Technische Mechanik 2: Elastostatik: Eine Einführung mit vielen ausführlichen Beispielen (German Edition) [1 ed.] 3662664313, 9783662664315

Das vorliegende Buch folgt der klassischen Aufteilung der technischen Mechanik, so wie sie an Fachhochschulen und Univer

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Technische Mechanik 2: Elastostatik: Eine Einführung mit vielen ausführlichen Beispielen (German Edition) [1 ed.]
 3662664313, 9783662664315

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1 Lineare Elastizitätstheorie
1.1 Einleitung
1.2 Der Spannungszustand
1.3 Deformations- und Verzerrungszustand
1.4 Das verallgemeinerte Hookesche Gesetz
2 Ebener Spannungszustand
2.1 Der ebene Spannungszustand
2.2 Spannungstransformation
2.3 Hauptspannungen
2.4 Der Mohrsche Spannungskreis
3 Stäbe und Stabsysteme
3.1 Einzelstäbe
3.2 Stabsysteme
4 Balken
4.1 Einleitung
4.2 Grundgleichungen für ein beliebiges Bezugssystem
4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S
4.4 Zweite Querschnittsnormierung: Hauptachsen
5 Biegelinie
5.1 Grundgleichungen der Balkenbiegung
5.2 Statisch bestimmte Einfeldbalken
5.3 Statisch unbestimmte Einfeldbalken
5.4 Mehrfeldbalken
5.5 Standardbiegefälle
5.6 Doppelbiegung
6 Querkraftschub
6.1 Einleitung
6.2 Dickwandige Querschnitte
6.3 Dünnwandige Querschnitte
6.4 Schubmittelpunkt
7 Torsion
7.1 Einleitung
7.2 Vollwandiger Stab mit kreiszylindrischem Querschnit
7.3 Dünnwandiger Stab mit kreiszylindrischem Querschnitt
7.4 Stäbe mit beliebigen dünnwandigen Hohlquerschnitten
7.5 Stäbe mit offenen dünnwandigen Querschnitten
7.6 Schnittgrößenermittlung
8 Energiemethoden
8.1 Arbeit und Energie
8.2 Verzerrungsenergie und komplementäre Verzerrungsenergie
8.3 Anwendung des Arbeitssatzes auf elastische Formänderungen
8.4 Das Prinzip der virtuellen Kräfte
8.5 Das Kraftgrößenverfahren
8.6 Reziprozitätstheoreme
8.7 Berechnung mehrfach statisch unbestimmter Systeme
9 Stabknicken
9.1 Einleitung
9.2 Arten des Gleichgewichts
9.3 Ermittlung kritischer Lasten
9.4 Die vier Euler-Fälle
9.5 Knicklängen
9.6 Allgemeine Form der Knick-Differentialgleichung
Stichwortverzeichnis

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Christian Mittelstedt

Technische Mechanik 2: Elastostatik Eine Einführung mit vielen ausführlichen Beispielen

Technische Mechanik 2: Elastostatik

Christian Mittelstedt

Technische Mechanik 2: Elastostatik Eine Einführung mit vielen ausführlichen Beispielen

Christian Mittelstedt Technical University of Darmstadt Darmstadt, Deutschland

ISBN 978-3-662-66431-5 https://doi.org/10.1007/978-3-662-66432-2

ISBN 978-3-662-66432-2 (eBook)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2022 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Verantwortlich im Verlag: Michael Kottusch Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort

Dieses Buch ist aus meinem Vorlesungsskript zur Lehrveranstaltung „Technische Mechanik 2“ entstanden, die ich für Studierende des Maschinenbaus im zweiten Semester, aber auch für Studierende anderer Fachrichtungen an der Technischen Universität Darmstadt halte. Das Buch folgt der klassischen Aufteilung der technischen Mechanik, so wie sie an Hochschulen in Deutschland gelehrt wird, und widmet sich der Elastostatik, d. h. der Ermittlung von Spannungen und von Deformationen in elastischen Körpern. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Erarbeiten der Inhalte dieses Buchs. Natürlich freue ich mich über Rückmeldungen jeder Art.

Darmstadt im Herbst 2022

Christian Mittelstedt

V

Inhaltsverzeichnis

1

Lineare Elastizitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Der Spannungszustand . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Der Zugstab . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Spannungsvektor und Spannungstensor 1.2.3 Gleichgewichtsbedingungen . . . . . . . 1.3 Deformations- und Verzerrungszustand . . . . . 1.3.1 Der Zugstab . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Infinitesimaler Verzerrungstensor . . . . 1.4 Das verallgemeinerte Hookesche Gesetz . . . . 1.4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Räumliches Materialgesetz . . . . . . . . 1.4.3 Einfluss der Temperatur . . . . . . . . . .

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1 1 2 2 4 7 9 9 10 15 15 17 18

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Ebener Spannungszustand . . . . . 2.1 Der ebene Spannungszustand . 2.2 Spannungstransformation . . . 2.3 Hauptspannungen . . . . . . . . 2.4 Der Mohrsche Spannungskreis

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Stäbe und Stabsysteme . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Einzelstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Stabspannungen . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Stabverformungen . . . . . . . . . . 3.1.3 Statisch unbestimmte Stäbe . . . . . 3.2 Stabsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Statisch bestimmte Stabsysteme . . 3.2.2 Statisch unbestimmte Stabsysteme

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Balken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Grundgleichungen für ein beliebiges Bezugssystem . 4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S . . . . 4.3.1 Der Satz von Steiner . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Ausgewählte Grundfälle . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Berechnung zusammengesetzter Querschnitte 4.3.4 Spannungsberechnung . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Zweite Querschnittsnormierung: Hauptachsen . . . . .

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Biegelinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Grundgleichungen der Balkenbiegung . . . . . . . . . 5.2 Statisch bestimmte Einfeldbalken . . . . . . . . . . . 5.3 Statisch unbestimmte Einfeldbalken . . . . . . . . . . 5.4 Mehrfeldbalken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Standardbiegefälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Balken auf zwei Stützen . . . . . . . . . . . . . 5.5.2 Kragbalken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Berechnung statisch unbestimmter Systeme . 5.5.4 Mehrfeldbalken und abgewinkelte Systeme . 5.6 Doppelbiegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Querkraftschub . . . . . . . . . . 6.1 Einleitung . . . . . . . . . . . 6.2 Dickwandige Querschnitte . 6.3 Dünnwandige Querschnitte 6.4 Schubmittelpunkt . . . . . .

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Torsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Vollwandiger Stab mit kreiszylindrischem Querschnit . . 7.3 Dünnwandiger Stab mit kreiszylindrischem Querschnitt 7.4 Stäbe mit beliebigen dünnwandigen Hohlquerschnitten . 7.5 Stäbe mit offenen dünnwandigen Querschnitten . . . . . . 7.6 Schnittgrößenermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8

Energiemethoden . . . . . . . . . . . . 8.1 Arbeit und Energie . . . . . . . . 8.1.1 Grundlegendes . . . . . . . 8.1.2 Innere und äußere Arbeit 8.1.3 Arbeitssatz . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

8.2

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8.5

8.6

8.7 9

IX

Verzerrungsenergie und komplementäre Verzerrungsenergie . . 8.2.1 Der Stab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Der Euler-Bernoulli-Balken . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Der Torsionsstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4 Kombinierte Beanspruchung . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendung des Arbeitssatzes auf elastische Formänderungen . Das Prinzip der virtuellen Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Formulierung für den Balken . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 Das Einheitslast-Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.3 Verwendung von Integraltafeln . . . . . . . . . . . . . . . . Das Kraftgrößenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.1 Berechnung von Formänderungen an statisch bestimmten Systemen . . . . . . . . . . . . . . 8.5.2 Berechnung einfach statisch unbestimmter Systeme . . . Reziprozitätstheoreme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6.1 Der Satz von Betti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6.2 Der Satz von Maxwell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berechnung mehrfach statisch unbestimmter Systeme . . . . . .

Stabknicken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Arten des Gleichgewichts . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Ermittlung kritischer Lasten . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Die vier Euler-Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.1 Einführendes Beispiel: Euler-Fall II . . . . . 9.4.2 Euler-Fall I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.3 Euler-Fall III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.4 Euler-Fall IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.5 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . 9.5 Knicklängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6 Allgemeine Form der Knick-Differentialgleichung

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Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

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Lineare Elastizitätstheorie

Das vorliegende Kapitel ist den Grundlagen der linearen Elastizitätstheorie gewidmet und führt die zugehörigen Zustandsgrößen – Spannungen, Verzerrungen, Verschiebungen – ein. Dem stehen als Bestimmungsgleichungen die Gleichgewichtsbedingungen, die kinematischen Beziehungen und das Materialgesetz, hier in Form des verallgemeinerten Hookeschen Gesetzes, gegenüber. Die Studierenden sollen in die Lage versetzt werden, die Grundgleichungen der linearen Elastizitätstheorie herzuleiten und zu formulieren und einfache grundlegende Probleme korrekt zu formulieren und zu lösen.

1.1 Einleitung In einem Festkörper (einem sog. Kontinuum) unter Belastung wird sich ein Spannungszustand ausbilden. Aufgrund der Belastung kommt es in dem Festkörper zu Deformationen, es treten also Verschiebungen der einzelnen Körperpunkte ein. Mit Verschiebungen gehen Verzerrungen einher, es bildet sich der sog. Verzerrungszustand aus. Für einen dreidimensionalen Körper werden die oben genannten Zustandsgrößen – Verschiebungen, Verzerrungen, Spannungen – unter gegebener Belastung und unter vorgegebenen Randbedingungen durch den folgenden Satz von Gleichungen beschrieben:  Kinematische Gleichungen: Die sog. kinematischen Gleichungen stellen einen Zusammenhang zwischen den Verschiebungen und den daraus resultierenden Verzerrungen her.  Konstitutive Gleichungen: Die sog. konstitutiven Gleichungen stellen einen Zusammenhang zwischen den Spannungen und den Verzerrungen her. Im Falle linearer Elastizität werden die konstitutiven Gleichungen durch das Hookesche Gesetz beschrieben.  Gleichgewichtsbedingungen: In jedem Punkt des betrachteten Festkörpers muss Gleichgewicht gewährleistet sein. Die genannten Begriffe werden wir in diesem Kapitel klar definieren und für unsere Zwecke zuschärfen. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2022 C. Mittelstedt, Technische Mechanik 2: Elastostatik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66432-2_1

1

2

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Lineare Elastizitätstheorie

1.2 Der Spannungszustand 1.2.1 Der Zugstab Zur Motivation des Begriffs des Spannungszustandes betrachten wir als einführendes elementares Beispiel den geraden linear elastischen Zugstab der Abb. 1.1, oben. Der Stab weise die Länge l und die konstante Querschnittsfläche A auf und werde in seinem Schwerpunkt durch die Zugkraft F belastet. Durch die anliegende Zugkraft F werden im Inneren des Stabes Kräfte hervorgerufen. Um dies näher zu untersuchen führen wir einen vertikalen Schnitt an einer beliebigen Stelle x des Stabes (Abb. 1.1, Mitte). Die im Inneren des Stabes wirkenden Kräfte muss man sich als flächenhaft verteilt vorstellen, und diese Flächenkräfte werden als die sog. Spannungen bezeichnet. Es ist üblich, hierfür das Symbol  zu verwenden. Spannungen liegen in einer entsprechenden Einheit einer Kraft pro Flächeneinheit vor, also z. B. in der Einheit [N=m2 ]. Üblich ist hierbei auch die Einheit Pascal, wobei 1 Pa D 1 mN2 . Die im gewählten Schnitt auftretenden Spannungen werden als konstant über die Querschnittsfläche verteilt und außerdem als normal zum Querschnitt orientiert angenommen, so dass man an dieser Stelle auch von sog. Normalspannungen  spricht. Die Normalspannungen lassen sich zur Normalkraft N des Stabes zusammenfassen. Da die Normalspannung konstant über den Querschnitt ist, gilt der folgende Zusammenhang zwischen der Normalkraft N D F und der Normalspannung  : D

F N D : A A

(1.1)

Das Vorzeichen der Normalspannung  bestimmt sich aus dem Vorzeichen der Stabkraft. Handelt es sich, wie hier vorliegend, um einen Zugstab, dann ist die Normalkraft N positiv, und damit wird gemäß (1.1) auch die Normalspannung  positiv ausfallen, also als Zugspannung vorliegen. Ist die Stabkraft N negativ, dann ist auch  negativ und damit eine Druckspannung. Wir betrachten nun den Zugstab der Abb. 1.1 erneut und führen einen Schnitt an der Stelle x unter einem Neigungswinkel  wie in Abb. 1.2 gezeigt.Die hier dann zu be-

Abb. 1.1 Zugstab (oben), Freisetzen der Normalspannung  durch Führen eines senkrechten Schnitts an der Stelle x (Mitte), Ersetzen der Normalspannung durch die Normalkraft N .

A F

F x

l

F

F x

F

σ

σ N

F

1.2

Der Spannungszustand

3

Abb. 1.2 Zugstab (oben), Führen eines schrägen Schnitts an der Stelle x unter dem Winkel  und Freisetzen der Normalspannung  sowie der Schubspannung  (unten).

A F

F x

l

F

A

F

x

trachtende Querschnittsfläche sei als AN bezeichnet und berechnet sich als AN D cosA  . Es zeigt sich bei einer solchen Schnittführung, dass hier nicht nur eine Normalspannung  freigesetzt wird, sondern außerdem auch eine sog. Schubspannung , die tangential zur Querschnittsfläche AN wirkt. Auch hier wurde angenommen, dass beide Spannungen konstant über die Schnittsfläche AN verteilt sind. Wir bilden am linken Stabsegment die Summe der horizontalen Kräfte und erhalten:  AN cos  C  AN sin   F D 0:

(1.2)

Analog ergibt die Summe der vertikalen Kräfte an diesem Schnittufer:

Einsetzen von AN D

A cos 

 AN sin    AN cos  D 0:

(1.3)

F ; A  tan    D 0:

(1.4)

ergibt:  C  tan  D

Diese beiden Gleichungen lassen sich nach den beiden Spannungen  und  auflösen wie folgt: tan  F F 1 ; D ; (1.5) D 1 C tan2  A 1 C tan2  A d. h. die beiden Spannungen sind vom Schnittwinkel  abhängig. Diese Ausdrücke können in die folgende Form gebracht werden: D

1F .1 C cos 2/; 2A

D

1F sin 2: 2A

(1.6)

Die Schubspannung  verschwindet für den Winkel  D 0, wie schon in Abb. 1.1 angeF . Die Normalnommen, und erreicht für  D 4 ihren Maximalwert der Höhe max D 2A F spannung  erreicht ihren Maximalwert in Höhe von max D A bei  D 0. Die obigen Ergebnisse, an einem sehr elementaren Beispiel erarbeitet, lassen bereits einige wichtige Schlussfolgerungen zu, die wir in allgemeiner Weise zusammenfassen:

4

1

Lineare Elastizitätstheorie

 Der Spannungszustand wird i. Allg. durch das gleichzeitige Auftreten von Normalspannungen und Schubspannungen beschrieben.  Der Spannungszustand ist von der Orientierung der betrachteten Schnittrichtung abhängig.  Es gibt spezielle Spannungszustände, in denen nur Normalspannungen auftreten. Auch gibt es Zustände (am obigen Beispiel des Zugstabes nicht zutreffend), bei denen ausschließlich Schubspannungen vorkommen.

1.2.2

Spannungsvektor und Spannungstensor

Wir betrachten nun einen beliebigen Festkörper so wie in Abb. 1.3 gezeigt. Der Körper sei einer beliebigen Belastung ausgesetzt und unterliege beliebigen Randbedingungen. Um die hierin auftretenden Zustandsgrößen zu beschreiben wird ein räumliches kartesisches Koordinatensystem x, y, z eingeführt. Die zugeordneten Verschiebungen bezeichnen wir als u, v und w. Sie sind i. Allg. Funktionen aller drei Raumrichtungen: u D u.x; y; z/;

v D v.x; y; z/;

w D w.x; y; z/:

(1.7)

Belastungen eines Festkörpers können in verschiedenen Formen vorliegen. Zunächst sind die sog. Volumenkräfte zu nennen, die sich volumenhaft im betrachteten Körper verteilen. Sie sind in der Einheit einer Kraft pro Volumeneinheit gegeben, also z. B. in der Einheit [N=m3 ]. Volumenkräfte können in alle drei Raumrichtungen auftreten. Ihre Komponenten bezeichnen wir im Folgenden als fx , fy , fz , sie werden in dem Vektor f zusammengefasst: 0 1 fx (1.8) f D @fy A: fz Belastungen können auch in Form von Flächenlasten auftreten, die in der Einheit einer Kraft pro Flächeneinheit vorliegen, also z. B. in der Einheit [N=m2 ]. Flächenlasten können

∆F n t

n

t z,w

∆A

f

t x,u

y,v

Abb. 1.3 Dreidimensionaler Festkörper unter Belastung (links), Schnitt durch einen beliebigen Körperpunkt (Mitte), Zerlegung des Spannungsvektors in Normal- und Schubspannung (rechts).

1.2

Der Spannungszustand

5

dabei auf der gesamten Oberfläche des Festkörpers auftreten, oder nur auf einem Teil hiervon. Flächenlasten seien gegeben mit ihren Komponenten tx , ty , tz , die in dem Vektor 0 1 tx t D @ty A tz

(1.9)

zusammengefasst werden. Belastungen können auch in Form von Linienlasten bzw. Streckenlasten vorliegen, die eine entsprechende Einheit einer Kraft pro Längeneinheit, z. B. [N/m], aufweisen. Zudem können auch Punktlasten in der Einheit [N] gegeben sein. Betrachtet man nun einen Festkörper unter Belastung, dann werden in seinem Inneren Kräfte hervorgerufen, die man gedanklich auf eine Schnittfläche bezieht. Man betrachtet demnach bezogene Kräfte, und diese werden, wie schon am Beispiel des Zugstabs erläutert, als Spannungen bezeichnet. Spannungen in einem Festkörper liegen also in der Einheit einer Kraft pro Flächeneinheit vor, also z. B. in der Einheit [N=m2 ]. Zur näheren Definition betrachten wir einen beliebigen Schnitt durch den betrachteten Festkörper und untersuchen eine infinitesimale Schnittfläche A (Abb. 1.3, Mitte). Die räumliche Orientierung dieser Schnittfläche werde durch den Normalenvektor n ausgezeichnet: 0 1 nx n D @ny A: (1.10) nz Durch die Schnittführung werde nun die Kraft F freigesetzt. Der Spannungsvektor ist dann wie folgt definiert: F : (1.11) t D lim A!0 A Der Spannungsvektor ist abhängig davon, unter welcher Orientierung der betrachtete Schnitt geführt wird und welche Oberfläche betrachtet wird. Der Spannungsvektor t ist demnach eine Funktion des Normalenvektors n, es gilt also t D t.n/. Der Spannungsvektor werde nun in eine Komponente parallel zum Normalenvektor und eine Komponente tangential zur Schnittfläche zerlegt. Man bezeichnet diese Komponenten als Normalspannung  und als Schubspannung , sie sind Abb. 1.3, rechts, dargestellt. Es gilt: p (1.12)  D t  n;  D t  t   2 : Der Spannungszustand in einem Punkt eines Festkörpers ist eindeutig festgelegt, wenn der Spannungsvektor in drei voneinander unabhängigen Schnitten durch den Körperpunkt vorliegt. Die Normalenvektoren dieser Schnittflächen müssen linear unabhängig voneinander sein. Es ist zweckmäßig, diese Schnitte so zu legen, dass sie rechtwinklig zu den drei Koordinatenachsen x, y, z orientiert sind. In Abb. 1.4 ist ein infinitesimal kleiner Würfel dargestellt, der auf diese Art und Weise aus dem betrachteten Festkörper herausgeschnitten wurde. Sind die Spannungsvektoren dieser Schnitte einmal bekannt, so können hieraus die Spannungsvektoren unter beliebigen anderen Schnittrichtungen bestimmt werden.

6

1

Lineare Elastizitätstheorie

z

tz zz

yz

t

tx

xz

xx

x

ty

yz yy

yx

xy

y dz

zx

zy

dy

xz

zy

zx

f

xx

xy

yx

yy

zz

dx

Abb. 1.4 Infinitesimaler Würfel und zugehörige Spannungskomponenten.

Es seien nun drei Schnittflächen so festgelegt, dass ihre Normalenvektoren mit den Koordinatenachsen x, y, z identisch sind. Die drei Spannungsvektoren t x , t y , t z lauten dann: 0 1 0 1 0 1 xx yx zx t x D @ xy A; t y D @yy A; t z D @zy A: (1.13) xz yz zz Die Indizierung der Spannungen ist dabei wie folgt festgelegt. Der erste Index gibt die Richtung der Flächennormalen des betrachteten Schnittes an, wohingegen der zweite Index die Wirkungsrichtung der betrachteten Spannungskomponente bezeichnet. Demgemäß sind Spannungen mit identischen Indizes Normalspannungen, die senkrecht auf dem betrachteten Schnitt stehen. Spannungen mit zwei unterschiedlichen Indizes hingegen sind Schubspannungen, sie verlaufen tangential zur betrachteten Schnittfläche. Offenbar werden zur vollständigen Beschreibung des Spannungszustandes in einem Körperpunkt neun Spannungskomponenten benötigt, nämlich die drei Normalspannungen xx , yy und zz sowie die sechs Schubspannungen xy , yx , xz , zx , yz und zy . Für Spannungen gelten analoge Vorzeichenkonventionen wie für Schnittgrößen in Stäben und Balken: Eine Spannung ist dann positiv, wenn sie am positiven Schnittufer in positive Koordinatenrichtung zeigt. Ein Schnittufer bzw. eine Schnittfläche ist dann positiv, wenn der nach außen weisende Normalenvektor der betrachteten Schnittfläche in positive Koordinatenrichtung weist. In Abb. 1.5 ist der infinitesimale Würfel in der Draufsicht gezeigt. Durch Formulieren des Momentengleichgewichts um den Schwerpunkt des Würfels um alle drei Koordinatenachsen lässt sich einfach zeigen, dass einander zugeordnete Schubspannungen (also Schubspannungen mit identischen, aber vertauschten Indizes) identisch sein müssen. Wir zeigen das anhand der Abb. 1.5 für die beiden Schubspannungen xy und yx . Die Summe der Momente um die z-Achse ergibt: 2xy dydz

dx dy  2yx dxdz D 0: 2 2

(1.14)

1.2

Der Spannungszustand

7

Abb. 1.5 Momentengleichgewicht am infinitesimalen Schnittelement.

xx xy

z yx

y

M

yy dx

yy yx xy

x

xx

dy

Nach Kürzen des Ausdrucks dxdydz verbleibt xy D yx :

(1.15)

Analog kann man die Momentensummen um die beiden anderen Koordinatenachsen bilden, und man erhält: (1.16) xz D zx ; yz D zy : Als Schlussfolgerung kann festgehalten werden, dass einander zugeordnete Schubspannungen immer beide auf die gemeinsame Ecke eines Schnittelements hin zeigen oder von dieser Ecke weg weisen, so wie in Abb. 1.4 und 1.5 gezeigt. Es ergibt sich aus den obigen Überlegungen, dass sich damit die Anzahl der zu bestimmenden Spannungskomponenten von neun auf sechs reduziert, nämlich die drei Normalspannungen xx , yy , zz sowie die drei Schubspannungen xy D yx , xz D zx , yz D zy . Es ist üblich, die Spannungskomponenten in einer symmetrischen Matrix  wie folgt zusammenzufassen: 2 3 xx xy xz  D 4 xy yy yz 5: (1.17) xz yz zz Dies ist der sog. Cauchysche1 Spannungstensor. Er fasst die Spannungsvektoren t x , t y , t z spaltenweise zusammen. Aufgrund der Gleichheit einander zugeordneter Schubspannungen ist der Cauchysche Spannungstensor stets symmetrisch.

1.2.3 Gleichgewichtsbedingungen Wir wollen uns im Folgenden Klarheit darüber verschaffen, wie die Spannungszustände zweier infinitesimal voneinander entfernter Körperpunkte in Verbindung miteinander stehen. Hierzu betrachten wir die sog. lokalen Gleichgewichtsbedingungen. Es werde 1

Augustin-Louis Cauchy, 1789–1857, französischer Mathematiker.

8

1

Abb. 1.6 Lokales Gleichgewicht am infinitesimalen Volumenelement.

Lineare Elastizitätstheorie

z

yx

yy

d

zx

zz

zx

zy

d

zz

d

zy

xx

xy

xz yz xx

x

xz

d

d

xz

xx

xy

d

yx

xy

d

yz

d

yz

yy

d

yy

xy

y

zx

zy

zz

erneut ein infinitesimales Schnittelement des Festkörpers der Abb. 1.3 mit den Kantenabmessungen dx, dy, dz betrachtet, und wir tragen an den Schnittufern die jeweiligen Spannungskomponenten an (Abb. 1.6). Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind die ebenfalls mit zu berücksichtigenden Volumenkräfte fx , fy , fz hier nicht eingezeichnet. Wir gehen nun davon aus, dass sich die Spannungskomponenten an den positiven und negativen Schnittufern um einen infinitesimalen Zuwachs unterscheiden. Wir bezeichnen diese Zuwächse als dxx , dyy , dzz bzw. dxy , dxz und dyz , so wie in Abb. 1.6 eingezeichnet. Am Beispiel der Normalspannung xx bedeutet das, dass am negativen Schnittufer bezüglich der x-Richtung die Normalspannung xx .x/ auftritt, wohingegen am gegenüberliegenden positiven Schnittufer die Spannung xx .x C dx/ D xx C dxx anzusetzen wäre. Die infinitesimalen Zuwächse können als Taylor-Reihen entwickelt werden, die wir nach dem ersten Glied abbrechen: @xx dx; @x @xy D dx; @x @zx D dz; @z

@yy dy; @y @yx D dy; @y @yz D dy; @y

@zz dz; @z @xz D dx; @x @zy D dz: @z

dxx D

dyy D

dzz D

dxy

dyx

dxz

dzx

dyz

dzy

(1.18)

Wir betrachten das Kräftegleichgewicht in x-Richtung und erhalten durch Aufaddieren aller Spannungskomponenten:   @xx dx dydz  xx dydz xx C @x   @yx C yx C dy dxdz  yx dxdz @y   @zx C zx C (1.19) dz dxdy  zx dxdy C fx dxdydz D 0: @z

1.3

Deformations- und Verzerrungszustand

9

Zusammenfassen und Beachten von ij D j i liefert: @xy @xx @xz C C C fx D 0: @x @y @z

(1.20)

Ganz genauso können wir bezüglich der Kräftegleichgewichte in y- und z-Richtung vorgehen, und wir erhalten die lokalen Gleichgewichtsbedingungen wie folgt: @xy @xx @xz C C C fx D 0; @x @y @z @xy @yy @yz C C C fy D 0; @x @y @z @yz @xz @zz C C C fz D 0: @x @y @z

(1.21)

Es handelt sich bei den Gleichungen (1.21) um drei gekoppelte partielle Differentialgleichungen für sechs unbekannte Spannungskomponenten. Damit ist ein beliebiges Festkörperproblem in sich statisch unbestimmt, die drei Gleichgewichtsbedingungen (1.21) reichen zur Ermittlung der sechs Spannungskomponenten nicht aus. Wir müssen entsprechend weitere Gleichungen heranziehen.

1.3 Deformations- und Verzerrungszustand 1.3.1 Der Zugstab Wir betrachten erneut den linear elastischen Zugstab der Abb. 1.1 mit der Länge l und der konstanten Querschnittsfläche A und untersuchen seine Verformung (Abb. 1.7), die, hervorgerufen durch die Zugkraft F , aus einer Längenänderung l besteht. Als Maß für die Verformung des Stabes ist es üblich, als neue Größe die sog. Dehnung " als Verhältnis von Längenänderung l zur Ausgangslänge l einzuführen. Für den hier vorliegenden Spezialfall einer konstanten Querschnittsfläche und einer konstanten Normalkraft N D F erhalten wir: l : (1.22) "D l Abb. 1.7 Stab (oben), Längenänderung unter Zugkraft (unten).

A x

l

F

F x

l

∆l

10

1

Abb. 1.8 Infinitesimales Stabelement (oben), Verformung (unten).

x

Lineare Elastizitätstheorie

dx

x u

u+du

x dx+(u+du)-u

Die Dehnung " hat keine Einheit. Sie ist positiv, wenn der Stab länger wird (wenn also l > 0 gilt), und negativ, wenn der Stab kürzer wird (wenn also l < 0 gilt). Wir wollen in allen weiteren Ausführungen voraussetzen, dass die Dehnung klein ist, dass also jlj  l und damit j"j  1 gilt. Eine allgemeinere Definition der Dehnung eines Stabes kann man gewinnen, indem man sich Klarheit über das Verformungsverhalten eines infinitesimalen Stabelements verschafft (Abb. 1.8). Wir betrachten dazu ein Schnittelement der Länge dx, das an seinem linken Ende an der beliebigen Stelle x die Verschiebung u.x/ erleidet. An der Stelle x Cdx hingegen liege die Verschiebung u.x C dx/ D u C du vor, wobei die Größe du einen infinitesimalen Zuwachs der Verschiebung u darstellt. Die Länge des infinitesimalen Stabelements im verformten Zustand beträgt demnach dx C .u C du/  u D dx C du, die Längenänderung beträgt also du. Damit lässt sich das Verhältnis zwischen der Längenänderung und der Ausgangslänge angeben als die Dehnung ": "D

du : dx

(1.23)

Ist also die Verschiebung u einmal bekannt, so kann man hieraus die Dehnung " durch einmaliges Differenzieren gewinnen. Die Verschiebung u und die Dehnung " werden auch als kinematische Größen bezeichnet, und die Gleichung (1.23) ist eine sog. kinematische Gleichung.

1.3.2 Infinitesimaler Verzerrungstensor Wird ein Festkörper einer Belastung ausgesetzt, so werden die Körperpunkte Verschiebungen durchlaufen. Diese wollen wir unterteilen in die Verschiebung u in x-Richtung, die Verschiebung v in y-Richtung und die Verschiebung w in z-Richtung. Hierdurch werden die sog. Verzerrungen hervorgerufen, die wir in Dehnungen und Schubverzerrungen bzw. Gleitungen einteilen wollen. Das sei anhand eines Würfels verdeutlicht, der aus einem Festkörper herausgeschnitten wurde und der verschiedenen Spannungszuständen unterworfen werde (Abb. 1.9). Das betrachtete Material sei isotrop. Wir betrachten zunächst den Fall, dass der Würfel der Abb. 1.9 eine Normalspannung xx erleidet (Abb. 1.9, links). Dann ergibt es sich, dass der Würfel eine positive Deh-

1.3

Deformations- und Verzerrungszustand

Dehnung

xx

11

Gleitung

z

y xx

z

yz

x

y

x

yz

Dehnung

yy

Gleitung

y

xz

z

xx

x

z

x

y

xz

Dehnung

zz

Gleitung

z xx

x

xy

y y

z

x xy

Abb. 1.9 Dehnungen (links) und Gleitungen (rechts) an einem aus einem Festkörper herausgeschnittenen Würfel.

nung "xx in x-Richtung erleidet (Abb. 1.9, links oben), seine Länge in x-Richtung wird zunehmen. Zugleich wird es sich zeigen, dass eine sog. Querkontraktion in y-Richtung auftritt, also eine negative Dehnung "yy , die Würfelabmessung in y-Richtung wird kleiner (Abb. 1.9, links Mitte). Ebenso wird eine Querkontraktion in z-Richtung auftreten, also eine negative Dehnung "zz , verbunden mit einer Abnahme der Würfelabmessung in z-Richtung (Abb. 1.9, links unten). Die drei im Raum auftretenden Dehnungen "xx , "yy und "zz gehen also mit einer Änderung der Abmessungen des Würfels, also eine Volumenänderung, einher, nicht aber mit einer Änderung seiner Gestalt. Wir betrachten nun den Fall, dass der Würfel der Schubspannung yz ausgesetzt wird (Abb. 1.9, rechts oben). In diesem Fall wird es sich zeigen, dass sich die rechten Winkel der Würfelseiten zueinander wie angedeutet in der yz-Ebene ändern werden. Diese Winkeländerung bezeichnen wir als Schubverzerrung oder Gleitung yz . Analog können im dreidimensionalen Fall die Gleitung xz in der xz-Ebene (Abb. 1.9, rechts Mitte) sowie xy in der xy-Ebene auftreten (Abb. 1.9, rechts unten). Eine Schubverzerrung bzw. Gleitung bedeutet demnach für unsere Zwecke, dass der Würfel seine Gestalt ändert, aber nicht sein Volumen.

12

1

y

Lineare Elastizitätstheorie

u+du=u+ ∂∂uy dy

y

C D

D

C

D

C

v+dv =v+ ∂∂vy dy

D

dy

v

C

dy

A

dx

u

v

B

A

B A

A

B

x

dx

B

x

u

u+du=u+ ∂u ∂ x dx

v+dv =v+ ∂∂vx dx

Abb. 1.10 Definition der infinitesimalen Dehnungen "xx und "yy (links) sowie der infinitesimalen Gleitung xy (rechts).

Zur Herleitung allgemeingültiger Ausdrücke für Dehnungen und Gleitungen im räumlichen Fall für den Fall kleiner Verformungen (sog. geometrische Linearität) betrachten wir die Abb. 1.10. Dargestellt ist hier ein infinitesimaler Quader mit den Kantenlänge dx, dy, dz in der Draufsicht, und zwar im undeformierten Zustand (angedeutet durch gestrichelte Linien) und außerdem in zwei deformierten Konfigurationen. Wir untersuchen zunächst die Dehnung "xx in der xy-Ebene und betrachten dazu Abb. 1.10, links. Der Quader werde einer Deformation derart unterworfen, dass sich seine Kanten in der xy-Ebene längen, aber seine Quaderform erhalten bleibt. Die Quaderecken A, B, C , D durchlaufen dann verschiedene Verschiebungen und gehen in die Punkte A0 , B 0 , C 0 , D 0 über. Es seien u und v die Verschiebungen des Punktes A in x- und in y-Richtung, d. h. uA D u, vA D v. Punkt B wird die Verschiebungen uB und vB durchlaufen, wobei hier aber bei uB ein infinitesimaler Zuwachs du zu berücksichtigen ist, so dass sich die Verschiebung uB des Punktes B auf uB D u C du beläuft. Der Zuwachs du kann als Taylor-Reihe bezüglich der x-Richtung dargestellt werden, die wir nach dem ersten Glied abbrechen, d. h. die Verschiebung uB des Punktes B in x-Richtung beläuft sich auf uB D u C @u @x dx. Seine Verschiebung in y-Richtung hingegen beträgt wie bei Punkt A vB D v. Ganz analog kann man die Verschiebungen des Punktes C folgern, und man erhält @v dx und vC D v C @y dy, wobei hier der infinitesimale Zuwachs für vC in die uC D u C @u @x y-Richtung entwickelt wurde. Die Verschiebungen des Punktes D folgen analog: uD D u, dy. vD D v C @v @y Um nun eine Aussage über die Dehnung "xx zu erhalten, wird das Verhältnis der Längenänderung bezüglich der x-Richtung zur Ausgangslänge gebildet: "xx D

A0 B 0  AB AB

:

Hierin lässt sich die Kantenlänge im verformten Zustand A0 B 0 darstellen als:   @u @u 0 0 A B D dx C u C dx  u D dx C dx: @x @x

(1.24)

(1.25)

1.3

Deformations- und Verzerrungszustand

13

Mit AB D dx folgt dann aus (1.24):

"xx D

dx C

@u dx  dx @u @x D : dx @x

(1.26)

Ganz analog kann man für die Dehnung "yy vorgehen und erhält: "yy D

A0 D 0  AD AD

:

(1.27)

Mit AD D dy und A0 D 0

  @v @v D dy C v C dy  v D dy C dy @y @y

(1.28)

folgt aus (1.27): dy C "yy D

@v dy  dy @v @y D : dy @y

(1.29)

Einen ganz ähnlichen Ausdruck kann man für die Dehnung "zz ermitteln, was hier aber ohne Herleitung bleibt. Es folgt: @w : (1.30) "zz D @z Wir betrachten nun außerdem die Situation der Abb. 1.10, rechts. Der infinitesimale Quader sei nun einer Deformation derart unterworfen, dass sich die Quadereckpunkte A, B, C , D wie gezeigt verschieben und die ursprüngliche Form des durch A, B, C , D gebildeten Rechtecks in ein Parallelogramm mit den Eckpunkten A0 , B 0 , C 0 , D 0 übergeht. Die beiden sich einstellenden Winkel, die die Abweichungen von der Quaderform beschreiben, seien als ˛ und ˇ bezeichnet. Wir wollen anhand von Abb. 1.10, rechts, eine Aussage über die Gleitung xy erarbeiten und betrachten zunächst die beiden Winkel ˛ und ˇ. Man kann an Abb. 1.10, rechts, ablesen: @v tan ˛ D

@x

dx

@u dx C dx @x

;

@u dy @y tan ˇ D : @v dy C dy @y

(1.31)

Wegen der Kleinheit der Verformungen gehen wir davon aus, dass die jeweils zweiten Terme im Nenner der Ausdrücke (1.31) vernachlässigbar sind. Zudem können wir von der Kleinwinkelnäherung tan ˛  ˛, tan ˇ  ˇ ausgehen, so dass aus (1.31) folgt: ˛D

@v ; @x

ˇD

@u : @y

(1.32)

14

1

Lineare Elastizitätstheorie

Die gesuchte Winkeländerung/Gleitung xy ergibt sich durch Addition der beiden Winkel ˛ und ˇ als: @v @u C : (1.33) xy D @x @y Die beiden Indizes xy zeigen dabei an, dass es sich um die Winkeländerung in der xyEbene handelt. Die Indizes x und y sind dabei vertauchbar, so dass xy D yx . Ganz analoge Ausdrücke lassen sich für die beiden verbleibenden Gleitungen yz und xz herleiten, was hier aber ohne Darstellung bleibt. Zusammenfassend erhält man die folgenden Definitionen für die räumlichen Dehnungen "xx , "yy , "zz und die räumlichen Gleitungen xy , xz , yz : @u @v ; "yy D ; @x @y @u @v D C ; @y @x @u @w D C ; @z @x @v @w D C : @z @y

"xx D xy xz yz

"zz D

@w ; @z

(1.34)

Sie stellen einen Zusammenhang her zwischen den Verschiebungen u, v, w auf der einen Seite und den Dehnungen "xx , "yy , "zz und Gleitungen xy , xz , yz auf der anderen Seite. Man nennt sie daher auch kinematische Gleichungen. Sind die Verschiebungen also einmal bekannt, so lassen sich die Verzerrungen daraus durch Differentiation bestimmen. Dabei dient der Begriff der Verzerrungen als Oberbegriff für die Dehnungen und die Gleitungen. Es ist zweckmäßig, die Dehnungen und Gleitungen in einer symmetrischen Matrix, dem sog. infinitesimalen Verzerrungstensor ", anzuordnen wie folgt: 2 6 "xx 6 6 61 " D 6 xy 62 6 41 xz 2

1 xy 2 "yy 1 2

yz

3 1 xz 7 2 7 7 1 7 : yz 7 2 7 7 5 "zz

(1.35)

Auf seiner Hauptdiagonalen finden sich die Dehnungen "xx , "yy , "zz . Die verbleibenden Einträge stellen die halben Gleitungen dar.

1.4

Das verallgemeinerte Hookesche Gesetz

15

1.4 Das verallgemeinerte Hookesche Gesetz 1.4.1 Einführung Wir wollen in allen Ausführungen dieses Buchs von linear elastischem Materialverhalten ausgehen. Es besteht demnach ein linearer Zusammenhang zwischen den auftretenden Spannungen in einem Festkörper und den sich einstellenden Verzerrungen. Dies wird im räumlich Fall bechrieben durch das sog. verallgemeinerte Hookesche Gesetz2 , das wir nachfolgend betrachten wollen. Viele Materialien verhalten sich in guter Näherung in technisch relevanten Belastungsbereichen linear elastisch, so wie in Abb. 1.11, links, dargestellt. Qualitativ ist hier ein typisches Spannungs-Dehnungs-Diagramm abgebildet, so wie es z. B. im Zugversuch für eine Stahlprobe resultieren würde. Typischerweise wird sich zwischen der anliegenden Zugspannung  und der resultierenden Dehnung " ein proportionaler Zusammenhang zeigen, und zwar bis zum Erreichen der sog. Proportionalitätsgrenze P . Steigert man die Spannung über diesen Wert hinaus, so zeigt sich ein überproportionaler Anstieg der sich einstellenden Dehnung. Wird die sog. Fließspannung bzw. Streckgrenze F erreicht, dann zeigt es sich, dass die Dehnung bei etwa gleichbleibender Spannung weiter ansteigt. Man spricht an dieser Stelle davon, dass der Werkstoff fließt. Über die Fließgrenze hinaus zeigt es sich, dass die Zugprobe weitere Spannungen aufnehmen kann, bis an einer bestimmten Stelle die Probe bricht. In allen weiteren Ausführungen wollen wir uns auf ideal linear elastisches Materialverhalten beschränken. Demnach besteht zwischen der Spannung  und der Dehnung " ein linearer Zusammenhang, so wie in Abb. 1.11, rechts, gezeigt. Nachfolgend wollen wir die entsprechenden Gleichungen herleiten, die ein linear elastisches Materialverhalten beschreiben. Solche Gleichungen werden auch als konstitutive Gleichungen, Stoffgesetz oder Materialgesetz bezeichnet. Zur Motivation betrachten wir die Situation der Abb. 1.12. Gegeben sei ein linear elastisches Blech (eine sehr dünne flächenhafte Struktur) mit den Abmessungen b und l. Das Blech sei an seinem unteren Ende derart durch eine horizontale Führung gelagert, dass sich die nachfolgend betrachteten Verzerrungszustände unbehindert einstellen können. Es

Abb. 1.11 Spannungs-Dehnungs-Diagramm für eine Zugprobe aus Stahl (links) und für ein ideal linear elastisches Material (rechts).

2

F P

Robert Hooke, 1635–1703, englischer Mathematiker und Physiker.

16 Abb. 1.12 Blech unter Zug (links) und unter Schub (rechts).

1

x

F

Lineare Elastizitätstheorie

x

Querschnittsfläche A

v

u

T xy

l

l

y b-v

y b

b

sei einmal durch eine Zugkraft F und einmal durch eine tangential zur Oberfläche wirkende Kraft T belastet. Wir betrachten zunächst den Fall der Abb. 1.12, links. Durch die aufgebrachte Zugkraft F entsteht in dem Blech die Normalspannung xx in Höhe von xx D FA , wobei A die Querschnittsfläche ist. Der einfachste Fall des Hookeschen Gesetzes liegt in der eindimensionalen Form (1.36) xx D E"xx vor. Hierin ist "xx die sich einstellende Dehnung, die im vorliegenden Falle positiv ausfallen wird. Die Größe E ist der sog. Elastizitätsmodul, der einen Zusammenhang zwischen der Normalspannung xx und der Dehnung "xx der Scheibe herstellt. Der Elastizitätsmodul hat die Einheit einer Spannung, also z. B. [N=m2 ]. Mit den in Abb. 1.12, links, gegebenen Bezeichnungen ergibt sich hier die Dehnung "xx als "xx D ul . Anschaulich stellt der Elastizitätsmodul die Steigung der Geraden in einem Spannungs-Dehnungs-Diagramm dar (Abb. 1.11, rechts). Neben der Dehnung "xx in x-Richtung wird das Blech außerdem eine sog. Querkontraktion erleiden, also eine Dehnung "yy in y-Richtung, die negativ ausfallen wird (das Blech verkürzt sich in diese Richtung). Dabei stehen die beiden Dehnungen "xx und "yy miteinander im Verhältnis durch die sog. Querkontraktionszahl bzw. Querdehnungszahl : (1.37) "yy D "xx : Die Querkontraktionszahl  ist einheitenlos und stellt eine weitere elementare Elastizitätskonstante dar. Sie beträgt z. B. für Stahl  D 0;3. Wir betrachten nun die Situation der Abb. 1.12, rechts, d. h. das Blech unter der tangential zur Oberfläche wirkenden Kraft T . Die sich hierdurch einstellende Schubspannung xy lässt sich ermitteln als xy D TA , wenn wir davon ausgehen, dass sich die Schubspannung gleichmäßig über die Querschnittsfläche A verteilt. Aufgrund der anliegenden Belastung erleidet das Blech eine horizontale Auslenkung, die ihren Maximalwert am oberen Blechrand mit dem Wert v annimmt. Wir gehen dabei der Einfachheit halber davon aus, dass die vertikalen Kanten des Blechs zwar um einen Winkel xy verdreht werden, in sich aber auch im verformten Zustand gerade bleiben. Dadurch ergibt sich eine

1.4

Das verallgemeinerte Hookesche Gesetz

17

Schubverzerrung/eine Gleitung xy , die dem auftretenden Winkel zwischen dem unbelasteten vertikalen Blechrand und dem schräggestellten verformten Rand entspricht, also tan xy D vl . Wenn wir auch hier wieder von kleinen Winkeln ausgehen, dann folgt xy D vl . Zwischen der Schubspannung xy und der Gleitung xy besteht ein Zusammenhang wie folgt: (1.38) xy D Gxy : Hierin ist G der sog. Schubmodul bzw. Gleitmodul. Er liegt wie der Elastizitätsmodul in der Einheit einer Spannung vor, also z. B. in der Einheit [N=m2 ]. Isotropes linear elastisches Materialverhalten wird also durch die drei Elastizitätskonstanten E, , G beschrieben. Sie müssen experimentell ermittelt werden. Man kann zeigen, dass zwischen diesen drei Materialwerten der folgende Zusammenhang besteht: GD

E : 2.1 C /

(1.39)

Liegen also z. B. die beiden Materialkonstanten E und  aus Messungen, z. B. aus einem Zugversuch vor, dann kann der Schubmodul G aus (1.39) bestimmt werden.

1.4.2

Räumliches Materialgesetz

Mit den Gleichungen (1.36), (1.37) und (1.38) liegen die konstitutiven Gleichungen vor, mit denen das Materialverhalten des Blechs der Abb. 1.12 beschrieben werden kann. Wir wollen in diesem Abschnitt nun die Betrachtungen auf einen linear elastischen isotropen homogenen Festkörper erweitern, der durch die Materialkonstanten E, , G beschrieben werde. Betrachtet werde der Würfel der Abb. 1.13, der durch die Normalspannung xx beansprucht werde. Durch die Spannung xx wird die Dehnung "xx D Exx hervorgerufen. Außerdem ergibt sich hier die Querdehnung "yy D "xx D  Exx in y-Richtung sowie die Abb. 1.13 Würfel unter Normalspannung xx .

z σxx

σxx x

y

18

1

Lineare Elastizitätstheorie

Querdehnung "zz D "xx D  Exx in z-Richtung. Analog gilt bei Vorliegen der  Normalspannung yy , dass sowohl die Dehnung "yy D Eyy als auch die beiden Querdehyy  nungen "xx D "yy D  E und "zz D "yy D  Eyy auftreten werden. Schließlich muss noch der Fall betrachtet werden, dass die Normalspannung zz wirkt. In diesem Fall ergibt sich die Dehnung "zz D Ezz . Außerdem treten die beiden Querdehnungen "xx D "zz D  Ezz und "yy D "xx D  Ezz auf. Treten alle drei Spannungen simultan auf, dann ergeben sich die folgenden Ausdrücke für die räumlichen Dehnungen "xx , "yy und "zz durch Supoerposition:   1 xx   yy C zz ; E  1 D yy  .xx C zz / ; E   1 D zz   xx C yy : E

"xx D "yy "zz

(1.40)

Für die räumlichen Gleitungen xy , xz , yz gilt: xy D

xy ; G

xz D

xz ; G

yz D

yz : G

(1.41)

1.4.3 Einfluss der Temperatur Wird das Blech der Abb. 1.12 nicht durch Kräfte bzw. durch die dazu äquivalenten Spannungen beansprucht, sondern liegt eine Temperaturänderung T vor, dann werden entsprechende thermische Dehnungen hervorgerufen. In vielen Fällen kann davon ausgegangen werden, dass zwischen der Temperaturänderung T und der sich einstellenden thermischen Dehnung "T ein linearer besteht wie folgt: "T D ˛T T:

(1.42)

Der hier neu hinzukommende Proportionalitätsfaktor ˛T wird als thermischer Ausdehnungskoeffizient bezeichnet. Er ist experimentell zu bestimmen und wird in der Einheit C1ı angegeben. In dem Fall, dass sowohl eine mechanische Spannung  als auch eine Temperaturänderung T gemeinsam wirken, können die einzelnen Verzerrungskomponenten superponiert werden:  (1.43) C ˛T T: "D E Aufgelöst nach der Spannung  lautet dieser Zusammenhang:  D E."  ˛T T /:

(1.44)

1.4

Das verallgemeinerte Hookesche Gesetz

19

Übertragen auf den räumlichen Fall ergibt sich in Erweiterung von (1.40) und (1.41):   1 xx   yy C zz C ˛T T; E  1 D yy  .xx C zz / C ˛T T; E   1 D zz   xx C yy C ˛T T; E xy xz yz D ; xz D ; yz D : G G G

"xx D "yy "zz xy

(1.45)

Eine Temperaturänderung sorgt demnach nur für Dehnungen, nicht jedoch für Gleitungen. Beispiel 1.1

Ein linear elastischer isotroper Würfel (Kantenlänge a, Elastizitätsmodul E, Querdehnungszahl ) wird in einer ideal starren Einfassung platziert (Abb. 1.14, oben). Der Würfel wird an seiner freien Oberfläche durch die konstante Flächenlast p0 belastet. Gesucht wird der Spannungszustand in dem Würfel sowie die Verschiebung u der belasteten Oberfläche in x-Richtung. Für denjenigen Fall, dass keine mechanische Belastung vorliegt, sondern eine konstante Temperaturänderung T aufgebracht wird, wird ebenfalls die Verschiebung u gesucht. Der Würfel kann an den Wandungen der Einfassung, die als ideal starr und glatt angenommen werden, reibungsfrei abgleiten. Unter Belastung wird sich in dem Würfel ein dreidimensionaler Spannungszustand ausbilden (Abb. 1.14, unten), wobei hier keinerlei Schubspannungen xy , xz , yz , sondern nur die Normalspannungen xx , yy , zz auftreten. Analog dazu ergeben sich in der gegebenen Situation keinerlei Schubverzerrungen xy , xz , yz . Aufgrund der starren Wandung der Einfassung werden die beiden Dehnungen "yy und "zz zu null.

Abb. 1.14 Würfel in Einfassung (oben), resultierender räumlicher Spannungszustand (unten).

p0

z

y

p0

a

y

x

x

a σxx

a σxx

z x

y

σyy

y x

z

a

z

σzz

20

1

Lineare Elastizitätstheorie

Die Normalspannung xx entspricht der aufgebrachten Belastung, wobei sich xx als Druckspannung ergibt: xx D p0 . Aus dem Hookeschen Gesetz (1.40) folgt: 0 D yy  .p0 C zz /;   0 D zz   p0 C yy :

(1.46)

Aus diesen beiden Gleichungen lassen sich die Normalspannungen yy und zz ermitteln als:  : (1.47) yy D zz D p0 1 Beide Spannungen yy und zz liegen somit als Druckspannungen vor, was aufgrund der behinderten Querdehnung des Würfels in y- und z-Richtung ein einsichtiges Ergebnis ist. Die Dehnung "xx lässt sich aus der ersten Gleichung in (1.40) ermitteln als: "xx D

    1 p0 2 2 xx   yy C zz D  1 : E E 1

(1.48)

Die Verschiebung u der belasteten Oberfläche des Würfels ergibt sich aus der Definition der Dehnung "xx D ua als   p0 a 2 2 u D "xx a D  1 : E 1

(1.49)

Wir betrachten nun außerdem den Fall, dass die mechanische Last p0 nicht vorliegt und der Würfel einer konstanten Temperaturänderung ausgesetzt wird. Auch in diesem Fall wird sich ein räumlicher Spannungszustand yy , zz ausbilden, wobei aber die Normalspannung xx verschwindet (der Würfel verfügt über eine freie, unbelastete Oberfläche, deren Flächennormale mit der x-Richtung übereinstimmt). Aus dem Hookeschen Gesetz (1.45) erhalten wir aus der zweiten und dritten Gleichung mit "yy D "zz D 0:  1 yy  zz C ˛T T; E  1 0D zz  yy C ˛T T: E

0D

(1.50)

Hieraus lassen sich beiden Spannungen yy und zz bestimmen als: yy D zz D 

E˛T T : 1

(1.51)

Auch unter dem vorliegenden thermischen Lastfall ergeben sich die beiden Normalspannungen yy und zz als Druckspannungen, was aufgrund der gegebenen Geometrie und dem vorgegebenen thermischen Lastfall ein einsichtiges Ergebnis ist.

1.4

Das verallgemeinerte Hookesche Gesetz

21

Liegt der Spannungszustand einmal vor, dann kann aus der ersten Gleichung in (1.45) die Dehnung "xx beschafft werden: "xx D Mit "xx D

u a

  1 1C xx   yy C zz C ˛T T D ˛T T : E 1

(1.52)

folgt daraus die gesuchte Verschiebung u: u D ˛T T

1C a: 1

(1.53) J

Beispiel 1.2

Zwei linear elastische isotrope Würfel (Abb. 1.15, Kantenlängen a, Elastizitätsmoduln E1 D E, E2 D 2E, Querdehnungszahlen 1 D 2 D , Temperaturausdehnungskoeffizienten ˛T;1 D ˛T;2 D ˛T ) sind in einer ideal starren Einfassung platziert wie abgebildet. Die Wandungen der Einfassung werden als ideal glatt angenommen, so dass die Oberflächen der Würfel an ihnen reibungsfrei abgleiten können. Man ermittle für den Fall, dass eine konstante Flächenlast p0 auf die Oberfläche des Würfels 1 wirkt, die Spannungen und Verzerrungen in beiden Würfeln. Für denjenigen Fall, dass in Würfel 2 außerdem noch eine konstante Temperaturänderung T vorliegt, ermittle man die Höhe von T , damit sich die Berührungsfläche zwischen Würfel 1 und 2 nicht in x-Richtung verschiebt. Liegt nur die mechanische Last p0 vor, dann beträgt die Normalspannung xx in beiden Würfeln xx;1 D xx;2 D p0 . Aufgrund der gegebenen starren Einfassung sind außerdem die Dehnungen "yy und "zz in beiden Würfeln null: "yy;1 D "yy;2 D 0, "zz;1 D "zz;2 D 0. Aus dem Hookeschen Gesatz (1.40) ergibt sich dann für Würfel 1:  1 yy;1  .p0 C zz;1 / D 0; E   1 D zz;1   p0 C yy;1 D 0: E

"yy;1 D "zz;1

Abb. 1.15 Zwei Würfel in Einfassung.

(1.54)

p0

1 z x 2

a

p0

a

1

a

y z

y a

x 2

a

a

22

1

Lineare Elastizitätstheorie

Diese beiden Gleichungen können nach den Spannungen yy;1 und zz;1 aufgelöst werden. Wir erhalten:  : (1.55) yy;1 D zz;1 D p0 1 Analog ergeben sich die Spannungen yy;2 und zz;2 in Würfel 2: yy;2 D zz;2 D p0

 : 1

(1.56)

Damit lassen sich aus der ersten Gleichung in (1.40) die Dehnungen "xx;1 und "xx;2 ermitteln. Für "xx;1 ergibt sich: "xx;1 D

    1 p0 2 2 xx;1   yy;1 C zz;1 D  1 : E E 1

(1.57)

Analog erhalten wir für "xx;2 : "xx;2

  p0 2 2 D 1 : 2E 1

(1.58)

Die Verschiebung der Berührungsfläche zwischen den beiden Würfeln ergibt sich als: u D "xx;2 a D 

  p0 a 2 2 1 : 2E 1

(1.59)

Wir betrachten nun zusätzlich den Fall, dass in Würfel 2 eine konstante Temperaturerhöhung T vorliegt. In diesem Fall verschwindet die Normalspannung xx;2 , und auch die beiden Dehnungen "yy;2 und "zz;2 sind null. Aus dem Hookeschen Gesatz (1.45) erhalten wir die beiden folgenden Zusammenhänge:  1  yy;2  zz;2 C ˛T T D 0; 2E  1  D zz;2  yy;2 C ˛T T D 0: 2E

"yy D "zz

(1.60)

Daraus sind die beiden Spannungen yy;2 und zz;2 ermittelbar als: yy;2 D zz;2 D 

2E˛T T : 1

(1.61)

Damit ist aus (1.45) auch die Dehnung "xx;2 berechenbar. Es folgt: "xx;2 D

1C ˛T T: 1

(1.62)

1.4

Das verallgemeinerte Hookesche Gesetz

23

Die Verschiebung u der Berührungsfläche der beiden Würfel infolge der thermischen Last folgt dann zu: 1C (1.63) ˛T T a: u D "xx;2 a D 1 Um die notwendige Temperaturänderung zu ermitteln, wird die Summe aus den beiden Verschiebungen (1.59) und (1.63) zu null gesetzt: 

  2 2 1C p0 a 1 C ˛T T a D 0: 2E 1 1

Daraus folgt:

(1.64)

  p0 1   2 2 T D 1 : 2E˛T 1 C  1

(1.65) J

Beispiel 1.3

Ein isotroper Würfel sei in einer Einfassung wie in Abb. 1.16 dargestellt positioniert. Der Würfel wird an einer Ausdehnung in y-Richtung gehindert, in x-Richtung kann er sich ungehindert ausdehnen. Der Würfel (Kantenlänge a, Elastizitätsmodul E, Querdehnungszahl , Temperaturausdehnungskoeffizient ˛T ) wird durch eine konstante Flächenlast in z-Richtung sowie eine Temperaturänderung T beansprucht. Wie groß muss die Temperaturänderung T sein, damit sich die obere Würfeloberfläche nicht in z-Richtung verschiebt? Die Wandungen der Einfassung seien ideal starr und glatt, so dass die Würfeloberflächen hieran reibungsfrei abgleiten können. Für die gegebene Situation kann umgehend gefolgert werden, dass die Normalspannung zz der negativen aufgebrachten Last p0 entspricht: zz D p0 . Desweiteren kann sofort xx D 0 gesetzt werden, denn der Würfel wird in x-Richtung nicht an seiner Ausdehnung gehindert und die betreffenden Würfeloberflächen sind frei von jeglicher Belastung. Zu bestimmen verbleibt demnach die Normalspannung yy . Wir können hierbei die Erkenntnis nutzen, dass aufgrund der Art der Einfassung die Dehnung "yy zu null wird, so dass wir aus (1.45) folgern können: 0D

 1 yy C p0 C ˛T T: E

Abb. 1.16 Würfel in Einfassung.

(1.66)

p0

p0

z x

a

z y

a

y

a

x

a

24

1

Lineare Elastizitätstheorie

Hieraus lässt sich die Normalspannung yy beschaffen als: yy D p0  E˛T T:

(1.67)

Aus der dritten Gleichung in (1.45) können wir damit die Dehnung "zz bestimmen: 1 Œp0  .p0  E˛T T / C ˛T T E  p0  D 1   2 C .1 C /˛T T: E

"zz D

(1.68)

Die Verschiebung u der durch p0 belasteten Würfeloberfläche erhalten wir dann als: u D "zz a D 

 p0 a  1   2 C .1 C /˛T T a: E

(1.69)

Nullsetzen dieses Ausdrucks ergibt aufgelöst nach der Temperaturänderung T : T D

p0 .1  /: E˛T

(1.70) J

2

Ebener Spannungszustand

Der ebene Spannungszustand ist eine ganz wesentliche und praktisch relevante Vereinfachung im Falle dünnwandiger ebener Flächentragwerke, die in ihrer Ebene belastet werden, die sog. Scheiben. Zunächst werden alle notwendigen Grundgleichungen, die den ebenen Spannungszustand beschreiben, übersichtlich zusammengefasst. Hiernach wird auf das Thema der Spannungstransformation eingegangen. Es stellt sich heraus, dass unter gewissen Schnittrichtungen extremale Normalspannungen, die sog. Hauptspannungen, auftreten. Ebenso treten unter gewissen Richtungen maximale Schubspannungen auf. Ein sehr nützliches Werkzeug zur graphischen Interpretation eines ebenen Spannungszustands ist der sog. Mohrsche Spannungskreis. Die Studierenden sollen in die Lage versetzt werden, einfache Probleme im ebenen Spannungszustand zu formulieren und zu lösen und Spannungszustände unter verschiedenen Schnittrichtungen zu ermitteln. Außerdem soll eingeübt werden, wie sich ebene Spannungszustände mit Hilfe des Mohrschen Spannungskreises betrachten lassen.

2.1

Der ebene Spannungszustand

Die bisherigen Betrachtungen zum Spannungszustand bezogen sich auf räumliche, dreidimensionale Situationen. In vielen technischen Anwendungen ist eine Vereinfachung dergestalt möglich, dass alle Betrachtungen auf eine zweidimensionale Struktur reduziert werden können. Dies erlaubt nicht nur eine beträchtliche Reduktion der zu ermittelnden Zustandsgrößen (also Verschiebungen, Verzerrungen und Spannungen), sondern erleichtert auch die Berechnung ungemein, wodurch oftmals erst Lösungen ermöglicht werden, die bei Betrachtung eines dreidimensionalen Problems nicht möglich wären. Eine solche vereinfachende Situation ist der sog. ebene Spannungszustand, der in guter Näherung in sog. Scheiben anzutreffen ist. Als Scheibe bezeichnen wir ein dünnes sog. Flächentragwerk, dessen Dicke h signifikant kleiner als seine charakteristische Abmessung l in der Ebene ist und das ausschließlich in seiner Ebene belastet wird (Abb. 2.1, links). Liegt ein © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2022 C. Mittelstedt, Technische Mechanik 2: Elastostatik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66432-2_2

25

26

2 Ebener Spannungszustand yy

z y

y

l

xx

xx

x

x h

xy

yy

Abb. 2.1 Scheibe (links), Spannungen in einer Scheibe (rechts).

solches dünnes Flächentragwerk vor, dann können wir in guter Näherung davon ausgehen, dass diejenigen Spannungen, die den Index z aufweisen, d. h. die Spannungen zz , xz und yz nicht nur an den Scheibenoberflächen bei z D  h2 und z D h2 verschwinden, sondern über die gesamte Dicke h zu null werden: zz D xz D yz D 0:

(2.1)

Im ebenen Spannungszustand verbleiben also nur noch die ebenen Spannungskomponenten xx , yy und xy , die außerdem von der Dickenkoordinate z unabhängig sind (Abb. 2.1, rechts): xx D xx .x; y/; yy D yy .x; y/; xy D xy .x; y/: (2.2) Für das verallgemeinerte Hookesche Gesetz (1.40) und (1.41) verbleibt im ebenen Spannungszustand:  1 xx  yy ; "xx D E  1 yy  xx ; "yy D E   "zz D  xx C yy ; E xy D

2.1 C / xy ; E

xz D yz D 0:

(2.3)

Neben den beiden ebenen Dehnunen "xx und "yy tritt in einer Scheibe außerdem noch die Dehnung "zz in Dickenrichtung auf, die man sich bei Vorliegen der beiden Dehnungen "xx und "yy in einer Nachlaufrechnung beschaffen kann. Die beiden Gleitungen xz und yz verschwinden. Die nicht verschwindenden Verzerrungen sind ausschließlich Funktionen der ebenen Koordinaten x und y.

2.1 Der ebene Spannungszustand

27

Formt man das Konstitutivgesetz (2.3) nach den Spannungskomponenten um, dann erhält man:  E  xx D "xx C "yy ; 2 1  E  "yy C "xx ; yy D 2 1 (2.4) xy D Gxy : Die kinematischen Gleichungen (1.34) lassen sich für den ebenen Spannungszustand anschreiben als: @u @v @u @v "xx D ; "yy D ; xy D C : (2.5) @x @y @y @x Für die Gleichgewichtsbedingungen (1.21) verbleibt: @xy @xx C C fx D 0; @x @y @xy @yy C C fy D 0: @x @y

(2.6)

Offenbar ist die dritte Gleichung in (1.21) automatisch erfüllt. Ein Problem des ebenen Spannungszustandes wird neben den Gleichungen (2.3) bzw. (2.4), (2.5), (2.6) durch entsprechende Randbedingungen beschrieben. Beispiel 2.1

Gegeben seien die beiden Scheiben der Abb. 2.2, die sich im ebenen Spannungszustand befinden. Scheibe 1 (Breite a, Höhe h1 ) ist eine Scheibe in Dreiecksform, die durch die Flächenlast p0 belastet sei und die auf Scheibe 2 reibungsfrei aufliege. Die rechteckförmige Scheibe 2 weise die Höhe h2 und die Breite a auf. Beide Scheiben seien isotrop (Elastizitätsmodul E, Querdehnungszahl ) und weisen die Dicke t in z-Richtung auf. Gesucht wird der Spannungszustand in beiden Scheiben. Hierzu wird angenommen, dass beide Scheiben reibungsfrei auf den als ideal glatt angenommenen Wandungen

Abb. 2.2 Dreieckscheibe unter Flächenlast p0 sowie darunterliegende Rechteckscheibe (links), Freikörperbild für Scheibe 1 (rechts).

p0

l

p0

l z y 2

a

1 x

h1

h2

xx

1 yy

a

h1

28

2 Ebener Spannungszustand

sowie aufeinander abgleiten können. Welcher Verzerrungszustand ergibt sich in Scheibe 2? Wie groß darf die Flächenlast p0 maximal sein, wenn die Längenänderung der Scheibe 2 in x-Richtung einen Grenzwert a nicht überschreiten darf? Wir schneiden zunächst Scheibe 1 frei und betrachten das Kräftegleichgewicht in x- und in y-Richtung (s. Abb. 2.2, rechts). Mit l D sinh1˛ ergibt die Kräftesumme in x-Richtung: h1 sin ˛ D 0: (2.7) xx;1 th1 C p0 t sin ˛ Hieraus folgt die Normalspannung xx;1 der Scheibe 1 unabhängig vom Neigungswinkel ˛ zu: (2.8) xx;1 D p0 : Analog ergibt das Kräftegleichgewicht in y-Richtung: yy;1 ta C p0 t

h cos ˛ D 0: sin ˛

(2.9)

Dies ergibt: yy;1 D p0 :

(2.10)

In Scheibe 2 verschwindet die Normalspannung xx;2 . Außerdem entspricht die Normalspannung yy;2 der Scheibe 2 der Normalspannung yy;1 in Scheibe 1: xx;2 D 0;

yy;2 D p0 :

(2.11)

Der Verzerrungszustand der Scheibe 2 ist mit den nun vorliegenden Spannungen xx;2 D 0 und yy;2 D p0 ermittelbar als:  1 p0 xx;2  yy;2 D ; E E  1 p0 D yy;2  xx;2 D  : E E

"xx;2 D "yy;2

(2.12)

Diejenige Flächenlast pN0 , die nicht überschritten werden darf, damit die Dehnung "xx;2 einen kritischen Wert a a nicht überschreitet, erhalten wir aus der folgenden Ungleichung: a  pN0  : (2.13) E a Wir lösen nach pN0 auf und erhalten: pN0 

Ea : a

(2.14) J

2.1 Der ebene Spannungszustand

29

Beispiel 2.2

Die beiden in Abb. 2.3 abgebildeten isotropen Scheiben (Dicke t, Breite a, Höhe h) im ebenen Spannungszustand werden in einer ideal starren Einfassung der Gesamtbreite b (b > a) abgelegt. Hierbei besteht seitlich zu beiden Scheiben ein Spalt der Breite b  a. Beide Scheiben werden durch die Flächenlast p0 belastet wie abgebildet. Für welche Flächenlast p0 D pN0 füllen die beiden Scheiben genau die gegebene Einfassung aus? Man bestimme den Spannungszustand für den Fall p0 > pN0 . In Scheibe 1 liegen die Elastizitätsgrößen E1 und 1 vor, Scheibe 2 weise die Werte E2 und 2 auf. Wir ermitteln zunächst die Dehnung "xx gemäß "xx D

 1 xx  yy E

(2.15)

in jeder Scheibe. Da auf beiden Seiten ein Spalt exisitiert, sind die beiden Spannungen xx;1 und xx;2 identisch Null. Die Spannungen yy;1 und yy;2 hingegen entsprechen der negativen aufgebrachten Belastung p0 . Dann folgt aus (2.15):  1  xx;1  1 yy;1 D E1  1  D xx;2  2 yy;2 D E2

"xx;1 D "xx;2

p0 1 ; E1 p0 2 : E2

(2.16)

Von den beiden Verschiebungen u1 und u2 der Scheibenränder in x-Richtung wird nun gefordert, dass sie in Summe die doppelte Spaltbreite ergeben: u1 C u2 D 2.b  a/: Mit "xx;1 D

u1 a

und "xx;2 D

u2 a

(2.17)

folgt daraus:

a"xx;1 C a"xx;1 a D 2.b  a/:

(2.18)

Abb. 2.3 Zwei Scheiben in einer Einfassung.

p0 z y

x

1

2

a b

a b

h

30

2 Ebener Spannungszustand

Dies lässt sich mit (2.16) nach der gesuchten Flächenlast pN0 auflösen, und wir erhalten: 2 pN0 D

b a

!  1 E1 E2

E2 1 C E1 2

:

(2.19)

Wir betrachten nun den Spannungszustand für den Fall, dass p0 > pN0 gilt. Für die Ermittlung der Dehnungen der Scheiben in x-Richtung müssen wir davon ausgehen, dass die Normalspannungen xx;1 und xx;2 nicht null und darüber hinaus auch identisch sind. Es gilt demnach xx;1 D xx;2 D xx , und wir erhalten mit yy;1 D yy;2 D p0 für die Dehnungen "xx;1 und "xx;2 : 1 .xx C 1 p0 /; E1 1 D .xx C 2 p0 /: E2

"xx;1 D "xx;2

(2.20)

Die Bedingung (2.18) gilt auch für den Fall p0 > pN0 . Einsetzen von (2.20) und Auflösen nach xx ergibt: 2 xx D

b a

!  1 E1 E2  p0 .1 E2 C 2 E1 / :

E1 C E2

(2.21) J

2.2 Spannungstransformation Wir wollen uns im Folgenden der Frage widmen, wie sich der Spannungszustand ändert, wenn wir eine Koordinatentransformation durchführen wie in Abb. 2.4 gezeigt. Die um den Winkel  gedrehten rechtwinklig zueinander stehenden neuen Koordinatenachsen seien als , bezeichnet, sie bilden mit der festgehaltenen z-Achse ein rechthändiges

Abb. 2.4 Achsentransformation.

z x y-Ebene

x

y

2.2 Spannungstransformation

31

yy

y xx

xx

x

xy

yy

Abb. 2.5 Spannungstransformation: Ausgangszustand (links), Drehung um den Winkel  (rechts).

Koordinatensystem. Eine Anwendung ist in Abb. 2.4 in Form eines fasrigen Materials angedeutet, bei dem die Faserrichtung nicht mit den Bezugsachsen x, y übereinstimmt. Die Spannungszustände bezüglich der ursprünglichen Achsen x, y und hinsichtlich der um  gedrehten Achsen , sind in Abb. 2.5 gezeigt. Zur Ermittlung der notwendigen Transformationsgleichungen betrachten wir ein infinitesimal kleines Schnittelement, das wir aus der Scheibe herausgeschnitten haben (Abb. 2.6). Wir haben dabei den Schnitt so geführt, dass zwei Schnittflächen entstehen, die parallel zu den Achsen x und y sind. Desweiteren wird der Schnitt so geführt, dass sich eine Scheibe in Dreiecksform ergibt und die verbleibende Schnittkante parallel zur -Achse verläuft. Diejenige Schnittfläche, die durch die -Achse durchstoßen wird, sei als dA bezeichnet. Sie kann als dA D d t berechnet werden, worin t die Dicke der Scheibe ist. Die beiden anderen, parallel zu x und y orientierten Schnittflächen mit den Längen dx und dy folgen dann als dA sin  bzw. als dA cos . Das Gleichgewicht der Kräfte in Richtung der -Achse ergibt dann:  dA  xx dA cos  cos   yy dA sin  sin   xy dA cos  sin   xy dA sin  cos  D 0;

(2.22)

wobei hier die Äquivalenz xy D yx verwendet wurde. Nach kurzer Umformung erhalten wir die Normalspannung  im um den Winkel  gedrehten Koordinatensystem als:  D xx cos2  C yy sin2  C 2xy sin  cos : Abb. 2.6 Betrachtung eines infinitesimal kleinen Schnittelements einer Scheibe.

(2.23)

y

dAcos

xx

dA=d h dy

x xy yy

d dx

dAsin

32

2 Ebener Spannungszustand

Ganz genauso kann das Kräftegleichgewicht in Richtung der -Achse aufgestellt werden, und wir erhalten daraus den folgenden Ausdruck für die Schubspannung  :    D xx sin  cos  C yy sin  cos  C xy cos2   sin2  : (2.24) An einem weiteren Schnitt, der hier ohne Darstellung bleibt und bei dem die -Achse die Schnittfläche dA durchstößt, lässt sich der folgende Ausdruck für die Normalspannung  ermitteln: (2.25)  D xx sin2  C yy cos2   2xy sin  cos : Es ist üblich, die Gleichungen (2.23), (2.24) und (2.25) mit Hilfe der Relationen 1 1 .1 C cos 2/; sin2  D .1  cos 2/; 2 2 2 sin  cos  D sin 2; cos2   sin2  D cos 2; cos2  D

(2.26)

umzuformen wie folgt:  1  1 xx C yy C xx  yy cos 2 C xy sin 2; 2 2  1  1 D xx C yy  xx  yy cos 2  xy sin 2; 2 2  1 D  xx  yy sin 2 C xy cos 2: 2

 D  

(2.27)

Das sind die gesuchten Transformationsgleichungen für die Spannungen in einer Scheibe, wenn das Koordinatensystem aus dem Bezugssystem x, y in das Bezugssystem , überführt wird. Hiermit lassen sich die Spannungen  ,  und  in einem beliebigen Bezugssystem , aus gegebenen Spannungen xx , yy und xy im Bezugssystem x, y bestimmen. Man kann zeigen, dass im ebenen Spannungszustand sog. Invarianten vorliegen, also Größen, die unveränderlich gegenüber einer Transformation des Koordinatensystems wie oben gezeigt sind. Sie lauten: I1 D xx C yy ;

2.3

2 I2 D xx yy  xy :

(2.28)

Hauptspannungen

Es existieren im ebenen Spannungszustand ausgezeichnete Koordinatenrichtungen, unter denen die Spannungen Extremwerte annehmen. Wir wollen uns hier zunächst der Frage zuwenden, unter welchem Winkel  sich extremale Normalspannungen, die sog. Hauptspannungen, ergeben. Hierzu lösen wir die beiden folgenden Extremwertaufgaben: d

D 0; d

d D 0: d

(2.29)

2.3 Hauptspannungen

33

Das Auswerten beider Gleichungen führt am Ende auf das gleiche Ergebnis, und man erhält daraus den Winkel h , unter dem die Normalspannungen extremal werden: tan 2h D

2xy : xx  yy

(2.30)

Diejenige Richtung, die durch den Winkel h ausgezeichnet wird, bezeichnen wir als Hauptrichtung. Die zugehörigen Achsen und werden als Hauptachsen bezeichnet. Da die Tangensfunktion eine periodische Funktion mit der Periode  ist, lassen sich aus (2.30) stets zwei Winkel h und h C 2 ermitteln, unter denen die Normalspannungen extremal werden. Diese beiden Richtung stehen senkrecht zueinander und sind, wie wir noch zeigen werden, absolut gleichberechtigt. Setzt man das Ergebnis (2.30) in die Transformationsgleichungen (2.27) ein und nutzt die Zusammenhänge cos 2h D p sin 2h D p

1 1C

tan2

tan 2h 1C

tan2

xx  yy D q ; 2 2h 2 xx  yy C 4xy 2xy D q ; 2 2h 2 xx  yy C 4xy

(2.31)

dann ergeben sich daraus die folgenden Gleichungen zur Berechnung der extremalen Normalspannungen, die wir nachfolgend der besseren Abgrenzung halber als 1 und 2 bezeichnen: r xx  yy 2 xx C yy 2 : 1;2 D C xy (2.32) ˙ 2 2 Dies sind die sog. Hauptspannungen 1 und 2 , wobei 1 den Maximalwert und 2 den Minimalwert darstellt. Es gilt also 1 > 2 . Setzt man h bzw. h C 2 gemäß (2.30) in die dritte Transformationsgleichung in (2.27) ein, dann zeigt es sich, dass unter h bzw. von h C 2 die Schubspannung  verschwindet. Demnach verschwinden in Schnitten, unter denen die Normalspannungen extremal werden, die Schubspannungen. Dass die beiden Hauptrichtungen nach (2.30) gleichberechtigt sind ist in Abb. 2.7 illustriert. Es zeigt sich anhand dieser Abbildung, dass die sich in den beiden Hauptrichtungen einstellenden Hauptspannungen identisch sind, und zwar unabhängig davon, ob die Hauptrichtung unter h oder unter h C 2 betrachtet wird. Hierbei vertauschen lediglich die Achsen , ihre Positionen, was aber für den sich einstellenden Spannungszustand unerheblich ist. Es stellt sich nun ebenfalls die Frage, unter welcher Richtung sich die extremalen Schubspannungen einstellen werden. Dazu wird das folgende Extremalwertproblem betrachtet: d D 0: (2.33) d

34

2 Ebener Spannungszustand yy 2

2 1

1

y xx

xx

x

xy

1

1 2

yy

h

2

h+ 2

Abb. 2.7 Zur Gleichberechtigung der beiden Hauptrichtungen h und h C 2 .

Dies führt nach elementaren Umformungen auf die folgende Bestimmungsgleichung für den Winkel h0 : xx  yy : (2.34) tan 2h0 D  2xy Auch hier ergibt es sich, dass bei der Ermittlung der Hauptrichtung für die extremalen Schubspannungen ebenfalls wieder zwei völlig gleichberechtigte Winkel auftreten, nämlich der Winkel h0 sowie der Winkel h0 C 2 . Vergleich man (2.34) mit (2.30), dann stellt man fest, dass der folgende Zusammenhang besteht: tan 2h0 D 

1 : tan 2h

(2.35)

Daraus können wir folgern, dass die beiden Richtungen 2h0 und 2h senkrecht zueinander orientiert sind. Folglich ist die Richtung h0 der extremalen Schubspannungen gegenüber der Richtung h der extremalen Normalspannungen um 45ı verdreht. Die extremale Schubspannung bezeichnen wir als Hauptschubspannung max . Sie ergibt sich durch Einsetzen von h0 nach (2.35) in die Transformationsgleichungen (2.27) als: max D ˙

r 

xx

 yy 2 2 : C xy 2

(2.36)

Die maximale Schubspannung max kann man auch durch die beiden Hauptspannungen 1 und 2 ausdrücken wie folgt: 1 max D ˙ .1  2 /: 2

(2.37)

Allerdings ist bei Ermittlung der Hauptschubspannungen zu beachten, dass unter dem Winkel h0 die beiden Normalspannungen nicht verschwinden. Vielmehr sind die Normal-

2.4 Der Mohrsche Spannungskreis

35

yy

M 2

max 1

y xx

M

xx

x

xy

M

1 2

yy

h

h

M

4 h

Abb. 2.8 Ausgezeichnete Spannungszustände: Gegebener Ausgangszustand (links), Hauptspannungszustand (Mitte), Zustand extremaler Schubspannung (rechts).

spannungen in diesem Fall identisch mit dem Wert M wie folgt: M D

 1 xx C yy : 2

(2.38)

Unter Berücksichtigung der Invarianz (2.28) der Summe der beiden Normalspannungen, die auch für die Summe der beiden Hauptspannungen 1 und 2 gilt, kann man den Wert M auch darstellen als: 1 M D .1 C 2 /: (2.39) 2 Die Abb. 2.8 zeigt die diskutierten Spannungszustände in einer Übersicht.

