheber zufolge ergehen sie vielmehr als rechtlich unverbindliche Empfehlungen an ihre Mitglieder und gegebenenfalls auch an die assoziierten supranationalen Nor-

130

Verdross, A. u.a., Universelles Völkerrecht, S. 305 ff. Vgl. auch Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 243 ff. 131 Die Urteile von internationalen Gerichten entfalten keine PräzedenzWirkung. So bestimmt Art. 59 des IGH-Statuts ausdrücklich: "Die Entscheidung des Gerichtshofs ist nur für die Parteien und nur in bezug auf diesen bestimmten Fall bindend." Kimminich, O., Einführung in das Völkerrecht, S. 247. 132 Verdross, A. u.a., Universelles Völkerrecht, S. 258.

830

Teil 2: Die Organisation der technischen Normung

menorganisationen 133, korrespondierende nationale bzw. supranationale Normen herauszugeben 134. Nach einer entsprechenden Umsetzung sind die internationalen Normen wie auch die technischen Normen der betrachteten nationalen und europäischen Normenorganisationen 135 als rein private, auf freiwillige Anwendung gerichtete Empfehlungen von ISO, IEC und ITU für ein einwandfreies Verhalten an "jedermann" anzusehen. Als solche außerrechtlichen normativen Regelungen mit Empfehlungscharakter begründen sie weder juristisch verbindliche Rechte noch Pflichten für die Bürger der in ISO, IEC und ITU vertretenen Staaten, noch für diese Staaten selbst, noch für deren in den internationalen Normenorganisationen vertretenen Mitgliedsorganisationen. Denn wie bereits zuvor ausgeführt, besteht keine Übernahmeverpflichtung der internationalen Normen von ISO, IEC und ITU für deren Mitgliedsorganisationen, wie dies auf europäischer Ebene bei CEN/CENELEC 136 der Fall ist. Rechtliche Verbindlichkeit kann internationalen technischen Normen allein aufgrund ihrer Rezeption in völkerrechtliche Verträge zukommen; dieses Thema ist Gegenstand des nachfolgenden Kapitels.

3. Die Rezeption technischer Normen im Völkerrecht Das Völkerrecht hat in dem letzten Jahrhundert, gemessen an der Anzahl der abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge, einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfahren: Während zwischen 1.500 v. Chr. und 1860 n. Chr. nur rund 8.000 internationale Friedens Verträge unterzeichnet wurden, bewegt sich die Anzahl der allein in der Zeitspanne von 1947 bis 1976 abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge in einer Bandbreite zwischen 30.000 und 40.000 Doku137

menten Da sich diese Rechtsmasse infolge ihres Umfangs einer detaillierten Analyse entzieht, kann in dieser Arbeit keine wissenschaftlich haltbare Aussage bezüglich der völkerrechtlichen Rezeption technischer Normen getroffen werden. Soweit für den Verfasser ersichtlich, existiert trotz der Empfehlung internationaler Organisationen wie beispielsweise der "Wirtschaftskommission für Europa" ("Economic Commission for Europe" (ECE)) des Wirtschafts- und Sozial-

133

Vgl. Kap. II.B.l.a)cc). ISO, Statutes, Art. 4. Nr. 4.2. 135 Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.b), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.b), in bezug auf das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.b) und die Europäische Union betreffend Kap. II.B.2. 136 Vgl. Kap. II.B.l.a)cc). 137 Verdross, A. u.a., Universelles Völkerrecht, S. 268. 134

C. Auf internationaler Ebene

831

rates der Vereinten Nationen, sich bei der Rechtssetzung im Umwelt- und Technikrecht auf nationaler und auch supranationaler Ebene auf technische Normen zu beziehen138, im Völkerrecht kein einziger Fall einer unmittelbaren oder mittelbaren Rezeption internationaler technischer Normen, geschweige denn eine der nationalen und europäischen Ebene vergleichbare Vernetzung von Rechtsnorm- und technischer Normsetzung. Obwohl infolge der genannten Begrenzung des Stichprobenumfangs der Analyse nicht auszuschließen ist, daß bereits heute einzelne völkerrechtliche Verträge auf technische Normen Bezug nehmen, dürfte eine umfassende Rezeption technischer Normen im Völkervertragsrecht erst in einem derart fortgeschrittenen Stadium der Integration der internationalen Staatengemeinschaft relevant werden, welches internationale Rechtsnormen von einem so hohen Detaillierungsgrad erfordert, daß sich die Rezeption der im Regelfall äußerst differenzierten internationalen technischen Normen als notwendig und sinnvoll erweist.

138

Vgl. die Ausführungen in Fn. 498 in Kap. II.B.3.c)bb)(2)(b).

Dritter Teil

Ausblick: Die Notwendigkeit grundlegender Reformen der Legislative "Die Wissenschaft dient der Menschheit am besten, wenn sie sich vorbehält, alle Thesen anzuzweifeln."* Aufbauend auf den Analysen und Erkenntnissen dieser Arbeit gibt es insbesondere zwei im Ergebnis eng verflochtene Thesen, die sich im Laufe der vorhergehenden Untersuchungen als zunehmend fragwürdig erwiesen haben und es daher verdienen, einer kritischen Prüfung unterzogen zu werden1: Erstens ist es angesichts der geschilderten Erfüllung ebenso vielfältiger wie zentraler Aufgaben des Gemeinwohls zweifelhaft, ob technische Normen mit der verbreiteten Vorstellung, es handele sich bei diesen um (technische) Erfahrungssätze, Kausalitätsvorhersagen, (antizipierte) Sachverständigengutachten u.a.m. zutreffend charakterisiert sind. Denn dies würde bedeuten, daß technische Normen im wesentlichen wertfreie und objektive sachverständige Aussagen wissenschaftlicher und technischer Experten enthalten, die weitgehend durch naturwissenschaftliche Gesetze, wissenschaftliche Erkenntnisse, technische Erfahrungen und/oder die geltende Rechtsordnung determiniert sind. Wenn jedoch die geltende Rechtsordnung weder materiell die wesentlichen normativen Wertentscheidungen bezüglich des Schutz- und Sicherheitsniveaus technischer Systeme trifft (dazu A), noch den statt dessen praktisch durchgehend dazu berufenen Normenausschüssen2 der technischen Normenorganisatio-

* Albert Einstein, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. 1 Dabei beziehen sich die Ausführungen des Ausblicks primär auf die Bundesrepublik Deutschland, da diese den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bildet; es wird jedoch, wenn möglich, auf Analogien oder Unterschiede zu den anderen untersuchten EUMitgliedstaaten - insbesondere Frankreich und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland - sowie zu der Europäischen Union verwiesen. 2 Ungeachtet der Interpretation offener Rechtsbegriffe als Delegations- oder Rezeptionsformeln ziehen die Rechtsanwender, d.h. Behörden und Gerichte, in aller Regel die einschlägigen technischen Normen als Entscheidungsgrundlage heran. Selbst führende Vertreter der Delegationslehre räumen ein, daß technische Normen nur in seltenen Ausnahmefällen den normativen Anforderungen nicht entsprechen, so daß auch die Kontrollfunktion von Behörden und Gerichten de facto kaum eine Rolle spielt und sich

Teil 3: Ausblick

833

nen durch nachvollziehbare formelle Leitentscheidungen einen hinreichend bestimmten Konkretisierungsrahmen vorgibt (dazu B), und in den technischen Normen als materiellem Kernstück der Normen- und Regelsysteme des Umwelt- und Technikrechts infolge dessen neben den fachlichen wissenschaftlichen und technischen Festlegungen auch die davon ohnehin kaum zu trennenden normativen Wertentscheidungen getroffen werden (müssen), repräsentieren die technischen Normen weit mehr als "Sachverständigengutachten" (dazu C): Denn dann handelt es sich bei dem Verfahren der Erarbeitung technischen Normen offensichtlich um einen von der Rechtsordnung weitgehend unbeeinflußten gesamtgesellschaftlichen Willensbildung sprozeß, welcher über den konsensualen Ausgleich der jeweils betroffenen Gruppen- und Individualinteressen den Willen des Volkes - die "volonté générale " nach Rousseau - zwar nicht in reiner Form, jedoch unter den heutigen Lebensumständen und insbesondere im Hinblick auf die zunehmend komplexe, interdisziplinäre und hochdynamische wissenschaftlich-technische Entwicklung bestmöglich zu verwirklichen in der Lage ist (dazu D). Eine zweite These, die - soweit ersichtlich - zwar vielfach pauschal, aber selten substantiell und konstruktiv angezweifelt wird, ist die Dogmatik der Unabänderlichkeit der heutigen Organisationsform der staatlichen rechtssetzenden Organe als den verfassungsgemäß verantwortlichen Institutionen der Ausbildung des Willens des Volkes. Dies muß nicht nur in Anbetracht des vielfach und auch in dieser Arbeit thematisierten Unvermögens des Gesetz- und Verordnungsgebers verwundern, die in einer Industriegesellschaft elementare Frage hinreichend bestimmt zu entscheiden, wie der wissenschaftlich-technische Fortschritt, der die Basis für unseren heutigen Wohlstand und die Existenz der weiterhin stark wachsenden Menschheit bildet, bestmöglich zu fördern ist, und gleichzeitig die dadurch entstehenden konkreten Gefahren und potentiellen Risiken für die Menschen, ihre Sachgüter und die Umwelt abzuwehren bzw. durch Vorsorge auf ein tolerables Maß zu reduzieren sind. Vollkommen unverständlich wird das Festhalten an dem bestehenden Rechtssetzungssystem angesichts dessen nachhaltiger Ungeeignetheit, die bestehenden elementaren und teils sogar existentiellen ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Probleme zu lösen, die sich im übrigen nicht nur auf nationaler, sondern ebenso auf europäischer und auch auf internationaler Ebene offenbaren. Angesichts der Ergebnisse dieser Arbeit, daß die rechtssetzenden Organe die gemeinwohlrelevanten materiellen Normierungen des Umwelt- und Technik-

damit beide Auffassungen im praktischen Ergebnis fast nicht unterscheiden. Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 128 f.; ders., Technische Sicherheit, S. 18, jew. m.w.N. Vgl. die Ausführungen in Fn. 586 in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa) sowie Kap. II. A.l.d).

53 Zubke-von Thünen

834

Teil 3: Ausblick

rechts auf der Basis von gesetzlichen oder vertraglichen Regelungen in weitem Umfang an die technischen Normenorganisationen delegiert haben, wäre die heutige Organisationsform der rechtssetzenden Instanzen nur dann nicht anzuzweifeln, wenn das durch die notwendige staatliche Rezeption der entsprechenden technischen Normen entstehende Regelungs-Gesamtsystem die rechtsstaatlichen Prinzipien und die verfassungsgemäßen Aufgaben staatlicher Rechtssetzung - d.h., im Umwelt- und Technikrecht insbesondere im Rahmen der Förderung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung den notwendigen Rechtsgüterschutz bezüglich der Erzeugung, Verwendung, Wiederverwertung und Entsorgung technischer Systeme sowie der Systeme selbst zu gewährleisten - in vergleichbarem Maße zu erfüllen in der Lage wäre. Tatsächlich ist die Integration dieser privaten technischen Normenwerke in die staatliche Rechtsordnung trotz der Entwicklung zahlreicher Rezeptionsarten und der Ausgestaltung ebenso kunstvoller wie ineffizienter, unübersichtlicher und deshalb unpraktikabler mehrstufiger Normen- und Regelsysteme bis heute nur ungenügend gelungen. Da die eo ipso rechtlich unverbindlichen technischen Normen infolge der überwiegend angewandten Rezeptionsart der mittelbaren Rezeption durch normative Standards3 in aller Regel keine allgemeinverbindliche Geltung für Normanwender und Normadressaten erlangen, wird die Prüfung der Eignung der rezipierten technischen Normen bezüglich der Verwirklichung der gesetzlichen Zielsetzungen und damit die genannte elementare Entscheidung mit der Gesamtheit der ihr innewohnenden Interessenkonflikte auf die Rechtsanwendungsebene verlagert. Folglich konkretisiert sich die normative Pflichtenlage der Normadressaten fast ausschließlich erst in den jeweiligen konkret-individuellen Verwaltungsakten der zuständigen Behörden, zu deren Überprüfung der gesamte gerichtliche Instanzenzug in Anspruch genommen werden kann. Diese Regelungsstruktur mutet nur auf den ersten Blick "flexibel" an, und sie ist ganz gewiß kein Ausweg aus der "Starrheit" der häufig und teilweise auch zu Recht kritisierten "Normenflut". Denn sie bringt eine ganze Reihe schwerwiegender Nachteile mit sich, deren Ursache im wesentlichen in der erheblichen Vervielfachung der prinzipiell nur einmal abstrakt-generell zu treffenden Entscheidung - mit der Anzahl der behördlichen und gerichtlichen Entscheidungsverfahren innerhalb des zeitlichen und räumlichen Geltungsbereiches einer imaginären, hinreichend konkreten Rechtsnorm als Multiplikator - liegt. Daraus resultiert nicht nur die vielfach beklagte Überlastung der Verwaltungsbehörden und -gerichte; es wird darüber hinaus infolge der ungenügenden normativen Vorgaben für die Normanwender auch die verfassungsgemäß gebotene Gleich-

3

Vgl. dazu bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a).

Teil 3: Ausblick

835

heit der behördlichen und gerichtlichen Behandlung der Normadressaten durch Entscheidungen unterschiedlicher Normanwender zu vergleichbaren technischen Systemen gefährdet, die einander teilweise schon in Grundsatzfragen und stärker noch in Einzelheiten widersprechen. Zusammen mit den unvertretbar langen Genehmigungszeiträumen insbesondere technischer Großprojekte hat dies eine ungenügende Rechts- und Investitionssicherheit der Normadressaten zur Folge. Ebensowenig kann ein rechtsschutzsuchender Bürger aus den Rechtsvorschriften entnehmen, ob die gesetzlich geforderte Beschaffenheit eines technischen Systems eingehalten ist, wenn er Einwendungen gegen dessen Genehmigung geltend machen oder Schadenersatzansprüche wegen fehlerhafter Beschaffenheit erheben will (dazu E). Angesichts der Tatsache, daß die Ursache und damit auch die Lösung dieser Probleme entweder gänzlich oder zu einem erheblichen Anteil in dem Fehlen bzw. der Schaffung allgemeinverbindlicher normativer Regelungen liegen (dazu F), besteht ein naheliegender Lösungsansatz daraus, die legislative Organisation so auszugestalten, daß das Volk oder dessen Repräsentanten die notwendigen normativen Regelungen hinreichend bestimmt in der erforderlichen Aktualität und Qualität treffen können. Daß die Normierung der notwendigen, hinreichend präzisen allgemeinverbindlichen Anforderungen nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis und sogar mit vergleichsweise geringem finanziellen Aufwand 4 möglich ist, beweist das Vorbild der technischen Normenorganisationen. Als ein wesentliches Ergebnis dieser Arbeit resultiert deren Befähigung zur Erfüllung dieser zentralen Aufgaben des Gemeinwohls auf dem zunehmend komplexen, interdisziplinären und hochdynamischen Gebiet der wissenschaftlich-technischen Entwicklung aus deren spezifischen Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation, die sich traditionell für die Schaffung von Ordnung und die Strukturierung des Wissens und der Erkenntnisse im Bereich von Wissenschaft und Technik sowie der Schließung wirtschaftlich-technischer Vereinbarungen der Marktteilnehmer herausgebildet und bewährt haben. Zusammen mit der ersten entwickelten These, daß die Organisationsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung einen gesamtgesellschaftlichen Willensbildungsprozeß institutionalisieren, welcher die "volonté générale" nach Rousseau unter den heutigen Lebensumständen bestmöglich zu verwirklichen in der Lage ist, legen die vorhergehenden Erkenntnisse im Interesse der ebenso bürgernahen wie effizienten Bewältigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts die Entwicklung eines neuen außau- und ablauforganisatorischen Ansatzes für die rechtssetzenden Organe auf der Basis der Organisationsprinzi4

Auch einschließlich der Kosten der ehrenamtlichen Mitarbeiter beliefen sich die Gesamtaufwendungen für die technische Normung beispielsweise des DIN im Jahre 1988 auf rund 1,1 Mrd. DM. Vgl. Kap. I.D.l.c).

53*

836

Teil 3: Ausblick

pien der überbetrieblichen technischen Normung nahe, welcher die ökologischen, ökonomischen, technischen und gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bestmöglich zu bewältigen in der Lage ist, um das drohende Kollabieren eines oder gar aller genannten Systeme im Interesse der nachfolgenden Generationen abzuwenden. Dabei lassen die Erkenntnisse dieser Arbeit nicht nur auf die Übertragbarkeit dieses Modells auf andere Felder der Politik auf nationaler Ebene, sondern auch auf die Europäische Union und sogar die internationale Ebene schließen (dazu G).

Α. Die in materieller Hinsicht ungenügende Bestimmung des Schutz- und Sicherheitsniveaus technischer Systeme in Rechtsnormen "Die ständig notwendige Anpassung des Rechts an neue technische Entwicklungen und wissenschaftliche Erkenntnisse wird im System des technischen Sicherheitsrechts durch eine Kombination von Flexibilität abstrakter gesetzlicher Schutz- und Vorsorgestandards mit dynamischer Änderung der untergesetzlichen Konkretisierung bewältigt. In diesem System ist die materielle Steuerungsfunktion des Gesetzes (und oft auch der Rechtsverordnung) weithin verlorengegangen. Das verwaltungsrechtliche Technikrecht hat sich in zentralen Bereichen zur Rechtstechnik entleert und setzt der Tendenz zur technokratischen Selbstregulierung mittels von Sachverständigengremien und privaten Normenorganisationen erzeugter technischer Regeln und Normen kaum mehr als die Aufwertung des Verfahrensrechts entgegen."* Wie in Abschnitt A der Einleitung ausgeführt, verpflichtet in der Bundesrepublik Deutschland das grundrechtliche Wertesystem den Staat und specialiter den Gesetzgeber zur einfachgesetzlichen Umsetzung und normativen Verwirklichung der objektivrechtlichen Wertentscheidungen der Verfassung. Im Umwelt· und Technikrecht besteht diese Aufgabe im wesentlichen daraus, im Rahmen der Förderung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung als Basis für Existenz und Wohlstand der Menschen in der "Industriegesellschaft" zugleich deren Leben und körperliche Unversehrtheit, ihre Sachgüter und die Umwelt als grundrechtlich geschützte Rechtsgüter gemäß der Art. 2 Abs. 2 S. 1, 14 Abs. 1 S. 1 und 20 a GG vor Gefahren und Risiken der wissenschaftlich-technischen Entwicklung zu schützen. Nach herrschender Meinung läßt sich aus den genannten Artikeln des Grundgesetzes kein Grundrecht des Bürgers auf absolute Sicherheit respektive

* Murswiek, D., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 230 f. Leitsatz 4. Vgl. auch ebd., S. 220: "Das typische Regelungssystem des technischen Sicherheitsrechts hat das Recht der Technik zur bloßen Rechtstechnik entleert, zu einem Gefüge von Organisations- und Verfahrensvorschriften, die den Konkretisierungsprozeß organisieren, aber nicht steuern, so daß die dynamische und kontinuierliche Rezeption von privaten Technikerorganisationen erzeugter technischer Normen zu einer weitgehenden technokratischen Selbstregulierung führen konnte." Vgl. femer Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 1 f.

838

Teil 3: Ausblick

Risikofreiheit ableiten1; dies hieße, die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens zu verkennen und weithin jede staatliche Zulassung der Nutzung der Technik zu verbannen 2. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber den Aspekt der Wirtschaftlichkeit im Rahmen der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung in einer Kosten-Nutzen-Analyse jedenfalls insofern zu berücksichtigen, als die zur Risikominimierung erforderlichen Investitions- und Betriebskosten im Verhältnis zum erreichbaren Sicherheitsgewinn stehen müssen, damit die Sicherheitsanforderungen keinen Prohibitivcharakter annehmen und sich auf diese Weise nicht indirekt als Verbot auswirken 3 und in solchen Fällen nicht nur die Grund-

1

BVerfGE 39, S. 1 (42 f.); 49, S. 89 (137 ff.); BVerwGE 61, S. 256 (263) ; Marburger, P., Regeln, S. 114 f., 120; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 59 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 37 f. A.A. offenbar Kypke, U., Verbraucherinteresse, S. 86 f. 2 So ausdrücklich BVerfGE 49, S. 89 (143): "Vom Gesetzgeber im Hinblick auf seine Schutzpflicht eine Regelung zu fordern, die mit absoluter Sicherheit Grundrechtsgefährdungen ausschließt, die aus der Zulassung technischer Anlagen und ihrem Betrieb möglicherweise entstehen können, hieße die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens verkennen und würde weithin jede staatliche Zulassung der Nutzung der Technik verbannen." Vgl. auch BVerfGE 49, S. 89 (137, 139); 53, S. 30 (58 f.). Ähnlich BVerwGE 55, S. 250 (258) hinsichtlich des Standes der Technik: "Die in § 6 Nr. 1, § 5 Nr. 1 und § 3 Abs. 1 BImSchG geregelten Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung müssen im Zusammenhang miteinander betrachtet werden. Wenn sichergestellt sein muß, daß durch den Betrieb der Anlage keine Immissionen verursacht werden, die »geeignet' sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen, haben die Begriffe »sichergestellt' und »schädliche Umwelteinwirkungen ... nicht hervorgerufen werden können', nicht die Bedeutung, daß jedes nur denkbare Risiko der Herbeiführung von schädlichen Umwelteinwirkungen ausgeschlossen sein muß. Ob die Immissionen geeignet sind, die genannten Beeinträchtigungen herbeizuführen, richtet sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung, insbesondere nach dem Stand der Wissenschaft. Risiken, die als solche erkannt sind, müssen mit hinreichender, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein." Noch deutlicher BVerwGE 61, S. 256 (262 f.) bezüglich des Standes von Wissenschaft und Technik: "Das vom Berufungsgericht für ausreichend erachtete Vorbringen des Klägers würde daher nur dann der Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO genügen, wenn dem Kläger das Recht zustünde oder doch zustehen könnte, vor jedweder von einem Kernkraftwerk ausgehenden ionisierenden Strahlung geschützt zu sein. Ein solches Recht gibt es jedoch nach der Rechtsordnung offensichtlich nicht. ... § 7 Abs. 2 Nr. 3 ... AtG ... gewährleistet bezüglich des Betriebes einer ortsfesten Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen nur die ,nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge'; dies schließt die Hinnahme eines gewissen, nach den Maßstäben praktischer Vernunft aber nicht mehr in Rechnung zu stellenden Restrisikos mit ein." (Hervorh. d. Verf.) Vgl. zu dem hier und auch in BVerfGE 49, S. 89 (143) benutzten Ausdruck der "praktischen Vernunft" Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 101 ff. 3 BVerwGE 55, S. 250 (254); Marburger, P., Regeln, S. 112 ff., 143; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 52 ff., 59 f., 102 ff.; ders., Technische Sicherheit, S. 17;

Α. Die in materieller Hinsicht ungenügende Bestimmung

839

rechte der Art. 12 und 14 GG gefährden, sondern auch den zu erwartenden gesellschaftlichen Nutzen der technischen Systeme verhindern. Dementsprechend ist den normativen Standards wie beispielsweise dem "Stand der Technik" und dem "Stand von Wissenschaft und Technik" nach verbreiteter Auffassung im Bereich der Risikovorsorge eine Begrenzung durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip immanent: Nicht allein die technischen Möglichkeiten, sondern auch ökonomische Erwägungen bestimmen danach den "Stand der Technik" und allerdings nur nachrangig - auch den "Stand von Wissenschaft und Technik". Beide Formeln werden demnach als normative Begriffe gedeutet, die mittels einer wertenden Abwägung von wirtschaftlichem Aufwand und schütz- und sicherheitstechnischem Nutzen auszufüllen sind4. Folglich besteht die eigentliche Normungsaufgabe des Umwelt- und Technikrechts daraus, die erforderlichen Entscheidungen zu treffen, wie erkannte Gefahren ausgeschlossen und das verbleibende technische Risiko der heutigen technikgeprägten "Risikogesellschaft" 5 in gesamtgesellschaftlich optimaler Weise begrenzt wird 6 . Dazu ist insbesondere die Frage zu beantworten, welche Risiken der Technik um ihrer Vorteile willen in Kauf zu nehmen sind, d.h. die Grenzziehung zwischen dem hinreichend geringen und deshalb verfassungsrechtlich erlaubten Restrisiko und der rechtswidrigen Gefahr sowie gegebenenfalls darüber hinaus dem im Rahmen der Vorsorge auszuschließenden Risiko vorzunehmen. Der höchstrichterlichen Rechtsprechung zufolge 7 kann der Gesetzgeber diese Normungsaufgabe durch zwei grundsätzlich verschiedene Arten der Rechtssetzung erfüllen: einerseits durch die Normierung materieller technischer Spezifikationen, und andererseits die formelle Vorgabe der gebotenen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge mittels eines einzuhaltenden schütz- und siSendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 10 f.; vgl. auch Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 185. 4 Murswiek, D., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 209, 220 sowie S. 232 f., Leitsatz 12; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 156; Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 84 f.; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 12. Vgl. darüber hinaus die Ausführungen in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß). 5 Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 202 f. 6 Marburger, P., Regeln, S. 112 ff., 143; ders., Atomrechtliche Schadens Vorsorge, S. 59 f.; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 10 f.; vgl. auch Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 185. 7 "Der Gesetzgeber verfügt, wenn er vor der Frage steht, ob er in einer Vorschrift unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet oder sie ins einzelne gehend faßt, über einen Gestaltungsspielraum (BVerfGE 21, 73 [79]), wobei nicht zuletzt auch Erwägungen der praktischen Handhabung seine Entscheidung beeinflussen dürfen." BVerfGE 49, S. 89 (136 f.); ähnlich, jedoch zurückhaltender BVerwGE 72, S. 300 (311 f.). Vgl. aus der Literatur auch Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 50; Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2633; Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 138 f., sowie die weiteren Nachweise in Fn. 645 in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(cc).

840

Teil 3: Ausblick

cherheitstechnischen Niveaus, welches für die materielle Konkretisierung der nachfolgenden rechtssetzenden und -anwendenden Stellen einen hinreichend genauen Rahmen für die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben definiert. Entsprechend den Analyseergebnissen des zweiten Teils dieser Arbeit haben die gesetzgebenden Organe nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland8, sondern auf nationalstaatlicher Ebene auch in Frankreich 9 und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland 10 sowie auf supranationalem Niveau in der Europäischen Union 11 bis auf wenige Ausnahmen12 den zweiten der zuvor genannten Lösungswege beschritten, da diese aus den in Abschnitt A der Einleitung angeführten Gründen im Umwelt- und Technikrecht sehr schnell an die Grenzen ihrer Regelungskapazität stoßen. Folglich ist für die entsprechenden nationalen Gesetze und europäischen Richtlinien des Umwelt- und Technikrechts charakteristisch, daß sie praktisch durchgängig keine materiellen Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen zum Schutz des Menschen, seiner Sachgüter, der Umwelt oder anderer verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter normieren; stattdessen beschränken sie sich in aller Regel auf die Festlegung allgemeiner Schutz- und Sicherheitsziele, verbunden mit der Umschreibung der gebotenen Gefahrenabwehr und gegebenenfalls auch der Risikovorsorge mittels normativer Standards und anderer offener Rechtsbegriffe sowie die Ausgestaltung des formalen technischen Genehmigungs- und Überwachungsverhältnisses. Unabhängig davon, welche Auffassung bezüglich der Funktion offener Rechtsbegriffe vertreten wird 13 , ist allen Anschauungen deren Interpretation als formale Rahmenbegriffe ohne eigenen, aus ihnen selbst oder

8

Vgl. Kap. II.A.l.c)dd). Vgl. Kap. II.A.2.c)dd). 10 Vgl. Kap. II.A.3.c)dd). 11 Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)(aa). 12 Ausnahmen bilden in den genannten Nationalstaaten einige wenige Fälle der gesetzlichen Normierung konkreter Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen bezüglich technischer Systeme (vgl. z.B. für die Bundesrepublik Deutschland Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 83; ders., Atomrecht, S. 243 sowie für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 134 ff.), und in der Europäischen Union die Richtlinien nach den zeitweilig angewandten Methoden der "totalen" und "optioneilen Harmonisierung" sowie der "Mindestvorschriften" (vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(l)(a), Kap. II.B.3.c)bb)(l)(b) und Kap. II.B.3.c)bb)(l)(c)). 13 Das diesbezüglich im Schrifttum vertretene Spektrum reicht von einer Ermächtigung der betroffenen Kreise, sich in außerrechtlichen Sozialordnungen ihr Recht selbst zu setzen, und der kontrollierten Rezeption dieser Ordnung durch Behörden und Gerichte bis zu Aufträgen an die Rechtsanwender, das "Stück offengelassener Gesetzgebung" unabhängig von empirisch feststellbaren sozialen Wertvorstellungen durch eigene normative Entscheidungen im Wege administrativer und judikativer Rechtsfortbildung zu füllen. Vgl. Fn. 586 in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa). 9

Α. Die in materieller Hinsicht ungenügende Bestimmung

841

dem Sinn des Gesetzes zu entwickelnden materiellen Inhalt oder Beurteilungsmaßstab gemein 14 . Folglich ist die materielle Regelungsleistung solcher Gesetze, deren Normierungen sich auf offene Rechtsbegriffe und normative Standards stützt, praktisch nicht existent15. Dieser Sachverhalt ist derart symptomatisch, daß im deutschen Umwelt- und Technikrecht vielfach von der Geltung einer "umgekehrten Wesentlichkeitslehre" die Rede ist: "Alles Wesentliche steht nicht im Gesetz" 16 . Die notwendige materielle Konkretisierung dieser Maßstäbe hat der Gesetzgeber in den genannten Nationalstaaten entweder in abstrakt-genereller Form durch Ermächtigung der Exekutive zum Erlaß von Rechtsverordnungen, allgemeinen Verwaltungsvorschriften, zur ministeriellen Einführung technischer Regeln u.a.m. an die zweite Gewalt delegiert oder unmittelbar der konkretindividuellen Einzelfallregelung auf der Rechtsanwendungsebene, d.h. den zuständigen Behörden 17 und innerhalb der Reichweite des verfassungsgemäßen Rechtsschutzes letztinstanzlich den Gerichten überlassen. Darüber hinaus haben

14 "Unbestimmte Rechtsbegriffe geben kaum Maßstäbe an, sondern bedürfen der Konkretisierung durch Maßstäbe." Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 1 f. Deutlich in dieser Hinsicht auch Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 86; ders., Atomrecht, S. 241 ff.: Offene Rechtsbegriffe würden zum "Vehikel unklarer normativer Anforderungen"; ebenso Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1186, der von den "inhaltsleeren Standards der 'anerkannten Regeln der Technik' oder des 'Stands der Technik'" spricht. Vgl. auch Kap. II.A.l.c)bb)(2)(b). 15 Vgl. auch Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 86; ders., Atomrecht, S. 241 ff., demzufolge Rechtsnormen mit offenen Rechtsbegriffen praktisch kaum mehr in der Lage sind, ihre Regelungsaufgabe im Sozialleben zu erfüllen; femer Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 41, demzufolge die Steuerungsfunktion des AtG viel zu gering ist, um bei der Diskussion um die Vorsorgeproblematik zwischen "richtig" und "falsch" unterscheiden zu können: "Die feinsinnigen Bemühungen, die Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG klarer zu konturieren, finden im Gesetz selbst kaum Anhaltspunkte." 16 Vgl. die Ausführungen in Abschn. A der Einleitung. So führte Murswiek, D., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 297, bzgl. des AtG aus: "... daß die sogenannte Wesentlichkeitstheorie uns hier nicht zu einer befriedigenden Lösung verholfen hat, sondern das im Gesetz oft nur das geregelt ist, was weniger wichtig erscheint... Wir können dem Gesetz entnehmen, daß in einem Kernkraftwerk eine der Zahl der Beschäftigten entsprechende Anzahl von Toiletten eingebaut sein muß, während das Gesetz darüber nichts sagt, ob wir einen Berstschutz für einen Druckwasserreaktor benötigen 17 Insbesondere in Frankreich und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland ist das Umwelt- und Technikrecht bis heute in Teilen geprägt durch eine intensive Kooperation von Verwaltung und Normadressaten, wobei den zuständigen Behörden bei der Festlegung ihrer Auflagen innerhalb der vielfach verwendeten offenen Rechtsbegriffe ein relativ weiter Spielraum verbleibt. Vgl. bezüglich Frankreich Kap. II.A.2.c)dd)(l) und Kap. II.A.2.c)dd)(2) sowie hinsichtlich des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.d) und Kap. II.A.5.

842

Teil 3: Ausblick

die gesetzgebenden Organe der genannten Nationalstaaten durch die in verschiedenen Gesetzen zu findende Ermächtigung, bezüglich "der Anforderungen [könne] ... auf (jedermann zugängliche) Bekanntmachungen sachverständiger Stellen (unter Angabe der Fundstelle) verwiesen werden", oder technische Normen in den Rechtsverordnungen zu rezipieren, sie für deren Ziele zu billigen, oder sie als "anerkannte Regeln der Praxis" ("approved codes of practice") in Bezug zu nehmen, wodurch auf "eine Norm, eine Beschreibung und jede andere dokumentierte Form von praktischer Anleitung" ("a Standard, a specification and any other documentary form of practical guidance") verwiesen wird, klargestellt, daß die Möglichkeit besteht, zur Konkretisierung gesetzlicher Vorgaben auch die technischen Normen(werke) der privaten Normenorganisationen heranzuziehen 18, wobei von dieser Option praktisch regelmäßig Gebrauch gemacht wird. In der Europäischen Union verweisen die Richtlinien nach der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" zur Konkretisierung ihrer grundlegenden Sicherheitsanforderungen systematisch auf harmonisierte Europäische Normen 19 . Als Folge bestehen in der Bundesrepublik Deutschland die Normen- und Regelsysteme des Umwelt- und Technikrechts, exemplifiziert an vier bedeutenden Rechtsgebieten, typischerweise aus mehreren Normenebenen, deren Spitze regelmäßig von einem parlamentarischen Gesetz und deren Basis ebenso regelmäßig von den technischen Normenwerken privater Normenorganisationen gebildet wird. Dazwischen bestehen im allgemeinen20 mindestens eine, gegebenenfalls auch mehrere Normenebenen, gebildet aus Rechtsverordnungen, behördeninternen Vorschriften und/oder öffentlich-rechtlichen technischen Regeln. Eine vergleichbare Regelungsstruktur bildet sich in zunehmendem Maße auch im Umwelt- und Technikrecht von Frankreich, dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland und der Europäischen Union aus21. Bezüglich der zweiten Ebene der Normen- und Regelsysteme des Umweltund Technikrechts, d.h. der Ermächtigung der Exekutive zum Erlaß von Rechtsverordnungen, haben die Untersuchungen ausgewählter Rechtsgebiete in der 18 Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa) und Kap. II.A.l.d) sowie hinsichtlich des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.c)dd)(l). 19 Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)(aa)a). 20 Die Ausnahmen von dieser Regel bilden die unmittelbaren Rezeptionsarten, von denen einzig die normkonkretisierende allgemeine Verweisung von größerer praktischer Bedeutung ist, indem sie den großen Bereich der Elektro- und Gasinstallation beherrscht. Vgl. dazu Kap. II.A.l.c)bb)(l) und insbes. Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß). 21 Vgl. bezüglich Frankreich Kap. II.A.2.c)dd), hinsichtlich des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland betreffend Kap. II.A.3.c)dd) und die Europäische Union betreffend Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)(aa)a).

Α. Die in materieller Hinsicht ungenügende Bestimmung

843

Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland 22 ergeben, daß der jeweilige Verordnungsgeber von den häufig umfassenden Ermächtigungen nur sehr spärlich - in einigen Normen- und Regelsystemen auch überhaupt keinen23 - Gebrauch gemacht hat24. Und in den Fällen, in denen Rechtsverordnungen der Exekutive ergangen sind, beschränken sich diese im Regelfall auf die Umschreibung des Sicherheitsniveaus mit offenen Rechtsbegriffen und normativen Standards, teilweise ergänzt durch allgemeine Sicherheitsforderungen in Form offener, konkretisierungsbedürftiger Leitlinien25. Nur in Einzelfällen erfolgte die Normierung sicherheitstechnischer Mindestforderungen 26, die allerdings nicht selten die gleichermaßen sachlich gebotene wie gesetzlich geforderte Aktualität vermissen lassen27. Wohl nicht zuletzt aufgrund dieses Unvermögens des Verordnungsge22 Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.c)dd), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.c)dd) und das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland betreffend Kap. II.A.3.c)dd). 23 Vgl. z.B. die entsprechenden Ausführungen zum Normen- und Regelsystem der Gerätesicherheit und der überwachungsbedürftigen Anlagen in Kap. II.A.l.c)dd)(4)(b) (aa) und Kap. II.A.l.c)dd)(4)(b)(bb). 24 Der ehemalige Präsident des BVerwG Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 10 f., hält deshalb in vielen Fällen die Gesetze aufgrund ihrer fehlenden Konkretisierung in Rechtsverordnungen für nicht praktikabel und nicht vollziehbar und reklamiert folglich in derartigen Fällen eine rechtliche Verpflichtung der Exekutive für den Erlaß von Durchführungsverordnungen: "So hat das Bundesverwaltungsgericht in dem erwähnten Urteil vom 23. 1. 1981 das Vorliegen des Mindestmaßes an konkretem Regelungsgehalt, das für eine praktische Rechtsanwendung unerläßlich ist, auch deswegen verneinen müssen, weil die Anwendbarkeit des u. a. maßgeblichen § 42 BImSchG vom Erlaß der in § 43 BImSchG dafür vorgesehenen Rechtsverordnung abhängt; an ihr fehlt es bisher mit der Folge, daß die Gesamtregelung unvollziehbar ist." Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 10 unter Hinweis auf das Urteil des BVerwG v. 23.01.1981 - 4 C 4.78 - UPR 1 (1981), S. 27 (Anm. zu § 41 Abs. 1 BImSchG). 25 Vgl. für die Bundesrepublik Deutschland die Ausführungen bezüglich der Normen- und Regelsysteme des Immissionsschutzrechts in Kap. II.A.l.c)dd)(2)(b), des Kernenergierechts in Kap. II.A.l.c)dd)(3)(b) sowie der Gerätesicherheit und der überwachungsbedürftigen Anlagen in Kap. II.A.l.c)dd)(4)(b). Für Frankreich vgl. die Darstellung des Normen- und Regelsystems der Gerätesicherheit in Kap. II.A.2.c)dd)(2). 26 Vgl. für die Bundesrepublik Deutschland die Ausführungen bezüglich der Normen- und Regelsysteme des Immissionsschutzrechts in Kap. II.A.l.c)dd)(2)(b) sowie des Kernenergierechts in Kap. II.A.l.c)dd)(3)(b). Für Frankreich vgl. die Darstellung des Normen- und Regelsystems der Gerätesicherheit in Kap. II.A.2.c)dd)(2). 27 Beispielsweise wurde in Zusammenhang mit dem deutschen Normen- und Regelsystems des Immissionsschutzrechts aufgezeigt, daß die 13. BImSchV, die gemäß ihres § 1 Abs. 1 S. 2 explizit Festlegungen zur Risiko Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 5 Nr. 2 BImSchG enthalten soll, diesen Anforderungen respektive dem "Stand der Technik" angesichts ihres Alters von nunmehr über 13 Jahren schon lange nicht mehr genügt, zumal die Bestimmungen der 13. BImSchV vielfach auf den Normierungen der TA Luft von 1974 beruhen oder mit diesen äquivalent sind, die sich ihrerseits weitestgehend auf die wiederum zeitlich zuvor erarbeiteten einschlägigen

844

Teil 3: Ausblick

bers, dem technischen Fortschritt in angemessener Zeit zu folgen 28, wurden teilweise Rechtsverordnungen, die detaillierte schütz- und sicherheitsrelevante Anforderungen aus technischen Normen übernommen und verbindlich vorgeschrieben hatten, wieder aufgehoben 29 oder deren detaillierte Festlegungen durch Verweise auf technische Normen ersetzt30. Folglich ist angesichts des erheblichen materiellen Regelungsbedarfs des Umwelt- und Technikrechts auch die materielle Regelungsleistung der Rechtsverordnungen praktisch nicht existent, so daß der Verordnungsgeber die Konkretisierung der allgemeinen gesetzlichen Schutzziele und Sicherheitsanforderungen zur Gefahrenabwehr und gegebenenfalls Risikovorsorge weitgehend an die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften delegiert. Auch auf dieser dritten Ebene der Normen- und Regelsysteme des Umweltund Technikrechts hat sich die Exekutive in ihrer Funktion als das Verwaltungshandeln vereinheitlichender Regelgeber vielfach eigenen materiellen Normierungen enthalten31, sofern sie von ihrer expliziten gesetzlichen Ermächtigung oder ihrer originären Befugnis zum Erlaß normkonkretisierender bzw. allgemeiner Verwaltungsvorschriften überhaupt Gebrauch gemacht hat32. Und dort, wo allgemeine Verwaltungsvorschriften detaillierte materielle Festlegungen enthalten, beruhen diese im allgemeinen auf den Vorarbeiten der technischen Normenorganisationen 33, sofern sie nicht als bloßes Rezeptionsmedium der je-

VDI-Richtlinien und DIN-Normen stützen, so daß sich die Festlegungen der 13. BImSchV in vielen Fällen auf den Stand der Technik von vor über 22 Jahren beziehen. Vgl. Kap. H.A. 1 .c)dd)(2)(b) sowie Kap. ILA. 1 .d). Auch in Frankreich erwiesen sich die im Normen- und Regelsystem der Gerätesicherheit erlassenen arrêtés als Behinderung des technischen Fortschritts. 28 Vgl. dazu die Ausführungen in Abschn. A der Einleitung. 29 Vgl. die Ausführungen bezüglich der deutschen Normen- und Regelsysteme des Bauordnungsrechts in Kap. II.A.l.c)dd)(l)(b); für das Immissionsschutzrecht Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 43; Marburger, P., Regeln, S. 97; für das Kernenergierecht Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 59 f.; für Recht der überwachungsbedürftigen Anlagen: Marburger, P., Regeln, S. 61 sowie Fn. 880 in Kap. II.A.l.c)dd)(4)(d)(bb). 30 Vgl. die Ausführungen hinsichtlich des französischen Normen- und Regelsystems der Gerätesicherheit in Kap. II.A.2.c)dd)(2). 31 Vgl. die Ausführungen bezüglich der deutschen Normen- und Regelsysteme des Bauordnungsrechts in Kap. II.A.l.c)dd)(l)(c) sowie der Gerätesicherheit und der überwachungsbedürftigen Anlagen in Kap. II.A.l.c)dd)(4)(c)(aa) und Kap. II.A.l.c)dd)(4)(c) (bb). 32 Vgl. die Ausführungen bezüglich des deutschen Normen- und Regelsystems des Kernenergierechts in Kap. ILA. 1 .c)dd)(3)(c). 33 Vgl. die Ausführungen hinsichtlich des deutschen Normen- und Regelsystems des Immissionsschutzrechts in Kap. II.A.l.c)dd)(2)(c).

Α. Die in materieller Hinsicht ungenügende Bestimmung

845

weils einschlägigen technischen Normen dienen34. Der Grund hierfür liegt darin, daß die eigenständig durch die Exekutive durchgeführte vereinheitlichende Normierung von Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen an technische Systeme weitgehend gescheitert ist, wofür beispielsweise in Frankreich die fehlende Praxisnähe und der mangelnde Sachverstand der Behörden, ihre bis in alle bürokratischen Einzelheiten geregelte Ablauforganisation vereint mit einer dirigistischen Arbeitsweise und der sich aus all diesem ergebenden fehlenden Akzeptanz durch die interessierten Kreise verantwortlich gemacht wird 35. Selbst für den zuvor genannten Fall, daß die allgemeinen Verwaltungsvorschriften weitgehend technische Normen inkorporieren oder auf diese verweisen, lassen die langen Aktualisierungszeiträume von teilweise über zehn Jahren auf eine mangelhafte, der Dynamik des Regelungsgegenstandes nicht gerecht werdende Aktualität schließen36. Im Ergebnis trägt damit auch die Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften kaum eigenständig zur materiellen Konkretisierung der allgemeinen normativen Schutzziele und Sicherheitsanforderungen der Normenund Regelsysteme des Umwelt- und Technikrechts bei, sondern delegiert diese Aufgabe an die nachfolgenden Regelungsebenen der öffentlich-rechtlichen sowie privatrechtlichen technischen Regeln und Normen. Als Resultat wird weder durch Gesetz noch durch Rechtsverordnungen noch durch verwaltungsinterne Vorschriften die abschließende konkrete Beurteilung des Regelungsgegenstandes mit dem Ziel ermöglicht, den jeweiligen normativen Regelungszweck des entsprechenden Normen- und Regelsystems zu verwirklichen. Statt dessen werden in erheblichem Umfang entweder abstrakt-generell in Gesetzen, Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften - gegebenenfalls über die Zwischenstufe der Regelwerke öffentlich-recht-

34 Vgl. die Darlegungen bezüglich des deutschen Normen- und Regelsystems der Gerätesicherheit in Kap. II.A.l.c)dd)(4)(c)(aa). 35 Vgl. Kap. II.A.2.a)aa) und Kap. II.A.2.a)ee). 36 Diese langen Aktualisierungszeiträume treten im wesentlichen bei der Inkorporation technischer Normen auf. Vgl. die Ausführungen hinsichtlich der im deutschen Normen- und Regelsystem des Immissionsschutzrechts überaus bedeutsamen TA Luft und TA Lärm in Kap. II.A.l.c)dd)(2)(c): Erstere wurde zuletzt im Jahre 1986 und davor in den Jahren 1974 und 1964 aktualisiert, letztere seit ihrem Erlaß im Jahre 1968 überhaupt noch nicht. Gleiches gilt für einzelne Verwaltungsvorschriften zum Schutz gegen Baulärm, die bereits über 20 Jahre alt sind (Gusy, C., Verrechtlichung technischer Standards, S. 109). Jedoch sind auch bei der statischen Verweisung auf technische Normen wie beispielsweise in den Anhängen der GSGVwV (vgl. dazu Kap. II.A.l.c)dd)(4)(c) (aa)) - Aktualisierungszeiträume von über vier Jahren als ungenügend zu bewerten, da in Anbetracht der Aktualisierungszeitspanne der privaten technischen Normenwerke von fünf Jahren statistisch gesehen über 80 % der bezeichneten technischen Normen der Normenorganisationen überarbeitet oder zumindest überprüft worden sind.

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Teil 3: Ausblick

licher technischer Ausschüsse37 -, oder, wenn eine abstrakt-generelle Rezeption technischer Normen fehlt, spätestens auf der Rechtsanwendungsebene im konkret-individuellen Einzelfall durch Behörden und Gerichte die einschlägigen technischen Normen(werke) der privaten Normenorganisationen rezipiert 38. Insbesondere die allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Umwelt- und Technikrechts sind weitgehend nichts anderes als eine detailliert ausgearbeitete Bezugnahme auf die jeweils einschlägigen privaten technischen Normen(werke), sofern sie nicht deren Ergebnisse wie beispielsweise die TA Luft und die TA Lärm inkorporieren 39. Dementsprechend bleibt es regelmäßig den hochgradig differenzierten, anwendungsorientierten technischen Normenwerken der privaten Normenorganisationen - gegebenenfalls gemeinsam mit den technischen Regeln der öffentlich-rechtlichen technischen Ausschüsse, die jedoch selbst häufig, zum Teil sogar systematisch auf die einschlägigen technischen Normen der privaten Normenorganisationen Bezug nehmen oder inhaltlich auf diesen beruhen40 - vorbehalten, den wissenschaftlich-technischen Sachverstand für die Handhabung des staatlichen Genehmigungs- und Überwachungsinstrumentariums zu erschließen. Alle diese überbetrieblichen technischen Normen enthalten detaillierte Regeln zur Lösung konkreter, die Sicherheit, den Umweltschutz, die Ergonomie usw. betreffender Probleme. Damit werden als charakteristische Regelungsstruktur des Umwelt- und Technikrechts die materiellen schütz- und sicherheitstechnischen Detailregelungen zum weitaus überwiegenden Teil in privaten technischen Normen festgelegt, die den "eigentlichen sicherheitstechnisch-materiellrechtlichen Gehalt"41 der Normen- und Regelsysteme des Um37 In einigen Normen- und Regelsystemen existiert noch eine Zwischenstufe in Form von technischen Regelwerken öffentlich-rechtlicher technischer Ausschüsse, wie beispielsweise den technischen Regeln der gemäß § 11 Abs. 2 GSG eingesetzten technischen Ausschüsse im Normen- und Regelsystem der überwachungsbedürftigen Anlagen oder den vom KTA erstellten technischen Regeln im Normen- und Regelsystem des Kernenergierechts, die sich jedoch selbst häufig, zum Teil sogar systematisch auf die einschlägigen technischen Normen der privaten technischen Normenorganisationen beziehen oder diese inkorporieren. Vgl. dazu Kap. ILA. 1 .c)dd)(3)(e) und Kap. ILA. 1 .c)dd) (4)(d)(bb). 38 Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 67 f.; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 842 f. "Die Gerichte beschränken sich somit regelmäßig darauf, festzustellen, ob die Technischen Regeln der Technischen Ausschüsse, die DIN-Normen, VDE-Regeln usw. eingehalten bzw. der administrativen Genehmigungsentscheidung zugrunde gelegt wurden." Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 97 m.N. aus der Rechtsprechung. 39 Vgl. Kap. II.A.l.c)dd)(2)(c). 40 Vgl. die Darlegungen bezüglich der Normen- und Regelsysteme der Kernenergie in Kap. II.Α. 1 .c)dd)(3)(e) sowie der überwachungsbedürftigen Anlagen in Kap. II.A.l.c) dd)(4)(d)(bb). 41 Marburger, P., Regeln, S. 69.

Α. Die in materieller Hinsicht ungenügende Bestimmung

847

weit- und Technikrechts nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland42 und der Europäischen Union 43 , sondern in zunehmendem Maße auch in Frankreich 44 und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland 45 verkörpern und den Pflichtigen als Handlungs- und den Aufsichts- und Genehmigungsbehörden sowie den mit der Kontrolle der Exekutiventscheidungen befaßten Gerichten als Entscheidungsmaßstäbe dienen, welche Risiken der Technik um der Vorteile des wissenschaftlich-technischen Fortschritts willen in Kauf zu nehmen sind. Als Folge nehmen die technischen Normenorganisationen heute in erheblichem Umfang Aufgaben des Gemeinwohls wahr, was bereits in den Analyseergebnissen des ersten Teils dieser Arbeit zum Ausdruck kam 46 . Selbst wenn man bereit ist, diesen aus gewissen Gründen47 für unvermeidlich erachteten, praktisch vollständigen Verzicht der rechtssetzenden Organe auf die eigenständige materielle Regelung der Gefahrenabwehr und Risikovorsorge hinsichtlich der Erzeugung, Verwendung, Wiederverwertung und Entsorgung technischer Systeme sowie bezüglich dieser Systeme selbst mit allen immanenten Nachteilen48 zu sanktionieren49 oder gar bei vielgestaltigen Sachverhalten50 oder sich rasch ändernden tatsächlichen Verhältnissen51 als bestmögliche Regelungstechnik zu qualifizieren: "Der Gesetzgeber verfügt, wenn er vor der Frage steht, ob er in einer Vorschrift unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet oder sie ins einzelne gehend faßt, über einen Gestaltungsspielraum (BVerfGE 21, 73 [79]), wobei nicht zuletzt auch Erwägungen der praktischen Handhabung seine Entscheidung beeinflussen dürfen. Bei § 7 Abs. 2 42

Vgl. Kap. II.A.l.c)dd) und Kap. II.A.l.d). Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d) und Kap. II.B.4. 44 Vgl. Kap. II.A.2.c)dd) und Kap. II.A.2.d). 45 Vgl. Kap. II.A.3.c)dd) und Kap. II.A.3.d). 46 Vgl. Kap. I.C, Kap. I.D.4 u. insbes. Kap. I.E. 47 Vgl. die entsprechenden Ausführungen zu Beginn des Abschn. A der Einleitung. 48 Vgl. Abschn. E dieses Ausblicks. 49 So erklärte das BVerfG in E 49, S. 89 (124 ff., 129 f.) § 7 Abs. 1 und 2 AtG ausdrücklich als mit dem GG vereinbar; insbesondere genüge die Regelung dem Grundsatz des allgemeinen Gesetzesvorbehalts und den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts und verstoße auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit des Gesetzes (ebd., S. 133 ff.). I.d.S. auch Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 46 ff., 51; Kremser, H., Verfassungsrechtliche Zulässigkeit technischer Regelwerke, S. 277; Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 17, 120 ff.; Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 400; Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 138 f.; Scholz, R., Verhältnis, S. 101; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9 ff. 50 BVerfGE 49, S. 89 (133) unter Hinweis auf BVerfGE 11, S. 234 (237); 21, S. 1 (4); 28, S. 175 (183). 51 BVerfGE 49, S. 89 (133) unter Hinweis auf BVerfGE 8, S. 274 (326); 14, S. 245 (251). 43

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Teil 3: Ausblick

Nr. 3 AtomG sprechen gute Gründe für die Verwendung der in ihm enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe. Die in die Zukunft hin offene Fassung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG dient einem dynamischen Grundrechtsschutz. Sie hilft, den Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtomG jeweils bestmöglich zu verwirklichen. Die gesetzliche Fixierung eines bestimmten Sicherheitsstandards durch die Aufstellung starrer Regeln würde demgegenüber, wenn sie sich überhaupt bewerkstelligen ließe, die technische Weiterentwicklung wie die ihr jeweils angemessene Sicherung der Grundrechte eher hemmen als fördern. Sie wäre ein Rückschritt auf Kosten der Sicherheit. Es hieße das Gebot der Bestimmtheit mißverstehen, wollte man den Gesetzgeber gerade dazu verpflichten" 52, und deren Anwendung dementsprechend zu verlangen53, so ist dennoch von den rechtssetzenden Organen und insbesondere dem Gesetzgeber im Hinblick auf die demokratischen und rechtsstaatlichen Postulate des Grundgesetzes als Minimalforderung die Lösung der in der Einleitung hergeleiteten zentralen Normungsaufgabe des Umwelt- und Technikrechts in Form einer formal hinreichend bestimmten Grenzziehung zwischen dem ausreichend geringen und deshalb verfassungsrechtlich erlaubten Restrisiko und der rechtswidrigen Gefahr und gegebenenfalls darüber hinaus dem im Rahmen der Vorsorge auszuschließenden Risiko zu erbringen. Allein unter dieser Voraussetzung, daß durch die normativen Standards und offenen Rechtsbegriffe der Gesetz- und Verord-

52

BVerfGE 49, S. 89 (136 f.); ähnlich, jedoch zurückhaltender BVerwGE 72, S. 300 (311 f.). Vgl. aus der Literatur auch Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 138 f. Vgl. femer Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 50: "Im staatsorganisatorischen Gefüge der Gewaltenteilung bedarf es einer funktionalen Differenzierung sowie einer entsprechenden Abstufung der Regelungsverantwortung. Die staatsleitende Normgebung sollte sich gerade auf den verwickelten Aufgabengebieten des Umwelt-, Arbeitsund Gesundheitsschutzes sowie der technischen Sicherheit in materieller Hinsicht darauf beschränken, die tragenden Prinzipien der gebotenen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge sowie die rechtsgrundsätzlichen Maßstäbe des Schutzniveaus festzulegen." "Insbesondere stößt im demokratischen Rechtsstaat der parlamentarische Gesetzgeber auf Grenzen seiner Regelungskapazität, die eine solche Beschränkung nahelegen und den Rückgriff auf die rechtsbegrifflichen Generalklauseln der allgemein anerkannten Regeln der Technik, des Standes der Technik sowie des Standes von Wissenschaft und Technik erklären." "Damit wird die notwendige Konkretisierung dieser Maßstäbe wegen der Technizität und Kompliziertheit einem außergesetzlichen Regelungsmodus überantwortet. In erster Linie ist hierzu die staatliche Exekutive berufen." 53 BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 5, 8 und 10. Bereits der 4. Deutsche Bundestag hat in seinem Grundsatzbeschluß vom 2. April 1965 zur Angleichung bisher unterschiedlicher sicherheitstechnischer Vorschriften in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft gefordert, daß entsprechende Richtlinien nur Grundsatzforderungen in Form von Sicherheitszielen enthalten und zu deren Konkretisierung auf gemeinsam erarbeitete technische Normen verweisen sollten. Diese Forderung wurde in gleicher Weise auch für die deutsche Rechtssetzung erhoben. Bauer, C.-O., Gesetzgeber fordert Sicherheit, S. 106. Vgl. dazu aktuell Sauer, M., Neues Konzept, S. 600 ff.

Α. Die in materieller Hinsicht ungenügende Bestimmung

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nungsgeber den - ungeachtet der Aufgaben der Rechtsanwendungsebene - mit der konkreten Ausgestaltung der rechtlichen Anforderungen de facto betrauten Normenausschüssen der technischen Normenorganisationen einen hinreichend bestimmten und nachvollziehbaren formalen Rahmen vorgegeben würde, innerhalb dessen diese die materielle Konkretisierung der gesetzlichen Schutzbestimmungen und Sicherheitsziele vornehmen könnten, hätte dieser gesellschaftliche Prozeß der staatsentlastenden Konsensbildung lediglich normkonkretisierende Funktion, und die aufgezeigte Regelungsstruktur des Umwelt- und Technikrechts wäre dementsprechend im Hinblick auf die demokratischen und rechtsstaatlichen Postulate des Grundgesetzes nicht zu beanstanden54. Ob dies in den in dieser Arbeit untersuchten Normen- und Regelsystemen der Fall ist, ist Gegenstand des nachfolgenden Kapitels.

54 So auch Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 70 f.; ders., Rezeption technischer Regeln, S. 65; Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 401.

54 Zubke-von Thünen

Β. Die in formeller Hinsicht ungenügende Bestimmung des Schutz- und Sicherheitsniveaus technischer Systeme in Rechtsnormen "Mit dem Postulat der 'nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Vorsorge gegen Schäden' hat der Gesetzgeber eine Formel geschaffen, die nicht nur ihren materiellen Aussagegehalt eher verheimlicht als offenbart, sondern die auch mit der Bezugnahme auf den Stand von Wissenschaft und Technik auf Begriffe rekurriert, die - umgangssprachlich betrachtet - rechtsfremd sind. Darüber hinaus ist diese Formel auch insofern inhaltsleer, als es einen 'Stand der Wissenschaft' und einen 'Stand der Technik', läßt man einmal die definitori sehen Bemühungen in verschiedenen Rechtsquellen einen Moment außer acht, in allgemein zugänglicher Form nicht gibt."* "Ein zweites Beispiel bildet die Normierung des bekannten und umstrittenen Vorsorgegebotes in § 5 Nr. 2 BImSchG. Selbst ein geübter Leser vermag dem Wortlaut dieser Gesetzesbestimmung auch nach mehrmaliger konzentrierter Lektüre keinen schlüssigen Sinn abzugewinnen. Gewiß sind die Juristen kraft Übung in der Lage, auch dem undeutlich redenden, ja sogar dem verschwiegenen Gesetzgeber noch einen Sinn und Willen abzulauschen, aber es gibt Grenzen der Wirrnis und Dunkelheit, die die Gerichte schon um der Erhaltung ihres eigenen Selbstverständnisses willen nicht aufzuhellen versuchen sollten. Was mit dem Vorsorgegebot gegenwärtig geschieht, ist nicht mehr nachgeholte Rechtsetzung im Rahmen der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe, dies ist legitim und zulässig, sondern die Sinnerfüllung eines sinnlosen, weil unverständlichen Normtextes. Dieses aber sollte man allein dem Gesetzgeber überlassen. Denn es gibt Ausmaße verunglückter Normsetzung, deren Reparatur durch nachträgliche Interpretation nicht mehr legitim möglich ist."** Die in den Kapiteln ILA.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß) und II.A.l.c)bb)(2)(a) für die Analyse der Rezeptionsarten in der Bundesrepublik Deutschland1 zunächst ge-

Mutschler, U., Rechtliche Beurteilung, S. 129 f. Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 172. 1 Die Analysen der Normen- und Regelsysteme des Umwelt- und Technikrechts in den übrigen Nationalstaaten und auf Ebene der Europäischen Union sind zu wenig umfassend und detailliert, um aus ihnen gesicherte allgemeingültige Erkenntnisse ableiten zu können. Daher beziehen sich die folgenden Aussagen allein auf die Bundesrepublik Deutschland.

Β. Die in formeller Hinsicht ungenügende Bestimmung

851

troffene Annahme einer hinreichenden normativen Regelungsleistung des Gesetz- und Verordnungsgebers hinsichtlich der Festlegung des Schutz- und Sicherheitsniveaus technischer Systeme durch normative Standards stützt sich im wesentlichen auf die von Breuer entwickelte und vom Bundesverfassungsgericht aufgegriffene "3-Stufen-Theorie" > nach der die drei im Umwelt- und Technikrecht am häufigsten verwendeten normativen Standards - "allgemein anerkannte Regeln der Technik", "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik" - aufgrund ihrer zunehmenden Nähe zur Front des wissenschaftlich-technischen Fortschritts unterschiedliche Sicherheitsstufen determinieren. Erst diese Annahme der Abstufung der genannten normativen Standards ermöglichte deren in Kapitel ILA.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß) wiedergegebene allgemeingültige Definitionsansätze, welche die in nahezu allen Gesetzen, Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften unterbliebenen Legaldefinitionen dieser Begriffe ersetzen2. Als Voraussetzungen für die Gültigkeit der "3-Stufen-Theorie" und damit die Erfüllung der Ende des vorherigen Abschnitts aufgestellten Minimalforderung einer formell hinreichenden Regelungsleistung ist der bewußte und nachvollziehbare Umgang mit einer sinnvollen Anzahl abgestufter normativer Standards ebenso zu nennen wie eine hinreichende Homogenität des Gefahren- und Risikopotentials der mit einem normativen Standard geregelten technischen Systeme und ein formell in sich schlüssiges Regelungskonzept sowohl hinsichtlich der Verwendung als auch bezüglich der Konkretisierung der verwendeten normativen Standards und sonstigen offenen Rechtsbegriffen. Wie jedoch aus der Analyse der staatlichen Rezeption technischer Normen und der Normenund Regelsysteme des Umwelt- und Technikrechts in der Bundesrepublik Deutschland ersichtlich wird, erfüllen die entsprechenden Rechtsnormen nicht eine dieser Voraussetzungen: Erstens verdeutlicht die Zusammenstellung von 42 normativen Standards in Kapitel ILA.l.c)bb)(2)(a)(dd) daß sich Gesetz- und Verordnungsgeber in der Bundesrepublik Deutschland im Regelungsbereich der technischen Sicherheit einer Vielzahl sich mehr oder minder deutlich unterscheidender normativer Standards bedienen. Angesichts der Tatsache, daß diese 42 offenen Rechtsbegriffe nur einem Teilbereich des deutschen Umwelt- und Technikrechts als Untermenge des öffentlichen Rechts sowie in geringem Maße auch dem Zivil- und dem Strafrecht entstammen, ist es kaum verwunderlich, daß normative Standards in der Gesamtheit aller Rechtsnormen mittlerweile selbst für den rechts2 "Es wäre schon viel gewonnen, wenn der parlamentarische Gesetzgeber die Schutzziele und Sicherheitsstandards in genereller Form angemessen klar definieren würde. Doch selbst davon kann durchaus keine Rede sein." Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 171.

54*

852

Teil 3: Ausblick

kundigen Fachmann und erst recht für den nur bedingt rechtskundigen Normkaum überschaubaren Vielfalt Verwendung adressaten in einer verwirrenden, finden. Kennzeichnend für Umfang und Komplexität dieser Vielfalt und der zugrundeliegenden Regelungsmaterie ist der Umstand, daß, soweit ersichtlich, nirgendwo eine vollständige Bestandsaufnahme der verwendeten normativen Standards vorgenommen und selbst teilweise Bestandsaufnahmen nur in Form von Zahlenangaben veröffentlicht worden sind3. Erschwerend kommt hinzu, daß die verwendeten normativen Standards in den seltensten Fällen durch den Regelsetzer legaldefiniert worden sind. Selbst wo dies - wie beispielsweise in § 3 Abs. 6 BImSchG4 - der Fall ist, gelten nach vielfach vertretener Ansicht die Definitionen einer Rechtsnorm aus Gründen der Gesetzgebungskompetenz nur innerhalb ihres spezifischen Regelungsbereiches. Folgerichtig werden abstrakte, wie die in Kapitel II.A.l.c)bb)(l)(b) (cc)ß) versuchten Definitionsansätze der normativen Standards zumindest von Teilen der Literatur abgelehnt5. Als logische Konsequenz können nach dieser Ansicht so3

Beispielsweise hat eine Untersuchung der "Forschungsgruppe Technologierecht" an der Universität Heidelberg 1981 bei der Auswertung von 188 Rechtsvorschriften 35 verschiedene normative Standards ermittelt, von denen viele wiederum in mehrere Untergruppen zerfallen. Nicklisch, F., Funktion und Bedeutung technischer Standards, S. 263; ders., Rechtsvorschriften für Anlagen, S. 17. Das BMWi hat in seinen Untersuchungen über 40 verschiedene normative Standards ermittelt. BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 6, 9. Dabei hat eine auf Jahresdekaden bezogene Auswertung neu erlassener und geänderter Rechtsvorschriften eine ständige Zunahme der Verwendung verschiedener normativer Standards - von einem normativen Standard mit zwei Verwendungen im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts über 12 normative Standards mit 24 Verwendungen von 1950 bis 1959 bis zu 40 normative Standards in 208 Verwendungen von 1970 bis 1979 - ergeben, wobei allein von 1980 bis Anfang 1984 in 130 Verwendungen 30 normative Standards nachgewiesen wurden. Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 61. 4 Vgl. Fn. 789 in Kap. II.A.l.c)dd)(2)(a) sowie die allgemeinen Ausführungen zum normativen Standard "Stand der Technik" in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß). 5 "Als ein Versuch den bei der Gesetzesanwendung vorhandenen Spielraum zu begrenzen und das Ergebnis des Abwägungsprozesses teilweise im voraus zu determinieren, mag es angesehen werden, wenn häufig wiederkehrenden Standards durch Literatur und Rechtsprechung ... ein bestimmter Aussagewert kraft vorheriger Definition beigemessen wird." Erhard, R., Technische Standards, S. 14 f.; vgl. auch Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 85; Nicklisch, F., Rechtsvorschriften für Anlagen, S. 19 m.w.N. Auch die in Bereich von Wissenschaft und Technik geläufigen Definitionen des Standes der Technik werden für die juristische Begriffsbestimmung nicht zugelassen. So explizit Marburger, P., Regeln, S. 158: "Maßgeblich ist letztlich nicht, was der Techniker als den Stand der Technik bezeichnet." Vgl. zum Versuch der Definition einer vergleichsweise homogenen Gruppe normativer Standards - in diesem Beispiel des normativen Standards "anerkannte Regeln der Technik" mit einigen seiner Abwandlungen: "allgemein anerkannte Regeln der Technik", "anerkannte Regeln der Baukunst", "allgemein anerkannte Regeln der Baukunst",

. Die in

meller Hinsicht ungenügende Bestimmung

853

gar sprachlich identische normative Standards je nach Normzweck und Regelungszusammenhang eine unterschiedliche inhaltliche Ausgestaltung erfahren 6. Selbst ohne die aus dieser Ansicht resultierende Vervielfachung der Anzahl möglicher Bedeutungen der normativen Standards in Betracht zu ziehen, läßt bereits deren absolute Vielfalt von über 40 verschiedenen Begriffen deren adäquat abgestufte Interpretation in einer Rechtsnorm, einem Normen- und Regelsystem oder gar im gesamten Umwelt- und Technikrecht nahezu unmöglich erscheinen. Denn der Versuch, diese Vielzahl der existierenden Begriffe - auf welche Weise auch immer - in drei Gruppen entsprechend der drei für die "3Stufen-Theorie" maßgeblichen normativen Standards "(allgemein) anerkannte Regeln der Technik", "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik" zusammenzufassen und damit den drei Stufen sicherheitstechnischer Anforderungen zuzuordnen, würde eine inakzeptabel starke Vereinfachung der Begriffswirklichkeit darstellen, sofern er sich überhaupt als möglich erweisen sollte. Zweitens addieren sich zu diesen allein aus der Vielzahl verwendeter Begriffsvariationen resultierenden beträchtlichen Interpretationsschwierigkeiten des durch den Gesetzgeber mittels normativer Standards bestimmten Schutzund Sicherheitsniveaus weitere, die7 - legt man die Deutung der Begriffe gemäß Verwender "3-Stufen-Theorie" zugrunde8 - sich aus der widersprüchlichen dung der normativen Standards nicht nur innerhalb des Umwelt- und Technikrechts in seiner Gesamtheit, sondern auch in den Rechtsnormen eines einzigen Normen- und Regelsystems und schließlich sogar innerhalb einer Rechtsvorschrift 9 ergeben.

"allgemein anerkannte Regeln der Baukunst und der Technik" - Wolfensberger, H., Die anerkannten Regeln der Technik, S. 27 ff. 6 So auch Erhard, R., Technische Standards, S. 13. 7 Vgl. die entsprechenden Analysen des deutschen Umwelt- und Technikrechts insbesondere in den Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a), und II.A.l.c)dd). 8 Vgl. Kap. ILA. 1 .c)bb)( 1 )(b)(cc)ß), insbes. Fn. 526. 9 Dadurch wird zugleich die Möglichkeit widerlegt, daß diese Vielzahl unterschiedlicher Begriffe Resultat historischer Zufälligkeit sein könnten (so Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 148 f.), d.h. von zeitlich aufeinanderfolgenden verschiedenen Gesetz- und Verordnungsgebern stammten; gleiches gilt für die etwaige Ursache der Urheberschaft mehrerer sachlich zuständiger Ausschüsse oder Ministerien des Gesetz- oder Verordnungsgebers. Schließlich kann auch das Argument, "daß am Schluß der Legislaturperiode wie so oft mit der heißen Nadel genäht wird" (so Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 3), angesichts der Fülle der existierenden und z.T. nachfolgend aufgeführten Beispiele der in mehrfacher Hinsicht widersprüchlichen Verwendung normativer Standards kaum als generelle Erklärung dienen.

854

Teil 3: Ausblick

Die grundlegende Prämisse der "3-Stufen-Theorie", daß mit der Nähe der normativen Standards zur Front des wissenschaftlich-technischen Fortschritts unterschiedliche Sicherheitsstufen determiniert werden, sollte sich in ihrer entsprechend systematischen Verwendung innerhalb der Gesamtheit der Rechtsnormen des deutschen Umwelt- und Technikrechts widerspiegeln. Folglich müßte die Festlegung des sozial-adäquaten Restrisikos bei Regelungsgegenständen mit hohem Gefahren- und Risikopotential durch normative Standards bestimmt werden, welche die Berücksichtigung und Verwendung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Lösungsmöglichkeiten verlangen, während bei Regelungsgegenständen mit geringem oder durch vielfältige praktische Anwendung bekanntem und beherrschtem Gefahren- und Risikopotential die Normierung geläufiger und bewährter Schutz- und Sicherheitslösungen durch einen dementsprechenden normativen Standard ausreichen würde. Eine solche Systematik ist allerdings im Umwelt- und Technikrecht allenfalls in Ansätzen erkennbar. Ohne auf sämtliche Nachweise in Kapitel II.Α. 1 .c)bb) (2)(a)(dd) eingehen zu können, sei dies anhand einiger Beispiele belegt10: So hat der Gesetzgeber bezüglich der mit zweifellos hohem Gefahren- und Risikopotential behafteten überwachungsbedürftigen Anlagen im Sinne des AtG, "Was die Schäden an Leben, Gesundheit und Sachgütern anbetrifft, ... durch die in § 1 Nr. 2 und in § 7 Abs. 2 AtomG niedergelegten Grundsätze der bestmögliche Gefahrenabwehr und Risikovorsorge einen Maßstab aufgerichtet, der Genehmigungen nur dann zuläßt, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen erscheint, daß solche Schadensereignisse eintreten werden" 11. Ebenso sinnvoll erscheint der Gebrauch dieses Standards im GenTG. Jedoch findet der gleiche oder leicht modifizierte normative Standard entsprechend § 11 Abs. 2 S. 2 GSG i.V.m. § 19 Abs. 2 Nr. 1 SchankV für Vorschriften über die Errichtung und den Betrieb von Getränke-Schankanlagen12 Anwendung, die der "Deutsche Ausschuß für Getränkeschankanlagen" der Bundesregierung vorschlagen soll. Auch die Wirksamkeit - nicht etwa der Gesundheitsschutz des Menschen - von Pflanzenschutzmitteln bemißt sich nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 PflSchG nach dem "Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Technik" Schließlich findet sich dieser normative Standard auch in der Hufbeschlagverordnung, nach der die Ausbildungsmittel (!) dem "Stand von Wissenschaft und Technik" entsprechen müssen13.

10

Vgl. zu weiteren Beispielen Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 64 f. 11 BVerfGE 49, S. 89(143). 12 Gleiches gilt für die übrigen, in § 2 Abs. 2a GSG enumerativ aufgezählten überwachungsbedürftigen Anlagen im Sinne des § 11 GSG. 13 Zit. nach BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 6, 9.

. Die in

meller Hinsicht ungenügende Bestimmung

855

Während somit die entsprechend der "3-Stufen-Theorie" höchste Sicherheitsstufe nicht nur für Kernkraftwerke und gentechnische Projekte, sondern auch für die Errichtung und den Betrieb von Getränke-Schankanlagen, die Wirksamkeit von Pflanzenschutzmitteln und die Ausbildungsmittel für das Beschlagen von Hufen angeordnet wäre, würde etwa für Hochhäuser und Brükkenbauwerke, große Baumaschinen sowie für Lagerung, Umgang, Verkehr usw. mit explosionsgefährlichen Stoffen nach dieser Theorie nur die niedrigste Sicherheitsstufe gelten, da die Landesbauverordnungen - beispielsweise von Nordrhein-Westfalen in § 3 Abs. 1 und 3 BauO NW - für Bauwerke ebenso wie das Gerätesicherheitsgesetz in § 3 Abs. 1 S. 2 und 3 GSG für technische Arbeitsmittel und das Sprengstoffgesetz in den §§ 17 Abs. 2 Nr. 1, 24 Abs. 1 SprengG für explosionsgefährliche Stoffe auf die "allgemein anerkannten Regeln der Technik" oder die "allgemein anerkannten Regeln der Technik und Baukunst" abstellen. Schließlich erstreckt sich die nach Maßgabe der "3-Stufen-Theorie" durch den "Stand der Technik" und seine Variationen definierte mittlere Sicherheitsstufe von der Wirkungsweise, Brauchbarkeit und Beständigkeit von pyrotechnischer (!) Munition (§ 23 Abs. 2 Nr. 3 WaffG) über Verfahren der Sammlung, Behandlung, Lagerung und Ablagerung von Abfällen (§ 4 Abs. 5 S. 1 AbfG) bis hin zur Begrenzung von Emissionen und Immissionen (§5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG) und die Abwehr benachteiligender gentechnisch bedingter Einwirkungen von einem Grundstück auf ein benachbartes (§ 23 S. 2 GenTG). Folglich kann bezüglich der Verwendung der normativen Standards in den untersuchten Rechtsnormen des Umwelt- und Technikrechts keine allgemeingültige Systematik festgestellt werden, welche die Annahme einer sicherheitstechnischen Rangfolge dieser Begriffe abgestuft nach dem unterschiedlichen Gefahrenpotential der geregelten technischen Systeme rechtfertigen könnte14. Vielmehr lassen sich zahlreiche Fälle aufzeigen, in denen der Gesetz- und Verordnungsgeber das Sicherheitsniveau technischer Systeme mit deutlich unterschiedlichen Gefahren- und Risikopotentialen durch denselben normativen Standard festgelegt hat, während er in anderen umgekehrt das Sicherheitsniveau technischer Systeme mit vergleichbaren Gefahren- und Risikopotentialen durch verschiedene normative Standards determiniert.

14 So auch das Ergebnis der Untersuchungen des BMWi bezüglich der Verwendung von über 40 verschiedenen offenen Rechtsbegriffen. BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 6, 9; ebenso auch Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 64 f.; ders., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 85; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 845; ders., Funktion und Bedeutung technischer Standards, S. 264 f.

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Teil 3: Ausblick

Diese widersprüchliche Verwendung normativer Standards setzt sich in einzelnen Normen- und Regelsystemen fort, innerhalb derer die Regelsetzer mehrere, sich widersprechende normative Standards verwenden. Paradebeispiel hierfür ist das Normen- und Regelsystem der überwachungsbedürftigen Anlagen im Sinne der §§ 11 ff. GSG 15 . Hier hat sich der Gesetzgeber - wie bereits zuvor in den §§24 ff. GewO a.F. - der Normierung selbst allgemeiner sicherheitstechnischer Anforderungen gänzlich enthalten und stattdessen die Bundesregierung umfassend zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt; unter anderem wird diese "Zum Schutze der Beschäftigten und Dritter vor Gefahren durch Anlagen, die mit Rücksicht auf ihre Gefährlichkeit einer besonderen Überwachung bedürfen (überwachungsbedürftige Anlagen),... ermächtigt, nach Anhörung der beteiligten Kreise durch Rechtsverordnung zu bestimmen, ... daß solche Anlagen, insbesondere die Errichtung, die Herstellung, die Bauart, die Werkstoffe, die Ausrüstung und die Unterhaltung sowie ihr Betrieb bestimmten, dem Stand der Technik entsprechenden Anforderungen genügen müssen." (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 GSG; Hervorh. d. Verf.) Damit wird der Bundesregierung für die Konkretisierung des Gesetzes durch Rechtsverordnungen durch den Gesetzgeber mittels des normativen Standards "Stand der Technik" im Verständnis der "3-Stufen-Theorie" ein mittleres Sicherheitsniveaus vorgegeben, welches damit für das Normen- und Regelsystem der überwachungsbedürftige Anlagen bestimmend ist. Im Rahmen dieser Konkretisierungsaufgabe hat die Bundesregierung gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 2. HS GSG die Vorschläge der technischen Ausschüsse nach § 11 Abs. 2 GSG zu berücksichtigen. Deren diesbezügliche gesetzliche Aufgabenstellung ist es, "die Bundesregierung oder den zuständigen Bundesminister insbesondere in technischen Fragen [zu] beraten und ihnen dem Stand von Wissenschaft und Technik ent-

• 1 5 Vgl. dazu die einschlägigen Unterabschn. des Kap. II.A.l.c)dd)(4). Auch im Normen- und Regelsystem der Gerätesicherheit existieren vergleichbare Widersprüche: Während der Gesetzgeber in § 3 Abs. 1 S. 2 GSG, der "KemVorschrift" oder "Zentralnorm" dieses Gesetzes, durch den normativen Standard "allgemein anerkannte Regeln der Technik" im Verständnis der "3-Stufen-Theorie" für die betreffenden technischen Systeme das unterste Sicherheitsniveau normiert, welches damit für das Normen- und Regelsystem der Gerätesicherheit bestimmend ist, fordert § 2 Abs. 1 Nr. 1 als zentrale Vorschrift der NiederspV (1. GSGV) hinsichtlich der "Beschaffenheit elektrischer Betriebsmittel zur Verwendung bei einer Nennspannung zwischen 50 und 1 000 V für Wechselstrom und zwischen 75 und 1 500 V für Gleichstrom" (§ 1 S. 1 der NiederspV) in Umsetzung der europäischen Niederspannungsrichtlinie, daß "die elektrischen Betriebsmittel entsprechend dem in der Europäischen Gemeinschaft gegebenen Stand der Sicherheitstechnik hergestellt sind". In diesem Zusammenhang wird es richtigerweise als problematisch angesehen, daß Rechtsverordnungen andere, vor allem schärfere Anforderungen stellen dürfen als das Gesetz, auf deren Grundlage sie erlassen worden sind. Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 127 f. Vgl. dazu die einschlägigen Unterabschn. des Kap. II.A.l.c)dd)(4).

. Die in

meller Hinsicht ungenügende Bestimmung

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sprechende Vorschriften vorzuschlagen...". (§ 11 Abs. 2 S. 2 GSG; Hervorh. d. Verf.) Dementsprechend müssen die Vorschläge der technischen Ausschüsse im Verständnis der "3-Stufen-Theorie" dem durch den "Stand von Wissenschaft und Technik" determinierten höchsten Sicherheitsniveau genügen. Ohne einen dieser beiden normativen Standards aufzugreifen, stellt beispielsweise § 6 Abs. 1 DampfkV stellvertretend für die acht einschlägigen, weitgehend einheitlichen Rechts Verordnungen16 auf das im Verständnis der "3-Stufen-Theorie" niedrigste Sicherheitsniveau der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" ab: "Dampfkesselanlagen müssen nach den Vorschriften des Anhangs zu dieser Verordnung, einer auf Grund des § 11 Abs. 1 Nr. 3 des Gerätesicherheitsgesetzes in Verbindung mit Absatz 2 erlassenen Rechtsverordnung und im übrigen nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik errichtet und betrieben werden." (Hervorh. d. Verf.) Im Ergebnis müssen im Verständnis der "3-Stufen-Theorie" die Vorschläge der technischen Ausschüsse für die technischen Vorschriften der Bundesregierung dem höchsten Sicherheitsniveau des "Standes von Wissenschaft und Technik" genügen, während dieser im gleichen Gesetz für den Erlaß der auf diesen Vorschlägen basierenden Rechtsverordnungen das mittlere Sicherheitsniveau des "Standes der Technik" vorgegeben wird, und die existierenden Rechtsverordnungen das niedrigste Sicherheitsniveau der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" normieren, womit das klassische Begriffstrio der "3Stufen-Theorie" in nur einem Normen- und Regelsystem bezüglich eines zu regelnden Sachverhaltes komplettiert wäre 17. Diese widersprüchliche Begriffsverwendung innerhalb dieses Normen- und Regelsystems findet ihren Höhepunkt, wenn die Aufgabe der öffentlichrechtlichen technischen Ausschüsse in nur einem Absatz eines Paragraphen der 16 Identische Bestimmungen enthalten § 3 Abs. 1 AufzV, § 3 Abs. 1 AcetV, § 4 Abs. 1 DruckbehV, § 3 Abs. 1 S. 1 ElexV und § 3 Abs. 1 SchankV. Abgesehen vom Fehlen des Abschnitts bezüglich der zu erlassenden Rechtsverordnung auch identisch § 3 Abs. 1 GasHDrLtgV; bezüglich des Anhangs in Abhängigkeit von der Gefahrenklasse in drei Gruppen differenzierend, aber ansonsten identisch § 4 Abs. 1 VbF. 17 Damit ist jedoch der Fundus begrifflicher Vielfalt innerhalb dieses einen Normenund Regelsystems der überwachungsbedürftigen Anlagen noch keineswegs erschöpft. So dürfen gemäß § 2 Abs. 2 der 6. GSGV bestimmte einfache Druckbehälter "nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie den ... in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft... geltenden allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen", und nach § 7 ElexV sollen im Falle des Betriebs elektrischer Anlagen in einem Raum, in dem eine explosionsfähige Atmosphäre entstehen kann, "unter Anwendung der allgemein anerkannten Regeln der Sicherheitstechnik Maßnahmen getroffen werden, die die Bildung explosionsfähiger Atmosphäre in gefahrdrohender Menge verhindern oder einschränken".

858

Teil 3: Ausblick

Rechtsverordnungen der überwachungsbedürftigen Anlagen mit Ausnahme der ElexV 1 8 übereinstimmend wie folgt - exemplifiziert am Beispiel der Aufgabe des DDA entsprechend § 30 Abs. 2 DampfkV - konkretisiert 19: "Der Deutsche Dampfkesselausschuß hat die Aufgabe, hinsichtlich der Dampfkesselanlagen 1. den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung insbesondere in technischen Fragen zu beraten und ihm dem jeweiligen Stand von Wissenschaft

und Technik

entsprechende Vorschriften vorzuschlagen und 2. die in § 6 Abs. 1 bezeichneten [allgemein anerkannten] Regeln [der Technik] zu

ermitteln." (Hervorh. d. Verf.) Unter diesen widersprüchlichen Prämissen ist es nur wenig verwunderlich, wenn sich die von den öffentlich-rechtlichen technischen Ausschüssen erarbeiteten technischen Regeln in einigen Fällen an dem normativen Standard der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" 20 , in anderen an dem "Stand der Technik" 21 orientieren. Die öffentlich-rechtlichen technischen Ausschüsse befinden sich in dieser Situation in einer wenig beneidenswerten Lage: Egal, welchen normativen Standard sie nun beachten - ihre Regelung befindet sich un-

18 Als einzige Ausnahme ist dem DExA gemäß § 18 Abs. 2 ElexV nur der erste Teil der genannten Aufgabenstellung übertragen worden, da die einschlägigen technischen Normen bereits in dem in Ergänzung der ElexVVwV erlassenen ElexVVwVVerz durch datierte Verweisung benannt sind und sich somit die Regelungsebene der öffentlichrechtlichen technischen Regeln erübrigt. Dementsprechend wird durch den DExA auch kein technisches Regelwerk erarbeitet. 19 Identische Bestimmungen, bezogen auf den jeweiligen Geltungsbereich der Rechtsverordnung und den jeweils zuständigen Minister, enthalten § 24 Abs. 2 AufzV, § 28 Abs. 2 AcetV, § 25 Abs. 2 VbF und § 19 Abs. 2 SchankV, nahezu wortgleiche Anweisungen auch § 14 Abs. 2 GasHDrLtgV und § 36 Abs. 2 DruckbehV. 20 Vgl. z.B. Abschn. 3 Nr. 3.2 TRAC 001: "Von den TRAC, in denen die allgemein anerkannten Regeln der Technik ihren Niederschlag gefunden haben ..." Identische Bestimmungen enthalten z.B. Abschn. 3 Abs. 3 TRbF 001 und Abschn. 2 Nr. 2.1 i.V.m. Abschn. 3 Nr. 3.2 TRB 001 (Technische Regeln für Druckbehälter (TRB) 001: "Allgemeines; Aufbau und Anwendung der TRB" i.d.F.d. Bekanntmachung v. 05.1983 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1983, Nr. 5, S. 55-56), zul. geänd. d. BArbBl., 1989, Nr. 2, S. 106). 21 Vgl. z.B. Abschn. 2 Nr. 2.1 S. 1 und 2 TRSK 001 (Technische Regeln für Getränkeschankanlagen (TRSK) 001: "Aufbau und Anwendung der TRSK" i.d.F.d. Bekanntmachung v. 12.1993 (BAnz., 1993, Nr. 243a, S. 7-8)): "Die TRSK enthalten sicherheitstechnische und hygienische Anforderungen, bei deren Anwendung die Vorschrift des § 3 Abs. 1 SchankV im Regelfall erfüllt ist. Die TRSK schließen nicht aus, daß daneben andere technische Regeln nach dem Stand der Technik bestehen und in besonderen Fällen angewendet werden." und TRA 001 (Technisches Regelwerk für Aufzüge (TRA) 001: "Allgemeines, Aufbau, Anwendung" i.d.F.d. Bekanntmachung v. 11.1990 (BArbBl., Fachteil ArbSch., 1990, Nr. 11, S. 50-52), berichtigt d. BArbBl., 1990, Nr. 12, S. 35).

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meller Hinsicht ungenügende Bestimmung

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weigerlich entweder mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsniveau des "Standes der Technik" oder dem in den Rechtsverordnungen durchgehend normierten Sicherheitsniveau der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" in Konflikt. Dementsprechend kann auch bezüglich der Verwendung der normativen Standards in dem Normen- und Regelsystem der überwachungsbedürftigen Anlagen keine allgemeingültige Systematik festgestellt werden, welche die Annahme einer sicherheitstechnischen Rangfolge dieser Begriffe abgestuft nach dem unterschiedlichen Gefahrenpotential der geregelten Gegenstände rechtfertigen könnte. Vielmehr werden bezüglich des Sicherheitsniveaus derselben Regelungsgegenstände durch die Verwendung verschiedener normativer Standards der unterschiedlichen - in diesem Falle sogar aller drei - Sicherheitsstufen sich widersprechende Festlegungen getroffen. Schließlich findet die unsystematische Verwendung normativer Standards ungeachtet gelungener Beispiele wie dem 1986 eingefügten § 7 a Abs. 1 S. 3 WHG selbst in einzelnen Rechtsnormen ihre Fortsetzung 22. Neben dem zuvor 22 Daneben sei noch als Beispiel für die europäische Rechtssetzung die bereits erwähnte Niederspannungsrichtlinie angeführt; diese bestimmt in Art. 2 Abs. 1 : "Die Mitgliedstaaten treffen alle zweckdienlichen Maßnahmen, damit die elektrischen Betriebsmittel nur dann in den Verkehr gebracht werden können, wenn sie - ent-

sprechend dem in der Gemeinschaft gegebenen Stand der Sicherheitstechnik

- so herge-

stellt sind, daß sie bei einer ordnungsgemäßen Installation und Wartung sowie einer bestimmungsgemäßen Verwendung die Sicherheit von Menschen und Nutztieren sowie die Erhaltung von Sachwerten nicht gefährden." (Hervorh. d. Verf.) Im direkten Widerspruch dazu normiert Art. 9 Abs. 1 Niederspannungsrichtlinie: "Wenn ein Mitgliedstaat aus Sicherheitsgründen das Inverkehrbringen von elektrischen Betriebsmitteln, untersagt oder den freien Verkehr dieser Betriebsmittel behindert, setzt er die betroffenen Mitgliedstaaten und die Kommission unter Angabe der Gründe seiner Entscheidung hiervon unverzüglich in Kenntnis und gibt insbesondere an,... - ob die Nichterfüllung auf die schlechte Anwendung der genannten Normen bzw.

