Tanzwut: Kosmos, Kirche und Mensch in der Bedeutungsgeschichte eines mittelalterlichen Krankheitskonzepts 9783666367212, 9783525367216, 9783647367217

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Tanzwut: Kosmos, Kirche und Mensch in der Bedeutungsgeschichte eines mittelalterlichen Krankheitskonzepts
 9783666367212, 9783525367216, 9783647367217

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© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Historische Semantik Herausgegeben von Bernhard Jussen, Christian Kiening, Klaus Krüger und Willibald Steinmetz

Band 19

Vandenhoeck & Ruprecht © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Gregor Rohmann

Tanzwut Kosmos, Kirche und Mensch in der Bedeutungsgeschichte eines mittelalterlichen Krankheitskonzepts

Vandenhoeck & Ruprecht © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Mit 16 Abbildungen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-36721-6 ISBN 978-3-647-36721-7 (E-Book) Umschlagabbildung: Matthäus Merian d. Ä.: Die Tänzer von Kölbigk, Kupferstich, in: Johann Ludwig Gottfried/Johann Philipp Abelin: Historische Chronica, Teil 6, Frankfurt 1632, Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, 4 H UN II, 275:6, S. 14. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein sowie aus Mitteln des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Leibniz-Projekts »Politische Sprache im Mittelalter. Semantische Zugänge«. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: textformart, Göttingen Druck und Bindung: w Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Einführung: Chorea, Veitstanz, Tanzwut – zwischen Religion und Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I.1 Die Tanzwut als Forschungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I.1.1 Die »furchtbare Krankheit« der Anna Schön . . . . . . . . 15 I.1.2 Die Tanzwut verstehen: Vier Perspektivwechsel . . . . . . 18 I.1.3 Religionsgeschichtliche Erklärungsansätze . . . . . . . . 20 I.1.4 Medizinische und sozialpsychologische Erklärungsansätze 22 I.1.5 Erkenntnisleitende Hypothese: Die Tanzwut als emische Krankheitskonzeption mit religiös-spiritueller Semiotik 30 I.1.6 Untersuchungsgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I.2 Die zweite Erfindung der Tanzwut im 19. Jahrhundert . . . . . . 34 I.2.1 Historische Pathologie und sympathetische Medizin: Justus Friedrich Carl Hecker und die »Volkskrankheiten« des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I.2.2 Von der »psychischen Epidemie« über die »Massenhysterie« zur emotional contagion . . . . . . 48 I.2.3 Einen Veitstanz aufführen: Schlaglichter auf die literarische und publizistische Rezeption des Tanzwut-Stereotyps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 I.3 Methodische und theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . 64 I.3.1 Wie kommt die Kultur in den Körper? Zur Semiotik und Diskursivität von Krankheit . . . . . . 65 I.3.2 Die Welt als Schwellenraum: Liminalität als Matrix für das Verhältnis von Christentum und Tanz . . . . . . 72 I.3.3 »Synkretismus« als diskursive Strategie: Motiv-Analogien und ihre Verhandlung zwischen kulturellen Komplexen . 79 II. Fundamente einer Semiotik von mania und enthusiasmos zwischen Antike und Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 II.1 Tanzwut in der Antike? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 II.2 Antike Kosmologie und christlicher Platonismus . . . . . . . . . 109 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Inhalt

II.2.1 Sphärenharmonie und ewiger Tanz . . . . . . . . . . . . . 109 II.2.2 Sympathie oder Theurgie? Porphyrius gegen Jamblichus . . . . . . . . . . . . . . . . 112 II.2.3 Hierarchia caelestis und hierarchia ecclesiastica . . . . . . 121 II.2.4 Von der Kirche als Reigen zur Kirche als Haus Gottes . . 125 II.3 Platonische Vorstellungen von mania und enthusiasmos . . . . . 133 II.3.1 Spirituelle Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 II.3.2 Der Tanz der Korybanten in den Kontroversen der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 II.3.3 Zwischen humores und göttlicher Einwohnung: Enthusiasmos und mania als frühmittelalterliche Krankheitskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 II.3.4 Gelbe Galle und Blut als Auslöser der mania: Antike Prätexte des frühmittelalterlichen enthusiasmos . 154 II.3.5 Vom enthusiasmos zur Tanzwut . . . . . . . . . . . . . . . 162 II.4 Querschnitt: Der verdoppelte Diskurs über mania als Grundlage einer Semiotik des unfreiwilligen Tanzes . . . . . 168 III. Bedingungen: Das mittelalterliche Christentum und der Tanz . . . . 171 III.1 Begriffe: Zur Etymologie und Semantik des lateinischen Tanzvokabulars des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 III.1.1 Chorea, chorus etc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 III.1.2 Tripudium und tripudiare . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 III.2 Normen: Tanz und Recht in der Vormoderne . . . . . . . . . . . 180 III.2.1 Desiderate 1: Der Mythos vom kirchlichen Tanzverbot . . 180 III.2.2 Tanz in der mittelalterlichen Superstitionsliteratur . . . . 188 III.3 Praxis: Tanz und Religion im mittelalterlichen Lateineuropa III.3.1 Ein ungewolltes Wunder? . . . . . . . . . . . . . . . . III.3.2 Desiderate 2: Sakraler Tanz und Tanz im Sakralraum III.3.3 Typologie eines vielgestaltigen Phänomens . . . . . .

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III.4 Diskurse: Die Theologen und der Tanz . . . . . . . . . . . . . . . 212 III.4.1 Vorlagen: Tanz im Alten und Neuen Testament . . . . . . 214 III.4.2 Desiderate 3: Tanz in der theologischen Diskussion . . . 215 III.4.3 Eschatologische Negativprojektion: Der Tanz des Teufels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 III.4.4 Heimarmene und thanatos: Der Totentanz . . . . . . . . . 230 III.4.5 Eschatologische Sublimierung und ihr Scheitern: Der Reigen der Engel und Jungfrauen . . . . . . . . . . . 233 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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III.5 Ausdrucksformen: Ansätze einer Grammatik des religiösen Tanzes im mittelalterlichen Christentum . . . . . . 240 III.5.1 Performanz der Heillosigkeit: Körperliche Expressivität und die Abwesenheit Gottes . . 240 III.5.2 Performanz des Heils: Tanz als Integration in die Sphärenharmonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 III.5.3 Das Heil suchen und finden: Das Labyrinth als Bild gewordener Sphärenreigen . . . . 247 III.6 Querschnitt: Kosmos, Tanz und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . 252 IV. Transmissionspotentiale: Das Rhein-Mosel-Maas-Becken als Entstehungs- und Verbreitungsgebiet der Tanzwut . . . . . . . . . 255 IV.1 Das Frankenreich und seine Nachfolgegebiete als Zentralraum des religiösen Tanzes . . . . . . . . . . . . . . . . 257 IV.2 Solarer Henotheismus und neoplatonische Kosmologie am Übergang vom Imperium Romanum zum Regnum Francorum 263 IV.2.1 Das Kaisertum und der Sonnengott . . . . . . . . . . . . . 263 IV.2.2 Sonnenmythologie und kosmischer Reigen als gemeinsamer Sinnhorizont der spätantiken Religionen . . 267 IV.2.3 Zwischen Christentum und Paganismus . . . . . . . . . . 277 IV.2.4 Die vorchristliche Religion der Franken in merowingerzeitlichen Debatten und in der Forschung . . 281 IV.2.5 Das Christentum der Merowinger . . . . . . . . . . . . . 290 IV.2.6 Alte und neue Christianität . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 IV.3 Das Rhein-Mosel-Maas-Becken als Übergangszone zwischen den mittelalterlichen Kulturräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 IV.4 Querschnitt: Vermittlungs- und Verbreitungsräume des christlichen Neoplatonismus im Mittelalter . . . . . . . . . . 301 V. Tanz auf der Schwelle: Mania als Performanz von Heilsferne in der frühmittelalterlichen Hagiographie . . . . . . . . . . . . . . . . 303 V.1 Mythische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 V.1.1 Das biblische Urbild: Der vergebliche Reigen der Baalspriester auf dem Berg Karmel . . . . . . . . . . . 303 V.1.2 Das pagane Gegenbild: Die Heilige Hochzeit . . . . . . . 305 V.2 Theurgie und kosmischer Tanz im frühmittelalterlichen Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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V.2.1 Dauertanz als fehlgeschlagene Kommunikation mit den Sphären: Domitilla und Aurelianus . . . . . . . . 308 V.2.2 La maladie de l’erreur: Neoplatonische Theurgie und christliche Dämonologie . . . . . . . . . . . . . . . . 316 V.2.3 »Wie Besessene«: Der Fall Amida . . . . . . . . . . . . . . 323 V.3 Verbotener Tanz und erlaubter Tanz: Saltatio und tripudium bei Eligius von Noyon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 V.3.1 Die Predigt des Bischofs gegen Superstitionen und Blasphemien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 V.3.2 »veluti quondam David«: Der Tanz des Eligius . . . . . . 336 V.3.3 Astralmythologische Implikationen in der Religionspolitik der späteren Merowinger und in der Vita Eligii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 V.3.4 Eligius und die familia des Erchinoald . . . . . . . . . . . 347 V.4 Skeptische Stimmen des 9. Jahrhunderts: Agobard und Amulus von Lyon über Fälle von angeblicher kollektiver Besessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 V.5 Querschnitt: Unfreiwilliger Tanz als auf Dauer gestellte Liminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 VI. Von der Kirche als Reigen zum blasphemischen Tanz: Die Kölbigker Legende als Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 VI.1 Forschungsstand und Überlieferungssituation . . . . . . . . . . . 364 VI.1.1 Der Tanz von Kölbigk als Problem der Forschung . . . . 364 VI.1.2 Zur Überlieferungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 VI.2 Textgenese und Prätexte 1: Volkserzählung oder gelehrte Konstruktion? . . . . . . . . . . . . 376 VI.2.1 Zum möglichen Entstehungskontext . . . . . . . . . . . . 376 VI.2.2 Mythische Narrative als Grundlage des Mirakelberichts . 378 VI.2.3 Von Tournai nach Kölbigk . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 VI.2.4 Augustinus über die Kinder der Witwe von Caesarea . . 390 VI.3 Die drei primären Überlieferungsvarianten . . . . . . . . . . . . 394 VI.3.1 Der Bericht der Handschrift Paris, BNM Ms. lat. 9560 (Schröder: Fassung III) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 VI.3.2 Der »Bericht des Othbert« (Schröder: Fassung I) . . . . . 401 VI.3.3 Der »Bericht des Theodericus« (Schröder: Fassung II) . . 405 VI.4 Textgenese und Prätexte 2: Der Tanz von Kölbigk im Kontext der frühen Kirchenreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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VI.4.1 Im Hintergrund: Der Tanz des Volkes Israel um das Goldene Kalb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 VI.4.2 Amator exclusus: Der Rasende vor der geschlossenen Tür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 VI.4.3 Der Pfarrer von Kölbigk als Nikolait . . . . . . . . . . 430 VI.4.4 Von der Rute des Vaters geschlagen: Das fragmentierte Priesterkind . . . . . . . . . . . . . 437 VI.4.5 Das auf Sand gebaute Haus über den Tänzern . . . . . 442 VI.4.6 »Aua« und Eva, »Rodbertus« und Goscelin . . . . . . . 447 VI.5 »Quid stamus, cur non imus?« Ekklesiologie und Anthropologie in der Kölbigker Legende . . . . . . . . . . . . . 456 VI.5.1 Der Apostelreigen der gnostischen Johannes-Akten und seine Kölbigker Kontrafaktur . . . . . . . . . . . . 456 VI.5.2 Sakralisierung des Kirchenraumes und encadrement: Neue Bedeutungen für eine alte Erzählung . . . . . . . 465 VI.5.3 Selbst-Verlust im Sternenzwang oder Einwohnung Gottes in der Kontemplation . . . . . . . . . . . . . . . 471 VI.6 Metamorphosen einer Erzählung: Das Tanzwunder wird zum Exempel . . . . . . . . . . . . . . . 479 VI.7 Querschnitt: Theologische Reflexion statt Warnlegende . . . . 492 VII. Heilige Patrone der Tanzwut und ihre Konstruktion: Johannes der Täufer und Vitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 VII.1 Der verderbliche Tanz und die sinkende Sonne: Salome und Johannes der Täufer . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 VII.1.1 Johannistanz und Sonnenwende . . . . . . . . . . . . . 496 VII.1.2 Der Vorläufer: Die Verehrung Johannes des Täufers . 500 VII.1.3 Der Orpheus redivivus und die Mänade: Das Martyrium des Täufers in der Auseinandersetzung der Patristik mit den paganen Religionen . . . . . . . 504 VII.1.4 Der Heilige und die Gauklerin: Salome im Mittelalter 512 VII.1.5 Die Raserei der Kinder der Herodias . . . . . . . . . . 517 VII.1.6 Von Paris an den Bodensee, von der Fallsucht zur mania . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 VII.2 Johannes der Evangelist: Der Minnetrunk und der Apostel im Kessel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 VII.3 Kosmologie, Tanz und Fallsucht in der Kultgenese des hl. Vitus 534 VII.3.1 Entwicklung und Wanderung des Vitus-Kultes . . . . 534 VII.3.2 Veit und die Sommersonnenwende . . . . . . . . . . . 538 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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VII.3.3 Vitus, Guy, Vit, Svantovit – religionsgeschichtliche und etymologische Deutungsansätze . . . . . . . . 541 VII.3.4 Lukanien im 7. Jahrhundert: Die Vitus-Passio als Anti-Mythos . . . . . . . . . . 549 VII.3.5 Der Anti-Mythos als Spiegel paganer Motive . . . . 556 VII.3.6 Wege der Neutralisierung: Die Vitus-Passio im hagiographischen Kontext . . 569 VII.3.7 Westfalen im 9. bis 11. Jahrhundert: Der Heilige am Sternenhimmel . . . . . . . . . . . 576 VII.3.8 Der Crater Liberi, die Seelenwanderung, der Fall des Drachen und die fallende Sucht . . . . 586 VII.3.9 Deutschland im Spätmittelalter: Vitus als Nothelfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 VII.3.10 Oberrhein und Schwaben um 1500: Vitus als Patron der Tanzwut . . . . . . . . . . . . . 606 VII.4 Der Veitstanz in der beginnenden konfessionellen Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 VII.5 Querschnitt: Die Hüter der Schwelle . . . . . . . . . . . . . . 622 VIII. Fazit: Die Tanzwut als Schwellenzustand zwischen Jenseits und Diesseits, Gnade und Gottesferne . . . . . . . . . . . . 625 VIII.1 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 VIII.2 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 VIII.3 Forschungsperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685

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Danksagung

Vor mehr als zwölf Jahren, im Frühjahr 2000, musste ich nach Ablauf eines Promotionsstipendiums durch das Scannen von alten Zeitschriften mein Brot verdienen. Dabei stieß ich in den »Göttingischen Gelehrten Anzeigen« von 1833 auf eine Rezension zu Justus Friedrich Carl Heckers »Die Tanzwuth«. Seitdem habe ich mich mal mehr, mal weniger mit diesem Thema befasst, bis sich seit dem Jahr 2008 die Möglichkeit bot, den Veitstanz zum Gegenstand meines ­Habilitationsprojekts zu machen. Wenn dieses Projekt gelungen sein sollte, so hat daran die vielfach sehr explizite Kritik einen maßgeblichen Anteil, die geäußert wurde, wo ich darüber vortragen durfte: im Kolloquium des Graduiertenkollegs »Körper-Inszenierungen« der Freien Universität Berlin (19. Juni 2002); im Mittelalterkreis der Universität Hamburg (26. Juni 2002); im Kolloquium zu aktuellen Forschungs­ problemen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit der Universität Bielefeld (8. Januar 2004 und 22. November 2007); im Mittelalter-Kolloquium des Seminars für Mittlere und Neuere Geschichte der Georg-August-Universität Göttingen (13. Mai 2004); beim International Medieval Congress, Leeds (12. Juli 2006); bei einem gemeinsamen Workshop der Studiengruppe »Historische Semantik« der Universität Bielefeld und des Lehrstuhls für Geschichte der Frühen Neuzeit der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (29. Januar 2007); auf der Jahrestagung der Europäischen Totentanzvereinigung in Düsseldorf (27. ­April 2007); im Kolloquium »800–1800« am Historischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (26. Juni 2007); beim Symposium »Erfahrung: Erkenntniswert und Probleme des Begriffs in historischer Perspektive« an der Freien Universität Berlin (18. Dezember 2007); auf Einladung des Geschichtsvereins Göppingen (10. März 2008); beim 13.  Symposium des Mediävisten­ verbands »Farbiges Mittelalter« in Bamberg (3. März 2009); an der École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris, im Seminar »Histoire des sociétés urbaines, histoire des territoires germaniques au moyen âge« (1. Dezember 2009); im Forschungskolloquium zur mittelalterlichen und neueren Geschichte am Institut für Geschichtswissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg (30. Juni 2010); im Rahmen der internationalen Tagung »Wissen von Religion« der Graduiertenschule »Religion in Modernisierungsprozessen« (Erfurt, 24. September 2010); bei der 17. Jahrestagung des Brackweder Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte: »Geschichte und Metapher« (Universität der Künste Berlin, 20. November 2010); beim Symposium »Orte der Imagination – Räume des Affekts: Die mediale Formierung des Sakralen (1100–1600)« an der Georg© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Danksagung

August-Universität Göttingen (30. März – 1. April 2011); und im Rahmen der Tagung »LeibEigenschaften« an der Universität Bremen (1.–3. März 2012). Besonders die Herren Hans-Werner Goetz und Nikolaus Henkel in Hamburg und Neithard Bulst und Heinrich Rüthing in Bielefeld haben mit ihren Einwänden nachhaltig zur Überprüfung meiner Ausgangshypothesen motiviert  – ob mit Erfolg, vermag ich nicht zu sagen. Begonnen wurde die Arbeit in Göttingen unter den Auspizien von Ernst Schubert. Als Herr Schubert so plötzlich verstarb, hatte ich mich schon der Museumsarbeit zugewendet. Sein Tod bedeutete dennoch auch hier einen unschätzbaren Verlust. Das Graduiertenkolleg »Körper-Inszenierungen« an der Freien Universität Berlin bot mir eine assoziierte Mitgliedschaft, nachdem ich mich für den Gang in die Praxis entschieden hatte. Nach einer langen Unterbrechung ermöglichte dann Bernhard Jussen zunächst in Bielefeld und später in Frankfurt die Durchführung des Projekts. Franz-Josef Arlinghaus, Moritz Epple, Hartmut Leppin, Bernhard Jussen und Jan Rüdiger haben die nicht un­erhebliche Mühe auf sich genommen, die Habilitationsschrift zu begutachten und mir viele wertvolle Hinweise für die Drucklegung gegeben. Wiederum Bernhard Jussen, Christian Kiening, Klaus Krüger und Willibald Steinmetz haben das vollendete Werk schließlich in die von ihnen betreute Reihe aufgenommen. Bei der einen oder anderen Gelegenheit mit mir über die Tanzwut diskutiert, Teile des Buches gelesen oder in irgendeiner anderen Form geholfen haben (in alphabetischer Reihenfolge und ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Lars Behrisch, Sven Behrisch, Christina Benninghaus, Jörgen Bracker, Jan-Hendrik Büttner, Klaus van Eickels, Birgit Emich, Henning Engelke, Olga Fejtova, Friedrich Flachsbart, Eva-Maria Freienhofer, Bianca Frohne, Niels Grüne, Mark Häberlein, Klaus-Peter Horn, Jonas Hübner, Godehard Janzing, Monica Juneja, Arne Karsten, Katja Kluth, Philip Knäble, Elke Koch, Guido Komatsu, Ludolf Kuchenbuch, Wanda Löwe, Tillmann Lohse, Irina Metzler, Pierre ­Monnet, Jan Niehues, Cordula Nolte, Mathis Nolte, Maike Piepenbring, Carola Redzich, Frank Rexroth, Hedwig Röckelein, Jürgen Sarnowsky, Heike Schlie, Sabine Schmolinsky, Silke Schwandt, Simona Slaniçka, Walter Sperling, Wolfgang Spickermann, Andreas Suter, Christa Tuczay, Tobias Weidner, Christoph Winterer, Nadine Wohlfart, Harald Wolter-von dem Knesebeck, Julia Zimmermann, ­Philipp Zitzlsperger, Michael Zozmann und alle meine Kolleginnen und Kollegen in Hamburg, Bielefeld und Frankfurt/Main. Ulrike Blech und Kai Pätzke haben die Veröffentlichung vonseiten des Verlags mit Umsicht und Geduld betreut. Zahlreiche gute Ideen und jede Woche die Notwendigkeit, das Gedachte verständlich zu machen, verdanke ich den Studierenden meiner Übungen zur Tanzwut im Sommersemester 2010 und Wintersemester 2010/11. Im vorliegenden Buch nur wenig von ihren Schätzen wiederfinden werden die Archivarinnen und Archivare, bei denen ich 2007 und 2008 nach den Tanz© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Danksagung

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wallfahrten des 16. und 17. Jahrhunderts recherchieren durfte. Nennen möchte ich Herrn Stadtarchivamtsrat Uwe Fahrer in Breisach und insbesondere Herrn Kreisoberarchivrat Walter Ziegler in Göppingen. Graf Bernhard von Rechberg war so freundlich, mir die Einsichtnahme in das Gräflich Rechbergische Archiv in Donzdorf zu gestatten. Ihnen allen bin ich dankbar für Rat, Hilfe und Kritik, meinen Eltern Ursula und Konrad Rohmann für ihr Vertrauen, meiner Freundin Julia Roth für unser Zusammensein und unserer Tochter Karla Luzia für das dionysische Durch­ einander, das sie in unser Leben gebracht hat. Berlin, im Mai 2012 Gregor Rohmann

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© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

I. Einführung: Chorea, Veitstanz, Tanzwut – zwischen Religion und Medizin »Der Veitstanz zählt zu den berühmtesten, aber auch geheimnisvollsten Krankheitsbildern des Spätmittelalters.« Klaus Bergdolt, 20061

I.1 Die Tanzwut als Forschungsproblem I.1.1 Die »furchtbare Krankheit« der Anna Schön »Anna Schönin v[on] Colmar sol Zuvor ein / vrkund bringen das sye mit St Johans /  Tanz vnd furchtbare[r] Krankheit daruor / nit behafft gewest seye, Als dan so / würdt Jro weiterer bschaid werde[n].«2

So heißt es zum 27.  Juni 1602 in den Ratsprotokollen der Stadt Breisach am Rhein. Anna Schön aus Colmar wird auf den Seiten zuvor nicht erwähnt. Was also war dem Eintrag vorausgegangen? Es geht in den betreffenden Passagen um die Ausstellung von Bettelerlaubnissen. Aber warum sollte eine Frau aus der nicht einmal eine Tagesreise entfernten Nachbarstadt in Breisach zum Bettel zugelassen werden? Warum verlangte der Rat von ihr ein Gutachten, dass sie »­daruor nit« mit dem »St Johans Tanz« behaftet gewesen sei? Und was ist das überhaupt für eine »furchtbare Krankheit«? Wie können wir uns dem historischen Krankheitserleben nähern? Es muss Anna Schön gelungen sein, ihr Anliegen glaubhaft zu machen, denn am 11. Juli beschloss der Rat wie folgt: »Anna Schönin v[on] Colmar ist ein / Hefftige[r] shein Jres Zue Büesheim / Jüngest gesthanden St. Johannis Thanz / Zuegebe[n] erkandt soll vf vogt vnd gericht / Zue Bueßheim gestelt werden.«3

Vogt und Gericht zu Biesheim sollten ihr also, so der Rat, ihren Johannistanz bescheinigen. Biesheim, auf dem elsässischen Rheinufer gelegen, gehörte zum Landgebiet Breisachs und war Ziel einer stark frequentierten Wallfahrt am Fest Johannes des Täufers, dem 24. Juni. Hier kamen alljährlich die Opfer der Tanz 1 Bergdolt, Veitstanz, S. 85. 2 Stadtarchiv Breisach, Ratsprotokolle, 1602, S. 150. 3 Ebd., S. 162. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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krankheit zusammen, um in der Kirche zu tanzen und so Linderung zu erfahren.4 Derartige Tanzwallfahrten gab es im 16. und 17. Jahrhundert an verschiedenen Orten am Oberrhein und in Schwaben, außerdem auch weiter nördlich in der Eifel und bei Brüssel. Anna Schön sollte also vom Breisacher Vogt in Biesheim bestätigt bekommen, an einer Krankheit namens Johannistanz zu leiden. Die Breisacher Ratsherren hielten es demnach für plausibel, dass eine Frau aus der protestantischen Nachbarstadt anlässlich einer katholischen Wallfahrt im Landgebiet ihrer Stadt von einer dort grassierenden Krankheit erfasst worden war und dass sie infolgedessen auf eine uns nicht bekannte Weise die Unterstützung der Stadt verdiente. Was verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung: »Johannistanz«? Die Medizin­ geschichte stellt sich diese Frage seit gut 200 Jahren.5 Unter Bezeichnungen wie »Veitstanz« oder »Johannistanz« und lateinisch chorea finden wir seit dem 15. Jahrhundert mehr oder weniger ähnliche Fälle von unwillkürlichen körperlichen Expressionen, individuellen oder auch kollektiven Tänzen beschrieben. In der modernen Literatur hat sich dafür seit dem 19. Jahrhundert die Bezeichnung »Tanzwut« (engl.: dancing mania) eingebürgert.6 Vom 14. bis zum 17. Jahrhundert überliefern Heiligenviten, literarische Quellen, städtische und kirchliche Chroniken, Ratsarchivalien, medizinische und gelehrte Traktate Nachrichten über kollektive Tänze, oft im räumlichen und zeitlichen Umfeld kirchlicher Feste oder kirchlicher Zentralorte. Weiter kennen die Quellen (und hat die Literatur unter dem Oberbegriff Veitstanz bzw. Tanzwut subsumiert) den Tanz von begrenzten Gruppen an den Heiligtümern des hl. Veit und Johannes des Täufers zur Heilung von einem rätselhaften Leiden. Der Tanz ist dabei zugleich Abwehr bzw. Therapie und Symptom.7 Die bisherige Forschung hat ihre Beobachtungen fast durchgehend anhand der für 1374 im Rheinland und 1518 in Straßburg beschriebenen Tanzbewegungen entwickelt und dann auf postulierte oder tatsächliche andere Fälle von Tanzwut projiziert. Sind schon in den klassischen Fällen der Quellenbefund wie die Interpretation in der Literatur äußerst disparat, so umso mehr bei allen weiteren Zeugnissen, die schon in den Quellen oder aber erst in der Literatur mit Veitstanz, Tanzwut etc. in Verbindung gebracht werden. 4 Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S.  122–126; Midelfort, History of Madness, S. 39 f., 169 f.; Hecker, Tanzwuth, S. 24; Backman, Religious Dances, S. 252; Schmitz-Cliever, Epidemische Tanzkrankheit, S. 159. 5 Auf dieses Desiderat weist auch hin: Largier, Lob der Peitsche, S. 112. 6 Zur Begrifflichkeit vgl. die umfassende Auflistung bei Wicke, Versuch einer Mono­ graphie, S. 3 f.; außerdem: Röcke/Velten, Tanzwut, S. 308, Anm. 5; Krack, Relicts of Dancing Mania, S. 2169 f. 7 Die folgende Beschreibung stützt sich, wo nicht anders verzeichnet, auf die Angaben bei Hecker, Tanzwuth; Backman, Religious Dances; Graus, Pest, Geißler, Judenmorde, S. 49 ff.; Midelfort, History of Madness, S. 32–49; zusammenfassend: Zimmermann, Engelsreigen, S. 278–287; Bergdolt, Veitstanz. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Ein analoges Phänomen ist die süditalienische Tarantella, die in den zeitgenössischen Quellen auf zwanghaftes oder wiederum therapeutisches Tanzen nach einem Spinnenbiss zurückgeführt wird. Der expressive Tanz als rituelle Ausdrucksform wird bei diesem Tarantismus durch eine zwar unrichtige, aber natürliche Ursache erklärt. Die italienische Medizin des späten Mittel­a lters griff dabei eine in der Antike geläufige und über die arabische Medizin ver­mittelte Fehldiagnose von Sonnenstich (phrenitis) und Hitzeschlag (apoplexia) als Folge eines Kriechtierbisses auf.8 Abseits vorschneller Gleichsetzungen wäre zu fragen, ob und welche Wechselwirkungen diese Krankheitskonzeption und der Veitstanz nördlich der Alpen hatten.9 Räumlich lässt sich die Tanzwut im engeren Sinn auf das Einzugsgebiet des Rheins und seiner westlichen Zuflüsse eingrenzen, von Oberdeutschland bis nach Flandern. Ausdrücklich zu unterscheiden ist sie von Phänomenen, die in der Forschung vielfach als ähnlich oder gar identisch beschrieben wurden, etwa von dämonischer Besessenheit oder dem Tanz der Hexen, aber auch von nicht pathologisierten Formen des sakralen bzw. rituellen Tanzes, sei er verboten oder normenkonform. Jedenfalls bietet das Narrativ »Tanzzwang« nur eine von mehreren zeitgenössischen Deutungsmöglichkeiten für tendenziell deviante körperliche Bewegungen. Ebenso ist die Tanzwut abzugrenzen von allen nicht-krankhaften Formen des Tanzes. Zumal in der medizingeschichtlichen Literatur wird vielfach noch implizit oder explizit jede körperliche Expressivität als Verlust der Selbstdisziplin und damit als pathologisch beschrieben. So wird ein Assozia­tionsraum eröffnet, in dem letztlich jede Form von abweichender Gestik, ­Mimik oder Bewegung mit der Tanzwut kurzgeschlossen wird. Häufig werden dann körperliche Ausdrucksformen, konvulsivische Krämpfe und dergleichen mehr unter dem Rubrum »veitstanzähnlicher Bewegungen« zusammengefasst. Nimmt man diese Diagnose dann wiederum als Symptom, ist der Zirkelschluss perfekt. Schließlich werden in der Literatur vielfach alle Formen von religiös-ekstatischem Verhalten mit der Tanzwut gleichgesetzt, insbesondere die Devotions­ praxis charismatischer Gruppen im protestantischen Christentum. Allzu deutlich dient die Thematisierung der Tanzwut hier als Argument in einem Exklusionsdiskurs der institutionellen Großkonfessionen gegen kleinere Freikirchen. Zu diesen mag man stehen, wie man will: Der historischen Erkenntnis dient eine pauschale Pathologisierung ekstatischer Praktiken jedenfalls nicht. 8 Katner, Rätsel des Tarantismus, S.  100–103; allg.: Cofini, (Art.) Tarantella; Strasser, ­Tarantel. 9 Zum Verhältnis von Tarantismus und Tanzwut vgl. Strasser, Sankt Vitus, S.  562; Bartho­lomew, Rethinking Dancing Mania, [S. 1]; gegen eine Gleichsetzung: Katner, Rätsel des Tarentismus, S. 32–35, 77–80, 108; Waller, Time to Dance, S. 112; van Kraemer, Les maladies, S. 86 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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I.1.2 Die Tanzwut verstehen: Vier Perspektivwechsel Die Beschäftigung mit der Tanzwut ist also in hohem Maße durch die milieuund zeitspezifische Perspektive der Beobachter bestimmt. Wie noch zu zeigen sein wird, ist der in der Forschung wie im alltäglichen Geschichtsbewusstsein installierte Motivkomplex Tanzwut selbst ein genuines Produkt eines aus vorwissenschaftlichen Ideologemen gespeisten Diskurses.10 Die bisherige Forschung hat dabei zahlreiche Quellen und Ereignisse mit dem von ihr postulierten Phänomen in Verbindung gebracht. Will man den Bedeutungswandel dieses Konzepts nachzeichnen, muss man also zunächst genau unterscheiden, wo es schon in den Quellen und wo erst in der Literatur auftaucht. Sodann sind vier perspektivische Prämissen angezeigt: 1. Wenn man die Projektionen aufzulösen versucht, bleiben als verbindende Elemente zwei Motive, nach welchen heuristisch zu suchen ist: Durchgehend kennzeichnet die Quellen die Verwendung von Vokabeln bzw. Beschreibungsformen wie Tanz, Reigen etc. (bzw. den lateinischen Entsprechungen) für Formen der körperlichen Expressivität. »Tanz« ist dabei nicht in einem phänomenologischen Sinn genauer zu definieren. Erkenntnisleitend ist vielmehr ein semantisches Verständnis: »Tanz« ist gegeben, wenn der Begriff »Tanz« von der Quelle herangezogen wird, sei es metaphorisch, symbolisch oder auf eine zu beschreibende Wirklichkeit referierend. Und zweitens wird in den hier zur Rede stehenden Fällen implizit oder explizit ein Zwang, eine Unfreiwilligkeit dieses »Tanzes« angenommen. Dieser zwanghafte Tanz wird oft als Störung der körperlich-geistigen Ordnung, manchmal ausdrücklich als Ausweis von Wahnsinn beschrieben. Im Sinne von Claude Lévi-Strauss könnte man von einem Mythem »unfreiwilliger Tanz« sprechen.11 Der Gegenstand der Untersuchung lässt sich also wie folgt eingrenzen: Wir suchen nach Quellen, die Tanz mit Semantiken von Zwanghaftigkeit und/oder Kontrollverlust verknüpfen. Und wir suchen nach der Konstruktion und dem semiotischen Wandel dieses Motivs. Alle Zeugnisse, die sich anhand ihrer Begrifflichkeit oder inhaltlicher Schlüsselfaktoren auf dieses Motiv beziehen lassen, sind für uns interessant. Wenn wir im Folgenden von Tanzwut sprechen, meinen wir also nicht das von der bisherigen Forschung angenommene uni­ versale Phänomen, sondern eine spezifische diskursive Bewegung, in der das Motiv »unfreiwilliger Tanz« nachzuverfolgen ist. 2. In diesem Sinn soll im Folgenden die vergebliche Suche nach der einen, »eigentlichen« Ursache der Tanzwut abgebrochen werden. Denn eine solche muss zwangsläufig im naturwissenschaftlich-nomothetischen Sinn mit der 10 Vgl. unten, Kap. I.2. 11 Vgl. unten, Kap. I.3.3. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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e­ tischen Projektion moderner Wahrnehmungsmuster und der reduktionistischen Isolierung einer eindeutigen Kausalität operieren. Stattdessen soll hier hermeneutisch nach den emischen Konzepten, ihrer konflikthaften Vielgestaltigkeit und ihrem diachronen Wandel gefragt werden, nach den je zeit- und milieuspezifischen Narrativen und Imaginationen in ihren sozialen und kulturellen Funktionsweisen, deren historische Bewegung zur Ausbildung des Krankheitskonzepts Tanzwut geführt hat.12 Diese Krankheitseinheit also hat keine »eigentliche Ursache«, ja: sie hat keine Realität außerhalb ihrer kulturell geprägten und sprachlich vermittelten Verwirklichung. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen all jene Aspekte der Überlieferung, die eine Suche nach dem »eigentlichen«, also »wissenschaftlichen« Grund als arbiträre oder gar irrationale Produkte einer defizitären Mentalitätsstufe ausblenden musste. 3. Entsprechend gibt es keinen historischen Moment, in dem die Tanzwut quasi komplett ausgebildet gewesen wäre, mit einem klar definierbaren »­Davor« (der Genese)  oder »Danach« (dem Zerfall). Eine historisch-kulturelle Konzeption ist nicht als Zustand, sondern immer nur als Prozess zu begreifen, als permanente Neuaushandlung der semiotischen Bestandteile und ihrer Bedeutungen, auf die allenfalls retrospektiv ein fixierbares Konzept als Kristallisationskern projizierbar ist. Auf dieser Ebene greift auch die vorliegende Untersuchung auf eine etische Setzung zurück, indem sie nämlich einen Diskurs analytisch herauspräpariert, um ihn als isolierten in seinem Kontext unter­ suchen zu können. Wir untersuchen diesen Diskurs jedoch nicht wie die bisherige Forschung synchron, sondern diachron. 4. Will man die Konstruktion eines kulturellen Phänomens verstehen, so liegt es nahe, den Blick von seinem Zustand auf der Zeitebene der Manifestation abzuwenden auf die Vorgeschichte, die Formierung. Um die Tanzwut des 14. bis 17. Jahrhunderts zu verstehen, blicken wir also auf ihre Diskursgenealogie seit der Antike. Die vorliegende Studie klammert die konkreten TanzwutEreignisse bewusst aus und zeichnet stattdessen nach, wie das Reservoir an Zeichen, aus dem man sich im Spätmittelalter bedienen konnte, entwickelt wurde. Damit ist gerade nicht gemeint, dass der unfreiwillige Tanz ein universelles Krankheitsphänomen oder gar eine anthropologische Konstante sei, sondern im Gegenteil: dass man die Tanzwut als spezifisches Phänomen des 14. bis 17. Jahrhunderts nur versteht, wenn man sie einerseits analytisch von ihrer Rezeption im Kontext der modernen Mittelalter-Stereotypik isoliert und andererseits den Blick auf ihre Entstehungsgeschichte lenkt. Anna Schön litt demnach im Jahr 1602 an »Johannistanz«, und wir wollen verstehen, was über dieses zeitgenössisch wirksame Krankheitsphänomen und 12 Zur Unterscheidung von emischer (auf kultureigene Konzepte gestützter) und etischer (auf Beobachter-Kategorien beruhender) Interpretation vgl. nur Stagl/Müller, (Art.) emisch und etisch, in: Hirschberg (Hg.), Neues Wörterbuch der Völkerkunde, S. 116. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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über seine Genese zu erfahren ist. Denn was wir in den Quellen über den Komplex »Johannistanz / Veitstanz / Tanzwut« lesen, passt letztlich zu keiner der von der bisherigen Forschung herangezogenen Erklärungen.

I.1.3 Religionsgeschichtliche Erklärungsansätze Immer wieder wurden Tanzwut und Veitstanz als Rituale häretischer oder enthusiastisch-charismatischer Gruppen aufgefasst, so etwa zuletzt (recht vage) von Jean-Claude Schmitt13 und Gary Dickson14. Die Tänzer wurden freilich in der Regel nicht verketzert, wie z. B. Paul Frédéricq angenommen hat.15 1374 etwa wendete man Exorzismen an, was klar für eine Interpretation als Dämonenbesessenheit spricht. Der Tanz wurde nicht zum Heilsangebot und damit nicht zur Konkurrenz für die Kirche.16 Der Ethnologe Gilbert Rouget hat angenommen, dass es sich bei der Tanzwut um einen »Besessenheitskult« gehandelt habe, eine Massenbewegung von Trance­tänzern.17 Allerdings hat H. C. Erik Midelfort darauf hingewiesen, dass die Tanzwut zumindest in den spätmittelalterlichen Quellen nicht die Züge einer institutionell geschlossenen Kultgemeinschaft zeigt.18 Stattdessen schlägt ­Midelfort vor, sie als eine Krankheit zu beschreiben, deren Semiotik aus Versatzstücken früherer »Besesessenheitskulte« zusammengesetzt sei, als »[…] the dying form of a possession cult«.19 Mit George Rosen wollte er hier eine kulturell valide Form der Stressbewältigung durch kollektive Trance am Werk sehen, ein »revitalisation movement«, das dann freilich – so Midelfort – in Krankheit umgeschlagen sei.20 Unklar bleibt dabei jedoch, ob hier konkrete Ritualgemein 13 Eher unentschieden: Schmitt, Logik der Gesten, S. 88 mit Anm. 135. 14 Dickson, Religious Enthusiasm, S. I 2 mit Anm. 4, S. I 7; Gary Dickson entwickelt in einer Reihe von Studien sein Konzept eines christlichen »Enthusiasmus« als spezifisch spätmittelalterlicher Form der charismatischen Devotion. Von »ecstatic dissent« spricht auch Ehren­reich, Dancing in the Streets, S. 85–87. 15 Frédéricq, De secten de geeselars en de dansers; und die Edition: Ders. (Hg.), Corpus documentorum inquisitionis; vgl. dazu Braekman, La dansomanie de 1374; ähnlich neuerdings: Bartholomew, Rethinking Dancing Mania;. Bertaud, Danses religieuses, Sp. 37. 16 Backman, Religious Dances, S. 294 f.; Graus, Pest, Geißler, Judenmorde, S. 52 ff. 17 Zur Tanzwut: Rouget, Music and Trance, S.  241, 290–292; zum Tarantismus: ebd., S. 162–165; vgl. Midelfort, History of Madness, S. 46 f.; Biquard, Le Mal des Saint Vit, [S. 6 f.]. 18 Middelfort, History of Madness, S. 46–48; Midelfort schreibt weiter, die Tanzwut zeige nicht die für einen possession cult typische Identifikation mit einer individuellen höheren Macht. Freilich dürfte hier die doch recht eindeutige Benennung Veits und Johannes des Täufers zumindest strukturell analog sein, wenngleich diese natürlich nicht als in die Tänzer einfahrend gedacht wurden. 19 Ebd., S. 48. 20 Ebd., S. 43, 47 f.; Rosen, Madness in Society, S. 195–225; vgl. zu Rosen auch Bartho­ lomew, Exotic Deviance, S. 135, 139. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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schaften angenommen werden können, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt im Verbreitungsraum der Tanzwut bestanden hätten und von dieser quasi beerbt worden wären. Auch Midelfort hält also letztlich am Paradigma eines KultSurvival fest. Auch in anderen Erklärungsversuchen findet sich diese Integration mehrerer Faktoren in einem mehrstufigen Modell: Ein zunächst religiöses Phänomen, ein »heidnischer Kult« etwa, schlägt demnach »im Mittelalter« in eine »Krankheit« um bzw. eröffnet den Spielraum für kollektives Überschreitungshandeln, welches dann im Leiden endet.21 So werden disparate Erklärungsmodelle argumentativ synthetisiert. Notwendig zur Herstellung logischer Kohärenz ist dabei die Denkfigur, dass nicht-christliche oder sogar jedwede religiöse Expressivität tendenziell vom Umschlagen in Devianz und Krankhaftigkeit bedroht sei. Hinter jedem noch so harmlosen Tänzchen lauert der Teufel der »Tanz­ekstase« – ein vorwissenschaftliches Narrativ, das zu dekonstruieren, nicht zu reproduzieren wäre. Der Veitstanz als paganer oder synkretistischer Kult steht in der Tradition der vor allem in der Volkskunde gepflegten Survival-Theorie, der zufolge »heidnische«, also: germanische Kulte in christlichem Gewande die Zeiten überlebt hätten.22 Sie geht, was die Tanzwut betrifft, auf den thüringischen Pastor Markus Christian Heinrich Brömel zurück, der schon 1701 die Kritik der Kirchenväter am Tanz auf den Veitstanz übertragen hatte.23 Für pagane Inhalte bieten die Quellen freilich wenig Anhalt. Vielmehr sprechen sie deutlich für einen Zusammenhang mit verschiedenen christlichen Traditionen. So wären zunächst die einzelnen Auftritte der Tänzer präzise zu untersuchen und miteinander zu vergleichen, bevor Aussagen über ihren religiösen Gehalt möglich würden.24 Die Wiener Altgermanistin Christa Tuczay behandelt die Tanzwut in ihrer 2009 erschienenen Habilitationsschrift über Trance- und Ekstasetechniken im Mittelalter.25 Gewiss lässt sich der rituelle Tanz prinzipiell als Psychotechnik zur Erlangung einer Dissoziationserfahrung auffassen. Es stellt sich freilich wiederum die Frage, in welchem rituellen Rahmen diese Technik ggf. angewendet wurde. Wer die Tanzwut als Ausdruck einer universal gedachten anthro­ 21 So etwa: Schmitz-Cliever, Epidemische Tanzkrankheit; Schmitz-Cliever/Schmitz-Cliever, Darstellung; Wähler, Kindertanzzug, S. 69 f.; Höfler, Deutsches Krankheitsnamenbuch, S. 729, 765; Panzer, Tanz und Recht, S. 10–12; Koch, Salomés Schleier, S. 192 f. (christliche ­Johannes-Verehrung als Ausgangspunkt für »Tanzhysterie«); Hausamann, Die tanzende ­Salome, S.  205–207 (Johannisbrauchtum als heidnischer Sonnenkult schlägt »[ü]berall im mittelalterlichen Europa« in »Tanzepidemien« um). 22 Vgl. nur Beitl/Beitl, Wörterbuch der Deutschen Volkskunde, darin die Artikel: »Echternacher Springprozession«, »Tanzkrankheit«, »Veit«. 23 Brömel, Fest-Täntze; vgl. auch von Erdmann, Der Veitstanz keine Krankheit. 24 Vgl. Dickson, Encounters, S. 275. 25 Tuczay, Ekstase im Kontext, S. 404–413; ähnlich auch: Gladigow, Ekstase und Enthu­ siasmos, S. 27. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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pologischen Konstante »Trance / Ekstase / altered state of consciousness« interpretieren will, muss letztlich wiederum ihre Spezifika ausblenden. Zudem droht die komparatistische Projektion am sprichwörtlichen Vetorecht der Quellen zu scheitern, denn längst nicht jeder Fall von Tanzwut wird als ekstatisch beschrieben. Die reduktionistische Suche nach einem – in diesem Fall religions- und ritualwissenschaftlichen – Kernphänomen droht die spezifischen Mechanismen der kulturellen Konstruktion von Veitstanz, Tanzwut und Johannistanz auszublenden. Folgerichtig bleiben die entsprechenden Beschreibungen oberflächlich und quellenfern. Da im modernen europäischen Diskurs zudem religiöse Trance tendenziell der Psychiatrisierung unterliegt, erweist sich die Deutung der Tanzwut als Ausdruck einer ekstatischen Religiosität allzu leicht als In­ version des pathologisierenden Hysterie-Diskurses.26 Auch sie leistet keine Erforschung der zeit- und kulturspezifisch eigenen Konzepte, sondern bleibt auf der Ebene der Projektion moderner Erklärungsmuster stehen. Wie jedes Phänomen der alltäglichen Geschichtswahrnehmung hat auch die Tanzwut eine erhebliche Attraktivität für quellenferne Spekulationen. Schon 1844 wollte etwa ein deutsch-russischer Mediziner im Veitstanz eine im Rahmen der Kreuzzüge erfolgte Christianisierung der muslimischen Sufi-Mystik sehen.27 Ähnlich gewagte Annahmen zum Kulturtransfer finden sich auch in tanzwissenschaftlichen Lexika, die Vitus und »seinen« Tanz etwa mit hinduistischen Frömmigkeitsformen kurzschließen.28 Immerhin sind mit diesen steilen Thesen die kosmologischen Fundamente des Tanzwut-Konzepts in der antiken Philosophie angesprochen, die ebenso in der islamischen Mystik nachwirken.

I.1.4 Medizinische und sozialpsychologische Erklärungsansätze Wer Tanzwut und Veitstanz als Ritualbewegungen sehen will, muss sich vor allem mit dem Umstand auseinandersetzen, dass schon die gelehrte Medizin der Frühen Neuzeit sie als Krankheit klassifizierte, etwa Thomas Sydenham (1624–1689), Gregor Horstius (1578–1636), Felix Platter (1536–1614) oder schon Paracelsus (1493–1541). Ebenso konstatiert Jean Bodin (1529/30–1596) in seinen »Six Livres de la Republique« (1576) ausdrücklich, dass es sich beim Veitstanz nicht um Hexerei, sondern um eine natürliche Krankheit handele.29 Und schon 1518 erklärte sich der Vikar des Bischofs von Straßburg auf Bitten des Rates um 26 Karger-Decker, Geschichte der Medizin, S. 418, bezeichnet die klassische Merian’sche Illustration zum »Tanz von Kölbigk« (vgl. unten, Abb. 8), als »Tanzwütige (Chorisanten) in religiös-erotischer Tanzekstase auf einem Kirchhof«. 27 von Erdmann, Der Veitstanz keine Krankheit. 28 Raffe/Purdon, Dictionary of the Dance, S. 529 (eine vorzügliche Quelle für das Fortwirken der Esoterik des 19. Jh. in der modernen Tanzwissenschaft). 29 Martin, Geschichte der Tanzkrankheit. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Mithilfe bei der Bewältigung der durch die Tänzer ausgelösten Krise für nicht zuständig. Man wolle aber tun, was man könne: »Dass dis im unnot zu sin dünkt, sondern diwyl die Artz anzeigen, daß es eine natür­ liche krankheit sy, daß man auch natürlich mittel mit in versuche, aber domit nit nichts beschehe, woll er alle Predikanten beschickhen und in bevelhen, daß sie öffentlich in cancellis ermaneten zu betten und anzurieffen, daß er [Gott] sin gnad und barmherzigkeit uns sende.«30

Der Fall der Anna Schön schließlich zeigt, dass es sich dabei nicht etwa nur um einen Elitendiskurs handelt, dem auf Seiten der Tanzenden etwa ein subversiver Selbstermächtigungsanspruch von Subalternen gegenüber gestanden hätte: Auch die Tanzenden selbst rekurrierten auf die Tanzkrankheit, um ihre Erfahrungen zu kategorisieren. Mit Paracelsus (1493–1541) setzen die Bemühungen um eine medizinische Systematisierung des Komplexes ein – Bemühungen jedoch, die den Veitstanz als Massenphänomen schon bald nur mehr aus der Lektüre kennen. Bei Thomas Sydenham wird aus dem Veitstanz schließlich ein neurologisches Syndrom. Nun geht es nur noch um individuelle Krankheitsbilder: Die Mediziner unterscheiden heute diagnostisch zwischen »Chorea maior«, krampfartigen Konvulsionen als eigenständiger Krankheit, und »Chorea minor« als Begleitsymptom anderer Syndrome (»Chorea Sydenham«). Die »Chorea maior« tritt als erbliche Nervenkrankheit, als »Chorea Huntington« auf; diese erbliche Nervenkrankheit wird im Volksmund auch heute noch Veitstanz genannt. Dass neurolo­gische Krankheitsbilder schwerlich für eine infektiös zu denkende Massen­bewegung verantwortlich sein können, ist augenfällig.31 Neben die neurologische Konzeption einer quasi-epidemischen Tanzkrankheit treten daher verschiedene Alternativ­ erklärungen.32 Die Skeptiker unter den Historikern haben, wo sie den Veitstanz er­k lären mussten, oft schlicht von Epilepsie gesprochen.33 Der schwedische Pharmakologe Eugene Louis Backman führte ihn auf Mutterkornvergiftung (»Ergotismus«) zurück.34 Andere sprachen von Bilsenkraut und ähnlichen Halluzi 30 Sog. Annalen des Sebastian Brant, zitiert nach: Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S. 119; vgl. Midelfort, History of Madness, S. 34. 31 Eine schulmäßige Differentialdiagnose fordert 1844 schon Wicke, Versuch, S.  VII– XVII, S. 8; Jungbauer, Deutsche Volksmedizin, S. 169 f., verzeichnet eine »Nerven- und Muskelkrankheit, die man gewöhnlich mit der seuchenartigen Tanzwut vermengt und ver­ wechselt«. 32 Eine wenig präzise Zusammenfassung der Literatur bietet Bergdolt, Der spätmittel­ alterliche Veitstanz. 33 Vgl. etwa Schubert, Alltag im Mittelalter, S. 191 f.; van Kraemer, Les maladies, S. 67–88, unterscheidet »mal Saint Jean« (Fallsucht) und »mal Saint Vit« (»choréomanie«, auf Ergotismus zurückzuführen). 34 Backman, Religious Dances, S. 295–327. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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nogenen als Auslöser.35 Diese toxikologischen Erklärungen werden in ihrer Monokausalität der Vielschichtigkeit des Phänomens jedoch in keiner Weise gerecht. Ähnliches gilt für die Diagnose »Enzephalitis«, wie sie sich in den fatal einflussreich gewordenen Werken Stefan Winkles findet.36 All diesen paläodiagnostischen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie ein höchst komplexes kulturelles Phänomen auf eine singuläre Ursache reduzieren wollen.37 Dies ist nun aus medizingeschichtlicher Sicht methodisch höchst problematisch: Die früher viel betriebene retrospektive Diagnostik auf der Grundlage zwangsläufig fragmentarischer und nicht für eine Anamnese formulierter historischer Quellen verstößt gegen alle Sorgfaltspflichten, die ein Arzt in der medizinischen Praxis einzuhalten hätte.38 Vor allem aber ist es schlicht undenkbar, dass ein über mehrere Jahrhunderte in vielgestaltiger Form auftretendes Phänomen sich auf eine einzelne physiologische Ursache zurückführen lassen könnte. Möglich sind diese retrospektiven Diagnosen nur, weil sie eben nicht den konkreten Quellenbefund heranziehen, sondern auf Grundlage der Sekundärliteratur (und ihrer Klischeevorstellungen über »das Mittelalter«) assoziativ und undifferenziert eine Anamnese konstruieren, die ihre eigenen Vorannahmen als Symptome bestätigt.39 Zudem postulieren all diese medizinischen Kausal­annahmen für sich zwar naturwissenschaftliche Präzision, tatsächlich funktionieren sie jedoch gerade nicht durch den Rekurs auf ein eindeutiges, universales Grundphänomen, sondern durch die arbiträre Konstruktion höchst schwammiger Konzepte unter immer neuen Namen: Beinahe jeder Forscher fasst die von ihm erdachte Bricolage unter einem anderen taxonomisch klingenden Namen zusammen. 35 Winkle, Geißeln der Menschheit, 11997, S.  176 ff.; Camporesi, Das Brot der Träume, S. 155–169, bes. S. 159 (Mangelernährung und mit Halluzinogenen gestrecktes Brot als Auslöser) und S. 165 (Ergotismus als Auslöser); dazu: Röcke/Velten, Tanzwut, S. 321. 36 Winkle, Geißeln der Menschheit, 32005, S. 1091 f.; Ders., Die Tanzwut; zur Kritik an Winkle aus Sicht der professionellen Medizingeschichte vgl. Leven, Krankheiten, S. 156 mit Anm. 8. 37 Vgl. die Kritik von Carlo Ginzburg an analogen Erklärungsversuchen für den Hexen­ glauben: Ginzburg, Hexensabbat, S. 306 f.: »Diese Erklärungen haben ihre faszinierende Wirkung noch nicht eingebüßt. Doch keine Form des Mangels, keine Substanz, keine Ekstasetechnik vermag, für sich genommen, das wiederholte Auftreten von derartig komplexen Erfahrungen auszulösen. Gegen jeden biologischen Determinismus gilt es mit Nachdruck daran festzuhalten, daß der Schlüssel zu dieser kodifizierten Wiederholung einzig ein kultureller sein kann.« 38 Vgl. nur Leven, Krankheiten; Eckart/Jütte, Medizingeschichte, S. 330 f. 39 Vgl. nur Winkle, Geißeln, 32005, S.  1091: »Bei den ›Tanzwütigen‹ von Kölbigk handelte es sich wahrscheinlich um einige Enzephalitis-Kranke, deren veitstanzähnliche Schüttelkrämpfe durch die seelische Erregung der Mitternachtsmesse und durch die Kälte der Dezembernacht bis zum Paroxysmus gesteigert wurde.« Den Tänzern der Kölbigker Legende »veitstanzähnliche Schüttelkrämpfe« zu unterstellen, ist eine quellenmäßig nicht belegbare Projektion, die zunächst zirkelschlüssig die Diagnose »Tanzwut« legitimiert und dann als Symptom für eine Retrodiagnose herhalten muss. Zum Tanz von Kölbigk vgl. unten, Kap. VI. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Es ist freilich nicht auszuschließen, dass im einen oder anderen Fall Menschen an den Tanzwut-Ereignissen beteiligt waren, deren Leiden man heute mit den erwähnten Diagnosen benennen würde. Damit flossen neurologische Krankheitsbilder als Motivspender für die äußere Gestalt der Tanzwut in das Substrat der diskursiven Genealogie ein  – etwa die »Fallsucht« (nicht die heute diagnostizierbare Epilepsie!) beim Transfer der »Johanniskrankheit« von Frankreich nach Deutschland.40 Gerade weil bei den Tänzen die verschiedensten Personen mit oder ohne heute diagnostizierbare Leiden zusammenkamen, lässt sich das emische Krankheitskonzept keinesfalls auf eine etische Einzel­ ursache reduzieren. Statt nach einer naturwissenschaftlichen Ursache zu suchen, wird oft die von der älteren medizingeschichtlichen Forschung postulierte Krankheits­einheit Tanzwut schlicht als Entität reproduziert.41 Aktuelle kulturwissenschaftliche Diskussionen leisten denn auch analytisch kaum mehr, als die Stereotypen des 19.  mit den Begriffsmoden des frühen 21.  Jahrhunderts neu auszupreisen.42 Vielfach stehen diese dabei erkennbar in der Tradition der nietzschea­ nischen Tanzliteratur, in der das eigene kulturelle Interesse zu einem anthropologisch-universellen Trieb hypostasiert wird, dessen »Unterdrückung« durch Kirche und Staat dann zu ekstatischen Ausbrüchen, zum »entfesselten Bewegungsrausch« (W. Brunner) geführt habe.43 Paradigmatisch formuliert findet sich diese Vorstellung schon in Curt Sachs’ »Weltgeschichte des Tanzes« (1933): »Wie Vulkane, die man längst erloschen wähnte, neu zu arbeiten beginnen, wie nach kleinen Teileruptionen eines Tages ungeheuere Massen herausgeschleudert werden und brennend und vernichtend alles Lebendige fortreißen und begraben, so entfesselt sich plötzlich um die Mitte des 14. Jahrhunderts in der Rheinniederung […] eine unbezwingliche Tanzwut […].«44

Der Mensch als psychosomatischer Kochtopf: Die Tanzwut kann so als Ausdruck »unmittelbarer Körperlichkeit« zur Subversion gegen die Kirche umgedeutet und in den Selbstvergewisserungsdiskurs der Tanzszene eingespeist werden.45 Selbstredend wird auch dabei wiederum nicht auf die Quellen, sondern auf 40 Vgl. unten, Kap. VII.1.5. 41 Kanonisch: Hecker, Tanzwuth; Martin, Geschichte der Tanzkrankheit. 42 Vgl. Jung, Körperlust und Disziplin, S. 121–123; ebenso den empirisch und methodisch unzulänglichen Versuch von Röcke/Velten, Tanzwut. 43 Brunner, Städtisches Tanzen, S. 45 f.; Backman, Religious Dances, S. 331; vgl. Stocks, Disziplinierung, S. 111 f., 204; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 26 (»epidemische Tanzlust«); zur Lippe, Naturbeherrschung am Menschen, Bd.  1, S.  111; Friedrich, Terpsichore im Massenwahn, S. 30; allg.: Graus, Pest, Geißler, Judenmorde, S. 36 f. 44 Sachs, Weltgeschichte des Tanzes, S. 171. 45 Klein, Frauen. Körper. Tanz, S. 12, 55 ff., 67–69; Koch, Salomés Schleier, S. 74. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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die Literatur rekurriert, das räumlich und zeitlich sehr spezifische Phänomen zum Merkmal »des Spätmittelalters« verallgemeinert und mit anderen Irrationalitäts-Stereotypen wie dem Totentanz vermengt. Die Tanzwut wird so zur positiven »Tanzlust« invertiert, sie behält jedoch ihre Konnotationen von dionysischem Überschreitungshandeln und reproduziert damit letztlich die disziplinierende Pathologisierung. Dies gilt auch für eine feministisch inspirierte Kritik, die die Tanzwut als ein durch Männer marginalisiertes weibliches Verhalten auffassen möchte.46 Auch diese Diskussion stützt sich nicht auf die mittelalterlichen und frühneuzeit­ lichen Quellen, sondern auf die psychiatrische Diagnostik des späten 19.  und frühen 20. Jahrhunderts. Denn die Quellenzeugnisse zeichnen sich – mit einigen Ausnahmen zumal in der jüngeren Überlieferung – gerade durch die Behauptung eines gemeinsamen Tanzes von Männern und Frauen aus.47 Die Benennung als spezifisch weibliches Verhalten ist so bereits Ausdruck eines Disqualifikations­diskurses. Dieser speist sich aus der impliziten oder expliziten Gleichsetzung von Tanzwut und »Hysterie« bzw. »Massenhysterie«, wie sie die medizin- und auch die tanzgeschichtliche Literatur über weite Strecken bis heute prägt.48 Damit ist eine Sammelkategorie gebildet, unter der sich alle Formen von deviantem oder unverständlichem Verhalten subsumieren lassen.49 In diesem Konglomerat von 46 Koch, Salomés Schleier, S. 233–243. 47 Vgl. Bartholomew, Rethinking Dancing Mania. 48 Aus der Medizingeschichte: Waller, Time to Dance (unter Zugrundelegung eines ganz unreflektierten Rationalisierungparadigmas); Bergdolt, Der spätmittelalterliche Veitstanz, S. 87 ff.; Grandmougin/Bourdet/Gurruchaga, Danse de Saint Guy, S. 57; Liebscher, Kartographischer Beitrag, S. 16 f.; Vasold, Pest, Not und schwere Seuchen, S. 104; Haeser, Lehrbuch der Geschichte der Medizin, Bd. 3, S. 193 f.; Höfler, Deutsches Krankheitsnamenbuch, S. 728 (durch psychische Ansteckung vermittelte »Neurose«); Beek, De geestesgestoorde, S.  244; Diepgen, Deutsche Volksmedizin, S. 83–88; Davidson, Choreomania, S. 124–126; Donaldson u. a., Dancing Plague, S. 204; Schechter, Saint Vitus Dance, S. 1093; Schmitz-Cliever, Epidemische Tanzkrankheit, S. 149 f.; Schumacher, Die seelischen Volkskrankheiten, S. 9 ff. (»ideomotorische Suggestibilität«, »epileptoider Charakter«); kritisch mit neuerer psychiatrischer Literatur: Bartholomew, Rethinking Dancing Mania, [S. 3 ff.]; Ders., Tarantism, Dancing Mania and Demonopathy, S.  289.  – Aus der Tanzgeschichte: McNeill, Keeping together in Time, S.  59 f.; Balogh, Tänze in Kirchen, S.  13; Jungk, Handbuch des Tanzes, S.  236, 248 (»krankhafte Erregung des Nervensystems«); Nettl, Tanz und Tanzmusik, S.  26 f. (Tanz­ neurose«); Schneider, Tanzlexikon, S.  536 f.; Dahms/Bröcker, (Art.) Tanz, Sp.  267 f., 366; Dahms, in: Dies. (Hg.), Tanz, S. 54; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 55 f.; Sorell, Tanz als Spiegel, S. 31; Sahlin, Étude, S. 164 f.; Böhme, Geschichte des Tanzes, S. 40; Brandl-Risi, (Art.) Tanz; als Epidemie bezeichnet die Tanzwut auch Arcangeli, Dance under Trial, S. 147. – Vgl. allg. Röcke/Velten, Tanzwut, S. 320 f.; Königs, Der Heilige Vitus, S. 203 f.; Tuchman, Der ferne Spiegel, S. 240 f.; Graus, Pest, Geißler, Judenmorde, S. 49. 49 Vgl. die Kritik von (Sir) William Osler (1894), zitiert nach: Russell, Dancing Mania, S. 162: »Chorea is a nosological pot into which authors have cast indiscriminately affections characterized by irregular purposeless movements.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Zeichen der Normabweichung reproduzieren sich die diskursiven Disqualifikationen gegenseitig: Zucken und körperliche Überschreitungshandlungen, unartikulierte oder explizit nicht-menschliche Geräusche, sexuelle Promis­ kuität, Aggressivität gegen Elitenakteure oder Personen der Umgebung werden zu Symptomen, deren isoliertes Auftreten pars pro toto auch die Annahme der Gesamtkategorie rechtfertigt. »Tanz« bzw. rhythmische Expression wird dabei implizit in den Assoziationsraum des Pathologischen einbezogen. So kann man schließlich Tanzwut oder »Tanzwutähnlichkeit« auch dort attestieren, wo in den Quellen von Tanz gar nicht die Rede ist, und umgekehrt: Jedes für den kulturfremden Beobachter unverständliche kollektive oder individuelle Verhaltensmuster wird als Hysterie und/oder Tanzwut aus dem Raum des Legitimen und vor allem des der Ratio Zugänglichen ausgegrenzt.50 Eine »Massenhysterie« ist nicht nur unverständlich, sie darf auch gar nicht mehr verstanden werden. Ausgelöst werden diese seit dem 14.  Jahrhundert angeblich allgegen­ wärtigen Tanzhysterien durch »die allgemeine Katastrophenstimmung« des Spätmittelalters,51 respektive durch »Schrecken und Verzweiflung in einer niedergedrückten Bevölkerung«.52 Immer wieder wird dabei in der Literatur eine Kausalität des Schwarzen Todes von 1348 für die Tanzbewegung von 1374 behauptet – ungeachtet der zwischen beiden Daten liegenden Distanz von beinahe einer Generation, und ungeachtet der Tatsache, dass es für einen konkreten Zusammenhang von Pest und Tanzwut keinerlei belastbare Quellenbelege gibt.53 Das hier evozierte sozialpsychologische Reiz-Reaktions-Schema kommt freilich gut ohne Belege aus, denn es ist durch die im alltäglichen Geschichtsbewusstsein tief verankerte Vorstellung grundiert, dass »das Mittelalter« und vor allem »das Spätmittelalter« durchgehend eine Zeit von Not, Irrationalität und Depravation gewesen sei.54 Der sprichwörtliche »Mensch des Mittelalters« stehe demnach auf einer primitiveren Kulturstufe und sei dem kindlichen Gemüte näher, dem eine konsequente körperliche und psychische Disziplin nun einmal abgehe, das dafür aber durch hochgradige Suggestibilität gekennzeichnet 50 So bezeichnet Bergdolt, Veitstanz, S. 88, eine immer wieder zitierte »Massenhysterie« in einem Haarlemer Waisenhaus als »veitstanz-ähnliche Gruppenpsychose«, obwohl in der Beschreibung von Tanz gar nicht die Rede ist. 51 Dahms/Bröcker, (Art.) Tanz, Sp. 267 f. 52 Vasold, Pest, Not und schwere Plagen, S. 104. 53 Immer wieder unterläuft den Interpreten dabei der vielsagende Fehler, den Johannistanz von 1374 auf 1347 »umzudatieren«, so etwa Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, S. 95 ff.; Röcke/Velten, Tanzwut, S. 318; vgl. aber ebd., S. 308 und 318 unten. Es handelt sich hier offenbar um ein Versehen. 54 Rosen, Madness in Society, S. 150, 155 f., 195–225; Schumacher, Seelische Volkskrankheiten, S. 16, 60; aber auch noch: Meteling, Gesundheitsfürsorge, S. 482: »Einbildungen und Emotionen waren im Mittelalter häufige Krankheitsverursacher.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sei.55 Die Tanzwut im Besonderen und Kopplungen von Tanz und Wahnsinn im Allgemeinen werden so zu emblematischen Zeichen einer Epoche.56 Folgerichtig lässt man denn auch die rätselhafte Krankheit mit Anbruch der Neuzeit verschwinden.57 An dieser Stelle konvergieren die landläufige MittelalterStereo­t ypik und Forschungsdiskurse etwa über die angebliche oder tatsächliche agrarwirtschaftliche und soziokulturelle Krisenhaftigkeit des 14.  bis 17.  Jahrhunderts zu einem explanatorischen Passepartout, mit dem sich für jedes alteritäre Phänomen eine psychopathologische Kausalität konstruieren lässt.58 Je mehr in der Forschung jedoch das Paradigma einer allgemeinen Krise des Spätmittelalters infolge der Pestepidemien oder anderer exogener Einflüsse in Frage gestellt wird,59 desto mehr ist einer auf sozialpsychologische Klischees zurückgreifenden Erklärung der Tanzwut der Boden entzogen. Damit ist selbstverständlich nicht in Abrede gestellt, dass die spätmittel­ alterliche Gesellschaft im Vergleich zu heutigen Industriegesellschaften erheblich stärker von Ernährungskrisen oder Naturkatastrophen bedroht war. Nur führte dies eben nicht zu einer allgemeinen apokalyptischen Mentalität oder gar zu einer immerhin drei bis vier Jahrhunderte, also zwölf bis sechzehn Generationen überspannenden (und ganz Europa erfassenden!) kollektiven »Hysterie« bzw. Anfälligkeit für eine solche. Dies heißt auch nicht, dass die konkreten Tanzwut-Ereignisse nicht mit im jeweiligen Zeithorizont aktuellen Krisen­ phänomenen in Verbindung zu bringen wären. Dieser Zusammenhang wäre jedoch von Fall zu Fall erst empirisch zu belegen, statt ihn mit ahistorischen Verallgemeinerungen zu verunklaren. Nicht nur an den populären Rändern der 55 Liebscher, Kartographischer Beitrag, S. 1: »Wie das Kind, dem die Beherrschung noch fehlt, tanzt, wenn es sich freut, so bringt auch der primitive Naturmensch sein Empfinden durch Tanzen zum Ausdruck, ohne sich dabei zu beherrschen.« Ähnlich Sorell, Tanz als Spiegel, S. 13 f.: »Eine Ära wilder Violenz folgte dem Verfall des Römischen Reiches«, S. 21, 24, 32 f.: »Trotz ihrer unvergleichlichen Größe litt die Renaissance an den Narben ihrer mediävalen Vergangenheit«; oder auch Schmitz-Cliever, Epidemische Tanzkrankheit, S. 154: »Wir müssen annehmen, daß in diesem Zeitabschnitt die Anlagen zu solchen psychogenen Reaktionen bei zahlreichen Menschen vorhanden waren, und daß infolge der starken Suggestibilität, die für die infantile Seelenstruktur kennzeichnend ist, der typische Nachahmungstrieb eine ›psychische Epidemie‹ ausgelöst hat.« 56 Vgl. nur die Verkopplung von Totentanz, Tanzwut und dem Wahnsinn Karls VI. von Frankreich mit dem »bal des ardents« von 1393 bei Tuchman, Der ferne Spiegel, S. 448–456, 464 ff. 57 Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S. 239; Backman, Religious Dances, S. 159–161; Winkle, Geißeln der Menschheit, 32005, S. 1108 f. 58 Paradigmatisch: Huizinga, Herbst, S.  268–270 (über den Gegensatz zwischen innerlicher Frömmigkeit der Devotio moderna und »krampfartiger« Frömmigkeit der Romanen/ Katholiken); Delumeau, Angst im Abendland, S. 35–39; Graus, Pest, Geißler, Judenmorde, S. 49 ff.; Tuchman, Der ferne Spiegel, S. 9 f., 459 f.; Kinsman, Folly, S. 273. 59 Vgl. dazu nur Schuster, Krise (mit ausführlicher Kritik an Graus u. a.); zur Kritik an der Annahme einer apokalyptischen Naherwartung im Angesicht der Pest vgl. nur Getz, Black Death, S. 286–288; Mauer, ›Gemain Geschrey‹, S. 304 (mit weiterer Lit.). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Fachwissenschaft (etwa in tanz- oder medizingeschichtlichen Publikumsver­ öffentlichungen) wären die anachronistischen Projektionen der Kulturkritik des 20. Jahrhunderts erst noch zu dekonstruieren.60 Auch hier wäre der Schritt von der etischen zur emischen Beobachtung erst noch zu vollziehen. Noch nicht geleistet wird dies in der verdienstvollen Studie von H. C. Erik Midelfort.61 Midelfort problematisiert zwar den Umstand, dass Krankheiten und ihre Wahrnehmung historisch wandelbare und gesellschaftlich konstruierte Phänomene sind, und bekennt sich grundsätzlich zu einem sozial-konstruktivistischen Ansatz.62 Für den Straßburger Veitstanz von 1518 beschränkt er sich jedoch weitgehend auf eine Quellenparaphrase und den Hinweis auf die Deutungsansätze bei George Rosen und Gilbert Rouget. Rosen bemerkte schon 1968, dass die Verwendung von Krankheitskonzepten der modernen Psychiatrie die Analyse der kulturellen Hintergründe von kollektiven Pathologien eher erschwere  – ohne freilich die Grundannahme einer »­socially shared psychopathology« in Frage zu stellen.63 Ausführlich kritisiert wird die Pathologisierung der Tanzwut als »Massenhysterie« hingegen durch den australischen Soziologen Robert E. Bartholomew. In zahlreichen, teils sehr redundanten Veröffentlichungen hat er eine von den Post-colonial Studies beeinflusste Kritik der Hysterie-Konzeption popularisiert, wie sie auch in ­Gender-neutralen Formulierungen wie »mass psychogenic illness« noch reproduziert werde.64 Die Tanzwut wird ihm so zum frühesten historischen Beispiel für die Exklusion eines volkskulturell-subversiven Rituals im Zeichen der Psychia­trisierung. Obwohl er dies immer wieder postuliert, greift Bartholomew dabei jedoch nicht auf die Quellen zurück, sondern nur auf die englisch übersetzten Passagen bei Backman, Hecker oder Martin.65 So kann auch Bartho­ lomew das Paradox von Religion und Medizin nicht auflösen.

60 Schuster, Krise, S. 21 ff.; vgl. unten, Kap. I.2. 61 Midelfort, History of Madness, S. 32 ff. 62 Zur Methode ebd., S. 2 ff. 63 Rosen, Madness in Society, S. 2–5, 196; vgl. S. 5–18 (am Beispiel der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung). 64 Bartholomew, Ethnocentricity, S.  459–462; Ders., Consequences of Belief, S.  62–65; Ders., Tarantism; Ders., Medicalization; Ders., Dancing with Myths; Ders., Rethinking Dancing Mania; Ders., Exotic Deviance, S. 127–146; Ders., Little Green Men; Evans/Ders., Outbreak!, S. 116–121. 65 Backman, Religious Dances; Martin, History of Dancing Mania; zu Hecker vgl. unten, Kap. I.2.1; Bartholomews Ausführungen über die Tanzwut leiden zudem an einem eklatanten Mangel an historischer Expertise. So zählt er – sicherlich ohne Kenntnis der deutschen Vormoderne-Diskussion  – das 19.  Jh. zum europäischen Mittelalter (!) (Ders., Tarantism, S. 285 f.); Hecker wird bei ihm zur »medieval medical authority« (Ders., Tarantism, S. 295). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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I.1.5 Erkenntnisleitende Hypothese: Die Tanzwut als emische Krankheitskonzeption mit religiös-spiritueller Semiotik Zwischen den Polen Kult und Krankheit bewegt sich die Forschung je nach Disziplin denn auch bis heute. Diese Pole lassen sich jedoch integrieren, wenn man »Tanz« und Tanzwut nicht als Embleme des sterotypen »dunklen Zeit­ alters« begreift, sondern als Ausdruck eines spezifischen Wahrnehmungshorizonts: Begriffe wie Johannistanz und Tanzwut benennen ab dem 14. Jahrhundert ein medizinisches Konzept, das einen Gutteil seiner Einzelbestandteile aus der Thematisierung religiöser Konzeptionen von Tanz bezieht, insbesondere aus der Auseinandersetzung der christlichen Theologie mit der vorchristlichen römisch-griechischen Religion und vor allem mit der neoplatonischen Kosmo­ logie und Theurgie. In diese Richtung ist in der Literatur durchaus schon gedacht worden: Während manche neuere Arbeiten eklatant hinter die etwa von Bartholomew formulierte Kritik der »Hysterie«-Konzeption zurückfallen,66 haben andere immerhin auf die soziale Konstruktivität von Krankheiten hingewiesen.67 Schon Eugene Louis Backman hatte die Tanzwut nicht nur toxikologisch als Mutterkorn-Vergiftung erklären wollen, sondern zuvor auch ausführlich ihren religiös-kulturellen Rahmen beschrieben: Es sei die christliche Vorstellung vom Tanz der Engel, die sich in der Tanzwut spiegele.68 Hinter dem himmlischen Reigen jedoch steht die platonische Kosmologie, als deren mimetischen Ausdruck auch P ­ eter Friedrich die Tanzwut interpretieren möchte. Dabei freilich kompensiert er wiederum Quellenferne durch feuilletonistische Fabulierfreude und oberfläch­ liche kulturwissenschaftliche Tünche.69 Der von ihm erkannte Zusammenhang bleibt also zu belegen. Die Geschichte des »Tanzwut/Veitstanz«-Narrativs ist also die Geschichte der Pathologisierung eines religiösen Denk- und Verhaltensmusters. Wie zu zeigen sein wird, ist diese Pathologisierung jedoch nicht etwa eine Inno 66 Waller, Time to Dance; vgl. dazu meine Rezension in: Zeitschrift für Geschichts­ wissenschaft 57 (2009), Heft 7/8, S. 645–647. 67 Biquard, Le mal de Saint-Vit; Grandmougin/Bourdet/Gurruchaga, Danse de Saint-Guy. 68 Backman, Religious Dances, S.  270; ähnliches deutet an: Schulz, Bild des Tanzes, S. 109a–109p; so übrigens schon: Carus, Geistes-Epidemien, S. 21–23. 69 Friedrich, Terpsichore im Massenwahn; eklatant falsch ist etwa Friedrichs Überschätzung der historischen Verbreitung und Bedeutung der Tanzwut, der zufolge die Einführung der Corpus Christi-Prozessionen im 13. Jh. eine päpstliche Gegenmaßnahme gegen die grassierende Tanzwut war (!), ebd., S. 38 f.; die seit dem 15. Jh. aufkommenden Tanzregulierungen in obrigkeitlichen Polizeiordnungen sieht er ebenfalls als Reaktionen auf die Tanzwut, ebd., S. 37. Hier wird einmal mehr das hypostasierende Moment der klassischen TanzwutRezeption manifest. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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vation der beginnenden Moderne  – z. B. im Sinne eines frühneuzeitlichen Disziplinierungsdiskurses,70 sondern der diskursiven Genealogie von ihrem Beginn bei den griechischen Vorsokratikern an eingeschrieben. Sie wird jedoch in den Debatten des 14. bis 17. Jahrhunderts erneut manifest.71 Wo der Veitstanz in den Quellen auftritt, ist er demnach eben nicht Ausdruck einer folkloristischen oder gar paganen Tradition, sondern Zeugnis und Medium des Wandels von Verhaltensstandards. In einem zweiten Schritt wird diese Bezeichnung dann zur Grundlage eines im engeren Sinn medizinischen Diskurses. Diese Pathologisierung freilich ist ein Produkt der Alltagswahrnehmung, in der beobachtbare Phänomene, vorgeprägte Stereotypen und Er­ wartungen mit dem Motiv des zwanghaften Tanzes assoziiert und so erklärbar gemacht werden. Damit ist ausdrücklich nicht gemeint, dass es von der Spätantike bis zum 17. Jahrhundert quasi im Untergrund einen latent vorhandenen »Tanzkult« welcher Provenienz auch immer gegeben hätte, den Klerus und gelehrte Medizin »missverstanden« oder »umgedeutet« hätten, sondern, dass in der Kommunikation zwischen Gelehrten, Klerus, Laien und Obrigkeiten ein im jeweiligen Wahrnehmungshorizont real wirksames Konzept entwickelt und fortgeschrieben wurde. Seine Genealogie lässt sich maßgeblich auf die Thematisierung von rituellem bzw. sakralem Tanz seit der Patristik zurückführen. Das führt dazu, dass dem Konzept viele Versatzstücke eigen sind, die auf diesen Komplex verweisen, ja: dass die Tanzereignisse rituellen, oft auch latent heterodoxen Charakter annehmen. Nichtsdestoweniger ist die Krankheit spätestens im 15. Jahrhundert als körperliches Leiden real. Die Thematisierung des Tanzes durch die Gelehrten tritt in Wechselwirkung mit der Selbstwahrnehmung der Tanzenden und trägt so zur performativen Aushandlung und Umsetzung gesellschaftlicher Deutungsmuster und damit zur Konstruktion einer je zeitspezifischen Wirklichkeit der Tanzwut bei. Die Bedeutungsverschiebung hat ihren Ort zunächst in der eng begrenzten Sphäre innerkirchlicher, gelehrter und obrigkeitlicher Schriftlichkeit. Diese jedoch bestimmt auch die konkreten Reaktionen: die Schutzmaßnahmen der Stadträte, die Exorzismen, Beichten und Predigten der Priester, die Diagnosen und Therapie­ansätze der Ärzte. Sie vermitteln den Ausübenden einschlägiger Verhaltensmuster spezifische, in sich vielleicht durchaus widersprüchliche Sinn­ horizonte der Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung. Der so formierte Diskurs ist jedoch ausdrücklich nicht deckungsgleich mit dem Tanzwut-Komplex der bisherigen Literatur. Der in der Literatur seit dem 70 So etwa ebd., S. 30 ff. (»seelenpolitische Repression des Tanzes«). 71 Über die Pathologisierung mittelalterlicher Verhaltensweisen und ihre diskursana­ lytische Dekonstruktion vgl. Röckelein, Psychohistorie und Mediävistik, S.  296; vgl. allg. Jütte, The Social Construction of Illness. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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19.  Jahrhundert entwickelte universalistische Tanzwut-Diskurs lebt von dem expliziten oder impliziten Rekurs auf die antike griechische Dionysos-Ver­ ehrung bzw. auf deren Disqualifikation, wie sie in Euripides’ Bacchae ihre kanonische literarische Form erhalten hatte. Die als Tanzwut oder als Analogien zu dieser identifizierten Phänomene wurden dabei mit der »Raserei« der Mänaden gleichgesetzt, und umgekehrt: Die antiken dionysischen Rituale wurden als frühes Beispiel für Tanzwut lesbar.72 Gegen diese Identitätsbehauptung soll im Folgenden eine diskursgenealogische Referentialität belegt werden: Die spätmittelalterliche Tanzwut ist nicht das Gleiche wie die antiken Dionysien, sondern sie hat sich aus deren Thematisierung im Christentum entwickelt. Ausgangspunkt ist also nicht die statische Idee einer Kontinuität, sondern die dynamische einer stetigen Iteration, nicht die Identität, sondern die Differenz der Zeichen im diachronen Durchlauf. Zu erforschen ist also gerade der semantische Wandel des in verschiedenen Zeithorizonten auftauchenden Mythems.

I.1.6 Untersuchungsgang Die große Mehrzahl der bisherigen Erklärungsansätze über die Tanzwut stammt bezeichnenderweise nicht aus der geschichtswissenschaftlichen Mediävistik. Es sind Medizin bzw. Medizingeschichte, Tanzwissenschaften oder Soziologie und zu einem erheblichen Teil eher die populäre historische Publizistik, die dieses Thema bedienen. Das eigentlich zuständige Fach ignoriert den Tanz als kulturelles Phänomen allgemein und die Tanzwut im Besonderen mit einer auffäl­ ligen Hartnäckigkeit und überlässt so jenen das Feld, über deren ahistorischen Dilletantismus es sich gern lautstark beklagt. Vorliegende Untersuchung soll daher auch dazu beitragen, die Expertise der Fachdisziplin für ein Verständnis der Tanzwut fruchtbar zu machen. Dabei ist dieses Buch in mancherlei Hinsicht ein Experiment: Kann man ein Phänomen des 14. bis 17. Jahrhunderts im Rückgriff auf die Antike und das Frühmittelalter erklären? Kann ein ausgebildeter Kulturhistoriker sich auf das hochprofessionalisierte Feld der Medizingeschichte wagen, ohne dabei seinerseits hoffnungslos zu dilettieren? Schließlich: Kann man methodisch präzise und auf dem heutigen Stand der mediävistischen Forschungsdiskussion religions- und mythengeschichtlich arbeiten, ohne in die ahistorischen Konjekturen der klassischen Mythenphilologie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zurückzufallen? Die folgenden Erkundungen sind geleitet von einer im Kern kulturanthro­ pologischen Herangehensweise, die nicht nach einer abschließenden Einordnung in unseren heutigen Wahrnehmungshorizont fragt, sondern nach den 72 Vgl. unten, Kap. II.1. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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zeitgenössisch kulturell verankerten Konzepten und ihrer konflikthaften Aushandlung im diachronen Durchgang der Entwicklung hin zu dem, was im späten Mittelalter als Krankheitsbild manifest wird. Es geht im Folgenden also nicht um eine Ideengeschichte des krankhaften Tanzes, sondern um die diskursive Konstruktion und Reproduktion eines zeitlich und räumlich spezifischen Ausschnitts der medizinischen Realität. Ausgehen wird die Untersuchung (nach einer rezeptionsgeschichtlichen und methodischen Grundlegung in Kap. I) von den in der Forschung vielfach postulierten antiken Analogien bzw. Vorläufern der mittelalterlichen Tanzwut (Kap. II). Denn diese, so die hier leitende These, lässt sich nicht unmittelbar mit antiken Ritualen identifizieren. Wohl aber bildet die Auseinandersetzung der antiken Philosophie und Medizin mit Formen des religiösen Tanzes die Grundlage für die weitere Entwicklung im christ­ lichen Mittelalter. Daran anschließend wird nachzuzeichnen sein, wie das lateinische Christentum das Problem des rituellen und/oder ekstatischen Tanzes behandelte, unter welchen Rahmenbedingungen also die Formierung des Krankheitskonzepts »Tanzwut« zu sehen ist (Kap. III). Anders als in der Forschung in der Regel behauptet, lehnten die mittelalterlichen Theologen den sakralen bzw. rituellen Tanz nicht etwa eindeutig ab. Vielmehr nahmen sie eine für uns paradoxe Haltung ein, die gerade Deutungsspielräume eröffnete für den Umgang mit Tanz als Praxis wie als Metapher. Inwiefern diese Debatten mit spezifischen politischen und religionsgeschicht­ lichen Entwicklungen seit der Spätantike korrelieren, ist zumindest hypothetisch zu erläutern, wenn man die ganz auffällige regionale Verankerung des Tanzwut-Konzepts erklären möchte (Kap.  IV). Der Rhein-Mosel-Maas-Raum als Entstehungs- und Verbreitungsgebiet unseres Krankheitskonzepts zeichnet sich demnach dadurch aus, dass er seit der römischen Kaiserzeit einerseits eine Mittlerstellung zwischen kulturellen Großräumen einnahm, andererseits selbst einen eigenen Kommunikationsraum bildete. Wie in diesem Einzugsgebiet im frühen Mittelalter die Vorstellung vom unfreiwilligen Tanz in religiösen und politischen Diskursen eingesetzt wurde, wie damit die antike Auseinandersetzung ins merowinger- und karolingerzeitliche Christentum übersetzt wurde, wie schließlich die spezifisch christliche Konzeption einer Tanzkrankheit vorbereitet wurde, zeichnet das folgende Kapitel nach (Kap. V). Paradigmatisch ausformuliert wird dieser Vorstellungskomplex im 11. Jahrhundert im Kontext der Kirchenreform mit der berühmten Legende vom »Tanz von Kölbigk« (Kap. VI). Diese seit ihrer Entstehungszeit breit rezipierte und in der altgermanistischen und religionswissenschaftlichen Forschung höchst umstrittene Erzählung ist im Kern nicht etwa eine »Warnlegende« vor dem blasphemischen Tanz, sondern eine komplexe Reflexion über die Aporien der Reformtheologie im Medium einer Neuformulierung des kosmologischen Mythos. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Einführung

Damit ist im Wahrnehmungshorizont des lothringischen Raumes ein Deutungsmuster verankert, das seit dem 12. Jahrhundert mit zwei Heiligengestalten assoziiert und so personalisiert werden konnte: mit Johannes dem Täufer und Vitus/Veit. Wiederum im Rückgriff auf ihre spätantik-frühmittelalterliche Kultgenese bleibt zu klären, warum gerade diese beiden zu Patronen der Tanzkrankheit werden konnten (Kap. VII). Sie stehen nicht etwa für das Fortleben »heidnischer Kulte« im Mittelalter, sondern für die spezifisch christliche Auseinandersetzung mit der neoplatonischen Kosmologie und antiken Astronomie. So reicht die vorliegende Untersuchung chronologisch bis unmittelbar an jene Ereignisse heran, die man sinnvollerweise als ein manifestes Auftreten der Tanzwut beschreiben kann: die Tanzbewegungen von 1374 und 1518, die in der Forschung mit der Tanzwut assoziierten Quellenbelege des 13. bis 17. und die bereits eingangs erwähnten Tanzwallfahrten des 16. und 17. Jahrhunderts. Diese werden hier jedoch ausdrücklich nicht eigens behandelt, sondern sollen Gegenstand einer in Vorbereitung befindlichen Studie sein. Dieses Folgeprojekt wird sich auch mit einem Thema befassen, das argumentativ ebenso in diesem Band einen Platz hätten erhalten können: der Verbreitung der mit der Kölbigker Legende vorbereiteten Vorstellung vom unfreiwilligen Tanz in Predigtexempeln, Legenden und populären Erzählungen seit dem 12.  Jahrhundert. Auf die Zukunft vertröstet werden muss auch, wer nach den Beziehungen zwischen dem rheinisch-lothringischen Tanzwut-Konzept und dem süditalienischen Tarantismus fragt, die in der Forschung in aller Regel vorschnell gleichgesetzt werden. Schließlich wird erst im Folgeband die Thematisierung der Tanzwut im medi­ zinischen Diskurs des 16. bis 18. Jahrhunderts behandelt werden.

I.2 Die zweite Erfindung der Tanzwut im 19. Jahrhundert Die bisherige Konzeption der Forschung speist sich aus zwei gleichermaßen ideologisch voraussetzungsreichen Quellen: Zum einen aus der konfessionellen Polemik des 16.  und 17.  Jahrhunderts,73 zum anderen aus dem sozialpsychologischen und medizinischen Denken des 19.  Jahrhunderts. Bei ihrer Dekonstruktion stößt man neben Kontinuitäts- und Differenzkonzepten noch auf eine dritte Form der Kopplung mit den antiken Glaubensvorstellungen und der ihnen zugrundeliegenden Kosmologie: Jene Gelehrten des 19.  Jahrhunderts, deren Arbeiten unser wissenschaftliches wie populäres Bild der Tanzwut bis heute prägen, stehen selbst in der philosophischen Tradition des antiken (Neo-)Plato­nismus und seiner Naturphilosophie, wie sie im deutschen Idealismus des frühen 19. Jahrhunderts aufgenommen wurden. Die medizinische wie die religionsgeschichtliche Deutung der Tanzwut gründen so in einer ­direkten 73 Vgl. unten, Kap. VII.4. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Reproduktion der antiken Kosmologie.74 Zugleich transportieren die Mediziner und Sozialpsychologen des 19. Jahrhunderts so Konzepte in die Moderne, wie sie schon christliche Beobachter des hohen und späten Mittelalters für die Wahrnehmung und Deutung von religiösen Massenbewegungen entwickelt hatten.75

I.2.1 Historische Pathologie und sympathetische Medizin: Justus Friedrich Carl Hecker und die »Volkskrankheiten« des Mittelalters In den Jahren 1831 und 1832 erschütterte eine verheerende Cholera-Epidemie Europa. Heinrich Heine berichtete im März 1832 aus Paris, wie die Krankheit bei einem Maskenball unter den Tanzenden für Schrecken sorgte.76 Auch in Berlin und anderen deutschen Großstädten grassierte die Seuche seit dem Sommer 1831. Fieberhaft suchten die Ärzte nach Abhilfe, erbittert stritten sie über die Ursachen.77 In dieser Krisenzeit veröffentlichte Justus Friedrich Carl ­Hecker (1795–1850), außerordentlicher Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, zwei medizingeschichtliche Standardwerke: Im März 1832 (laut Vorwort) erschien »Der schwarze Tod im vierzehnten Jahrhundert«. Mit diesem Buch von gut hundert Seiten begründete Hecker die moderne Historiographie der Pest (und verbreitete den bis heute üblichen Namen für die Epidemie von 1348/49).78 Die zweite Veröffentlichung, »Die Tanzwuth. Eine Volkskrankheit des Mittelalters«, im Vorwort auf den September 1832 datiert, prägt bis heute

74 Die folgenden Ausführungen zur Formierung des modernen Tanzwut-Diskurses dienen ausschließlich zur Dekonstruktion des bisherigen Forschungsstandes, soweit der Untersuchungsgang der vorliegenden Arbeit diese erfordert. Sie sind bei weitem nicht erschöpfend, was die Fülle der Belege für Rezeption und Fortschreibung des Tanzwut-Konzepts in Medizin, Psychologie, Ethnologie, Literatur und Publizistik angeht. Vgl. eingehender Rohmann, Veitstanz. Erst nach Fertigstellung der vorliegenden Arbeit wurden mir die Studien von Kélina Gotman bekannt, die in vielerlei Hinsicht weitere Einsichten bieten: Gotman, Choreomania; Dies., Chorea Minor. 75 Vgl. dazu Dickson, Medieval Christian Crowds. 76 Winkle, Geißeln der Menschheit, 22003, S. 176 f. 77 Vgl. allg. Briese, Angst in den Zeiten der Cholera; Ders., Panik-Kurve; Ders., Auf Leben und Tod; Ders., Das schlechte Gedicht; außerdem: Bleker, Idee einer historischen Entwicklung, S. 201 f.; Ackerknecht, Anti-contagionism, S. 575–578; Leven, Geschichte der Infektionskranheiten, S. 92. 78 Hecker, Der schwarze Tod; zur Cholera als aktuellem Schreibanlass vgl. das Vorwort, ebd., S. V f.; zur Rezeption vgl. Jankrift, Krankheit und Heilkunde, S. 85; Herlihy, Der schwarze Tod, S. 10 f.; Getz, Black Death, S. 275–281, der Hecker wohl zu Unrecht mit der englischen gothic literature kurzschließt; Hays, Historians and Epidemics, S.  54 f.; Engelhardt, Seeds of Discontent, bes. S. 137 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Einführung

unser Bild von den Tanzbewegungen des 14. bis 17. Jahrhunderts als emblema­ tischer Krisenerscheinung einer Epoche von Angst und Not.79 Auch mit Vorträgen und kleineren Artikeln trug Hecker zur regen publizistischen Diskussion über das Seuchengeschehen bei.80 Zumindest mit gut 40 Jahren Abstand konnte er in den Lebenserinnerungen des Schriftstellers Karl Gutzkow zur dominierenden Gestalt der öffentlichen Debatten im Berlin der Cholera-Monate werden: »Professor Hecker, der eine Geschichte der Medizin geschrieben, Monographien über den ›Englischen Schweiß‹, über die Flagellantenkrankheit, war in aller Munde. Was konnte nicht noch alles kommen an ähnlicher Ekstase! Schon hatte es Aufruhr um die Brunnen gegeben. Die Reichen vergifteten diese, hieß es, um die Armen zu vertilgen. Die Berufungen auf den Zorn des Himmels, die öffentlichen Voraussetzungen von der Kraft des Gebets wurden unerträglich.«81

Gutzkow dürfte hier einer chronologischen Verformung der Erinnerung auf­ gesessen sein, denn Heckers wichtigste Veröffentlichungen erschienen erst nach dem Abflauen der Epidemie: Im März 1832 kam zunächst »Der schwarze Tod im vierzehnten Jahrhundert« auf den Markt. Damit reagierte Hecker offenbar auf Diskussionen in der Berliner Öffentlichkeit.82 Die tagesaktuelle Erfahrung einer europaweiten Epidemie also hatte den ehrgeizigen Gelehrten zu zwei veritablen Bestsellern inspiriert. Die »Tanzwuth« wurde bereits 1833 ins Niederländische übersetzt, 1834 ins Französische, schon 1835 (und danach mit mehreren Ausgaben in London und New York) ins Englische, 1838 ins Italienische.83 1845 erschien  – explizit als Ergänzung der

79 Hecker, Tanzwuth; erneut abgedruckt als: Ders., (Art.) Tanzwuth; zur Rezeption: Dickson, Medieval Christian Crowds, S. 55. 80 Vgl. Briese, Panik-Kurve, S.  34 (zitiert einen Artikel Heckers vom Mai 1831); ebd., S. 349 f. (dito, vom Februar 1832); ebd., S. 364 f. (zitiert eine Rede Heckers »Ueber die Volkskrankheiten« anlässlich des 38. Gründungsjubiläums der Berliner Universitätsmedizin vom August 1832); zu Heckers Rolle in der publizistischen Diskussion des Jahres 1832 vgl. auch Briese, Angst in den Zeiten der Cholera, S. 17, 138 f., 285. 81 Gutzkow, Rückblicke auf mein Leben (1875), hier zitiert nach: Briese, Panik-Kurve, S. 385; vgl. ebd., S. 384: Gutzkow, Das Kastanienwäldchen in Berlin (1869): »Die Bilder der Pest, des ›englischen Schweißes‹, des ›Flagellantismus‹ entrollte unseren Gelehrten des Kastanienwäldchens Professor Hecker, der Historiker der Medizin.« 82 Schon im September 1831 hatte ein Artikel der »Berliner Cholera-Zeitung« gefragt: »Ist die Cholera der sogenannte ›Schwarze Tod‹?«, vgl. Briese, Panik-Kurve, S. 195 f.; im Oktober 1831 berichtete ein Anonymus in der Zeitung »Der Berliner Stadt- und Landbote für das Königreich Preußen« über »Die Schwarze Pest im vierzehnten Jahrhundert«, vgl. Briese, ­Panik-Kurve, S. 213  f. 83 Hecker, De danswoede, Amsterdam 1833 (21893); Ders., Mémoire sur la chorée épidémique (1834); Ders., The Dancing Mania, New York 1837 (21888); Ders., La Danzimania, Florenz 1838. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»Tanzwuth« – die Studie »Kinderfahrten. Eine historisch-pathologische Skizze«, mit der Hecker auch die sogenannten Kinderkreuzzüge als kollektive Seelen-Erkrankung des Mittelalters deutete.84 1865 wurden  – nach dem Vorbild einer sehr erfolgreichen englischen Sammelausgabe von 1835 – »Der schwarze Tod«, »Die Tanzwuth«, die »Kinderfahrten« und einige kleinere Arbeiten Heckers in überarbeiteter Form gemeinsam als »Die großen Volkskrankheiten des Mittelalters« erneut herausgegeben.85 Hecker hatte schon seit 1818 – recht erfolglos – privatim Vorlesungen zur Geschichte der Medizin gehalten. 1822 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Mit einer zweibändigen »Geschichte der Heilkunde« (1829 und 1839) und den eben zitierten Werken gelang es ihm, die Universitätsgremien zu überzeugen, so dass 1834 für ihn der weltweit erste Lehrstuhl für Geschichte der Medizin eingerichtet wurde.86 Das Fach blieb in der ärztlichen Ausbildung jedoch allen Bemühungen zum Trotz auch weiterhin marginal: Nach Heckers Tod im Jahr 1850 wurde sein Ordinariat längere Zeit nicht wieder besetzt und sollte mehrmals umgewidmet werden, ehe 1863 sein Nachfolger August Hirsch be­ rufen wurde. Nach dessen Tod 1894 blieb die Stelle erneut bis 1930 vakant, während in Leipzig der berühmte Karl Sudhoff (1853–1938) zum Gründervater der modernen Medizingeschichte wurde.87 Zu seiner Zeit galt Hecker als Begründer der Historischen Pathologie, die es sich auf die Fahnen geschrieben hatte, die Erforschung der Medizin der Vergangenheit für die zeitgenössische ärztliche Praxis nutzbar zu machen.88 Dazu entwickelte sie eine im Kern sozialmedizinische Konzeption, der zufolge Krankheiten als Emanationen des spezifischen kulturellen Charakters einer Zeit zu verstehen seien.89 »Volkskrankheiten« indizieren so den kollektiven Seelen­ zustand der Menschen in einem bestimmten Gebiet und Zeitabschnitt – eine Vorstellung, die explizit politisch und reformorientiert gemeint war: Rudolf Virchow (1821–1902) sollte ganz in diesem Geiste die Typhus-Epidemie in Schlesien 1848 als Folge der unterdrückten Revolution und damit der verhin-

84 Ders., Kinderfahrten; vgl. dagegen Gäbler, Kinderwallfahrten, S. 303 ff. 85 Hecker, Die großen Volkskrankheiten, Berlin 1865 (ND Hildesheim 1964; eine Neuauflage ist laut Verlagskatalog in Vorbereitung); vgl. Ders., Epidemics of the Middle Ages, London 1835 (21843/44, 31859, 41862). Auch »Der schwarze Tod« wurde bereits 1833 und danach mehrmals auf Englisch gedruckt, ebenso auf Italienisch, Französisch und Niederländisch, vgl. Getz, Black Death, S. 275. 86 Hildebrand, (Art.) Hecker, S. 543; Lammel, Lehre und Forschung, S. 85–87. 87 Eckart/Jütte, Medizingeschichte, S.  103 f.; Roelcke, (Art.) Medizingeschichte, S.  951; Riha, Grundwissen, S.  17; Lammel, Lehre und Forschung, S.  79 f., 87; Schneck, ›Über die Ursachen‹, S.  49 und Anm.  65, S.  52 f. (über Hirsch); vom Brocke, Institutionalisierung, S. 201–204. 88 Lammel, Lehre und Forschung, S. 84 f., 87–89. 89 Bleker, Idee einer historischen Entwicklung; Dies., Historische Pathologie. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Einführung

derten Befreiung des Volkes aus der Knechtschaft des Fürstenstaates (und aus den irrationalen Verstrickungen des pro-polnischen Katholizismus) deuten.90 Schon Hecker und seine Mitstreiter formulierten so einen Begriff von Krankheit nicht als universaler biologischer Spezies, sondern als historischer und kultureller Besonderheit. Krankheit war ihnen ein Gegenstand des hermeneu­ tischen, nicht des nomothetischen Zugangs. Damit negierten sie die seit Thomas Sydenham (1624–1689) dominierende medizinische Taxonomie nach dem Vorbild der Botanik. Diese letztlich in der Tradition des romantischen Idealismus stehende Vorstellung geriet jedoch schon vor Heckers Tod gegenüber dem neuen Ideal des klinischen Empirismus erneut ins Hintertreffen: Dass Krankheiten zeit- und kulturgebunden sein könnten, wurde nun als unwissenschaftliche Spekulation abgelehnt.91 Heckers Nachfolger August Hirsch distanzierte sich bei der Neuausgabe der Schriften seines Vorgängers denn auch ausdrücklich von diesem schwierigen Erbe.92 Hecker selbst hatte schon 1844 den klinisch angelegten »Versuch einer Monographie des großen Veitstanzes« von Ernst ­Conrad Wicke positiv begutachtet.93 Der Paradigmenwechsel erfasste also sogar das eigene Arbeitsumfeld – was freilich den langfristigen Erfolg der Schriften Heckers nur wenig beeinträchtigte: Noch das »Lexikon des Mittelalters« nimmt 1993 die »Volkskrankheiten« von 1865 in die Literaturliste zum Lemma »Medizin« auf.94 Und auch Frantişek Graus urteilt noch 1987 milde: »Leider ist die Tanzwut nicht befriedigend untersucht. Die ältere Arbeit von J. F. C. Hecker […] war für ihre Zeit vorzüglich, ist jedoch längst veraltet.«95

Wie also stellte sich Hecker die Tanzwut und ihre Verbreitung vor? Welche Vorstellungen wurden mit seinem Werk prägend für die weitere Diskussion bis heute? 90 Virchow, Epidemien von 1848, verwendet, S. 5, 6, den Begriff »psychische Epidemie«; ebd., S. 7, definiert er: »Jede Volkskrankheit, mag sie geistig oder körperlich sein, zeigt uns daher das Volksleben unter abnormen Bedingungen, und es handelt sich für uns nur darum, die Abnormität zu erkennen und den Staatsmännern zur Beseitigung anzuzeigen.« Den »englischen Schweiß« von 1529 deutet er, S. 11 f., als Folge der Unterdrückung der Reformation, unter explizitem Rekurs auf »Hecker’s klassische Schilderung«. Vgl. dazu Leven, Geschichte der Infektionskrankheiten, S. 93; Ackerknecht, Anti-contagionism, S. 585–587, 592; Bleker, Historische Pathologie, S. 46, deren Versuch, Virchows Distanz gegenüber der Historischen Pathologie zu belegen, nur bedingt überzeugt. Zur Verwendung der Kategorie »psychische Epidemie« im Kreis um Virchow vgl. Bartholomew, Ethnocentricity, S. 462 ff.; Rosen, Madness in Society, S. 179–181, 195 f. 91 Bleker, Idee einer historischen Entwicklung, S.  202 f.; Dies., Historische Pathologie, S. 44–49; Schneck, ›Über die Ursachen‹, S. 43 ff. (Denkschrift Heinrich Haesers von 1859). 92 Vgl. die Vorreden Hirschs in: Hecker, Volkskrankheiten, S. III f., 122 f. 93 Wicke, Versuch einer Monographie, S. XI. 94 Schipperges, (Art.) Medizin, S. 459. 95 Graus, Pest, Geißler, Judenmorde, S. 49. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»Die Erscheinungen, von denen hier die Rede ist, […] gehören der Geschichte an, und werden, so wie sie waren, nie wiederkehren, aber sie zeigen eine verwundbare Stelle des Menschen, den Trieb der Nachahmung, […]«,

so eröffnet der Berliner Mediziner seine Studie über die »Tanzwuth«, und weiter: »Es schien der Mühe wert, Krankheiten zu beschreiben, die sich auf den Strahlen des Lichts, auf den Flügeln der Gedanken verbreiten, Krankheiten, welche durch sinn­ lichen Reiz den Geist erschüttern, und in die Nerven, die Weges seines Willens und seiner Gefühle, wunderbar ausstrahlen[.]«96

»[D]urch die Augen«, so Hecker, pflanzten sich Krankheiten der Nachahmung fort,97 durch den »Nervus sympathicus«, das als Sitz des menschlichen Gemüts aufgefasste physische Organ, welches durch vom Gehirn ausgestrahlte Empfindungen gereizt werde. Der dadurch verursachte »Nervenreiz« strahle aus auf Gehirn und Rückenmark. Sei Letzteres betroffen, was oft der Fall sei, da der »Nervus sympathicus« in der Nähe des Rückenmarks liege, seien »Bewegungskrankheiten« die Folge.98 Wenn diese »krankhafte Sympathie« bei vielen Menschen gleichzeitig auftrete,99 entstünden pathologische Massenbewegungen wie die »Tanzwuth«. Es handele sich dabei, so Hecker in einem zusammenfassenden Vortrag »Ueber Sympathie« (1846), um »psychische Epidemien«, bei denen der für jede menschliche Kultur konstitutive »Nachahmungstrieb« zur kollektiven Willenlosigkeit führe.100 Besonders anfällig für diese Form der Ansteckung seien Kinder: »Ein solches Zusammentreten wie auf Verabredung gleicht einer instinctartigen Regung, wie sie bei Thieren vorkommt, als wenn die Schwalben und Störche sich zum Abzuge sammeln […].«101

Doch auch ganze Gesellschaften seien zu bestimmten Zeiten je nach den »vorwaltenden Gemüthsregungen und Leidenschaften« besonders anfällig.102 Religiöse Überspanntheit etwa, im Gegensatz zum aufgeklärten Vernunftglauben, 96 Hecker, Tanzwuth, S. V. 97 Ebd., S. 63: »In diesem Triebe giebt es nur Abstufungen, keine wesentlichen Verschiedenheiten, von den ersten geistigen Regungen des Kindes an, welche grösstentheils auf Nachahmung beruhen, bis zu dem seelenkranken Zustande hinauf, wo der sinnliche Eindruck von einem Nervenübel den Geist fesselt, und durch die Augen unmittelbar seinen Weg in die erkrankenden Gewebe findet, gleichwie der elektrische Schlag von Körper zu Körper durch Berührung sich fortpflanzt. Auf dieser höchsten Stufe gesellt sich dem Triebe der Nachahmung die Willenlosigkeit hinzu, die sich einfindet, sobald der sinnliche Eindruck Wurzel geschlagen hat, […].« 98 Hecker, Kinderfahrten, S. 5–8; vgl. Ders., Tanzwuth, S. 22. 99 Ders., Tanzwuth, S. 63 f. 100 Ders., Ueber Sympathie, S. 27. 101 Ders., Kinderfahrten, S. 22 f. 102 Ebd., S. 8. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sei eine sympathetische Krankheit, und so ist in den Augen des preußischen Protestanten Hecker die frühchristliche »Manie des Märtyrerthums« eine »Krankheit der Christen selbst«, die sich wegen »ihrer überspannten Gemüther« gegen den ganz vernünftigen Versuch einer Durchsetzung staatlicher Religionspolitik gestellt hätten.103 Auch die Verantwortlichen werden benannt: »Unwürdig der menschlichen Natur ist überhaupt nur der Glaubensrausch, den geistliche Herrschsucht in der unwissenden Menge, selbst ohne Glauben, für ihre Zwecke anregt.«104

Es ist die beginnende Auseinandersetzung des preußischen, durch und durch protestantischen Staates mit seinen rheinischen Untertanen und ihrer katholischen Kirche, die Hecker 1845 die Feder so leidenschaftlich gegen die Leidenschaften führen lässt. 1837 war es zum sogenannten Kölner Kirchenstreit gekommen, dem ersten Vorlauf des späteren Kulturkampfes. Die Katholiken stilisierten sich mit wachsender Inbrunst zu Märtyrern, die preußische Regierung sah sich als Vorkämpferin der Vernunft.105 Hecker zögerte nicht, diesen Konflikt zur Zeitdiagnose zu hypostasieren: »Seit den letzten fünfzehn Jahren haben sie [die religiösen Gemütsregungen, GR] in einer auffallenden Weise zugenommen, bei allen Völkern und in allen Bekenntnissen. So sehr sie sich in kleinen wie in grossen Kreisen geltend zu machen suchen, so haben sie freilich noch nicht diesem Zeitalter seinen Charakter benehmen können, es ist und bleibt ein Zeitalter des Verstandes, […].«106

Die Renaissance der katholischen Mystik in der deutschen Romantik wie auch die charismatischen Bewegungen in den amerikanischen Freikirchen der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts stehen im Hintergrund, wenn Hecker allerlei Formen von »religiöse[m] Enthusiasmus« als Ausdruck sympathetischer Er­ krankung deutet.107 Diese Frontstellung prägt auch schon seine »Tanzwuth« von 1832. Die »Sympathie« als Infektion mit dem Wahnsinn, als auslösendes Moment einer kollektiven Degeneration, und körperliche Bewegung, soweit sie nicht zweckgebunden erscheint, als Ausdruck von Krankheit  – das Volk wird bei ­Hecker zum Körper, der der Vernunft unterworfen werden muss. Das Volk des 103 Ebd., S. 9–13; vgl. Ders., Tanzwuth, S. 77. 104 Ders., Kinderfahrten, S. 13. 105 Vgl. Ders., Tanzwuth, S.  33 f. (über die Verbreitung des Tarantismus): »Der Einfluss des römischen Christenthums, wie es im Mittelalter mit dem Gepränge von Aufzügen, öffent­lichen Bussübungen und zahllosen Gebräuchen verbunden war, welche die Einbildungskraft der Gläubigen mächtig anregten, versetzte ohne Zweifel die Gemüther in eine den Nervenkrankheiten überaus günstige Stimmung.« 106 Ders., Kinderfahrten, S. 10; vgl. ebd., S. 11. 107 Ebd., S. 12; Ders., Tanzwuth, S. 66 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Mittelalters ist ein kranker Organismus, in dem die Tanzwut wütet wie im Körper jedes Einzelnen. Denn Pest, Krieg, Hunger, Unwissenheit und Aberglaube bedrücken diesen Körper: »Aus dieser, dem Mittelalter so ganz eigenthümlichen Stimmung der Gemüther, welche zum Heile der Menschheit seitdem der besseren Gesittung und dem Volksunterricht gewichen ist, erklärt sich die Entstehung und die lange Fortdauer dieser außerordentlichen Geisteskrankheit.«108

Doch gemäß preußisch-kleindeutscher Geschichtsideologie erwacht Deutschland unter der Führung des nach 1648 aufsteigenden Brandenburg/Preußen zu neuem, protestantischem Leben: »Dreissigjährige, mit Erbitterung und wechselndem Glück geführte Kämpfe erschütterten das westliche Europa, und wenn auch die unsäglichen Leiden, die sie über Deutschland brachten, während ihrer Dauer, wie in ihren nächsten Folgen dem Reich des Lichtes durchaus nicht förderlich waren, so führten sie doch, wie ein Reinigungsfeuer die geistige Wiedergeburt Deutschlands allmählich herbei, der Aberglaube kehrte in seiner alten Gestalt nie wieder, und das Geisterreich des Mittelalters verlor für immer seine einst furchtbare Macht.«109

Und so wird der Kollektivkörper des Volkes auch immer seltener befallen, bis es nur noch Einzelne sind, die erkranken: »Wie hätte er [hier: der italienische Tarantismus, GR] auch im achtzehnten Jahrhundert noch unverändert fortdauern mögen, nachdem die Fäden des Mittelalters, an welchen seine Erscheinung sich knüpfte, schon längst zerrissen waren?«110

Beide Krankheiten, Veitstanz wie Tarantismus, seien »Ausgeburten ihres Zeitalters«: »Sie hätten unter gleichem Himmelsstrich in anderen Jahrhunderten nie entstehen können, denn die Umstände, welche sie vorbereiteten, sind zu keiner anderen Zeit in gleichem Verhältniß zusammengetreten, und die geistigen wie die körperlichen Stimmungen der Völker, welche von Ursachen, wie die angegebenen abhängen, erneuern sich eben so wenig, wie bei einzelnen Menschen die zurück gelegten Lebensalter.«111

Hecker kombiniert in seiner Ätiologie der Tanzwut und anderer Formen des »religiösen Enthusiasmus« also die seit dem 18. Jahrhundert entwickelte sympathetische Konzeption von Nerven und Gehirntätigkeit mit den für die H ­ istorische 108 Ders., Tanzwuth, S. 15 f. 109 Ders., Tanzwuth, S. 26. Zur Rezeption des Dreißigjährigen Krieges durch »Kleindeutsche« und »Großdeutsche« vgl. nur Duchardt, Der westfälische Frieden als lieu de mémoire. 110 Hecker, Tanzwuth, S. 52. 111 Ebd., S. 55. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Pathologie prägenden Vorstellungen von der geographisch und zeitlich begrenzten »epidemischen Constitution«.112 Im Hintergrund steht dabei die Rezeption des Neoplatonismus in der deutschen Philosophie seiner Zeit, insbesondere bei Hegel. So sieht er 1832 im Schwarzen Tod nur in zweiter Linie eine neu eingeschleppte Epidemie. Die Pest von 1347 bis 1351 ist ihm zufolge vielmehr in erster Linie als Ausdruck des »Weltgeistes« – und nur als solcher! – zu verstehen: »Die Zeitgenossen haben sie nach ihrer Art gedeutet, und haben damit […] den Beweis gegeben, dass den Sterblichen weder die Sinne noch hinreichende Geistesschärfe zu Gebote stehen, die Regungen des Erdorganismus […] wissenschaftlich zu erkennen. Der Aberglaube, die Selbstsucht in tausend Gestalten, der Dünkel der Schulen bemächtigten sich einzelner Wahrnehmungen, sie wähnen in dem Einzelnen das Ganze zu erfassen, und ahnen nicht den Weltgeist, der die Triebfedern alles Seins in innigem Verein mächtiger Naturkräfte belebt, und keine Erscheinung aus vereinzelten Ursachen entstehen lässt.«113

Diese Polemik gegen jeden Reduktionismus ist explizit naturphilosophisch grundiert, wie Hecker bekennt, als er astrologische Annahmen zur Ätiologie der Pest verwirft: »[…] es erhielten sich auch in ihr [der Astrologie des Mittelalters, GR] […] grossartige Gedanken des Alterthums, deren sich die neuere Naturphilosophie so wenig schämt, dass sie dieselben als ihr Eigenthum in Anspruch nimmt. Hierher gehört vor allem die Idee von dem allgemeinen Leben, das sich durch das ganze Weltall ergiesst, aus­ gesprochen von den grössten hellenischen Weisen, und vererbt auf das Mittelalter durch die neoplatonische Naturphilosophie. Dieser Ahnung eines Weltorganismus konnte die Annahme eines gegenseitigen Einflusses der Weltkörper nicht fremd bleiben, die nur erst aufhörte, einer höheren Naturansicht zu entsprechen, als die Astrologen mit kleinlichen und mystischen Berechnungen die Gränzen menschlicher Erkentniss überschritten.«114

Astrologie und Mystik also lehnt der Berliner Medizinprofessor ab, neoplatonische Kosmologie jedoch ausdrücklich nicht. Er rekurriert damit auf einen Konflikt innerhalb der neoplatonischen Philosophie, der bereits in der diskursiven Vorgeschichte der Tanzwut am Übergang zum Mittelalter eine Rolle gespielt hatte: auf den Gegensatz von Sympathie (Plotinus, Porphyrius) und Theurgie

112 Zum Begriff der Sympathie in der Medizin des 18. und 19. Jh. vgl. nur Schott, Sympathie als Metapher; zum Konzept der »epidemischen Constitution« vgl. Bleker, Idee einer historischen Entwicklung, S. 199–201; Dies., Historische Pathologie, S. 35–37; zum Begriff bei Hecker vgl. Ders., Der schwarze Tod, S. 74, 77, 80 f.; insofern geht die Kritik von Rosen, ­Madness in Society, S. 205, an der Sache vorbei. 113 Hecker, Der schwarze Tod, S. 23; vgl. dazu Getz, Black Death, S. 277 (die hier eher die englische Romantik im Hintergrund sieht). 114 Hecker, Der schwarze Tod, S. 73 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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(Jamblichus).115 In der Hecker’schen Historischen Pathologie kehrt so auch die Tanzwut zu ihren Ursprüngen zurück. Die Pest hat Hecker zufolge nämlich zwei Ursachen: Als sekundäre Ätio­logie (»Gelegenheitsursache«) führt auch Hecker sie auf »Ansteckung« zurück.116 Primär aber (»disponierende Ursache«) ist die »epidemische Constitution«,117 die im Fall des Schwarzen Todes nichts geringeres als eine »Weltseuche«, ein »tellurischer Aufruhr« von kosmischen Ausmaßen ist.118 Naturkatastrophen in China (!) stehen am Beginn einer Kettenreaktion, in deren Gefolge der gesamte Planet in konvulsivische Krämpfe gerät.119 Die miasmatischen Ausdünstungen, die dann als konkrete Krankheitsauslöser benannt werden, bilden so das Ausmaß der Krise nur oberflächlich ab, die den ganzen Weltkreis angeblich seit den 1330er Jahren erfasst hatte: »So gewann dies grause Werk der Natur von Jahr zu Jahr grössere Ausdehnung, es war eine fortschreitende Ansteckung der Zonen, die über und unter der Erde ihre mächtigen Schwingungen regte, und schon in den ersten Jahren des tellurischen Aufruhrs […] den ganzen Erdball durchzuckte.«120

Die in der medizinischen Diskussion seiner Zeit konkurrierenden (und in vieler­ lei Varianten synthetisierten) ätiologischen Grundannahmen von miasma und contagium121 verknüpft Hecker also mit dem Hegel’schen »Weltgeist« und der diesem zugrundeliegenden neoplatonischen Kosmologie.122 Wie die übelbringenden atmosphärischen Störungen Folge der »tellurischen« Disharmonie sind, so ist die »Ansteckung« nicht nur eine Übertragung zwischen Menschen, sondern auch eine solche zwischen »Zonen«, also wohl: kosmischen Sphären – womit Hecker die Kontagionstheorie auf ihre Wurzeln in der Sympathie-Lehre

115 Vgl. unten, Kap. II.2.2. 116 Hecker, Der schwarze Tod, S. 25 ff., 81; vgl. S. 28: »Die Ansteckung aber war an sich nur eine von den vielen Ursachen, welche die schwarze Pest hervorriefen; diese Krankheit war, wenn irgend eine, kosmischen Ursprungs, eine Folge mächtiger Regungen des Erd­ organismus.« 117 Ebd., S. 25 ff., 74 ff. (abgeleitet anhand der Beurteilungen zeitgenössischer Ärzte). 118 Ebd., S. VI, S. 1 f., 16 ff.; zum Kontext dieser Vorstellungen in der romantischen Medizin vgl. Briese, Angst in den Zeiten der Cholera, S. 138 f. 119 Hecker, Der schwarze Tod, S. 15: »Von China bis an den atlantischen Ozean bebte der Erdboden, in ganz Asien und Europa gerieth der Luftkreis in Aufruhr, und gefährdete durch schädliche Einflüsse das Pflanzen- und Thierleben.« 120 Ebd., S. 14–23, Zitat ebd., S. 23. 121 Zur Debatte über die Ätiologie von Epidemien im 19.  Jh. vgl. nur Ackerknecht, Anti-contagionism (klassisch, aber überholt), der, S. 581, Hecker als Lehrer des Anti-Contagionisten Carl Friedrich Riecke führt; Stolberg, Homo patiens, S.  158 f.; Sarasin/Berger, ­Bakteriologie, S. 17–19; Leven, Geschichte der Infektionskrankheiten, S. 34–36; Bourdelais, La construction; Cooter, Anti-contagionism. 122 Vgl. zum Folgenden (mit anderer Tendenz) Getz, Black Death, S. 276–278. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Plotins (um 205 – um 270) zurückführt.123 Schon der Begründer des spätantiken Neoplatonismus hatte die Seelen durch die Sympathie wie in einem Reigen miteinander verbunden gesehen, und zugleich auch die in der kosmischen Harmonie miteinander verbundenen Sphären im sympathetischen Austausch miteinander.124 Der Arzt Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486–1535) hatte Marsilio Ficino (1433–1499) und Pico della Mirandola (1463–1494) folgend die alchemistische Theorie der Kommunikation aller Dinge miteinander auf den von Plotin entwickelten Begriff der »Sympathie« gebracht.125 Eine ähnliche Konzeption der sympathetischen Übertragung von Affekten hatte auch der Jesuit und Universalgelehrte Athanasius Kircher (1602–1680) entwickelt.126 Auch Girolamo Fracastoro (1478–1553) konzipierte das contagium nicht als Bakterium avant la lettre, sondern ganz ausdrücklich als Medium der sympathetischen Kommunikation von Mikrokosmos und Makrokosmos.127 Auf Fracastoro konnte Hecker sich auch für seine tellurische Ätiologie ansteckender Krankheiten berufen  – findet diese sich doch in De contagionibus et conta­giosis morbis et ­eorum curatione libri tres (1546) ausdrücklich expliziert.128 Ja: Letztlich hatte Fracastoro mit der Kombination von contagium und astronomisch-tellurischen constitutiones schon die Hecker’sche Historische Pathologie vorweggenommen.129 Zwar konzentriert sich Hecker in seinen späteren Arbeiten zur »Sym­pathie« auf die neuronalen Übertragungswege über den »Nervus sympathicus«. Die neoplatonische Kosmologie liegt jedoch auch ihnen zugrunde: Schon Galen hatte gut platonisch die makrokosmische »Sympathie« auf den Mikrokosmos Körper übertragen: Seine Beschreibung des nervus sympathicus wurde für die Medizin bis in die Moderne schulbildend. Dieser Nervenstrang im Rückenmark regelt Galen zufolge die Kommunikation zwischen den Organen, insbesondere in der Reaktion auf äußere Einflüsse.130 Er übernimmt demnach im Körper die Rolle des Tanzmeisters im Zentrum eines Reigens, d. h. die Rolle des göttlichen »Einen« im Zentrum des Kosmos.131 123 Vgl. unten, Kap. II.2.2. 124 Carter, Celestial Dance, S. 6 f. 125 Tabbert, Der Kreis, S. 23 f.; Müller-Jahnke, (Art.) Agrippa von Nettesheim, S. 19 f. (mit weiterer Lit.); allg.: Baader, Frühneuzeitliche Magie; dabei lehnte Agrippa die Idee von der Sphärenharmonie selbst jedoch ab, vgl. Arcangeli, Dance under Trial, S. 122. 126 Brandstetter/Brandl-Risi/van Eickels, Übertragungen, S.  45 f.; Kircher entwickelte  – wohl durch eine optische Täuschung beim Mikroskopieren bedingt – auch eine frühe Theorie belebter Krankheitserreger, vgl. Leven, Geschichte der Infektionskrankheiten, S. 38, ­65–67. 127 Leven, Geschichte der Infektionskrankheiten, S.  36–38, 55–59; Eckart, Geschichte der Medizin, S. 112 f.; vgl. dagegen noch Wienau, Ansteckung – medizinhistorisch, S. 65 f.; Pouillard, Petit histoire, S. 10 f. 128 Fossel (Übers.), Fracastoro, Drei Bücher, Kap. I.13, S. 36–39. 129 Fossel (Übers.), Fracastoro, Drei Bücher, Kap. II.12, S. 70–76, bes. S. 72 f. 130 Finger, Origins of Neuroscience, S. 280–284. 131 Zu Körper und Geist als den mikrokosmischen Abbildungen des Makrokosmos: Miller, Measures of Wisdom, S. 104. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Ganz ähnliche Konzeptionen prägten im 18. Jahrhundert die medizinische Debatte über das »Nervensystem« als Vermittlerorgan der Sympathie, aber auch etwa die Kontroversen über den animalischen Magnetismus oder die Epi­ lepsie als »imitative Epidemie«.132 Von »geistigen Contagien« hatte 1827/28, also vier Jahre vor Heckers »Tanzwuth«, schon Johann Daniel Hofacker gesprochen  – im Zusammenhang mit der kindlichen Imitation sexueller Handlungen, zumal mit der moralisch-infektiösen Verbreitung von Onanie und sexueller ­Promiskuität.133 Die Tanzwut ist so bei Hecker nicht eine beliebige Form der sympathetischen Erkrankung, sondern geradezu ihre paradigmatische Gestalt: Wenn »Sym­ pathie« nach dem Modell der verbundenen Hände im Reigen geformt ist, kann sie zunächst positiv wie negativ gedacht sein als Übertragung von guten wie bösen Einflüssen. Die unfreiwillige Gebundenheit im Tanz ist so der Inbegriff der Gefahren der »Sympathie«. Erika Fischer-Lichte hat darauf hingewiesen, dass um 1800 in der Theatertheorie die Idee einer sympathetischen Affizierung des Zuschauers ersetzt wird durch das neue Ideal des stillen, einfühlenden Verstehens des Gezeigten. »Ansteckung« ist nun nicht mehr positiv als somatische Anverwandlung denkbar, sondern nur noch als degenerierende Kontamination.134 Heckers Projektion der »Suggestibilität« auf »den mittelalterlichen Menschen« reflektiert also einen ganz aktuellen Wandel in der Konstruktion des bürger­ lichen Individuums und seiner Kommunikation mit der Umwelt. Dem »tellurischen Aufruhr« des Makrokosmos bei Hecker könnten nun leicht die unwillkürlichen Zuckungen der Tanzwut als mikrokosmische Entsprechung an die Seite gestellt werden. Allein: Hecker selbst thematisiert 1832 die Tanzwut augenscheinlich ganz bewusst nicht im Kontext des Schwarzen Todes und seiner Begleitumstände: Im Kapitel »Moralische Folgen« von »Der schwarze Tod« bespricht er Geißlerzüge und Judenpogrome, nicht aber die Tanzwut.135 Und in der »Tanzwuth« formuliert er einleitend zwar eine zeitliche Abfolge, aber eben keine kausale.136 Dass sich Spätere für die Annahme einer Kausalität der Pest für die Tanzwut immer wieder auf Hecker berufen sollten, ist der suggestiven Wirkung geschuldet, welche das Nebeneinander seiner 132 Zum »Nervensystem« vgl. nur Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft, S. 285–306; zum Magnetismus: Goldstein, Moral Contagion, S. 187–190; zur epidemischen Epilepsie: Temkin, Falling Sickness, S. 220–227. 133 Hofacker, Ueber die Eigenschaften (zunächst als: Ders., De qualitatibus parentium in sobolem transeuntibus, praesertim ratione rei equariae, Diss. med. Tübingen 1827); dazu: Wernz, Sexualität als Krankheit, S. 212–214, 247–250 (mit psychoanalytischer Deutung). 134 Fischer-Lichte, Zuschauen als Ansteckung, S. 36–43. 135 Hecker, Der schwarze Tod, S. 42–65. 136 Ders., Tanzwuth, S. 1: »Noch waren die Nachwehen des schwarzen Todes nicht verschwunden, und die Gräber vieler Millionen kaum eingesunken, als in Deutschland ein seltsamer Wahn die Gemüther ergriff, und der göttlichen Natur des Menschen hohnsprechend, Leib und Seele in den Zauberkreis höllischen Aberglaubens fortriss.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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medizingeschichtlichen Studien in den Sammelbänden von 1843 (engl.) bzw. 1865 (dt.) entwickeln sollte. Hecker beschränkt sich in der »Tanzwuth« – ein halbes Jahr nach der PestSchrift – hingegen ganz auf die sympathetische Ätiologie. Warum? Offenkundig sind hier die unterschiedlichen Darstellungsabsichten erkenntnisleitend: Wollte er im Frühjahr 1832 die Pest von 1348 als historisches Paradigma für die Deutung und Bewältigung der aktuellen Cholera-Epidemie schildern, so richtete sich sein Augenmerk im Herbst des Jahres (und zwölf Jahre später mit den »Kinderfahrten« erneut) auf den beginnenden Konfessionskampf im preußischen Rheinland. Schon die »Tanzwuth« geriet ihm so streckenweise zur antikatholischen Streitschrift. Und nicht ohne Folgen: Nur ein Jahr nach ihrem Erscheinen, 1833, beklagten etwa preußische Verwaltungsbeamte die »Tanzsucht« der katholischen Rheinländer bei der Kölner Martinskirmes.137 Justus Friedrich Carl Hecker wird vielfach immer noch als einer der Begründer der modernen Medizingeschichte apostrophiert. Er war jedoch mindestens ebenso sehr der letzte Naturphilosoph der Renaissance. Die sympathetische Kommunikation der kosmischen Sphären bot ihm den Rahmen, um drei konvergierende Erklärungsmodelle für Krankheiten als epochenspezifische Phänomene zu etablieren: Makrokosmisch, auf der Ebene der »disponierenden Ursachen«, äußert sich in ihnen der »Weltgeist« in den Erschütterungen eines »tellurischen Aufruhrs« und bewirkt so die »epidemische Constitution«. Auf der mittleren Ebene der »Gelegenheitsursachen« dienen »Ansteckung« (in der zeitgenössischen Medizin: contagium) wie »Luftveränderungen« (miasma) gleichermaßen sekundär als sympathetische Vermittlerinstanzen. Mikro­kosmisch wirken diese äußeren Einflüsse über den nervus sympathicus auf die Psyche und die Nerven und führen hier ebenso sympathetisch zu Zerrüttung oder Überspanntheit. Die Unterscheidung von psychischer und somatischer »An­ steckung« wurde so sekundär, wenn sie Hecker auch durchaus bewusst war. Zugleich war Hecker jedoch durchdrungen vom aufklärerischen Anspruch des preußischen Bürgertums. Jede Form der religiösen Expressivität belegte er mit dem ebenfalls schon bei Platon und seinen philosophischen wie medizinischen Schülern diskutierten Begriff des enthusiasmos.138 Er konnte damit an einen seit Shaftesburys (1671–1713) »Letter on Enthusiasm« (1708) virulenten Diskurs anknüpfen, in dem der platonische Begriff der göttlichen Einwohnung in einen Menschen im Zeichen der neoplatonischen Sympathie-Konzeption umgeformt wurde zum Bild der religiösen »Schwärmerei«.139 Die Aufklärungs 137 Schauz, Kölner Martinskirmes, S. 231. 138 Vgl. unten, Kap. II.3. 139 Brandstetter, Schwarm und Schwärmer, S. 75 f.; schon Luther hatte enthusiasmos mit »Schwärmerei« übersetzt und so ein platonisches Konzept wiederum für die theologische Debatte nutzbar gemacht. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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publizistik erhielt so einen Kampfbegriff für ihre Polemiken gegen Katholizismus und charismatische Frömmigkeitsbewegungen auf protestantischer Seite.140 Damit wurden die verschiedensten historischen wie rezenten Formen von expressiver Devotionspraxis unter einem gemeinsamen Rubrum subsumierbar  – und letztlich mit der Tanzwut gleichsetzbar. Mit seinen Hinweisen auf die zeitgenössischen freikirchlichen meetings im amerikanischen Westen, auf die Tänze der Quäker, aber auch auf vergleichbare Rituale etwa in nicht-euro­ päischen Gesellschaften, versammelte Hecker einen Kanon von angeblichen Analogien zur Tanzwut, der seither mit großer Regelmäßigkeit durch die Literatur wandert.141 Mit dieser religionspolitischen Polemik gegen charismatische Gruppen seiner Zeit führte Hecker offensichtlich die Programmatik der Historischen Pathologie ad absurdum, indem er die eben erst als typisch mittelalterlich qualifizierte Volkskrankheit nun in der eigenen Gegenwart nachwies.142 Ein solche ahistorische Universalisierung widersprach eigentlich der theoretischen Grundannahme der Historischen Pathologie, derzufolge »Volkskrankheiten« ja gerade nicht überall und zu jeder Zeit in gleicher Form auftreten konnten. Doch dieser Widerspruch kümmerte weder Hecker noch seine Leser: Allzu gern spiegelte man die eigene Gegenwart im »finsteren Mittelalter«. Die Tanzwut auch unter den zeitgenössischen amerikanischen Methodisten und anderen charismatischen Konfessionen zu diagnostizieren war nur möglich, wenn man sie unter der Hand in eine nomothetische, klinische Epistemologie überführte. Man verwendete also ein im Kern naturphilosophisch begründetes Konzept, um eine naturwissenschaftlich-reduktionistische Aussage (mit entsprechendem Wahrheitsanspruch) zu formulieren. Dieser logische Bruch wurde jedoch überbrückbar, weil dem Argument auch als Abgrenzungsdiskurs für die moderne SelbstKonzeption Evidenz zuwuchs. Da die von Hecker konstruierte »Tanzkrankheit« aus medizinischer Sicht keiner monokausalen somatischen Ätiologie entspricht, kann sie jedenfalls nicht als invariable Ursache für ein quellenmäßig bezeugtes Phänomen her 140 Roussin, Des liens humains, S. 130–136; Dickson, Religious Enthusiasm, S. vii–ix, der in diesem Zusammenhang auch auf Hecker hinweist. 141 Vor diesem Hintergrund erscheint der Versuch Gary Dicksons, den von ihm selbst historisch dekonstruierten Begriff des »enthusiasm« erneut für die Interpretation mittelalter­ licher religiöser Bewegungen nutzbar zu machen, als höchst problematisch, dies umso mehr, wenn Dickson auch die Tanzwut wiederum als Beispiel für »popular enthusiasm« heranzieht; vgl. Dickson, Encounters in Medieval Revivalism; Ders., Revivalism as a Medieval Religious Genre; zusammenfassend: Ders., Religious Enthusiasm. Dicksons Begriffsbildung geht wohl zurück auf Knox, Enthusiasm. 142 Vgl. seinen Schlusssatz: Hecker, Tanzwuth, S. 80: »Doch nun genug von diesen Ausschweifungen, die noch in unseren Tagen den Quell des Lebens so vieler Tausende trüben, und den Völkern des 19ten Jahrhunderts dasselbe Schreckbild von Zerrüttung des Geistes, zeigen, wie einst der St. Veitstanz dem finsteren Mittelalter.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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angezogen werden. Die Annahme eines essentiell unveränderlichen Syndroms Tanzwut lebte also von der Projektion des klassischen naturwissenschaftlichen Postulats der Monokausalität auf kulturell konstituierte, notwendig multi­ faktorielle Prozesse. Als Erklärung für historische Phänomene funktioniert das universale Krankheitskonzept Tanzwut nur, weil es der selbst postulierten naturwissenschaftlichen Logik eben nicht entspricht. Die Annahme eines zeitlich und räumlich invariablen Syndroms behindert insofern nicht nur aus historischer, sondern auch aus medizinischer Sicht ein differenziertes Verständnis. Zwei konkurrierende Erzählungen über die Tanzwut also gehen von Justus Friedrich Carl Hecker aus: Einerseits ergänzten spätere Autoren sehr bald ebenjene Assoziation, die er wegen seiner doppelten Stoßrichtung vermieden hatte: Sie machten die Tänze zur Reaktion auf die Krise der Pest und psychologisierten sie zu einem Ausdruck von »Stress«. Der »tellurische Aufruhr« des Makrokosmos wurde so zu einer psychischen Dysfunktion des Mikrokosmos umgedeutet. Andererseits wurde die Tanzwut seit Hecker als Paradigma der religiösen »Überspanntheit« zu einem machtvollen antiklerikalen Narrativ. Beide Tendenzen konvergieren im Begriff der (Massen-)Hysterie. Der bei ihm nur nebenbei fallende Begriff »psychische Epidemie« sollte bald zur viel verwendeten Leitkategorie werden. So legte Hecker den Grundstein für die moderne Massen­ psychologie.143

I.2.2 Von der »psychischen Epidemie« über die »Massenhysterie« zur emotional contagion Eines der von Hecker genannten Beispiele für »religiösen Enthusiasmus« waren die »convulsionnaires« von Saint-Médard in Paris, die seit ihrem Auftreten in den 1720er Jahren die Debatten der Aufklärer über den pathologischen Charakter religiöser Ekstasen inspiriert hatten.144 Der katholische ­Mediziner Philippe Hecquet (1661–1737) hatte diese Vorfälle in apologetischer Absicht als Folge eines »epidemischen« und »sympathetischen« Nervenleidens erklären wollen.145 Ausgerechnet von ihm konnte Hecker sich 1832 für seine antikatholische Polemik inspirieren lassen. Und kurz nach Hecker kam dann Louis ­Florentin Calmeil zu in vielerlei Hinsicht ähnlichen Anschauungen über den epidemischen bzw. sympathetischen Charakter von religiös inspiriertem 143 Zu Hecker als Vordenker und zur Tanzwut als Leitexempel der Massenpsychologie vgl. Dickson, Medieval Christian Crowds, S.  55 f., und Bartholomew, Rethinking Dancing Mania. 144 Hecker, Tanzwuth, S.  73–77; Ders., Ueber Sympathie, S.  27–33; ihm folgend: Temkin, Falling Sickness, S. 224; Morgenthaler, Tanzepidemien, S. 279; Dinzelbacher, Körper und Frömmigkeit, S. 70 f.; Rosen, Madness in Society, S. 210, 219; Russell, Dancing Mania, S. 176. 145 Goldstein, Moral Contagion, S. 185–188. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Wahnsinn (1845).146 Aus den Schriften Diderots und Voltaires über jene Gruppe jansenistischer Charismatiker sollten ein halbes Jahrhundert später auch der Pariser Nervenarzt Jean-Martin Charcot und seine Kollegen ihre Konzeption der epidemischen »Hysterie« ziehen.147 Damit war in Frankreich ein Paralleldiskurs angestoßen, dessen Langzeitwirkung auf den psychiatrischen und sozialpsychologischen »Hysterie«-Diskurs wesentlich besser erforscht ist als jene des deutschen.148 Obwohl sich die naturwissenschaftlich-reduktionistische Erkenntnis­t heorie spätestens im letzten Viertel des 19.  Jahrhunderts mit dem neuen Paradigma der Bakteriologie auf breiter Front durchsetzte, hatten die Nachgeborenen mit Heckers Thesen keine Schwierigkeiten mehr: Sein zweiter Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl seit 1930 war – auf Betreiben Karl Sudhoffs – Paul Diepgen (1878–1966).149 In seinen Schriften und denen seiner Schüler sollte die Tanzwut einen festen Platz einnehmen.150 Bei Diepgen studiert hatte auch der Amerikaner George Rosen (1910–1977), bis heute eine vielfach autoritativ zitierte Stimme zur Tanzwut.151 Ebenso hatte dessen späterer Lehrer in Baltimore, Henry E. Sigerist (1891–1957), in Deutschland gelernt und gelehrt, nämlich in Leipzig.152 Er betreute ebenfalls Arbeiten zur Tanzwut und thematisierte diese auch selbst.153 Mit Rosen und Sigerist wurde Heckers Tanzwut zum festen Bestandteil des amerikanischen Diskurses über »public health« und Sozialpsychologie. Als historisches Beispiel fehlt sie in den USA bis heute in kaum einem psychiatrischen 146 Calmeil, De la folie; die Arbeit wurde bereits 1848 von dem Virchow-Schüler Rudolf Leubuscher ins Deutsche übersetzt: Ders., Der Wahnsinn; vgl. dazu Rosen, Madness in ­Society, S. 180 f., 195 f.; Temkin, Falling Sickness, S. 356 f. 147 Régnard, Les maladies epidémiques de l’esprit; Richer, Études cliniques sur l’hystéroépilepsie, S. 615 f. (Tanzwut und Hysterie); Charcot/Richer, Les démoniaques dans l’art, S. 34 (über die Tanzwut); dt.: Dies., Die Besessenen in der Kunst; Charcot, Leçons, Bd. 1, S. 455–457 (über die Tanzwallfahrt nach Sint-Jans-Molenbeek 1564 und die diesbezügliche Federzeichnung der Bruegel-Schule); vgl. dazu Koch, Salomés Schleier, S.  233 f. (unkritisch); Temkin, Falling Sickness, S.  357 f.; Röcke/Velten, Tanzwut, S.  325; Waller, Time to Dance, S.  202– 205 (nach Edward Shorter); grundlegend: Didi-Huberman, Charcot et l’iconographie de la ­Salpêtrière, dt.: Die Erfindung der Hysterie; zusammengefasst in: Ders., Die mimetische Unbändigkeit. Ein Vorläufer Charcots war Briquet, Traité clinique; vgl. dazu Temkin, Falling Sickness, S. 357. 148 Die konkreten Wechselbeziehungen zwischen beiden wären zu untersuchen, ebenso die Formen und das Ausmaß der Rezeption der »Tanzwuth« Heckers in Frankreich. 149 vom Brocke, Institutionalisierung, S. 200 f. 150 Diepgen, Deutsche Volksmedizin, S. 83–92; Schumacher, Die seelischen Volkskrankheiten, S. 59–64; Jungbauer, Deutsche Volksmedizin, S. 169 f., 187. 151 Rosen, Medicine and Society, S. 195–225; Ders., Psychopathology; zu Person und Wirkung: Leven, Geschichte der Infektionskrankheiten, S. 85. 152 vom Brocke, Institutionalisierung, S. 200. 153 Sigerist, Civilisation and Disease, S.  212–228; Liebscher, Kartographischer Beitrag, S. 22; in Leipzig arbeitete demnach zu diesem Zeitpunkt auch Owsei Temkin, der spätere Historiograph der »Fallsucht«; vgl. Ders., Falling Sickness. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Handbuch. Heckers »Tanzwuth« wurde so zumindest im englischsprachigen Raum wohl wesentlich einflussreicher als die französische Debatte. Die aus dem hermeneutischen Geist der Historischen Pathologie geborene Hecker’sche »Volkskrankheit« wurde also in die nomothetische und klassifikatorische Epistemologie der naturwissenschaftlichen Medizin verpflanzt, ohne dabei als Erklärungsmodell an Anschlussfähigkeit einzubüßen – weil sie sich neu funktionalisieren ließ als sozialpsychologisches Deutungsmuster für die soziokulturellen Auseinandersetzungen in den entstehenden Industriegesellschaften: Die moderne Rationalität war demnach fragil und konnte jederzeit umschlagen in »mittelalterliche« Pathologien. In der Zwischenzeit hatte noch eine weitere semantische Verschiebung stattgefunden: Zu Heckers Zeiten meinte der Begriff »Epidemie« noch nicht eine ansteckende, sondern lediglich eine massenhaft auftretende Krankheit, und wurde eher von den »Miasmatikern« bzw. »Anti-Contagionisten« gebraucht.154 Wenn Hecker von »psychischer Epidemie« gesprochen hatte, hatte er damit zwar durchaus eine naturphilosophische Vorstellung von sympathetischer Übertragung gemeint. Für Zeitgenossen war die Assoziation von »epidemisch« und »contagiös« aber alles andere als zwangsläufig. Erst mit Durchsetzung des bakteriologischen Paradigmas wurde »psychische Epidemie« eindeutig zu einer Analogie der somatischen Infektionskrankheiten. Die Vorstellung, dass auch psychische Aberrationen ansteckend sein können, ist also nicht etwa aus einer metaphorischen Verwendung von bakteriologischen Konzepten entstanden, sondern zunächst aus miasmatischen Konzepten von »epidemischer Konstitution«. Das Wissen über die Ätiologie von Infektionskrankheiten setzte sich erst zu einem Zeitpunkt durch, als das Stereotyp »psychische Epidemie« längst installiert war. Nun aber konnte in kurzer Zeit die implizite Semantik der Fügung wechseln: Im letzten Viertel des 19.  Jahrhunderts wurde die »psychische Epidemie« so mit der Idee einer quasi-bakteriologischen Infektion verknüpft – im neuen konzeptionellen Gewand der »Massenhysterie«. Schon Rudolf Virchow hatte den Begriff der »psychischen Epidemie« ge­ öffnet zu einer Beschreibung des Allgemeinzustands eines Volkes in einer politischen Krise. Dieser pro-revolutionär gemeinte Ansatz ließ sich freilich auch gegen die Demokratiebewegung wenden: 1851 versuchte der Mediziner M. Groddeck, an der Berliner Universität mit einer Dissertation »De morbo democratico, nova insaniae forma« zu promovieren.155 Sein Antrag wurde zurückgewiesen. Der Fall wirbelte jedoch zumindest so viel Staub auf, dass liberale Verfasser der Folgejahre ihn immer wieder ablehnend zitieren. Diese beinahe beliebige politische Funktionalisierbarkeit des Konzepts prägt den Diskurs bis

154 Bourdelais, La construction, S. 24 f. 155 Rosen, Madness in Society, S. 181 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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heute: Die Tanzwut nach Hecker changiert latent zwischen konkretem Krankheitsbild und allgemeiner Zeitdiagnose. Den Anfang machte 1852 der Königlich Sächsische Leibarzt, idealistische Philosoph und romantische Maler Carl Gustav Carus (1789–1869). Er stellte die Tanzwut in den Zusammenhang der christlichen Mystik und ihrer kosmo­ logischen Konzeption vom Sphärenreigen  – und nahm damit eine Prämisse auch der vorliegenden Arbeit vorweg. Jede »Religion« (lat. religio = Verbindung) sei letztlich wie eine Vereinigung im Reigen zu denken, woraus sich in wahnhafter Übersteigerung und befeuert vom Nachahmungstrieb die Tanzwut ergebe.156 Als ursächlich für das Umschlagen in Wahnsinn benannte Carus die Pest, und vollzog damit ebenjenen folgenreichen Denkschritt, den Hecker vermieden hatte.157 Mit Heinrich Haesers (einem verhinderten Nachfolger Heckers auf dem Berliner Lehrstuhl) einflussreichem »Lehrbuch der Geschichte der Medizin und der epidemischen Krankheiten« wurde die Idee der »psychischen Seuchen« Handbuch-Stoff.158 Zugleich befruchtete Heckers Konzeption auch die schon seit dem 18. Jahrhundert zunehmende Konjunktur der Tanzwut als Thema für die redundante Massenproduktion medizinischer Doktorarbeiten.159 Eng an Hecker lehnte sich etwa E. Stein in seiner Erlanger Dissertation »Ueber die sogenannte psychische Contagion« (1877) an.160 Er unterschied deutlich zwischen »Ansteckung« als psychischer Nachahmung und »Contagium« als somatischer Übertragung  – womit das Hecker’sche Konzept von der entstehenden Bakte­ riologie emanzipiert wurde. So formierte sich im Lauf des 19.  Jahrhunderts unter dem Schlagwort der »moralischen Contagion« ein Diskurs, der weit über den Bereich der »Hysterie« oder des kollektiven Wahnsinns hinausging: Jede Form von Devianz konnte bei Berührung mit ihren Trägern auf dem Wege der Infektion weitergegeben werden. Gustave Le Bon (1879 und 1895) popularisierte diese Vorstellung zu seiner bis heute einflussreichen elitistischen Massenpsychologie – und trans­ponierte sie zugleich in eine Metapher des neuen bakteriologischen Paradigmas.161 An 156 Carus, Geistes-Epidemien, S. 21–23. 157 Ebd., S. 24 f.: »Ueberdies darf man allerdings um so mehr voraussetzen, dass von den Schrecknissen der nicht lange erst überstandenen Pest, in den Nervensystemen der Menge noch eine gewisse nachzitternde Erregung damals vorhanden sein konnte, da ja Alle Die, bei welchen das gedachte Uebel anfänglich ausbrach, als Kinder oder ganz junge Leute jenen grossen Krankheitssturm selbst mit erfahren haben mussten, […].« 158 Haeser, Lehrbuch, 11845 (21853–1865); hier: 31875–1882, Bd. 3 (1882), S. 188; zur Person vgl. Bleker, Historische Pathologie, S. 43 f.; Schneck, ›Über die Ursachen‹. 159 Eine Bibliographie der medizinischen Qualifikationsschriften des 17. bis 19. Jh. über Tanzwut und Tarantismus bietet Kleinschmidt, Perception and Action, S. 189 f. 160 Stein, Psychische Contagion; vgl. dazu Schaub/Suthor, Einleitung, S. 17–19. 161 Dickson, Medieval Christian Crowds, S. 54 f.; Bartholomew, Ethnocentricity, S. 462; Ehrenreich, Dancing in the Streets, S. 184 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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dererseits konnte, wie schon bei Hecker angelegt, der »Nachahmungstrieb« auch verallgemeinert werden zu einem Grundprinzip der gesellschaftlichen Strukturbildung – war doch jeder Lernprozess aus diesem heraus erklärbar. Jan Goldstein hat für Frankreich gezeigt, wie das Sprechen über »moralische Contagion« den Aufstieg der Medizin zur Leitwissenschaft mit ausgeprägtem politischem Führungsanspruch und liberaler Reformagenda begleitete.162 Gegen diese permanente Projektion von individual-psychologischen Konzepten auf die Gesellschaft als Gesamtorganismus wendete sich mit Emile Durkheim einer der Begründer der modernen Soziologie – ohne freilich die Existenz des Phänomens grundsätzlich in Zweifel zu ziehen.163 Erst im späten 20. Jahrhundert sollte die post-koloniale und feministische Kritik zu einer Entwertung von »Massenhysterie« und »moralischer An­steckung« als medizinisch-politischem Deutungsmuster führen. Das Konzept wurde freilich in der Regel nicht etwa aufgegeben, sondern vielmehr unter neuer, politisch unverfänglicher Nomenklatur mehr oder weniger deckungsgleich weiterverwendet. So spricht man in heutigen diagnostischen Handbüchern statt von »Hysterie« lieber von »histrionic personality disorder«164 – und kommt mit dem Rekurs auf die mittelalterlichen Gaukler (histriones) der diskursiven Genealogie des Konzepts unwissentlich sehr nahe. An Stelle von »Massenhysterie« stehen nun »mass psychogenic illness« oder »collective exaggerated emotions«.165 Sozialpsychologische Forschungsprojekte an britischen Elite-Universitäten der 1990er Jahre fragen denn auch ungebrochen nach dem Stellenwert der »emotional contagion«.166 Gespannt blättert man das Kapitel »Evidence, that emotional contagion exists« auf, und konsterniert liest man: »cross-cultural research« habe die Existenz von »hysterical contagion« bewiesen  – ein Befund, der mit belletristischen Trouvaillen bei Victor Hugo, Thomas Mann und anderen belegt wird.167 Auch der Holocaust, die Französische Revolution und ein Rekrutenaufstand in New York im Jahr 1863 seien als Ausbrüche von »emotional contagion« deutbar.168 Und besonders das Mittelalter sei als Zeit der Gefühl­ 162 Goldstein, Moral Contagion, S.  190–203; zur antiklerikalen Stoßrichtung vgl. ebd., S. 211–216. 163 Zur Diskussion über »moral contagion« und Nachahmungstrieb in der zweiten Hälfte des 19. Jh. vgl. ebd., S. 181–185; Rosen, Madness in Society, S. 3. 164 Cooper, Histrionic Personality Disorders; Nuckols, Cultural History of Personality Disorders; vgl. auch Renner/Laux, Histrionische Selbstdarstellung; und Dies., ›So tun, als ob‹, die einen nicht-pathologischen »histrionischen« Persönlichkeitstyp definieren, und diesen prompt, ebd., S. 282, mit angeblicher Tanzwut im rezenten japanischen Ritual vergleichen. Abseits von SFB-Antragszyklen würde man wohl von einem »Spaßvogel« reden, wofür freilich Förderung kaum zu gewärtigen wäre. 165 Bartholomew, Ethnocentricity, S. 473 f. 166 Hatfield u. a., Emotional Contagion. 167 Ebd., S. 104–107. 168 Ebd., S. 118–121, 124–126. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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losigkeit, religiösen Paranoia und Tyrannei für dergleichen anfällig gewesen.169 So habe die Pest des 12. bis 14. Jahrhunderts (!) seit dem 12. Jahrhundert (!) zur »dancing mania« geführt. Als Abhilfe seien die Leidenden zum Grab des hl. Vitus nach Südfrankreich (!) gepilgert.170 Nur in einer Hinsicht entwickelt sich der massenpsychologische Tanzwut-Diskurs im späten 20. Jahrhundert weiter: Das intellektuelle Niveau sinkt unaufhaltsam. Die vorerst letzte Schwundstufe ist erreicht im kulturkritischen Lamento über die Gefahren des Internet, in dem so mancher Feuilletonist im Bündnis mit profilierungsbedürftigen Wissenschaftlern wiederum das Prinzip der »mora­lischen Ansteckung« wirken sieht  – selbstverständlich nicht, ohne auf Hecker und die Tanzwut des Jahres 1374 hinzuweisen.171 Die gleichen Ängste, die im Fin de siècle den Blick der Oberschichten auf die Massen der Industriegesellschaft lenkten, werden gut hundert Jahre später wach in den Sorgen, die das neue Bürgertum bei der Erziehung seiner Kinder umtreiben. Die Ansteckungsmetapher bleibt ein machtvolles Deutungsmuster für Formen der Weitergabe von tendenziell bedrohlichen Inhalten. Die Idee einer psychischen Epidemie ist in ihrer Genese nicht etwa eine metaphorische Analogie zur Bakteriologie des späten 19. Jahrhunderts. Vielmehr konnte diese auf viel ältere kosmologisch begründete Konzepte aufbauen, die sich auch in der Idee einer seelischen contagion äußern. Das medizinisch-politische Konzept »Massenhysterie« und seine terminologisch camouflierten Derivate gehen demnach in ihrer Genese auf die Thematisierung der Tanzwut im 19. Jahrhundert zurück, ja: diese bildet in vielerlei Hinsicht das Paradigma des »Hysterie«-Diskurses. Dessen Anwendung auf die historischen Tanzwutphänomene ist also ein Zirkelschluss. Und sie ist höchst problematisch, da sie Konnotationen eines massiv aufgeladenen Diskurses in die geschichtswissenschaft­ liche Interpretation hineinträgt.