2.4 Der Mohrsche Spannungskreis Die bislang diskutierten Transformationsbeziehungen und ausgezeichneten Spannungszustände lassen sich besonders anschaulich graphoanalytisch behandeln, und zwar mit Hilfe des sog. Mohrschen Spannungskreises1 . Hierbei handelt es sich um eine graphische Darstellung der Transformationsgleichungen (2.27). Auf die beschreibende Kreisgleichung stößt man, indem man in den Transformationsgleichungen (2.27) die erste und die dritte Gleichung quadriert und zusammenaddiert, so dass der Winkel  eliminiert wird. Es ergibt sich:

    2  2 1 xx yy 2 2 C  D C xy : (2.40)   xx C yy 2 2

1

Christian Otto Mohr, 1835–1918, deutscher Bauingenieur.

36

2 Ebener Spannungszustand

Wir wollen davon ausgehen, dass die Spannungen xx , yy und xy vorgegeben sind, so dass die rechte Seite der Gleichung (2.40) eine konstante Größe darstellt. Diese sei mit r 2 abgekürzt. Es gilt also:

 2 1 2 C  D r 2;   xx C yy 2 wobei r2 D



xx

 yy 2 2 C xy : 2

(2.41)

(2.42)

Mit der Definition (2.38) ergibt sich:  2 2   M C  D r 2:

(2.43)

Auf das gleiche Ergebnis stößt man, wenn man in den Transformationsgleichungen (2.27) die zweite und die dritte Gleichung verwendet. Aus diesem Grund können wir für den Moment die Indizes und weglassen und erhalten: .  M /2 C  2 D r 2 :

(2.44)

Es handelt sich bei diesem Ausdruck um eine Kreisgleichung in der  -Ebene. Der dadurch beschriebene Kreis ist der sog. Mohrsche Spannungskreis, er weist den Radius r sowie den Mittelpunkt .M ; 0/ auf. Der Mohrsche Spannungskreis kann nun sehr einfach konstruiert werden, wenn die Spannungen in einem beliebigen Ausgangszustand mit den Werten xx , yy und xy gegeben sind. Man führt dazu zunächst eine Normalspannungsachse  und eine Schubspannungsachse  ein und markiert auf der  -Achse die beiden gegebenen Normalspannungen xx und yy . Die Schubspannung xy wird dann über den beiden so ermittelten Punkten aufgetragen, und zwar vorzeichenrichtig über xx und mit umgekehrten Vorzeichen über yy . Somit liegen die beiden Punkte .xx =xy / und .yy =  xy / fest, die sodann mit einer Geraden der Länge 2r (Kreisdurchmesser) verbunden werden können. Diese Gerade schneidet die  -Achse im Punkt .M =0/, dieser Punkt ist damit der Mittelpunkt des Mohrschen Spannungskreises. Mit vorliegendem Mittelpunkt und den beiden ermittelten Punkten .xx =xy / und .yy =  xy / kann der Mohrsche Spannungskreis gezeichnet werden, er ist in Abb. 2.9 dargestellt. Bei Vorliegen des Spannungszustandes, ausgezeichnet durch die Spannungen xx , yy , xy , kann mit Hilfe des Mohrschen Spannungskreises der Spannungszustand in jeder beliebigen Richtung  ermittelt werden. Ganz offensichtlich können sowohl die Hauptnormalspannungen 1 und 2 als auch die Hauptschubspannung max unmittelbar am Mohrschen Kreis abgelesen werden, s. Abb. 2.10 und 2.11. Hierbei ist zu beachten, dass

2.4 Der Mohrsche Spannungskreis

37

Abb. 2.9 Mohrscher Spannungskreis und zugehöriger Spannungszustand.

yy

y xx

xx

x xy

(

xy

xx / xy (

yy

r yy M

xx

r xy

(

yy /

xy (

M=

1( + 2 xx

yy(

yy

y xx

xx

x xy

(

xy

xx / xy (

2

yy

r 2

2

yy

( 2 /0 (

2

h r

M

1

( 1/0 (

h xx

1

1 h

xy

(

yy /

2

xy (

Abb. 2.10 Ermittlung von 1 und 2 am Mohrschen Spannungskreis.

aufgrund der beschreibenden Gleichungen stets der doppelte Winkel  anzusetzen ist, und zwar bei positivem Winkel grundsätzlich im Uhrzeigersinn. Ebenso kann am Mohrschen Spannungskreis jeder andere beliebige Spannungszustand einer Scheibe unter dem Winkel  abgelesen werden (Abb. 2.12). Anhand des Mohrschen Spannungskreises lassen sich einige Sonderfälle besonders anschaulich deuten, was wir nachfolgend kurz besprechen wollen. Der erste Spezialfall sei die Scheibe unter einachsigem Zug xx D 0 , die beiden Spannungen yy und xy seien

38

2 Ebener Spannungszustand

Abb. 2.11 Ermittlung von max am Mohrschen Spannungskreis.

yy

y xx

(

xx

x

M / max (

xy

xy

(

xx / xy (

yy

r

2

h

yy

M

2 r

xx

h

xy

(

yy /

xy (

(

M/

max (

M M max h

M M

Abb. 2.12 Ermittlung des Spannungszustandes bei einem beliebigen Schnittwinkel  am Mohrschen Spannungskreis.

yy

y xx

(

/

xy

(

xy

(

xx / xy (

r

2

yy

M

2

xx

r xy

(

xx

x

yy /

xy (

(

/

(

yy

2.4 Der Mohrsche Spannungskreis

39

( 2/ 2 ( 0

2

0

M=

h

(0/0 (

2

xx = 0

0

2

y

( 0/0 (

h

x

( 2 /- 2 ( 0

= 20 h

0

= 20 =

max =

0

2

Abb. 2.13 Mohrscher Spannungskreis für eine Scheibe unter einachsigem Zug xx D 0 .

null. Der zugehörige Mohrsche Spannungskreis ist in Abb. 2.13 abgebildet. Er tangiert an seiner linken Seite die Schubspannungsachse, und ganz offensichtlich ist der Ausgangsspannungszustand mit xx D 0 , yy D xy D 0 bereits der Hauptspannungszustand, es gilt hier 1 D 0 und 2 D 0, und der Hauptachswinkel h beträgt h D 0ı . Der Mittelpunkt des Kreises befindet sich bei .M =0/ D . 20 =0/. Der Winkel h0 beträgt demnach h0 D 45ı , und die zugehörige maximale Schubspannung max beträgt max D 20 . Unter dem Winkel h0 nehmen die beiden Normalspannungen ebenfalls den Wert 20 an. Ein weiterer wichtiger Spezialfall ist der reine Schubspannungszustand, so wie in Abb. 2.14 abgebildet. Hier sei die Schubspannung xy mit dem Wert xy D 0 vorgegeben, und die beiden Normalspannungen xx und yy seien null. Der Mittelpunkt des Mohrschen Spannungskreises liegt in diesem Falle genau im Ursprung des  -Bezugssystems. Offenbar handelt es sich bei diesem Spannungszustand um den Hauptschubspannungszustand, der Winkel h0 beträgt h0 D 0ı . Die vorgegebene Schubspannung 0 stellt die maximale Schubspannung max dar. Daraus folgt, dass der Winkel h mit dem Wert 45ı vorliegt, und der sich unter diesem Winkel ergebende Hauptspannungszustand ist in Abb. 2.14 ebenfalls dargestellt. Die beiden unter h auftretenden Hauptspannungen nehmen die Werte 1 D 0 und 2 D 0 an, und die Schubspannung verschwindet definitionsgemäß. Ein reiner Schubspannungszustand ist also äquivalent zu einem reinen Normalspannungszustand, der gegenüber dem Bezugssystem um 45ı verdreht auftritt und sowohl eine Zugnormalspannung 1 D 0 als auch eine Drucknormalspannung 2 D 0 zeigt, die beide identische Beträge aufweisen.

40

2 Ebener Spannungszustand

y

xy = 0

xy = 0

x

( 0/ 0 ( =(- 0 /0(

M =0

2

h

2

0

=

0

h

( 0 /0( h

(0/- 0 (

Abb. 2.14 Mohrscher Spannungskreis für eine Scheibe unter reinem Schub xy D 0 .

Der letzte Spezialfall, den wir an dieser Stelle besprechen wollen, ist der sog. hydrostatische Spannungszustand. Er wird durch die beiden Normalspannungen xx und yy charakterisiert, die beide mit dem Wert 0 vorliegen. Eine Schubspannung liegt in diesem Fall nicht vor. Der zugehörige Mohrsche Spannungskreis ist in Abb. 2.15 gezeigt. Offenbar reduziert sich der Mohrsche Spannungskreis in diesem Falle auf einen Punkt auf der  -Achse, der sich an der Ordinate M D 0 befindet. Eine Transformation des Spannungszustandes um einen beliebigen Winkel  liefert dann wieder den gleichen

Abb. 2.15 Mohrscher Spannungskreis für den hydrostatischen Spannungszustand xx D yy D 0 .

yy= 0

y

xx = 0

xx

x

yy M= 0

=

0

=

0

2.4 Der Mohrsche Spannungskreis

41

Spannungszustand. Jeder Winkel  ist ein Hauptachswinkel, und die beiden vorgegebenen Normalspannungen xx und yy stellen die Hauptspannungen 1 und 2 dar mit dem Wert 0 . Beispiel 2.3

Gegeben seien in einem Punkt einer Scheibe in einem ebenen Spannungszustand die Spannungen xx D 200 aF2 , yy D 600 aF2 , xy D 300 aF2 , wobei F in der Einheit einer Kraft (z. B. N ) und a in der Einheit einer Länge (z. B. m) vorliegen. Gesucht werden die Hauptspannungen 1 und 2 und der zugehörige Hauptachswinkel h sowie die Hauptschubspannung max und der zugehörige Winkel h0 . Man ermittle die Ergebnisse sowohl rechnerisch als auch graphoanalytisch am Mohrschen Spannungskreis. Wir ermitteln zunächst den Hauptachswinkel h wie folgt: tan 2h D

2xy 600 3 D D : xx  yy 200  600 4

(2.45)

Daraus folgt 2h D 36;87ı und h D 18;44ı . Die Hauptspannungen 1 und 2 lassen sich ermitteln wie folgt: r xx  yy 2 xx C yy 2 1;2 D C xy ˙ 2 2 s   200  600 2 200 C 600 D C 3002 D 200 ˙ 500: (2.46) ˙ 2 2 Daraus folgt:

F F ; 2 D 300 2 : (2.47) 2 a a Wir ermitteln nun außerdem die maximale Schubspannung xy und den zugehörigen Winkel h0 . Für den Winkel h0 folgt: 1 D 700

tan 2h0 D 

xx  yy 200  600 4 D D : 2xy 600 3

(2.48)

Daraus folgt 2h0 D 53;13ı sowie der Winkel h0 als h0 D 26;57ı . Die Hauptschubspannung max ergibt sich als: r xx  yy 2 2 max D ˙ C xy 2 s   200  600 2 F D˙ C 3002 D ˙500 2 : (2.49) 2 a Der zugehörige Mohrsche Spannungskreis ist in Abb. 2.16 gezeigt. Der Wert M ergibt sich als M D 12 .xx C yy / D 200 aF2 . J

42

2 Ebener Spannungszustand

F a2 (

M / max ( =(200/500)

500 400

(

xx/ xy ( =(-200/300) 300 200

( 2/0(=(-300/0)

(

M /0( =(200/0)

( 1/0 (=(700/0)

100 -200 -100

100

200

300

400

500

F a2

600

2 h =-36,87°

-100 -200

2 h =53,13°

-300

(

yy/- xy ( =(600/-300)

-400 -500

(

M /- max ( =(200/-500)

Abb. 2.16 Mohrscher Spannungskreis für den gegebenen Spannungszustand.

Beispiel 2.4

Gegeben sei eine Scheibe im ebenen Spannungszustand (Abb. 2.17) mit den Spannungskomponenten xx D 1

F ; a2

yy D 7

F ; a2

xy D 3

F : a2

(2.50)

Gesucht werden die Spannungen unter einem Winkel von  D 30ı . Außerdem werden die Hauptspannungen 1 , 2 und die Hauptschubspannung max gesucht. Wir ermitteln zunächst die Spannungen unter einem Winkel  von  D 30ı . Hierzu verwenden wir die Transformationsformeln (2.27) und erhalten:  1  1 xx C yy C xx  yy cos 2 C xy sin 2 2 2 p 3 1 1 F ı ı D .1  7/ C .1 C 7/ cos 2  30  3 sin 2  30 D 1  3 D 3;60 2 ; 2 2 2 a  1  1 D xx C yy  xx  yy cos 2  xy sin 2 2 2 p 3 1 1 F ı ı D .1  7/  .1 C 7/ cos 2  30 C 3 sin 2  30 D 5 C 3 D 2;40 2 ; 2 2 2 a   1 D  xx  yy sin 2 C xy cos 2 2 p 3 1 F (2.51) D  .1 C 7/ sin 2  30ı  3 cos 2  30ı D 2 3  D 4;96 2 : 2 2 a

 D





2.4 Der Mohrsche Spannungskreis

43

Abb. 2.17 Gegebener Spannungszustand.

F

yy =-7a2

y

F

xx

xx=1a2

x

F

xy =-3a2 yy

F a2 (

/-

(=(-2,4/4,96) 5 4

(

yy /- xy ( =(-7/3) 3 2 1 -8

-7

-6

(

-5

-4

-3

-2

-1

M /0( =(-3/0)

1

F a2

2

-1 -2

2 =60°

-3

(

xx / xy ( =(1/-3)

F

yy =-7a2

-4

(

/ (=(-3,60/-4,96)

-5 y

F

xx

x

xx=1a2

F

xy =-3a2

=-2,40 aF2 =-3,60 aF2

yy

=-4,96 aF2 30°

Abb. 2.18 Mohrscher Spannungskreis, Ermittlung der Spannungen unter einem Winkel von  D 30ı .

Der zugehörige Mohrsche Spannungskreis ist in Abb. 2.18 dargestellt. Der Hauptspannungswinkel h folgt zu: tan 2h D

2xy 2  .3/ 3 D D : xx  yy 1  .7/ 4

(2.52)

44

2 Ebener Spannungszustand F a2 5 4

(

yy /- xy ( =(-7/3) 3

F

2 =-8a2

2

-8

( 2/ 0(=(-8/0)

2 h =-36,87°

-7

-6

(

-5

( 1/ 0(=(2/0)

1 -4

M /0( =(-3/0)

-3

-2

-1

1

1

F a2

2

F

1 =2a2

-1 -2 -3

-18,43°

2

(

xx / xy ( =(1/-3)

F

yy =-7a2

-4 -5 y

F

xx

x

xx=1a2

F

xy =-3a2 yy

Abb. 2.19 Mohrscher Spannungskreis, Ermittlung der Hauptspannungen 1 und 2 .

Daraus ergibt sich 2h D 36;87ı und h D 18;43ı . Die Spannungskomponenten unter diesem Winkel ergeben sich als  D D  D D

 1  1 xx C yy C xx  yy cos 2h C xy sin 2h 2 2 1 F 1 .1  7/ C .1 C 7/ cos.36;87ı /  3 sin.36;87ı / D 2 2 D 1 ; 2 2 a  1  1 xx C yy  xx  yy cos 2h  xy sin 2h 2 2 1 1 .1  7/  .1 C 7/ cos.36;87ı / C 3 sin.36;87ı / D 8F a2 D 2 ; 2 2

 D 

 1 xx  yy sin 2h C xy cos 2h D 0: 2

(2.53)

Der zugehörige Mohrsche Spannungskreis ist in Abb. 2.19 dargestellt. Schließlich ist noch die Hauptschubspannung zu bestimmen. Der entsprechende Winkel h0 folgt zu h0 D h C 45ı D 18;43ı C 45ı D 26;57ı . Aus den Transformati-

2.4 Der Mohrsche Spannungskreis

(

45

F a2

M /- max ( =(-3/5) 5 4

(

yy /- xy ( =(-7/3) 3

2 h =53,14°

2 1 -8

-7

-6

(

-5

-4

-3

-2

-1

M /0( =(-3/0)

1

F a2

2

-1 -2 -3

(

xx / xy ( =(1/-3)

F

yy =-7a2

-4 -5

(

y

M / max ( =(-3/-5)

F

xx

xx=1a2

x

F

xy =-3a2

=-3aF2 =-3aF2

yy

F

max =-5a2

26,57°

Abb. 2.20 Mohrscher Spannungskreis, Ermittlung der Hauptschubspannung max .

onsformeln (2.27) ergibt sich dann:  1  1 xx C yy C xx  yy cos 2h0 C xy sin 2h0 2 2 1 F 1 D .1  7/ C .1 C 7/ cos 53;14ı  3 sin 53;14ı D 3 2 ; 2 2 a  1  1 D xx C yy  xx  yy cos 2h0  xy sin 2h0 2 2 1 F 1 D .1  7/  .1 C 7/ cos 53;14ı C 3 sin 53;14ı D 3 2 ; 2 2 a  1 D  xx  yy sin 2h0 C xy cos 2h0 2 1 F D  .1 C 7/ sin 53;14ı  3 cos 53;14ı D 5 2 : 2 a

 D





Der entsprechende Mohrsche Spannungskreis ist in Abb. 2.20 gezeigt. J

(2.54)

46

2 Ebener Spannungszustand Beispiel 2.5

Von einem ebenen Spannungszustand sind die folgenden Daten bekannt: xx D 6

F ; a2

xy D 2

F ; a2

max D 5;39

F ; a2

M D 1

F : a2

(2.55)

Es sind die folgenden Größen rechnerisch zu ermitteln:  Die Normalspannung yy ,  der Hauptschubspannungswinkel h0 , indem die erste Transformationsformel in (2.27) herangezogen wird,  der Hauptspannungswinkel h , indem die dritte Transformationsformel in (2.27) verwendet wird,  die Hauptspannungen 1 und 2 . Unter welchem Winkel 0 wird die Normalspannung  D 0 und  > 0? Wie groß sind in diesem Fall  und  ? Wir ermitteln die Normalspannung yy aus der Bestimmungsgleichung für M D 1 2 .xx C yy /, d. h. yy D 2M  xx D 2  1  6 D 4

F : a2

(2.56)

Der Hauptschubspannnungswinkel h0 wird aus der ersten Transformationsformel in (2.27) ermittelt:  D

 1  1 xx C yy C xx  yy cos 2h0 C xy sin 2h0 : 2 2

(2.57)

Da es sich hierbei um den Hauptschubspannnungswinkel h0 handelt, liegt die Normalspannung  mit dem Wert M D 1 aF2 vor: 1D

1 1 .6  4/ C .6 C 4/ cos 2h0 C 2 sin 2h0 : 2 2

(2.58)

Dies führt auf die folgende Gleichung für die Bestimmung des Winkels h0 :

Daraus ergibt sich h0 zu:

5 tan 2h0 D  : 2

(2.59)

h0 D 34;10ı :

(2.60)

Wir ermitteln den Hauptspannungswinkel h aus der dritten Transformationsformel in (2.27):  1 (2.61)  D  xx  yy sin 2h C xy cos 2h : 2

2.4 Der Mohrsche Spannungskreis

47

F a2 6

(

/

(=(2/5,3)

5 4 3

(

2

xx/ xy ( =(6/2)

1 -5

-4

-3

-2

-1

1

-1

2

(

3

4

5

6

7

F a2

M /0( =(1/0)

-2

(

yy/- xy ( =(-4/-2)

2 0=-57,50°

-3 -4 -5

(

/- (=(0/-5,3)

-6

Abb. 2.21 Mohrscher Spannungskreis, Ermittlung des Winkels 0 .

Im Hauptachsensystem nimmt die Schubspannung  den Wert Null an, und aus (2.61) folgt: 2 (2.62) tan 2h D ; 5 woraus der Winkel h als h D 10;90ı folgt. Die Hauptspannungen 1 und 2 lassen sich wie folgt ermitteln: r xx  yy 2 xx C yy 2 : C xy (2.63) ˙ 1;2 D 2 2 Es ergibt sich:

F F ; 2 D 4;39 2 : (2.64) 2 a a Derjenige Winkel 0 , unter dem die Normalspannung  verschwindet und  > 0 ist, wird am Mohrschen Spannungskreis ermittelt (s. Abb. 2.21). Man liest ab: 1 D 6;39

20 D 57;50ı :

(2.65)

Die beiden gesuchten Spannungen  und  folgen zu:  D 2

F ; a2

 D 5;3

F : a2

(2.66) J

3

Stäbe und Stabsysteme

Stäbe sind eindimensionale gerade Strukturelemente, die Zug- und Druckkräfte übertragen können. Für Stäbe werden in diesem Kapitel die Begriffe der Spannung, der Dehnung und der Verschiebung und alle notwendigen Grundgleichungen eingeführt, und es werden sowohl statisch bestimmte als auch statisch unbestimmte Stäbe und Stabsysteme besprochen. Die Studierenden sollen in die Lage versetzt werden, Stabprobleme zu formulieren und mit den eingeführten Gleichungen, die das Verhalten von Stäben und Stabsystemen beschreiben, solche Probleme zu lösen.

3.1 Einzelstäbe 3.1.1 Stabspannungen Der Stab ist eines der einfachsten Konstruktionselemente. Wir betrachten in diesem Kapitel ausschließlich gerade Stäbe, die durch ihre Stabachse beschrieben werden. Der sich einstellende Spannungszustand ist im Falle des Stabs besonders einfach. Wir nehmen an, dass aufgrund der Stabbelastung ausschließlich Normalkräfte im Stab hervorgerufen werden, die wiederum ausschließlich zur Normalspannung xx führen (s. dazu auch Abb. 1.1 und die dortigen Ausführungen). Die Normalspannung ergibt sich aus der Normalkraft N , dividiert durch die Querschnittsfläche A: xx D

N : A

(3.1)

Liegt die Normalkraft N als Zugkraft vor, handelt es sich also um einen Zugstab, so ergibt sich auch die Normalspannung xx als eine positive Spannung (Zugspannung). Handelt es sich hingegen bei der Normalkraft N um eine Druckkraft (liegt also ein Druckstab vor), dann wird auch die Normalspannung xx als Druckspannung mit entsprechend negativem Vorzeichen vorliegen. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2022 C. Mittelstedt, Technische Mechanik 2: Elastostatik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66432-2_3

49

50

3

Stäbe und Stabsysteme

Für den Fall, dass der Querschnitt A eines Stabes mit der Stabachse x veränderlich ist (wenn also A D A.x/ gilt), dann muss entsprechend auch die Normalspannung xx als über x veränderlich behandelt werden: xx D xx .x/. Zusätzlich dazu kann auch die Normalkraft N , abhängig von der anliegenden Belastung, eine Funktion von x sein, d. h. es gilt ganz allgemein N D N.x/. Es folgt also für die Normalspannung xx .x/: xx .x/ D

N.x/ : A.x/

(3.2)

Voraussetzung hierfür ist, dass der Querschnitt nur schwach über x veränderlich ist. Es wird dabei angenommen, dass die Normalspannung auch weiterhin gleichförmig über den Querschnitt verteilt ist. Beispiel 3.1

Gegeben sei ein konischer Stab mit kreisförmigem Querschnitt der Länge l unter der Druckkraft F0 (Abb. 3.1), der an der Stelle x D 0 den Radius R1 aufweise. An der Stelle x D l liege der Radius R2 vor. Gesucht wird die Normalspannung xx , die im Stab wirkt, wenn R1 D 3R0 und R2 D R0 gilt. Wie groß muss für R1 D 3R0 der Radius R2 sein, damit die Spannung an der Stelle x D l das Zweifache der Spannung an der Stelle x D 0 beträgt? Wir betrachten zunächst den Fall R1 D 3R0 und R2 D R0 und ermitteln die NorF0 . Die Querschnittsfläche A.x/ berechnet sich als: malspannung xx .x/ D  A.x/ A.x/ D R2 .x/:

(3.3)

Hierbei beschreibt R.x/ den Radius des kreisförmigen Querschnitts, abhängig von der Position auf der Stablängsachse x. Um R.x/ zu ermitteln, machen wir einen linearen Ansatz der Form: R.x/ D ax C b: (3.4) Es gelten die folgenden Bedingungen: R.x D 0/ D a  0 C b D R1 ;

R.x D l/ D a  l C b D R2 :

(3.5)

Abb. 3.1 Konischer Stab unter Druckkraft F0 .

F0 R2 l

x

F0 R1

3.1 Einzelstäbe

51

1 Hieraus lassen sich die beiden Konstanten als b D R1 und a D R2 R bestimmen, und l wir erhalten: x (3.6) R.x/ D .R2  R1 / C R1 : l Die Querschnittsfläche A.x/ folgt dann für den Fall R1 D 3R0 und R2 D R0 zu:

 x 2 : A.x/ D R02 3  2 l

(3.7)

Die Normalspannung xx .x/ ergibt sich dann als: xx .x/ D 

F0 R02 3  2

x

!2 :

(3.8)

l

Wir wenden uns nun der Frage zu, wie groß der Radius R2 für R1 D 3R0 sein muss, damit die Spannung an der Stelle x D l das Zweifache der Spannung an der Stelle x D 0 beträgt. Die Spannung xx an der Stelle x D 0 beträgt: xx .x D 0/ D 

F0 : 9R02

(3.9)

F0 : R22

(3.10)

An der Stelle x D l erhalten wir: xx .x D l/ D 

Wir fordern nun xx .x D l/ D 2xx .x D 0/, d. h.:  Auflösen nach R2 ergibt:

2F0 F0 D : 2 R2 9R02

(3.11)

3 R2 D p R0 : 2

(3.12) J

Beispiel 3.2

Betrachtet werde ein Flachstab der Länge l, bei dem die Breite 2b.x/ eine in Form einer Parabel variierende Funktion von x mit dem Anfangswert b2 und dem Endwert b1 sei (Abb. 3.2). Der Stab sei durch eine Zugkraft F0 belastet, die Dicke des Stabes sei konstant mit dem Wert t. Gesucht wird die Normalspannung xx .x/, die in dem Stab wirkt. Wie groß muss b2 sein, damit die Spannung xx .x D 0/ einen zulässigen Wert zul nicht überschreitet? Wie groß ist die Normalspannung xx an der Stelle x D 2l ?

52

3

Abb. 3.2 Flachstab mit parabelförmiger Berandung unter Druckkraft F0 .

Stäbe und Stabsysteme l

F0

x

b1

F0 b2

Der Verlauf von b.x/ sei beschrieben durch einen Parabelansatz:  x 2 b.x/ D .b1  b2 / C b2 : l

(3.13)

Die Normalspannung xx .x/ im Flachstab ergibt sich dann als: xx .x/ D

F0 2b.x/t

F0

2

D

2t 4.b1  b2 /

x

!2

l

3:

(3.14)

C b2 5

Der Wert b2 soll nun so ermittelt werden, dass die Spannung xx an der Stelle x D 0 einen zulässigen Wert zul nicht überschreitet. Wir fordern also: xx .x D 0/ D Umformen nach b2 ergibt: b2  Die Spannung an der Stelle x D

l 2

F0  zul : 2b2 t

F0 : 2zul t

(3.15)

(3.16)

lautet:

  2F0 l D : xx x D 2 t.b1 C 3b2 /

(3.17) J

Technisch relevant sind auch solche Stäbe, bei denen nicht nur Einzelkräfte als Belastung vorkommen, sondern wo auch linienhaft verteilte Belastungen auftreten können. Ein Beispiel für eine solche verteilte Last ist das Eigengewicht eines Stabes. Zur Herleitung betrachten wir das Freikörperbild der Abb. 3.3, in dem wir ein infinitesimales Schnittelement der Länge dx eines Stabes betrachten. Mit dG D Adx (wobei  D g das spezifische Gewicht mit D Dichte, g D Erdbeschleunigung, und A die Querschnittsfläche des Stabes sind) folgt aus der Summe der Kräfte in x-Richtung: N C dN  N  dG D 0;

(3.18)

dN D Adx:

(3.19)

bzw.

3.1 Einzelstäbe

53

Abb. 3.3 Freikörperbild zur Bestimmung der Normalkraft N eines Stabes unter Eigengewicht.

N+dN dG

dx N

Daraus folgt dN D A; dx

(3.20)

N D Ax C C1 :

(3.21)

bzw. nach Integration: Unter Eigengewicht ist demnach die Normalkraft linear über x verteilt. Die Integrationskonstante C1 wird an gegebene Randbedingungen angepasst. Als Beispiel betrachten wir den an seinem unteren Ende eingespannten Stab der Abb. 3.4, links, der unter seinem Eigengewicht stehe (spezifisches Gewicht , Querschnittsfläche A). Die Konstante C1 wird aus der Bedingung bestimmt, dass die Normalkraft N.x/ am oberen Stabende null ist: N.x D l/ D 0. Daraus folgt die Konstante C1 als C1 D Al, und wir erhalten für die Normalkraft N.x/: N.x/ D Ax  Al D A.x  l/:

(3.22)

Da x  l gilt, liegt N als eine Druckkraft vor. Entsprechend erhalten wir für die Stabspannung xx .x/: N.x/ D .x  l/: (3.23) xx .x/ D A Wenn wir die Situation betrachten, dass der Stab an seinem oberen Ende eingespannt und seinem Eigengewicht ausgesetzt wird (Abb. 3.4, rechts), dann ergibt sich die Integrationskonstante C1 aus der Forderung N.x D 0/ D 0 zu C1 D 0, so dass: N D Ax:

(3.24)

Abb. 3.4 Stab unter Eigengewicht.

A,

A, g

l

x

l

x

54

3

Stäbe und Stabsysteme

Abb. 3.5 Stab unter achsparalleler Streckenlast n.x/ (links), Freikörperbild zur Bestimmung der Normalkraft N (rechts).

x

N+dN n(x)

dx

n

N

In diesem Fall liegt die Normalkraft mit einem positiven Vorzeichen für jedes x vor, also als eine Zugkraft. Wir betrachten nun den allgemeinen Fall, dass der betrachtete Stab unter einer beliebig verteilten achsparallelen Streckenlast n.x/ stehe. Anhand des Freikörperbilds der Abb. 3.5 ergibt die Summe der Kräfte in Achsrichtung: N C dN C ndx  N D 0:

(3.25)

Dies lässt sich umformen zu:

dN D n: (3.26) dx Demnach ergibt sich die anliegende achsparallele Belastung n.x/ als die erste Ableitung der Normalkraft N.x/ bezüglich der Stablängskoordinate x, wobei hier das negative Vorzeichen zu beachten ist. Bei vorliegender Belastung n.x/ kann daraus die Normalkraft N.x/ durch Integration ermittelt werden: Z (3.27) N.x/ D  n.x/dx C C1 : Hierin ist C1 eine Integrationskonstante, die an gegebene Randbedingungen angepasst wird.

3.1.2 Stabverformungen Wir wollen in allen Ausführungen dieses und auch aller folgenden Kapitel dieses Buchs von linear elastischem Materialverhalten ausgehen. Das Hookesche Gesetz, das linear elastisches Materialverhalten für ein eindimensionales Problem beschreibt, haben wir bereits in Kap. 1 mit (1.36) kennengelernt: xx D E"xx :

(3.28)

3.1 Einzelstäbe

55 EA

Abb. 3.6 Stab mit konstanter Dehnsteifigkeit EA unter Einzelkraft F .

F

F

x l

Es sei auch für die hier betrachteten Stabstrukturen gültig. Mit xx D "xx D

N A

folgt:

du N D u0 D : dx EA

(3.29)

Diese Gleichung verbindet die Stabverschiebung u mit der Normalkraft N und stellt damit das Konstitutivgesetz für den Stab dar. In Kap. 1 haben wir bereits die Definition der Dehnung "xx kennengelernt, die sich als das Verhältnis aus Längenänderung l und Ausgangslänge l ergibt: "xx D

l : l

(3.30)

Eine allgemeine Definition haben wir mit (1.23) bereits hergeleitet: "xx D

du : dx

(3.31)

Liegt also einmal die achsparallele Verschiebung u des Stabes vor, dann kann daraus durch Ableitung nach der Längskoordinate x die Dehnung "xx ermittelt werden. Wir betrachten zunächst einen homogenen Stab mit konstantem Elastizitätsmodul E und konstanter Querschnittsfläche A, der durch die Kraft F belastet werde (Abb. 3.6). Wir wollen das Produkt EA in allen weiteren Ausführungen als Dehnsteifigkeit bezeichnen. Die Dehnung "xx ergibt sich dann als: l  F D D : l E EA

(3.32)

Dieser Ausdruck kann nach der Längenänderung des Stabes aufgelöst werden: l D

Fl : EA

(3.33)

Die Längenänderung eines homogenen Stabes hängt demnach ab von der anliegenden Kraft F , der Länge l sowie der Dehnsteifigkeit EA. Liegt ein Stab mit konstanter Normalkraft N vor, bei dem der Querschnitt eine Funktion der Stablängsrichtung x ist, wenn also A D A.x/ gilt, dann folgt die Stabspannung aus: N : (3.34) xx .x/ D A.x/

56

3

Stäbe und Stabsysteme

Wenn wir voraussetzen, dass A.x/ eine stetige, integrierbare Funktion ist, dann ergibt sich die Längenänderung l des Stabs als das Integral über die Dehnung "xx über die Stablänge: Zl Zl 1 xx dx: (3.35) l D "xx dx D E 0

0

Liegt ein Stab vor, bei dem die anliegende Belastung zu abschnittsweise unterschiedlichen, aber konstanten Normalkräften Ni (wobei der Index i den Abschnitt i des Stabs kennzeichnet) und damit auch Spannungen xx;i D NAi führt, dann ergibt sich die Deh nung "xx;i in Abschnitt i als "xx;i D xx;i E . Die Längenänderung li des Abschnitts i folgt dann zu: Ni li li D : (3.36) EA Die gesamte Stablängenänderung l ergibt sich dann als die Summe der Teillängenänderungen li : n X li ; (3.37) l D i D1

wenn insgesamt n Abschnitte vorliegen. Beispiel 3.3

Betrachtet werde der in Abb. 3.7 dargestellte Stab, der die Teillängen l1 und l2 aufweise und durch zwei Einzelkräfte wie abgebildet belastet werde. Die Normalkraft N1 in Abschnitt 1 beträgt N1 D 2F0 , die Normalkraft N2 in Abschnitt hingegen beläuft sich auf N2 D 3F0 . Die Gesamtlängenänderung l ergibt sich aus den Teillängenänderungen l1 und l2 wie folgt: l D l1 C l2 D

N1 l1 N2 l2 2F0 l1 3F0 l2 F0 C D C D .2l1 C 3l2 /: EA EA EA EA EA

(3.38) J

Abb. 3.7 Stab unter zwei Einzelkräften.

EA

l2 F0 l1

2F0

3.1 Einzelstäbe

57

Wird der betrachtete Stab nicht nur durch mechanische Belastungen beansprucht, sondern liegen auch thermische Einwirkungen vor, dann kann die Stabdehnung wie folgt ermittelt werden (vgl. auch Kap. 1, (1.42)): "T D ˛T T:

(3.39)

Hierin ist ˛T der thermische Ausdehnungskoeffizient des Stabmaterials, und T ist die Temperaturänderung, der der Stab ausgesetzt wird. Liegt der Fall vor, dass die Temperaturänderung eine Funktion des Orts ist, wenn also T D T .x/ gilt, dann folgt: "T .x/ D ˛T T .x/:

(3.40)

Liegen sowohl eine mechanische Spannung  als auch eine Temperaturänderung T gleichzeitig vor, dann können die einzelnen Dehnungskomponenten zur gesamten Dehnung superponiert werden (vgl. (1.43)): "xx D u0 D

xx C ˛T T; E

(3.41)

bzw.

N (3.42) C ˛T T: EA Man kann den konstitutiven Ausdruck (3.41) nach der Spannung xx umformen wie folgt: "xx D u0 D

xx D E."xx  ˛T T /:

(3.43)

Die Längenänderung l eines Stabes ergibt sich als: Zl  l D 0

 N C ˛T T dx: EA

(3.44)

Der Spezialfall des Stabes mit konstanter Dehnsteifigkeit EA, konstanter Normalkraft N und konstanter Temperaturänderung T ergibt sich daraus als: l D

Nl C ˛T T l: EA

(3.45)

Liegt ausschließlich eine Temperaturbelastung vor, dann erhalten wir: l D ˛T T l:

(3.46)

Wir bringen nun die konstitutive Gleichung (3.42) und das Gleichgewicht (3.26) durch ineinander einsetzen in die nachfolgende Form. Auflösen von (3.42) nach der Stabnormalkraft N und Einsetzen in (3.26) ergibt: 0  EAu0 D n C .EA˛T T /0 :

(3.47)

58

3

Abb. 3.8 Typische Stabrandbedingungen.

N

Stäbe und Stabsysteme

N

x

u=0

z

z N

z

u=0

x

EAu =0

N

x z

x

u=0

Für den Spezialfall einer konstanten Temperaturänderung T folgt daraus: 

0 EAu0 D n:

(3.48)

Daraus ergibt sich die Stabverschiebung u.x/ durch zweifache Integration: 

0 EAu0 D n;

Z EAu0 D N D  ndx C C1 ; “ EAu D  ndxdx C C1 x C C2 :

(3.49)

Die hier auftauchenden Integrationskonstanten sind aus gegebenen Randbedingungen zu ermitteln. Die Abb. 3.8 zeigt typische Fälle von Randbedingungen für Stäbe. Hierbei kann an jedem Stabende stets eine Randbedingung vorgegeben sein, und zwar entweder für die Verschiebung u oder für die Normalkraft N . Beispiel 3.4

Gegeben sei der Stab der Abb. 3.9. Der Stab weise die Länge l und die konstante Dehnsteifigkeit EA auf. Als Belastung liegen die konstante Streckenlast n sowie eine Einzelkraft F am freien Stabende vor. Die Integrationsvorschrift (3.49) lautet für das vorliegende Beispiel: .EAu0 /0 D n;

Z EAu0 D N D  ndx C C1 D nx C C1 ; “ 1 EAu D  ndxdx C C1 x C C2 D  nx 2 C C1 x C C2 : 2

(3.50)

Für die gegeben Situation lauten die Randbedingungen an den beiden Stabenden: u.x D 0/ D 0;

N.x D l/ D F:

(3.51)

3.1 Einzelstäbe

59

Abb. 3.9 Ermittlung der Stabnormalkraft N und der Stabverschiebung u an einem einseitig eingespannten geraden Stab unter Streckenlast und Einzelkraft.

EA

x

F

n l

F+nl (+)

F

N(x)

(+)

EA u(x) l

nl F+ 1 2

Hieraus folgen die Integrationskonstanten C1 und C2 als: C1 D F C nl;

C2 D 0:

(3.52)

Der Normalkraftverlauf N.x/ und die Stabverschiebung u.x/ folgen daraus zu (s. Abb. 3.9): N.x/ D F C n.l  x/;

1 1 2 (3.53) u.x/ D  nx C .F C nl/x : EA 2 Es ergibt sich für dieses Beispiel ein linearer Verlauf der Stabnormalkraft N . Die Stabverschiebung u hingegen verläuft parabolisch über die Stablänge. J Für Stäbe, bei denen die Zustandsgrößen N und u nicht stetig verlaufen und damit die Integrationsvorschrift (3.49) nicht über die gesamte Stablänge durchführbar ist, sind neben Randbedingungen auch die sog. Übergangsbedingungen zu formulieren. Ein einfaches Beispiel ist in Abb. 3.10 dargestellt. Betrachtet werde ein gerader Stab mit der konstanten Dehnsteifigkeit EA sowie den Teilfeldlängen l1 und l2 . An der Stelle x D l1 liege eine axiale Einzelkraft F vor. Wir unterteilen den Stab in die Bereiche 0  x  l1 und l1  x  l1 C l2 . In Bereich 0  x  l1 lautet die Integrationsvorschrift: EAu001 D 0; EAu01 D N1 D C1 ; EAu1 D C1 x C C2 :

(3.54)

Für den Bereich l1  x  l1 C l2 ergibt sich: EAu002 D 0; EAu02 D N2 D D1 ; EAu2 D D1 x C D2 :

(3.55)

60

3

Abb. 3.10 Beidseitig eingespannter Stab unter Einzelkraft F .

Stäbe und Stabsysteme

F

EA

x ll

l2

z

Fl 2 ll+ l2 (+)

N(x)

(-)

Fl1l2 EA(l l + l 2(

- Fl 1 ll+ l2

(+)

u(x)

Die Rand- und Übergangsbedingungen für die gegebene Stabsituation lauten: u1 .x D 0/ D 0; u1 .x D l1 / D u2 .x D l1 /; EAu01 .x D l1 / D EAu02 .x D l1 / C F; u2 .x D l1 C l2 / D 0:

(3.56)

Die Integrationskonstanten ergeben sich daraus als: F l2 ; C1 D l1 C l2



C2 D 0;

 l2 D1 D F 1 ; l1 C l2

D 2 D F l1 :

(3.57)

Die Zustandslinien N.x/ und u.x/ sind ebenfalls in Abb. 3.10 dargestellt. In Abb. 3.11 sind typische Übergangsbedingungen zwischen zwei Bereichen i und i C 1 für Stabstrukturen dargestellt. Abb. 3.11 Beispielhafte Übergangsbedingungen am Mehrfeldstab.

Ni

ni

n i+1

Ni+1

Ni

ui = ui+1 EAi u i =EAi+1ui+1

Ni

ni

n i+1

ni

n i+1

Ni+1

ui = ui+1 EAi u i =EAi+1ui+1

Ni+1

Ni

ni

n i+1

Ni+1 F

ui = ui+1 EAi u i =EAi+1ui+1

ui = ui+1 EAi u i =EAi+1ui+1+F

3.1 Einzelstäbe

61

Beispiel 3.5

Wir betrachten die Situation aus Beispiel 3.3 erneut und führen zwei lokale Bezugsachsen x1 und x2 ein wie in Abb. 3.12 gezeigt. Gesucht werden der Normalkraftverlauf N sowie die Stabverschiebung u. Wir lösen diese Aufgabe durch Integration, wobei wir den Stab in zwei Abschnitte zu unterteilen haben. In Bereich 1 erhalten wir mit n1 D 0: EAu01 D 0; EAu01 D N1 D C1 ; EAu1 D C1 x1 C C2 : Für Bereich 2 gilt:

(3.58)

EAu02 D 0; EAu02 D N2 D D1 ; EAu2 D D1 x2 C D2 :

(3.59)

Es gelten für die gegebene Situation die folgenden Randbedingungen. Am freien Stabende x1 D 0 entspricht die Normalkraft N1 der anliegende Kraft 2F0 : N1 .x1 D 0/ D 2F0 :

(3.60)

Hieraus folgt die Integrationskonstante C1 als: C1 D 2F0 :

(3.61)

Desweiteren muss am eingespannten Ende des Stabes bei x2 D l2 die Stabverschiebung u2 verschwinden: (3.62) u2 .x2 D l2 / D 0: Abb. 3.12 Stab unter zwei Einzelkräften. l2

EA x2 F0

l1

x1

2F0

62

3

Stäbe und Stabsysteme

Daraus ergibt sich die Konstante D2 als D2 D 3F0 l2 :

(3.63)

An der Übergangsstelle x1 D l1 bzw. x2 D 0 zwischen den beiden Bereichen 1 und 2 sind die folgenden Übergangsbedingungen zu beachten. Einerseits müssen dort die beiden Verschiebungen u1 und u2 übereinstimmen: u1 .x1 D l1 / D u2 .x2 D 0/:

(3.64)

Daraus folgt die Integrationskonstante C2 als: C2 D F0 .2l1 C 3l2 /:

(3.65)

Andererseits muss an der Übergangsstelle das Gleichgewicht der Kräfte in Achsrichtung erfüllt sein, d. h. es gelte: N1 .x1 D l1 / D N2 .x2 D 0/  F0 :

(3.66)

Hieraus ergibt sich die noch fehlende Konstante D1 als: D1 D 3F0 :

(3.67)

Mit den so ermittelten Integrationskonstanten C1 , C2 , D1 und D2 lassen sich die Normalkräfte N1 und N2 sowie die Verschiebungen u1 und u2 darstellen als: N1 D 2F0 ; N2 D 3F0 ; F0 .2x1  2l1  3l2 /; u1 D EA   3F0 l2 x2 1 : u2 D EA l2

(3.68)

Die Stabendverschiebung u1 .x1 D 0/ folgt zu: u1 D 

F0 .2l1 C 3l2 /: EA

(3.69)

Das negative Vorzeichen deutet an, dass diese Verschiebung gegenläufig zur Richtung der x1 -Achse ist. Dieses Ergebnis stimmt damit mit (3.38) überein. J

3.1 Einzelstäbe

63

Abb. 3.13 Durch Einzelkraft und Normalkraftflüsse belasteter zweiteiliger Stab.

F0

EA ∞

l n1

x1

n2

x2

l

E1,A

E2,A

Beispiel 3.6

Gegeben ist ein zweiteiliger Stab mit konstantem Querschnitt A, der am unteren Ende gelenkig gelagert ist und am oberen Ende durch einen Pendelstab (EA ! 1) gegen seitliches Ausweichen gehalten wird (Abb. 3.13). Der Stab wird durch die Einzelkraft F0 sowie die beiden parallel zur Stabachse verlaufenden konstanten Streckenlasten n1 und n2 belastet. Der obere Stababschnitt weise den Elastizitätsmodul E1 auf, im unteren Stababschnitt liege der Elastizitätsmodul E2 vor. Gesucht wird der Verlauf der Verschiebungen u.x1 / und u.x2 / sowie der Verlauf der Normalkräfte N1 .x1 / und N2 .x2 /. Wie groß ist die Normalkraft am Stützenfuß? Wie groß ist die Verschiebung des Stützenkopfes? Die Rand- und Übergangsbedingungen lauten für diese Aufgabe: N1 .x1 D 0/ D F0 ;

N1 .x1 D l/ D N2 .x2 D 0/;

u1 .x1 D l/ D u2 .x2 D 0/;

u2 .x2 D l/ D 0:

(3.70)

Die Aufgabe wird abschnittsweise durch Integration gelöst: E1 Au001 D n1 ; E1 Au01 D N1 D n1 x1 C C1 ; 1 E1 Au1 D  n1 x12 C C1 x1 C C2 ; 2 und

(3.71)

E2 Au002 D n2 ; E2 Au02 D N2 D n2 x2 C D1 ; 1 E2 Au2 D  n2 x22 C D1 x2 C D2 : 2

(3.72)

64

3

Stäbe und Stabsysteme

Die Integrationskonstanten C1 , C2 , D1 und D2 werden aus den Rand- und Übergangsbedingungen ermittelt. Aus der Bedingung N1 .x1 D 0/ D F0 folgt:  n1  01 C C1 D F0 ;

(3.73)

C1 D F0 :

(3.74)

was sich auflösen lässt zu: Die Übergangsbedingung N1 .x1 D l/ D N2 .x2 D 0/ führt auf den Ausdruck  n1 l  F0 D D1 :

(3.75)

Daraus lässt sich die Konstante D1 ermitteln als: D1 D n1 l  F0 :

(3.76)

Aus der Forderung u2 .x2 D l/ ergibt sich:   1 1 2 2  n2 l  n1 l  F0 l C D2 D 0: E2 A 2

(3.77)

Dies kann nach D2 aufgelöst werden:

  1 D2 D l F0 C l n1 C n2 : 2

(3.78)

Schließlich wird noch die Übergangsbedingung u1 .x1 D l/ D u2 .x2 D 0/ betrachtet. Es folgt:  

  1 1 1 2 l  n1 l  F0 l C C2 D F0 C l n1 C n2 : E1 A 2 E2 A 2

(3.79)

Daraus folgt die Integrationskonstante C2 zu:

  E1 1 1 C2 D l F0 C l n1 C n2 C n1 l 2 C F0 l: E2 2 2

(3.80)

Damit lassen sich die Verschiebungsverläufe u1 .x1 / und u2 .x2 / angeben wie folgt:



 1 E1 1 1 1 2 2 u1 .x1 / D l F0 C l n1 C n2 C n1 l C F0 l ;  n1 x1  F0 x1 C E1 A 2 E2 2 2

  1 1 1 u2 .x2 / D  n2 x22  .n1 l C F0 /x2 C l F0 C l n1 C n2 : E2 A 2 2 (3.81)

3.1 Einzelstäbe

65

Die Normalkraftverläufe N1 .x1 / und N2 .x2 / folgen als: N1 .x1 / D n1 x1  F0 ; N2 .x2 / D n2 x2  n1 l  F0 :

(3.82)

Die Normalkraft am Stützenfuß ergibt sich als: N2 .x2 D l/ D Œ.n1 C n2 /l C F0 :

(3.83)

Die Verschiebung am Stützenkopf folgt zu:



 1 E1 1 1 u1 .x1 D 0/ D l F0 C l n1 C n2 C n1 l 2 C F0 l : E1 A E2 2 2

(3.84) J

Beispiel 3.7

Gegeben sei die in Abb. 3.14 dargestellte Stütze unter Eigengewicht und Einzelkraft F0 . Die Stütze unterteilt sich in den Abschnitt 0  x  l1 mit den Eigenschaften , A, E1 und den Abschnitt l1  x  l1 C l2 mit , A, E2 , wobei l1 D 2l2 und E2 D 2E1 . Gesucht werden die Verläufe der Normalkraft und der Verschiebungen in den beiden Bereichen. Wie groß muss F0 sein, damit die Verschiebung an der Stelle x D l1 zu null wird? Bei welcher Temperaturänderung wird unter der vorher berechneten Kraft die Verschiebung an der Stelle x D l1 C l2 zu null? Zur Beantwortung der letzten Fragestellung werde von einem über die Stützenlänge konstanten Temperaturausdehnungskoeffizienten ˛T ausgegangen. Der Verlauf der Normalkraft N.x/ ist kontinuierlich über die beiden Bereiche 1 und 2: (3.85) N D Ax C C1 : Die Integrationskonstante C1 folgt aus der Randbedingung N.x D l1 C l2 / D F0 als: C1 D .3Al2 C F0 /:

(3.86)

Abb. 3.14 Durch Einzelkraft und Eigengewicht belasteter zweiteiliger Stab.

F0 g l2

E2,A,

E1,A, l1 x

66

3

Stäbe und Stabsysteme

Der Normalkraftverlauf ergibt sich daraus aus: N.x/ D A.x  3l2 /  F0 : Hieraus lässt sich die Stabspannung  .x/ D

N.x/ A

(3.87)

ermitteln als:

 .x/ D .x  3l2 / 

F0 : A

(3.88)

Liegt die Stabspannung  .x/ vor, dann lässt sich daraus aus dem Hookeschen Gesetz die Stabdehnung ermitteln:  .x/ : (3.89) ".x/ D E Da in den beiden Stababschnitten unterschiedliche Werte für E vorliegen, muss die Betrachtung der Stabdehnungen abschnittsweise erfolgen:

1 F0 ; .x  3l2 /  "xx;1 .x/ D E1 A

1 F0 "xx;2 .x/ D : .x  3l2 /  2E1 A Mit vorliegender Stabdehnung kann aus der kinematischen Beziehung "xx D Stabverschiebung u durch Integration bestimmt werden:

(3.90) du dx

die

Z "xx dx C C:

u.x/ D

(3.91)

In den beiden Stababschnitten folgt also: 

 1 2 1 x  3l2 x   E1 2 

 1 2 1 u2 .x/ D x  3l2 x   2E1 2 u1 .x/ D

F0 x C C2 ; A F0 x C C3 : A

(3.92)

Die Integrationskonstanten C2 und C3 lassen sich aus den Bedingungen u1 .x D 0/ D 0;

u1 .x D l1 / D u2 .x D l1 /

(3.93)

ermitteln. Es folgt: C2 D 0;

  1 F0 2 C3 D 4l2  2 l2 : 2E1 A

(3.94)

3.1 Einzelstäbe

67

Die Verschiebungsverläufe lauten somit: 

 1 2 1 F0 x  3l2 x  x ;  E1 2 A

  1 2 F0 1  x  3l2 x  4l22  .x C 2l2 / : u2 .x/ D 2E1 2 A

u1 .x/ D

(3.95)

Zur Ermittlung der Kraft F0 wird die Verschiebung an der Stelle x D l1 zu null gesetzt und nach der Kraft F0 aufgelöst. Es folgt: F0 D 2Al2 :

(3.96)

Damit liegen im Stab die folgenden Zustandsgrößen vor: N.x/ D A.x  l2 /;  .x  l2 /; E1  .x  l2 /; "xx;2 .x/ D 2E1    1 2 u1 .x/ D x  l2 x ; E1 2   1 2  u2 .x/ D x  l2 x : 2E1 2 "xx;1 .x/ D

(3.97)

Zur Ermittlung derjenigen Temperaturänderung T , bei der die Verschiebung des Stützenkopfs zu null wird, wird zunächst die thermische Verschiebung uT berechnet. Es ergibt sich: uT .x/ D ˛T T x: (3.98) Wir fordern: u2 .x D 3l2 / C uT .x D 3l2 / D 0:

(3.99)

Der hieraus entstehende Ausdruck kann nach der Temperaturänderung T aufgelöst werden, und wir erhalten: 1 l2 : (3.100) T D  4 ˛T E1 J

68

3

Stäbe und Stabsysteme

3.1.3 Statisch unbestimmte Stäbe Die Stabsituation der Abb. 3.10 ist statisch unbestimmt. Wir wollen an dieser Stelle noch zwei weitere Möglichkeiten der Analyse vorstellen. Grundsätzlich sind bei einer statisch unbestimmten Berechnung neben den Gleichgewichtsbedingungen auch die Stabverformungen in der Berechnung heranzuziehen. Wir betrachten dazu das Freikörperbild der Abb. 3.15, unten. Das Gleichgewicht der Kräfte in x-Richtung ergibt: AH  BH D F:

(3.101)

Damit liegt eine Gleichung für die beiden Unbekannten Größen AH und BH vor. Auf eine weitere Gleichung wird man geführt, wenn man die Verschiebungen der beiden Stabsegmente betrachtet. Das linke Stabsegment mit der Länge l1 steht unter der konstanten Normalkraft N1 D AH , so dass sich die Längenänderung l1 dieses Segments ergibt als: N1 l1 AH l1 D : (3.102) l1 D EA EA Analog erhalten wir für die Längenänderung l2 des rechten Stabsegments: l2 D

N2 l2 BH l2 D : EA EA

(3.103)

Um geometrische Verträglichkeit des Verformungszustands zu erreichen wird gefordert, dass die Gesamtverschiebung l des Stabes zu null wird: l D l1 C l2 D 0:

(3.104)

Dies führt nach Einsetzen von (3.102) und (3.103) auf die folgende Gleichung: AH l1 C BH l2 D 0:

(3.105)

Mit (3.101) und (3.105) liegen zwei Gleichungen zur Bestimmung der Auflagerkräfte AH und BH vor. Auflösen ergibt: AH D

F l2 ; l1 C l2

BH D 

Abb. 3.15 Beidseitig eingespannter Stab unter Einzelkraft F (oben), Freikörperbild (unten).

F l1 : l1 C l2

(3.106)

F

EA

x ll

l2

z

AH

F

BH

3.1 Einzelstäbe

69

Abb. 3.16 Beidseitig eingespannter Stab unter Einzelkraft F (oben), 0-System (Mitte) und 1-System (unten).

F

EA

x ll

l2

z

0-System

F

u0

u0

1-System

X

u1

Mit vorliegenden Lagerreaktionen können die Normalkräfte das betrachteten Stabs und damit alle weiteren Zustandsgrößen bestimmt werden. Eine weitere Möglichkeit der Analyse besteht darin, den statisch unbestimmten Stab zunächst gedanklich statisch bestimmt zu machen und die gedanklich entfernte Auflagerreaktion aus dem Verformungszustand des Stabes zu bestimmen. Dieses Vorgehen ist als das sog. Kraftgrößenverfahren bekannt. Wir betrachten dazu erneut die Situation der Abb. 3.10 und machen den Stab statisch bestimmt, indem wir die rechte Einspannung gedanklich entfernen. Die so entstehende Situation ist in Abb. 3.16, Mitte, gezeigt. Auf dem so entstandenen statisch bestimmten Stab wirkt nun die Kraft F . Dies ist das sog. 0-System. Aufgrund der anliegenden Kraft F ergibt sich die Verschiebung u0 am Kraftangriffspunkt, wohingegen sich das rechte Stabsegment mit der Länge l2 in seiner Länge nicht ändert. Es gilt: F l1 : (3.107) u0 D EA Die in Wirklichkeit ja vorhandene Lagerreaktion, die wir auch als die sog. statisch Überzählige bezeichnen, wird nun am freien rechten Stabende aufgebracht (Abb. 3.16, unten), wobei wir hier die Bezeichnung X verwenden um deutlich zu machen, dass es sich hier um eine zu ermittelnde statisch überzählige Größe handelt. Daraus ergibt sich am freien Stabende die Verschiebung u1 , die sich wie folgt ermitteln lässt: u1 D 

Xl1 Xl2  : EA EA

(3.108)

Das negative Vorzeichen gibt dabei an, dass diese Verschiebung entgegen der Richtung der x-Achse verläuft. Die Gesamtverschiebung u ergibt sich aus der Superposition der beiden Verschiebungen u0 und u1 : F l1 Xl1 Xl2   : (3.109) u D u0 C u1 D EA EA EA

70

3

Stäbe und Stabsysteme

Da aber in Wirklichkeit auch am rechten Stabende eine Einspannung vorliegt, muss die Verschiebung u zu null werden. Es folgt: F l1 Xl1 Xl2   D 0: EA EA EA

(3.110)

Dieser Ausdruck lässt sich nach der statisch Überzähligen X auflösen, und wir erhalten: XD

F l1 : l1 C l2

(3.111)

Die statisch Überzählige ist identisch mit der Lagerreaktion BH , so dass: BH D

F l1 : l1 C l2

(3.112)

Damit ist das Ergebnis (3.106) bestätigt, wobei sich die unterschiedlichen Vorzeichen auf die unterschiedlichen Wirkrichtungen der betrachteten Kräfte zurückführen lässt.

3.2 Stabsysteme 3.2.1 Statisch bestimmte Stabsysteme Wir wollen in diesem Abschnitt die Verformungen statisch bestimmter Stabsysteme untersuchen und betrachten zur Einführung den Stabzweischlag der Abb. 3.17, links. Gegeben sind die beiden Stäbe 1 und 2 gleicher Dehnsteifigkeit EA, die in einem Punkt ideal gelenkig miteinander verbunden sind. Im Gelenkpunkt greift die vertikal wirkende Einzelkraft F an. Gesucht werden die Knotenverschiebungen u und w wie in Abb. 3.17, rechts, gezeigt.

F EA 1

w

45°

2l

l EA

2

u

Abb. 3.17 Stabzweischlag unter Einzelkraft F (links), Verformungsbild (rechts).

3.2 Stabsysteme

71

Da es sich hierbei um ein statisch bestimmtes System handelt, lassen sich die Stabkräfte N1 und N2 aus den Gleichgewichtsbedingungen ermitteln. Sie folgen als: p N1 D F; N2 D  2F: (3.113) Daraus lassen sich dann die Stablängenänderungen l1 und l2 bestimmen. Sie lauten: N1 l1 Fl D ; EA EA N2 l2 2F l D ; l2 D EA EA l1 D

(3.114)

wobei wir feststellen, dass es sich um Verkürzungen der Stäbe 1 und 2 handelt. Die so bestimmten Längenänderungen der Stäbe können wir nun dazu nutzen, um die gesuchten Knotenverschiebungen zu bestimmen. Der sich einstellende Verformungszustand ist in der Abb. 3.17, rechts, dargestellt. Die Berechnung der beiden Knotenverschiebungen u und w lässt sich dann aus dem folgenden Gedankengang herleiten (s. dazu Abb. 3.18). Die beiden Stäbe werden sich bei Belastung auf einer Kreisbahn um ihre Auflagerpunkte bewegen (Abb. 3.18, links), wobei wir hier die Längenänderungen l1 und l2 der Stäbe aufgrund der sich einstellenden Stabkräfte N1 und N2 zu berücksichtigen haben. Entsprechend weist die Kreisbahn p für Stab 1 den Radius l C l1 auf, wohingegen für Stab 2 der Radius der Kreisbahn 2l C l2 beträgt. Derjenige Punkt, an dem sich die beiden Kreisbögen schneiden, ist die Gelenkposition im verformten Zustand. Da wir davon ausgehen, dass die Formänderungen klein bleiben, können wir die Kreisbögen durch ihre Tangenten ersetzen, so wie in Abb. 3.18, Mitte, gezeigt. Aus elementaren trigonometrischen Betrachtungen lassen sich dann die beiden gesuchten Verschiebungen u und w ermitteln (Abb. 3.18, rechts). Am Beispiel ergibt sich: Fl ; EA p 2 Fl  1C2 2 : w D jl1 j C p jl2 j D EA 2 u D jl1 j D

∆l1

∆l1

∆l2

∆l1

∆l2

1 ∆l 2 2

w

w

w

(3.115)

45°

∆l ∆l1+ 22 u

u u

Abb. 3.18 Zur Berechnung der Knotenverschiebungen u und w.

∆l2

∆l2 2

72

3

Stäbe und Stabsysteme

Beispiel 3.8

Betrachtet werde der Stabzweischlag der Abb. 3.19, der aus zwei Stäben mit der Dehnsteifigkeit EA unter dem Neigungswinkel ˛ zur Horizontalen besteht und in seinem Knotenpunkt durch eine horizontale Kraft F belastet werde. Gesucht wird die Verschiebung u. Wir ermitteln zunächst die beiden Stabkräfte N1 und N2 , die für das gegebene Beispiel identisch sind: F : (3.116) N1 D N2 D N D  2 cos ˛ Hieraus lassen sich dann die beiden Stablängenänderungen mit der Stablänge l1 D l2 D l ermitteln als: cos ˛ Fl l1 D l2 D l D  : (3.117) 2EA cos2 ˛ Am Verschiebungsplan der Abb. 3.19, rechts, können wir ablesen: uD

Fl jlj D : cos ˛ 2EA cos3 ˛

(3.118) J

Beispiel 3.9

Gegeben sei der Stabzweischlag der Abb. 3.20, der aus zwei Stäben der Dehnsteifigkeit EA bestehe und in seinem Knotenpunkt durch die vertikale Einzelkraft F belastet werde. Gesucht werden die beiden Knotenverschiebungen u und w. Wir ermitteln zunächst die beiden Stabkräfte N1 und N2 aus dem Knotengleichgewicht und erhalten: F F N1 D ; N2 D  : (3.119) tan ˛ sin ˛ Damit lassen sich die Stablängenänderungen l1 und l2 mit den Stablängen l1 D l und l2 D cosl ˛ angeben als: l1 D

N1 l1 Fl D ; EA EA tan ˛

l2 D 

Fl : EA sin ˛ cos ˛

(3.120)

Am Verschiebungsplan der Abb. 3.20, rechts, können wir die Verschiebungen u und w ermitteln als: Fl ; EA tan ˛   1 1 u Fl jl2 j C C D : wD sin ˛ tan ˛ EA sin2 ˛ cos ˛ tan2 ˛ u D l1 D

(3.121) J

3.2 Stabsysteme

73

Abb. 3.19 Stabzweischlag (links), verformtes System und Verschiebungsplan (rechts)

α 2

EA

F u 1

EA

∆l1 ∆l2 u

l

Abb. 3.20 Stabzweischlag (links), verformtes System und Verschiebungsplan (rechts)

F 1 w

α

EA

u

EA

2

∆l1 ∆l2 ∆l2 sinα

l

u tan

w α u

3.2.2 Statisch unbestimmte Stabsysteme Liegt ein statisch unbestimmtes System vor, dann müssen wir neben den Gleichgewichtsbedingungen auch das Materialgesetz und die Kinematik des gegebenen Systems betrachten. Zur Illustration betrachten wir den Stabzweischlag aus Beispiel 3.8 erneut, der nun durch einen weiteren horizontalen Stab der Länge l2 ergänzt wird (Abb. 3.21). Die beiden schräg verlaufenden Stäbe weisen die Dehnsteifigkeit EA1 auf, für den horizontalen Stab liege die Dehnsteifigkeit EA2 vor. Wir wollen an diesem Beispiel erneut sowohl die Knotenverschiebung u als auch die Stabkräfte des Systems ermitteln. Wir betrachten zunächst den Knotenschnitt der Abb. 3.21, rechts oben, wobei wir hier bereits voraussetzen können, dass die Stabkräfte der beiden schräg verlaufenden Stäbe aufgrund der Symmetrie des Systems identisch sind. Die Summe der horizontalen Kräfte ergibt: (3.122) 2N1 cos ˛ C N2 C F D 0: Die Längenänderungen l1 und l2 der Stäbe ergeben sich als: N1 l1 N1 l D ; EA1 EA1 cos ˛ N2 l2 l2 D : EA2 l1 D

(3.123)

74

3

Abb. 3.21 Stabzweischlag (links), Knotenschnitt und Verschiebungsplan (rechts)

Stäbe und Stabsysteme

N1

α

N2 EA1

α α

F

N1

EA2

F

EA1

∆l2

∆l1 ∆l1

u l2 l

Am Verschiebungsplan der Abb. 3.21, rechts unten, lässt sich ablesen: l1 D u cos ˛;

l2 D u:

(3.124)

Setzt man (3.124) in (3.123) ein, dann lassen sich die entstehenden Ausdrücke nach den Stabkräften N1 und N2 auflösen wie folgt: N1 D

EA1 u cos2 ˛ ; l

N2 D

EA2 u : l2

(3.125)

Setzt man die so gefundenen Stabkräfte in die Gleichgewichtsbedingung (3.122) ein, dann erhält man daraus die gesuchte Verschiebung u als: uD

F 2EA1 cos3 ˛ l

C

EA2

:

(3.126)

l2

Mit der nun bekannten Knotenverschiebung u können aus (3.125) die Stabkräfte N1 und N2 bestimmt werden. Man erhält nach kurzer Rechnung: N1 D 

F cos2 ˛ 2 cos3 ˛ C

EA2 l

;

EA1 l2

EA2 l

N2 D 

F EA1 l2 : EA2 l 3 2 cos ˛ C EA1 l2

(3.127)

3.2 Stabsysteme

75

Beispiel 3.10

Gegeben sei ein starrer Stab der Länge 2l, der durch zwei linear elastische Stäbe (Dehnsteifigkeit EA) gestützt und durch eine Einzelkraft F belastet werde wie in Abb. 3.22 gezeigt. Gesucht werden die Stabkräfte N1 und N2 , die Längenänderungen l1 und l2 der beiden elastischen Stäbe, die Absenkung w des Kraftangriffspunktes sowie die Auflagerreaktionen am linken Auflager. Wir bilden anhand des Freikörperbilds der Abb. 3.22, Mitte, zunächst die Gleichgewichtsbedingungen. Die beiden Kräftesummen in horizontaler und vertikaler Richtung sowie die Momentensumme um das linke Auflager ergeben: 1 AH C p N2 D 0; 2 1 AV C N1 C p N2  F D 0; 2 p N1 C 2N2  2F D 0:

(3.128)

Offenbar reichen diese drei Gleichungen nicht aus, um die vier hier auftretenden Kraftgrößen AH , AV , N1 , N2 zu bestimmen. Wir müssen daher die Verformungen des Systems in die Berechnungen mit einbeziehen. Die Längenänderungen l1 und l2 der beiden elastischen Stäbe lassen sich formulieren als: l1 D

Abb. 3.22 Betrachtetes System (oben), Freikörperbild (Mitte), Verschiebungsplan (unten)

N1 l1 N1 l D ; EA EA

l2 D

N2 l2 D EA

p 2N2 l : EA

(3.129)

76

3

Stäbe und Stabsysteme

Anhand des Verschiebungsplans der Abb. 3.22, unten, können wir den folgenden Zusammenhang ableiten: l2 1 ; (3.130) cos 45ı D p D w 2 woraus p (3.131) w D 2l2 folgt. Außerdem folgt aus dem Strahlensatz: l1 D

w : 2

(3.132)

Kombiniert man die beiden Ausdrücke (3.131) und (3.132) miteinander, dann folgt daraus der folgende Zusammenhang zwischen den Längenänderungen l1 und l2 : 1 l1 D p l2 : 2

(3.133)

Mit (3.128), (3.129) und (3.133) liegen insgesamt sechs Gleichungen für die unbekannten Größen AH , AV , N1 , N2 , l1 , l2 vor. Diese lassen sich wie folgt zweckmäßig auflösen. Zunächst setzen wir die Ausdrücke (3.129) für die Längenänderungen l1 und l2 in den kinematischen Zusammenhang (3.133) ein, was auf N1 D N2

(3.134)

führt. Damit lassen sich die Gleichgewichtsbedingungen (3.128) nach den unbekannten Kraftgrößen auflösen. Es ergibt sich: p 2 p F; AH D  1C 2

 p AV D 1  2 F;

N1 D N2 D

2 p F: 1C 2

(3.135)

Mit den nun ermittelten Stabkräften lassen sich schließlich die Längenänderungen l1 und l2 sowie die Absenkung w ermitteln: 2F l l1 D  ; p 1 C 2 EA

p 2 2F l l2 D  ; p 1 C 2 EA

wD

4F l : p 1 C 2 EA

(3.136) J

4

Balken

Balken sind gerade eindimensionale Strukturelemente, die auf Biegung beansprucht werden. Das Konstitutivgesetz für den Balken unter Biegung und einer zusätzlichen Normalkraft wird zunächst für ein beliebiges Koordinatensystem hergeleitet, wobei hier auch verschiedene Flächenintegrale eingeführt werden. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den sog. Flächenträgheitsmomenten und dem sog. Deviationsmoment, und zwar sowohl für einteilige als auch für zusammengesetzte Querschnitte. Die beiden i. Allg. durchzuführenden Querschnittsnormierungen, d. h. der Bezug der Betrachtungen auf den Schwerpunkt des betrachteten Querschnitts und die Überführung in das sog. Hauptachssystem, vereinfachen die Betrachtungen dabei enorm. Schließlich sind in Balken die auftretenden Biegespannungen zu ermitteln. Die Studierenden sollen in die Lage versetzt werden, die dargelegten Grundgleichungen für Balkenstrukturen anzuwenden und die sich in Balken einstellenden Spannungen zu ermitteln.

4.1

Einleitung

Dieses Kapitel ist der Behandlung gerader Balken unter Normalkraft und Biegung gewidmet. Die Belastung der Balkenstrukturen, die wir in diesem Kapitel behandeln werden, rufen Normalkräfte, Biegemomente und Querkräfte hervor. Eine Torsionswirkung sei an dieser Stelle ausgeschlossen, dieses Thema wird in Kap. 7 behandelt. Die Belastung möge in Form der beiden Streckenlasten qy und qz vorliegen (in Abb. 4.1 als konstant über die Längsachse x dargestellt), die beliebige Funktionen von x sein können. Ebenso kann eine beliebige Anzahl von Einzelkräften Fy und Fz an beliebigen Stellen des Balkens vorliegen. Einzelbiegemomente sind ebenfalls als Belastung zulässig, sind aber aus Gründen der Übersichtlichkeit in Abb. 4.1 nicht dargestellt. Die Belastung des Balkens ruft innere Schnittgrößen hervor, die wir als Resultanten der inneren Spannungen interpretieren können. In den hier betrachteten Balkenstrukturen liegen als Schnittgrößen die Normalkraft N , die beiden Biegemomente My und Mz sowie © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2022 C. Mittelstedt, Technische Mechanik 2: Elastostatik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66432-2_4

77

78

4 Balken Fz qz

Fy

y

y qy

Qy

z

My

v

N

z

Qz Mz

φy

u w

x

x φz

Abb. 4.1 Belastung und Schnittgrößen des Balkens (links), zugehörige Weggrößen (rechts).

die beiden Querkräfte Qy und Qz vor (Abb. 4.2). Die zugehörigen Wergrößen sind die drei Verschiebungen u, v und w in x-, y- und z-Richtung sowie die beiden Verdrehungen 'y und 'z , die sog. Biegewinkel. Die Weggrößen sind in Abb. 4.1, rechts, dargestellt. Die Verdrehung # des Querschnitts um die x-Achse, so wie sie bei Torsion auftritt, sei hier ausgeschlossen. Die Abb. 4.2 zeigt, inwieweit die Schnittgrößen N , My , Mz , Qy und Qz mit den am Balken auftretenden Spannungskomponenten verknüpft sind. Als Spannungen treten am Balken die Normalspannung xx und die Schubspannung  auf. Die Belastungen qz und Fz rufen an dem hier dargestellten Balken die Schnittgrößen My und Qz hervor, wohingegen qy und Fy für das Auftreten der Schnittgrößen Mz und Qy verantwortlich sind. Desweiteren kann auch eine Normalkraft N vorliegen. Aus Abb. 4.2 wird ersichtlich, dass die Normalkraft N die Normalspannung xx hervorruft, die unter gewissen, noch zu diskutierenden Voraussetzungen, konstant über den Querschnitt verteilt ist. Wir werden in diesem Kapitel zeigen, dass das Biegemoment My ebenfalls die Normalspannung xx hervorruft, die dann allerdings linear über den Querschnitt verläuft so wie in Abb. 4.2, Mitte links, gezeigt. Die Querkraft Qz ist die Ursache für das Auftreten der Schubspannung  wie in Abb. 4.2, Mitte rechts, dargestellt. Die Ermittlung der Schubspannungen infolge Querkraft ist das Thema des Kap. 6 und wird für den Moment hintenan gestellt. Man kann zeigen, dass die Schubspannung für den hier gezeigten spezifischen Fall linear in den Flanschen des I-Querschnitts verläuft und einen parabolischen Verlauf im Steg des Querschnitts aufweist. Die Wirkungsrichtung der Schubspannung wird durch Pfeile angezeigt, so wie in Abb. 4.2, Mitte rechts, angedeutet. Aufgrund der umlaufenden Wirkung von  wird oftmals auf eine Indizierung dieser Spannungskomponente verzichtet. Das Biegemoment Mz ruft wie My die Normalspannung xx hervor, die ebenfalls linear über den Querschnitt verläuft, so wie in Abb. 4.2, unten links, gezeigt. Die ebenfalls auftretende Querkraft Qy ruft hingegen wiederum die Schubspannung  hervor (Abb. 4.2, unten rechts).

4.1 Einleitung

79 Fz qz

Fy

y

y qy

Qy

z

xx

N

My

z

Qz

x

Mz

N

x

Fz

Fz

qz

qz

y

y

xx z

My

z x

Qz

x

Fy

y

Fy

y

qy

qy Qy

z

x

xx

z x

Mz

Abb. 4.2 Schnittgrößen am Balken und die ihnen zugeordneten Spannungskomponenten.

Es ist die Hauptaufgabe von Ingenieur*innen in der Praxis, die Spannungen in Balkenstrukturen zu ermitteln und Bauteile so auszulegen, dass die vorhandenen Spannungen gewisse Grenzwerte nicht überschreiten. Ebenso sind in vielen Fällen die Deformationen solcher Strukturen zu betrachten und entsprechend nachzuweisen. In diesem Kapitel wollen wir uns zunächst der allgemeinen Betrachtung von Balkenstrukturen und der Ermittlung der Normalspannung xx widmen. Die Betrachtung der ebenfalls äußerst wichtigen Ermittlung von Schubspannungen infolge Querkraft und Torsion folgt in den Kap. 6 und 7. Die Analyse der Deformationen von Balken wird in Kap. 5 behandelt.

80

4 Balken

4.2 Grundgleichungen für ein beliebiges Bezugssystem Die Balkentheorie, die wir in diesem Kapitel behandeln wollen, geht auf Leonhard Euler und Jakob Bernoulli1 zurück und wird entsprechend als Euler-Bernoulli-Balkentheorie bezeichnet. Diese elementar wichtige und in der Ingenieurpraxis weit verbreitete Theorie basiert auf den folgenden Annahmen:  Wir unterstellen, dass die Hypothese vom Ebenbleiben der Querschnitte sowie die Normalenhypothese Gültigkeit haben. Querschnitte verwölben sich bei der Durchbiegung des Balkens nicht und stehen auch im verformten Zustand orthogonal zur Längsachse das Balkens (Abb. 4.3). Als Folge werden Schubverzerrungen im Balken von vorneherein explizit ausgeschlossen. Wir werden an späterer Stelle noch sehen, dass diese Annahme zu Widersprüchen führt, verwenden sie aber als eine taugliche Arbeitsgrundlage.  Wir gehen von linear-elastischem Materialverhalten aus, das Hookesche Gesetz ist uneingeschränkt gültig.  Die Querschnittsabmessungen seien signifikant kleiner als die Länge des Balkens. Eine Idealisierung im Rahmen einer Balkentheorie ist damit gerechtfertigt.  Die Querschnittsform bleibe während der Verformung infolge der gegebenen Belastung vollständig erhalten.  Wir unterstellen geometrische Linearität, gehen also von kleinen Verformungen aus.  Es werden ausschließlich gerade Balkenstrukturen betrachtet. Das Hookesche Gesetz lautet für die hier betrachtete Balkensituation wie folgt: xx D E"xx ;

 D G:

(4.1)

Abb. 4.3 Darstellung der Hypothese vom Ebenbleiben der Querschnitte und der Normalenhypothese.

q

Schwerpunktachse

1

Leonhard Euler, 1707–1783, und Jakob Bernoulli, 1654–1705, beides Schweizer Mathematiker und Physiker.

4.2 Grundgleichungen für ein beliebiges Bezugssystem

81

y y My

x Schwerpunkt S

Nx

z

φy

x

v

u

P

vP(x,y,z) uP(x,y,z)

z

wP(x,y,z)

Mz

w φz

Abb. 4.4 Kraft- und Weggrößen in einem beliebigen Bezugssystem x; N y; N zN sowie Verschiebungen uN P , vNP und wN P des Punktes P.