Veröffentlichungen oder die Nichteinhaltung der Regeln der Technik nach Artikel 2 zu-

rückzuführen ist." (Hervorh. d. Verf.) Derartige, sich im Sinne der "3-Stufen-Theorie" unmittelbar widersprechende Verwendungen normativer Standards finden sich im übrigen nicht nur im Schrifttum (vgl. z.B. Sonnenberger, H.-J., Grundfragen, S. 3: "Anders als bei den sogenannten anerkannten Regeln der Technik als Ausdruck des jeweiligen Standes der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung ..."), sondern sogar in den Spitzen der Ministerien: "Die Generalklausel stellt üblicherweise auf die,anerkannten Regeln der Technik ', das heißt auf die jeweils anerkannten Regeln der Technik ab und knüpft Rechtsfolgen an ihre Nichtbeachtung. Verwendet der Gesetzgeber eine solche Generalklausel, so geht er davon aus, daß der Stand der Technik bereits in technische Normen umschrieben und auf diese Weise für den Fachmann faßbar geworden ist oder zumindest, daß die Normungsgremien sich des betreffenden Bereichs besonders annehmen werden." Vogel, H.-J., Eröffnungsansprache, S. 14 (Hervorh. d. Verf.); vgl. auch die vollständige Wiedergabe des Zitats in Abschn. A der Einleitung.

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Teil 3: Ausblick

genannten, stellvertretend für die übrigen Rechtsverordnungen der überwachungsbedürftigen Anlagen im Sinne des § 11 GSG stehenden Beispiel des § 30 Abs. 2 DampfkV sei im folgenden die in ihrer Prägnanz kaum zu übertreffende Analyse des ChemG durch Marburger wiedergegeben 23: "Ein abschreckendes Beispiel ist das jüngst erst erlassene Chemikaliengesetz. Es verweist in § 7 Abs. 2 auf den ,Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse', in § 10 Abs. 3 auf den ,Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis', wobei dunkel bleibt, worin der Plural sich hier vom Singular unterscheidet. In § 13 kommt es dann auf die »gesicherte wissenschaftlichen Erkenntnis' an, die sich offenbar von dem ,Stand' und auch von dem in § 17 Abs. 1 Nr. 5 angesprochenen jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis' unterscheiden soll. Zu allem Überfluß beruft sich § 19 Abs. 2 Nr. 1 auf die »gesicherten sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen, hygienischen und sonstigen arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse', über die es nach der Nr. 12 dieser Vorschrift dann auch noch ,Regeln' geben soll."24 Folglich kann auch bezüglich der Verwendung der normativen Standards in den aufgezeigten einzelnen Rechtsnormen keine allgemeingültige Systematik festgestellt werden, welche die Annahme einer sicherheitstechnischen Rangfolge dieser Begriffe abgestuft nach dem unterschiedlichen Gefahrenpotential der geregelten Gegenstände rechtfertigen könnte. Vielmehr werden selbst in einzelnen Rechtsnormen durch die Verwendung verschiedener normativer Standards der unterschiedlichen Sicherheitsstufen sich widersprechende Festlegungen getroffen. Drittens läßt die fehlende Homogenität des Gefahren- und Risikopotentials der mit einem normativen Standard geregelten technischen Systeme Zweifel an der Richtigkeit der "3-Stufen-Theorie" aufkommen. Denn wenn deren Prämisse Gültigkeit besitzen soll, nach der mit bestimmten normativen Standards ein bestimmtes Sicherheitsniveau gekennzeichnet und für den betreffenden Regelungsbereich vorgegeben wird, so muß die Menge der mittels einem normativen Standard geregelten technischen Systeme notwendigerweise durch ein vergleichbar hohes Gefahren- und Risikopotential gekennzeichnet sein, welches statistisch gesehen mit vergleichsweise geringer Varianz um einen Mittelwert streut. Denn bei hoher Varianz resultiert für die technischen Systeme aus der einheitlichen Festlegung des schütz- und sicherheitstechnischen Niveaus eine Gleichbehandlung, die aufgrund der deutlich unterschiedlichen Gefahren- und Risikopotentiale sachlich nicht gerechtfertigt ist, da sie für einen Großteil der erfaßten technischen Systeme ein zu hohes und/oder ein zu geringes Sicherheitsniveau vorschreibt.

23 Dieses Zitat behält auch bezüglich der aktuellen Fassung des Gesetzes weitgehend seine Gültigkeit. Vgl. die Nachweise in Kap. ILA. 1 .c)bb)(2)(a)(dd). 24 Marburger, P., Risiko als Rechtsproblem, S. 53 f.

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meller Hinsicht ungenügende Bestimmung

861

Tatsächlich lassen sich im deutschen Umwelt- und Technikrecht zahlreiche Beispiele dafür anführen, daß die an der Spitze der Normen- und Regelsysteme stehenden Gesetze teilweise kaum überschaubare Gruppen technischer Systeme mit vollkommen inhomogenen Gefahren- und Risikopotentialen mit demselben normativen Standard geregelt werden. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist auch hier das Normen- und Regelsystem der Gerätesicherheit und der überwachungsbedürftigen Anlagen25, welches bezüglich der Gerätesicherheit mit dem normativen Standard "allgemein anerkannte Regeln der Technik" einen einheitlichen Sicherheitsmaßstab für den weitaus größten Teil des Spektrums industriell gefertigter Serien-Erzeugnisse vom Kinderspielzeug über Schutzausrüstungen bis zu schweren Industrie- oder Baumaschinen festlegt. Unterhalb der Gesetzesebene dieses Normen- und Regelsystems reguliert allein die als 1. GSGV umgesetzte Niederspannungsrichtlinie aufgrund ihres extrem weit gefaßten Anwendungsbereiches, welcher sämtliche elektrischen Betriebsmittel zur Verwendung bei einer Nennspannung zwischen 50 und 1 000 V für Wechselstrom und zwischen 75 und 1 500 V für Gleichstrom (§ 1 S. 1 der 1. GSGV) umfaßt, elektrotechnische Systeme in einem Umfang von rund 70 % des gesamten Umsatzes mit elektrotechnischen Erzeugnissen innerhalb der Europäischen Union26. Ein anderes Beispiel sind die Bauordnungen der Länder, die mittels des normativen Standards "allgemein anerkannten Regeln der Technik" oder "allgemein anerkannten Regeln der Technik und Baukunst" einen Sicherheitsstandard für sämtliche baulichen Anlagen von der einfachen freistehenden Garage über die komplexe Brückenkonstruktion bis hin zum mehrere hundert Meter hohen Wolkenkratzer festlegen. Des weiteren differiert selbst das Gefahrenund Risikopotential eines vergleichsweise kleinen und daher übersichtlichen Bereiches wie das der in den §§ 11 ff. GSG geregelten überwachungsbedürftigen Anlagen erheblich, indem mittels eines normativen Standards dem Gefahren- und Risikopotential von Getränkeschankanlagen gleichermaßen begegnet werden soll wie dem von Anlagen zur Lagerung, Abfüllung und Beförderung von brennbaren Flüssigkeiten. Schließlich gelten die gleichen Überlegungen auch für hochkomplexe technische Einzelsysteme wie beispielsweise Kernkraftwerke, deren Teilsysteme sich bezüglich ihres Gefahren- und Risikopotentials erheblich unterscheiden, die aber dennoch undifferenziert nach Maßgabe nur eines normativen Standards zu beurteilen sind27.

25

Kap. II.A.l.c)dd)(4). Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)(2)(b). 27 So schreibt die "Zentralnorm" der Genehmigungsvoraussetzungen für kerntechnische Anlagen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG vor, daß eine Genehmigung nur dann erteilt werden darf, wenn "die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist." Abgesehen von § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG, nach dem "der erforderliche Schutz der An26

862

Teil 3: Ausblick

Dieser Befund kann als symptomatisch für alle Rechtsgebiete des Umweltund Technikrechts gelten, in denen ein "knapp formuliertes Blankett" mehr oder weniger offen gefaßter Tatbestandsmerkmale einen außerordentlich weiten, nur schwer abgrenzbaren Tatbestandsbereich reglementiert 28. Im Ergebnis ist die als Voraussetzung für die Gültigkeit der "3-Stufen-Theorie" unabdingbar notwendige Homogenität des Gefahren- und Risikopotentials der mit einem normativen Standard geregelten technischen Systeme in weiten Bereichen des Umwelt- und Technikrechts nicht gegeben29. Vielmehr sind viele Regelungsbereiche in sich derart inhomogen, daß das durch den normativen Standard im Sinne der "3Stufen-Theorie" definierte Schutz- und Sicherheitsniveau den tatsächlichen Gefahren· und Risikopotentialen der erfaßten technischen Systeme nur zu einem geringen Teil gerecht wird. Dabei ist dieser Anteil umso kleiner, je größer die Varianz der Gefahren- und Risikopotentiale der durch einen normativen Standard erfaßten technischen Systeme ist. Viertens werden die sich aus der Inhomogenität der Regelungsgebiete ergebenden Inkonsistenzen zusätzlich dadurch verstärkt, daß im deutschen Recht keine einheitliche formelle Regelungssystematik bezüglich der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards erkennbar ist. Im Gegensatz zur Europäischen Union, in der durch die Verabschiedung einer "Modellrichtlinie" im Rahmen der "Leitlinien einer neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" durch den Rat ein aus zehn "Hauptelementen" bestehendes allgemeines Schema für die normkonkretisierende allgemeine Verweisung auf Europäische Normen existiert, an denen sich die Richt-

lage gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter" zu gewährleisten ist, normiert das Gesetz mit dieser Aneinanderreihung offener Rechtsbegriffe (so zutreffend Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 83; ders., Atomrecht, S. 243) das gesamte Sicherheitskonzept, also alle sicherheitstechnischen Anforderungen an die Beschaffenheit der Anlage und den Umgang mit ihr, die erfüllt sein müssen, damit die Genehmigung erteilt werden kann. Führt man sich die Komplexität von Atomanlagen vor Augen, so gewinnt man eine Vorstellung von der ungeheuren Fülle naturwissenschaftlich-technischer Detailfragen, die ungeachtet des individuellen Gefahrenpotentials des Teilsystems gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG nach dem Maßstab der vom "Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Schadensvorsorge" rechtlich zu entscheiden ist. So zutreffend Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 5 f. Vgl. dazu Kap. II.A.l.c)dd)(3)(a). 28 "Betrachtet man die bezuggenommenen technischen Vorschriften unter diesem Blickwinkel, so erhellt, daß hier vielfach in das winzige Korsett der bezugnehmenden Blankettrechtsnormen im Wege der Verweisung ein ungeheures Material an Tatbeständen gepreßt wird. Je umfangreicher aber der rezipierte Stoff ist, desto mehr gerät die Verweisung in die Nähe der Delegation." Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 207. So bezüglich des ersten Teils auch Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 5 f.; ähnlich femer Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 47 f. 29 So auch Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 845.

. Die in

meller Hinsicht ungenügende Bestimmung

863

linien nach Art. 100 EGV nach der "Neuen Konzeption" zu orientieren haben30, lassen sich auf deutscher Ebene entsprechend der Analyse in Kapitel ILA. 1. c)bb)(2)(a)(aa) zumindest vier Grundstrukturen 31 der Verwendung normativer Standards nachweisen, wobei zusätzlich Untergruppen und Mischformen der Grundstrukturen existieren32. wird auf die Proklamierung In einer ersten Gruppe von Rechtsvorschriften einer gesetzlichen Schutzzielbestimmung verzichtet, so daß der normative Standard den alleinigen Maßstab für die erforderlichen Schutzmaßnahmen bzw. die entsprechenden Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen darstellt. In einem zweiten Kategorie von Rechtsvorschriften bilden die Schutzzielbestimmung des Gesetzes und der normative Standard einen gemeinsamen Maßstab für die erforderlichen Schutzmaßnahmen bzw. die betreffenden Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen, wobei die durch den normativen Standard definierten Anforderungen in einer Untermenge dieser zweiten Kategorie von Rechtsvorschriften als konkretisierende Teilmenge des durch die gesetzliche Schutzzielbestimmung festgelegten Sicherheitsmaßstab fungieren. In einer dritten Klasse von Rechtsvorschriften werden der Schutz- und Sicherheitsmaßstab, welcher der Schutzzielbestimmung des Gesetzes immanent ist, und der durch den normativen Standard bezeichnete Maßstab ergänzend und gleichberechtigt nebeneinander verwendet, wobei das durch den normativen Standard definierte Schutz- und Sicherheitsniveau in einer Untermenge dieser dritten Klasse von Rechtsvorschriften gegebenenfalls als subsidiäre (Minimal-) Anforderung des untergesetzlich zu konkretisierenden gesetzlichen Sicherheitsmaßstabs fungiert. In einer vierten Familie von Rechtsvorschriften schließlich wer-

30

Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)(aa). Bei dieser Regelungsmethode wird in ihrer grundsätzlichen Ausprägung die Schutzzielbestimmung des Gesetzes und damit der Maßstab für die erforderlichen Schutzmaßnahmen auf Basis der im Grundrechtskatalog enthaltenen Wertordnung hinsichtlich der verfassungsmäßig zu schützenden Rechtsgüter normativ festgelegt; dies erfolgt im allgemeinen durch offene Rechtsbegriffe nach dem Muster der polizeirechtlichen Generalklausel wie z.B. "schädliche Umwelteinwirkungen" (§§1, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 S. 1 und 2, 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 sowie S. 3, 23 Abs. 1 S. 1, 25 Abs. 2, 26 S. 1 u.a. BImSchG), "erforderliche Vorsorge gegen Schäden" (§§ 4 Abs. 2 Nr. 3, 5 Abs. 1 S. 2, 6 Abs. 2 Nr. 2, 7 Abs. 2 Nr. 3, 9 Abs. 2 Nr. 3 AtG) oder "Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere eine Gefährdung der öffentlichen Wasserversorgung" (§ 6 WHG). Gleichzeitig erfolgt durch die bekannten normativen Standards wie z.B. die "(allgemein) anerkannten Regeln der Technik", den "Stand der Technik" oder den "Stand von Wissenschaft und Technik" eine allgemeine Konkretisierung der Risikogrenze durch Benennung des einzuhaltenden (sicherheits-) technischen Niveaus. 32 Dementsprechend unterscheidet Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 61 f., zumindest acht unterschiedliche Verwendungsarten normative Standards. 31

864

Teil 3: Ausblick

den neben dem durch den normativen Standard fixierten allgemeinen Sicherheitsniveau zusätzlich normative Detailanforderungen festgelegt, wobei teilweise der normative Standard zur Ergänzung der in der Rechtsvorschrift festgelegten Detailanforderungen herangezogen wird, und teilweise die Anforderungen mit einem normativen Standard umschrieben und zu diesem zusätzliche Detailanforderungen postuliert werden, wobei die Vorrangigkeit der gesetzlich fixierten Detailanforderungen vor den mit dem normativen Standard umschriebenen Anforderungen nicht immer eindeutig ist. Darüber hinaus gibt es auch Mischformen der genannten vier Grundstrukturen. Als Beispiele seien hier das Bauordnungsrecht der Länder und die Arbeitsstättenverordnung genannt, welche den der Schutzzielbestimmung des Gesetzes immanenten Maßstab und den durch den normativen Standard bezeichneten Maßstab ergänzend und gleichberechtigt nebeneinander verwenden und zugleich für Teilbereiche technische Details normieren 33. Im Ergebnis ist innerhalb der großen Gruppe von Rechtsvorschriften des Umwelt- und Technikrechts, welche die Regelungstechnik der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards anwenden, nicht einmal in Ansätzen eine allgemeine und konsistente formelle Regelungssystematik erkennbar 34. Insbesondere bleibt das Verhältnis von gesetzlicher Schutzzielbestimmung und normativem Standard und hier insbesondere die Frage nach dem Rangverhältnis des Schutz- und Sicherheitsmaßstabs, welcher der Schutzzielbestimmung des Gesetzes entsprechend dem Verfassungsrang des zu schützenden Rechtsgutes immanent ist, zu dem im Sinne der "3-Stufen-Theorie" durch den normativen Standard bezeichneten Maßstab bei ihrer gemeinsamen, ergänzenden und vor allem subsidiären Verwendung im Rahmen der mittelbaren Rezeption technischer Normen vollkommen ungeklärt. Dies hat zur unmittelbaren Folge, daß das durch gesetzliche Schutzzielbestimmung und normativen Standard vorgeschriebene Sicherheitsniveau selbst unter Akzeptanz der Prämissen der "3-Stufen-Theorie" für den Normanwender nicht eindeutig definiert ist 35 . Diese fehlende Regelungssystematik findet fünftens ihre Fortsetzung in der fehlenden formellen Systematik bezüglich der Konkretisierung der normativen Standards. Entsprechend den Ausführungen des vorangegangenen Abschnitts hat der Gesetzgeber diese Aufgabe entweder an die Exekutive und/oder die technischen Normenorganisationen delegiert, wobei auch hier die in Kapiteln II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß) und II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa) vorgenommene Analyse der Rechtsvorschriften mehrere Vorgehens- und Verfahrensweisen zum einen be-

33 34 35

Vgl. zu dieser Klassifizierung die Nachweise in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa). So auch Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 61 f. Vgl. dazu auch das Zitat zu Beginn des Abschn. Β dieses Ausblicks.

. Die in

meller Hinsicht ungenügende Bestimmung

865

züglich der mit dieser Aufgabe primär betrauten Stellen, zum anderen hinsichtlich der Instrumente der Konkretisierung durch die Exekutive aufgezeigt hat. Bezüglich der mit der Aufgabe der Konkretisierung der normativen Standards betrauten Stellen reicht das Spektrum der praktizierten Methoden von dem Verzicht auf eine exekutive Gesetzeskonkretisierung zugunsten der unmittelbaren normativen Verweisung auf die einschlägigen technischen Normenwerke über die kombinierte Ermächtigung der Exekutive zur Konkretisierung der normativen Standards durch Rechtsverordnungen und/oder allgemeine Verwaltungsvorschriften unter Heranziehung von technischen Normen bis zur alleinigen Ermächtigung der Exekutive. Im ersten Fall der Regelungsmethode der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung auf technische Normen 36 wird zur Konkretisierung eines normativen Standards unmittelbar, d.h. in der Verweisungsnorm selbst, auf alle technischen Normen eines bestimmten Normungsgebietes oder einer vorgegebenen technischen Normenorganisation Bezug genommen. Im zweiten Fall wird im Rahmen der Regelungsmethode der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards die Exekutive ermächtigt, diejenigen technischen Normen in abstrakt-genereller Form zu bezeichnen, welche den normativen Standard zutreffend konkretisieren. Im dritten Fall schließlich wird explizit allein die Exekutive ermächtigt, den normativen Standard zu konkretisieren, wobei die Exekutive zum Teil durch speziell zu diesem Zweck konstituierte Fachausschüsse beraten wird. Praktisch als Zwischenstufe zwischen dem zweiten und dritten Fall hat der Gesetzgeber in verschiedenen Gesetzen durch den Passus, daß bezüglich "der Anforderungen ... auf (jedermann zugängliche) Bekanntmachungen sachverständiger Stellen (unter Angabe der Fundstelle) verwiesen werden" kann, klargestellt, daß zur Konkretisierung gesetzlicher Vorgaben auch die technischen Normen(werke) der privaten technischen Normenorganisationen herangezogen werden können 37 . Hinzu kommt noch der Fall, daß der Gesetzgeber weder die einschlägigen technischen Normen unmittelbar bezeichnet noch die Exekutive zur abstraktgenerellen Konkretisierung ermächtigt hat, und somit die Konkretisierung des normativen Standards der konkret-individuellen Einzelfallregelung den Behörden und im Falle eines Rechtsstreits den Gerichten obliegt, welche dann nach eigenem Ermessen technische Normen zur Lösungsfindung heranziehen können. Innerhalb dieses genannten Methodenspektrums nimmt der Gestaltungs- und Kompetenzbereich der Exekutive ständig zu: Hat diese bei der normkonkretisie36 37

5

Vgl. Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß). Vgl. die Nachweise in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa).

Zubke-von Thünen

866

Teil 3: Ausblick

renden allgemeinen Verweisung keinen Einfluß darauf, zu welchen Regelungsaspekten die Normenorganisationen technische Normen in welcher Breite, in welcher Tiefe und in welchem Umfang 38 erarbeitet - die rechtsanwendende Behörde kann lediglich die durch die normkonkretisierende allgemeine Verweisung erzeugte widerlegbare gesetzliche Vermutung durch die Widerlegung der Vermutungsbasis oder den vollen Beweis des Gegenteils entkräften -, ist im zweiten Fall der Gestaltungsspielraum der Exekutive insofern größer, als daß sie aus dem technischen Normenwerk diejenigen Normen auszuwählen autorisiert ist, die sie für die Konkretisierung des normativen Standards als geeignet ansieht. Im dritten Fall schließlich verfügt die Behörde innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen über den vollständigen Gestaltungsspielraum bezüglich der zu regelnden Aspekte in Breite, Tiefe und Umfang. Gleiches gilt für den Fall, daß der Gesetzgeber keinerlei Ermächtigung zur abstrakt-generellen Konkretisierung vorgesehen und die Konkretisierung des normativen Standards somit der konkret-individuellen Einzelfallregelung auf der Rechtsanwendungsebene überlassen hat, obwohl diese in aller Regel von der genannten Möglichkeit Gebrauch machen, technische Normen zur Lösungsfindung heranzuziehen 39 . Hinsichtlich der Instrumente der Konkretisierung des normativen Standards durch die Exekutive hat der Gesetzgeber in vielfältigen Variationen Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen und/oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften sowie im Baubereich die Einführung der als "allgemein anerkannte Regeln der Technik" geltenden Technischen Baubestimmungen durch die oberste Bauaufsichtsbehörde und deren Veröffentlichung im Ministerialblatt, Staatsanzeiger oder vergleichbarem vorgesehen. Angesichts dieser fehlenden Systematik der Konkretisierung der normativen Standards, die wiederum jeglichen Bezug zum Gefahren- und Risikopotential oder sonstigen Charakteristika der jeweils geregelten technischen Systeme vermissen läßt, ist es kaum verwunderlich, daß das im Schrifttum vertretene Interpretationsspektrum hinsichtlich der Funktion der normativen Standards von der reinen Rezeptionsfunktion außerrechtlicher sozialer Ordnungsgefüge bis zur reinen Delegation der Konkretisierung bzw. Ausfüllung des gesetzlichen Ordnungsrahmens an die zweite und dritte Gewalt reicht 40 . Wie die vorhergehenden Ausführungen belegen, vermag zumindest im Umwelt- und Technikrecht keine dieser Deutungen absolute Geltung zu beanspruchen; vielmehr hängt die zutreffende Auslegung von der Ausgestaltung der exekutiven Ermächtigung und/oder der Rezeption technischer Normen ab. 38 39 40

Vgl. Kap. I.B. Vgl. Kap. II.Α. 1 .c)bb)(2)(a)(aa). Vgl. die Ausführungen in Fn. 586 in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa).

Β. Die in formeller Hinsicht ungenügende Bestimmung

867

Abschließend muß sechstens darüber hinaus denjenigen Gesetzen eine formelle Steuerungsfähigkeit abgesprochen werden, die mit Hilfe offener Rechtsbegriffe Grundpflichten der öffentlichen Hand mit (unerfüllbar) hohem Anspruch normieren, dem die Konkretisierung auf der Rechtsanwendungsebene nicht standhalten kann, zumal "das für eine praktische Rechtsanwendung unerläßliche Mindestmaß an konkretem Regelungsgehalt" fehlt 41 . Als Beispiele für eine solche "politische Prosa in Gesetzesform" 42 können die "materiellrechtliche Grundnorm" des Bauordnungsrechts des § 3 Abs. 1 S. 1 MBO "Bauliche Anlagen sowie andere Anlagen und Einrichtungen im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, daß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet wird", sowie die Grundpflicht der Gefahrenabwehr des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG genannt werden, "Genehmigungsbedürftige Anlagen ... so zu errichten und zu betreiben, daß ... schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können". Da einerseits derartige schädlichen Umwelteinwirkungen nach Ansicht des ehemaligen Vorsitzenden des Bundesverwaltungsgerichts Sendler in vielen Bereichen nicht gänzlich auszuschließen sind, jedoch die Erfüllung der Grundpflicht der Gefahrenabwehr nach § 6 Nr. 1 BImSchG de jure "sichergestellt" sein muß, wird durch diese zu "großzügigen", "unbedachten" und "vollmundigen" "propagandistisch wirksamen Unverbindlichkeiten" de jure ein weitgehendes Verbot solcher Anlagen statuiert 43. Genau dies sollte gemäß den Ausfüh41 So der ehemalige Vorsitzende des BVerwG Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9 unter Hinweis auf das Urteil des BVerwG v. 23.01.1981 - 4 C 4.78 UPR 1 (1981), S. 27 (Anm. zu § 41 Abs. 1 BImSchG). Vgl. dazu auch die Ausführungen des vorhergehenden Abschnitts. 42 Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9. 43 So in vorsichtiger Formulierung und selbst zitierend Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9. Dementsprechend habe die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts "diese verbalen Übertreibungen und ihren Nachvollzug durch einige Instanzgerichte zurechtzurücken gewußt". (Ebd.) Eine solche nachgeholte Rechtssetzung und Rechtsfortbildung durch Behörden und Gerichte im Falle von Versäumnissen des Gesetzes von "strategischem" Gewicht ist jedoch nicht nur ein Verstoß gegen den in Abschn. A der Einleitung dargelegten allgemeinen und verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt und die Wesentlichkeitstheorie. Sie muß zwangsläufig die Problemlösungsfähigkeit vielleicht noch nicht der Behörden, spätestens aber der Gerichte nicht nur hinsichtlich der notwendigen Fachkunde, sondern allein mengenmäßig bei weitem überfordern, da das deutsche Rechtsquellensystem kein Richterrecht kennt und daher jede gerichtliche Entscheidung nur für den Einzelfall gilt: "Wunder an Flexibilität darf man von der Rechtsprechung

5*

868

Teil 3: Ausblick

rungen des vorangegangenen Abschnitts durch den öffentlich im Parlament vollzogenen Ausgleich kollidierender Interessen und Grundrechte vermieden werden 44. Andererseits haben die durch Herstellung, Verwendung, Wiederverwertung und Entsorgung technischer Systeme sowie diese Systeme selbst verursachten Umweltschäden seit Jahrzehnten Dimensionen angenommen, welche die jeweiligen Gesetzes Wortlaute Lügen strafen: "Wir hätten z.B. als harte Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen und zu verarbeiten, daß es Waldschäden gibt, daß das Grundwasser verseucht ist, daß Arten sterben, daß also die natürliche Umwelt mit Großschäden, mit Mammutschäden bereits tief durchseucht ist. Polizeirechtlich ausgedrückt: ein eingetretener Schaden, eine manifeste Störung, eine laufende Störung. Es ist also genau das passiert, was laut Bundesimmissionsschutz eigentlich nicht vorkommen dürfte; denn nach diesem Gesetz ist »sichergestellt', daß schädliche Umwelteinwirkungen ausgeschlossen sind. ... Der manifeste Großschaden ist da, die laufende Störung ist da. Wie reagieren wir? Wir lassen die Schädigung und die Störung weiterlaufen, wir machen uns aber vor, wir betrieben sogar Vorsorge: Wir machen uns vor, daß wir über die Risikoabwehr und Restrisikominimierung hinaus sogar gegen Risiken ,Vorsorgen' und daß daher ja nichts passieren kann. So betrügen wir uns selbst."45 Folglich sind gesetzliche Normierungen derart, daß bei Herstellung, Verwendung und Entsorgung technischer Systeme sowie durch diese Systeme selbst niemand geschädigt werden dürfe, "inhaltsleer" und "nicht vollziehbar" 46 ; sie stellen weder eine Verhaltensmaxime für den Sicherungspflichtigen Normadressaten, noch einen geeigneten Maßstab für die Entscheidungen der Erlaubnisund Überwachungsbehörden und die diese Entscheidungen im Streitfall kontrol-

nicht erwarten ... Das Umweltrecht kann - ebenso wie die Wirtschaftsordnung - nicht allein von den Gerichten aufgrund der gelegentlich recht mageren Vorgaben des Gesetzgebers konkretisiert werden." Ebd., S. 10. 44 Gleiches gilt nach Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 10, für den Ausgleich der Maximalanforderungen bezüglich des Schutzes und der Sicherheit und des ökonomisch Machbaren: "Freilich dürfen den Verordnungen nicht Kardinalprobleme überlassen bleiben, die im Gesetz nicht geklärt werden konnten, so etwa die Frage der Kostentragung. Es geht nicht an, wohlklingend und bekenntnishaft Gesetze zu formulieren, die etwa im Straßenrecht jedermann Schutz vor Lärm und Gestank zu verheißen scheinen, die Durchführung im einzelnen aber Rechtsverordnungen zu überlassen, denen es dann vorbehalten bleibt, die hehren Anforderungen des Gesetzes dem finanziell Tragbaren anzupassen und damit - praktisch durch gesetzesändemde Verordnung zu reduzieren. In solchen Fällen bleibt der Rechtsprechung nichts anderes übrig, als warnend den Finger zu erheben, wenn das Gesetz selbst nicht eine Berücksichtigung der Kosten unter dem Gesichtspunkt des den öffentlichen Haushalten Zumutbaren vorsieht." 45 Suhr, D., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 308 f. 46 So zu Recht Marburger, P., Regeln, S. 118; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 10.

. Die in

meller Hinsicht ungenügende Bestimmung

869

lierenden Gerichte dar 47 . Folglich ist die formelle Regelungsleistung derartiger Gesetze gleichfalls praktisch nicht existent. Im Ergebnis ist damit im deutschen Umwelt- und Technikrecht keine der eingangs genannten Voraussetzungen für die Richtigkeit der "3-StufenTheorie" erfüllt: Denn erstens verwenden Gesetz- und Verordnungsgeber die normativen Standards in einer kaum überschaubaren Vielfalt, die eine vernünftig abgestufte Interpretation im Sinne der "3-Stufen-Theorie", welche eine nachvollziehbare Zuordnung zu deren drei maßgeblichen normativen Standards erfordern würde, praktisch unmöglich erscheinen läßt, zumal Legaldefinitionen der Begriffe weitestgehend fehlen. Gegen die Richtigkeit der "3-Stufen-Theorie" spricht zweitens die widersprüchliche Verwendung der normativen Standards nicht nur innerhalb des Umwelt- und Technikrechts in seiner Gesamtheit, sondern auch in den Rechtsnormen eines einzigen Normen- und Regelsystems und schließlich sogar innerhalb einer einzigen Rechtsnorm. Drittens läßt die fehlende Homogenität des Gefahren- und Risikopotentials der mit einem normativen Standard geregelten technischen Systeme zusätzliche Zweifel an der Geltung der "3-Stufen-Theorie" aufkommen. Darüber hinaus fehlt schließlich als vierter und fünfter Kritikpunkt ein formell in sich schlüssiges Regelungskonzept sowohl hinsichtlich der Verwendung als auch bezüglich der Konkretisierung der normativen Standards. Als Fazit ist folglich die "3-Stufen-Theorie" zu verwerfen 48 und demzufolge die weitgehend auf deren Gültigkeit beruhende formelle Regelungsleistung der normativen Standards nicht existent 49:

47

Marburger, P., Regeln, S. 118. So auch Erhard, R., Technische Standards, S. 15 f.; Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 60 ff. m.z.Bsp. auf S. 64 ff.; Marburger, P., Bezugnahme, S. 35; ders., Sicherheitstechnische Normen, S. 127; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 28; ders., Risiko als Rechtsproblem, S. 53 f.; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 844 ff.; ders., Funktion und Bedeutung technischer Standards, S. 263 ff.; ders., Rechtsvorschriften für Anlagen, S. 17 ff.; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 171 f.; Papier, H.-J., Rechtsvorschriften für Stoffe, S. 45 ff.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 14, 18; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1186; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 3 f.; Winckler, R., Rechtsvorschriften für Materialien und Geräte, S. 28 ff. Vgl. vor der Entwicklung der "3-Stufen-Theorie" auch schon Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 53 ff.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 41, 44, 48, 50. A.A. Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 147 ff., nach denen einzelne Ungereimtheiten, die einer Abstufung zu widersprechen scheinen, Ausdruck historischer Zufälligkeit sein können, was jedoch als möglicher Erklärungsansatz bereits in Fn. 9 in diesem Kapitel ausgeschlossen wurde. Statt dessen wird vielfach gefordert, sich dem 1982 entwickelten Vorschlag des "Gemeinschaftsausschusses der Technik" (GdT) anzuschließen, sich zukünftig auf den normativen Standard "Stand der Technik" zu beschränken und etwaige differenzierte Si48

870

Teil 3: Ausblick

"Schon dieser kursorische Überblick macht deutlich, daß die stoffrechtlichen Sicherheitsanforderungen, soweit sie generalklauselartig umschrieben sind, nicht einer rational begründbaren Systementscheidung folgen. Sie entspringen offenbar sprachlichen Geschmacksmustern und momentanen Einfallsgaben der formulierenden Gesetzgebungsbürokratie. Aus Schlüsselformeln im Schnittpunkt zwischen Recht, Wissenschaft, Medizin und Technik sind Floskeln geworden, denen wegen ihrer Beliebigkeit offenbar die juristische Ernsthaftigkeit abgesprochen werden muß."50 Dabei mag es offenbleiben, ob die rechtssetzenden Organe lediglich das ihnen zur Verfügung stehende Instrumentarium "noch nicht in wünschenswerter Weise" beherrschen 51 oder ihre "Regelungsaufgabe nicht mit der gebotenen Verantwortung und Sorgfalt wahrnehmen]" 52 . Ob darin ",nur* eine Schlamperei" 5 3 oder bereits "Ansätze zum Chaos" 54 eines unfähigen Gesetzgebers55 zu

cherheitsanforderungen anderweitig zum Ausdruck zu bringen. Der GdT definiert den "Stand der Technik" als: "Stand der Technik ist der zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichte Stand technischer Einrichtungen, Erzeugnisse, Methoden und Verfahren, der sich nach Meinung der Mehrheit der Fachleute in der Praxis bewährt hat oder dessen Eignung von ihnen als nachgewiesen angesehen wird." "Eine anerkannte Regel der Technik ist zum eine technische Festlegung, deren Inhalt von der Mehrheit der Fachleute als zutreffende Beschreibung des Standes der Technik zum Zeitpunkt der Veröffentlichung anerkannt wird." Budde, E. u.a., Bedeutung technischer Regeln, S. 250; Erhard, R., Technische Standards, S. 18; Lukes, R., Vereinheitlichung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 67 ff., insbes. S. 73 ff.; Nicklisch, F., Rechtsvorschriften für Anlagen, S. 21 ff.; ders., Technische Regelwerke, S. 846; ders., Rechtsvorschriften für Anlagen, S. 21, 25; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 41, 44, 48, 50; Scholz, R., Technik und Recht, S. 708 f.; Winckler, R., Rechtsvorschriften für Materialien und Geräte, S. 29. So auch die Gruppe der für Fragen der Normungspolitik zuständigen Regierungsvertreter der ECE-Mitgliedsstaaten. BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 8 f. A.A. Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 51, 55 ff. 49 Vgl. auch Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 86; ders., Atomrecht, S. 243, demzufolge Rechtsnormen mit offenen Rechtsbegriffen praktisch kaum in der Lage sind, ihre Regelungsaufgabe im Sozialleben zu erfüllen. 50 Papier, H.-J., Rechtsvorschriften für Stoffe, S. 46. Vgl. auch Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1186, der von den "inhaltsleeren Standards der 'anerkannten Regeln der Technik' oder des 'Stands der Technik'" spricht. 51 Baden, E., Dynamische Verweisungen, S. 627. Vgl. auch Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 15. 52 Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 127. Vgl. auch Papier, H.-J., Rechtsvorschriften für Stoffe, S. 45. 53 Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 3 f. 54 "Der auf Ansätze zum Chaos hindeutende Eindruck, den das geltende Stoffrecht im Hinblick auf Systemgerechtigkeit, Harmonie und Abstimmung, begriffliche Stringenz und sprachliche Präzision vermittelt..." Papier, H.-J., Rechtsvorschriften für Stoffe, S. 47. 55 "... oder ob sich darin nicht die allgemein bestehende Unfähigkeit des gegenwärtigen Gesetzgebers manifestiert, die einem noch mehr Furcht einjagen muß, wenn man

Β. Die in formeller Hinsicht ungenügende Bestimmung

871

sehen sind. Oder ob sie gar als "Krise des Rechtsstaats"56, als "Flucht des Gesetzgebers aus der politischen Verantwortung" 57 charakterisiert zu werden verdienen, die ihre Aufgaben auf Verwaltung und Rechtsprechung abwälzen und diesen damit letztlich politische Entscheidungen zuschieben, die eigentlich sie tragen müßten58. Für letzteres spräche die zuvor unter sechstens aufgezeigte Verwendung offener Rechtsbegriffe, welche oftmals Grundpflichten der öffentlichen Hand mit (unerfüllbar) hohem Anspruch normieren, und denen folglich gleichfalls eine formelle Steuerungsfähigkeit abgesprochen wurde. Kaum zu bestreiten ist allerdings angesichts der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit, daß nicht nur die materielle, sondern auch die formelle Steuerungsfähigkeit der Rechtsnormen und insbesondere der Gesetze im Umwelt- und Technikrecht bezüglich des Schutz- und Sicherheitsniveaus technischer Systeme praktisch nicht existent ist: "Die Definition des ,Stands der Technik' bzw. dessen Ausgestaltung in der Praxis ist Gegenstand schärfster Kontroversen und etwa so dehnbar wie die Natur belastbar."59

bedenkt, daß der Gesetzgeber sich anschickt, nunmehr auch das Schuldrecht des ehrwürdigen Bürgerlichen Gesetzbuches reformieren zu wollen". Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 171 f. 56 Schmidt, R., Der Staat der Umweltvorsorge, S. 751. 57 Marburger, P., Risiko als Rechtsproblem, S. 53 m.N. 58 Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 86; ders., Atomrecht, S. 241 f.; Schmidt, R., Der Staat der Umweltvorsorge, S. 751. 59 Grieshammer, R., TA Luft, S. 86 in Bezug auf die um den Faktor sieben zu hohen Langzeitwerte für Schwefeldioxid in der TA Luft: So betrug der Langzeitwert für Schwefeldioxid in der TA Luft von 1974 140 μg/m3, in Reinluftgebieten 60 μg/m3. Schon 1978 wurde auf einer Sachverständigenanhörung festgestellt, daß Wälder höchstens einen Wert von 20 μg/m3 vertragen, wobei sowohl Wechselwirkungen mit anderen Stoffen wie Stickoxiden oder Schwermetallen als auch Parallelschädigungen keine Berücksichtigung fanden. Im damals schon stark geschädigten Schwarzwald wurden Jahresmittelwerte von 15 bis 25 μg/m3, teilweise 35 μg/m gemessen. Die neue TA Luft schreibt nunmehr 140 und 50 μg/m3 vor. Femer sind in einer "Nacht und Nebelaktion" klammheimlich eine Berechnungsmethode für den Vorbelastungswert geändert worden, um die Genehmigung neuer Anlagen in Belastungsgebieten zu erleichtem. Ebd., S. 85.

C. Die weitgehende Unzulänglichkeit der bisherigen Deutungen technischer Normen "Nicht der Gesetz- und Verordnungsgeber bestimmt mehr, was auf diesem Gebiet rechtens ist, sondern allein die betreffenden nichtstaatlichen Gremien. Hier wird nicht an eine bestehende Machtverteilung angeknüpft, wie es bei der Verweisung sein sollte, sondern es wird eine neue Macht vergeben oder alte belassen, die sich in Einzelfällen bis zum Monopol steigert. Den nichtstaatlichen Institutionen wird bei der Ausübung ihrer ordnenden Tätigkeit ein Ermessensspielraum eingeräumt, wie er kaum im Wege der Delegation hätte übertragen werden dürfen/'* Aufgrund der weitgehend fehlenden materiellen und der ungenügenden formellen Vorgaben der Rechtsnormen des Umwelt- und Technikrechts sind die auf den Rechtssetzungsebenen weitgehend offen gelassenen wissenschaftlichtechnischen Fachfragen, Wertungen und Interessenkonflikte bezüglich des Schutz- und Sicherheitsniveaus technischer Systeme auf der Rechtsanwendungsebene zu beantworten, vorzunehmen und zu lösen. Dies beinhaltet insbesondere die Entscheidung der Kernfrage des technischen Sicherheitsrechts nach dem Ausmaß der rechtlich gebotenen Sicherheit, die neben der prognostischen Einschätzung des Risikos insbesondere die normative Wertentscheidung darüber beinhaltet, welches Risiko als "Restrisiko" juristisch noch hingenommen werden kann1. Denn quantitative Wertungskriterien sind der Verfassung und den Gesetzen nicht zu entnehmen, und ob beispielsweise die Wahrscheinlichkeit eines Berstunfalls in einem Kernkraftwerk angesichts der katastrophalen Auswirkungen bei IO"6, 10"7 oder 10"8 pro Jahr eine Gefahr darstellt, kann weder aus den Wertentscheidungen der Verfassung noch aus den offenen Rechtsbegriffen der Gesetze deduziert, sondern nur dezisionistisch bestimmt werden 2. Da Behörden und Gerichte, wie in Abschnitt A dieses Ausblicks dargelegt, diese Entscheidungen - ungeachtet der Interpretation offener Rechtsbegriffe und normativer Standards als Delegations- oder Rezeptionsformeln 3 - sowohl abstrakt-

* Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 207 f. 1 Murswiek, D., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 219; ders., Staatliche Verantwortung, S. 375 f.; vgl. auch Bias, D. G., Normung, S. 66 ff, 106 ff.; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 12. 2 Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 402. 3 Vgl. die Ausführungen in Fn. 586 in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa).

C. Die weitgehende Unzulänglichkeit der bisherigen Deutungen

873

generell in allgemeinen Verwaltungsvorschriften als auch konkret-individuell im Rahmen der Regelung des Einzelfalls praktisch ausschließlich auf der Grundlage der technischen Normen der privaten Normenorganisationen fällen, kommt diesen in weitem Umfang die Aufgabe zu, das Schutz- und Sicherheitsniveau technischer Systeme zu normieren. Aufgrund des Fehlens sowohl materieller als auch geeigneter formeller Vorgaben der rechtssetzenden Organe haben die Normenausschüsse der technischen Normenorganisationen nicht nur die zahlreichen, zum Teil durchaus streitigen wissenschaftlichen und technischen Fachfragen zu entscheiden4, sondern auch in weitgehender Autonomie unter Abwägung zahlreicher politischer, sozialer, ökologischer und ökonomischer Interessen die davon praktisch kaum zu trennenden normativen Wertentscheidungen Zufällen, welche (Rest-)Risiken der Technik um ihrer Vorteile willen in Kauf zu nehmen sind5:

Selbst führende Vertreter der Delegationstheorie räumen ein, daß technische Normen nur in seltenen Ausnahmefällen den normativen Anforderungen nicht entsprechen, so daß auch die Kontrollfunktion von Behörden und Gerichten de facto keine Rolle spielt und sich damit beide Auffassungen im praktischen Ergebnis kaum unterscheiden. Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 128 f.; ders., Technische Sicherheit, S. 18, jew. m.w.N. Vgl. auch die Ausführungen am Ende des Kap. II.A.l.d). 4 Da nicht nur der technische Fortschritts-, sondern auch der wissenschaftliche Erkenntnisprozeß ständig fortschreitet, ist auch die Klärung dieser "Fachfragen" oftmals bestimmt von wissenschaftlich nicht stringent begründbaren Einschätzungen und Hypothesen, die sich in der Zukunft durchaus als falsifizierbar herausstellen können, wie auch das BVerfG in E 49, S. 89 (143) klargestellt hat: "Erfahrungswissen dieser Art, selbst wenn es sich zur Form des naturwissenschaftlichen Gesetzes verdichtet hat, ist, solange menschliche Erfahrung nicht abgeschlossen ist, immer nur Annäherungswissen, das nicht volle Gewißheit vermittelt, sondern durch jede neue Erfahrung korrigierbar ist und sich insofern immer nur auf dem neuesten Stand unwiderlegten möglichen Irrtums befindet." I.d.S. auch aus der Sicht eines Normungsfachmanns Hosemann, G., Erstellung sicherheitstechnischer Normen, S. 106 ("Die Komitees müssen sich meist mit qualitativen Risikoabschätzungen begnügen."). Nach Ansicht des Mitarbeiters des Öko-Instituts Freiburg Grieshammer, R., TA Luft, S. 81, sind sogar "Die Erkenntnisse der Natur-Wissenschaft... nicht wertfrei": "Der Streit um die Verantwortlichkeit von Luftverunreinigungen aus Wärmekraftwerken für das Waldsterben ist ein gutes Beispiel für die Unzulänglichkeit des naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweises als Grundlage um weltpolitischer Entscheidungen. Hier gehen - überspitzt formuliert - methodisch-theoretische Reinheit der Wissenschaft und Verschmutzung der Umwelt Hand in Hand." Ein Geschehen von der Komplexität der Schädigung eines Waldökosystems könne grundsätzlich nicht bewiesen werden, weil weder die Kausalkette im einzelnen nachvollziehbar sei (mathematisch absoluter Beweis), noch die simpelste Voraussetzung eines experimentellen naturwissenschaftlichen Beweises bestehe: die beliebige Wiederholbarkeit (statistischer Wahrscheinlichkeitsbeweis). Ebd., S. 84. 5 So auch Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 55 ff.; Bub, H. u.a., Normung und Baurecht, S. 110; Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, S. 65 f.; Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 24; ders., Bericht VVDStRL 48 (1990),

874

Teil 3: Ausblick

"Rechtliche Vorgaben für die Technik sind relativ selten. ... Die Mehrzahl technischer Regelwerke sind bei Fehlen konkreter rechtlicher Vorgaben erstellt worden; das Recht war hier nur Randbedingung. Und gerade weil dies so war, dominiert in weiten Bereichen die private technische Normung, die ihrer Anlage nach eben keine Rechtsanwendung ist, sondern sich in relativer Autonomie vom Recht vollzieht."6 Folglich wird die Ausgestaltung der Sicherheits-, Umwelt- und Verbraucherschutzanforderungen nicht in Rechtsnormen, sondern weitgehend autonom in technischen Normen festgelegt. Die Normenausschüsse der technischen Normenorganisationen entscheiden mit der abstrakt-generellen Normierung präziser Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen bezüglich der Erzeugung, Verwendung, Wiederverwertung und Entsorgung technischer Systeme sowie dieser Systeme selbst7 normative Fragen von hohem Gewicht. Sie müssen dabei Fragen wertend beantworten, welches Maß beispielsweise an Umweltbelastung, an Gesundheitsgefährdung oder an Sicherheitsrisiken jeweils grundsätzlich erlaubt sein soll. Diese Aufgabe erfordert für jeden Einzelfall einen wertenden Ausgleich zwischen der Gemeinwohlinteressen und der entgegenstehenden individuellen Grundrechtsinteressen 8, wie etwa dem Interesse an körperlicher Unversehrtheit und gesunder Umwelt einerseits und demjenigen an der wirtschaftlicher Nutzung einer Technologie und an ökonomischem Wachstum andererseits9, der sowohl auf der juristischen als auch auf der wissenschaftlich-technischen Seite meist äußerst schwierige und komplizierte Abwägungsprobleme aufwirft. Indem die technischen Normenausschüsse damit konkret die Grenze zwischen "erlaubtem (Rest-)Risiko" und "rechtswidriger Gefahr" festlegen und

S. 219 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 42 f., 108, 162; i.E. wohl auch Vieweg, K., Atomrecht und technische Normung, S. 222 ff., 243. Vgl. auch Bias, D. G., Normung, S. 133; Bolenz, E., Technische Normung, S. 28 f.; Welsch, J., Betriebliche Technikgestaltung, S. 27, welche die Wertentscheidungen in technischen Normen als Vehikel zur Begrenzung negativer externer Effekte ansehen. 6 Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 241 f. Ähnlich Gusy, C., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 310: "Was geben die Rechtsnormen den technischen Gremien zur Konkretisierung vor? ... echte normative Vorgaben sind eigentlich nicht vorhanden. Aber auch umgekehrt: Die privaten und sonstigen regelerstellenden Einrichtungen scheinen auf diese rechtlichen Vorbedingungen nicht furchtbar viel Rücksicht nehmen zu wollen." Umgekehrt kritisiert das DIN: "Dieselbe technische Regel wird einmal als Stand der Technik ausgegeben, ein anderes Mal als anerkannte Regel der Technik, ein drittes Mal als Stand von Wissenschaft und Technik, je nachdem, welcher Begriff der Ausfüllung und Konkretisierung bedarf." Budde, E. u.a., Bedeutung technischer Regeln, S. 250. 7 Vgl. Kap. I.A.l.e). 8 Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 169; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 17; Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 89. 9 Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 41.

C. Die weitgehende Unzulänglichkeit der bisherigen Deutungen

875

somit den oft zitierten Zielkonflikt der Nutzung der Technik bei gleichzeitiger Minimierung ihrer Risiken entscheiden, normieren sie autonom das effektive Schutzniveau für Grundrechte und wesentliche Fragen der gegenwärtigen und künftigen Lebensbedingungen und des Allgemeinwohls 10. Damit bestätigen die vorausgehenden Analysen die bereits in Zusammenhang mit den Untersuchungen der staatlichen Rezeption technischer Normen gewonnene Erkenntnis 11 , daß die Bedeutung der technischen Normenorganisationen und der technischen Normen über die ursprüngliche Funktion der ersteren als Selbstverwaltungsorgane von Technik und Wirtschaft sowie den originären Charakter der letzteren als private, auf freiwillige Anwendung gerichtete Empfehlungen der technischen Normenorganisationen für ein einwandfreies Verhalten mittlerweile weit hinausreicht. Mit der exponentiell zunehmenden Bedeutung des Umwelt- und Technikrechts im technischen Zeitalter i.V.m. dem praktischen "Monopol [der technischen Normenorganisationen] für die Schaffung und Durchsetzung technischer Standards" 12 hat die Erfüllung gemeinwohlrelevanter, dem Schutz und der Sicherheit von Mensch, Umwelt und Sachgütern dienender Aufgaben gegenüber den originären Funktionen zunehmend an Bedeutung gewonnen und stellt heute einen erheblichen Anteil an dem Tätigkeitsspektrum der technischen Normenorganisationen dar 13 . Diese gewandelten Aufgabeninhalte spiegeln sich nicht zuletzt in Passagen der Definitionen fünf fortfolgende des Begriffes "technische Normung" in Kapitel I.A.3.b) wider, wie "Sie dient der Sicherheit von Menschen und Sachen sowie der Qualitätsverbesserung in allen Lebensbereichen", "zum Nutzen der Allgemeinheit" und "Normen sollten ... auf die Förderung optimaler Vorteile für die Gesellschaft abzielen". Dabei normieren die Normenausschüsse der technischen Normenorganisationen, wie zu Beginn dieses Abschnitts aufgezeigt, aufgrund der weitgehend fehlenden materiellen und der ungenügenden formellen Vorgaben der Rechtsnormen des Umwelt- und Technikrechts weitgehend autonom das effektive Schutzniveau für Grundrechte und wesentliche Fragen der gegenwärtigen und künftigen Lebensbedingungen.

10 Vgl. zum vorhergehenden Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1184 ff., der seine Aussagen bezüglich der europäischen Ebene aufgrund der im Vergleich zum deutschen Umwelt- und Technikrecht präziseren Vorgaben der europäischen Harmonisierungsrichtlinien etwas relativiert; vgl. dazu auch Kap. II.B.4. Vgl. femer Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, S. 65 f.; Nicolas, F. u.a., Gemeinsame Normen, S. 17; Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 48. 11 Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. ILA. 1 .d) und hinsichtlich der Europäischen Union Kap. II.B.4. 12 Gusy, C., Verrechtlichung technischer Standards, S. 105. 13 Vgl. Kap. I.E.

876

Teil 3: Ausblick

Angesichts dieser Erkenntnisse erscheint es fragwürdig, ob die bisherigen Interpretationen der überbetrieblichen technischen Normen diese (noch) zutreffend und umfassend zu charakterisieren vermögen. Dies ist insbesondere hinsichtlich der nachfolgend aufgeführten deterministischen und sachorientierten Deutungen zweifelhaft, welche technische Normen als schriftliche Fixierung von Naturgesetzen, Erfahrungssätzen, Kausalitätsvorhersagen, (antizipierte) Sachverständigengutachten u.a.m. auffassen: Technische Normen als schriftliche

Fixierung prästabilisierter

technischer Syste-

me: Auf Dessauer geht die Philosophie zurück, daß ein technisches System eine eindeutige und nicht eine willkürliche Lösungsform darstelle, die in ihren Wesenseigenschaften bereits potentiell vorhanden sei. Der Kosmos enthalte neben den bereits physisch vorhandenen technischen Objekten noch einen unabsehbar großen, aber dennoch begrenzten Vorrat in ihrer Beschaffenheit bereits bestimmter, aber noch nicht existierender technischer Systeme, die mit menschlichen Bedürfnissen korrespondierten. Die schöpferische Leistung des Technikers beschränke sich dementsprechend darauf, diese sogenannten "prästabilisierten" technischen Systeme zu entdecken14. Nach dieser Philosophie stellen technische Normen folglich eine wertfreie schriftliche Fixierung dieser prästabilisierten technischen Systeme dar. Technische Normen als schriftliche

Fixierung von Naturgesetzen: Insbesondere in

der älteren Literatur wurde teilweise die Auffassung vertreten, technische Normen seien vollständig durch die Naturgesetze bestimmt15. Da Naturgesetze empirisch festgestellte oder mathematisch-theoretisch nachkonstruierte Regeln sind, deren Inhalt die Natur vorgibt 16, enthielten technische Normen nach dieser Ansicht lediglich faktische Tatsachen, die unabhängig von einer normativen Festsetzung bestünden und die sich durch Rechtsnormen nicht beeinflussen ließen. Vielmehr seien sie umgekehrt dem Recht als unveränderlich geltende Seinsstrukturen vorgegeben. Technische Normen als (faktische)

Tatsachen/Sachverhalte

oder (allgemeine/ tech-

nische/kognitive) Erfahrungssätze: In großer Nähe zur vorherigen Interpretation, jedoch ohne explizit auf Naturgesetze zu rekurrieren, werden technische Normen als (faktische) Tatsachen/Sachverhalte oder (allgemeine/technische/ kognitive) Erfahrungssätze qualifiziert 17. Technische Normen beschrieben einen bestimmten 14 Dessauer, F., Streit um die Technik, S. 154 ff.; ihm folgend u.a. Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 8 ff. 15 Vgl. die Nachweise bei Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 50 f. Vgl. ferner aus der aktuellen Literatur Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 17. A.A. explizit Marburger, P., Regeln, S. 33 ff., 283, 288 f.; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 50 f. 16 Marburger, P., Regeln, S. 283. 17 Aus Sicht der Judikative BVerwG, NJW 1962, S. 506 (507) ("Erfahrungsregeln"); BGH, BB 1982, S. 400; Franzki, H., Sachverständige im Prozeß, S. 20; Korbion, H., Rechtsvorteile, S. 188 ("Sachverhaltsgruppen", "Tatsachenstoff'). Aus der Literatur Berg, W., Verwaltungsprozeß, S. 282 ff.; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 51 ff., 235; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 8 ff., 121; Scholz, R., Technik

C. Die weitgehende Unzulänglichkeit der bisherigen Deutungen

877

tatsächlichen Geschehensablauf18 und enthielten Maßstäbe für die Gestaltung oder die Beurteilung "technologisch regulierter oder technisch funktionierender Sachverhalte". Diese Sachverhalte seien aus normativ-juristischer Sicht außerrechtlich beschaffen und auf der Ebene der Tatsächlichkeit oder des Sachverhalts und nicht auf der Ebene materieller Normativität einzuordnen19. Technische Normen als (deskriptive)

Kausalitätsvorhersagen

oder sachverständi-

ge Prognosen künftiger Geschehensabläufe: Von den Autoren, welche die vorhergehende Interpretation technischer Normen vertreten, erweitert einzig Scholz diesen Ansatz, indem er den technischen Normen gewisse Wertmaßstäbe zubilligt, die auf der Grundlage fachkompetenter Sachverhaltskenntnis oder -beurteilung gewonnen würden. Indem diese nicht konkret-individuelle, sondern abstrakt-generelle Festlegungen verkörperten, enthielten sie eine allgemeine prognostische Entscheidung, nämlich die Voraussage, daß bei dem Einsatz bestimmter Mittel oder bei der Einhaltung bestimmter Verhaltensregeln ein spezifischer Sicherheitseffekt erreicht oder gewahrt werde20. Die technische Norm gebe einen bestimmten typischen Geschehensablauf, dessen sachverständige Beurteilung sowie die aus ihr folgende prognostische Beurteilung künftiger, entsprechend beschaffener Sachverhalte wieder . Das sachverständige prognostische Urteil der in diesem Sinne abstrahierenden technischen Norm sei damit eine Kausalitätsvorhersage, kein juristisch-normativer Sollensmaßstab, sondern zunächst und wesentlich eine "WennDann-Relation"22. Folglich sei der Name "technische Norm" irreführend, da diese nur deskriptiv und nicht normativ sei23.

und Recht, S. 695 ff., 703 f.; ders., Verhältnis, S. 85 ff., 89, 92, 99, 101 ff.; ders., Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 124 f.; Vieweg, K., Atomrecht und technische Normung, S. 173 f. Wohl auch Kremser, H., Verfassungsrechtliche Zulässigkeit technischer Regelwerke, S. 277, 280. A.A. explizit Feldhaus, G., BImSchR, Rn. 19 zu § 3.; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 128 ff.; Kremer, G., Struktur und Zustandekommen, S. 27; Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 122; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 36 f.; Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2637; Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 161; Wagner, H., Rechtliche Relevanz, S. 110; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 18. 18 Scholz, R., Verhältnis, S. 91. 19 Scholz, R., Technik und Recht, S. 695; ders., Verhältnis, S. 87 f. 20 Scholz, R., Technik und Recht, S. 695; ders., Verhältnis, S. 88, 91, 99, 102 ff. A.A. explizit Kremer, G., Struktur und Zustandekommen, S. 27; Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 122; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 36 f.; Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2637; Papier, H.-J., Verwaltungsvorschriften im Recht der Technik, S. 161; Wagner, H., Rechtliche Relevanz, S. 110; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 18. 21 Scholz, R., Verhältnis, S. 104. 22 Scholz, R., Verhältnis, S. 88 f.; ders., Technik und Recht, S. 696, allerdings auf S. 697 mit Hinweis u.a. auf Marburger, P., Regeln, S. 287 ff. einräumend, daß technische Normen auch "imperativ gefaßte Sollenssätze" ("Volitivakte") seien, die von den beteiligten Organisationen bewußt als (soziale) Handlungsnormen statuiert würden und durchaus den Anspruch erhöben, im zuständigen Lebensbereich Beachtung zu finden.

878

Teil 3: Ausblick

Technische Normen als Typisierungen: In Fortführung seiner Ansatzreihe kommt Scholz zu dem Schluß, daß die antizipatorische Aussage der technischen Normen verallgemeinerungsfähig sei, derzufolge entsprechende Sachverhalte auch künftig dem gleichen Sachverständigenurteil zu unterwerfen wären. Sie nähme für eine bestimmte Gruppe gleichgelagerter Sachverhalte analoge S ach verhaltsbeurtei hingen vorweg und sei als "Abstraktionen mit konkretem Sachverhalts- bzw. Realitätsbezug" folglich eine Typisierung. Die Vorstellung des Typus vermittelt die tatbestandliche Wiedergabe und Verdichtung des spezifischen Sinngehalts von im Leben "typisch" wiederkehrenden gleichsinnigen Verhältnissen. "Der Typusbegriff verkörpert die dogmatisch maßgebende Kategorie, die allein imstande ist, den Vorgang der Rezeption technischer Normen durch die Rechtsnorm zu erklären und deren juristischen Wirkungsverbünd tragfähig zu gestalten."24 Technische Normen als antizipierte

Sachverständigengutachten:

Basierend auf der

Ansicht, technische Normen seien Erfahrungssätze 25, sachverständige Prognosen künftiger Geschehensabläufe26 und/oder Typisierungen27, schließen sich verschiedene der vorhergehend genannten Autoren der Theorie Breuers an, technische Normen seien antizipierte Sachverständigengutachten. Diese Schlußfolgerung ist verständlich, wenn man sich die Voraussetzungen dieses Ansatzes vor Augen führt 29: Technische Normen entsprächen dann den formalen Kriterien für Sachverständigengutachten, wenn den Normenausschüssen Sachverständigenqualität zukäme und die von ihm erstellten technischen Normen begrifflich gutachterliche Äußerungen wären. Ein Sachverständiger ist eine Person, die auf einem bestimmten Gebiet besonders sachkundig ist und einem Laien die notwendigen Tatsachen oder Erfahrungssätze vermitteln kann, wobei als Sachverständige auch Gremien in Betracht kommen. Gutachten sind Aussagen von Sachverständigen, durch die ein bestimmtes Fachwissen in einen Entscheidungsprozeß - beispielsweise in ein Genehmigungs- oder Gerichtsverfahren - eingeführt wird. Dieses Fachwissen kann sich auf alle Bereiche beziehen, in denen besondere Erfahrungssätze und Erkenntnisse entwickelt worden sind30.

Jedoch werde der volitive Charakter technischer Normen oft überschätzt, weil technische Normen sich äußerlich als Sollenssatz darstellten, was aber nicht ihrem materiellen Gehalt entspräche, der für das Wesen der Rechtsnorm und ihre juristisch-normative Tatbestandlichkeit maßgebend sei. Ebd., S. 703. 23 Zu einer (juristischen) Norm werde eine technische Norm erst bei ihrer staatlichen Rezeption. Scholz, R., Technik und Recht, S. 696; ders., Verhältnis, S. 89. 24 Scholz, R., Verhältnis, S. 99 f., 104. A.A. explizit Marburger, P., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 36 f. 25 Franzki, H., Sachverständige im Prozeß, S. 20 f. 26 Scholz, R., Verhältnis, S. 91, 100. 27 Ebd., S. 99 ff. 28 Vgl. die Nachweise in den drei vorhergehenden Fußnoten; vgl. femer die weiteren Nachweise in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(c), insbes. in Fn. 685. 29 Vgl. auch Kap. II.A.l.c)bb)(2)(c). 30 Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 173.

C. Die weitgehende Unzulänglichkeit der bisherigen Deutungen

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All diese Auffassungen geben den Charakter technischer Normen nicht oder allenfalls partiell zutreffend wieder, da sie die ihnen zugrundeliegenden normativen Bewertungs- und Abwägungsvorgänge sowie die darin enthaltenen volitiven, dezisionistischen und konventionalen Elemente durchweg verkennen: Vollkommen unzutreffend ist die Ansicht, technische Normen stellten eine schriftliche Fixierung prästabilisierter technischer Systeme dar, was angesichts der Unhaltbarkeit der Grundthese keiner weiteren Ausführung bedarf. Dagegen ist es vorstellbar und sogar recht wahrscheinlich, daß technische Normen vereinzelt zumindest implizit oder sogar explizit auch Naturgesetze enthalten, da diese die naturgemäß unveränderlichen Grenzen der technischen Entwicklungsmöglichkeiten und damit auch der technischen Normung markieren 31. Der Regelfall ist jedoch ein anderer: Indem technische Normen die Anforderungen an technische Systeme beispielsweise hinsichtlich Qualität, Kompatibilität, Sicherheit und Umweltschutz bestimmen32, erschöpfen sie sich nicht in der Aufzählung naturnotwendig vorgegebener Sachverhalte - und nur dann hätten sie den Charakter von Naturgesetzen -, sondern treffen eine Auswahl unter den zur Verfügung stehenden, in aller Regel unendlich vielfältigen Lösungsmöglichkeiten: "Heute wissen wir: Technische Regelwerke enthalten eben nicht nur technische Aussagen, sondern auch nicht-technische Bewertungen: Ob ein Blatt Papier eine bestimmte Größe, ein Fenster eine bestimmte Schalldichte oder ein Verbandskasten einen bestimmten Inhalt haben soll: Alles das ist in technischen Regelwerken geregelt, obwohl es dabei jedenfalls nicht nur um technische Fragen geht." Tatsächlich besteht dergestalt in weiten Bereichen ein erheblicher Normungsspielraum der Normenausschüsse der technischen Normenorganisationen, so daß technische Normen nur in eng begrenzten Teilaspekten naturgesetzlichen Charakter haben34. Auch die Qualifikationen technischer Normen als faktische Tatsachen, technische Erfahrungssätze y Kausalitätsvorhersagen,, sachverständige Prognosen künftiger Geschehensabläufe oder Typisierungen wiederkehrender gleichsinniger Verhältnisse vermögen unter diesen Gesichtspunkten nicht zu überzeugen. Die Ausarbeitungen der Normenausschüsse mögen zwar ausnahmsweise auch die deklaratorische schriftliche Fixierung allseits anerkannter, schon in der Pra31

Diese Erkenntnis konnte bereits im Rahmen der Definition des Begriffes "Technik" gewonnen werden. Kap. I.A.l.e). 32 Vgl. Kap. I.C. 33 Gusy, C., Verrechtlichung technischer Standards, S. 106. 34 So auch Budde, E., Rechtliche Bedeutung, S. 146; Hosemann, G., Erstellung sicherheitstechnischer Normen, S. 103; Marburger, P., Regeln, S. 290; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 14; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 52.

880

Teil 3: Ausblick

xis weit verbreiteter technischer Regeln - beispielsweise in Form einer bewährten konstruktiven Lösung, einer tatsächlichen Arbeitsmethode oder ähnlichem vornehmen 35, mit denen aufgrund der langen und intensiven praktischen Nutzung ein Erfahrungssatz, eine Kausalitätsvorhersage oder eine Prognose verknüpft wird. Die eigentliche Aufgabe der technischen Normung aber besteht ex definitione in der fortlaufenden Neuentwicklung und Verbesserung der technischen Normen durch neue, wiederum zeitlich begrenzte Bestlösungen der sich wiederholenden Aufgaben 36 , die dem DIN zufolge auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und einem fortschrittlichen Stand der Technik beruhen und sich erst als "allgemein anerkannte Regeln der Technik" in die Praxis einführen sollen 37 . Bei neuentwickelten technischen Systemen stößt jedoch die Antizipation möglicher Gefahren aufgrund des Fehlens von Erfahrungswerten schnell an ihre Grenzen. Weitere Schwierigkeiten bestehen bei der Prognose polykausaler Schäden sowie aufgrund der Tatsache, daß sich ein Großteil der Schäden in atypischen Situationen ereignet und/oder durch das menschliche Verhalten beeinflußt wird. Darüber hinaus läßt sich die allgemeine Gültigkeit der an Modellen durchgeführten technischen Versuche nur schwer überprüfen, zudem sich viele technische Angaben nicht exakt berechnen lassen, sondern Durchschnittswerte aus Streubändern und Vertrauensbereichen darstellen 38. Schließlich verkennt diese Interpretation auch, daß die Fragen nach der Schalldichte eines Fensters, den Emmissionswerten einer Anlage oder der Brandsicherheit von Textilien in aller Regel keinen diskreten, sondern einen kontinuierlichen Lösungsraum mit einer unendlichen Anzahl theoretisch möglicher Lösungen betreffen. In der überwiegenden Zahl der Fälle beinhaltet die Auswahl der soziotechnisch optimalen Lösung nicht nur Ermittlung und Kodifikation wissenschaftlicher Erkenntnisse, technischer Erfahrungen, sachverständiger Prognosen u.a.m., sondern auch eine Vielzahl von Abschätzungen und Wertungen: "Von sachverständigen Gremien aufgestellte Grenzwerte beispielsweise für die Belastung von Lebensmitteln mit Schadstoffen oder Immissionswerte für Luftverunreinigungen oder Lärm enthalten nicht etwa nur sachverständige Aussagen über Wir35

So auch Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 56; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 60 f.; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 52; Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 115 f. 36 Vgl. die Def. 1 des Begriffes technische Normung durch Kienzle in Kap. I.A.3.b). Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. I.D.l.a), Kap. I.D.2.a), Kap. I.D.3, Kap. I.D.4 und Kap. I.E; femer z.B. Kap. ILA.l.c)bb)(2)(a)(bb). 37 DIN, DIN 820-1: 1994-04 S. 3 Abschn. 6 Nr. 6.1. Vgl. auch Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 56; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 60 f.; Wolfensberger, H., Die anerkannten Regeln der Technik, S. 42; Zemlin, H., Die überbetrieblichen technischen Normen, S. 115 f. Vgl. dazu Kap. II.A.l.a)dd)(3). 38 Hosemann, G., Erstellung sicherheitstechnischer Normen, S. 104 f.

C. Die weitgehende Unzulänglichkeit der bisherigen Deutungen

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kungen technischer Systeme etwa auf die menschliche Gesundheit; sie enthalten zugleich - notwendigerweise - eine Wertentscheidung darüber, welches (Gesundheits-) Risiko in Kauf genommen werden soll." 39 , wofür die folgenden Gründe maßgeblich sind 40 : Die mit der Normung einhergehende Vereinheitlichung bedingt häufig die wertende Auswahl zwischen mehreren technisch vergleichbaren oder zumindest geeigneten Lösungsmöglichkeiten, die in mehr oder weniger großem Umfang auf abwägend-wertenden Entscheidungen der Normungsgremien beruht und nur in geringem Maße durch naturwissenschaftlich-technische Sachzwänge determiniert ist. Beispielsweise werden sich im Rahmen der Sicherheitsnormung in aller Regel eine ganze Reihe von Maßnahmen als tauglich erweisen, die identifizierten Gefahren entweder völlig auszuschließen oder wenigstens zu begrenzen, indem sie den möglichen Schadensumfang oder die entsprechende Schadenseintrittswahrscheinlichkeit verringern. Damit kann den jeweiligen Gefahren- und Risikoquellen ein mehr oder minder großer Katalog geeigneter Schadensverhütungs- bzw. Risikovorsorgemaßnahmen zugeordnet werden . Die gesellschaftlichen Zielsetzungen der Nutzung einer Technologie - mit den Unterzielen Steigerung der Produktqualität, Erhöhung des Nutzens für den Anwender, Senkung der Produktpreise u.a.m. - auf der einen Seite und die Abwehr ihrer Gefahren und die Vorsorge gegen ihre Risiken auf der anderen Seite sind konkurrierende Ziele, die sich nicht als Zielbündel maximieren, sondern nur im Sinne eines Wohlfahrtsoptimums

zum Ausgleich bringen lassen. Dabei gibt es kei-

ne mathematische Optimierungsfunktion für die Parameter Risiko, Produktqualität, Nutzen und Kosten. Vielmehr müssen diese Faktoren bei der Erarbeitung sicherheitstechnischer Normen volitiv gegeneinander abgewogen werden. Dies beinhaltet insbesondere: Die Festlegung des Schadenerwartungswerts für das rechtlich geschützte Gut als Produkt aus Schadenseintrittswahrscheinlichkeit und Schadensumfang. Da ein Zustand absoluter Sicherheit unerreichbar ist, muß die Grenze zwischen dem vertretbar geringen (Rest-) Risiko und der übermäßigen, nicht mehr tolerablen Gefährdung, die weder nach mathematischen noch nach naturwissenschaftlich-technischen oder sonstigen empirischen Methoden exakt quantifizierbar ist, wertend festgelegt werden. Die Gewährleistung der notwendigen Wirtschaftlichkeit der Lösung auf der Basis einer Risiko-Kosten-Nutzen-Abschätzung. Da einem Gemeinwesen nur begrenzte finanzielle und sonstige Ressourcen zur Verfügung stehen, ist ein wirtschaftlicher Prohibitivcharakter der Schutzmaßnahmen zu vermeiden. Allerdings können bei der Abwehr eindeutig erkannter Gefahren die Kosten

39

Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 24 unter Hinweis auf. Vgl. zum folgenden Hosemann, G., Erstellung sicherheitstechnischer Normen, S. 103 ff., 141; Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 19; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 76 ff.; Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2637 f. 41 Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 212 ff. m.z.N. 40

56 Zubke-von Thünen

882

Teil 3: Ausblick

ebensowenig eine Rolle spielen wie die technische Realisierbarkeit. Ob aber eine Gefahr im Rechtssinne oder nur ein vertretbar geringes Risiko besteht, läßt sich nicht mit mathematischer Genauigkeit, sondern nur durch eine abwägend-wertende Entscheidung beantworten; und in diesem Grenzbereich zwischen Gefahr und Risiko ist auch die wirtschaftliche Verhältnismäßigkeit möglicher Sicherheitsmaßnahmen zu berücksichtigen42. Die Sicherstellung der technischen Sachgerechtigkeit einer Schutzmaßnahme, so daß das technische System trotz der Sicherheitsvorkehrungen noch zweckentsprechend verwendbar ist, und weder die Produktqualität noch der Nutzen für den Anwender unverhältnismäßig beeinträchtigt wird. Schließlich stellt menschliches Wissen, solange die menschliche Erfahrung nicht abgeschlossen ist, auch im Bereich von Naturwissenschaft und Technik immer nur Annäherungswissen dar. Dieses vermittelt nicht volle Gewißheit, sondern ist durch jede neue Erfahrung korrigierbar und befindet sich insofern immer nur auf dem "neuesten Stand unwiderlegten

möglichen Irrtums"

43

.

Um diesem wie auch sonstigen Unwägbarkeiten entgegenzuwirken, arbeitet die technische Praxis mit Sicherheitsfaktoren. Diese stellen jedoch keine naturwissenschaftlich vorgegebenen deterministischen Größen dar, sondern beruhen auf sachverständigen Abschätzungen und Wertungen auf der Basis von Analogieschlüssen zu anderen technischen Systemen oder Erfahrungen aus der technischen Praxis. Technische Normen beinhalten demnach nicht nur erkenntnistheoretische, sondern vielfach auch volitive und dezisionäre Akte 44, welche die naturwissenschaftlich-technischen Möglichkeiten mit den ökonomischen Restriktionen und den politisch-gesellschaftlichen Zielsetzungen in Einklang zu bringen, mithin also technische, ökonomische, politische, soziale, ethische und ökologische Zielkonflikte zu lösen suchen: "No one ever involved in supranational standardization would deny the strong political aspect of regional and international standardization."45 Dabei sind beide Bereiche - die wissenschaftlich-technischen Erkenntnisse, Faktenfeststellungen und Prognosen auf der einen Seite und die Willensent42

Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 141. BVerfGE 49, S. 89(143). 44 Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 69; ders., Recht und Technik, S. 13; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 114; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 35; Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 32 f.; Hosemann, G., Erstellung sicherheitstechnischer Normen, S. 111; Köhler, H., Haftungsrechtliche Bedeutung, S. 10; Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 19; Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2638 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 108, 162, 243; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 50, 81, 83 ff.; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 13; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 222 ff.; Wolfensberger, H., Die anerkannten Regeln der Technik, S. 41 ff. 45 Junker, G. H., ISA, S. 24. 43

C. Die weitgehende Unzulänglichkeit der bisherigen Deutungen

883

Scheidungen, Weitungen und Abwägungen mit politischer, sozialer, ökologischer und ökonomischer Relevanz auf der anderen Seite - praktisch untrennbar miteinander verwoben 46 ; beide Komponenten gehen in technischen Normen eine ununterscheidbare Verbindung ein, so daß es in aller Regel nicht erkenntlich ist, ob vorgenommene oder auch unterlassene Festlegungen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen oder volitiven Wertungen beruhen 47. Da letztere jedoch nicht Gegenstand eines Beweises und einer Beweiserhebung und damit auch nicht Ausdruck eines antizipierten Sachverständigengutachtens 48 sein können 49 , greift somit auch dieser Deutungsansatz zu kurz 50 . Die mangelhafte Eignung dieser Deutungsansätze, die lediglich auf die faktische Komponente technischer Normen abstellen und den volitiven Interessenausgleichs· sowie den gesamtgesellschaftlichen Willensbildungsprozeß der sachverständigen Repräsentanten aller interessierten Kreise sowie der stellungnehmenden Bürger, den die technische Normung darstellt, vollkommen verkennen, ist insbesondere denjenigen Autoren nicht verborgen geblieben, die sich nicht nur näher mit den juristischen, sondern auch den technischen und wirtschaftlichen Implikationen der technische Normung und insbesondere mit deren aufbau- und ablauforganisatorischen Regeln befaßt haben. Die zu Beginn dieses Abschnitts geschilderten Erkenntnisse, daß technische Normen auch Abwägungen und Bewertungen enthalten, mithin nicht nur Erkenntnis-, sondern zugleich auch normative Volitivakte sind, berücksichtigen die drei nachfolgend dargelegten Deutungsansätze technischer Normen: Technische Normen als sozio-technisches Wohlfahrtsoptimum:

In Anerkennung

des normativen und volitiven Charakters technischer Normen und ausgehend von der Frage, warum technische Normen nicht der Verbindlichkeit von Rechtsnormen bedürfen, um einen Zustand a nach a' zu transformieren, und welches die Eigenschaften einer technischen Norm sind, die diese Überführungssicherheit bewirken51, interpretiert Bias eine technische Norm als kollektive und solidarische Lösung und Beseitigung der wohlfahrtsschädigenden Folgen eines Marktversagens. Dieses führt etwa in Form auftretender negativer externer Effekte wie beispielsweise der Umweltverschmutzung, einer fehlenden Bereitstellung von Kollektivgütern oder einer fehlenden Befriedigung sozialpsychologischer Bedürfnisse zu einer Wohlfahrtsunteroptimalität. Dementsprechend entsteht ein gesamtgesellschaftlicher Ordnungsbedarf beispielsweise in Form von technischen Sicherheits- oder Umweltschutznormen, da ohne Normung der Status der Subjekte bestenfalls erhal46

Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 80; Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2637 f. 47 Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 163. 48 Vgl. dazu ausführlich Kap. II.A.l.c)bb)(2)(c). 49 Vgl. Kap. H.A. 1 .c)bb)(2)(c)(bb)5). 50 Vgl. Kap. ILA. 1 .c)bb)(2)(c)(bb). 51 Bias, D. G., Normung, S. 2 f.

56*

884

Teil 3: Ausblick

ten bleibt, während eine gemeinsame Regelung deren Wohlfahrt wesentlich zu steigern vermag52. Kem des Ordnungsbedürfnisses ist die Suche nach einer optimalen Ziel-Mittel-Kombination unter Berücksichtigung der begrenzten verfügbaren Ressourcen53, d.h. unter Beantwortung der Frage, in welchem Ausmaß die Gesellschaft bereit ist, Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zieles wie beispielsweise der technischen Sicherheit zur Verfügung zu stellen54. Dazu wird in einem normativen Entscheidungsprozeß sowohl der gesellschaftlich akzeptierte Schadenerwartungswert als Produkt aus Schadenseintrittswahrscheinlichkeit und Schadesumfang als auch die das Risiko steuernde Ziel-Mittel-Kombination bestimmt. Dabei wägt das Entscheidungskollektiv den Wert des (Rechts-)Gutes und das Risiko in einer Kosten-Nutzen- bzw. Risiko-Nutzen-Analyse so gegeneinander ab, daß bei Akzeptanz eines bestimmten Schadenerwartungswertes mit zunehmendem Wert des (Rechts-) Gutes die Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens zurückgehen muß. Besteht in einem Normenausschuß über den zulässigen Schadenerwartungswert weitgehend Einigkeit, so ist auch der Wert der technischen Mittel eingekreist, die mindestens vorgesehen und höchstens aufgewendet werden dürfen, um das Risiko zu begrenzen. Mit anderen Worten ist dann nur noch nach den technischen Mitteln zu suchen, die bei feststehenden Kosten das größterisikoreduzierende Potential bieten55. Das Ergebnis dieses Prozesses bildet eine Norm, deren technische Lösung so beschaffen ist, daß sie das Ziel mit den zur Verfügung stehenden Mitteln erreicht. "Eine solchermaßen nach dem ökonomischen Prinzip erzeugte Norm hat... den Anschein sozio-technizider Optimalität." Einem Normadressaten stellt sich diese Norm sowohl technisch geeignet als auch ökonomisch den individuellen Nutzen im durchsetzbaren Rahmen mehrend dar. Hingegen schadet jedes Abweichen von einer solchen Norm dem Gesamtnutzen bzw. der Wohlfahrt 56. Ändern sich die Parameter des Entscheidungsprozesses - die sozialen Ziele, gesellschaftlichen Werte, die ökonomischen oder die technischen Ressourcen, so ändert sich auch die Ziel-Mittel-Kombination, und die technische Norm muß neu verhandelt werden57. Technische Normen als heteronome Sozialnormen: Basierend auf der Erkenntnis,

daß technische Normen keineswegs nur faktische Sachverhalte und/oder Prognosen über künftige Kausalverläufe darstellen, sondern in weitem Umfang das Ergebnis abwägender und wertender Willensentscheidungen sind, die in aller Regel auf einem Kompromiß einander widerstreitender Interessen unter anderem auch der Wirtschaftlichkeit beruhen, charakterisieren zahlreiche Autoren technische Normen als (heteronome) soziale Verhaltensnormen, als Sollenssätze aus dem Bereich des Soziallebens58. Der normative Charakter technischer Normen folgt dabei 52

Ebd., S. 62, 133, 155. Ebd., S. 71. Dies wird vom Autor anhand des Beispieles der Brandsicherheit von Textilien exemplifiziert. Ebd., S. 66 ff. 54 Ebd., S. 68. 55 Ebd., S. 106 ff., 112 56 Ebd., S. 68 f. 57 Ebd., S. 108 f. 58 Vgl. insbesondere Marburger, P., Regeln, S. 286 ff., 362 ff., 608; ders., Bezugnahme, S. 36 ff.; ders., Sicherheitstechnische Normen, S. 122, 138; ders., Technische Sicherheit, S. 22; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 36; 53

C. Die weitgehende Unzulänglichkeit der bisherigen Deutungen

885

zum einen aus ihrer Vereinheitlichungsfunkion als einer grundlegenden allgemeinen Normungsfunktion 59: So ist es Ziel einer jeden kollektiven Normungsmaßnahme, eine Auswahl unter der Menge der verschiedenen Lösungsmöglichkeiten zu treffen. Dieses Ziel läßt sich nur dann erreichen, wenn möglichst viele - im Idealfall alle - Adressaten die Normfestlegung befolgen. Jeder technischen Norm liegt darum die Erwartung zugrunde, daß sie in der Praxis angewandt wird. "Sie ist daher nicht lediglich als ein Hinweis darauf zu verstehen, wie ein bestimmtes technisches Problem gelöst werden kann, sondern zugleich als die Aufforderung, daß es in der angegebenen Weise auch gelöst werden soll." Zum anderen folgt der normative Charakter speziell der schütz- und sicherheitstechnischen Normen aus der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und dem Schutz verfassungsgemäßer Rechtsgüter. Schließlich ist auch die sprachliche Erscheinungsform technischer Normen ein Beleg für deren normativen Charakter; denn diese enthalten teils normative, teils sogar imperative Formulierungen wie "dürfen", "sollen", "müssen" u.a.m., d.h. sie bringen zum Ausdruck, daß die Beschaffenheit oder das Verhalten so wie in der Norm festgelegt sein soll oder sogar sein muß60. Folglich treten technische Normen in der Praxis des Wirtschaftslebens mit dem Anspruch auf, Maßstab und Richtschnur für ein technisch korrektes Verhalten zu sein61. Dementsprechend sind technische Normen ihrem Sinn nach stets Sollenssätze bzw. normative Regelungen und als solche echte Normen, die - diesem Interpretationsansatz folgend - auf einer der Rechtsordnung vorgelagerten Stufe zu dem großen Komplex der sozialen Normen zählen62. Technische Normen als heteronome Sozialnormen mit Rechtsnormcharakter:

In

Ergänzung des vorhergehenden Ansatzes rückt insbesondere Marburger im Anschluß an Nickusch63 technische Normen noch weiter in die Nähe der Rechtsnormen, indem er beide als heteronome soziale Verhaltensnormen charakterisiert und nachweist, daß technische Normen nach Gegenstand, Inhalt, Struktur und sprachlicher Erscheinungsform grundsätzlich die Kriterien erfüllen, die an Rechtsnormen gestellt werden . Erstens regeln technische Normen ein bestimmtes Verhalten der

Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 18; vgl. ferner Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 69; Erhard, R., Technische Standards, S. 5, 11 ff.; Kremer, G., Struktur und Zustandekommen, S. 27; Mohr, P. M., Technische Normen und freier Warenverkehr, S. 62 f.; Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 375 f.; ders., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 220; Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2637; Wagner, H., Rechtliche Relevanz, S. 110; eingeschränkt auch Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 32 f. 59 Vgl. Kap. I.C.l.d). 60 Lukes, R., Industrielle Normen und Standards, S. 18; Marburger, P., Regeln, S. 287 ff.; ders., Sicherheitstechnische Normen, S. 122 f. 61 Marburger, P., Regeln, S. 365; ders., Sicherheitstechnische Normen, S. 122; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 36. 62 Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 123; ders., Regeln, S. 287 ff. 63 Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 72 ff. u. insbes. S. 87 ff. 64 Vgl. dazu die schlüssige Darlegung bei Marburger, P., Regeln, S. 281 ff. und insbes. 287 ff. I.d.S. auch Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 65 ("quasi-normative Funktion"); ders., Internationale Orientierung, S. 70 ff., 108 ("faktisch eine Rechtsetzungstätigkeit"); Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 81;

886

Teil 3: Ausblick

Normadressaten oder eine bestimmte Beschaffenheit von sachlichen Dingen, indem sie abstrakt-generelle Regelungen für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle treffen. Zweitens dienen insbesondere die schütz- und sicherheitstechnischen Normen der Verwirklichung einer besonderen Rechtsidee. Indem sie Beschaffenheitsund Verhaltensanforderungen bezüglich des Schutzes von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Menschen, seiner Sachgütern und der Umwelt sowie anderer Rechtsgüter (wie beispielsweise des Verbraucher- oder des Datenschutzes) treffen, konkretisieren sie für den Bereich der Technik das allgemeine Rechtsprinzip des "neminem laedere", welches nach unbestrittener Auffassung eine Ausprägung der Rechtsidee ist. Drittens beanspruchen technische Normen in der Fachwelt Geltung, die sie aufgrund der fachlichen Autorität der technischen Normenorganisationen faktisch auch erlangen. Viertens besteht eine technische Norm wie eine Rechtsnorm aus einem abstrakt umschriebenen Sachverhalt, dem Tatbestand, und einer gleichfalls abstrakt formulierten (Rechts-)Folge und bestimmt, daß immer, wenn der Tatbestand erfüllt ist, die Rechtsfolge gelten soll, was auch aus ihrer im vorhergehenden Absatz dargelegten sprachlichen Erscheinungsform hervorgeht 65. Obwohl diese umfassenderen Interpretationsansätze die technische Normung in weiten Bereichen zutreffend interpretieren und viele wahre Erkenntnisse enthalten, treffen jedoch auch diese noch nicht vollständig den Kern des technischen Normungsverfahrens. Zwar scheint es prima vista durchaus vergleichbar, ob das Gesetz auf die "Verkehrssitte" (§§ 157, 242 BGB), den "Handelsbrauch" (§ 346 HGB) und die "guten Sitten" (§§ 138 Abs. 1, 826 BGB, § 1 UWG) einerseits oder auf die "allgemein anerkannten Regeln der Technik", den "Stand der Technik" oder den "Stand von Wissenschaft und Technik" andererseits Bezug nimmt. In beiden Fällen knüpft das Gesetz an entwicklungsoffene, der gesellschaftlichen Sphäre entstammende Normen an. Jedoch besteht ein grundlegender Unterschied darin, daß es sich bei der technischen Normung anders als beispielsweise bei den "guten Sitten" nicht um einen ungeregelten und unsystematischen Prozeß der evolutionären Ausbildung gesellschaftlicher Sozialnormen, d.h. einer außerrechtlichen Ordnung tradierter und sich dabei weiterentwickelnder gesellschaftlicher Anschauungen und Verhaltensweisen han-

Peter, G. u.a., Arbeitsschutz, S. 38 ("quasi gesetzlichen, verhaltensregulierenden Charakter"); Schachtschneider, Κ. Α., Staatsuntemehmen und Privatrecht, S. 421 ff.; ders., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 132 ff.; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 50 ff. Eingeschränkt auch Scholz, R., Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 124 f., 135 f., der allerdings den kognitiven Aspekt als vorrangig vor dem voliti ven/sozial-normativen bewertet. A.A. Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 51 ff.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 8 ff.; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 35. 65 Vgl. zum vorhergehenden Marburger, P., Regeln, S. 287 ff.; ders., Technische Sicherheit, S. 22; ders., Sicherheitstechnische Normen, S. 122 f., 138; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 50, der - im Anschluß an Marburger, P., Regeln, S. 286 - zudem fordert, daß Rechtsnormen heteronom und damit Normsetzer und Normadressaten verschiedene Personen sein müßten. Dieser Ansicht ist nicht zuzustimmen, wie im folgenden Abschnitt des Ausblicks dargelegt wird.