I.2.3 Einen Veitstanz aufführen: Schlaglichter auf die literarische und publizistische Rezeption des Tanzwut-Stereotyps Neben dem medizinischen Diskurs der Frühen Neuzeit, wie ihn Hecker in historiographischer Absicht rekonstruierte, war für die Wahrnehmung der Tanzwut im 19. Jahrhundert ihre Verwendung im Alltagssprachgebrauch prä 169 Ebd., S. 116–119. 170 Ebd., S. 122–124. 171 Westerhoff, Nikolas, Zeig mir deine Wunde. In sozialen Netzwerken infizieren sich Menschen auch mit psychischen Leiden, in: Süddeutsche Zeitung 221/2010 (24. September 2010), S. 16 (»Wissen«). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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gend.172 Sie geht zurück auf die Schriften der Reformatoren und ihrer Gegner in den Debatten des konfessionellen Zeitalters.173 Aus ihnen kannte das gebildete Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts den Veitstanz als sprichwörtliche Wendung, mit der man das Kippen religiösen oder politischen Überschwangs in Wahnsinn markierte. So lässt etwa Friedrich Schiller seine »Räuber« (1781) über einen der ihren urteilen: »Schwarz: Was treibt denn der Spiegelberg? Grimm: Der Kerl ist unsinnig. Er macht Gestus wie beim Sankt-Veits-Tanz. Schufterle: Sein Verstand geht im Kreis herum. Ich glaube, er macht Verse.«174

Spiegelberg wird im weiteren Verlauf der in einem Wirtshaus spielenden Szene die Freunde zur Gründung einer Räuberbande überreden: »Frisch auf! Kameraden! Was in der Welt wiegt diesen Rausch des Entzückens auf? Kommt, Kameraden!«

Seine anarchische Begeisterung jedoch werden die zukünftigen Kumpane dämpfen, indem sie den Protagonisten Karl Moor statt seiner zu ihrem Räuberhauptmann wählen: »Roller: Gemach sag ich. Auch die Freiheit muß ihren Herrn haben. Ohne Oberhaupt ging Rom und Sparta 2,6 zugrunde.«

Für Schiller ist der Veitstanz also gestische Expression von charismatischer Selbstermächtigung im Konflikt mit institutioneller Ordnung  – einem Konflikt, der selbst bei der Gründung einer Räuberbande ansteht. Der Verstand des Ekstatikers »geht im Kreis herum« – ein Motiv, das uns in ganz anderem Zusammenhang noch begegnen wird.175 Schon Heckers historisch-pathologische Konzeption hatte also ein Pendant in der nicht-medizinischen Sprache. Mit seinem »Tanzwuth«-Buch jedoch erhielt der Diskurs eine ungeahnte Dynamik. Sieben Jahre, nachdem August Hirsch die Schriften seines Vorgängers auf der Berliner Professur als »Die großen Volkskrankheiten des Mittelalters« zusammengefasst und neu heraus­gegeben hatte (1865), veröffentlichte der junge Baseler Altphilologe Friedrich N ­ ietzsche (1844–1900) seine Abhandlung »Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik«. Dieses Werk löste bei seinem Erscheinen in der Klassischen Philo­logie Unverständnis aus. Der Versuch Erwin Rohdes (1845–1889), die intuitiven und explizit anti-rationalistischen Schlüsse seines Studien­freundes zu verteidigen, 172 Aus dem überreichen Quellenfundus der Tanzwut-Rezeption im 19. und 20. Jh. können im Folgenden nur wenige für den weiteren Argumentationsgang signifikante Beispiele vorgestellt werden. 173 Vgl. unten, Kap. VII.4. 174 Wolff (Hg.), Schiller, Die Räuber, 1. Akt, 2. Szene. Vgl. Königs, Der heilige Vitus, S. 238. 175 Vgl. unten, Kap. VI.5.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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führten zu einem mit ausgesprochener Polemik ausgetragenen Streit mit dem noch jüngeren Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf (­1848–1931).176 Nietzsche und Rohde als Schüler Friedrich Wilhelm Ritschls (1806–1876) und Wilamowitz als Schüler Otto Jahns (1813–1869) wiederholten so die Frontstellung des »Bonner Philologenkrieges« von 1865.177 Zugleich handelte es sich bei dieser publizistischen Debatte um einen Streit unter Bekannten, denn sowohl Nietzsche als auch Wilamowitz hatten die vordem sächsische, nun preußische Landesschule Schulpforta besucht. Nietzsches emphatisches Plädoyer für das »dionysische Prinzip« und gegen die hegemoniale Berliner Schule der Altphilologie, für die ekstatische Grenzüberschreitung des ewigen Werdens und gegen die »apollinische« Mäßigung des ordentlichen Seins, kommt nun nicht ohne einen Seitenhieb auf Hecker und die von ihm vertretene bürgerliche Rationalität aus: »[…] Wenn wir zu diesem Grausen die wonnevolle Verzückung hinzunehmen, die bei demselben Zerbrechen des principii individuationis aus dem innersten Grunde des Menschen, ja der Natur emporsteigt, so thun wir einen Blick in das Wesen des Dionysischen, das uns am nächsten noch durch die Analogie des Rausches gebracht wird. […] [B]ei dem gewaltigen, die ganze Natur lustvoll durchdringenden Nahen des Frühlings erwachen jene dionysischen Regungen, in deren Steigerung das Subjective zu völliger Selbstvergessenheit hinschwindet. Auch im deutschen Mittelalter wälzten sich unter der gleichen dionysischen Gewalt immer wachsende Schaaren, singend und tanzend, von Ort zu Ort: in diesen Sanct-Johann- und Sanct-Veittänzern erkennen wir die bacchischen Chöre der Griechen wieder, […]. Es giebt Menschen, die, aus Mangel an Erfahrung oder aus Stumpfsinn, sich von solchen Erscheinungen wie von ›Volkskrankheiten‹, spöttisch oder bedauernd im Gefühl der eigenen Gesundheit abwenden: die Armen ahnen freilich nicht, wie leichenfarbig und gespenstisch eben diese ihre ›Gesundheit‹ sich ausnimmt, wenn an ihnen das glühende Leben diony­ sischer Schwärmer vorüberbraust.«178

Was Hecker als typisch spätmittelalterliche Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung beschrieben hatte, wird Nietzsche zum Aufglimmen eines Prinzips, das im Kern die Wiedererlangung einer primordialen, paradiesischen Un-Ordnung markiert: »Unter dem Zauber des Dionysischen schließt sich nicht nur der Bund zwischen Mensch und Mensch wieder zusammen: auch die entfremdete, feindliche oder unter­ 176 Gründer, Streit. 177 Schöll, (Art.) Erwin Rohde; Latacz, Fruchtbares Ärgernis. 178 Nietzsche, Geburt der Tragödie, S. 24 f.; ähnlich schon in Ders., Das griechische Musik­ drama, S. 10 f.; vgl. Safranski, Nietzsche, S. 51–53; Reibnitz, Kommentar, S. 78–80 (mit Beleg für die Verwendung Heckers durch Nietzsche, ebd., S. 88 mit Anm. 99); Janz, Nietzsche, Bd. 1, S. 410 (»Das Griechische Musikdrama«), S. 429 ff. (Dionysos und Apollo), S. 460–477 (Rohde vs. Wilamowitz); Cancik/Cancik-Lindemaier, Nietzsches Mysterienlehre, bes. S. 40. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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jochte Natur feiert wieder ihr Versöhnungsfest mit ihrem verlorenen Sohne, dem Menschen. Freiwillig beut die Erde ihre Gaben, und friedfertig nahen die Raubthiere der Felsen und der Wüste. […] Man verwandele das Beethoven’sche Jubellied der ›Freude‹ in ein Gemälde und bleibe mit seiner Einbildungskraft nicht zurück, wenn die Millionen schauervoll in den Staub sinken: so kann man sich dem Dionysischen nähern. […] Singend und tanzend äussert sich der Mensch als Mitglied einer höheren Gemeinsamkeit: er hat das Gehen und Sprechen verlernt und ist auf dem Wege, tanzend in die Höhe emporzufliegen. […]«179

In »Also sprach Zarathustra« (1883–1885) wird Nietzsche ausführen: »Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde.«180 Ja: Im »anderen Tanzlied« lässt er die Tanzwut ausdrücklich Besitz von seinem »Ich« ergreifen: »Zweimal nur regtest Du deine Klapper, mit kleinen Händen – da schaukelte schon mein Fuß vor Tanzwut.«181

Der Propagandist des dionysischen Prinzips formulierte so ein Paradigma, das im Bildungsmilieu der Jahrhundertwende zumal in Deutschland große Faszination auslösen sollte: Das Ideal der charismatischen Überschreitung als Überwindung bürgerlich-rationaler Disziplin, wie es etwa das ethnologische Interesse an Schamanismus und Trance, aber auch die literarische Verherrlichung der Epilepsie befruchtete.182 Martin Leutzsch hat gezeigt, dass dieses nietzscheanische Motiv auch die religionsgeschichtliche Wahrnehmung des sakralen Tanzes massiv prägte: Insbesondere jene Theologen, Philosophen und Literaten, die sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts im sogenannten Eranos-Kreis versammelten (und ihre Interpretationen im »Eranos-Jahrbuch« veröffentlichten), darunter Theodor P. van Baaren, Gerardus van der Leeuw, Max Pulver, Hugo Rahner und Eduard Schulz, prägen bis heute die tanzwissenschaftliche Literatur. Ihr Streben nach einer Erneuerung des Christentums aus dem Geist der Mystik steht in der Tradition Nietzsches, wie auch die Anthroposophie Rudolf Steiners oder der moderne Ausdruckstanz um Isadora ­Duncan und Martha Graham.183 So nimmt es nicht wunder, dass die Tanzwut im Selbstvergewisserungsdiskurs der Tanzgeschichte, aber auch in religionswissenschaftlichen Arbeiten bis heute als unterdrückter Ausdruck ekstatischer Unmittelbarkeit gehandelt wird.184 179 Nietzsche, Geburt der Tragödie, S. 25 f. 180 Vgl. Koch, Salomés Schleier, S. 7. 181 Also sprach Zarathustra, Teil III, Das andere Tanzlied, zitiert nach: Winkle, Geißeln der Menschheit, 32005, S. 1109, Anm. 74. 182 Rehberg, Rationalisierungsschicksal, S.  12–15; zur Epilepsie-Thematisierung bei ­Nietzsche und Dostojewski vgl. nur Temkin, Falling Sickness, S. 379–382. 183 Leutzsch, Der tanzende Christus. 184 Vgl. oben, Kap. I.1.4. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Nietzsches Verherrlichung der Krankheit als Moment der Kreativität konnte freilich auch in das Hecker’sche Konzept von der epochenspezifischen Krankheit als Ausdruck des Zeitcharakters umschlagen. So popularisierte etwa Egon Friedell in seiner »Kulturgeschichte der Neuzeit« Heckers Meistererzählung vom Schwarzen Tod als dem Katalysator der Moderne: In der Katastrophe der Pest geht demnach das Mittelalter als Zeit der Depravation zu Ende. Geißlerzüge, Judenverfolgung und der (von Friedell auf 1347 vordatierte)  Johannistanz bilden archetypische Begleiterscheinungen dieser Geburt der Neuzeit aus der Krise.185 Freilich ist für Friedell die Neuzeit nicht wie bei Hecker ein Zeitalter der Aufklärung, sondern ihrerseits zutiefst pathologisch. Diese explizit nicht wissenschaftlich, sondern moralisch-poetisch begründete Vorstellung wirkt erkennbar noch fort in dem bis heute in der Mediävistik paradigmatischen Werk von Frantişek Graus.186 Nietzsches emphatische (und durch die religionsgeschichtliche Forschung nicht bestätigte)  Konzeption der antiken Dionysien ist untrennbar verwoben mit seiner massiv nationalistischen und antisemitischen Gegenüberstellung von deutscher »Cultur« und fremder, zumal französischer »Civilisation«.187 Was lag also näher, als angesichts des ausdrücklich von Nietzsche inspirierten nationalsozialistischen Deutschland auch das Veitstanz-Stereotyp wiederum ins Gegenteil zu verkehren? Wenn das »dionysische Prinzip« die Mörder zu ihrem Raubzug enthemmt hatte, so konnte der Veitstanz – Friedell aufnehmend und Nietzsche ins Gegenteil verkehrend – zum literarischen Bild für diese spezifische Anlage im deutschen Volkscharakter gerinnen. Ausformuliert findet sich dieser Gedanke bei Thomas Mann, wenn er im »Doktor Faustus« (1943 verfasst, 1947 veröffentlicht) die Atmosphäre am Schauplatz »Kaisersaschern« schildert: »Aber in der Luft war etwas hängen geblieben von der Verfassung des Menschengemütes in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts; Hysterie des ausgehenden Mittelalters, etwas von latenter seelischer Epidemie: Sonderbar zu sagen, von einer verständig-nüchternen modernen Stadt (aber sie war nicht modern, sie war alt, und Alter ist Vergangenheit als Gegenwart, eine von Gegenwart nur überlagerte Vergangenheit) – möge es gewagt klingen, aber man konnte sich denken, daß plötzlich eine Kinderzug-Bewegung, ein Sankt-Veits-Tanz, das visionär-kommunistische Predigen irgendeines ›Hänselein‹ mit Scheiterhaufen der Weltlichkeit, Kreuzwunder-Erscheinungen und mystischem Herumziehen des Volkes hier ausbräche.«188

185 Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, S. 95 ff.; vgl. dazu Getz, Black Death, S. 282 f. 186 Graus, Pest, Geißler, Judenmorde. 187 Cancik/Cancik-Lindemaier, Nietzsches Mysterienlehre. 188 Mann, Doktor Faustus, S. 51 f.; vgl. zum Folgenden neuerdings die brillante Untersuchung von Schlüter, Explodierende Altertümlichkeit, S. 327–380, bes. S. 358–372. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Beinahe deckungsgleich verwendet Thomas Mann diese Passage 1945 in seiner Rede »Deutschland und die Deutschen«, um seine wenige Jahre zuvor im Bombenkrieg untergegangene Heimatstadt Lübeck zu beschreiben.189 Mann hatte diese Angriffe ausdrücklich begrüßt. Kurz nach Kriegsende (engl.: Mai 1945, dt.: Oktober 1945) reflektiert er nun vor einem amerikanischen Publikum über Goethes »Faust«, den »Menschen an der Grenzscheide von Mittelalter und Humanismus«, als Inbegriff des deutschen Charakters.190 Schon 1931 hatte Thomas Mann in einer Rede »Vom Beruf des deutschen Schriftstellers in unserer Zeit« zum 60. Geburtstag seines Bruders Heinrich die gemeinsame Heimatstadt ganz ähnlich geschildert: »Es hockt in ihren gotischen Winkeln und schleicht durch ihre Giebelgassen etwas Spukhaftes, allzu Altes, Erblasthaftes  – hysterisches Mittelalter, verjährte Nerven­ exzentrizität, etwas wie religiöse Seelenkrankheit –, man würde sich nicht über­mäßig wundern, wenn dort, dem marxistischen Bürgermeister zum Trotz, noch heutigen Tages plötzlich der Sankt Veitstanz oder ein Kinderkreuzzug ausbräche  – es wäre nicht stilwidrig.«191

Die »religiöse Seelenkrankheit«, der »Sankt Veitstanz« und der »Kinderkreuzzug« legen die Vermutung nahe, dass Thomas Mann Heckers »Volkskrank­ heiten« von 1865 gekannt haben muss. Im »Doktor Faustus« sollten neben dem Faust-Stoff verschiedene Werke Albrecht Dürers zum zentralen Bezugspunkt werden.192 Bei den Recherchen dazu war Thomas Mann in Wilhelm Waetzoldts »Dürer und seine Zeit« von 1935 erneut auf eine Beschreibung der von »seelischen Epidemien« geprägten Atmosphäre des 15.  Jahrhunderts gestoßen.193 Diese war  – ausgehend von Hecker  – längst zur gängigen Chiffre der Mittel­ alter-Wahrnehmung geworden. Der »Sankt Veitstanz« gehörte in dieses Ensemble von Stereotypen, und so verwendete Thomas Mann ihn nun erneut – obwohl er bei Waetzoldt gar nicht erwähnt wird. So konnte diese Krankheit nun (geographisch völlig ahistorisch) auch in dem vage im Saale-Raum verorteten »Kaisersaschern« oder gar in der Hansestadt Lübeck auftreten. Ja: Der Zeitdiagnostiker vermeint in der Rückschau auf die 189 Mann, Deutschland und die Deutschen, S.  1129 f.; vermittelt über Hans-Christian Andersens »Die roten Schuhe« hatte Thomas Mann schon im »Zauberberg« (1924) auf das Tanzwut-Motiv zurückgegriffen; vgl. Maar, Geister und Kunst, S.  54–81. Ich danke Arne Karsten für diese Frucht seiner intimen Kenntnis des Werkes Thomas Manns. 190 Mann, Deutschland und die Deutschen, S. 1131. 191 Zitiert nach: Wimmer/Stachorski, Doktor Faustus. Kommentar, S. 226; vgl. allg. ebd., S. 221–228: Bezüge der Beschreibung Kaisersascherns zu Nietzsche, Lübeck, Manns LutherRezeption, Waetzoldts Dürer-Buch etc.; Heckers »Tanzwuth« dort nicht erwähnt. 192 Bauer Lucca, Versteckte Spuren. 193 Waetzoldt, Dürer und seine Zeit, S. 47–49; dazu: Wimmer/Stachorski, Doktor Faustus. Kommentar, S. 227. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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verlorene Heimat in deren Atmosphäre einen latenten Hang zur Tanzwut gespürt zu haben – das Mittelalter-Stereotyp prägt die Wahrnehmung der eigenen Gegenwart. Im spätmittelalterlichen Stadtbild der gerade untergegangenen deutschen Städte – sei es Lübeck, sei es ein idealtypisches »Kaisersaschern« – sieht Thomas Mann zugleich den »gotischen Menschen« konserviert und das Verhängnis seiner Gegenwart vorgezeichnet. Nietzsches Affirmation des »dionysischen Prinzips« wird dabei ins Negative verkehrt, indem auf die seit Hecker kanonische pathologisierende Motivik zurückgegriffen wird. Der Veitstanz als ein typisch deutsches Phänomen  – mit dieser Annahme steht der Nobelpreisträger übrigens in einer prominenten Tradition: Hatte doch schon Jean Bodin (1529–1596) die Tanzwut als Folge des sanguinischen Temperaments und der trägen Libido der Nordeuropäer und damit als typisch deutsche Form des Wahnsinns bezeichnet.194 Während Mann die Neigung der Deutschen zum Veitstanz mit ihrem faustischen Charakter erklärt hatte, zogen andere Zeitgenossen Heckers »Tanzwuth« heran, um die aufblühende Kultur der Weimarer Zeit zu pathologisieren: Die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ausbrechende Begeisterung für Jazz und Jazztanz wurde zur epidemischen »Tanzsucht« einer durch die Niederlage traumatisierten Gesellschaft. Der deutsch-schweizerische Arzt Wilhelm Morgenthaler etwa beobachtete: »Während den alten Tanzepidemien Seuchen und viele andere Leiden vorangegangen waren, war das deutsche Volk von 1914 bis 1918 durch den Krieg und die Aushungerung schwer erschüttert und in seiner Widerstandskraft geschwächt worden. Als nun statt eines Lohnes für all die unendlichen Leiden und die stillen Heldentaten des Durchhaltens der Zusammenbruch erfolgte, als jede Aussicht auf eine Besserung in absehbarer Zeit schwand, dagegen aber das Elend noch viel grösser wurde und dazu noch die Angst kam vor dem erbarmungslosen Sieger, da brach das Volk auch seelisch zusammen. […] Deutschland fing, auf der tiefsten Stufe seines Leidenswegs angelangt, plötzlich wie wild an zu tanzen.«195

Der kulturhistorische Essayist Wolfgang Schivelbusch sammelt in seinem 2001 erschienenen Buch über »Die Kultur der Niederlage« zahlreiche Zeugnisse für diese Deutung der aufblühenden Unterhaltungsindustrie der Weimarer Zeit nach dem Muster der Hecker’schen »Tanzwuth«196  – und übernimmt selbst 194 Midelfort, History of Madness, S. 41; Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S. 236 f.; Bicquet, Le mal de saint-Vit, S. [7]; Arcangeli, Davide ó Salomé, S. 238 f., 256 f.; vgl. allg. zu Bodins Klima-Lehre zur Lippe, Naturbeherrschung, Bd. 2, S. 346–349. 195 Morgenthaler, Tanzepidemien, S. 282. 196 Schivelbusch, Kultur der Niederlage, S. 24 (über Morgenthaler), S. 319 ff. (weitere Belege). Eine ganz ähnliche Diktion prägt auch die tanzwissenschaftliche Literatur zu den Wilden Zwanzigern, so etwa Klein, Frauen. Tanz. Körper, S. 167–185. Sie steht erkennbar in der Tradition der Nietzsche-Rezeption der Tanzliteratur der Weimarer Zeit. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 1: Adolf Hitlers angeblicher Freudentanz bei der Übermittlung der Nachricht von der Kapitulation Frankreichs, 17.06.1940, Foto: Walter Frentz (ullstein bild).

diese Diagnose völlig ungebrochen in seine psychologisierende Erklärung des aufkommenden Nationalsozialimsus: »Könnte es sein, dass die Sehnsucht nach Bewegung bei der Verarbeitung des nationalen Niederlagentraumas das zentrale Element ist?«197

Damit ist ein psychopathologisches Motiv angesprochen, das auch in der von der alliierten Propaganda verbreiteten Darstellung von Adolf Hitlers »Freudentanz« bei der französischen Kapitulation im Juni 1940 anklingt: Das von dem deutschen Kameramann Walther Frentz gefilmte triumphierende Aufstampfen des »Führers« wurde da zum Ausdruck des deutschen Größenwahns umgeschnitten.198 Die charismatischen, ja: pseudo-religiösen Züge des Nationalsozialismus konnten allzu leicht dazu dienen, das Dritte Reich als Folge einer kollektiven 197 Schivelbusch, Kultur der Niederlage, S. 343, vgl. S. 323 f., 342 f.; zur fachwissenschaft­ lichen Kritik an Schivelbusch vgl. nur die vernichtende Rezension von Demm in: H-Soz-u-Kult, 21.06.2002, URL: [07.10.2002]. 198 Hoffmann, Walter Frentz, S. 92 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Geisteskrankheit zu pathologisieren.199 »Massen-Hysterie« wurde so zum nega­ tiven Beschreibungsmodus für jede Form von politischer Begeisterung.200 In bürgerlich-intellektuellen Kreisen in Deutschland kursierte diese Assoziation schon nach der Ernüchterung des Jahres 1942, wie ein Gespräch zwischen dem Mediziner und Psychoanalytiker Heinrich Huebschmann (1913–1945) und dem Pädagogen Eduard Spranger (1882–1963) belegt: »H[uebschmann]: […] Es ist ja auch nicht nur Schlimmes und Verbohrtes gewesen, was uns damals ergriff. Es war die leidenschaftliche Wendung zur lange entbehrten Gemeinschaft. S[pranger]: Ja, der Marschiertaumel, wie die Tanzwut des Mittelalters. Die BDM-­ Mädels 1934 – es war wie eine Massenerkrankung. H[uebschmann]: Und doch war ein Funken Echtheit dabei. Selbst nur im mecha­ nischen Marschieren fühlte man die Freude der Gemeinsamkeit. S[pranger]: Ja, es war auch Berechtigtes vorhanden.«201

Bald nach Kriegsende setzte dann auch in Deutschland eine Pathologisierung der eigenen Zeitgeschichte ein, die umso mehr Wirkung beanspruchen konnte, da sie sich perfekt in den zeitüblichen Diskurs des Anti-Totalitarismus ein­ fügte.202 Dabei ist in der geschichtswissenschaftlichen Forschung der Erfolg des strategischen Einsatzes von massenpsychologischen Inszenierungen im europäischen Faschismus sehr umstritten.203 Der immer wieder reproduzierte Hinweis auf dessen kollektiv-pathologischen Charakter dient im Übrigen zumindest auch dazu, einen Zustand der kollektiven Unzurechnungsfähigkeit zu konstruieren und so die Alltäglichkeit und spezifische Logik der Massenvernichtung zu eskamotieren. Auch bei Schivelbusch wird die Tanzwut in diesem Sinn zur Erklärung für das deutsche Verhängnis. Ebenso kontrovers diskutiert  – jedoch ungleich erfolgreicher zum Bestseller hochgeschrieben – wurde im Jahr darauf Jörg Friedrichs »dichte Beschreibung« des alliierten Luftkriegs gegen Deutschland: »Der Brand«. Sein Kapitel über die psychisch-emotionalen Auswirkungen der Luftangriffe auf die Bevölkerung beginnt so:

199 Beispiele aus der amerikanischen und britischen Publizistik bietet Bartholomew, Ethno­centricity, S. 465, 472 f. 200 Ehrenreich, Dancing in the Streets, S. 182–186. 201 Huebschmann, Ausweg, S. 223 (Gespräch in Berlin-Dahlem am 13.09.1942; im Anschluss handschriftlich aufgezeichnet nach dem Gedächtnis, 1977 als Typoskript redigiert). Den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich Wanda Löwe, Berlin. 202 Aich, Massenmensch und Massenwahn; Bitter (Hg.), Massenwahn; darin der Beitrag von Borst, Mittelalterliche Sekten und Massenwahn; betont pro-faschistisch argumentiert hingegen Baschwitz, Massenwahn. 203 Ehrenreich, Dancing in the Streets, S. 198–206. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»Von der Pest 1374 in Aachen ist überliefert, daß in Kirchen und Straßen Männlein und Weiblein leidenschaftlich verzückt und unaufhörlich tanzten. Ähnliche Berichte gibt es auch aus dem Bombenkrieg.«204

Auffällig daran ist nun – neben der mehr als symptomatischen regressiven Bezeichnung mittelalterlicher Individuen als »Männlein und Weiblein«  – zweierlei: Zum einen erwähnt Friedrich die angeblich durch die Pest ausgelösten Tänze von 1374 ohne Beleg. Zum anderen bringt er für seine Analogiebehauptung im Folgenden nicht auch nur ein treffendes Beispiel! In den Notlazaretten werden zynische Witze gemacht, mancher gerät beim Anblick der Leichen- und Ruinenberge in hysterisches Lachen, andere fühlen sich nach überstandener Nacht im Luftschutzkeller befreit – doch von Tanz ist bei Friedrich überhaupt nicht mehr die Rede. Die Tanzwut dient auch nicht als Erklärung. Ihre Erwähnung soll vielmehr nur noch eine Stimmung evozieren: Pest, Düsternis, Unvernunft, Ekstasen der Angst – Deutschland wird bei Friedrich ins Mittelalter zurückgebombt. Die Tanzwut ist damit endgültig zum leeren Zeichen geworden, mit dem sich beliebig auf den Imaginationsraum Mittelalter anspielen lässt. In einem ganz anderen Diskurs jedoch feiert die nietzscheanische Tanzwut als Inbegriff der dionysischen Überschreitung bis in die Gegenwart fröhliche Urständ: Wie schon in den Wilden Zwanzigern wird sie auch nach dem Zweiten Weltkrieg zum Beschreibungsmodus für jugendliche Musikkultur. So beschreibt ein leitender Regierungsdirektor des Jahres 1959 die Reaktionen des Publikums bei einem Konzert von Bill Haley: »Der Verlauf der Veranstaltungen war in allen Städten ziemlich gleichartig. Sobald Bill Haley seine musikalischen Mittel zur Aufputschung der kritiklosen ›Masse Mensch‹ einsetzte, brach eine Kollektiv-Hysterie aus, bei der einzelne Jugend­liche veitstanzähnliche Bewegungen ausführten, sich wildlärmend auf das Podium stürzten und zu Sachbeschädigungen aller Art übergingen. […] Regelmäßig griff dann die Polizei ein und machte mit mehr oder minder sanfter Gewalt dem Spuk ein Ende.«205

Rock’n’Roll, später Beat und schließlich Techno oder Hip Hop werden so mit Hecker und Nietzsche als Epidemien der dionysischen Grenzüberschreitung lesbar. Es wäre dies nicht mehr als eine zu belächelnde rezeptionsgeschichtliche Anekdote – wenn diese Vorstellung sich nicht bis in die aktuelle wissenschaft­ liche Literatur wiederholt fände: »An innocent witness of one of the illegal ›raves‹ that took place in the English country­ side during the 1980s or of today’s thriving all-night clubbing scene might well be tempted to draw comparisons with the wild dancing of 1374, 1463, and 1518. […] 204 Friedrich, Der Brand, S. 493. 205 Zitiert nach: Eichstedt/Polster, Wie die Wilden, S.  104; vgl. dazu Fritzsch, Tanz, S. 180 f. mit Anm. 3. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Die zweite Erfindung der Tanzwut im 19. Jahrhundert

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­ ertainly, anyone unconvinced that an altered state of mind could have impelled thouC sands of people in 1518 to dance for days on end, will have their doubts dispelled by witnessing the modern day clubbing phenomenon.«206

Wer mit einem Buch über ein geschichtliches Thema beim Publikum Erfolg haben will, tut gut daran, den vorgeprägten Erwartungen der potentiellen Leser zu entsprechen statt sie mit Neuigkeiten zu irritieren. Tanzende junge Leute kann sich die Hauptzielgruppe historischer Sachbücher immer noch nur als Opfer drogen- oder musikinduzierten Wahnsinns vorstellen. So reproduziert eine auf Marktgängigkeit bedachte Wissenschaft wenig originelle und umso wirk­ samere Stereotypen. Der konkrete historische Bezugspunkt, etwa die rheinländische Tanzbewegung von 1374, wird dabei entweder, wie bei Jörg Friedrich, klischeehaft (und sachlich grob falsch) beschrieben, oder aber, wie bei Nietzsche oder Thomas Mann, schlicht als feststehende Chiffre verwendet. Allein der sprichwörtliche Begriff Veitstanz setzt beim Publikum einen Assoziationsapparat in Gang und reproduziert so die eingeschliffenen Stereotypen. Dabei dient die Geschichtswahrnehmung immer zur Zeitdiagnose: Im Klischeebild vom Mittelalter spiegelt sich die eigene Gegenwart – und heute zusätzlich die auf die Katastrophe des »Dritten Reiches« fixierte deutsche Selbstwahrnehmung. Diese literarisch-publizistische Rezeptionsebene ist als Hintergrund mitzudenken, wenn man die wissenschaftliche Diskussion über die Tanzwut ver­stehen will, sei es die medizinische und medizingeschichtliche, sei es die geschichtswissenschaftliche. Heckers pathologische Konzeption als »Volkskrankheit« und Nietzsches Idealisierung als ekstatischer Ausdruck des »dionysischen Prinzips« bilden dabei nur zwei Seiten einer Medaille: Zwischen ihnen changiert die Wahrnehmung des Veitstanzes bis heute. Semantisch sehr reizvoll wäre eine Untersuchung der Diktion, mit der selbst dem Anspruch nach hochwissenschaftliche Studien die Tanzwut schildern: Ein emotional-appellativer Ton, Metaphern von Übermächtigung und eine beinahe zwanghafte Tendenz zur literarischen Übertreibung und Vergröberung prägen das Bild – etwa, wenn John Waller seiner Schlusspointe zuliebe aus den mehreren hundert Tänzern in Straßburg »thousands of people« werden lässt. Das Faszinosum des dionysischen Prinzips wirkt fort. Der Tanzwut-Diskurs des 19. und 20. Jahrhunderts determiniert so auch die wissenschaftliche Wahrnehmung des gleichnamigen historischen Phänomens. Denn ihm geht durchaus eine spätmittelalterliche Krankheitskonzeption mit einer eigenen Erfindungsgeschichte vorweg. 206 Waller, Time to Dance, S. 213 f.; vgl. ähnlich etwa Donaldson u. a., Dancing Plague, S. 204; Koller, Musik und Dichtung, S. 150; Schneider, Tanzlexikon, S. 536 f.; Sorell, Tanz als Spiegel, S. 30. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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I.3 Methodische und theoretische Grundlagen Eine Erforschung der Tanzwut muss drei Felder des sozialen und kulturellen Handelns und Denkens erschließen: Medizin, Tanz und Ritual, Religion und Mythologie. In allen drei Feldern verhandeln menschliche Gesellschaften prominent den Umgang mit dem menschlichen Dasein als immer zugleich somatischem und psychischem Verhältnis. Und alle drei Felder erfordern einen theoriegeleiteten Zugang vor dem Hintergrund neuerer kulturwissenschaftlicher Debatten über den Körper und die menschliche Wahrnehmung als Gegenstand der kulturellen Konstruktion. Diese Debatten sind in den neunziger Jahren vor allem über die politisch hochgradig kontroversen Begriffe gender und race geführt worden. Ihre epistemologischen Grundannahmen lassen sich jedoch problemlos auch auf die Medizin und auf das religiöse Erleben des Menschen anwenden. Folgerichtig sind die einschlägigen Diskussionen in Medizin und Religionswissenschaften weitgehend parallel verlaufen. Für die Erforschung der körperlich-psychischen Selbstwahrnehmung (»Erfahrung«) beriefen sich Mediziner dabei bevorzugt auf die ethnologische Ritualforschung,207 Religions­ wissenschaftler auf die konstruktivistische Wissenssoziologie.208 Ausgangspunkt sowohl in der Medizin wie in den Religionswissenschaften war die selbstkritische Beobachtung, dass fremde kulturelle Systeme auf einen etischen Betrachter zunächst beinahe zwangsläufig grotesk und irrational wirken, weil ihre Eigenlogik nicht der seinen entspricht.209 Forscher aus europäisch-nordamerikanischen Gesellschaften haben daher lange Zeit sowohl die religiösen wie die medizinischen Konzeptionen von Nicht-Industriegesellschaften als grundsätzlich defizitär oder unvernünftig beschrieben. Als »wissenschaftliche« Erklärung für religiöse wie medizinische Phänomene boten sich dabei neurologische, psychiatrische und sozialpsychologische Diagnosen wie »Epilepsie«, »Hysterie« oder »Massenhysterie« an: Was »primitive« Gesellschaften als schamanistische Ekstase oder dämonische Besessenheit beschrieben und gleichermaßen religiös wie medizinisch verwendeten, wurde so mit etischen Beschreibungskategorien belegt, die direkt auf die Tanzwut-Konzeption verweisen, wie sie im 19. Jahrhundert erfunden wurde. Eine Überwindung des ethnozentrischen Blicks in der Kulturanthro­pologie geht also auch von einer Dekonstruktion dieser sozialpsychologischen Disquali 207 Für die Medizinsoziologie etwa: Löwe/Lux, Zur Entwicklung, S.  44 (zur methodischen Analogie der Erforschung von Krankheit und Ritual); Good, Medicine, Rationality, and Experience, S. 98 ff. (zur strukturalistischen Mythenkonzeption Lévi-Strauss’ als Rahmen der medizinethnologischen Theoriebildung); Kleinman/Kleinman, Suffering. 208 Holzem, Religiöse Erfahrung; Ders., Bedingungen und Formen; ähnlich Schlögl, Gesellschaftliche Dimension, S. 271–273. 209 Grundlegend Turner, Das Ritual, S. 10. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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fikations-Diskurse aus. Umgekehrt muss eine Anwendung ethnologischer Konzepte auf das Mittelalter als europäische »Vormoderne« immer eine solche Kritik des Ethnozentrismus zugrunde legen, will sie nicht zwangsläufig zirkelschlüssig werden. Um dies zu gewährleisten, sollen zunächst in medizinsoziologischer, kulturanthropologischer und religionswissenschaftlicher Hinsicht theoretische Grundbegriffe für die vorliegende Untersuchung umrissen werden.

I.3.1 Wie kommt die Kultur in den Körper? Zur Semiotik und Diskursivität von Krankheit Heckers wissenschaftsgeschichtlich kurzlebige Historische Pathologie ging von der Grundannahme aus, dass auch Krankheiten epochen- bzw. kulturspezifisch seien. Ausgangspunkt war dabei der kulturelle Partikularismus Droysens und Diltheys, wie er gleichzeitig auch den Historismus in den Geschichtswissenschaften prägte. Vermittelt über Franz Boas (1858–1942) wurde diese Vorstellung auch zur Grundlage des mehr oder weniger ausgeprägten Relativismus in der amerikanischen Kulturanthropologie. In dieser gemeinsamen Tradition steht auch noch die Ethnomedizin bzw. medical anthropology: Für medizinische Konzepte nicht-europäischer Gesellschaften entwickelten gerade Schüler von Franz Boas und Ruth Benedict (1887–1948) seit den fünfziger Jahren das Konzept des culture bound syndrome, eines Krankheitskonzepts also, das nur in einer bestimmten Kultur auftritt.210 Psychische oder physische Symptome wurden dabei als kulturspezifisch seman­tisiert begriffen.211 Sie bildeten demnach real erlittene Syndrome mit allen Anzeichen schlichtester »Natürlichkeit«. Von »kulturgebundenen Syndromen« sprach man immer dann, wenn man außerhalb Europas auf Formen des Leidens stieß, die sich nicht schulmedizinisch erklären ließen. Später wendete man dieses Konzept auch auf Krankheitsbilder in Industriegesellschaften an, etwa auf »Anorexia nervosa« oder das prämenstruelle Syndrom. In aller Regel bezeichnete es also Syndrome, die es Mitgliedern einer Gesellschaft ermöglichen, deviantes Verhalten als Reflex auf gesellschaftliche Zwänge zu legitimieren. Die Diskussion konzentrierte sich daher fast durchgehend auf psychiatrische Krankheiten, und nicht selten auf solche von Frauen. Damit erwies sich das Konzept letztlich als Fortschreibung des Hysteriediskurses der europäischnordamerikanischen Psychiatrie: In der biomedizinischen Taxonomie nicht 210 Zur wissenschaftsgeschichtlichen Genealogie des Partikularismus in der amerika­ nischen Medizinanthropologie vgl. Unschuld, Konzeptuelle Überformung, S. 493; Good, Medicine, Rationality and Experience, S. 31–34, 48–51. 211 Vgl. zum Folgenden Hahn, Culture-bound Syndromes Unbound; die Beiträge in: ­Simons/Hughes (Hg.), Culture Bound Syndromes; Good, Medicine, Rationality and Experience, bes. S. 35 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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klassifizierbare Krankheitsvorstellungen »indigener« Kulturen wurden so als Produkt von »Einbildung« wiederum aus dem Raum der naturwissenschaft­ lichen »Realität« ausgrenzbar.212 Der Kulturrelativismus der Boas- und Benedict-Schule schlug also in der Medizinanthropologie wiederum in eine ethno­ zentristische Disqualifikation der indigenen Medizinsysteme um  – was im Zeichen der postcolonial studies politisch kritisierbar und mit der Durchsetzung des Konstruktivismus auch epistemologisch dekonstruierbar wurde. Wenn dennoch das ethnologische Modell des culture bound syndrome als hermeneutischer Zugang zur Tanzwut (bzw. allgemeiner zum Wahnsinn im 16. Jahrhundert)213 oder zum eng verwandten apulischen Tarantismus gewählt wird,214 liegt zudem die Gefahr des Zirkelschlusses auf der Hand. Denn schon bei der Formulierung dieses Konzepts wurde nicht zufällig als Beispiel häufiger die Hecker’sche »Tanzwuth« herangezogen.215 Im Thema »Tanz als Krankheit«, konvergieren zwei Formen der Körperlichkeit und Körpererfahrung, die gleichermaßen in hohem Maße dem Paradox von Materialität und Konstruktivität unterliegen: Tanz als Kommunikationsform ist ein Musterbeispiel dafür, dass körperliche Erfahrung immer zugleich als unmittelbar wahrgenommen wird und kulturell konstruiert ist. Einerseits vermittelt Tanz eine sehr direkte und konkrete Wahrnehmung des eigenen Körpers und des ihn umgebenden Raumes, andererseits ist er in seinen Ausdrucksformen immer hochgradig durch den Diskurs determiniert.216 Ebenso impliziert unser biomedizinisches Verständnis von »Krankheit« eine unmittelbar sensorisch erfahrbare psychische und/oder somatische Dysfunktion. Zugleich sind jedoch die Wahrnehmung und Erklärung von sowie der Umgang mit Krankheiten durch ihr kulturelles Milieu bestimmt. Körperliche Erfahrung ist also einerseits quasi als un-semantisch semantisiert. Andererseits sind unser Körper und seine Erfahrungen Gegenstand und Produkt eines dauernden kulturellen Prozesses der Semiose und der performativen Realisierung. Dies gilt für Tanz als körperliche Ausdrucksform wie für Krankheit als somatisches und/oder psychosomatisches Phänomen,217 und auch für religiöse Erfahrung. In diesem Sinn können für die vorliegende Untersuchung theoretische Überlegungen aus den Tanz- und Theaterwissenschaften mit solchen aus der Medizinanthropologie verbunden werden. 212 Hughes, Culture-bound or Construct-bound?, S. 7, 12 ff. 213 Midelfort, Madness and the Problems, S. 11 f. 214 Hauschild, Magie und Macht, S. 305 f. 215 Mit Beispielen: Bartholomew, Tarantism, S.  290 f.; vgl. allg. Ders., Ethnocentricity, S. 467 f. 216 So gegen eine lange Tradition in der Tanzliteratur: Klein/Zipprich, Tanz. Theorie. Text, S. 3 ff. 217 Good, Medicine, Rationality and Experience, S. 51, weist darauf hin, dass diese Unterscheidung bereits eine Folge des neuzeitlichen europäischen Dualismus sei. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Alles Handeln, Kommunizieren und Wahrnehmen des Menschen ist performativ in dem Sinn, dass es soziale bzw. kulturelle Rollenerwartungen und Verhaltensmuster wiederholt und so verwirklicht. Performativität ist also der Schlüssel zum Verständnis der Frage, wie aus Diskursen reales Verhalten, reale Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung wird, wie die herrschenden Körperpraktiken reproduziert werden.218 In diesem dauernden Prozess der Semiose werden jedoch die Normen nicht einfach von oben nach unten durchgedrückt, sondern sie werden gesellschaftlich angeboten und individuell nachvollzogen, wobei jeder Nachvollzug eine Abweichung beinhaltet und wiederum auf die Normen zurückwirkt, so dass sich Normen und Verwirklichung stetig weiterbewegen. Grundprinzip der Diskursentwicklung ist also nicht etwa identische Reproduktion, sondern »Iteration« im Sinne Derridas.219 Die Semiose braucht kein Movens von außen, sondern bewegt sich im Prinzip aus sich selbst heraus. Und auch Macht und Herrschaft sind keine externen Faktoren, sondern werden gerade im Prozess der Semiose real. Judith Butler hat dieses Konzept entwickelt für die Untersuchung der Reproduktion dessen, was sie die »heterosexuelle Matrix« nennt. Es lässt sich jedoch verallgemeinern auf die Konstruktion und Erfahrung von Körperlichkeit überhaupt, auf Tanz, auf Besessenheit oder auf Krankheit. Damit ist eine Debatte angesprochen, die in den neunziger Jahren einige Aufregung verursachte, aber bald in Redundanzen erstarrte und verebbte: die Diskussion über den Konstruktivismus in Körpergeschichte, Medizinsoziologie und Gender Studies.220 Diese lebte davon, dass beim Gebrauch zentraler Begriffe deren präzise Definition hartnäckig mit einem Alltagsverständnis verwechselt wurde. Auch wurde die im Konstruktivismus zumindest angelegte Ineinssetzung von Ontologie und Epistemologie logisch nicht klar aufgelöst,221 stattdessen wurden auf beiden Fronten beide Kategorien permanent willkürlich überblendet. Letztlich handelte es sich dabei um das Aufeinandertreffen zweier unvereinbarer Beschreibungsmodi für das gleiche Problem, über dessen prag 218 Zusammenfassend: Butler, Körper von Gewicht, S.  259 ff., 309 f.; zur Performativitätsdebatte in den neueren Kulturwissenschaften vgl. nur Wirth, Performanzbegriff; Schu­ macher, Performativität und Peformance. 219 Butler, Körper von Gewicht, S. 35–37; Müller, Dekonstruktionen, S. 359; Wirth, Performanzbegriff, S. 17–25, 47–53. 220 Vgl. zum Folgenden grundlegend aus radikal konstruktivistischer Sicht Butler, Körper von Gewicht, S. 21–35, 51–57; kritisch von medizingeschichtlicher Seite: Stolberg, Homo ­patiens, S.  12–21, 29; vermittelnd und konzeptioniell präzise: Sarasin, Mapping the Body; einen sehr guten Aufriss aus Sicht der Tanzforschung bietet Müller, Dekonstruktionen; ausführlich: Dies., Körper(De)konstruktionen; aus psychologischer Perspektive: Cromby/Nightingale, What’s Wrong?; medizinsoziologisch: Bury, Social Constructionism; Lachmund/ Stollberg, Introduction. 221 Zu Hans-Jörg Rheinbergers Versuch, dieses Problem zu lösen, vgl. nur Sarasin, Diskursanalyse, S. 204 ff. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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matische Analyse man sich im Übrigen weitgehend einig war. Denn wirkliche »Essentialisten« respektive radikale »Neoidealisten« gab es eigentlich nur in den Polemiken der jeweiligen Gegenseite.222 Der große Erkenntnisfortschritt lag jedoch in der präzisen Analyse der kulturellen Formiertheit auch der unmittelbaren körperlichen Selbstwahrnehmung. »Diskurs« meint schon bei Foucault eben nicht nur versprachlichten Ausdruck, sondern eine umfassende Praxis der Reproduktion von sozialer Wirklichkeit.223 Wer meint, den Körper nur als Konstrukt analysieren zu können, muss dabei nicht seine Existenz leugnen. Denn »Dekonstruktion« heißt eben nicht Leugnung von Realität, sondern Analyse ihrer kontingenten Entstehung, ihrer »Materia­lisierung« (Butler). Damit bleibt freilich an der Stelle des »realen Körpers« die bewusst offengehaltene Leerstelle des Referenten der diskursiven Signifikation.224 Barbara Duden hat dagegen für körperliche Erfahrungen den Begriff des »somatischen Wissens« prägen wollen und so versucht, die ontologische Annahme einer Existenz des Leibes mit der epistemologischen seiner kulturellen Konstruiertheit zu versöhnen.225 Auch die Gegner eines radikalen Konstruktivismus würden doch aber nicht abstreiten, dass auf dem Weg der »Verkörperung« (»embodiment«) Diskurse körperlich erfahrene Realität werden können.226 Wenn aber auch die unmittelbare körperliche Selbstwahrnehmung zwischen gesellschaftlichen Akteuren ausgehandelt wird, dann können durch kulturelle Konstruktion Krankheiten entstehen. »Kranksein« ist also die individuelle und gemeinschaftliche Umsetzung eines kollektiven Konzepts, und so prägt die kulturelle Konstruktion nicht nur den gelehrten oder populären Diskurs über eine Krankheit, sondern auch die körperliche Wahrnehmung, die Symptome und den Verlauf.227 Demanch lässt sich der implizite Essentialismus der älteren medizinanthro­ pologischen Literatur überwinden, die davon ausging, dass der kulturell geprägten »Krankheit« ein körperlich empfundenes »Kranksein« vorausgehe, der kulturellen Konstruktion ein primärer biologischer Körper.228 Damit ließ sich zwar erklären, dass eine bestimmte soziale Problematik kulturspezifisch zu bestimmten psychiatrischen Symptomen führt, aber nicht, warum die Akteure, 222 Selbst Ritzmann, Leidenserfahrung, erkennt die kulturelle »Rahmung« der »humanbiologischen Konstanten« an. 223 Müller, Körper(De)konstruktionen, S. 127; Dies., Dekonstruktionen, S. 355; Gugutzer, Soziologie des Körpers, S. 128–130. 224 Vgl. Sarrasin, Mapping the Body, S.  448–450, der genau an dieser Leerstelle die »Risse« im Diskurs verortet, an denen Bedeutungen produziert werden. 225 Duden, Somatisches Wissen. 226 Cromby/Nightingale, What’s Wrong?, S.  10 f.; Müller, Körper(De)konstruktionen, S. 61–63, 104 f. 227 Stolberg, Homo patiens, S. 213–216, 233–239; Tanner, Körpererfahrung. 228 Kleinman/Kleinman, Suffering. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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also die Patienten, die Krankheit auch somatisch so erleiden, wie sie der kulturellen Konstruktion entspricht. In der älteren Konzeption wird »unmittelbar« gedachtes »Leiden« unterschiedlich interpretiert. In einer konsequent konstruk­ tivistischen Theorie wird das »Leiden« selbst als vollständig kulturell vermittelt begriffen. Dementsprechend wird in der aktuellen Medizinanthropologie jede Krankheit als Geflecht von Bedeutungen gesehen, deren Wertigkeit zwischen Patient, Umwelt und Heiler immer neu bestimmt wird.229 Krankheit hat also eine narrative Struktur. Semiotische Versatzstücke aus verschiedensten Kontexten lagern sich an, werden ausgetauscht, immer wieder neu kombiniert, verschieben ihre Bedeutung oder werden neu mobilisiert. Logische Widersprüche, diagnostische Gegenargumente und therapeutische Misserfolge sind dann kein Hinderungsgrund für die Wirksamkeit des Gesamtkonzepts, da sie immer nur einzelne Aspekte betreffen. Von Fall zu Fall kann ein solches Konglomerat individuell und kulturspezifisch zur Diagnose herangezogen werden. So bietet Krankheit als »semantisches Netz« (korrekter wäre wohl: als semiotisches Netz) den gemeinsamen Fundus von Motiven, aus dem sich Heiler, Patienten und Um­ gebung bei der Aushandlung von Diagnose und Therapie bedienen.230 Wissenssoziologisch könnte man diesen Prozess auch als framing auffassen.231 Die Semiotik kehrt so zu ihren Ursprüngen zurück, stammt der Begriff doch aus der medizinischen Lehre von den diagnostischen Zeichen.232 Krankheit wird so zu einem dynamischen Konzept, ständig im Wandel durch Umwertung innerhalb des Bedeutungsgeflechts; zum »dramatischen Akt«, in dem die Semantik immer wieder neu ausgehandelt wird.233 Und sie ist zugleich Produkt, Gegenstand und Medium der immer neuen Bestimmung der Grenzen normenkonformer Körperlichkeit und körperlicher Expressionen, konkret etwa: des Verhaltens in sakralen Kontexten. 229 Vgl. umfassend Good, Medicine, Rationality and Experience; Kleinman, Illness Narratives, bes. S. 5–32. 230 Grundlegend: Good, The Heart of what’s the Matter; zusammenfassend: Good, Medicine, Rationality and Experience, bes. S.  169 ff.; zur Diskussion: Stolberg, Homo patiens, S. 12–21, 113–116, 213–220; ebd., S. 14, 192, 217, wird das Konzept eher unglücklich mit dem älteren »culture bound syndrome« verknüpft; allg. die Beiträge in: Lux (Hg.), Krankheit als semantisches Netzwerk; Thomas Lux übersetzt den englischen Begriff »semantic network« mit »semantisches Netzwerk«; da es jedoch maßgeblich um körperliche, nicht-sprachliche Zeichen geht, wird hier die offenere Bezeichnung »semiotisch« vorgeschlagen; vgl. Lux, Semantische Netzwerke, S. 19; aus germanistischer Perspektive kritisiert die zu offene Verwendung von »Semantik« Grubmüller, Historische Semantik, S.  48; für die Medizinsoziologie allg.: Vance Staiano, Semiotic Perspective. 231 Rosenberg, Framing Disease. 232 Vgl. nur Eckart/Jütte, Medizingeschichte, S. 326–328. 233 Lachmund/Stollberg, The Doctor; Jütte, Social Construction; Stolberg, Homo patiens, S. 104 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Dieses semiotische Verständnis von Krankheit betrifft ausdrücklich nicht nur psychische Abweichungen, sondern ebenso alle somatischen Phänomene, da auch sie der kulturspezifischen Formierung unterworfen sind. Dabei ist selbstverständlich, dass es pathogene Phänomene gibt, die der kulturellen Konstruktion vorgängig sind. Oder besser: Erkenntnistheoretisch unterliegen auch sie vollständig der kulturellen Konstruktion, sie haben aber eine materielle Existenz außerhalb der menschlichen Wahrnehmung. In unser kulturell konstruiertes Syndrom geht also neben diskursiven bzw. kulturellen Versatzstücken auch ein somatisches Substrat ein.234 Dieses ist jedoch seinerseits Gegenstand der »Materialisierung« durch zeit- und kulturspezifische Denkmuster. Die biotische Existenz ist also selbst nur ein Faktor innerhalb der diskursiven Konstruktion, wenn auch im Fall der Krankheit ein den Diskurs in erheblichem Maße determinierender.235 Heute an Epilepsie oder Chorea Huntington zu leiden ist demnach in jedem Fall kategorial etwas anderes als im 17. Jahrhundert an Johannistanz oder Tanzwut, selbst wenn unter den Tanzenden in Biesheim im Jahr 1602 Menschen gewesen sein sollten, deren Leiden mit heutigen Kategorien als Epilepsie oder Chorea Huntington diagnostizierbar wäre. Jedenfalls kann man hierüber in der Retrospektive keine validen Aussagen mehr treffen. Was man kann, ist einerseits, den Erfahrungsraum zu vermessen, in dem ein Mensch am Oberrhein um 1600 die Krankheit Johannistanz erleben und kommunikativ umsetzen konnte. Man kann also beschreiben, wie etwa Anna Schön ein gegebenes Phänomen wahrnehmen konnte. Und man kann diachron den kulturellen Prozess der Konstruktion dieser Wahrnehmung nachzeichnen, ihn kontextualisieren und so nach seinen Ursachen und Gründen fragen. Eine solche diachrone, diskursgenealogische Untersuchung eines emischen Krankheitskonzepts ist in der Medizinanthropologie bisher nur selten versucht worden.236 Die vorliegende Untersuchung betritt insofern auch methodisch Neuland. Dieses Konzept der Aushandlung und performativen Verwirklichung eröffnet die Möglichkeit, zumindest hypothetisch von den Quellen auf die körperliche Erfahrung zu schließen. Die Verfasser unserer Quellen traten ihrem Gegenstand mit Vorwissen und Erwartungen gegenüber, die geprägt waren durch den bisherigen Diskurs. Und auf der anderen Seite: Wer etwa wie Anna Schön in einer Wallfahrtskirche tanzte, stand ebenfalls in einer diskursiven Tradition. Zwischen Obrigkeiten, Ärzten und Tanzenden wurden dann Deutungen aus­ 234 Vgl. Vance Staiano, Semiotic Perspective, S. 174. 235 Dies im Sinne einer Akteur-Netzwerk-Theorie, vgl. dazu Sarasin, Diskursanalyse, S. 199 f. 236 Eine Ausnahme bildet Conrad/Schneider, Deviance and Medicalisation; dazu Lachmund/Stollberg, Introduction, S. 10; zum Problem der Synchronizität des Modells vgl. Good, Medicine, Rationality and Experience, S. 51. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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gehandelt, und das Produkt dieser Aushandlung war ein dauerndes Wechselspiel von diskursiver Fortschreibung und performativer Verwirklichung. Historische Texte und andere Artefakte, soweit sie aus dem behandelten Kontext stammen, sind somit nicht nur als Quellen für den untersuchten Gegenstand zu befragen, sondern immer auch selbst als Medien des zu beschreibenden diskursiven Wandels und seiner körperlichen Realisierung. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass wir von dieser Kommunikation in den Quellen fast ausschließlich die verschriftlichte Position der Ärzte, der Regierenden und des Klerus fassen können. Wir wissen also nur, was Experten für andere Experten aufschrieben. Daraus können wir zwar auf ihre Beobachtungen schließen, aber aus diesen allenfalls mittelbar auf das, was ihnen die Tanzenden berichtet haben. Auf der Diskursebene jedoch gibt es für die Annahme einer herrschenden Sprachregelung wohl keinen besseren Beleg als den, dass Patienten sie gegenüber Ärzten verwenden. Was also meinen die Quellen zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Fall, wenn sie vom zwanghaften, unfreiwilligen Tanz reden? Dieses Motiv und sein Auftreten in verschiedenen diskursiven Kontexten ist zunächst je für sich präzise zu kontextualisieren und dann diachron vergleichend zu untersuchen. Dabei sind auch historiographische oder gar archivalische Quellen nicht unmittelbar ereignisgeschichtlich auswertbar. Vielmehr ist detailliert zu untersuchen, inwiefern ihre Schilderungen auf mythisch, literarisch oder ikonographisch vorgeformte Stereotypen rekurrieren, vor allem aber auf ihren Autoren jeweils bereits vorliegende ältere Schilderungen ähnlicher Phäno­ mene. Die zu überprüfende Grundannahme ist dabei, dass jene Quellen, in denen Tanz als zwang- oder krankhaftes Handeln geschildert wird, in hohem Maße durch Intertextualität und Rezeption auch über große Zeiträume hinweg gekennzeichnet sind. Ältere Berichte werden nicht nur zur Vorlage für die Beschreibung jüngerer Ereignisse, sondern bieten bei den spätmittelalterlichen Tanzwut-Ereignissen auch Handlungswissen für den praktischen Umgang etwa städtischer Obrigkeiten oder beobachtender Ärzte mit den Tanzenden und für die Aushandlung der Bedeutung des Geschehenen. In seiner Bewegung wirkt dieses diskursive Motiv in der Weise konstruierend auf die Wirklichkeit des jeweiligen Geschehens und auf die Sinnhorizonte religiöser und körperlicher Erfahrung ein, dass es aktuelle Beobachtungen und vorgeprägte Wissens- und Wahrnehmungsmuster immer neu zusammenführt.237 Verhalten und Selbstwahrnehmung der Tanzenden und ihrer Beobachter einerseits und soziale Deutungsmuster andererseits stehen in einem dauernden Kreislauf von diskursiver Konstruktion und gesellschaftlicher Aushandlung, performativer Verwirk­

237 Zur wissenssoziologischen Grundlegung des Erfahrungsbegriffs vgl. Holzem, Reli­ giöse Erfahrung, S. 183–186. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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lichung und iterativer Weiterentwicklung.238 In einem zweiten Schritt wäre also der diskursanalytische Vergleich zu kombinieren mit einem Blick auf die je aktuelle Formulierung und Realisierung bestimmter Deutungen und Wahrnehmungen körperlicher Expressivität, um so zu einem neuen Verständnis der Tanzwut zu kommen.239 In diesem Sinn handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine semio­ tische Untersuchung, nicht etwa um eine historisch-semantische im Sinne einer Analyse des Gebrauchs von Worten (Semasiologie) oder Konzepten (Ono­ masiologie). Eine solche hätte die Erschließung des für die Formierung unseres Krankheitskonzepts grundlegenden mythischen Imaginationsreservoirs unmöglich gemacht.240

I.3.2 Die Welt als Schwellenraum: Liminalität als Matrix für das Verhältnis von Christentum und Tanz Tanz soll hier nicht phänomenologisch, sondern lexikalisch und semiotisch aufgefasst werden. Wir gehen nicht von einer Definition von Tanz anhand körperlicher oder äußerer Merkmale aus, sondern von den emischen Kategorien der untersuchten Zeithorizonte: Tanz ist dort gegeben, wo die Quellen diesen Begriff bzw. seine Entsprechungen im jeweiligen sprachlichen Horizont verwenden.241 Im zweiten Schritt kann dann gefragt werden, was sich hinter der Verwendung des Vokabulars semantisch und auf der Ebene der körperlichen Praxis verbergen mag. Einer langen Forschungstradition zufolge ist Tanz mit dem Eintreten in einen »altered state of consciousness« bzw. mit Erfahrungen von »trance« oder »flow« verbunden.242 Das mag nun vielfach tatsächlich der Fall sein. Das psychische Erleben der Akteure entzieht sich jedoch zumeist quellenkritisch schlechterdings unserer Kenntnis. In jedem Tanz einen Rauschzustand zu vermuten, reproduziert letztlich den europäischen Diskurs über körperliche Expressivität als Gegensatz der Rationalität. Auch das Motiv des unfreiwilligen Tanzes lässt sich so nur erklären, wenn man »trance« und »flow« als anthropologische Kon 238 Vgl. Tanner, Erfahrungen. 239 Zum weiteren methodischen Rahmen vgl. Flanigan, The Moving Subject. 240 Einen offeneren Begriff von »Semantik« vertritt Jussen, Der Name der Witwe, bes. S. 10–28, 327–336; zum Stand der Historischen Semantik vgl. Steinmetz, 40 Jahre Begriffs­ geschichte. 241 Vgl. Klein/Zipprich, Tanz. Theorie. Text, S. 6: »Tanz […] wäre demnach jede Spielart einer als Tanz geglaubten Bewegung.« Dieser rezeptionsästhetische Tanzbegriff ist zirkelschlüssig, solange man ihn nicht diskurstheoretisch bzw. semiotisch fasst. 242 Über »flow« und Tanz vgl. nur Fritzsch, Tanz, S. 18–21; Turner, Vom Ritual zum Theater, S. 89–93; Flanigan, The Moving Subject, S. 45. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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stanten universalisiert und auf den Quellenbefund projiziert.243 Beide Begriffe wenden lediglich die Pathologisierung von Tanz als »Hysterie« ins Positive und reproduzieren so den klassischen Diskurs eher, als dass sie ihn dekonstruieren. Zudem referieren die für die diskursive Formierung der Tanzwut-Konzeption zentralen Texte bis zum späten Mittelalter vermutlich gerade nicht auf eine reale Praxis, sondern auf Tanz als Metapher für kosmologische und theologische Probleme. »Trance« und »flow« können insofern nur dort eine Rolle spielen, wo diese Quellen explizit auf Bewusstseinsveränderungen Bezug nehmen.244 Stattdessen soll hier auch nach den emischen Konzepten im zeitlichen Horizont der Quellen gefragt werden. Dabei wird deutlich werden, dass die ethno­ logische bzw. religionswissenschaftliche Konzeption »trance/flow/altered state of consciousness« ihre diskursgenealogischen Wurzeln in ebenjenen antiken und frühmittelalterlichen Debatten hat, die zur Tanzwut hinführen. Auch hier droht also logisch ein Zirkelschluss  – womit selbstredend die neurologische Realität von Rauschzuständen nicht in Frage gestellt werden soll. Um freilich den Wahrnehmungshorizont nachzuzeichnen, vor dem die Tanzwut entstehen konnte, benötigen auch wir eine etische Matrix. Da in dem hier untersuchten Krankheitskonzept religiöse Ausdrucksformen verhandelt werden, soll dafür auf kulturanthropologische Ritualtheorien zurückgegriffen werden, insbesondere auf Victor Turners Arbeiten über »Liminalität«.245 ­Turner geht dabei von der klassischen Ritualtheorie Arnold van Genneps aus, der Übergangsrituale (rites de passage) analytisch in drei Phasen aufteilte: 1. die Abtrennung der Person von ihrer angestammten gesellschaftlichen Position; 2.  den Schwellenzustand der sozialen Ortlosigkeit des Individuums bzw. der Gruppe von Individuen; 3. die erneute Integration in die Gesellschaft als Mitglied einer neuen Statusgruppe.246 Aus dem »liminalen« Zustand der zweiten Phase leitete Turner dann eine allgemeine Theorie ab: Das Zusammenleben der Individuen in der Übergangsphase des Rituals ist demnach durch eine spezifische Ordnungslosigkeit (»anti-structure«) und unhierarchische Gemeinschaftsbildung (»communitas«) gekennzeichnet. Damit bildet das Ritual eine zeitlich und räumlich abgegrenzte Sphäre, in der eine, so Turner, in jeder Gesellschaft 243 Zur ethnozentrischen Strukturiertheit des Konzepts »Trance« vgl. die Kritik von Rouget, Music and Trance. 244 Etwa im medizinisch-naturphilosophischen Diskurs über den enthusiasmos, vgl. unten, Kap. II.3. 245 Auch Röcke/Velten, Tanzwut, greifen auf den im Berliner Sonderforschungsbereich »Kulturen des Performativen« ohnehin sehr modernen Begriff der Liminalität zurück. Sie stützen sich dabei jedoch weitestgehend auf die Sekundärliteratur und postulieren zudem ohne jede quellenmäßige Evidenz eine Gleichsetzung von Tanzwut und Besessenheit. So leisten sie nicht mehr als eine terminologisch auf den neuesten Stand gebrachte Reproduktion des deplorablen Forschungsstandes. 246 Hierzu und zum Folgenden allg.: Turner, Das Ritual, bes. S. 94–193; Ders., Betwixt and Between. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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angelegte Grundambivalenz zwischen hierarchischer Ordnung und anarchischer Gemeinschaft ausgetragen wird. Im Ritual werden Grenzen aufgelöst, gerade um sie mit der Re-Integration erneut einzuschärfen. Obwohl Turner zumindest in seinen späteren Überlegungen diese Konzeption von Liminalität ausdrücklich nur für Gesellschaften ohne komplexe Arbeitsteilung gelten lassen wollte,247 hat wohl kaum ein Begriff die Erforschung etwa der modernen Populärkultur mehr befruchtet. Dabei wird in aller Regel übersehen, dass Turners Konzeption eben nicht die temporäre Befreiung von allen Zwängen verspricht, sondern gerade auf die für jede Gesellschaft kon­ stitutive Dialektik von Institutionalität und Unmittelbarkeit hinweist. Man missversteht Turner, wenn man Liminalität einseitig mit communitas und antistructure gleichsetzt, und Hierarchie bzw. structure einseitig den Zeiten des Alltags außerhalb der rites des passage zuweist. Recht explizit stellt sich der vormalige Anhänger der britischen Old Left dabei in die Tradition anti-totalitärer Publizisten wie Norman Cohn, die im »millenaristischen« Streben nach revolutionärer Überschreitung die Bedrohung des Kommunismus vorgezeichnet gesehen hatten.248 Inwieweit Turner etwa Max Webers Unterscheidung von charismatischer und institutioneller Herrschaft im Hinterkopf hatte, wäre zu untersuchen. In seiner Jugend hatte er sich besonders für Klassische Philo­logie interessiert.249 Die augenfälligen Ähnlichkeiten zwischen seiner Konzeption und Nietzsches Gegensatz von »apollinischem« und »dionysischem Prinzip« sind insofern sicherlich kein Zufall. Dass Turner Nietzsche nicht zitiert, wird unschwer mit politischen Opportunitäten im akademischen Milieu der sechziger und siebziger Jahre zu erklären sein. Immerhin erwähnt er als ein Beispiel für Liminalität die dionysischen Mysterienrituale der Antike,250 als Beleg für die charakteristische Auflösung von Gender-Kategorien in liminalen Phasen Platons »Symposion« und die antiken Mysterienreligionen.251 Wenn diese Vermutung zutrifft, arbeitete sich auch Turner am antiken Erbe der europäischen Kultur ab. Einmal mehr sehen wir die Geistesgeschichte im ewig gleichen Kreisen um die platonische Kosmologie, und einmal mehr droht der Zirkelschluss, wenn man Turners Theorie eins zu eins auf die Tanzwut projiziert. Dass etwa viele 247 Ders., Vom Ritual zum Theater, S. 41–87: in der Freizeitkultur von Industriegesellschaften sah er allenfalls die Möglichkeit »liminoider« Zustände. 248 Ders., Das Ritual, S. 109 f., über »Millenarismus« als Phänomen von gesellschaftlichen Schwellenzuständen; S. 126 f., über den Gegensatz von communitas und Struktur als conditio humana, explizit gegen marxistische Erlösungshoffnungen. 249 Vgl. Turner, The Literary Roots, S. 165; Manning, Turner’s Career and Publications, S. 171. 250 Turner, Das Ritual, S. 154, erwähnt die »ekstatische Communitas« des Dionysos und die »enthusiastische Communitas« von religiösen Sekten. 251 Turner, Betwixt and Between, S. 98. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Quellen zur Tanzwut Entgrenzungsphänomene beschreiben, die ganz ähnlich als Charakteristika von Schwellenzuständen beschrieben werden (sexuelle Promiskuität, Auflösung der sozialen Rollen, körperliche Torturen, Verlust des personalen Bewusstseins etc.), könnte die Anwendbarkeit von Turners Modell indizieren, ebenso aber auch darauf zurückzuführen sein, dass dieses auch am Beispiel der dionysischen Rituale (in ihrer nolens volens von Nietzsche ausgehenden Beschreibung durch Rohde, Dodds und andere)  entwickelt wurde.252 Freilich stützt sich Turner empirisch vor allem auf sein ethnologisch erhobenes Material, insbesondere auf eigene Feldforschungen bei den Ndembu (Sambia). Problematisch wäre also allenfalls eine Analogiebildung zwischen seiner kulturvergleichend gewonnenen Abstraktion (mit Nietzsche, Rohde und Dodds als Vorlage) einerseits und dem von Hecker begründeten historisch-pathologischen Tanzwut-Diskurs (den Nietzsche, Rohde und Dodds rezipierten) andererseits. Liminalität als Ergebnis empirischer Ethnografie bleibt insofern als Matrix für eine empirische Untersuchung der Genealogie der Tanzwut valide. Dennoch soll dieses Konzept im Folgenden ausdrücklich nicht im Sinne einer Suche nach Analogien auf der phänomenologischen Ebene verwendet werden, sondern nur als systematische Kategorie für die Einordnung von Tanz als Metapher für Zustände des Übergangs. Wenn es hier tatsächlich einen nicht explizierten Einfluss geben sollte,253 könnte dies auch erklären, warum Turner bei seinen Beschreibungen der Liminalität das für Nietzsche zentrale Thema Tanz auffällig marginal hält.254 Vielleicht war ihm jedoch auch bewusst, dass Tanz eben nicht, wie im europäischen Alltagsdenken verankert, eine Auflösung der Ordnung impliziert, sondern vielmehr immer auch deren performative Reproduktion. Tanz ist insofern Teil des liminalen Prozesses nicht als Ausdruck der anti-structure, sondern als rituelles Medium der Integration in eine (neue) Ordnung, er steht also am Übergang zur dritten Phase des van Gennep’schen Modells. Der Kulturanthropologe Stanley J. Tambiah hat darauf hingewiesen, dass ­R ituale nicht nur der Kommunikation innerhalb einer Gruppe und ebenso jener zwischen Diesseits und Jenseits dienen, sondern zwangsläufig auch die jeweilige Kosmologie der Gesellschaft, in der sie stattfinden, reproduzieren.255 Diese Kosmologie liegt damit dem emischen Verständnis eines Rituals zugrunde, und nur aus ihr heraus kann dieses nachvollziehbar werden. Tanz wird genau des 252 Vgl. oben, Kap. I.2.3, und unten, Kap. II.1. 253 In der Turner-Rezeption spielt dieser mögliche Einfluss offenbar keine Rolle, vgl. etwa den aktuellen Sammelband St John (Hg.), Victor Turner, in dem Nietzsche nur im Zusammenhang mit Michail Bakhtin erwähnt wird (S. 65). Für den Hinweis auf diesen Band (und eine skeptische Einschätzung der hier vorgetragenen These) danke ich Hendrik Hillermann, Erfurt. 254 Ehrenreich, Dancing in the Streets, S. 10 f. 255 Tambiah, Performative Theorie, S. 218. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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halb zur bevorzugten Ausdrucksform in Ritualen, weil er – und dies wohl nicht nur in den europäischen und vorderasiatischen Kulturen – die geordnete Bewegung des Kosmos abbildet und verwirklicht.256 Tanz markiert also präzise den Umschlagpunkt von structure zu anti-structure bzw. umgekehrt die Übergänge in die und aus der Schwellenphase des Rituals. Ganz ähnlich wird Liminalität oder »Schwellenzustand« in neueren kulturwissenschaftlichen Arbeiten mit der Unterscheidung von Sakralität und Profanität verkoppelt: Die Liminalität etwa von religiösen Prozessionen zeigt sich demnach gerade in ihrem Zwischenstatus als liturgischer, sakraler Akt in einer profanen Umgebung.257 In ihnen wird eben nicht eindimensional commu­ nitas erfahrbar, sondern vielmehr gerade die virulente Konflikthaftigkeit des Verhältnisses von Ordnung und Freiheit.258 Das Ritual konstituiert so (gegen Turner) gerade nicht eine eindeutig polare Struktur, sondern einen Raum der Transgression, in dem der Polarität die Möglichkeit des Umschlagens eigen bleibt. Liminalität markiert gerade die Ambivalenz, nicht einen der beiden Pole.259 Charakteristisch für Schwellenzustände ist nach Turner die emotionale Intensität der communitas, die sich etwa in charismatischer Begeisterung, aber auch in affektiver Vereinheitlichung des Verhaltens äußere, bis hin zu einem Gefühl der Unfreiwilligkeit.260 Hier sei eben nicht ein biologischer Nachahmungstrieb, sondern ein kulturell codiertes Muster wirksam.261 Genau hierin liege auch die mythen- und strukturgenerierende Kraft der Liminalität: Die communitas bringe selbst die Ordnung hervor und reproduziere so die Struktur. Die zentralen arcana der gesellschaftlichen Ordnung werden so nicht nur rational und diskursiv vermittelt, sondern gerade in ihrer temporären Umkehrung und Auflösung emotional und körperlich erfahrbar gemacht. Im Diskursmotiv »unfreiwilliger Tanz« wird genau diese Dialektik von Ordnung und Überschreitung verhandelt, sei es als negative, falsche, zu überwindende, sei es als positive, zu installierende Struktur. Turner weist auch darauf hin, dass die narrative und rituelle Ausgestaltung liminaler Zustände sich durch eine charakteristische »exaggeration of single features« auszeichnet, durch die groteske Überzeichnung gerade des »crucial point« des Mythos. Hierbei handele es sich nicht um einen Ausdruck von Irrationalität, sondern um eine gezielte Abstraktionsleistung, die gerade die Reflexion der im Ritual vermittelten sozialen Normen evoziere.262 Die Dynamik der Über­ 256 Vgl. unten, Kap. II. 257 Ashley, Introduction, S. 22. 258 Ashley/Sheingorn, Sainte Foy on the Loose, S. 63 f. 259 Audehm/Velten, Einleitung, S. 13–16, 26–28. 260 Vgl. Tambiah, Performative Theorie, S. 238. 261 Turner, Das Ritual, S. 125 f. 262 Ders., Betwixt and Between, S. 103 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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treibung bewirke eine kognitive Dissoziation und damit erhöhte Aufmerksamkeit für die Einsichten in die Kosmologie. Wenn in den Quellen zur Tanzwut, insbesondere in den mythisch erzählenden Texten aus ihrer Vorgeschichte, das Motiv des »unfreiwilligen Tanzes« in seinen Ausmaßen immer weiter gesteigert wird, erklärt sich dies also aus der Funktion dieser Narrative im Kontext eines liminalen Settings – zumal die Übertreibung in ihrer Zeitstruktur erkennbar selbst kosmologischen Gesetzen folgt. Urbild des Übergangsrituals ist die Geburt als gefahrvoller Eintritt des Menschen in die irdische Welt und die soziale Gruppe. Rites de passage sind daher nach dem kosmologisch-zyklischen Muster von Tod, Abwesenheit und Wiedergeburt gestaltet. Die reale Geburt wie der reale Tod werden so ihrerseits zu rituell gestalteten Statuswechseln. Sie sind zunächst nichts anderes als der Eintritt eines Individuums in eine neue Alters- bzw. Statusgruppe, zumal in Gesellschaften, die von einer Anwesenheit der Toten in der Welt der Lebenden ausgehen.263 Zugleich binden sie die gesamte soziale Ordnung aber kosmologisch ein, indem sie sie über die Grenzen zwischen irdischer und jenseitiger Existenz hinaus fortsetzen: Jede Geburt ist – zumindest im antiken und im christlichen Denken – ein Statuswechsel im übergeordneten Sinn, insofern sie den Eintritt der Seele bzw. des Menschen aus der Transzendenz in die Immanenz verhandelt, ebenso jeder Tod, insofern er die Rückkehr in die Transzendenz bedeutet. Kosmologisch wird dieses Verhältnis zunächst zyklisch konstruiert, weshalb es in manchen Religionen im Zeichen der »Re-Inkarnation« zu einer ewigen Wiederholung des Prozesses ausgeformt wird. Das Christentum und andere Erlösungsreligionen hingegen durchbrechen die Zyklizität im Zeichen einer heilsgeschichtlichen Determinierung und Linearisierung: Die Seele steigt in das Diesseits herab und auch wieder in das Jenseits hinauf (bzw. im schlechten Fall in die Hölle hinab). Das Moment der »Wiedergeburt« ist jedoch abgeschnitten: Das Leben, sei es das des Individuums wie das der Menschheit und der Welt, bekommt eine Finalität. Mythen mit zyklischer Struktur, Mythen von Tod und Wiedergeburt, sind daher in christlichen Kontexten immer nur gebrochen erzählbar und reproduzierbar. Genau an dieser Bruchstelle arbeiten sich die Erzählungen von unfreiwilligem Tanz ab. Denn Tanz ist nicht nur ein zentrales Medium der rituellen Vermittlung von Übergängen. Er ist dies, eben weil er die zentrale Metapher für Passagen zwischen Immanenz und Transzendenz ist, oder kosmologisch: eben weil jede transzendente Existenz zunächst selbst ein Tanz ist.264 263 In diesem Sinn hat Otto Gerhard Oexle die mittelalterliche memoria als Kommunikation unter Anwesenden erklären wollen. Unterbewertet wird dabei die in der christlichen Eschatologie von Beginn an angelegte Differenzierung von Immanenz und Transzendenz, der Umstand also, dass die »Anwesenheit der Toten« theologisch eben nicht ungebrochen war; vgl. Rohmann, Amptman, S. 102–107. 264 Vgl. unten, Kap. II. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Im Christentum, wie in allen Erlösungsreligionen, wird die irdische Existenz damit selbst zum Schwellenzustand: Die Seele tritt in die diesseitige Welt nur vorübergehend ein, um das »eigentliche«, jenseitige Leben zu gewinnen. Der Tod wird in der christlichen Eschatologie insofern zur »eigentlichen« Geburt, weil er aus der Schwellenphase des irdischen Lebens hinausführt. Das Diesseits ist dabei der an sich neutrale Austragungsort des Kampfes zwischen Gut und Böse, Erlösung und Verdammung.265 Im rite de passage des irdischen Lebens markieren die Geburt die Ablösung, die Lebenszeit die Schwellenphase und der Tod die Wiedereingliederung in eine neue, endgültige Statusgruppe. Deshalb entsprechen viele Normen der christlichen Ethik den spezifischen Anforderungen der Liminalität: Egalität statt Hierarchie, Demut statt Statusbewusstsein, universelle communitas statt partikulare Loyalitäten.266 Andere Normen verhandeln ex negativo typische Strukturmerkmale der Schwellenphase, die im Kampf um die Seele eine Bedrohung darstellen (sexuelle Promiskuität z. B.), und stellen so die Tortur der Liminalität als Askese auf Dauer.267 Die ecclesia als Gemeinschaft der Gläubigen verbindet dabei Immanenz und Transzendenz, sie überbrückt und vermittelt die liminale Phase des irdischen Daseins. Im christlichen Kosmos stehen sich Transzendenz und Immanenz, Himmel und Erde, nicht als Pole gegenüber, sondern sie bilden ein abge­stuftes Kontinuum, wobei das Jenseits in Gestalt der ecclesia in das Diesseits hineinragt. Daher ist in ihr die Spannung zwischen communitas (Weber: »Charisma«) einerseits und structure (Weber: »Institution«) andererseits so manifest, ja: gerade aus der anti-structure entsteht in ihr immer neu die institutionelle Ordnung.268 Damit tritt die Kirche in eine grundlegende Ambivalenz zur sozialen Welt, deren Ordnung sie immer zugleich affirmiert und disqualifiziert. Klerus und monastisches Personal der Kirche werden dabei im Zeichen von ­Askese und Charisma auf die Verweigerung der verwandtschaftlichen Reproduktion eingeschworen: Die heilsgeschichtliche Linearität gipfelt im Ideal der Jungfräulichkeit, während die Kirche zugleich im Zeichen von Institutionalität und Hierarchie die zyklische Erneuerung der gesellschaftlichen Ordnung affirmieren muss.269 Nach Turner steht sexuelle Promiskuität für communitas, die Monopolisierung der Sexualität in der Ehe für die durch patrilineare Verwandtschaftsbeziehungen konstituierte gesellschaftliche Hierarchie. Dagegen stellt die ecclesia mit der asketischen Enthaltsamkeit eine andere Spielart liminaler Aufladung.270 Das sexuelle Entgrenzungspotential ist damit jedoch ihrer 265 Hayes, Body and Sacred Place, S. 11. 266 Turner, Das Ritual, S. 180–185. 267 Vgl. ebd., S. 103–107. 268 Vgl. ebd., S. 106 f., 185–187. 269 Vg. dazu Koschorke, Die heilige Familie. 270 Turner, Das Ritual, S. 151–158. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Ethik als Negativpol latent immer eingeschrieben – weshalb Promiskuität früh zu einem der häufigsten Merkmale von realen oder imaginierten Häresien (und damit auch der spätmittelaterlichen Tanzbewegungen) wird. Tanz als Basismetapher für liminale Übergänge wird so zum Beschreibungsmodus für den Schwellenzustand des irdischen Lebens, für die Unsicherheit der Seele zwischen Heil und Unheil. Im Diskurs über unfreiwilligen Tanz wird die Ambivalenz der ecclesia zwischen communitas und structure verhandelt. Tanz kann dabei die Neutralität des Schwellenzustands markieren, die positive Auflösung des Eintritts in den himmlischen Reigen, aber auch die negative des Falls in die Verdammnis. In der Tanzwut wird diese Semantik rituell realisiert und so integrierbar gemacht. Das Verhältnis des Christentums zum Tanz ist demnach nicht dualistischgnostisch zu verstehen als Ausdruck einer im Ideal der Askese und Jungfräulichkeit kristallisierten angeblichen »Leibfeindlichkeit« der Kirche. Vielmehr konstruiert die christliche Ethik das Leben und den Körper als Schwellenraum, als Ort des Kampfes um die Seelen,271 und auch ihr Verhältnis zum Tanz als Metapher wie als Praxis ist durch diese Liminalität geprägt. Tanz im Schwellenraum des Diesseits weist in diesem Kontext zurück auf die Existenz der Seele vor der Geburt und voraus auf jene nach dem Tod.

I.3.3 »Synkretismus« als diskursive Strategie: Motiv-Analogien und ihre Verhandlung zwischen kulturellen Komplexen Wie aber wird Tanz als Metapher für die Liminalität des menschlichen Daseins in der Krankheitskonzeption Tanzwut narrativ konstruiert? Wenn darin in erster Linie kosmologische Vorstellungen verhandelt und weiterentwickelt werden, ist es naheliegend, die Motive, aus denen die Krankheitserzählung sich speist, im Raum des Mythischen und Religiösen zu suchen. Da die Kosmologie auch die antike Naturphilosophie prägte, gilt dies auch für den im engeren Sinn medizinischen Diskurs, etwa die bis zum 18. Jahrhundert paradigmatische Humoralpathologie. Die mittelalterliche Entwicklung der Tanzwut ist also vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung des lateinischen Christentums mit der Mythologie der Antike zu verstehen. Produkte mythischen Erzählens sind nun per se durch Iteration, durch Abwandlung, Abspaltung, Rekombination von Motiven geprägt. Sie konstitutieren so in den Beziehungen zwischen den verwendeten Motiven immer jeweils spezifische Bedeutungen. Sinn wird hier also durch die Schichtung von Anspielungen in einem mythischen und allegorischen Imaginations 271 Vgl. Bynum, The Female Body, S. 165. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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horizont gebildet, nicht unbedingt durch explizite Zitation oder gar kausallogische Abhängigkeiten. Nicht praktikabel scheint daher eine Beschränkung der Untersuchung auf die kanonische Überlieferung der »klassischen« antiken Mythologie und ihre Rezeption etwa in der spätmittelalterlichen Kunst oder Literatur. Einzubeziehen sind vielmehr alle möglichen Einflussfaktoren, auch periphere und nur mittelbar erschließbare Denkmuster und Vorstellungen. Um sie zu verstehen, braucht man ein Modell für die Erforschung von Motiv-Analogien bzw. Motiv-Kontinuitäten und der Dynamik dieser Mythenmotive zwischen konkurrierenden oder aufeinanderfolgenden religiösen Erzählsystemen  – ein Modell also für »Synkretismus«. Wie können wir demnach den Übergang von den nichtchristlichen Glaubensvorstellungen zum Christentum in der späteren römischen Kaiserzeit und im frühen Mittelalter konzeptionell fassen? Die deutsche Frühmittelalterforschung ging lange Zeit von einer Konfrontation homogener und ursprünglicher religiöser Systeme in der Völkerwanderungszeit aus. Geschichtswissenschaft und Germanistik reproduzierten so das Bild einer germanischen Religion, die quasi unverfälscht auf das Christentum getroffen sei.272 Das Christentum selbst wurde und wird beschrieben, als habe es mehr oder weniger schon die Dogmatik und Kirchlichkeit der Frühen Neuzeit gehabt.273 Dies ist umso bemerkenswerter, als die eigentliche Wende vom Heiden- zum Christentum von anderen Forschern bis zu tausend Jahre später datiert wird.274 Die religiöse Kultur des späteren Kaiserreiches schließlich wurde in der Tradition humanistischer Stereotypen nur als Zerfallsprodukt des klassischen antiken Polytheismus gesehen. Während die Mediävistik so die Spätantike als kulturelle wie politische Dekadenzepoche ohne positive Signifikanz für die Geschichte der anschließenden Jahrhunderte ignorierte, wurde von althistorischer Seite eine Neubewertung eingeleitet. Späte Kaiserzeit und frühes Mittelalter werden hier zunehmend im Zusammenhang gesehen und als historische Phase ganz eigener Ausprägung ernst genommen. Entsprechend werden die vorchristliche wie die christliche Religion als epochenspezifisches Phäno 272 So spricht Padberg, (Art.) Synkretismus, S. 223, von einem »germanisch-christlichen Synkretismus« des Frühmittelalters. Ähnlich geht Graus, Volk, Herrscher, Heilige, S. 174 ff., nur von einer möglichen Kontinuität »keltisch-germanischer« Vorstellungen in der merowingerzeitlichen Hagiographie aus und schließt römische und ostmediterrane Religionen als Motivlieferanten ausdrücklich von seiner Analyse aus. Vgl. auch Haubrichs, Geschichte der deutschen Literatur, Bd.  1, S.  30 f.; Ders., (Art.) Christentum in der Bekehrungszeit, S. ­519–528. 273 Dies eklatant etwa bei Hen, Culture and Religion, der dem Merowingerreich des 6. und 7. Jh. eine tiefgreifende Christianisierung attestiert, ohne freilich an irgendeiner Stelle zu explizieren, was eine solche beinhaltet haben könnte. 274 Milis (Hg.), The Pagan Middle Ages; in der Frühneuzeitforschung dient diese These dann zur Profilierung des Mittelalters als Negativfolie für die postulierten Modernisierungsprozesse. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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men sui generis beschrieben. Daraus ergeben sich mehrere Schlussfolgerungen für die Religionsgeschichte des Frühmittelalters: 1. Die religiösen Vorstellungen im römischen Imperium erfuhren im engen kulturellen Austausch zwischen den Regionen des Reiches einen grundlegenden Wandel, in dessen Verlauf die unüberschaubare Vielzahl der lokal, ethnisch oder funktional spezifischen Gottheiten mehr und mehr miteinander assoziiert und henotheistisch mit einigen Hauptfiguren wie Mithras, Jupiter, Isis und Sarapis, Kybele/Magna Mater und Attis, Dionysos oder Sol/Helios identifiziert wurden. Die olympischen Götter traten in der religiösen Praxis hinter diese zurück.275 2. Die Trägergruppen der sogenannten Völkerwanderung waren nicht genuin ethnische Kollektive, sondern zunächst militärische Gruppenbildungen im Umfeld der römischen Armee. Als solche waren sie schon lange vor der Phase der Herrschaftsbildung auf Reichsterritorium eng in die kulturelle und religiöse Kommunikation der römischen Welt eingebunden – sei es im Einzugsbereich des grenzüberschreitenden Austauschs, sei es als Siedler auf Reichsboden oder in militärischen und administrativen Diensten des Imperiums. Sie hatten also nicht einen »ursprünglichen« Glauben bewahrt, sondern ihre vielfältigen religiösen Traditionen mit den Kulten ihrer römischen Umwelt synthetisiert. Umstritten ist freilich, inwieweit diese vorchristlichen religiösen Vorstellungen heute noch rekonstruierbar sind.276 3. Christentum und Judentum zeichneten sich dabei einerseits infolge ihres relativ konsequenten Monotheismus durch eine herabgesetzte Adaptations­ fähigkeit gegenüber dem polytheistischen Umfeld aus, Ersteres zudem durch eine sukzessive Institutionalisierung und zumindest normative Abschließung nach außen. Andererseits blieben sie jedoch lange eingebunden in den gemeinsamen Imaginationshorizont der spätantiken Kultur. Die »eine« christliche Kirche mit einheitlicher Dogmatik und Frömmigkeitspraxis ist also eine Rückprojektion des in der Frühneuzeit erreichten Zustands. Man sollte für Spätantike und Frühmittelalter eher von einer Vielzahl von Christianitäten sprechen, die wiederum in stetigen Aushandlungsprozessen mit ihrer Umwelt und untereinander ihre religiösen Vorstellungen und Ritualpraktiken entwickelten.277 4. Im religiösen Leben des spätantiken Imperiums haben wir es also nicht mit dem Aufeinandertreffen homogener Glaubensgemeinschaften zu tun, sondern 275 Die theologisch orientierte Religionsgeschichte war hingegen lange an die Perspektive der christlichen Quellen gebunden, die schon in der Spätantike die Olympier als Negativ­ stereotyp in den eigenen Erzählhorizont integrierten, das für die aktuelle Frömmigkeitspraxis und somit als direkte religiöse Konkurrenz viel relevantere göttliche Personal der Mysterienkulte jedoch aus der Überlieferung ausgrenzten, so Demandt, Spätantike, S. 514. 276 Allg. Geary, Myth of Nations; am Beispiel der Franken vgl. unten, Kap. IV.2.4. 277 Vgl. das laufende Reinhart-Koselleck-Projekt »Christianisierungen im Römischen Reich«, betreut von Hartmut Leppin, Frankfurt. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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mit einem durch die soziokulturellen Milieus und politischen Bedingungen und Machtverhältnisse determinierten Austausch von religiösen Vorstellungen und mythologischen Motiven, aus dem sich allenfalls retrospektiv konstruierte Traditionsgemeinschaften herausschälten. Überwölbt wurde dieser »Schmelztiegel der Religionen« durch den gemeinsamen Sinnhorizont der vom Kaiserkult gedeckten Solar- und Astralmythologie.278 Damit werden Diskussionen erneut interessant, die in den Religionswissenschaften und in der Theologie um die Wende zum 20.  Jahrhundert geführt wurden.279 Am Rand der akademischen Altphilologie und Altorientalistik wollten die Vertreter der »Astralmythologie« und des »Panbabylonismus« alle Glaubensvorstellungen von den vorderasiatischen Religionen bis zur christlichen Hagiographie als Variationen der mesopotamischen Sternen- und Mond­ mythologie sehen.280 Auf Seiten der protestantischen Theologie war es vor allem die sogenannte Religionsgeschichtliche Schule, die gegen breiten Widerstand der Fachautoritäten281 eine tiefgreifend »synkretistische« Struktur des frühen Christentums postulierte.282 Auch in der katholischen Kirchen- und Dogmengeschichte konnte sich eine »Synkretismus«-Forschung etablieren, vorangetrieben vor allem von Franz Joseph Dölger und seinen Schülern.283 Mit Hyppolite Delehaye trat hier freilich auch der profundeste Kritiker dieser Schulrichtungen auf.284 278 Herrero de Jáuregui, Orphism and Christianity, S.  3 f.; Gschößl, Schmelztiegel; vgl. Fauth, Helios megistos. 279 Zusammenfassend Graus, Volk, Herrscher und Heilige, S. 171–175. 280 Vgl. Haid, (Art.) Jahresbrauchtum, S. 14 f.; polemisch: Boll/Gundel, (Art.) Sternbilder, Sp. 1062; Gundel, Astronomie, S. 43–50; affirmativ: Frieß, Attribute, S. 4. 281 Vgl. etwa die Polemik des Dogmengeschichtlers Adolf von Harnack gegen den Altphilologen Hermann Usener, dazu: Wallraff, Christus verus Sol, S. 10. 282 Lüdemann/Özen, (Art.) Religionsgeschichtliche Schule; Ahn, (Art.) Synkretismus I, S. 217. 283 Zum Einfluss der Religionsgeschichtlichen Schule auf Dölger und zu dessen Wirkung in der katholischen Theologie vgl. Klauser, Vorwort, in: Dölger, Sonne der Gerechtigkeit, 2 1971, S. V f. Die solarmythologischen Forschungen Dölgers und auch etwa Robert Eislers und Franz Cumonts wurden von der akademischen Altphilologie wesentlich positiver beurteilt als die Arbeiten der »Panbabylonier«, vgl. etwa Gundel, Astronomie, S. 50, 54 f. Wissenssoziologisch zu untersuchen wären die außerwissenschaftlichen Hintergründe dieser polemischen Auseinandersetzung, die angesichts der inhaltlichen Nähe zwischen akzeptierten und disqualifizierten »Schulen« anzunehmen sind. 284 Delehaye, Hagiographische Legende, bes. S. 148–212, liefert zahlreiche Beispiele für vorchristliche Motivik in der Hagiographie, deutet diese jedoch nur als volkstümliche Depravationserscheinungen und literarische Transfers, nicht als Indizien für religiösen »Synkretismus«. Die konkrete Ableitung von Heiligenkulten aus antiken Heroen oder Göttergestalten aufgrund von onomastischen, etymologischen oder ikonographischen Analogien lehnte er jedoch ausdrücklich ab, vgl. etwa S. 174 ff., ohne freilich die Existenz nichtchristlicher Einflüsse zu leugnen, vgl. etwa S.  191 ff. Vgl. dazu Walter, Hagiographie médiévale, S. 43 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Befeuert wurde die Kontroverse durch die sublime Polemik zwischen Theologen und antiklerikalen Philologen, aber auch durch inner- und zwischenkonfessionelle Konfliktlinien. Zumal in der theologischen Diskussion vermengte sich dabei latent die historische Erkenntnis mit der Frage nach dem religiösen Offenbarungswert des eigenen bzw. des konkurrierenden Bekenntnisses.285 Der Transfer von Glaubensinhalten zwischen religiös-kulturellen Komplexen wurde so letztlich immer nur als Gegensatz zum für den Monotheismus konstitutiven Inspirationscharakter von Religionen begriffen.286 »Synkretismus« bezeichnete hier implizit immer zugleich einen analytischen Befund und eine religiöse Disqualifikation. Daher litt die Diskussion auf allen Seiten daran, dass man Wechselwirkungen und Austauschprozesse vielfach nur als direkte und identische Übernahme in Form, Funktion und Inhalt und damit als Produkt einer authentischen Kontinuität von Kultformen beschreiben wollte.287 Gegen die zum Teil  eklatant ahistorischen Analogieschlüsse der »Panbabylonier« wurde dann von der Gegenseite mit dem Hinweis auf erkennbare Differenzen zwischen den ver­ glichenen Phänomenen jeder Zusammenhang geleugnet. Zudem wurde für die Annahme eines Transfers eine Belegdichte eingefordert, die angesichts der allfälligen Überlieferungsarmut praktisch nicht zu leisten war. So setzte sich in der Forschung über weite Strecken ein philologischer Rigorismus durch, mit dem jede konkrete Hypothesenbildung über religionsgeschichtliche Wechselwirkungen beinahe unmöglich gemacht wurde. Mit dem Verdikt der mangelnden Methodenstrenge wurden so nicht nur die extremen Mutmaßungen der »Pan­ babylonier«, sondern vielfach alle Forschungen zum »Synkretismus« belegt.288 In jüngerer Zeit hat die Forschung sich daher insgesamt von der Idee einer konkreten Nachzeichnung vorchristlicher Glaubensinhalte abgewandt und statt 285 Herrero-Jáuregui, Orphism and Christianity, S. 3 f.; deutlich wird dies bei Delehaye, dessen philologische Präzision auch dem Anspruch geschuldet ist, den Kern des (katho­ lischen) Bekenntnisses vom Verdacht der Verfälschung freizuhalten. So fordert Ders, Hagiographische Legende, S. 214 f., den »authentischen Heiligen« »von seiner Legende zu trennen«; ähnlich argumentiert noch Klaus, Antikes Erbe, S. VI f., 3, 18, der ausführlich die Wechselwirkung des frühen Christentums mit den paganen Kulten schildert, dabei aber explizit den Offenbarungscharakter der Eucharistie betont. 286 Speyer, Verehrung der Heroen, S. 48; Graf, (Art.) Syncretism, S. 8935; Berner, (Art.) Synkretismus. 287 So aktuell etwa noch bei Künzel, Paganisme; Ahn/von Padberg, (Art.) Synkretismus; zur Kritik vgl. schon Delehaye, Hagiographische Legende, S. 211 f.; vgl. auch Haid, (Art.) Jahresbrauchtum. 288 Boll, Aus der Offenbarung Johannis, S. III, ein erklärter Gegner der »astralmytholo­ gischen Schule«, rechtfertigt seine Untersuchung astronomischer Motive in der JohannesApokalypse 1915 wie folgt: »Der Widerwille gegen solche geschichtswidrige Willkür hätte mich eher veranlassen können, meine Entwürfe liegen zu lassen, zumal auch manche treffliche Gelehrte, wenn von astralen Dingen die Rede ist, entweder jeden Laternenpfahl für einen Kirchturm gelten lassen oder aber von vorn herein phantastische Zügellosigkeit argwöhnen.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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dessen eine rein funktionalistische Untersuchung von Ritualen und Kultplätzen postuliert.289 Dieser rigorose methodische Positivismus konvergierte in der deutschsprachigen Vor- und Frühgeschichtsforschung lange mit den Durchsetzungsansprüchen einer dezidiert »völkischen« Altgermanistik. Diese prägt mit ihrem Bild eines genuinen Germanentums vielfach bis heute die Forschung zur Kultur­ geschichte der Völkerwanderungszeit.290 Sie steht damit in Kontrast zu den Religionswissenschaften und zur Alten Geschichte, in denen die »synkretistische« Grundstruktur der religiösen Vorstellungswelten der späten Antike nicht mehr umstritten ist.291 Ein Beispiel: 1926 und 1930 veröffentlichten Schüler des Münsteraner Religionsgeschichtlers Franz Jostes postum dessen zweibändiges Werk »Sonnen­ wende«.292 In seinen Studien postuliert Jostes eine Ableitung der gesamten europäischen Mythologie aus einem frühen orientalischen Sonnen- und Sternenkult. Den zum Teil Jahrtausende und Kontinente überspringenden Analogiebildungen Jostes’ fehlen, da sein Werk unvollendet blieb, zumeist schlicht die Belege. Deshalb wurde er nicht nur als »Panbabylonier« disqualifiziert, sondern bald grundsätzlich mangelnder Wissenschaftlichkeit geziehen.293 Zudem betonte Jostes die Sonne als zentralen Mythenbildner, womit er sich auch bei den »Panbabyloniern« selbst, die den Mond in dieser Rolle gesehen hatten,294 unbeliebt machte. Da diese Form der Mythengeschichte auch mit der »völkischen« Germanenforschung inkompatibel war, fielen Jostes’ Arbeiten ab 1933 der damnatio memoriae anheim – ein Effekt, der bis heute anhält.295 Größere Publizität 289 Pohl, Die Germanen, S. 80. 290 So auch die Kritik von Pohl, Die Germanen, S.  78 ff.; vgl. etwa Beck, Probleme, S. 480–485, der für die Völkerwanderungszeit lediglich eine Regionalisierung und stärkere Orts­bindung älterer Kulte feststellt. Kontrovers diskutiert wird freilich, inwiefern die bekannteren Gestalten des germanischen Pantheons erst in Reaktion auf den Kontakt zum Christentum konzipiert worden sind, vgl. schon Graus, Volk, Herrscher, Heilige, S. 145, 196. 291 Dies aufbauend auf die Forschungen eines Göttinger Sonderforschungsbereichs in den 1970er Jahren, vgl. dazu Berner, Der Begriff Synkretismus, S. 68, 70. 292 Jostes, Sonnenwende. 293 Gundel, Astronomie, S. 46: »[…] in einer ganz verschwommenen, schwer verständ­ lichen und gewaltsamen Deutung wird hinter Legenden, Märchen, kultischen Tänzen, Spielen und Prozessionen als Urbedeutung der astrale Kern erschlossen. […] Wie der zweite, so enthält auch der erste Band eine Anzahl bizarrer astraler Deutungen, auf die näher einzugehen sich nach den angeführten Beispielen nicht lohnt.« Eher um eine angemessene Beurteilung bemüht: Hauck, Lebensnormen und Kultmythen, S. 196, Anm. 72: »[…], dessen weitschweifende Gelehrsamkeit in ihren Ansichten, soviel richtige Beobachtungen sie enthalten mag, durch ihre methodische Undiszipliniertheit entweder ganz unbeachtet blieb oder ab­ gelehnt wurde«. 294 Frieß, Attribute, S. 5 f. 295 Mit Ausnahme von Wenskus, Religion abâtardie, erwähnen neuere Untersuchungen etwa zur fränkischen Religionsgeschichte Jostes überhaupt nicht, so etwa Wallace-Hadrill, The Frankish Church; oder ablehnend, so Murray, Post vocantur Merovingii, S. 143, Anm. 81. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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erlangten hingegen die kurz zuvor veröffentlichten, ganz ähnlichen Arbeiten von Franz Rolf Schröder, der sich ausdrücklich auch auf Jostes berufen hatte.296 Dabei enthält Jostes’ Werk neben zum Teil  atemberaubenden Spekulationen vielfach luzide Detailstudien zu Problemen, die die Forschung bis heute umtreiben. Die von ihm postulierten henotheistischen Göttersynthesen etwa mögen zumal in der fragmentarischen Form seiner Arbeit krude wirken, werden jedoch von neueren Forschungen etwa zur spätantiken Magie und Volksfrömmigkeit im Detail durchaus bestätigt.297 Dennoch wird eine kritische Rezeption durch das verbreitete Verdikt »nicht zitierfähig« blockiert. Zu überprüfen wären auch Jostes’ Hypothesen zu den religiösen und mythologischen Vorstellungen der vorchristlichen Franken. Die fränkischen Herrscher bis hin zu den Merowingern erscheinen demnach weniger als germanische Heerführer oder romanisierte Offiziere, als vielmehr als Priesterkönige göttlicher Abstammung in hellenistischer Tradition. Dabei kann schon Jostes viele lange Zeit als faktengetreu qualifizierte Berichte etwa bei Gregor von Tours oder in der »Fredegar«-Chronik als Reflexe auf mythische Narrative identifizieren – womit er durchaus anschlussfähig für aktuelle Tendenzen der Forschung werden könnte.298 Der quellenkritische Wert seiner Untersuchungen für die fränkische Frühgeschichte wäre also neu zu evaluieren. Freilich versteht auch Jostes »Synkretismus« tendenziell als inhaltlich und funktional iden­tischen Transfer. Ein differenzierteres Konzept kultureller Transfers bzw. Motiv-Analogien würde denn auch seiner diachron-komparatistischen Methode letztlich den Boden entziehen. Gerade insofern wären seine Konjekturen jedoch im Detail zu überprüfen. 1994 fasste Reinhard Wenskus eine Fülle von Beobachtungen zu diesem Komplex zusammen  – und kam dabei in vielerlei Hinsicht zu ganz ähnlichen Befunden wie Franz Jostes siebzig Jahre zuvor.299 Seine gleichermaßen von der 296 Schröder, Germanentum und Hellenismus, bes. S. VI f.; Ders., Altgermanische Kultprobleme. 297 Vgl. etwa Fauth, Helios megistos; Gschößl, Schmelztiegel; Merkelbach, Isis regina. 298 Vgl. unten, Kap. IV.2. 299 Wenskus, Religion abâtardie; Wenskus zitiert Jostes wiederholt: S.  203, Anm.  167; S. 204, Anm. 179 f.; S. 206, Anm. 198; S. 234, Anm. 412; S. 245, Anm. 530; S. 246, 247, dürfte ihm jedoch mehr verdanken als diese Einzelbelege, wie sein Plädoyer für eine erneute Lektüre verrät, ebd., S. 213, Anm. 247 (über die von Jostes postulierte ägyptische Provenienz der Stierkopfsymbole im Childerich-Grabschmuck): »Dies ist eine der nicht wenigen unannehmbaren Thesen des Autors, dessen Werk von seinen Kollegen, die namenlos bleiben wollten, aus dem Nachlaß herausgegeben wurde, weil sie mit Recht unter den dort zusammen getragenen Nachrichten und Zitaten, die von der folgenden Forschung meist unbeachtet blieben, noch Zeugnisse vermuteten, die zu Unrecht aus der Diskussion verschwanden. Es wäre an der Zeit, dieses durch phantastische Deutungen diskreditierte Material vom neuen Forschungsstand her auf nun verwertbare Daten hin aufzuarbeiten.« Dass die Herausgeber der »Sonnen­ wende« sich nicht namentlich zu erkennen gegeben hätten, trifft nicht zu. Zu den Thesen Wenskus’ und Jostes’ vgl. auch unten, Kap. IV.2.4. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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profunden Quellenkenntnis eines langen Forscherlebens wie vom Mut zur epochenübergreifenden Hypothesenbildung getragene Studie wurde vereinzelt methodisch kritisiert – wohl nicht zu Unrecht –,300 ansonsten jedoch schlicht nicht rezipiert.301 Dabei korrigiert Wenskus wirkungsvoll den grundlegenden Fehler Jostes’ und der »Panbabylonier«, die Ursprünge der europäischen Mythen unterschiedslos in die frühen Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens zurückzuprojizieren, und versucht stattdessen, die konkreten kulturellen Wechselwirkungen im Horizont der Spätantike zu benennen. Auch kann er sich für viele Fragen auf Ergebnisse der neueren Literatur stützen und so die zuvor vielfach unbelegten mythologischen Behauptungen der älteren Religionsgeschichte absichern.302 Auch wenn man mit der jüngeren Forschung zur frühen merowingischen Kultur und Herrschaftsbildung die Annahme eines mythologisch begründeten Sakralkönigtums ablehnen möchte, bleibt doch der Befund einer tiefgreifenden Wirksamkeit paganer Mythologeme zumindest im Imaginationshorizont der späteren, bereits christianisierten Franken.303 Da die einschlägigen Textquellen beinahe ausnahmslos christlichen Ursprungs sind und von Vertretern der gesellschaftlichen Eliten stammen, handelt es sich bei den Analogieschlüssen Jostes’ und Wenskus’ freilich immer um hypothetische Rückprojektionen. Ein quellenkritischer Rigorismus, der quasi das rauchende Brandopfer zur Bedingung für valide wissenschaftliche Aussagen macht, geht nun einerseits an der Quellenlage vorbei, andererseits wird man die erwähnten Quellen des 6. und 7. Jahrhunderts wohl nur dann als aussagefähig für religiöse Vorstellungen des 3. oder 4. Jahrhunderts heranziehen können, wenn sich der Befund durch eine historische Kontextualisierung zumindest plausibel machen lässt. Zunächst dürften Gregor von Tours oder die »Fredegar«-Chronik interessant sein als Quellen für die Rezeption nicht-christlicher Mythologie im Mero­w ingerreich, unabhängig von den möglichen religiösen Vorstellungen der Vorfahren der Franken. Auch für eine solche Rezeptionsgeschichte der spätantiken Mythologie ist jedoch die methodische Begründung eines funktional und inhaltlich differenzierenden Begriffs von »Synkretismus«, oder besser: von Motiv-Analogie, notwendig.304 Dabei soll Motiv-Analogie hier den Transfer von Elementen aus einem religiösen Erzählkomplex in einen anderen bezeichnen. Entgegen der bis in die aktuelle Diskussion vorherrschenden Tendenz sollen Religionen nicht als ge 300 Zeddies, Religio, S. 17, 24 f.; weniger kritisch Fried, Schleier der Erinnerung, S. 73. 301 Eine Ausnahme: Beck, Probleme, S. 478. 302 Dies etwa im dichten Rekurs auf die Arbeiten von Karl Hauck zu den germanischen Goldbrakteaten. 303 Vgl. unten, Kap. IV.2.4. 304 Vgl. zum Folgenden Berner, (Art.) Synkretismus; Pye, (Art.) Synkretismus; Colpe/ Graf, (Art.) Synkretismus; Ahn/von Padberg, (Art.) Synkretismus; und den methodischen Aufriss: Berner, Der Begriff ›Synkretismus‹, der eine heuristische Systematik der möglichen Formen des Wandels religiöser Systeme bereitstellt. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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schlossene Systeme,305 sondern als offene Vorstellungswelten begriffen werden, die in der Aushandlung zwischen sozialen Akteuren ihre Bedeutungen und Motive austauschen und wandeln.306 Jede religiöse Äußerung steht dabei in Dialog mit anderen religiösen Äußerungen.307 Die dogmatische Definition eines religiösen Systems ist erst ein sekundärer Akt der Herrschaft, bzw.: außerhalb der Buchreligionen in aller Regel recht eigentlich erst ein Ergebnis der religionswissenschaftlichen Forschung. Doch verläuft die Kommunikation im gemeinsamen Wahrnehmungshorizont nicht arbiträr, sondern determiniert durch die Zugehörigkeit der Akteure zu konkurrierenden Gruppen.308 In der konkreten Situation sind Austauschprozesse immer schon herrschaftlich und sozial-integrativ vorstrukturiert, verlaufen also nicht wahllos. Dies gilt umso mehr für die Spätantike, in der das polytheistische Nebeneinander von Kulten durch dem Anspruch nach exklusive, monotheistische Großgruppen durchbrochen wurde. Für die vorliegende Untersuchung soll daher bewusst am Konzept des Motiv-Transfers in der eben beschriebenen Form festgehalten werden.309 Die beteiligten Akteure bewegen sich dabei in einem gemeinsamen Horizont von kulturellen Mustern, die zur Markierung der je eigenen Position und zur Kommunikation mit anderen Akteuren herangezogen werden. Der Austausch erfolgt also nicht als Sonderfall zwischen zuvor »unverfälschten« Religionen, sondern ist der Regelfall der religiösen Kommunikation.310 Ein Motiv-Transfer kann in dieser Kommunikation zwischen Akteuren nicht-intentional entstehen und sich durchsetzen, aber auch von einem Urheber gezielt eingesetzt werden.311 Er ist so weniger als statisches Ergebnis, sondern vielmehr als kommunikativer Prozess zu untersuchen.312 Der Transfer kann erstens als Entnahme aus einem gemeinsamen Reservoir an Motiven, zweitens als gezielte Übernahme eines Elements der konkurrierenden Religion313 oder drittens als Kontinuität in der zeitlichen Abfolge zweier Religionen beschrieben werden. Die Übertragung religiöser Elemente erfolgt dabei nicht als identische Übernahme in Form, Inhalt und Funktion von A nach B. Vielmehr ist jede Wieder 305 So noch Berner, Der Begriff ›Synkretismus‹; Ders., (Art.) Synkretismus, S. 151; und ihm folgend Ahn/von Padberg, (Art.) Synkretismus. 306 Vgl. Ahn/von Padberg, (Art.) Synkretismus, S. 217; Graf, (Art.) Synkretism, S. 8935. 307 So Hartmann, Der Tod Johannes des Täufers, S. 35–48. 308 Dies etwa gegen Homi Bhabha, der statt »Synkretismus« das Konzept der »Hybridität« vorgeschlagen hat; vgl. Graf, (Art.) Syncretism, S. 8936 f. 309 Um freilich den Unterschied zur älteren theologisch geprägten Debatte zu markieren, wird der Terminus »Synkretismus« vermieden. 310 Vgl. Ahn/von Padberg, (Art.) Synkretismus, S. 217; Graf, (Art.) Synkretism, S. 8935; Pye, (Art.) Synkretismus, S. 427 f. 311 Colpe/Graf, (Art.) Synkretismus, S. 8927; Berner, (Art.) Synkretismus. 312 Ebd., S. 148. 313 Zu diesen beiden Typen vgl. Wallraff, Christus verus Sol, S. 203 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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holung als spezifische Abwandlung zu verstehen. Motive und Formen werden dem Sinnhorizont der konkurrierenden Religion oder dem gemeinsamen Sinnhorizont entnommen und in den eigenen übersetzt, um sie neu zu semantisieren und so die Richtigkeit des eigenen Glaubens zu erweisen.314 Zu fragen ist also nicht nur nach beobachtbaren Analogien zwischen Vorstellungskomplexen, sondern vor allem nach deren Ursachen und Genese.315 Zu unterscheiden sind dabei zunächst Übertragungen im Bereich des Rituals, der Dogmatik, der Bildlichkeit und der Mythologie. Ein solcher Transfer kann verschiedene Funktionen erfüllen: 1. Appropriation: A kann die Wirkung eines Elements von B anerkennen und dieses daher für sich selbst okkupieren.316 2. Akkomodation: Bei einem Glaubenswechsel von A nach B können Elemente von B Züge von A übernehmen, um die neue Religion an den neuen kulturellen Kontext anzupassen.317 3. Koexistenz: Bei einem Religionswechsel können in verschiedenen gesellschaftlichen Handlungsräumen Elemente des alten und des neuen Vorstellungskomplexes nebeneinander bestehen bleiben und in der Alltagspraxis in Austausch miteinander treten.318 4. Autorisierung: Der Rekurs auf eine frühere religiöse Form kann auch der (fingierten) Legitimation des eigenen Vorstellungskomplexes vermittels der durch Alter und Ursprünglichkeit überlegenen »Offenbarung« dienen (wie im Fall der Chaldäischen Orakel und ihrer Verwendung durch die neoplatonische Theurgie).319 5. Polemik in der inter- wie innerreligiösen Kommunikation, etwa wenn ein mythisches Motiv aus A durch Vertreter von B gezielt in ihre Erzählungen eingespeist wird, um ein Feindbild zu markieren. Das Motiv bleibt dabei als Produkt eines Transfers sichtbar, gewinnt jedoch eine entgegengesetzte Funktion als exkludierende Fremdbeschreibung.320 314 Lindner, Mänaden, S.  302; vgl. etwa Dölger, Sol salutis, S.  242, am Beispiel der Gebetsostung über die christliche Strategie, »[…] mit antiken Gedanken die Antike [zu] bekämpfen«; vgl. ebd., S. 353 f., in Reaktion auf Kritik an der Religionsgeschichtlichen Schule. 315 Entsprechend hat Carsten Colpe schon 1971 eine historisch-genetische Erklärung synkretistischer Phänomene eingefordert, vgl. Berner, (Art.) Synkretismus. 316 Vgl. Colpe/Graf, (Art.) Synkretismus, S. 8935. 317 Exemplarisch etwa die bis heute in der christlichen Mission übliche Anpassung an lokale kulturelle Gegebenheiten, wie sie schon Gregor der Große für die Mission der Angelsachsen empfohlen hatte, vgl. Hen, Culture and Religion, S. 104 f., 107; von Padberg, Inszenierung, S. 318–322; Zeddies, Religio, S. 154 f. 318 Dies ist der von der Forschung angenommene Normalfall des Weiterbestehens paganer Elemente neben dem mittelalterlichen Christentum. 319 Wallraff, Christus verus Sol, S. 13 f., 38 f.; vgl. unten, Kap. II.2.2. 320 So etwa die Reflexionen des Kaiserkultes in der Johannis-Offenbarung, vgl. aktuell nur Esch-Wermeling, Brückenschläge. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Da der Transfer von Motiven und Elementen nicht immer eine positive Bewertung und Integration des Elements durch die aufnehmende Religion voraussetzt, könnte man auch von Reflexen von A in B sprechen. Solche Reflexe setzen nicht unbedingt eine Gleichzeitigkeit der beteiligten religiösen Vorstellungskomplexe voraus. Vielmehr kann die interne Kommunikation einer Gruppe auf bekannte Motive aus früheren Formationen zurückgreifen, um aktuelle Konflikte auszutragen oder retrospektive Selbstvergewisserungsdiskurse aufzurufen. Dies gilt etwa für die christliche Martyrologie, die noch lange nach dem Ende der paganen Kulte Inhalte aus diesen reproduzierte, um die eigenen Heiligen als Antithesen gegen die alten Götter und Heroen zu stilisieren. Die religiöse Konkurrenz ist hier keine reale mehr, sondern nurmehr eine imaginierte.321 Die mit dem Transfer zwangsläufig verbundene Bedeutungsverschiebung kann verschiedene Formen annehmen:322 1. Assimilation: Integrative Anpassung eines Elements von A an B.323 2. Identifikation, etwa einer Gottheit in A mit einer Gottheit in B.324 3. Neubesetzung, etwa wenn ein altes, in seiner Bedeutung vielleicht gar nicht bekanntes Bildmotiv in einem neuen mythologischen Kontext weiterverwendet wird. Dass etwa die Muttergottes in die Ikonographie paganer Mutterund Mondgottheiten eintritt, entspringt vielleicht nicht direkter Identifikation, sondern einem Akt des produktiven Bildrecyclings.325 4. Überbietung: Ein Erzählmotiv aus A wird in B übernommen und quantitativ oder qualitativ gesteigert: Christus wiederholt bei der Hochzeit zu Kanaan nicht nur das dionysische Weinwunder, sondern produziert dabei obendrein den besseren Wein. 5. Kontrafaktur/Inversion: Rituelle oder mythische Elemente aus A werden in B parodiert und in ihr Gegenteil verkehrt, um die Wirkungslosigkeit von A und die Überlegenheit von B zu erweisen. A kann die eigene Überlegenheit gegenüber B beweisen, indem es Elemente von B invertiert und so deren einzig »wahre« Erfüllung postuliert.326 321 Dies gilt zumal für die lange Phase des Übergangs vom 5. bis zum 8. Jh., in der die paganen Kulte zumindest in Rückzugsräumen noch Bestand hatten, vgl. etwa McMullen, Christianity and Paganism, S.  17 f., 24–30, 40 f., 66; Matthews, Clash of Gods, S.  186–190. Für das westliche Europa scheinen einschlägige Untersuchungen zu fehlen. Hagiographen etwa in Italien oder Gallien hatten also die religiöse Konkurrenz vielleicht nicht mehr selbst vor Augen, konnten aber wissen, dass diese im nicht weit entfernten byzantinischen Macht­ bereich durchaus noch real aktiv war. 322 Vgl. zum Folgenden Fried, Schleier der Erinnerung, S. 277. 323 Pye, (Art.) Synkretismus, S. 416, am Beispiel der Übernahme sakraler Orte beim Religionswechsel. 324 Ebd., S. 427. 325 Über Bilder und Sachgüter als Mythenbildner vgl. etwa Fried, Schleier der Erinnerung, S. 277 f., 285. 326 Vgl. etwa Miller, Measures of Wisdom, S. 109 f., am Beispiel der Rezeption der paganen Mysterien bei Clemens von Alexandrien. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Methodisch heißt dies, nicht länger die Identität oder Alterität von religiösen Elementen zu diskutieren, sondern Differenzen und Analogien graduell präzise zu untersuchen, um beobachtbare Transferprozesse einordnen zu können. Dabei ist freilich im Sinne der »Iteration« Derridas von einer inhärenten Unschärfe der Übertragung auszugehen, zumal mit Blick auf die Variabilität der ausgehandelten Elemente und Motive in vornehmlich oraler Kommunikation. Schon im konkreten Moment des Transfers gaben konkrete Akteure den verhandelten Zeichen ihre ganz eigene Bedeutung, oder präziser: verhandelten sie die Zeichen bereits mit inhärenten Mehrdeutigkeiten.327 Nun operiert jede Untersuchung selbstverständlich vor dem Hintergrund eines massiven Überlieferungsausfalls. Im Zeichen eines rigorosen Positivismus alle Vermittlungsglieder zwischen A und B nachzuweisen, wird zumeist schlicht unmöglich sein. Andererseits können vage Ähnlichkeiten von Phänomenen nicht die Annahme eines synkretistischen Transfers rechtfertigen, wenn dieser nicht auch vom historischen Kontext her eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat. Auszuschließen ist also vor der Feststellung eines Transfers die Möglichkeit der unabhängigen Polygenese analoger Phänomene, zu belegen ist die räumliche und zeitliche Möglichkeit einer Kommunikation zwischen ihren Trägergruppen. Die Annahme eines kulturellen Transfers kann als plausibel gelten, wenn 1. das Vorliegen einer Analogie zwischen A und B gesichert werden kann; 2. die konkrete Möglichkeit der Kommunikation zwischen A und B nachgewiesen ist; 3. der Motivtransfer chronologisch präzise eingeordnet werden kann, um etwa einen wesentlich späteren sekundären Einfluss auszuschließen;328 4. die möglichen Funktionen und Bedeutungen der Elemente aus A in B eruiert sind. 5. Über längere Zeiträume wäre zudem, anders als vielfach in der älteren vergleichenden Religionsgeschichte, die konkrete Diskursgenealogie nachzuzeichnen, also die Vermittlung eines Motivs über möglichst alle greifbaren Transmissions- und damit: Iterationsinstanzen. 6. Dabei muss und wird das letzte Glied in der Vermittlungskette nicht in expliziter oder impliziter Relation zum angenommenen Ursprung stehen, wohl aber muss eine Verbindung zu den ihm unmittelbar vorausgehenden sicherbar sein. Zentral sind also die im jeweiligen zeitgenössischen Wahrnehmungshorizont abrufbaren Bedeutungen und Funktionen, nicht die analytisch postulierbaren »ursprünglichen«, linguistisch gesprochen: die aktuelle Semantik, nicht die Etymologie. 327 Vgl. Fried, Schleier der Erinnerung, S. 365: »Jede Transmission von Wissen […] bewirkt zugleich dessen Mutation und Generation.« 328 Le Goff, Culture cléricale, S. 230. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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In Betracht zu ziehen ist dabei, dass etwa die christliche Hagiographie nicht durchgehend rein fiktiv ist. Vielmehr rekurriert sie zumindest zum Teil auf historische Personen, die dann zum Kristallisationspunkt für narrative Weiterungen aller Art werden konnten.329 Mythische Analogiebildungen waren also vielfach nicht willkürlich übertragbar, sondern determiniert (und vielleicht erst inspiriert) durch lebensgeschichtliche Aspekte. Reflexe der antiken Astral- oder Solarmythologie etwa in der merowingerzeitlichen Hagiographie darf man also nicht als eindimensionale Identifikation des Heiligen mit dem heidnischen Gott missverstehen. Vielmehr sollte man sie analysieren als Ausdruck einer kompetitiven Situation, in der es für Vertreter eines religiösen Komplexes sinnvoll war, gegebene Stereotypen aus dem gemeinsamen kulturellen Horizont zur Stärkung der eigenen spirituellen und argumentativen Basis heranzuziehen.330 Die spätantiken und frühmittelalterlichen Heiligen waren demnach keine genuin christliche Erfindung ohne direkte Vorläufer in der paganen Mythologie und Heroenverehrung.331 Sie waren jedoch auch nicht einfach »successeurs des dieux« (P. Saintyves),332 sondern sie verdrängten die heidnischen Götter aus ihrer Autoritätsposition, indem sie Motive des mythologischen, rituellen und ikonographischen Reservoirs übernahmen, umkehrten, verschoben und umdeuteten, wo dies effektiv war, um die spirituelle Überlegenheit der christlichen Religion herzustellen.333

329 Delehaye, Hagiographische Legende, S. 190 f. 330 Wie Wenskus postuliert auch Walter, Hagiographie médiévale, S. 45 ff., neuerdings wieder eine gattungstypologische Nähe von Hagiographie und hoch- und spätmittelalter­ licher Heldendichtung sowie eine Kontinuität vorchristlicher (hier: keltischer) Erzählmotive in diesen Gattungen. Die Hagiographie werde so zum Träger von Palimpsesten heidnischer Mythologie, ebd., S. 54 f.; ähnlich von altgermanistischer Seite jetzt auch: Hammer, Tradierung und Transformation, S. 1–14. 331 Die geschichtswissenschaftliche Forschung der letzten Jahrzehnte folgt in der Regel Peter Brown in einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber Annahmen »synkretistischer« Tendenzen in der frühchristlichen Heiligenverehrung. Brown argumentiert jedoch nicht von den möglichen narrativen Analogien her, sondern rein dogmatisch, wenn er Heilige als Tote und Mittler zwischen Gott und Menschen in einer strukturell anderen Position sieht als die antiken Heroen, vgl. Brown, Cult of Saints; Beaujard, Le culte des saints en Gaule, S. 474–476; Schäferdieck, (Art.) Christentum der Bekehrungszeit, Sp.  501–510; vorsichtiger abwägend: Graus, Volk, Herrscher und Heilige, S. 171–175, 184–190; vgl. Schiller, (Art.) Heiligenkult I, S. 187; Zernack, (Art.) Heiligenleben I. 332 Saintyves, Les saints; vgl. von deutscher Seite: Lucius, Anfänge des Heiligenkultes. 333 Le Goff, Culture cléricale, S.  230 f.: »La superposition des thémes, des pratiques, des monuments, des personnages chrétiens à des prédécesseurs païens n’est pas une ›succession‹ mais une abolition.« Vgl. ausführlich McMullen, Christianity and Paganism, S. 49–60, 113– 132; Speyer, Verehrung der Heroen, der, S.  59–67, ebenfalls die Konkurrenz zu den paganen Kulten als zentral für die Genese der Heiligenverehrung markiert; Walter, Hagiographie médiévale; Delehaye, Hagiographische Legende, S. 170, spricht von »Vernichtung durch ­Konkurrenz«. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Einführung

Die hier beschriebenen Mechanismen wären zunächst auf der Ebene spezifischer Texte zu untersuchen. In einem zweiten Schritt könnte man verallgemeinerbare Gemeinsamkeiten auf der Ebene von anhand des Gebrauchshorizonts abgrenzbaren Textgattungen feststellen. Eine dritte Ebene im Sinne eines homogenen Kanons von mythischen Erzählungen ist nicht anzunehmen. Denn Motive fließen nicht in eine dogmatisch bereinigte Einheit religiöser Erzählungen ein, sondern bleiben Ausdruck einer latent mit Widersprüchen aufgeladenen Aushandlungssituation. Konkret heißt das, dass ein Text einen paganen Mythos akkulturierend, also positiv besetzt, adaptieren konnte, während ein anderer Text aus dem gleichen Zeithorizont sie parodistisch bzw. polemisch ins Gegenteil verkehren und so negieren konnte. Gattungen, die auf eine Einbindung der christlichen Lehre in den allgemeinen Wahrnehmungshorizont abzielten, konnten biblische Erzählungen in Muster aus einem anderen kulturellen Kontext übersetzen, während solche, die distinktive Funktionen für die Gruppenintegration der Christen erfüllten, pagane Mythen polemisch bzw. parodistisch verhandeln konnten. Zudem waren je nach Inhalt und situativem Kontext manche nicht-christlichen Motive leichter positiv in christliche Erzählungen integrierbar, während andere eher für abgrenzende Inversionen zur Verfügung standen. Die Verwendung von »Synkretismen« konstituierte jedenfalls erst die sie verhandelnden Gruppen, indem sie in der ihr eigenen Ambivalenz die Grenzen zwischen Innen und Außen definierte. Da diese Grenzen je nach Zeithorizont, regionalem bzw. sozial-kulturellem Kontext und konkreten Aushandlungsbedingungen variabel waren, war auch der Umgang mit Motivtransfers zwangsläufig situativ. Zu beachten ist dabei, dass gerade die frühe Hagiographie, insbesondere jene der Märtyrer, nicht etwa ein Produkt der Verfolgungszeit ist. Vielmehr setzt die quellenmäßig greifbare Verschriftlichung erst nach der Durchsetzung des Christentums als Staatsreligion ein. Die Heiligenlegenden sind also retrospektiv angelegt: Es ist der Blick der historischen Sieger, der das Bild von Unterdrückung und Verfolgung durch den römischen Staat prägt  – und von den unerschütterlichen Glaubenszeugen, die angeblich das Heidentum überwunden hatten.334 Die differenzierte Erforschung des spezifischen Umgangs mit Motivtransfers aus konkurrierenden Erzählkomplexen und/oder dem zeittypisch allgemeinen Imaginationshorizont hätte also zur Voraussetzung, die Entstehungsund Gebrauchssituation der herangezogenen Texte nachzuzeichnen. Es wäre etwa genauer zu untersuchen, inwiefern Martyrienerzählungen als spezifische 334 Lifshitz, The Name of the Saint, S. 4 f. (mit weiterer Lit.); schon Delehaye hat die Unterscheidung von authentischen passiones der Verfolgungszeit und späteren literarisch überformten Bearbeitungen in die Analyse der Hagiographie eingeführt, vgl. dazu Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S. 425 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Methodische und theoretische Grundlagen

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Textform auf die diskursive Konstituierung einer Gruppenintegration der jeweiligen christlichen Gemeinde in Abgrenzung von »den Heiden« als imaginierten Verfolgern zielten. Die stereotype Bezugnahme auf die »Christenverfolgung« würde so als retrospektiver Selbstvergewisserungsdiskurs der siegreichen Kirche des 5. bis 7. Jahrhunderts lesbar. Denn die überlieferten passiones mögen zwar auf ältere Erzählungen zurückgehen, sie stammen aber vielfach nicht aus dem Berichtszeitraum, sondern sind erst im 5.–7. Jahrhundert belegt, zu einer Zeit also, in der sich das Christentum mit Unterstützung des Kaisertums und seiner Nachfolger als hegemoniale oder gar schon monopolistische Religion durchgesetzt hatte. Der nach dem Vorbild der Passionsgeschichte gezeichnete Opfer- und Triumphdiskurs der Martyrien ist also zunächst eine retrospektive Erinnerungskonstruktion. Diese für die Hagiographie insgesamt konstitutive Konstellation bedingt auch die vielfachen humoristischen Überzeichnungen und die gezielt erzeugte Situationskomik, die man nicht als Ausweis eines naiven Wunderglaubens missverstehen sollte.335 Dabei dokumentieren unsere hagiographischen Quellen nicht etwa unmittelbar die mythischen Vorstellungen der Volksfrömmigkeit. Vielmehr sind diese Texte von Klerikern für den internen Gebrauch (etwa für die Durchsetzung und Legitimation eines Heiligenkultes) und/oder für Predigt und Kultpropaganda gegenüber den Laien verfasst336 – jeweils in der ländlichen oder städtischen Gemeinde oder auch im Einzugsbereich der höfischen Kommunikation. Hagiographische Texte transportieren also das Bild, das kirchliche Kreise von ihren Heiligen zeichneten, um sich selbst und den mehr oder weniger tiefgreifend christianisierten Laien einen ihrem Wahrnehmungshorizont entsprechenden Glauben zu vermitteln. Die Hagiographen mussten kreativ auf die Vorstellungswelten ihrer jeweiligen Adressaten reagieren. Ihre Erzählungen liefern so vielfach gebrochene Reflexe von religiösen Erzählungen und Kultelementen der Übergangszeit zwischen Paganismus und Christentum. Und sie entstanden in einer Kommunikationsgemeinschaft, in der antike Gelehrsamkeit, biblische Texte und zeitgenössischer Imaginationshorizont in einem durch das Denken in Allegorien und Metaphern geprägten Diskurs konvergierten. So wurde hier permanent erlebte Realität, überlieferte Mythologie und Heilige Schrift zu einer typologisch konstituierten Wahrnehmung der Welt verdichtet.337 Hagiographische Texte des Frühmittelalters, aber etwa auch die chronikalischen Berichte des 14. und 15. Jahrhunderts über die Tanzwut, sind 335 Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S. 425–431, mit zahlreichen Beispielen. 336 Graus, Volk, Herrscher, Heilige, S. 300–302, 442 f.; ähnlich Gurjewitsch, Volkskultur, S. 40–42, in Auseinandersetzung mit Delehaye. 337 Vgl. den Forschungsüberblick bei Zimmermann, Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis, S. 38–54; zum Zusammenspiel von oraler und schriftlicher Reproduktion vgl. auch Fried, Schleier der Erinnerung, S. 283. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Einführung

so nicht eindimensional quellenkritisch bezüglich ihres Verhältnisses zu einer ereignisgeschichtlichen Realität zu bemessen, sondern immer nur als Ausdruck eines spezifischen Wahrnehmungsmodus.338 Johannes Fried hat diese Problematik unter metaphorischem Rekurs auf neuro­biologische Konzepte als Polarität von Erinnern und Vergessen beschreiben wollen. Die Dynamik der Erinnerung und ihrer Verformung lässt sich ihm zufolge durchaus analog zu individuellen mentalen Prozessen beschreiben.339 Wie Fried selbst zeigt, verlaufen Verformung und Vergessen jedoch wiederum nicht zufällig, sondern sind determiniert durch die Wahrnehmungsstrukturen der jeweiligen Gesellschaft. Typologisch-allegorisches und mythisches Denken prägen Erzählungen und Bildervorrat oral dominierter Gesellschaften in einem hohen Maße.340 Orale Gesellschaften strukturieren Wirklichkeit, so wird man vielleicht sagen können, nicht linear-innovativ, sondern zyklisch und typologisch. Die Reproduktion von mythischen Motiven und überhaupt die massive Intertextualität von mittelalterlichen Erzählungen entspricht deshalb einer spezifischen Struktur der Weltwahrnehmung. Dies aber bedingt, dass Kontinuitäten der Wahrnehmungsstrukturen selten ausdrücklich thematisiert werden, sondern implizit mitschwingen oder ausdrücklich nicht mehr thematisierbar sind. Wie Fried gezeigt hat, bringt dies für die mittelalterliche Geschichte die Notwendigkeit eines erhöhten Maßes an Quellenkritik mit sich. Wie der Gang nach Canossa oder die historische Person Benedikt von Nursia als Produkte mythischen Erzählens zu dechiffrieren und damit zu dekonstruieren sind, so wäre die Untersuchung von Motivkontinuitäten etwa in mittelalterlichen Texten als quellenkritische Operation ernst zu nehmen.341 Die Quellenlage zur Zeit der sogenannten Völkerwanderung etwa wäre diesbezüglich zu überprüfen.342 Die Erforschung von Motiv-Analogien zwischen narrativen Komplexen ginge damit also weit über die konkrete Feststellung von Transfers hinaus und berührte sich mit anthropologischen Konzepten über die Kontinuität von mythischen Narrativen (»Mythemen«), wie sie etwa von Claude Levi-Strauss formuliert worden sind.343 Die Annahme langfristiger Kontinuitäten über mehrere Vermittlungsschritte könnte helfen, die narrativen Tiefenstrukturen kulturell spezifischer Wahrnehmungsformen zu ergründen.

338 Ebd., S. 324 f. 339 Zur Problematik der Analogisierung von individuellem und kollektivem Gedächtnis vgl. ebd., S. 379. 340 Ebd., S. 208 f., 250. 341 Zusammenfassend ebd., S. 291, 379. 342 Ebd., S. 255–267. 343 Lévi-Strauss, Strukturale Anthropologie, S. 231 f.; dazu Zimmermann, Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis, S. 69–86. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Methodische und theoretische Grundlagen

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Der Kritik an der älteren »Synkretismus«-Forschung entsprechend sollen daher im Folgenden konkrete Vermittlungswege zwischen der Kosmologie der Antike und den Bedeutungen von Tanz und Krankheit im Wahrnehmungshorizont des Mittelalters herausgearbeitet werden. Die Ergebnisse von Jostes und seinen Zeitgenossen, wie sie Reinhard Wenskus zu bestätigen versucht hat, sollen dazu – ausschnitthaft auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bezogen – anhand der neueren religionsgeschichtlichen und altphilologischen Literatur eingeordnet werden.344 Statt einer religionsgeschichtlichen Suche nach langfristigen Kontinuitäten soll hier jedoch ganz auf eine Beschreibung des kulturellen Horizonts abgehoben werden, der die Formierung des im Spätmittelalter manifest werdenden Konzepts Tanzwut grundiert. Es handelt sich dabei also nicht um eine aus Analogieschlüssen gezogene Kontinuitätsbehauptung; aber auch nicht um ein Verharren auf der Ebene der zeitgenössischen Explikationen. Vielmehr soll die Untersuchung der diskursiven Verwendungsweisen eines narrativen Komplexes und seiner Verwirklichung in einem kulturell spezifischen Krankheitskonzept geleistet werden. Dabei sollen die Bedeutungen und Bedeutungsträger, aus denen dieses Konzept zusammengesetzt ist, rekonstruiert werden. Diese Rekonstruktion muss und wird hypothetische Analogieschlüsse beinhalten, aber dies nur da, wo sie durch quellenmäßige Belege bzw. die neuere Forschung gedeckt sind. Der synchronen Beschreibung wird also eine diachrone Dimension gegeben. Erkenntnisleitend ist dabei die Hypothese, dass einige entscheidende Transmissionsprozesse für die Entstehung des Vorstellungskomplexes Tanzwut im Übergang vom römischen Gallien zum mittelalterlichen Frankenreich zu suchen sind. Erkenntnisleitend ist weiterhin die Annahme, dass aus diesen fränkischen Wurzeln eine fortschreibende, fragmentierende, verarbeitende Diskursentwicklung bis ins westeuropäische Spätmittelalter abzuleiten ist.

344 Pragmatisch heißt das für den Argumentationsgang, dass Annahmen der vielfach pauschal inkriminierten astralmythologischen Literatur dann als verwendbar gelten können, wenn sie sich quellenmäßig oder anhand neuerer religionsgeschichtlicher Studien verifizieren lassen. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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II. Fundamente einer Semiotik von mania und enthusiasmos zwischen Antike und Mittelalter »Human beings, vegetables, cosmic dust, we all dance to a mysterious tune, intoned in the distance by an invisible player.« Albert Einstein, 19291

Schon die medizinischen Beschreibungen des 16. und 17. Jahrhunderts vergleichen die Tanzwut immer wieder mit dem, was sie aus Euripides oder von christlichen Verfassern der späten Kaiserzeit über die Rituale der antiken DionysosVerehrung wissen. Und auch die moderne Tanzwut-Literatur seit Hecker hat die Raserei der Mänaden bei den Bacchanalien regelmäßig mit der Tanzkrankheit des Spätmittelalters und der Frühneuzeit gleichgesetzt. Eine Diskursgenealogie der Tanzwut hat aber nicht bei diesen Identitätsbehauptungen anzusetzen, sondern vielmehr bei dem in vielerlei Hinsicht verzerrten Bild, das sich Außenstehende und erst recht spätere Beobachter von den Anhängern der – in sich alles andere als homogenen – antiken Gruppenreligionen machten. So kommen die kosmologischen und religiösen Grundlagen der hellenistischen und römischen Kultur in den Blick. Die Annahme, schon in der Antike habe es die Tanzwut als universales Krankheitsbild gegeben, verstellt gerade den Blick auf die diskur­ siven Grundlagen der mittelalterlichen Krankheitskonzeption Tanzwut.

II.1 Tanzwut in der Antike? Im Gefolge der Studie von Justus Friedrich Carl Hecker hatte sich im 19. Jahrhundert das medizinische Verständnis der Tanzwut als psychischer Epidemie etabliert. Die Idee eines kollektiven, zwanghaften Tanzes wurde paradigmatisch für die entstehende Massenpsychologie, und sie wurde als Deutungsmuster übertragbar auf alle Formen von expressivem oder ekstatischem Verhalten, die den Disziplinierungsnormen der bürgerlichen europäischen Eliten widersprachen. Dies galt auch für die Altertumswissenschaften. So erklärte Erwin Rohde in seiner grundlegenden Abhandlung »Psyche. Seelencult und Unsterblichkeits 1 Interview mit George S. Viereck, Saturday Evening Post, 26.10.1929, zitiert nach: M ­ iller, Measures of Wisdom, S. 5. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Fundamente einer Semiotik von mania und enthusiasmos

glaube der Griechen« (1890–1894) das Aufkommen des Dionysoskultes in Griechenland als Folge einer »religiöse[n] Volkskrankheit«, die wie die von Hecker beschriebene mittelalterliche Tanzwut die griechischen Gemüter für eksta­ tische Ausbrüche geöffnet habe.2 Als auslösende Krise für die frühgriechische Tanzwut benannte Rohde die dorische Völkerwanderung, die die Hellenen für den angeblich asiatischen bzw. thrakischen Kult des Dionysos empfänglich gemacht habe. In dieser bacchantischen Epidemie sah er den Grund für die »dem griechischen Naturell« verbliebene »morbide Anlage«, wie sie sich vor allem in der Institutionalisierung von orgiastischen Kulten geäußert habe.3 Diese rituellen Tänze hätten der musikalisch vermittelten kathartischen Reinigung von »krankhaften Affectionen« gedient, wie Rohde unter Rekurs auf Heckers Beschreibung des süditalienischen Tarantismus schilderte.4 Damit wendete Rohde die positive Auffassung der Tanzwut als Ausdruck des dionysischen Prinzips, wie sie Friedrich Nietzsche formuliert hatte, ins Nega­ tive.5 Jahre nach dem Streit um die »Geburt der Tragödie« war die Freundschaft der beiden zerbrochen. Vielleicht auch deshalb griff Rohde nun auf Heckers negative Konzeption der Tanzwut als Krankheit zurück. Sein früherer Gegenspieler Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf sollte weitere fast vierzig Jahre später in »Der Glaube der Hellenen« nicht umhinkommen, Rohdes Erklärung für das Aufkommen des Dionysoskultes zu übernehmen, freilich nur in einer knappen Bemerkung.6 Den Anknüpfungspunkt für eine Assoziation mit der Hecker’schen TanzwutKonzeption bildete bei Rohde der schon in altgriechischen Quellen gebräuchliche Begriff korybantiasmos (κορυβαντιασμός, bzw. das Verb κορυβαντιᾶ͂ν). Schon Joseph Justus Scaliger (1540–1609) hatte in seinem Catull-Kommentar diesen Terminus als Bezeichnung einer spezifischen Krankheit aufgefasst: Bei diesem »morbus imaginosus«, so Scaliger, trieben eingebildete Geräusche oder eingebildete Musik die Kranken in die Schlaflosigkeit oder gar in den Wahnsinn.7 David Ruhncken führte 1789 in seinem Glossar zum Timaios die An 2 Rohde, Psyche, S. 42 f.: »Was von der Unwiderstehlichkeit und der allgemeinen Ausbreitung der bakchischen Tanzfeste und ihrer Aufregungen berichtet wird, lässt an die Erscheinungen solcher religiöser Epidemien denken, deren manche auch in neueren Zeiten bisweilen ganze Länder überflutet hat. Man mag sich namentlich der Berichte von der gewaltsam sich verbreitenden Tanzwuth erinnern, die bald nach den schweren körperlichen und seelischen Erschütterungen, mit denen der ›schwarze Tod‹ im 14.  Jahrhundert Europa heimgesucht hatte, am Rhein ausbrachen und Jahrhunderte lang sich nicht ganz beschwichtigen liess.« 3 Ebd., S. 44–47, Zitat S. 47. 4 Ebd., S. 49–56. 5 Vgl. dazu kritisch von Reibnitz, Kommentar, S. 80. 6 von Wilamowitz-Möllendorf, Der Glaube der Hellenen I, S.  72: »Als die neue Religion unaufhaltsam in das Mutterland eindrang, war es wie eine epidemische Krankheit; das christliche Mittelalter hat ja ähnliches gesehen.« 7 Linforth, Corybantic Rites, S. 144 f.; zu Scaliger allg. Grafton, Joseph Scaliger. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Tanzwut in der Antike?

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nahme Scaligers in die Platon-Rezeption ein.8 Schon in den 1840er Jahren, also in der Hochphase der Rezeption der Hecker’schen »Tanzwuth«, äußerten sich Albert Jahn (1844) und der französische Mediziner Alfed Maury (1847) kritisch über diese Interpretation: »Korybantismus« bezeichne in den griechischen Quellen, zuvörderst bei Platon, nicht eine spezifische Geisteskrankheit, sondern einen Zustand des ekstatischen Kontrollverlusts im Rahmen der korybantischen Mysterien.9 Diese Kritik blieb freilich in der altphilologischen Forschung ungehört. Kurze Zeit nach von Wilamowitz-Möllendorf lehnte in Deutschland auch Walter Friedrich Otto die Pathologisierung des Dionysos-Kultes ausdrücklich ab, freilich ohne Heckers Erklärung der Tanzwut in Frage zu stellen.10 Ottos Arbeit wurde jedoch in der Klassischen Philologie allgemein eher kritisch gesehen.11 So sollte 1932 von medizinischer Seite Stefan Bezdechi-Cluj die Bacchan­tinnen des Euripides wiederum als Schilderung einer der mittelalterlichen Tanzwut entsprechenden »Chorea rhythmica saltatoria« beschreiben.12 Und für die Altphilologie konnte sich Eric Robertson Dodds 1943 ausgesprochen positiv auf Rohdes »Psyche« als eine der Grundlagen seines Werkes »The Greek and the Irrational« beziehen.13 Als einer der ersten Altphilologen wendete Dodds ethnologische bzw. kulturanthropologische Konzepte auf die antike Geschichte an. Es ging ihm dabei ausdrücklich um ein Verständnis all jener Aspekte der griechischen Kultur, welche die Altertumswissenschaften im Zeichen des Neu-Humanismus des 19.  Jahrhunderts als »irrational« ausgeblendet hatten.14 Zumal unter dem Einfluss von Ruth Benedicts »Patterns of Culture« (1929) wurde da 8 »Proprie verbum de aegrotis, qui tibiarum sonum sibi audire visi, quasi furiis agitantur, et vexantur insomniis, usurpari solitum, egregie docuit Jos. Scaliger.« Zitiert nach: Linforth, Corybantic Rites, S. 145. 9 Jahn, Specimen primum; Maury, De corybantisme, der freilich an der Pathologisierung des ekstatischen Tanzes und auch an der Gleichsetzung von Tanzwut und »Coryban­ tiasmus« ausdrücklich festhält; vgl. Linforth, Corybantic Rites, 145 f. 10 Otto, Dionysos, S. 116–120. Nicht explizit mit der Tanzwut, wohl aber mit der angeblichen höheren Anfälligkeit von »Weibern« für Exaltationen erklärt werden die dionysischen Tänze der Griechen bei Weege, Tanz in der Antike, S. 70–96. Eng an die Argumentation Rohdes knüpft auch der dänische Medizinhistoriker Heiberg, Geisteskrankheiten im klassischen Altertum, S.  2 f., an: »Obgleich der gänzlich ungriechische Kultus [der Bacchanalien, GR] durch griechische Nüchternheit etwas gezähmt wurde, namentlich in Athen, hat er doch nie den Charakter des religiösen Raptus mit künstlich hervorgerufener Ekstase ganz verleugnet […].« 11 Vgl. Dodds (Hg.), Euripides, Bacchae, S. xi, Anm. 2: »[…] interesting but should be used with caution.« 12 Bezdechi-Cluj, Das psychopathische Substrat; vgl. von Hovorka/Kronfeld, Vergleichende Volksmedizin, Bd. II, S. 200: der Mänadismus als frühes Vorkommen der »Hysterie«; noch Winkle, Geißeln, 32005, S. 1082 f., bezeichnet Rohde folgend den antiken Dionysoskult als »antike Tanzwut« und »Hystero-Epilepsie«. 13 Dodds, Die Griechen und das Irrationale, S. 39. 14 Ebd., S. ix f., 1. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Fundamente einer Semiotik von mania und enthusiasmos

für wiederum Nietzsches Unterscheidung von »apollinischem« und »dionysischem Prinzip« erkenntnisleitend.15 Benedict freilich hatte als Schülerin von Franz Boas, dem Begründer des Historischen Partikularismus in der Anthropologie, nicht nach universellen, sondern nach spezifischen patterns of culture gesucht. Gegen ein kausal-erklärendes Wissenschaftsverständnis stellte sie ausdrücklich einen hermeneutischen Zugang gegenüber einzelnen Gesellschaften.16 Vielleicht unter stärkerem Einfluss der freudianischen Psychoanalyse wendete Dodds diesen geisteswissenschaftlichen bzw. idiographischen Ansatz ins Nomothetische, Naturwissenschaftliche.17 So griff er auf Rohde und damit auf Hecker zurück und reproduzierte die Vorstellung von einem universalis­ tischen Krankheitsbild Tanzwut. Der Kulturrelativismus der Boas-Schule und der naturwissenschaftliche Universalismus Freuds haben ihre Wurzeln im gleichen liberalen Milieu der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Der promovierte Physiker Franz Boas hatte sich immer wieder auf Rudolf Virchow als methodisches Vorbild berufen.18 Dodds’ antike Tanzwut steht also mehrfach in der Tradition eines politischen Liberalismus und materialistischen Rationalismus in Deutschland nach der Revolution von 1848, der aus seiner Sicht deviantes Verhalten durch Pathologisierung zu erklären versuchte. In einer zunächst als Aufsatz und dann als Anhang zu »The Greek and the Irrational« veröffentlichten Abhandlung verglich Dodds die bacchantischen Tänze und Grenzüberschreitungen der Mänaden mit den Schilderungen der Tanzwut bei Hecker und Alfred Martin.19 Die dionysischen Rituale seien entstanden als Kanalisierung einer realen »Massenhysterie«. Wie die mittelalterliche Tanzwut zu kirchlich regulierten Wallfahrten umgeformt worden sei, so seien aus der »temporäre[n] rituelle[n] Raserei« der Mänaden langfristig staatstragende Kulte entstanden: »Indem solche Hysterie in einen geordneten Ritus geleitet wurde, welcher alle zwei Jahre einmal vollzogen wurde, hielt der Dionysoskult sie in Grenzen und gewährte ihr eine relativ harmlose Möglichkeit der

15 Dodds zitiert häufig anthropologisches Vergleichsmaterial aus Benedict; vgl. zur Nietzsche-Rezeption bei Ruth Benedict Harris, The Rise, S. 398 ff. 16 Ebd., S. 401–403. 17 Zur neokantianischen Wissenschaftstheorie nach Dilthey und Windelband vgl. ­Harris, The Rise, S. 270 ff. 18 Zu Virchows Konzept der »geistigen Epidemien« vgl. oben, Kap.  1.2.2; Kardiner/ Preble, Wegbereiter, S. 146–148. 19 Dodds, Maenadism; Ders., Die Griechen und das Irrationale, S.  141–149; ähnlich in: Ders. (Hg.), Euripides, Bacchae, S.  xiii–xvi; vgl. ähnlich Koller, Musik und Dichtung, S. 150: »Viele Zeugnisse sprechen vom epidemischen Taumel, der die Menschen beim Anhören dieser Gesänge ergriff, vergleichbar mit der mittelalterlichen Tanzwut, dem St. Veitstanz, der Tarantella oder aber mit der neuerdings unter Jugendlichen ebenfalls auftretenden Tanzwut.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Tanzwut in der Antike?

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Abreaktion.«20 Heckers Darstellung der Tanzwut wurde so zum direkten Modell für die antike Religionsgeschichte. Freilich gelingt diese Parallelisierung nur, weil Dodds sowohl die antiken Zeugnisse über dionysische Rituale als auch die Berichte über die mittelalterliche Tanzwut bei Martin und Hecker ohne Rücksicht auf den Quellenzusammenhang in angeblich analoge Einzelaspekte fragmentiert. Wie häufig in der medizinhistorischen Paläodiagnostik werden Quellen (und Forschungsliteratur) also letztlich nicht hermeneutisch im Zusammenhang gelesen, sondern diagnostisch wie medizinische Fallberichte als Serie von Symptomen. Dass es sich bei diesen Gemeinsamkeiten um pathologische Universalien handele, zeigt sich Dodds zufolge im interkulturellen Vergleich: So weist er etwa auf die analoge Verwendung von Flöte und Trommel für die Tanzmusik hin.21 Das »hyste­ rische« Zurückwerfen des Kopfes22 etwa weist er in dem Bericht eines Missionars über südamerikanischen Kannibalismus, in einer ethnographischen Beschreibung marokkanischer Tanzrituale und in klinischen Berichten über weibliche »Hysterikerinnen« nach.23 Die Mänaden in den Bacchae vergleicht Dodds mit dem Bericht eines englischen Abenteurers aus dem Abessinien des 19. Jahrhunderts, ohne in Betracht zu ziehen, dass dieser Nathaniel Pearce als Schüler seinen Euripides wohl gelesen haben dürfte.24 Der anthropologischuniversalistische Zugang verstellt also dem Philologen den Blick für mögliche topische Abhängigkeiten in seinen Texten, wie sie gerade für Motive des Mänadismus evident sind.25 Ungeklärt (und unerwähnt) bleibt dabei auch, dass und warum antiker Mänadis­mus und mittelalterliche Tanzwut, die doch angeblich dem gleichen psychopathologischen Syndrom entspringen, sich in zentralen »Symptomen« nicht entsprechen: Warum sind die rasenden Mänaden ausschließlich weiblich, die Tanzwütigen in den Quellen und bei Hecker und Martin aber ausdrücklich gemischt geschlechtlich? Warum finden die mittelalterlichen Tänze in der Regel eben nicht auf Berggipfeln, sondern auf Marktplätzen oder gar in Kirchen statt? Warum fehlt der Tanzwut der mythologische und rituelle Kern des Mänadismus, nämlich das Zerreißen und Fressen tierischer oder menschlicher Opfer? Warum tanzen die Mänaden alle zwei Jahre im Winter, die Tanzwütigen aber 20 Dodds, Die Griechen und das Irrationale, S. 142 f. 21 Vgl. dazu Rouget, S. 73–101, 119–124, 169–175, der gegen eine lange Tradition in der Anthropologie nachweist, dass im Kulturvergleich die Art des Musikinstruments für die Induktion von Trance und Ekstase unspezifisch ist und dass perkussive Musik nicht per se besonders Trance-auslösend wirkt. 22 Vgl. zu diesem Motiv unten, Kap. VII.1.4. 23 Dodds, Die Griechen und das Irrationale, S. 145. 24 Ebd., S. 145 f.; der Bericht des Nathaniel Pearce über den abessinischen »Tigretier« bildet einen stereotypen Standardbeleg in der Literatur des 19. Jh. über Tanzwut, Massenhysterie etc., vgl. schon Hecker, Tanzwuth, S. 55–63. 25 Vgl. Lindner, Mänaden, bes. S. 286 f. mit Anm. 4. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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im Sommer? Diese Widersprüche könnte man nun mit Hinweis auf die Viel­ gestaltigkeit psychosomatischer Erkrankungen abtun. Man müsste sich dann aber fragen, warum die Vertreter eines universalen Tanzwut-Konzepts solche demnach arbiträren Phänomene immer wieder als Beleg für ihre Analogie­ bildungen heranziehen. Gegenüber seinen Vorlagen zeichnet sich Dodds’ Deutung zudem durch eine bemerkenswerte Verschiebung aus: Der preußische Protestant Hecker hatte die Tanzwut als Folge der angeblich typisch mittelalterlichen Gefangenheit in Aberglauben, Armut und Abhängigkeit begriffen, aus der die neuzeitliche Emanzipation des Individuums den Menschen befreit habe. Dodds hingegen sieht gerade in der ihm zufolge die griechische Gesellschaft kennzeichnenden Selbstverantwortung des Individuums nach der Auflösung der archaischen Verwandtschaftsbande die Ursache für jene psychischen Belastungen, die in der massenhysterischen Tanzwut ausgelebt worden seien.26 An die Stelle der mittelalterlichen Irrationaliät bei Hecker und der dorischen Völkerwanderung bei Rohde tritt also das Unbehagen des Individuums in der Zivilisation. Der Rekurs auf die Pathologisierung des orgiastischen Tanzes bei Hecker und Rohde wird so wiederum mit der Idee eines Gegensatzes von »Apollinischem« und »Dionysischem« nach Nietzsche verknüpft. Auch wird die angenommene Tanzwut in den in Deutschland im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert vieldiskutierten Gegensatz zwischen »Kultur« und »Zivilisation« eingeordnet. Zudem öffnen die Anklänge an Sigmund Freud die Konzeption für die Projektion individueller Kausalannahmen (»Stress«) auf ganze Kollektive, wie sie vielfach kennzeichnend ist für sozialpsychologische Diskurse. Mit der Integration anthropologischer und psychoanalytischer Annahmen in die Altertumswissenschaft sollte Dodds’ Darstellung paradigmatisch werden. Dies zeigt sich etwa in Lilian B. Lawlers populärem Werk »The Dance in Ancient Greece«. Konkretere Aussagen über die Ursachen der angeblichen griechischen »dance mania« vermeidet sie. Vielmehr wiederholt Lawler die über die mittelalterliche Tanzwut kursierenden unspezifischen Krisenannahmen.27 Zugleich schließt auch sie sich den sozialpsychologisch argumentierenden Medizinhistorikern der 1960er Jahre an, die mit der Tanzwut letztlich jedes religiöse Ritual, zumal jede Kommunikation mit transzendentalen Sphären als Ab­ reaktion von Stress pathologisiert hatten.28 26 Dodds, Die Griechen und das Irrationale, S. 48 f. 27 Lawler, The Dance in Ancient Greece, S. 50 ff., bes. S. 51: »Dance mania can be induced by pestilence, famine, war – any sort of catastrophic upheaval, when the strains and tensions of life prove too much for human endurance. The hysterical, compulsive dance frenzy spreads through a whole comunity, and often cannot be checked until its grim course, with the resultant death of many of its victims.« 28 Ebd., S. 96 f. über die Tänze der Korybanten: »Somewhat similar frenzied dances […] are seen occasionally in underdeveloped parts of the world today, […] among poverty-stricken, © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Rohde, Dodds und Lawler interpretierten die mythische Erzählung von der Wanderung des Gottes konkret religionshistorisch und nahmen daher an, dass der Dionysus-Kult keine griechische Entwicklung, sondern ein Import aus Thrakien sei. Diese Deutung wird von der heutigen Forschung zurückgewiesen.29 Der Gott der ekstatischen Grenzüberschreitung wird heute vielmehr als genuin griechische Gestalt gesehen. Kann man ihn nicht mehr als angeblichen Fremdeinfluss aus dem Bild hellenischer Rationalität exkludieren, so sollte man seine Anhänger auch nicht mehr nachträglich als Tanzwütige pathologisieren.30 In der Literatur wird als antike Quelle für die ansteckende Wirkung des Tanzes immer wieder Lukian von Samosata (ca. 120 – ca. 180 n. Chr.) angeführt.31 Ignoriert wird dabei durchgehend der spezifische Charakter der Schriften des Satirikers und Historiographen. Bei seinem Alexandros etwa handelt es sich nicht um die sachliche Beschreibung eines Mysterienkultes, sondern um einen durchaus parteiischen Bericht über einen Scharlatan, der als angeblicher Bräutigam der Selene, Nachkomme des Perseus und Prophet des wiedergeborenen Äskula­pius die »plumpe[n] und unwissende[n] Leute« an sich bindet.32 Die Aufregung des zusammenlaufenden Volkes angesichts des sich »wie ein begeisterter Korybant« aufführenden falschen Propheten ist denn auch gerade nicht als Ansteckung, sondern deutlich als Folge von Leichtgläubigkeit gezeichnet.33 Die Interpretation in der Forschung setzt also die pathologische Konzeption von Tanzwut schon voraus, für die sie doch als Beleg stehen soll. Indem er die ­Ekstase der von Alexandros Genarrten mit dem durchaus auch in religiösen Kontexten gebräuchlichen Begriff für göttliche Einwohnung (entheos) belegt,34 zeigt Lukian freilich eine Skepsis gegenüber zeitgenössischen Konzepten von enthusiasmos, die für spätere christliche Rezipienten attraktiv werde sollte. Er wurde so vielleicht zur direkten Vorlage für einschlägige Beschreibungen.35 Eher sachlich ist Lukians Bericht über den Kult der »Syrischen Göttin« (­Kybele) in Hierapolis. Der ekstatische Schwerttanz der galloi genannten Priester der Göttin ist jedoch keineswegs an sich und unterschiedslos ansteckend. diseased, and hungry peoples. Some modern psychologists explain them as the outward expression of an overwhelming desire to free the spirit from the human body and to unite it mystically with deity, so that the worshipper may escape for a while the sorrows and hardships of everyday life.« Vgl. oben, Kap. I.1.4. 29 Bruit Zaidman/Schmitt Pantel, Religion der Griechen, S. 201–208. 30 Bruit Zaidman und Schmitt Pantel erwähnen folgerichtig die antike Tanzwut nicht mehr. 31 Pfister, (Art.) Ekstase, Sp. 961; Schulz, Bild des Tanzes, S. 109m; Koch, Salomés Schleier, S. 287 f.; Wenskus, Religion abâtardie, S. 243. 32 Wieland (Übers.), Lukian, Alexander, S.  86; vgl. Victor (Hg.), Lukian, Alexandros, Kap. 13 f., S. 90–93; zum Quellenwert vgl. die differenzierten Erwägungen ebd., S. 10–26. 33 Wieland (Übers.), Lukian, Alexander, S. 83 f. 34 Victor (Hg.), Lukian, Alexandros, S. 92. 35 Vgl. unten, Kap. II.3.3. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Von den zahlreichen Zuschauern werden vielmehr nur wenige bei seinem Anblick von der mania ergriffen, jene jungen Männer nämlich, die sich dann spontan entmannen und so selbst in den Kreis der galloi eintreten.36 Der ekstatische Schwerttanz der Kybele-Eunuchen sollte, wie noch zu zeigen sein wird, ebenfalls zum Motivspender für spätantike und frühmittelalterliche Beschreibungen der mania werden.37 In Peri orchesos (»Von der Tanzkunst«) setzt Lukian die Wirkung des Theatertanzes auf den Betrachter mit jener des Gesangs der Sirenen auf den Odysseus gleich.38 Es geht dabei jedoch nicht um den rituellen Tanz der Mysten, sondern um den pantomimus der Schauspieler. Auch handelt es sich nicht um eine auktoriale Aussage, sondern um die Position des stoischen Moralisten Kraton in einem lehrhaften Dialog mit dem passionierten Theateranhänger Lycinus über die ethische Legitimität des professionellen Tanzes. Während Kraton in Pantomime und erotischem Tanz gesellschaftliche Dekadenzphänomene sieht, rechtfertigt Lycinus das Schauspiel.39 Wo Lycinus den Tanz als Teil der Mysterienkulte schildert, ist denn auch nicht von Ansteckung oder Zwang die Rede.40 Hingegen erwähnt Lycinus dieses Moment der Nachahmung für das Theater selbst, wo ein professioneller Tänzer den rasenden Ajax so überzeugend gibt, dass er selbst und schließlich auch das Publikum der Suggestion erliegen: »Das tollste dabei war, daß seine Raserei auch die Zuschauer ansteckte; eine Menge von ihnen sprangen auf, schrien wie die Unsinnigen und warfen ihre Kleider von sich. Freilich waren es lauter Leute vom untersten Pöbel, die wenig davon verstunden, was recht oder was falsch gemacht wurde, und in der Einbildung, daß dies die vollkommenste Darstellung der Leidenschaft des Ajax sei, dem Tänzer durch diese fanatische Teilnehmung ihren Beifall am besten zu beweisen glaubten; […].«41 36 Lukian, De dea syria, S. 402 f.; dt.: Wieland (Übers.), Lukian, Von der syrischen Göttin, S. 192: »An diesen Tagen wird auch nicht selten der Orden der Gallen mit Neuangehenden vermehrt. Denn während die andern ihre Orgien begehen, teilt sich ihre Schwärmerei, von dem Getöse ihrer lärmenden Musik noch mehr angefacht, öfters auch den Umstehenden mit, und mancher, der nur als Zuschauer gekommen war, nimmt plötzlich selbst an dem Drama teil und spielt sogar eine Hauptrolle dabei. Ein junger Mensch, den diese Tollheit anwandelt, reißt sich auf einmal die Kleider vom Leibe, springt mitten unter die Gallen hinein, ergreift eines von den kurzen Schwertern, die vermutlich schon von vielen Jahren her zu diesem Gebrauch in Bereitschaft gehalten werden, kastriert sich, läuft mit dem, was er sich abgeschnitten hat, in der Hand in der Stadt herum, und in welchem Haus ihm einfällt, es hineinzuwerfen, aus demselben muß er mit weiblicher Kleidung und allem, was zum vollständigen Frauenschmuck gehört, versehen werden. Auf diese Weise verfahren alle, die diese Operation machen.« Vgl. dazu missverständlich Schulz, Bild des Tanzes, S. 109m. 37 Vgl. unten, Kap. II.3.3. 38 Harmon (Hg.), Lucian, The Dance, S.  212 f.; dt.: Wieland (Übers.), Lukian, Von der Tanzkunst, S. 426 f. 39 Miller, Measures of Wisdom, S. 188–190; Bermond, La danza, S. 61 f. 40 Wieland (Übers.), Lukian, Von der Tanzkunst, S. 429–436. 41 Ebd., S. 456. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Der Tänzer erschrickt über diese Entgrenzungserfahrung so sehr, dass er sich fürderhin weigert, die riskante Rolle zu spielen. Dies gibt seinem größten Konkurrenten die Gelegenheit, ihn zu übertrumpfen: »Denn der andere benutzte diese Gelegenheit, einen glänzenden Triumph über seinen Nebenbuhler zu erhalten und spielte den rasenden Ajax, der für ihn geschrieben wurde, mit so vielem Anstand, daß er allgemeinen Beifall erhielt und besonders deswegen gelobt wurde, daß er sich so geschickt in den Schranken der Saltation zu halten gewußt und eine Rolle, wo es so leicht war auszuschweifen, nicht wie ein Betrunkener gespielt habe.«42

Das Motiv der Unfreiwilligkeit, der suggestiven Wirkung des Tanzes, ist der spätantiken Gelehrsamkeit also durchaus bekannt. Und es kann durchaus zur satirischen Überhöhung dienen, wenn die Ambivalenz der theatralen Inszenierung zwischen Authentizitätsanspruch und Performativität thematisiert wird. Es funktionierte hier jedoch zunächst in spezifischen Diskursen über das Pro und Contra der Bühnenkunst, nicht etwa in Bezug auf eine schon zeitgenössisch bekannte Tanzwut. Dieses Motiv ist jedoch erklärbar aus der Struktur des dionysischen Mythos selbst: Der Zwang zur Raserei bzw. zum Tanz ging als Strafe für menschliches Fehlverhalten von der jeweiligen Gottheit aus.43 Man wird diese Zeugnisse also nicht angemessen verstehen, wenn man sie undifferenziert auf ein zeitlich und räumlich invariables medizinisches Syndrom Tanzwut zurückführt, statt sie in ihrem mythologischen und rituellen Kontext zu interpretieren. Zumal in der hohen Kaiserzeit zählte die Verehrung des Dionysos zu den beliebtesten und regional vielfältigsten Kulten im Mittelmeerraum. Zudem hatten die Mysterien der Kybele und des Attis und anderer Gottheiten Elemente des bacchantischen Rituals übernommen. Anders als in der älteren Forschung vermittelt, waren die späteren Dionysien freilich weniger durch orgiastische Entgrenzungen geprägt, als vielmehr durch ihre soziale Integrationswirkung und ihre ethisch-normative Prägekraft auf das Alltagsleben.44 Wie schon von Dodds und Rohde angenommen, war es zu einer tiefgreifenden Domestizierung der ekstatischen Kulte gekommen. Schon in der Römischen Republik war die Dionysos-Verehrung vom Staat restriktiv behandelt worden.45 Freilich fanden diese Kulte weite Verbreitung in allen sozialen und ethnischen Gruppen des Imperiums. Der sogenannte Bacchanalien­skandal von 186 v. Chr., die Verfolgung der Dionysos-Verehrung durch den Senat, wird in der Forschung heute nicht mehr primär mit der Ab 42 Ebd., S. 457. 43 Vgl. unten, Kap. II.3.1. 44 Merkelbach, Die Hirten, S. 121, 127 f.; ähnlich Andresen, Altchristliche Kritik, S. 355 f. 45 Schulz, Bild des Tanzes, S. 67 f.; Ehrenreich, Dancing in the Streets, S. 48, 53–55. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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lehnung ihres orgiastisch-ekstatischen Charakters erklärt. Vielmehr fürchteten die römischen Eliten eine Durchbrechung der senatorischen Kontrollbefugnisse in Kultfragen, die für das politische Selbstverständnis der Republik und für ihre soziale Ordnung als konstitutiv gesehen wurden. Die schematische Annahme einer rationalen Nüchternheit der römischen Religiosität im Gegensatz zur orgiastischen Rauschhaftigkeit der »orientalischen« bzw. hellenistischen dürfte so wiederum auch der Wahrnehmung der wissenschaftlichen Betrachter geschuldet sein.46 So setzte zwar schon 186 v. Chr. in Rom eine Domestizierung der ekstatischen Gruppenreligionen ein,47 erst der beinahe 200 Jahre später entstandene Bericht des Livius (um 64/59 v. Chr. – um 17 n. Chr.) in seiner »Römischen Geschichte« machte aus dem Bacchus-Kult dann aber eine die römische Kultur von außen überwältigende Bedrohung, die sich »wie eine ansteckende Krankheit« verbreitet habe.48 Diese Abneigung gegen die als kulturell fremd wahr­ genommenen bacchantischen und dionysisch-orphischen Kulte sollte für die römischen Eliten bis weit in die Kaiserzeit ein identitätsstiftendes Motiv werden.49 Dabei hatte die Verehrung des Dionysos/Bacchus in der religiösen Praxis der Stadt und des Weltreiches aber durchaus weiter ihren Platz – die Ausgrenzung funktionierte als kulturelles Stereotyp, nicht als reales Verbot. Als sich die römische Kirche im 8. Jahrhundert dezidiert gegen das hellenistische Erbe der spätantiken Christianität stellte,50 standen dabei also nicht nur asketische Nüchternheit gegen mystische oder gar ekstatische Transgressionen, sondern auch eine in der stadtrömischen Identität verankerte Distinktion gegen die Alterität der Griechen und Ostmediterranen. Als Paradigma für kulturelle Alterität sollte der Bacchanalienskandal, wie ihn Livius schildert, auch im Mittelalter immer wieder herangezogen werden, um Gegner als kontagiös, manisch, kannibalisch, sexuell promisk, politisch umstürzlerisch, kurz: als dio­ nysisch zu disqualifizieren. So wurde etwa 1307 die angebliche Verschwörung der Templer von ihren Anklägern ganz nach dem Muster der Schilderung bei Livius dargestellt.51 Wiederkehren sollten diese Stereotypen etwa in den Schilderungen der Tanzbewegung von 1374. Entsprechend ist die grundsätzliche Disqualifikation von Tanz als Wahnsinn in der antiken Überlieferung keineswegs ohne Quellengrundlage: ­Ciceros Sentenz »Beinahe niemand tanzt nüchtern, es sei denn, er ist sehr verrückt«

46 Takács, Politics and Religion; Cancik-Lindemaier, Der Diskurs Religion. 47 Versnel, Römische Religion, S. 52–54. 48 Livius, Römische Geschichte 39,8–19, hier: Kap. 9: »[…] ex Etruria Romam velut contagione morbi penetravit.« Vgl. hierzu und zum Folgenden Herrero de Jáuregui, Orphism and Christianity, S. 65–73; Jarcho, Concept of Contagion, S. 15, 27–41. 49 Leppin, Heidentum, S. 64. 50 Vgl. unten, Kap. IV.2.6. 51 Tuczay, Magie, S. 102. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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wurde auch von christlichen Autoren gern zitiert.52 Die moralische Abwertung des Tanzes bei der Mehrheit der Kirchenväter hat also ihre Vorläufer in der stoischen Ethik: Da die Stoa von einer objektiven und ausschließlich materiellen Existenz der Natur ausging, hatte eine tänzerische oder gar ekstatische Transzendierung ihrer Normen in ihr keine Grundlage. Der Weise durchschaut die Ordnung der kosmischen Harmonie, doch es hat für ihn keinen Sinn, selbst zu tanzen.53 Hinzu kam, dass die verschiedenen Gattungen des Theater­ tanzes bei den Eliten Roms schon seit republikanischer Zeit einer sozial-habituellen Geringschätzung ausgesetzt waren: Man besuchte gern Aufführungen von Pantomimen oder Komödien, betrachtete die professionellen Schauspieler und Tänzer aber in aller Regel als unehrenhaft. Umso mehr empfand man es als geschmacklos, wenn ein Standesgenosse sich wie ein histrio selbst tanzend und spielend auf der Bühne zeigte.54 Dennoch blieb der Tanz im vorchristlichen poly­theistischen Kult immer ein integraler Bestandteil.55 Vor allem jedoch ist dieser moralisch-ethische Antitanz-Diskurs der Stoiker oder der senatorischen Eliten nicht zu verwechseln mit der Annahme einer antiken Tanzkrankheit auf der Gegenseite. Die essentialistische Annahme eines universalen Krankheitsbildes Tanzwut ermöglichte es den Altertumswissenschaften jedoch, die irritierenden Aspekte bacchantischer Rituale in ihre Darstellung der griechischen Kultur zu integrieren. So betont Dodds, dass die Entgrenzungsmotive der dionysischen Mythologie eben nicht rein symbolisch zu deuten seien, sondern als Reflexe auf reales Kultgeschehen. Die kultische Raserei in der Religion der angeblich so rationalen Griechen wird also nicht mehr als Ausdruck fiktiver mythologischer Narrative erklärt. So verdienstvoll Dodds’ anthropologischer Zugang zum »Irrationalen« bei den Hellenen bleibt, löst er sich doch nicht von der ethnozentrischen Disqualifikation fremder kultureller Logiken als – eben: »irrational«. Vielmehr kann er orgiastische Rituale nur als rationale Kanalisierung einer »Massen­ hysterie« und Übernahme eines asiatischen Imports erklären und so als für die griechische Kultur uneigentlich und fremd charakterisieren.56 Auch wenn die griechische Philosophie sich in vielerlei Hinsicht von den Bindungen an Kult und Religion emanzipierte, war ihre »Rationalität« doch nicht die des liberalen Bürgertums der klassischen Moderne. 52 Cicero, Pro Murena, 6,13: »Nemo fere saltat sobrius, nisi forte insanit, neque in solitudine, neque in convivio moderato atque honesto.« Vgl. Weege, Tanz in der Antike, S. 151–153; rezipiert z. B. bei Ambrosius, De virginibus, Kap. V, Nr. 25 (PL 16, Sp. 239B); vgl. Andresen, Altchristliche Kritik, S. 374; McMullen, Christianity and Paganism, S. 46 mit Anm. 45. 53 So für die spätere Stoa des 2. Jh. n. Chr.: Miller, Measures of Wisdom, S. 165–177. 54 Leppin, Histrionen, S. 135–147. 55 McMullen, Christianity and Paganism, S. 46–48; Weege, Tanz in der Antike, S. 56 f. 56 Über die Grenzen des »Irrationalismus«-Konzepts bei Dodds am Beispiel der Disqualifikation der Theurgie des Jamblichus vgl. Stäcker, Die Stellung der Theurgie, S. 19–26. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Schließlich musste Dodds in den neueren Auflagen von »The Greek and the Irrational« selbst zugestehen, dass entgegen dem von ihm zunächst erweckten Eindruck der Korybantismus ein Konzept der Forschung und nicht etwa ein in der Antike bereits bekanntes Krankheitsbild darstelle.57 Denn in der Zwischenzeit hatte Ivan M. Linforth mit einer skrupulösen Untersuchung nachgewiesen, dass in den Erwähnungen des Korybantismus bei Platon durchweg von der rituellen Ekstase der Anhänger der Korybanten die Rede ist, nicht von einem medizinischen Syndrom.58 Die pauschale Disqualifikation der antiken Mysterien als Produkt einer krankhaften Tanzwut wird sich also wohl kaum halten lassen. Vielmehr liegt der Eindruck nahe, dass diese Diagnose dazu diente, das für den Neu-Humanismus des 19. Jahrhunderts konstitutive Bild der griechischen Kultur um die ekstatischen (»irrationalen«) Bestandteile zu bereinigen  – zumal gerade die diony­sische Mythologie durch das irritierende Motiv der weiblichen Überwältigungsmacht geprägt ist.59 Ein geschichtswissenschaftlicher Zugang hat vielmehr zu fragen, inwieweit die hier überlieferten antiken Motive von mania und Korybantismus in den späteren Konstruktionsprozess des räumlich und zeitlich spezifischen Phänomens Tanzwut eingegangen sind. Die Assoziation der antiken Korybanten mit Veitstanz und Tanzwut hat im Übrigen eine Vorgeschichte weit vor Hecker und Nietzsche und sogar vor ­Scaliger: Schon 1534 setzte der reformatorische Theologe und Arzt Otto Brunfels den Tanz der antiken Kybele-Priester mit dem Veitstanz gleich, den er 1518 in Straßburg vielleicht selbst erlebt hatte.60 Das Bestreben des Mediziners, natürliche Ursachen für außergewöhnliche Phänomene zu finden, überlagerte sich hier mit der antikatholischen Polemik des radikalen Anhängers der Reformation. Brunfels, der in der frühen Reformationszeit erhebliche Prominenz erlangt hatte, sollte später außerhalb der Pharmazie und der Botanik kaum mehr rezipiert werden. In seiner Disqualifikation orgiastischer Riten schwingt jedoch die 57 Dodds, Die Griechen und das Irrationale, S. 50. 58 Linforth, Corybantic Rites, bes. S. 148 ff.; Linforth diskutiert ausführlicher die Konzeption Rohdes (S. 151 f.), nicht jedoch die für ihn ganz aktuelle Dodds’. 59 Vgl. eindrücklich Rohde, Psyche, S. 42 f.: »In Wahrheit müsste man, auch wenn keinerlei Berichte uns hiervon redeten, voraussetzen, dass unter Griechen ein tief verwurzelter Widerwille sich gegen den verwirrenden Taumel des thrakischen Cultes gewehrt, die Abneigung ursprünglichsten Instincts sich gesträubt haben werde, in diesen überschwänglichen Erregungen sich ins Grenzenlose der Empfindung zu verlieren. Was thrakischen Weibern anstehen mochte […], dem konnte, als ein Bruch aller Sitte und Sittsamkeit, griechisches Bürgertum nicht ohne Kampf nachgeben. […].« Zur Kopplung von Narrativen weiblicher Übermächtigung und solchen der Fremdheit im Mänadismus und seiner Rezeption vgl. Lindner, Rasende Mänaden. 60 Auf Brunfels als ersten Beleg für die Assoziation von Korybantismus und Tanzwut weist schon Maury, Du corybantisme, S. 68, Anm. 2, hin. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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allgemeine reformatorische Tendenz zur Ablehnung der sakramentalen bzw. spirituellen Logik religiöser Rituale mit – eine Tendenz, die auch in den philologischen Diskussionen des 19. und 20. Jahrhunderts noch wirksam war.61 Ob Scaliger Otto Brunfels’ Onomastikon medicinae rezipiert hat, ist unklar. Mit seiner Interpretation des Korybantismus als einer Geisteskrankheit, die durch akustische Halluzinationen ausgelöst wird, steht er jedoch wie Brunfels deutlich in der Tradition eines Krankheitskonzepts, das die humoralpathologische Medizin seit der Spätantike begleitete.62 Schon bei Brunfels und Scaliger reagiert die Pathologisierung der enthusiastischen Ekstase des klassischen Griechenland auf die zeitgenössische Thematisierung der Tanzwut im 16. Jahrhundert. Rohde, Dodds und Lawler stellten also lediglich eine erneute Verbindung her zwischen zwei Konzepten, die schon in ihrer Genese eng verknüpft sind. Die Thematisierung unfreiwilligen Tanzes und ekstatischer Expressionen im weiteren Sinn in der antiken Literatur ist demnach nicht etwa Beleg für die essentialistische Annahme eines zeitlich und räumlich universalen Krankheitsbildes Tanzwut. Wohl aber bieten die Religion der Antike und ihre Thematisierung durch die Zeitgenossen einen Fundus, aus dem sich vielfach fragmentiert, gespiegelt und umgedeutet die mittelalterliche Wahrnehmung von Tanz und Ekstase speisen konnte. Den Hintergründen und Zusammenhängen dieser antiken mythologischen Konzepte und ihrer späteren Rezeption nachzugehen kann also maßgeblich zum Verständnis auch der mittelalterlichen Tanzwut beitragen.