Wir beginnen die Ausführungen anhand der Abb. 4.4, wobei wir hier für die Normalkraft N die Bezeichnung NxN ansetzen. An einem beliebigen Punkt des Querschnitts, der nicht notwendigerweise der Schwerpunkt sein muss, werde ein kartesisches Koordinatensystem eingeführt, wobei wir die Achsen als x, N y, N zN bezeichnen. Der hochgestellte Strich deutet dabei an, dass es sich um ein völlig beliebig gewähltes Bezugssystem handelt. Wir wollen im Folgenden sowohl die Absenkung wN P als auch die Längsverschiebung uN P eines beliebigen Punktes P bestimmen, der sich an einer beliebigen Stelle des Querschnitts befinde. Die i. Allg. ebenfalls auftretende Verschiebung vNP in Richtung der Bezugsachse yN wird an späterer Stelle noch berücksichtigt. Die sich hier einstellenden Weggrößen sind die Verschiebungen u, N vN und zN sowie die beiden Biegewinkel 'yN und 'zN . Wir betrachten nun die Kinematik des Euler-Bernoulli-Balkens, die in Abb. 4.5 anhand eines Schnittelements des Balkens im unverformten und im verformten Zustand gezeigt ist. Die Höhe des Querschnitts sei h. Abb. 4.5 Kinematik der Euler-Bernoulli-Balkentheorie.

h

x zP P

z Unverformt

u uP

w wP

-φy zP ∆u

Verformt

h

P

-φy

∆u

dw dx

82

4 Balken

Aufgrund der vorliegenden Biege- und Normalkraftbeanspruchung wird das Schnittelement sowohl eine Absenkung wN als auch eine Längsverschiebung uN durchlaufen. Aufgrund der Verformung stellt sich außerdem die Neigung ddwxNN D wN 0 ein. Die zum Punkt P gehörigen Weggrößen seien als wN P und uN P bezeichnet. Durch die Verdrehung 'yN wird der Koordinatenursprung eine Längsverschiebung uN erleiden, die sich von der Verschiebung uN P des Punktes P unterscheidet. Die Differenz dieser beiden Verschiebungswerte sei als uN bezeichnet. Die Differenz uN kann aus dem in Abb. 4.5, rechts, dargestellten Detail ermittelt werden. Wir lesen ab: sin.'yN / D

uN : zNP

(4.2)

Da wir im Rahmen der vorliegenden Balkentheorie kleine Formänderungen und somit auch kleine Verdrehungen 'yN und 'zN annehmen, kann sin.'yN / ' 'yN unterstellt werden, so dass: (4.3) uN D NzP 'yN : Aufgrund der Hypothese, dass sich keinerlei Querschnittsverwölbungen einstellen und außerdem die Normalenhypothese Gültigkeit besitzt, kann die Neigung ddwxNN D wN 0 der Balkendurchbiegung wN mit dem Verdrehwinkel 'yN gleichgesetzt werden: uN D zNP wN 0 :

(4.4)

Die Längsverschiebung uN P des Punktes P lautet somit: uN P D uN  uN D uN  zNP wN 0 :

(4.5)

Dieser Zusammenhang gilt ausschließlich für den Fall der sog. einfachen oder geraden Biegung, also für denjenigen Fall, dass ausschließlich die Verformungen uN und wN in der xN zN -Ebene auftreten. Es wird an späterer Stelle noch genau geklärt, unter welchen Voraussetzungen dieser Fall überhaupt eintreten kann. Führt die gegebene Belastung sowohl zu den Verformungen uN und wN als auch zur Verschiebung v, N dann spricht man der sog. schiefen Biegung oder Doppelbiegung. In diesem Falle wird (4.5) um den Anteil der Verschiebung vN erweitert wie folgt: uN P D uN  zNP wN 0  yNP vN 0 :

(4.6)

Hierin ist yNP der Abstand des Punktes P vom Ursprung des Bezugssystems bzgl. der y-Richtung. N Da wir davon ausgehen, dass sich die Querschnittsabmessungen durch die Balkenverformung nicht ändern, können wir die Durchbiegung wN des Koordinatenursprungs und die Durchbiegung wN P des Punktes P gleichsetzen: N wN P D w:

(4.7)

4.2 Grundgleichungen für ein beliebiges Bezugssystem

83

Dies gilt ganz genauso für die Verschiebungen in y-Richtung: N N vNP D v:

(4.8)

Die Gleichungen (4.6), (4.7) und (4.8) beschreiben das Verschiebungsfeld des Euler-Bernoulli-Balkens. Hieraus kann das Verzerrungsfeld des Balkens bestimmt werden. Da wir von einem schlanken Bauteil ausgehen, bei dem die Länge signifikant größer ist als seine Querschnittsabmessungen und wir außerdem jegliche Schubverzerrungen von vorneherein ausgeschlossen haben, ist die einzige verbleibende Verzerrungskomponente die Längsdehnung "xN xP N . Sie errechnet sich aus der kinematischen Gleichung (1.34) als: duN P D uN P0 D uN 0  zNP wN 00  yNP vN 00 : dxN

"xN xP N D

(4.9)

Da die bislang hergeleiteten Zusammenhänge für beliebige Punkte des Querschnitts Gültigkeit haben, wollen wir im Folgenden den Index P weglassen. Aus dem Hookeschen Gesetz (4.1) ergibt sich die Normalspannung xN xN des Balkens wie folgt:   (4.10) xN xN D E"xN xN D E uN 0  zN wN 00  yN vN 00 : Die Normalspannung xN xN führt auf die folgenden Schnittgrößen des Balkens: Z Z Z NxN D xN xN dA; MyN D xN xN zN dA; MzN D  xN xN ydA: N A

A

(4.11)

A

Einsetzen von (4.10) ergibt: Z  0  NxN D E uN  zN wN 00  yN vN 00 dA A

D E uN

0

Z MyN D E A

D E uN 0

Z dA  E wN A

MzN D E A

D E uN 0

zdA N  E vN

00

Z ydA; N A

 00

uN 0  zN wN 00  yN vN zN dA zN dA  E wN 00

A

Z

Z A

 Z

00

Z

zN 2 dA  E vN 00

A

Z yN zdA; N A

 0  uN  zN wN 00  yN vN 00 ydA N Z A

ydA N C E wN 00

Z A

yN zN dA C E vN 00

Z A

yN 2 dA:

(4.12)

84

4 Balken

Hierin tritt eine Reihe von für Balkenstrukturen typischen und häufig wiederkehrenden Flächenintegralen auf. Die Querschnittsfläche A des Balkens in der Einheit einer Länge in zweiter Potenz ist definiert wie folgt: Z (4.13) A D dA: A

Desweiteren treten in (4.12) Flächenintegrale erster Ordnung auf, nämlich die sog. statischen Momente SyN und SzN : Z Z N SyN D zN dA: (4.14) SzN D ydA; A

A

Die statischen Momente liegen in der Einheit einer Länge in dritter Potenz vor. Die außerdem in (4.12) auftretenden Flächenintegrale zweiter Ordnung schließlich sind die sog. Flächenträgheitsmomente IyN yN , IzN zN sowie das sog. Deviationsmoment IyN zN : Z Z Z (4.15) IyN yN D zN 2 dA; IzN zN D yN 2 dA; IyN zN D yN zN dA: A

A

A

Die beiden Flächenträgheitsmomente IyN yN und IzN zN nehmen stets Werte größer als Null an. Das Deviationsmoment IyN zN hingegen kann sowohl positive als auch negative Werte aufweisen oder in speziellen Fällen (die wir noch an späterer Stelle diskutieren werden) sogar zu null werden. Sowohl die Flächenträgheitsmomente als auch das Deviationsmoment weisen die Einheit einer Länge in vierter Potenz auf. Eine weitere hieraus ableitbare Größe ist das sog. polare Trägheitsmoment Ip , das sich aus der Summe der beiden Flächenträgheitsmomente IyN yN und IzN zN ergibt: Z Ip D A

r 2 dA D

Z



 yN 2 C zN 2 dA D IyN yN C IzN zN :

(4.16)

A

Mit (4.13), (4.14) und (4.15) kann das Gleichungssystem (4.12) wie folgt angegeben werden: NxN D EAuN 0  ESyN wN 00  ESzN vN 00 ; MyN D ESyN uN 0  EIyN yN wN 00  EIyN zN vN 00 ; MzN D ESzN uN 0 C EIyN zN wN 00 C EIzN zN vN 00 :

(4.17)

Dies kann kompakt in einer Vektor-Matrix-Notation dargestellt werden wie wolgt: 0

1 2 NxN A @ MyN A D E 4SyN MzN SzN

SyN IyN yN IyN zN

30 0 1 SzN uN IyN zN 5@wN 00 A: IzN zN vN 00

(4.18)

4.2 Grundgleichungen für ein beliebiges Bezugssystem

85

Es folgt, dass bei der Wahl eines beliebigen Koordinatensystems x, N y, N zN sämtliche SchnittN v, N wN gekoppelt sind. Man bezeichgrößen NxN , MyN , MzN mit allen Verschiebungsgrößen u, net den Gleichungssatz (4.17) bzw. (4.18) auch als das Konstitutivgesetz des Balkens, das hier für das beliebig gewählte Bezugsssystem x, N y, N zN formuliert wurde. Die Produkte EIyN yN und EIzN zN bezeichnet man als Biegesteifigkeiten. Beispiel 4.1

Wir demonstrieren die Ermittlung der in (4.12) auftretenden Flächenintegrale anhand eines Rechteckquerschnitts (Höhe h, Breite b) wie in Abb. 4.6, oben, gezeigt. Wir betrachten zunächst das Flächenintegral (4.13), d. h. die Querschnittsfläche A. Für eine solch elementar einfache Rechteckfläche ist der Flächeninhalt natürlich sofort ermittelbar als A D bh. Wir wollen hier aber dennoch das Flächenintegral (4.13) formal auswerten, um den Umgang mit solchen Integralausdrücken einzuüben. Wir verwenden zur Berechnung das infinitesimale Flächenelement dA wie in Abb. 4.6, unten rechts, gezeigt, d. h. dA D dydN N z . Dann folgt aus (4.13): Zh Zb

Z dA D

AD A

0

dydN N z D yj N b0 zN jh0 D bh:

(4.19)

0

b y

h

z y

y

y dA

z

z dA y dz dy

y

dA dy dz

z

z

z

Abb. 4.6 Rechteckquerschnitt (oben), verschiedene Arten des infinitesimalen Flächenelements dA (unten).

86

4 Balken

Wir berechnen desweiteren die statischen Momente SyN und SzN . Zur Berechnung von SzN verwenden wir das infinitesimale Flächenelement der Abb. 4.6, unten Mitte, d. h. wir setzen dA D hdyN und integrieren von yN D 0 bis yN D b: Z SzN D

ˇb hyN 2 ˇˇ hb 2 D : ˇ 2 0 2

Zb ydA N D

hyd N yN D

A

0

(4.20)

Analog können wir für die Ermittlung von SyN vorgehen und erhalten mit dem infinitesimalen Flächenelement dA D bdNz : Z SyN D

Zh zN dA D

b zN dNz D

A

0

ˇh b zN 2 ˇˇ bh2 D : ˇ 2 0 2

(4.21)

Zuletzt ermitteln wir die Flächenträgheitsmomente IyN yN und IyN zN sowie das Deviationsmoment IyN zN . Für das Flächenträgheitsmoment IyN yN folgt aus (4.15) mit dem infinitesimalen Flächenelement dA D bdNz (Abb. 4.6, unten links): Z IyN yN D

Zh

2

zN dA D A

b zN 2 dNz D

0

ˇh b zN 3 ˇˇ bh3 D : ˇ 3 0 3

(4.22)

Analog folgt für IzN zN bei Verwendung von dA D hdyN Z IzN zN D

Zb

2

yN dA D A

0

ˇb hyN 3 ˇˇ hb 3 hyN dyN D D : 3 ˇ0 3 2

(4.23)

Schließlich ermitteln wir noch das Deviationsmoment IyN zN und verwenden dazu das infinitesimale Flächenelement dA der Abb. 4.6, unten rechts, d. h. dA D dydN N z . Es folgt dann: ˇb ˇh Z Zh Zb yN 2 ˇˇ zN 2 ˇˇ b 2 h2 yN zd N ydN N zD D : (4.24) IyN zN D yN zN dA D 2ˇ 2ˇ 4 A

0

0

0

0

Das Konstitutivgesetz (4.18) kann dann dargestellt werden als: 3 2 hb 2 bh2 7 6 bh 1 0 2 2 70 0 1 6 NxN 7 uN 6 2 bh bh3 b 2 h2 7@ 00 A @ MyN A D E 6 7 wN : 6 6 2 3 4 7 7 vN 00 6 MzN 4 hb 2 b 2 h2 hb 3 5 2

4

3

(4.25)

J

4.2 Grundgleichungen für ein beliebiges Bezugssystem

87

In vielen technisch relevanten Fällen sind Querschnitte von Balken aus einer Anzahl von Teilsegmenten zusammengesetzt, deren Flächenintegrale einfach zu ermitteln sind. Liegt ein solcher Fall vor, dann können die Flächenintegrale der Gl. (4.13), (4.14) und (4.15) als Summe der Teilintegrale über die Teilsegmente des Querschnitts ermittelt werden. Liegt ein Querschnitt mit n Teilsegmenten vor, dann gilt: Z dA D

AD A

n Z X i D1 A

ydA N D

n X

Ai ;

i D1

i

Z SzN D

dAi D

n Z X

ydA N iD

n X

A

i D1 A

i D1

Z

n Z X

n X

SyN D

i

zN dA D A

Z IyN yN D

zN 2 dA D

Z

n Z X

zN 2 dAi D

i D1 A

n X

IyN y;i N ;

i D1

i

yN 2 dA D

Sy;i N ;

i D1

i

A

IzN zN D

zN dAi D

i D1 A

Sz;i N ;

n Z X

yN 2 dAi D

n X

IzN z;i N ;

A

i D1 A

i D1

Z

n Z X

n X

IyN zN D

i

yN zdA N D A

i D1 A

i

yN zdA N iD

IyN z;i N :

(4.26)

i D1

Beispiel 4.2

Betrachtet werde der dünnwandige I-Querschnitt der Abb. 4.7, der die konstante Wanddicke t sowie die Steghöhe h und die Flanschbreite 2b aufweise. Gesucht werden die Flächenintegrale (4.26), wobei der Querschnitt hierzu in n D 3 Segmente zu zerlegen ist. Die Wanddicke des Querschnitts werde an jeder Stelle durch die sog. Skelettlinie halbiert. Abb. 4.7 Dünnwandiger I-Querschnitt.

t

1

y t

2

h t

b

z 3

b

88

4 Balken

Wir beginnen die Betrachtungen mit der Ermittlung der Querschnittsfläche. Für die Teilflächen erhalten wir: A1 D 2bt;

A2 D .h  t/t;

A3 D 2bt:

(4.27)

Die Gesamtfläche folgt dann als: A D A1 C A2 C A3 D 4bt C ht  t 2 :

(4.28)

Gehen wir von einem sehr dünnwandigen Querschnitt mit t  b; h aus, dann ist der letzte Term von der Ordnung t 2 vernachlässigbar, und es verbleibt: A D t.4b C h/:

(4.29)

Desweiteren betrachten wir das statische Moment SzN . Es gilt: SzN D

3 Z X

ydA N iD

i D1 A

3 X

Sz;i N :

(4.30)

i D1

i

Mit den Flächenelementen dA1 D tdyN (oberer Flansch), dA2 D hdyN (Steg), dA3 D tdyN (unterer Flansch) ergeben sich die folgenden statischen Momente Sz;i N der Teilflächen: Z2b Sz;1 N D

t yd N yN D 0

ˇ2b t yN 2 ˇˇ D 2b 2 t; 2 ˇ0

bC 2t

Z

Sz;2 N D

hyd N yN D

ˇbC t hyN 2 ˇˇ 2 D bht; 2 ˇb t 2

b 2t 2 Sz;3 N D Sz;1 N D 2b t:

(4.31)

Das statische Moment SzN des Querschnitts folgt dann zu: SzN D

3 X

Sz;i N D bt.4b C h/:

(4.32)

i D1

Ganz analog kann man für das statische Moment SyN vorgehen, und man erhält:   h C 2b : SyN D th 2

(4.33)

Bei der Ermittlung des statischen Moments zeigt es sich, dass sich die Berechnung ganz erheblich vereinfachen lässt. Aus der Integrationsvorschrift (4.26) folgt nämlich,

4.2 Grundgleichungen für ein beliebiges Bezugssystem

89

dass es bei Vorliegen eines Querschnitts, der aus n Teilsegmenten besteht, ausreicht die Summe über die Teilflächen Ai , multipliziert mit ihrem Schwerpunktabstand yNi bzw. zN i , zu bilden: n n X X SzN D Ai yNi ; SyN D Ai zN i : (4.34) i D1

i D1

Dies sei nachfolgend für das statische Moment SzN gezeigt. Mit A1 D 2tb;

A2 D t.h  t/; yN1 D b;

A3 D 2tb;

yN2 D b;

yN3 D b

(4.35)

folgt: SzN D

3 X

Ai yNi D 2tb 2 C t.h  t/b C 2tb 2 D 4tb 2 C thb  t 2 b:

(4.36)

i D1

Geht man von einem sehr dünnwandigen Querschnitt aus, für den t  b; h gilt, dann kann der letzte Term in (4.36) vernachlässigt werden, und es verbleibt: SzN D bt.4b C h/:

(4.37)

Offenbar ist dieses Ergebnis mit (4.32) identisch. Wir ermitteln nun das Flächenträgheitsmoment IyN yN gemäß (4.26) und verwenden dazu die infinitesimalen Flächenelemente dA1 D 2bdNz , dA2 D tdNz , dA3 D 2bdNz . Dann folgt für Teilträgheitsmomente: Z IyN y;1 N D

t

zN 2 dA1 D

IyN y;2 N D

2b zN 2 dNz D

2

Zh

zN dA2 D

ˇh t zN 3 ˇˇ th3 t zN dNz D D ; 3 ˇ0 3

A2

0

Z

hC 2t

IyN y;3 N D

2

Z

zN dA3 D A3

h 2t

ˇt 2b zN 3 ˇˇ 2 bt 3 D ; ˇ 3 t 6 2

 2t

A1

Z

Z2

2

ˇhC t   2b zN 3 ˇˇ 2 2bt t2 2 2b zN dNz D D C 3h : 3 ˇh t 3 4 2

(4.38)

2

Das Flächenträgheitsmoment folgt dann aus der Summe der Teilträgheitsmomente wie folgt:   bt 3 t2 th3 2bt C C 3h2 C : (4.39) IyN yN D 6 3 3 4

90

4 Balken

Wenn wir von einem sehr dünnwandigen Querschnitt mit t  b; h ausgehen, dann sind in (4.39) Terme von der Ordnung t 3 vernachlässigbar, und es verbleibt: 2



IyN yN D th

 h C 2b : 3

(4.40)

Desweiteren ermitteln wir das Flächenträgheitsmoment IzN zN nach der Rechenvorschrift (4.26) und ermitteln zunächst die Teilträgheitsmomente IzN z;1 N , IzN z;2 N , IzN zN ;3 . Mit den FläN dA2 D hdy, N dA3 D tdyN ergibt sich: chenelementen dA1 D tdy, Z IzN zN ;1 D

Z2b

yN 2 dA1 D

t yN 2 dyN D

A1

0

Z

bC 2t

IzN zN ;2 D

Z

2

yN dA2 D A2

Z

IzN zN ;3 D

b 2t

ˇ2b t yN 3 ˇˇ 8tb 3 D ; ˇ 3 0 3

ˇbC t   hyN 3 ˇˇ 2 ht t2 2 hyN dyN D D 3b C ; 3 ˇb t 3 4 2

2

yN 2 dA3 D IzN z;1 N D

A3

8tb 3 : 3

(4.41)

Damit kann das Flächenträgheitsmoment aus der Summe der Teilträgheitsmomente ermittelt werden:   16 3 ht t2 3b 2 C : (4.42) tb C IyN yN D 3 3 4 Vernachlässigt man auch hier wieder unter der Annahme eines dünnwandigen Querschnitts Terme der Ordnung t 3 , dann verbleibt: IyN yN D tb

2



 16 bCh : 3

(4.43)

Schließlich ist noch das Deviationsmoment IyN zN zu bestimmen. Für die Teilmomente gilt: t ˇ2b ˇ t Z Z 2 Z2b yN 2 ˇˇ zN 2 ˇˇ 2 yN zN dA1 D yN zN dydN N zD D 0; IyN z;1 N D 2 ˇ0 2 ˇ t t

Zh bC Z 2

Z IyN z;2 N D

2

 2t 0

A1

yN zN dA2 D A2

0 b t 2

Z

hC 2t 2b Z Z

IyN z;3 N D

yN zN dA3 D A3

h 2t 0

ˇbC t ˇh yN 2 ˇˇ 2 zN 2 ˇˇ bh2 t yN zN dydN N zD D ; ˇ ˇ 2 b t 2 0 2 2

ˇ2b ˇhC t yN 2 ˇˇ zN 2 ˇˇ 2 yN zd N ydN N zD D 2b 2 ht: 2 ˇ0 2 ˇh t 2

(4.44)

4.2 Grundgleichungen für ein beliebiges Bezugssystem

91

Damit folgt für das Deviationsmoment: IyN zN

  h D tbh C 2b : 2

(4.45)

Das Konstitutivgesetz (4.18) nimmt dann die folgende Form an: 2 th 6 t.4b C h/ 6 6 ! NxN 6 h @ MyN A D E 6 C 2b th2 6th 6 2 6 MzN 6 4 bt.4b C h/ tbh 0

1

h

!

bt.4b C h/ 7 7 ! 70 uN 0 1 7 h 7 C 2b tbh C 2b 7@wN 00 A: 7 3 2 ! !7 vN 00 7 h 16 5 C 2b tb 2 bCh 2 3

2 h

C 2b

3

!

(4.46)

J Beispiel 4.3

Gegeben sei der in Abb. 4.8 gezeigte Z-Querschnitt mit der konstanten Wandstärke t. Gesucht werden die Flächenintegrale gemäß (4.26). Wir geben nachfolgend die Ergebnisse ohne Erläuterung des Rechenweges an. Es sei der Leserschaft an dieser Stelle empfohlen, die Rechnung selbstständig durchzuführen. A D t.2b C h/;   h Cb ; SyN D th 2 SzN D tb.2b C h/;   h IyN yN D th2 Cb ; 3   8b IzN zN D tb 2 Ch ; 3   h 3b IyN zN D tbh C : 2 2

Abb. 4.8 Dünnwandiger Z-Querschnitt.

(4.47)

t

y h

t

z

t

b

b

92

4 Balken

Das Konstitutivgesetz (4.18) lautet dann für diese Querschnittsform wie folgt: 2 th 6 t.2b C h/ 6 6 ! NxN 6 h @ MyN A D E 6 Cb th2 6th 6 2 6 MzN 6 4 tb.2b C h/ tbh 0

1

h

3

!

tb.2b C h/ 7 7 ! !70 uN 0 1 h 3b 7 7@ 00 A Cb tbh C 7 wN : 3 2 2 7 ! ! 7 vN 00 7 h 3b 8b 5 C tb 2 Ch 2 2 3 2 h

Cb

(4.48)

J

4.3

Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S

4.3.1 Der Satz von Steiner Mit den Gleichungssätzen (4.17) bzw. (4.18) liegt das Konstitutivgesetz für den EulerBernoulli-Balken bei beliebiger Wahl des Bezugssystems vor. Allerdings zeigt es sich, dass hier jede Schnittgröße mit jeder Verschiebungsgröße gekoppelt ist. Die Zusammenhänge vereinfachen sich ganz wesentlich, wenn das Bezugssystem in einen besonders ausgezeichneten Punkt verschoben wird, in dem die beiden statischen Momente Sz und Sy verschwinden. Wir werden nachfolgend zeigen, dass dies der Schwerpunkt S des Querschnitts ist. Der Bezug der Betrachtungen auf den Schwerpunkt des Querschnitts wird als erste Querschnittsnormierung bezeichnet. Die Verschiebung des Bezugssystems ist in Abb. 4.9 dargestellt. Der Schwerpunkt befinde sich an der Stelle .yN D yNS ; zN D zN S /. Das auf den Schwerpunkt S bezogene Bezugssystem sei als x, y, z bezeichnet. Ganz genauso seien die diesbezüglichen Kraft- und

yS zS My

y

S

y

x

y

Mz Mz

x

y v

z

N

My

z

Nx

x

z

S

v

u

x u

z

w

w

Abb. 4.9 Erste Querschnittsnormierung: Bezug auf den Schwerpunkt S mit dem Schwerpunktkoordinatensystem x, y, z und den zugehörigen Kraft- und Weggrößen.

4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S

93

Verschiebungsgrößen als N , My , Mz sowie u, v, w bezeichnet, wobei wir im Weiteren auf die Indizierung der Normalkraft N verzichten wollen. Die Schwerpunktachsen x, y, z stehen mit den Bezugsachsen x, N y, N zN wie folgt im Zusammenhang: y D yN  yNS ;

x D x; N

z D zN  zN S :

(4.49)

Der Bezug des Achsensystems auf den Schwerpunkt S entspricht also einer reinen Translation des Bezugssystems in der yN z-Ebene. N Voraussetzung für das Schwerpunktkoordinatensystem ist, dass die beiden statischen Momente Sz und Sy verschwinden: Z Sz D

Z ydA D

A

ydA N  yNS A

Z

Sy D

Z A

Z zdA D

A

dA D 0;

Z zdA N  zNS

A

dA D 0:

(4.50)

A

Wir können diese Forderung umgehend nach den Schwerpunktkoordinaten yNS , zN S auflösen: Z Z ydA N zN dA SzN SyN A A D ; zNS D Z D : yNS D Z (4.51) A A dA dA A

A

Es werden nun die Flächenträgheitsmomente Iyy , Izz und das Deviationsmoment Iyz ermittelt. Für Iyy folgt: Z Iyy D

z 2 dA D

A

Z

Z

.Nz  zNS /2 dA

A 2

Z

zN dA  2NzS

D A

zdA N C A

zN S2

Z

dA D IyN yN  2Nzs SyN C zN S2 A:

(4.52)

A

Verwendung von SyN D zNs A ergibt: Iyy D IyN yN  zNS2 A:

(4.53)

Ähnliche Ausdrücke ergeben sich für Izz und Iyz , und man erhält den sog. Satz von Steiner2 : (4.54) Iyy D IyN yN  zN S2 A; Izz D IzN zN  yNS2 A; Iyz D IyN zN  yNS zNS A: 2

Jakob Steiner (1796–1863), schweizer Mathematiker.

94

4 Balken

Der Satz von Steiner beschreibt die Änderung der Flächenträgheitsmomente und des Deviationsmoments bei einer Verschiebung eines beliebigen kartesischen Bezugssystems in den Schwerpunkt S eines Querschnitts. Man bezeichnet diejenigen Anteile in (4.54), die die Querschnittsfläche A beinhalten, umgangssprchlich als die sog. Steiner-Anteile. Wir werden an späterer Stelle noch zeigen, dass sich das Vorzeichen der Steiner-Anteile umkehrt, wenn man das Bezugsstystem aus dem Schwerpunkt heraus in einen beliebigen anderen Punkt des Querschnitts verschiebt. Aus dem Satz von Steiner folgt außerdem umgehend, dass die Flächenträgheitsmomente und das Deviationsmoment im Schwerpunkt die kleinstmöglichen Werte annehmen. Beispiel 4.4

Wir betrachten erneut den Querschnitt der Abb. 4.6 und ermitteln die Flächenintegrale bezüglich des Schwerpunktkoordinatensystems x, y, z (Abb. 4.10). Die Schwerpunktkoordinaten yNS , zN S folgen nach (4.51) als: yNS D

SzN A

D

hb 2 b D ; 2hb 2

zN S D

SyN A

D

bh2 h D : 2bh 2

(4.55)

Die Flächenträgheitsmomente Iyy und Izz sowie das Deviationsmoment Iyz folgen aus dem Satz von Steiner (4.54) als: bh3 h2 bh3  bh D ; 3 4 12 hb 3 b 2 hb 3 D IzN zN  yNS2 A D  bh D ; 3 4 12 b 2 h2 b h D IyN zN  yNS zNS A D  bh D 0: 4 22

Iyy D IyN yN  zN S2 A D Izz Iyz

(4.56)

Offenbar verschwindet für den Rechteckquerschnitt neben den beiden statischen Momenten Sz und Sy auch das Deviationsmoment Iyz . Das liegt darin begründet, dass es sich hierbei um einen doppelt symmetrischen Querschnitt handelt, bei dem die Bezugsachsen mit den Symmetrieachsen übereinstimmen. Wir werden an späterer Stelle noch einmal auf diesen Sachverhalt zurückkommen. J Abb. 4.10 Rechteckquerschnitt mit Schwerpunktkoordinatensystem x, y, z.

b y

S

y

z

h

z

4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S

95

Beispiel 4.5

Es werde erneut der I-Querschnitt der Abb. 4.7 betrachtet. Die Schwerpunktberechnung ergibt hier die folgenden Koordinaten yNS und zNS : SzN

bt.4b C h/ D b; A t.4b C h/   SyN th h2 C 2b h zNS D D D : A t.4b C h/ 2

yNS D

D

(4.57)

Die Flächenträgheitsmomente und das Deviationsmoment können dann mit Hilfe des Satzes von Steiner ermittelt werden wie folgt: 1 3 th C tbh2 ; 12 4 D IzN zN  yNS2 A D tb 3 ; 3 D IyN zN  yNS zN S A D 0:

Iyy D IyN yN  zN S2 A D Izz Iyz

(4.58)

Für den vorliegenden doppelsymmetrischen I-Querschnitt verschwindet das Deviationsmoment Iyz . J Beispiel 4.6

Für den Z-Querschnitt der Abb. 4.8 ergeben sich die folgenden Schwerpunktkoordinaten yNS und zNS : SzN tb.2b C h/ yNS D D D b; A t.2b C h/  h SyN th 2 C b h zN S D D D : (4.59) A t.2b C h/ 2 Die Flächenträgheitsmomente IyO yO und IzO zO sowie das Deviationsmoment IyO zO ergeben sich aus dem Satz von Steiner als: 1 3 1 th C tbh2 ; 12 2 2 D IzN zN  yNS2 A D tb 3 ; 3 1 D IyN zN  yNS zNS A D tb 2 h: 2

Iyy D IyN yN  zN S2 A D Izz Iyz

(4.60)

Für diesen Querschnitt verschwindet das Deviationsmoment Iyz demnach nicht. Auch auf diesen Sachverhalt werden wir an späterer Stelle noch einmal zu sprechen kommen. J

96

4 Balken

4.3.2 Ausgewählte Grundfälle In vielen technischen Anwendungen bestehen Querschnitte aus elementar einfachen Segmenten, für die sich die Flächenträgheitsmomente und das Deviationsmoment sehr einfach ermitteln lassen und aus denen sich dann schließlich der gesamte Querschnitt zusammensetzen lässt. Wir betrachten in diesem Abschnitt solche elementaren Fälle und stellen einige Beispiele hierzu bereit, wobei wir die Betrachtungen hier stets auf den Schwerpunkt S der Fläche beziehen wollen. Als erstes Beispiel sei erneut der Rechteckquerschnitt der Breite b und der Höhe h betrachtet (Abb. 4.11). Gesucht werden die beiden Flächenträgheitsmomente Iyy und Izz sowie das Deviationsmoment Iyz bezüglich des Schwerpunkts des Querschnitts. Das Flächenträgheitsmoment Iyy Z

z 2 dA

Iyy D

(4.61)

A

kann mit dem Flächenelement dA D bdz (Abb. 4.11, Mitte) ermittelt werden als: h

Z2 Iyy D

ˇh bz 3 ˇˇ 2 bh3 z bdz D D : 3 ˇ h 12 2

(4.62)

2

 h2

Auf analogem Wege erhält man das Flächenträgheitsmoment Izz als: Izz D

Abb. 4.11 Ermittlung der Flächenträgheitsmomente am Rechteckquerschnitt.

hb 3 : 12

(4.63)

b

h

S

y

z

y

S

z

y dA

z

S

z

y dA z

4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S

97

Für die Ermittlung des Deviationsmoments Z Iyz D

yzdA

(4.64)

A

wird das Flächenelement dA D dydz (Abb. 4.11, rechts) herangezogen. Es ergibt sich: h

b

ZC 2 ZC 2 Iyz D

yzdydz D 0:

(4.65)

 h2  b2

Diese Ergebnisse stimmen offenbar mit denjenigen Ergebnissen (4.56) überein, die wir zuvor schon mit Hilfe des Satzes von Steiner ermittelt haben. Beispiel 4.7

Gegeben sei der Kastenquerschnitt der Abb. 4.12 mit der Höhe h, der Breite b und der konstanten Wanddicke t. Wir führen für die Berechnung die beiden Hilfsgrößen bN D b  2t und hN D h  2t ein. Dieser Kastenquerschnitt kann rechnerisch so behandelt werden, dass von den Trägheitsmomenten des Vollquerschnitts der Höhe h und der Breite b die Trägheitsmomente des einbeschriebenen Querschnitts mit der Breite bN und der Höhe hN subtrahiert werden. Es folgt: Iyy D

bh3 bN hN 3 1  3 N N3  D bh  b h : 12 12 12

(4.66)

Für das Flächenträgheitsmoment Izz ergibt sich analog: Izz D

hb 3 hN bN 3 1  3 N N 3  D hb  hb : 12 12 12

(4.67)

Das Deviationsmoment Iyz verschwindet für diesen Querschnitt. J

Abb. 4.12 Ermittlung der Flächenträgheitsmomente am Kastenquerschnitt.

b t t

h

S

y

t

t

z

98

4 Balken Beispiel 4.8

Betrachtet werde der Kreisquerschnitt (Radius R) der Abb. 4.13. Gesucht werden die beiden Flächenträgheitsmomente Iyy und Izz sowie das Deviationsmoment Iyz . Außerdem sollen diese Flächenwerte für einen Kreisringquerschnitt bestimmt werden. Wir ermitteln zunächst zweckmäßig das polare Trägheitsmoment Ip : Z Ip D

r 2 dA:

(4.68)

A

Das Flächenelement dA können wir als einen Kreisring mit der Dicke dr interpretieren, und es gilt dA D 2 rdr. Damit folgt: ZR Ip D 2

r 3 dr D

0

R4 : 2

(4.69)

Das polare Trägheitsmoment ist die Summe aus Iyy und Izz . Da der Kreisquerschnitt außerdem doppeltsymmetrisch ist (es gilt daher Iyy D Izz ), folgt: Iyy D Izz D

R4 : 4

(4.70)

Das Deviationsmoment Iyz ist für diesen Querschnitt null. Gegeben sei außerdem ein Kreisringquerschnitt mit der Wanddicke t, dem Innenradius Ri und dem Außenradius Ra . Die gesuchten Flächenwerte erhalten wir durch Subtraktion:  Ra4 Ri4  4 (4.71)  D Ra  Ri4 : Iyy D Izz D 4 4 4 Als Hilfsgröße sei außerdem der mittlere Radius Rm festgelegt: Rm D

y

R S

y

1 .Ra C Ri /: 2

rS dA

z

z

Ri S Rm

y

dr

(4.72)

t S t Rm

y

Ra

z

z

Abb. 4.13 Ermittlung der Flächenträgheitsmomente für verschiedene Formen des Kreisquerschnitts.

4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S

99 2

3 Es gilt außerdem der Zusammenhang Ra4  Ri4 D 4tRm .1 C 4Rt 2 /. Handelt es sich um m einen sehr dünnwandigen Kreisringquerschnitt mit t  Rm , dann können wir in guter Näherung schreiben: 3 : (4.73) Iyy D Izz D  tRm J

Beispiel 4.9

Betrachtet werde der elliptische Querschnitt der Abb. 4.14 mit den beiden Halbmessern a und b. Gesucht werden die beiden Flächenträgheitsmomente Iyy und Izz sowie das Deviationsmoment Iyz . Die Berandung des Querschnitts werde durch die Ellipsengleichung  y 2  z 2 C D1 (4.74) a b beschrieben. Wir bestimmen zunächst das Flächenträgheitsmoment Iyy und verwenden hierzu das Flächenelement dA wie in Abb. 4.14 gezeigt. Aus der Ellipsengleichung (4.74) kann die halbe Breite y.z/ des Flächenelements dA abgeleitet werden als: r y.z/ D a 1 

 z 2 b

:

(4.75)

Für dA folgt dann: r dA D 2y.z/dz D 2a 1 

 z 2 b

dz:

(4.76)

Das Flächenträgheitsmoment Iyy ist dann ermittelbar als: Z Iyy D A

ZCb r  z 2 z dA D 2a z 2 1  dz: b 2

(4.77)

b

Mit der Substition z D b sin

' 2

(4.78)

Abb. 4.14 Elliptischer Querschnitt.

b y

z

S

a dA

y(z) z

100

4 Balken

geht der Ausdruck (4.77) über in: Iyy

ZC ' ' D ab sin2 cos2 d': 2 2 3

(4.79)



Das hierin auftretende Integral nimmt nach partieller Integration den Wert 4 an, so dass: ab 3 : (4.80) Iyy D 4 Das Flächenträgheitsmoment Izz kann hieraus durch Vertauschen von a und b gefolgert werden: ba3 : (4.81) Izz D 4 Da es sich um einen doppelt symmetrischen Querschnitt handelt, verschwindet das Deviationsmoment Iyz : (4.82) Iyz D 0: J Beispiel 4.10

Betrachtet werde der Dreicksquerschnitt der Abb. 4.15. Das hier gegebene rechtwinklige Dreieck weise die angegebenen Abmessungen b und h auf, gesucht werden die Flächenträgheitsmomente Iyy und Izz und das Deviationsmoment Iyz . Wir beginnen die Betrachtungen mit dem Flächenträgheitsmoment Iyy und verwenden für die Ermittlung das in Abb. 4.15 gezeigte Flächenelement dA D bA .z/dz. Hierin können wir die Breite bA .z/ ausdrücken als: bA .z/ D y.z/ C

b ; 3

(4.83)

worin y.z/ die Koordinate y in Abhängigkeit von z ist und sich ermitteln lässt als: y.z/ D 

bz b C : h 3

(4.84)

Abb. 4.15 Dreicksquerschnitt.

b b 3 y

h 3

S yA

z dA bA(z) z

h

4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S

101

Damit folgt: Z Iyy D

2h

z 2 dA D

A

C3 Z

 h3

C 2h 3

Z D

 h3

  b z 2 y.z/ C dz 3

  2b bh3 bz z2  C dz D : h 3 36

(4.85)

Das Flächenträgheitsmoment Izz kann dann durch Vertauschen von b und h beschafft werden: hb 3 : (4.86) Izz D 36 Für die Ermittlung des Deviationsmoments Iyz wird ebenfalls das Flächenelement der Abb. 4.15 verwendet. Die Lage des Schwerpunktes yA .z/ kann in Abhängigkeit von z angegeben werden als: bz (4.87) yA .z/ D  : 2h Damit kann das Deviationsmoment Iyz bestimmt werden als: 2h

C3 Z

Z Iyz D

yzdA D  A

 h3 2h

C3 Z

D  h3

  bz 2 b y.z/ C 2h 3

  bz 2 bz 2b b 2 h2  C D : 2h h 3 72

(4.88) J

Beispiel 4.11

Für den in Abb. 4.16 dargestellten dünnwandigen Halbkreisquerschnitt (Radius Rm ) wird das Flächenträgheitsmoment Iyy gesucht.

Abb. 4.16 Dünnwandiger Halbkreisquerschnitt.

dA=tRmd Rm cos y

Rm

z

102

4 Balken

Mit dem Abstand z D Rm cos ' und dem infinitesimalen Flächenelement dA D tRm d' erhalten wir das Flächenträgheitsmoment Iyy durch Integration: Z Iyy D

2

Z

z dA D A

2

.Rm cos '/ tRm d' D

3 Rm t

0

Z

cos2 'd' D

0

3 t Rm : 2

(4.89) J

4.3.3 Berechnung zusammengesetzter Querschnitte Der Satz von Steiner findet besonders vorteilhafte Verwendung bei solchen Querschnitten, deren Schwerpunkt bereits ermittelt wurde und die sich aus elementaren Flächen zusammensetzen, deren Schwerpunktlagen und Flächenträgheitsmomente man kennt. Wir wissen bereits aus (4.26), dass sich die Flächenintegrale von Querschnitten, die sich aus mehreren Teilsegmenten zusammensetzen, aus der Summe der einzelnen Teilintegrale ergeben. Dies gilt demnach auch für die Flächenträgheitsmomente und für das Deviationsmoment auch im Bezug auf das Schwerpunktkoordinatensystem y; z, d. h.: Z Iyy D

2

z dA D

Izz D

y 2 dA D

n Z X

y 2 dAi D

i D1 A

yzdA D

Iyy;i ;

n Z X

n X

Izz;i ;

i D1

i

Z

A

n X i D1

i

A

Iyz D

z 2 dAi D

i D1 A

A

Z

n Z X

yzdAi D

i D1 A

i

n X

Iyz;i :

(4.90)

i D1

Hierin sind die Teilträgheitsmomente Iyy;i , Izz;i , Iyz;i auf das Schwerpunktachsensystem y, z bezogen. Wir wollen nachfolgend herausarbeiten, wie sich diese Teilträgheitsmomente möglichst zweckmäßig ermitteln lassen. Hierzu betrachten wir die Achsentranslation der Abb. 4.9 erneut und verschieben nun das Schwerpunktkoordinatensystem y, z um yNS und zNS vom Schwerpunkt S in einen beliebigen anderen Punkt. Aus dem Zusammenhang (4.91) yN D y C yNS ; zN D z C zNS ergibt sich dann die folgende alternative Darstellung des Steinerschen Satzes: IyN yN D Iyy C zN S2 A; IzN zN D Izz C yNS2 A; IyN zN D Iyz C yNS zNS A;

(4.92)

die die Änderung der auf den Schwerpunkt bezogenen Flächenintegrale zweiter Ordnung bei einer Achsentranslation wie erläutert beschreibt. Demnach ändern sich die Flächenin-

4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S

103

Abb. 4.17 Segmentierter Querschnitt.

y zS y

S

zS,i zS,i

Si

yi Ai

zi

z

z

yS,i

yS yS,i

tegrale Iyy , Izz , Iyz eines Querschnitts bei einer Translation des Bezugssystems aus dem Schwerpunkt heraus um die Steiner-Anteile zN S2 A, yNS2 A, yNS zNS A und gehen in die Ausdrücke IyN yN , IzN zN , IyN zN über. Aus (4.92) lernt man erneut, dass die Flächenintegrale Iyy , Izz , Iyz bezogen auf den Schwerpunkt minimal sind. Die Darstellung (4.92) des Satzes von Steiner hat deshalb eine sehr wesentliche Bedeutung, da sie auf den Flächenintegralen bezüglich des Schwerpunktes S des Querschnitts basiert. In vielerlei praktischen Anwendungen wird man nämlich in einem ersten Schritt den Schwerpunkt S des betrachteten Querschnitts ermitteln und im nächsten Schritt von dort ausgehend die Flächenintegrale berechnen bzw. sie im Falle segmentierter Querschnitte (s. Abb. 4.17 für einen solchen Querschnitt, wobei wir hier von Dünnwandigkeit ausgehen und alle Bemaßungen auf die Skelettlinie bezogen haben) durch Aufsummieren der Beiträge der einzelnen Querschnittssegmente ermitteln. Für einen aus n elementaren Segmenten zusammengesetzten Querschnitt ergibt sich die Querschnittsfläche A als die Summe der Teilflächen Ai : Z AD

dA D

n X

Ai :

(4.93)

i D1

A

Für die statischen Momente bezüglich des beliebig gewählten Bezugssystems y, N zN erhält man: Z Z n n X X N D Ai zNS;i ; SzN D ydA N D Ai yNS;i : (4.94) SyN D zdA i D1

A

i D1

A

Hierin sind yNS;i und zNS;i die Schwerpunktkoordinaten des Segments i. Die Koordinaten des Schwerpunktes ergeben sich dann als: Z

n X

ydA N A

yNS D Z

D dA

A

Z

i D1 n X i D1

n X

zN dA

Ai yNS;i ;

A

zNS D Z

D dA

Ai A

Ai zNS;i

i D1 n X i D1

: Ai

(4.95)

104

4 Balken

Die Flächenträgheitsmomente Iyy , Izz und das Deviationsmoment Iyz , bezogen auf den Schwerpunkt S, ergeben sich dann als die Summe aller Eigenträgheitsmomente IyN y;i N , IzN z;i N , sowie den zugehörigen Steinerschen Anteilen: IyN z;i N Iyy D Izz D Iyz D

n X

IyN y;i N C

n X

i D1

i D1

n X

n X

i D1 n X i D1

IzN zN ;i C IyN zN ;i C

i D1 n X

2 zS;i Ai ;

2 yS;i Ai ;

yS;i zS;i Ai :

(4.96)

i D1

Die Größen IyN y;i N , IzN z;i N , IyN z;i N sind die Flächenträgheitsmomente und das Deviationsmoment des Segments i im Bezug auf seine lokalen Schwerpunktachsen yNi , zN i . Die Größen yS;i und zS;i sind die Abstände des Schwerpunktes Si des Teilsegments i vom Gesamtschwerpunkt des Querschnitts. Beispiel 4.12

Betrachtet werde der I-Träger der Abb. 4.18, links. Es sind die Flächenträgheitsmomente Iyy und Izz sowie das Deviationsmoment Iyz mit Hilfe des Satzes von Steiner bezüglich des Schwerpunktes S des Querschnitts zu ermitteln. Der Querschnitt wird zweckmäßig in die Segmente 1 (oberer Flansch), 2 (Steg) und 3 (unterer Flansch) aufgeteilt, und es werden die lokalen Bezugssysteme yN1 , zN 1 , yN2 , zN 2 sowie yN3 , zN3 zugeteilt, deren Ursprünge sich in den Schwerpunkten der einzelnen Segmente befinden (Abb. 4.18, rechts). Wir gehen bei allen weiteren Betrachtungen von einem sehr dünnwandigen Querschnitt aus, und wir orientieren uns bei der Ermittlung aller geometrischen Zusammenhänge an der Skelettlinie. Die Schwerpunkte der einzelnen Segmente befinden sich bei yS;1 D 0, zS;1 D  h2 , yS;2 D 0, zS;2 D 0, yS;3 D 0, zS;3 D h2 . Die Flächenträgheitsmomente der einzelnen Segmente können wie t

Abb. 4.18 Anwendung des Steinerschen Satzes auf einen I-Querschnitt.

y1 t h y

S

y2

t

z1

zS,1

z2

zS,3

y3 b

b

z

z3

4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S

105

folgt angegeben werden: 2bt 3 th3 ' 0; IyN y;2 ; N D 12 12 t.2b/3 ht 3 2tb 3 D IzN z;3 D ; IzN z;2 ' 0; N D N D 12 3 12 D IyN z;2 N D IyN zN ;3 D 0:

IyN y;1 N D IyN y;3 N D IzN z;1 N IyN z;1 N

(4.97)

Die Querschnittsflächen Ai lauten bei Orientierung an der Skelettlinie: A1 D A3 D 2tb;

A2 D th:

(4.98)

Der Steinersche Satz (4.96) ergibt dann:  2   h th3 th3 h 2 2tb C 2tb D C  C tbh2 ; 12 2 2 12 2tb 3 2tb 3 4tb 3 D C D ; 3 3 3 D 0:

Iyy D Izz Iyz

(4.99)

Offenbar entsprechen diese Ergebnisse den bereits zuvor in Beispiel 4.5 ermittelten Werten. J Beispiel 4.13

Betrachtet werde der Z-Querschnitt der Abb. 4.19, links. Es sind die Flächenträgheitsmomente Iyy und Izz sowie das Deviationsmoment Iyz bezüglich des Schwerpunktes S des Querschnitts mit Hilfe des Satzes von Steiner zu ermitteln. Es ist dabei von Dünnwandigkeit auszugehen, und man orientiere sich bei der Ermittlung aller geometrischen Größen an der Skelettlinie, die die Wanddicke an jeder Stelle des Querschnitts halbiert.

Abb. 4.19 Anwendung des Steinerschen Satzes auf einen Z-Querschnitt.

yS,1 t

y1 t h y

S

z1

y2

t

z2 y3

b

b

z

z3 yS,3

zS,1 zS,3

106

4 Balken

Der Querschnitt werde in drei Segmente eingeteilt wie in Abb. 4.19, rechts, angedeutet. Die Schwerpunktkoordinaten der einzelnen Segmente lauten yS;1 D  b2 , zS;1 D  h2 , yS;2 D 0, zS;2 D 0 und yS;3 D b2 , zS;3 D h2 , bezogen auf den Gesamtschwerpunkt S. Die Flächenträgheitsmomente der Segmente folgen zu: IyN y;1 N D IyN y;3 N D

bt 3 ' 0; 12

IzN z;1 N D IzN z;3 N D

tb 3 ; 12

IyN y;2 N D

IzN z;2 N D

th3 ; 12

ht 3 ' 0; 12

IyN z;1 N D IyN z;2 N D IyN z;3 N D 0:

(4.100)

Die Flächen Ai der Teilsegmente lauten: A1 D A3 D tb;

A2 D th:

(4.101)

Aus dem Satz von Steiner folgt somit:  2   h th3 th3 h 2 tbh2 tb C tb D C  C ; 12 2 2 12 2  2   b tb 3 2tb 3 tb 3 b 2 D tb C tb D C C  ; 12 12 2 2 3    b h bh tb 2 h D   tb C tb D : 2 2 22 2

Iyy D Izz Iyz

(4.102)

Diese Ergebnisse stimmen mit den bereits ermittelten Werten überein. J Beispiel 4.14

Betrachtet werde der Querschnitt der Abb. 4.20, links. Gesucht werden die beiden Flächenträgheitsmomente Iyy und Izz sowie das Deviationsmoment Iyz bezüglich des Schwerpunktes des Querschnitts. Es werde das eingezeichnete mittig angeordnete Bezugssystem y, N zN verwendet. Zur Ermittlung des Schwerpunkts wird der Querschnitt in insgesamt vier Teilflächen unterteilt wie in Abb. 4.20, rechts, gezeigt. Aufgrund der Symmetrie des Querschnitts bezüglich der zN -Achse kann die Schwerpunktkoordinate yNS direkt zu yNS D 0 gefolgert werden. Die Schwerpunktlagen zN S;i der Teilflächen A1 D 9t 2 , A2 D 9t 2 , A3 D 8t 2 , A4 D 10t 2 ergeben sich als: zN S;1 D 4;5t;

zNS;2 D 4;5t;

zNS;3 D 9;5t;

zNS;4 D 12;5t:

(4.103)

4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S y

107

y zS,1 = zS,2 t

t z

10t

S1

zS,3

S2

zS,4

z S3

t

S4

5t

3t 2t 3t

Abb. 4.20 Betrachteter Querschnitt.

Die Schwerpunktlage zNS kann dann berechnet werden als: P4 zN S D D

N S;i i D1 Ai z

P4 2

i D1

Ai

9t  4;5t C 9t 2  4;5t C 8t 2  9;5t C 10t 2  12;5t 47 D t: 9t 2 C 9t 2 C 8t 2 C 10t 2 6

(4.104)

Mit vorliegenden Schwerpunktkoordinaten yNS , zNS können die Schwerpunktlagen der Teilflächen bezogen auf den Schwerpunkt S angegeben werden als (Abb. 4.21): yS;2 D 3;5t; yS;3 D 0; yS;1 D 3;5t; 10 10 5 zS;1 D  t; zS;2 D  t; zS;3 D t; 3 3 3

yS;4 D 0; 14 zS;4 D t: 3

(4.105)

Wir ermitteln zunächst das Flächenträgheitsmoment Iyy . Die FlächenträgheitsmomenN zN , ergeben sich te IyN yN der Teilflächen, bezogen auf die lokalen Teilflächenachsen y, Abb. 4.21 Schwerpunktlage sowie Schwerpunkte der Teilflächen.

yS,1

yS,2

S1

S2 S S3

y

S4

zS,1 = zS,2 zS,3

y1

y2 z1

zS,4

y3 y4

z2 z3

z4 z

108

4 Balken

als:

t  .9t/3 243 4 D t ; 12 4 243 4 D t ; 4 8t  t 3 2 D D t 4; 12 3 2t.5t/3 125 4 D D t : 12 6

IyN y;1 N D IyN y;2 N IyN y;3 N IyN y;4 N Der Satz von Steiner Iyy D

4 X

IyN y;i N C

4 X

i D1

2 zS;i Ai

(4.106)

(4.107)

i D1

ergibt dann das folgende Flächenträgheitsmoment Iyy des Querschnitts, bezogen auf den Schwerpunkt S: Iyy D

243 4 243 4 2 4 125 4 t C t C t C t 4 4 3 6    2     5 14 2 10 2 10 2 C  t  9t 2 C  t  9t 2 C t  8t 2 C t  10t 2 3 3 3 3

D 583t 4 :

(4.108)

Zur Ermittlung des Flächenträgheitsmoments Izz werden die Trägheitsmomente IzN zN der Teilflächen bezogen auf ihre jeweiligen Schwerpunkte benötigt. Sie lassen sich ermitteln als: 9t  t 3 3 D t 4; IzN z;1 N D 12 4 3 4 IzN z;2 N D t ; 4 t.8t/3 128 4 IzN z;3 D t ; N D 12 3 5t.2t/3 10 4 IzN z;4 (4.109) D t : N D 12 3 Das Flächenträgheitsmoment Izz kann dann wie folgt berechnet werden: Izz D

3 4 3 4 128 4 10 4 t C t C t C t 4 4 3 3 C .3;5t/2  9t 2 C .3;5t/2  9t 2 C 0  8t 2 C 0  10t 2

D 268t 4 :

(4.110)

Das Deviationsmoment ergibt sich an diesem Beispiel aufgrund der Symmetrie des Querschnitts bezüglich der z-Achse zu null: Iyz D 0:

(4.111) J

4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S

109

4.3.4 Spannungsberechnung Um die Normalspannung xx über den Querschnitt zu bestimmen werden zunächst die Schnittgrößen auf den Schwerpunkt S bezogen. Anhand der Abb. 4.9 lassen sich die folgenden Zusammenhänge ermitteln: N D NxN ;

My D MyN  NxN zN S ;

Mz D MzN C NxN yNS :

(4.112)

Das Konstitutivgesetz (4.17) geht dann in die folgende Form über: N D EAu0 ; My D EIyy w 00  EIyz v 00 ; Mz D EIyz w 00  EIzz v 00 : In Vektor-Matrix-Schreibweise erhalten wir: 1 2 0 A 0 N @ My A D E 4 0 Iyy Mz 0 Iyz

30 0 1 0 u Iyz 5@w 00 A: Izz v 00

(4.113)

(4.114)

Dies kann nach den Verschiebungsableitungen umgeformt werden wie folgt: N ; EA 1 Iyz My C Iyy Mz ; v 00 D 2 E Iyy Izz  Iyz 1 Izz My C Iyz Mz : w 00 D  2 E Iyy Izz  Iyz u0 D

(4.115)

Die erste Querschnittsnormierung führt also offenbar zur einer Entkopplung der Normalkraftwirkung und der Biegewirkung. Man wird daher in der praktischen Anwendung stets bestrebt sein, die Betrachtungen auf den Schwerpunkt S des betrachteten Querschnitts zu beziehen. Jedoch sind auch bei Bezug auf den Schwerpunkt S die beiden Biegewirkungen, ausgedrückt durch die beiden Verschiebungen v und w sowie die beiden Biegemomente My und Mz , nach wie vor aufgrund des i. Allg. nicht verschwindenden Deviationsmoments Iyz miteinander gekoppelt. Einsetzen von (4.115) in das Hookesche Gesetz   xx D E u0  zw 00  yv 00 (4.116) ergibt den folgenden Ausdruck für die Normalspannung xx , mit dem die Normalspannung bei gegebenen Schnittgrößen Nx , My , Mz sowie vorliegenden Flächenträgheitsmomenten und Deviationsmoment an jedem Punkt y und z des Querschnitts berechnet werden kann: xx D

Iyz My C Iyy Mz Izz My C Iyz Mz N z y: C 2 2 A Iyy Izz  Iyz Iyy Izz  Iyz

(4.117)

110

4 Balken

y

S

x z

σ xx N A N

σ xx

My z Iyy

My σ xx

Mz y Izz

Mz

My Mz σ xx N z y Izz A Iyy

Spannungs-Nulllinie Abb. 4.22 Normalspannung infolge Normalkraft und Biegung.

Für den Spezialfall eines verschwindenden Deviationsmoments Iyz vereinfacht sich der Ausdruck (4.117) für die Normalspannung xx deutlich, und man erhält: xx D

My N Mz z y: C A Iyy Izz

(4.118)

4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S

111

Offenbar ist der Anteil von xx aufgrund der Normalkraft Nx konstant über den gesamten Querschnitt, was wir auch für den Stab in Kap. 3 diskutiert haben. Jedoch ist der Anteil von xx aufgrund des Biegemoments My linear über die Koordinate z. Ganz genauso erhalten wir aufgrund des Biegemoments Mz einen linearen Verlauf über y (Abb. 4.2). Es gilt an dieser Stelle das Superpositionsprinzip, so dass wir die Normalspannung xx additiv aus diesen Ausdrücken zusammensetzen können. Dies ist in Abb. 4.22 für einen Rechteckquerschnitt dargestellt. Eine sehr wichtige Kenngröße bei der Berechnung der Normalspannung xx ist die sog. Spannungsnulllinie. Die Gleichungen (4.117) bzw. (4.118) stellen Ebenengleichungen dar, die die Oberfläche der Spannungsverteilung xx mittels der beiden Koordinaten y und z beschreibt. Setzt man (4.117) bzw. (4.118) zu null, dann kann man eine der beiden Koordinaten y oder z durch die andere ausdrücken. Es handelt sich dabei also um eine Geradengleichung, die mathematisch beschreibt, an welcher Stelle die Normalspannung xx Nullwerte zeigt. Beispiel 4.15

Betrachtet werde der Querschnitt aus Beispiel 4.12, wobei wir hier den Spezialfall h D 2b untersuchen wollen (Abb. 4.23). Gesucht wird die Normalspannungsverteilung xx über den Querschnitt für die beiden Lastfälle N D 0, My D M0 , Mz D 0 und N D 0, My D M0 , Mz D M0 . Für den ersten Lastfall soll außerdem ermittelt werden, wie groß die Normalkraft N werden muss, damit im Querschnitt keine Drucknormalspannungen xx auftreten. Zur Lösung der Aufgabe sind zunächst die Flächenträgheitsmomente Iyy und Izz zu ermitteln (das Deviationsmoment Iyz ist für den betrachteten Querschnitt identisch null). Für den Spezialfall h D 2b ergibt sich aus Beispiel 4.12: Iyy D

th3 14 3 C tbh2 D tb ; 12 3

Izz D

4 3 tb ; 3

Iyz D 0:

(4.119)

Da das Deviationsmoment in diesem Falle zu null wird, kann der Ausdruck (4.118) zur Spannungsermittlung herangezogen werden.

Abb. 4.23 Betrachteter I-Querschnitt.

t t h =2 b y

S t

b

b

z

112

4 Balken

Für Lastfall 1 mit N D 0, My D M0 , Mz D 0 geht (4.118) in die folgende Form über: My 3M0 xx D zD z: (4.120) Iyy 14tb 3 Offenbar verläuft die Normalspannung xx linear über z und ist konstant über y. Die Maximalwerte der Spannungen ergeben sich am oberen und unteren Rand des Querschnitts: ! t 3M0 b C   2 t ; D xx z D b  3 2 14tb ! t 3M0 b C   2 t xx z D b C : (4.121) D 3 2 14tb Am oberen Rand des Querschnitts bei b  2t liegt xx als Druckspannung vor, am unteren Rand bei b C 2t hingegen als Zugspannung (Abb. 4.24, links). Die Spannungsnulllinie folgt aus der Forderung xx D 0, was auf z D 0 führt. Demnach ist die Spannungsnulllinie identisch mit der y-Achse (Abb. 4.24, links). Gehen wir von Dünnwandigkeit der Querschnitts aus, setzen also t  b voraus, dann können die Betrachtungen auf die Skelettlinie des Querschnitts bezogen werden, und die Spannungswerte (4.121) ergeben sich als (Abb. 4.24, rechts): xx .z D b/ D 

3M0 ; 14tb 2

xx .z D b/ D

3M0 : 14tb 2

(4.122)

Für Lastfall 2 mit N D 0, My D M0 , Mz D M0 ergibt sich die Spannungsberechnung (4.118) wie folgt: xx D

y

My Mz 3M0  z y : z yD  Iyy Izz 2tb 3 7 2

(4.123)

y

σxx

σxx z My = M0 Spannungs-Nulllinie

z x

My = M0

x

Abb. 4.24 Spannungsverteilung am I-Querschnitt für N D 0, My D M0 , Mz D 0 (links), Spannungsverteilung bei Annahme der Dünnwandigkeit t  b (rechts).

4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S

113

Die Auswertung geschieht an den vier Eckpunkten des Profils:   3M0 t xx y D b; z D b  .9b C t/; D 2 28tb 3   3M0 t D xx y D b; z D b  .5b  t/; 2 28tb 3   3M0 t .9b C t/; xx y D b; z D b C D 2 28tb 3   3M0 t D xx y D b; z D b C .5b  t/: 2 28tb 3

(4.124)

Die Spannungsnullinie folgt aus der Forderung xx D 0 zu zD

7 y: 2

(4.125)

Eine graphische Darstellung findet sich in Abb. 4.25, links. Unterstellt man auch an dieser Stelle wieder Dünnwandigkeit mit t  b, dann können die Anteile aufgrund der Wanddicke t in (4.124) vernachlässigt werden, und es folgt:   27M0 t ; D xx y D b; z D b  2 28tb 2   15M0 t xx y D b; z D b  ; D 2 28tb 2   27M0 t xx y D b; z D b C ; D 2 28tb 2   15M0 t xx y D b; z D b C : (4.126) D 2 28tb 2 Dies ist in Abb. 4.25, rechts, dargestellt.

y

y

σxx z My = M0

σxx z x

Mz = M0

My = M0 Mz = M0

x

Spannungs-Nulllinie Abb. 4.25 Spannungsverteilung am I-Querschnitt für N D 0, My D M0 , Mz D M0 (links), Spannungsverteilung bei Annahme der Dünnwandigkeit t  b (rechts).

114

4 Balken

Abb. 4.26 Zweidimensionale Darstellung der Spannungsverteilung am I-Querschnitt für N D 0, My D M0 , Mz D M0 .

σxx

My M0

2

y 7

z

Spannungs-Nulllinie

Mz M0

Eine alternative, zweidimensionale Darstellung des Spannungsverlaufs xx ist in Abb. 4.26 gezeigt, wobei wir hier Dünnwandigkeit unterstellen und uns auf die Skelettlinie des Querschnitts beziehen. Es wird nun erneut der Fall My D M0 , Mz D 0 betrachtet und diejenige Normalkraft N D N0 bestimmt, für die keine Druckspannung im Querschnitt auftritt. Wir gehen von der Spannungsformulierung xx D

My N z C A Iyy

(4.127)

aus, die sich gegenwärtig wie folgt darstellen lässt: xx D

N0 3M0 z: C t.4b C h  t/ 14tb 3

(4.128)

Die größte Druckspannung im Querschnitt tritt am oberen Querschnittsrand bei z D b  2t auf, so dass wir fordern:     N0 3M0 t t xx z D b  D  D 0: bC 2 t.4b C h  t/ 14tb 3 2

(4.129)

Dies lässt sich nach der gesuchten Normalkraft N0 auflösen wie folgt:   3M0 t N0 D .4b C h  t/: bC 14b 3 2

(4.130)

4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S

115

y Spannungs-Nulllinie N = N0

z My = M0

σxx

x Abb. 4.27 Spannungsverteilung am I-Querschnitt für N D N0 , My D M0 , Mz D 0.

Die maximale Zugspannung tritt dann am untereren Querschnittsrand auf und beläuft sich auf:     3M0 t t xx z D b C D : (4.131) bC 2 7tb 3 2 Der sich so einstellende Spannungsverlauf für xx ist in Abb. 4.27 dargestellt. J

Beispiel 4.16

Gegeben sei der Kragarm der Abb. 4.28, links, unter den beiden Einzelkräften F und P sowie unter dem Randmoment M D F l. Für den Fall P D 0 soll an der Stelle der größten Beanspruchung die Normalspannungsverteilung ermittelt werden. Zudem soll geklärt werden, wie groß die im Schwerpunkt angreifende Druckkraft P sein muss, damit im Querschnitt an keiner Stelle Zugspannungen auftreten. Als Querschnitt liege ein Vollkreisquerschnitt mit dem Radius R2 vor, der eine kreisfürmige Aussparung mit dem Radius R1 beinhalte. Es gelte R2 D 2R1 . Die größte Momentenbeanspruchung liegt im Bereich 2l  x  l mit dem Wert My D F l vor. Wir ermitteln zunächst den Schwerpunkt des Querschnitts und sehen als Teilfläche A1 die kreisförmige Bohrung mit dem Radius R1 vor, wobei wir den Flächeninhalt A1 mit negativem Vorzeichen ansetzen, d. h. A1 D R12 . Die Teilfläche A2 beträgt A2 D R22 D 4R12 . Die Ordinaten der Schwerpunkte der Teilflächen, bezogen Abb. 4.28 Gegebener Kragarm unter Belastung (links), Querschnitt (rechts).

F

M0 = Fl

R2

R2

P y

x l 2

R1

l 2 z

z

R1 2

116

4 Balken

auf das Koordinatensystem y, N zN lauten: yNS;1 D 0;

yNS;2 D 0;

zNS;1 D

R1 ; 2

zN S;2 D 0:

(4.132)

Die Schwerpunktordinate yNS ergibt sich aufgrund der Symmetrie des Querschnitts bezüglich der z-Achse N als null. Die Ordinate zNS folgt zu: zN S D

A1 zN S;1 C A2 zN S;2 R1 D : A1 C A2 6

(4.133)

Damit ergeben sich die Schwerpunkte der Teilflächen, bezogen auf das Schwerpunktkoordinatensystem y; z als: zS;1 D

2 R1 ; 3

zS;2 D

1 R1 : 6

(4.134)

Um die Spannungsverteilung xx zu bestimmen, wird das Flächenträgheitsmoment Iyy des Querschnitts benötigt. Es berechnet sich aus dem Satz von Steiner (4.96) als: 2 2 Iyy D IyN y;1 N C IyN y;2 N C zS;1 A1 C zS;2 A2 2 2   R4 2 1 D  1 C 4R14  R1 R12 C R1 4R12 4 3 6 41 D R4 : 12 1

(4.135)

Die Spannungsverteilung ist ermittelbar als: xx D

My z: Iyy

(4.136)

Die Ordinaten am oberen und unteren Querschnittsrand folgen zu:   11 22 F l ; xx z D  R1 D  6 41 R13   13 26 F l : xx z D R1 D 6 41 R13

(4.137)

Die Spannungsverteilung ist in Abb. 4.29 graphisch dargestellt. Diejenige Drucknormalkraft P , die notwendig ist, um im gesamten Querschnitt keine Zugspannungen entstehen zu lassen, ermitteln wir aus der Forderung, dass die R zu null wird: Randspannung an der Stelle z D 13 6 1  xx

13 R1 6

 D 0:

(4.138)

4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S

117

22 Fl 41 R13 11 6 R1

R2

y

R1

R1 6

xx

Spannungs-Nulllinie

13 6 R1 26 Fl 41 R13

z

Abb. 4.29 Spannungsverteilung unter Biegemoment M und Einzelkraft F .

Aus der Spannungsformulierung xx D

My N z C A Iyy

(4.139)

R14 und z D folgt nach Einsetzen von N D P , My D F l, Iyy D 41 12 formen der folgende Ausdruck für die Drucknormalkraft P : P D

13 R 6 1

78 F l : 41 R1

und Um-

(4.140)

Die sich damit am oberen Ende bei z D  11 6 R1 einstellende Normalspannung xx berechnet sich als:   11 48 F l : (4.141) xx z D  R1 D  6 41 R13 Der sich einstellende Spannungsverlauf ist in Abb. 4.30 dargestellt. J

48 Fl 41 R13 11 6 R1

R2

y

R1

R1 6

xx

13 6 R1

Spannungs-Nulllinie z

Abb. 4.30 Spannungsverteilung unter Biegemoment M und Einzelkraft F sowie Drucknormalkraft P .

118

4 Balken Beispiel 4.17

Betrachtet werde der Querschnitt der Abb. 4.31, links. Die Beanspruchung liegt in Form eines unter 60ı orientierten Biegemoments M0 D 50000F t vor, wobei t die Wanddicke des Querschnitts ist. Gesucht wird die Verteilung der Normalspannung xx über den Querschnitt. Zur Ermittlung des Schwerpunkts wird das in Abb. 4.31, rechts, eingeführte Bezugssystem y, N zN eingeführt und der Querschnitt in drei Teilflächen eingeteilt. Die Teilflächen haben die Flächeninhalte A1 D 5t 2 , A2 D 6t 2 , A3 D 5t 2 , ihre Schwerpunktordinaten lauten yNS;1 D 3;5t, yNS;2 D 0, yNS;3 D 3;5t, zN S;1 D 2;5t, zNS;2 D 0;5t, zN S;3 D 2;5t. Die Schwerpunktkoordinaten des Gesamtquerschnitts ergeben sich dann als yNS D 0 aufgrund der Symmetrie des Querschnitts und zNS D

5t 2  2;5t C 6t 2  0;5t C 5t 2  2;5t D 1;75t: 5t 2 C 6t 2 C 5t 2

(4.142)

Damit können die Schwerpunktlagen der Teilflächen bezüglich des Schwerpunkts S angegeben werden als: yS;1 D 3;5t;

yS;2 D 0;

yS;3 D 3;5t;

zS;1 D 0;75t;

zS;2 D 1;25t;

zS;3 D 0;75t:

(4.143)

Die Eigenträgheitsmomente der Teilflächen lauten: 1t  .5t/3 D 10;42t 4 ; 12 6t  .1t/3 D D 0;5t 4 ; 12 D 10;42t 4 ;

IyN y;1 N D IyN y;2 N IyN y;3 N

5t  .1t/3 D 0;42t 4 ; 12 1t  .6t/3 D D 18t 4 ; 12 D 0;42t 4 ;

IzN z;1 N D IzN z;2 N IzN z;3 N

IyN z;1 N D IyN z;2 N D IyN z;3 N D 0:

(4.144)

4.3 Erste Querschnittsnormierung: Schwerpunkt S

119

M0

yS,1

t y

60°

y

zS,2

S

yS,3 S2

zS,1 = zS,3 S1

5t

S3

z z

t

t 8t

Abb. 4.31 Betrachteter Querschnitt und Lastfall.

Die beiden Flächenträgheitsmomente Iyy und Izz des Querschnitts bezüglich des Schwerpunkts S sind dann mit Hilfe des Satzes von Steiner ermittelbar wie folgt: 2 2 2 Iyy D IyN y;1 N C IyN y;2 N C IyN y;3 N C zS;1 A1 C zS;2 A2 C zS;3 A3

D 10;42t 4 C 0;5t 4 C 10;42t 4 C .0;75t/2  5t 2 C .1;25t/2  6t 2 C .0;75t/2  5t 2 D 36;34t 4 ; 2 2 2 Izz D IzN z;1 N C IzN z;2 N C IzN z;3 N C yS;1 A1 C yS;2 A2 C yS;3 A3

D 0;42t 4 C 18t 4 C 0;42t 4 C .3;5t/2  5t 2 C 02  6t 2 C .3;5t/2  5t 2 D 141;34t 4 :

(4.145)

Das angreifende Biegemoment M0 wird nun in seine beiden Komponenten My und Mz zerlegt: My D M0 cos 60ı D 25000F t;

Mz D M0 sin 60ı D 43301;27F t:

(4.146)

Die Spannungsverteilung xx ergibt sich dann als: xx D

My Mz Fz Fy z y D 687;95 3 C 306;36 3 : Iyy Izz t t

(4.147)

Die Gleichung der Spannungsnulllinie kann aus der Forderung xx D 0 ermittelt werden als: z D 0;45y: (4.148)

120

4 Balken

Abb. 4.32 Spannungs-Nulllinie und Spannungsverteilung.

B y

-2429,35 F2 t

S

Spannungs-Nulllinie

z

A

3461,28 F2 t

Sie ist in Abb. 4.32 dargestellt. Die beiden am weitesten von der Spannungsnulllinie entfernten Punkte sind die Punkte A und B, wie in Abb. 4.32 eingezeichnet. Ihre Koordinaten lauten: yA D 4t;

yB D 4t;

zA D 3;25t;

zB D 1;75t:

(4.149)

Die Spannungen an diesen beiden Punkten lauten: xx;A D 3461;28

F ; t2

xx;B D 2429;35

F : t2

(4.150) J

4.4 Zweite Querschnittsnormierung: Hauptachsen Mit Hilfe der ersten Querschnittsnormierung erreicht man eine Entkopplung der Stabwirkung von der Balkenwirkung. Jedoch tritt auch nach Durchführung der ersten Querschnittsnormierung i. Allg. nach wie vor das Deviationsmoment Iyz auf, so dass die beiden Biegewirkungen, charakterisiert durch die beiden Biegemomente My und My sowie die Durchbiegungen w und v, miteinander gekoppelt sind. Eine ganz wesentliche Vereinfachung wird dadurch erreicht, dass ein besonders ausgezeichnetes Koordinatensystem yh , zh ermittelt wird, das sich aus dem Bezugssystem y; z durch Drehung um die x-Achse um einen noch zu bestimmenden Winkel '0 ergibt und in dem das Deviationsmoment verschwindet. Wir werden außerdem zeigen, dass die beiden Flächenträgheitsmomente in diesem ausgezeichneten Bezugssystem, das wir als die sog. Hauptachsen bezeichnen, extremal werden. Durch das Verschwinden des Deviationsmoments im Hauptachssystem entkoppeln sich dann die beiden Biegewirkungen voneinander, wie man sich leicht anhand von (4.113) klarmachen kann. Die Koordinatendrehung um den Winkel '0 wird als die zweite Querschnittsnormierung bezeichnet.

4.4 Zweite Querschnittsnormierung: Hauptachsen

121

Abb. 4.33 Drehung des Koordinatensystems x, y, z um den Winkel ' in das Bezugssystem x, , . S

y

x

My

N M

z M Mz Abb. 4.34 Zusammenhang zwischen y, z und ,

y P

P

zP

P

yP

z

Die Drehung der Bezugsachsen y; z um die x-Achse um einen zunächst beliebigen Winkel ' ist in Abb. 4.33 gezeigt. Die gedrehten Achsen seien als , bezeichnet. Die Transformation der Koordinaten wird anhand der Abb. 4.34 durch Betrachtung eines Punktes P mit den Koordinaten yP , zP bzw. P , P hergeleitet. Es folgt:

D y cos ' C z sin ';

D y sin ' C z cos ':

(4.151)

Die x-Achse bleibt bei dieser reinen Achsendrehung unverändert. Wir ermitteln nun das Deviationsmoment I im gedrehten Koordinatensystem wie folgt: Z I D

Z

dA D

A

.y cos ' C z sin '/.y sin ' C z cos '/dA A

Z

D  sin ' cos ' A

y 2 dA C cos2 '

Z A

yzdA  sin2 '

Z

Z yzdA C sin ' cos '

A

  D Izz sin ' cos ' C Iyz cos2 '  sin2 ' C Iyy sin ' cos '     D Iyz cos2 '  sin2 ' C Iyy  Izz sin ' cos ':

z 2 dA

A

(4.152)

122

4 Balken

Verwendet man hierin cos2 ' D 12 .1 C cos 2'/, sin2 ' D 12 .1  cos 2'/ und 2 sin ' cos ' D sin 2', dann ergibt sich:  1 (4.153) Iyy  Izz sin 2' C Iyz cos 2': 2 Um den Hauptachswinkel '0 zu bestimmen setzen wir den Ausdruck (4.153) für das Deviationsmoment I zu null und erhalten daraus: I D

tan 2'0 D

2Iyz : Izz  Iyy

(4.154)

Somit liegt eine Bestimmungsgleichung für den Hauptachswinkel '0 vor, unter dem das Deviationsmoment I verschwindet und die beiden Flächenträgheitsmomente I und I extremal werden. Da die tan-Funktion in (4.154) periodisch ist, kann man neben dem Winkel '0 einen weiteren Winkel '0 C 2 bestimmen, unter dem das Deviationsmoment Iyz zu null wird und die Flächenträgheitsmomente extremal werden. Man spricht an dieser Stelle auch von den sog. Hauptträgheitsmomenten. Da diese beiden Hauptachssysteme orthogonal zueinander orientiert sind, ergeben sich aus der Betrachtung von ' D '0 C 2 keine weiteren Erkenntnisse, sondern es werden nur die Werte von I und I vertauscht. Die Bezugsachsen unter dem Hauptachswinkel '0 bezeichnen wir als yh , zh . Analoge Ausdrücke zu (4.153) können auch für die Transformation der Flächenträgheitsmomente gefunden werden, und es ergeben sich die folgenden klassischen Ausdrücke für beliebige Winkel ':  1  1 Iyy C Izz C Iyy  Izz cos 2'  Iyz sin 2'; 2 2  1  1 I D Iyy C Izz  Iyy  Izz cos 2' C Iyz sin 2'; 2 2  1 I D Iyy  Izz sin 2' C Iyz cos 2': 2 Die Werte für die Hauptträgheitsmomente ermitteln wir mittels der Ausdrücke I D

(4.155)

Izz  Iyy 1 D q ; cos 2'0 D p 2 2 1 C tan 2'0 2 Izz  Iyy C 4Iyz 2Iyz tan 2'0 sin 2'0 D p D q ; 2 2 1 C tan 2'0 2 Izz  Iyy C 4Iyz und es folgt aus (4.155) für die beiden Hauptträgheitsmomente mit (4.154): s   Izz  Iyy 2 Iyy C Izz 2 : C Iyz ˙ I1;2 D 2 2

(4.156)

(4.157)

Hierin ist I1 das maximale Flächenträgheitsmoment, und I2 bezeichnet den Minimalwert. Man kann analog zum Mohrschen Spannungskreis (Kap. 2) auch einen Trägheitskreis erstellen, der sich aus dem Mohrschen Spannungskreis (Abb. 2.9) folgern lässt, indem

4.4 Zweite Querschnittsnormierung: Hauptachsen Abb. 4.35 Trägheitskreis.

123

Iyz (Izz , Iyz (

I2 (I2,0(

2 Izz

I yz

Iyy

0

2

0

I1 I ,I (I1,0 yy zz (

I yz

(Iyy , Iyz (

man die Normalspannungen xx und yy durch die Flächenträgheitsmomente Iyy und Izz sowie die Schubspannung xy durch das Deviationsmoment Iyz ersetzt. Der Trägheitskreis ist in Abb. 4.35 dargestellt. Es sei an dieser Stelle noch angemerkt, dass die Bestimmungsgleichung (4.154) für den Hauptachswinkel '0 auch aus der Forderung gewonnen werden kann, dass die beiden Flächenträgheitsmomente I und I Extremwerte aufweisen: dIyy D 0; d'

dIzz D 0: d'

(4.158)

Für die rechnerische Behandlung von Querschnitten lassen sich einige allgemeingültige Regeln aufstellen, die auch in Abb. 4.36 dargestellt sind:  Liegt für einen Querschnitt eine Symmetrieachse vor, dann verläuft eine der beiden Hauptachsen y, z parallel zu dieser Symmetrieachse. Der Hauptachswinkel '0 ist null, sofern wenigstens eine Symmetrieachse vorliegt und eine der beiden Bezugsachsen parallel zu dieser Symmetrieachse verläuft. Allerdings muss i. Allg. der Schwerpunkt S ermittelt werden und kann für viele Querschnitte nicht direkt aus der Anschauung bestimmt werden. Querschnitte, auf die das zutrifft, sind in Abb. 4.36, oben, zu finden.  Weist ein Querschnitt zwei Symmetrieachsen auf, dann stellen diese die beiden Hauptachsen dar. Das Deviationsmoment Iyz verschwindet in diesem Fall, so dass der Hauptachswinkel '0 ebenfalls zu null wird. Liegt also ein solcher Querschnitt vor, dann kann die zweite Querschnittsnormierung entfallen. Auch die erste Querschnittsnormierung muss nicht durchgeführt werden, denn der Schwerpunkt S des Querschnitts befindet sich stets im Schnittpunkt der beiden Symmetrieachsen. Beispiele für derartige Querschnitte sind in Abb. 4.36, Mitte, dargestellt.  Handelt es sich um einen Querschnitt, der keinerlei Symmetrieeigenschaften aufweist, dann sind sowohl die erste als auch die zweite Querschnittsnormierung durchzuführen. In Abb. 4.36, unten, sind zwei Beispiele dargestellt.

124

4 Balken Symmetrieachse

Symmetrieachse

t1

t1

t1

t2

y

y

S

t2

S

y

S

Symmetrieachse

t2 t1

t3

z

z

z Symmetrieachse

Symmetrieachse

Symmetrieachse

t1

t1 t2

y

S Symmetrieachse

t2

S

y

t2

Symmetrieachse

S t

y

Symmetrieachse

t1

t1

z

t2

y yh

yh

z

t1

φ0

y

S

φ0

z t1 t2 S

φ0 t3

φ0

zh z

zh

z

Abb. 4.36 Ausgewählte Querschnitte.