C. Die weitgehende Unzulänglichkeit der bisherigen Deutungen

887

delt. Vielmehr stellt das technische Normungsverfahren einen komplexen, in allen notwendigen Einzelheiten formalisierten und durchorganisierten gesamtgesellschaftlichen Willensbildungsprozeß dar, der allein im DIN von 35.000 ehrenamtlichen Experten als Delegierte der jeweils am Normungsgegenstand "interessierten Kreise" zuzüglich der zahlenmäßig nicht benannten stellungnehmenden Bürger innerhalb des organisatorischen Rahmens des DIN abläuft. Das Resultat dieses Willensbildungsprozesses sind zwar rechtlich unverbindliche, aber dennoch mit allgemeinem normativen Geltungsanspruch im etymologischen Wortsinn einer "Regel" oder "Richtschnur" ausgestattete Normen der technischen Normenorganisationen, die veröffentlicht werden, um einen bestehenden Ist-Zustand in den im konsensualen Diskurs aller interessierten Kreise und der Öffentlichkeit ermittelten Soll-Zustand zu überführen 66. Damit unterscheidet sich die heutige Rezeption technischer Normen durch normative Standards auch wesentlich von deren ursprünglicher Rezeptionsfunktion. Wie mehrfach ausgeführt 67, hat die Rechtssetzungsmethode der Rezeption außerrechtlicher Ordnungsgefüge durch normative Standards in die Rechtsordnung eine lange Tradition in der deutschen Rechtssetzungspraxis. Bereits das preußische allgemeine Landrecht von 1794 machte in seinem strafrechtlichen Teil (2. Teil, 20. Titel: "Von den Verbrechen und deren Strafen") die "allgemein anerkannten Regeln der Baukunst" zum Maßstab für ein sicherheitstechnisch ordnungsgemäßes Verhalten im Bauwesen und rezipierte damit die allgemein als üblich empfundene ordnungsgemäße Beschaffenheit dieser technischen Systeme, die im wesentlichen in den Zunftregeln der am Bau tätigen Handwerker schriftlich fixiert, zu einem erheblichen Teil aber auch mündlich tradiert wurden. In beiden Fällen erfolgte damit eine Bezugnahme auf vorstellbare, feststellbare und überschaubare Maßstäbe, die sich über Generationen ausgebildet hatten und nur einer geringen Änderungsgeschwindigkeit unterlagen68. Davon unterscheidet sich die heutige Situation grundlegend, die durch eine zunehmend unüberschaubare Vielfalt komplizierter und komplexer werdender technischer Systeme mit einem deutlich verkürzten Systemlebenszyklus gekennzeichnet ist, so daß sich derartige Allgemeinvorstellungen über eine ordnungsgemäße Beschaffenheit bzw. ein ebensolches Verhalten immer weniger ausformen können. Symptomatisch für diese Entwicklung ist die erstmalige explizite normative Rezeption eines kompletten technischen Normenwerkes in die Rechtsordnung durch die 1937 erlassene 2. DVO a.F. zum EnWG, welche unter Anwendung der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung be-

66

Vgl. Kap. I.E. Vgl. die Ausführungen in Abschn. A der Einleitung sowie in Fn. 586 in Kap. ILA. 1. c)bb)(2)(a)(aa). 68 Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 83. 67

888

Teil 3: Ausblick

stimmt hat, daß VDE-Bestimmungen als anerkannte Regeln der Elektrotechnik gelten 69 . Diese Rechtssetzungsmethode zur Festlegung von Beschaffenheitsund Verhaltensanforderungen für elektrische Anlagen und Geräte belegt auch im Falle ihrer heutigen Deutung der Rechtswirkung als widerlegbare gesetzliche Tatsachenvermutung (§ 292 ZPO), daß für diese technischen Systeme eben keine entsprechenden Allgemeinvorstellungen von der ordnungsmäßigen Beschaffenheit mehr vorhanden waren, und diese angesichts der zuvor charakterisierten technischen Entwicklung stattdessen in privaten technischen Normen normiert werden mußten70. Folglich sind technische Normen mehr als sozio-technische Wohlfahrtsoptima oder heteronome Sozialnormen (mit Rechtsnormcharakter): Denn die technische Normung ist offensichtlich in der Lage, auf Anforderung der Bürger eines Staates (sozial) verbindliche Normen mit allen Eigenschaften einer Rechtsnorm in einem formalisierten gesamtgesellschaftlichen Willensbildungsprozeß in Form eines konsensualen Diskurses aller betroffenen interessierten Kreise und der stellungnehmenden Bürger hervorzubringen. Dementsprechend hat sich die technische Normung zumindest im Bereich von Wissenschaft und Technik Willensbildungssystem nicht nur als alternatives gesamtgesellschaftliches dem der heutigen rechtssetzenden Organe etabliert, sondern erweist sich diesen in vielerlei Hinsicht auch als deutlich überlegen.

zu

Im folgenden sollen die Organisationsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung deshalb an dem "radikaldemokratischen" 71 gesamtgesellschaftlichen Willensbildungsmodell Rousseaus gemessen werden, der mit seiner Schrift vom "Gesellschaftsvertrag" ("Du Contract Social; ou Principles Du Droit Politique") die Grundlagen unserer heutigen demokratischen Republiken in Europa gelegt hat. Ziel dieser Betrachtungen ist der Nachweis, daß die in Teil I I dieser Untersuchung herausgearbeiteten typischen Organisationsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung unter Berücksichtigung der heutigen Lebenswirklichkeit die bestmögliche Form der Verwirklichung der "volonté générale", des allgemeinen Willens des Volkes, darstellt. Dazu werden in einem ersten Schritt die wesentlichen Erkenntnisse Rousseaus bezüglich einer idealen gesamtgesellschaftlichen Willensbildung dargelegt und in einem zweiten Schritt deren durch die Lebenswirklichkeit des beginnenden dritten Jahrtausends gesetzten Grenzen aufgezeigt. Auf der Basis der Synthese beider Überlegungen erfolgt in einem dritten Schritt die Bestimmung der grundlegenden Anforderungen an ein aktuelles Willensbildungsmodell, welches unter den genann-

69 70 71

Vgl. deren aktuelle Fassung in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß). Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 84. Teubner, G., Organisationsdemokratie, S. 13.

C. Die weitgehende Unzulänglichkeit der bisherigen Deutungen

889

ten Restriktionen die bestmögliche Ausbildung der "volonté générale" ermöglicht, bevor in einem vierten Schritt nachzuweisen ist, daß die Organisationsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung den Anforderungen dieses aktuellen Willensbildungsmodells genügt, mithin die "volonté générale" unter den heutigen Lebensumständen bestmöglich hervorzubringen vermag.

D. Die Organisationsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung als bestmögliche Form der Verwirklichung der "volonté générale" "Alles Gescheite mag schon siebenmal gedacht worden sein. Aber wenn es wieder gedacht wurde, in anderer Zeit und Lage, war es nicht mehr dasselbe."* Entsprechend den Ausführungen in Rousseaus "Du Contract Social; ou Principles Du Droit Politique" beruht das Recht auf Vereinbarungen 1. Die erste und grundlegendste dieser Vereinbarungen ist der "Gesellschaftsvertrag" (" contract social"), den eine Gruppe freier Menschen miteinander abschließt. Durch den Gesellschaftsvertrag wird diese Gruppe von Menschen zum Volk und das Territorium, das sie bewohnen, zum Staat2. Die nach Rousseau einzige Bestimmung des Gesellschaftsvertrags ist die völlige Entäußerung ("aliénation totale") jedes Mitglieds mit allen seinen Rechten an das Gemeinwesen als Ganzes. Nur so ist die Vereinigung für alle gleich und vollkommen3. Zielsetzung des Gesellschaftsvertrages wie das jeder Art von Gesetzgebung ist die Verwirklichung des höchsten Wohls aller, des Gemeinwohls, welches sich auf die zwei Hauptgegenstände Freiheit und Gleichheit zurückführen läßt4. Bezüglich des ersteren verliert der Mensch durch den Gesellschaftsvertrag seine natürliche Freiheit - die auf der eigenen Stärke gründet und die ihre einzige Schranke in der überlegenen Stärke anderer findet 5 -, und ein unbegrenztes Recht auf alles, wonach ihm gelüstet und was er erreichen kann; was er erhält, ist die bürgerliche Freiheit - die durch den Gemeinwillen, die "volonté générale", begrenzt ist - und das Eigentum an allem, was er besitzt6. Hinsichtlich des letzteren schafft der Gesellschaftsvertrag durch Vertrag und Recht anstelle dessen, was die Natur an physischer natürlicher Ungleichheit unter den Menschen hervor-

* Emst Bloch, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. 1 Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, 1. Kap. 2 Ebd., 1. Buch, 5. Kap. i.V.m. 4. Buch, 2. Kap. 3 Ebd., 1. Buch, 6. Kap. 4 Ebd., 2. Buch, 11. Kap. 5 Vgl. dazu ebd., 1. Buch, 3. Kap. 6 Ebd., 1. Buch, 8. Kap.

D. Die Organisationsprinzipien

891

bringt, eine sittliche und rechtliche Gleichheit von der Art 7, daß alle Bürger sich unter den gleichen Bedingungen verpflichten und sich der gleichen Rechte erfreuen dürfen 8. Damit wird der natürliche Zustand der Macht des Stärkeren durch die Geltung des Rechts abgelöst9. Ein solcher Staat, der durch Gesetze regiert wird, welche den Gemeinwillen widerspiegeln, trug früher den Namen Polis , heute den der Republik 10, während die Gruppe von Menschen als Gesamtheit Volk und der Einzelne Bürger genannt wird, sofern er an der Souveränität teilhat11. Der Gesellschaftsvertrag repräsentiert das einzige Gesetz, welches eine einstimmige Annahme erfordert; denn da jeder Mensch frei und als Herr seiner selbst geboren ist, kann ihn niemand ohne seine Einwilligung zum Bürger machen. Dementsprechend stellt die bürgerliche Vereinigung den freiesten Akt der Welt dar 12. Ist der Staat erst einmal gegründet, so liegt die Zustimmung zum Gesellschaftsvertrag im Wohnsitz: das Staatsgebiet bewohnen heißt, sich der Souveränität dieses Volkes zu unterwerfen 13. Schließlich gibt es im Staat kein (Grund-) Gesetz, nicht einmal den Gesellschaftsvertrag, welches die Bürgerschaft nicht wieder aufheben könnte: "denn wenn alle Bürger sich versammelten, um diesen Vertrag in allgemeiner Übereinstimmung aufzukündigen, besteht kein Zweifel, daß er vollkommen rechtmäßig gelöst würde" 14. Die Souveränität des durch einen Gesellschaftsvertrag gebildeten Volkes ist nach Rousseau unveräußerlich und unteilbar. Damit überhaupt eine Gesellschaft von Menschen entstehen kann, muß es neben widerstreitenden Einzelinteressen auch gemeinsame Einzelinteressen und einen gemeinsamen Willen geben, der sich auf die gemeinsame Erhaltung und auf das allgemeine Wohlergehen bezieht und der folglich das gesellschaftliche Band bildet, welches das Volk zusammenhält15. Deshalb kann allein der Gemeinwille, die "volonté générale", die Kräfte des Staates gemäß dem Zweck seiner Errichtung, nämlich dem Gemeinwohl, leiten. Folglich kann die Souveränität des Volkes, da sie nichts ande7

Ebd., 1. Buch, 9. Kap. Ebd., 2. Buch, 4. Kap. 9 Ebd., 1. Buch, 6. Kap. i.V.m. 2. Buch, 6. Kap 10 Dazu grundlegend Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, passim, der eine rousseausch-kantianische Republiklehre entwickelt. 11 Ebd., 1. Buch, 6. Kap. 12 "Wenn sich also in dem Augenblick, da der Gesellschaftsvertrag geschlossen wird, Andersdenkende finden, so macht deren Gegnerschaft den Vertrag nicht ungültig, sie verhindert nur, daß sie dazugezählt werden; sie sind Fremde unter den Bürgern." Ebd., 4. Buch, 2. Kap. 13 Ebd., 4. Buch, 2. Kap. 14 Ebd., 1. Buch, 7. Kap. i.V.m. 3. Buch, 18. Kap. 15 Ebd., 2. Buch, 1. Kap. i.V.m. 4. Buch, 1. Kap. 8

892

Teil 3: Ausblick

res ist als die Ausübung des Gemeinwillens, niemals veräußert und der Souverän, der nichts anderes ist als das Volk, nur durch sich selbst vertreten werden. Denn obgleich es möglich ist, daß der Einzelwille eines Repräsentanten des Volkes zu irgend einer Zeit in irgendeinem Punkt mit dem Gemeinwillen übereinstimmt, so ist es doch unmöglich, daß diese Übereinstimmung für jeden Sachverhalt und für den gesamten Zeitraum der Repräsentation Bestand hat16. Aus dem gleichen Grund, aus dem die Souveränität des Volkes unveräußerlich ist, ist sie auch unteilbar. Denn der Wille ist entweder allgemein als derjenige des gesamten Volkes, oder er ist nur ein Sonderwille eines Teils desselben. Folglich ist zur Herausbildung des allgemeinen Willens die Abstimmung aller Bürger erforderlich, wohingegen jeder förmliche Ausschluß eines Teils des Volkes von der Abstimmung die Allgemeinheit zerstört 17. Allein diesen ersten Akt, bei dem das ganze Volk über das ganze Volk bestimmt und die Sache, über die das Volk entscheidet, so allgemein ist wie der bestimmende Wille, nennt Rousseau Gesetz 1*. Dieses bedarf als Ausdruck der " volonté générale ", des allgemeinen Willens und Akt der Souveränität der Abstimmung aller, aber keiner Einstimmigkeit19. Abgesehen von dem Gesellschaftsvertrag, der seiner Natur nach eine einstimmige Annahme erfordert, verpflichtet im Rahmen der Gesetzgebung die Stimme der Mehrzahl immer alle anderen20. Dabei können allgemeine Grundsätze den Grad der erforderlichen Mehrheit regeln, der etwa bei dringenden Entscheidungen zur einfachen Mehrheit, bei bedeutsamen und schwerwiegenden Entscheidungen zur Einstimmigkeit tendieren kann21. Somit hat für Rousseau die Unteilbarkeit der Souveränität zur Folge, daß der Akt der Gesetzgebung als der wesentliche Inhalt der Souveränität der Versammlung aller Bürger vorbehalten bleibt 22 und daß er jegliches Repräsentationssy-

16

"Wenn daher das Volk einfach verspricht, zu gehorchen, löst es sich durch diesen Akt auf und verliert seine Eigenschaft als Volk; in dem Augenblick, in dem es einen Herrn gibt, gibt es keinen Souverän mehr, und von da an ist der politische Körper zerstört." Ebd., 2. Buch, 1. Kap. 17 Ebd., 2. Buch, 2. Kap. 18 Hingegen vermag der Sonderwille im zweiten Fall bestenfalls einen Verwaltungsakt oder eine Verordnung hervorzubringen. Ebd., 2. Buch, 2. Kap. i.V.m. 2. Buch, 6. Kap. 19 Ebd., 2. Buch, 2. Kap. i.V.m. 4. Buch, 2. Kap. 20 Das Gesetz der Stimmenmehrheit beruht selbst auf Übereinstimmung, nämlich dem Gesellschaftsvertrag, und setzt zumindest einmal Einstimmigkeit voraus. Ebd., 1. Buch, 5. Kap. 21 Ebd., 4. Buch, 2. Kap. 22 "Der Souverän handelt, da er keine andere Macht hat als die Legislative, nur mittels Gesetzen, und da Gesetze nichts anderes als die eigentlichen Akte des Gemeinwil-

D. Die Organisationsprinzipien

893

stem ablehnt 23. Dadurch wird gewährleistet, daß die Gesetze gerecht sind, da niemand gegen sich selbst ungerecht ist, und daß alle Bürger - obgleich den Gesetzen unterworfen - zugleich frei sind, da die Gesetze nur Verzeichnisse des Gemeinwillens des Volkes sind24. "Da die Bürger durch den Gesellschaftsvertrag alle gleich sind, können alle vorschreiben, was alle tun müssen, während keiner das Recht hat, von einem anderen etwas zu verlangen, was er selbst nicht tut." 25 Schließlich mißbilligt Rousseau auch die Bildung von Vereinigungen innerhalb des Volkes, da nicht nur der Sonderwille des einzelnen Bürgers 26, sondern lens sind, kann der Souverän nur dann handeln, wenn das Volk versammelt ist." Ebd., 3. Buch, 12. Kap. 23 Vgl. auch ebd., 2. Buch, 7. Kap: "Derjenige, der die Gesetze verfaßt, hat also oder soll keinerlei Gesetzgebungsbefugnis haben, und das Volk kann, selbst wenn es wollte, sich dieses nicht übertragbaren Rechtes nicht begeben; weil gemäß dem Grundvertrag nur der Gemeinwille die Einzelnen verpflichtet und weil man sich nur dann vergewissem kann, daß ein Sonderwille mit dem Gemeinwillen übereinstimmt, wenn man ihn der freien Abstimmung des Volkes unterworfen hat". Femer ebd., 3. Buch, 1. Kap.: "Wir haben gesehen, daß die Legislative beim Volke liegt und nur bei ihm liegen kann." 24 Ebd., 2. Buch, 6. Kap. Dies gilt nach Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 4. Buch, 2. Kap. selbst für den Fall, daß der eigene Einzelwille nicht mit dem Gemeinwillen übereinstimmt: "Man fragt sich aber, wie ein Mann frei sein kann und gezwungen, sich Willen zu unterwerfen, die nicht die seinen sind. Wie können Andersdenkende zugleich frei und Gesetzen unterworfen sein, denen sie nicht zugestimmt haben? Ich antworte, daß die Frage so nicht richtig gestellt ist. Der Bürger stimmt allen Gesetzen zu, selbst jenen, die man gegen seinen Willen verabschiedet, und sogar solchen, die ihn bestrafen: wenn er es wagt, eines davon zu verletzen. Der beständige Wille aller Glieder des Staates ist der Gemeinwille; durch ihn sind sie Bürger und frei. Wenn man in der Volksversammlung ein Gesetz einbringt, fragt man genaugenommen nicht danach, ob die Bürger die Vorlage annehmen oder ablehnen, sondern ob diese ihrem Gemeinwillen entspricht oder nicht; je-

der gibt mit seiner Stimme seine Meinung darüber ab, und aus der Auszählung der Stimmen geht die Kundgebung des Gemeinwillens hervor. Wenn also die meiner Meinung entgegengesetzte siegt, beweist dies nichts anderes, als daß ich mich getäuscht habe und daß das, was ich für den Gemeinwillen hielt, es nicht war. Wenn mein Sonderwille gesiegt hätte, hätte ich gegen meinen eigenen Willen gehandelt und wäre deshalb nicht frei gewesen." (Hervorh. d. Verf.) 25 Ebd., 3. Buch, 16. Kap. 26 "In der Tat kann jedes Individuum als Mensch einen Sonderwillen haben, der dem Gemeinwillen, den er als Bürger hat, zuwiderläuft oder sich von diesem unterscheidet. Sein Sonderinteresse kann ihm ganz anderes sagen als das Gemeininteresse; sein selbständiges und natürlicherweise unabhängiges Dasein kann ihn das, was er der gemeinsamen Sache schuldig ist, als eine unnütze Aufgabe betrachten lassen, deren Einbuße den anderen weniger schadet, als ihn ihre Leistung belastet, und er könnte gar seine Rechte als Staatsbürger in Anspruch nehmen, ohne die Pflichten eines Untertanen erfüllen zu wollen, da er die moralische Person, die der Staat darstellt, als Gedankending betrachtet, weil sie kein Mensch ist; eine Ungerechtigkeit, deren Umsichgreifen den Un-

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Teil 3: Ausblick

auch der Sonderwille von Vereinigungen die Ausbildung des Gemeinwillens ("volonté générale") be- oder gar verhindern können. Denn nach Rousseau bestehen die Voraussetzungen für die Verwirklichung des öffentlichen Wohls durch den Gemeinwillen darin, daß die Bürger erstens keinerlei Verbindung untereinander haben und zweitens über den Entscheidungsgegenstand wohlunterrichtet sind. Dann würde der Gesamtwille, der als Summe von Sonderwillen auf die Privatinteressen abzielt, mit dem Gemeinwillen, welcher das Gemeininteresse bezweckt, identisch sein, indem sich die große Zahl der kleinen Unterschiede der Sonderwillen gegenseitig aufheben und aus der Summe der Unterschiede der Gemeinwille resultiert: "In einer echten Gemeinschaft wird aus vielen ich ein wir." 27 Wenn jedoch Teilvereinigungen der Bürger entstehen, entwickeln diese einen Sonderwillen gegenüber dem Staat. Als Resultat gibt es nicht mehr so viele Stimmen wie Menschen, sondern nur noch so viele wie Vereinigungen. Die Unterschiede der Sonderwillen werden weniger zahlreich und führen zu einem weniger allgemeinen Ergebnis. Wenn schließlich eine dieser Vereinigungen so groß ist, daß sie alle anderen dominiert, so erhält man als Ergebnis nicht mehr die Summe der kleinen Unterschiede, sondern einen einzigen Unterschied; jetzt gibt es keinen Gemeinwillen mehr, und die Ansicht, die siegt, ist nur eine Sonderanschauung. Um wirklich die Aussage des Gemeinwillens zu bekommen, ist es deshalb wichtig, daß es im Staat keine Teilgesellschaften gibt und daß jeder Bürger nur seine eigene Meinung vertritt. Wenn es aber Teilgesellschaften gibt, so ist es Rousseau zufolge als Vorsichtsmaßregel wichtig, die Zahl der Teilgesellschaften zu vervielfachen und ihrer Ungleichheit vorzubeugen; auch in diesem Fall ist nach Rousseaus der Gemeinwille immer aufgeklärt und das Volk keinen Täuschungen unterworfen 28. Zusammenfassend ist also nach dem "radikaldemokratischen" gesamtgesellschaftlichen Willensbildungsmodell von Rousseau die Voraussetzung für das Zustandekommen eines Gesetzes, daß alle Bürger eines Staates als aufgeklärte,

tergang der politischen Körperschaft

verursachen

würde.

Damit nun aber der Gesell-

schaftsvertrag keine Leerformel sei, schließt er stillschweigend jene Übereinkunft ein, die allein die anderen ermächtigt, daß, wer immer sich weigert, dem Gemeinwillen zu folgen, von der gesamten Körperschaft dazu gezwungen wird, was nichts anderes heißt, als daß man ihn zwingt, frei zu sein; denn dies ist die Bedingung, die den einzelnen Bürger vor jeder persönlichen Abhängigkeit schützt, indem sie ihn dem Vaterland übergibt; eine Bedingung, in der das kunstvolle Spiel des politischen Mechanismus liegt und die allein den Verpflichtungen der Bürger Rechtmäßigkeit verleiht, welche sonst sinnlos, tyrannisch und größtem Mißbrauch unterworfen wären." Ebd., 1. Buch, 7. Kap. (Hervorh. d. Verf.) 27 Erwin Ringel, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. 28 Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 3. Kap.

D. Die Organisationsprinzipien

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aber isolierte Individuen über ein Gesetz abstimmen. Diese idealen Voraussetzungen bilden die Leitlinie und die Richtschnur für die nachfolgenden Betrachtungen, inwieweit diese Voraussetzungen unter den heutigen Lebensumständen überhaupt theoretisch zu verwirklichen sind und bis zu welchem Grad sie durch die Organisationsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung praktisch verwirklicht werden: "Ideale: himmlische Meßlatten für irdische Ziele."29 "Es bedürfte der Götter, um den Menschen Gesetze zu geben."30 Diese idealisierte direktdemokratische Willensbildung in Form der Konstitution einer "volonté générale" aus dem Willen aufgeklärter und isolierter Bürger stößt jedoch angesichts der Lebenswirklichkeit des beginnenden 3. Jahrtausends insbesondere an vier Grenzen, welche für die nachfolgenden Betrachtungen von elementarer Bedeutung sind: Erstens ist es heutzutage infolge des exponentiell wachsenden Wissens unserer wissenschaftlich-technisch determinierten Gesellschaft, verbunden mit einer abnehmenden Halbwertszeit der Gültigkeit erworbener Kenntnisse 31, auch dem intelligentesten Menschen vollkommen unmöglich, über alle Aspekte, die das gute Zusammenleben aller mit allen betreffen, hinreichend informiert und aufgeklärt zu sein, um sachgerecht in der jeweiligen Angelegenheit entscheiden zu können, zumal auch das Erkenntnisvermögen und der Fundus an Erfahrungen einer Einzelperson limitiert sind. Während die Zeit der Universalgenies bereits seit mehreren Jahrhunderten der Vergangenheit angehört, ist es gegenwärtig selbst den besten Wissenschaftlern nicht möglich, auch nur über ihr eigenes Fachgebiet halbwegs vollständig informiert zu sein. Deutlich sichtbares Kennzeichen dieser Wissensexplosion ist die über-, da für eine Einzelperson schlicht nicht zu bewältigende Flut an selbständigen Veröffentlichungen, Aufsatzsammlungen (inklusive Tagungsberichten, Festschriften und vergleichbarem), Artikeln aus einschlägigen Wochen- Monats- und anderen periodischen Schriften, Loseblattsammlungen, Kommentaren u.a.m. So wurde bereits im Resümee des ersten Teils dieser Untersuchung festgestellt, daß die Fähigkeit, unsere zunehmend technikdeterminierte Lebenswirklichkeit begreifen, beurteilen und auf dieser Basis steuern oder gar regeln zu können, für jeden einzelnen Menschen auf einen immer kleineren Ausschnitt limitiert ist 32 .

29 30 31 32

Ron Kritzfeld, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 7. Kap. Vgl. die Ausführungen in Fn. 23 in Kap. I.A.l.c) sowie in Kap. I.E. Vgl. Kap. I.E.

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Teil 3: Ausblick

Zweitens verfügten die Bürger selbst unter der Annahme, daß sie über alle Aspekte, die das gute Zusammenleben aller mit allen betreffen, hinreichend informiert und aufgeklärt wären, angesichts der Komplexität, der Vernetztheit und der Änderungsgeschwindigkeit der heutigen Lebenswirklichkeit und dem daraus resultierenden riesigen Bedarf an Regelungen nicht über die erforderliche Zeit, alle Angelegenheiten des guten Zusammenlebens aller mit allen selbst zu entscheiden. In diesem Zusammenhang hat bereits Rousseau hinsichtlich der Ausübung der Exekutivaufgaben ausgeführt: "Man kann sich nicht vorstellen, daß das Volk unaufhörlich versammelt bleibt, um die öffentlichen Angelegenheiten zu besorgen ..." 33 . Dasselbe gilt im übrigen auch für einen "Vollzeitbürger" oder -politiker: Selbst wenn diese ohne Schlaf und Pausen auskämen und sieben Tage in der Woche arbeiteten, reichte ihnen selbst diese 168 Stundenwoche nicht aus, alle Dinge der heutigen komplexen und komplizierten Lebenswirklichkeit zu regeln. Denn die Regelungs- und Kodifizierungsarbeit ist nicht nur durch die wissenschaftlich-technische und gesellschaftliche Entwicklung hin zu hochkomplexen, -komplizierten und -vernetzten Systemen, sondern auch durch die Abkehr vom liberalistischen "laissez faire" hin zum Sozialstaatsprinzip sowohl bezüglich der Breite als auch der Tiefe erheblich gewachsen. Drittens erfordert unsere zunehmend komplexe, vernetzte Lebenswirklichkeit aufgrund ihres ständigen, sich beschleunigenden Wandels 34 nicht nur eine hinreichend schnelle und zeitnahe Gesetzgebung, sondern vor allem auch die laufende Anpassung der Gesetze an die geänderten wissenschaftlich-technischen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen, da nur unter dieser Voraussetzung eine wirksame Steuerung oder gar Regelung des menschlichen Zusammenlebens überhaupt möglich ist: "Die technisch-wissenschaftlichen Entwicklungen zu bewältigen, heißt zunächst, die Dynamik dieser Entwicklungen zu bewältigen."35 Denn das Recht erfüllt seine Funktion als normative Ordnung des Seins um so weniger, je größer der Abstand zwischen dem Sein - der Lebenswirklichkeit und dem Sollen - den diese Lebenswirklichkeit regelnden normativen Rechtsvorschriften - ist 36 :

33

Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 3. Buch, 4. Kap. "Die Welt, in der wir heute leben, unterscheidet sich von der Welt unserer Großeltern oder Urgroßeltern in stärkerem Maße, als deren Welt sich von der Lebenswelt des Mittelalters unterschied." Murswiek, D., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 208. 35 Murswiek, D., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 230 Leitsatz 3. 36 Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 81 f. 34

D. Die Organisationsprinzipien

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"Der Entwicklungsstand der Technik, Art und Weise sowie Tempo ihres Fortschreitens prägen die tatsächliche Lage, die von der rechtlichen Verfassung des Gemeinwesens vorgefunden wird und deren Berücksichtigung zu den realen Bedingungen effektiver Rechtsgeltung gehört. Die tatsächliche Grund-Lage jedes Grund-Gesetzes begrenzt die tatsächlichen Möglichkeiten rechtlicher Normierung. Zu dieser GrundLage kann die rechtliche Verfassung sich in verschiedener Weise verhalten: Sie kann von ihr ausgehen, auf ihr aufbauen; sie kann normativ auf sie einwirken, indem sie ein Programm zur gestaltenden Veränderung oder Überwindung der vorgefundenen Lage formuliert; sie kann Kompetenzen zur Einwirkung auf die gegebene Lage verleihen; sie kann schließlich die reale Lage ignorieren. Sie kann nur nicht die gegebene Lage in einem Rechtssatz aufheben. Eine Verfassung, die die reale Lage ignoriert, wird von ihr überwältigt. Sie begibt sich der Chance rechtlicher Gestaltung. Die Kraft der Fakten, denen die rechtliche Normierung sich nicht entziehen kann, wächst."37 Nur dann, wenn sich Tatbestand und Rechtsfolge stets an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, technischen Möglichkeiten und gesellschaftlichen Zielvorstellungen orientieren, kann die Rechtsnorm als das Seinsollende dem Sein als Leitlinie und Richtschnur den richtigen Weg weisen. Je weiter sich hingegen Tatbestand und Rechtsfolge von der Lebenswirklichkeit entfernen indem beispielsweise im Tatbestand die Ursachen unerwünschter Technikfolgen nicht oder qualitativ bzw. quantitativ nicht zutreffend erfaßt sind und/oder die Rechtsfolge infolge sich als unzureichend herausstellender Maßnahmen nicht zur notwendigen Systemkorrektur führt -, desto weniger zielführend und effektiv wird die Regelungsleistung sein. Viertens ist die Voraussetzung der bezüglich der eigenen Meinungsbildung von Rousseau geforderte Isolation der Bürger in den heutigen Mediengesellschaften noch weniger gegeben als im 18. Jahrhundert, und sie wird in Folge der gerade stattfindenden informations- und kommunikationstechnischen Revolution mit der Vision der "informations at your fingertips" der globalen informations- und kommunikationstechnischen Vernetzung 38 zunehmend weniger zu verwirklichen sein. Allerdings mutet die Vorstellung einer Gesellschaft isolierter Menschen - ähnlich dem physikalischen Modell eines idealen Gases39 ohne (innere) Reibung, d.h. Berührung der einzelnen Moleküle - ohnehin nicht nur wenig wirklichkeitsnah an, sondern auch wenig erstrebenswert. Umgekehrt erscheint es durchaus möglich, sich auch im Diskurs mit anderen bei der abschließenden Meinungsbildung seines eigenen Verstandes zu bedienen und sich somit aufgeklärt zu verhalten. Diese Bedingung, die bereits zu Zeiten Rousseaus

37

Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 20 (Hervorh. d. Verf.). Vgl. auch Murswiek, D., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 228. 38 Vgl. Kap. I.D.l.b). 39 Brockhard, H., Anmerkungen, 2. Buch Nr. 7.

5

Zubke-von Thünen

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Teil 3: Ausblick

ersichtlich unerfüllbar war, soll daher im folgenden nicht weiter betrachtet werden. Die drei erstgenannten Grenzen treten zwar im Bereich von Wissenschaft und Technik aufgrund der hohen Komplexität, Vernetztheit und Änderungsgeschwindigkeit der Fachdisziplinen in besonderem Maße zu Tage, können aber auch für weite Bereiche der übrigen Lebensverhältnisse gleichermaßen Gültigkeit beanspruchen. Hingegen spielt die von Rousseau apostrophierte, praktisch an Unmöglichkeit grenzende Schwierigkeit, das gesamte Volk zu Abstimmungen über Gesetze physisch versammeln zu müssen40, angesichts der Möglichkeiten des informations- und kommunikationstechnischen Zeitalters 41 keine Rolle mehr 42 . Betrachtet man nun das Willensbildungsmodell Rousseaus in Verbindung mit den drei erstgenannten, durch die Lebensumstände des beginnenden 3. Jahrtausends gesetzten Grenzen, so ergeben sich an ein aktuelles Willensbildungsmodell, welches unter den genannten Begrenzungen zur heute bestmöglichen Ausbildung der " volonté générale" in der Lage ist, folgende drei grundlegende Anforderungen: Als erste und wichtigste Anforderung muß das Willensbildungssystem trotz der genannten Restriktionen, daß nicht jeder Mensch in jeder Angelegenheit sachkundig sein kann, und, selbst wenn er in jeder Angelegenheit sachkundig wäre, die ihm zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreichend würde, in allen Angelegenheiten selbständig zu entscheiden, die Ausbildung der "volonté générale" in ihrer Anlage zumindest prinzipiell ermöglichen. Wie zu Beginn des Abschnitts ausgeführt, ist der Wille nur dann allgemein, wenn es der Wille des gesamten Volkes ist, wohingegen jeder förmliche Ausschluß eines Teils des Volkes von der Abstimmung die Allgemeinheit zerstört 43. Demzufolge muß das System als Grundvoraussetzung jedem Bürger die Möglichkeit einräumen, zu

40 "Der Souverän handelt, da er keine andere Macht hat als die Legislative, nur mittels Gesetzen, und da Gesetze nichts anderes als die eigentlichen Akte des Gemeinwillens sind kann der Souverän nur dann handeln, wenn das Volk versammelt ist. Das versammelte Volk! wird man sagen, welches Hirngespinst! Heute ist das ein Hirngespinst, aber vor zweitausend Jahren war es keines. ... Die letzte Volkszählung ergab in Rom vierhunderttausend waffentragende Bürger, und die letzte Zählung im Römischen Reich mehr als vier Millionen Bürger, ohne Unterworfene, Fremde, Frauen, Kinder und Sklaven mitzuzählen. Welche unvorstellbare Schwierigkeit, dasriesige Volk aus der Hauptstadt und ihrer Umgebung häufig zu versammeln! Dabei verging kaum eine Woche, in der das Volk von Rom nicht versammelt wurde, und sogar mehrmals." Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 3. Buch, 12. Kap. 41 Vgl. Kap. I.D.l.b). 42 Vgl. dazu auch die Ausführungen in Abschn. G dieses Ausblicks. 43 Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 2. Kap.

D. Die Organisationsprinzipien

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jedem von ihm für wichtig erachteten Gesetz seine Zustimmung zu geben; zudem muß er die Möglichkeit haben, eigene Gesetze einzubringen und überprüfen zu lassen, ob sie der "volonté générale" des Volkes entsprechen 44. Im Grenzfall, der dann eintritt, wenn alle Bürger eines Volkes ein Gesetz für wichtig erachten, sich entsprechend sachkundig machen und als aufgeklärte Individuen nach Maßgabe ihres eigenen Verstandes über das Gesetz abstimmen, ist die "volonté générale" in ihrer reinen Form verwirklicht. Nimmt jedoch ein Bürger sein Abstimmungsrecht nicht wahr, dann bedeutet auch nach Rousseau sein Schweigen Zustimmung: "Das heißt nicht, daß die Befehle der Oberhäupter nicht so lange für Gemeinwillen gelten können, als der Souverän, der die Freiheit hat, sich zu widersetzen, dies nicht tut. In einem solchen Fall muß man aus dem Schweigen aller auf die Zustimmung des Volkes schließen:'45 Da sich zweitens, wie zuvor dargelegt, die Regelsetzung zeitnah zur wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklung vollziehen muß, die durch eine unorganisierte Willensbildung des Volkes nicht zu verwirklichen wäre, ist aus Gründen der Effizienz und Schnelligkeit ein Repräsentationssystemfür die Erarbeitung von Gesetzentwürfen erforderlich, welches dafür Sorge trägt, daß die aus den Gesetzesinitiativen der Bürger hervorgehenden Gesetzvorlagen eine bestmögliche Lösungsqualität und -aktualität gewährleisten, alle wesentlichen wissenschaftlichen und praktischen Gesichtspunkte des Regelungsgegenstandes beachten sowie sämtliche Interessen ausgewogen berücksichtigen, so daß sie dem Willen des Souveräns, d.h. des Volkes, möglichst nahekommen und gesamtgesellschaftlich konsens- oder zumindest mehrheitsfähig sind. Für das Repräsentationssystem ist es naheliegend, den von Rousseau in seinen eingangs dargelegten Ausführungen als zweitbestes Modell zur Verwirklichung der "volonté générale" aufgezeigten Ansatz zugrunde zu legen. In diesem zweitbesten Lösungsweg hat Rousseau angesichts der Realität des Ständeund Zunftwesens des 18. Jahrhunderts zugestanden, daß es Vereinigungen innerhalb des Volkes geben kann, die einen Sonderwillen gegenüber dem Gemeinwesen entwickeln, welcher den Mitgliedern der Vereinigung gegenüber allgemein ist 46 . Wenn aber der Sonderwille der Vereinigung tatsächlich den Willen der Mitglieder widerspiegelt, dann bedeutet das nichts anderes, als daß nach demokratischen Prinzipien gewählte Vertreter dieser Vereinigungen ihre Mitglieder repräsentieren können. Da es jedoch infolge dieser Repräsentation nicht mehr so viele Stimmen gibt wie Bürger, sondern nur noch so viele wie Vereinigungen mit der Folge, daß die Unterschiede der Sonderwillen weniger 44 45 46

5*

Ebd., 4. Buch, 2. Kap. Ebd., 2. Buch, 1. Kap. Ebd., 2. Buch, 3. Kap.

900

Teil 3: Ausblick

zahlreich werden und zu einem weniger allgemeinen Ergebnis führen, fordert Rousseau stringent, daß es möglichst viele, sich bezüglich ihres Einflusses und ihrer Macht weitestgehend gleichende Teilgesellschaften geben soll. "Diese Vorsichtsmaßregeln sind die einzig richtigen, damit der Gemeinwille immer aufgeklärt sei und das Volk sich nicht täusche." 47 Obwohl nach Rousseau selbst eine Einzelperson, die noch nicht einmal Bürger des Staates sein muß, einen Gesetzentwurf erarbeiten darf 48 , solange dieser anschließend dem Volk zur Abstimmung vorgelegt und so dessen Übereinstimmung mit der "volonté générale" festgestellt wird: "Derjenige, der die Gesetze verfaßt, hat also oder soll keinerlei Gesetzgebungsbefugnis haben, und das Volk kann, selbst wenn es wollte, sich dieses nicht übertragbaren Rechtes nicht begeben; weil gemäß dem Grundvertrag nur der Gemeinwille die Einzelnen verpflichtet und weil man sich nur dann vergewissem kann, daß ein Sonderwille mit dem Gemein willen übereinstimmt, wenn man ihn der freien Abstimmung des Volkes unterworfen hat.. ." 4 9 "Wenn man in der Volksversammlung ein Gesetz einbringt, fragt man genaugenommen nicht danach, ob die Bürger die Vorlage annehmen oder ablehnen, sondern ob diese ihrem Gemeinwillen entspricht oder nicht; jeder gibt mit seiner Stimme seine Meinung darüber ab, und aus der Auszählung der Stimmen geht die Kundgebung des Gemeinwillens hervor." 50, so ist dennoch deutlich hervorzuheben, daß sich durch dieses Repräsentationssystem die Art und Weise der Ausbildung der "volonté générale" ändern wird, wie es Rousseau in Zusammenhang mit der Ausübung der Exekutivgewalt feststellte: fct

... man sieht leicht, daß es [das Volk] dafür keine Ausschüsse einsetzen kann, ohne dadurch die Form der ... [Gesetzgebung] zu ändern." 51 Um die eingangs thematisierte Zielsetzung zu erreichen, daß die Gesetzentwürfe dem Willen des Souveräns, d.h. des Volkes, möglichst nahekommen, so daß sie gesamtgesellschaftlich konsens- oder zumindest mehrheitsfähig sind, muß der Wille des Souveräns in dem System möglichst genau repräsentiert sein 52 . Dementsprechend ist die weitgehend singuläre Organisation möglichst 47

Ebd., 2. Buch, 3. Kap. Vgl. dazu ausführlich ebd., 2. Buch 7. Kap. 49 "Jedoch nicht einmal die Decemvim maßten sich jemals das Recht an, einzig aufgrund ihrer Amtsgewalt ein Gesetz zu erlassen. Nichts von dem, was wir euch vorschla48

gen, sagten sie zum Volk, kann ohne eure Zustimmung Gesetz werden. Seid selbst, Römer, Urheber der Gesetze, die euer Glück begründen sollen." Ebd., 2. Buch, 7. Kap. 50

Ebd., 4. Buch, 2. Kap. Ebd., 3. Buch, 4. Kap. 52 Nach Bias, D. G., Normung, S. 216 ff., 244 ff. läßt sich zwischen Volk und Repräsentationskollektiv ein Konsens über den Gesetzentwurf herstellen, wenn die Mit51

D. Die Organisationsprinzipien

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vieler gesellschaftlicher Interessen zu fördern, und es sind alle betroffenen und interessierten Vereinigungen an der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs zu beteiligen. Weil schließlich drittens nach Rousseau nur aufgeklärte, d.h. sich ihres Verstandes bedienende Bürger die "volonté générale" zu verwirklichen in der Lage sind, ist sowohl für die Bürger als auch für die Repräsentanten der gesellschaftlichen Vereinigungen eine möglichst hohe Sachkenntnis des Regelungsgegenstandes unabdingbare Voraussetzung 53. Denn viele Problemstellungen liegen heute derart über dem Niveau des Allgemeinwissens, daß sie ohne gehobene Sachkenntnis und nur gestützt auf den "gesunden Menschenverstand" nicht zu begreifen und folglich erst recht keiner befriedigenden Lösung zuzuführen sind. Diese Forderung deckt sich mit der im Umwelt- und Technikrecht, aber auch anderen Rechtsgebieten hinreichend oft gemachten Erfahrung, daß die Qualität der Lösung einer Regelungsaufgabe in unserer komplexen Lebenswirklichkeit im allgemeinen und im Bereich von Wissenschaft und Technik im besonderen mit der Fachkunde der Entscheidenden korreliert: "Der Aspekt der Fachkunde thematisiert die Möglichkeit, technische Fragestellungen überhaupt einer angemessenen Lösung zuführen zu können." "Wer noch so sehr zur Regelsetzung legitimiert ist, von den einschlägigen technischen Fragen aber keine Kenntnis hat, kann keine angemessene Regelungsleistung erbringen." 5 An den Sachverstand der Repräsentanten der gesellschaftlichen Vereinigungen sind besonders hohe Anforderungen zu stellen, soll nicht der Gesetzentwurf im Rahmen der öffentlichen Abstimmung substanzieller fachlicher Kritik ausgesetzt und somit gesamtgesellschaftlich nicht konsensfähig sein. Folglich müssen die Repräsentanten nach Ausbildung und beruflicher Tätigkeit die Gewähr dafür bieten, daß sie die Front der wissenschaftlichen Erkenntnisse und (technischen) Erfahrungen ihres Tätigkeitsfeldes kennen und die Meinungen und etwaigen

glieder des gesetzesvorbereitenden Gremiums von den Normadressaten als "Modell" des zu regelnden Bereichs anerkannt werden, indem es entweder identitär oder repräsentativ und demokratisch legitimiert zusammengesetzt ist und die Normadressaten weiter überzeugt sein können, daß der im Autoritativ vollzogene Entscheidungsprozeß auf der Basis von Informationsgleichmacht und von endogenen Gruppenproblemen unverzerrt abläuft. Da eine so erzeugte Norm die Kriterien der Erzeugung eines Wohlfahrtsoptimums erfüllt, werden auch die Normadressaten überzeugt sein, durch Zustimmung zu der Norm ihren eigenen relativen Nutzen realisieren zu können. 53 Nach Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 98 ff., ist zur Erfüllung des Kriteriums der Aufgeklärtheit nicht nur Sachkenntnis, sondern sogar Wissenschaftlichkeit erforderlich: "Wissenschaftlichkeit ist das Höchstmaß an Sachlichkeit im aufgeklärten, also wissenschaftlichen Zeitalter. ... Besser als wissenschaftlich vermag das Gemeinwesen die Sicherheitsaufgabe nicht zu bewältigen." Vgl. auch ders., Res publica res populi, S. 963 ff. 54 Gusy, C., Verrechtlichung technischer Standards, S. 105.

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Teil 3: Ausblick

Meinungsunterschiede der übrigen Experten auf ihre Vertretbarkeit hin beurteilen können, um so in der Lage zu sein, das Problem einer bestmöglich fachlich fundierten Lösung zuzuführen. Idealiter verfügt jeder Repräsentant über diesen Sachverstand: "Ein Mensch kann nicht alles wissen, aber etwas muß jeder haben, was er ordentlich versteht."55 Realiter sind aufgrund des zuvor thematisierten exponentiell wachsenden Wissens, der wissenschaftlichen Vernetzung vieler Fachbereiche zu interdisziplinären Wissensgebieten sowie der Begrenzung der Wissensaneignung, der Erfahrungsmöglichkeiten und des Erkenntnisvermögens einer Einzelperson viele Fachgebiete für einen Einzelexperten kaum noch überschaubar, zumal sie sich überwiegend mit hoher Dynamik weiterentwickeln. In diesen Fällen muß es ausreichen, wenn das Repräsentantenkollektiv gemeinschaftlich über den Sachverstand in der erforderlichen Breite und Tiefe verfügt, indem dieses sowohl wissenschaftlichen als auch praktischen Sachverstand repräsentiert und auf beiden Ebenen möglichst alle Aspekte des unter Umständen hochkomplexen und multidisziplinären Regelungsgegenstandes abdeckt. Folglich ist hier eine interdisziplinäre und interfunktionelle Zusammenführung des benötigten Fachwissens erforderlich, welche die betroffenen wissenschaftlichen Fachgebiete (z.B. Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Medizin) ebenso berücksichtigt wie die verschiedenen praktischen Tätigkeitsbereiche (z.B. Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Fertigung) 56 . Bei Beachtung dieser Anforderungen und aufgrund der Tatsache, daß die von den Institutionen, Organisationen, Verbänden und Vereinen entsandten Experten nicht nur ihren persönlichen Sachverstand, sondern auch das in ihrer Organisation gesammelte Fachwissen in die Normerstellung einbringen, repräsentiert das gesetzesvorbereitende Gremium eine Sachkunde, deren Breite und Tiefe selbst die führenden Experten dieser Fach-

55

Gustav Freytag, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. Dennoch wird es in der Praxis nicht immer möglich sein, den gesamten, für ein Gesetzesvorhaben bedeutsamen Sachverstand in dem Repräsentantenkollektiv selbst zusammenzuführen. Daher erweist es sich auch unter diesem Aspekt als unabdingbar, neben dem gremieninternen Sachverstand auch den externen Sachverstand der einsprechenden Bürger für die Regelgebung fruchtbar zu machen. I.d.S. auch Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 80; Hosemann, G., Erstellung sicherheitstechnischer Normen, S. 107; Jaumann, Α., Regelung technischer Sachverhalte, S. 10; Marburger, P., Regeln, S. 464; ders., Technische Sicherheit, S. 19; ders., Sicherheitstechnische Normen, S. 139 f.; Murswiek, D., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 230 Leitsatz 3; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 847; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 157; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 46, 194, 206 und 232; Wolfensberger, H., Die anerkannten Regeln der Technik, S. 58, 78. 56

D. Die Organisationsprinzipien

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gebiete nicht annähernd erreichen können 57 . Die so erlangte breite Wissens- und Erfahrungsbasis beschränkt die Gefahr von fehlerhaften Bestimmungen aufgrund der individuellen Irrtumsmöglichkeit auf ein Mindestmaß58 und bietet damit eine sehr viel größere Richtigkeitsgewähr, als sie ein individueller Sachverständiger, der immer auch der Gefahr subjektiver Fehleinschätzungen unterliegt, erreichen kann 59 . An diesem Maßstab der zuvor hergeleiteten drei grundlegenden Anforderunsind nunmehr die Organisatigen eines aktuellen Willensbildungsmodells onsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung zu messen, um die erste These dieses Ausblicks zu verifizieren, daß diese Organisationsprinzipien die "volonté générale" unter Berücksichtigung der Lebenswirklichkeit des beginnenden 3. Jahrtausends bestmöglich verwirklichen 60 : Bezüglich der erstgenannten Anforderung der prinzipiellen Eignung des Willensbildungssystems zur Hervorbringung der "volonté générale" besitzt jeder Bürger gemäß den Organisationsprinzipien der technischen Normung umfassende Initiativ-, Mitgestaltungs- und Einspruchsrechte. So kann ein Bürger nicht nur die Erarbeitung neuer Normen, sondern auch die Änderung, Ergänzung, Kürzung und Aufhebung geltender technischer Normen beantragen. Im Falle der vier erstgenannten Initiativen ist die Einbringung eines Norm-, Änderungs-, Kürzungs- oder Ergänzungsvorschlages und die Mitarbeit an den entsprechenden Normungsarbeiten nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht. Obwohl die Entscheidung über diese Anträge nach der Prüfung, ob ein allgemeines Normungsbedürfnis besteht, bei dem zuständigen Normenausschuß liegt, werden dadurch die genannten Rechte des Bürgers nur geringfügig einge-

57 Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 19; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 847. 58 Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 54 f. 59 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 87; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 211. "Gerade das atomrechtliche Anlagengenehmigungsverfahren zeigt, daß die Sachverständigenbeurteilung nur durch einen Sachverständigen oder die getrennte Sachverständigenbeurteilung nicht genügen. Die Sachverständigenaussage wird nur dann für eine Entscheidung mit einer solchen Tragweite brauchbar, wenn mehrere Sachverständige ihre Einzelmeinung im Feuer der Diskussion innerhalb eines Sachverständigengremiums wie der RSK - härten. Nur dann, wenn der an dieser Beratung beteiligte Sachverständige seine Meinung anderen Sachverständigen gegenüber begründen, untermauern, unter Umständen aufgrund des Denkprozesses revidieren muß, kommt am Ende eine für den Entscheidungsträger brauchbare Empfehlung heraus." Pfaffelhuber, J., Entscheidungshilfen, S. 87. 60 Vgl. zu den Normungsprinzipien der technischen Normenorganisationen beispielhaft die Ausführungen bezüglich des DIN und der DKE in Kap. II.A.l.a)dd)(3) und Kap. II.A.l.a)ee)(4).

904

Teil 3: Ausblick

schränkt: Denn der Antragsteller kann wie jeder andere Bürger gegen Annahme wie Ablehnung eines solchen Antrages mehrinstanzlich Einspruch einlegen, so daß bei hinreichend breitem Protest eine Revision der Entscheidung des Normenausschusses zu erwarten ist. Im Anschluß an die Erstellung des Norm-Entwurfs durch den Normenausschuß findet aufgrund der traditionellen Konsensorientierung des Normungsverfahrens keine formelle Mehrheitsabstimmung der Bürger statt; stattdessen hat jeder Bürger das Recht, in Form von Zustimmungen, Einsprüchen, Änderungs-, Kürzungs- und Ergänzungsvorschlägen zum Norm-Entwurf Stellung zu nehmen, welche nach Ablauf der Einspruchsfrist im Arbeitsausschuß mit den dazu geladenen Einsprechenden beraten werden 61. Dabei faßte bereits Kienzle dieses Recht auch als Verpflichtung jedes Bürgers gegenüber dem Gemeinwesen auf: "Wer zum Entwurf einer Norm keine Stellung nimmt, verwirkt das Recht, an ihr Kritik zu üben; aber mehr, er hat seine Gemeinschafts-Pflicht versäumt, seinen Beitrag zur Bestlösung zu geben."62 "Der Einzelne ist mitverantwortlich für das Ganze durch alles, was er tut" 63 - oder unterläßt. Für dieses Einspruchsrecht gilt - wie auch für viele weitere Prozesse - das Gebot, daß eine gemeinsame Auffassung bezüglich des Norminhaltes "im Wege gegenseitiger Verständigung" zu erlangen ist, wobei formelle Mehrheitsabstimmungen subsidiär zum Konsensprinzip zwar möglich, aber zu vermeiden sind. Ist ein Stellungnehmender dennoch mit den Entscheidungen des zuständigen Arbeitsausschusses nicht einverstanden, steht ihm ein mehrstufiges Schlichtungs- und Schiedsverfahren zur Vertretung seiner Interessen offen. Abgesehen davon, daß eine formelle Mehrheitsabstimmung des Volkes zu jeder technischen Norm aufgrund der zuvor genannten drei Restriktionen der Lebenswirklichkeit des beginnenden 3. Jahrtausends praktisch undurchführbar wäre, ist diese Vorgehensweise aufgrund ihrer Konsensorientierung und der Möglichkeit, auf den Norminhalt Einfluß zu nehmen, der Mehrheitsabstimmung überlegen. Denn während Normen nach dem Mehrheitsprinzip immer zu Teilakzeptanz und Teilrealisierung führen 64 , werden technische Normen aufgrund des weitreichenden Konsenses aller Beteiligten in der Praxis überwiegend befolgt, obwohl sie rechtlich unverbindlich sind. Damit verwirklichen die Organisationsprinzipi-

61

Aus diesem Grunde sind die technischen Normen auch nicht, wie Marburger, P., Regeln, S. 286, meint, heteronom, sondern autonom. 62 Kienzle, O., Grenzen, S. 625. 63 Karl Jaspers, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. 64 Bias, D. G., Normung, S. 284.

D. Die Organisationsprinzipien

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en der technischen Normenorganisationen diese erste Anforderung bestmöglieh 65 . Hinsichtlich der zweitgenannten Anforderung eines effizienten und schnellen Repräsentationssystems zur Ausarbeitung von Norm-Entwürfen bestehen die technischen Normenorganisationen aus einer großen Zahl fachspezifisch strukturierter Normenausschüsse, die sich wiederum kaskadenartig in zahlreiche Komitees, Unterkomitees und Arbeitskreise untergliedern. Wie in Teil I I dieser Abhandlung herausgearbeitet66, ist allein mittels dieser Organisationsform die notwendige Erschließung des exponentiell zunehmenden Wissens der Menschheit zur bestmöglichen Erfüllung auch der in Kapitel I.C herausgearbeiteten gemeinnützigen Regelungsaufgaben auf dem komplexen, interdisziplinären und hochdynamischen Gebiet von Wissenschaft und Technik realisierbar; denn diese Aufbauorganisation ermöglicht die simultane Bearbeitung einer in weiten Grenzen beliebig großen Menge von Normungsaufgaben, während eine sequentielle Bearbeitung durch ein Gremium oder auch einige wenige Gremien erstens an der Unmöglichkeit der dazu unabdingbar notwendigen, entsprechend breiten und tiefen Qualifikation der Bearbeiter, zweitens an der Anzahl und dem mengenmäßigen Umfang der zu bearbeitenden Regelungsaufgaben sowie drittens an der notwendigen ständigen Anpassung an den fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand, die progressive technische Entwicklung und die sich ändernden gesellschaftlichen Wertvorstellungen zwingend scheitern muß. Des weiteren erfolgt die Repräsentation der Bürger in diesem System nicht durch die wenigen politischen Parteien, sondern durch eine Vielzahl von Verbänden und Vereinigungen, die überwiegend singuläre Interessen vertreten, wie beispielsweise die der Hersteller, der Betreiber, der gewerblichen Abnehmer, der nichtgewerblichen Abnehmer bzw. Verbraucher, des Handels, des Handwerks, der Arbeiter und Angestellten, der Wissenschaft, der Umwelt, des Tierschutzes u.a.m. Daraus resultiert eine wesentlich bessere Erfüllung der zuvor genannten Prämissen dieses nach Rousseau zweitbesten Lösungsweges zur Verwirklichung der "volonté générale": Denn erstens kann nur bei einer Repräsentation singulärer Interessen davon ausgegangen werden, daß der Sonderwille

65

Interessanterweise werden gerade in Frankreich, in dem technische Normen lange Zeit als staatliches Steuerungs- und Interventionswerkzeug mißbraucht wurden, diese heute als ein Werkzeug im Dienste des Willens des Volkes angesehen, deren Wert als kollektives Gut zu einem großen Teil aus der Art und Weise ihrer Erstellung resultiert und von den Garantien hinsichtlich Neutralität, Offenheit und Transparenz abhängt, die dieser Normungsprozeß seinen Beteiligten bietet. Vgl. Kap. II.A.2.d). 66 Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.a)gg), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.a)ee), in bezug auf das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.a)ff) sowie die Europäische Union betreffend Kap. II. B.l.c).

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Teil 3: Ausblick

der Vereinigung möglichst weitgehend mit dem Willen jedes ihrer Mitglieder übereinstimmt, mithin die Repräsentation die Ausbildung der "volonté générale" am wenigsten beeinträchtigt. Dabei gilt: Je spezifischer die Zielsetzung der Vereinigung beschaffen ist, desto höher wird die Kongruenz der Einzelwillen der Mitglieder sein, während umgekehrt diese Kongruenz in dem Maße abnehmen wird, je mehr Zielsetzungen und Interessen diese Vereinigung verfolgt. Unter diesen Voraussetzungen ist leicht zu erkennen, daß die heutigen politischen Parteien dieser Voraussetzung schlechtestmöglich entsprechen, indem sie unüberschaubare Zielspektren - nämlich alle öffentlichen Angelegenheiten - simultan verfolgen. Folglich wird der Fall, daß der Wille eines Parteimitglieds mit dem Willen der Partei bezüglich jeder Entscheidung in diesem komplexen Zielbündel übereinstimmt, die zu vernachlässigende Ausnahme darstellen. Und zweitens tritt mit der Bildung der großen "Volksparteien deren Ziel die absolute Mehrheit in einem Staat ist, genau der schlimmste Fall der beherrschenden Dominanz einer Vereinigung ein, der nach Rousseau die Ausbildung der "volonté générale" mit absoluter Sicherheit verhindert 67: "Wenn schließlich eine dieser Vereinigungen so groß ist, daß sie stärker ist als alle anderen, erhält man als Ergebnis nicht mehr die Summe der kleinen Unterschiede, sondern einen einzigen Unterschied; jetzt gibt es keinen Gemeinwillen mehr, und die Ansicht, die siegt, ist nur eine Sonderanschauung."68 "Es ist wahr, daß manche Unterteilungen für Staaten schädlich, andere vorteilhaft sind: schädlich sind die, welche Parteien und Parteigänger im Gefolge haben, vorteilhaft jene, welche sich auch ohne Parteien und Parteigänger erhalten. Da nun der Gründer eines Staates nicht Vorsorge dafür treffen kann, daß sich im Staat keine Zwistigkeiten ergeben, so muß er wenigstens dafür sorgen, daß sich keine Parteien bilden."69 Denn die Partei, welche über die Mehrheit im den gesetzgebenden Organen verfügt, wird nach ihrer Wahl bestenfalls den Sonderwillen ihrer Mitglieder und Wähler verwirklichen, jedoch den Willen der anderen Parteien und derjenigen Bürger, welche diese Partei nicht gewählt haben, mißachten, so daß diese Wähler der anderen Parteien für die Dauer der Wahlperiode von Bürgern zu Untertanen des entstandenen Gemeinwesens im Gemeinwesen degradiert werden; plakativ ausgedrückt, gehen sie einmal zur Wahl und sind für vier Jahre entmündigt. Im schlechtesten Fall, wenn nämlich die Partei im wesentlichen ihren Sonderwillen verfolgt, gilt das letztgenannte auch für ihre Mitglieder und

67 Ausführlich zur Kritik am Parteienstaat Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res . populi, S. 772 ff. u. insbes. S. 1045 ff. 68 Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 3. Kap. 69 Machiavelli, Geschichte von Florenz, 7. Buch, zit. in: Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 3. Kap.

D. Die Organisationsprinzipien

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Wähler. In jedem Fall aber gilt dies bezogen auf jede Einzelfrage, in welcher der Wille des Bürgers ein anderer ist als derjenige der Partei. Im Gegensatz dazu haben in der technischen Normung alle Vereinigungen satzungsgemäß das Recht, an jedem Normungsprojekt in jedem Arbeitsausschuß zu jeder Zeit gleichberechtigt durch Vertreter repräsentiert zu sein70. Indem sich diese im Regelfall konsensual auf eine Lösung verständigen und nur im Ausnahmefall das Mehrheitsprinzip Anwendung findet 71, erfolgt nicht nur eine bestmögliche Egalisierung des Einflusses der Vereinigungen, sondern es ist auch zu erwarten, daß der Norm-Entwurf alle Gruppeninteressen gleichermaßen berücksichtigt 12. Damit wird zwar nicht die "volonté générale" verwirk70 Im DIN wurde in den ersten vier Jahren nach Abschluß des Normenvertrages mit der Bundesregierung über die Ebene des Ausschußvorsitzenden hinaus nicht ein einziges Verfahren angestrengt, in denen die ausgewogene Zusammensetzung der Ausschüsse angezweifelt worden ist. Reihlen, H., Wortbeitrag, in: DIN-Normungskunde H. 14, S. 74. Dabei wird im Interesse der allgemeinen Anerkennung und Anwendung vom DIN sogar gefordert, daß bei der Erstellung der Normen möglichst alle interessierten Kreise zum Nutzen der Allgemeinheit mitwirken sollen. Nitsche, H., Grundlagen, S. 225. 71 Als Beleg des weitreichenden Grades an Konsens sowohl zwischen den Repräsentanten in den Normenausschüssen als auch zwischen diesen und den einsprechenden Bürgern ist die Tatsache zu werten, daß die eingerichteten Schlichtungs- und Schiedsverfahren der technischen Normenorganisationen in der Praxis kaum in Anspruch genommen werden. So hat die DKE von 1972 bis 1982 2.462 technische Normen herausgegeben, wozu 5 Schlichtungs- und 4 Schiedsverfahren angestrengt wurden. Hosemann, G., Erstellung sicherheitstechnischer Normen, S. 110. Im DIN bestehen die Einspruchsmöglichkeiten aus drei Schlichtungs- und Schiedsebenen: dem Vorsitzenden des Normenausschusses, dem Direktor des DIN und dem DIN Präsidium. In den ersten vier Jahren nach Abschluß des Normenvertrages mit der Bundesregierung mußten lediglich 12 Fälle durch den Direktor des DIN geschlichtet und ein Fall durch das DIN-Präsidium entschieden werden. Reihlen, H., Wortbeitrag, in: DIN-Normungskunde H. 14, S. 74. Dieser Befund wird auch für die europäische Ebene durch das Beispiel des ETSI belegt: Trotz der Möglichkeit der indikativen Abstimmung im TC und ggf. der nationalen Abstimmung in der Technischen Versammlung mußten dieser in drei Jahren lediglich drei Fälle zur Abstimmung vorgelegt werden. Vgl. die Ausführungen in Fn. 204 in Kap. II.B.l.b)dd). Und selbst auf internationaler Ebene, wo kein Zwang zum Konsens besteht, bemühen sich die Repräsentanten der interessierten Kreise nach Aussage von Normenpraktikern "trotzdem sehr gewissenhaft, alle Meinungsverschiedenheiten und Gegensätze auszudiskutieren, um zu vermeiden, daß eine Minderheit überstimmt wird". Berger, H., Rechtsverbindliche Strahlenschutzvorschriften, S. 8. 72 Nutzen theoretisch führt das Konsensprinzip aus folgenden Gründen zu wohlfahrtsoptimalen Entscheidungen: Jeder Repräsentant wird bei den Verhandlungen die Lösung durchzusetzen versuchen, die ihm bzw. seiner Vereinigung den größten Vorteil verspricht. Müssen sich die Interessenten nun einstimmig auf eine Kombination einigen, so läßt die durch den Konsenszwang in Gang gesetzte Abstimmung der individuellen Vorteils-Potentiale untereinander erwarten, daß diese Abstimmung erst dann abbricht, wenn eine Kombination gefunden ist, die keine individuelle Situationsverbesserung

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Teil 3: Ausblick

licht, aber es ist ein Ergebnis zu erwarten, welches mit 5 %o des Aufwandes 95 % des Volkswillens kodifiziert. Ob der Norm-Entwurf tatsächlich die "volonté générale" verwirklicht, wird im anschließenden, zuvor dargelegten öffentlichen Einspruchsverfahren festgestellt, in dem aufgrund des konsensualen Einigungsprozesses auch inhaltlich sämtliche nicht durch Vereinigungen repräsentierten Einzelinteressen Berücksichtigung finden können73. Folglich ist auch die zweite Anforderung durch die Organisationsprinzipien der technischen Normenorganisationen bestmöglich verwirklicht. Der drittgenannten Anforderung einer möglichst hohen Sachkenntnis bezüglich des Regelungsgegenstandes werden die technischen Normenorganisationen dadurch gerecht, daß die Arbeitsausschüsse satzungsgemäß mit Experten der interessierten Kreise zu besetzen sind, deren Fachkunde insbesondere durch Ausbildung und berufliche Stellung 74 zu belegen ist. Jedoch wird auch ohne

mehr erwarten läßt, ohne daß dies zur Schlechterstellung mindestens eines Subjektes führt. Damit ist keine weitere kollektive Wohlfahrtsverbesserung mehr zu erwarten, und die Situation ist pareto-optimal. Folglich hängt die Erzeugung wohlfahrtsoptimaler technischer Normen allein von der Einhaltung der Organisationsprinzipien der technischen Normung ab: Sind diese Voraussetzungen optimal gegeben oder werden sie optimal geschaffen, so ist zwangsläufig eine wohlfahrtsoptimale Norm zu erwarten; sind sie es nicht, wird die Norm Wohlfahrtsdisparitäten aufweisen. Bias, D. G., Normung, S. 94 f., 155, 164 ff. Der Ausdruck "Pareto-Optimum" geht auf Vilfredo Pareto (1848-1923) zurück und ist ein Begriff aus der Wohlfahrtsökonomie für einen Zustand, bei dem Produktionsund Einkommensverteilung nicht geändert werden können, um das Nutzenniveau eines oder mehrerer Wirtschaftssubjekte zu erhöhen, ohne dabei den Nutzen anderer Wirtschaftssubjekte zu verringern. Brockhaus Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 16 NOS-PER, S. 533 f. 73 Es ist eine der am häufigsten thematisierten Forderungen, daß eine interessenbezogene Einflußnahme auf die Normungsarbeit durch Beteiligung aller interessierten Kreise und konsensuale Beschlußfassung, die eine Majorisierung bestimmter Interessengruppen durch deren faktisches Vetorecht verhindert, zu neutralisieren ist, damit die technischen Normen der Allgemeinheit dienen. Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 80, 84; Lukes, R., Atomrecht, S. 246; Marburger, P., Regeln, S. 65, 192, 202 f., 464; ders., Technische Sicherheit, S. 19; ders., Sicherheitstechnische Normen, S. 140; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 30; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 847; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 158 f.; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 49, 194 f., 233 ff.; Wolfensberger, H., Die anerkannten Regeln der Technik, S. 78. Kritisch Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 51, 54, 69 f., 71 f.; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 17 ("unkontrollierter Lobyismus"). Dabei wird regelmäßig verkannt, daß der Norm-Entwurf des Normenausschusses noch dem Souverän, also dem Volk, zur Stellungnahme vorgelegt wird, und erst dann die "volonté générale" bestmöglich verwirklicht wird. 74 So schreibt beispielsweise das DIN vor, daß bei der Zusammensetzung der Arbeitsausschüsse der Grundsatz zu berücksichtigen ist, daß die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft und der jeweilige Stand der Technik in die Normungsarbeit eingebracht

D. Die Organisationsprinzipien

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diese Vorschrift aufgrund des konsensualen Diskurses Gleicher mit Gleichen, der einen Vorteil für denjenigen bedeutet, der besser informiert und folglich durch eine fundiertere Argumentation seine Interessen erfolgreicher durchzusetzen in der Lage ist 75 , jeder interessierte Kreis ein hohes Interesse daran haben, möglichst kompetente Fachleute in die Ausschüsse zu entsenden76: "Wer keine Kenntnisse hat, kann nicht mitgestalten; und wer nur unterlegene Kenntnisse hat, wird hinsichtlich seines Einflusses auf das Gestaltungsverfahren in einer unterlegenen Position bleiben."77

werden (DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 10 Nr. 10.4. lit. b)); daher sollen die Mitarbeiter sachverständige Experten sein, die im Beruf stehen. Die Bedeutung, die das DIN dieser Anforderung beimißt, wird deutlich, wenn das DIN bestimmt, daß die Autorisierung eines Mitarbeiters nicht nur bei Ausscheiden aus der ihn entsendenden Stelle erloschen ist, sondern bereits bei einem Fachgebietswechsel am Arbeitsplatz. Ebd., Abschn. 10 Nr. 10.5. Ferner müssen auch die Mitglieder des Präsidiums, die Mitglieder der Beiräte der Normenausschüsse, die Vorsitzenden der Normenausschüsse und ihre Stellvertreter sowie die Obmänner und ihre Stellvertreter (bei ihrer Wahl) im Berufsleben stehen. Vgl. in der Reihenfolge der Aufzählung DIN, Satzung, § 6 Abs. 1 ; DIN, Richtlinie für Normenausschüsse, Abschn. 7 Nr. 7.2; ebd., Abschn. 8 Nr. 8.1; ebd., Abschn. 10 Nr. 10.7. 75 So ist eine wesentliche informelle Voraussetzung für einen konsensualen Diskurs Gleicher mit Gleichen, daß die Repräsentanten der interessierten Kreise über ein vergleichbares Niveau der Fachkunde verfügen, damit ein angenähert ideal organisierter Informationswettbewerb stattfindet und sich als Kommunikationsstruktur der vollständigen Konkurrenz eine Kommunikations-Vollstmktur (Kommunikations-Demokratie: jeder kommuniziert mit jedem) herausbildet. Ist der Sachverstand jedoch ungleich verteilt, kommuniziert das Entscheider-Kollektiv ungleichgewichtig, und es bildet sich eine Kommunikationsstruktur aus, die auf den oder die Entscheider mit der größten Informationsdichte konzentriert ist oder sogar nur über eine einzige Informationszentrale läuft. Realiter macht sich dies bemerkbar, indem ungleiche Fachkunde eine Hierarchisierung der Entscheider erzeugt; es kommt zu einer Steuerung des Normungsgegenstandes im ursprünglich als gleichberechtigt gedachten Entscheiderkollektiv. Bias, D. G., Normung, S. 73 ff. 76 Es bedarf keiner näheren Erläuterung, daß eine bloße Interessenvertretung ohne entsprechende Sachkompetenz in einem Expertengremium nicht erfolgversprechend ist. I.d.S. auch Vieweg, K., Atomrecht und technische Normung, S. 235. Demgemäß führt beispielsweise die Verbraucherseite aus: "Sachverstand ist die Basis jeder Mitarbeit in der Normung." "Auch wenn sich der Erfolg nicht schon allein mit Sachkenntnis oder gar den besseren Argumenten einstellt, hat man ohne sie überhaupt keine Chance." Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 6; "Arbeitsblatt II" VR 36-84: "2. Strukturelle Probleme der ehrenamtlichen Verbraucherarbeit in Normenausschüssen", abgedruckt in: Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 7 ff. I.d.S. mußten auch die Gewerkschaften feststellen, "daß die in zahlreichen Normungsgremien vertretenen Gewerkschaftler auf die Normungsprozesse selbst kaum Einfluß nehmen, da sie ... vielfach nicht über ein derartiges Fachwissen verfügen wie die Experten selbst". Kamp, L., Der Arbeitskreis Normung, S. 71. 77 Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 2.

910

Teil 3: Ausblick

"Meinung ändert keine Tatsache."78 Somit ist auch die dritte Anforderung durch die Organisationsprinzipien der technischen Normenorganisationen bestmöglich verwirklicht. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß - ausgehend von dem idealisierten direktdemokratischen Willensbildungsmodell Rousseaus, demzufolge die "volonté générale" als freiheitliches Gesetz allein durch Abstimmung aller Bürger eines Staates als aufgeklärte, aber isolierte Individuen zustande kommt, und angesichts der elementaren Erkenntnis, daß in unserer heutigen hochkomplexen und -dynamischen Welt nicht jeder Bürger über jedes Gesetz entscheiden kann, da ihm der dazu notwendige Sachverstand sowie die erforderliche Zeit fehlen, zumal die Dynamik des Wandels der Verhältnisse eine schnelle und effiziente Regelbildung erfordern - die Organisationsprinzipien der technischen Normung die hergeleiteten drei grundlegenden Anforderungen der bestmöglichen Ausbildung der " volonté générale " unter der heutigen Lebensumständen des beginnenden 3. Jahrtausends ausnahmslos erfüllen 79: Erstens bleibt durch umfassende Initiativ-, Mitgestaltungs- und Einspruchsrechte die prinzipiellen Eignung des Willensbildungssystems zur Hervorbringung der "volonté générale" grundsätzlich erhalten. Zweitens ist das Repräsentationssystem der technischen Normenausschüsse nicht nur zur Ausarbeitung von Norm-Entwürfen auf dem komplexen, interdisziplinären und hochdynamischen Gebiet von Wissenschaft und Technik sehr gut geeignet, sondern genügt auch als konsensualer Diskurs einer Vielzahl egalisierter singulärer Interessenverbände dem zweitbesten Ansatz Rousseaus zur Verwirklichung der "volonté générale"; ob ein Norm-Entwurf tatsächlich dem Volkswillen entspricht, klärt das anschließende öffentliche Einspruchsverfahren. Und drittens vereinigen die in den Normenausschüssen versammelten Experten der interessierten Kreise i.V.m. der einsprechenden (Fach-)

78

Francesco Petrarca, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. Interessanterweise wird häufig verkannt, daß in der europäischen Normung auch die europäische "volonté générale" und in der internationalen Normung die internationale "volonté générale" verwirklicht wird, indem gefordert wird, daß der in deutschen technischen Normen materialisierte Standard bezüglich Sicherheit und Umweltschutz, der vielfach den höchsten in Europa und der Welt darstellt, nicht abgesenkt werden dürfe. I.d.S. DIN, Geschäftsbericht 1988/89, S. 2; Krumrey, H., Normen - Macht der Prädikate, S. 74; Rath, D. v., Kooperationsprinzip und staatliche Verantwortung, S. 26; Reihlen, H., Regionale Normung, S. 349; Westermann, J., Technische Normen und Bauen, S. 24. Selbst wenn das mächtige DIN in der Lage wäre, die europäischen Normungsarbeiten weitgehend im deutschen Sinne zu beeinflussen, würde unter einer solchen Vorgehens weise jedoch zwangsläufig die Akzeptanz und der Anwendungsgrad der Europäischen Normen leiden. Realistischer geht hingegen Lux, R., Die Rolle der europäischen Normen, S. 14, davon aus, daß sich das Schutzniveau Europäischer Normen auf ein gehobenes Mittelmaß des großen Spektrums der vorhandenen nationalen Schutzpegel einpendelt. 79

D. Die Organisationsprinzipien

911

Öffentlichkeit ein nicht zu übertreffendes Maß an Sachverstand, welches auf der Sachebene eine optimale Lösungsqualität und -aktualität erlaubt. Dementsprechend sind die folgenden Organisationsprinzipien maßgeblich dafür, daß die " volonté générale" verwirklicht wird, und die individuell-rationalen Zielvorstellungen im Rahmen der Normung zu kollektiv-rationalen Ergebnissen und zu einem gesamtgesellschftlichen Wohlfahrts-Pareto-Optimum führen 80 : Die Wahrung der Souveränität des Volkes durch umfassende Initiativ-, tungs- und Einspruchsrechte

Mitgestal-

jedes Bürgers. Die Unmöglichkeit einer Volksab-

stimmung über jede Norm wird dabei bestmöglich durch ein konsensorientiertes inhaltliches Mitbestimmungsrecht eines jeden Bürgers bezüglich jeder Norm ausgeglichen. Nimmt ein Bürger seine Rechte nicht wahr, bedeutet sein Schweigen Zustimmung. Die Öffentlichkeit

des Verfahrens

und die Publikation aller Entscheidungen und

Arbeitsergebnisse, wie beispielsweise die Öffentlichkeit der Diskussion der Einsprüche inklusive der sich daraus ergebenden Änderungen, die Publikation der Entscheidung über Annahme oder Ablehnung eines Normenantrages und die Veröffentlichung des Norm-Entwurfs. Dies bedingt die Aufgeklärtheit des Bürgers, die ein Mindestmaß von Sachkenntnis verlangt. Die Erarbeitung von Norm-Entwürfen, welche der "volonté générale" möglichst weitgehend entsprechen, durch: Die Beteiligung möglichst vieler Vereinigungen, welche singultire Interessen vertreten.

Die Ausgewogenheit der Interessenrepräsentation durch die Beteiligung aller betroffenen und interessierten Kreise in den Normenausschüssen und Len-

80

Teilweise werden diese oder ähnliche Anforderungen aufgrund der staatlichen Rezeption technischer Normen gestellt (vgl. dazu Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 364; Vieweg, K , Produktbezogener Umweltschutz, S. 527, 529 ff.; ders., Atomrecht und technische Normung, S. 230 ff), zum Teil unter Hinweis auf die rechtliche Bedeutung technischer Normen, von denen jedermann betroffen werden kann, unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet. So Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 22; ders., Sicherheitstechnische Normen, S. 138 ff. Vgl. dazu auch Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 80, der darüber hinaus die formelle Weisungsunabhängigkeit der Gremienmitglieder der Normenausschüsse fordert; Marburger, P., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 30; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 157 ff.; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 194 f., 235 ff.; ders., Produktbezogener Umweltschutz, S. 529, der darüber hinaus die Weisungsfreiheit der Normenausschüsse als Ganzes fordert, hingegen eine Weisungsunabhängigkeit der Gremienmitglieder weder für notwendig noch für sinnvoll erachtet.

912

Teil 3: Ausblick

kungsgremien81, wobei zusätzlich der Vorsitzende des Normenausschusses und seine Stellvertreter unterschiedlichen interessierten Kreisen angehören sollen. Die Egalisierung von Macht und Einfluß der Vereinigungen durch Anwendung des Konsensprinzips. Die interdisziplinäre

und interfunktionelle

Zusammenführung

des in Bezug

auf den Regelungsgegenstand erforderlichen wissenschaftlichen und praktischen Sachverstands im Gremium, um eine optimale Lösungsqualität und -aktualität zu gewährleisten. Die zügige und effiziente Erstellung der Norm-Entwürfe durch ein straffes Zeit- und Projektmanagement, um eine effiziente Regelungsleistung zu gewährleisten. 81

Die Frage nach den zu berücksichtigenden interessierten Kreisen kann jedoch nicht funktional, sondern nur systemisch beantwortet werden, indem festgestellt wird, wer von dem zu regelnden System betroffen ist oder sein wird. Eine derartige Analyse führt beispielsweise zu der Erkenntnis, daß das auf Art. 9 Abs. 3 GG basierende System der Tarifautonomie - in welchem die Tarifpartner für ganze Wirtschaftszweige den Preis des Faktors Arbeit im volkswirtschaftlichen Sinn losgelöst von marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismen und insbesondere Angebot und Nachfrage volitiv als gemeinsame Willenserklärung auf dem Verhandlungsweg festlegen und so erhebliche volkswirtschaftliche Auswirkungen zeitigen, wie das Beispiel der Abkopplung der Löhne von der Produktivität in den neuen Bundesländern belegt - aufgrund der unvollständigen Interessenrepräsentation zwangsläufig die "volonté générale" und auch das gesamtgesellschaftliche Wohlfahrtsoptimum systematisch verfehlen muß. Betrachtet man den Arbeitsmarkt zu einem bestimmten Zeitpunkt t, so es ist auch ohne detaillierte Systemkenntnisse offensichtlich, daß neben den heutigen Tarifpartnern - den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern - auf diesem Arbeitsmarkt auch noch Arbeitslose existieren, die auch für weniger Lohn oder Gehalt zu arbeiten bereit sind (beispielsweise bot die Nürnberger Arbeitsloseninitiative ihre Arbeitsleistung zu 20 % unter dem Tarif an; vgl. o.V., Arbeitsverhinderer, S. 11). Regelungstechnisch gesprochen, würde allein die Integration der Arbeitslosen infolge der instantiellen Berücksichtigung dieser Regelabweichung im Stellglied - den Tarifverhandlungen - zu einer signifikant besseren Regelungsleistung des Systems, m.E. sogar zu einem praktisch weitgehend funktionierenden selbststeuernden Regelkreis führen. Damit sind jedoch längst nicht alle von den Tarifverhandlungen betroffenen und interessierten Kreise benannt: So führt eine Erweiterung der Systembetrachtung um die Dimension Zeit zu der Ergänzung der Tarifpartner um Schüler, Auszubildende und Studenten, die in den Arbeitsmarkt eintreten wollen, sowie um Rentner, deren Renten an die Lohn- und Gehaltsentwicklung gekoppelt sind. Eine abermalige Ausdehnung der Systembetrachtung um den Faktor Finanzierung der Arbeitslosen fügt zu den interessierten Kreisen neben den bereits benannten Sozialversicherungsträgern auch die Steuerzahler hinzu, welche nach Auslaufen der Arbeitslosenversicherung für deren Finanzierung aufkommen müssen. Abschließend vervollständigt eine Einbeziehung der geltenden Rechtsvorschriften die Gruppe der interessierten Kreise durch die Bundesregierung, die gemäß § 1 S. 2 StWG u.a. zu einem hohen Beschäftigungsstand beizutragen hat, sowie die Bundesbank, die entsprechend § 3 BBankG verpflichtet ist, die Währung zu sichern, was letztlich für alle Bürger von Interesse ist.

D. Die Organisationsprinzipien

913

Die periodische Revision der Normen nach Maßgabe der sich ändernden wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zur Aufrechterhaltung einer effizienten Regelungsleistung. Die Verbindlichkeit zipien.

und verfahrensgemäße

Absicherung dieser Organisationsprin-

In Zusammenhang mit dieser letzten (formalen) Anforderung soll nochmals in aller Deutlichkeit betont werden, daß die vorhergehenden Ausführungen nur für die typischen Organisationsprinzipien der technischen Normung gelten. Für die Normungswirklichkeit gelten die Aussagen nur bei Einhaltung und verfahrensgemäßer Absicherung dieser Prinzipien82. Daher vermag Kritik, welche auf die mangelhafte praktische Verwirklichung der Normungsprinzipien abzielt - wie beispielsweise die häufig kritisierte Dominanz der finanzstarken Industrie auf der einen83 und die Unterrepräsentanz der weniger finanzstarken Verbraucher und Umweltschutzverbände auf der anderen Seite84 -, diesen Ansatz nicht zu erschüttern. Hinzu kommt, daß die interessierten Kreise in den Normenausschüssen der technischen Normenorganisationen selbst unter diesen theoretisch suboptimalen Bedingungen fast ausschließlich qualitativ gute und allgemein akzeptierte Normen hervorgebracht haben, so daß man ohne falsche Euphorie feststellen kann, daß sich die interessierten Kreise - nicht nur die "Wissenschaftler" und "Techniker" der gewerblichen Hersteller, Abnehmer und Betreiber, sondern auch die Verbraucherorganisationen, die Umweltverbände, die Gewerkschaften, die Berufsgenossenschaften u.a.m. -, mithin also die Gesellschaft als Ganzes ihrer Aufgabe als würdig erwiesen haben: "Daher gewinnt auch die Tatsache, daß wir es im Bereich der wissenschaftlichtechnischen Entwicklung vor allem mit Normierungen aus dem gesellschaftlichen Bereich zu tun haben, eine ganz andere Bedeutung. Ich möchte das keineswegs glorifizieren, was uns die Wirtschaft an Normen vorsetzt; ich weiß, daß da auch ein Ei82

Vgl. dazu bereits Kap. II.A.l.a)gg). Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 56; Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 6; Breulmann, G., Normung und Rechtsangleichung, S. 35; Brinkmann, W., Normung und Verbraucherinformation, S. 240; Marburger, P., Regeln, S. 201 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 110, 160; Stefener, W., DIN-Normen, S. 103 ff.; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 146. Vgl. auch Tröster, K , Ergonomische Normen, S. 23, der dem DIN undifferenziert "eine Abschottung nach außen" vorwirft. 84 Bosserhoff, H.-W., Bedeutung der technischen Normung, S. 5; Brinkmann, W., Normung und Verbraucherinformation, S. 241 ff.; Eichener, V. u.a., Qualitätsanforderungen, S. 45 ff.; Köhne, A.-L., Verbrauchervertreter, S. 527 f.; KOM (87) 617 endg. "Mitteilung Beteiligung Verbraucher", S. 3; Marburger, P., Regeln, S. 201 f.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 158 f.; Stefener, W., DIN-Normen, S. 103 ff.; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 235. 83

58 Zubke-von Thünen

914

Teil 3: Ausblick

geninteresse der Industrie vorhanden ist. Aber wir sollten nicht glauben, daß der Staat derjenige ist, der uns immer oder doch in erster Linie Hilfe bringt. Wir können vielleicht schon glücklich sein, wenn wir überhaupt Normen haben, aus der Wirtschaft geborene Normen, mit denen wir ein Problem einigermaßen in den Griff bekommen, und wir sollten nicht immer sagen, der Staat muß der Normgeber sein, weil wir allzu gem in den Kategorien des Staates des 19. Jahrhunderts denken."85 Zu diskutieren ist jedoch Kritik, welche die grundsätzliche Eignung dieses Ansatzes in Frage zu stellen in der Lage wäre, was im folgenden zumindest in Ansätzen geschehen soll: Da nach Organisationsprinzipien der technischen Normung ein Norm-Entwurf zwar von den Repräsentanten der interessierten Verbände erarbeitet, danach jedoch dem gesamten Volk zur Stellungnahme vorgelegt wird, vermag die unter anderem auf der unterschiedlichen Organisations- und Konfliktfähigkeit gesellschaftlicher Interessen basierende Pluralismuskritik 86 das Modell nicht zu erschüttern, da jedwedes durch Verbände nicht repräsentierte Einzelinteresse im öffentlichen Einspruchsverfahren Berücksichtigung finden kann. Auch die in Zusammenhang mit der Rezeption technischer Regelwerke zur Ausfüllung offener Rechtsbegriffe geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken, daß der Gesetzgeber die Regelung wichtiger technischer Fragen nicht Gremien überlassen

dürfe, die den Anforderungen an Pluralität und Legitimität nicht genügten* 1, nicht demokratisch legitimiert seien %% und die öffentlichen Interessen aufgrund ihrer Zu-

sammensetzung und ihres Normungsverfahrens nicht in ausreichendem Maße zur Geltung bringen 89, ist angesichts der in diesem Abschnitt nachgewiesenen Eignung der Organisationsprinzipien der technischen Normung zur bestmöglichen Verwirklichung die "volonté générale" nicht geeignet, den Ansatz in Frage zu stellen. Gleichfalls verfehlt die häufig geäußerte Kritik, daß die praktische Durchführung der technischen Normungsarbeit - die Gründung neuer Normenausschüsse oder Arbeitsgremien, die Bearbeitung von Normanträgen u.a.m. - von der finanziellen Leistungsfähigkeit und der Bereitschaft der interessierten Kreise abhänge, die not85 Thieme, W., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 288; zustimmend Murswiek, D., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 297. 86 Vgl. dazu Teubner, G., Organisationsdemokratie, S. 74 f.; ferner Schön, G., Technische Gesichtspunkte, S. 67. 87 Kremser, H., Verfassungsrechtliche Zulässigkeit technischer Regelwerke, S. 275. 88 Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 127; Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 92; Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 144 (es gehe "nicht um parlamentarisch-repräsentative Interessenvertretung, sondern um die Einbringung von Sachverstand aus den verschiedenen, fachlich interessierten und betroffenen Kreisen"). A.A. jedoch später Marburger, P. u.a., Technische Normen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 364 m.w.N., die von einer "demokratischen Legitimation" der technischen Normen sprechen, soweit sie von breitem Konsens innerhalb der Fachwelt und der von einer Normungsmaßnahme betroffenen und daran interessierten Kreise getragen werden. 89 Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1187.