II.2 Antike Kosmologie und christlicher Platonismus II.2.1 Sphärenharmonie und ewiger Tanz Lukian von Samosata, den wir bereits als zweifelhaften Zeugen für den unfreiwilligen Tanz der Korybanten kennengelernt haben,63 wird in der Forschung ebenso gern als Quelle für die positive Wahrnehmung des Tanzes als Nachvollzug der kosmischen Sphärenharmonie herangezogen: In seinem auch im lateinischen Mittelalter vielfach zitierten Werk Peri orchesos formulierte er die Vorstellung von der kosmischen Herkunft des Tanzes: Wie der Gott Eros sei auch Orchesis, die Göttin des Tanzes, schon mit den Uranfängen des Universums 61 Erwin Rohde war gebürtiger Hamburger, Friedrich Nietzsche stammte aus einer preußischen Pastorenfamlie, Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf aus preußischem Adel. Die beiden Letzteren hatten sich auf der früher sächsischen, nun preußischen Landesschule Schulpforta kennengelernt. 62 Vgl. unten, Kap. II.3.5. 63 Vgl. oben, Kap. II.1. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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entstanden, denn die Bewegungen der Sphären und der Planeten seien der erste und ursprünglichste Tanz: »[…] diejenigen, die ihre Genealogie am richtigsten angeben, behaupten, daß sie mit dem ganzen Weltall einerlei Ursprung habe und mit jenem alten Amor zugleich zum Vorschein gekommen sei. Denn was ist jener Reigen der Gestirne und jene regelmäßige Verflechtung der Planeten mit den Fixsternen und die gemeinsame Mensur und schöne Harmonie ihrer Bewegungen anders als Proben jenes uranfänglichen Tanzes?«64

Diese kosmische Theogonie einer göttlichen Personifikation des Tanzes darf man freilich nicht als auktoriale Meinungsäußerung des Verfassers missver­ stehen: Diskutiert wird in Peri orchesos das Pro und Contra des Bühnentanzes. Die hier sprechende Figur, der begeisterte Theaterbesucher Lycinus, rechtfertigt das Schauspiel durch den Hinweis auf die kosmische Herkunft des Tanzes. Der allen weltlichen Vergnügungen abholde Stoiker Kraton leitet das Gespräch denn auch mit Worten ein, die direkt auf die Wahrnehmung von Tanz als ­mania verweisen: »Ich habe zwar ganz und gar keine Zeit übrig, einem Rasenden zuzuhören, der seiner Krankheit eine Lobrede hält, indessen […] bin ich bereit, mich dieser freundschaft­ lichen Frone zu unterziehen […].«65

Und auch wenn Kraton sich am Ende durch einen langen Monolog des Lycinus überzeugen lässt:66 Dem Denken Lukians dürfte die Einlassung seiner Figur ­Lycinus nicht entsprochen haben. Jedenfalls lässt er in seiner Schrift Icaromenippus den von ihm verehrten Kyniker Menippus die Vorstellung vom Sphärenreigen als menschliche Projektion verhöhnen: Im allgemeinen Durcheinander der weltlichen Existenz wünschten sich die Sterblichen vergeblich, so Menippus, Teil einer kosmischen Ordnung zu sein.67 Anders als seine mittelalterlichen Leser (und weite Teile der Forschung) kann man den kynisch beeinflussten Satiriker Lukian also wohl kaum als Kronzeugen für den kosmischen Reigen heranziehen. 64 Harmon (Hg.), Lucian, The Dance, S.  220 f.; dt.: Wieland (Übers.), Lukian, Von der Tanzkunst, S. 429; vgl. Wössner, Göttertanz, S. 71; Carter, Celestial Dance, S. 4; Berghaus, Neoplatonic Notions, S.  47 f.; Zimmermann, Engelsreigen, S.  95; Merkelbach, Die Hirten, S. 28; Hammerstein, Musik der Engel, S. 28; allg.: Schulz, Bild des Tanzes, S. 235–241; auf die orphischen Konnotationen der Stelle weist hin: Greene, Labyrinth Dances, S. 1441 f. 65 Harmon (Hg.), Lucian, The Dance, S.  218; dt.: Wieland (Übers.), Lukian, Von der Tanzkunst, S. 428; vgl. ebd.: »Du jammerst mich ordentlich, Lycinus! du [!] sprichst ja wie ein Mensch, den die Bacchantenwut ergriffen hat.« 66 Wieland (Übers.), Lukian, Von der Tanzkunst, S. 458. 67 Miller, Measures of Wisdom, S. 181–183; Wielands klassische Übersetzung (1788/89) des Dialogs verunklart die Konnotation zu den kosmischen Reigen, indem sie choros etc. kosequent mit »Gesang« übersetzt; vgl. Wieland (Übers.), Lukian, Ikaromenippus, S. 125. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Die mit den Platonikern konkurrierenden philosophischen Schulen (Kyniker, Epikureer, Stoa) standen also der Assoziation von irdischem, körperlichem Tanz und Kosmologie durchaus kritisch gegenüber68 und lieferten so auch Argumente für die christliche Theologie. Diese antiken und spätantiken Diskussionen über die Sphärenharmonie und ihren irdischen Nachvollzug sollten jedoch der Forschung nicht Anlass zu anachronistischen Projektionen geben: Wenn Lukian und Strabon die Tänze der Korybanten mit dezidiert medizinischen Semantiken belegen, bezeugen sie damit nicht die Existenz eines essentiellen Tanzwut-Syndroms, sondern ihre Ablehnung einer spezifischen zeit­ genössischen Konzeption vom Tanz als Kommunikation mit den Sphären. Spätestens mit dem Aufstieg des Neoplatonismus zur philosophisch-theologischen Grundlage des Kaiserkultes seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. sollten diese kritischen Stimmen massiv an Einfluss verlieren  – zumindest, was die Vorstellung vom kosmischen Reigen angeht.69 Zwar tendierte die neoplatonische Ethik zu einer starken Spiritualisierung, durch die etwa die musikalische Praxis moralisch entwertet wurde gegenüber der rein philosophischen Spekulation über die Musik als Ausdruck der Transzendenz. Auch insofern nahm sie zentrale Argumentationsmuster der Patristik vorweg.70 Sie konnte die weltliche Instrumentalmusik jedoch nur deshalb als Täuschung übelwollender Dämonen disqualifizieren,71 weil sie in der Tradition der pythagoräisch-platonischen Kosmologie die Sphären von himmlischer Musik erfüllt sah. Der ganze Kosmos in seiner ewigen Harmonie ist demnach in mathematischen Verhältnissen geordnet und bewegt sich in zahlenmäßig regulierten Rhythmen.72 Jede Musik ist also Nachvollzug der Harmonie des Kosmos, oder besser: Der Kosmos selbst ist musikalisch verfasst, und zu einem philosophischen und religiösen Verständnis des Universums führt der Weg über die Einsicht in die mathematische Ordnung dieser Sphärenmusik. Musik und Tanz, im spirituellen Verständnis: die Spekulation über die mathematischen Gesetze der kosmischen Harmonie, lassen demnach den Menschen die göttliche Ordnung

68 Miller, Measures of Wisdom, S. 151–186. 69 Vgl. unten, Kap. IV.2.2. 70 Hammerstein, Diabolus in musica, S. 20 f. 71 Für Platon selbst waren daimones nicht negativ konnotiert, sondern kosmische Wesen, die die Götter in der natürlichen Welt vertreten, weshalb die Menschen nach Harmonie mit ihnen streben sollten. Erst in der Spätantike verschob sich die Wahrnehmung zum Nega­ tiven, womit ihre gnostische und christliche Bedeutung als Handlanger des Satans vorbereitet wurde, vgl. Shaw, Theurgy and the Soul, S. 8–11. 72 Berghaus, Neoplatonic Notions, S.  43–47; zur Genese und Entwicklung der Vorstellung vom kosmischen Reigen vgl. allg. Miller, Measures of Wisdom; Millers Studie beschränkt sich ausdrücklich auf die griechische Antike; die im Nachwort angekündigte Folgestudie zur lateinischen Überlieferung ist nicht erschienen. Die Manuskriptfassung Miller, Choreia, war mir leider nicht zugänglich. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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erkennen.73 Erziehung und Zivilisation meinen nichts anderes als die Einsicht in die Gesetze der kosmischen Harmonie.74 Zwei Formen der Bewegung verschränken sich dabei stetig: Einerseits die immer gleichen Umdrehungen der Fixsternsphäre, die in Relation zueinander und zum Mittelpunkt ihrer Kreisbahn unbeweglich und »gleich« bleiben; andererseits der Umlauf der Sonne durch die Fixsternsphäre und die nicht kreisförmigen, sondern jeweils spezifischen Bewegungen der Planeten, die »verschiedenen Bewegungen« also.75 Diese kosmischen Reigen sind also in zweierlei Hinsicht unendlich: weil sie erstens kreisförmig geordnet sind und weil zweitens ihre Bewegungen ununterbrochen den Kosmos durchziehen.

II.2.2 Sympathie oder Theurgie? Porphyrius gegen Jamblichus Wie die Sterne und Sphären um die Erde bzw. seit Plotin (um 205 – um 270 n. Chr.) um den höchsten »Einen«76 kreisen, so sind die Seelen der Menschen, ja: alle Dinge der materiellen Welt, zwar individuell für sich existent. Sie sind jedoch auch wie die Teilnehmer eines Reigens miteinander und ihrem Mittelpunkt harmonisch verbunden. Plotin nennt diese Verbundenheit im ewigen Reigen »Sympathie«  – ein Konzept, dass er von dem Stoiker Poseidonios (­135–51  v. Chr.) übernommen hatte.77 Der Kosmos, so schon Platon im Timaios, ist als Ganzes ein Organismus, dessen Einzelteile durch das in ihm gegenwärtige Lebensprinzip, die »Weltseele« (Plotin), hergestellt wird.78 Der Wille des Höchsten wird dabei durch die kosmischen Sphären in einer ununterbrochenen Kette von sym­ pathetischen Relationen bis zum niedersten Element weitergegeben.79 Nach Plotin waren die Götter als Teil des Kosmos in den Wirkungskreis der Sympathie eingebunden. Deshalb konnte er Mantik, Magie und Astrologie, die Techniken des Menschen zur Kommunikation mit den höheren Mächten, als sympathetische Funktionen erklären. Dabei werden nach Plotin in der kosmischen Kette vom Höchsten bis zum Niedrigsten die Sphärenbewegungen und 73 Pont, Plato’s Philosophy; Carter, Celestial Dance, S.  4–6; Berghaus, Neoplatonic ­Notions, S. 46; Andresen, Altchristliche Kritik, S. 375 f.; vgl. allg. Hammerstein, Musik der Engel, S. 116–119. 74 Miller, Measures of Wisdom, S. 14–16, 52 f. 75 Ebd., S. 43–45, 53 f.: »circle of the same« und »circle of the different«. 76 Ebd., S.  200–202; Jamblichus unterscheidet zwei Generationen nach Plotin die seelisch-spirituelle Kreisbewegung um den »Einen« von der körperlich-materiellen Kreisbewegung der Sphären um die Erde, vgl. ebd., S. 285. 77 Nasemann, Theurgie und Philosophie, S. 105 f.; Miller, Measures of Wisdom, S. 158– 162; Carter, Celestial Dance, S. 6 f. 78 Nasemann, Theurgie und Philosophie, S. 110–112. 79 Miller, Measures of Wisdom, S. 143 f., 157 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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damit die Wirkungen von Nachbar zu Nachbar übertragen.80 Da die Götter in den Kosmos integriert seien, so Plotin, gebe es letztlich keinen Ab- oder Aufstieg der menschlichen Seele in die materielle Welt, wie die älteren Platoniker angenommen hatten. Vielmehr verharre die Seele bei den höheren Mächten, ja: Sie habe die Aufgabe, sich durch philosophische Erkenntnis aus den Bindungen der materiellen Welt zu befreien.81 Plotins Schüler, Biograph und Redaktor Porphyrius (234 – Anf. 4. Jh. n. Chr.) konnte daher die Verwendung von materiellen Hilfsmitteln und Opfern zur Kommunikation mit höheren Mächten ablehnen. Porphyrius’ Brief an den ägyptischen Priester Anebo, eine Streitschrift gegen das kultische Opfer, veranlasste jedoch einen seiner Schüler,82 eine ganz andere Theorie der kosmischen Wirkzusammenhänge zu entwickeln: Für Jamblichus von Chalkis (ca. 280 – ca. 330 n. Chr.) stehen die höheren Götter außerhalb des materiellen Kosmos.83 Durch ihre Emanationen nutzen und steuern sie zwar die Sympathie, bleiben ihr selbst aber extern.84 Deshalb lehnt Jamblichus Magie und Astrologie als niedere Augenwischerei ab.85 Mantik und kultische Opfer seien nicht durch inner-kosmische Wechselwirkungen zwischen benachbarten Dingen und Wesen zu erklären, sondern durch jenen Aufstieg der Seele zu den suprakosmischen Göttern, welchen Jamblichus damit gegen Plotin wieder einführt.86 Der Transfer von Wirkungen erfolge eben nicht durch Weitergabe der Sphärenschwingungen im direkten Kontakt, sondern durch die affizierende Kraft der Ähnlichkeit auch in der Distanz. Ein Gegenstand werde durch seine Ähnlichkeit mit der höheren Macht spirituell tauglich zur Weitergabe ihrer Wirkungen.87 Sympathetische Magie tauge demnach allenfalls zur Kommunikation mit den sublunaren, niederen Gottheiten, zum Liebeszauber etwa. Das kultische Opfer und die Mysterien der Ägypter und Chaldäer hingegen er 80 Nasemann, Theurgie und Philosophie, S. 106 f. 81 Shaw, Theurgy and the Soul, S. 10–14. 82 Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 13 f. 83 Zur Frontstellung zwischen Jamblichus und Porphyrius und zu den Schriften Epistula ad Anebonem (Porphyrius) und De mysteriis (Jamblichus) vgl. Nasemann, Theurgie und Philosophie, S. 18–20; Knipe, Subjugating the Divine. Da De mysteriis als Antwort eines ägyptischen Priesters namens Abammon auf die Streitschrift des Porphyrius firmiert, ist die Autorschaft des Jamblichus immer wieder in Zweifel gezogen worden. Sie gilt derzeit aber als gesichert, vgl. Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 15 f.; Nasemann, Theurgie und Philosophie, S. 13–18. Der Titel De Mysteriis Aegyptorum, Chaldeorum, Assyriorum stammt vom Übersetzer des Erstdrucks, Marsilio Ficino, vgl. Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 15; Shaw, Theurgy and the Soul, S. 6 f.; Nasemann, Theurgie und Philosophie, S. 9 f. 84 Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 202 f.; zu den Göttern und höheren Wesen des Jamblichus vgl. Miller, Measures of Wisdom, S. 288 f., 293 f.; Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 189, 193 f. 85 Nasemann, Theurgie und Philosophie, S. 21; Miller, Measures of Wisdom, S. 419. 86 Nasemann, Theurgie und Philosophie, S.  104, 180; Shaw, Theurgy and the Soul, S. ­14–16. 87 Nasemann, Theurgie und Philosophie, S. 111 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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öffneten, so Jamblichus, den Aufstieg zu den enkosmischen Göttern.88 Denn zwischen den höheren Wesen und den Naturdingen als ihren Symbolen bestehe eine wesenhafte Verbindung. Diese sei jedoch nicht durch Sympathie zwischen gleichrangigen Nachbarn, sondern durch die »Liebe« (agape)  zwischen Schöpfer und Geschöpf, durch eine hierarchische Beziehung also, konstituiert.89 Diese Liebe gebe der für sie zugänglichen Seele die Möglichkeit zum Aufstieg und damit zur wirksamen Kommunikation mit den höheren Mächten, zur Theurgie.90 Diese sei eben nicht Magie, also sympathetische Bezwingung der ­daimones, da die hierarchisch übergeordneten Gottheiten sich dem Menschen immer nur freiwillig zuwendeten, sondern sie mache durch die richtige Verwendung von Symbolen und Opfern die Seele zugänglich für die gnadenvolle Zuwendung der Götter.91 Während Philosophie und Theologie nur nach Erkenntnis der höheren Mächte strebten, könne die theurgia (griech.: »Gottes Werk«) deren konkrete Wirksamkeit in der sublunaren Welt hervorrufen.92 Eine rein vernuftmäßige Gotteserkenntnis, so Jamblichus, sei überhaupt nicht möglich, da die Höchsten sich außerhalb des Kosmos befänden und damit der menschlichen Einsicht entzogen seien. Die vollständige Vereinigung mit dem Höchsten sei nur in der handelnden Herstellung der Wesensgleichheit möglich.93 Die philosophische Erkenntnis der kosmischen Ordnung, die für Porphyrius das Ziel der menschlichen Existenz darstellte, ist für Jamblichus also nur die Voraussetzung für die eigentliche Fähigkeit des Menschen: durch korrekten (»taktischen«, also: dem Rhythmus der Sphären entsprechenden) Vollzug der Rituale und Gebrauch der Symbole die Wirksamkeit der Götter hervorzurufen. Da man das Göttliche immer nur über materielle Äußerlichkeiten erfasse, bestehe jedoch latent die Gefahr der ataxis, also der Störung der kosmischen Ordnung durch falsche Rituale.94 Symbole und Rituale übertragen demnach bei korrekter Anwendung die Harmonie der Götter auf den Menschen, d. h. wie ein Musikinstrument »stimmen« sie ihn für den Empfang der höheren Mächte, die seiner Seele dann den Weg zum Aufstieg durch die Sphären eröffnen.95 Die große Mehrheit der Menschen sei, so Jamblichus, der materiellen Welt noch so sehr verhaftet, dass sie auf materielle Opfer und Symbole angewiesen sei, um sich zumindest die enkos­ mischen Götter zugänglich zu machen. Nur Wenigen sei es vergönnt, ihre Seele 88 Ebd., S. 106–108. 89 Ebd., S. 123 ff. 90 Vgl. allg. Johnston, (Art.) Theurgie. 91 Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 174–176. 92 Shaw, Theurgy and the Soul, S. 15. 93 Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 169–176; Charles-Saget, La théurgie, S. 107–113. 94 Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 186, 194–196. 95 Ebd., S. 183 f.; vgl. zur Symboltheorie des Jamblichus auch Shaw, Theurgy and the Soul, S. 129–135, 159–165. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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so weit aus der materiellen Welt zu erheben, dass sie vermittels immaterieller Symbole mit den intelligiblen Göttern außerhalb des Kosmos kommunizieren könnten.96 Weil Rituale und Symbole von den Göttern selbst stammen, so Jamblichus, müsse der theurgos immer nach ihrer ursprünglichsten Form suchen, um Fehler zu vermeiden. Wie schon Platon die chaldäischen und ägyptischen Mysterien als besondere Offenbarungen der Götter anerkannt hatte, und wie die ihm folgenden Schulen der Antike davon ausgingen, dass ihr Lehrmeister selbst in diese Mysterien eingeweiht gewesen sei,97 konnte Jamblichus die ägyptischen und orientalischen Priester gegen die Vorwürfe seines Lehrers verteidigen. Porphyrius selbst hatte anerkannt, dass die Götter bestimmte Völker mit ihren Offenbarungen besonders begnadeten, also mussten bei diesen die reinsten Überlieferungen der theurgischen Rituale und Symbole zu finden sein.98 Die Quellen, auf die Jamblichus zurückgriff, waren freilich nicht so alt und ursprünglich, wie er annahm: Die Chaldäischen Orakel etwa waren selbst erst im 3. Jahrhundert n. Chr. formuliert worden.99 Die neoplatonische Rezeption vorderasiatischer Religionen saß hier also augenscheinlich der eigenen »invention of tradition« auf. Während die neoplatonische Schule um Plotin und Porphyrius zunehmend einer elitären und pessimistischen Desakralisierung des Kosmos zuneigte, gelang Jamblichus die Synthese von platonischer Philosophie und volkstümlicher religiöser Praxis zu einem Schlüsselwerk der spätantiken Astralreligion.100 Die explizite Integration »orientalischer« Offenbarungslehren war dabei nicht, wie die ältere Forschung beklagt hat, eine Aufgabe philosophischer Rationalität zugunsten unhellenischer Fremdeinflüsse durch eine dekadente Intelligenzia (so Eric R. Dodds), oder gar Folge einer psychopathologischen Störung. Vielmehr waren diese Mysterien seit Platon selbst explizit anerkannter Teilder Philo­ sophie, welchen Jamblichus nun systematisch mit der neoplatonischen Kosmologie seiner Zeit synthetisierte.101 Jamblichus markiert also nicht den Verfall der spätantiken Philosophie, sondern eine wirksame Durchdringung von Religion und Rationalität in den Denkkategorien seiner Zeit, die in vielerlei Hinsicht schulbildend werden sollte, etwa für die Sakramentenlehre der römischen 96 Nasemann, Theurgie und Philosophie, S. 23 f.; Shaw, Theurgy and the Soul, S. ­144–152, 159–162. 97 Ebd., S. 7 f. 98 Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 195–197. 99 Johnston, (Art.) Oracula Chaldaica. 100 Shaw, Theurgy and the Soul, S. 17; Gundel/Gundel, Astrologumena, S. 315–318. 101 Zur neueren Diskussion über die Pathologisierung der Theurgie des Jamblichus in den klassischen Altertumswissenschaften vgl. Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 18–26; Shaw, Theurgy and the Soul, S.  4–7; Nasemann, Theurgie und Philosophie, S.  10–12, 282, 299; Charles-Saget, La théurgie, S. 107. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Kirche.102 Dies gilt auch für die Unterscheidung zwischen dem ineffablen höchsten Gott (dem bzw. den »Einen«) und seiner enkosmischen Emanation (»Helios«), die im Christentum in der Unterscheidung zwischen der real sichtbaren Sonne und der »wahren Sonne« bzw. »Sonne der Gerechtigkeit« Christus/ Gott wiederholt werden sollte.103 Es ist sicherlich kein Zufall, dass ein prominenter Altphilologe wie Eric ­Robertson Dodds, dem sich die spezifische Logik der Religiosität des Jam­ blichus nicht erschließen wollte, auch die Tänze der bacchantischen Mysterien nur als Folge einer Tanzwut-Epidemie und eines verderblichen orientalischen Einflusses sehen konnte. Er reproduzierte so eine Frontstellung, die schon in der Diskussion zwischen Porphyrius und Jamblichus expliziert wird: Da es für ­Porphyrius keine spirituelle Inspiration geben konnte, disqualifizierte er jeden enthusiasmos als krankhafte mania. Er konnte sich dafür auf medikale Konzeptionen stützen, die unter antiken Ärzten seit vorsokratischer Zeit diskutiert wurden.104 Jamblichus antwortete darauf in De mysteriis: Nur der Unkundige sehe bei einem Enthusiasten körperliche Krankheitssymptome, dem Theurgen hingegen erschließe sich der göttliche Charakter der Einwohnung: »Die dagegen, die ohne diese beseligenden Schauspiele das Herabbannen der Geisterwelt vornehmen, tappen gleichsam im Dunkeln und wissen nichts von dem, was sie tun; denn ihnen offenbaren sich nur ganz bedeutungslose Merkmale (der Besessenheit) am Körper des Inspirierten […], während sie das Wesentliche an der göttlichen Inspiration […] nicht kennen. […] Wenn nun also das (inspirierende) Feuer der Götter kommt und eine geheimnisvolle Spezies des Lichts von außen her auf den Besessenen niedersteigt, […] so daß er ganz außer Stande gesetzt ist, sich selbständig zu betätigen, wie kann dann dem, der das göttliche Feuer (in sich) aufnahm, noch eine Sinneswahrnehmung, ein Bewußtsein seiner selbst oder eine eigene Willensregung zukommen? Wie kann dann noch eine menschliche Bewegung erfolgen oder eine Besessenheit, für die der Mensch die Ursache sein soll, infolge von Krankheit (Epi­ lepsie, Hysterie oder Melancholie), Verzückung, Verrückung des Vorstellungsvermögens oder irgend etwas dieser Art, was der große Haufen für Besessenheit nimmt?«105

Er formuliert hier einen brillanten Zirkelschluss, der sich nur dem Mystiker erschließen wird: Mania kann keine Krankheit des Menschen sein, da der vom Gott Erfasste ja gar keinen Spielraum für menschliche Regungen mehr bietet. Ungeachtet dieser logischen Unschärfe wird man aber die neoplatonische Mystik im Gefolge des Jamblichus in ihren Auswirkungen bis weit in das mittel­ alterliche Christentum hinein nicht angemessen verstehen, wenn man in der Diskussion die philosophischen Frontstellungen des 4. Jahrhunderts reprodu 102 Shaw, Theurgy and the Soul, S. 241 f. 103 Vgl. unten, Kap. IV.2.2. 104 Vgl. unten, Kap. II.3.3. 105 Hopfner (Übers.), Jamblichus, Über die Geheimlehren, 3.6, S. 74 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ziert und mit biomedikalen Konstrukten des 19.  Jahrhunderts kurzschließt. Denn Jamblichus thematisiert ebenso ausdrücklich die Verzückung der Korybanten und anderer Mysten: »Dann sagst Du [Porphyrius] folgendes: ›Manche von den Verzückten […] befinden sich in diesem Zustande des Enthusiasmus, wenn sie Flöten, Cymbeln, Pauken oder eine (bestimmte) Melodie hören, wie (z. B.) die, die sich in korybantischer Ver­ zückung befinden, oder die, die von Sabazios besessen sind, oder die Eingeweihten […] der großen Mutter (Kybele).‹ – […] Daß die Musik befähigt ist uns zu aktivem wie auch passivem Verhalten anzuregen, daß der Flötenklang den Affekt des Entrücktseins sowohl hervorrufen als auch zu heilen vermag, daß die Musik die Temperamente und Dispositionen des Leibes verändern kann, daß man durch gewisse Melodien in bacchische Raserei gerät, durch gewisse andere aber wieder davon abläßt, ferner in welcher Weise die Unterschiede in den Melodien den verschiedenen seelischen Dispositionen angepaßt sind [….], alles das, meine ich, bringt man für den Enthusiasmus in sehr unangemessener Weise vor; denn das sind doch lauter physische Dinge, Menschenwerke und Ergebnisse menschlicher Kunstfertigkeit, das Göttliche aber offenbart sich nicht darin. Lieber wollen wir darauf hinweisen, daß (bestimmte) Töne und Melodien allen Gottheiten geweiht sind, jedem (die seine) in eigentümlicher Weise, und daß diesen Tönen und Melodien mit den (entsprechenden) Gottheiten eine angemessene Verwandtschaft zukommt, und zwar hinsichtlich der ihnen eigentümlichen ›Reihen‹ und Energien, hinsichtlich der im Weltall selbst vorhandenen Bewegungen (der göttlichen Himmelskörper) und der harmonischen Klänge, die durch jene Bewegungen ertönen (also hinsichtlich der sogenannten Sphärenharmonie). Gemäß solcher Verwandtschaft der Melodien mit den Göttern erfolgt dann auch ihre Gegenwart (in der Inspiration oder Besessenheit), denn es gibt ja nichts, was sie fernhielte; so muß denn notwendigerweise das, was die gerade zutreffende Verwandtschaft mit den Göttern besitzt, sofort an ihnen Anteil erhalten und es so sofort zu einer vollkommenen Besessenheit und Erfüllung (jener, die diese sympathischen Melodien hören) mit der höheren […] Wesenheit und Energie kommen. […] Doch darf man das (die Befreiung von ekstatischen Erregungszuständen durch bestimmte Melodien) nicht eine Entleerung oder Reinigung […] nennen, wie sie die Ärzte vornehmen (um den krankhaften Wahnsinn, der sich ähnlich äußert, zu heilen); denn die (göttliche) Verzückung erwächst ja nicht aus einer vorausgehenden Erkrankung, sei es infolge eines Übermaßes oder Überschusses, sondern ihr Ursprung und ihre gesamte Grundlage stammt vollständig von oben her und ist göttlich.«106

Gegen die schon unter Zeitgenossen bekannte Tendenz zur Pathologisierung der enthusiastischen Ekstase betont Jamblichus also die Wirkung der göttlichen Einwohnung. Die induzierende Wirkung von Musik und Rhythmus erklärt er in gut platonischer Tradition aus der jeweils spezifischen Verwandtschaft bestimmter Instrumente und musikalischer Formen mit bestimmten Göttern:

106 Hopfner (Übers.), Jamblichus, Über die Geheimlehren, 3.9, S. 77 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Nicht die Musik, sondern die einwohnende Gottheit wirke auf die Seele.107 Diese spezifische Charakeristik der Musik erklärt Jamblichus sympathetisch aus der kosmischen Sphärenharmonie, wie auch die je individuelle Empfänglichkeit des Menschen für den einen oder anderen Gott und seine Klänge – schließt er seine Überlegungen zu diesem Punkt doch mit der Erklärung, »[…] daß die Seele, bevor sie sich mit dem (irdischen) Leibe verband, (d. h. solange sie noch körperfrei in der Region jenseits des Kosmos auf ihrem Fixstern in Anschauung der göttlichen Ideen lebte), der göttlichen Sphärenharmonie lauschte; denn auch dann, wenn sie schon in den (sterblichen) Leib […] gelangt ist, findet sie an allen solchen (irdischen) Melodien, die die göttliche Spur der Sphärenharmonie am deutlichsten bewahrten, Gefallen, erinnert sich infolge dieser irdischen Melodien der göttlichen Harmonie, wird zu ihr hingerissen, ihr vertraut und erlangt so Anteil an ihr, soweit das überhaupt möglich ist«.108

Der Neoplatonismus des 3. Jahrhunderts zerfällt also in zwei Richtungen: Während Plotin und Porphyrius eine elitäre, philosophisch sublimierte Zuwendung zu den Göttern propagierten, entwickelte Jamblichus eine theologisch begründete Theorie der rituellen Kommunikation mit den höheren Mächten.109 Diese Frontstellung sollte auch in die christliche Rezeption eingehen: Die Frage, ob Gott und die himmlischen Heerscharen zumindest graduell für alle irdischen Menschen rituell zugänglich seien, ob das similia similibus der theurgischen Symboltheorie auch für den konkreten Nachvollzug der kosmischen Sphärenharmonie gelte, oder ob der dieseitige Gläubige sich auf theologische Erkenntnis und meditative Schau beschränken müsse, sollte auch die Kirchenväter und die spätere Theologie beschäftigen. Darf der Mensch im Diesseits tanzen oder nicht? – diese Frage hat das lateinische Europa von der Auseinandersetzung in der neoplatonischen Philosophie des 3. Jahrhunderts geerbt. Neben dem verstärkten Einfluss der Gnosis, wie er sich etwa in der pessimistischen Kosmologie Plotins und Porphyrius’ bemerkbar machte, war Jam­ blichus mit der Konsolidierung des Christentums, ja: mit seiner Integration in den Herrscherkult durch Konstantin den Großen konfrontiert.110 Für die gelehrten Eliten der paganen Partei etwa im Umfeld des Kaisers Licinius wurde er schon zu Lebzeiten zur intellektuellen Leitfigur, zu »dem Mann, der von den Göttern ausersehen ist, zum Retter der ganzen hellenischen Welt zu werden«.111

107 Koller, Musik und Dichtung, S. 160 f.; zur Diskussion über die Trance-induzierende Wirkung der Musik seit Platon und Aristoteles vgl. Rouget, Music and Trance, S.  76–80, 216 ff. 108 Hopfner (Übers.), Jamblichus, Über die Geheimlehren, 3.9, S. 79. 109 Shaw, Theurgy and the Soul, S. 5–7. 110 Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 16 f.; Demandt, Spätantike, S. 504 f. 111 So ein Beamter des Licinius, hier übersetzt nach Shaw, Theurgy and the Soul, S. 2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Dabei äußerte sich Jamblichus nicht polemisch gegen das aufstrebende Christentum, anders als sein Lehrer Porphyrius.112 Vielmehr sah er seine Aufgabe in einer Wiederherstellung der göttlich inspirierten Weisheiten der Alten auch gegen die Abstraktionstendenzen in der platonischen Philosophie seiner Zeit. Anders als sein Landsmann Malchos, der seinen Namen in »Porphyrius« gräzisiert hatte, behielt er auch bewusst seinen syrischen Namen bei (ara­mäisch: ya-mlihu = »Möge er [der Gott El] herrschen«). Er war ein Nachkomme der ­Priesterkönige von Emesa, mit denen matrilinear auch der Kaiser Elagabal (204–222, Kaiser ab 218) verwandt gewesen war.113 Sein Schüler Aedesius (280/90–352/55) sollte die Schule von Pergamon prägen, aus der mit Maximos von Ephesus (um 310–372) der wichtigste Lehrer des Kaisers Julian »Apostata« (* 331, 355 Caesar, 360/61–363 Augustus) hervorgehen sollte.114 Ein weiterer Schüler, Sopatros († 330/37), stand als Lehrer des Plutarch (um 350 – um 432) von Athen am Beginn der Wiedergründung der platonischen Akademie in Athen.115 Sopatros zählte trotz seines heidnischen Glaubens zum Beraterkreis des Kaisers Constantius II. (337–360).116 Dessen Nachfolger Julian sollte den »göttlichen Jamblichus« als Propheten seiner neuen Reichsreligion feiern.117 Doch mit deren jähem Ende nahm die Wirkung des Syrers keineswegs ab. Jamblichus wurde zur Leitfigur des späten Neoplatonismus, wie er von Proklos (412–485) für die Athener Akademie systematisiert wurde.118 So förderte ­Proklos auch die durch das hegemoniale Christentum unter Druck geratenen dionysischen Mysterien in Athen.119 Im Jahr 529 wurde die neo­ platonische Schule geschlossen.120 Die Schüler unter ihrem letzten Diadochos Damascius gingen 531 ins persische Exil, aus dem sie freilich bald ins Römische Reich zurückkehrten. Umstritten ist, wo sich die letzten Spuren der Akademie dann verloren.121 In Rom hatte Jamblichus maßgeblichen Einfluss auf den Kreis nicht-christlicher Senatoren um Quintus Aurelius Symmachus (um 342–402/03) und seinen Schwiegersohn Vettus Agorius Praetextatus (310–384).122 Mit Macrobius’

112 Shaw, Theurgy and the Soul, S. 3 f.; Demandt, Spätantike, S. 504. 113 Shaw, Theurgy and the Soul, S. 4–6, 17. 114 Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 14; Rosen, Julian, S. 94–100. 115 Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 14. 116 Rosen, Julian, S. 95. 117 Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 14, 17; vgl. unten, Kap. IV.2.2. 118 Miller, Measures of Wisdom, S. 414–421. 119 Ebd., S. 427 ff. 120 Watts, City and School, S. 128–138. 121 Ebd., S. 138–142; Miller, Measures of Wisdom, S. 474 f. mit Anm. 16, nach Cameron, The Last Days, nimmt eine Rückkehr nach Athen und eine Fortsetzung des Lehrbetriebs bis ca. 579 an; vgl. dagegen etwa Shaw, Theurgy and the Soul, S. 6. 122 Miller, Measures of Wisdom, S. 313–314. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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(385/90 – nach 430) Kommentar zu Ciceros Somnium Scipionis123 und Martia­ nus Capellas (um 500) De nuptiis Philologiae et Mercurii gingen zwei im Mittelalter vielgelesene Werke der späten paganen Philosophie aus diesem Kreis hervor.124 Sie sollten die neoplatonisch-jamblichenische Vorstellung vom kosmischen Reigen ins Mittelalter vermitteln. Das Fortwirken des Macrobius lebte auch davon, dass Boëthius (480/85–524/26) ihn zustimmend zitiert und so für christliche Leser autorisiert hatte. Zu Beginn des 6. Jahrhunderts zeigt Boëthius als beinahe Einziger im christlichen Westen vertiefte Kenntnisse der von Proklos ausformulierten Lehren des späten Neoplatonismus. Er war der Zieh- und spätere Schwiegersohn des Quintus Aurelius Memmius Symmachus († 525/26), eines Urenkels des heidnischen Senators gleichen Namens, also verwandtschaftlich mit dem neoplatonisch-paganen Kreis des 4. Jahrhunderts eng verbunden. Seine Werke De consolatione philosophiae und De institutione musica sollten bis ins 13. Jahrhundert die Hauptquelle für die Kosmologie der Schüler des Jam­ blichus im lateinischen Westen bilden.125 Neben Cassiodor (um 485–580) und Augustinus vermittelte er so auch die auf die Vorstellung von der Sphären­ harmonie aufbauende spätantike Musiktheorie ins Mittelalter.126 Die Theurgie und ihre Folgen im Neoplatonismus waren also in der Gelehrtenwelt des östlichen Mittelmeerraumes und auch Italiens bis ins 6. und 7. Jahrhundert bekannt. Und auch im gallischen Senatorenadel des späten 4. Jahrhunderts war Jamblichus gut bekannt: Aline Rousselle hat wahrscheinlich gemacht, dass Sulpicius Severus (um 363–420/25) für seine Schilderungen von Exor­ zismen des hl. Martin von Tours (316/17–397) auf die Theurgie-Konzeption des syrischen Neoplatonikers zurückgriff. Diese Schilderungen sollten schul­ bildend werden für die christliche Dämonologie des Mittelalters, die damit indirekt die Lehren eines heidnischen Thaumaturgen weitertrug.127

123 Ebd., S. 316 ff. 124 Ebd., S. 320–333. 125 Ebd., S. 475–478, 480. Mitte des 13. Jh. übersetzte der flämische Dominikaner Wilhelm von Moerbeke einige Werke des Proklus ins Lateinische. Der kosmische Reigen spielt in den von ihm ausgewählten Texten jedoch keine hervorgehobene Rolle, vgl. ebd., S. 477 mit Anm. 19; zum Kreis um Boëthius und Cassiodor vgl. auch Hen, Roman Barbarians, S. 39–53. 126 Bandmann, Melancholie und Musik, S. 35–41, 50–54, 121–131; Hammerstein, Musik der Engel, S. 124–144; für das 11. Jh. instruktiv McCarthy, Music, Scholasticism, and Reform. 127 Vgl. unten, Kap. V.2.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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II.2.3 Hierarchia caelestis und hierarchia ecclesiastica Die Vorstellung vom kosmischen Reigen der Sphären und Sterne sollte infolge der erneuten Rezeption des Neoplatonismus in der italienischen Renaissance die Musiktheorie und die Tanzliteratur der Frühen Neuzeit prägen.128 Diese neue Konjunktur der neoplatonischen Kosmologie knüpfte jedoch an die ungebrochene Überlieferung entsprechender Vorstellungen im lateinischen Mittelalter an: Die Florentiner Humanisten erhielten zwar im 15.  Jahrhundert vermittelt durch griechische Gelehrte neuen Zugang zu den Originaltexten, griffen aber auch weiterhin vielfach auf die Übersetzungen etwa aus der Schule von Chartres (12./13. Jh.) zurück.129 So ist letztlich für das gesamte Mittelalter eine Kontinuität der platonischen Kosmologie und Musiktheorie festzustellen.130 Da die Originaltexte nur noch fragmentarisch oder in wenigen Übersetzungen zugänglich waren, stützte sich die frühmittelalterliche Platon- bzw. Neoplatonismus-Rezeption auf die sekundären Verarbeitungen bei Boëthius und nicht-christlichen antiken Schriftstellern, bei den griechischen Kirchenvätern, in der byzantinischen Philosophie, aber auch in arabischen und jüdischen Werken.131 Auch Augustinus und Ambrosius bezeugten die Autorität der platonischen und pythagoräischen Lehren für die christliche Theologie.132 Augustinus hatte Plotin, Porphyrius und Jamblichus, die großen Drei der neoplatonischen Gegenpartei also, als nobilitati geehrt und so ihre christliche Rezeption autorisiert.133 Es hatte freilich schon vor dem Aufkommen des Neoplatonismus auf christlicher Seite Ansätze gegeben, die pythagoräisch-platonische Kosmologie in das eigene Lehrgebäude zu integrieren: Für den lateinischen Raum einflussreich werden sollte Calcidius, der wohl im 4.  Jahrhundert eine Übersetzung und einen Kommentar zu Platons Timaios erstellt hatte. Seine Interpretation des Platon-Dialogs sollte in den merowinger- und karolingerzeitlichen Klöstern, aber auch im 11. und 12. Jahrhundert vielfach gelesen, abgeschrieben und inter­ 128 Berghaus, Neoplatonic Notions, S. 53–64; Klibansky, Continuity, S. 31 f., 35 f.; Carter, Celestial Dance, S. 11 f.; Nevile, Order; zur Lippe, Naturbeherrschung am Menschen, Bd. 1, S. 298–316, weist darauf hin, dass die ersten italienischen Tanztraktate der Begründung der Florentiner Akademie vorausgehen. Ebd., S. 110, hingegen spricht er von einer neuen Entwicklung, die zuvor durch die mittelalterliche Kirche verhindert worden sei. Vgl. Ders., Naturbeherrschung am Menschen, Bd.  2, S.  176 f., über die Gaillarde als choreographierte Kosmogonie. 129 Klibansky, Continuity, S. 31 f., 35 f., 42–47. 130 Hammerstein, Musik der Engel, S. 116 f.; allg.: Marenbon, Platonism, S. 69 f. 131 Klibansky, Continuity. 132 Berghaus, Neoplatonic Notions, S. 48; Miller, Measures of Wisdom, S. 276 f. 133 Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 17. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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pretiert werden.134 Über Calcidius ist wenig bekannt, er hat jedoch die neoplatonische Entwicklung noch nicht gekannt.135 Er dürfte Christ gewesen sein, jedenfalls zitiert er Origenes (185–253/54), der die platonische Vorstellung vom kosmischen Reigen für die christliche Theologie herangezogen hatte. Aus seinen Schriften sollte sie in die Auseinandersetzung Basilius’ von Caesarea (um 330–379) und Gregors von Nazianz (um 329–390) mit dem gnostischen Dualismus eingehen.136 Schon Clemens von Alexandrien (um 150 – um 215) hatte die Idee von der ewigen Sphärenharmonie christianisiert und zugleich die folgenreiche Allegorisierung Christi als »neuer Dionysos« eingeführt. Ebenso hatte er jedoch entschieden für eine sublimierende Spiritualisierung dieser Vorstel­ lungen im Zeichen einer sobria ebrietas, also einer mystischen Verinnerlichung anstelle der rauschhaften Orgiastik plädiert: »[119] 1. Komm, du Betörter, nicht auf den Thyrsos gestützt, nicht mit Efeu bekränzt! Wirf weg die Stirnbinde, wirf weg das Hirschfell, werde wieder nüchtern! Ich will dir den Logos und die Mysterien des Logos zeigen und sie dir mit den Bildern erklären, die dir vertraut sind. Hier ist der von Gott geliebte Berg, nicht wie der Kithairon der Schauplatz von Tragödien, sondern den Dramen der Wahrheit geweiht, ein nüchterner Berg, beschattet von heiligen Wäldern; und auf ihm schwärmen nicht die Schwestern der vom Blitz getroffenen Semele umher, die Mainaden, die in die unheilige Fleischverteilung eingeweiht werden, sondern die Töchter Gottes, die schönen Lämmer, die die heiligen Weihen des Logos verkünden und einen nüchternen Chorreigen versammeln. 2. Den Chorreigen bilden die Gerechten; das Lied, das sie singen, ist der Preis des Königs der Welt. Die Mädchen schlagen die Saiten der Leier, Engel verkünden den Ruhm, Propheten reden, Klang von Musik erschallt; in raschem Laufe schließen sie sich dem Festzuge an; es eilen die Berufenen, voll Sehnsucht, den Vater zu emp­fangen. […] [120] 2. Dies sind die Bakchosfeste meiner Mysterien; wenn du willst, so lasse auch du dich einweihen! Und mit den Engeln wirst du den Reigen um den ungeschaffenen und unvergänglichen und wahrhaft einzigen Gott tanzen, wobei der Logos Gottes in unsere Loblieder mit einstimmt. Dieser ewige Jesus, der eine Hohepriester des einen Gottes, der zugleich auch Vater ist, bittet für die Menschen und ruft ihnen zu: ›Hört es, unzählige Scharen!‹, vielmehr ihr Menschen alle, soweit ihr verständig seid, Barbaren sowohl als Griechen; das ganze Geschlecht der Menschen rufe ich, deren Schöpfer ich bin durch den Willen des Vaters.«137

134 McKitterick, Knowledge of Plato’s Timaeus; McCarthy, Music, Scholasticism and Reform, S. 148 f.; ein Fallbeispiel aus der Zeit um 1000, die Selbstdeutung des Bischofs Bernward von Hildesheim (um 960–1022), zeichnet Rädle, Calcidius und Paulus, nach. 135 Miller, Measures of Wisdom, S. 234–265; Gersh, Middle Platonism, S. 421–492. 136 Miller, Measures of Wisdom, S. 366–371. 137 Mondésert (Hg./Übers.), Clément d’Alexandrie, Le Protreptique, S. 188–190; dt.: Stählin (Übers.), Ausgewählte Schriften, Bd. 1, XII, Nr. 119 f.; zu den mittelplatonischen Ursprüngen der sobria ebrietas vgl. unten, Kap. II.2.4. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Ein anderes Werk jedoch sollte für die christliche Rezeption des Platonismus zentral werden, weil es als Verfasser oder Vorlage eben nicht einen der weisen Heiden im Titel trug: das Corpus Dionysiacum. Diese zu Beginn des 6.  Jahrhunderts, also etwa gleichzeitig mit Boëthius in Italien, in Syrien entstandene Sammlung von Schriften wurde allgemein dem der Apostelgeschichte zufolge von Paulus eingesetzten ersten Bischof von Athen zugeschrieben. Dieser Dionysius Areopagita als angeblicher Verfasser legte die Annahme nahe, dass seine angeblichen Schriften auf die Himmelsvision seines Lehrers ­Paulus zurückgingen.138 Sein Werk beruhte jedoch auf der Synthese der platonischen Kosmologie nach den Schriften des Proklos139 mit der ekstatischen Mystik des kappadokischen Kirchenvaters Gregor von Nyssa (um 335 – nach 394).140 »Pseudo-Dionysius Areopagita« autorisierte so die Vorstellungen der Schüler des »göttlichen Jamblichus« als mystische Erfahrung des christlichen Apostelfürsten.141 Obwohl bereits im 6. Jahrhundert Zweifel an der Echtheit seines Werkes aufkamen,142 behielt es im gesamten Mittelalter seine kanonische Stellung: Dante Alighieri etwa findet in der »Divina Commedia« auf seinem Weg durch die Sphären alles genauso vor, wie Paulus es dem Areopagiten angeblich geschildert hatte und lässt diesen daher als einen der weisesten Seher des neuen Bundes neben Salomo für das Alte Testament treten.143 Insbesondere die Bücher »De divinis nominibus« und »De caelesti hierarchia« des Corpus Dionysiacum sollten für die mittelalterliche Theologie von zentraler Bedeutung werden.144 Seit der Lateransynode 649 war das Corpus Dionysiacum im Westen bekannt.145 Maximus Confessor und Leontinus von Byzanz im Osten sowie Gregor der Große im Westen verfassten bereits im 7.  Jahrhundert Kommentare.146 Papst Paul IV. schickte dem Frankenkönig 138 Miller, Measures of Wisdom, S. 484–495; zur Vision des Paulus vgl. 2 Kor 12,1–4. Die Erwähnung einer Himmelsvision des Paulus hatte bereits Ende des 4. Jh. einen anonymen Verfasser zu einer griechischen »Vision des Heiligen Paulus« angeregt; vgl. Rosen, Julian, S. 322 f. 139 Roques, (Art.) Dionysius Areopagita, Sp. 1081–1090. 140 Voelker, Kontemplation und Ekstase, bes. S. 197–208. 141 Zur Verfasserfrage vgl. Roques, (Art.) Dionysius Areopagita, Sp. 1076–1078. 142 Schon 532 wies der byzantinische Theologe Hypatius darauf hin, dass die angeb­ lichen Schriften des Paulus-Schülers Dionysius Areopagita nirgends in der christlichen Literatur Spuren hinterlassen hätten. Seine Kritik blieb jedoch ungehört, vgl. Miller, Measures of W ­ isdom, S. 520; zur Kritik an der Verfasserfiktion des »Dionysius« vgl. allg. Schreiner, Discrimen veri ac falsi, S. 39 f. 143 Dante Alighieri, Divina Commedia, Paradiso, XXVIII, 137–139; X, 115–117; vgl. ­Miller, Measures of Wisdom, S. 490, 521. 144 Klibansky, The Continuity, S.  25; Schulz, Bild des Tanzes, S.  140–147, 238; Carter, ­Celestial Dance, S. 3 f., 9–11; Backman, Religious Dances, S. 21. 145 Miller, Measures of Wisdom, S. 520; Saurma-Jeltsch, Bild in der Worttheologie, S. 641 f. 146 Miller, Measures of Wisdom, S. 520; Grabmann, Die mittelalterlichen Übersetzungen, S. 449 f.; Ders., Pseudo-Dionysius, S. 181. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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­ ippin eine griechische Abschrift. Ludwig der Fromme erhielt 827 vom byzanP tinischen Kaiser M ­ ichael Balbulus eine weitere Kopie.147 Hilduin von St. Denis (1. H. 9. Jh.) identifizierte den Verfasser mit dem hl. Dionysius von Paris, einem der Schutz­patrone des karolinigischen Königshauses, und fertigte eine erste lateinische Übersetzung an.148 Kanonisch wurde dann die Übersetzung, die Johannes ­Scottus Eriugena (um 815 – um 877) 858 Karl dem Kahlen dedizierte.149 Mit Anastasius Bibliothecarius († 879), Johannes Sarracenus (12. Jh.), Hugo von St. Victor (ca. 1097–1141), Thomas Gallus (1. H. 13. Jh.), Hugo von Balma (um 1300), Robert Grosseteste (vor 1170–1235), Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Dionysius dem Karthäuser (1402/03–1471)150 und Nicolaus Cusanus reißt die Kette der Übertragungen und Kommentare danach bis in die ­Epoche Marsilio Ficinos nicht mehr ab.151 Der Einfluss des Pseudo-Dionysius auf die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Mystik152 wie auch auf häretische Gruppen ist eminent.153 Erst Lorenzo Valla 1457 und Erasmus von Rotterdam 1504 sollten das Corpus Dionysiacum wiederum als unecht zurückweisen154 – was freilich seiner weiteren Wirkung in der christlichen Theologie keinen Abbruch tat. Schon der antike Polytheismus hatte die Vorstellung gekannt, dass die Menschen nach ihrem Tod zu Sternen würden. Auch die römischen Kaiser stellte man sich nach ihrem Tod und ihrer Vergöttlichung als Sterne an das Himmelszelt versetzt vor – und dies auch noch im 4. und 5. Jahrhundert nach der Christianisierung des Imperiums.155 Der Tanz der Gestirne konnte demnach mit dem Reigen der Verstorbenen assoziiert werden.156 Die Johannes-Apokalypse verknüpfte die Sphärenharmonie mit dem ewigen Lobpreis der Engel in der himmlischen Liturgie, gekennzeichnet durch End­ losigkeit, vollkommene Einstimmigkeit, Wechselgesang und Reigen.157 Ebenso 147 Miller, Measures of Wisdom, S. 520. 148 Ebd., S.  520; Grabmann, Pseudo-Dionysius, S.  181 f.; Ders., Die mittelalterlichen Übersetzungen, S. 450 f.; vgl. Schreiner, Discrimen veri ac falsi, S. 39 f. 149 Miller, Measures of Wisdom, S. 520; Grabmann, Pseudo-Dionysius, S. 182 f.; Ders., Die mittelalterlichen Übersetzungen, S. 453 f.; Louth, The Body in Western Catholic Christianity, S. 120. 150 Huizinga, Herbst, S. 319. 151 Grabmann, Pseudo-Dionysius, S.  180–197; Voelker, Kontemplation und Ekstase, S. 221–263. 152 Huizinga, Herbst, S. 315; Voelker, Kontemplation und Ekstase, S. 258–262, über die karmelitische Mystik des 16. und 17. Jh. 153 Cohn, Das neue Paradies, S. 190–194. 154 Roques, (Art.) Dionysius Areopagita, Sp. 1976. 155 Rebenich, Vom dreizehnten Gott, S. 219. 156 Schulz, Bild des Tanzes, S.  225: über Vergils Aeneis und ihre Rezeption bei Dante; allg.: ebd., S. 235–240. 157 Zimmermann, Engelsreigen, S. 98 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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hatten auf paganer Seite schon die orphischen Hymnen und griechische Zauber­ papyri des 2. und 3. Jahrhunderts die Engel der jüdischen Mystik (und auch den jüdischen Jahwe) in die kosmische Sphärenharmonie integriert.158 Diesen Wechsel von der ewigen Bewegung der Sphären und Gestirne zum ewigen Reigen der himmlischen Heerscharen formulierte Pseudo-Dionysius Areopagita aus und systematisierte diesen Gedanken zu einem mathema­tischen System von drei mal drei Engelshierarchien.159 Er konnte dabei etwa auf die Ordnung der höheren Wesen zurückgreifen, welche Jamblichus aus den so­ genannten Chaldäischen Orakeln entnommen hatte.160 Aus den noerischen, intellektuellen Göttern und den sublunaren höheren Wesen wurden so die christlichen Engel im ewigen Reigen um den allmächtigen Schöpfergott.161 In ihrer unablässigen Bewegung wurden diese himmlischen Chöre der Erkenntnis Gottes, der in ihrem Zentrum ruhte, teilhaftig: »Denn jenes Kreisen der Engel ist die ewige Erkenntnis Gottes, die in ihrer ewigen Kreisbewegung in ihm ruht […].«162

II.2.4 Von der Kirche als Reigen zur Kirche als Haus Gottes Freilich konnte die himmlische Hierarchie für die Menschen im Diesseits immer nur bedingt als Vorbild dienen, standen sie doch weit unter den Engels­ chören, zudem in der Welt, damit außerhalb der Sphäre der reinen Transzendenz.163 Folgerichtig wollte Pseudo-Dionysius seine himmlischen Reigen ausdrücklich nur als Metapher verstanden wissen für den Aufstieg der Seele zu Gott durch Nachvollzug der Harmonie der jeweils nächstliegenden Sphäre.164 Der Aufstieg der Seele als spiralförmiger Reigen zu Gott165 war so immer nur als 158 Fauth, Helios megistos, S. 10. 159 Miller, Measures of Wisdom, S.  491 f.; Carter, Celestial Dance, S.  9–12; Hammerstein, Musik der Engel, S. 32 f.; Zimmermann, Engelsreigen, S. 95–100, 106, 121; Schulz, Bild des Tanzes, 140–146; zur späteren Rezeption vgl. Grabmann, Pseudo-Dionysius Areopagita; Klibansky, Continuity, S. 13–18, 24–29. 160 Über diese vgl. Miller, Measures of Wisdom, S.  189–193; Roques, (Art.) Dionysius Areopagita, Sp. 1093 f. Die spekulative Kosmologie der paganen Neoplatoniker vereinfachte Pseudo-Dionysius (unter Integration biblischer und jüdischer Konzepte) zu drei Dreiergruppen von höheren Wesen: 1. Seraphim, Cherubim, Throne; 2. Herrschaften, Mächte, Gewalten; 3. Fürstentümer (archai), Erzengel, Engel. 161 Miller, Measures of Wisdom, S. 490. 162 Dionysius Areopagita, De coelesti hierarchia 7,4, PG 3, Sp. 231; vgl. Zimmermann, Engelsreigen, S. 100. 163 Hammerstein, Musik der Engel, S. 33 f. 164 Carter, Celestial Dance, S. 10 f. 165 Miller, Measures of Wisdom, S. 483, S. 485. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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introspektive Erkenntnis, als Akt der Kontemplation zu interpretieren.166 Tanzen sollte hier also wie bei Plotin und Porphyrius nur noch der Geist, nicht der Körper. Der circuitus der Gotteserkenntnis erfuhr jedoch durchaus eine liturgische Mimesis: Vor der Eucharistie, so Pseudo-Dionysius in »De hierarchia eccle­ siastica«, solle der Bischof die in der Basilika versammelte Gemeinde in der sogenannten synaxis, einer Prozession vom Altar durch das Kirchenschiff und zurück umkreisen.167 Dieser liturgische – wenn auch nicht tänzerische – Nachvollzug der ewigen Engelsreigen durch den Bischof als Haupt der Gläubigen war unmittelbar sinnvoll, denn Pseudo-Dionysius hatte nicht nur eine himm­ lische Hierarchie formuliert, sondern diese auch in die dieseitige Welt hinein ge­spiegelt, in die Hierarchie der Kirche nämlich.168 Die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen wurde so verknüpft mit der ewigen Harmonie der sich gegenseitig bewegenden Sphären des Himmels. Der anonyme Verfasser knüpfte so an eine Vorstellung an, die die entstehende Ekklesiologie der christlichen Theologie beinahe seit ihren Anfängen prägt: Die Vorstellung nämlich, dass die Kirche selbst ein spiritueller Reigen um den Höchsten sei. Schon Clemens von Rom (Bf. von Rom, 92–101) hatte, Vorstellungen der zeitgenössischen Stoiker aufnehmend, neben dem supralunaren Kosmos auch die irdische Schöpfung als harmonischen Reigen beschrieben. Diese Ausweitung der kosmischen Harmonie auf die materielle Welt sollte vor allem in der Aus­ einandersetzung mit dem gnostischen Dualismus bald große Breitenwirkung entfalten. Marius Victorinus machte sie im lateinischen Westen bekannt, Gregor von Nazianz im Osten (3. bzw. 4 Jh.). Die Schöpfung als schöner Tanz konkurrierte also mit der zunehmend auch in der christlichen Theologie um sich greifenden pessimistischen Vorstellung von der Gefallenheit der Welt.169 Bereits zur Zeit Trajans (98–117 n. Chr.) konnte Ignatius von Antiochia in einem Brief an die Epheser sein eigenes bevorstehendes Martyrium mit dem Stern von Betlehem verknüpfen: Dieser habe seit unvordenklichen Zeiten existiert, um dann als neuer Mittelpunkt des kosmischen Reigens alle anderen zu überstrahlen. Ebenso sei er als Bischof der Mittelpunkt des spirituellen Reigens der Kirche, und als solcher nun dabei, durch sein Martyrium aus dem chorus

166 Ebd., S. 499–502; zur hierarchischen Struktur der Weitergabe der göttlichen Macht vgl. auch Roques, (Art.) Dionysius Areopagita, Sp. 1094–1097. 167 Miller, Measures of Wisdom, S. 513–519. 168 Roques, (Art.) Dionysius Areopagita, Sp.  1093 f.; leicht abweichend Miller, Measures of Wisdom, S.  493. Es handelte sich freilich nicht um eine vollständige Spiegelung der drei mal drei Engelschöre: 1. Klerus: Bischöfe, Priester, Liturgen/Diakone; 2. Laien: Mönche, Gemeinde, Stände der Reinigung; Letztere ihrerseits unterteilt in: Katechumenen (Taufkandidaten), Energumenen (Besessene), Büßer. 169 Miller, Measures of Wisdom, S. 362–367. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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der Kirche in jenen des Kosmos überzugehen.170 Der episcopus trug den latei­ nischen Titel praesul. Im antiken chorus war der praesul der Reigenführer, ganz wie Ignatius von Antiochia geschrieben hatte. Der Leiter der Ortskirche als Vortänzer des spirituellen Reigens – diese Bedeutung sollte der Titel freilich im Mittelalter einbüßen.171 Clemens von Alexandrien (ca 150–211/16) beschreibt in seinen Stromateis das Verhältnis der ecclesia zu Gott als Reigen: »[…] Als ›Leib‹ wird aber sinnbildlich die Kirche des Herrn bezeichnet, der geistliche und heilige Reigen, von dessen Gliedern diejenigen, die nur den Namen tragen, aber nicht der Lehre entsprechend leben, nur Fleisch sind.«172

Auch im Protrepticus versuchte Clemens, gebildeten »Heiden« das Christentum als konsequente Umsetzung platonischer Philosophie zu präsentieren: »[…] ›Fürwahr, die Sonne glaub’ ich doppelt jetzt zu sehn und zweifach Theben‹, so sagte einer, der durch die Götzen in bakchische Raserei versetzt war, trunken von lauterer Torheit. Ich habe aber mit seiner Trunkenheit Mitleid und lade den, der so um seinen Verstand gekommen ist, zu dem verständigen Heile ein, weil auch der Herr die Bekehrung des Sünders und nicht seinen Tod wünscht.«173

Gegen die falschen Mysterien des Dionysos und Orpheus stellte er die wahren Mysterien des logos, gegen die ekstatische Raserei der Mänaden den »nüchternen Chorreigen« der Gläubigen und der Engel um den einen Gott. Die sobria ebrietas, so eine von dem jüdischen Platoniker Philon von Alexandrien (20 v. – 50 n. Chr.) übernommene Formel, sollte den Sternenglauben der Heiden überwinden durch die Einsicht in den Heilsplan Gottes. Clemens vermittelte so die Ritualskepsis und die am stoischen Mäßigkeitsideal orientierte Ethik des alexandrinischen Platonismus in die christliche Theologie.174 170 Ebd., S. 371–374, auch über die stoischen Hintergründe dieser Konzeption von liebevoller Selbstaufopferung für die ecclesia. 171 Backman, Religious Dances, S. 49. 172 Stählin (Übers.), Clemens von Alexandrien, Teppiche, VII, 14, Nr.  87; vgl. ebd., VII,12,80: »2. […] und er [der Gläubige] bleibt sündlos und gelangt zur Selbstbeherrschung und lebt zusammen mit dem ihm Ähnlichen dem Geiste nach unter den Reigen der Heiligen, auch wenn er noch auf der Erde festgehalten wird.« Ebd., VII,12,78: »6. Er [der Gläubige] betet aber auch mit den Engeln, da er ja bereits engelgleich ist, und nie verläßt er den Bereich ihrer heiligen Obhut; auch wenn er allein betet, so ist er doch von dem Reigen der Heiligen umgeben.« 173 Stählin (Übers.), Clemens von Alexandrien, Mahnrede an die Heiden, XII, Nr. 118,5; der erste Satz zitiert den Pentheus in Euripides, Bacchae, 918 f. 174 Miller, Measures of Wisdom, S. 126–131; Bermont, La danza, S. 129–138; zu Clemens vgl. weiterhin Schulz, Bild des Tanzes, S. 129–131; Anrich, Mysterienwesen, S. 130 ff.; Carter, Celestial Dance, S. 8; Zimmermann, Engelsreigen, S. 101; Benz, Meditation, S. 32; Hammerstein, Musik der Engel, S. 48; Backman, Religious Dances, S. 21 f.; Davies, Liturgical Dance, S. 38 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Daraus folgte nämlich nicht, dass man auch den enthusiasmos, die tänzerische Kommunikation mit dem kosmischen Reigen, übernommen hätte. Der Reigen der Engel und Heiligen sollte auch ebendiesen vorbehalten bleiben! Die Gläubigen in der Welt sollten sich zwar als Teil des himmlischen Reigens betrachten, dies aber nur in der sublimierten Form eines eschatologischen Versprechens, so schon um 150 n. Chr. der später vielfach als häretisch gemiedene Apokalyptiker Hermas.175 Der reale Nachvollzug des himmlischen Reigens wurde als teuflische Täuschung und Ausdruck dämonischer Besessenheit disqualifiziert. Tanzen durfte der Christ erst im Himmel, der irdische Tanz wurde gerade zum Zeichen des Heilsverlusts umdeklariert.176 Denn, so Gregor von Nyssa (ca. 335 – nach 394) und später Theodoret von Cyrus († ca. 466), durch den Sündenfall habe der Mensch die direkte Teilhabe an der Sphärenharmonie eingebüßt. Erst das Jüngste Gericht würde die Harmonie zwischen Diesseits und Jenseits wiederherstellen.177 Und Pseudo-Dionysius Areopagita zog aus dem Konflikt zwischen Porphyrius und Jamblichus über den Status des Höchsten den christlichen Schluss, Gott stehe nicht außerhalb des Kosmos, sondern teile sich den Menschen in der Gnade mit, ja: von ihm bezögen sie erst ihre individuelle Seele. Die Heiden also irrten, wenn sie meinten, durch theurgische Akte und ekstatische Entrückungen mit ihm kommunizieren zu können, vermittle doch allein die ecclesia das Heil. Kirchlich vermittelte Gnade statt Korybantismus war nun die Devise.178 Nicht nur der Übertritt aus der diesseitigen Gemeinschaft der Gläubigen in den Kreis der Heiligen wurde als Eintritt in einen ewigen Reigen verstanden: Wenn die Kirche ein Teil des kosmischen Reigens war, dann hieß zu »kon­ vertieren«: in einen Tanz einzutreten. Diese Wahrnehmung von »Konversion« als Eingehen in die Gemeinschaft eines Reigens ist etwa in der bekannten Erzählung vom Kreistanz Jesu mit den Aposteln in den gnostisch-christlichen ­Johannes-Akten des 2. Jahrhunderts ausformuliert. Dass dieser Reigen um Jesus bzw. den logos als Tanzmeister nicht etwa eine größere Offenheit der frühen Kirche gegenüber dem sakralen Tanz bezeugt, sondern ekklesiologische Auseinandersetzungen zwischen der theologischen Orthodoxie und gnostischen Gruppen am Rand des Christentums, zeigen noch die Diskussionen über diesen Text auf dem 2. Konzil von Nicäa von 787.179 Diese im Imaginationshorizont der Spätantike offenbar sehr tief verankerte Vorstellung von der Kirche als Reigen hat auch einen etymologischen Hintergrund: Conversio bzw. convertere 175 Miller, Measures of Wisdom, S. 375 f.; Backman, Religious Dances, S. 18. 176 Miller, Measures of Wisdom, S. 377–390; Backman, Religious Dances, S. 24; Harding, Investigation, S. 56. 177 Sudbrack, Tanz, S. 35; Miller, Measures of Wisdom, S. 371. 178 Ebd., S. 491. 179 Vgl. unten, Kap. VI.5.1; vgl. ganz ähnlich im Fall des ebenfalls häretisierten Hermas (2. Jh.): Miller, Measures of Wisdom, S. 373–377. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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bezeichnet zunächst die tägliche Umdrehung der Fixsterne um die Erde. Erst im 2. Jahrhundert setzte sich der Begriff auch für den menschlichen Glaubenswechsel durch.180 Die Übergänge in die Kirche hinein und aus der irdischen Gemeinschaft der Gläubigen in die himmlische der Seligen wurden also schon in der Formierungsphase der christlichen Ekklesiologie mit dem Eintritt in den Kreis eines ewigen Reigens assoziiert. Mit dieser umfassenden Rezeption der paganen Kosmologie hatten die Kirchenväter jedenfalls auch die massiven Vorbehalte zumal der späten Neoplato­ niker gegen den irdischen Tanz übernommen: Die Sphärenharmonie, respektive: der Engelsreigen, sollte der Gläubige nur spirituell-kontemplativ nachvollziehen, nicht aber performativ. Denn schon in der vorchristlichen Spätantike wurde der Tanz zunehmend als ethisch-moralisches Problem gesehen. Eine ecclesia, die sich selbst als Sphärenreigen imaginierte und ihren Gläubigen als Lohn für die diesseitigen Mühen die Teilhabe am kosmischen Tanz versprach,181 musste also die Differenz zwischen ihr selbst und der irdischen Welt als Kampfplatz zwischen Gut und Böse geradezu durch die ethische Disqualifikation körperlicher Expressivität ausformulieren. Wie freilich die neoplatonische Lehre mit der traditionellen Frömmigkeitsund Ritualpraxis der Mysterienkulte kollidierte, so die christliche Theologie mit den Konkretionsansprüchen der Gläubigen. Wie oft, wo und wann dabei Laien oder Kleriker tatsächlich die Rede von der Kirche und dem Himmelreich als Reigen missverstanden und sich zu realen Tänzen inspirieren ließen, ist abseits der immer wieder kolportierten Beispiele erstaunlich schlecht erforscht. Sicher ist, dass das Christentum mit diesem platonischen Erbe einen Grund­ widerspruch übernahm, dessen latentes Irritationspotential immer virulent blieb, sei es als tatsächliche physische Imitation eines mystischen Motivs, sei es als Phantasma der Theologen und Beichtväter. Die Imagination bedingte die Notwendigkeit ihrer Richtigstellung letztlich auch ohne den konkreten Fall des Missverständnisses. Das der christlichen Ekklesiologie und Eschatologie eingeschriebene spirituelle Verständnis von Tanz generierte so seine körperliche Negativfolie immer wieder neu. Es bedurfte dazu vielleicht des realen Anlasses gar nicht mehr, oder noch weiter: Es brachte diesen vielleicht erst hervor, indem latent sensibilisierte Seelsorger ihren Gläubigen erst eine Möglichkeit suggerierten, auf die diese sonst gar nicht gekommen wären. Diese eschatologisch verankerte Vorstellung von der Kirche als Spiegelung der ewigen Engelsreigen entspricht auffällig einer spirituellen Logik von Sakra­ lität im Diesseits: Ecclesia ist demnach überall dort präsent, wo – und damit ist jeder Raum sakral, in dem – sich Christen zum Gottesdienst versammeln. Sie ist zunächst weniger durch ihre institutionelle Struktur oder das Gebäude als 180 Ebd., S. 96; zum Motiv der conversio bei der Taufe vgl. unten, Kap. V.2.2. 181 So etwa schon bei Athanasius (4. Jh.), vgl. Miller, Measures of Wisdom, S. 381 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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materielles Substrat definiert, als vielmehr durch die Gemeinschaft mit den himmlischen Mächten, die in der Liturgie real wird. Folgerichtig ist die Liturgie seit der griechischen Patristik als performativer Nachvollzug des himm­lischen Reigens konstituiert, so bei Gregor von Nazianz182 oder Johannes Chrysostomus († 407): »Wir verunehren die Kirche nicht so sehr durch Einschleppen von Kot, als durch solche Gespräche, die wir miteinander führen über Gewinn, Handel und Geschäfte, über Dinge, die für uns keinen Wert haben, während doch die Reigen der Engel daselbst weilen und wir die Kirche zum Himmel machen sollten, indem wir nichts an­ deres daselbst dulden als eifriges Gebet, Stillschweigen und Aufmerksamkeit.«183

Das Gebäude, in dem diese Liturgie stattfindet, bezieht seine sakrale Qualität letztlich erst aus seiner Verwendung und besitzt eine solche auch nur während des Gottesdienstes.184 Daher lehnte die christliche Theologie bis zur Karolinger­zeit mehrheitlich die Vorstellung ab, der Versammlungsraum der Gemeinde sei per se sakral.185 Die Vorstellung der vorgängigen Sakralität eines irdischen Gebäudes wurde vielmehr mit den paganen Tempeln assoziiert. Freilich wurde schon seit dem 2. und 3. Jahrhundert die Kirche als spirituelles »Haus Gottes« metaphorisiert. Dieses Verständnis meinte jedoch noch nicht das Gebäude, sondern nur die Gemeinde als Haushalt Gottes, der der Bischof als Verwalter vorstehe.186 Wie lange diese Konzeption wirksam blieb, ist nicht erforscht. Zumindest im 12. Jahrhundert war sie noch virulent, wie ein Osterhymnus aus einer Pariser Handschrift belegt: »1. Freu Dich, Zion, führe Reigen auf, verkünde den Gefährten, dass die Füße trippeln, die Hände gehen, es sei nicht den Gebärden die Weise, [?] 2. […] Zion, das ist die Kirche, […]«187

182 Zimmermann, Engelsreigen, S. 101 f.; Hammerstein, Musik der Engel, S. 32–36. 183 Baur (Übers.), Johannes Chrysostomus, Kommentar zum Evangelium des Matthäus, 88. Homilie, Kap. XXVII, Nr. V, 45–61. 184 Vgl. Hammerstein, Musik der Engel, S. 35 f., dem zufolge freilich der Kirchenraum seit dem frühen Christentum als Abbild des himmlischen Jerusalem gesehen wurde. 185 Iogna-Prat, La Maison Dieu, S.  263 f., 309; Markus, End of Ancient Christianity, S. 139–154; Lauwers, Naissance du cimetière, S. 13 f., 55–58. Kirchengebäude wurden jedoch durchaus schon in augustinischer Zeit rituell ihrer Funktion gewidmet, vgl. Harris, Peter Damien, S. 142. 186 Schöllgen, Οἶκος; Meyer, Soziales Handeln. 187 Analecta Hymnica Medii Aevi, Bd. XXI, Nr. 27, S. 35: »Sion, gaude, duc choreas / praecine sodalibus, / Trepant pedes, eant manus, / nec sit modus gestibus, […] / Sion est ecclesia, […]«; vgl. Foatelli, Danses cléricales, S. 99 mit Anm. 1. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Seit dem 8. Jahrhundert jedoch wurde die steinerne ecclesia nicht mehr nur als relativ zufälliger Ort der spirituellen ecclesia gesehen, also der Vereinigung der Gläubigen, sondern als Abbild der himmlischen ecclesia, also der Gemeinschaft von Lebenden und Toten mit Gott und seinen Engeln und Heiligen.188 Das steinerne Gebäude der Kirche als paradigmatischer Ort der Präsenz Gottes in der Welt stellte sich so zwischen den Himmel und den Mikrokosmos, den Menschen und seinen Körper, den das frühe Christentum als spirituellen Tempel gesehen hatte.189 Diese Verschiebung der leitenden Imaginationen erfolgte im Wechselspiel mit einem ebenso massiven Wandel der sozialräumlichen Strukturen: mit der Etablierung des mittelalterlichen Pfarrsystems, also der Neuausrichtung des Siedlungsraumes auf die Parrochialkirche als neues Zentrum, die parallel lief mit einem neuen Verständnis von der Pfarrei als der Gemeinschaft aller Gläubigen eines Territoriums, die ihren Mittelpunkt im Sakralraum der Kirche fanden. Im sonn- und feiertäglichen Gottesdienst versammelten sich dann idea­ liter alle Mitglieder der Gemeinde  – Lebende und Verstorbene  – um ihren Gott.190 Das Gebäude selbst wurde, so das Rationale divinorum officiorum (um 1280) des Guillelmus Durandus (1230–1296), durch die der Taufe nachgebildete Weihe zur »eigentlichen Braut Jesu Christi«.191 Dem Bauwerk und seinem räumlichen Umfeld kam so kraft der Weihe durch einen Bischof eine eigenständige Sakralität zu. Vice versa bedeutete diese Sakralisierung der Kirche auch, dass die sie umgebende diesseitige Welt nun schärfer als bisher als Profanraum aufgefasst wurde.192 Die Kirche wurde auch architektonisch und künstlerisch immer stärker als Brückenkopf der kosmischen Ordnung von der säkularen Welt unterscheidbar gemacht.193 Diese Sakralität des Kirchengebäudes als Ort der Eucharistie setzte sich parallel zur sukzessiven Formierung eines realpräsentischen Verständnisses der Eucharistie durch: Die körperlich wirkliche Präsenz Christi in Brot und Wein brauchte einen stabilen Aufenthaltsort des Inkarnierten. Sie bedingte so die Verräumlichung der Sakralität, während eine spiritualistisch-symbolische Christologie an der temporären Sakralität des an sich arbiträren Versammlungsortes der ecclesia hätte festhalten können.194 188 Iogna-Prat, La Maison Dieu, S. 17–21, 309–317, 479 f.; Lauwers, Naissance du cime­ tière, S. 11–13, 275 f. 189 Hayes, Body and Sacred Place, S. 3–9. 190 Iogna-Prat, La Maison Dieu, bes. S. 49–54, 311–314, 483–485; Lauwers, Naissance du cimetière, S. 49–76, 273–276; Zadora-Rio, The Making of Churchyards, S. 12; Kleinschmidt, Perception and Action, S. 52. 191 Hayes, Body and Sacred Space, S. 12, vgl. ebd., S. 12–14; vgl. Iogna-Prat, Léon IX, pape consecrateur, S. 356; Lauwers, Naissance du cimetière, S. 60 f. 192 Dinzelbacher, Körper und Frömmigkeit, S. 207. 193 Hamilton/Spicer, Defining the Holy, S. 6–10; Hayes, Body and Sacred Place, S. 95–100. 194 Lauwers, Naissance du cimetière, S. 74–76. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Dieses neue Verständnis der Kirche als Sakralraum im Zentrum der Siedlungsstruktur fand seine Verankerung wiederum im christianisierten Neo­ platonismus des Pseudo-Dionysius Areopagita, in der Idee von der ecclesia als Spiegelung der himmlischen Hierarchie, weiterhin in der Tradition eines Calcidius, Boëthius, Macrobius oder Martianus Capella.195 Pythagoräische und platonische Kosmologie also grundierte auch die Sakralisierung von Kirche und Kirchhof,196 wie sie zuvor die Metaphorik von der Kirche als Reigen befruchtet hatte. Nur dienten jetzt nicht mehr die Imaginationen von kosmischer Bewegung als Bildreservoir, sondern jene vom Himmel als Haus und Ort des Gastmahles Gottes. Die platonischen Himmelsmächte wurden also in der christlichen Ekklesiologie mit dem beschriebenen Wandel vom Früh- zum Hochmittelalter stillgestellt. Das wachsende Interesse kirchlicher Gewalten an heterodoxen Bewegungen, seien es die »falschen Heiligen« der Karolingerzeit197 oder die ersten ausdrücklichen Häresien des 11. Jahrhunderts,198 fokussierte immer wieder auf ihre angebliche oder tatsächliche Ablehnung dieses Wandels in der Ekklesiologie und seiner tiefgreifenden Folgen für die alltägliche Frömmigkeit. Allerdings sollte der sakrale Reinheitsanspruch der Kirche für ihre Gebäude in der gesamten Vormoderne immer nur ein unerfüllter und unerfüllbarer Anspruch bleiben. Waren die Kirchen und ihre Kirchhöfe doch gerade als Zen­ tren des gesellschaftlichen Zusammenlebens immer auch wichtige Räume des Alltags. Ihre rechtliche Sonderstellung beförderte de facto noch ihre multifunktionale Nutzung als Ort des Wohnens, der Arbeit, der Geschäfte und der Versammlung.199 Übertretungen der kultischen Reinheitsgebote waren damit zwangsläufiger Bestandteil des Alltagslebens. Diese profanen Funktionen hatten nun ihren Ort zunächst in den Zonen graduell abgestufter Sakralität im Kirchenschiff bzw. in den Seitenschiffen. Vom Altar mit den Reliquien im Zentrum strahlte die Heiligkeit zur Peripherie hin sukzessive schwächer werdend aus. Seit dem späten Mittelalter freilich löste sich dieses Kontinuum der Heiligkeit zusehends auf zugunsten einer bipolaren Distinktion von sakral und profan.200 195 Für die Musiktheorie und Liturgik des 11.  Jh. vgl. grundlegend McCarthy, Music, Scholasticism, and Reform. 196 Iogna-Prat, La maison Dieu, S. 90–103, 116–118, 310. 197 Zeddies, Religio, S.  274–276; Gurjewitsch, Volkskultur, S.  108–120; Lauwers, Naissance du cimetière, S. 62 f. 198 Hayes, Body and Sacred Place, S. 11 mit weiterer Lit.; Lauwers, Naissance du cime­tière, S. 63–65, 73 f., 159, 245–247; Dinzelbacher, Körper und Frömmigkeit, S. 218; Zadora-Rio, The Making of Churchyards, S. 12 f. 199 Lauwers, Naissance du cimetière, S. 140–146 (Friedhof als Schutz- und Asylraum seit visigothischer Zeit), S. 260–266 (Friedhof als Wohn- und Arbeitsraum, Marktplatz und Versammlungsort); Zadora-Rio, The Making of Churchyards, S. 16 f. 200 Hayes, Body and Sacred Place, S. xx–xxii, 96–100. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Die Hypothese liegt nahe, dass mit diesem fundamentalen ekklesiologischen Wandel ein Bedeutungsverlust der kosmologischen Metapher »Kirche als Reigen« gegenüber den seit dem Hochmittelalter prägenden Vorstellungen von der ecclesia als himmlischer Architektur verbunden war. Die Kirche wäre demnach im Verlauf des Frühmittelalters vom spirituellen Reigen der Gläubigen zum Haus Gottes geworden. Wann immer also danach die Vorstellung oder der reale Vollzug von Tanz im Sakralraum oder im Kontext sakraler Handlungen thematisiert wurde, war damit nicht nur die ethische Unterscheidung von Frömmigkeitspraxis und Blasphemie aufgerufen. Vielmehr spiegelte sich in dem im gesamten Mittelalter virulenten Diskurs über Tanz in der Kirche ein massiver Bruch in der Ekklesiologie, ein Bedeutungswandel von der spirituell-liturgischen Gemeinschaft der Gläubigen mit Gott und den himmlischen Heerscharen einerseits zur materiell und institutionell konstituierten Sakralität der irdischen Kirche andererseits. Es ist dieser Widerspruch, der sich auch in der frühmittelalterlichen Formierung der Vorstellung von Tanz als unfreiwilligem Zwangsverhalten abbildet.

II.3 Platonische Vorstellungen von mania und enthusiasmos II.3.1 Spirituelle Konzepte Anders als der deutsche Begriff Tanzwut lässt sich das im Englischen übliche dancing mania etymologisch auf das antike Konzept der mania zurückführen, wie es bei Platon in Anschluss an die pythagoräische Kosmologie ausformuliert ist. Ihm zufolge ist mania nicht ausschließlich – und noch nicht einmal primär – eine psychopathologische Kategorie, sondern ambivalent zwischen sakraler Trance, sozial akzeptierter Ekstase und Wahnsinn im medikalen Sinn. »Die größten Wohltaten«, so Sokrates in Platons Phaidros, »werden uns durch den Wahnsinn zuteil, vorausgesetzt, daß [er] uns durch göttliche Gaben gegeben wird.«201 So unterscheidet Platon – damit wohl dem Vorsokratiker ­Empedokles (um 494 – um 434 v. Chr.) folgend202  – zwischen der mania infolge mensch­ licher Krankheiten einerseits und jener infolge göttlichen enthusiasmos andererseits.203 Enthusiasmos bezeichnet demnach, dass der Gott in dem jeweiligen Menschen präsent ist – griechisch: entheos (ἔνϑεος). 201 Phaidros 244 A; zitiert nach: Dodds, Die Griechen und das Irrationale, S. 38. 202 Vgl. Wellmann (Hg.), Fragmente, S. 21, Anm. 5, und unten, Kap. II.3.3. 203 Shaw, Theurgy and the Soul, S.  235 mit Anm.  5; vgl. zum Folgenden allg. Rouget, ­Music and Trance, S. 188–200; Linforth, Telestic Mania; Ders., Corybantic Rites, mit einer detaillierten Interpretation der Passage Phaidros 244B; Dodds, Die Griechen und das Irrationale, S. 38 ff.; Lawler, Dance in Ancient Greece, S. 76; Pfister, (Art.) Enthusiasmos; Ders., (Art.) Ekstase, Sp. 974 f.; Beek, De geestesgestorde, S. 240. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Diese zweite Kategorie unterteilt Platon in vier Typen: Die Seele kann von Apollo erfüllt sein (»mantische mania«), von Dionysos (»telestische mania«), von den Musen (»poetische mania«) oder von Eros bzw. Aphrodite (»ero­ tische mania«). Da Apollo, der Gott der mathematisch perfekten Ordnung, die Sphären­reigen anführt, sind von ihm Ergriffene in der Lage, die kosmische Harmonie und ihre irdischen Auswirkungen »mantisch« zu erkennen. Die bacchan­ tische Grenzüberschreitung im Zeichen des Dionysos hingegen ermächtigt den Menschen, selbst mit dem sichtbaren Kosmos in Kommunikation zu treten und so sympathetische Störungen gerade vermittels eines eigenmächtigen Eingriffs in die Ordnung auszugleichen.204 Die »dionysische mania« dient daher zur Heilung (»τελεστική«) und Reinigung.205 Die mantische und die telestische Mania konvergieren zudem im von Platon ebenfalls mehrfach erwähnten Konzept des Korybantismus: Die personifizierte mania selbst teilt sich hier den Enthusiasmierten mit und führt so zur heilkräftigen Ekstase. In dieser Form wurde der kleinasiatische Kult der Korybanten offenbar schon im klassischen Athen zu einem therapeutischen Ritus transformiert.206 In seinen Nomoi beschreibt Platon die telestische mania, also die Ergriffenheit durch Dionysos, gekennzeichnet durch Symptome wie einen zurückgeworfenen Kopf, einen rückwärts gebogenen Körper, Schaum vor dem Mund oder nach hinten gerollte Augen, aber auch durch den Gebrauch von Musik und Tanz. Diese mania ist die Strafe des Gottes für Ungehorsam gegenüber seinen Geboten. Und diese Strafe trifft nicht etwa nur den Delinquenten selbst, sondern auch seine Nachfahren: Die Empfänglichkeit für die telestische mania ist Platon zufolge erblich  – wie etwa die Mänaden des dionysischen Mythos als Nachkommen der Agaue verstanden wurden, die im bacchantischen Rausch ihren Sohn Pentheus zerrissen hatte.207 Die telestische mania als Zustand der Besessenheit durch Dionysos changiert also selbst zwischen sakraler Kommunikation und Wahnsinn. Platon selbst bemerkt, dass die krankhafte mania in mythischen Zeiten noch nicht existiert habe. Erst durch die Zivilisation hätten Ekstase und Trance ihren rein gött­ lichen Charakter eingebüßt. Während die anderen Formen von mania (erotisch, poetisch, mantisch) von Platon ausschließlich positiv als enthusiasmos gesehen werden, ist die telestische mania zumindest auch ein erschreckender Zustand der Besessenheit. Folgerichtig lehnt Platon in den Nomoi unkontrollierte Formen der dionysischen Kulte ausdrücklich ab und forderte harte Strafen für deren Anhänger.208 204 Miller, Measures of Wisdom, S. 77. 205 Pfister, (Art.) Ekstase, Sp. 976 f. 206 Linforth, Telestic Mania; Ders., Corybantic Rites, S. 157 f. 207 Rouget, Music and Trance, S. 193–195, 200; Pfister, (Art.) Ekstase, Sp. 960 f. 208 Rouget, Music and Trance, S. 199 f., nimmt an, Platon habe alle dionysischen Kulte in Athen abgelehnt; ebenso Lawler, Dance in Ancient Greece, S. 96. Dagegen hat Dodds (Hg.), © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Platon sieht die telestische mania jedoch zugleich als Leiden und als Heilung: Wer von mania als göttlicher Strafe ergriffen wird, kann die Hilfe eines Mysterien­kultes in Anspruch nehmen, der durch Musik und Tanz bei dem Besessenen eine Reinigung hervorrufen kann. Denn im Sinne der pythago­ räischen Kosmologie ist die Seele »sympathethisch« in den Reigen der Sphären um den höchsten Gott bzw. die Götter als seine Emanationen eingebunden.209 Jeder Akt des Ungehorsams stört die kosmische Harmonie.210 Die ungezügelte mania des Wahnsinnigen ist demnach eine mikrokosmische Reaktion auf die durch sein Fehlverhalten ausgelöste makrokosmische Disharmonie. Um die Sphären wieder in Ordnung zu bringen, muss er seinen Körper erneut einfügen in ihren Lauf.211 Dazu muss das Opfer der göttlichen Besessenheit ein Adept des dionysischen Mysteriums werden, angeleitet von einem eingeweihten und gut trainierten Offizianten.212 Durch die Musik und den Tanz – insbesondere die Musik im phrygischen Modus, welcher Trance-induzierende Wirkung zugeschrieben wurde213 – wird die Seele wieder mit den kosmischen Sphären in Einklang gebracht.214 Während Platon dabei die Harmonisierung mit dem Kosmos eindeutig als Prozess körperlicher Bewegung verstand, führte Aristoteles ihn auf die Wirkung der Musik, genauer: des ethos spezifischer melodischer Modi, zurück215 – eine Differenz, die sich bis in die mittelalterliche Wahrnehmung liturgischer Musik fortsetzen sollte. Anders als Platon sahen Plotin und Porphyrius die Seele nicht als Teil der materiellen Welt. Sie konnte daher ihnen zufolge auch nicht auf- oder absteigen, da sie ja immer schon in den höheren Sphären verankert war. Enthusiasmos oder Ekstasen hatten in ihrem Denken daher keinen Platz mehr, mania war ihnen nur noch eine Geisteskrankheit.216 Jamblichus widersprach ihnen auch in diesem Punkt, um sein Konzept der Theurgie zu begründen. Es gebe, so führt er in seiner Streitschrift De mysteriis nach Platon aus, zwei Arten von mania: Die eine Euripides, Bacchae, S. xxiii f., darauf hingewiesen, dass diese Aussage im konkreten Zusammenhang mit der Einführung der Sabazios-Verehrung in Athen stand. Die Diskussion um diesen neuen Kult inspirierte ihm zufolge Euripides zu seinen Bacchae. Platon richtete sich demnach gegen das Aufkommen einer als Privatkult abseits der städtischen Kollektivreligion gepflegten Variante des Dionysos-Kultes, nicht gegen Mysterienkulte allgemein. Nach Linforth, Corybantic Rites, S. 161–163, geht die Annahme, Platon habe alle enthusiastischen Riten abgelehnt, auf eine falsche Übersetzung der Stelle Nomoi 815D zurück. 209 Rouget, Music and Trance, S. 221. 210 Carter, Celestial Dance, S. 5 f. 211 Ebd., S. 4 f.; Rouget, Music and Trance, S. 192–196. 212 Ebd., S. 105 f., 194 f., 200. 213 Ebd., S. 220–225. 214 Ebd., S. 197, 200–205; vgl. ebd., S. 211 f., über die Inkongruenz dieser kosmologischen Mimesis mit dem platonischen Verständnis der Götter; vgl. allg. auch Bermont, La danza, S. 87–96. 215 Rouget, Music and Trance, S. 221 f. 216 Shaw, Theurgy and the Soul, S. 236. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sei gekennzeichnet durch Verrücktheit und Delirium und ziehe die Seele durch konfuse Bewegungen hinab; die andere jedoch verbinde die Seele mit den Urgründen des Kosmos und bedinge so Wohltaten von weit größerem Wert als die menschliche Weisheit. Die eine sei gegen die Natur, die andere erhebe sich über die Natur. Die eine trenne die Seele von den höheren Mächten und führe zu ihrem Abstieg, die andere ziehe sie hinauf zu den göttlichen Sphären. Nur ein ahnungsloser, ungeschulter Betrachter könne diese beiden verwechseln.217 Wie in den Kulten der Korybanten, der Großen Mutter oder des Sabazios, so Jamblichus, könne dieser göttliche enthusiasmos durch Musik induziert werden.218 Der rituelle Kontakt des Theurgen mit den Göttern ist also für Jamblichus ebenjener Zustand, der seit Platon als mania und enthusiasmos beschrieben wurde. Da er selbst der Gnade der Götter teilhaftig war, konnte der geschulte Blick des Theurgen die beiden Formen der mania unterscheiden: Die göttliche mania weise ihre Authentizität durch übernatürliche Wirkungen aus. Weil der »Enthusiast« nicht sein eigenes Leben lebe, sondern das des Gottes, könnten ihn im Zustand des enthusiasmos etwa physische Schädigungen nicht erreichen: Feuer versenge ihn nicht, Stöße verletzten ihn nicht etc. Die göttliche Besitzergreifung bringe alles Eigenleben des Menschen zum Erliegen.219 Die mania als Wahnsinn hingegen sei an den materiellen Körper gebunden. Dieser gerate z. B. durch körperliche oder geistige Krankheiten aus dem harmonischen Rhythmus mit den höheren Mächten, er verliere seine taxis, werde »ataktisch«. Diese »Ataxie«, der Verlust der kosmischen Harmonie, sei der eigentlich Grund für das Böse, da auch der Materie nicht wesensmäßig eine moralische Qualität innewohne. Ataxie entstehe durch die Abwendung von den höheren Mächten, aber auch durch den falschen, unbefugten Gebrauch der theurgischen Techniken und Symbole. So führe etwa Magie, also die Mobilisierung der sublunaren Kräfte der Sympathie, wenn sie zu unlauteren Zwecken geschehe, zu einer Perversion der göttlichen Ordnung und damit zur Ataxie. Der legitime theurgos hingegen könne auch die Harmonie mit den enkos­ mischen Mächten wiederherstellen  – sei sie durch Krankheit, Fehlverhalten oder gar die Anmaßung der Magier entstanden.220 Dazu, so Jamblichus in seiner panegyrischen Lebensbeschreibung des Pythagoras, habe dieser als Schüler und Emanation des Apollo den Tanz und die Musik angewandt: Durch den gemessenen Ton der Lyra habe Pythagoras Körper und Seele mit der Harmonie des Kosmos in Einklang gebracht. Die Musen vermittelten mit Poesie, Tanz und Musik zwischen dem von Apollo perfekt geordneten Makrokosmos und dem 217 Shaw, Theurgy and the Soul, S. 235. 218 Linforth, Corybantic Rites, S. 126. 219 Stäcker, Stellung der Theurgie, S.  198–200; Sheppard, Iamblichus on Inspiration, S. 138–142. 220 Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 179 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Menschen als Mikrokosmos. So könnten Tanz und Musik zur Heilung körper­ licher und seelischer Leiden eingesetzt werden.221 In den Schriften des Jamblichus findet sich also das platonische Konzept der Ambivalenz von mania zwischen Wahnsinn und enthusiasmos, zwischen Krankheit und Heilung exemplarisch ausformuliert. Die konkurrierende Schule innerhalb des Neoplatonismus des 4. Jahrhunderts hingegen sah in der m ­ ania nur noch eine Geisteskrankheit. Sie tat dies jedoch nicht etwa im Zeichen einer rationalistischen Leugnung transzendenter Mächte oder gar eines biomedikalen Krankheitsverständnisses. Vielmehr lebte ihre Abkehr vom enthusiasmos von ihrem dualistischen Bild der materiellen Welt, in dem für erfolgreiche Kommunikation mit transzendenten Sphären kein Platz mehr war. Je stärker die christliche Theologie sich von dieser Spielart des neoplatonischen Denkens beeinflussen ließ, desto weniger akzeptierte sie den enthusiasmos als eigenständige Transzendenzerfahrung und den Tanz als Mittel zu seiner Erlangung. Vorerst jedoch und in manchen Bereichen noch für lange Zeit behielt Jamblichus und damit die platonische Vorstellung von der mania direkt oder indirekt Einfluss im Christentum. Der französische Anthropologe Gilbert Rouget hat in seiner grundlegenden Studie über Trance und Musik im Kulturvergleich die platonische mania als Paradigma für sein Konzept von »Besessenheitskulten« herangezogen. »Besessenheit« ist demnach ein kulturell konstruierter Zustand des Individuums, in dem seine Persönlichkeit als durch eine Gottheit bzw. ein höheres Wesen ersetzt wahrgenommen wird. Dies führt zu einer Veränderung der psychischen und physischen Aktivität, die als »Trance« bezeichnet wird. Die so konstituierte Verbindung mit der transzendeten Macht ermöglicht es, deren Wirksamkeit für das betreffende Individuum oder andere Menschen positiv nutzbar oder zumindest unschädlich zu machen. Dieser Status ist in den meisten Gesellschaften als Möglichkeit der Kommunikation mit höheren Mächten anerkannt und ein­ geübt, zumal, wenn er durch Ausbildung oder Einweihung qualifizierten Spe­ zialisten zufällt. Dabei kann das eindringende höhere Wesen von Fall zu Fall gleichermaßen als gut, ambivalent oder böse wahrgenommen werden.222 Der Trance-Spezialist kann vermittels seiner Eignung zur gelenkten Be­ sessenheit die Funktion eines Heilers oder Propheten übernehmen. In der Regel kennen Besessenheitskulte daher eine Zweiteilung in die exklusive Rituale pflegenden Eingeweihten und die breite Masse der Anhänger, die lediglich bei öffentlichen Kultausübungen zugelassen sind.223 Im Unterschied zum europäisch-asiatischen Schamanismus wird dabei die Trance nicht durch die selbst gespielte Musik – etwa den eigenen Trommelschlag – ausgelöst. Vielmehr agieren 221 Miller, Measures of Wisdom, S. 277. 222 Rouget, Music and Trance, S. 29–31. 223 Ebd., S. 103. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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in Besessenheitskulten neben den Adepten als Trance-Kandidaten spezialisierte »Offizianten« und Musiker, die jedoch beide gleichermaßen nicht selbst affiziert werden.224 Der von den Adepten ausgeführte Tanz zerfällt dabei grundsätzlich in zwei Sequenzen: zunächst eine abstrakte Phase, die zur Auslösung der Trance dient, dann eine figurative oder mimische Phase, in der der Besessenheitsstatus performativ manifestiert wird. Der Umschwung von der ersten zur zweiten Phase wird durch den Moment der Einkörperung (engl.: embodiment), des Einfahrens der Gottheit in den Menschen, markiert.225 Possession cults in diesem Sinn gehen also von einem Modell des Eintretens des höheren Wesens in den Körper des Besessenen und damit von einer Ersetzung seiner eigenen Persönlichkeit aus, während der Schamanismus das an sich intakte Individuum im Zuge der Trance eine Entkörperung bzw. ein seelisches Heraustreten (»Reise«/Ekstase)  erleben lässt.226 Ebenso konzipiert die christ­ liche Mystik den Aufstieg der Seele zur unio mystica seltener als »Einkörperung« im Sinne eines possession cult nach Rouget, sondern zunächst als Entkörperung einer in ihrem Bestand stabilen Seele.227 Rouget weist dabei ausdrücklich darauf hin, dass »Trance« nicht unbedingt im landläufigen europäischen Verständnis als völliger Bewusstseinsverlust zu verstehen ist. Vielmehr ist diese Vorstellung stark geprägt durch das christliche Bild dämonischer Besessenheit und durch die spezifisch europäische Bipolarität von Rationalität und Wahnsinn, die für sozial akzeptierte Formen der graduellen Bewusstseinsverschiebung keine Kategorien zulassen, wenngleich diese in der europäischen Kultur selbstverständlich existieren.228 Als per se »dämonisch«, d. h. als ungewolltes Eindringen einer bösen Macht, wird die Besessenheit Rouget zufolge nur in Gesellschaften disqualifiziert, die eine positive Trance grundsätzlich ablehnen.229 Ebenso delegieren solche Trance-feindlichen Gesellschaften die Besessenheit an marginale Gruppen wie Frauen und Kinder, während die Trance-Spezialisten in anderen Gesellschaften elitäre Positionen einnehmen.230 Naheliegend ist die Annahme, dass die heterogenen Motive der christ­ lichen Rezeption derartiger Phänomene seit der Antike in die Konstruktion der Tanzwut eingegangen sind. So ließe sich auch erklären, weshalb die Tanzwut neben ihren spirituellen Konnotationen schon früh auch biomedizinischen 224 Ebd., S. 110–114. 225 Ebd., S. 114–118. 226 Ebd., S. 210; Dodds, Die Griechen und das Irrationale, S. 44. Der Gott bzw. die höhere Macht ist also im Zustand des enthusiasmos im Menschen, nicht etwa der Mensch im Gott; dies gegen Rohde, Psyche, vgl. Pfister, (Art.) Ekstase, Sp. 944 ff., 952 f., 955 ff. 227 Dinzelbacher, Körper und Frömmigkeit, S. 132–134. 228 Vgl. den erhellenden Vergleich eines Besessenheitskultes in Benin mit einer Opernaufführung: Rouget, Music and Trance, S. 249 f. 229 Ebd., S. 30 f. 230 Midelfort, History of Madness, S. 54. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Deutungs­versuchen unterlag. Denn es gab auch im Christentum seit der Spätantike immer wieder Tendenzen, aus dem platonischen Verständnis von m ­ ania eine positive Vorstellung von göttlicher Ergriffenheit, von enthusiasmos durch den christlichen Gott, abzuleiten. Der christliche Platonismus erbte nolens volens auch die Vorstellung, dass weltlicher Tanz und weltliche Musik als Nachvollzug der himmlischen Liturgie eine Form der Kommunikation mit dem Transzendenten sein könnten. Wenn die Sphärenharmonie, der Reigen der Sterne, zu verstehen waren als ewiger Kreistanz der Engel und Heiligen, warum sollten die Gläubigen auf Erden nicht »sympathethisch« mit ihnen kommunizieren?231 Die Sublimation des Tanzes zur allenfalls meditativ nachvollziehbaren Annäherung der Seele an Gott war also bereits bei den Kirchenvätern klar formuliert. Eine irdische Mimesis des himmlischen Reigens sei demnach nichts als teuflische Versuchung.232 Dennoch blieb die Idee der ekstatischen Ergriffenheit auch in der spätantiken und mittelalterlichen christlichen Frömmigkeit erhalten – sei es als heterodoxe oder kirchlich integrierte Praxis, sei es als theologisches Phantasma.233 Freilich reduzierte der christliche Platonismus im Gefolge der zunehmenden Diskreditierung des profanen Tanzes in der heidnischen Spät­antike in seiner Mehrheit die telestische mania zunehmend auf die Bedeutung als »Besessenheit«.234 Da die alten Götter nun nurmehr als Dämonen wahr­ genommen wurden, konnte, wer von ihnen ergriffen war, nur noch als besessen im negativen Sinn beschrieben werden. Die individualistische Eschatologie des augustinischen Christentums235 konnte eine vollständige Auslöschung der Subjektivität durch eine höhere Macht nicht mehr positiv denken, sondern nur noch als Übermächtigung durch das Böse. Die mania verlor so ihre Ambivalenz zwischen divinatorischem enthusiasmos einerseits und krankhaftem Wahnsinn andererseits. Freilich blieb diese mania im Kern religiös begründet: Wenn mania die Unterworfenheit unter die Dämonen (d. h. die alten Götter) bedeutete, dann waren alle Anhänger nichtchristlicher Glaubensvorstellungen ihr verfallen, und umgekehrt: Jede mania wurde durch den Vergleich mit den Korybanten erklärbar. »Wahnsinn« im medizinischen wie im religiösen Sinn wurde so mit dem Status des Ungetauften analogisiert. Der christliche Priester trat gegenüber diesen außerhalb des Heils stehenden Menschen in die Rolle des spirituellen Heilers und Exorzisten. Er übernahm so die Rolle, die in der platonischen mania der Offiziant eines Mysterienkultes eingenommen hatte: Er heilte die von Dämonen Besessenen, wie der 231 Vgl. unten, Kap. III.4; zur Liturgie als Abbild des Himmels vgl. Hammerstein, Musik der Engel, 33–35. 232 Vgl. oben, Kap. II.2.4. 233 Vgl. unten, Kap III. 234 McMullen, Christianity and Paganism, S. 46–48; Rousselle, Croire et guerír, S. 144 f. 235 Vgl. von Moos, Einleitung, S. 17 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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heidnische Priester die von Dionysos Ergriffenen geheilt hatte.236 Mania als spirituelle Krankheit wurde so zum universellen Deutungsmuster für jede Form von Heilsverlust. Umgekehrt wurde jede Form von Wahnsinn als Exklusion aus der göttlichen Gnade konzipierbar. Diese spirituelle Vorstellung von mania als Ausdruck der Gottesferne blieb jedoch im Mittelalter nicht konkurrenzlos. Einerseits behielt mit der humoralpathologisch-kosmologischen Medizin die Vorstellung, dass Musik und Tanz zur Heilung herangezogen werden könnten, durchaus ihre Gültigkeit.237 So zeigt etwa das Tacuinum sanitatis, eine illustrierte, tabellarische Zusammenstellung von Maßnahmen der Krankheitstherapie und -prophylaxe, den gemeinsamen Tanz zu Musikbegleitung.238 Den Körper in Harmonie zur Musik zu bewegen hat demnach im Sinne der humoralpathologischen Lehre von den sex res non naturales, den äußeren Einflüssen auf den Körper, der Gesundheit förderliche Wirkung. Schädlich ist nur die Disharmonie. Empfohlen wird dies zu jeder Zeit und an jedem Ort, allen Alterstufen außer der Jugend. Dieses in mehreren Bildhandschriften des 14. und 15. Jahrhunderts aus dem oberitalienischen Raum und ab 1531 auch in zwei Straßburger Drucken überlieferte Werk geht auf eine Schrift des nestorianischen Arabers Ibn Butlan († um 1064) zurück, die wohl am Hof König Manfreds von Sizilien (1254–1266) ins Latei­ nische übertragen worden war. Vermittelt durch die arabische Medizin konnte die platonische Vorstellung vom heilenden Tanz im lateinischen Raum weiter rezipiert werden. Die mittelalterliche Medizin entwickelte jedoch andererseits ein weitgehend seiner religiösen Konnotationen entkleidetes Verständnis von mania und enthusiasmos als natürlicher Krankheit. Freilich handelt es sich dabei nicht um ein frühes Auftreten einer essentiellen Tanzwut. Vielmehr greifen wir hier einen weiteren Entwicklungsstrang in der diskursiven Genealogie dieses Konzepts seit der Antike.

236 Rousselle, Croire et guerír, S. 148–150. 237 Koal, Detestatio, S.  22; Midelfort, History of Madness, S.  26 f.; Hammerstein, Musik der Engel, S. 60 f. (Heilung durch Visionen des Engelsreigens); Zimmermann, Engelsreigen, S. 146 f.; Knuckel, Die Umwandlung, S. 57 ff. (Umkreisen von sakralen oder magischen Gegen­ständen). 238 Unterkirchner (Komm.), Tacuinum sanitatis, fol. 104 r. (S. 200), dazu: S. 143: »Sonare et balare«; zum Werk vgl. S. 8 f.; Bowey (Hg.), Tacuinum Sanitatis, S. 72: »Chorea«; zum Werk ebd., S. 15–18; Serra (Hg.), Theatrum Sanitatis, Bd. 1, Tafel CCI: »sonare et ballare«, vgl. dazu ebd., S. 91; als Abbildung der Tanzwut missverstanden bei Klein, Frauen. Körper. Tanz, S. 69 mit Abb. 12. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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II.3.2 Der Tanz der Korybanten in den Kontroversen der Antike Auch Jamblichus hatte ja die Existenz einer rein natürlichen Form der mania ausdrücklich betont und Musik und Tanz als von Apollo gesandtes Remedium empfohlen. Schon seit Platons Zeiten hatte sich nämlich ein stärker medizi­ nisches Verständnis von mania entwickelt, insbesondere im Kontext des Kultes der sogenannten Korybanten. Als Korybanten (in Phrygien) oder Kureten (auf Kreta) bezeichnete man zunächst die mythischen Gefolgsleute der Rhea bzw. (in Kleinasien) der Magna Mater. Sie hatten der Sage nach das Kind Zeus im Auftrag seiner Mutter vor seinem Vater Kronos beschützt. Dazu hatten sie getanzt und gelärmt, um das Schreien des Kleinen zu übertönen.239 In der späteren Literatur werden vielfach auch die Adepten ihres Kultes, die »Korybantionten«, selbst als Korybanten bezeichnet.240 Euripides setzt in den Bacchae auch die Dionysos-Anhänger mit den Korybanten gleich. Da die Große Mutter früh mit Kybele assoziiert wurde, bezeichnete man bald auch die Priester der Attis/Kybele-Mysterien als Korybanten.241 Schon Platon hatte diesen Tanz der Korybanten als Behandlung auch für Wahnsinnige empfohlen.242 Er wurde tatsächlich auch als kathartisches Heilmittel für Geistes- und Gemütskranke angewendet.243 Dazu konnte der Offi­ ziant durch das Vorspielen von Musik verschiedener Tonarten und Lagen herausfinden, welcher Gott der Verursacher des Wahnsinns sei. Nach dieser Diagnose brachte der Kranke dem Gott, auf dessen Musik er tänzerisch angesprochen hatte, ein Opfer dar. Im dritten Schritt tanzten die Kranken mit den Offizianten gemeinsam, um so mit dem jeweiligen Gott versöhnt zu werden.244 Der korybantische Ritus hatte also nicht die Verehrung des Gottes, sondern eine direkte Reinigung oder spirituelle Stärkung für den Ausführenden zum Ziel. In diesem Sinn ähnelt er einem sakramentalen Akt.245 239 Lawler, Dance in Ancient Greece, S. 13; Miller, Measures of Wisdom, S. 75. 240 Auf diesen Fehler weist Linforth, Corybantic Rites, S. 139 f., hin. Der Terminologie in der Forschung entsprechend wird im Folgenden dennoch auch für die Priester und Adepten der korybantischen Riten von Korybanten gesprochen. 241 Zur Gleichsetzung von Korybanten, Bacchen und anderen ekstatischen Kulten vgl. Linforth, Corybantic Rites, S.  139 f.; Miller, Measures of Wisdom, S.  75; Lawler, Dance in ­A ncient Greece, S. 96, zum Kult der galloi genannten Priester der Attis/Kybele-Mysterien vgl. unten, Kap. IV.2.2. 242 Katner, Rätsel des Tarentismus, S.  103–106; vgl. zur Überblendung von mania und Korybantismus allg. Linforth, Corybantic Rites, bes. S. 127 f. 243 Linforth, Corybantic Rites, S. 134 f., 137 f., 140 ff., 158 f. 244 Dodds, Die Griechen und das Irrationale, S.  50 f.; vgl. Linforth, Corybantic Rites, S. 140 ff.; S. 155 ff. gibt Linforth eine abweichende Beschreibung des korybantischen Rituals. 245 Ebd., S. 155, 160 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Die »telestische mania« löste sich damit zwar noch nicht von ihren religiösen Hintergründen, sie wurde jedoch auch als Therapie für natürliche Formen von mania herangezogen.246 Diese musikalische und tänzerische Behandlung gegen den von Göttern verursachten Wahnsinn wurde zu einem zentralen Bestandteil der griechischen Medizin, wobei die Vorstellung eines göttlichen enthu­ siasmos mehr und mehr gegenüber profanen psychologischen Vorstellungen zurücktrat.247 Schon Platon lässt in seinem Symposion den skeptischen Athener äußern, alle Korybanten seien schlicht geisteskrank und bräuchten daher als Therapie rhythmische körperliche Bewegungen.248 Diese biomedizinische Deutungs­möglichkeit sollte im Lauf der Jahrhunderte immer wieder abgerufen werden, etwa von Aristeides Quintilianus (3 Jh. n. Chr.) in seinem Traktat De musica: Die Raserei der Korybanten sei eine seelische Krankheit, die in den orgiastischen Riten der Mysterien mit Musik und Tanz geheilt würde.249 Der Tanz der Korybanten und das entgrenzte Verhalten Wahnsinniger wurden so begrifflich und inhaltlich wechselseitig austauschbar,250 wie Strabon (63 v. Chr. – 26 n. Chr.) in seinen Geographika explizit angibt: »Da die Korybanten dem Tanz und der Ekstase ergeben sind, sagen wir auch von Leuten, die sich wahnsinnig gebärden, sie korybantierten.«251

Diese Bemerkung steht im Zusammenhang einer längeren Erläuterung über den Gebrauch von Musik, Tanz und kosmischer Harmonie in den Mysterien zahlreicher Gottheiten, insbesondere in den phrygischen Waffentänzen für Rhea/Kybele.252 In der Forschung ist wie erwähnt wiederholt versucht worden, diese Quellenzeugnisse als Belege für die Existenz eines antiken Krankheitskonzepts Korybantismus heranzuziehen, und dieses wiederum mit der spätmittelalter­lichen oder frühneuzeitlichen Tanzwut bzw. dem süditalienischen Tarantismus kurzzuschließen.253 Ivan Linforth hat jedoch schon 1946 darauf hingewiesen, dass der pathologische Korybantismus eine Konstruktion der altphilologischen Forschung darstellt.254 Am antiken Heiltanz der Korybanten lassen sich jedoch 246 Rouget, Music and Trance, S. 206. 247 Dodds, Die Griechen und das Irrationale, S. 51 f., 115 f. 248 Miller, Measures of Wisdom, S. 75. 249 Lawler, Dance in Ancient Greece, S. 96. 250 Vgl. Linforth, Corybantic Rites, S. 140, der für die Zeit Platons eine Bedeutungsebene von Korybantismus als »Geisteskrankheit« ablehnt, wohl aber von »strange and unusual ­behavior in any circumstances« spricht. 251 Radt (Hg./Übers.), Strabon, Geographika, Buch X, 473, Bd. 3, S. 239. 252 E, Buch X, 467–474, Bd. 3, S. 221–240; vgl. Linforth, Corybantic Rites, S. 154 f.; Jeanmaire, Couroi et Courètes, S. 533 f.; Koller, Musik und Dichtung, S. 157–159. 253 So etwa auch Cofini, (Art.) Tarantella, Sp. 413. 254 Dodds, Die Griechen und das Irrationale, S.  50, nach: Linforth, Corybantic Rites, S. 148 ff. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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durchaus Motive und Elemente festmachen, die für die Konstruktion und Wahrnehmung der deutschen wie der italienischen Tanzkrankheit von zentraler Bedeutung werden sollten. Das Changieren des Tanzes zwischen Symptom und Remedium etwa prägt auch die nordalpine Tanzwut und den apulischen Tarantismus. Und der Gebrauch der Musik als diagnostisches Mittel zur Unterscheidung der auslösenden Faktoren findet sich zumindest in Süditalien ebenfalls. Diese Parallelen dürften freilich eher auf die Antiken-Rezeption der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ärzte zurückzuführen sein als auf ein historisch unveränderliches Krankheitsbild. Die Heiltänze der Korybanten boten jedoch, wenngleich sie selbst immer religiös und rituell zurückgebunden blieben, ein Umfeld, in dem sich auf der Grundlage der platonischen Doppelstruktur von mania ein eindeutig medizinisch aufzufassendes Krankheits­konzept entwickeln konnte.

II.3.3 Zwischen humores und göttlicher Einwohnung: Enthusiasmos und mania als frühmittelalterliche Krankheitskonzepte Von der antiken hippokratischen Medizin, wie sie Galen von Pergamon (um 129 – 216 n. Chr.) kanonisch ausformuliert hatte, übernahm das Mittelalter seine Konzeption vom menschlichen Körper und seinen Zuständen, die »Humoral­ pathologie«. Die Lehre von den vier Säften des Körpers, deren Mischungsverhältnis die Gesundheit des Menschen bestimmt, verband diesen als Mikro­ kosmos mit dem Makrokosmos, in dem jedem der Säfte ein Element, eine Jahreszeit, eine Himmelsrichtung, ein Planet entsprach. Die platonische Kosmologie bildete so den Hintergrund für die Körperwahrnehmung des Mittel­ alters.255 Daher kannte die spätantike und frühmittelalterliche Medizin durchaus ausführlichere Beschreibungen eines auf den platonischen enthusiasmos bezogenen Krankheitsbildes.256 Das prominenteste Beispiel dürfte der Liber Glossarum sein, die wohl wichtigste Enzyklopädie der Karolingerzeit.257 In der älteren Literatur wurde diese alpha­betisch geordnete, umfassende Sammlung von Glossen lange Zeit fälschlich als Werk eines im spanischen Westgotenreich wirkenden Bischofs ­Ansileubus angesprochen und daher auch unter diesem Namen geführt.258 Stattdessen hat sich seit dem 19. Jahrhundert die in einigen Handschriften und 255 Louth, The Body in Western Catholic Christianity, S. 111–115. 256 Vgl. zum Folgenden die kurzen Anmerkungen bei Beek, De geestesgestorde, S. 90 f.; die von Beek angeführte Erwähnung der mania bei Isidor von Sevilla (Etymologiae IV,7,8 f.) ist entgegen dem dort erweckten Eindruck wenig einschlägig. 257 Lindsay (Hg.), Glossarium Ansileubi, S. 1. 258 Die Entstehung dieser Fehlzuschreibung ist nachgezeichnet bei Goetz, Liber Glossarum, S. 282–286. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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den entsprechenden Bibliothekskatalogen überlieferte Bezeichnung Liber Glossarum als Titel durchgesetzt.259 Anhand der verwendeten Quellen hatte Georg Goetz eine Entstehung des Werkes in der Zeit zwischen ca. 690 und ca. 750 im spanischen oder südgallischen Raum annehmen wollen.260 Da die ältesten überlieferten Handschriften paläographisch nach Corbie um 800, in die Zeit des Abtes Adalhard (um 752–826), verweisen, hat Wallace Martin Lindsay hingegen für eine Entstehung des Liber Glossarum in diesem intellektuellen Zentrum des Reiches Karls des Großen plädiert.261 Bernhard Bischoff und die aktuellere Forschung haben sich dieser Zuschreibung angeschlossen.262 Detailierte Untersuchungen zur Struktur der ältesten Handschriften zeigen, dass es sich beim Liber Glossarum um ein von einer größeren Gruppe von Bearbeitern betriebenes Großprojekt zur systematischen Sammlung des gelehrten Wissens der Zeit handelt.263 Der Ertrag dieser Bemühungen wurde bald zum allgemeinen »working dictionary« der karolingerzeitlichen Klostergelehrten.264 In zahlreichen mehr oder weniger vollständigen Abschriften zirkulierend,265 wurde der Liber Glossarum auch zur Vorlage für jüngere Glossarien und andere Werke.266 Unter den vielen Tausend Lemmata dieses Mammutwerkes findet sich nun auch der »Enteasmos« (eigentlich: Entheasmos, griech.: ἔνϑεασμός) als »species […] maniae periculosa«: »Enteasmos ist eine gefährliche Form der Mania. Sie [die Opfer] werden weniger erregt als die Maniakalen, auch legen sie nicht Hand an sich wie diese; sondern sie werden plötzlich ergriffen vom Tanz mit den Füßen oder Klatschen mit den Händen, als ob sie in den Höhlen ihrer Ohren verschiedene Stimmen hörten, von Flöten, Gesang, Musikinstrumenten [Übers. unklar] oder die schlagenden Klänge von Zimbeln, und mit großer Freude folgen sie diesen. Wie die Kühe [bzw.: Bacchantinnen] an den Opferaltären pflegten sie verschiedenen Klängen zu folgen, oder die Priester würden 259 Goetz, Liber Glossarum, S.  213; Ders., De glossariorum latinorum origine et fatis, S. 107. 260 Goetz, Liber Glossarum, S.  286–288; Ders., De glossariorum latinorum origine et ­fatis, S. 107  f. 261 Lindsay, The Abstrusa Glossary, S. 126; Ders., Virgil Scholia in the Ansileubus Glossary, S. 5; Ders. (Hg.), Glossarium Ansileubi, S. 8. 262 Bischoff, Bibliothek im Dienste der Schule, S. 231; Bishop, Prototype, S. 69 f.; Barbero, Contributi, S. 151 f.; Ganz, Liber Glossarum, S. 128–131, der freilich den »Prototyp« paläo­ graphisch nicht in Corbie verortet. 263 Ganz, Liber Glossarum, S. 128–131; Bishop, Prototype, S. 69–74; Barbero, Contributi, S. 155 f.; Barbero, S. 156, und Bishop, S. 82 f., insinuieren, dass sich hinter der Namensangabe »Ansileubus« der Leiter des Projekts verbergen könnte. Diese Mutmaßung wird bei Lapidge, (Art.) Glossen, Glossare, Sp. 1510, zum Handbuchwissen. 264 Ganz, Liber Glossarum, S. 128 f.; vgl. Goetz, Liber Glossarum, S. 213 f.; Bischoff, Bibliothek im Dienste der Schule, S. 412, nimmt eine Verwendung im Schulbetrieb an. 265 Zur Überlieferung vgl. nur Lindsay (Hg.), Glossarium Ansileubi, S. 10 ff.; Goetz, Liber Glossarum, S. 218–242; Ganz, Liber Glossarum, S. 127 f. 266 Goetz, Liber Glossarum, S. 218, 228, 244–256; Ganz, Liber Glossarum, S. 127 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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durch diese Klänge geöffnet, wenn sie den Göttern ihre Opfer brächten, so hörten sie [die Enteasmos-Opfer] in ihrem Gehirn jene schlagenden Klänge und tanzen nach Gehör dieser Klänge, sie frohlocken oder stellen sich auf in einem schnellen Lauf, plötzlich reißen sie das Schwert heraus oder einen Knüppel und schlagen sich. Und weder spüren sie die Verletzungen, die sie sich selbst zuziehen, noch zögern sie, anderen Menschen solche zuzufügen. Diese sind es, die andere [Ärzte] Mondsüchtige nennen. Im Hereinlassen oder im Zorn der Götter geschieht es, so wie Diana im Kampf erfasst wurde vom Zorn des Apoll, mehrmals in schnellem Lauf mit großem Jammer. Andere sagen, es sei eine Legion von Dämonen, so dass sie, während sie jene ergriffen, irgendeinen Teil des Körpers hin- und herrissen und verletzten.«267

Diese Beschreibung ist erkennbar kaum christlich überformt. Am Übergang zwischen spätantiker und frühmittelalterlicher Medizin rekurriert sie noch ungebrochen auf die platonische Idee der göttlichen Einkörperung (inmissio bzw. en-theasmos). Ganz im Sinne des Jamblichus »öffnet« die Musik die Opferpriester und Adepten für die Götter  – und ebenso die Opfer des »Enteasmos« für die Krankheit. Wie der theurgische Maniakale bei Jamblichus spüren sie keinen Schmerz. Freilich wird hier nicht etwa die Ergriffenheit durch Dionysos, die »telestische mania«, als Vergleichsbeispiel herangezogen, sondern das Wirken des Apoll (nach Platon also eigentlich die »mantische mania«). Zudem vergleicht der Text die Geräusche, die die Opfer des »Enteasmos« ausstoßen, mit dem Brüllen von Kühen (»bacce«, d. h. vaccae) vor dem Opferaltar. Bildlich und 267 Heiberg (Hg.), Glossae medicinales, S. 29 f.: »Enteasmos: species est maniae periculosa. minus inritantur quam maniaci nec in se manus iniciunt, ut maniaci, isti vero subito arripiuntur cum saltatione pedum vel manuum plausu, ut audiant sibi intra aurium cavernas voces diversas tibiarum, cantantium, simphoniarum aut cimbalorum percutientium sonos, et cum nimia delectatione eis resonat; sicuti bacce ad aras sacrificiorum solebant diversitates sonorum parere, aut sacerdotes, quando libamina diis exibebant, tunc istis sonis molliebantur, sic istos sonos in cerebro repercutientes sibi audiunt et auditis sonis istarum saltant, triumfant vel in cursum velocem se dirigunt, subito rapiunt gladium aut macerium et se percutiunt et non sentiunt aut morsibus se adtractant vel in aliis hominibus facere non dubitant. Isti sunt, quos lunaticos alii vocant, inmissione vel iracundia deorum est, sicut Diana in pugna arripiebatur Apollinis iracundia, aliquoties se in cursum velocem magna cum vociferatione. alii dicunt, demonum legionem esse, ut, dum eos arripuerint, aliquam partem corporis vexent vel vulnerent.« Vgl. ebd., S. 29, Anm.; zur Herkunft und Provenienz der Glossen vgl. ebd., S. 3; vgl. dazu Temkin, The Falling Sickness, S. 89. Der Liber Glossarum als nicht ausschließlich medizinische Sammlung ist nicht erwähnt bei Beccaria, Codici di Medicina; Heiberg, Geisteskrankheiten, erwähnt weder den Liber Glossarum noch den »Enteasmos«. Lindsay (Hg.), Glossarium Ansileubi, S. 204, verzeichnet nur das Lemma und die Quellenangabe: »Enteasmos (Gal.)«. Lindsay, der für seine eigenen Forschungen an der Überlieferung antiker Gelehrsamkeit im Mittelalter interessiert war, konnte die zunächst geplante vollständige Edition des Liber Glossarum aus finanziellen und arbeitsökonomischen Gründen nicht zum Druck bringen. Selbst seine Wiedergabe aller Lemmata mit Quellenangabe umfasst schon 604 zweispaltige Druckseiten, vgl. Ganz, Liber Glossarum, S. 127. Seit 2011 läuft ein vom European Research Council gefördertes internationales Verbundprojekt zur Edition des Gesamtwerkes, vgl. URL: [27.03.2012]. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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etymologisch ist damit auf das stiergleiche Brüllen des Bacchos/Dionysos und seiner Dienerinnen angespielt.268 Die Einwohnung des Gottes vollzieht sich jedoch aus­drücklich als Form der Bestrafung bzw. des Zorns (iracundia), was sehr an die telestische mania erinnert. Auch wurde Apoll schon in der Antike vielfach mit dem Sonnengott Helios/Sol amalgamiert,269 was ihn mit seinem Antipoden Diony­sos verbindet. Sein Opfer Diana hingegen wurde henotheistisch mit Selene und Luna identifiziert (wie auch mit Hekate und Artemis, die beide Gegenstand von spätantiken Korybanten-Kulten waren).270 Sie war also eine Fruchtbarkeits- und Mondgöttin  – und damit die passende Patronin für die »Mondsüchtigen« (»lunaticos«), mit denen die Glosse die Opfer des »Enteasmos« gleichsetzt. Ebenso auffällig ist die Beschreibung des verletzungsträchtigen Tanzes mit Schwertern und Knüppeln. Sie rekurriert auf den sogenannten Pyrrhischen Tanz, wie ihn schon Platon beschrieben hatte: einen Waffentanz im antiken Griechenland, der wie der Tanz der Korybanten vom aulos, einer Flöte, begleitet wurde.271 Ähnliches hatte wie erwähnt Strabon für die Anhänger der Kybele angenommen.272 Das Motiv des Kontrollverlusts beim Schwerttanz verbindet den »Enteasmos« des Liber Glossarum also mit dem Korybantismus in der Tradition der Schilderungen Platons. Wie noch zu zeigen sein wird, hatte der  – vielfach mit rituellen Selbst­ kastrationen verbundene – Schwerttanz der Priester der Kybele und des Attis (galloi) eine zentrale Rolle bei der Erneuerung der paganen Staatsreligion unter Julian »Apostata« gespielt.273 Der Korybantentanz wäre im Fall eines Erfolgs ­Julians zum zentralen Konkurrenzmysterium der christlichen Eucharistie geworden. Es ist also nur folgerichtig, dass christliche Verfasser ihn in der Rückschau als Kontrafaktur des eigenen Erlösungskonzepts wahrnahmen. Im Krankheitskonzept »Enteasmos« wird so die julianisch-pagane Anti-Eucharistie zum Bildspender für die Beschreibung eines Zustands von Wahnsinn und Heilsferne. Vermittelt durch Lukian von Samosata sollte der Pyrrhische Tanz noch in mystischen Imaginationen des späten Mittelalters eine Rolle spielen.274 Dem 268 Vgl. Rouget, Music and Trance, S. 207 f.; Jostes, Sonnenwende. 269 Rickert, Vom Sonnengott zum Krippenfest, S 22 f.; Wallraff, Christus verus Sol, S. 31. 270 Rickert, Vom Sonnengott zum Krippenfest, S. 22 f.; Klaus, Antikes Erbe, S. 70; im Zodiakalsystem des Manilius (1. Jh. n. Chr.) standen sich Apollon als Gott des Sternbildes Gemini und Diana als Göttin des Sagittarius gegenüber, vgl. Tester, History of Western Astrology, S. 34 f.; im »Enteasmos« wurde so vielleicht auch eine siderische Konstellation ausagiert. 271 Rouget, Music and Trance, S.  213–215; Voss, Tanz, S.  31 f., 309; Lawler, Dance in ­A ncient Greece, S. 107 f.; Linforth, Corybantic Rites, S. 157. 272 Radt (Hg./Übers.), Strabon, Geographika, Buch X, 467–474, Bd. 3, S. 221–240. 273 Vgl. unten, Kap. IV.2.2. 274 Benz, Meditation, S. 28, über das Rosetum des Johannes Mauburnus (1460–1502/03); vgl. unten, Kap. III.4.5. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 2: Der Taranteltanz, aus: Athanasius Kircher: Phonurgia nova, Kempten 1673, Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, 2 Bibl. Uff. 149, S. 206.

eigentlich hochgradig akrobatisch disziplinierten Tanz unter Schwingen von offenen Schwertern wohnte offenbar ein Imaginationspotential von aggressiver Entgrenzung inne, das hier mit dem Motiv der pathologischen mania verknüpft wurde. In den stärker christlich durchgeformten Schilderungen der spätmittelalterlichen nordalpinen Tanzkrankheit wird dieses Schwerttanz-Motiv nicht mehr auftauchen, wohl aber in den Zeugnissen zum italienischen Tarantismus.275 In der Wissenskultur des 9.  Jahrhunderts, ausgehend vom intellektuellen Zentrum des Bildungswesens im Reich Karls des Großen, kannte man also ein Krankheitskonzept, das zurückging auf platonische Vorstellungen von mania und enthusiasmos.276 In ebendiesem Milieu und zur gleichen Zeit, freilich im spirituell-theologischen Diskurs der Hagiographie, sollte der platonische enthusiasmos auch im religiösen Sinn eine entscheidende Weiterentwicklung auf dem Weg zur spätmittelalterlichen Tanzwut erfahren.277 Zu fragen freilich bleibt, ob dieser Eintrag in der unüberschaubaren Textmasse des Liber Glossarum überhaupt wahrgenommen oder von den Bearbeitern nur mechanisch abgeschrieben wurde? Da die Glossarienliteratur des 275 Vor allem bei Athanasius Kircher: Hecker, Tanzwuth, S. 589; Schneider, (Art.) Tarantella (I.), S. 118; Katner, Rätsel des Tarentismus, S. 5 mit Abb. 1, S. 15. 276 Zur mania vgl. Heiberg (Hg.), Glossae medicinales, S. 44 f. 277 Vgl. unten, Kap. V.3. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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früheren Mittelalters bisher nur unzureichend erschlossen ist, sind konkretere Aussagen zur Rezeptionsdichte einzelner Lemmata kaum möglich. Immerhin enthalten die Hermeneumata Pseudo-Dositheana, eines der wichtigsten griechisch-lateinischen Glossarien im mittelalterlichen Westen, ebenfalls ein Lemma »intiasmon species maniae«.278 Die Datierung dieses eher als Wörterbuch zu verstehenden Werks ist in der Forschung umstritten: Stammt es aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. und wäre damit eventuell eine Quelle für den ­Liber Glossarum?279 Oder war dieser vielmehr die Vorlage bei der Erstellung der Hermeneumata?280 Die Lösung liegt in der Mitte: Bei den Hermeneumata handelt es sich ursprünglich um ein zweisprachiges lateinisch-griechisches Lehrbuch für den spätantiken Griechisch-Unterricht. Eine im 9.  Jahrhundert in ­Auxerre entstandene Handschrift kombiniert das Vokabular der Hermeneumata mit den griechischen Lemmata des Liber Glossarum zu einem neuen griechisch-lateinischen Wörterbuch. Dieses wurde in der Folge häufiger kopiert und von Goetz im Corpus Glossariorum Latinorum unter dem irreführenden Titel Hermeneumata Pseudo-Dositheana ediert.281 Der Eintrag zum »intiasmon« geht also auf den klösterlichen Bildungsbetrieb der Karolingerzeit zurück. Der Liber Glossarum vermerkt als Quelle für den »Enteasmos«: »Galeni«. ­Galen jedoch ist, wie gleich zu zeigen sein wird, nicht die Vorlage für diese ausführliche Beschreibung. Neben älteren Glossarien werteten die Bearbeiter des Liber Glossarum in großem Stil die »Etymologien« und andere Werke ­Isidors von Sevilla aus, aber auch Augustinus, Ambrosius und weitere Kirchenväter, den Physiologus und anderes.282 Für die medizinischen Lemmata beruft sich der Liber Glossarum neben Galen auch auf Isidor, Hippokrates, sogenannte »Pandecti medicinae«, eine Quelle namens »Libri medicinales« und eine weitere namens »Oxea Patici«.283 Die Quellenangabe »Oxea Patici« im Liber Glossarum erweist sich als Latinisierung des griechischen Titels des unter dem wohl fiktiven Verfassernamen Aurelius überlieferten Werkes De acutis passionibus (griech.: ὀξέα πάϑη).284 Als Verfasser dieses im frühen Mittelalter weitverbreiteten Kompendiums hat man einen anonymen christlichen Arzt des 6. oder 7. Jahrhun-

278 Goetz (Hg.), Hermenevmata Psevdodositheana, S. 601; dem Registerwerk des »Corpus Glossariorum Latinorum«: Goetz, Thesaurus Glossarum Emendatarum, Bd. 1. 390, zufolge ist dies der einzige entsprechende Eintrag. Goetz (Hg.), Hermenevmata Psevdodosi­ theana, enthält lediglich das Schlagwort ohne Erläuterung. 279 So Lapidge, (Art.) Glossen, Glossare, Sp. 1508. 280 So Barbero, Contributi, S. 174. 281 Dionisotti, Greek Grammars. 282 Lindsay, The Abstrusa Glossary, S. 126–129; Ders., Virgil Scholia, S. 3 f.; Goetz, Liber Glossarum, S. 256–277; Ders., De glossariorum latinorum origine et fatis, S. 108–113. 283 Lindsay (Hg.), Glossarium Ansileubi, S. 4; Goetz, De glossariorum latinorum origine et fatis, S. 113; Ders., Liber Glossarum, S. 265. 284 Goetz, Liber Glossarum, S. 265; Niedermann, Les gloses, S. 257 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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derts angenommen.285 »Aurelius« jedoch führt die mania unter den chronischen Krankheiten, die er »weiter oben« behandelt habe.286 Denn bei dem sogenannten Aurelius handelt es sich um eine gekürzte Version des Traktats De acutis passionibus des Caelius Aurelianus.287 Dieser römische Arzt des 5.  Jahrhunderts n. Chr. schrieb drei Bücher über die akuten (Celerum passionum libri III) und fünf über die chronischen Krankheiten (Tardarum passionum libri V). Dabei handelt es sich in erster Linie um lateinische Übersetzungen der Werke des griechischen Arztes Soranos von Ephesus (um 100 n. Chr. in Rom tätig). Im ersten Buch der Tardarum passionum libri V findet sich im Kapitel 5 eine ausführliche Diskussion »De fvrore sive insania, qvam Graeci Maniam vocant«.288 Caelius rekurriert zunächst auf Platons Unterscheidung der krankhaften von der göttlichen mania.289 Die krankhafte mania sei eine »alienatio tarda sine febribus«, was sie von der akuten Phrenitis unterscheide.290 Sodann referiert Caelius die Lehren der »methodischen Schule«, zu der Soranos von Ephesus gehört hatte. Neben vielen anderen Symptomen erwähnt er auch Blähungen des Bauches – ein Motiv, das sich auch bei anderen Verfassern findet.291 Als Therapie werden unter anderem eine dreitägige Speiseenthaltung, Aderlässe und Schröpfungen empfohlen, anschließend Bäder, leichte Kost und intellektuelle Anregung.292 Im Kontrast dazu stellt Caelius dann in sehr polemischem Ton die angeblichen Irrlehren anderer medizinischer Schulen dar.293 Den enthusiasmos erwähnt er nicht mehr. Offenbar gehört für ihn bzw. seine Vorlage Soranos die göttliche mania Platons nicht zum Aufgabengebiet der Ärzte. Vom gleichen Verfasser wie der pseudonyme »Aurelius« stammt auch eine zweite medizinische Sammlung, die später unter dem Namen »Esculapius« firmierte. Beide Werke entstanden um 600 n. Chr. Während »Aurelius« sich auf die akuten Krankheiten nach Caelius Aurelianus konzentriert, enthält diese 285 Rose, Anecdota Graeca et Graecolatina II, S. 174–180; Jourdan, Glossae medicinales, S. 122 f. 286 Daremberg (Hg.), Aurelius de acutis passionibus, S. 482 (Prooemium): »Cronicae valitudines, hae sunt temporales quae sunt veternosae, quae multis temporibus remorantur, ut epilempsia, […] mania, […] et aliae multae passiones quas jam superius exposui.« 287 Daremberg (Hg.), Aurelius de acutis passionibus, S. 468 f.; zur Person: Wegner, (Art.) Caelius Aurelianus. 288 Bendz/Pape (Hg.), Caelius Aurelianus, S. 515–537. 289 Ebd., S. 515 f.: »Plato in Phaedro duplicem furorem dixit: unum fieri mentis intentione ex corporis causa vel origine, alterum diuinum siue immissum eiusque Apollinem inspiratorem esse, atque nunc uocari diuinationem, ab antiquis uero appellatum furorem. Magna Graecorum uetustas manian appellabat, quae nunc mantice dicta est. Item alium inquit ex Libero fieri patre, alium ex Amore et appellauit eroticon, alium ex Musis, quem appellauit protrepticon, quod carmen instruere uideatur.« 290 Ebd., S. 516. 291 Ebd., S. 518: »[…] item uentris exstantia et frequens descensus uenti per podicem, […].« 292 Ebd., S. 517–531. 293 Ebd., S. 532–536. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Schrift eigene Ausführungen über die chronischen Leiden.294 Auch der »Esculapius« wurde früh als eine der Vorlagen für die medizinischen Einträge im ­Liber Glossarum identifiziert.295 Das Werk wurde im Jahr 1533 in Straßburg bei Johannes Schott erstmals gedruckt.296 Ausführlich behandelt der »Esculapius« Krankheiten im Umfeld des enthusiasmos: Zunächst wird wie seit Galen üblich die »Epilepsia« physiologisch erklärt.297 Sodann beschreibt »Esculapius« die »Mania«: Diese ergreife vor allem Gelehrte, weil diese ihre Gehirne mit Arbeit überlasteten, um die göttlichen Prophezeiungen zu verstehen: »Daher werden sie auch Maniakale genannt, denn ›Prophezeiung‹ heißt im Griechischen ›Mantik‹.«298 Der Bezug der Krankheit zum platonischen enthusiasmos ist dem Verfasser also nur noch ein etymologisches Problem, nicht etwa ein kausales. »Sie entsteht aber aus zu großer Hitze des Blutes oder der Galle; oder aus zu großer Kälte, oder aus schlechter Verdauung von Speisen oder Getränken; dies [alles] führt zu Blutfülle; oder aus zu wenig Schlaf. Sie werden plötzlich ergriffen, gleichsam, wie solche, die von Dämonen genarrt würden, oder wie solche, die Gift getrunken hätten.«299

Dämonische Besessenheit oder Vergiftung werden hier nur als Vergleich für die Symptome erwähnt, die Ätiologie der mania hingegen ist rein humoralpathologisch. Neben zahlreichen anderen Symptomen der mania erwähnt der »Esculapius« aber auch dies: »Sie tritt jedoch bei ihnen ein, während sie mitten in einer [Buß]übung sind, oder im Bad, oder wenn sie gerade auf dem Marktplatz tanzen.«300

Dieses Leiden trete vor allem im Frühling oder im Winter auf, selten hin­gegen im Sommer. Es betreffe auch primär Kinder, Mütter und Jugendliche, da diese 294 Jourdan, Glossae medicinales, S.  122, der eine gemeinsame Überlieferung in einer Karlsruher Handschrift des 9./10. Jh. festmacht. 295 Ebd., S. 121; Niedermann, Les gloses, S. 259. 296 Esculapii de morborum librum; gemeinsam mit der Physica der Hildegard von Bingen und einigen anderen medizinischen Werken: VD 16: H 3626; benutzt wurde die über das VD 16 vorliegende digitalisierte Fassung der Bayerischen Staatsbibliothek München, Signatur: Res/2 M. med. 44 h. 297 Ebd., Kap. III, S. iiii f. 298 Ebd., Kap. IV, S. vi: »[…] cum […] memoria multa congregantes, lectiones diuinas requirentes. Inde et maniaci dicti sunt, quod diuina requirant. Quia diuinatio graece μαντιία [!] dicitur.« 299 Ebd., Kap. III, S. vi f.: »Fit autem ex mimio [recte: nimio] calore sanguinis, siue cholerum: aut ex nimio frigore, aut indigestione ciborum, siue potus. Unde sanguinis plenitudo fit: siue ex nimijs uigilijs. Subito arripiuntur, quasi qui a daemone irrituntur, aut quasi qui uenenum biberint.« 300 Ebd., Kap. III, S. vi: »[…] Subitat eos autem in exercitio cum operantibus, aut in balneo, aut in foro saltantibus.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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eine größere Blutfülle hätten.301 Folgerichtig diskutiert der Verfasser neben pharmazeutischen Therapien vornehmlich Maßnahmen zur Abfuhr der durch falsche Verdauung hervorgerufenen Blutfülle und der damit zusammenhängenden Winde.302 Nach einem Kapitel über die »Melancholia« kommt der »Esculapius« dann zu einer »sehr gefährlichen Form der Mania«, zum »Enthusiasmon«: »Sie werden erregt wie die Maniakalen und erheben die Hand gegen sich selbst. Sie werden plötzlich ergriffen mit einem Tanz der Füße oder Hände, als ob sie in ihren Gehörgängen die anmutigen Stimmen göttlicher Gesänge hörten oder die schlagenden Klänge von Tympana und Zimbeln, und mit größter Freude antworten sie diesen. Wie Kühe am Opferaltar ein Durcheinander von Tönen zu machen pflegen, oder wenn die Priester die Opfer vorzeigen, so werden jene Geräusche hervorgebracht. So hören sie jene schlagenden Töne in ihrem Gehirn, und vom Gehörten überzeugt, werden sie zu Teilnehmern des Tanzes. Oder sie sind eifrig in schnellem Lauf, so dass sie plötzlich ein Schwert oder einen Knüppel herausreißen und sich schlagen, und nicht spüren, ob sie sich oder anderen Verletzungen zufügen, nicht wissend, was sie tun. Diese nennen die Lateiner ›Causarier‹ [Invaliden]. Im Hereinlassen oder im Zorn bilden sie mehrmals einen schnellen Lauf und stoßen Rufe aus. Andere sagen, es handele sich um Dämonen und Engel in Legion, dass sie, wenn es diese ergreift, einen anderen Teil ihres Körpers ergreifen oder verletzen. Sorgfältig muss man diese hindern. Wenn sie die oben beschriebenen Töne hören, sind sie sorgfältig einzuschließen. Und wenn sie sie hören, sind sie je nach Zustimmung zur Ader zu lassen und ihr Bauch ist zu bewegen. Sie sollen leichte Speisen zu sich nehmen, mit warmem Wasser, damit alle Winde, die im Gehirn die Geräusche auslösen, vertrieben werden. Mit ihrer eigenen Zustimmung sollen sie Ruhe haben. Wenn sie aber Schaum ausstoßen, oder wenn sie von einem tollwütigen Hund verletzt wurden, werden sie innerhalb von sieben Tagen sterben.«303 301 Ebd., Kap. III, S. vii. 302 Ebd., Kap. III, S. vii: »[…] Et clystere uti debemus. Et si uires, uel aetas permiserint, uel cibos bene acceperint, flebotomentur cum multis apoferibus, pro uentositatis egestione, ut multus sanguis tollatur usque ad libotomiam.« 303 Ebd., Kap. VI, S. x: »De Enthusiasmone. Enthusiasmon species est maniae periculosa nimium. Irritantur ut maniaci, [et] in se manus injiciunt. Isti subito arripiuntur, cum saltatione pedum, uel manuum, ut audiant sibi intra aurium cauernas uoces decentes diuinorum cantantium, tympanorum, aut cymbalorum percutientium sonos, et cum nimia delectatione resonant eis. Sicuti uaccae ad aram sacrificiorum solebant diuersitatem sonorum parare, aut sacerdotes quando libamina exhibebant, tunc istis sonis mouebantur. Sic istos sonos in cerebro repercutientes sibi audiunt, [et] auditos co[n]testati, socij saltantium fiunt. Vel in cursu ueloci seduli sunt, ut subito rapiant gladium, uel mancheram, [et] se percutiunt, et non sentiunt, aut morsibus se attrectant, uel in alijs hominibus nescientes quid faciant, quos latinis Causarios uocant. Inmissione, uel iracundia aliquoties se in cursum uelocem dirigunt cum uociferatione. Alij dicunt daemonis angeli legionem esse: ut dum eos arripuerit, aliqua[m] partem corporis uexent, uel uulnerunt. Diligenter eis impendi debet. Quando supra scriptos sonos audierint, includantur diligenter. Et post accessionem cum audierint, flebotoment[ur] [et] uenter eis moueatur. Cibum accibiant leuem, cum calida[m] aqua[m] ut omnes uentositates quae in cerebro sonos faciunt, diuertantur. In ipsa accessione silentium habeant. Quod si spuma[m] per se egerint, aut ex cane rabido morsi fuerint, intra septem dies moriuntur.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Diese Beschreibung ähnelt auffällig jener im Liber Glossarum. War der anonyme »Esculapius« also die Vorlage für die karolingerzeitlichen Mönche, die das Lemma zum »Entheasmos« kompilierten? Nicht alle Abweichungen lassen sich durch Änderungen oder Kopierfehler der Glossatoren erklären. Einige Passagen im »Esculapius« zeigen vielmehr selbst Textverderbnis.304 Den fränkischen Mönchen um 800 könnte freilich eine bessere Handschrift des zu ihrer Zeit etwa zweihundert Jahre alten »Esculapius« vorgelegen haben, als 1533 dem Straßburger Drucker Johannes Schott. Vielleicht hatten Liber Glossarum und »Esculapius« jedoch auch eine gemeinsame dritte Vorlage. Diese könnte in griechischer Sprache oder zumindest griechischer Herkunft gewesen sein, erwähnen beide vorliegenden Texte doch in ganz ähnlichen Formulierungen unterschiedliche Bezeichnungen, die »die Lateiner« für die behandelte Krankheit hätten. Wie im Liber Glossarum wird auch im »Esculapius« das Rasen des enthusiasmos ausdrücklich mit religiösen Opferriten verglichen. Die Analogisierung mit Apollo und Diana ist nicht erwähnt, nur in den brüllenden Opferrindern klingt erneut Bacchus/Dionysos an. Auch die Assoziation zum antiken Waffentanz ist erneut enthalten. Anders als die fränkische Klosterenzyklopädie des frühen 9. Jahrhunderts enthält das medizinische Kompendium des 6./7. Jahrhunderts auch diätetische Therapievorschläge, die eine humoralpathologische Ursachen­ annahme erkennen lassen: Die eingebildeten Geräusche im Gehör, die den ­enthusiasmos auslösen, werden auf »ventositates« zurückgeführt, die man mittels leichter Ernährung und Aderlass bekämpfen könne. Als eine nur vage abgegrenzte Unterkategorie erwähnt der »Esculapius« schließlich die Tollwut, wobei eine präzise Unterscheidung der Kausalannahmen offenbar nicht intendiert ist. Einer der Pioniere der Schule von Salerno und damit der Ausbildung der mittelalterlichen Medizin als Lehrfach war Mitte des 11. Jahrhunderts der Langobarde Gariopontus (bzw. Warimbod, lat. Guarimpotus). Er kompilierte aus der frühmittelalterlichen medizinischen Überlieferung, insbesondere aus Galens Therapeutika ein medizinisches Handbuch, das als Passionarius Galieni bis ins 16. Jahrhundert in ganz Europa im Gebrauch sein sollte.305 Gariopontus lagen dabei auch Texte aus dem Umkreis des Liber Dynamidiorum vor, ebenso A ­ urelianus’ De acutis passionibus.306 Die erstmals 1526 in Lyon (Passionarius Galieni) und dann 1536 in Basel (De morborum causis) gedruckte Sammlung seiner Krankheitsbeschreibungen enthält denn auch einen längeren Eintrag zur »Mania«. Mit beinahe den gleichen Worten wie der »Esculapius« erklärt 304 Etwa der Satz: »Alij dicunt daemonis angeli legionem esse: ut dum eos arripuerit, aliqua[m] partem corporis uexent, uel uulnerunt.« 305 Keil, (Art.) Guarimpotus; Wegner, (Art.) Gariopontus. 306 Niedermann, Les gloses, S. 258. Laut Helmreich, Aurelius, S. 46, überliefert Gariopontus eine bessere Fassung des Aurelius als die von Daremberg 1847 für seine Edition benutzte. Vgl. auch Jourdan, Glossae medicinales, S. 123. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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­Gariopontus die mania als Folge eines Ungleichgewichts der Säfte und empfiehlt entsprechende pharmazeutische und diätetische Maßnahmen.307 Und auch für die »species maniae periculosa nimium« greift der Salernitaner auf Vorlagen zurück, die denen des »Esculapius« und des Liber Glossarum sehr ähneln. Zumindest der Baseler Druck von 1536 nennt diese Krankheitsform »Ante­ neasmos«. Die Herkunft dieser Bezeichnung ist unklar.308 Da die betreffende Textpassage von der Entstehungszeit im frühen Mittelalter bis zum Zeitpunkt des Drucks lateinisch überliefert wurde, ist eine Verschreibung durch einen des Griechischen nicht mächtigen Bearbeiter denkbar. Dies ließe eventuell darauf schließen, dass der enthusiasmos für die Abschreiber eher totes Buchwissen als reales Alltagsphänomen gewesen wäre. Andererseits könnte die Umformung der Benennung auch auf eine orale Überlieferung verweisen, die wiederum eine Verknüpfung mit medikalem Erfahrungswissen nahelegen würde. Da der Begriff außerhalb der engen Diskursgemeinschaft medizinischer Gelehrsamkeit jedoch nicht zu finden ist, scheint dies eher unwahrscheinlich. Dieser »Anteneasmos« jedenfalls ist inhaltlich fast deckungsgleich mit dem »Enthusiasmon« des »Esculapius«. Freilich sind alle spirituellen oder mytho­ logischen Bezüge eliminiert und stattdessen die humoralpathologische Erklärung und Therapie, die beide schon bei »Esculapius« anklingen, elaboriert: »[Der] Anteneasmos ist eine außerordentlich gefährliche Form der Mania. Sie [die Opfer] werden wie die Maniakalen erregt, und [wie diese] erheben sie die Hand gegen sich selbst. So werden sie plötzlich ergriffen mit Tanz der Hände und Füße, weil sie fälschlich in den Höhlen der Ohren verschiedene Stimmen klingen hören, als seien dort die Geräusche der Musik verschiedener Instrumente, durch die sie erfreut werden, so dass sie sofort zu springen begännen oder einen schnellen Lauf ergriffen, sich mit plötzlich ergriffenem Schwert schlügen oder nicht zögerten, sich und anderen Bisse zuzufügen. Von diesen sagen die Lateiner, es seien Mörder, andere, es seien Legionen von Dämonen, die, wenn sie jene ergriffen, sie hin- und herrissen und verletzten.

Behandlung: Aufmerksamkeit muss man jenen zuteil werden lassen; wenn sie die Klänge hören, sollen sie eingesperrt werden; und nach den Stunden der Neigung sollen sie zur Ader gelassen werden und ihr Bauch soll bewegt werden. Leichte Nahrung sollen sie erhalten mit warmem Wasser, so dass alle Winde, die im Kopf die Geräusche auslösen, ausgetrieben werden. Je nach eigener Neigung 307 Garioponti de morborum causis, Lib. I, cap. IX: De Mania, S. 22 f.: »[…] Fit uero ex nimia indigestione ciborum, uel ex nimia bibitione, uel potu, unde sanguinis plenitudo fit. Haec passio quoque fit ex nimio calore sanguinis siue cholerum, aut ex nimio frigore, aut ex ­nimiis uigilis. His subito arripiuntur quasi qui  a daemone irritantur, aut qui uenenum ­biberint. […]«; vgl. ebd., cap. X, S. 25–27. 308 Estienne, Thesaurus Graecae Linguae, kennt das Lemma nicht; ebenso: Lexikon der Byzantinischen Gräzistik, Bd. 1; greifbar sind als Synonyma für enthusiasmos lediglich: theiasmos (ϑειασμόϚ) und epitheiasmos (ἐπιϑειασμόϚ); vgl. Pfister, (Art.) Enthusiasmus, Sp. 456. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sollen sie Ruhe haben. Wenn sie aber aus dem Mund Schaum auswerfen sollten, oder wenn sich herausstellt, dass der Biss eines tollwütigen Hundes die Ursache ist, dann werden sie innerhalb von sieben Tagen sterben.«309 Hatte die gemeinsame Vorlage von »Esculapius« und Liber Glossarum die platonische mania der Korybanten als Krankheitsbild ausformuliert und dabei die Konnotationen göttlicher Einwohnung noch ausdrücklich reproduziert, so entwickelt Gariopontus für die Schule von Salerno und für die mittelalterliche Medizin ein komplett profanisiertes Konzept: Mania im Allgemeinen und »Ante­neasmos« im Besonderen haben ihre Ursache in einem Ungleichgewicht der Säfte, das im Körper des Kranken Winde auslöst, und entsprechend sind sie zu behandeln. Besessenheit erwähnt er nur als Metapher für die Beschreibung der Symptome, für den »Anteneasmos« sogar nur als zu verwerfende ungelehrte Alternativerklärung. Undeutlich bleibt die Abgrenzung zur Tollwut, die offenbar als unbehandelbar angesehen wird. Auffällig ist, dass Gariopontus wie der »Esculapius« als Therapie für »Mania« und »Anteneasmos« nicht etwa einen Heiltanz empfiehlt, wie im Fall der antiken Korybanten, sondern eine besondere Diät.