Man kann zeigen, dass die Summe aus den beiden Flächenträgheitsmomenten Iyy und Izz bzw. aus I und I unabhängig von der Wahl des Bezugssystems stets den gleichen Wert aufweist, also eine Invariante darstellt: Iyy C Izz D I C I D Ip :

(4.159)

Hierin ist Ip das sog. polare Flächenträgheitsmoment, also die Summe aus den beiden Flächenträgheitsmomenten. Es lässt sich außerdem zeigen, dass der Ausdruck Œ 21 .Iyy  2 eine weitere Invariante ist. Izz / 2 C Ixy Es sind nun außerdem noch die Biegemomente My und Mz auf das Bezugssystem , zu beziehen. Dies geschicht analog zur Transformation (4.151): M D My cos ' C Mz sin ';

M D My sin ' C Mz cos ':

(4.160)

Liegt das Hauptachsensystem x, D yh , D zh unter dem Winkel '0 vor, dann verschwindet das Deviationsmoment I . Die konstitutiven Gleichungen lauten dann: N D EAu0 ;

M D EI w 00 ;

M D EI v 00 :

(4.161)

4.4 Zweite Querschnittsnormierung: Hauptachsen

125

Hierin haben wir der Einfachheit halber die Bezeichnungen u, v, w für die Verschiebungen in x-, - und -Richtung verwendet. In Vektor-Matrix-Schreibweise lauten diese Gleichungen: 1 2 30 0 1 0 A 0 0 u N @ M A D E 4 0 I 0 5@w 00 A: (4.162) M v 00 0 0 I Man kann diese Zusammenhänge invertieren wie folgt: u0 D

N ; EA

w 00 D

M

EI

v 00 D

;

M EI

:

(4.163)

Es zeigt sich also, dass bei Bezug der Betrachtungen auf das Hauptachssystem die konstitutiven Gleichungen signifikant vereinfacht werden. Neben der ohnehin schon vorhandenen Entkopplung der Normalkraft- und der Biegewirkung sind nun auch die beiden Biegewirkungen voneinander entkoppelt. Verwendet man das Hookesche Gesetz   (4.164) xx D E u0  zw 00  yv 00 ; dann kann mit (4.163) der folgende Ausdruck für die Normalspannung xx hergeleitet werden: M M

N z y: (4.165) xx D C A I

I Es zeigt sich hierbei eine ganz wesentliche Vereinfachung gegenüber dem Ausdruck (4.117), der von der Betrachtung der Schwerpunktachsen ausging, die nicht die Hauptachsen darstellen. Auch hier kann wieder durch Nullsetzen ein Ausdruck für die SpannungsNulllinie ermittelt werden. Liegt eine Balkensituation vor, bei der ausschließlich Biegung um eine der beiden Hauptachsen y oder z vorliegt, dann ergeben sich die für einen Spannungsnachweis notwendigen maximalen Normalspannungen xx;max als: j jxx;max D

My ; Wy

(4.166)

bzw.

Mz : (4.167) Wz Die Größen Wy und Wz sind die sog. Widerstandsmomente des betrachteten Querschnitts. Sie ergeben sich wie folgt: j jxx;max D

Wy D

Iyy ; jzjmax

Wz D

Izz : jyjmax

(4.168)

Hierin sind zmax und ymax die Koordinaten des von der Schwerpunktachse S am weitesten entfernten Querschnittspunkts.

126

4 Balken

Abb. 4.37 Dünnwandiger Rechteckquerschnitt.

t y

h

z

Beispiel 4.18

Betrachtet werde ein dünnwandiger Rechteckquerschnitt (Höhe h, Dicke t, t  h, s. Abb. 4.37). Man ermittle die Flächenträgheitsmomente I , I sowie das Deviationsmoment I für ein um den Winkel ' gedrehtes Koordinatensystem. Für die Flächenträgheitsmomente Iyy , Izz und das Deviationsmoment Iyz gilt: Iyy D

th3 ; 12

Izz D

ht 3 ' 0; 12

Iyz D 0:

(4.169)

Mit Hilfe der Transformationsformeln (4.155) ergeben sich die gesuchten Flächenwerte zu:  1  1 th3 Iyy C Izz C Iyy  Izz cos 2'  Iyz sin 2' D .1 C cos 2'/; 2 2 24  1  1 th3 D Iyy C Izz  Iyy  Izz cos 2' C Iyz sin 2' D .1  cos 2'/; 2 2 24  1 th3 D Iyy  Izz sin 2' C Iyz cos 2' D sin 2': (4.170) 2 24 J

I D I I

Beispiel 4.19

Betrachtet werde der Z-Querschnitt der Abb. 4.38, links. Der Querschnitt weise die Flanschbreite b sowie die Steghöhe h D 2b auf. Eingezeichnet ist das Schwerpunktkoordinatensystem y, z, die Belastung bestehe aus den beiden Biegemomenten My D M0 und Mz D M0 . Der Querschnitt weise eine konstante Wanddicke t auf. Gesucht wird die Spannungsverteilung xx . Der Querschnitt kann als sehr dünnwandig behandelt werden (t  b), so dass sich alle Betrachtungen auf die Skelettlinie beziehen können. Wir ermitteln zunächst die Flächenträgheitsmomente Iyy , Izz und das Deviationsmoment Iyz bezüglich des Schwerpunktkoordinatensystems y, z. Hierzu wird der Querschnitt in drei Teilflächen eingeteilt (Abb. 4.38, rechts), nämlich den oberen Flansch (Teilfläche 1, A1 D tb), den Steg (Teilfläche 2, A2 D 2tb) und den unteren Flansch (Teilfläche 3, A3 D tb). Die Trägheitsmomente der Teilflächen, bezogen auf

4.4 Zweite Querschnittsnormierung: Hauptachsen

127 t

Abb. 4.38 Z-Querschnitt.

y1 M0

t 2b y

b

S t

y2

z1

b

y3 b

z2

zb z3

M0

b

b

ihre lokalen Achsen, lauten: bt 3 t.2b/3 2 ' 0; IyN y;2 D tb 3 ; N D 12 12 3 tb 3 2bt 3 D ; IzN z;2 'D 0; N D 12 12 D IyN z;2 N D IyN z;3 N D 0:

bt 3 ' 0; 12 tb 3 D ; 12

IyN y;1 N D

IyN y;3 N D

IzN zN ;1

IzN z;3 N

IyN zN ;1

(4.171)

Der Satz von Steiner ergibt dann: Iyy D

3 X

IyN y;i N C

i D1

3 X

2 zS;i Ai

i D1

2 8 D tb 3 C .b/2 tb C b 2 tb D tb 3 ; 3 3 Izz D

3 X

IzN z;i N C

i D1

3 X

2 yS;i Ai

i D1

  2  b tb b 2 2 D2 tb C  tb D tb 3 ; C 12 2 2 3 3

Iyz D

3 X i D1

D

IyN z;i N C

3 X

yS;i zS;i Ai

i D1

  b b .b/tb C  btb D tb 3 : 2 2

(4.172)

Der Hauptachswinkel '0 folgt aus (4.154): tan 2'0 D

2Iyz D 1: Izz  Iyy

(4.173)

128

4 Balken

Es folgt: 2'0 D 45ı ;

(4.174)

d. h. der Hauptachswinkel '0 beträgt '0 D 22;5ı . Die Flächenträgheitsmomente im Hauptachsensystem lassen sich mit Hilfe der Transformationsbeziehungen (4.155) ermitteln zu:    1  5 p 1 C 2 tb 3 D I1 ; I D Iyy C Izz C Iyy  Izz cos 2'0  Iyz sin 2'0 D 2 2 3       1 5 p 1 I D Iyy C Izz  Iyy  Izz cos 2'0 C Iyz sin 2'0 D  2 tb 3 D I2 ; 2 2 3  1 I D Iyy  Izz sin 2'0 C Iyz cos 2'0 D 0: 2 (4.175) Alternativ kann auch (4.157) verwendet werden, was auf das gleiche Ergebnis führt. Allerdings erlaubt es diese Darstellung nicht, die beiden Hauptträgheitsmomente I1 und I2 eindeutig ihren Koordinatenrichtungen zuzuordnen. Die Transformation der Flächenträgheitsmomente kann auch graphoanalytisch mit Hilfe des Mohrschen Trägheitskreises geschehen. Dies ist in Abb. 4.39 dargestellt. Für die Bestimmung des Verlaufs der Normalspannung xx bestehen nun zwei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit ist, die Berechnung bezogen auf die Achsen y und z

Iyz y tb 3 2tb3 3 tb3 3

3

– tb 3 3 2tb – 3 – tb

z tb3 I2 3

2tb3 tb 3 3

4tb3 3

2φ 0

2φ 0 5tb3 2tb3 7tb3 8tb3 3tb3 I1 3 3 3

3

Abb. 4.39 Trägheitskreis für den Z-Querschnitt.

Iyy ,Izz

yh

φ0

zh

4.4 Zweite Querschnittsnormierung: Hauptachsen Abb. 4.40 Spannungsverteilung und Spannungs-Nulllinie für den Z-Querschnitt.

129 xx

12 M0 7tb2

12 M0 7tb2

A

y

5 1

B

z Spannungs-Nulllinie durchzuführen, d. h. bezogen auf den Schwerpunkt S des Querschnitts, ohne jedoch die zweite Querschnittsnormierung durchgeführt zu haben. Hier muss dann aufgrund des nicht verschwindenden Deviationsmoments Iyz die Gleichung (4.117) herangezogen werden. Am Beispiel folgt: xx D

Izz M0 C Iyz M0 Iyz M0 C Iyy M0 3 M0 z yD .z C 5y/: 2 2 Iyy Izz  Iyz Iyy Izz  Iyz 7 tb 3

(4.176)

Die Spannungs-Nulllinie folgt aus der Forderung xx D 0 und ergibt sich am Beispiel als: z D 5y: (4.177) Sie ist in Abb. 4.40 dargestellt. Die beiden am weitesten von der Spannungs-Nulllinie entfernten Punkte des Querschnitts sind die beiden Punkte A und B wie in Abb. 4.40 eingezeichnet. Ihre Koordinaten lauten yA D b, zA D b, yB D b, zB D b, und aus der Spannungsgleichung (4.176) ergeben sich die folgenden Werte: xx;A D 

12 M0 M0 D 1;71 2 ; 7 tb 2 tb

xx;B D

12 M0 M0 D 1;71 2 : 7 tb 2 tb

(4.178)

Die zweite Möglichkeit der Spannungsermittlung besteht in der Durchführung der zweiten Querschnittsnormierung und der Verwendung der Spannungsgleichung (4.165). Hierin sind die transformierten Biegemomente anzusetzen, die sich aus (4.160) wie folgt ergeben: M D M0 cos '0 C M0 sin '0 D 1;30M0 ; M D M0 sin '0 C M0 cos '0 D 0;54M0 :

(4.179)

Der Ausdruck (4.165) ergibt dann: xx D 0;42

M0 M0

 2;16 3 : tb 3 tb

(4.180)

130

4 Balken

Abb. 4.41 Spannungsverteilung und Spannungs-Nulllinie für den Z-Querschnitt im Hauptachssystem.

xx

12 M0 7tb2

12 M0 7tb2

A 1

yh

5,14

B

zh Spannungs-Nulllinie Die Spannungs-Nulllinie folgt hieraus zu: D 5;14 :

(4.181)

Sie ist in Abb. 4.41 dargestellt. Die beiden relevanten Punkte zur Spannungsermittlung sind auch bei Verwendung des Hauptachsensystems wiederum die beiden Punkte A und B. Ihre Koordinaten A , A , B , B folgen aus den Transformationsgleichungen (4.151) und ergeben sich als:

A D 0;54b;

A D 1;30b;

B D 0;54b;

B D 1;30b:

(4.182)

Die Spannungen in diesen Punkten folgen dann als: xx;A D 1;71

M0 ; tb 2

xx;B D 1;71

M0 : tb 2

(4.183)

Diese Ergebnisse sind mit (4.178) identisch. J Beispiel 4.20

Gegeben sei der in Abb. 4.42, links, gezeigte Querschnitt, der durch das Moment My D 250F t beansprucht werde. Die Wanddicke sei t. Die Schwerpunktlage ist bereits in Abb. 4.42, links, dargestellt, und sowohl die Flächenträgheitsmomente als auch das Deviationsmoment sind, bezogen auf den Schwerpunkt S, gegeben wie folgt: Iyy D 155;65t 4 ;

Izz D 52;18t 4 ;

Iyz D 51;90t 4 :

(4.184)

Es ist die Spannungsverteilung xx zu ermitteln. Der Hauptachswinkel folgt aus (4.154) zu: tan 2'0 D

2Iyz D 1;003: Izz  Iyy

(4.185)

4.4 Zweite Querschnittsnormierung: Hauptachsen Abb. 4.42 Betrachteter Querschnitt (links), Spannungsverteilung (rechts).

131 12,12 F2 t xx

1,65t

A 3,4t

y

t

10t

yh y

1

2,41

14,28 F2 t

z t 6,5t

zh z Spannungs-Nulllinie B

Dies führt dann auf '0 D 22;55ı :

(4.186)

Die Transformation der Flächenträgheitsmomente ergibt mit (4.155):  1  1 Iyy C Izz C Iyy  Izz cos 2'0  Iyz sin 2'0 D 177;19t 4 D I1 ; 2 2  1  1 D Iyy C Izz  Iyy  Izz cos 2'0 C Iyz sin 2'0 D 30;65t 4 D I2 ; 2 2  1 D Iyy  Izz sin 2'0 C Iyz cos 2'0 D 0: 2

I D I I

(4.187)

Die Momententransformation (4.160) führt auf: M D 230;89F t;

M D 95;87F t:

(4.188)

Die Spannungsgleichung (4.165) ergibt dann den folgenden Ausdruck: xx D 1;30

F t F t

C 3;13 4 : t4 t

(4.189)

Hieraus lässt sich die Spannungs-Nulllinie ermitteln als: D 2;41 :

(4.190)

Sie ist in Abb. 4.42, rechts, dargestellt. Die für die Spannungsberechnung maßgeblichen Punkte sind die in Abb. 4.42, rechts, markierten Punkte A und B. Ihre Koordinaten folgen aus (4.151) zu:

A D 2;83t;

A D 2;51t;

B D 1;93t;

B D 6;34t:

(4.191)

Damit lassen sich die folgenden Spannungen in den Punkten A und B aus (4.189) bestimmen: F F xx;A D 12;12 2 ; xx;B D 14;28 2 : (4.192) t t J

5

Biegelinie

Neben der Ermittlung von Biegespannungen ist es auch von technischer Relevanz, Durchbiegungen von Balkenstrukturen zu ermitteln. In diesem Kapitel werden die notwendigen Grundgleichungen der Balkenbiegung bereitgestellt und auf die Analyse von statisch bestimmten und statisch unbestimmten Ein- und Mehrfeldbalken angewendet. Hieran schließt sich eine Übersicht über Standardbiegefälle an, die dann für die Analyse von statisch unbestimmten Systemen und von Mehrfeldbalken sowie abgewinkelten Balken herangezogen werden. Schließlich wird noch der Begriff der sog. Doppelbiegung eingeführt, also die Biegung um zwei Achsen. Die Studierenden sollen in die Lage versetzt werden, Balkenbiegeprobleme zu formulieren und die dargestellten Grundgleichungen auf die Ermittlung der Durchbiegung von Balkenstrukturen anzuwenden.

5.1

Grundgleichungen der Balkenbiegung

Es ist neben der Ermittlung der Spannungen in balkenartigen Bauteilen in vielen Anwendungen auch von Wichtigkeit, Aussagen über die Verformungen von Balkenstrukturen zu treffen. Dieses Aufgabenfeld betrifft die Ermittlung der sog. Biegelinie eines Balkens. Generell treten in einer linienförmigen Struktur die drei Verschiebungen u, v, w auf, wobei die Verschiebung u die Verschiebung in axialer Richtung ist und damit eine Stabwirkung beschreibt. Die Ermittlung der Längsverschiebung u eines Stabs war bereits der Gegenstand des Kap. 3 und wird hier nicht weiter behandelt. Wir wollen uns also im Folgenden der Ermittlung der Verschiebungen v und w von Balkenstrukturen widmen. Wir gehen in allen Fällen von einem Hauptachsensystem aus, das wir der Einfachheit halber als x, y, z bezeichnen wollen. Ausgangspunkt der Betrachtungen sind die Gleichgewichtsbedingungen für den Balken mit variabler Biegesteifigkeit EIyy .x/, der durch die Streckenlast qz belastet werde, s. Abb. 5.1, links. Wir setzen hier voraus, dass das Bezugssystem x, y, z ein Hauptachsensystem ist und untersuchen nun das infinitesimale Balkenelement der Abb. 5.1, rechts © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2022 C. Mittelstedt, Technische Mechanik 2: Elastostatik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66432-2_5

133

134

5 Qz

qz(x)

x

EIyy(x)

qz

Biegelinie

dMy My+ dx dx

My dx

dQ Qz+ dxzdx

l

z Abb. 5.1 Gleichgewicht am infinitesimalen Balkenelement.

(Länge dx), an dem wir die Gleichgewichtsbedingungen betrachten. Diese ergeben sich zu: dMy dQz (5.1) D Qz0 D qz ; D My0 D Qz : dx dx Verwenden wir an dieser Stelle das Konstitutivgesetz (4.161), wobei wir hier der Einfachheit halber die Bezugsachsen und als y und z bezeichnen wollen und aber klar voraussetzen, dass es sich hierbei um die Hauptachsen des Querschnitts handelt, dann erhalten wir mit My0 D Qz und Qz0 D qz : My D EIyy w 00 ;

 0 Qz D  EIyy w 00 ;



EIyy w 00

00

D qz :

(5.2)

Weist der betrachtete Balken in Längsrichtung x unveränderliche Eigenschaften auf und verfügt damit über eine konstante Biegesteifigkeit EIyy , dann geht (5.2) über in: My D EIyy w 00 ;

Qz D EIyy w 000 ;

EIyy w 0000 D qz :

(5.3)

Bezüglich der Schnittgrößen Mz und Qy sowie der Streckenlast qy lauten die Gleichgewichtsbedingungen wie folgt: dQy D Qy0 D qy ; dx

dMz D Mz0 D Qy : dx

(5.4)

Aus dem Konstitutivgesetz (4.161) folgt: Mz D EIzz v 00 ;

 0 Qy D  EIzz v 00 ;

 00 EIzz v 00 D qy :

(5.5)

Handelt es sich um einen prismatischen Balken mit konstanter Biegesteifigkeit EIzz , dann gilt: (5.6) Mz D EIzz v 00 ; Qy D EIzz v 000 ; EIzz v 0000 D qy : Im Folgenden wollen wir uns zunächst auf den Fall der einachsigen Biegung oder der geraden Biegung in der xz-Ebene beschränken und uns den Gleichungen (5.2) bzw. (5.3) zuwenden.

5.2 Statisch bestimmte Einfeldbalken

135

5.2 Statisch bestimmte Einfeldbalken Aus den Gleichungen (5.2) bzw. (5.3) geht hervor, dass die Bestimmung der Biegeverformungen bzw. der sog. Biegelinie w.x/ durch Integration dieser Gleichungen bewerkstelligt werden kann. Hierbei können grundsätzlich mehrere Wege beschritten werden. Eine Möglichkeit besteht darin, bei statisch bestimmten Systemen zunächst die Momentenlinie My .x/ aus Gleichgewichtsbetrachtungen zu ermitteln und dann sowohl die Neigung w 0 .x/ als auch die Biegelinie w.x/ durch einfache bzw. zweifache Integration zu bestimmen. Es folgt also bei gegebener Momentenlinie My .x/: EIyy w 00 D My ; Z EIyy w 0 D  My dx C C1 ; “ EIyy w D  My dxdx C C1 x C C2 :

(5.7)

Hierbei sind die beiden Integrationskonstanten C1 und C2 aus gegebenen geometrischen Randbedingungen zu ermitteln. Ebenso kann von der äußeren Belastung qz .x/ ausgegangen werden. Dies ist insbesondere bei statisch unbestimmten Systemen, bei denen die Momentenlinie My nicht ohne Weiteres aus Gleichgewichtsbetrachtungen ermittelbar ist, der Fall. EIyy w 0000 D qz ; EIyy w 000 D Qz D

Z qz dx C C1 ;

“ EIyy w 00 D My D qz dxdx C C1 x C C2 ; • 1 qz dxdxdx C C1 x 2 C C2 x C C3 ; EIyy w 0 D 2 ZZZZ 1 1 EIyy w D qz dxdxdxdx C C1 x 3 C C2 x 2 C C3 x C C4 : 6 2

(5.8)

Auch hier sind die Integrationskonstanten aus gegebenen Randbedingungen zu ermitteln, wobei hier zwischen geometrischen Randbedingungen und statischen Randbedingungen zu unterscheiden ist. Geometrische Randbedingungen beziehen sich bei einer Balkenstruktur auf solche Bedingungen, die die Durchbiegung w und ihre erste Ableitung/die Neigung der Balkenachse w 0 betreffen. Mit statischen Randbedingungen sind Bedingungen gemeint, die sich auf die Querkraft Qz und das Biegemoment My beziehen. Eine Auswahl typischer Randbedingungen ist in Abb. 5.2 dargestellt. Verbalisiert lauten diese Bedingungen:  An einem gelenkig gelagerten Balkenende verschwinden sowohl die Durchbiegung w als auch das Biegemoment My D EI w 00 (Abb. 5.2, links oben).

136

5

Abb. 5.2 Typische Balkenrandbedingungen.

x

My

z

Qz

z

Qz

x

My

w=0 EIw =0

z

Qz

x

My

Biegelinie

EIw =0 EIw =0

x

My

w=0 w =0

z

Qz

w =0 EIw =0

 Liegt ein freies unbelastetes Balkenende ohne jegliche Lagerung vor, dann verschwindet sowohl die Querkraft Qz D EIyy w 000 als auch das Biegemoment My D EIyy w 00 (Abb. 5.2, rechts oben).  Bei einer festen Einspannung kann weder eine Durchbiegung w noch eine Neigung w 0 der Biegelinie auftreten (Abb. 5.2, links unten).  Liegt an einem Balkenende eine Parallelführung vor (Abb. 5.2, rechts unten), dann verschwinden dort sowohl die Neigung der Biegelinie w 0 als auch die Querkraft Qz D EIyy w 000 . Wir beschränken uns in diesem Abschnitt auf Einfeldbalken, also solche Balken, bei denen sowohl die Zustandsgrößen Qz , My , w 0 und w als auch die Belastung qz stetige und differenzierbare Funktionen sind und illustrieren die Vorgehensweise an einem elementaren Beispiel. Wir betrachten den Kragarm der Abb. 5.3 mit der Länge l, der an seinem linken Ende fest eingespannt sei und an seinem freien Ende durch eine Einzelkraft F belastet werde. Der Balken weise die konstante Biegesteifigkeit EIyy auf. Wir ermitteln die Biegelinie des Balkens zunächst durch viermalige Integration der Balken-Differentialgleichung (5.3): EIyy w 0000 D qz .x/ D 0; EIyy w 000 D Qz .x/ D C1 ; EIyy w 00 D My .x/ D C1 x C C2 ; 1 EIyy w 0 D C1 x 2 C C2 x C C3 ; 2 1 1 EIyy w D C1 x 3 C C2 x 2 C C3 x C C4 : 6 2

(5.9)

Abb. 5.3 Beispielhafter Kragträger.

F x

w(x)

l z

wmax wmax

5.2 Statisch bestimmte Einfeldbalken

137

Die Integrationskonstanten C1 ; : : :; C4 werden aus den Randbedingungen bestimmt, die sich hier wie folgt angeben lassen: w.x D 0/ D 0;

w 0 .x D 0/ D 0;

Qz .x D l/ D F;

My .x D l/ D 0:

(5.10)

Aus der Forderung w.x D 0/ D 0 folgt umgehend C4 D 0:

(5.11)

Analog führt die Bedingung w 0 .x D 0/ D 0 sofort auf C3 D 0:

(5.12)

C1 D F:

(5.13)

Die Forderung Qz .x D l/ D F ergibt:

Schließlich führt die letzte Bedingung My .x D l/ D 0 auf: C1 l C C2 D 0;

(5.14)

C2 D F l

(5.15)

was mit (5.13) auf führt. Hiermit lassen sich die Zustandsgrößen des Balkens angeben als: Qz .x/ D F; My .x/ D F l

x

1 ;

l 2 x x F l 2 ; w 0 .x/ D 2EIyy l l

 F l3 x 2  x 3 w.x/ D  3 : 6EIyy l l

(5.16)

0 der Biegelinie w.x/ sowie der Maximalwert wmax der BieDie maximale Neigung wmax gelinie ergeben sich am freien Ende des Balkens mit den Werten

0 D wmax

F l2 ; 2EIyy

wmax D

F l3 : 3EIyy

(5.17)

Die zweite Möglichkeit der Ermittlung der Biegelinie w.x/ besteht darin, von der Momentenlinie My .x/ auszugehen, die sich an diesem statisch bestimmten Balken aus ele-

138

5

Biegelinie

mentaren Gleichgewichtsbetrachtungen ermitteln lässt. Es gilt (s. dazu auch (5.16)): EIyy w 00 D My D F .x  l/;  2  x 0 EIyy w D F  lx C C1 ; 2  3  x lx 2 EIyy w D F  C C1 x C C2 : 6 2

(5.18)

Die beiden hier auftretenden Integrationskonstanten werden aus den beiden geometrischen Randbedingungen w.x D 0/ D 0 und w 0 .x D 0/ D 0 ermittelt und ergeben sich als: C1 D 0;

C2 D 0:

(5.19)

Damit lauten die Neigung w 0 .x/ und die Biegelinie w.x/ des Kragarms wie folgt: x F l2 x  2 ; w 0 .x/ D 2EIyy l l

 F l3 x 2  x 3 w.x/ D  3 : (5.20) 6EIyy l l Offenbar stimmen diese Ergebnisse mit (5.16) überein. Für die Ermittlung von Balkenverformungen gilt das Superpositionsprinzip, die Balken-Differentialgleichung EIyy w 0000 D qz ist eine lineare Differentialgleichung. Das bedeutet, dass die Verformungen, die sich aus einzelnen Lastfällen ergeben, zu Gesamtverformungen eines Balkens unter kombinierter Last zusammenaddiert werden dürfen. Das ist in Abb. 5.4 anhand eines Balkens auf zwei Stützen verdeutlicht, der unter der Gleichstreckenlast q0 und der Einzelkraft F stehe. Hier setzt sich die Biegelinie w.x/ aus den beiden Biegelinien wq .x/ und wF .x/ additiv zusammen, d. h. es gilt: w.x/ D wq .x/ C wF .x/: Abb. 5.4 Superpositionsprinzip

(5.21)

F q0

=

w(x)

q0

wq(x)

+ F

wF(x)

5.2 Statisch bestimmte Einfeldbalken

139

Beispiel 5.1

Gegeben sei der Balken der Abb. 5.5 (Länge l, konstante Biegesteifigkeit EIyy ), der durch die Gleichstreckenlast q0 belastet werde. Gesucht wird die Biegelinie des Balkens. Wir lösen das Problem, indem wir von der Balken-Differentialgleichung EIyy w 0000 D q0 ausgehen: EIyy w 0000 D q0 ; EIyy w 000 D Qz D q0 x C C1 ; 1 EIyy w 00 D My D q0 x 2 C C1 x C C2 ; 2 1 1 0 3 EIyy w D q0 x C C1 x 2 C C2 x C C3 ; 6 2 1 1 1 4 EIyy w D q0 x C C1 x 3 C C2 x 2 C C3 x C C4 : 24 6 2

(5.22)

Die hier anzusetzenden Randbedingungen zur Bestimmung der Integrationskonstanten C1 , C2 , C3 und C4 lauten: w.x D 0/ D 0;

My .x D 0/ D 0;

w.x D l/ D 0;

My .x D l/ D 0:

(5.23)

Aus der Bedingung w.x D 0/ D 0 erhalten wir die Konstante C4 als C4 D 0:

(5.24)

Aus der Bedingung My .x D 0/ D 0 folgt sofort: C2 D 0:

(5.25)

Die Bedingung My .x D l/ D 0 ergibt: 1 C1 D  q0 l: 2

(5.26)

Aus der Bedingung w.x D l/ D 0 schließlich erhalten wir: C3 D

1 q0 l 3 : 24

(5.27)

Abb. 5.5 Durch Gleichstreckenlast q0 belasteter Balken auf zwei Stützen.

q0 x

wmax w(x)

l z

140

5

Biegelinie

Die Zustandsgrößen des Balkens folgen dann als: q0 l  x 2 1 ; 2 l q0 lx  x 1 ; My .x/ D  2 l  x 2 3  3 l q x 0 0 w .x/ D 6 C1 ; 4 24EIyy l l

 x 3 x q0 l 4  x 4 2 C : w.x/ D 24EIyy l l l Qz .x/ D 

Das maximale Biegemoment tritt in Feldmitte bei x D Mmax

l 2

(5.28)

auf und lautet:

  q0 l 2 l D My x D D : 2 8

(5.29)

Die Verdrehungen der beiden Auflager folgen aus der Neigung w 0 als: w 0 .x D 0/ D

q0 l 3 ; 24EIyy

w 0 .x D l/ D 

q0 l 3 : 24EIyy

(5.30)

Als Probe kann man die Aussage heranziehen, dass die Neigung w 0 der Biegelinie w in Feldmitte bei x D 2l zu null werden muss. Man kann sich leicht davon überzeugen, dass dies der Fall ist. Die maximale Durchbiegung des Balkens liegt in Feldmitte bei x D 2l vor und beläuft sich auf:   l 5q0 l 4 : (5.31) D wmax D w x D 2 384EIyy J Beispiel 5.2

Gegeben sei der in Abb. 5.6 gezeigte beidseitig gelenkig gelagerte Balken der Länge l mit der konstanten Biegesteifigkeit EIyy , der durch eine sinusförmige Streckenlast / belastet werde. Man ermittle die Biegelinie w.x/. qz .x/ D q0 sin. x l Abb. 5.6 Durch sinusförmige Streckenlast qz .x/ belasteter Balken auf zwei Stützen.

q0

x

wmax w(x)

l z

5.2 Statisch bestimmte Einfeldbalken

141

Zur Lösung des Problems gehen wir von der Balken-Differentialgleichung EIyy w 0000 D qz aus: EIyy w 0000 D q0 sin

 x ; l

 x l cos C C1 ;  l  2  l x C C1 x C C2 ; EIyy w 00 D My D q0 sin  l  3  x 1 l C C1 x 2 C C2 x C C3 ; cos EIyy w 0 D q0  l 2  4  1 l x 1 C C1 x 3 C C2 x 2 C C3 x C C4 : sin EIyy w D q0  l 6 2

EIyy w 000 D Qz D q0

(5.32)

Man kann sich leicht davon überzeugen, dass die Auswertung der Randbedingungen w.x D 0/ D 0;

My .x D 0/ D 0;

w.x D l/ D 0;

My .x D l/ D 0

(5.33)

auf C1 D C2 D C3 D C4 D 0 führt, so dass die Zustandsgrößen des Balkens wie folgt angegeben werden können:  x l ; cos  l  2  l x My D q0 sin ;  l  3  x l q0 ; cos w0 D EIyy  l  4  q0 l x wD : sin EIyy  l Qz D q0

(5.34)

Die maximale Durchbiegung wmax ergibt sich für diesen Balken in Feldmitte und beläuft sich auf    4 l l q0 : (5.35) D wmax D w x D 2 EIyy  Das maximale Biegemoment Mmax liegt ebenfalls bei x D genden Wert an:    2 l l : Mmax D My x D D q0 2 

l 2

vor und nimmt den fol(5.36) J

142

5

Biegelinie

Beispiel 5.3

Betrachtet werde der in Abb. 5.7 gezeigte Kragarm der Länge l mit konstanter Biegesteifigkeit EIyy , der durch eine linear verlaufende Streckenlast qz .x/ D q0 xl belastet werde. Gesucht wird die Biegelinie des Balkens. Wir gehen bei der Betrachtung des Balkens von der Balken-Differentialgleichung EIyy w 0000 D qz aus: x EIyy w 0000 D q0 ; l q0 x 2 C C1 ; 2 l q0 x 3 EIyy w 00 D My D C C1 x C C2 ; 6 l q0 x 4 1 EIyy w 0 D C C1 x 2 C C2 x C C3 ; 24 l 2 q0 x 5 1 1 EIyy w D C C1 x 3 C C2 x 2 C C3 x C C4 : 120 l 6 2

EIyy w 000 D Qz D

(5.37)

Die hier anzusetzenden Randbedingungen lauten w.x D 0/ D 0;

w 0 .x D 0/ D 0;

Qz .x D l/ D F;

My .x D l/ D 0

(5.38)

und führen auf die folgenden Ausdrücke für die Integrationskonstanten: C1 D 

q0 l ; 2

C2 D

q0 l 2 ; 3

C3 D 0;

C4 D 0:

(5.39)

Damit lassen sich die Zustandsgrößen des Balkens angeben als:

 x 2 q0 l Qz D 1 ; 2 l

q0 l 2  x 3 x C3 2 ;  My D 6 l l  x 2 3  4 x l q x 0 6 C8 ; w0 D 24EIyy l l l

   x 2 4 5 3 x x q0 l  10 C 20 : wD 120EIyy l l l

Abb. 5.7 Kragarm unter linear verlaufender Streckenlast qz .

(5.40) J

q0

x l z

5.3 Statisch unbestimmte Einfeldbalken

5.3

143

Statisch unbestimmte Einfeldbalken

Die bisher betrachteten Balkensituationen waren statisch bestimmt, sowohl die Auflagerreaktionen als auch die Querkraft- und Momentenverläufe ließen sich aus Gleichgewichtsbedingungen ermitteln. Wir erweitern die Betrachtungen nun auf statisch unbestimmte Einfeldbalken. Die Vorgehensweise zur Ermittlung der Zustandsgrößen Qz , My , w 0 , w ist gegenüber den Ausführungen zu den statisch bestimmten Systemen identisch, allerdings müssen wir bei statisch unbestimmten Balken in allen Fällen von der Balken-Differentialgleichung EIyy w 0000 D qz ausgehen. Der Momentenverlauf My lässt sich bei solchen Systemen nicht aus Gleichgewichtsbetrachtungen beschaffen. Wir betrachten als Beispiel den Balken der Abb. 5.8, der die Länge l und die konstante Biegesteifigkeit EIyy aufweise und durch die Gleichstreckenlast q0 und das Randmoment M0 belastet werde. Der Balken sei an seinem linken Ende bei x D 0 fest eingespannt und an seinem rechten Ende bei x D l gelenkig gelagert. Wir lösen das gegebene statisch unbestimmte Problem durch vierfache Integration der Balken-Differentialgleichung: EIyy w 0000 D q0 ; EIyy w 000 D Qz D q0 x C C1 ; 1 EIyy w 00 D My D q0 x 2 C C1 x C C2 ; 2 1 1 EIyy w 0 D q0 x 3 C C1 x 2 C C2 x C C3 ; 6 2 1 1 1 EIyy w D q0 x 4 C C1 x 3 C C2 x 2 C C3 x C C4 : 24 6 2

(5.41)

Die hier zu erhebenden Randbedingungen lauten: w.x D 0/ D 0;

w 0 .x D 0/ D 0;

w.x D l/ D 0;

My .x D l/ D M0 :

(5.42)

Aus der Bedingung w.x D 0/ D 0 folgt unmittelbar: C4 D 0:

(5.43)

Abb. 5.8 Statisch unbestimmter Balken unter Gleichstreckenlast q0 und Randmoment M0 .

q0 x l z

M0

144

5

Biegelinie

Die Bedingung w 0 .x D 0/ D 0 ergibt: C3 D 0:

(5.44)

Aus der Bedingung w.x D l/ D 0 lässt sich der folgende Ausdruck herleiten: 1 1 q0 l 4 C C1 l 3 C C2 l 2 D 0: 24 6 2

(5.45)

Schließlich folgt aus der Bedingung My .x D l/ D M0 : q0 l 2 C C1 l C C2 D M0 : 2

(5.46)

Die Gleichungen (5.45) und (5.46) stellen zwei Gleichungen für die beiden noch unbekannten Konstanten C1 und C2 dar. Auflösen ergibt: C1 D 

5q0 l 3M0 C ; 8 2l

C2 D

q0 l 2 M0  : 8 2

(5.47)

Mit vorliegenden Konstanten C1 , C2 , C3 und C4 lassen sich die Zustandsgrößen des statisch unbestimmten Balkens angeben wie folgt: i 3M q0 l h x 0 8 5  ; 8 l 2l

q0 l 2  x 2 x My D  5 C1  4 8 l l 3  3 4 x q0 l 5  x 2  C w0 D 8EIyy 3 l 2 l

q0 l 4 1  x 4 5  x 3  C wD 8EIyy 3 l 6 l Qz D 

M0  x 3 1 ; 2 l

 x x M0 l x 2 2 ; C 3 l 4EIyy l l

  2 x 3  x 2 1 x 2 M0 l  C : 2 l 4EIyy l l

(5.48)

Für den Sonderfall M0 D 0 ist die Biegelinie des statisch unbestimmten Balkens in Abb. 5.9 qualitativ dargestellt. Die Auflagerreaktionen MA , AV und BV (Abb. 5.10) lassen sich hieraus bestimmen als: q0 l 2 M0 C ; 8 2 5q0 l 3M0  ; AV D Qz .x D 0/ D 8 2l 3q0 l 3M0 C : BV D Qz .x D l/ D 8 2l

MA D My .x D 0/ D 

(5.49)

5.3 Statisch unbestimmte Einfeldbalken

145

Abb. 5.9 Biegelinie w.x/ des statisch unbestimmten Balkens unter Gleichstreckenlast q0 .

q0 x

w(x)

l z

Abb. 5.10 Bestimmung der Auflagerreaktionen des statisch unbestimmten Balkens.

q0

MA

M0

AV

BV

Beispiel 5.4

Betrachtet werde der Balken der Abb. 5.11 (Länge l, konstante Biegesteifigkeit EIyy ), der an seinem linken Ende bei x D 0 fest eingespannt sei und an seinem rechten Ende eine vertikale Parallelführung aufweise. Die Belastung bestehe aus einer Gleichstreckenlast q0 . Gesucht werden die Zustandsgrößen Qz , My , w 0 und w des Balkens. Das Problem wird durch vierfache Integration der Balken-Differentialgleichung EIyy w 0000 D q0 gelöst: EIyy w 0000 D q0 ; EIyy w 000 D Qz D q0 x C C1 ; 1 EIyy w 00 D My D q0 x 2 C C1 x C C2 ; 2 1 1 EIyy w 0 D q0 x 3 C C1 x 2 C C2 x C C3 ; 6 2 1 1 1 EIyy w D q0 x 4 C C1 x 3 C C2 x 2 C C3 x C C4 : 24 6 2

(5.50)

Die Randbedingungen lauten hier: w.x D 0/ D 0;

w 0 .x D 0/ D 0;

w 0 .x D l/ D 0:

Qz .x D l/ D 0;

Abb. 5.11 Statisch unbestimmter Balken mit Festeinspannung und vertikaler Parallelführung.

q0 x l z

(5.51)

146

5

Abb. 5.12 Auflagerreaktionen des statisch unbestimmten Balkens mit Festeinspannung und vertikaler Parallelführung.

q0

MA

Biegelinie

MB

AV

Hieraus lassen sich die folgenden Integrationskonstanten C1 , C2 , C3 und C4 ermitteln: C1 D q0 l;

C2 D

q0 l 2 ; 3

C3 D 0;

C4 D 0:

Die Zustandsgrößen des Balkens folgen dann als: x 1 ; Qz D q0 l

l  1 x 2 x 1 2 C  ; My D q0 l  2 l l 3

q0 l 3 1  x 3 1  x 2 1 x 0  C ; w D EIyy 6 l 2 l 3l

q0 l 4 1  x 4  x 3  x 2  C : wD 6EIyy 4 l l l

(5.52)

(5.53)

Die Auflagerreaktion MA , AV und MB (Abb. 5.12) lassen sich hieraus beschaffen als: q0 l 2 ; 3 AV D Qz .x D 0/ D q0 l;

MA D My .x D 0/ D 

MB D My .x D l/ D

5.4

q0 l 2 : 6

(5.54) J

Mehrfeldbalken

Die bisherigen Ausführungen gingen von Balkenstrukturen aus, bei denen die Größen qz , Qz , My , w 0 und w stetig und differenzierbar über die gesamte Balkenlänge sind. Technisch überaus relevant ist aber auch der Fall des sog. Mehrfeldbalkens. Handelt es sich z. B. um einen Balken, der durch ein zwischenliegendes Auflager gestützt oder durch ein Gelenk unterbrochen wird, oder bei dem an einer beliebigen Stelle Einzelkräfte oder -momente angreifen, oder bei dem Unstetigkeiten der Biegesteifigkeit EIyy vorliegen, dann ist der Balken rechnerisch in Bereiche einzuteilen, innerhalb derer sowohl die Belastung qz als auch die Zustandsgrößen Qz , My , w 0 , w jeweils stetig verlaufen. Ein Beispiel

5.4 Mehrfeldbalken

147

Abb. 5.13 Beispielhafter Mehrfeldbalken. x z

für einen solchen Mehrfeldbalken ist in Abb. 5.13 gegeben. Geht man bei der Betrachtung dieses Beispiels in jedem Bereich von der Balken-Differentialgleichung EIyy w 0000 D qz aus, dann ist die hier durchzuführende vierfache Integration zur Bestimmung der Biegelinie in jedem Teilbereich separat durchzuführen. Für das Beispiel der Abb. 5.13 ergeben sich dann vier Teilbereiche mit insgesamt 4  4 D 16 Integrationskonstanten. Um diese zu bestimmen, müssen neben den Randbedingungen sog. Übergangsbedingungen an den Übergängen zwischen den Teilbereichen formuliert werden. Eine Auswahl typischer Übergangsbedingungen für den Übergang zwischen den Teilbereichen i und i C 1, die durch die Streckenlasten qi und qi C1 belastet werden und die Biegesteifigkeiten EIi bzw. EIi C1 aufweisen, ist in Abb. 5.14 gezeigt. An jeder Übergangsstelle können jeweils vier Übergangsbedingungen formuliert werden. Zur Illustration betrachten wir das Beispiel der Abb. 5.13 näher und formulieren hierfür die Rand- und Übergangsbedingungen. Hierzu werden die Teilbereichsachsen xi (i D Abb. 5.14 Beispielhafte Übergangsbedingungen am Mehrfeldbalken.

qz,i

qz,i+1

My,i

qz,i

qz,i+1

My,i+1 My,i Qz,i

Qz,i

Q z,i+1 wi =0 wi+1=0 wi = wi+1 EIi wi =EIi+1wi+1 qz,i

wi = wi+1 Q z,i+1 wi = wi+1 EIi wi =EIi+1wi+1 EIi wi =EIi+1wi+1

qz,i+1

My,i

qz,i My,i+1

qz,i+1 M

Qz,i

wi = wi+1 Q z,i+1 wi = wi+1 EIi wi = EIi+1wi+1-M EIi wi =EIi+1wi+1

My,i+1 wi = wi+1 Q z,i+1 wi = wi+1 EIi wi = EIi+1wi+1 EIi wi =EIi+1wi+1 -F

wi = wi+1 Q z,i+1 EIi wi =0 EIi+1wi+1=0 EIi wi =EIi+1wi+1

My,i

F qz,i+1

My,i Qz,i

Qz,i

qz,i

My,i+1

My,i+1

148 Abb. 5.15 Formulierung von Rand- und Übergangsbedingungen am Mehrfeldbalken.

5

Biegelinie

q0

M0

x1

F0

x2

x3

x4

z l1

l2

l3

l4

1; 2; 3; 4) eingeführt wie in Abb. 5.15 dargestellt. Die Biegesteifigkeit EIyy des Balkens sei dabei über seine gesamte Länge konstant. Am linken Auflagerpunkt bei x1 D 0 sind die folgenden Randbedingungen zu erfüllen: w1 .x1 D 0/ D 0; M1 .x1 D 0/ D M0 :

(5.55)

Hierin ist M1 das Biegemoment des Abschnitts 1. Die zweite Randbedingung in (5.55) kann man auch darstellen wie folgt: w100 .x1 D 0/ D 

M0 : EIyy

(5.56)

Am Gelenk an der Stelle x1 D l1 bzw. x2 D 0 sind die folgenden Übergangsbedingungen zu erfüllen: w1 .x1 D l1 / D w2 .x2 D 0/; Q1 .x1 D l1 / D Q2 .x2 D 0/; M1 .x1 D l1 / D 0; M2 .x2 D 0/ D 0:

(5.57)

Hierin können die Momenten- und Querkraftbedingungen auch angegeben werden als: w1000 .x1 D l1 / D w2000 .x2 D 0/; w100 .x1 D l1 / D 0; w200 .x2 D 0/ D 0:

(5.58)

Am Auflagerpunkt x2 D l2 bzw. x3 D 0 sind die folgenden Übergangsbedingungen zu erfüllen: w2 .x2 D l2 / D 0; w3 .x3 D 0/ D 0; w20 .x2 D l2 / D w30 .x3 D 0/; M2 .x2 D l2 / D M3 .x3 D 0/;

(5.59)

5.4 Mehrfeldbalken

149

wobei man die letzte hier auftretende Bedingung auch wie folgt formulieren kann: w200 .x2 D l2 / D w300 .x3 D 0/:

(5.60)

Am Kraftangriffspunkt x3 D l3 bzw. x4 D 0 lauten die Übergangsbedingungen: w3 .x3 D l3 / D w4 .x4 D 0/; w30 .x3 D l3 / D w40 .x4 D 0/; Q3 .x3 D l3 /  Q4 .x4 D 0/ D F0 ; M3 .x3 D l3 / D M4 .x4 D 0/:

(5.61)

Die Querkraftbedingung und die Momentenbedingung können formuliert werden als: w3000 .x3 D l3 /  w4000 .x4 D 0/ D 

F0 ; EIyy

w300 .x3 D l3 / D w400 .x4 D 0/:

(5.62)

An der Festeinspannung an der Stelle x4 D l4 schließlich gelten die folgenden Randbedingungen: w4 .x4 D l4 / D 0; w40 .x4 D l4 / D 0:

(5.63)

Hiermit liegen dann insgesamt 16 Bedingungen für die Ermittlung der 16 Integrationskonstanten vor. Beispiel 5.5

Für den in Abb. 5.16 abgebildeten Balken auf zwei Stützen unter dem Randbiegemoment M0 sind die Zustandsgrößen Qz , My , w 0 und w zu ermitteln. Der Balken weise in dem Bereich der Länge l1 zwischen den beiden Stützen die Biegesteifigkeit EIyy auf. Im auskragenden Bereich mit der Länge l2 liege die Biegesteifigkeit 2EIyy vor. Zweckmäßig werden die beiden Bezugsachsen x1 und x2 für die beiden Bereiche eingeführt. Grundsätzlich können auch hier wieder zwei Wege zur Ermittlung der Zustandsgrößen beschritten werden. Zum einen können wir vorab die Momentenlinie ermitteln und davon ausgehend durch einfache bzw. zweifache Integration die Neigung w 0 und die

Abb. 5.16 Zweifeldbalken unter Randbiegemoment.

EIyy

x1 l1

z

2EIyy x2

l2

M0

150

5

Abb. 5.17 Momentenlinie für den Zweifeldbalken.

Biegelinie

M0

x1

x2

AV

My

BV

Biegelinie w ermitteln. Zum anderen können wir die Zustandsgrößen durch vierfache Integration der Balken-Differentialgleichung bestimmen. Beide Wege werden nachfolgend beschrieben. Wir ermitteln zunächst die Momentenlinie My .xi / (i D 1; 2), sie ist in Abb. 5.17 dargestellt. Sie lässt sich wie folgt formulieren: My .x1 / D 

M0 x 1 ; l1

My .x2 / D M0 :

(5.64)

Die Auflagerkräfte AV und BV ergeben sich mit den in Abb. 5.17 gezeigten Wirkungsrichtungen als: M0 : (5.65) AV D BV D l1 Wir ermitteln nun die Neigung w 0 .xi / und die Biegelinie w.xi / des Balkens durch einfache bzw. zweifache Integration der Momentenlinie My .xi /, wobei wir hier die Betrachtungen auf zwei Teilbereiche aufteilen. Es gilt in Bereich 1: EIyy w100 .x1 / D My .x1 / D

M0 x 1 ; l1

M0 x12 C C1 ; 2l1 M0 x13 EIyy w1 .x1 / D C C1 x 1 C C2 : 6l1 EIyy w10 .x1 / D

(5.66)

Für Bereich 2 erhalten wir: 2EIyy w200 .x2 / D My .x2 / D M0 ; 2EIyy w20 .x2 / D M0 x2 C D1 ; 2EIyy w2 .x2 / D

M0 x22 C D1 x2 C D2 : 2

(5.67)

Die Integrationskonstanten C1 , C2 , D1 und D2 werden aus den gegebenen geometrischen Rand- und Übergangsbedingungen ermittelt. Am linken Auflagerpunkt bei x1 D 0 muss die Durchbiegung w1 verschwinden: w1 .x1 D 0/ D 0:

(5.68)

5.4 Mehrfeldbalken

151

Daraus folgt unmittelbar C2 D 0:

(5.69)

Analog wird am rechten Auflagerpunkt an der Stelle x2 D 0 gefordert, dass dort die Durchbiegung w2 zu null wird, was auf D2 D 0

(5.70)

führt. Für die Durchbiegung w1 muss außerdem gefordert werden, dass sie am rechten Auflagerpunkt bei x1 D l1 zu null wird: w1 .x1 D l1 / D 0:

(5.71)

Daraus ergibt sich:

M0 l 1 : (5.72) 6 Schließlich ist noch die Forderung zu erheben, dass auf beiden Seiten des rechten Auflagerpunkts die Neigungen w10 und w20 der beiden Teilbereiche identisch sind: C1 D 

w10 .x1 D l1 / D w20 .x2 D 0/:

(5.73)

Hieraus folgt nach kurzer Rechnung: D1 D

2 M0 l 1 : 3

(5.74)

Hiermit liegen dann alle Integrationskonstanten vor, und die Neigung und die Biegelinie des Balkens können eindeutig angegeben werden. In Bereich 1 folgt: # "   x1 2 M0 l 1 0 1 ; 3 w1 .x1 / D 6EIyy l1 "  # x1 3 x1 M0 l12  : (5.75) w1 .x1 / D 6EIyy l1 l1 In Bereich 2 gilt:

  M0 l 1 3 x 2 C1 ; 3EIyy 2 l1   M0 l 1 x 2 1 x 2 2 C w2 .x2 / D : 2EIyy 2 l1 3 w20 .x2 / D

(5.76)

Die maximale Durchbiegung wmax zwischen den beiden Auflagern in Bereich 1 ergibt sich an der Stelle, an der die Neigung w10 zu null wird: # "   x1 2 M0 l 1  1 D 0: (5.77) 3 6EIyy l1

152

5

Biegelinie

Dies kann nach x1 aufgelöst werden wie folgt: l1 x1 D p : 3

(5.78)

Damit ergibt sich die maximale Durchbiegung wmax in Bereich 1 als: wmax

  M0 l 2 l1 D w1 x1 D p D p 1 : 3 9 3EIyy

(5.79)

Die Neigung des Balkens sowie seine Durchbiegung am Kragarmende bei x2 D l2 ergeben sich als:   M0 l 1 3 l 2 0 C1 ; w2 .x2 D l2 / D 3EIyy 2 l1   M0 l 1 l 2 1 l 2 2 C w2 .x2 D l2 / D : (5.80) 2EIyy 2 l1 3 Wir zeigen nun, wie die Ermittlung der Zustandsgrößen Qz , My , w 0 , w durchgeführt werden kann, wenn wir in beiden Teilbereichen von der Balken-Differentialgleichung EIyy w 0000 D qz ausgehen und vierfach integrieren. In Bereich 1 erhalten wir: EIyy w10000 D q0 D 0; EIyy w1000 D Qz D C1 ; EIyy w100 D My D C1 x1 C C2 ; EIyy w10 D

1 C1 x12 C C2 x1 C C3 ; 2

EIyy w1 D

1 1 C1 x13 C C2 x12 C C3 x1 C C4 : 6 2

(5.81)

In Bereich 2 gilt: 2EIyy w20000 D q0 D 0; 2EIyy w2000 D Qz D D1 ; 2EIyy w200 D My D D1 x2 C D2 ; 2EIyy w20 D

1 D1 x22 C D2 x2 C D3 ; 2

2EIyy w2 D

1 1 D1 x23 C D2 x22 C D3 x2 C D4 : 6 2

(5.82)

Die für die gegebene Balkensituation zu erhebenden Rand- und Übergangsbedingungen lauten wie folgt. Am linken Auflager an der Stelle x1 D 0 verschwinden sowohl

5.4 Mehrfeldbalken

153

die Durchbiegung w1 als auch das Biegemoment My : w1 .x1 D 0/ D 0;

My .x1 D 0/ D 0:

(5.83)

Am rechten Auflagerpunkt an der Stelle x1 D l1 bzw. x2 D 0 gelten die folgenden Übergangsbedingungen. Zunächst muss gefordert werden, dass die beidseitigen Verschiebungen der Teilbereiche 1 und 2 an diesem Auflager verschwinden, d. h.: w1 .x1 D l1 / D 0;

w2 .x2 D 0/ D 0:

(5.84)

Zudem müssen die Neigungen der Balkenachse beidseits identisch sein, so dass gilt: w10 .x1 D l1 / D w20 .x2 D 0/:

(5.85)

Schließlich muss das Biegemoment beidseits des Auflagers identische Werte in beiden Teilbereichen aufweisen, also: My .x1 D l1 / D My .x2 D 0/:

(5.86)

Am Kragarmende bei x2 D l2 gelten nun noch die folgenden statischen Randbedingungen: (5.87) My .x2 D l2 / D M0 ; Qz .x2 D l2 / D 0: Aus den Rand- und Übergangsbedingungen lassen sich die Integrationskonstanten C1 , C2 , C3 , C4 und D1 , D2 , D3 , D4 bestimmen als: C1 D

M0 ; l1

D1 D 0;

C2 D 0; D 2 D M0 ;

M0 l 1 ; 6 2 D 3 D M0 l 1 ; 3

C3 D 

C4 D 0; D4 D 0:

(5.88)

Damit können dann die Zustandsgrößen Qz , My , w 0 , w der beiden Teilbereiche angegeben werden wie folgt. In Teilbereich 1 erhalten wir: M0 ; l1 M0 My .x1 / D  x1 ; l1 # "   x1 2 M0 l 1 0 1 ; 3 w1 .x1 / D 6EIyy l1 "  # x1 3 x1 M0 l12  : w1 .x1 / D 6EIyy l1 l1 Qz .x1 / D 

(5.89)

154

5

Biegelinie

Für Teilbereich 2 ergibt sich: Qz .x2 / D 0; My .x2 / D M0 ;

  M0 l 1 3 x 2 D C1 ; 3EIyy 2 l1   M0 l 1 x 2 1 x 2 2 C w2 .x2 / D : 2EIyy 2 l1 3 w20 .x2 /

(5.90)

Die Auflagerkräfte AV und BV lassen sich hieraus mit den Wirkungsrichtungen wie in Abb. 5.17 dargestellt gewinnen als: AV D Qz .x1 D 0/ D

M0 ; l1

BV D Qz .x1 D l1 / C Qz .x2 D 0/ D

M0 : l1

(5.91) J

Beispiel 5.6

Für den in Abb. 5.18 dargestellten Kragbalken der Länge 2l unter den wie gezeigt wirkenden Gleichstreckenlasten q1 und q2 sind die Biegelinie w und die Winkelverdrehung w 0 zu ermitteln. Der Balken weise die konstante Biegesteifigkeit EIyy auf, es werden die beiden lokalen Längsachsen x1 und x2 eingeführt wie angezeigt. Man gehe von der Balken-Differentialgleichung EIyy w 0000 D qz aus. Die Balken-Differentialgleichung EIyy w 0000 D qz wird in den beiden Teilbereichen durch vierfache Integration gelöst. Im linken Teilbereich erhalten wir: EIyy w10000 D q1 ; EIyy w1000 D Qz;1 D q1 x1 C C1 ; 1 EIyy w100 D My;1 D q1 x12 C C1 x1 C C2 ; 2 1 1 EIyy w10 D q1 x13 C C1 x12 C C2 x1 C C3 ; 6 2 1 1 1 4 EIyy w1 D q1 x1 C C1 x13 C C2 x12 C C3 x1 C C4 : 24 6 2 Abb. 5.18 Balken unter Streckenlasten.

q1 x1

q2 x2

l z

(5.92)

l

5.4 Mehrfeldbalken

155

In Bereich 2 gilt: EIyy w20000 D q2 ; EIyy w2000 D Qz;2 D q2 x2 C D1 ; 1 EIyy w200 D My;2 D q2 x22 C D1 x2 C D2 ; 2 1 1 EIyy w20 D q2 x23 C D1 x22 C D2 x2 C D3 ; 6 2 1 1 1 4 EIyy w2 D q2 x2 C D1 x23 C D2 x22 C D3 x2 C D4 : 24 6 2

(5.93)

Die hierin auftretenden Integrationskonstanten werden aus den Rand- und Übergangsbedingungen des Systems ermittelt. Die Randbedingungen an der Einspannstelle x1 D 0 lauten: (5.94) w1 .x1 D 0/ D 0; w10 .x1 D 0/ D 0: Daraus folgen die beiden Integrationskonstanten C3 und C4 als: C3 D C4 D 0:

(5.95)

Die Randbedingungen am freien Kragarmende bei x2 D l lauten: Qz;2 .x2 D l/ D 0;

My;2 .x2 D l/ D 0:

(5.96)

Hieraus lassen sich D1 und D2 bestimmen als: D1 D q2 l;

D2 D

1 2 q2 l : 2

(5.97)

Wir betrachten nun die Übergangsbedingungen an der Stelle x1 D l bzw. x2 D 0. Dort ist zunächst die Gleichheit der beiden Querkräfte zu fordern: Qz;1 .x1 D l/ D Qz;2 .x2 D 0/:

(5.98)

Daraus ergibt sich die Integrationskonstante C1 als: C1 D l.q1 C q2 /:

(5.99)

Ebenso müssen an der Übergangsstelle zwischen den beiden Teilbereichen die Biegemomente identisch sein: My;1 .x1 D l/ D My;2 .x2 D 0/:

(5.100)

156

5

Daraus folgt: C2 D

1 2 l .q1 C 3q2 /: 2

Biegelinie

(5.101)

An der Übergangsstelle sind außerdem die Neigungen der Biegelinie in beiden Teilbereichen identisch: (5.102) w10 .x1 D l/ D w20 .x2 D 0/: Hieraus ergibt sich die Integrationskonstante D3 als:   1 D3 D l 3 q1 C q2 : 6

(5.103)

Schließlich ist zu fordern, dass die Durchbiegungen w1 und w2 an der Übergangsstelle übereinstimmen: (5.104) w1 .x1 D l/ D w2 .x2 D 0/: Daraus folgt die noch fehlende Integrationskonstante D4 zu:   7 4 1 D4 D l q1 C q2 : 8 12

(5.105)

Mit den so ermittelten Integrationskonstanten lassen sich die Ausdrücke (5.92) und (5.93) konkret angeben. Für die beiden Winkelverdrehungen w10 .x1 / und w20 .x2 / folgt:

  x 2  x x1 3 l3 1 1 D  3.q1 C q2 / C 3.q1 C 3q2 / ; q1 6EIyy l l l

  x 2 x x2 3 l3 2 2  3q2 C 3q2 C q1 C 6q2 : q2 w20 .x2 / D 6EIyy l l l w10 .x1 /

(5.106)

Die Werte an der Übergangsstelle und am freien Kragarmende lauten: w10 .x1 D l/ D

l3 .q1 C 6q2 /; 6EIyy

w20 .x2 D l/ D

l3 .q1 C 7q2 /: 6EIyy

(5.107)

Für die Durchbiegungen der Teilbereiche w1 .x1 / und w2 .x2 / erhalten wir:

  x 3  x 2 x1 4 l4 1 1  4.q1 C q2 / C 6.q1 C 3q2 / q1 ; 24EIyy l l l

  x 3  x 2 x2 4 l4 2 2  4q2 C 6q2 q2 w2 .x2 / D 24EIyy l l l x 2 C 4.q1 C 6q2 / C 3q1 C 14q2 : l

w1 .x1 / D

(5.108)

5.4 Mehrfeldbalken

157

Die Durchbiegung an der Übergangsstelle x1 D l bzw. x2 D 0 und am Kragarmende x2 D l folgen zu: l4 w1 .x1 D l/ D .3q1 C 14q2 /; 24EIyy w2 .x2 D l/ D

l4 .7q1 C 41q2 /: 24EIyy

(5.109) J

Beispiel 5.7

Betrachtet werde der in Abb. 5.19 gezeigte Balken auf zwei Stützen, der durch die Einzelkraft F belastet werde. Der Balken der Länge l werde durch den Kraftangriffspunkt in zwei Teilbereiche der Längen l1 und l2 unterteilt. Es liege eine konstante Biegesteifigkeit EIyy vor. Zweckmäßig werden die beiden Bezugsachsen x1 und x2 eingeführt wie dargestellt. Die sich einstellende Momentenlinie ist ebenfalls in Abb. 5.19 dargestellt. Gesucht werden die Neigung w 0 und die Biegelinie w des Balkens. Wir lösen diese Aufgabe, indem wir die Momentenfläche in jedem Teilbereich zweifach integrieren. Die Momentenverläufe lassen sich wie folgt beschreiben: My .x1 / D

F l2 x 1 ; l

My .x2 / D

F l1 .l2  x2 /: l

(5.110)

Die zweifache Integration in Bereich 1 ergibt dann: F l2 x 1 ; l F l2 x12 EIyy w10 D  C C1 ; 2l F l2 x13 EIyy w1 D  C C1 x 1 C C2 : 6l

EIyy w100 D 

Abb. 5.19 Durch Einzelkraft F belasteter Balken auf zwei Stützen (oben), Momentenlinie (unten).

(5.111)

F x1

x2 l2

l1 l z

My

AV

Fl2 l

Fl1l2 l

BV

Fl1 l

158

5

Biegelinie

In Bereich 2 folgt: F l1 .l2  x2 /; l F l1 EIyy w20 D .l2  x2 /2 C D1 ; 2l F l1 .l2  x2 /3  D1 .l2  x2 / C D2 : EIyy w2 D  6l

EIyy w200 D 

(5.112)

Hierin wurde zweckmäßig die Koordinate .l2  x2 / verwendet. Die Integrationskonstanten C1 , C2 , D1 und D2 werden aus den gegebenen Randund Übergangsbedingungen ermittelt. Am Balkenende x1 D 0 muss die Durchbiegung w1 verschwinden. Das führt auf: C2 D 0:

(5.113)

Ebenso ist zu fordern, dass am rechten Balkenende die Durchbiegung w2 verschwindet, was auf (5.114) D2 D 0 führt. Die Übergangsbedingung w1 .x1 D l1 / D w2 .x2 D 0/ ergibt den folgenden Ausdruck: F l1 l23 F l 3 l2 (5.115)  D 1 l2 :  1 C C1 l 1 D  6l 6l Analog lässt sich aus der Forderung w10 .x1 D l1 / D w20 .x2 D 0/ die folgende Bedingung ableiten: F l1 l22 F l 2 l2 (5.116) C D1 :  1 C C1 D 2l 2l Aus (5.115) und (5.116) können die folgenden Ausdrücke für die Integrationskonstanten C1 und D1 ermittelt werden: C1 D

F l1 l2 .l C l2 /; 6l

D1 D 

F l1 l2 .l C l1 /: 6l

(5.117)

Die Neigung w10 bzw. w20 und die Biegelinie w1 bzw. w2 können dann dargestellt werden als:   F l1 l22 x12 l 0 C 2 C1 ; w1 .x1 / D 3 6lEIyy l1 l2 l  2  3 F l1 l2 l C l2 x x1 ; w1 .x1 / D  1 C 6lEIyy l1 l2 l2 ! 2 2 F l1 l2 l C l1 .l2  x2 / 0  3 ; w2 .x2 / D 6lEIyy l1 l2 l1 ! F l12 l2 l C l1 .l2  x2 /3 C .l2  x2 / : (5.118)  w2 .x2 / D 6lEIyy l1 l2 l1 J

5.5 Standardbiegefälle

5.5 5.5.1

159

Standardbiegefälle Balken auf zwei Stützen

Eine Reihe von häufig wiederkehrenden Standardfällen werden nachfolgend in übersichtlicher Form zusammengefasst. Wir sprechen an dieser Stelle auch von den sog. Standardbiegefällen. Für alle nachfolgenden Standardbiegefälle wird eine konstante Biegesteifigkeit EIyy vorausgesetzt. Sofern nicht anders vermerkt werden der Verlauf der Biegelinie w.x/, die maximale Durchbiegung wmax und ihr Ort, sowie die Randverdrehungen der betrachteten Balken angegeben. Für den Balken auf zwei Stützen unter Gleichstreckenlast q0 (Abb. 5.20) ergibt sich: w.x/ D

 x 2 x q0 l 4  x 4 2 C ; 24EIyy l l l

wmax D

5q0 l 4 ; 384EIyy

wA0 D wB0 D

xD

bei

l ; 2

q0 l 3 : 24EIyy

(5.119)

Am Balken auf zwei Stützen unter linear verlaufender Streckenlast mit dem Maximalwert q0 (Abb. 5.21) folgt:

  x 3 q0 l 4 x x 5 w.x/ D  10 C7 ; 3 360EIyy l l l s r 8 q0 l 4 wmax D 0;006522 ; bei x D l 1  ; EIyy 15 wA0 D

Abb. 5.20 Balken auf zwei Stützen unter Gleichstreckenlast q0 .

7q0 l 3 ; 360EIyy

wB0 D 

q0 l 3 : 45EIyy

(5.120)

q0 A

x

B

wmax w(x)

l

Abb. 5.21 Balken auf zwei Stützen unter linear verlaufender Streckenlast mit dem Maximalwert q0 .

A

q0 B

wmax

x

w(x)

l

160

5

Abb. 5.22 Balken auf zwei Stützen unter Einzelkraft F an beliebiger Stelle.

Biegelinie

F A

x1 wmax l1

wF

x2

B

l2 l

Abb. 5.23 Balken auf zwei Stützen unter mittiger Einzelkraft F .

F A

B

x wmax l 2

l 2

Für den beidseitig gelenkig gelagerten Balken unter Einzellast (Teilbereichslängen l1 und l2 , Abb. 5.22) ergibt sich: 

 F l1 l22 l x3 w1 .x1 / D  1 C 1C x1 ; 6lEIyy l1 l2 l2 # "   l F l12 l2 .l2  x2 /3 C C 1 .l2  x2 / ;  w2 .x2 / D 6lEIyy l1 l2 l1 wF D

F l12 l22 ; 3lEIyy

s l 2  l22 F l2 lN3 wmax D ; lN D ; l1  l2 ; 3lEIyy 3 s 3  F l1 l2  lN l 2  l12 wmax D ; lN D l2  ; l1  l2 ; 3lEIyy 3 F l1 l2 .l C l2 / F l1 l2 .l C l1 / ; wB D  : wA D 6lEIyy 6lEIyy

(5.121)

Am Balken auf zwei Stützen unter einer mittigen Einzelkraft folgt (Abb. 5.23)

 x F l3 l x 3 C3 ; 0x  ; w.x/ D 4 48EIyy l l 2 # " 3 2 l Fl .l  x/ C 3.l  x/ ; w.x/ D  x  l; 4 48EIyy l2 2 wmax D

F l3 ; 48EIyy

wA0 D wB0 D

F l2 : 16EIyy

(5.122)

5.5 Standardbiegefälle

161

Abb. 5.24 Balken auf zwei Stützen unter Randmoment M0 am linken Auflager.

M0 A

B

x wmax l

Abb. 5.25 Balken auf zwei Stützen unter mittigem Biegemoment M0 .

M0 A

wmax

wmax

x l 2

B l 2

Für den beidseitig gelenkig gelagerten Balken unter dem Randmoment M0 (Abb. 5.24) erhält man:

 x 2 x M0 l 2  x 3 3 C2 ; w.x/ D 6EIyy l l l p   3M0 l 2 1 wmax D ; bei x D l 1  p ; 27EIyy 3 wA0 D

M0 l ; 3EIyy

wB0 D 

M0 l : 6EIyy

(5.123)

Am zweiseitig gelenkig gelagerten Balken unter mittigem Biegemoment M0 (Abb. 5.25) ergibt sich:

 M0 l 2 l x 3 x C w.x/ D ; 0x ; 4 24EIyy l l 2

  x 2 x x 3 M0 l 2 C 12  11 C 3 ; 4 w.x/ D 24EIyy l l l wmax D

M0 l 2 p ; 72 3EIyy

wA0 D wB0 D

5.5.2

l bei x D p 2 3

M0 l : 24EIyy

l  x  l; 2   1 und x D l 1  p ; 2 3 (5.124)

Kragbalken

Für die nachfolgend betrachteten Kragbalken der Länge l mit konstanter Biegesteifigkeit wird sowohl der Verlauf der Biegelinie w.x/ als auch die maximale Absenkung wmax 0 sowie die maximale Winkelverdrehung wmax angegeben.

162

5

Abb. 5.26 Kragarm unter Einzelkraft F am Balkenende.

Biegelinie F

x

w(x)

wmax wmax

l

Abb. 5.27 Kragarm unter Einzelkraft F .

F wmax

x l1

w(x)

wmax

l2 l

Für den Fall eines Kragarms mit einer Einzelkraft F am freien Balkenende (Abb. 5.26) ergibt sich:

 F l3 x 2  x 3 w.x/ D  3 ; 6EIyy l l wmax D

F l3 ; 3EIyy

0 wmax D

F l2 : 2EIyy

(5.125)

Liegt ein Kragarm vor, bei dem eine Einzelkraft F an der Stelle x D l1 angreift (Abb. 5.27), dann erhält man: "    3 # x x 2 F l13  3 ; 0  x  l1 ; w.x/ D 6EIyy l1 l1   F l13 x w.x/ D 3  1 ; l1  x  l; 6EIyy l1 "    3 # l1 l1 2 F l3 F l12 0 wmax D  D : (5.126) 3 ; wmax 6EIyy l l 2EIyy An einem Kragarm mit einem Randmoment M0 (Abb. 5.28) ergibt sich: w.x/ D

M0 x 2 ; 2EIyy

wmax D

M0 l 2 ; 2EIyy

0 wmax D

M0 l : EIyy

(5.127)

Liegt ein Kragarm unter der Gleichstreckenlast q0 vor (Abb. 5.29), dann erhält man:

  x 3  x 4 q0 l 4 x 2 4 C w.x/ D 6 ; 24EIyy l l l wmax D

q0 l 4 ; 8EIyy

0 wmax D

q0 l 3 : 6EIyy

(5.128)

5.5 Standardbiegefälle

163

Abb. 5.28 Kragarm unter Randmoment M0 .

M0 x

w(x)

wmax wmax

l

q0

Abb. 5.29 Kragarm unter Gleichstreckenlast q0 . x

w(x)

wmax wmax

l

Abb. 5.30 Kragarm unter linear verlaufender Streckenlast mit Maximalwert q0 .

q0

x

w(x)

l

wmax wmax

Für den Fall, dass der betrachtete Kragarm unter einer linear verlaufenden Streckenlast mit dem Maximalwert q0 steht (Abb. 5.30), ergibt sich:

  x 3  x 2 x 5 q0 l 4  10 C 20 w.x/ D ; 120EIyy l l l wmax D

5.5.3

11q0 l 4 ; 120EIyy

0 wmax D

q0 l 3 : 8EIyy

(5.129)

Berechnung statisch unbestimmter Systeme

Die im vorhergehenden Abschnitt gezeigten Standardbiegefälle können auch dazu genutzt werden, um auf einfache Art und Weise statisch unbestimmte Systeme zu berechnen. Zur Erläuterung betrachten wir erneut den Balken der Abb. 5.8, der an seinem linken Ende fest eingespannt und an seinem rechten Ende einwertig gelagert sei. Die Belastung sei gegeben in Form einer Gleichstreckenlast M0 und eines Randmoments M0 (Abb. 5.31, oben). Wir wollen an diesem Balken die Auflagerreaktionen bestimmen und machen uns dabei die Tatsache zunutze, dass wir die Balkenverformungen aufgrund verschiedener Lastfälle miteinander superponieren dürfen. Wir machen nun zunächst den Balken gedanklich statisch bestimmt, indem wir das rechte Auflager entfernen (sog. 0-System). Daraus resultiert die Biegelinie w0 .x/ wie in Abb. 5.31), Mitte, gezeigt. Insbesondere interessiert uns hier die Verformung w0 .x D l/ am rechten, nun gedanklich freien Ende, die sich auf w0 .x D l/ D

q0 l 4 M0 l 2 C 8EIyy 2EIyy

(5.130)

beläuft, wie man leicht aus den Standardbiegefällen der Abb. 5.28 und 5.29 ableiten kann.

164

5

Abb. 5.31 Statisch unbestimmter Balken unter Gleichstreckenlast q0 und Randmoment M0 (oben), statisch bestimmter Balken und Biegelinie (Mitte), Biegelinie infolge der statisch überzähligen Auflagerkraft BV (unten).

Biegelinie

q0

M0

x l z

q0 x

M0 w0(x) w1(x)

x

w0

w1 BV

Im nächsten Schritt wird die gedanklich entfernte, aber in Realität natürlich vorhandene Auflagerreaktion BV auf das System aufgebracht (sog. 1-System). Sie verursacht die Biegelinie w1 , und die Verschiebung w1 .x D l/ am rechten Balkenende beläuft sich auf (vgl. den Standardbiegefall der Abb. 5.26): w1 .x D l/ D 

BV l 3 : 3EIyy

(5.131)

Man kann dabei das eigentlich statisch unbestimmte System als die Superposition der beiden beschriebenen Lastfälle des 0-Systems und des 1-Systems interpretieren. Wir können nun an dieser Stelle die Tatsache nutzen, dass am Auflagerpunkt x D l keinerlei Verschiebung stattfinden darf, da sich dort in Wirklichkeit ein Auflager befindet. Da w.x/ D w0 .x/ C w1 .x/ gilt, können wir daher fordern: w0 .x D l/ C w1 .x D l/ D 0:

(5.132)

q0 l 4 M0 l 2 BV l 3 C  D 0; 8EIyy 2EIyy 3EIyy

(5.133)

Das führt auf den Ausdruck

was sich nach der unbekannten Auflagerkraft BV auflösen lässt wie folgt: BV D

3q0 l 3M0 C : 8 2l

(5.134)

Man kann sich davon überzeugen, dass dieses Ergebnis mit (5.49) übereinstimmt. Die Biegelinie w.x/ D w0 .x/ C w1 .x/, aber auch die Neigung w 0 .x/ D w00 C w10 sowie die Momentenlinie M.x/ D M0 .x/ C M1 .x/ und die Querkraftlinie Q.x/ D Q0 .x/ C Q1 .x/ am statisch unbestimmten System stehen damit fest.

5.5 Standardbiegefälle

165

Beispiel 5.8

Betrachtet werde der in Abb. 5.32, oben, gezeigte Durchlaufträger, der zwei Felder mit der jeweiligen Länge l aufweist. Die Belastung bestehe aus der Gleichstreckenlast q0 . Das statische bestimmte 0-System erhalten wir beispielsweise, indem wir gedanklich das Auflager B entfernen und damit den Durchlaufträger statisch bestimmt machen. Die sich hiermit ergebende Durchbiegung w0 .x/ des Balkens ist in Abb. 5.32, Mitte, angedeutet. Insbesondere ist hier die Durchbiegung in der Mitte an der Auflagerstelle B von Interesse, die sich auf w0 .x D l/ D

5q0 .2l/4 5q0 l 4 D 384EIyy 24EIyy

(5.135)

beläuft. Im nächsten Schritt bringen wir die statisch überzählige Auflagerkraft BV auf das System auf (1-System, Abb. 5.32, unten) und erhalten damit die Verschiebung w1 .x D l/ am Auflagerpunkt an der Stelle x D l zu: w1 .x D l/ D 

BV .2l/3 BV l 3 D : 48EIyy 6EIyy

(5.136)

Die hier anzusetzende Kompatibilitätsbedingung erfordert, dass sich die beiden Verschiebungen w0 .x D l/ und w1 .x D l/ gerade aufheben:

d. h.

Abb. 5.32 Statisch unbestimmter Balken unter Gleichstreckenlast q0 (oben), statisch bestimmter Balken und Biegelinie (Mitte), Biegelinie infolge der statisch überzähligen Auflagerkraft BV (unten).

w0 .x D l/ C w1 .x D l/ D 0;

(5.137)

5q0 l 4 BV l 3  D 0: 24EIyy 6EIyy

(5.138)

q0 x

A

B

C

l

l

q0 x

w0(x)

w0(x=l) w1(x=l)

w1(x)

x

BV

166

5

Biegelinie

Abb. 5.33 Statisch bestimmter Balken und Biegelinie (oben), Biegelinie infolge des statisch überzähligen Auflagermoments MB (unten).

q0 x

w0,L(x=l)

w0,R(x=l)

w1,L(x=l)

w1,R(x=l)

x

MB

MB

Hieraus kann die statisch überzählige Auflagerreaktion ermittelt werden zu: BV D

5 q0 l: 4

(5.139)

Ein alternativer Weg, das gegebene statische System gedanklich statisch bestimmt zu machen, besteht darin, am Auflagerpunkt B ein Vollgelenk einzuführen (Abb. 5.33, 0 0 .x D l/ und w0;R .x D l/ am oben). Die sich dadurch einstellenden Verdrehungen w0;L Auflagerpunkt B belaufen sich dann auf: 0 w0;L .x D l/ D 

q0 l 3 ; 24EIyy

0 w0;R .x D l/ D

q0 l 3 : 24EIyy

(5.140)

Im nächsten Schritt wird am statisch bestimmten System das statisch überzählige 0 .x D l/ Schnittmoment MB D My .x D l/ aufgebracht. Die beiden Verdrehungen w1;L 0 .x D l/ beidseits des Auflagerpunktes lauten dann: und w1;R 0 w1;L .x D l/ D

MB l ; 3EIyy

0 w1;R .x D l/ D 

MB l : 3EIyy

(5.141)

Die hier zu erhebendende Kompatibilitätsbedingung erfordert die Gleichheit der Winkelverdrehung auf beiden Seiten des Auflagers B, d. h.: 0 0 0 0 .x D l/ C w1;L .x D l/ D w0;R .x D l/ C w1;R .x D l/: w0;L

(5.142)

Hieraus kann das Biegemoment MB ermittelt werden als: MB D

q0 l 2 : 8

(5.143)

Da sich im vorliegenden Fall die Winkelverdrehung beidseits des Auflagers zu null ergibt (sowohl der Balken als auch seine Belastung sind symmetrisch), kann die Kompatibilitätsforderung wie folgt angegeben werden: 0 0 .x D l/ C w1;L .x D l/ D 0; w0;L 0 0 w0;R .x D l/ C w1;R .x D l/ D 0:

Daraus ergibt sich ebenfalls wieder das Ergebnis (5.143).