D. Die Organisationsprinzipien

915

wendigen finanziellen Mittel bereitzustellen90, den hier vorgestellten Ansatz. In der Funktion als gesamtgesellschaftliches Willensbildungssystem ist die Finanzierung dieses Systems und insbesondere der finanzschwachen Gruppen eine Aufgabe der Gemeinschaft und mithin zumindest partiell aus Steuergeldern zu finanzieren, möglichst jedoch unter Wahrung der heutigen effizienten Verwendung der Finanzmittel. Femer vermögen auch Äußerungen, welche die hier vertretene Sicht technischer Normen - als ein konsensorientierter Kompromiß, der von allen akzeptiert wird und im allgemeinen Interesse entsteht - als "naiv" bezeichnen, und die davon ausgehen, daß eine technische Norm nie neutral ist und daß unter diesen Voraussetzungen ihre Festsetzung unabwendbarerweise Verteidigungsbemühungen für die verschiedenen Interessen auslöst91, das Modell nicht zu falsifizieren. Denn diese Interessenkonflikte bestehen nicht aufgrund der technischen Normung, sondern sind per se in der Gesellschaft vorhanden, und zwar vollkommen unabhängig von der technischen Normung oder anderen gesamtgesellschaftlichen Willensbildungssystemen. Um nun das gute Zusammenleben aller mit allen zu gewährleisten, sind unter Ausgleich dieser Interessengegensätze allgemeingültige Regeln aufzustellen, wofür sich die Organisationsprinzipien der technischen Normung in besonderem Maße eignen, was in der Praxis durch den Erfolg der technischen Normung und in der Theorie durch diesen Ansatz belegt wird. Abschließend ist in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, daß dieser Ansatz weder die Legitimation einer Technokratie, d.h. einer Herrschaft von Technikern und Wissenschaftlern oder der Industrie 92 , noch die Legitimation der Schaffung

90

eines

Nunnenkamp, P., Technische Handelshemmnisse, S. 9 f.; Reihlen, H., Finanzierung, S. 87; Schröder, B., Europäische Normung und Handwerk, S. 84, 88 f.; Zwingmann, B., Mitwirkung der Gewerkschaften, S. 41. 91 So der Präsident von AFNOR Boulin, P., Présentation, S. 17, 20; vgl. auch Correge, S., La normalisation, S. 1, welche diese Sicht auf die europäische und internationale Ebene überträgt. Boulin, P., Présentation, S. 20 führt jedoch weiter aus: "Die Normung ist zweifellos eine Waffe im Wirtschaftskrieg, eine, die im Vergleich zu anderen Waffen den Vorteil bietet, Spielregeln für eine Sache aufzustellen, die allen wirtschaftlichen Teilnehmern die Möglichkeit garantieren, ihre Meinung geltend zu machen". Was heißt das wohl? Noch deutlicher ebd., S. 18: Als gemeinsame Aufgabe aller wirtschaftlichen Teilnehmer zielt die Normung darauf ab, jedem Vorteile zu verschaffen, ohne daß dies zum Nachteil anderer geschieht. Ebd., S. 19: Die Festlegungen in Normen müssen aus einer ausgewogenen, konzertierten Aktion aller betroffenen Interessengruppen hervorgehen. Ebd., S. 20: Die Norm entsteht als vernünftige Gemeinschafts wähl, paßt zum aktuellen Stand der Technik, berücksichtigt in einer ausgewogenen Weise die Interessen der vielfältigen Parteien und versteht sich damit als Ergebnis des allgemeinen Interesses, und ist Teil eines harmonischen Ganzen. 92 Dabei wird teilweise proklamiert, daß die Technik versuche, sich das Recht und alle anderen Kulturgebiete mit dem Endziel der Technokratie unterzuordnen (vgl. die Nachweise bei Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 12 ff.), während teilweise lediglich die genannte Vokabel benutzt wird. Vgl. dazu Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 55, 70 f.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 51, 58;

58*

916

Teil 3: Ausblick

"autonomen technischen Rechtsgebietes" bezweckt93; vielmehr ist er der Versuch eines Nachweises, daß die Organisationsprinzipien der technischen Normung nicht, wie in Teil II dieser Arbeit nachgewiesen, nur ein hocheffizientes gesamtgesellschaftliches Willensbildungssystem darstellen, sondern - unabhängig von Wissenschaft und Technik - die "volonté générale" unter den heutigen Lebensumständen bestmöglich hervorzubringen vermögen. Zusammenfassend belegen die Ergebnisse der ersten vier Abschnitte dieses Ausblicks, daß es sich bei der parlamentarischen Gesetzgebung und der überbetrieblichen technischen Normung lediglich um zwei verschiedene Organisationsformen der gesamtgesellschaftlichen Willensbildung handelt. Die Existenz dieser beiden Systeme beruht nicht auf einer rationalen Willensentscheidung des Souveräns, zur Regelung des guten Zusammenlebens aller mit allen zwei gesellschaftliche Entscheidungssysteme zu institutionalisieren, weil etwa ein bestimmtes Entscheidungssystem nicht in der Lage ist, alle in einer modernen hochkomplexen Gesellschaft auftretenden Probleme auf die gleiche Art zu entscheiden94. Vielmehr ist die technische Normung aufgrund des Versagens des Staates zur gemeinwohloptimalen Regelung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in diese Regelungslücke hineingewachsen und füllt diese, wie in den ersten drei Abschnitten dieses Ausblicks hergeleitet, heute weitgehend autonom aus. Abgesehen von der offensichtlichen Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien wäre die heutige "Arbeitsteilung" zwischen den staatlichen rechtssetzenden Organen und der technischen Normung nur dann nicht anzuzweifeln, wenn das durch die notwendige staatliche Rezeption der einschlägigen technischen Normen entstehende Regelungs-Gesamtsystem die verfassungsgemäßen Aufgaben staatlicher Rechtssetzung - d.h. im Umwelt- und Technikrecht insbesondere im Rahmen der Förderung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung den notwendigen Rechtsgüterschütz bezüglich der Erzeugung, Verwendung, Wiederverwertung und Entsorgung technischer Systeme sowie der Systeme selbst zu gewährleisten - in vergleichbarem Maße zu erfüllen in der Lage wäre, wie es allgemeinverbindliche Rechtsnormen vermögen. Da jedoch die Integration dieser privaten technischen Normenwerke in die staatliche Rechtsordnung bis heute nur ungenügend gelungen und mit zahlreichen Nachteilen behaftet ist (dazu E), und diese Probleme entweder gänzlich oder zu einem erheblichen

Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 24; ders., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 220, 230 f. Leitsatz 4; Vogel, K., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 302. 93 Vgl. dazu die Ausführungen bei Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 25 f., 184 f., 198, 200. 94 Die Suche nach dem Wohlfahrtsoptimum ist damit gleichbedeutend mit der Suche nach einer optimalen Kombination verschiedener kollektiver Entscheidungssysteme. Bias, D. G., Normung, S. 89 f.

D. Die Organisationsprinzipien

917

Anteil aus dem Fehlen allgemeinverbindlicher normativer Regelungen resultieren (dazu F), legt die in Abschnitt D dieses Ausblicks entwickelte These, daß die Organisationsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung einen gesamtgesellschaftlichen Willensbildungsprozeß institutionalisieren, welcher die "volonté générale" nach Rousseau unter den heutigen Lebensumständen bestmöglich zu verwirklichen in der Lage ist, die Entwicklung eines neuen aufbau- und ablauforganisatorischen Ansatzes für die Gesetzgebung nicht nur im Interesse der bestmöglichen Bewältigung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, sondern auch der übrigen zunehmend dynamischen Lebenswirklichkeit nahe (dazu G).

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten technischer Normen "Seid gerecht. Sucht nicht Schuldige, sondern Ursachen."* Die Integration der privaten technischen Normen(werke) in die staatliche Rechtsordnung geschieht durch die im zweiten Teil dieser Arbeit geschilderten Rezeptionsarten, welche je nachdem, ob die Bezugnahme auf die technischen Normen direkt oder indirekt - d.h. über eine Zwischenstufe - erfolgt, in zwei Kategorien eingeteilt worden sind. Diese unmittelbaren und mittelbaren Rezeptionsarten sind im folgenden auf ihre Eignung bezüglich der Integration der beiden Willensbildungssysteme zu analysieren. Dazu werden bei den unmittelbaren Rezeptionsarten die Inkorporation, die datierte Verweisung, die undatierte Verweisung und die normergänzende sowie die normkonkretisierende allgemeine Verweisung zu untersuchen, wobei sich die folgenden Ausführungen auf die Rezeption in formelle und materielle Gesetze beschränken: Inkorporation: Möglichkeiten: Als Rechtswirkung dieser Rezeptionsart nimmt der inkorporierte Inhalt der technischen Norm im Range der rezipierenden Rechtsnorm an deren Rechtsgeltung teil, d.h. die technische Lösung der Norm wird für Normanwender und Normadressaten verbindlich vorgeschrieben1. Diese Normung konkreter Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen in formellen oder materiellen Gesetzen genügt den aus dem Rechtsstaatsprinzip der Verfassung (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 GG) abgeleiteten Postulaten der Gesetzesbestimmtheit und -klarheit sowie der Berechenbarkeit der normativen Pflichtenlage, des Gesetzesvollzugs und der Rechtsprechung - kurz: dem Gebot der Rechtssicherheit - bestmöglich, da die Anforderungen für die Normanwender eindeutig feststellbar und damit der Gesetzesvollzug durch die Behörden und dessen Kontrolle

* Werner Mitsch, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. 1 Vgl. Kap. II.A.l.c)bb)(l)(a)(aa). Vgl. femer Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 843.

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

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durch die Gerichte für den Normadressaten unmißverständlich vorhersehbar und berechenbar sind2. Es besteht die volle Gewähr dafür, daß das rechtssetzende Organ die von ihm für erforderlich gehaltenen technischen Regelungen vollinhaltlich billigt und verantwortet, daß die verfassungsgemäßen Anforderungen an den Rechtsakt beachtet sind und daß eine Publikation nach Art. 82 GG erfolgt 3. Die Inkorporation entlastet und beschleunigt die Rechtssetzung, indem sie den Gesetz- und Verordnungsgeber von der eigenen umfangreichen und zeitaufwendigen Ausarbeitung technischer Detailregelungen und der Bereitstellung der dafür erforderlichen Ressourcen, insbesondere von sachverständigem Personal, entbindet4. Durch die Inkorporation einer technischen Norm als konsensualer Vereinbarung aller betroffenen und interessierten gesellschaftlichen Vereinigungen und Bürger, die sich durch Praxisnähe und eine ausgewogene Berücksichtigung aller Interessen auszeichnet, ist eine gesteigerte Normloyalität der von diesen Regelungen Betroffenen zu erwarten5. Schließlich ermöglicht die Inkorporation technischer Normen die vorhergehende Abstimmung der technischen Festlegungen innerhalb der europäischen und internationalen Normungsorganisationen und trägt damit der Verwirklichung des Gemeinsamen Europäischen Marktes sowie einem freien Welthandel Rechnung6. Grenzen: Durch die Dauer des langwierigen und schwerfälligen Verfahrens des Erlasses von Gesetzen und Rechts Verordnungen7 kommt es zu beträcht2 Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 17 Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 842; ders., Funktion und Bedeutung technischer Standards, S. 261; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9. 3 Strecker, Α., Verknüpfung, S. 58. 4 Beauvais, E. v., Rechtsvorschriften für technische Gegenstände, S. 9; Boulin, P. u.a., AFNOR, S. 2; Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 50, 70; Erhard, R., Technische Standards, S. 5; Krieg, K. G. u.a., Leitfaden, S. 12; Lukes, R., Industrielle Normen und Standards, S. 25; Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 203; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 101; Stefener, W., DIN-Normen, S. 33; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 52. Vgl. dazu sowie zu den analogen nachfolgenden Bemerkungen auch allgemein die einschlägigen Ausführungen und Nachweise in Abschn. A der Einleitung. 5 Hunscha, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 76. 6 Koch, H., Europäische Normungsarbeit, S. 353. 7 So die Sicht der MinDirig. Pfaffelhuber, J., Entscheidungshilfen, S. 84 f.; Sauer, M., Neues Konzept, S. 600. Vgl. femer Lukes, R., Atomrecht, S. 245; Nickusch, K.-O., Unzulässige Verweisung, S. 812; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 170.

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Teil 3: Ausblick

liehen zeitlichen Verzögerungen der praktischen Anwendung des Normeninhalts8. Aus dem gleichen Grund entstehen erhebliche zeitliche Verzögerungen bei einer notwendigen Anpassung von Gesetz oder Rechtsverordnung an die aufgrund des wissenschaftlich-technischen Fortschritts oder den geänderten gesellschaftlichen Wertvorstellungen modifizierte technische Norm, so daß diese Rezeptionsmethode den wissenschaftlich-technischen Fortschritt und die gesellschaftliche Entwicklung behindert9. Die Inkorporation technischer Normen birgt die Gefahr, daß der Konsens der Bürger durch die politischen Organe nach Maßgabe ihres oder des Sonderwillen ihres Klientel geändert wird 10. Nach dem herkömmlichen Rechts Verständnis werden durch die notwendigen häufigen Änderungen der inkorporierenden Rechtsnorm die "stati sch-be wahrende Ordnungsaufgabe", die "Kontinuität" und die "Verständlichkeit" des Rechts beeinträchtigt11. Nach dem herkömmlichen Rechts Verständnis kommt es schließlich durch die Inkorporation des technischen Normeninhalts in die Rechtsnorm zu einer "unnötigen Aufblähung" der Rechtstexte und ihrer Verkündungsorgane aufgrund der "Überfrachtung mit technischen De-

8

Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 131 f. BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 3, 5; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 61; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 113; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 842; ders., Funktion und Bedeutung technischer Standards, S. 261; Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 131 f.; Scholz, R., Verhältnis, S. 92; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 58; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 16. Vgl. dazu sowie zu den analogen nachfolgenden Bemerkungen auch allgemein die einschlägigen Ausführungen und Nachweise in Abschn. A der Einleitung. 10 Mayer, T. R., Die starre Verweisung aus Sicht der Wirtschaft, S. 92; Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 131 f.; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 16 ("häufig bei politisch ungewissem Ausgang"). 11 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 61. Vgl. dazu sowie zu den analogen nachfolgenden Bemerkungen auch allgemein die einschlägigen Ausführungen und Nachweise in Abschn. A der Einleitung. Dieses Argument ist nicht überzeugend; denn es erscheint wenig sinnvoll zu sein, durch "statische" Rechtsnormen mit "dynamischem" Unterbau aus technischen Normen eine Kontinuität vorzutäuschen, die realiter überhaupt nicht vorhanden ist, und die zudem dem Normadressaten, der auch zur Befolgung des "dynamischen Unterbaus" verpflichtet ist, keinerlei Vorteile, sondern nur Nachteile bringt. Vgl. dazu die Ausführungen in Abschn. F des Ausblicks. 9

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

921

tails" 12 sowie zu vermeidbaren Kosten durch die doppelte Veröffentlichung des technischen Norminhaltes13. Als Fazit ist die Rezeptionsmethode der Inkorporation insbesondere aufgrund des schwerfälligen und langwierigen Rechtssetzungsverfahrens zur Integration von Rechts- und technischen Normen praktisch ungeeignet. Denn sie kann nur in den wenigen Ausnahmefällen Anwendung finden, in denen die wissenschaftliche, technische und gesellschaftliche Entwicklung einen weitestgehenden Abschluß erreicht hat, und weder neue wissenschaftliche Erkenntnisse, noch eine wesentliche Weiterentwicklungen der vorhandenen, noch die Entwicklung neuer Technologien, noch die Änderung der gesellschaftlichen Zielvorstellungen in absehbarer Zeit zu erwarten sind14. Datierte Verweisung: Möglichkeiten: Als Rechtswirkung dieser Rezeptionsart wird der Inhalt der in Bezug genommenen technischen Norm in die rechtliche Regelung rezipiert und nimmt im Range der verweisenden Rechtsnorm an deren Rechtsgeltung teil; d.h. die technische Lösung der Norm wird für Normanwender und Normadressaten verbindlich vorgeschrieben15. Diese Normung konkreter Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen in formellen oder materiellen Gesetzen genügt - auch in Form der datierten Verweisung - dem genannten Postulat der Rechtssicherheit voll und ganz, da die Anforderungen für die Normanwender eindeutig feststellbar und damit der Gesetzesvollzug durch die Behörden und dessen Kontrolle durch die Gerichte für den Normadressaten unmißverständlich vorhersehbar und berechenbar sind16.

12 Hunscha, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 76; Marburger, P., Bezugnahme, S. 35; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 45, 58; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 16. Auch dieses Argument ist nicht überzeugend; denn es erscheint wenig sinnvoll zu sein, die normative Pflichtenlage des Bürgers auf möglichst viele Normen zu verteilen, nur damit diese jeweils wenig umfangreich sind. Vgl. dazu die Ausführungen in Abschn. F des Ausblicks. 13 Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 16. 14 BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 3, 5; Marburger, P., Bezugnahme, S. 35; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 16 ff., 113; Scholz, R., Verhältnis, S. 92 f.; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 45, 58. Letzterer hält als Vertreter der Regierung der Bundesrepublik Deutschland diese Rezeptionsart für vollkommen ungeeignet. 15 Vgl. Kap. II.Α. 1 .c)bb)( 1 )(b)(aa)a). Vgl. femer Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 843. 16 Strecker, Α., Verknüpfung, S. 57; ders., Die starre Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 86.

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Teil 3: Ausblick

Die datierte Verweisung entlastet und beschleunigt die Rechtssetzung, indem sie den Gesetz- und Verordnungsgeber von der eigenen umfangreichen und zeitaufwendigen Ausarbeitung technischer Detailregelungen und der Bereitstellung der dafür erforderlichen Ressourcen, insbesondere von sachverständigem Personal, entbindet17. Durch die Rezeption einer technischen Norm als konsensualer Vereinbarung aller betroffenen und interessierten gesellschaftlichen Vereinigungen und Bürger, die sich durch Praxisnähe und eine ausgewogene Berücksichtigung aller Interessen auszeichnet, ist eine gesteigerte Normloyalität der von diesen Regelungen Betroffenen zu erwarten . Gegenüber der Inkorporation technischer Normen oder eigenständigen detaillierten Festlegungen erleichtert die datierte Verweisung die normative Formulierung und deren Änderung, da nur die Bezugsdaten normiert bzw. angepaßt werden müssen19. Die datierte Verweisung auf technische Normen ermöglicht die vorhergehende Abstimmung der technischen Festlegungen innerhalb der europäischen und internationalen Normungsorganisationen und trägt damit der Verwirklichung des Gemeinsamen Europäischen Marktes sowie einem freien Welthandel Rechnung20. Nach dem herkömmlichen Rechts Verständnis hält die datierte Verweisung die Rechtstexte und ihre Verkündungsorgane von technischen Details frei 21 und vermeidet die zweifache Veröffentlichung des technischen Norminhaltes. 17

Hunscha, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 76; Marburger, P., Regeln, S. 379; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 239; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 47. 18 Hunscha, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 76; Marburger, P., Regeln, S. 379; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 47; Strecker, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 86. 19 Mayer, T. R., Die starre Verweisung aus Sicht der Wirtschaft, S. 91; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 57; ders., Die starre Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 86. 20 Koch, H., Europäische Normungsarbeit, S. 353. 21 BVerfGE 47, S. 285 (312); Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 61; Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 61; Hunscha, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 77; Marburger, P., Regeln, S. 379, 387; ders., Technische Sicherheit, S. 20 f.; Mayer, T. R., Die starre Verweisung aus Sicht der Wirtschaft, S. 91; Ossenbühl, F., Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verweisung, S. 402; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 47; Strecker, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 85 f. Vgl. auch die Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil Β Abschn. IV lit. b). Dieses Argument ist nicht überzeugend. Denn der Schutz vor einer "Überfrachtung" des Gesetzestextes ist nur vordergründig gegeben, da der Rechtsanwender stets gehalten ist, das zitierte Normenwerk bei seiner Entscheidung einzusehen und zu berücksichtigen. Hunscha, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 77. Gleiches gilt für den Normadressaten.

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

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Grenzen: Durch die Dauer des langwierigen und schwerfälligen Verfahrens des Erlasses von Gesetzen und Rechtsverordnungen kommt es zu beträchtlichen zeitlichen Verzögerungen der praktischen Anwendung des Normeninhalts22. Da die Verweisungsangaben der verweisenden Rechtsvorschrift jedesmal geändert werden müssen, wenn die in Bezug genommene technische Norm aufgrund des wissenschaftlich-technischen Fortschritts oder den geänderten gesellschaftlichen Wertvorstellungen überarbeitet wird, und deren Änderung ebenfalls wieder Gegenstand der Rechtsvorschrift werden soll 23 , kommt es auch in diesen Fällen zu beträchtlichen zeitlichen Verzögerungen der praktischen Anwendung des Normeninhalts, so daß diese Rezeptionsmethode den wissenschaftlich-technischen Fortschritt und die gesellschaftliche Entwicklung behindert24. Unterbleibt hingegen im Falle der Änderung der rezipierten technischen Norm die Aktualisierung der Verweisungsdaten der rezipierenden Rechtsnorm, so nimmt diese auf einen veralteten technischen Stand Bezug; zudem kann die Beschaffung veralteter technischer Normen Probleme bereiten, da diese nicht mehr von den Normenorganisationen vertrieben werden, so daß diese zu archivieren sind25. Die normative Pflichtenlage läßt sich nicht allein aus dem Text der Rechtsnorm entnehmen, sondern es müssen dazu auch die rezipierten technischen Normen herangezogen werden; dies erschwert die Bestimmung des rechtlich Erlaubten und/oder Verbotenen ebenso wie die Lesbarkeit der Rechtsnormen26: Der Rechtsuchende muß blättern, nachschlagen, vergleichen und sich vielfach für ihn neue Wissensgebiete erschließen, um eine Detailregelung daraus, auf die verwiesen wird, in ihrem Sinnzusammenhang zu verstehen, woraus in der Praxis ein gewisser Verlust an Rechtssicherheit resultiert 27. Darüber hinaus treten im 22

Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 131 f. 23 Hunscha, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 76 f.; MüllerFoell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 113; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 56; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 57; ders., Die starre Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 86. 24 Hunscha, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 76 f.; Mayer, T. R., Die starre Verweisung aus Sicht der Wirtschaft, S. 93; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 113; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 843; Orth, K. L., Europäische Normen bei der Realisierung des Binnenmarktes, S. 131 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 239. 25 Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 15. 26 Mayer, T. R., Die starre Verweisung aus Sicht der Wirtschaft, S. 91; Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 42; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 12. 27 Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 42.

924

Teil 3: Ausblick

Falle der praktisch regelmäßig vorkommenden undatierten28 Weiterverweisungen des Verweisungsobjekts auf andere technische Normen Auslegungsprobleme über Art und Umfang der gesetzlichen Bezugnahme auf 29. Daher wird die datierte Verweisung als adressaten- und anwendungsunfreundlich charakterisiert 30. Nach dem herkömmlichen Rechts Verständnis werden durch die notwendigen häufigen Änderungen der verweisenden Rechtsnorm die "statisch-bewahrende Ordnungsaufgabe", die "Kontinuität" und die "Verständlichkeit" des Rechts beeinträchtigt31. Im Ergebnis ist die datierte Verweisung funktionell nichts anderes als eine Vereinfachung der Rechtssetzungstechnik in Form einer Abkürzung des Gesetzestextes, die allerdings mit einer erschwerten Bestimmung der Rechtslage erkauft werden muß. Vor allem aber weist diese Rezeptionsart aufgrund des Änderungserfordernisses der verweisenden Rechtsnorm infolge des schwerfälligen und langwierigen Rechtssetzungsverfahrens die gleiche Inflexibilität gegenüber der wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklung auf wie die Inkorporation. Daher ist diese Verweisungstechnik im Umwelt- und Technikrecht wie die Inkorporation nur dort geeignet, wo die wissenschaftlich-technische Entwicklung und die Ausformung der gesellschaftlichen Wertvorstellungen einen (vorläufigen) Abschluß erreicht haben und wesentliche Änderungen in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sind 32 , so daß auch die datierte Verweisung zur Integration von Rechts- und technischen Normen praktisch ungeeignet ist.

28 Die in der Norm enthaltenden Weiterverweisungen undatierter Art können nur im Auslegungsweg als datierte Verweisungen als verfassungsrechtlich zulässig erachtet werden. Vgl. die Ausführung in Fn. 484 in Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(aa)a). Vgl. ferner Strecker, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 87. 29 Beispielsweise enthält DIN 4102 Teil 4 (Ausgabe März 1981) - Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen - ein drei Druckseiten umfassendes Verzeichnis der in ihr zitierten Normen. Strecker, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 86. Vgl. auch Mayer, T. R., Die starre Verweisung aus Sicht der Wirtschaft, S. 91; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 843; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 16. 30 Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 42. 31 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 61. 32 Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 61 f.; Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 21; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 16 ff., 113; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 239; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 56. Vgl. auch Bub, H. u.a., Normung und Baurecht, S. 114 f., der darauf hinweist, daß sich der Versuch eines Bundeslandes, im Bauordnungsrecht die "allgemein anerkannten Regeln der Technik" im Bereich des Wärme- und Schallschutzes, die umfassend in DIN-Normen festgelegt sind, durch Rechtsverordnung verbindlich vorzuschreiben, nicht bewährt hat, da damit die Flexibilität verloren ging, Fortschreibungen der technischen Normen nicht mehr möglich waren und beim Vollzug der Vorschrift - die Abweichung

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

925

Normergänzende undatierte und normergänzende allgemeine Verweisung: Möglichkeiten: Als Rechtswirkung dieser Rezeptionsarten wird der Inhalt der in Bezug genommenen technischen Norm in die rechtliche Regelung rezipiert und nimmt im Range der verweisenden Rechtsnorm an deren Rechtsgeltung teil; d.h. die technische Lösung der Norm wird für Normanwender und Normadressaten verbindlich vorgeschrieben33. Da eine Rechtsnorm bei diesen Rezeptionsarten auf eine oder sogar auf alle technischen Normen eines bestimmten Normungsgebietes bzw. einer bestimmten technischen Normenorganisation in ihrer jeweils aktuellen Fassung Bezug nimmt, rezipiert sie alle Folgeausgaben der bezogenen Norm(en), ohne daß es einer zeitaufwendigen und schwerfälligen Änderung der Verweisungsnorm bedarf. Dadurch erfolgt im Gegensatz zu Inkorporation und datierter Verweisung eine automatische Anpassung des Rechtsnorminhalts an die fortschreitende wissenschaftliche, technische und gesellschaftliche Entwicklung, so daß deren Behinderung ausgeschlossen ist 34 . Diese Normung konkreter Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen in formellen oder materiellen Gesetzen genügt - auch in Form der normergänzenden undatierten und allgemeinen Verweisung - hinreichend dem genannten Postulat der Rechtssicherheit, die Anforderungen für die Normanwender eindeutig feststellbar und damit der Gesetzesvollzug durch die Behörden und dessen Kontrolle durch die Gerichte für den Normadressaten unmißverständlich vorhersehbar und berechenbar sind35. Die normergänzende undatierte und allgemeine Verweisung entlastet und beschleunigt die Rechtssetzung, indem sie den Gesetz- und Verordnungsgeber von der eigenen umfangreichen und zeitaufwendigen Ausarbeitung technischer Detailregelungen und der Bereitstellung der dafür erforderlichen Ressourcen, insbesondere von sachverständigem Personal, entbindet36.

war nur durch Befreiung möglich - Schwierigkeiten auftraten. Die betreffenden Rechtsverordnungen wurden daher wieder aufgehoben und die entsprechenden Normen baurechtlich eingeführt. Vgl. dazu Kap. II.A.l.c)dd)(l)(b). . 33 Vgl. Kap. ILA. 1 .c)bb)( 1 )(b)(bb)a) und Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)cc). 34 Buckenberger, H.-U., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wirtschaft, S. 52; Koch, H., Europäische Normungsarbeit, S. 353; Marburger, P., Regeln, S. 130 ff., 379; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 30; Nickusch, K.-O., Unzulässige Verweisung, S. 812. 35 Strecker, Α., Verknüpfung, S. 57; ders., Die starre Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 86. 36 Koch, H., Europäische Normungsarbeit, S. 353; Marburger, P., Regeln, S. 379; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 29; Schnapauff, K.-D.,

926

Teil 3: Ausblick

Durch die Rezeption von technischen Normen als konsensualen Vereinbarungen aller betroffenen und interessierten gesellschaftlichen Vereinigungen und Bürger, die sich durch Praxisnähe und eine ausgewogene Berücksichtigung aller Interessen auszeichnen, ist eine gesteigerte Normloyalität der von diesen Regelungen Betroffenen zu erwarten . Aufgrund der Dynamik der Verweisungen treten auch im Falle der praktisch regelmäßig vorkommenden undatierten Weiterverweisungen des Verweisungsobjekts auf andere technische Normen keine Auslegungsprobleme auf, da regelmäßig die neuesten Fassungen der technischen Normen heranzuziehen sind. Dementsprechend wird kein "normenhistorischer Archivierungsraum" benötigt; hält der Anwender seine Normensammlung auf dem neuesten Stand, so weiß er, was rechtlich geboten ist 38 . Die ständige Anpassung der technischen Normen an die fortgeschrittenen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die aktuellen technischen Möglichkeiten und die gewandelten gesellschaftlichen Wertvorstellungen ist ein Beitrag zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und zur Erhaltung der auf Wettbewerb begründeten Marktordnung 39. Die normergänzende undatierte und allgemeine Verweisung auf technische Normen ermöglicht die vorhergehende Abstimmung der technischen Festlegungen innerhalb der europäischen und internationalen Normungsorganisationen und tragen damit der Verwirklichung des Gemeinsamen Europäischen Marktes sowie einem freien Welthandel Rechnung40. Nach dem herkömmlichen Rechts Verständnis vereinfacht die normergänzende undatierte und allgemeine Verweisung gegenüber der Inkorporation technischer Normen oder eigenständigen detaillierten Festlegungen die normative Formulierung, hält die Rechtstexte und ihre Verkündungsorgane von technischen Details frei 41 und vermeidet die zweifache Veröffentlichung des technischen Norminhaltes42.

Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 41; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 52; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 12. 37 Marburger, P., Regeln, S. 130 ff.; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 30; Nickusch, K.-O., Unzulässige Verweisung, S. 812; Schnapauff, K D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 41. 38 Buckenberger, H.-U., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wirtschaft, S. 52. 39 Koch, H., Europäische Normungsarbeit, S. 353. 40 Ebd., S. 353. 41 Marburger, P., Regeln, S. 379; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 29; Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 41; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 52; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 12. 42 Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 12.

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

927

Grenzen: Die normative Pflichtenlage läßt sich nicht allein aus dem Text der Rechtsnorm entnehmen, sondern es müssen dazu auch die rezipierten technischen Normen herangezogen werden, die im Falle der allgemeinen Verweisung zunächst innerhalb des rezipierten technischen Normenwerkes zu ermitteln sind; dies erschwert die Bestimmung des rechtlich Erlaubten und/oder Verbotenen ebenso wie die Lesbarkeit der Rechtsnormen43. Zusätzlich kann sich der Rechtsuchende nicht damit begnügen, ein konkret bezeichnetes Verweisungsobjekt ausfindig zu machen, sondern er muß sich darüber hinaus von der Nichtexistenz einer neueren Fassung der in Bezug genommenen technischen Norm überzeugen, woraus in der Praxis ein gewisser Verlust an Rechtssicherheit resultiert 44. Daher werden die normergänzende undatierte und allgemeine Verweisung als adressaten- und anwendungsunfreundlich charakterisiert 45. Nach dem herkömmlichen Rechtsverständnis werden durch die häufigen automatischen Änderungen des Inhalts der verweisenden Rechtsnorm die "statisch-bewahrende Ordnungsaufgabe", die "Kontinuität" und die "Verständlichkeit" des Rechts beeinträchtigt46. Als Fazit werden die normergänzende undatierte und die normergänzende allgemeine Verweisung aufgrund der fehlenden Notwendigkeit der schwerfälligen und langwierigen Änderung der rezipierenden Rechtsnormen den Anforderungen einer flexiblen und zeitnahen Anpassung der normativen Schutz- und Sicherheitsanforderungen an die ständige wissenschaftliche, technische und gesellschaftliche Weiterentwicklung gerecht 47. Zugleich erlangen die technischen Normen durch diese Rezeptionsarten Verbindlichkeit gegenüber den Normanwendern und Normadressaten, so daß - abgesehen von den lediglich operativen Nachteilen bezüglich der Feststellung der normativen Pflichtenlage- der Rechtssicherheit hinreichend Genüge getan ist. Jedoch qualifiziert die heute einhellige Meinung beide Rezeptionsarten als verfassungswidrig, so daß diese in den geltenden Rechtsnormen keinerlei Anwendung mehr erfahren 48. Damit sind auch die normergänzende undatierte und die normergänzende allgemeine Verweisung zur Integration von Rechts- und technischen Normen ungeeignet.

43

Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 42; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 52; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 12. 44 Schnapauff, K.-D., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 41 f. 45 Ebd., S. 42. 46 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 61. 47 Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 21; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 239; Schwierz, M., Privatisierung des Staates, S. 57. 48 Vgl. Kap. H.A. 1 .c)bb)( 1 )(b)(bb)a) und Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)a).

928

Teil 3: Ausblick

Normkonkretisierende allgemeine Verweisung: Möglichkeiten: Da eine Rechtsnorm bei dieser Rezeptionsart auf alle technischen Normen eines bestimmten Normungsgebietes oder einer bestimmten technischen Normenorganisation in ihrer jeweils aktuellen Fassung Bezug nimmt, rezipiert sie alle Folgeausgaben der bezogenen Norm(en), ohne daß es einer zeitaufwendigen und schwerfälligen Änderung der Verweisungsnorm bedarf. Dadurch erfolgt im Gegensatz zu Inkorporation und datierter Verweisung eine automatische Anpassung der Bezugnahme an die fortschreitende wissenschaftliche, technische und gesellschaftliche Entwicklung, so daß deren Behinderung ausgeschlossen ist49. Die normkonkretisierende allgemeine Verweisung entlastet und beschleunigt die Rechtssetzung, indem sie den Gesetz- und Verordnungsgeber von der eigenen umfangreichen und zeitaufwendigen Ausarbeitung technischer Detailregelungen und der Bereitstellung der dafür erforderlichen Ressourcen, insbesondere von sachverständigem Personal, entbindet. Durch die Rezeption von technischen Normen als konsensualen Vereinbarungen aller betroffenen und interessierten gesellschaftlichen Vereinigungen und Bürger, die sich durch Praxisnähe und eine ausgewogene Berücksichtigung aller Interessen auszeichnen, ist eine gesteigerte Normloyalität der von diesen Regelungen Betroffenen zu erwarten . Aufgrund der Dynamik der Verweisungen treten auch im Falle der praktisch regelmäßig vorkommenden undatierten Weiterverweisungen des Verweisungsobjekts auf andere technische Normen keine Auslegungsprobleme auf, da regelmäßig die neuesten Fassungen der technischen Normen heranzuziehen sind. Dementsprechend wird kein "normenhistorischer Archivierungsraum" benötigt; hält der Anwender seine Normensammlung auf dem neuesten Stand, so weiß er, was rechtlich geboten ist. Die ständige Anpassung der technischen Normen an die fortgeschrittenen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die aktuellen technischen Möglichkeiten und die gewandelten gesellschaftlichen Wertvorstellungen ist ein Beitrag zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und zur Erhaltung der auf Wettbewerb begründeten Marktordnung. Die normkonkretisierende allgemeine Verweisung auf technische Normen ermöglicht die vorhergehende Abstimmung der technischen Fest-

49

Abs. 50

Mitteilung der Kommission 82/C 59/02, Einleitung, viertletzter und vorletzter Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1182.

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

929

legungen innerhalb der europäischen und internationalen Normungsorganisationen und trägt damit der Verwirklichung des Gemeinsamen Europäischen Marktes sowie einem freien Welthandel Rechnung. Nach dem herkömmlichen Rechts Verständnis vereinfacht die normkonkretisierende allgemeine Verweisung gegenüber der Inkorporation technischer Normen oder eigenständigen detaillierten Festlegungen die normative Formulierung, hält die Rechtstexte und ihre Verkündungsorgane von technischen Details frei 51 und vermeidet die zweifache Veröffentlichung des technischen Norminhaltes. Grenzen: Obwohl eine unmittelbare Rezeptionsart, begründet die normkonkretisierende allgemeine Verweisung keine allgemeine Verbindlichkeit der rezipierten technischen Normen für Normanwender und Normadressaten. Rechtsfolge der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung ist nach herrschender Meinung lediglich eine widerlegbare gesetzliche Tatsachenvermutung (§ 292 ZPO) dafür, daß den rechtlich gebotenen Schutz- und Sicherheitspflichten Genüge getan wurde, wenn die ausdrücklich benannten technischen Normen zur Anwendung gelangten. Durch deren prozessuale Funktion als Beweislastregel ist der Normadressat bei Einhaltung der rezipierten technischen Normen von jeglicher Darlegungs- und Beweisführungspflicht der Erfüllung der ihm obliegenden Schutz- oder Sicherheitspflichten entbunden. Jedoch kann die widerlegbare gesetzliche Vermutung zum einen durch die Widerlegung der Vermutungsbasis und zum anderen durch den vollen Beweis des Gegenteils (§ 292 ZPO, § 173 VwGO) entkräftet werden. Damit unterliegt die Frage, ob die technischen Normen dem normativen Sicherheitsstandard genügen, der behördlichen und im Streitfall vollinhaltlich derrichterlichen Prüfung 52. Damit ist dem genannten Postulat der Rechtssicherheit allenfalls in ausreichendem Maße Genüge getan. Denn aufgrund der Widerlegbarkeit der Vermutung durch die Genehmigungs- und Überwachungsbehörden ergibt sich die normative Pflichtenlage des Normadressaten abschließend erst aus dem gerichtlich nachprüfbaren Verwaltungsakt, zu dessen Überprüfung der gesamte judikative Instanzenzug durchlaufen werden kann. Damit sind der Gesetzesvollzug durch die Behörden und dessen Kontrolle durch die Gerichte für den Normadressaten nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersehbar und berechenbar53, wobei

51 Mitteilung der Kommission 82/C 59/02, Einleitung, viertletzter und vorletzter Abs.; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1182, demzufolge auf der europäischen Ebene für die abstrakten Gestaltungsziele leichter ein Konsens oder eine Mehrheit gefunden werden kann. 52 Vgl. Kap. II.A.l.c)bb)(l)(b)(cc)ß). 53 Strecker, Α., Verknüpfung, S. 57; ders., Die starre Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 86.

59 Zubke-von Thünen

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Teil 3: Ausblick

die Wahrscheinlichkeit im wesentlichen mit dem Grad der Rechtspflicht der rechtsanwendenden Stelle korreliert, die technischen Normen zu befolgen. Zudem läßt sich die normative Pflichtenlage nicht allein aus dem Text der Rechtsnorm entnehmen, sondern es müssen dazu auch die rezipierten technischen Normen herangezogen werden, also im Falle der vorliegenden allgemeinen Verweisung ein ganzes Normenwerk. Dies erschwert die Bestimmung des rechtlich Erlaubten und/oder Verbotenen ebenso wie die Lesbarkeit der Rechtsnormen. Zusätzlich kann sich der Rechtsuchende nicht damit begnügen, ein konkret bezeichnetes Verweisungsobjekt ausfindig zu machen, sondern er muß sich darüber hinaus von der Nichtexistenz einer neueren Fassung der in Bezug genommenen technischen Norm überzeugen, woraus in der Praxis ein weiterer Verlust an Rechtssicherheit resultiert. Daher ist die normkonkretisierende allgemeine Verweisung noch adressaten- und anwendungsunfreundlicher als die übrigen Verweisungsformen. Nach dem herkömmlichen Rechts Verständnis werden durch die häufigen automatischen Änderungen des Inhalts der verweisenden Rechtsnorm die "statisch-bewahrende Ordnungsaufgabe", die "Kontinuität" und die "Verständlichkeit" des Rechts beeinträchtigt. allgemeine Verweisung aufIm Ergebnis wird die normkonkretisierende grund der fehlenden Notwendigkeit der schwerfälligen und langwierigen Änderung der rezipierenden Rechtsnormen den Anforderungen einer zeitnahen Anpassung der normativen Schutz- und Sicherheitsanforderungen an die ständige wissenschaftliche, technische und gesellschaftliche Weiterentwicklung gerecht. Jedoch werden im Gegensatz zu den anderen Verweisungsarten die technischen Normen durch diese Rezeptionsarten für Normanwendern und Normadressaten nicht verbindlich vorgeschrieben; vielmehr unterliegt die Frage, ob die technischen Normen dem normativen Sicherheitsstandard genügen, der behördlichen und im Streitfall vollinhaltlich der richterlichen Prüfung. Hinzu kommt, daß durch die allgemeine Verweisung auf ein gesamtes Normenwerk Bezug genommen wird, woraus aufgrund der Notwendigkeit der Bestimmung der einschlägigen technischen Normen weitere Unsicherheiten der Bestimmung der normativen Pflichtenlage resultieren. Folglich wird durch die normkonkretisierende allgemeine Verweisung dem Postulat Rechtssicherheit nur mangelhaft Genüge getan, so daß auch diese Verweisungsart zur Integration von Rechtsund technischen Normen nur mangelhaft geeignet ist. Zusammenfassend erweisen sich alle unmittelbaren Rezeptionsarten technischer Normen entweder als vollkommen untauglich oder als nur mangelhaft geeignet, die Integration von Rechtsnormen und technischen Normen so herzustellen, daß das entstehende Regelungs-Gesamtsystem die verfassungsgemäßen Aufgaben staatlicher Rechtssetzung in vergleichbarem Maße zu erfüllen in der Lage wäre, wie es allgemeinverbindliche Rechtsnormen vermögen. Aus diesem Grund werden diese Rezeptionsarten - abgesehen von überwiegend historisch

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

931

entstandenen Anwendungsfällen - in der deutschen Rechtssetzungspraxis kaum noch verwandt54. Als weiteren Lösungsweg der Integration von Rechtsnormen und technischen Normen bieten sich ferner die unmittelbaren Rezeptionsarten an, d.h. die mittelbare Rezeption technischer Normen durch normative Standards und andere offene Rechtsbegriffe sowie die mittelbare Rezeption technischer Normen als antizipierte Sachverständigengutachten: Mittelbare Rezeption technischer Normen durch normative Standards und andere offene Rechtsbegriffe: Möglichkeiten: Da Gesetze und Rechtsverordnungen bei dieser Rezeptionsart nur mittelbar durch normative Standards oder andere offene Rechtsbegriffe auf in den Rechtsnormen nicht näher spezifizierte technische Normen Bezug nehmen, rezipieren die Rechtsnormen jeweils die aktuellen Ausgaben der einschlägigen technischen Normen, ohne daß es auf dieser Ebene einer zeitaufwendigen und schwerfälligen Änderung derselben bedarf. "Die in die Zukunft hin offene Fassung ... dient einem dynamischen Grundrechtsschutz."55 Werden in einer ersten Variante dieser Regelungstechnik die bezüglich der rechtlichen Anforderungen einschlägigen technischen Normen konkret-individuell durch die Normanwender benannt, entfällt auch auf der administrativen Ebene jedwede Änderung von allgemeinen Verwaltungsvorschriften, so daß eine Behinderung der fortschreitenden wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklung ausgeschlossen ist. Erfolgt in einer zweiten Variante dieser Regelungstechnik eine abstraktgenerelle Benennung der einschlägigen technischen Normen durch all54

Vgl. Kap.II.A.l.c)bb)(l). Allerdings wird die Rezeptionsart der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung zur Harmonisierung der technischen Vorschriften der Mitgliedsstaaten im Rahmen der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" der Europäischen Union seit 1985 systematisch angewandt. Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)(2) und insbes. Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)(aa)a). 55 BVerfGE49, S. 89 (137); BVerwGE72, S. 300 (311 f.). Vgl. auch Börner, A.-R., DVGW-Regelwerk Gas, S. 265; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 51; Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 62; Lukes, R., Atomrecht, S. 241 ff.; ders., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 86 ff.; Marburger, P., Regeln, S. 147 f., 158 f.; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 17, 114 ff.; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 28; ders., Sicherheitstechnische Normen, S. 126; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 842; ders., Funktion und Bedeutung technischer Standards, S. 262; Peter, G. u.a., Arbeitsschutz, S. 37 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 34 f.; Scholz, R., Technik und Recht, S. 700; ders., Verhältnis, S. 93, 101; Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 50.

*

932

Teil 3: Ausblick

gemeine VerwaltungsVorschriften, ministerielle Einführung oder vergleichbares, entlastet diese Rezeptionsart die mit dem Verwaltungsvollzug betrauten Behörden, indem sie ihnen Beurteilungsmaßstäbe zur Konkretisierung der normativen Standards und anderen offenen Rechtsbegriffe an die Hand geben. Damit wird eine gleichförmige Verwaltungspraxis im Interesse der Wahrung des Gleichbehandlungsgebots des Art. 3 GG sichergestellt. Die mittelbare Rezeption technischer Normen durch normative Standards und andere offene Rechtsbegriffe entlastet und beschleunigt die Rechtssetzung, indem sie den Gesetz- und Verordnungsgeber von der eigenen umfangreichen und zeitaufwendigen Ausarbeitung technischer Detailregelungen und der Bereitstellung der dafür erforderlichen Ressourcen, insbesondere von sachverständigem Personal, entbindet56. Durch die Rezeption technischer Normen als konsensualen Vereinbarungen aller betroffenen und interessierten gesellschaftlichen Vereinigungen und Bürger, die sich durch Praxisnähe und eine ausgewogene Berücksichtigung aller Interessen auszeichnen, ist eine gesteigerte Normloyalität der von diesen Regelungen Betroffenen zu erwarten . Die mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards und andere offene Rechtsbegriffe ermöglicht die vorhergehende Abstimmung der technischen Festlegungen innerhalb der europäischen und internationalen Normungsorganisationen und trägt damit der Verwirklichung des Gemeinsamen Europäischen Marktes sowie einem freien Welthandel Rechnung. Nach dem herkömmlichen Rechtsverständnis vereinfacht die mittelbare Rezeption technischer Normen durch normative Standards und andere offene Rechtsbegriffe gegenüber der Inkorporation technischer Normen oder eigenständigen detaillierten Festlegungen die normative Formulierung, hält die Rechtstexte und ihre Verkündungsorgane von technischen Details frei 58 und vermeidet die zweifache Veröffentlichung des technischen Norminhaltes. Grenzen: Im Gegensatz zur ersten Variante dieser Regelungstechnik bedarf es bei deren zweiter Variante, der abstrakt-generellen Rezeption der einschlägigen technischen Normen durch allgemeine Verwaltungsvorschriften, ministerielle Einführung oder vergleichbares, bei der in aller Regel die

56

Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 66 f.; Marburger, P., Regeln, S. 147 f., 158 f.; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 114 ff.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 75; Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 50. 57 Marburger, P., Regeln, S. 151 ff., 158 f.; Peter, G. u.a., Arbeitsschutz, S. 37 f. 58 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 66 f.; Marburger, P., Regeln, S. 147 f., 158 f.; ders., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 114 ff.; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 75; Schuchardt, W., Rauschen im Wasserrohr, S. 50.

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

933

Rezeptionsart der datierten Verweisung Anwendung findet, einer - allerdings im Vergleich zu formellen und materiellen Gesetzen weniger schwerfälligen und langwierigen- Änderung dieser administrativen Rechtsakte. Dennoch weisen in der Praxis die rezipierenden Verwaltungsvorschriften Aktualisierungszeiträume von teils vier und mehr59, teils aber auch von zwölf Jahren auf 60, wobei die allgemeinen Verwaltungsvorschriften im letzten Beispiel sogar den normativen Standard "Stand der Technik" i.S.d. BImSchG konkretisieren sollen. Angesichts eines Überarbeitungszeitraumes technischer Normen von fünf Jahren ist bei dieser Variante eine Behinderung der wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklung nicht nur möglich, sondern sogar hochwahrscheinlich. Die mittelbare Rezeption technischer Normen durch normative Standards und andere offene Rechtsbegriffe begründet keine allgemeine Verbindlichkeit der rezipierten technischen Normen für Normanwender und Normadressaten. Rechtsfolge dieser Rezeptionsart ist nach herrschender Meinung - sowohl im Falle der administrativen abstrakt-generellen Rezeption der einschlägigen technischen Normen als auch, unter der Annahme eines qualifizierten Erfahrungssatzes für die Übereinstimmung der einschlägigen technischen Normen mit dem jeweiligen normativen Standard, die konkret-individuelle Heranziehung der einschlägigen technischen Normen durch die Normanwender - eine widerlegliche tatsächliche Vermutung für die Übereinstimmung der in den technischen Normenwerken im Hinblick auf das gesetzliche Schutzund Sicherheitsziel getroffenen einschlägigen Bestimmungen mit dem jeweiligen normativen Standard. Diese hat für die richterliche Beweiswürdigung (§ 108 VwGO) die Bedeutung eines Anscheinsbeweises für die Übereinstimmung eines normenkonformen technischen Systems mit dem normativen Standard. Dieser kann jedoch nicht nur durch den vollen Gegenbeweis, sondern bereits durch die Erschütterung der Erfahrungstatsache - den Beweis der emsthaften Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufes - widerlegt werden. Dabei haben Behörden und Gerichte in Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß nach dem Untersuchungsgrundsatz (§ 24 Abs. 1 VwVfG, § 86 Abs. 1 VwGO) grundsätzlich die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs in Betracht zu ziehen. Der Anscheinsbeweis hat daher im Verwaltungsprozeß - abgesehen von einem non liquet - keine beweisschaffende Wirkung 61. Damit ist dem genannten Postulat der Rechtssicherheit nur mangelhaft Genüge getan. Denn aufgrund der Widerlegbarkeit der tatsächlichen Vermutung durch die Genehmigungs- und Überwachungsbehörden er59

Diese Zahlenangabe gilt für die Anhänge der GSGVwV, die zum Analysezeitpunkt im Jahre 1996 ein Alter von jeweils über vier Jahren aufwiesen. Vgl. Kap. II.A.l. c)dd)(4)(c)(aa). 60 So erfolgten Aktualisierungen der TA Luft in den Jahren 1986, 1974 und 1964. Vgl. Kap. II.A.l.c)dd)(2)(c). 61

Vgl. Kap. ILA. 1 .c)bb)(2)(a)(bb).

934

Teil 3: Ausblick

gibt sich die normative Pflichtenlage des Normadressaten abschließend erst aus dem gerichtlich nachprüfbaren Verwaltungsakt, zu dessen Überprüfung der gesamte judikative Instanzenzug durchlaufen werden kann. Damit sind Gesetzesvollzug durch die Behörden und dessen Kontrolle durch die Gerichte für den Normadressaten nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersehbar und berechenbar, wobei die Wahrscheinlichkeit im wesentlichen mit dem Grad der Rechtspflicht der rechtsanwendenden Stelle korreliert, die technischen Normen zu befolgen, und im umgekehrten Verhältnis zu dem normativen und untergesetzlichen Regelungsdefizit, der Komplexität und Kompliziertheit der technischen Systeme, dem gesellschaftlichen Dissens bezüglich der Technologie sowie der Dynamik der wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklung in diesem Bereich steht, welche die Erschütterung des Anscheinsbeweises erleichtem62. Zudem läßt sich die normative Pflichtenlage nicht allein aus dem Text der Rechtsnorm entnehmen, sondern es müssen dazu auch die rezipierten technischen Normen herangezogen werden; dies erschwert die Bestimmung des rechtlich Erlaubten und/oder Verbotenen ebenso wie die Lesbarkeit der Rechtsnormen, woraus in der Praxis ein weiterer Verlust an Rechtssicherheit resultiert. Hinzu resultiert bei Anwendung der ersten Variante dieser Regelungstechnik eine weitere signifikante Steigerung der Rechtsunsicherheit daraus, daß eine untergesetzliche abstrakt-generelle administrative Rezeption technischer Normen fehlt. Denn dann bleibt es den sicherungspflichtigen Normadressaten - Herstellern, Importeuren, Errichtern, Betreibern, Entsorgern u.a.m. - überlassen, innerhalb der Vielzahl technischer Normen die für ihn maßgeblichen zu ermitteln oder aber solche technischen Lösungen zufinden, die den abstrakt gefaßten gesetzlichen Sicherheitsanforderungen genügen63. Nach dem herkömmlichen Rechts Verständnis werden durch die häufigen automatischen Änderungen des Inhalts der rezipierenden formellen und materiellen Gesetze die "statisch-bewahrende Ordnungsaufgabe", die "Kontinuität" und die "Verständlichkeit" des Rechts beeinträchtigt. Als ein erstes Ergebnis wird die mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards und andere offene Rechtsbegriffe in der ersten Variante dieser Regelungstechnik aufgrund der fehlenden Notwendigkeit der schwerfälligen und langwierigen Änderung der rezipierenden Rechtsnormen und der flexiblen konkret-individuellen Benennung der einschlägigen technischen Normen und sonstigen rechtlichen Anforderungen durch die Normanwender im Einzelfall den Anforderungen einer zeitnahen Anpassung der nor-

62 Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 62; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 842. 63

Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 17.

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

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mativen Schutz- und Sicherheitsanforderungen an die ständige wissenschaftliche, technische und gesellschaftliche Weiterentwicklung gerecht. Für die zweite Variante dieser Regelungstechnik, die mittelbare abstrakt-generelle Rezeption der einschlägigen technischen Normen durch allgemeine Verwaltungsvorschriften, ministerielle Einführung oder vergleichbares, gilt dies angesichts der langen Aktualisierungszeiträume der administrativen Rechtsakte nicht: Hier behindern Aktualisierungszeiträume von bis zu zwölf Jahren die wissenschaftliche, technische und gesellschaftliche Weiterentwicklung selbst in Regelungsbereichen, die aufgrund des normativen Standards "Stand der Technik" nach herkömmlichem Verständnis den "rechtlichen Maßstab für das Erlaubte oder Gebotene ... an die Front der technischen Entwicklung" verlagern sollen64. Als weitaus schwerwiegender erweist sich jedoch auch bei dieser Rezeptionsart die Tatsache, daß die technischen Normen für Normanwendern und Normadressaten nicht verbindlich vorgeschrieben werden und somit die verbindlichen gesetzlichen Anforderungen im wesentlichen aus normativen Standards und sonstigen offenen Rechtsbegriffen bestehen. Obwohl das Bundesverfassungsgericht diese Regelungsmethode unter der Prämisse der Geltung der "3Stufen-Theorie" als verfassungsgemäß beurteilt hat65, räumte es ein, daß damit die normativen Entscheidungen im wesentlichen auf die Rechtsanwendungsebene verlagert werden: "Durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe werden die Schwierigkeiten der verbindlichen Konkretisierung und der laufenden Anpassung an die wissenschaftliche und technische Entwicklung mehr oder weniger auf die administrative und - soweit es zu Rechtsstreitigkeiten kommt - auf die judikative Ebene verlagert. Behörden und Gerichte müssen mithin das Regelungsdefizit der normativen Ebene ausgleichen."66 Da jedoch in Abschnitt Β dieses Ausblicks nachgewiesen wurde, daß die "3Stufen-Theorie" nicht haltbar und daher die formelle Regelungsleistung der normativen Standards nicht existent ist, sind diese Versäumnisse des Gesetzgebers von "strategischem Gewicht" im Hinblick auf den in Abschnitt A der Einleitung dargelegten allgemeinen Gesetzesvorbehalt und die Wesentlichkeitslehre als kritisch zu bewerten, indem die wachsende Verlagerung legislativer

64

BVerfGE 49, S. 89(135). BVerfGE 49, S. 89 (133 ff.). Vgl. die weiteren Nachweise in Kap. II.A.l.c)bb)(2) (a)(cc). 66 BVerfGE 49, S. 89 (135); vgl. auch ebd., S. 139. Vgl. femer Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 86; ders., Atomrecht, S. 241 f.; Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 152; ders., Sicherheitstechnische Normen, S. 126; ders., Technische Sicherheit, S. 17; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 28; ders., Bezugnahme, S. 31; Scholz, R., Technik und Recht, S. 698 f.; ders., Verhältnis, S. 93. 65

936

Teil 3: Ausblick

Kompetenzen auf Exekutive und Judikative zur zunehmenden Aushöhlung des Grundsatzes der gewaltenteiligen Funktionenordnung führt 67 . Vor allem aber wird der Gesetzgeber seiner Aufgabe zur Lösung von Interessenkonflikten im Wege der Rechtssetzung immer weniger gerecht und wälzt diese durch die Rechtssetzung nicht gelösten Konflikte vollständig auf die Rechtsanwendungsebene ab 68 : Versagt sich das Parlament der Aufgabe der Setzung von Prioritäten bei Zielkonflikten - Ökologie und Sicherheit auf der einen, Ökonomie auf der anderen Seite -, "so entzieht es sich einer verfassungsrechtlichen Pflicht. Seine verfassungswidrig nicht wahrgenommene Aufgabe wird im Wege einer Notkompetenz von der Verwaltung und den Gerichten wahrgenommen.,,69 Indem sich die gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzungen an ein wirtschaftlich investitionsintensives, technisch hochkomplexes und gesellschaftlich höchst umstrittenes System wie beispielsweise ein Kernkraftwerk 70 praktisch nur in einer Aneinanderreihung offener Rechtsbegriffe erschöpfen λ, deren Regelungsleistung entsprechend den Erkenntnissen des Abschnitts Β dieses Ausblicks nicht existent ist, wird als Folge die Rechtssicherheit von Normanwender und Normadressaten nicht nur beeinträchtigt, sondern im Extremfall sogar beseitigt 12: Denn die Behörde ersieht aus der Rechtsnorm nicht, welche Beschaf-

67 Nach der "Kernbereichslehre" des BVerfG ist keine der drei Staatsgewalten berechtigt, in den Kernbereich der beiden anderen einzugreifen, und darf dazu auch nicht vom Gesetzgeber ermächtigt werden. Herzog, R., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 20 Abschn. V Rn. 115 m.z.N. Daher ist es als Verstoß gegen den Grundsatz der gewaltenteiligen Funktionenordnung anzusehen, wenn die im Wege verschleierter Delegation durch normative Standards und offene Rechtsbegriffe auf die Rechtsanwendungsebene verlagerte Entscheidung ein erhebliches politisches Gewicht hat. Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 162; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 106; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9 f. Vgl. auch Baden, E., Dynamische Verweisungen, S. 626 f. ("... durch drastische Vermehrung der Verordnungsermächtigungen diesen ohnehin schon unübersichtlichen Bereich weiter anschwellen zu lassen"). 68 Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 86, 96; ders., Atomrecht, S. 241 f. 69 Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 165. 70 Die notwendigen Investitionen für ein Kernkraftwerk betrugen bereits im Jahre 1980 über 4 Mrd. DM. Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 87. 71 BVerfGE 49, S. 89 (133); Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 83, 87; ders., Atomrecht, S. 243; ders., Einführung, S. 4; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 16, jew. m.w.N. Vgl. zum Normen- und Regelsystem des Kernenergierechts Kap. II.A.l.c)dd)(3) und zu dessen gesetzlicher Ebene insbes. Kap. II.A.l.c) dd)(3)(a). 72 So die Einschätzung von Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 86, 96; ders., Atomrecht, S. 241 f. m.N. aus der Rechtsprechung; Nicklisch, F., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 76 ("teilweise gera-

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

937

fenheits- und Verhaltensanforderungen der Gesetzgeber bezüglich des betreffenden technischen Systems im einzelnen durch die mit offenen Rechtsbegriffen gekennzeichneten Anforderungen verlangt. Noch weniger kann die Behörde vorhersehen, was ein ihre Entscheidung überprüfendes Gericht im Rahmen des offenen Rechtsbegriffs an Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen verlangen wird 73 . Und auch der Normadressat, d.h. der Errichter oder Betreiber einer Anlage, der Hersteller oder Importeur eines Gerätes u.a.m., kann aus den einschlägigen Rechtsnormen nicht entnehmen, welche Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen die Behörden ihrer Genehmigungsentscheidung und im Falle eines Rechtsstreits die Gerichte ihrem Urteil zugrunde legen werden. Ebensowenig kann ein Bürger aus den Rechtsvorschriften entnehmen, ob die gesetzlich geforderte Beschaffenheit eingehalten ist, wenn er Einwendungen gegen eine Genehmigung erheben oder Schadenersatzansprüche wegen fehlerhafter Beschaffenheit geltend machen will 74 . Angesichts dieser Ausführungen bedarf es keiner Erläuterung, daß diese Rechtssetzungsmethode den Gesetzesvollzug und dessen gerichtliche Kontrolle außergewöhnlich erschwert, wobei es fraglich ist, ob man in diesem Fall überhaupt noch von "Vollzug" und "Kontrolle" sprechen kann: Indem verbindliche schütz- und sicherheitstechnische Vorschriften nicht vorhanden sind, müssen die Genehmigungsbehörden und im Falle eines Rechtsstreits die Verwaltungsgerichte die Kontrollmaßstäbe für die Genehmigung mit Hilfe technischer Normen und umfangreicher Sachverständigengutachten eigenständig festsetzen. Denn diese Regelungsmethode begründet unabhängig von der Art der mittelbaren Rezeption technischer Normen nur eine widerlegliche tatsächliche Vermutung mit der Wirkung eines Anscheinsbeweises für die Übereinstimmung der technischen Normen mit dem normativen Standard. Dieser findet zwar auch in Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß Anwendung. Jedoch müssen die

dezu katastrophalen Rechtsunsicherheit"); ders., Technische Regelwerke, S. 842 ("hat die Rechtsunsicherheit ein kaum noch tolerables Ausmaß angenommen"); Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 211 ("ein hohes - weithin als unakzeptabel angesehenes - Maß an Rechtsunsicherheit"). Vgl. auch Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 126; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 28; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 16; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 112; Scholz, R., Verhältnis, S. 93. Dies ist auf europäischer Ebene auch die Ansicht der Kommission: "Außerdem bleibt es infolge des Fehlens von Gemeinschaftsgesetzgebung den Gerichtsinstanzen überlassen, Fragen zu behandeln, die normalerweise in den Anwendungsbereich des Gesetzgebers fallen, woraus eine in hohem Maße schädliche Unsicherheit resultiert." KOM (85) 19 endg. "Neue Konzeption", S. 5. 73 Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 86 f.; ders., Atomrecht, S. 243. 74 Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 86.

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Teil 3: Ausblick

Verwaltungsbehörden und -gerichte nach dem Untersuchungsgrundsatz (§ 24 Abs. 1 VwVfG, § 86 Abs. 1 VwGO) generell die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufes in Betracht ziehen und dementsprechend grundsätzlich von sich aus alles Beweismaterial beschaffen, d.h. sowohl die den Erfahrungssatz als auch die einen möglichen Gegenbeweis begründenden Tatsachen. Namentlich dort, wo die Umsetzung neuer Erkenntnisse in die sicherheitstechnische Praxis gefordert ist, müssen Verwaltungsbehörden und -gerichte sorgfältig prüfen, ob die in einschlägigen technischen Normen diesen Anforderungen tatsächlich genügen. Wird zudem die sachgerechte Wiedergabe der jeweiligen normativen Standards in den technischen Normen substantiiert in Frage gestellt, ist die technische Norm vom Rechtsanwender auch inhaltlich zu überprüfen, wobei sich diese eines "nahezu unüberschaubaren Beiratswesens" 75 sowie regelmäßig einer Vielzahl von Sachverständigen bedienen. Erst im Falle des non liquet entfaltet der Beweis des ersten Anscheins beweisschaffende Wirkung 76 . Zur Widerlegung eines Anscheinsbeweises reicht bereits die Erschütterung der Erfahrungstatsache durch einen Gegenbeweis aus, indem konkrete Umstände nachgewiesen werden, die einen atypischen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lassen. Da dies gegebenenfalls auch durch die Einzelmeinung eines Sachverständigen geschehen kann, trägt der Ansatz der großen faktischen Relevanz der technischen Normenwerke als konsensualer Vereinbarung aller betroffenen und interessierten gesellschaftlichen Vereinigungen und Bürger nicht in angemessenem Umfang Rechnung 77, zumal bei den Verwaltungsbehörden und -gerichten "Unsicherheiten über die rechtliche Bewertung der technischen Festlegungen in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften sowie in den technischen Regelwerken der privaten Normungsverbände bestehen"78. Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen ist demnach die Feststellung vollkommen zutreffend, daß die Verwaltungsbehörden und -gerichte nicht nur gesetzesvollziehend\ sondern - infolge des Fehlens eines geeigneten, durch Gesetz vorgegebenen formellen Konkretisierungsrahmens 79 und ohne eine konkretisie-

75 So verfügte bereits im Jahre 1978 allein das Bundesministerium für Forschung und Technik über 1.019 Berater, die in 110 Gremien zusammengeschlossen waren. Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 19. 76 Vgl. Kap. ILA. 1 .c)bb)(2)(a)(bb). 77 Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 123; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 123, 212 f., jew. m.w.N. A.A. Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 143. 78 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 100. 79

Vgl. dazu Abschn. Β dieses Ausblicks.

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

939

rende normative Zwischenschicht in Gestalt von Rechtsverordnungen - in gleichem Maße rechtssetzend tätig sind* 0: "... die »faktische Normbildungsmacht' der Verwaltung ergänzt nicht nur das Gesetz, sondern sie ersetzt es. Gesetze, die zunehmend als Final- und eben nicht als Konditionalprogramme konzipiert werden, lassen nahezu unbeschränkt Raum für eine »experimentelle Verwaltungspraxis'. ... So ist es trotz einer enormen Gesetzesflut nicht übertrieben, von einer Krise des Rechtsstaats zu sprechen, da dessen sämtliche Leistungen durch das Gesetz vermittelt werden müssen und sich dieses vielfach nur als Scheinsteuerung einer sich in Wahrheit selbst lenkenden Verwaltung erweist."81 Wie den technischen Normen der Normenorganisationen liegen auch den Entscheidungen der Verwaltungsbehörden und -gerichte, welche die Eignung der technischen Normen überprüfen, äußerst komplexe und komplizierte Abwägungen zugrunde, in die grundsätzlich alle für die - an sich dem Gesetzgeber obliegende - normative Bestimmung der Risikogrenze maßgeblichen Aspekte einzubeziehen sind: die Risikoabschätzung und -bewertung ebenso wie die Frage, welche Sicherheitsvorkehrungen für den gebotenen Rechtsgüterschutz notwendig und - unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit - hinreichend sind82: "Das Steuerungsdefizit..., das aus der Blanketthaftigkeit der Sicherheitsstandards des technischen Sicherheitsrechts resultiert, hat dazu geführt, daß die Verwaltung bei der Entscheidung über Einzelprojekte weitgehend unmittelbar sich an der Verfassung orientieren muß als Entscheidungsmaßstab, weil das einfache Gesetz nichts hergibt. Was ist denn Entscheidungsmaßstab, wenn wir keine normkonkretisierende Rechtsverordnung haben, sondern allein auf § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG oder ähnliche Standards 80

So hat ein Abgeordneter des Bundestages auf die Aufforderung des OVG Münster an das BVerfG, das AtG hinsichtlich der Genehmigung des Schnellen Brüters auf seine Verfassungskonformität zu überprüfen, festgestellt, daß auch Richter sich überfordert fühlen, "wenn sie anstelle der Legislative über neue Technologien befinden sollen". Lichtenberg, P., Sicht des Parlaments, S. 76. So auch Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 152; ders., Technische Sicherheit, S. 17; Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 201; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 162; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 83, 86; Schmidt, R., Der Staat der Umweltvorsorge, S. 751; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9 f. Eingeschränkt auch BVerfGE 49, S. 89 (140) ("eigener Beurteilungsbereich" der Exekutive); BVerwGE 72, S. 300 (315 ff.) (Beurteilungsspielraum der Exekutive); Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 169; Kremser, H., Verfassungsrechtliche Zulässigkeit technischer Regelwerke, S. 280 ("eigenverantwortlich unter Zuhilfenahme von Sachverständigen festlegen"); Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 83; ders., Atomrecht, S. 243; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 178; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 35. A.A. Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 124 f., 140 ff. 81 Schmidt, R., Der Staat der Umweltvorsorge, S. 751. 82 Lukes, R., Atomrecht, S. 241 ff.; ders., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 86 ff.; Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 17 f.; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 28; Scholz, R., Verhältnis, S. 93.

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Teil 3: Ausblick

angewiesen sind? Dann geht es doch letztlich nur um Rechtsgüterabwägung, Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der hier einen Ausgleich schaffen soll zwischen den Grundrechten des Projektträgers, des Unternehmers auf der einen Seite, den Grundrechten der Betroffenen auf der anderen Seite."83 Dabei sind die Schwierigkeiten auf der judikativen Ebene noch größer als die der administrativen Ebene 84 . Gemäß § 40 Abs. 1 VwGO unterliegt die Entscheidung der Genehmigungsbehörden im Falle des Rechtsschutzersuchens eines Bürgers verwaltungsgerichtlicher Kontrolle 85 , wobei nahezu jede Anlagengenehmigung heute im Verwaltungsrechtsweg durch Dritte mit der Behauptung angefochten wird, sie seien in ihren Rechten verletzt 86 . Entsprechend der herrschenden Meinung im deutschen Verwaltungsrecht sind die offenen Rechtsbegriffe uneingeschränkt justitiabef 1 \ dementsprechend obliegt den Verwaltungs-

83

Murswiek, D., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 295 f. "Während Regierung und Verwaltung gegenüber den Fragen, die Wissenschaft und Technik sowie deren politische und gesellschaftliche Folgen aufwerfen, noch einigermaßen funktionsfähig sind, scheinen Gesetzgebung und Rechtsprechung diesen Aufgaben kaum mehr gewachsen zu sein." Lichtenberg, P., Sicht des Parlaments, S. 76. 85 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 77. 86 Von der Klagemöglichkeit Dritter gegen umweltgefährdende Anlagen in der Bundesrepublik Deutschland wird intensiv - nach teilweiser Ansicht exzessiv - Gebrauch gemacht. Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 95. Vgl. auch Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 19; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 100, 102 f. 87 "Die Unabhängigkeit der Gerichte gegenüber Regierung und Verwaltung ist durch Art. 97 Abs. 1, der als integrierender Bestandteil des Gewaltenteilungsprinzips und der Rechtstaatlichkeit auch an der Unabänderlichkeit nach Art. 79 Abs. 3 teilnimmt, lückenlos gesichert." Herzog, R., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 20 Abschn. V Rn. 59. Mit wenigen Ausnahmen vertritt die Rechtsprechung die Auffassung, daß auch bei offenen Rechtsbegriffen nur eine Entscheidung richtig sei, mithin eine diesbezügliche Entscheidung der Verwaltung in vollem Umfang derrichterlichen Überprüfung anheimfällt; somit gäbe es keinen der gerichtlichen Kontrolle entzogenen Beurteilungsspielraum der Verwaltung. Erichsen, H.-U., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 10 Rn. 10. I.d.S. BVerwGE 24, S. 23 (32 f.); 55, S. 250 (250, 253 f.) ; BVerwG DVB1. 1978, S. 591 (592); Backherms, J., Recht und Technik, S. 13; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 75 f.; Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 65; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 76 ff., Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 200 f.; Kremser, H., Verfassungsrechtliche Zulässigkeit technischer Regelwerke, S. 280; 95, 103 ff., 127 f.; Mutschier, U., Rechtliche Beurteilung, S. 132 ff., 142; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 91 f., 97; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 8, 104, 124; Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 98 ff., insbes. S. 124 ff.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 43. A.A. - für eine Beurteilungsermächtigung und/oder einen Ermessensspielraum der Exekutive BVerfGE 49, S. 89 (136 ff., 140); 61, S. 82 (114 f.); BVerwGE 72, S. 300 (315 ff.: "... die Gerichte haben solche Feststellungen und Bewertungen nur auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen, nicht aber ihre eigenen Bewertungen an deren Stelle 84

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

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gerichten eine uneingeschränkte Prüfungspflicht auch hinsichtlich der sicherheitstechnischen Genehmigungsvoraussetzungen88. "Das hat zur Folge, daß die gerichtliche Beweisaufnahme praktisch auf eine Wiederholung des behördlichen Genehmigungsverfahrens hinausläuft, obwohl die Gerichte für die Bewältigung derart umfangreicher Verfahren der Bewertung und Rezeption wissenschaftlich-technischen Sachverstands nicht besser, sondern eher schlechter gerüstet sind als die Behörden."89 Damit wird beim Fehlen konkretisierender Rechtsverordnungen die maßgebliche "Gesetzeskonkretisierung" der dritten Gewalt zugeschoben, die insoweit an die Stelle des Parlaments tritt und die Rolle eines Ersatzgesetzgebers übernimmt, ohne hierfür genügend gerüstet zu • 90

sein : "Wunder an Flexibilität darf man von der Rechtsprechung nicht erwarten ... Das Umweltrecht kann - ebenso wie die Wirtschaftsordnung - nicht allein von den Gerichten aufgrund der gelegentlich recht mageren Vorgaben des Gesetzgebers konkretisiert werden."91 Dessen ungeachtet sind die Gerichte in der Praxis intensiv um eine Kontrolle der behördlichen Entscheidung bemüht: Beispielsweise umfaßte das Urteil des VGH Baden-Württemberg bezüglich des Kernkraftwerks Wyhl vom 30.3. 1982 92 beachtliche 548 Schreibmaschinenseiten93. Damit ist als Folge davon, daß der Gesetzgeber die ungelösten Konflikte voll auf die Rechtsanwendungsebene abwälzt, jeder Rechtsanwender gezwungen, sich für jeden einzelnen zu entscheidenden Fall eine eigene Konfliktlösung zu suchen, so daß die "Flexibilität" der Regelungsstruktur auf der Rechtssetzungsebene mit einer Vervielfachung der prinzipiell nur einmal abstrakt-generell durch den Gesetzgeber zu treffenden Entscheidung auf der Rechtsanwenzu setzen ..."); Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 130 f., 138, 189; Beckmann, M., Umweltrecht, S. 323 f.; Breuer, R., Umweltgesetzbuch, S. B63 f.; Marburger, P., Regeln, S. 417 ff.; Scholz, R., Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 133 f.; ders., Technik und Recht, S. 706 ff. 88 Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 18. 89 Ebd., S. 18 (Hervorh. d. Verf.). Vgl. auch Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 8. 90 Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 162, 174. Vgl. auch Lichtenberg, P., Sicht des Parlaments, S. 76; Lukes, R., Atomrecht, S. 244; Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 154 ("rechtsstaatliches Unbehagen am Richterstaat"); Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 402 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 5. Allg. dazu Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 819 ff. 91 Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9 f. Vgl. auch Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 19. 92 DVB1. 1982, S. 966. 93 Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 98.

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Teil 3: Ausblick

dungsebene bezahlt werden muß - mit der Anzahl der behördlichen und gerichtlichen Entscheidungsverfahren innerhalb des zeitlichen und räumlichen Geltungsbereiches einer imaginären, hinreichend konkreten Rechtsnorm als Multiplikator. Dies führt nicht nur durch die bloße Anzahl, sondern auch durch die Komplexität und das Konfliktpotential der zu entscheidenden Einzelfälle zu der vielfach beklagten Überlastung des Verwaltungs- und insbesondere des Rechtsprechungsapparates 94. Denn während die zahlenmäßig ohnedies überlegenen Behörden ihr Verhalten durch Verwaltungsvorschriften oder die Figur der Selbstbindung der Verwaltung vereinheitlichen können und dies bis zu einem gewissen Grade auch praktisch tun, sind die Richter gemäß Art. 97 Abs. 1 GG unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen 95, so daß jede gerichtliche Entscheidung nur für den Einzelfall gilt 9 6 . Die Überlastung der Behörden und Gerichte ist wiederum eines der wesentlichen Hindernisse für eine effektive Gefahrenabwehr insbesondere in den technisch fortschrittlichen Bereichen des Umwelt- und Technikrechts. Denn sie führt nicht nur zu dem häufig kritisierten Vollzugsdefizit der rechtlichen Regelungen des Umwelt- und Technikrechts, die sich unter anderem in einer lückenhaften Überwachung und einer "verbreitetefn] Neigung, aus Gründen der Arbeitsersparnis nur leicht durchsetzbare Anforderungen zu stellen", manifestiert, sondern verursacht entsprechend einer Studie des Instituts für angewandte Sozialforschung der Universität Köln auch bedenkliche Informationsrückstände der Behörden über den jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik 97 . Aufgrund dieses Informationsdefizits bleibt den Behörden vielfach nichts anderes übrig, als die mit früheren Projekten gemachten Erfahrungen zu übernehmen, ohne sie in jedem Einzelfall auf ihre Aktualität hinsichtlich der weiterentwickelten technischen Möglichkeiten prüfen zu können 98 , oder sich in die Abhängigkeit von den Angaben der Antragsteller zu begeben99. 94

So auch Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 100. Dazu Herzog, R., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 20 Abschn. V Rn. 59. 96 Marburger, P., Regeln, S. 346 f.; ders., Bezugnahme, S. 32; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 19; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9 f.; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 186. 97 Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 17 f.; Plagemann, H. u.a., Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 24 f. 98 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 99. 99 Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 17 f. In diesem Zusammenhang prägt sich auch ein kooperatives Verwaltungshandeln aus, indem beispielsweise im Bundesimmissionsschutzrecht zur Verringerung dieses Informationsdefizits der Behörden und zur Vergrößerung der Vorhersehbarkeit der administrativen Entscheidung für den Antragsteller in der Genehmigungspraxis zumindest größerer Anlagen Vorverhandlungen zwischen Antragsteilem und Behörden stattfinden; diesen kommt dabei nicht selten der Charakter eines vorweggenommenen Genehmi95

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

943

Aus dem Gesagten folgt des weiteren, daß das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG durch die Rechtsprechung sowie im Falle des Fehlens von Verwaltungsvorschriften wie im Normen- und Regelsystem des Kernenergierechts 100 zu auch durch die Genehmigungsbehörden kaum noch verfassungskonform verwirklichen ist, wie auch das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich hervorgehoben hat: "Als Indikatoren lediglich für einen nicht genau bekannten Übergangsbereich zwischen schädlichen und unschädlichen Umwelteinwirkungen wären sie [die Grenzwerte der TA Luft] für die mit dem Vollzug des Bundes-Immissionsschutzgesetzes betrauten Behörden nutzlos. Es bliebe dann in jedem Einzelfall ganz unabhängig von der Einhaltung oder Nichteinhaltung der in der VerwaltungsVorschrift niedergelegten Immissionswerte zu prüfen, ob die Genehmigungsvoraussetzungen des § 6 Nr. 1 BImSchG in Verbindung mit den §§5 und 3 BImSchG erfüllt sind, ohne daß die Behörde hierbei auf bereits zuvor zentral ermittelte und durch Verwaltungsvorschrift für sie verbindlich bereitgestellte gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen könnte, also genötigt wäre, sich diese Erkenntnisse mit den ihr zur Verfügung stehenden beschränkten Mitteln selbst zu beschaffen. Daß eine solche für den jeweiligen Einzelfall vorgenommene Beschaffung der benötigten Entscheidungsgrundlagen Ergebnisse von durchaus unterschiedlichem Wert und damit eine ungleichmäßige Anwendung des Gesetzes befürchten ließe, liegt auf der Hand. Die bei einer solchen Handhabung des Gesetzes zu erwartenden - womöglich bis zur Auflösung der

Gleichheit vor dem Gesetz reichenden - Unzuträglichkeiten sollen durch den Erlaß von Verwaltungsvorschriften nach § 48 Nr. 1 BImSchG von vornherein vermieden werden, zumal das dort vorgesehene zentralisierte Verfahren bei sachgerechter Ausschöpfung der durch § 51 BImSchG eröffneten Möglichkeiten zur Nutzbarmachung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse die Ermittlung der maßgeblichen Grenzwerte auf eine weitaus verläßlichere Basis stellt als dies der einzelnen Genehmigungsbehörde im konkreten Fall möglich wäre." 101 Tatsächlich wird infolge der ungenügenden normativen Vorgaben für die Normanwender die verfassungsgemäß gebotene Gleichheit der behördlichen und gerichtlichen Behandlung der Normadressaten durch Entscheidungen unterschiedlicher Behörden und Gerichte zu vergleichbaren technischen Systemen gefährdet, die einander teilweise schon in Grundsatzfragen und stärker noch in Einzelheiten widersprechen und die in Extremfällen sogar zu gegensätzlichen Beurteilungen gleichgelagerter Sachverhalte gelangen, wie dies beispielsweise bei den innerhalb von zwölf Tagen gefällten kontroversen Entscheidungen der

gungsverfahrens zu, dessen Ergebnisse in dem eigentlichen Genehmigungsverfahren nur noch bestätigt werden, was daran deutlich wird, daß nach geführten Vorverhandlungen Ablehnungsbescheide kaum vorkommen. Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 99. Zum kooperativen Verwaltungshandeln vgl. auch Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 193 f. 100 Vgl. Kap. II.A.l.c)dd)(3)(c). 101 BVerwGE 55, S. 250 (257) (Hervorh. d. Verf.). I.d.S. auch Marburger, P., Regeln, S. 119.

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Teil 3: Ausblick ι rvy

ι

ni

Verwaltungsgerichte Freiburg und Würzburg hinsichtlich des sicherheitstechnischen Erfordernisses eines Berstschutzes für Druckwasser-Reaktoren der 1300-MWe-Klasse der Fall war 104 . Daher ist es nicht verwunderlich, wenn selbst Vertreter der Bundesregierung als Voraussetzung für die Verwendung normativer Standards und offener Rechtsbegriffe im Umwelt- und Technikrecht einen "ausreichenden Bestand an technischen Normen" zu deren Ausfüllung mit der Begründung voraussetzen, daß die Verwaltungsbehörden und -gerichte ansonsten einen zu großen Spielraum bei der "Gesetzeskonkretisierung" haben und die Gefahr der unterschiedlichen Auslegung der offenen Rechtsbegriffe "sehr groß" ist 1 0 5 . Dabei stellt die unterschiedliche Beurteilung sicherheitstechnischer Einrichtungen nicht die zentrale Ursache divergierender Genehmigungs- oder Gerichtsentscheidungen dar; vielmehr sind die Behörden und vor allem die Gerichte durch die unzureichende normative Regelungsdichte hinsichtlich der Sicherheitskonzeption technischer Anlagen und deren Ausgestaltung aufgrund ihrer mangelnden Kompetenz zur Beurteilung hochkomplexer und -komplizierter Fachfragen regelmäßig vollkommen überfordert 106. Aus diesem Grunde ziehen die Behörden in den Genehmigungsverfahren eine Vielzahl von Sachverständigen heran. In den sich im Falle eines Rechtsstreites anschließenden verwaltungsgerichtlichen Instanzen werden zusätzlich die von den Parteien benannten Sachverständigen gehört, so daß diese Verfahren durch das Auftreten eines "Heeres von Sachverständigen" 107 zu technischen, chemischen, physikalischen, biologischen und medizinischen Fragen mit jeweils unterschiedlichen Meinun102

VG Freiburg, NJW 1977, S. 1645 ff. VG Würzburg, NJW 1977, S. 1649 ff. 104 Backherms, J., Recht und Technik, S. 9; Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 87, 89; ders., Atomrecht, S. 241 f.; Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2634; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 18; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 124. Zur Unberechenbarkeit gerichtlicher Entscheidungen im gesamten Umwelt- und Technikrecht vgl. Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 87, 89; ders., Atomrecht, S. 241 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 124, jew. m.w.N. aus der Rechtsprechung. 105 Strecker, Α., Verknüpfung, S. 51 f. 106 Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 198; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 17 f.; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 124 f., 129, 131. 107 Beispielsweise ist bei der Errichtung eines Kernkraftwerkes mit einem Einsatz von Sachverständigen in der Größenordnung von 100-200 Mannjahren zu rechnen, deren Dokumentation etwa 10.000 Aktenordner mit 3 Millionen Blatt umfaßt; hingegen beträgt der Einsatz der Behörden Vertreter nur etwa 10 Mannjahre. Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 119. So hörte das VG Freiburg im Wyhl-Prozeß zu insgesamt 100 Beweisfragen 53 Sachverständige; zusätzlich lagen dem Gericht 50 schriftliche Gutachten vor. Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 19. 103

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

945

gen gekennzeichnet sind. Diese Meinungsverschiedenheiten sind von den Gerichten - im Grunde ohne jede Sachkompetenz - zu entscheiden, indem sie in den wissenschaftlich-technischen Streitstand eintreten 108 und die erforderlichen Abwägungen und Wertungen vornehmen 109 : "Diese Rechtsanwendungspraxis, die es notwendig macht, eine Vielzahl von Sachverständigen zu den technischen Teilaspekten zu hören, bei unterschiedlichen Auffassungen der Sachverständigen in der Sache selbst zu entscheiden sowie die im Zusammenhang mit den einzelnen technischen Detailfragen auftretenden Abwägungen und Wertungen selbst vorzunehmen, kurz die Überforderung des technische nicht vorgebildeten Richters mußte zwangsläufig zu der genannten, inzwischen teilweise geradezu katastrophalen Rechtsunsicherheit führen. 0 Tatsächlich dürfte es für die in technischen Fragen fachunkundigen Verwaltungsrichter sehr schwierig, wenn überhaupt möglich sein, die Ausführungen der sachverständigen Experten nachvollziehen und auf dieser Basis ein Urteil in wissenschaftlich-technischen Streitfragen fällen zu können; denn "Die von Genehmigungsbehörden und Verwaltungsgerichten zu beurteilenden Gefahrenprognosen von Großanlagen wie etwa Kernreaktoren liegen in einem derart über dem Niveau des Allgemeinwissens eines idealtypischen Rechtsanwenders angesiedelten Bereich, daß selbst der Wissensvermittlung durch Sachverständige Grenzen gesetzt sind."111 Demnach bleiben nach Nolte dem Richter nur die drei Möglichkeiten, sich entweder der Meinung der Gutachter ohne eingehende Prüfung anzuschließen, dies nicht zu tun und das Risiko diletantischer Fehlschlüsse auf sich zu nehmen oder schließlich nach Maßgabe des Ansehens der Gutachter zu entscheiden. "Daß mit dieser Entwicklung ein Vertrauensschwund der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Öffentlichkeit vorprogrammiert ist, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden." 112 Hinzu kommt das Problem, daß die weitaus überwiegende

108

"Sie [die Behörden und Gerichte] kommen bei sich widersprechenden Sachverständigengutachten in aller Regel nicht umhin, zu wissenschaftlichen Streitfragen Stellung zu nehmen." BVerwG, DVB1. 1972, S. 678 (680); diesem folgend BVerfGE 49, S. 89(136); 53, S. 30 (58 f.). 109 Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 188; Nicklisch, F., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 75 f.; ders., Kontrollierte Rezeption, S. 2636; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 19. A.A. Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 125 f.: "Weder die Gerichte noch die Behörden haben die Richtigkeit der Erkenntnisse, sondern allenfalls die Wissenschaftlichkeit derselben zu überprüfen. Sie sollen den Stand der Wissenschaft feststellen, aber nicht verändern; denn sie haben nicht fachfremd zu forschen." 110 Nicklisch, F., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 76. 111 Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 18. 112 Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 20.

60 Zubke-von Thünen

946

Teil 3: Ausblick

Anzahl von Sachverständigen selbst interessengebunden oder zumindest wirtschaftlich von ihrem Auftraggeber abhängig sind und daher die notwendige Objektivität vermissen lassen: "Unabhängige Sachverständige, wo gibt es die?"113 Für die Sicherungspflichtigen Normadressaten birgt diese Regelungsmethode dementsprechend neben der hohen Wahrscheinlichkeit der Ungleichbehandlung eine mehrstufige Beeinträchtigung der Rechtssicherheit: Erstens steht der Normadressat vor der nicht zu unterschätzenden Schwierigkeit, aus dem jeweiligen Regelwirrwar 114 aus Gesetzen, Rechtsverordnungen, allgemeinen Verwaltungsvorschriften, sonstigen verwaltungsinternen Vorschriften, Empfehlungen beratender Ausschüsse, öffentlich-rechtlichen technischen Regeln, Unfallverhütungsvorschriften u.a.m. die jeweils für sein Anliegen einschlägigen formellen und materiellen Bestimmungen zu ermitteln, wobei diese Aufgabe durch die selbst im juristischen Fachschrifttum umstrittenen begrifflichen Unklarheiten 115 zusätzlich erschwert wird. Fehlt es darüber hinaus an einer administrativen abstrakt-generellen Rezeption technischer Normen, erweitert sich seine Aufgabe um die Feststellung der für ihn maßgeblichen technischen Normen aus den umfangreichen und vernetzten technischen Normen werken 116 . Zweitens ist für diese Regelungstechnik symptomatisch, daß die Rechtsnormen eine verschwindend geringe Regelungsdichte aufweisen, während die materiellen Festlegungen fast ausschließlich in technischen Normen getroffen werden 117 . Jedoch begründet diese Regelungsmethode, selbst wenn die technischen Normen durch administrative Rezeptionsakte bezeichnet sind, nur eine widerlegliche tatsächliche Vermutung für die Übereinstimmung der technischen Normen mit dem jeweiligen normativen Standard, wobei auch diese Rechtsfolge umstritten ist 1 1 8 . Daher wird die Frage, ob ein technisches System der mittels einem normativen Standard und/oder anderen offenen Rechtsbegriffen umschriebenen erforderlichen

113

So aus der Sicht eines Parlamentariers Lichtenberg, P., Sicht des Parlaments, S. 76. I.d.S. aus Sicht der Exekutive auch Jaumann, Α., Regelung technischer Sachverhalte, S. 10: "Sachverständigenhearings sind ein im Grunde genommen unzulänglicher Ersatz, denn: wem soll man bei sich widersprechenden Urteilen glauben? Auch läßt sich natürlich behaupten, daß das Ergebnis durch die Sachverständigenauswahl "vorgepolt" worden sei." 114 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 113 bezüglich der Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften im Normen- und Regelsystem des Kernenergierechts. 115 Ebd., S. 123 bezüglich der Genehmigungsvoraussetzungen des Kernenergierechts. 116 Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 17; Scholz, R., Verhältnis, S. 102. 117 Vgl. die Analyse von vier bedeutsamen Regelungsgebieten des Umwelt- und Technikrechts in Kap. II.A.l.c)dd) sowie das Resümee in Kap. II.A.l.d). 118 Vgl. die Nachweise in Fn. 628 in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(bb).