II.3.4 Gelbe Galle und Blut als Auslöser der mania: Antike Prätexte des frühmittelalterlichen enthusiasmos Woher aber bezogen die unbekannte Vorlage des »Esculapius« und des L ­ iber Glossarum einerseits und Gariopontus von Salerno um 1050 andererseits ihre Konzeption von mania und enthusiasmos? Ein einzelner gemeinsamer Prätext ist nicht bekannt. Viele Züge finden sich jedoch bei Aretaios von Kappa­dokien (ca. 80/81 – 130/38 n. Chr.), einem griechisch schreibenden Arzt in Alexan­ drien.310 Dieser Verehrer des Hippokrates und Anhänger der Pneumatischen Schule definierte die mania ebenfalls als »langdauernde Geistesverwir­rung, 309 Garioponti de morborum causis, Lib. I, cap. XI, S.  27 f.: »Anteneasmos est species ­maniae periculosa nimium. Irrituntur tanquam maniaci, et in se manus iniiciunt [!]. Hi subito arripiuntur, cum saltatione manuum et pedum, quia intra aurum cavernas quasi uoces diuersas sonare falso audiunt ut sunt diuersorum instrumentorum musicae soni, quibus delectantur, ut statim saltent, aut cursum velocem arripiant, subito arripientes gladium percutiunt se, aut alios morsibus et alios attrectare non dubitant. Hos latini percussores, alii dicunt, daemonis legiones esse, ut dum eos arripiunt, vexent et uulnerunt. // Cura: Diligentia eis imponenda est, quando istos sonos audierint includantur, et post accessionis horas phlebotomentur, et ­uenter eis moveatur. Cibos leues accipiant cum calida aqua, ut omnis uentositas quae in cerebro sonum facit egeratur. In ipsa acceßione silentium habeant. Quod si spumam per os eiecerint, uel ex canis rabidi morsu causa fuerit, intra septem dies moriuntur.« Vgl. dazu Katner, Rätsel des Tarentismus, S. 102 f.; Hecker, Tanzwuth, S. 32 f.; beide erwähnen den »Anteneasmos« als Abkömmling des platonischen enthusiasmos und Vorläufer des süditalienischen Tarantismus. 310 Zur Person: Moog, (Art.) Aretaios. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ohne alles Fieber«.311 Sie sei bedingt durch Wärme und Trockenheit, also durch die gelbe Galle. Aretaios vergleicht die mania durchgehend mit der durch die kalt-trockene schwarze Galle bedingten Melancholie.312 Hervorgerufen werde sie durch übermäßiges Essen, Trunkenheit und sexuelle Maßlosigkeit, bei Frauen durch die Menopause. Die Ursache liege in den Eingeweiden, denn anders als bei der phrenitis hätten die Maniakalen keine Halluzinationen, sondern korrekte Sinneswahrnehmungen, die sie aber falsch beurteilten. In manchen Fällen »[…] tritt die Manie unter der Form der Lustigkeit auf. Solche Leute lachen, spielen, tanzen Nacht und Tag; gehen auf den Markt, um sich sehen zu lassen, bisweilen mit Kränzen geschmückt, als wenn sie siegreich aus einem Wettkampf hervorgegangen wären.«313

Die heiteren Maniakalen bräuchten kaum Schlaf, alle klagten jedoch über Kopfschmerzen: »Ihr Gehör ist fein, aber ihr Geist träge. Einigen klingt und tönt es in den Ohren, wie von Trompeten und Flöten. Nimmt die Krankheit zu, so bekommen sie Blähungen und Ekel, essen viel und gierig, weil sie keinen Schlaf haben und die Schlaflosigkeit zum vielen Essen anregt.«314

Ein Übermaß an gelber Galle, hervorgerufen durch Ausschweifungen in Essen, Trinken und Sexualität; von den Eingeweiden ausgelöste Sinneswahrnehmungen, die den Kranken wie Trompeten oder Flöten erscheinen; Blähungen, Schlaflosigkeit, aber auch fröhliche Tänze in der Öffentlichkeit – die Symptomatik des Aretaios enthält einige der zentralen Bestandteile des enthusiasmos, wie er sich später bei frühmittelalterlichen medizinischen Schriftstellern finden wird, augenscheinlich jedoch ohne allein die Vorlage für diese zu sein. Aretaios betont auch Züge, die noch in den spätmittelalterlichen Darstellungen der Tanzwut eine zentrale Rolle spielen sollten: blut- bzw. feuerrote Farb­ halluzinationen, sexuelle Zügellosigkeit auf dem Höhepunkt der Erkrankung, in einigen Fällen unaufhörliches Laufen im Kreis.315 Während letzterer Zug 311 Hude (Hg.), Aretaevs, Liber III, Kap. 6, S. 41–44; Mann (Übers.), Aretaeus, S. 51–55. 312 Vgl. hierzu und zum Folgenden Beek, De geestesgestorde, S. 97–104. 313 Mann (Übers.), Aretaeus, S. 52. 314 Ebd., S. 53 f. 315 Ebd., S. 54: »[…] denjenigen aber, welche in Manie verfallen, [erscheinen] helle und rothe [Gestalten], so dass es Vielen vorkommt, als strahle Feuer von ihnen aus, wovor sie sich wie vor einem Blitz fürchten. Bei Einigen werden auch die Augen selbst roth und unter­laufen mit Blut. Auf der Höhe der Krankheit treten Pollutionen auf. Die Kranken haben eine zügellose Begierde nach dem Geschlechtsgenuss, und schämen sich weder, noch zögern sie dieselbe vor aller Augen zu befriedigen. Ermahnt oder tadelt man sie deswegen, so gerathen sie in Zorn und die äusserste Wuth. […] Einige laufen unaufhörlich und kommen, ohne das sie es wissen, immer wieder an dem Ausgangspunkte an; […].« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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an die unendlichen Kreisbewegungen des Himmelsreigens erinnern mag, binden die roten Farbsensationen und die Promiskuität die eigentlich rein humoralpathologische Konzeption an die »telestische mania« zurück: Rot war die Farbe des pyrrhischen Schwerttanzes316 wie auch des Dionysos,317 sexuelle Ausschweifung bekanntlich dessen vornehmster Wesenszug. Aretaios sieht in diesen Zügen nurmehr medizinische Symptome, wie er überhaupt göttlichen Einfluss auf die mania ablehnt. Abschließend erwähnt er noch eine »andere Form der Manie«:318 »Einige zerfleischen sich die Glieder, weil sie glauben, dass die Götter es so von ihnen forderten, und sie sich dadurch ihnen wohlgefällig machten. In dieser Wahnvorstellung besteht einzig und allein die Manie solcher Leute, denn in allen übrigen Beziehungen zeigen sie sich bei vollem Verstande. Der Ausbruch der Krankheit kann durch Flötentöne, Ausgelassenheit, einen Rausch, oder durch Antrieb von Seiten der An­ wesenden hervorgerufen werden. Diese Manie entsteht durch den Einfluss der Götter. Ist der maniakische Paroxysmus bei den Befallenen vorüber, so sind sie munter und sorglos und halten sich für gottgeweiht. Ihr Ansehen ist blass und hager, und auf lange Zeit fühlen sie sich wegen der schmerzhaften Wunden sehr matt.«

Aretaios beschreibt hier ganz offensichtlich die rituelle Selbstverletzung der spätantiken galloi, der Priester der Kybele und des Attis, oder auch der salii, der Priester des Mars.319 Seine Bewertung jedoch bleibt zweischneidig: Einerseits hält er die Annahme, die Götter könnten Derartiges verlangen, als solche für wahnsinnig. Andererseits gesteht er zu, dass diese Form der mania göttliche Ursprünge habe. Diese »andere Form der Manie«, die er am Ende des Kapitels über die m ­ ania und vor dem Kapitel über die Paralysis einführt, erinnert nun umso deut­licher an den enthusiasmos, jene Subspezies der mania, die »Esculapius«, der Liber Glossarum und Gariopontus anführen sollten. Sie steht dort jeweils ebenfalls im Kontext einer Reihung von Epilepsie, Melancholie, mania, Paralysis und ähn­lichen Krankheitskomplexen.320 Mit seiner Beschreibung der mania gehört ­Aretaios von Kappadokien demnach zu den wichtigsten Vorläufern des frühmittelalterlichen Krankheitskonzepts enthusiasmos und zumindest mittelbar auch der spätmittelalterlichen Tanzwut. Die christlichen Ärzte des 6. und 7. Jahrhunderts konnten für ihre Pathologisierung des platonischen enthusias­ mos also nicht nur allgemein auf die Thematisierung der mania zwischen 316 Katner, Rätsel des Tarentismus, S. 29. 317 Jostes, Sonnenwende, Bd. 1, S. 35–37. 318 Mann (Übers.), Aretaeus, S. 54 f.; vgl. Linforth, Corybantic Rites, S. 147. 319 Vgl. unten, Kap. II.3.2 und IV.2.2. 320 Der Abschnitt über die Therapie der mania im Werk des Aretaios ist nicht erhalten, vgl. Mann (Übers.), Aretaeus, S. xiii, 209. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Wahnsinn und göttlicher Einwohnung zurückgreifen, sondern offenbar auch auf einen zumindest in nuce schon vorhandenen medizinischen Diskurs über eingebildete Besessenheit als Krankheit. Mit der diätetischen Kausalannahme und der daraus folgenden Therapie rekurrierten diese Mediziner auf die galenische Humoralpathologie: Der aus Kleinasien stammende, aber in Rom lehrende Arzt Alexander von Tralleis (um 525 – um 605) erklärte etwa in seinen Therapeutika (Libri duodecim de re medica) Galen folgend das »Ohrensausen«, den »Tinitus«, mit Blähungen wegen schwerer Speisen.321 Der Tinitus wurde häufiger als Symptom der mania geführt.322 Dieses Motiv wurde von Aretaios und der potentiellen gemeinsamen Vorlage von »Esculapius«, Liber Glossarum und Gariopontus für die Ätiologie des enthusiasmos aufgenommen: Schwere Speisen und/oder Schlafmangel führen zu einem Übergewicht an Blut und gelber Galle, diese zu »ventositas«, die sich durch Geräusche im Gehör äußert, welche wiederum die Raserei auslösen. Der Großteil der Schriften des Galen von Pergamon (um 129  –  um 200 n. Chr.)323 war im lateinischen Europa im frühen Mittelalter nicht bekannt und wurde erst seit dem späten 11. Jahrhundert auf dem Umweg über die arabische Medizin wieder rezipiert.324 In den Schriften Galens taucht die mania häufiger auf, wenn auch nicht an zentraler Stelle. Auch für Galen wie für Aretaios unterscheidet sie sich von der »Phrenitis« insofern, als sie ohne Fieber auftritt.325 Galen dürfte mit dieser Aussage zur Vorlage für die spätantiken und frühmittelalterlichen Beschreibungen der mania geworden sein, die fast regelmäßig mit dieser Definition eröffnen.326

321 Puschmann (Hg.), Alexander von Tralleis, Opera, Bd. 2, S. 92 f. (Therapeutika 3,3). 322 So etwa noch im Liber Glossarum: Heiberg (Hg.), Glossae medicinales, S. 44 f. 323 Über ihn und seine Wirkung vgl. Schipperges, (Art.) Galenismus; Nickel, (Art.) Galenos von Pergamon. 324 Schipperges/Durling, (Art.) Galen im Mittelalter. Eine Ausnahme bildet jedoch die Schrift Therapeutika (lat.: Ad Glauconem de medendi methodo), Hankinson (Hg.), Galen, On the Therapeutic Method. Sie war schon vor den Bemühungen der Schule von Salerno, die antike Medizin durch Übersetzungen aus dem Arabischen zugänglich zu machen, auch im westlichen Europa bekannt. Auch Gariopontus griff auf die Therapeutika zurück. Diese Methodik der ärztlichen Diagnose enthält jedoch keine konkreteren Angaben über Krankheitsbilder, daher auch nichts über mania und enthusiasmos. 325 Galeni de Locis Affectis Liber III, Kühn (Hg.), Galeni Opera Omnia, Bd. VIII, S. 166; Hippocratis Epidemiorum I et Galeni in Illum Commentarius I, ders. (Hg.), Galeni Opera Omnia, Bd. XVII, Pars 1, S. 159; explizit: Hippocratis Libri II Epidemiorum Sectio V, ders. (Hg.), Galeni Opera Omnia, Bd. XVII, Pars 1, S. 699. 326 Auch die pseudo-galenischen Definitiones medicae enthalten diese schulbildende Definition der mania: Galeni Definitiones Medicae, Kühn (Hg.), Galeni Opera Omnia, Bd. XIX, S. 346–462, hier: S. 416 (Nr. CCXLVI). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Wie schon Hippokrates327 sah Galen die mania offenbar zunächst als von der gelben Galle hervorgerufen an.328 Da die Bewegungen der humores den Jahreszeiten folgte, war sie wie Melancholie und Epilepsie für Hippokrates und Galen vornehmlich ein Phänomen des Frühlings.329 Dies impliziert jedoch, dass auch bei ihnen die Ätiologie der mania zwischen gelber Galle und Blut schwankt, da der Frühling eigentlich als die sanguinische Jahreszeit gesehen wurde.330 Für eine sanguinische Kausalität spricht auch, dass Hippokrates Galen zufolge als Ursache für mania bei Frauen Blutansammlungen in der Gebärmutter angegeben hatte.331 Jedenfalls, so Galen, trete die mania nicht bei einem Übermaß an Schleim auf, was sie etwa von den convulsiones unterscheide.332 Mit dieser Zuordnung der mania zum Frühling jedoch formulierten Hippokrates und Galen ein Motiv, auf das noch die Ärzte des 17. Jahrhunderts zurückgreifen konnten, als sie die Wallfahrten der Tanzwut-Kranken zu Sommerbeginn (St. Vitus: 15. Juni; St. Johannis: 24. Juni) beschrieben. Denn die Tänze bei den Kirchen der Heiligen bildeten ihren Beschreibungen zufolge nur den Höhepunkt eines im Frühling anschwellenden Leidens.333 Für die Behandlung der mania gibt Galen an, gute Erfahrungen mit Darmentleerungen gemacht zu haben.334 Die in den frühmittelalterlichen medizi­ nischen Kompendien beschriebene Vielfalt von diätetischen und pharmazeu­ tischen Therapieansätzen kennt er nicht. Sein Vorschlag impliziert jedoch, dass Galen Verdauungsprobleme als Ursache der mania sah – eine Vorstellung, die ebenso bei den frühmittelalterlichen Medizinern auftritt. Vorlage für die stärker sanguinische Ätiologie des enthusiasmos bei »Esculapius« und Gariopontus ist aber wohl weniger Galen, als vielmehr Aëtius von Amida (um 500 – um 570 n. Chr.): Er hatte um 540 als Ursache der mania über-

327 Wellmann (Hg.), Fragmente, S. 21, Anm. 3. 328 Hippocratis Aphorismi et Galeni in Eos Commentarii, Kühn (Hg.), Galeni Opera Omnia, Bd. XVII, Pars 2, S. 624; vgl. Wellmann (Hg.), Fragmente, S. 21; Heiberg, Geisteskrankheiten, S. 32–34. 329 Galeni de Hippocratis et Platonis Placitis Liber Octavus, Kühn (Hg.), Galeni Opera Omnia, Bd. V, S. 693 f.; Hippocratis de Humoribus Liber et Galeni in Eum Commentarii Tres I, ders. (Hg.), Galeni Opera Omnia, Bd. XVI, S. 26; Hippocratis Aphorismi et Galeni in Eos Commentarii, ders. (Hg.), Galeni Opera Omnia, Bd. XVII, Pars 2, S. 563, 615. 330 Hippocratis Epidem. I et Galeni in illum Commentarius I, Kühn (Hg.), Galeni Opera Omnia, Bd. XVII, Pars I, S. 30 f. 331 Hippocratis Libri II Epidemiorum Sectio V, Kühn (Hg.), Galeni Opera Omnia, Bd. XVII, Pars 1, S. 479. 332 Hippocratis Aphorismi et Galeni in Eos Commentarii, Kühn (Hg.), Galeni Opera Omnia, Bd. XVIII, Pars 1, S. 95. 333 So etwa der Ulmer Stadtarzt Gregor Horstius, vgl. Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S. 127. 334 Galeni de Pvrgantium Medicamentorvm Facvltate, Kühn (Hg.), Galeni Opera Omnia, Bd. XI, S. 341. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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mäßigen Blutzufluss zum Gehirn gesehen, ausgelöst entweder durch Blutfülle oder durch Verunreinigung mit Galle.335 Auch zum enthusiasmos findet sich in den unter dem Namen Galens überlieferten Werken nur ein Eintrag: Die Definitiones medicae enthalten als letztes Lemma den »Ἐνϑουσιασμός«: »Der enthusiasmos ist ein Aufstoßen der göttlichen Macht, zum Beispiel wenn einige bei der Verrichtung heiliger Handlungen im Geiste erfasst werden, als ob sie etwas gesehen hätten oder als ob sie Trommeln oder Pfeifen oder Signale gehört hätten.«336

Der Verfasser konnte für diese knappe Beschreibung an Platon anknüpfen: Im Kriton lässt dieser Sokrates erläutern, dass die Anhänger der korybantischen Riten vielfach Halluzinationen von Pfeifen und Musik hätten.337 Um eine Integration des enthusiasmos in die humoralpathologische Ätiologie bemühen sich die Definitiones Medicae nicht. Tatsächlich gilt diese Sammlung von Krankheitsbeschreibungen in der Forschung nicht mehr als Werk des Galen von Pergamon.338 Der unbekannte Verfasser der Definitiones medicae hatte den enthusiasmos erkennbar eher aus Gründen der Vollständigkeit aufgenommen, weil er ihn bei einigen alten griechischen Medizinern finden konnte. Denn wie wiederum ­Caelius Aurelianus überliefert, hatte schon der vorsokratische Philosoph und Arzt Empedokles (um 494 – um 434 v. Chr.) gelehrt, dass es zwei Formen von mania gäbe: diejenige, die zur Reinigung des Geistes diene, und diejenige, bei der eine körperliche Ursache zu einer Verwirrung des Geistes führe.339 Und schon Praxagoras von Kos (4. Jh. v. Chr.),340 aus der Schule des Hippokrates, hatte daraus eine Krankheitskategorie »Entheastikon« abgeleitet: »Der Grund des Entheastikon. Unter den alten Ärzten erwähnt nur Praxagoras den Entheastikon. Er sagt, dass er am Herzen entsteht und an der Aorta. Außerdem gibt es ein Aufsteigen von Blasen an den Füßen. Er sagt, dass diese Krankheit durch diese Blasen zu bestimmten Zeiten an bestimmten Köperteilen erneuert werde. Manchmal werden die Hände dadurch geschüttelt, manchmal der Kopf.«341 335 Aetii Tetrabiblos, Buch 4, Kap. VIII; Heiberg, Geisteskrankheiten, S. 37 f.; Wellmann (Hg.), Fragmente, S. 21, Anm. 2. 336 Galeni Definitiones Medicae, Kühn (Hg.), Galeni Opera Omnia, Bd. XIX, S. 346–462, hier: S. 462 (Nr. CDLXXXVII). 337 Linforth, Corybantic Rites, S. 136 f. 338 Nickel, (Art.) Galenos von Pergamon, S. 449. 339 Bendz/Pape (Hg.), Caelius Aurelianus, I. 5, Nr. 145, S. 516: »[…] item Empedoclem sequentes alium dicunt ex animi purgamento fieri, alium alienatione mentis ex corporis casa siue iniquitate, […]«; vgl. dazu: Wellmann (Hg.), Fragmente, S. 21, Anm. 5. 340 Zur Person vgl. Moog, (Art.) Praxagoras von Kos. 341 Fuchs (Hg.), Anecdota Medica Graeca, S. 549; dt. Übers. nach: Steckerl (Hg.), Fragments, S. 81; Steckerl übersetzt Ἐνθεαστικόν = neurosis, mit Rekurs auf »Mnest Cyz. in Orib. C. M. G. VI 2,2 p. 124, 33«. An dieser Stelle (Corpus Medicorum Graecorum IV.2.2, S. 124), findet sich kein Hinweis auf unser Thema. Vgl. allg. Wellmann (Hg.), Fragmente, S. 21 f.; Linforth, Corybantic Rites, S. 148. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Ähnlich erklärte Praxagoras auch die mania: »Praxagoras sagt, dass die Mania hervorgerufen wird durch eine Schwellung des Herzens, in dem auch das Denken seinen Platz hat, wie er meint. Es geht aber kein Fieber damit einher, denn überflüssige Schwellungen verursachen kein Fieber.«342

Anders als die späteren Ärzte also sah Praxagoras mit Hippokrates noch das Herz als Sitz der Gedanken und damit auch als Entstehungsort der mania. Auch die »Epilepsie« erklärte Praxagoras mit dem Aufsteigen von Blasen, das durch ein Übermaß an Phlegma ausgelöst sei. Es sind also Ungleichgewichte in den Säften, die zur Blasenbildung und damit zu den körperlichen Symptomen der mania bzw. des »Entheastikon« führen.343 Anders als Empedokles, Platon oder die Definitiones medicae gibt Praxagoras also sowohl für die mania als auch für den »Entheastikon« eine rein humoralpathologische Erklärung. Wo die De­ finitiones Platon folgend das göttliche numen wirksam sehen, spricht Praxagoras um 300 v. Chr. von Blasen in den Körpersäften, die die Gliedmaßen in Bewegung setzen. Der medizinische Diskurs über enthusiasmos ist also nicht etwa Produkt einer naturwissenschaftlichen Rationalisierung des bei Platon angelegten spirituell-religiösen Konzepts. Vielmehr gibt es schon unter den Zeitgenossen Platons Versuche, auch die »göttliche« mania rein körperlich zu erklären. Doch Platon sollte sich durchsetzen: Der unbekannte Pseudo-Galen, eher maßgeblich Aretaios von Kappadokien und andere uns nicht mehr bekannte Ärzte der späteren Kaiserzeit führten in diese humoralpathologische Diskussion erneut Elemente der »telestischen mania« ein. Die naturkundlich-pathologische und die spirituell-mystische Bedeutung von mania und enthusiasmos gleichermaßen stehen also seit den greifbaren Anfängen der Entwicklung nebenein­ ander bzw. fließen auch immer wieder neu ineinander. Galen selbst hatte neben seinen zahlreichen medizinischen Schriften auch einen Kommentar zu Platons Timaios verfasst. In den erhaltenen Fragmenten dieser Schrift finden sich jedoch keine Hinweise auf mania und enthusiasmos.344 Dabei bezogen sich Platon und seine Schüler, wenn sie über die krankhafte mania sprachen, immer wieder auch auf humoralpathologische Erklärungsansätze. Wie erwähnt sollte Porphyrius den Widerspruch seines Schülers Jamblichus provozieren, indem er die Vorstellung einer rituellen Kommunikation der Seele mit den höheren Sphären ablehnte.345 Da die Seele Plotin zufolge immer schon der materiellen Welt enthoben war, konnte es für Porphyrius auch keine Ekstase geben: Maniakale Zustände waren für ihn daher immer auf körperliche Ursachen zurückzuführen, nämlich auf ein Ungleich­ 342 Fuchs (Hg.), Anecdota medica Graeca, S. 548; Steckerl (Hg.), Fragments, S. 81. 343 Steckerl (Hg.), Fragments, S. 7 f.; vgl. Wellmann (Hg.), Fragmente, S. 20 f. 344 Schröder (Hg.), Galeni in Timaeum Comentarii Fragmenta, laut Register. 345 Vgl. oben, Kap. II.2.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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gewicht der Säfte, konkreter: auf einen Überschuss an gelber Galle.346 Porphyrius konnte sich dabei auf Platon selbst berufen, der schon im Timaios die krankhafte mania auf ein Ungleichgewicht der phlegmatischen und galligen Säfte zurückgeführt hatte.347 Die stärker dualistisch beeinflusste Richtung des Neoplatonismus beförderte demnach eine humoralpathologische Konzeption der mania, weil der Gedanke an eine irdische »Ein-Gottung« ihrer pessimistischen Sicht der immanenten Welt widersprach. Philosophischer und medizinischer Diskurs stehen hier von Anfang an in einer Wechselbeziehung. Platons mania war also nicht nur selbst Ausgangspunkt einer medizinischen und einer spirituellen Diskursentwicklung. Sie geht selbst schon auf eine ärztliche Quelle zurück, die beide Formen, den krankhaften Wahnsinn wie die göttliche Einwohnung, gekannt hatte. Es gab demnach seit dem 4.  Jahrhundert v. Chr. in der hellenischen Welt einen medikalen Krankheitsdiskurs, dessen Entwicklung parallel zur platonischen Idee einer spirituellen mania verlief. Nur kristallisiert dieser Krankheitsdiskurs nicht um den Begriff »Korybantismus«, wie Rohde und Dodds in der Tradition Scaligers angenommen hatten. Er verwendet vielmehr verschiedene Derivate der platonischen Bezeichnung enthusiasmos. Hatten Rohde und Dodds also doch recht, und haben sich nur in der Bezeichnung der Krankheitskonzeption geirrt? Hat Linforth sich an der falschen Terminologie abgearbeitet? Versteckt sich das universale Syndrom Tanzwut lediglich hinter einer anderen zeitgenössischen Bezeichnung als angenommen? Das hieße erneut, an die Stelle der semantischen Differenzierung das psychologisierende Pauschalurteil zu stellen. Die in Hände und Füße aufsteigenden Blasen des Praxagoras, das Wirken Gottes in den Definitiones medicae, die religiösen Wahnvorstellungen bei Aretaios, die durch Blähungen ausgelösten und Schwerttänze evozierenden Ohrengeräusche bei Gariopontus und »Esculapius« stehen nicht für ein essentielles Krankheitsbild. Ihnen liegt kein greifbares Syndrom der heutigen medizinischen Nomenklatur zugrunde, und schon gar kein sicher definierbares physiologisches oder neurologisches Substrat, ja: erkennbar nicht einmal eine einheitliche psychosomatische Disposition. Sie alle stehen jedoch als Entwicklungsschritte in der Geschichte der diskursiven Konstruktion dessen, was im Spätmittelalter als Tanzwut manifest werden sollte. Diese Entwicklung jedoch ist keine Rationalisierung oder Medikalisierung eines zunächst religiösen bzw. »irrationalen« Diskurses. Vielmehr bewegt sie sich seit ihren Anfängen kontinuierlich an der Schwelle zwischen spirituell-­ religiöser und medikal-humoralpathologischer Körperwahrnehmung. Zwischen den analytischen Polen ärztlich-naturkundlichen und religiös-mystischen Denkens mussten mania und enthusiasmos immer wieder neu verortet 346 Sheppard, Iamblichus on Inspiration, S. 141 f. 347 Wellmann (Hg.), Fragmente, S. 21, Anm. 5. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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werden. Und in dieser unaufhebbaren Ambivalenz formierte sich neben dem stärker auf die »telestische mania« Platons rekurrierenden religiösen Konzept Tanzwut auch ein tendenziell medikal-humoralpathologischer Diskurs über die mania.

II.3.5 Vom enthusiasmos zur Tanzwut Kurz nach der Mitte des 11.  Jahrhunderts verfasste der in Canterbury tätige, aus Thérouanne stammende Mönch Goscelinus von Canterbury für seine Vita der heiligen Edgith von Wilton einen Bericht über das sogenannte Tanz­w under von Kölbigk. Als sein Kronzeuge gequält von einem chronischen Zittern an das Klostertor von Wilton klopft, halten ihn die Beobachter zunächst für wahn­ sinnig: »Und einige Ungebildete hatten begonnen, diesen Menschen wie einen Wahnsinnigen zu fürchten; selbst die geheiligten Jungfrauen beweinten die Strafe eines solchen Unglücks. Aber jener erläuterte mit bemerkenswerter Klugheit seinen Fall und zog zum Beweis aus dem Ranzen ein Schreiben, das der Bischof Bruno von Toul selbst über jenen Reigen […] diktiert hatte, […].«348

Die Leute von Wilton erklären sich das Leiden des Besuchers mit Wahnsinn im Sinne einer Krankheit. Dies aber, so Goscelinus, ist ein Gedanke von Un­ gelehrten! Denn der tremor des Theodericus hat spirituelle Ursachen, wie dieser selbst mit einem Begleitschreiben des späteren Papstes Leo IX. beweisen kann. Dem klösterlichen Hagiographen zur Zeit des Gariopontus ist also die medikale Erklärung für mania durchaus bekannt.349 Doch diese profane Deutung ist für den Mönch und sein frommes Publikum ein Zeichen von Ahnungslosigkeit. Der medikale Diskurs um mania und enthusiasmos, wie ihn ja auch die klösterlichen Glossarien reproduzierten, war demnach in den nachkarolingischen Bildungszentren zumindest noch so virulent, dass ihn der Hagiograph Goscelinus im Interesse seiner frommen Erzählung ausdrücklich disqualifizieren musste. Diese Krankheitskonzeption blieb jedoch auch in der medizinischen Literatur der Spätantike und des Mittelalters eher minoritär: Je mehr sich Galen und die unter seinem Namen überlieferten Schriften als Autorität durch­ 348 Wilmart (Hg.), La légende, S. 287: »Cepere plerique rudes hominem quasi uecordem horrere; ipse sacre uirgines tantam miseri penam flere. Verum ille prudencia notabilior exponit suam causam et testem de pera profert cartam, quam in persona illius chori dictauerat Bruno Tullanus episcopus in medio ciuitatis, qui postea, papa leo dictus, sanctissimum lumen emicuit nostri temporis.« Vgl. dazu unten, Kap. VI.3.3. 349 Dass er sie mit der nicht-medizinischen Vokabel »vecordis« belegt, wird auf Goscelins literarischen Stilwillen zurückzuführen sein. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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setzten, desto mehr gerieten Konzepte, die nicht in sein Lehrgebäude integriert waren, ins Hintertreffen. Gariopontus kennt um 1050 den »Anteneasmos« noch. In der Generation nach ihm setzte die erneute Rezeption Galens im westlichen Europa ein. Zwar wurde auch Gariopontus weiter gelesen und abgeschrieben, dies aber nicht zufällig vor allem, weil man sein Werk als Übertragung der galenischen Therapeutika wahrnahm. Ebenso ist es vielleicht kein Zufall, dass auch die Handschriften des Liber Glossarum den »Enteasmos« mit der falschen Quellenangabe »Galeni« adelten. Für Ärzte des späteren Mittelalters dürfte der pathologische enthusiasmos zweifelhaft, da nicht eindeutig durch Galen autorisiert, geblieben sein. Zudem handelte es sich ja allenfalls um die Subspezies einer auch bei Galen eingehender beschriebenen Krankheit, der mania. Auf diese humoralpathologische Umformung des älteren Krankheitskonzepts konnten die Ärzte rekurrieren, die bei der großen Tanzbewegung im Rhein-Mosel-Raum von 1374 gegen die spirituellen Erklärungen des Klerus eine »natürliche Ursache« propagierten und so ihre Zuständigkeit als medizinische Experten einforderten. Den Quellen zufolge verwendeten sie in der Regel den weiteren Begriff der mania, nicht etwa »Enteasmos« oder »Anteneasmos«. So berichtet etwa die sogenannte Koelhoffsche Chronik der Stadt Köln (von 1499) über die Tanzbewegung von 1374: »In dem seluen jair stonde ein groisse krankheit up under den minschen, […] ind quam van naturlichen ursachen, als die meister schriven, ind noemen si maniam, dat is ­raserie of unsinnicheit, […].«350

Diese erste gedruckte Stadtchronik Deutschlands war weniger eine Stadt­ geschichte als ein Pilgerhandbuch. Köln gehörte zu den ganz großen Zielen des mittelalterlichen Pilgerwesens, hatte also einen Ruf zu verlieren. Dem Verfasser war vielleicht gerade aus religiösen Gründen daran gelegen, für die Tänze von 1374 eine medizinische Erklärung zu bieten. Nicht den Begriff mania, wohl aber ganz entsprechende Ursachenannahmen, überliefern auch andere Chronisten. Der Limburger Chronist Tilemann Elhen von Wolfhagen († 1402/06) schildert die Debatten der Gelehrten im Jahr 1374 wie folgt: »Heruf sprechent endeiles meister, sunderlichen di guden arzide, daz endeiles worden danzen, di von heißer naturen waren, unde von anderen gebrechlichen naturlichen sachen. Danne der was wenig, den daz geschach. Di meister von der heiligen schrift di beschworen der denzer endeiles, di meinten, daz si beseßen weren von dem bosen vigende.«351 350 Hegel (Hg.), Cronica van der hilliger stat van Coellen (StChr. Köln, Bd. 2), S. 715. 351 Tilemann Elhen von Wolfshagen, Limburger Chronik (MGH Dt. Chroniken 4.1), Kap. 97, S. 64. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Die »heiße Natur« der Tänzer rührte der Säftelehre zufolge von einem Über­ gewicht von Blut und gelber Galle gegenüber den »kalten« humores Schleim und schwarzer Galle her – die Ärzte referieren hier also sehr wahrscheinlich aus den eben vorgestellten Schriften. Eine etwas anders gelagerte Erklärung für die rätselhafte Tanzkrankheit erwähnt Nikolaus von Siegen (1495) im Zusammenhang mit dem legenden­ umwobenen Tanz der Kinder von Erfurt nach Arnstadt im Jahr 1237: »[…] und keiner der Weisen, die es versuchten, konnte diesen Tanz erklären. Die Einen sagten, der Grund sei im Lauf der Sterne oder der Planeten zu sehen, die Anderen, es sei Schicksal gewesen.«352

Der unwiderstehliche gemeinsame Tanz folgt also den Bewegungen der Himmelskörper  – denen verfallen zu sein aus christlicher Sicht den Inbegriff der ­mania ausmachte. Vermutlich waren den Chronisten, die ja selbst keine Ärzte waren, diagnostische Unterkategorien wie der enthusiasmos gar nicht bekannt. Vielleicht benutzten die Mediziner in der Kommunikation mit Laien eher die verständ­ lichere Allgemeinbezeichnung mania. Wahrscheinlich aber bewegten sie sich bei ihrer Diagnose lieber auf dem sicheren Boden der Lehren Galens, als sich auf mehr oder minder zweitrangige Überlieferungen frühmittelalterlicher Ärzte zu verlassen. Eventuell waren auch zumindest für Gelehrte im enthusiasmos die spirituellen Konnotationen noch zu virulent: In der Konkurrenz mit dem Klerus um die Deutungshoheit über die Tanzwut rekurrierte man wohl besser auf ein rein profan-medizinisches Konzept, dem Assoziationen zu Besessenheit oder gar göttlicher Einwohnung fremd geworden waren. Medizinische Beobachter der Tanzwallfahrten des 16.  Jahrhunderts hin­ gegen kennen und erwähnen den enthusiasmos explizit, um zu erklären, was sie sahen. So zitiert der Freiburger Stadtarzt Johannes Schenck von Grafenberg (1530–1598) in seinen Observationum medicarum rariorum Libri VII (11584) Gariopontus über den »Antheneasmos«.353 Die Straßburger Ärzte von 1518 jedoch müssen auf ihrer Suche nach einer Behandlung für die Tänzer noch andere Beschreibungen der platonischen mania zu Rate gezogen haben. Setzten sie doch gegen den Veitstanz auf den Straßen der Stadt auf einen erschöpfenden Dauertanz wie jenen der antiken Korybanten, nicht etwa auf diätetische Maß-

352 Chronicon Ecclesiasticum Nicolai de Siegen (1494/95), hg. v. Wegele 1855, S. 355: »[…] et nullus sapientum, quid corea hec pretenderet, iudicare potuit. Aliqui dixerunt, esse causam cursum celi sive planetarum; alii vero fatum fore«; vgl. dazu: Wähler, Kindertanzzug; Kälble, Die tanzenden Kinder. 353 Schenck von Grafenberg, Observationum Libri VII, Obs. VII und VIII; vgl.: Wicke, Versuch einer Monographie, S.  226; ebd., S.  15, 34, zu weiteren Fällen von Rezeption im 17. und 18. Jh. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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nahmen oder die allfälligen Aderlässe. Kannten sie die von Apollodor erzählte Geschichte des Melampus, der die Töchter des Königs Proteus durch Tanz bis zur Erschöpfung von der mania geheilt hatte?354 Der reformatorische Theologe und Mediziner Otto Brunfels (1488–1534) jedenfalls setzte 1534 in seinem Onomasticon medicinae die Tanzwütigen von 1518 ausdrücklich mit den antiken Korybanten gleich.355 Brunfels hatte die Tanzwut von 1518 als Kartäusermönch in Königshofen bei Straßburg erlebt. Nach seinem Übergang zur Reformation 1521 war er zeitweise als Prediger und Pfarrer tätig, bevor er wiederum in Straßburg Schulleiter wurde. Nach einem erneuten Studium wurde er 1530 zum Doctor medicinae promoviert, 1532 Stadtarzt von Bern.356 Eine religiöse bzw. spirituelle Erklärung für das Verhalten der Korybanten und der Tanz­ wütigen lehnt er ab, sicherlich auch in polemischer Absicht gegen die katho­ lische Heiligenverehrung. Der Tanz der antiken Korybanten ist ihm nicht etwa Remedium gegen Geisteskrankheit oder Ausdruck von enthusiasmos, sondern nurmehr ausschließlich Wahnsinn. Interessant dabei ist, dass er dafür nicht die ihm durchaus bekannte Kategorie mania heranzieht.357 In der zweiten Auflage von 1543 erwähnt das von ihm begründete Nachschlagewerk sogar den »Anteneasmos«, vielleicht nach der in der Zwischenzeit in Basel gedruckten Gariopontus-Ausgabe von 1536.358 In dieser Tradition der Assoziation von enthusiasmos mit akustischen Halluzinationen und humoralpathologischen Erklärungen und der erneuten Verkoppelung dieses Diskurses mit der Benennung »Korybantismus« steht einige Jahrzehnte nach dem Gariopontus-Druck und nach Otto Brunfels auch der humanistische Philologe Joseph Justus Scaliger (1540–1609). Seine Beschreibung des Korybantismus wurde für die philologische PlatonInterpretation schulbildend, wie Ivan M. Linforth gezeigt hat.359 Sie beruht jedoch auf einer diskursiven Genealogie, die bis in das hellenistische Griechenland zurückreicht. 354 Vgl. unten, Kap. V.1.2. 355 Brunfels, ONOMAΣTIKON MEDICINAE, s. v. Corybantes: »Corybantes dicuntur, quasi furibundi saltantes. Huiusmodi era[n]t olim Galli sacerdotes matris Deorum. Illi enim in sacris suis caput rotabant, [et] urinantium more in caput se iactabant. […] Mihi videt[ur] morbus fuisse, quo perciti fueru[n]t, quem hodie uocant S. Viti, S. Veitsdantz. Quid enim illi aliud sunt qua[m] Corybantes? dum furiose choreas perpetuas agunt. […]«; vgl. Biquard, Le mal de saint Vit, [S. 7]; Waller, Time to Dance, S. 78 f.; Waller datiert die Erstauflage des Werkes fälschlich auf 1524. 356 Zur Person: Grimm, (Art.) Brunfels; Hartmann/Engler, (Art.) Brunfels; Weigelt, Otto Brunfels. 357 Brunfels, ONOMAΣTIKON MEDICINAE, s. v. Mania: »Mania, alienatio est me[n]tis, cum cogitationis mutatione, uocis amissione, [et] eorum qui in ipsa sanitate sunt sensuu[m]. Moriuntur autem sine febre. Definitur autem, furor sine febre, cum hylaritate.« 358 Brunfels, Onomastikon, 1543, s. v. Mania: […] Mannae [!; recte: Maniae] species, Anteneasmus, Gynecomania, Ortygomania, Doxomania, Orinthomania, [et] id genus plura, […].« 359 Vgl. oben, Kap. II.3.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Fundamente einer Semiotik von mania und enthusiasmos

Diese Rezeption der platonischen mania als krankhafter Tanz spaltete sich an der Wende zur Neuzeit im Rheinland demnach in zwei getrennte Zweige: Einerseits eine Konzeption, für die eine humoralpathologisch-diätetische Therapie empfohlen wurde (entheasmos), andererseits eine »Korybantenkrankheit«, für die nach antikem Vorbild ein Heiltanz vorgeschlagen wurde. Die humoralpathologische Tradition der biologisierten mania wurde so in der Renaissance erneut mit den Tänzen der antiken Korybanten verkoppelt, deren religiöse Konnotationen sie im Lauf des Mittelalters gerade verloren hatte. In der Konkurrenz der Deutungsmöglichkeiten für die Tanzwut hatten die Ärzte des 14. bis 16.  Jahrhunderts so zwei biomedizinische Konzepte anzubieten. Diese markieren aber wiederum nicht eindimensional wissenschaftliche Fortschrittlichkeit im modernisierungstheoretischen Sinn, sondern den Rückgriff auf kosmo­ logisch fundierte Diskurse der Spätantike und des Frühmittelalters. Letztlich rekurrierten die Ärzte auf dieselben Grundlagen wie ihre theologisch geschulten Gesprächspartner.360 Deutlich wird dies auch beim erneuten Blick in die Beschreibung der mania, wie sie der »Esculapius« bietet, jenes aus der Zeit um 600 stammende, im Mittelalter jedoch immer wieder rezipierte Kompendium: Gelehrte befalle die mania besonders häufig, weil diese auf der Suche nach dem Göttlichen seien: »Daher heißen sie Maniakale, weil sie das Göttliche suchen. Denn das Göttliche [diuinatio = eigentlich: die Gabe der Vorsehung] wird im Griechischen ›Mantik‹ genannt.«361

»Esculapius« rekurriert hier auf die »mantische mania«, die Einwohnung Apollons nach Platon. Die Aufgabe des Gelehrten im platonischen Denken, die harmonische Ordnung des Kosmos zu durchschauen, wird hier mit der göttlich vermittelten Fähigkeit zur Prophezeiung und diese mit der Krankheit mania kurzgeschlossen. Für einen christlichen Leser jedoch blieb die Idee einer m ­ ania als medizinischer und/oder spiritueller Ausdruck der Gottessuche  – ein Gedanke, der noch in der Tanzwut des Spätmittelalters manifest werden sollte. Im 15. und 16. Jahrhundert konnte dieser das gesamte Mittelalter hindurch virulente Diskursstrang sich verbinden mit der neuen Hochkonjunktur des (neo)platonischen Denkens in der Renaissance. Ciceros Urteil über die Trunkenheit der Tänzer wurde nun zum Gemeinplatz. Von Petrarca (1304–1374) über Sebastian Brant (1457/58–1521) bis Agrippa von Nettesheim (1486–1535) sprachen nun alle von Tanz als Form des Wahnsinns – zugleich Verstoß gegen 360 Zur weiteren Entwicklung der medizinischen mania-Konzeption im 16. bis 18. Jh. vgl. nur Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft, S. 268–285. 361 Esculapii de morborum librum, Kap.  VI, S.  vi: »Inde et maniaci dicti sunt, quod diuina requirant. quia diuinatio graece μαντιία [!] dicitur«; vgl. dazu Beek, De geestesgestorde, S. 91. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Platonische Vorstellungen von mania und enthusiasmos

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das Ideal der modestia wie teuflische Einflüsterung.362 Der Venezianer Simone Zuccolo veröffentlichte 1549 den Traktat »La pazzia del ballo«, in dem er als Beleg auch die Tanzwut-Fälle nördlich der Alpen aufführt, mit dem er selbst jedoch auch die weitere Wahrnehmung der Tanzwut beeinflussen sollte.363 Schon Platon und Aristoteles hatten über die verhaltenssteuernde Wirkung der Musik, etwa der Hirtenflöte (aulos) und besonders des »phrygischen« Modus, geschrieben Mit der richtigen Musik konnte ein geübter Spielmann Krieger in furor bringen, aber auch besänftigen.364 Im Paris des 16.  Jahr­ hunderts wurden bei Plutarch oder Boëthius überlieferte Anekdoten über die »poetische ­mania« zum Gründungsmythos der königlichen Academie de Poésie et de M ­ usique (1570) und des Dichterkreises der Pléiade. Platons enthusiasmos, so Gilbert Rouget, wurde dabei zu Unrecht mit Vorstellungen über orphische »Magie« verknüpft. Die bis heute viel kolportierte hypnotische bzw. neuro­ logische Wirkung von bestimmten Typen der Musik entspringt also zumindest auch der missverständlichen Antikenrezeption der Pariser Humanisten. Jeanmaire, Dodds und Linforth projizierten sie dann wiederum auf ihre antiken Quellen und schufen so die Vorstellung vom dionysischen »Tanzwahnsinn«.365 Eine unmittelbar kosmologische Konzeption von zwanghaftem Tanz hatte Mitte des 15. Jahrhunderts schon der vom Judentum zum Christentum konvertierte italienische Tanzmeister Giovanni Ambrosio (alias Guglielmo Ebreo) entwickelt: Die Musik als die höchste der artes liberales vermittle dem M ­ enschen die Harmonie des Kosmos. Zu tanzen sei nichts anderes als der äußer­liche, körperliche Ausdruck eines kontemplativen Nachvollzugs der Sphären­bewegungen. Wer also Musik höre und nicht tanze, handele gegen die gottgewollte mensch­ liche Natur, was zwangsläufig zu unkontrollierten Ausbrüchen des aufgestauten Bewegungsdrangs führen müsse.366 Auch die bis heute in der Tanzliteratur immer wieder als apologetisches Argument auftauchende Annahme eines anthro­ pologisch konstanten »Tanztriebs« hat ihre Wurzeln also in der platonischen Kosmologie und ihren naturphilosophisch-medizinischen Derivaten.

362 Wagner, Adversaries of the Dance, S. 11–15; Arcangeli, Davide o Salomé, S. 108–111, 124 f. 363 Arcangeli, Dance under Trial, S. 147; Ders., Davide o Salomé, S. 258. 364 Rouget, Music and Trance, S. 228–230. 365 Ebd., S. 230–240. 366 Berghaus, Neoplatonic Notions, S.  56–59; zur Lippe, Naturbeherrschung am Menschen, Bd. 1, S. 207. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Fundamente einer Semiotik von mania und enthusiasmos

II.4 Querschnitt: Der verdoppelte Diskurs über mania als Grundlage einer Semiotik des unfreiwilligen Tanzes Die kosmologischen Grundlagen der antiken Glaubensvorstellungen und die schon zeitgenössischen Kontroversen über die Legitimität von Tanz als reli­giöse Ausdrucksform wurden zum Ausgangspunkt für den christlichen Diskurs über die göttliche Ordnung und den Reigen als Mimesis der kosmischen Sphärenbewegungen. Die Kirchenväter nahmen damit Debatten auf, die schon nichtchristliche Neoplatoniker über das Pro und Contra der menschlich-kosmischen Kommunikation (»Sympathie« vs. »Theurgie«) geführt hatten. In diesem Kontext lasen sie auch Platons Ausführungen über mania und enthusiasmos: Die Einwohnung eines Gottes in den Menschen konnte demnach immer zugleich als Wahnsinn eine Störung der kosmischen Ordnung und als rituelle Rekonzi­ liation deren Wiederherstellung bedeuten. Mania bezeichnet schon bei Platon sowohl die Krankheit (im Sinne einer spirituellen Disharmonie) wie die Therapie (im Sinne einer Re-Harmonisierung). Im christlichen Verständnis wurde mania so als dämonische Besessenheit zum performativen Ausdruck von Gottesferne: Wenn der Kosmos ein von Gott perfekt geordneter Sphärenreigen ist, dann ist körperlich bzw. habituell realisierte Unordnung eine Performanz der Heillosigkeit. Neben dieser spirituell-religiösen Konzeption von mania und enthusiasmos kennt die antike Medizin schon seit vorsokratischer Zeit auch eine rein naturphilosophische Herleitung und Beschreibung der Begriffe. Die Entsakralisierung war also bereits im 5.  Jahr­ hundert v. Chr. angelegt. Sie entwickelte sich jedoch in engem Austausch mit der spirituellen Konzeption in der Nachfolge Platons und der Neoplatoniker, war also reversibel: Mania konnte einerseits ganz zum medizinischen Konzept, andererseits dieses wiederum zum religiösen Deutungsmuster für Glaubensabweichungen umgeformt werden. Diese Krankheitsvorstellung war über die spätantike Kompendienliteratur auch im karolingerzeitlichen Frankenreich bekannt, insbesondere im Kloster Corbie. Von Ärzten und klösterlichen Gelehrten wurde so am Übergang von der Spätantike zum Mittelalter aus dem platonischen enthusiasmos ein Krank­heitsdiskurs entwickelt, der die kosmologisch-mythischen Konnotationen meta­phorisierte und durch humoralpathologische Ursachenannahmen ersetzte. Indem er bei der diagnostischen Beschreibung auf die Waffentänze der Kybele-Priester alludierte, reproduzierte er jedoch auch die Frontstellung zwischen Eucharistie und paganem Konkurrenz-Mysterium, wie sie unter Julian »Apostata« installiert worden war. Enthusiasmos als Wahnsinn auch im medi­ zinischen Sinn ist so immer zugleich ein Zustand der Gottesleugnung. Zur gleichen Zeit entwickelten klerikale Hagiographen im selben Umfeld einen im Kern weiterhin spirituellen Diskurs, der sich ebenfalls aus dem plato© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Querschnitt: Der verdoppelte Diskurs über mania

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nischen enthusiasmos speist.367 Diese verschiedenen Diskursstränge trafen sich in Corbie, einem intellektuellen Zentrum der karolingischen Reformen. Die medizinische Konzeption sollte im späten Mittelalter aufgerufen und aktua­ lisiert werden, als die Ärzte sie zur Erklärung des Johannistanzes von 1374 und der Veitstänze des 16. und 17. Jahrhunderts heranzogen. In der Zwischenzeit hatte sich in der lateinischen Christianität ein fundamentaler Wechsel der Leitmetaphern für die Verständigung der Kirche über sich selbst durchgesetzt. Hatten die Kirchenväter die ecclesia oft der neoplatonischen Kosmologie folgend als Reigen der Gläubigen und Engel um Gott beschrieben, so setzte sich seit dem frühen Mittelalter die Idee von der Kirche als Haus Gottes in der Welt durch. Im Imaginationshaushalt der ekklesiologischen Debatten fielen Tanz und Reigen damit als positive Anknüpfungspunkte aus. In dieser Doppelbedeutung bildet sich die Grundambivalenz des Tanzes als immer zugleich kosmische Mimesis und körperliche Expression, als religiös-mythisches Symbol und irdische Handlung ab. Kirche und Medizin chan­ gierten in ihrer Wahrnehmung des Tanzes latent zwischen der Auflösung dieser Ambivalenz und ihrer Aufrechterhaltung. Diese Widersprüchlichkeit des Tanzes zwischen irdisch und kosmisch, gut und böse sollte sich als kulturell höchst produktiv erweisen.

367 Vgl. unten, Kap. V.3. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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III. Bedingungen: Das mittelalterliche Christentum und der Tanz »In quibusdam quoque locis hac die [Ostern, GR], in aliis in Natali, prelati cum suis clericis ludunt, uel in claustris, uel in domibus episcopalibus, ita ut etiam descendant ad ludum pile, uel etiam ad choreas et cantus. […] Laudabilius tamen est a talibus abstinere.« Guillelmus Durandus, Rationale Divinorum Officiorum (um 1280)1

Die ecclesia als Gemeinschaft der Gläubigen war in der Patristik vielfach als Reigen der Lebenden und Verstorbenen um Gott gedacht worden. Später setzte sich das »Haus Gottes« als Leitmetapher für die Kirche durch – gleichermaßen für die Institution wie für das konkrete Bauwerk.2 Wie ging die mittelalterliche Kirche vor dem Hintergrund dieses Wechsels der ekklesiologischen Imagina­ tionen mit dem Tanz als Symbol wie als Praxis um, zumal mit dem Tanz im Kirchenraum? Die geschichtswissenschaftiche Mediävistik interessiert sich traditionell ­wenig für den Tanz. Bezeichnend dafür ist etwa, dass sowohl im »Lexikon des Mittelalters« als auch in der aktuellen »Enzyklopädie des Mittelalters« die einschlägigen Lemmata von Tanzwissenschaftlerinnen mit neuzeitlichem Schwerpunkt bearbeitet wurden.3 Auch die kirchengeschichtlichen Handbücher blenden den Tanz als Phänomen der christlichen Frömmigkeit auffällig aus. So widmet ihm etwa Arnold Angenendts »Geschichte der Religiosität« nur wenige Zeilen: 1 Guillelmus Durandus, Rationale Divinorum Officiorum, Bd.  1, S.  445, Buch VI, Kap.  lxxxvi, § 9.  Vgl. ebd., Bd.  2, S.  113 (über das Narrenfest der Subdiakone): »Quia enim ordo ille antiquitus incertus erat, nam in canonibus antiquis quandoque uocatur sacer et quandoque non, ideo subdyaconi certam ad festandum non habent diem, et ­eorum festum officio celebratur confuso.« Zu Tanz bei Durandus vgl. allg. Horowitz, Les danses cléricales, S. 286 f.; Sahlin, Étude, S. 147, 152; Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 593; Koal, Detestatio, S. 22; Vorlage des Durandus ist hier Johannes Beleth, Summa de Eccle­ siasticis Officiis (ca. 1150), vgl. dazu Davies, Liturgical Dance, S.  49 f.; Riché, Danses, S.  164; Delumeau, Paradis, S.  212; Schmitt, Logik der Gesten, S.  87; Sahlin, Étude, S. 147–153. 2 Vgl. oben, Kap. II.2.4. 3 Dahms, (Art.) Tanz; Brandl-Risi, (Art.) Tanz © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Das mittelalterliche Christentum und der Tanz

»Aber auch hiergegen richteten die Christen schärfste Kritik. Ihnen wurde der Tanz ›schlechthin zum Ausdruck heidnischer Frömmigkeit‹. Das Mittelalter sah darin Teufelswerk.«4

Der apodiktische Ton verrät, dass hier wohl eher ein Reflex auf die immer wieder aufflammenden Diskussionen über die Legitimität von Tanz in der Liturgie der heutigen Kirchen als ein Ergebnis eingehender historischer Studien vorliegt. Umgekehrt wird Tanz als Phänomen des christlichen Gottesdienstes oft mit dem ausdrücklichen Zweck einer theologischen Apologie thematisiert.5 So kommt es nicht von ungefähr, dass bisher vor allem die zum Teil allenfalls halb-akademische Tanz-Literatur sich dem Verhältnis der mittelalterlichen Kirche zum Tanz gewidmet hat. Seit dem »cultural turn« und der Hinwendung zur Körpergeschichte in den 1990er Jahren hat zumindest auch die Früh­neuzeitforschung das Thema entdeckt. Rudolf zur Lippes »Naturbeherrschung am Menschen« folgend sieht man es hier freilich noch eindimensional als Teil einer Unterdrückungsgeschichte, die dann in neuere Paradigmen von »Sozialdisziplinierung« etc. eingepasst wird. Der Tanz in der Kirche bleibt dabei ein marginaler Exotismus, gerade gut genug für kulturwissenschaftliche Gelegenheitsschriften. Oft wird er dabei immer noch als von der Kirche bekämpftes heidnisches Rudiment in der subversiven Volkskultur gewertet. Und auch in aktuellen kulturwissenschaftlichen Diskussionen greift man diesbezüglich eher auf die Sekundärliteratur zurück, als dass man sich auf intensive Quellenstudien einließe. Dabei sind Tanz allgemein und auch Tanz in sakralen Räumen im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lateineuropa alles andere als randständige Phänomene: Eine Durchsicht der Sekundärliteratur zur ersten heuristischen Orientierung ergibt Hinweise auf ca. 220 belegbare Fälle von Tanzritualen in Kirchen zwischen dem 5. und 18. Jahrhundert. Sucht man nach Eingriffen der kirchlichen Legislative in das Tanzwesen, so stößt man für denselben Zeitraum in der Literatur auf etwa 260 Beispiele.6 In beiden Kategorien lassen sich langfristige Kontinuitäten sichern. Trotz dieser schon jetzt erkennbaren Breite der Evidenz bleiben jedoch sowohl die heuristische Erfassung als auch die inter­ pretative Erschließung weitgehend Desiderat. Auch im Folgenden kann es nicht um eine eigenständige, auf ein Quellen­ korpus gestützte Untersuchung oder gar um eine argumentative Synthese gehen. Vielmehr soll lediglich am Bedarf der für uns leitenden Fragestellung 4 Angenendt, Religiosität, S.  421; als Beleg führt Angenendt den wenig einschlägigen Aufsatz von Oexle, Conjuratio und Gilde, an. Zitiert wird dann Andresen, Altchristliche Kritik; vgl. ähnlich den profilierten italienischen Tanzhistoriker Arcangeli, Davide o Salomé, S. 246. 5 Foatelli, Danses religieuses; Davies, Liturgical Dance; tendenziell auch bei Kuhlmann, Tanzfeindschaft und Tanzfreundschaft, S. 216 f. 6 Vgl. unten, Kap. III.2.1, III.3.3 und IV.1. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Etymologie und Semantik des lateinischen Tanzvokabulars

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orientiert der Forschungsstand dargestellt werden. Dazu sollen in einem pro­ blemorientierten Aufriss Semantik, Normenbildung, rituelle Praxis und theo­ logische Diskurse in ihrer Wechselwirkung thematisiert werden. Ziel ist die Entwicklung eines Rahmens für ein Verständnis der Tanzwut als Ausdruck einer spezifischen performativen und devotionalen Kultur.

III.1 Begriffe: Zur Etymologie und Semantik des lateinischen Tanzvokabulars des Mittelalters7 III.1.1 Chorea, chorus etc. Honorius Augustodunensis († um 1151) schildert in seiner Gemma animae, einem vielgelesenen liturgischen Handbuch des 12. Jahrhunderts, wie die Christen die kosmologische Legitimation für sakralen Tanz von den Heiden übernommen hätten: »Der Chor der Psalmodierenden hat seinen Ursprung im Reigen der Singenden, welchen man den alten Götzen zubestimmt hatte, dergestalt, dass sie nämlich ihre falschen Götter sowohl mit der Stimme loben als auch ihnen mit dem ganzen Körper dienen sollten. Durch die Reigen wollten sie das Kreisen und die Umwälzung des Firmaments erkennen; durch die Verbindung der Hände die Komplexion der Elemente; durch den Klang der Gesänge den Widerhall der Harmonie der Planeten; durch das Gestikulieren des Körpers die Bewegung der Zeichen; durch das Klatschen der Hände und das Getöse der Füße das Krachen des Donners. […] Dies […] kehrten die Gläubigen in den Dienst des wahren Gottes um.«8

Honorius weiß jedoch auch, dass chorus ebenso jenen Teil der Kirche bezeichnet, in dem sich der Klerus um den Altar versammelt. Er leitet diese Verwendung aus dem Kreis der den Altar umstehenden Priester ab: 7 Im Rahmen dieser Arbeit kann eine detaillierte historisch-semantische Analyse des Wortgebrauchs nicht erfolgen. Stattdessen können nur einige Beobachtungen aus der Forschung und dem lexikalischen Befund thesenhaft geschildert werden. 8 Honorius Augustodunensis, Gemma animae, lib 1, cap. 39, PL 172, Sp.  587: »Chorus psallentium a chorea canentium exordium sumpsit, quam antiquas idolis ibi constituit ut ­videlicet decepti deos suos et voce laudarent et toto corpore eis servirent. Per choreas autem circuitionem voluerunt intelligi firmamenti revolutionem; per manum complexionem, elementorum connexionem; per sonum cantantium, harmoniam planetarum resonantiam; per cor­ poris gesticulationem, signorum motionem; per plausum manuum vel peduum strepitum, toni­ tuorum crepitum. […] Quod fideles […] in servitium veri Dei converterunt.« Vgl. Horowitz, Danses cléricales, S. 281; Zimmermann, Engelsreigen, S. 104 f.; Stumpfl, Kultspiele, S. 132 f.; Gougaud, La danse, S. 16 f., der die Bezugnahme des Honorius auf die pythagoräische Kosmologie leugnet; dagegen Backman, Religious Dances, S. 36 f.; Davies, Liturgical Dance, S. 49; Wright, The Maze, S. 134 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Das mittelalterliche Christentum und der Tanz

»Der Chor hat seinen Namen von der Einmütigkeit der Singenden, oder auch von der corona der im Kreis Stehenden. Denn einst stand man singend wie eine corona um die Altäre.«9

Denn, so hatten schon Augustinus und Isidor von Sevilla festgestellt, der Chor der Kirche habe seinen Namen nicht vom chorus saltantium, sondern vom ­chorus cantantium.10 Chorus kann demnach im mittelalterlichen Sprachgebrauch sowohl den Gesang bzw. die Gruppe von Sängern als auch den Tanz bzw. eine Gruppe von Tänzern meinen.11 Diese doppelte Bedeutung geht schon auf das antike Latein zurück,12 und sie ist den christlichen Theologen ausdrücklich bewusst, wie sich insbesondere in sehr kontextspezifischen Übersetzungen ins Lateinische bzw. in die Volkssprachen zeigt.13 Deutlich markiert ist sie da, wo etwa Bußbücher Gesang und Reigen ausdrücklich nebeneinanderstellen.14 Ebenso kennt schon die Antike die Verwendung des Wortes für die Gruppe, die durch diesen Gesang bzw. Tanz konstituiert ist: im christlichen Sinn der Konvent, im weiteren Verständnis jede soziale Gruppe.15 Die Bedeutung von chorus = Gruppe ist jedoch nicht in jedem Fall völlig der astralen Konnota­ tionen des Begriffs entkleidet: Wenn etwa die Studenten neoplatonischer Philo­ sophenschulen ihre um den jeweiligen Lehrer gruppierte Gemeinschaft als ­chorus bezeichneten,16 ist die Assoziation zum Reigen um einen (spirituellen?) choragus bzw. choryphaeus (Tanzmeister) nicht fern. Schließlich bezeichnet 9 Honorius Augustodunensis, Gemma animae, lib. 1, cap. 140, PL 172, Sp. 588: »Chorus dicitur a concordia canentium, sive a corona circumstantium. Olim namque in modum coronae circa aras cantantes stabant.« Vgl. Du Cange, Glossarium, Bd. 2, Sp. 316. 10 Stumpfl, Kultspiele, S.  131 mit Anm.  69; Hammerstein, Musik der Engel, S.  204 mit Anm. 65; Zimmermann, Engelsreigen, S. 56. 11 Davies, Liturgical Dance, S. 74–76, der (S. 37 f.) ohne Begründung für die Patristik eine Bedeutung »Tanz« ablehnt; dagegen schon Panzer, Tanz im Recht, S. 29; sicherlich verfehlt der Versuch, die Vokabel von mittellat. bzw. franz. carola/choraula abzuleiten, bei ­Chailley, La danse religieuse, S. 363 f.; vgl. dazu allg. Sahlin, Étude. 12 Schlesier, Kulturelle Artefakte, S.  132; Riché, Danses, S.  163 f.: coraula als profaner Tanz; Haubrichs, Geschichte der deutschen Literatur, Bd.  1, S.  70–72: »Tanzreigenlieder«; Dahms/Bröcker, (Art.) Tanz, S. 265 f.; Zimmermann, Engelsreigen, S. 29, 32–34, wendet sich gegen die Übersetzung als ausschließlich profaner Tanz und Gesang; vgl. Thesaurus Linguae Latinae, Bd.  3, Sp.  1023 f.; vgl. zum Folgenden allg. Dahms/Bröcker, (Art.) Tanz, Sp.  265 f.; Backman, Religious Dances, S. 13 f. 13 Nach Mayer, Tanz und Tanzen bei Augustinus, Nr. V.02, übersetzt Augustinus nach dem Vorbild der Vulgata griechisch choros mit gaudium; zu Übersetzungen ins Mittelhochdeutsche vgl. Zimmermann, Engelsreigen, S. 32–34. 14 So z. B. Regino von Prüm, De synodis causis, I, 73: »Si plebem admonent, vt in atrio ­Ecclesiae nequaquam cantent aut choros mulierculae ducant, sed Ecclesiam ingredientes verbum Domini cum silentio audiant?« Hier zitiert nach: Kyll, Tod, Grab, Begräbnisort, S. 95. 15 Thesaurus Linguae Latinae, Bd. 3, Sp. 1025 f. 16 Rosen, Julian, S. 104, 116. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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c­ horus wie erwähnt bereits seit der Patristik auch den Raum im Kirchen­ gebäude, in dem sich diese Gruppe um den Altar als Zentrum der Liturgie versammelte.17 Abzuleiten sind all diese Bedeutungen jedoch aus dem chorus der Sterne,18 den der von Gesängen begleitete Reigen der Menschen abbildete.19 So sind schon bei Pseudo-Dionysius die himmlischen Wesen in drei mal drei Engels-»Chöre« hierarchisiert.20 Ihre ewige Kreisbewegung um den in der Mitte des Universums ruhenden Gott wird nachgezeichnet in dem tänzerischen oder stehenden Kreis der Priester um den Altar, im Chorgesang und in der Architektur des Altarraumes im realen Kirchenbau. Der etymologische Bezug auf den himmlischen, aber auch auf den irdischen Reigen blieb dem Wort chorus und seinem Wortfeld auch im mittelalterlichen Sprachgebrauch inhärent21 und markierte so in der Mehrdeutigkeit des Begriffs die latente Ambivalenz in der Einstellung der christlichen Theologie zum Tanz. Umso stärker gilt dies für das verwandte chorea (griech.: χορεία), das in der Antike den mit Gesang begleiteten kollektiven Tanz, insbesondere im Theater, bezeichnet hatte.22 Verbreitung im lateinischen Sprachgebrauch fand der Begriff mit der bis ins Spätmittelalter kanonischen Übersetzung von Platons ­Timaios durch Chalcidius im 4. Jahrhundert, womit ihm die Konnotation zum (himmlischen) Reigen eingeschrieben war.23 Bei den Kirchenvätern bezeichneten der griechische wie der lateinische Terminus in erster Linie den Reigen der Engel und die kosmische Harmonie, im Unterschied zum von den Verfassern abgelehnten realen körperlichen Tanz (saltatio etc.).24 So blieb chorea im Vergleich zu chorus semantisch erheblich stärker dem Bedeutungsbereich »Tanz«/»Reigen« verhaftet.25

17 Niermeyer/van de Kieft (Hg.), Mediae Latinitatis Lexicon Minus, Bd.  1, S.  232, nennen nur die Bedeutungen: »Gruppe religiöser Sänger« und »Chorempore«. Vgl. Mittellateinisches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 547 ff.: I. (Gruppen-)Tanz, Reigen; II. Sängerschar, (Sänger-) Chor; davon abgeleitet auch: Klostergemeinschaft, Schar, Schwarm. Vgl. Lexicon Latinitatis Nederlandicae Medii Aevi, Bd. 2, Sp. C 1247 – C 1250: I. Reigen (reidans), II. Gruppe (schare; caterva), u. a. von Klerikern, III. Kirchenbauteil (aedis sacrae pars); außerdem ebd., Sp.  C 1250: ein Musikinstrument. Vgl. allg. Schlesier, Kulturelle Artefakte, S. 132. 18 Thesaurus Linguae Latinae, Bd.  3, Sp.  1023; vgl.: Conte/Pianezzola/Ranucci, Dizio­ nario della Lingua Latina, S.  174: 1.  »danza accompagnata dal canto […] [entspricht:] fig., ­rotazione degli astri«; 2. »gruppo che danza e canta«; 3. »gruppo, schiera, compagnia […] [entspricht:] gruppo di stelle […].« 19 Thesaurus Linguae Latinae, Vol. 3, Sp. 1022 f.: »sensu proprio«. 20 Hammerstein, Musik der Engel, S. 26–28. 21 Ebd., S. 28. 22 Zimmermann, Engelsreigen, S.  29; Rouget, Music and Trance, S.  201 mit Anm.  22; Bermont, La danza, S. 48 (Theatertanz), 72, 77. 23 Miller, Measures of Wisdom, S. 238. 24 Ebd., S. 514 f. 25 Harding, Investigation, S. 55, 63; Panzer, Tanz im Recht, S. 29. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Das mittelalterliche Latein kennt zwar auch für chorea die Bedeutung »­Sänger-Chor«, der Schwerpunkt im Gebrauch dieses und verwandter Begriffe (chorealis, choreatrix, choreutes, chorizans, choreare, chor[e]izare etc.) lag jedoch deutlich auf »(Gruppen-) Tanz«, »Reigen«, »Tanzlied« (bzw. »tänzerisch«, »Tänzerin«, »Tänzer«, »tanzen«).26 Zumal bei der Übersetzung liturgischer Quellen bleibt hier freilich ein erheblicher Ermessensspielraum zwischen »Reigen« und »Tanz« einerseits und »Umgang« bzw. »Prozession« andererseits.27 Etymologischer Hintergrund ist jedoch auch hier die kosmologische Vorstellung von der ewigen Bewegung der Sphären und Gestirne bzw. im neoplatonischen und christlichen Sinn: der Himmelschöre.28 Es wurde sicherlich nicht in jedem Umgangschor getanzt. Wohl aber dürfte es vor diesem Hintergrund angemessen sein, im Einzelfall sehr genau zu fragen, was gemeint ist, wenn in Quellen über liturgische oder para-liturgische Akte von einer chorea oder einem chorus die Rede ist. Und selbst die solemne Prozession um den Hochaltar der gotischen Kathedrale findet so ihren eschatologischen und ekklesiologischen Sinn im Rekurs auf den Reigen der Himmelsmächte.

III.1.2 Tripudium und tripudiare Umso mehr gilt dies für ein weiteres Wortfeld, das im mittelalterlichen Latein ebenfalls gleichermaßen im spezifischen Bedeutungsbereich von »Tanz« wie im allgemeineren von liturgischer Feierlichkeit angesiedelt ist: Tripudium und das Verb tripudiare bezeichneten einerseits schon im klassischen Sprachgebrauch wie im heutigen Italienisch (tripudio bzw. tripudiare)  allgemein expressive Äußerungen der Freude.29 Andererseits meinen Substantiv und Verb jedoch religiös-ekstatische Tänze,30 etwa der Priester des Mars-Tempels in Rom, der sogenannten salii,31 aber auch im Rahmen der Kybele-Mysterien.32 Ebenso verwenden antike Autoren tripudium für kriegerische Waffentänze.33 26 Thesaurus Linguae Latinae, Bd.  3, Sp.  1019–1021; Mittellateinisches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 545 ff.; Du Cange, Glossarium, Sp. 314 f.; Lexicon Latinitatis Nederlandicae Medii Aevi, Bd. 2, Sp. C 1198 f., C 1204 f. (ausschließlich: Tanz, Reigen); Niermeyer/van de Krieft, Mediae Latinitatis Lexicon Minus, Bd. 1, S. 231 f. 27 Vgl. Du Cange, Glossarium, Bd. 2, Sp. 313 f.; Rockseth, Danses cléricales, S. 96 mit Anm. 3. 28 Conte/Pianezzola/Ranucci, Dizionario della Lingua Latina, S. 174; Bermont, La danza, S. 89. 29 Conte/Pianezzola/Ranucci, Dizionario della Lingua Latina, S. 1267. 30 Bermont, La danza, S. 137; Rockseth, Danses cléricales, S. 96 mit Anm. 3. 31 Schulz, Bild des Tanzes, S. 68; Miller, Measures of Wisdom, S. 325 mit Anm. 31. 32 Conte/Pianezzola/Ranucci, Dizionario della Lingua Latina, S.  1267; Chailley, Danse ­religieuse, S. 369  f. 33 Nevile, Dance in Europe, S. 42 mit Anm. 254 (über Seneca). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Im offeneren Sinn von »Jubel«, »Freude«, »feiern« etc. werden Verb und Nomen auch in mittellateinischen Lexika verhandelt.34 So wird etwa auch ihr häufiges Auftreten im Kontext der Hymnologie verstanden.35 Es wäre freilich zu überprüfen, ob diese modernen Übersetzungen nicht durch die Vorannahme einer Unmöglichkeit von »Tanz« in liturgischen bzw. theologischen Quellen geprägt sind.36 Denn in vielen Fällen legt der Kontext des Wortgebrauchs auch in mittelalterlichen Quellen eine Übersetzung als »tanzen« bzw. »Tanz« im liturgischen bzw. rituellen Kontext nahe.37 Stephen Langton, Erzbischof von Canter­ bury (1150–1228) benannte ausdrücklich »vox sonora«, »nexus bracchiorum« und »strepitus peduum« als Bestandteile eines tripudium.38 In diesem Sinn hat Pierre Riché eine Übersetzung von tripudium als »Freude, Jubel« für die fränkische Zeit sogar ausschließen wollen. Seine zum erheb­lichen Teil  unsorgfältigen Belege decken diese pauschale Annahme jedoch keineswegs.39 Vielmehr wird man auch für das Frühmittelalter nur im Einzelfall an 34 Du Cange, Glossarium, Bd. 8, S.186: gaudium, laetitia; Niermeyer/van de Kieft, Mediae Latiniatis Lexicon Minus, Bd. 2, S. 1364. 35 Harding, Investigation, S. 56. 36 Du Cange zitiert eine Urkunde des westfränkischen Königs Lothar von 984: »Est enim egregium decus, eritque Christo favente in saeculorum progenies ipsius monasterii celsitudo semper in tripudio etc.«; Niermeyer/van de Kieft bieten (für tripudiare = feiern) ebenfalls nur einen Beleg aus den Annales Hildesheimenses über die Feier des Osterfestes. 37 Sahlin, Étude, S. 160 mit Anm. 1; Bertaud, Danses religieuses, Sp. 31 f.; Chailley, Danse religieuse, S. 363–370; für das 13. und 14. Jh.: Nevile (Hg.), Dance, Spectacle and the Body ­Politick, S.  325 (Glossary); vgl. Lexicon Latinitatis Nederlandicae Medii Aevi, Bd.  8, Sp.  T 345 f., s. v. tripudio: dansen, jubelen (van plezier); saltare, iubilare, gestire (propter gaudium); ebd., Sp. T 346, s. v. tripudium: 1. dans; saltatio, mit zwei Belegen; 2. uiting van vreugde; ge­ jubel; gejuich; iubilatio; 3.  vreugde; gaudium; 2.  und 3.  mit zahlreichen Belegen, die freilich wiederum zu überprüfen wären; ebenso Backman, Religious Dances, S.  13 f.; Salmen, Tanz und Tanzen, S.  5: tripudium = Tanz (der Füße); Zimmermann, Engelsreigen, S.  103 mit Anm. 34, geht im Gegenteil Harding folgend davon aus, dass tripudium etc. die Bedeutung »Tanz« in der Spätantike eingebüßt, im Mittelalter jedoch wiedererlangt habe; unspezi­ fischer: Salmen, Tanz und Tanzen, S. 5. 38 Chailley, Danse religieuse, S. 370. 39 Riché, Danses, S. 164 f.. Bei einer stichprobenartigen Überprüfung der Belege ergeben sich einige Unstimmigkeiten: S. 165, Anm. 37 (Translation des Sebastian nach Soissons, 825): Die von Riché gegebene Quelle »PL 123, 579« führt zum Martyrologium des Usuard (PL 123, ab S. 453); dort keine entsprechende Stelle, vgl. aber PL 123, Sp. 135c: Sancti Adonis Viennensis Chronicon in Aetates Sex Divisum: »Hujus imperatoris tempore, pars corporis beati Sebastiani martyris ad Suessionicam urbem delata: ubi multa mira in laudem Dei omnipotentis ­varia genera sanitatum infirmis collata.« Es handelt sich bei Riché wohl um eine Verschreibung von PL 132: Odilonis Monachi Liber de Translatione Reliquiarum Sancti Sebastiani Mar­t yris et Gregorii Pape in Suessionense Sancti Medardi Monasterium, dort: Sp. 581c–622c, hier: Sp. 602b f.: »Nec mora, obsecundat imperanti, festine properat ad locum quo promiscua populorum caterva tripudians ante sancti martyris excubabat tumulum; et quae sibi conti­ gerint ob ignaviam, coram fratribus replicat omnibus.« Riché, Danses, S. 165, Anm. 38 (Translation des hl. Pirmin): Die fragmentarische Angabe »MGH SS, p. 35« verweist auf Holder© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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hand des Kontextes bestimmen können, ob der jeweilige Verfasser allgemein Freudenäußerungen oder aber einen sakralen Reigen bezeichnen wollte. So lässt der sprachliche Kontext bei der Translation des Julian von Le Mans und seiner Mitmärtyrer (835) deutlich auf die Bedeutung »unermesslicher Jubel«, nicht auf einen sakralen Reigen, schließen.40 Körperliche Expressivität wird hingegen ausdrücklich erwähnt z. B. in den Hornbacher Miracula des Pirminus.41 Etymologisch sind tripudium und tripudiare verwandt mit dem Wortfeld tripus/tripoda etc., das einen »Dreifuß«, etwa als Tisch, Hocker oder Leuchter, bezeichnet.42 In der antiken Mythologie konnten solche Dreifüße als Attribute Egger (Hg), Miracula Sancti Pirmini, MGH SS XV (1887), S. 31–35, hier: Nr. 19, S. 35 (Heilung eines Taubblinden): »Fit fletus fratrum pro gaudio, laus populi pro triumpho, funduntur ex ­intimis precordiis grata suspiria, tripudiant letifico gestu cunctorum corpora non valentium ­invenire, quibus motibus exprimant percepta gaudia«; Riché, Danses, S. 165, Anm. 38: »Voir également Actus pontificum Cennommannis [recte: Cenomannis], éd. Ledru, p.  328 et 347: ›Cum crucibus et cum tripudio corpora transtulit […] cum maximo clerico plebisque tripudio regressus est.‹«: Busson/Ledru (Hg.), Actus pontificum Cenomannis, enthält weder S. 328 noch S. 347 ein entsprechendes Zitat; jedoch ebd., S. 327–332: Translatio Sancti Juliani, hier: S. 330; vgl. dazu die hier folgende Fußnote. Für ein tripudium bei der Translation des Germanus von Paris gibt Riché, Danses, S. 165, Anm. 38, keinen Beleg. Zu denken wäre an Waitz (Hg.), Miracula et Translatio Sancti Germani Parisiacae, MGH SS XV, S. 4–16; dort jedoch keine Hinweise auf Tanz, Reigen o. ä.; Riché, Danses, Anm. 39 (Translation des Bonifatius in Fulda): »Candidus: Vita Aegilis, MGH SS XV, 222, et MGH, Poetae, II, 96«: Die Vita Eigili des Candidus/Brun von Fulda, MGH SS XV, S. 221–233, enthält lediglich, S. 223, eine kurze Bemerkung über die Translation des Bonifatius nach Fulda und, S. 230, die Translation nach dem Neubau der Klosterkirche mit großer »iucunditas« der Mönche, jedoch ohne chorea, tripudium o. ä.; hingegen verwendet der zweite Nachweis: Dümmler (Hg.), Candidi de Vita Aeigili, MGH Poetae Lat. Aev. Car. II, S. 94 ff., hier: S. 109, die Vokabel chorea in einer Weise, die durchaus an Tanz denken lässt: »Importantur enim laetis vallata choreis / Sanctorum ­spolia, exterius nam caetera turba / Insistens precibus altis exclusa respectat, / Donec cuncta bonus famulis altaria praesul / Consecrat altithroni regis praesentibus absque / Quinis, quae mihimet iterum memoranda relinquo.« Vgl. dazu die neue Edition: Becht-Jörgens (Hg.), Vita Aegili. – Korrekt sind die Quellenangaben bei Riché, Danses, S. 166, Anm. 41 und 42: ­Bouillet (Hg.), Liber Miraculorum Sanctae Fidis, Buch IV, Nr. 3, S. 179: »Fit concursus populorum, non sexus, non ętas ulla a sanctę virginis laude cessat. Quorum plausus, quorum tripudia nulli ­oratorum dantur fando explicanda.«; Chavanon (Hg.), Adémar de Chabannes, Chronique, S. 210: »Et magnis laetantes miraculis, quae apostolus Galliae gloriosissimus Martialis patraverat, per viarum interstitia sub oculis omnium tripudiantes, reversi sunt.« 40 Busson/Ledru (Hg.), Actus pontificum Cenomannis, S.  327–332: Translatio Sancti ­Juliani, hier: S. 330: »Quibus ita repertis [die Reliquien], et miraculis multis ostensis, praesul cum populo valde gavisus, cum ardentibus cereis, cum crucibus et turibulis, et cum tripudio ­inestimabili, […] sanctorum supradictorum corpora honorifice transtulit, […].« 41 Holder-Egger (Hg.), Miracula Sancti Pirmini Hornbacensia, MGH SS XV (1887), S. 35: »[…] tripudiant letifico gestu cunctorum corpora non valentium invenire, quibus motibus ­exprimant percepta gaudia.« 42 Du Cange, Glossarium, Bd. 8, S. 186; Lexicon Latinitatis Nederlandicae Medii Aevi, Bd. 8, Sp. T 347; Niermeyer/van de Kieft, Mediae Latinitatis Lexicon Minus, Bd. 2, S. 1364; Conte/Pianezzola/Ranucci, Dizionario della Lingua Latina, S. 1267. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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des Dionysos, des Apoll oder auch des Sonnengottes auftreten.43 Über das spätantike Kaiserzeremoniell ging der tripus auch in die christliche Liturgie ein.44 Die durch die heilige Zahl Drei bemessene Bewegung der Füße erinnert an die triadische Grundstruktur der Kosmologie im Corpus Dionysiacum: Der ewige Reigen der drei mal drei Himmelschöre ist gekennzeichnet durch eine Abfolge von Bewegung, Unterbrechung und Wiederkehr.45 Die kosmologische Phase der Unterbrechung bzw. Abwesenheit wurde in der christianisierten Variante dieser Trias als Tanz der Sonne symbolisiert: Wie Christus zwischen Tod und Auferstehung drei Tage und drei Nächte in der Unterwelt verbracht habe, so meinte man, dass die Sonne an ihren Wendepunkten und den Äquinoktien jeweils drei Tage verharre und einen dreifachen Sprung zu Ehren Christi (bzw. Johannes des Täufers) ausführe.46 Tripudium konnte auch die diabolische Inversion des himmlischen Tanzes bezeichnen, wenn etwa in einem anglonormannischen Mysterienspiel von Adam und Eva (12. Jh.) die Teufel das erste Menschenpaar mit Tanz und ohrenbetäubender Musik in der Hölle empfangen: »[…] die anderen aber werden des Teufels sein, ihnen aus dem Inferno entgegen gehend, und unter sich machen sie einen großen Freudentanz über deren Verderben; […].«47 Tripudium und tripudiare bezeichnen also nicht einfach sakralen Tanz, sondern wiederum einen spezifischen Rekurs auf kosmologische bzw. solar­ mythologische Vorstellungen. Selbst dort, wo im konkreten Gebrauch des Mittelalters die offenere Semantik von »Freude« und »Jubel« sich durchsetzte, transportierte also auch dieses Wortfeld weiterhin eine Ambivalenz der christlichen Theologie im Verhältnis zum Tanz als Mimesis der kosmischen Harmonie. Umso mehr gilt dies in jenen Fällen, in denen tatsächlich aus dem Kontext heraus eine konkrete Übersetzbarkeit mit »(sakraler) Tanz« wahrscheinlich gemacht werden kann. Denn nicht nur die Etymologie, sondern auch der lexika­ lische Befund legen den Eindruck nahe, dass tripudium/tripudiare etc. oft in spirituellen bzw. sakralen Kontexten gebraucht wurden, anders als die neutraleren Wortfelder saltatio/saltare/salire, dansatio/dansare und ballatio/ballare.48 43 Dionysos, Sonnengott: Jostes, Sonenwende, Bd. 2, S. 174, 179, 181; Apollon (Dreifuß als Sitz der Pythia im delphischen Orakel): Dodds, Die Griechen und das Irrationale, S. 46. 44 Klaus, Antikes Erbe, S. 31. 45 Schulz, Bild des Tanzes, 140; Carter, Celestial Dance, 12; Eisenberg, Performing the Passion, S. [8]; zur Heiligkeit der »Drei« und ihrer Potenzen in Antike und Christentum vgl. allg. Dölger, Sol salutis, S. 95–103; Roques, (Art.) Dionysius Areopagita, Sp. 1090–1092. 46 Sartori, (Art.) Johannes der Täufer, Sp. 719; Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 318; Schulz, Bild des Tanzes, S. 231 f., weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass kirchliche Tänze vielfach an Ostern stattfanden. 47 »[…] alii vero diaboli erunt iuxta infernum obviam venientibus et magnum tripudium inter se faciunt de eorum perdicione […]«; zitiert nach: Hammerstein, Diabolus in Musica, S. 41. 48 Zu diesen vgl. Zimmermann, Engelsreigen, S. 34–46; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 4 f.; Dahms, (Art.) Tanz, Sp. 265 f.; Bermont, La danza, S. 15 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Dass beide Wortfelder bis ins spätere Mittelalter ihre Verwendungsmöglichkeit für Tanz im Sakralraum behielten, beweisen – in negativer Konnotation – die einschlägigen Verbote. So heißt es 1227 auf einer Synode in Trier ganz in der Tradition frühmittelalterlicher Bußbücher: »Ebenso sei es ihnen nicht erlaubt, Freudentänze und Reigen und andere weltliche Spiele dieser Art auf Fried­ höfen und in Kirchen durchzuführen.«49 Zu »weltlichen Spielen« wurden tripudia und choreae nun umgedeutet, gerade um sie aus dem Sakralraum ausgrenzen zu können. Die beiden Wortfelder chorea/chorus/chorizare und tripudium/ tripudiare markieren in der ihnen etymologisch und auch semantisch inhärenten Doppeldeutigkeit also eine Unschärfe in der christlichen Wahrnehmung von Verhalten im Sakralraum bzw. im Kontext sakraler Handlungen – eine Unschärfe freilich, die sich als höchst produktiv erweisen sollte.50

III.2 Normen: Tanz und Recht in der Vormoderne III.2.1 Desiderate 1: Der Mythos vom kirchlichen Tanzverbot Ein klassischer Gemeinplatz der Tanzgeschichte ist die summarische Behauptung, »die Kirche« habe »den Tanz« immer und überall kriminalisiert bzw. zu kriminalisieren versucht. Unterfüttert wird diese Aussage in der Regel mit mehr oder weniger langen, mehr oder weniger differenzierten und mehr oder weniger voneinander abgeschriebenen Auflistungen von kirchlichen »Tanzverboten«.51 49 »Item tripudia et choreas et huiusmodi ludos saeculares in cimiteriis et in ecclesiis fieri non permittant«; zitiert nach: Balogh, Tänze in Kirchen, S. 6; vgl. unten, Kap. III.2.2. 50 Zum Vorhergehenden vgl. auch Zellmann, Lusus erat, S. 51–53. 51 Vgl. die Auflistungen bei Backman, Religious Dances, S. 36, 155–159; Stumpfl, Kult­ spiele, S. 124, 140–145, 161–165, 182, 192; Gougaud, La danse, S. 10–18, 232; Balogh, Tänze in Kirchen, S. 7–9, 86; Davies, Liturgical Dance, S. 50–54; Ruél, Les Chrétiens et la danse, S. 82 f.; Koal, Detestatio, S. 21; Braekman, La dansomanie, S. 350; Zimmermann, Engelsreigen, S. 33, 49, 52; Jecker, Heimat, S. 147–152; Riché, (Art.) Dance, S. 406; Riché, Danses, S. 162; Boudriot, Altgermanische Religion, S. 70–72; Kyll, Tod, Grab, Begräbnisort, S. 98; Kleinschmidt, Perception and Action, S. 45, 144 f.; Panzer, Tanz und Recht, S. 13, 29; Stieren, Tänzersage, S. 10 f., 28; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 13 ff., 23, 27, 121–124; McMullen, Christianity, S. 48; Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 522; Andresen, Altchristliche Kritik, S. 347 f.; Ilg, Gesänge, S. 5–14; Böhme, Geschichte des Tanzes, Bd. 1, S. 112–120; Voss, Tanz, S. 77, 83, 170–174, 321; Quasten, Musik und Gesang, S. 114–116; Rockseth, Danses cléricales, S. 93–98; Horowitz, Danses cléricales, S. 279; Chailley, La danse, S. 363; Diller, Inter clericos et histriones, S. 263–269; Lauwers, Naissance du cimetière, S. 264. – Außerdem Einzelbelege bei Delumeau, Paradis, S. 212; Delumeau, Angst, S. 409, 595 f.; Merkelbach, Hirten, S. 82; Meier, Tanzlied, S. 163 f.; Nedoma, (Art.) Tanz, Sp. 287; Höfler, Deutsches Krankheitsnamenbuch, S. 19 ff.; Schulz, Bild, S. 73 f.; Kleinschmidt, Menschen in Bewegung, S. 59; Sommer, Heidnische und christliche Normen, S. 165; Schroeder, Herkunft, S. 188; Jungmann, Tanz, Tod und Teufel, S. 176; Rodacanacchi, © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Oft werden dabei nurmehr Jahresdaten und Ortsnamen aufgezählt, in selteneren Fällen die konkreten Bestimmungen zumindest paraphrasiert oder sogar zitiert. Ebenso werden vielfach willkürlich ausgewählte Einzelquellen mit dem Hinweis auf eine bequeme Vermehrbarkeit als exemplarisch herangezogen. Suggeriert wird so, dass die kirchliche Rechtsprechung von der Spätantike bis an die Schwelle zur Moderne jede Form von Tanz gleichermaßen und unterschiedslos abgelehnt und sanktioniert hätte.52 Diese Vorstellung wird dann entweder topisch mit angeblichen moralischen Verfallserscheinungen legitimiert (ohne diese historisch weiter zu begründen),53 oder aber als stereotype Unterdrückungsgeschichte konstruiert.54 Eine differenzierte, vergleichende Untersuchung dieser normativen Quellen zum Tanz jedoch ist weitestgehend Desiderat. Sie hätte selbstverständlich zunächst für eine systematische Erfassung der quellenmäßig greifbaren kirchlichen und weltlichen Sanktionen gegen Tanz zu sorgen. Sinnvoll wäre dabei räumlich die vergleichende Perspektive auf das lateinische wie das orthodoxe Christentum. Zeitlich wäre eine Ausweitung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts anzustreben, da zumindest im westlichen Christentum maßgebliche Verschiebungen in der volksreligiösen Praxis und ihrer kirchlichen Regulierung zwischen Tridentinum und Aufklärung zu verorten sind.55 Neben das kirchliche Recht treten seit dem Spätmittelalter mehr und mehr weltliche Obrigkeiten und ihre Eingriffe bezüglich des Tanzes. Dabei nimmt die Überlieferung von weltlichen Tanzregulierungen – etwa in städtischen oder landesherrlichen Polizey- und Hochzeits-Ordnungen  – ab dem 16.  Jahrhundert so massiv zu, dass eine vollständige Erfassung nun kaum noch handhabbar wäre.56 Zumindest für die Frühe Neuzeit wäre also eine Beschränkung auf die Normierung von Tanz in religiösen Kontexten bzw. durch kirchliche Instanzen notwendig. La danse en Italie, S. 585 f.; Holtorf, Tanzlied, S. 23; Happe, Entwicklung, S. 186; Arcangeli, Moral Views, S. 285; Stein (Hg.), Das Buch Weinsberg, Bd. 5, S. 304 f.; Behringer, Stoecklin, S. 129; Koslowsky, Reformation, S. 95; Becher/Steinbrecher, Ordnung der Ringe, S. 271; Bertaud, Danses religieuses, Sp. 33; Wetter, La danse rituelle, S. 11. 52 So überschreibt Böhme, Geschichte des Tanzes, Bd. 1, S. 112–120, eine Quellenzusammenstellung mit: »Obrigkeitliche Verbote gegen das Tanzen (14.–17. Jh.)«, gibt dann aber ausschließlich Beispiele für Tanzregulierungen, die eben nicht absolute Verbote, sondern nur ordnende Eingriffe enthalten. 53 Vgl. etwa Backman, Religious Dances, S. 329–331. 54 Vgl. etwa das Urteil von Zimmermann, Engelsreigen, S. 13 f.: »Von der tanzhistorischen Forschung wurde bislang nur sporadisch zur Kenntnis genommen [!], daß die Geschichte des abendländischen Tanzes von Verboten und abschreckenden Warnungen der christlichen Kirchen geprägt ist.« 55 Zu konfessionellen Konnotationen des Tanzdiskurses vgl. etwa Backman, Religious Dances, S. 159 f.; Illi, Wohin die Toten gingen, S. 118; Arcangeli, Dance under Trial, S. 133 ff. 56 Vgl. Jungmann, Tanz, Tod und Teufel, S. 136–151. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Zugleich stellt sich allgemein die Aufgabe einer präzisen Definition der jeweils einzubeziehenden Quellen: Synodalstatuten, Bußbücher, königliche Kapitularien und fürstliche Dekrete sind pragmatisch als normative Quellen zu klassifizieren. Wie aber steht es mit frühmittelalterlichen Predigten und katechetischen Traktaten, die vielfach die Vorlage für spätere Sanktionierungen bilden?57 Inwieweit sind kirchliches und weltliches Recht zu unterscheiden, wenn etwa merowingische oder westgotische Könige in ihren Dekreten letztlich nur die Beschlüsse von Provinizialsynoden bestätigen,58 oder das französische Parlament noch 1667 den Tanz in Kirchen verbietet?59 Zu leisten wäre sodann eine präzise inhaltliche Aufnahme der jeweiligen Texte. Zu unterscheiden wären Sanktionen gegen: – Tanz allgemein; – professionellen Tanz, Schauspiel und ähnliche Tätigkeiten, die schon in der Spätantike als unehrenhaft galten und dies zumindest tendenziell bis in die Frühneuzeit blieben.60 Die christliche Theologie, insbesondere die Alexandriner Clemens und Origenes, knüpften mit ihrer moralischen Disqualifikation des profanen Tanzes und des Theatertanzes an entsprechende Tendenzen im paganen Denken an.61 – spezifische Tanzformen und spezifische Verhaltensweisen während eines Tanzes, etwa Regelüberschreitungen mit sexuellem oder sozialem Signal­ charakter62 oder mimische oder theatrale Praktiken; – Tanz zu bestimmten Zeiten (Sonn- und Feiertagsruhe, Gottesdienstzeiten, Jahreszeiten);63 – Tanz an bestimmten Orten, zumal in der Öffentlichkeit der Straße64 oder im Sakralraum (Friedhof, Kirche); – Tanz bei religiösen Anlässen bzw. in (para-)liturgischen Kontexten (z. B. bei Heiligenfesten oder Prozessionen, Bestattungen etc.); 57 Vgl. unten, Kap. III.2.2. 58 So der Merowinger Childebert I. im Jahr 554, vgl. Jecker, Heimat, S. 150; Boudriot, Altgermanische Religion, S. 70; Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 522; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 121; Hen, Culture and Religion, S. 176; Markus, From Caesarius to Boniface, S. 159. Ebenso Childe­bert II. vor 596, vgl. Gougaud, La danse, S. 18; Riché, Danses, S. 162; Backman, Religious ­Dances, S. 155; Kleinschmidt, Perception and Action, S. 44; Stumpfl, Kultspiele, S. 140; zu den Merowingern allg.: Zeddies, Religio, S. 199–219; zur westgotischen Situation vgl. ebd., S. 165–189. 59 Salmen, Tanz und Tanzen, S. 27. 60 Schon Andresen, Altchristliche Kritk, S. 347, weist darauf hin, dass Ausgangspunkt der kirchlichen Sanktionsbemühungen im 3.–5. Jh. die Verweigerung der Taufe bzw. Exkommunikation für Bühnentänzer, Schauspieler und Akrobaten war. 61 Bermont, La danza, S. 12 f., 61–67, 82, 129 f. 62 Panzer, Tanz und Recht, S. 45–47. 63 Ebd., S. 17 f., 31–37, 106 f. (für das 15.–18. Jh.). 64 Ebd., S. 9, 21 f.; umgekehrt gab es jedoch auch Tänze, die nur in der Öffentlichkeit bzw. in städtischen Tanzhäusern abgehalten werden durften, vgl. ebd., S. 27 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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– Beteiligung bestimmer ständischer bzw. sozialer Gruppen (Klerus, Mönche/ Nonnen,65 Frauen bzw. Mädchen,66 Laien allgemein, Unterschichten bzw. Nicht-Eliten67); – Tänze mit einem eindeutig devianten Charakter (Blasphemie) im Gegensatz zu solchen, die einer möglicherweise umstrittenen kulturellen Norm entsprachen (religiöse Tänze). Die Chorschüler, die bei der fête des fous in der Kirche verkehrte Welt spielen,68 sind zu unterscheiden von den Domherren, die an Ostern im Rahmen der Liturgie einen Labyrinth-Tanz aufführen,69 oder dem lebenslustigen Mönch, der an einer Hochzeit im Wirtshaus teilnimmt;70 die Frauen, die zur HeiligenVigil in der Kirche nicht tanzen und/oder »schamlose Lieder« singen sollen,71 von den jungen Burschen, die im Kreuzgang gezielt blasphemische Reigen aufführen.72 Zu eruieren wäre weiterhin: – welche Instanz (kirchlich/obrigkeitlich) das Verbot für welchen Geltungsraum ausgesprochen hat; – mit welcher Begründung (Unzüchtigkeit; Blasphemie, Paganismus); – ob und welche Sanktionen angedroht wurden; – in welchem Kontext die Bestimmung erscheint (Blasphemie- oder Paganis­ musbekämpfung; allgemeine oder gruppenspezifische Verhaltensnormierung; Sonntagsheiligung, Sexualität o. ä.);73 65 Zur Teilnahme von Klerikern, Mönchen und Nonnen an profanen Tänzen vgl. Ilg, Gesänge, S. 12 f.; Panzer, Tanz und Recht, S. 38 f. 66 Stumpfl, Kultspiele, S. 146 mit Anm. 100. 67 Auf die Schichtenspezifität der Tanzregulierungen weist für das Spätmittelalter hin: Jungmann, Tanz, Tod und Teufel, S. 97–100. 68 So etwa die Pariser Synode von 1212: Horowitz, Danses cléricales, S.  279; Lauwers, Naissance du cimetière, S. 264; Ruél, Les Chrétiens, S. 82 f.; Davies, Liturgical Dance, S. 51; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 23; Riché, (Art.) Dance, S. 406; Koal, Detestatio, S. 21; Braekman, Dansomanie, S.  350; Stumpfl, Kultspiele, S.  146; Backman, Religious Dances, S.  157; Gougaud, La danse, S. 12. 69 Vgl. unten, Kap. III.5.3. 70 Ilg, Gesänge, S. 12 f., mit Beispielen; Panzer, Tanz und Recht, S. 38 f. 71 Vgl. etwa das Konzil von Rom 826: Andresen, Altchristliche Kritik, S.  348; Riché, Danses, S. 162; Boudriot, Altgermanische Religion, S. 72; Panzer, Tanz und Recht, S. 29; Ruél, Les Chrétiens, S. 82 f.; Gougaud, La danse, S. 12; Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 98; Riché, (Art.) Dance, S. 406; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 27; Koal, Detestatio, S. 21; Zimmermann, Engelsreigen, S. 33; Stumpfl, Kultspiele, S. 145; Backman, Religious Dances, S. 155; Balogh, Tänze, S. 86. 72 So in Hildesheim 1543: Ehrenreich, Dancing in the Streets, S. 107. 73 Vgl. Diller, Inter clericos et histriones, S.  261–263, für Schauspiele im Kirchenraum und die Teilnahme von Klerikern daran; Arcangeli, Dance under Trial, S. 129 f., über die Position von Tanz in der Summenliteratur. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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– welche anderen Verhaltensweisen im gleichen Zug sanktioniert bzw. reguliert werden (typisch ist im frühen Mittelalter etwa die Kombination von »weltlichen Tänzen« und »schamlosen Liedern« mit rituellen Mahlzeiten im Kirchenraum);74 – ob es für den Verbotstext Vorlagen oder gar eine längere Überlieferungs­ tradition gibt. In vielen Fällen wird die Suche nach Vorlagen die Einsicht in diskursive Abhängigkeiten und langfristige Zitierketten ermöglichen. – Im nächsten Schritt wäre dann zu fragen, ob dem jeweiligen Verbot eine konkrete Praxis zugrunde liegt, oder ob es sich nur um die Wiederholung einer lebensfernen Norm handelt.75 Sodann würde es möglich, vergleichend diachron zu untersuchen, wie sich die kirchliche Rechtssprechung zum Problemkomplex des Tanzes, zumal des Tanzes in sakralen Kontexten je nach geographischem Raum entwickelt hat,76 ob diese etwa mit einer zunehmenden Sakralisierung des Kirchenraumes,77 einer sukzessiven Intensivierung der »Sozialdisziplinierung« oder einer zunehmenden Ausgrenzung von dogmatisch fragwürdigen Frömmigkeitsformen aus dem rituellen Kanon korreliert.78 Eine vorläufige Durchsicht der anhand der Sekundärliteratur sicherbaren Textbelege für die Sanktionierung von Tanz in kirchlich-normativen Texten des 4. bis 18. Jahrhunderts79 führt zu dem Eindruck, dass umfassende, allgemeine 74 Stumpfl, Kultspiele, S. 147 f., 152 f.; Ilg, Gesänge 1906, S. 10 f.; Delumeau, Angst, S. 595 f. (für die Frühneuzeit). 75 Ein Beispiel: Im Jahr 1308 sprach der Bischof von London ein Verbot aus gegen »Spiele, Tänze und Laszivitäten« auf dem Kirchhof der Pfarrei und Stiftskirche Barking an den Festen der Hl. Margarethe und Adelburgh, vgl. Balogh, Tänze, S. 7; Backman, Religious Dances, S. 157. Demgegenüber dürfte die entsprechende Bestimmung in der Summa theologica des Antonius von Florenz (vor 1459) eher als Reproduktion von Gelehrtenwissen im Zeichen des gattungstypischen Anspruchs auf Vollständigkeit anzusprechen sein, vgl. Davis, Liturgical Dance, S. 54. 76 So hat Stumpfl, Kultspiele, S. 145, auf die relative Seltenheit von Sanktionen gegen Tanz in religiösen Kontexten im 11. und 12. Jh. hingewiesen. 77 Eine solche könnte untersucht werden anhand der Begründungen für Verbote von weltlichen Tänzen in der Kirche, vgl. etwa das Konzil von Rom 743: »Non licet in Ecclesia ­choros secularium vel puellarum cantica exercere nec convivia in Ecclesia praeparare, quia scripta est: domus mea domus orationis vocabitur.« Zitiert nach: Ruel, Les Chrétiens, S.  83 Anm. 1; vgl. dazu ebd., S. 82 f.; Stieren, Tänzersage, S. 11; Zimmermann, Engelsreigen, S. 33; Ilg, Gesänge, S. 5. 78 Schon Balogh, Tänze, S.  5, nimmt einen langen Prozess der sukzessiven Heraus­ drängung des Tanzes aus Gottesdienst, Funeralritus und Sakralraum an. Backman, Religious Dances, S. 161, sieht im Spätmittelalter einen sich steigernden Regulierungsbedarf entweder wegen einer Zunahme des religiösen Tanzes oder aber wegen eines sich erhöhenden Disziplinierungsbedürfnisses der kirchlichen Eliten. 79 Ausgewertet wurden ausdrücklich nicht die einschlägigen Quelleneditionen, etwa die Editionen von Konzilsstatuten, sondern die oben, Anm. 51, erwähnte Literatur. Diese viel© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Verbote jedweder Form von Tanz höchst selten, nur in gesellschaftlichen Ausnahmesituationen und nur in der Frühneuzeit vorkommen.80 Typisch für kanonistische Texte sind hingegen einerseits das stereotyp wiederholte Verbot von paganen bzw. blasphemischen Spielen und Tänzen, insbesondere im Sakralraum bzw. bei kirchlichen Festen,81 andererseits die spezifische Normierung lokaler religiöser bzw. ritueller Praktiken bzw. der Beteiligung bestimmter Gruppen an ihnen.82 Es geht dem kanonischen Recht nicht um den Tanz an sich, sondern zum einen um jene Begleiterscheinungen, die als unmoralisch oder unchristlich wahrgenommen wurden, zum anderen um den Tanz in Sphären des religiösen Lebens.83 Und auch die weltlichen Obrigkeiten der Frühen Neuzeit verbieten nicht etwa jedes Tanzvergnügen, sondern regeln die Zeiten, Umstände und Formen des Tanzes.84 Die vielfach explizit erwähnten Ausnahmen, aber auch die implizit anhand von Nicht-Erwähnung erschließbaren Freiräume lassen den Rückschluss zu, dass die kirchliche Normierungspraxis längst nicht jede tänzerische Praxis erfasste oder auch nur zu erfassen trachtete. Dies gilt auch und gerade für den Tanz von Klerikern und/oder den Reigen im Sakralraum bzw. im Kontext kirchlicher Feste oder des Gottesdienstes. Das mittelalterliche kirchliche Recht verbietet also nicht einmal grundsätzlich den Tanz im Sakralraum, sondern es fach in Zitierketten reproduzierten Auflistungen stützen sich im Kern auf die mehr oder weniger sorgfältige Durchsicht der Konzilsakten durch Backman, Gougaud und anderen. Zumindest einige hypothetische Beobachtungen scheinen also auf ihrer Grundlage möglich. Aufgenommen wurden 262 Belege (Stand 05/2012) für die Sanktionierung von Tanz zwischen dem 4. und dem 18. Jh. Davon lassen sich 178 der Regulierung von Tänzen in kirch­ lichen bzw. religiösen Kontexten zuweisen. Für Spätantike und Mittelalter (bis zum Jahr 1500) wurden insgesamt 166 Verbote verzeichnet, von denen 127 den Tanz in religiösen Kontexten betreffen. 80 Vgl. etwa die temporären Tanzverbote in Trauerzeiten nach dem Tod von Kaisern in Frankfurt/Main ab 1493: Böhme, Geschichte des Tanzes, Bd. 1, S. 120. Selbst diese waren aber zeitlich befristet und sachlich spezifisch begründet. 81 Ruél, Les Chrétiens, S. 98–101. 82 So wird immer wieder die Beteiligung des Klerus oder bestimmer Weihegrade an Tänzen im Sakral- oder Profanraum verboten, etwa durch die Synode von Reims 852, vgl. Stumpfl, Kultspiele, S. 153 f.; Schulz, Bild, S. 73 f.; Zimmermann, Engelsreigen, S. 49; 1215 durch eine römische Synode, vgl. Diller, Inter clericos et histriones, S. 264 f.; 1286 durch eine Synode in Bourges, vgl. Backman, Religious Dances, S. 157; ähnlich 1429 in Paris, vgl. ebd., S. 158. 83 So auch Horowitz, Danses cléricales, S. 282 f.; Arcangeli, Dance under Trial, S. 130 f.; vgl. etwa Schmitt, Logik der Gesten, S. 87 f.; Jungmann, Tanz, Tod und Teufel, S. 101. 84 Vgl. exemplarisch: Kursächsischer Generalartikel, 1.  Januar 1580, Abschnitt XVIII, zitiert nach: Böhme, Geschichte des Tanzes, Bd. 1, S. 116: »So lassen wir geschehen […], dass es gebräuchlich, daß der Tanz alle Sonntage nach verrichteter Vesper-Predigt, vom PfingstDienstage an bis auf Michaelis, auch einen Tanz auf jedes Dorfes Kirmeß, und einen Tag in der Fastnacht, bei Tag und Sonnenschein, bei gewisser Pön ehrlich, ohne einiges Verdrehen und unzüchtige Geberde, an einem öffentlichen, gemeinen Orte, und in keinen Winkeln zu halten verstattet werde; […].« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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diszipliniert die Verwendung von körperlicher Expressivität in religiösen Kontexten. Ziel ist bis zum 16. Jahrhundert nicht die Stillstellung des Körpers, sondern die Regulierung seiner Bewegungen im Kirchenraum. Die bisherige Forschung hat dabei zumeist den Wortlaut der Quellen mit jeweils unterschiedlichen Vorannahmen über die (krypto-) pagane, volks­ religiöse, profane oder deviante Charakteristik kurzgeschlossen und die Sanktionen zugleich verallgemeinernd als umfassende Verbote gelesen. So wurde die für die moderne europäische Christianität weithin typische Exklusion körperlicher Expressionen auf das Mittelalter projiziert. Nimmt man die Quellen hingegen beim Wort, so erweisen sie sich in der Regel jedoch als sehr spezifische Ordnungsmaßnahmen. Wenn etwa die seit Caesarius von Arles bis in die Bußbücher des 11.  Jahrhunderts topische Formulierung »(weltliche/unehrenhafte)  Spiele«, »Reigen der Ehefrauen« und »(schamlose/weltliche/bäuerliche) Lieder (der Mädchen)« bei Heiligenvigilien verbietet,85 bleibt viel Spielraum für alles andere. Geistliche Spiele, Reigen des Klerus bzw. der Religiosen oder der Tanz der Mädchen zu geistlichen Hymnen werden ja ausdrücklich nicht verboten.86 Andererseits gibt es durchaus auch Quellen, die ein allgemeines Verbot von laikalen Tänzen an Heiligenfesten aussprechen, womit wiederum über Reigen des Klerus noch nichts gesagt ist.87 Umso mehr ist dies der Fall, wenn etwa Tänze im Kirchenraum für bestimmte Feste oder bestimmte Gruppen ausdrücklich vom Verbot ausgenommen wurden.88 Freilich gibt es durchaus auch 85 Z. B. Provinizialsynode von Trier, 1227, can. 8: »Item tripudia et choreas et huiusmodi ludos saeculares in cimiteriis et in ecclesiis fieri non permittant«, zitiert nach: Schroeder, Herkunft, S. 188 (zu Unrecht auf Echternach bezogen); Salmen, Tanz und Tanzen, S. 23; Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 98–100; Koal, Detestatio, S. 21; Stieren, Tänzersage, S. 11; Stumpfl, Kultspiele, S. 146; Backman, Religious Dances, S. 157; Balogh, Tänze, S. 6; Ilg, Gesänge, S. 6, 14. 86 Zum Unterschied von geistlichem und weltlichem Lied in musikalischer Gestaltung und theologischer Wahrnehmung vgl. Kleine, Gesta, Fama, Scripta, S. 372–375. 87 Etwa das III. Konzil von Toledo, 589, can. 23: »Exterminando omnino est irreligiosa consuetudo, quam vulgus per sanctorum sollemnitates agere consueverit, ut populi, qui debeant officia divina attendere, saltationibus et turpibus invigilent canticis.« Dazu: Andresen, Altchristliche Kritik, S. 348; Boudriot, Altgermanische Religion, S. 71; Jecker, Heimat, S. 150; Riché, Danses, S. 162; Gougaud, La danse, S. 10; Delumeau, Paradis, S. 212; Koal, Detestatio, S. 21; Braekman, Dansomanie, S. 350; Zimmermann, Engelsreigen, S. 33; Stumpfl, Kultspiele, S. 145; Kleinschmidt, Perception and Action, S. 45. Diese auf Caesarius von Arles zurückgehende Formulierung findet sich auch noch bei Regino von Prüm, De synodis causis, Buch I, can. 72; vgl. Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 95 ff.; Riché, Danses, S. 162; Schulz, Bild, S. 73 f.; Stumpfl, Kultspiele, S. 145; Backman, Religious Dances, S. 156; Balogh, Tänze, S. 6; Ilg, Gesänge, S. 5, 9. 88 So verbieten die Statuten des Generalkapitels von Paris 1325 die Teilnahme von Priestern am Kirchentanz, außer an St. Nikolaus, Weihnachten und St. Katharinen, vgl. Rockseth, Danses cléricales, S. 94, Anm. 1. Die Statuten der Synode von Ancona untersagen 1560 alle tripudia in der Kirche, außer bei Hochzeiten und zu Karneval, vgl. Davies, Liturgical Dance, S. 52, 59; Sahlin, Étude, S. 184; Foatelli, Les danses religieuses, S. 81; Rodacanacchi, La danse en Italie, S. 585; Backman, Religious Dances, S. 159. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ausdrückliche Verbote des Tanzes von Klerikern im Sakralraum, die als allgemein zu verstehen sind.89 Die kirchliche Rechtsprechung fand hier bis weit in die Neuzeit nicht zu einer einheitlichen Position, obwohl sie doch immer wieder auf die gleichen Autoritäten zurückgriff. Der Tanz in der Kirche blieb also ein umstrittenes Thema: Je nach historischem Zeitpunkt, Region und Situation konnten sich verschiedene Positionen durchsetzen. Die canones der mittelalterlichen Synodalstatuten und Bußbücher bilden also einen Ordnungsrahmen für den Tanz in und an Kirchen, sie verbieten ihn jedoch nicht absolut. Körperlicher Expressivität in religiösen Räumen wohnte ein Gefahrenpotential inne, und dieses wurde eingehegt. Zum Vergleich: Die Straßenverkehrsordnung regelt den Straßenverkehr, aber sie verbietet ihn nicht. Freilich bilden, anders als die Straßenverkehrsordnung des modernen Territorialstaates, die kirchlichen Tanzverordnungen keine homogene Einheit. Vielmehr dokumentieren die jeweils lokalen Bestimmungen die Pluralität der Konzepte, die in die jeweiligen Aushandlungsprozesse einflossen. Die grundsätzliche Ablehnung jeder Form von Tanz findet sich eigentlich nur in zwei Überlieferungsschichten, die gleichermaßen nicht unmittelbar rechts­ erheblich waren: Zum einen bei einigen Kirchenvätern, wobei auch deren Äußerungen vor weitergehenden Hypothesen zunächst präzise auf ihren Kontext und ihre Bedeutung hin zu untersuchen wären; und zum anderen in den mora­ lisierenden Tanztraktaten des 15. bis 17. Jahrhunderts.90 Auch den radikal tanzfeindlichen Stimmen des konfessionellen Zeitalters stehen jedoch in allen drei entstehenden Großkirchen gemäßigte oder gar apologetische Äußerungen gegenüber.91 Und in beiden Fällen entspricht dem asketischen Ideal nicht die normative Praxis, ja: in beiden Fällen bleibt es erkennbar eine Minderheitenmeinung. Die von der tanzgeschichtlichen Literatur immer wieder kolportierte grundsätzliche »Tanzfeindlichkeit der Kirche« lebt also von der anachronistischen Projektion theologischer Diskurse auf die judikative Praxis und frühneuzeitlicher Konzepte auf das Mittelalter. Umgekehrt darf man jedoch nicht von einer allgemeinen Toleranz der mittelalterlichen kirchlichen Rechtspraxis gegenüber dem – zumal religiösen – Tanz ausgehen. Und ebenso war der Tanz in religiösen Räumen und Kontexten keineswegs in ganz Europa unterschiedslos weit verbreitet. Zumindest spricht die regionale und chronologische Verteilung der heute bekannten Verbotsbestimmungen ganz und gar gegen Pauschalaussagen.92 89 Vgl. etwa die Würzburger Synode von 1298, can. 5: »Prohibeant sacerdotes sub poena excommunicationis choreas maxime in coemeterio vel in ecclesiis duci; […].« Dazu: Davies, Liturgical Dance, S. 51; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 23; Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 98; Koal, Detestatio, S. 21; Backman, Religious Dances, S. 9, 157, Ilg, Gesänge, S. 6; Gougaud, La danse, S. 13; Balogh, Tänze, S. 6. 90 Jungmann, Tanz, Tod und Teufel, S. 101. 91 Vgl. zukünftig die Studien von Philip Knäble, Bielefeld. 92 Vgl. unten, Kap. IV.1. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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III.2.2 Tanz in der mittelalterlichen Superstitionsliteratur Synodalstatuten, Predigten und Bußbücher des frühen Mittelalters überliefern in großer Zahl und immer wiederkehrenden Formulierungen Sanktionen gegen »weltliche Reigen«, »teuflische« bzw. »unziemliche Spiele« und »unzüchtige Lieder« in oder an Kirchen. Vielfach begründen die Quellen selbst ihr Verbot mit dem paganen und superstitiösen Charakter der beschriebenen Vergehen. Deshalb hat man immer wieder angenommen, dass diese canones sich tatsächlich gegen keltische bzw. germanische Kulte und ihre kryptopagane Fortsetzung im Kirchenraum gerichtet hätten.93 Tanz, Spiel und Gesang in der Kirche wurden so als survival vorchristlicher Rituale lesbar.94 Zugleich ließen sich die Aus­ sagen christlicher Quellen zurückprojizieren auf die Zeit vor der Mission. So konstruierte man auf der Grundlage der kirchlichen Thematisierung von Heidentum und Aberglauben ein Bild der vorchristlichen germanischen und keltischen Religion. Zumal bei den Germanen wäre demnach der Tanz auf den Gräbern der Vorfahren, aber auch an den angeblich weitverbreiteten Sonnenwendfeiern in Winter und Sommer,95 ein integraler Bestandteil der kultischen wie rechtlichen Praxis gewesen, der dann auf die Friedhöfe und in die Kirchen übertragen worden sei.96 Diese Rückprojektion wurde vielfach »belegt« durch den Hinweis auf entsprechende volkskundliche Befunde des 19.  oder gar des 20.  Jahrhunderts, die damit ihrerseits als »noch gepflegte« heidnische Rudimente lesbar wurden. Nun ist darauf hinzuweisen, dass »Tanz« erkennbar kein zentrales oder gar dominantes Thema der Superstitionsliteratur ist. Vielmehr bildet er unter mimischen Spielen, Maskenläufen, Gelagen, Hexenglauben, rituellen, mantischen und magischen Praktiken aller Art nur eines von vielen Delikten. Wo er auftaucht, wird der Tanz zudem nicht als solcher, sondern als Begleitumstand anders definierter Devianz geführt. Sanktioniert wird also nicht der Tanz an sich, sondern die als pagan identifizierte Praxis, deren Teil er ist. Andere Stimmen wiesen zudem früh darauf hin, dass die Superstitionscanones des frühen Mittelalters weniger germanische oder keltische als vielmehr römisch-hellenistische Bräuche alludierten, etwa die Neujahrsfeiern der

93 Stumpfl, Kultspiele, S. 159 f.; Balogh, Tänze, S. 1 f.; dagegen jetzt (populärwiss.) Ehrenreich, Dancing in the Streets, S. 82. 94 Vgl. etwa Panzer, Tanz und Recht, S.  12–14; Stumpfl, Kultspiele, S.  132 f.; aber auch Sahlin, Étude, S. 158 f.; Gougaud, La danse, S. 17 f., 245; Foatelli, Danses religieuses, S. ­35–38; Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 97. 95 Vgl. unten, Kap. VII.1.1. 96 Stumpfl, Kultspiele, S. 119–127, 146; Schulz, Bild, S. 69–75; Jecker, Heimat, S. 150; Sahlin, Étude, S. 139–142. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Januar-Kalenden oder die Saturnalien.97 Schließlich konnten zunächst Franz Hautkappe und dann Wilhelm Boudriot durch Textvergleiche sicher stellen, dass die einschlägigen Quellen beinahe durchgehend auf einige Passagen in den Predigten des Caesarius von Arles (470–542, Bf. seit 502) bzw. auf von diesem stammende, im Mittelalter jedoch unter dem Namen des Augustinus bekannte Homilien zurückgehen.98 Aus den Predigten des Caesarius wanderte demnach ein ganzes Set von stereotypen Paganismus-Beschreibungen nicht nur in zahlreiche Synodalakten, sondern auch in einflussreiche katechetische Schriften wie Martin von Bragas (um 515–580) De correctione rusticorum,99 Pirmins (um 670–753) Scarapsus,100 die Predigten des Eligius von Noyon (um 589–660),101 oder auch in den in der Forschung vieldiskutierten sogenannten Indiculus superstitionum.102 Wenn also auch Bußbücher des 6. bis 11. Jahrhunderts Paganismen und Superstitionen thematisierten, griffen sie dabei auf Topoi zurück, die ein Bischof in der zu Beginn des 6. Jahrhunderts zwischen Westgoten, Ostgoten und Franken umstrittenen Narbonensis geprägt hatte.103 Dieter Harmening spitzte diese Beobachtung zu der These zu, noch die Bußvorschriften eines Regino von Prüm (Anfang 10. Jh.) oder eines Burchard von Worms (11. Jh.) hätten, wenn überhaupt, dann allenfalls die volksreligiöse Praxis Südgalliens im 6. Jahrhundert thematisiert. Die von der volkskundlichen Forschung konstruierte »germanische Religion« wurde so als Spiegelung von Zuständen in einem hochgradig durch die ostmediterrane hellenistische Kultur geprägten Raum dekonstruiert. Die volkskundliche Rekonstruktion einer vorchristlichen Religion reproduzierte demnach nur die stereotypen Vorstellungen mittelalterlicher Theologen über »Aberglauben« und »Heidentum«.104 Denn es muss ja längst nicht alles, was in Verbotsbestimmungen als superstitio bezeichnet wird, vorchristlichen Ursprungs sein. Vielmehr wurde in diesen Texten alles als Paga 97 Gurjewitsch, Volkskultur, S. 159–162; Gougaud, La danse, S. 19 f.; Boudriot, Altgermanische Religion, S. 79; Riché, Danses, S. 160; Harmening, Superstitio, S. 145–147; Backman, Religious Dances, S. 35 (über Isidor von Sevilla). 98 Hautkappe, Altdeutsche Beichten; Boudriot, Altgermanische Religion. Zum Tanz bei Caesarius vgl. ebd., S. 70; Backman, Religious Dances, S. 35; Stumpfl, Kultspiele, S. 144; Kleinschmidt, Perception and Action, S. 44, Anm. 12; Jecker, Heimat, S. 151. Zur Person und zur Paganismus-Homiletik: Zeddies, Religio und sacrilegium, S. 128–139; Angenendt, Frühmittelalter, S. 87–89, 136 f.; Hen, Culture and Religion, S. 164–167; Gurjewitsch, Volkskultur, S. 37 ff.; Boudriot, Altgermanische Religion, S. 4–12; Jecker, Heimat, S. 154 f. 99 Jecker, Heimat, S. 156–160; Boudriot, Altgermanische Religion, S. 13. 100 Jecker, Heimat, S. 130–136, 150–152, 158. 101 Über diese vgl. unten, Kap. V.3.1. 102 Boudriot, Altgermanische Religion, S.  17 f., 30 f.; allg.: Meinecke/Schmidt-Wiegand, (Art.) Indiculus superstitionum; Hen, Culture and Religion, S. 178–180. 103 Jecker, Heimat, S. 151 f.; Boudriot, Altgermanische Religion, S. 4–15, 19, 24; zur politischen Situation: Angenendt, Frühmittelalter, S. 87–89. 104 Harmening, Superstitio, S. 318 f.; Hen, Culture and Religion, S. 157–161. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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nismus disqualifiziert, was in den Augen der Verfasser der kirchlichen Ortho­ praxie, den wandelbaren Regeln des korrekten Ritualvollzugs, widersprach. Freilich fehlten die Stimmen nicht, die in den Bestimmungen der Bußbücher durchaus Reaktionen auf konkrete volkskulturelle Praktiken ihrer Zeit sehen wollten.105 Auch der Griff zur autoritativen Vorlage war demnach durch aktuellen Regelungsbedarf motiviert. Und die Verfasser passten ihre Formulierungen bei aller Intertextualität demnach doch den konkreten Bedürfnissen an und spiegelten so Bräuche ihres Zeithorizonts.106 Wenn eine Synode einen canon aus der älteren Überlieferung übernahm, um ein tagesaktuelles Problem in Worte zu fassen, entsprach dies ja dem üblichen Vorgehen im sich formierenden Kirchenrecht. Der bloße Textbaustein mochte dabei gleich bleiben. Zu untersuchen wäre jedoch, inwiefern sich der Kontext jeweils situationsspezifisch wandelte: In welchem Zusammenhang wurde ein canon neu verwendet? Mit welchen anderen Regelungen stand er zusammen? Diese Fragen wären in den allermeisten Fällen zunächst noch zu beantworten. So verwenden auch in jüngerer Zeit noch Forschungen zur Volkskultur des frühen und hohen Mittelalters etwa Regino von Prüms De synodis causis oder Burchard von Worms’ Corrector – ohne freilich in der Regel präzise zu differenzieren, wo ihre Quellen den eigenen Zeithorizont thematisieren, und wo sie lediglich topische Motive der Superstitionsliteratur reproduzieren.107 Dies gilt auch für Forschungen zum slawischen Missionsraum des Hochmittelalters.108 Oder diente die redundante Thematisierung des stereotypen »Paganismus« in der frühmittelalterlichen Kirche eher der exkludierenden Definition eines »Außen«, vermittels derer im Umkehrschluss die christliche Orthodoxie erst begründbar wurde?109 Notwendig sein dürfte eine differenzierte Untersuchung und Kontextualisierung der verschiedenen Texte und Textgattungen, um die spezifischen Ausprägungen und Konjunkturen des Paganismus-Diskurses genau nachzuzeichnen.110 So hat Nicole Zeddies auf die politischen Funktionen der Superstitionsgesetzgebung im Westgotenreich des 6.  und 7.  Jahrhunderts hingewiesen: Durch die Verdammung von heidnischen Ritualen und ­Häresien 105 Beck, Probleme, S.  480; Staab, Heidentum und Christentum, S.  132–134; Künzel, ­Paganisme, S. 1057  f.; Zeddies, Religio, S. 36–38, 129–131, weist darauf hin, dass Harmening weder den antiken Bildungshintergrund der kirchlichen Eliten noch die biblischen Konno­ tationen der Synodalstatuten veranschlagt habe. Der Rekurs auf Autoritäten habe der Kanonisierung eines Sets von theologischen Paganismus-Konzepten gedient. 106 Gurjewitsch, Volkskultur, S. 52–61, 141, 152 f.; Forschungsbericht: Hen, Culture and Religion, S. 162–171; vgl. auch Zeddies, Religio, S. 305–310. 107 Vgl. etwa Riché, Danses, S. 160 f. (Tanz bei rites de passage); Gurjewitsch, Volkskultur, S. 162 f. (Synthese von Christentum und Heidentum). 108 Methodisch sehr unvorsichtig: Sommer, Heidnische und christliche Normen, S. 162–166. 109 Hen, Culture and Religion, S.  180–188 (widersprüchlich); differenzierter: Markus, From Caesarius to Boniface, S. 156–170. 110 Zeddies, Religio, S. 19–21, 305–310, für die Bußbücher: S. 322–343. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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in Synodalstatuten und Konstitutionen konnte der König sich in imperialer Tradition als spirituell-sakrale Instanz legitimieren und zugleich seine Rechtgläubigkeit gegenüber der erstarkenden römischen Zentrale wie den benachbarten Kirchen beweisen.111 Im Merowingischen Reich hingegen sorgten die stark in der Tradition des spätantiken senatorischen Adels stehenden Bischöfe für eine massive Kontinuierung einer romanisch-urbanen Christianität. Sie waren es, die nun im Zeichen der Paganismus-Bekämpfung die christliche Durchdringung der Landbevölkerung leisten mussten.112 Das Königtum engagierte sich hingegen nur in Ausnahmefällen für die Rechtgläubigkeit – etwa mit den Praecepta Childeberts I. (554) und Childeberts II. (vor 596).113 Erst unter den Karolingern wurde im Zeichen einer intensivierten sakralen Herrscherlegitimation die Sakrilegienverfolgung zur königlichen Aufgabe.114 Entsprechendes gilt für das Langobardenreich, wo sich erst unmittelbar vor und mit der karolingischen Machtübernahme ein sakralisiertes Königtum mit entsprechenden normativen Aktivitäten durchsetzen konnte.115 Genauer zu untersuchen wäre, inwiefern solche Entwicklungsunterschiede sich in der konkreten räumlichen Verteilung etwa von Sanktionen gegen Superstitionen abbilden. Schon Harmening hatte im Übrigen darauf hingewiesen, dass gerade die Einschärfung der theologischen Superstitions-Stereotypen in der Bußpraxis durchaus auch entsprechende Formen von volkskultureller Devianz generiert haben könnte. Bußbücher und Synodalstatuten brachten also ihren Gegenstand eventuell selbst erst hervor, indem sie den Laien theologisch autorisierte Konzepte für heterodoxe Rituale an die Hand gaben.116 Diese kulturgenerierende Wirkung von Normen  – eine Konzeption, die deutlich erkennbar auf Michel Foucault rekurriert – wäre freilich im Einzelfall konkreter zu belegen.117 Wie etwa ist es zwischen gelehrtem Paganismus-Diskurs und populärer religiöser Praxis einzuordnen, wenn der Franziskaner Richard von Durham (13. Jh.) und die auf ihn aufbauende Chronik von Lanercost zum Jahr 1282 aus dem schottischen Inverkeiting Folgendes berichten: In der Osterwoche habe »[…] ein Pfarrpriester namens Johannes ein Fest des Priapus veranstaltet, indem er die Mädchen aus dem Dorf um sich versammelte und in Reigen um den Liber Pater kreisen ließ.«118 Er selbst habe zum Gesang der anderen getanzt und 111 Ebd., S. 143 f., 166–189. 112 Ebd., S. 198–220. 113 Ebd., S. 221–227. 114 Ebd., S. 351. 115 Ebd., S. 294–302, 320 f. 116 Harmening, Superstitio, S. 72 f., 128. 117 Für den Einfluss der Bußbücher auf mittelalterliche Konzepte von Sexualität vgl. Lutter­bach, Sexualität, S. 3–14; Largier, Lob der Peitsche, S. 228–238. 118 »sacerdos parochialis, nomine Johannes, Priapi prophana parans, congregatis ex villa puellulis, cogebat eis, choreis factis, libero patri circuire.« Zitiert nach: Sahlin, Étude, S. 142; vgl. dazu Dickson, Religious Enthusiasm, S. II 8 f.; Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 327. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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die Zuschauer zur sexuellen Promiskuität aufgerufen. Erst als er zu Übergriffen auf Rechtgläubige aufgerufen habe, sei er ermordet worden. Handelt es sich um ein Fruchtbarkeitsritual in direkter Kontinuität zum römisch-hellenistischen Dionysos-Kult? Interpretierte der englische Seelsorger hier ein keltisch-heidnisches Frühlingsfest nach ihm bekannten antiken Mustern? Handelt es sich um eine regionale Ausprägung christlicher Devotionsformen, die vom Beobachter jedoch abgelehnt und polemisch mit gängigen Superstitionsstereotypen (Dionysos-Verehrung, sexuelle Promiskuität, Tanz etc.) ausgestattet wurde? Oder hatte sich hier ein Kleriker von dem, was er über die spätantiken Dionysien wusste, zu einer Kult-Innovation inspirieren lassen? Alle vier Erklärungsansätze wären in bestimmten Phasen der Forschungsgeschichte denkbar gewesen. Sicher entnehmen kann man der Passage jedoch, dass zumindest ein Chronist der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts sehr konkrete Vorstellungen davon hatte, wie ein dionysisches Ritual abzulaufen habe, und dass er häretische Abweichungen mit einem solchen assoziierte. Festzuhalten bleibt also, dass die Auseinandersetzung mit antiken Kultformen und insbesondere die Rezeption der Predigten des Caesarius im iberischwestgotischen und gallisch-fränkischen Raum dazu beitrugen, römisch-hellenistische Vorstellungen von (deviantem) rituellem Tanz in und an der Kirche in die mittelalterliche Kultur hinein zu transportieren. Mit Eligius von Noyon, Pirmin, Regino von Prüm und Burchard von Worms finden sich einige prominente Vertreter dieser Tradition im Rhein-Mosel-Maas-Raum, im späteren Einzugsgebiet der Tanzwut. Diese erweist sich so nicht als Rudiment heidnischer oder gar germanischer Kulte. Ihre Genese ist vielmehr auch bedingt durch die stereotype Thematisierung von Tanz als Paganismus und Superstition in der frühmittelalterlichen Theologie, die zurückgeht auf die Auseinandersetzung mit der hellenistischen Kultur Südgalliens.

III.3 Praxis: Tanz und Religion im mittelalterlichen Lateineuropa III.3.1 Ein ungewolltes Wunder? »Es ist Sitte von alters her, dass die Pilger die Vigilien in der Kirche der heiligen Fides mit Kerzen und Lichtern begehen, während die Kleriker und gewisse Schriftgelehrte die Psalmen und Abendgebete singen. Da die Pilger aber jene nicht kannten, linderten sie den Überdruss der langen Nacht sowohl mit bäuerlichen Liedern wie mit anderen Albernheiten. Dies schien mir auf das Schwerste die Andacht, Ehre und Ehrwürdigkeit der heiligen Vigilien zu stören. Deshalb erbat ich von den im Kapitel zusammengekommenen Mönchen, diese geschmacklose und absurde Gewohnheit aus verschiedenen Gründen grundsätzlich zu verhindern. Darauf behaupteten jene, in allem gültig und untadelhaft zu sein, aber, so antworteten sie, dennoch könn© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ten sie jene Umtriebe nicht stoppen, ohne damit dem göttlichen Willen zuwiderzulaufen. ›Denn‹, so erzählte der Abt, ›zur Zeit des höchst eifrigen Gimon, als die Älteren dieses Klosters trotz häufigerer Verbote jenen taktlosen Tumult und die wilden Schreiereien und unharmonischen Gesänge der Bauern nicht zu verhindern vermochten, wurde nach Ratschluss aller festgelegt, dass durch Schließung der Türen die bäuerliche Menge von den Vigilien ausgeschlossen werden sollte. Und als dieses immer wieder geschah, begab es sich, dass eine ungewöhnlich große Menge von nächtlichen Pilgern nach dem Essen mit Kerzen und Lichtern vor den Toren zum Stehen kam, schreiend und Einlass in die Klausur des Klosters verlangend. Und als jenen der Zutritt entschieden verweigert wurde, siehe da!, da lösten sich, als wir schliefen, die Querbalken der Kirchentore von selbst, die Riegel zersprangen, ohne das jemand sie angerührt hätte, und auch die inneren Türen, die vor den heiligen Reliquien zum höchsten Schutz angebracht sind, öffneten sich. Diese zu bedienen war niemandem außer dem Custos erlaubt, und jenem, den der Custos für würdig erachtete, [andere] mit besonderer Ehrfurcht einzuführen. Als wir uns aber mitten in der Nacht zur Matutin erhoben, trafen wir die Kirche voll von Wachenden an, so dass ein jeder nur mit Mühe zu seinem Platz gelangen konnte. Wir, die wir die Schlüssel der Türen hatten, wunderten uns, und statt Gewaltanwendung wurde uns als Grund ein Wunder angegeben, das nach dem Zeugnis der ringsum Stehenden auf keine Weise geleugnet werden konnte. Ich, heute ein Greis, erinnere mich, dass ich ein Knabe war, als ich dieses vor dem Wunder von dem erleuchteten [wieder sehenden] Witbert sah.‹ ›Gut, sage ich, vielleicht kann der Wille Gottes auch in diesem Ereignis zum Ausdruck kommen. Denn wenn ich zu mir selbst zurückkehre und das Gesagte von beiden Seiten abwäge, kann man jedenfalls angesichts der Naivität jener [Bauern] ihre Lieder, auch wenn sie bäuerlich sind, als zumindest unschuldig tolerieren. Denn vielleicht, wenn hier der Gebrauch beseitigt würde und ebenso der Besuch des Heiligtums verboten, wäre doch nicht zu erwarten, dass Gott an jenen Liedern Gefallen fände, sondern an den Mühen der Nachtwache und dem guten Willen der einfachen Geister. […] Dennoch meine niemand, dass ich aus dieser Feststellung schließen wollte, dass Gott dies schlicht und einfach deshalb gutheiße, weil es bäuerliche und eitle Gesänge seien. Sondern, wie ich sagte, auf diese Weise auf die Frömmigkeit der Herzen schauend, lässt er sich herab auf das Niveau menschlicher Unwissenheit und Schlichtheit, weil Gott, in väterlichem Mitleid der Beschützer der menschlichen Hinfälligkeit, der unsere Hirngespinste kennt, nicht möchte, dass der Mensch deswegen untergehe, sondern die Wurzel des Heils für die Sünder sucht.‹«119 119 Robertini (Hg.), Liber miraculorum sanctae Fidis, Buch II, Kap. 12, S. 176 f.: »De miraculo valvarum internarumque ianuarum, que ultro peregrinis clamantibus patuerunt. // Est mos ab antiquis, ut peregrini semper vigilias agant in ecclesia sancte Fidis cum cereis ac luminaribus, clericis quidem litterarumque peritis psalmos ac vigilias decantantibus. Horum vero ignari, tam cantilenis rusticis quam aliis nugis longe noctis solantur fastidium. Quod pessime solemnem sacre vigilie honorem honestatemque horrificare videtur. De qua re ad monachos concionatus in capitulo, hanc detestabilem absurdamque consuetudinem, variis usus argumentis, prorsus inhibendam esse peroravi. Que omnia rata atque irreprehensibilia asserentes, non tamen reprimere talia posse, nec divine voluntati contraire respondent. ›Nam tempore illius fortissimi Gimonis – abbas inquit – cum seniores huius loci sepius interdicendo ineptum hunc tumultum feralesque rusticanorum vociferationes atque incompositas cantationes com© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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So berichtet Bernhard von Angers, der Verfasser des Liber Miraculorum Sancte Fidis Anfang des 11. Jahrhunderts von einem Gespräch mit Mönchen im Kloster der hl. Fides in Conques. Er selbst hatte also dem Konvent disziplinarische Maßnahmen gegen die Gebräuche der örtlichen Laien am Vorabend des Patronatsfestes vorgeschlagen. Der Abt jedoch hatte dem unwissenden Besucher erläutert, warum man die Gesänge und Spiele der Bauern in der Kirche tolerierte: Eine wundersame Öffnung der Portale, ja: der Türen zum Schrein der Heiligen, hatte einen früheren Versuch, die Gläubigen auszusperren, zunichtegemacht.120 Cantilenae rusticae und nugae also betreiben die Gläubigen nach Ansicht des Hagiographen bei der Heiligenvigil, und stören so die Andacht der Kleriker. Uta Kleine hat überzeugend gezeigt, dass es bei diesem Konflikt weniger um den Inhalt der Gesänge ging, als vielmehr um ihre musikalische Form: Während die Geistlichen Psalmen und Hymnen nach den Kompositionsregeln der Kirchenmusik verwendeten, orientierten die volkssprachlichen Heiligenlieder der Laien sich am Stil der weltlichen chansons de geste.121 Wie diese hatten hochmittel­ alterliche Heiligenlieder die Form einer alternierenden Psalmodie, die zu einem Schreittanz gesungen wurde.122 Dies gilt etwa für das Chanson de Sainte Foy, ein altfranzösisches Erzähllied des 11. Jahrhunderts, das im Text ausdrücklich als »beon a danse« bezeichnet wird.123 Aus Conques sind später auch Reigen einer pescere nequivissent, omnium consultu decretum est, ut foribus clausis, rusticana multitudo ad vigilias non admitteretur. Quod cum semel atque iterum fieret, accidit ut una noctium peregrinorum turba copiosior solito, post cenam, cum cereis ac luminaribus astaret pro foribus, vociferantes et efflagitantes admitti intra monasterii septa. Cumque penitus illis negaretur aditus, ecce repente, nobis dormientibus, portarum repagula sponte resolvuntur, vectes nemine impellente ultro dissiliunt, reseratis etiam internis ianuis, que ante reliquiarum sanctuarium pro summa custodia habebantur. Has frequentare nulli licitum fuerat, excepto custode, et quem custos speciali reverentia introducere dignum ducebat. Media autem nocte surgentes ad matutinos, ita ecclesiam vigilantium plenam offendimus, ut difficile ad stationem suam quisque perrumpere potuerit. Mirantes qui claves portarum habebamus, et super vi illata causantibus obicitur miraculum, quod circum astantium testimonio predicatum, nulla quis ratione calumniari potuit. Hoc ante miraculum de Vuitberto illuminato videns puerulus, nunc senex recolo.‹ ›Bene – inquam – probabiliter voluntas Dei etiam in hoc stare potest. Nam cum in meme­tipsum redeo, utrumque hoc dictum perpendo, satis pro simplicitate illorum innocens cantilena, l­icet rustica, utcumque tolerari potest. Nam fortasse si hic mos tolleretur, et frequentia sanctuarii pariter adimeretur, non tamen ea cantilena Deus gaudere credendus est, sed excubantum labore et simplicium bona voluntate. […] Tamen ne putet aliquis hisce assertionibus me velle concludere id, ut Deus pure simpliciterque hec eadem velit, cum sint rustica et inepta cantica, sed eo modo ut dixi ad devotionem cordium respiciens, humane ignorantie ac simplicitati condescendit, quia Deus, humane fragilitatis patris compassione sustentator, qui cognoscit figmentum nostrum, non qua pereat homo causam quęrit, sed peccantibus radicem salutis investigat.‹« Vgl. allg. Fricke, Ecce fides. 120 Vgl. dazu Riché, Danses, S. 162; Kleine, Gesta, Fama, Scripta, S. 372. 121 Ebd., S. 372. 122 Ebd., S. 374 f. 123 Haubrichs, Heiligenfest, S. 139–143; Rockseth, Danses cléricales, S. 95. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Marien-Bruderschaft am Tag der hl. Fides in einer Kapelle der Kirche und andere Kirchentänze überliefert.124 Bernhard von Angers erwähnt in seinen Miracula auch, das Volk von Conques habe ein weiteres Wunder am Grab der Fides mit einem spontanen tripudium gefeiert.125 Und die Eigenmächtigkeit der Gläubigen im Umgang mit der Ortsheiligen war traditionsbildend: 1099 sollte Papst Urban II. ausdrücklich verbieten, die Reliquien der hl. Fides in Conques gegen den Willen des Konvents in Prozessionen herumzuführen.126 Man wird also nicht fehlgehen, in den von Bernhard von Angers beklagten »Albernheiten« der Bauern einen Reigen und in ihren Gesängen populäre Heiligenlieder zu vermuten. »Weltlich« oder »bäuerlich« ist also die musikalische und performative Form, in die mutmaßlich geistliche Verfasser die religiösen Inhalte zur besseren Vermittlung gebracht hatten. Die Mirakelgeschichte disqualifiziert das Treiben der Gläubigen ja auch nicht als heidnisch oder superstitiös, sondern lediglich als Ausdruck ihrer Ungelehrtheit und Dummheit. Und sie sieht Tanz nicht als Problem per se, sondern nur als Aspekt eines allgemeineren Problems: der laikalen Verstöße gegen die liturgische Ordnung. Bernhard, der Abt und sein Konvent jedenfalls sprechen diesen laikalen Formen der Devotion ausdrücklich jeden rituellen Sinn ab. In den »ferales ­vociferationes« und »incompositas cantationes« der Bauern sehen sie nur eine Störung der Sakralität des Kirchenraumes. Die Heilige jedoch ist anderer Meinung. Und sie zeigt dies mit einem Wunder. In der ausführlich, wenn auch erkennbar einseitig geschilderten Konfrontation der Kanoniker mit den in die Kirche geströmten Gläubigen wird die konflikthafte Aushandlung der Legitimität körperlicher Expressionen im Kirchenraum greifbar. Die Laien haben die unhintergehbare Evidenz des Wunders auf ihrer Seite. Die Bauern sind zwar in liturgischen Dingen ahnungslos und naiv, als Zeugen für ein Mirakel aber offenbar doch glaubwürdig. Den Ausschlag gibt die unleugbare Heilung eines Blinden kurz darauf.127 Die Mönche von Angers konnten ja kaum ein Interesse daran haben, die populäre Wallfahrt durch restriktive Verbotspolitik gegenüber der laikalen Frömmigkeitspraxis zu beschädigen. Das  – im Geheimen wohl nicht ganz so schwierig zu bewerkstelligende  – Türöffnungswunder bot hier eine elegante 124 Sahlin, Étude, S. 151 f.; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 29; Rockseth, Danses cléricales, S. 97, Riché, (Art.) Dance, S. 406; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 25; Haubrichs, Heiligenfest, S. 141 f. (10. Jh.). 125 Robertini (Hg.), Liber miraculorum sancte Fidis, Buch IV, Kap. 3, S. 226: »Unde facti, omnes ineffabili gaudio repleti, ludifluis clamoribus magnum aera feriunt totamque basilicam emulis vocibus in laudum preconia resultare cogunt. Quid plura? Fit concursus popu­lorum, non sexus, non aetas ulla a sancte virginis laude cessat. Quorum plausus, quorum tripudia nulli oratorum dantur fando explicanda.« Vgl. Riché, Danses, S. 166. 126 Ashley/Sheingorn, Sainte Foy on the Loose, S. 55 mit Anm. 10. 127 Vgl. Robertini (Hg.), Liber miraculorum sancte Fidis, Buch I, Kap. 1, S. 78–86: »De Vuitberto, cuius oculos radicitus evulsos sancta Fides redintegravit.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Lösung: Es stellte den theologischen Vorbehalt nicht in Frage, überwand ihn aber durch die Unhintergehbarkeit des von der Heiligen geäußerten gött­lichen Willens: Gottes grenzenlose Gnade gegenüber den Unwissenden muss als Erklärung für das unerfreuliche Geschehen herhalten. Da man den rituellen Charakter der chansons in der Heiligenvigil nicht anerkennen konnte, musste man freilich jeden Anspruch auf korrekten liturgischen Vollzug aufgeben. Der Glaube der Bauern zählte, nicht die Orthopraxie! Nur so konnte die soziale und habituelle Differenz zwischen Wissenden (Klerikern) und Unwissenden (Bauern, Laien) aufrechterhalten werden. Das Wunder also wurde als Faktum akzeptiert (bzw. mutmaßlich inszeniert), nicht jedoch als dogmatische Offenbarung im Konflikt pro/contra Tanz und Gesang im Kirchenraum. Auf der Schwelle der Kirche trafen nicht nur in diesem Mirakelbericht die Laien mit ihren der weltlichen Musikpraxis entlehnten Devotionsformen und die Kleriker mit ihren liturgischen Vorschriften aufeinander. Nicht lange nach Bernhard von Angers sollte das Kölbigker Tanzwunder eine ganz ähnliche Konstellation ganz anders auflösen.128 Was das Mirakel aus Conques als »cantilena rustica« abqualifiziert, war keineswegs der oralen Kultur des Volkes entsprungen, sondern realiter vielmehr ein Produkt der Popularisierung von Glaubensinhalten durch geistliche Verfasser. Und der Reigen im Kirchenraum war auch nicht nur eine Angelegenheit der ungelehrten Laien. Vielmehr tritt er besonders im fränkischen bzw. französischen Raum immer wieder auch als para-litur­ gische Praxis von Klerikern in Erscheinung.

III.3.2 Desiderate 2: Sakraler Tanz und Tanz im Sakralraum Wie die kirchliche Sanktionierung und Regulierung des Tanzes in religiösen Kontexten, so ist auch dieser selbst im Detail noch kaum erforscht. So begnügt sich die Geschichtswissenschaft in der Regel mit dem anekdotischen Rekurs auf die immer gleichen Stellen in der älteren Literatur.129 Umso problematischer ist dieses Verfahren der Vermeidung von Quellenautopsie, weil das verwendete Set von Standardbelegen sich zu einem Gutteil auf die Auseinandersetzung der französischen Aufklärung, zumal Voltaires und Diderots, mit dem charismatisch-enthusiastischen Jansenismus um die Pariser Pfarrkirche Saint-Médard im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts zurückführen lässt.130 Der Thema­ 128 Vgl. unten, Kap. VI. 129 Darauf weist bereits hin: Chailley, La danse religieuse, S. 362 f. 130 Über diese vgl. Hecker, Tanzwuth, S.  73–77; Waller, Time to Dance, S.  95; Mazzoni, Legenda Germanica, S.  181 f. (Vergleich mit Kölbigker Tanz); Temkin, Falling Sickness, S. 224; Morgenthaler, Tanzepidemien, S. 279; Dinzelbacher, Körper und Frömmigkeit, S. 70 f.; Didi-Huberman, Mimetische Unbändigkeit; Goldstein, Moral Contagion, S. 185–187; allg.: Kreiser, Miracles; Maire, Les convulsionnaires; Vidal, Miracles et convulsions. Voltaire, © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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tisierung des religiösen Tanzes im mittelalterlichen Christentum ist so immer schon die Perspektive der rationalistisch-antiklerikalen und tendenziell ritualfeindlichen Aufklärer des 18. Jahrhunderts inhärent. In der aktuellen Tanzforschung dominiert der Blick auf die Frühe Neuzeit mit ihrer ungleich reicheren Quellenlage, so dass das Mittelalter vielfach nur als dunkles Zeitalter »vor« dem moralisch-konfessionellen Tanzdiskurs der Reformationszeit, dem angeblich erst in der Renaissance wieder rezipierten Neo­ platonismus und der Tanzliteratur der höfischen Gesellschaft erscheint. Das vorherrschende Paradigma der »Tanzfeindlichkeit der Kirche« führt zudem wiederum dazu, dass die verschiedensten Formen körperlicher Expressionen ohne Blick auf spezifische Gestalt, Funktion, Kontext und Sinngebung unter dem Rubrum »Tanz in der Kirche« subsumiert werden. Zudem werden dabei oft die verschiedensten Einzelbelege zu Zeugnissen für ein all­ gemeines Phänomen zusammengefasst, das dann etwa mit Annahmen über die Kontinuität paganer Kultformen kurzgeschlossen wird. Je nach konfessioneller oder religionspolitischer Orientierung der Verfasser werden diese expressiven Formen der religiösen Kommunikation zudem entweder unreflektiert mit disqualifizierenden Konzepten von (Massen-)hysterie verknüpft, oder aber als Residuum vor-rationaler Ekstasetechniken im europäischen Christentum gefeiert.131 Was also meint »religiöser Tanz« bzw. »Tanz in religiösen Kontexten«?132 Konstitutiv ist die Unterscheidung von sakral(isiert) und profan, wie sie auf der Grundlage antiker Konzepte in einem langen Prozess durch die christ­liche Theologie installiert worden war und immer wieder praktisch reproduziert werden musste. Sie ist nicht dualistisch, sondern als Kontinuum von kontroversen Aushandlungspositionen zu verstehen. Diese Unterscheidung kann also in jedem Fall nicht als emisch gegeben angenommen weren. Vielmehr ist sie zunächst (mit aller Vorsicht) als analytische Kategorisierung zu verwenden. Vor allem aber ist zu verfolgen, wie die Akteure selbst die Sakralität/Profanität von Räumen, Personen und Verhaltensformen immer neu definierten und so situativ erst konstituierten. Diskursiv ist diese binäre Unterscheidung ja seit den Kir­ iderot und andere Teilnehmer der Diskussion über die convulsionnaires zogen aus der D Tanzmeisterliteratur des 16./17. Jh. etwa den Hinweis auf die Tanzprozession zu Ehren des hl. Martial in Limoges, der bis heute in kaum einer tanzgeschichtlichen Arbeit fehlt; vgl. ­Sahlin, Étude, S. 178 f.; Haubrichs, Heiligenfest, S. 141; Chailley, La danse religieuse, S. 364; Rockseth, Danses cléricales, S. 96; Gougaud, La danse, S. 236; Davies, Liturgical Dance, S. 50; Waller, Time to Dance, S. 95; Stumpfl, Kultspiele, S. 138; Stieren, Tänzersage, S. 11 f.; Schwab, Hirsch und Hindin, S. 109 f.; Riché, (Art.) Dance, S. 406; Voss, Tanz, S. 62; Backman, Religious ­Dances, S. 109. Auch die convulsionnaires selbst erlangten wohl erst durch diese polemisch aufgeladene zeitgenössische Debatte ihre bis heute anhaltende Prominenz. 131 Vgl. oben, Kap. I.1.3. 132 Vgl. Gundlach, Tanz, S. 178–182. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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chenvätern angelegt. Ob und wie sie aber verwendet wurde, entschied darüber, wie sie mit Leben gefüllt wurde. Als »sakral« soll hier eine räumlich, zeitlich und/oder performativ definierte Sphäre der Transzendenz in der Immanenz verstanden werden, also der Auf­ lösung der Grenzen zwischen Jenseits und Diesseits, konkreter: der Kommunikation mit den höheren Mächten in der Welt. Diese Sphäre ist aus der Umwelt durch distinguierende Akte herausgehoben, womit zugleich das Gegenteil, die Sphäre des »Profanen« konstituiert ist. Diese Unterscheidung kann nun auf drei Felder angewendet werden: – auf Personen und ihre sozialen Rollen; – auf Verhaltensformen (hier: »Tanz« als Praxis wie als Metapher); – auf Räume, die durch diese Unterscheidung zeitlich und lokal spezifisch konstituiert wurden.133 Gegenstand der Aushandlung war also jeweils die Beurteilung einer Person bzw. ihrer situativ spezifischen Rolle, ihres Verhaltens und des Raumes, in dem dieses stattfand, entlang dieser theoretisch binären, praktisch viel­fältig ab­gestuften Unterscheidung von profan und sakral. Ein Tanz kann also aus drei verschiedenen Gründen erlaubt oder verboten werden: weil er als Praxis sa­k ral oder profan besetzt ist; weil die Tanzenden dazu spirituell legitimiert sind oder nicht; weil der Ort des Tanzes als Tanzraum legitimiert ist oder nicht. Dabei stehen die drei Vektoren in einem Wechselverhältnis: Darf eine profane Person in einem sakralen Raum tanzen? Darf eine sakrale Person an einer profanen Performanz teilnehmen? Ist ein Tanz per se sakral oder per se profan? Dies heißt, dass hier nicht nur das architektonisch definierte Kircheninnere als »Sakralraum« aufgefasst wird, sondern z. B. auch der durch eine Prozession temporär definierte Raum, der der religiösen Kommunikation dient und so für die Dauer des Rituals Sakralsphäre ist.134 Der Tanz selbst konnte so Sakralität nicht nur in Frage stellen, sondern auch konstituieren, wenn man annimt, dass er als Kommunikation mit transzendentalen Sphären konzipierbar war. Dabei war Tanz in der lateinischen Kirche tatsächlich nicht integraler Bestandteil der Liturgie im engen Sinn.135 Sehr wohl aber kam er vor im Umfeld liturgischer Handlungen, etwa an bestimmten Feiertagen bzw. im Rahmen bestimmter ritueller Handlungen. Wo er nicht als im Kern profan (oder pagan) und damit deviant konzipiert oder perzipiert wurde, kann man ihn als para­ 133 Über räumliche Konzepte von »sakral« und »profan« vgl. Hamilton/Spicer, Defining the Holy, S. 2–4; Hayes, Body and Sacred Place, S. xx–xxii. 134 Zur performativen Herstellung von Sakralität durch perambulatorische Praktiken vgl. unten, Kap. VI.5.2. 135 Gougaud, La danse, S. 7. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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liturgisch auffassen, als eine rituelle Praxis im zeitlichen und räumlichen Umfeld sakramentaler Handlungen.136 Konkret stellen sich also folgende Fragen: – Wer tanzt (professionelle Tänzer und Akrobaten, Frauen, Männer, bestimmte Schichten oder soziale Gruppen, alle Laien, Schüler, Mönche bzw. Nonnen, niedere Weihegrade, Priester, kirchliche Würdenträger)?137 – Wo wird getanzt (öffentliche Straßen/Plätze, Wirtshäuser, Kirchhöfe als öffentliche und/oder sakralisierte Räume, Gräberfelder im engeren Sinn, Vorhalle der Kirche,138 Kirchenschiff, Kapellen, Chor etc.)? – Wann wird getanzt (Hochfeste des Kirchenjahres, Wallfahrten, ­Kirchweihbzw. Patronatsfeste, andere Heiligenfeste, Karneval und andere Zeiträume der »verkehrten Welt«, Bestattungen, Hochzeiten und andere Übergangs­ rituale)?139 – Wie wird getanzt (musikalische und tänzerische Form, Begleitmusik, spezifischer örtlicher Rahmen)? – In welchem Rahmen wird getanzt (außerhalb der Gottesdienstzeiten, in der Liturgie, bei Prozessionen, im Rahmen mimischer Darstellungen, bei sakramentalen Akten)? – Was soll mit der körperlichen Performanz ausgedrückt bzw. erreicht werden (Kommunikation mit transzendenten Mächten, Kommunikation mit Toten, soziale Integration, mimische Darstellung einer bestimmten Handlungsrolle, spielerische Kurzweil, ritualisierte Ordnungsumkehr, intentionale Blas­phemie)? – Welche theologischen bzw. mythisch-religiösen Konzepte bilden den zugrundeliegenden Sinnhorizont (Kosmologie, Heilsgeschichte bzw. biblische Allegorese, vernakulare Narrative)? – Welche weiteren Formen der populären Devotion bilden den Kontext? – Findet der quellenmäßig belegbare Tanz im religiösen Raum einmalig oder gar spontan statt, oder hat er einen Regulierungsgrad und eine Regelmäßigkeit, die auf die Einfügung in liturgische oder im weiteren Sinn rituelle Ordnungsrahmen schließen lassen? – Wird der Reigen von den Beteiligten und/oder Außenstehenden als normenkonform oder als deviant wahrgenommen? Ist diese Devianz ggf. ihrerseits 136 Zellmann, Lusus erat, S.  37 mit Anm.  3; Soeffner, Ordnung der Rituale, Bd.  2, S. ­105–108; Müller, Ritual, pararituelle Handlung, geistliches Spiel, S. 64; Scribner, Ritual and Popular Religion, S. 71 f. (für das 16. Jh.). 137 Auf die Unterscheidung von Klerikertanz und Laientanz in der Kirche weisen hin: Backman, Religious Dances, S. 50; Horowitz, Danses cléricales, S. 286–288. 138 Zum atrium (Kirchhof) und zur Torhalle (»Paradies«) als Tanzort vgl. Backman, Religious Dances, S. 160; Lauwers, Naissance du cimetière, S. 140 ff.; Sommer, Heidnische und christliche Normen, S. 177. 139 Vgl. Koch, Salomés Schleier, S. 74; Sahlin, Étude, S. 177–182. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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in soziale Ordnungsmuster integriert (z. B. Karneval), oder dient sie dem Konfliktaustrag? – In welchen kirchlichen und territorialen Großräumen sind die so beschreibbaren Formen belegt? Wo zeigen sich Häufungen oder Leerstellen, die für spezifische kulturelle Sonderentwicklungen sprechen? Bei alledem bleibt grundsätzlich zu beachten, dass für viele einschlägige Er­ eignisse die Quellen nur die Sicht theologischer oder moralischer Kritiker dokumentieren. Die Konzepte der Tanzenden sind zumeist allenfalls aus dem Kontext erschließbar oder bleiben uns verborgen. In jedem Fall stellte der Tanz im religiösen Raum eine umstrittene Form dar, deren Gültigkeit und Möglichkeit immer neu ausgehandelt werden musste und der latent erhebliche Gefährdungspotentiale für die kultische und moralische Reinheit und die ritualle Orthopraxie zugeschrieben wurden. Wo diese Regelungskonflikte für uns sichtbar werden, bleiben die Quellen durch die der jeweiligen Sprecherposition eigenen engen Grenzen des Sagbaren gekennzeichnet: Über die ihm vielleicht durchaus bekannten religiösen Intentionen der unwissenden Bauern konnte ein theolo­gischer Kritiker nicht sprechen, ohne den rituellen Charakter ihrer Praktiken anzuerkennen, den er ja gerade negieren wollte. Deshalb bot sich die stereotype Exklusion der laikalen Devotionsformen als superstitiös oder pagan, als dia­bolisch/dämonisch oder unzüchtig/unmoralisch geradezu an  – ohne dass daraus für die Suche nach den realen Hintergründen viel zu ge­ winnen wäre. Zu beachten ist, dass sich der Charakter und die Wahrnehmung des Kirchenraumes in einem vom frühen Mittelalter bis zum konfessionellen Zeit­ alter laufenden Prozess sukzessive wandelte: Je mehr der Versammlungsort der Gläubigen mit seinen einzelnen Teilräumen (Schiff, Kapellen, Seitenschiffe, Chor, Krypta etc.) und seinem Umfeld (Friedhof, Kirchhof) sakralisiert wurde, desto mehr verschob sich die Bedeutung von Tanz in diesen Räumen.140 Umgekehrt ließen sich an den Konflikten über Tanz und Kirchenraum der Wandel, die Entwicklung und Durchsetzung von Konzepten von räumlich gebundener Transzendenz (Sakralität) und kultischer Reinheit ablesen. Eine vergleichende Erfassung der einschlägigen Quellen müsste wohl wiederum zumindest den lateineuropäischen Raum von der Spätantike bis zum 18. Jahrhundert in den Blick nehmen. Eine Beschränkung etwa auf die Zeit vor 1500 liefe Gefahr, entscheidende Wandlungsprozesse im Verhältnis von Christentum und Tanz auszuklammern, wurden körperliche Expressionen im sakralen Raum doch gerade in den Auseinandersetzungen des konfessionellen Zeitalters höchst kontrovers thematisiert. Pro-reformatorische Polemiken assoziierten die Frömmigkeitspraxis der Katholiken mit den Superstitions-Stereo 140 Vgl. unten, Kap. VI.5.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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typen des Mittelalters. Andererseits hatten auch die reformatorischen Kirchen immer wieder mit charismatischen Bewegungen zu tun, die Tanz und körper­ liche Expressivität in die Frömmigkeitspraxis zu integrieren suchten, was wiederum der katholischen Seite Anlass zur Polemik gab. Mit der Durchsetzung des tridentinischen Katholizismus im 17.  und der »katholischen Aufklärung« im 18. Jahrhundert wurden schließlich viele Formen der religiösen Praxis zum Problem, die zuvor zumindest lokal geduldet worden waren. Für die Erforschung des Verhältnisses der Kirchen zum Tanz als Praxis wie als Metapher sind diese kontroversen Diskurse des 16. bis 18. Jahrhunderts schon deshalb unverzichtbar, weil gerade in ihnen unser Thema erst quellenmäßig greifbar wird. Was zuvor entweder unbestritten praktiziert oder aber wegen seiner latenten Problematik gezielt unter der Schwelle schriftlicher Explikation gehalten wurde, wird nun in der Konfliktsituation manifest. Freilich wird man in diesem Zeithorizont belegte Tänze im sakralen Raum nicht einfach auf frühere Epochen zurückprojizieren können. Vielmehr dürfte die religiös-spirituelle Krise des lateinischen Christentums auch als Such­ bewegung aufzufassen sein, in der viele neue Versuche unternommen wurden, auf der Grundlage älterer theologischer Diskurse neue Wege der Kommunikation mit der Transzendenz zu finden. Besonders unter dem Eindruck der Hochkonjunktur der Rezeption des spätantiken Neoplatonismus, Hermetismus und Gnostizismus seit dem 15. Jahrhundert ist also auch mit der Ausbildung ganz neuer Kultformen zu rechnen. Diese freilich konnten an eine lange mittelalterliche Tradition anknüpfen. In einem zweiten Schritt könnte und müsste die Erforschung des religiösen Tanzes in vergleichender Perspektive auf nicht-lateinische Christianitäten und auch auf die islamische und jüdische Nachbarkultur ausgedehnt werden. In der tanzgeschichtlichen Forschung sind entsprechende Parallelen bisher durchweg anekdotisch und unsystematisch abgehandelt worden.141 Allenfalls konstruierten kulturgeschichtlich dilletierende Verfasser auf der Grundlage phänomenologischer Ähnlichkeiten angebliche Kulturtransfers. Oft standen einschlägige Ausführungen ihrerseits im Kontext der konfessionellen oder pathologisierenden Polemik. Der Tanz in der Kirche wurde so als Indiz für die vormoderne Irrationalität des Mittelalters wie der kolonialen Indigenen lesbar. Vielfach dienten spekulative Behauptungen von Kulturtransfer der Disqualifikation mittelalterlicher religiöser Praxis als »synkretistisch«. Oder aber der anekdo­tische Rekurs auf rituellen Tanz in den verschiedensten Gesellschaften dient der Legitimation heutiger religiöser Praktiken. Zu erforschen wären vielmehr: 141 Zum Tanz im Judentum vgl. etwa Salmen, Tanz und Tanzen, S.  34–39, 82, 88–90; Schulz, Bild, S. 241; zum mystischen Tanz des islamischen Sufismus nur: Rouget, Music and Trance, S. 255–314. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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– konkrete Austauschprozesse etwa in Kontaktzonen zwischen jüdischer, islamischer und christlicher Kultur, für die wiederum die einleitend beschriebenen unterschiedlichen Formen der Adaptation – Akkulturation, Iteration, Kontrafaktur, Inversion etc. – anzunehmen wären;142 – das Fortwirken der gemeinsamen kulturellen Wurzeln aller drei religiösen Systeme in der antiken Philosophie und Kultur;143 – die Verwendung von »Tanz« als Metapher für das Fremde in der christlich-europäischen Kultur, etwa in der »Morisken«-Topik in anti-islamischen Selbstvergewisserungsdiskursen.144 Als Quellenbasis bieten sich zunächst die normativen Texte zur Regulierung des Tanzes in religiösen Kontexten an, ebenso chronikalische bzw. historiographische Nachrichten. Erfassen diese in der Regel nur deviante (bzw. von ihnen als deviant klassifizierte) Phänomene, so kommt der zumindest zeitweise normenkonforme sakrale Tanz eher in hagiographischen, hymnologischen und liturgischen Quellen in den Blick. In der Forschung bisher selten versucht worden ist ein Zugang über Verwaltungsschriftgut, etwa über Protokolle und Rechnungsbücher, die Aufschluss über die alltäglichen Rahmenbedingungen von para­ liturgischen Reigen geben könnten.145 Dabei bliebe zu beachten, dass »Tanz« bzw. das für ihn stehende Quellen­ vokabular immer zugleich eine reale Performanz und eine verbreitete Metapher mit vielfältigen Bedeutungsebenen meinen kann. Besonders theologisch re­f lektierte Texte sprechen vielfach eben nicht von wirklichen Reigen, sondern vom meditativen Nachvollzug einer mystischen Vorstellung oder gar nur von einer Metapher für demütiges Gebet. Nicht zu jedem Tanzlied ist auch getanzt worden.