(5.144)

5.5 Standardbiegefälle

167

Bei vorliegendem Biegemoment MB sind auch alle anderen Schnittgrößen des statisch unbestimmten Systems ermittelbar, worauf an dieser Stelle aber nicht näher eingegangen wird. J Beispiel 5.9

Wir betrachten den in Abb. 5.34, oben, dargestellten beidseitig eingespannten Balken der Länge l mit konstanter Biegesteifigkeit EIyy , der durch die Gleichstreckenlast q0 belastet werde. Diese Balkensituation ist zweifach statisch unbestimmt. Wir lösen das Problem zunächst durch Integration der Balken-Differentialgleichung EIyy w 0000 D q0 . Gegenwärtig ergibt sich: EIyy w 0000 D q0 ; EIyy w 000 D Qz D q0 x C C1 ; 1 EIyy w 00 D My D q0 x 2 C C1 x C C2 ; 2 1 1 0 3 EIyy w D q0 x C C1 x 2 C C2 x C C3 ; 6 2 1 1 1 4 EIyy w D q0 x C C1 x 3 C C2 x 2 C C3 x C C4 : 24 6 2

(5.145)

Die vier Integrationskonstanten C1 , C2 , C3 und C4 beschaffen wir uns aus den zugrundeliegenden Randbedingungen. Die Bedingung w.x D 0/ D 0 ergibt umgehend: C4 D 0:

(5.146)

Aus der Bedingung w 0 .x D 0/ D 0 folgern wir direkt: C3 D 0:

(5.147)

Abb. 5.34 Statisch unbestimmter Balken (oben), Auflagerreaktionen und Biegelinie (unten).

q0 x l z 2

q0l 2 12

q0l 12

w(x)

q0l 2

q0l 2

168

5

Biegelinie

Ebenso muss am rechten Auflager bei x D l die Durchbiegung w verschwinden, d. h. w.x D l/ D 0. Wir erhalten daraus den folgenden Ausdruck: 1 1 1 q0 l 4 C C1 l 3 C C2 l 2 D 0: 24 6 2

(5.148)

Schließlich führt die Forderung w 0 .x D l/ D 0 auf 1 3 1 q0 l C C1 l 2 C C2 l D 0: 6 2

(5.149)

Aus den beiden Bedingungen (5.148) und (5.149) lassen sich die beiden Integrationskonstanten C1 und C2 ermitteln als: 1 C1 D  q0 l; 2

C2 D

1 q0 l 2 : 12

(5.150)

Damit lassen sich die Zustandsgrößen des Balkens angeben als: q0 l  x 12 ; 2 l

 q0 l 2 x x 2 My D C6 1 ; 6 12 l l  x 2 x 3  3 l q x 0 3 C ; w0 D 2 12EIyy l l l

 x 3  x 2 q0 l 4  x 4 2 C : wD 24EIyy l l l Qz D

(5.151)

Die Auflagerreaktionen des zweifach statisch unbestimmten Balkens folgen daraus als: q0 l 2 ; 12 q0 l ; AV D Qz .x D 0/ D 2

MA D My .x D 0/ D 

q0 l 2 ; 12 q0 l BV D Qz .x D l/ D : 2

MB D My .x D l/ D 

(5.152)

Als nächstes wollen wir zeigen, wie wir die Auflagerreaktionen des zweifach statisch unbestimmten Balkens bei Verwendung von Standardbiegefällen ermitteln können. Wir wählen das statisch bestimmte 0-System so, dass wir die rechte Einspannung gedanklich entfernen und das statische System dadurch in einen statisch bestimmten, einseitig eingespannten Balken überführen (Abb. 5.35, oben), der unter der gegebenen Streckenlast q0 die Biegelinie w0 .x/ aufweist. Die hier interessierenden kinematischen Größen sind die Endverschiebung w0 .x D l/ und die Endverdrehung w00 .x D l/, die sich wie folgt ergeben: w0 .x D l/ D

q0 l 4 ; 8EIyy

w00 .x D l/ D

q0 l 3 : 6EIyy

(5.153)

5.5 Standardbiegefälle

169

Abb. 5.35 Statisch bestimmter Balken (0-System, oben), 1-System (Mitte) und 2-System (unten).

q0 x

w0(x)

w0(x=l) w0(x=l)

l

w1(x=l)

w1(x)

w1(x=l)

x BV MB x

w2(x) w2(x=l)

w2(x=l)

Wir bringen nun am Kragarmende die in Wirklichkeit ja wirkende Auflagerkraft BV auf (1-System, s. Abb. 5.35, Mitte) und ermitteln die Endverschiebung w1 .x D l/ und die Endverdrehung w10 .x D l/ wie folgt: w1 .x D l/ D 

BV l 3 ; 3EIyy

w10 .x D l/ D 

BV l 2 : 2EIyy

(5.154)

Schließlich bringen wir am Kragarmende noch das in Wirklichkeit an dieser Stelle vorhandene Einspannmoment MB auf (2-System, s. Abb. 5.35, unten) und ermitteln die Endverschiebung w2 .x D l/ und die Endverdrehung w20 .x D l/ als: w2 .x D l/ D

MB l 2 ; 2EIyy

w20 .x D l/ D

MB l : EIyy

(5.155)

Zur Wahrung der Kompatibilität und zur Berücksichtigung der in Wirklichkeit am rechten Balkenende vorliegenden Festeinspannung ist zu fordern, dass zum einen die Durchbiegung w an der Stelle x D l verschwindet, und dass zum anderen die Winkelverdrehung w 0 an dieser Stelle ebenfalls zu null wird. Dies gewährleisten wir, indem wir die einzelnen Anteile miteinander superponieren: w0 .x D l/ C w1 .x D l/ C w2 .x D l/ D 0; w00 .x D l/ C w10 .x D l/ C w20 .x D l/ D 0:

(5.156)

Dies führt auf die beiden folgenden Ausdrücke: q0 l 2 BV l MB  C D 0; 8 3 2 q0 l 2 BV l  C MB D 0: 6 2

(5.157)

170

5

Abb. 5.36 Statisch bestimmter Balken (0-System, oben), 1-System (Mitte) und 2-System (unten).

Biegelinie

q0 x w0(x=0)

l

MA w1(x=0)

w0(x) w0(x=l)

w1(x)

w1(x=l)

x w2(x=0)

w2(x)

w2(x=l)

MB

x

Daraus lassen sich die beiden statisch überzähligen Auflagerreaktionen BV und MB bestimmen als: q0 l q0 l 2 BV D ; MB D : (5.158) 2 12 Einen alternativen Lösungsweg kann man finden, indem man das 0-System so wählt, dass man die beiden Festeinspannungen des statisch unbestimmten Balkens in gelenkige Lagerungen überführt (Abb. 5.36, oben). Die beiden sich damit einstellenden Randverdrehungen berechnen sich als: w00 .x D 0/ D

q0 l 3 ; 24EIyy

w00 .x D l/ D 

q0 l 3 : 24EIyy

(5.159)

Im nächsten Schritt bringen wir das noch unbekannte Auflagermoment MA auf (1-System, Abb. 5.36, Mitte) und ermitteln die sich hieraus ergebenden Randverdrehungen als: w10 .x D 0/ D 

MA l ; 3EIyy

w10 .x D l/ D

MA l : 6EIyy

(5.160)

Schließlich wird noch das Einspannmoment MB am rechten Balkenende aufgebracht (2-System, Abb. 5.36, unten). Die resultierenden Randverdrehungen erhalten wir wie folgt: MB l MB l ; w20 .x D l/ D : (5.161) w20 .x D 0/ D  6EIyy 3EIyy Die hier zu erhebenden Kompatibilitätsbedingungen erfordern, dass die Superposition der einzelnen Randverdrehungen w00 , w10 , w20 an beiden Balkenenden zu null wird, d. h.: w00 .x D 0/ C w10 .x D 0/ C w20 .x D 0/ D 0; w00 .x D l/ C w10 .x D l/ C w20 .x D l/ D 0:

(5.162)

5.5 Standardbiegefälle

171

Dies führt auf die folgenden Ausdrücke: q0 l 2 MB  MA  D 0; 8 2 q0 l 2 MA  C C MB D 0: 8 2

(5.163)

Daraus lassen sich die beiden Auflagermomente MA und MB ermitteln als: MA D MB D

5.5.4

q0 l 2 : 12

(5.164) J

Mehrfeldbalken und abgewinkelte Systeme

Die zuvor bereitgestellten Standardbiegefälle lassen sich auch vorteilhaft zur Analyse von Formänderungen an Mehrfeldbalken und an abgewinkelten Systemen anwenden. Zur Einführung betrachten wir erneut der Balken aus Beispiel 5.6, der in Abb. 5.37, oben, noch einmal dargestellt ist und in dem wir der besseren Übersichtlichkeit halber die Punkte A (Einspannstelle), B (Übergang zwischen den beiden Teilbereichen) und C (freies Ende) markiert haben. Gesucht werden die Ausbiegung wC des Punktes C und die Winkelverdrehung wC0 an dieser Stelle. Wir können uns hier die Tatsache zu Nutze machen, dass wir Formänderungen aus verschiedenen Belastungen superponieren dürfen und zerlegen das gegebene statische Sys-

Abb. 5.37 Balken unter Streckenlast (oben), Zerlegung in Teilsysteme (unten).

q2

q1

C

A B

wC

wC

q2 C

B

wCq

q1 B

A

wBq

wBq

MB B

A

wBM

wBM

FB B

A

wBF

wBF

wCq

172

5

Biegelinie

tem in mehrere Teilsysteme wie in Abb. 5.37, unten, dargestellt. Wir betrachten zunächst die rechte Systemhälfte, die wir als Kragarm mit Einspannung an der Übergangsstelle x D l auffassen dürfen. Dieser Kragarm steht unter der Gleichstreckenlast q2 , und wir ermitteln die Durchbiegung wC q und die Verdrehung wC0 q wie folgt: wC q D

q2 l 4 ; 8EIyy

wC0 q D

q2 l 3 : 6EIyy

(5.165)

Desweiteren betrachten wir die linke Systemhälfte, die wir ebenfalls als einen Kragarm der Länge l auffassen dürfen, wobei wir hier neben der wirkenden Streckenlast q1 auch das aus dem rechten Teilbereich übertragene Biegemoment MB D 12 q2 l 2 und die Querkraft FB D q2 l zu berücksichtigen haben, die wir als eine äußere Belastung an der Stelle interpretieren können. Aufgrund von q2 , MB und FB werden die Verschiebungen wBq , wBM , 0 0 0 , wBM , wBF hervorgerufen, die sich wie folgt ergeben: wBF und die Verdrehungen wBq wBq D

q2 l 4 ; 8EIyy

wBM D

q2 l 4 ; 4EIyy

wBF D

q2 l 4 ; 3EIyy

0 wBq D

q2 l 3 ; 6EIyy

0 wBM D

q2 l 3 ; 2EIyy

0 wBF D

q2 l 3 : 2EIyy

(5.166)

Aus diesen Formänderungen lassen sich die Durchbiegung wB des Punktes B und die Winkelverdrehung wB0 an dieser Stelle ermitteln als: wB D wBq C wBM C wBF D

q1 l 4 q2 l 4 q2 l 4 C C 8EIyy 4EIyy 3EIyy

D

l4 .3q1 C 14q2 /; 24EIyy

0 0 0 wB0 D wBq C wBM C wBF

D

q1 l 3 q2 l 3 q2 l 3 C C 6EIyy 2EIyy 2EIyy

D

l3 .q1 C 6q2 /: 6EIyy

(5.167)

Es zeigt sich, dass diese Werte mit den Ergebnissen aus Beispiel 5.6 übereinstimmen. Um nun die Durchbiegung wC des Punktes C zu bestimmen addieren wir die beiden Durchbiegungen wB und wC q auf. Wir müssen aber berücksichtigen, dass die gegebene Belastung zu einer Neigung wB0 am Punkt B wie ermittelt führt, so dass sich aufgrund

5.5 Standardbiegefälle

173

dieser Verdrehung der zusätzliche Anteil wB0 l an der Durchbiegung wC ergibt. Es gilt demnach: wC D wB C wB0 l C wC q D

l4 l4 q2 l 4 .3q1 C 14q2 / C .q1 C 6q2 / C 24EIyy 6EIyy 8EIyy

D

l4 .7q1 C 41q2 /: 24EIyy

(5.168)

Zur Ermittlung der Winkelverdrehung wC0 werden die beiden Verdrehungen wB0 und wC0 q zusammenaddiert: wC0 D wB0 C wC0 q D

l3 q2 l 3 .q1 C 6q2 / C 6EIyy 6EIyy

D

l3 .q1 C 7q2 /: 6EIyy

(5.169)

Auch hier zeigt sich wieder Übereinstimmung mit den Ergebnissen aus Beispiel 5.6. Beispiel 5.10

Wir betrachten erneut den Balken aus Beispiel 5.5 (s. Abb. 5.38) und wollen die Absenkung des Punktes C ermitteln durch Verwendung von Standardbiegefällen. Das statische System wird wie in Abb. 5.38, unten, gezeigt in zwei statisch äquivalente Teilsysteme zerlegt. Das ist zum Einen der Kragarm des Teilbereichs zwischen den Punkten B und C sowie der Balken auf zwei Stützen zwischen den Punkten A und B, der an seinem rechten Lager durch das Moment M0 belastet wird. Wir ermitteln zunächst an dem Kragarm zwischen den Punkten B und C die Durchbiegung WCM am freien Ende. Sie ergibt sich als: wCM D

Abb. 5.38 Balken unter Randmoment (oben), Zerlegung in Teilsysteme (unten).

A

M0 l22 : 4EIyy

(5.170)

EIyy

B

2EIyy

C

M0

x l1

l2

z C

B

wCM

wBM A

B

M0

M0 wCM

174

5

Biegelinie

Desweiteren berechnen wir an dem beidseitig gelenkig gelagerten Balken zwischen 0 am Auflagerpunkt B, die sich ergibt den Punkte A und B die Winkelverdrehung wBM als: M0 l 1 0 D : (5.171) wBM 3EIyy Die gesuchte Durchbiegung wC am Kragarmende des gegebenen Balkens erfolgt dann 0 , multiplidurch Aufaddieren der Durchbiegung wCM und der Winkelverdrehung wBM ziert mit der Länge l2 : 0 l2 : (5.172) wC D wCM C wBM Das führt auf den folgenden Ausdruck: wC D

  M0 l22 M0 l 1 l 2 M0 l 1 l 2 1 l 2 2 C D C : 4EIyy 3EIyy 2EIyy 2 l1 3

(5.173) J

Beispiel 5.11

Gegeben sei der abgewinkelte Balken der Abb. 5.39 (Länge l, Höhe h, konstante Biegesteifigkeit EIyy und Dehnsteifigkeit EA), der durch die Gleichstreckenlast q0 belastet werde. Gesucht wird die Absenkung des Punktes C durch Überlagerung von Standardbiegefällen. Zur Lösung des Problems zerlegen wir den abgewinkelten Balken in die beiden statisch äquivalenten Teilsysteme der Abb. 5.39, rechts. Der Bereich zwischen den beiden Punkten B und C wird durch einen Kragarm der Länge l unter der Belastung q0 repräsentiert, wohingegen das vertikale Segment zwischen den beiden Punkten A und B durch einen unten eingespannten geraden Balken unter den beiden statisch äquivalenten Belastungen FB D q0 l und MB D 12 q0 l 2 dargestellt wird. Abb. 5.39 Abgewinkelter Balken unter Streckenlast (links), Zerlegung in Teilsysteme (rechts).

q0 B

q0 wC

C

C

B

wCq

FB

h

MB

wBM B

wBM A

l

A

wCq

5.6 Doppelbiegung

175

Wir ermitteln zunächst die Durchbiegung wC q des Kragarms infolge der Gleichstreckenlast q0 . Sie ergibt sich als: wC q D

q0 l 4 : 8EIyy

(5.174)

Desweiteren ermitteln wir die Längenänderung uBF des vertikalen Balkensegments infolge der statisch äquivalenten Kraft FB D q0 l. Es folgt: FB h q0 lh D : EA EA

uBF D

(5.175)

0 am Punkt B infolge des statisch äquivalenten Ebenso ist die Winkelverdrehung wBM 1 2 Moments MB D 2 q0 l zu ermitteln: 0 D wBM

MB h q0 l 2 h D : EIyy 2EIyy

(5.176)

Die gesuchte Durchbiegung wC ergibt sich dann als Summe aus den beiden Verschiebungen wC q und uBF . Hinzu kommt noch der Abteil, der sich aus der Winkelverdre0 , multipliziert mit der Länge l ergibt: hung wBM 0 l: wC D wC q C uBF C wBM

(5.177)

Das führt auf den folgenden Ausdruck für die Durchbiegung wC : wC D

5.6

q0 lh q0 l 3 h q0 l 4 C : C EA 8EIyy 2EIyy

(5.178) J

Doppelbiegung

Liegt der Fall vor, dass die gegebene Balkensituation nicht nur auf die Durchbiegung w.x/ in z-Richtung führt, sondern auch eine Durchbiegung v.x/ in y-Richtung verursacht, dann sind diese beiden Durchbiegungen zur Gesamtdurchbiegung des Balkens zu superponieren. Dieser Fall wird als Doppelbiegung bezeichnet. Zur Illustration betrachten wir den Balken der Abb. 5.40, der an einem Ende fest eingespannt sei und an seinem freien Ende durch eine Einzelkraft F belastet werde, die unter einem Winkel von 30ı zur y-Achse orientiert sei. Wir zerlegen die Kraft F zunächst in ihre Anteile Fy und Fz : p ı

Fy D F cos 30 D

3 F; 2

Fz D F sin 30ı D

F : 2

(5.179)

176

5

Biegelinie

Abb. 5.40 Kragarm unter Einzellast. y

z 30°

x

F

Die sich einstellenden Durchbiegungen v.x/ und w.x/ können wir dann ermitteln als: p

3F l 3  x 2  x 3  3 ; 12EIzz l l

 x 2  x 3 F l3  3 : w.x/ D 12EIyy l l v.x/ D

(5.180)

Die Durchbiegungen am Kragarmende belaufen sich auf: p 3F l 3 ; v.x D l/ D 6EIzz

w.x D l/ D

F l3 : 6EIyy

(5.181)

Die resultierende Durchbiegung f am Kragarmende ermittelt man dann als: f D

p

F l3 v2 C w2 D 6

s

3 .EIzz /2

C

1 EIyy

2 :

(5.182)

Die Vorgehensweise ist weitestgehend analog auch in dem Fall, dass man es mit einem Achsensystem zu tun hat, das nicht das Hauptachssystem ist. Dann sind die Konstitutivbeziehungen (4.115) heranzuziehen, die wir hier der besseren Übersichtlichkeit noch einmal angeben. Iyz My C Iyy Mz ; Ev 00 D 2 Iyy Izz  Iyz Izz My C Iyz Mz : (5.183) Ew 00 D  2 Iyy Izz  Iyz Wir betrachten als Beispiel den Kragarm der Abb. 5.41, der an seinem freien Ende durch die Einzelkraft F belastet werde. Es liege ein Z-Querschnitt vor, der bereits in Beispiel 4.13 behandelt wurde. Mit h D 2b ergeben sich für diesen Querschnitt die folgenden

5.6 Doppelbiegung

177

Abb. 5.41 Kragarm unter Einzellast (links), Querschnitt (rechts).

t

F t

y

x

h t

l b

z

Flächenwerte:

b

z

th3 tbh2 8 C D tb 3 ; 12 2 3 2 3 D tb ; 3 tb 2 h D D tb 3 : 2

Iyy D Izz Iyz

(5.184)

Am gegebenen Kragarm ergeben sich die beiden Biegemomente My .x/ und Mz .x/ wie folgt: (5.185) My D F .x  l/; Mz D 0: Aus dem Konstitutivgesetz (5.183) ergibt sich dann: Iyz My 9F D .x  l/; 2 Iyy Izz  Iyz 7tb 3 9F .x  l/2 C C1 ; Ev 0 D 14tb 3 3F .x  l/3 C C1 x C C2 : Ev D 14tb 3

Ev 00 D

Analog folgt:

(5.186)

Izz My 6F D .x  l/; 2 Iyy Izz  Iyz 7tb 3 3F .x  l/2 C C3 ; Ew 0 D  7tb 3 F .x  l/3 C C3 x C C4 : Ew D  7tb 3

Ew 00 D 

(5.187)

Das Auswerten der Randbedingungen v.x D 0/ D 0, v 0 .x D 0/ D 0 und w.x D 0/ D 0, w 0 .x D 0/ D 0 führt auf die folgenden Integrationskonstanten: C1 D 

9F l 2 ; 14tb 3

C2 D

3F l 3 ; 14tb 3

C3 D

3F l 2 ; 7tb 3

C4 D 

F l3 : 7tb 3

(5.188)

178

5

Biegelinie

Damit lassen sich die Verläufe v.x/ und w.x/ der Verschiebungen in y-Richtung und z-Richtung angeben als: # " x 3F l 3 .x  l/3 3 C1 ; v.x/ D 14Etb 3 l3 l # " x .x  l/3 F l3 C3 1 :  w.x/ D 7Etb 3 l3 l

(5.189)

Die Durchbiegungen am Kragarmende x D l folgen zu: v.x D l/ D 

3F l 3 ; 7Etb 3

w.x D l/ D

2F l 3 : 7Etb 3

(5.190)

Offenbar ergeben sich auch unter dem Biegemoment My Ausbiegungen in beide Koordinatenrichtungen y und z. Die Gesamtdurchbiegung f am Kragarmende erhalten wir als: p p 13F l 3 2 2 : (5.191) f D v Cw D 7Etb 3 Beispiel 5.12

Gegeben ist der in Abb. 5.42 gezeigte Balken der Länge l auf zwei Stützen. Es handelt sich um einen rechteckigen Querschnitt der Breite b und der Höhe h D 2b, der unter einem Winkel von 45ı angeordnet wird. Die Belastung bestehe aus einer Gleichstreckenlast q0 . Gesucht wird die Durchbiegung des Balkens. Wir ermitteln zunächst die Flächenträgheitsmomente IyN yN und IzN zN des Querschnitts (das Deviationsmoment IyN zN ist null). Es gilt: IyN yN D

Abb. 5.42 Balken auf zwei Stützen unter Gleichstreckenlast (links), Querschnitt (rechts).

b  .2b/3 2b 4 D ; 12 3

IzN zN D

2b  b 3 b4 D : 12 6

(5.192)

q0

b 2b

y

x

45°

l

y

z z

5.6 Doppelbiegung

179

Abb. 5.43 Freikörperbild.

q0 q0l 2

My

x

Daraus lassen sich die Flächenträgheitsmomente Iyy und Izz sowie das Deviationsmoment Iyz durch Transformation ermitteln: Iyy D

 1  1 5b 4 IyN yN C IzN zN C IyN yN  IzN zN cos 2'  IyN zN sin 2' D ; 2 2 12

Izz D

 1  1 5b 4 IyN yN C IzN zN  IyN yN  IzN zN cos 2' C IyN zN sin 2' D ; 2 2 12

Iyz D

 1 b4 IyN yN  IzN zN sin 2' C IyN zN cos 2' D  : 2 4

(5.193)

Zur Berechnung der Balkenverformungen benötigen wir die Momentenlinie My .x/, die sich aus Betrachtung des Freikörperbilds der Abb. 5.43 ermitteln lässt: Wir erhalten durch Bilden des Momentengleichgewichts um den Schnittpunkt an der beliebigen Stelle x:

q0 l 2 x  x 2  : (5.194) My .x/ D 2 l l Die Durchbiegung v.x/ erhalten wir aus dem Konstitutivgesetz (5.183) durch Integration:

Iyz My 9q0 l 2 x  x 2 00 D  ; Ev D 2 Iyy Izz  Iyz 8b 4 l l

9q0 l 3 1  x 2 1  x 3 0  Ev D  C C1 ; 8b 4 2 l 3 l

3q0 l 4  x 3 1  x 4  (5.195) Ev D  C C1 x C C2 : 16b 4 l 2 l Die beiden Integrationskonstanten C1 und C2 lassen sich aus den Randbedingungen v.x D 0/ D 0 und v.x D l/ D 0 beschaffen und lauten: C1 D

3q0 l 3 ; 32b 4

C2 D 0:

(5.196)

180

5

Biegelinie

Damit lässt sich die Durchbiegung v.x/ angeben als:

 x 3  x 3q0 l 4  x 4 v.x/ D 2 C : 32Eb 4 l l l

(5.197)

Ganz analog gehen wir für die Ermittlung der Durchbiegung w.x/ vor:

Izz My 15q0 l 2 x  x 2 D   ; 2 Iyy Izz  Iyz 8b 4 l l

15q0 l 3 1  x 2 1  x 3  Ew 0 D  C C3 ; 8b 4 2 l 3 l

5q0 l 4  x 3 1  x 4 C C3 x C C4 :  Ew D  16b 4 l 2 l

Ew 00 D 

(5.198)

Aus den Randbedingungen w.x D 0/ D 0 und w.x D l/ D 0 lassen sich die Integrationskonstanten C3 und C4 ermitteln: C3 D

5q0 l 3 ; 32b 4

C4 D 0:

(5.199)

Für die Durchbiegung w.x/ folgt damit:

 x 3  x 5q0 l 4  x 4 w.x/ D 2 C : 32Eb 4 l l l

(5.200) J

6

Querkraftschub

Balken, die eine Biegewirkung erfahren, bilden i. Allg. nicht nur Biegespannungen, also Normalspannungen, aus. Vielmehr zeigt es sich, dass auch Schubspannungen in der Querschnittsebene auftreten, die mit Querkräften im Zusammenhang stehen. Es werden sowohl für dickwandige als auch für dünnwandige Querschnitte alle notwendigen Gleichungen zur analytischen Ermittlung der Schubspannungen hergeleitet, und es wird gezeigt, wie man zweckmäßig die Analyse der Schubspannungen infolge Querkraft durchführt. Eine wichtige geometrische Größe ist hierbei der sog. Schubmittelpunkt eines Querschnitts, in dem Querkräfte anzugreifen haben, damit keine (i. Allg. ungewollte) Torsion im betrachteten Balken entsteht. Die Studierenden sollen in die Lage versetzt werden, die Schubspannungen in dick- und dünnwandigen Querschnitten zu ermitteln und den Schubmittelpunkt eines Querschnitts zu bestimmen.

6.1

Einleitung

Wir haben uns bislang mit geraden Stäben und Balken unter Normalkraft und Biegung auseinandergesetzt, bei denen die Normalspannung xx als Folge der Normalkraft N sowie der beiden Biegemomente My und Mz auftritt. Allerdings zeigt das Gleichgewicht am Balken (s. (5.1) und (5.4)), dass auch die Querkräfte Qy und Qz vorhanden sein müssen, um Gleichgewicht zu gewährleisten. Wir wollen in allen folgenden Ausführungen dieses Kapitels davon ausgehen, dass ausschließlich die Querkraft Qz vorliegt und die Querkraft Qy null ist. Aus Abb. 4.2 können wir folgern, dass Qz mit einer Schubspannung  im Zusammenhang steht, und wir wollen uns in diesem Kapitel der Frage zuwenden, wie wir bei vorliegender Querkraft Qz die Schubspannungen  ermitteln können. Die Ausführungen lassen sich ohne Weiteres auch auf den Fall der Querkraft Qy übertragen, was hier aber ohne Darstellung bleibt. Wir unterscheiden die folgenden Ausführungen ganz grundlegend nach dickwandigen und nach dünnwandigen Querschnitten. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2022 C. Mittelstedt, Technische Mechanik 2: Elastostatik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66432-2_6

181

182

6 Querkraftschub

Die grundlegende Problematik, mit der wir bei der Ermittlung der Schubspannungen infolge Querkraft konfrontiert sind, ist die Tatsache, dass die Euler-Bernoulli-Balkentheorie von der Normalenhypothese und von der Hypothese vom Ebenbleiben der Querschnitte ausgeht. Dies ist gleichbedeutend damit, dass wir keinerlei Schubverzerrungen  im Balken zu verzeichnen haben. Allerdings ist die Schubspannung  über das Hookesche Gesetz  D G

(6.1)

mit der Schubverzerrung  verbunden. Da als Resultat der Annahmen der zugrundeliegenden Balkentheorie die Schubverzerrungen  verschwinden, verschwinden die Schubspannungen  ebenfalls. Dies ist ein Widerspruch der Euler-Bernoulli-Balkentheorie, der sich direkt aus den Annahmen dieser Theorie ergibt und der unvermeidbar ist. Demnach steht für die Bestimmung der Schubspannung  kein Konstitutivgesetz zur Verfügung, und wir müssen Aussagen über die Schubspannung  aus Gleichgewichtsbetrachtungen beschaffen. In allen folgenden Ausführungen seien x, y, z wieder die Hauptachsen des betrachteten Querschnitts, und gegebene Belastungen greifen außerdem ausschließlich in Richtung der Hauptachse z an und führen auf eine Biegung um die y-Achse. Zusätzlich möge eine Normalkraft vorliegen, die als konstant über die Balkenlänge oder nur als schwach veränderlich angenommen werde. Die Betrachtungen sind außerdem ausschließlich auf gerade Balken beschränkt, die konstante Eigenschaften oder nur leicht variierende Eigenschaften über die Längsachse x aufweisen. Wir wollen im Folgenden ausschließlich von linearer Elastizität und kleinen Verformungen ausgehen, das Balkenmaterial sei isotrop und homogen.

6.2 Dickwandige Querschnitte Wir betrachten einen Balken mit einem beliebigen Querschnitt (in Abb. 6.1 als einfacher Rechteckquerschnitt dargestellt), der unter einer Belastung stehe, die auf die beiden Schnittgrößen Qz und My führt so wie in Abb. 6.1, links, dargestellt. Wir betrachten nun ein Schnittelement der Länge dx, so wie in Abb. 6.1, links, angedeutet und schneiden dieses Element frei (Abb. 6.1, Mitte). Dabei haben wir am negativen Schnittufer die beiden Schnittgrößen Qz und My und die Biegespannung xx freigesetzt, wohingegen am positiven Schnittufer die Schnittgrößen mit einem infinitesimalen Zuwachs versehen werdM z dx, My C dxy dx und xx C ddxxx dx auf. Ebenso wird an den den, d. h. es treten Qz C dQ dx vertikalen Flächen des Schnittelements die Schubspannung xz freigesetzt. Wir betrachten desweiteren ein Schnittelement der Höhe dz, wie in Abb. 6.1, Mitte, angedeutet und schneiden dieses frei (Abb. 6.1, rechts oben). An den beiden horizontalen Flächen des Elements der Größe bdx tritt die Schubspannung xz (obere Fläche) bzw.

6.2 Dickwandige Querschnitte

183 Qz

xx

xz

My xx

y z

qz

xz +

xx +

xz

qz

d xx xx + dx dx d xz dz dz

d xx dx dx

dz dx

y dx My

z

Qz

x

My+

d My dx dx

x dQ Qz + z dx dx

Abb. 6.1 Zur Ermittlung der Schubspannung xz .

xz C

dxz dz dz

(untere Fläche) auf. Die Summe der Kräfte in x-Richtung ergibt:   dxx dx bdz  xx bdz xx C dx   dxz bdx  xz bdx D 0: xz C dz

(6.2)

Wir führen an dieser Stelle den Schubfluss T .z/ D xz .z/b.z/ ein, der als Mittelwert der Schubspannung über die Querschnittsbreite b.z/ interpretiert werden kann. Desweiteren sei der resultierende Normalkraftfluss nxx der Normalspannung xx als nxx .z/ D xx .z/b.z/ eingeführt. Die Gleichgewichtsbedingung (6.2) führt dann nach Kürzen auf den folgenden Ausdruck: dnxx dT D : (6.3) dz dx Wir führen auf beiden Seiten der Gleichung eine Integration nach z in den Grenzen z D z0 und z durch und erhalten: Zz z0

dT dOz D T .z/  T .z D z0 / D  dOz

Zz z0

dnxx dOz : dx

(6.4)

Hierin ist T .z/ der Schubfluss an einer beliebigen Stelle z, und T .z D z0 / ist der Anfangswert des Schubflusses am Anfangspunkt der Integration bei z D z0 .

184

6 Querkraftschub

Wir gehen davon aus, dass es sich bei den Bezugsachsen x, y, z um die Hauptachsen des Querschnitts handelt und dass die anliegende Belastung das Biegemoment My hervorruft. Zusätzlich liege eine Normalkraft N vor, die im Schwerpunkt des Querschnitts angreife. Der Normalkraftfluss nxx folgt dann zu:  nxx D

 My N z b: C A Iyy

(6.5)

In (6.4) geht die erste Ableitung von nxx nach x ein, die wir wie folgt erhalten: dnxx D dx



 My0 N0 z b: C A Iyy

(6.6)

Wir wollen im Weiteren davon ausgehen, dass die erste Ableitung N 0 der Normalkraft N verschwindet. Außerdem gilt My0 D Qz , so dass (6.6) übergeht in: dnxx Qz bz : D dx Iyy

(6.7)

Es folgt damit aus (6.4): Qz T .z/  T .z D z0 / D  Iyy

Zz zO bdOz :

(6.8)

z0

Der hierin auftretende Integralausdruck ist das statische Moment Sy .z/ bezüglich einer Stelle z, d. h. Zz Sy .z/ D zbdO O z: (6.9) z0

Damit gilt für den Schubfluss T .z/: T .z/  T .z D z0 / D 

Qz Sy .z/ : Iyy

(6.10)

.z/ Liegt der Schubfluss einmal vor, dann lässt sich daraus die Schubspannung xz .z/ D Tb.z/ beschaffen als: Qz Sy .z/ xy .z/  xy .z D z0 / D  : (6.11) Iyy b.z/

Als elementares Beispiel sei der Rechteckquerschnitt (Breite b, Höhe h) der Abb. 6.2, links, betrachtet. Die Querkraft Qz sei gegeben. Wir ermitteln zunächst das statische Moment der gekennzeichneten Teilfläche A, das sich als die Summe der infinitesimalen

6.2 Dickwandige Querschnitte

185

b

b h 2

y

h 2 z

y

z

A dA=bdz^ dz^

z^

τ (z) τmax

z

Abb. 6.2 Ermittlung der Schubspannung xz an einem Rechteckquerschnitt.

Flächen dA D bdOz zwischen z D  h2 und der beliebigen Stelle z, multipliziert mit dem Abstand zO , auffassen lässt: Zz Sy .z/ D  h2

# "  ˇ 2z 2 1 2 ˇˇz bh2 zO bdOz D b zO ˇ D 1 : 2 8 h h

(6.12)

2

Das statische Moment nimmt für z D ˙ h2 den Wert Null an, für z D 0 beläuft es sich auf 2 Sy .z D 0/ D  bh8 . 3 Mit dem Flächenträgheitsmoment Iyy D bh , der konstanten Querschnittsbreite b und 12 dem Anfangswert xz .z D z0 / D 0 (es werden an der Stelle z D  h2 , also am oberen Querschnittsrand, keine Schubspannungen in den Querschnitt eingetragen) ergibt sich die Schubspannung xz .z/ als: "  2 # 2z 3Qz xz .z/ D 1 : (6.13) 2bh h Die Schubspannung ist über z parabolisch verteilt (Abb. 6.2, rechts), verschwindet an den beiden Querschnittsrändern z D ˙ h2 und nimmt an der Stelle z D 0 auf Höhe des Schwerz an. Die Schubspanpunkts des Querschnitts ihren Maximalwert in Höhe von max D 3Q 2bh nung xz .z/ ist über die Querschnittsbreite b konstant und ist für das betrachtete Beispiel keine Funktion von y. Das statische Moment kann recht anschaulich interpretiert werden als diejenige Fläche A.z/, die durch die betrachtete Stelle z ausgezeichnet wird, multipliziert mit dem Schwerpunktabstand zA dieser Fläche zum Gesamtschwerpunkt S des Querschnitts. Wir betrachten als Beispiel noch einmal den Rechteckquerschnitt der Abb. 6.2 und wollen das statische Moment Sy .z D 0/ für die Koordinate z D 0 bestimmen (Abb. 6.3). Die betrachh tete Fläche A.z D 0/ beträgt A.z D 0/ D bh 2 , der Abstand zA lautet zA D  4 . Damit ergibt sich das statische Moment Sy .z D 0/ als: Sy .z D 0/ D A.z D 0/zA D 

bh h bh2 D : 2 4 8

(6.14)

186

6 Querkraftschub

Abb. 6.3 Zur Ermittlung des statischen Moments an einem Rechteckquerschnitt.

b A(z) zA

y

z

Abb. 6.4 Ermittlung des statischen Moments für eine Teilfläche und die verbleibende Restfläche.

A y

z A

z

Daraus ergibt sich dann aus (6.10) der Maximalwert der Schubspannung in Höhe von z . max D 3Q 2bh Anzumerken ist noch, dass das statische Moment Sy .z/ für eine Teilfläche, die durch die Koordinate z ausgezeichnet wird, identisch ist mit dem statischen Moment der verN (Abb. 6.4). N d. h. es gilt Sy .A/ D Sy .A/ bleibenden Restfläche A, Beispiel 6.1

Betrachtet werde der dreieckige Querschnitt der Abb. 6.5. Gesucht werden das statische Moment Sy .z/ sowie die Schubspannung xz an der Stelle z D 0 infolge einer gegebenen Querkraft Qz . Das Flächenträgheitsmoment Iyy sei gegeben mit dem Wert 3 3 Iyy D 2ca D ca . 36 18 Das statische Moment Sy .z/ lässt sich aus dem infinitesimalen Flächenelement dA ermitteln als: Zz b.Oz /Oz dOz : (6.15) Sy .z/ D  13 a

Abb. 6.5 Dreieckförmiger Querschnitt.

2c b(z) y

dz^

z

^

dA=bdz^ z

a 3 2a 3

6.2 Dickwandige Querschnitte

187

Wir formulieren die Breite b.z/ wie folgt als Funktion von z: b.z/ D 

2c 4c zC : a 3

(6.16)

Einsetzen in (6.15) ergibt:   ˇ Zz  2c 2 ˇˇz 4c 2c 2c zO dOz D  zO 3 C zO ˇ Sy .z/ D  zO C a 3 3a 3 1a 3

 13 a

D

2c 3 2c 2 8ca2 z C z  : 3a 3 81

(6.17)

Das statische Moment Sy auf Höhe des Schwerpunkts bei z D 0 ergibt sich daraus als: Sy .z D 0/ D 

8ca2 : 81

(6.18)

Damit kann die Schubspannung xz an der Stelle z D 0 mit der Breite b.z D 0/ D 4c3 ermittelt werden als: ! 8ca2 Qz  81 4Qz D : (6.19) xz .z D 0/ D  3 3ac ca 4c 18 3

J

Beispiel 6.2

Gegeben sei der in Abb. 6.6 gezeigte Querschnitt in Trapezform. Das Flächenträgheitsmoment Iyy sei mit dem Wert Iyy D 78a4 gegeben. Gesucht wird der Verlauf des statischen Moments Sy .z/ sowie die Schubspannung xz auf Höhe des Schwerpunkts bei z D 0. Abb. 6.6 Trapezförmiger Querschnitt.

3a y

z^

10 a 3 6a dz 8a 3 dA=bdz^

z b(z) 6a

^

188

6 Querkraftschub

Das statische Moment als Funktion der Koordinate z kann angegeben werden als: Zz Sy .z/ D

b.Oz /Oz dOz :

(6.20)

 10 3 a

Die Breite b.z/ kann als Funktion von z formuliert werden wie folgt: b.z/ D

14a z C : 2 3

(6.21)

Dann folgt aus (6.20): Zz  Sy .z/ D  10 3 a

D

  3 ˇz zO zO 14a 7Oz 2 a ˇˇ C zO dOz D C ˇ 10a 2 3 6 3  3

z3 7az 2 1600a3 C  : 6 3 81

(6.22)

Das statische Moment Sy auf Höhe des Schwerpunkts bei z D 0 ergibt sich als: Sy .z D 0/ D 

1600a3 : 81

(6.23)

Damit kann die Schubspannung an der Stelle z D 0 ermittelt werden als: Qz 

1600a3

xz .z D 0/ D  78a4

81 14a

! D

1200Qz : 22113a2

3

(6.24) J

Beispiel 6.3

Betrachtet werde der I-förmige Querschnitt der Abb. 6.7, links oben. Gesucht wird der Verlauf der Schubspannung xz infolge einer gegebenen Querkraft Qz . Wir ermitteln zunächst das Flächenträgheitsmoment Iyy des Querschnitts wie folgt: Iyy

  4a  6a3 12a  .6a/3 D2 C C 2  6a  12a  .6a/2 D 5688a4: 12 12

(6.25)

Zur Ermittlung des statische Moments Sy .z/ und der Schubspannung xz .z/ werden die drei lokalen Achsen s1 , s2 und s3 wie in Abb. 6.7, links oben, gezeigt eingeführt.

6.2 Dickwandige Querschnitte

189

s1 6a y

s1

s2 6a 18a

4a

9a

y

s3 6a

z

s1 2 s1

z

4a 4a 12a

s2 2 y

s2

s2 3a

y

3a s3

z

z

s3 s3 2

Abb. 6.7 I-förmiger Querschnitt.

Wir betrachten zunächst den oberen Teilbereich 0  s1  6a (Abb. 6.7, rechts oben). Die abgeschnittene Fläche A1 der Höhe s1 , die in dunkelgrauer Farbe hervorgehoben ist, berechnet sich als: (6.26) A1 D 12as1 : Der Schwerpunktkoordinate zS1 der betrachteten Teilfläche A1 lautet dann: zS1 D 9a C

s1 : 2

(6.27)

Damit kann das statische Moment Sy;1 .s1 / der Teilfläche A1 angegeben werden als: Sy;1 .s1 / D zS1 A1 D 6as12  108a2s1 :

(6.28)

Das statische Moment Sy;1 .s1 / nimmt bei s1 D 0 den Wert null. Bei s1 D 6a ergibt sich der Wert Sy;1 .s1 D 6a/ D 432a3 . Wir betrachten nun den Bereich 0  s2  6a. Die Teilfläche A2 lautet dann: A2 D 4as2 :

(6.29)

Die Schwerpunktkoordinate zS 2 ergibt sich hier als: zS 2 D 3a C

s2 : 2

(6.30)

190

6 Querkraftschub

Das statische Moment Sy;2 .s2 / ergibt sich dann als Produkt aus zS 2 und A2 , wobei hier aber noch der statische Moment der gesamten Teilfläche A1 hinzu zu addieren ist. Es folgt: (6.31) Sy;2 .s2 / D 2as22  12a2 s2  432a3 : Auswerten bei s2 D 0, s2 D 3a (Schwerpunkt des Gesamtquerschnitts) und s2 D 6a ergibt die folgenden Werte: Sy;2 .s2 D 0/ D 432a3 ; Sy;2 .s2 D 3a/ D 450a3 ; Sy;2 .s2 D 6a/ D 432a3 :

(6.32)

Schließlich wird noch der untere Abschnitt im Bereich 0  s3  6a betrachtet. Die Teilfläche A3 und ihre Schwerpunktkoordinate zS 3 lauten: A3 D 12as3 ;

zS 3 D 3a C

s3 : 2

(6.33)

Damit ergibt sich das statische Moment in diesem Bereich als: Sy;3 .s3 / D zS 3 A3 C Sy .s2 D 6a/ D 6as32 C 36a2 s3  432a3 :

(6.34)

Auswerten ergibt: Sy;3 .s3 D 0/ D 432a3 ;

Sy;3 .s3 D 6a/ D 0:

(6.35)

Mit feststehendem statischen Moment lässt sich die Schubspannung xz ermitteln wie folgt: xz .s1 D 0/ D 0;   Qz  432a3 Qz xz .s1 D 6a/ D  D 0;0063 2 ; 4  12a 5688a a   Qz  432a3 Qz xz .s2 D 0/ D  D 0;019 2 ; 4  4a 5688a a   Qz  450a3 Qz xz .s2 D 3a/ D  D 0;020 2 ; 4 5688a a   4a3  Qz  432a Qz xz .s2 D 6a/ D  D 0;019 2 ; 4 5688a a   4a3  Qz  432a Qz xz .s3 D 0/ D  D 0;0063 2 ; 4 5688a  12a a (6.36) xz .s3 D 6a/ D 0: Eine graphische Darstellung des Schubspannungsverlaufs findet sich in Abb. 6.8. J

6.2 Dickwandige Querschnitte

191

Abb. 6.8 Schubspannungsverlauf am I-förmigen Querschnitt.

Q 0,0063 a2z

Q 0,019 a2z Q τmax =0,020 2z a

y

Q 0,019 a2z Qz 0,0063 a2

z

Beispiel 6.4

Betrachtet wird der kreisförmige Querschnitt der Abb. 6.9, links. Als Belastung liege die Querkraft Qz vor. Gesucht werden das statische Moment Sy .z/ und die Schubspannung xz als Funktionen von z. Wir formulieren zunächst die Breite b eines infinitesimalen Schnittelements als Funktion von z. Aus dem Satz von Pythagoras folgt anhand von Abb. 6.9, rechts: p (6.37) b.z/ D 2 R2  z 2 : Das statische Moment ergibt sich dann aus Integration in den Grenzen von z D R bis zu einer beliebigen Stelle z: Zz Sy D

Zz p zO b.Oz /dOz D 2 zO R2  zO 2 dOz

R

2 D 3

R

ˇz q ˇ 3ˇ 2 2 .R  zO / ˇ

R

2 D 3

q

.R2  z 2 /3 :

(6.38)

Damit ist die Schubspannung im gegebenen Kreisquerschnitt mit Iyy D A D R2 ermittelbar als: ! 2q 3 Qz   .R2  z 2 /   3 4Qz z2 D xz D  1 2 : 3A R R4 p 2 2 2 R z 4 Abb. 6.9 Kreisförmiger Querschnitt.

b(z) R y

y

z

R

dz^

z

R4 4

und

(6.39)

dA=bdz^ z z^

192

6 Querkraftschub

Ihr Maximalwert ergibt sich auf Höhe des Schwerpunkts bei z D 0 als max D

6.3

4Qz : 3A

(6.40) J

Dünnwandige Querschnitte

Im vorliegenden Abschnitt betrachten wir nun gerade Träger, die sehr dünnwandig sind. In diesem Fall können wir davon ausgehen, dass die Schubspannungen  konstant über die Dicke der einzelnen Querschnittssegmente sind und außerdem stets in tangentialer Richtung verlaufen. Zur Herleitung der Grundgleichungen für solch dünnwandige Träger betrachten wir die Abb. 6.10, in der ein dünnwandiger Träger dargestellt ist, der beispielsweise durch eine Streckenlast qz belastet werde. Aber auch Einzelkräfte in z-Richtung und Biegemomente um die y-Achse seien als Belastung zugelassen. Es handle sich bei y und z wieder um die Hauptachsen des Querschnitts. Die äußere Belastung rufe die Querkraft Qz .x/ und das Biegemoment My .x/ hervor. Wir untersuchen nun ein infinitesimales Schnittelement der Länge dx und schneiden dieses gedanklich aus dem betrachteten Balken heraus. Das Biegemoment My ruft dabei die linear über z verlaufende Normalspannung xx hervor, so wie im Freikörperbild der Abb. 6.10, Mitte, gezeigt. Hierbei ist zu beachten, dass auch die Normalspannung xx eine Funktion der Längskoordinate x ist, so dass wir am negativen Schnittufer die Normalspannung xx antragen, wohingegen am positiven Schnittufer die Normalspannung xx nebst einem infinitesimalen Zuwachs dxx dx dx vorliegt. Genauso verfahren wir mit den beiden Schnittgrößen Qz und My . Wir Qz My

n xx σ xx

qz

y

Ts s

dT Ts+ dssds s

s

z

s t(s)

qz dx

y

z

Qz

σ xx +d σ xxdx dx

Ts (s)

My+

x

n xx +d n xx dx

s

s

dx My

ds

dT Ts+ dxsdx

d My dx dx

x dQ Qz + z dx dx

Abb. 6.10 Zur Ermittlung der Schubspannung  .s/ an einem dünnwandigen Querschnitt.

6.3 Dünnwandige Querschnitte

193

wollen nun bei vorliegender Normalspannung xx den Verlauf der Schubspannung  über den dünnwandigen Querschnitt ermitteln. Zu diesem Zweck führen wir eine umlaufende Koordinate s ein wie im infinitesimalen Schnittelement angedeutet. Da die Schubspannung stets parallel zur lokalen Koordinate s verläuft, wollen wir sie als s bezeichnen. Wir werden später zeigen, dass wir die Schubspannung zweckmäßig als Funktion von s beschreiben können, d. h. es gilt s D s .s/. Die Wanddicke sei ebenfalls eine Funktion von s, d. h. t D t.s/. Wir wollen an dieser Stelle wieder zweckmäßig den Schubfluss Ts .s/ einführen, der die Resultierende der Schubspannung s über die Querschnittsdicke t darstellt: Ts .s/ D s .s/t.s/:

(6.41)

Der Schubfluss hat demnach die Einheit einer Kraft pro Längeneinheit. Mit (6.41) unterstellen wir, dass die Schubspannung s .s/ an jeder Stelle s konstant über die Dicke t.s/ des Querschnitts verteilt ist. Dies ist für sehr dünnwandige Querschnitte eine brauchbare und sehr gängige Annahme. Im Freikörperbild der Abb. 6.10, rechts, ist ein infinitesimales Schnittelement der Breite ds gegeben, das wir aus dem infinitesimalen Schnittelement aus Abb. 6.10, Mitte, herausgeschnitten haben. Hierin ist zum einen der Schubfluss Ts .s/ mit seinen jeweiligen Zuwächsen eingetragen. Außerdem haben wir dort den resultierenden Normalkraftfluss nxx eingezeichnet, der die Resultierende der Normalspannung xx über die Querschnittsdicke t darstellt: (6.42) nxx .s/ D xx t.s/: Wir bilden an dem Schnittelement das Gleichgewicht der Kräfte in x-Richtung:     dnxx dTs dx ds  nxx ds C Ts C ds dx  Ts dx D 0: nxx C dx ds

(6.43)

Dies ergibt: dTs dnxx dxds C dsdx D 0: (6.44) dx ds Wir dividieren durch dx und führen eine Integration über s von einem Startpunkt s D sA bis zu einem beliebigen Punkt s durch. Es folgt: Zs sA

dTs dOs D Ts .s/  Ts .s D sA / D  ds

Zs sA

dnxx dOs : dx

(6.45)

Der Kraftfluss nxx folgt aus der Normalspannung xx bei einachsiger Biegung mit Normalkraft gemäß My N z (6.46) C xx D A Iyy

194

6 Querkraftschub

als:

 nxx D

 My N z t; C A Iyy

so dass dnxx D n0xx D dx



(6.47)

 My0 N0 z t: C A Iyy

(6.48)

Wir gehen davon aus, dass eine über x konstante Normalkraft N vorliegt, so dass wir von N 0 D 0 ausgehen können. Mit dem Zusammenhang zwischen My und Qz dMy D My0 D Qz dx

(6.49)

folgt: n0xx D

Qz zt: Iyy

(6.50)

Dann erhalten wir aus (6.45): Zs Ts .s/  Ts .s D sA / D  sA

Qz Qz tzdOs D  Iyy Iyy

Zs tzdOs :

(6.51)

sA

Das hierin auftretende Integral ist das statische Moment Sy .s/ an einer beliebigen Stelle s des betrachteten Schnittelements. Es gilt also: Ts .s/  Ts .s D sA / D 

Qz Sy .s/: Iyy

(6.52)

Mit (6.52) ist ein Ausdruck für die Ermittlung der Schubflusses Ts .s/ an einer beliebigen Stelle s gefunden, der von der wirkenden Querkraft Qz abhängt und außerdem die Kenntnis des Flächenträgheitsmoments Iyy und des statischen Moments Sy .s/ erfordert. Der ebenfalls auftretende Term Ts .s D sA / ist der Anfangswert des Schubflusses an einer Stelle s D sA . Ist der Schubfluss Ts .s/ für einen dünnwandigen Querschnitt erst einmal bekannt, dann kann daraus die Schubspannung s .s/ an jeder Stelle s ermittelt werden als: s .s/ D

Ts .s/ : t.s/

(6.53)

Wir beschränken unsere Betrachtungen in diesem Abschnitt ausschließlich auf offene dünnwandige Profile, bei denen an freien Enden keinerlei Schubbelastungen eingetragen werden. Geschlossene Profile werden hier nicht behandelt. In diesem Falle können wir

6.3 Dünnwandige Querschnitte

195 t

Abb. 6.11 Doppeltsymmetrischer I-Träger mit lokalen Umlaufachsen si (i D 1; 2; : : :; 5).

s1

t h y

s2

s3

S t

s4

b

s5

b

z

den Anfangswert Ts .s D sA / zu null setzen, wenn wir den Anfangswert der Integration in (6.45) an ein freies Ende legen. Für den Schubfluss Ts .s/ verbleibt damit der folgende Ausdruck: Qz Sy .s/: (6.54) Ts .s/ D  Iyy Um die Ermittlung des Schubflusses Ts .s/ und der Schubspannungen s .s/ zu illustrieren betrachten wir den I-Träger der Abb. 6.11 (Steghöhe h, Flanschbreite 2b, konstante Wanddicke t). Es handelt sich hierbei um einen sehr dünnwandigen Querschnitt, so dass wir uns in unseren Betrachtungen ausschließlich wieder auf die Skelettlinie beziehen wollen. Das angezeigte Koordinatensystem ist ein Hauptachssystem. Zur Berechnung werden die lokalen Umlaufachsen si (i D 1; 2; : : :; 5) eingeführt wie dargestellt. Es ist anzumerken, dass die Wahl der Startpunkte und Richtungen der lokalen Umlaufachsen beliebig sind und nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit gewählt werden. Das Flächenträgheitsmoment Iyy können wir direkt aus Beispiel 4.12 entnehmen: Iyy D

th3 C tbh2 : 12

(6.55)

Wir widmen uns zunächst der Ermittlung des statischen Moments Sy .s/, das sich wie folgt ergibt: Zs (6.56) Sy .s/ D tzdOs : sA

Hierbei ist zu beachten, dass bei Durchführung der Integration entgegen der Richtungen der lokalen Achsen si ein Vorzeichenwechsel für s bzw. Ts stattfindet. Wir untersuchen zunächst Segment 1 bei z D  h2 , das durch die lokale Achse s1 mit 0  s1  b beschrieben wird (Abb. 6.12, links). Aus der Integrationsvorschrift (6.56) können wir folgern, dass der Verlauf des statischen Moments in diesem Segment linear mit s1 verlaufen wird – die Koordinate z ist dort konstant mit dem Wert z D  h2 . Es genügt daher, das statische Moment für s1 D 0 und für s1 D b zu ermitteln. Zwischen diesen beiden Randwerten verläuft das statische Moment linear, wie man sich auch anhand der

196

6 Querkraftschub

Abb. 6.12 Ermittlung des statischen Moments am doppeltsymmetrischen I-Querschnitt.

s3 2

s1 h 2

h 2

s1

y

h 2

s3 s3

y

h 2 b

b

z

b

b

z

Integration bis zu einem beliebigen Wert s1 klarmachen kann: ˇ  Zs1  h thOs1 ˇˇs1 ths1 D Sy .s1 / D t  dOs1 D  : ˇ 2 2 0 2

(6.57)

0

An der Stelle s1 D 0 nimmt das statische Moment den Wert Null an, an der Stelle s1 D b hingegen folgt: tbh : (6.58) Sy .s1 D b/ D  2 Das Ergebnis (6.58) würden wir auch erhalten, wenn wir die Schwerpunktkoordinate zS;1 D  h2 mit der Fläche A1 D tb multiplizieren würden. Analog gehen wir in Bereich 2 vor, wo sich ebenfalls ein linearer Verlauf von Sy .s/ ergibt, und wir erhalten Sy .s2 D 0/ D 0 . und Sy .s2 D b/ D  t bh 2 Die Betrachtung des Stegs erfolgt entlang der lokalen Bezugsachse s3 (Abb. 6.12, rechts), die ihren Ursprung im Stoßpunkt der beiden oberen Flanschsegmente hat. Die beiden Werte der statischen Momente Sy .s1 D b/ und Sy .s2 D b/ an der Stelle s3 D 0 addieren sich auf, und wir erhalten: Sy .s3 D 0/ D Sy .s1 D b/ C Sy .s2 D b/ D tbh:

(6.59)

Der Verlauf des statischen Moments Sy .s3 / über s3 kann auch hier wieder durch Integration gewonnen werden: Zs3 (6.60) Sy .s3 / D tbh C tzdOs3 : 0

Mit z D  h2 C s3 ergibt sich daraus:  Zs3  h ths3 ts 2 C 3: Sy .s3 / D tbh C t  C sO3 dOs3 D tbh  2 2 2 0

(6.61)

6.3 Dünnwandige Querschnitte

197

Auf Höhe des Schwerpunkts des Querschnitts an der Stelle s3 D h2 ergibt sich das statische Moment Sy .s3 / als:     h h Sy s3 D D th b C : (6.62) 2 8 Dieses Ergebnis erhält man auch, wenn die betrachtete Teilfläche des Stegs in Höhe von t  h2 mit ihrer Schwerpunktkoordinate  h4 multipliziert wird und der Wert Sy .s3 D 0/ D tbh hinzuaddiert wird. Am unteren Ende des Stegs an der Stelle s3 D h ergibt sich aus (6.61): (6.63) Sy .s3 D h/ D tbh: Dieses Ergebnis kann man auch so interpretieren, dass die hier nun in voller Höhe vorliegende Stegfläche untersucht wird, bei der ihre Schwerpunktlage identisch mit dem Gesamtschwerpunkt ist, so dass sich die Schwerpunktkoordinate zu null ergibt. Anzumerken ist hier, dass bei Betrachtung des Stegs die zu integrierende Funktion s eine lineare Funktion ist, wie man aus (6.61) ablesen kann. Daher ergibt sich im Steg ein parabolischer Verlauf des statischen Moments Sy über s3 , mit dem Maximalwert auf Höhe des Schwerpunkts des Querschnitts. Die Betrachtung der beiden Bereiche 4 und 5, also der beiden unteren Flanschsegmente, ergibt die folgenden Werte für das statische Moment Sy : Sy .s4 D 0/ D 0;

tbh ; 2

Sy .s4 D b/ D

Sy .s5 D 0/ D 0;

Sy .s5 D b/ D

tbh : (6.64) 2

Der Verlauf des statischen Moments über den Querschnitt ist in Abb. 6.13, links, gezeigt. Mit vorliegendem statischen Moment können sowohl der Schubfluss Ts .s/ als auch die

tbh 2

s

s

(–)

s1

s3 s4

s2 (–)

s5

(+)

s

tbh 2 S y (s)

s

tbhQz 2 Iyy

s (+) tbh s1 s2 s3 h th b+ 8 s4 tbh s

(–)

s s2

(+)

s2 Q th b+ h8 I z yy

tbhQz 2 Iyy Qz Sy (s) Ts(s) = I yy

s1

(+)

s

s3

(+)

s4

s5 s

s

tbhQz Iyy

bhQz 2 Iyy

tbhQz Iyy

s

s2

bhQz Iyy s2 Q h b+ h8 I z yy

s5

(–)

bhQz 2 Iyy

s

bhQz Iyy

Qz Sy (s) τs(s) = - I t(s) yy

Abb. 6.13 Statisches Moment Sy .s/, Schubfluss Ts .s/ sowie Schubspannung s .s/ am I-Querschnitt unter Querkraft Qz .

198

6 Querkraftschub

Schubspannung s .s/ ermittelt werden. Sie sind ebenfalls in Abb. 6.13 dargestellt. Hierbei gibt das Vorzeichen die Wirkungsrichtung von Ts .s/ und s .s/ an. Liegt ein positives Vorzeichen vor, dann entspricht die Wirkungsrichtung der Richtung der lokalen Achse si . Liegt hingegen ein negatives Vorzeichen vor, dann ist die Wirkungsrichtung von Ts .s/ und s .s/ der Richtung von si entgegen gesetzt. Die Wirkungsrichtung von Schubfluss und Schubspannung wird durch Pfeile gekennzeichnet. Es lassen sich aus den bisherigen Betrachtungen einige allgemeingültige Regeln ableiten:  An einem freien Profilende ist der Schubfluss stets null, sofern dort nicht tangentiale Schublasten aufgebracht werden.  Ist z D 0, dann zeigen Ts und s konstante Werte. Im Falle eines konstanten Wertes für z ungleich Null (wie im obigen Beispiel im Falle der Flanschsegmente) ist der Verlauf von Ts und s linear über die lokale Bezugsachse s. Liegt in einem betrachteten Segment hingegen eine linear veränderliche z-Koordinate vor (so wie es im obigen Beispiel für den Steg der Fall war), dann folgen Ts und s als parabolische Funktionen von s.  Der Schubfluss Ts infolge einer Querkraft Qz nimmt genau dort Extremwerte an, wo die y-Achse die Skelettlinie des Querschnitts schneidet.  Weist der betrachtete Querschnitt eine Symmetrieachse auf, dann ist der Verlauf von Ts und s infolge der in der Symmetrieachse wirkenden Querkraft symmetrisch (s. dazu das obige Beispiel – Schubfluss Ts und Schubspannung s sind hier symmetrisch zur z-Achse). Schubfluss Ts und Schubspannung s infolge Qz weisen an Schnittpunkten der z-Achse mit der Skelettlinie Nulldurchgänge auf, wenn z eine Symmetrieachse ist.  Eine sehr einfache Rechenprobe kann durchgeführt werden, indem berücksichtigt wird, dass die Resultierenden der Schubspannung s aller Segmente in Summe gleich der jeweils wirkenden Querkraft entsprechen müssen. Wirkt nur eine Querkraft Qz , dann müssen die z-Komponenten der Resultierenden des Schubflusses Ts in Summe die Querkraft Qz ergeben.  An solchen Punkten, an denen mehrere Querschnittssegmente aneinanderstoßen, muss die Summe aller resultierenden Schubkräfte Null ergeben. Wir betrachten dazu noch einmal den I-Querschnitt der Abb. 6.11. In Abb. 6.14 ist das Schnittelement der Abb. 6.10 der Länge dx noch einmal dargestellt. Wir schneiden ein weiteres Schnittelement genau an der Stelle des Stoßpunktes der beiden Flansche und des Steges heraus und untersuchen das Gleichgewicht der an dieser Stelle wirkenden Resultierenden der Schubflüsse. Die Summe aller Kräfte in x-Richtung führt dann auf .Ts .s1 D b/ C Ts .s2 D b/  Ts .s3 D 0//dx D 0. Anhand der Abb. 6.13 zeigt es sich, dass diese Forderung hier erfüllt ist.

6.3 Dünnwandige Querschnitte

199

s1 s2 s3

qz

s4

s4

y

dx

Ts (s) Ts(s2= b)

dx

Ts(s1= b) My

z

x

Qz

Ts(s3= 0)

Abb. 6.14 Zur Rechenkontrolle am Knotenpunkt eines I-Querschnitts.

Beispiel 6.5

Betrachtet werde der C-Querschnitt der Abb. 6.15. Es werde das beliebige Bezugssystem y, N zN wie angedeutet festgelegt, und wir ermitteln die Schwerpunktkoordinaten yNS , zN S . Es folgt: Z ydA N A

yNS D Z

D dA

2bt 

b

2 2D b ; t.h C 2b/ 2b C h

A

Z

zN dA A zNS D Z

D dA

ht 

h

Cbt h h 2 D : t.h C 2b/ 2

(6.65)

A

Abb. 6.15 C-Querschnitt mit den Bezugsachsen y, N zN (links), Schwerpunktlage und Schwerpunktkoordinatensystem y, z (rechts).

b b

b 4

y h 2

t t

h

y

h

S

h 2 t

z

z

200

6 Querkraftschub

Der Einfachheit halber wollen wir hier annehmen, dass die Steghöhe h genau das Doppelte der Flanschbreite b beträgt, d. h. es gilt h D 2b. Für die Schwerpunktkoordinaten folgt dann: b h (6.66) yNS D ; zN S D D b: 4 2 Die Flächenträgheitsmomente IyN yN , IzN zN und das Deviationsmoment IyN zN folgen zu: Z IyN yN D

zN 2 dA D

20tb 3 ; 3

yN 2 dA D

2tb 3 ; 3

A

Z IzN zN D A

Z IyN zN D

yN zdA N D tb 3 :

(6.67)

A

Der Satz von Steiner liefert dann die Flächenintegrale 2. Ordnung bezogen auf den Schwerpunkt S: 8tb 3 Iyy D IyN yN  zNS2 A D ; 3 5tb 3 Izz D IzN zN  yNS2 A D ; 12 (6.68) Iyz D IyN zN  yNS zN S A D 0: Das Deviationsmoment wird im Schwerpunkt zu null, d. h. es handelt sich bei y und z bereits um das Hauptachssystem. Den Verlauf des statischen Moments Sy .s/ ermitteln wir wieder abschnittsweise und führen dazu die umlaufenden lokalen Bezugsachsen s1 , s2 und s3 ein wie in Abb. 6.16 dargestellt. Wir ermitteln zunächst die statischen Momente als Funktionen der Umlauf-

Abb. 6.16 Abschnittsweise Ermittlung des statischen Moments Sy .s/ am C-Querschnitt.

s2 2

s1 b

s1

s2

b

b

s2

b b

b

s3 s3

b

b

b

6.3 Dünnwandige Querschnitte

201

koordinaten s1 , s2 und s3 . Wir erhalten: Sy .s1 / D .ts1 /  .b/ D tbs1 ;  s2 1 D ts22  tbs2  tb 2 ; Sy .s2 / D Sy .s1 D b/ C ts2 b C 2 2 Sy .s3 / D Sy .s2 D 2b/ C ts3 b D tb 2 C tbs3 :

(6.69)

Auswerten an relevanten Stellen ergibt: Sy .s1 D 0/ D 0; Sy .s1 D b/ D t  b  .b/ D tb 2 ; Sy .s2 D 0/ D Sy .s1 D b/ D tb 2 ;   b 3tb 2 Sy .s2 D b/ D tb 2 C bt  D ; 2 2 Sy .s2 D 2b/ D tb 2 C 2bt  0 D tb 2 ; Sy .s3 D 0/ D Sy .s2 D 2b/ D tb 2 ; Sy .s3 D b/ D 0:

(6.70)

Der Verlauf von Sy .s/ ist in Abb. 6.17, links, dargestellt. Damit können sowohl der Schubfluss Ts .s/ (Abb. 6.17, Mitte) als auch die Schubspannung s .s/ (Abb. 6.17, rechts) berechnet werden. Der Schubfluss kann mit (6.69) als abschnittsweise Funktion angegeben werden als: 3 Qz s1 ; 8 b b  2  3 Qz 1 s2 s2 Ts .s2 / D   1 ; 8 b 2 b2 b 3 Qz  s3 Ts .s3 / D  1 : 8 b b

Ts .s1 / D

Abb. 6.17 Statisches Moment Sy .s/, Schubfluss Ts .s/ und Schubspannung s .s/ am C-Querschnitt unter Querkraft Qz .

s s1

( )

2

tb

s2

s2 2 3tb 2

( )

s3

2

tb

( )

s

3Qz 8b

s ( )

2

tb

S y (s)

s1

(6.71) J

s2

( )

3Qz 8b s2 9Qz 16b

s3 ( )

s

3Qz 8tb

s

( )

s1

s2

( )

3Qz 8tb s2 9Qz 16tb

s3 3Qz 8b

3Qz 8b Qz Sy (s) Ts(s) = I yy

( )

s

3Qz 8tb

3Qz 8tb Qz Sy (s) τs(s) = - I t(s) yy

202

6 Querkraftschub

Beispiel 6.6

Gegeben sei ein dünnwandiger Kastenquerschnitt (Breite b, Höhe h D b, konstante Wanddicke t, Abb. 6.18, links oben), der durch eine Querkraft Qz beansprucht werde und der an seiner oberen Kante mittig geschlitzt sei. Gesucht wird der Verlauf des Schubflusses Ts .s/. Wie ändert sich der Verlauf des Schubflusses, wenn die Schlitzung anstelle dessen in der linken unteren Ecke angebracht wird (Abb. 6.18, Mitte links)? Welcher Schubflussverlauf ergibt sich an einem geschlossenen Kastenquer3 schnitt (Abb. 6.18, links unten)? Das Flächenträgheitsmoment Iyy beträgt Iyy D 2t3b . Wir betrachten zunächst den mittig geschlitzten Querschnitt der Abb. 6.18, links oben, und führen die lokalen Umlaufachsen si ein wie angedeutet. Der Verlauf des

t

s5

s1

s2 h=b

y

tb 4

t

t

tb2 4

2

(–)

s2

S t s4 s3

(–)

s

(–) 2

s

s

tb 4

z b

(+)

(+)

tb2 4 tb2 2

s

s3 s4

(+)

Sy(s)

3tb2 8 tb2 4

s

tb2 4

(+)

s2

y

tb2 8

S

( )

s2 s1

(+)

s

tb2 2

z t

tb2 4

t

y t

t

s2

S

3tb2 8 tb2 4

z

(+)

Sy(s)

tb2 4 ( )

( )

s

s

tb2 4 (+)

(+)

Sy(s) ( ) 2

tb 4

s

s

(+)

tb2 4

3Qz 8b 3Qz ( ) s s tb 4 8b s2 s2 (+) Ts(s) 3tb2 9Qz 8 16b 3Qz ( ) tb2 8b 3Q s s 4 z 8b 2

s

2

tb 2 s2 5tb2 8 tb2 2

3Qz 8b

3Qz 8b s2 (-) 9Qz 16b 3Qz (-) 3Qz 8b 8b (-)

3Qz 4b (-)

s2 3Qz 16b

( )

(-)

Ts (s) s

(-)

3Qz 4b s2 15Qz 16b 3Qz 4b

3Qz 4b 3Qz 3Qz 8b 8b 3Qz ( ) s s (-) 3Qz tb2 4 8b 8b s2 s2 (+) s2 (-) 2 9Q T ( s ) 9Qz s 3tb z 16b 8 16b 3Qz ( ) 3Qz (-) tb2 8b 3Q s s 3Q 8b 4 z z 8b 8b

Abb. 6.18 Mittig geschlitzter Kastenquerschnitt (oben), in einer Ecke geschlitzter Kastenquerschnitt (Mitte), geschlossener Kastenquerschnitt (unten).

6.3 Dünnwandige Querschnitte

203

statischen Moments als Funktion von si kann angegeben werden als: Sy .s1 D 0/ D 0;     b b b tb 2 Sy s1 D Dt   D ; 2 2 2 4   b tb 2 D ; Sy .s2 D 0/ D Sy s1 D 2 4     tb 2 3tb 2 b b b D D Ct    ; Sy s2 D 2 4 2 4 8 tb 2 tb 2 Ct b0D ; Sy .s2 D b/ D  4 4 tb 2 Sy .s3 D 0/ D Sy .s2 D b/ D  ; 4   b tb 2 b b Sy s3 D D C t   D 0; 2 4 2 2 2 tb b tb 2 Ct b D ; Sy .s3 D b/ D  4 2 4 tb 2 Sy .s4 D 0/ D Sy .s3 D b/ D ; 4   b tb 2 b b 3tb 2 Sy s4 D D Ct   D ; 2 4 2 4 8 tb 2 tb 2 Ct b0D ; Sy .s4 D b/ D 4 4 tb 2 Sy .s5 D 0/ D Sy .s4 D b/ D ; 4     b tb 2 b b Sy s5 D D Ct    D 0: 2 4 2 2

(6.72)

Der Verlauf des statischen Moments Sy .s/ für den oben mittig geschlitzten Querschnitts ist in Abb. 6.18, oben Mitte, dargestellt. Daraus ist dann auch der Schubfluss Ts .s/ ermittelbar, der in Abb. 6.18, oben rechts, gezeigt ist. Schlitzt man den Querschnitt nicht mittig am oberen Rand, sondern führt man den Schnitt in der linken unteren Ecke wie in Abb. 6.18, Mitte links, gezeigt, dann ergibt sich der Verlauf des statischen Moments Sy .s/ wie in Abb. 6.18, Mitte, dargestellt. Auf die schrittweise Darstellung des Rechenwegs sei an dieser Stelle verzichtet. Der sich daraus ergebende Schubfluss Ts .s/ ist in Abb. 6.18, Mitte rechts, gegeben. Wir betrachten nun noch den geschlossenen Kastenquerschnitt der Abb. 6.18, unten links. An geschlossenen Querschnitten ergibt sich das Problem, dass der Anfangswert Ts .s D sA / (s. (6.52)) nicht von vorneherein vernachlässigt werden darf. Die Analyse geschlossener Querschnitte erfordert weitergehende Rechenmethoden, die wir hier nicht erläutern können. Wir können aber für den spezifischen Fall der Abb. 6.18, un-

204

6 Querkraftschub

ten links, die Tatsache zunutze machen, dass in den beiden horizontal verlaufenden Segmenten dieses doppelt symmetrischen Querschnitts an denjenigen Stellen, an denen die z-Achse die Skelettlinie schneidet, das statische Moment und damit auch der Schubfluss Ts zu null wird. Es reicht daher für diesen Fall aus, eine der beiden Symmetriehälften zu betrachten und an den dann entstehenden freien Enden das statische Moment zu null zu setzen. Daraus ergeben sich die Verläufe für das statische Moment Sy .s/ und den Schubfluss Ts , wie sie in Abb. 6.18, unten Mitte und unten rechts, dargestellt sind. Offenbar ergeben sich hier identische Verläufe, wie sie schon für den mittig geschlitzten Querschnitt ermittelt wurden (Abb. 6.18, oben). J Beispiel 6.7

Betrachtet werde der Kreisquerschnitt konstanter Wanddicke t wie in Abb. 6.19, links, dargestellt. Gesucht wird der Verlauf des Schubflusses Ts . Wie ändert sich der Schubflussverlauf, wenn der Querschnitt rechts mittig geschlitzt wird (Abb. 6.19, rechts)? Wir betrachten zunächst den geschlossenen Kreisquerschnitt der Abb. 6.19, links, und machen uns hierbei die Tatsache zunutze, dass es sich um einen symmetrischen Querschnitt handelt. Unter der Querkraft Qz wird der Schubflussverlauf an denjenigen Stellen, an denen die z-Achse den Querschnitt bzw. die Skelettlinie schneidet, Nulldurchgänge aufweisen. Es ist daher ausreichend, den Querschnitt gedanklich in zwei Hälften zu zerschneiden und eine dieser beiden Hälften zu betrachten (Abb. 6.20, links oben). Zur Beschreibung des statischen Moments und des Schubflusses wird der Winkel ' wie dargestellt eingeführt. Das infinitesimale Schnittelement dA lässt sich dann ermitteln als dA D tRm d'. Das statische Moment Sy an einer beliebigen Stelle ' D ˛ berechnet sich dann mit z D Rm cos ' als: Z˛ Sy D

ˇ˛ 2 2 .Rm cos '/tRm d' D Rm t sin ' ˇ0 D Rm t sin ˛:

(6.73)

0

Der Verlauf des statischen Moments über den halben Querschnitt ist in Abb. 6.20, oben 2 Mitte, dargestellt. An der Stelle ' D 2 liegt der Maximalwert mit Sy D Rm t vor. Der 3 sich daraus mit Iyy D  tRm ergebende Schubflussverlauf T ist in Abb. 6.20, rechts oben, gezeigt. Der Maximalwert des Schubflusses tritt auf Höhe des Schwerpunktes Qz . bei ' D 2 auf und beläuft sich auf max D R m Abb. 6.19 Dünnwandiger Kreisquerschnitt (links), geschlitzter Querschnitt (rechts).

Rm

Rm

y

y

t

z

t

z

6.3 Dünnwandige Querschnitte

205

Abb. 6.20 Ermittlung des statischen Moments Sy und des Schubflusses T am dünnwandigen Kreisquerschnitt.

dA=tRmd Rm cos y

Rm

Rm2 t

(-)

Qz Rm

Sy

(+)

T

z

Qz Rm

(+)

)+(

T

Qz Rm

Der in Abb. 6.20, rechts oben, dargestellt Verlauf des Schubflusses T bezieht sich nur auf die linke Hälfte des eigentlich geschlossenen dünnwandigen Kreisquerschnitts. Den Verlauf in der rechten Hälfte erhält man durch Spiegelung der linken Hälfte, so dass sich am geschlossenen Querschnitt der Verlauf wie in Abb. 6.20, unten, dargestellt ergibt. Wir betrachten nun den seitlich geschlitzten Querschnitt der Abb. Abb. 6.19, rechts, und ermitteln das statische Moment Sy anhand der Abb. 6.21, links. Mit z D Rm sin ' folgt das statische Moment zu: Z˛ Sy D

ˇ˛ 2 2 .Rm sin '/tRm d' D Rm t cos ' ˇ0 D Rm t.cos ˛  1/:

(6.74)

0

Damit kann der Schubfluss T ermittelt werden als: Qz .1  cos ˛/: T D Rm

(6.75)

Der Maximalwert ergibt sich an der Stelle ' D  und beläuft sich auf: Tmax D

2Qz ; Rm

(6.76)

also genau zweimal höher als der Maximalwert des geschlossenen Profils. J Abb. 6.21 Ermittlung des statischen Moments Sy am dünnwandigen geschlitzten Kreisquerschnitt (links), Verlauf des Schubflusses T (rechts).

dA=tRmd Rm

y

z

Rm sin

2Qz Rm

(+)

T

206

6 Querkraftschub

Beispiel 6.8

Gegeben ist der in Abb. 6.22, links, dargestellte seitlich geschlitzte gleichschenklige dreieckförmige Querschnitt, der durch die Querkraft Qz beansprucht werde. Gesucht wird der Verlauf des Schubflusses Ts . Die Abmessung a sei gegeben, die Wanddicke ist konstant mit dem Wert t. Zur Berechnung werden die lokalen Umlaufachsen s1 , s2 , s3 wie in Abb. 6.22 angedeutet eingeführt. Wir ermitteln das statische Moment Sy als Funktion der Umlaufkoordinaten s1 , s2 , s3 wie folgt: Zs1 Sy .s1 / D 0

Sy .s2 / D

Zs2

ˇs  sO12 ˇˇ 1 s2 sO1 tdOs1 D  t ˇ D t 1 ;  2 4 0 4



0

a C sO2 tdOs2 C Sy .s1 D a/ D 2

 ˇs taOs2 t sO2 ˇ 2 ta2  C 2 ˇˇ  2 2 0 4

ts22 tas2 ta2   ; 2 2 4   ˇs Zs3 taOs3 t sO32 ˇˇ 3 ta2 a sO3  Sy .s3 / D  tdOs3 C Sy .s2 D a/ D  2 2 2 4 ˇ0 4 D

0

D

ts32 tas3 ta2 C  : 4 2 4

a

s2 a y

z

ta 2 4

ta 2 4

s1

t

s3

(6.77)

a

3ta2 8 ta 2 4

(-) (-)

Sy(s) (-)

ta 2 4

1 Qz ta 2 4 Iyy 3 Qz ta 2 8 Iyy

(+)

1 Qz ta 2 4 Iyy

1 Qz ta 2 4 Iyy (+)

Ts(s) (+)

1 Qz ta 2 4 Iyy

Abb. 6.22 Seitlich geschlitzter Querschnitt in Dreieckform (links), statisches Moment Sy (Mitte), Schubfluss Ts (rechts).

6.3 Dünnwandige Querschnitte

207

Wir berechnen das statische Moment an den relevanten Stellen des Querschnitts: Sy .s1 D 0/ D 0;

 a ta2 Sy .s1 D a/ D t  a   D ; 4 4 ta2 ; Sy .s2 D 0/ D Sy .s1 D a/ D  4   a ta2 a a 3 Sy s2 D D Ct    D  ta2 ; 2 4 2 4 8 ta2 Sy .s2 D a/ D  ; 4 ta2 Sy .s3 D 0/ D Sy .s2 D a/ D  ; 4 ta2 a Sy .s3 D a/ D  C t  a  D 0: 4 4

(6.78)

Der Verlauf des statischen Moments Sy .s/ ist in Abb. 6.22, Mitte, dargestellt. Der sich daraus ergebende Schubfluss ist in Abb. 6.22, rechts, gegeben. Der Schubfluss kann mit (6.77) wie folgt dargestellt werden: Qz Qz ts12 Sy .s1 / D ; Iyy Iyy 4   Qz Qz tas2 ta2 ts22 Sy .s2 / D C C ;  Ts .s2 / D  Iyy Iyy 2 2 4   Qz Qz ts32 tas3 ta2 Sy .s3 / D  C : Ts .s3 / D  Iyy Iyy 4 2 4 Ts .s1 / D 

(6.79)

Wir ermitteln nun abschließend die aus Ts .si / resultierenden Kräfte F1 , F2 , F3 durch Integration von (6.79). Es folgt: Za F1 D 0

Za F2 D 0

Qz t Ts .s1 /ds1 D Iyy 4

Qz ta3 ; Iyy 12

0

Ts .s3 /ds3 D 0

0

s12 ds1 D

 Za  Qz Qz ta3 tas2 ta2 ts 2 Ts .s2 /ds2 D C ds2 D ;  2 C Iyy 2 2 4 Iyy 3

Za F3 D

Za

Qz Iyy

Za  0

 ts32 tas3 Qz ta3 ta2  C ds3 D : 4 2 4 Iyy 12

(6.80)

208

6 Querkraftschub

Abb. 6.23 Resultierende Kräfte am seitlich geschlitzten Querschnitt in Dreieckform.

F1 F2 F3

Zur Überprüfung unserer Rechnung bilden wir die horizontale und vertikale Kräftesumme (Abb. 6.23). Die horizontale Kräftesumme ergibt F1 cos 30ı  F3 cos 30ı , was in Summe den Wert Null ergibt. Dies ist ein zwingendes Ergebnis, denn in horizontaler Richtung existiert keinerlei Querkraftkomponente. Die vertikale Kräftesumme führt auf 1 Qz 3 ta : (6.81) F2  F1 cos 60ı  F3 cos 60ı D 4 Iyy Wir ermitteln nun noch das Flächenträgheitsmoment Iyy des Querschnitts. Der Anteil t a3 des vertikalen Stegs ergibt IyN y;2 N beläuft sich auf IyN y;2 N D 12 . Die Eigenträgheitsmomente IyN y;1 N und IyN y;3 N der schräg verlaufenden Segmente ergeben sich mit dem Ergebnis aus Beispiel 4.18 mit ' D 60ı als IyN y;1 N D IyN y;3 N D

ta3 ta3 .1 C cos 120ı / D : 24 48

(6.82)

Der Satz von Steiner ergibt dann: 2 2 Iyy D IyN y;1 N C IyN y;2 N C IyN y;3 N C zS;1 A1 C zS;3 A3  a 2 ta3 ta3 ta3  a 2 D ta C ta C C C  48 12 48 4 4 ta3 D : 4

(6.83)

Damit liefert die vertikale Kräftesumme also den Wert Qz . Auch das ist ein zwingendes Ergebnis – die vertikalen Kräfte müssen in Summe der angreifenden Querkraft Qz entsprechen. J

6.4 Schubmittelpunkt In einer Reihe von praxisrelevanten Querschnitten führt der Angriff der Querkraft im Schwerpunkt S zu ungewollter Torsion des Balkens. Es existiert ein ausgezeichneter Punkt, in dem die Querkraft anzugreifen hat, wenn diese unplanmäßige Torsion vermieden soll. Dieser Punkt wird als Schubmittelpunkt M bezeichnet, und wir widmen uns in diesem Abschnitt der Ermittlung der Lage dieses Punktes. Zur Motivation betrachten wir

6.4 Schubmittelpunkt

209

Abb. 6.24 Resultierende Kräfte am C-Querschnitt unter der Querkraft Qz .