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

947

Sicherheit entspricht, erst durch die Entscheidung der Genehmigungs- oder Überwachungsbehörde geklärt. Indem schließlich drittens die offenen Rechtsbegriffe nach herrschender Meinung und Gerichtspraxis voll justitiabel sind, wird erst durch die Gerichte letztinstanzlich und verbindlich über die Übereinstimmung der technischen Normen mit dem jeweiligen normativen Standard und die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen entschieden119, wobei entsprechend der vorhergehenden Ausführungen insbesondere diese Gerichtsentscheidungen mit einem hohen Maß an Unsicherheit behaftet sind: "Die eigentlichen Schwierigkeiten bei der praktischen Konkretisierung des 'Standes der Technik' liegen jedoch nicht im Verhältnis der Antragsteller zu den Behörden. Sie haben ihre Ursache vielmehr in dem Umstand, daß die immissionsrechtliche Genehmigung bei Großanlagen regelmäßig von Drittbetroffenen angefochten und somit einer gerichtlichen Kontrolle zugeführt wird. Die Kontrollpraxis der Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Konkretisierung des 'Standes der Technik' ist nun aber recht uneinheitlich, wobei insbesondere Unsicherheiten über die rechtliche Bewertung der technischen Festlegungen in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften sowie in den technischen Regelwerken der privaten Normungsverbände bestehen."120 Diese Rechtsunsicherheit hat sich in der Vergangenheit vor allem bei der Genehmigung großtechnischer Anlagen - z.B. von Kraftwerken, Flughäfen oder geChemieanlagen - offenbart und zu außerordentlichen Schwierigkeiten führt 121. In diesen Bereichen muß ein Investor nicht nur mit der Rechtsunsicherheit leben, daß vielleicht die 13. Teilgenehmigung122 der Behörde oder das hierzu angestrengte, letztinstanzliche Gerichtsverfahren seine Milliardeninvestition zu einer ebensolchen Ruine werden läßt 123 , sondern er hat auch Genehmigungszeiträume in einer Dimension zu erdulden, die jeden halbwegs betriebswirtschaftlich denkenden Investor einen großen Bogen um den Wirtschaftsstandort Deutschland machen läßt: Denn letztinstanzliche Urteile ergehen häufig erst

119 Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 17; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 82. 120 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 100. 121 Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 17. 122 Vgl. dazu Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 195. 123 Lukes, R. u.a., Vorwort, S. 1, spricht von "nicht mehr vorhersehbare[n] Gerichtsentscheidungen". Vgl. auch die nachfolgenden Zitate von Breuer und Nicklisch. So hat auch das BVerwG, DVB1. 1972, S. 678 (679), festgestellt: "Eine genehmigungspflichtige Anlage wird - selbstverständlich - nur errichtet, um betrieben zu werden. Eine Anlage, die etwa wegen ihres ungünstigen Standorts nicht betrieben werden darf, verfehlte ihren Zweck. Ihre Errichtung wäre für den Unternehmer nicht nur wertlos, sondern wegen der hohen Baukosten ein großes, vielleicht existenzgefährdendes Verlustgeschäft. Die Genehmigungsbehörde muß daher schon bei der Entscheidung über die Genehmigung zur Errichtung der Anlage die möglichen Folgen des Betriebs dieser Anlage prüfen."

60*

948

Teil 3: Ausblick

nach einem Zeitraum von sechs bis zwölf Jahren 124 , so daß von dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Inbetriebnahme in jedem Fall mehr als zehn Jahre verrinnen 125 , was dem eigentlichen Zweck dieser Regelungsform - der Dynamisierung der rechtlichen Anforderungen - Hohn spricht: "Insbesondere bei der Genehmigung von technischen Großanlagen wie Atomkraftwerken, Chemieanlagen und Flughäfen hat die Rechtsunsicherheit ein kaum noch tolerables Ausmaß angenommen. Überlange Genehmigungsverfahren, die angesichts eines endlosen Wechselspiels von Gutachten und Gegengutachten in ihrem Ausgang für die Beteiligten nicht mehr berechenbar sind, haben sich in den letzten zehn Jahren in Teilbereichen der Technik zu einem Dauerzustand entwickelt."126 "Die Kompliziertheit der hierdurch aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen sowie die kaum noch kalkulierbare Dauer und Instanzenfolge gerichtlicher Verfahren über umweltrelevante Großvorhaben sind längst zum Alptraum der Beteiligten geworden." 127 Dabei wird die Rechtsunsicherheit der Normadressaten noch weiter verstärkt durch die in Abschnitt Β dieses Ausblicks ausgeführten Inkonsistenzen dieser Regelungstechnik: So herrscht in der juristischen Wissenschaft nicht nur Uneinigkeit über so grundlegende Dinge wie die Bezeichnung der Begriffe "allgemein anerkannten Regeln der Technik", "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik", sondern - von weit größerer Bedeutung - auch über die Funktion und Bedeutung dieser offenen Rechtsbegriffe, die teils als eine (kontrollierte) Rezeption außerrechtlicher Ordnungsgefüge, teils als eine Delegation der Gesetzeskonkretisierung an die Rechtsanwender und teils als reine erkenntnistheoretische und wertfreie Feststellung des "Standes der Technik" bzw. des "Standes von Wissenschaft und Technik" durch die Rechtsanwender aufgefaßt werden 128 . Darüber hinaus ist entsprechend der Ausführungen des Abschnitts Β dieses Ausblicks angesichts der kaum überschaubaren Vielzahl überwiegend nicht legaldefinierter normativer Standards, deren widersprüchlichen Verwendung innerhalb des Umwelt- und Technikrechts, in seiner Gesamtheit in den Rechtsnormen eines einzigen Normen- und Regelsystems und sogar innerhalb einer Rechtsvorschrift mehr als zweifelhaft, ob die unterschiedlichen begrifflichen Ausprägungen jeweils ein determiniertes Sicherheitsniveau kennzeichnen sollen. Diese Zweifel werden verstärkt durch die fehlende Homogenität des Gefahren- und Risikopotentials der mit einem normativen 124 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 113. Vgl. auch Lukes, R. u.a., Vorwort, S. 1; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 19. 125 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 115. 126 Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 842. Vgl. auch ders., Kontrollierte Rezeption, S. 2633. 127 Breuer, R., Umweltschutz, S. 38. 128

Vgl. die Ausführungen in Fn. 586 in Kap. II.A.l.c)bb)(2)(a)(aa).

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

949

Standard geregelten technischen Systeme sowie den nicht existenten schlüssigen Regelungskonzepten sowohl hinsichtlich der Verwendung als auch bezüglich der Konkretisierung der normativen Standards. Zusammenfassend wird diese im deutschen Recht mit weitem Abstand vorherrschende Rezeptionsmethode zur Integration von Rechts- und technischen Normen mit schwerwiegenden Nachteilen erkauft: Sie erleichtert zwar infolge des Verzichts auf jegliche materielle Normierung die Rechtssetzung, löst und entscheidet auf diese Weise jedoch weder die im Umwelt- und Technikrecht auftretenden Probleme noch die entsprechenden hochkontroversen Interessenkonflikte. Diese werden vielmehr "voll auf die Rechtsanwendungsebene abgewälzt, wo sie ersichtlich nicht bewältigt werden können"129. Dabei müssen nicht nur die Aushöhlung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts, der Wesentlichkeitslehre, der gewaltenteiligen Funktionenordnung und des Gleichheitsgebotes der Verfassung in Kauf genommen werden, sondern auch ein inakzeptables Maß an Rechtsunsicherheit der Normanwender und Normadressaten, eine hoffnungslose Überlastung von Behörden und Gerichten, das daraus resultierende Vollzugsdefizit bezüglich der gesetzlichen Zielsetzungen sowie die Schädigung des Wirtschaftsstandortes Deutschland infolge der mangelhaften Sicherheit, Flexibilität und Schnelligkeit der Genehmigung insbesondere technischer Großprojekte durch unvertretbar lange Genehmigungsverfahren mit nicht vorhersehbarem Ausgang. Daher ist die Regelungsmethode der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards und andere offene Rechtsbegriffe als ungeeignet zu qualifizieren, die verfassungsgemäßen Aufgaben staatlicher Rechtssetzung in dem Maße zu erfüllen, wie es allgemeinverbindliche Rechtsnormen vermögen. Damit verbleibt als letzte, allerdings wenig bedeutsame Rezeptionsart, diese Integration zu bewerkstelligen, die mittelbare Rezeption technischer Normen als antizipierte Sachverständigengutachten. Mittelbare Rezeption technischer Normen als antizipierte Sachverständigengutachten: Möglichkeiten: Nach dieser Rezeptionsart können Verwaltungsbehörden und -gerichte technische Normen ähnlich wie Parteigutachten oder Gutachten privater Organisationen als antizipierte Sachverständigengutachten überprüfen und der Sachentscheidung ohne ein weiteres, förmlich eingeholtes Gutachten zugrunde legen. Voraussetzung dafür ist, daß die Normenausschüsse die Kriterien der besonderen Sachkunde, Repräsentation, Un-

129

S. 86.

Lukes, R., Atomrecht, S. 241 f.; ders., Die Regelung technischer Sachverhalte,

950

Teil 3: Ausblick

abhängigkeit und Verfahrenspublizität erfüllen, daß die betreffende technische Norm hinreichend konkret, differenziert und plausibel und nicht veraltet ist und daß der zu beurteilende konkret-individuelle Sachverhalt keine atypischen Besonderheiten aufweist, die von den abstraktgenerellen Festlegungen der technischen Norm nicht erfaßt werden. Unter diesen Umständen darf eine Behörde oder ein Gericht eine technische Norm seiner Beurteilung zugrunde legen, ohne nach dem Untersuchungsgrundsatz zu weiterer förmlicher Beweiserhebung verpflichtet zu sein . Da die technischen Normen jeweils aktuell im konkret-individuellen Verwaltungs- und/oder Gerichtsverfahren herangezogen werden, ist eine Behinderung der fortschreitenden wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklung ausgeschlossen. Durch die Rezeption einer technischen Norm als konsensualer Vereinbarung aller betroffenen und interessierten gesellschaftlichen Vereinigungen und Bürger, die sich durch Praxisnähe und eine ausgewogene Berücksichtigung aller Interessen auszeichnet, ist eine gesteigerte Akzeptanz der von diesen Regelungen Betroffenen zu erwarten. Schließlich ermöglicht die Rezeption technischer Normen die vorhergehende Abstimmung der technischen Festlegungen innerhalb der europäischen und internationalen Normungsorganisationen und trägt damit der Verwirklichung des Gemeinsamen Europäischen Marktes sowie einem freien Welthandel Rechnung. Grenzen: Da die mittelbare Rezeption technischer Normen als antizipierte Sachverständigengutachten eine Rezeptionsart der Rechtsanwendungs-, nicht aber der Rechtssetzungsebene darstellt, entlastet sie weder die Rechtssetzung von ihren verfassungsgemäßen Aufgaben, noch die Rechtstexte, noch deren Verkündungsorgane. Ferner sind die oben genannten Voraussetzungen, unter denen eine technische Norm als antizipiertes Sachverständigengutachten der Entscheidung der Verwaltungsbehörden und -gerichte zugrunde gelegt werden darf, weder vom Normanwender noch vom Normadressaten zu "antizipieren". Denn die Sachverständigenaussage - die vorweggenommene im besonderen Maße - unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung und kann bereits durch eine entgegengesetzte Sachverständigenaussage in ihrer Beweiskraft erschüttert werden. Damit liegt es nicht nur im Ermessen des Gerichts, ob es das Vorliegen der gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzungen nur durch die Verwertung der Festlegungen des antizipierten Sachverständigengutachtens überprüfen und lediglich ein Gutachten über die Aktualität des Normeninhalts und/oder dessen Sachgerechtigkeit für den konkreten Einzelfall einholt oder zusätzlich auch noch individuelle Sachverständigenaussagen ge130

Vgl. Kap. ILA. 1 .c)bb)(2)(c)(bb).

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

951

mäß den prozessualen Vorschriften heranziehen will. Es ist auch die Widerlegung des antizipierten Sachverständigengutachtens mit einem einfachen Sachverständigenbeweis möglich131. Folglich ergibt sich die normative Pflichtenlage des Normadressaten erst aus dem gerichtlich nachprüfbaren Verwaltungsakt, zu dessen Überprüfung der gesamte judikative Instanzenzug durchlaufen werden kann. Damit trägt diese Rezeptionsart dem Postulat der Rechtssicherheit nur ungenügend Rechnung , da der Gesetzes Vollzug durch die Behörden und dessen Kontrolle durch die Gerichte für den Normadressaten nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit vorhersehbar und berechenbar sind, wobei die Wahrscheinlichkeit im wesentlichen mit dem Grad der Rechtspflicht der rechtsanwendenden Stelle korreliert, die technischen Normen zu befolgen, und im umgekehrten Verhältnis zu dem normativen und untergesetzlichen Regelungsdefizit, der Komplexität und Kompliziertheit der technischen Systeme, dem gesellschaftlichen Dissens bezüglich der Technologie sowie der Dynamik der wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklung in diesem Bereich steht, welche die Erschütterung der Eignung einer technischen Norm als antizipiertes Sachverständigengutachten erleichtem. Da die als antizipierte Sachverständigengutachten infragekommenden technischen Normen weder auf normativer noch auf administrativer Ebene abstrakt-generell benannt und so den Normanwendem vorgegeben werden, entlastet die Möglichkeit der mittelbaren Rezeption technischer Normen als antizipierte Sachverständigengutachten nur bedingt die mit dem Verwaltungsvollzug betrauten Behörden sowie die mit dessen Kontrolle befaßten Gerichte; denn die einschlägigen technischen Normen müssen für jeden Einzelfall individuell durch den zuständigen Rechtsanwender festgestellt werden. Infolge dieser Unsicherheit, welche technischen Normen - inklusive der regelmäßig enthaltenen Weiterverweisungen - im konkreten Fall als antizipierte Sachverständigengutachten heranzuziehen sind, trägt diese Rezeptionsart auch nur eingeschränkt zur Sicherstellung einer gleichförmigeren Verwaltungspraxis und einer einheitlicheren Rechtsprechung und damit der Wahrung des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 3 GG bei. Ebenso bleibt es den Sicherungspflichtigen Normadressaten - Herstellern, Importeuren, Errichtern, Betreibern, Entsorgem u.a.m. - überlassen, innerhalb der Vielzahl technischer Normen die für ihn maßgeblichen zu ermitteln.

Im Ergebnis wird die mittelbare Rezeption technischer Normen als antizipierte Sachverständigengutachten aufgrund ihrer konkret-individuellen Rezeptionsnatur den Anforderungen einer zeitnahen Anpassung der normativen Schutzund Sicherheitsanforderungen an die ständige wissenschaftliche, technische und

131 132

Kap. ILA. 1 .c)bb)(2)(c)(bb)e). Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 109.

952

Teil 3: Ausblick

gesellschaftliche Weiterentwicklung gerecht. Jedoch resultiert aus der Rechtsfigur keine Verpflichtung der Rechtsanwender, ihren Entscheidungen die einschlägigen technischen Normen zugrunde zu legen. Vielmehr unterliegt die vorweggenommene Sachverständigenaussage im besonderen Maße der freien richterlichen Beweiswürdigung und kann bereits durch eine entgegengesetzte Sachverständigenaussage in ihrer Beweiskraft erschüttert werden. Hinzu kommt, daß als antizipierte Sachverständigengutachten infragekommenden technischen Normen weder auf normativer noch auf administrativer Ebene abstrakt-generell benannt und so den Normanwendern und Normadressaten vorgegeben werden. Vielmehr sind diese gezwungen, in jedem Einzelfall aus der Vielzahl technischer Normen die für sie maßgeblichen zu ermitteln. Folglich wird durch die mittelbare Rezeption technischer Normen als antizipierte Sachverständigengutachten dem verfassungsgemäßen Postulat Rechtssicherheit nur mangelhaft Genüge getan. Da schließlich diese Rechtsfigur höchst umstritten ist und in Literatur und Rechtsprechung auf zunehmende Ablehnung stößt 133 , ist auch diese Verweisungsart zur Integration von Rechts- und technischen Normen als ungeeignet zu qualifizieren. Zusammenfassend erweisen sich auch die mittelbaren Rezeptionsarten technischer Normen als ungeeignet, die Integration von Rechtsordnung und technischer Normung so herzustellen, daß das entstehende Regelungs-Gesamtsystem die verfassungsgemäßen Aufgaben staatlicher Rechtssetzung in vergleichbarem Maße zu erfüllen in der Lage ist, wie es allgemeinverbindliche Rechtsnormen vermögen. Insbesondere sind auch die zahlreichen ungelösten, teils "heftig umStreitfragen namentlich bezüglich des strittenen]" 1 3 4 rechtswissenschaftlichen Verhältnisses der drei Gewalten zueinander - etwa des verfassungsrechtlich erlaubten Ausmaßes der Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen an die zweite und dritte Gewalt 135 , die Existenz einer Beurteilungsermächtigung der Exekutive bei dem Erlaß Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften und die eines gerichtsfreien Ermessensspielraums bei Einzelentscheidungen aufgrund einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung 136, die Bindung der

133

Kap. H.A. 1 .c)bb)(2)(c)(bb). Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 79. 135 Vgl. die Ausführungen in Abschn. A der Einleitung. 136 Für Beurteilungsermächtigung und/oder Ermessensspielraum BVerfGE 49, S. 89 (136 ff., 140); 61, S. 82 (114 f.); BVerwGE 72, S. 300 (315 ff.: "die Gerichte haben solche Feststellungen und Bewertungen nur auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen, nicht aber ihre eigenen Bewertungen an deren Stelle zu setzen"); Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 130 f., 138, 189; Beckmann, M., Umweltrecht, S. 323 f.; Breuer, R., Umweltgesetzbuch, S. B63 f.; Marburger, P., Regeln, S. 417 ff.; Scholz, R., Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 133 f.; ders., Technik und Recht, S. 706 ff. 134

E. Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten

953

Gerichte durch (normkonkretisierende) Verwaltungsvorschriften 137, die Qualifikation technischer Normen als antizipierte Sachverständigengutachten138 u.a.m. betreffend -, die als "hausgemachte Strukturprobleme" 139 im Umwelt- und Technikrecht mit ihrer ganzen Tragweite und Brisanz zu Tage treten, nicht dazu angetan, das Vertrauen in diese Rezeptionsmechanismen zur Integration von Rechts- und technischen Normen zu stärken: "Judizielle Verlegenheitskonstruktionen - wie das »antizipierte Sachverständigengutachten' oder die postulierte Verbindlichkeit »normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften' - sind dagegen geeignet, die Zweifel an der Steuerungsfähigkeit des Rechts zu verstärken." 140 Angesichts dieser Erkenntnisse ist es notwendig, nach einem neuen Ansatz für die Lösung der aus der Trennung der beiden sozialen Ordnungssysteme - der Rechtsordnung und der technischen Normung - resultierenden Probleme zu suchen. Bevor jedoch ein konkretes Lösungsmodell entwickelt werden kann, ist zunächst die Frage zu beantworten, ob und auf welche Weise die genannten Schwachstellen überhaupt zu bewältigen sind. In diesem Zusammenhang legen bereits die vorhergehenden Ausführungen mit hinreichender Deutlichkeit den Schluß nahe, daß die einzig mögliche Problemlösung in der Schaffung abstraktgenereller allgemeinverbindlicher Normen liegt, was im folgenden durch den Nachweis der Überwindung der genannten Nachteile zu belegen ist. Nach der Beantwortung der sich daran anschließenden Frage, welche der beiden verfassungsgemäßen rechtssetzenden Instanzen - der Gesetz- oder der Verordnungsgeber- zur Ausarbeitung hinreichend bestimmter Rechtsnormen berufen ist,

Für volle Justitiabilität offener Rechtsbegriffe BVerwGE 24, S. 23 (32 f.); 55, S. 250 (250, 253 f.) ; BVerwG DVB1. 1978, S. 591 (592); Backherms, J., Recht und Technik, S. 13; Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 75 f.; Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 65; Erichsen, H.-U., in: Erichsen, Allg. VerwR., 10. Α., § 10 Rn. 10; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 76 ff., Herzog, R., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 20 Abschn. V Rn. 59; Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 200 f.; Kremser, H., Verfassungsrechtliche Zulässigkeit technischer Regelwerke, S. 280; 95, 103 ff., 127 f.; Mutschier, U., Rechtliche Beurteilung, S. 132 ff., 142; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 91 f., 97; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 8, 104, 124; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 43. 137 Vgl. Kap. ILA. 1 .c)bb)( 1 )(a)(bb). 138 Vgl. Kap. II.A.l.c)bb)(2)(c). 139 Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 50. 140 Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 192. Zumal aufgrund der häufig fehlenden Anhörung der interessierten Kreise die sachliche Validität, die Transparenz und die Akzeptanz der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften im rechtswissenschaftlichen Schrifttum immer wieder als unzulänglich bezeichnet worden sind. Breuer, R., Umweltgesetzbuch, S. Β 76; Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 187 f.

954

Teil 3: Ausblick

verbleibt das Problem, daß weder der eine noch der andere in ihrer heutigen Organisationsform diese Normungsarbeit aus den in Abschnitt A der Einleitung genannten Gründen zu leisten vermögen. Insofern sind aus der großen Menge von Lösungsvorschlägen aus der Literatur, welche sämtlichst der Bewältigung der genannten Schwachstellen dienen, lediglich diejenigen von Interesse, welche darauf abzielen, das zuständige rechtssetzende Organ in die Lage zu versetzen, seinen verfassungsgemäßen Verpflichtungen nachzukommen.

F. Lösungsansatz: die Schaffung allgemeinverbindlicher normativer Regelungen Die Analyse von vier bedeutenden Normen- und Regelsystemen des deutschen Umwelt- und Technikrechts 1, ergänzt um die vorhergehenden Untersuchungen der Möglichkeiten und Grenzen der Rezeptionsarten technischer Normen, verdeutlicht, daß Gesetz- und Verordnungsgeber nicht nur weitgehend außer Stande sind, eigene, hinreichend konkrete und zeitnahe materielle Normierungen im Bereich des Umwelt- und Technikrechts hervorzubringen und auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklung zu halten; sie sind darüber hinaus offensichtlich nicht einmal in der Lage, die technischen Normen durch Inkorporation oder datierte Verweisung allgemeinverbindlich in die Rechtsordnung zu integrieren, was neben der inhaltlichen Auseinandersetzung eine zu der Weiterentwicklung der technischen Normen zeitnahe und änderungsaktuelle Anpassung der Rechtsnormen erfordern würde. Statt dessen ist das deutsche Umwelt- und Technikrecht praktisch ausnahmslos durch die Anwendung der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards und andere offene Rechtsbegriffe gekennzeichnet. Da durch diese Rezeptionsart die technischen Normen keine verbindliche Wirkung gegenüber Normanwendern und Normadressaten erlangen, vermag diese Rezeptionsart die verschwindend geringe materielle Regelungsdichte der Rechtsnormen der jeweiligen Normen- und Regelsysteme jedoch nur ungenügend zu kompensieren. Da darüber hinaus die wissenschaftlich-technische Entwicklung hochdynamisch verläuft und somit ausgeschlossen ist, daß die offenen Rechtsbegriffe "in einer langen Tradition von Gesetzgebung, Verwaltungshandhabung und Rechtsprechung" ausgefüllt werden könnten, so "daß an ihrer rechtsstaatlich hinreichenden Bestimmtheit nicht zu zweifeln" wäre 2, treten im Umwelt1

Vgl. Kap. II.A.l.c)dd)(4). So BVerfGE 49, S. 89 (134) hinsichtlich der in § 7 Abs. 2 Nr. 4 bis 6 AtG enthaltenen Bestimmungen. A.A., die hier geäußerte Anschauung vertretend, Lukes, R., Atomrecht, S. 244; ders., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 84; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 18. Die Unmöglichkeit einer solchen Vorgehensweise in der heutigen schnellebigen Zeit betont auch Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 10, demzufolge die Rechtsprechung zur Konkretisierung der polizeilichen Generalklausel des § 10 Abs. 2 S. 17 2

956

Teil 3: Ausblick

und Technikrecht die Probleme, welche die Verwendung offener Rechtsbegriffe mit sich bringt, in besonders schwerwiegendem Maße zu Tage. Als wesentliche Probleme wurden identifiziert: 1.

die Aushöhlung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts entsprechend Art. 20 Abs. 3 GG und des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts (Wesentlichkeitslehre) des Bundesverfassungsgerichts;

2.

die Aushöhlung der gewaltenteiligen Funktionenordnung gemäß Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG durch Verlagerung wesentlicher normativer Entscheidungen auf Exekutive und Legislative;

3.

die Aushöhlung des Gleichheitsgebotes gemäß Art. 3 GG durch Behörden- und insbesondere Gerichtsentscheidungen, die einander nicht nur in Detail-, sondern auch in Grundsatzfragen widersprechen;

4.

das sich darin offenbarende inakzeptable Maß an Rechtsunsicherheit sowohl der Normanwender als auch der Normadressaten;

5.

die hoffnungslose Überlastung der Behörden und Gerichte, die nicht nur rechtsanwendend, sondern vor allem Maße rechtssetzend tätig werden müssen;

6.

das daraus resultierende Vollzugsdefizit bezüglich der gesetzlichen Zielsetzungen;

7.

die Schädigung des Wirtschaftsstandortes Deutschland infolge der mangelhaften Sicherheit, Flexibilität und Schnelligkeit der Genehmigung insbesondere technischer Großprojekte durch unvertretbar lange Genehmigungszeiträume mit nicht vorhersehbarem Ausgang.

Wie die Ausführungen dieser Arbeit verdeutlichen, lassen sich diese Probleme durch die zunehmend legere Auslegung der drei erstgenannten Grundsätze unserer Verfassung i.V.m. der Ausformung und exzessiven Anwendung administrativer und judizieller "Verlegenheitskonstruktionen" wie den normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften oder dem antizipierten Sachverständigengutachten3 nicht befriedigend bewältigen. Vielmehr sind die Probleme allein normatidurch die Schaffung hinreichend bestimmter, allgemeinverbindlicher ver Regelungen des Gesetz- und gegebenenfalls ergänzend des Verordnungsgebers lösbar: zu 1 : Entsprechend den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts 4 kann der Gesetzgeber dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt und der Wesentlichkeitslehre grundsätzlich nicht nur durch materielle, sondern auch durch formelle Regelungen insbesondere bezüglich der Grenzziehung zwischen dem hinreichend geringen und ALR über 50 Jahre benötigte, und das "in einer geruhsameren Zeit" und mit Hilfe zahlreicher Polizeiverordnungen der Exekutive. 3 Vgl. das Zitat von Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 192 am Ende des vorhergehenden Kapitels. 4

Vgl. Abschn. A des Ausblicks.

F. Lösungsansatz

957

deshalb verfassungsrechtlich erlaubten Restrisiko und der rechtswidrigen Gefahr sowie gegebenenfalls darüber hinaus dem im Rahmen der Vorsorge auszuschließenden Risiko genügen. Dennoch ist - vorbehaltlich der in Abschnitt A der Einleitung angeführten bestehenden praktischen Hindernisse für ein solches Vorgehen kaum zu bestreiten, daß der normative Steuerungserfolg um so größer ist, je detaillierter die rechtlichen Anforderungen an das technische System sind5. Folglich wird dem Gesetzesvorbehalt und der Wesentlichkeitslehre nur dann bestmöglich genügt, wenn in Gesetzen und gegebenenfalls ergänzenden Rechtsverordnungen die Beschaffenheitsanforderungen und Verhaltenspflichten bis in diejenigen wissenschaftlich-technischen Einzelheiten materiell geregelt werden, welche für Vollzug und Kontrolle der Risikogrenze notwendig sind, da ansonsten die Konfliktsituationen notwendigerweise auf die Ebene der Rechtsanwendung verlagert werden6. Denn mit jeder Anlage - nicht nur Kernkraftwerken (Schaffung/ Sicherung von Arbeitsplätzen, Technologieführerschaft, Gesundheits-/Sicherheitsrisiken) und jedem Produkt - Stichworte Gewährleistung, Produkthaftung, Ökobilanz, Entsorgung u.a.m. - gehen Konflikte einher7. Zu deren Entscheidung bedarf es individueller und sehr spezieller Festlegungen etwa in Form von Grenz-, Leistungs- oder Mindestbelastbarkeitswerten in Verbindung mit entsprechenden Prüfverfahren zu deren Ermittlung, in welchen sich die jeweiligen Interessenwertungen und -abwägungen (nach-) vollziehbar materialisieren8. Erst durch diese materiellen sicherheitstechnischen Normierungen findet der eigentliche Ausgleich zwischen Gemeinwohlinteresse und entgegenstehenden (individuellen) Grundrechtsinteressen statt9.

5

Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1181. Vgl. dazu die Ausführungen im vorhergehenden Abschnitt bezüglich der Bewertung der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards und andere offene Rechtsbegriffe. So auch die Sicht des ehemaligen Vorsitzenden des BVerwG Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 11: "Der Umstand, daß dem Normanwender und damit auch dem Richter ein gewisses Maß an Flexibilität gut anstehen dürfte, ändert aber nichts an der Notwendigkeit hinreichend deutlicher normativer Vorgaben ..., wenn ... ein Zerfließen ins nicht mehr Faßbare (oder nur jeweils im Einzelfall mit unendlicher Mühe für Verwaltung und Gerichte Greifbare) verhindert werden soll." I.d.S. auch Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 89; Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 17; Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 400; Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2633; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 16, 22; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9. 7 Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 88. 8 Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 1 f.; Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 89; Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 400; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 16, 22; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 41; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1184; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 11; Vieweg, K., Produktbezogener Umweltschutz, S. 511. 9 Dies gilt nach Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 169, selbst bei Akzeptanz der "3-Stufen-Theorie". Vgl. auch Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 17; Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 89. 6

958

Teil 3: Ausblick

zu 2: Ungeachtet der zur ständigen Rechtsprechung gehörenden Prinzipien des allgemeinen Gesetzesvorbehalts und der Wesentlichkeitslehre hat das Bundesverfassungsgericht sowohl auf die normativ bestehenden Abweichungen von der reinen Lehre der gewaltenteiligen Funktionenordnung in der Verfassung 10 als auch auf deren faktisch notwendige Durchbrechung etwa im Interesse der Dynamisierung des Rechtsgüterschutzes hingewiesen, indem beispielsweise der Exekutive ein eigener Beurteilungsbereich bei der Einschätzung der konkreten Risikosituation eines Kernkraftwerkes einzuräumen sei, da deren rechtliche Handlungsformen sie für die erforderliche Anpassung an den wissenschaftlich-technischen Fortschritt sehr viel besser ausrüsteten als den Gesetzgeber11. Dennoch ist auch in diesem Fallwiederum vorbehaltlich der in Abschnitt A der Einleitung angeführten bestehenden praktischen Hindernisse für ein solches Vorgehen - unzweifelhaft, daß der traditionellen Gewaltenteilungslehre, wie sie bei Locke und Montesquieu zur Begrenzung der Risiken eines Machtmißbrauchs und zum Schutz der Rechte des Individuums zu finden ist, bestmöglich durch materielle sicherheitstechnische Normierungen des Gesetzgebers entsprochen wird, welche im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG von der vollziehenden Gewalt vollzogen und von der Rechtsprechung auf ihre Einhaltung kontrolliert werden können. zu 3: Dasselbe gilt bezüglich der Verwirklichung des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 GG, der ein zentrales Rechtsprinzip nicht nur unserer, sondern auch der Verfassungen der übrigen EU-Mitgliedsstaaten darstellt, und der sowohl für vergleichbare Lebens Verhältnis se der Bürger als auch für einheitliche und faire Wettbewerbsbedingungen der Unternehmen unverzichtbar ist. Indem die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden sind, wird auch der Gleichheitsgrundsatz bestmöglich durch materielle sicherheitstechnische Normierungen des Gesetz- und gegebenenfalls ergänzend des Verordnungsgebers verwirklicht 12. Fehlen hingegen solche allgemeinverbindlichen Normierungen, muß die verfassungsgemäß gebotene Gleichbehandlung der Normadressaten zwangsläufig auf der Rechtsanwendungsebene sichergestellt werden. Bezüglich des exekutiven Verwaltungshandelns kann dies entweder durch Verwaltungsvorschriften und andere innerdienstlich verbindliche Vorschriften oder durch exzessive Ausweitung präzedenzfallähnlicher Konstrukte wie der "Selbstbindung der Verwaltung" geschehen. Selbst wenn auf diese Weise theoretisch die Verwirklichung der Gleichheit in analogem Maße wie durch Gesetz gelingen könnte, was jedoch entsprechend der Analysen dieser Arbeit in der Praxis nicht der Fall ist, bleibt das in Abschnitt E dieses Ausblicks geschilderte Problem der Ungleichheit judizieller Entscheidungen bestehen. Denn gemäß Art. 97 Abs. 1 GG sind die

10 So weist das BVerfG in E 49, S. 89 (123 ff.) im Rahmen seiner Ausführungen zur gewaltenteilige Funktionenordnung des Grundgesetzes ausführlich darauf hin, daß dieses weitreichende Entscheidungskompetenzen explizit anderen Staatsorganen anheimgibt und dem Parlament damit keinen allumfassenden Vorrang bei grundlegenden Entscheidungen zuspricht. Nach Ansicht des BVerfG ist es ausgeschlossen, aus dem Grundsatz der parlamentarischen Demokratie einen Vorrang des Parlaments und seiner Entscheidungen gegenüber den anderen Gewalten als einen alle konkreten Kompetenzzuordnungen überspielenden Auslegungsgrundsatz herzuleiten. 11 BVerfGE 49, S. 89 (139 f.). 12 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 211.

F. Lösungsansatz

959

Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen 13, so daß jede gerichtliche Entscheidung nur für den Einzelfall gilt 14 . Auch die vielfach benannten judiziellen "Verlegenheitskonstruktionen", welche die auf administrativer Ebene notdürftig hergestellte Gleichbehandlung der Normadressaten auch auf die judikative Ebene zu übertragen versuchen - wie etwa normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften oder die Akzeptanz von der gerichtlichen Kontrolle entzogenen Beurteilungsermächtigungen und/oder Ermessensspielräumen der Verwaltung - haben sich bis heute nicht bzw. nur teilweise durchzusetzen vermocht. zu 4: Femer herrscht in der einschlägigen Literatur gleichfalls weitgehende Übereinstimmung darüber, daß den aus dem Rechtsstaatsprinzip der Verfassung (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 GG) abgeleiteten Postulaten der Gesetzesbestimmtheit und -klarheit sowie der Berechenbarkeit der normativen Pflichtenlage, des Gesetzesvollzugs und der Rechtsprechung - kurz: dem Gebot der Rechtssicherheit für Normanwender und Normadressaten - nur dann bestmöglich genügt wird, wenn Gesetze und gegebenenfalls ergänzende Rechtsverordnungen die Beschaffenheitsanforderungen und Verhaltenspflichten bis in alle notwendigen technischen Einzelheiten materiell regeln15. Denn das Recht erfüllt seine Ordnungsaufgabe und Regelungsfunktion nur, wenn die der rechtlichen Regelung Unterworfenen mit hinreichender Sicherheit voraussehen können, was die rechtliche Regelung von ihnen fordert und wie die Anwendung der Rechtsnorm durch Behörden und Gerichte erfolgen wird 16 . Hingegen verursacht das Fehlen allgemeinverbindlicher normativer Regelungen die im vorhergehenden Abschnitt ausführlich geschilderte Rechtsunsicherheit von Normanwendem und Normadressaten, die im wesentlichen aus dem Regelwirrwar staatlicher und privater Normen, der verschwindend geringen materiellen Regelungsdichte der allgemeinverbindlichen Rechtsnormen, den Unsicherheiten bezüglich der ohnehin schwachen Bindungswirkung der - materiell hinreichend konkreten - technischen Normen, dem teilweisen Fehlen von das Verwaltungshandeln vereinheitlichenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften, den zahlreichen ungelösten rechtswissenschaftlichen Streitfragen insbesondere bezüglich des Verhältnisses der drei Gewalten zueinander sowie der Unberechenbarkeit von Dauer und Ausgang der verwaltungsgerichtlichen Verfahren resultiert. zu 5: Der genannte Aspekt der Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) bezeichnet gleichfalls die Möglichkeit der Entlastung von Behörden und Gerichten: Diese können nur dadurch entlastet werden, daß die notwendigen, hinreichend bestimmten Gesetze mit gege-

13

Dazu Herzog, R., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 20 Abschn. V Rn. 59. Marburger, P., Regeln, S. 346 f.; ders., Bezugnahme, S. 32; Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 19; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9 f.; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 186. 15 Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 49; Marburger, P., Technische Sicherheit, S. 17; Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 400; Nicklisch, F., Kontrollierte Rezeption, S. 2633; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 16, 22; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 46; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 211; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9 f. 16 Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 86; ders., Atomrecht, S. 241 f. m.N. aus der Rechtsprechung. 14

960

Teil 3: Ausblick

benenfalls ergänzenden Rechtsverordnungen geschaffen werden17. Zielsetzung ist die normative Fixierung hinreichend konkreter, praktikabler und durchsetzungsorientierter Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen, die von der Verwaltung effizient vollzogen und von den Gerichten unmißverständlich auf ihre Einhaltung kontrolliert werden können18, so daß die Rechtsanwender von den im vorhergehenden Kapitel geschilderten rechtssetzenden Aufgaben möglichst weitgehend entlastet werden. zu 6: Auch bezüglich des bestehenden Vollzugsdefizits der gesetzlichen Zielsetzungen herrscht im einschlägigen Fachschrifttum weitgehend Einigkeit darüber, daß für den Vollzug und die praktische Anwendung einer Rechtsvorschrift, d.h. die wirksame Regelung des wissenschaftlich-technischen Fortschrittsprozesses, sehr spezialisierte Festlegungen etwa in Form meßbarer und damit unmittelbar nachvollziehbarer Grenzwerte erforderlich sind, die dementsprechend ohne Schwierigkeiten von den Behörden vollzogen, von den Gerichten überprüft und von den Normadressaten in praktische Lösungen umgesetzt werden können19. "Der Perfektionismus der Regelungen, der bei allen Normierungen des technischen Sicherheitsrechts auffällt, scheint die notwendige Bedingung einer effektiven Gefahrenabwehr in diesem Bereich zu sein.,,2() zu 7: Schließlich ist für die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland unabdingbare Voraussetzung, Investitionssicherheit durch vorhersehbare und berechenbare schütz- und sicherheitstechnische Anforderungen in Gesetzen und gegebenenfalls ergänzenden Rechtsverordnungen zu schaffen, die den Behörden zügige, da ohne größere Eigenleistung zu vollbringende Entscheidungen über Genehmigungen auch von technischen Großprojekten sowie den Gerichten im Falle eines Rechtsstreites eine gleichfalls zeitnahe Entscheidung über die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns ermöglichen. Aus diesem Grunde hat beispielsweise die chemische Industrie nach längerem Zögern ein Gentechnikgesetz begrüßt, weil dieses eine sichere Rechtsgrundlage und damit auch Rechtssicherheit für unternehmerisches Handeln schafft und die Investitionsentscheidungen absichert21. Zusammenfassend bestätigen diese Ausführungen die eingangs getroffene Behauptung, daß sich die im vorhergehenden Kapitel herausgearbeiteten Probleme des durch offene Rechtsbegriffe determinierten Umwelt- und Technikrechts grundsätzlich durch den Erlaß materiell hinreichend bestimmter normati-

17

Ipsen, J., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 325. Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 4. 19 "Praktikabel sind Maßstäbe immer erst dann, wenn sie eindeutige Grenzziehungen erlauben." Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 41. I.d.S. auch Battis, U. u.a., Technische Normen im Baurecht, S. 1 f.; Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 89; Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 400; Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 16, 22; Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1184; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 11; Vieweg, K , Produktbezogener Umweltschutz, S. 511. 20 Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 16, 22. 18

21

Murswiek, D., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 294 f.

F. Lösungsansatz

961

ver Regelungen lösen lassen. Als solche normativen Regelungen kommen entsprechend den vorhergehenden Ausführungen sowohl Gesetze als auch - die Beachtung und/oder legerer Auslegung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts, der Wesentlichkeitslehre und der gewaltenteiligen Funktionenordnung vorausgesetzt - Rechtsverordnungen der Exekutive in Betracht. Von diesen beiden ist jedoch nicht nur im Hinblick auf die überlegene Verwirklichung der genannten drei Verfassungsprinzipien der gesetzlichen Regelung der Vorzug einzuräumen, sondern auch bezüglich der Unmittelbarkeit des Einflusses des Souveräns, d.h. des Volkes. Denn bei all diesen Überlegungen dürfen Ursprung und Ziel der Rechtssetzung nicht in Vergessenheit geraten: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt." (Art. 20 Abs. 2 GG) Die Leitlinie und Richtschnur dieses Ausblicks bildet das zu Beginn des Abschnitts D dargelegte idealisierte direktdemokratische Willensbildungsmodell Rousseaus, demzufolge Gesetze Vereinbarungen des gesamten Volkes mit dem gesamten Volk sind, die als "volonté générale" das gute Zusammenleben aller mit allen regeln und die Freiheit und Gleichheit aller verwirklichen 22. In logischer Fortführung seiner Prämisse der Unteilbarkeit und Unveräußerlichkeit der Souveränität hat Rousseau die Vermengung von Legislativ- und Exekutivgewalt strikt abgelehnt. Während nach seinem Ansatz "die Legislative beim Volke liegt und nur bei ihm liegen kann", darf "die Exekutive nicht bei der Allgemeinheit liegen"23: "Wenn die Legislative erst einmal fest eingerichtet ist, gilt es, auch die Exekutive einzurichten, denn letztere, die nur durch Einzelakte tätig wird, ist von der anderen, da sie ihr nicht wesensgleich ist, von Natur aus getrennt. Wenn der Souverän als solcher auch gleichzeitig exekutive Gewalt hätte, würden das Recht und seine Anwendung dermaßen vermengt, daß man nicht mehr wüßte, was Gesetz ist und was nicht, und die so entartete politische Körperschaft wäre alsdann ein Opfer jener Gewalt, gegen die sie eingerichtet worden ist." 24 "Es ist weder gut, daß derjenige, der die Gesetze macht, sie ausführt, noch daß die Körperschaft des Volkes ihre Aufmerksamkeit von allgemeinen Gesichtspunkten ablenkt, um sie Einzelgegenständen zuzuwenden."25 Dementsprechend benötigt das Volk eine Exekutivgewalt, die aus den Weisesten des Volkes besteht26 und welche die Gesetze als Anweisungen des Ge22 23 24 25 26

Vgl. die Ausführungen zu Beginn des Abschn. D dieses Ausblicks. Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 3. Buch, 1. Kap. Ebd., 3. Buch, 16. Kap. Ebd., 3. Buch, 4. Kap. Ebd., 3. Buch, 5. Kap.

61 Zubke-von Thünen

962

Teil 3: Ausblick

meinwillens vollzieht 27 . Diese hat jedoch wiederum einen Sonderwillen, der wie Rousseau klar herausgestellt hat - in der Praxis stärker ist als der Gemeinwille, jedoch schwächer als der Einzelwille jedes Beamten. Folglich gehen sowohl von dem Einzelwillen der Exekutivmitglieder als auch von dem Sonderwillen der Regierung als Gremium Gefahren für die " volonté générale " und das Gemeinwesen aus 28 , wie auch die politische Realität hinlänglich bestätigt: "Wie der Sonderwille unaufhörlich gegen den Gemeinwillen handelt, so lehnt sich die Regierung ununterbrochen auf gegen die Souveränität. Je mehr sich diese Auflehnung verstärkt, um so schwächer wird die Verfassung, und da es hier keinerlei anderen körperschaftlichen Willen gibt, der dem Fürsten widersteht und ihm dadurch das Gleichgewicht hält, muß es über kurz oder lang dazu kommen, daß der Fürst schließlich den Souverän unterdrückt und den Gesellschaftsvertrag bricht. Das ist das angeborene und unvermeidliche Gebrechen, das von der Geburt der politischen Körperschaft an unablässig danach trachtet, sie zu zerstören, wie Alter und Tod den Körper des Menschen."29 "Wenn es schließlich so weit käme, daß der Fürst einen Sonderwillen hätte, der tatkräftiger wäre als der des Souveräns, und daß er sich der in seiner Hand liegenden öffentlichen Gewalt bediente, um diesem Sonderwillen in der Weise zu gehorchen, daß man sozusagen zwei Souveräne hätte, einen de jure und einen de facto - in diesem Augenblick würde die soziale Einheit zerbrechen, und die politische Körperschaft wäre aufgelöst. ... und daß es [das untergeordnete Ganze, d.h. die Regierung], mit einem Wort, jederzeit bereit sein muß, die Regierung dem Volk und nicht das Volk der Regierung zu opfern." 30 Damit ist es nach Rousseau nicht nur ausgeschlossen, daß sich das Volk seiner Souveränität und Legislativgewalt zugunsten der Exekutive entäußert. Darüber hinaus birgt die Übertragung legislativer Kompetenzen an die vollziehende Gewalt zusätzlich die Gefahr, daß diese in der Ausübung ihrer Verordnungsermächtigung nurmehr ihren Sonderwillen verwirklicht und zu einem zweiten "Souverän" wird, der danach trachtet, seine Macht auf Kosten des Volkes zu verstärken, was schließlich zum Zerbrechen der sozialen Einheit führt 31 . Doch nicht nur im idealisierten direktdemokratischen Willensbildungsmodell Rousseaus, sondern auch in unserer repräsentativen Demokratie spricht vieles für die Normierung hinreichend bestimmter Rechtsnormen durch den Gesetzgeber. So hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, daß sich bei grund27

Ebd., 3. Buch, 1. Kap. Ebd., 3. Buch, 3. Kap. 29 Ebd., 3. Buch, 10. Kap. 30 Ebd., 3. Buch, 1. Kap. 31 Vgl. zu den Gefahren der heutigen Vermengung von Legislativ- und Exekutivgewalt, welche durch das Folitikmonopol der Parteien zusätzlich verstärkt werden, die nachfolgenden Ausführungen in Abschn. G dieses Ausblicks zu Pkt. 2 (gewaltenteilige Funktionenordnung) der Möglichkeiten des Ansatzes. 28

F. Lösungsansatz

963

rechtsrelevanten Entscheidungen der Sinn von Gesetzesvorbehalt und Wesentlichkeitslehre keineswegs in einer förmlichen Kompetenzverteilung zwischen den Staatsorganen erschöpft, sondern die Notwendigkeit eines Maßes an demokratischer Legitimation widerspiegelt, wie sie sich allein im Parlament manifestiert: "Wenn das Grundgesetz die Einschränkung von grundrechtlichen Freiheiten und den Ausgleich zwischen kollidierenden Grundrechten dem Parlament vorbehält, so will es damit sichern, daß Entscheidungen von solcher Tragweite aus einem Verfahren hervorgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassung auszubilden und zu vertreten, und die Volksvertretung anhält, Notwendigkeit und Ausmaß von Grundrechtseingriffen in öffentlicher Debatte zu klären." 32 Dementsprechend ist auch in der parlamentarischen Demokratie das Gesetzgebungsverfahren der Prozeß, innerhalb dessen der öffentliche, in die Entscheidung des Gesetzgebers mündende Diskurs stattfinden muß, welcher die unabdingbare Grundlage für die Verwirklichung der Freiheit und Gleichheit aller Bürger und die allgemeine Akzeptanz eines Gesetzes bildet33. Dieser öffentliche Diskurs ist gerade im Hinblick auf neue Technologien, bei denen eine beträchtliche Ungewißheit über ihr Risikopotential besteht, ebenso unerläßlich wie unausweichlich. "Denn an irgend einer Stelle im Gesamtprozeß der Entwicklung und Anwendung dieser Technologien werden sich die in der Gesellschaft vorhandenen Probleme der Akzeptanz artikulieren." 34 Folglich erfüllt die Gesetzgebung die wichtige Funktion der Konsensbildung und der Konfliktlösung unterschiedlicher (Grund-) Rechte, Wertvorstellungen und Interessen. Derartige Konflikte gehen im Umwelt- und Technikrecht nicht nur mit neuen Technologien, sondern, wie bereits zu Beginn ausgeführt, mit jedem technischen System einher. Die umfassende Ermittlung, Berücksichtigung und Bewertung aller von der Erzeugung, Verwendung, Wiederverwertung und Entsorgung eines technischen Systems berührten Interessen sowie deren Ausgleich in Form einer diesbezüglichen allgemeinen Vereinbarung über Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen kann nur im Gesetzgebungsverfahren als öffentlichem Diskurs bewältigt werden, nicht hingegen im individuellen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren. Diese Gewalten haben nicht die Möglichkeit zu einer grundlegenden umfassenden Interessenermittlung, und sie entbehren des erforderlichen Maßes an demokratischer Legitimation, generell gültige Interessenabwägungen vorzunehmen; sie sollen lediglich unter Berücksichtigung des von Gesetzgeber normierten Wertungsrasters die Gesetze vollziehen und Konflikte im Einzelfall 32

BVerfGE 85, S. 386 (403 f.). Vgl. aus der Literatur Kremser, H., Verfassungsrechtliche Zulässigkeit technischer Regelwerke, S. 277 f.; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 160. 33 Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 560 ff. 34 Wahl, R., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 293.

61

964

Teil 3: Ausblick

entscheiden. Zudem werden Behörden und Gerichte, wie im vorhergehenden Kapitel aufgezeigt, auch vollkommen überfordert und überlastet, wenn im Rahmen des gesetzgeberischen Diskurses die notwendigen Konsensbildungsprozesse und Konfliktentscheidungen unterbleiben bzw. nicht getroffen werden, da zumindest die Letzteren dann gezwungen sind, für jeden einzelnen zu entscheidenden Fall eine eigene Konfliktlösung zu suchen. Schließlich können im abstraktgenerellen Gesetzgebungsverfahren wesentlich umfassendere und umfangreichere Untersuchungen und Forschungen als in den zahlreichen konkret-individuellen Verwaltungsverfahren und Gerichtsprozessen veranlaßt, und deren Ergebnisse bedeutend ausführlicher diskutiert, abgewogen und in den gegebenenfalls komplexen und interdisziplinären Gesamtzusammenhang eingeordnet werden 35 . Somit ist es zwar zur Lösung der eingangs genannten Probleme und unter den Prämissen unseres auf dem idealisierten direktdemokratischen Willensbildungsmodell Rousseaus gründenden Demokratieverständnisses notwendig und wünschenswert, daß der Gesetzgeber die erforderlichen Regelungen des Umwelt· und Technikrechts in hinreichender Bestimmtheit erläßt. Jedoch ist, wie in dieser Arbeit vielfach aufgezeigt, der heutige parlamentarische Gesetzgeber 36 nicht annähernd in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen, wofür die in Abschnitt A der Einleitung angeführten Gründe maßgeblich sein sollen. Diese sind jedoch nicht alle gleichermaßen stichhaltig. Zutreffend sind allein die beiden folgenden Argumente:

35

Solche Untersuchungen können etwa in Form einer Technikfolgen-Abschätzung durch Enquête-Kommissionen einen wichtigen Beitrag zur Gewinnung verläßlicher, akzeptanzfördernder Informationen und begründeter Bewertungen leisten. Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 88 f.; Wahl, R., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 293. Vgl. auch Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 210 f., demzufolge der Vorteil abstrakt-genereller technischer Festlegungen gegenüber einer einzelfallabhängigen Konkretisierung normativer Standards in der instanziellen Trennung von Maßstabsetzung und -anwendung begründet liegt: Während bei einer abstrakt-generellen Maßstabsetzung die erforderliche sachverständige Informationstätigkeit durch zentrale Zusammenfassung der Erkenntnisse von Wissenschaftlern der verschiedenen Fachrichtungen sowie die Transformation dieser Informationen in konkrete, den gesetzlichen Schutzzielen entsprechende Sicherheitspostulate unter Berücksichtigung des komplexen Gesamtzusammenhangs und der abwägenden Entscheidung von Zielkonflikten sehr viel besser geschehen kann als bei einer das Blickfeld verengenden Einzelfallentscheidung, resultieren daraus für die Maßstabanwendung die Vorteile der Vorhersehbarkeit und Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs sowie des Ausfüllens des Erkenntnisdefizits bei den Vollzugsbehörden durch Vorgaben von zentralen Beurteilungskriterien. 36 Gleiches gilt im übrigen auch für den Verordnungsgeber. Vgl. Abschn. A der Einleitung.

F. Lösungsansatz

965

Dem parlamentarischen Gesetzgeber fehlt es an Sachverstand, um die komplizierte und komplexe Materie des Umwelt- und Technikrechts begreifen und auf dieser Grundlage regeln zu können. Der parlamentarischen Gesetzgebungsorganisation mangelt es an Schnelligkeit und Flexibilität, die erforderlichen Regelungen zeitnah erlassen und den sich zunehmend dynamisch ändernden Lebensverhältnissen anpassen zu können. Die Ursache hierfür liegt allerdings weniger in der regelmäßig apostrophierten "notwendigen Umständlichkeit, Schwerfälligkeit und Langwierigkeit" des Gesetzgebungsverfahrens, sondern vor allem in der Anzahl und dem mengenmäßigen Umfang - d.h. dem notwendigen Zeitbedarf - der zu bearbeitenden Regelungsaufgaben inklusive der ständigen Anpassungen, an welcher ein Gremium aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Zeit und seiner notwendig sequentiellen Arbeitsweise zwingend scheitern muß. Hiermit sind zugleich die drei wesentlichen Grenzen des idealisierten direktdemokratischen Willensbildungsmodells von Rousseau in Form der Konstitution einer "volonté générale" aus dem Willen aufgeklärter und isolierter Bürger benannt37, die analog auchywr ein Gremium gelten: Erstens ist es auch der parlamentarischen Demokratie mit ihrem notwendigerweise eher generalistisch ausgerichteten Repräsentationsgremium angesichts der heutigen Komplexität, Vernetztheit und Dynamik der Lebensverhältnisse und trotz der Möglichkeiten der interdisziplinären und interfunktionellen Zusammenführung von Sachverstand sowie der Untergliederung in parlamentarische Ausschüsse analog zum Bundestag heute vollkommen unmöglich, über alle Aspekte, die das gute Zusammenleben aller mit allen betreffen, hinreichend informiert und aufgeklärt zu sein, um auch nur für einen Ausschnitt der Lebenswirklichkeit hinreichend bestimmte materielle Regelungen erlassen zu können. Zweitens verfügt ein einzelnes, gegebenenfalls untergliedertes Gremium angesichts des erheblichen Bedarfs an Regelungen unserer komplexen, vernetzten und dynamischen Lebensverhältnisse nicht über die erforderliche Zeit, über alle Angelegenheiten des guten Zusammenlebens aller mit allen zu entscheiden. Nicht zuletzt aus diesem Grunde ist drittens durch die parlamentarische Demokratie nicht die erforderliche schnelle und zeitnahe Normerstellung und deren laufende Anpassung an die geänderten wissenschaftlich-technischen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen möglich, die nicht nur im Umwelt- und Technikrecht, sondern allgemein eine wesentliche Voraussetzung für die wirksame Steuerung oder gar Regelung des menschlichen Zusammenlebens ist. Im Gegensatz dazu vermögen die drei nachfolgenden, in Abschnitt A der Einleitung wiedergegebenen Argumente nicht zu überzeugen: Zwischen Recht und Technik bestünde ein "Spannungsverhältnis ", indem Rechtsnormen und vor allem Gesetze eine "statisch-bewahrende Ordnungsaufgabe " er37

Vgl. dazu die Ausführungen in Abschn. D dieses Ausblicks.

966

Teil 3: Ausblick

füllten, während Wissenschaft und Technik auf permanenten Fortschritt namische Veränderung ausgerichtet seien.

und dy-

Dieses Argument ist nicht stichhaltig, denn es erscheint wenig sinnvoll, durch "statische" Rechtsnormen mit "dynamischem" Unterbau aus untergesetzlichen Vorschriften und technischen Normen eine Kontinuität sowohl des Rechts als auch der Lebensverhältnisse vorzutäuschen, die realiter überhaupt nicht existent ist, zumal diese "statischen" Rechtsnormen Normanwendern und Normadressaten, die auch zur Ermittlung bzw. Befolgung des "dynamischen Unterbaus" verpflichtet sind, keinerlei Vorteile bringen. Im Gegenteil tragen die verschachtelten und komplizierten Normen- und Regelsysteme des Umwelt- und Technikrechts, die aus der Allgemeinheit und Statik der Gesetze einerseits und der in Abschnitt D dieses Ausblicks dargelegten, für eine effiziente Regelungsleistung notwendigen materielle Bestimmtheit und Nähe der Normen zur Lebenswirklichkeit andererseits resultieren, nicht zu der Verständlichkeit des Rechts bei, die eine wesentliche Zielsetzung dieser apostrophierten "Statik des Rechts" ist, sondern nur zur Verwirrung und zur zeitaufwendigen Suche, welche Normenebene denn nun die zu beachtenden einschlägigen Bestimmungen enthält. Die detaillierte Normierung von Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen sei für abstrakt-generelle

Rechtsnormen zu umfangreich

und zeitaufwendig,

so daß

Gesetz- und Verordnungsgeber von dieser Aufgabe entlastet werden müßten. Dieses auch in Zusammenhang mit dem europäischen Integrationsprozeß genannte Argument38 wurde bereits in diesem Zusammenhang dadurch widerlegt , daß es im Zuge der "Neuen Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung" den europäischen Normenorganisationen durchaus möglich ist, diese zweifellos umfangreiche und zeitaufwendige Regelungsleistung im Rahmen ihrer traditionell für die Schaffung von Ordnung und die Strukturierung des Wissens und der Erkenntnisse im Bereich von Wissenschaft und Technik sowie der Schließung wirtschaftlich-technischer Vereinbarungen der Marktteilnehmer herausgebildeten und bewährten typischen Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation zu erbringen. Der Gesetzestext eigne sich nicht fur die Wiedergabe detaillierter

forderungen

technischer An-

und sei folglich davon freizuhalten.

Ein überschaubarer, da von (technischen) Details freigehaltener Gesetzestext ist nur vordergründig von Vorteil. Denn zur Feststellung der normativen Pflichtenlage müssen Normanwender und Normadressaten ohnehin das gesamte untergesetzliche Regelungsgefüge heranziehen und/oder sich mit der ständigen Rechtsprechung der Gerichte vertraut machen. Je unübersichtlicher, vielschichtiger und verzweigter ein Regelsystem ist, und je verstreuter die einschlägigen Regelungen eines Regelungsgegenstandes vorliegen, d.h. je mehr Vorschriften und Normen zur Bestimmung der normativen Pflichtenlage herangezogen werden müssen, desto mehr verkehrt sich der scheinbare Vorteil in einen Nachteil, der durch die ungewisse Bindungswirkung der administrativen und privaten Normen noch verstärkt wird.

38 39

Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)( 1 )(a)(bb). Vgl. Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)(bb) und insbes. Kap. II.B.4.

F. Lösungsansatz

967

Trotz der beiden erstgenannten, unter den heutigen Rahmenbedingungen zweifelsfrei zutreffenden Argumente ist es unzutreffend, die Möglichkeit der abstrakt-generellen Regelung - oder auch nur Steuerung oder "Ordnung" - der wissenschaftlich-technischen Entwicklung in Abrede zu stellen40. Denn daß eine abstrakt-generelle Regelung der selbst im Vergleich zum übrigen wissenschaftlich-technischen Fortschritt extrem dynamischen Entwicklung im Informationsund Kommunikationssektor sogar auf supranationaler Ebene möglich ist, beweist die mehr als erfolgreiche Tätigkeit des ETSI. Insofern gilt die genannte Behauptung nur unter der Annahme, daß die Organisation der parlamentarischen Gesetzgebung unveränderlich durch ein Grundgesetz festgeschrieben ist, dessen konstitutionelle Konzeption über hundert Jahre alt ist, und welches bislang sowohl hinsichtlich des kaum zu überschätzenden Einflusses des wissenschaftlich-technischen Fortschritts auf die Lebenswirklichkeit als auch der geeigneten Bewältigung der dadurch verursachten Gefahren und Risiken für den Menschen, seine Sachgüter und die Umwelt allenfalls marginale Änderungen erfahren hat 41 : "Damit ergibt sich von selbst die grundsätzliche Frage, ob die überkommenen Regelungsinstrumente und Entscheidungsmechanismen, die sich in einer völlig anderen Zeit entwickelt haben, die als Traditionsgut des Verfassungsrechts überkommen sind und die das Grundgesetz in Anknüpfung an diese Tradition zur Verfügung stellt, der neueren Entwicklung und den modernen Anforderungen, die an die Normsetzer ge-

40

"Der wissenschaftlich-technische Progreß-Prozeß ist derart umfassend, die ganze menschliche Lebenswelt... so unüberschaubar komplex, daß das menschliche Erkenntnisvermögen heillos überfordert wäre mit der Aufgabe, die technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen auch nur annähernd zu erfassen. Die Bewältigung der technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen im Sinne ihrer zielorientierten Lenkung und umfassenden Beherrschung ist daher unmöglich." Murswiek, D., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 222 ff., 228 sowie Leitsatz 20 auf S. 234. I.d.S. auch Backherms, J., DIN als Beliehener, S. 2; Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 51; ders., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 277 ff., insbes. 279; Brohm, ebd., S. 283 f.; Götz, ebd., S. 281 f.; Lukes, R., Atomrecht, S. 242; Marburger, P., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 27; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 155; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, passim u. insbes. S. 4 ("Das technische Sicherheitsrecht ist weithin seinem Gegenstand nach ,gesetzesfeindlich'."); Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 18; Wahl, R., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 292. 41 "Die Ignoranz des Grundgesetzes gegenüber der Technik scheint bemerkenswert groß. Die konstitutionelle Konzeption unserer Verfassung ist über hundert Jahre alt. Soweit das Grundgesetz neuere Erfahrungen verarbeitet, sind es solche, die zur technischen Grund-Lage keinen unmittelbaren Bezug haben.... Dem Bundesverfassungsgericht fällt dann die heikle Aufgabe zu, das Grundgesetz richterrechtlich den neuen technischen Gegebenheiten anzupassen." Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 22.

968

Teil 3: Ausblick

stellt werden, noch adäquat sind. Die neuen Regelungsgegenstände lassen sich nicht durch die alten Regelungsformen bewältigen."42 Allein "Unter diesen Umständen wäre es ganz verkehrt, möglichst viel an Regelungssubstanz für den parlamentarischen Gesetzgeber reklamieren zu wollen." 43 Jedoch sollten es in keinem Fall faktische (grund-)gesetzliche Gegebenheiten sein, wie etwa die bestehenden rechtlichen Handlungsformen der Exekutive, welche diese heute für die erforderliche Anpassung der rechtlichen Anforderungen sehr viel besser ausrüsten als den Gesetzgeber 44, welche die Suche nach den Lösungsmöglichkeiten der Probleme des Umwelt- und Technikrechts und die bestmögliche Regelung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts begrenzen. Denn um signifikante Verbesserungen erzielen zu können, ist es unabdingbar notwendig, alles in Frage zu stellen 45 , also auch die geltenden Gesetze

42

Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 176. Ebd., S. 171. Von einer "reine[n] Utopie" spricht auch Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 9 f.: "... man kann dem Gesetzgeber schwerlich anraten, in einem unwürdigen Hase- und Igelwettstreit je nach Erkenntnisstand der sich dauernd wandelnden technischen und wissenschaftlichen Entwicklung nachzujagen und sie nachzuvollziehen, um alsbald wieder von der Entwicklung überholt zu sein und das Spiel von neuem zu beginnen". I.d.S. auch Thieme, W., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 287 f., demzufolge die gewaltenteilige Funktionenordnung und das Gesetz nicht mehr zeitgemäß und zur Lösung der Probleme ungeeignet sind. Vgl. femer Backherms, J., Recht und Technik, S. 9; Breuer, R., Umweltgesetzbuch, S. Β 60; Eberstein, H.-H., Grundsätze sicherheitstechnischen Rechts, S. 26 ff.; Eichener, V. u.a., Umweltinteressen, S. 66 f.; Erhard, R., Technische Standards, S. 5; Fischer, P., Umweltschutz durch technische Regelungen, S. 17; Hanning, Α., Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, S. 35 f.; Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 12 f.; Marburger, P., Regeln, S. 118 f., 381; ders., Bezugnahme, S. 30 f.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 15 f.; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 28; Scholz, R., Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe, S. 125 f.; Starkowski, R., Angleichung technischer Rechtsvorschriften, S. 37; Zeidler, W., Wortbeitrag in: BMWi Studienreihe (53) 1985, S. 79 ff. 44 BVerfGE 49, S. 89 (139). Vgl. auch Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 155: "Auch heute ist das Idealbild jeder Demokratie, nämlich die Konzentrierung aller Rechtsetzung bei der unmittelbaren Volksvertretung, dem Parlament, schon rein technisch nicht mehr durchführbar. Die Schnellebigkeit unserer Zeit erzwingt geradezu die Verlagerung der Rechtsetzung von der gesetzgebenden Körperschaft mit ihrem zeitraubenden förmlichen Gesetzgebungsverfahren auf beweglichere Instanzen." 43

45

Vgl. das Eingangszitat des Ausblicks.

F. Lösungsansatz

969

und, wenn es sich als erforderlich erweist, unter Wahrung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Art. 79 Abs. 3 GG) ebenso das Grundgesetz46: "Zusammenfassend wird man festzuhalten haben, daß die Bewertung technischer Risiken bei der Rechtsetzung sowohl organisatorisch wie auch inhaltlich an den Grundlagen unserer Rechts- und Verfassungsordnung rührt." 47 "Wer will, daß die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, daß sie bleibt."48 Denn zweifellos steht dem Volk - zur Zeit über dessen Vertretung, das Parlament - die Möglichkeit offen, die Art und Weise, wie es die legislative Staatsgewalt "in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung" ausüben will (Art. 20 Abs. 2 GG), unter Wahrung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gemäß Art. 79 Abs. 3 GG zu ändern. Denn nach Rousseau gibt es im Staat kein (Grund-)Gesetz, nicht einmal den Gesellschaftsvertrag, welches die vereinigte Bürgerschaft nicht ändern oder - ultima ratio - sogar wieder aufheben könnte: "denn wenn alle Bürger sich versammelten, um diesen Vertrag in allgemeiner Übereinstimmung aufzukündigen, besteht kein Zweifel, daß er vollkommen rechtmäßig gelöst würde" 49. Folglich ist es Ziel des letzten Abschnitts dieses Ausblicks, ein Organisationsmodell für eine volksnahe, so weit wie möglich alle Bürger direkt beteiligende Gesetzgebung zu entwickeln 50, welches sich nicht an tradierten Gegebenheiten oder den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, sondern allein an der " volonté générale" in der der Aufgabe der bestmöglichen Verwirklichung heutigen technikgeprägten, hochkomplexen und -dynamischen Lebenswirklichund materiell hinreichend bestimmter Gesetze orikeit in Form freiheitlicher entiert. Bei der Entwicklung des Organisationsmodells wird der Grundsatz des TQM "fix the process, not the problem"51 verfolgt; d.h. das Ziel des Ansatzes ist es nicht, die aus der mangelhaften Integration von Rechts- und technischen Nor46 Wie leicht wir zu Änderungen unserer Verfassung bereit sind, belegt die in Fn. 47 im nachfolgenden Abschnitt geschilderte Debatte im Anschluß an das "Kruzifix-Urteil" des BVerfG. Vgl. dazu auch Fietz, M., Union erwägt Reform des obersten Gerichts, S. 1. 47 Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 179. 48 Erich Fried, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. 49 Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, 7. Kap. i.V.m. 3. Buch, 18. Kap. 50 Daß es sich hier im wesentlichen um eine Frage nach der bestmöglichen Organisationsform der gesamtgesellschaftlichen Willensbildung handelt, betont auch Murswiek, D., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 323 f. 51 Vgl. die Ausführungen zu Pkt. 19 der Möglichkeiten des Ansatzes im nachfolgenden Abschnitt.

970

Teil 3: Ausblick

men resultierenden Probleme durch die Entwicklung administrativer oder judizieller "Verlegenheitskonstruktionen" 52 wie die normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift oder das antizipierte Sachverständigengutachten auf irgend eine Art und Weise abzufedern oder auszugleichen. Anzustreben ist vielmehr ein grundsätzlicher Reengineering-Ansatz, der den Gesetzgebungsprozeß so gestaltet, daß die sich am deutlichsten im Bereich der wissenschaftlich-technischen Entwicklung manifestierenden Grenzen des parlamentarischen Repräsentationsprinzips und die daraus resultierenden eingangs genannten sieben Probleme grundlegend und dauerhaft überwunden werden durch: 1.

Die Verwirklichung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts entsprechend Art. 20 Abs. 3 GG und des verfassungsrechtlichen Gesetzes Vorbehalts (Wesentlichkeitslehre) des Bundesverfassungsgerichts.

2.

Die Verwirklichung der gewaltenteiligen Funktionenordnung gemäß Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG.

3.

Die Verwirklichung des Gleichheitsgebotes gemäß Art. 3 GG.

4.

Die Gewährleistung der Rechtssicherheit sowohl der Normanwender als auch der Normadressaten.

5.

Die Entlastung der Behörden und Gerichte von Rechtssetzungsfunktionen.

6.

Die Verbesserung des Gesetzesvollzugs.

7.

Die Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland.

Darüber hinaus muß der Ansatz den in Abschnitt D dieses Ausblicks herausgearbeiteten drei grundlegenden Anforderungen an die bestmögliche Ausbildung der " volonté générale " erfüllen, von denen die beiden letzten sich zugleich mit den beiden mit den zuvor genannten zwei stichhaltigen Gründen für die Unfähigkeit des heutigen parlamentarischen Gesetzgebers zur Regelung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts decken: 8.

Das Willensbildungssystem muß die Ausbildung der "volonté générale" in seiner Anlage zumindest prinzipiell ermöglichen.

9.

Das Willensbildungssystem muß eine zur wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklung zeitnahe Regelsetzung und -änderung gewährleisten.

10. Das Willensbildungssystem muß für die Regelung einer Angelegenheit eine möglichst hohe Sachkenntnis erschließen. Obwohl von den zahlreichen Ansätzen in dem begrenzten, für diese Untersuchungen bewältigten Ausschnitt der einschlägigen Literatur zur Lösung der Probleme des Umwelt- und Technikrechts keiner die hier gestellten Prämissen 52

So zu Recht Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 192.

F. Lösungsansatz

971

vollständig zu erfüllen vermag, sind dennoch die Überlegungen erwähnenswert, welche darauf abzielen, die Organisation der Gesetzgebung so weiterzuentwikkeln, daß diese materiell hinreichend konkrete Gesetze auch im Bereich des Umwelt- und Technikrecht hervorzubringen in der Lage ist: "Es gibt viele Möglichkeiten und Handlungsweisen, um Veränderungen zum Guten herbeizuführen." 53 In dieser Hinsicht am konsequentesten und innovativsten und daher auch am interessantesten ist der auf den Gedanken von Nickusch 54 und Krüger 55 basierende Ansatz von Lukes , welcher zur Lösung der Probleme die Institutionalisierung fachlicher Unterparlamente vorschlägt; dieses Modell wird im folgenden kurz vorgestellt 56: Aufbauend auf Nickusch und Krüger plädiert Lukes für die Institutionalisierung fachlicher Unterparlamente als Sachverständigengremien für die verschiedenen Bereiche des technischen Sicherheitsrechts. Deren Arbeitsergebnisse sind in die Rechtsnormqualität zu erheben, wobei dem Parlament ein zeitlich begrenztes Widerspruchsrecht - vergleichbar mit den Regelungen im StWG - eingeräumt wird, und auch Einwirkungen der Exekutive vorgesehen sind. Die Rechtsetzungstätigkeit der Sachverständigengremien beschränkt sich auf die Ausfüllung der vom Parlament als Lösung von Interessenkonflikten und Abwägungen vorgenommenen Grundsatzregelungen, wobei der Konkretisierungsgrad der Regelungen zwischen dem Niveau der Verordnungen zu § 11 GSG und dem der überbetrieblichen technischen Normen liegen soll. Die notwendige Flexibilität dieser rechtlichen Regelungen und damit die Vermeidung einer Beschränkung des technischen Fortschritts wird nach Lukes - wie auch sonst im technischen Sicherheitsrecht - dadurch erreicht, daß grundsätzlich die Erreichung des mit den Vorschriften angestrebten Zieles auch auf einem anderen, gleichwertigen Weg zugelassen wird. Für die rechtliche Ausgestaltung der Organisation solcher Gremien schlägt Lukes zwei Alternativen vor: Zum einen könnten die Sachverständigengremien als unselbständige Teile eines Bundesministeriums oder bei Kompetenzen der Länder eines Länderministeriums eingerichtet werden. Diese Konstruktion hat den Vorteil, daß eine Verordnungsermächtigung für das jeweilige Ministerium auch die hinreichende Grundlage für deren Rechtsetzung abgibt und somit keine Verfassungsänderung er53

Lew Kopelew, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 216 ff.; ders., Unzulässige Verweisung, S. 813. 55 Krüger, H., Rechtsetzung und technische Entwicklung, S. 620 ff. 56 Vgl. insbesondere auch Murswiek, D., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 323 f., der eine kreisförmige Gesetzeskonkretisierung ausgehend von einem allgemein gefaßten Gesetz des Parlaments über die untergesetzlichen Regelungsebenen zu den technischen Normenorganisationen vorschlägt, welche konkrete technische Normen mit einer klaren Herausarbeitung von Wertungs- und Entscheidungsspielräumen sowie Alternativen erarbeiten sollen, die wiederum dem Parlament zur Entscheidung vorgelegt werden. Ähnliche Vorschläge existieren auch für die europäische Ebene. Vgl. dazu - mit berechtigter Kritik - Roßnagel, Α., Europäische Techniknormen, S. 1187 ff. 54

972

Teil 3: Ausblick

forderlich ist. Die Verordnungsermächtigung entspricht allen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen, wenn sie die Konkretisierung der jeweiligen offenen Rechtsbegriffe vorsieht, welche die Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen für die jeweiligen technischen Systeme global umschreiben. Durch eine Mitwirkung von Behörden Vertretern i.V.m. deren Vetomöglichkeit, einem Mindestquorum oder auch durch ein Widerspruchsrecht des Ministers könnte auch dessen politische Verantwortlichkeit für die Arbeitsergebnisse des jeweiligen Sachverständigengremiums Rechnung getragen werden. Zur Entlastung des Bundesgesetzblattes sollten andere Veröffentlichungsregelungen vorgesehen werden. Zum anderen schlägt Lukes die Institutionalisierung der Sachverständigengremien als untergeordnete Fachparlamente für die einzelnen Gebieten des technischen Sicherheitsrechts vor. Diese Konstruktion ist nach Lukes in hohem Maße zukunftsorientiert, da sich nur auf diese Weise die konfliktären Ziele der zunehmenden materiellen Regelungsbedürftigkeit und der Sicherung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts vereinbaren lassen. Allerdings setzt diese Lösung Änderungen im gegenwärtigen Verfassungsrecht voraus. Lösbare Probleme sind nach Lukes die Auswahl der Mitglieder solcher Fachparlamente, die Sicherung des Vorgangs von Parlamentsentscheidungen durch Ausgestaltung von Widerspruchsrechten oder Übernahmekompetenzen sowie die Kontinuität der Fachgremien im Wechsel der Wahlperioden des Parlaments57. Nur bedingt geeignet sind angesichts der im letzten und in diesem Abschnitt herausgearbeiteten elementaren Probleme des Umwelt- und Technikrechts hingegen Ansätze, welche organisatorische Änderungen auf der Rechtsanwendungsebene - wie beispielsweise die Genehmigung technischer Großprojekte durch das Parlament 58, durch besonders sachkundige, unabhängige und repräsentative - alle gesellschaftlich relevanten Kräfte umfassende - Verwaltungsgremien 59 oder durch Technologiegerichte 60 - favorisieren, und noch weniger solche, welche die bestehende Organisation der drei Gewalten festschreiben, indem sie beispielsweise den Erlaß von detaillierten Gesetzen, Rechtsverordnungen61 oder Verwaltungsvorschriften 62, die Anwendung der Rezeptionsme57

Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 94 ff.; ders., Atomrecht, S. 246. A.A. Marburger, P., Sicherheitstechnische Normen, S. 137 (der jedoch in seiner Begründung nur auf die Qualität der technischen Regeln bzw. der technischen Gesetze, nicht aber auf den geänderten rechtlichen Status und dessen Folgen abstellt); Nicklisch, F., Technologierecht, S. 511 (der fälschlicherweise von nur einem Unterparlament ausgeht, wie es Nickusch vorgeschlagen hat); Scholz, R., Technik und Recht, S. 701 (der jedoch die Ausschüsse als außerstaatliche Gremien mißinterpretiert). 58 Vgl. die Ausführungen bei Jaumann, Α., Regelung technischer Sachverhalte, S. 10 f., der diesem Vorschlag selbst jedoch ablehnend gegenübersteht. 59 Wagner, H., Rechtliche Relevanz, S. 117, 120. 60 Lichtenberg, P., Sicht des Parlaments, S. 78; Pfaffelhuber, J., Entscheidungshilfen, S. 88 f. A.A. Lukes, R., Atomrecht, S. 244; ders., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 92 f.; Nicklisch, F., Technologierecht, S. 511; Schachtschneider, Κ. Α., Stand von Wissenschaft und Technik, S. 129 61 Gusy, C., Verrechtlichung technischer Standards, S. 108; Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 189 ff.; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 173 ff.; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 46; Rittstieg, Α., Konkretisierung

F. Lösungsansatz

973

thoden der normkonkretisierenden allgemeinen Verweisung63 oder der mittelbaren Bezugnahme durch normative Standards64 sowie Vergleichbares vorschlagen. Gänzlich abzulehnen sind schließlich Forderungen nach exzessiver Anwendung der bekannten administrativen oder judiziellen "Verlegenheitskonstruktionen" wie der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften 65, der gerichtsfreien Beurteilungsermächtigungen und/oder Ermessensspielräume der Exekutive66 - gegebenenfalls in Form besonders qualifizierter Verwaltungsausschüsse67 - oder der antizipierten Sachverständigengutachten68. Schließlich sind auch alle Ansätze, die technischen Normenorganisationen als juristische Personen des öffentlichen Rechts - wie etwa das DIN als "Bundesinstitut für Normung" (BIN) - i.V.m. einer Beleihung mit Rechtssetzungsbefugnissen 69 oder durch Beleihung mit öffentlichen Aufgaben bei gleichzeitiger Einführung einer staatlichen Aufsicht 70 staatlich zu institutionalisieren, weder zielführend noch erstrebenswert, da diese Lösung nur einen geringen Beitrag zu technischer Standards, S. 219 ff., 246; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 28; Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 42; Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 10 ff. Zu a.A. vgl. die Nachweise in Fn. 33 in Abschn. A der Einleitung. 62 Wahl, R., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990). Dafür, sofern der Erlaß von Rechtsverordnungen nicht möglich ist: Rengeling, H.-W., Stand der Technik, S. 46 f. Sehr kritisch Gusy, C., Verrechtlichung technischer Standards, S. 109. 63 Hunscha, Α., Die starre Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 78; Marburger, P., Regeln, S. 399 f.; ders., Technische Sicherheit, S. 21; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 39; Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 241 ff.; Strecker, Α., Verknüpfung, S. 49 f., 58; wohl auch Schnapauff, K D , Die gleitende Verweisung aus Sicht der Verwaltung, S. 46. 64 BVerfGE 49, S. 89 (137 ff.); Böckenförde, D., Rechtsetzung und technische Normen, S. 28; BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 4 f.; Bub, H. u.a., Normung und Baurecht, S. 109; Jaumann, Α., Regelung technischer Sachverhalte, S. 11; Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 401; Nicklisch, F., Rechtsvorschriften für Anlagen, S. 14; ders., Technologierecht, S. 509; ders., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 71, 87 f.; ders., Kontrollierte Rezeption, S. 2642; Scholz, R., Technik und Recht, S. 699 f., 710; ders., Verhältnis, S. 86, 94; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 19, 22; Winckler, R., Harmonisierungsbestrebungen, S. 66. 65 Breuer, R., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 279 f. 66 Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 402 f. 67 Breuer, R., Rezeption technischer Regeln, S. 77 f. 68 Breuer, R., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 279 f.; Nicklisch, F., Technische Regelwerke, S. 841 ff. 69 Vgl. dazu die Ausführungen bei Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 16, der diesen Ansatz jedoch selbst ablehnt. 70 Nickusch, K.-O., Unzulässige Verweisung, S. 813; Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 123 f., 179. A.A. Backherms, J., DIN als Beliehener, passim; Scholz, R., Verhältnis, S. 96 ff.; Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 16.

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Teil 3: Ausblick

der Lösung der eingangs genannten Probleme des Umwelt- und Technikrechts zu leisten vermag, und dieser Beitrag es nicht wert wäre, die derart gut funktionierende - ebenso sachverständige wie reagible - Selbstverwaltung privatwirtschaftlicher Strukturen zu gefährden 71. Darüber hinaus werden grundlegende staatliche Eingriffe in die privatrechtliche Struktur und die Tätigkeit der Normungsverbände im Hinblick auf das nach Art. 9 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht der Vereinsfreiheit als verfassungsrechtlich bedenklich qualifiziert 72 . Enttäuschend sind jedoch angesichts dieses Füllhorns von Verbesserungsvorschlägen, die mit Ausnahme der letztgenannten sämtlichst geeignet sind, das Gesamtsystem zum Positiven zu verändern, die verschwindend geringe praktische Umsetzung 73 und die dementsprechend zu vernachlässigenden Fortschritte des praktizierten parlamentarischen Willensbildungssystems: "Indessen hat die Diskussion um solche neuartigen Rechtsetzungsformen keine rechtlichen Fortschritte gebracht. Dies mag daran liegen, daß sie an heilige Kühe des Staats- und Verfassungsrechts rühren und die Grundlagen des herkömmlichen klassisch-parlamentarischen Bildes der Demokratie in Frage stellen mußte (sie). Die für das Verfassungsrecht tragenden Kategorien der Legitimation und Verantwortung sowie die Rückführung aller staatlichen Gewalt auf das Volk bedürfen einer Neuorientierung. Solche Gedanken radikal zu verfolgen, hat nur selten jemand den Mut gefunden. Die Staatspraxis kann insoweit nicht den Vorreiter spielen, solange die Theorie keine passablen Wege weist. Daher kommt es, daß man nach wie vor mit den herkömmlichen Instrumenten mehr oder weniger recht und schlecht die Regelungsprobleme zu bewältigen versucht."74

71

"Deshalb kann es ein Gebot gesetzgeberischer Klugheit sein, das bewährte Normungssystem nicht durch unbedachte Experimente zu gefährden." Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 23. 72 Marburger, P., Regeln, S. 596 ff.; ders., Sicherheitstechnische Normen, S. 138; Scholz, R., Verhältnis, S. 98. 73 "Diese Fragen sind immer wieder gestellt worden. Auch hat es an beherzten Stellungnahmen nicht gefehlt. Doch im Staats- und Verfassungsrecht sind sie nicht aufgenommen worden, auch nicht von der vor wenigen Jahren tätigen Enquêtekommission zur Verfassungsreform, von der man es hätte erwarten können." Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 177. 74 Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 178. I.d.S. auch Lukes, R., Atomrecht, S. 241: "Weder Rechtswissenschaft noch Praxis haben zu einer Systementwicklung in der Rechtsordnung geführt, die der technischen Entwicklung adäquat wäre, noch haben sie die Ausformung eines juristischen Instrumentariums in Angriff genommen, wie es für eine rechtliche Ordnung der fortentwickelten Technik erforderlich wäre." Vgl. auch ebd., S. 244; ders., EWG- und EFTA-Staaten, Vorwort S. XI. So auch Scholz, R., Technik und Recht, S. 700: "Nicht unzufällig beschäftigt sich die rechts wissenschaftliche Lehre seit Jahrzehnten mit diesen Fragen der ebenso sach- wie normgerechten Vermittlung von Technik und Recht in außerordentlich intensiver Weise, und doch sind die Fortschritte häufig nur marginal, wie namentlich die praktischen

F. Lösungsansatz

975

So arbeiten die Volksvertreter des Bundestages seit nunmehr 30 Jahren (!) an der Reform des Bundestages, wobei regelmäßig nur kleine Fortschritte erreicht worden sind. Selbst Minimalverbesserungen wie die von der mit der Reform beauftragten "Rechtsstellungskommission" vorgeschlagene Verkleinerung des Bundestages um rund 70 Abgeordnete oder die Verringerung der Zahl der Listenmandate zugunsten der Direktmandate sind - in diesen Fällen angesichts des Widerstandes der kleinen Parteien - kaum durchsetzbar75: "Die Wissenschaft tendiert mittlerweile schon eher dazu, nach den Ursachen dafür zu suchen, warum nichts verändert wird, anstatt weiterhin Vorschläge für eine Parlamentsreform zu machen."76 Diese Situation ist schon deshalb untragbar, weil die Politik weiten Teilen der Gesellschaft - insbesondere den Unternehmern und den Arbeitnehmern durch die Abkommen zur Öffnung der Märkte insbesondere im Rahmen der EU und der WTO einen Veränderungsdruck auferlegt, der historisch ohne Beispiel ist: "Der Wettbewerbsdruck erzwingt in den Unternehmen Veränderungen, wie die Wirtschaftsgeschichte sie in diesem Ausmaß und in dieser Geschwindigkeit noch nie registriert hat... Neu ... ist, daß wirklich alle betrieblichen Einheiten unter einem unablässigen Innovationszwang stehen."77 Gleichzeitig übersehen viele Politiker die bereits im Zusammenhang der europäischen Integration dargelegte Erkenntnis, daß durch die Öffnung der Märkte ohne Anpassung der Rahmenbedingungen beispielsweise sozialpolitischer Probleme im Bereich der Rechtsanwendung und der justitiellen Rechtskontrolle beispielhaft offenbaren." Vgl. auch Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 1 f., demzufolge die Technik im technischen Zeitalter seit jeher neue Funktionen und Organisationsformen des Staates notwendig gemacht und die alten modifiziert hat, was nicht nur die Verwaltung betrifft, sondern auch Veränderungen im überkommenen Verfassungsleben und besondere Organisationsformen bedingt. 75 Vgl. dazu Günsche, K.-L., Parlamentsreform stößt bei kleinen Parteien auf Widerstand, S. 2. Dabei sind die Vorschläge der Rechtsstellungskommission zur Parlamentsreform die Zahl der 672 Parlamentarier verringert sich vom Jahr 2002 an von 672 auf 598, die Anwesenheit im Plenum soll erhöht und dafür mehr Arbeit in die Fachausschüsse verlagert werden; zudem sollen die Diäten der Bundestagsabgeordneten bis 1998 um ein Drittel steigen und sich dann an der Besoldung der Bundesrichter orientieren - auch nicht ansatzweise geeignet, die eingangs genannten Probleme zu lösen, geschweige denn die zuvor genannten 10 Ziele zu erreichen. Vgl. zu den sogenannten "Reformen" ka, Bundestags-Abgeordnete wollen ihre Bezüge neu regeln, S. 8; Schütz, D., Der Bundestag wird verkleinert, S. 1. 76 So der Staatsrechtslehrer Hans-Peter Schneider von der Universität Hannover, zit. in: Günsche, K.-L., Parlamentsreform stößt bei kleinen Parteien auf Widerstand, S. 2. 77 So der Chefredakteur des manager magazins Kaden, W., Alles ganz neu, S. 3.