142 Vgl. oben, Kap. I.3.3; zur (kirchlich sanktionierten) Beteiligung eines jüdischen Tanzmeisters an Kirchentänzen in Zaragossa (1313) vgl. Backman, Religious Dances, S. 96; 1480 dekretierte der Rat von Madrid, dass Juden und Mauren sich mit ihren Tänzen an der christlichen Prozession zu Corpus Christi beteiligen sollten, Foatelli, Danses religieuses, S. 69. 143 Zur Kontinuität des Platonismus in der islamischen Mystik (Sufismus) vgl. Rouget, Music and Trance, S. 258–311; Schulz, Bild, S. 110–117. 144 Zum »Morisken«-Tanz vgl. nur Stokes, Processional Entertainment; zur Lippe, Natur­ beherrschung am Menschen, Bd.  1, S.  109; Bandmann, Melancholie und Musik, S.  67– 70; ­Forrest, History of Morris Dancing (auf England beschränkt); Sorell, Tanz als Spiegel, S. ­56–58; Voss, Tanz, S. 242 f., 313, 356; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 132–136 mit Abb. 62 (S.  225) und 94 (S.  243); Berghaus, Neoplatonic Notions, S.  54–61; Hausamann, Salome, S. 361–365; Davies, Liturgical Dance, S. 58 f. 145 Vgl. zu den Bannprozessionen an Pfingsten in Salisbury und anderen Kirchen­tänzen ebendort Douglas, »Owre Thansynge Day«; Davies, Liturgical Dance, S.  54; auch für die Tanzwut-Wallfahrten des 16. und 17. Jh. konnten auf diesem Weg neue Erkenntnisse erzielt werden, vgl. vorerst Kap. I.1.1 und VII.3.9. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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III.3.3 Typologie eines vielgestaltigen Phänomens In welchen Kontexten wurde nun in Kirchen bzw. im Umfeld von sakralen Orten und Handlungen getanzt?146 Eine Reihe von mehr oder weniger weitverbreiteten Formen zeichnet sich ab: – Schon seit der Spätantike sind Tänze bei christlichen Bestattungen und Toten­feiern überliefert. Diese Form lässt sich auch in Mittelalter und Frühneuzeit immer wieder beobachten. Erst sehr spät wurden diese Reigen durch das reine Totenmahl, den »Leichenschmaus« verdrängt.147 In der Forschung werden diese  – der Superstitionsliteratur des Mittelalters unkritisch fol 146 Grundlage des folgenden Überblicks ist wiederum eine Synopse der in der ein­ schlägigen Sekundärliteratur erwähnten Fälle. Erfasst wurden alle örtlich und zeitlich konkreten Erwähnungen von Tanz in oder an Kirchen, im Kontext religiöser Feiern oder durch Kleriker sowie durch Mönche/Nonnen, mit Ausnahme von Tanzrollen in Mysterienspielen etc. Nicht aufgenommen wurden aus heuristischen Gründen außerdem die Tanzwut­ wallfahrten des 16. und 17. Jh. Ausgewertet wurden die Zusammenstellungen bei: Backman, Religious Dances; Koal, Detestatio, S. 21 f.; Stieren, Tänzersage, S. 11 f., 23–28; Dahms/Bröker, (Art.) Tanz, S. 266 f.; Sahlin, Étude; Gougaud, La danse, S. 232–245; Rockseth, Danses cléri­ cales, S. 95–98; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 24–32, 43 f.; Foatelli, Danses religieuses; Bertaud, Danse religieuse, Sp. 34 ff.; Schulz, Bild, S. 63a, 97, 101 f., 104 f., 109p; Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S.  99; Horowitz, Danses cléricales, S.  284–291; Davies, Liturgical Dance, S. 43–71; Riché, Danses, S. 163–166 (auf problematischer Quellenbasis); Riché, (Art.) Dance, S. 406; Haubrichs, Heiligenfest, S. 141 f.; Chailley, Danse religieuse, S. 359–371; Stumpfl, Kultspiele, S. 136–141; Schwab, Hirsch und Hindin, S. 109 f.; Voss, Tanz, S. 58–62, 215; Zimmermann, Engelsreigen, S. 105, 136; Balogh, Tänze, S. 10; Braekman, Dansomanie, S. 120. Vgl. außerdem zu Prüm und Echternach unten, Anm. 168 und 169. – Außerdem flossen Einzel­ belege aus folgenden Titeln ein: Jungmann, Tanz, Tod und Teufel, S. 19; Kouthen, Echternach, S. 434; Miller, Measures of Wisdom, S. 390; Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 325 f., 337, 362 f., 593; Kleine, Gesta, Fama, Scripta, S. 372–374; Waller, Time to Dance, S. 95; Schmitt, Logik der Gesten, S. 87; Delumeau, Paradis, S. 211 f.; Delumeau, Angst, S. 137 f., Hausamann, Salome, S. 119, 399 f., 420; Hayes, Body and Sacred Place, S. 64 f.; Vaultier, Folklore, S. 167–170; Beek, De geestesgestoorde, S. 240; Meisen, Springprozessionen, S. 166 f.; Rodacanacchi, La danse en Italie, S. 585; Douglas, »Owre Thansynge Day«, S. 43 ff.; Brunner, Städtisches Tanzen, S. 51; Ehrenreich, Dancing in the Streets, S.  107; Flake (Hg.), Montaigne, S.  55; Ottersbach, Einführung, S. 34 f.; Morgenthaler, Tanzepidemien, S. 281; Zirbt, Jak se kdy v Čechách Tacnovalo, S. 54; Wähler, Kinderkreuzzug, S. 72; McMullen, Christianity and Paganism, S. 105 f. – Im Ergebnis führt dies zu einem sicher nicht repräsentativen oder gar erschöpfenden, aber doch aufschlussreichen Bestand von 248 belegbaren regelmäßiger ausgeübten Tanzritualen oder singulären Tanzereignissen in religiösen bzw. sakralen Kontexten aus dem lateinischen Europa im Zeitraum vom 5. bis zum 18. Jh. (Stand Mai 2012). Zur geographischen Verteilung vgl. unten, Kap. IV.1. Für Italien vgl. neuerdings: Zimei, ›Tucti vanno ad una danza‹. 147 Balogh, Tänze, S. 2, 7–9, 12 f.; Wetter, Les danses, S. 9–11; Panzer, Tanz und Recht, S.  23 f., 29 f., 34; Backman, Religious Dances, S.  41, 137–140; Ilg, Gesänge, S.  7 f.; Sommer, Christliche und heidnische Normen, S. 180; Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 30–38; Löffler, Studien zum Totenbrauchtum, S. 63–67; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 50 f.; Chailley, La danse, S. 360–362; Ruél, Les Chrétiens, S. 83 f.; Gurjewitsch, Volkskultur, S. 159. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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gend – bis heute oft pauschal als Rudimente paganen Totenkults gedeutet.148 Noch Jean-Claude Schmitt hat den Tanz auf den Gräbern als Kommunikation mit den Ahnen deuten wollen.149 Dafür wäre aber zu belegen, dass ein Tanz auf dem Kirchhof überhaupt unmittelbar auf bzw. an den Gräbern stattfand. Denn da der Kirchhof (atrium) auch zu nicht-kirchlichen Zwecken benutzt wurde, war zumal im früheren Mittelalter vielfach das konkrete Bestattungsareal (cemeterium) wesentlich kleiner als der eingehegte Raum um die Kirche.150 Vor allem jedoch beruht diese auf kulturanthropologischem Vergleich basierende These nicht auf einer präzisen Analyse der christlichen Bestattungsrituale als rites de passage, die eben von einer spezifischen Konzeption des Verhältnisses von Lebenden und Toten ausgingen.151 – Ähnlich gelagert sind die seit der Wende zum 15. Jahrhundert überlieferten performativen Umsetzungen des Totentanz-Themas.152 – Schon seit dem 4. Jahrhundert kennen wir auch stereotype Klagen und sachliche Berichte über Tänze und ausschweifende Feste bei Märtyrerfesten.153 Ebenso ist für das Frühmittelalter der Tanz im Zusammenhang des Heiligenkultes gut belegt, etwa – wie erwähnt – zu den Vigilien (Nachtwache) vor dem alljährlichen Fest eines Heiligen, und bei elevatio, translatio und adventus von Reliquien.154 – Wohl nicht vorschnell mit diesen Formen in Verbindung zu bringen sind vernakuläre Tanzspiele im Umfeld der Kirchen.155 Diese dürften oft vor allem den sozialen Zentralort verwendet haben, der freilich durch die zunehmende Sakralisierung des Kirchhofs als Friedhof sukzessive für als profan exkludier 148 Braekman, Dansomanie, S. 350; Meinecke/Schmidt-Wiegand, (Art.) Indiculus superstitionum; Stumpfl, Kultspiele, S. 154–158; Wähler, Kindertanzzug, S. 71 f.; Backman, Religious Dances, S. 42 f.; Chailley, La danse, S. 360; Zimmermann, Engelsreigen, S. 58–60. 149 Schmitt, Logik der Gesten, S. 88; Ders., Danse des chevaux; vgl. Wähler, Kindertanzzug, S. 73; Backman, Religious Dances, S. 133–142; Lauwers, Naissance du cimetière, S. 263 f.; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 22. 150 Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S.  81–85; Zadora-Rio, Making of Churchyards, S. ­13–16. 151 So Diefenbach, Römische Erinnerungsräume, S. 55–61, für das Totenmahl im Kontext des spätantiken christlichen refrigeriums. 152 Vgl. Kap. III.4.4. 153 Gougaud, La danse, S. 10; Andresen, Altchristliche Kritik, 362 f.; Lucius, Anfänge des Heiligenkultes, S. 322 ff. 154 Vgl. oben, Kap.  III.1; grundlegend, aber problematisch: Riché, Danses; Hen, Culture and Religion, S. 84–88; Backman, Religious Dances, S. 86; Sahlin, Étude, S. 158 f.; Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 96 f.; Haubrichs, Heiligenfest, S. 134–142; Kleine, Gesta, Fama, Scripta, S. 374 mit Anm. 239. 155 So auch Schwab, Hirsch und Hindin, S.  103; ob es sich dabei um im Kern profane oder religiöse Bräuche gehandelt habe, war schon in der älteren Forschung umstritten, vgl. Stumpfl, Kultspiele, S. 131 f.; einen rein profanen Zeitvertreib postuliert Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 96 f.; ebenso grenzt Kyll ebd., S. 99–101, diese ludi der Laien wohl zu apodiktisch vom geistlichen Spiel ab. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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bare Aktivitäten heikel wurde. Andererseits werden hier Formen der laikalen Devotion greifbar, die auf nurmehr sehr mittelbar verständliche Weise christlichen Kult und populäre Konzepte verbanden. All diesen Fällen ist gemeinsam, dass unsere Quellen fast durchweg aus der disqualifizierenden und stereotypisierenden Perspektive der Theologie und Seelsorge geschrieben sind.156 – Weniger in den Kreis der Devianz, als vielmehr in jenen der performativen Realisierung der Heilsgeschichte gehören Rituale wie das in der älteren Forschung vielfach wohl weit überschätzte »Narrenfest« oder die Wahl eines Knabenbischofs, das Fest des Königreichs am Dreikönigstag etc., für die mehr oder weniger zentral auch Tänze in bzw. an Kirchen überliefert sind.157 Während die ältere Volkskunde diese stark verallgemeinernd als karnevaleske Umkehrungsrituale in paganer Kontinuität sehen wollte,158 werden sie heute als rituelle Reproduktion des Sieges von Licht über Finsternis, Gut über Böse etc. interpretiert. Sie sind auch sicherlich nicht als pagane Rudimente oder sozialpsychologische Ventilinstanzen, sondern als integraler Bestandteil der christlichen Festkultur im Jahreskreis zu sehen.159 – Der Tanz der Gläubigen am Patronats- bzw. Kirchweihfest stellt insofern eine Sonderform dar, als er an einem religiösen Fest, in der Regel jedoch in Form einer profanen Feier außerhalb des Sakralraumes stattfand.160 Mancherorts hatte er seinen Platz jedoch in der Kirche. Zu fragen wäre auch nach dem konkreten Verhältnis von Tanz und Festmahl etwa zur liturgischen Pro­ zession. Auch ist der dörfliche Tanzplatz oder das Wirtshaus ja vielfach in enger räumlicher Nähe zur Kirche zu suchen. Die – in jedem Fall anachronistische und etische  – Unterscheidung von »sakral« und »profan« ist hier also höchst problematisch. Erst noch zu untersuchen wäre, inwieweit sich das früh­neuzeitliche profanisierte Patronats- bzw. Kirchweihfest aus »sakraleren« Formen, etwa dem Heiligen-tripudium um die oder in der Kirche entwickelt hat. Ebenso ist für die frühneuzeitlichen Konfliktfälle die Frage, ob hier Tanz noch als Devotionsform verhandelt wurde, oder ob nicht eher die Sakralität des Kirchengebäudes für durchaus als profan konzipierte Aktivitäten durchbrochen werden konnte.161 156 So schon Backman, Religious Dances, S. 95. 157 Ebd., S. 35, 50–66; Sahlin, Étude, S. 152 f., 181 f.; Davies, Liturgical Dance, S. 48 f., 51 f.; Gougaud, La danse, S. 234; Jungmann, Tanz, Tod und Teufel, S. 85–92; Scribner, Ritual and Popular Religion, S. 59 f. 158 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 359–366; Gurjewitsch, Volkskultur, S. 260–311. 159 So schon Backman, Religious Dances, S.  59–64 (eher spekulativ); Moser, Fastnacht und Fronleichnam; allg. jetzt Fugger, Königreich. 160 Jung, Körperlust und Disziplin, S. 124 ff.; Panzer, Tanz und Recht, S. 20 f.; Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 101; Sahlin, Étude, S. 180. 161 Gut untersucht sind diese Ambivalenzen für England: Stumpfl, Kultspiele, S. 150–153; Davies, Liturgical Dance, S. 47 f., 58; Forrest, History of Morris Dancing, bes. S. 28–30; Johnston, Introduction, S. 9 f.; Douglas, »Owre Thansynge Day«. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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– Mit dem Aufkommen geistlicher Spiele, etwa der Mysteriendramen, war die tänzerische Ausgestaltung bestimmter Rollen verbunden. Dies galt vor allem für negativ konnotierte Figuren wie Salome/Herodias, Maria Magdalena vor der Bekehrung, »die Juden« im Passionsspiel oder den Teufel bzw. die Dämonen, aber auch etwa für David oder Josef in der Weihnachtsgeschichte. Das Ende des Mysterienspiels markierte vielfach die Aufforderung an die Zuschauer zum gemeinsamen Reigen.162 – Mit diesem szenischen Spiel ist der mimisch ausgestaltete Tanz von bestimmten sozialen Gruppen, Bruderschaften oder Schülern etwa, im Rahmen geistlicher Prozessionen verwandt.163 Diese Form scheint seit dem Spätmittelalter vor allem in Spanien verbreitet.164 Zu untersuchen wäre, inwieweit hier Einflüsse des mozarabischen Ritus anzunehmen sind.165 – Tanzprozessionen ganzer Gemeinden finden sich etwa bei den alljähr­ lichen Bannfahrten aus ländlichen Pfarreien zu ihren Patronatskirchen im Maas-Mosel-Eifel-Raum zu Pfingsten166  – etwa von Verviers nach Lüttich,167 in Prüm168 und – am bekanntesten – in Echternach.169 Ganz ähn 162 Sorell, Tanz als Spiegel, S.  35 f.; Salmen, Tanz und Tanzen, S.  58–66; Schulz, Bild, S. 190 f.; Zimmermann, Engelsreigen, S. 114, 136; allg.: Schmitt, Logik der Gesten, S. 259–264; Hammerstein, Musik der Engel, S. 71–75; Angenendt, Geschichte der Religiosität, S. 421. 163 Davies, Liturgical Dance, S. 53 (am Beispiel einer Corpus Christi-Prozession); Voss, Tanz, S. 60 f.; Foatelli, Les danses, S. 72; Backman, Religious Dances, S. 85 f, 107 (alle über Lissabon 1610). 164 Backman, Religious Dances, S. 97 ff.; Koch, Salomés Schleier, S. 292 f. Immer wieder zitiert wird der Tanz der Los Seises in Sevilla, vgl. dazu Riché, (Art.) Dance, S. 406; Koal, Detestatio, S. 21; Foatelli, Les danses, S. 83 f., 92 f.; Gougaud, La danse, S. 243 f.; Davies, Liturgical Dance, S. 54–70; Zimmermann, Engelsreigen, S. 105; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 24, 26; Backman, Religious Dances, S. 77 ff., Sahlin, Étude, S. 151. Ähnliche Traditionen lassen sich jedoch in vielen spanischen Orten feststellen. 165 Sahlin, Étude, S.  151; zur Lippe, Naturbeherrschung am Menschen, Bd.  1, S.  110; Backman, Religious Dances, S. 84 (über Toledo); Voss, Tanz, S. 57 f. (dito); Davies, Liturgical ­Dances, S. 54 (Toledo und Sevilla). 166 Backman, Religious Dances, S.  75 f.; Stieren, Tänzersage, S.  22 ff. (erwähnt Tanz­ prozessionen in Pecquencourt, Evreux, Tournai, Chalons-sur-Marne); Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S.  99 (Helenenberg bei Welschbillig; St. Thomas in Bitburg); Sahlin, Étude, S. 169 (mit z. T. zweifelhaften Belegen); über Pfingsten als populäres Festdatum vgl. Schmitt, Danse de chevaux, S. 142–149. 167 Beek, De geestesgestoorde, S.  240; Davies, Liturgical Dances, S.  52; Sahlin, Étude, S.  163; Gougaud, La danse, S.  236 f.; Backman, Religious Dances, S.  113; Meisen, Spring­ prozessionen, S. 166 f.; Stieren, Tänzersage, S. 23 f. 168 Heinz, Prümer Springprozession; Schneider, Wallfahrten und Wallfahrts-Prozessionen, S.  61 f.; Stieren, Tänzersage, S.  26; Salmen, Tanz und Tanzen, S.  30; Backman, Religious Dances, S. 120, 126 f.; Kouthen, Echternach, S. 430; Schroeder, Kulttänze, S. 188; Meisen, Springprozessionen, S. 165 f.; Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S. 234; Sahlin, Étude, S. 169; Davies, Liturgical Dance, S. 51. 169 Die Echternacher Springprozession wird seit den Bollandisten (vgl. Backman, Religious Dances, S. 116 f.) und Müller, Abhandlungen, S. 11–15 (1819), beinahe regelmäßig mit der spätmittelalterlichen Tanzwut in Verbindung gebracht; so etwa noch bei Waller, Time to © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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liche Tanzprozessionen sind jedoch auch für das südenglische Salisbury überliefert.170 – In manchen Regionen Lateineuropas, zumal im französischsprachigen Raum, war bis zum 17./18. Jahrhundert der Tanz des örtlichen Stiftsklerus in spezifischen liturgischen Situationen überraschend weit verbreitet, zumal an Ostern (Labyrinth-Tänze mit Ballspiel).171 – In Nonnenklöstern und Beginenhäusern, im südlichen und östlichen Deutschland aber auch in Pfarrgemeinden, kennt man tänzerische Formen der Verehrung des »Christkindes« an Weihnachten (»Kindelwiegen« etc.).172 – Wie in den eingangs erwähnten sepulchralen oder funeralen Kontexten konnte Tanz auch bei anderen rites de passage eine konstitutive Rolle einnehmen, vor allem bei Hochzeiten. Diese vielfach als rechtserheblich für das wirksame Zustandekommen der Eheverbindung angesehenen Tänze des Brautpaares und/oder der Brauteltern hatten ihren Ort in der Kirche bzw. in ihrem Eingangsbereich.173 Dance, S. 91; Bergdolt, Veitstanz, S. 91; Strasser, Sankt Vitus, S. 561; Winkle, Geißeln, 32005, S. 1097; völlig ahnungslos Krack, Relicts. Königs, Der heilige Vitus, S. 205, behauptete gar, die Prozession finde zu Ehren des hl. Vitus statt. Mittlerweile ist diese Assoziation auch in die populär-religiöse Selbstbeschreibung der Beteiligten und der örtlichen Kirche eingegangen. Nichtsdestoweniger dürfte es sich um eine moderne Fehlinterpretation handeln; so auch Backman, Religious Dances, S. 116 f.; Gougaud, La danse, S. 242; Sahlin, Étude, S. 163. Die Springprozession steht vielmehr im Kontext der regional benachbarten Bannprozessionen und ist allenfalls sekundär mit einem Krankheitspatronat gegen Krämpfe, Fallsucht etc. versehen worden; vgl. neuerdings Schneider, Wallfahrten und Wallfahrts-Prozessionen, S. 61 f.; weitere Literatur in Auswahl: Temkin, Falling Sickness, S.  101; Chailley, La danse, S.  357; Backman, Religious Dances, S.  116 ff.; Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S.  129 ff., 234 f.; Meisen, Springprozessionen, S. 164 ff., 176 ff.; allg.: Kiesel/Schroeder (Hg.), Willibrord; Salmen, Tanz und Tanzen, S.  56; Stieren, Tänzersage, S.  27; Stumpfl, Kultspiele, S.  133 ff.; Schroeder, Herkunft, S. 189; Gougaud, La danse, S. 240 ff.; Sahlin, Étude, S. 160 f.; Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 98 f. 170 Douglas, »Owre Thansynge Day«, S. 43 ff.; Backman, Religious Dances, S. 108. 171 Am bekanntesten sind wohl die Pelota von Auxerre (13.–16. Jh.) und die Bergerette von Besançon: Koal, Detestatio, S. 21; Rockseth, Danses cléricales, S. 98; Gougaud, La danse, S. 235 f.; Davies, Liturgical Dance, S. 52–60; Sahlin, Étude, S. 147–149, Horowitz, Danses cléricales, S.  284, 291; Balogh, Tänze, S.  10; Backman, Religious Dances, S.  66 ff., 74 f.; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 25; Doob, Idea, S. 123 ff.; Wright, The Maze, S. 139–145. Diese Reigenspiele von hohen Klerikern stehen jedoch wiederum im Kontext vielfältiger ähnlicher Rituale an anderen Kathedralkirchen, vgl. unten, Kap. III.5.3. 172 Drage Hale, Rocking the Cradle; Sahlin, Étude, S. 182; Scribner, Ritual and Popular Religion, S. 60; Backman, Religious Dances, S. 127 f.; Wähler, Kinderkreuzzug, S. 72; Voss, Tanz, S. 215; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 29 f., 43 f.; Schulz, Bild, S. 101 f.; Ottersbach, Einführung, S. 34 f.; Davies, Liturgical Dance, S. 60. 173 Jungmann, Tanz, Tod und Teufel, S. 19; Gougaud, La danse, S. 14; Backman, Religious Dances, S. 127 f.; Schulz, Bild, S. 102 f.; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 44–49; Panzer, Tanz und Recht, S. 86–95; Sahlin, Étude, S. 182–185; Bertaud, Danse religieuse, Sp. 32; Foatelli, Danses religieuses, S. 89 f.; Davies, Liturgical Dance, S. 59; zur theologischen Ablehnung von Hochzeitstänzen seit der Patristik vgl. Hammerstein, Musik der Engel, S. 257 mit Anm. 73. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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– Ebenso markierte in manchen Regionen ein Reigen des Kandidaten auch die Primiz des Priesters bzw. die Profeß der Nonne oder des Mönchs. An diesen klösterlichen Festtänzen nahmen vielfach offenbar auch Laien als Gäste teil.174 – Von solchen stark rituell gefassten Formen sind jene klösterlichen Mystiker und vor allem Mystikerinnen zu unterscheiden, die zumal im monastischen Raum den Tanz als religiöse Ausdrucksform wählten – und so die heikle Distinktion zwischen meditativem, innerem und realem, körperlichem Nachvollzug durchbrachen. Ihr Verhalten blieb theologisch umstritten, und daher nur mystisch besonders legitimierten Spezialistinnen zugänglich.175 – Als Teil der schulischen Ausbildung, aber auch der allgemeinen klöster­ lichen Kultur konnte Tanz auch abseits liturgischer oder ritueller Zwecke im Kloster­leben auftauchen. Die Abgrenzung von »paraliturgischen Formen« ist im Einzelfall schwierig.176 – Im Kontext der eben beschiebenen Formen, aber auch unabhängig von diesen, spielen körperlich-expressive Formen der Devotion immer wieder auch bei spontanen religiös-enthusiastischen Bewegungen eine Rolle.177 Wieweit diese dann als »Tanz« konzipiert oder eher mit anderen positiven wie nega­ tiven Begriffen für ekstatische Überschreitungsphänomene belegt wurden, ist schlicht von der Perspektive der Beobachter abhängig. Freilich ist bei solchen Fällen immer auch zu beachten, dass ekstatischer Tanz wie sexuelle Promiskuität zugleich als stereotypes Beschreibungsmotiv der Häresiologie diente. Wie also sind die jeweiligen Quelleninformationen zwischen Devo­ tionspraxis und diskursivem Topos einzuordnen? – Eher situativ zu erklären oder analog zu außerkirchlichen Festbräuchen zu sehen sind Fälle, in denen Kleriker oder Laien anlässlich von Festen (Be­ grüßung eines vornehmen Gastes, Einholung eines an seinen Residenzort 174 Voss, Tanz, S. 279; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 27–29; Backman, Religious Dances, S. 91; Panzer, Tanz und Recht, S. 15, 33 f.; Ruél, Les Chrétiens, S. 90; Horowitz, Danses cléricales, S. 287; Gougaud, La danse, S. 232 (Verbot in Paris von 1547); Davies, Liturgical Dance, S. 47, 59 (dito); Koal, Detestatio, S. 21 (dito); Ilg, Gesänge, S. 12 f. (Verbote in Magdeburg 1403 und Meißen 1413); Waller, Time to Dance, S. 134 (Straßburg 1518: Tänze bei der Primiz werden vom allgemeinen Tanzverbot ausgenommen). 175 Etwa die Karmelitererinnen Anna de Jésus, Maria del Incarnation und Theresa von Avila (17. Jh.), vgl. Foatelli, Danses religieuses, S. 70; Bertaud, Danses religieuses, Sp. 35 f. 176 Für die Frühneuzeit: Brunner, Städtisches Tanzen, S.  51; für das Jesuitendrama: ­Arcangeli, Davide o Salomé, S. 125–128; Burschel, Sterben und Unsterblichkeit, S. 268, zum Kontext in der neoscholastischen Affektenlehre vgl. ebd., S. 277 ff.; eine Form des wohl paraliturgischen Tanzes von Mönchen und Gästen im Kloster erwähnt Schulz, Bild, S. 109p, für Florenz im Jahr 1497; ähnliche Fälle: Salmen, Tanz und Tanzen, S. 30 f. 177 Etwa im sog. Täuferreich von Münster 1534/35, vgl. Cohn, Paradies, S. 288, 295, 308; Knottnerus, Wiedertäufer, S. 21–23; Kat. Münster 800–1800, S. 142; Voss, Tanz, S. 279; Schulz, Bild, S. 109p. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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zurückkehrenden Bischofs o. ä.) Tänze aufführten.178 Wie der adventus des Heiligen war etwa die Einholung eines Fürsten immer zugleich Imitation des Einzugs Jesu in Jerusalem und insofern massiv sakral aufgeladen. Von Fall zu Fall bliebe hier zu klären, ob dieses Verhalten als religiöse oder profansoziale Kommunikation aufgefasst wurde, und vor allem: ob es problema­ tisiert wurde. – Von all diesen Formen zu unterscheiden sind intentional konfrontative, nicht normenkonforme Vorfälle, bei denen bestimmte Gruppen in Konflikten mit kirchlichen Instanzen zum Tanz als habitualisiertem Mittel der blasphe­ mischen Entweihung sakraler Orte griffen – ein etwa im Kontext der Reformation auftretendes Phänomen.179 Damit stellt sich die Frage nach Semantik und Phänomenologie von »Tanz«: Welche Praxis ist gemeint, wenn im Quellenvokabular entsprechende Wörter verwendet werden? Je nach Charakteristik entsprechend den eben geschilderten Formen sind hier selbstverständlich völlig unterschiedliche Ausprägungen zu erwarten. Zumindest für die Zeit vor dem 16. Jahrhundert wird man in den meisten Fällen wohl schlicht keinerlei sicherbare Aussagen machen können. Voraus­gesetzt, die Quellen meinen einen realen Vollzug, nicht etwa nur eine meditative oder metaphorische Verwendung, dann ist »Tanz«, was als »Tanz« bezeichnet wird (sorgfältige Übersetzung vorausgesetzt). Höchst kritisch wird man mit allen Quellen umgehen müssen, die aus einer moralisch oder theologisch disqualifizierenden Perspektive auf entsprechende Phänomene schauen und diese daher mit den gängigen Stereotypen der Ordnungsüberschreitung und Ordnungsauflösung versehen. Ebenso darf man aus der mystischen Verankerung des sakralen Tanzes keinesfalls vorschnell auf Trance/Ekstase oder rauschhafte Entgrenzung schließen.180 Ebenso verbieten sich Rückschlüsse etwa von heutigen religiösen Tänzen im Christentum, die vielfach in ihrer rituellen Gestalt Produkte des 19. Jahrhunderts sein dürften. Löst man sich von der falschen Grundannahme, dass Tanz unterschiedslos eine delinquente Verhaltensform gewesen sei, so eröffnet sich freilich ein Raum für Differenzierungen: Wie die kirchlichen Regulierungsverbote in der Regel nur die Entgrenzungs- und Überschreitungspotentiale körperlicher Expres­ sivität einhegen wollten, so boten sich vielfältige Möglichkeiten, den Tanz in den Horizont der christlichen Devotion zu integrieren: Getanzt wurde vielfach 178 Vgl. etwa Kouthen, La procession dansante, S. 434. 179 Ehrenreich, Dancing in the Streets, S. 107. 180 Rouget, Music and Trance, bes. S. 65–102, 119–133, 169–183, hat nachdrücklich darauf hingewiesen, wie sehr die ethnologische Diskussion über Schamanismus und Besessenheit durch eurozentristische Gegenüberstellungen wie Zivilisation vs. Natur, Rationalität vs. Rausch etc. geprägt ist. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 3: Magnus Liber Organi von Notre Dame, Paris, 13. Jh., Florenz: Bibliotheca Medicea Laurentiana, Bibl. Laur. Plut 29, fol. 463, Detail.

offenbar zu volkssprachlichen Heiligenliedern (durch Laien?)181 oder aber zu Hymnen und anderen liturgischen Gesängen (durch Kleriker?), begleitet wohl am ehesten von der Orgel.182 Wie bei den weltlichen Tänzen etwa der höfischen Gesellschaft wird man wohl zumindest bei den vornehmen Kathedralstiften vielfach von einem hohen Maß der Regulierung und körperlichen Disziplinierung dieser sakralen Reigen ausgehen können. Die zum Teil sehr komplexen Bewegungsabläufe erforderten im Übrigen ein hohes Maß an Übung. Der Aufführung solcher Tanzspiele ging also wohl vielfach eine Phase der Organisation, Vorbereitung und des körper­ lichen Trainings voraus. Für die Umsetzung handlungsleitend war sicher das seit der antiken Philosophie und den Kirchenvätern maßgebliche Ideal der Ruhe und Mäßigung körperlicher Bewegungen. Wie Jean-Claude Schmitt gezeigt hat, wurde dies seit dem 11.  Jahrhundert auch in der klösterlichen Erziehung erneut intensiv re­ zipiert.183 Diesen Eindruck vermitteln zumindest vereinzelte Buchmalereien, 181 Für das 11. Jh.: Haubrichs, Heiligenfest. 182 Für das 13./14. Jh.: Chailley, La danse, S. 358 ff.; Rockseth, Danses cléricales, S. 93 f., 98–119; allg.: Salmen, Tanz und Tanzen, S. 24 f. 183 Schmitt, Logik der Gesten, S. 136–141, 164 (über Wilhelm von Conches). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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die sich als Darstellungen von (para-)liturgischen Kleriker-Reigen identifizieren lassen.184 So etwa in einer Initiale des Magnus Liber Organi von Notre Dame in Paris: Mit beiden Füßen auf einer Brückenkonstruktion stehend halten sich die am Reigen Beteiligten da an den erhobenen Händen. Die unterschiedlichen Gewänder sollen die Beteiligten wohl als Mitglieder unterschiedlicher Weihegrade kennzeichnen. Dieses tripudium von Pariser Domherren des 13. Jahrhunderts wird man sich wohl nicht als »großen Jubel«, sondern als gemessenes Stehen im Halbkreis oder Kreis und allenfalls als ein rhythmisches Wiegen der Körper vorstellen müssen. Konstitutiv für den Reigen (chorus) war offenbar nicht etwa die Bewegung der Füße, sondern die Verbindung der Gruppe zu einer (zumindest im Bild) offenen Kette durch die ergriffenen Hände. Auch der real prak­ tizierte Tanz markierte so nicht etwa einen grundsätzlichen Gegensatz zum rein inneren, meditativen Nachvollzug, vielmehr wurde er selbst eher rituell sym­ bolisiert als expressiv umgesetzt. An Stelle einer binären Unterscheidung von Tanz/Nicht-Tanz zeichnet sich hier ein Kontinuum von Zwischenformen ab.185 Für den vornehmen Pariser Kanoniker mag letztlich schon das Stehen im Kreis mit gegenseitig gefassten Händen beim Absingen von Antiphonen ein »Reigen« gewesen sein. Konstitutiv für eine irdische chorea war also die körperliche Verbindung als Nachvollzug der Sphärenharmonie – weniger die rhythmische oder gar expressive Bewegung.186 Andere ebenso vornehme Domstifte praktizierten komplexe Bewegungsabläufe inklusive Ballspiel in einem Labyrinth, die kaum eine so ausgeprägte Aufrechterhaltung der stasis zugelassen haben dürften.187 Ob die frommen Reigen der Bauern vor der Kirchtüre deshalb als »nugae« (Albernheiten) den Widerwillen des Klerus auf sich zogen,188 weil sie körperlich weniger restringiert waren, wissen wir nicht. Man sollte dies auch nicht vorschnell annehmen, will man nicht 184 Vgl. Salmen, Tanz und Tanzen, Abb. 67, S.  228, dazu S.  24 f.: tanzende Mönche in einer Vignette zum Kalenderblatt Mai aus einer Handschrift von nach 1307 aus einem Dominikaner­k loster in Bologna; Chailley, La danse, Abb. 34, S. 378, dazu S. 377 f.: aus dem Magnus Liber Organi von Notre Dame in Paris, heute Florenz (13. Jh.): fünf tanzende Kleriker unter einem Maßwerk-Baldachin auf einer Brücke (Empore?). Die Handschrift enthält eine Sammlung von Hymnen, für die Chailley ebd., S. 379, die Verwendung bei Tänzen im Rahmen der Liturgie wahrscheinlich gemacht hat. Vgl. dazu Wright, The Maze, S. 151–155 mit Abb. 5.3; Eisenberg, Performing the Passion, [S. 7], mit weiterer Lit. 185 So auch Zimmermann, Engelsreigen, S. 105 f.; Sahlin, Étude, S. 152–154. Es wäre jedoch verfehlt, umgekehrt jeder kirchlichen Prozession rhythmisches Schreiten und somit Tanzform zu unterstellen, so etwa Sahlin, Étude, S. 142 ff.; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 24. Phänomenologisch mag dies naheliegen; entscheidend ist aber, ob eine Verhaltensform als »Tanz« semantisiert wurde oder nicht. 186 Zu einer ähnlichen Vorstellung bei Honorius Augustodunensis (12. Jh.) vgl. oben, Kap. III.1.1. 187 So etwa die bekannte Pelota zu Ostern in der Kathedrale von Auxerre, vgl. unten, Kap. III.5.3. 188 Vgl. oben, Kap. III.3.1. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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den Stereotypen der mittelalterlichen Eliten für die Beschreibung ihrer Untertanen aufsitzen. Die modestia der körperlichen Expression blieb selbst in jeder Situation Gegenstand des Aushandlung und so wiederum ein Schwellenphänomen.189 In jedem Fall wurde der Tanz im sakralen Raum nicht per se aus dem Kanon der legitimen Devotionspraktiken ausgeschlossen. Vielmehr wurde er vielfach und vielstimmig problematisiert, immer wieder neu ausgehandelt und so eingehegt. Eine einfache Auflösung des Konflikts Pro/Contra gab es nicht. Stattdessen blieb der Tanz als religiöse Ausdrucksform im lateinischen Mittelalter auf Dauer ambivalent  – stets umstritten, nie widerspruchslos anerkannt oder wirksam exkludiert, immer offen für plötzliche Momente des Umschlagens der Bedeutungen.

III.4 Diskurse: Die Theologen und der Tanz Die moderne Wahrnehmung des Verhältnisses der mittelalterlichen Kirche zum Tanz ist massiv geprägt durch die je eigenen politischen und kulturellen Perspektiven der Forscherinnen und Forscher. Die gängige Grundannahme, dass »die Kirche« »den Tanz« (wie jeden anderen Spaß) unisono und absolut abgelehnt habe,190 lässt sich dabei sowohl für kaum kaschierte Reaktionen auf Debatten über das Für und Wider charismatischer Devotionsformen im heutigen Katholizismus instrumentalisieren,191 wie auch für emphatische Klagen über die angebliche asketische Leib- und Menschenfeindlichkeit des Christentums.192 Erklärt wird diese »Tanzfeindlichkeit« der Theologie mit einem das mittelalterliche Christentum prägenden Leib-Seele-Dualismus.193 Der seit Augustinus in ständiger Auseinandersetzung mit dem manichäischen Dualismus stehenden lateinischen Theologie wird man mit solchen Projektionen wohl kaum gerecht.194 Dass allen Verboten zum Trotz weiter getanzt wurde, lässt sich dann als politische Widerstandspraxis des unterdrückten Volkes

189 Zellmann, Lusus erat, S. 41 f. 190 So etwa auch Le Goff, Geschichte des Körpers, S. 163. 191 So vermutlich bei Angenendt, Geschichte der Religiosität, S. 421. 192 Diese polemische Tendenz durchzieht etwa die Darstellung bei Koch, Salomés Schleier, bes. S. 150 f. Koch setzt Tanz mit körperlichem Vergnügen und damit mit Sexualität gleich, die die Kirche als illegitime Formen der sinnlichen Grenzüberschreitung abgelehnt und mit dem Teufel assoziiert habe, vgl. ebd., S. 38 ff. Kurioserweise reproduziert ihre Polemik so ins Positive verkehrt viele Züge des moralisierenden Tanzdiskurses des Spät­ mittelalters. 193 Salmen, Tanz und Tanzen, S. 122; Stocks, Disziplinierung, S. 8–14, 27–42 (Ableitung der mittelalterlichen Musiktheorie aus dem »augustinischen Dualismus« nach Max Weber); Stocks, Disziplinierung, S. 105–107. 194 Walker Bynum, Fragmentierung, S. 166–170, 186–201. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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interpretieren,195 als Folge einer erst sukzessiven Durchsetzung des kirch­lichen Unterdrückungsapparats,196 und vor allem als Indiz für die Existenz eines menschlichen Grundbedürfnisses nach körperlicher Expression – Tanz als anthropologische Konstante also.197 Die zweifellos empirisch feststellbare Tendenz zur Negativbeurteilung körperlicher Expressivität in bestimmten theologischen Diskursen wird dabei insofern immer wieder reproduziert, als auch die aktuelle Forschung noch von einem gänzlich undifferenziert eindimensionalen Begriff von »Tanz« ausgeht.198 Wurde wirklich in allen Kontexten unterschiedslos jeder Tanz unter allen Umständen verdammt? Der kursorische Blick auf die normativen Quellen hat gezeigt, dass von einer solchen absoluten Exklusion nicht die Rede sein kann. Ebenso gab es eine vielfältige Praxis nicht nur außerkirchlichen, »profanen«, sondern auch ausdrücklich religiösen Tanzes.199 Man wird diesen als Teil einer Kultur der körperlichen Devotion begreifen können, die weit über die theo­ logisch fundierte Dogmatik hinausging.200 Dabei stehen die vormodernen Aushandlungsprozesse über körperliche Expressivität im Kirchenraum im Kontext einer Kultur, deren Kommunikation wesentlich durch Gesten, Mimik, Performanzen geprägt ist. In oralen bzw. semi-oralen Gesellschaften prägen körper­ liche Akte auch die religiöse Kommunikation.201 Gerade für das Spätmittelalter ist dabei wiederholt die spezifische somatische Qualität der Frömmigkeits­praxis konstatiert worden.202 Diese Expressivität der Devotion wurde wohl erst seit dem 15.  Jahrhundert stärker restringiert und diszipliniert.203 Die Entkörper­ lichung der Frömmigkeit musste durchgesetzt werden gegen Traditionen, die sich nicht nur auf alltägliche Praxis, sondern auch auf die biblische und mythische Überlieferung stützen konnten. Vorbereitet wurde diese Disziplinierung jedoch durch einen dogmatischen und ethischen Diskurs seit der Patristik. Auseinandersetzen musste sie sich mit eschatologischen und ekklesiologischen Konzepten, die ihr zumindest auf den ersten Blick zuwiderliefen.204

195 Koch, Salomés Schleier, S. 74. 196 Stocks, Disziplinierung, S. 106. 197 Backman, Religious Dances, S. 331; Stocks, Disziplinierung, S. 110; vgl. oben, Kap. I.1.4. 198 So Gundlach, Tanz, S. 173, 175 f. 199 Horowitz, Danses cléricales, S. 280; Jungmann, Tanz, Tod und Teufel, S. 14–16. 200 McMullen, Christianity and Paganism, S. 106–108. 201 Klassisch: Schmitt, Logik der Gesten. 202 Dinzelbacher, Körper und Frömmigkeit, bes. S. 46–48; Walker Bynum, The Female Body. 203 Lentes, Andacht und Gebärde; Karant-Nunn, Gedanken, Herz und Sinn. 204 Vgl. Arcangeli, Davide o Salomé, S. 86 ff. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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III.4.1 Vorlagen: Tanz im Alten und Neuen Testament Im Alten Testament wird immer wieder auf Tanz als Form der Devotion ab­ gehoben.205 Problematisiert wird er dabei nicht als rituelle Form an sich: Ver­ urteilt und negativ gezeichnet wird der Reigen zu Ehren der falschen Götter nicht als solcher, sondern als Ausdruck von Irrglauben. Im Gegenteil: Die Propheten singen und tanzen – ganz ähnlich den platonischen Mantikern.206 David tanzt vor der Bundeslade207 und hinterlässt diverse Psalmen, die den Tanz thematisieren.208 Miriam tanzt nach dem Durchzug durchs Rote Meer,209 wie das Volk Israel nach der Erlösung tanzen wird.210 Die Geliebte des Hohenliedes tanzt einen Brauttanz.211 Sündig am Tanz der Israeliten um das Goldene Kalb ist aus Sicht des Buches Exodus wohl weniger die körperliche Bewegung, sondern eher das verehrte Götzenbild,212 ebenso am Tanz der Baalspriester auf dem Berg Karmel das Opfer für den falschen Gott.213 Freilich erwähnt die in den mosaischen Büchern detailliert geregelte Tempelliturgie den Tanz nicht explizit – woraus man auf einen »synkretistischen« Transfer aus hellenistischen Kulten hat schließen wollen.214 Auch lässt der Spott der Michal über Davids Tanz darauf schließen, dass religiöser Tanz im Wahrnehmungshorizont des Verfassers eben nicht unproblematisch war.215 So deuten sich vielleicht schon im Horizont des alttestamentlichen Judentums Konflikte an über den vielfältigen Austausch mit den polytheistischen Religionen der vorderasiatisch-ostmediterranen Umwelt. 205 Vgl. allg. Voss, Tanz, S. 23; Backman, Religious Dances, S. 10–14; Andresen, Altchristliche Kritik, S. 350–353; Zimmermann, Engelsreigen, S. 60 f.; Schulz, Bild, S. 59–62; Schmitt, Logik der Gesten, S. 83–87; Carter, Celestial Dance, S. 7; Riché, Danses, S. 166; Ebach, Tanz im Alten Testament; Foatelli, Danses religieuses, S. 15–25. 206 1 Sam 19,23; vgl. Rouget, Music and Trance, S. 154–157; McNeill, Keeping together in Time, S. 68–70; Nürnberger, Tanz/Ritual, [S. 7]. 207 2 Sam 6; vgl. Zimmermann, Engelsreigen, S.  289–336 (zur mittelalterl. Rezeption); Harding, Investigation, S.  67 f. (dito); Davies, Liturgical Dance, S.  40 f. (dito); Herrero de ­Jáuregui, Orphism, S.  115–120 (David als Orpheus); Bruggisser-Lanker, Musik und Tod, S. 324–332; Zimmermann, Geschlechtermetaphorik, S. 69; Schmitt, Logik der Gesten, S. 85– 87; Koch, Salomés Schleier, S.  185 f., 253 f.; Salmen, Tanz und Tanzen, S.  11; Arcangeli, Davide o Salomé, S. 195–201 (frühneuzeitl. Rezeption); Horowitz, Danses cléricales, S. 290; Dietrich, David, S. 278–283; Hammerstein, Diabolus in Musica, S. 58–61; Miller, Measures of Wisdom, S. 390 f. 208 Ps 149,1–3; 150,4; vgl. Mayer, Tanz und Tanzen bei Augustinus. 209 Ex 15,20; vgl. Zimmermann, Engelsreigen, S. 35 mit Anm. 141. 210 Jer 31,4 und 31,13; Ps 87,1–7. 211 Schulz, Bild, S. 61 f.; Miller, Measures of Wisdom, S. 135 f. 212 Salmen, Tanz und Tanzen, S. 11–13; Zimmermann, Engelsreigen, S. 90–92. 213 Vgl. unten, Kap. V.1.1. 214 Schulz, Bild, S. 59 f. 215 Ebd., S. 59. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Für die spätere christliche Rezeption war mit dem Tanz Davids das Urbild frommer Hingabe, mit dem Reigen um das Goldenes Kalb jenes der Idola­ trie gegeben. Vor allem aber sollte sie sich am neutestamentlichen Tanz der Salome abarbeiten, der ihr zum Inbegriff der dionysischen Grenzüberschreitung wurde.216 Er überstrahlte auch andere Passagen des Neuen Testaments, in denen Tanz eher positiv konnotiert ist: Das Freudenfest zur Begrüßung des verlorenen Sohnes,217 vor allem aber Jesu Worte über die Zeitgenossen, die Johannes den Täufer nicht angehört hätten: »Sie gleichen Kindern, die auf dem Marktplatz sitzen und einander zurufen: Wir haben für euch auf der Flöte gespielt, und ihr habt nicht getanzt; wir haben Klagelieder gesungen, und ihr habt nicht geweint.«218

Hier ist freilich nicht von einem realen rituellen Tanz die Rede, sondern von Tanz als Gleichnis für mangelnde Glaubenseinsicht – und in ebendiesem allegorischen Sinn sollte die Stelle denn auch in der mittelalterlichen Rezeption gelesen werden.219 Konkretere Belege für den rituellen Nachvollzug der kosmischen Sphärenharmonie finden sich in verschiedenen Apokryphen aus dem jüdisch-gnostisch-christlichen Milieu der ersten Jahrhunderte nach Christus.220 Sie gingen jedoch in das mittelalterliche Denken allenfalls vermittelt über die Häresiologie des lateinischen Mehrheitschristentums ein. Ihr Einfluss etwa auf die Mystik des 13. und 14. Jahrhunderts wäre also abseits inhaltlicher Analogien immer konkret zu erweisen.

III.4.2 Desiderate 3: Tanz in der theologischen Diskussion Auch der Diskurs der christlichen Theologie über den Tanz erweist sich als bisher letztlich kaum erforscht. Eher stützt man sich auf mehr oder weniger umfangreiche Sammlungen von einschlägigen Zitaten, die ohne Differenzierung nach Kontext und Herkunftsgattung verwendet werden. So hat man primär aus homiletischen Texten und der undifferenzierten Lektüre der Konzilsstatuten das Bild von »Tanzfeindlichkeit« destilliert, ohne zu beachten, dass damit nicht

216 Vg. unten, Kap. VII.1.4. 217 Lk 15,25; Zimmermann, Engelsreigen, S. 62 f. 218 Lk 7,32; Mt 11, 16; vgl. Zimmermann, Engelsreigen, S. 63; Backman, Religious Dances, S. 14; Balogh, Tänze, S. 353. 219 Zimmermann, Engelsreigen, S. 62 ff. 220 Horowitz, Danses cléricales, S. 282; Miller, Measures of Wisdom, S. 126 f.; zu den vielfach zitierten Johannes-Akten vgl. unten, Kap VI.5.1. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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eine allgemein belastbare theologische oder gar eine im engeren Sinn dogmatische Aussage greifbar würde. Für die Patristik und das Frühmittelalter wird man einen solchen dogmatischen Diskurs über den Tanz nicht erwarten können. Spätestens mit der Scholastik jedoch, und erst recht in den neuzeitlichen Konfessionen, zeichnet sich eine Einschätzung des Tanzes als solchem ab, die durchaus nicht mit dem gängigen Klischeebild zusammenpasst. Die christlichen Theologen der ersten Jahrhunderte beurteilten den Tanz nicht nur vor dem Hintergrund der Bibel. Vielmehr setzten sie sich vor allem von der Warte der zeitgenössischen Philosophie aus mit Ritualformen auseinander, wie sie sie im kulturellen Horizont ihrer Zeit beobachten konnten. Die wie das Christentum auf personale Erlösung abzielenden spätantiken Gruppenreligionen (Mysterienkulte)  verwendeten fast durchweg den rituellen bzw. sakralen Tanz.221 Im Hintergrund stand dabei die platonisch-pythago­ räische Kosmologie. Auch das Judentum222 und viele als häretisch aus dem kanonischen Christentum ausgegrenzte Gruppen pflegten offenbar den rituel­ len Reigen.223 Umgekehrt enthielten antichristliche Polemiken den Vorwurf, der Kult der Jesus-Anhänger bestehe aus Tanz, Gesang (und hemmungsloser Promiskuität)224  – ein Indiz für die Austauschbarkeit disqualifizierender Stereo­t ypen schon zu diesem frühen Zeitpunkt. Denn wie bereits beschrieben, wurden auch in der nicht-christlichen Philosophie mit der Stoa und dem von Plotin und Porphyrius begründeten Zweig des Neoplatonismus Denkrichtungen vorherrschend, die starke Vorbehalte nicht nur gegen rituellen Tanz, sondern gegen jede körperliche Expressivität formulierten.225 Insbesondere die Akrobatik der histriones (Gaukler), Schauspiel und Bühnentanz wurden polemisch kritisiert und zunehmend als unehrenhaft und kultisch unrein angesehen.226 Es waren philosophisch geschulte Mitglieder der antiken Bildungskultur und vielfach frühere Anhänger konkurrierender Kulte, die als »Kirchenväter« in einem mehrere Jahrhunderte dauernden Prozeß der Abgrenzung das Christentum prägten – längst noch nicht als dogmatische oder gar orthopraktische Einheit, wohl aber als Gruppe mit einem Abgrenzungs­ anspruch nach außen. So schreibt etwa Johannes Chrysostomus († 407):

221 Andresen, Altchristliche Kritik, S. 355 f.; Wetter, La danse rituelle, S. 4–9. 222 Andresen, Altchristliche Kritik, S. 352 f. 223 Wetter, La danse rituelle, S. 8; McMullen, Christianity and Paganism, S. 104; Schulz, Bild, S.  82 f.; Andresen, Altchristliche Kritik, S.  357 f.; Backman, Religious Dances, S.  34 f.; Gougaud, La danse, S. 9. 224 Wetter, La danse rituelle, S. 8 f. 225 Herrero de Jáuregui, Orphism, S.  231–235; Koch, Salomés Schleier, S.  15 f.; Davies, ­Liturgical Dance, S. 23, 28; vgl. oben, Kap. II.2.2. 226 Andresen, Altchristliche Kritik, S.  370–373; McMullen, Christianity and Paganism, S. 46–48; Rousselle, Croire et guerír, S. 144 f.; Bermont, La danza, S. 49 ff., 61–83, 124 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»In den Mysterien der Griechen gibt es Tänze; in unseren hingegen Ruhe und ehrbare Gravität, Scham und Mäßigung. Ein großartiges Geheimnis wird erfüllt, fern aller Dirnen, fern der Welt.«227

Vor dem 4. Jahrhundert, so die Forschung seit Carl Andresen, habe die christ­ liche Theologie kaum normative Aussagen von allgemeinerer Geltung gegen den Tanz formuliert.228 Dann aber zeichneten sich vier Optionen des Umgangs mit dem Tanz als körperlicher Praxis ab: Zum Ersten wurde in der spätkaiserzeitlichen Theologie eine normative Position formuliert, die mit großer Schärfe jeden Tanz ablehnt, insbesondere unter Rekurs auf das Martyrium des Täufers infolge des vom Satan inspirierten Reigens der Salome.229 Paradigmatisch ist hier wiederum Johannes Chrysostomus: »Auch der Teufel half ihr ja mit dazu, durch ihren Tanz das Wohlgefallen zu er­regen und so den Herodes zu fangen. Wo eben ein Tanz ist, da ist auch der Teufel dabei. Nicht zum Tanze hat uns ja Gott die Füße gegeben, sondern damit wir auf dem rechten Wege wandeln; nicht damit wir ausgelassen seien, nicht damit wir Sprünge machen wie Kamele, sondern damit wir mit den Engeln den Chorreigen bilden. Wenn schon der Leib bei solcher Ausschweifung besudelt wird, um wieviel mehr noch die Seele? Solche Tänze führen eben nur die Teufel auf; solchen Hohn treiben nur des Teufels Gehilfen.«230

Zum Zweiten wurde  – wie ebenfalls bei Chrysostomus expliziert  – dem vom ­Satan eingegebenen weltlichen Tanz die Verheißung der Teilhabe am jenseitigen Reigen der Engel gegenübergestellt.231 Zum Dritten ist in der Forschung immer wieder auf Stimmen verwiesen worden, die für eine Duldung des Tanzes aus Gründen der Toleranz gegenüber den Neumissionierten bzw. Laien plädierten, dann aber für eine Mäßigung der körperlichen Expressivität warben.232 So schreibt Gregor von Nazianz (um ­329–390) in seiner »5. Rede gegen Julian«:

227 Johannes Chrysostomus, Homiliae XII in Epistolam ad Colossenses, XII,5, PG 62, Sp. 387; dt. zitiert nach Zimmermann, Engelsreigen, S. 58, Anm. 3. 228 Andresen, Altchristliche Kritik, S. 344–347; Balogh, Tänze, S. 10; Zimmermann, Engelsreigen, S. 52 f.; Backman, Religious Dances, S. 154. 229 Stumpfl, Kultspiele, S. 130–132. 230 Baur (Übers.), Johannes Chrysostomus, Kommentar zum Evangelium des Matthäus, 48. Homilie (Kap. XIII,V.53–XIV,V.12), Nr. 3; vgl. Backman, Religious Dances, S. 32; Zimmermann, Engelsreigen, S. 55–57; Horowitz, Danses cléricales, S. 282; Wetter, La danse rituelle, S. 11 f. 231 Davies, Liturgical Dance, S. 39 f.; Harding, Investigation, S. 56 ff.; Schulz, Bild, S. 135 f. 232 In diesem Zusammenhang immer wieder erwähnt wird Gregor der Große (um 540– 604), vgl. Boogart, Our Saviour’s Blood, S. 76 f.; Backman, Religious Dances, S. 35; Stumpfl, Kultspiele, S. 75; Wähler, Kindertanzzug, S. 73 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»Musst Du wie alle Festteilnehmer dem Fest zuliebe tanzen, dann tanze, aber nicht nach Art der Herodias […], welche den Tod des Täufers verschuldet hatte, sondern wie David bei der Überführung der Lade, der, wie ich glaube, die schönen verschiedenen Bewegungen derer, die Gottes Wege wandeln, veranschaulichen soll.«233

Sind hier profane Feierlichkeiten gemeint, an denen ein Christ im Alltagsleben selbstverständlich teilnehmen musste? Oder waren auch Tänze im Zusammenhang privater oder öffentlicher Feste immer kosmologisch konnotiert? Mit der Frage der Teilhabe an der gesellschaftlich üblichen Festkultur stellte sich für die Christen unmittelbar die Aufgabe einer Differenzierung von »sakral« und »profan«. Gregor von Nazianz scheint hier eine Definition als »profan«, d. h. nicht heidnisch (und damit für den Christen erlaubt) vorzuschweben. Schon zeitgenössisch nutzten auch Verteidiger des Tanzes diese Argumentationsfigur, um sich gegen Paganismus-Vorwürfe zur Wehr zu setzen.234 Zum Vierten äußerten sich auch die vorgeblich radikalsten Verfechter einer rein meditativen Devotion in der seelsorglichen Praxis positiv zu Verhaltens­ formen, die sie als Tanz bezeichneten, wie wiederum ein Schreiben des Johannes Chrysostomus an die Gemeinde von Antiochia dokumentiert: »In den vergangenen Tagen habt ihr die Festmähler der heiligen Märtyrer empfangen. Erfüllt von spiritueller Feierlichkeit habt ihr gejubelt in ehrenvoller Freude. […] Einen schönen Reigen habt ihr getanzt, in der ganzen Stadt von jenem würdevollen Tanzmeister herumgeführt. Aber uns, obwohl wir eingeladen waren, zwang die Krankheit, zuhause zu bleiben. Zwar konnten wir eurer Andacht nicht beiwohnen, doch haben wir im Sehnen doch teilgenommen; zwar konnten wir die Frucht des gemeinsamen Mahls nicht essen, doch haben wir dennoch mit euch die gemeinsame Freude empfunden. […] Uns scheint das Volk [von Antiochia] zwar in der Sprache verschieden [in griechisch und syrisch, GR], im Glauben aber vereint. In der Ruhe lebend, hat das Volk ein durch Mäßigung und Ehrwürdigkeit erfülltes Leben. Bei diesen Leuten gibt es keine unmäßigen Spektakel, keine Pferderennen, keine sich verkaufenden Frauen, nichts von dem sonstigen Tumult der Stadt, sondern alle Unmäßigkeit ist ausgemerzt. Überall blüht eine vielfältige Mäßigung.«235

Zumal an Märtyrerfesten und zur Feier der Auferstehung sind Reigen über­ liefert. Vielfach wurde denn auch weniger ihre Existenz als vielmehr die angebliche Gefahr von Ausschweifungen problematisiert.236 Auch Chrysostomus 233 Dt. nach: Kuhlmann, Tanzfeindschaft und Tanzfreundschaft, S.  220; vgl. Foatelli, Danses religieuses, S. 19; Backman, Religious Dances, S. 31. 234 Gurjewitsch, Volkskultur, S. 274–276. 235 Ad populum Antiochenum hom 19,1, PG 49, 187 f.; vgl. Andresen, Altchristliche Kritik am Tanz, S.  364 f.; Bertaud, Danses religieuses, Sp.  28; Voss, Tanz, S.  74 f.; McMullen, Christianity and Paganism, S. 103–105. 236 Backman, Religious Dances, S. 24 f. (Basilius von Caesarea); Gougaud, La danse, S. 10; Andresen, Altchristliche Kritik, S. 362 f.; Lucius, S. 323. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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stellt hier die durch Mäßigung und moralische Strenge gekennzeichneten Feste der Christen ausdrücklich den angeblichen Ausschweifungen ihrer Umgebung gegenüber.237 Es ist bisher nicht hinreichend untersucht, wie diese tänzerische Praxis mit den zumindest auf den ersten Blick so apodiktischen und absoluten Verurteilungen des Tanzes zusammengeht. Auch gab es der Forschung zufolge immer wieder Stimmen, die den Tanz als Ritualform nicht nur wohl oder übel dulden wollten, sondern emphatisch begrüßten und theologisch begründeten.238 Gab es eine theologisch tragfähige Unterscheidung zwischen erlaubten und unerlaubten, himmlischen und teuflischen Tänzen?239 Oder meint Chrysostomus hier wie viele andere Stimmen der Patristik nur die sublimierte Devotion in Gebet und Meditation?240 Man wird jedenfalls nicht von einer klaren Frontstellung der Kirchen­väter gegen die (kryptopaganen oder unmoralischen) Tänze ausgehen können. Notwendig wären hier wohl eingehendere Quellenstudien, die die in der Regel ohne Blick auf den weiteren Kontext und die spezifische Semantik des verwendeten Vokabulars zitierten Standardbelege präzise und differenziert einordnen könnten. Zu beachten wäre dabei auch, dass die Theologie der Kirchenväter durch gegenseitiges Zitieren, aber auch durch zeitgenössische Debatten gekennzeichnet ist. Auch hier müsste man also Argumentationsmuster zu ihrem Ausgangspunkt zurückführen, um zu verstehen, in welchem Kontext sie entstanden sind.241 Hintergrund war vielleicht auch ein Interessenkonflikt zwischen den Theologen und dem imperialen Staat, der weiterhin auf die antike Festkultur mit ihren rituellen Ausdrucksformen als Mittel der Herrschaftslegitimation angewiesen war.242 Der kosmologisch aufgeladene Reigen diente wohl auch der christlichen Adaption an das Kaisertum. Auch hatten christliche Gruppen offenbar das tripudium, den römischen Triumphtanz, in ihr Repertoire übernommen. Der Hofpropagandist Eusebius von Caesarea (260/64–339/40) etwa berich 237 Vgl. dazu nur die Schilderung: Ad populum Antiochenum Hom 18,4, PG 49, S. 187 (weiter oben). 238 Backman, Religious Dances, S. 22, etwa Gregorius Thaumaturgos (213–270); Sahlin, Étude, S. 138; McMullen, Christianity and Paganism, S. 103–105, 150; Wetter, La danse rituelle, S. 9 f.; Horowitz, Danses cléricales, S. 281 f.; skeptisch: Bermont, La danza, S. 15; und schon Stumpfl, Kultspiele, S. 129 f. 239 So Arcangeli, Davide o Salomé, S. 7 f.; vgl. Koal, Detestatio, S. 20. 240 So (über Basilius von Caesarea)  Davies, Liturgical Dance, S.  39 f.; dagegen Carter, ­Celestial Dance, S.  8 f.; Ottersbach, Einführung, S.  34. Umstritten ist dies etwa auch für Ambrosius von Mailand: Backman, Religious Dances, S. 26–30; Riché, Danses, S. 166; An­ dresen, Altchristliche Kritik, S. 367; McMullen, Christianity and Paganism, S. 105; Leclerq, Sermon ancien, S.  197, Anm.  8; Wetter, La danse rituelle, S.  7; Bertaud, Danse religieuse, Sp. 27 f. 241 In Ansätzen: Andresen, Altchristliche Kritik. 242 Ebd., S. 348 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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tet ausdrücklich, wie die Christen auf die Nachricht vom Sieg Konstantins über Licinius 324 mit Gott gewidmeten Freudentänzen reagierten.243 Ebenso tanzten die Christen Theodoret von Cyrus (393 – um 460) zufolge beim Tode Julian »Apostatas«.244 Maßgeblich für die Vermittlung des patristischen Tanzdiskurses in die mittelalterliche Theologie sollte Augustinus werden.245 Zumal mit seiner Schrift De musica sorgte er neben Boëthius für die Kontinuität der kosmologischen Musik- und damit auch Tanztheorie.246 Den rituellen Reigen als Praxis jedoch beklagte er als häretische und pagane Abweichung vom rechten Glauben – oder als bewusste Blasphemie von Heiden an den Feiertagen der Christen.247 Freilich gab er auch zu bedenken: »Bis wir dies verbessern können, sind wir gezwungen, es zu erdulden.«248 Schulbildend jedoch sollte sein Satz über den Tanz als Störung der Sonntagsruhe werden: »Es wäre besser, wenn sie den ganzen Tag pflügten, als den ganzen Tag zu tanzen.«249 Ebenso vielzitiert ist sein Satz über die Märtyrerfeste: »Die Andacht der seligsten Märtyrer gibt uns einen umso fröhlicheren Tag. Wir feiern, weil die Blutzeugen aus der Welt der Mühen in die Sphären der Ruhe aufge­stiegen sind. Aber dies haben sie sich nicht tanzend, sondern betend, nicht trinkend, sondern fastend, nicht lachend, sondern ertragend verdient.«250

Für den theologisch-dogmatischen Diskurs des lateinischen Mittelalters prägend wurden so die normativen Aussagen der Kirchenväter, nicht die augenscheinlich sehr kontroversen konkreten Diskussionen über Formen der rituellen Expressivität. So kann im 15. Jahrhundert eine Miniatur in einer Handschrift von De Civitate Dei den Bischof von Hippo als Warner vor drei oftmals häretisierten 243 Backman, Religious Dances, S. 23; Davies, Liturgical Dance, S. 44. 244 Backman, Religious Dances, S. 34; Davies, Liturgical Dance, S. 44. 245 Balogh, Tänze, S. 11 f.; Andresen, Altchristliche Kritik, S. 352; Mayer, Tanz und Tanzen bei Augustinus. 246 Andresen, Altchristliche Kritik, S. 374; Markus, End of Ancient Christianity, S. 111; Koal, Detestatio, S.  21, 30 f.; Mayer, Tanz und Tanzen bei Augustinus, [III.3–VII]; Rouget, Music and Trance, S. 239. 247 Balogh, Tänze, S. 1, 11 f.; Wetter, La danse rituelle, S. 6 f., 11; Andresen, Altchristliche Kritik, S. 363 f.; Mayer, Tanz und Tanzen bei Augustinus, [V.6]; McMullen, Christianity and Paganism, S. 103; Zeddies, Religio, S. 224; Kleinschmidt, Perception and Action, S. 44. 248 »[…] donec emendemus, tolerare compellimur«, Balogh, Tänze, S. 11. 249 »Melius enim utique tota die foderent quam tota die saltarent«, Bermont, La danza, S. 10; Lauwers, Naissance du cimetière, S. 264; Riché, Danses, S. 162. 250 Augustinus, Sermo CCCXXVI, 1, PL 38, Sp. 1449: »Solemnitas beatissimorum Mar­ tyrum laetiorem nobis reddidit diem. Laetamur, quia de terra laboris ad regionem quietis Martyres transierunt: sed hoc non saltando, sed orando; non potando, sed jejunando; non rixando, sed tolerando meruerunt.« Vgl. Bermont, La danza, S. 10; Backman, Religious Dances, S. 34; Lucius, Anfänge, S. 323. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 4: Augustinus verdammt Geißelung, Gedenkmähler und Kirchentanz als Götzenverehrung, in: De Civitate Dei, Hs. des 15. Jh., Den Haag: Museum Meermanno – Huis van het Boek, Ms. 10A 11, fol. 311v.

Formen der Devotion auftreten lassen: Man sieht da in einer Kirche ein Gast­ mahl,251 drei entkleidete Geißler und einen Reigen von Laien zur Musik eines auf der Schwelle stehenden Spielmanns, dazu links zwei Götzenbilder auf Säulen und den von einem Priester begleiteten Augustinus, der spricht: »Diese verehrten Dämonen, nicht Gott.«252 Eine ganz ähnliche Miniatur ist in einer ­Augustinus-Handschrift aus Ste.-Geneviève in Paris überliefert.253 251 Das Agape-Mahl war im frühen Christentum weit verbreitet, wurde dann aber häretisiert, vgl. Balogh, Tänze, S. 9. 252 Beek, De geestesgestoorde, Tafel XVI: »Immolaverunt demonis et non deo.« 253 Backman, Religious Dances, S. 193, Abb. 69. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abgelehnt wurde hier also das nicht-eucharistische Gastmahl von Laien im Sakralraum (Agape), wie auch die im 14.  und 15.  Jahrhundert sehr umstrittene asketische Selbstgeißelung von Laien, und schließlich der weltliche Tanz zur Spielmannsmusik in der Kirche. Denn dieser Reigen gewährte sprichwörtlich der als sündig konnotierten weltlichen Musik Zutritt zum Sakralraum. Dies heißt nun aber nicht, dass die Auftraggeber dieser Handschriften etwa auch den in ihrem regionalen Umfeld weitverbreiteten klerikalen Tanz oder die Buß­ flagellation von Mönchen und Priestern abgelehnt hätten – ebenso wenig wie die liturgisch korrekte Eucharistie! Augustinus wird als Autorität nicht gegen unterschiedslos jeden sakralen Tanz bemüht, sondern gegen den die musica humana in den Raum der ecclesia tragenden Tanz der Laien. Verhandelt werden hier also weniger die abgebildeten Formen der Devotion (Essen, Geißeln, Tanz), sondern vielmehr die Frage, wer sie ausüben durfte, konkreter: Verhandelt wird hier das Monopol des Klerus auf die Kommunikation mit Gott. Problematisch war demnach, wenn Laien für sich die direkte Kommunikation mit der Sphäre der Transzendenz beanspruchten, indem sie etwa mit ihren laikalen Mitteln (Reigen zur Spielmannsmusik) in den Sakralraum eindrangen. Zumindest die hoch- und spätmittelalterliche lateinische Theologie thematisierte also mit ihrem normativen Diskurs über Tanz und seine Umstände, über Tanz als Häresie, Ausschweifung oder Paganismus, immer auch die Frage des kirchlichen Heilsmonopols. Denn jeder irdische Reigen als Nachvollzug der kosmischen Sphärenbewegungen dementierte doch den Anspruch der Kirche, nur durch sie und die von ihr bereitgestellten Sakramente könne man zu Gott Kontakt aufnehmen. Zwar wurde im hohen und späten Mittelalter die dogmatische Tanz­k ritik der Patristik und der frühmittelalterlichen Superstitionsliteratur durchaus weitergetragen.254 Diesen normativen Aussagen stand aber die reale Allgegenwart des Tanzes entgegen. Der Tanz im Sakralraum wurde zunächst, soweit sich dies beim jetzigen Forschungsstand sagen lässt, nicht verboten, sondern geduldet, wenn er in der Form den Ansprüchen der Pietät entsprach.255 Hier blieb er Kommunikation mit dem Kosmos. Indem man jedoch eine Sphäre des Sakralen als Kontaktraum von Immanenz und Transzendenz definierte (und durchsetzte), musste man zugleich den Tanz profanisieren, soweit er nicht (mehr) in den Bereich des Religiösen fiel. Mit der Distinktion von »profan« und »sakral« war also auch eine Spaltung des Tanzes in »profan« und »sakral« verbunden. Um den Tanz etwa als Teil der Fest- und Unterhaltungskultur einhegen zu können, musste man ihn wirksam seiner kosmologischen Bezüge berauben. Die Vorstellung, dass Tanz einfach nur Tanz und eben nicht kosmische Mime 254 Zimmermann, Engelsreigen, S. 65 f.; Wagner, Adversaries of the Dance, S. 7 ff.; Kleinschmidt, Perception and Action, S. 44 ff. 255 Vgl. oben, Kap. III.3.2 und III.3.3. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sis sei, ist also ein Produkt der Aufspaltung von »sakral« und »profan« im Zuge der christlichen Durchdringung Europas. Augustinus folgend konnte der Tanz als Verstoß gegen das Sonntagsgebot, also die zeitliche Definition einer Sakralsphäre, interpretiert werden.256 Damit war er nicht mehr kultische Konkurrenz, sondern Einbruch des Profanen ins Sakrale. Andererseits konnte Thomas von Aquin den Tanz zum neutralen ­adiaphoron erklären, nicht an sich gut oder schlecht, sondern je nach Umständen tugend- oder lasterhaft: »Dann wird gefragt nach den Reigenspielen, ob sie ohne Sünde ausgeführt werden können, deshalb, weil Er [Jesus] gesagt hat: ›Und sie haben geklatscht.‹ Er meinte nämlich, als ob es eine Sünde sei. Darauf aber ist zu sagen, dass das Spiel an sich nicht böse ist; denn sonst könnte keine Tugend in jenen Spielen sein, die ›Eutrapelia‹ genannt werden. Sondern je nachdem, zu welchem Zweck und unter welchen Umständen es unternommen wird, kann das Spiel ein Akt der Tugend wie des Lasters sein. Denn es ist unmöglich, ununterbrochen entweder tätig oder kontemplativ zu leben. Daher ist es sinnvoll, die Sorgen durch Pausen der Freude zu unterbrechen, damit der Geist nicht durch zu großen Ernst gebrochen werde, und damit der Mensch anschließend umso lieber zu Werken der Tugend in der Lage ist. Und wenn man zu diesem Zweck und unter entsprechenden Umständen Spiele unternimmt, wird es ein Werk der Tugend sein, und kann verdienstvoll sein, wenn es von der Gnade erfüllt ist. Diese Umstände jedoch scheinen im Reigenspiel besonders zu beachten: Dass nicht eine unangemessene Person dabei sei, sei es ein Kleriker oder ein Religiose, dass es zu einer Festzeit geschieht, etwa als Dank für die Freisprechung, oder zur Hochzeit und dergleichen, dass es mit ehrbaren Menschen vollzogen werde und mit ehrenhaftem Gesang, und dass die Gesten in keiner Weise lasziv seien, wenn sie auch bei einem solchen Anlass stattfinden. Wenn der Reigen jedoch zur Reizung der Laszivität und folglich unter anderen schuldhaften Umständen erfolgt, dann steht fest, dass er ein Werk des Lasters ist.«257

256 Zimmermann, Engelsreigen, S.  74 f.; für das 15.  Jh. vgl. die erhellende Analyse von Jungmann, Tanz, Tod und Teufel. 257 Thomas de Aquino, Expositio super Isaiam, cap. III, lect. 3, S.  441 f.: »[…] Deinde ­quaeritur de ludis chorealibus, utrum sine peccato exerceri possint, propter illud quod dicit, et plaudebant: arguit enim tamquam peccatum. Ad quod quidem dicendum, quod ludus secundum se non est malus; aliter enim in ludis non esset virtus quae dicitur eutrapelia: sed secundum quod ordinatur diverso fine, et vestitur diversis circumstantiis, potest esse actus virtutis et vitii. Quia enim impossibile est semper agere in vita activa et contemplativa; ideo oportet interdum gaudia curis interponere, ne animus nimia severitate frangatur, et ut postmodum homo promptius vacet ad virtutum opera. Et si tali fine fiat de ludis cum aliis circumstantiis, erit actus virtutis, et poterit esse meritorius, si gratia informetur. Istae autem circumstantiae videtur in ludo choreali observandae praecipue: ut non sit persona indecens, sicut clericus, vel ­religiosus: ut sit tempore laetitiae, ut liberationis gratia, vel in nuptiis, et hujusmodi: ut fiat cum honestis personis, et cum honesto cantu; et quod gestus non sint nimis lascivi, et si qua hujusmodi sunt. Si autem fiat ad provocandum lasciviam, et secundum alias circumstantias indebitas, constat quod actus vitiosus erit.« Vgl. Riché, (Art.) Dance, Sp. 406; Sudbrack, Tanz, S. 43. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Da Aristoteles in der »Nikomachischen Ethik« die eutrapelia, also die Erziehung zur Gewandtheit, tugendhaft genannt hatte, und Spiel und Tanz zu dieser gehörten, konnte Tanz nicht per se lasterhaft sein, wenn dabei gewisse Regeln eingehalten wurden. Damit war er kosmologisch entschärft, zugleich aber öffnete sich wieder die Möglichkeit zur devotionalen Verwendung, das Ein­f ließen der göttlichen Gnade vorausgesetzt. Maßgeblich war dabei auch für Aquinas das Ideal der Mäßigung, zu dessen Erlangung etwa in der Erziehung Tanz sogar hilfreich sein konnte.258 Davids Tanz erklärten die mittelalterlichen Exegeten als Inbegriff der Demut vor Gott. Er wurde damit seit Bernhard von Clairvaux zum Vorbild eines neuen Idealbildes des monastischen Lebens: Der Mönch wurde zum »Spielmann Christi«, der die ehrlose und eigentlich sündige Rolle des Gauklers einnahm, um sich für Gott zu erniedrigen.259 Zugleich fand diese Konzeption ihren Ausdruck in der Legende vom »Jongleur de Notre Dame« bzw. »Tumbeor Nostre Dame« der vor der Muttergottes einen Handstandtanz aufführte, weil ihm diese Form der Devotion nun einmal am besten lag.260 Waren aus diesen zunächst allegorisch-spirituell gedachten Tendenzen zumindest sekundär auch neue Legitimationsfiguren für den realen Tanz ableitbar? Seit dem 15.  Jahrhundert und zumal in der konfessionellen Konfrontation des 16. Jahrhunderts verschärfte sich dann der Ton gegen den Tanz massiv. Insbesondere Predigten und katechetische Texte verwarfen ihn nun grundsätzlich und unterschiedslos als lasziv, blasphemisch und diabolisch. Der Tanz an sich wurde damit zur Sünde.261 Es handelte sich hierbei jedoch nicht etwa um dogmatische, also Lehrautorität beanspruchende Texte, sondern um einen moralisierenden Diskurs im Kontext der zunehmenden Verhaltensnormierung der Frühen Neuzeit. Es gab auch Gegenstimmen, welche – durchaus mit theo­ logischen Argumenten – die zeitgenössisch blühende Tanzkultur gegen ihre rigoristischen Kritiker verteidigten.262 Die allgemeine Verurteilung des Tanzes fand unter den entstehenden konfessionellen Großgruppen denn auch nur bei den Reformierten Anklang in allgemeingültigen Aussagen.263 Lutheraner wie 258 Arcangeli, Moral Views, S.  285 f.; den Tanz von Klerikern und Religiosen freilich lehnte ja auch Thomas ab. 259 Zimmermann, Engelsreigen, S. 322–328. 260 Ebd., S. 328 f.; Hausamann, Salome, S. 162 (der auf Seneca als Vorlage hinweist); Ruel, Les Chrétiens, S. 92 f.; Chailley, La danse, S. 372 mit Abb. 28; Backman, Religious Dances, S. 92. 261 Über diesen vergleichsweise gut erforschten Diskurs vgl. Koal, Detestatio; Jungmann, Tanz, Tod und Teufel, S.  127 ff., 151–169; Böhme, Geschichte des Tanzes, Bd.  1, S.  94–112; Harding, Investigation, S.  70–81; Zimmermann, Engelsreigen, S.  81–87; Koch, Schleier der Salomé, S. 162, 168 f.; Delumeau, Angst, S. 597; Voss, Geschichte, S. 4, 7. 262 Brunner, Städtisches Tanzen, S. 50 f. 263 Tripp, Image of the Body, S. 139. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Katholiken zogen sich auf Thomas von Aquin zurück: Tanz war ihnen ein adiaphoron, dessen Legitimität sich an der äußeren Form bestimmte.264 Damit war für den profanen Tanz ein weiter Spielraum gewonnen. Und auch Tanz im Sakralraum blieb so möglich. Er wurde dogmatisch nicht diabo­ lisiert, sondern neutralisiert. Tanz war damit nicht mehr an sich sakral als kosmische Mimesis, sondern eine performative Form, die je nach Umständen auch im Sakral­raum denkbar war. Wie das Bild bei Martin Luther verlor er seine zuvor umstrittene Funktion als spezifisches Medium der Heilsvermittlung, indem er zum adiaphoron entschärft wurde. Freilich war ihm damit seine kosmologische Rückbindung entzogen: Adiaphoron kann Tanz nur sein, wenn er weder mit dem Teufel noch mit Gott verknüpft ist, sondern ein weltliches Phänomen wie jedes andere. Er war nun also als Phänomen an sich profanisiert – was ihn langfristig indirekt auch als Devotionsform ungeeignet werden ließ. Denn warum sollte man die in ihm lauernde Bedrohung der Orthopraxie und rituellen Reinheit in Kauf nehmen, wenn ihn für den Gottesdienst nichts mehr besonders qualifizierte? Die der sakralen bzw. rituellen Kommunikation der Vormoderne inhärenten Ambivalenzen von Reinheit und Unreinheit wurden so exkludiert, indem man problematische Formen neutralisierte. So wurde der sakrale Tanz in der Neuzeit wohl weniger wegen tatsächlicher oder imaginärer Entgrenzungspotentiale zum Problem, sondern weil man schlicht seine Funktionsweise als privilegierte Form der Kommunikation mit der Transzendenz nicht mehr verstand. In einer schon in der vorchristlichen Antike beginnenden und zwei Jahrtausende überspannenden Entwicklung hatte sich im lateinisch-christlichen Europa eine Unterscheidung von »profan« und »sakral« etabliert. Zugleich hatte sich die Wahrnehmung des Tanzes aus dem Bereich der religiös-sakralen Kommunikation in jenen der neutralen Performanz verschoben. Nicht die »kirch­ liche Leibfeindlichkeit«, auch nicht sein ekstatisches Potential oder seine angebliche sexuelle Stimulationswirkung führten schließlich zur Zurückdrängung des sakralen Tanzes, sondern der Umstand, dass er nicht mehr als kosmische Mimesis galt. Damit war der sakrale Tanz nicht per se exkludiert, sondern viel wirkungsvoller: gleichgültig geworden.

264 Arcangeli, Davide o Salomé, S. 205 (Cajetan), 182–187 (Luther); Fritzsch, Tanz, S. 162; Voss, Tanz, S. 113 f.; Brunner, Städtisches Tanzen, S. 51; Tripp, Image of the Body, S. 135 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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III.4.3 Eschatologische Negativprojektion: Der Tanz des Teufels Als Inbegriff des vom Teufel geleiteten Abtrünnigen war Julian »Apostata« im christlichen Mittelalter zur zentralen Negativfigur der antiken Geschichte geworden.265 Schon die Christen seiner Zeit stilisierten ihn zum apokalyptischen Gegenspieler, zum Antichristen, dem Gott die Machtübernahme gestattet hatte, um die Getreuen zu warnen.266 Schulbildend wurden dabei zwei Reden G ­ regors von Nazianz gegen den (verstorbenen) Kaiser: Darin schildert der Kirchen­ lehrer unter anderem, wie er und sein Freund Basilius von Caesarea als Studenten in Athen den jungen Prinzen kennengelernt hatten. Julian, so Gregor, zeigte schon lange vor seinem Glaubensabfall ein in jeder Hinsicht unstetes, exaltiertes Verhalten, insbesondere ein unruhiges Trippeln mit den Füßen – was den späteren Kirchenlehrer schon seinerzeit die Gefahr ahnen ließ, die von diesem Mann ausgehen würde.267 Der philosophisch geschulte Theologe disqualifizierte den ehemaligen Studien­kollegen hier zunächst von der Warte der stoischen Ethik:268 Statt ­ataraxia, Harmonie mit den kosmischen Sphären, zeigte der junge Student aus hohem Haus die »Verbiegungen« (lugismata)  der Rhetorik  – ein Begriff, den die kappadokischen Kirchenväter aus dem Tanztheater übernommen und auf die Argumentationsweise ihrer Gegner  – Sophisten, pagane Neoplatoniker, ­Arianer – übertragen hatten.269 Zugleich zeichnete Gregor den späteren Apostaten aber auch als Dämonenfürsten, der durch sein Verhalten seine Disharmonie mit der göttlichen Ordnung verriet: Auf dem Feldzug nach Persien, so Gregor an anderer Stelle, habe Julian später ein ganzes Dämonenheer befehligt.270 Der Antichrist zeigte seine Verfallenheit also durch manisch anmutende Zuckungen. Ähnlich warf Gregor von Nazianz auch rebellierenden Asketen und Ketzern vor, sie störten die Harmonie des spirituellen Reigens der Kirche.271 Auch andere Theologen des 3.  und 4.  Jahrhunderts verdichteten ihre Auseinandersetzung mit der Fest- und Theaterkultur ihrer Zeit und den konkurrierenden Religionen zum Bild des teuflisch inspirierten Tanzes, wie er dann in der Figur der Salome personifiziert wurde. Der himmlischen Sphärenharmonie stellten sie so den Tanz des Teufels in der Welt gegenüber. Die von Kaiser Julian 265 Zur Rezeption Julians vgl. Rosen, Julian, S. 394–461. 266 Ebd., S. 8. 267 Bernardi (Hg.), Grégoire de Nazianze: Discourse contre Julien, V, 23 f., S.  336–339; ­Rosen, Julian, S. 18, 116 f. 268 Zum Einfluss der Stoa auf Gregor von Nazianz vgl. Miller, Measures of Wisdom, S. 348, 352. 269 Ebd., S. 346. 270 Rosen, Julian, S. 31 f. 271 Miller, Measures of Wisdom, S. 388 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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geförderte theurgische Schule des Neoplatonismus um Jamblichus, aber auch die Arianer, wurden ihnen dabei zum Inbegriff der Verfallenheit an die Dämonen. Für Johannes Chrysostomus etwa konkurrierten nun zwei Reigen miteinander: Die »nüchterne Trunkenheit« (sobria ebrietas) des Himmelsreigens der Christen mit der pervertierten, den weltlichen Gelüsten hingegebenen und vom Teufel eingeflüsterten Raserei des Mänadentanzes.272 Wer nicht glaubte, war zwangsläufig dem Tanz des Teufels verfallen  – wie Chrysostomus auch die Taufe mit einem Sklavenfreikauf gleichsetzte.273 Der Tanz der Ungläubigen mit dem Teufel war also unfreiwillig  – im Umkehrschluss wurde unfreiwilliger Tanz (Platons mania) in diesem Konzept zum Indiz für Unglauben. Die Taufe wurde so zur Befreiung des Mikrokosmos Mensch aus der theurgischen Wechselwirkung mit dem Makrokosmos. Folgerichtig war der teuflische Reigen wie die Höllenmusik als Gegensatz zur kosmischen Sphärenharmonie durch fundamentale Disharmonie gekennzeichnet. Konvulsive, expressive Bewegungen standen nun gegen Mäßigung und Ruhe, die später sprichwörtliche »Katzenmusik« gegen die vollendete Musik der Engel, weltliche Instrumentalmusik gegen die (erst seit dem Hochmittelalter von der Orgel begleitete) Vokalmusik der Kirche.274 Wo sich dieser Höllenreigen im Diesseits abbildete, da war er verbunden mit allen Formen sündiger Grenzüberschreitung. Nächtlicher Tanz, sexuelle Promiskuität und teuflisch eingeflüsterte Irrlehren wurden so miteinander verquickt zum Urbild der Häresie. Und Häresie war ihrerseits Wahnsinn, Raserei und ansteckende pestilencia. Ausschweifender Tanz war wohl weniger ein reales Charakteristikum von Ungläubigen und Häretisierten. Vielmehr ist unser Bild von Tanz und Ekstase bis heute untrennbar kontaminiert mit kosmologischen Stereotypen der mehrheitschristlichen Häresiologie und Dämonologie. Während man sich in der ecclesia von links nach rechts bewegte, wie die Sonne am Himmel, so wendete sich im Reich des Teufels alles nach links, denn hier war die ganze Weltordnung verkehrt. So gehen auch in Weltgerichtsbildern die Erlösten nach (von Gott/Christus aus gesehen) rechts, die Verdammten nach links.275 Denn die Teufel holten sich die Seelen tanzend, und Satan begrüßte sie mit einem Reigen in der Hölle.276 Diese Tänze waren ein beliebtes Thema des 272 Ebd., S. 402–413. 273 Dölger, Sonne der Gerechtigkeit, S. 121 ff. 274 Hammerstein, Musik der Engel, S. 100–102; Ders., Diabolus in musica, S. 16–20, ­24–32. 275 Vgl. Mt 25,33; Prov 4,27; dazu: Geißlinger, (Art.) Grab, Grabbrauchtum II; Koal, Detestatio, S.  31–33; Stumpfl, Kultspiele, S.  141; Zimmermann, Engelsreigen, S.  111–114, 338; Dölger, Sonne der Gerechtigkeit, S. 37–46; Hammerstein, Diabolus in musica, S. 44 f.; Ders., Musik der Engel, S. 48 f.; Harding, Investigation, S. 61 f.; Ruel, Les Chrétiens, S. 98. 276 In Weltgerichtsdarstellungen wird diese Seelenwanderung in die Hölle freilich eher als Zerknirschung denn als Reigen dargestellt, anders als jene der Erlösten, vgl. Hammerstein, Diabolus in musica, S. 41–43. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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geistlichen Spiels, wo sie etwa den Abgang von Herodias/Salome standesgemäß begleiteten. Satan saß dabei manchmal wie einst Dionysos auf einem Weinfass, umkreist von seinen Teufeln – als Kontrafaktur der Taufe.277 Damit war dem kosmischen Reigen eine Negativprojektion gegenübergestellt, die nichtsdestoweniger ihre pythagoräische Konstruktion behielt: Der Teufel trat an die Stelle der Götter; dämonische Besessenheit und Wahnsinn des Unglaubens an jene des enthusiasmos, der Zwang, den Höllenreigen zu tanzen, ersetzte die Teilhabe am Reigen der Engel. Hugo von Trimberg (um 1230  – bis nach 1313), Lehrer an der Bamberger Stiftsschule, lässt am Ende des 13. Jahrhunderts in seinem »Renner« den Tanz gleich mehrfach als abschreckendes Bild herhalten: Die Untugend als Reigenführerin der Laster verleitet da die Menschen zur Sünde des Tanzes; das Leben der Menschen ist ein »Affentanz«, wie der Teufel nur der Affe Gottes ist; der Tanz junger Mädchen steigert sich wie jener der Mänaden vom eleganten Schreiten über die Eitelkeit bis zur Raserei.278 Schließlich fragt Hugo von Trimberg auch, ob David noch als Vorbild dienen könne, und zur Beantwortung bedient er sich der seit Cicero und Ambrosius bekannten Pathologisierung: »Swer die schrift verstên kan eben, Der vindet künic Davîdes harpfen klanc Und wie manic springer vor im spranc, In gotes dienste, sô er got lobte: Swer daz nu tête, man sprêche er tobte, […]«279

Die platonische mania ist hier also in der Tradition der stoischen modestia nur noch Wahnsinn, nicht mehr göttliche Einwohnung. Sakraler Tanz ist diesem moralisch rigorosen Prediger nicht mehr denkbar, denn Kommunikation mit den Sphären führt zwangsläufig zum Teufel. So reduzierten die Prediger und Moralisten des 13. Jahrhunderts die normative Disqualifikation des Tanzes zu der oft Augustinus oder anderen Vätern zugeschriebenen, aber wohl zuerst bei Jacques de Vitry (1160/70–1240) nachweisbaren Formel: »Der Reigen ist ein Kreis, dessen Zentrum der Teufel ist. Und alle wenden sich nach links, weil sie alle zum ewigen Tod streben.«280 277 Hammerstein, Musik der Engel, S. 109 f.; Ders., Diabolus in musica, S. 38–44; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 17 f. 278 Zimmermann, Engelsreigen, S. 76–80; Hammerstein, Diabolus in musica, S. 22; Ders., Musik der Engel, S. 49. 279 Ehrismann (Hg.), Hugo von Trimberg, Der Renner, Vers 5816–5820, Bd. 1, S. 242. 280 »Chorea est circulus, cuius centrum est diabolus. Et omnes vergunt in sinistram, quia omnes tendunt ad mortem eternam«, vgl. Arcangeli, Dance under Trial, S. 144 f.; Ders., ­Davide o Salomé, S. 69, 73, 76 f., 251; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 17; Kleinschmidt, Perception and Action, S. 45; Koal, Detestatio, S. 32; Zimmermann, Engelsreigen, S. 49, 87; Hammerstein, Musik der Engel, S. 113; Stumpfl, Kultspiele, S. 141 f.; Harding, Investigation, S. 71; Ruel, Les Chrétiens, S. 97; Eisenberg, Performing the Passion, [S. 4]; Kirkendale, Circulatio-Tradition, S. 82. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Im 15.  Jahrhundert sollte Michel Menot diese Denkformel logisch auf den Punkt bringen: »Der Reigen ist eine Bewegung im Kreis. Die Bewegung des Teufels ist der Kreis. Also ist der Reigen die Bewegung des Teufels.«281 Vorausgesetzt, man nimmt chorea nicht als in irgendeiner Form spezifischen Terminus, sondern als Begriff für Tanz allgemein, so wird dieser hier als per se teuflisch disqualifiziert. Jeder Tanz ist damit unterschiedlos böse. Diese Negation jedoch reproduziert ex negativo die kosmologische Imitation: Aus den Kreisbewegungen der Himmelsmächte ist hier die des gefallenen Engels ge­ worden. In ganz ähnlichen Worten konnten Zeitgenossen des 13.  Jahrhunderts jedoch auch das genaue Gegenteil, nämlich Gott als den neoplatonischen »Einen«, beschreiben: »Gott ist ein Kreis, oder eine intelligible Sphäre, deren Zentrum überall ist, ihre Außengrenze aber nirgends.«282 Gott und der Teufel werden also im 13.  Jahrhundert gleichermaßen neoplatonisch-kosmologisch bestimmt. Gott hat eine intelligible Qualität, die alles durchdringt, mit der man aber nur spirituell kommunizieren kann. Denn Gott hat keine Körperlichkeit.283 Der Teufel hingegen hat Grenzen. Jeder ir­ dische Tanz ist daher Kommunikation mit den Kreisen des Bösen, weil nur dessen Kreise der irdischen Kommunikation zugänglich sind. Die Vorstellung vom Reigen als bindender, bezwingender Kraft rekurriert ihrerseits auf kosmologische Modelle, galt doch der Lauf der Sterne der antiken und mittelalterlichen Astrologie als schicksalsbestimmend. Die sym­ pathetische Verbindung des Mikrokosmos Mensch mit dem Makrokosmos versprach immer zugleich Harmonie und Unfreiheit. Diese heimarmene, das Reich des Sternenzwangs, sollte nach gnostischen Vorstellungen in den zwölf Himmelshäusern zuhause sein. Der kosmische Reigen hingegen sollte die Seele in die »Achtzahl« aufsteigen lassen, wo ihr Befreiung von der Unausweichlichkeit der Sternenbewegungen verheißen war.284 Die Mehrheitskirche hatte sich seit der Antike gegen den astrologischen Glauben an den Sternenzwang gestellt.285

281 Chailley, La danse, S. 364; Eisenberg, Performing the Passion, [S. 13]. 282 »Deus circulus est, seu sphaera intelligibilis, cuius centrum est ubique, circumferentia nusquam«, so erstmals im Liber XXIV Philosophorum, dann bei Alanus de Insulis und anderen, vgl. Kirkendale, Circulatio-Tradition, S. 78 f.; Eisenberg, Performing the Passion, [S. 7, Anm. 28]. 283 Vgl. Alanus de Insulis, Regulae de Sacra Theologia, PL 210, Sp. 627A f., Reg. VII: »[…] proprium enim spaericae formae est principio et fine carere. Sed non est spaera corporalis, imo intelligibilis. Cum enim Deum spaeram esse dicimus, non oportet nos deduci ad imaginationes, ut imaginemur eum esse spaeram ad similitudinem corporum; sed, duce intelligentia, ea ra­tione intelligamus ipsum Deum esse spaeram, quia aeternus est.« 284 Wössner, Göttertanz, S. 152–156; Pulver, Jesu Reigen, S. 168–170; Backman, Religious Dances, S. 16. 285 Zum Fortleben der antiken Astrologie im Mittelalter vgl. Boll/Gundel/Bezold, Sternenglauben, S. 30–44. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Wie sich Porphyrius und Jamblichus im 4.  Jahrhundert über die Möglichkeit der theurgischen Kommunikation mit den höheren Mächten gestritten hatten, so wurde hier also eine christlich-neoplatonische Verneinung des Tanzes als kosmologischer Mimesis formuliert: Gott war der »Eine« des pythagoräischen Kosmos, aber er war der Beeinflussung mit irdischen Mitteln entzogen. Wie die »Magie« wurde der Tanz so dem Reich des Bösen zugeschrieben. So wurde der Teufel zum Prinzip und Zentrum des negativen Sphärenreigens. Und wie die göttliche Harmonie sich in der Liturgie abbildete, so war der Tanz an sich Abbild des Unheils und Pervertierung der Liturgie: »die sengerin am tantz sind priesterin des tufels, […] das tantzhaus ist sin pfarkirch, die pfiffer vnd lutensleher sint des tufels mesener […].«286

Diesem negativen Tanz – der Laster, der Teufel, der Menschen als Affen – stand jedoch immer das positive Bild des Reigens der Tugenden, der Engel, der Seligen gegenüber.287 Mit der Spiegelung von Teufelstanz und Engelsreigen spaltete das Christentum die Sphärenharmonie auf in eine rein gute und eine rein böse Hälfte.288 Damit war tatsächlich ein Dualismus angelegt, der freilich in der Tradition des augustinischen Denkens sogleich wieder eingeholt wurde: Denn auch die disharmonische Höllenmusik blieb der Herrschaft des einen Gottes unterworfen und trug zur kosmischen Ordnung, ja: zum Lobgesang für den Schöpfer bei.289 Dem Sternenzwang waren nun nur noch die Ungläubigen unterworfen. Den Tanz des Teufels musste man tanzen, jenen der Engel durfte man tanzen – die von der Kirche vermittelte Gnade Gottes vorausgesetzt.

III.4.4 Heimarmene und thanatos: Der Totentanz Zuvor aber mussten Gute wie Böse über die Schwelle des Todes. Für eine Erlösungsreligion ist das Sterben kein Ende, sondern ein Übergang, genauer: der entscheidende Wechsel aus der latenten Liminalität des irdischen Daseins in das ewige Leben.290 Je nach eschatologischer Konzeption wird dieser Übergang im Christentum kurz (als direktes Eingehen in die Seligkeit oder Verdammnis) oder lang (mit einer Zwischenphase im Grab oder im Fegefeuer) gedacht. Strukturell aber ließ sich der Tod als rite de passage vorstellen, mit Ablösung vom an-

286 »Was schaden tantzen bringt«, Predigt des 15. Jh., zitiert nach: Böhme, Geschichte des Tanzes, Bd. 1, S. 94; vgl. Zimmermann, Engelsreigen, S. 83; Arcangeli, Davide o Salomé, S. 247; Hammerstein, Diabolus in musica, S. 45–51. 287 Elaboriert bei Dante, vgl. Hammerstein, Diabolus in musica, S. 57 f. 288 Wössner, Göttertanz, S. 169. 289 Hammerstein, Diabolus in musica, S. 17 f. 290 Vgl. oben, Kap. I.3.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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gestammten Zustand, Schwellenphase und Eingliederung in einen neuen Zustand. Und da dieser neue Zustand kosmologisch als (positiver oder nega­tiver) Reigen konzipiert war, lag es nahe, auch den Übergang mythisch wie rituell im Bild des Tanzes zu realisieren. Die seit der Spätantike in vielfältiger Form überlieferten Tänze bei Märtyrerfesten, Bestattungen und in der Totenmemoria reagierten auf diese Konzeption: Wer auf den Gräbern tanzte, kommunizierte mit den Sphärenreigen und flankierte so die Eingliederung des Verstorbenen in diese. Im Rahmen der blühenden Kultur der ars moriendi und der Ständedidaxe fand diese kosmologische Wahrnehmung des Todes seit dem späten 14.  Jahrhundert eine kongeniale Verbildlichung im Motivkreis des Totentanzes.291 Der Tanz des als Skelett personifizierten Todes mit Vertretern der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, wie ihn besonders die dominikanische Predigt und die populäre Bildkultur verbreiteten,292 wird in der Literatur bis heute bevorzugt als Indiz für die irrationale Morbidität und Krisenhaftigkeit des Spät­ mittelalters gewertet. Pest, Hexen- und Teufelsglauben, Krieg und Verwüstung fließen hier angeblich zusammen – ein Gebräu, in dem dann gern auch Totentanz und Tanzwut als psychopathologische Indizien vermengt werden.293 Der unvoreingenommene Beobachter wird sich nun eher fragen, was an einer Gesellschaft »hysterisch« oder irrational sein soll, die sich philosophisch und theologisch mit der Unausweichlichkeit des Todes befasst. Abseits feuilletonistischer Erwägungen ist jedoch entscheidend, dass der Tod des Totentanzes eben nicht mit dem Satan zu assoziieren ist: Der Totentanz ist nicht der Reigen der Teufel. Er ist für den Menschen ein Schrecken, den es aber im christlichen Sinn zu überwinden gilt und der für den Gläubigen überwunden ist durch die Erlösung. Der Tod an sich ist ein neutraler Übergang, den freilich alle Menschen absolvieren müssen. Die für die Totentanz-Zyklen typischen Dialoge von Tod und Standesvertreter wiederholen denn auch ständig das Motiv der Unausweichlichkeit des Tanzes ins Jenseits:

291 Vgl. aus der unüberschaubaren Fülle an Literatur nur Backman, Religious Dances, S.  140–154; Koch, Salomés Schleier, S.  111–150; Stocks, Disziplinierung, S.  33; Sachs, Weltgeschichte, S.  170–176; Foatelli, Les danses, S.  57–67; Balogh, Tänze, S.  5; allg.: Hammerstein, Tanz und Musik des Todes; Corvisier, Danses macabres; von Hülsen-Esch/WestermannAngerhausen/Knöll (Hg.), Zum Sterben schön; Warda, Memento mori; Wunderlich, Tanz in den Tod. 292 Zur homiletischen Funktion von Totentänzen vgl. eindrücklich Lauwers, Naissance du cimetière, S. 267. 293 Paradigmatisch (wenngleich sehr differenziert): Graus, Pest, Geißler Judenmorde, S.  35 f.; kurios: Sorell, Tanz als Spiegel, S.  30; dagegen: Koch, Salomés Schleier, S.  117 mit Anm.  10. Bezeichnend ist, dass noch in dem Katalog von von Hülsen-Esch/WestermannAngerhausen/Knöll (Hg.), Zum Sterben schön, der Aufsatz von Bergdolt, Veitstanz, im Oberkapitel »Totentanz« auftaucht. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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(Tod und Königin:) »Euch hilff kein Schöne, Gold noch Gelt, Ich spring mit euch in jene Welt« […] (Tod und Kardinal:) »Springen auff mit dem rothen Hut Herr cardinal, der Tantz ist gut: Wol gesegnet habt Ihr die Leyen, Ihr müßt jetzund an den Reyen.«294

Und nur in diesem Sinn gehört der Totentanz in den Kontext der Tanzwut: Er ist wie alle Imaginationen von Tanz eine Mimesis der Sphärenbewegungen. Im Totentanz ist das kosmologische Bild vom Sternenzwang konserviert. Hier wird also nicht der Gegensatz von eros und thanatos verhandelt,295 sondern die Gleichsetzung von thanatos und heimarmene. Diese Unausweichlichkeit des Todes als unfreiwilliger Reigen wird performativ realisiert in den Fällen von real ausgeführten Totentänzen.296 Sie stehen offenbar im Zusammenhang mit dem bereits erwähnten weiteren Feld der Funeral- und Memorialtänze.297 Denn Totentanz – als (häufige) Ikonographie wie als (seltene) Praxis – und Tanzwut haben auch den Ort gemeinsam: Kirchenraum bzw. atrium oder Friedhof, die Übergangszonen abgestufter Sakralität also. Der Totentanz markiert auch insofern die Liminalität des Übergangs, als in ihm die sozialen und spirituellen Hierarchien aufgehoben sind: Hier müssen alle Menschen hindurch. Dieses egalitäre Moment in der communitas des Todes wird in der Totentanz-Ikonographie verbildlicht. Zwischen die gegensätzlichen Pole von Höllentanz und Himmelsreigen schiebt sich also eine dritte Form. In ihr ist Tanz nicht als gut oder böse metaphorisiert, sondern als neutral und ambivalent je nachdem, was den Tanzenden im Jenseits erwartet. Mit dem Tod muss man tanzen, um dann in den Höllen- oder den Engelsreigen einzugehen. Und dieser Reigen auf der Schwelle des Todes wird bevorzugt an jenen Orten verbildlicht, wo auch die Tanzwut ihren Raum findet: auf dem Friedhof und in der Kirche. 294 So im Basler Totentanz (ca. 1440), zitiert nach: Walther, Berliner Totentanz, S. 10 und 15; vgl. die Aussage des Augustiner-Mönchs im Berliner Totentanz: »ik wil eder ik wil nicht ik muth mede dy gan. dar syn alle menschen tho uterkoren«, ebd., S. 71; vgl. ebd., S. 71–82, für weitere Beispiele; allg.: Salmen, Tanz und Tanzen, S. 14–16. 295 So im Sinne der gängigen Gleichsetzung von Tanz und Sexualität: Salmen, Tanz und Tanzen, S. 14 f.; Koch, Salomés Schleier, S. 111 ff. 296 Balogh, Tänze, S. 13; Backman, Religious Dances, S. 148–153; Voss, Tanz, S. 137, 377; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 49 f.; Tuchman, Der ferne Spiegel, S. 456–459; Brunner, Städtisches Tanzen, S. 46; Huizinga, Herbst, S. 200; Gougaud, La danse, S. 230 f.; Sahlin, Étude, S. 185 f.; Davies, Liturgical Dances, S. 52 f.; allg.: Koal, Praxis von Totentänzen. 297 Ihre Existenz spricht gegen die Deutung des Totentanzes als Delegitimierung der Tanzpraxis, so Ruel, Les Chrétiens, S. 111–124. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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III.4.5 Eschatologische Sublimierung und ihr Scheitern: Der Reigen der Engel und Jungfrauen Die von Pseudo-Dionysius Areopagita um 500 kanonisch ausformulierte Umdeutung der pythagoräischen Kosmologie zur hierarchia caelestis, zum ewigen Reigen der Engelschöre um Gott, prägte im gesamten Mittelalter die Eschatologie der lateinischen Kirche.298 Der Himmel als Ort der von Gott geordneten Harmonie war demnach erfüllt von der perfekten Musik ihrer unendlichen Kreisbewegungen.299 Besonders unter dem Eindruck der verstärkten Rezeption des Neoplatonismus in der Renaissance wurden diese Engelsreigen auch in der Kunst zu einem beliebten Motiv, zumal in Darstellungen der Weihnacht. Im Moment der Menschwerdung Christi öffnete sich die Sphäre der Transzendenz und gab für die Augen der Hirten den Blick frei auf die mystische Harmonie der Engel.300 Die Gerechten würden nach dem Jüngsten Gericht in diesen Reigen ein­ gehen, geleitet von Engeln mit Musikbegleitung.301 Denn die mystische unio der Gläubigen mit Gott würde in diesem Tanz vollzogen werden, in dem sie wie die Fixsterne mit ihrem Zentrum eine unveränderliche Verbindung eingingen. Der Sphärenreigen wurde so zur maßgeblichen Imagination für die Brautmystik der mittelalterlichen Ekklesiologie und Eschatologie. Da nach Pseudo-Dionysius die ecclesia eine direkte Spiegelung dieser himmlischen Hierarchie war, wurde die Liturgie zum Abbild und zur irdischen Verwirklichung dieses Sphärenreigens, der Kirchengesang zum menschlichen Nachvollzug der himm­ lischen Harmonie.302 Dies hieß freilich nicht, dass auch die Liturgie unmittelbar die Gestalt eines irdischen Reigens angenommen hätte.303 Die Teilhabe am Sphärenreigen wurde den Christen vielmehr als jenseitige Belohnung für diesseitige Askese und Mäßigung versprochen.304 298 Vgl. allg. Hammerstein, Musik der Engel. 299 Bandmann, Melancholie und Musik, S. 131. 300 Vgl. Hammerstein, Musik der Engel, S. 228–253; Foatelli, Danses religieuses, S. 95–98. 301 Zimmermann, Engelsreigen, S.  110 ff.; Delumeau, Paradis, S.  218–222. Die Endgerichts-Ikonographie etwa der gotischen Tympana kennt freilich für die Prozessionen der Auserwählten und Verdammten nur in Ausnahmefällen eine Tanzförmigkeit. In einer aus Narbonne stammenden Handschrift des Pontificale Romanum aus dem 12. Jh. werden der Auszug der Büßer aus der Kirche an Aschermittwoch und ihre Rekonziliation an Gründonnerstag als reigenförmiger Nachvollzug des Jüngsten Gerichts geschildert, vgl. Sahlin, Étude, S. 145 f. 302 Hammerstein, Musik der Engel, S.  30–52; Ders., Diabolus in musica, S.  15 f.; Angenendt, Religiosität, S.  419–421; Schmitt, Logik der Gesten, S.  118–121; Delumeau, Paradis, S. 209–211; Schulz, Bild, S. 180 ff. 303 Vgl. etwa Pseudo-Bonaventura, De gloria paradisi, 6: »Et sciendum, quod illa beata chorea non vadit ad sinistram, sicut chorea mundi […]«; zitiert nach: Schulz, Bild, S. 148 f. 304 Ruel, Les Chrétiens, S. 106–108; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 7 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Das mittelalterliche Christentum und der Tanz

Abb. 5: Sandro Boticelli: Mystische Weihnacht, 1500, London: National Gallery, NG 1034.

Daher würde die Reigenführerin Maria die Jungfrauen schon unmittelbar nach ihrem Tod in den Kreis der Engel aufnehmen.305 Von Gregor dem Großen bis zu Kleists »Tanznovelle« lässt sich dieses Motiv verfolgen in der Erzählung von dem Mädchen Musa: Sie tanzt für ihr Leben gern, bis ein Seelsorger sie ermahnt, an ihr Seelenheil zu denken. Daraufhin lässt sie von ihrem sündigen Treiben ab. Bald danach erkrankt sie, und auf dem Sterbebett sieht sie den Himmel offen und die Muttergottes, die sie an der Hand in den Reigen der seligen Jungfrauen führt.306 Umgekehrt konnten Exempel in Bußschriften als Strafe für irdischen 305 Schulz, Bild, S. 180–188. 306 Zimmermann, Engelsreigen, S. 117–119; Schulz, Bild, S. 199 f.; Harding, Investigation, S. 57 f.; Ruel, Les Chrétiens, S. 106. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Tanz den ewigen Höllenreigen versprechen.307 Predigt, Bibeldichtungen, Lieder und geistliches Spiel propagierten diese Vorstellung.308 So beeinflusste sie auch die im Spätmittelalter greifbar werdenden populären Erzählungen vom irdischen Paradies und vom Schlaraffenland.309 Vor allem aber wurde der ewige Reigen der Engel und Seligen mit Gott zum unerschöpflichen Fundus für die Visionen und Meditationen der spätmittel­ alterlichen Mystik.310 Schon Hildegard von Bingen (1089–1179) nimmt die Beschreibung der Engelschöre im Corpus Dionysiacum als Vorlage für ihre Tugendlehre.311 Etwa gleichzeitig empfiehlt Richard von St. Victor († 1173) zur meditativen Einsicht in die Hierarchie des Himmels kontemplative Tanzsprünge.312 Christus als Tanzmeister führte die Seelen im Reigen der Minne zur Vereini­ gung mit Gott313 – ein Motiv, das vor allem die Mystik des 13. Jahrhunderts in vielfältiger Form ausarbeitete.314 Nicht etwa der diesseitige Mensch, sondern seine Seele wurde hier in der Brautschaft mit Christus vorgeführt, weshalb auch männliche Verfasser und Rezipienten in diesen Bahnen meditieren konnten.315 Der Tanz der »minnenden Seele« mit Christus aber hatte ausdrücklich zwingende Wirkung: 307 Ruel, Les Chrétiens, S. 96 mit Anm. 2. 308 Harding, Investigation, S. 65 ff. 309 Pleij, Traum vom Schlaraffenland, S. 260–263, 272 f., 286 f. 310 Vgl. allg. Hammerstein, Musik der Engel, S.  28 f., 48–54; Benz, Meditation, S.  32 f.; Backman, Religious Dances, S. 151 f.; Zimmermann, Engelsreigen, S. 129–148. 311 Zimmermann, Engelsreigen, S. 107; Schulz, Bild, S. 153–155; Hammerstein, Musik der Engel, S. 204. 312 Ricardus Sancti Victoris, Mysticae Adnotationes in Psalmos, PL 196, Psalm CXIII, Sp. 338 b f.: »Spirituales itaque, non corporales saltus in hac prophetica sententia quaeramus, et quales denique decebat vel Spiritum sanctum docere, vel prophetam describere. Corporalis saltus, est totum corpus a terra suspendere. Spiritualis saltus, spiritum et totum quod spiritus est a terrenis alienare. Corporalis saltus, est terrae tactum usquequaque deserere, et totius corporis membra per inane librare. Spiritualis saltus est mente excedere, et infimis in imo relictis in invisibilium contemplationem totum transire.« Vgl. Hammerstein, Musik der Engel, S. 48; Zimmermann, Engelsreigen, S. 130 f.; Schulz, Bild, S. 146 f.; Sudbrack, Tanz, S. 34; Bertaud, Danses religieuses, Sp. 30. 313 Vgl. Salmen, Tanz und Tanzen, S. 8 f.; Benz, Meditation, S. 363; Zimmermann, Engels­ reigen, S.  136–139; Leutzsch, Der tanzende Christus, S.  111–113; Hammerstein, Musik der ­Engel, S. 48, 231; Banz, Christus und die minnende Seele; Schulz, Bild, S. 161 f. 314 So Meister Eckhart, vgl. Schulz, Bild, S.  157; Heinrich Seuse, ebd., S.  169 f.; Hammerstein, Musik der Engel, S.  61 f.; Benz, Meditation, S.  25 f.; Zimmermann, Engelsreigen, S.  48, 134–138; Margarethe Ebner, vgl. Hammerstein, Musik der Engel, S.  61; Schulz, Bild, S.  ­155–166; Mechthild von Magdeburg, vgl. Zimmermann, Engelsreigen, S.  107–110, 143– 145; Gertrud von Helfta und Mechthild von Hackeborn, vgl. ebd., S.  132 f.; Schulz, Bild, S. 159 f. 315 Hammerstein, Musik der Engel, S.  48; Zimmermann, Engelsreigen, S.  145 f.; Schulz, Bild, S. 214–218. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 6: Christus und die minnende Seele, 15. Jh., Einsiedeln, Stiftsbibliothek, cod. 710 (322), fol. 18r., Detail (www.e-codices.unifri.ch).

»Tü von dir venien und betten, Du must mit mir den raygen tretten.«316

Manche dieser Texte sind als Visionsberichte gefasst, als Verschriftlichung eksta­tischer Erfahrungen also. Andere, etwa die massiv mit sexuellen Metaphern spielende Passage in Mechthilds von Magdeburg »Fließendem Licht der Gottheit« sind Meditationen über das, was die Seele im Jenseits erwartet.317 Als quasi autobiographischer Bericht einer Nonne wären sie wohl kaum theologisch zu rechtfertigen gewesen.318 Der Konstanzer Dominikaner Heinrich Seuse († 1366) macht das ganz klar: 316 Zitiert nach: Harding, Investigation, S. 63; vgl. Schulz, Bild, S. 179. 317 Zum Stellenwert des Erotischen in der Brautmystik vgl. Zimmermann, Engelsreigen, S. 140–142. 318 Zur Paradoxie der Körperlichkeit in der Mystik vgl. ebd., S. 131–133. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»Dis tanzen was nit geschafen in der wise, als man in diser welt tanzet; es waz weiswie ein himelscher uswal unnd ein wiederinwal in daz wild abgrund der götlichen togenheit [Verborgenheit].«319

Davor, dass diese mystische Gottesminne zur Entsublimierung und damit zur körperlichen Leidenschaft führen konnte, hatte schon Jean Gerson (1363–1429) in seiner Apologie der Devotio moderna auf dem Konstanzer Konzil gewarnt: »Die geistliche Liebe verfällt allzu leicht in nacktes fleischliches Begehren.«320 Die von den Visionärinnen behauptete Auflösung des Ich in der mystischen Vereinigung mit Gott sei letztlich teuflische Vorspiegelung und Legitimation zur freigeistigen Entgrenzung. Führte diese Verurteilung jedoch in der niederländischen und deutschen Devotio moderna zu »Puritanismus« und »pietistische[r] Einfältigkeit«, gar zur Abkehr von der neoplatonischen Mystik?321 Zumindest für die Ebene der Kontemplation wäre dies zu überprüfen. Dass die Vorstellung von Jesus als Tanzmeister mit der liturgischen Praxis des Osterfestes verknüpft war, zeigt ein niederdeutsches Osteroffizium (1478), das wohl aus dem Umfeld der Hildesheimer Fraterherren, also ebender Devotio moderna, stammt. Es enthält allerlei Betrachtungen und Lieder, die um die Brautschaft der Seele mit Christus und ihre Verwirklichung in der Eucharistie kreisen. Dabei ist immer wieder vom spirituellen Tanz die Rede. Der Auszug Jesu aus der Hölle mit den durch ihn Befreiten wird ausdrücklich als Reigen geschildert.322 Für die Feier der Auferstehung am Ostersonntag enthält das Brevier folgendes Lied: »Her ihesus springhet to voren an he let [leitet] de brut an siner hant. he is de den iubel kan. iubilus is he ghenant. salich de den iubel wet [kennt]. de sele wert van mynnen het vnde van hemmelcher [himmlischer] spise sat.«323

319 Ebd., S. 62; Benz, Meditation, S. 25 f. 320 »Amor spiritualis facile labitur in nudum carnalem amorem.« Zitiert nach: Huizinga, Herbst, S. 278, vgl. allg. ebd., S. 272–284. Zur Devotio moderna vgl. Zschoch, Christenheit im Hoch- und Spätmittelalter, S. 274–281; Iserloh, (Art.) Devotio moderna. 321 So Huizinga, Herbst, S.  323–325 (über Thomas  a Kempis). Huizinga, ebd., S.  246, 269 ff., unterscheidet eine durch Verinnerlichung und Disziplin gekennzeichnete niederländisch-deutsche Frömmigkeit von der durch »leidenschaftlicheren, spasmischen Charakter« gekennzeichneten französischen. Hier schwingt erkennbar die eigene mennonitische Herkunft des Verf. mit, aber auch eine mögliche Assoziation von Tanzwut und »Hysterie«. 322 Ernst (Hg.), Osterbrevier, S. 61: »Post hec processio sollempnis in memoriam illius processionis quam Christus rex glorie rediens ab inferis cum exercitu redemptorum celebrauit dum eos in paradysum exultationis intoducit tripudians et saliens, […]«; vgl. dazu Sahlin, Étude, S. 145–149, 184; Leutzsch, Der tanzende Christus, S. 112; Backman, Religious Dances, S. 88 f. 323 Ernst (Hg.), Osterbrevier, S. 61. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Ostern ist also der Tag der Hochzeit der Seele mit Gott in der Auferstehung und der Eucharistie. Dies wird auch noch mit einer längeren Beschreibung der Engels­hierarchien nach Pseudo-Dionysius erläutert.324 Freilich wird in dieser Hildesheimer Schrift durchgehend recht deutlich die Differenz zwischen der litur­gischen Praxis (Schreiten) und dem spirituellen Vorbild (Reigen) markiert. Der Osterreigen bleibt hier also ein kontemplativer. Die christliche Brautmystik konvergiert mit der platonischen Kosmologie zu einem komplexen eschatolo­ gischen Geflecht von Bezügen. Im Umfeld der Devotio moderna wurde die Vorstellung vom Sphärenreigen und seinem kontemplativ-meditativen Nachvollzug schließlich auch popula­ risiert. Der Augustiner-Chorherr Johannes Mombaers (Mauburnus) aus Brüssel (1460–1502/03) nahm in sein umfangreiches Meditationshandbuch Rosetum exercitiorum spiritualium et sacrarum meditationum (gedruckt erstmals 1494, danach mehrere Auflagen bis 1620) auch das »Chiropsalterium« auf. Bei dieser kontemplativen Übung sollte anhand der Fingerglieder einer Hand der Aufstieg der Seele zu Gott nachvollzogen werden. Mit jedem Finger waren dabei bestimmte Musikinstrumente allegorisch verknüpft, zu deren Musik die Seele nun den Sphärenreigen mimetisch erfahren sollte. Die Stufen der Meditation waren dann mit einzelnen Tanzformen assoziiert, für deren Schilderung sich Mau­ burnus insbesondere bei Lukian von Samosata (De saltatione) bedient hatte.325 Das Rosetum verbreitete sich schnell im Umfeld der Windesheimer Kongregation. Martin Luther etwa übte mit seiner Hilfe Meditationstechniken, ebenso Ignatius von Loyola.326 Seine Wirkung auf laikale Devotionsformen und ihre Wahrnehmung durch monastische und klerikale Beobachter wäre zu unter­ suchen. Las man das »Chiropsalterium« nicht, wie von Mauburnus zweifellos gedacht, als Anleitung zur meditativen Kontemplation, so erhielt man nichts weniger als eine komplette Gebrauchsanweisung zum sakralen Tanz. Wenn etwa 1555 in Dresden327 oder während des Dreißigjährigen Krieges in Leipzig328 junge Leute nachts Schwerttänze auf dem Kirchhof aufführten, so könnte dahinter der von Mauburnus als erster Schritt zu Gott beschriebene Pyrrhische Tanz nach Lukian stehen.329 Auch der enthusiastische Tanz der Korybanten hat seinen Platz im »Chiropsalterium«, als fünfter und letzter Schritt zu Gott.330

324 Ebd., S. 66. 325 Grundlegend zu Mauburnus und dem Rosetum: Benz, Meditation; Brunner, Städtisches Tanzen, S. 51. 326 Benz, Meditation, S. 5. 327 Wähler, Kindertanzzug, S. 72; Panzer, Tanz und Recht, S. 30 ( datiert auf 1558); Salmen, Tanz und Tanzen, S. 50. 328 Wähler, Kindertanzzug, S. 72. 329 Benz, Meditation, S. 28. 330 Ebd., S. 29. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Inwieweit wirkte das Rosetum etwa auf die Tanzwut des 16. Jahrhunderts und ihre Rezeption durch theologisch gebildete Verfasser ein? In jedem Fall war der devoten Verinnerlichung der kosmischen Mimesis damit ein Überschreitungspotential eingeschrieben, mit dem sich die frühneuzeitlichen Kirchen auseinandersetzen mussten. Der nur innere Tanz wurde nach dem Muster der sobria ebrietas der Kirchenväter zur ekstatischen Schau.331 Die unio mystica führte dabei zum Sich-selbst-vergessen, zum temporären Verlust der Personalität.332 Der platonische enthusiasmos war hier in einer positiven Sicht zur Verschmelzung mit dem Höchsten umgeformt. Dass die ekstatische Schau des Sphärenreigens sich auch in unwillkürlichen körperlichen Expressionen zeigen konnte, berichten schon Jacques de Vitry und ebenso Johann Ruysbroek (1293–1381), der Vorläufer der Devotio moderna.333 Etwa 1267 beschreibt auch der Abt Philipp von Clairvaux (Abt 1262–1273) nach einer Visitationsreise ins Zisterzienserinnenkloster Herkenrode die tänzerische Mimesis der Passionsgeschichte, die er bei der Begine Elisabeth im Dorf Spalbeek bei Lüttich beobachtet hatte.334 Der Verinnerlichung der Frömmigkeit war damit immer die Option der Entsublimierung des Sphärenreigens inhärent. Entsprechend wurde gerade die neoplatonisch inspirierte Mystik immer wieder auch in Tanzpraxis performativ verwirklicht, prominent etwa noch in der karmelitischen Mystik des 17. Jahrhundert um Theresa von Avila.335 Auch die verschiedentlich überlieferten Tänze in spätmittelalterlichen Klöstern wird man zum Teil als Reaktionen auf diese Vorstellungen interpretieren können.

331 Bynum, Fragmentierung, S. 117–122; Huizinga, Herbst, S. 280 f. 332 Meier, Vergessen, Erinnerung, Gedächtnis, S.  190 f.; Algazi, Sich selbst vergessen, S. 409–413. 333 Dinzelbacher, Mittelalterliche Frauenmystik, S. 16 f. (Jacques de Vitry über Beginen); Davies, Liturgical Dance, S. 47; Schmitt, Logik der Gesten, S. 203. 334 Rodgers/Ziegler, Elizabeth of Spalbeek, die die mystische imitatio Christi als de factoApotheose missverstehen. Ihre anthropologisch-komparatistische Untersuchung hätte von einer Kenntnis von Rougets »Enthusiasmus«-Konzept sicher profitieren können. 335 Benz, Meditation, S. 25; Foatelli, Danses religieuses, S. 70; Bertaud, Danses r­ eligieuses, Sp. 35 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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III.5 Ausdrucksformen: Ansätze einer Grammatik des religiösen Tanzes im mittelalterlichen Christentum III.5.1 Performanz der Heillosigkeit: Körperliche Expressivität und die Abwesenheit Gottes Zumindest im heutigen (protestantischen, unwesentlich weniger auch im katholischen) Christentum ist das Repertoire religiöser körperlicher Expressionen radikal auf den Ausdruck positiver spiritueller Zustände beschränkt. Im Gebet lässt sich nur noch die funktionierende Kommunikation mit der Transzendenz ausdrücken, die »Erfahrung« der »Gnade« oder des »Charismas«. Katholische Bußrituale enthalten immerhin noch die Performanz demütiger Zerknirschung und Reue. Die mittelalterliche Devotionspraxis jedoch kannte auch mime­tische Rituale, in denen Zustände von Sündigkeit, von Unerlöstheit und Heilsverlust inszeniert wurden. Dies gilt zunächst für das weite Feld des geistlichen Spiels, vom Mysteriendrama bis zur mimischen Ausgestaltung von Reliquienprozessionen: Auch die bösen Rollen wurden besetzt – und ausgestattet mit dem bekannten Repertoire der Teufels-, Dämonen- und Heidenimaginationen. Die »heidnischen Götter« erlebten so nicht etwa eine camouflierte Kontinuität unter einem »dünnen Firnis« von Christianität, sondern ihre Ikonographie und ihre Mythenwelt wurde zum Reservoir für die Darstellung des zu Überwindenden (und in der Perspektive der christlichen Heilsgeschichte Überwundenen), des Teufels.336 Nur in diesem Sinn einer eschatologischen Inszenierung lebten auch im Karneval »heidnische« Figuren weiter, indem sie nämlich für die Markierung des Negativbildes benötigt wurden.337 Wer bei einer solchen Prozession den Teufel spielte, konnte die Überschreitungspotentiale der Rolle schauspielerisch lustvoll auskosten. Und doch war seine Seelenheil-Ökonomie durch diese Maskerade nicht negativ tangiert, denn das Spiel an sich war ja gottgefällig. Es gab jedoch auch andere Fälle: Die moderne christliche Alltagspraxis kennt Gott nur noch als Anwesenden, als allzeit zur Kommunikation mit den Gläubigen bereite Instanz. Die mittelalterliche Christianität kannte den abwesenden Gott, der dem einzelnen Gläubigen, der ganzen Gemeinde oder gar der ganzen Christenheit die Gnade entzogen hatte. Auch derartige Zustände des Heilsverlusts wurden in rituellen Akten performativ umgesetzt – nur war dies viel mehr als ein Rollenspiel. Zum Jahr 1188 verzeichnet das Itinerarium Cambriae des 336 So ließ man bei der 1462 eingeführten und bis zur französischen Revolution gepflegten Prozession zu Corpus Christi in Aix-en-Provence heidnische Götter, Teufel, große Sünder wie Herodes etc., am Schluss des Zuges den Tod selbst auftreten, Backman, Religious Dances, S. 111. Ebenso tanzte der Kölner »Gottestracht« im 16./17. Jh. ein Narr als Repräsentant des Teufels vorweg, Backman, Religious Dances, S. 90 f. 337 Vgl. allg. Moser, Fastnacht und Fronleichnam. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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­ iraldus Cambrensis (1146–1223), wie an der Grabkirche der hl. Almedha im G walisischen Brecknockshire an ihrem Feiertag (1. August) Pilger zunächst einen Reigen aufführten. Dann lösten sie sich voneinander und fielen regungslos zu Boden, bevor jede/r für sich begann, pantomimisch die Sünde nachzuspielen, mit der sie/er den Zorn Gottes auf sich gezogen hatte, insbesondere Arbeiten, die gegen die Sonntagsruhe verstoßen hatten. Schließlich tanzten und opferten sie in der Kirche und wurden daraufhin »geheilt« entlassen.338 Der Kreuzzugsprediger Giraldus befand sich gemeinsam mit dem Erzbischof Balduin von Canterbury († 1190) auf einer Werbereise für den Dritten Kreuzzug. Seine Auftritte waren sehr gezielt darauf angelegt, enthusiastische Ausbrüche zu provozieren und so die Rekrutierung zu befördern.339 Andererseits verurteilte er selbst an anderer Stelle die Verwendung von Zeichensprache in Benediktinerklöstern, da der verbale Ausdruck gottgefälliger sei als die körperlichen Expressionen der Gaukler.340 Die Beschreibung der Buß-Performance der Pilger von Brecknockshire ist also nicht ethnographisch (oder gar pathologisch) zu lesen, sondern als Reflexion eines Predigers über die Wirkung seiner Profession: ­Giraldus war ein Gegner religiöser Expressivität, aber ein geschickter Anwender charismatischer Manipulationstechniken. Was er beschrieb, war offenbar ein anerkanntes rituelles Verhalten, eine Mimikry der eigenen Sünden, vermittels derer die Büßer wie durch das verbale Bekenntnis in der Beichte die Absolution erlangen konnten.341 Der Reigen diente hier rituell als Klammer vor und nach der confessorischen Performanz. Er markierte den Zustand der Heilsgefährdung, in dem sich die Gläubigen infolge ihrer Verstöße gegen die Sonntagsruhe befanden. War er also Teil des vorgeführten Sündenkatalogs, quasi als zusammenfassender Inbegriff, als Gegenpol für die von der Kirche postulierte Sakralisierung des ersten Wochentags? Oder war er Medium der Wiederherstellung des durch die Sünde gestörten Verhältnisses zu Gott? Diese Ambivalenz musste für den zeitgenössischen Beobachter vielleicht gar nicht aufgelöst werden. Denn in beiden Fällen funktionierte der Tanz als Teil einer körperlich expressiven Inszenierung der Heilsbedrohung bzw. des büßenden Strebens nach Re-Integration in die Gnade Gottes. 338 Beek, De geestesgestoorde, S. 243; Schmitt, Logik der Gesten, S. 230; Rosen, Madness in Society, S. 200 f.; Sachs, Weltgeschichte, S. 171; Baesecke, Kölbigker Tanz, S. 269; Stumpfl, Kultspiele, S. 168 f.; Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 327; Backman, Religious Dances, S. 177, 268. Das beschriebene Verhalten der Pilger wird in der Forschung vielfach als Massenhysterie oder gar explizit als Fall von Tanzwut gedeutet (Beek, Baesecke, Backman, Sachs; dagegen schon: Stumpfl). Es handelt sich aber deutlich erkennbar um eine religiöse Inszenierung. Mit der Tanzwut steht sie allenfalls in dem hier beschriebenen semiotisch-genealogischen Verhältnis. 339 Dickson, Religious Enthusiasm, S. I 21; Dickson, Medieval Christian Crowds, S. 63 f.; zur Person auch Misch, Geschichte der Autobiographie, Bd. III.2, S. 1297–1479. 340 Schmitt, Logik der Gesten, S. 243. 341 So schon Rosen, Madness in Society, S. 201. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Das von Giraldus als erlebte Realität beschriebene Bußritual hat Parallelen in der Visionsliteratur: So schildert die englische »Visio Thurkilli« (1206), wie die Seelen der Sünder im Fegefeuer ihre Untaten immer neu nachspielen und selbst erleiden müssen.342 Elaboriert findet sich diese Vorstellung dann in Dante ­A lighieris »Göttlicher Komödie«.343 Die Wiederholung der Sünde dient also in der dieseitigen mimischen Inszenierung wie im Jenseits der Realisierung von Zuständen der Heilsbedrohung (Bußpilgerschaft), der Heillosigkeit (Hölle) oder der Wiederherstellung des Seelenheils (Fegefeuer, Buße). Eine Gesellschaft, deren Kommunikation weniger verbal als performativ funktioniert, kann auch das Sündenbekenntnis körperlich inszenieren, für das es in der skript-oralen Gesellschaft nurmehr die Verbalisierung in der Beichte gibt. Dies gilt für reale Krisensituationen, aber auch für rituell eingehegte Formen der Inszenierung von Ordnungsumkehr. Ebenso konnte Gottesferne auch zum definierenden Merkmal einer ganzen sozialen Gruppe werden, deren Tätigkeit sich durch Tanz und gesteigerte körperliche Expressivität auszeichnete: der Gaukler und Spielleute, die man einerseits gern beschäftigte, denen man andererseits aber latent Sündigkeit und Verworfenheit unterstellte.344 Und boten nicht auch die Grenzüberschreitungen karnevalistischer Feste eher expressive Spielräume für die Erfahrung und Darstellung von Heillosigkeit? Wurde nicht gerade im lustvollen Regelverstoß die Wahrnehmung der Gottesferne gleich mitgeliefert? Sünden-Performanzen machten also die Ambivalenz der Grenzüberschreitung körperlich erfahrbar und äußerlich darstellbar und trugen gerade so zur Einschärfung der sozialen Spielregeln bei. In diesen Kontexten trat immer wieder auch der Tanz als Metapher wie als körperliche Praxis auf. Es wäre also zu untersuchen, inwieweit tänzerische Praktiken im Kontext sakraler Räume oder religiöser Kulthandlungen solche Zustände der Heillosigkeit mimetisch erfahrbar und lesbar machten. Der Tanz als körper­ liche Ausdrucksform wie als Metapher bot sich dabei besonders an, weil ihm im christlichen Denken grundsätzlich eine Ambivalenz eigen war zwischen positiver Besetzung als göttlich/himmlisch und negativer Besetzung als teuflisch/ dämonisch.

342 Schmitt, Logik der Gesten, S. 253 f.; Dinzelbacher, Körper und Frömmigkeit, S. 41–43. 343 Hammerstein, Diabolus in musica, S. 39; Ders., Die Musik der Engel, S. 148–168. 344 Kotte, Gottferne. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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III.5.2 Performanz des Heils: Tanz als Integration in die Sphärenharmonie Die Mehrheit der quellenmäßig greifbaren Tänze im sakralen Kontext war durchaus nicht als Devianz von der angeblichen Norm der Tanzverbots kon­ zipiert, sondern interpretierbar als spezifischer performativer Ausdruck christlicher Vorstellungen von Heilsgeschichte und Kosmologie. Am besten untersucht ist dies für die österlichen Labyrinth-Tänze in französischen Kathedralen, insbesondere für Auxerre (13.–16. Jh.). Bischof, Dekan und Domkapitel kamen da am Ostertag am Labyrinth im Boden des Hauptschiffes der Domkirche zusammen. Während die Kanoniker einen Kreisreigen (chorea) um den Irr­garten tanzten und dazu die Ostersequenz »Victimae paschali laudes« sangen,345 führte der Dekan ein tripudium durch das Labyrinth auf, wobei in regelmäßigen Abständen ein Ball zwischen ihm und den Kanonikern hin und her geworfen bzw. geschlagen wurde. 1471 kam es im Domkapitel zu einem Konflikt über die Rechtgläubigkeit dieses Spiels. 1538 schließlich wurde es verboten.346 Mehr oder weniger vergleichbare Tänze bzw. Spiele werden in der Literatur erwähnt für Reims,347 Sens,348 Amiens,349 Nevers,350 Chartres,351 Besançon,352 Rouen,353 Narbonne,354 Moissac,355 Vienne356 und Salins (Jura).357 345 Zu Bedeutung und Funktion dieser Antiphon vgl. Eisenberg, Performing the Passion, [S. 8–11]. 346 Wright, The Maze, S. 141 f.; Backman, Religious Dances, S. 67; allg. Zellmann, Lusus erat, die, S. 71, darauf hinweist, dass für das Verbotsverfahren weniger der Tanz als vielmehr das Ballspiel im Sakralraum entscheidend war. 347 Koal, Detestatio, S. 21; Sahlin, Étude, S. 147; Davies, Liturgical Dance, S. 49 f.; Wright, The Maze, S. 50–59. 348 Backman, Religious Dances, S. 75; Koal, Detestatio, S. 21; Chailley, Danse religieuse, S. 371; Rockseth, Danses cléricales, S. 97 f.; Davies, Liturgical Dance, S. 51; Gougaud, La danse, S. 232; Sahlin, Étude, S. 149; Wright, The Maze, S. 145–147. 349 Davies, Liturgical Dance, S.  50; Schmitt, Logik der Gesten, S.  87; Zimmermann, Engels­reigen, S. 105. 350 Zellmann, Lusus erat, S. 63. 351 Doob, Idea, S. 123 mit Anm. 40; Koal, Detestatio, S. 21; Sahlin, Étude, S. 149; Wright, The Maze, 84 f., 147–151. 352 Koal, Detestatio, S. 21; Rockseth, Danses cléricales, S. 98; Gougaud, La danse, S. 235 f.; Davies, Liturgical Dance, S. 60; Sahlin, Étude, S. 148 f.; Schulz, Bild, S. 105; Horowitz, Danses cléricales, S. 291; Stumpfl, Kultspiele, S. 137 f.; Stieren, Tänzersage, S. 11; Schwab, Hirsch und Hindin, S. 109 f.; Delumeau, Paradis, S. 212; Voss, Tanz, S. 62; Balogh, Tänze, S. 10; Backman, Religious Dances, S. 74 f.; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 25. 353 Koal, Detestatio, S. 21. 354 Ebd., S. 21. 355 Backman, Religious Dances, S. 48. 356 Sahlin, Étude, S. 147. 357 Ebd., S. 149. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Schon die ältere Forschung hat in diesem Tanzspiel einen Reflex auf kosmologische Konzepte erkannt. Der Reigen der Kanoniker um ihren Dekan im Zentrum wurde als Nachvollzug der Sphärenbewegungen, der geworfene Ball als Symbol für die Sonne gedeutet. Gegen Deutungen als paganes Residuum konnte schon Backman zeigen, dass es sich dabei im Kern um ein christliches Oster­ ritual handelt, in dem der Kampf des Theseus gegen den Minotaurus im Labyrinth des Daedalus mit Tod, Auferstehung und Triumph Christi allegorisiert wurde.358 Penelope Doob wies darauf hin, dass der Ball zumindest nicht primär als solares Symbol zu verstehen sei. Vielmehr rekurriere er direkt auf den Minotaurus-Mythos und dessen christliche Umdeutung. Den Sieg bringen dem Theseus nämlich zwei Bälle: einer aus Lehm, den er dem Untier in den Rachen stopft, und einer aus Garn, vermittels dessen er den Rückweg aus dem Labyrinth findet. Dabei steht der Lehm für die menschliche, das Garn für die gött­ liche Natur Jesu, die gemeinsam seinen Sieg bedingen.359 Der Sieg des Christus/Theseus über den Minotaurus/Satan im Labyrinth/ der Hölle als Allegorie der Passion fand seinen Ausdruck im tänzerischen Nach­ vollzug. Wohl nicht zufällig tritt das Labyrinth als Bildformel in der christ­ lichen Buchmalerei zunächst in computus-Handschriften auf, im Zusammenhang mit der Berechnung des Oster-Termins also.360 Das frühe Christentum hatte die Geburt Christi und den ersten Schöpfungstag zunächst mit dem Frühlings­anfang assoziiert und seinen Tod am gleichen Tag angesetzt. Später setzte man die Geburt auf das Wintersolstitium, womit das Frühjahrs­ äquinoktium zum Empfängnistermin wurde. In jüdischer Tradition setzte sich dann gegen diese solare Terminierung die solilunare Oster-Datierung am Sonntag nach dem ersten Vollmond nach dem Frühjahrsäquinoktium durch.361 Gregor von Nazianz zufolge wurde der Frühling so zur kosmischen Feier des Triumphes Christi, bei der sich im ewigen Freudenreigen der Schöpfung die 358 Eisenberg, Peforming the Passion, hat die Pelota neuerdings wieder als ambivalente Synthese aus paganen Spieltraditionen und christlicher Liturgie lesen wollen, bei der im Raum des Liminalen die Transgression von sozialen und geschlechtlichen Grenzen verhandelt würde. Verdienstvoll ist dabei der Versuch, das Ritual als Ort der Verhandlung von Wider­sprüchen und Ambivalenzen zu analysieren. Anders als bei den nordamerikanischen Yaqui (seinem Vergleichsfall) handelt es sich bei den tanzenden Domherren von Auxerre jedoch nicht um frisch missionierte Laien, sondern um Hochkleriker in einer seit Jahrhunderten christianisierten Stadt. Schließlich überschätzt er deutlich das konkrete subversive Potential der in der christlichen Religion angelegten Ambivalenz von charismatischer communitas und institutioneller Ordnung. 359 Doob, Idea, S. 125 f.; dagegen betonen Wright, The Maze, S. 142, und Eisenberg, Performing the Passion, [S. 5], wohl zu Recht wiederum die solare Konnotationsebene schon des Theseus-Mythos. 360 Eisenberg, Performing the Passion, [S. 3]. 361 Wallraff, Christus verus Sol, S. 110–125, 185; Klaus, Antikes Erbe, S. 25–29, 56; Förster, Anfänge, S. 306–309. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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göttliche Ordnung der ecclesia spiegelte.362 Die Karfreitagsansprache des Kaisers Konstantin beschreibt die Passion als Einbruch von Chaos und Dunkelheit, bis die Auferstehung den kosmischen Reigen der göttlichen Ordnung wiederherstellt.363 Schon in seiner Entstehungszeit im 3.  und 4.  Jahrhundert integrierte das christliche Osterfest also platonisch-pythagoräische Konzepte vom chorus als Synonym für die göttliche Ordnung und ihre zyklische Zerstörung und Wiederherstellung. So konnten die französischen Domherren den Moment der Auferstehung, ritualtheoretisch gesprochen: der Re-Integration nach der liminalen Phase des drei­tägigen Todes Christi, mit einem Reigen begehen. Ähnlich könnte man wohl auch die Tänze an anderen Hochfesten des Kirchenjahres mit deren Transgressionscharakter erklären: Etwa an Weihnachten (beim vor allem in den Niederlanden und Deutschland überlieferten Kindelwiegen)364 als dem Eintritt des Gottessohnes oder an Pfingsten (z. B. Angers)365 als dem Eintritt des Heiligen Geistes in die Immanenz, an Fronleichnam (z. B. Sevilla, s. o.) als dem sprichwörtlichen Fest der Inkarnation, um­ gekehrt an Christi Himmelfahrt (z. B. Limoges)366 als dem Tag des Aufstiegs in die Transzendenz. Den erwähnten Ball musste in Auxerre alljährlich ein neu ins Domstift eingetretener Kanoniker besorgen.367 Das Tanzspiel des Domstifts wurde so auch gruppenintern zum Übergangsritual, vermittels dessen der neue Pfründen­ inhaber in den vornehmen Kreis des Kapitels integriert wurde.368 Unklar bleibt, ob und in welcher Form der Initiand selbst am Spiel beteiligt war. In jedem Fall stand oder tanzte er singend im Kreis seiner Mitbrüder, während der von ihm gestiftete Ball zum symbolischen Werkzeug der Heilsgeschichte wurde. Die Pelota steht so auch im Kontext anderer Formen von paraliturgischem Tanz, die als Sequenz von rites de passage beschrieben werden können. Durch das motorisch durchaus anspruchsvolle Element des Ballspiels wird der Reigen dabei entscheidend erweitert, wie Ulrike Zellmann gezeigt hat: Konstitutiv für das Ritual wird das Risiko des Fehlwurfs, also des Scheiterns, wie ja auch die damit inszenierte kosmische Transgression gelingen oder scheitern konnte. 362 Miller, Measures of Wisdom, S. 369 f. 363 Ebd., S. 265–267. 364 So in Hof (Bayern), 16. Jh.: Ottersbach, Einführung, S. 34 f.; Schulz, Bild, S. 101 f.; Voss, Tanz, S. 215; Backman, Religious Dances, S. 128; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 26; oder in Preetz (Sachsen): Salmen, Tanz und Tanzen, S. 29. 365 Stieren, Tänzersage, S. 12; Backman, Religious Dances, S. 76. 366 Gougaud, La danse, S. 236 f. 367 Schnapper, Labyrinths, S. 358 f.; Sahlin, Étude, S. 146 f.; Hayes, Body and Sacred Place, S. 64 f.; Doob, Idea, S. 123 f.; Davies, Liturgical Dances, S. 52–58; Backman, Religious Dances, S. 66 ff., Zellmann, Lusus erat. 368 Eisenberg, Performing the Passion, [S. 8 ff.]. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Die Liminalität des Tanzes wird so im Moment des Spielerischen auf die Spitze getrieben.369 Interpretiert man die translatio bzw. den adventus eines Heiligen bzw. seiner Reliquien als Übergangsritual, so werden auch die von Pierre Riché und anderen für das Frühmittelalter beschriebenen tripudia als tänzerische Harmonisierung von irdischer ecclesia und himmlischem Reigen lesbar. Ihre jährliche Wieder­ holung als Kirchweih- bzw. Patronatsfest diente dann der Erneuerung der kosmischen Verbindung, die durch das brautmystische Verhältnis zwischen dem Heiligen und seiner Kirche gegeben war. Ebenso kennen wir wie erwähnt bis weit in die Neuzeit den Tanz bei Toten­ feiern und Beerdigungen. Wie die Domkanoniker nordfranzösischer Kathedralen Tod und Auferstehung Christi mit einem Reigen begingen, so wurde in diesen Funeraltänzen die Transgression der Grenze von diesseitigem und jenseitigem Leben rituell realisiert. Besonders häufig sind solche Leichentänze bei unverheiratet verstorbenen Mädchen überliefert, die so von ihren Altersgenossinnen quasi direkt in den Reigen der Engel eingegliedert wurden.370 Ganz ähnlich dürfte der Tanz von Novizinnen bei ihrer Profess als rituelle Imitation des himmlischen Reigens der Jungfrauen aufzufassen sein, zu dem Nonnen als Bräute Christi privilegierten Zugang hatten. Dass auch bei der Profess von Mönchen und der Primiz von Priestern Tänze verbreitet waren, zeigt, dass das Ideal engelsgleicher Jungfräulichkeit für Kleriker und Religiose beider Geschlechter galt. Allgemein konnten Statuswechsel in die kirchliche Hierarchie hinein und innerhalb dieser mit einem Tanz im rituellen Verlauf einhergehen. Da auch die Ehe im christlichen Verständnis einen spezifischen Heilsstatus begründete, nimmt es schließlich nicht wunder, dass gerade die Hochzeitsfeier als für die Bindewirkung ganz zentrale Sequenz einen Tanz der Brautleute, ihrer Eltern und der Verwandtschaft kannte. Auch für diesen Übergang war offen­bar die Kommunikation mit der ewigen Sphärenharmonie von konstitutiver Bedeutung.371 Nicht nur Tod und Auferstehung des Gottessohnes, sondern auch eine ganze Reihe von anderen Statuswechseln innerhalb der ecclesia konnten also mit tänzerischen Nachvollzügen der kosmischen Harmonie rituell ausgestaltet werden. Einige von ihnen verknüpfen das Motiv des Reigens mit dem der Brautmystik und stellen so den irdischen Statuswechsel in eine Wechselbeziehung mit 369 Zellmann, Lusus erat, bes. S. 59–65; Zellmanns ansonsten luzide Interpretation setzt allerdings als theologischen Hintergrund eine dualistische Weltwahrnehmung voraus, wie sie dem Mittelalter angeblich grundsätzlich eigen gewesen sei. Auch geht sie zu Unrecht von einem Gegensatz von Tanz und Spiel aus. Tanz galt eben nicht als grundsätzlich teuflisch, und die irdische Welt eben nicht einfach als Reich des Satans (ebd., S. 54). 370 Sahlin, Étude, S.  185 f.; Chailley, Danses clericales, S.  362; Panzer, Tanz und Recht, S. 23, 34; Schulz, Bild, S. 178; Backman, Religious Dances, S. 136–140. 371 Schulz, Bild des Tanzes, S. 102 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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dem Reigen der Engel. Sie alle aber werden noch verständlicher, wenn man die ­ecclesia mit Pseudo-Dionysius Areopagita als Spiegelung der hierarchia caelestis liest: Wenn die ewig sich harmonisch bewegenden Himmelsmächte durch sympathetische Kommunikation miteinander verbunden sind, dann entspricht ein Statuswechsel in der irdischen Kirche dem Auf- (oder Ab-)stieg der Seele in den jenseitigen Sphären.372 Durch den Tanz wurde dabei die für den Wechsel notwendige sympathetische Harmonisierung ermöglicht. Er gewährleistete also die Gültigkeit von diesseitigen Rechtsakten und Kulthandlungen, indem er diese mit der jenseitigen Ordnung in Übereinstimmung brachte. Der Tanz in der Kirche folgte also auch in diesen Fällen einer christlich-kosmologischen Logik.

III.5.3 Das Heil suchen und finden: Das Labyrinth als Bild gewordener Sphärenreigen Gespielt bzw. getanzt wurde die Pelota von Auxerre in einem in den Boden eingelegten großen Labyrinth im Mittelschiff des Doms St.-Etienne. Solche Labyrinthe im Boden finden sich in vielen gotischen Kathedralen in Nordfrankreich. Als Wandschmuck kennt man sie schon aus dem früheren Mittelalter in Italien, etwa in Ravenna, Pavia und Lucca. In Deutschland weist nur Köln in St. Severin ein (heute nicht mehr erhaltenes) Kirchenlabyrinth auf, in England und Skandinavien dominieren hingegen Erdanlagen im Freien.373 Das früheste bekannte Labyrinth in einer Kirche findet sich im heutigen Algerien (4. Jh.).374 Craig Wright hat nun zu Recht betont, dass Kirchen-Labyrinth und Tanz nicht zwangsläufig zusammengehen: Wo das Labyrinth an der Wand angebracht ist, ließ es sich allenfalls mit dem Finger oder dem Blick verfolgen. Für viele Boden-Labyrinthe ist kein Reigen überliefert, andernorts tanzte man etwa am Altar, nicht im monumentalen Labyrinth.375 Da mehrfach Bezeichnungen wie »chemin de Jerusalem« überliefert sind, wurden die im Durchmesser ­13–16  Meter großen französischen Bodenmosaiken lange Zeit als Schauplatz symbolischer Pilgerfahrten als Ersatz für die Reise ins Heilige Land interpretiert. Zumindest für eine reale Substitutionsfunktion gibt es jedoch keinen Beleg.376 Eine symbolische Gleichsetzung mit dem himmlischen Jerusalem, aber 372 Vgl. oben, Kap. II.2. 373 Zur Verbreitung vgl. Wright, The Maze, S. 29–71. 374 Früher in der Kirche St. Reparatus, El Asnam (324 n. Chr.), heute in Algier, vgl. Eisenberg, Performing the Passion, [S. 3]; zur Verbreitung: Wenskus, Religion abâtardie, S. 192 f.; Schnapper, Labyrinths, S. 353; Doob, Idea, S. 114–118; Wright, The Maze, S. 16 ff. (mit Abb. 1.5 und 1.6). 375 Vgl. dazu: Greene, Labyrinth Dances, S. 1431. 376 Doob, Idea, S. 119–121; vgl: Wenskus, Religion abâtardie, S. 195; Schnapper, Labyrinth Dance, S. 358. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 7: Nachzeichnung eines Labyrinths im Bauhüttenbuch des Villard de Honnecourt, vor 1235. Die Zeichnung entspricht seitenverkehrt dem erhaltenen Bodenlabyrinth in der Kathedrale von Chartres (vgl. Hahnloser: Villard de Honnecourt, S. 38-40), Paris: Bibliothèque nationale de France, Fr 19093, fol. 7v.

auch mit Jericho und letztlich mit der Stadt als Idealtypus komplexer Siedlungsformen, ist dennoch evident.377 Wie diese zugleich civitas Dei und civitas terrena sein konnte, so markiert auch das Labyrinth nicht nur das himmlische Jerusalem selbst, sondern auch den Weg dorthin durch den liminalen Raum des Diesseits mit seinen vielfältigen Gefährdungen für die Seele. Das Labyrinth wurde zum Bild für die Gottessuche der Seele in der Welt.378 Das feierliche Um 377 Doob, Idea, S. 121, 138. 378 Schnapper, Labyrinth Dances, S. 356–358, die das christliche Labyrinth mit der freilich erst seit dem Spätmittelalter überlieferten Kreuzwegs-Ikonographie bzw. -devotion vergleicht. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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kreisen der Stadt Zion, wie es die Domkanoniker von Auxerre mit ihrem Reigen zelebrierten, sollte zur mystischen Vereinigung mit Christus führen, wie schon Augustinus ausgeführt hatte.379 Primär prägend für die Verwendung des Labyrinths als christliches Symbol war jedoch die allegorische Deutung des Theseus-Kampfes gegen den Minotaurus auf Christi Tod, Höllenfahrt und Auferstehung: Oft wurde der antike Mythos explizit erwähnt bzw. abgebildet, auch wurden die Labyrinthe als »Haus des Daedalus« o. ä. bezeichnet.380 Nach seinem Triumph hatte Theseus mit seinen Adepten einen Reigen aufgeführt (geranos). Das Labyrinth war also schon in der griechischen Vorlage Ort eines Triumphtanzes für den Sieg des Lichtes gegen die Finsternis gewesen. Schon Gregor von Nazianz hatte diesen Reigen im Labyrinth von Knossos als Allegorie des österlichen Triumphs interpretiert.381 Der 355 zum Christentum konvertierte Neoplatoniker M ­ arius Victorinus (281/91 – nach 363) wollte in seiner Ars grammatica den geranos des Theseus viel allgemeiner als Nachvollzug der kosmischen Sphärenbewegungen verstanden wissen. Das Labyrinth – zugleich als Ort des Kampfes wie des anschließenden Siegtanzes – wurde so zum Bild für das ewige Kreisen der Himmels­mächte.382 Es wurde zur Versteinerung des Engelsreigens auf Erden.383 Die ewig-harmonische Dynamik der hierarchia caelestis wurde so ikonisch stillgestellt und in die ecclesia als Haus Gottes transferiert. Die seit dem Aufkommen der Gotik im 12. Jahrhundert überlieferten großflächigen IrrgartenMosaiken in französischen Kathedralen stellen insofern vielleicht tatsächlich einen ästhetischen Fremdkörper gegenüber der Architektursprache des Kirchenbaus dar.384 Zugleich konnten sie jedoch auch den Bau des Hauses Gottes selbst symbolisieren, ja: Bauherr bzw. Stifter und Architekt wurden explizit mit Daedalus gleichgesetzt.385 Im Labyrinth am Boden der Kathedrale wurden so die Ambivalenzen verhandelt, die mit dem Wechsel der ekklesiologischen 379 Zimmermann, Engelsreigen, S. 103. 380 Schnapper, Labyrinth Dance, S. 355; Doob, Idea, S. 97, 100; Wright, The Maze, S. 75 ff. 381 Miller, Measures of Wisdom, S. 351 f., vgl. S. 344 f. 382 Doob, Idea, S.  68, 121 f.; Greene, Labyrinth Dances, S.  1438 f.; Wright, The Maze, S. 129–132. 383 Inwieweit sich daraus auch Interpretationsansätze für die in England, Skandinavien und Deutschland häufigeren Erd- und Steinlabyrinthe (»Trojaburgen«) auf profanem Gelände ergeben könnten, bliebe zu untersuchen; vgl. Greene, Labyrinth Dances, S. 1408–1415; Doob, Idea, S. 114–116; Wenskus, Religion abâtardie, S. 192–195, 234, der die »Trojaburgen« in seine weitgespannte These von der Rezeption antiker Mythen in der vorchristlichen fränkischen Religion einbindet. 384 So Doob, Idea, S. 129. 385 Ebd., S. 121–123. Da Daedalus als der Inbegriff des mythischen Architekten galt, werden die Kirchenlabyrinthe zumal in der deutschen Architekturgeschichte bis heute vielfach als monumentale Erinnerungszeichen der Kirchenbaumeister interpretiert, vgl. etwa Hahnloser (Hg.), Villard de Honnecourt, S. 38–40; Kimpel/Suckale, Gotische Architektur, S. 31, 291. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Metaphorik von der Kirche als Reigen zur Kirche als Haus virulent geworden waren.386 Anders als bei antiken Vorbildern ist bei den mittelalterlichen Kirchen­ labyrinthen der Weg durchgehend ohne Abzweigungen und Sackgassen gestaltet.387 In der Draufsicht gibt es also immer einen einzigen, erkennbaren Pfad, während die (virtuelle)  Innenansicht im Labyrinth eine verwirrende Abfolge von Kurven und Wendungen impliziert. Gottes Ordnung ist also harmonisch und eindeutig, sie bleibt dem menschlichen Intellekt jedoch verschlossen.388 Der wandernden Seele droht die Gefangenheit in der Unausweichlichkeit des Irrgartens, doch weist ihr Gott den einen Weg zum Heil. Dabei sind Kirchen­ labyrinthe in der Regel rund oder achteckig  – zwei Formen, die auf Ewigkeit und Wiedergeburt verweisen.389 Achteckig waren auch viele Taufbecken, womit das Labyrinth dem paradigmatischen Ort der Wiedergeburt im Glauben ähnlich wurde.390 Die Kirchenlabyrinthe bestehen aus sieben oder elf konzentrischen Kreisen um den Mittelpunkt. Zählt man diese zusammen, sind wiederum Konzepte der neoplatonischen Kosmologie verbildlicht: entweder die acht Sphären aus Planeten, Sonne, Mond und Fixsternen; oder die Zwölfzahl des Zodiak bzw. die zwölf Sphären nach Macrobius: Erde, Sonne, Mond, fünf Planeten, Fixsterne, Weltseele, logos und Gott.391 Die Kreis- oder Oktogonalform wird dabei durchbrochen durch ein Kreuz, an dessen Armen die Kehren des Irrweges angebracht sind. Der Sphärenordnung des Kosmos wird das Kreuz Christi eingeprägt, das Medium der Erlösung, durch das zugleich die Wegführung im Labyrinth der Welt bedingt ist.392 Das Kreuz vermittelt so die Punkte auf der Wanderschaft, an denen die Seele in eine höhere oder niedrigere Sphäre wechseln kann, um sich so suzessive dem Ziel im Zentrum zu nähern. Dadurch ist die für die neoplatonische Solar-Kosmologie zunächst maßgebliche Spiralform durchbrochen. Proklus etwa hatte Auf- und Abstieg der sich um die Erde drehenden Sonne im Jahreslauf als Spirale beschrieben und so ein noch bei Pseudo-Dionysios Areopagita wirksames Bild für Tod und Wiedergeburt sowie den Seelenaufstieg

386 Vgl. oben, Kap. II.2.4. 387 Wright, The Maze, S. 74 f. (Prudentius, 348 – ca. 405, als Urheber dieser Konzeption). 388 Doob, Idea, S. 112–117; vgl. Schnapper, Labyrinth Dance, S. 356 f.; Greene, Labyrinth Dances, S. 1459 f. 389 Doob, Idea, S. 103, 116, 127 f. 390 Eisenberg, Performing the Passion, [S. 5]. 391 Doob, Idea, S.  130 f., 134 f., und Wright, The Maze, S.  20 ff., zählen acht bzw. zwölf Kreise; hingegen weist Zellmann, Lusus erat, S. 48 f., darauf hin, dass durch die sieben bzw. elf Gänge um das Zentrum gezielt ein Defizit gegenüber der göttlichen Vollkommenheit (acht, zwölf) markiert worden sei. 392 Doob, Idea, S. 103 f.; Wright, The Maze, S. 23–27 (»›Chartrein type‹ of labyrinth«, ab ca. 900 in Buchmalereien überliefert). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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zum »Einen« gewonnen.393 Dieser Synthese von Linearität und Zyklizität, von Gleichheit und Differenz, wird mit der konzentrischen Kreiskonstruktion und dem Kreuz eine neue Logik eingeschrieben: Die Sphären bleiben übergangslos getrennt, und der Erlöser ist es, der in einer Hin- und Her-Bewegung den Seelenaufstieg vermittelt,394 nicht mehr die Sphärenharmonie selbst. Das Labyrinth als Inbegriff der concordia discors verbindet also die Linearität der Heilsgeschichte mit der Zyklizität der Kosmologie. Es spielt mit der Semantik von Endlosigkeit und Unausweichlichkeit, gerade um den einzigen Weg zu Gott umso deutlicher zu zeigen.395 Noch John Milton (1608–1674) lässt in »Paradise Lost« die Engel im Himmel einen Reigen im Labyrinth aufführen, der die Bewegungen der Sphären abbildet. Undurchschaubar und ausweglos ist die göttliche Ordnung nur dem, der sich von Gott entfernt hat – wie dem Luzifer, der sich im Irrgarten verläuft und schließlich aus der hierarchia caelestis herausfällt.396 Penelope Doob hat am Beispiel von Chartres darauf hingewiesen, wie eng diese Bildfindung mit dem ebenfalls kreisförmigen Rosettenfenster über dem Westportal gotischer Kathedralen kongruiert. Gleichzeitig das Rad der Fortuna und die Licht bringende Rose der Mutter Gottes symbolisierend, steht auch die Rosette für die Irrungen der Welt und die göttliche Ordnung zugleich.397 Am Westportal angebracht, wenden sich diese Fenster der Himmelsrichtung des Sonnenuntergangs, der Dunkelheit und des Teufels zu. Von hier, aus der sündigen Welt, betraten auch die Gläubigen die Kirche und näherten sich durch sich steigernde Sphären der Sakralität dem Hochaltar und dem Tabernakel mit dem »Allerheiligsten« an. Auf diesem Weg nun gaben ihnen die Labyrinthe Gelegenheit, über ihren Aufstieg zum »Einen« zu meditieren – sei es im visuellen oder haptischen Nachvollzug des Bildes an der Wand, sei es im Nachschreiten oder Durchtanzen des Mosaiks am Boden. Denn ihren Platz im Kirchenraum haben die Irrgärten in der Vorhalle (so etwa in Lucca) oder aber im Mittelschiff in der Nähe des Westportals.398 Auf dem Weg von Westen nach Osten, aus dem Reich des Teufels ins Reich des Lichts, betrat der Gläubige das Labyrinth.399 Wie Craig Wright gezeigt hat, entspricht in der Grundrisskonstruktion der Kathedrale von Chartres der Mittelpunkt des Labyrinths exakt symmetrisch dem Standort des Hochaltars.400 Der versteinerte bzw. verbildlichte Sphärenreigen markiert also auch örtlich und in seiner praktischen Funktion als Devotionsmedium die 393 Schnapper, Labyrinth Dance, S.  354 f.; Miller, Measures of Wisdom, S.  448 ff., 492, 496 f., 508. 394 Wright, The Maze, S. 64–70, 106–114. 395 Doob, Idea, S. 128 f., 131. 396 Greene, Labyrinth Dances, S. 1456 f.; Wright, The Maze, S. 135. 397 Doob, Idea, S. 129–133; vgl. Wright, The Maze, S. 40–44. 398 Doob, Idea, S. 119 f., 129. 399 Wright, The Maze, S. 19 f., 85 (Klerikertanz). 400 Ebd., S. 44 f. mit Abb. 2.5, S. 42. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Liminalität des Aufstiegs in den Raum des Heils. Auf der Schwelle zwischen Immanenz und Transzendenz stehen das Bild und der Ort des Tanzes. Der Irrgarten in der Kirche steht also zugleich für den Sieg des Christus/ Theseus über den Minotaurus/Satan in der Hölle, für die Gottessuche des Menschen auf dem Weg durch die Welt und für den Aufstieg der Seele durch die Sphären zum »Einen«.401 Tanz als Performanz der Heillosigkeit und Gottesferne und Tanz als Performanz des Heils konvergieren so im Bild des Labyrinths: Ausweglos im Kreis laufend gefangen bleibt hier, wer den durch das Kreuz begründeten Weg nicht kennt. Der Tanz ist das Rätsel, die Eucharistie ist die Lösung. Mit dem Labyrinth in gotischen Kathedralen ist also seit dem 12. Jahrhundert die ecclesia als Reigen der Gläubigen um Gott in die ecclesia als Haus Gottes eingeschrieben.