3Qz 8tb

s

(+ )

s1

s2

(+ )

3Qz 8tb s2 9Qz 16tb

3Q F1 = 16 z

F2 =Qz

s3 (+)

s

3Qz 8tb

3Qz 8tb Qz Sy (s) τ s(s) = I yy t(s)

3Q F1 = 16 z

den C-Querschnitt der Abb. 6.24, der durch die Querkraft Qz beansprucht werde. Liegt der Fall vor, dass die Wirkungslinie von Qz durch den Schwerpunkt des Querschnitts verläuft, dann kommt es bei diesem Querschnitt zu einer (zumeist ungewollten) Torsionswirkung – der Querschnitt verdreht sich um die x-Achse. Um dies zu zeigen bilden wir zunächst die aus dem Schubfluss Ts gemäß (6.71) resultierenden Kräfte F1 und F2 , die in den Flanschen bzw. im Steg wirken. Es folgt durch Integration: 3 Qz F1 D 8 b

Zb 0

3 Qz F2 D  8 b

s1 3 ds1 D Qz ; b 16

Z2b 0

 1 s22 s2   1 ds2 D Qz : 2 b2 b

(6.84)

Es zeigt sich, dass die resultierende Kraft F2 genau der Querkraft Qz entspricht, was aus Gleichgewichtsgründen ein einsichtiges Ergebnis ist. Zudem sind die beiden Teilkräfte F1 , die in den Flanschen des Querschnitts wirken, gleich groß, weisen aber unterschiedliche Wirkungsrichtungen auf, so dass sie sich gegenseitig aufheben. Auch das ist aus Gründen des Gleichgewichts ein zwingendes Ergebnis, es greift keine Querkraft Qy an. Anhand der Abb. 6.24 lässt sich folgern, dass die resultierenden Kräfte F1 und F2 ein Torsionsmoment Mx um den Schwerpunkt S hervorrufen: Mx D 2  F1  b  F2 

b 5Qz b D : 4 8

(6.85)

Offenbar ergibt sich bei Angriff der Querkraft im Schwerpunkt S neben einer Biegewirkung eine zusätzliche und üblicherweise ungewollte Torsionswirkung. Das kann nur dann vermieden werden, wenn die Querkraft im sog. Schubmittelpunkt M angreift. Es seien yM

210

6 Querkraftschub

Abb. 6.25 Lage des Schubmittelpunktes M am C-Querschnitt.

b b 3b 4 8 Qz

h 2

y

h

S

M

h 2

z

und zM die Koordinaten des Schubmittelpunktes M. Wir fordern dann: Mx D 

5Qz b Qz yM : 8

(6.86)

Die y-Koordinate yM des Schubmittelpunktes M folgt dann zu: yM D 

5b : 8

(6.87)

Der Schubmittelpunkt M ist in Abb. 6.25 gekennzeichnet. Er befindet sich außerhalb des Querschnitts. Möchte man die zusätzliche Torsionswirkung aufgrund der Querkraft Qz vermeiden, dann muss auf konstruktivem Wege sichergestellt werden, dass die Wirkungslinie von Qz durch den Schubmittelpunkt M an der Stelle yM verläuft. Auf die Ermittlung der Schubmittelpunktkoordinate zM kann im Rahmen dieses Beispiels verzichtet werden. Bei Vorliegen einer Symmetrieachse, wie für dieses Beispiel gegeben, befindet sich der Schubmittelpunkt stets auf dieser Symmetrieachse. Für die Ermittlung des Schubmittelpunkts M dünnwandiger Profile lassen sich einige allgemeingültige Regeln ableiten:  Liegt für einen Querschnitt eine Symmetrieachse vor, dann befindet sich der Schubmittelpunkt M stets auf dieser Symmetrieachse.  Handelt es sich bei dem betrachteten Querschnitt um einen punktsymmetrischen oder doppeltsymmetrischen Querschnitt, dann befindet sich der Schubmittelpunkt M stets im Schwerpunkt S.  Handelt es um einen Querschnitt, der aus einer Anzahl von dünnwandigen geraden Segmenten besteht, die sich alle in einem Punkt schneiden, dann befindet sich der Schubmittelpunkt M genau im Schnittpunkt der Segmente. In Abb. 6.26 sind die Schubmittelpunktlagen für ausgewählte dünnwandige Querschnitte gezeigt.

6.4 Schubmittelpunkt

211

b1 Symmetrieachse

Symmetrieachse

h I3 I1+ I3 e b31t1 h I1 = 12 y 3 b3t3 I3 = 12

t1

t1

e=

t2 M

h y

S

t2

S

t1

b2h2t1 4Iyy

e=

M

y

S

Symmetrieachse

t2

M

t1

t3

z

z

b3

b

Symmetrieachse

z e

Symmetrieachse

Symmetrieachse

t1

t1 t2

y

S

M Symmetrieachse

t2

S

y

M

t2

Symmetrieachse

t

y

S

M

Symmetrieachse

t1

t1 t

z

yh

z t

y

S

S

y

M

z t1

M

t2

yh z

zh

t

zh

z

Abb. 6.26 Lage des Schubmittelpunktes M für ausgewählte Querschnitte.

Beispiel 6.9

Für den in Beispiel 6.8 behandelten geschlitzten Querschnitt in Dreiecksform ist der Schubmittelpunkt zu ermitteln. Zweckmäßig verwenden wir hierzu ein Bezugssystem y, Q zQ so wie in Abb. 6.27 gezeigt. Die Äquivalenz der Momente um die x-Achse ergibt dann: p 3 a: (6.88) Qz yQM D F2 2 Auflösen nach yQM ergibt mit F2 D

Qz t a 3 Iyy 3

yQM

und Iyy D

p 2 3 D a: 3

t a3 : 4

(6.89)

212

6 Querkraftschub

Abb. 6.27 Lage des Schubmittelpunktes M am geschlitzten Querschnitt in Dreiecksform.

F1 Qz

M

F2

y~ F3 ~ z

y~M

Die Lage des Schubmittelpunkts bezüglich der z-Richtung Q kann direkt als zQM D 0 gefolgert werden. Es handelt sich um einen einfach symmetrischen Querschnitt, und der Schubmittelpunkt befindet sich stets auf der Symmetrieachse. J Beispiel 6.10

Für den in Beispiel 6.7 behandelten seitlich geschlitzten dünnwandigen Kreisquerschnitt ist der Schubmittelpunkt zu ermitteln (Abb. 6.28). Wir betrachten dazu das infinitesimale Schnittelement dA D tRm d˛, auf dem die Schubspannung .˛/ wirkt. Das resultierende Moment um die x-Achse ergibt sich dann aus dem umlaufenden Integral der Schubspannung .˛/ mit dem konstanten Hebelarm Rm zu: Z2 Mx D

Z2 .˛/Rm d˛ D

0

0

Qz Rm .1  cos ˛/d˛ D 2Qz Rm : 

(6.90)

Setzt man dies mit dem resultierenden Moment Qz yM der Querkraft Qz gleich, dann erhält man: (6.91) yM D 2Rm : Auch hier kann wieder auf die Ermittlung der Schubmittelpunktkoordinate zM verzichtet werden – es handelt sich hierbei um einen einfach symmetrischen Querschnitt, so dass sich zM D 0 ergibt. J Abb. 6.28 Lage des Schubmittelpunktes M am geschlitzten Kreisquerschnitt.

( ) dA=tRmd Qz

M

Rm

y

yM

z

7

Torsion

Dieses Kapitel ist der Betrachtung von geraden Stäben unter Torsion gewidmet. Eingangs wird das Konstitutivgesetz der sog. St. Venantschen Torsion hergeleitet, und es wird auf Stäbe mit kreisförmigem Querschnitt sowie mit dünnwandigen offenen und geschlossenen Querschnitten eingegangen. Schließlich wird die Ermittlung der Schnittgrößen an statisch bestimmten und an statisch unbestimmten Einfeld- und Mehrfeldstäben gezeigt. Die Studierenden sollen in die Lage versetzt werden, einfache Torsionsprobleme gerader Stäbe analytisch mit Hilfe der bereitgestellten Gleichungen zu lösen.

7.1

Einleitung

Bislang wurden gerade Stäbe und Balken betrachtet, die unter Normalkräften und Biegung stehen. Jedoch ist die Torsion ein für Stäbe ebenso wichtiger Aspekt der Analyse und der Auslegung, und dieses Kapitel ist der Betrachtung der Torsion gerader Stäbe gewidmet, und zwar hier der sog. St.-Venantschen Torsion1 . Insbesondere setzen wir voraus, dass durch die Verdrehung des Querschnitts zwar Schubspannungen in der Querschnittsebene auftreten, aber keinerlei Querschnittsverwölbungen entstehen und sich damit auch keine Normalspannungen in Richtung der Stabachse einstellen (sog. Wölbnormalspannungen). Die letztgenannten Aspekte sind Bestandteil der sog. Wölbkrafttorsion, auf die wir aber im Rahmen dieser Einführung in die Thematik der Torsion nicht eingehen werden. Zur Motivation sei der in Abb. 7.1 dargestellte Träger betrachtet, der unter einer ausmittigen Kraft F stehe, die mit dem Hebelarm e angreife. Der Träger sei an seinen beiden Enden durch starre Querbalken sowohl gegen Durchbiegung als auch gegen eine Verdrehung des Querschnitts gelagert. Der dazu statisch äquivalente Zustand ist, die Kraft auf die Balkenachse zu verschieben (System Biegung und Querkraft) und zugleich ein um die Balkenlängsachse wirkendes Moment, das Torsionsmoment MT D F e, anzusetzen (Sys1

Adhémar Jean Claude Barré de Saint-Venant, 1797–1886, französischer Wissenschaftler.

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2022 C. Mittelstedt, Technische Mechanik 2: Elastostatik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66432-2_7

213

214

7

Torsion

Gabellagerung y

F

y

y

F

z z

z

e

MT =Fe

x

Biegung und Querkraft

x

x

Torsion

Abb. 7.1 Balken unter ausmittiger Last (links) und die resultierenden Berechnungsmodelle: System Biegung und Querkraft (Mitte), idealisiert als zweiseitig gelenkig gelagerter Balken, sowie System Torsion (rechts), idealisiert als ein zweiseitig gabelgelagerter Stab.

tem Torsion). Das System Biegung und Querkraft führt demnach im vorliegenden Fall auf einen beidseitig gelenkig gelagerten Balken unter der Einzelkraft F , in dem Biegemomente My und Querkräfte Qz hervorgerufen werden. Der Spannungszustand in diesem Balken wird sich dann aus der Normalspannung xx infolge Biegung und aus der Schubspannung  infolge Querkraft zusammensetzen, was wir rechnerisch mit den Mitteln der vorangegangenen Kapitel behandeln können. Allerdings wird sich aufgrund des anliegenden Torsionsmoments MT D F e ein inneres Torsionsschnittmoment Mx ausbilden, was wiederum zu Schubspannungen  in der Querschnittsebene führt. Torsionsbeanspruchungen können auch in Form streckenhaft verteilter Torsionsmomente mT vorkommen (s. Abb. 7.2), die wiederum in inneren Torsionsmomenten Mx resultieren. Die Besonderheit der sog. Gabellagerung für torsionsbeanspruchte Stäbe, wie in Abb. 7.1, rechts, gezeigt wird an späterer Stelle noch besprochen werden. Es sei an dieser Stelle allerdings bereits angemerkt, dass eine Gabellagerung den Stab derart lagert, dass eine Verdrehung der Stabes um seine Längsachse x an dieser Stelle verhindert wird. Wir wollen in diesem Kapitel davon ausgehen, dass Torsion und Biegung entkoppelt voneinander betrachtet werden können. Wann diese Voraussetzung tatsächlich Gültigkeit hat, kann in dieser grundlegenden Einführung zum Thema der Torsion nicht vollumfäng-

Abb. 7.2 Beidseitig gabelgelagerter Stab unter streckenhaft verteiltem Torsionsmoment mT .

y

mT z

x

7.2 Vollwandiger Stab mit kreiszylindrischem Querschnit

215

lich geklärt werden, wir wollen aber voraussetzen, dass Balkenbiegung und Stabtorsion unabhängig voneinander behandelt werden können. Die St.-Venantsche Torsion gerader Stäbe beruht auf den folgenden Annahmen:  Aufgrund der Torsionsbeanspruchung des Stabes wird sich eine Verdrehung des Querschnitts einstellen. Wir setzen voraus, dass sich die sog. Drehachse frei einstellen kann und nicht durch konstruktive Maßnahmen erzwungen wird.  Aufgrund der Torsionsbeanspruchung des Stabes ergeben sich ausschließlich Verdrehungen #.x/ um die Stablängsachse x.  Wir nehmen an, dass sich Torsion und Biegung unabhängig voneinander behandeln lassen und dass das Superpositionsgesetz gilt.  Wir nehmen an, dass sich der Querschnitt des Stabes zwar um die Stablängsachse verdrehen wird und sich die Verdrehung #.x/ um die Längsachse x ergibt, der Querschnitt aber seine Form und seine Abmessungen auch im verdrehten Zustand beibehält. Diese Annahme bezeichnet man als die Hypothese vom Geradebleiben der Radien.  Wir unterstellen wölbfreie Querschnitte. Das bedeutet, dass aufgrund der Verdrehung # um die Stabachse x keinerlei Längsverschiebungen u in Stablängsrichtung auftreten.  Es wird geometrische und materielle Linearität angenommen, d. h. die sich einstellenden Verformungen sind klein und das Hookesche Gesetz ist uneingeschränkt gültig.

7.2 Vollwandiger Stab mit kreiszylindrischem Querschnit Als erstes Beispiel für einen Stab unter Torsion betrachten wir den einseitig eingespannten vollwandigen Stab mit Kreisquerschnitt (Radius R, Abb. 7.3). Der Stab werde an seinem freien Ende durch das Torsionsmoment MT belastet, das im Inneren das konstante Torsionsschnittmoment Mx hervorruft. Wir betrachten nun ein infinitesimales Schnittelement der Länge dx, das wir aus dem Stab gedanklich herausschneiden (Abb. 7.3, rechts). Es ergeben sich durch die Torsionsbelastung die Schubverzerrung  der Mantelfläche sowie das Verdrehungsinkrement d# des Querschnitts. Die radiale Koordinate, gemessen vom Schwerpunkt des Querschnitts, werde mit r bezeichnet. Die Gleitung  und die Querschnittsverdrehung # sind wie folgt miteinander verknüpft: dx D rd#: (7.1) Dieser Ausdruck kann nach der Schubverzerrung  umgeformt werden:  Dr

d# D r# 0 : dx

(7.2)

Die hierin auftretende erste Ableitung der Verdrehung # bezeichnen wir als die Verdrillung # 0 des Stabes.

216

7

Torsion

Mx x

r

MT

R x

l

Mx

d

dx

Mx

(+)

MT

Abb. 7.3 Vollwandiger Stab mit Kreisquerschnitt unter Torsionsmoment MT sowie zugehöriger Schnittgrößenverlauf Mx (links), Schnittelement (rechts).

Liegt die Gleitung  vor, dann kann daraus die Schubspannungsverteilung über den Stabquerschnitt berechnet werden. Wir nutzen dazu das Konstitutivgesetz  D G, wobei G der Gleitmodul des Materials ist:  D G D Gr# 0 :

(7.3)

Offenbar liegt hier eine lineare Schubspannungsverteilung über die radiale Koordinate r vor. Im Schwerpunkt des Querschnitts wird die Schubspannung zu null, und sie erreicht am Querschnittsrand bei r D R ihren noch zu bestimmenden Maximalwert. Wurde die Schubspannungsverteilung ermittelt, dann können wir daraus das resultierende Torsionsmoment Mx ermitteln: Z Mx D

Z  rdA D

A

Gr 2 # 0 dA D G# 0

A

Z

r 2 dA:

(7.4)

A

Das in (7.4) auftretende Flächenintegral kann mit dem Flächenelement dA D rdrd' (Abb. 7.4, links) in zwei Teilintegrale wie folgt zerlegt werden:

Mx D G#

0

Z2 ZR

r drd' D G# 0

Abb. 7.4 Infinitesimales Flächenelement dA des Kreisquerschnitts (links), Schubspannungsverlauf  .r/ über den Kreisquerschnitt (rechts).

3

0

0R

4

4

Z2

d' D G# 0

0

R4 : 2

dA=rdrd d dr r

(7.5)

(r)

Mx R IT

7.3 Dünnwandiger Stab mit kreiszylindrischem Querschnitt

217

An dieser Stelle wird das Torsionsträgheitsmoment IT eingeführt wie folgt: IT D

R4 : 2

(7.6)

Dann ergibt sich: Mx D GIT # 0 :

(7.7)

Das Produkt GIT aus Gleitmodul und Torsionsträgheitsmoment wird als Torsionssteifigkeit bezeichnet. Gleichung (7.7) stellt das Konstitutivgesetz für die St. Venantsche Torsion dar. Damit kann (7.3) dargestellt werden als:  D Gr# 0 D

Mx r: IT

(7.8)

Der Maximalwert der Torsionsspannung  am Querschnittsrand r D R kann dann angegeben werden als (Abb. 7.4, rechts): D

Mx R : IT

(7.9)

Aus Gleichung (7.8) in Verbindung mit Abb. 7.4, rechts, kann gefolgert werden, dass die Schubspannung  linear über die radiale Koordinate verläuft. Damit liegt im Bereich des Schwerpunkts des betrachteten Querschnitts eine nur schlechte Ausnutzung des Materials vor.

7.3

Dünnwandiger Stab mit kreiszylindrischem Querschnitt

Als weiteren elementaren Fall betrachten wir den dünnwandigen Stab mit kreiszylindrischem Querschnitt konstanter Wanddicke t (s. Abb. 7.5). Wir setzen dabei voraus, dass die Wanddicke t signifikant kleiner als die beiden Radien Ri und Ra ist, wobei r D Ri und r D Ra die Stellen der Zylinderinnenseite und der Zylinderaußenseite sind. Die Wandung des kreiszylindrischen Querschnitts werde an jeder Stelle der Umlaufkoordinate s durch die Skelettlinie an der Stelle r D Rm halbiert. Aus der Betrachtung des vollwandigen Kreisquerschnitts wissen wir bereits, dass die Schubspannung nach (7.8) linear über die radiale Koordinate r verläuft. Da wir am Beispiel des dünnwandigen kreiszylindrischen Querschnitts davon ausgehen, dass die Wanddicke t sehr klein ist, ist es naheliegend, von einer Vereinfachung derart auszugehen, dass die Schubspannung  konstant über die Dicke t des Querschnitts verläuft. Das ist in Abb. 7.5, rechts unten, angedeutet. Da wir alle Betrachtungen nachfolgend auf die Skelettlinie mit der Umlaufachse s beziehen, wollen wir auch die Schubspannung entsprechend als s bezeichnen. Betrachtet werde nun ein Schnittelement, das wir gedanklich aus dem Zylinder herausschneiden (Abb. 7.6). Dabei wird die Schubspannung s freigesetzt. Bildet man an dem

218

7

Abb. 7.5 Stabsegment mit Kreiszylinderquerschnitt unter Torsionsmoment Mx (oben), Abmessungen (links unten), Schubspannungsverlauf (rechts unten).

Torsion

Mx r

t x

t

Mx

dx

Ri Rm Ra

s

Abb. 7.6 Schnittelement, herausgeschnitten aus dem Stab mit Kreiszylinderquerschnitt.

τ s (s)

dx

∂τs ds ∂s ∂τs τs+ dx ∂x

τs +

τs τs

ds

Schnittelement der Abb. 7.6, rechts, das Kräftegleichgewicht bezüglich der x-Richtung, dann erhält man:   @s  tdx  s C ds tdx D 0: (7.10) @s Das führt auf den folgenden Ausdruck: @s D 0: @s

(7.11)

Hieraus lässt sich schließen, dass die Schubspannung s keine Änderung über die Umlaufkoordinate s erfährt, somit also konstant über den gesamten Umfang des kreiszylindrischen Querschnitts ist. Das Torsionsschnittmoment Mx folgt als: Z Z Mx D  rs dA D s rdA: (7.12) A

A

Da der Radius mit r D Rm konstant ist, kann dieser vor das Integral gezogen werden, und es folgt: Z Mx D Rm s

dA:

(7.13)

A

Verwendet man hier noch das Flächenelement dA D Rm td', dann ergibt sich: Mx D

2 s Rm t

Z2 0

2 d' D 2Rm ts :

(7.14)

7.3 Dünnwandiger Stab mit kreiszylindrischem Querschnitt

219

Dies kann nach s umgeformt werden: s D

Mx : 2t 2Rm

(7.15)

Da die Schubspannung s als konstant über die Wanddicke angenommen wurde, stellt dies gleichzeitig den für eine Auslegung maßgebenden Maximalwert dar: max D

Mx : WT

(7.16)

Hierin ist WT das Torsionswiderstandsmoment: 2 t: WT D 2Rm

(7.17)

An dieser Stelle verwenden wir den Zusammenhang (7.2) sowie das Konstitutivgesetz  D G, und es folgt: (7.18) s D Gr# 0 : Umformen nach # 0 mit r D Rm und Einsetzen von (7.15) ergibt: #0 D

s Mx D : 3 Gt GRm 2Rm

(7.19)

3 t IT D 2Rm

(7.20)

Mit dem Torsionsträgheitsmoment

folgt: #0 D

Mx : GIT

(7.21)

Das kann auf die Form Mx D GIT # 0

(7.22)

gebracht werden, und es ergibt sich wieder das Konstitutivgesetz der St. Venantschen Torsion, wie bereits mit (7.7) gezeigt. Die gegenseitige Verdrehung der beiden Stabenden # erhält man, indem die Verdrillung # 0 über die Stablänge integriert wird: Zl

0

Zl

# dx D

# D 0

0

Mx dx: GIT

(7.23)

220

7

Torsion

In dem Fall, dass ein konstantes Torsionsmoment Mx sowie ein über die Stablänge unveränderliches Torsionsträgheitsmoment IT vorliegen, ergibt sich die gegenseitige Verdrehung der Stabendquerschnitte als: # D

Mx l : GIT

(7.24)

Besteht Interesse daran, einen möglichst steifen Kreiszylinderquerschnitt zu konstruieren, dann wird man versuchen, die Torsionssteifigkeit GIT zu maximieren. Dies geschieht vorteilhaft über die Steuerung des Radius Rm , der in dritter Potenz in IT eingeht.

7.4 Stäbe mit beliebigen dünnwandigen Hohlquerschnitten Wir erweitern nun die Betrachtungen auf den Fall eines Stabes, der einen beliebigen dünnwandigen Querschnitt mit beliebig veränderlicher Wanddicke t D t.s/ aufweist (Abb. 7.7). Diejenige Achse, um die sich der Querschnitt verdreht, werde als Drehachse D bezeichnet. An dieser Stelle führen wir den Begriff des Schubflusses Ts ein wie folgt: Ts D s .s/t.s/:

(7.25)

Es handelt sich bei dem Schubfluss um die Resultierende der Schubspannung s .s/ über die Querschnittsdicke t.s/, und er hat eine entsprechende Einheit einer Kraft pro Längeneinheit, also z. B. die Einheit [N/m]. Mit Hilfe des Freikörperbilds der Abb. 7.7, rechts, ergibt sich aus dem Kräftegleichgewicht in x-Richtung das folgende Ergebnis: @Ts D 0: @s

(7.26)

Das bedeutet, dass der Schubfluss Ts an jeder Stelle s auf der Skelettlinie des Querschnitts den gleichen Wert annimmt, also konstant über den Umfang des Querschnitts ist. Hierbei

t(s)

ds dx

Ts

Ts

τs (s)

s Ts +

D τs (s)

∂T Ts + s ds ∂

τs (s)

x

Mx

τs (s)

Abb. 7.7 Beliebiger dünnwandiger geschlossener Querschnitt.

∂Ts dx ∂x

7.4 Stäbe mit beliebigen dünnwandigen Hohlquerschnitten

221 Tangente d. Skelettlinie

Abb. 7.8 Freikörperbild eines Querschnittsabschnitts ds.

ds

rt

D

dAm

Ts

.s/ ist es aber wichtig zu beachten, dass dies nicht für die Schubspannung s .s/ D Tt .s/ gilt, was in Abb. 7.7 qualitativ angedeutet ist. Demnach wird die Schubspannung umso höhere Werte annehmen, je kleiner die Wanddicke ausfällt. Die maximale Schubspannung max tritt folglich an der Stelle der kleinsten Wanddicke tmin auf. Wir wollen nun einen Zusammenhang zwischen dem Schubfluss Ts und dem Torsionsmoment Mx herstellen. Wir betrachten dazu das Freikörperbild der Abb. 7.8, in dem ein Schnittelement des Querschnitts der Länge ds dargestellt ist. Der in diesem Schnittelement wirkende Schubfluss Ts hat bezüglich der Drehachse D den Hebelarm r t (gemessen von der Tangente der Skelettlinie) wie dargestellt. Das Schnittelement habe die Entfernung r.s/ von der Drehachse. Der Anteil dMx des Schubflusses am Torsionsmoment Mx beträgt (7.27) dMx D Ts dsr t :

Das Torsionsmoment Mx erhält man durch Integration über den Umfang über den Querschnitt, hier dargestellt durch ein Ringintegral: I Mx D

Ts r t ds:

(7.28)

dAm D

1 r t ds 2

(7.29)

ds D 2

dAm : rt

(7.30)

Aus

folgt nach ds aufgelöst:

Einsetzen in (7.28) ergibt:

I Mx D 2Ts

dAm

(7.31)

Am

bzw. Mx D 2Ts Am :

(7.32)

Hierin ist Am die von der Skelettlinie umschlossene Fläche des Querschnitts. Hiermit kann der Schubfluss Ts infolge des Torsionsmomentes Mx ermittelt werden als: Ts D

Mx : 2Am

(7.33)

222

7

Torsion

Der Schubfluss Ts als Folge des Torsionsmoments Mx errechnet sich also bei einem beliebigen dünnwandigen Querschnitt als das Torsionsmoment Mx , dividiert durch die doppelte von der Skelettlinie umschlossene Fläche Am . Die Gleichung (7.33) ist als die sog. 1. Bredtsche Formel2 bekannt. Damit ist auch die Schubspannung ermittelbar, und es folgt: Ts Mx D : (7.34) s .s/ D t.s/ 2Am t.s/ Zu beachten ist, dass s im Gegensatz zu Ts i. Allg. eine Funktion der Umlaufkoordinate s ist. Sie erreicht ihr Maximum an der Stelle des Querschnitts mit der kleinsten Wandstärke t D tmin : Mx : (7.35) max D 2Am tmin Folglich ist die kleinste Wanddicke tmin für die Auslegung eines Hohlquerschnitts maßgeblich. An dieser Stelle kann das Torsionswiderstandsmoment WT gemäß WT D 2Am tmin

(7.36)

eingeführt werden. Dann können wir für (7.35) schreiben: max D

Mx : WT

(7.37)

Wir wollen uns nun der Ermittlung des Torsionsträgheitsmoments IT für den hier betrachteten dünnwandigen geschlossenen Querschnitt zuwenden. Hierzu untersuchen wir den um die Drehachse D verdrehten Querschnitt und betrachten die Abb. 7.9. Da wir annehmen, dass der Querschnitt in Form und Abmessungen unveränderlich bleibt, handelt es sich bei der Verdrehung des Querschnitts um die Drehachse D um eine reine Starrkörperrotation. Wir untersuchen nun die Verschiebungen des Punktes P nach Abb. 7.9, wobei sich P um das Maß dr senkrecht zum Radius r verschiebt. Die auf die Tangente der Skelettlinie projizierte Verschiebung sei dv. Da wir von kleinen Verformungen und damit auch kleinen Winkeln ausgehen können wir anhand von Abb. 7.9 folgern: dr D rd#:

(7.38)

Abb. 7.9 Verschiebung eines Punktes P auf der Skelettlinie.

P rt

dv r

D 2

Rudolf Bredt, 1842–1900, deutscher Ingenieur.

d

dr

P

Skelettlinie Tangente

7.4 Stäbe mit beliebigen dünnwandigen Hohlquerschnitten

223

Es gilt außerdem: cos ˛ D

dv dv D : dr rd#

(7.39)

rt : r

(7.40)

Darüber hinaus können wir ablesen: cos ˛ D

Setzt man (7.39) und (7.40) gleich, dann ergibt sich: dv D r t d#:

(7.41)

Wir leiten (7.41) einmalig ab, und unter der Annahme, dass r t bei einem prismatischen Stab unabhängig von x ist, ergibt sich: d# dv D rt D r t d# 0 : dx dx

(7.42)

Betrachtet werde nun noch die Schubverzerrung eines infinitesimalen Schnittelements des Stabs (s. Abb. 7.10). Die Schubverzerrung setzt sich aus den Winkeln ˛ und ˇ zusammen, die sich unter der Voraussetzung kleiner Winkel wie folgt ermitteln lassen: ˛D

dv ; dx

ˇD

du : ds

(7.43)

Daher:

dv du C : dx ds Verwenden des Hookeschen Gesetzes  D G ergibt:  D˛Cˇ D

D

(7.44)

s dv du D C : G dx ds

(7.45)

Mit dem Schubfluss Ts D s .s/t.s/ sowie (7.41) folgt: Ts du D rt # 0 C : Gt.s/ ds

Abb. 7.10 Schubverzerrung eines infinitesimalen Schnittelementes.

(7.46)

x dx

t(s)

ds dx

dv ds

s D

s x

du Mx

224

7

Torsion

Hierin stellt der Ausdruck du die Änderung der Längsverschiebung u des Querschnitts ds über die Umfangskoordinate s und somit die Verwölbung des Querschnitts dar. Unter Verwölbungen verstehen wir dabei Verschiebungen u des Querschnitts, die sich aus der Querschnittsebene heraus in x-Richtung einstellen. Wir bilden das Umfangsintegral über den Ausdruck (7.46): I I I du Ts 0 ds D r t # ds C ds: (7.47) Gt.s/ ds Es werde zunächst das zweite Integral auf der rechten Seite betrachtet. Wir können das Umfangsintegral als ein Integral von einem Startpunkt s D sA bis zum Endpunkt s D sE auffassen. Daher: I

du ds D ds

ZsE sA

du ds D u.s D sE /  u.s D sA /: ds

(7.48)

Da wir gegenwärtig aber einen geschlossenen Querschnitt betrachten, bei dem die Punkte s D sE und s D sA zusammenfallen, ergibt dieses Integral den Wert null: I du ds D 0: (7.49) ds Wir erhalten damit:

Ts G

I

1 ds D # 0 t.s/

I r t ds:

Das Integral der rechten Seite ergibt den Wert 2Am : I 1 Ts ds D 2Am # 0 : G t.s/ Mit dem Konstitutivgesetz (7.21) ergibt sich: I 1 Ts Mx : ds D 2Am G t.s/ GIT Aus (7.32) können wir Mx D 2Ts Am folgern, so dass gilt: I 1 Ts Ts ds D 4A2m : t.s/ IT

(7.50)

(7.51)

(7.52)

(7.53)

Dieser Ausdruck kann nach dem gesuchten Torsionsträgheitsmoment IT aufgelöst werden: 4A2 (7.54) IT D I m : ds t.s/ Das ist die sog. 2. Bredtsche Formel.

7.4 Stäbe mit beliebigen dünnwandigen Hohlquerschnitten

225

In vielen technischen Anwendungen hat man es mit Querschnitten zu tun, die sich aus n geradlinigen Segmenten der Längen li zusammensetzen und deren Wandstärken ti konstant sind. Man kann dann die Gleichung (7.54) in die folgende Form überführen: IT D

4A2m n Z X ds li

i D1 0

D

4A2m : n X li

(7.55)

t i D1 i

ti

Liegt der Sonderfall vor, dass der Querschnitt die konstante Wanddicke t aufweist, dann geht dieser Ausdruck über in: 4A2m t IT D : (7.56) U Hierin ist U der Umfang des durch die Skelettlinie beschriebenen Querschnitts. Ist man bei gegebenem Material an einer möglichst hohen Torsionssteifigkeit interessiert, dann wird man nach (7.54) und (7.56) bestrebt sein, die durch die Skelettlinie eingeschlossene Fläche Am zu maximieren, die hier in zweiter Potenz eingeht. Handelt es sich um einen Querschnitt mit konstanter Wanddicke t, dann stellt es sich heraus, dass der Kreisquerschnitt die optimale Querschnittsform darstellt. Beispiel 7.1

Es werde der dünnwandige Stabquerschnitt der Abb. 7.11 (Breite b, Höhe h, Wanddicken t1 , t2 , t3 , t4 ) betrachtet. Aus (7.54) bzw. (7.55) mit Am D bh folgt das Torsionsträgheitsmoment IT für den gegebenen Querschnitt als: IT D

4b 2 h2 b t1

C

h t2

C

b t3

C

h

:

(7.57)

t4

Wir betrachten den Fall t1 D t, t2 D 2t, t3 D 5t, t4 D 2t und b D 100t, h D 200t. Hierfür erhalten wir: IT D

4  .20000t 2 /2 100t t

C

200t 2t

C

100t 5t

C

200t

D 5  106 t 4 :

(7.58)

2t

Abb. 7.11 Dünnwandiger Kastenquerschnitt.

t1 t2

t4

h

t3

b

226

7

Torsion

Liegt der Sonderfall vor, dass alle Wanddicken den identischen Wert t aufweisen, dann kann (7.56) zur Berechnung von IT verwendet werden. Mit U D 600t folgt dann: IT D

7.5

4.20000t 2 /2 t 8 D  106 t 4 : 600t 3

(7.59) J

Stäbe mit offenen dünnwandigen Querschnitten

Wir betrachten in diesem Abschnitt dünnwandige offene Profile, wobei wir hier solche Querschnitte untersuchen wollen, die sich aus Segmenten mit konstanter Dicke t zusammensetzen. Einige technisch relevante Beispiele sind in Abb. 7.12 dargestellt. Wir betrachten nun in Abb. 7.13, links, ein Segment eines solchen dünnwandigen Querschnitts. Dieses Segment sei ein Rechteckquerschnitt mit der Höhe h und der Dicke t, wobei hier t  h vorausgesetzt sei. Wir können uns diesen Querschnitt gedanklich als eine Anzahl von ineinander verschachtelten Hohlquerschnitten vorstellen, so wie es

t1

t1

t2

t1

t1 t2

t3

t2

t3

t1

t2

t2

t3

Abb. 7.12 Dünnwandige offene Stabquerschnitte, bestehend aus Segmenten konstanter Dicke. t dy Am dy

τ 2y τ (y)= τmax t

y

h

z

Abb. 7.13 Querschnittssegment und seine Idealisierung.

7.5 Stäbe mit offenen dünnwandigen Querschnitten

227

in Abb. 7.13, links, angedeutet ist. Die Wanddicke eines solchen Hohlquerschnitts betrage dy. Da wir davon ausgehen, dass die Dicke t des betrachteten Segments hinreichend klein ist, können wir (ähnlich wie beim Vollkreisquerschnitt) davon ausgehen, dass die Schubspannung linear über die Dicke verteilt ist und ausschließlich in z-Richtung verläuft, wobei sie ihren Maximalwert max am Querschnittsrand erreicht. Das ist in Abb. 7.13, Mitte, dargestellt. Die sich eigentlich am oberen und unteren Ende des Segments einstellende Umlaufwirkung der Schubspannung infolge Torsion wird wegen der Annahme t  h nicht betrachtet. Wir gehen also von einer Anzahl von Teilquerschnitten aus, die wie in Abb. 7.13, rechts, gezeigt vollständig über die Höhe h des Segments verlaufen. Setzen wir ausreichend kleine Werte für dy voraus, dann können wir davon ausgehen, dass die Schubspannung in jedem dieser Teilquerschnitte konstant ist, so wie in Abb. 7.13, rechts, dargestellt. Jeder dieser Teilquerschnitte umschließt die Teilfläche Am D 2yh. Mit Hilfe der 1. Bredtschen Formel (7.33) ergibt sich mit dem Teilschubfluss dTs D .y/dy das zugehörige anteilige Torsionsmoment, das über den betrachteten Teilquerschnitt übertragen wird: (7.60) dMx D 2Am dTs : Mit .y/ D max und Am D 2yh ergibt sich: dMx D

2y t

8y 2 hmax dy: t

Integration über den Querschnitt von y D 0 bis y D Mx D

(7.61)

t 2

1 max ht 2 : 3

(7.62)

liefert: (7.63)

Verwenden des Torsionswiderstandsmoments WT D

1 2 ht 3

(7.64)

führt auf die maximale Schubspannung wie folgt: max D

Mx : WT

(7.65)

Ganz genauso kann ein Ausdruck für das Torsionsträgheitsmoment gefunden werden. Wir verwenden hierzu die 2. Bredtsche Formel (7.54) und wenden diese auf den Teilquerschnitt der Abb. 7.13 an. Für das anteilige Trägheitsmoment dIT ergibt sich: dIT D 8hy 2 dy:

(7.66)

228

7

t(s)

τ s (s)

Torsion

t(s)

τ s (s)

s τ s (s)

s τ s (s)

τ s (s)

x

Mx

τ s (s)

τ s (s)

x

Mx

τ s (s)

Abb. 7.14 Schubspannungsverteilung an einem beliebigen geschlossenen und einem ähnlichen offenen Querschnitt.

Aufintegrieren über den gesamten Querschnitt führt auf das Torsionsträgheitsmoment IT : t

Z2 IT D

IT dy D 0

1 3 ht : 3

(7.67)

Damit liegt das Torsionsträgheitsmoment IT für den dünnen Rechteckquerschnitt mit der Dicke t und der Höhe h vor mit dem Wert IT D 13 ht 3 . Offenbar besteht ein maßgeblicher Unterschied zwischen einem offenen Querschnitt und einem geschlossenen Querschnitt, was die Spannungsverteilungen über die Querschnittsdicke betrifft. Das ist in Abb. 7.14 dargestellt. Hierbei wird der beliebige Querschnitt der Abb. 7.7 (in Abb. 7.14, links, erneut dargestellt) mit einem identischen Querschnitt verglichen, der aber durch einen Schnitt in Längsrichtung in einen offenen Querschnitt umgewandelt wurde (Abb. 7.14, rechts). Bei einem offenen Querschnitt verlaufen die Schubspannungen s .s/ infolge Torsion linear über die Wanddicke und nehmen am Rand der Wandung ihre Maximalwerte an. Sie erreichen also ihr Maximum an derjenigen Stelle des Querschnitts, an der die Wanddicke maximal ist, also bei t D tmax . Das steht im Gegensatz zum geschlossenen Querschnitt, bei dem die maximale Schubspannung dort erreicht wird, wo die kleinste Wanddicke t D tmin vorliegt. Wir betrachten nun zusammengesetzte dünnwandige offene Querschnitte, so wie in Abb. 7.12 gezeigt. Aufgrund der Annahme, dass sich die Querschnitte weder in Form noch in ihren Abmessungen aufgrund Torsion ändern, können wir davon ausgehen, dass sämtliche Querschnittsteile die gleiche Verdrehung # und Verdrillung # 0 durchlaufen. Wir können für den Teilquerschnitt i schreiben: #i0 D

Mx;i D # 0: GIT;i

(7.68)

7.5 Stäbe mit offenen dünnwandigen Querschnitten

229

Gleiches gilt auch für den Gesamtquerschnitt: #0 D

Mx ; GIT

(7.69)

bzw. umgeformt: Mx D GIT # 0 :

(7.70)

Das gesamte Torsionsmoment Mx setzt sich aus den Teilmomenten der Teilquerschnitte zusammen: n n n X X X Mx;i D # 0 GIT;i D # 0 GIT;i : (7.71) Mx D i D1

i D1

i D1

Setzt man (7.70) und (7.71) gleich, dann erhält man: 0

GIT # D #

0

n X

GIT;i ;

(7.72)

i D1

bzw. nach Kürzen der Verdrillung # 0 : GIT D

n X

GIT;i :

(7.73)

i D1

Die Torsionssteifigkeit GIT eines aus mehreren Segmenten zusammengesetzten Querschnitts ergibt sich demnach durch das Addieren der einzelnen Beiträge GIT;i der Teilsegmente des Querschnitts. Beispiel 7.2

Ein einfaches Beispiel ist der Querschnitt der Abb. 7.15. Betrachtet werde ein I-Querschnitt, bei dem sich das Torsionsträgheitsmoment IT aus der Summe der einzelnen Beiträge der Teilsegmente ergibt: IT D

n X i D1

n

IT;i D

1X 3 li t : 3 i D1 i

Abb. 7.15 Schubspannungen infolge Torsion am I-Querschnitt.

(7.74)

t

τ s (s)

t h

Mx

t

b

b

230

7

Torsion

Hierin ist li die Länge des Segments i, ti ist die zugehörige Wanddicke. Es ergibt sich am Beispiel das folgende Torsionsträgheitsmoment: IT D

1 .4b C h/t 3 : 3

(7.75)

Der sich einstellende Verlauf der Schubspannungen infolge Torsion an diesem I-Querschnitt ist in Abb. 7.15, rechts, qualitativ dargestellt. J Beispiel 7.3

Betrachtet werde das Kreisringprofil der Abb. 7.16 mit der konstanten Dicke t und dem Radius Rm bezüglich der Skelettlinie. Das Profil werde einmal als ein geschlossener Querschnitt und einmal als offener Querschnitt betrachtet, und anhand dieses Beispiels sollen wesentliche Unterschiede im Tragverhalten bezüglich Torsion herausgearbeitet werden. Es werden zunächst die Torsionsträgheitsmomente IT für beide Querschnitte berechnet. Am Beispiel des geschlossenen Querschnitts ergibt sich mit (7.56):  2 2 t 4 Rm 4A2m t 3 D 2Rm t: D IT D U 2Rm

(7.76)

Für den offenen Querschnitt folgt mit (7.67): IT D

1 3 1 2 ht D .2Rm /t 3 D Rm t 3 : 3 3 3

(7.77)

Wir bilden nun das Verhältnis dieser Werte und erhalten: 3 t 2Rm

2 3

Rm t 3

 D3

Rm t

2 :

(7.78)

Es zeigt sich, dass das Torsionsträgheitsmoment IT des geschlossenen Querschnitts um den Faktor 3. Rtm /2 höher ausfällt als das Torsionsträgheitsmoment des offenen Querschnitts. Bei vielen Querschnitten in der praktischen Anwendung wird es sich um dünnwandige Querschnitte handeln, bei denen die Wanddicke t signifikant kleiner ist als der Radius Rm . Aus diesem Grund wird der Unterschied zwischen den beiden Torsionsträgheitsmomenten in vielen technisch relevanten Fällen signifikant sein.

Abb. 7.16 Geschlossenes und offenes Kreisringprofil.

t

Mx

τ s (s)

Rm

t

Mx

Rm

τ s (s)

7.6 Schnittgrößenermittlung

231

Auf ganz ähnlichem Wege wollen wir den Unterschied in den sich einstellenden Schubspannungen infolge Torsion untersuchen. In beiden Fällen berechnet sich die x . Das Torsionswiderstandsmaximale Schubspannung mit Hilfe der Formel max D M WT moment WT ergibt sich am geschlossenen Querschnitt als: 2 t: WT D 2Am tmin D 2Rm

(7.79)

Für den offenen Querschnitt ergibt sich mit (7.64): WT D

1 2 2 ht D Rm t 2 : 3 3

(7.80)

Setzt man die maximalen Schubspannungen ins Verhältnis, dann erhält man: 2

Rm t 2 max;g 1 t D 3 : D 2t max;o 2Rm 3 Rm

(7.81)

Die maximalen Schubspannungen am offenen Querschnitt sind damit um den Faktor 3 Rtm größer als im Falle des geschlossenen Querschnitts. J

7.6 Schnittgrößenermittlung Wir betrachten das Konstitutivgesetz gemäß (7.22): Mx D GIT # 0 :

(7.82)

Das Gleichgewicht an einem infinitesimalen Schnittelement des Stabes (Abb. 7.17) ergibt x dx: die folgende Gleichgewichtsbedingung mit dMx D dM dx dMx D Mx0 D mT : dx

(7.83)

Die erste Ableitung des Torsionsmomentes Mx entspricht also der negativen streckenhaft verteilten Torsionsbelastung mT . Setzt man dies in das Konstitutivgesetz (7.82) ein, dann mT

Mx

mT

Mx + dM x

x

dx l

Abb. 7.17 Freikörperbild am infinitesimalen Schnittelement des Torsionsstabs.

232

7

Torsion

erhält man: .GIT # 0 /0 D mT :

(7.84)

Im Falle eines prismatischen Stabes mit über x unveränderlicher Torsionssteifigkeit GIT folgt daraus: (7.85) GIT # 00 D mT : Aus (7.84) bzw. (7.85) kann man dann durch einfache bzw. zweifache Integration der Belastung mT die Verdrillung # 0 bzw. das Torsionsmoment Mx sowie die Querschnittsverdrehung bestimmen: .GIT # 0 /0 D mT ; 0

Z

GIT # D Mx D  mT dx C C1 ; “ GIT # D  mT dxdx C C1 x C C2 :

(7.86)

Die Konstanten C1 und C2 werden aus vorgegebenen Randbedingungen bestimmt. Eine Auswahl typischer Randbedingungen ist in Abb. 7.18 gezeigt. Im Falle einer Gabellagerung an der Stelle x D 0 (Abb. 7.18, links) ist der Querschnitt an einer Verdrehung # gehindert. Damit gilt: #.x D 0/ D 0: (7.87) Liegt der Fall vor, dass der Stab keinerlei Lagerung an der Stelle x D 0 unterliegt (Abb. 7.18), dann verschwindet dort das Torsionsmoment Mx : Mx .x D 0/ D 0:

(7.88)

Aufgrund der Beziehung (7.82) ist das gleichbedeutend damit, dass an dieser Stelle die Verdrillung # 0 verschwindet, d. h. es gilt: # 0 .x D 0/ D 0:

(7.89)

An einem freien Stabende, an dem ein Torsionsmoment Mx;0 vorliegt, muss das Torsionsmoment Mx dem angebrachten Torsionsmoment Mx;0 entsprechen: Mx .x D 0/ D Mx;0 : Mx x

Mx x

(7.90)

Mx,0

Mx x

Abb. 7.18 Typische Randbedingungen des Torsionsstabs an der Stelle x D 0: Gabellagerung (links), freies Ende (Mitte), freies Ende mit Endmoment (rechts).

7.6 Schnittgrößenermittlung

233

Beispiel 7.4

Wir betrachten den in Abb. 7.19 dargestellten gabelgelagerten Träger konstanter Torsionssteifigkeit GIT unter der konstanten Torsionsbelastung mT . Gesucht werden die Verläufe des Torsionsmoments Mx .x/ und der Verdrehung #.x/. Um das Torsionsmoment Mx und die Verdrehung # des Querschnitts zu ermittlen verwenden wir den mit (7.86) hergeleiteten Lösungsweg. Es liegen die folgenden Randbedingungen vor: #.x D 0/ D 0;

#.x D l/ D 0:

(7.91)

Die erste Bedingung in (7.91) ergibt mit (7.86): C2 D 0:

(7.92)

Aus der zweiten Bedingung in (7.91) erhalten wir: C1 D

1 mT l: 2

(7.93)

Die Verdrehung des Querschnitts folgt damit als: #.x/ D

mT x .l  x/: 2GIT

(7.94)

 l x : 2

(7.95)

Das Torsionsmoment Mx resultiert als: Mx .x/ D mT



Die Zustandsgrößen sind in Abb. 7.19 graphisch dargestellt. Liegt eine konstante Belastung mT vor, dann sind das Torsionsmoment Mx linear und die Verdrehung quadratisch über x verteilt. J Abb. 7.19 Beidseitig gabelgelagerter Torsionsstab unter gleichförmiger Belastung mT (oben), resultierende Zustandsgrößen #.x/ und Mx .x/ (unten).

mT x

GIT l

ϑ (x) (+)

ϑ max=

mT l 2

(+)

mT l

2

8GIT (-)

Mx (x) mT l 2

234

7

Torsion

Beispiel 7.5

Wir betrachten den in Abb. 7.20 dargestellten gabelgelagerten Stab unter dem Einzelmoment MT;0 . Der Stab weise in den Abschnitten der Längen l1 und l2 abschnittsweise konstante Torsionssteifigkeiten GIT;1 bzw. GIT;2 auf. Wir wollen den Verlauf des Torsionsmoments Mx über die Stablänge ermitteln. Zur Lösung führen wir die beiden Längsachsen x1 und x2 wie in Abb. 7.20 gezeigt ein. Aus (7.86) ergibt sich dann für den Abschnitt 0  x1  l1 : GIT;1 #100 D mT;1 ; GIT;1 #10 D Mx D mT;1 x1 C C1 ; 1 GIT;1 #1 D  mT;1 x12 C C1 x1 C C2 : 2

(7.96)

Im Abschnitt 0  x2  l2 ergibt sich: GIT;2 #200 D mT;2 ; GIT;2 #20 D Mx D mT;2 x2 C C3 ; 1 GIT;2 #2 D  mT;2 x22 C C3 x2 C C4 : 2

(7.97)

In (7.96) und (7.97) sind die Ausdrücke mT;1 und mT;2 null. Aus den Rand- und Übergangsbedingungen lassen sich die Konstanten C1 ; : : :; C4 ermitteln. Es gilt: #1 .x1 D 0/ D 0; #1 .x1 D l1 / D #2 .x2 D 0/; Mx;1 .x1 D l1 / D Mx;2 .x2 D 0/ C MT;0 ; #2 .x2 D l2 / D 0:

Abb. 7.20 Beidseitig gabelgelagerter Torsionsstab unter Einzelmoment MT;0 (oben), Verlauf des Torsionsmoments Mx .x/ (unten).

(7.98)

MT,0 x1

x2

GIT,1

GIT,2

l1 Mx (x1) =MT,0 -

l2 MT,0 l1 l1+l2GIT,1 GIT,2

(+)

Mx

(-)

Mx (x2) = -

MT,0 l1 l1+l2GIT,1 GIT,2

7.6 Schnittgrößenermittlung

235

Das sich daraus ergebende Gleichungssystem führt nach kurzer Rechnung auf die Konstanten C1 ; : : :; C4 : 0

1

B B C1 D MT;0 B1  @

l1 C l2

MT;0 l1

C3 D 

l1 C l2

C C C; C2 D 0; GIT;1 A

l1

GIT;1

GIT;2

;

MT;0 l1 l2

C4 D

l1 C l2

GIT;2

:

(7.99)

:

(7.100)

GIT;1 GIT;2

Die Momentenlinie Mx lässt sich daraus bestimmen als: 0

1

B B Mx;1 D MT;0 B1  @

C C C; GIT;1 A

l1 l1 C l2

MT;0 l1

Mx;2 D 

l1 C l2

GIT;2

GIT;1 GIT;2

Die Verteilung von Mx ist in Abb. 7.20 dargestellt. J

Beispiel 7.6

Gegeben sei der Kragarm der Abb. 7.21 (Länge 2l, konstante Torsionssteifigkeit GIT ), der durch zwei Einzeltorsionsmomente MT;0 belastet werde. Gesucht wird die maximale Schubspannung max im gegebenen dünnwandigen Rechteckquerschnitt. Wie groß ist die Verdrehung des Querschnitts an der Stelle x D 2l? Außerdem ist zu ermitteln, wie MT,0

t

x

MT,0

l

t

2t

l

2a (+)

Rm

Mx

MT,0 2MT,0 a

Abb. 7.21 Kragarm unter zwei Einzelmomenten MT;0 (oben), Verlauf des Torsionsmoments Mx .x/ (unten), betrachtete Querschnitte (rechts).

236

7

Torsion

groß das Verhältnis Ram sein muss, wenn der Rechteckquerschnitt durch einen Kreisquerschnitt mit dem Radius Rm und der konstanten Wanddicke t ersetzt wird und die maximale Schubspannung  gleich bleiben soll. Wie groß ist Ram , wenn die Endverdrehung #.x D 2l/ gleich bleiben soll? Für den gegebenen Rechteckquerschnitt ergibt sich die maximale Schubspannung max als: 2MT;0 2MT;0 2MT;0 MT;0 max D D D : (7.101) D WT 2Am tmin 2  .2a  a/  t 2ta2 Zur Ermittlung der Verdrehung des Endquerschnitts bei x D 2l wird das Torsionsträgheitsmoment IT benötigt. Es lässt sich aus der 2. Bredtschen Formel ermitteln als: 4A2m 4.2a  a/2 ! D 4a3 t: D IT D I ds a 2a 2 C t.s/ t 2t

(7.102)

Die gesuchte Verdrehung ergibt sich aus der Addition der Verdrehungen der beiden Teilstücke 0  x  l und l  x  2l des Stabes: #.x D 2l/ D

MT;0 l 3MT;0 l 2MT;0 l C D : GIT GIT 4Ga3 t

(7.103)

Um das Verhältnis Ram zu bestimmen, das einzuhalten ist, wenn sich für den Kreisquerschnitt die gleiche maximale Schubspannung einstellen soll, wird zunächst das Torsionswiderstandsmoment WT des Kreisquerschnitts ermittelt: 2 t: WT D 2Am tmin D 2Rm

(7.104)

Damit ergibt sich die maximale Schubspannung am Kreisquerschnitt als: max D

2MT;0 MT;0 D : 2 2t 2Rm t Rm

(7.105)

Gleichsetzen mit (7.101) ergibt: Rm D a

r

2 : 

(7.106)

Zur Bestimmung des Verhältnisses Ram so, dass sich für den Kreisquerschnitt die gleiche Endverdrehung #.x D 2l/ einstellt wie am Rechteckquerschnitt, wird zunächst das Torsionsträgheitsmoment des Kreisquerschnitts berechnet. Es folgt als: 3 t: IT D 2Rm

(7.107)

7.6 Schnittgrößenermittlung

237

Damit kann die Endverdrehung #.x D 2l/ ermittelt werden als: #.x D 2l/ D

3MT;0 l 3MT;0 l D : 3t GIT 2GRm

(7.108)

Gleichsetzen mit (7.103) ergibt: Rm D a

r 3

2 : 

(7.109) J

Beispiel 7.7

Betrachtet werde der beidseitig gabelgelagerte Stab der Länge 2l (Abb. 7.22), der durch den Torsionsmomentenfluss mT belastet werde. Im Bereich 0  x1  l liege die Torsionssteifigkeit GIT;1 vor, im Bereich 0  x2  l betrage die Torsionssteifigkeit GIT;2 . Gesucht werden das Torsionsmoment Mx und die Verdrehung #. Wir lösen das gegebene Problem durch Integration. Für 0  x1  l folgt: GIT;1 #100 D mT ; GIT;1 #10 D Mx;1 D mT x1 C C1 ; 1 GIT;1 #1 D  mT x12 C C1 x1 C C2 : 2

(7.110)

Im Abschnitt 0  x2  l2 gilt: GIT;2 #200 D mT ; GIT;2 #20 D Mx;2 D mT x2 C D1 ; 1 GIT;2 #2 D  mT x22 C D1 x2 C D2 : 2

(7.111)

Die hier anzusetzenden Rand- und Übergangsbedingungen lauten: #.x1 D 0/ D 0;

#.x2 D l/ D 0;

Mx;1 .x1 D l/ D Mx;2 .x2 D 0/;

Abb. 7.22 Beidseitig gabelgelagerter Stab unter Torsionsmomentenfluss mT .

#1 .x1 D l/ D #2 .x2 D 0/:

(7.112)

mT x1

GIT,1 l

x2

GIT,2 l

238

7

Torsion

Aus der ersten Bedingung folgt umgehend C2 D 0. Die drei verbleibenden Bedingungen führen auf das folgende lineare Gleichungssystem für die Konstanten C1 , D1 und D2 : 1  mT l 2 C D1 l C D2 D 0; 2 mT l C C1 D D1 ;   1 1 1 2 D2 :  m T l C C1 l D GIT;1 2 GIT;2

(7.113)

Auflösen ergibt nach einigen elementaren Rechenoperationen:

C1 D

mT l 2

3C 1C

GIT;2 GIT;1 ; GIT;2 GIT;1

0

1

GIT;2

3C C mT l B GIT;1 C B  2C; B A 2 @ GIT;2 1C GIT;1 0 1 GIT;2 3C mT l 2 B GIT;1 C B C D2 D 3  B C: 2 @ GIT;2 A 1C GIT;1

D1 D

(7.114)

Damit lassen sich die gesuchten Momentenverläufe angeben als: 0 B l B Mx;1 D mT Bx1  @ 2 0 Mx;2 D 

3C 1C

GIT;2

1

GIT;1 C C C; GIT;2 A GIT;1 GIT;2

1

3C C mT l B GIT;1 C B x2 C 2C: B2  A 2 @ l GIT;2 1C GIT;1

(7.115)

7.6 Schnittgrößenermittlung

239

Die Verdrehungen in den beiden Teilbereichen folgen zu: 2  mT l 2 6 6 x1 2 x1 #1 D   6 2GIT;1 4 l l 2 #2 D 

3C 1C 0

GIT;2

3

GIT;1 7 7 7; GIT;2 5 GIT;1 GIT;2

1

GIT;2

3

3C C B 3 C GI  mT l 2 6 GIT;1 7 C 6 x2 2 x2 B 7 T;1  B  2C  3 C 6 7: A 2GIT;2 4 l l @ GIT;2 GIT;2 5 1C 1C GIT;1 GIT;1

(7.116) J

8

Energiemethoden

Energiemethoden eignen sich sehr gut dazu, sowohl Verformungen als auch statische Zustandsgrößen wie Kräfte und Momente in elastischen Strukturen zu ermitteln. Nach einer kurzen Einführung in die Begriffe der Arbeit und der Energie werden die Begriffe der Verzerrungsenergie und der komplementären Verzerrungsenergie für Stäbe und Balken eingeführt. Danach wird der Arbeitssatz der Statik dazu verwendet, um Formänderungen an Stab- und Balkenstrukturen unter kombinierten Belastungen zu ermitteln. Ein weiterer wesentlicher Abschnitt dieses Kapitels betrifft das sog. Prinzip der virtuellen Kräfte, aus dem sich das sehr nützliche Einheitslast-Theorem zur zweckmäßigen Bestimmung von Verschiebungen und Verdrehungen von Tragwerken herleiten lässt. Formalisiert ist diese Vorgehensweise auch als das sog. Kraftgrößenverfahren bekannt, und es wird gezeigt, wie sich das Kraftgrößenverfahren zur Analyse von Formänderungen, aber auch von statisch unbestimmten Tragwerken einsetzen lässt. Bei Anwendung auf mehrfach statisch unbestimmte Systeme kommen auch die sog. Reziprozitätstheoreme, hier in Form der Sätze von Betti und von Maxwell, zur Anwendung. Die Studierenden sollen in die Lage versetzt werden, die bereitgestellten Energiemethoden auf die Analyse von statisch bestimmten und statisch unbestimmten Systemen anzuwenden.

8.1 Arbeit und Energie 8.1.1 Grundlegendes Wir gehen im Folgenden stets von sog. konservativen Kräften aus. Es handelt sich dabei um Kräfte, bei denen die durch sie verrichtete Arbeit W nur vom Anfangs- und Endpunkt ihrer Bewegung abhängt, nicht jedoch vom zurückgelegten Weg. Alle folgenden Ausführungen setzen elastisches Materialverhalten voraus. Abb. 8.1 zeigt ein Partikel unter einer Kraft F , das durch die Einwirkung der Kraft um das Maß u in Wirkungsrichtung der Kraft F verschoben wird. Die hierbei verrichtete © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2022 C. Mittelstedt, Technische Mechanik 2: Elastostatik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66432-2_8

241

242

8 Energiemethoden

Abb. 8.1 Verschiebung eines Partikels unter der Kraft F um den Weg u in Wirkungsrichtung der Kraft.

F

F

u

Arbeit W entspricht der Kraft F , multipliziert mit dem zurückgelegten Weg u: W D F u:

(8.1)

Dieses sehr einfache Ergebnis folgt aus der Tatsache, dass wir stillschweigend vereinbart haben, dass die Kraft F über den zurückgelegten Weg u unveränderlich bleibt und dass die Verschiebung u genau in Wirkungsrichtung der Kraft F weist. Wir wollen diese Betrachtungen nun allgemeiner fassen und betrachten die Situation der Abb. 8.2. Dargestellt ist ein Partikel unter der Kraft F D .Fx ; Fy ; Fz /T , das sich auf einer räumlichen Bahnkurve mit dem Ortsvektor r D .rx ; ry ; rz /T von einem Punkt A zu einem Punkt B bewegt. Die zu den Punkten A und B gehörenden Ortsvektoren seien rA bzw. r B . Die Kraft F sei ortsabhängig, was bedeutet, dass F an verschiedenen Positionen auf der Bahnkurve unterschiedliche Beträge und Wirkungsrichtungen aufweisen kann. Das Arbeitsinkrement dW , das von der Kraft F D .Fx ; Fy ; Fz /T entlang eines Verschiebungsinkrements du D .du; dv; dw/T geleistet wird, können wir wie folgt als das Skalarprodukt aus F und du angeben: dW D F du D Fx du C Fy dv C Fz dw:

(8.2)

Die gesamte Arbeit, die von F auf der Bahnkurve zwischen den Punkten A und B geleistet wird, folgt dann als die Summe aller Arbeitsinkremente. Es ist also das Integral über das Skalarprodukt F du zu bilden: ZB W D F du: (8.3) A

Abb. 8.2 Partikel unter der Kraft F auf einer räumlichen Bahnkurve zwischen den Punkten A und B.

F

z A rA

dr=du

r r+dr

rB

x

y

B

8.1 Arbeit und Energie

243

Die Arbeit ist eine skalare Größe. Sie wird in Newtonmetern1 [Nm] bzw. in Joule [J] angegeben2 , wobei 1 Nm = 1 J gilt. Das Joule ist die SI-Einheit für Arbeit und Energie: 1J D 1

kg  m2 : s2

(8.4)

Liegt ein Moment M D .Mx ; My ; Mz /T vor, das einer Verdrehung ' D .'x ; 'y ; 'z /T ausgesetzt wird, dann ist die Vorgehensweise ganz analog. Das Arbeitsinkrement dW , das von dem Moment M entlang der Verdrehung d' D .d'x ; d'y ; d'z /T geleistet wird, beläuft sich dann auf: dW D M d' D Mx d'x C My d'y C Mz d'z : (8.5) Die gesamte Arbeit, die zwischen einer Anfangsverdrehung 'A und einer Endverdrehung 'B geleistet wird, ergibt sich als: Z'B W D

M d':

(8.6)

'A

Nachfolgend seien einige Arten der mechanischen Arbeit kurz näher betrachtet. Wir betrachten zunächst die sog. Hubarbeit, die dann geleistet wird, wenn ein Gegenstand der Masse m entgegen dem Schwerefeld der Erde um das Maß h angehoben wird. Das ist in Abb. 8.3 dargestellt. Die Hubarbeit, die hier geleistet wird, kann man aus (8.3) herleiten, indem die Integralgrenzen A und B durch die Werte 0 und h ersetzt werden und der Kraftvektor F belegt wird als F D .mg; 0; 0/T D const. Es folgt: WHub D mgh:

(8.7)

Für dieses elementar einfache Beispiel beläuft sich die geleistete Arbeit auf die Gewichtskraft mg, multipliziert mit dem zurückgelegten Weg h. Eine weitere Art der Arbeit ist die sog. Reibungsarbeit, die dann geleistet wird, wenn ein Körper auf einer rauhen Unterlage mit Reibungskoeffizient um eine Strecke s verschoben wird (Abb. 8.4). Hierbei muss die Reibkraft FR überwunden werden, die der Abb. 8.3 Zum Begriff der Hubarbeit.

g

h

m

1 2

Isaac Newton, 1642–1726, englischer Wissenschaftler. James Prescott Joule, 1818–1889, englischer Physiker.

244

8 Energiemethoden s

Abb. 8.4 Zum Begriff der Reibungsarbeit.

FR= μF F

Abb. 8.5 Zur Spannarbeit: Längenänderung u einer durch die Kraft F belasteten Feder mit der Steifigkeit k.

F k u

F

WS u

mit dem Reibkoeffizienten multiplizierten Kraft F entspricht, die der Körper auf die Unterlage ausübt. Die hierbei geleistete Reibungsarbeit ergibt sich dann als: WReib D FR s D F s;

(8.8)

wie man sich leicht anhand von (8.3) überzeugen kann. Als letztes Beispiel sei die Spannarbeit betrachtet, die beim Spannen einer linear elastischen Feder geleistet wird. In Abb. 8.5 ist eine solche Wegfeder (Federkonstante k) dargestellt, die durch eine Zugkraft F belastet werde. Diejenige Spannarbeit, die geleistet wird, wenn die Feder aus ihrem unbelasteten Zustand auf die Längung u gespannt wird und damit die Kraft F während des Verformungsvorganges vom Wert 0 auf ihren Endwert F gesteigert wird, folgt mit dem linear elastischen Federgesetz F D ku aus (8.3): Zu WS D

Zu F duO D

0

k ud O uO D 0

1 2 1 ku D F u: 2 2

(8.9)

Damit entspricht die Spannarbeit der Fläche unterhalb der Linie im in Abb. 8.5, rechts, dargestellten Kraft-Verschiebungs-Diagramm.

8.1.2 Innere und äußere Arbeit Für ein Festkörperproblem der Elastostatik ist nach der äußeren Arbeit Wa einerseits und der inneren Arbeit Wi andererseits zu unterscheiden. Äußere Arbeiten Wa sind diejenigen Arbeiten, die durch die auf einen Festkörper wirkenden äußeren Lasten entlang der Verschiebungen des Körpers geleistet werden. Betrachtet man das Beispiel der linear elastischen Wegfeder der Abb. 8.5, dann ist die geleistete Spannarbeit WS gemäß (8.9) eine äußere Arbeit. Die auf einen Körper wirkenden Belastungen verursachen einen Spannungszustand im Inneren des Körpers. Innere Arbeiten Wi sind also diejenigen Arbeiten, die die inneren

8.1 Arbeit und Energie

245

Kraftgrößen entlang der Verschiebungen der Körperpunkte leisten. Am Beispiel der bereits betrachteten linear elastischen Wegfeder ist das besonders einfach zu illustrieren. Hier wird die außen wirkende Zugkraft F eine innere Federkraft mit dem Betrag F hervorrufen, und das innere Arbeitsinkrement dWi ist somit das Produkt aus innerer Kraft F und Weginkrement du: (8.10) dWi D F du: Die gesamte innere Arbeit Wi ergibt sich dann aus der Summe aller Arbeitsinkremente dWi , d. h.: Zu Wi D F du: O (8.11) 0

Liegt eine linear-elastische Wegfeder mit dem Federgesetz F D ku vor, dann ergibt sich: Zu Wi D

k ud O uO D 0

1 2 1 ku D F u: 2 2

(8.12)

Es gilt somit Wi D Wa , d. h. innere Arbeit und äußere Arbeit sind identisch. An dieser Stelle führen wir den Begriff der sog. Verzerrungsenergie bzw. der inneren Energie ˘i ein. Liegt nämlich eine elastische Struktur vor, oder gar, wie schon am Beispiel der Wegfeder der Abb. 8.5 diskutiert, eine linear elastische Struktur, dann wird die innere Arbeit Wi vollständig im betrachteten Festkörper als innere Energie bzw. als Verzerrungsenergie ˘i gespeichert und kann bei Entlastung des Körpers vollständig wiedergewonnen werden. Gebräuchlich ist auch der Begriff des Potentials ˘i .

8.1.3 Arbeitssatz Der Arbeitssatz der Elastostatik besagt, dass die äußere Arbeit Wa , die die gegebenen Lasten auf einem Festkörpers leisten, bei einem konservativen System vollständig in innere Arbeit Wi umgesetzt wird. Es gilt demnach: Wi D Wa :

(8.13)

Daraus folgt gleichzeitig, dass die geleistete innere Arbeit Wi als innere Energie bzw. als Verzerrungsenergie im betrachteten Festkörper gespeichert wird und bei Entlastung des Körpers vollständig wiedergewonnen werden kann. Es gilt also: ˘i D Wa :

(8.14)

Dieser Zusammenhang wird auch als Arbeitssatz der Elastostatik bezeichnet und hat vielfältige Anwendungen. Der Arbeitssatz hat Gültigkeit für jedes beliebige reibungsfreie elastische in sich abgeschlossene System. Er sagt zugleich aus, dass in einem solchen System keine Energie verloren gehen kann.

246

8 Energiemethoden

8.2 Verzerrungsenergie und komplementäre Verzerrungsenergie 8.2.1 Der Stab Wir betrachten den homogenen Stab der Abb. 8.6 (Querschnittsfläche A, Elastizitätsmodul E) unter einer Zugnormalkraft N . Im Stab wirke die Normalspannung xx D NA , sie ist gleichmäßig über den Querschnitt verteilt. Der Stab sei elastisch, aber nicht notwendigerweise linear elastisch. Wir schneiden gedanklich ein infinitesimales Schnittelement der Länge dx aus dem Stab heraus und untersuchen dessen Verformungsverhalten. Am negativen Schnittufer liege die Verschiebung u vor, am positiven Schnittufer tritt die Verdu dx D u C u0 dx D u C "xx dx auf. Die Normalspannung xx leistet ein schiebung u C dx Arbeitsinkrement entlang der infinitesimalen Dehnung d"xx in Höhe von xx Ad"xx dx. Mit dV D Adx folgt xx d"xx dV . Es sei an dieser Stelle die Abkürzung dU0 D xx d"xx eingeführt, und dann ergibt sich daraus dU0 dV . Die Größe dU0 ist die sog. inkrementelle Verzerrungsenergiedichte, sie ist in dem Spannungs-Dehnungs-Diagramm der Abb. 8.7, links oben, dargestellt.

Abb. 8.6 Zugstab (oben), infinitesimales Schnittelement (unten) im unverformten und verformten Zustand.

Querschnittsfläche A

N

N

x

xx

xx

u u+du=u+ du dx dx =u+ xx dx

dx

Abb. 8.7 SpannungsDehnungs-Diagramm mit Verzerrungsenergiedichte U0 und komplementärer Verzerrungsenergiedichte UN 0 (links), KraftVerschiebungs-Diagramm mit Verzerrungsenergie Wi und komplementärer Verzerrungsenergie WN i (rechts) am Beispiel des Zugstabs; elastisches Materialverhalten (oben) und der Sonderfall der linearen Elastizität (unten)

F Wi = Π i U0 U0 Wi = Π i

dU0

u

d F Wi = Π i U0 U0 dU0

d

Wi = Π i

u

8.2 Verzerrungsenergie und komplementäre Verzerrungsenergie

247

Auf die Verzerrungsenergiedichte U0 wird man geführt, indem dU0 über den gesamten Dehnungsverlauf "xx bis hin zum gewünschten Dehnungsmaß integriert wird: Z"xx U0 D

xx dO"xx :

(8.15)

0

Die Verzerrungsenergiedichte U0 ist die Fläche unterhalb der Arbeitslinie der Abb. 8.7, links oben. Liegt der Spezialfall der linearen Elastizität vor, dann folgt mit dem Hookeschen Gesetz xx D E"xx und mit der kinematischen Beziehung "xx D u0 der nachfolgende Ausdruck für die Normalspannung xx : xx D E"xx D Eu0 :

(8.16)

Die Normalkraft N des Stabes folgt aus der Integration der Normalspannung xx über die Querschnittsfläche A: Z Z Z 0 0 dA D EAu0 : (8.17) N D xx dA D Eu dA D Eu A

A

A

0

Auflösen nach u ergibt:

N : EA folgt aus (8.16) der bekannte Zusammenhang: u0 D

Für die Normalspannung xx

xx D Eu0 D

N : A

(8.18)

(8.19)

Die Verzerrungsenergiedichte U0 folgt dann als: Z"xx U0 D

Z"Oxx xx dO"xx D E

0

"xx dO"xx D 0

1 2 1 1 E"xx D xx "xx D Eu02 : 2 2 2

(8.20)

Bei der Verzerrungsenergiedichte handelt es sich um diejenige Energie pro Volumeneinheit, die in den Stab als Folge der Dehnung "xx eingebracht wurde. Im Falle eines elastischen Stabs, bei dem der Verformungszustand vollständig reversibel ist, ist es möglich, diese Energie wieder vollständig zurückzugewinnen und in Arbeit umzusetzen. Der hier auftretende Begriff der Dichte deutet an, dass die Verzerrungsenergie auf das Volumen des Schnittelements bezogen ist. Das Arbeitsinkrement dWi am infinitesimalen Schnittelement folgt, wenn man die Verzerrungsenergiedichte U0 mit dem Volumen dV multipliziert: Z"xx dWi D

xx dO"xx dV D U0 dV: 0

(8.21)

248

8 Energiemethoden

Die innere geleistete Arbeit Wi und damit die Verzerrungsenergie ˘i , die im Stab gespeichert ist, folgt aus der Integration über das Stabvolumen. Mit dV D Adx ergibt sich: Z l Z"xx Wi D

Zl xx dO"xx Adx D A

0

0

U0 dx D ˘i :

(8.22)

0

Die Verzerrungsenergie ˘i ist im Kraft-Weg-Diagramm der Abb. 8.7, rechts, für den allgemeinen Fall der Elastizität und für den Spezialfall der linearen Elastizität dargestellt. Sie ist jeweils die Fläche unter den dort gezeigten Arbeitslinien. Im Falle der linearen Elastizität erhalten wir für Wi bzw. ˘i : Z Wi D V

1 U0 dx D E 2

Zl 0

0 A 2 xx E2

Verwenden wir hierin u02 D "2xx D 1 Wi D EA 2

Zl Z

1 u dAdx D EA 2 02

N2 , E 2 A2

D

Zl

u02 dx D ˘i :

(8.23)

0

dann erhalten wir:

N2 1 dx D 2 2 E A 2

Zl 0

N2 dx D ˘i : EA

(8.24)

Sind sowohl die Normalkraft N als auch die Dehnsteifigkeit EA konstant, dann folgt: Wi D ˘i D

N 2l : 2EA

(8.25)

Aus ganz ähnlichen Überlegungen lässt sich die sog. komplementäre Verzerrungsenergiedichte ableiten: Zxx U0 D "xx dO xx : (8.26) 0

Aus der Abb. 8.7, links, kann gefolgert werden, dass U0 C U 0 D xx "xx

(8.27)

gelten muss. Für lineare Elastizität erhalten wir: U0 D

1 xx "xx : 2

(8.28)

Man kann dieses Ergebnis auch direkt aus der Abb. 8.7, links unten, folgern. Für den Fall der linearen Elastizität stellt die Arbeitslinie eine Gerade dar, und der Flächeninhalt oberhalb der Arbeitslinie ist genau der Wert für U 0 .

8.2 Verzerrungsenergie und komplementäre Verzerrungsenergie

249

Die innere komplementäre Arbeit W i bzw. die komplementäre Verzerrungsenergie ˘ i kann ermittelt werden als: Zxx dW i D

"xx dO xx dV D U 0 dV:

(8.29)

0

Integration über das Stabvolumen ergibt: Z l Zxx Wi D

Zl "xx dO xx Adx D A

0

0

U 0 dx D ˘ i :

(8.30)

0

Für den Spezialfall der linearen Elastizität erhalten wir: 1 Wi D 2

Zl 0

N2 dx D ˘ i : EA

(8.31)

Offenbar sind die Ausdrücke für Wi und W i bei linearer Elastizität identisch (vgl. Abb. 8.7, unten). Beispiel 8.1

Gegeben sei das durch die Einzelkraft F belastete Fachwerk der Abb. 8.8. Gesucht werden die Verzerrungsenergie ˘i sowie die komplementäre Verzerrungsenergie ˘ i . Die horizontalen Stäbe 1, 2, 4 und 5 weisen die Querschnittsflächen A1 und den Elastizitätsmodul E1 auf. Bei den vertikalen Stäben 3, 6 und 8 hingegen liegen die Werte A2 und E2 vor. Die Diagonalstäbe 7 und 9 weisen die Querschnittsfläche A3 und den Elastizitätsmodul E3 auf. Es liege lineare Elastizität vor, das Hookesche Gesetz sei uneingeschränkt gültig. Um die Aufgabe zu lösen bestimmen wir zunächst die Stabkräfte Ni (i D 1; 2; : : :; 9). Offenbar sind die Stäbe 1, 2 und 8 Nullstäbe, so dass: N1 D N2 D N8 D 0: Abb. 8.8 Fachwerk unter Einzelkraft F (links), Freikörperbilder (rechts).