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Teil 3: Ausblick

oder ökologischer Art kein System unverfälschten Wettbewerbs, sondern (auch) ein Wettbewerb der unterschiedlichen staatlichen Systeme entsteht78. Damit befinden sich infolge der WTO nicht nur die Unternehmen im globalen Wettbewerb miteinander, sondern auch die Staaten in ihrer Funktion als Wirtschaftsstandorte. Wenn daher unsere Volksvertreter - sicherlich aus guten Gründen - diesen globalen Wettbewerb beschließen, dann haben sie die zwingende Verpflichtung, durch Optimierung des staatlichen Überbaus ein wettbewerbsfähiges Makrosystem bereitzustellen, welches den inländischen Unternehmen als Mikrosystemen möglichst gute Rahmenbedingungen in dem globalen Existenzkampf bietet, und welches für ausländische Investoren einen Anreiz zur Schaffung neuer Arbeitsplätze im Standort Deutschland darstellt. Optimalerweise wäre der Staat dieser Verpflichtung vor der Öffnung der Märkte nachgekommen, hinreichend hätte er seiner Aufgabe simultan dazu erledigt. Tatsächlich ist bislang noch nichts geschehen: "Schön wäre es, wenn ein wenig von diesem Innovationsdruck in die politische Szene hinüberwirken würde. Doch die Politik verhält sich, als sei sie durch eine Isolierschicht von der Wirtschaft abgeschirmt. ... Warum arbeiten die staatliche Verwaltung und die Gerichte noch immer in einer Organisation aus dem vorigen Jahrhundert? Es ist auf die Dauer nicht hinnehmbar, daß der private, Mehrwert schaffende Teil des Gemeinwesens mit immer höherer Drehzahl rotieren muß und daß sich gleichzeitig der staatliche, von Steuern genährte Teil unbeweglich gegenüber jedweder Veränderung zeigt."79 Wie in dieser Arbeit nachgewiesen, sind es jedoch nicht primär die staatliche Verwaltung und die Gerichte, welche der Reform bedürfen, sondern es ist der parlamentarische Gesetzgeber, der durch Verlagerung seiner Aufgaben signifikant zu dem Arbeitsvolumen der Behörden und Gerichte beiträgt. Gute Gesetze, welche einen einfachen Vollzug und dessen eindeutige Prüfung durch Behörden und Gerichte ermöglichen, bilden somit die Basis für die zweifellos notwendigen Reformen auch der zweiten und dritten Gewalt. Auf letztere kann in dieser Arbeit allerdings nur kurz eingegangen werden. Bezüglich der Reform des parlamentarischen Gesetzgebers tritt die vorliegende Untersuchung in der Systematik der fünfstufigen Methodik des Erfindens 80 nach Schritt eins - die Analyse des Ist-Zustandes, durch den das betrachtete System gegenwärtig gekennzeichnet ist - und Schritt zwei - die auf den in Schritt eins ermittelten Schwachstellen aufbauende Definition der Ziele, die für den künftigen Zustand bestimmend sein sollen - nunmehr in die Stufe drei ein, nämlich die Frage, wie der Soll-Zustand des betrachteten Systems aussehen soll.

78 79 80

Vgl. Kap. II.B.3.c)aa)(2). Kaden, W., Alles ganz neu, S. 3. Möhrle, M. G. u.a., Erfinden per Methodik, S. 113.

F. Lösungsansatz

977

Auf die Schritte vier und fünf der Methodik des Erfindens - die Fragen, wie sich das System aus dem Ist-Zustand in den Soll-Zustand überführen läßt, und welche Mittel für die Transformation zur Verfügung stehen - wird im Schlußwort kurz eingegangen.

6

Zubke-von Thünen

G. Möglichkeiten und Grenzen eines Ansatzes zur Reorganisation der Legislative auf der Basis der Organisationsprinzipien der überbetrieblichen technischen Normung "Man sollte ein Problem noch stärker einführen,... nämlich das Problem der Zeit. Wir haben es ja nicht nur damit zu tun, daß an sich Risiken entstehen und daß wir diese Risiken bewältigen müssen, sondern damit, daß die technisch-wissenschaftliche Entwicklung so schnell voranschreitet, daß wir im Grunde nicht mehr mit den Verfahren, mit denen wir früher Normen zu produzieren pflegten, ... auskommen ... Insofern müssen wir ... darauf hinweisen, daß Vorstellungen, man könnte mit den klassischen Instrumentarien und den klassischen Methoden der Gesetzgebung des 19. oder beginnenden 20. Jahrhunderts unsere Normierungsprobleme erfassen, wenig sachgerecht ist."* Zur Bestimmung des Gestaltungsansatzes für die legislative Aufbau- und Ablauforganisation 1 ist von der Leitlinie und Richtschnur dieser Arbeit, dem idealisierten direktdemokratischen Willensbildungsmodell Rousseaus2 auszugehen, in der die "volonté générale" des Volkes in Form eines Gesetzes durch die Abstimmung aller Bürger eines Staates verwirklicht wird, mithin durch direkte Demokratie oder Volksentscheid. Dementsprechend bildet in der legislativen Aufbauorganisation der Volksentscheid 3 als reine Form der Verwirklichung " volonté générale " die Spitze einer dreistufigen Legislativpyramide.

* Thieme, W., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 288. 1 Ein Reorganisationsansatz bezüglich der zweiten gesetzgebenden Kammer, dem Bundesrat als Vertretung der Länder, vermag hier nur angedeutet zu werden. Vgl. dazu die Ausführungen am Ende dieses Abschnitts zum Thema Föderalismus. 2 Vgl. Abschn. D des Ausblicks. 3 Da eine detaillierte Ausgestaltung des Verfahrens eines Volksentscheids - wie auch der Aufbau- und Ablauforganisation der nachfolgenden Ebenen - hier weder geleistet werden kann noch soll, um nicht eine der Sache wenig dienliche Detailkritik heraufzubeschwören, sei an dieser Stelle auf die beachtenswerten Anstrengungen des Vereins "Mehr Demokratie e.V." hingewiesen, der nach der erfolgreichen Einführung des Volksentscheides in Bayern, der in meist weniger bürgerfreundlicher Form nunmehr auch in allen übrigen Bundesländern übernommen wurde, an der Kampagne für einen bundesweiten Volksentscheid arbeitet und zu diesem Zweck auch einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeitet. Vgl. dazu aktuell Mehr Demokratie e.V., Zeitschrift für direkte Demokratie, H. 35 und insbes. Jansen, M., Die Architektur des Volksentscheides, S. 12 ff.

der

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979

Jedoch stößt, wie bereits in Abschnitt D dieses Ausblicks dargelegt, die direkte Demokratie angesichts der heutigen Komplexität, Vernetztheit und Dynamik der Lebens Verhältnisse an drei Grenzen: Erstens ist es heute auch dem intelligentesten Bürger vollkommen unmöglich, über alle Aspekte, die das gute Zusammenleben aller mit allen betreffen, hinreichend informiert und aufgeklärt zu sein, um sachgerecht in der jeweiligen Angelegenheit ein Urteil fällen zu können. Zweitens verfügt der Bürger angesichts des erheblichen Bedarfs an Regelungen unserer komplexen, vernetzten und dynamischen Lebensverhältnisse nicht über die erforderliche Zeit, über alle Angelegenheiten des guten Zusammenlebens aller mit allen zu entscheiden. Nicht zuletzt aus diesem Grunde ist drittens durch die direkte Demokratie nicht die erforderliche schnelle und zeitnahe Normenerstellung sowie deren laufende Anpassung an die fortschreitende wissenschaftliche, technische und gesellschaftliche Entwicklung möglich, die nicht nur im Umwelt- und Technikrecht, sondern allgemein eine wesentliche Voraussetzung für die wirksame Steuerung oder gar Regelung des menschlichen Zusammenlebens ist. Dementsprechend ist die Durchführung eines Volksentscheids nur bei den bedeutendsten Entscheidungen des guten Zusammenlebens aller mit allen möglich und sinnvoll, wobei sich Anzahl und Frequenz der Volksabstimmungen aus der notwendige Zeit ergeben, welche die Bürger benötigen, um sich in der jeweiligen Angelegenheit hinreichend sachkundig zu machen, um auf dieser Basis eine aufgeklärte, d.h. ihrem eigenen Verstand folgende Entscheidung treffen zu können. Denn eine direkte demokratische Abstimmung ohne hinreichende Kenntnis der Grundlagen, Fakten und Zusammenhänge führt notwendigerweise zu einem unverhältnismäßigen Einfluß der großen Meinungsbildner, insbesondere der Massenmedien und der einflußreichsten Verbände und Parteien, und nur dann gilt: "Man darf Wahrheit nicht mit Mehrheit verwechseln."4 Demzufolge ist für jede Volksabstimmung eine unabhängige, alle Aspekte des Entscheidungsgegenstandes gleichgewichtig berücksichtigende Information des Volkes unabdingbar. Dieses Vorgehen mag auf den ersten Blick umständlich und langwierig erscheinen. In Wahrheit ist diese Methode den heutigen volksfernen Entschlüssen der Parteien und Politiker unendlich überlegen, da der umfassende Diskurs im Vorfeld der Entscheidung zu einem hohen Maß an Aufgeklärtheit und, wenn nicht zum Konsens, so doch zu einer bestmöglichen Akzeptanz der Entscheidung durch die Bürger nicht zuletzt durch das Gefühl der unmittelbaren Teilhabe an der Macht führt, während das heutige Vorgehen

4

62*

Jean Cocteau, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender.

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durch das Gefühl der Ohnmacht der Bürger nur zu deren Resignation oder endlosem, emotional geprägtem Widerstand führen kann: "Die sich normativ niederschlagenden Technologien stellen somit nicht das Ergebnis eines intensiven gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozesses dar, sie setzen diesen nicht selten erst in Bewegung. ... Rationale Argumente weichen daher Emotionen, das Gefühl der Abhängigkeit von Experten- und Interessengruppen erzeugt Mißtrauen. Nicht Identifikation mit dem Gemeinwesen, sondern Konfrontation mit der als anonyme "Gewalt" empfundenen Staatsmacht sind die Folge."5 In den deutschen Unternehmen jedenfalls findet diese in Japan vorherrschende Art des Entscheidens, die zwar im Vorfeld mehr Zeit zur Konsensfindung benötigt, bei der Umsetzung jedoch aufgrund der (weitgehenden) Abwesenheit von Widerständen mit einem Bruchteil der ansonsten benötigten Zeit und Ressourcen auskommt, mittlerweile zunehmend Verbreitung 6. Während damit die Fragen nach dem "wer" und dem "warum" beantwortet wurden, sind die nach dem "was", "wie" und "wo" noch offen. Über was das Volk entscheiden will, kann allein das Volk in einem erfolgreichen Volksbegehren bestimmen: "Die Macht geht vom Volke aus, aber wann kehrt sie zum Volk zurück?"7 Dementsprechend kehrt die Macht genau dann zum Volk zurück, wenn ein hinreichend großer Teil des Volkes es begehrt. Denn keine der nachfolgenden Gesetzgebungsebenen hat das Recht, eine Entscheidung für sich zu beanspruchen und "im Namen des Volkes" zu treffen, für welche das Volk per erfolgreichem Volksbegehren seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, sich selbst die souveräne Entscheidung vorbehalten zu wollen: "Von dem Augenblick an, da das Volk rechtmäßig als souveräne Körperschaft versammelt ist, endet jede Rechtsprechung der Regierung, ist die Exekutive ausgesetzt und die Person des letzten Bürgers genauso geheiligt und unverletzlich wie die des ersten Beamten, weil es keinen Stellvertreter mehr gibt, wo sich der Vertretene befindet. Die Mehrzahl der Tumulte, die sich in Rom bei den Comitien erhoben, kamen daher, daß man diese Regel mißachtet oder vernachlässigt hatte. Jetzt waren die Consuln nur die Vorsitzenden des Volkes, die Tribünen einfache Sprecher, der Senat gar nichts."8 Die Fragen nach dem "wie" und dem "wo" sind heute wesentlich einfacher zu beantworten als zu den Zeiten Rousseaus, zu denen die Verwirklichung der

5 6

sers.

Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 6 f. Wie beispielsweise vorbildlich auch bei dem ehemaligen Arbeitgeber des Verfas-

7

Emst Fischer, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender.

8

Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 3. Buch, 14. Kap.

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"volonté générale" tatsächlich nur durch physische Versammlung des gesamten Volkes möglich war: "Der Souverän handelt, da er keine andere Macht hat als die Legislative, nur mittels Gesetzen, und da Gesetze nichts anderes als die eigentlichen Akte des Gemeinwillens sind kann der Souverän nur dann handeln, wenn das Volk versammelt ist. Das versammelte Volk! wird man sagen, welches Hirngespinst! Heute ist das ein Hirngespinst, aber vor zweitausend Jahren war es keines."9 Heute, 225 Jahre nach der Veröffentlichung von Rousseaus "Du contrat social; ou principles du droit politique" in Amsterdam, ist dies auch kein Hirngespinst mehr: Denn die Digitale Revolution des informations- und kommunikationstechnischen Zeitalters ermöglicht es, das gesamte Volk virtuell zu versammeln, in geeigneten Datennetzen wie dem Internet zu zweit oder in größeren Foren miteinander zu diskutieren und auch kollektiv über Gesetze abzustimmen. Es stellt gewiß weder in finanzieller noch in sonstiger Hinsicht ein Problem dar, jeden Haushalt mit einem Anschluß an ein geeignetes "Direkte-DemokratieDatennetz" (DDD) zu versehen und entsprechende öffentliche Netzzugänge in jeder Stadt bereitzustellen. Auch technische Systeme zur Gewährleistung der Datensicherheit - Stichwort Datenverschlüsselungsverfahren für den virtuellen Zahlungsverkehr - und zur eindeutigen persönlichen Identifikation - klassische wie ID-Karte und PIN-Nummer oder fortschrittliche wie Geräte zur Kontrolle von Fingerabdrücken, Stimmproben oder Iris-Strukturen 10 - sind längst entwikkelt und befinden sich im praktischen Einsatz. Insofern steht der Realisierung der Vision eines "neuen athenischen Zeitalters der Demokratie" nichts mehr im Wege 11 . Da die Bürger aus den eingangs genannten Gründen nur über die wichtigsten Gesetze per Volksentscheid abstimmen und daher auch nur die bedeutendsten strategischen Leitentscheidungen treffen können, ist als zweite Ebene des legislativen Systems ein nach demokratischen Grundsätzen gewähltes strategisches Parlament einzurichten. Dessen vornehmste Aufgabe besteht darin, Zukunftsbilder und Visionen zu entwickeln, Wege aus der Gegenwart in die Zukunft aufzuzeigen und in einem öffentlichen und möglichst volksnahen Konfliktlösungs- und Konsensbildungsprozeß die entsprechenden strategischen Leitentscheidungen des Gemeinwesens zu treffen 12, sofern sich nicht gemäß der vor9

Ebd., 3. Buch, 12. Kap. Vgl. Will, W. u.a., Fingerabdrücke, Stimmproben und Iris-Strukturen sollen künftig zur Identifizierung von Personen genutzt werden, S. 9. 11 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. I.D. 1 .b). 12 Damit soll allerdings kein "Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts" begründet werden. Es sprechen sicherlich gute Gründe dafür, daß die gewaltenteilige Funktionenordnung des Grundgesetzes "weitreichende - gerade auch politische - Entscheidungen ... der Kompetenz anderer oberster Staatsorgane an10

982

Teil 3: Ausblick

hergehenden Ausführungen das Volk die Entscheidung darüber vorbehält. Das gesamtgesellschaftliche System erhält dadurch konkrete Ziele, an denen sich die Teilsysteme ausrichten können. Darüber hinaus benötigen die in der Gesetzgebungshierarchie nachfolgenden Spezialistengremien, welche für die eigentliche materielle Gesetzgebung zuständig sind, einen sich in der strategischen Leitentscheidung des Generalistengremiums manifestierenden gesamtgesellschaftlichen Grundkonsens beispielsweise bezüglich der praktischen Anwendung einer neuen Technologie 13 , damit diese Grundlagendiskussion nicht vervielfacht und fragmentiert in den gesetzgebenden Spezialistengremien 14 oder - wie im Falle der heutigen unzureichenden normativen Regelungen - auf der Rechtsanwendungsebene geführt werden muß, wo sie ersichtlich weder bewältigt noch gar einem gesamtgesellschaftlichen Konsens zugeführt werden kann: "Ich bin der Meinung, daß die Schaffung dieses Grundkonsenses eine Aufgabe ist, die das Verwaltungsrecht ebensowenig wie die Verwaltung leisten kann, auf die beide jedoch angewiesen sind. Eine noch so gute Dogmatik, etwa der Schadensvorsorge im Atomrecht, nützt der Verwaltung nichts, wenn das atomrechtliche Verwaltungsverfahren als Fortsetzung des politischen Kampfes mit anderen Mitteln verstanden wird. Deshalb brauchen wir in diesen Fragen der Energieversorgung und des Atomrechts ebenso wie in anderen Technikbereichen eine auf Konsenserzielung, auf Akzeptanz gerichtete Politik. ... In diesem Bereich scheint mir das Erforderliche sträflich allen verbalen Bekundungen zur Notwendigkeit von Konsens zum Trotz versäumt worden zu sein. .. Auch dem Parlament, ganz gleich, in welchen Formen es tätig wird, kommt eine besondere Funktion bei der Konsens gewinnung zu. Und ich denke, ... daß möglicherweise neue Formen der parlamentarischen Bewältigung die-

heim[gibt], wie zum Beispiel... wichtige außenpolitische Entscheidungen, wie etwa über die Aufnahme oder den Abbruch diplomatischer Beziehungen". Vgl. dazu und zum folgenden BVerfGE 49, S. 89 (124 ff.) Hier ist jeweils genau zu prüfen, ob die Entscheidung durch eine Volksabstimmung oder das Parlament in der notwendigen Geschwindigkeit gefällt werden kann, oder ob die Organe der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt, die ihre institutionelle und funktionelle demokratische Legitimation aus der in Art. 20 Abs. 2 GG getroffenen Entscheidung des Verfassungsgebers beziehen, dazu besser befähigt sind. Dennoch ist für mein Verständnis als Bürger für die Maxime, daß das Parlament alle Entscheidungen treffen soll, die es sinnvoll zu bewältigen vermag, der Umstand ausreichend, daß allein die Mitglieder des Parlaments unmittelbar vom Volk gewählt werden, während die Exekutive durch die Verfahren zur Bestellung der Regierung allenfalls im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG mittelbar personell demokratisch legitimiert ist. 13 Das heutige Fehlen einer parlamentarischen Konsensbildung bezüglich der Grundentscheidung des Einsatzes neuer Technologien wird von der Wissenschaft zu Recht kritisiert. Vgl. dazu Nicklisch, F., Zur rechtlichen Relevanz wissenschaftlich-technischer Regelwerke, S. 68 f. 14 Diese Erfahrungen werden nach Bauer, C.-O., Normungsfähigkeit, S. 449, auch heute im Rahmen der technischen Normungsarbeit gemacht: "Nur zu oft verlängern und verzögern versäumte Grundlagendiskussionen und ihnen entsprechende klare Entscheidungen die sachliche Normungsarbeit, weil sie in der Sachdiskussion wiederkehren und erst dann ... nachgeholt werden müssen."

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ser Probleme notwendig sind. Man müßte angesichts neuer Probleme auch Phantasie für neue Formen parlamentarischer Steuerungen entwickeln. Das muß nicht un-

bedingt das klassische Gesetz sein, wie es uns aus dem 19. Jahrhundert überkommen ist. Der Verlust des technisch-optimistischen Grundverständnisses ... stellt auch neue Anforderungen an die Verantwortung des Parlaments. Ich bin gewiß, daß wir zur Überwindung des tiefgreifenden Dissenses in diesen Fragen kommen müssen, wenn alle noch so gut gemeinten Verbesserungsvorschläge unserer normativen und administrativen Systeme nicht fehlschlagen sollen. Sollte dies nicht gelingen, so geraten wir möglicherweise in eine doppelte Gefahr: Entweder verliert unsere Industriegesellschaft ihre erforderliche Leistungsfähigkeit oder/und ... es führt das Fortbestehen des tiefgreifenden Dissenses zu einer Einbuße an Freiheitlichkeit."15 Das Treffen der wesentlichen strategischen Leitentscheidungen ist für ein Gemeinwesen von höchster Bedeutung. Nach dem am 3. Mai 1995 veröffentlichten "Strategischen Jahresbericht 1994/95" des "Londoner Internationalen Instituts für Strategische Studien" (IISS) sind Orientierungslosigkeit und Führungsschwäche der politischen Eliten in aller Welt verantwortlich für viele krisenhafte Erscheinungen in der Weltpolitik der letzten Jahre16. Es bedarf keiner Erklärung, daß sich dieser für die Zukunft des Gemeinwesens höchst bedeutsame Diskurs nicht mit Parteibuchdenken und Fraktionsdisziplin verträgt, sondern von den Besten der Besten und Weisesten der Weisesten des Volkes, die im Sinne des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG "Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" sein sollten17, zu führen und im Sinne der Verwirklichung des allgemeinen Wohls heutiger und zukünftiger Generationen zu entscheiden ist. Von vergleichbarer Bedeutung wie der strategische Beschluß selbst ist jedoch auch der Prozeß der Entscheidungsfindung. Ziel dieses Prozesses ist nicht nur die Gewährleistung der bestmöglichen Entscheidungsvorbereitung des Parlaments, sondern auch eine öffentliche und möglichst volksnahe Konfliktlösung und Konsensbildung, welche es dem Souverän ermöglicht, sich zu informieren und nicht nur die Entscheidung, sondern auch die Gründe, die zu dieser Entscheidung führten, nachzuvollziehen. Nur so ist analog zum Volksentscheid auch auf dieser Ebene ein

15 Steinberg, R., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 314 f. (Hervorh. d. Verf.). Zustimmend Murswiek, D., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 323 f. Bezüglich der Verwaltung übereinstimmend auch Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 202, der jedoch verwaltungsgerichtliche Entscheidungen als konsensbildende Beiträge ansieht. 16 Vgl. Barr, R., Weltweite Führungsschwäche, S. 4. Auch in der Bundesrepublik Deutschland hat sich - abgesehen von der deutschen und der europäischen Einigung - die fehlende visionäre und strategische Ausrichtung von Parlament und Regierung praktisch zu einem Dauerzustand entwickelt. Stattdessen werden überkommene Rituale mit derselben Inbrunst gehegt und gepflegt wie Industrien und Wirtschaftszweige des 19. Jahrhunderts. 17 Vgl. dazu ausführlich Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 637 ff.

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hohes Maß an Aufgeklärtheit und, wenn auch in praxi in den wenigsten Fällen Konsens, so doch die größtmögliche Akzeptanz der Entscheidung durch die Bürger zu gewährleisten. Sollte das Volk dennoch mit einer Entschließung des Parlaments nicht einverstanden sein, so kann entsprechend den Ausführungen im vierten und zu Beginn dieses Abschnitts niemand dem Souverän verwehren, die Entscheidungskompetenz über diese Frage in einem Volksbegehren zu verlangen und diese im Falle eines Erfolges auch zu treffen. Auf der anderen Seite entfalten strategische Entscheidungen nur dann ihren Nutzen, wenn sie dem Gemeinwesen möglichst mittel- oder gar langfristig als Leitlinie und Richtschnur dienen können, mithin eine gewisse Beständigkeit aufweisen. Denn derjenige, der kein Ziel hat, wird auch keines erreichen, ebenso wie derjenige, der seine Ziele ständig ändert. Sinnvoll ist daher die Einigung auf ein Zeitfenster für ein derartiges Volksbegehren ebenso wie für die Gültigkeit einer getroffenen strategischen Entscheidung, wobei diese innerhalb der Gültigkeitsdauer nur im Falle einer nachgewiesenen schwerwiegenden Gemeinwohlschädigung aufgehoben werden sollte: "Besser unvollkommene Entscheidungen durchführen als ständig nach vollkommenen suchen, die es niemals geben wird." 18 Darüber hinaus wäre zu prüfen, ob die Leistungsfähigkeit des Parlaments ausreicht, in Ausweitung des heutigen Petitionsrechts gemäß Art. 17 GG ein Einspruchsrecht der Bürger zu dessen strategischen Entscheidungen zu ermöglichen, welche im Parlament mit den dazu geladenen Einsprechenden - denkbar wäre auch eine Diskussion per Telefon, Videokonferenz oder im Datennetz beraten werden. Dieses Recht zum persönlichen Diskurs der parlamentarischen Entschlüsse mit den Volksvertretern dient nicht nur der Erzielung eines weitestmöglichen Konsenses in der Bevölkerung, sondern trägt als Vorstufe zu einem die Parlamentsentscheidung revidierenden Volksentscheid zur Wahrung der Souveränität des Volkes bei. Mit dem Treffen der wesentlichen strategischen Leitentscheidungen und dem Erlaß korrespondierender Gesetze, die nicht viel mehr als die Grundaussage treffen, ob beispielsweise eine neue Technologie genutzt werden soll oder nicht, sind zugleich die gesetzgeberischen Möglichkeiten des strategischen Parlaments weitgehend erschöpft. Denn für die parlamentarische Demokratie mit ihrem notwendigerweise generalistisch ausgerichteten Repräsentationsgremium gelten angesichts der heutigen Komplexität, Vernetztheit und Dynamik der Lebensverhältnisse und trotz der Möglichkeiten der interdisziplinären und interfunktionellen Zusammenführung von Sachverstand sowie der Untergliederung 18

Charles de Gaulle, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender.

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in parlamentarische Ausschüsse prinzipiell dieselben drei Grenzen wie für den Bürger bezüglich der direkten Demokratie: Erstens ist es auch einem einzigen Gremium heute vollkommen unmöglich, über alle Aspekte, die das gute Zusammenleben aller mit allen betreffen, hinreichend informiert und aufgeklärt zu sein, um auch nur für einen Ausschnitt der Lebenswirklichkeit hinreichend bestimmte materielle Regelungen erlassen zu können. Zweitens verfügt ein einzelnes, gegebenenfalls untergliedertes Gremium angesichts des erheblichen Bedarfs an Regelungen unserer komplexen, vernetzten und dynamischen Lebensverhältnisse nicht über die erforderliche Zeit, über alle Angelegenheiten des guten Zusammenlebens aller mit allen zu entscheiden. Nicht zuletzt aus diesem Grunde ist drittens durch die parlamentarische Demokratie nicht die erforderliche schnelle und zeitnahe Normerstellung und deren laufende Anpassung an die geänderten wissenschaftlich-technischen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen möglich, die nicht nur im Umwelt- und Technikrecht, sondern allgemein eine wesentliche Voraussetzung für die wirksame Steuerung oder gar Regelung des menschlichen Zusammenlebens ist. Dementsprechend ist für die Basis der dreistufigen Legislativpyramide eine Organisationsstruktur vorzusehen, welche in der heutigen technikgeprägten, hochkomplexen und -dynamischen Lebenswirklichkeit aktuelle, materiell hinreichend bestimmte Gesetze hervorzubringen und laufend der sich verändernden Lebenswirklichkeit anzupassen in der Lage ist und dabei die "volonté générale" bestmöglich verwirklicht. Hinsichtlich der erstgenannten Anforderung wurde in Teil I I dieser Arbeit für verschiedene europäische Nationalstaaten, die Europäische Union und die Weltgemeinschaft 19 nachgewiesen, daß die Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisation der technischen Normenorganisationen optimal geeignet sind, in Erfüllung der in Kap. I. C herausgearbeiteten gemeinwohlrelevanten Aufgaben hinreichend konkrete abstrakt-generelle Normen von hoher Qualität und Akzeptanz zeitnah erstellen und diese der fortschreitenden wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklung flexibel anpassen zu können. Bezüglich der zweitgenannten Anforderung erfolgte in Abschnitt D dieses Ausblicks der Nachweis, daß die Organisationsprinzipien der technischen Normung die Ausbildung der "volonté générale" unter den heutigen Lebensumständen des beginnenden 3. Jahrtausends bestmöglich verwirklichen.

19

Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. ILA.l.a)gg), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.a)ee), in bezug auf das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.a)ff), die Europäische Union betreffend Kap. II.B.l.c) sowie für die internationale Ebene die Ausführungen am Ende des Kap. U.C. 1 .c)dd).

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Der ersten Erkenntnis folgend ist die Aufbauorganisation dieser dritten Ebene des Legislativsystems20 in Form der zur Bewältigung der komplexen Lebenswirklichkeit notwendigen Anzahl jeweils für einen bestimmten Regelungsbereich zuständiger gesetzesvorbereitender Ausschüsse - bestehend aus Komitees, Unterkomitees und gegebenenfalls zeitlich befristeten Arbeitskreisen - auszugestalten: "Freiheit ist politische Macht, geteilt in kleine Stücke."21 Indem dieses Repräsentationssystem die simultane Ausarbeitung von Gesetzentwürfenfür eine in weiten Grenzen beliebig große Menge von Regelungsaufgaben ermöglicht, ist allein mittels dieser Organisationsform die notwendige Bewältigung des exponentiell zunehmenden Wissens in Wissenschaft, Technik und Gesellschaft realisierbar, da hier eine sequentielle Bearbeitung durch ein Gremium oder auch einige wenige Gremien wie das Parlament mit seinen Ausschüssen erstens an der Unmöglichkeit der dazu unabdingbar notwendigen breiten und tiefen Qualifikation der Mitglieder, zweitens an der Anzahl und dem mengenmäßigen Umfang der zu bearbeitenden Regelungsaufgaben sowie drittens an der notwendigen ständigen Anpassung an den fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand, die progressive technische Entwicklung und die sich ändernden gesellschaftlichen Wertvorstellungen zwingend scheitern muß. Mit dem Erfordernis der Spezialisierung der Aufgabenbewältigung geht allerdings ebenso notwendigerweise ein zunehmender Aufwand für die Koordinierung sowohl zwischen den gesetzesvorbereitenden Gremien einher, um zu konsistenten, integeren und redundanzfreien Regelsystemen "aus einem Guß" zu gelangen. Dieses ist durch ein gegebenenfalls gestuftes System von sektoralen Lenkungsgremien zu gewährleisten, welche zugleich in Umsetzung der strategischen Vorgaben des Volkes und des strategischen Parlaments für die Entwicklung der sektoralen Strategien zuständig sind. Um in diesem aufbauorganisatorischen System die "volonté générale" bestmöglich hervorbringen zu können, sind im Rahmen der Ablauforganisation zum ersten umfassende Initiativ-, Mitgestaltungs- und Einspruchsrechte der Bürger vorzusehen. Danach besitzt jeder Bürger das Recht, nicht nur die Erarbeitung neuer Gesetze, sondern auch die Änderung, Ergänzung, Kürzung und Aufhebung geltender Gesetze zu beantragen. Im Falle der vier erstgenannten Initiativrechte steht es dem Bürger frei, an den entsprechenden Gesetzgebungsarbei20 Um in der praktischen Umsetzung dieses Modells zunächst eine diesbezügliche Grundgesetzänderung zu vermeiden, könnten - dem am Ende des vorhergehenden Abschnitts geschilderten Vorschlag von Lukes folgend - diese Ausschüsse in einem ersten Schritt auf der Ebene der Exekutive eingerichtet werden und zum Erlaß von Rechtsverordnungen beitragen. 1

h a s

e , zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender.

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ten des Komitees, Unterkomitees oder Arbeitskreises teilzunehmen und dazu einen Norm-, Änderungs-, Kürzungs- oder Ergänzungsvorschlag einzubringen. Um sicherzugehen, daß einem Gesetzesantrag nicht nur ein individuelles, sondern auch ein kollektives Normungsbedürfnis zugrunde liegt, besitzen die im zuständigen gesetzesvorbereitenden Gremium repräsentierten und von der Regelung oder Nichtregelung betroffenen gesellschaftlichen Gruppen nach der Prüfung, ob ein allgemeines Normungsbedürfnis besteht, und unter Berücksichtigung der sektoralen Normungsstrategien des zuständigen Lenkungsausschusses, die Entscheidungskompetenz über diesen Antrag. Um auf der anderen Seite die Blockade weitgehend erwünschter oder notwendiger Regelungen zu verhindern, kann der Antragsteller wie jeder andere Bürger gegen Annahme wie Ablehnung eines solchen Antrages mehrinstanzlich Einspruch einlegen, wobei als Instanzen der zuständige gesetzesvorbereitende Ausschuß, der sektorale Lenkungsausschuß, das Parlament und schließlich auch das Volk in Betracht kom22

men . Nach der Erstellung des Gesetzentwurfs kann aus den oben genannten, aus der Begrenzung des Wissens und der Zeit der Bürger resultierenden Restriktionen keine formelle Mehrheitsabstimmung des Volkes stattfinden; stattdessen hat jeder Bürger das Recht, in Form von Zustimmungen, Einsprüchen, Änderungs-, Kürzungs- und Ergänzungsvorschlägen zum Gesetzentwurf Stellung zu nehmen, welche nach Ablauf der Einspruchsfrist im gesetzesvorbereitenden Gremium mit den dazu geladenen Einsprechenden - denkbar wäre auch hier eine Diskussion per Telefon, Videokonferenz oder im Datennetz - beraten werden. Dabei ist die Öffentlichkeit dieser Beratung ebenso sicherzustellen wie die Protokollierung und Veröffentlichung der Beratungsergebnisse. Im Falle eines Dissenses mit den Mitgliedern des gesetzesvorbereitenden Gremiums kann ein stellungnehmender Bürger wiederum mehrinstanzlich Einspruch einlegen. Damit ist diese Vorgehensweise aufgrund ihrer Konsensorientierung und der Möglichkeit, auf den Gesetzesinhalt Einfluß zu nehmen, der Mehrheitsabstimmung überlegen, da auf diese Weise ein weitgehender gesamtgesellschaftlicher Konsens der betroffenen Gruppen- und Individualinteressen möglich ist, was durch die praktische Akzeptanz der rechtlich unverbindlichen technischen Normen eindrucksvoll belegt wird. Gleichzeitig beschränkt das hier von den Normenorganisationen übernommene Verfahren des "Management by Exception" in Form der Einspruchsverfahren auf eine effiziente Art und Weise das notwendige Eingreifen der genannten Instanzen auf die Fälle, in denen in den 22

Es dürfte zu den schwierigsten und kontroversesten Aufgaben der gesetzesvorbereitenden Ausschüsse und der Lenkungsgremien gehören, die notwendige Gradwanderung zwischen einer gemeinwohlschädigenden Ablehnung eines Normungsbedürfnisses und der Verhinderung einer unnötigen Überregelung und Normenflut durchzuführen. Vgl. dazu auch Pkt. 2 der Grenzen des Ansatzes.

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Ausschüssen und/oder mit den öffentlichen Stellungnahmen kein Einvernehmen erzielt werden kann. Schließlich bedingt die praktische Verwirklichung der Initiativ-, Mitgestaltungs- und Einspruchsrechte der Bürger die Öffentlichkeit des Verfahrens und Publikation aller Entscheidungen und Arbeitsergebnisse, wie beispielsweise die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung eines Gesetzgebungsantrages, die Veröffentlichung des Gesetzentwurfs und die öffentliche Diskussion der Einsprüche. Beides - die Wahrnehmung der Initiativ-, Mitgestaltungs- und Einspruchsrechte durch die Bürger wie auch die Publikation aller Entscheidungen und Arbeitsergebnisse - kann im informations- und kommunikationstechnischen Zeitalter nicht nur physisch, sondern auch virtuell in dem eingangs genannten "Direkte-Demokratie-Datennetz" (DDD) erfolgen. Dazu sind entsprechende "mail-clients" einzurichten, welche den Bürger automatisch per e-mail über die Gesetzesinitiativen, -änderungen und -aufhebungen in den von ihm spezifizierten Themenbereichen unterrichten. Zum zweiten ist bei der Ausarbeitung der Gesetzentwürfe auf Basis des vom Bürger eingebrachten Vorschlages durch das zuständige Komitee des gesetzesvorbereitenden Ausschusses von zentraler Bedeutung, daß der Gesetzentwurf dem Willen des Souveräns, d.h. des Volkes, möglichst nahekommt und damit gesamtgesellschaftlich konsens- oder zumindest mehrheitsfähig ist, indem er eine bestmögliche Lösungsqualität und -aktualität gewährleistet, alle wesentlichen wissenschaftlichen wie praktischen Gesichtspunkte des Regelungsgegenstandes beachtet und sämtliche betroffenen Interessen ausgewogen berücksichtigt. Um diesem letztgenannten Anspruch zu genügen, sind die gesetzesvorbereitenden Ausschüsse und ihre Unterstrukturen interessenpluralistisch mit Repräsentanten ausnahmslos aller betroffenen und interessierten gesellschaftlichen Vereinigungen zu besetzen. Die Repräsentanten sind innerhalb ihrer entsendenden Organisationen nach demokratischen Grundsätzen zu wählen und für die Interessenvertretung zu autorisieren. Um den Einfluß der Vereinigungen zu nivellieren und die Durchsetzung von gruppenindividuellen Interessen auf Kosten der Allgemeinheit zu verhindern 23, ist für den Regelfall das Erfordernis einer konsensualen Beschlußfassung vorzusehen; nur in begründeten Ausnahmefällen sollte - gegebenenfalls indikativ - eine qualifizierte Mehrheitsabstimmung zugelassen werden. Ferner dürfen die Vereinigungen nur singuläre gesellschaftliche Interessen vertreten, damit die Einzelwillen der in einer Vereinigung zusam-

23 Bereits Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 214 ff., hat beklagt, daß die privaten Verbände vom Verfassungsgeber nahezu völlig ignoriert wurden, obgleich sie schon wirksam waren. Daher bezeichnete er die Bewältigung der Gruppenegoismen, die keine Verantwortung für das Ganze kennen, als das entscheidende Problem unserer Gesellschaft.

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mengeschlossenen Mitglieder möglichst einheitlich sind und durch den Sonderwillen der Vereinigung bestmöglich repräsentiert werden, und im Sinne des zweitbesten Modells der Verwirklichung der "volonté générale" nach Rousseau in einem gesetzesvorbereitenden Gremium möglichst viele dieser singulären Sonderwillen vertreten sind. Auf der anderen Seite dürfen die gesetzesvorbereitenden Ausschüsse jedoch nicht zu groß werden, um deren Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten; in diesen Fällen kann die Teilnehmerzahl durch die Einrichtung von Unterkomitees und/oder Arbeitskreisen und eine korrespondierende Untergliederung der Aufgabe in Teilaufgaben, welche jeweils nur für eine bestimmte Teilmenge des Teilnehmerkreises von Interesse sind, verringert werden. Um die beiden erstgenannten Anforderungen zu erfüllen, müssen die Repräsentanten der Vereinigungen Experten des jeweiligen Fachgebietes darstellen, was durch Ausbildung und berufliche Stellung zu belegen ist. Darüber hinaus sind durch eine interdisziplinäre und interfunktionelle Kombination des individuellen Expertensachverstands der Repräsentanten möglichst alle wissenschaftlichen und praktischen Aspekte des Regelungsgegenstandes abzudecken. Dieser Sachverstand ist zugleich Voraussetzung für eine zügige Erstellung der Gesetzentwürfe und eine ebensolche periodische Revision der Gesetze24 entsprechend den sich ändernden wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, welche für eine effiziente Regelungsleistung unabdingbar ist. Um dabei tatsächlich von einer Regelung und nicht bloß von einer Steuerung sprechen zu können, ist es notwendig, den Regelkreis zu schließen, d.h. die Ist-Regelungsleistung eines Gesetzes (Regelgröße) mit dessen Soll-Regelungsleistung (Führungsgröße) fortlaufend zu vergleichen und im Falle der Regelabweichung durch den gesetzesvorbereitenden Ausschuß (Stellglied) eine die Abweichung behebende Änderung oder gegebenenfalls die Aufhebung des Gesetzes zu veranlassen, wenn kein Regelungsbedürfnis mehr besteht. Diese Rückkopplung kann zum einen durch die Bürger im Rahmen ihrer Initiativrechte zur Änderung, Ergänzung, Kürzung und Aufhebung geltender Gesetze25 und zum anderen durch die gesetzesvollziehenden Behörden und die Gerichte geschehen. Für diese ist ein Anhörungsrecht in den gesetzesvorbereitenden Ausschüssen vorzusehen, damit sie ihre Erfahrungen und Kenntnisse hinsichtlich der Vollziehbarkeit und Justitiabilität der Gesetze in die betreffende Regelung einbringen können. Ein inhaltliches Mitspracherecht ist den Normanwendern je-

24 Als ein möglicher Revisionszeitraum kämen beispielsweise die bei den technischen Normenorganisationen praktizierten fünf Jahre in Betracht. 25 Im Rahmen der technischen Normung erfolgt der Soll-Ist-Vergleich vornehmlich durch das Feedback der Normenpraktiker im "Ausschuß Normenpraxis" (ANP). Hartlieb, B. u.a., Zusammenhänge I, S. 33.

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Teil 3: Ausblick

doch im Interesse der Wahrung der gewaltenteiligen Funktionenordnung in ihrer Eigenschaft als Vertreter der zweiten und dritten Gewalt nicht einzuräumen; dessen unbeschadet stehen ihnen in ihrer Eigenschaft als Bürger die genannten bürgerlichen Initiativ und Mitspracherechte als Gleiche unter Gleichen zu. Durch die geschilderte Rückkopplung werden notwendige Gesetzesänderungen schnellstmöglich erkannt, so daß durch eine geeignete Regelung, d.h. kontinuierliche Verbesserung der Gesetze der jeweils angestrebte Soll-Zustand und der Weg dorthin laufend den neuesten Erkenntnissen angepaßt werden können. Dabei ist für diesen kontinuierlichen Verbesserungsprozeß sinnvollerweise im "Direkte-Demokratie-Datennetz" (DDD) ein e-mail-Verbesserungsbriefkasten für jedes Gesetz vorzusehen, welcher im Interesse der Übersichtlichkeit nach Paragraphen, Absätzen und gegebenenfalls Sätzen entsprechend dem Gesetzestext strukturiert sein sollte. Um schließlich die bestmögliche Beurteilung eines Gesetzentwurfs durch den Bürger zu ermöglichen, sollten in einer Begründung zum einen die Bandbreite der wissenschaftlich und praktisch vertretbaren Lösungsmöglichkeiten sowie Alternativlösungen dokumentiert und zum anderen sowohl die der gewählten Lösung zugrunde liegenden empirischen Erkenntnisse als auch die erfolgten Abschätzungen, Interpretationen und Wertungen dargelegt werden. Damit soll zugleich verhindert werden, daß eine Gruppierung ihre Wertmaßstäbe durchsetzen kann, ohne sie offenzulegen und mit Alternativbewertungen konfrontieren zu müssen26. Da zum dritten nur bei Erfüllung diese Verfahrensrichtlinien der Gesetzentwurf dem Willen des Souveräns, d.h. der "volonté générale", möglichst nahekommt, sorgt in jedem gesetzesvorbereitenden Gremium ein unabhängiger, verbeamteter Moderator in der Funktion als Ausschußvorsitzender, welcher im wesentlichen für die Moderation des konsensualen Diskurses verantwortlich ist, für die Einhaltung der Verfahrensrichtlinien und die schriftliche Dokumentation derselben durch einen ebenfalls beamteten Schriftführer. Notwendigerweise verfügt der Moderator über Kenntnisse der Moderation und der Juristerei, idealerweise zusätzlich über solche des Regelungsgebietes, so daß er auch den Kontakt zum jeweiligen Lenkungsgremium herstellen und den gesetzesvorbereitenden Ausschuß mit den entsprechenden Informationen zur Koordination der Arbeiten versorgen kann. Vor der Verabschiedung eines Gesetzes sind die Einhaltung der Verfahrensrichtlinien, die Beachtung der Entscheidungen des Volkes und des strategischen Parlaments sowie die Vereinbarkeit mit den übrigen Rechtsnormen und der Verfassung durch eine geeignete Instanz27 zu überprü-

26 27

Murswiek, D., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 220 f. Entsprechend der Normenprüfstelle des DIN. Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(3).

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fen. Diese Kontrollen stellen reine Integritätsprüfungen, nicht jedoch inhaltliche Wertungen dar. Denn erstens fehlt der prüfenden Stelle die Legitimation, die in den gesetzesvorbereitenden Ausschüssen von den Repräsentanten der gesellschaftlichen Vereinigungen und den einsprechenden Bürgern konsensual vorgenommenen Sachentscheidungen, Abschätzungen und Wertungen durch eigene Sachentscheidungen, Abschätzungen und Weitungen zu ersetzen 28. Und zweitens wäre diese prüfende Stelle mit dieser Aufgabe sowohl fachlich als auch zeitlich bei weitem überfordert, sofern sie nicht exzeptionelle Dimensionen annehmen soll 29 . Schließlich verbleibt als unabhängige verfassungsrechtliche Kontrollinstanz nach wie vor das Bundesverfassungsgericht. Abschließend ist zu betonen, daß die hier in ihren Grundstrukturen skizzierte dreistufige Legislativorganisation auch nach ihrer Konkretisierung und Implementierung nicht starr sein darf, damit sich das System von den zukünftigen gesellschaftlichen Anforderungen an ein Willensbildungssystem nicht genauso weit entfernt wie sich die heutigen gesellschaftlichen Anforderungen von dem seit 50 Jahren unveränderten Willensbildungssystem des Grundgesetzes entfernt haben. Vielmehr wird das hier skizzierte System seine Aufgaben nur dann bestmöglich erfüllen, wenn es kontinuierlich verbessert und entsprechend den sich ändernden Lebensverhältnissen weiterentwickelt wird. Hierin liegt, wie in Teil I I dieser Arbeit für verschiedene europäische Nationalstaaten, die Europäische Union und die Weltgemeinschaft 30 nachgewiesen, eine weitere wesentliche Stärke der technischen Normenorganisationen. Hinsichtlich Exekutive und Legislative ist es unnötig zu betonen, daß dieser Gestaltungsansatz erhebliche Auswirkungen auf die zweite und dritte Gewalt zeitigen wird, die sich im wesentlichen aus der Existenz hinreichend bestimmter, praxisnaher, Vollzugs- und rechtsprechungstauglicher Gesetze ergeben und 28

In der Praxis der technischen Normung trauen sich selbst die gewiß sachverständigen Vorsitzenden der DKE-Fachbereiche nicht zu, eine im Konsens der Experten des Normenausschusses und der Einsprechenden entstandene technische Norm zu verändern. Hosemann, G., Erstellung sicherheitstechnischer Normen, S. 112. 29 Auf europäischer Ebene war selbst derriesige Behördenapparat der Kommission mit der Ausarbeitung technischer Richtlinien für eine "totale Harmonisierung" überfordert. Gleiches gilt für eine inhaltliche Überprüfung der mandatierten technischen Normen, weshalb diese von der Kommission nicht durchgeführt wird. Vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(d)(bb) und Kap. II.B.4. Auch die Normenprüfstellen der technischen Normenorganisationen sind nicht autorisiert, über den fachlichen Inhalt der technischen Normen zu beschließen. Vgl. z.B. CEN/CENELEC, GO Teil 2 Abschn. 3 Nr. 3.2.7 i.V.m. Abschn. 4 Nr. 4.5.8 und 4.8. 30 Vgl. bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.a)gg), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.a)ee), in bezug auf das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.a)ff), die Europäische Union betreffend Kap. II.B.l.c) sowie für die internationale Ebene die Ausführungen am Ende des Kap. II.C.l.c)dd).

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Teil 3: Ausblick

diesen Gewalten die Konzentration auf ihre verfassungsgemäßen Aufgaben ermöglichen. Die grundlegende Kompetenz zur Änderung der Verwaltung liegt Rousseau zufolge beim Volk, wobei dieses aus den oben genannten Restriktionen des beginnenden dritten Jahrtausends nur die grundlegenden Entscheidungen treffen können und den Rest notwendigerweise der Regierung überlassen muß: "Diese Versammlungen, die nur das Fortgelten des Gesellschaftsvertrages zum Gegenstand haben, sollen immer durch zwei Anträge eröffnet werden, die niemals weggelassen werden dürfen und die getrennt zur Abstimmung kommen. Erstens: Gefällt es dem Souverän, die gegenwärtige Regierungsform beizubehalten? Zweitens: Gefällt es dem Volk, die Verwaltung denen zu belassen, die gegenwärtig damit beauftragt sind? Ich setze hier voraus, was ich gezeigt zu haben glaube, daß es nämlich im Staat kein grundlegendes Gesetz gibt, nicht einmal den Gesellschaftsvertrag, das nicht widerrufen werden kann ..." 31 . Ohne hierauf detailliert einzugehen, sei lediglich darauf hingewiesen, daß die Bürgerorientierung der skizzierten Legislativorganisation ihre Fortsetzung in der Bürgerorientierung der Exekutive und Legislative finden muß. Jeder Bürger ist angemessen zu seiner Bedeutung als Teil des Souveräns zu behandeln. In diesem Zusammenhang ist es, wie Bundespräsident Roman Herzog zu Recht kritisiert hat, ein Unding, daß ein potentieller Investor eines Produktionsbetriebes bei bis zu 19 (!) Behörden eine Erlaubnis beantragen muß 32 , bevor er Arbeitsplätze schaffen kann - mit ein Grund dafür, daß Millionen von Arbeitsplätzen nicht geschaffen werden. Hier ist es nicht nur ein Gebot der Bürgerorientierung, sondern auch eines der Effizienz und der Vermeidung unnötiger Reibungsverluste einer ohnehin überdimensionalen staatlichen Verwaltung 33 , daß mit jedem Sachverhalt, soweit sinnvoll möglich, nur eine rechtsvollziehende Behörde befaßt ist. Entsprechend den Ausführungen des vorangehenden Abschnitts war es Ziel dieses Kapitels, ein Organisationsmodell für eine volksnahe, so weit wie möglich alle Bürger direkt beteiligende Gesetzgebung zu entwickeln, welches die Möglichkeiten bietet, die sich am deutlichsten im Bereich der Technik manifestierenden Grenzen des parlamentarischen Repräsentationsprinzips und die daraus resultierenden, zu Beginn des vorangehenden Abschnitts genannten sieben Probleme grundlegend und dauerhaft zu überwinden und zu lösen. Dies ist im folgenden nachzuweisen, womit gleichzeitig die Vorteile und der Nutzen dieses Modells benannt sind: 31

Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 3. Buch, 18. Kap. Herzog, R., Berliner Rede, S. 8. 33 Gemessen an der Bevölkerungszahl leistet sich der Standort Deutschland die meisten Staatsdiener. Gillies, P., Die Bürokratie stranguliert nicht nur die Wirtschaft, sie entmündigt auch die Bürger, S. Gl. 32

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"Ich werde mich bemühen, in dieser Untersuchung das, was das Recht zuläßt, stets mit dem zu verbinden, was der Vorteil vorschreibt, damit Gerechtigkeit und Nutzen nicht getrennt gefunden werden."34 1.

Ein System, das den allgemeinen Gesetzesvorbehalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und den verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt ("Wesentlichkeitslehre ") des Bundesverfassungsgerichts bestmöglich verwirklicht:

Wie in Abschnitt A der Einleitung ausgeführt, stellen der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Menschen, seiner Sachgüter und der Umwelt als Grundrechte gemäß den Art. 2 Abs. 1 S. 1 und 14 Abs. 1 S. 1 GG bzw. als Rechtspflichten entsprechend Art. 20 a GG objektivrechtliche Wertentscheidungen der Verfassung dar. Diese begründen eine umfassende Verantwortung des Staates, die erforderlichen Rahmenbedingungen nicht nur für die wissenschaftlich-technische Entwicklung als Lebensgrundlage der wachsenden Menschheit, sondern auch für den Schutz der genannten Rechtsgüter vor Gefahren und unverhältnismäßigen Risiken dieser Entwicklung zu schaffen. Innerhalb des Staates ist von den drei staatlichen Gewalten aufgrund des aus Art. 20 Abs. 3 GG resultierenden "allgemeinen Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes" zuvorderst der Gesetzgeber berufen und verpflichtet, die erforderlichen Entscheidungen zu fällen. Dieser hat gemäß der heute zur ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehörenden "Wesentlichkeitslehre" in grundlegenden normativen Bereichen und insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen - insbesondere die nach der Risikogrenze technischer Systeme - selbst zu treffen und darf dies nicht der zweiten und dritten Gewalt überlassen. Die Entscheidung dieses ambivalenten Interessenkonflikts des Umwelt- und Technikrechts, welche Risiken der Technik um ihrer Vorteile willen in Kauf zu nehmen sind, stellt angesichts der Bedeutung von Wissenschaft und Technik für den Wohlstand einer Nation im heutigen scharfen globalen Wettbewerb - der nicht anderes ist als die globale Verteilung des Wohlstands - einerseits und der massiven Veränderungen und auch Gefährdungen der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen und aller anderen Lebewesen durch die zunehmend technikdominierte Lebenswirklichkeit des "technischen Zeitalters" andererseits die wichtigste Aufgabe des Staates und specialiter des Gesetzgebers der modernen Industriegesellschaft

dar.

Wie darüber hinaus in Abschnitt F dieses Ausblicks dargelegt, kann dem Bundesverfassungsgericht zufolge der Gesetzgeber dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt und der Wesentlichkeitslehre nicht nur durch materielle, sondern auch durch formelle Regelungen genügen. Unbestritten ist jedoch der normative Steuerungserfolg um so größer, je detaillierter die rechtlichen Anforderungen an das technische System ausgestaltet sind. Dementsprechend wird dem Gesetzesvorbehalt und der Wesentlichkeitslehre nur dann bestmöglich genügt, wenn in den Gesetzen die Beschaffenheitsanforderungen und Verhaltenspflichten bis in diejenigen wissenschaftlich-technischen Einzelheiten materiell geregelt werden, welche für Vollzug und Kontrolle der Risi34

Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, Einleitung. Auch Rousseau hat nicht vergessen, immer wieder die Bilanz der durch den Gesellschaftsvertrag entstehenden Vor- und Nachteile zu ziehen und zu zeigen daß diese positiv ausfällt. Er hat damit indirekt das utilitaristische Prinzip anerkannt, daß der Mensch auf Dauer nur für etwas zu gewinnen ist, das ihm Vorteile verspricht. Brockhard, H., Anmerkungen, 2. Buch Nr. 14.

6

Zubke-von Thünen

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Teil 3: Ausblick

kogrenze notwendig sind, da ansonsten die Konfliktsituationen notwendigerweise auf die Ebene der Rechtsanwendung verlagert werden. Erst durch diese materiellen sicherheitstechnischen Normierungen etwa in Form von Grenz-, Leistungs- oder Mindestbelastbarkeitswerten findet der eigentliche Ausgleich zwischen Gemeinwohlinteresse und entgegenstehenden (individuellen) Grundrechtsinteressen statt. Die heutige parlamentarische Gesetzgebung ist ersichtlich nicht in der Lage, diese Aufgaben zu erfüllen. Wie in den ersten beiden Abschnitten des Ausblicks nachgewiesen, normieren die Gesetze des Umwelt- und Technikrechts weder materiell noch formell die Entscheidung des Zielkonflikts, welche Risiken der Technik um ihrer Vorteile willen in Kauf zu nehmen sind35. Infolge dieser im Umwelt- und Technikrecht geltenden "umgekehrten Wesentlichkeitslehre" existieren weder verläßliche Vorgaben für die wirtschaftliche Nutzung insbesondere neuer Technologien noch für den Schutz des Menschen, seiner Sachgüter und der Umwelt. Hierin wiederum liegt eine wesentliche Ursache des sich zur Zeit vollziehenden ökonomischen Niedergangs des "Wirtschaftswunderlandes" Deutschland36 und dem nach wie vor alarmierenden Fortschreiten der Umweltzerstörung. Hingegen ermöglicht es das hier entworfene dreistufige Legislativsystem, anhand der strategischen Vorgaben der beiden ersten, durch Volksentscheid und strategisches Parlament gebildeten Ebenen auf der dritten Ebene - den aus Komitees, Unterkomitees und Arbeitskreisen bestehenden gesetzesvorbereitenden Ausschüssen - materiell hinreichend bestimmte Gesetze für eine in weiten Grenzen beliebig große Menge von Regelungsaufgaben simultan zu erarbeiten. Allein mittels dieser Organisationsform ist die notwendige Bewältigung des exponentiell zunehmenden Wissens in Wissenschaft, Technik und Gesellschaft realisierbar, da hier eine sequentielle Bearbeitung durch ein Gremium oder auch einige wenige Gremien wie das Parlament mit seinen Ausschüssen erstens an der Unmöglichkeit der dazu unabdingbar notwendigen breiten und tiefen Qualifikation der Mitglieder, zweitens an der Anzahl und dem mengenmäßigen Umfang der zu bearbeitenden Regelungsaufgaben sowie drittens an der 35

Vgl. auch die Ausführungen in Abschn. A der Einleitung sowie Kap. II.A.l.c)dd) und Kap. II.A.l.d). 36 So nimmt die Bundesrepublik Deutschland im "Internationalen Wettbewerbsbericht 1997" ("Global Competitiveness Report 1997") des "World Economic Forum" (WEF) in der "Rangliste der internationalen Wettbewerbsfähigkeit" ("Competitiveness Ranking") nurmehr Platz 25 ein, nachdem es im Jahre 1993 noch Rang 5, in den beiden folgenden Jahren Platz 6 und im letzten Jahr Platz 22 belegte. Der "Competitiveness Index" der Bundesrepublik Deutschland, welcher auf 155 qualitativen und quantitativen Kriterien basiert, liegt für 1997 nur noch bei 0,20, während Singapur als wirtschaftlicher Weltprimus mit 2,32 um den Faktor 11,5 besser dasteht. Vgl. zit, Konkurrenz hängt Deutschland ab, S. 14; o.V., Grafik "Wettbewerbsfähigkeit", S. 1; vgl. femer DW, Investoren meiden den Standort D, S. 14. Diese "Rangliste der internationalen Wettbewerbsfähigkeit" korreliert auffallend mit der "Rangliste der freiesten Volkswirtschaften", indem die Bundesrepublik in letzterer den gleichen Rang einnimmt wie in der ersteren - nämlich Platz 25 -, während die Spitzenplätze wiederum durch Hongkong, Singapur, Neuseeland und die USA eingenommen werden, dpa, Freiheitsrangliste: Deutschland fällt weiter zurück, S. 16. Vgl. dazu auch die nachfolgenden Ausführungen zu Pkt. 7 der Möglichkeiten des Ansatzes in diesem Abschnitt.

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notwendigen ständigen Anpassung an den fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand, die progressive technische Entwicklung und die sich ändernden gesellschaftlichen Wertvorstellungen zwingend scheitern muß. 2.

Ein System, das die gewaltenteiligen Funktionenordnung Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG) wiederherstellt:

(Art. 1 Abs. 3, 20

Ungeachtet der bestehenden normativen Durchbrechungen im Grundgesetz ist das System der gewaltenteiligen Funktionenordnung gemäß Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG eine grundlegende Leitentscheidung unserer Verfassung, um die Risiken eines Machtmißbrauchs zu vermindern und dadurch die Rechte des Bürgers zu schützen. Im heutigen "gewaltenteiligen" System besteht nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern beispielsweise auch im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland eine weitreichende Gewaltenvermengung zwischen Legislative und Exekutive unter anderem durch Kabinettsregierungen, in der die Exekutive von Ministem getragen wird, die zugleich über eine Schlüsselstellung im Parlament verfügen 37. Zusammen mit den politischen Parteien, die nicht mehr lediglich bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken (Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG), sondern längst das Monopol der politischen Willensbildung innehaben38, verdeutlicht dieser Zustand die aus der mangelhaften Gewaltenteilung resultierenden Gefahren und Risiken eines Machtmißbrauchs: Die Regierung, welche eine Partei oder eine Koalition aus Parteien stellt, bringt die überwiegende Zahl von Gesetzesvorhaben in den Bundestag ein; diese sind in aller Regel nicht von Parlamentsmitgliedern, sondern von der Ministerialbürokratie erarbeitet worden39; sie werden de facto nicht vom Bundestag, sondern von den Fraktionsspitzen angenommen und mittels Fraktionsdisziplin im Bundestag durchgesetzt. Gleiches gilt für den Bundesrat, der nur noch am Rande der Interessenvertretung der Länder dient, solange dort nicht die Oppositionsparteien die Mehrheit haben und die zweite gesetzgebende Kammer für ihre Interessen instrumentalisieren 40:

37

Kingston, P. u.a., Vereinigtes Königreich, S. 752 f. Zum krassen Ungleichgewicht zwischen Parlament und Bürokratie aus der Sicht eines Parlamentariers vgl. Lichtenberg, P., Sicht des Parlaments, S. 71 ff. ("Tatsächlich ist das Gleichgewicht zwischen Parlament und staatlicher Bürokratie noch empfindlicher gestört, als es die Anzahl der in der Forschungspolitik engagierten Parlamentarier einerseits und der Beamten im Forschungsministerium andererseits mit ihrem Berateranhang ohnehin schon erkennen läßt.") 38 Ausführlich zur Kritik am Parteienstaat Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 772 ff. u. insbes. S. 1045 ff. 39 Gesetze werden in aller Regel von den Ministerien vorbereitet, vom Bundeskabinett beschlossen, dem Bundesrat zur Stellungnahme und anschließend dem Bundestag zur Beratung (3 Lesungen) und Beschlußfassung sowie nochmals dem Bundesrat im zweiten Durchgang zugeleitet, wobei Unterschiede bei Zustimmungsgesetzen oder Einspruchsgesetzen bestehen. Pfaffelhuber, J., Entscheidungshilfen, S. 85. 40 So hat der Fraktionsgeschäftsführer der Union, Höster, den Bundesrat aufgefordert, er solle sich daran erinnern, daß er die Vertretung der Länder sei "und nicht eine Untergliederung der SPD". Lambeck, M. S., Unbequeme Zeiten, S. 6.

6*

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"Wir sitzen heute im Plenum eigentlich nur als Edelkomparsen herum. ... Wie sorgen wir dafür, daß die politischen Diskussionen nicht nur auf Partei- und Kirchentagen stattfinden, sondern im Plenum des Deutschen Bundestages, wo sie hingehören?" 41 "Natürlich muß man sehen, daß fast jedes Gesetz im vollen Umfange nur von wenigen Abgeordneten, den jeweiligen Experten, voll verstanden wird; die anderen müssen auf die Auskünfte ihrer Fraktionskollegen vertrauen. " 42

Dies führt unter anderem zu der absurden Situation, daß sich die Regierungsmitglieder als Angehörige des Bundestages mittels ihrer parteibasierten Dominanz desselben durch parlamentarisches Gesetz selbst derivative Rechtssetzungsbefugnisse in Form von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften übertragen können43. Wenn man in diese Überlegungen dann noch das Verhältnis der zweiten zur dritten Gewalt und die diesbezüglichen Bemühungen mit in die Betrachtung einbezieht, den Einfluß der Exekutive durch die Akzeptanz von der gerichtlichen Kontrolle entzogenen Beurteilungsermächtigungen und/oder Ermessensspielräumen oder die Gerichte bindende normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften auch auf die dritte Gewalt auszudehnen, so entsteht ein von den Parteien dominiertes legislativ-exekutiv-judikatives Machtkonglomerat mit der Regierung als Zentrum, welches wahrhaft bedrohliche Ausmaße annimmt und der traditionellen Gewaltenteilungslehre, wie sie Locke und Montesquieu zum Schutz des Bürgers entwickelt haben, entschieden zuwiderläuft: "Rom sah in seinen besten Tagen alle Verbrechen der Tyrannei in seinem Schoß erwachen und war dem Untergang nahe, weil es die gesetzgebende Gewalt und die souveräne Macht in den gleichen Händen vereinigt hatte. "

Die Gefahren dieses legislativ-exekutiven Machtmonopols der Parteien und die daraus resultierenden Nachteile für das Gemeinwesen werden deutlich, wenn die Parteien weder vor der parteipolitischen Instrumentalisierung auch höchster judikativer

41

So der Vizepräsident des Deutschen Bundestages Burkhard Hirsch, zit. in: Günsche, K.-L., Parlamentsreform stößt bei kleinen Parteien auf Widerstand, S. 2. 42 Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 171. So auch aus der Sicht der Exekutive Jaumann, Α., Regelung technischer Sachverhalte, S. 10: "Die große Mehrheit der Parlamentsmitglieder entscheidet also im Vertrauen auf den Sachverstand des Traktionsexperten' oder den Regierungsvorschlag." 43 Bereits Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 4. Buch, 1. Kap., hat betont, daß die Regierung immer sehr bemüht ist, nur ihren Mitgliedern das Recht zu überlassen, ihre Meinung zu äußern, Vorschläge zu machen und zu diskutieren, was eigentlich allen Bürgern zusteht. 44 "Jedoch nicht einmal die Decemvim maßten sich jemals das Recht an, einzig aufgrund ihrer Amtsgewalt ein Gesetz zu erlassen. Nichts von dem, was wir euch vorschlagen, sagten sie zum Volk, kann ohne eure Zustimmung Gesetz werden. Seid selbst, Römer, Urheber der Gesetze, die euer (sie) Glück begründen sollen." Rousseau, J.-J., Vom

Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 7. Kap. Insofern erging es den Römern noch deutlich besser als den Bürgern der heutigen Demokratien.

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Instanzen45 wie dem Bundesverfassungsgericht 46, noch vor öffentlicher Beschädigung47 und sogar Mißachtung48 und Aufruf zur Mißachtung49 desselben im Falle parteipolitisch nicht genehmer Urteile 50 zurückschrecken: 45

"CDU/CSU und FDP haben der SPD vorgeworfen, bei der Wahl neuer Richter für Bundesfinanzhof, Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht ihre Mehrheit im gemeinsamen Richterwahlausschuß von Bundestag und Bundesrat »radikal zur Durchsetzung parteipolitischer Interessen mißbraucht' zu haben." So waren bei der Wahl von 15 Richtern am Do., d. 30.03.1995 neun von fünfzehn gewählten Richtern eingetragene SPD-Mitglieder. AP, Die SPD polarisiert die deutsche Justiz, S. 2. 46 So haben die großen Parteien die Richterämter unter sich aufgeteilt und "hüten ihren Anteil wie Erbhöfe". Bei Vakanzen werden "Pakete ausgekungelt", bei denen darauf geachtet wird, Juristen mit einer der jeweiligen Partei genehmen Grunddisposition ins Amt zu bringen, so daß sich auch im BVerfG in den beiden Senaten parteipolitisch gefärbte Blöcke gegenüber sitzen. Wassermann, R., Wie das Bundesverfassungsgericht reformiert werden sollte, S. 6. 47 Herausragendes Beispiel hierfür ist die mehr als fragwürdige politische Debatte im Anschluß an das "Kruzifix-Urteil" des BVerfG, die anläßlich der Forderung von CDU/CSU nach einer Reform des obersten Gerichts zu einem Verfassungskonflikt zu eskalieren drohte (Fietz, M., Union erwägt Reform des obersten Gerichts, S. 1). Während die CDU bis zu Bundeskanzler Helmut Kohl (DW, Deutliche Kritik des Kanzlers an Karlsruhe, S. 1) und die CSU bis zum CSU-Vorsitzenden Theo Waigel (dpa, Waigel fordert Selbstbeschränkung der Richter, S. 2; dpa/epd/AP/AFP, Waigel kritisiert scharf das Kruzifix-Urteil, S. 3; vgl. auch DW, Union kritisiert BVG, S. 2; Wassermann, R., Gerade in strittigen Fällen sind die Richter oft einig, S. 2) das "Kruzifix-Urteil" des BVerfG heftig kritisierten und eine Verfassungsdiskussion über die Rolle und Funktion des Gerichts forderten, warnten SPD (dpa/epd/AP/AFP, Waigel kritisiert scharf das Kruzifix-Urteil, S. 3), FDP (dpa, Kruzifix-Urteil entzweit Union und FDP, S. 2; Fietz, M., Union erwägt Reform des obersten Gerichts, S. 1) und Grüne davor, das BVerfG in seiner öffentlichen Akzeptanz und seinem Ansehen zu schädigen und forderten, wie der Vorstandssprecher von Bündnis 90/Grüne, Jürgen Trittin, dazu auf, den "Kreuzzug" gegen das BVerfG zu beenden. dpa/epd/AP/AFP, Waigel kritisiert scharf das KruzifixUrteil, S. 3. 48 So wollte die bayrische Landesregierung das "Kruzifix-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts nicht akzeptieren und mit einem neuen Gesetz auch künftig Kreuze in den Klassenzimmern der Volksschulen vorschreiben. Richtigerweise sprach FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle in diesem Zusammenhang von einem "rechtsstaatlich fragwürdigen Versuch, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu unterlaufen". Burger, H., Schulkreuze sollen bleiben: Eckpunkte für neues Kruzifix-Gesetz, S. 1. 49 So erklärte der CSU-Vize Friedrich, daß die Karlsruher Entscheidung selbst verfassungswidrig sei, wenn als Konsequenz aus dem Urteil die Kreuze aus den bayrischen Schulzimmem entfernt werden müßten. Als Konsequenz sei gegen dieses Urteil "nach emsthafter Prüfung des Gewissens persönlicher Widerstand nach Artikel 20 des Grundgesetzes gerechtfertigt". Noch eine Spur polemischer äußerte sich auch der frühere bayrische Kultusminister Hans Maier: Gegen "puren Unsinn und Übermut auch höchster Gerichte ist Widerstand angesagt". Vgl. Henschel, J. F./Zehetmair, H., Diskussion, S. 4; femer dpa, Kruzifix-Urteil entzweit Union und FDP, S. 2. Der Vizepräsident des BVerfG Johann Friedrich Henschel, der als Präsident des Ersten Senats selbst am "Kruzifix-Urteil" mitgewirkt hat, ließ sich sogar dazu hinreißen, das Urteil öffentlich zu rechtfertigen und den Vorwurf zu bestreiten, daß das Urteil verfassungswidrig sei. DW, Henschel: Urteil nicht sorgfältig genug formuliert: Vize-

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"Der Parteigeist ist ein Prokrustes,

der die Wahrheit schlecht bettet. " 51

Diese Liste ließe sich durch das interne Demokratiedefizit der Parteien52, deren maßlose Selbstversorgungsmentalität beispielsweise bezüglich öffentlicher Zuwendungen an Parlamentsfraktionen 53, hinsichtlich Übergangsbezügen und Ruhestandsregelun-

präsident des Verfassungsgerichts im WELT-Gespräch mit Bayerns Kultusminister, S. 1; Henschel, J. F./Zehetmair, H., Diskussion, passim. Während Johann Friedrich Henschel die Forderungen bayrischer Politiker, das Grundgesetz zu ändern oder die BVerfG-Entscheidung in Bayern nicht umzusetzen, lediglich als "illusorisch" bezeichnete (Welt-Nachrichtendienst, Verfassungsrichter verteidigt Kruzifixurteil, S. 2; vgl. auch Burger, H. u.a., Respekt vor dem Kruzifix-Urteil, S. 3), haben der Vorsitzende des deutschen Richterbundes Rainer Voss und der Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses Horst Eylmann angesichts der Diskussion um das "Kruzifix-Urteil" des BVerfG vor Schaden für den Rechtsstaat gewarnt, da einige kritische Äußerungen zu dem Urteil derart unverantwortlich seien, daß damit der demokratische Konsens gekündigt werde. DW, Eylmann fordert Respekt vor dem KruzifixUrteil, S. 2. Für den FDP-Ehrenvorsitzenden Hans-Dietrich Genscher öffneten Aufrufe zum Ungehorsam gegen das "Kruzifix-Urteil" gar den "Weg in die Anarchie", ddp, Genscher warnt vor Anarchismus, S. 2. 50 Beim "Kruzifix-Urteil" des BVerfG wurden die drei aus der Union kommenden Richter von fünf linksliberalen überstimmt. Burger, H. u.a., Respekt vor dem KruzifixUrteil, S. 3. 51 Heinrich Heine, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. 52 Dieses offenbart sich beispielsweise in der Aussage der Familienministerin im Januar 1994, daß sie keine Mehrheitsmeinung interessiere, wenn es um Gewissensentscheidungen gehe, oder in der Rücktrittsdrohung der Bundesjustizministerin für den Fall, daß sich die Parteimitglieder in der seinerzeit geplanten Mitgliederbefragung für das Abhören von Wohnungen Krimineller aussprechen sollten. Fietz, M., FDP klärt Position zu Abhöraktionen, S. 4; dies., Die Drohung, S. 6; dies., Liberale Spitze und Leutheusser uneins, S. 2; Fz, Leutheusser macht Druck auf die FDP-Basis, S. 1; Lambeck, M. S., Personaldiskussion entfacht Unruhe in FDP, S. 2. Eine breitere Diskussion über "mehr Demokratie in der Partei" hat erst vor wenigen Jahren eingesetzt, wie die genannte FDP-Mitgliederbefragung oder die Gestaltung des Wahlprogramms der SPD in Rheinland-Pfalz für die Landtagswahl am 24. März 1996 nach den Ergebnissen einer Fragebogenaktion ihrer Mitglieder beispielhaft belegen. (Neander, J., Mitglieder sollen über Wahlprogramm der Mainzer SPD entscheiden, S. 1). Seit es jedoch in fast allen Bundesländern das Instrument des Volksentscheids gibt und zunehmend Entscheidungen der regierenden Parteien durch die Bürger revidiert werden, ist es um diese Bemühungen auffallend still geworden. Vgl. dazu auch Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 1045 ff. 53 Die 6. Kammer des VG Schleswig (Az.: 6 A 286/949) hat dem seit mehreren Jahren überfälligen Urteil des BVerfG vorgegriffen und festgestellt, die jahrzehntelange Praxis öffentlicher Zuwendungen an Parlamentsfraktionen nicht im Einklang mit dem Grundgesetz steht. "Das Parlament gerät in den Verdacht, als »Selbstbedienungsladen' der Parteien zu fungieren." Goos, D., Gericht rügt unzulässigen Griff in die Staatskasse, S. 2.

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gen sowie durch Ämterpatronage 54, den gemeinwohlschädigenden Vorrang des Parteibuchs vor der Fach- und Sozialkompetenz bei der Besetzung selbst wichtigster politischer und wirtschaftlicher Positionen staatlicher Unternehmen55, die Unfähig-

54 Die Besetzung von Positionen in Staat und öffentlichen Unternehmen mit "verdienten Parteimitgliedern" ist nach dem Bund der Steuerzahler "Ämterpatronage im Sinne der Herrschaftspatronage". Damit alimentieren Steuerzahler und Verbraucher diese "Vettern- und Versorgungswirtschaft" (vgl. o.V., SPD kritisiert Schmidhubers Berufung, S. 13) "verdienter Parteimitglieder", die "unter parteipolitischen Gesichtspunkten" und nicht nach Befähigung und Sachverstand hochdotierte Posten zugeschanzt bekommen. Doch nicht nur dagegen, sondern auch gegen die unverhältnismäßigen Übergangsbezüge und großzügigen Ruhestandsregelungen wehrt sich der Bund der Steuerzahler seit Jahren ohne jeden Erfolg. Vgl. dpa, Staatssekretäre in die Produktion, S. 3; ferner breu, Parteienstreit um Postenschacher, S. 9. Dazu ausführlich Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 1113 ff. Bundeskanzler Helmut Kohl schreckt noch nicht einmal davor zurück, seinen Parteifreund Werner Münch für einen mit 200.000,- DM dotierten Posten bei der "Internationalen Arbeitsorganisation" (ILO) der Vereinten Nationen vorzuschlagen, obwohl gegen diesen seit seinem Rücktritt im Jahre 1993 als CDU-Ministerpräsident von SachsenAnhalt immer noch ein Ermittlungsverfahren wegen Betmgs und Beihilfe zur Untreue läuft. Vgl. dpa, Widerstand gegen Münchs neue Karriere, S. 2. 55 So wurde der ehemalige Β DI-Vorsitzende Tyll Necker nach dem Rücktritt von Jürgen Möllemann als Bundeswirtschaftsminister vorgeschlagen; der damalige FDPVorsitzende Otto Graf Lambsdorff wies dies jedoch zurück und erklärte öffentlich, man brauche einen Parteimann, der im Mammut Wahljahr 1994 ständig im Wahlkampf eingesetzt werden könnte. Vgl. HH, Minister hätte er werden können, S. 11. Angesichts der z.Zt. herrschenden katastrophalen Diskussion eines seit langer Zeit beklagten "Steuerchaos" (vgl. eis, Finanzhof-Präsident beklagt wachsenden Steuerfrust, S. 1 (der Präsident des Bundesfinanzhofes (BFH) qualifiziert die Steuergesetzgebung als nicht gerecht und zu kompliziert und die allgemeine Steuerlast als zu hoch; Folge sei eine sinkende Steuerehrlichkeit und ein sinkendes Unrechtsbewußtsein); Haiusa, M., Steuermoral auf dem Tiefpunkt, S. 11 (nach Ansicht des Vorsitzenden der Deutschen Steuer-Gewerkschaft ist die Steuermoral in Deutschland auf einem Tiefpunkt angelangt, die Sitten geradezu verfallen. Ursachen dafür seinen die hohe Abgabenbelastung und das komplizierte Steuerrecht); Scherer, P., Steuerchaos nährt Kriminelle, S. 3) ist rückblickend auf die Selbstherrlichkeit des Bundesfinanzministers Theo Waigel im Rahmen der Erfüllung der Auflage des BVerfG im Jahressteuergesetz 1996 zu verweisen, ein angemessenes Existenzminimum von der Steuer freizustellen: "Zu Mitgefühl gibt Theo Waigel aber wenig Anlaß. Denn in seine Lage hat er sich selbst manövriert. Alles fing damit an, daß er das von ihm selbst bestellte Gutachten einer Expertenkommission in einem Akt beispielloser Ignoranz vom Tisch fegte, noch bevor die kundigen Verfasser Gelegenheit hatten, ihre Vorschläge zu erläutern. Eine Empfehlung des Gutachtens lautete, das Existenzminimum auf 13.000 Mark festzusetzen. Genau dazu wird es auf Druck der SPD nun wohl auch kommen. Nicht anders verhält es sich mit der steuerlichen Besserstellung von Familien mit Kindern. Auch dafür hatten die Sachverständigen einen großzügigen Rahmen abgesteckt. Im Kem der Empfehlungen standen entschiedene Steuervereinfachungen, die für sich genommen schon eine Wohltat wären. Sie wurden ergänzt um mehr als 80 Vorschläge zum Abbau von Steuervergünstigungen. Die nannte Waigel gestern in Dresden "steuersystematisch bestechend", politisch aber kaum durchsetzbar. Mag sein. Aber warum hat er nicht wenigstens den Versuch gemacht? Dann

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Teil 3: Ausblick

keit des Treffens wesentlicher strategischer Leitentscheidungen56 u.a.m. ergänzen, so daß es wenig verwundert, daß "Die Deutschen ... nur ein geringes Zutrauen in die Fähigkeit der Parteien [haben], die zentralen Probleme Deutschlands zu lösen"57: "Es ist wahr, daß manche Unterteilungen für Staaten schädlich, andere vorteilhaft sind: schädlich sind die, welche Parteien und Parteigänger im Gefolge haben, vorteilhaft jene, welche sich auch ohne Parteien und Parteigänger erhalten. Da nun der Gründer eines Staates nicht Vorsorge dafür treffen kann, daß sich im Staat keine Zwistigkeiten ergeben, so muß er wenigstens dafür sorgen, daß sich keine Parteien bilden. 1,58 Hingegen ermöglicht das hier entworfene

dreistufige

Legislativ system die Ausarbei-

tung hinreichend bestimmter, durch die Beteiligung der interessierten Kreise und der Bürger praxistaugliche und infolge der Rückkopplung - nicht der inhaltlichen Mitsprache - mit Behörden und Gerichten Vollzugs- und rechtsprechungstauglicher Gesetze. Dies entlastet die Exekutive und Judikative von ihren heutigen rechtssetzenden Aufgaben und beschränkt demgemäß ihre Funktion gemäß der gewaltenteiligen Funktionenordnung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG praktisch vollständig auf den Gesetzesvollzug und die Rechtsprechung. Durch diese personelle und funktionelle Entflechtung von Legislative und Exekutive wird die geschilderte Selbstübertragung von Rechtssetzungsbefugnissen durchbrochen. Ohnehin ist die Rechtssetzung durch die Exekutive aufgrund der Leistungsfähigkeit des Systems, welche die heutigen Erfolge der technischen Normenorganisationen eindrucksvoll belegen, weitestgehend entbehrlich. Darüber hinaus erübrigt dieser Ansatz aufgrund der verfassungsgemäßen Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz alle "judiziellen Verlegenheitskonstruktionen", welche wie die normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift die durch diese auf administrativer Ebene notdürftig hergestellte Gleichheit auch auf die judikative Ebene übertragen wollen, und trägt so zur vollständigen Auflösung des zuvor beschriebenen legislativ-exekutiv-judikativen Machtmonopols bei. Indem schließlich die gesetzesvorbereitenden Ausschüsse der dritten Ebene des Legislativsystems nicht mit Parteimitgliedern, sondern mit Vertretern von Vereinigungen zur Vertretung singulärer Interessen besetzt sind, die ihren Gesetzentwurf nach Fertigstellung den Bürgern zur Stellungnahme vorlegen, leistet dieses System einen hinreichenden Beitrag zur Reduzierung des Politikmonopols der Parteien zugunsten der Wiederherstellung der Souveränität des Volkes. könnte er jetzt mit der Klinge der Vernunft fechten, statt in der selbstverschuldeten Klemme zu stecken." Baentsch, W., Waigel in der Klemme, S. 13. 56 So beklagt das BVerfG zu Recht, daß ihm zunehmend die politischen Entscheidungen beispielsweise bezüglich Auslandseinsätzen der Bundeswehr, Abtreibungen, Sitzblockaden, Einheitswerten, steuerlicher Freistellung des Existenzminimums u.a.m. zugeschoben werden, bezüglich derer der Gesetzgeber gefordert ist, durch vernünftige gesetzliche Regelungen Klarheit zu schaffen, welcher jedoch vielfach seit Jahrzehnten nichts unternommen hat. Vgl. Henschel, J. F./Zehetmair, H., Diskussion, S. 4. 57 Zitelmann, R., Wenig Vertrauen in Fähigkeit der Parteien, S. 2; ders., Vertrauensdefizit der Parteien, S. 2; ders., Die neuen Ängste der Jugend, S. 2. Ausführlich zur Kritik am Parteienstaat Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 772 ff. u. insbes. S. 1045 ff. 58 Machiavelli, Geschichte von Florenz, 7. Buch, zit. in: Rousseau, J.-J., Vom Gesellschafts vertrag, 2. Buch, 3. Kap.

G. Möglichkeiten und Grenzen

3.

1001

Ein System, welches das Gleichheitsgebot (Art. 3 GG) bestmöglich verwirklicht:

Wie in Abschnitt D dieses Ausblicks dargelegt, ist die Zielsetzung des Gesellschaftsvertrages wie das jeder Art von Gesetzgebung die Verwirklichung des höchsten Wohls aller, das Prinzip des Gemeinwohls, welches sich auf die zwei Hauptgegenstände Freiheit und Gleichheit 59 - also im Rousseauschen Sinne die Gleichheit in der Freiheit - zurückführen läßt. Auf der Basis des Gesellschaftsvertrages wird durch Vertrag und Recht anstelle dessen, was die Natur an physischer Ungleichheit unter den Menschen hervorbringt - d.h. des natürlichen Zustands der Macht des Stärkeren, die ihre einzige Schranke in der überlegenen Stärke anderer findet -, eine sittliche und rechtliche Gleichheit von der Art geschaffen, daß alle Bürger sich unter den gleichen Bedingungen verpflichten und sich der gleichen Rechte erfreuen dürfen. Dieser sich auch in Art. 3 GG manifestierende Gleichheitsgrundsatz ist nicht nur ein zentrales Rechtsprinzip unserer Verfassung, sondern auch unseres Gerechtigkeitsempfindens: "Die geringste Ungerechtigkeit ist eine Gefahr für die Gerechtigkeit hin. ,,6i - Ebenso die geringste Ungleichbehandlung.

schlecht-

Wie mehrfach ausgeführt, sind sowohl der heutige parlamentarische Gesetzgeber als auch der Verordnungsgeber nicht in der Lage, materiell oder formell hinreichend bestimmte Rechtsnormen zur Regelung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zu normieren. Fehlen jedoch allgemeinverbindlichen Normierungen, muß die verfassungsgemäß gebotene Gleichbehandlung der Normadressaten zwangsläufig auf der Rechtsanwendungsebene sichergestellt werden. Bezüglich des Gesetzesvollzugs kann dies entweder durch Verwaltungsvorschriften und andere innerdienstlich verbindliche Vorschriften oder durch exzessive Ausweitung präzedenzfallähnlicher Konstrukte wie das der "Selbstbindung der Verwaltung" geschehen. Selbst wenn auf diese Weise theoretisch die Verwirklichung der Gleichheit in analogem Maße wie durch das allgemeine Gesetz gelingen könnte, was jedoch entsprechend den Analysen dieser Arbeit in der Praxis nicht der Fall ist, bleibt das in Abschnitt E dieses Ausblicks geschilderte Problem der Ungleichheit judikativer Entscheidungen bestehen. Denn gemäß Art. 97 Abs. 1 GG sind die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen, so daß jede gerichtliche Entscheidung nur für den Einzelfall gilt. Dementsprechend wird infolge der ungenügenden normativen Vorgaben die verfassungsgemäß gebotene Gleichheit der gerichtlichen Behandlung der Normadressaten durch Entscheidungen unterschiedlicher Gerichte zu vergleichbaren technischen Systemen gefährdet, die einander teilweise schon in Grundsatzfragen und stärker noch in Einzelheiten widersprechen und in Extremfällen sogar zu gegensätzlichen Beurteilungen gleichgelagerter Sachverhalte gelangen, wie dies beispielsweise bei den innerhalb von zwölf Tagen gefällten kontroversen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Freiburg und Würzburg hinsichtlich des sicherheitstechnischen Erfordernisses eines Berstschutzes für Druckwasser-Reaktoren der 1300-MWe-Klasse der Fall war. Auch die vielfach benannten judiziellen "Verlegenheitskonstruktionen", welche die durch Verwaltungsvorschriften oder vergleichbares auf administrativer Ebene notdürftig hergestellte Gleichbehandlung der Normadressaten auch auf die judikative Ebene übertragen wollen, haben sich bis heute nicht bzw. nur teilweise durchzusetzen ver59 60

Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 4 f. m.z.N. Martin Luther King, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender.

1002

Teil 3: Ausblick

mocht. In diesem Zusammenhang zu nennen sind insbesondere die normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften oder die Akzeptanz von der gerichtlichen Kontrolle entzogenen Beurteilungsermächtigungen und/oder Ermessensspielräumen der Verwaltung. Aus diesen Ausführungen folgt unmittelbar, daß das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG durch die Rechtsprechung sowie - im Falle des Fehlens von Verwaltungsvorschriften wie etwa im Normen- und Regelsystem des Kernenergierechts61 - in der Praxis der Genehmigungsbehörden kaum noch verfassungskonform zu verwirklichen ist, wie auch das Bundesverwaltungsgericht hervorgehoben hat: "Daß eine solche für den jeweiligen Einzelfall vorgenommene Beschaffung der benötigten Entscheidungsgrundlagen Ergebnisse von durchaus unterschiedlichem Wert und damit eine ungleichmäßige Anwendung des Gesetzes befürchten ließe, liegt auf der Hand. Die bei einer solchen Handhabung des Gesetzes zu erwartenden - womöglich bis zur Auflösung der Gleichheit vor dem Gesetz reichenden - Unzuträglichkeiten ... " 62. Hingegen ermöglicht das hier entworfene

dreistufige

Legislativsystem,

wie zum vor-

herigen Punkt ausgeführt, die Ausarbeitung hinreichend bestimmter, praxis-, Vollzugs· und rechtsprechungstauglicher Gesetze. Indem die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung laut Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden sind, wird durch derartige Gesetze der Gleichheitsgrundsatz bestmöglich verwirklicht. Darüber hinaus erübrigt dieser Ansatz aufgrund der verfassungsgemäßen Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz auch die Notwendigkeit der Entwicklung und exzessiven Anwendung der genannten judiziellen "Verlegenheitskonstruktionen". 4.

Ein System, welches die Rechtssicherheit sowohl der Normanwender der Normadressaten bestmöglich gewährleistet:

als auch

Wie in Abschnitt F dieses Ausblicks ausgeführt, wird den aus dem Rechtsstaatsprinzip der Verfassung (Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 GG) abgeleiteten Postulaten der Gesetzesbestimmtheit und -klarheit sowie der Berechenbarkeit der normativen Pflichtenlage, des Gesetzesvollzugs und der Rechtsprechung - kurz: dem Gebot der Rechtssicherheit für Normanwender und Normadressaten - nur dann bestmöglich genügt, wenn die Gesetze die Beschaffenheitsanforderungen und Verhaltenspflichten bis in alle notwendigen technischen Einzelheiten materiell regeln. Denn das Recht erfüllt seine Ordnungsaufgabe und Regelungsfunktion nur, wenn die der rechtlichen Regelung Unterworfenen mit hinreichender Sicherheit voraussehen können, was die rechtliche Regelung von ihnen fordert und wie die Anwendung der Rechtsnorm durch Behörden und Gerichte erfolgen wird, wie auch der EuGH in seiner Kritik der (normkonkretisierenden) Verwaltungsvorschriften ausgeführt hat: "Im übrigen ist die Festlegung eines Grenzwertes in einer Vorschrift, deren Verbindlichkeit unbestreitbar ist, auch deshalb geboten, damit all jene, deren Tätigkeit

61

Vgl. Kap.II.A.l.c)dd)(3)(c). BVerwGE 55, S. 250 (257). Vgl. auch die vollständigere Wiedergabe des Zitats in Abschn. E dieses Ausblicks. 62

G. Möglichkeiten und Grenzen

1003

Immissionen zur Folge haben können, genau wissen, welche Verpflichtungen ben," 63

sie ha-

Auf der anderen Seite ist der Rechtsschutz einer entsprechenden Vorschrift auch nur dann gegeben, wenn der in seinen Rechten verletzte Bürger sich auf deren Verbindlichkeit verlassen kann: "Dies bedeutet, daß die Betroffenen in allen Fällen, in denen die Überschreitung der Grenzwerte die menschliche Gesundheit gefährden können, in der Lage sein müssen, sich auf zwingende Vorschriften zu berufen, um ihre Rechte geltend machen zu können.