III.6 Querschnitt: Kosmos, Tanz und Kirche Die Transmission der neoplatonischen Kosmologie in das mittelalterliche Christentum bildete die Grundlage der ambivalenten Wahrnehmung von Tanz als Symbol wie als Praxis. Der Gläubige sollte sich als Teil des ewigen Reigens begreifen und danach streben, im Jenseits tatsächlich in diesen himmlischen Reigen einzutreten. Zugleich wurde körperliche Expressivität als irdische Praxis jedoch mit moralischer Verwerflichkeit und damit letztlich mit dem Teufel assoziiert. Hieraus folgte nicht etwa eine eindeutige Ablehnung, sondern eine vielgestaltige und immer umstrittene Adaptation des Tanzes in der mittelalterlichen Kirche. Die theologische Auseinandersetzung über den Tanz ging dabei aus von schon im christlichen wie im nicht-christlichen Neoplatonismus der späten römischen Kaiserzeit angelegten Argumentationsmustern. Diese Auseinandersetzung gewann ihre Dynamik weniger aus der Konfrontation mit konkreten Bräuchen, seien sie volkskultureller oder paganer Natur. Sie lebte vielmehr von der unmittelbaren metaphorischen Evidenz, die »Tanz« für das ekklesiologische Denken, für den Diskurs über das Selbstverständnis der Kirche also, hatte. Er konnte dabei gleichermaßen als Abbild der Sphärenbewegungen den Inklusionsraum der ecclesia bezeichnen, wie als solches der teuflischen Bedrohung der göttlichen Ordnung den Exklusionsraum des Unglaubens. So 401 Zur mehrdeutigen Symbolik des Kirchenlabyrinths vgl. ebd., S. 78–92. Besonders in der deutschen Architektur- und Kunstgeschichte stoßen Versuche, Bauformen der Gotik aus der neoplatonischen Kosmologie des Corpus Dionysiacum abzuleiten, auf entschiedene Abwehr; vgl. dazu nur Büchsel, Geburt, bes. S. 14–19. Die Kritik an den entsprechenden Thesen Erwin Panofskys über die »Lichtmetaphysik« Sugers von St. Denis (Hans Sedlmayr) darf doch aber nicht dazu führen, jeden Einfluss des Pseudo-Dionysius oder gar der spätkaiserzeitlichen Kosmologie auf das Denken des Hochmittelalters pauschal abzulehnen. Ich hoffe an anderer Stelle ausführlicher auf diese Diskussion eingehen zu können. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Querschnitt: Kosmos, Tanz und Kirche

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strebte die Kirche weniger danach, die Tanzpraxis zu verbieten, als vielmehr danach, sie moralisch und ethisch einzuhegen. In der paraliturgischen Praxis ergaben sich so zahlreiche Möglichkeiten, den Tanz als legitime Form des Rituals zu integrieren. Erst in der Frühen Neuzeit wurden die Körper der Gläubigen im Kirchenraum stillgestellt. Wirksam für die weitere Entwicklung des europäischen Verständnisses von »Tanz« wurde freilich eher eine andere semantische Bewegung: In einem wiederum bereits auf antike Vorlagen zurückgreifenden, jedoch bis in die Neuzeit reichenden Prozess wurde Tanz als Form der Kommunikation entsakralisiert und in den Bedeutungsraum des profanen Vergnügens verschoben. Nur wo er eindeutig nicht mehr als mögliches Medium zwischen Immanenz und Transzen­ denz wahrgenommen wurde, konnte »Tanz« im Sakralraum überhaupt als »blasphemisch« und »profanisierend« wahrgenommen werden. Ansonsten war nicht sein ritueller Charakter umstritten, wohl aber seine Funktionalität bzw. die mit ihm erreichbare transzendente Instanz: Gott oder Teufel. Zuvor jedoch schrieb die inhärente Ambivalenz der Wahrnehmung von »Tanz« den im Neoplatonismus virulenten Konflikt von praktischer T ­ heurgie vs. spiritueller Sublimation immer weiter fort. Aus der Grundidee von immer zugleich realem Nachvollzug und allegorischem Bild der kosmischen Ordnung entwickelte sich so eine differenzierte Grammatik der Konzeption von »Tanz«: Der endlose Reigen war Mimesis der unendlichen Sphärenbewegungen; der unfreiwillige Tanz eine passgenaue Metapher für den Sternenzwang, die h ­ eimarmene, die Unterworfenheit unter das Schicksal. Da die augustinische Anthropologie den Menschen von den Bindungen des Schicksals befreit hatte, wurde diese heimarmene mit dem Reich des Teufels assoziiert. Neutral blieb der unfreiwillige Tanz im Bild des Totentanzes, in der unabweisbaren Einsicht in die Sterblichkeit jedes Menschen. Positiv besetzt war der Eintritt in den ewigen Kreisreigen der Engel und erlösten Seelen, der mit dem ethischen Ideal der modestia assoziiert und als Integration in die Sphärenharmonie gedacht wurde. Negativ war die Störung und Desintegration der kosmischen Ordnung durch den die Sünder in seinen Tanz zwingenden Teufel, für die mit dem platonischen Bild der mania ein eingeführter Beschreibungsmodus vorlag und aktualisiert werden konnte. Zwischen diesen Polen jedoch wurde eine dritte Variante konstruiert: Tanz als Raum und Zustand der Liminalität, der Unentschiedenheit zwischen Gut und Böse. Sein Bild fand dieser Zustand im Labyrinth als Inbegriff des Wegs des Menschen durch die Welt zum Heil oder eben zum Unheil. In diesem Zwischenraum der Gottessuche sollte auch die Tanzwut als Inszenierung der Heilsferne ihren Ort finden. Die Endlosigkeit und Unausweichlichkeit in der Tanzwut markiert die auf Dauer gestellte Liminalität einer Gefangenheit im Labyrinth der Heilssuche. In ihrer äußeren Gestalt wie in ihrer Deutung changiert die Tanzwut daher permanent zwischen Sphärenharmonie und m ­ ania, zwischen David und Salome. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

IV. Transmissionspotentiale: Das Rhein-Mosel-Maas-Becken als Entstehungsund Verbreitungsgebiet der Tanzwut »Warum nur im Rheinland?« Willibald Steinmetz in der Diskussion eines Vortrags des Verfassers über die Tanzwut, Bielefeld, 22.11.2007

Die folgenden Überlegungen sind bewusst unvorsichtig. Ausgangspunkt ist ein auf der vorläufigen Grundlage des Materials zum paraliturgischen Tanz im mittelalterlichen lateinischen Christentum erhobener quantitativer bzw. geographischer Befund: die Beobachtung, dass sowohl Tanz in sakralen Kontexten wie auch diesbezügliche kanonische Regulierungsbemühungen sich besonders häufig in den Nachfolgegebieten des antiken römischen Gallien bzw. des späteren Frankenreiches nachweisen lassen. Diese wird vermittels einer religionsgeschichtlichen Langzeithypothese zu erklären versucht, die sich auf ein höchst umstrittenes Feld der Frühmittelalterforschung bezieht. Dabei soll in keiner Weise eine Monokausalität behauptet werden. Kulturelle Phänomene sind komplex und haben immer komplexe Entstehungszusammenhänge, dies umso mehr, wenn ihr Wandel über lange Zeiträume zu verfolgen wäre. Im Folgenden soll dennoch nur ein Faktor benannt werden, weniger, weil er als der maßgebliche zu identifizieren wäre, sondern weil er für den Fortgang der vorliegenden Untersuchung von Bedeutung ist. Ich möchte in diesem Kapitel ausdrücklich nicht die Frage nach den vorchristlichen religiösen Vorstellungen der Franken beantworten.1 Vielmehr möchte ich unter kritischem Rückgriff auf die Forschungsdiskussion zu diesem Thema den mythischen Imaginationshorizont der merowingerzeitlichen – selbstverständlich christlichen – Hofeliten nachzeichnen. Es geht also weniger 1 Vgl. Hen, Culture and Religion, S. 14 mit Anm. 59: »The character and origins of the Frankish religion are unkown, mainly because of lack of evidence.« Becher, Merowinger und Karolinger, S. 22, rät: »Auf der sicheren Seite ist man daher, wenn man statt der heidnischgermanischen die christlich-römischen Grundlagen der merowingischen Königsherrschaft seit Chlodwig betont.« Völlig ausgeklammert wird das Thema etwa bei Kaiser, Das römische Erbe; vgl. Wenskus, Religion abâtardie, S. 179: »Es ist merkwürdig, wie wenig sich die Forschung mit der vorchristlichen Religion der Franken, die man ja mit gutem Grund als das ›Schicksalsvolk Europas‹ bezeichnen konnte, bisher beschäftigt hat.« Eine Ausnahme bildet Wallace-Hadrill, The Frankish Church, S. 17–63, der freilich die Möglichkeit tragfähiger Aussagen beschränkt sieht. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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darum, was deren Vorfahren geglaubt haben könnten, als vielmehr darum, wie sie selbst und ihre gallo-romanischen Ratgeber sich mit der vorchristlichen Mythologie auseinandersetzten. Dabei sollen jedoch durchaus Anhaltspunkte gesammelt werden für die Annahme einer frühen Adaptation der spätantiken römisch-hellenistischen Kultur durch die Franken als neue Herrschaftselite im gallischen Raum. Denn gefragt werden soll nach der Möglichkeit eines Fortwirkens der platonisch-pythagoräischen Kosmologie in der lateinischen Christianität des Mittelalters. Notwendig ist dazu ein längerer Exkurs über die Entwicklung der religiösen Strategien der Herrschaftslegitimation an der Wende von der römischen Kaiserzeit zum frühen Mittelalter. Wenn dabei die solarmythologischen Konnotationen des Hofzeremoniells einseitig betont werden, ist dies wiederum nur dem eingeschränkten Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie geschuldet. Die Legitimationsstrategien der römischen Imperatoren bilden zugleich maßgeblich den Kontext, aus dem heraus die spätere Entwicklung zu verstehen ist. Die folgenden Ausführungen dienen so nicht nur zur Abgrenzung des Entstehungsraumes, sondern auch zur präziseren Darstellung der Transmissionspotentiale von der spätantiken zur mittelalterlichen Religion. Denn die Tanzwut ist wie eingangs erwähnt immer wieder auch als survival vorchristlicher Kulte gedeutet worden. Die Frage der angeblichen »heidnischen Ursprünge« steht also in jedem Fall in Raum, will man die diskursive Genealogie dieses Krankheitskonzepts seit der Antike nachzeichnen. Zudem haben sowohl Jostes als auch Wenskus einen Zusammenhang zwischen christlichen Formen des sakralen Tanzes – insbesondere der Tanzwut – und der vorchristlichen Religion der Franken postuliert. Der folgende Ausflug in die Religionsgeschichte rechtfertigt sich also gerade in dem Anspruch, einschlägige Spekulationen mit Blick auf die neuere Forschung zu kritisieren und sie durch eine geographisch fokussierte Suche nach konkreten Übertragungwegen und Bruchstellen zu ersetzen. Ausgangspunkt ist dabei die Beobachtung, dass Gallien bzw. das Frankenreich im lateinischen Europa insofern eine Sonderrolle einnimmt, als hier eine ausgeprägtere institutionelle und kulturelle Kontinuität von der spätantiken Christianität ins Mittelalter festzustellen ist: Die Franken konvertierten zur nicä­ anischen Christianität, nicht zum Arianismus wie andere »germanische« Herrschaftsbildungen auf römischem Boden. Später ging Afrika durch die arabische Machtübernahme als weiterer Zentralraum der lateinischen Christianität verloren. In Spanien wurde die religiöse Kontinuität durch die arabische Eroberung für Jahrhunderte zumindest stark beeinträchtigt. Der römische Teil Britanniens war in geringerem Maße antik urbanisiert, wurde im Frühmittelalter wesentlich stärker »germanisiert« und dann maßgeblich unter römischem Einfluss erneut christianisiert.2 Im nördlichen Italien etablierte sich mit dem Papsttum und der 2 Laut Angenendt, Frühmittelalter, S. 223–226, blieb die spätantike Christianität der romanischen Bevölkerung in Wales, Cornwall und (nach Abwanderung auf den Kontinent) in der Bretagne erhalten. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Kurie eine Zentralinstanz, die einerseits viele antike Traditionen weiterführte, andererseits jedoch theologisch und liturgisch stark disziplinierend wirkte. Sie strahlte auch auf den östlichen Adria-Raum aus, soweit sich hier nicht die griechische Kirche oder der Islam durchsetzten. Im südlichen Italien etablierte sich zunächst ein griechisch orientiertes Christentum, das erst nach zeitweiliger arabischer Herrschaft romanisiert wurde. In Gallien bzw. dem Frankenreich und seinen Nachfolgeterritorien hingegen wurden in höherem Maße antike Traditionen in den weiteren religiös-mythischen Diskurs eingespeist. Hier blieb dieser auch länger durch den Fortbestand des institutionellen Rahmens der gallischromanischen Bischofskirche determiniert3  – wohl­gemerkt wiederum nur im Sinne einer dauernden Weiterentwicklung, Überschreibung und Neuaushandlung, nicht etwa einer identischen Kult-Kontinuität. Im Folgenden soll eine doppelte Annäherung an diese Fragen erfolgen. Nach der Darstellung des Ausgangsbefundes wird nach den Transmissionswegen der neoplatonischen Kosmologie und Mythologie in den Wahrnehmungshorizont des frühmittelalterlichen Frankenreiches gefragt. Sodann sollen Debatten im Umfeld des merowingischen Königtums des 6. und 7. Jahrhunderts als Zeugnisse für die Rezeption dieser Mythenkomplexe gelesen werden.

IV.1 Das Frankenreich und seine Nachfolgegebiete als Zentralraum des religiösen Tanzes Von den etwa 175 für den vorläufigen Problemaufriss über Tanz und Kirche aufgenommenen Belegen für die Sanktionierung von Tanz in religiösen Kontexten stammt deutlich mehr als die Hälfte (121 von 177) aus dem Gebiet des frühmittel­ alterlichen Frankenreiches, also aus dem heutigen Frankreich, Belgien und dem weiteren Einzugsgebiets des Rheins, inklusive der Schweiz und den Niederlanden.4 3 Vgl. zum vorherigen die ähnlichen Überlegungen bei Markus, End of Ancient Christia­ nity, S. 213–225. 4 Vgl. oben, Kap. III.2.1; aufgenommen wurden 262 Belege für die Sanktionierung von Tanz zwischen dem 4. und dem 19. Jh.; davon lassen sich 178 der Regulierung von Tänzen in kirchlichen bzw. religiösen Kontexten zuweisen. Folgende geographische Verteilung (nach heutigen Grenzen) ist für diese festzustellen: Land vor 1000 1000–1500 1500–1800 Gesamt Gesamt 39 88 51 178 Frankreich/Belgien 18 41 22 81 Rheinland, NL und Schweiz 4 12 8 24 Deutschland/Österreich (östlich d. Rheinlands) 1 8 7 16 Italien (inkl. Rom/Kurie) 5 2 3 10 Großbritannien 1 13 1 15 Spanien 4 1 8 13 Sonstige 6 11 2 19 © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Demgegenüber fallen nicht nur später missionierte Gebiete wie England oder das östliche Deutschland massiv zurück, sondern auch etwa Spanien und Italien. Nun ist in Gallien bzw. im Frankenreich eine zahlenmäßig größere Häufigkeit nicht überraschend, da hier die kirchliche Gesetzgebung ja erheblich früher einsetzt und größere Intensität erreicht als in später missionierten, dünner besiedelten und fast ausschließlich agrarisch geprägten Gebieten wie dem späteren Deutschland, England oder Skandinavien. Einige der Belege für Deutschland östlich des Rheins wird man zudem als Streuung aus dem Kernraum heraus deuten können, etwa für Würzburg (1298, 1377, 1407), das über den Main verkehrstechnischen Anschluss an das Rheinland hatte. Der spanische Befund wird zumindest auch durch die lange Unterbrechung infolge der arabischen Herrschaft bedingt sein. Für das frühe Mittelalter ließe sich vielleicht eine Vorbildfunktion des Westgotenreiches für die normative Regulierung bzw. Sanktionierung von religiösen Tänzen im Frankenreich vermuten.5 Eine grundsätzlichere Differenz muss jedoch für Italien vorliegen, dessen demographische und kulturelle Ausgangslage ja mit jener Galliens durchaus vergleichbar ist.6 Dieses auffällige Ungleichgewicht wird zu einem erheblichen Teil darauf zurückzuführen sein, dass Vorlagen für kanonische Bestimmungen mit größerer Wahrscheinlichkeit in regional geprägten Diskursgemeinschaften weitergegeben wurden. Wo ein Verbotspassus etabliert war, da wurde er reproduziert. Auch die Streuüberlieferung in Randlagen wird man vielfach mit solchen Einflüssen aus den kulturellen Zentren erklären können. Weshalb aber die regional höchst unterschiedliche Rezeption von durchaus überregional verbindlichen einschlägigen canones wie jenen des IV. Lateranischen Konzils von 1215, die in Frankreich und England eine ganz andere Wirkung entfaltet zu haben scheinen als etwa in Italien?7 Vor allem kongruiert die Verteilung der einschlägigen normativen Sanktionen auffällig mit jener von Überlieferungen über die reale Praxis von sakralen bzw. religiösen Tänzen: Von 222 gesicherten Belegen fallen ca. 120 in das Gebiet des früheren Frankenreiches.8 Hier ist zunächst festzustellen, dass die 5 Vgl. oben, Kap. III.2.2. 6 Auch gibt es zunächst keine Hinweise auf eine signifikant herabgesetzte Überlieferungsdichte für kirchliche Rechtsetzung in Italien im Vergleich zur Francia. Ebenso ist das Ungleichgewicht auch nicht etwa durch landesspezifische Forschungstraditionen zu erklären, da der vorliegende Problemaufriss neben mehreren französischen auch deutsche, italienische und englischssprachige Forschungen berücksichtigt. 7 Zu dessen Rezeption vgl. Arcangeli, Dance under Trial, S. 128 f.; Diller, Inter clericos et histriones, S. 261, 266 ff. 8 Vgl. oben, Kap. III.3.3; aufgenommen wurden 247 Fälle von religiösem oder sakralem Tanz. Nach Ausschluss von Dubia bleiben 222 Fälle. Da manche Tänze vor und nach 1500 überliefert sind, ergeben sich in der Chronologie Doppelungen, die hier jeweils nur bei dem früheren Vorkommen gezählt werden (in Klammern jeweils hinzugezählt). Die Fälle verteilen sich chronologisch und regional wie folgt: © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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positive Evidenz aus der Zeit vor 1000 dünn bleibt, dann jedoch sukzessive zunimmt. Dies wird mit dem latent ambivalenten Charakter des religiösen Tanzes zu erklären sein, der eine schriftliche Dokumentation grundsätzlich unwahrscheinlich machte. Bis zum Beginn der Neuzeit ist wiederum der vormals fränkische Raum eindeutig dominant. Dass er dann zurückfällt, könnte einem statistischen Problem geschuldet sein: Erstmals im 11. bis 15. Jahrhundert belegte Fälle mögen bis in die Neuzeit gepflegt worden sein, ohne dass dies in der Sekundärliteratur noch durchgehend nachweisbar wäre. Zumal die (nord-)französischen Klerikertänze wurden vielfach wohl erst im 16.  bis 17.  Jahrhundert eingestellt. Umgekehrt datieren möglicherweise auch manche erst neuzeitlich gesicherte Rituale in das Spätmittelalter zurück, ohne dass hierfür bisher Belege greifbar wären. Mit dem 16. und 17. Jahrhundert jedenfalls wird die Iberische Halbinsel zum Zentrum des paraliturgischen Tanzes im lateinischen Europa. Auch dieser Befund könnte einer Überlieferungsproblematik geschuldet sein, setzt hier die bisher greifbare Überlieferung doch erst mit der christlichen Herrschaftssicherung ein. Ungeklärt ist andererseits, inwieweit für das breite Aufkommen von paraliturgischen Tänzen seit dem 15. Jahrhundert Einflüsse aus Frankreich oder etwa der Rückgriff auf die mozarabische Liturgie als Erklärung herangezogen werden können.9 Und, zunächst überraschend: Deutschland östlich des Rheinlandes zeigt nun eine breitere Überlieferung. Es handelt sich hier freilich anders als in Frankreich und Belgien nicht um Tanz von Klerikern, sondern durchgehend um laikale Ritualformen, die entsprechend häufiger als deviant beschrieben werden. Wiederum wird man manche Fälle im östlichen Deutschland auf enge Kommunikation mit dem Rheinland zurückführen können, etwa in Franken oder im Main-Gebiet. Wo der Tanz im sakralen Kontext nach heutigem Forschungsstand verbreitet war, da finden sich auch einschlägige Rechtsbestimmungen. Wo diese dünn gesät sind, da fehlen auch konkrete Belege für religiösen Tanz. Der regulierende und disziplinierende Zugriff des kanonischen Rechts erfolgte also gerade dort, wo sich die kirchliche Hierarchie einer theologisch umstrittenen und latent

Land Gesamt Frankreich/Belgien Rheinland, NL und Schweiz Deutschland (östlich d. Rheinlands) Italien (inkl. Rom/Kurie) Großbritannien Spanien und Portugal Sonstige

vor 1000 21 8 1 2 3 0 0 7

1000–1500 82 43 5 5 1 8 7 3

1500–1800 119 (+ 14) 25 (+ 9) 13 (+ 2) 17 6 6 (+ 1) 43 (+ 1) 9

Gesamt 222 76 19 24 10 14 50 19

9 zur Lippe, Naturbeherrschung, Bd. 1, S. 110; Koal, Detestatio, S. 21; Davies, Liturgical Dance, S. 54; Backman, Religious Dances, S. 84; Voss, Tanz, S. 57; Sahlin, Étude, S. 151. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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von Regelübertretungen bedrohten rituellen Praxis gegenübersah. Die rituelle ­Praxis bedingte Regulierungsbedarf oder auch Kontroversen über ihre theologische Zulässigkeit, die sich in Verboten oder Beschränkungen niederschlugen.10 Kanonistische Überlieferung und Frömmigkeitspraxis koexistierten also, weil das kirchliche Recht lange Zeit eben nicht auf eine unterschiedslose Eliminierung des Tanzes aus war, sondern auf seine Regulierung und Disziplinierung. Wo Tänze in religiösen Kontexten und Tanzverbote gleichermaßen fehlen, hatte also weniger ein wirksamer Zwangsapparat traditionelle Praktiken exkludiert, wofür ja die primäre Existenz von Verbotstexten ein Indiz wäre, sondern ein anders strukturiertes kulturelles Umfeld hatte die Entstehung tief verankerter ritueller Traditionen verhindert, so dass beide Überlieferungs­ formen fehlen. Ja: Die stetige Reproduktion der normativen Problematisierung des Tanzes in religiösen Kontexten bzw. in sakralen Räumen generierte vielleicht die reale Praxis immer neu, indem sie den Akteuren ein Verhaltensraster etwa für blasphemische Überschreitungen, aber auch für umstrittene Frömmigkeitsformen zur Verfügung stellte. Tanzsanktionen und Tanzpraxis traten so in ein Wechselverhältnis der gegeneitigen Reproduktion. Besonders augenfällig ist das Ungleichgewicht der Verteilung im Einzugs­ gebiet des Reiches. Während Ober- und Niederlothringen, grob gesagt: die vormalig römische Germania bzw. der östliche Teil des merowingerzeitlichen Frankenreiches, deutlich erkennbar zum Kernraum der Überlieferung sowohl von kirchlichen Tanzregulierungen wie von religiösen Tanzritualen gehören, stellen diese östlich der Rheinlinie vergleichsweise eine Seltenheit dar. Es ist dies zunächst nur eine geographische Impression, solange eine präzise Unter­ suchung sowohl der normativen Texte als auch der Formen des paraliturgischen Tanzes bzw. Tanzes in sakralen Kontexten Desiderat ist. Sie korreliert jedoch mit weiteren Beobachtungen zur Verbreitung verwandter kultureller Phänomene, etwa des Kirchenlabyrinths.11 Der paraliturgische Tanz im Labyrinth ist nur aus dem (nord-)französischen Raum überliefert. Er steht augenscheinlich in einem engen Wechselverhältnis mit der entstehenden Kathedralgotik des 12.  und 13.  Jahrhunderts.12 Diese wiederum ist zumal in Paris und Chartres nicht ohne eine Hochkonjunktur des christlichen Neoplatonismus zu denken. Die Kirche als »Haus Gottes« ist ganz maßgeblich eine Erfindung des

10 In diesem Sinn indiziert allein die Existenz von normativen Texten noch nicht die delinquente Praxis, wie dies die ältere Forschung annehmen wollte, vgl. etwa Balogh, Tänze, S. 6. Andererseits scheinen die stetig wiederholten Sanktionen gegen Tanz und Gesang im 7.–12. Jh. auch nicht einfach der gedankenlosen Abschreibepraxis geschuldet (Harmening). Vielmehr zeigt die Kongruenz von Verbotstexten und nicht-normativen Quellen zur Existenz von Tanzpraxis durchaus eine Korrelation von Norm und realer Delinquenz. 11 Vgl. oben, Kap. III.5.3. 12 Zellmann, Lusus erat, S. 59. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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nord­französischen Raumes, in dem gleichzeitig auch die Kirche als Reigen eine bemerkenswerte Blüte erlebt.13 Freilich ist für diese sakralen Tänze durchgehend nicht etwa eine unge­ brochene Kontinuität seit dem Frühmittelalter belegt. Vielmehr lassen sie sich erst ab dem 13. Jahrhundert nachweisen. Dies könnte man zunächst auf das geringere Maß an Schriftlichkeit in der vorherigen Zeit zurückführen. Quellenkritisch naheliegender ist es jedoch, diese paraliturgischen Reigen als Innovation zu sehen. Seit dem 12. Jahrhundert wurden im lateinischen Europa die Schriften der antiken Astronomie und Astrologie nach Übersetzungen aus dem Arabischen wieder verstärkt rezipiert.14 Damit war auch eine neue Hochkonjunktur der Astrologie verbunden. Gleichzeitig konnte mit der platonisch inspirierten Architektur der Gotik eine neue Rezeption kosmologischer Konzepte wirksam werden. Führte dies auch zu einer erneuten kosmologischen Auf­ ladung ritueller Akte im Umfeld der Liturgie? Eine solche hätte dann in dem beschriebenen Verbreitungsraum auf wesentlich ältere Einflüsse eben aus der spätantiken und frühmittelalterlichen Christianität treffen können. Die mystische Weiterentwicklung der Kosmologie des Corpus Dionysiacum hingegen wird man wohl als ein italienisches (z. B. Pseudo-Bonaventura) und deutsches Phänomen (die dominikanische Mystik etc.) ansprechen können, mit Heinrich Seuse (1295/97–1366) in Konstanz und Ulm als westlichstem Vertreter. Mit der Devotio moderna wird diese kontemplativ-metaphorische Konzeption der Sphärenharmonie in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland manifest.15 Die Sublimierung des Engelsreigens zum Gegenstand der medita­ tiven Schau hat ihre Ausstrahlungszentren im späten Mittelalter also im nördlichen Rhein-Maas-Becken und östlich des Rheins, während der Tanz als reale paraliturgische Praxis in den westlich angrenzenden Gebieten seine Schwerpunkte hat. Die populäre Frömmigkeits- und Festkultur des germanischsprachigen (deutsch, niederländisch) Rheinlandes konnte aber auch mit jener des französischsprachigen Raumes Gemeinsamkeiten zeigen, die sie vom östlichen Deutschland unterscheiden: Die ältere volkskundliche Forschung hat auf der Grundlage verschiedener quellenmäßig belegbarer Phänomene einen karnevalesken Festbrauch in der Weihnachtszeit (»Narrenfest«, fête des fous etc.) postuliert. Die tanzgeschichtliche Literatur hat dann viele Tänze bzw. Tanzverbote zum Jahreswechsel unter diesem Rubrum subsumieren wollen. Diese Identi 13 Vgl. oben, Kap.  II.2.4. In der neueren deutschsprachigen Architekturgeschichte des Mittelalters werden die neoplatonisch-kosmologischen Hintergründe der Gotik eher negiert. Diese Skepsis gegenüber theologischen Begründungen für künstlerische Formen­sprache scheint mir dem empirischen Befund zu widersprechen. 14 Tester, History of Western Astrology, S. 142 f. 15 Eine ähnliche Verteilung beobachtet Walker Bynum, The Female Body, S. 165, für die von ihr thematisierten somatisch-mystischen Formen der weiblichen Frömmigkeit. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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fikation wäre nun zunächst im Einzelfall zu überprüfen, da erkennbar vielfach unterschiedlichste Formen als »Verkehrte Welt«-Rituale zusammengefasst wurden. Deutlich erkennbar ist jedoch auch hier eine regionale Verteilung: Die Diözesan­synoden westlich des Rheins und südlich des Mains erwähnen derartige Festtraditionen, während im nordöstlichen Deutschland entsprechende Zeugnisse selten sind.16 Diese Synoden sind auch in die Textzirkulation der französischsprachigen Bistümer eingebunden, was den Austausch von Vorlagen angeht.17 Ebenso lässt sich zumindest das von Dominik Fugger eingehend untersuchte, seit dem 13.  Jahrhundert nachweisbare Fest des »Bohnenkönigs« am Dreikönigstag eindeutig in Frankreich, England, der Schweiz und dem Rheinland feststellen, mit nur wenigen Streubelegen außerhalb dieses Verbreitungsgebiets.18 Fuggers glänzende Interpretation dieses populären Festbrauchs als Ausdruck der auch liturgisch zentralen Christkönigs-Verehrung am 6.  Januar  – und eben nicht als Teil  einer karnevalesken Überschreitungskultur – gibt nun Anlass zu größter Vorsicht bei der Suche nach etwaigen Kontinuitäten zur vorchrist­lichen Kultur. Man wird derartige rituelle Traditionen demnach als Ausprägungen je spezifischer kultureller Formationen innerhalb des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Christentums auffassen können. Dieser Eindruck wäre anhand weiterer Problemkreise zu überprüfen, etwa, was die Gestaltung – und Kategorisierung zwischen den Polen profan-sakral-superstitiös – von Karnevalsbräuchen angeht. Zumindest, wenn man »Tanz in religiösen Kontexten« als Parameter ansetzt, ergibt sich aus den hier aufgeführten, notwendigerweise kursorischen Beobachtungen der Eindruck einer kulturellen Großraumbildung entlang der Zwischenzone Rhein-Maas-Mosel. Östlich davon war Tanz als performative Realität in verschiedenen religiösen bzw. sakralen Kontexten wesentlich weniger verankert als westlich und in dem benannten Grenzraum selbst. Warum also wird links des Rheins in religiösen Räumen getanzt, rechts lange Zeit nicht? Große Vorsicht ist selbstverständlich geboten vor vorschnellen kulturraumtheoretischen oder diffusionistischen Hypothesen.19 Gleichwohl bleiben die Gründe für diese spezifische Großraumbildung zu untersuchen. Als langfristig wirksamer Faktor für die Transmission unterschiedlicher Ritualtraditionen wäre etwa an das 16 Jungmann, Tanz, Tod und Teufel, S. 85–90, erwähnt entsprechende Bestimmungen gegen Tanzspiele an Weihnachten nur für Würzburg 1298, Worms 1316, Basel 1435 (Konzil); die von ihr angeführten Synoden von Würzburg 1407, Havelberg 1376 und Stettin 1500 thematisieren nur Maskeraden und Verkleidungen. 17 So wiederholt das Konzil von Bayeux (1300) die Bestimmung von Würzburg (1298), vgl. Chailley, Danse cléricale, S. 363; Gougaud, La danse, S. 13; Stumpfl, Kultspiele, S. 146; ­Davies, Liturgical Dance, S. 51; Backman, Religious Dances, S. 157. 18 Fugger, Königreich, S. 42 f.; Tanz spielte bei diesem ausdrücklich nicht-karnevalesken, sondern im Kontext der Epiphanie zu verstehenden Festbrauch freilich nur eine untergeordnete Rolle, vgl. ebd., S. 68 f. 19 Vgl. nur Zender, Räume und Schichten, S. 15–22. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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regional spezifische Vorkommen von Patrozinien zu denken: Je nach Zeithorizont der jeweiligen Missionierung eines Gebiets und je nach Herkunft der Missionseinflüsse ist mit einer ganz unterschiedlichen Verbreitung von Heiligen zu rechnen, deren Hagiographie und Liturgie wiederum unterschiedliche Devotionsformen legitimieren konnte. So ist für die alte Francia auf das Übergewicht von regionalen Heiligen der spätantiken und frühmittelalterlichen Christianisierungszeit hingewiesen worden.20 Östlich des Rheins hingegen fehlten diese ortsspezifischen Kulte weitgehend. Nur teilweise bildeten sich hier später noch lokale Verehrungstraditionen. Vor allem aber setzten sich die überregionalen Zentralgestalten des katholischen Heiligenhimmels durch – ein Trend, der mit der nachtridentinischen Homogenisierung des Katholizismus seinen Abschluss finden sollte.21 Aus der Perspektive der Erforschung von Tanz und Ritualität bietet sich weiterhin die gemeinsame römisch-hellenistische Prägung des Raumes der Francia inklusive des Rhein-Mosel-Maas-Gebiets als Erklärungs­ ansatz an.

IV.2 Solarer Henotheismus und neoplatonische Kosmologie am Übergang vom Imperium Romanum zum Regnum Francorum IV.2.1 Das Kaisertum und der Sonnengott Die prominenteste Emanation des »Einen«, also des höchsten Gottes, innerhalb des materiellen Kosmos war Jamblichus zufolge helios, die irdische Sonne. Denn das geistige Wesen der enkosmischen Götter war zwar an sich ineffabel, teilte 20 Gurjewitsch, Volkskultur, S. 340. 21 Rothkrug, Popular Shrines, ders., German Holiness, und ders., Holy Shrines (Letztere jeweils schon mit Diskussion von Gegenargumenten), hat auf Grundlage dieser Beobachtung sehr spekulative Hypothesen über die Ursachen der Reformation und auch des deutschen »Sonderwegs« entwickelt. Seine Annahme, dass es in später protestantisch gewordenen Gebieten in der Regel vorreformatorisch weniger Pilgerfahrten zu Heiligen gegeben habe, wäre quellenkritisch zu überprüfen, vgl. etwa Kühne, Der Harz und sein Umland, S. 91. Wo nachreformatorisch nur wenige Wallfahrten überliefert sind, kann dies durchaus durch massiven Überlieferungsausfall bedingt sein. Für Württemberg etwa lässt sich archivalisch eine Fülle von vorreformatorischen Wallfahrtsorten nachweisen, die in der Forschung bisher kaum erfasst sind, vgl. nur Griesel, Wallfahrtsorte des Herzogtums Württemberg, S. 20 f. Rothkrugs Behauptung eines Heiligenkultes ohne Reliquien in weiten Teilen Deutschlands entbehrt schon theologisch jeder Grundlage. Viele Argumente leben davon, Folgen des Tridentinums zurückzudatieren, etwa die massiv systematisierte Marienverehrung im katholischen Bayern, vgl. dazu Lederer, Madness. Rothkrugs Ausgangsbeobachtung, dass die Heiligenverehrung im nach-merowingerzeitlichen Missionsgebiet eine andere mythische Basis und rituelle Struktur hatte, ist damit jedoch noch nicht widerlegt und hätte weitere Erforschung verdient. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sich den Menschen aber in Form von Feuer, Licht und Wärme mit.22 Die physische Sonne war also nur das sichtbare Symbol des »Einen« an der Spitze der Götterhierarchie  – und damit für den Theurgen das bevorzugte Medium der Katharsis und des Seelenaufstiegs zu seinem »noetischen Feuer«.23 Jamblichus stellte sich damit in die Tradition einer henotheistischen Solartheologie, die seit dem 2.  Jahrhundert n. Chr. tendenziell alle alten Gottheiten als Emanationen des Helios integrierte.24 Die Forschung hat lange Zeit angenommen, dass es sich bei dieser Solarfrömmigkeit um eine Rezeption orientalischer, zumal persischer Einflüsse gehandelt habe. Da man den olympischen Götterhimmel mit der klassischen Antike gleichsetzte, konnte man so die Verehrung des Sonnengottes als spätantikes Dekadenzphänomen ausgrenzen.25 Heute wissen wir jedoch, dass die angeblichen vorderasiatischen Ursprünge eher als legitimatorische Konstruktion einer Offenbarungstradition zu sehen sind.26 In der griechische und römische, aber auch »barbarische« Traditionen aufnehmenden Verehrung der Sonne konvergierte ein neoplatonisch beeinflusster Trend zum Monotheismus mit dem Bedürfnis des Kaisertums nach einer ethnische und kulturelle Differenzen überwölbenden religiösen Verankerung, zumal gegenüber der unmittelbaren Machtbasis, dem Militär.27 Darum ist die solare Herrscherikonographie der Kaiserzeit besonders numismatisch nachweisbar. Da die Münzproduktion des Römischen Reiches zum überwiegenden Teil  der Bezahlung der Truppen diente bzw. auf diesem Weg in Umlauf gebracht wurde, bildete sie jenes Medium, mit dem die Imperatoren ihre mythische Legitimation kommunizieren konnten.28 Der traditionelle Sol/Helios wurde so sukzessive zum »Sol invictus« umgeformt, und als solcher war er vor allem Sieghelfer des Kaisers als Feldherr und Garant des seine Herrschaft legitimierenden Versprechens eines Goldenen Zeitalters des allgemeinen Friedens und Wohlergehens.29 Schon Augustus hatte den vielfach als Sonnengott identifizierten Apollon im Münzbild zum Schutzpatron seines Kaisertums gemacht. Die aufziehende ­aetas aurea sollte durch die göttliche Hochzeit von Apollon und Diana als Sol und Luna begründet werden.30 Auch Caligula (12–41, Ks. ab 37) und Nero (37–68, 22 Miller, Measures of Wisdom, S. 315 f.; Shaw, Theurgy and the Soul, S. 222 f.; Stäcker, Stellung der Theurgie, S.  233; vgl. zur Kosmologie des Jamblichus auch Gundel/Gundel, Astro­logumena, S. 315–317. 23 Shaw, Theurgy and the Soul, S. 224–227. 24 Fauth, Helios megistos, S. 1–15; Wallraff, Christus verus Sol, S. 39. 25 Wallraff, Christus verus Sol, S. 12, der auch auf die antisemitische Grundierung der Negativbewertung des syrischen Baal/Elagabal-Kultes hinweist. 26 Ebd., S. 38 f., 205. 27 Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, bes. S. 10–22, 29–33. 28 Ebd., S. 14. 29 Ebd., S. 184–205. 30 Ebd., S. 30, 117–122. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Ks. ab 54) beriefen sich bevorzugt auf Sol als Gott des Kaisers.31 Unter Septimius Severus (146–211, Ks. ab 193) wurde die Sonnengott-Ikonographie prägend für die Darstellung des Kaisers und seiner Familie. Der Kaiser als Sol, seine Frau Julia als Luna, die Söhne Caracalla und Geta als junge Sonnen mit Strahlenhaar sollten für das anbrechende Goldene Zeitalter stehen. Mit Hercules und ­Bacchus/Liber Pater integrierte Septimius Severus zudem zwei Hauptgötter seiner nordafrikanischen Heimat in den Kaiserkult.32 Sein Sohn Caracalla (188–217, Ks. ab 211) bezeichnete sich selbst als aus der Ehe von Sol und Luna hervorgegangenen »cosmocrator«, der »aus den Sternen auf die Erde gefallen« (»sideribus in terram delapsus«) sei.33 An diese Tradition knüpfte Marcus Aurelius Antoninus, genannt Elagabal (eigtl.: Varius Avitus Bassianus, 204–222, Ks. ab 218), an. Als römischer Kaiser und Hoherpriester des syrischen Berggottes übertrug er dessen Kult nach Rom – erfolglos, denn nach seinem gewaltsamen Tod wurde der fremde Gott schnell wieder aufgegeben. Der Einfluss des syrischen Lokalkultes auf die römische Sol-Verehrung blieb auch nach dieser Episode gering.34 Stattdessen griffen gerade die um Legitimation ringenden »Soldatenkaiser« immer wieder auf die etablierte Tradition der Hochzeit von Sol und Luna, Kaiser und Kaiserin, als Garanten des ewigen Friedens zurück.35 So ließ sich Gordian III. (238–244) mit seiner Frau als Sol und Luna/Selene inmitten des ­Zodiaks darstellen. Später zeigen seine Münzen ihn, wie er von Helios/Sol mit der Herrschaft investiert wird – ein Bildtypus, der für die kommenden Kaiser prägend werden sollte.36 Nach seinem Sieg über das syrische Reich von Palmyra (272) installierte Lucius Domitius Aurelianus (214–275, Ks. ab 270) den Sol invictus als Synthese aus römischen und syrischen Elementen.37 Der »unbesiegte Sonnengott« mit seinem zwölfstrahligen Kranz, der sphaira oder einer Peitsche in der Linken, die Rechte erhoben zum Segensgruß, oft in einem vierspännigen Sonnen­wagen, wurde damit endgültig zum zentralen Motiv der spätantiken Kaiserikono­ graphie.38 Freilich bedeutete dies nicht etwa die Installation eines reichsweiten 31 Klaus, Antikes Erbe, S. 60; Dölger, Sonnengleichnis, S. 31–33. 32 Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 9, 39–47; Eitrem, Apotheose, S. 20 f. 33 Gordon, (Art.) Sol I, Sp. 694. Caracalla setzte jedoch religionspolitisch vor allem auf den Sarapis-Kult, vgl. Takács, Isis und Sarapis, S. 117 f.; Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 48–51. 34 Drijvers, Dea syria, S. 243–248; Gschößl, Schmelztiegel, S. 99–101; Klaus, Antikes Erbe, S. 61–63; Takács, Isis und Sarapis, S. 118 f.; Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 51–57. 35 Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 235–241. 36 Ebd., S. 9, 60–71, 77–88, 173–180. 37 Kritisch auf der Grundlage eingehender Untersuchungen Drijvers, Dea syria, S. 254; ebenso Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 54 f., 89 ff.; vgl. Gordon, (Art.) Sol I, Sp. 694. 38 Gschößl, Schmelztiegel, S. 101–103; Klaus, Antikes Erbe, S. 64 ff.; zur Ausbildung dieser Tradition: Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 213–218. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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oder gar S­ uprematie über die anderen Götter beanspruchenden Herrscherkultes. Vielmehr, so Stefan Berrens, stand die durch den Sieg über Palmyra inspirierte Förderung des Sol-Kultes in der langen Tradition der kaiserlichen Herrschaftslegitimation unter Berufung auf den Sonnengott als Garanten des Sieges, des Friedens und der Wohlfahrt.39 Mehr und mehr hatte sich freilich seit augusteischer Zeit das Patronat des Sonnengottes als comes Augusti zu einer direkten Identifikation des Kaisers als irdische Emanation des Sol entwickelt. Dies war freilich nicht Ausfluss orientalischer Dekadenz oder individuellen Größenwahns, sondern konkreter Legitimationsbedürfnisse eines politisch instabilen Weltreiches gegenüber den die Herrschaft tragenden militärischen und zivilen Eliten.40 Begleitet wurde Sol in der Kaiserikonographie Aurelians durch Mars, Jupiter und Herkules – womit jene Viererreihe vorgeprägt war, die unter Dio­k letian (236/45–313/16, Ks. 284–305) zur religiösen Legitimationsbasis der Tetrarchie werden sollte.41 Jeder der vier Mitkaiser unterstellte sich nun einem dieser vier Götter, ja: auch ihre Legionen wurden nun nach diesen als Ioviani, Hercu­ liani, Martenses bzw. Solenses bezeichnet.42 Im Zuge der umfassenden Reichs­ reformen Diokletians wurde der Kult des Sol invictus zudem ergänzt durch die Förderung der Mysterien des Mithras. Diese rekurrierten in ihrer Herkunftskonstruktion ebenfalls auf vorderasiatische Traditionen, dürften jedoch wie der Sonnenkult im Kern eine römische Entwicklung sein. Mithras, der ebenfalls stark solar und astral konnotierte Gott der Loyalität und Vertragstreue, fand besonders im Verwaltungsapparat und im Militär reichsweite Verbreitung. Seine Verehrung wurde seit dem 2.  Jahrhundert vom Kaiserhaus unter den Untergebenen und Freigelassenen propagiert. Sie verband einen – freilich nurmehr in Fragmenten greifbaren  – ausgeprägt solaren und astralen Mythos mit einer institutionalisierten Organisationsstruktur verschiedener Weihegrade und rituellen Stieropfern zu einer breitenwirksamen Arkanreligion. Die Mysterien des Mithras fanden so besonders in den umkämpften Grenzregionen, etwa an Rhein und Donau, und in Verwaltungszentren des Imperiums weite Verbreitung.43 Mit den vier Sieghelfern der Tetrarchie  – Sol, Mars, Jupiter und Herkules, ergänzt um Apollon, Dionysos/Sarapis44 und Mithras, die je nach Bedarf mit Sol identifizierbar waren – zeichnet sich in der Herrschaftslegitimation des rö­ 39 Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 89–125. 40 Ebd., S. 214–223. 41 Ebd., S. 99–102, 139–143, 224 f. 42 Hoffmann, Das spätrömische Bewegungsheer, Bd. 1, S. 173–176. 43 Merkelbach, Mithras, S. 186–188; Vermaseren, Mithras in der Römerzeit, S. 106; Klaus, Antikes Erbe, S. 71 f.; Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 25–27. 44 Für seine Assoziation mit dem Sol des Kaiserkultes vgl. nur Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 162–165 (unter Maximinus Daja). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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mischen Kaisertums im 3. Jahrhundert eine Götterreihe ab, die deutlich an jene Assoziationsketten erinnert, mit denen Franz Jostes in seinen vergleichenden Untersuchungen den für die späthellenistische und auch für die germanische Religion angeblich paradigmatischen Sonnen-, Stier- und Hammergott hatte umreißen wollen. Die von ihm spekulativ postulierten Folgen eines babylo­ nischen Einflusses auf die europäische Religionsgeschichte lassen sich also sehr viel konkreter als Produkte des kaiserzeitlichen Herrscherkultes erweisen. Wir haben es demnach nicht mit einem synkretistischen Einfließen »orientalischer« Motive in die »germanischen« Religion zu tun, sondern mit Effekten des von den Imperatoren ihren Truppen und Verwaltungseliten im Medium der Münzprägung und des Hofzeremoniells vermittelten Herrscherkultes.

IV.2.2 Sonnenmythologie und kosmischer Reigen als gemeinsamer Sinnhorizont der spätantiken Religionen Dass Aurelianus den 25. Dezember zum reichsweiten »dies natalis solis invicti« erklärt habe, wird in der jüngeren Forschung nicht mehr als gesichert angesehen. Hielt man lange Zeit das christliche Weihnachtsfest (die Geburt der »wahren Sonne« Christus) für eine Überprägung dieses heidnischen Kaiser- und Sonnenfestes,45 geht man heute davon aus, dass beide Feiertage erst im Lauf des 4.  Jahrhunderts parallel überregionale Bedeutung erlangten.46 Die vielfältige Sonnenmetaphorik zumal in der Christologie des 3. und 4. Jahrhunderts erweist sich so nicht eindimensional als Reaktion auf einen dominanten kaiser­lichen Sonnenkult, sondern dieser vielmehr auch als Konkurrenzentwicklung gegen die erstarkenden »Galiläer«. Den Tag der Wintersonnenwende besetzten die Christen vielleicht ebendeshalb zuerst, weil er nicht durch ein paganes Hochfest belegt war.47 Gesichert ist das heidnische Fest des Sol invictus am 25. Dezember erst 354 für die Stadt Rom und als »heliaia« im »Hymnus an den König Helios« des Julian Apostata (361–363).48 Offensichtlich entwickelten sich hier aus den gleichen neoplatonisch-solarmythologischen Wurzeln auf christlicher wie auf paganer Seite gleichzeitig und in engem Austausch die Feste der Geburt des jeweiligen Gottes, den beide Seiten gleichermaßen mit der zur Wintersonnenwende neu entstehenden Sonne assoziierten. Christus als die »Sonne der Gerechtigkeit« bzw. das »wahre Licht« wurde zwar ­ ythos den Sonnengöttern der Heiden antithetisch gegenübergestellt,49 sein M 45 So noch zusammenfassend Klaus, Antikes Erbe, S. 55–90; zur älteren Diskussion: Dölger, Sonnengleichnis, S. 23–30; ders., Sol salutis, S. 3 ff. 46 Förster, Anfänge, S. 8, Anm. 17. 47 Ebd., S. 299; methodisch wesentlich sicherer: Wallraff, Christus verus Sol, S. 174–195. 48 Förster, Anfänge, S. 244, 300; Miller, Measures of Wisdom, S. 310, 312. 49 Allg.: Dölger, Sonne der Gerechtigkeit; ders., Sonnengleichnis; ders., Sol salutis. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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wurde dabei aber ganz selbstverständlich mit dem Jahreslauf der Sonne parallelisiert, so etwa von Augustinus: Markierte die Wintersonnenwende Christi Geburt, so das Frühjahrsäquinoktium neun Monate zuvor seine Empfängnis. Jeweils um ein halbes Jahr verschoben wiederholte das Leben Johannes des Täufers diesen Rhythmus mit der Geburt zur Sommersonnenwende und der Zeugung zum Herbstäquinoktium, womit der »Vorläufer« sein Wort über den Messias einlöste: »Er muss wachsen, ich muss abnehmen« (Joh. 3,30).50 Das höchste Fest der Kirche, Ostern mit Tod und Auferstehung, wurde nach langen Diskussionen aus diesem rein solaren Rhythmus heraus auf den Sonntag nach dem ersten Vollmond nach dem Frühjahrsäquinoktium verschoben.51 Nicht ganz zu Unrecht warf der Manichäer Faustus denn auch den Christen vor, sie begingen die Solstitien wie die Heiden. Augustinus hielt mit Tertullian und Origenes dagegen, Gott und Messias der Christen seien viel größer als der Sonnengott der Heiden. Die Kirche feiere nicht wie die Ungläubigen die sichtbare Sonne am Himmel, sondern den, der diese geschaffen habe.52 Damit freilich übernahm der Bischof von Hippo ebenjene Unterscheidung von außerkosmischem, höchstem »Einem« und sichtbarer, kosmischer Sonne als seinem Geschöpf, die schon Jamblichus formuliert hatte. Anders als Jamblichus gestand der Kirchenvater allerdings den Emanationen des höchsten »Einen« keine Göttlichkeit mehr zu – eine Differenz, die in der Frömmigkeitspraxis weniger Bedeutung gehabt haben dürfte als in der theologischen Dogmatik. Diese Nähe der christlichen Sonnenallegorese zur heidnischen Heliolatrie hatte schon Clemens von Alexandrien gesehen: Gott, so schreibt er in seinen Stromateis, habe Sonne und Mond geschaffen, damit auch die Heiden ihn auf eine gerechte Weise anbeten könnten, ohne sich Idole machen zu müssen. Die Sonnenanbetung sei daher weniger verwerflich als der alte Götzendienst. Das Christentum pries er seinem heidnischen, philosophisch gebildeten Publikum als konsequente Weiterentwicklung des solaren Henotheismus zum Monotheismus an – und dies in einer Diktion, die gezielt auf Motive der zeitgenössischen Mysterien zurückgriff.53 50 Umgekehrt lässt Joh 5,35 Jesus den Täufer als »die brennende Lampe mit leuchtendem Schein« bezeichnen, Dölger, Sonnengleichnis, S. 35; dementsprechend hätte das Martyrium des Täufers an Weihnachten liegen müssen, was aber nicht der Fall ist (29. August). Zumindest auffällig ist in diesem Zusammenhang jedoch, das kurz nach Weihnachten das Martyrium des zweiten Johannes, des Evangelisten, terminiert ist (27.12.). Vgl. unten, Kap. VII.2. 51 Zu Augustinus: Förster, Anfänge, S. 273 f.; zur Berechnung von Ostern und Weihnachten vgl. ebd., S. 25 ff.; noch Mitte des 3. Jh. hatte der anonyme Traktat De Pascha computus als Geburtsdatum Christi als der »neuen Sonne« den 28. März (4. Schöpfungstag als Geburtstag der Sonne) angenommen, vgl. Dölger, Sonnengleichnis, S. 24 f. 52 Markus, End of Ancient Christianity, S.  102; Förster, Anfänge, S.  275–280; vgl. allg. Wallraff, Christus verus Sol, S. 41–55, 186 ff.; Dölger, Sonnengleichnis, S. 1–22, zu Origenes bes. ebd., S. 5 f.; ders., Sol salutis, S. 149–155; zu Tertullian ebd., S. 21. 53 Wallraff, Christus verus Sol, S. 49–51. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Es ist demnach nur folgerichtig, dass zahlreiche Motive der Sonnenverehrung nicht nur in den paganen Kulten der Spätantike, sondern auch im Christentum Aufnahme fanden, etwa die wortwörtliche »Orientierung« des Gebets und später der Kirchenarchitektur nach Osten.54 Dabei übernahm der christ­ liche Messias vermittelt über die (ost-)römische Herrscherikonographie die solaren Motive des Sonnengottes wie Strahlenkranz und Nimbus, sphaira und Segensgruß.55 Die zwölf Strahlen der Sonne als Zeichen für die zwölf Monate bzw. Tierkreiszeichen wurden zu Symbolen für die zwölf Apostel.56 In der Kunst des frühen 4. Jahrhunderts fuhr der christliche Messias sogar mit der Quadriga im Gewand des Sonnengottes zum Himmel auf.57 Dieses Motiv war legitimiert durch die Allegorese auf die Himmelfahrt des alttestamentlichen Propheten Elias, dessen »feuriger Wagen« wiederum seine Verankerung in der Sonnen­ mythologie unschwer erkennen lässt.58 Sonnenmythologie und Kosmologie lieferten so die zentralen Motive der religiösen lingua franca, des gemeinsamen religiösen Sinnhorizonts der Spät­ antike.59 Diese sollte ihre ungebrochene und durch Konversionen des Herrschers kaum beeinträchtigte Wirksamkeit unter der konstantinischen Dynastie erweisen. Spätestens Konstantin (* 272/85, Ks. 306–337) setzte in seiner Religionspolitik auf die Verknüpfung von Helios-Verehrung und Herrschafts­ repräsentation.60 Seine Donative an die Soldaten wurden mit Sol-Bildern ausgemünzt, während der Mitkaiser Licinius sich auf Jupiter berief. Dort, wo zwei Jahrhunderte später in Konstantinopel die Hagia Sophia errichtet werden sollte, ließ Konstantin, vielleicht nach dem Vorbild der Ara pacis in Rom, Standbilder der Tierkreiszeichen und anderer astronomischer Figuren mit Caesarenstatuen zu einem astral-solaren Pantheon kombinieren – zu einem kaiserlichen Heiligtum, das erst Justinian christianisieren sollte.61 Sein Mausoleum wurde wohl schon von Konstantin als Apostelkirche geplant, damit jedoch als Memorialbau, der mit dem Grab des Kaisers im Zentrum eines Kreises der zwölf ersten Jün 54 Ebd., S. 60–88; Klaus, Antikes Erbe, S. 49; Markus, End of Ancient Christianity, S. 129; Dölger, Sonne der Gerechtigkeit, S. VII, S. 2 ff.; Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 112. 55 Zu ikonographischen Parallelen allg. vgl. Wallraff, Christus verus Sol, S.  144–171; ders., (Art.) Sol II: Christentum; Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 27–29. 56 Dölger, Sonnengleichnis, S. 1, 30–51; Wallraff, Christus verus Sol, S. 57, 167 f. 57 Klaus, Antikes Erbe, S. 81 f.; Rickert, Sonnengott, S. 48 f.; Wallraff, Christus verus Sol, S. 159–164; Vermaseren, Mithras, S. 106. 58 Wallraff, Christus verus Sol, S. 21, 165–170; Saintyves, Les saints, S. 379–382; ablehnend Delehaye, Hagiographische Legende, S. 173 f., der sich ganz auf die Frage einer Kulttradition vom spätantiken Helios-Kult zur ostkirchlichen Verehrung des Elias konzentriert, ohne die viel ältere Analogie der Erzählmotive auch nur zu thematisieren. 59 So Drake, In Praise of Constantine, S. 55, vgl. ebd., S. 73 f.; ebenso Miller, Measures of Wisdom, S. 270 f. 60 Zum Folgenden Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 149–162, 225–228. 61 Wallraff, Christus verus Sol, S. 134 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ger seinen solarmythologischen Charakter weiterhin verriet.62 Als er im Lauf seiner Herrschaft zunehmend das Christentum zur Legitimation seiner Herrschaft heranzog, musste und konnte der Kaiser weiterhin auf die solarmythologische lingua franca zurückgreifen. Die spätere christliche Überlieferung hat in ihrer Einseitigkeit den Blick verstellt für diese Synthese solarer Herrscher­ mythologie.63 Für seine Edikte und andere Verlautbarungen bemühte Konstantin die ungefähren Formulierungen der neoplatonischen Theologie, die das Publikum je nach Geschmack christlich oder pagan deuten konnte.64 In seinem römischen Palast zeigten Mosaiken den Sonnengott in der Quadriga mit Christus-Monogramm.65 Nach dem Sieg über Licinius, der sich eindeutiger als er auf die heidnische Partei gestützt hatte, ließ er den Sol invictus in seinen Münz­ prägungen sukzessive ausfallen, soweit er in der Kommunikation mit den Truppen ersetzbar wurde.66 Er untersagte nun auch die traditionellen polytheistischen Kulte. Letzteres ließ sich aber durchaus auch für fromme Neoplatonisten als Maßnahme gegen den von der Philosophie längst überwundenen volkstümlichen Aberglauben verstehen.67 Bei der Weihe Konstantinopels ließ der Kaiser zugleich dem Christengott und der Stadtgöttin Tyche opfern, die Eirene-Kirche und einen Tempel der Tyche errichten.68 Zugleich ließ Konstantin sich in seiner neuen Hauptstadt auf einer Porphyrsäule als vergoldete Statue mit allen Attributen des Sonnengottes darstellen – nicht ohne freilich durch die Ausstattung des Denkmals mit Reliquien eine christliche Deutungsmöglichkeit zu eröffnen.69 Der Imperator griff auch weiterhin in die Rekrutierung der Priester für die Tempel des paganen 62 Wallraff, Christus verus Sol, S.  135, nimmt mit der älteren Forschung an, dass der Grabbau erst unter Konstantius II. zur Kirche umgebaut worden sei; dagegen Rebenich, Vom dreizehnten Gott, der die Anordnung als Ausdruck einer Christus-gleichen Selbstinszenierung des Kaisers deutet, die dann unter seinen Nachfolgern auf ein theologisch vertretbares christliches Sakralkaisertum zurückgenommen worden sei; ihm zustimmend Diefenbach, Römische Erinnerungsräume, S. 211 f. Auch Rebenich, S. 225 f., betont aber die solaren Konnotationen im konstantinischen Herrscherkult. 63 Wallraff, Christus verus Sol, S. 136 f.; Rosen, Julian, S. 60. 64 Ebd., S. 129. 65 Ebd., S. 130. 66 Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 165–167. 67 Rosen, Julian, S. 59 f.; Wallraff, Christus verus Sol, S. 133; weniger differenziert Rickert, Sonnengott, S. 63 f.; Drake, In Praise of Constantine, S. 65 f.; Herrero de Jáuregui, Orphism and Christianity, S. 233 ff. 68 Colpe, Einführung, S. 21; Dölger, Sol salutis, S. 69 f. 69 Dölger, Sol salutis, S. 66–70; Fauth, Helios megistos, S. 147; McMullen, Chistianity and Paganism, S. 34; Rosen, Julian, S. 60; Wallraff, Christus verus Sol, S. 133 f., 138; Klaus, Antikes Erbe, S. 45–47. Die Reliquien in der Konstantinssäule (u. a. Nägel und Partikel vom Kreuz Christi, aber auch angebliche Körbe von der Brotvermehrung am See Genezareth, die Axt Noahs und eine Salbölflasche Christi) wären gesondert auf mögliche Polyvalenzen zu untersuchen. Die Brotkörbe etwa konnte ein Nicht-Christ als modii, ein Attribut des oft mit Helios gleichgesetzten Sarapis, lesen, die Axt als Attribut des Herakles, für den ähnliches galt. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Kaiser­kultes in Rom und Konstantinopel ein – der bis Mitte des 5. Jahrhunderts neben der Verehrung Konstantins als Heiliger weiterbestehen sollte.70 Im Hippodrom ließ man bei Wagenrennen eine Statue des Kaisers in der Gestalt des Helios in einer fahrbaren Quadriga herumführen – ein Brauch, der bis weit in byzantinische Zeit die solarmythologische Verankerung der kaiserlichen Wagenrennen bezeugte.71 Als Helios im Sonnenwagen fuhr Konstantin der Große denn auch 337 auf den Konsekrationsmünzen nach seinem Tod in den Himmel auf – freilich in einen christlichen Himmel, aus dem sich ihm die Hand Gottes entgegenstreckte.72 Ausformuliert wurde der solare Herrscherkult von Konstantins geistlichem Ratgeber und späterem Biographen Eusebius von Caesarea (260/64–337/40) in seinem Panegyricus zum dreißigjährigen Thronjubiläum des Kaisers 336: Anhängern der Stoa, Neoplatonikern, frommen Sol invictus-Gläubigen, arianischen und nicäanischen Christen zugleich musste er den Imperator als sakrale Lichtgestalt  – je nach Vorliebe göttlich, gottgleich oder gottbegnadet  – nahebringen. So stilisierte der Hofpropagandist sich selbst zum Mystagogen, der die Versammelten – wahlweise als Sterne, Engel, Sphären oder Himmelsmächte – zum kosmischen Reigen um den Herrscher als Stellvertreter des höchsten Gottes aufrief.73 Seine Einschränkung, Sonne und Mond seien nicht selbst Gottheiten, sondern Geschöpfe des höchsten Gottes, ging nun wiederum über das neoplatonische Verständnis deutlich hinaus, indem sie den Geschöpfen des »Einen« jede Göttlichkeit absprach.74 Dies war auch nicht nur eine unbedeutende Nuance, sondern wie später bei Augustinus die korrekte christliche Antwort auf die zentrale dogmatische Frage, ob es neben dem »Höchsten« noch weitere Gottheiten gäbe. Wie vor ihm schon Clemens von Alexandrien stellte Eusebius das Christentum so ausdrücklich in die Tradition der römischen Sonnenreligion und bot es zugleich seinen philosophisch geschulten Zuhörern als die überzeugendere Lösung des Monotheismus-Problems an. Und wie Clemens von Alexandrien betonte Eusebius, dass die Einsicht in die kosmische Harmonie nicht durch mania, sondern nur vermittels Inspiration durch das gött­ liche Licht möglich sei.75 Die frühen christlichen Platoniker folgten in ihrer 70 McMullen, Christianity and Paganism, S. 34–37. 71 Ebd., S. 34; Wallraff, Christus verus Sol, S. 134. 72 Rosen, Julian, S. 60; Wallraff, Christus verus Sol, S. 136; Rebenich, Vom dreizehnten Gott, S. 225 f. (mit weiterer Lit.); über die Deutung dieses Bildes durch Eusebius vgl. Drake, In Praise of Constantine, S. 9, 47. 73 Drake, In Praise of Constantine, S. 83–103 (engl. Übers.), hier bes. I,1–2; Miller, Measures of Wisdom, S. 270–272; Rosen, Julian, S. 224; Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 9, 168 f. 74 Wallraff, Christus verus Sol, S. 139. 75 Drake, In Praise of Constantine, S. 83 (Prolog, 5): »Let the oracles of learned men – not those that derive from mantic, or rather manic, frenzy, but those that have been uttered in the inspirations of divine light – teach us in these ceremonies about sovereignty itself, about the Highest Sovereign and the holy escort around the Ruler of All, […].« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Rezeption des himmlischen Reigens also Plotin und Porphyrius, die eine rituelle Kommunikation der Sterblichen mit den höheren Sphären ausgeschlossen hatten, nicht Jamblichus, dem Meister der Theurgie.76 Abseits solcher dogma­ tischer Details eröffnete das von Eusebius eingeführte Modell jedoch einen breiten Konsens zur Legitimation des solaren Kaisertums. Die Solarmythologie als gemeinsamer Sinnhorizont bot das Reservoir für religiöse Kompromissformeln, die über die Glaubensdifferenzen hinweg das Zusammenleben der Reichseliten möglich machte.77 Die Vorstellung vom kosmischen Reigen war für Eusebius von Caesarea also unmittelbar mit dem solar-synkretistischen Herrschaftsverständnis Konstantins verbunden. Folgerichtig inszeniert er diesen in seiner Vita auch bei seinem weltgeschichtlichen Auftritt auf dem Konzil von Nicäa ganz als choragus, als gottgesandten Tanzmeister, der im kaiserlichen (d. h. solarsymbolischen) Ornat die Kirchenlehrer zum sphärengleichen Reigen aufrief. Der engelsgleiche Stellvertreter des Höchsten stellte so die durch den theologischen Zwist gestörte kosmische Harmonie wieder her.78 Während Eusebius Konstantin als christlichen Stellvertreter der »wahren Sonne« darstellte, richtete sich Firmicus Maternus (4. Jh.) in seiner Mathesis an Helios und die Planetengötter mit einem Gebet um Unterstützung für Konstantin und seine Söhne und Caesaren.79 Konstantins Nachfolger Constantius II. 76 Vgl. oben, Kap. II.2.2. 77 Drake, In Praise of Constantine, S. 61–79, über die Rede des Eusebius als Programmschrift der Konstantinischen Religionspolitik. 78 Pfättisch/Bigelmair (Übers.), Eusebius von Cäsarea, Vier Bücher, Buch III, Kap.  10: »Als sich aber die ganze Versammlung mit der geziemenden Würde niedergelassen hatte, herrschte in der Erwartung des Einzugs vom Kaiser allgemeines Schweigen. Es zog nun erst einer, dann noch ein zweiter und dritter aus der Umgebung des Kaisers ein; voran gingen auch noch andere, nicht aus der Zahl seiner gewöhnlichen Trabanten und Leibwächter, sondern aus dem Kreise seiner gläubigen Freunde. Auf das Zeichen aber, das die Ankunft des Kaisers verkündete, erhoben sich alle und nun trat er selber mitten in die Versammlung, wie ein Engel Gottes vom Himmel her, leuchtend in seinem glänzenden Gewande wie von Lichtglanz, strahlend in der feurigen Glut des Purpurs und geschmückt mit dem hellen Schimmer von Gold und kostbarem Edelgestein. So war seine äußerliche Erscheinung; seine Seele aber war sichtlich mit der Furcht und Verehrung Gottes geziert; es deuteten auch dies seine gesenkten Augen an, das Erröten seines Antlitzes, die Art seines Ganges und seine ganze Gestalt, die an Größe ebenso alle seine Begleiter überragte wie an blühender Schönheit, an majes­tätischer Würde und an unüberwindlicher Körperkraft, und diese Vorzüge, denen sich der milde Charakter und die große Güte des Kaisers paarten, ließen seine außerordentliche Gesinnung über alle Beschreibung erhaben erscheinen. Als er aber bis zur vordersten Reihe der Plätze gegangen war und dort, wo ihm ein kleiner Sessel aus Gold hingestellt war, mitten in der Versammlung stand, wollte er sich nicht eher setzen, als bis die Bischöfe ihn durch Winke dazu aufgefordert hatten. Dasselbe tat auch die ganze Begleitung des Kaisers.« Vgl. dazu Miller, Measures of Wisdom, S. 268 f. 79 Rosen, Julian, S.  224; Dölger, Sonnengleichnis, S.  3; allg.: Tester, Western Astrology, S. 133–142. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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(* 317, Ks. 337–361) übernahm die von seinem Vater entwickelte solar-synkretistische Herrschaftslegitimation:80 Er ließ sich, obwohl selbst Christ, von paganen Panegyrikern als Nachkomme der Sonne und Günstling der Siegesgöttinnen feiern.81 357 ließ er, wie schon von Konstantin geplant, einen Sonnen-Obelisken aus dem ägyptischen Heliopolis nach Rom bringen und im Circus Maximus aufstellen.82 Auch er kombinierte also die neue, christliche Hofreligion mit einer religiösen Legitimationsstrategie, die auch für seine paganen Untertanen zugänglich blieb. Sein Vetter Flavius Claudius Julianus (331–363), seit 355 Caesar in Gallien, seit 361 Augustus, sollte mit seinem aus der kirchlichen Polemik stammenden Beinamen »Apostata« in die Geschichte eingehen,83 weil er an Stelle des Christentums erneut die Einführung einer auf den Kult des Helios aufbauenden Kaiserreligion betrieb. Schon während des Studiums im kleinasiatischen Exil hatte er sich der neoplatonischen Philosophie, insbesondere der von Jamblichus begründeten Schule, zugewendet.84 Seit 355 Caesar in Gallien, rebellierte er 361 gegen seinen Vetter Constantius II. Als der Augustus kurz vor der Entscheidungschlacht überraschend starb, erhoben die östlichen Legionen Julian zu seinem Nachfolger. Er berief sich nun auf die Tradition des Helios-Kultes in seiner Dynastie, von der sich Konstantin und seine direkten Nachkommen unseligerweise abgewandt hätten.85 Der am Hof seines Vorgängers dominierende christlich-solare Herrscherkult wurde durch den neoplatonischen Henotheismus ersetzt – aus Julians Sicht wohl schlicht eine Bereinigung des wahren Glaubens von seinen christlichen Einflüssen. Entsprechend konnte der vormalige Rebell nun seinen Vorgänger, den Mörder seines Vaters, zum Gott erklären und so die legitime Nachfolge auf dem Kaiserthron antreten.86 Im »Hymnus an Helios« fasste Julian selbst seine religiösen Vorstellungen für den Reichskult zusammen.87 Die älteren Götter und die Tradition des Sol invictus flossen zusammen in »Helios kosmokrator« bzw. wurden diesem in wechselnden Abhängigkeitsverhältnissen zugeordnet.88 Auch Helios jedoch war wiederum nur die kosmische Emanation des außerkosmischen »Einen«, die dessen Allmacht in den Kosmos hinein vermittelte. Die von Julian und seinen Beratern in Konkurrenz zum Christentum betriebene Konstruktion einer solaren Ein 80 Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 229 f. 81 Rosen, Julian, S. 224. 82 Ebd., S. 224. 83 Demandt, Spätantike, S. 121–126; Rosen, Julian, S. 19. 84 Vgl. zum Werdegang allg. Rosen, Julian. 85 Ebd., S. 222 f. 86 Miller, Measures of Wisdom, S. 280–294. 87 Ebd., S. 297–300; Rosen, Julian, S. 324–328. 88 Anrich, Mysterienwesen, S. 59–73; Gundel/Gundel, Astrologumena, S. 312–315; Colpe, Einführung, S. 22 f.; Fauth, Helios megistos, S. 121–136 (vor allem über die spätere Ausformulierung bei Proklos), S. 145–162; Merkelbach, Zeus sarapis – Isis regina, S. 252–265, 308–318. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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heitsreligion strebte nach dem Einbezug der älteren Mysterien von Dionysos, Isis und Sarapis, Kybele und Attis, Mithras und Orpheus.89 Dabei untersagte der neue Kaiser den paganen Priestern den Umgang mit Berufstänzern und Schauspielern. Ballett und Theater waren zwar unverzichtbarer Bestandteil der Repräsentationskultur, galten jedoch den neoplatonischen Asketen des 4. Jahrhunderts wie schon dem Patriziat der republikanischen Zeit als unmoralische Milieus, von denen sich die Diener der vom Kaiser geförderten neuen Religion fernhalten sollten.90 Der Kaiser konnte sich dabei auf Platon selbst berufen, der dem philosophisch lebenden Menschen zwar Tanz als Mittel der Körpererziehung empfohlen, jede »histrionische« Frivolität aber im Zeichen des antiken Mäßigungsideals abgelehnt hatte.91 Der Philosoph erkenne den Lauf des Kosmos nicht im Tanz, sondern im meditativen und intellektuellen Nachvollzug.92 Das heißt jedoch nicht etwa, dass der Tanz als spirituelles Motiv seinen Stellenwert in der paganen Glaubenswelt eingebüßt hätte. Und ebenso heißt es nicht, dass in den von Julian geförderten Kulten der alten Götter nicht mehr getanzt worden wäre. Die unvoreingenommene Hochschätzung des sakralen Tanzes in den älteren polytheistischen Kulten war zwar durch die zunehmende Spiritualisierung des Neoplatonismus zurückgedrängt worden,93 doch blieb der Tanz ein unverzichtbarer Bestandteil der Mysterienkulte. Julians neue Staatsreligion war geprägt durch eine Schwächung der elitär-asketischen Schule des Neoplatonismus um Plotin und Porphyrius und eine Hinwendung zur theurgischen Interpretation des Jamblichus. Der Kaiser selbst ließ sich in verschiedene Mysterien einweihen, etwa in den Attis/Kybele-Kult der galli.94 Die von ihm eingeleitete Reform des polytheistischen Glaubenssystems im Geiste der neoplatonischen Philosophie sollte also nicht etwa jeden Tanz ausschließen, sondern gerade die Sakralität des kultischen Tanzes schützen vor den angeblich verderblichen Einflüssen des profanen Theaters. Dieser Versuch der gezielten Konstruktion und Popularisierung einer antichristlichen Konkurrenzreligion freilich scheiterte mit dem frühen Tod Julians im Krieg gegen die Perser im Juni 363.95 In den elitären Zirkeln der paganen Senatorenfamilien Roms, aus denen als später Nachkomme Boëthius hervor­ 89 Fauth, Helios megistos, S. 145–162; Miller, Measures of Wisdom, S. 301; Colpe, Ein­ führung, S. 22 f. 90 Andresen, Altchristliche Kritik, S.  371 mit Anm.  90; Miller, Measures of Wisdom, S. 314; vgl. oben, Kap. II.1 und II.3.2. 91 Bermont, La danza, S. 75–81, 139 f. 92 Ebd., S. 104–107, 125 f. 93 Zum sakralen Tanz in der Antike vgl. Hammerstein, Musik der Engel, S. 62 ff.; Schulz, Bild, S. 229 f.; Andresen, Altchristliche Kritik, S. 354–362; Nedoma, (Art.) Tanz. 94 Rosen, Julian, S. 265 f., 323 f.; entgegen älteren Annahmen war Julian wohl noch nicht während des Studiums in Mysterien eingeweiht worden, etwa bei Aufenthalten in Ephesus oder Athen, vgl. Rosen, Julian, S. 101, 351 ff., 117 f. 95 Miller, Measures of Wisdom, S. 313. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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gehen sollte, sollte man Julian bis weit ins 5. Jahrhundert als gescheiterten Retter verehren,96 ebenso in den heidnischen Kreisen des Ostreiches. Sein letzter nichtchristlicher Biograph Zosimos sollte ihm noch Anfang des 6. Jahrhunderts das Epitheton »der Große« geben.97 Schon Julian hatte als Kontrafaktur der christlichen Dreifaltigkeit die Konstruktion einer neoplatonischen Trinitätslehre versucht: In verschiedenen Konstellationen gruppierte er dazu pagane Gottheiten um ein solares Zentrum: Hyperion, Helios, Dionysos/Asklepios;98 oder auch: Horus/Re/Sarapis, Helios, Asklepios.99 Ja: Indem er in seinem »Hymnus an die große Mutter« Helios zu Frühlingsbeginn (25. März) mit Rhea/Kybele tanzen und dabei Attis zeugen ließ, formulierte er eine perfekte Kontrafaktur der Heiligen Familie.100 Die Attis-Mysterien, deren Adept Julian geworden war, hätten so das christliche Ostermysterium ersetzen können. Ihr Tanz wäre zur pagan-neoplatonischen AntiEucharistie geworden. Die Diener der Kybele begingen zum Frühlingsbeginn ihre Mysterien. Im Rahmen von mehrtägigen Tanzprozessionen vollzogen sie realiter oder symbolisch die Selbstkastration des Gottessohnes nach. Diese ekstatischen Selbstverletzungen wurden auch von frommen Zuschauern übernommen. In der römischen Kaiserzeit wurde der Attis-Mythos wegen dieses blutigen Schauspiels vielfach abgelehnt, andererseits erfuhr er jedoch auch eine Hochkonjunktur, nun solar gedeutet als Mimesis von Wanderung der Sonne, Untergang und Wiederaufgang.101 Der Kaiser als Theologe einer polytheistischen Trinität und einer eben­ solchen »Heiligen Familie« stellte sich so in die Nachfolge Konstantins, der auf dem Konzil von Nicäa zwar nicht selbst dogmatisch tätig geworden war, wohl aber die zerstrittenen Kirchenlehrer zu einer Einigung genötigt hatte.102 Julian begründete so eine Tradition, auf die noch Justinian in christlicher Form mit seinen theologischen Feststellungen über die christliche Dreifaltigkeit zurückgreifen sollte.103 Und die nicäanisch-konstantinopolitanische Trinitätslehre, wie sie sich seit dem 4. Jahrhundert ausgebildet hatte und unter Justinian erneut kontrovers diskutiert werden sollte, war ein genuines Produkt der Aus­ einandersetzung mit den Schriften eines Porphyrius oder Jamblichus im Kreis der christlichen Neoplatoniker um Marius Victorinus (300–386), Ambrosius und Augustinus.104 96 Ebd., S. 313 ff. 97 Rosen, Julian, S. 31 f. 98 Fauth, Helios megistos, S. 159–161. 99 Ebd., S. 152 ff. 100 Miller, Measures of Wisdom, S. 299–301; Rosen, Julian, S. 265–267. 101 Miller, Measures of Wisdom, S. 300–305. 102 So Rosen, Julian, S. 269. 103 Gray, (Art.) Justinian; Jussen, Um 567, S. 19 f. 104 Halfwassen, Neuplatonismus und Christentum, S. 8–10. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Signifikant ist die Regierungszeit Julian also nicht als exzeptionelle Episode, sondern als Teil einer kontinuierlichen Entwicklung: Seit den severischen Kaisern konvergierten im Herrscherzeremoniell und Herrscherkult des Imperiums verschiedene Formen der Heliolatrie mit der platonischen bzw. neoplatonischen Kosmologie. Konstantin und sein Propagandist Eusebius synthetisierten diese Einflüsse mit dem Christentum und begründeten so in den Grundzügen eine religiös-mythische Legitimationsideologie, die bis weit in die byzantinische Zeit prägend bleiben sollte.105 Als im Jahr 797 der Kaiser Konstantin VI. (771–797) abgesetzt und geblendet wurde, verfinsterte sich dem Chronisten Theophanes Homologetes (760–818) zufolge für siebzehn Tage die Sonne. Und die Kaiserin Eirene (751–803) handelte hier an ihrem Sohn zwar brutal, folgte damit aber letztlich nur der höfischen Tradition: Verlor ein Imperator seinen Thron, so büßte er bald auch gewaltsam sein Augenlicht ein – an dem offenbar die solare Legitimation hing.106 Julian markiert in dieser Entwicklung einen Pendelschlag zur paganen Seite hin, weniger aber einen radikalen Bruch mit dem Herrscherkult seiner Vorgänger und Nachfolger.107 Insofern dürfte der Erfolg der neoplatonischen Solarmythologie eher langfristig zu beurteilen sein. Der Neoplatonismus als gelehrte Theologie korrespondierte mit der Kosmologie und Mythologie des Herrscherkultes. Seine Tendenz zur Konzentration auf einen höchsten Gott entsprach nicht nur dem allgemeinen Trend zur henotheistischen Synthese, sondern auch dem Bedürfnis nach einem auf das Kaiserhaus bezogenen Reichskult mit der Sonne als Mittelpunkt.108 Dieser war christlich auslegbar wie bei Eusebius oder neoplatonisch-pagan wie bei Julian. Das Christentum war demnach zur Zeit der konstantinischen Dynastie in die religiöse Koexistenz integriert als eine von mehreren solar-monotheistischen Richtungen. Seit Konstantin war es die stärkste der Parteien, was den Kompromiss vielleicht erst möglich gemacht hatte, zugleich aber sein Ende bedingen würde: Im Lauf der folgenden zweihundert Jahre (bis zu Justinian) würde die (nicäanische) Kirche die Koexistenz sukzessive durch ein striktes Monopol ersetzen. Man sollte die religiöse Gemengelage des 4. und 5. Jahrhunderts jedoch nicht von den Ergebnissen des 6. Jahrhunderts her missverstehen. 105 So wurden die Quadriga als Herrschaftssymbol und der Titel helios basileus auch im byzantinischen Hofzeremoniell weiterverwendet. Der Kaiser als »Sonne der Monarchie« wurde zum Stellvertreter Christi als sol iustitiae stilisiert, vgl. Wallraff, Christus verus Sol, S. 141. 106 Hack, Alter, Krankheit, Tod und Herrschaft, S. 278 f., der acht Fälle von Blendung abgesetzter byzantinischer Kaiser erwähnt. 107 Wallraff, Christus verus Sol, S. 140; zur solaren Herrscherikonographie des Theodosius I. und seiner Nachfolger vgl. Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 232–234. 108 Fauth, Helios megistos, 121–136; Gundel/Gundel, Astrologumena, 312–314; Berghaus, Neoplatonic Notions, S. 48. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Aus dieser solarmythologisch überwölbten Koexistenz von paganem Henotheismus und christlichem Monotheismus ist auch die weitere religionsgeschichtliche Entwicklung im frühmittelalterlichen Westen zu verstehen – etwa im römischen Gallien am Übergang zum Frankenreich.

IV.2.3 Zwischen Christentum und Paganismus Gallien als Zentralraum des spätantiken Imperiums hatte bereits seit der zweiten Hälfte des 2.  Jahrhunderts eine zunehmende Christianisierung erlebt.109 Allerdings, so Frantişek Graus 1965, waren beim Eintreffen der Franken nur die gesellschaftlichen Eliten dem neuen Glauben zugetan, während im ländlichen Raum galloromanisch-pagane Lokalkulte weiterhin das religiöse Leben bestimmten.110 Mit dem Zerfall der antiken Staatlichkeit, so auch die jüngere Forschung, hätten sich die christlichen Eliten zunehmend in die Städte zurückgezogen, die so zu Zentren der Kirchlichkeit geworden seien.111 Während sich dann auch die königsnahe Oberschicht der eingewanderten Franken recht rasch christianisiert habe, sei die Landbevölkerung noch bis mindestens ins 7.  Jahrhundert weitgehend pagan geprägt gewesen.112 In diesem Milieu, so beinahe der Konsens der Forschung, sei es zu ausgeprägten »Synkretismen« zwischen galloromanischen, germanischen und christlichen Einflüssen gekommen.113 In diesem Sinn hat Heinrich Beck 1998 vorgeschlagen, die »Völkerwanderungszeit« als spezifische Epoche der europäischen Religions­ geschichte zu begreifen, geprägt durch »synkretistische« Entwicklungen, die Konstruktion gentiler Abstammungsmythen und  – auf Seiten der vorchrist­ lichen Galloromanen und Germanen – einen vielschichtigen Polytheismus.114 Arnold Angenendt hat dafür plädiert, Germanen und Galloromanen nicht als getrennte Großgruppen zu untersuchen, sondern in ihrer im Kern intergentilen religiösen Prädisposition gleichermaßen als Teile der spätantiken

109 Hen, Culture and Religion, S. 7–12. 110 Graus, Volk, Herrscher, Heilige, S. 140. 111 Zeddies, Religio, S. 306–308; Boudriot, Altgermanische Religion, S. 6 f. 112 Graus, Volk, Herrscher, Heilige, S. 151–163; Boudriot, Altgermanische Religion, S. 7; Angenendt, Frühmittelalter, S. 173 f.; Ewig, Merowinger, S. 136 f. 113 Haubrichs, (Art.) Christentum in der Bekehrungszeit II; Graus, Volk, Herrscher, Heilige, S. 163–170; Zeddies, Religio, S. 21, 38 f., 46, 308 f., die zu Recht postuliert, die spezifische Labilität dieser religiösen Gemengelage als Ordnungsproblem für die frühmittelalterliche Herrschaft und Kirche zu untersuchen; ebenso betont Meriaux, Gallia irradiata, S. 32 ff., eher die Prozessualiät des Übergangs, den Zerfall der paganen Kultgemeinschaften und die sukzessive institutionelle Durchsetzung des Christentums. 114 Beck, Probleme, S. 475; der postulierte Polytheismus wäre mit Blick auf den spätantiken paganen Monotheismus freilich zu präzisieren. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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koine.115 Ebenso hat Alain Dierkens auf die enge Wechselbeziehung zwischen paganen und christlichen Formen der Religiosität hingewiesen. Die eindimensionale Klassifikation eines Phänomens als heidnisch oder christlich lebe von anachronistischen Projektionen der Deutungsmuster des tridentinischen Katholizismus auf die Missionszeit. Welches Verhalten als »pagan«, welches als christlich, welches noch allgemeiner als religiös oder profan zu beurteilen sei, sei zeit- und situationsspezifisch ganz unterschiedlich bewertet worden.116 Freilich geht auch Dierkens dabei von einem klaren Bruch zwischen vorchristlicher und christlicher Religion aus. Nach Kontinuitäten paganer Kulte fragt er nur in institutioneller Form. Eine – und sei es gebrochene oder invertierte – Tradierung von Vorstellungen, Bildmustern, Erzählmotiven oder Ritualen wird nicht thematisiert. In jüngster Zeit ist hingegen verstärkt darauf hingewiesen worden, dass die Vorstellung von der heidnischen Landbevölkerung der Merowingerzeit zu­ mindest auch den Erzählkonventionen des zeitgenössischen städtisch-christ­ lichen Predigtbetriebs geschuldet war,117 und ebenso späteren Projektionen der Hagiographie des 8.  bis 11.  Jahrhunderts.118 In radikaler Abkehr von der bisherigen Forschung hat daher 1995 Yitzhak Hen postuliert, schon im 4.  und 5. Jahrhundert habe das römische, dann fränkische Gallien eine durchgreifende Christianisierung erlebt.119 Die Einwanderung und Machtübernahme germanischer Bevölkerungsgruppen habe daran wenig geändert, da diese religiös schnell integriert worden seien.120 Dabei sei mitnichten nur die städtische Gesellschaft, sondern auch der ländliche Raum früh und grundlegend christlich durchgeprägt worden. Hen weist zu Recht darauf hin, dass viele Phänomene, die in karolingerzeit­ lichen Quellen als Paganismen angegriffen werden, im 5.  bis 7.  Jahrhundert nicht problematisiert wurden.121 Seine Annahme, folglich hätten diese also in der religiösen Praxis keine Rolle mehr gespielt, sondern nurmehr in den Pro 115 Angenendt, Frühmittelalter, S. 38 f.; vgl. ähnlich Haubrichs, (Art.) Christentum in der Bekehrungszeit II, Sp. 520. 116 Dierkens, Christianisme et ›paganisme‹. 117 Zeddies, Religio, S. 131–135, gegen Hen, Culture and Religion. 118 Meriaux, Gallia irradiata, S. 32–37. 119 Hen, Culture and Religion, bes. S. 154–157. Für die Bemessung des Grades der Christianisierung, so Hen, sei nicht die dogmatisch-theologische Durchdringung, sondern die praktische Teilnahme der Bevölkerung an kirchlichen Ritualen maßgeblich. Demnach sei von einem hohen Maß an Christianität auszugehen. 120 Ebd., S. 13–16. 121 Ebd., S.  193–200. Rosamond McKitterick folgend deutet Hen diese Verschiebung als Ausdruck karolingischer Propaganda, die die Regierungszeit der Vorgänger-Dynastie disqualifizieren musste, um die eigene Epoche als Ära der religiösen und kulturellen Er­ neuerung präsentieren zu können – eine Stilisierung, die die Geschichtsschreibung bis heute prägt. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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jektionen späterer Hagiographen, geht jedoch implizit von einem neuzeitlichen Verständnis von »Christentum« aus. Es entsteht so ein Bild des spätrömischen und merowingerzeitlichen Gallien, das eher an das katholische Frankreich des 19. Jahrhunderts erinnert. Tatsächlich definiert Hen an keiner Stelle in seinem Buch, was für ihn »Christianität« oder »Christentum« bedeutet. Durchweg interessiert er sich nur für quellenmäßig greifbare institutionelle Strukturen und Zeugnisse für die Partizipation an liturgischen Akten, nicht aber für die konkreten Inhalte des Glaubens.122 Die Möglichkeit, dass Phänomene der Frömmigkeitskultur vielleicht erst im 9. Jahrhundert in den Blick der Paganismus-Verfolgung gerieten, weil sie zuvor schlicht als integraler Ausdruck von »Christianität« gesehen worden sein könnten, zieht er deshalb nicht in Betracht. Ebenso geht Hen von einer modernen Unterscheidung zwischen religiöser und säkularer Kultur aus, indem er eine ganze Reihe von Aspekten der antiken rituellen Kultur schlicht als profane Unterhaltung klassifiziert, etwa Theater, Zirkus und Wagenrennen.123 Deren Exklusion aus dem Raum des Sakralen ist doch aber erst Produkt eines langen, von der christlichen Theologie getragenen Prozesses, der bereits in römischer Zeit einsetzte, mit der Christianisierung aber sicherlich noch nicht abgeschlossen war.124 1999 hat Ramsey McMullen daher erneut die Hartnäckigkeit paganer Glaubensresiduen im gallisch-fränkischen Raum betont. Der Prozess der spätantiken Christianisierung sei grundsätzlich weniger durch katechetische Zuwendung zu den Gläubigen als vielmehr durch machtpolitische Durchsetzung des kirchlichen Kultmonopols gekennzeichnet.125 In Gallien bezeuge die Ver­ folgung von Kryptopaganismen noch in karolingischer Zeit die mangelhafte inhaltliche Christianisierung zumal der ländlichen Bevölkerung.126 Die superstitiones, die den christlichen Predigern zunehmend in den Blick geraten seien, seien realer Ausdruck einer funktionierenden und aus den Alltagsbedürfnissen der Bevölkerung erwachsenen religiösen Mischkultur gewesen.127 Einem solchen Modell freilich könnte sich letztlich wohl auch Yitzhak Hen anschließen, der eher nebenbei die Kontinuität von paganen Motiven durchaus zugibt. Diese hätten jedoch ab dem Ende des 5.  Jahrhunderts kein eigen­ ständiges Glaubenssystem mehr repräsentiert, sondern nurmehr Fragmente

122 Vgl. etwa Hen, Culture and Religion, S. 82 f.: Ziel der Untersuchung sei nicht die ­Suche nach »origins and theological basis« der Heiligenverehrung, sondern »understanding the implications and the functions of saints and their cults in a a society that appreciated and valued them highly«. 123 Ebd., S. 2, 208–251. 124 Vgl. Zeddies, Religio, S. 136 f. 125 McMullen, Christianity and Paganism, S. 7–14, 72 f. 126 Ebd., S. 45 f., 68–71. 127 Ebd., S. 71 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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innerhalb eines christlichen Deutungshorizonts.128 Als solche, als christianisierte Motive in einem Transitionsprozess, sollte man sie freilich auch unter­ suchen, statt sie stillschweigend aus der Analyse auszuschließen. Dichotomische Grundunterscheidungen wie »Christentum« und »Paganismus« schreiben in diesem Sinn nur die Perspektive der christlichen Prediger fort. Sie verstellen den Blick auf die konkrete religiöse und rituelle Praxis verschiedener Milieus im jeweiligen zeitlichen, regionalen, sozialen und situativen Kontext. Schon Wilhelm Boudriot hat darauf hingewiesen, dass sich das spätantike romanische Christentum unter dem Eindruck des Zerfalls der Staatlichkeit und der fränkischen Herrschaftsbildung stark auf den südgallischen Raum zurückzog. Von seinen Zentren Arles/Arelate und Lerins/Lerinum aus wurde dann ihm zufolge ein in intensiver Kommunikation mit dem östlichen Mittelmeerraum stehender Glauben prägend für das sich formierende Frankenreich.129 Dieses erbte demnach von der galloromanischen Spätantike eine hellenistisch geprägte Religiosität.130 Denn die durch eine ausgesprochene Kontinuität spätantiker Christianität gekennzeichnete gallische Kirche unter der Führung der alten senatorischen Eliten konnte früh das aufsteigende merowingische Herrscherhaus als Schutzmacht gewinnen.131 Die Franken konvertierten also ab etwa 500 zu einer in der spätantiken Kultur des Mittelmeerraumes verankerten Religion. Und schon vor ihrem sukzessiven Übergang zum Christentum hatten ihre Vorfahren für gut 150 Jahre in militärischen Diensten des Imperiums gestanden und Gelegenheit gehabt, die gallorömische Kultur und vorchristliche Reli­ giosität zu übernehmen. Die neuen Herrscher in Gallien waren demnach keine Einwanderer, sondern bereits seit Generationen Teil  der provinzialrömischen Gesellschaft.132

128 Hen, Culture and Religion, S. 160: »They all survived as fragments of ancient traditions within a Christian framework, and they represent not more than a stage of pluralism which characterized the transition from paganism to Cristianity.« 129 Boudriot, Altgermanische Religion, S. 3–7, 18 und allg. 130 Vgl. Ewig, Verehrung orientalischer Heiliger. 131 von Padberg, Inszenierung religiöser Konfrontation, S. 30. 132 So auch das Resumee der neueren Forschung bei Pohl, Germanen, S. 107–114; ähnlich Kaiser, Römisches Erbe, S. 13–16; allg.: Becher, Herrschaft im Übergang; zur Kontroverse über Bruch oder Transformation als Beschreibungsmodelle für das Ende des römischen Reiches vgl. jetzt Hen, Roman Barbarians, S. 3–16. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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IV.2.4 Die vorchristliche Religion der Franken in merowingerzeitlichen Debatten und in der Forschung Gregor von Tours zufolge verehrte Chlodwig vor seiner Taufe Saturn, Jupiter, Mars und Merkur.133 Allgemein neigen christliche Schriftsteller der Bekehrungszeit dazu, Heidentum topisch mit dem klassischen olympischen Poly­ theismus gleichzusetzen, der de facto gegenüber dem lokale Kulte integrierenden Henotheismus der späteren Kaiserzeit und dem neoplatonischen Monotheismus längst auf dem Rückzug war.134 Der archäologische Befund spricht zudem für die Annahme, dass die allermeisten romanischen Tempelkulte seit der Zeit des Theodosius I. (347–395, Ks. ab 379) einen massiven Einbruch erlebten.135 Die fränkischen Eliten blieben jedoch noch hundert Jahre nicht-christlich. Selbst, wenn sie die olympischen Götter angebetet haben sollten, müssten sie dies demnach an ephemeren Kultstätten getan haben. Andererseits weiß man heute, dass der lange für klassisch gehaltene germanische Götterhimmel mit Wotan, Thor, Freyr etc. maßgeblich erst ein Produkt der Völkerwanderungszeit ist und für die frühen Franken noch nicht angenommen werden kann.136 Hatten die Franken also eventuell gar kein einheitliches Glaubenssystem, sondern nur eine basale »Naturreligion«?137 Die heterogene, sich sukzessive ethnisch konstituierende Großgruppe der »Franken« hatte sich seit dem 3.  Jahrhundert an der Rheingrenze des Im­ periums gebildet, in stetem kulturellem Austausch mit der römischen Kultur. Früh traten einzelne Gruppen aus diesem Umfeld in römische Dienste oder siedelten auf Reichsgebiet über. In Nordgallien und im Rheinland trafen sie dabei auf eine Gesellschaft, die massiv durch die Stationierung von Truppen aus dem ganzen Reichsgebiet geprägt war. Die Rhein- und Donaugrenze des spätantiken Reiches bildeten daher Zentralräume der Verbreitung ostmediterraner und vorderasiatischer Kulte in Westeuropa.138 Insbesondere fanden am Mittelrhein und 133 Wallace-Hadrill, The Frankish Church, S. 18 f.; Wenskus, Religion abâtardie, S. 227 f. 134 Vgl. nur Leppin, Heidentum. 135 McMullen, Christianity and Paganism, S. 67 f. 136 Graus, Volk, Herrscher, Heilige, S. 145, 156; Wallace-Hadrill, The Frankish Church, S. 17 f., 20–23, der freilich, S. 20 f., auch auf Spuren der Wodan- bzw. Thor-Verehrung in den Grenzräumen zu Sachsen hinweist; vgl. hingegen Meriaux, Gallia irradiata, S. 45: für Arras archäologisch Fro/Freyr-Verehrung nachweisbar. 137 So Ian Wood, zitiert nach: Meriaux, Gallia irradiata, S. 46 mit Anm. 86. 138 Gschößl, Schmelztiegel, S. 93, über syrische Einflüsse; Grimm, Zeugnisse, S.  11–38, 100–107 (skeptisch, was ägyptische Kulte, ausführlicher, was vorderasiatische angeht); Wenskus, Religion abâtardie, S. 242: Dionysos-Verehrung im Rheinland; Takács, Isis and Sarapis, S. 20, weist freilich auch darauf hin, dass orientalische Kulte im westlichen Reich allgemein nicht weit verbreitet waren. Dagegen geht Wenskus, Religion abatârdie, S. 204 f., davon aus, das religiöse Leben in Gallien sei von romanisierten Mysterienkulten geprägt gewesen. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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an der Donau die Mysterien der Isis und Sarapis viele Anhänger.139 In Nord­ gallien breitete sich der Kult der Kybele und Attis aus, der durch sogenannte Taurobolien, Stieropfer mit anschließender Bluttaufe, gekennzeichnet war.140 Im Umfeld von Militär und Verwaltung der römischen Provinz ist auch an den Mysterienkult des Mithras zu denken.141 Schon Constantius I. Chlorus (* um 250, Ks. 293–306) und sein Sohn Konstantin hatten am Niederrhein die Expansion von »Franken« genannten Gruppen zurückdrängen müssen.142 Als 352/53 der Usurpator Magnus Maxentius in Gallien gegen Constantius II. aufbegehrte, standen »fränkische« Truppen in seinem Dienst. Zugleich beteiligten sich »Franken« auch an erneuten Inva­ sionen über die Rheingrenze.143 Der von Constantius gegen Maxentius geschickte »fränkische« Heermeister Silvanus ließ sich von Intrigen am Hof dazu verleiten, sich in Köln zum Kaiser ausrufen zu lassen, wurde jedoch bald er­ mordet.144 Daraufhin schickte Constantius II. seinen Vetter Julian als Caesar nach Gallien mit dem Auftrag, die Rheingrenze gegen die »Franken« zu sichern, die gerade Köln erobert hatten.145 Ihm gelang es in den Folgejahren, die in den Raum zwischen Schelde und Maas eingedrungenen »Franken« zu unterwerfen und 358 als tributpflichtige Truppensteller auf Reichsboden anzusiedeln.146 Mit ihrer Hilfe und anderen germanischen Truppen stellte er die Rheinlinie wieder her, besiedelte verlassene Städte und Garnisonen neu und eroberte das an die Alemannen verlorene Dekumatenland zwischen Limes, Rhein und Donau zurück.147 Nach seinem Zerwürfnis mit Constantius II. waren es 360 seine germanischen und keltischen Truppen, die Julian zum Augustus ausriefen. Mit diesen Einheiten marschierte er 361 nach Osten.148 Sie begleiteten ihn auch 363 auf dem Feldzug gegen die Perser.149 Diese Truppen waren also auch an 139 Takács, Isis and Sarapis, S. 20–24, 136–142: Köln als Zentrum des Isis/Sarapis-Kultes. 140 Meriaux, Gallia irradiata, S. 43 f.; Kybele wurde in Gallien vielfach mit der keltischen Epona identifiziert, vgl. Gschößl, Schmelztiegel, S. 52 f. 141 Meriaux, Gallia irradiata, S.  44; Gschößl, Schmelztigel, S.  106–110; Merkelbach, Mithras, S. 151–153; Hultgård/Hausen, (Art.) Mithras, die freilich, S. 103, darauf hinweisen, dass der Einfluss des Mithras-Kultes auf die germanischen Religionen im Grenzgebiet in der neueren Forschung kritischer gesehen werde. Über die Verbreitung »orientalischer« Kulte im römischen Rheingebiet vgl. auch Schröder, Altgermanische Kultprobleme, S. 65–83; aktuell Spickermann, Mysteriengemeinde und Öffentlichkeit. 142 Rosen, Julian Apostata, S. 128; zum Folgenden vgl. Becher, Herrschaft im Übergang. 143 Rosen, Julian Apostata, S. 122–124. 144 Ebd., S. 128 f. 145 Ebd., S. 130–135; Demandt, Spätantike, S. 121. 146 Rosen, Julian Apostata, S. 153–157; Demandt, Spätantike, S. 121–123; Hoffmann, Das spätrömische Bewegungsheer, Bd. 1, S. 141 f. 147 Rosen, Julian Apostata, S. 159–166. 148 Demandt, Spätantike, S. 122–124. 149 Rosen, Julian Apostata, S. 337; Hoffmann, Das spätrömische Bewegungsheer, Bd. 1, S. 206 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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wesend, als Julian auf dem Marsch nach Konstantinopel offen dem Christentum abschwor.150 Sie erhielten ihre Donative in den von Julian ausgegebenen Münzprägungen, auf denen nicht wie seit Augustus Varianten des Sol-Apollon zu sehen waren, sondern das Bild eines Stieres mit zwei Sternen (für die Dioskuren?).151 Das Heer stand in den folgenden Jahren im Hintergrund der großartigen Rituale, bei denen der Augustus mit massenhaften Stieropfern den Helios bzw. den im Apis-Stier wiedergeborenen Sarapis ehrte.152 Die Ansiedlung der »Franken« in Toxandrien steht also in engstem Zu­ sammenhang mit den Thronkämpfen zwischen den Nachkommen Konstantins, in deren Verlauf sich zugleich das solarmythologisch überformte Christentum gegen die paganen Deutungen der neoplatonisch-solaren lingua franca durchsetzte. Ja: »Fränkische« Auxiliareinheiten waren an prominenter Stelle beteiligt, als Julian seine Hinwendung zum Kult des Helios zelebrierte. Rückkehrer aus dem Osten könnten dazu beigetragen haben, dass sich Reflexe des neuen Herrscherkultes bei den »fränkischen« Siedlern in Nordgallien festsetzten und dort ein religiös-kultisches Eigenleben gewannen; zumal die Nachfolger Ju­ lians in ihrem sakralen Herrscherzeremoniell stark an die von Konstantin und Eusebius entwickelte solar-christliche Synthese anknüpften und damit für heidnische Soldaten in ihren Diensten sicherlich anschlussfähig blieben. Was aber geschah nach dem Bruch um 400, also nach dem archäologisch nachweisbaren Ende der Tempelkulte? Und kann man aus den hier ange­ stellten Überlegungen überhaupt auf die religiösen Vorstellungen der vor­ christlichen Franken schließen? Mit unterschiedlicher Gewichtung waren sich Franz Jostes,153 Reinhard Wenskus,154 Karl Hauck155 und John M. WallaceHadrill in der Annahme einig, dass die frühen Franken offenbar eine stierköpfige oder stiergestaltige, wohl solarmythologisch aufgeladene Gottheit als Schutzpatron ihres Königtums verehrt hätten. Ob dieser Kult nun eher germanischen (Hauck), keltischen (Murray),156 ägyptisch-hellenistischen (Jostes) oder römischen Ursprungs (Wenskus) sein sollte, blieb dabei offen. Karl Hauck hat diese Herrschaftsideologie im Begriff der »Geblütsheiligkeit« fassen und daraus ein genuin germanisches Sakralkönigtum ableiten wollen.157 Dessen angebliche Insignien, etwa die notorischen langen Haare der Königsdynastie, lassen sich 150 Rosen, Julian Apostata, S. 231 (361 in Naïssa). 151 Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 231; Demandt, Spätantike, S. 126, 568. 152 Rosen, Julian Apostata, S. 289–292 (362 in Antiochia). 153 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 2 f., 17 f., 20–24. 154 Wenskus, Religion abâtardie. 155 Hauck, Lebensnormen und Kultmythen, S.  198, mit instruktivem Forschungsüberblick, S. 186–191. 156 Murray, Post vocantur Merovingii, S. 126 f., mit Forschungsbericht. 157 Vgl. allg. Anton, (Art.) Sakralkönigtum, S.  210 f.; Kaiser, Römisches Erbe, S.  109– 111; Murray, Post vocantur Merovingii, S.  121–123; kritisch: Erkens, Herrschersakralität, S. ­80–82, konzilianter jedoch ebd., S. 102–109. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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jedoch, wenn sie überhaupt sicherbar sind, wohl am ehesten aus römisch-hellenistischen Traditionen ableiten.158 Immer wieder herangezogen wurde vor allem der zumindest zum Teil rekonstruierbare Befund aus den Grabbeigaben des im 17. Jahrhundert in Tournai aufgefundenen Grabes des Childerich († 481), des letzten vorchristlichen Königs der »Franken« von Tournai. Hatte man hier lange Zeit das Grab eines germanischen Heerkönigs erkennen wollen und in den Beigaben Spuren des Zeremoniells eines traditionalen Sakralkönigtums,159 so hält man in der neueren Forschung konkretere Deutungen vielfach für unmöglich.160 Während Franz Jostes in Childerich den Anhänger eines ägyptisch-hellenistischen Kultes in der Tradition des Isis/Sarapis- oder Kybele/Attis-Kultes hatte sehen wollen,161 hat Wenskus eher auf römische Einflüsse hingewiesen.162 So ist in der jüngeren Forschung zwar zu Recht der »germanische« Charakter der Grabbeigaben des Childerich bestritten worden – wie überhaupt die Idee eines genuin »germanischen« Kulturraumes mehr und mehr in die Kritik geraten ist.163 Der grundsätzliche Befund einer im militärischen Umfeld verbreiteten solaren Herrscherrepräsentation jedoch wurde nicht in Frage gestellt.164 Von Childerich berichten Gregor von Tours, die »Fredegar«-Chroniken und der Liber Historiae Francorum übereinstimmend, er habe sich nach einem vorübergehenden Machtverlust zeitweise im Exil in Konstantinopel aufgehalten. In dieser Zeit habe der römische Magister militum Aegidius über die Franken von Tournai geherrscht, bis Childerich seinen Thron wieder habe einnehmen können.165 John Michael Wallace-Hadrill hat daraus folgern wollen, dieser habe seine erneute Machtübernahme der Unterstützung des oströmischen Hofes verdankt.166 Andererseits wird Childerich oft als loyaler Offizier des römischen Feldherrn Aegidius beschrieben.167 Noch sein Sohn Chlodwig habe sich bis zum Ausbruch des Machtkampfes mit dessen Sohn Syagrius (486) nicht als auto­ nomer Heerkönig und Anführer einer Landnahme, sondern als Sprengelkom-

158 Jostes, Sonnenwende, Bd.  2, S.  19, 210, 269, 274, 285 f.; Matthews, Clash of Gods, S. 126 f.; Wenskus, Religion abâtardie, S. 222–225; zum langen Haar vgl. Diesenberger, Hair. 159 Anton, (Art.) Sakralkönigtum, S. 222, 260; Ewig, Merowinger, S. 77 f. 160 Wallace-Hadrill, The Frankish Church, S. 23: »[…] paraphernalia (some of it, possibly, like the bull’s head, symbolic of belief) betray a good pagan, to whom the gods have been kind«; Zeddies, Religio, S. 43; Müller-Wille, Zwei religiöse Welten. 161 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 193–196. 162 Wenskus, Religion abâtardie, S. 213–215. 163 Pohl, Die Germanen, S. 107–114 (zur fränkischen Ethnogenese). 164 Vgl. den Forschungsbericht bei Kaiser, Das römische Erbe, S. 84–86. 165 Schmidt, Aus den Anfängen, S.  311 (ablehnend); Martindale, Prosopography of the Later Roman Empire, Bd. 1, S. 12 (zustimmend); Bleiber, Frankenreich, S. 46 (dito). 166 Wallace-Hadrill, Long-haired Kings, S. 161 f.; vgl. Ewig, Merowinger, S. 16 f. 167 Bleiber, Frankenreich, S. 51; Kaiser, Das römische Erbe, S. 16–18. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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mandant in römischen Diensten begriffen.168 Abseits der quellenmäßig nur noch begrenzt greifbaren konkreten Abläufe wird man konstatieren können, dass es sich bei dem Übergang von der römischen zur fränkischen Herrschaft zunächst eher um eine Abfolge von Machtkämpfen innerhalb der römischen Genera­lität handelte, bei denen Akteure romanischer und »germanischer« Herkunft mit ebenso gemischten Truppen gegeneinanderstanden, die aber den gemeinsamen kulturellen Horizont des spätantiken Imperiums teilten.169 Nach seinem Sieg beerbte Chlodwig von Tournai dann den römischen, jedoch schon wie ein Heerkönig agierenden Machthaber Syagrius von Soissons und legte so den Grundstein für den Aufstieg zur Vormacht im Westen des zerfallenden Reiches.170 Die Bezeichnung einer Teilgruppe der Franken als salii bzw. Salfranken wollte Wenskus zurückführen auf das gleichnamige Kollegium der Mars-Priester in Rom, die ihren Namen von ihren rituellen Tänzen hatten (von: salire = tanzen, springen).171 Sicher ist, dass die Bezeichnung einer fränkischen Teilgruppe als salii auf die Zeit Julians zurückgeht. Vielleicht schon zu Beginn des 4. Jahrhunderts, sicherlich aber unter Julian, trug ein Truppenteil des römischen Heeres diese Bezeichnung.172 Allerdings hat Matthias Springer neuerdings gezeigt, dass die Bezeichnung der Franken als salii bei Julian und seinen Rezipienten nicht auf ein Ethnonym rekurriert, sondern auf das germanische *saljon (= Genosse, Geselle, später auch: Herr, wie in mhdt.: Salland = Herrenland). Eine ethnische Gruppe der Salfranken habe es demnach außer in der literarischen Stilisierung römischer Verfasser nicht gegeben.173 Man wird also nicht von einem etwa zum vorchristlichen fränkischen Herrscherzeremoniell ge­ hörenden kultischen Tanz ausgehen können, nach dem die Vorgänger der Merowinger ihren Namen erhalten hätten. Ebenso dürften die von Wenskus insinuierten Weiterungen bis zu den Labyrinth-Tänzen in französischen Kirchen und zu den ritterlichen Trojaburg-Spielen damit hinfällig sein. Am meisten aber hat die Forschung die Ursprungserzählung des Merowingerhauses beschäftigt, wie sie die in der zweiten Hälfte des 7.  Jahrhunderts entstandene Chronik des sogenannten Fredegar überliefert.174 Ihr ereignisge 168 Ewig, (Art.) Chlodwig; Kaiser, Das römische Erbe, S. 18 f. 169 Zöllner, Geschichte der Franken, S. 167; Kurth, Clovis, Bd. 1, S. 232; Ewig, Merowinger, S. 20 f. 170 Zöllner, Geschichte der Franken, S. 29 f.; Ewig, Merowinger, S. 60; allg.: Kaiser, Soissons. 171 Wenskus, Religion abâtardie, S. 191 f., vgl. jedoch einschränkend S. 196 f.; diese Mutmaßung findet sich schon bei dem französischen Jesuiten und Tanz-Apologeten Menestrier (1682), vgl. Davies, Liturgical Dance, S. 36 f.; über die Tänze der römischen salii vgl. Weege, Tanz in der Antike, S. 147 f. 172 Hoffmann, Das spätrömische Bewegungsheer, Bd. 1, S. 156–159. 173 Springer, Gab es ein Volk der Salier? 174 Über diese vgl. Wood, Fredegar’s Fables; Collins, Die Fredegar-Chroniken. Zur fränkischen Herkunftssage vgl. allg. den Forschungsüberblick bei Reimitz, Konkurrenz der Ursprünge, S. 191–203. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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schichtlicher Quellenwert für die Frühphase des Merowingerreiches hat erkennbar enge Grenzen.175 Gerade das so ausgeprägte Interesse des »Fredegar« für Legenden und Mythen macht ihn jedoch, so die ältere Forschung, auch über eine zeitliche Distanz von mehreren hundert Jahren noch zu einer Quelle für die religiösen Vorstellungen der frühen Franken.176 Immerhin spricht für »Fredegar«, dass er gerade nicht die von kirchlichen Verfassern längst kano­ nisierte stereotype Projektion der klassischen olympischen Götter auf die »­Heiden« wiederholt. Karl Hauck sah in der bei »Fredegar« elaborierten Genealogie des Merowingerhauses eine Euhemerisierung (Umformung von mythischen Figuren zu angeblich historischen Personen) des vorchristlichen Herrscherkultes der Franken.177 Der dem Minotaurus nachgezeichnete Meergott als progenitor des eponymen Stammvaters Merowech dürfe jedoch, so Wallace-Hadrill, allenfalls als Hausmythos der Herrscherdynastie, nicht als Zentralfigur der Stammes­ religion gesehen werden.178 Jostes hingegen hatte in der Zeugung des Merowech durch ein Meerungeheuer einen Reflex auf das alte Erzählmuster der Heiligen Hochzeit von Erd- bzw. Mondgöttin und Himmels- bzw. Sonnengott sehen wollen.179 Merowech, Chlojo und die Königin wären demnach nicht historische Gestalten, sondern mythische Derivate des Horus/Harpokrates und seiner Eltern, des Götterpaares Kybele/Isis und Attis/Sarapis. Die fränkischen Heerkönige legitimierten ihre Herrschaft also, so Jostes, in direkter Anknüpfung an die ägyptischen Pharaonen und ihre hellenistischen Nachkommen.180 Auch die angeblich historische Verbindung des letzten vorchristlichen Merowingers Childerich mit der Thüringerin Basina sieht Jostes als Reflex auf das Motiv der Heiligen Hochzeit.181 Schließlich deutet er auch die Ehe Chlodwigs mit der Burgunderin Chrodechildis als mythische Erzählung, insbesondere festzumachen an der bei »Fredegar« und im Liber Historiae Francorum erwähnten Figur des römischen Beraters »Aurilianus« (Aurelianus als Epitheton des Sol/Helios).182 Karl Hauck hat diese Interpretationsansätze Jostes’ bestätigen wollen: Auch er sieht in der Minotaurus-Geschichte bei »Fredegar« einen 175 Vgl. die quellenkundlichen Anmerkungen bei Reimitz, Konkurrenz der Ursprünge, S. 201–204. 176 Vgl. Wenskus, Religion abâtardie, S. 238 f.; ähnlich Hauck, Lebensnormen und Kultmythen, S. 196–198; Anton, (Art.) Sakralkönigtum, Sp. 222; nach Reimitz, Konkurrenz der Ursprünge, S. 194 f., kannte auch Gregor von Tours die fränkische Trojaner-Herkunftserzählung, erwähnte sie jedoch nicht, um seine Darstellung auf die christliche Königsherrschaft seit Chlodwig zu fokussieren. 177 Hauck, Lebensnormen und Kultmythen, S. 196 f., 204. 178 Wallace-Hadrill, The Frankish Church, S. 19 f. 179 Vgl. unten, Kap. V.1.2. 180 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 203. 181 Ebd., S. 215–250. 182 Ebd., S. 296–299. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Reflex auf die Heiligen Hochzeit.183 Chlodio freilich ist bei ihm eine histo­rische Gestalt, nämlich der Führer der fränkischen Landnahme, der als solcher im Zuge des jahreszeitlichen Königsrituals mit seiner Königin die Heilige Hochzeit nachempfunden habe, um zeitweise den Minotaurus/Seestier als Schutzgott der Dynastie zu inkorporieren.184 Ebenso hat Wenskus weitere Anhaltspunkte für einen paganen merowingischen Mythos herausarbeiten wollen: Dionysos/ Freyr als Gatte der Ariadne, der Schwester des Minotaurus, sei der stiergestaltige Beschützer des in das Labyrinth gesperrten Unwesens.185 Zugleich sei er durch seine Verschmelzung mit dem italischen Liber Pater auch mit Herkules assoziierbar, dessen Kult im germanischen Raum außerhalb des Imperiums früh und nachhaltig rezipiert worden sei.186 Ebenso stiergestaltig wurde jedoch auch der Wassergott Neptun dargestellt, der von christlichen Autoren bis ins 8. Jahrhundert vielfach als Hauptgott der Heiden angesehen wurde.187 Auf ihn rekurriert auch »Fredegar« mit seiner Bezeichnung des »Quinotaurus« als »bistea Neptunis«.188 Aus diesen Diskussionen ließen sich also Umrisse einer henotheistischen Hauptgottheit herausarbeiten, die in Stiergestalt auftritt, Züge des Dionysos, des Herakles und des Neptun verknüpft und mit einer weiblichen Wasser- oder Erdgöttin verbunden wird.189 Nach dem Muster des antiken Minotaurus hätte dieser Stiergott ein mythisches Alter Ego gehabt, das als Progenitor der sich etablierenden Herrscherdynastie gedient hätte.190 Als Personifikation des im Neoplatonismus stärker solar konnotierten »Einen« wäre er demnach von den frühen Franken in ihre Herrschermythologie integriert und so auch über den Ausfall der antiken Tempelkulte hinaus weitergetragen worden.191 Insofern 183 Hauck, Lebensnormen und Kultmythen, S. 197–201; vgl. Wenskus, Religion abâtardie, S. 243; Beck, Probleme, S. 479; Murray, Post vocantur Merovingii, S. 122–124. 184 Zusammenfassend Hauck, Lebensnormen und Kultmythen, S. 215, 218. 185 Wenskus, Religion abâtardie, S. 194–202, 219, 242–245; römische Vorlagen sieht auch Murray, Post vocantur Merovingii, S. 134–137. 186 Wenskus, Religion abâtardie, S. 207–211. 187 Ebd., S. 188 ff. 188 Zur Deutung dieser Namensabwandlung vgl. Wenskus, Religion abâtardie, S. 201 f. 189 Ebd., S. 191 f. 190 Ebd., S. 194. 191 Vgl. ähnlich Ewig, Merowinger, S.  77 f. Denkbar wäre, dass in den mythischen und ikonographischen Mehrdeutigkeiten der fragmentierten Überlieferung konkurrierende Konzepte in den religiösen Erzählungen der vorchristlichen Franken aufscheinen. Denn die Merowinger vereinigten ja nicht nur innerhalb kurzer Zeit ein Konglomerat von Eroberungen mit je eigenen kulturellen und dynastischen Traditionen zu einer Herrschaft, sondern blieben ihrerseits auch geteilt in Linien und Teilreiche, die in wechselnden Fraktionsbildungen konkurrierten. Wie schon in der kaiserzeitlichen Herrschaftsideologie je nach Truppenteil und Mitkaiser auf verschiedene Götter rekurriert worden war, so könnten auch die aus dem römischen Militär hervorgegangenen fränkischen Gruppenbildungen unterschiedliche Ursprungsmythen gehabt haben. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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stünde noch das Königtum der späteren Merowinger in der Tradition des solarsynkretistischen Kaiserkultes des 4. Jahrhunderts.192 Nicht als Reflex auf vorchristliche Glaubensvorstellungen, sondern als etymologische Gelehrtenkonstruktion hat hingegen Alexander C. Murray »Frede­ gars« Konstruktion eines von einem Meerungeheuer gezeugten Urvaters der Merowinger sehen wollen.193 Im Hintergrund sieht auch Murray das Ziel, das fränkische Herrscherhaus über Saturn/Neptun an die Trojasage anzubinden.194 Auch solche Schreibstubenprodukte aber folgten doch erkennbar den narra­ tiven Vorprägungen der kosmischen Heiligen Hochzeit  – verraten also noch den gemeinsamen Wahrnehmungshorizont. Und sie können nicht erklären, warum im fränkischen Herrscherhaus der eigentümliche Name »Merowech« (= Meer-Tier, Meer-Ungeheuer) überhaupt verwendet wurde, um dann Anlass für eine nachträgliche Etymologisierung zu bieten. Murray selbst weist darauf hin, dass die (Wieder-)verwendung dieses Namens von Chilperich I. (561–584) ausging, jenem König, der auch mit seinen theologischen Aktivitäten und der Ausrichtung von Wagenrennen an den römischen Kaiserkult anzuknüpfen versuchte.195 Zu fragen wäre demnach, ob nicht auch dieser Herrschername eine Erfindung der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts sein könnte, der angebliche gleichnamige Urvater der Dynastie also eine Traditionskonstruktion des solarmythisch interessierten Chilperich und seines Hofes. Der durch den »Quinotaurus« bzw. die »bistea Neptuni« gezeugte Urvater »Merowech« wäre also eine späte invention of tradition. Ian N. Wood hat die Meerungeheuer-Episode bei »Fredegar« als Polemik gegen den austrasischen König Dagobert I. (608/10–639, ab 623 Kg. von Austrasien, 629 Kg., 632 Kg. v. Burgund) und die Königin Balthild († 680, heiratet 649 Chlodwig II., Sohn des Dagobert) aus der Perspektive einer Gegenpartei sehen wollen.196 Auch Stefan Esders sieht in »Fredegar« einen Kritiker Dagoberts. Wie sein Bündnispartner, der oströmische Kaiser Herakleios, sei der Frankenkönig aus »Fredegars« Sicht nach tugendhaftem Herrschaftsbeginn Opfer seiner Hybris geworden. Herakleios hatte in den Krisen gegen die Perser eine christlich grundierte astrologische Herrschaftslegitimation entwickelt. Zugleich ließ er sich als neuer David feiern – ein Motiv, das auch in der Königsideologie der Merowinger und Karolinger auftreten sollte.197 192 Zu dieser Vorbildfunktion vgl. Anton, (Art.) Sakralkönigtum, S. 222, 259. 193 Murray, Post vocantur Merovingii, S. 140–144. 194 Ebd., S. 147. 195 Ebd., S. 145–147; vgl. unten, Kap. IV.2.5. 196 Wood, Fredegar’s Fables; dazu Erkens, Herrschersakralität, S. 83; Murray, Post vocantur Merovingii, S. 148, 151. 197 Esders, Herakleios, S. 259 ff. (Astrologie), S. 304 f. (Bündnispolitik), S. 245, 309 (neuer David), S.  309 f. (paralleles Scheitern); zur Davids-Ikonographie im oströmischen Kaiser­ zeremoniell vgl. auch Hausamann, Salome, S. 335, 353, 377 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Für eine solche polemische Lesart spricht auch eine ganz andere Beobachtung: Die Heilige Hochzeit könnte im Frankenreich auch durch die iroschot­ tischen Mönche bekannt geworden sein, die dieses Erzählmotiv aus der irischen (keltischen?) Herrschermythologie kennen konnten.198 Als »Bullenherrscher« bezeichnet der frühmittelalterliche irische Fürstenspiegel »Audacht Morainn« politisch unberechenbare, jähzornige Könige199 – eine Kategorienbildung, die auch die Polemik »Fredegars« befruchtet haben könnte, zugleich aber an die Bacchus/Brüller-Motivik des Dionysos-Mythos erinnert. Zu klären wäre, inwiefern diese irischen Erzählungen autochthonen Ursprungs sind, oder ob sie ihrerseits hellenistische Mythen aktualisieren. Der »Quinotaurus« wäre demnach jedenfalls nicht als positiver Ursprungsmythos, sondern gerade als Negativbild eines schlechten Herrschers zu entschlüsseln. Jedoch würde auch eine solche Verwendung die prägende Wirkung solarkosmologischer Mytheme für das dynastische Denken am fränkischen Königshof belegen. Im 6. und 7. Jahrhundert verwendete man im Umfeld der merowingischen Dynastie vielfältige Motive aus dem Bestand des spätrömischen Herrscherkultes. Die einschlägigen Textquellen wären vielleicht konsequent als Zeugnisse dafür zu lesen, dass die Verfasser Motive aus der vorchristlichen Mythologie als Versatzstücke in ihren Debatten und Polemiken gebrauchten, weniger als Indizien für konkrete vorchristliche Glaubensinhalte. Freilich sprechen der archäologische Befund des Childerich-Grabes oder die Quellen des 4. und 5. Jahrhunderts zu den »Franken« in römischen Diensten nicht für eine reine invention of tradition. Sie legen zumindest den Schluss nahe, dass die sich im römischen Militär als »Franken« formierenden Gruppen religiöse Vorstellungen pflegten, die sich aus dem Herrscherkult des römischen Kaisertums speisten. In der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts sollte jedenfalls im Umfeld des merowingischen Hofes mit der Vita Eligii ein zentraler Text für die Rezeption des Konzepts vom kosmischen Reigen im weiteren Mittelalter entstehen.200 Die vage greifbare Vorstellung vom solaren Stiergott der Franken böte also, wenn sie nicht auf einen realen vorchristlichen Glauben der Franken rekurrierte, zumindest einen Einblick in den Wahrnehmungshorizont, der dieses Heiligen­ leben grundiert.

198 Herbert, Goddess and King. 199 Kelly (Hg.), Audacht Morainn, § 58 u. 62, S. 18 f.; vgl. ebd., S. 55, zur unsicheren Übersetzung »Bullenherrscher«; für den Hinweis auf diese irischen Parallelen danke ich Jan Niehues, Marburg. 200 Vgl. dazu unten, Kap. V.3. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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IV.2.5 Das Christentum der Merowinger Bei seiner Konversion hatte Chlodwig auf die genealogisch-kultische Ver­ bindung zu seinen Ahnen verzichtet.201 Avitus von Vienne hatte ihm dafür in seinem programmatischen Glückwunschschreiben das Modell eines christ­ lichen Königtums offeriert: Wie an Weihnachten  – dem Datum der Taufe Chlodwigs – das Licht Christi über der Welt aufgehe, so sei jetzt auch das Licht des neuen Königtums als Abglanz der »wahren Sonne« aufgegangen.202 Wie Konstantin baute Chlodwig in Paris eine Grabkirche unter dem Patronat der Zwölf Apostel.203 Ganz analog zum Kaiserzeremoniell des 4.  Jahrhunderts wurde die Herrschaft des Frankenkönigs also unter Rekurs auf solare Motive und ihre christianisierte Deutung legitimiert. Schon Chlodwigs Sohn Childebert I. (um ­497–558) entwickelte dann nach dem Vorbild Konstantins und seines Zeitgenossen Justinian eine spezifische Königskonzeption: Wie diese christlich-solaren Kaiser berief er Konzilien ein, gerierte sich als Kirchenlehrer und Heidenverfolger.204 Noch weiter in seiner Imitation der öströmischen Kaiser sollte der Sohn seines Bruders Chlotar I. (um 500–561), Chilperich I. (* um 534, Kg. 561–584), gehen. Wie Justinian I. in Konstantinopel beanspruchte auch er, sich autoritativ zu Fragen der Trinitätstheologie und Christologie zu äußern. Freilich vertrat er dabei Positionen, die den Vorstellungen der häretisierten Miaphysiten nahe­kamen – weshalb die Theologen und der Papst die königlichen Lehraussagen als illegitime Einmischung in geistliche Fragen zurückwiesen.205 Wie Justinian betätigte er sich als Hymnendichter, indem er eigenhändig den merowingischen Hausheiligen Medardus verewigte.206 Und wie die oströmischen Kaiser ließ er an seinen Residenzen Soissons und Paris jeweils einen Circus bauen und Wagenrennen durchführen. Im Jahr 550 hatte der Ostgotenkönig Totila (541/42–552) in Rom die letzten Circusspiele veranstaltet. Damit imitierte Chilperich ein zentrales Motiv des römischen und byzantinischen Herrscherzeremoniells.207 Die mehrheitlich aus romanischem Senatorenadel stammenden Bischöfe, etwa Gregor von Tours, jedoch stellten sich gegen diese Wagenrennen. Vielleicht hatte Chilperich mit der Übernahme der kaiserlichen Wagenrennen eine Form des 201 Hauck, Lebensnormen und Kultmythen, S. 196, sieht hier mit der älteren Forschung einen Verzicht auf göttliche Herkunft; vgl. hingegen Murray, Post vocantur Merivingii, S. 127–129, der in dieser Quelle keine Evidenz für eine göttliche Deszendenz sieht. 202 Angenendt, Frühmittelalter, S. 171, vgl. S. 424; Zeddies, Religio, S. 219. 203 Kaiser, Das römische Erbe, S. 23 f. 204 Zeddies, Religio, S. 228–231; Wallace-Hadrill, The Frankish Church, S. 33. 205 Jussen, Um 576, S. 20 f. 206 Ebd., S. 21; Kaiser, Das römische Erbe, S. 51 f. 207 Jussen, Um 576, S. 16–19, 21–26. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Zeremoniells gewählt, deren Semiotik aus Sicht der Bischöfe zu eng mit dem spätantiken heidnischen Solarglauben verknüpft war, wie ihn Konstantin und Eusebius in das christliche Kaisertum integriert hatten. Die Wagenrennen im Circus waren eine Mimesis der Fahrt des Helios in seinem von der Quadriga gezogenen Sonnenwagen.208 Schon Tertullian hatte daher im 2. Jahrhundert Christen die Teilnahme an Wagenrennen verbieten wollen.209 Ins christ­ liche Imaginarium jedoch war der Sonnenwagen seit Clemens von Alexandrien als Gefährt des logos oder der »wahren Sonne« Christus integriert.210 Konstantin, der sich selbst in mehr oder weniger christianisierter Form als Sonnenkaiser in der Quadriga hatte darstellen lassen, hatte die Tradition der Wagenrennen im Hippodrom in Konstantinopel begründet.211 Dem Nicht-Christen Eunapius von Sardes zufolge war auch Julian nach seinem Tod in einem feurigen Wagen in den Olymp aufgefahren, wie schon sein Vorfahr Constantius I. Chlorus.212 Große Wagenrennen fanden in der oströmischen Hauptstadt bis in die Zeit Chilperichs am 25. Dezember statt, dem Weihnachtsfest bzw. dem Tag des Helios.213 Wagenrennen waren nur insofern »weltliche Spiele«, als ihre christlichen Gegner ihre religiösen Konnotationen leugneten. Als Ausrichter von Wagenrennen hätte der Frankenkönig also quasi einen sakralen Status als Stellvertreter der »wahren Sonne« Christus beansprucht. Die Schilderung der Aktivitäten Chilperichs stehen bei Gregor von Tours im Kontext einer Gegenüberstellung des als Inbegriff des Bösen gezeichneten Königs mit dem »guten König« Gunthramn I. (* um 532, Sohn Chlotars I., 561–592 Kg. des burgundischen Teilreiches).214 Gregor rügt freilich nicht die mythischen Konnotationen der Wagenrennen, sondern die unnötigen Ausgaben in Krisenzeiten.215 Es bliebe zu fragen, ob die behaupteten Maßnahmen überhaupt ereignisgeschichtliche Realität waren oder nur der literarischen Disqualifikation eines politischen Gegners dienten. Auch als literarisches Stereotyp jedoch in­ diziert die Episode die Existenz solarmythischer Muster im Wahrnehmungshorizont der kirchlichen und höfischen Eliten. In der Forschung ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die zentralen Werke der merowingerzeitlichen Geschichtschreibung als Medien der Deutungskonkurrenz um die historische Legitimität der fränkischen Teilreiche zu verstehen sind: Während der Liber Historiae Francorum eine neustrische 208 Vgl. oben, Kap. IV.2.2. 209 Demandt, Spätantike, S. 501. 210 Dölger, Sonnengleichnis, S. 2, 50–54. 211 Drake, In Praise of Constantine, S. 87, 47; Wallraff, Christus verus Sol, S. 134. 212 Rosen, Julian, S. 26, 222. 213 Wallraff, Christus verus Sol, S. 175, 179. 214 Stoclet, Consilia humana, S.  137; über Gunthramn als Idealkönig bei Gregor von Tours vgl. auch Kirchner, Heilungswunder, S. 50. 215 Markus, End of Ancient Christianity, S. 211. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Geschichtswahrnehmung propagiert, steht die »Fredegar«-Chronik für die Selbstwahrnehmung des austrasischen Hofes.216 Entsprechend hat Reinhard Wenskus (hierin Franz Jostes folgend)  versucht nachzuzeichnen, wie der entstehende Kult des hl. Dionysius von Paris in der Konkurrenz zwischen den merowingischen Teilreichen mit Motiven aus dem Dionysos-Mythos aufgeladen wurde:217 Die in Tournai und Paris beheimateten Nachkommen des Chilperich, zumal Chlotar II. (584–629/30) und Dagobert I. (608/10–638/39), förderten das Kloster St. Denis und machten es zur Grablege ihres Hauses. Zugleich wurde die Vita des Heiligen mit Reflexen auf die Fluchtgeschichte des Dionysos vor Lykurgos ausgestaltet – womit die Herrscher Wenskus und Jostes zufolge auf Kult­traditionen in den Städten ihres Herrschaftsbereiches aufgesattelt hätten. Folglich inspirierte die dionysische Aufladung des Hausheiligen Gregor von Tours und »Fredegar« als Anhänger der dynastischen Konkurrenz, die Könige als bacchantische Lüstlinge zu zeichnen. Im Verlauf des 6. und 7. Jahrhunderts formierte sich so ein teildynastischer Heiligenkult, an den dann in spätkarolingischer Zeit die Erhebung des Dionysius zum Patron des neuen westfränkischen Reiches anknüpfen konnte. Im unmittelbaren Umfeld dieses Zweiges des Merowingerhauses und seines Hausklosters St. Denis sollten dann im 7. bis 9.  Jahrhundert auch die Kulte der Heiligen Eligius (Bischof von Noyon und Tournai) und Vitus propagiert werden, denen für die Entwicklung des TanzwutKonzepts zentrale Bedeutung zukommt.218 Während diese Fraktion unter den fränkischen Eliten eher solare und dionysische Mytheme in der Tradition des vorchristlichen Herrscherkultes in die eigene Legitimationsstrategie zu integrieren versuchte, repräsentiert Gregor von Tours ein Jahrhundert zuvor vielleicht eine Gegenpartei, die sich offenbar konsequenter auf eine Rezeption hochplatonischer Theologie hatte konzentrieren wollen: Schon um 400 hatte Sulpicius Severus den späteren merowingischen Hausheiligen Martin von Tours mit Zügen eines theurgos in der Tradition des Jamblichus ausgestattet.219 Gregor von Tours nun zeichnete nicht nur die Mero­ winger von Tournai als teuflische Jünger des Dionysos, sondern im Gegensatz dazu den guten König Gunthramn als rex thaumaturgos und theurgischen 216 Reimitz, Konkurrenz der Ursprünge, S. 201–204. 217 Wenskus, Religion abâtardie, S.  245–247; zur Konkurrenz der jeweils eigenen Patrone der merowingischen Teilreiche vgl. auch Ewig, Martinskult im Frühmittelalter, S. 379: Martin (neben Hilarius) als früher Hauspatron; Remigius in Austrasien; Medardus in Soissons; Martial/Marcellus in Burgund; Dionysius von Paris in Neustrien/Neustroburgund seit Dagobert I. 218 Vgl. unten, Kap.  V.3. und VII.3.7. Die Bedeutung der jeweiligen civitas als Bezugsraum von paganen Kulten der späteren Kaiserzeit und die Problematik der Ablösung dieser urbanen Gottheiten durch das Christentum wird auch in der neueren Forschung betont, vgl. Leppin, Heidentum, S. 65 f. 219 Vgl. unten, Kap. V.2.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Herrn über die bösen Geister.220 Auch innerhalb der kirchlichen Eliten musste demnach verhandelt werden, ob und inwieweit der christliche Diskurs der Herrschaftslegitimation an vorchristliche Motive anknüpfen durfte oder ob er eher auf dem höheren Abstraktionsniveau neoplatonischer Solartheologie zu führen war. Nicht als quasi fossilisierte Rudimente heidnischen Brauchtums also lebten Motive der spätantiken Religionen im christlichen Frühmittelalter fort, sondern als Zeugnisse von vielfältigen Aushandlungsprozessen zwischen Kirche, Hof, Königtum und Bevölkerung, als Ausdruck eines genuin christlichen Diskurses über den Umgang mit Traditionen und religiöser Legitimation.221 Derartige »Synkretismen« in der Heiligenverehrung entstanden also nicht in direkter Übernahme von Motiven aus etwa noch existenten paganen Kulten. Vielmehr wurde das 150 bis 200 Jahre nach der Auflassung der heidnischen Tempel noch vorhandene fragmentierte Wissen über heidnische Mythologie und Religion mobilisiert, um die politische wie spirituelle Autorität der neuen Heiligen innerhalb des kulturellen Wahrnehmungshorizonts der Zeit plausibel zu machen, aber auch, um konkurrierende Ansprüche polemisch zu dis­qualifizieren. Erzählmotive aus der vorchristlichen Mythologie waren weniger Indizien für persistenten Un- oder Aberglauben, keine Rudimente also, sondern entstammten vielmehr einer in Auflösung befindlichen Semantik, deren Einzelteile jedoch auch innerhalb genuin christlicher Diskurse noch verwendbar waren. Die neue Religion musste in die alltäglichen sozialen Funktionen der paganen Religion eintreten, und sie tat dies etwa mit der Adaptation des Heiligenkultes an die Bedürfnisse und Wahrnehmungstraditionen ihrer Gläubigen. Freilich standen die Heiligen aus Sicht ihrer klerikalen Propagatoren sicherlich eher für eine gezielte Kontrafaktur heidnischer Götter als für deren Fortsetzung. Die Integration von mythischen Motiven machte sie polyvalent lesbar: Für Theologen und Missionare als Zeugen der Überbietung und Überwindung des alten Glaubens, für Laien als Kontinuierung ihres funktionierenden religiösen Systems der Lebensbewältigung.222 Dies gilt umso mehr, als das fränkische Christentum der Merowingerzeit nicht nur auf die Traditionen der spätantiken Tempelkulte und Mysterien aufsatteln konnte, sondern selbst auch noch einem ausgeprägten kulturellen Einfluss aus dem östlichen Mittelmeerraum unterlag. Die schon 220 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 258 f. 221 Zur »synkretistischen« Gestalt des merowingerzeitlichen Christentums vgl. etwa Haubrichs, Geschichte der deutschen Literatur, Bd. 1, S. 32–34; Graus, Volk, Herrscher, Heilige, S. 191–193, sieht zwar eine Ersetzung paganer Kulte durch christliche Heilige, leugnet jedoch direkte Motivübernahmen aus der Mythologie in die Hagiographie. Synkretismus will er nur dann anerkennen, wenn eine identische Übernahme in Form und Funktion zu verzeichnen ist, womit seine Argumentation an den konkreten Mechanismen kultureller Transfers vorbeigeht. 222 Wallace-Hadrill, The Frankish Church, S. 35 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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seit griechischer Zeit enge Verbindung zumal der Narbonensis nach Ägypten, Griechenland und in den vorderasiatischen Raum äußerte sich nun im Transfer zahlreicher östlicher Heiliger und im engen theologischen Austausch zwischen dem entstehenden Frankenreich und der östlichen Kirche. Seit der griechischen Ansiedlung im südlichen Gallien wanderten Waren, Menschen und Ideen durch das Rhône-Tal nach Nordgallien und in die Germania. Das spätantike Christentum etwa im Rheinland, aber auch die gallische Kirche, waren lange Zeit stark durch ägyptische, syrische und kleinasiatische Einflüsse geprägt. Mit der Verbreitung des Heiligenkultes rezipierte die gallisch-fränkische Kirche auf denselben Wegen östliche Heilige.223 Das entstehende Frankenreich war also auch insofern noch Teil der kulturellen Ökumene des Mittelmeer­raumes. Die spezifische Christianität des Merowingerreiches war noch nicht die von Mönchen entwickelte und unter Ägide der sich formierenden päpstlichen Zentral­ gewalt durchgesetzte Religion des Mittelalters, sondern eine späte Ausprägung des frühen Christentums der römisch-griechischen Zivilisation.

IV.2.6 Alte und neue Christianität Robert Austin Markus hat für die Zeit des Übergangs vom römischen Imperium zu den gentilen Königreichen einen tiefgreifenden Wandel der christ­lichen Religion festgestellt.224 Das hegemonial gewordene und schließlich mit einem Monopolanspruch durchgesetzte Christentum musste dabei sein Verhältnis zum kulturellen Horizont an Wahrnehmungsformen, Imaginationen und Praktiken neu justieren. Es tat dies, so Markus, indem es die der spät­antiken Kultur fremde Unterscheidung von religiös und säkular einführte. So konnten viele Aspekte der antiken Kultur als profan und daher spirituell irrelevant in die eigene Kultur integriert werden, andere mussten als religiös, d. h. als Überrest (superstitio) des alten Glaubens, ausgegrenzt werden. In einem unabschließbaren Prozess definierte die westliche Christianität sich so, indem es in immer neuen Abgrenzungen das Heidentum erst erfand. Dass heißt jedoch auch, dass die klare Distinktion von Innen und Außen eine Fiktion bleiben musste, oder besser: ein Ideal, dem in der Praxis notwendigerweise massive kulturelle Trans 223 Auf die räumlichen Beziehungen vom Mittelmeer über die Rhône ins Rheinland weisen schon hin: Schröder, Altgermanische Kultprobleme, S.  65 ff.; Ewig, Verehrung orienta­ lischer Heiliger, S. 393–410. 224 Markus, End of Ancient Christianity, S. xi–xiii, setzt als Eckpunkte die Wende zum 5. Jh. mit Augustinus und Theodosius einerseits und die Wende zum 7. Jh. mit Gregor dem Großen. Ders., From Caesarius to Boniface, weitet den Blick auf die Entwicklung von Caesarius von Arles (um 470–542) bis zu Bonifatius (672/75–754/55). Dieser Verschiebung entspricht auch die Thesenbildung Markus’, der im späteren Aufsatz den Höhepunkt der Entwicklung ins 8. Jh. verlegt. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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fers entgegenstanden. Das Christentum war einerseits eine distinkte Gruppe im Feld spätantiker Religiosität, andererseits aber bewegte es sich im gleichen kulturellen Wahrnehmungshorizont und musste daher seine Unterscheidbarkeit als eigenes religiöses System immer wieder erst herstellen. In diesem Sinn erweisen sich die Grenzen zwischen christlich und unchristlich, zwischen religiös und säkular, als zeitlich und räumlich höchst variabel. Die Frage: »Was macht einen Christen aus?« löste sich denn auch vielfach in graduelle Abstufungen von »halben« Christen und dergleichen auf.225 Gerade in den gesellschaftlichen Eliten, so Markus, wurde in dieser Situation die Hinwendung zu einem asketischen Lebensstil zum Unterscheidungsmerkmal.226 Diese freilich konnte sich nicht nur am Ideal der christlichen Anachoreten Ägyptens oder Syriens orientieren, sondern ebenso an philosophischen Vorbildern, wie sie zeitgenössisch auch von den nicht-christlichen Eliten hochgeschätzt wurden. Insofern bietet Markus’ Ansatz ein zentrales Werkzeug für die differenzierte Beschreibung des Wandels der frühmittelalterlichen Christianität. Dabei müsste jedoch das Augenmerk noch stärker als bisher auf die engen Austauschprozesse mit dem kulturellen Umfeld gerichtet werden. Gallien bzw. das spätere Frankenreich, so Markus, bildete das Laboratorium, in dem sich diese Prozesse am deutlichsten abzeichnen und am besten unter­ suchen lassen.227 Bis zum 7. Jahrhundert habe die Kirche hier Motive und Praktiken mit paganen Ursprüngen in der Regel nur in allgemeinen Formeln verurteilt. De facto jedoch sei die fränkische Kirche mit ihren galloromanischen, vielfach im Kloster Lerinum ausgebildeten Eliten weiter durch die urbane Bildungskultur der Spätantike geprägt geblieben.228 Nur Einzelne wie Caesarius von Arles hätten schon eine kompromisslose Abschließung von der Umwelt gepredigt  – und seien denn auch erst später intensiver rezipiert worden.229 Erst im 8.  Jahrhundert sei mit den angelsächsischen Mönchen und dem verstärkten Einfluss Roms eine neue, dogmatisch stärker durchgeformte und asketisch orientierte Christianität installiert worden.230 Es ist die zunächst vor allem auf eine katechetische Durchdringung nominell bereits christlicher Regionen gerichtete Tätigkeit des Bonifatius (672/75–754/55) und seiner Mitstreiter, mit der Markus das Ende der antiken Christianität gekommen sieht. Damit verbunden war demnach auch eine grundlegende Verschiebung von der engen Kommu­ nikation mit dem griechischen und dem östlichen Christentum, wie sie auch die iroschottischen Mönche noch vermittelt hatten, zu einer Durchsetzung des 225 Markus, End of Ancient Christianity, S. 33–35. 226 Ebd., S. 35–46. 227 Markus, From Caesarius to Boniface, S. 154. 228 Markus, End of Ancient Christianity, S. 195–205. 229 Ebd., S. 205–210. 230 Markus, From Caesarius to Boniface, S. 164–166; ders., End of Ancient Christianity, S. 207–211; vgl. ähnlich Haubrichs, Geschichte der deutschen Literatur, Bd. 1, S. 30 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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lateinischen, von Rom geprägten westlichen Christentums, wie es die angelsächsische Mission transportierte.231 In seinem berühmten Brief an Papst Zacharias (679–752, Papst seit 741) beklagt Bonifatius im Jahr 742, dass manche seiner Katechumenen unter den Franken, Alemannen und Bayern – in den Randzonen des alten Reiches also – von Reisen nach Rom zurückkehrten mit der Frage, warum sie ihre traditionellen Feste (inklusive Tänze) abschaffen sollten, wenn selbst die Bewohner des Zentrums der Christenheit weiterhin die Kalendae Januariae begingen.232 Diese Feiern zu Neujahr waren als Zeitpunkt für die Inaugurierung der neuen Konsuln eng in das Staats- und Kaiserzeremoniell des antiken Reiches eingebunden gewesen. Nach der Christianisierung wurden sie als profane Festlichkeit weiter geduldet, obwohl die westlichen Kirchenväter sie fast unisono als letztlich superstitiöse Konkurrenz zum kirchlichen Weihnachtsfest verurteilt hatten.233 In Regionen, in denen das Christentum seit der Spätantike verankert war, führte dies offenbar zu einer stärkeren Durchdringung mit vorchristlichen Motiven und Traditionen als in Gebieten, die erst im frühen Mittelalter unter der Ägide Roms missioniert wurden.234 Möglicherweise konnten Bonifatius und seine Mitstreiter östlich der Grenzen des ehemaligen Imperiums eine dogmatisch orthodoxere Christianität einführen, als man es in Gallien oder selbst in Rom beobachten konnte. Schon früh ist auf ähnliche Entwicklungen etwa in der liturgischen Hymnik hingewiesen worden: Während Rom als ehemaliges Zentrum der paganen Philosophie sich im 6./7. Jahrhundert strikt gegen nicht biblisch autorisierte Texte im Gottesdienst stellte, da diese die Gefahr häretischer oder paganer Beeinflussung mit sich brachten, entwickelte sich in Gallien und auf der Iberischen Halbinsel eine reiche Kultur der populären Glaubensvermittlung im liturgischen Gesang. In diesen Gebieten habe sich das Christentum demnach allgemein wesentlich offener für die Akkomodation von rituellen und my­ thischen Elementen aus den alten Religionen gezeigt.235 In diesem Sinn wäre neben der zeitlichen Unterscheidung von antiker und mittelalterlicher Christianität, wie sie Markus vorgeschlagen hat, auch eine räumliche Unterscheidung zu treffen: Neben einem noch weit in das Mittel­a lter hinein stärker durch die spätantike Religiosität geprägten Glauben im Gebiet 231 Fried, Mittelalter, S. 42–46; Ohlig, Fundamentalchristologie, S. 326–355, 361–391. 232 Boudriot, Altgermanische Religion, S.  65, 71 f.; Harmening, Superstitio, S.  126–128; Markus, From Caesarius to Boniface, S. 163–168; ders., End of Ancient Christianity, S. 211; Hen, Culture and Religion, S. 170, der »choros ducere per plateas« übersetzt mit: »parading the streets«. 233 Markus, End of Ancient Christianity, S. 103–105; MacMullen, Christianity and Paganism, S. 36–39. 234 Ähnlich schon Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 326; vgl. für den Oberrhein Staab, Heidentum und Christentum, S. 149–151. 235 Muller, Pre-history of the Medieval Drama, S. 547 f.; vgl. dazu Sahlin, Étude, S. 140. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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des alten Imperiums stünde in den östlichen Missionsgebieten der angelsächsischen Reformer eine neue, asketisch, dogmatisch und liturgisch »bereinigte« Religion, die nicht erst die tief verankerte alte Christianität verdrängen musste.236 Man wird also für die Geschichte der Durchsetzung des Christentums zwischen später römischer Kaiserzeit und Mittelalter von einer Pluralität regional und kulturell spezifischer Christianitäten ausgehen müssen.237 Wenn nun aber Tanz in religiösen Kontexten nicht grundsätzlich sank­ tioniert, sondern nur durch Regulative eingehegt wurde, wenn zudem die re­ zipierten Texte etwa der Superstitionsliteratur weitgehend auf beiden Seiten des Rheins bzw. des Limes die gleichen sind, warum erwies sich dann das bonifa­tianisch-römische Christentum als »tanzfeindlicher« als das gallischfränkische? Zwei mögliche Ursachen zeichnen sich ab: Zum einen war die stadtrömische Christianität und die aus ihr hervorgegangene Lehre der Kurie möglicherweise stärker von der stoischen Ablehnung ritueller Expressivität und der für die römischen Eliten seit republikanischer Zeit identitätsstiftenden Geringschätzung der histriones und ihres professionellen Körpereinsatzes geprägt.238 Zum zweiten fehlte in den Neumissionsgebieten die Tradition eines platonischkosmologischen Christentums in spätantiker Tradition. Hier musste die Kirche sich tatsächlich in erster Linie mit dem vorchristlichen Glauben auseinandersetzen, während sie in den vormals römischen Gebieten vor allem einen Kampf gegen sich selbst in Gestalt der tiefverankerten traditionellen Frömmigkeit zu führen hatte. Jenseits der Grenzen des alten Imperiums bedeutete die Durchsetzung der römisch-bonifatianischen Christianität die Überschreibung einer zuvor heidnischen Kultur. Diesseits bedeutete sie die ebenso sukzessive Verdrängung der älteren Christianität der Antike. Diese, weniger ihre paganen Vorläufer selbst, blieb offenbar noch lange wirksam.239 Man muss also nicht wie Jostes und viele ältere religionsgeschichtliche Arbeiten nach Spuren der heidnischen Götter im mittelalterlichen Glauben suchen, sondern eher nach deren Derivaten und Inversionen im spätantiken Christentum, die sich in abgewandelter und fragmentierter Form auch im Mittelalter immer weiter fortschrieben. In den Neumissionsgebieten fehlt der christlichen 236 Zum Wirkungsgebiet der angelsächsischen Mission vgl. auch Hen, Culture and Religion, S. 17. 237 Entsprechend verwendet der Bd.  3 der neuen »Cambridge History of Christianity« einen Plural, vgl. Noble/Smith/Baranowski (Hg.), Early Medieval Christianities, zum Titel bes. Dies., Preface, S. xvi f. 238 Vgl. oben, Kap. II.1 und II.3.2. 239 Zu einer ganz ähnlichen Unterscheidung kommt die Volkskunde anhand der Orts­ namen: In den Gebieten des antiken Römischen Reiches ist die Ortsbenennung geprägt durch eine tiefverankerte Verchristlichung, während in mittelalterlichen Neumissionsgebieten das Christentum auf eine gefestigte vorchristliche Alltagskultur traf und folglich profane Ortsnamen übernahm, vgl. Zender, Termine der Jahresfeuer, S. 113. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Kultur die Phase der »Synkretisierung« mit der hellenistischen Kultur, wie sie die spätantike Christianität auszeichnet. Auch die Sachsen- und Slawenmission musste Akkulturationsarbeit leisten. Aber sie tat dies von der Warte der asketisch-lateinischen Christianität aus, nicht von der des spätantiken christlichen Platonismus. Zudem tat sie es nicht in einer machtpolitisch lange Zeit egalitären oder gar explizit konsensual überwölbten Situation, sondern flankiert durch die Durchsetzungsmacht der Eroberer. Auch war die alte Christianität eine im Kern städtische Religion, während die neue von Mönchen getragen und von einer ländlichen und kriegerischen Gesellschaft rezipiert wurde.