(8.32) 4

5 l 6

7

N6 9

8

3

0

F N1 2

2

1

F 45°

l

l

F 2

N5 N7

250

8 Energiemethoden

Am linken Auflager (s. Freikörperbild der Abb. 8.8, rechts oben) ergibt sich die Stabkraft N6 als: F N6 D  : (8.33) 2 Dieses Ergebnis gilt aus Symmetriegründen auch für Stab 3: N3 D 

F : 2

(8.34)

Am Freikörperbild des oberen linken Knotens (Abb. 8.8, rechts unten) ergibt sich die vertikale Kräftesumme wie folgt: N7 sin.45ı / 

F D 0: 2

(8.35)

Hieraus ergibt sich die folgende Stabkraft N7 : F N7 D p : 2

(8.36)

Aus Symmetriegründen ergibt sich für die Stabkraft N9 das gleiche Ergebnis: F N9 D p : 2

(8.37)

Aus der horizontalen Kräftesumme folgt: N7 cos.45ı / C N5 D 0:

(8.38)

Wir können daraus die Stabkraft N5 ermitteln als: N5 D 

F : 2

(8.39)

Aus Gründen der Symmetrie gilt dieses Ergebnis auch für die Stabkraft N4 : N4 D 

F : 2

(8.40)

Es liegen an dieser Stelle sämtliche Stabkräfte vor, aus denen wir die Stabspannungen ermitteln können als: Nj : (8.41) xx;j D Aj Es folgt: xx;1 D xx;2 D 0; xx;4 D xx;5 D 

F ; 2A2 F Dp ; 2A3

xx;3 D xx;6 D  F ; xx;7 D xx;9 2A1

xx;8 D 0:

(8.42)

8.2 Verzerrungsenergie und komplementäre Verzerrungsenergie

251

Daraus können wir die Stabdehnungen "xx;j ermittelt als: "xx;j D

xx;j : Ej

(8.43)

Es folgt: "xx;1 D "xx;2 D 0; "xx;4 D "xx;5 D 

F ; 2E2 A2 F Dp ; 2E3 A3

"xx;3 D "xx;6 D  F ; "xx;7 D "xx;9 2E1 A1

"xx;8 D 0:

(8.44)

Damit lassen sich die Verzerrungsenergiedichten U0;j der Stäbe bestimmen als: U0;j D

1 xx;j "xx;j : 2

(8.45)

Es ergibt sich: U0;1 D U0;2 D 0;

U0;3 D U0;6 D

F2 ; 8E2 A22

F2 F2 ; U0;7 D U0;9 D ; 2 8E1 A1 4E3 A23

U0;4 D U0;5 D

U0;8 D 0:

(8.46)

Hieraus folgen die Verzerrungsenergien der einzelnen Stäbe als: Zlj Z

Z ˘i;j D

U0;j dVj D Vj

U0;j dAj dx D U0;j Aj lj :

(8.47)

0 Aj

Es folgt: ˘i;1 D ˘i;2 D 0; ˘i;4 D ˘i;5 D

F 2l ; 8E2 A2 p 2 2F l D ; 4E3 A3

˘i;3 D ˘i;6 D

F 2l ; ˘i;7 D ˘i;9 8E1 A1

˘i;8 D 0:

(8.48)

Die gesamte im vorliegenden Fachwerk gespeicherte Verzerrungsenergie folgt dann aus der Summe der Beiträge der einzelnen Stäbe: ˘i D

9 X j D1

˘i;j

F 2l D 2

p ! 2 1 1 C C : 2E1 A1 2E2 A2 E3 A3

(8.49)

252

8 Energiemethoden

Für den Spezialfall, dass alle Stäbe identische Dehnsteifigkeiten EA aufweisen, ergibt sich: p F 2l : (8.50) ˘i D .1 C 2/ 2EA Zur Ermittlung der komplementären Verzerrungsenergie bestimmen wir zunächst die komplementären Verzerrungsenergiedichten U 0;j der einzelnen Stäbe: 1 xx;j "xx;j ; 2

U 0;j D

(8.51)

was auf die folgenden Ausdrücke führt: U 0;1 D U 0;2 D 0; U 0;4 D U 0;5 D

U 0;3 D U 0;6 D

F2 ; 8E2 A22

F2 F2 ; U D U D ; 0;7 0;9 8E1 A21 4E3 A23

U 0;8 D 0:

(8.52)

Integration über das Stabvolumen führt auf die komplementäre Verzerrungsenergie: Zlj Z

Z ˘ i;j D

U 0;j dVj D Vj

U 0;j dAj dx D U 0;j Aj lj :

(8.53)

0 Aj

Also: ˘ i;1 D ˘ i;2 D 0; ˘ i;4 D ˘ i;5 D

F 2l ; 8E2 A2 p 2 2F l D ; 4E3 A3

˘ i;3 D ˘ i;6 D

F 2l ; 8E1 A1

˘ i;7 D ˘ i;9

˘ i;8 D 0:

(8.54)

Die komplementäre Verzerrungsenergie des gesamten Fachwerks ergibt sich als die Summe der Anteile der einzelnen Stäbe: ˘i D

9 X j D1

˘ i;j

F 2l D 2

p ! 1 2 1 C C : 2E1 A1 2E2 A2 E3 A3

(8.55)

Liegen identische Dehnsteifigkeiten EA in allen Stäben vor, dann ergibt sich: ˘ i D .1 C

p

2/

F 2l : 2EA

(8.56)

Da wir für dieses Beispiel lineare Elastizität vorausgesetzt haben, stimmt dieser Ausdruck mit der Verzerrungsenergie ˘i überein. J

8.2 Verzerrungsenergie und komplementäre Verzerrungsenergie

8.2.2

253

Der Euler-Bernoulli-Balken

Wir erweitern unsere Betrachtungen nun auf den Euler-Bernoulli-Balken unter einachsiger Biegung um die y-Achse bei gleichzeitiger Normalkraftwirkung, d. h. es liegen die Schnittgrößen N , Qz und My vor. Voraussetzung für einachsige Biegung ist, dass eine der Querschnittshauptachsen mit der z-Achse übereinstimmt und damit keine Doppelbiegung auftritt. Der Balken weise die Dehnsteifigkeit EA sowie die Biegesteifigkeit EIyy auf. Die im Folgenden auftretenden Flächenintegrale sind das Flächenträgheitsmoment Iyy sowie das statische Moment Sy und die Querschnittsfläche A: Z

Z

AD

dA;

Z

Sy D

A

zdA;

Iyy D

A

z 2 dA:

(8.57)

A

Das Verschiebungsfeld des Euler-Bernoulli-Balkens bei gleichzeitiger Stabwirkung lautet: uP D u  zP w 0 ;

wP D w:

(8.58)

Hierin ist P ein beliebiger Punkt des Querschnitts an einer beliebigen Stelle zP , u und w sind die Verschiebungen der Schwerpunktachse in x- und z-Richtung. Die Dehnung "xx kann wie folgt ermittelt werden: "xx D

duP D uP0 D u0  zP w 00 : dx

(8.59)

Die Normalspannung xx kann aus dem Hookeschen Gesetz xx D E"xx ermittelt werden als:   (8.60) xx D E u0  zw 00 ; wobei wir im Sinne der Allgemeingültigkeit der Ausführungen ab dieser Stelle die Indizierung bzgl. des Punktes P fallen lassen wollen. Die Normalkraft N folgt als: Z

Z xx dA D

N D A

Eu0 dA 

A

D Eu

0

Z

Ezw 00 dA

A

Z

dA  Ew A

00

Z zdA:

(8.61)

A

Da es sich voraussetzungsgemäß bei den Querschnittsachsen um die Hauptachsen handelt (d. h. es gilt Sy D 0) entfällt der zweite Term in (8.61), und es verbleibt: N D EAu0 :

(8.62)

254

8 Energiemethoden

Auf identischem Wege kann das Biegemoment M ermittelt werden: Z Z Z 0 My D xx zdA D Eu zdA  Ez 2 w 00 dA A

A

D Eu

0

Z

A

zdA  Ew 00

A

Z

z 2 dA:

(8.63)

A

Mit Sy D 0 und dem Flächenträgheitsmoment Iyy folgt: My D EIyy w 00 :

(8.64)

Setzt man (8.62) und (8.64) in (8.60) ein, dann ergibt sich der folgende Ausdruck für die Normalspannung xx : My N z: (8.65) C xx D A Iyy Die Verzerrungsenergiedichte U0 für den linear elastischen Euler-Bernoulli-Balken folgt zu: Z"xx Z"xx 2 1 1  (8.66) U0 D xx dO"xx D E "Oxx dO"xx D E"2xx D E u0  zw 00 : 2 2 0

0

Die Verzerrungsenergie ˘i folgt aus der Integration über das Balkenvolumen dV D dAdx: Z ˘i D V

1 U0 dV D 2

Zl Z

 E u02  2z u0w 00 C z 2 w 00 2 dAdx;

(8.67)

0 A

bzw. unter Berücksichtigung von Sy D 0: 1 ˘i D 2

Zl 0

1 EAu dx C 2 02

Zl

EIyy w 00 2 dx:

(8.68)

0

Dies kann durch die Normalkraft N und das Biegemoment My ausgedrückt werden als: 1 ˘i D 2

Zl 0

N2 1 dx C EA 2

Zl 0

My2 EIyy

dx:

(8.69)

Ebenso kann ein Schubanteil infolge der Schubspannung xz und der Schubverzerrung xz am inneren Potential ˘i formuliert werden: 1 ˘i D 2

Zl Z 0 A

1 xz xz dAdx D 2

Zl Z 0 A

2 xz dAdx: G

(8.70)

8.2 Verzerrungsenergie und komplementäre Verzerrungsenergie

255

Dieser Anteil darf nicht von vorneherein vernachlässigt werden, denn auch wenn die Schubverzerrung xz aufgrund der kinematischen Annahmen des Euler-Bernoulli-Balkens verschwindet (s. Kap. 4), so muss doch die Schubspannung xz zur Wahrung des GleichQ S gewichts auftreten (s. Kap. 6). Setzt man den Zusammenhang xz D  Iyyz by z. B. für einen Rechteckquerschnitt der Breite b in (8.70) ein, dann ergibt sich:

˘i D

1 2

Zl Z 0 A

  Qz Sy 2 1  dAdx; G Iyy b

bzw. nach Integration: 1 ˘i D 2

Zl 0

Qz2 dx: GAV

(8.71)

(8.72)

Hierin ist der Ausdruck AV die sog. Vergleichsfläche, die definiert ist als 1 1 D 2 AV Iyy

Z A

Sy2 b2

dA:

(8.73)

Hierbei handelt es sich um diejenige effektive Fläche eines Querschnitts unter Querkraftschub, die zur Lastabtragung zur Verfügung steht. Sie kann mit Hilfe des sog. Schubkorrekturfaktors K und der Querschnittsfläche A ausgedrückt werden als: AV D KA: Es folgt: 1 ˘i D 2

Zl 0

(8.74)

Qz2 dx: KGA

(8.75)

Insgesamt folgt in Kombination mit (8.69): 1 ˘i D 2

Zl 0

N2 1 dx C EA 2

Zl 0

My2

1 dx C EIyy 2

Zl 0

Qz2 dx: KGA

(8.76)

Ganz genauso kann die komplementäre Verzerrungsenergiedichte ermittelt werden. Es gilt: Zxx Zxz U0 D "xx dO xx C xz dOxz : (8.77) 0

0

256

8 Energiemethoden

Der hier auftretende zweite Term darf wiederum nicht ohne Weiteres vernachlässigt werden. Mit dem Hookeschen Gesetz xx D E"xx und xz D Gxz folgt dann: Zxx U0 D 0

xx dO xx C E

Zxz 0

xz 2 2 dOxz D xx C xz : G 2E 2G

(8.78)

Q S

Die komplementäre Verzerrungsenergie ˘ i kann mit xz D  Iyyz by z. B. für einen Rechteckquerschnitt der Breite b durch Integration über das Balkenvolumen ermittelt werden: Zl Z 

Z ˘i D

U 0 dV D V

Zl Z "

D 0 A

0 A

 2 xx 2 C xz dAdx 2E 2G



My 1 N z C 2E A Iyy

2

 # Qz Sy 2 1 C  dAdx; 2G Iyy b

(8.79)

bzw. nach Integration: 1 ˘i D 2

Zl 0

N2 1 dx C EA 2

Zl 0

My2

1 dx C EIyy 2

Zl 0

Qz2 dx: KGA

(8.80)

Der Vergleich zwischen (8.80) und (8.76) zeigt, dass beide Ausdrücke übereinstimmen. Der Schubkorrekturfaktor K beträgt 56 für einen Rechteckquerschnitt, unabhängig von den konkreten Abmessungen des Querschnitts. Auf die allgemeine Ermittlung des Schubkorrekturfaktors für beliebige Querschnitte kann im Rahmen dieses Buchs allerdings nicht eingegangen werden.

8.2.3 Der Torsionsstab Wir betrachten einen geraden Stab der Länge l, der durch das Torsionsmoment Mx beansprucht werde. Es liege die Torsionssteifigkeit GIT vor. Das Arbeitsinkrement dWi ergibt sich mit der Verdrehung # als: 1 (8.81) dWi D Mx d#: 2 Aus dem Konstitutivgesetz (7.7) für Torsion GIT # 0 D Mx ergibt sich: Mx dx : GIT

(8.82)

 2 1 Mx2 1 dx D GIT # 0 dx: 2 GIT 2

(8.83)

d# D Gleichung (8.81) geht dann über in: dWi D

8.2 Verzerrungsenergie und komplementäre Verzerrungsenergie

257

Integriert man über die Stablänge l, dann erhält man die Verzerrungsenergie des Stabes infolge Torsion: Zl

1 ˘i D 2

Mx2 1 dx D GIT 2

0

Zl 0

1 Mx # dx D 2 0

Zl

 2 GIT # 0 dx:

(8.84)

0

8.2.4 Kombinierte Beanspruchung Liegt eine Situation mit gleichzeitiger axialer Dehnung, Biegung um die beiden Hauptachsen y und z, Querkräften in beide Hauptachsrichtungen sowie Torsion vor, dann kann die Verzerrungsenergie bzw. das innere Potential durch Superposition der einzelnen Anteile gebildet werden wie folgt: 1 ˘i D 2 C

Zl

1 EAu dx C 2 02

0

1 2

Zl

Zl 0

1 EIyy w dx C 2 00 2

Zl

2

EIzz v 00 dx

0

 2 GIT # 0 dx;

(8.85)

0

bzw. in den Schnittgrößen formuliert: 1 ˘i D 2

Zl 0

1 C 2

N2 1 dx C EA 2 Zl 0

Zl 0

My2

1 dx C EIyy 2

Qy2

1 dx C Ky GA 2

Zl 0

Zl 0

Mz2 dx EIzz

Qz2 1 dx C Kz GA 2

Zl 0

Mx2 dx: GIT

(8.86)

Die komplementäre Verzerrungsenergie ˘ i lautet: 1 ˘i D 2

Zl 0

1 C 2

N2 1 dx C EA 2 Zl 0

Qy2

Zl 0

My2

1 dx C EIyy 2

1 dx C Ky GA 2

Zl 0

Zl 0

Mz2 dx EIzz

Qz2 1 dx C Kz GA 2

Zl 0

Mx2 dx: GIT

(8.87)

Hierin sind Ky und Kz die den beiden Querkräften Qy und Qz zugeordneten Schubkorrekturfaktoren. Auf weitere Ausführungen sei an dieser Stelle verzichtet.

258

8.3

8 Energiemethoden

Anwendung des Arbeitssatzes auf elastische Formänderungen

Wir wollen den Arbeitssatz (8.14), also die Gleichheit von äußerer Arbeit und Verzerrungsenergie ˘i D Wa dazu nutzen, um Formänderungen an mechanischen Strukturen unter Einzelkräften und -momenten zu berechnen. Hierzu betrachten wir den Stabzweischlag der Abb. 8.9. Beide Stäbe weisen identische Dehnsteifigkeiten EA auf. Gesucht wird die vertikale Absenkung w des Kraftangriffspunktes. Hierzu wird der Arbeitssatz ˘i D Wa verwendet. Aus dem Freikörperbild der Abb. 8.9 lassen sich die Stabkräfte als F F und N2 D  sin.˛/ ermitteln. Die Verzerrungsenergie ˘i lässt sich dann wie N1 D tan.˛/ folgt ermitteln: 1 ˘i D 2

Zl 0

N12

1 dx C EA 2

l cos.˛/

Z 0

N22 dx: EA

(8.88)

Setzt man hier die Stabkräfte N1 und N2 ein, dann ergibt sich: ˘i D

  F 2l 1 1 C : 2EA tan2 .˛/ cos3 .˛/

(8.89)

Für die äußere Arbeit Wa erhalten wir: Wa D

1 F w: 2

(8.90)

Wertet man den Arbeitssatz ˘i D Wa aus, dann erhält man:   F 2l 1 1 1C D F w: 2 3 2EA tan .˛/ cos .˛/ 2

(8.91)

Dieser Ausdruck kann direkt nach der gesuchten Verschiebung w aufgelöst werden:   1 Fl 1C : wD EA tan2 .˛/ cos3 .˛/

Abb. 8.9 Stabzweischlag unter Einzelkraft F .

(8.92)

F 1

α

w

N1

α

2

l

N2

F

8.3 Anwendung des Arbeitssatzes auf elastische Formänderungen

259

Der Arbeitssatz kann zur einfachen Bestimmung von Formänderungen an Tragwerken unter Einzelkräften und -momenten herangezogen werden. Allerdings ist diese Vorgehensweise eingeschränkt, da sich hiermit ausschließlich Verschiebungen oder Verdrehungen an den Angriffspunkten der Einzelkräfte und -momente bestimmen lassen, und darüber hinaus auch nur diejenigen Formänderungen, deren Richtung auch mit der Wirkungsrichtung der angreifenden Kraft bzw. des angreifenden Moments übereinstimmt. Beispiel 8.2

Gegeben sei der linear elastische Kragarm der Abb. 8.10, der durch die Einzelkraft F belastet wird. Es liege die konstante Biegesteifigkeit EIyy vor, und es ist die vertikale Absenkung des Kraftangriffspunkts zu ermitteln. Bei der Ermittlung der Absenkung sei in der Verzerrungsenergie nur der Anteil aus dem Biegemoment My zu berücksichtigen. Es wird zunächst die Momentenlinie My .x/ ermittelt, sie ist in Abb. 8.10 dargestellt. Für die Verzerrungsenergie folgt: Zl

1 ˘i D 2

0

My2 EIyy

dx D

F 2l 3 : 6EIyy

(8.93)

Die äußere Arbeit Wa folgt zu: Wa D

1 F w: 2

(8.94)

Aus dem Arbeitssatz ˘i D Wa folgt dann die gesuchte Durchbiegung als: wD

F l3 : 3EIyy

w

J

F

Fl

F

x

(8.95)

0 F

l

Fl

z

My(x) F

Fl

(-) My

x

Abb. 8.10 Kragarm unter Einzelkraft F .

260

8 Energiemethoden

Abb. 8.11 Balken unter Einzelmoment M0 .

M0

l

M0

(+)

Beispiel 8.3

Wir betrachten den linear elastischen Balken (konstante Biegesteifigkeit EIyy ) der Abb. 8.11, der an seinem linken Auflager durch das Randmoment M0 belastet werde. Es ist die Verdrehung des linken Auflagers zu ermitteln. Die Verzerrungsenergie des Balkens lautet am Beispiel: 1 ˘i D 2

Zl 0

My2 EIyy

dx D

M02 l : 6EIyy

(8.96)

Die äußere Arbeit Wa ist:

1 M': 2 Aus dem Arbeitssatz ˘i D Wa folgt die Auflagerverdrehung ' zu: Wa D

'D

M0 l : 3EIyy

(8.97)

(8.98) J

Beispiel 8.4

Betrachtet werde das Fachwerk der Abb. 8.12. Gesucht wird die horizontale Auslenkung w des Kraftangriffspunktes, man verwende dazu den Arbeitssatz. Alle Stäbe weisen identische Dehnsteifigkeiten EA auf. Die Bestimmung der Auflagerreaktionen und der Stabkräfte sei der Leserschaft überlassen. An dieser Stelle wird lediglich das Ergebnis für die Verzerrungsenergie ˘i mitgeteilt: 9

1X ˘i D 2 j D1

Zlj 0

Nj2 Ej Aj

dxj D

9 2 p F 2l 1 X Nj lj D .1 C 2 2/ : 2 j D1 EA 4EA

Die äußere Arbeit lautet: Wa D

1 F w: 2

(8.99)

(8.100)

8.3 Anwendung des Arbeitssatzes auf elastische Formänderungen Abb. 8.12 Fachwerk unter Einzelkraft sowie Freikörperbilder zur Ermittlung der Auflagerreaktionen und Stabkräfte.

261

l

l

4 45°

5

N5

2

1

F 2

N2

3

l

45°

F 2

N4

F F

0 F 2

F 2

F

F

F 2

F 2

45°

N1

Der Arbeitssatz ˘i D Wa führt dann auf die horizontale Auslenkung w des Kraftangriffspunktes wie folgt: p Fl : (8.101) w D .1 C 2 2/ 2EA J Beispiel 8.5

Gegeben sei der in Abb. 8.13, links, dargestellte abgewinkelte Balken mit der konstanten Dehnsteifigkeit EA und der konstanten Biegesteifigkeit EIyy . Gesucht wird die Ausbiegung des Kraftangriffspunktes in Richtung der Einzelkraft F mit Hilfe des Arbeitssatzes ˘i D Wa . Der Einfluss der Querkraft Qz an der gesuchten Verschiebung werde vernachlässigt. Die Verläufe der Schnittgrößen N.x/ und M.x/ sind in Abb. 8.13, rechts, dargestellt. Die Verzerrungsenergie ˘i lässt sich ermitteln als: 1 ˘i D 2

Zl 0

N2 1 dx C EA 2

Abb. 8.13 Statisches System (links) und Schnittgrößenverläufe (rechts).

Zh 0

N2 1 dx C EA 2

Zl 0

My2

1 dx C EIyy 2

F EA, EIyy

Zh 0

My2 EIyy

dx:

(8.102)

w h

0

F

N(x)

(+)

x

My(x)

l

(-) (-)

Fh

Fh

262

8 Energiemethoden

Nach einigen elementaren Rechenschritten folgt daraus die Verzerrungsenergie ˘i als: ˘i D F

2



l h2 C 2EA 2EIyy



h Cl 3

 :

(8.103)

Mit der äußeren Arbeit Wa D 12 F w folgt die gesuchte Durchbiegung w aus dem Arbeitssatz ˘i D Wa : 

 l h h2 C Cl : (8.104) wDF EA EIyy 3 J

8.4 Das Prinzip der virtuellen Kräfte Es gibt Arbeits- und Energieprinzipien der Mechanik, die auf der Betrachtung sog. virtueller Kräfte basieren. Hierzu führen wir zunächst die Definition der Begriffe der virtuellen Kräfte sowie der komplementären virtuellen Arbeit ein.

8.4.1 Formulierung für den Balken Wir betrachten einen Körper im Gleichgewichtszustand. Der Körper werde nun einer virtuellen Gleichgewichtsgruppe F ausgesetzt, die entlang der tatsächlichen Verschiebungen die komplementäre virtuelle Arbeit bzw. die virtuelle Ergänzungsarbeit ıW leistet: ıW D ıF u:

(8.105)

Betrachtet werde als Beispiel der Kragbalken der Abb. 8.14 (Länge l, Steifigkeiten EA, EIyy , KGA). Es liegen Hauptachsen vor, und es werde an dieser Stelle ausschließlich gerade Biegung bezüglich der y-Achse betrachtet. Der Balken sei an seinem linken Ende fest eingespannt, und an seinem freien Ende liegen die virtuellen Kräfte ıFV und ıFH wie dargestellt vor. Das virtuelle Kräftepaar wird die virtuelle horizontale Auflagerkraft ıFH und die virtuelle vertikale Auflagerkraft ıFV hervorrufen. Außerdem tritt das virtuelle Auflagermoment am Einspannpunkt mit der Größe ıFV l auf. Diese virtuellen Kraftgrößen bilden Abb. 8.14 Kragbalken unter virtuellen Kräften.

δFV l δFH

x δFV

δFH EA, EIyy , KGA

l

δFV

8.4 Das Prinzip der virtuellen Kräfte

263

somit eine Gleichgewichtsgruppe, alle Gleichgewichtsbedingungen sind erfüllt. Die virtuelle komplementäre äußere Arbeit ıW a wird jedoch nur durch die beiden virtuellen Einzelkräfte ıFH und ıFV am Kragarmende hervorgerufen, denn am Einspannpunkt sind keinerlei Verschiebungen und damit auch keine virtuellen Arbeiten möglich. Es folgt: ıW a D ıFV w.x D l/ C ıFH u.x D l/:

(8.106)

Die virtuelle komplementäre innere Arbeit ıW i folgt am Balken aus der virtuellen Normalspannung ıxx und der virtuellen Schubspannung ıxz sowie den zugehörigen realen Verzerrungen: Z ıW i D

."xx ıxx C xz ıxz /dV :

(8.107)

V

Wir teilen die Dehnung "xx in die beiden Anteile "0xx und "1xx auf. Hierbei ist "0xx bezogen auf die Schwerachse des Balkens und beschreibt damit eine reine Normalkraft-Beanspruchung. Der Term "1xx beschreibe die lineare Veränderlichkeit der Dehnung über z und beschreibt damit eine Momentenbeanspruchung. Das Volumenintegral wird in ein Integral über die Querschnittsfläche A und ein Integral über die Balkenlängsachse x zerlegt: Zl Z ıW i D



  "0xx C z"1xx ıxx C xz ıxz dAdx:

(8.108)

0 A

Integration über die Querschnittfläche A ergibt: Zl ıW i D

 0  "xx ıN C "1xx ıMy C xz ıQz dx:

(8.109)

0

Hierin sind ıN , ıMy und ıQz die durch die virtuellen äußeren Kräfte hervorgerufenen virtuellen Schnittgrößen. Sie leisten entlang der realen Verzerrungen virtuelle Arbeiten. Liegt der Fall der linearen Elastizität vor, dann ergibt sich für "0xx und "1xx : "0xx D Es folgt:

Zl  ıW i D 0

N ; EA

"1xx D

M : EIyy

 My ıMy N ıN Qz ıQz C C dx: EA EIyy KGA

(8.110)

(8.111)

264

8 Energiemethoden

Die virtuellen Kraftgrößen haben die folgenden Eigenschaften:  Die virtuellen Kraftgrößen sind virtuell und existieren nicht real.  Die virtuellen Kraftgrößen sind infinitesimal klein.  Die virtuellen Kraftgrößen müssen die Gleichgewichtsbedingungen erfüllen und allen gegebenen Spannungsrandbedingungen gehorchen. Das Prinzip der virtuellen Kräfte fordert die Gleichheit der virtuellen inneren Ergänzungsarbeit und der virtuellen äußeren Ergänzungsarbeit: ıW i D ıW a :

(8.112)

Dieses Prinzip hat weitreichende Konsequenzen für die Strukturmechanik und wird auch als das Prinzip der virtuellen Ergänzungsarbeiten bezeichnet. Es gilt für beliebige virtuelle Kraftgrößen, die gegebene Spannungsrandbedingungen befriedigen. Das Prinzip der virtuellen Kräfte gilt für beliebiges Materialverhalten.

8.4.2 Das Einheitslast-Theorem Ein sehr nützliches Theorem, das sich aus dem Prinzip der virtuellen Kräfte herleiten lässt, ist das sog. Einheitslast-Theorem. Wir betrachten dazu einen beliebigen Balken, der durch die beiden virtuellen Kräfte ıFH und ıFV sowie das virtuelle Einzelmoment ıM belastet werde. Die zugehörigen realen Weggrößen seien u, w und '. Das Prinzip der virtuellen Kräfte ıW i D ıW a lautet dann: Zl  0

 My ıMy N ıN Qz ıQz C C dx D uıFH C wıFV C 'ıM: EA EIyy KGA

(8.113)

Im Falle eines Fachwerks mit m Stäben, das ausschließlich durch Einzelkräfte in den Knotenpunkten der Stäbe belastet wird, verbleibt aufgrund der Konstanz der Stabkräfte der folgende Ausdruck: m X Ni ıNi li i D1

.EA/i

D uıFH C wıFV :

(8.114)

Hierin sind li und .EA/i die Länge und die Dehnsteifigkeit des Stabes i. Der praktische Wert des Einheits-Last-Theorems erweist sich bei der Ermittlung von Verformungen statischer Systeme. Zur Illustration betrachten wir den Stabzweischlag der Abb. 8.15. Die Belastung bestehe aus der vertikal wirkenden Einzelkraft F , gesucht werden die beiden Knotenverschiebungen u und w wie eingezeichnet. Beide Stäbe weisen

8.4 Das Prinzip der virtuellen Kräfte

265 δFV

F EA

δFH w

45°

1

2l

l EA

u

2

Abb. 8.15 Stabzweischlag unter Einzelkraft F (links), verformte Struktur unter virtuellen Kräften mit wirklichen Knotenverschiebungen (rechts).

identische konstante Dehnsteifigkeiten EA auf. Zur Ermittlung der beiden unbekannten Knotenverschiebungen u und w bringen wir die beiden virtuellen Kräfte ıFV und ıFH am Knoten an. Das Prinzip der virtuellen Kräfte lautet dann: m X Ni ıNi li i D1

.EA/i

p N1 ıN1 l N2 ıN2 2l D C D ıFH u C ıFV w: EA EA

(8.115)

Zur Ermittlung der Verschiebung u setzen wir die virtuelle Kraft ıFV zu null, und es verbleibt: p N1 ıN1 l N2 ıN2 2l (8.116) C D ıFH u: EA EA Virtuelle Kräfte dürfen beliebig sein im Rahmen der Gegebenheiten des betrachteten statischen Systems. Folglich kann für ıFH eine Einheitskraft ıFH D 1 angesetzt werden, und wir erhalten: p N1 ıN1 l N2 ıN2 2l C D u: (8.117) EA EA Offenbar ist damit die gesuchte Knotenverschiebung u unmittelbar aus (8.117) ablesbar. Hierbei sind die Kräfte N1 und N2 die wirklichen Stabkräfte infolge der Einzelkraft F . Die Kraftgrößen ıN1 und ıN2 sind die Stabkräfte infolge der virtuellen Einheitskraft ıFH D 1. Am Beispiel gilt: p N1 D F; N2 D  2F; ıN1 D 1;

ıN2 D 0:

(8.118)

Für die gesuchte Knotenverschiebung u folgt damit aus (8.117): uD

F  .1/  l Fl D : EA EA

(8.119)

Genauso kann man bei der Ermittlung der Verschiebung w vorgehen. In (8.115) setzen wir dafür die virtuelle Einzelkraft ıFH zu null, und die virtuelle Einzelkraft ıFV setzen

266

8 Energiemethoden

wir als Einheitslast ıFV D 1 an. Es folgt: p N1 ıN1 l N2 ıN2 2l C D w: EA EA

(8.120)

Die wirklichen Stabkräfte N1 und N2 als Folge von F sind in (8.118) bereits gegeben. Die virtuellen Stabkräfte ıN1 und ıN2 , die durch die virtuelle Einheitskraft ıFV D 1 hervorgerufen werden, ergeben sich als: ıN1 D 1;

p ıN2 D  2:

(8.121)

Die Knotenverschiebung w können wir damit berechnen wie folgt: p Fl : w D .1 C 2 2/ EA

(8.122)

Offenbar erlaubt es uns das Einheitslast-Theorem, Formänderungen an statischen Systemen recht einfach und schnell zu ermitteln. Formalisiert wird diese Vorgehensweise auch als das sog. Kraftgrößenverfahren bezeichnet, worauf wir an späterer Stelle noch eingehen werden. Beispiel 8.6

Betrachtet werde der Balken der Abb. 8.16. Der Balken weise die Länge l sowie die konstante Biegesteifigkeit EIyy auf. Die Belastung liege in Form einer in Feldmitte angreifenden Einzelkraft F vor, gesucht wird die Durchbiegung w in Feldmitte mit Hilfe des Prinzips der virtuellen Kräfte, wobei der Anteil der Querkräfte als vernachlässigbar angenommen werde. Wir ermitteln zunächst die Momentenlinie des Balkens infolge der gegebenen Einzelkraft F , sie ist in Abb. 8.16, links, gezeigt. Um die Durchbiegung w zu berechnen

F x1

δF

EIyy

l/2

x2

x1

EIyy

l/2

l

M0

l

M1

(+) Fx 2 1

x2

Fl 4

- F x2 + Fl 2 4

(+) 1x 2 1

l 4

- 1 x2 + l 2 4

Abb. 8.16 Balken unter Einzellast F (links oben), Balken unter virtueller Kraft ıF D 1 (rechts oben), zugehörige Momentendiagramme (unten).

8.4 Das Prinzip der virtuellen Kräfte

267

bringen wir in Feldmitte außerdem eine virtuelle Einzelkraft ıF auf und ermitteln die zugehörige Momentenlinie, die in Abb. 8.16, rechts, dargestellt ist. Das Prinzip der virtuellen Kräfte lautet an dieser Stelle: Zl

My ıMy dx D wıF: EIyy

0

(8.123)

Hierin sind My das Biegemoment infolge der gegebenen Kraft F , ıMy ist das Biegemoment infolge der virtuellen Kraft ıF . Setzen wir ıF als Einheitslast ıF D 1 an, dann verbleibt: Zl My ıMy dx D w: (8.124) EIyy 0

Somit kann die gesuchte Durchbiegung einfach und unkompliziert aus (8.124) abgelesen werden. Es ist nun unsere Aufgabe, die in (8.124) vorgeschriebene Integration der beiden vorliegenden Momentenlinien durchzuführen. Da bei beiden Momentenlinien My und ıMy Unstetigkeiten in Feldmitte vorliegen, werden zweckmäßig die beiden Bezugsachen x1 und x2 eingeführt wie in Abb. 8.16 gezeigt und das Integral in (8.124) in zwei Teilintegrale zerlegt. Es folgt: l

Z2 wD 0

l

M.x1 /ıM.x1 / dx1 C EIyy

Z2 0

M.x2 /ıM.x2 / dx2 : EIyy

(8.125)

Eine sehr gängige Schreibweise besteht darin, die virtuellen Größen nicht mit dem Symbol ı zu kennzeichnen, sondern vielmehr die Momentenverläufe mit M0 (Momentenverlauf infolge der gegebenen Belastung) und M1 (Momentenverlauf infolge der virtuellen Einzellast) zu bezeichnen: l

Z2 wD 0

l

M0 .x1 /M1 .x1 / dx1 C EIyy

Z2 0

M0 .x2 /M1 .x2 / dx2 : EIyy

(8.126)

Führt man die vorgeschriebenen Integrationen durch, dann ergibt sich: l

Z2 wD 0

l

1 F 1 x1 x1 dx1 C EIyy 2 2

Z2 0

   1 Fl l 1 F  x2 C dx2 ;  x2 C EIyy 2 4 2 4

bzw. ausgewertet: wD

F l3 : 48EIyy

(8.127)

(8.128) J

268

8 Energiemethoden

8.4.3 Verwendung von Integraltafeln Am vorgehenden Beispiel hat sich gezeigt, dass die Ermittlung von Durchbiegungen mit Hilfe des Einheitslast-Theorems mittels Integration von Produkten von Zustandslinien, hier der Produkte der Momentenlinien M0 .x1 / und M1 .x1 / sowie M0 .x2 / und M1 .x2 /, geschieht. Bei komplexeren Systemen stößt man mit dieser Vorgehensweise aufgrund der Notwendigkeit der Lösung von Integralen allerdings schnell an Grenzen. Man kann sich hier die Tatsache zu Nutze machen, dass Zustandslinien statischer Systeme in den allermeisten Fällen aus elementaren Standardfällen aufgebaut sind, für die man die Ergebnisse der Integrationen in sog. Integraltafeln vorhalten und wiederverwenden kann. Dies sei nachfolgend anhand zweier linearer Funktionen f .x/ und g.x/ gezeigt, die in den Grenzen von x D 0 und x D l definiert sind. Die Randwerte von f .x/ seien f .x D 0/ D 0 und f .x D l/ D F , und diejenigen von g.x/ seien g.x D 0/ D 0 und g.x D l/ D G. Die beiden Funktionen f .x/ und g.x/ können dann formuliert werden wie folgt: G F (8.129) f .x/ D x; g.x/ D x: l l Das Integral Zl f .x/g.x/dx (8.130) 0

ergibt dann den Wert 13 F Gl. Man kann dieses Ergebnis stets dann wiederverwenden, wenn man die Integration des Produkts zweier linearer Funktionen wie in (8.129) definiert durchzuführen hat. Im Übrigen ergibt sich für zwei lineare Funktionen f .x/ und g.x/ mit den Randwerten f .x D 0/ D F und f .x D l/ D 0 sowie g.x D 0/ D G und g.x D l/ D 0 der gleiche Wert für das Integral (8.130). Man spricht an dieser Stelle auch umgangssprachlich davon, dass aufgrund der spezifischen Dreiecksform der beiden Funktionen f .x/ und g.x/ zwei Dreiecke miteinander überlagert wurden. Für das Beispiel 8.6 kann man also mit Hilfe des oben bereitgestellten Ergebnisses sofort die beiden Teilintegrale lösen, ohne vorher die beiden auftauchenden Funktionen miteinander zu multiplizieren und Stammfunktionen zu ermitteln. Für die in Beispiel 8.6 gesuchte Durchbiegung des Balkens folgt: l

Z2

l

Z2 M0 .x1 /M1 .x1 / M0 .x2 /M1 .x2 / dx1 C dx2 wD EIyy EIyy 0 0   1 Fl l l 1 1 Fl l l D    C    EIyy 3 4 4 2 3 4 4 2 D

F l3 : 48EIyy

(8.131)

Vorgefertigte Ergebnisse für die Integrale zweier miteinander multiplizierter Funktionen werden in sog. Integraltafeln zusammengefasst. Eine Auswahl von Überlagerungsergebnissen häufig vorkommender Funktionen f .x/ und g.x/ ist in Abb. 8.17 übersichtlich zusammengefasst.

8.4 Das Prinzip der virtuellen Kräfte

g(x)

G

f(x)

269

G l

F

G

G

G

l

l

l

FGl

1 FGl 2

1 FGl 2

2 FGl 3

1 FGl 2

1 FGl 3

1 FGl 6

1 FGl 3

1 FGl 2

1 FGl 6

1 FGl 3

1 FGl 3

1 FGl 2

1 FGl(1+ ) 6

1 FGl(1+ ) 6

l 2 (F1 +F2 )G

l 6 (F1 +2F2 )G

l 6 (2F1 +F2 )G

l

F l

F l

F l

l

1 FGl(1+ 3

)

l

F1 F2 F2

F1

l 3 (F1 +F2 )G

l

F

2 FGl 3

1 FGl 3

1 FGl 3

8 15FGl

F

1 FGl 3

1 FGl 4

1 12FGl

1 5 FGl

G

1 FGl 3

1 12FGl

1 FGl 4

1 5 FGl

Gl(F +4F +F ) 3 2 6 1

Gl(2F +F ) 6 2 3

Gl(F +2F ) 2 6 1

Gl 15(F1 +8F2 +F3 )

Quadratische Parabeln

l

G l

F l

F1

F2

F3 l

Abb. 8.17 Integraltafel

Rl 0

f .x/g.x/dx für eine Auswahl typischer Überlagerungsfälle.

270

8 Energiemethoden

8.5 Das Kraftgrößenverfahren Die Analyse statischer Systeme mit Hilfe des Prinzips der virtuellen Kräfte in Verbindung mit dem Einheitslast-Theorem wird häufig unter dem Begriff des Kraftgrößenverfahrens zusammengefasst. In diesem Abschnitt wollen wir dieses Verfahren formalisieren und tiefgehender betrachten und neben der Berechnung von Formänderungen noch weitere Anwendungen herausarbeiten.

8.5.1

Berechnung von Formänderungen an statisch bestimmten Systemen

Wir beginnen die Betrachtungen mit der Analyse von Verformungen an statisch bestimmten Fachwerkstrukturen. Gegeben sei ein Fachwerk, das aus m Stäben bestehe. Das Fachwerk sei derart belastet, dass sich in den Stäben konstante Normalkräfte Ni (i D 1; 2; : : :; m) einstellen. Die Länge des Stabes i sei li , und es liege in Stab i die konstante Dehnsteifigkeit EIi vor. Man kann dann mit Hilfe des Kraftgrößenverfahrens eine Verformung w an einer beliebigen Stelle des Fachwerks berechnen wie folgt:  Für das gegebene Fachwerk werden die Stabkräfte Ni (i D 1; 2; : : :; m) infolge der gegebenenen realen Belastung ermittelt.  Außerdem werden die Stabkräfte ıNi D N i infolge einer virtuellen Einzelkraft F D 1 an der betrachteten Stelle in Richtung der gesuchten Verschiebung w ermittelt.  Die gesuchte Verschiebung w lässt sich dann gemäß der nachfolgenden Rechenvorschrift berechnen: m X Ni N i li : (8.132) wD .EA/ i i D1 Die Vorgehensweise sei an dem in 8.18 gezeigten Fachwerk illustriert, an dem die angedeutete Durchbiegung w mit Hilfe des Kraftgrößenverfahrens ermittelt werde.

F 5

6 l 1

7

8

4

1

7

8

9 2 l

w

5

6

2F

4

9 3 l

3

2 F =1

Abb. 8.18 Fachwerk unter Einzellasten (links), Fachwerk unter virtueller Einzellast (rechts).

8.5 Das Kraftgrößenverfahren

271

Wir ermitteln zunächst die Stabkräfte Ni (i D 1; 2; : : :; 9) infolge der beiden angreifenden Einzelkräfte. Wir geben hier das Ergebnis an, ohne auf die Berechnung einzugehen: F N3 D 0; ; N2 D 2F; 2 F F 3F N6 D ; N7 D  p ; N8 D p ; 2 2 2 N1 D

N4 D 

3F F ; N5 D ; 2 2

N9 D F:

(8.133)

Die Stabkräfte N i infolge der virtuellen Einheitskraft F D 1 erhalten wir als: 1 1 1 N 1 D  ; N 2 D 0; N 3 D 0; N4 D  ; N5 D  ; 2 2 2 1 1 1 N 6 D  ; N 7 D p ; N 8 D p ; N 9 D 0: 2 2 2

(8.134)

Die gesuchte Durchbiegung kann dann wie folgt ermittelt werden: 9 X Ni N i li .EA/i i D1

1 3F 1 p F 1 3F 1 F 1 F 1 F 1 p D 2l C p p 2l : (8.135)  lC l l lp p EA 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 Es folgt: p Fl wD 2 : (8.136) EA

wD

Beispiel 8.7

Betrachtet werde das Fachwerk der Abb. 8.19. Man ermittle das verformte Fachwerk mit Hilfe des Kraftgrößenverfahrens.

Abb. 8.19 Fachwerk unter Einzellast F (oben), verformte Struktur (unten, VerschiebunFl gen in der Einheit EA ).

VII

l

6

VI

5

V

4 7

8

I

10

9 1

11 2

II

l

F

III

IV

l

l 2,00

3

3,00 17,66

6,83

F 3,00 5,83

5,00 16,66

6,00 29,48

272

8 Energiemethoden

Tab. 8.1 Resultierende Stabkräfte für die einzelnen Lastfälle. Stab li Ni N i;I;v N i;II;h N i;II;v N i;III;h N i;III;v N i;IV;h N i;IV;v N i;V;h N i;V;v N i;VI;h N i;VI;v

1

2

3

l 3F 0 1 1 1 2 1 3 0 2 0 1

l 2F 0 0 0 1 1 1 2 0 1 0 0

l F 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0

4 p 2l p 2F 0 0 0 0 0 0 p 2 0 0 0 0

5 l F 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 0

6 l 2F 0 0 0 0 1 0 2 1 1 1 0

7 l 0 F 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

8 p 2l p 2F 0 0 p 2 0 p 2 0 p 2 0 p 2 0 p 2

9 l F 0 0 0 0 1 0 1 0 1 0 1

10 p 2l p 2F 0 0 0 0 p 2 0 p 2 0 p 2 0 0

11 l F 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0

Zur Ermittlung des verformten Fachwerks werden nur die horizontalen und vertikalen Verschiebungen der Fachwerksknoten benötigt, zwischen den Knoten wird die Verformungsfigur aus geraden Linienzügen bestehen. Um die Knotenverschiebungen zu ermitteln werden zunächst die Stabkräfte Ni (i D 1; 2; : : :; 11) infolge der anliegenden Einzelkraft F benötigt. Danach werden in jedem Knoten horizontale und vertikale virtuelle Einzelkräfte F D 1 angesetzt und die virtuellen Stabkräfte N i berechnet, die wir mit römischen Ziffern für die Knotennummer und mit h bzw. v (horizontal und vertikal) kennzeichnen wollen. Die virtuellen Kräfte werden nach rechts bzw. nach unten wirkend angesetzt. Die ermittelten Stabkräfte sind in Tab. 8.1 zusammengefasst. Die gesuchten Verschiebungen können wie folgt ermitteln werden: ıD

m X Ni N i li : .EA/ i i D1

(8.137)

Es folgt:

Fl ıI;v D 0; ıII;h D 3 ıI;h D 0; ; EA  p Fl Fl Fl D 5;83 ; ıIII;h D 5 ; ıII;v D 3 C 2 2 EA EA EA  p Fl Fl Fl D 16;66 ; ıIV;h D 6 ; ıIII;v D 11 C 4 2 EA EA EA  p Fl Fl Fl D 29;49 ; ıV;h D 3 ; ıIV;v D 21 C 6 2 EA EA EA  p Fl Fl Fl D 17;66 ; ıVI;h D 2 ; ıV;v D 12 C 4 2 EA EA EA  p Fl Fl D 6;83 : ıVI;v D 4 C 2 2 EA EA Das verformte Fachwerk ist in Abb. 8.19, unten, dargestellt. J

(8.138)

8.5 Das Kraftgrößenverfahren

q

273

F

F F =1

x

x

w

l

l

l

Fl (-)

2Fl Fl

M0 inf. F(x=2l) M0 inf. F(x=l)

(-)

=

Fl

Fl (-)

(-)

Fl (-)

M0 inf. q

ql 2 8

0

2ql 2

1 ql 2 (-)

2

= l (-)

l (-)

ql 2 8

(+)

2ql 2 (-)

2l M1 inf. F =1

l

=

l (-)

(+)

1 ql 2 2 (-) (-) l (-)

Abb. 8.20 Balken unter Streckenlast q und Einzellasten F (links oben), Balken unter virtueller Einzellast F D 1 (rechts oben), zugehörige Momentenlinien (unten).

Das Kraftgrößenverfahren kann ganz analog auch auf die Ermittlung von Verformungen von Balken und Balkensystemen angewendet werden. Wir betrachten als einführendes Beispiel den Kragbalken der Abb. 8.20. Der Kragträger habe die Länge 2l sowie die konstante Biegesteifigkeit EIyy . Die Belastung bestehe aus der konstanten Streckenlast q sowie den beiden Einzelkräften F . Gesucht werde die Durchbiegung w am Kragarmende. Wir ermitteln zunächst den Momentenverlauf M0 infolge der angreifenden Belastung sowie den Momentenverlauf M1 infolge der virtuellen Einzelkraft F D 1 am Kragarmende. Um vorteilhaft mit der Integraltafel der Abb. 8.17 arbeiten zu können zerlegen wir die einzelnen Teilmomentenlinien in entsprechende Segmente wie in Abb. 8.20 gezeigt. Wir nutzen außerdem das Superpositionsprinzip und bestimmen die Momentenlinie M0 für die jeweiligen Teilbelastungen separat. Die Auswertung erfolgt zweckmäßig abschnittsweise auf den Intervallen 0  x  l und l  x  2l. Die Durchbiegung w1 infolge der Einzellast F bei x D 2l folgt zu: 1 w1 D EIyy



 1 3 1 3 1 3 1 3 8 F l3 3 : Fl C Fl C Fl C Fl C Fl D 3 2 2 3 3 EIyy

Für die Durchbiegung w2 aufgrund der Einzellast F bei x D l ergibt sich:   1 3 1 3 1 5 F l3 : Fl C Fl D w2 D EIyy 3 2 6 EIyy

(8.139)

(8.140)

274

8 Energiemethoden

Die Durchbiegung w3 infolge der Streckenlast q folgt als: 1 w3 D EIyy D2



1 4 2 4 1 1 1 1 1 ql C ql  ql 4 C ql 4 C ql 4  ql 4 C ql 4  ql 4 12 3 24 4 12 6 24



ql 4 : EIyy

(8.141) Die gesamte Durchbiegung w ergibt sich dann als Summe der Teildurchbiegungen w1 , w2 , w3 : 8 F l3 5 F l3 ql 4 1 w D w1 C w2 C w3 D C C2 D 3 EIyy 6 EIyy EIyy EIyy



 21 3 4 F l C 2ql : (8.142) 6

Beispiel 8.8

Betrachtet werde der Rahmen der Abb. 8.21, links oben. Der Rahmen stehe unter der konstanten auf den Riegel wirkenden Streckenlast q und weise die konstante Biegesteifigkeit EIyy in Stielen und Riegel auf. Gesucht werde die gegenseitige Verschiebung w der Rahmenstiele auf ihrer halben Höhe. Wir bringen zur Ermittlung der gegenseitige Verschiebung w der Rahmenstiele einander entgegengesetzte virtuelle Einzellasten an, so wie in Abb. 8.21, rechts oben, gezeigt und ermitteln sowohl für die gegebene Belastung als auch für den virtuellen Lastfall die Momentenlinien. Sie sind in Abb. 8.21, unten, dargestellt. Überlagerung der Momentenlinien M0 und M1 ergibt dann die gegenseitige Verschiebung der betrachteten Punkte wie folgt: ql 2 h2 wD : (8.143) 64EIyy J Beispiel 8.9

Für den Balken der Abb. 8.22 werde die Verdrehung des linken Auflagers bestimmt. Der Balken sei durch die Streckenlast q belastet und weise die Länge l sowie die konstante Biegesteifigkeit EIyy auf. Überlagert man die beiden Momentenlinien M0 und M1 miteinander, dann erhält man die gesuchte Verdrehung als: 'D

1 ql 2 1 ql 3   : 1l D EIyy 3 8 24EIyy

(8.144) J

8.5 Das Kraftgrößenverfahren

275

q

h 2

F=1

F=1

h 2 l 2

l 2

M0

(-) 1ql 2 (-) 8

(-)

(-)

1 ql =16

M1 1 2 (-) 8ql

0 1h 4

2

(-)

(-)

0 1h 4 (-)

(-)

Abb. 8.21 Rahmentragwerk unter Streckenlast q, Ermittlung der gegenseitigen horizontalen Verschiebung auf halber Höhe der Rahmenstiele. q

M=1

x l

(+) 1ql 2 8

M0

1

(+)

M1

Abb. 8.22 Ermittlung der Winkelverdrehung des linken Auflagers eines Balkens auf zwei Stützen unter Streckenlast q.

Beispiel 8.10

Für das statische System der Abb. 8.23 werde die gegenseitige Verdrehung ' der im Gelenk zusammengeführten Balkensegmente ermittelt. Es liege die konstante Biegesteifigkeit EIyy vor. Die Überlagerung der beiden Momentenflächen M0 und M1 führt auf die gesuchte gegenseitige Verdrehung ' wie folgt: 'D

 q  3 l  2.3l2 C 2l1 /l12 : 24EIyy 2

(8.145) J

276

8 Energiemethoden q

M=1

x l1

1 ql l 2 12 (-)

l2 l

M0

1+ l 1

(+)

2

1

M1

1 ql 2 8 2

Abb. 8.23 Ermittlung der gegenseitigen Winkelverdrehung des Trägers im Gelenkpunkt.

Beispiel 8.11

Betrachtet werde der Balken der Abb. 8.24 (Länge 2l), der durch zwei Randmomente MA und MB belastet werde. Gesucht werden die Winkelverdrehungen 'A und 'B . Es ist außerdem zu klären, wie groß das Moment MB bei gegebem MA sein muss, damit 'A D 'B gilt. In der linken Hälfte weise der Balken die Biegesteifigkeit 2EIyy auf, in der rechten Hälfte liegt der Wert EIyy vor. Um das Kraftgrößenverfahren anwenden zu können bestimmen wir zunächst die Momentenlinie M0 infolge der beiden Momente MA und MB , so wie in Abb. 8.25 gezeigt. Die Biegesteifigkeit EIyy ist nicht konstant über die Balkenlänge. Daher ist es zweckmäßig, die Momentenlinie wie in Abb. 8.25 angedeutet in Dreiecke und Rechtecke der Länge l zu zerlegen. Auf diesem Wege kann die spätere Überlagerung der Momentenflächen einfach erfolgen. Für die Bestimmung der Verdrehung 'A wird am linken Auflager ein virtuelles Einzelmoment angesetzt (Abb. 8.26) und die zugehörige Momentenlinie ermittelt. Um die Verdrehung 'A zu bestimmen werden die Momentenlinien M0 und M1 überlagert: Z 'A D D

M0 M1 dx EIyy

 1 MA 1 1 MA 1 1 MA 1 MA 1   C   C   C  3 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2     l 1 MB 1 1 MB 1 1 MB 1 l 1 MB 1    C      C   2EIyy 6 2 2 2 2 2 EIyy 6 2 2 2 2 2 l 2EIyy

C



l 1 MA 1 MB l 3MA l    :  D EIyy 3 2 2 8EIyy 4EIyy

(8.146)

8.5 Das Kraftgrößenverfahren

277

Abb. 8.24 Balken unter den beiden Einzelmomenten MA und MB , gesuchte Weggrößen.

MA

EIyy

2EIyy

MB

φB

x φ A l

Abb. 8.25 Momentenlinie M0 infolge der beiden Einzelmomente MA und MB .

l

MB

MA x l

MA

l

(+) (-)

=

MA

MB

(+)

+ (-)

=

MA 2 (+)

MB

MA 2

+

MB 2

(-)

MB 2 Abb. 8.26 Momentenlinie M1 infolge eines virtuellen Einzelmoments am linken Auflager.

1 x l

1

l

(+)

=

1 2

1 2

(+)

Ganz genauso kann die Verdrehung 'B ermittelt werden (Abb. 8.27). Aus der Überlagerung der Momentenlinie M0 und der Momentenlinie M1 ergibt sich die Verdrehung 'B : 'B D 

MA l 5MB l C : 4EIyy 8EIyy

(8.147)

278

8 Energiemethoden

Abb. 8.27 Momentenlinie M1 infolge eines virtuellen Einzelmoments am rechten Auflager.

1 x l

l

(-)

1 2

=

1 1 2

(-)

Durch Gleichsetzen der beiden Ausdrücke (8.146) und (8.147) kann man das Moment MB in Abhängigkeit von MA so ermitteln, dass die beiden Verdrehungen 'A und 'B identisch sind. Es ergibt sich: MB l MA l 5MB l 3MA l  D C : 8EIyy 4EIyy 4EIyy 8EIyy

(8.148)

Dieser Ausdruck kann nach MB umgeformt werden: MB D

5 MA : 7

(8.149) J

Beispiel 8.12

Betrachtet werde der durch eine Einzelkraft F belastete Balken der Abb. 8.28, der abschnittsweise konstante, aber unterschiedliche Biegesteifigkeiten EI1 D 3EIyy , EI2 D 2EIyy , EI3 D EIyy aufweise. Die Verschiebungen wG und wF sowie die gegenseitige Verdrehung 'G der beiden Balkensegmente am Gelenk sind mit Hilfe des Kraftgrößenverfahrens zu ermitteln. Die Momentenlinie aufgrund der gegebenen Belastung ist in Abb. 8.28, unten, dargestellt. Wir bringen an den hier relevanten Stellen des Trägers die den gesuchten Weggrößen entsprechenden virtuellen Kraftgrößen an und ermitteln die zugehörigen Momentenverläufe. Sie sind in Abb. 8.29 dargestellt.

Abb. 8.28 Balken unter Einzelkraft F , gesuchte Weggrößen (oben), Momentenlinie M0 (unten).

wG

F

φG

x l

EI1

EI2

EI3

l

l

Fl (-) (+)

Fl

wF

F

8.5 Das Kraftgrößenverfahren

279

Abb. 8.29 Balken unter virtuellen Kraftgrößen, resultierende Momentenlinien M1 .

l 1

(+)

0

0 l

1

(-) (+)

l 2 (+)

0 1

1

Die gesuchten Weggrößen werden durch Überlagerung der entsprechenden Momentenlinien ermittelt. Für die Verschiebung wG folgt: Zl wG D 0

M0 M1 1 1 F l3 dx D  l F l l D : 3EIyy 3EIyy 3 9EIyy

(8.150)

Die Verschiebung wF ergibt sich als: Zl wF D 0

M0 M1 dx C 3EIyy

Zl 0

M0 M1 dx C 2EIyy

Zl 0

M0 M1 dx EIyy

1 1 1 1 1 1  l F l l C  l F l l C  l F l l D 3EIyy 3 2EIyy 3 EIyy 3 11F l 3 : 18EIyy

D

(8.151) Die gegenseitige Verdrehung 'G wird wie folgt ermittelt: Zl 'G D 0

M0 M1 dx C 3EIyy

Zl 0

M0 M1 dx 2EIyy

1 1 1 1 1 1   l  1  .F l/ C  l F l 2C  l F l 1 D 2EIyy 6 3EIyy 3 3EIyy 6 D

7F l 2 : 36EIyy

(8.152) J

280

8.5.2

8 Energiemethoden

Berechnung einfach statisch unbestimmter Systeme

Das Kraftgrößenverfahren erweist sich ebenfalls als sehr nützlich bei der Analyse statisch unbestimmter Systeme, wobei wir uns an dieser Stelle zunächst auf einfach statisch unbestimmte Systeme beschränken wollen. Als einführendes Beispiel sei der in Abb. 8.30, oben, gezeigte Balken betrachtet. Der Balken mit der Länge l und der konstanten Biegesteifigkeit EIyy sei an seinem linken Ende fest eingespannt und am rechten Ende einwertig gelagert. Die Belastung liege in Form einer Gleichstreckenlast q vor. Gesucht werde die Momentenlinie M.x/. Um die Zustandsgrößen das statisch unbestimmten Balkens zu ermitteln wird eine beliebige überzählige Auflagerreaktion durch gedankliches Entfernen der entsprechenden kinematischen Bindung freigesetzt. Am Beispiel wollen wir das Auflager B gedanklich entfernen. Als Folge wird die Auflagerreaktion B freigesetzt und der Balken statisch bestimmt. Man nennt das so entstandene System das statisch bestimmte Grundsystem bzw. das Hauptsystem oder auch das 0-System. Die Wahl des statisch bestimmten Hauptsystems ist grundsätzlich beliebig, wobei aber zwingend darauf zu achten ist, dass das System durch das Entfernen der kinematische Bindung nicht verschieblich und damit unbrauchbar wird. q B

x l

q

1 ql 2 2 δ0

F=1

ql 2 8

1 ql 2 2

=

(-) (+)

M0 inf. q

ql 2 8

l δ0

B=1

M1 inf. F1=1 l

δ1

M1 inf. B =1

Endgültige Momentenlinie: 1 ql 2 8

Abb. 8.30 Einfach statisch unbestimmter Balken unter Streckenlast q, Darstellung der Berechnungsschritte zur Ermittlung der Momentenlinie.

8.5 Das Kraftgrößenverfahren

281

Am statisch bestimmten Hauptsystem wird nun die Momentenlinie M0 infolge der gegebenen Belastung ermittelt. Sie ist in Abb. 8.30, Mitte, dargestellt. Man bezeichnet die Schnittgrößen am statisch bestimmten Grundsystem auch als den sog. Lastspannungszustand. Die sich hier einstellende (und in Wirklichkeit natürlich nicht vorhandene) Durchbiegung ı0 am Auflagerpunkt B kann dann mit Hiulfe des Kraftgrößenverfahrens ermittelt werden. Wir bringen dazu eine virtuelle Einzelkraft F D 1 am rechten Ende des Balkens an und ermitteln die Momentenlinie M1 . Um die Überlagerung der beiden Momentenlinien M0 und M1 zweckmäßig durchführen zu können, haben wir die Momentenlinie M0 2 zerlegt in eine quadratische Parabel mit dem Maximalwert ql8 und eine Dreiecksfläche 2

mit dem Maximalwert  ql2 . Für die Durchbiegung ı0 folgt dann: Zl ı0 D 0

M0 M1 1 dx D EIyy EIyy



 1 3ql 4 1 1 1 2 2 : (8.153) l l  ql  l l  ql D 3 2 3 8 24EIyy

Im nächsten Schritt ermitteln wir diejenige Durchbiegung ı1 , die sich durch die Auflagerkraft B ergeben würde. An dieser Stelle ist die Auflagerkraft B noch unbekannt, so dass wir B als Einheitskraft B D 1 ansetzen (sog. 1-System). Die Durchbiegung ı1 infolge B D 1 ergibt sich als: Zl M1 M1 l3 dx D : (8.154) ı1 D EIyy 3EIyy 0

Diee Momentenlinie M1 wird als der sog. Eigenspannungszustand bezeichnet. Die beiden Durchbiegungen ı0 und ı1 dürfen aufgrund des ja eigentlich vorliegenden Auflagers B in Wirklichkeit nicht auftreten. Es gilt daher die nachfolgende Kompatibilitätsbedingung: (8.155) ı0 C Bı1 D 0: Das ist gleichbedeutend damit, dass sowohl die Durchbiegung ı0 als auch die mit B multiplizierte Durchbiegung ı1 sich gegenseitig aufheben müssen. Aus dieser Forderung kann die Auflagerkraft B bestimmt werden als: 3ql 4 BD

3 24EIyy ı0 D D  ql: 3 ı1 8 l

(8.156)

3EIyy Damit ist die Auflagerkraft B eindeutig bestimmt. Das negative Vorzeichen deutet an, dass B tatsächlich in entgegengesetzte Richtung als in Abb. 8.30 gezeigt wirkt. Liegt die Auflagerkraft B einmal vor, dann können auch alle weiteren Auflagerreaktionen und daraus resultierend auch alle Zustandslinien bestimmt werden. Die endgültige Momentenlinie M.x/ am statisch unbestimmten System ist in Abb. 8.30, unten, gezeigt.

282

8 Energiemethoden

Ganz allgemein können Auflagerreaktionen und Schnittgrößen des Systems (hier symbolisch mit S bezeichnet) aus der Superposition der einzelnen Berechnungen ermittelt werden: (8.157) S D S0 C BS1 : Hierin sind S0 die Schnittgrößen am statisch bestimmten Grundsystem infolge der gegebenen Belastung. Die Größen S1 sind die Schnittgrößen am statisch bestimmten Grundsystem aufgrund der Einheitslast B D 1, die in (8.157) mit dem ermittelten Wert für B multipliziert werden müssen. Die endgültige Momentenlinie M am statisch unbestimmten System folgt hier zu: (8.158) M D M0 C BM1 : Es ist üblich, überzählige Auflagerreaktionen als X zu bezeichnen. Die Kompatibilitätsbedingung lautet dann ganz allgemein: ı0 C Xı1 D 0: Ihre Lösung lautet: X D

(8.159)

ı0 : ı1

(8.160)

Die Schnittgrößen am einfach statisch unbestimmten System lauten dann: S D S0 C XS1 :

(8.161)

Beispiel 8.13

Betrachtet werde der in Abb. 8.31 gezeigte einfach statisch unbestimmte Balken unter Einzelkraft F . Die Auflagerreaktionen A, B und MA sind mit Hilfe des Kraftgrößenverfahrens zu ermitteln. Der gegebene Balken ist einfach statisch unbestimmt. Das statisch bestimmte Hauptsystem kann somit durch das Freisetzen einer statisch überzähligen Größe er-

Abb. 8.31 Statisches System und Belastung (oben), gesuchte Auflagerreaktionen (unten).

F x ll

l2 l

MA A

F

B

8.5 Das Kraftgrößenverfahren Abb. 8.32 Statisch bestimmtes Hauptsystem (oben), Momentenfläche M0 (Lastspannungszustand, Mitte) infolge der gegebenen Belastung, Momentenfläche M1 (Eigenspannungszustand, unten) infolge der statisch Überzähligen X D 1.

283 F

X=1 x ll

l2 l

F

l

F l +2l l

l

(+)

F l +ll

2

l

2

ll

F l +l l2 l

X=1

1 l l+ l 2

l2 l l+ l 2

1

2

(-)

ll l l+ l 2

=

l2 l l+ l 2

1 l l+ l 2

(-)

zeugt werden. Wir wollen hier das Einspannmoment MA durch Wegnahme der festen Einspannung als statisch Überzählige behandeln. Das statisch bestimmte Hauptsystem ist in Abb. 8.32, oben, dargestellt. Wir ermitteln nun die Momentenlinie M0 am statisch bestimmten Hauptsystem. Sie ist in Abb. 8.32, Mitte, gegeben. Außerdem wird die Momentenlinie M1 infolge der statisch Überzähligen X D 1 benötigt, sie ist in Abb. 8.32, unten, dargestellt. Die statisch Überzählige X kann dann aus den Verdrehungen ı0 und ı1 des Auflagerpunktes bestimmt werden: Zl ı0 D 0

M0 M1 dx EIyy

  l1 l2 l2 1 l1 l2 1 l1 l2 1 l1 l2 1 D  l1 F  l2 F  l1 F EIyy 6 l1 C l2 l1 C l2 2 l1 C l2 l1 C l2 3 l1 C l2 l1 C l2   2 l1 F l1 l2 l1 l2 l22 D C  (8.162) EIyy .l1 C l2 /2 6 2 3

284

8 Energiemethoden

und Zl

M1 M1 dx EIyy 0   l12 l22 l22 1 l1 l2 1 1 D C l1 C l1 C l2 l1 EIyy 3 .l1 C l2 /2 l1 C l2 l1 C l2 .l1 C l2 /2 3 .l1 C l2 /2   3 l1 l3 1 D C l12 l2 C l1 l22 C 2 : 2 EIyy .l1 C l2 / 3 3 (8.163) Die statisch Überzählige X D MA folgt dann aus der Kompatibilitätsgleichung ı1 D

X D also:

ı0 ; ı1

(8.164)

  F l1 l2 l2 XD 1C D MA : 2.l1 C l2 / l1 C l2

(8.165)

Die Auflagerkraft B kann hieraus ermittelt werden als: B D B0 C XB1 D

F l12 Œl2 C 2.l1 C l2 / : 2.l1 C l2 /3

(8.166)

Die Auflagerkraft A folgt zu A D F  B:

(8.167) J

Beispiel 8.14

Gegeben sei der in Abb. 8.33 gezeigte einfach statisch unbestimmte Balken, der durch die Streckenlast q belastet werde. Gesucht wird die Momentenlinie des einfach statisch unbestimmten Balkens mit Hilfe des Kraftgrößenverfahrens. Der Balken weise die konstante Biegesteifigkeit EIyy auf. Wir machen den Balken gedanklich statisch bestimmt, indem wir das Stützmoment über dem mittleren Auflager durch Einfügen eines Vollgelenks freisetzen. Die Momentenlinien M0 und M1 sind in Abb. 8.34 gezeigt. Die hier anzusetzende KompaAbb. 8.33 Statisches System und Belastung.

q x l

l

8.5 Das Kraftgrößenverfahren

285 q

Abb. 8.34 Momentenlinien M0 (links) und M1 (rechts).

X =1 x

x

ql 2

M0

(+)

1 l

ql 2

ql

2 l

M1

(+)

1ql 2 8

(+)

1ql 2 8

1 l

1

tibilitätsgleichung lautet:

ı0 : ı1 Die beiden Weggrößen ı0 und ı1 lauten hier: Z M0 M1 1 1 ql 2 ql 3 ı0 D dx D 2   l  ; 1D EIyy EIyy 3 8 12EIyy Z M1 M1 1 1 2l dx D 2   l 1D : ı1 D EIyy EIyy 3 3EIyy X D

(8.168)

(8.169)

Damit ergibt sich das statisch überzählige Stützmoment als: X D

ql 2 : 8

(8.170)

Die Reaktionen A der äußeren Auflager folgen daraus als: A D A0 C XA1 D

3 ql: 8

(8.171)

Die Auflagerkraft B des mittleren Auflagers lautet: B D B0 C XB1 D

5 ql: 4

(8.172)

Die endgültige Momentenlinie am statisch unbestimmten System folgt aus der Bedingung (8.173) M D M0 C XM1 : Die Momentenlinie ist in Abb. 8.35 dargestellt. J

Abb. 8.35 Momentenfläche am statisch unbestimmten System.

1ql 2 8

M (+)

3ql 8

(+)

5ql 4

3ql 8

286

8 Energiemethoden

Beispiel 8.15

Betrachtet werde der in der Abb. 8.36 dargestellte einfach statisch unbestimmte Rahmen. Es liegen die Biegesteifigkeiten EIS im Rahmenstiel und EIR im Rahmenriegel vor. Der Rahmen werde durch eine Einzelkraft in Feldmitte des Riegels wie dargestellt belastet. Das System werde durch Einführen eines Momentengelenks statisch bestimmt gemacht, und man bestimme die auf diese Weise freigesetzte statisch überzählige Größe. Außerdem werden die Auflagerreaktionen und die Momentenlinie des statisch unbestimmten Systems für den Spezialfall EIS D EIR und h D l gesucht. Man verwende das Kraftgrößenverfahren, wobei bei den Verformungsberechnungen nur der Anteil aus den Biegemomenten berücksichtigt werden soll. Das statisch bestimmte Hauptsystem entsteht dadurch, dass wir wir am Kraftangriffspunkt ein Momentengelenk einführen und diese Art und Weise das Schnittmoment an dieser Stelle freisetzen. Die sich ergebenden Momentenlinien M0 und M1 sind in Abb. 8.37 gezeigt. Aus der Kompatibilitätsgleichung ermitteln wir die statisch unbestimmte Größe X D M als: ı0 (8.174) X D : ı1 Die Größen ı0 und ı1 ergeben sich aus der Überlagerung der Momentenflächen als:   M0 M1 h Fl l ı0 D dx D C ; EIyy 2 3EIS 4EIR Z M1 M1 2h l dx D C : ı1 D EIyy 3EIR EIS Z

(8.175)

Abb. 8.36 Einfach statisch unbestimmter Rahmen unter Einzelkraft.

F EIR h

EIS

EIS

l 2

l 2 l

8.5 Das Kraftgrößenverfahren Fl 4 Fl 4

287

F (-)

(-)

(-)

Fl 4 (-)

M0

Fl 4h F 2

1 Fl 4

Fl 4h

1

(-)

1

1 (-)

(-)

X =1

M1

1 h

F 2

1 h

0

0

Abb. 8.37 Momentenlinien M0 (links) und M1 (rechts).

Das führt auf die statisch Überzählige als:  h l F l 3EI C 4EIR S : X D  2h 2 3EIR C EIl S

(8.176)

Liegt der Spezialfall EIS D EIR und h D l vor, dann ergibt sich: X D

7 F l: 40

(8.177)

Die Auflagerreaktionen und die Momentenlinie werden aus der Bedingung S D S0 C XS1

(8.178)

ermittelt, sie sind für EIS D EIR in Abb. 8.38 dargestellt. J

Abb. 8.38 Auflagerreaktionen und Momentenlinie des statisch unbestimmten Rahmens für den Sonderfall EIS D EIR und h D l.

3 40 Fl 3 40 Fl

3 40 Fl

F

(-)

3 40 Fl

(-) (+)

(-)

(-)

7 40 Fl 3 40 F

3 40 F

M F 2

F 2

288

8 Energiemethoden

8.6 Reziprozitätstheoreme 8.6.1 Der Satz von Betti Wir wollen den sog. Satz von Betti3 anhand der Situation der Abb. 8.39 motivieren. Betrachtet werde ein linear elastischer Festkörper, der durch zwei Einzelkräfte F1 und F2 belastet werde. Die Verschiebungen der beiden Kraftangriffspunkte wollen wir als u1 bzw. u2 bezeichnen. Es werde nun das folgende Gedankenexperiment durchgeführt. Wir betrachten zunächst die Situation, dass ausschließlich die Kraft F1 auf den Festkörper wirke und die Kraft F2 noch nicht vorhanden sei. Die Kraft F1 leistet dann eine äußere Arbeit an der Verschiebung u1 wie folgt: 1 .1/ (8.179) Wa D F1 u1 : 2 .1/

Hierbei deutet der hochgestellt Index .1/ an, dass die Verschiebung u1 durch die Kraft F1 hervorgerufen wurde. Im nächsten Schritt werde nun die Kraft F2 auf den Festkörper aufgebracht, wobei wir annehmen wollen, dass die Kraft F1 nach wie vor in voller Höhe wirke. Die gesamte geleistete äußere Arbeit lautet dann: Wa D

1 1 .1/ .2/ .2/ F1 u1 C F2 u2 C F1 u1 : 2 2

(8.180)

.1/

Neben dem bereits zuvor geleisteten Anteil 12 F1 u1 kommt ein weiterer Anteil aus der .2/ Kraft F2 hinzu, und zwar entlang der durch sie verursachten Verschiebung u2 . Allerdings ist zusätzlich noch der Anteil der Kraft F1 zu berücksichtigen, die entlang der durch F2 .2/ hervorgerufenen Verschiebung u1 eine zusätzliche Arbeit leistet (sog. passive Arbeit). Abb. 8.39 Erläuterung des Satzes von Betti.

F2

F1 u2 u1

3

Enrico Betti, 1823–1892, italienischer Mathematiker.

8.6 Reziprozitätstheoreme

289

Das Gedankenexperiment wird nun in umgekehrter Reihenfolge wiederholt, und wir bringen zunächst die Kraft F2 auf. Es folgt: Wa D

1 .2/ F2 u2 : 2

(8.181)

Die Kraft F2 wirke nun in voller Höhe, und es werde nun zusätzlich noch die Kraft F1 aufgebracht. Die gesamte geleistete äußere Arbeit lautet dann: Wa D

1 1 .2/ .1/ .1/ F2 u2 C F1 u1 C F2 u2 : 2 2

(8.182)

Die gesamte geleistete äußere Arbeit muss in beiden Fällen identisch sein. Setzt man (8.180) und (8.182) gleich, dann erhält man: 1 1 1 1 .1/ .2/ .2/ .2/ .1/ .1/ F1 u1 C F2 u2 C F1 u1 D F2 u2 C F1 u1 C F2 u2 : 2 2 2 2 .1/

(8.183)

.2/

Hierbei lassen sich die Terme 12 F1 u1 und 12 F2 u2 herauskürzen, und es verbleibt: .2/

.1/

F1 u1 D F2 u2 :

(8.184)

Dies ist der Satz von Betti. Er sagt aus, dass die Arbeit einer Kraft F1 entlang einer Ver.2/ schiebung u1 , die von einer an einem anderen Punkt angreifenden Kraft F2 hervorgerufen wurde, identisch mit der Arbeit der Kraft F2 ist, die sie entlang der durch F1 hervorgerufe.1/ nen Verschiebung u2 leistet. Abgekürzt kann man auch in symbolischer Form schreiben: W12 D W21 ;

(8.185)

bzw. ganz allgemein Wij D Wj i ;

i ¤ j:

(8.186)

Hierin gibt der Index i den Ort und der Index j die Ursache an.

8.6.2 Der Satz von Maxwell Auf den Satz von Maxwell4 stößt man, wenn man im Satz von Betti die Kräfte F1 und F2 als Einheitslasten annimmt. Der Satz von Maxwell lautet dann: .2/

.1/

u1 D u2 :

(8.187)

In einer an späterer Stelle noch nützlichen Schreibweise lautet er: ıij D ıj i ; mit i ¤ j . 4

James Clerk Maxwell, 1831–1879, schottischer Physiker.

(8.188)

290

8 Energiemethoden

8.7 Berechnung mehrfach statisch unbestimmter Systeme Der Satz von Betti bzw. der Satz von Maxwell finden Anwendung bei der Berechnung mehrfach statisch unbestimmter Systeme bei Verwendung des Kraftgrößenverfahrens. Betrachtet werde dazu das einführende Beispiel der Abb. 8.40, links oben. Der betrachtete Balken habe die Gesamtlänge 2l und weise die konstante Biegesteifigkeit EIyy auf. Der Balken sei derart gelagert, dass an seinem linke Ende eine feste Einspannung vorliege. In Feldmitte und am rechten Ende sei der Balken jeweils einwertig gelagert. Um das Kraftgrößenverfahren anwenden zu können machen wir den Balken gedanklich statisch bestimmt, indem wir eine ausreichende Anzahl von kinematischen Bindungen lösen und die statisch Überzähligen freisetzen, ohne dabei aber das System unbrauchbar zu machen. Das geschehe am Beispiel durch das gedankliche Entfernen der beiden einwertigen Auflager, s. Abb. 8.40, rechts oben. Durch dieses gedankliche Freischneiden entstehen an den beiden Auflagerpunkten die Verschiebungen ı10 und ı20 aufgrund der gegebenen Belastung, die natürlich am eigentlich statisch unbestimmten System nicht auftreten dürfen. Wir setzen daher nun am mittleren Lagerpunkt die noch unbekannte Lagerkraft X1 an (Abb. 8.40, links unten), die wir zunächst als Einheitskraft auffassen wollen. Sie ruft die beiden Verschiebungen ı11 und ı21 hervor. Aus der Indizierung dieser Verschiebungen geht hervor, dass es sich um Verschiebungen an den Punkten 1 und 2 (durch den jeweils Index angedeutet) handelt, die durch X1 (durch den zweiten Index signalisiert) verursacht werden. Auf gleiche Art und Weise können wir mit der unbekannten Lagerkraft am rechten Auflager verfahren, indem wir dort die Einheitslast X2 D 1 anbringen und die beiden durch sie hervorgerufenen Verschiebungen ı12 und ı22 betrachten (Abb. 8.40, rechts unten). Alle oben genannten Verschiebungen können am ja eigentlich statisch unbestimmten System nicht auftreten. Vielmehr müssen sie sich in Kombination mit den unbekannten Lagerkräften gegenseitig aufheben. Daher ergeben sich an einem zweifach statisch unbestimmten System auch zwei Kompatibilitätsbedingungen. Bezüglich ı10 , ı11 und ı12 am

q

q

x l

δ10

δ20

δ12

δ22

l

δ11

X1 =1

δ21

X2 =1

Abb. 8.40 Zweifach statisch unbestimmter Balken, Ermittlung der überzähligen Lagerreaktionen.

8.7 Berechnung mehrfach statisch unbestimmter Systeme

291

Lagerpunkt in Balkenmitte folgt: ı10 C X1 ı11 C X2 ı12 D 0:

(8.189)

Am Lagerpunkt am rechten Balkenende hingegen ergibt sich: ı20 C X1 ı21 C X2 ı22 D 0:

(8.190)

Es handelt sich hierbei um zwei Gleichungen für die beiden unbekannten Lagerreaktionen X1 und X2 . Aus dem Satz von Maxwell ergibt sich die Gleichheit der beiden hier auftretenden Verschiebungen ı12 und ı21 : (8.191) ı12 D ı21 : Ganz allgemein formuliert können wir schreiben: ıij D ıj i ;

i ¤ j:

(8.192)

Die beiden Kompatibilitätsbedingungen nehmen dann die folgende Form an: ı10 C X1 ı11 C X2 ı12 D 0; ı20 C X1 ı12 C X2 ı22 D 0:

(8.193)

Liegt also ein zweifach statisch unbestimmtes System vor, das mit Hilfe des Kraftgrößenverfahrens behandelt werden soll, dann sind insgesamt fünf Verschiebungsgrößen zu ermitteln. Wird nur der Einfluss des Biegemoments M berücksichtigt, dann ergeben sich diese Verschiebungsgrößen als: Z Mi Mj dx: (8.194) ıij D EIyy Die Kompatibilitätsbedingungen (8.193) lassen sich nach den statisch Überzähligen auflösen wie folgt: X1 D

ı10 ı22 C ı20 ı12 ; 2 ı11 ı22  ı12

X2 D

ı20 ı11 C ı10 ı12 : 2 ı11 ı22  ı12

(8.195)

Sind die Lagerreaktionen des Balkens erst einmal bekannt, dann lassen sich die weiteren Lagerreaktionen sowie die Schnittgrößen des statisch unbestimmten Systems ermitteln. Für die Schnittgröße S folgt aus dem Superpositionsprinzip: S D S 0 C X1 S 1 C X2 S 2 :

(8.196)

Hierin sind S1 und S2 die Schnittgrößen infolge der statisch Überzähligen X1 und X2 , die bei deren Ermittlung als Einheitsgrößen angesetzt wurden.

292

8 Energiemethoden

Beispiel 8.16

Betrachtet werde das in Abb. 8.41, links, dargestellte zweifach statisch unbestimmte System. Gesucht werden die Auflagerkräfte und die Momentenlinie. Bei der Berechnung sind Normalkrafteinflüsse zu vernachlässigen. Wir wählen das statisch bestimmte Hauptsystem so wie in Abb. 8.41, rechts, gezeigt. Hier wurde ein Momentengelenk an der linken oberen biegesteifen Ecke eingeführt, und die Festeinspannung wurde in ein zweiwertiges Auflager überführt. Der Lastspannungszustand M0 ist in Abb. 8.42, oben, dargestellt. Die zugehörigen Eigenspannungszustände als Folge der statisch Überzähligen X1 D 1 und X2 D 1 sind in Abb. 8.42, Mitte, gezeigt. Die hier zu lösenden Kompatibilitätsgleichungen lauten: ı10 C X1 ı11 C X2 ı12 D 0; ı20 C X1 ı12 C X2 ı22 D 0:

(8.197)

Die Weggrößen ıij (i; j; D 0; 1; 2) ergeben sich gegenwärtig zu: ı10 D

F l2 ; 3EIyy

ı11 D

l ; EIyy

ı12 D 

2l ; 3EIyy

ı20 D 

F l2 ; 2EIyy

ı22 D

5l : 3EIyy (8.198)

Die statisch Überzähligen können damit ermittelt werden als: X1 D 

2 F l; 11

X2 D

5 F l: 22

(8.199)

Die Auflagerreaktionen sowie die resultierende Momentenlinie am statisch unbestimmten System sind in Abb. 8.42, unten, gezeigt. J

Statisch unbestimmtes System

Statisch bestimmtes Hauptsystem

F

F

l

l

l

Abb. 8.41 Zweifach statisch unbestimmtes System (links), statisch bestimmtes Hauptsystem (rechts).

8.7 Berechnung mehrfach statisch unbestimmter Systeme

293

Lastspannungszustand

Fl (-)

0

M0

0

0

0

F

2F

Eigenspannungszustand (-)

X 2=1 1

1

0

(+) 1

1

(+)

(-)

(+)

M1

0

M2

X1 =1 1 l

(+)

1

1 l

1 l

1 l 1 l

1 l

0

0

Endgültige Auflagerreaktionen und Momentenlinie 13 Fl Fl 22

5 22 Fl

(-) (-) (+) (+)

(-)

5 22 Fl

(-)

2 11 Fl 9 22 F

9 22 Fl

M 9 22 F

2 11 Fl 9 11 F

20 F 11

Abb. 8.42 Last- und Eigenspannungszustand sowie endgültige Momentenlinie.