Wie mehrfach ausgeführt, sind sowohl der heutige parlamentarische Gesetzgeber als auch der Verordnungsgeber nicht in der Lage, materiell oder formell hinreichend bestimmte Rechtsnormen zur Regelung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zu normieren. Wie in Abschnitt E dieses Ausblicks dargelegt, verursacht dieses Fehlen allgemeinverbindlicher normativer Regelungen eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechtssicherheit, welche sich im Extremfall sogar bis zu deren Beseitigung steigern kann. Diese resultiert im wesentlichen aus dem Regelwirrwar staatlicher und privater Normen, der verschwindend geringen materiellen Regelungsdichte der allgemeinverbindlichen Rechtsnormen, den Unsicherheiten bezüglich der ohnehin schwachen Bindungswirkung der- materiell hinreichend konkreten- technischen Normen, dem teilweisen Fehlen von das Verwaltungshandeln vereinheitlichenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften, den zahlreichen ungelösten rechtswissenschaftlichen Streitfragen insbesondere bezüglich des Verhältnisses der drei Gewalten zueinander sowie der Unberechenbarkeit von Dauer und Ausgang der verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Hingegen ermöglicht das hier entworfene

dreistufige

Legislativ system , wie zuvor

dargelegt, die Ausarbeitung hinreichend bestimmter, praxis-, Vollzugs- und rechtsprechungstauglicher Gesetze, welche gleichermaßen für Normanwender, Normadressaten und rechtsschutzsuchende Dritte verbindlich und konkret die Regeln für das gute Zusammenleben aller mit allen normieren und damit die Rechtssicherheit für Normanwender und Normadressaten bestmöglich verwirklichen. 5.

Ein System, welches Behörden und Gerichte von Rechtssetzungsfunktionen lastet:

Gemäß der gewaltenteiligen Funktionenordnung (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG) soll die Exekutive mit dem Gesetzesvollzug und die Judikative mit der Rechtsprechung befaßt sein. Dabei sind die vollziehenden Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Fehlen jedoch derartige Gesetze, oder geben sie den Normanwendem nur einen ungenügenden Konkretisierungsrahmen vor, so sind diese in den Worten des Bundesverfassungsgerichts gezwungen, "das Regelungsdefizit der normativen Ebene aus[zu]gleichen"65, mithin 63

EuGH, NVwZ 1991, S. 866 (868). EuGH, NVwZ 1991, S. 866 (867). 65 BVerfGE 49, S. 89 (135); vgl. auch ebd., S. 139. Vgl. femer Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 86; ders., Atomrecht, S. 241 f.; Marburger, P., Atomrechtliche Schadensvorsorge, S. 152; ders., Sicherheitstechnische Normen, S. 126; ders., 64

ent-

1004

Teil 3: Ausblick

nicht (nur) normkonkretisierend, sondern (auch) normergänzend und damit rechtssetzend tätig zu werden, wobei sich die Betonung mit zunehmender Unbestimmtheit der normativen Vorgaben auf die letztere Aufgabe verschiebt. Wie in den ersten beiden Abschnitten dieses Ausblicks nachgewiesen, ist die Regelungsleistung der Gesetze und Rechtsverordnungen im Umwelt- und Technikrecht sowohl materiell als auch formell ungenügend. Folglich können die rechtsanwendenden Behörden und die Gerichte nicht ersehen, welche Beschaffenheits- und Verhaltensanforderungen der heutige parlamentarische Gesetzgeber und der Verordnungsgeber bezüglich des betreffenden technischen Systems im einzelnen durch die mit offenen Rechtsbegriffen umschriebenen Anforderungen verlangen. Indem verbindliche sicherheitstechnische Vorschriften nicht vorhanden sind, müssen die Genehmigungsbehörden und im Falle eines Rechtsstreits die Verwaltungsgerichte die Kontrollmaßstäbe für die Genehmigung mit Hilfe technischer Normen und umfangreicher Sachverständigengutachten eigenständig festsetzen. Sie sind demnach nur in geringem Maße gesetzesvollziehend und statt dessen in hohem Maße rechtssetzend tätig. Diese Tatsache trägt signifikant zu der häufig beklagten Überlastung von Behörden und Gerichten bei. Von diesen rechtssetzenden Aufgaben entlastet das hier entworfene dreistufige Legislativsystem die Rechtsanwender, indem es die Ausarbeitung hinreichend bestimmter, durch die Beteiligung der interessierten Kreise und der Bürger praxistauglicher und infolge der Rückkopplung - nicht der inhaltlichen Mitsprache - mit Behörden und Gerichten Vollzugs- und rechtsprechungstauglicher Gesetze ermöglicht, die von der Verwaltung effizient vollzogen und von den Gerichten unmißverständlich auf ihre Einhaltung kontrolliert werden können. Folglich werden die Funktionen von Exekutive und Judikative entsprechend der gewaltenteiligen Funktionenordnung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG weitestgehend auf den Gesetzesvollzug und die Rechtsprechung beschränkt, wodurch deren heutiger Überlastung wirksam begegnet wird. 6.

Ein System, welches den Gesetzesvollzug verbessert:

Entsprechend den Ausführungen des Abschnitts D dieses Ausblicks schafft der Gesellschaftsvertrag durch Vertrag und Recht anstelle dessen, was die Natur an Ungleichheit aufgrund der Macht des Stärkeren unter den Menschen hervorbringt, eine sittliche und rechtliche Gleichheit von der Art, daß alle Bürger sich unter den gleichen Bedingungen verpflichten und sich der gleichen Rechte erfreuen dürfen. Dementsprechend ist ein Gesetz im Sinne Rousseaus ein Akt, bei dem das ganze Volk über das ganze Volk bestimmt und die Sache, über die das Volk entscheidet, so allgemein ist wie der bestimmende Wille. Dabei ist evident, daß die gesetzlich normierten Rechte und Pflichten für alle Bürger nur dann tatsächlich gleich sind - mithin die apostrophierte Gleichheit nur dann Realität wird -, wenn diese Gesetze auch ausnahms- und lückenlos vollzogen werden. Wie bereits zuvor zitiert, gilt auch hier, daß die geringste Ungerechtigkeit eine Gefahr für die Gerechtigkeit schlechthin ist, also

Technische Sicherheit, S. 17; ders., Die gleitende Verweisung aus Sicht der Wissenschaft, S. 28; ders., Bezugnahme, S. 31; Scholz, R., Technik und Recht, S. 698 f.; ders., Verhältnis, S. 93.

G. Möglichkeiten und Grenzen

1005

auch die geringste Ungleichbehandlung durch einen unterschiedlichen Gesetzesvollzug. Die Unfähigkeit des sowohl des heutigen parlamentarischen Gesetzgebers als auch des Verordnungsgebers zur Normierung materiell oder formell hinreichend bestimmter Rechtsnormen zur Regelung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts bildet auf zweifache Weise die Ursache dafür, daß der heutige Gesetzesvollzug insbesondere im Umwelt- und Technikrecht vielfach als mangelhaft charakterisiert wird: Erstens sind für den Vollzug und die praktische Anwendung einer Rechtsvorschrift, d.h. die wirksame Regelung auch des wissenschaftlich-technischen Fortschrittsprozesses, sehr spezialisierte Festlegungen etwa in Form meßbarer und damit unmittelbar nachvollziehbarer Werte erforderlich, die folglich ohne Schwierigkeiten von den Behörden vollzogen, von den Gerichten überprüft und von den Normadressaten in praktische Lösungen umgesetzt werden können. Derartig praktikable Festlegungen, die eine eindeutige Bestimmung der Pflichtenlage bedeuten würden, enthält jedoch nicht eine der normativen Ebenen der Normen- und Regelsysteme des Umwelt- und Technikrechts. Den zweiten - mittelbaren - Grund für den mangelhaften Gesetzesvollzug bildet die zuvor geschilderte Notwendigkeit des Ausgleichs des normativen Regelungsdefizits durch die Behörden und Gerichte. Aus dieser Vervielfachung der prinzipiell nur einmal abstrakt-generell zu treffenden Entscheidung - mit der Anzahl der behördlichen und gerichtlichen Entscheidungsverfahren innerhalb des zeitlichen und räumlichen Geltungsbereiches einer imaginären, hinreichend konkreten Rechtsnorm als Multiplikator - resultiert eine erhebliche fachliche und zeitliche Überlastung von Behörden und Gerichten. Diese Überlastung wiederum ist eine wesentliche Ursache des vielbeklagten Vollzugsdefizits der rechtlichen Regelungen des Umwelt- und Technikrechts, die sich unter anderem in einer lückenhaften Überwachung und einer verbreiteten Neigung, aus Gründen der Arbeitsersparnis nur leicht durchsetzbare Anforderungen zu stellen, manifestiert 66. Hingegen trägt das hier entworfene dreistufige Legislativsystem signifikant zur Verbesserung des Gesetzes Vollzuges bei, indem es die beiden genannten Ursachen des heutigen mangelhaften Gesetzesvollzuges beseitigt: Zum einen ist das System in der Lage, hinreichend bestimmte, durch die Beteiligung der interessierten Kreise und der Bürger praxistaugliche und infolge der Rückkopplung - nicht der inhaltlichen Mitsprache - mit Behörden und Gerichten Vollzugs- und rechtsprechungstaugliche Gesetze hervorzubringen. Zum anderen wird die Exekutive von ihrer heutigen rechtssetzenden Aufgaben entlastet und folglich ihre Funktion entsprechend der gewaltenteiligen Funktionenordnung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG weitestgehend auf den Gesetzesvollzug beschränkt. Dadurch entfällt, wie im vorherigen Punkt ausgeführt, die Überlastung der Behörden und Gerichte, welche die zweite Ursache des heute mangelhaften Gesetzesvollzugs darstellt.

66 Vgl. zum Vorherigen die Ausführungen in Abschn. E dieses Ausblicks bezüglich der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards und andere offene Rechtsbegriffe.

1006 7.

Teil 3: Ausblick Ein System, welches den Wirtschaftsstandort Standortwettbewerb unterstützt:

Deutschland im internationalen

Die Attraktivität eines Wirtschaftsstandortes wird durch zahlreiche Faktoren bestimmt, die neben politischer und sozialer Stabilität, Größe und Bedeutung des Absatzmarktes, Steuer- und Abgabenbelastung, Flexibilität des Arbeitsmarktes, Ausbildungsstand der Arbeitnehmer, Lohn- und Lohnnebenkosten, Infrastruktur u.a.m.67 auch die Geschwindigkeit,

Flexibilität

und Vorhersehbarkeit

der Genehmigung von

Investitionsentscheidungen umfaßt. Daher ist es unabdingbare Voraussetzung, Investitionssicherheit durch vorhersehbare und berechenbare schütz- und sicherheitstechnische Anforderungen in Gesetzen zu schaffen, die den Behörden zügige, da ohne größere Eigenleistung zu vollbringende Entscheidungen über Genehmigungen auch von technischen Großprojekten sowie den Gerichten im Falle eines Rechtsstreites eine gleichfalls zeitnahe Entscheidung über die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns ermöglichen. Das heutige politische System, welches durch eine verschwindend geringe normative Regelungsdichte der Verwaltung und letztinstanzlich den Gerichten die faktische Normsetzungsmacht einräumt, hat in der Vergangenheit vor allem bei der Genehmigung großtechnischer Anlagen - z.B. von Kraftwerken, Flughäfen oder Chemieanlagen - zu erheblichen Schwierigkeiten geführt. Wie in Abschnitt E des Ausblicks ausgeführt, muß in diesen Bereichen ein Investor nicht nur mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit leben, welche aus der ungenügenden Berechenbarkeit der einzelnen Teilgenehmigungsentscheidungen der Behörden sowie der noch größeren Unsicherheit bezüglich der Urteile der hierzu in aller Regel angestrengten mehrinstanzlichen Gerichtsverfahren resultiert. Darüber hinaus sieht sich der Unternehmer mit intolerablen Genehmigungszeiträumen konfrontiert, da letztinstanzliche Urteile häufig erst nach einem Zeitraum von sechs bis zwölf Jahren ergehen, so daß von dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Inbetriebnahme in jedem Fall mehr als zehn Jahre verrinnen. Diese kaum noch kalkulierbare Dauer und Instanzenfolge behördlicher und gerichtlicher Verfahren bezüglich technischer Großvorhaben, die "längst zum Alptraum der Beteiligten geworden" sind68, tragen zu einem erheblichen Anteil zu der mangelhaften Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland bei. Hingegen trägt das hier entworfene dreistufige Legislativsystem signifikant zur Stärkung der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland bei, indem es hinreichend bestimmte, durch die Beteiligung der interessierten Kreise und der Bürger praxistaugliche und infolge der Rückkopplung - nicht der inhaltlichen Mitsprache mit Behörden und Gerichten Vollzugs- und rechtsprechungstaugliche Gesetze hervorzubringen in der Lage ist. Obwohl durch die Praxisorientierung i.V.m. der Vollzugsund Rechtsprechungstauglichkeit de jure die bestmöglichen Voraussetzungen für die Gewährleistung der Investitionssicherheit und die Geschwindigkeit und Flexibilität des Genehmigungs- und gegebenenfalls des Gerichtsverfahrens gegeben sind, ist dies allein noch nicht ausreichend. Wie bereits am Ende der Schilderung des Modells zu Beginn dieses Kapitels zum Ausdruck gebracht, muß die Bürgerorientierung der 67

Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 36 in diesem Abschnitt. Breuer, R., Umweltschutz, S. 38. Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschn. E dieses Ausblicks bezüglich der mittelbaren Rezeption technischer Normen durch normative Standards und andere offene Rechtsbegriffe. 68

G. Möglichkeiten und Grenzen

1007

skizzierten Legislativorganisation ihre Fortsetzung in der Bürgerorientierung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung finden. Dies beinhaltet nicht nur die sinnvolle Zusammenfassung von administrativen Kompetenzen derart, daß mit einer Genehmigung nur noch eine rechtsvollziehende Behörde befaßt ist - und ein potentieller Investor nicht mehr, wie heute, bei bis zu 19 (!) Behörden eine Erlaubnis beantragen muß69 -, sondern auch, daß der dynamischen wissenschaftlich-technischen und wirtschaftlichen Entwicklung eine dynamische Verwaltung zur Seite gestellt wird, die mit einem der Wirtschaft angepaßten straffen Zeit- und Projektmanagement arbeitet:

"Die technikanwendende Wirtschaft, die mit einem harten ,Zeitmanagement' arbe tet, braucht als Partner eine mit einem zeitlich straffen Projektmanagement arbei tende Verwaltung, die Genehmigungsverfahren unter Berücksichtigung und Betei gung aller Interessen zügig erledigt. " 70 Notwendig ist demnach eine managementorientierte Technikverwaltung mit einem effizienzorientierten Verwaltungsrecht und einer dementsprechenden Verwaltungsaufbau- und -ablauforganisation . Über den hier dargelegten Beitrag zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland leistet das hier entworfene dreistufige Legislativsystem noch weitere signifikante Beiträge zur Erhöhung der Attraktivität des Standortes, welche nachfolgend unter den Punkten 11 ff. behandelt werden. Über die dauerhafte Beseitigung der Ursachen der in Abschnitt F dieses Ausblicks genannten sieben Probleme hinaus sollte das Organisationsmodell den in Abschnitt D herausgearbeiteten drei grundlegenden Anforderungen an die bestmögliche Ausbildung der "volonté générale" genügen, von denen die beiden letzten sich zugleich mit den am Ende des Abschnitts F genannten beiden stichhaltigen Gründen für die Unfähigkeit des heutigen parlamentarischen Gesetzgebers zur Regelung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts decken: 8.

Ein System, welches die Ausbildung der "volonté générale " in ihrer Anlage zumindest prinzipiell ermöglicht:

Die Leitlinie und Richtschnur dieser Arbeit bildet das in Abschnitt D dieses Ausblicks vorgestellte idealisierte direktdemokratische Willensbildungsmodell Rousseaus, demzufolge ein Gesetz nur dann die "volonté générale" und damit die Gleichheit in der Freiheit 72 verwirklicht, wenn alle Bürger eines Staates als aufgeklärte, aber isolierte Individuen darüber abstimmen und es keinen förmlichen Ausschluß eines Teils des Volkes von der Abstimmung gibt.

69

Herzog, R., Berliner Rede, S. 8. So der für einen Juristen und Staatsrechtslehrer mehr als beachtliche Vorschlag von Bullinger, M., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 291. 71 Bullinger, M., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 292. Zustimmend Wieland, J., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 316. 72 Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 4 f. m.z.N. 70

1008

Teil 3: Ausblick

Im heutigen politischen System werden die Gesetze de jure von den unmittelbar gewählten Volksvertretern des Parlaments, de facto jedoch überwiegend durch die Regierung, welche eine Partei oder eine Koalition aus Parteien stellt, in den Bundestag eingebracht; diese sind in aller Regel nicht von Parlamentsmitgliedern, sondern von der Ministerialbürokratie erarbeitet worden; sie werden de facto nicht vom Bundestag, sondern von den Fraktionsspitzen angenommen und mittels Fraktionsdisziplin im Bundestag durchgesetzt; gleiches gilt für den Bundesrat, der nur noch am Rande der Interessenvertretung der Länder dient, solange dort nicht die Oppositionsparteien die Mehrheit haben und die zweite gesetzgebende Kammer für ihre Interessen instrumentalisieren 73. Dem Bürger verbleiben bestenfalls Anhörungs-74 und Petitions-75, also Bitt(steller)rechte 7 . Hingegen ist das hier entworfene dreistufige Legislativsystem nicht nur prinzipiell geeignet, die "volonté générale" zu verwirklichen; denn der Volksentscheid, welcher die Spitze des Legislativsystems bildet, entspricht - unter der Voraussetzung der 73

Vgl. die vorhergehenden Ausführungen zu Pkt. 2. Vgl. Kap. I.A.3.d)aa). Mit Recht kritisch dazu, daß die zugrundeliegenden Gesetze für die exekutive Gesetzeskonkretisierung vielfach keinerlei Vorschriften über die Beteiligung der Öffentlichkeit, der betroffenen Interessen oder von wissenschaftlich und/oder technisch Sachverständigen enthalten und in den Fällen, wo dies doch der Fall ist, die nähere Organisations· und Verfahrensgestaltung offenbleibt, mithin der Exekutive anheimgegeben ist, Breuer, R., Umweltgesetzbuch, S. Β 72 ff. (der auf S. 74 fordert, daß "diese Handlungsformen organisations- und verfahrensrechtlich wenigstens in Umrissen durch Gesetz geprägt und vorgeschrieben sind"); Denninger, E., Verfassungsrechtliche Anforderungen, S. 54 ff., 172 f. Teilweise werden auch nicht alle, sondern nur bestimmte gesellschaftliche Gruppierungen von Informations- und Anhörungsrechten ausgeschlossen, wie beispielsweise geschehen im Zuge der nationalen Umsetzung der Richtlinie des Rates zur europäischen Umweltverträglichkeitsprüfung (Richtlinie des Rates vom 27.06.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337/ EWG) v. 27.06.1985 - ABl. EG 1985 Nr. L 175, S. 40-) als Gesetz über Umweltverträglichkeitsprüfung (Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 27.06.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337/EWG) v. 12.02.1990 (BGBl. I, 1990, Nr. 6, S. 205-214), zul. geänd. d. MBP1G v. 23.11.1994 (BGBl. I, 1994, Nr. 83, S. 3486-3490), durch welches die Umweltschutzverbände aus dem Anhörungsverfahren ausgeschlossen werden. Vgl. dazu Schachtschneider, Κ. Α., Umweltverträglichkeit, S. 470. Gleiches gilt im übrigen auch auf der Ebene der Europäischen Union, wo sich die Kommission ausdrücklich das Recht vorbehält, "von jeglicher Anhörung ab[zu]sehen, sofern sie sich für hinreichend informiert hält, um Vorschläge zu unterbreiten". Vgl. dazu die Vereinbarung über die Zusammenarbeit CEN/KOM, Teil B, Abschn. II Nr. 1 Abs. 3. 75 Das Petitionsrecht ist ein gemäß Art. 17 GG garantiertes Grundrecht eines jeden, "sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten und Beschwerden an die zuständigen Stellen oder die Volksvertretung" wenden zu können. Vgl. dazu Pieroth, B. u.a., Grundrechte: Staatsrecht II, Rn. 1068 ff. 76 Der Begriff "Petition" kommt aus dem lateinischen und bedeutet "Bittschrift" oder "Eingabe". Duden "Fremdwörterbuch", S. 595. 74

G. Möglichkeiten und Grenzen

1009

Aufgeklärtheit der Bürger und unter Vernachlässigung der nicht zu verwirklichenden Isolation der Bürger - dem Idealbild der Rousseauschen Gesetzgebung. Gegenüber der zweiten Ebene des strategischen, demokratisch gewählten Parlaments wird die Souveränität des Volkes durch das Petitions- bzw. Einspruchsrecht sowie dadurch gewahrt, daß sich dieses jegliche Entscheidung vorbehalten und eine ergangene strategische Leitentscheidung innerhalb eines gewissen Zeitfensters durch ein erfolgreiches Volksbegehren und einen anschließenden Volksentscheid revidieren kann: "Das heißt nicht, daß die Befehle der Oberhäupter nicht so lange für Gemeinwillen gelten können, als der Souverän, der die Freiheit hat, sich zu widersetzen, dies nicht tut. In einem solchen Fall muß man aus dem Schweigen aller auf die Zustimmung des Volkes schließen. " 77

Auf der dritten Ebene der gesetzesvorbereitenden Ausschüsse besitzt schließlich jeder Bürger das Recht, nicht nur die Erarbeitung neuer Gesetze, sondern auch die Änderung, Ergänzung, Kürzung und Aufhebung geltender Gesetze zu beantragen. Nach der Erstellung des Gesetzentwurfs hat jeder Bürger das Recht, durch Zustimmungen oder Einsprüche in Form von Änderungs-, Kürzungs- und Ergänzungsvorschlägen zum Gesetzentwurf Stellung zu nehmen, welche nach Ablauf der Einspruchsfrist mit den Einsprechenden beraten werden. Im - theoretischen - Grenzfall, daß alle Bürger von ihrem Einspruchsrecht Gebrauch machen, entspricht dieses Verfahren einem Volksentscheid; dieser ist allerdings modifizierter Art, da keine binäre Abstimmung über mehrere Gesetzentwürfe erfolgt, sondern das Ziel verfolgt wird, auf dem Wege der inhaltlichen Mitgestaltungsmöglichkeit eine gemeinsame konsensuale Bestlösung zu ermitteln, welche alle betroffenen kollektiven und individuellen Bedürfnisse ausgeglichen berücksichtigt78. Macht ein Bürger von seinen Mitgestaltungsrechten keinen Gebrauch, ist auch auf dieser Ebene sein Schweigen als Zustimmung zu deuten. Auf diese Weise können gesellschaftliche Entwicklungen wesentlich schneller Eingang in die Gesetzgebung finden. Ein Beispiel ist die frühe Entstehung der umweltpolitischen Gruppierungen wie Greenpeace, BUND und WWF, welche in diesem Modell sofort als gesamtgesellschaftliches umweltpolitisches Korrektiv in der Gesetzgebung hätten wirken können, deren umweltpolitische Anliegen im heutigen politischen System erst mit der (Gefahr der) Wahl der Grünen in den Bundestag und die Landtage zur stärkeren ökologischen Ausrichtung der Gesetzgebung führte. 9.

Ein System, welches eine zur wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklung zeitnahe Regelsetzung und -änderung ermöglicht:

Wie in Abschnitt D dieses Ausblicks ausgeführt, erfordert unsere zunehmend komplexe, vernetzte Lebens Wirklichkeit aufgrund ihres ständigen, sich beschleunigenden

77

Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 1. Kap. Eine derart umfassende Mitgestaltungsmöglichkeit besteht heute weder bei Gesetzen, noch bei Rechts Verordnungen, noch bei Verwaltungsvorschriften oder sonstigen behördeninternen Richtlinien, noch bei den beratenden Expertengremien wie beispielsweise der RSK und der SSK (vgl. zu diesen Kap. ILA. 1 .c)dd)(3)(d)), sondern - außer bei den technischen Normenorganisationen - nur noch bei einigen öffentlich-rechtlichen technischen Regelerstellern wie beispielsweise dem KTA. Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 160 f. Vgl. dazu Kap. II.A.l.c)dd)(3)(e). 78

6

Zubke-von Thünen

1010

Teil 3: Ausblick

Wandels nicht nur eine hinreichend schnelle und zeitnahe Normenerstellung, sondern vor allem auch deren laufende Anpassung an die sich ändernde wissenschaftliche, technische und gesellschaftliche Entwicklung, da nur unter dieser Voraussetzung eine wirksame Regelung des menschlichen Zusammenlebens möglich ist. Nur dann,

wenn sich Tatbestand und Rechtsfolge stets an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, technischen Möglichkeiten und gesellschaftlichen Zielvorstellungen orientieren, kann die Rechtsnorm als das Seinsollende dem Sein als Leitlinie und Richtschnur den richtigen Weg weisen. Je weiter sich hingegen Tatbestand und Rechtsfolge von der Lebenswirklichkeit entfernen - indem beispielsweise im Tatbestand die Ursachen unerwünschter Technikfolgen nicht oder qualitativ bzw. quantitativ nicht zutreffend erfaßt sind und/oder die Rechtsfolge infolge sich als unzureichend herausstellender Maßnahmen nicht zur notwendigen Systemkorrektur führt -, desto weniger zielführend und effektiv wird die Regelungsleistung sein. Im heutigen politischen System erweisen sich nicht nur der parlamentarischen Gesetzgeber, sondern auch der Verordnungsgeber 79 und sogar der Verwaltungsvorschriftengeber 80 als unfähig, materiell oder formell hinreichend bestimmte Rechtsnormen zur Regelung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in der erforderlichen Geschwindigkeit zu erstellen und entsprechend der wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklung in hinreichend kurzen Zeitabständen zu aktualisieren. Daraus resultiert mit zunehmendem Alter nicht nur eine abnehmende Regelungsleistung, sondern auch die zunehmende Gefahr der Behinderung der wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklung. Hingegen ermöglicht das hier entworfene dreistufige

Legislativsystem

durch die ein-

gangs geschilderten81 leistungsfähigen Strukturen der Aufbau- und Ablauforganisati79

Beispielsweise wurde im Zusammenhang mit dem Normen- und Regelsystem des deutschen Immissionsschutzrechts aufgezeigt, daß die 13. BImSchV, die gemäß ihres § 1 Abs. 1 S. 2 explizit Festlegungen zur Risiko Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 5 Nr. 2 BImSchG enthalten soll, diesen Anforderungen respektive dem "Stand der Technik" angesichts ihres Alters von nunmehr über 13 Jahren schon lange nicht mehr genügt, zumal die Bestimmungen der 13. BImSchV vielfach auf den Normierungen der TA Luft von 1974 beruhen oder mit diesen äquivalent sind, die sich ihrerseits weitestgehend auf die wiederum zeitlich zuvor erarbeiteten einschlägigen VDI-Richtlinien und DIN-Normen stützen, so daß sich die Festlegungen der 13. BImSchV in vielen Fällen auf den Stand der Technik von vor über 22 Jahren beziehen. Vgl. Kap. II.A.l.c)dd)(2)(b) sowie Kap. II.A.l.d). Auch in Frankreich erwiesen sich die im Normen- und Regelsystem der Gerätesicherheit erlassenen "arrêtés" als Behinderung des technischen Fortschritts. Vgl. dazu Kap. II.A.2.c)dd)(2). 80 In der Praxis weisen die rezipierenden Verwaltungsvorschriften Aktualisierungszeiträume von teilweise vier und mehr Jahren (diese Zahlenangabe gilt für die Anhänge der GSGVwV, die zum Analysezeitpunkt im Jahre 1996 ein Alter von jeweils über vier Jahren aufwiesen; vgl. Kap. II.A.l.c)dd)(4)(c)(aa)), teilweise aber auch von zwölf Jahren (so erfolgten die letzten Aktualisierungen der TA Luft in den Jahren 1986, 1974 und 1964; vgl. Kap. II.A.l.c)dd)(2)(c)) auf, wobei die allgemeine Verwaltungsvorschrift im letzten Beispiel sogar den normativen Standard "Stand der Technik" i.S.d. BImSchG konkretisieren soll. 81 Vgl. auch die diesbezüglichen Ausführungen zu den technischen Normenorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland in Kap. II.A.l.a)gg), in Frankreich in Kap. II.A.2.a)ee), in dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland in

G. Möglichkeiten und Grenzen

1011

on der dritten Ebene die simultane Ausarbeitung von Gesetzentwürfen und deren periodische Aktualisierung für eine in weiten Grenzen beliebig große Menge von Regelungsaufgaben. Die Effizienz der Strukturen resultiert primär aufbauorganisatorisch aus der Simultanität der Gesetzgebungs- und -änderungsverfahren in den Komitees, Unterkomitees und zeitlich befristeten Arbeitskreisen der gesetzesvorbereitenden Ausschüsse sowie deren reibungs- und überschneidungsfreier Koordination durch die sektoralen strategischen Vorgaben der Lenkungsgremien; ablauforganisatorisch beruht sie auf der Entsendung der kompetentesten Experten der betroffenen und interessierten Kreise sowie auf den Stellungnahmen der fachkompetenten Bürger, wodurch ohne die Notwendigkeit einer zeitraubenden Einarbeitung82 eine ebenso effiziente wie kompetente Problemlösung sichergestellt ist. Dies entspricht dem Effizienzgedanken des Dezentralisierungsprinzips, demzufolge die Entscheidungen auf der unterstmöglichen, noch dazu fähigen Ebene getroffen werden sollen, die in aller Regel auch die sachkompetenteste ist, da sich diese am unmittelbarsten mit der jeweiligen Entwicklung befaßt. Diese Erkenntnis, "welche erstaunlichen Ergebnisse Sie erzielen, wenn Sie die Entscheidungskompetenz dahin verlagern, wo auch die Sachkompetenz sitzt"83, setzt sich - zumindest in der Wirtschaft - immer mehr durch.

10. Ein System, welches für die Regelung einer Angelegenheit eine möglichst hohe Sachkenntnis erschließt: Laut den Ausführungen des Abschnitts D dieses Ausblicks ist für eine aufgeklärte freiheitliche Gesetzgebung im Sinne Rousseaus eine möglichst hohe Sachkenntnis des Regelungsgegenstandes unabdingbare Voraussetzung. Denn viele Problemstellungen liegen heute derart über dem Niveau des Allgemeinwissens, daß sie ohne gehobene Sachkenntnis und nur gestützt auf den "gesunden Menschenverstand" nicht zu begreifen und folglich erst recht keiner befriedigenden Lösung zuzuführen sind. Folglich thematisiert der Aspekt der Fachkunde die Möglichkeit, in unserer heutigen komplexen, vernetzten und dynamischen Lebenswirklichkeit eine Fragestellung überhaupt einer angemessenen Lösung zuführen zu können. Wie bereits zu den Punkten zwei und acht ausgeführt, werden im heutigen politischen System die Gesetze von der Ministerialbürokratie erarbeitet und durch die Regierung, welche eine Partei oder eine Koalition aus Parteien stellt, in den Bundestag eingebracht. Wie im Teil II dieser Arbeit nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch für Frankreich, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland sowie die Europäische Union ausgeführt, verfügen in diesen Staaten und Staatenbünden weder die gesetzgebenden Organe, noch die gesetzesvorbereitenden Behörden, noch die politischen Parteien auch nur annähernd über den erforderliKap. II.A.3.a)ff), in der Europäischen Union in Kap. II.B.l.c) sowie auf der internationalen Ebene die Ausführungen am Ende des Kap. II.C. 1 .c)dd). 82 Wie sie in den heutigen generalistischen gesetzgebenden Gremien theoretisch zwar unausweichlich, aber praktisch nicht annähernd zu leisten ist: "Natürlich muß man sehen, daß fast jedes Gesetz im vollen Umfange nur von wenigen Abgeordneten, den jeweiligen Experten, voll verstanden wird; die anderen müssen auf die Auskünfte ihrer Fraktionskollegen vertrauen." Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 171. 83 So die Aussage des Geschäftsführers der Wacker Chemie, Johannes Kohl, zit. in: Glück, G., Unter Beschüß, S. 117.

6*

1012

Teil 3: Ausblick

chen Sachverstand, um im Bereich des Umwelt- und Technikrechts hinreichend bestimmte, praxis-, Vollzugs- und rechtsprechungstaugliche Gesetze zu erarbeiten und diese nach Maßgabe des wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Fortschritts zu aktualisieren, woran auch die Ausbildung eines "nahezu unüberschaubaren Beiratswesens"84 sowie die intensive Nutzung von Expertenanhörungen85 aufgrund der Begrenztheit der Wissensvermittlung nur bedingt etwas zu ändern vermögen. Da schließlich die Gesetze nur in den seltensten Fällen eine Beteiligung der betroffenen gesellschaftlichen Gruppen vorsehen, die zudem regelmäßig nur als Anhörung ausgestaltet ist, wird auch deren Wissenspotential nur in geringem Maße nutzbar gemacht, ganz zu schweigen von dem Wissenspotential der Gesamtbevölkerung. "Unverantwortlich ist, wenn Verantwortliche keine Verantwortung haben. " 86

keine Sachkunde und Sachkundige

Im Gegensatz dazu erschließt das hier entworfene dreistufige Legislativsystem den Volksentscheid der ersten und das Ausschußsystem der dritten Ebene nicht nur die Sachkenntnis der gesellschaftlichen Vereinigungen, sondern durch die allgemeinen Mitgestaltungsrechte aller Bürger das gesamte Wissenspotential der Bevölkerung. Insbesondere auf der dritten Ebene, der in der Praxis im wesentlichen die Ausarbeitung der materiellen Gesetze anhand der strategischen Vorgaben der beiden ersten Ebenen obliegen wird, entsteht durch die Entsendung der jeweils fähigsten Experten der betroffenen und interessierten Kreise aus Wissenschaft und Praxis ein nicht zu übertreffender interdisziplinärer und interfunktioneller Pool an wissenschaftlichem und praktischem Sachverstand. Dieser bildet die beste Voraussetzung nicht nur für eine qualitativ hochwertige, sondern auch für eine ebenso innovative wie praktikable Lösung der Regelungsaufgabe. Indem anschließend die Bürger zu diesem Gesetzentwurf Stellung nehmen und ihn mitgestalten können, muß sich dieser im Feuer des Wissens, der Erkenntnisse und der Erfahrungen der gesamten Bevölkerung erhärten und bewähren, so daß im Idealfall in das entstehende Gesetz das gesamte Wissens-, Erkenntnis- und Erfahrungspotential der Bevölkerung einfließt.

durch

Mit diesen Ausführungen, welche sich auf die am Ende des Abschnitts F dieses Ausblicks genannten zehn Anforderungen an ein gesamtgesellschaftliches Willensbildungssystem beziehen, sind die Möglichkeiten und Vorteile des Systems jedoch noch keineswegs erschöpfend aufgeführt. Als weitere Vorzüge sind in aller Kürze zu nennen: 11. Ein System, welches sich durch eine hohe Bürger- und Kundenorientierung zeichnet:

aus-

Indem das hier entworfene dreistufige Legislativsystem - abgesehen von der zweiten Stufe des strategischen Parlaments - auf der unmittelbaren Beteiligung der Bürger und deren unmittelbaren Vertretung

durch singulare Interessen vertretende

84

gesell-

So verfügte bereits im Jahre 1978 allein das Bundesministerium für Forschung und Technik über 1.019 Berater, die in 110 Gremien zusammengeschlossen waren. Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 19. 85 Jaumann, Α., Regelung technischer Sachverhalte, S. 10. 86

Arno Söltner, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender.

G. Möglichkeiten und Grenzen

1013

schaftliche Gruppierungen basiert, zeichnet es sich durch eine größtmögliche Bürger· und Kundenorientierung 87 aus. Der Bürger bestimmt nicht nur in den bedeutendsten Fragen die wesentliche strategische Ausrichtung des Gemeinwesens mit, sondern er verfügt darüber hinaus über umfassende Initiativrechte zur Erstellung, Änderung, Ergänzung, Kürzung und Aufhebung von Gesetzen sowie Mitspracherechte bezüglich der inhaltlichen Gestaltung eines jeden Gesetzes, welches im Gemeinwesen erlassen wird. Eine überlegenere Bürgerorientierung ist m.E. in der Praxis der Gesetzgebung nicht zu verwirklichen. Darüber hinaus werden die (überwiegend) singulären Interessen einer Vielzahl von in Verbänden und Vereinigungen zusammengefaßter Bürger - wie beispielsweise die der Hersteller, der Betreiber, der gewerblichen Abnehmer, der nichtgewerblichen Abnehmer bzw. Verbraucher, des Handels, des Handwerks, der Arbeiter, der Angestellten, der Wissenschaft, der Umwelt, des Tierschutzes u.a.m. - im Rahmen des sachverständigen konsensualen Diskurses der Gesetzesvorbereitung in den gesetzesvorbereitenden Ausschüssen gleichgewichtig berücksichtigt. Eine überlegenere Kundenorientierung bezüglich dieser Vereinigungsinteressen ist m.E. in der Praxis der Gesetzgebung nicht zu verwirklichen. Zugleich sind damit die Gefahren durch die Einzelwillen der Repräsentanten, welche nicht nur die staatlichen Repräsentationssysteme, sondern auch die technischen Normenorganisationen kennen , auf ein Minimum reduziert.

12. Ein System, welches die vorkonstitutionelle Dichotomie von Staat und Gesellschaft durch ein Modell der selbstregelnden Gemeinschaft überwindet: Indem das hier entworfene dreistufige Legislativsystem, dem idealisierten direktdemokratischen Willensbildungsmodell Rousseaus folgend 89, auf die weitestmögliche Identität von Rechtssetzendem und Rechtsunterworfenem, mit anderen Worten auf Autonomie abzielt, überwindet es die vorkonstitutionelle Dichotomie von Staat und Gesellschaft. Denn abgesehen wiederum von der zweiten Ebene des Parlaments, welches mit hauptamtlichen Repräsentanten des Volkes besetzt ist, bildet das hier vorgestellte Staatsmodell nur den organisatorischen Rahmen, in denen sich die Bürger entweder durch Volksentscheid oder in ihrer Eigenschaft als Repräsentant einer gesellschaftlichen Vereinigung i.V.m. dem allgemeinen individuellen Einspruchsrecht selbst ihre Gesetze geben. Damit stellt das hier entworfene Legislativsystem das Modell einer weitestgehend selbstregelnden Gesellschaft dar:

87

Während der Begriff der "Bürgerorientierung" in dieser Arbeit die Orientierung und Ausrichtung aller staatlichen Aktivitäten auf den Bürger als Teil des Souveräns kennzeichnet, wird der aus der Wirtschaft stammende Begriff der "Kundenorientierung" bezogen auf die Belange der gesellschaftlichen Interessengruppen verwendet. 88 So ist nach Reihlen, H., Normenorganisationen, S. 75 eine wesentliche Folge der Zuordnung von Beiräten zu allen Arbeitsgremien der BSI mit Ausnahme der Arbeitsausschüsse eine enge Verknüpfung der hauptamtlich mit der Normung befaßten Personen mit den betroffenen und interessierten Kreisen als Gegengewicht zur "Verselbständigung" des Stabes der hauptamtlichen Mitarbeiter der Normung in der BSI. 89 Vgl. dazu die Ausführungen zu Beginn des Abschn. D dieses Ausblicks.

1014

Teil 3: Ausblick

"Dabei verging kaum eine Woche, in der das Volk von Rom nicht versammelt wurde, und sogar mehrmals. Es übte nicht nur seine Souveränitätsrechte aus, sondern auch zum Teil die der Regierung. Es behandelte gewisse Angelegenheiten, es entschied gewisse Fälle, und dies ganze Volk war auf dem Forum beinahe genausooft Obrigkeit wie Bürger. ,,9°

Hingegen findet sich das vorkonstitutionelle dichotomische Denken in den Kategorien von Staat und Gesellschaft bis heute in Sätzen wie "Ausgleich und Vermittlung zwischen obrigkeitlichem Ordnungsbedürfnis und freier Selbstbestimmung der Gesellschaft" 91, "die demokratische Beteiligung der Bürger an der staatlichen Willensbildung"92, "Der Staat steigt vom hoheitlich-hoheitsvollen Podest des einseitig Anweisenden herab, er tritt auf die Ebene des Austausches von Informationen und Leistungen und der Verbindung zu abgestimmtem Handeln"93 oder "Letztlich hat die Heranziehung solcher technischer Regeln aber auch noch eine wichtige Befriedigungsfunktion in der modernen Industriegesellschaft gegenüber dem Bürger, der häufig ein gewisses Technikmißtrauen hat"94. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, daß diese Sichtweise monarchisch oder allenfalls aristokratisch, aber jedenfalls nicht republikanisch und demokratisch ist, und daß sie in schärfstem Widerspruch zu der Leitlinie und Richtschnur dieser Arbeit - dem idealisierten direktdemokratischen Willensbildungsmodell Rousseaus -, sowie der Intention der Arbeit der Schaffung des Modells einer weitestgehend selbstregelnden Gesellschaft - steht95. 13. Ein System, welches eine gesamtgesellschaftliche eines Regelungsgegenstandes anstrebt:

konsensuale Lösung bezüglich

Eine weitere Stärke des hier entworfenen Legislativsystems besteht darin, daß nicht verschiedene Parteien oder sonstige gesellschaftliche Teilgruppierungen unterschiedliche Gesetzentwürfe nach Maßgabe ihrer Sonderwillen erarbeiten, über welche dann binär zu entscheiden ist mit der Folge, daß die Gesetze zwangsläufig nicht als "volonté générale" das Wohl des gesamten Volkes, sondern regelmäßig nur eines Teils desselben verwirklichen. Vielmehr trägt das Repräsentationssystem für die Erarbeitung von Gesetzentwürfen dafür Sorge, daß die aus den Normvorschlägen der Bürger hervorgehenden Gesetzentwürfe sämtliche Interessen ausgewogen berück-

sichtigen, so daß sie dem Willen des Souveräns, d.h. des Volkes, möglichst nahekommen und gesamtgesellschaftlich konsensfähig sind. Um dieses Ziel tatsächlich zu 90

Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 3. Buch, 12. Kap. (Hervorh. d. Verf.). Conradi, Β., Mitwirkung außerstaatlicher Stellen, S. 24. Ihr folgend Karpen, H.U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 127: "Ausgleich zwischen obrigkeitlichem Ordnungs- und Normierungsbedürfnis und weitgehender Selbstbestimmung der Betroffenen". 92 Karpen, H.-U., Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, S. 127. 93 Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 194 unter Hinweis auf Ritter. 94 Beauvais, E. v., Rechtsvorschriften für technische Gegenstände, S. 10. Vgl. ferner Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 70; Conradi, Β., Mitwirkung außerstaatlicher Stellen, S. 20 ff.; Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 69; Herzog, R., in: Maunz/Dürig u.a., Komm. z. GG, Art. 20 Abschn. I Rn. 46 ff.; Vieweg, K , Atomrecht und technische Normung, S. 19 95 Kritisch zur Trennung von Staat und Gesellschaft Schachtschneider, Κ. Α., Res publica res populi, S. 159 ff. I.d.S. auch Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 216. 91

G. Möglichkeiten und Grenzen

1015

erreichen, erfolgt entsprechend den oben dargelegten Verfahrensvorschlägen keine einfache Mehrheitsabstimmung der Bürger über den Gesetzentwurf. Diese verfügen vielmehr über ein inhaltliches Einspruchsrecht, welches sie in die Lage versetzt, den Gesetzentwurf gemäß ihren Vorstellungen im konsensualen Diskurs mit dem gesetzesvorbereitenden Ausschuß abzuändern oder - im Falle eines Dissenses - ihre Ansichten in Schlichtungs- und Schiedsverfahren zu vertreten. Auf diese Weise bringt das entstehende Gesetz bestmöglich die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppenund Individualinteressen zum Ausgleich. Dieses wird in der Praxis durch die erfolgreiche Tätigkeit der technischen Normenorganisationen bestätigt, in der die vorbildlich ausgestalteten Schlichtungs- und Schiedsverfahren kaum in Anspruch genommen werden müssen96.

14. Ein System, welches eine hohe Akzeptanz und Befolgung der Gesetze als die bestmögliche und sachverständige Verwirklichung der volonté générale sicher stellt: Indem das hier entworfene dreistufige Legislativsvstem auf die weitgehende Identität von Rechtssetzendem und Rechtsunterworfenem , den konsensualen Ausgleich widerstreitender Interessen98 sowie die Erschließung des größtmöglichen Potentials an Sachverstand99 abzielt, sorgt es nicht nur für die optimale sachliche Validität und Transparenz 100, sondern auch für eine hohe Akzeptanz und Befolgung der Gesetze101. Daß diese Behauptung keine bloße Theorie ist, belegt wiederum die erfolgreiche Tätigkeit der technischen Normenorganisationen; deren Normen zeichnen sich trotz ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit durch einen Befolgungsgrad aus, der sich mit den staatlich verabschiedeten und unter Androhung von Sanktionen durchgesetzten Nor96

Als Beleg des weitreichenden Grades an Konsens sowohl zwischen den Repräsentanten in den Normenausschüssen als auch zwischen diesen und den einsprechenden Bürgern ist die Tatsache zu werten, daß die eingerichteten Schlichtungs- und Schiedsverfahren der technischen Normenorganisationen in der Praxis kaum in Anspruch genommen werden. Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 71 in diesem Ausblick, Kap. D. 97 Vgl. die vorhergehenden Ausführungen zu Pkt. 12. 98 Vgl. die vorhergehenden Ausführungen zu Pkt. 13. 99 Vgl. die vorhergehenden Ausführungen zu Pkt. 10. Dieser Aspekt ist für die Akzeptanz der Regelung von hoher und nicht zu unterschätzender Bedeutung. Breuer, R., Umweltgesetzbuch, S. Β 72 ff. Vgl. auch Berger, H., Rechtsverbindliche Strahlenschutzvorschriften, S. 8, dessen Ausführungen zufolge die seit 1930 in Form von DIN-Normen aufgestellten Strahlenschutzregeln, obwohl rechtlich unverbindlich, dennoch wirksam waren, "weil die sorgfältige und gründliche Arbeit diesen Kommissionen sehr bald ein so hohes Ansehen verschafft hat, daß ihre Empfehlungen allgemein Anerkennung fanden und ein Gefühl ausreichender Sicherheit" hervorriefen. 100 So auch Breuer, R., Umweltgesetzbuch, S. Β 73 bezüglich der Notwendigkeit der Anhörung der interessierten Kreise im Rahmen der exekutiven Gesetzeskonkretisierung. 101 Damit sind auch Befürchtungen wie die folgende obsolet: "Zudem liefe er [der Gesetzgeber] mit der Legislation technischer Standards Gefahr, einen etablierten, funktionierenden Handwerks- und Wirtschaftsbereich mit einer Vielzahl technischer Regeln einzuschnüren, die von den Regelunterworfenen leicht als fremd, oktroyiert und nicht praxisgerecht empfunden werden könnten." Di Fabio, U., Technische Baubestimmungen, S. 59.

1016

Teil 3: Ausblick

men durchaus messen kann102, und der im wesentlichen auf den drei genannten Tatsachen beruht: daß die technischen Normen von den Betroffenen selbst festgelegt werden 103, daß technische Normen auf dem konsensualen Ausgleich widerstreitender Interessen beruhen104, und daß technische Normen von einer Vielzahl von Experten aus Wissenschaft und Praxis erarbeitet und nicht "am grünen Tisch" entwickelt werden105. Nur aufgrund der Tatsache, daß die technischen Normen "besser befolgt werden [als die staatlichen Vorschriften], weil sie auf breiter Zustimmung beruhen" 106, konnte die Regierung Empfehlungen wie die folgende aussprechen: "Alle staatlichen Stellen, die mit technischer Rechtssetzung befaßt sind, sollten eine strenge Bedarfsprüfung durchführen. In den Fällen, in denen technische Regeln (insbesondere DIN-Normen) bestehen, die in der Praxis auch befolgt werden, erübrigt sich u.U. eine rechtliche Regelung dieser Materie. " 107

Tatsächlich gibt es bis heute weite Bereiche, die bisher von rechtlichen Regelungen nicht erfaßt sind 108 ; diese werden durch technische Normen ausgefüllt, wobei es mehr historisch und weniger systematisch bedingt ist, welcher Bereich durch rechtliche und welcher durch technische Normen geregelt ist 109 .

102

So die Einschätzung des ehemaligen Bundesjustizministers und Mitglieds des Bundestages Vogel, H.-J., Eröffnungsansprache, S. 12. Vgl. dazu das Zitat zu Beginn des Abschn. A der Einleitung. I.d.S. auch Gusy, C., Verrechtlichung technischer Standards, S. 106 ("Jedenfalls kann die faktische ΒindungsWirkung technischer Regelwerke für technische Verhaltensweisen kaum hoch genug eingeschätzt werden"); Marburger, P., Regeln, S. 213, 220; ders., Technische Sicherheit, S. 18; ders., Bezugnahme, S. 36; Stefener, W., DINNormen, S. 46; Vieweg, K., Produktbezogener Umweltschutz, S. 512. 103 Bias, D. G., Normung, S. 214 ff. Dies wird in anderem Zusammenhang belegt durch die berühmten HawthomeUntersuchungen: Von institutionalisierten Autoritäten der Betriebshierarchie vorgegebene Leistungsnormen für betriebliche Arbeitsgruppen akzeptierten die Adressaten nur sehr selten, obwohl sie physisch leicht zu erreichen waren. Hingegen wurden gruppenerzeugte Normen von sämtlichen Gruppenmitgliedern eingehalten. Bias, D. G., Normung, S. 214 f. 104 Gusy, C., Verrechtlichung technischer Standards, S. 106; Vieweg, K., Produktbezogener Umweltschutz, S. 520; Vogel, H.-J., Eröffnungsansprache, S. 13. 105 Beauvais, E. v., Rechtsvorschriften für technische Gegenstände, S. 10. 106 Frankreich/Rundschreiben des Premierministers, Nr. 2. Vgl. dazu Kap. II.A.2.d). 107 So die Empfehlung Nr. 9 einer Arbeitsgruppe des Abteilungsleiterausschusses für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des BMWi, welche vom Bundesjustizminister seit Ende 1990 bei der Rechtsförmlichkeitsprüfung von Gesetzen und Verordnungen berücksichtigt wird; zit. in: BRD/BMWi, Rechtsetzung und technische Normung, S. 37. 108 Marburger, P., Regeln, S. 282. 109 Kypke, U., Verbraucherinteresse, S. 103 f. "Normen haben dagegen keinen rechtsverbindlichen Charakter. Sie werden durch private Normenausschüsse festgelegt. Dennoch haben DIN (Deutschland), AFNOR (Frankreich) [und] BSI (Vereinigtes Königreich) in der Praxis oft die gleiche Wirkung wie ein Gesetz." Cecchini, P., Europa '92, S. 47. Auch Bias, D. G., Normung,

G. Möglichkeiten und Grenzen

1017

Diese Akzeptanz und freiwillige Befolgung von Gesetzen ist für ein Gemeinwesen von großer Bedeutung, indem sie den sozialen Frieden sicherstellt und den Gesetzesvollzug, der eine Grundvoraussetzung für die tatsächliche Verwirklichung der Freiheit und Gleichheit aller durch Gesetz ist 110 , überhaupt erst ermöglicht: Denn es ist die herrschende Meinung unter den Sozialwissenschaftlern, daß in einem Staat nur fünf bis zehn Prozent der Rechtsnormen in einem gegebenen Zeitpunkt mit Zwangsgewalt durchgesetzt werden können, was bedeutet, daß zu 90 bis 95 Prozent die Rechtsnormen freiwillig befolgt werden (müssen)111. Demzufolge weisen alle von einer "zuständigen Stelle" durch höhere Eingebung oder einen einsamen Beschluß erzeugten und zur Umsetzung angewiesenen Normen ein Realisierungsdefizit auf, da sie von ihren Adressaten nicht (voll) akzeptiert werden, weil sie weder die Qualität noch den soziologischen Wert einer konsensischen Festlegung besitzen112. 15. Ein System, welches durch umfangreiche Initiativ- und Mitgestaltungsrechte allgemeine Politik(er)müdigkeit überwindet: Wie in Kapitel II.B.4 ausgeführt, haben die europäischen Normungsaktivitäten und der Umfang des europäischen Normenwerkes - ungeachtet der Funktion der technischen Normung als technisch-ökonomisches Regelungssystem und der Aussicht der ökonomischen Vorteile eines Gemeinsamen Europäischen Marktes bzw. Binnenmarktes - erst infolge der systematischen Rezeption Europäischer Normen durch die Harmonisierungsrichtlinien nach der "Neuen Konzeption" und auf elektrotechnischem Sektor durch die Niederspannungsrichtlinie einen nennenswerten Umfang angenommen. Die Intensivierung der europäischen Normungsarbeiten weist damit enge Parallelen zu entsprechenden Beobachtungen in der Bundesrepublik Deutschland auf, wo die systematische Bezugnahme auf technische Normen im Gerätesicherheitsgesetz die Ausarbeitung von Normen mit sicherheitstechnischen Festlegungen nicht nur für Arbeitsmittel, sondern auch für den Bereich von Heim und Freizeit signifikant beschleunigt hat. Folglich bewegt nicht allein die Gestaltungsmöglichkeit der gemeinsamen technisch-ökonomischen Regeln, sondern vor allem die Möglichkeit S. 204a ff. kommt zu dem Ergebnis, daß eine überbetriebliche technische Norm ebenso verbindlich ist wie eine Rechtsnorm. 110 Vgl. die Ausführungen zu Pkt. 6 in diesem Abschn. sowie die Darlegungen zu Beginn des Abschn. D. 111 Kimminich, O., Recht und Technik, S. 78. 112 "Wobei die Nicht-Rationalität der so erzeugten Normen hierbei so selbstverständlich zu sein scheint, daß Androhung oder Vollzug von Zwang zur Verhinderung des normativen Realisierungs- (bzw. Vollzugs-) Defizits geradezu zum Merkmal von Rechts-Normen werden konnten." Bias, D. G., Normung, S. 21. Dennoch können Normverbindlichkeit und -geltung nicht allein aus der Legalität von Autorität und ihren Entscheidungen abgeleitet werden. Das Bestehen auf Verbindlichkeit und Geltung einer Rechtsnorm scheint wenig erfolgversprechend, "wenn der empirische Gehalt für Geltung und Wahrheit einer Norm - wie das bei dekreditierten Normen der Fall ist - von deren Adressaten nicht konsensisch erkannt, damit anerkannt werden kann und die Autorität dadurch nicht auch zugleich bestätigt - d.h. legitimiert - wird." Wenn auf diese Weise eine politische Autoritative dauernd ohne Konsens oder weitab von potentiell konsensfähigen Lösungen Normen erzeugt oder dort, wo die Erzeugung von Normen erwartet wird, die Normung unterläßt, wird sie zwangsläufig ihre Führungsfunktion einbüßen. Bias, D. G., Normung, S. 215 f.

d

1018 der Partizipation

Teil 3: Ausblick an der Setzung der rechtlichen Rahmenbedingungen die interes-

sierten Kreise zur Erbringung der hohen materiellen wie immateriellen Leistungen, welche die Erarbeitung technischer Normen erfordert. Dies läßt den Schluß zu, daß das hier entworfene dreistufige Legislativsystem, welches den Bürger in den Mittelpunkt

der Gesetzgebung rückt und den gesellschaftli-

chen Verbänden die Verantwortung für die Ausarbeitung der Gesetzentwürfe überträgt, geeignet ist, die heutzutage weit verbreitete Politikmüdigkeit - welche in Wahrheit nicht anderes ist als eine Resignation angesichts der fortlaufend dokumentierten Unfähigkeit der Politiker und Parteien zur Lösung unserer zahlreichen elementaren Probleme - zu überwinden und das politisch-gestaltende Potential der Bürger zu erschließen: "Das Wertvollste im Leben ist die Entfaltung der Persönlichkeit schen Kräfte. " 113

und ihrer schöpferi-

Zielsetzung dabei ist, das gesamte Volk über die Möglichkeit, tatsächlich "etwas bewegen zu können", wieder zur aktiven politischen Mitgestaltung zu inspirieren und so einen gesellschaftlichen

und demokratischen

Lernprozeß zu initiieren, der das

Gefühl jedes einzelnen für die Gemeinschaft, deren Teil er ist, wiederbelebt, so daß die bereits zitierte Aussage Rousseaus auch in unserem Gemeinwesen Gültigkeit haben möge: "Dabei verging kaum eine Woche, in der das Volk von Rom nicht versammelt wurde, und sogar mehrmals. Es übte nicht nur seine Souveränitätsrechte aus, sondern auch zum Teil die der Regierung. Es behandelte gewisse Angelegenheiten, es entschied gewisse Fälle, und dies ganze Volk war auf dem Forum beinahe genausooft Obrigkeit wie Bürger. " 114 16. Ein System, welches durch strategische Planungs- und Lenkungsgremien homogene, konsistente und kompatible Regelungssysteme zu schaffen in der Lage ist:

Die mangelhafte strategische Ausrichtung des heutigen politischen Systems und insbesondere des parlamentarischen Gesetzgebers offenbart sich nicht zuletzt darin, daß auch die Systematik der rechtlichen Ordnung technischer Systeme mit der technischen Entwicklung, d.h. der Zunahme technischer Systeme an Zahl, Kompliziertheit und teilweise an Gefährlichkeit, nicht Schritt gehalten hat: So wird bezüglich des Umwelt- und Technikrechts zwar von einer zunehmenden Regelungsbereitschaft, jedoch gleichzeitig von einer abnehmenden Regelungsintensität bzw. einem inhaltlichen Regelungsdefizit rechtlicher Regelungen115, von einer "Normenflut" 116 und "Uferlosigkeit der ... ,Rechtsmassen'", einem Normenwirrwarr 117, einem Sammelsu113

Albert Einstein, zit. in Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 3. Buch, 12. Kap. 115 Lukes, R., Die Regelung technischer Sachverhalte, S. 83; ders., Atomrecht, S. 241 ff. 116 Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 16. 117 Rittstieg, Α., Konkretisierung technischer Standards, S. 113 bezüglich der Ebene der verwaltungsinternen Vorschriften im Normen- und Regelsystem des Kernenergierechts. 114

G. Möglichkeiten und Grenzen

1019

rium höchst unterschiedlicher Spezialregelungen ohne Gesamtkonzept gesprochen, die selbst für Experten in einer kaum noch überschaubaren Vielzahl erlassen und permanent geändert werden 118, und die eine projekt- oder gar technologieübergreifende Risikooptimierung nicht leisten können . Als Ideal wird eine Gesamtkodifikation gefordert, zumindest aber die Vereinheitlichung der rechtlichen Organisation der Einzelgebiete und die Vereinheitlichung der Terminologie, um eine bessere Überschaubarkeit des Gesamtbereichs herzustellen120. Hingegen werden derartige Klagen bezüglich der technischen Normenwerke, soweit ersichtlich, abgesehen von den aus der Zersplitterung der Normenorganisationen resultierenden Problemen nicht geäußert, obwohl viele technische Systeme hochkomplex sind und dementsprechend durch eine große Zahl von technischen Normen geregelt werden, die aufgrund ihres modularen Aufbaus regelmäßig durch Verweisungen zu einem komplexen Netz verwoben sind. Im Gegenteil wird beispielsweise auf europäischer Ebene den technischen Normen eine "bemerkenswert gute" Aufgabenerfüllung attestiert, "verglichen mit den verwirrenden Netzen gewoben durch eine durchschnittliche Landwirtschafts-, Versicherungs- oder Sozialpolitikdirektive"121. Dies läßt den Schluß zu, daß das hier entworfene dreistufige Legislativsystem durch die gestuften Strategie- Lenkungsgremien - angefangen bei den zentralen Leitentscheidungen des Volkes über die Vorgabe des strategischen Gesamtrahmens durch das strategische Parlament bis hin zu den abschnittsbezogenen Normungsstrategien der sektoralen Lenkungsgremien - in der Lage ist, gleichermaßen homogene, konsistente und kompatible Regelungssysteme zu schaffen. 17. Ein System, welches das heutige Regelwirrwar der unterschiedlichen lungsebenen des Umwelt- und Technikrechts auflöst:

Rege-

Wie vielfach ausgeführt, ermöglicht das hier entworfene dreistufige Legislativsystem innerhalb der strategischen Entscheidungen durch Volks- und Parlamentsentscheid die Ausarbeitung hinreichend bestimmter, praxis-, Vollzugs- und rechtsprechungstauglicher Gesetze, welche gleichermaßen für Normanwender, Normadressaten und rechtsschutzsuchende Dritte verbindlich sind und konkret die Regeln für das gute Zusammenleben aller mit allen normieren. So wie die technischen Normen der Normenorganisationen heute keiner Weiterverweisung mehr bedürfen, da sie die technischen Regeln umfassend normieren, sollten auch die Gesetze der Ausschußebene die Rechte und Pflichten der Bürger umfassend festlegen und weder der strategischen 118 Vgl. zum vorhergehenden Sendler, H., Ist das Umweltrecht normierbar?, S. 1, 3 m.w.N. Vgl. auch Ipsen, J., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 202; Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 169. "Die staatliche Regulierung des wirtschaftlich bedeutenden Marktes für Bauprodukte ist selbst für Fachleute kaum mehr durchschaubar." Di Fabio, U., Umweltschutz durch Bauproduktnormung, S. 1269. 119 Murswiek, D., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 222 ff. 120 So bereits Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 178. A.A. Gusy, C., Verrechtlichung technischer Standards, S. 107: "Das bunte Nebeneinander unterschiedlichster Handlungs- und Rechtsformen scheint danach eher ein Problem der Theorie als ein solches der Praxis zu sein." 121 Bartlett, S. V., Standards, S. 14.

1020

Teil 3: Ausblick

Vorgaben der ersten beiden Ebenen noch untergesetzlicher Vervollständigung bedürfen.

Regelungen zu ihrer

Damit entfallen die Regelungsebenen der Rechtsverordnungen und - soweit sie allgemein relevante, zur Bestimmung der normativen Rechts- und Pflichtenlage erforderliche Festlegungen enthalten - auch die der allgemeinen Verwaltungsvorschriften, sonstigen verwaltungsinternen Vorschriften, Empfehlungen beratender Ausschüsse, öffentlich-rechtlichen technischen Regeln, UnfallverhütungsVorschriften, technischen Normen u.a.m. Die Ordnungs- und Regelungsfunktion beispielsweise der allgemeinen Verwaltungsvorschriften für das Verwaltungshandeln oder die Funktion der technischen Normen als technisch-ökonomisches Regelungssystem der Marktteilnehmer bleibt dabei unangetastet. Für Normanwender, Normadressaten und rechtsschutzsuchende Dritte entfällt jedoch die heute nicht zu unterschätzende Schwierigkeit, aus dem Regelwirrwar von Gesetzen und den genannten untergesetzlichen Regelungen die materielle und formelle Pflichtenlage zusammenstellen zu müssen. Dies bedeutet nicht nur eine signifikante

cherheit

122

Verbesserung

der Rechtsklarheit

und Rechtssi-

, sondern auch eine erhebliche Vereinfachung und Arbeitsersparnis.

Da jedoch ein derart detailliertes Gesetzeswerk sehr umfassend und demzufolge ein modularer Aufbau mit entsprechenden Verweisungen - wie auch heute in den technischen Normenwerken praktiziert - unerläßlich ist, sollte im Interesse der Anwendungsfreundlichkeit und der in Punkt 11 genannten Bürger- und Kundenorientierung im "Direkte-Demokratie-Datennetz" (DDD) eine ohnehin für die notwendige Publikation erforderliche Rechtsdatenbank gepflegt werden, welche dem Anwender auf Anforderung die aktuelle normative Rechtslage inklusive des Inhalts aller Verwei-

sungen zusammenstellt, so daß dieser sich ohne aufwendiges Suchen und Nachschlagen online über seine aktuelle Rechts- und Pflichtenlage informieren kann. Dies entspricht auch der vielfach erhobenen Forderung von Rechtsanwendem, das Vorschriften· und Regelsystem so zu ordnen, daß sie sich ohne langwierige Sucharbeit einen vollständigen Überblick über ihre Rechte und Pflichten verschaffen können123. 18. Ein System, welches einen "kontinuierlichen Gesetze und des Staates ermöglicht:

Verbesserungsprozeß"

(KVP) der

Die Philosophie des "kontinuierlichen Verbesserungsprozesses" (KVP) 124 kommt aus dem japanischen, wo sie "kaizen" genannte wird. "Kaizen" setzt sich aus den beiden Begriffen "kai" und "zen" zusammen, welche "Veränderung" und "gut, zum besseren" bedeuten. Die Philosophie des "kaizen" steht damit für eine "ständig andauernde Veränderung zum Besseren", die in Japan in allen Bereichen des privaten, wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens praktiziert wird. "Kaizen" als Managementkonzept zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens bedeutet "die ständige Verbesserung unter Einbeziehung aller Mitarbeiter- Geschäftsleitung, Führungskräfte und Arbeitnehmer" 125. 122

Vgl. dazu die vorhergehenden Ausführungen zu Pkt. 4. Diese Forderung stellt ein Forschungsbericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Unfallforschung, zit. in: Anzinger, R., Verknüpfung der Verweisungstechniken, S. 98 f.; i.d.S. auch Burmester, J., Umweltorientierte Produktentwicklung, S. 375. 124 Vgl. dazu auch Kap. I.D.2.b). 125 Imai, M., Kaizen: Der Schlüssel zum Erfolg, S. 15. 123

G. Möglichkeiten und Grenzen

1021

Übertragen auf die Gesetzgebung wird deutlich, daß das hier entworfene dreistufige Legislativsystem systemimmanent einen KVP der Gesetze erzeugt126. In diesem Zusammenhang wurde bereits zu Beginn dieses Abschnitts ausgeführt, daß durch die ständigen Rückmeldungen der Normanwender im Rahmen ihrer Initiativrechte zur Änderung, Ergänzung, Kürzung und Aufhebung geltender Gesetze sowie diejenigen der gesetzesvollziehenden Behörden und die Gerichte in Ausübung ihres Anhörungsrechts bezüglich der Vollziehbarkeit und Justitiabilität der Regelung i.V.m. der periodischen oder gegebenenfalls auch sofortigen Überarbeitung der Gesetze deren ständige Verbesserung einhergeht. Für diesen KVP ist sinnvollerweise im "DirekteDemokratie-Datennetz" (DDD) ein e-mail- Verbesserungsbriefkasten

für jedes Gesetz

vorzusehen, welcher im Interesse der Übersichtlichkeit nach Paragraphen, Absätzen und gegebenenfalls Sätzen entsprechend dem Gesetzestext strukturiert werden sollte. Indem der Staat neben der Verfassung durch Gesetze konstituiert wird, betrifft der genannte KVP nicht nur die Gesetze, sondern auch die Organisation der drei Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative. Ohnehin muß, wie bereits im Anschluß an die Schilderung des Legislativsystems zu Beginn des Kapitels ausgeführt, die Bürgerorientierung des Legislativsystems in einer entsprechenden Bürgerorientierung der Exekutive und der Judikative ihre Fortsetzung finden. Folglich ist auch für diese Gewalten ein KVP durch Mitarbeiter und Bürger zu institutionalisieren, welcher den übergeordneten KVP bezüglich der Organisation dieser Gewalten ergänzt. 19. Ein System, welches die Grundgedanken des "Total Quality Management" (TQM) verwirklicht: "Cooperation between standardization bodies at national, regional and international levels must increase if we wish to retain the support of our customers in business and industry. As well as being our customers, it is they who provide us with the resources in terms of technical expertise for us to carry out our standards-development tasks. In view of their investment in us, they have a right to expect standardization bodies to apply the same management principles for achieving efficiency, cost-effectiveness and non-duplication of resources as they have to apply to themselves in order to remain competitive. Our customers see standardization as a unified activity and we therefore have to demonstrate the unity of standardization bodies. " 127

Die Philosophie des "Total Quality Management" (TQM) 128 stammt aus der Wirtschaft und repräsentiert "eine integrierte, das gesamte Unternehmen mit allen Aktivitäten und Mitarbeitern sowie die Untemehmensumwelt einbeziehende Führungsstrategie, um aus Kundenanforderungen abgeleitete Qualitätsziele vorzugeben und zu erfüllen" 129. Die Philosophie des TQM ist damit grundsätzlich verschieden von der 126

Als einer der wenigen hat Plischka, H. P., Technisches Sicherheitsrecht, S. 97 f., die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Verbesserung der Rechtsnormen betont: "... ob überhaupt im Rahmen einer Gefahrenabwehr eine bewegliche, auf eine ständige Verbesserung des Sicherheitsstandards abzielende Verordnungsgebung möglich ist". 127 ISO-Präsident Eberhard Möllmann, in: ISO, Annual Report 1995, S. 1 (Hervorh. d. Verf.). I.d.S. auch ITU, Connecting the World, S. 6: 'The ITU belongs to all its members ..." 128 Vgl. dazu auch Kap. I.D.2.b). 129 Kaminske, G. F. u.a., Qualitätsmanagement, S. 143.

1022

Teil 3: Ausblick

klassischen technischen Qualitätssicherung, welche rein produktorientiert während des Fertigungsprozesses oder im Anschluß daran stattfindet. TQM bedeutet die Entwicklung eines Qualitätsbewußtseins und einer präventiven Qualitätspolitik in allen Bereichen des Unternehmens, mithin einen umfassenden Denk- und Handlungsansatz, welcher das Unternehmen in die Lage versetzen soll, untemehmensweit in allen Prozessen systematisch Qualität hervorzubringen; TQM steht daher für Untemehmensqualität130. Als Hauptelemente von TQM lassen sich folgende Prinzipien nennen: Kundenorientierung, Mitarbeiterorientierung, Prozeßorientierung, präventives Verhalten und Führung 11. Das hier entwickelte Legislativsystem ist von seiner Konzeption her grundsätzlich geeignet, die Grundgedanken des TQM zu verwirklichen : Bezüglich des ersten Punktes wurde bereits gezeigt133, daß sich das System infolge der weitgehenden Identität von Normsetzer und Normadressat per se durch eine höchstmögliche Bürger- und Kundenorientierung auszeichnet. Diese Ausrichtung am externen Kunden ist der Philosophie des TQM zufolge durch die Ausrichtung an den internen Kunden zu ergänzen. So stellen beispielsweise Exekutive und Judikative inteme Kunden der Legislative dar; der Ausbildung dieses internen kundenartigen Verhältnisses dient die im Rahmen der Modellierung dargelegte Anhörung der Behörden und Gerichte im Rahmen der Ausarbeitung der Gesetzentwürfe 134. Hinsichtlich des zweiten Punktes wurde oben ausgeführt, daß die Philosophie des TQM als umfassender Denk- und Handlungsansatz von allen Mitarbeitern "gelebt" werden muß. Dementsprechend bedeutsam ist nach TQM das Personalmanagement, die Entwicklung der Fähigkeiten und Möglichkeiten der Mitarbeiter, die Einbeziehung der Mitarbeiter in die Zielvereinbarung u.a.m.135 Das hier entwickelte Modell impliziert die Notwendigkeit der Mitarbeiterorientierung, indem infolge ihrer großen Bedeutung für den Gesetzgebungsprozeß hohe Anforderungen an die "hauptamtlichen" Mitarbeiter gestellt werden müssen, wie zu Beginn dieses Kapitels an den Beispielen der Parlamentarier oder des Moderators und Vorsitzenden der gesetzesvorbereitenden Ausschüsse ausgeführt. Das Element der Prozeßorientierung basiert auf der Erkenntnis, daß fehlerhafte Prozesse zu fehlerhaften Produkten und Dienstleistungen führen, und deshalb in diesen Fällen der Fehler im Prozeß und nicht das Problem zu beheben ist: Fix the

130 Beispielsweise wird die Qualität eines Produktes durch die Qualität der Prozesse in F&E, Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Einkauf, Vorfertigung und Endmontage gewährleistet, welche im Idealfall die klassische Qualitätskontrolle überflüssig machen. 131 Vgl. zum Vorhergehenden eingehend die Beiträge in Hagedom, C. u.a. (Hrsg.), Best Practices in Total Quality, passim. 132 Auch die technischen Normenorganisationen haben die Philosophie des TQM oder Grundelemente daraus eingeführt. Vgl. bezüglich des ETSI die Ausführungen in Fn. 197 in Kap. II.B.l.b)dd) und Kap. II.B.4; hinsichtlich der ISO ISO, Annual Report 1995, S. 1; in bezug auf die IEC IEC, Mastering electrotechnology, passim; die ITU betreffend ITU, ITU's History, S. 2 f.; dies., ITU: a historical perspective, S. 11, 13; dies., Connecting the World, S. 6. 133 Vgl. dazu die vorhergehenden Ausführungen zu Pkt. 11. 134 Ein anderes Beispiel bilden die gesetzesvorbereitenden Ausschüsse, welche Kunden der strategischen Lenkungsgremien sind, welche wiederum Kunden des strategischen Parlaments darstellen. 135 Zink, K. W. u.a., People Orientation, S. 9 ff.

G. Möglichkeiten und Grenzen

1023

process, not the problem! Das hier entwickelte Legislativmodell ist rein prozeßorientiert: Indem es aus der Aufgabenstellung entstanden ist, die "volonté générale" unter den heutigen Lebensumständen bestmöglich zu verwirklichen, beschreibt es den diesbezüglichen Prozeß und die dazu notwendige Organisation. Darüber hinaus ist das System präventiv auf Fehlervermeidung ausgerichtet, indem der breit angelegte konsensorientierte Strategiefindungsprozeß der beiden ersten Ebenen sowie die interdisziplinäre und interfunktionelle Zusammenführung des benötigten wissenschaftlichen und praktischen Fachwissens in den gesetzesvorbereitenden Ausschüssen für eine bestmögliche Entscheidungsqualität bürgt und die Gefahr von fehlerhaften Bestimmungen aufgrund der individuellen Irrtumsmöglichkeit auf ein Mindestmaß beschränkt. Letztlich ist es evident, daß im Interesse der optimalen Aufgabenerfüllung des Gesamtsystems dessen Management die Grundgedanken des TQM vorleben muß. 20. Ein System, welches einen "lernenden " Staat ermöglicht:

Viele der genannten Aspekte - die Schaffung eines innovativen Klimas in den gesetzesvorbereitenden Ausschüssen durch die interdisziplinäre und interfunktionelle Zusammenführung von wissenschaftlichem und praktischem Sachverstand136, die im Rahmen des Systementwurfs aufgezeigte Notwendigkeit der Konstituierung einer Vielzahl von Regelkreisen durch die Rückkopplung mit den Normanwendem im Rahmen ihrer Initiativrechte zur Änderung, Ergänzung, Kürzung und Aufhebung geltender Gesetze sowie mit den gesetzesvollziehenden Behörden und den Gerichten in Ausübung ihrer Anhörungsrechte im Interesse der Vollziehbarkeit und Juditiabilität der Regelung, die periodische oder gegebenenfalls auch sofortige Überarbeitung der Gesetze, der daraus resultierende "kontinuierliche Verbesserungsprozeß" (KVP) der Gesetze und des Staates, die Ausrichtung der Gesetze an den Bedürfnissen der Bürger und Kunden137 sowie die Verwirklichung der darauf basierenden Philosophie des "Total Quality Managements" (TQM) - bilden die besten Voraussetzungen für ein "lernendes" System, d.h. in diesem Falle den "lernenden" Staat. Dieser Lernprozeß beinhaltet nicht nur die ständige Perfektion der Gesetze selbst, sondern auch der legislativen, exekutiven und judikativen Handlungsformen, der diesen zugrundeliegenden Prozesse sowie deren aufbau- und ablauforganisatorischer Strukturen. Dies

setzt voraus, daß sämtliche Handlungsformen, Prozesse und Strukturen anders als heute nicht starr, sondern (hoch) flexibel sind und laufend nach Maßgabe der Rückkopplungen, Verbesserungsvorschläge und neuen Erkenntnisse verbessert werden. 21. Ein System, welches sich durch einen geringen Finanzbedarf auszeichnet: "In allen Regierungen der Welt verbraucht die öffentliche Person, ohne etwas zu erzeugen. Woher kommt ihr also, was sie verbraucht? Von der Arbeit ihrer Glieder. Der Überfluß der Einzelnen erzeugt das für die Öffentlichkeit Nötige. " 138 "Moderne Staaten leben von der Hand in den Mund. Und: Der Mund wird immer größer."™

136 137 138 139

Vgl. die vorhergehenden Ausführungen zu Pkt. 10. Vgl. die vorhergehenden Ausführungen zu Pkt. 11. Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 3. Buch, 8. Kap. Aldous Huxley, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender.

1024

Teil 3: Ausblick

Anders als der Staat, welcher seine Ausgaben durch ständig steigende Steuern140, Abgaben, Gebühren und einen progressiv steigenden Schuldenberg zu Lasten der kommenden Generationen141 finanziert und der weder die Notwendigkeit eines angemessenen Preis-Leistungs-Verhältnisses seiner Produkte und Dienstleistungen noch - wie die Wirtschaft oder die Bürger - die existentielle Dringlichkeit von Einsparungen kennt142,finanzieren sich die technischen Normenorganisationen fast ausschließlich durch die Verkaufserlöse ihrer Produkte und Dienstleistungen sowie über Mitgliedsbeiträge143. Dementsprechend können sie ihre Ressourcen lediglich über die Steigerung ihrer Umsätze, d.h. die Erhöhung ihrer Attraktivität fiir den Kunden, und die kosteneffiziente Verwendung ihrer Finanzmittel erhöhen. Am auffälligsten voll-

zieht sich dieser Wandel im Bereich der technischen Normung zur Zeit bei der ITU, welche bislang finanziell am (ergiebigen) Rockzipfel der staatlichen Femmeldeverwaltungen und -unternehmen hing, und die sich jetzt gezwungen sieht, ihren Kunden

140 Die steigenden Steuern sind eine Ursache für die sinkende Steuerehrlichkeit und das schwindende Unrechtsbewußtsein der Bürger: So werden durch Steuerkriminalität und Schatten Wirtschaft jährlich 12% des Bruttosozialproduktes - nahezu 400 Mrd. DM - am Staat vorbeigewirtschaftet. Ein Grund dafür ist nach Ansicht des Vorsitzenden der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, daß eine Steuer- und Abgabenquote schon des Normalverdieners von 50 % auf Dauer die Solidarität in der Gesellschaft sprengt, da sie bereits die Eigentumsgarantie berührt. Umgekehrt ist dort, wo der Staat die Abgabenlast gesenkt hat, auch die Steuermoral wieder gestiegen, eis, Finanzhof-Präsident beklagt wachsenden Steuerfrust, S. 1; Haiusa, M., Steuermoral auf dem Tiefpunkt, S. 11. 141 Die Bundesrepublik Deutschland begibt sich zunehmend in die Schuldenfalle. Von 1949 bis 1989 sind die Schulden der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden von 20 auf 900 Mrd. DM gestiegen. Zwischen 1990 und 1995 haben sie sich nochmals auf rund 2 Billionen DM mehr als verdoppelt, so daß der Schuldenberg nunmehr jede Sekunde um rund 4.000 DM anwächst. Gillies, P., Ausmaß und Folgen der ständig steigenden Staatsverschuldung werden von den Bürgern und den Politikern verdrängt, S. WVL; vgl. auch o.V., Schaubild "Die Schuldenlast", S. 1. Die aus dieser Schuldenfalle resultierenden Gefahren für den zukünftigen politischen Handlungsspielraum werden deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß bis 1998 allein die Zinsausgaben zuzüglich des Schuldendienstes für zu tilgende Altlasten rund ein Viertel der Steuereinnahmen des Bundes beanspruchen werden. Vgl. HH, Schulden Hypothek auf die Zukunft, S. 8. Dabei ist die Ursache des beschleunigten Schuldenanstiegs nach 1989 nach Aussage von Konrad Littmann, dem langjährigen Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium, primär nicht die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten: "Das Elend der deutschen Finanzpolitik resultiert primär nicht aus der Wiedervereinigung, aus einem einmaligen historischen Ereignis, sondern es erklärt sich aus der anhaltenden Unfähigkeit der Politik und der Bürokratie, notwendige Antworten auf eine sich ändernde Welt zu geben." Zit. in: Heck, H., Dient die Wende als Vorwand?, S. 8. 142 Obwohl der Zwang zu sparen - nicht nur aufgrund der Maastricht-Kriterien mittlerweile unbestritten zunimmt, indem beispielsweise die deutschen Städte inzwischen von ihrer Substanz leben. Vgl. die gleichlautende Meldung von Reuters, Deutsche Städte leben inzwischen von ihrer Substanz, S. 11. 143 Vgl. die einschlägigen Kapitel zur Finanzierung der technischen Normenorganisationen auf nationaler, supra- und internationaler Ebene im zweiten Teil dieser Arbeit.

G. Möglichkeiten und Grenzen

1025

einen " Wert für das Geld " ("value for money") zu bieten und in diesem Zusammenhang die "Qualität ihres Service " ("quality of service") zu erhöhen: "Governments everywhere tighten budgets and reduce their direct involvement in telecommunications and, as competition heats up, private companies that are now beginning to dominate the telecommunications industry are no longer operating with guaranteed rates of return. To maintain its government membership and attract private sector revenues, the ITU will have to offer services that are of value. ... These considerations lead to the issue of quality of service. The ITU has already taken a number of steps to streamline ist procedures, reduce its overheads, and improve customer responsiveness, principally through new working methods, extensive computerization of internal operations, and by providing electronic remote access to ITU products, processes, and services. In the future, the ITU will need to keep its portfolio of products and services under continuous review, to make certain that they anticipate and respond to its customers' changing needs."144 Aufgrund dieser Anstrengungen leistet beispielsweise das DIN eine Normungsarbeit, welche der staatlichen bezüglich Komplexität und Umfang gewiß in nichts nachsteht, mit einem Budget von jährlich 158,6 Mio. DM 145. Selbst wenn man die hierin nicht enthaltenen Kosten der ehrenamtlichen Mitarbeiter hinzurechnet, belaufen sich die gesamten volkswirtschaftlichen

Kosten der Normungsarbeit

des DIN auf etwa 1,1

Mrd. DM pro Jahr 146. Ein wesentlicher Grund für diese Kosteneffizienz liegt in der nur anteiligen Inanspruchnahme der bei den interessierten Kreisen beschäftigten sachverständigen Experten, die sich weder in die Materie einarbeiten müssen, noch Diäten erhalten, noch alimentiert werden, noch aus Steuergeldern finanzierte großzügige Übergangsgelder und Pensionen erhalten, noch nach ihrem Ausscheiden mit Posten versorgt werden müssen. Ein anderer Grund liegt in der Schlankheit und Effizienz der aufbau- und ablauforganisatorischen Strukturen der technischen Normenorganisationen. Obwohl zur durchgängigen Verwirklichung der zu Beginn skizzierten Verfahrensprinzipien zweifellos ein höherer finanzieller Aufwand - beispielsweise für die nutzungsentgeldfreie Bereitstellung des "Direkte-Demokratie-Datennetzes" (DDD), die Moderatoren der gesetzesvorbereitenden Ausschüsse oder die finanzielle Unterstützungfinanzschwacher Gruppierungen - getrieben werden muß, als dies heute bei den technischen Normenorganisationen möglich ist, kann dennoch realistisch behauptet werden, daß sich das hier entworfenen Legislativsystem durch einen erheblich geringen Finanzbedarf als das heutige auszeichnet - insbesondere, wenn man die nachfolgend dargelegte Verschlankung des Staates mit in die Betrachtung einbezieht. 22. Ein System, welches den "schlanken Staat " ermöglicht:

"Mit einem Wort, es ist die beste und natürlichste Ordnung, daß die Weisesten die Menge regieren, wenn man sicher gehe, daß sie sie zu deren Wohl und nicht zu ihrem eigenen regieren werden; man soll die Ämter weder unnütz vervielfachen noch

144 145 146

ITU, ITU: a historical perspective, S. 13. Vgl. Kap. II.A.l.a)dd)(6). Vgl. Kap. I.D.l.c).

65 Zubke-von Thünen

1026

Teil 3: Ausblick

mit zwanzigtausend das unternehmen, was hundert auserwählte Männer weit besser ausrichten können. " 147

In der heutigen Politik fehlt es weder an Gutachten und Konzepten148 noch an vollmundigen Absichtsbekundungen zur Verwirklichung des "schlanken Staates" - einem weiteren, als "Lean Production " bekannt gewordenen und in der Folgezeit auf das gesamte Unternehmen übertragenen, sehr erfolgreichen Konzept aus der Wirtschaft. Praktisch geschehen ist bislang jedoch nichts - im Gegenteil: Es werden weder Gesetze und andere Rechtsnormen abgeschafft, welche sich als überflüssig erwiesen haben, noch Behörden aufgelöst, deren Aufgaben im Rahmen der europäischen Integration von Brüssel übernommen wurden; stattdessen suchen sich diese einfach neue Aufgaben, die sie "zum Wohle des Bürgers" ausführen können. Grundvoraussetzung für einen "schlanken Staat" ist zweifellos eine Gesetzgebung, welche die Rahmenbedingungen für eine solche Verschlankung schafft. Dabei läßt sich m.E. die aus der Industrie bekannte Relation, daß 70 % der Kosten eines Produktes durch die Konstruktion bestimmt werden, eins zu eins auf den Staat übertragen, was bedeuten würde, daß 70 % aller Staatsausgaben durch die Gesetze vorge-

geben sind. Dies sei an einigen Beispielen belegt: Voraussetzung für einen "schlanken Staat" ist primär die durch das hier entworfene dreistufige Legislativsystem mögliche Entlastung der Exekutive und der Judikative von ihren heutigen rechtssetzenden Aufgaben und die Beschränkung ihrer Funktionen gemäß der gewaltenteiligen Funktionenordnung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG auf den Gesetzesvollzug und die Rechtsprechung durch hinreichend bestimmte Gesetze. Voraussetzung ist femer die Praxis-, Vollzugs- und Rechtsprechungstauglichkeit dieser Gesetze, welche in diesem System über die unmittelbare Beteiligung der Bürger und der interessierten Kreise sowie die Rückkopplung - nicht inhaltlichen Mitsprache - der Behörden und Gerichte im Rahmen der Gesetzgebung sichergestellt wird. Der Weg zum "schlanken Staat" beinhaltet femer das am Ende der Modellbeschreibung angedeutete, künden- und prozeßorientierte Reengineering der Verwaltung, welches unter anderem die Streichung nicht benötigter Produkte und Dienstleistungen im Rahmen einer Gemein- bzw. Prozeßkostenwertanalyse, die prozeß- und bürgerorientierte Neustrukturierung der verbleibenden Dienstleistungen sowie deren effiziente Organisation durch prozeßorientierte Aufgabenintegration, DV-Unterstützung, sonstige (Teil-) Automatisierung u.a.m. umfaßt; auch hierfür sind vielfache Änderungen oder Streichungen von Rechtsnormen erforderlich. Der Weg zum "schlanken Staat" beinhaltet schließlich die kontinuierliche

147

Verbesserung der Verwaltungs-

und Rechtspre-

Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 3. Buch, 5. Kap. Vgl. z.B. das von den Grünen in Auftrag gegebene Gutachten mit "Reformempfehlungen für eine effiziente, aufgabengerechte und bürgerkontrollierte Verwaltung", welches auf Basis einer Ist-Analyse - der rasant wachsenden staatlichen Bürokratie beispielsweise des Bundes, dessen Ministerialbürokratie sich von 4.000 Bediensteten in den fünfziger Jahren mit über 30.000 Staatsdienem heute mehr als versiebenfacht hat prognostiziert, daß bei konstanter Steuerquote im Jahr 2020 zwei Drittel der Steuereinnahmen für Personalkosten im öffentlichen Dienst aufgewendet werden müßten, und daraus die hinlänglich bekannten Forderungen nach dem "schlankem Staat", die Beschränkung auf Kernkompetenzen, die Privatisierung bislang öffentlich wahrgenommener Aufgaben, die Schaffung effizienter Strukturen sowie die Ausrichtung an dem "Kunden" Bürger fordert. Günsche, K.-L., Weg zum schlanken Staat, S. 2. 148

G. Möglichkeiten und Grenzen

1027

chungsstrukturen sowie des Verwaltungshandelns und der Rechtsprechung durch Vorschläge der Staatsbediensteten und die Rückmeldungen und Beurteilungen der Bürger, die vielfach gleichfalls die Änderung oder Streichung von Gesetzen erforderlich machen werden. 23. Ein System, welches die freie Selbstverwaltung menorganisationen wiederherstellt:

der privaten technischen No

"Einerseits wollen wir natürlich nicht, daß jetzt die Politik in die Normung hineinregiert. Zugleich ist es nicht gut, wenn sich die private Normung staatliche Mach



fio aneignet. Indem die technischen Normenorganisationen die in Kapitel I.C herausgearbeiteten öffentlichen Aufgaben des Gemeinwohls übernommen hat und diese heute monopolartig ausfüllt, ergibt sich für den Staat und insbesondere den Gesetzgeber aufgrund seiner Schutzpflicht von Rechtsgütem mit Verfassungsrang wie Leben und körperlicher Unversehrtheit des Menschen, seiner Sachgüter und der Umwelt150 die Notwendigkeit, die entsprechenden technischen Normen, wie in Teil II dargelegt, zu rezipieren. Um diese Arbeitsteilung zu regeln, haben nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in anderen Nationalstaaten der Europäischen Union sowie auf Ebene der Europäischen Union selbst die zuständigen staatlichen Instanzen Normengesetze erlassen oder auch diesbezügliche Verträge mit den technischen Normenorganisationen geschlossen, welche dem Staat einen gewissen Einfluß auf die Normenorganisationen zusichern151. Dabei haben insbesondere die vielfachen Bestrebungen der Kommission, auf die Organisation der europäischen Normenorganisationen Einfluß zu nehmen, den Unmut der nationalen Normenorganisationen als Träger der Europäischen Normung hervorgerufen. Nachdem bereits die RL 83/189/EWG seitens der DKE als ein entscheidender Eingriff in die freie Selbstverwaltung der europäischen Normung qualifiziert wurde , bezeichnete der Präsident des DIN das Grünbuch der Kommission zur Entwicklung der europäischen Normung vom 8. Oktober 1990 als ein "staatliches Bevormundungspapier", das es "im Verbund mit unseren Partnern in Staat und Wirtschaft" abzuwehren gelte"153. Indem das hier entworfene dreistufige Legislativsystem die Ausarbeitung hinreichend bestimmter Gesetze ermöglicht, erübrigt es im Regelfall die Bezugnahme auf techni149 So der Direktor des DIN Reihlen, H., Zusammenfassung, S. 68, in Bezug auf das Verhältnis der Kommission zu CEN/CENELEC und ETSI. 150 Vgl. die Ausführungen zu Beginn des Abschn. A der Einleitung. 151 Dieser ist beispielsweise in Frankreich sehr viel größer als in der Bundesrepublik Deutschland oder im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland. Vgl. dazu bezüglich der Bundesrepublik Deutschland Kap. II.A.l.a)dd)(5) und Kap. ILA.l.a) gg), hinsichtlich Frankreich Kap. II.A.2.a), in bezug auf das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland Kap. II.A.3.a)dd) sowie die Europäische Union betreffend Kap. II.B.3.c)bb)(l)(d)(aa), Kap. II.B.3.b)cc)(dd) und Kap. II.B.3.c)bb) (2)(e)(bb). 152 Lehmann, M. u.a., Zeittafel, S. 434. Vgl. dazu Kap. II.B.3.b)cc)(bb). 153 Zit. in: Reihlen, H., 43. Präsidiumssitzung, S. 4. Vgl. auch Möllmann, E., Ansprache, S. 8. Vgl. dazu Kap. II.B.3.c)bb)(2)(e)(cc).