IV.3 Das Rhein-Mosel-Maas-Becken als Übergangszone zwischen den mittelalterlichen Kulturräumen In den Nachfolgegebieten der spätantiken Christianität blieb das Problem des sakralen Tanzes ungelöst bis zur Durchsetzung neuzeitlicher Kirchendisziplin im Zeitalter der Konfessionalisierung und in der Aufklärung. So konzentrieren sich die späteren Zeugnisse über sakralen bzw. paraliturgischen Tanz bis weit in die Neuzeit im früheren Gallien, im vormals römischen Rheinland und auf der Iberischen Halbinsel, in ebenjenen Gebieten also, in denen die römisch-lateinische Christianität relativ spät eine ältere, urban und durch die antike Kultur geprägte Glaubensschicht überlagert hatte. Möglich wurde eine solche Entwicklung vielleicht nur in einem Umfeld, in dem Hagiographie, Legenden und populäre Frömmigkeitspraxis die Handlungsoption körperlicher Expressivität nicht grundsätzlich ausschlossen. Diese spezifische räumliche Verteilung mit sehr langer Wirkungszeit könnte ihre Ursache in der eben beschriebenen Pluralität der Christianitäten haben. In den Neumissionsgebieten östlich und nördlich der alten Reichsgrenzen hingegen bildete sich keine ausgeprägte Tradition eines christlichen Sakraltanzes mehr aus, weil die paganen Glaubenswelten hier direkt einer bereits asketisch und dogmatisch bereinigten, von Rom als Zentralinstanz kontrollierten und herrschaftlich durchgesetzten neuen Christia­nität unterworfen wurden.240 Dabei hatten erhebliche Gebiete östlich des Rheins ja schon seit dem 6. Jahrhundert politisch zum engeren Einflussbereich gerade des austrasischen Teilreiches der Merowinger gehört – offenbar ohne religiöse Folgen. Das »bonifatianische« Deutschland zählt, was die Überlieferung zu religiösem Tanz angeht, wie England und Italien zur päpstlich geprägten Christianität. Allerdings waren die angelsächsischen Missionare in diesen Gebieten nicht allein: Sie wurden unterstützt durch die systematische Vernetzung der Missionszentren mit Klöstern im 240 Auch Fried, Mittelalter, S.  33, konstatiert, dass die kulturräumlichen Grenzen an Rhein und Donau sowie in Nordengland bis weit in die Neuzeit spürbar gewesen seien. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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westlichen Frankenreich, aus denen vielfach die Äbte und Bischöfe rekrutiert wurden.241 Das Beispiel der Translation des hl. Vitus nach Corvey wird zeigen, dass gerade im Rahmen dieser Kooperation para-liturgische Tänze etwa in den sächsischen Raum getragen werden konnten, ohne dort jedoch nach Ausweis der Quellen eine dauerhafte Tradition begründen zu können.242 Offensichtlich konnten sich hier langfristig gegen die in den Zentren der Klosterkultur weiterlebenden Traditionen der merowingerzeitlichen Christianität die neuen asketischen Vorstellungen der römisch-karolingischen Reform durchsetzen, da der christliche Sonnenreigen hier nicht verankert war. Während sich Bonifatius zeit seines Lebens von der fränkischen Kirche abgrenzte, suchte sein angelsächsischer Landsmann Willibrord (um 658–739) früh den Austausch mit den älteren Eliten.243 Seine Grablege, das Kloster Echternach, sollte wohl ab dem 14. Jahrhundert Ziel einer mit Tänzen verbundenen Bannprozession aus den umliegenden Pfarrgemeinden werden,244 während ein quellenmäßig belegtes tripudium bei der Erhebung der Gebeine des Bonifatius in Fulda nicht langfristig traditionsbildend wurde.245 Echternach liegt nun im Grenzraum zwischen dem alten Imperium und dem nicht-römischen Einzugsbereich, in einer jener Regionen, die phasenweise zu den kulturellen Zentren des Römischen Reiches gehört, dann aber unter dem Eindruck »germanischer« Einwanderung wohl zumindest zeitweise den institutionellen Kontakt zu Reich und Kirche verloren hatten. Die Forschung ist sich freilich heute weitgehend einig in der Annahme, dass damit nicht unbedingt eine kulturelle ReGermanisierung oder gar eine vollständige Ent-Christianisierung verbunden gewesen sein dürfte. Vielmehr assimilierten sich die germanischen Eroberer offenbar rasch an die durch das Nebeneinander von Christen und Nicht-Christen geprägte provinzialrömische Kultur.246 Eine Sonderrolle nimmt der alemannische Raum ein, in dem um 600 das Bistum Konstanz gegründet wurde. Dieses vereinigte stark romanisierte Gebiete südlich von Hochrhein und Bodensee mit den schon seit derzweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts für das Imperium verlorenen agri decumates zwischen Rhein, Donau und Limes. Das heutige Schwaben wurde also maßgeblich erst in merowingischer Zeit missioniert – vermutlich auf Initiative des Königs Dagobert I. (623–639), den wir noch als Protagonisten der solarmythischen Christianität

241 Röckelein, Reliquientranslationen, S. 72–74. 242 Vgl. unten, Kap. VII.3.7. 243 Markus, From Caesarius to Boniface, S. 163 f. 244 Vgl. oben, Kap. III.3.3. 245 Sahlin, Étude, S. 159; Backman, Religious Dances, S. 86, Riché, Danses, S. 165 (mit falschem Beleg). 246 Angenendt, Frühmittelalter, S.  118–124 (für den Rhein-Mosel-Raum); Staab, Oberrhein, S. 21 (zu Alemannien); Ders., Heidentum und Christentum (dito). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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kennenlernen werden.247 Am Oberrhein um Straßburg hingegen überlagerten sich spätkaiserzeitliche Christianität und die Reform des 8. Jahrhunderts.248 Die linksrheinische Germania und die Belgica, in merowingischer Zeit der Kernraum Austrasiens, hingegen erweisen sich, legt man diesen Parameter an, als integraler Bestandteil des fränkisch-gallischen Großraums mit seiner spätantiken Christianisierungsgeschichte. Gerade in diesen umstrittenen Grenzräumen zwischen alter und neuer Christianität, in der Belgica, dem römischen Germanien und dem alemannischen Raum, sollte sich im Verlauf des Mittel­ alters das spezifische Konzept von Tanz als Krankheit herausbilden. Und nur hier war dies der Fall, denn weiter östlich im späteren Bayern, wo einerseits die alte Christianität keinen eroberungsbedingten Bruch hatte erleiden müssen, andererseits der Einfluss Italiens und damit Roms stärker war249 und wo Bonifatius reformierend in die Kirchenverfassung eingegriffen hatte,250 konnte sich zwar der Kult des hl. Veit früh etablieren,251 nicht aber der sakrale Tanz. Die mittlere Zone des Karolingerreiches, die Kontaktzone zwischen romanischen und germanischen Sprachen, im weiteren Mittelalter quasi die »Schnittmenge« aus politischer Zugehörigkeit zum Reich und kultureller Nähe zum Westen, ist zugleich beinahe deckungsgleich mit dem Entstehungsraum des Tanzwut-Konzepts. Tanz als Mimesis der kosmischen Bewegungen wird hier im Spätmittel­ alter als Zustand des Leidens neu konzeptualisiert.252 Ein System von Flüssen – Rhein, Mosel und Maas mit ihren Zuflüssen – als Verkehrswegen bildete hier einen langfristig stabilen Kommunikationsraum, der zudem vom Oberrhein bis nach Flandern und zur Nordsee im gesamten Mittelalter als ein kulturelles Zentrum des westlichen Europa diente.253 Nach Westen durch die weitverzweigten Rheinzuflüsse eng angebunden, war es zugleich von Osten kaum durch Schifffahrtswege zu erreichen, sieht man von ­Neckar und Main ab, über welche denn auch prompt die Verbreitung des sakra­

247 Borgolte, Mittelalterliche Kirche, S. 7 f.; zu Dagobert als Repräsentant der merowin­ gischen Christianität vgl. unten, Kap. V.3.3. 248 Angenendt, Grundformen der Frömmigkeit, S. 7. 249 Prinz, Formen, Phasen und Regionen, S. 174–178, über Salzburg, Augsburg, Regensburg und Lorch. 250 Fried, Mittelalter, S. 51. 251 Vgl. unten, Kap. VII.3.1. 252 Eine Ausnahme von dieser regionalen Zuordnung bildet der sog. Kindertanz von Erfurt nach Arnstadt im Jahr 1237, vgl. Wähler, Kindertanzzug; Kälble, Die tanzenden Kinder. Zu dem in diesem Zusammenhang oft genannten Tanz von Kölbigk vgl. unten, Kap. V. 253 Vgl. Schröder, Altgermanische Kultprobleme, S. 40 f., der das Rheinland neben dem Donau- und Schwarzmeerraum als Kontaktzone des Germanentums und der hellenistischen Welt begreifen wollte; für das Spätmittelalter vgl. nur Rückert, Der spätmittelalterliche Pilgerverkehr, S. 242–244 (mit weiterer Lit.); und die Beiträge in Irsigler (Hg.), Zwischen Maas und Rhein; Heit (Hg.), Zwischen Gallien und Germanien. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Querschnitt: Vermittlungs- und Verbreitungsräume

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len Tanzes nach Franken und der Tanzwut nach Schwaben ausstrahlt.254 Über die westlichen Alpenpässe war der Rhein zugleich mit dem Rhône-Tal verbunden – eine Kommunikationsmöglichkeit, die seit der Antike den kulturellen Austausch zwischen der Narbonensis bzw. Provence und dem nordalpinen Raum prägte. Im 14. und 15. Jahrhundert vermittelte das Herzogtum Burgund in diesem Raum die Hegemonie der französischen Kultur. Zugleich wurde das Rhein­ becken nun erneut zum Schauplatz weltgeschichtlicher Konflikte um den rechten Glauben: Das Große Abendländische Schisma von 1378 führte gerade in dieser Grenzzone zwischen den Machtblöcken zu erheblichen Verwerfungen. Und auch die großen Konzilien der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts fanden ausgerechnet in Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449) statt.255 Die kulturelle Großraumbildung überschnitt sich, zumindest, was diese Aspekte angeht, augenscheinlich nicht mit der weiter westlich bzw. südlich verlaufenden romanisch-germanischen Sprachgrenze, aber auch nicht mit den diese ja durchkreuzenden politischen Grenzziehungen zwischen Frankreich, Burgund und dem Reich. Diese kulturräumlichen Grundgegebenheiten mögen mit dazu beigetragen haben, dass der Rhein-Mosel-Maas-Raum und die ihm verkehrstechnisch zugewandten Nachbarregionen einerseits eine besondere kulturelle Dynamik entwickelten, dass in diesem Umfeld aber andererseits devotional-rituelle Sonderformen entwickelt und fortgeschrieben wurden, die andernorts nicht in dieser Massierung vorkommen.

IV.4 Querschnitt: Vermittlungs- und Verbreitungsräume des christlichen Neoplatonismus im Mittelalter Bis ins 18.  Jahrhundert ist das frühere römische Gallien  – inklusive der zum Reich gehörenden Germania  – gleichermaßen das maßgebliche Zentrum des paraliturgischen und rituellen Tanzes wie der kirchlichen Tanzregulierung. Der spätere Kernraum des Frankenreiches unterscheidet sich, so eine Beobachtung von Robert Austin Markus, von den anderen westlichen Nachfolgeterritorien des Römischen Reiches insofern, als hier die spezifisch spätantike Christianität in besonders hohem Maße traditionsbildend werden konnte, da weder eine arianische Reichsbildung noch eine arabische Eroberung oder die durchschlagende Disziplinargewalt der Kurie zu Kontinuitätsbrüchen führte. Dieser kulturgeographische Globalbefund lässt sich zumindest hypothetisch wesentlich präzisieren: Die Hochkonjunktur von neoplatonischer Kosmologie 254 Die Rolle der nördlichen Rheinzuflüsse aus Osten, etwa der Ruhr, wären in diesem Zusammenhang zu untersuchen. 255 Vgl. jetzt allg. Müller, Kirchliche Krise. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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und solarer bzw. astraler Mythologie am Übergang von der römischen Kaiserzeit ins Mittelalter lebt vor allem von deren integraler Einbettung in das imperiale Herrscherzeremoniell bis weit in die Zeit des Oströmischen Reiches hinein. Wie andere gentile Reichsbildungen orientierten sich auch die Franken für ihre Legitimationskonzepte massiv an diesem Vorbild. Zudem hatte schon die Ethnogenese der frühen »Franken« im 4. Jahrhundert augenscheinlich gerade im Bannkreis des solarmythologisch fundierten Kaisertums und seines Heerwesens stattgefunden. Historisch aktenkundig werden die »Franken« im Dienst ebenjenes Kaisers Julian, der erfolglos den theurgischen Neoplatonismus eines Jamblichus zur Reichsreligion zu erheben versucht hatte. Eine intensive Akkulturation ist insofern schon weit vor der fränkischen Herrschafts­bildung wahrscheinlich. Welche Folgen dies für ihre vorchristliche Religion gehabt haben könnte, kann hier nicht diskutiert werden. Sicherbar ist, dass die politischen und theologischen Debatten unter ihren Nachkommen im 6. und 7. Jahrhundert immer wieder auf Narrative der spätkaiserzeitlichen Mythologie und Argumentationsmuster der neoplatonischen Philosophie zurückgriffen. Dies führt zu der Hypothese, dass sich im Herrschaftsraum der Merowinger eine spezifische Christianität etablieren konnte, die in vielerlei Hinsicht in der Tradition der spätkaiserzeitlichen Glaubenssysteme stand. In den seit dem 8. Jahrhundert in das Frankenreich integrierten Gebieten östlich bzw. nördlich der antiken Reichsgrenzen wurde hingegen unter römischpäpstlicher Ägide durch angelsächsische Missionare eine asketisch orientierte, um viele nun als Paganismen exkludierte Aspekte bereinigte Form des christlichen Glaubens installiert. Dem Christentum fehlte hier von vorn­herein die neoplatonische und solarmythologische Grundierung der urban geprägten römischen Kultur des alten Gallien. Zwischen den Einzugsbereichen dieser beiden unterschiedlichen Formen der Christianität lag der Rhein-Mosel-Maas-Raum: in der späteren Antike als ­Germania zugleich Grenzgebiet und eines der kulturellen Zentren des Impe­ riums, seit fränkischer Zeit als Lotharingien der Übergangsraum zwischen romanischer und germanischer Sprache, zwischen Frankreich und dem Reich. Was Tanz und Frömmigkeitskultur angeht, gehörte dieser Raum augenscheinlich auch im Mittelalter noch eher zum Westen, politisch hingegen zum Reich. Das Flusssystem des Rheins bildete so einen Übergangsraum, zugleich jedoch einen verkehrstechnisch durch die Wasserwege konstituierten eigenen Kommunikationsraum mit kultureller Zenralfunktion. In dieser spezifischen Gemenge­ lage von Schnittmenge zwischen Ost und West einerseits und abgegrenztem Kulturraum andererseits konnte sich seit dem 13. Jahrhundert das Krankheitskonzept Tanzwut ausbilden. Hier trafen das westliche, neoplatonisch fundierte Verständnis von paraliturgischem Tanz und die östliche, asketische Ablehnung des Tanzes aufeinander, und hier wurde dieser Widerspruch produktiv in einer christlichen Aktualisierung des platonischen Konzepts der mania. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

V. Tanz auf der Schwelle: Mania als Performanz von Heilsferne in der frühmittelalterlichen Hagiographie »Aurelianus autem […] fecit per potentiam suam includi in cubiculo Domitillam, ut securus faceret violentiam. Et positis organis, post cœnam, cœpit lætus saltare inter eos. Cui saltanti more solito nuptiarum, omnibus autem deficientibus, ille incessanter tamdiu saltavit per duos dies [et] duas noctes, quamdiu corruens expiravit.« Passio Domitillae, um 6001

Seit dem 6.  Jahrhundert entstanden mehrere Heiligenlegenden, in denen das Motiv des unfreiwilligen Tanzes in einen Bestand an Chiffren für die Abwesenheit Gottes einging. Diese Varianten des Erzählmotivs sollen in den folgenden Kapiteln in ihrer Genese, ihrer Wechselwirkung und ihrem kulturellen und religionsgeschichtlichen Kontext untersucht werden. All diese Erzählungen rekurrieren invertierend auf die Motivik der platonischen Kosmologie und der mit ihr verbundenen spätantiken Mythologie. Als christliche Texte nehmen sie jedoch auch vielfältige biblische Bezüge auf.

V.1 Mythische Grundlagen V.1.1 Das biblische Urbild: Der vergebliche Reigen der Baalspriester auf dem Berg Karmel Das 1. Buch der Könige berichtet, wie der israelitische König Ahab Isebel, die Tochter des Königs von Sidon, zur Frau nahm und unter ihrem Einfluss den Kult des Baal und des Aschera in seinem Volk einführte. Gott ließ daraufhin durch Elias eine Dürre über das Land kommen (1 Kge 16,29–17,1). Elias schlug Ahab ein Gottesurteil vor: Die Propheten der fremden Götter – insgesamt 900 an der Zahl  – sollten auf dem Berg Karmel vor dem versammelten Volk ein Stieropfer zubereiten, jedoch nicht in Brand stecken. Ebenso wolle er, Elias, es tun. Dann werde ein Feuer vom Himmel zeigen, welcher Kult der richtige sei: 1 De sanctis martyribus Nereo et Achilleo Evnvchis, Flavia Domitilla, Evphrosina et Theodora, AA SS, Maii III, Cap. VI, Nr. 23, S. 12 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Tanz auf der Schwelle

»Sie nahmen den Stier, den er ihnen überließ, und bereiteten ihn zu. Dann riefen sie vom Morgen bis zum Mittag den Namen des Baal an und schrien: ›Baal, erhöre uns!‹ Doch es kam kein Laut, und niemand gab Antwort. Sie sprangen um den Altar, den sie gebaut hatten. Um die Mittagszeit verspottete sie Elias und sagte: ›Ruft lauter! Er ist doch Gott. Er könnte beschäftigt sein, könnte beiseite gegangen oder verreist sein. Vielleicht schläft er und wacht dann auf.‹ Sie schrien nun mit lauter Stimme. Nach ihrem Brauch ritzten sie sich mit Schwertern und Lanzen wund, bis das Blut an ihnen herabfloß. Als der Mittag vorüber war, verfielen sie in prophetisches Gebaren, und das dauerte bis zu der Zeit, da man das Speiseopfer darzubringen pflegt. Doch es kam kein Laut, keine Antwort, keine Erhörung.« (1 Kge 18,26–29)2

Das Brandopfer des Elias hingegen wird erwartungsgemäß von einem Feuerstrahl vom Himmel verzehrt, woraufhin die Israeliten (mit Ausnahme der Königin) sich ihm und seinem Gott unterwerfen, die Priester der falschen Götter erschlagen werden und Regen aufzieht. Im hebräischen Text ist in 18,26 nicht von »springen« die Rede, sondern von tanzen: »Sie tanzten um die Opferstätte, die man gemacht hatte.«3 Sowohl die Septuaginta als auch die Vulgata neutralisieren diese Bewegungsvokabel.4 Auch das »prophetische Gebaren« der scheiternden Opferpriester ist in allen drei Sprachen zumindest uneindeutig, wenngleich der Kontext die ekstatischen Momente deutlich erkennen lässt. Gleichwohl dürfte die Kopplung von Tanz bzw. Springen um den Altar und angestrebter prophetischer Gottesnähe auch für einen mittelalterlichen Leser noch erschließbar gewesen sein. Der in der Religionsgeschichte vielfach als alttestamentlicher Reflex auf vorderasiatische Sonnengottheiten gedeutete Elias tritt hier  – im Auftrag des jü­ dischen Gottes  – als Wettermacher auf, als Diener des »wahren Gottes« bzw. patristisch gesprochen: der »wahren Sonne«. Beide Parteien opfern einen Stier, womit für einen christlichen Leser das Paradigma für Unglauben markiert ist. Dass der Gott des Alten Testaments ebenfalls Stieropfer annimmt, lässt sich unschwer aus der agonalen Situation erklären. Denn sein Prophet steht allein gegen die vom Königspaar geförderten Priester des Baal und der Aschera, er muss sie also auf ihrem Gebiet besiegen. Im Konkurrenzkampf erweist sich der Kult der fremden Götter als Hirngespinst. Als ihr Opferritual unabgeschlossen 2 1 Kge 18,26–29 (Vulgata): »qui cum tulissent bovem quem dederat eis fecerunt et invocabant nomen Baal de mane usque ad meridiem dicentes Baal exaudi nos et non erat vox nec qui responderet transiliebantque altare quod fecerant / cumque esset iam meridies inludebat eis Helias dicens clamate voce maiore deus enim est et forsitan loquitur aut in diversorio est aut in itinere aut certe dormit ut excitetur / clamabant ergo voce magna et incidebant se iuxta ritum suum cultris et lanceolis donec perfunderentur sanguine / postquam autem transiit meridies et illis prophetantibus venerat tempus quo sacrificium offerri solet nec audiebatur vox neque aliquis respondebat nec adtendebat orantes.« 3 Steurer, Das Alte Testament. Interlinearübersetzung, Bd. 2, S. 962. 4 Rahlfs (Hg.), Septuaginta, S. 679: »διέτρεχον«; vgl. Kraus/Karrer (Übers.), Septuaginta deutsch, S. 415: »Und sie liefen über die Opferstätte, die sie gemacht hatten.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Mythische Grundlagen

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bleibt, weil der Adressat nicht existiert, bleiben die Priester im Zustand der Trance gefangen. Sie streben eine »Eingottung«, einen enthusiasmos, an. Doch sie bekommen nur eine mania im Sinne einer Störung der kosmischen und körperlichen Harmonie durch ein ataktisches Ritual.5

V.1.2 Das pagane Gegenbild: Die Heilige Hochzeit Lilian B. Lawler führt als Beleg für die real existierende dance mania der Griechen die Erzählung von den drei Töchtern des Königs Proteus von Tiryns an: Apollodor und anderen zufolge liefen sie, als eine große Menge Freier um ihre Hände anhielt, plötzlich aus dem Haus, tanzten durch die Landschaft und zerrissen ihre Kleider, unfähig, diesen Tanz zu beenden. Erst Melampus konnte sie heilen, indem er sie bis zur Erschöpfung tanzen ließ.6 Sie waren also in mania verfallen, weil sie dem Willen des Dionysos folgen und nicht heiraten wollten. Liest man diese Erzählung als Krankheitsgeschichte, fallen in der Tat die vordergründigen Parallelen zu der von Hecker und anderen entwickelten »Tanzwut«-Konzeption auf. Die vielfältige Überlieferung ganz ähnlicher Erzählungen7 legt aber doch den Schluss nahe, dass hier allenfalls sehr mittelbar reales Krankheitsgeschehen seinen Niederschlag gefunden haben könnte. Die Erzählung von den Töchtern des Proteus entspricht vielmehr den Grundstrukturen des dionysischen Mythos: Die irdische Eheschließung wird als Ungehorsam gegenüber dem Gott verstanden. Mänadische Raserei ist hier jedoch nicht Strafe für diesen Ungehorsam, sondern gerade Ausdruck der Verweigerung der irdischen Hochzeit zugunsten des Gottes. Tanz bis zur Erschöpfung dient zur Wiederherstellung des Einvernehmens. Die körperliche Disharmonie wird mit der Störung der sozialen Ordnung der Allianzen assoziiert, die gerade durch die Anforderungen des Gottes durchkreuzt wird. Die schon in der antiken Wahrnehmung latente Ambivalenz des Dionysos als Gott der Überschreitung wird hier zugunsten der menschlichen (d. h.: der männlich-verwandtschaftlichen) Ordnung aufgelöst, welcher die weibliche Überschreitung als mania gegenübergestellt wird. Damit ist das Motiv der kosmischen mania und des sie heilenden Tanzes mit dem Narrativ der Gotteshochzeit verkoppelt – eine folgenreiche Verbindung. Schon Franz Jostes wollte in den Imaginationshaushalten der vorderasia­ tischen und europäischen Gesellschaften von den frühen Hochkulturen bis in 5 McNeill, Keeping together in Time, S.  68–71, interpretiert das Verhalten der Baalspriester als »ecstatic behaviour«, wie es auch David und Saul gepflegt hätten. Damit geht freilich die Pointe der Episode verloren. 6 Lawler, Dance in Ancient Greece, S. 50; Dodds, Die Griechen und das Irrationale, S. 49. 7 Vgl. Dodds (Hg.), Euripides, Bacchae, S. xvi, xxv–xxviii. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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die Heldenepik des Mittelalters einen Kernbestand an Grundmustern mytho­ logischen Erzählens identifizieren, die sich auf solare bzw. astrale Motive von Tod und Wiederbelebung zurückführen ließen.8 Zentral war für ihn dabei die Konkurrenz zwischen einem alten Sonnengott/Vater (im ägyptischen Paradigma: Seth) und seiner Frau/Tochter einerseits und einem jungen Sonnengott/Sohn (Osiris/Sarapis/Dionysos) und seiner Schwester/Frau, der Erd- bzw. Mondgöttin (Isis/Kybele) andererseits. Der alte Sonnengott tötet und zerfleischt den jungen, der jedoch wieder aufersteht. Junger Sonnengott und seine Schwester/Frau haben ihrerseits einen Sohn (ägyptisch: Horus/Harpokrates). In Athen etwa wurde dieses Muster beim alljährlichen Fest der Anthesterien in der Vermählung des per Schiff über das Meer gekommenen Dionysos mit der Frau des archon basileos, des Oberpriesters, verwirklicht.9 Dieses Grundmodell wird Jostes zufolge in der vorderasiatischen und europäischen Mythologie bis weit ins Mittelalter hinein in immer neuen Varianten durchgespielt. Er konnte daher zur Rekonstruktion zeitlich und räumlich spezifischer Mythen durchaus auch wesentlich spätere und geographisch entfernte Erzählungen heranziehen, wenn sie in Motivik und etwa Benennung der Personen Anknüpfungspunkte boten. Seine höchst assoziativen Analogie­ bildungen halten nun einer Überprüfung im Detail kaum Stand. Mit dieser kosmogonischen Verbindung ist zudem ein Grundmotiv mythischen Erzählens angesprochen, das in der religionsgeschichtlichen Forschung eine wechselvolle Geschichte hat: Die Heilige Hochzeit bzw. Hierogamie. Das Mythem der Vereinigung von Sonnengott und Mondgöttin und ihr ritueller Nachvollzug durch den Herrscher bzw. obersten Priester und eine Priesterin, eine Jungfrau oder die Ehefrau des Herrschers, stehen für die spirituelle Kommunikation mit den Göttern, für die alljährlich zu erneuernde Verbindung der Menschen mit den jenseitigen Mächten. Insofern entspricht sie dem platonischen enthusiasmos, der ja ebenfalls von einer spirituellen Einwohnung des Gottes im Menschen ausging. Während die ältere Literatur der Fruchtbarkeit spendenden jährlichen Vermählung von Sonne und Mond, Himmel und Erde, Regen und Boden eine große Bedeutung für das Verständnis der Mythen agrarischer Gesellschaften zugeschrieben hatte,10 wurde in der neueren Altphilologie im Zuge der Abkehr von der vergleichenden Mythologie die Existenz eines solchen Grundmotivs lange Zeit schlicht geleugnet. Allenfalls wollte man noch die olympische Ehe 8 Jostes, Sonnenwende. 9 Zimmermann, Geschlechtermetaphorik, S. 85; Eitrem, Apotheose, S. 15; Schmid, (Art.) Brautschaft, Hl., Sp. 534; Graf/Renger, (Art.) Hieros Gamos; Otto, Dionysos, S. 79 f.; Wenskus, Religion abâtardie, S. 243 f. 10 Als Überblick: Schmid, (Art.) Brautschaft, Hl.; vgl. weiter Hirschberg, (Art.) Hieros ­gamos; Maier, (Art.) Heilige Hochzeit. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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von Zeus und Hera als hieros gamos gelten lassen.11 Erst recht wurde von theologischer Seite ein Einfluss der Heiligen Hochzeit auf die biblische und christliche Mythologie, zumal auf die Konfiguration der Heiligen Familie, geleugnet. In jüngster Zeit ist jedoch gerade in der Theologie ein Umdenken zu verzeichnen: Die Heilige Hochzeit als Metapher für die Kommunikation von Transzendenz und Immanenz, von Kosmos und menschlichem Leben, wird nun wieder als narrative Grundstruktur alt- wie neutestamentlicher Geschichten analysiert. Und sie wird erneut für die Untersuchung vorchristlicher Mythen in Anschlag gebracht.12 Die Vorstellung einer segensspendenden Verbindung von Himmel und Erde bzw. Sonne und Mond ist also weniger als »pan-babylonisches« Erbe oder gar als archaisches Rudiment primordialer Kulte in die mittelalterliche europäische Kultur eingegangen. Vielmehr wurde sie durch die vielfältige Aufnahme ihrer Motivik in Altem und Neuem Testament vermittelt. Zugleich war sie offensichtlich ein zentrales Stereotyp der von Stefan Berrens anhand der Münzikonographie herausgearbeiteten Legitimationsstrategien des römischen Kaisertums.13 Denn ein beständig wiederkehrendes Motiv der Asso­ ziation des Kaisertums mit Sol/Apollon als Sieghelfer und Schutzherr des ewigen Friedens war seit dem früheren Prinzipat die Parallelführung der Herrscherfamilie mit der Hochzeit von Sonne und Mond.14 Wenn römische Kaiser ihre Ehe mit der Mondgöttin inszenierten wie Caligula oder Elagabal, handelte es sich dabei nicht um einen Ausdruck von Größenwahn und orientalischer Dekadenz, sondern um einen spezifischen Legitimationsdiskurs.15 Die Heilige Hochzeit verankert also die Kommunikation von Immanenz und Transzendenz im Mythos. Da auch Tanz als Medium der Kommunikation mit dem Kosmos und mania als das Scheitern dieser Kommunikation konstruiert waren, ist es nicht überraschend, dass die bereits in der Geschichte der Töchter des Königs von Tiryns angelegte Verknüpfung beider Motive auch im christ­ lichen Denken immer wieder aktualisiert wurde. In dieser Kopplung von kosmischem Tanz und Mythos der ewigen Regeneration wurden für eine christ­ liche Auseinandersetzung die Ambivalenzen von Zyklizität und Linearität, von Wiedergeburt und Heilsgeschichte, verhandelbar.

11 Zur Forschungsgeschichte: Nissinen/Uro, Introducing the Project, S. 1 f.; Avagianou, Hieros gamos, S. 145–147. 12 Vgl. Nissinen/Uro (Hg.), Sacred Marriage; Zimmermann, Geschlechtermetaphorik; Avagianou, Sacred Marriage. 13 Vgl. oben, Kap. IV.2.2. 14 Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 172 f. und allg.; er erwähnt dieses Motiv für die Münzikonographie immer wieder, ohne freilich seine Bedeutung herauszuarbeiten. 15 Eitrem, Apotheose, S. 11–20; Schmid, (Art.) Brautschaft, Hl., Sp. 540; ebenso hatte der Konkurrent des Augustus, Marc Anton, als »neuer Dionysos« die Ehe mit Athene vollzogen. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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V.2 Theurgie und kosmischer Tanz im frühmittelalterlichen Christentum V.2.1 Dauertanz als fehlgeschlagene Kommunikation mit den Sphären: Domitilla und Aurelianus Eusebius von Caesarea erwähnt in seiner Kirchengeschichte eine Nichte des Konsuls Flavius Clemens (Konsul 95 n. Chr.) namens Flavia Domitilla, die unter dem Kaiser Domitian (51–96, Ks. ab 81 n. Chr.) wegen ihres christlichen Bekenntnisses aus Rom verbannt worden sei und schließlich das Martyrium er­litten habe. Cassius Dio (um 163 – nach 229) hingegen führt Domitilla in seiner »Römischen Geschichte« als Enkelin des Kaisers Vespasian (9–79, Ks. ab 69 n. Chr.) und Frau des Flavius Clemens. Wohl erst im 6. oder 7. Jahrhundert wurde diese christliche Märtyrerin aus dem flavischen Kaiserhaus mit der Namenspatronin der nun so genannten Domitilla-Katakomben identifiziert.16 Zuvor offenbar nur an ihrem angeblichen Verbannungsort Pontia/Ponza verehrt, wurde ihr Kult nun auch nach Rom übertragen.17 Hier wurde ihre Legende verknüpft mit jenen mehrerer Heiliger, die unter den Christen der Tiberstadt schon länger bekannt waren. Die nachträgliche Zusammenfassung von Heiligenlegenden zu Gruppen war in der frühen römischen Hagiographie typisch. Auf diese Weise formulierten christliche Gruppen ihre auf einen bestimmten Ort oder Raum bezogene Erinnerung.18 Zwei seit dem 4.  Jahrhundert in der später sogenannten Domitilla-Katakombe verehrte Soldatenheilige, Nereus und Achilleus, wurden nun zu Eunuchen der Kaiserenkelin Domitilla umgedeutet, die diese missioniert hätten.19 Der hl. Nereus trägt den Namen eines frühen griechischen Meeresgottes. Dieser hatte Herakles (bzw. Helios) mit dem Sonnenbecher ausgestattet.20 Ent­ sprechend etymologisiert noch die Legenda Aurea des Dominikaners Jacobus de Voragine (um 1230–1298): »Nereus ist verdolmetscht: Rat des Lichts; oder es kommt von ›nereth‹, das ist: Leuchte, und us, das ist: eilend; […] Ein Rat des Lichts war Nereus, da er jungfräu­

16 Seeliger, (Art.) Domitilla; Fasola, (Art.) Nereo e Achilleo. Die Passio liegt in einer griechischen und einer lateinischen Fassung vor, wobei umstritten ist, welche früher entstanden ist; vgl. allg. Carletti, (Art.) Flavia Domitilla. 17 Das Martyrologium Hieronymianum erwähnt Domitilla nicht, wohl aber ihre späteren Mitmärtyrer Nereus, Achilleus und Theodora, vgl. AA SS, Nov. 2.1, S. 45, 51, 59, 83; Kirch, Der stadtrömische Festkalender, S. 56–58, 151; Carletti, (Art.) Flavia Domitilla, Sp. 877 f. 18 Diefenbach, Römische Erinnerungsräume, S. 263 ff. 19 Fasola, (Art.) Nereo e Achilleo. 20 Roscher (Hg.), Ausführliches Lexikon, Bd. 3.1, Sp. 240–250; Fries, Attribute, S. 20. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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liche Keuschheit predigte; eine Leuchte war er in ehrsamem Wandel; eilend war er in der Glut seines Eifers; […]«.21

Wie noch zu zeigen sein wird, verbindet der mythische Becher Nereus zudem mit Liber Pater/Dionysos und dem hl. Vitus.22 Sein Kompagnon Achilleus wiederum trägt den Namen jenes Helden, dem der archetypische Demiurg ­Hephaistios den goldenen Schild geschmiedet hatte, auf dem sich Homer zufolge der Götterreigen abgebildet findet.23 Als Eunuchen hätten die beiden am Kaiserhof Sklavendienste leisten können. Die Entmannung verband sie jedoch auch mit den galli, den Priestern des Kybele/Attis-Kultes, deren ekstatischer und selbstverletzender Tanz im Sakralkaisertum Julians eine große Rolle gespielt hatte.24 Zwei christliche Eunuchen am flavischen Kaiserhof als Träger dieser heroischen Namen freilich knüpfen nun allenfalls invertierend an die mytho­ logische Erzähltradition an: Die beiden entmannten Dioskuren machen die Verwandte des Kaisers, also der weltlichen Emanation des Sonnengottes, der alten Religion abspenstig und bringen so den alten Kosmos zum Einsturz. Die christlich gewordene Jungfrau Domitilla und ihre Freundinnen Theodora und Euphrosyna sollen verheiratet werden mit den drei »Heiden« Aure­ lianus, Sulpicius und Servilianus. Im Rahmen einer längeren Erzählung kommt es nun zu einem denkwürdigen Ereignis:25 Aurelianus, der heidnische Verlobte der Domitilla, Sohn eines Konsuls und überzeugter Christenhasser, versucht demnach, sie zur Apostasie zu bewegen, indem er sie einschließt und vor ihren Augen eine Art Brauttanz aufführt. Plötzlich kann er nicht mehr aufhören zu tanzen – und stirbt nach zweitägigem Dauerreigen. 21 Übersetzung nach Benz (Übers.), Legenda aurea, S. 389; vgl. Maggioni (Hg.), Legenda Aurea, S. 510: »Nereus interpretatur lucis consilium; uel Nereus  a nereth, quod est lucerna, et us, festinans […]. Fuit ergo consilium lucis in uirginitatis predicatione, lucerna in honesta conuersatione, festinans in zeli furore […].« 22 Vgl. unten, Kap. VII.3.8. 23 Vgl. Miller, Measures of Wisdom, S. 24, 28, 40 f. 24 Vgl. oben, Kap. IV.2.2. 25 AA SS, Maii III: Dies duodecima Maii. De sanctis Martyribus Nereo et Achilleo ­Evnvchis, Flavia Domitilla, Evphrosina et Theodora, virginibus Romanis, Terra­cinae in Latio, cap. VI, Nr.  23, S.  12 f.: »Factum est autem, & venit Aurelianus cum duobus sponsis, ipse tertius cum tribus organariis, ut quasi uno die trium virginum nuptiæ fierent. Sulpitius autem & Servilianus videntes mutam loqui, [credunt etiam earum sponsi Sulpitius & Servilianus,] & Herodem Theodoræ fratrem illuminatum; audientes autem omnia quæ dicta & facta fuerant, crediderunt. Quos cum Aurelianus instanter hortaretur, ut una die simul acciperent sponsas suas, Sulpitius & Servilianus prudentissimi homines dixerunt ei: Da hono­ rem Deo, cujus virtute cæcum illuminatum conspicimus, & mutam loquentem videmus. ­Aurelianus autem non curans de his quæ illi loquebantur; fecit per potentiam suam includi in cubiculo Domitillam, ut securus faceret violentiam. Et positis organis, post cœnam, cœpit ­lætus saltare inter eos. Cui saltanti more solito nuptiarum, omnibus autem deficientibus, ille incessanter tamdiu saltavit per duos dies & duas noctes, quamdiu corruens expiravit. Videntes autem quæ evenerant, omnes crediderunt.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Die Passio erwähnt keine Dämonen oder Teufel als Auslöser dieses töd­ lichen Zwangstanzes – und auch nicht die Legenda Aurea des Jacobus von Vora­ gine.26 Mit dieser in über 1000 lateinischen und volkssprachlichen Handschriften überlieferten Sammlung von Heiligenlegenden wurde die Geschichte von der christlichen Kaisernichte und ihrem heidnischen Bräutigam im Spätmittelalter popularisiert.27 In der Wahrnehmung der Dominikaner des 13. Jahrhunderts ist Domitilla ganz die fromme Jungfrau, der gegenüber Nereus und Achilleus die Schrecken der Ehe mit dem Heiden die Freuden der Christusbrautschaft kontrastieren. Die beiden Diener werden hingerichtet, Domitilla jedoch bleibt standhaft: »Da kam Aurelianus zu ihr mit den Verlobten der beiden Jungfrauen und mit drei Gauklern, daß er Hochzeit mit ihr mache und sie mit Gewalt nehme. Aber Domitilla bekehrte auch die beiden Jünglinge; da nahm Aurelianus die Jungfrau und führte sie mit sich in das Schlafgemach, gebot den Gauklern zu singen und hieß die anderen mit ihm zu tanzen, und wollte darnach der Jungfrau Gewalt antun. Zu dem letzten so wurden die Spielleute des Singens müde und die andern des Tanzes. Aurelianus allein tanzte ohn Unterlaß zwei Tage, und hörte nicht eher auf, als bis er von dem Tanze tot hinfiel.«28

Es ist also der Tanz selbst, der Macht über Aurelianus gewinnt, wie in Lukian von Samosatas Nachricht von den Korybanten.29 Und wie bei diesen lässt sich der unaufhörliche Reigen als Spiegelung der kosmischen Bewegungen lesen: Der Bräutigam Aurelianus trägt nicht nur den etymologischen Bezug zu aurum (Gold), dem Metall der Sonne, im Namen, sondern ist auch namensgleich mit dem Kaiser Aurelian (* 214, Ks. 270–275), dem Förderer des Sol invictus-Kultes im Römischen Reich.30 Schon in republikanischer Zeit hatte die gens Aurelia die Verehrung des Sonnengottes als gentilizischen Hauskult gefördert.31 Noch in der merowingisch-fränkischen Mythenrezeption sollte der solar konnotierte »Aurilianus« als Beiname des Urvaters Clodio und als Berater und Brautwerber 26 Zimmermann, Engelsreigen, S.  150; zur Überlieferung vgl. weiter AA SS, Maii III, S. 12 f. 27 Zur Genese, Verbreitung und Verwendung der Legenda Aurea vgl. Fleith, Überlieferungsgeschichte; Maggioni, Ricerche; Rhein, Legenda Aurea. 28 Benz (Übers.), Legenda aurea, S.  391; Maggioni (Hg.), Legenda aurea, S.  512: »Tunc ­Aurelianus cum sponsis predictarum puellarum et tribus ioculatoribus ad Domitillam uenit ut eius nuptias celebraret et ipsam saltem uiolenter opprimeret. Sed cum Domitilla predictos duos iuuenes conuertisset, Aurelianus Domitillam in thalamum introduxit et ibidem mimos canere fecit et ceteros secum saltare iussit, uolens eam postmodum uiolare. Sed cum deficerent mimi in canendo et ceteri in saltando, ipse tamen per duos dies non cessauit quousque saltando defi­ ciens expirauit.« 29 Vgl. oben, Kap. II.3.2. 30 Vgl. oben, Kap. IV.2.2. 31 Gordon, (Art.) Sol, S. 692; Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 18 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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des Chlodwig auftreten.32 Und dieser Aurelianus tanzt der Passio Domitillae zufolge »positis organis«, also: »nachdem die Orgel aufgestellt war«. Diese jedoch war, bevor sie im 8. Jahrhundert in den liturgischen Gebrauch der lateinischen Kirche übernommen wurde, das zentrale musikalische Instrument des römischen und später des byzantinischen Hofzeremoniells.33 Der vergebliche Brauttanz vor Domitilla, die dem christlichen Gott jungfräulich zugetan ist, wird so als ein narrativer Reflex auf das Motiv der Heiligen Hochzeit erkennbar. Dazu sperrt Aurelianus (in der Passio des 6. Jahrhunderts) die angehende Märtyrerin ein, die hier so in der Rolle der in der Unterwelt gefangenen Mondgöttin auftritt.34 Sein Tod am dritten Tag des unfreiwilligen Tanzes wird zur Inversion der liminalen Phase zwischen Tod und Auferstehung Christi, die wiederum auf ältere Narrative von Tod und Auferstehung des jungen Gottes rekurriert. Schon zuvor hat das Beispiel der Domitilla nicht nur ihre beiden Freundinnen, sondern auch deren Bräutigame Sulpicius und Servilianus überzeugt, Christen zu werden.35 Der Bruder des Aurelianus  – mit dem ebenso diony­ sischen wie der Demutsstilisierung der Märtyrer kontrastierenden Namen Luxurius – erwirkt daraufhin, dass die beiden jungen Männer hingerichtet werden und die drei Jungfrauen in ihrer Unterkunft verbrennen, da sie allesamt das Opfer am Altar verweigern.36 Der zwanghafte Tanz ist hier in christlicher Sicht deutlich mit dem Zustand des Heilsverlusts assoziiert: Die liminale Phase des solaren Tanzes endet bei dem Heiden eben nicht in der Erlösung, sondern im Tod. Schon die krankhafte mania im platonischen Verständnis war gekennzeichnet durch einen unfrei­ willigen Tanz. Der Zustand der kosmischen Disharmonie äußert sich auf Erden in einer »ataktischen« Mimesis der kosmischen Sphärenbewegungen. Die missglückte Vereinigung mit den Göttern bleibt in der unaufgelösten Schwebe des dauernden Tanzens. Die Tochter aus dem Kaiserhaus (und damit aus der Ver 32 So bei »Fredegar« und im Liber Historiae Francorum, vgl. Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 212, 272, 296 ff. 33 Klaus, Antikes Erbe, S. 38–43. 34 Vgl. oben, Kap. V.1.2. 35 Vgl. Amore, (Art.) Sulpizio e Serviliano, Sp. 64. 36 AA SS, Maii III, S.  14, Nr.  24 f.: »[24] Frater autem Aureliani, nomine ­Luxurius, petiit ab Imperatore Trajano, ut hos omnes ad sacrificium compelleret: qui si non consen­tirent, poenis eos quibus vellet imterimeret. Unde factum est ut Sulpitium & Servilianum Prae­fecto Urbis Aniano traderet. Quos Praefectus confessos quod nuper facti essent ­Christiani, nolentes penitus ultra idolis immolare, decollare eos pręcepit. Quorum corpora Christiani posuerunt in praedio eorum Via Latina milliario secundo, in quo loco exuberat virtus eorum usque in praesentem diem. [25] Posthaec Luxurius abiit ad Virgines Christi ad Terracinensium civitatem, & nolentes penitus idolis immolare, ablatis omnibus quae habebant, in eodem cubiculo, quo simul morabantur, clausit, & ignem imposuit. Altera namque die veniens sanctus Diaconus, nomine Caesarius, invenit corpora Virginum immaculata: in facies enim suas prostratae, orantes Dominum, recesserunt. Quarum corpora sanctus Caesarius in sarcophago novo simul condiens, in profundo terrae infodiens sepelevit.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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wandtschaft der sublunaren Emanation des »Höchsten«) verweigert also dem Christenverfolger und Konsulssohn Aurelianus im Zeichen der christlichen Gottesbrautschaft die Hochzeit und damit die Herstellung der kosmischen Harmonie. Sein Tanz als mimetische Verbindung zur Sonnengottheit bleibt unab­ geschlossen und unabschließbar – so muss er sich zu Tode tanzen, gefangen in der Liminalität des kosmischen Rituals. Mit dieser Variante reagiert die Passio Domitillae zugleich auf die seit der griechischen Klassik bekannte Geschichte von den Töchtern des Königs Proteus von Tiryns.37 Nun ist es wiederum eine Tochter aus hohem Haus, die einem Höheren zugetan ist und daher die weltliche Ehe verweigert. Bestraft wird jetzt jedoch der Bräutigam für seinen Versuch, sie zur (Heiligen) Hochzeit zu be­ wegen. Ähnlich tanzt Salome vor Johannes dem Täufer – wobei in diesem Fall die moralisch verworfene Heidin zwar nicht die Heilige Hochzeit, wohl aber den Tod des Predigers erlangt.38 Diese selbst stark solarmythologisch konnotierte Erzählung wird im Martyrium der Domitilla invertiert: Während der Tanz der verworfenen Sünderin zur Köpfung des letzten Propheten führt, verteidigt die fromme Jungfrau ihre heilige Unschuld gegen die Avancen ihres solar gezeichneten Bräutigams. Sie tut dies auf Anraten zweier zum Christentum konvertierter Eunuchen, die von Priestern der Göttin zu Kammerdienern der christlichen Jungfrau geworden sind. Die christliche Heiligenvita verweigert so explizit die Erfüllung des paganen Mysteriums der Vereinigung von göttlicher Jungfrau und Sonnengott – im Fall des Täufers um den Preis des Martyriums, im Fall der Domitilla mit der Folge des Todes des Bräutigams. Ebenso wie der Heide Aurelianus werden sich in der Mirakelerzählung des 11. Jahrhunderts die »Tänzer von Kölbigk« in einem unaufhörlichen Reigen gefangen finden, weil ihr Tanz als Kommunikation mit der Sphäre des Transzendenten nicht funktioniert.39 Anders als bei diesen ist die Unfreiwilligkeit der körperlichen Bewegungen jedoch in der römischen Passio des 6. Jahrhunderts nicht Folge eines göttlichen oder priesterlichen Fluches. Anders als im Fall des Eligius von Noyon40 befallen auch nicht Dämonen mit Gottes Erlaubnis den heidnischen Sünder. Vielmehr ist der Tanz bei Aurelianus aus sich selbst heraus wirksam: Durch das christliche Bekenntnis der Kaisertochter ist die kosmische Harmonie gestört. Aurelianus als solarmythologisch gekennzeichneter Bräutigam will die Syntaxis durch das Einsperren der Domitilla und den Tanz vor ihren Augen wiederherstellen. Dieser Versuch freilich scheitert an der asketischen Heiligkeit der Jungfrau, so dass er in der Unabschließbarkeit des Rekonziliationsrituals, ja: in der Liminalität des Tanzes gefangen bleibt – und ihn bis zum Tode fortsetzen muss. 37 Vgl. oben, Kap. V.1.2. 38 Vgl. unten, Kap. VII.1.3. 39 Vgl. unten, Kap. VI.5.3. 40 Vgl. unten, Kap. V.3.4. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Die christliche Heiligenvita bedient sich hier gezielt des mythologischen Erzählmotivs der Heiligen Hochzeit und der spätantiken Kosmologie, um gerade ihre Abkehr von den paganen Mysterien und ihre Verweigerung gegenüber der alten Religion zu profilieren. Der Tanz als kosmische Mimesis wird dabei zum Inbegriff der verfehlten Kommunikation mit den Sphären der Transzen­ denz, der Kommunikation mit den falschen Gottheiten. Er führt in die Liminalität des Rituals, aber, und das ist die angestrebte christliche Pointe, nicht mehr zur Wiederherstellung der kosmischen Harmonie. Der Tänzer bleibt also im Schwellenraum des Tanzes gefangen, weil er sich anders als seine verhinderte Braut nicht dem wahren Gott zuwendet. Der Imperator, dessen Opfer die Christen verweigern, wird dabei zum Kristallisationspunkt der narrativen Inversion der paganen Solarmythologie. Was in der spätantiken zeremoniellen Praxis realiter vielleicht nicht mehr war als ein routinemäßiges Loyalitätsritual gegenüber dem Herrscher, wird in der christ­ lichen Legendenbildung zum Inbegriff des Glaubensgegensatzes. Und das Kaisertum (repräsentiert durch seine Verfolgungsorgane und die sozialen Eliten, in denen die Erzählung angesiedelt ist) wird zur zentralen Negativfigur, weil es den Sonnengott, also den falschen Glauben repräsentiert. Eine ganz ähn­ liche Frontstellung formulieren auch andere Martyrien. Und ganz ähnlich werden die Vitus- und die Potitus-Legende ihre Heiligen in Konflikt mit dem adeligen Vater und dem kaiserlichen Richter bringen.41 Denn aus christlicher Sicht wird Apostasie immer auch als Ehebruch der Brautschaft des Gläubigen mit Gott wahrgenommen.42 Dem Kaiser das obligatorische Opfer zu bringen wird als gleichbedeutend mit dem Eingehen der Heiligen Hochzeit stilisiert, die zu dionysischer Raserei, zum Verlust des Heils und damit der körperlichen Selbst­ kontrolle führt. Dem Kaiser zu opfern heißt, den Dämonen in ihrem Tanz folgen zu müssen. Es liegt auf der Hand, dass diese Negativstilisierung des Imperiums als heidnische Macht erst möglich wurde, als die von den konstantinischen Kaisern und Eusebius von Caesarea propagierte solar-christliche Herrschaftsideologie in Rom ihre Relevanz verloren hatte, als die Christen sich aus dem überwölbenden Konsens der solarmythologischen lingua franca verabschiedet und einen Monopolanspruch durchgesetzt hatten. Im 11. Jahrhundert sollte die Kölbigker Tanzlegende (Fassung II) den (bald darauf als heilig verehrten) Kaiser Heinrich II. als wiederum ins Positive gewendete Herrschergestalt integrieren. Er ist nun nicht mehr der dämonische Gegenspieler, sondern der fromme Propagator des Mirakels.43 Noch an der Wende zum hohen Mittelalter ist die Assoziation von Tanzzwang, Solarmythologie und Sakralisierung des Imperiums also – mehrfach gebrochen – virulent. 41 Vgl. unten, Kap. VII.3.4. und VII.3.6. 42 Schmid, (Art.) Brautschaft, Hl., Sp. 546, 560 f. 43 Vgl. unten, Kap. VI.3.3. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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So wird schon im römischen Christentum um 600 die platonische mania als Abbild der ewigen Sphärenbewegungen umgedeutet zum menschlichen Spiegel­bild der Verworfenheit des Nichtgläubigen. Mit dieser Konzeption des unfreiwilligen Tanzes als auf Dauer gestellte Liminalität eines gescheiterten Rituals ist das Paradigma formuliert, auf das die weitere frühmittelalterliche Entwicklung aufbauen konnte. Das Christentum stellt gegen die sexuell imaginierte spirituelle Einswerdung mit dem Höchsten das Konzept der Eucharistie, also der konkret fleischlichen Aufnahme Gottes. In der Eucharistie vereinigt sich der Gläubige mit Gott, wird die Brautschaft des einzelnen Gläubigen und der ecclesia mit Christus Realität. Einen späten Reflex dieses Motivs finden wir noch im frühneuhochdeutschen Sprachgebrauch des 16. Jahrhunderts: Die Teilnahme an Eucharistie und Kommunion wurde auch »Hochzeit halten« genannt.44 Die christliche Eucharistie ist also als Konkurrenzmodell zur Heiligen Hochzeit zu lesen. Die Jungfrau, die die Hochzeit mit dem Heiden verweigert, bekennt sich zugleich zur Eucharistie und zur Brautschaft mit ihrem Gott. Und ihr Bräutigam tanzt vor ihr, weil dieser Tanz den logischen Gegensatz zur Eucha­ ristie darstellt. Mit der christlichen Idee von der asketischen Jungfräulichkeit als Brautschaft mit Gott einerseits und der kosmogonischen Idee von der Hochzeit von Sonne und Mond andererseits stehen sich in der Passio Domitillae also letztlich zwei gegensätzliche Varianten des Mythos von der Heiligen Hochzeit gegenüber. Sakraler Tanz bildet im Rahmen des frühchristlichen Paganismus-Diskurses also den Negativpol des Altarsakraments. Noch in der Kölbigker Legende werden die jungen Leute ihren Tanz auf dem Kirchhof genau zur Zeit der Christmesse aufführen und so diesen Gegensatz markieren. Erstmals ausformuliert findet sich diese Polarität jedoch in der Passio der Flavia Domitilla, die so einen zentralen Umschlagpunkt in der christlichen Wahrnehmung von Tanz ­darstellt. Stadtrömische Martyrienberichte des 6.  Jahrhunderts formulieren vielfach Glaubensvorstellungen und Erzähltraditionen kleiner christlicher Gemeinden. Sie wurden lange Zeit nicht durch die kirchliche Ämterhierarchie kontrolliert und galten daher als apokryph und legendarisch. Für den liturgischen 44 Johannes Fischart, Bienenkorb des Heyligen Römischen Immenschwarms, 232b: »ob er schon ein gut gesell mit ist, ein zechbruder, oder gerne schöne frauen sihet: wan er nur darbei kein ketzer ist, das kan ihme nicht schaden: er bedarf schlechts des jahrs einmal beichten und hochzeit halten, darmit passiert er für ein guten getreuen zugethanen der h[eyligen] rö[mischen] kirchen.« Zitiert nach: Wörterbuch der Gebrüder Grimm, Bd. 10, Sp. 1640 (für »ein kirchenfest mit begehen«). Vgl. ähnlich Höhlbaum (Hg.), [Hermann Weinsberg] Buch Weinsberg, Bd. 1, S 88: »Den parschtag [Ostern] hielt ich hoichzit, untfinge das hoichwirdig hillich sacrament, […]«; ähnlich ebd., Bd. 2, S. 34. Die Übersetzung bei Grimm ist sicherlich zu unspezifisch. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Gebrauch waren sie nicht zugelassen. Oft transportieren sie Spuren von theologischen und kirchenpolitischen Meinungsverschiedenheiten oder Erzählfragmente, die auf häretisierte Gruppen zurückgehen. Andererseits enthalten die später durch die Aufnahme in Legendare kanonisierten passiones vielfach theologisch ausformulierte Apologien gegen den allfälligen Vorwurf der Häresie oder der Fiktionalität.45 Der fatale Tanz des Aurelianus mit seiner radikal normenkonformen Disqualifikation des Tanzes als Inbegriff des Heilsverlusts könnte so lesbar sein als Bekenntnis zur asketischen Christianität der sich formierenden päpstlichen Kirche. Denn die Verehrung von Nereus und Achilleus wurde schon seit Damasus (366–384) von den Päpsten gefördert.46 Gregor der Große (590–604) hielt über ihren Reliquien eine Predigt und erwähnt auch das Grab der Domitilla in einem Brief.47 Mit der Verbreitung der römischen Martyrologien wurden Domitilla und ihre Genossen auch in Gallien und im Frankenreich bekannt. So finden sie etwa im Martyrologium des Ado von Vienne (799–875) Erwähnung.48 Ob schon ­Audoinus von Rouen in der zweiten Hälfte des 7.  Jahrhunderts für die Vita ­Eligii auf die Legende von Domitilla und Aurelianus zurückgreifen konnte, ist nicht bekannt. In der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts sollten Sulpicius und Servi­lianus, die zu Märtyrern gewordenen Freunde des Heiden Aurelianus, in Ellwangen neben dem ebenfalls aus Rom transferierten Vitus verehrt werden. Ebenso treten Reliquien des Nereus und des Achilleus in Bamberg vergemeinschaftet mit solchen des Vitus auf.49 Die Assoziation von Tanz, solarmythologisch fundiertem Herrscherkult und Heterodoxie wäre nun sicherlich auch im Frankenreich anschlussfähig ge­ wesen, orientierten sich doch die merowingischen Herrscher gezielt am (ost-) römischen Sakralkaisertum. Diese konsequente Negativbewertung des Tanzes als Inbegriff von Nichtglauben und Heilsverlust war freilich alles andere als konkurrenzlos. In anderen Zusammenhängen kannte auch das frühmittelalter­ liche Christentum weniger radikale narrative Lösungen: Im Rom der Passio Domitillae muss der tanzende Heide Aurelianus unerlöst sterben. Im Gallien des 7.  Jahrhunderts hingegen wird Audoinus den Gegenspielern des Eligius schlussendlich Erlösung und Rekonziliation gewähren, ebenso im 11. Jahrhundert die Kölbigker Legende ihren traurigen Helden. Die Tänzer sind bei ihnen nicht mehr eindeutig rettungslos verlorene Heiden, sondern Christen, die sich an der Schwelle zum Heilsverlust bewegen. 45 Diefenbach, Römische Erinnerungsräume, S. 258–268. 46 Fasola, (Art.) Nereo e Achilleo, Sp. 813, 818. 47 Ebd., Sp. 818; AA SS, Maii III: Dies duodecima Maii: De sanctis Martyribus ­Nereo et Achilleo Evnvchis, Flavia Domitilla, Evphrosina et Theodora, virginibus Romanis, Terra­ cinae in Latio, Praefatio. 48 Ebd. 49 Vgl. unten, Kap. VII.3.1. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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V.2.2 La maladie de l’erreur: Neoplatonische Theurgie und christliche Dämonologie Vergleichbar mit dem Hochzeitstanz des Aurelianus ist die Rezeption der spätantiken Vorstellungen von manischer Raserei in den Schriften des ­Sulpicius ­Severus (um 363–420/25) über Martin von Tours (um 316/17–397). In der 396/97 geschriebenen Vita Martini, die zur Blaupause für die mittelalterliche Hagiographie werden sollte, und noch mehr in den ergänzenden »Dialogen« aus den Jahren 404 bis 406, beschreibt Sulpicius den heiligen Mann als macht­vollen Dämonen­bekämpfer und Wundertäter. In den »Dialogen« geht es ihm dabei ausdrücklich auch um den Beweis, dass Martin ebenso heilig gewesen sei wie die frühen ägyptischen Asketen, die im römischen Gallien einige Aufmerksamkeit genossen.50 Denn Martin, so führt Sulpicius hier aus, zeichnete sich besonders dadurch aus, dass er wie kein Zweiter mit Gottes Hilfe die Dämonen in den rasenden Katechumenen unter seine Macht zwingen konnte, bis sie ihm gehorchten und sogar ihren Status in der Hierarchie der bösen Geister, ihren Namen und ihre Ziele verrieten: »Das Kloster des Heiligen lag zwei Meilen von der Stadt. So oft Martinus den Fuß über die Schwelle seiner Zelle setzte, um zur Kirche zu gehen, bot sich ein merk­ würdiges Schauspiel: In der ganzen Kirche stöhnten die Besessenen und zitterten wie Menschen, die den Richter kommen sehen und ihre Verurteilung befürchten müssen. Das Ächzen der Dämonen zeigte so den Klerikern das Eintreffen des Bischofs an, auch wenn sie von seiner Ankunft nichts wussten. Ich sah, wie beim Nahen des Martinus einer in die Luft gehoben wurde und mit ausgebreiteten Armen in der Höhe schwebte, so dass er den Boden mit seinen Füßen gar nicht berührte. Wenn Martinus es auf sich nahm, einen bösen Geist zu beschwören, berührte er keinen Besessenen mit der Hand und schalt keinen aus, wie es häufig Kleriker machen, die dabei eine ganze Flut von Redensarten ergießen; er nahm vielmehr die Besessenen beiseite, hieß die andern fortgehen, schloss die Türe, zog ein Bußgewand an, bestreute sich mit Asche, warf sich in der Mitte der Kirche auf den Boden nieder und betete. Da hätte man sehen können, wie sich bei den Bedauernswerten die Qualen verschiedentlich äußerten. Die einen wurden in die Luft gehoben, mit den Füßen nach oben, als ob sie aus einer Wolke herunterhingen, doch fielen dabei die Kleider nicht gegen das Angesicht herab, damit das Schamgefühl durch den Anblick des nackten Körpers nicht verletzt werde. Man konnte hören, wie andere, ohne gefragt zu sein, sich gequält fühlten und ihre Vergehen bekannten. Auch gaben sie ungefragt ihre Namen an, der eine bekannte sich als Jupiter, der andere als Merkur. Schließlich wurden alle Helfers­helfer Satans samt ihrem Meister gepeinigt. Auf diese Weise ging schon an

50 Stancliffe, Saint Martin, S. 6, 71, 80 f. (Datierung), S. 52 f., 81–84 (ägyptischer Einfluss), S. 154–159, 228–240 (intentionaler Hintergrund). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Martinus offenbar jenes Wort der Schrift in Erfüllung: ›Die Heiligen werden Richter der Engel sein‹.«51

Damit hatte Sulpicius das maßgebliche Modell für die mittelalterliche Darstellungsweise von Exorzismen formuliert.52 Sein Bericht über Martin hat seinerseits eine Vorlage in den Schriften des Hilarius von Poitiers (um 315–367), des Lehrers Martins.53 Wie Aline Rousselle gezeigt hat, war für Sulpicius jeder Taufkandidat energumenos, also notwendigerweise und zwangsläufig von Dämonen besessen.54 Wie die Büßer hatten die Katechumenen als eigene Statusgruppe in der Gemeinde ihren Ort im Vorraum der eigentlichen Kirche und durften nur am Wort­ gottesdienst, nicht jedoch an der Eucharistie teilnehmen.55 Das frühe Christentum kannte also wie die Mysterienreligionen abgestufte Einweihungsgrade: Die Taufe als Zugang zum eigentlichen Sakrament erlangte man erst nach einer längeren Übergangsphase, in der man zwar Anhänger des Christentums, nicht aber Adept der Eucharistie war. Ebenso konnte man auch nach der Taufe durch ein bußwürdiges Vergehen oder durch dämonische Besessenheit erneut von der Liturgie ausgeschlossen werden.56 Und wie in der Geschichte von Domitilla 51 Fontaine/Dupré (Hg./Übers.), Sulpice Sèvére, Gallus, Buch III, Kap.  6, S.  310–313: »2. Monasterium beati uiri duobus a ciuitate erat milibus disparatum: sed si quotiens uenturus ad ecclesiam pedem extra cellulae suae limen extulerat, uideres per tota ecclesiam energumenos rugientes, et quasi adueniente iudice agmina damnanda trepidare, ut aduentum episcopi clericis, qui uenturum esse nescirent, daemoniorum gemitus indicaret. Vidi quendam adpropiante Martino in aera raptum, manibus extensis in sublime suspendi, ut nequaquam solum pedibus adtingeret. 3. Si quando autem exorcizandorum daemonum Martinus operam recepisset, neminem manibus adtrectabat, neminem sermonibus increpabat sicut plerumque per clericos rotatur turba uerborum, sed, admotis energumenis, ceteros iubebat abscedere, ac foribus obseratis, in medio ecclesie cilicio circumtectus, cinere respersus, solo stratus orabat. 4. Tum uero cerneres miseros diuerso exitu perurgueri: hos, sublatis in sublime pedibus, quasi de nube pendere, nec tamen uestes defluere in faciem, ne faceret uerecundiam nudata pars corporum; at in parte alia uideres sine interrogatione uexatos et sua crimina confitentes. Nomina etiam nullo interrogante prodebant: ille se Iouem, iste Mercurium fatebatur. 5. Postremo cunctos diaboli ministros cum ipso cerneres auctore cruciari, ut iam in Martino illud fateamur inpletum quod scriptum est: ›quoniam sancti de angelis iudicabunt.‹«; dt. nach: Des Sulpicius Severus Schriften, Buch 3, Kap. 6; vgl. Rousselle, Croire et guerír, S. 134–152; Stancliffe, Saint Martin, S. 253 f. 52 Rousselle, Croire et guerír, S. 140 f. 53 Ebd., S.  137; Franz, Die kirchlichen Benediktionen, Bd.  2, S.  543 f.; Stancliffe, Saint Martin, S. 65; zum Aufenthalt Martins in Poitiers vgl. ebd., S. 1, 5. 54 Rousselle, Croire et guerír, S. 134–152. 55 Wallraff, Christus verus Sol, S. 73. 56 Die Hierarchia ecclesisastica des Pseudo-Dionysius Areopagita führt neben den klerikalen Weihegraden und den Laien eigens die »Stände der Reinigung« auf: Katechumenen, Energumenen, Büßer; vgl. Roques, (Art.) Dionysius Areopagita, Sp. 1098. Die energumenoi sind hier also ein eigener Stand noch unterhalb der Taufkandidaten. Vgl. allg. Klauser, (Art.) Energumenoi; Rousselle, Croire et guerír, S. 142 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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und Aurelianus markieren unfreiwillige körperliche Expressionen den Negativpol zur Eucharistie und damit zur Heilsgemeinschaft der ecclesia: Wenn solche Taufkandidaten eine Kirche betraten, sich also der sakralen Sphäre der im Gottesdienst versammelten Gemeinde näherten, wurden sie schon im Vorraum der Kirche von den Dämonen durchgeschüttelt und zu den verschiedensten Exaltationen gezwungen – dies erst recht, wenn sich ihnen der Heilige als Träger des göttlichen Charismas näherte. Die alten Götter, die im liminalen Zustand der Konversion noch Macht über die Katechumenen hatten, wehrten sich handfest gegen die sie umgebende christliche Sakralität und zwangen ihre Träger, die ecclesia durch jede Form von blasphemischem Verhalten und durch expressive körperliche Bewegungen zu stören. Im Katechumenat wird also das Außen der Christlichkeit in ihrer Grenzzone sichtbar: Nicht-Glauben oder Abweichung vom rechten Glauben ist in diesem Sinn der dauerhafte Zustand der Besessenheit durch die als Dämonen begriffenen alten Götter.57 Dieser Zustand des Unheils wird in der Übergangszone zur Heilsgemeinschaft sichtbar als krankhafter Zustand der mania, als, so Rousselle, »la ­maladie de l’erreur«.58 Zugleich bezeichnete energumenos jedoch in der griechischen Medizin auch die Ursächlichkeit von Krankheiten, also die Kraft, die den Körper erfasste. Die christliche Thaumaturgie griff hier auf ein biomedikales Konzept zurück und deutete es dämonologisch um. Der Geist der Täuschung, der die energumenoi ergriffen hatte, war also ununterscheidbar von krankmachenden pneumata. Der Exorzismus als spirituelle Therapie orientierte sich folgerichtig am Vorbild der medizinischen Pneumatik.59 Die energumenoi als in der Unwahrheit und im Unheil der Täuschung Gefangene konnten bei der Kirche Hilfe finden. Psychisches, somatisches und religiöses Heil konvergierten in einem spirituellen Krankheitskonzept, das zugleich die platonische mania zum liminalen Zustand an der Schwelle zur Heilsgemeinschaft umformulierte.60 Ganz der platonischen Kosmologie folgend, gehorchte denn auch das frühchristliche Taufritual strikt einer solaren Logik: Der Osten als Ort des Sonnenaufgangs wurde mit dem Licht, Gott und Christus assoziiert, der Westen als Ort des Sonnenuntergangs mit der Dunkelheit und dem Teufel. In der oft an Ostern stattfindenden Taufe wandte sich der Kandidat zunächst nach Westen, um verbal und mimisch (etwa mit Abwehrgesten der Arme und rituellem Aus­ spucken) dem Satan abzuschwören. Dann drehte er sich nach Osten, um ebenso mimisch Christus den Treueeid zu schwören. Dieses Ritual hatte seinen Ort im baptisterium, das als eigener Bau dem liturgischen Versammlungsraum der Ge 57 Franz, Die kirchlichen Benediktionen, Bd. 2, S. 515–517. 58 Rousselle, Croire et guerír, S. 136. 59 Ebd., S. 139–143. 60 Ebd., S. 151–153. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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meinde im Westen vorgelagert war, benachbart der Vorhalle (atrium), in der die ­katechumenoi und energumenoi dem Wortgottesdienst beizuwohnen pflegten.61 Die Baptisterien waren in der Regel Johannes dem Täufer geweiht.62 Der Prophet, der Jesus getauft hatte und dann der Tänzerin Salome zum Opfer gefallen war, der spätere Patron der Tanzkranken, hütete also die Schwelle zwischen der Heilsgemeinschaft Kirche und der unheilvollen Welt. Die Abschwörung an Satan entsprach, so Johannes Chrysostomus, dem Sklavenfreikauf: Unglauben war im Kern Unfreiheit, das Ausgeliefertsein an den Willen des Bösen. Aus diesem Zwang befreite der Glauben im Akt der con­versio, ebender wörtlich zu verstehenden Umwendung von West (Teufel) nach Ost (Christus), mit einer einmaligen Drehung um die eigene Achse.63 Durch einen performativen Nachvollzug (notabene: in umgekehrter Richtung) des Sonnenlaufs also wurde der Mensch aus den Klauen des Satans befreit. Wie aber reagierte dieser auf den Verlust einer weiteren Seele? Das Eucho­ logion sive Rituale Graecorum des Dominikaners Jacobus Goar (1601–1653), eine erstmals 1647 erschienene Sammlung liturgischer Texte der griechischen Kirche mit lateinischer Übersetzung, überliefert einen griechischen »Catechismus prout antiquo more« aus einer römischen Handschrift, den der Patriarch am Freitag vor Ostern vor den Taufkandidaten halten sollte: »Nun steht im Westen der Teufel: knirschend mit seinen Zähnen, die Haare schüttelnd, in die Hände klatschend, sich in die Lippen beißend, heulend vor Wut, beklagt er seine Einsamkeit und missgönnt Euch Eure Freiheit. […] Im Westen steht der Teufel, wo der Anbeginn der Dunkelheit ist. Sagt ihm ab und haucht ihn an! Dann aber werdet Ihr Euch nach Osten wenden und mit Christus verbinden. Keiner soll ihn geringschätzen! Steht voller Ehrfurcht! Alle, die in seiner Anwesenheit sein werden, sind voller Ehrfurcht und Schrecken. Alle Mächte der Himmel sind anwesend, alle Engel und Erzengel; […] Aus den Himmeln beugen sich Cherubim und Seraphim herab; […].«64

Der Teufel selbst also zeigt ebenjene unkontrollierten Exaltationen, die S­ ulpicius Severus den energumenoi zuschreibt. Das expressive Verhalten der mania im 61 Dölger, Sonne der Gerechtigkeit, S. 2–13, 30–33. 62 Ewig, Kathedralpatrozinien, S. 274–277, 316; vgl. unten, Kap. VII.1.2. 63 Dölger, Sonne der Gerechtigkeit, S. 119–124. 64 Goar (Hg.), Euchologion, S. 279 f. (lat. Übers. Goars): »[…] in Occidente diabolus stat frendens dentibus, comas vellens, complodens manus, labia mordens, furens ejulat, solitu­ dinemque deplorat, & in libertate vestra despondet animo; […] in Occidente stat diabolus ubi tenebrarum principium est. Renunciate ipsi, & insufflate in eum. Tum vero convertamini ad Orientem, & Christo conjugamini: nullus contemnat: state cum tremore. Cuncta quae in praesenti fiunt, tremenda sunt & horrenda. Cunctae virtutes caelorum hic adsunt; omnes Angeli & Archangeli; […] inclinant e caelis Cherubim & Seraphim.« Alter und Provenienz des Textes sind unbekannt bis auf die Angabe »ex Barberino MS. Sancti Marci«. Dölger, Sonne der Gerechtigkeit, S. 13, hält ihn für frühmittelalterlich. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Sinne der dämonischen Besessenheit der Ungetauften spiegelt die ordnungslose Wut des Satans. Und die performative conversio befreit den Menschen aus der bezwingenden Macht dieser teuflischen Exaltationen. Der platonische enthu­ siasmos, die Ekstase, wird hier zur Wut des Teufels über seinen Macht­verlust. Und diese ist kontrastiert mit den himmlischen Heerscharen, die sich dem Taufkandidaten zuwenden. Freilich: Vom himmlischen Reigen ist hier nicht die Rede, wie ja auch der Teufel nicht tanzt. Wohl aber zeigt er ein ganzes Repertoire anderer Zeichen motorisch-emotionalen Kontrollverlustes, im Gegensatz zur vollendeten Ordnung der Engel. So formuliert das frühe Christentum in seiner Tauftheologie eine perfor­ mative Option, mit der Christen in Zukunft Schwellenzustände drohenden Heilsverlusts ausagieren konnten: Wer in die Nähe des Satans und seiner Mächte geriet, der zeigte dies seiner Umgebung in unkontrollierten, zwang­ haften Exaltationen aller Art, in Selbstverletzungen, Zuckungen, tierähnlichen Geräuschen und unbändigen Gefühlsäußerungen. Diese Motivik hatte ihre Vorlage nun zum Ersten in biblischen Schilderungen des Satans und der Dämonen, zumal des Jüngsten Gerichts, etwa in dem Wort Jesu über das Gleichnis vom guten Samen und dem Unkraut (Mt 13,41–43).65 Zum Zweiten konnte sie auf die platonische Doppelstruktur der mania rekurrieren: Die unkontrollierte, zwanghafte Form wurde mit dem Habitus des biblischen Satans kombiniert und so zum Zustand der inhärenten Besessenheit umdefiniert, wie er allen Menschen außerhalb des Heils eigen war. Zum Dritten bildete die unkon­ trollierte Expressivität des Heilsverlusts ein perfektes Negativbild jenes habituellen Ideals der »Mäßigung« (modestia), das schon die stoische Philosophie gefordert hatte und nun auch die christliche Ethik übernahm. »Hysterische« Verhaltensweisen aller Art im Allgemeinen und Tanz im Speziellen, die Raserei der m ­ ania also, waren damit als performative Realisierung von Liminalität konzipiert. Eine solche Verhaltensoption bezog ihre Attraktivität nicht zuletzt aus der Ambivalenz, die dem Reigen als Nachvollzug der platonischen Kosmologie weiter innewohnte: Während die asketische Theologie den enthusiasmos kon­sequent als Teufelswerk disqualifizierte, funktionierte Tanz in benachbarten Diskursen weiter als Ritual der Rekonziliation und Kommunikation mit den höheren Mächten. Wer seine Heillosigkeit ausagierte, konnte also innerhalb der gleichen Handlungslogik auch auf göttliche Abhilfe hoffen, bzw.: Er konnte den Klerus dazu bringen, durch Exorzismen und andere spirituelle Zuwendungen das Heil wiederherzustellen.

65 »Der Menschensohn wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen. Dann werden die Gerechten im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchten.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Die Exorzismus-Erzählungen, wie sie Sulpicius Severus paradigmatisch formuliert hatte, rekurrieren, so Rousselle, auf gleichzeitige pagan-neoplato­nische Konzeptionen von göttlicher Inspiration,66 im Kern: auf die Theurgie des »göttlichen Jamblichus«, der Julian »Apostata« so tief beeinflusst hatte.67 Der ­theurgos kann mit den Göttern kommunizieren und den Zustand und Prozess der göttlichen Inspiration bzw. dämonischen Besessenheit steuern. Wie der christliche Exorzist agiert er dabei nicht durch Magie, er hat also keine durch Zaubermittel bedingte Macht über die höheren Wesen. Die Inspirierten bzw. Besessenen ihrerseits zeigen verschiedenste Symptome, von totaler Ruhe bis zu expressiver körperlicher Bewegung, manchmal Levitationen (Schweben über dem Boden), manchmal konvulsivische Zuckungen oder auch Tanz: »[III.5] Es gibt aber viele Gattungen der göttlichen Besessenheit und die göttliche Inspiration erregt sich auf vielerlei Weise, woraus sich denn auch viele voneinander verschiedene Merkmale der Inspiration ergeben müssen; denn einerseits sind schon die Gottheiten, von denen wir inspiriert werden, verschieden und rufen demgemäß auch verschiedene Gattungen der Inspiration hervor und andererseits gestaltet die wechselnde Art […] der Inspiration auch ihre äußern [!] Erscheinungsformen wechselnd: Entweder nämlich hat der Gott uns (völlig) in Besitz genommen (auch gewaltsam gegen unseren Willen) oder wir selbst werden (freiwillig) dem Gott ganz zu eigen […] oder wir betätigen uns in einer Weise, an der auch der Gott gemeinsam mit uns Anteil hat. […] und bald kommt es (so) nur zu einer Anwesenheit, bald zu einer Gemeinschaft, bald aber auch zu einer Vereinigung mit diesen inspirierenden Gottheiten; denn entweder genießt die Verzückung nur unsere Seele allein, oder sie hat zusammen mit dem Körper daran Anteil, oder es genießt sie auch das ganze Lebewesen in seiner Gesamtheit […]. Demzufolge sind aber auch die Merkmale der Inspiration vielgestaltig: Denn es kommt dabei einerseits zu Bewegungen des (ganzen) Körpers oder auch nur gewisser Körperteile […], andererseits aber auch zu völliger Be­wegungslosigkeit; auch hört man harmonische Sätze […], Tanzweisen und melodische Stimmen oder auch das Gegenteil […]; ferner sieht man den Körper […] an Höhe oder Breite zunehmen oder auch in der Luft schweben, doch zeigt sich auch hier wieder das Gegenteil davon. Auch läßt sich eine Stimme vernehmen, entweder von immer gleichbleibender Stärke und Tonhöhe oder auch durch dazwischen einsetzendes Verstummen mannigfach verändert, auch ganz ungleichmäßig, weil die Töne bis­ weilen bald musikalisch anschwellen, bald sinken und sich manchmal auch noch in anderer Weise verändern. [III.6] Das weitaus Wichtigste aber ist der Umstand, daß der, der die Gottheit herabbannt, das herniedersteigende und […] einfahrende geistige Wesen […] sogar auch sieht, wie groß und von welcher Art […] es ist, und daß es ihm in […] geheimnisvoller Weise Folge leistet und sich von ihm leiten läßt. […] Dadurch wird auch das wahrste […] Wesen, die ganze Machtfülle und die Rangstellung des Göttlichen […] erkennbar

66 Rouselle, Croire et guerír, S. 138 f.; Stancliffe, Saint Martin, S. 217–225. 67 Vgl. oben, Kap. II.2.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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und endlich auch, worüber es den […] Eingeweihten Wahrheit zu verkünden und welche […] Energie es ihnen zu gewähren […] vermag. […]«68

Dieses Schlüsselwerk des paganen Neoplatonismus und der spätantiken Astral­ religion lieferte demnach das Vorbild für die Darstellung von Exorzismen in der mittelalterlichen christlichen Hagiographie, und ebenso ein Modell für die Wahrnehmung von Tanz als Verhaltensmuster auf den Grenzen zwischen Heidentum und Christentum, zwischen Profanraum und ecclesia. Freilich sind gegenüber der Analogiebildung bei Rouselle einige einschränkende Anmerkungen angezeigt: Für Jamblichus sind die höheren Wesen – Götter, Dämonen, Heroen, Geistwesen – an sich weder gut noch böse. Böse werden ihre Wirkungen erst durch ataktisches Verhalten der Menschen, durch Störungen der Ordnung.69 Der christianisierte theurgos bei Sulpicius Severus hin­gegen hat es mit eindeutig bösen Dämonen zu tun, sind die alten Götter ihm doch nur Ausgeburten des Teufels. Folgerichtig beherrscht der christliche Exorzist die Dämonen, weil sein (einziger) Gott ihm die Macht über sie zugesteht, während der heidnische theurgos die höheren Wesen eben nicht (im Sinne der sympa­ thetischen Magie, die Jamblichus ja gerade ablehnte) beherrschte, sondern mit ihnen vermittels seiner Kenntnis der Symbole kommunizierte.70 Sulpicius beschrieb die Besessenheit der Taufkandidaten also nach dem Vorbild des Jamblichus. Sein thaumaturgischer Heiliger jedoch agierte eher nach dem von Plotin und Porphyrius formulierten Muster: Die Dämonen sind böse Mächte in der materiellen Welt, über die er bestimmen kann. Dass diese Macht über die niederen Geistwesen letztlich immer von dem »Höchsten« ausgehe, hätte allerdings auch Jamblichus bestätigt. Wie etwa Augustinus  – Porphyrius rezipierend – die »Theurgie« als satanische Täuschung verurteilte,71 so verwendete auch Sulpicius sie weniger als direktes Vorbild, sondern eher als Folie, durch deren christliche Umdeutung er seinen wundertätigen Heiligen profi­ lieren konnte. Erst Pseudo-Dionysius Areopagita sollte das von den Kirchenvätern strikt abgelehnte Konzept der Theurgie affirmativ aufnehmen als Erklärung für die Wirksamkeit des logos bzw. der Trinität im Kosmos, derer die Seele in der kontemplativen Teilhabe am Himmelsreigen teilhaftig werden könne.72 Ebenso trennen zwei entscheidende Bedeutungsverschiebungen Jamblichus und den mittelalterlichen Exorzismus gleichermaßen von den christlichen Imaginationen von Tanz als mania: Erstens werden die vielgestaltigen körper­lichen Ausdrucksformen der Inspiration bzw. der Besessenheit eingeschränkt auf den 68 Hopfner (Übers.), Jamblichus, Buch III, Kap. 5 f., S. 73 f.; vgl. die engl. Übers.: Clarke/ Dillon/Hershell (Hg.), Iamblichus, Buch III, 5 und 6, S. 130–133. 69 Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 176–178. 70 Vgl. oben, Kap. II.2.2. 71 Miller, Measures of Wisdom, S. 487. 72 Ebd., S. 505–508. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Tanz – eine Fokussierung, die zumal bei der Ausformulierung des TanzfluchMotivs in der Vita Eligii und in der Kölbigker Legende zu beobachten sein wird.73 Beim Tanz von Kölbigk wie in der Passio Domitillae werden Dämonen oder Besessenheit zudem nicht einmal erwähnt. Diese Verschiebung dürfte ihren Grund in einem erneuten direkten Rückgriff auf die Korybanten und andere Gruppenreligionen haben, die bei den Kirchenvätern immer wieder stereotyp thematisiert wurden. Denn zweitens wird in diesen späteren Fällen die Ergriffenheit durch die höhere Macht nicht mehr positiv als enthusiasmos begriffen, oder wie in der christlichen Dämonologie negativ als »Besessenheit«, sondern als göttliche Strafe für blasphemisches oder heilsfernes Verhalten. Neben den enthusiasmos, der ja durchaus auch für die christliche Mystik traditionsbildend werden sollte, und die dämonische Besessenheit tritt also als eine dritte, selbständige Form der Tanz als mania. In der Passio der Domitilla ist dieser unfreiwillige Tanz als tödliche Unterworfenheit unter die falschen Götter erstmals ausformuliert. In der Rezeption der »Theurgie« des Jamblichus bei Sulpicius Severus und anderen Autoren des 4. und 5. Jahrhunderts sollte diese Konzeption weiter durchgeformt werden. Von ihnen ausgehend beeinflusste diese Konzeption auch abseits des sich entwickelnden Tanz-Diskurses massiv die Art, wie christliche Verfasser über Besessenheit und Exorzismus schrieben. Aus diesem diskursiven Umfeld, aus der Dämonologie, konnte diese Motivik dann auch immer wieder neu in die Weiterentwicklung der Tanzwut ein­f ließen. Dieser Transfer ist in enger Wechselwirkung zu sehen mit der Umformung solar- und astralmythologischer Motive in der fränkischen Christianität. Dass er einem im hellenistischen Christentum der Spätantike verbreiteten Denk­muster entsprach, beweist ein Fall, der sich gut 150 Jahre nach Sulpicius Severus am östlichen Rand des Imperiums abspielen sollte, an der Grenze zum Perserreich.

V.2.3 »Wie Besessene«: Der Fall Amida In seiner zu Recht vielgelobten Studie über »Das andere Zeitalter Justinians« (2003) vergleicht Mischa Meier das Verhalten der Bevölkerung des Oströmischen Reiches unter dem Eindruck der persischen Bedrohung und wiederholter Pest-Epidemien mit der Tanzbewegung von 1374 im Rheinland, wie sie George Rosen 1969 und Frantişek Graus 1987 geschildert hatten. Dabei kommt Meier ohne jeden Rekurs auf die Tanzwut-Rezeption bei Rohde, Dodds oder Lawler aus, deren Gegenstand, die ekstatischen Rituale der paganen Erlösungsreligio­ nen, sich ihm also offenbar nicht für einen Vergleich mit dem 6. Jahrhundert aufdrängte. Und doch steht seine Argumentation in der Tradition der psychologischen Herangehensweise Dodds’: Das »andere Zeitalter Justinians« ist 73 Vgl. unten, Kap. V.3.4. und VI. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Meier zufolge vor allem ein »Zeitalter der Angst«.74 Er zitiert damit Eric Robertson Dodds’ Studie über Formen religiöser Erfahrung im 2. bis 4. Jahrhundert: »­Pagan and Christian in an Age of Anxiety« (1963).75 Das Verhalten der Bevölkerung in Krisensituationen werde, so Meier einleitend, von den klerikalen Quellen als abnorm und verwerflich wahrgenommen. Es sei jedoch im Wahrnehmungshorizont der Zeitgenossen als Ausdruck »rationale[r] Strategien des Umgangs mit Kontingenz« zu bewerten, »[…] auch wenn [es] uns auf den ersten Blick als höchst irrational anmute[t]«.76 In diesem Sinn weist Meier auf die Parallelen in den religiösen Bewältigungsstrategien des 6. und des 14. Jahrhunderts hin. Umso erstaunlicher ist, dass er dabei zu dem Schluss kommt, die Pest habe in beiden Untersuchungszeiträumen gleicher­ maßen »Massenhysterien« ausgelöst.77 Der methodische Vorsatz, die etische Perspektive des modernen Betrachters zugunsten einer Analyse der emischen Logiken des Handelns aufzugeben, bleibt damit uneingelöst. Wenn etwa Johannes von Ephesus (507–588)78 berichtet, die Einwohner von Konstantinopel hätten als Abwehr gegen die Pest drei Tage lang Tontöpfe aus den Fenstern geworfen, stellt Meier nur kursorisch Erwägungen über etwaige apotropäische Funktionen dieses Verhaltens an, um sich dann auf die Diagnose einer »Massenhysterie« zurückzuziehen.79 Eine religionsanthropolo­ gische Untersuchung dieser Quelle könnte und müsste doch genauer fragen, wie man sich die Akteure und ihre Praktiken konkret vorzustellen hat, welchen Sinn diese Praktiken gehabt haben könnten, und auch, weshalb der Verfasser in dieser Form über sie spricht. Präzise Antworten auf diese Fragen werden vielleicht schwerlich zu erbringen sein. Doch selbst, wenn man das Verhalten der Leute von Konstantinopel als pathologisch qualifizieren wollte, wäre zu fragen, warum sie so und nicht anders reagierten, ihr Verhalten so und nicht anders dargestellt wurde. Wenn Johannes von Ephesus als Ursache dieser Praktiken ausdrücklich dämonische Einflüsterung angibt, sollte man dies für ein anthro­pologisches Verständnis der Quelle nicht ignorieren. Der Rekurs auf das an­geblich wissenschaftliche Konzept »Massenhysterie« fungiert demgegenüber als diskursive Leerstelle, die ein Verständnis nicht befördert, sondern gerade blockiert.80 74 Meier, Das andere Zeitalter, S. 424. 75 Dodds, Pagan and Christian; dt.: Ders., Heiden und Christen. 76 Meier, Das andere Zeitalter, S. 377, unter Berufung auf Neithard Bulsts Studien zum Verhalten in Pestzeiten im Spätmittelalter. 77 Ebd., S. 382–387. 78 Über ihn vgl. Witakowski (Übers.), Pseudo-Dionysius, S. xxvi f.; Harvey, (Art.) Johannes von Ephesus; Morony, ›For whom does the writer write?‹, S. 59–64, 78–84. 79 Meier, Das andere Zeitalter, S. 380 ff. mit Anm. 188; vgl. die als Fragment in der syrischen Chronik des Pseudo-Dionysius erhaltene Textstelle: Witakowski (Übers.), Pseudo-Dionysius, S. 97 f. 80 Zur diskursiven Formierung von »Hysterie« und »Massenhysterie« vgl. oben, Kap. I.2.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Einen direkten Vergleich mit der spätmittelalterlichen Tanzwut (bzw. dem mediävistischen Forschungsstand über diese) stellt Mischa Meier für die Ereignisse in der nordmesopotamischen Stadt Amida (heute Diyarbakir/Türkei) im Jahr 560 an.81 Die Bedrohung durch die nahen Perser, Pest, Hungersnöte und die Monophysitenverfolgung führten hier zu Ausschreitungen der Bevölkerung gegen die asketischen Heiligen Männer, die ihre Legitimität als Beschützer der Stadtgemeinde eingebüßt hatten. Als Gerüchte über einen persischen Angriff die Runde machten, bildeten sich – wiederum Johannes von Ephesus zufolge – umherziehende Gruppen, die Tierlaute von sich gaben, einander bissen, sangen oder Hörner und Trompeten nachahmten. Auch sei es zu sexuellen Ausschweifungen gekommen. Die Beteiligten hätten sich nachts »auf Fried­höfen« aufgehalten, wie in Trance geredet, Lachanfälle gehabt oder obszöne Flüche ausgestoßen. Sie seien wild in den Straßen herumgesprungen, hätten Wände bestiegen, sich kopfüber aufgehängt, sich nackt auf dem Boden gewälzt. Viele hätten ihr eigenes Haus nicht wiedererkannt. Kurz: Man »benahm sich normwidrig« (Meier). Angeblich planten die Beteiligten, die Bevölkerung der Stadt aus­zurotten. Die »wenigen gesund Gebliebenen« schafften die »Rasenden« in die Kirchen, wo diese ihr Verhalten fortsetzten. Im Laufe eines Jahres gelang es jedoch mit Diät und guter Pflege, sie wieder zur Vernunft zu bringen. Anschließende Bußaskese und eine Pilgerfahrt nach Jerusalem führten zur Wiederherstellung der Ordnung. Andere Städte, etwa Constantina und Edessa, seien weniger stark von dieser »Massenhysterie« betroffen gewesen. Johannes von Ephesus erklärt diese Ereignisse als Folge von dämonischen Einflüssen und einer Strafe Gottes.82 »In der Tat«, so Meier, »wird man vor allem im Versagen religiöser Deutungsmuster die Ursachen der Massenhysterie in Amida zu sehen haben.«83 Aber versagten hier wirklich die religiösen Deutungsmuster?84 Verstellt die pauschale Diagnose »Massenhysterie« nicht eher den Blick darauf, dass das Verhalten der Amidener und seine Darstellung bei Johannes von Ephesus eben durch reli­giöse Deutungsmuster geprägt waren und vor diesem Hintergrund durchaus verständlich werden? Sehr zu Recht stellt Meier fest, dass dem Verhalten der »Rasenden« nicht Wahnsinn, sondern »eine ganz eigentümliche Rationalität« zugrunde lag, »die an der Negation christlicher Normen und Moralvorstellungen orientiert war«.85 81 Meier, Das andere Zeitalter, S. 412–423; vgl. Witakowski (Übers.), Pseudo-Dionysius, S. 105–107. 82 Meier, Das andere Zeitalter, S. 418, 420. 83 Ebd., S. 419. 84 Vgl. ebd., S. 377 f.: »Eben darum wurden diese Vorfälle von Johannes festgehalten, weil sie über seine eigene Integration des Geschehens in existierende Deutungsmuster hinaus­ gingen und für ihn somit unverständlich und verabscheuenswürdig erscheinen mussten.« 85 Ebd., S. 420. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»Folgerichtig«, so Meier weiter, »führte nach dem Abklingen der Hysterie der Weg zurück in die ›Normalität‹ über Gebete, Bußgesten und Pilgerzüge.«86 Meier interpretiert also die von Johannes von Ephesus beschriebenen Ausdrucksformen als performative Inversion christlicher Werte und zugleich als Negation der Staatsgewalt. Warum aber löst er sich nicht von der Pathologi­ sierung als »Massenhysterie«? Schreibt er damit nicht die Perspektive der angegriffenen Ordnungsmächte Kirche und Staat fort? Die Ereignisse des 6. Jahrhunderts als politisches Aufstandshandeln zu deuten, ist doch schon eine Übersetzung in die Semantik des 21. Jahrhunderts. Für Johannes von Ephesus waren die Ausschreitungen der Amidener keine politische Demonstration, sondern Folge dämonischer Besessenheit. Meier überträgt diese zeitgenössische Kausalannahme einerseits in die sozialpsychologische Kategorie »Massenhysterie«, andererseits in die politische Kategorie »Protest«. Er konstruiert damit etische Erklärungen für Ereignisse, die eher dem modernen Wissenschaftler als dem Chronisten des 6. Jahrhunderts unverständlich sind. Für eine anthropologische Befragung der Quelle läge doch gerade hier der Schlüssel: Was Berichterstatter, Obrigkeit und Bevölkerung geteilt haben dürften, war der Glaube an die Wirksamkeit des Teufels und seiner Dämonen in der Welt. Sie übten ihre Macht besonders über all jene aus, die noch nicht oder nicht mehr das Heil erwarten konnten, die noch nicht durch die Taufe in der ecclesia aufgehoben oder nach einer schweren Sünde zurückgefallen waren in die temporäre Heilsferne der Büßer. Für diesen liminalen Zustand der Besessenheit an der Schwelle zur ecclesia formulierte die neoplatonisch inspirierte Theologie seit dem 5. Jahrhundert einen performativen Motivcodex, den die Amidener bei J­ ohannes von Ephesus nur verwirklichen mussten. Phasenweise scheinen die Dämonen selbst aus ihnen zu sprechen: »(Brought) together in the churches they were seen (to act) in various ways, some of them behaving like mad dogs and foaming (at the mouth), others brawling and speaking gross words as if demoniacs, saying: ›There are so and so many myriads of us.‹ […]«87

»Wie Besessene« also sprechen die Amidener, und was sie sagen, evoziert die Vorstellung von den zahllosen Dämonen in der Welt. Johannes von Ephesus zufolge absolvieren die Bewohner der bedrohten Stadt also ein performatives Programm, das sie als außerhalb der ecclesia stehend markiert. Die »Rasenden« von Amida agieren also den Zustand des Heilsverlusts aus, in dem sie sich an­gesichts der vielfältigen Bedrückungen ihrer Zeit sahen. Konkreter: Sie sahen sich als von Dämonen Besessene und verhielten sich auch so: daher die performative Überschreitung der Grenze zum Tierischen, daher die körperlichen und akus­ tischen Exaltationen und das obszöne Verhalten, daher die Inversion der christ 86 Ebd., S. 421. 87 Witakowski (Übers.), Pseudo-Dionysius, S. 105. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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lichen Askesenormen, daher auch die ihnen unterstellte Mordverschwörung gegen die »Gesunden«, daher schließlich die gelingende spirituelle »Therapie«. Daher aber auch die auf den ersten Blick frappierenden Übereinstimmungen der Schilderung des Johannes von Ephesus mit Quellen zu den Tanz­ bewegungen des späten Mittelalters.88 Im spätantiken Christentum wurde offenbar eine Konzeption für die Wahrnehmung des liminalen Zustands an den Grenzen der christlichen Heilsgemeinschaft ausformuliert, die noch die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Tanzwut prägen sollte. Die Analogien sind also nicht vorschnell als Übereinstimmungen einer Krankheitssymptomatik zu verstehen, sondern als Ausdruck eines diskursiven Formierungs­ prozesses, in dessen Kontext beide Ereignisse und die Art, wie klerikale Quellen sie beschreiben, gleichermaßen stehen. Sie sind demnach gerade nicht quellenkritisch als Indiz für eine Faktizität der Schilderungen des Johannes von Ephesus verwertbar.89 Vielmehr wäre hier zu fragen, inwieweit der theologische Diskurs über die inhärente dämonische Besessenheit aller Menschen außerhalb der Heilsgemeinschaft im Mesopotamien des 6. Jahrhunderts nur einer Wahrnehmung der klerikalen Eliten entsprach, oder ob er auch von den Leuten auf der Straße geteilt wurde. War Letzteres der Fall, so wäre mit Meier an einer Nähe der Quelle zu den historischen Ereignissen nicht grundsätzlich zu zweifeln. Folgt man Meier, so war das Verhalten der Amidener eine Reaktion auf den Zusammenbruch der Schutzfunktion von Imperium und Militär einerseits, der hochverehrten Heiligen Männer andererseits. Als sowohl staatliche als auch spirituelle Hilfe ausblieb, fielen die Gläubigen in einen Status der Heillosigkeit, den sie performativ ausagierten. Stärker in Betracht zu ziehen wäre wohl, dass Johannes von Ephesus ein Anhänger des Miaphysitismus war und die Ereignisse in Amida als Folge der wiederholten Verfolgungen durch die chalkedonische Kirche und den oströmischen Staat sah.90 Mit dieser Feindschaft, so ist vielleicht seine Anklage zu verstehen, riskierten Imperium und Kirche den Heilsverlust für die ganze Christenheit, wie er sich in der Raserei der Amidener bereits ankündigte. Das heißt nicht, dass die Rasenden nicht als »krank« wahrgenommen worden wären. Bezeichnenderweise gehörten zu der von den Nicht-Befallenen angewandten Behandlung auch diätetische Maßnahmen.91 Offenbar griff man 88 Meier, Das andere Zeitalter, S. 422 f., nach Harvey. Meier lehnt aber zu Recht eine vorschnelle Gleichsetzung ab. 89 So Meier, Das andere Zeitalter, S. 422 f. 90 Ebd., S. 421; nach Harvey, (Art.) Johannes von Ephesus, Sp. 555, entstand der dritte Teil der »Kirchengeschichte« in einer Phase intensiver Verfolgung der Gegner des Chalkedonense. 91 Witakowski (Übers.), Pseudo-Dionysius, S.  106: »When this became known, people stopped giving them oily food and wine to drink, giving them (only) bread and salt or dry pulses without any oil to eat, and ›posca‹ to drink.« (posca = »a beverage made of water and vinegar or a sour wine«, ebd., Anm. 446). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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dabei auch auf zeitgenössische medizinische Theorien zurück, die mania und enthusiasmos humoralpathologisch auf zu schwere Nahrung zurückführten.92 So hatte beispielsweise zwanzig Jahre vor den hier geschilderten Ereignissen der aus Amida stammende, am Hof Justinians tätige Arzt Aëtius (um 500 – um 570) die mania in vergleichbarer Weise geschildert.93 Die Beschreibung bei Aëtius war nun nicht direkt Vorlage für die Schilderung des Johannes. Auch die diätetischen Empfehlungen des kaiserlichen Leibarztes wurden in seiner Heimatstadt nicht berücksichtigt, hatte er doch unter anderem verschiedene Ölspeisen empfohlen.94 Dass man die von Dämonen geplagten Amidener mit einer Diät behandelte, macht jedoch deutlich, dass im religiösen Diskurs des Frühmittel­ alters der Gegensatz »Verderbnis/Seelenheil« eng mit Konzepten von körper­ licher Krankheit/Gesundheit verknüpft war. Die moderne Qualifikation als »Massenhysterie« verdeckt diese spezifische Logik und erschwert somit ein Verständnis der Quelle. Die »dämonische Besessenheit« als Erklärung ist nicht akzidentiell (oder gar »irrational« und somit auszuscheiden, wie Meier insinuiert), sondern markiert den Kern der Erzählung: Die Amidener in Johannes’ Schilderung sind gefangen im Zustand des Heilsverlusts. Und sie verwirklichen diesen Zustand performativ durch die vielfältige Inversion der christlichen Verhaltensnormen im Zeichen der »­Besessenheit«. Deutlicher wird dies, wenn man versucht, den Blick nicht auf die Übereinstimmungen mit der spätmittelalterlichen Tanzwut zu richten, sondern auf die Unterschiede: Der nächtliche Aufenthalt an Gräbern etwa bedeutete im 6. Jahrhundert keineswegs dasselbe wie im 14. Jahrhundert. »Friedhöfe«95 als geweihte Sakralräume gab es am Ende der Antike noch nicht, wohl aber das Erzähl­ motiv der heidnischen Totenwache als Negativfolie zur christlichen m ­ emoria.96 Der nächtliche Aufenthalt im coemeterium97 war also keine blasphemische 92 Vgl. oben, Kap. II.3.3. 93 Olivieri (Hg.), Aetii Amideni Libri medicinales, S. 136 ff.; zur Person vgl. Wegner, (Art.) Aetios von Amida, S. 16. 94 Aetii Tetrabiblos, Sermo 2, Cap. VIII, S. 270–273, hier bes. S. 272. 95 Meier, Das andere Zeitalter, S. 420 f.; Witakowski (Übers.), Pseudo-Dionysius, S. 105: »[…] rushing here and there, in the night to the cemetery […]«. Eine Diskussion auf Grundlage der englischen Übersetzung der im Original syrischen Fragmente des Johannes von Ephesus in der ebenfalls syrischen Chronik von Zuquin (bei Amida, 9. Jh.) macht anachronistische Bedeutungsverschiebungen wahrscheinlich und zugleich ihre Korrektur beinahe unmöglich. 96 Zum angeblichen heidnischen Totenkult vgl. nur Braekman, Dansomanie, S.  350; ­Meinecke/Schmidt-Wiegand, (Art.) Indiculus superstitionum, Sp.  379 f.; Zimmermann, Engelsreigen, S. 58 f.; zur Gegenüberstellung mit der christlichen memoria vgl. Diefenbach, Römische Erinnerungsräume, S. 55–61; zur Funktion christlicher Superstitionskonstruktionen vgl. oben, Kap. III.2.2. 97 Zum frühchristlichen Umgang mit dem Bestattungswesen vgl. nur Zadora-Rio, ­Making of Churchyards; Bullough, Burial, Community and Belief; zum Bedeutungswandel von coemeterium/cimeterium vgl. Lauwers, Naissance du cimetière, S. 116–125. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Entweihung,98 sondern eine erzählerische und/oder performative Markierung des Glaubensverlusts. 560 wurden die dämonisch Rasenden von den Gläubigen in die Kirchen geholt und dort gepflegt. Anders als im späten Mittelalter war das Kirchengebäude jedoch in der Spätantike noch nicht eindeutig als Sakralraum definiert. Der Versammlungsraum der Gemeinde war noch Teil der insgesamt zwischen Heil und Unheil stehenden diesseitigen Welt. Im späten Mittelalter hingegen bildete der Kirchenbau einen Teil der sakralen Sphäre, er war zumindest imaginativ eine Enklave des Reiches Gottes in der Welt. Exaltationen und Ausschweifungen in der Kirche bekamen so nun eine ungleich stärkere Problematik. Die Kirchengebäude, die bei Johannes von Ephesus offenbar noch pragmatisch als Krankenpflegestationen genutzt werden, standen den Tänzern des 14. bis 17. Jahrhunderts nur noch als Ort exorzistischer oder apotropäischer Rituale offen.99 Viel offensichtlicher ist jedoch eine weitere Differenz zwischen den Ereig­ nissen des Jahres 560 und denen des Spätmittelalters: Die Amidener zeigen performative Normenüberschreitungen aller Art, ihr Verhalten wird jedoch gerade nicht als Tanz beschrieben! Das »Springen« ist auch allenfalls ein unter­ geordneter Aspekt ihres Verhaltens. Die Diagnose »Massenhysterie« funktioniert nur, wenn man eben nicht nach den spezifischen Bedeutungen, ja: nicht einmal mehr nach den phänotypischen und diskursiven Besonderheiten fragt, sondern jedes einer fremden Logik folgende Verhalten unterschiedslos als »verrückt« subsumiert. Die Schilderung des Johannes von Ephesus über Amida dürfte im westlichen Europa nicht rezipiert worden oder überhaupt rezipierbar gewesen sein. Sie dokumentiert jedoch ein Denkmuster, das ganz ähnlich auch in der frühen gallisch-fränkischen Hagiographie auftritt: Zustände von Heilsferne werden mit Konzepten von dämonischer Besessenheit verkoppelt. Menschen in einem solchen Zustand wird daher ein habituelles Programm zugeschrieben, das den gängigen Anzeichen von Besessenheit entspricht. Damit bot sich in sozialen Krisensituationen eine Option der performativen Verwirklichung von Gottesferne. Das kollektive Überschreitungsverhalten in Katastrophensituationen ist nicht stressbedingte »Massenhysterie«, sondern die moderne Psychiatrie aktualisiert in der Sammelkategorie »Hysterie« eine Semiotik körperlicher Expressionen, die aus dem Symbolsystem des frühen Christentums stammt. Wie diese Performanz von Heilsferne in der merowingerzeitlichen Hagiographie weiterentwickelt wurde, zeigt die Vita des Bischofs Eligius von Noyon.

98 So Meier, Das andere Zeitalter, S. 420. 99 Zur sukzessiven Sakralisierung von Friedhof und Kirchengebäude vgl. unten, Kap. VI.5.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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V.3 Verbotener Tanz und erlaubter Tanz: Saltatio und tripudium bei Eligius von Noyon V.3.1 Die Predigt des Bischofs gegen Superstitionen und Blasphemien Dem Herausgeber Bruno Krusch folgend nahm man lange Zeit an, dass die heute bekannte Vita Eligii das Ergebnis einer Überarbeitung des 8.  Jahrhunderts sei und nur noch in Teilen auf den ersten Verfasser, Audoinus von Rouen, zurückgehe.100 So hat noch Yitzhak Hen gemeint, der intransigente Missionar und Heidenkämpfer Eligius sei erst ein Produkt der karolingerzeitlichen Stilisierung.101 Neuerdings jedoch hat Bayer überzeugend dafür plädiert, die Vita Eligii im Ganzen dem Bischof von Rouen zuzuschreiben. Nur wenige Zusätze stammen demnach nicht von Audoinus,102 der für seine Vita jedoch bereits auf frühere, kürzere Schriftzeugnisse über das Leben des Heiligen zurückgreifen konnte.103 Von vornehmer fränkischer Geburt, war Audoinus/Dado (frz.: Ouen; um 600–684) am Hof erzogen worden. Er stieg zu einem der wichtigsten Berater König Dagoberts I. (608/10–639) auf, empfing nach dessen Tod die Priesterweihe und bestieg bald den Bischofsstuhl von Rouen (640/41).104 Eligius (um 589–659/60), in der Nähe von Limoges in eine galloromanische Familie geboren, wird hingegen eine erstaunliche Karriere zugeschrieben: Nach einer Ausbildung als Goldschmied erlangte er Zugang zum Hof, wo er als Künstler für eine ganze Reihe von durch das Merowingerhaus gestifteten Reliquiaren und liturgischen Geräten verantwortlich zeichnete.105 Bald darauf wurde er zum Münzmeister ernannt und stieg zu einem der bedeutendsten Berater des Königs auf.106 Er gründete und beschenkte diverse Klöster107 und bemühte sich mit einer Reihe von Reliquienauffindungen und -­translationen um die Installierung kirchlich anerkannter Heiligenkulte.108 Nach dem Tod 100 Vgl. z. B. Prinz, Frühes Mönchtum, S.  133, 271, 490. Zur sprachlichen und literarischen Gestaltung vgl. allg. Westeel, Quelques remarques. 101 Hen, Culture and Religion, S.  196 f.; in Ders., Roman Barbarians, S.  110, Anm.  67, spricht er jetzt von einer Überarbeitung noch in merowingischer Zeit. 102 Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 462–475; so jetzt auch Berschin, Der heilige Goldschmied. 103 Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 478, 518. 104 Ebd., S. 462; Prinz, Frühes Mönchtum, S. 124, 127, 133, 490. 105 Prinz, Frühes Mönchtum, S. 38, 132–134; Schäferdiek/Berghaus/Vierck, (Art.) Eligius von Noyon, S. 148–159; allg.: Poulin, (Art.) Eligius. 106 Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 461 f.; Prinz, Frühes Mönchtum, S. 127, 133, 305 f., S. 498 bezeichnet Prinz Eligius als »Finanzminister« der Merowinger; Ewig, Die Merowinger, S. 124, 133, 141, 149 f., 157; Meriaux, Gallia irradiata, S. 61–72. 107 Prinz, Frühes Mönchtum, S. 40, 134 f. 108 Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 489; Fourarcre, The Work, S. 86–88. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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­ agoberts wechselte auch er in den Klerus und ließ sich zum Bischof von TourD nai und Noyon erheben (640/41). Sogleich nach seinem Tod wurde Eligius als Heiliger verehrt, was besonders von der Königin Balthild († 680) und seinem Freund und Hagiographen Audoinus gefördert wurde.109 Eligius von Noyon ist in der Forschung als ein entschiedener Kämpfer gegen pagane oder krypto-pagane superstitiones bekannt.110 Seine Vita schildert ausführlich die Missionstätigkeit im Norden des Frankenreiches. Vor allem sind unter dem Namen des Eligius zwei Musterpredigten über das rechte Leben des Christen erhalten: Die erste findet sich inseriert in seine Lebensbeschreibung, die zweite ist gesondert überliefert und wurde von Bruno Krusch als Anhang der Vita ediert.111 Außerdem findet sich unter dem Namen des Eligius ein längerer Tractatus de rectitudine catholicae conversationis.112 Audoinus von Rouen gibt an, den in die Vita integrierten Text als Anthologie aus den Predigten des Heiligen zusammengestellt zu haben.113 Es handelt sich jedoch, wie schon die Forschung des 19. Jahrhunderts erkannt hat, weitestgehend um eine Kompilation aus den Predigten des Caesarius von Arles (um ­470–542) und aus der Schrift De correctione rusticorum des Martin von Braga (um 515 – um 580). Die zweite, gesondert überlieferte Predigt erweist sich im Vergleich als eng verwandt mit dieser Zusammenstellung. Auch der Tractatus wiederholt viele Passagen aus diesem Exzerpt der Klassiker der PaganismusBekämpfung.114 Robert Austin Markus hat annehmen wollen, dass die Predigt der Vita nicht zur Erstredaktion gehöre, sondern erst im Zuge der von Bruno Krusch an­ genommenen Überarbeitung in der Mitte des 8. Jahrhunderts inseriert worden sei. Zur Zeit des Eligius hingegen seien die superstitiones-Predigten des Caesa­ rius und seiner Zeitgenossen kaum rezipiert worden.115 Dagegen geht die ältere Forschung davon aus, dass der Aquitanier Eligius die im früheren visigothischen Machtbereich weitverbreiteten Schriften des Caesarius von Arles und 109 Arnoldi, (Art.) Eligio. 110 Prinz, Frühes Mönchtum, S.  82, 477; Markus, End of Ancient Christianity, S.  210; Ders., From Cesarius to Boniface, S. 166 f.; Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 490, 514; Wenskus, Religion abâtardie, S. 228. Neben diesen ist unter dem Namen des Eligius eine 16 sermones umfassende Sammlung überliefert (ediert in PL 87, Sp. 593B–654A), die heute ins späte 9. oder 10. Jh. datiert wird, vgl. McCune, Pseudo-Eligius. 111 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Buch II, Kap. 16, S. 705–708; ebd., Appendix II, S. 749–761: Praedicatio Eligii de supremo iudicio (Text: S. 751–761). 112 Eligius Noviomagensis, De rectitudine catholicae conversationis tractatus, PL 40, Sp. 1169–1190. 113 Krusch (Hg.), Vita Eligii, Buch II, Kap. 17, S. 708. 114 Boudriot, Altgermanische Religion, S.  14, 59–62; Jecker, Heimat, S.  150 f., 163 f.; Schwab, Hirsch und Hindin, S.  110 f.; Prinz, Frühes Mönchtum, S.  477; Malmory, Saint ­Cesaire, S. 242–244; Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 490, 514. 115 Markus, End of Ancient Christianity, S. 210; Ders., From Cesarius to Boniface, S. 166 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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des Martin von Braga durchaus gekannt und für die eigene Predigttätigkeit verwendet haben dürfte.116 Fraglich ist in jedem Fall, inwieweit die Schilderungen auf konkrete rituelle Praktiken seiner nordgallischen Diözesanen abheben, oder ob sie nicht vielmehr von seinen Vorlagen übernommene Angaben über kulturelle Traditionen im arelatischen und visigothischen Raum reproduzieren.117 Dennoch wurde und wird die Musterpredigt der Vita Eligii immer wieder als Quelle für die religiöse Praxis der vorchristlichen germanischen Bevölkerung des nördlichen Gallien herangezogen.118 Bevor man diesbezüglich zu trag­ fähigen Aussagen wird kommen können, müssten also drei Fragen neu beantwortet werden: Erstens die nach der Textgenese und Datierung der Vita ­Eligii; zweitens die nach der Rezeption der Schriften des Caesarius von Arles und nach dem Realitätsbezug dieser Rezeption: Kann nicht auch die Wiederverwendung von Textbausteinen auf konkrete eigene Beobachtungen des Verfassers bzw. des Predigers reagieren? Drittens wäre zu klären, ob die Bevölkerung des nörd­ lichen Gallien nicht viel stärker von der spätantik-romanischen Kultur geprägt war als lange Zeit angenommen. Zunächst jedoch bleibt festzuhalten, dass die vieldiskutierten ­superstitiones nicht das alleinige Thema der angeblichen oder tatsächlichen Predigten des Eligius bilden: Die von Krusch gesondert herausgegebene längere Predicatio sancti Eligi [!] episcopi erwähnt die Werke des teuflischen Aberglaubens nur am Rande. Summarisch werden sie dem mit der Taufe geschlossenen Bund mit Gott gegenübergestellt.119 Ausführlicher geht der Tractatus de rectitudine catholicae conversationis auf die »paganorum sacrilegas« ein. Die minutiöse Aufzählung umfasst freilich auch hier nur eines von insgesamt 27 Kapiteln.120 Anders in der Musterpredigt der Vita: Sie entspricht, nach der allen drei Texten gemeinsamen Einleitungsformel, bei näherem Hinsehen dem eben erwähnten Kapitel aus dem ungleich umfangreicheren Tractatus und dem darauffolgenden über die heidnische Sonnen- und Sternenverehrung.121 Wie schon Wilhelm Boudriot

116 So noch Wenskus, Religion abâtardie, S. 228; Malmory, Saint Cesaire, S. 243; Jecker, Heimat, S. 164. 117 Vgl. oben, Kap. III.2.2. 118 Voss, Tanz, S.  83; Böhme, Geschichte des Tanzes, Bd.  1, S.  17; Stieren, Tänzersage, S. 10; Meinecke/Schmidt-Wiegand, (Art.) Indiculus superstitionum, S. 375 f. (mit Hinweis auf die Intertextualität); Riché, Danses, S. 160. 119 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, S. 751: »Considerate ergo, quale pactum cum Deo fecistis, et requirite apud vos ipsos, si post ista promissione opera maligni diaboli, cui renuntiaratis, secuti estis. Abrenuntiastis enim diabolo et omnibus pompis et operibus eius, id est idolis, sortibus, auguriis, furtis, fraudibus, fornicationibus, ebrietatibus et mendaciis. Haec sunt vero opera et pompae eius.« 120 Eligius Noviomagensis, De rectitudine catholicae conversationis tractatus, PL 40, Kap. 5 f., S. 1172 f. 121 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Buch II, Kap. 16, S. 705–708. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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angenommen hat, könnte der Tractatus also die Vorlage der Predigt in der Vita gewesen sein.122 Der Text bildet nichts weniger als einen umfassenden Katalog der aus frühmittelalterlichen Bußbüchern und Predigten bekannten Superstitionen und Blasphemien. Unter anderem heißt es da: »Keiner soll am Fest des heiligen Johannes oder bei den Feiern gewissser Heiliger die Sonnenwende oder Tänze oder Sprünge oder diabolische Gesänge aufführen. Niemand soll sich unterstehen, die Namen von Dämonen oder von Neptun, Orcus, Diana oder örtlichen Göttern oder anderen Eitelkeiten anzurufen oder an diese zu glauben.«123

Diese Passage entspricht den einschlägigen Bestimmungen seit Augustinus und den im frühen Mittelalter vielfach unter dessen Namen überlieferten Predigten des Caesarius.124 Ebenso ganz stereotyp ist die Wiederholung: »Denn teuflische Spiele und Tänze oder Gesänge vermeidet auszuführen; kein Christ tut dergleichen, weil er dadurch zum Heiden gemacht wird.«125

Der Hagiograph des Eligius stellt seinen Heiligen also ausdrücklich in die Tradition der Heidenbekämpfung seit den Kirchenvätern. Zum Fest Johannes des Täufers und zu anderen benachbarten Heiligentagen verbietet er Sonnenwendtänze, bzw. präziser: die Aufführung der Sonnenwende oder Tänze – also wohl einen performativen Nachvollzug des Solstitiums. Verboten ist außerdem die Anrufung der alten Götter, wobei unter anderem Neptun und Diana hervor­ gehoben werden. Beide Aspekte könnten im Frankenreich des 7. oder 8. Jahrhunderts von Interesse gewesen sein, weil sie auf die Rezeption paganer Mythologie in gelehrten Kreisen des Merowingerreiches verweisen.126 Erwähnt wird, dass manche magische Praktiken durchaus auch in volkstümlich christianisierter Form auftraten, was der Prediger jedoch ablehnt: »Keiner unterstehe sich, am Hals menschliche oder tierische Amulette zu tragen, auch wenn sie von Klerikern stammen, und auch, wenn gesagt wird, dass es sich um hei 122 Boudriot, Altgermanische Religion, S. 14. 123 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Buch II, Kap. 16, S. 705 f.: »Nullus in festivitate sancti Iohannis vel quibusque sanctorum sollemnitatibus solestitia aut vallationes vel saltationes aut cantica diabolica exerceat. Nullus nomina daemonum aut Neptunum aut Orcum aut Dianam aut Minervam aut Geniscum vel cetera huismodi ineptia credere aut ­invocare praesumat.« Hen, Culture and Religion, S. 107, vermeint, Eligius habe den Heiden die Feier Johannes des Täufers als Ersatz für ihre paganen Kulte angeboten. 124 Boudriot, Altgermanische Religion, S. 60. 125 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Buch II, Kap. 16, S. 707: »Ludos etiam diabolicos et vallationes vel cantica genitilium fieri vetate; nullus haec christianus exerceat, quia per haec paganus efficitur.« 126 Vgl. Wenskus, Religion abâtardie, S. 228, der hier Bezüge zum angenommenen vorchristlichen Sakralkönigtum sieht. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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lige Gegenstände handele und sie göttliche Verse enthielten: Denn in ihnen ist nicht die Heilkraft Christi, sondern das Gift des Teufels.«127

Ebenso auf der Höhe der theologischen Diskussion zeigt sich die Predigt, was die Verehrung des Mondes angeht: »[…] denn Gott hat den Mond dazu geschaffen, dass er die Zeit anzeigt und die Dunkelheit der Nacht mäßigt, nicht, dass er das Werk irgendeines Menschen behindert oder den Menschen verrückt macht, so wie die Dummen glauben, die meinen, an vom Mond her eingedrungenen Dämonen zu leiden. Keiner nenne also Sonne und Mond seine Herren oder schwöre bei ihnen, weil sie Kreaturen Gottes sind und den Bedürfnissen der Menschen auf Befehl Gottes dienen.«128

Auch hier die Worte des Caesarius aufnehmend, lehnt die Predigt also den Glauben an die Himmelskörper als Götter ab. Wie schon Augustinus klar­ gestellt hatte, sind auch Sonne und Mond nur Geschöpfe Gottes. Noch deut­ licher wird dies in den abschließenden Zeilen: »Es soll auch keiner glauben, dass der Himmel, die Sterne oder die Erde oder irgendeine andere Kreatur vor Gott anzubeten sei, denn alles hat er selbst allein geschaffen und eingerichtet. Hoch ist nämlich der Himmel, gewaltig die Erde, unermesslich das Meer, schön sind die Sterne, aber noch unermesslicher und noch schöner ist notwendigerweise der, der sie erschuf.«129

Dem Kompilator der Predigt in der Vita Eligii war es offensichtlich ein Anliegen, neben den bekannten und in der volkskundlichen Forschung gern thematisierten superstitiösen Praktiken auch die Sonnen- und Astralverehrung ausdrücklich zu sanktionieren. Wir können ihm unterstellen, dass er nicht zufällig auf ebendiese Passagen zurückgriff, die in der eigenständig überlieferten Predicatio nicht enthalten sind. Audoinus (oder ein Überarbeiter des 8. Jahrhunderts) wollte Eligius also auch als Streiter gegen die heidnische Astralmythologie herausstellen. Selbst die Herleitung der mania bzw. des enthusiasmos vom Mond wird ausdrücklich abgelehnt. Dass diese Vorstellung zur Zeit des Eligius und 127 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Buch II, Kap. 16, S. 706: »Nullus ad colla vel hominis vel cuiuslibet animalis ligamine dependere praesumat, etiamsi a clericis ­fiant, etsi dicatur, quod res sancta sit et lectiones divinas contineat, quia non est in eis remedium Christi, sed venenum diaboli.« 128 Ebd., S. 707: »[…] quia Deus ad hoc lunam fecit, ut tempora designet et noctium tene­ bras temperet, non ut alicuius opus inpendiat aut dementem faciat hominem, sicut stulti ­putant, qui a daemonibus invasos a luna pati arbitrantur. Nullus dominos solem aut lunam vocet neque per eos iuret, quia creatura Dei sunt et necessitatibus hominum iussu Dei inserviunt.« Zur Provenienz der Stelle von Caesarius vgl. die Anmerkungen von Krusch ebd. 129 Ebd., S. 708: »Non ergo caelum, non sidera, non terram nec ullam omnino creaturam praeter Deum ullus adorandam credat, quia omnia ipse solus condidit atque disposuit. Altum quidem est caelum, ingens terra, inmensum mare, pulchra sidera, sed inmensior et pulchrior sit necesse est qui haec creavit.« Für diese Passage gibt Krusch keine Parallelstelle. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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auch noch zu Beginn des 9. Jahrhunderts in fränkischen Klöstern bekannt war, belegt der wohl in Corbie entstandene Liber Glossarum.130 Am Schluss der Predigt stehen diese Zeilen wie die Quintessenz der vorhe­ rigen Aufzählung. Die Verehrung von Sonne, Mond und Sternen ist demnach für den Verfasser der in die Vita Eligii inserierten Fassung der Predigt der mythologische Hintergrund für die zuvor geschilderten superstitiones. Dies mag insbesondere für die »solestitia aut vallationes vel saltationes aut cantica diabolica« gelten, die die abweichende Predicatio ja ebenfalls nicht erwähnt. Dem Verfasser der Musterpredigt in der Vita (und des Tractatus) war der Zusammenhang von Tanz und Astralmythologie also bekannt, und er hielt beide Phänomene für zur Zeit und im Umfeld des Eligius relevant. Lehnte er damit also jede Form von Tanz und Reigen als blasphemisch oder superstitiös ab, wie die Forschung immer wieder angenommen hat? Bemerkenswert ist, dass die Vita an dieser Stelle von »vallationes« und »saltationes« spricht, nicht aber von choreis oder tripudia. Letzteren Begriff verwendet hingegen die unabhängig von der Vita überlieferte Predicatio in ihrer abschließenden Ermahnung: »Die himmlischen Gebote haben wir Euch gegeben. Nun ist es an Euch, zu bedenken, inwiefern unsere Ermahnung auf Euer Heil hin wirken soll, so dass Ihr immer den Willen Gottes erfüllend Euch von allem Übel hütet und erst recht frei von jeder Ansteckung durch die Sünde in die himmlischen Reiche tanzend einzugehen vermögt, was Euch unser Herr Jesus Christus gewährt, der mit demVater und dem Heiligen Geist lebe und herrsche in Ewigkeit.«131

Zumindest hier steht »trepudiare« also für den Eintritt der Gerechten in den himmlischen Reigen. Die Predicatio hat demnach nicht nur ein vergleichsweise geringeres Interesse an heidnischen Ritualen und Sonnenverehrung, sie kennt auch eine positive Vorstellung von Tanz: die seit den griechischen Kirchen­ vätern bekannte Sublimation des Reigens zum Bild für die ewige himmlische Harmonie der Erlösten mit den Engeln und dem einen Gott. Heißt das nun, dass die Vita jede Form des Tanzes ablehnte, während die Predicatio ihn als Imagination des Engelsreigens zulassen wollte? Dass die Vita die theologisch korrekte Verurteilung von Heliolatrie in Mythos und Kultpraxis formulierte, während die Predicatio sich eher kompromissbereit zeigte?

130 Heiberg (Hg.), Glossae medicinales, S. 30: »[…] isti sunt, quos lunaticos alii vocant, ­inmissione vel iracundia deorum est, sicut Diana in pugna arripiebatur Apollinis iracundia, aliquoties se in cursum velocem magna cum vociferatione.« Vgl. oben, Kap. II.3.3. 131 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Appendix II, S. 761: »Celestia ­vobis precepta tradimus: amodo iam vestrum est cogitare, quatenus et admonicio nostra effectum habeat salutis, ut semper voluntatem Dei facientes ab omni vos malo custodiatis atque demum liberi ab omne contagione peccati ad regna celestia trepudiantes pervenire pussitis, prestante domino nostro Iesu Christo, qui cum Patre et Spiritu sancto vivit et regnat in secula seculorum.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Eher kommt hier eine Differenz der Diskurse zum Tragen: Im zur Musterpredigt umformulierten Ausschnitt aus einem theologischen Traktat wurde mit dogmatischer Konsequenz der Paganismus disqualifiziert, während in der hagiographischen Legende die Verständlichkeit für das Publikum gewahrt werden, d. h.: die christliche Lehre in den alltäglichen Wahrnehmungshorizont übersetzt werden musste. Zwar bildete auch die Hagiographie zunächst einen Diskurs innerhalb des Klerus. Sie musste aber auch gegenüber Laien vermittelbar sein, auf narrative Persuasion abzielen, wo die Theologie normativ setzen konnte. Der Widerspruch zwischen der Strenge der fingierten Predigt und der Offenheit der legendarischen Erzählung könnte sogar zur Überzeugungskraft der Vita beigetragen haben, die so verschiedene Zielgruppen ansprach. Neben die teuflischen Einflüsterungen treten denn auch in diesem Heiligenleben fromme Formen der körperlichen Performanz, die durchaus nicht sanktioniert wurden. Denn auch die Vita Eligii trägt solarmythologische Züge, und auch sie denkt bei der Vokabel trepudiare an den himmlischen Reigen. Ja: Sie kennt sogar einen nicht-verwerflichen sakralen Tanz schon im Diesseits.

V.3.2 »veluti quondam David«: Der Tanz des Eligius Bisher wurde in der Forschung durchgehend übersehen, dass Eligius selbst seiner Vita zufolge zumindest einmal einen sakralen Tanz absolvierte: Bei der Translation von Reliquien des hl. Martial von Limoges nach Paris sprang er »­veluti quondam David« vor der Prozession her und bewirkte so die wunderbare Befreiung von vier Gefangenen aus ihrem Verlies:132 »Als er die Reliquien des Heiligen [in die neu erbaute Kirche] brachte, voller Demut, mit großem Triumph und großer Begleitung von beiden Geschlechtern, im Chor die Melodien der Psalmen und die süßen Modulationen der Antiphone singend, hielt es der Herr für angebracht, ein erinnerungswürdiges Wunder zu vollbringen. Eligius wurde eingegeben, mit den Reliquien einen Umweg zu gehen. Denn auf diesem Weg befanden sich vier geschlossene Kerker, in denen drei Wächter sieben Männer festhielten, seien sie nun unschuldig oder schuldig. Als Eligius sie passierte, jubelnd und tanzend vor dem Schrein mit den Reliquien wie einst David und begleitet von den jubilierenden Stimmen des Volkes, kamen sie auch zu dem Kerker. Plötzlich wurde der Träger der Reliquien wie von einem schweren Gewicht zu Boden gedrückt. Obwohl

132 Bis auf den umstrittenen »Astralmythologen« Jostes, Sonnenwende, Bd.  2, S.  617 f., 624 f., hat die Forschung diese Stelle der Vita ignoriert. Jostes zufolge geschah dieses Tanzund Befreiungswunder in Limoges. Die Vita erwähnt es jedoch im Kontext der Weihe eines von Eligius gestifteten Klosters in Paris, vgl. Bayer, (Art.) Vita Eligii, S.  482 f.; zur Rezeption dieser Passage im französischen Versepos »Miracles de saint Eloi« vgl. Sahlin, Étude, S. 159. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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die anderen ihn stießen und zogen, konnte er sich nicht einen Schritt weiterbewegen, wie er mit lauter Stimme beklagte. Und als die Umstehenden sich noch dessen wunderten, erschall in dem Gefängnis ein Donnern, und mit einer gewaltigen Explosion wurden die Mauern gesprengt. Und sogleich erschienen die Gefangenen an dem aufgebrochenen Tor mit allen ihren Fesseln gelöst. Da lösten sich die Füße des Reliquienträgers, und mit den Befreiten zogen sie weiter zur Kirche hin.«133

Der prominente Hofbeamte, Klosterstifter und spätere Bischof wird hier also als Erbe Davids dargestellt, des biblischen Gegenstücks zum antiken Orpheus (und damit Vermittlers der typologischen Gleichsetzung von Orpheus und Christus).134 Der tanzende David bildete den Anknüpfungspunkt für ganz verschiedene Deutungen, sei es als typologische Vorwegnahme der Fleischwerdung Christi,135 als Vorbild für den demütigen König (gerade in fränkischer Zeit)136 oder als Gegenbild zum sündigen Tanz der Salome.137 Zugleich wurde er zum Nachfolger des Dionysos selbst, der als eleutherius und lysios, als Ge­ fangenenbefreier, verehrt worden und so zum Vorbild vieler früher Heiliger geworden war.138 133 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Buch I, Kap. 18, S. 684: »Ubi cum eiusdem reliquias satis devotus cum magno triumpho magnoque utriusque sexus comitatu eum melodia psalmorum ac dulci modulamine antiphonarum chorus deferret psallentium, miraculum Dominus declaravit memoriae dignum; ob hoc enim et Eligius eadem via arripi fecerat cum pignoribus, cum potuisset prorsus aliunde pergere rectius. Erant igitur haud procul tramite claustra carceris tetri, ubi tenebantur septem viri sive innocui seu noxii, sub tertia custodia vincti. Cum ergo Eligius, veluti quondam David ante archam exultans atque trepudians, cum reliquiis et praefato agmine in voce exultationis praeteriret, mox ut ergastulo contra esse coeperunt, repente gestator pignorum gravi pondere depressus solo restitit fixus; quem eum singuli compellerent gressum quantotius movere, id se posse nullatenus voce publica est confessus. Dumque ita stantes singuli obstupescerent eventum rei, coepit vinctis in carcere quasi levis tonitruus audiri, et statim vis quaedam cum magno impetu adveniens totum valide nimis concussit carcerem ab imis. Confestim seris omnibus effractis nexibusque dissipatis, ostia obserata patuerunt inclusis. Ilico ergo vestigia depressa ferentes pignora levigarunt et rei carcerem ­egressi ecclesiam petierunt.« 134 Dietrich, David, S. 278–283; Herrero de Jáuregui, Orphism and Christianity, S. 115– 120; Bruggisser-Lanker, Musik und Tod im Mittelalter, S. 324–332; zu Orpheus als Präfiguration Johannes des Täufers vgl. unten, Kap. VII.1.3. 135 Bertaud, (Art.) Danse religieuse, Sp. 30. 136 Erkens, Herrschersakralität, S. 133 f., 141; Foatelli, Danses religieuses, S. 18 ff. mit Abb. S. 21 (Miniatur aus Bibel Karls des Kahlen); Hen, Roman Barbarians, S. 117 (über Chlotar II., Vater Dagoberts I., als »neuen David«). 137 Zimmermann, Engelsreigen, S.  302–311; vgl. allg. Harding, Investigation, S.  67 f.; ­Davies, Liturgical Dance, S. 40 f. 138 Jostes, Sonnenwende, Bd.  2, S.  616 f., 624 f.; zu Sarapis (Dionysos) als Gefangenen­ befreier: Merkelbach, Isis regina – Zeus sarapis, S. 84; Dionysos als Befreier durch Tanz: Miller, Measures of Wisdom, S. 133 f.; Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 482 f.; für Eligius als Gefangenenbefreier vgl. ebd., S. 484 f., 502 f.; Röckelein, Reliquientranslationen, S. 94; Scheibelreiter, Gallorömer, S. 123 f.; für Befreiungswunder allg. vgl. Graus, Die Gewalt; Günther, Psycho­ logie der Legende, S. 161–165. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Dass es sich bei diesem Davidstanz nicht allein um einen ins Mirakulöse gesteigerten bischöflichen Akt der Nächstenliebe handelt, legt die kuriose Beschreibung der Umstände nahe: Sieben Gefangene werden da von drei Wächtern in vier Kerkern gefangen gehalten. Das ist nun logisch vielleicht nicht auszuschließen, legt aber doch die Vermutung nahe, der Verfasser habe hier bewusst oder unbewusst ein astronomisches Zahlenspiel integriert: Die sieben Planeten oder auch die sieben kosmischen Sphären, die vier Himmelsrichtungen und vielleicht die drei Bewegungsformen der Sonne böten sich für eine Deutung an, allgemeiner: drei, vier, sieben (und zwölf) als die geläufigsten heiligen Zahlen der antiken Astronomie. Der »Dreisprung« (»trepudians«) des Eligius, der ja im platonischen Sinn die dreifache Sonnenbewegung und die triadische Ordnung des Kosmos nachvollzog, vermochte demnach durch perfekte syntaxis mit den Sphären die sieben Planeten aus der himmlischen Gefangenschaft zu befreien.139 Und das tripudium des Eligius steht nicht allein: Auch Adhemar von Chabannes erwähnt Tanzprozessionen zu Ehren Martials an seinem Hauptort Limoges.140 Folgt man Pierre Riché, so war in frühkarolingischer Zeit der Tanz als Ausdruck der spirituellen Freude ein integraler Bestandteil der Rituale zur elevatio und zum adventus von Heiligen, aber auch zur spontanen Feier bei von den Heiligen bewirkten Wundern.141 Die gleiche fränkische Kirche, die sich einerseits so sehr um eine Ausgrenzung als pagan identifizierter Frömmigkeitsformen aus dem Kult bemühte, hatte also andererseits den sakralen Tanz durchaus in ihre Heiligenverehrung integriert. Die Vorrede der Translatio Sancti Viti, eines Berichts über die Überführung der Reliquien des hl. Veit von St.-Denis nach Corvey im Jahr 836, gibt einen Hinweis auf die mythologischen Hintergründe dieser tripudia. Der anonyme Verfasser schreibt, dass Gott »in diesen dunklen Kerker« der Welt die Sterne gesandt habe als Führer der Gläubigen, welche die Patriarchen, Propheten, Apostel, Märtyrer, Bekenner, Jungfrauen, Witwen und ehrbaren Mönche seien – die ganze Typologie der heiligen und hei-

139 Zu Astronomie und Zahlenmystik vgl. oben, Kap.  II.2.1; zum tripudium oben, Kap. III.1.2. 140 Chavanon (Hg.), Adémar de Chabannes, Chronique, S. 210 (im Zusammenhang mit der Translation des Hauptes Johannes des Täufers nach Auxerre werden Delegationen der Hauptkirchen Aquitaniens mit Sakralgerät und Reliquienschätzen zur Ehrung des Propheten ausgesandt): »Et magnis laetantes miraculis, quae apostolus Galliae gloriosissimus ­Martialis patraverat, per viarum interstitia sub oculis omnium tripudiantes, reversi sunt.« Vgl. Riché, Danses, S. 166. 141 Ebd., S. 165 f.; zur problematischen Belegpraxis Richés vgl. oben, Kap. III.1. Zwar entwertet die mangelnde Nachvollziehbarkeit Richés Arbeit partiell. Seine These lässt sich nach korrigierendem Quellenstudium jedoch durchaus belegen; für die Translatio Sancti Viti vgl. unten, Kap. VII.3.7. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ligmäßigen Menschen also.142 Eligius, der mittels eines Sternenreigens die Gefangenen aus dem Kerker führt, erfüllte also ebenjene Rolle, die der Verfasser der Veits-translatio auch seinem Heiligen zudachte. Es ist dies eine Verknüpfung von christlicher Heiligenverehrung und spätantiker Astralmythologie, die passgenau in die neoplatonische Theologie der Kirchenväter eingefügt ist: Sonne, Mond und Sterne sind selbstverständlich Geschöpfe Gottes. Aber als solche können sie für ihn und seine Heiligen stehen und die unsichtbaren Mächte so für die Gläubigen sichtbar werden lassen.143 Hatte in der römischen Passio des 6. Jahrhunderts Domitilla ihren Glauben gegen den teuflischen Reigen des Aurelianus verteidigen müssen, so konnte in der fränkischen Hagiographie des 7. Jahrhunderts der Tanz selbst das Heil vermitteln. Die merowingerzeitliche Kirche sanktionierte und verfolgte also bestimmte Formen des Tanzes in sakralen oder rituellen Kontexten. Aber sie selbst erlaubte und pflegte den Tanz als Mittel der para-liturgischen Kommunikation zumindest in der Verehrung des Kirchenpatrons und bei der Weihe des Kirchengebäudes. Jedenfalls konnte ein Hagiograph des 7. Jahrhunderts seinem Heiligen einen solchen Tanz in der Nachfolge des Königs David und des Orpheus bzw. des Dionysos zuschreiben. Im Hintergrund stehen dabei Motive der solarmythologischen Aufladung der Heiligen im Zeichen einer vom spätantiken Neoplatonismus und von der populären Heliolatrie tief beeinflussten Christianität.

V.3.3 Astralmythologische Implikationen in der Religionspolitik der späteren Merowinger und in der Vita Eligii Vor diesem Hintergrund ist es nicht mehr überraschend, dass die merowingerzeitliche Hagiographie vielfach solar- oder astralmythologische Motive benutzt, um die Begnadung ihrer Protagonisten zu belegen: So wurde Bischof Germanus von Auxerre (ca. 378–448) seiner Vita zufolge einmal von einigen Bauern darum gebeten, ihren Hahn zu heilen, da dieser nicht mehr krähen könne. Der Heilige Mann weihte Getreide und gab es dem Hahn zu fressen, worauf dieser gesundete. Constantius von Lyon (ca. 420/30–494), der Verfasser der Vita, gibt ausdrücklich zu, diese merkwürdige Geschichte nur ihrer Popularität wegen aufgenommen zu haben. Der christliche Bischof, der einen stummen Hahn heilt, kann auch gelesen werden als Heiliger Mann, der in der Lage ist, die 142 Schmale-Ott (Hg.), Translatio, S. 30: »Nam postquam nostris meritis in hoc calignoso carcere decidimus, nec deserentes te deseruisti, sed stellas, quae nobis in nocte iter agentibus viam ostenderent, misisti. Ante oculos namque habemus […] patriarchas, prophetas, apostolos, martyres, confessores, virgines, viduas atque laudabiles monachos.« 143 Zur Verstirnung (Katasterismus) der Heiligen in der Vitus-translatio vgl. unten, Kap. VII.3.7. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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kosmische Harmonie wiederherzustellen, indem er den Hahn wieder krähen und die Sonne wieder aufgehen lässt.144 Sulpicius Severus erwähnt, dass einige Schüler Martins von Tours eines Tages einen Feuerball um den Kopf des Heiligen Mannes gesehen hätten.145 Jonas von Bobbio (um 600 – nach 659) erzählt von einer Vision, die die Mutter des ­Columban (540–615) vor der Geburt des Heiligen gehabt habe: Eine gleißende Sonne sei aus ihrem Schoß aufgestiegen und habe die gesamte Welt erleuchtet. »Die Gerechten«, so das vom Priester dazu zitierte Christuswort (Mt 13,43), »werden leuchten wie die Sonne im Reiche ihres Vaters« – während der Teufel, so wäre zu ergänzen, wie ein Verrückter mit den Zähnen knirschen und heulen wird. Entsprechend wurde Columban später gelegentlich mit einer Sonne über seinem Kopf dargestellt.146 Selbst der Vorreiter der asketischen Reform wird also in seiner Vita mit solaren Stereotypen gezeichnet.147 Die Vorhersage der Heiligkeit vor der Geburt ist eines der am weitesten verbreiteten Stereotypen der Hagiographie.148 Die christliche Legende knüpfte mit diesen Erzählungen an aus dem Kaiser- und Heroenkult bekannte Motive von der himmlischen Zeugung des halbgöttlichen Herrschers an. So hatte etwa ­Eunapius von Sardes zufolge auch die Mutter des Kaisers Julian vor der Niederkunft geträumt, sie werde einen neuen Achill gebären.149 Und wie die Mutter seines angeblichen Lehrers Columban150 hatte auch die des Eligius von Noyon vor seiner Geburt eine Vision: Audoinus von Rouen berichtet, ihr sei ein Adler – seit der Antike ein bekanntes Symbol für den Himmel und die Sonne151 – erschienen, der das Schicksal ihres Sohnes vorhergesagt habe. Ein herbeigerufener Priester habe die Heiligkeit des Kindes prophezeit – und so auch dessen anspruchsvollen Namen gerechtfertigt (eligius = electus = der Auserwählte).152 All diese solaren Verheißungen betreffen nun Bischöfe, die sich im Umfeld des merowingischen Hofes verdient gemacht hatten. Die Königin Balthild 144 Levison (Hg.), Vita Germani Autissiodorensis, MGH SS rer. Mer., Bd. 7, S. 258 f.; vgl. Le Goff, Culture cléricale, S.  232; MacMullen, Christianity and Paganism, S.  121; für den Hahn als Symboltier der Sonne vgl. Merkelbach, Mithras, S. 118–121; Fauth, Helios megistos, S. 143. Noch in Geoffrey Chaucers (um 1343–1400) »Canterbury Tales« (Episode: »The Nun’s Priest«) steht der Hahn »Chanticleer« für die Sonne, die dem Fuchs Saturn entkommt, vgl. North, Geschichte der Astronomie, S. 157 f. 145 Stancliffe, Saint Martin, S. 166–168. 146 Krusch (Hg.), Vita Columbani, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, S. 154 f.; Laux, Kolumban, S. 3; Fries, Attribute, S. 40; keinen weiteren Aufschluss bietet Schnuckenburg, (Art.) Kolumban. 147 Zum Licht über dem Kopf von Heiligen vgl. di Natale, Kephalophorenwunder, S. 25. 148 Maury, Croyances et légendes, S. 95 f. 149 Rosen, Julian, S. 26 f., 168. 150 Meriaux, Gallia irradiata, S. 61 f. 151 Jostes, Sonnenwende, Bd. 1, S. 106; Drijvers, Dea Syria, S. 254. 152 Bayer, (Art.) Vita Eligii, S.  479, 511; Maury, Croyances et légendes, S.  95 f.; Jostes, Sonnen­wende, Bd. 2, S. 612 f. (mit sehr spekulativer Deutung). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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(† 680), Witwe Chlodwigs II. (634–657), des Sohnes und Nachfolgers Dagoberts I., deren enge Vertraute der spätere Bischof von Noyon und sein Hagiograph gewesen waren,153 ist bekannt für ihre gezielte Klosterpolitik. Sie stiftete die Konvente von Chelles und Corbie und reformierte die bereits bestehenden Hausklöster der Dynastie. Die merowingischen Herrscher des 7. Jahrhunderts legten so mit einer auf die Reform von klösterlicher Bildung und kirchlicher Liturgie fokussierten Politik die Grundlagen der sogenannten karolingischen Renaissance. Schon vor der Durchsetzung der römischen Liturgie im Frankenreich unter Karl dem Großen und Papst Hadrian I. bemühten sie sich um eine Reform der fränkischen Christianität. Zugleich wurden die heiligen Patrone der Dynastie – Dionysius, Martin, Martial, Medardus etc. – durch Reliquientranslationen und Kirchenneubauten stärker in die Herrschaftsrepräsentation einbezogen.154 In diesem vom iroschottischen Mönchtum um Columban von Luxeuil geprägten Umfeld am Hof155 können wir die beschriebenen Bestrebungen verorten, Motive der spätantiken Sonnen- und Sternenmythologie und des liturgischen Tanzes in das Christentum zu integrieren und so eine christlich-platonische Christianität zu installieren.156 In diesem Milieu entstand unter tätiger Mithilfe des Eligius der neue Heiligenkanon des merowingischen Hauses. Hier war Eligius nicht nur politisch und kirchenpolitisch tätig, sondern hier wurde er auch bald nach seinem Tod zum Heiligen aufgewertet.157 Die Klosterreformpolitik der späten Merowinger wirkte so auch als Katalysator einer Transformation der älteren, spätantik-ostmediterran geprägten Christianität des fränkischen Gallien in die modernisierte, »mittelalterliche« Christianität des Karolingerreiches.158 153 Prinz, Frühes Mönchtum, S. 124–130; zur Einflussnahme des Umfeldes der Balthild auf die Vita Eligii vgl. nun auch Hen, Roman Barbarians, S. 110 f. 154 Ewig, Privileg, S. 576–581; Hen, Culture and Religion, S. 50–60, 92; zur propagandistischen Selbststilisierung der Karolinger auf Kosten ihrer Vorgänger vgl. ebd., S.  197–205; ausführlich jetzt Hen, Roman Barbarians, S. 94–123; Meriaux, Gallia irradiata, S. 72 f.; Prinz, Frühes Mönchtum, S. 130, 132–134. 155 Schäferdieck/Berhaus/Vierck, (Art.) Eligius, S. 146. 156 Abseits der hier möglichen Andeutungen wäre die Tragweite der Solar- und Astral­ symbolik für die Formation der fränkischen Heiligenverehrung mit Blick auf die gesamte merowinger- und karolingerzeitliche Hagiographie erst noch systematisch zu untersuchen. Erste Ansätze vor allem zur Lichtmetaphorik bei Gregor von Tours bietet de Nie, Views, S.  168–183; zu den Vorbildern bei Platon, Plotin und Augustinus vgl. ebd., S.  177 mit Anm. 230. 157 Die Königin Balthild hatte das Kloster Chelles zur Grablege des verstorbenen Bischofs machen wollen. Nach einem Gottesurteil wurde er dann jedoch in der Basilika St. Lupus vor den Toren Noyons (später: St. Eligius) bestattet, vgl. Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 495 f. 721 wurde Chilperich II. (* 675, König 715/16), der von Karl Martell kaltgestellte Enkel Chlodwigs II. und der Balthild, in der Grabkirche des Eligius in Noyon bestattet, vgl. Ewig, Die Merowinger, S. 202–205. 158 Zur Bedeutung der südgallischen Kultur für Eligius vgl. auch Prinz, Frühes Mönchtum, S. 305 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Das durch diese Stiftungswelle begründete Netzwerk von Klöstern sollte zum Milieu der karolingischen Reform werden. Hier wurden auch jene Kompendien spätantiker Ärzte überliefert und in die Enzyklopädik der Glossarien-Literatur eingearbeitet, aus denen Mediziner des späten Mittelalters von mania und enthusiasmos erfahren sollten.159 Und mit St. Denis als zeitweiliger Grablege und Corbie als Mutterkloster des neuen sächsischen Kultzentrums Corvey sind auch jene beiden Konvente eng in diese Religionspolitik der Balthild und ihrer Söhne eingebunden, in denen die aufkommende Verehrung des hl. Vitus im späten 8. und frühen 9. Jahrhundert ihre Basis finden sollte.160 Vielleicht bot sich Eligius für diese solarmythologische Überhöhung be­ sonders an, weil er als Goldschmied ebenso die Macht über das wohl wirkmächtigste materielle Symbol des Sonnenlichts gehabt hatte: das Gold.161 Seine Karriere bei Hofe hatte bekanntlich damit begonnen, dass er dem König einen Thron (und von dem verbleibenden Material einen zweiten) geschmiedet hatte. In hermetischer Tradition wurde der Thron des biblischen Königs Salomo als mensa solis und Nabel der Welt betrachtet.162 Auch die antike Astronomie identifizierte am Himmel, dessen Wölbung ja als Mantel bzw. Zelt des Sonnengottes und damit des Herrschers allegorisiert wurde, verschiedene Throne.163 Schließlich kennt noch die himmlische Hierarchie des Pseudo-Dionysius Areopagita die Engelsklasse der »Throne«. So konnte ein von einem Heiligen geschmiedeter goldener Thron kaum nur profanes Zeremonialgerät bleiben. Der heilige Schmied, den eine Vielzahl von Erzählmotiven mit dem von Franz Jostes postulierten »Hammergott« verbinden, rückte so in die Rolle eines Schöpfers des himmlischen Thrones – eines Königsmachers, der den römischen Kaisermythos und seine Derivate überschreiben konnte.164 Auf den »neuen ­David« Eligius ließ sich so sogar der Psalm 89 anwenden: »Sein Geschlecht soll bleiben auf ewig, sein Thron habe Bestand vor mir wie die Sonne; er soll ewig bestehen wie der Mond, der verlässliche Zeuge über den Wolken.«165

Die Tätigkeit als Goldschmied hatte offensichtlich nicht nur wegen der erforderlichen Expertise im Umgang mit dem kostbaren Material besonderes Prestige: Gregor von Tours zufolge hatte etwa auch Chilperich I. (535–584) im Rahmen 159 Vgl. oben, Kap. II.3.3. 160 Vgl. unten, Kap. VII.3.1. und VII.3.7. 161 Maury, Croyances et légendes, S. 161. 162 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 172–174, 180–183. 163 Boll, Offenbarung Johannis, S. 31. 164 Vgl. Jostes, Sonnenwende, Bd.  2, S.  598–600, 624 ff.; auf die mythologischen Konnotationen des Schmied-Motivs weisen auch Schäferdieck/Berghaus/Vierck, (Art.) Eligius, Sp. 155, hin. 165 Ps 89,37 f.: »37semen eius in aeternum manebit 38 et thronus eius sicut sol in con­spectu meo et sicut luna perfecta in aeternum et testis in caelo fidelis diapsalma.« Vgl. ähnlich Ps 89,31. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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seiner an das oströmische Sonnenkaisertum anknüpfenden Herrschaftsrepräsentation eigenhändige Goldschmiedearbeiten angefertigt.166 Schon der Schmied Hephaistos in Homers Ilias hatte auf dem Schild des Achilles einen goldenen Himmelsreigen zur Darstellung gebracht. Er war so zum Vorbild für den platonischen Demiurgen, den Schöpfer des Kosmos geworden, der die Sterne und das All aus Feuer geschmiedet hatte.167 Der Hammer als Götterattribut konnte folglich zum Zeichen zahlreicher christlicher Heiliger werden, deren Legende für eine solche Assoziation Anknüpfungspunkte bot.168 Und der König als Goldschmied trat in eine Imitation des solar-platonischen Schöpfergottes. Der hagiographisch konstruierte Heilige seinerseits adaptierte dieses Motiv, um die Legitimationsstrategie des Herrscherhauses christlich zu überschreiben. Der König als Goldschmied jedoch beanspruchte offenbar eine unmittelbare Begnadung durch Gott, die der Bischof und Historiograph Gregor von Tours ihm nicht mehr zugestehen wollte. Der heilige Bischof als Schmied des Königsthrones eines seiner Nachfolger wurde als Vermittler des Charismas zwischen Gott und dem Herrscher eingeschaltet. In der Mirakelerzählung vom jungen Goldschmied Eligius lassen sich also Aushandlungsprozesse um die narrative Sakralisierung der Herrschaft im späteren Merowingerreich erkennen. Als er für Goldschmiedearbeiten in Tours weilte, ließ Eligius sich der Vita zufolge Haare und Bart scheren – womit er Reliquien hinterließ, die erkennbar an die solarmythologische Aufladung von Haupt- und Gesichtshaar der Mero­ winger erinnern.169 Wie die reges criniti hatte auch ihr Heiliger Locken.170 Nach seiner Priesterweihe wurden diese abgeschnitten, wie dies auch entmachteten Königen geschah. Dennoch wuchsen die Haare auch am toten Körper des Heiligen weiter, der so seine Begnadung noch post mortem bewies.171 Unter dem dionysischen Beinamen »Eleutherius« (Befreier) kennt die fränkische Kirche auch einen Heiligen, den ersten Bischof von Tournai (angeblich 455–530). Er wurde gemeinsam mit einem »Rusticus« (auch dies ein Beiname des antiken Gottes) als Begleiter und Ko-Märtyrer des Dionysius von Paris verehrt.172 Zugleich jedoch kannte man in Gallien unter diesem Namen einen heiligen Knaben, dessen ganzer Verdienst darin bestanden zu haben scheint, am 166 Jussen, Um 576, S. 15; vgl. oben, Kap. IV.2.4 und IV.2.5. 167 Miller, Measures of Wisdom, S. 24, 28, 40 f. 168 Fries, Attribute, S. 16 f., S. 34 f. 169 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Buch II, Kap. 68; Bayer, (Art.) Vita Eligii, Sp. 499. 170 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Buch I, Kap. 12, S. 678: »Erat enim statura prolixus et facie rubicundus, gerebat caesariem formosam et crinem quoque circillatam; manus habebat honestas et digitos longos, angelico vultu, simplice et prudente visu.« 171 Ebd., Buch II, Kap. 49; Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 620, 623 f. 172 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 536; Wenskus, Religion abâtardie, S. 245–247. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Grab seines hingerichteten Vaters ins Gebet vertieft gestorben zu sein.173 Der dionysische Name »Eleutherius« als Heiligenname erweist sich so als offen für Assoziationen mit dem antiken Attis, der oft mit Bacchus euhemerisiert und im vorchristlichen Tournai nachweislich verehrt worden war. Diese Konno­tation verbindet den hl. Eleutherius denn auch mit seinem Nachfolger auf dem Bischofsstuhl von Tournai, dem Gefangenenbefreier Eligius. Eligius ähnelt auch in der Beschreibung seines Äußeren deutlich dem antiken Attis, dem überirdisch schönen Jüngling, um den seine Mutter Kybele während seiner sich zyklisch wiederholenden Höllenfahrt trauerte. Ebenso mythologisch grundiert ist die auffällige Schilderung der reich mit Gold und Edelsteinen verzierten Kleidung des schönen Höflings Eligius: Der zukünftige Heilige trug zwar zu Beginn seiner Laufbahn auf der Haut bereits das härene Gewand des monastischen Asketen. Nach außen sichtbar jedoch repräsentierte er höfische Prachtentfaltung und die natürliche Schönheit des exemplarischen Helden, wie sie im platonischen Begriff der Kalokagathie ausformuliert ist und im Gott Dionysos ihre antike Personifikation gefunden hatte.174 Als der Münzmeister seine prächtigen Kleider nach und nach für die Versorgung von Bedürftigen verausgabt hatte, kam es seiner Vita zufolge sogar zu einem denkwürdigen Kleidertausch zwischen König und Heiligem, bis der Herrscher wie zuvor der Gottesmann entkleidet dastand. Der dionysisch-solare hl. Eligius wird hier also narrativ in eine Egalität mit dem solarmythologisch konnotierten König gestellt.175 Er wiederholt so eine Erzählfigur, die schon den kaiserzeitlichen Gott Sol als comes Augusti zum Sieghelfer des Herrschers gemacht hatte.176 Freilich will Audoinus seinen Freund und Heiligen nicht einfach als Träger göttlicher Schönheit oder gar als neuen Attis/Dionysos zeichnen: Als Träger der Gnade der »wahren Sonne« bzw. des »neuen Bacchus« Christus verwandelt sich der dionysische Jüngling vielmehr zusehends in einen vorbildlichen christlichen Asketen, Wundertäter und Nothelfer. Die paganen Stereotypen werden 173 Wasyliev, Martyrdom, S. 23, 35. 174 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Buch I, Kap. 12, S. 678 f.: »Utebatur quidem in primordio aurum et gemmas in habitu; habebat quoque zonas ax auro et ­gemmis conpositas necnon et bursas eliganter gemmatas; lineas vero metallo rutilas orasque sarcarum auro opertas, cuncta quidem vestimenta praetiosissima, nonnulla etiam olosirica. Sed haec omnia ob ostentationem fugiendam primo tempore utebatur in palam, intrinsecus vero ad carnem cilicium gestabat ex consuetudine. Postea vero, cum adauctius profecit, cuncta ornamenta in egentium necessitatibus consumpsit.« Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 481 f., sieht darin die »natürliche Schönheit des Heiligen«; maßgeblich dürften aber doch spätantike Einflüsse sein, vgl. Scheibelreiter, Gallorömer, S. 119 f.; zu Dionysos als Träger der Kalokagathie vgl. Merkelbach, Die Hirten, S. 124 f. 175 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Buch I, Kap. 12, S. 679 f.; vgl. dazu mit z. T. ungenauer Lektüre Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 623 f. 176 Vgl. Berrens, Sonnenkult und Kaisertum, S. 9 (für die Regierungszeit Gordians III., 238–244), S. 205 ff. (zusammenfassend). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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also wiederum nicht eindimensional reproduziert, sondern aufgenommen, um sie zu invertieren und so zu überschreiben. Der legendarische Mentor des Eligius, der Münzmeister Bobo, trägt vielleicht nicht zufällig einen weiteren Beinamen des Sonnen- und Stiergottes (»Bovo«).177 Der jugendliche Goldschmied, der die Huld des Herrschers und seines Ver­ trauten (Bobo) erwirbt, reproduziert so auch das Motiv vom Aufeinander­treffen von jungem und altem Gott, wie es ikonographisch noch ganz ähnlich auch bei Vitus und seinem Vater Hylas bzw. dem kaiserlichen Richter Valerian aufscheinen wird.178 Wie Paulus in der Apostelgeschichte wird Eligius in der Vita wiederholt als »Gefäß Gottes« (»vas Dei«) bezeichnet. Entsprechend floss nach seinem Tod thaumaturgisches Öl aus seinem Sarkophag.179 Auch Eligius also wurde wie vor ihm Nereus und später Vitus mit Becher und Ölgefäß (Lampe?) assoziiert, wie sie schon der Dionysus- und der Helios-Kult gekannt hatte.180 Nach dem Tod Dagoberts und seiner eigenen Verwandlung vom himm­ lischen Schönling zum heiligen Asketen lässt die Vita Eligius in eine Art spirituelle Vaterschaft über die Familie des Königs einrücken: Nach einer astralen Vision prophezeit er den Tod des Königs Chlodwigs II., die Regentschaft seiner Witwe Balthild und die spätere Machtübernahme seiner Söhne.181 Als Pate und Namensgeber des späteren Königs Chlotar III. (um 650–673) tritt er spirituell an Vaters statt neben die Mutter Balthild. Folgerichtig trauert die Königin bei seinem Tod ekstatisch um ihn wie Kybele um Attis.182 Hier konvergieren also die Rollenkonstellationen Mutter/Sohn und Ehefrau/Ehemann, wie dies im solaren Mythos häufig der Fall und auch in der Laufbahn des Eligius vom Jüngling zum Heiligen angelegt ist. Nach seinem Tod schließlich steigt die Seele des Heiligen seiner Vita zufolge in Gestalt eines hellen Lichts in den Himmel auf.183 In der späteren Verehrung sollte Eligius vor allem als Patron der Hufschmiede und Pferde prominent werden, eine Assoziation, die wiederum in manchen Zü 177 Bobo als Förderer: Schäferdieck/Berghaus/Vierck, (Art.) Eligius, S. 145; Arnoldi, (Art.) Eligio, Sp. 1064; Deutung des Namens: Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 614 f. 178 Vgl. etwa die Tafelmalerei von Taddeio Gaddi, Eligius und der König Chlotar, Madrid, Prado, Abb. bei Arnoldi, (Art.) Eligio, Sp. 1067 f.: Eligius als knabenhafter Jüngling vor dem König auf dem Thron; zu Vitus vgl. unten, Kap. VII.3.4. 179 Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 511. 180 Vgl. oben, Kap. V.2.1. und unten, Kap. VII.3.5. 181 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Buch II, Kap. 32, S. 717 f.; vgl. Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 493 f. 182 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 619–623. 183 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd.  4, Buch II, Kap.  36, S.  720: »Statim vero cum esset hora prima noctis, visus est subito velut pharos magnus ingenti claritate ­resplendens ex eadem domo coruscando conscendere atque inter mirantium obtutus sphera ignea, crucis in se similitudinem praeferens velocique cursu densitatem nubium praeteriens, caeli altitudinem penetrare.« Vgl. Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 495. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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gen auf die Dioskuren, die Kinder von Sonne und Mond, verweist. Freilich wäre eine Existenz dieses Patronats vor dem Spätmittelalter zu belegen.184 Sein Förderer Dagobert I. hatte den Anstoß zum Aufblühen der merowin­ gischen Hausklöster wie St. Denis bei Paris und St. Martin in Tours gegeben. Beraten von Eligius, Audoinus und anderen hatte schon er eine Politik der Christianisierung des Königtums betrieben, an die seine Schwiegertochter Balthild dann anknüpfen konnte.185 200 Jahre nach seinem Tod, um 830, sollte ihm mit den Gesta Dagoberti ein literarisches Denkmal gesetzt werden.186 Verfasser war vielleicht Hilduin von Saint Denis, der auch mit der Vita des Dionysius von Paris und der Übersetzung des Corpus Dionysiacum zur Weiterentwicklung des platonisch und astralmythologisch fundierten fränkischen Christentums beitragen sollte. Dagoberts volkstümliche Verehrung bezog sich jedoch nicht nur auf seine historischen Verdienste als rex christianus et pacificus. Vielmehr bot schon der Name des Königs Anknüpfungspunkte für eine Mythisierung, leitet er sich doch von dem indogermanischen *teiwaz (= Licht-träger) ab.187 Dagobert trug also einen gleichermaßen auf den paganen Sonnengott wie auf eine christlich-platonische Herrschaftslegitimation hin deutbaren Namen. Dies wurde zwar in der christlichen Verehrung des Königs nicht prominent thematisiert, könnte jedoch einen Anknüpfungspunkt für die christliche Kontrafaktur des alten Solarmythems geboten haben. Sein theologischer Ratgeber Eligius bot offenbar ebenso reichlich Assozia­ tionspotential, um als christlicher Gegenentwurf gegen in den zeitgenössischen Gelehrtendiskursen noch bekannte pagane Narrative stilisiert zu werden. So wurde seine sozialgeschichtlich ohnehin recht außergewöhnliche Aufstiegs­ geschichte mit dionysischen und solaren Motiven ausgestaltet: Der durch Lichtwunder autorisierte »Auserwählte« mit den Zügen der antiken Licht- und Sonnengottheiten schafft dem Sonnenkönig einen neuen Thron und wird so selbst zum Lichtbringer, um dann in eine spirituelle Vaterschaft über das Königshaus hineinzuwachsen. Notabene: Es handelt sich bei Eligius mit großer Sicher 184 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 599; Vorlage war hier offenbar Gaidoz, Saint Eloi; vgl. dazu van Kraemer, Les maladies, S. 114 f.; Lebel, Saint Eloi; und Cravayat, Le culte, mit vielen Belegen für Eligius als Patron von Wallfahrtskirchen an Orten antiker römischer Re­ laisstationen, der offenbar zugehörige Kulte ersetzte; die bekannteste Mirakelerzählung vom abgetrennten und wieder angesetzten Pferdefuß wird freilich nicht vor dem 14. Jh. datiert, vgl. Poulin, (Art.) Eligius, Sp.  1830; Graus, Volk, Herrscher, Heilige, S.  195 f.; allg.: Bayer, (Art.) Vita Eligii, Sp. 498. Vielleicht infolge dieses Patronats wurde Eligius im Spätmittelalter auch zum Patron gegen Geschwüre und Fisteln bei Mensch und Tier, vgl. van Kraemer, Les maladies, S. 108–115 (mal de saint Eloi). 185 Ewig, Die Merowinger, S. 139–142; Hen, Roman Barbarians, S. 112–123, über Dagobert und seinen Sohn Chlodwig II. bzw. dessen Witwe Balthild. 186 Prelog, (Art.) Gesta Dagoberti. 187 Rosenfeld, Germanischer Zwillingsgottkult, S.  273 f.; Wenskus, Religion âbatardie, S. 222. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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heit um eine historisch reale Person, nicht um eine hagiographische Fiktion.188 Wohl aber unterliegen unsere Nachrichten über ihn in hohem Maße der Stilisierung in Anknüpfung an mythische Erzählmotive  – in einem weit höheren Maße, als dies in der Forschung bisher mit Blick auf den Quellenwert der Vita in Betracht gezogen worden ist.189 Die Christianisierung des merowingischen Königtums unter Dagobert I., Chlodwig II. und Balthild zielte sicherlich auf eine verstärkte theologische Durchdringung und eine Zurückdrängung von superstitiones aus dem religiös-politischen Vorstellungshorizont von Eliten und Volk. Diese Christianisierung bedurfte jedoch der Unterfütterung durch Erzählungen, die die alten Mythen ersetzen konnten. Sie bedingte eine Christianität, die notwendigerweise an den Imaginationshaushalt der zeitgenössischen Gesellschaft anknüpfte. Die Hagiographie christianisierte daher vielfach Motive aus der spätantiken Solarund Astralmythologie, um ihre Heiligen im Wahrnehmungshorizont der Zeit als überlegenes spirituell-religiöses Angebot zu installieren. Eligius von Noyon, wie ihn Audoinus zeichnet, sollte offenbar zentrale mythische Deutungsmuster der dynastischen Selbstwahrnehmung der Merowinger aufnehmen und in den Rahmen einer erneuerten religiösen Legitimationsstrategie transformieren. Er sollte als Patron des Herrscherhauses neben die älteren, ihrerseits massiv solarmythologisch und dionysisch konnotierten Königsheiligen treten. Diese Bemühungen um eine neue Begründung für die Königsherrschaft sind auch als Ausdruck der Machtkonflikte am Hof zwischen den Söhnen des verstorbenen Dagobert I., dem Pippiniden Grimoald (615/16–656/62) und dem Hausmeier Erchinoald († 658) zu sehen.190 Die Frontstellung in diesen Konflikten spiegelt sich daher auch in einer zentralen Episode der Vita Eligii.