Systeme mit einem Grad der statischen Unbestimmtheit höher als zwei können ganz analog mit Hilfe des Kraftgrößenverfahrens behandelt werden. Liegt ein dreifach statisch unbestimmtes System vor, dann sind die folgenden Kompatibilitätsbedingungen zu betrachten: ı10 C X1 ı11 C X2 ı12 C X3 ı13 D 0; ı20 C X1 ı21 C X2 ı22 C X3 ı23 D 0; ı30 C X1 ı31 C X2 ı32 C X3 ı33 D 0;

(8.200)

294

8 Energiemethoden

bzw. nach Anwendung des Satzes von Maxwell: ı10 C X1 ı11 C X2 ı12 C X3 ı13 D 0; ı20 C X1 ı12 C X2 ı22 C X3 ı23 D 0; ı30 C X1 ı13 C X2 ı23 C X3 ı33 D 0:

(8.201)

In Vektor-Matrix-Schreibweise ergibt sich: 2

ı11 4ı12 ı13

ı12 ı22 ı23

30 1 0 1 ı13 X1 ı10 ı23 5@X2 A D @ı20 A: ı33 X3 ı30

(8.202)

Damit liegen drei Gleichungen für die Bestimmung der drei unbekannten Kraftgrößen X1 , X2 und X3 vor. Die Koeffizientenmatrix ist als Folge des Satzes von Maxwell symmetrisch. Wir betrachten nun ein statisches System mit dem Grad der statischen Unbestimmtheit n. Die n zu beachtenden Kompatibilitätsbedingungen lauten dann: ı10 C X1 ı11 C X2 ı12 C X3 ı13 C    C Xn ı1n D 0; ı20 C X1 ı12 C X2 ı22 C X3 ı23 C    C Xn ı2n D 0; ı30 C X1 ı13 C X2 ı23 C X3 ı33 C    C Xn ı3n D 0; :: : ın0 C X1 ı1n C X2 ı2n C X3 ı3n C    C Xn ınn D 0:

(8.203)

In Vektor-Matrix-Schreibweise können wir schreiben: ı11 6ı12 6 6ı13 6 6 : 4 ::

ı12 ı22 ı23 :: :

ı13 ı23 ı33 :: :

   :: :

0 1 30 1 X1 ı10 ı1n B X2 C Bı20 C ı2n 7 B C 7B C B C B C ı3n 7 7BX3 C D Bı30 C; B : C B : C :: 7 @ :: A : 5@ :: A

ı1n

ı2n

ı3n



ınn

2

Xn

(8.204)

ın0

bzw. in symbolischer Form: ıX D ı 0 : Die Matrix ı ist als Folge des Satzes von Maxwell symmetrisch.

(8.205)

8.7 Berechnung mehrfach statisch unbestimmter Systeme

295

Beispiel 8.17

Gegeben sei das in Abb. 8.43 dargestellte dreifach unbestimmte Rahmentragwerk. Gesucht werden die Auflagerreaktionen und die Momentenlinie. Es soll das vorgegebene statisch bestimmte Grundsystem verwendet werden. Gegenwärtig sind die folgenden Kompatibilitätsbedingungen zur Ermittlung der drei statisch Überzähligen X1 , X2 und X3 zu beachten: ı10 C X1 ı11 C X2 ı12 C X3 ı13 D 0; ı20 C X1 ı12 C X2 ı22 C X3 ı23 D 0; ı30 C X1 ı13 C X2 ı23 C X3 ı33 D 0:

(8.206)

Die Verschiebungsen ıij ergeben sich als: 1 F h.l C h/; 3EIyy   1 1 1 D lC h ; EIyy 2 6   1 1 1 D Fh l C h ; EIyy 2 3 1 D .l C h/; 2EIyy   1 1 D l Ch : EIyy 3

1 .l C 2h/; 3EIyy   1 1 1 D lC h ; EIyy 3 2   1 2 D lC h ; EIyy 3   1 1 1 D Fh l C h ; EIyy 3 2

ı10 D 

ı11 D

ı12

ı13

ı20 ı23 ı33

ı22 ı30

(8.207)

Statisch unbestimmtes System

Statisch bestimmtes Hauptsystem

F

h

l

Abb. 8.43 Dreifach statisch unbestimmer Rahmen unter Einzellast (links), statisch bestimmtes Hauptsystem (rechts).

296

8 Energiemethoden

Es folgt aus (8.206): ! !3 1 0 1 1 1 1 1 1  lC h  lC h 7 6 .l C 2h/ F h.l C h/ C 6 3 2 6 3 2 70 1 B B 3 !C 7 X 6 ! ! B 7 6 1 1 C 1 C 1 1 2 1 7@ A B 6 F h l C h C: lC h .l C h/ 7 X2 D B 6 l C h C B 2 3 7 6 2 6 3 2 B !C 6 ! ! 7 X3 B 7 6 1 1 C A @ 1 1 1 1 5 4 F h l C h .l C h/ l Ch  lC h 3 2 3 2 2 3 (8.208) Auflösen ergibt: 2

X1 D

h.3h C l/ F; 2.6h C l/

X2 D 

3h2 F; 2.6h C l/

X3 D 

h.3h C l/ F: 2.6h C l/

(8.209)

Die Auflagerkräfte des statische unbestimmten Systems ergeben sich dann als: 3h2 F; l.6h C l/ F AH D Ah0 C X1 AH1 C X2 AH 2 C X3 AH 3 D ; 2 3h2 B V D B V 0 C X1 B V 1 C X2 B V 2 C X3 B V 3 D  F; l.6h C l/ F BH D BH 0 C X1 BH1 C X2 BH 2 C X3 BH 3 D  : 2 AV D AV 0 C X1 AV 1 C X2 AV 2 C X3 AV 3 D

(8.210)

Die endgültige Momentenlinie folgt dann aus Superposition der einzelnen Teilmomentenlinien: (8.211) M D M0 C X1 M1 C X2 M2 C X3 M3 : Sie ist in Abb. 8.44, unten, dargestellt. J

8.7 Berechnung mehrfach statisch unbestimmter Systeme Fh

Lastspannungszustand

297

Eigenspannungszustand

F (+) Fh

(+)

(-)

1 1 (-)

0 1 h

F

0 Fh l

1

Fh l X 2=1

1 h

(+)

1 l

X 1=1

1 l

1

(+)

(+)

1 1

1

1

(+)

(+)

(+)

0 1 h

1 h 0

0

0 1 l

0

Endgültige Auflagerkräfte und Momentenlinie

1 l

X 3=1

Fh F

(+) 2

3h 2(6h+l) F

F 2

(-)

(-)

2

(+)

3h 2(6h+l) F (+)

h(3h+l) 2(6h+l) F

(-)

F 2

h(3h+l) h(3h+l) 2(6h+l) F 2(6h+l) F 2

3h l(6h+l) F

2

3h 2(6h+l) F

2

3h l(6h+l) F

Abb. 8.44 Last- und Eigenspannungszustände sowie endgültige Auflagerreaktionen und Momentenlinie.

9

Stabknicken

In diesem Kapitel werden die Grundlagen des Stabknickens behandelt, was ein Teilgebiet der Stabilitätstheorie ist. Nach einer kurzen Einführung in die Begrifflichkeiten der Stabilität von Gleichgewichtslagen und der kritischen Last (also diejenige Last, unter der ein vormals gerader Stab in eine ausgelenkte Lage wechselt), so wie für das Verständnis dieses Kapitels notwendig, gehen wir auf die rechnerische Ermittlung von Knicklasten von Stäben unter Drucklast unter verschiedenen Randbedingungen ein. Die Studierenden sollen mit diesem Kapitel in die Lage versetzt werden, Stabilitätsprobleme gedrückter Stäbe rechnerisch zu behandeln und Knicklasten für elementare Fälle zu bestimmen.

9.1

Einleitung

Ziel der Auslegung einer Struktur ist es, für eine ausreichende Steifigkeit und Festigkeit unter Berücksichtigung spezifischer Erfordernisse zu sorgen. Ingenieur*innen in der Praxis sind also demnach häufig damit beschäftigt, entsprechende rechnerische Nachweise zu erbringen, zumeist in Form eines Festigkeitsnachweises, also der Nachweis, dass die Spannungen in einer Struktur zulässige Spannungen nicht überschreiten. Betrachtet man den Zugstab der Abb. 9.1, so ist hier der Nachweis zu erbringen, dass die auftretende Zugspannung  D FA einen zulässigen Wert zul (ggf. unter Berücksichtigung von Sicherheitsfaktoren) nicht überschreitet. Dieser zulässige Wert kann z. B. eine Festigkeit im Falle eines spröden Materials oder eine Fließgrenze bei fließfähigen Materialien sein. Es handelt sich also bei diesem Zugstab um die Betrachtung eines Festigkeitsproblems.

F

Abb. 9.1 Zugstab. l

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2022 C. Mittelstedt, Technische Mechanik 2: Elastostatik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66432-2_9

299

300 Abb. 9.2 Druckstab.

9

Stabknicken

unverformte Lage verformte Lage

l

Eine gänzlich andere Situation ergibt sich, wenn die betrachtete Stabsituation ein Druckstab ist, der unter der achsparallelen Druckkraft F steht (Abb. 9.2). Hierbei ergibt sich der interessante Zustand, dass in den meisten technisch relevanten Fällen gar kein Festigkeitsproblem auftritt (entsprechende Festigkeiten des Materials also gar nicht erreicht werden), sondern vielmehr abhängig von der Höhe der aufgebrachten Last mehrere Gleichgewichtszustände auftreten können, die verschiedene Konfigurationen des Stabes beschreiben. Es besteht hierbei also nicht notwendigerweise ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der wirkenden Last und der sich einstellenden Stabantwort. Neben der geraden Konfiguration sind auch Konfigurationen denkbar, die mit einer Ausbiegung des Stabes einhergehen. Dieses Phänomen, also das Ausbiegen eines Druckstabes bei Erreichen einer bestimmten achsparallelen Last, wird als Stabknicken oder kurz Knicken bezeichnet. Auch ist der Begriff des sog. Biegeknickens gebräuchlich um deutlich zu machen, dass es sich zwar der Belastung nach um einen Stab handelt, der auf die wirkende Belastung aber wie ein Balken durch Ausbiegen reagiert. Dieses Ausweichen geschieht i.All. schlagartig bei Erreichen einer definierten Belastungshöhe F D Fkrit , die wir als kritische Last oder Knicklast bezeichnen. Das übergeordnete Wissensgebiet ist die sog. Stabilitätstheorie, und es ist das Ziel einer Stabilitätsanalyse, die kritische Last bzw. die Knicklast Fkrit zu bestimmen, bei der der vormals gerade Stab in eine ausgelenkte Lage übergeht.

9.2 Arten des Gleichgewichts Wir wollen den Begriff der Stabilität und hiermit verbunden die Stabilität von Gleichgewichtslagen ein wenig näher betrachten. Dazu betrachten wir die sog. Kugelanalogie (s. Abb. 9.3). Es werde eine starre Kugel der Masse m betrachtet, die sich auf unterschiedlich geformten Oberflächen befinde. Die Gravitation wirke wie angedeutet. Wir betrachten eingangs den Fall, dass die Kugel in einer Mulde liege (Abb. 9.3, links oben). In diesem Fall wird die Kugel ganz von selbst in ihrer Ruhelage am tiefsten Punkt der Mulde zu liegen kommen und dort ihre natürliche Gleichgewichtslage finden. Wird nun die Lage der Kugel kurzzeitig verändert, indem sie infinitesimal ausgelenkt und dann sich selbst überlassen wird (wird also eine infinitesimale Störung des Gleichgewichtszustandes aufgebracht), dann wird die Kugel unter der Einwirkung des Schwerefelds des Erde und durch den Einfluss der Gleitreibung stets wieder in ihre ursprüngliche Lage zurückkeh-

9.2 Arten des Gleichgewichts

301

Stabiles Gleichgewicht Indifferentes Gleichgewicht Infinitesimal ausgelenkte Lage

g

Labiles Gleichgewicht Ruhelage ausgelenkte Lage

Infinitesimal ausgelenkte Lage

Ruhelage

Ruhelage m

FFkrit

unausgelenkte Lage ausgelenkte Lagen

EI

EI

kehrt von selbst in Ausgangslage zurück

EI

beide Lagen sind möglich

l

x

l

verbleibt in ausgelenkter Lage, Ausbiegungen nehmen bei Laststeigerung zu

x

l

x

Abb. 9.3 Kugelanalogie und ihre Übertragung auf den geraden Druckstab.

ren und am tiefsten Punkt der Mulde ihren Ruhezustand wieder einnehmen. Eine solche Gleichgewichtslage wird als stabiles Gleichgewicht bezeichnet. Dieses Verhalten der starren Kugel in einer Mulde kann direkt auf den elastischen Druckstab der Abb. 9.2 übertragen werden (s. dazu auch Abb. 9.3, links unten). Der Stab habe die Länge l und weise die Biegesteifigkeit EI auf. Die Kraft F befinde sich unterhalb der Knicklast, d. h. es gilt F < Fkrit . Wird auf den Stab eine infinitesimale seitliche Auslenkung aufgebracht (wird also die gerade Gleichgewichtslage einer Störung ausgesetzt) und überlässt man den Stab danach sich selbst, so wird der Stab von selbst wieder in die gerade unausgelenkte Lage zurückkehren. Somit befindet sich der Druckstab für alle Lasten F unterhalb der Knicklast Fkrit im stabilen Gleichgewicht. Es werde nun der Fall betrachtet, dass sich die Kugel auf einer horizontalen Ebene im Gleichgewichtszustand befinde (Abb. 9.3, oben Mitte). Es werde nun eine Störung derart angebracht, dass wir die Kugel an einer anderen Stelle auf der Ebene platzieren und dann dort wieder sich selbst überlassen. In diesem Falle wird die Kugel nicht mehr in ihre alte Gleichgewichtslage zurückkehren, sondern vielmehr in ihrer neuen Ruhelage verbleiben. Demnach sind in diesem Falle beide genannten Lagen mögliche Gleichgewichtslagen, und das Gleichgewicht ist in diesem Falle nicht mehr eindeutig, sondern mehrdeutig – es existieren mehrere völlig gleichberechtigte Gleichgewichtslagen gleichzeitig. Man bezeichnet diese Art des Gleichgewichts als indifferentes Gleichgewicht.

302

9

Stabknicken

Auch dieser Teil der Kugelanalogie kann wieder auf den Druckstab übertragen werden. Es zeigt sich, dass der Stab bei Erreichen einer gewissen Laststufe bei Aufbringen einer infinitesimalen seitlichen Störung nicht mehr in die gerade Ausgangslage zurückkehren wird, sondern vielmehr in der ausgelenkten Lage verbleiben wird. Offenbar existieren dann mehrere gleichberechtigte Gleichgewichtslagen gleichzeitig, so dass hier indifferentes Gleichgewicht vorliegt. Dieser Zustand kann nur bei einer ganz bestimmten Höhe der Last F auftreten, nämlich genau dann, wenn die Kraft F die kritische Last erreicht: F D Fkrit . An dieser Stelle spricht man auch vom Verzweigen des Gleichgewichts (dazu an späterer Stelle mehr), und die zugehörige Last wird auch als Verzweigungslast bezeichnet. Das Eintreten des indifferenten Gleichgewichts bezeichnet man oft auch als Knickbeginn. Der letzte Teil der Kugelanalogie betrifft den Fall, dass sich die Kugel auf einer Kuppe in ihrer Ruhelage befindet (Abb. 9.3, oben rechts). Setzt man die Kugel nun einer infinitesimalen Störung aus und überlasst sie danach sich selbst, so wird die Kugel nicht mehr in ihre ursprüngliche Ruhelage zurückkehren. Die Bewegung der Kugel folgt dabei der Richtung der aufgebrachten Störung. Eine solche Gleichgewichtslage wird als labiles Gleichgewicht oder instabiles Gleichgewicht bezeichnet. Labiles Gleichgewicht zeichnet sich also dadurch aus, dass die Ruhelage schon bei der kleinsten Störung verlassen und nicht von selbst wieder eingenommen wird. Übertragen auf den Druckstab bedeutet labiles Gleichgewicht, dass der Fall vorliegt, dass die Kraft F die Knicklast bereits überschritten hat und damit F > Fkrit und der Stab nach wie vor in seiner geraden Konfiguration vorliegt. Auch wenn die alltägliche Erfahrung uns zeigt, dass dieser Fall in keinem praktisch relevanten System auftreten wird, so ist dies, wie wir noch zeigen werden, eine zumindest mathematisch mögliche Lösung. In diesem Zustand bei dieser Lasthöhe reicht schon die kleinste Störung in Form einer infinitesimalen seitlichen Auslenkung, um den Stab aus seiner geraden Lage in eine benachbarte ausgelenkte Lage zu bringen (also eine ausgeknickte Lage), und damit ist die gerade Lage für F > Fkrit labil. Die seitliche Auslenkung wird dabei umso größer ausfallen, je größer die Last F ist. Die seitlich ausgelenkte Lage wiederum ist jedoch stabil. Die Unterscheidung, ob eine Gleichgewichtslage stabil, indifferent oder labil ist, lässt sich besonders vorteilhaft durch Energiebetrachtungen vornehmen. Am Beispiel der Kugelanalogie zeigt es sich, dass im Falle der Kugel, die am tiefsten Punkt einer Mulde ihre Ruhelage einnimmt, die potentielle Energie ein Minimum ist – jede andere Lage geht mit einer Erhöhung der potentiellen Energie einher. Anschaulich bedeutet das, dass Energie aufgewendet werden muss, um die Kugel aus ihrer Ruhelage zu bewegen. Stabiles Gleichgewicht geht damit also mit einem Energieminimum einher. Umgekehrt hingegen bedeutet labiles Gleichgewicht am Beispiel der Kugelanalogie, dass Energie abgegeben wird, wenn die Kugel aus ihrer Ruhelage bewegt wird. Labiles Gleichgewicht geht also mit einem Energiemaximum einher.

9.3 Ermittlung kritischer Lasten

9.3

303

Ermittlung kritischer Lasten

Die Ermittlung kritischer Lasten lässt sich besonders anschaulich an Systemen starrer Stäbe motivieren. Wir betrachten dazu als einführendes Prinzipbeispiel den elastisch gelagerten Stab der Abb. 9.4, links. Es handelt sich dabei um einen geraden, ideal starren und masselosen Stab der Länge l, der an seinem unteren Ende zweiwertig gelagert ist. Zusätzlich wird das Auflager durch eine elastische Drehfeder mit der Steifigkeit k (linearelastisches Federgesetz M D k') verstärkt. Der Stab werde an seinem oberen Ende durch die Kraft F belastet. Wir nehmen dabei an, dass die Kraft richtungstreu ist, also auch bei einer Auslenkung aus der Gleichgewichtslage heraus ihre Richtung beibehält. Zur Ermittlung von kritischen Lasten stehen grundsätzlich zwei Wege offen. Dies ist zum einen die Ermittlung über Gleichgewichtsbetrachtungen (auch als Gleichgewichtsmethode bezeichnet), und zum anderen die Betrachtung der Energie des Systems. Wir beginnen die Ausführungen mit der Betrachtung des Gleichgewichtsmethode. Zu diesem Zweck lenken wir den Stab gedanklich aus seiner geraden Konfiguration um den Winkel ' aus, Abb. 9.4, Mitte. An den Winkel ' wird die Anforderung gestellt, dass j'j < 2 gelte, wir erheben aber nicht die Forderung, dass es sich um einen kleinen Winkel handelt. Die Betrachtung des Gleichgewichts am verformten System ist in der Stabilitätstheorie üblich und auch zwingend notwendig, um Aussagen über kritische Lasten zu erhalten. Die Verdrehung des Stabes um den Winkel ' um seinen Fußpunkt führt auf ein Einspannmoment der Größe k'. Bildet man die Summe der Momente um den Auflagerpunkt, dann erhält man: k'  F l sin ' D 0: (9.1)

Abb. 9.4 Elastisch gelagerter ideal starrer Stab unter Drucklast F (links), ausgelenkte Lage (Mitte), Kraft-Verdrehungs-Diagramm (rechts).

304

9

Stabknicken

Diese Gleichung hat zwei Lösungen. Zum einen kann (9.1) dadurch gelöst werden, dass der Winkel ', unabhängig von der wirkenden Kraft F , zu null wird: ' D 0:

(9.2)

Dieses Ergebnis bedeutet anschaulich, dass die gerade unverdrehte Lage mit ' D 0 eine Gleichgewichtslage ist. Dies ist in Abb. 9.4, rechts, als vertikale Linie angedeutet. Die zweite Lösung ergibt sich, indem (9.1) eingehender diskutiert wird. Es gilt nämlich '  sin ' für alle Winkel ', so dass die Lösung ' ¤ 0 nur dann möglich ist, wenn die Kraft F Werte F > kl annimmt. Die sich damit einstellende Kraft-Verdrehungs-Kurve ist ebenfalls in Abb. 9.4, rechts, dargestellt. Als Folge gilt, dass für alle F < kl nur die Lösung ' D 0 existiert. Demnach sind bei der Kraft F D kl sowohl die gerade als auch die ausgelenkte Konfiguration möglich, und zur Kennzeichnung dieses Sachverhalts hat sich der Begriff der Verzweigung des Gleichgewichts etabliert. Die Kraft F D kl kennzeichnet offenbar den Übergang vom geraden Zustand in die ausgelenkte Lage und stellt somit die gesuchte kritische Last Fkrit des starren elastisch gelagerten Stabes dar: Fkrit D

k : l

(9.3)

Es ist üblich, bei Lastniveaus unterhalb der kritischen Last vom sog. unterkritischen Zustand zu sprechen. Der überkritische Bereich hingegen liegt vor, wenn die Kraft F Werte oberhalb der kritischen Last annimmt. Es ist an dieser Stelle wichtig anzumerken, dass die beschriebene Vorgehensweise am diskutierten Beispiel des elastisch gelagerten starren Stabes für beliebige Winkel mit ' < 2 gilt. Es handelt sich damit also um eine Lösung für ein sog. geometrisch nichtlineares Problem, also ein Problem mit beliebig großen Verformungen. Es muss aber angemerkt werden, dass das Finden solcher geometrisch nichtlinearen Lösungen nur äußerst selten gelingt und das Betrachten des überkritischen Bereichs auch für viele technische Anwendungen gar nicht von Belang ist – in vielen technisch relevanten Situationen wird man eine stabartige Struktur gegen die kritische Last auslegen, aber nicht darüber hinaus. Aus diesem Grund wollen wir das vorliegende geometrisch nichtlineare Problem linearisieren, was vorliegend bedeutet, dass wir kleine Winkel ' voraussetzen. Dann gilt: sin ' ':

(9.4)

Die Gleichgewichtsbedingung (9.1) nimmt dann die folgende Form an: .k  F l/' D 0:

(9.5)

Betrachtet man die triviale Lösung ' D 0 nicht weiter (was einem Geradebleiben des Stabes entsprechen würde) und setzt man den Klammerterm in (9.5) zu null, dann lässt

9.3 Ermittlung kritischer Lasten

305

Abb. 9.5 Kraft-VerdrehungsDiagramm für die linearisierte Betrachtung.

sich dieser Ausdruck direkt nach der Kraft F auflösen. Die Lösung entspricht dann der gesuchten kritischen Last Fkrit : k (9.6) Fkrit D : l Aus der Linearisierung des Problems kann also die kritische Last Fkrit sofort recht einfach bestimmt werden (Abb. 9.5). In vielen praktischen Anwendungen greift man auf linearisierte Betrachtungen zur Ermittlung von kritischen Lasten zurück. Als Manko muss hingenommen werden, dass bei Betrachtung eines linearisierten Problems keine Aussagen über den überkritischen Bereich mit F > Fkrit möglich sind (s. auch Abb. 9.4, rechts). Verwendet man die Gleichgewichtsmethode, dann lassen sich zwar Aussagen über kritische Lasten treffen, allerdings sind auf diesem Wege keine Aussagen über die Art des Gleichgewichts (stabil, indifferent, labil) möglich. Solche Aussagen sind nur über eine energetische Betrachtung möglich, worauf wir nachfolgend anhand des bereits diskutierten Beispiels des elastisch gelagerten starren Stabes kurz eingehen wollen. Hierzu betrachten wir das Gesamtpotential des Stabes, und zwar wiederum im ausgelenkten Zustand. Das Gesamtpotential sei hier als ˘ bezeichnet, es setzt sich zusammen aus dem inneren Potential ˘i der Drehfeder sowie dem äußeren Potential ˘a der angreifenden Kraft F . Der Stab wird als ideal starr angenommen, so dass dieser sich nicht verformt und eine reine Starrkörperdrehung ' durchläuft. Folglich ist im Stab keine Energie gespeichert. Das Gesamtpotential ˘ lautet hier bei Annahme des Nullniveaus auf Höhe der angreifenden Kraft: ˘ D ˘i C ˘a D

1 2 k'  F l.1  cos '/: 2

(9.7)

Anschaulich bedeutet das, dass die Drehfeder potentielle Energie speichert, wohingegen die angreifende Kraft F potentielle Energie verloren hat, was das negative Vorzeichen des betreffenden Terms in (9.7) erklärt. Die Bedingung für ein Vorliegen eines Gleichgewichtszustandes ist das Verschwinden der ersten Variation ı˘ des Gesamtpotentials ˘ : ı˘ D 0:

(9.8)

306

9

Stabknicken

Vorliegend handelt es sich um ein System mit einem Freiheitsgrad ', so dass (9.8) auch in der folgenden Form geschrieben werden kann: @˘ D k'  F l sin ' D 0: @'

(9.9)

Es zeigt sich, dass dieser Ausdruck genau der Gleichgewichtsbedingung (9.1) entspricht, die wir schon mit Hilfe der Gleichgewichtsmethode hergeleitet haben. Die Art des Gleichgewichts kann durch Betrachten der zweiten Variation ı 2 ˘ ermittelt 2 werden, was für das vorliegende Beispiel übergeht in ı 2 ˘ D @@'˘2 , d. h.: @2 ˘ D k  F l cos ': @' 2

(9.10)

Wir betrachten zunächst den Fall des unausgelenkten Stabes und setzen ' D 0: @2 ˘ D k  F l: @' 2

(9.11)

Es sind hier drei Fälle zu unterscheiden. 2

 Wenn F < kl D Fkrit gilt, dann gilt @@'˘2 > 0. Dies ist gleichbedeutend damit, dass das Gesamtpotential für 0  F < Fkrit in der Gleichgewichtslage ' D 0 ein Minimum annimmt. Für den Wechsel in jede andere mögliche Lage muss also offenbar Energie aufgewendet werden. Damit ist die Gleichgewichtslage ' D 0 für 0  F < Fkrit eine stabile Gleichgewichtslage. 2  Liegt der Fall vor, dass F > kl D Fkrit gilt, dann gilt @@'˘2 < 0. Der Wechsel in jede andere mögliche benachbarte Gleichgewichtslage geht somit mit einem Energieverlust einher. Folglich ist die Gleichgewichtslage ' D 0 für F > kl D Fkrit labil. Der Stab wird demnach bei jeder noch so kleinen Störung aus der geraden Lage sofort in eine benachbarte Lage übergehen und in dieser verbleiben. 2  Für F D kl D Fkrit ist @@'˘2 D 0. Ein Wechsel in eine mögliche benachbarte Lage ist hierbei also weder mit Energieverlust verbunden, noch ist Energieaufwand nötig. Für ' D 0 bei F D kl D Fkrit liegt demnach indifferentes Gleichgewicht vor. Man kann diese Schlussfolgerungen allgemeiner fassen als:  ı 2 ˘ D 0: Indifferentes Gleichgewicht  ı 2 ˘ > 0: Stabiles Gleichgewicht  ı 2 ˘ < 0: Labiles Gleichgewicht

9.3 Ermittlung kritischer Lasten

307

Abb. 9.6 Darstellung der Funktionen f .'/ D ' und f .'/ D tan.'/. tan f( ) tan

/2

3 /2

Abschließend wollen wir noch betrachten, welcher Gleichgewichtszustand sich einstellt, wenn ' ¤ 0 gilt. Wie wir bereits wissen, kann sich dieser Zustand nur für Kräfte F > kl D Fkrit einstellen. Aus der Bedingung @˘ @' D k'  F l sin ' D 0 ergibt 2 sich F l D k sin' ' , was nach Einsetzen in @@'˘2 folgenden Ausdruck übergeht:   @2 ˘ ' D k 1  : @' 2 tan '

(9.12) 2

Es gilt stets tan' ' < 1 (Abb. 9.6), sofern j'j < 2 gegeben ist, und damit gilt auch @@'˘2 > 0 für jeden Winkel ' ¤ 0. Es handelt sich also bei der Gleichgewichtslage ' ¤ 0 um eine stabile Gleichgewichtslage. Die sich einstellenden Gleichgewichtsarten sind in Abb. 9.7 dargestellt.

Abb. 9.7 Stabile, labile und indifferente Gleichgewichtszustände.

308

9

Stabknicken

9.4 Die vier Euler-Fälle 9.4.1 Einführendes Beispiel: Euler-Fall II Nachdem wir im vorangegangenen Abschnitt einen ideal starren Stab betrachtet haben, wollen wir in diesem Abschnitt auf einen deformierbaren linear elastischen Stab unter Drucklast eingehen (Abb. 9.8). Die in diesem Abschnitt betrachteten Stabkonfigurationen werden auch gemeinhin als die sog. vier Euler-Fälle bezeichnet1 . Gegeben sei ein elastischer (Elastizitätsmodul E) und ideal gerader Stab der Länge l, der das Flächenträgheitsmoment I aufweise. Der Stab sei an seinem linken Ende einwertig gelagert und dort durch die Druckkraft F belastet, das rechte Ende sei zweiwertig gelagert. Das Ziel der nachfolgenden Ausführungen ist es, für diesen Stab die Knicklast Fkrit zu bestimmen. Die Kraft greife im Schwerpunkt des Balkenquerschnitts an. Diese spezielle Situation eines geraden Druckstabes wird als Euler-Fall II bezeichnet. Wie schon am Beispiel des starren Stabes des Abschn. 9.3 gezeigt müssen wir zur Ermittlung der Knicklast Fkrit das Gleichgewicht am verformten System (Auslenkung w.x/) untersuchen. Hierbei wird angenommen, dass diese Verformungen infinitesimal klein bleiben, was gemeinhin auch als die sog. Theorie II. Ordnung bezeichnet wird. Wir betrachten das Freikörperbild der Abb. 9.8, rechts, in dem wir den verformten Stab an der beliebigen Stelle x freigeschnitten haben. Wir bilden die Momentensumme um den Schnittpunkt S in der ausgelenkten Konfiguration und erhalten (man beachte, dass sowohl die freigesetzte Normalkraft N und die Querkraft Q hier keinen Hebelarm besitzen und entsprechend nicht in der Momentensumme auftreten, und dass außerdem keine vertikale Auflagerkraft vorliegt): M.x/  F w.x/ D 0: (9.13) Hierbei wurde stillschweigend vorausgesetzt, dass Längenänderungen des Stabes infolge der aufgebrachten Drucklast vernachlässigt werden können. Einsetzen des Konstitutivgesetzes (9.14) EI w 00 .x/ D M.x/ ergibt dann: EI w 00 .x/ C F w.x/ D 0: EI

F x

F

(9.15)

w(x) S

l x

Abb. 9.8 Euler-Fall II. 1

Q

M

w(x)

Leonhard Euler, 1707–1783, Schweizer Mathematiker und Physiker.

N

9.4 Die vier Euler-Fälle

309

Es ist an dieser Stelle zweckmäßig, die Abkürzung 2 D

F EI

(9.16)

einzuführen, womit (9.15) in die folgende Form übergeht: w 00 .x/ C 2 w.x/ D 0:

(9.17)

Es handelt sich hierbei um eine gewöhnliche lineare homogene Differentialgleichung 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Sie wird als Knick-Differentialgleichung bezeichnet. Ihre allgemeine Lösung lautet: w.x/ D C1 sin x C C2 cos x;

(9.18)

wobei es sich bei C1 und C2 um Konstanten handelt. Anschaulich bedeutet das, dass sich die Knickfigur (auch als Knickform oder Eigenform bezeichnet) aus einer Sinus-Funktion und einer Cosinus-Funktion zusammensetzt. Die hier anzusetzenden Randbedingungen fordern, dass an den beiden Auflagerpunkten x D 0 und x D l die Durchbiegung w.x/ verschwindet: w.x D 0/ D 0;

w.x D l/ D 0:

(9.19)

Auswerten der ersten Randbedingung ergibt umgehend C2 D 0, so dass folgender Ausdruck für die Knickform verbleibt: w.x/ D C1 sin x:

(9.20)

Offenbar wird die Knickform dieses beidseitig gelenkig gelagerten Stabes durch eine einzige Sinus-Funktion beschrieben. Auswerten der zweiten Randbedingung in (9.19) ergibt: C1 sin l D 0:

(9.21)

Offenbar bestehen hier zwei Lösungsmöglichkeiten. Die erste Möglichkeit entspricht C1 D 0. Da aber bereits C2 als null ermittelt wurde, würde diese Lösung bedeuten, dass die Knickform (9.18) insgesamt zu null wird und der Stab nicht ausknickt. Dies ist eine mathematisch korrekte Lösung, die aber technisch keine Relevanz hat, sie wird daher auch oftmals als triviale Lösung bezeichnet. Wir fordern daher, dass die Sinus-Funktion in (9.21) verschwindet: sin l D 0: (9.22) Dies kann nur dann erfüllt werden, wenn das Argument l der Sinus-Funktion einem Vielfachen der Kreiszahl  entspricht, wenn also gilt: n l D n:

(9.23)

310

9

Stabknicken

Hierin ist n eine ganze Zahl größer als null. Den Wert n D 0 müssen wir hier ausschließen, führt dieser doch wieder auf die triviale Lösung. Ebenso seien negative Werte für n ausgeschlossen. Wir haben hierbei den Wert n mit dem zusätzlichen Index n versehen um deutlich zu machen, dass dieser abhängig von n ist. Die Größen n werden auch als Eigenwerte des betrachteten Knickproblems bezeichnet. Da die Zahl n nach oben hin nicht begrenzt ist liegen unendlich viele Eigenwerte n vor. Wir setzen (9.16) in (9.23) ein und erhalten: r

Fn l D n: EI

(9.24)

Dieser Ausdruck kann umgehend nach der gesuchten Knicklast aufgelöst werden, und es folgt: n2  2 EI : (9.25) Fn D l2 Demnach existieren, abhängig vom Wert n, unendlich viele Lösungen für die Knicklast Fn . Technisch relevant ist aus der Menge aller möglichen Knicklasten stets die kleinste Last, die sich hier mit n D 1 ergibt. Es folgt damit: F1 D

12  2 EI  2 EI D D Fkrit : 2 l l2

(9.26)

Es ist an dieser Stelle noch von Interesse, sich Klarheit über die konkrete Form der Knickform w.x/ zu machen. Mit 1 gemäß (9.16), also r 1 D

F1  D EI l

folgt aus (9.20):

(9.27)

 x ; (9.28) l d. h. die Knickform wird durch die hier gegebene Sinus-Funktion beschrieben. Man beachte dabei aber, dass die Konstante C1 unbestimmt bleibt. Für ihre Ermittlung müssten Untersuchungen im Rahmen einer sog. geometrisch nichtlinearen Theorie durchgeführt werden, was allerdings nicht Bestandteil der Ausführungen dieses Kapitels ist. Demnach wissen wir an dieser Stelle, dass die Knickform durch die in (9.28) gegebene SinusFunktion beschrieben wird, wir können allerdings keinerlei Aussagen über ihre Amplitude machen. Eine Berechnung im Rahmen der Theorie II. Ordnung ist damit offenbar auf den Beginn des Knickens bei Erreichen der kritischen Last beschränkt. Die Abb. 9.9 zeigt die ersten drei Eigenformen w1 , w2 , w3 des betrachteten Knickstabs nebst den zugehörigen Knicklasten F1 , F2 , F3 . Offenbar wird die erste und technisch relevante Knickform w1 durch eine Sinus-Halbwelle über die Länge des Stabes beschrieben, w.x/ D C1 sin

9.4 Die vier Euler-Fälle Abb. 9.9 Die ersten drei Knickformen für Euler-Fall II.

311 2 2 F1 = 1 2 EI l

w1(x)=C1sin 1 x l 2 2 F2 = 2 2 EI l

2 2 F3 = 3 2 EI l

w2(x)=C1sin 2 x l

w3(x)=C1sin 3 x l

wohingegen die zweite Knickform w2 zwei Sinus-Halbwellen beschreibt. Analog dazu wird die dritte Eigenform w3 bereits durch drei Sinus-Halbwellen ausgezeichnet, und ganz analoge Schlussfolgerungen kann man für höhere Knickformen ziehen. Auch anhand dieser Darstellung kann anschaulich gefolgert, dass ausschließlich die Knicklast F1 nebst der zugehörigen Eigenform w1 von Interesse ist – es ist sehr einfach mit der Intuition vereinbar, dass ein solcher Knickstab stets in einer einzigen Sinus-Halbwelle über seine gesamte Länge knickt, niemals aber mit mehreren Halbwellen.

9.4.2

Euler-Fall I

Wir betrachten den Knickstab der Abb. 9.10, oben. Gegeben sei ein elastischer ideal gerader Stab der Länge l mit der Biegesteifigkeit EI , der an seinem linken Ende fest eingespannt und an seinem rechten Ende gar nicht gelagert sei. Am freien Ende x D l greife die Druckkraft F an. Diese spezielle Situation wird gemeinhin als Euler-Fall I bezeichnet. Wir betrachten auch hier wieder den Stab in seiner ausgelenkten Lage (Abb. 9.10, Mitte). Der Stab weise an seinem freien Ende x D l die Auslenkung w.x D l/ D ı auf. Zur Ermittlung der Knicklast betrachten wir das Freikörperbild der Abb. 9.10, unten, und bilden die Summe aller Momente um den Schnittpunkt S an einer beliebigen Stelle x. Es folgt: M.x/ C F .ı  w.x// D 0; (9.29) was wir mit 2 D

F EI

(vgl. (9.16)) in die folgende Form bringen können: w 00 .x/ C 2 w.x/ D 2 ı:

(9.30)

Hierbei handelt es sich um eine gewöhnliche lineare inhomogene Differentialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Ihre Gesamtlösung w.x/ setzt sich aus

312

9

Abb. 9.10 Euler-Fall I.

Stabknicken F

x

EI l

w(x) δ

F x

l-x

M N

Q S δ-w(x)

F

l-x

einer homogenen Lösung wh .x/ und einer partikulären Lösung wp .x/ zusammen, wobei sich die homogene Lösung wh gemäß (9.18) angeben lässt als: wh .x/ D C1 sin x C C2 cos x:

(9.31)

Zur Ermittlung der partikulären Lösung wp .x/ wird ein Ansatz vom Typ der rechten Seite gemacht. Da es sich bei dem Störglied 2 ı um einen konstanten Term handelt, wird ein Ansatz der Form wp .x/ D C D const: verwendet. Einsetzen in (9.30) ergibt dann umgehend C D ı, so dass: wp .x/ D ı: (9.32) Die Gesamtlösung der Knick-Differentialgleichung für Euler-Fall I lautet dann: w.x/ D wh .x/ C wp .x/ D C1 sin x C C2 cos x C ı:

(9.33)

Wir betrachten zunächst die Randbedingung, dass an der Einspannstelle x D 0 die Auslenkung des Stabes w.x D 0/ bei Knickbeginn verschwindet, d. h. wir fordern w.x D 0/ D 0. Dies ergibt mit (9.33): (9.34) w.x D 0/ D C2 C ı D 0; woraus sich umgehend C2 D ı

(9.35)

folgern lässt. Die Lösung (9.33) geht dann über in die folgende Form: w.x/ D C1 sin x  ı cos x C ı:

(9.36)

9.4 Die vier Euler-Fälle

313

Die zweite zu erhebende Randbedingung fordert, dass an der Einspannstelle x D 0 die Neigung w 0 .x D 0/ der Stabachse aufgrund der Festeinspannung zu null wird: w 0 .x D 0/ D 0. Dies ergibt mit (9.33): (9.37) C1 D 0: Vernachlässigt man die Lösung  D 0 (was gleichbedeutend mit einer verschwindenden Knicklast wäre), dann verbleibt an dieser Stelle nur die Lösung C1 D 0. Für (9.36) verbleibt demnach: w.x/ D ı.1  cos x/: (9.38) Wir erheben nun auch noch die Forderung, dass am freien Ende x D l die Durchbiegung w.x/ den Wert ı annehmen muss: w.x D l/ D ı. Dies führt auf: ı.1  cos l/ D ı:

(9.39)

cos l D 0:

(9.40)

Es verbleibt nach Kürzen: Diese Bedingung kann nur erfüllt werden, wenn das Argument l der Cosinus-Funktion ein Vielfaches der Kreiszahl  ist wie folgt, wobei wir auch hier wieder die Schreibweise n verwenden: 2n  1 n l D : (9.41) 2 Fn kann dies umgeformt werden Hierin ist n wieder eine ganze Zahl größer null. Mit 2n D EI nach der Knicklast Fn wie folgt:

Fn D

.2n  1/2  2 EI : 4l 2

(9.42)

Die technisch relevante Knicklast F1 erhalten wir hieraus mit n D 1, sie stellt zugleich die kritische Last Fkrit dar:  2 EI D Fkrit : (9.43) F1 D 4l 2 Der zugehörige Wert 1 lautet: 1 D

 : 2l

(9.44)

Damit kann die Knickform w.x/ gemäß (9.38) angegeben werden als: h  x i : w.x/ D ı 1  cos 2l

(9.45)

Sie ist in Abb. 9.10 als grüne Linie angedeutet. Auch hier bleibt die Amplitude der Knickform, dargestellt durch den Wert ı, wie schon bei Euler-Fall II besprochen unbestimmt.

314

9

Stabknicken

9.4.3 Euler-Fall III Als weiteren Fall (der sog. Euler-Fall III) betrachten wir den Druckstab der Abb. 9.11, oben. Es handelt sich um einen linear elastischen und ideal geraden Stab der Länge l, der an seinem linken Ende fest eingespannt ist, wohingegen das rechte Ende einer einwertigen Lagerung unterworfen ist und durch die Druckkraft F belastet wird. Wir schneiden den Stab an einer beliebigen Stelle x frei und bilden das Momentengleichgewicht um den Schnittpunkt S, wobei hier die Lagerkraft B zu berücksichtigen ist. Es ergibt sich: M.x/ C B.l  x/  F w.x/ D 0: (9.46) F gemäß (9.16) und dem Konstitutivgesetz Diese Gleichung lässt sich mit 2 D EI 00 M.x/ D EI w .x/ in die folgende Form bringen:

w 00 .x/ C 2 w.x/ D

B .l  x/: EI

(9.47)

Auch in diesem Falle setzt sich die Gesamtlösung dieser inhomogenen gewöhnlichen linearen Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten aus einer homogenen Lösung wh .x/ und einer partikulären Lösung wp .x/ zusammen, wobei die homogene Lösung angegeben werden kann als wh .x/ D C1 sin x C C2 cos x:

(9.48)

Für die partikuläre Lösung wp .x/ wird ein Ansatz vom Typ der rechten Seite gewählt wie folgt: (9.49) wp .x/ D C C Dx; Abb. 9.11 Euler-Fall III.

F

x

EI l w(x)

F

x

l-x

Q M N

w(x) S

B l-x

F

9.4 Die vier Euler-Fälle

315

mit den beiden zu ermittelnden Konstanten C und D. Einsetzen des Ansatzes (9.49) in die Differentialgleichung (9.47) ergibt nach Koeffizientenvergleich die folgenden Konstanten C und D: B Bl ; DD : (9.50) C D F F Damit lässt sich die Gesamtlösung der Differentialgleichung (9.47) angeben als: w.x/ D wh .x/ C wp .x/ D C1 sin x C C2 cos x C

B .l  x/: F

(9.51)

Die folgenden Randbedingungen werden am Stabende x D 0 erhoben: w.x D 0/ D 0;

w 0 .x D 0/ D 0:

(9.52)

Dies führt auf die Konstanten C1 und C2 wie folgt: C1 D

B ; F

C2 D 

Bl : F

Damit kann die Knickform w.x/ gemäß (9.51) dargestellt werden als:   Bl sin x x w.x/ D  cos x C 1  : F l l

(9.53)

(9.54)

Wie bei Stabilitätsproblemen im Rahmen der Theorie II. Ordnung üblich bleibt die Amplitude der Knickform, hier ausgedrückt durch die Auflagerkraft B, unbestimmt. Auswerten der Randbedingung w.x D l/ D 0 am rechten Stabende ergibt mit (9.54):   Bl sin l  cos l D 0: (9.55) F l An dieser Stelle kommt nur das Nullsetzen des Klammerterms in Frage, was sich umformen lässt zu: tan l D l: (9.56) Hierbei handelt es sich um eine implizite Gleichung zur Bestimmung der Knicklast Fkrit , die i. Allg. eine numerisch-iterative Lösung erfordert. Derartige Gleichungen kommen bei der Analyse von Stabilitätsproblemen sehr häufig vor. Man nennt eine solche Gleichung Knickbedingung. Besonders anschaulich gelingt die Lösung, indem man sowohl die Tangens-Funktion tan l als auch die Funktion l graphisch aufträgt und den ersten Schnittpunkt größer als null sucht (Abb. 9.12). Der gesuchte Schnittpunkt ergibt sich hier für l D 4;49, was man auch als Vielfaches der Kreiszahl  darstellen kann als l D 1;43. Damit kann mit Hilfe von (9.16) die gesuchte Knicklast Fkrit angegeben werden als: Fkrit D

1;432  2 EI 2;04 2 EI D : l2 l2

(9.57)

316

9

Stabknicken

Abb. 9.12 Darstellung der Funktionen f .l/ D l und f .l/ D tan.l/.

tan( l)

l tan( l)

/2

4,49

l

3 /2

9.4.4 Euler-Fall IV Als vierter und letzter Euler-Fall (der sog. Euler-Fall IV) sei der Druckstab der Abb. 9.13 betrachtet. Es handelt sich dabei um einen Stab der Länge l, der die konstante Biegesteifigkeit EI aufweist und an seinem linken Ende bei x D 0 fest eingespannt sei. Am rechten Ende an der Stelle sei der Stab derartig geführt, dass die Absenkung w und die Verdrehung w 0 verhindert werden, allerdings eine Verschiebung in Achsrichtung und damit auch eine Einleitung der Druckkraft F möglich sind. Wir schneiden den Stab an einer beliebigen Stelle x frei und betrachten das in Abb. 9.13, unten, dargestellt Freikörperbild. Hier ist ein Einspannmoment MB zu berücksichtigen. Wir bilden die Summe aller Momente um den Schnittpunkt S und erhalten hieraus nach kurzer Umformung die folgende KnickDifferentialgleichung: MB : (9.58) w 00 .x/ C 2 w.x/ D EI Abb. 9.13 Euler-Fall IV.

F

x

EI l w(x)

F x

l-x

Q M N

w(x)

F MB

S

l-x

9.4 Die vier Euler-Fälle

317

Es handelt sich hierbei erneut um eine gewöhnliche lineare inhomogene Differentialgleichung zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Ihre Lösung, bestehend aus homogener und partikulärer Lösung, kann angegeben werden als: w.x/ D C1 sin x C C2 cos x C

MB : F

(9.59)

Die beiden Konstanten C1 und C2 lassen sich aus den Randbedingungen w.x D 0/ D 0 und w 0 .x D 0/ D 0 bestimmen als: C1 D 0;

C2 D 

MB : F

(9.60)

Die Knickform w.x/ lautet dann: w.x/ D

MB .1  cos x/: F

(9.61)

Auch hier bleibt die Amplitude, ausgedrückt durch das Einspannmoment MB , unbestimmt. Aus den beiden Bedingungen w.x D l/ D 0 und w 0 .x D l/ D 0 ergeben sich die beiden folgenden Bedingungen: cos l D 1; sin l D 0: (9.62) Beide Bedingungen sind simultan zu erfüllen. Offenbar gelingt dies für die erste Bedingung, wenn das Argument der Cosinus-Funktion ganzzahlige positive gerade Vielfache der Kreiszahl  annimmt. Die zweite Bedingung hingegen wird erfüllt, wenn das Argument der Sinus-Funktion ein ganzzahliges positives Vielfaches von  ist. Beide Bedingungen sind damit nur erfüllbar für l D 2; 4; 6; : : :. Die technisch relevante Lösung ist auch hier wieder der kleinste mögliche Wert, d. h. l D 2. Daraus folgt dann die kritische Last Fkrit als: 4 2 EI : (9.63) Fkrit D l2

9.4.5 Zusammenfassung der Ergebnisse Die vier Euler-Fälle sind in der Abb. 9.14 noch einmal übersichtlich zusammengefasst. Es lassen sich aus diesen Ergebnissen die folgenden Schlussfolgerungen ziehen:  Die Knicklast ist abhängig vom Elastizitätsmodul des Materials des Stabes. Folglich erhöht ein hoher Elastizitätsmodul die Knicklast Fkrit – ein steifer Stab knickt bei höheren Lasten als ein weicher Stab, was sich auch gut mit der Intuition vereinbaren lässt.  Ein hohes Flächenträgheitsmoment I sorgt für eine hohe Knicklast Fkrit . Auch dies ist eine Feststellung, die wir ohne Weiteres mit unserer Intuition vereinbaren können.

318

9 Eulerfall I F

Eulerfall II

Eulerfall III

F

F

l

l

x

x

2

Fkrit = EI2 4l

2

Eulerfall IV F

l

x

Fkrit = EI 2 l

Stabknicken

l

x

2

Fkrit = 2,04 EI 2 l

2 Fkrit = 4 2EI l

Abb. 9.14 Euler-Fälle I-IV.

 Je größer die Länge des betrachteten Stabes ist, desto kleiner fällt die Knicklast Fkrit aus. Ein langer Stab knickt also bei kleineren Lasten als ein kurzer Stab. Auch dies ist eine naheliegende Erkenntnis.  Die Knicklast Fkrit ist besonders stark abhängig von den Randbedingungen des Stabes. Die niedrigste Knicklast wird für Euler-Fall I (Abb. 9.14, links) erreicht, was sich durch das freie Ende an der Stelle x D l erklären lässt. Offenbar bedeuten freie Enden eine Reduktion des Knickwiderstands. Bereits die Knicklast für Euler-Fall II ist viermal höher als für Euler-Fall IV, und zwischen den Euler-Fällen I und IV besteht sogar der Faktor 16. Die korrekte Berücksichtigung der Randbedingungen bei der Analyse des Stabilitätsverhaltens von gedrückten Stäben ist demnach besonders wichtig.

9.5

Knicklängen

Sämtliche bislang ermittelten Knicklasten Fkrit für die Euler-Fälle I-IV lassen sich in der Form  2 EI  2 EI D (9.64) Fkrit D .ˇl/2 sk2 schreiben, wobei wir den Term sk D ˇl als die sog. Knicklänge bezeichnen wollen. Die Knicklänge ist in der Abb. 9.15 anschaulich dargestellt. Es handelt sich demnach offenbar bei der Knicklänge um den Abstand zwischen zwei Wendepunkten der Knickform. Sie beläuft sich bei Euler-Fall I auf 2l, bei Euler-Fall II auf l, für Euler-Fall III auf 0;7l

9.5 Knicklängen

319 F

F

F

F

l=0,7l l=l

l=0,5l

l=2l

2 Fkrit= EI2 4l

=2

2 Fkrit= EI 2 l

2 Fkrit= 2,04 EI 2 l

=1

=0,7

2 Fkrit= 4 2EI l

=0,5

Abb. 9.15 Zur Definition der Knicklänge sk D ˇl.

und schließlich bei Euler-Fall IV auf 0;5l. Damit lassen sich alle vier Euler-Fälle in der Form (9.64) darstellen, und es ist hier nur noch die korrekte Knicklänge sk D ˇl bzw. der korrekte Knicklängenbeiwert ˇ einzusetzen. Beispiel 9.1

Gegeben sei das statische System der Abb. 9.16, oben. Wie hoch muss das Flächenträgheitsmoment I der Stütze sein, damit eine dreifache Sicherheit gegen Knicken vorliegt? Wie ändert sich außerdem das Ergebnis, wenn die Stütze auf halber Höhe durch ein zusätzliches Auflager abgestützt wird (Abb. 9.16, unten)? Die Stütze weise den Elastizitätsmodul E auf, die Längen l und h sowie der Winkel ˛ seien gegeben. Wir bestimmen zunächst die Druckkraft auf die Stütze. Hierzu ermitteln wir zuerst die Kräfte der schräg verlaufenden Stäbe. Aus dem Freikörperbild der Abb. 9.16, rechts, erhalten wir aus der horizontalen Kräftesumme: SD

F : 2 sin ˛

(9.65)

320

9 l

Stabknicken

l α h

F

S

F

F

α S

h

α

S

α α

S

α h F

F

h

α

Abb. 9.16 Statisches System (oben), System mit zusätzlicher Auflagerung der Stütze (unten).

Die Druckkraft D folgt dann zu: D D 2S cos ˛ D F cot ˛:

(9.66)

Wie aus der in Abb. 9.16, oben, angedeuteten Knickform hervorgeht, liegt für die Stütze Euler-Fall II vor. Die kritische Last der Stütze beträgt somit: Fkrit D

 2 EI ; sk2

(9.67)

wobei die Knicklänge hier mit sk D 2h anzusetzen ist, also: Fkrit D

 2 EI  2 EI D : .2h/2 4h2

(9.68)

Das hier nun zu erhebende Kriterium für eine dreifache Sicherheit gegen Knicken lautet: 1 (9.69) jDj  Fkrit ; 3 also:  2 EI : (9.70) F cot ˛  12h2 Dies kann nach dem gesuchten Flächenträgheitsmoment I aufgelöst werden, und wir erhalten: 12F h2 cot ˛: (9.71) I  E 2

9.5 Knicklängen

321

Liegt der Fall vor, dass die Stütze durch ein weiteres genau mittig angeordnetes Auflager abgestützt wird, dann ergibt sich die Knicklänge als sk D h, und die kritische Last Fkrit lautet dann:  2 EI : (9.72) Fkrit D h2 Aus dem Kriterium jDj  13 Fkrit folgt dann: I 

3F h2 cot ˛: E 2

(9.73) J

Beispiel 9.2

Betrachtet werde der Hebel der Abb. 9.17, oben, der durch die beiden Stützen 1 und 2 (Elastizitätsmoduln E1 , E2 , Flächenträgheitsmomente I1 , I2 ) abgestützt wird. Die beiden Flächenträgheitsmomente I1 , I2 der Stützen sind so zu bestimmen, dass eine dreifache Sicherheit gegen Knicken besteht. Die Druckkräfte D1 und D2 können aus dem Freikörperbild der Abb. 9.17 gefolgert werden als: (9.74) D1 D F; D2 D 2F: Wir betrachten zunächst Stütze 1. Sollte diese Stütze auslösend für das Knickversagen der Struktur sein, so wird sich eine Knickfigur einstellen wie in 9.17, links unten,

Abb. 9.17 Statisches System (oben), Knickfiguren (unten).

E1,I1 F

E2,I2

2l

2l

2l

F

D1 D2

3l

322

9

Stabknicken

gezeigt. Es handelt sich hierbei um Euler-Fall II mit der Knicklänge sk D 2l. Die Knicklast Fkrit;1 lautet demnach: Fkrit;1 D

 2 E1 I1  2 E1 I1 D : .2l/2 4l 2

(9.75)

Das Kriterium für eine dreifache Knicksicherheit lautet für Stütze 1: D1 

1 Fkrit;1 : 3

(9.76)

Dies kann mit (9.74) und (9.75) direkt nach I1 umgeformt werden, und wir erhalten: I1  12

F l2 : E1  2

(9.77)

Die Knickfigur für Stütze 2 ist in Abb. 9.17, rechts unten, dargestellt. Es handelt sich dabei also um Euler-Fall I, und die Knicklänge sk beträgt sk D 2 3l D 6l. Die Knicklast kann damit angegeben werden als: Fkrit;2 D

 2 E2 I2  2 E2 I2 D : 2 .6l/ 36l 2

(9.78)

Für eine dreifache Knicksicherheit gelte: D2 

1 Fkrit;2 : 3

(9.79)

Formt man diesen Ausdruck mit (9.74) und (9.78) nach I2 um, dann erhält man: I2  216

F l2 : E2  2

(9.80) J

Beispiel 9.3

Der in Abb. 9.18, oben, gezeigte horizontale Balken der Länge 2l wird durch die Gleichstreckenlast q0 belastet und an seinem linken Ende durch ein einwertiges Auflager gestützt. An seinem rechten Ende ist der Balken auf einer vertikalen Stütze der Länge h aufgelagert. Die Stütze weise die Biegesteifigkeit EI auf. Wie groß muss die Biegesteifigkeit EI sein, damit für die Stütze eine n-fache Sicherheit gegen Knicken besteht? Wie ändert sich außerdem das Ergebnis, wenn das einwertige Auflager durch ein zweiwertiges Auflager ersetzt wird? Aufgrund der anliegenden Belastung in Form der Gleichstreckenlast q0 erfährt die Stütze die Druckkraft D D q0 l. Die sich einstellende Knickfigur ist in Abb. 9.18, Mitte,

9.5 Knicklängen

323

Abb. 9.18 Statisches System (oben), Knickfigur (Mitte), Knickfigur mit zweiwertigem Auflager am linken Balkenende (unten).

q0

EI

h

2l q0

q0

gezeigt und entspricht Euler-Fall I mit der Knicklänge 2h. Die kritische Last folgt dann als:  2 EI  2 EI D : (9.81) Fkrit D .2h/2 4h2 Für eine n-fache Knicksicherheit gelte D

1 Fkrit : n

(9.82)

Dies kann umgeformt werden zu der gesuchten Biegesteifigkeit EI wie folgt: EI 

4nq0 h2 l : 2

(9.83)

Wird nun das einwertige Auflager gegen ein zweiwertiges Auflager ausgetauscht, dann ergibt sich die Knickfigur so wie in Abb. 9.18, unten, dargestellt. Dies entspricht EulerFall III, und die zugehörige Knicklast lautet: Fkrit D 2;04

 2 EI : h2

(9.84)

324

9

Stabknicken

Mit D D q0 l folgt mit dem Kriterium (9.82) die Biegesteifigkeit EI zu: EI 

nq0 h2 l : 2;04 2

(9.85) J

9.6 Allgemeine Form der Knick-Differentialgleichung Die bislang hergeleiteten Knick-Differentialgleichungen (9.17), (9.30), (9.47) und (9.58) haben jeweils ausschließlich für die betrachteten Euler-Fälle Gültigkeit und sind demnach nicht allgemeingültig für andere Knickprobleme anwendbar. Wir wollen daher an dieser Stelle unsere Betrachtungen erweitern und eine allgemeingültige Form der Knick-Differentialgleichung herleiten, wobei wir hier ganz grundlegende Gleichgewichtsbetrachtungen heranziehen und dazu das Freikörperbild der Abb. 9.19 betrachten. Gezeigt ist hier ein Druckstab unter der Kraft F , für den an dieser Stelle ganz bewusst noch keine Randbedingungen vorgesehen sind, um die Betrachtungen so allgemeingültig wie möglich zu halten. Wir beschränken uns hier der Einfachheit halber ganz bewusst auf den Fall einer konstanten Biegesteifigkeit EI über die gesamte Stablänge l. Am gezeigten Freikörperbild bilden wir nun die Kräfte- und die Momentenbilanzen. Das Gleichgewicht der Kräfte in Richtung der freigeschnittenen Normalkraft N ergibt: N  Qd'  N  dN D 0;

(9.86)

dN C Qd' D 0:

(9.87)

bzw. nach Kürzen:

F

F

(Q+dQ)sin(dφ ) ~ Qdφ

x

Q+dQ dφ

R

M



(Q+dQ)cos(dφ ) ~ Q+dQ

N Q

R

N+dN dφ

Q+dQ

(N+dN)sin(dφ ) ~ Ndφ (N+dN)cos(dφ ) ~ N+dN M+dM

N+dN

Abb. 9.19 Freikörperbild des Druckstabs.

9.6 Allgemeine Form der Knick-Differentialgleichung

325

Erweitern wir diesen Ausdruck wie folgt dN d' dx C Q dx D 0; dx dx

(9.88)

N 0 C Q' 0 D 0:

(9.89)

dann ergibt sich: Ganz genauso können wir das Gleichgewicht der Kräfte in Richtung der freigeschnittenen Querkraft bilden: (9.90) Q0  N' 0 D 0: Zuletzt bilden wir das Momentengleichgewicht um das positive Schnittufer das Freikörperbildes der Abb. 9.19. Daraus ergibt sich der bekannte Zusammenhang zwischen Biegemoment und Querkraft: (9.91) M 0 D Q: Wir betrachten zunächst die Gleichung (9.89). Mit dem Konstitutivgesetz M D EI ' 0 bzw. Q D EI ' 00 ergibt sich: (9.92) N 0 C EI ' 00 ' 0 D 0: Der Ausdruck ' 00 ' 0 kann als sehr klein angesehen werden, so dass wir diesen Ausdruck vernachlässigen können. Es verbleibt: N 0 D 0:

(9.93)

Anschaulich bedeutet das, dass die Normalkraft N im betrachteten Stab konstant über die Stablänge ist und ihre erste Ableitung N 0 verschwindet, was aufgrund der betrachteten Stabsituation auch sofort einsichtig ist. Gleichung (9.90) ergibt mit Q0 D EI ' 000 und N D F : EI ' 000 C F ' 0 D 0;

(9.94)

bzw. mit ' D w 0 (Kleinwinkelnäherung): EI w 0000 C F w 00 D 0:

(9.95)

Mit der bereits bekannten Abkürzung 2 D

F EI

(9.96)

kann man (9.95) schreiben als: w 0000 C 2 w 00 D 0:

(9.97)

326

9

Stabknicken

Dies ist die gesuchte allgemeingültige Knick-Differentialgleichung, mit der sich beliebige Stabknickprobleme behandeln lassen. Es handelt sich um eine gewöhnliche lineare homogene Differentialgleichung vierter Ordnung. Ihre allgemeine Lösung lautet: w D C1 sin.x/ C C2 cos.x/ C C3 x C C4 :

(9.98)

Die hierin auftretenden Konstanten C1 , C2 , C3 und C4 sind aus gegebenen Randbedingungen zu bestimmen. Wir demonstrieren die Vorgehensweise zur Ermittlung der Knicklast mittels (9.97) und (9.98) anhand von Euler-Fall II (s. Abb. 9.8). Die Randbedingungen für diese Knicksituation können wie folgt angegeben werden: w.x D 0/ D 0;

M.x D 0/ D EI w 00 .x D 0/ D 0;

w.x D l/ D 0;

M.x D l/ D EI w 00 .x D l/ D 0:

(9.99)

Eingesetzt in die Lösung (9.98) ergibt sich das folgende Gleichungssystem: C2 C C4 D 0; C2 D 0; C1 sin.l/ C C2 cos.l/ C C3 l C C4 D 0; C1 sin.l/ C C2 cos.l/ D 0:

(9.100)

In Vektor-Matrix-Schreibweise kann dies dargestellt werden als: 2

0 1 0 6 0 1 0 6 4sin.l/ cos.l/ l sin.l/ cos.l/ 0

30 1 0 1 0 C1 1 B B C 7 0 7 BC 2 C B0 C C: D 1 5 @C 3 A @0 A 0 C4 0

(9.101)

Entwickeln der Koeffizientendeterminante ergibt: ˇ ˇ 0 10 ˇ ˇ 01 00 ˇ ˇ sin.l/ cos.l/l ˇ ˇsin.l/cos.l/ 00

ˇ ˇ ˇ 1ˇˇ ˇ 0 10 ˇˇ ˇ ˇ ˇ D ˇsin.l/ cos.l/l ˇ ˇ ˇ 1ˇˇ ˇsin.l/ cos.l/0ˇ ˇ

ˇ ˇ ˇ sin.l/ l ˇ ˇ D l sin.l/ D 0: D ˇˇ sin.l/0 ˇ

(9.102)

9.6 Allgemeine Form der Knick-Differentialgleichung

327

Die so ermittelte Knickbedingung kann nur dann erfüllt werden, wenn l ein ganzzahliges Vielfaches von  ist: l D n; für n D 1; 2; 3; : : : (9.103) Mit  gemäß (9.96) erhalten wir daraus sofort die gesuchte Knicklast wie folgt: Fn D

n2  2 EI : l2

(9.104)

Technisch relevant ist wieder der kleinste Eigenwert mit n D 1, so dass gilt: Fkrit D

 2 EI : l2

(9.105)

Man kann sich leicht davon überzeugen, dass die so ermittelte Knicklast mit dem bereits vorher ermittelten Ausdruck (9.26) übereinstimmt. Die zugehörige Knickform bestimmen wir ebenfalls wieder aus dem Gleichungssystem (9.101). Es wird sofort ersichtlich, dass wir die Konstanten C2 und C4 zu null setzen können. Aus der dritten Gleichung in (9.101) erhalten wir C1 sin.l/ C C3 l D 0;

(9.106)

was wir nach C3 umstellen können: C3 D C1

sin.l/ ; l

(9.107)

so dass die Lösung (9.98) übergeht in: w.x/ D C1 sin.x/  C1

sin.l/ x: l

(9.108)

Da sin.l/ aber gemäß (9.102) null sein muss, verbleibt: w.x/ D C1 sin.x/:

(9.109)

ergibt sich die Knickeigenform w.x/ für den technisch relevanten Fall n D 1 Mit  D n l wie folgt:  x w.x/ D C1 sin : (9.110) l Auch hier bleibt die Konstante C1 und damit die Amplitude der Knickeigenform wieder unbestimmt. Der Stab knickt somit also in Form einer Sinus-Funktion mit einer Halbwelle.

328

9

Stabknicken

Beispiel 9.4

Wir betrachten erneut Euler-Fall I (Abb. 9.10 und 9.20) und wollen die Differentialgleichung (9.97) nebst ihrer Lösung (9.98) zur Ermittlung der kritischen Last für diese Stabsituation verwenden. Die hier anzusetzenden Randbedingungen sind wie folgt. Am eingespannten Ende des Stabes müssen sowohl die Durchbiegung w als auch die Neigung w 0 verschwinden: w.x D 0/ D 0;

w 0 .x D 0/ D 0:

(9.111)

Das Biegemoment M D EI w 00 muss am oberen Ende des Balkens zu null werden: EI w 00 .x D l/ D 0;

(9.112)

was sich auch einfacher formulieren lässt als: w 00 .x D l/ D 0:

(9.113)

Als letzte Bedingung muss das Gleichgewicht zwischen der Querkraft Q und der Druckkraft F betrachtet werden (s. Abb. 9.20, rechts). Die Summe der Kräfte in Richtung der Querkraft ergibt: Q.x D l/  F sin.'.x D l// D 0:

(9.114)

Ansetzen der Kleinwinkelnäherung sin.'/ D ' D w 0 ergibt: Q.x D l/  F w 0 .x D l/ D 0:

(9.115)

Mit dem konstitutiven Zusammenhang Q D EI w 000 folgt:  EI w 000 .x D l/  F w 0 .x D l/ D 0; Abb. 9.20 Euler-Fall I.

(9.116)

F

F

F EI l φ=w

x

Q

9.6 Allgemeine Form der Knick-Differentialgleichung

329

bzw. w 000 .x D l/ C 2 w 0 .x D l/ D 0:

(9.117)

Auswerten der vier ermittelten Randbedingungen ergibt das folgende lineare homogene Gleichungssystem für die Konstanten C1 ; : : :; C4 : C2 C C4 D 0; C1  C C3 D 0; C1 sin.l/ C C2 cos.l/ D 0; C3 D 0: In Vektor-Matrix-Schreibweise lässt sich dies schreiben als: 2 30 1 0 1 0 C1 0 1 0 1 B B C 6  7 0 1 0 7 BC 2 C B0 C C 6 4sin.l/ cos.l/ 0 05@C3 A D @0A: 0 C4 0 0 1 0

(9.118)

(9.119)

Es handelt sich hierbei wieder um ein homogenes lineares Gleichungssystem mit vier Gleichungen für die vier Konstanten C1 ; : : :; C4 . Zur Vermeidung der trivialen Lösung fordern wir das Verschwinden der Koeffizientendeterminante: ˇ ˇ ˇ 0 1 0 1ˇˇ ˇ ˇ  0 1 0ˇˇ ˇ (9.120) ˇsin.l/ cos.l/ 0 0ˇ D 0: ˇ ˇ ˇ 0 0 1 0ˇ Entwickeln der Determinante führt auf: ˇ ˇ ˇ 0 ˇ ˇ 10 1ˇˇ ˇ ˇ  01 ˇˇ ˇ 0 ˇ ˇ 10 ˇ ˇ ˇ ˇ ˇsin.l/ cos.l/0 0ˇ D ˇsin.l/ cos.l/0ˇ ˇ ˇ ˇ 0 ˇ 01 ˇ 00 ˇ 10 ˇ ˇ ˇ  0ˇˇ ˇ D ˇ D  cos.l/ D 0: sin.l/cos.l/ ˇ

(9.121)

Mit dem Ausdruck cos.l/ D 0 liegt die Knickbedingung vor, die zur Ermittlung der Knicklast Fkrit benötigt wird. Sie ist erfüllt, wenn gilt: l D

2n  1 ; 2

für n D 1; 2; 3; : : :

(9.122)

Daraus folgt die Knicklast Fn in Abhängigkeit von n als: Fn D

 2 EI .2n  1/2 : 4l 2

(9.123)

330

9

Stabknicken

Der technisch relevante Fall folgt mit n D 1 F1 D

 2 EI D Fkrit : 4l 2

(9.124)

Dieser Ausdruck stimmt mit (9.43) überein. J Beispiel 9.5

Betrachtet werde der Druckstab der Abb. 9.21. Der Stab weise die konstante Biegesteifigkeit EI sowie die Länge l auf und sei an seinem unteren Ende bei x D 0 fest eingespannt. An seinem oberen Ende an der Stelle x D l liege eine Führung des Stabes derart vor, dass ein Biegemoment aufgenommen werden kann, aber keinerlei Querkraft. Ausgehend von der Lösung (9.98) der Knick-Differentialgleichung (9.97) ergibt das Auswerten der Randbedingungen w.x D 0/ D 0;

w 0 .x D 0/ D 0;

w 0 .x D l/ D 0;

w 000 .x D l/ D 0

(9.125)

das folgende homogene lineare Gleichungssystem: C2 C C4 D 0; C1  C C3 D 0; C1  cos l  C2  sin l C C3 D 0; C1 cos l C C2 sin l D 0:

(9.126)

Abb. 9.21 Einseitig eingespannter Druckstab mit Führung am oberen Ende.

F

F

EI l

x

9.6 Allgemeine Form der Knick-Differentialgleichung

331

Zur Vermeidung der trivialen Lösung wird auch an dieser Stelle die Koeffizientendeterminante entwickelt und zu null gesetzt: ˇ ˇ 0 1 ˇ ˇ  0 ˇ ˇ cos.l/  sin.l/ ˇ ˇ  cos l sin l

ˇ ˇ ˇ 1ˇˇ ˇ  0 1ˇˇ ˇ ˇ 0ˇ D ˇˇ cos.l/  sin.l/ 1ˇˇ D  sin l D 0: 0ˇˇ ˇ  cos l sin l 0ˇ 0ˇ (9.127) Die hier resultierende Knickbedingung lautet demnach 0 1 1 0

sin l D 0:

(9.128)

Diese Bedingung stimmt offenbar mit der Bedingung des Euler-Falls II überein (s. (9.22)), so dass sich die technisch relevante Knicklast ergibt als: Fkrit D

 2 EI : l2

(9.129) J

Beispiel 9.6

Gegeben sei ein gerader elastischer Stab der Länge l mit der konstanten Biegesteifigkeit EI , der an seinem linken Ende bei x D 0 einwertig gelagert und durch die Druckkraft F belastet werde (Abb. 9.22). Das rechte Ende an der Stelle x D l sei zweiwertig gelagert und außerdem durch eine Drehfeder mit der Federsteifigkeit k' verstärkt. Man ermittle für diesen Druckstab die Knickbedingung. Für diese Stabsituation lauten die Randbedingungen: w.x D 0/ D 0; M.x D 0/ D EI w 00 .x D 0/ D 0; w.x D l/ D 0; 0

00

M.x D l/ C k' w .x D l/ D EI w .x D l/ C k' w 0 .x D l/ D 0:

(9.130)

Wertet man diese Bedingungen mit der allgemeinen Lösung (9.98) der Knick-Differentialgleichung (9.97) aus, dann erhält man das nachstehende lineare homogene

Abb. 9.22 Stab mit elastischer Einspannung.



F x l

332

9

Stabknicken

Gleichungssystem: C2 C C4 D 0; C2 D 0; C1 sin.l/ C C2 cos.l/ C C3 l C C4 D 0; 2

.EI  sin.l/ C k'  cos.l//C1 C .EI 2 cos.l/  k'  sin.l//C2 C C3 k' D 0: (9.131) Zur Vermeidung der trivialen Lösung setzen wir die Koeffizientendeterminante zu null und erhalten daraus nach kurzer Rechnung die folgende Knickbedingung, die das Knicken des elastisch eingespannten Druckstabs beschreibt: k' sin.l/  l.EI  sin.l/ C k' cos.l// D 0:

(9.132)

Offenbar handelt es sich hierbei um eine implizite Knickbedingung, die einer numerischen Auswertung bedarf. Darauf soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Der vorliegende Knickfall beschreibt zwei Grenzfälle. Strebt die Federsteifigkeit k' gegen null, dann reduziert sich die Knickbedingung (9.132) auf: sin.l/ D 0:

(9.133)

Dies entspricht der Knickbedingung für Euler-Fall II, was ein leicht einsichtiges Ergebnis ist. Für den Grenzfall k' ! 1, was eine feste Einspannung an der Stelle x D l beschreibt, ergibt sich aus (9.132) die folgende Knickbedingung: tan.l/  l D 0:

(9.134)

Diese Knickbedingung wurde bereits für Euler-Fall III hergeleitet, was ein ebenso einsichtiges Ergebnis ist. J

Stichwortverzeichnis

A Arbeit, 242 Arbeitssatz, 245 Äußere Arbeit, 244

F Flächenlast, 4 Flächenträgheitsmoment, 84 Polar, 124

B Balken, 77 Balkentheorie, 80 Biegeknicken, 300 Biegelinie, 133 Biegesteifigkeit, 85 Biegewinkel, 78 Bredtsche Formeln Erste Bredtsche Formel, 222 Zweite Bredtsche Formel, 224

G Gabellagerung, 232 Geometrische Linearität, 12 Geometrische Randbedingungen, 135 Gerade Biegung, 82 Gleichgewicht Indifferent, 301 Labil, 302 Stabil, 301 Verzweigung, 302 Gleichgewichtsbedingungen, 1, 133 Lokal, 7, 9 Gleitmodul, 17 Gleitungen, 10

D Deformation, 10 Dehnsteifigkeit, 55 Dehnung, 9, 10, 12 Deviationsmoment, 84 Doppelbiegung, 82, 175

E Ebener Spannungszustand, 25 Einheitslast-Theorem, 264 Elastizität, 15 Elastizitätsmodul, 16 Erste Querschnittsnormierung, 92 Euler-Bernoulli-Balkentheorie, 80 Euler-Fälle, 308

H Hauptachsen Flächenträgheitsmomente, 120 Spannungen, 33 Hauptrichtung Normalspannungen, 33 Schubspannungen, 34 Hauptschubspannungen, 34 Hauptspannungen, 32 Hauptträgheitsmomente, 122 Hookesches Gesetz, 15 Hubarbeit, 243 Hydrostatischer Spannungszustand, 40

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2022 C. Mittelstedt, Technische Mechanik 2: Elastostatik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66432-2

333

334 Hypothese Ebenbleiben der Querschnitte, 80 Geradebleiben der Radien, 215 Normalenhypothese, 80

I Indifferentes Gleichgewicht, 301, 306 Infinitesimaler Verzerrungstensor, 14 Innere Arbeit, 244 Innere Energie, 245 Integraltafel, 268 Invarianten, 32, 124

J Joule, 243

K Kinematik Euler-Bernoulli-Balken, 81 Kinematische Gleichungen, 1, 10, 14 Knickbedingung, 315 Knick-Differentialgleichung, 309, 326 Knicken, 300 Einfluss von Randbedingungen, 318 Energiemethode, 305 Euler-Fälle, 308 Gleichgewichtsmethode, 303 Linearisierung, 304 Knicklast, 300 Kompatibilitätsbedingung, 281 Komplementäre Verzerrungsenergie, 249 Komplementäre Verzerrungsenergiedichte, 248 Komplementäre virtuelle Arbeit, 262 Konstitutive Gleichungen, 1, 15 Konstitutivgesetz, 55 Euler-Bernoulli-Balken, 85 Torsion, 217 Kräftegleichgewicht, 8 Kraftgrößenverfahren, 69, 270 Kompatibilitätsbedingungen, 294 Kritische Last, 300

L Labiles Gleichgewicht, 302, 306 Lineare Elastizität, 15 Linienlast, 5

Stichwortverzeichnis M Materialgesetz, 15 Mehrfach statisch unbestimmte Systeme, 290 Mehrfeldbalken, 146 Mohrscher Spannungskreis, 35 Momentengleichgewicht, 6

N Normalspannung, 2, 5, 6

P Polares Trägheitsmoment, 84 Potential, 245 Prinzip der virtuellen Kräfte, 264 Punktlast, 5

Q Querkontraktion, 11, 16 Querkontraktionszahl, 16

R Reibungsarbeit, 243

S Satz von Betti, 288 Satz von Maxwell, 289 Satz von Steiner, 93 Scheibe, 25 Schiefe Biegung, 82 Schnittgrößen Balken, 83 Schnittufer, 6 Schubfluss, 183, 193 Torsion, 220 Schubkorrekturfaktor, 255 Schubmittelpunkt, 208 Schubmodul, 17 Schubspannung, 3, 5, 6 Querkraft, 181 Torsion, 216 Schubverzerrungen, 10 Skelettlinie, 87, 217 Spannarbeit, 244 Spannungen, 2, 5 Indizierung, 6

Stichwortverzeichnis Spannungsnulllinie, 111 Spannungstensor Cauchy, 7 Spannungsvektor, 5 Spannungszustand, 1, 5 Stab, 2, 49 Stabiles Gleichgewicht, 301, 306 Stabilitätstheorie, 300 Standardbiegefälle, 159 Statisch unbestimmte Systeme, 280 Statische Randbedingungen, 135 Statisches Moment, 84, 93 Stoffgesetz, 15 St.-Venantsche Torsion, 213 Superpositionsprinzip, 138

T Temperaturänderung, 18 Theorie II. Ordnung, 308 Thermischer Ausdehnungskoeffizient, 18 Torsion, 213 Drehachse, 220 Erste Bredtsche Formel, 222 Konstitutivgesetz, 217 Schubfluss, 220 Schubspannungen, 216 Verdrillung, 215 Zweite Bredtsche Formel, 224 Torsionsmoment, 215 Torsionssteifigkeit, 217 Torsionsträgheitsmoment, 217 Torsionswiderstandsmoment, 219, 222 Trägheitskreis, 122

335 Transformationsgleichungen Ebener Spannungszustand, 32 Flächenträgheitsmomente, 122

U Übergangsbedingungen, 59, 147 Überkritischer Zustand, 304 Unterkritischer Zustand, 304

V Verallgemeinertes Hookesches Gesetz, 15 Verdrehung Torsion, 215 Verdrillung, 215 Verformung, 9 Vergleichsfläche, 255 Verschiebungen, 1, 10 Verwölbung, 224 Verzerrungen, 10 Verzerrungsenergie, 245 Verzerrungsenergiedichte, 247 Verzerrungstensor, 14 Verzerrungszustand, 1 Verzweigungslast, 302 Virtuelle Ergänzungsarbeit, 262 Virtuelle Kräfte, 262 Volumenkräfte, 4

W Widerstandsmoment, 125 Wölbfreier Querschnitt, 215

Z Zweite Querschnittsnormierung, 120