65*

1028

Teil 3: Ausblick

sehe Normen, und stellt somit die freie Selbstverwaltung der privaten technischen Normenorganisationen als technisch-ökonomische Regelungssysteme der Marktteilnehmer wieder her. Ebenso auffallend wie hervorhebenswert an dieser Systematisierung der Möglichkeiten und Vorteile des hier entworfenen dreistufigen Legislativsystems ist die Nennung verschiedener aktueller Managementkonzepte, welchen das Modell partiell oder vollständig genügt, da diese Tatsache einen weiteren Beleg der Leistungsfähigkeit dieses Systems wie auch des zugrunde liegenden Konzepts der Willensbildung innerhalb der technischen Normenorganisationen darstellt. Dabei sind noch nicht einmal alle einschlägigen Managementkonzepte benannt: So weist beispielsweise die interdisziplinäre und interfunktionelle Zusammensetzung der gesetzesvorbereitenden Gremien, welche die betroffenen wissenschaftlichen Fachgebiete (z.B. Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Medizin) ebenso repräsentieren wie die verschiedenen praktischen Tätigkeitsbereiche (z.B. Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Fertigung), weitgehende Parallelen zu dem Managementkonzept des "Simultaneous Engineering " auf, welches auf die interfunktionelle simultane Einbeziehung aller betroffenen Unternehmensbereiche in den Produktentwicklungsprozeß abzielt. Zugleich zeichnen sich die gesetzesvorbereitenden Ausschüsse i.V.m. deren Lenkungsgremien durch große Gemeinsamkeiten mit den "Fraktalen" aus Warneckes Konzept des "Fraktalen Unternehmens" 154 aus. Erstens sind sie wie "Fraktale" selbstähnlich und leisten jeder einzelne Dienste155. Zweitens betreiben die gesetzesvorbereitenden Ausschüsse operative Selbstorganisation und -Optimierung etwa in Form eines ständig verbesserten Gesetzesvorbereitungsverfahrens 156 und die Lenkungsgremien üben strategische Selbstorganisation und -Optimierung durch die laufende sektorale Strategieentwicklung und Zieldefinition aus157. Drittens folgen diese sektoralen Strategien und Ziele den durch Volk und Parlament gefällten strategischen Leitentscheidungen, sind damit widerspruchsfrei und dienen dem Gesamtsystem158. Viertens sind die gesetzesvorbereitenden Ausschüsse und deren Lenkungsgremien durch ein leistungsfähiges Informations· und Kommunikationssystem - das "Direkte-Demokratie-Datennetz" (DDD) - miteinander verbunden159. Und fünftens wird die Leistung der gesetzesvorbereitenden Ausschüsse ständig an der Regelungsleistung ihrer Geset-

154 155 156 157 158 159

Wamecke, H.-J., Das Fraktale Unternehmen, passim, insbes. S. 152 ff. Ebd., S. 154 ff. Ebd., S. 157 ff. Ebd., S. 160. Ebd., S. 153. Ebd., S. 172 ff.

G. Möglichkeiten und Grenzen

1029

ze, die ihren Ausdruck in der Rückkoppelung von Normanwendern und Normadressaten findet, gemessen und bewertet 160. Nach der Darlegung der Möglichkeiten und Vorteile des hier entworfenen Legislativsystems sollen im Interesse einer ganzheitlichen Betrachtung auch mögliche Grenzen und Nachteile des Ansatzes aufgezeigt und, soweit möglich, durch den Hinweis auf vorhandene oder die Ergänzung durch neue Systemelemente ausgeräumt werden: "Es ist entschieden sinnvoller, Deiche zu bauen, als sich moralisch mit der Ebbe zu verbünden und darauf zu hoffen, daß auch die Flut allmählich Vernunft annimmt."161 Im folgenden soll sich erweisen, daß die "Deiche" des hier entworfenen dreistufigen Legislativsystems den nachfolgenden acht "(Sturm-)Fluten" standhalten: 1.

Ein System, welches die Gefahr einer perfektionistischen beschwört?

"Normenflut " herauf-

Angesichts der nicht zu leugnenden normungstechnischen Leistungsfähigkeit des heutigen Systems der überbetrieblichen technischen Normung könnte das hier entworfene Legislativsystem die Gefahr einer perfektionistischen "Normenflut" oder - je nach Sichtweise - die Verschlimmerung der bereits bestehenden Normenflut 162 heraufbeschwören, wenn - die gesetzesvorbereitende Ministerialbürokratie einmal außen vorgelassen - statt einiger hundert Parlamentarier auf einmal viele zehntausend oder sogar einige hunderttausend Bürger simultan Gesetze erarbeiten und dem Volk zum Einspruch vorlegen. Bezüglich dieses Arguments sei zunächst nochmals die Erkenntnis aus Abschnitt D dieses Ausblicks betont, daß eine Gemeinschaft von Menschen Gesetze, d.h. alle gleichermaßen berechtigende und verpflichtende Regeln benötigt, um das freiheitliche und gleiche Miteinander aller mit allen zu gewährleisten.

Beispielsweise wäre

Faimeß in Spiel und Sport ohne verbindliche und strikt zu befolgende Spielregeln undenkbar. Im Bereich von Technik und Wirtschaft bestätigt die Existenz der freiwillig finanzierten und angewandten über 500.000 technischen Normen weltweit und deren jährliche Zunahme von 20.000 Normen 163 hinlänglich das Bedürfnis, mit konsensualen gemeinsamen Regeln das gute Zusammenleben und -arbeiten aller mit allen im Bereich von Wissenschaft und Technik zu gewährleisten164. Dabei resultiert 160

Ebd., S. 180 ff. Hans Kaspar, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. 162 Vgl. stellvertretend für die zahlreichen Klagen zur Normenflut Canibol, P. u.a., Flut von Verordnungen, Gesetzen und Normen, passim. 163 Vgl. Abschn. Β der Einleitung. 164 So auch Wilke, D., Zusammenhang von Rechtsnormen und technischen Normen, S. 16 ("Da ein offenkundiges - durch staatliche Rechtsetzung nicht zu befriedigendes Bedürfnis der Praxis besteht, mit abertausenden, ständigem Wandel ausgesetzten technischen Normen versehen zu werden ..."). I.d.S. auch Jaumann, Α., Regelung technischer Sachverhalte, S. 11. 161

1030

Teil 3: Ausblick

die jährliche Zunahme dieses Normenbestandes weniger aus normungstechnischem Perfektionismus, sondern ist nichts anderes als die Folge des exponentiell zunehmenden Wissens165 und der progressiv komplexer werdenden Lebenswirklichkeit166. Dabei gilt als Grundregel, daß die Bürger in einem freiheitlichen System nur so viele Gesetze erlassen können, wie sie mehrheitlich bereit sind, sich selber gegenüber allen anderen zu verpflichten:

"Insoweit die Untertanen nur derartigen Übereinkünften unterworfen sind, gehor chen sie niemandem außer ihrem eigenen Willen; und fragen, bis wohin sich die jeweiligen Rechte des Souveräns und der Bürger erstrecken, heißt fragen, bis zu w chem Punkt diese untereinander Verpflichtungen eingehen können, jeder gegenüb allen und alle gegenüber jedem einzelnen. " 167 Um dieses gemeinschaftliche Optimum an Gesetzen, d.h. gemeinschaftlichen nicht zu überschreiten - und es unter heutigen Bedingungen erst einmal zu erreichen -, bietet das hier entworfene dreistufige Legislativsystem folgende Möglichkeiten: Auf der ersten Ebene kann in einem Volksentscheid über die Abschaffung von strategischen Entscheidungen und Gesetzen abgestimmt werden. Auf der dritten Ebene besitzt jeder einzelne Bürger das Initiativrecht bezüglich der Vereinfachung und Abschaffung von Gesetzen. Macht auf dieser Ebene ein Bürger von seinem Gesetzesinitiativrecht Gebrauch, so haben die im gesetzesvorbereitenden Ausschuß repräsentierten und von der Regelung oder Nichtregelung betroffenen gesellschaftlichen Gruppen i.V.m. dem zuständigen Lenkungsausschuß zu prüfen und zu entscheiden, ob der Gesetzesinitiative ein kollektives oder nur ein individuelles Normungsbedürfnis zugrundeliegt.

165

Vgl. die Ausführungen in Fn. 23 in Kap. I.A.l.c). Deutlich in dieser Hinsicht der ehemalige Bundesjustizminister und Bundestagsabgeordnete Vogel, H.-J., Eröffnungsansprache, S. 10 ("Das Unbehagen über die Vielzahl von Regelungen scheint mir danach in Wahrheit eher ein Unbehagen über die Komplexität unserer Lebensverhältnisse zu enthüllen"), der zugleich betont, daß die Normenflut zwar allerorten beklagt werde, aber zumeist nicht ohne die anschließende dringliche Forderung, daß auf dem eigenen Gebiet des Redners unverzüglich dieses oder jenes schon längst überfällige Gesetz erlassen werden müsse. Ebd., S. 9. So auch aus Sicht der BReg. Strecker, Α., Verknüpfung, S. 44. Für die europäische Ebene stellte Sydow, H. S. v., Erwartungen der KOM, S. 15 f. stellvertretend für die Kommission fest, daß entweder diese oder die europäischen Normenorganisationen die notwendigen Normen für den Europäischen Binnenmarkt schaffen müßten, da sie von den Bürgern und der Industrie gefordert werden. I.d.S. auch der Stellvertreter der Bundesregierung im Forschungsministerrat Schlecht, O., Aktuelle Fragen, S. 10, dessen Aussage zufolge auf europäischer Ebene die Klage über zu viele Normen längst abgelöst wurde durch die über zuwenig Normen. 166

167

Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 4. Kap.

Regeln

G. Möglichkeiten und Grenzen

1031

Darüber hinaus ist jeder Bürger berechtigt, Einspruch gegen die Annahme neuer Gesetzgebungsverfahren zu stellen. Überdies sind Gesetze periodisch - beispielsweise spätestens alle fünf Jahre außer auf Aktualität auch daraufhin zu prüfen, ob noch ein Normungsbedürfnis besteht. Von kaum zu überschätzender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang femer die zuvor unter Pkt. 17 ausgeführte Möglichkeit des Systems, das heutige vielstufige Regelwirrwar aufzulösen, indem zugunsten materiell hinreichend bestimmter Gesetze die Regelungsebenen der Rechtsverordnungen und - soweit sie allgemein relevante, zur Bestimmung der normativen Rechts- und Pflichtenlage erforderliche Festlegungen enthalten - auch die der allgemeinen Verwaltungsvorschriften, sonstigen verwaltungsinternen Vorschriften, Empfehlungen beratender Ausschüsse, öffentlich-rechtlichen technischen Regeln, Unfallverhütungsvorschriften, technischen Normen u.a.m. entfallen können168. Darüber hinaus ist den gesetzesvorbereitenden Ausschüssen als Leitlinie vorzugeben, daß - abgesehen von begründeten Ausnahmefällen - die gesetzlichen Normierungen nicht in Form "beschreibender Spezifikationen" ("descriptive specifications") etwa genau bestimmter Materialien, konstruktiver Lösungen oder Verfahrensweisen, sondern auf der Grundlage von "Funktions- oder Leistungsanforderungen " ("functional or performance specifications") etwa als konkrete Grenz-, Leistungs- oder Mindestbelastbarkeitswerte in Verbindung mit entsprechenden Prüfverfahren zu deren Ermittlung zu erfolgen haben169. Schließlich bietet auch die in der technischen Normung bereits praktizierte und auf dieses Modell übertragbare 170 systematische Europäisierung und Internationalisierung nationaler Gesetze - Stichworte RL 83/189/EWG, Vilamoura-Verfahren, Wiener Vereinbarung und Luganer Vereinbarung - die Möglichkeit, die Gesamtzahl der national, europäisch und international benötigten Rechtsnormen und Verträge auf das optimale Maß zu beschränken. 2.

Ein System, welches die Blockade notwendiger Gesetze oder einzelner Bestim mungen durch eine oder wenige Interessengruppen ermöglicht?

Die zuvor genannten Vorkehrungen zur Optimierung des Bestandes an Gesetzen im Sinne der Verhinderung einer perfektionistischen Überreglementierung bergen die Gefahr der Blockade notwendiger Gesetze oder einzelner Bestimmungen durch eine oder wenige Interessengruppen im Rahmen der repräsentativen Gesetzesvorbereitung. Die Möglichkeiten dazu bieten sich bei der Entscheidung über die Annahme

168 Die Ordnungs- und Regelungsfunktion beispielsweise der allgemeinen Verwaltungsvorschriften für den Gesetzesvollzug oder die Funktion der technischen Normen als technisch-ökonomisches Regelungssystem der Marktteilnehmer bleibt dabei unangetastet. 169 Vgl. die Ausführungen in Fn. 59 in Kap. I.D.La) und Fn. 276 in Kap. I.D.3. 170 Vgl. dazu die abschließenden Bemerkungen dieses Abschnitts.

1032

Teil 3: Ausblick

einer Gesetzesinitiative171, im Rahmen der konsensualen Beschlußfassung innerhalb des gesetzesvorbereitenden Gremiums sowie bei den Beratungen mit den einsprechenden Bürgern. Um diese Blockade weitgehend erwünschter oder notwendiger Regelungen durch eine oder wenige Interessengruppen zu verhindern, wird bei einigen technischen Normenorganisationen eine indikative Abstimmung praktiziert, um den Grad an Konsens bzw. Dissens festzustellen, und notfalls eine Mehrheitsentscheidung getroffen. Beide Instrumente - die indikative

Abstimmung und der qualifizierte

Mehrheitsbeschluß

etwa mit 2/3-Mehrheit - sollten demnach in Ausnahmefällen subsidiär zum Konsensprinzip auch bei diesem Modell möglich sein. Darüber hinaus können zu diesem Zweck auch die Einspruchsrechte, welche die Interessen des einzelnen Bürgers schützen sollen, angewandt werden: Im Falle der Ablehnung einer Gesetzesinitiative kann der Antragsteller wie jeder andere Bürger gegen diese Entscheidung des gesetzesvorbereitenden Ausschusses Einspruch einlegen. Das gleiche Recht steht jedem interessierten Kreis sowie jedem einsprechenden Bürger im Falle eines Dissenses im Rahmen der Verabschiedung eines Gesetzes zu. In beiden Fällen können die Einsprechenden ihre Anliegen mehrinstanzlich vertreten, wobei als Instanzen der zuständige gesetzesvorbereitende Ausschuß, der sektorale Lenkungsausschuß, das Parlament und schließlich auch das Volk in Betracht kommen. Schließlich dient auch die Institution des Moderators neben anderem der Abwehr dieser Gefahr. Wie die Praxis der technischen Normenorganisationen beweist, müssen nur wenige Fälle durch die oberen Einspruchsinstanzen entschieden werden172. Sollte jedoch der gesetzesvorbereitende Ausschuß nicht zu einer Gesetzgebung in der Lage sein, können immer noch das Parlament und letztinstanzlich das Volk das entsprechende Gesetz erlassen, so sie dies für erforderlich halten. Damit bleibt zugleich ein heilsamer Druck auf alle gesellschaftlichen Gruppierungen erhalten, durch eine konsensuale Lösung mit den anderen Beteiligten einer weniger sachkundigen und unter Umständen auch weniger vorteilhaften, da eher emotional als rational geprägten Regelung durch Parlament oder Volk vorzubeugen173.

171 So beklagt Tröster, K., Frontstellung gegen Einsprüche, S. 21, bezüglich der überbetrieblichen technischen Normung aus Sicht der Gewerkschaften die "mangelnde DuΓchsichtigkeit', der Stellung eines Normungsantrages, welcher sich "als schwer zu nehmende Hürde" erweise. 172 Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 71 in diesem Ausblick, Kap. D. 173 Entsprechend den bei Bolenz, E., Technische Normung, S. 144, wiedergegebenen Interviewergebnissen folgend ergibt sich heute aus Verbandssicht oft der Zwang, durch die Erarbeitung freiwilliger technischer Normen die "Flucht nach vorne" anzutreten, um möglichen legislativen Eingriffen zuvorzukommen. Auch in den USA versucht man durch freiwillige Normen im Umweltschutzbereich, strengeren und inflexibleren staatlichen Umweltschutzauflagen zuvorzukommen. Collazzo, C., Einflüsse der Normung, S. 46 f.

G. Möglichkeiten und Grenzen

1033

Abschließend ist jedoch zu betonen, daß der Kurs zwischen Szylla174 - der Gefahr der Überregulierung - und Charybdis175 - der Gefahr der Blockade notwendiger Regelungen - in jedwedem republikanischen, auf Gesetzen basierenden System eine Gradwanderung bedeutet, die schwerlich zur Zufriedenheit aller gelöst werden kann. 3.

Ein System, welches die Gefahr der Durchsetzung von Gruppenwillen ( " volon des tous") auf Kosten des Gemeinwillens (" volonté générale") mit sich bringt?

Aufgrund der Ausarbeitung der Gesetzentwürfe durch gesellschaftliche Verbände bringt die dritte Stufe des hier skizzierten Legislativsystems prinzipiell die Gefahr mit sich, daß sich Gruppeninteressen auf Kosten des Gemeininteresses durchsetzen. Gegen diesen möglichen Einwand ist zunächst dogmatisch einzuwenden, daß in den gesetzesvorbereitenden Ausschüssen nur die Gesetzentwürfe erarbeitet Gesetz jedoch erst durch den öffentlichen Konsens aller einsprechenden oder schweigenden Bürger im Einspruchsverfahren zustande kommt.

werden, d

Jedoch ist de facto kaum zu leugnen, daß die gesetzesvorbereitenden Ausschüsse allein aufgrund ihres außerordentlich hohen Potentials an Sachverstand einen großen Einfluß auf den Inhalt des Gesetzes haben. Damit sich auf diese Weise nicht doch Gruppeninteressen auf Kosten des Gemeininteresses durchsetzen, sieht dieses Modell die interessenpluralistische Beteiligung aller betroffenen und interessierten gesellschaftlichen Gruppierungen bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs, die Egalisierung von deren Einfluß durch die Forderung der Vertretung singulärer Interessen und eine im Regelfall konsensuale Beschlußfassung sowie die vorhergehend beschriebenen Einspruchsrechte der Bürger und Vereinigungen vor. Dieses System ist damit m.E. offener und ehrlicher als die heutige Politik, weil die bestehenden Interessen öffentlich artikuliert werden müssen, damit sie in dem konsensualen Diskurs Berücksichtigung finden können176. Schließlich dient auch die Institution des Moderators neben anderem der Abwehr dieser Gefahr. 4.

Ein System, welches durch seine Konsensorientierung

unpraktikabel ist?

"Der Einsatz von Project Teams kann im Einzelfall sinnvoll sein und wird auch schon praktiziert. Es müssen jedoch Vorkehrungen getroffen sein, daß das endgü ge Arbeitsergebnis tatsächlich den Konsens der Fachkreise wiedergibt und nicht nu die Auffassung einzelner. Eine vorsichtige Anwendung von Mehrheitsentscheidunge

174

Die Szylla ist bei Homer ein sechsköpfiges Seeungeheuer in einem Felsenriff in der Straße von Messina. Duden "Fremdwörterbuch", S. 763. 175 Die Charybdis ist ein gefährlicher Meeresstrudel der griechischen Sage. Duden "Fremdwörterbuch", S. 140. 176 Auch die heutige Politik entscheidet beileibe nicht unabhängig von Partikularinteressen; warum wohl sonst gibt es so viele und so gut bezahlte Lobbyisten? Um ein konkretes Beispiel zu nennen, verfolgt der Minister des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, in dem am meisten Kohle verbrannt und Strom produziert wird, laut Grieshammer, R., TA Luft, S. 82, Mitarbeiter des Öko-Instituts Freiburg, ebenso Partikularinteressen wie beispielsweise der Steinkohleverband oder der Verband der chemischen Industrie, was an den einseitigen Stellungnahmen der bei seiner wissenschaftlichen Landesanstalt in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Studie zu erkennen ist.

1034

Teil 3: Ausblick

bei der fachlichen Erarbeitung wird vom DIN im Grundsatz befürwortet, insbeson dere dann, wenn einzelne das Beratungsergebnis unangemessen verschleppen. O eine solche Situation gegeben ist, muß von den Arbeitsgremien, insbesondere von deren Vorsitzenden, im Einzelfall entschieden werden. Eine Verkürzung der öffe der nicht unmittelbar chen Einspruchsfrist darf jedoch die Mitwirkungsmöglichkeit in den Technischen Komitees vertretenen Öffentlichkeit nicht einschränken. Daru ter würde die Akzeptanz der Normen leiden. Zu allen drei Empfehlungen - Projec Teams, Mehrheitsentscheidungen, kürzere Umfragefristen - ist zu sagen, daß d freiwillige Normung vom Konsens lebt. Der Konsens ist die Grundlage der freiwilligen Normenanwendung. Konsensbildung erfordert Zeit. " l7 7 Aufgrund der Ausarbeitung der Gesetzentwürfe und der Behandlung der Einsprüche der Bürger im Konsensverfahren könnte sich die dritte Ebene des hier skizzierten Legislativsystems als unpraktikabel erweisen. So machte es im Normen- und Regelsystem des Kernenergierechts 178 nach Ansicht von Sachkennern vor allem der schwerfällige Abstimmungsmodus (5/6-Mehrheit) unmöglich, in kurzer Zeit ein geschlossenes KTA-Regelwerk zu schaffen 179. Im Gegensatz zum KTA wird jedoch die dritte Ebene des hier skizzierten Legislativsystems - vergegenwärtigt man sich die Zahlen der technischen Normenorganisationen - aus vielen tausend gesetzesvorbereitenden Ausschüssen, Komitees, Unterkomitees und Arbeitskreisen gebildet. Nur diese Simultanität bzw. Paratie lisierung der Gesetzgebung verschafft den einzelnen Gremien die notwendige Zeit, einen Gesetzentwurf nach dem Konsensprinzip zu erarbeiten und ihn mit den einsprechenden Bürgern wiederum konsensorientiert zu diskutieren. Daß die Erzielung eines hohen Grades an Konsens selbst in der hochdynamischen und -konfliktären wissenschaftlich-technischen Entwicklung praktisch möglich ist, belegt im Rahmen der technischen Normung die geringe Anzahl der eingeleiteten Schlichtungs- und Schiedsverfahren 180. 5.

Ein System, welches durch seine Konsensorientierung promisse hervorbringt?

nur unzureichende Kom

"Ein Kompromiß, das ist die Kunst, einen Kuchen so zu teilen, daß jeder meint, er habe das größte Stück bekommen. " 1S1 Aufgrund der vorhergehend geschilderten Konsensorientierung könnte sich das System der Kritik ausgesetzt sehen, nur unzureichende Kompromisse hervorbringen zu können.

177

DIN, Stellungnahme, S. 266 (Hervorh. d. Verf.). Vgl. Kap. II.A.l.c)dd)(3). 179 Nolte, R., Rechtliche Anforderungen, S. 115. 180 Als Beleg des weitreichenden Grades an Konsens sowohl zwischen den Repräsentanten in den Normenausschüssen als auch zwischen diesen und den einsprechenden Bürgern ist die Tatsache zu werten, daß die eingerichteten Schlichtungs- und Schiedsverfahren der technischen Normenorganisationen in der Praxis kaum in Anspruch genommen werden. Vgl. dazu die Ausführungen in Fn. 71 in diesem Ausblick, Kap. D. 178

8

, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender.

G. Möglichkeiten und Grenzen

1035

Tatsächlich wird ein System, welches der unter den heutigen Lebensbedingungen bestmöglichen Verwirklichung der "volonté générale" verpflichtet ist, keine Extrempositionen hervorbringen, sondern nur Lösungen, welche gesamtgesellschaftlich konsens- oder zumindest mehrheitsfähig sind. Da jedoch eine berechtigte Kritik, daß eine Lösung unzureichend ist, immer eine höhere Einsicht, eine fortgeschrittene Erkenntnis oder ein überlegenes Wissen von einer leistungsfähigeren Lösung voraussetzt, ist es Aufgabe des Kritikers, dafür zu Sorgen, daß diese Einsicht, diese Erkenntnis oder dieses Wissen verbreitet, erkannt, damit auch mehrheitlich anerkannt und auf diese Weise Gesetz wird. Auf diese Weise wird sich über den zuvor in Pkt. 18 beschriebenen kontinuierlichen Verbesserungsprozeß der Gesetze auch immer die überlegene Lösung durchsetzen. Diese theoretische Aussage läßt sich durch den international anerkannten hohen Standard der deutschen technischen Normenwerke nicht nur bezüglich der technischen, sondern insbesondere auch der gesellschaftlichen Zielvorstellungen untermauern. So wird auf nationaler Ebene beispielsweise im Bereich Strahlenschutz nur von einem Fall bis 1975 berichtet, in dem die Behörden höhere Anforderungen stellten als der Fachnormenausschuß182. Im Bereich des Umweltschutzes gelang den deutschen Normenorganisationen neben der bemerkenswert guten Übernahme von Umweltschutzaufgaben auch der "Export" der entsprechenden Regelungen auf die europäische und die internationale Ebene183. Schließlich erwiesen sich im Bereich Gesundheitsschutz - Beispiel Feldstärke von Mobiltelefonen - technische Normen teilweise als Vorreiter strenger Anforderungen 184. 6.

Ein System, welches die Gefahr einer (unqualifizierten) aufbeschwört?

"Einspruchsflut"

Indem das hier entworfene Legislativsystem jedem Bürger ein inhaltliches Einspruchsrecht zu jedem Gesetz einräumt, könnte es die Gefahr einer (unqualifizierten) "Einspruchsflut" heraufbeschwören. Problematisch dabei sind weniger die fachlich qualifizierten, sondern die nicht sachkundigen Einsprüche. Denn während Sachverständige gemeinhin von Fakten ausgehen und demzufolge überwiegend auch sachlich argumentieren, lassen sich fachliche Laien mehr von emotionalen Empfindungen leiten, was auch im Diskursstil seinen Ausdruck findet. Beispielsweise weicht im Bereich der Sicherheit die Einschätzung technischer Risiken bei Laien und Sachverständigen zum Teil erheblich voneinander ab; so werden die von Kernkraftwerken ausgehenden Gefahren gemeinhin überschätzt, während in der Bundesrepublik jährlich Verkehrstote im fünfstelligen und -verletzte im sechsstelligen Bereich als selbstverständlich hingenommen werden185.

182

Berger, H., Rechtsverbindliche Strahlenschutzvorschriften, S. 9. Vieweg, K., Produktbezogener Umweltschutz, S. 537 ff., 541. 184 "Im Entwurf der DIN VDE 0848 Teil 2 sind solch niedrige Grenzwerte für die damit im Zusammenhang stehende physikalische Größe »Feldstärke' enthalten. Wir warteten nicht, bis der Gesetzgeber über diesen Entwurf entscheidet..." Stiftung Warentest, Test Mobiltelefone, S. 39. 185 Vgl. die Abbildung bei Hosemann, G., Einleitung, S. 6, 10; femer Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 169. 183

he

1036

Teil 3: Ausblick

Nicht zuletzt aus diesem Grunde wurde sowohl im Rahmen der Erarbeitung der Grundlagen dieses Modells in Abschnitt D dieses Ausblicks als auch zu Beginn dieses Abschnitts auf die Notwendigkeit einer hinreichenden Sachkenntnis des aufgeklärten Bürgers bezüglich des Regelungsgegenstandes hingewiesen. Obwohl m.E. mit den zunehmenden legislativen Gestaltungsmöglichkeiten des Bürgers auch sein Interesse und seine Sachkenntnis bezüglich der ihn interessierenden Regelungsgebiete zunehmen werden, wird ein ausreichender Sachverstand in der Praxis sicherlich nicht in jedem Fall vorhanden sein. Dieses ist unvermeidbar und sollte von den gesetzesvorbereitenden Ausschüssen und ihren Untergliederungen bewältigt werden können, auch wenn sich die heute eher geringe Zahl von Stellungnahmen - so gingen 1981 bei der DKE zu 453 Norm-Entwürfen etwa 2.000 Stellungnahmen ein, also rund 4 pro Normenentwurf 186 - in diesem System signifikant erhöhen dürfte. 7.

Ein System, welches durch seine staatlichen Strukturen ineffizient

ist?

Angesichts der verbreiteten Ineffizienz staatlicher Strukturen - Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel - besteht die Gefahr, daß ein prinzipiell leistungsfähiges System im Falle seiner Implementation in den Staat seine Effizienz einbüßt.

Gegen dieses Argument ist zum einen vom methodischen Standpunkt aus einzuwenden, daß das hier vorgestellte Willensbildungssystem, wie vielfach ausgeführt, durch die Konzeption seiner Aufbau- und Ablauforganisation - insbesondere durch die Simultanität der Entscheidungsprozesse und die Erschließung größtmöglichen Sach verstands - dem heutigen deutlich überlegen ist. Werden beide Systeme staatlich implementiert, so sind die Rahmenbedingungen für beide Systeme gleich, so daß sich an der Überlegenheit des hier entworfenen Systems relativ nichts ändert. Zum anderen bildet der "Staat" in diesem System nur den organisatorischen Rahmen für die weitgehende Autonomie der Bürger oder, mit anderen Worten, die Selbstregelung der Gesellschaft. Der "Staat" sorgt für die Infrastruktur und - beispielsweise in Form der Moderatoren der gesetzesvorbereitenden Ausschüsse - für die Einhaltung der Verfahrensbedingungen. Für die inhaltliche Arbeit und auch die Effizienz derselben sind die Bürger zuständig und verantwortlich. Diese Ausführungen werden durch die Entwicklung des französischen Normensystems bestätigt, welches die Effizienz seiner Tätigkeit und auch die Akzeptanz seiner Arbeitsergebnisse - ungeachtet des fortbestehenden staatlichen Einflusses - durch die Gestaltung des Normungssystems als Selbstverwaltungsaufgabe der interessierten Kreise und der Bürger unter Anwendung zentrale Normungsprinzipien signifikant steigern konnte187. 8.

Ein System, welches die Gefahr der Zementierung von Detailregelungen sich bringt?

Schließlich könnte angesichts der reinen Gesetzesorientierung des hier entworfenen Legislativsystems die Gefahr bestehen, daß durch die Gesetze Detailregelungen unflexibel festgeschrieben werden. Diese Gefahr ist angesichts der Leistungsfähigkeit des Systems, die im wesentlichen auf der Möglichkeit der simultanen und sachverständigen Erstellung und Überarbei186 187

Hosemann, G., Erstellung sicherheitstechnischer Normen, S. 108. Vgl. Kap. II.A.2.a)ee) und Kap. II.A.5.

mit

G. Möglichkeiten und Grenzen

1037

tung einer in weiten Grenzen beliebigen Anzahl von Gesetzen, der kontinuierlichen Verbesserung der Gesetze durch die Rückkopplung mit Normanwendern und Normadressaten sowie der periodischen Revision der Gesetze basiert, hinsichtlich ihrer zeitlichen Komponente nicht gegeben. Hinsichtlich der inhaltlichen Komponente dieser Gefahr ist auf die Ausführungen zu Punkt 1 zu verweisen, daß die gesetzlichen Normierungen nicht in Form "beschreibender Spezifikationen" ("descriptive specifications") etwa genau bestimmter Materialien, konstruktiver Lösungen oder Verfahrensweisen erfolgen sollten, sondern auf der Grundlage von "Funktions- oder Leistungsanforderungen" ("functional or performance specifications") etwa in Form konkreter Grenz-, Leistungs- oder Mindestbelastbarkeitswerte in Verbindung mit entsprechenden Prüfverfahren zu deren Ermittlung 188. Bei all diesen Vorkehrungen bleibt unbestritten, daß jedes System auch bei bester Absicherung durch hinreichend egoistische Menschen und/oder Vereinigungen von Menschen für die eigenen Zwecke mißbraucht und ausgenutzt werden kann. Ein gewisses Mindestmaß an Bewußtsein und Wertschätzung der Vorzüge der Gemeinschaft, an Gemeinschaftsinn ist unzweifelhaft auch für das Funktionieren dieses bürgernahen Willensbildungssystems notwendig: "Tugenden sind die wichtigsten Rohstoffe für den Aufbau eines Landes."189 "Das Gute liegt nicht in Systemen, sondern im Menschen."19i) Jedoch geht das hier skizzierte Legislativsystem von einem realistischen Bild des Menschen aus, der seinen Einzelwillen und -nutzen über die Gruppenwillen und -nutzen der ihn repräsentierenden Vereinigungen und diese wiederum über den Gemeinwillen und -nutzen stellt, welches bereits Rousseau seinen Untersuchungen zugrunde gelegt hat 191 : "Dabei werden die Menschen genommen, wie sie sind, und die Gesetze, wie sie sein können."192 Indem das System den Einzel- und Gruppenegoismus des Menschen und der gesellschaftlichen Vereinigungen anerkennt und in weiten Teilen auf dem offenen Ausgleich dieser Gruppen- und Individualinteressen beruht, stellt es auch keine "übermenschlichen" Anforderungen an die Bürger: "Um die für die Nationen besten Gesellschaftsregeln ausfindig zu machen, bedürfte es einer höheren Vernunft, die alle Leidenschaften der Menschen sieht und selbst 188 189 190

der.

191 192

Vgl. die Ausführungen in Fn. 59 in Kap. I.D.La) und Fn. 276 in Kap. I.D.3. Erich Kästner, zit. in: Impuls-Kalender GmbH, Der original Leitspruch-Kalender. Jean-Jacques Rousseau, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-KalenRousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 3. Buch, 3. Kap. Ebd., 1. Buch, Einleitung.

1038

Teil 3: Ausblick

keine hat, die keinerlei Ähnlichkeit mit unserer Natur hat und sie dabei von Grund auf kennt, deren Glück von uns unabhängig ist und die gleichwohl bereit ist, sich um unseres zu kümmern; schließlich einer Vernunft, die sich erst im Lauf der Zeit Ruhm erwirbt, in einem Jahrhundert arbeitet und in einem anderen genießen kann. Es bedürfte der Götter, um den Menschen Gesetze zu geben."193 Das System setzt nur eines unabdingbar voraus: die Fähigkeit und den Willen der Bürger und der Vereinigungen zum sachlichen Diskurs und zur weitgehend konsensualen Einigung. Dieses sind zweifellos hohe, aber dennoch erfüllbare Anforderungen, die - wie der beeindruckende praktische Erfolg der technischen Normung auf dem von unbestreitbar hohen Interessengegensätzen durchzogenen Feld des wissenschaftlich-technischen Fortschritts belegt - wohl jeder Bürger und auch jede Vereinigung zu befolgen in der Lage ist: "Es ist besser, hohe Grundsätze zu haben, die man befolgt, als noch höhere, die man außer acht läßt." 194 Abschließend ist in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, daß dieses Legislativmodell weder die Etablierung einer Technokratie - einer Herrschaft von Technikern und Wissenschaftlern oder der Industrie 195 -, noch die Legitimation der Schaffung eines "autonomen technischen Rechts gebietes" 196, noch die Verstaatlichung der Normenorganisationen 191, noch eine staatliche Technologiesteuerung im Sinne der französischen Planifikation bezweckt. Ziel ist vielmehr das Aufzeigen hocheffizienter Entscheidungsstrukturen zur bestmöglichen Verwirklichung der "volonté générale" unter den heutigen Lebensumständen, welche die Möglichkeit eröffnen, auf allen Gebieten menschlichen Zusammenlebens - nicht nur im Bereich von Wissenschaft und Technik - das gute Zusammenleben aller mit allen zu regeln. Denn angesichts des substanziellen Reformbedarfs, der bisherigen Untätigkeit der Politiker und der Komplexität auch anderer staatlicher Subsysteme wie beispielsweise denen des Steuerrechts, der Rentenversichung oder der Krankenversicherung scheint es nicht nur möglich, 193

Rousseau, J.-J., Vom Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 7. Kap. Albert Schweitzer, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. 195 Dabei wird teilweise proklamiert, daß die Technik versuche, sich das Recht und alle anderen Kulturgebiete mit dem Endziel der Technokratie unterzuordnen (vgl. die Nachweise bei Schäfer, K.-W., Regeln der Technik, S. 12 ff.), während teilweise lediglich die genannte Vokabel benutzt wird. Vgl. dazu Breuer, R., Internationale Orientierung, S. 55, 70 f.; Müller-Foell, M., Konkretisierung von Rechtsvorschriften, S. 51, 58; Murswiek, D., Staatliche Verantwortung, S. 24; ders., Bericht VVDStRL 48 (1990), S. 220, 230 f. Leitsatz 4; Vogel, K , Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 302. 196 Vgl. dazu die Ausführungen bei Nickusch, K.-O., Normativfunktion, S. 25 f., 184 f., 198,200. 197 Deren Tätigkeit bleibt im Kem als technisch-ökonomisches Regelungssystem der Marktteilnehmer unangetastet; sie werden lediglich von den öffentlichen Aufgaben entlastet. Vgl. dazu auch die Ausführungen am Ende des vorhergehenden Abschnitts. 194

G. Möglichkeiten und Grenzen

1039

sondern sogar dringend geboten, dieses System, welches sich auf dem komplexesten, kompliziertesten, dynamischten und mittlerweile wohl auch umstrittensten aller sozialen Bereiche - nämlich dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt - bewährt hat, auch auf diese Subsysteme zu übertragen: "Die Inadäquanz der überkommenen Regelungsformen macht sich nicht nur im technischen Sicherheitsrecht bemerkbar. Auch in anderen Bereichen, wie etwa dem Wirtschaftsrecht und dem Schuldrecht, wird die Enge und Starrheit von Gesetz und Rechtsverordnung empfunden und nach neuen Regelungsformen gesucht."198 Schließlich ist das System darüber hinaus prädestiniert für eine sinnvolle Regelungsabstufung innerhalb föderaler Strukturen, indem die in der technischen Normung bereits praktizierten Verfahren zur systematischen Europäisierung und Internationalisierung nationaler technischer Normen - Stichworte Richtlinien 83/189/EWG, Vilamoura-Verfahren, Wiener Vereinbarung und Luganer Vereinbarung - auf dieses Modell übertragen werden. Daß dies möglich ist, belegt beispielsweise die Einschätzung des Vizepräsidenten des Umweltbundesamtes, welcher die Europäische Normung als Chance sieht, die nationalen Umweltschutzanforderungen in der Europäische Union - ohne "das komplizierte Verfahren über EG-Kommission und EG-Ministerrat mittels Richtlinien - zu harmonisieren" 199. Ein solches internationales Modell könnte in einem ersten Schritt nach dem Vorbild von CEN/CENELEC die Bildung von Spiegelgremien zu analogen Gremien auf europäischer und internationaler Ebene und den dortigen Ausgleich der nationalen Standpunkte vorsehen, bevor in einem zweiten Schritt beispielsweise der Bildung einer Föderation europäischer Staaten gemäß dem Vorbild der USA - eine direkte Repräsentation der Bürger auf europäischer Ebene nach dem Vorbild des ETSI denkbar wäre. Gleichzeitig sollten auch auf internationaler Ebene in Teilbereichen korrespondierende Spiegelgremien eingerichtet werden. Dies dient der Vorbereitung des letzten Schrittes, nämlich der Ausbildung einer Weltgemeinschaft wirklich - nämlich durch gemeinsame Gesetze oder Verträge - "vereinter Nationen". Dabei ist das System geeignet, für diejenigen Bereiche, die zweckmäßigerweise unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips in größeren Gemeinschaften sei es nationalstaatlich, supra- oder sogar international - geregelt werden können und durch vertragliche Vereinbarung auch geregelt werden sollen, die Balance zwischen einer sinnvollen Wahrung des Föderalismus und der Vorteile und der Effizienz einmaliger Festlegungen auf der höchstmöglichen Ebene zu wahren. Dies kann dadurch geschehen, daß die Initiierung eines Gesetzgebungsverfah198 199

Ossenbühl, F., Die Bewertung technischer Risiken, S. 177. Troge, Α., Sicht des Umweltbundesamtes, S. 283.

1040

Teil 3: Ausblick

rens durch die Bürger prinzipiell auf der untersten Ebene des Systems - dies kann in der Bundesrepublik Deutschland auch die Ebene der Länder sein - erfolgt und in diesem Beispiel an alle anderen Länder gemeldet wird. Wenn keine oder nur wenige andere Länder gleichfalls Interesse an dem Gesetzgebungsgegenstand bekunden, gilt das Gesetzgebungsverfahren als Angelegenheit des oder der (wenigen) interessierten Länder. Andernfalls übernimmt die nächst übergeordnete - in diesem Fall die nationalstaatliche Ebene - die Verantwortung für die Gesetzgebungsinitiative, die diese wiederum allen Ländern der übergeordneten supranationalen Staatengemeinschaft mitteilt. Wenn keine oder nur wenige andere Staaten dieser Staatengemeinschaft gleichfalls Interesse an dem Gesetzgebungsgegenstand bekunden, gilt das Gesetzgebungsverfahren als nationale Angelegenheit. Andernfalls übernimmt die supranationale Ebene die Verantwortung für die Gesetzgebungsinitiative, die diese wiederum allen supranationalen Staatengemeinschaften und sonstigen Ländern der Weltgemeinschaft zur Kenntnis bringt. Äußern hinreichend viele Staatengemeinschaften und Staaten Interesse an dem Gesetzgebungsverfahren, so wird es auf internationaler Ebene durchgeführt; ansonsten gilt es als supranationale Angelegenheit. Diese Möglichkeit einer effizienten Europäisierung oder gar Internationalisierung gesetzlicher Regelungen ist deshalb von so großer - ja sogar existentieller - Bedeutung, weil viele Probleme wie beispielsweise der Umweltschutz oder die Überbevölkerung heute nur noch supra- oder sogar international zu lösen sind. Allerdings wird es dort, wo bereits national Schwierigkeiten bestehen, einen Konsens zu finden, auf supra- und erst recht auf internationaler Ebene noch viel größere Schwierigkeiten bereiten, eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen 200. Hier wird es realiter nicht möglich sein, die hohen Standards der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar und sofort in Europa oder gar in der Weltgemeinschaft durchzusetzen. Es muß eine Politik der kleinen Schritte, die oben geschilderte kontinuierliche Verbesserung auch der europäischen und internationalen Gesetze und Verträge genügen, welche es Europa und der Weltgemeinschaft ermöglichen, die Notwendigkeit beispielsweise des Umweltschutzes auch konsensisch zu erkennen und damit entsprechende Gesetze und Verträge auch anerkennen zu können. Wenn durch eine derartige Regelung das Umweltschutzniveau der Weltgemeinschaft auch nur um einen Prozentpunkt angehoben wird, ist das Gesamtresultat deutlich positiver, als wenn die Bundesrepublik Deutschland auf eine internationale Regelung verzichtet und einseitig national begrenzte strengere Schutznormen einführt, zumal immer die bereits

200

Zacher, H. F., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 271 f. Zustimmend Breuer, R., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 280 f.; Isensee, J., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 288 ff.

G. Möglichkeiten und Grenzen

1041

oben ausgeführte Erkenntnis berücksichtigt werden muß, daß sich der Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb befindet: "Bei der politischen wie bei der juristischen Entscheidung über die Schwelle der Gefahr und des Restrisikos müssen die internationalen Folgewirkungen und Rückwirkungen mitbedacht werden. Grundrechtsbeschränkungen, die der Gefahrenvorsorge in den Bereichen Technik, Umwelt und Kommunikation dienen sollen, können nicht ohne Blick auf das ausländische Umfeld gerechtfertigt werden. Wenn staatliche Repression nur dazu führt, daß sich Gefahrenquellen ins Ausland verlagern, ohne daß sich die Gefahrenwirkungen im Inland merklich verringern, ist die Maßnahme untauglich und daher als Grundrechtseingriff von Verfassung wegen nicht zu halten."201

201

Isensee, J., Wortbeitrag in: VVDStRL 48 (1990), S. 290.

66 Zubke-von Thünen

Schlußwort "Nicht unserer Vorväter wollen wir trachten, uns würdig zu zeigen nein: unserer Enkelkinder."* Diese Arbeit, die ursprünglich als berufsbegleitende Promotion konzipiert war und die auch als solche begonnen wurde, hat durch die im Laufe der Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse, welche in den Resümees und insbesondere im Ausblick im dritten Teil der Arbeit niedergelegt sind, sowohl bezüglich der benötigten Bearbeitungszeit als auch hinsichtlich ihres Umfangs eine nicht vorherzusehende Entwicklung genommen. Wenn ich dadurch nicht nur meiner Person, sondern auch meinen Professoren und den Lesern einiges an Zeit und mentaler Anstrengung abverlange, so geschieht das in der Überzeugung, daß wir eine Verpflichtung vor Gott und der Menschheit haben, den kommenden Generationen ein freiheitliches Gemeinwesen zur Selbstverwirklichung, eine funktionierende Wirtschaft zum Lebenserwerb und eine intakte Umwelt als Lebensgrundlage zu hinterlassen: "Ein Traum ist unerläßlich, wenn man die Zukunft gestalten will." 1 In diesem Sinne ist die vorliegende Schrift der Beitrag eines Bürgers, den angesichts unserer existentiellen Probleme die fehlenden Visionen und Taten der Parteien in Anbetracht von deren politischem Machtmonopol verärgern, die Untersuchung eines Wirtschaftsingenieurs, dessen Bemühungen der Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit eines Industriebetriebes durch einen maßlosen und (reform)unfähigen Staat konterkariert werden, und die Arbeit eines Menschen, den die immer weiter fortschreitende globale Zerstörung der Umwelt zutiefst beunruhigt 2:

* Bertha von Suttner, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. 1 Victor Hugo, zit. in: ebd. 2 Auch 5 Jahre nach der "Zweiten UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung" (UNCED) v. 03.06.1992 in Rio de Janeiro vernichtet die Menschheit jede Minute Regenwald entsprechend einer Fläche von 60 Fußballfeldern, setzt jedes Jahr rund 22 Milliarden Tonnen Kohlendioxid frei und wird nach Expertenschätzungen bis zum Jahr 2020 ein Fünftel aller Tier- und Pflanzenarten ausgerottet haben. Ehrenstein, C., Fünf Jahre nach Rio, S. 4.

Schlußwort

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"Worum geht es wirklich im Leben? Es geht doch dämm, den Planeten, unsere Erde, zu retten."3 "Denken ist Reden mit sich selbst."4 In diesem Sinne habe ich schon viel zu lange den gedanklichen wie skriptiven Monolog betrieben und möchte die Erkenntnisse dieser Arbeit nunmehr dem allgemeinen wissenschaftlichen Diskurs aussetzen. Unabhängig davon, wie das wissenschaftliche Urteil über das hier entworfene Legislativsystem ausfallen mag, hat das herrschende politische (Parteien)System m.E. hinreichend seine Unfähigkeit bewiesen, unsere zahlreichen elementaren Probleme zu lösen. Da sich die Rückkehr zu alten Lebensformen angesichts einer Weltbevölkerung von knapp sechs Milliarden Menschen, welche trotz gebremstem Wachstum weiterhin um 1,5 % pro Jahr zunimmt5, gleichfalls verbietet, kann unser Heil nur in der beherzten, intelligenten und verantwortungsvollen Weiterentwicklung des politischen Systems wie auch der wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten liegen: "Wo kämen wir hin, wenn alle sagten: ,Wo kämen wir hin\ und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge?"6 Dabei ist unbestritten, daß die in dem Ausblick im dritten Teil der Arbeit offengelassenen Schritte vier und fünf der Methodik des Erfindens - die Fragen, wie sich das System aus dem Ist-Zustand in den Soll-Zustand überführen läßt, und welche Mittel für die Transformation zur Verfügung stehen7 - das weitaus schwierigere und langwierigere Stück des zu beschreitenden Weges markieren. Da es zwar wünschenswert, aber unwahrscheinlich ist, daß die Parteien freiwillig ihr Machtmonopol zugunsten der Selbstbestimmung der Bürger und der bürgerlichen Vereinigungen aufgeben, denn "Kein Abschied auf der Welt fällt schwerer als der Abschied von der Macht."8, bestehen die beiden einzig möglichen Wege der Transformation des heutigen politischen Systems in das hier entworfene darin, entweder eine politische Partei mit der entsprechenden Zielsetzung zu gründen, oder - den Erfolg des bun-

3

Barbra Streisand, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. Immanuel Kant, zit. in: ebd. 5 Ehrenstein, C., UN-Bericht: Zahl der Menschen erhöht sich jährlich um 81 Millionen, S. 1. 6 Kurt Marti, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. Impuls-Kalender. 7 Möhrle, M. G. u.a., Erfinden per Methodik, S. 113. 8 Charles Maurice de Talleyrand, zit. in: Der original Leitspruch-Kalender. ImpulsKalender. 4

66*

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Schlußwort

desweiten Volksentscheides des Vereins "Mehr Demokratie e.V." vorausgesetzt - einen diesbezüglichen Volksentscheid anzustrengen: "Noch nie ist etwas Großes geschaffen worden, ohne daß einer geträumt hätte, es solle so sein, daß einer geglaubt hatte, es könne so sein, und einer überzeugt war, es müsse so sein."9

9

Charles F. Kettering, zit. in: Wamecke, H.-J., Das Fraktale Unternehmen, S. 264.

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Zubke-von Thünen

Sachregister Akzeptanz 68; 114 f.; 208; 219; 265; 325; 504; 522 f.; 529; 548; 550; 559; 564; 580; 615; 621; 645; 680 f.; 726; 794; 845; 864; 910; 950; 953; 957; 959; 963; 984 f.; 987; 996 f.; 1002; 1015; 1017; 1034; 1037 allgemeiner Gesetzes vorbehält 847; 935; 956; 960; 970; 993 Anscheinsbeweis 384 ff.; 388; 398; 402; 414; 455 f.; 497; 590; 933 f.; 937 antizipiertes Sachverständigengutachten 321; 404 ff.; 413 ff.; 455 f.; 490 f.; 495; 501; 878; 931; 949 ff.; 969; 973 Asociación Espanola de Normalización y Certificación (AENOR) 613 Association française de normalisation 510 Autonomie 56; 248; 300; 873; 1013; 1036 Beweislastregel 350; 354; 360; 386; 494; 623; 929 British Standards Institution (BSI) 555 Bürger 891 Bürgerorientierung 835; 992; 1013; 1021; 1037 codes of practice 567; 570; 584; 589; 591 ff.; 599; 842 Comitato Elettrotecnico Italiano (CEI) 607 Comité électrotechnique belge (CEB) 601 Comité Européen de Normalisation (CEN) 633 commissaire à la normalisation 506; 508 Computer Aided Manufacturing (CAM) 170

Computer Integrated Manufacturing (CIM) 98; 142; 170; 203 conseil supérieur de la normalisation 507 Consumer Protection Act 1987 593; 595; 598 contract social (Gesellschaftsvertrag) 78; 261; 888 ff.; 906; 961 f.; 969; 980; 992 f.; 996; 1000 f.; 1009; 1014; 1018; 1024; 1026; 1031; 1038 délégué interministériel aux normes 508; 510 demokratisches Prinzip 305 f.; 329; 337 f.; 345; 360; 739; 740 f.; 899 Deutsche Elektrotechnische Kommission im DIN und VDE (DKE) 270 Digitale Revolution 981 DIN Deutsches Institut für Normung e.V. 244 Diskurs 91; 114 ff.; 176; 207; 219; 253; 298; 517; 526; 562; 566; 580; 616; 618; 665; 674 ff.; 799; 805; 809; 819; 887 f.; 897; 909 f.; 963; 979; 983 f.; 990; 1013; 1015; 1034; 1038; 1043 Dynamik 62; 75; 80 ff.; 132; 148; 156; 204; 216; 220; 224; 299; 315; 327; 335; 338; 340; 428; 444; 529; 616; 621; 679; 702; 798; 833; 835; 837; 848; 896; 902; 910; 917; 920; 926; 928; 934; 951; 955; 965 ff.; 979; 984 f.; 1007; 1011; 1034 economies of scale 159; 162; 168; 185; 695; 699;700;710;724 ehrenamtliche Mitarbeiter 178 f.; 249 f.; 275; 293; 296; 574; 638; 672; 677; 835; 1025 Ente Nazionale Italiano di Unificazione (UNI) 607

Sachregister

Erfahrungssatz 383 ff.; 398; 404; 497; 880; 938 EuGH - Cassis de Dijon-Entscheidung 707 - Cremonini/Vrankovich-Entscheidung 752; 768 European Telecommunications Standards Institute (ETSI) 658 faktische Rechtsetzungsmacht der Behörden 939 Fortschritt 53; 58 f.; 62; 67; 71; 75; 93; 100 ff.; 125; 146; 154 ff.; 165; 168 f.; 204 ff.; 216 ff.; 311; 348; 355; 369; 428; 444; 458; 461; 470; 500; 549 f.; 557; 565; 588; 626; 667; 702; 717; 721; 729; 747 ff.; 753; 759; 777; 835; 844; 847; 851 ff.; 873; 917 ff.; 923; 965; 967; 968; 970; 1001 ff.; 1038 - Entwicklung 53 ff.; 65 ff.; 81; 87 ff.; 101; 105; 132 ff.; 141 ff.; 153; 158 ff.; 184 ff.; 195 ff.; 209; 217; 233 ff.; 284 ff.; 295 ff.; 331; 348; 353 ff.; 375; 381; 419; 428; 446; 461; 483; 501 ff.; 516; 522 ff.; 543; 553 f.; 564 ff.; 592; 605; 610 ff.; 621; 628; 642 f.; 659 ff.; 673 ff.; 692 f.; 699 ff.; 711; 721; 727; 749; 757 ff.; 777; 782 ff.; 796; 799; 807 f.; 815; 819; 826; 833 ff.; 859; 869; 888; 896; 899; 916; 920 ff.; 933 ff.; 945; 950 ff.; 963; 967 ff.; 978 f.; 985 f.; 993; 995; 1002; 1010 f.; 1019 ff.; 1028; 1034 ff. -

wissenschaftlich-technischer fortschritt 53; 67; 81 Französisches Rechtsgefüge für Drucksysteme 548 Französisches Rechtssystem der Gerätesicherheit 549 Freiheit 890 - bürgerliche freiheit 890 - natürliche freiheit 890 Gefahrenabwehr 60; 72; 195; 320; 348 352; 359; 368 f.; 373; 386 ff.; 398 402; 413; 417 f.; 422 ff.; 433 ff.; 440 444 f.; 448; 454; 459; 471; 475 ff.

1107

486; 840; 844; 847 f.; 867; 942; 960; 1021 Gemeinsame Europäische Normungsinstitution CEN/CENELEC 632 Gemeinsamer Markt 70; 157; 161; 168; 508 f.; 523; 619; 643; 658; 665; 682 f.; 694; 703; 710 ff.; 748; 762; 771; 776; 791 ff.; 801; 803; 928; 932; 1018 - Binnenmarkt 70 f.; 157; 282; 627; 640; 646 f.; 657 f.; 672; 694 ff.; 700 ff.; 720 ff.; 744 f.; 752; 758 ff.; 919 ff.; 1030 - Kosten der NichtVerwirklichung Europas 701 - Methode der gegenseitigen Anerkennung 161; 705; 709 ff.; 737; 774 f.; 791; 793 - Methode der Mindestvorschriften 725 ff. - Methode der optionellen Harmonisierung 722 ff. - Methode der totalen Harmonisierung 71; 716 ff.; 744; 793 ff. Gemeinwohl 73; 76 ff.; 121; 132; 207; 219; 220; 223; 245; 250 ff.; 271 ff.; 284; 288; 293 ff.; 346; 420; 506; 510; 526 ff.; 532; 570; 600; 605; 616; 633; 645; 666; 672 f.; 709; 718; 768; 774; 809; 832; 835; 847; 890 f.; 994; 1001; 1027 gerichtliche Kontrolle 937 Germanischer Lloyd (GL) 289 Gesetz 892 Gesetzesvollzug 69; 323; 341; 406; 570; 575; 621; 918; 921; 925; 929; 934; 937; 1000 ff.; 1017 gewaltenteilige funktionenordnung 300 ff.; 330; 338; 361; 936; 956; 961 f.; 970; 981; 990; 995; 1000 ff.; 1027 - Aushöhlung 936 Gleichheit 890 Gleichheitsgebot 301; 949; 956; 970; 1001 globale Informationsgesellschaft 175

1108

Sachregister

globaler Leistungserstellungsprozeß 160; 671 Grands Programmes de Normalisation 509; 512 groupe interministériel des normes 509 gute Sitten 58; 371; 396; 886 Handelsbrauch 316; 362; 397; 497; 535; 539 ff.; 552; 626 Health and Safety at Work etc. Act 1974 589 ff. im Verkehr erforderliche Sorgfalt 58; 301; 362; 371 ff.; 396 ff.; 497; 540 Institut beige de normalisation (IBN) 600 Instituto Português da Qualidade (IPQ) 612 Integration 55; 75 ff.; 98; 139; 156; 161; 164; 170 ff.; 192; 204; 240; 286; 293; 298 ff.; 314; 346; 374; 423; 456; 502; 508; 521; 560; 575; 605; 615 ff.; 628; 634 f.; 640; 665; 673; 681; 693 f.; 744; 784; 791; 794; 801; 807; 812; 831 f.; 912; 916 ff.; 930 f.; 949; 952; 955;969;1022; 1026 Interdisziplinarität 75; 77; 151; 156; 218 ff.; 297; 616; 673; 835; 902; 905; 910; 912; 964; 984; 989; 1023; 1028 Interessenausgleich 113; 162; 294; 883 Interessengruppen 56; 114; 217; 411; 524; 908; 915; 980; 1013; 1032 interessierte Kreise 68; 106; 108; 112 ff.; 133 f.; 149 ff.; 160; 165; 178 ff.; 203 f.; 218 f.; 234; 246; 249 ff.; 264; 279; 285; 289 ff.; 371; 383; 403; 409; 472; 479; 492; 504; 506 ff.; 548; 552 ff.; 596 f.; 601 ff.; 628; 638 ff.; 657 ff.; 674 ff.; 695; 731; 744 ff.; 755; 761; 779 ff.; 794; 798 f.; 804; 807 ff.; 819; 840; 845; 883; 887 f.; 907 ff.; 953; 1000; 1004 ff.; 1011 ff.; 1025 ff.; 1037 International Electrotechnical Commission (IEC) 810 International Organization for Standardization (ISO) 805 International Telecommunication Union (ITU) 815

ISO 9000 145; 154; 195 ff.; 218; 568; 604; 810 judizielle Interpretationskompetenz 323; 341 Komplexität 55; 71; 74 ff.; 104; 132; 139; 154 ff.; 191; 195; 198; 209; 218; 220; 227 f.; 293; 297; 423; 486; 507; 574; 578; 616; 662; 673; 768; 797; 816; 833 ff.; 851; 861 f.; 873; 896 ff.; 902; 905 f.; 910; 916; 934; 939 ff.; 951; 964 ff.; 979; 984 ff.; 1011; 1019; 1025; 1030; 1039 Konformität 168; 199; 260; 291; 333; 340; 352; 473; 488; 519; 534; 538 ff.; 568; 601; 604; 630; 642; 690; 697; 702; 737 ff.; 748 f.; 771; 774; 780; 802 Konsens 110 ff.; 154; 207; 218 f.; 252 f.; 254; 279; 296 ff.; 415; 512; 518; 526; 530; 540; 553; 561; 564 ff.; 580; 616 f.; 628; 641 ff.; 651; 666 ff.; 674 ff.; 680 f.; 725; 789 f.; 794; 799; 809 ff.; 819; 887 f.; 904; 907 ff.; 914; 920; 926 ff.; 979; 982; 984; 987 ff.; 998; 1009; 1013 ff.; 1030 ff. - konsensualer Diskurs 114 ff.; 207; 219; 253; 298; 517; 562; 566; 616; 618; 674 f.; 799; 809; 819; 887 f.; 909 f.; 990; 1013 ff.; 1034 - konsensualer Interessenausgleich 294 Kontinuierlicher Verbesserungsprozeß (KVP) 990; 1021; 1023; 1035 Kundenorientierung 157; 192; 195; 197; 200; 216; 322; 541; 568; 678; 1013; 1020 ff. Lebenswirklichkeit 61; 75; 79; 218; 299 371; 529; 578; 621; 679; 888; 895 ff. 901; 904; 965 ff.; 985; 993; 1009 1030 Legislativmodell 978 ff. Mitspracherecht 114; 989

Sachregister

negative externe Effekte 97; 162; 165; 217; 873; 884 Neue Konzeption für die technische Harmonisierung und Normung 55; 64; 71 ff.; 79; 224; 464; 487; 672; 679 ff.; 691; 700; 707; 712; 719 ff.; 738 ff.; 752 ff.; 763 ff.; 782 f.; 794 ff.; 801 ff.; 842; 931; 937; 966; 1018 Niederspannungsrichtlinie 71; 224; 281; 464; 487; 545; 620; 657; 672; 679 f.; 729; 745 ff.; 764 ff.; 777; 794 f.; 803; 856; 859; 861 Normenkonformitätszeichen 198; 209; 260; 519; 538; 547; 550; 559 f.; 567 f.; 580; 582; 585; 699; 702 normes françaises enregistrées 506; 516 normes françaises homologuées 516; 519 norminterpretierende Verwaltungsvorschriften 323 normkonkreti sierende Verwaltungs Vorschriften 300; 321; 325; 342; 379; 416; 490; 495 f.; 953; 956; 959; 1000 Normungsverfahren 80; 83; 195; 220; 251; 274; 278; 285; 294; 298; 500; 516 f.; 554; 561; 600 f.; 609 f.; 618; 639; 641; 644; 650; 665; 674; 779; 809; 814; 819 offene Rechtsbegriffe 61; 69; 321 f.; 336; 346 f.; 364; 371; 395 f.; 400 f.; 415; 419; 451; 465; 468; 470; 497; 503; 539 ff.; 551; 584; 588 f.; 591; 598 f.; 625 ff.; 832; 840ff.; 851; 855; 861; 863; 867; 870 ff.; 931 ff.; 952; 955; 957; 1004 ff. - Generalklausel 59; 346; 364; 371 ff.; 429; 736; 848; 859; 863; 955 - Generalklauselmethode 59 - unbestimmte Rechtsbegriffe 62; 125; 327; 337; 346 ff.; 360; 365 f.; 377; 408; 421; 839; 847; 850 ff.; 863 f.; 869 f.; 877; 886; 935; 940; 952; 968 öffentliche Märkte 316 f.; 362; 416; 497; 508; 527 f.; 535; 539 ff.; 552; 572; 588 ff.; 618; 626; 709; 730 Ökologie 81; 83; 91; 153; 207; 413; 426; 833; 835; 873; 883; 936; 975; 1009

1109

Ökonomie 81; 91; 132 ff.; 150; 199; 202; 218; 237; 358; 411; 413; 526; 575; 793; 803; 835; 839; 868; 873; 882 ff.; 936; 994; 1018; 1028 ordnungsgemäße Publikation 538 Organisation 81; 107; 115; 181; 197; 216; 220 ff.; 239; 245 ff.; 253 ff.; 261 f.; 271 ff.; 284; 288; 290; 351; 357; 477; 504 ff.; 532; 537; 553 ff.; 569; 600 ff.; 619; 625; 632 ff.; 647; 659 ff.; 675; 681 f.; 788; 804 ff.; 817; 824; 835; 900; 902; 967 ff.; 992; 1007; 1019; 1021; 1023; 1027 - Ablauforganisation 75; 80 f.; 224; 228; 295 ff.; 522 ff.; 578 ff.; 616; 619 ff.; 631; 667; 673; 679; 807; 835; 845; 917; 966; 985 f.; 1011; 1026; 1036 - Aufbauorganisation 80; 220; 295; 297; 525; 578 f.; 602; 616; 635; 808; 905; 978; 986; 1011 - Organisationsformen 200; 297; 608; 616; 620; 673; 833; 905; 916; 953; 969; 975; 986; 994 - Organisationsprinzipien 78; 835; 888; 890; 895; 903; 908; 910 f.; 914 ff.; 978; 985 - Organisationsstrukturen 294 ff.; 558; 579; 617 f.; 677; 688; 787; 798; 807 - Reorganisation 78; 83; 602 ff.; 612 f.; 781; 790; 816; 978 politische Parteien 906 Prozeß 58; 93; 95; 98 f.; 126; 200; 294; 371; 398; 405; 408; 442; 692; 765; 796; 849; 877 f.; 884; 887; 944; 963; 967; 983; 1023 - gesamtgesellschaftlicher Willensbildungsprozeß 492; 533; 550; 583; 596; 604; 607; 609 ff.; 835; 883; 917 - Normungsprozeß 117 f.; 135; 194; 207; 223; 253 f.; 295; 409; 524; 562; 641; 777; 784; 809; 829; 909 - Willensbildungsprozeß 58; 492; 533; 550; 583; 596; 604; 607 ff.; 679; 761; 833 ff.; 883; 887; 917

Ilio

Sachregister

Qualitätssicherungssystem 144 f.; 154; 164; 195 ff.; 218; 568; 573; 603 f.; 612; 614 Rechtsquelle - Rechtsquellenlehre 56; 301; 530; 684; 823 - Rechtsquellensystem 57; 299 f.; 867 Rechtssicherheit 265; 414; 448; 502; 921 ff.; 933 ff.; 946; 951; 959 f.; 970; 1002 f. Rechtsstaatsprinzip 330; 911; 959 Rechtsunsicherheit 505; 712; 801 f.; 934 ff.; 945 ff.; 956; 959; 1006 reference - dated reference 328; 584; 586; 597 - general reference 342; 584; 587; 597 - incorporation 534 f.; 551; 584 - undated reference 335; 584; 587; 597 référence - conformes aux normes en vigueur 534; 536 - incorporation 534 f.; 551; 584 - l'application d'une norme rendue obligatoire 536; 551 - référence datée aux normes 534 f.; 551 - référence non datée aux normes 534 f. Regel der Technik 54 ff.; 61 ff.; 74; 87; 92; 121 ff.; 146; 148; 161; 166; 184; 228; 233 f.; 243; 255; 258; 261 ff.; 285; 292 ff.; 301 ff.; 310 ff.; 329 ff.; 343 ff.; 373 ff.; 397 ff.; 419 f.; 423 f.; 426 ff.; 439 ff.; 458 f.; 461; 465; 468 f.; 471 ff.; 480 ff.; 496; 499 ff.; 504; 513; 540; 560; 565; 571; 574; 576; 590; 592; 598 f.; 626; 631; 646; 655; 671; 698 f.; 722; 725; 734 ff.; 744; 749; 759; 764; 770 f.; 778; 791; 795; 841 f.; 845 f.; 851 f.; 855 ff.; 866; 869 f.; 874 ff.; 886; 902 f.; 908; 915; 918 f.; 924; 936 ff.; 940; 945 ff.; 952; 957; 968; 972 f.; 1009; 1016; 1019 f.; 1031; 1038 - allgemein anerkannte Regeln der Technik 56; 87; 121; 125; 266; 313;

321; 343; 345; 349; 350; 354 ff.; 361; 365 ff.; 374 ff.; 383; 387; 399 f.; 403; 420; 424 ff.; 431; 434 f.; 458 f.; 468 ff.; 480 ff.; 496; 499; 501; 504; 736 f.; 851 f.; 855 ff.; 861; 866; 880; 886; 924; 948 - anerkannte Regeln der Technik 56 f.; 61 f.; 87; 121; 125; 258; 263; 266; 304; 313; 321; 335; 343; 345; 348 ff.; 360 ff.; 373 ff.; 387; 398 ff.; 408; 419 f.; 424 ff.; 431; 434 f.; 458 f.; 468 ff.; 480 ff.; 496; 499; 501; 504; 540; 565; 571; 576; 590; 598; 626; 736 f.; 739; 841; 851 f.; 855 f.; 857 ff.; 866; 870; 874; 880; 882; 886; 902; 908; 924; 948 Regelungsstruktur 61; 65; 68; 70; 419; 423; 455; 498; 500; 546; 548; 552; 591; 593; 598; 626 f.; 746; 834; 846; 849 Reorganisation der Gesetzgebung - 1. Ebene - direkte Demokratie 978 - 2. Ebene - strategisches Parlament 981 - 3. Ebene - gesetzesvorbereitende Ausschüsse 986 - Akzeptanz 1015 - Autonomie 1013 - Bürgerorientierung von Exekutive und Legislative 992 - Entlastung von Behörden und Gerichten 1003 - Finanzbedarf 1024 - gesamtgesellschaftlicher Konsens 1014 - Gesetzesvollzug 1004 - gewaltenteilige funktionenordnung 995 - Gleichheitsgrundsatz 1001 - Institutionalisierung fachlicher Unterparlamente 971 - kontinuierlicher Verbesserungsprozeß 990;1021 - lernender Staat 1023 - Modell einer dreistufigen Legislativpyramide 978 - Moderator 990

Sachregister

-

Praktische Reformunfähigkeit 974 Rechtssicherheit 1002 Regelkreis 989 schlanker Staat 1026 selbstregelnde Gesellschaft 1014 Simultaneous Engineering 1028 Überwindung der Dichotomie von Staat und Gesellschaft 1013 - ungeeignete Ansätze 972 - Verpflichtung zur Optimierung des Staates 976 - volonté générale 1007 - Wirtschaftsstandort Deutschland 1006 - zeitnahe Regelsetzung 1009 - Zielsetzungen 970 - Zusammenführung der Regelungsebenen 1020 Republik 891 Rezeption 54 f.; 58; 62 ff.; 74; 78; 117; 121; 125; 167; 221 ff.; 228; 244; 265; 283; 294; 298; 300 ff.; 309 f.; 313 ff.; 340 ff.; 356 ff.; 371 ff.; 380 ff.; 395 f.; 403 f.; 408; 415 f.; 417; 419; 427; 430 f.; 443 ff.; 455; 468; 470; 474; 477 f.; 484; 488; 490 f.; 501 ff.; 507 f.; 528 ff.; 533 ff.; 539 ff.; 544 ff.; 572; 576 f.; 583 f.; 587 ff.; 594 ff.; 609 ff.; 615; 618; 622 ff.; 637; 655; 679; 682; 689 ff.; 698; 709; 722; 725; 727; 730 ff.; 739; 743; 746; 756; 769 ff.; 778; 790; 794; 802 ff.; 823; 826; 830 ff.; 839 ff.; 846 ff.; 862 ff.; 869; 875; 878; 881 ff.; 903; 908; 911; 914 ff.; 924 ff.; 937; 940 ff.; 955 ff.; 968; 973; 1004 ff.; 1016; 1018; 1027 f. -

-

allgemeine Verweisung 315 f.; 327; 336; 342 ff.; 350; 360; 496; 502; 534; 551; 584; 588; 598; 623 f.; 629; 730; 736 ff.; 778; 794; 801 ff.; 842; 862; 918; 925 ff. Allgemeinverbindlichkeitserklärung 301; 536; 539; 543; 551 datierte Verweisung 328 ff.; 431; 473 f.; 480; 488; 494 ff.; 535; 551;

1111

584; 587; 597; 623 f.; 730; 734; 794; 801; 858; 918; 921 ff.; 955 - Inkorporation 65; 146; 299; 315 ff.; 325 f.; 329; 333; 341; 377; 419; 431; 490; 494 ff.; 502; 534 f.; 551; 584; 591 f.; 597; 623 f.; 629; 729 ff.; 794; 801; 845 f.; 918 ff.; 928 f.; 932; 955 - mittelbare Rezeption 125; 314; 336; 363; 496; 533 f.; 539; 544 ff.; 551 f.; 583; 588; 598; 625; 931 ff.; 949 ff. - normativer Standard 125; 146; 316 f.; 345 ff.; 360; 363; 365; 371 ff.; 377; 380 ff.; 388 ff.; 408 f.; 414; 423; 447 f.; 456; 460; 468 f.; 477; 496 f.; 503; 736; 739; 746; 834; 839 f.; 843; 849 ff.; 869; 872; 887; 931 ff.; 948 f.; 955; 957; 964; 973; 1005 f. - normergänzende Verweisung 328; 335 - normkonkretisierende Verweisung 315; 327 - Rezeptionsebene 80; 313; 316 - Rezeptionsmethode 80; 227; 496 f.; 535; 584 ff.; 625; 629; 735; 757; 920 ff.; 949; 953 - undatierte Verweisung 331; 335 ff.; 349; 372; 378; 494 ff.; 536; 551; 584; 587; 734;918 - unmittelbare Rezeption 314; 736; 929 Risikovorsorge 72; 320; 347 f.; 352; 358 f.; 373; 388; 417; 422; 436; 439 ff.; 500; 839 f.; 844; 847 f.; 854 Royal Charter (BSI) 245; 553 ff.; 559 f.; 568; 574 ff.; 582; 596; 623 Sale of Goods Act 1979 593; 595; 598 Selbstbindung der Verwaltung 300; 306; 322; 325; 341; 495; 942; 958; 1001 Selbstverwaltung der interessierten Kreise 294 Selbstverwaltung der Wirtschaft 293; 308; 616 sequentielle Bearbeitung 297; 616; 673; 994 Sicherheitsniveau 81; 148 f.; 207; 213 f.; 264; 325; 348; 354; 360; 367; 370;

1112

Sachregister

409; 473; 489; 503 f.; 540; 545; 552; 586; 595; 598; 624; 718; 723; 724 f.; 730; 736 ff.; 775; 802; 804; 832; 837; 843; 850; 853 ff.; 872 simultane Bearbeitung 297; 616; 905 SpannungsVerhältnis 58; 62; 965 staatliche technische Normung 621 Stand der Technik 54; 59 ff.; 69; 87; 106; 117 f.; 125; 134; 145; 151; 167; 175; 183; 202 ff.; 243; 247; 251 f.; 255; 258; 273; 286; 292; 297; 300; 311; 316; 320 f.; 345 ff.; 364 ff.; 372 ff.; 381 ff.; 387; 393; 404; 407 f.; 413; 415; 418 f.; 422; 424; 435 ff.; 460; 466 ff.; 472; 480 ff.; 499 f.; 540; 543; 564 f.; 589; 599; 606; 620; 626 f.; 644; 649; 655; 721; 730; 736; 739; 777; 838 ff.; 848; 851 ff.; 863; 869 ff.; 874; 880; 882; 886; 915; 933; 935; 939 ff.; 947 f.; 953; 959 f.; 972 f.; 1010 Stand der Wissenschaft und Technik 54; 60 ff.; 118; 125; 199; 203; 253; 258; 345 ff.; 358 ff.; 364 f.; 373; 375; 381 f.; 384; 387; 394; 404 ff; 418 f; 424; 436; 446 ff.; 469; 480; 499; 736; 739; 838 f.; 847 f.; 850 ff.; 874; 886; 901; 940; 942; 945; 948; 972 Standardisierung 120 ff.; 128; 138; 141 ff.; 156; 159; 169 f.; 184; 188; 191 ff.; 236 ff. System 53; 55; 58; 61; 66 ff.; 74 f.; 78; 81; 90; 93 ff.; 121 f.; 125 f.; 130 f.; 136; 139 ff.; 146 ff.; 153 f.; 158 f.; 163 ff.; 170 ff.; 178 f.; 182; 186; 191 f.; 198; 200; 204; 206; 214; 218; 222; 228; 241; 282; 295; 298 ff.; 308; 347; 349 f.; 373; 381; 386; 398; 409; 417 f.; 420 ff.; 470; 475; 492; 500; 515; 525; 530; 546; 549 f.; 560; 574; 578; 581; 612 ff.; 621; 627; 641 ff.; 660; 673; 679; 684; 696 ff.; 711; 713; 719; 738; 745; 749; 753; 770 f.; 775 f.; 787; 790; 793; 797; 799; 807; 812; 815 ff.; 832 ff.; 845; 847; 850 f.; 855 f.; 860 ff.; 866 ff.; 879 ff.; 887; 896 ff.; 905; 912; 915 f.; 933 ff.; 943; 946; 948; 951; 957; 963; 971; 975 f.;

-

-

981; 983; 986; 991; 993; 995; 1000 ff. gesamtgesellschaftliches Willensbildungssystem 888; 915 f. Normungssystem 68; 293; 506 ff.; 515; 521 ff.; 541; 547; 551 f.; 574; 600; 605; 608; 612; 622; 775; 781; 785 f.; 790; 974; 1037 Rechtsquellensystem 57; 299 f.; 867 soziales Regelungssytem 54 Willensbildungssystem 888; 898; 910; 915 ff.; 970; 991; 1036 f.

Technik im technischen Zeitalter 56; 61; 90; 102; 975; 993 Technikgestaltung 139 f.; 160 ff.; 203; 873 Technische Normung - Austauschfunktion 138 ff.; 164; 191; 210 - Begriff 105 - Beteiligung aller interessierten Kreise 68; 112 ff.; 149; 252 f.; 292; 296; 548; 666; 675; 680; 731; 809; 908 - Beteiligung der Öffentlichkeit 114; 253; 298; 382; 524; 618; 645; 674; 677;1008 - betriebswirtschaftliche Bedeutung 181 - Deutung als antizipierte Sachverständigengutachten 878 - Deutung als fixierung prästabilisierter technischer Systeme 876 - Deutung als fixierung von Naturgesetzen 876 - Deutung als heteronome Sozialnormen 884 f. - Deutung als Kausalitätsvorhersagen 877 - Deutung als Typisierungen 878 - entwicklungsbegleitende Normung 203; 353 - ergebnisbezogene Normen 128; 207 - Ergonomiefunktion 139; 150; 164; 177;210

Sachregister

fachlicher Geltungsbereich 127; 238; 311 functional or performance specifications 168; 169; 206; 711; 1031; 1037 funktionelle Klassifikation 129; 131 Gebrauchstauglichkeitsfunktion 140 gesellschaftliche Bedeutung 207 Grad der Normung 128; 206 Grundsätze 251; 526; 561; 644; 665 Hauptnormenmerkmale 112 f.; 219 Informationsfunktion 134; 151; 163 Integrität 298; 617; 673; 986 Kompatibilitätsfunktion 119; 138; 141; 143; 160; 164; 177; 210 Konsistenz 298; 617; 673; 986 Logistikfunktion 142; 192 Normenfunktionen 133 Normungsebene 127; 158; 168; 179; 183; 295; 562; 679;683;804 Öffentlichkeit 58; 112 ff.; 127; 194; 219; 223; 251; 253; 256 ff.; 281; 289; 292; 294; 298; 382 f.; 388; 415; 492; 524 ff.; 540; 553; 562; 565 f.; 580; 583; 596; 602; 604; 607; 609; 611 f.; 618; 622; 628; 645; 651; 666; 674; 677; 680 f.; 809; 811; 819; 887; 911; 945; 963; 987 f.; 1008; 1024; 1034 Ordnungsfunktion 133; 135; 184; 204 Prüffunktion 143; 155; 204; 211; 214 Qualitätsfunktion 144; 149; 164; 209; 211 Rationalisierungsfunktion 136; 138; 151; 155; 163; 182; 184;187 Rechtsfunktion 133; 145; 147 f.; 220; 269 Redundanzfreiheit 298; 617; 673; 986 Sicherheitsfunktion 147; 165; 192; 270 soziale funktion 149 strukturelle Klassifikation 128 technische Bedeutung 202 Technologietransferfunktion 151 ; 184

1113

-

technologische Klassifikation 128 Umfrageverfahren 116 Umweltschutzfunktion 152; 214; 417 Verbraucherschutzfunktion 154; 209 Vereinheitlichungsfunktion 136 ff.; 163; 185 ff.; 194; 201; 425; 699 - Verständigungsfunktion 155 f.; 181; 215; 719; 723 - Verwirklichung der 890 - volkswirtschaftliche Bedeutung 157 Total Quality Management (TQM) 201; 666; 800; 1021 ff. Umwelt- und Technikrecht - Formelles Regelungsdefizit 850 - Genehmigung großtechnischer Anlagen 947; 1006 - Gleichheitsdefizit 943; 1002 - Kompetenzdefizit von Behörden und Gerichten 944 - Problemfelder 955 - Rechtsunsicherheit 936; 945 Union technique de l'électricité (UTE) 515 Verband Deutscher Elektrotechniker (VDE) 270 Verbraucherschutz 54; 59; 72; 209; 217; 234; 253; 266; 273; 300; 304; 309; 318; 331 ff.; 348; 383; 456; 493; 511; 528; 560; 569 f.; 575; 592; 599; 627; 696; 707; 714; 718; 726; 760; 768 Verein Deutscher Ingenieure e.V. (VDI) 284 Verfahrensprinzipien 81; 294; 398; 741 Verfahrensrichtlinien 115; 298; 411; 990 Verkehrssitte 58; 347; 396 f.; 497; 535; 539 ff.; 552; 567; 590; 598; 886 Verwaltungsvorschriften - norminterpretierende Verwaltungsvorschriften 306; 323; 333; 343; 953 - normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften 300; 306; 321; 325; 333; 342 f.; 379; 416; 490; 495 f.; 953; 956; 959; 1000

1114

Sachregister

volkswirtschaftliche Arbeitsteilung 161 volonté générale 78; 81; 83; 524; 531 833; 835; 889 ff.; 898 ff.; 961 f.; 965 969 f.; 978; 985 f.; 989 f.; 1007 ff. 1015; 1023; 1033; 1035; 1038 f. - ideale Voraussetzungen 890 - reale Anforderungen 898 - reale Grenzen 895 Wertung 59; 371; 373; 404 f.; 410; 413; 448; 872; 881 ff.; 945; 990 f. Wesentlichkeitslehre 57; 62; 841; 847; 867; 949; 956 f.; 970; 993 f. - umgekehrte Wesentlichkeitslehre 57; 841; 994 Wettbewerb 59 ff.; 126; 152; 157; 159; 165 f.; 169; 172; 190 f.; 515; 542; 644; 695; 700 f.; 713; 719; 776; 796; 926; 928; 975; 993 f.; 1041 - Behinderung des Wettbewerbs 165 - einzelstaatliche Teilmärkte 70; 700 - faktischer Befolgungszwang 218; 697 - Marktdurchdringung 697 - Marktintegration 694; 702; 719; 776 - Marktschließungseffekt 713; 724; 776; 793 - Maßnahmen gleicher Wirkung 694; 706 ff. - mengenmäßige Beschränkungen 70; 167; 694; 707 - nichttarifäre Handelshemmnisse 169; 694 ff.; 702; 791 - protektionistische Normung 166; 194; 206 - Subventionen 520; 573; 602; 604; 606; 609; 611 f.; 614; 671 - technische Handelshemmnisse 70; 109; 111; 162; 206; 234; 259; 633; 695 ff.; 710; 714 f.; 719; 725; 737; 744 f.; 751; 753; 755; 758 f.; 762; 766; 777; 783; 795; 801; 804 - unterlassene Normung 166; 517 - Wettbewerb unterschiedlicher Systeme 713 - Wettbewerbsvorteile 167; 780

widerlegliche gesetzliche Tatsachenvermutung 350; 360; 494; 738; 888; 929 widerlegliche tatsächliche Vermutung 378;933; 937; 946 Willensbildung 114; 405; 555; 636; 676; 806; 811; 889; 895; 899; 916; 969; 995;1014; 1028 - gesamtgesellschaftliche Willensbildung 81; 835; 883; 888; 894; 915 ff. - idealisiertes direktdemokratisches Willensbildungsmodell 961 ff.; 1007; 1014 Wissen 74; 86 ff.; 122; 134; 139; 147; 151; 191; 193; 200; 205; 207; 210 f.; 218; 233 ff.; 251 f.; 259; 270; 288; 293; 297; 346; 357; 374; 382; 384; 398; 418; 442; 524; 529; 578; 616; 626; 643; 673; 776; 797; 822; 835; 882; 895; 902; 905; 939; 966; 986 f.; 994; 1012; 1030; 1035 - Erkenntnis 53; 62; 73; 78 f.; 82; 84; 91; 101 f.; 110; 118; 121; 133 f.; 139; 183; 200; 203; 210; 218; 220; 224; 232; 247; 252; 293; 297; 347 f.; 357 ff.; 362; 366; 369 ff.; 380; 382; 384 ff.; 394 f.; 400 f.; 406 f.; 418; 442; 444; 447; 451; 483; 492; 524; 529; 550; 575; 578; 588; 596; 616; 673; 764; 766; 776; 781; 790; 797; 804; 822; 832; 835; 837; 850; 854; 860; 873; 875; 879; 880; 883 ff.; 897; 901; 908; 910; 912; 926; 928; 936; 938; 943; 945; 953; 964; 966; 975; 986; 990; 995; 1010 ff.; 1024; 1030; 1035; 1041; 1043 - Kenntnis 79; 90 ff.; 102; 134; 149; 151; 218; 353; 383; 398 f.; 622; 754; 859; 868; 895; 901; 909; 979; 989; 990; 1040 - Sachverstand 353; 373; 398; 405; 410 ff.; 433; 444; 454 f.; 487; 500; 522; 526; 621; 626; 727; 743; 779; 794; 797; 832; 845 f.; 877 ff.; 901 f.; 909 f.; 914; 945; 964 f.; 985; 989; 991; 996; 999; 1012 ff.; 1023; 1025; 1033; 1037 - Sachverständige 58 f.; 69; 84; 134; 144 f.; 149; 175; 177; 203 f.; 209; 228; 234; 249; 253 ff.; 285; 288; 298;

Sachregister

355 ff.; 372; 377; 381; 383; 397 f. 406 ff.; 418; 423; 443; 472 f.; 483 488; 516 f.; 521; 524; 526; 529; 540 552; 561; 576; 592; 616; 618; 622 641 f.; 644 f.; 652; 657 ff.; 674 f. 701; 765; 779; 799; 814; 819; 832 851; 859; 870; 877 f.; 887; 898 902 f.; 908 ff.; 944 ff.; 972; 979 f.

1115

989; 991; 996; 1011 f.; 1019; 1025; 1033; 1036 Wohlfahrtsoptimum 118; 165; 207; 298; 674; 678; 881; 883; 901; 912; 916 Zölle 70; 167; 694 - Einfuhrzölle 167