V.3.4 Eligius und die familia des Erchinoald Der Umstand, dass Eligius in seiner Vita als ein idealtypischer Missionsheiliger gezeichnet wird,191 wird immer wieder als Beleg dafür herangezogen, dass das Bistum Noyon bis zu seiner Ankunft noch (oder infolge eines Zerfalls der spätantiken Kirchlichkeit wieder) weitgehend nicht-christlich gewesen

188 Auf außerliterarische Evidenz weisen Schäferdieck/Berghaus/Vierck, (Art.) Eligius, Sp. 145, 147 f., hin. 189 So schon Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 613 f., der die historische Identität des Bischofs von Noyon mit dem gleichnamigen Goldschmied bezweifelt. Eine ausgeprägte Stilisierung als vorbildlicher Christ und Heiliger sieht auch Scheibelreiter, Gallorömer, S. 117 f. 190 Zu den Thronwirren nach dem Tod Dagoberts I. vgl. Ewig, Die Merowinger, S. ­142–150. 191 Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 487–491, 506 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sei.192 Allerdings hat Charles Meriaux zuletzt darauf hingewiesen, dass diese Region als Teil des Römischen Reiches seit dem 4. Jahrhundert eine Kontinuität des christlichen Bekenntnisses und auch der kirchlichen Institutionen aufgewiesen habe – allenfalls mit einer kurzen Unterbrechung direkt nach der fränkischen Ansiedlung.193 Demnach wären Eligius und seine Mitstreiter weniger mit der Mission eines heidnischen Landstriches befasst gewesen als vielmehr mit der katechetischen Durchdringung einer bereits getauften Bevölkerung.194 Zugleich betrieb Eligius die erneute stärkere Anbindung der nördlichen Teile Neustriens an die merowingische Herrschaft.195 Meriaux zufolge war auch der Bischofssitz keineswegs vor dem Ansturm der Repaganisierung von Tournai nach Noyon verlegt worden.196 Vielmehr habe Tournai durch die Translation der Reliquien des hl. Medardus nach Soissons an Bedeutung verloren. Schon Eligius’ Vorgänger Aigarich/Acharius († 639) habe dann wieder das Doppelbistum Noyon/Tournai (bzw. Dreifachbistum mit Vermand)  innegehabt, um Tournai erneut aufzuwerten. Dabei habe er aber in Noyon residiert, um dem in der Gegend aktiven Mönchsbischof Amandus († 674/75) auszuweichen und so Konflikte um die Diözesanstruktur zu vermeiden.197 Der Heidenkämpfer wurde wohl eher als hagiographisches Rollenmodell auf Eligius und seine Zeitgenossen projiziert.198 Dass das Bild des Eligius als kämpferischer Missionar, wie es die Vita zeichnet, in erheblichem Maße topischen Stilisierungen geschuldet ist, zeigt etwa eine Episode über die Predigttätigkeit des Bischofs gegen saltationes und andere superstitiones. Der maiordomus Erchinoald, mit dessen familia es sich Eligius dabei verscherzt, war nicht etwa ein Heide.199 Vielmehr zeichnete auch er sich als ausgesprochener Förderer der irofränkischen Klosterreform aus,200 teils in enger Kooperation mit Audoinus,201 teils jedoch auch in Konkurrenz zu diesem und zu Eligius.202 Freilich stand er in den Machtkämpfen am Hof lange Zeit ge-

192 Wallace-Hadrill, The Frankish Church, S.  19, 31 f.; Bayer, (Art.) Vita Eligii, S.  491, 506 f.; Fouracre, The Work, S. 80; Schäferdieck/Berghaus/Vierck, (Art.) Eligius, Sp. 146 f.; vgl. allg. Ewig, Die Merowinger, S. 136–139. 193 Meriaux, Gallia irradiata, S. 12–14; vgl. allg. Dierkens, Christianisme et ›paganisme‹. 194 Fouracre, The Work, S.  88 f.; Zeddies, Religio, S.  315 f.; Meriaux, Gallia irradiata, S. 48–52. 195 Meriaux, Gallia irradiata, S. 31, 52–57. 196 So noch Wallace-Hadrill, The Frankish Church, S. 31. 197 Meriaux, Gallia irradiata, S. 64–67, 80–84. 198 Markus, From Caesarius to Boniface, S. 163 f. 199 Vgl. Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 491 f.; Meriaux, Gallia irradiata, S. 48. 200 Meriaux, Gallia irradiata, S. 38, 68, 74. 201 Fouracre, The Work, S. 83; über die Klostergründungspolitik des Audoinus vgl. Hen, Roman Barbarians, S. 107 f. 202 Fouracre, The Work, S. 86; Ewig, Die Merowinger, S. 148 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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gen seine zur Königin aufgestiegene ehemalige Sklavin Balthild, weshalb deren Parteigänger Audoinus ihn in der Vita Eligii wenig sachlich zeichnet:203 »Zu einer gewissen Zeit, als der Geburtstag des seligsten Apostels Petrus [29. Juni] in einer bestimmten Gemeinde nicht weit von der Stadt Noyon entfernt gefeiert wurde, predigte Eligius, als er ein Dorf erreichte, mit großer Standfestigkeit, wie er immer zu tun pflegte, das Wort Gottes, nämlich, dass verschiedene dämonische Spiele und nichtsnützige Tänze abzulegen und zu verabscheuen seien, und dass aller leerer Aberglauben unbedingt aufzugeben sei. Nach dieser seiner Predigt drangen die Vor­nehmen dieses Ortes sehr heftig auf ihn ein, nämlich, dass er ihre Feste störe und sie ihrer, wie sie meinten, erlaubten Gewohnheiten beraube. Als die Lasterhaften sich daher berieten – wobei besonders von den Leuten des Erchinoald, der zu dieser Zeit Vorsteher des Palastes war, gegen Eligius geeifert wurde, wenn auch nicht im Guten – beschlossen sie sogleich, dass sie, wenn Eligius weiterhin auf diese Art ihren Possen entgegenstehen sollte, auf der Stelle über ihn herfallen und ihn erschlagen wollten. Als Eligius dies erfuhr, wurde er von einer großen Sehnsucht nach dem Martyrium ergriffen: Schnell erhob er sich und befahl allen seinen Leuten, dass keiner von ihnen bis auf zwei Priester und einen Diakon ihm folgen solle. So kam er mitten in den Aufruhr des Volkes, und an einem erhöhten Ort vor der Basilika stehend begann er umgehend zu predigen, das Volk energisch zurechtweisend, weil sie [ihm] trotz gnadenreicher Ermahnungen den Rücken zukehrten, [und] sich dergestalt teuflischen Einflüsterungen hingegeben hatten. Auf diese Ermahnung wurde die Menge sehr aufgeregt, und mit besonderer Unverfrorenheit antworteten sie auf seine beschämenden Worte, ihm den Untergang androhend und sprechend: ›Niemals wirst Du, Römer, egal, wie oft Du es versuchst, unsere Gewohnheiten ändern können. Sondern wir werden unsere Feierlichkeiten so, wie wir sie bisher begangen haben, für immer und ewig pflegen. Es wird nicht ein Mensch sein, der uns von unseren altehrwürdigen und höchst geliebten Spielen irgendwann abhalten wird können.‹ Als jener [Eligius] erkannte, dass er nichts erreichen würde und sie sich lieber in den Spielen vereinigen sah, rief er, von Verachtung bewegt, aus tiefstem Herzen den Herrn Jesus an, sprechend: ›Ich bitte Dich, oh Herr, um Deine göttliche Gnade, dass diesen, die mit solcher Vermessenheit und solchem Hochmut deinen heiligen Ermahnungen zu widersprechen wagen und lieber den Verführungen der Dämonen als Deinen Geboten folgen, mit deiner Erlaubnis nun zum Zeichen und zum Schrecken für viele die Wut dieser selbigen [Dämonen] eingegeben werde, damit sie erkennen können, wessen Werke sie tun [und] damit von den Menschen, die an Dich glauben, inständig Dein geheiligter Name gelobt werde.‹ Nach diesen seinen Worten begannen sofort sehr viele, und besonders die, die aus der Partei des Erchinoald waren und die gött­liches Gebot verachtend gegen ihn die Hand zu erheben geplant hatten, von unreinem Geist erfasst dauernd auf verschiedene Weise zu toben. Die ganze Menge aber, mit Ausnahme jener, die dazu [zu den Tänzern] gehörten, wurde von großer Angst erfüllt. 203 Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 471; vgl. hingegen Ebling, (Art.) Erchinoald: »Als einer der vornehmsten Angehörigen der neustr. Oberschicht blieb E. zeitlebens loyal dem Königshaus verbunden.« Bei der Untersuchung der Machtkämpfe am Hof wird die im Folgenden zitierte Stelle oft als Beleg für eine Konfrontation zwischen Eligius und Erchinoald herangezogen, so etwa bei Ewig, Die Merowinger, S. 148 f.; Schäferdieck/Berghaus/Vierck, (Art.) Eligius, Sp. 147. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Sie berührten die Fußspuren des Gottesmannes, ihn bittend, dass ihnen nichts Ähnliches geschehe, einige versprechend, dass sie ihm in allem, was er befehle, ohne jede Täuschung folgen wollten. Zu diesen sagte der selige Mann: ›Fürchtet Euch nicht, sondern lobt lieber das gerechte Urteil Gottes, denn die wahre Sache ist es wert, dass diejenigen, die ihr willentlich zu widersprechen scheinen, so lange ihren Lehrern [den Dämonen] ausgeliefert sind, deren Kult sie gedient haben, bis sie sich empören gegen die, die sie gewählt haben. Ihr aber, wenn Ihr den Geboten Christi freiwillig folgen wollt, habt nichts zu befürchten, weil ihr für immer unberührt von diesen Straßenräubern bleiben werdet.‹ Als ihn darauf viele für die Gequälten baten, wollte er nicht sofort die Fürsprache für diese annehmen, sondern sagte: ›Lasst sie jetzt, lasst sie, damit sie spüren, damit sie spüren. Sie müssen erfahren, von welchen Dämonen sie schließlich erschreckt und wessen Verführungen sie bisher gefolgt sind.‹ Daher befahl er also allen jenen Geplagten, nach Ablauf jenes Jahres und wenn erneut der oben erwähnte jährliche Festtag gekommen wäre, öffentlich anwesend zu sein. Und als alle gekommen waren, nach einem vorherigen Gebet, exorzierte er Wasser und gab es ihnen zur Heilung, und befreite sie so sogleich von der teuflischen Belagerung. Und ihre Zahl betrug mehr als fünfzig. So also hatte er ihnen den Weg des Heils gezeigt und viele auf den rechten Weg geführt und gezüchtigt und trug ihnen auf, als Geheilte zu gehen.«204 204 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Buch II, Nr. 20, S. 711 f.: »Igitur quodam tempore, cum dies natalicius beatissimi Petri apostoli in diocesim quandam haud procul a Noviomense oppido celebraretur, adiens Eligius vicum, cum ingenti constantia praedicabat, sicut semper consueverat, Dei verbum, abiciendos dumtaxat atque abhominandos esse cunctos daemonum ludos et nefandas saltationes omnesque inanes prorsus relinquendas superstitiones. Quam eius praedicationem praestantiores quique loci illius valde aegre ferebant, scilicet quod ferias eorum everteret ac legitimas, ut putabant, consuetudines exinaniret. Tunc pravi quique inientes consilium, – et praecipue ex familia Herchenoaldi, qui erat eo tempore prae­ positus palati, aemulabatur Eligium, sed non ad bonum,  – decreverunt simul, ut si ulterius huiusmodi nugis eorum contrairet Eligius, ilico inruentes interficerent eum. Quod cum Eligius cognovisset, ingenti martyrii desiderio stimulatus, surrexit concite et praecepit suis omnibus, ut nullus eum praeter duobus clericis atque uno diacone sequeretur. Venit ergo per medias ­populorum turbas, et stans in quodam eminenti loco ante basilicam, coepit instantius praedicare, vehementer obiurgans populum, eo quod monitis salutaribus terga parantes, diabolicis filacteriis tantopere essent intenti. Ad cuius exortationem vehementer turba commota, probrosa ei verba cum ingenti protervia respondebant, interitum ei minitantes atque dicentes: ›Numquam tu, Romane, quamvis haec frequenter taxes, consuetudines nostras evellere poteris, sed sollemnia nostra sicut actenus fecimus, perpetuo semperque frequentabimus, nec ullus hominum erit, qui priscos atque gratissimos possit nobis umquam prohibere ludos.‹ Tunc ille cum nihil se proficere cerneret magisque ludos coalescere videret, indignatione commotus, dominum Iesum ex imo pectore interpellavit, dicens: ›Quaeso, Domine, divinam clementiam tuam, ut hi qui cum tanta audatia atque superbia tuis sanctis monitis contradicere audent et ­magis daemonum seductionibus quam tuis praeceptis obtemperant, tuo permisso ipsorum nunc ferocitatem ad exemplum terroremque multorum impleantur, quo cognoscere possint, quorum opera exercerent, ut ab hominibus in te credentibus enixius glorificetur nomen sanctum tuum.‹ Post cuius verba subito plurimi, hi praecipue qui erant ex parte Herchenoaldi, quique divina mandata despicientes manus in eum parabant iniecere, immundo ­afflati spiritu, coeperunt continuo modis diversis debaccare. Omnis autem multitudo, exceptis his qui aderant, ingenti pavore perterriti, vestigia hominis Dei lambebant, verentes, ne similia © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Als die Klienten dieses fränkischen politischen Schwergewichts mit den Predigten des Heiligen Mannes aus Aquitanien gegen ihre Reigen und Spiele konfrontiert waren, planten sie, so Audoinus von Rouen, diesen zu ermorden. Eligius, ausdrücklich erfreut von der selten gewordenen Möglichkeit zum Märtyrertod, wiederholte seine Ermahnungen, woraufhin sie ihre alten nordgallischen bzw. fränkischen Sitten gegen die Anklagen des Aquitaniers verteidigten. Audoinus interpretiert den Konflikt also in den Kategorien ethnischer Differenz zwischen Franken und Galloromanen – ein Muster, das im Frankenreich des 7. Jahrhunderts allgemein virulent war.205 Freilich, so Hans-Werner Goetz, dienten solche ethnischen Stereotypen eher zur Codierung politischer Frontlinien, als dass sie wirklich eindeutig kulturelle oder religiöse Unterschiede markiert hätten.206 Die zunehmenden katechetischen Bemühungen der in den Städten verankerten mehrheitlich romanischen Bischöfe unter der Landbevölkerung stießen bei den mehrheitlich fränkischen Grundherren allgemein auf große Widerstände, paterentur, pollicentes singuli, cuncta quae mandaret sine aliqua iam simulatione sese adsecuturos. Ad quos vir beatus dixit: ›Nolite timere vos, sed magis iustum Dei iudicium glorificate, quoniam re vera dignum est, ut hi qui eius voluntati contraire videntur, traditi eis ad tempus quos diligunt, sentiant praeceptores suos, quorum cultui inserviunt; vos autem, si praeceptis Christi libenter obtemperaveritis, nihil paveatis, quia innoxii ab his latrunculis semper eritis.‹ Multis praeterea rogantibus pro vexatis, noluit statim orationem pro eis adsumere, sed ait: ›Sinite, hucusque, sinite, sentiant, sentiant; debent scire, quos demum perhorrescant et quibus actenus obtemperantes oboedierunt.‹ Sic itaque, anno illo transacto, cum anniversaria rursus praefata festivitas advenisset, iussit omnes vexatos illos palam adesse. Cumque omnes adessent, oratione praemissa, exorcizavit aquam et dedit eis pro medela, confestimque liberavit eos ab obsidione diabolica. Erat autem numerus eorum amplius quam quinqaginta. Sic ergo via eis salutis adnuntiata plurimumque correctos eos et castigatos dimisit abire sanos.« Vgl. dazu Backman, Religious Dances, S. 35 f., wo diese Episode mit der unter dem Namen des Eligius überlieferten Predigt gegen superstitiones vermengt wird, und ebd., S. 171, wo die Stelle als Auftreten der Tanzwut interpretiert wird; Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 491 f.; Meriaux, Gallia irradiata, S. 48. 205 Schäferdieck/Berghaus/Vierck, (Art.) Eligius, Sp.  147; Fouracre, The Work, S.  82 f.; zur sprachlichen Problematik der Kommunikation zwischen dem Romanen Eligius und seinen fränkischen Zuhörern vgl. Banniard, Latin e communication orale; Meriaux, Gallia irradiata, S. 72 (über Eligius’ Nachfolger, den Nordgallier Mummolinus); schon Stumpfl, Kultspiele, S. 172, zog aus der Konfrontation von Eligius und Erchinoald den Schluss, dass die in Bußbüchern etc. erwähnten Tanzspiele als germanische Tradition anzusehen seien; vgl. die diese Interpretation reproduzierende Darstellung bei Scheibelreiter, Gallorömer, S. 125–127, dessen identitätstheoretisches Vokabular die mangelnde kritische Distanz zur Quelle nicht kaschiert. Ebenso hat McMullen, Christianity and Paganism, S. 18 f. mit Anm. 63, diese Episode als Quelle für den Widerstand der fränkischen Landbevölkerung gegen die Christianisierung werten wollen. Auch Wenskus, Religion abâtardie, S. 192–194, hat aus der Predigt des Eligius eine Frontstellung des romanisch und christlich geprägten Bischofs gegen die von ihm postulierte fränkische Kulttradition der Labyrinth-Tänze für Neptun herauslesen wollen, ohne genauer zu klären, wie sich dabei die Position des Vertrauten des Königshauses gegenüber der Dynastie bestimmen ließe. 206 Goetz, (Kultur-)Synthese, S. 547–551, 566. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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da diese sich nicht der kirchlichen (und königlichen) Disziplinierung unterwerfen wollten.207 Der Bischof Eligius und die Gefolgsleute des Hausmeiers Erchinoald hatten zwar das platonisch-kosmologische Weltbild der gallisch-fränkischen Christianität gemeinsam, die Schilderung ihres Konflikts bei Audoinus unterstellt ihnen aber unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie der Mensch mit Gott und den höheren Sphären kommunizieren könne. Den Franken schreibt Audoinus – in der Tradition des Übergangs von der vorchristlichen zur christlichen Religion – Tanz als Nachvollzug der kosmischen Harmonie zu. Eligius als Vertreter der höfischen Elite und der reformorientierten Kirche hingegen stellt der Verfasser in die Kontinuität der spätantiken Philosophie, die gerade aus der gleichen neoplatonischen Kosmologie eine Ablehnung des unkontrollierten Ritual­ vollzugs durch Laien abgeleitet hatte: Wie Jamblichus die »Theurgie« als eine Angelegenheit von gleichermaßen begnadeten und ausgebildeten Spezialisten und als exklusiv für bestimmte festgeschriebene Rituale gesehen hatte, so beanspruchte der Kreis um Audoinus und Eligius offenbar enthusiasmos und sa­ kralen Reigen ausschließlich für spezielle liturgische Kontexte und für ihre Heiligen als Träger der göttlichen Inspiration. Wenn Nicht-Befugte außerhalb des kirchlich kontrollierten rituellen Kontextes »enthusiastisch« agierten, wurde dies verstanden und dargestellt entsprechend dem antiken platonischen Modell der ungeordneten, krankhaften mania und seiner Weiterentwicklung zur dämonischen Besessenheit der energumenoi. Dieses Verständnis ist geschult an Sulpicius Severus’ Berichten über die exorzistische Tätigkeit Martins von Tours. Während Martin die dämonisch besessenen Taufkandidaten am Eingang zum Kirchenraum konfrontiert, predigt Eligius vor getauften, jedoch offenbar ungehorsamen Christen, die auf dem Feld vor einer Kirche tanzen. An Stelle der dämonischen Raserei beim Eintritt in den Raum des Gottesdienstes steht ritueller, wenn auch als superstitio disqua­ lifizierter Tanz in Konkurrenz zum Gottesdienst (für welchen dann freilich eine dämonische Raserei die Strafe ist). Der liminale Zustand des Katechumenats ist verschoben auf noch nicht ausreichend katechisierte Taufchristen. Und der Ort des Tanzes ist der Platz außerhalb der Kirche, vielleicht ein profaner Treffpunkt der Gemeinde. Zumindest dem Bericht des Audoinus zufolge agiert Eligius in dieser Szene sehr deutlich in der Tradition des Exorzisten Martin und damit in der Tra­ dition der pagan-neoplatonischen »Theurgie« eines Jamblichus: Die alten Götter, die die christliche Theologie als real existierende Dämonen verstand, lässt der machtvolle Wundertäter mit der Hilfe seines allmächtigen Gottes ein letztes 207 Zeddies, Religio, S.  315 f.; leicht abweichend spricht Jussen, Um 576, S.  26, davon, dass die fränkischen Eliten als Vertreter des Königs sich nicht der aristokratisch-galloroma­ nischen Lokalherrschaft der Bischöfe hätten unterwerfen wollen. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Mal von seinen Gegnern Besitz ergreifen. Die Besessenen verfallen in eine ein Jahr dauernde Raserei und belegen damit schlagend ihre unheilvolle Wirkung. Dann nimmt Eligius exorziertes Wasser, weiht die Rasenden und befreit sie so von den Dämonen. Heilige Männer wurden häufiger als Herren über die körperlichen Bewegungen ihrer Mitmenschen gezeichnet: Martin von Tours, der Archetypus des merowingischen Heiligen, hatte etwa eine Bestattungsprozession, die an ihm vorüber­zog, zum Stillstehen gebannt, da er überprüfen wollte, ob sie heidnische Kulttraditionen pflegte.208 Auf ganz ähnliche Weise wie mit den Leuten des Erchinoald ging Eligius auch mit anderen Kontrahenten um: Ein späterer Zusatz der Vita berichtet, er habe auf einer Synode den Bischof Landerich von Paris (653–654) kurzerhand mit Gottes Hilfe wie tot zu Boden gehen lassen, um ihn erst auf Bitten des Königs wieder zum Leben zu erwecken.209 Der Reigen als Teil eines nicht von der Kirche autorisierten Rituals wird also bestraft, indem wiederum die Dysfunktionalität des Rituals als Kommunikation mit den falschen Göttern offensichtlich gemacht wird. Die Liminalität wird demonstrativ auf Dauer gestellt, indem die Tänzer in den Zustand der dämo­ nischen Besessenheit versetzt werden. Aber anders als im ein Jahrhundert zuvor in Rom ausformulierten Fall des Heiden Aurelianus gibt es für die zwar renitenten und abergläubischen, jedoch durchaus getauften Franken einen Ausweg: Der Bischof kann die Geister, die er rief, auch wieder vertreiben, und so die Tänzer aus dem unheilvollen Zwischenzustand befreien. Der Fluch des Eligius ist nicht nur reversibel, sondern geradezu eine pädagogische Maßnahme, durch die die Verfluchten schließlich zu Gott geführt werden. Letztlich wird die tem­poräre Besessenheit so zum spezifischen Heilsmittel, und entsprechend beschließt Audoinus die Episode: »So also hatte er ihnen den Weg des Heils gezeigt und viele auf den rechten Weg geführt und gezüchtigt und trug ihnen auf, als Geheilte zu gehen.«

Und dies geschieht in einem astralmythologisch stilisierten Rahmen: Der Dauer­tanz der Besessenen dauert genau ein Jahr, einen Umlauf der Sonne und der Sterne also.210 Auch das Datum der Ereignisse, das Fest des mit Paulus oft als christianisierter Dioskur konnotierten Petrus im Umfeld der Sommer­ sonnenwende, könnte eine solche Assoziation nahegelegt haben.211

208 Bernoulli, Heilige, S. 11. 209 Bayer, (Art.) Vita Eligii, Sp. 491. 210 Vgl. die deutlich überinterpretierende astralmythologische Deutung der Vita Eligii bei Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 614–624. 211 Allerdings hatte sich das astronomische Solstitium durch die Kalenderverschiebung um 650 n. Chr. bereits deutlich vor den 24. Juni (bzw. den 21. Juni als Sonnenwendtermin der Zeit Konstantins) verlagert; vgl. allg. unten, Kap. VII.3.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Audoinus von Rouen unterscheidet also präzise zwischen dem göttlichen e­ nthusiasmos des wundertätigen Heiligen im davidsgleichen Tanz einerseits und der Raserei der ungehorsamen Taufchristen andererseits, zwischen dem kosmologisch geordneten tripudium und der unkontrollierten Besessenheit. Freilich geht es hier nicht um einen einfachen Gegensatz von erlaubtem Kleriker- und verbotenem Laientanz: Eher wird die körperliche Mimesis der kosmischen Sphären für bestimmte liturgische Akte monopolisiert – und für den Heiligen Mann als Träger göttlicher Gnade. Denn der wundertätige Tanz des Eligius hatte ja noch in seiner Zeit als Goldschmied und Münzmeister statt­ gefunden, weit vor seiner Bischofsweihe. Obwohl der christliche Heilige bei der Translation des Martial seinen eigenen enthusiasmos einsetzen kann, um die Gefangenen zu befreien, agiert er gegenüber den Leuten des Erchinoald nicht einfach wie der Offiziant eines Trance-Kultes. Die Besessenheit, die er induziert, hat selbst keine kathartische oder heilende Wirkung, sondern ist nur eine exemplarische Strafe für den Ungehorsam gegen ihn. Die dämonische Raserei bildet zwar invertiert den rituellen Tanz ab, welcher der Anlass des Streites gewesen war. Diese »saltationes« sind jedoch nicht das konkrete Delikt, das ursächlich für die Bestrafung wird. Geahndet wird vielmehr die Verschwörung zum Mord an dem Heiligen. Die Ambivalenz der mania zwischen Mimesis der kosmischen Harmonie einerseits und krankhafter Raserei andererseits ist jedoch als imaginatives Stereotyp für den Status der Liminalität an den Grenzen der ecclesia (im Sinne der Gemeinschaft der Gläubigen) so gut eingeführt, dass der Tanz bzw. die Raserei den Heilsverlust am besten abbilden kann. Die Episode ist wohl nur vor dem Hintergrund der Machkämpfe in den mero­wingischen Teilreichen zu verstehen: Während die eigene Fraktion um die Nachkommen des guten Königs Dagobert der göttlichen Gnade teilhaftig wird, die sich in der Wundertätigkeit ihres Heiligen immer neu manifestiert, sind die Gegenspieler latent in Gefahr, des Heils verlustig zu gehen. Mit ihrer macht­politischen Konfrontation haben sich die Leute des Erchinoald also nicht nur gegen den gottgewollten König, sondern auch gegen seinen heiligen Mentor und damit gegen Gott selbst gestellt.212 Als sie sich gegen den »Romanus« verschwören, gewinnt der Teufel Macht über sie. Eligius lässt sie dies erfahren, indem er mit Gottes Hilfe die Dämonen in sie fahren lässt. Und er lässt sie spüren, bei wem das göttliche Charisma liegt: Als sie sich ihm unterwerfen, werden sie rekonziliiert. Ihr Tanz ist teuflisch nicht an sich, sondern weil ihnen die Gnade Gottes fehlt. Der Tanz des Eligius hingegen ist nicht blasphemisch, sondern heilswirksam, weil er des Heils gewiss sein kann, oder anders: Eligius verhält sich syntaktisch mit der kosmischen Harmonie, darum kann sein tripudium

212 Vgl. Graus, Volk, Herrscher, Heilige, S. 373 f., über dieses häufige Leitmotiv der merowingerzeitlichen Hagiographie. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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funktionieren. Erchinoald stellt sich gegen die Ordnung Gottes, daher können die Reigen seiner familia nur ataktisch, disharmonisch, dämonisch sein. Die platonische Doppelstruktur der mania zwischen gutem enthusiasmos und satanischem Wahnsinn wird hier also aufgerufen, um einen politischen Gegner zu disqualifizieren. Folgerichtig lässt Audoinus den mächtigen Hausmeier denn auch einen wahrhaft heillosen Tod sterben: Eines Nachts sieht Eligius eine Feuersäule aus dem Himmel auf das Quartier des Erchinoald herniederfahren. Als der Hausmeier bald darauf tödlich erkrankt, rät ihm Eligius, zum Heil seiner Seele seine Reichtümer zu Almosen zu geben. Habgier und Geiz verhindern dies, so dass Erchinoald unversöhnt mit Gott und seinem Heiligen stirbt. Eligius jedoch nimmt sich dennoch seines Leichnams an und bestattet ihn christlich.213 Die Doppelstruktur von ungeordneter und geordneter mania wird so bei Audoinus von Rouen letztlich umgekehrt: Der Tanz für die Götter, soweit er außerhalb kirchlicher Regulierung stattfindet, wird nicht länger als Mittel zur Wiederherstellung der kosmischen Harmonie gesehen, sondern selbst als Ausdruck für die Störung der Sphären. Und die Raserei, die der christliche Heilige daraufhin auslöst, ist nicht mehr selbst ein Mittel der Heilung und Rekonzi­ liation, sondern eine spiegelnde Strafe für die Weigerung, sich dem göttlichen Willen zu unterwerfen. Erst der Exorzismus durch den Heiligen kann mit Gottes Hilfe diese Strafe beenden und die Besessenen befreien. So ist im Vergleich zur Geschichte von Domitilla und Aurelianus ein Ausweg aus der Aporie des ataktischen Reigens gewonnen. Diesen Ausweg bildet aber nicht mehr eine tänzerische Harmonisierung mit dem Kosmos, sondern die kirchliche Heilsvermittlung. Doch auch mit dieser Bedeutungsverschiebung trägt das merowingerzeitliche Konzept von Raserei als Ausdruck der Heillosigkeit die Traditionen der spätantiken Kosmologie weiter. 213 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Buch II, Kap. 27: »Denique quadam nocte, cum alto sopore omnes quiescerent, fortuitu Eligius egressus tabernaculum, dum foris ante vestibulum deambularet ac de psalmis nescio quid secum volveret, vidit subito ­columnam ignis  e caelo descendere cubiculumque Herchenoaldi vehementer penetrare. Et tacite secum eventum rei considerans, interitum bestiae illius diacono suo, qui forte solus cum eo tunc inventus erat, indicat. Confestim vero Herchenoaldus ultione divina percussus, cum subito in internis visceribus vasto cremaretur incendio, iussit protinus ad se vocari Eligium; qui cum vocatus adfuisset et videret eum vehementer angeri, coepit ei suadere, ut quia iam ei vivendi non aderat fiducia, vel hoc faceret moriturus, quod non fecerat sponte vivus, scilicet ut sacculos copiosos metallo auri refertos, quos secum equi vehebant incomptos, pauperibus iam sine dilatine pro refrigerio suae animae tribueret: hoc ei solum adstruens prodesse, illa vero quae in thesauris relinquebat procul dubio animae suae obesse. Sed ille sicut semper rapidus, ita tenax et avarus, dum mora dilationis longius innectit, repente miser spiritum exalavit. Cuius corpus Eligius secum pro misericordia referens, sepulturae tradidit ac sic verba sua cunctis manifeste completa ostendit.« Vgl. dazu Bayer, (Art.) Vita Eligii, Sp. 493; Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 335 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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V.4 Skeptische Stimmen des 9. Jahrhunderts: Agobard und Amulus von Lyon über Fälle von angeblicher kollektiver Besessenheit Ähnliche massenhafte Besessenheitsbewegungen sind zumindest für das Frankenreich des 9.  Jahrhunderts mehrfach überliefert: So beklagte Erzbischof ­Bartholomäus von Narbonne (ca. 822–844) in einem nicht erhaltenen Brief an Erzbischof Agobard von Lyon (779–840/41), in einer Kirche des hl. Firminus in Uzès seien zahlreiche Besessene aufgetreten, die sich wie Fallsüchtige verhalten hätten. Sie hätten berichtet, sie würden wie von Feuer verbrannt. Das Volk habe mit Prozessionen und reichen Spenden an den Heiligen reagiert. Agobard, der dem populären Dämonenglauben skeptisch gegenüberstand, kritisierte in seiner gemeinsam mit dem Presbyter Hildigisus und dem Diakon Florus verfassten Antwort diese spirituellen Lösungsversuche als abergläubisch, weshalb der Briefwechsel schnell autoritative Bedeutung für theologische Kritiker der Volksfrömmigkeit erlangte: »Wir haben erfahren, dass Eure Klugheit beunruhigt werde, da sie zu vernehmen gezwungen sei, das an einem gewissen Ort gewisse Schläge zu geschehen begonnen haben, dergestalt, dass einige hinfallen nach Art der Fallsüchtigen oder nach Art jener, die das Volk für Besessene hält. Dies hat uns auch ein gewisser ehrwürdiger Bruder mitgeteilt. Besonders [gilt dies] für eine bestimmte Kirche, in der der Körper des heiligen Firminus verehrt wird. Und nun erfahren wir durch Euch zudem, dass dies bis heute auch auf andere Weise geschieht, dergestalt, dass an den Leibern der Menschen Zeichen von Verbrennung gesehen und gespürt werden, als berühre sie an jenen Stellen brennender Schwefel. Doch wurde uns gesagt, dass daran weder jemand verstorben sei, noch zuvor irgendein Schwacher von einer anderen Krankheit geheilt worden sei. Bei diesem Anblick erscheinen Menschen beiden Geschlechts und verschiedenen Alters an jenem Ort oder, wie Ihr sagtet, an [mehreren] Orten. Denn schon scheinen bei anderen gewisse Gaben zu geschehen, soweit ein jeder es vermag, sei es in Gold und Silber, sei es in Vieh oder in anderen Dingen, auf niemandes Aufforderung hin, in keiner Weise ermahnt, sondern von unvernünftiger Angst diktiert. Was uns sehr dumm zu sein scheint, da dort keinerlei Zeichen einer Gesundung, keine Hoffnung auf Versöhnung gezeigt wird. Daher konnte umso leichter ins Gegenteil verkehrt werden, was die Aufgabe der Seelsorge gewesen wäre. Und sicher ist dies höchst wahr, dass diese Schläge nichts anderes sein können als von Gott ausgelöst, so wie sie keiner anderen Macht dienen als dem schlagenden Engel. Denn wie töricht ist jener, der nicht weiß, dass der allmächtige Gott die Menschen auf sichtbare und unsichtbare Weise geißelt zu Läuterung und Bekehrung, nicht allein durch Menschen oder Dämonen, sondern ebenso durch Tiere oder durch kleinstes und gemeinstes Ungeziefer?«214 214 Dümmler (Hg.), Agobardi Lugdunensis archiepiscopi epistolae, MGH Epp. Mer. et ­Karol. aevi, Bd. 3, Nr. 12, S. 206–210, hier S. 206: »Cognovimus sollicitam esse prudentiam © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Nur mit Gottes Erlaubnis konnten böse Mächte den Menschen piesacken, was auch Sulpicius Severus gut 450 Jahre vor Agobard bestätigt hätte. Die Deutung des Leidens als »Besessenheit« also ist in diesem Fall ein Irrglauben des Volkes. Gott selbst straft die sündigen Menschen durch den »schlagenden Engel« mit dem Zwang »nach Art der Fallsucht« zu Boden zu gehen.215 Dieser wirkt also an sich, nicht etwas durch real existente Dämonen oder die Vermittlung eines Heiligen. Damit war auch den frommen Gegenmaßnahmen der Gläubigen, zumal ihren Geldopfern, der Boden entzogen, ging es hier doch darum, die läuternde Strafe Gottes auszuhalten. Auf diese gegenüber populärem Dämonenglauben, aber auch gegenüber der Zuschreibung von magischen Potenzen an die Heiligen skeptische Er­k lärung griff wenig später auch der Nachfolger des Agobard, Erzbischof A ­ mulus von Lyon (841–852), zurück.216 Der Chorbischof des Bischofs Theodboldus von Langres (838–856) hatte ihm von einem Vorfall in Dijon berichtet. Demnach hätten angebliche Mönche aus Italien Knochen mitgebracht, die sie als Reliquien eines unbekannten Heiligen ausgaben. Da die schriftliche auctoritas mit dem Vermerk der Provenienz gefehlt habe, habe man die Knochen bis zu einer Klärung ihrer Herkunft am Hauptaltar der Stiftskirche St. Benignus verstauen lassen, also in unmittelbarer Nähe der Reliquien des Kirchenpatrons. Da hätten Mädchen und Frauen in der Kirche begonnen hinzufallen, gepeinigt von einer mirakulösen Kraft, die sie zum Grab des Kirchenpatrons hingezogen habe. Eine vestram, quonam modo accipi debeat illud, quod in quodam loco cęperunt fieri quędam percussiones, ita ut caderent quidam modo epilemticorum vel eorum quos vulgus dęmoniacos putat, vel nominat. Quod et quidam venerandus frater significavit nobis; maxime in quadam ecclesia ubi cuiusdam sancti corpus veneratur nomine Firmini. Et nunc per vos comperimus adhuc etiam alio genere fieri, ut videantur et senciantur in corporibus hominum stigmata exustionis, quasi si sulphur arsisse in locis illis contigisset: nec tamen mori aliquem ex his dictum est nobis, nec quemquam alia ante infirmitate languentem curari. Quę vidęntes [!] utriusque sexus et diversę aetatis homines offerunt in loco aut, sicut dicitis, locis – iam enim et in aliis fieri videtur -- quędam donaria, quę unusquisque potest, aut in auro et argento vel pecoribus aut in quibuscumque spetiebus nullius exhortatione, nulla ratione admoniti, sed in­ rationabili terrore perterriti. // Quod nobis multum stulte fieri videtur, cum nulla signa sanitatum, nulla spes propitiationis ibidem demonstrentur, propter quod facilius averti poterat, qua esset cautela custodiendum. Et certe sicut verissimum est, quod istę percussiones esse non possunt, nisi Deo permittente, ita certissimum nulla alia virtute ministrante, nisi angelo percutiente. Quis namque ita stultus est qui nesciat et visibiliter et invisibiliter omnipotentem Dominum flagellare homines ad eruditionem et conversionem; non solum per homines et daemones, sed etiam per bestias, et per minutissima et vilissima quęque animantia?« Vgl. dazu Schmitt, Heidenspaß und Höllenangst, S. 61–67; Beek, De geestesgestoorde, S. 244; Boshof, Agobard, S. 176–179. 215 Vgl. dazu unten, Kap. VII.3.8. 216 Dümmler (Hg.), Amulonis archiepiscopi Lugdunensis epistolae, MGH Epp. Mer. et Karol. aevi, Bd. 3, Nr.1, S. 363–366; vgl. dazu Beek, De geestesgestoorde, S. 243 f., wo beide Fälle als Massenhysterie gedeutet werden; Boshof, Agobard, S. 178. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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medizinische Ursache sei nicht zu erkennen gewesen.217 An die 400 Frauen aller Alterstufen und sozialen Schichten seien schließlich betroffen gewesen, die nicht mehr in der Lage gewesen seien, die Kirche zu verlassen. Sobald sie nach Hause hätten gehen wollen, seien sie in die Kirche zurück gezwungen worden. Bald habe dieses Leiden auch auf eine andere Kirche in Dijon übergegriffen, dann auch auf eine in Saulieu in der Diözese Autun.218 Amulus lässt nun keinen Zweifel, dass er das Leiden der Frauen nicht für ein positives Wirken der angeblichen Reliquien hält, sondern für eine »plaga«.219 Die Knochen, denen jede verfahrensmäßige Authentizität als Reliquie abgehe, sollten aus dem Sakralraum entfernt und heimlich an einem unbekannten Ort am Rand des Kirchhofs bestattet werden, damit sie dem Volk nicht Anlass zu einer nicht-autorisierten Verehrung böten.220 Denn jene »plaga«, die Mädchen ihren Eltern und Ehefrauen ihren Gatten entzöge, sei eindeutig Folge von Betrug und superstitio des Volkes.221 Geschehene Wunder seien sicherlich auf das Wirken des hl. Benignus zurückzuführen.222 Dass die »pestilentia ista superstitionis atque illusionis«223 Folge eines dämonischen Betrugs sei, beweise auch der Brief seines Vorgängers Agobard über die ganz ähnlichen Ereignisse in Uzès.224 217 Dümmler (Hg.), Amulonis archiepiscopi Lugdunensis epistolae, MGH Epp. Mer. et Karol. aevi, Bd. 3, Nr.1, S. 364: »cum tamen in nulla parte corporis lesae appareant, aut ulla plagae alicuius vestigia monstrare videantur.« 218 Beschreibung des Vorfall: ebd., S 363 f. 219 Ebd., S.  364: »[…] nullatenus  a loco discedere posse firmantur, quia videlicet si ad ­domos suas redire tentaverint, statim nova nescio qua plaga percussae, ad ecclesiam de qua exierant redire compellantur.« 220 Ebd.: »[…] videtur nobis inprimis ut ossa illa, quae nulla ratione, nulla auctoritate, nescio cuius sancti esse dicuntur, unde primum prurigo huius curiositatis exorta esse videtur, omnino de sacris aditis et de loco celebri tollantur et nequaquam intra ecclesiam, sed foris in atrio, aut certe sub pariete vel circa ipsam, vel, quod utilius existimamus, circa aliam secreto in loco apto et mundo sub paucorum conscientia sepeliantur, ut, quoniam et sancta esse dicuntur, aliquid eis reverentiae deferatur, et quia esse penitus nesciuntur, nequaquam rudibus populis occasio erroris et superstitionis exsistant.« 221 Ebd., S.  365: »Quando istiusmodi sanitates sanctorum oratio apud Deum optinuit, quibus simplices et innocentes puellae in sanctuario Dei incolumes reddantur, sed si de salute sua gaudium parentibus facere voluerint, continuo iterum percussae ad domos eorundem parentum suorum redire prohibeantur? Quando autem martyres sancti ita coniugatas quasque fideles in suis sanctuariis sanitati restituerunt, ut eas a maritis seiungerent et, ne ad virorum suorum domos reverti possent, repentine cladis animadversione percuterent?« 222 Ebd.: »Nam etsi unum aut multum duo vel tria istis ipsis temporibus, quibus talia geruntur, sanitatum vel curationum signa in eadem beati Benigni martyris ecclesia veraciter et probabiliter celebrata sunt, haec profecto cum omni gaudio et veneratione ac debita gratiarum actione ad Dei gloriam et probatissimi atque gloriosissimi martyris merita referenda sunt.« 223 Ebd., S. 366. 224 Ebd., mit Paraphrase des Briefes des Agobard, S.  366 f.; vgl. ebd., S.  368: »Misimus ­vobis etiam exemplar epistolae praefati pii patris et nutritoris nostri ad iam dictum Narbonensem episcopum, ut si quis de huiusmodi causis subtilius et plenius nosse voluerit, illius lectione uberius ac profundius instruatur.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Es folgt ein Plädoyer für die Reinhaltung des Sakralraumes von profanen und blasphemischen Einflüssen, mit dem Amulus dem theologischen Zeitgeist der Karolingerzeit entspricht. Disziplinarische Maßnahmen, die Ver­ehrung der Heiligen und priesterliche Seelsorge, so Amulus, sollten die Gemeinde zur Rechtgläubigkeit zurückbringen.225 Echte Besessene unter den Opfern sollten durch Verwandte und Freunde kirchlich approbierten Exorzisten zugeführt werden, statt sie Volksaufläufen auszuliefern.226 Amulus bezweifelt also nicht etwa die Existenz dämonischer Besessenheit oder die Wirksamkeit von Heiligen und ihren Reliquien. Er fordert jedoch die strenge Disziplinierung ihrer Ver­ehrung durch die kirchliche Lehrgewalt, um Betrügereien und Superstitionen gegenzusteuern. Die Unterbringung von in ihrer Authentizität als Reliquien ungesicherten Knochen in der Kirche des Benignus also hatte dazu geführt, dass Mädchen und Frauen hinfielen und sich gezwungen fühlten, in der Kirche auszuharren. Ebenso ist in dem Brief des Agobard über die Vorfälle in Narbonne von einem Verhalten »wie Fallsüchtige oder Besessene« die Rede. Es handelt sich also nicht im engeren Sinn um ein weiters Beispiel für die Verwendung von »Tanz« als Beschreibungsmodus für einen Zustand der spirituellen Unsicherheit. Wohl aber sind mit Besessenheit und Fallsucht zwei eng verwandte Konzepte angesprochen. Im ersten Fall erfahren wir nicht, was das Verhalten der Frauen und Männer ausgelöst hatte. Im zweiten hatten die fremden und betrügerischen »Reliquien« eine Störung der Sakralität des Kirchenraumes ausgelöst. In dieser Phase der Unsicherheit verfiel ein Teil der Gläubigen (hier nur die Frauen) in den Zustand von energumenoi und setzte so den drohenden Heilsverlust performativ um. Beide Quellen aber belegen die Existenz eines theologischen Diskurses, der darin eine abergläubische Simulation oder gar die Einflüsterung von Betrügern sah. Die Verwirklichung eines Zustands der Heilsungewissheit durch körper­liche Expressionen wurde so selbst als superstitio delegitimiert. Mania als Performanz einer Störung der kosmischen Ordnung, als Besessenheit wie als »Tanz«, wurde so mit einer grundsätzlichen Ambivalenz aufgeladen: Sie konnte immer zugleich als spirituell reales und legitimes Phänomen wie als illegitime Simulation begriffen werden. Der allfällige Inszenierungscharakter von per­ fomativen Akten wurde so aufgespalten durch eine theologische Distinktion. Neben das discrimen spirituum, die Unterscheidung von Dämonen oder Engeln, trat als dritte Kategorie das »Als ob«. Ein solches Verhalten »wie Besessene« hatte auch Johannes von Ephesus den Amidenern attestiert. Anders als 225 Ebd., S. 366 f.; vgl. oben, Kap. II.2.4. 226 Ebd., S. 368: »Nam etsi quidam illorum fallacium atque fallentium, vere inergumeni et arrepticii essent, more ecclesiastico vel in locis suis a sacerdotibus suis vel in quibusque martyrum sanctuariis a propinquis et amicis tranquille debuerant tractari atque opitulante Dei ­gratia purgari, non populorum turbis ac tumultibus inaniter prosequi.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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dieser disqualifizieren die Erzbischöfe Agobard und Amulus ein solches »Als ob« aber an sich schon als zu bekämpfenden Aberglauben. Auch diese Ambivalenz sollte der weiteren Rezeption der mania inhärent bleiben. Die Deutungen der Zeitgenossen konnten so immer optional in die eine oder andere Richtung ausschlagen. Charles West hat in einer luziden Analyse des Briefes des Amulus die Ereignisse in Dijon neu kontextualisiert.227 Das expressive Verhalten der Frauen lässt sich demnach auch als Reaktion auf die politische Krise des Thron­kampfes nach dem Tod Ludwigs des Frommen (778–840) lesen228  – womit die Parallele zum Fall Amida knapp drei Jahrhunderte zuvor deutlicher hervortritt. Zu Recht weist West darauf hin, dass die Schilderung der angeblichen Wunder, wie sie sich aus der Paraphrase des Amulus erschließen lässt, massiv durch die Perspektive des Theodbald von Langres geprägt ist: Führte der Ortsbischof das Motiv der kollektiven Pseudo-Besessenheit in die Argumentation ein, um den vom Konvent von St.-Bénigne wohl gegen seinen Willen installierten neuen Reliquienkult zu disqualifizieren?229 Im Hintergrund steht hier, so West, ein Konflikt um die bischöfliche Kontrolle über die Mönche, und auch über deren Stellung zur karolingischen Reform des Kloster- und Stiftswesens. Theodbald von Langres konnte also für seine Schilderung einer Massenbewegung von Als-obBesessenen auf den in der vorliegenden Arbeit nachgezeichneten Diskurs über mania und enthusiasmos zurückgreifen. Amulus als zuständiger Erzbischof konnte mit seinem Brief nicht nur seine umstrittene Metropolitankompetenz erneuern, er betonte dabei, so West, besonders die Bedeutung der Pfarrorganisation für die Wiederherstellung der Ordnung: Die unkontrollierten Expressionen der Frauen von Dijon werden so zum Gegenbild für die harmonische Ordnung des Parochialsystems, wie es im 9.  Jahrhundert im Zuge der karo­ lingischen Reformen eingeführt wurde.230 Damit ist eine Frontstellung vorweggenommen, die im Diskurs über den unfreiwilligen Tanz mit dem sogenannten Tanzwunder von Kölbigk manifest werden wird: Im Bild der mania kristallisiert schon hier und umso deutlicher im 11. Jahrhundert der Gegensatz von der Kirche als Reigen und der Kirche als Haus Gottes.231

227 West, Unauthorised Miracles (mit zahlreicher weiterer Lit.). 228 Ebd., S. 297 f. 229 Ebd., S. 301–303. 230 Ebd., S. 298 f. (Metropolitangewalt), 304 f. (Pfarrei). 231 Vgl. oben, Kap. II.2.4 und unten, Kap. VI.5.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Querschnitt: Unfreiwilliger Tanz

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V.5 Querschnitt: Unfreiwilliger Tanz als auf Dauer gestellte Liminalität Schon im 1.  Buch der Könige verfallen die Priester des Baal angesichts ihres scheiternden Opfers in einen vergeblichen, weil an den falschen Gott gerichteten Tanz. Der antike Mythos verknüpfte die mania als Inbegriff der scheiternden Kommunikation mit dem Kosmos mit dem Motiv der Eheverbindung mit dem Gott (Dionysos). Diese Heilige Hochzeit wird im römischen Kaiserzeremoniell zur mythischen Begründung des Goldenen Zeitalters. Christliche Märtyrerlegenden invertieren sie hingegen zum Gegenpol der Brautschaft der Seele mit Gott und letztlich zu Taufe und Eucharistie. Unfreiwilliger und unabschließbarer Tanz wird so zum Bild für das unausweichliche Verderben des falschen Glaubens. Schon Sulpicius Severus stilisiert seinen Helden Martin von Tours nach dem Muster des neoplatonischen Theurgen, des von Gott mit der Herrschaft über die Geistmächte bzw. Dämonen begnadeten Heiligen. ­Mania als Besessenheit markiert so den Zustand der Heilssuche, wie er Ungetauften zwangsläufig eigen ist: Sie stehen auf der Schwelle der Heilsgemeinschaft und buchstäblich in der Vorhalle der Kirche, und in diesem Zwischenraum äußert sich ihr unentschiedener Status in unwillkürlichen und den Geboten der modestia wiedersprechenden körperlichen Expressionen. Teufel und Dämonen geben so mit ihrem typischen Verhalten das Vorbild ab, nach dem Zustände der Gottesferne performativ umgesetzt werden können, wie im Fall der Krise von Amida im Jahr 560 oder jener von Dijon um 840: Wer sich verlassen fühlt, agiert dies aus, indem er sich »wie besessen« benimmt. Dieses Motiv der ataktischen, disharmonischen mania als Besessenheit und Folge des Unglaubens wird auch in der Vita Eligii durchgespielt. Zugleich kennt die merowingerzeitliche Hagiographie jedoch auch die positive Bezugnahme auf den kosmischen Reigen als Medium der Harmonisierung von Mensch und göttlicher Ordnung: Der theurgisch begnadete Heilige darf durchaus vermittels Tanz die Reintegration einer translozierten Reliquie bewirken. Er kann jedoch auch die unfreiwillige Raserei der mania vermitteln. Hintergrund ist die Aufladung des merowingerzeitlichen Christentums mit Motiven aus der antiken Mythologie, die dann auch in den Machtkonflikten bei Hofe vielfach mobilisiert und aktualisiert werden. Damit ist die platonische mania im christlichen Denken als Bild für Zustände der Gottessuche, vor allem aber für das Verharren auf der Schwelle des Heils, installiert. Der spezifische Zeichenvorrat, der so aus der platonischen mania in die christliche Besessenheit und von hier in die Performanz von Heilsferne wandert, erinnert an moderne Konzepte von Hysterie – dies aber nicht, weil diese retrosepktiv diagnostizierbar wäre, sondern umgekehrt: Weil die diskursive Konstruktion der Hysterie im 19. Jahrhundert selbst nur eine weitere Iteration © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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des mania-Konzepts ist. Ebenso handelt es sich bei den in diesem Kapitel vor­ gestellten Beispielen nicht um frühe Fälle von Tanzwut, sondern um Stationen auf dem Weg der diskursiven Formierung dieses erst viel später manifest werdenden Krankheitskonzepts. In kongenialer Weise wird diese Bedeutung körperlicher Expressionen als Zeichen der Heilsferne zusammengefasst von einer der ältesten Quellen zum Tanz von Kölbigk: Der sogenannte Bericht der ­Othbert leitet seine Schilderung dieses Wunders ein mit den Worten: »[…] wenn ich auch meine Sünde verstecken wollte, wären doch die Unruhe meines Blutes und die Bewegung meiner Glieder ein Zeichen.«232

232 Zitiert nach: Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 101: »[…] etsi vellem tegere peccatum meum, indicium esset mearum inquietudo venarum et motus membrorum.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

VI. Von der Kirche als Reigen zum blasphemischen Tanz: Die Kölbigker Legende als Paradigma »Et quia recti aditus limen transcendere nequeunt, pererrando circuitum insania rotante volvuntur. De quibus per psalmistam dicitur: Deus meus, pone illos, ut rotam, et iterum: In circuitu impii ambulant.« Petrus Damiani, Liber Gomorrhianus (1049)1

Das im frühen Mittelalter entwickelte Konzept vom Tanz als Metapher für Schwellenzustände zwischen Heil und Unheil wurde im 11.  Jahrhundert zu einer der wirkungsvollsten Legenden des Mittelalters ausgeformt, zur Erzählung vom Reigen der verfluchten Tänzer auf dem Kirchhof. Bis weit in die Neuzeit diente diese Erzählung zur moralischen Warnung vor dem Tanz und dem blasphemischen Verhalten im Kirchenraum. Als eine solche »Warnlegende« ist der »Tanz von Kölbigk« denn auch in der Forschung bisher durchgehend ge­ lesen worden – oft zudem als Zeugnis für ein reales Ereignis. Diese Interpretation geht jedoch in die Irre. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, wird im Kölbigker Tanzmirakel die Rezeption und christliche Weiterentwicklung der platonischen mania seit der Spätantike integriert in die aktuellen Diskussionen über die Kirchenreform des 11. Jahrhunderts. Die Geschichte von den verfluchten Tänzern verhandelt in ihrer Entstehungsphase nicht primär blasphemisches körperliches Verhalten, sondern Fragen des Zustands der ecclesia als spiritueller Gemeinschaft, als Institution und als Raum. Der Tanz von Kölbigk ist somit nicht als ein frühes Auftreten der Tanzwut zu verstehen, wohl aber als Scharnierstelle in der Entwicklung von den antiken mania-Konzeptionen zur spätmittelalterlichen Tanzkrankheit.2

1 Reindel (Hg.), Petrus Damiani, Liber Gomorrhianus, S. 293 f. 2 Die folgende Untersuchung konzentriert sich ganz auf die frühe Überlieferung zum Tanzmirakel, die die Legende in Kölbigk lokalisiert. Alle späteren und anderweitigen Ver­ arbeitungen des Motivkomplexes vom unfreiwilligen oder verderblichen Tanz können als Weiterentwicklungen der Kölbigker Erzählung und der kirchlichen Tanzpolemik im weiteren Sinn angesprochen werden. Für eine Untersuchung der Textgenese und der möglichen Bedeutung zur Entstehungszeit sind sie folglich irrelevant. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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VI.1 Forschungsstand und Überlieferungssituation VI.1.1 Der Tanz von Kölbigk als Problem der Forschung Mit seiner langen und vielfältigen Rezeptionsgeschichte bis hin zu den Ge­ brüdern Grimm3 bildet der »Tanz von Kölbigk« ohne Zweifel eines der wirksamsten exempla der mittelalterlichen Literatur.4 Er hat zumal die Literatur­ geschichte immer wieder beschäftigt, enthält doch eine der frühen Textfassungen eine Strophe und den Refrain eines der Forschung zufolge ursprünglich volkssprachlichen Tanzliedes in lateinischer Übersetzung, das damit als die älteste einschlägige Überlieferung im mittelalterlichen Europa gilt.5 Trotz der breiten und populären Überlieferung erweist sich die Erzählung in ihrer Grundstruktur als bemerkenswert stabil: Eine Gruppe junger Leute führt demnach in der Weihnachtsnacht auf dem Vorplatz der Kirche St. Magnus in Kölbigk einen Reigen auf. Tanz und Gesang stören den Gottesdienst. Der Priester tritt daher heraus und ermahnt die jungen Leute, ihr Treiben zu beenden. Da sie sich weigern, verurteilt der Priester sie dazu, ein Jahr lang ohne Unterlass weiterzutanzen. Bei dem Versuch, seine eigene Tochter aus dem Kreis der Tänzer zu retten, wird dieser der Arm ausgerissen, der jedoch wunderbarerweise weiterlebt. Über den Tanzenden wird ein Schutzdach errichtet, das aber nach dem Willen Gottes immer wieder einstürzt. Nach dem Ende des Reigens fallen die Tänzer in der Kirche in einen dreitägigen Schlaf. Einige sterben, andere genesen, behalten jedoch ein lebenslanges Zittern zurück, das später den an­ geblichen Teilnehmern als körperlicher Beweis ihres Leidens und und zugleich als Zeichen der Allmacht Gottes dienen wird. Angesiedelt ist diese Episode in Cölbigk (in der Forschung in der Regel: ­Kölbigk), heute ein kleines Dorf etwas westlich von Bernburg an der Saale (Sachsen-Anhalt). Die Saale hatte seit der Unterwerfung der Thüringer 531 die Ostgrenze des merowingischen Herrschaftsraumes gebildet. Unter den Otto­ nen entwickelte sich diese Randzone des Ostfränkischen Reiches, südlich von 3 Deutsche Sagen der Gebrüder Grimm, 11816, Nr. 231 (spätere Auflagen: Nr. 233): Magnus und die Tänzer von Kolbeke; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 4; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 95; Günther, Psychologie der Legende, S. 6. 4 Vgl. zur Überlieferungsgeschichte Schröder, Tänzer von Kölbigk. 5 Zur polemischen Diskussion über die Herkunftssprache des Liedes vgl. (von Seiten der Germanistik) Schröder, Tanzlied; Ders., Tänzer von Kölbigk, S. 151 f.; Stumpfl, Kultspiele, S.  172–177; Wiora, Brautreigen, S.  189–195; Meier, Tanzlied, S.  159–164; Baesecke, Kölbigker Tanz, S. 270–280; Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 87–91, 95–98; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S. 290–292, 307–314; Schroeder, Herkunft, S. 183 f.; Holtdorf, Tanzlied, S. 37 f.; den Forschungsstand zusammenfassend: Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 3–28; Rädle, (Art.) Tanzlied. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Magde­burg und östlich des Harzes, zu einem Zentralraum der Königsherrschaft.6 Heinrich II. stiftete um 1015 an dem vorherigen Pfarrort Kölbigk ein Benediktinerpriorat St. Magnus7 und überschrieb es möglicherweise dem Kloster auf dem Michaelsberg bei Bamberg.8 1036 gab Konrad II. dem Ort die Marktrechte und schenkte ihn seiner Frau Gisela.9 1142 führte Bischof Egilbert von Bamberg in Kölbigk die Prämonstratenserregel ein. Im gleichen Jahr nahm Papst Innozenz II. die Propstei in seinen Schutz.10 1515 schrieb der Magdeburger Erzbischof Albrecht von Brandenburg einen Ablass für den Wiederaufbau der Kirche zu Kölbigk aus, woraus man auf einen Verfall im Spätmittelalter geschlossen hat.11 1525 jedenfalls wurde das Kloster von den Bauern zerstört,12 1540 im Zuge der Reformation aufgehoben. Teile der romanischen Kirche sind erhalten.13 Schon der Altgermanist Edward Schröder hat den zeitweiligen Aufstieg ­Kölbigks unter Heinrich II. (1002–1024) und Konrad II. (1024–1037) auf eine durch das Tanzwunder ausgelöste Wallfahrtsbewegung zurückgeführt.14 Freilich fehlt in den Quellen zur Frühgeschichte des Ortes jeder Hinweis auf ein solches öffentlichkeitswirksames Mirakel und auf einen anschließenden Pilger­zustrom. Ja: Trotz größter Anstrengungen der Forschung haben sich in der Umgebung des Schauplatzes überhaupt keine zeitnahen Schriftzeugnisse für das angebliche Ereignis nachweisen lassen.15 Stattdessen postulieren etwa Schröder und Metzner die langfristige Kontinuität einer oralen Lokaltradi­ tion.16 Gegen die Existenz einer solchen spricht der Umstand, dass sich die ab 6 Baesecke, Kölbigker Tanz, S. 278–280. 7 Dieses Patronat ist zu 1015 bei Thietmar von Merseburg bezeugt, vgl. Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 164. 8 Oberste, (Art.) Kölbigk; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 150 f.; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 75, 171; Kunde, Cölbigk, Burgscheidungen und Mückeln, S. 187, weist darauf hin, dass es dafür in der Michaelsberger Überlieferung keine Belege gibt. Stattdessen schlägt er, S. 187–205, Metzner folgend eine Schenkung Kölbigks an das Domstift Bamberg und spätere Entfremdung durch Konrad II. vor. Vgl. unten, Kap. VI.2.3. 9 MGH DKII 234; Cod. Dipl. Anhaltinus I, Nr.  111: 1036, Oktober 26; vgl. Siebert, Tanzwunder, S. 17; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 148 f.; Baesecke, Kölbigker Tanz, S. 278. 10 Stenzel, Urkundliches, S. 226 f. 11 Ebd., S. 227, 233. 12 Ebd., S. 227. 13 Oberste, (Art.) Kölbigk, Sp. 175. 14 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 148 f.; vgl. die erkennbar spekulativen Folgerungen bei Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 36 f., 170–177. 15 Sächsische Ursprünge nehmen an: Baesecke, Kölbigker Tanz, der Thietmar von Merseburg als Autor wahrscheinlich machen wollte; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 95–97, der freilich das Fehlen einschlägiger Überlieferung anmerkt; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 55–60, 104 (ebenso); dagegen: Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 65 f.; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S. 269 f., 295–298; Schroeder, Herkunft, S. 186. 16 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S.  152, 160–162; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 103 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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dem frühen 16. Jahrhundert nachweisbare Rezeption des Mirakels in Kölbigk – etwa mit einer deutschsprachigen Schrifttafel in der Kirche – eindeutig auf die ortsfremde Überlieferung zurückführen lässt.17 Auch die recht kohärente inhaltliche und strukturelle Entwicklung der schriftlichen Überlieferung spricht gegen die Annahme einer primären oralen Tradition vor Ort oder auch überregional, weil in diesem Fall ein wesentlich größerer Variantenreichtum der Erzählung zu erwarten wäre.18 Als Indiz für eine frühe Bekanntheit des Mirakels in Sachsen wird oft herangezogen, dass Lampert von Hersfeld in seinem 1074 begonnenen Libellus de institutione Herveldensis ecclesie für die Jahre nach 1038 notiert, einer derjenigen, die »23 Jahre« zuvor an dem »berühmten Reigen« teilgenommen hätten, sei im Kloster Hersfeld geheilt worden. Anschließend sei er als Laienbruder in das Kloster eingetreten.19 Dieses früheste Zeugnis für den Kölbigker Tanz im sächsischen Raum legt nun zunächst die Vermutung nahe, es habe im historischen Wissen der Hersfelder Mönche einen Anknüpfungspunkt gehabt. Zudem erweist sich die betreffende Passage nicht als unmittelbar abhängig von einer der bekannten schriftlichen Überlieferungen. Freilich stammte Lampert nicht aus Sachsen, sondern aus Mainfranken und war gerade in der mutmaßlichen Entstehungszeit der Mirakel-Erzählung in Bamberg zur Schule gegangen.20 Da das Kloster Michaelsberg oberhalb von Bamberg, das mögliche Mutterkloster von Kölbigk, auch in der sonstigen Überlieferungsgeschichte des Tanz­ wunders eine Rolle spielt, könnte Lampert die Erzählung von hier mit nach Hersfeld gebracht haben. Relativiert wird sein Quellenwert zudem dadurch, das Lamperts Libellus handschriftlich nur in Auszügen des frühen 16. Jahrhunderts erhalten ist.21 Die Erwähnung der »corea famosa« könnte also ebenso gut spätere Zutat sein. Immerhin spricht in der Überlieferung einiges für eine frühe Öffentlichkeitswirksamkeit des Mirakels: So rekurriert die etwa 40 bis 60 Jahre nach den

17 Siebert, Tanzwunder, S. 6 f.; Stieren, Tänzersage, S. 3 f. 18 Vgl. die ausführliche Diskussion bei Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 86, Anm. 107. 19 Holder-Egger (Hg.), Lamperti libellus de institutione Herveldensis ecclesie, MGH SS. rer. Germ. in us. schol., Bd. 38, S. 351: »[…] Inter sanatos advenit unus ex illis, qui in Col­ lebecce […] coream illam famosam duxerunt, tremulus per annos iam viginti tres. Hic ibidem sanus factus, Ruthart nomine, servicio sancti Wigberti se tradidit.« Vgl. dazu Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 94 f.; Borck, Tanz zu Kölbigk (1955), S. 305–307; Ders., Tanz zu Kölbigk (1951), S.  37, 65; Backman, Religious Dances, S.  172 f.; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S.  80, 181–183; Kleinschmidt, Perception and Action, S. 44; Ders., Folgen einer Ekstase, S. 264. 20 Struve, Lampert von Hersfeld, Teil 1, S. 22–31. 21 Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 37; nach Struve, Lampert von Hersfeld, Teil 1, S. 39– 44, überliefern die 1513 von einem Mönch des Klosters Hamersleben angefertigten Exzerpte das Buch I recht vollständig, das Buch II nur sehr fragmentarisch. Die Kölbigker Episode steht in Buch I. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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möglichen Geschehnissen verfasste Wundererzählung in der Vita der hl. Edgith von Wilton (Fassung II) ausführlich auf die Prominenz des Kölbigker Tanzes.22 Immer wieder hat die Forschung versucht, das angenommene Ereignis anhand der schriftlichen Überlieferung zu datieren. Da die Einschätzung der Überlieferung nach Quellenwert und Nähe zum angenommenen Archetyp der Erzählung stark variiert, ist auch diesbezüglich kaum ein klares Bild zu gewinnen.23 Vielfach hat man den Tanz auf dem Kirchhof aus volkskulturellen Traditionen zu erklären versucht. Handelte es sich nach Robert Stumpfl bei dem Tanzwunder um eine narrative Reflexion vorchristlich-germanischer Kult­ spiele?24 Besonders das Weihnachtsfest als Datum des Kölbigker Tanzes erinnert an anderweitig in der Forschung entwickelte Rekonstruktionen von Mitwinter- und Jahreswechseltänzen.25 Hatte die Pfarrkirche einen heidnischen Kultplatz ersetzt, und wurde der Kirchhof daher weiterhin für entsprechende 22 Wilmart (Hg.), La légende, Kap. 16, S. 285–292, hier S. 285: »Romanus orbis nouit et hodierna iuuentus recolit homines noua inquitudine corporum diuinitus percussos et ubiuis gentium peruagatos, ex quibus quatuor nobis conspecti et adhuc superesse possunt aliqui.« Vgl. ebd., S. 290: »Quas terras hec fama non adiit? Que gens, que natio ad hoc spectaculum non cucurrit?« 23 Gelehrte des 17. bis 19. Jh. nahmen oft das Jahr 1005 an; vgl. Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 160 mit Anm. 3: infolge eines Lesefehlers in der Datumszeile der vielfach rezipierten Fassung I (sog. Bericht des Othbert). Noch Stenzel, Urkundliches, S. 226, gibt das Jahr 1004, alternativ 1020/21 an. Da Lampert das Hersfelder Heilungswunder bald nach 1038 23 Jahre nach dem Tanzmirakel geschehen lässt, datiert etwa Kleinschmidt, Perception and Action, S. 43, dieses ins Jahr 1015. Baesecke, Kölbigker Tanz, S. 280, wollte hingegen das Jahr 1016 annehmen, da Lampert Anfangs- und Endjahr seiner Berechnung mitgezählt habe. Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 146 f., schlägt Weihnachten 1020 als Beginn und Weihnachten 1021 als Ende des angeblichen Tanzes vor. Er übersieht dabei jedoch, dass die Datierung 1021 in dem verbreiteten sog. Bericht des Othbert (Fassung I nach Schröder) nicht das Ereignis, sondern die Ausstellung des Textes meint; vgl. Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 145 f.; Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 61; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S. 282 f., hat daher die Angabe in der Pariser Version der Erzählung (Fassung III) heranziehen wollen: »Anno incarnationis domini nostri Jhesu Christi millesimo XVIII indictione XV […]«, heißt es da. Nimmt man an, dass der Jahreswechsel am Entstehungsort des Textes an Weihnachten lag, so ergäbe dieses Datum als Tag des Tanzbeginns den Weihnachtstag des Jahres 1018, nach heutiger Zählung also des Jahres 1017. Da der Tanz am Weihnachtsabend stattgefunden haben soll, als Abend eines Tages jedoch anders als heute der Vorabend galt, wäre dies nach heutiger Rechnung der 24.12.1017, was Borck nicht berücksichtigt. Hingegen hat Metzner, Zur frühesten Geschichte, S.  166–170, aus der Nicht-Erwähnung des Tanzes bei Thietmar von Merse­burg († 01.12.1018) den Schluss ziehen wollen, dieser könne erst 1018 statt gefunden haben. Ihm schließt sich an: Nedoma, (Art.) Tanz, Sp. 287 f.; vgl. hingegen Meinecke/SchmidtWiegand, (Art.) Indiculus superstitionum, Sp. 378: »1012 oder 1021«. 24 Stumpfl, Kultspiele, S.  171 f.; vgl. Schroeder, Beziehungen, S.  385; noch Meinecke/ Schmidt-Wiegand, (Art.) Indiculus superstitionum, Sp. 378. 25 Zusammenfassend: Holtdorf, Tanzlied, S.  22; ähnlich schon Siebert, Tanzwunder, S. 9–11. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Rituale verwendet?26 Wurde hier ein szenisches Tanzspiel profanen Inhalts aufgeführt, wie es auch die frühmittelalterlichen Bußbücher und SuperstitionsPredigten vielfach verbieten?27 Diente der Tanz auf den Gräbern der Kommunikation mit den verstorbenen Vorfahren, sei es im Totenkult,28 sei es zur rituellen Bekräftigung von Rechtsakten wie etwa einer Eheschließung?29 Oder handelte es sich bei dem Vorfall lediglich um einen Ausdruck der zeitlosen Devianz kirchenferner Laien, die lieber auf dem Marktplatz plaudern und spielen, als am Gottesdienst teilzunehmen?30 Ähnlich wie für das Nordgallien des 7. Jahrhunderts ist auch für den SaaleElbe-Raum um 1000 der Grad der Christianisierung umstritten: Die Annahme, diese slawisch-sächsische Übergangszone sei noch weitgehend heidnisch geprägt gewesen, kann mit Blick auf die Zentralität der Region für die ottonische Herrschaft wohl zurückgewiesen werden. Wohl aber ist von einer langfristigen Integration älterer Motive in die sich christianisierende Volkskultur, zumal in Erzähltraditionen und in die profane Rechtspraxis, auszugehen. Versuche, die Kölbigker Tanzerzählung mit dem Ursprung nach vorchristlichen Ritualen oder nicht-kirchlichen, profanen Schauspielen zu erklären, haben ihren Ausgangspunkt jedoch in der älteren volkskundlichen Rezeption der frühmittelalterlichen Synodalstatuten, Predigten und Bußbücher. Die in diesen stereotyp eingesetzten kirchlichen Verbote weltlicher und paganer Spiele und Rituale werden dabei oft immer noch als direkte Reaktionen auf die kulturelle Praxis ihrer Entstehungszeit gelesen. Seit Wilhelm Boudriot und – diesen re­zipierend – Dieter Harmening ist jedoch der ausgesprochen intertextuelle Charakter dieser Quellen unumstritten: Sie gehen maßgeblich auf autoritative Formulierungen zumal in den Werken des Caesarius von Arles zurück und spiegeln so eher die Volkskultur der spätantiken Provincia Narbonnensis als die ihres je eigenen Entstehungsraumes.31 Für die Existenz solcher performativen Traditionen in der Kölbigker Region sprechen jedoch auch konkrete Quellen, etwa Thietmar von Merseburg, der für das Jahr 1013 das Vorgehen des Bischofs Arnulf von Halberstadt gegen heidnische Spiele in der Weihnachtszeit 26 Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 92. 27 So mit vielen Vorläufern die elaborierte These von Metzner, Zur frühesten Geschichte. Dagegen apodiktisch Rädle, (Art.) Tanzlied, Sp. 619 (»gewaltsame Applikation«, »abwegig«), der freilich Sp. 618 ebenso feststellt: »An einem historischen Kern der Berichte ist ebenso wenig zu zweifeln wie an dem rituellen (Spiel-)Charakter der inszenierten Brautentführung.« 28 Allg.: Schmitt, Logik der Gesten, S. 88; Ders., Danses des chevaux; Gurjewitsch, Volkskultur, S. 158 f.; vgl. Wähler, Kindertanzzug, S. 73; Backman, Religious Dances, S. 133–142; Lauwers, Naissance du cimetière, S.  263 f.; Salmen, Tanz und Tanzen, S.  22; für Kölbigk: Kleinschmidt, Folgen einer Ekstase, S. 270 f. 29 Wiora, Brautreigen, S. 194; Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 90–92. 30 So Baesecke, Kölbigker Tanz, S.  275, unter Rekurs auf entsprechende Klagen bei ­Hrabanus Maurus. 31 Zur Diskussion über die Superstitionsliteratur vgl. oben, Kap. III.2.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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schildert.32 Kleriker, die sich mit diesen theologisch wohl vielfach nicht gedeckten Praktiken auseinandersetzten, könnten also durchaus reale Begebenheiten im Blick gehabt haben, wenn sie auch für deren Beschreibung auf autorisierte Formulierungen zurückgriffen. Abseits dieser pauschalen Annahme erweist sich der konkrete Zugriff auf alltägliche volkskulturelle Phänomene jedoch im Regelfall als schwierig. Analogiebildungen führen jedenfalls schnell zu Zirkelschlüssen, bei denen Angaben aus Bußbüchern oder Synodalstatuten mit Zeugnissen in Chroniken, Viten und Mirakelberichten belegt und diese narrativen Quellen ihrerseits anhand der normativen Quellen erklärt werden. Zudem ist die Intertextualität auch der erzählenden oder historiogra­ phischen Quellen stärker als bisher in den Blick zu nehmen. Schon für die Vita Eligii konnte gezeigt werden, dass das Bild des Heiligen als Missionar massiven Sti­lisierungen unterliegt.33 Wenn in der Überlieferung zum Tanz von Kölbigk zahlreiche Indizien auf profan-rituelle oder pagane Praktiken hinweisen, so resultiert dies primär aus dem Umstand, dass die betreffenden Quellen in hohem Maße als Konglomerate aus Bausteinen früherer Texte zu verstehen sind. Anspielungen auf szenisches Spiel mit vernakulären (»germanischen«) Erzählstoffen, ebenso aber auch auf superstitiöse Praktiken, beziehen sich also nicht oder zumindest nicht unmittelbar auf ein reales Geschehen, sondern entsprechen den Stilisierungsabsichten des jeweiligen Verfassers. Geht man freilich davon aus, dass Mirakelberichte nicht nur einen inner-klerikalen Diskurs bedienten, sondern mittelbar auch in der Kommunikation mit Laien funktionieren sollten, so ist anzunehmen, dass solche Stilisierungen ihrerseits auf im jeweiligen Wahrnehmungshorizont vorhandene Muster rekurrieren mussten. Die narrativen Konstruktionen bezeugen also, wenn schon nicht eine rituellperformative Praxis, so doch kulturellen Rahmen, in dem man sich eine solche zu denken hätte. Für die Urheber dieser Texte war es also plausibel, von einem profanen Sing- und Tanzspiel auf dem Kirchhof auszugehen. Die Quellen zum Tanz von Kölbigk können demnach indirekt durchaus zur Überprüfung von Annahmen über Charakter und Funktionen von tänzerischen Performanzen im Umfeld von Kirchen dienen. Aufführungen von Stoffen aus der Heldensage gehörten demnach offenbar zum Kreis des Denkbaren, ebenso der Reigen als Teil von Brautwerbepraktiken und Hochzeitsritualen. Keinerlei Rückhalt jedoch findet in den Textzeugnissen die besonders in der aktuelleren Forschung häufiger anzutreffende Annahme, der Tanz an der Kirche habe der Kommunikation mit den Verstorbenen in den Gräbern gedient.34 Diese eher aus anthropologisch-komparatistischen Untersuchungen gewonnene

32 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 141 f. 33 Vgl. oben, Kap. V.3. 34 Vgl. oben, Anm. 28. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Vorstellung hat die Verfasser der Kölbigker Quellen nicht interessiert.35 Auch allgemein ist hier in der volkskundlichen und altgermanistischen Forschung ein Umdenken festzustellen: Hatte man früher auf der Grundlage der mero­ winger- und karolingerzeitlichen Superstitionsliteratur für die vorchristlichen Germanen einen elaborierten Totenkult angenommen, so wird heute diesbezüglich vor allem auf die methodischen Unwägbarkeiten der Quellenauswertung hin­gewiesen.36 Die Kölbigker Tanzlegende ist also wohl weniger als Reflex auf pagane Kontinuitäten der Totensorge zu lesen, als vielmehr im Kontext von Wandlungen des Memorial- und Sepulkralwesens an der Wende vom frühen zum hohen Mittelalter.37 Hingegen besteht zumal in der neueren Literatur ein breiter Konsens darüber, dass der Tanz von Kölbigk das erste oder zumindest eines der ersten Vorkommen der mittelalterlichen Tanzwut darstelle. Demnach sei diese etwa bei einem paganen Friedhofstanz respektive einem szenischen Spiel zum Ausbruch gekommen, eventuell sogar als Folge der kirchlichen Verbotspraxis gegen derartige ludi saeculares.38 Schon lutheranische Moralisten wie Cyriakus Spangenberg (1528–1604) oder Jacob Fincelius († 1582) hatten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts den Kölbigker Reigen mit der zu ihrer Zeit virulenten Tanzwut in Verbindung gebracht.39 Diese Assoziation geistert seither durch die Gelehrten­ 35 So hingegen Kleinschmidt, Perception and Action, S. 52 f. 36 Vgl. schon Boudriot, Altgermanische Religion, S.  50 f.; Ranke/Kuhn, (Art.) Ahnenglaube und Ahnenkult; weniger skeptisch wiederum Simek, (Art.) Totenglaube und Totenbrauch; Ders., (Art.) Totenreiche. 37 Vgl. unten, Kap. VI.5.2. 38 Zu diesem sozialpsychologischen Modell vgl. oben, Kap. I.1.4; idealtypisch formuliert bei Ernst/Erbstösser, Ketzer und Heilige, S.  34 f.: »Schon die Kirchenväter hatten bekanntlich gegen das Tanzvergnügen gewettert und behauptet, wo man tanze, da sei der Teufel an­ wesend. Aber das schreckte das Volk nicht. Im Tanz brach das zurückgedrängte heid­nische Lebensgefühl durch und erzeugte eine Art Tanzkrankheit.« Für Borck, Tanz zu Kölbigk (1955), S. 297, erklärte dies sogar die Herkunft der Legende aus Niederlothringen: »Es ist ein tanzfreudiges Land, das der […] Tanzkrankheit […] rasch verfällt und die Mehrzahl der bekannt gewordenen Infektionsherde auf sich vereinigt. […]« Vgl. weiter Voss, Tanz, S. 87–89; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 84 f., 150; Siebert, Tanzwunder, S. 3, 11: »Mit einem Wort, es ist der Veitstanz, der die in ihrer krankhaften Tanzwut prädisponierten Unglücklichen unter dem Eindruck des priesterlichen Fluches befallen hat«; Balogh, Tänze, S. 13; Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S.  239; Gougaud, La danse, S.  229; Baesecke, Kölbigker Tanz, S. 268–280; Siebert, Knecht Ruprecht, S. 356; Wilmart (Hg.), La légende, S. 285 f.; Backman, Religious Dances, S. 175 f.; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 150, 157, 167 (nach Backman, mit weiteren Belegen); Rosen, Madness in Society, S. 199 f.; Kleinschmidt, Folgen einer Ekstase, S. 267 (skeptisch); Waller, Time to Dance, S. 7; Röcke/Velten, Tanzwut. Gegen diese pathologische Erklärung wendet sich Holtdorf, Tanzlied, S. 24, der den Kölbigker Tanz als rein fiktive Sage von der medizinisch-historischen Realität der Tanzwut zu unterscheiden fordert; ähnlich in Grundzügen schon Stumpfl, Kultspiele, S. 171 f. 39 Zu Spangenberg vgl. Kleinschmidt, Perception and Action, S. 46; Stumpfl, Kultspiele, S. 171; zu Fincelius vgl. Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 121. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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bibliotheken, wo sie mit Justus F. C. Hecker 1832 neue Relevanz erlangen konnte.40 Verstanden als universales Krankheitsphänomen, bot die Tanzwut der altgermanistischen Forschung zum Kölbigker Mirakel eine willkommene Erklärung für den angeblichen historischen Hintergrund. Auch die geschichtswissenschaftliche und medizinhistorische Literatur wiederholt diese Vorstellung bis in aktuelle Veröffentlichungen. Wie die spätmittelalterliche Tanzwut wurde dabei auch der Tanz von Kölbigk vielfach als psychopathologische Krisenreaktion in einer Zeit von Krieg, Hungersnot, Naturkatastrophen und Ähnlichem gedeutet.41 Gegenüber dieser ahistorischen Lesart sollen die für die Überlieferung maßgeblichen frühen Quellen zum Tanz von Kölbigk hier nicht als Zeugnisse für eine bereits existierende Krankheit, sondern selbst als Medien und Modelle für deren kulturelle Formierung analysiert werden. »Kölbigk« markiert nicht ein Auftreten der Tanzwut, sondern vielmehr die zentrale Scharnierstelle in der Entwicklung von den antiken mania-Konzeptionen zur spätmittelalterlichen Tanzkrankheit. Anhand der Überlieferungen zum Tanz von Kölbigk lässt sich beobachten, wie auf der Grundlage der frühmittelalterlichen Entwicklung das Paradigma der späteren Tanzwut ausformuliert wurde. Die schriftliche Überlieferung zum Kölbigker Reigen steht in der Tradition der diskursiven Verschiebung von Tanz als kosmischer Mimesis zu einem performativen Code für das Ausagieren von Zuständen des drohenden Heilsverlusts. Doch steht sie auch für eine lebensweltlich erlebbare performative Form? Die Johannis- und Veitstänzer des 15. bis 17. Jahrhunderts haben nachweislich tatsächlich getanzt. Ebenso kann man davon ausgehen, dass die Katechumenen der Spätantike ihren Zustand der Heillosigkeit wirklich ausagiert haben.42 Dass auch in fränkischer Zeit über vergleichbare Besessenheitsbewegungen gesprochen wurde, belegen die Briefe der Bischöfe Agobard und Amulus von Lyon.43 Ob jedoch das Kölbigker Tanzmirakel einen realen Ereignishintergrund hat, wissen wir nicht. Für die Entwicklung des Tanzwut-Diskurses gewinnt das Kölbigker Mira­ kel zudem seine Bedeutung eher aus der literarischen Ausgestaltung und der breiten Rezeption, weniger aus einem möglichen ereignisgeschichtlichen Kern. Man sollte die überlieferten Textzeugnisse daher nicht vorschnell als Quellen für ein abgrenzbares realhistorisches Ereignis und dessen sozialhistorischen Kontext nehmen,44 wie dies etwa noch Harald Kleinschmidt getan 40 Hecker, Tanzwuth, S. 15. 41 Rosen, Madness in Society, S. 199 f.; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 150; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 167–169. 42 Vgl. oben, Kap. V.2.2. 43 Vgl. oben, Kap. V.4. 44 Für einen ereignisgeschichtlichen Hintergrund plädiert noch Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 64, 66, 78; dagegen Schroeder, Herkunft, S. 188; allemal zu konkret sind die Schluss© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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hat.45 Freilich kann man sich auch nicht in die wohlfeile Sicherheit der text­ imanenten Interpretation zurückziehen, wie Werner Röcke und Hans-Rudolf Velten, die unter der Chiffre »Kölbigk« undifferenziert die gesamte Überlieferung zum Tanzmirakel subsumieren und folglich auf der Grundlage legendarischer Überarbeitungen des 15. Jahrhunderts eine letztlich ahistorische Lektüre generieren.46 Wir können jedoch den zeitspezifischen Horizont der kulturellen Imaginationen, aus dem diese Berichte ihre Logik beziehen, wesentlich besser erschließen. Der kulturelle Rahmen der diskursiven Konstruktion von Wirklichkeit wird greifbar, wenn man die Zeugnisse zum Tanz von Kölbigk vor dem Hintergrund ihrer Vorgeschichte interpretiert. So werden auch viele Aspekte der Mirakelerzählung verständlich, für die die bisherige Forschung keine befriedigende Erklärung hatte.

VI.1.2 Zur Überlieferungssituation Auszugehen ist dabei von den skrupulösen Untersuchungen, die Edward Schröder, Georg Baesecke, Karl-Heinz Borck, Ernst Erich Metzner und andere zur Überlieferungsgeschichte und zu den Prätexten des Kölbigker Tanzmirakels anfolgerungen bei Wähler, Kindertanzzug, S. 72 f. 45 Kleinschmidt, Perception and Action, S. 41–55; Ders., Folgen einer Ekstase; Ders., Menschen in Bewegung, S.  58–60; Ders., Understanding the Middle Ages, S.  273 f.; Ders., Per­ ception and Action, S.  43–45, erwähnt die verschiedenen Versionen des Berichts und ihre Prätexte durchaus, nimmt die Quellen dann jedoch unkritisch als Augenzeugenberichte. Ders., Folgen einer Ekstase, S.  265 f., erläutert eingehend die quellenkritischen Unwäg­ barkeiten des Falls und möchte die Zeugnisse nurmehr als »Berichte für eine vorgestellte Wirklichkeit« gelten lassen. Seine sozialhistorische und alltagsgeschichliche Interpretation, ebd., S.  270 ff., spricht jedoch über weite Strecken eine andere Sprache; ähnliches gilt für Ders., Perception and Action, S.  45–55. Seine Interpretation des Kölbigker Tanzes als Indiz für den Zerfall verwandtschaftlicher Solidaritäten unter dem Einfluss der Kirche im 10.  und 11.  Jh. (ebd., S.  42–44, 51–56) ist erkennbar geprägt durch die Thesen von Karl Schmid und George Duby über den Übergang von der frühmittelalterliche »Sippe« zum hoch­mittelalterlichen »Geschlecht«. Diese werden in der aktuellen Forschung zur Geschichte der mittelalterlichen Verwandtschaftsstrukturen stark kritisiert, vgl. zusammenfassend Jussen, Perspektiven der Verwandtschaftsforschung. Anders als Kleinschmidt annimmt, lag die Verantwortung für die Totensorge im frühmittelalterlichen Westeuropa tendenziell nicht bei der Abstammungsgruppe, sondern bei der Grundherrschaft, vgl. Mitterauer, Geschichte der Familie. Mittelalter, S. 236 f. 46 Röcke/Velten, Tanzwut, S.  307–328, ignorieren den spezifischen historischen und ­quellenkritischen Hintergrund und stützen sich zudem für ihre Interpretation ausschließlich auf die spätere Überlieferung der Erzählung, insbesondere auf Johannes Paulis »Schimpf und Ernst«, eine Exempelsammlung des 15.  Jh. Ihre Prämisse, in der demnach im Tanz­ mirakel auftretenden Tanzwut werde dämonische Besessenheit ausagiert, findet weder in der frühen Kölbigker Überlieferung noch in Paulis »Schimpf und Ernst« irgendeinen Rückhalt. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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gestellt haben.47 Seit Schröder werden dabei drei frühe Textzeugnisse als Ausgangspunkte der späteren Überlieferung unterschieden: Zum Ersten der sogenannte Bericht des Othbert, formuliert als Bettelausweis von der Hand des Erzbischofs Pilgrim von Köln (1021–1036), der einen längeren angeblichen Augenzeugenbericht eines als Bittsteller auftretenden Betroffenen enthält. Er wurde vermutlich vor der Mitte des 11. Jahrhunderts in der Diözese Lüttich oder ihrer Umgebung, jedenfalls im deutsch-romanischen Übergangsraum an Rhein und Maas, verfasst (sog. Fassung I). Zum Zweiten der Bericht eines »Theodericus«, verfasst von dem flämischen Mönch Goscelin in seiner Vita Edgithae für das englische Kloster Wilton zwischen 1058 und um 1080. Diese Fassung beruft sich ebenfalls auf eine frühere Bettelerlaubnis, die demnach von Bischof Bruno von Toul, dem späteren Papst Leo IX. (1049–1054) ausgestellt worden wäre (sog. Fassung II). Zum Dritten eine lediglich in einer Handschrift der Pariser Nationalbibliothek überlieferte Version in Form eines eher sachlichen Mirakelberichts, wohl ebenfalls weit ins 11. Jahrhundert zurückreichend und vielleicht aus dem Kloster Echternach stammend, in jedem Fall jedoch wiederum aus dem nördlichen Lothringen (sog. Fassung III). Umstritten sind die Abhängigkeiten der drei primären Textzeugnisse und damit der jeweils von ihnen ausgehenden weiteren Überlieferung voneinander und von einer auzunehmenden, heute nicht mehr erhaltenen Vorüberlieferung. So wollte Edward Schröder einen im Kölbigker Umfeld entstandenen »Ur­bericht« annehmen. Von diesem leitete er einerseits die Pariser Fassung III ab, andererseits eine weitere nicht erhaltene Version »O. D.« (»Othbert und ­Dietrich«, ebenfalls in Ostsachsen entstanden), die er als Vorstufe zu den überlieferten Fassungen I (»Othbert«) und II (»Theodericus«) sehen wollte.48 Während III so die sprachliche und inhaltliche Struktur des Urberichts weitertrage, habe der Verfasser von »O. D.« die I und II gemeinsamen Charakteristika ein­ geführt, etwa die fingierte Ich-Erzählung eines Beteiligten. Auf dieser Grundlage wollte Georg Baesecke durch einen detaillierten synoptischen Vergleich der drei Textzeugen zu einer differenzierteren Stemma­ tisierung kommen. Aus einem mündlichen Bericht leitete er eine Urfassung ab, die er Thietmar von Merseburg zuschrieb. Dieser habe sie für sein Chronicon entworfen, sei dann jedoch vor der reinschriftlichen Aufnahme am 1. Dezember 1018 verstorben. Dabei habe er den ihm mündlich zugetragenen Bericht von einem Ausbruch der Tanzwut zum göttlichen Strafwunder umgedeutet. Ein weiterer anonymer Verfasser habe dann Thietmars Text um das Armwunder ergänzt und so den »Archetypus« der erhaltenen Zeugnisse geschaffen. Mit 47 Schröder, Tänzer von Kölbigk; Borck, Tanz zu Kölbigk (1951); Ders., Tanz zu Kölbigk (1955); Metzner, Zur frühesten Geschichte; vgl. zusammenfassend Rädle, (Art.) Tanzlied. 48 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 133–144. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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jeweils einer Zwischenstufe *I II und *III sei aus diesem dann die weitere Überlieferung ableitbar, wobei *I II die charakteristische Ich-Erzählung eingeführt habe.49 Baeseckes Überlegungen leben erkennbar von dem Bedürfnis, die Mirakelerzählung auf einen naturwissenschaftlich erklärbaren Ereigniskern zurückzuführen, an den sich dann die Wunderelemente als interessengeleitete Manipulationen angelagert hätten. So kommt er zu einem komplexen ZwiebelModell, das wohl eher modernen Rationalisierungsbedürfnissen als textgenetischen Indizien geschuldet ist. Insbesondere seine Identifikation der Vorstufe des Archetypus mit Thietmar von Merseburg wurde in der Forschung mit Blick auf die fehlende ostsächsische Parallelüberlieferung und die Datierungsproblematik zurückgewiesen.50 Hatten Schröder und Baesecke mehrere nicht erhaltene Vorstufen annehmen müssen, um ihr Postulat einer ostsächsischen Herkunft der Erzählung aufrechtzuerhalten, so gelang es Karl-Heinz Borck, die hypothetische Textgenese deutlich zu vereinfachen. Der Umstand, dass die gesamte frühe Überlieferung von der Provenienz her in den deutschsprachigen Raum zwischen Mittel- und Niederrhein und Maas weist, ebenso die sprachliche Struktur und das in den Texten enthaltene Namensmaterial belegen demnach, dass der Tanz von Kölbigk in den uns vorliegenden schriftlichen Formen im niederlothringischen Raum entstanden ist. Da der nicht erhaltene Urbericht *I II III demnach schon in der Zeit unmittelbar nach dem angeblichen Termin des Ereignisses, also etwa 1018 bis 1036 am Niederrhein entstanden sein dürfte, gewinnt Borck so auch frühere Datierungen für die von ihm angenommenen Vorstufen *I II (Niederrhein, ca. 1021–1036) und *III (Kölner Raum, ca. 1021–1036) und die überlieferten Textzeugnisse I (Diözese Lüttich, ca. 1021–1036), II (Kloster Wilton, zwischen 1038 und 1065, wohl nach 1058) und III (Kölner Raum, um oder bald nach 1100). Auch Borck geht dabei davon aus, dass der in der dritten Person gehaltene knappere Mirakelbericht III zwar chronologisch jünger ist, jedoch der ursprünglichen Form des verlorenen Archetyps nahe komme. Mit der Vorstufe *I II sei die narrative Ausgestaltung, das urkundenähnliche Formular und insbesondere die Ich-Erzählung verbunden.51

49 Baesecke, Kölbigker Tanz, S. 249–263, 281–284. 50 Baesecke hatte eine Abfassung vor dem Dezember 1018 nur annehmen können, indem er den Beginn des ja angeblich einjährigen Dauertanzes von 1017 auf 1016 vordatierte. Vgl. Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 65; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S. 296. Baesecke hat seine Zuschreibung später nicht mehr vertreten, vgl. Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 164 f. 51 Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 30–34, 56–66, 79; vgl. den synoptischen Paralleldruck ebd., S.  19–29, und die hypothetische Wiederherstellung eines »Urberichts«, ebd., S.  68– 74; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S 283–298; Synopse ebd., S.  244–263; »Urbericht« ebd., S. ­289–304. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Borcks Stemmatisierung wurde von Ernst Erich Metzner in vielen Details wohl zu Recht kritisiert.52 So beurteilte Metzner die Annahme seiner Vorgänger kritisch, die Fassung III überliefere eine dem nicht erhaltenen Urbericht relativ nahe Version. Borck hatte diese Hypothese vor allem aus der Grundannahme einer chronologisch zunehmenden Literarisierung gewonnen. Gegenüber den als Ich-Erzählung konstruierten und narrativ breiter ausgestalteten Fassungen I und II konnte III so nur als Frühform erscheinen. Ebenso gut jedoch, so Metzner, könne der knappe Mirakelbericht auch auf der Grundlage einer elaborierteren Form entstanden sein, zumal er Passagen enthalte, die auf Sondergut zurückzuführen seien.53 Dieses »Sondergut« der Metzner’schen Kompilationshypothese wird man nun eher allgemein als Folge literarischer Stilisierung auch von III fassen können. Borcks textgenetische Annahme funktioniert nämlich nur dann, wenn man ein historisches Ereignis als primäre Referenz einer späteren Literarisierung annimmt. Da er wiederum eine ostsächsische Herkunft der Überlieferung voraussetzen wollte, postulierte auch Metzner eine Vorstufe (*o) der auch von ihm im Rheinland verorteten Ausgangsfassung *I II III. Diese ortsnah entstandene Fassung habe die präsumptiven Ereignisse relativ wirklichkeitsnah geschildert. Erst nach dem Transfer nach Lothringen seien die Mirakelbestandteile ergänzt worden.54 Insgesamt kam Metzner zu einer ausgesprochen komplexen Synopse der drei Hauptüberlieferungen und zahlreichen »Sonderguts«, für das er orale oder nicht erhaltene schriftliche Überlieferung postulierte.55 Die in sich doch jeweils relativ schlüssigen Erzählungen der drei frühen Haupttextzeugen wurden so zu Produkten eines komplexen Kompilationsprozesses umdefiniert. Den auf diesem Weg gewonnenen hypothetischen Ausgangstext zerlegte Metzner dann mit stupender Akribie wiederum in ein vielschichtiges Konglomerat von postulierten Fragmenten älterer Überlieferung  – womit seine Textanalyse freilich jede nachvollziehbare Bindung an das Ausgangsmaterial verlor. Damit fiel er weit hinter den Forschungsstand zurück, indem er ohne nachvollziehbare Kriterienbildung auch wesentlich jüngere, legendarisch überformte und geographisch weit entfernte Textzeugen für die Rekonstruktion der Textgenese heranzog – ein Verfahren, das hier und da eher der inhaltlichen Stützung seiner Inter­pretation als der kritischen Erschließung der Überlieferungsgeschichte dienlich zu sein scheint. So bleibt es Metzners Verdienst, den Blick auf die Komplexität der Genese der Erzählung gelenkt zu haben – eine Komplexität, die tatsächlich weit über die isolierte Stemmatisierung der drei klassischen Textzeugnisse hinaus 52 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 6–24. 53 Ebd., S. 51, unter Rekurs auf die nordische Überlieferung. 54 Ebd., S. 55–59, 149–154. 55 Vgl. Metzners hypothetische Wiederherstellung des Archetypus *I II III, ebd., S. ­248–254. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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geht. Sein Versuch, diese Komplexität analytisch nachzuzeichnen, muss jedoch als gescheitert gelten. Eine Interpretation kann daher weiterhin nur von den drei von Schröder und Borck herausgearbeiten Hauptzeugen ausgehen. Nach einer Diskussion des Forschungsstandes zur Textgenese werden dazu die drei Hauptüberlieferungen vorgestellt und textimanent untersucht. Es folgen weiterführende Überlegungen zum Entstehungskontext und zu möglichen Vorlagen der Kölbigker Legende. Danach wird der Blick auf jene allen Texten gemeinsamen Aspekte zu richten sein, die zu einer überwölbenden Einordnung beitragen.

VI.2 Textgenese und Prätexte 1: Volkserzählung oder gelehrte Konstruktion? VI.2.1 Zum möglichen Entstehungskontext Auszugehen ist bei Überlegungen zur Textgenese von den spezifischen Kommunikationsstrukturen der vorscholastischen klösterlichen Gelehrsamkeit: Dass die Texte eine Fülle direkter und indirekter Anspielungen und Zitate auf die Bibel und theologische Autoritäten enthalten, ist eine Folge der auf meditative Repetition der Heiligen Schriften ausgerichteten Lektüregewohnheiten im Milieu ihrer Verfasser.56 Zumal Psalmen und liturgische Texte wurden nicht nur explizit zitiert, sondern prägten Denken und Diktion monastischer Autoren des 11. Jahrhunderts. Ebenso lag antikes Bildungsgut den Mönchen weniger in Originaltexten als vielmehr in Kompendien und als Unterrichtslektüre vor.57 Eine Befragung der Texte auf die ihnen zugrundeliegenden Wahrnehmungsstrukturen und Vorstellungshorizonte hin hat also bei diesen Prä- und Intertexten anzusetzen. Jean Schroeder hat unter Bezugnahme auf Karl-Heinz Borck und Edward Schröder die Entstehung der Tanzlegende insgesamt nach Echternach verlegen wollen, da die Pariser Handschrift, in der die Fassung III überliefert ist, aus dem Kloster Echternach stammt.58 Die Eintragung des Mirakels datierte ­Schroeder dabei auf die Mitte des 11.  Jahrhunderts zurück. Er wollte das Tanzwunder so unmittelbar mit der angenommenen Entstehung der noch heute gepflegten Echternacher Springprozession zu Ehren des hl. Willibrord in Verbindung bringen. In Echternach stünde die Mirakelerzählung im zeitlichen Kontext der 56 Otter (Übers.), Liber Confortatorius, S. 8–11, 15 f. (mit weiterer Lit.). 57 Über Goscelin von Canterbury vgl. Hollis, Afterword, S. 420–424, der zufolge Goscelins hagiographische Texte freilich aus Gründen der Gattungstypologie nicht intertextuell angelegt waren. 58 Schroeder, Herkunft, S. 184–188; Ders., Beziehungen, S. 386; Ders., Kulttänze; dagegen Kleinschmidt, Perception and Action, S. 44, 46, der freilich in seiner Diskussion die Fassungen III und II verwechselt. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Neuausrichtung des Klosters entlang der Leitlinien der lothringischen Reform­ bewegung.59 Dass die Fassung III hier überliefert wurde, zeigt nun in jedem Fall, dass am Grab des hl. Willibrord ein Interesse für das Tanzwunder bestand. Freilich ist damit die Entstehung der Erzählung vor Ort noch lange nicht belegt. Solange die Genese und Provenienz der schriftlichen Überlieferung nicht geklärt ist, wird man diesbezüglich kaum zu tragfähigen Ergebnissen kommen. Tatsächlich jedoch weist wie bereits erwähnt die gesamte schriftliche Überlieferung zum Kölbigker Tanzwunder auf das Rhein-Mosel-Maas-Becken, auf das untere Lotharingien also.60 Im Übergangsraum zwischen deutschem und romanischem Sprachraum, in den nordöstlichen Teilen des alten Frankenreiches, konnten die Urheber auch auf eine lange Tradition der Thematisierung von unfreiwilligem Tanz als Ausdruck von Schwellenzuständen zurückgreifen.61 Die Verfasser dieser neuen Version des alten Motivs von der mania als Ausdruck des Heilsverlusts sind nicht bekannt. Die Rahmenerzählungen der Fassungen I und II und auch die Episode bei Lampert von Hersfeld stilisieren ihre Texte jedoch als Berichte von wandernden Bettlern, die auf ihrer Bußwallfahrt wegen der Teilnahme am Kölbigker Reigen um Almosen und Hilfe nachgesucht hätten. Derartige schriftliche Berichte über Wunder wurden häufiger angefertigt, sie waren aber offenbar weniger üblich als materielle Zeugnisse wie Votive und körperliche oder den Körper spiegelnde Kompensationsgaben.62 Schon seit karolingischer Zeit waren für büßende Pilger schriftliche Bettelausweise mit bischöflicher Autorisierung bekannt.63 Zumindest die Fassungen I und II re­kurrieren explizit auf ebensolche Begleitschreiben. Aus dem direkten Umfeld der Fassung II (Bericht des »Theodericus« von der Hand des Goscelin von Canterbury) sind derartige Begleitschreiben für Bußpilger zumindest indirekt überliefert, erwähnt doch Lanfranc von Bec, Erzbischof von Canterbury, ein solches in einem Brief.64 Ihm war die Vita Edgithae gewidmet, in der die Kölbigker Erzählung überliefert ist. Denkbar ist, dass tatsächlich ein Bettler oder vagierender Kleriker65 vor einem Bischof die traurige Geschichte des Reigens erzählt und so eine schrift­ liche Autorisierung erlangt hatte, wie dies die Fassung I für einen »Othbert« 59 Schroeder, Herkunft, S. 187 f. 60 So abschließend Borck, Tanz zu Kölbigk (1955), S. 297 f. 61 Vgl. oben, Kap. V. 62 Kleine, Gesta, Fama, Scripta, S. 345 f. 63 Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 44 und Anhang, S. 112; Holtorf, Tanzlied, S. 21. 64 Clover/Gibson (Hg.), The Letters of Lanfranc, Nr. 26 (an Erzbischof Thomas von York), S. 110 f.: »Robertus Sagiensis episcopus [Bischof Robert II. von Séez, GR] hunc poenitentem ad me misit […]. Cui ex more poenitentia iniuncta commonitorias sibi litteras tradidit, ut si quis episcopus pietate motus misericordiam ei uellet impendere, potestatem haberet quantum uellet ipsi ignoscere. Huius itaque rei testis eum ad uos mitto, quatinus hoc uerum esse sciatis atque animae eius secundum quod uobis uisum fuerit consulatis.« 65 So, Schröder und Borck folgend, Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 63–70, 161 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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und den Bischof Pilgrim von Köln (1021–1036) erzählt. Auf diesem Weg könnte er an ein aktenförmiges Schriftstück mit der lateinischen Wundererzählung gekommen sein, ohne selbst Zugang zu dem ja teuren Beschreibstoff Pergament gehabt zu haben. Die mirakulösen Bestandteile der Erzählung wären dann vielleicht nicht spätere Zutat zu einer eigentlich realistischen Geschichte, sondern sollten schon von Anfang an den angeblichen Opfern des Wunders Glaub­ würdigkeit verschaffen. So könnte die Erzählung im Zuge des unter den fahrenden Leuten endemischen Bettelbetrugs ihre bemerkenswerte Verbreitung gefunden haben.66 Trittbrettfahrer könnten sie aufgenommen und auch inhaltlich weiter ausgeformt haben, worauf dann Mönche wie Goscelin in Wilton oder Lampert in Hersfeld für ihre Wunderberichte zurückgreifen konnten. Freilich müssen die Urheber der Erzählung einen erheblichen theologischen Bildungshintergrund besessen haben. Denn während einige Passagen gut auch aus der Erinnerung an früher Gelesenes oder Gehörtes stammen können, zeigen andere eine so enge Intertextualität mit eher abseitigen Vorlagen, dass der Urheber schon der Grundstruktur der Erzählung sie nur aus eigenem Studium gekannt haben kann. Arbeiteten also ein mündlich berichtender, d. h. de facto fingierender Erzähler und ein schreibender und literarisch stilisierender Kleriker oder Mönch Hand in Hand? Oder – vielleicht die naheliegendste Hypothese – nahm ein gelehrter Mönch das seit der Spätantike virulente Motiv der Bußperegrinatio als Aufhänger, um eine autorisierende Augenzeugen-Erzählung in der ersten Person zu stilisieren? Dabei gestaltete man einen Kern von Motiven aus dem Reservoir der frühmittelalterlichen Mythologie mit literarischen und theologischen Anspielungen aus und schuf so eine Erzählung, die gleicher­ maßen bei gebildeten Klerikern, bei einfachen Mönchen wie beim die Predigt hörenden Volk ihre Wirkung entfalten konnte.

VI.2.2 Mythische Narrative als Grundlage des Mirakelberichts So haben Franz Jostes und ihm folgend Reinhard Wenskus darauf hingewiesen, dass das Kölbigker Tanzwunder in seiner Grundanlage das Muster der Heiligen Hochzeit bzw. des solar-lunaren Kampfes reproduziert, wie es aus der antiken Mythologie über die merowingische Herkunftssage in den mittelalterlichen Erzählhorizont eingeflossen war.67 Der Priester der Kirche des hl. Magnus ersetzt 66 Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 44; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S. 267; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 159–161; Beek, De geestesgestoorde, S. 36 f., der das Tanzmirakel als Beispiel für Bettelbetrug sieht. 67 Wenskus, Religion abâtardie, S. 193 f., der das Tanzmirakel zum Anlass nimmt, sehr weitreichende Schlüsse über die Existenz von »Trojaburgen« im Elbe-Saale-Raum zu ziehen; Jostes, Sonnenwende, Bd. 1, S. 131; Bd. 2, S. 294, 331–339, greift für seine Rekonstruktion unterschiedslos auf verschiedene spätere Fassungen der Kölbigker Legende zurück und analo© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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demnach den alten Sonnengott, dessen Tochter »Mersuind« (= »Meerschwinderin«, d. h. Sonne; oder auch: Mondgöttin)68 mit einem jungen Sonnengott (»Bovo« = Stier) verheiratet werden soll.69 Der (unter anderem) als Sohn des Priesters auftretende »Johannes« spielt erstens auf den Evangelisten als Weihnachtsheiligen an, zweitens auf die Konnotation des Evangelisten wie des Täufers als Heilige der Solstitien, drittens auf den Umstand, dass Johannes der Täufer als Sohn einer Priesterdynastie einen biblischen Anknüpfungspunkt für einschlägige Diskussionen liefern konnte.70 Wie der Tanz der Salome dem Priestersohn Johannes zum Verderben geworden war, so fällt auch der Tänzer Johannes (der freilich nicht mit dem Sohn des Priesters identisch ist) im Bericht des »Othbert« dem Reigen zum Opfer. »Magnus« ist laut Jostes ein mit dem christlichen Heiligen lediglich namensidentisches Epitheton für den von ihm postulierten Stiergott.71 Der Name des Priesters »Rodbert/Ruthpert« könnte für Zeitgenossen als Anspielung auf mythisches Personal des Jahreswechsel- und Wintersonnenwendbrauchtums verständlich gewesen sein.72 gisiert einzelne Motive mit verwandten Konstellationen in anderen Erzählkontexten. Eine stupende Kenntnis der legendarischen Überlieferung geht dabei mit methodisch unzulässigen Gleichsetzungen einher. Der Basisbefund einer Reproduktion des mythischen Motivs der Heiligen Hochzeit im Kölbigker Mirakel steht jedoch angesichts der Dichte der von Jostes gelieferten Indizien außer Frage. 68 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 189–191 (der dies selbst als »eine sehr waghalsige Vermutung« relativiert), S.  232 f. (Sonne); Jostes, Sonnenwende, Bd.  2, S.  334 (Mond); ebd., Bd. 1, S. 132–135, weist Jostes den Namen »Mersint«/»Marsent« auch in der verwandten Legende von Radulfus/Rauol von Cambrai nach, die er ebenfalls als Reflex auf Dionyos/Osiris und Isis sehen will. Allg. zum Namen der Priestertochter vgl. weiterhin Schröder, Tanzlied, S. 367 f.; Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 51, 62 f.; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S. 291– 294; Wenskus, Religion abâtardie, S. 159; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 196–198. 69 Zum Namen »Bovo« vgl. auch Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 198–204; Stumpfl, Kultspiele, S. 180 f.; Wenskus, Religion abâtardie, S. 197 f., der insbesondere auf die etymo­ logische Verwandtschaft von »Robert« und »Bobo/Bovo« hinweist. 70 Johannes als Priestersohn: Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 143. 71 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 87, 217, 396; zur schwierigen Identifikation des Patrons der Kölbigker Kirche vgl. Backman, Religious Dances, S. 176, 258 f.; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 134, 361; Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 46, 56; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 72 f., 93–96, 147–149, 184, 235–241; Kleinschmidt, Perception and Action, S. 43 mit Anm. 10. 72 An dieser Figur bzw. der hinter ihr vermuteten historischen Person hat sich in der älteren Forschung eine höchst spekulative Diskussion entsponnen, der zufolge dieser Priester das Urbild des »Knecht Ruprecht« des Weihnachts- bzw. Nikolausbrauchtums darstellen sollte; vgl. Hecker, Tanzwuth, S. 15 mit Anm. 2; Voss, Tanz, S. 87–89; ausführlich Siebert, Tanzwunder, S. 12–18; Ders., Knecht Ruprecht; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 193 f., 218 f. Diese schon in (Art.) »Weyhnachten«, in: Zedlers Universallexicon, Bd.  55, Sp 1212 f., vorkommende Vorstellung wird unkritisch wiederholt noch bei Oberste, (Art.) Kölbigk, wohl nach Backmund, (Art.) Kölbigk. Man wird doch aber mit Wirth, Bernburg im Voksreim, umgekehrt vermuten können, dass die Verfasser der Kölbigker Wundergeschichte auf be­stehende volkskulturelle Assoziationsmöglichkeiten zurückgriffen. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Der zur Feier der himmlischen Hochzeit anberaumte kosmische Reigen gibt den Anlass zum Konflikt bzw. bildet als einjähriger Tanz von Sonnenwende zu Sonnenwende diesen Kampf im Lauf der Sterne selbst ab. Bei dem Versuch, die Tochter aus diesem Kampf zu retten, verliert diese ihren Arm – ein Motiv, das schon die antike Mythologie kennt.73 Im Roman »Daphnis und Chloë« des Longus (2. Jh. n. Chr.) etwa findet sich vielleicht auch das Kölbigker Armwunder vorgeprägt: Hier ist es die Nymphe Echo, deren Gliedmaßen nach ihrer Zer­ stückelung zwar nicht tanzen, aber je für sich allein weitersingen.74 Der in der Wiltoner Fassung (II) als Pfleger der Verehrung der gestorbenen Tochter auftretende Kaiser Heinrich II. übernimmt Jostes zufolge die Rolle des Himmelsherrschers, der die an Stelle der Ischtar/Isis figurierende Tochter unter die Sterne versetzt.75 Gegen Jostes wäre hier wohl weniger von einem orien­ talisch-germanischen »Synkretismus« zu sprechen, als vielmehr von einem literarischen Spiel mit mythischen Motiven. Das insbesondere in der Fassung II elaborierte Motiv der Entführungsehe,76 wie es schon in der angeblichen merowingischen Herkunftssage bei »Fredegar« aufscheint, prägte die zeitgenössischen populären Imaginationen zum Themenkreis von Brautwerbung und Hochzeit und ebenso die einschlägigen profanen Rituale.77 Diese Motivik diente sicherlich als karikierendes Negativstereotyp gleichermaßen gegenüber dem gesellschaftlich dominanten Rechtsbrauch der Eheabsprachen durch die Grundherren bzw. Väter wie gegenüber dem kirchlichen Ideal der individuellen Konsensehe.78 Sie hatte also eindeutig Spiel­ charakter.79 Wiederholt ist jedoch auch auf die solarmythischen Konnotationen von Entführungsspielen am Tag des Wintersolstitiums hingewiesen worden.80 Die Tänzer, die gemeinsam ein Mädchen entführen, um es dann in den eigenen Kreis zu integrieren, erinnern zudem auffällig an ganz ähnliche Spiele im dionysischen Ritual der Kaiserzeit, die auf die Entführung der Chloë und ihre Befreiung durch Dionysos bzw. Pan abheben.81 Auf diese Motivik verweist abseits aller weiteren Diskussionen in jedem Fall auch das berühmte Tanzlied, mit 73 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 332 f., 408 f., 510–516. 74 Merkelbach, Hirten, S. 179. 75 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 333; vgl. ebd., Bd. 1, S. 114, 125, 236 (zum Heldennamen »Heime-Ric«); vgl. jedoch auch Brinker-von der Heyde (Art.), Heime. 76 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 53, 106, wird man zumindest darin folgen können, dass dieses Motiv auch in III anklingt. 77 Jostes, Sonnenwende, Bd.  2, S.  294 ff.; Wiora, Brautreigen, S.  194 f.; Holtorf, Tanzlied, S. 22, 25 f., 29–35; Kleinschmidt, Folgen einer Ekstase, S. 268–271; Ders., Perception and ­Action, S. 46. 78 Vgl. dazu nur Mitterauer, Warum Europa?, S. 70–108. 79 Stumpfl, Kultspiele, S. 184–188; Wiora, Brautreigen, S. 193 f.; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 106; Rädle, (Art.) Tanzlied, Sp. 618. 80 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 69; Jostes, Sonnewende, Bd. 2, S. 340–344. 81 Merkelbach, Hirten, S. 158, 168 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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dem die Fassung II des Kölbigker Mirakels den Reigen der jungen Leute nach der Entführung der Priestertochter illustriert.82 Es dürfte also als Teil der literarischen Stilisierung zu lesen sein, und allenfalls in zweiter Linie als Rudiment einer volkssprachlichen Balladendichtung. Ja: Soweit der in der Fassung II nur angedeutete Text eine Interpretation zulässt, erinnert dieses betont »heidnische« Lied an das Motiv des asketischen epithalamium, der Kontrafaktur profaner Hochzeitslieder zum Lob der christlichen Jungfräulichkeit. Die Wiedergabe profaner Ehemotivik diente hier gerade dazu, die Vorzüge der asketischen Gottesbrautschaft zu profilieren.83 Um die Jahrtausendwende hat dieses Entführungsehe-Narrativ in jedem Fall eine lange Geschichte der christlichen Umformung hinter sich, so dass der pagan-mythologische Hintergrund den Ur­hebern seiner Reproduktion gar nicht mehr bewusst gewesen sein muss. Es konnte sich jedoch im Imaginationshaushalt mit aktuellen Konzeptionen und Diskussionen verbinden und so erneut wirksam werden. So könnten klerikale Verfasser bewusst auf diese antiken Erzählmotive zurückgegriffen haben, um ihre eigene Erzählung in Figuren und Positionen gezielt als »heidnisch« zu markieren. Denn dass Tänzen auch rechtserhebliche Bedeutung bei Hochzeiten zukam, war allgemein bekannt,84 im anzunehmenden Zuhörerkreis der ersten Erzählungen zum Kölbigker Tanz jedoch auch, dass rigorose Moralisten schon seit den Kirchenvätern den Hochzeitstanz ablehnten.85 Nicht zufällig wurde dieses als Grundgerüst dienende Derivat einer Hei­ ligen Hochzeit dann in der weiteren Textgenese ausgerechnet mit Erzähl­ motiven aus einem Sagenkreis assoziiert, der sich seinerseits deutlich erkennbar aus der Tradition der antiken Astralmythologie speist: Ernst Erich Metzner hat in der Überlieferung zum Kölbigker Tanz Fragmente eines szenischen Spiels aus dem Ermanrich/Dietrich-Kreis rekonstruieren wollen.86 Demnach habe im Jahr 1017 ein in Kölbigk traditionell zur Wintersonnenwende aufgeführtes Singspiel zu Ehren Dietrichs von Bern zu einem Ausbruch der Tanzwut geführt. In der Tradition der klassischen altgermanistischen Erzählforschung geht Metzner dabei von einer Entstehung von Sagen in der oralen Kommunikation des »Volkes« aus.87 Nimmt man jedoch an, dass der Dietrich-Sagenkreis eine s­ ukzessive 82 Wilmart (Hg.), La légende, S.  288: »Equitabat Bouo / per siluam frondosam; / Ducebat sibi / Mersuinden formosam […].« Vgl. dazu nur Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S.  95– 105; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 12, 98–107, 222–233, 255–260; Baesecke, Kölbigker Tanz, S. 272; Stumpfl, Kultspiele, S. 175–177; Holtorf, Tanzlied, S. 14–16, 36–43; Wiora, Brautreigen, S. 191 f., 194–196; Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 334 f. 83 Otter, Closed Doors, S. 72. 84 Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 94; vgl. allg. oben, Kap. III.2. 85 Vgl. oben, Kap. III.4.2, und Hammerstein, Musik der Engel, S. 257 mit Anm. 73. 86 Metzner, Zur frühesten Geschichte, bes. S. 113–159, 204–208, 211–219. 87 Sehr kritisch dazu Grambo, Rez. Metzner; differenziert: Harris, Rez. Metzner; positiv hingegen Bauer, Rez. Metzner. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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literarische Entwicklung des 7.–11. Jahrhunderts darstellt,88 dann reagierte die Aufnahme von Motiven aus diesem in die Kölbigker Überlieferung nicht auf pagane Rudimente in der Volkskultur, sondern auf aktuelle Traditionskon­ struktionen, auf die literarische Thematisierung der vorchristlichen Geschichte im Zeithorizont der Verfasser des Tanzmirakels. Diese Literarisierung freilich konnte zurückgreifen auf Derivate der seit der Spätantike verankerten Solar­ mythologie. Die in den Fassungen I und II auftretenden Namen der Beteiligten89 ver­ weisen nun wohl tatsächlich in den Kontext des Sagenkreises um »Ermanrichs Tod« etc., in dem Theodericus/Dietrich mit seinen zwölf Genossen als Gegenspieler des Ermanrich auftritt. Um den feindlichen König zu überlisten, führen diese Helden in dem Epos »Ermenrîkes Dôt« aus dem 16. Jahrhundert sogar einen Reigen auf. Zwar kann Metzner den Transfer des profanen Erzählstoffes vom »Tanzlibretto«90 in die angenommene Bettelerlaubnis des Bischofs von Halberstadt nur mit komplexen philologischen und etymologischen Konjekturen erklären. Grundsätzlich aber stimmt die von ihm beobachtete Verwandtschaft der Kölbigker Überlieferung mit dem schon von Franz Jostes vorgeschlagenen solarmythologischen Interpretationsansatz überein. Metzners Hypothesen verdecken freilich den Blick darauf, dass diese legendarisch-mythologische Ausgestaltung zu einem Gutteil erst ein Produkt der literarischen Stilisierung der Wiltoner »Fassung II« ist. Deren Verfasser, der Mönch Goscelin, ließ sich dabei vielleicht von bereits in seiner Vorlage vorhandenen Anklängen zu einer deutlicheren solarmythologischen Durchformung inspirieren. Denn auch Metzner wollte in dem in II erwähnten Tanzlied Anklänge an Fruchtbarkeitswünsche zur Wintersonnenwende sehen. Franz Jostes zufolge lässt sich jedoch letztlich der ganze Sagenkreis um Dietrich und Ermanrich als Fortschreibung der antiken Solar- und Astralmythologie sehen.91 Der Reigen der zwölf Helden des Dietrich, wie er im Kölbigker Tanzmirakel alludiert wird, ist also als Produkt der literarischen Zuspitzung einer schon in der Grundkonstellation der Erzählung vorhandenen Konnotationsebene zu verstehen. In der spätmittelalterlichen Überlieferung sollte Dietrich von Bern noch in einem anderen Erzählkontext mit dem Motiv der Zwanghaftigkeit und Unfreiwilligkeit der Sünde assoziiert werden: Als Inbegriff des hochmütigen rex stultus sieht er eines Tages, als er gerade in der Badewanne sitzt, einen weißen Hirsch. Nackt wie er ist, springt er auf ein vom Teufel gesatteltes schwarzes Pferd, um den Hirsch zu jagen – und reitet so direkt in die Hölle hinein. Der 88 Vgl. etwa Fried, Schleier der Erinnerung, S. 259–270, 274 f., 279–281, 284–289. 89 Zu den Namenslisten in II und III und ihren Auswertungsmöglichkeiten vgl. Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 108, 137 f., 142 f.; Borck, Tanz zu Kölbigk (1955), S. 271 f., 279–283, 293–295; Schroeder, Herkunft, S. 186; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 184–196. 90 Ebd., S. 123 f. 91 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 46 f., 462, 467–471. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Jäger, der wie ein Kentaur mit seinem Reittier verwächst und so seinen freien Willen einbüßt, war ein gängiges Motiv der Kritik an der höfischen Jagd. Johannes von Salisbury sollte denn auch – nicht lange nach Goscelin im gleichen kirchlich-regionalen Milieu  – zu Beginn des 12.  Jahrhunderts über die Jagd ganz so urteilen, wie Cicero einst über den Tanz: »Selten findet man unter ihnen einen mäßigen oder ehrwürdigen Mann, selten einen Aufrichtigen, und wie ich glaube, nie einen Nüchternen.«92

Der Jäger als Opfer satanischer Einflüsterungen wird hier also ganz ähnlich wahrgenommen wie die unfreiwilligen Tänzer der platonischen mania-­ Tradition.93

VI.2.3 Von Tournai nach Kölbigk Zu den Kalenden des Januar, eine Woche nach der Wintersonnenwende, erwähnt schon Caesarius von Arles Maskenumgänge mit Hirsch-, Reh- und Kalbsmasken. In der Forschung umstritten ist, ob diese Spiele lediglich eine volkskulturelle Tradition in der spätantiken, griechisch-ostmediterran geprägten Provincia Narbonensis darstellen, oder ob ihre Thematisierung in der späteren Superstitionsliteratur auch auf Kulttraditionen im germanischsprachigen Raum verweist.94 Jedenfalls ist wiederholt vermutet worden, bei dem Kölbigker Tanz habe es sich um ein »Hirsch-und-Hindin«-Spiel zum Jahreswechsel gehandelt.95 Aus dieser Tradition ließe sich zumindest hypothetisch die Datierung des Tanzwunders auf das Weihnachstfest ableiten. Freilich handelt es sich auch dabei wohl nicht um einen Rekurs auf reale Kultspiele am Ort des an­geblichen Geschehens, sondern um eine literarische Stilisierung:96 Für den Kompilator der Kölbigker Mirakelerzählung könnte jedenfalls die Assoziation von astralem Reigen, Heiliger Hochzeit, Hirschmaskenspiel und Dietrich-Sage plausibel gewesen sein. Das Motiv heidnischer Tanzspiele zur Zeit des Jahreswechsels konnte er den seit der merowingerzeitlichen Caesarius-Rezeption florierenden einschlägigen 92 John of Salisbury, Policraticus: »Raro invenitur quisquam eorum modestus aut grauis, raro continens, et, ut credo, sobrius numquam«; zitiert nach: Wolter-von dem Knesebeck, Aspekte der höfischen Jagd, S.  513 f., 525, 533 (Zitat). Ich danke Harald Wolter-von dem Knese­beck für den Hinweis auf diese Parallele zur Kölbigker Überlieferung. 93 Zum Motiv des Autonomieverlusts in der Gottesferne vgl. unten, Kap. VI.5.3. 94 Jecker, Heimat, S. 144–148; Boudriot, Altgermanische Religion, S. 33, 73–76; Harmening, Superstitio, S. 136–139. 95 Grundlegend Schwab, Hirsch und Hindin, S. 104–109. 96 Dies gegen die volkskundlich orientierte ältere Forschung, z. B.: Wirth, Bernburg im Volksreim, S. 76; Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 92–95; Siebert, Tanzwunder, S. 9–11; vgl. dagegen Holtorf, Tanzlied, S. 35. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Bestimmungen in Bußbüchern und Synodalakten entnehmen. Die späterhin kanonisch gewordene Formel für diese weihnachtlichen Spiele findet sich in der Musterpredigt, die Audoinus von Rouen in der Vita Eligii dem Eligius von ­Noyon in den Mund legt: »Keiner soll […] die nichtsnützigen und lächerlichen Neujahrsfeiern [begehen], weder Kalbs- oder Hirschmasken [oder: Altweiber-Masken] oder andere Gaukeleien machen, noch Tische über Nacht zusammenstellen oder Hexen[spiele] oder überflüssige Trinkspiele durchführen.«97

Ebenso hatte Audoinus Eligius auch die angeblichen heidnischen Tänze und Reigen verdammen lassen.98 Das pagane Erzählmotiv der Heiligen Hochzeit mit Allusionen auf den Dietrich-Kreis zu versehen lag für die Urheber des Tanzmirakels also nahe, weil einer der meistzitierten Texte der Superstitionsliteratur gleichermaßen »vallationes« zur Sommersonnenwende und die »Kalendas ­Ianuarii nefanda et ridiculosa« verdammt hatte. Zudem findet sich dieser vielfach autoritativ verwendete Text in der Vita eines heiligen Missionbischofs, dem nur wenige Kapitel später jener denkwürdige Konflikt mit den Gefolgs­leuten des Hausmeiers Erchinoald zugeschrieben wird, der deutlich erkennbar die Grundkonstellation der Kölbigker Legende vorwegnimmt. Die Predigt des Eligius, an deren Ende der Tanzfluch steht, findet in der Vita Eligii am Tag »Petri Stuhlfest« (29. Juni) statt, einem jener Feste, für die die Superstitionsliteratur das Abhalten von Sing- und Tanzspielen beklagt.99 Wenn er die Episode aus Audoinus auch nicht deckungsgleich abschrieb, so ließ sich der Urheber des Tanzwunders doch sicherlich von dem Fluch des E ­ ligius inspirieren.100 Die bei der literarischen Verarbeitung eines zudem im mythischen Reservoir noch wesentlich tiefer zurückreichenden Motivs all­ fälligen Differenzen lassen sich unschwer aus den Stilisierungsabsichten des Mirakelberichts erklären, der im Zeithorizont des 11. Jahrhunderts zudem auf wesentlich veränderte Erwartungen und Wahrnehmngsstrukturen des Publikums zu reagieren hatte. Der Pfarrer, der Laien, welche seinen Weihnachts­ 97 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd.  4, S.  705: »[…] nullus Kalendas ­Ianuarii nefanda et ridiculosa, vetulas aut cervulos vel iotticos faciat neque mensas super noctem conponat neque strenas aut bibitiones superfluas exerceat.« Vgl. dazu die eben zitierte Literatur. 98 Vgl. oben, Kap. V.3.1. 99 Schwab, Hirsch und Hindin, S. 110. 100 So schon Stieren, Tänzersage, S.  15; Baesecke, Kölbigker Tanz, S.  267 f.; Schroeder, Herkunft, S. 189; Ders., Beziehungen, S. 385 f.; vgl. jedoch Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 9, 58, 151, der wenig überzeugend versucht, die Bedeutung dieses Umstandes zu dementieren. Ebenso hat Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 77–79, diesen Einfluss als allenfalls in­ direkt negieren wollen. Dass die Vita Eligii im 11. Jh. im lothringischen Entstehungsraum der ­Kölbigker Mirakelerzählung bekannt war, belegt der Umstand, dass sie um 1060 zur Vorlage für die Vita des Papstes Leo IX. werden konnte, vgl. Bayer, (Art.) Vita Eligii, S. 515. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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gottesdienst stören, zu einem einjährigen Tanz verurteilt, wurde also sicherlich nach dem Vorbild des Eligius gezeichnet, der im Jahreslauf sechs Monate zuvor (am 29. Juni) die Anhänger superstitiöser Spiele ebenfalls zu einer ein­jährigen Raserei verurteilt hatte.101 Der Urheber der Kölbigker Erzählung gab den in der Vita Eligii noch gesichtslosen »heidnischen Spielen« also eine Gestalt, indem er Anspielungen auf klassische Monita der Superstitionsliteratur einfließen ließ und diese mit Erzählmotiven aus der Heldenepik verknüpfte. Er band die theologisch überformte Eligius-Episode so erneut in ihren mythologischen Hintergrund ein. Aus dem Grenzraum zwischen romanischem Gallien und germanischer ­Belgica wurde die Erzählung vom wie ein neoplatonischer theurgos den ataktischen Reigen der Laien beherrschenden christlichen Priester also nun in den Grenzraum zwischen ostfränkischem Reich und slawischem Siedlungsgebiet verlegt. Warum aber taucht der kleine Pfarrort bzw. das neu gegründete Kloster im östlichen Sachsen in einer niederlothringischen Wunder­erzählung als Schauplatz auf? Hatte der vielfach als Urheber vermutete Vagant diesen Herkunftsort eingeführt, um seine Geschichte durch die Prominenz der kaiserlichen Klostergründung im Zentralgebiet der ottonischen Herrschaft zu autorisieren und zugleich durch die Entfernung eine Überprüfbarkeit zu verhindern?102 Engere Kontakte zwischen dem Saaleraum und dem Entstehungsgebiet des Mirakels sind seit der fränkischen Eroberung Thüringens im 6. Jahrhundert nachweisbar  – bis hin zu Annahmen über fränkische Ansiedlungen an der Ostgrenze Thüringens.103 Die Kirche von Kölbigk hatte vor der Gründung des Magnus-Klosters ein Stephanus-Patrozinium gehabt.104 Geht man davon aus, dass die angeblichen Tänzer nach ihrem einjährigen Tanz vom Weihnachtsabend bis zum dritten Tag schliefen, so wären ihr Erwachen und ihre Zerstreuung in die Welt am Stephans­tag (26.12.) zu denken. Die Konstruktion einer Wundererzählung  – mit oder ohne realen Hintergrund vor Ort – könnte also an den Patroziniumswechsel angeknüpft haben. Für eine mögliche Auslöserfunktion der Klostergründung spräche eventuell auch der große Stellenwert, den zumindest die Wiltoner Fassung II dem Stifter Heinrich II. zuschreibt.105 Wie viele frühe säch 101 Die Fassung II (»Theodericus«) verwendet für diesen Dauertanz sogar dieselbe Vo­ kabel wie die Vita Eligii: »nos maiori strepitu, quasi Dei ministros ac Dei laudes nostro perdendo choro superaturi, debacamur«, Wilmart (Hg.), La légende, S. 288; Schon Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 335 f., hat zudem in der Schilderung des Erchinoald bei Audoinus Züge des Ermanrich-Stoffes entdecken wollen. 102 Vgl. ähnlich Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 333 f. 103 Wenskus, Siedlungspolitik; Schroeder, Beziehungen, S. 386 f. (für Echternach). 104 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 105, 148. 105 Der Erzmärtyrer Stephanus war auch Patron von Pferden und Pferdeknechten, vgl. Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 93. Dieses Patronat und die damit verbundenen mythischen Züge verbinden ihn mit Eligius von Noyon, vgl. oben, Kap. V.3.3. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sische Kirchen hatte auch die Klosterkirche von Corvey bis zur Translation des hl. Vitus im Jahr 836 ein Stephanspatrozinium gehabt.106 Kölbigk könnte also auch über ältere Kultkontakte, etwa über den Austausch von Reliquien, mit dem lotharingischen Raum und insbesondere mit dem Kreis der fränkischen Reichsklöster verbunden gewesen sein.107 Abseits solcher Indizienketten freilich ist die Quelle für das Wissen um die aktuelle Klostergründung am ehesten an dem ebenfalls gerade gestifteten Bischofs­sitz Bamberg zu suchen, der enge Beziehungen sowohl in den slawischen Missionsraum als auch in die westliche Francia und in das Rheinland unterhielt. Wie erwähnt, hat man angenommen, Heinrich II. habe das von ihm 1015 gegründete Benediktinerpriorat Kölbigk dem im gleichen Jahr entstan­ denen Kloster Michaelsberg oberhalb von Bamberg zu eigen gegeben.108 Zumindest eine jüngere Überlieferungsgruppe der Fassung I (Othbert) enthält den Hinweis, der von Erzbischof Pilgrim von Köln ausgestellte Bettelausweis sei wegen des über die Jahre eingetretenen Verschleißes »in monte sancti ­Michaelis« erneuert worden. Schröder und Borck haben daraus geschlossen, eine Gruppe von Bettlern habe mit dem Bettelausweis des Othbert den Mont St. Michel in der Normandie erreicht, der enge Beziehungen zu den lotharingischen Reformklöstern unterhielt.109 Angesichts der mutmaßlichen Verbindungen des Bamberger Michaelsberges nach Kölbigk könnte man jedoch sehr wohl auch an diese Stiftung Heinrichs II. als Zielort der angeblichen Bußpilger und Aus­ stellungsort ihres erneuerten Begleitschreibens denken.110 Jedenfalls könnte über Bamberg das Wissen von der neuen Klostergründung in den niederrheinischen Raum gelangt sein: Heribert von Köln, den die Fassung I (Othbert) als Erlöser der Tanzenden einführt, war an der Gründung des Bistums Bamberg 106 Röckelein, Reliquientranslationen, S.  168 f., 222 f.; Dies., Der Hl. Vitus, S.  25 f. Zur mero­w ingerzeitlichen Hochkonjunktur der Stephanspatronate vgl. Ewig, Kathedralpatrozinien, S. 297–302. 107 Aufgrund von Parallelen zwischen der Kölbigker Überlieferung und der Trans­latio Sancti Viti nach Corvey im Jahr 836 hat Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 108–113, die Entstehung des Archetypen *I II III des Tanzmirakels im Kloster Corvey verorten wollen. Wie noch zu zeigen sein wird, vgl. unten, Kap.  VII.3.7, stehen die paraliturgischen Tänze beim adventus des Vitus in Corvey jedoch in enger Abhängigkeit zu Ritualtraditionen in den Klöstern der merowingischen und karolingischen Reformbewegung, die im Weserraum selbst eher isoliert blieben. Anders als Metzner meint, wurde Vitus in Corvey auch nicht gegen den – kulturell noch gar nicht konzipierten – Veitstanz angerufen. Die Annahme einer Pilgerfahrt der Kölbigker Tänzer nach Corvey ist insofern gegenstandslos. 108 Vgl. oben, Kap. VI.1.1. 109 »Has litteras in monte sancti Michaelis die octavarum epiphaniarum renovari fecimus, quia priores quas portabamus nimio sudore ac vetustate corrupte erant, quas nobis domnus Peregrinus vel Pilegrinus Coloniensis episcopus prefati domni Heriberti successor fecerat venerandus«; vgl. Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 100–105; Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 80; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S. 266. 110 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 71–75; vgl. dazu Kunde, Cölbigk, S. 187 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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beteiligt gewesen.111 Sein Nachfolger Pilgrim, der in I als Aussteller des Pilger­ ausweises fungiert, war vor seiner Erhebung zum Erzbischof von Köln Dompropst in Bamberg.112 Aus der Bamberger Domschule sollte dann auch jener Mönch hervorgehen, auf den vielleicht das früheste Zeugnis für die Kölbigker Geschichte in der sächsischen Geschichtsschreibung zurückgeht: Lampert von Hersfeld, der in seiner Gründungsgeschichte des Klosters Hersfeld das Tanzwunder »[…] in ­Collebecce, quod interpretatur ›prunarum rivus‹ […]« verortet, also: »in Kölbigk, das heißt ›Kohlenbach‹«.113 Diese Etymologie des Ortsnamens ist nun in der germanistischen Forschung umstritten.114 Stattdessen könnte altgermanisch *Coleb-eke auf einen grünen Eichenwald verweisen.115 Beide etymologischen Deutungen könnten jedoch an die silva carbonaria (»Kohlenwald«) erinnern, ein großes Waldgebiet im nördlichen Gallien, das in römischer Zeit die Provinzen Germania secunda und Belgica secunda, später die fränkischen Teilreiche Neustrien und Austrasien sowie die Erzdiözesen Köln und Reims trennte und mehr oder weniger auch die Sprachgrenze zwischen germanischem und romanischem Raum bildete.116 Eugen Ewig zufolge war die silva carbonaria auch die Südgrenze der Missionsaktivitäten des Eligius und seiner Gefährten im 7. Jahrhundert.117 Wollte Eligius von seinem südlichen Diözesansitz Noyon zu seiner nördlichen Stadt Tournai reisen, musste er den Kohlenwald durch­queren. In diesem Waldgebiet sind sogar zwei zeitgenössische Siedlungen nachzuweisen, deren Namen zumindest von der Lautstellung her an jenen von Kölbigk er­ innern: Das heutige Korbeek-Dijle (südwestlich von Löwen/Leuven) und das heutige Korbeek-Lo (südöstlich von Löwen/Leuven).118 Da es in der Vita Eligii heißt, der Bischof habe seinen Fluch gegen die Leute des Erchinoald »nicht weit von Noyon« ausgesprochen, kommt der Kohlenwald als Ort der Handlung wohl nicht unbedingt in Betracht. Ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die Erzählung vom Fluch des Eligius zunächst auf die nicht weit entfernte Gegend des Kohlenwaldes übertragen wurde? Im frühen 11. Jahr­ 111 Müller, Heribert, S. 165–169. 112 Ebd., S. 194. 113 Holder-Egger (Hg.), Lamperti libellus de institutione Herveldensis ecclesie, MGH SS. rer. Germ. in us. schol., Bd. 38, S. 351; Kleinschmidt, Folgen einer Ekstase, S. 264; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 94 f., 148; zur Herkunft und zum Quellenwert Lamperts vgl. oben, Kap. VI.1.2. 114 Lamperts Übersetzung wird bestätigt bei Walther, Namenskundliche Beiträge, S. 260. 115 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 232 f., 246–248; für eine slawische Etymologie plädiert hingegen Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 147 f. 116 Nonn, Pagus und Comitatus, S. 31, 226–229, 232–234; Röckelein, Reliquientranslationen, S. 302. 117 Ewig, Die Merowinger, S. 13, 136 f. 118 Nonn, Pagus und Comitatus, S. 236 f.: zumindest eine der beiden Ortschaften ist Ende des 11. Jh. als »Corbeth« nachweisbar, vermutlich Korbeek-Lo. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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hundert könnte sie dann, vielleicht nur wegen der Namensähnlichkeit, auf das gerade neu gegründete Priorat im östlichen Sachsen projiziert worden sein. Letztlich musste ein Leser einer früheren Textschicht dafür lediglich das Toponym auf den Ort an der Saale beziehen und beim Abschreiben eine entsprechende Spezifikation einsetzen. Auf ganz ähnliche Art sollte Bernardus Wittius noch 1517 (gedruckt 1778) die Legende in das westfälische Körbecke bei Soest (heute: Möhnesee-Körbecke) verlegen.119 Die mutmaßliche Entstehung des Berichts im Umfeld des Kölner Bischofssitzes lässt jedoch noch weitere Überlegungen zum Hintergrund der Lokalisierung in Ostsachsen zu: Wie erwähnt, lässt die Fassung I den Erzbischof Heribert von Köln (970–1021, Erzbf. seit 999) den wunderbaren Tanz beenden. Da Kölbigk im Bistum Halberstadt lag und damit zum Erzbistum Mainz gehörte, würde seine Beteiligung an einem wie auch immer gearteten Ereignis vor Ort jedoch sehr überraschen. Zudem erwähnt sein Hagiograph Lantpert von Deutz das Kölbigker Wunder nicht, obwohl es langfristig erheblich zu Heriberts Ruf als Heiliger beitragen sollte.120 Erst im 15. Jahrhundert wurde das Tanz­mirakel auch in die Heribert-Hagiographie integriert.121 Das Auftreten des Erzbischofs in der Fassung I dürfte also eher eine Zutat des Urhebers sein, der so wohl seinem im Kölner Einzugsbereich zu suchenden Publikum entgegenkommen wollte. Heribert stand hier zunächst eher als Chiffre für die neue Zentralrolle des Bischofs als Inhaber der kirchlichen Heilsvermittlung in der Ekklesiologie der karolingischen und ottonischen Zeit.122 Folgerichtig lassen spätere Bearbeitungen des Textes ortsnahe Prälaten das Lösungswunder vollbringen, die Magdeburger »Schöppenchronik« (14./15. Jh.) etwa korrekterweise den Erz­ bischof von Mainz als zuständigen Metropoliten,123 der Braunschweiger Chronist Herman Bote (um 1450–1520) den ebenfalls heiligen Bischof Bernward von Hildesheim (993–1022).124 119 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 111; zu weiteren Ortswechseln der Sage vgl. unten, Kap. VI.6. 120 Müller, Heribert, S. 209–213; Borck, Tanz zu Kölbigk (1955), S. 271 f.; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 106 f., S. 134; (verfehlt) Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 71 f.; zu ­Lantpert von Deutz und seiner Vita jetzt Kleine, Gesta, Fama, Scripta, S. 79–84. 121 Vgl. Vogel (Hg.), Lantpert von Deutz, S. 52: aus einer Brüsseler Handschrift des 15. Jh.; vgl. Schröder, Tänzer von Kölbigk, S 107; Kleinschmidt, Folgen einer Ekstase, S. 264; Ders., Perception and Action, S. 43. 122 Iogna-Prat, La maison Dieu, S. 228–258, 310–313. 123 Borck, Tanz zu Kölbigk (1955), S.  269 mit Anm.  3; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 106. 124 Ebd., S. 106; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 245, wertet dies als orale Über­ lieferung in Kölbigk und damit als Reflex auf vorchristliche Kulttraditionen vor Ort, ohne die Urheberschaft Hermann Botes zu beachten. Die westlich der Oker gelegenen Teile des späteren Braunschweig gehörten zum Bistum Hildesheim. Hermann Bote setzte also den Orts­ bischof seiner Heimatstadt als Wundertäter in dem zum Bistum Halberstadt gehörenden Kölbigk ein. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Der unbekannte Urheber des Tanzberichts könnte mit der Einführung Heriberts freilich auch wenn nicht tagespolitische, so doch zumindest im Wahrnehmungshorizont der Zeitgenossen noch virulente Empfindlichkeiten bedient haben: Heribert von Köln hatte nach dem Tod Ottos III. (1002) die Thron­ kandidatur seines Verwandten Hermann II. von Schwaben unterstützt. Dessen Gegenspieler Heinrich von Bayern setzte Heribert zeitweise gefangen, um die Herausgabe der Heiligen Lanze zu erzwingen. Nach der Thronbesteigung Heinrichs II. wurde der Erzbischof und Kanzler kaltgestellt. Auch in den folgenden Jahren zeigte er sich immer wieder als Parteigänger der von seinen konradi­ nischen Verwandten angeführten Opposition. Auch der König blieb ihm gegenüber distanziert. Nur phasenweise kam es zu Annäherungen, etwa, als ­Heribert Heinrich II. 1007 bei der Gründung des Bistums Bamberg unterstützte. Zur Partei Heinrichs zählte hingegen der für Kölbigk zuständige Erz­bischof Willigis von Mainz (940–1011).125 Der Ortsbischof Arnulf von Halberstadt (Bf. 996–1023) stammte zwar wie Heribert aus dem Umfeld Ottos III. und hatte in den Thronkämpfen auf Seiten des unterlegenen Eckehard von Meißen gestanden. Er hatte sich jedoch bald auf die Seite Heinrichs gestellt.126 Ein mutmaßlich kurz nach dem Tod Heriberts im Köln-Lütticher Raum127 entstandener Text berichtet also von einem Rückfall in das Heidentum im Amtsbereich der machtpolitischen Konkurrenten von Mainz und Halberstadt, zudem im ostsächsischen Zentralraum der Herrschaft des ungeliebten Königs, ja: an einem von diesem kurz zuvor mit einer Klostergründung bedachten Ort, und lässt dabei ausgerechnet den alten Gegenspieler des Kaisers als wundertätigen Retter in Szene treten. Wie das Tanzwunder des Eligius in der Vita des Audoinus auch der Disqualifikation des politischen Gegners Erchinoald gedient hatte, so könnte im Kölbigker Mirakel in der Fassung des »Othbert« auch hintergründige Polemik gegen den bayerischen Herzog auf dem Kaiserthron mitschwingen. Eine ähnliche Stoßrichtung findet sich in einem der Wunder der Miracula Heriberti Lantperts von Deutz: Der Gründungsbischof Eberhard von Bamberg träumt in der Nacht der Exsequien des Kölner Erzbischofs, wie dieser in seine ihm vom Kaiser genommenen Rechte wieder eingesetzt wird. Als er dies 125 Zum Thronkampf von 1002 vgl. Müller, Heribert, S. 142–159; zu Heriberts »Kaltstellung« (so Müller, S. 162) ebd., S. 160–191; zu Heriberts – wohl eher politisch motiviertem – Engagement für die Gründung Bambergs ebd., S. 168 f.; vgl. weiterhin Beumann, Ottonen, S. 157–159. 126 Althoff, Adels- und Königsfamilien, S. 106, 321; nach Müller, Heribert, S. 168 f., vermittelte der Kölner Erzbischof im Vorfeld der Gründung des Bistums Bamberg zwischen Heinrich II. und Arnulf, der Kompensation für Gebietsverluste verlangte. 127 Lantpert von Deutz wurde 1060 Abt von Saint-Laurent in Lüttich und brachte so die Vita des Heribert in das Suffraganbistum. Von hier wurde sie Anfang des 12. Jh. durch den aus Saint-Laurent kommenden Rupert von Deutz wieder nach Köln gebracht, vgl. Kleine, Gesta, Fama, Scripta, S. 119 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Heinrich II. berichtet, bereut dieser seinen Frevel gegen den heiligen Mann und stiftet zum Ausgleich zahlreiche Almosen.128 Lantpert konstruierte also eine postume Rehabilitierung Heriberts durch den Kaiser, und er konnte dabei immer­hin auf den Umstand verweisen, dass Heinrich tatsächlich für die memoria des Erzbischofs Sorge getragen hatte. Gegen eine solche Interpretation spräche vielleicht die (fiktive?) Ausstellerschaft Pilgrims von Köln, war dieser doch als Parteigänger Heinrichs II. ins Amt gekommen.129 Da die tatsächliche Beteiligung des neuen Erzbischofs jedoch im Dunkeln bleibt, vermag dies die vorgeschlagene Interpretation nicht zu entkräften. Zudem musste auch Pilgrim bereits 1032 auf einen offenbar spontan entstandenen Heiligenkult am Grab Heriberts in Deutz reagieren und dem Kloster reiche Stiftungen zukommen lassen.130 Die Verpflichtungen der memoria für den Amtsvorgänger wie die Dynamik eines entstehenden Heiligenkultes ließen ihm wohl keine andere Wahl, als sich in dessen Tradition zu stellen. Weil schon die verlorene Urfassung des Kölbigker Wunderberichts noch am ehesten aus dem Umfeld des Kölner Erzbistums stammen dürfte, könnte die Lokalisierung des Mirakels in Ostsachsen überhaupt auf diese tagespolitisch motivierte Disqualifikation des siegreichen Gegners zurück­ zuführen sein.

VI.2.4 Augustinus über die Kinder der Witwe von Caesarea Gegenüber den solarmythologischen Erzähltraditionen und auch gegenüber dem Tanzfluch der Vita Eligii innovativ ist vor allem ein Motiv, das zudem deutlich auf eine weitere Verchristlichung des Stoffes hinweist: das dauerhafte Zittern oder Zucken der Glieder, welches die Beteiligten nach ihrer Rekonziliation als lebenslanges Zeichen zurückbehalten und folglich auf ihrer peregrinatio vorzeigen. Diese Erweiterung der platonischen Doppelstruktur der mania be­zogen die Urheber des Kölbigker Mirakels wohl von Augustinus. Dem Bischof von Hippo zufolge ereignete sich im Jahr 425 in der Kirche des hl. Stephanus – der ja auch der vormalige Hauptpatron der Kölbigker Kirche war – ein Heilungs­ wunder mit ganz ähnlichen Folgen: Eine Witwe im kappadokischen Caesarea hatte demnach zehn Kinder, sieben Jungen und drei Mädchen. Als ihr ältester Sohn die Mutter schmähte und die Geschwister ihn nicht zurückhielten, wurden sie alle zur Strafe in die Welt zerstreut, mit einem chronischen Zittern als göttlichem Stigma. Zwei von ihnen, Paulus und Palladia, erreichten auf ihrer

128 Ebd., S. 89–96. 129 Müller, Heribert, S. 194. 130 Kleine, Gesta, Fama, Scripta, S. 83. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Wanderschaft Hippo, wo sie nach fünfzehn Tagen Gebet und Schlaf am Altar des Stephanus geheilt wurden.131 Mit dem Schlaf am Altar bezeugt Augustinus die Fortwirkung des antiken Heilrituals des Tempelschlafs, der »Inkubation«, auch in der christlichen Heiligenverehrung.132 Das Motiv der Zerstreuung nimmt Bestimmungen in Bußbüchern des 10. und 11. Jahrhunderts vorweg, die als Strafe für die Teilnahme an häretischen oder sakrilegischen Handlungen die Austreibung aus der Pfarrei oder sogar aus der Diözese vorsahen.133 Mit dem chronischen Gliederzittern der Verfluchten jedoch konnten Augustinus und sein Berichterstatter Paulus an ältere Motive aus der Dionysos-Mythologie anknüpfen, der ungehorsame Sterb­ liche ebenfalls mit unfreiwilligen Zuckungen und Tänzen gestraft hatte.134 Wie Metzner wohl richtig angemerkt hat, ist dieses Motiv auch in der Fassung III mitzudenken, obwohl sie es nicht mehr erwähnt: Der Schlusssatz des Berichts impliziert allzu deutlich ein sichtbares Zeichen der Sühne, das der Bearbeiter jedoch offenbar herausgekürzt hatte.135 Eine andere Anregung des ­Augustinus jedoch ist nur in den Fassungen I und II erhalten geblieben: Wie Augustinus eine schriftliche Ich-Erzählung (»libellus«) des in Hippo geheilten Paulus über den Fluch seiner Mutter überliefert, so sind auch I und II als Berichte in der ersten Person stilisiert.136 Dieses persuasive Element wurde vielleicht schon in einer Vorstufe zu I und II in den aktenmäßig stilisierten Bettelausweis integriert. Der Bericht eines Betroffenen in der ersten Person Singular 131 Dombart (Hg.), Sancti Aurelii Augustini De Civitate Dei, Liber XXII, Cap. 8, 824 f.; vgl. ähnlich S.  Aurelii Augustini Hipponensis Sermo 322, PL 38, S.  1443 f.; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 145 f.; Stumpfl, Kultspiele, S. 331; Baesecke, Kölbigker Tanz, S. 267; Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 75 f., 79; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S. 290 mit Anm. 1; Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 331; Wilmart (Hg.), La légende, S. 285; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 52, 60 f., 83; Zimmermann, Engelsreigen, S. 86. 132 Vgl. dazu Günter, Psychologie der Legende, S. 67; Delehaye, Hagiographische Legende, S. 151–155; Hen, Culture and Religion, S. 112 f.; Gschößl, Schmelztiegel, S. 40; ­Merkelbach, Isis regina – Zerus sarapis, S. 200, 327 f.; Wagner, Adversaries of the Dance, S. 126 f.; Kleine, Gesta, Fama, Scripta, S. 357 ff. 133 Ginzburg, Hexensabbat, S. 105 (Regino von Prüm und Burchard von Worms); Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 61–67. 134 Stumpfl, Kultspiele, S. 331. 135 »Ex quo tempore per totum orbem dispersi sunt, ut in eis exemplum ostendat Deus ­omnibus, quante ultionis sit opus Dei neglegere et sacerdotibus eius non obedire.« Zitiert nach: Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 48; vgl. ebd., S. 52. 136 S. Aurelii Augustini Hipponensis Sermo 322, PL 38, S. 1443 f.; vgl. Schröder, Tänzer von Kölbigk S. 145 f.; auch Augustinus, De civitate Dei; Liber XXII, Cap. 8, erwähnt diesen Bericht des Paulus: »Sequenti itaque die, post sermonem redditum, narrationis ejus libellum in crastinum populo recitandum promisi. Quod cum ex dominico Paschae die tertio fieret in gradibus exedrae, in qua de superiore loquebar loco, feci stare ambos fratres, cum eorum legeretur libellus. Intuebatur populus universus sexus utriusque, unum stantem sine deformi motu, alteram membris omnibus contrementem.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sollte im Übrigen in der mittelalterlichen Wunderliteratur zu einem gängigen Mittel der Autorisierung werden.137 Paulus und seine Schwester Palladia wurden Augustinus zufolge nicht an Weihnachten, sondern an Ostern geheilt, einem Datum also, dessen solar­ mythologische Konnotationen Augustinus immer wieder beschäftigten.138 Anstifter ihres Ungehorsams ist ihr ältester Bruder, wie auch in der Kölbigker Fassung II der Anführer Bovo der älteste (und törichteste) der jungen Leute ist.139 Goscelin hatte wohl den »Gottesstaat« und die Predigt des Augustinus noch einmal zur Hand genommen, um die schon in den frühen Vorstufen enthaltenen Anklänge zu elaborieren.140 Der von Augustinus redigierte Bericht des Paulus wirkte jedoch auch mit seiner theologisch fein durchstrukturierten Begründung für die Verfluchung der ungehorsamen Kinder in der Kölbigker Überlieferung weiter. Als angemessen sieht Augustinus nämlich offenbar nur die Bestrafung des Anführers an. Der Fluch der Witwe gegen ihre anderen Kinder ist daher keineswegs eine göttliche Strafe. Vielmehr lässt diese sich in ihrem menschlich verständlichen Zorn vom Teufel dazu verführen, alle ihre Kinder zu verwünschen. Dieser Bann ist nun nichtsdestoweniger wirksam, dennoch sind damit die Rollen entschieden anders verteilt als etwa in der Vita Eligii: »Jene aber, von den stechenden Schmerzen der Frau entflammt, beschloss, ihren ungerechten Sohn durch eine Verwünschung zu strafen. Und als sie nach dem Hahnenschrei zum heiligen Taufbecken eilte, ihrem erwähnten Sohn den Zorn Gottes zu wünschen, da erschien ihr ein Dämon, ich weiß nicht welchem unserer Onkel ähnlich, wie zu erfahren war, und fragte sie zunächst, wohin sie unterwegs sei. Worauf diese sagte, sie gehe, um ihren Sohn wegen seiner unerträglichen Schamlosigkeit zu verwünschen. Da aber überzeugte sie jener böse Feind, [uns] alle zu verfluchen, da er im wahnsinnigen Herzen der Frau leicht einen Platz finden konnte. Diese aber, von den Ratschlägen der Schlange entflammt, ergriff hingestreckt die heilige Quelle, und mit offenem Haar und nackten Brüsten forderte sie dies vom allmächtigsten Gott, dass wir hinausgeworfen aus der Heimat und in fremden Ländern herumirrend dem ganzen Menschengeschlecht mit unserem Beispiel ein Schrecken sein sollten.«141 137 Vgl. den unveröffentlichten Vortrag von Klaus Peter Horn, Bremen, beim Treffen des Brackweder Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte, Bremen 2006. 138 Vgl. oben, Kap. IV.2.2. 139 »[…] colligit aduenientes Bouo, tam etate prior quam stultitia.« Zitiert nach: Wilmart (Hg.), La légende, S. 287 f. 140 Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 76; zu Goscelin als Vorreiter der Augustinus-Rezeption in England vgl. Hollis, Edith as Contemplative, S. 303; Otter (Übers.), Liber Conforta­ torius, S. 3 f. 141 S. Aurelii Augustini Hipponensis Sermo 322, PL 38, S. 1443: »Illa autem feminei doloris stimulis incitata, injuriosum filium maledicendo punire constituit. Cumque ad sacri Baptismatis fontem post gallorum cantus memorato filio suo iram Dei imprecatura properaret, tunc ei nescio quis in patrui nostri similitudine, ut intelligitur, daemon occurrit, et ab ea prior quo pergeret requisivit. Cui illa, ad maledicendum filio suo ob intolerabilem contumeliam se ire © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Das chronische Zucken der schamlosen Kinder, die ihre Mutter nicht geehrt hatten, wird also durch einen Fluch am Taufbrunnen ausgelöst. Zudem verfällt die Mutter unter dem Einfluss der teuflischen Schlange selbst in einen deutlich gezeichneten mänadischen Rausch  – denn offenes Haar und entblöste Brüste zeichneten seit Euripides’ Bacchae die Agave, die ihren Sohn zerfleischt hatte.142 Auch Augustinus konstruiert körperlichen Kontrollverlust als Zeichen für das Herausfallen aus der Heilsgemeinschaft also in Polarität zum durch die Taufe begründeten Bund mit Gott. Dieser Gott freilich befolgt zwar den Wunsch der Fluchenden, schuldig an dieser Ungerechtigkeit ist aber der Teufel, der die »wahnsinnige« Witwe verführt hat. Augustinus erläutert diesen Ablauf noch im Anschluss an den »libellus«: »Die Mutter betete gegen ihre Kinder und wurde erhört; denn Gott ist wahrhaft gerecht, weil wahrhaft Unrecht geschehen war. Einer von jenen hatte schamlose Worte gebraucht und die Hand erhoben; und auch die anderen ertrugen den Fluch der Mutter geduldig, nicht ein Wort hatten sie dem Bruder zu ihren Gunsten geantwortet. Der gerechte Gott, der die Bittende gehört hatte, hört auch den Geplagten. Aber was [tat] jene Unglückliche? War sie nicht umso mehr gestraft, weil sie so schnell erhört worden war? Lernt also, dies von Gott zu erbitten, wenn ihr Euch nicht fürchtet, erhört zu werden.«143

Der Fluch ist also wie der theurgische Akt ex opere operato wirksam. Die jüngeren Geschwister haben ihn auch durchaus verdient, da sie nicht gegen den Frevel eingeschritten sind. Gott freilich wird ihnen zur rechten Zeit Gnade gewähren. Und, so die eigentliche Lehre, Verwünschungen sollten gut bedacht sein! Damit ist bei Augustinus ein Modell vorgegeben, an dem sich die Verfasser der verschiedenen Varianten der Kölbigker Legende orientieren konnten, wenn sie die Verantwortlichkeiten für den einjährigen Zwangstanz verteilen mussten. Denn ihre Haltung zu den Teilnehmern des Reigens ist – anders als in der Vita Eligii – alles andere als eindeutig. In Kölbigk sind die Tanzenden mindestens ebenso sehr Opfer wie Täter, und der sie verfluchende Priester ist zumindest auch Opfer seiner eigenen Sündigkeit und Täter ihnen gegenüber. respondit. Tunc autem ille inimicus, quoniam in mulieris corde insaniente locum facile invenire potuit, ut omnibus malediceret persuasit. Illa autem vipereis inflammata consiliis, sacrum fontem provoluta corripuit, et sparsis crinibus nudatisque uberibus hoc a Deo potissimum postulavit, ut extorres patria et circumeuntes alienas terras, omne hominum genus nostro terreremus exemplo.« 142 Lindner, Mänaden. 143 S. Aurelii Augustini Hipponensis Sermo 322, PL 38, S.  1445: »Oravit mater contra ­f ilios, exaudita est; quia Deus vere justus est, quia vere injuriam passa fuerat. Unus ipsorum et verba contumeliosa et manus injecerat; et caeteri matris injuriam patienter tulerunt, nec unum pro ea verbum contra fratrem responderunt. Justus Deus qui audivit precantem, audivit dolentem. Sed quid illa misera? Nonne unde citius exaudita, inde plus punita? Discite hoc petere a Deo, ubi non timeatis exaudiri.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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VI.3 Die drei primären Überlieferungsvarianten Schon die kritische Diskussion des bisherigen Forschungsstandes zur Text­ genese des Kölbigker Mirakels zeigt, dass dieses allenfalls auf den ersten Blick ein Zeugnis für die Auseinandersetzung der mittelalterlichen Kirche mit volkskulturell virulenten vorchristlichen Kulttraditionen und Mythen darstellt. Die Wundergeschichte erweist sich in ihrer allen frühen Überlieferungen gemein­ samen Grundstruktur vielmehr als Konglomerat von Prätexten, die auf verschiedenen diskursiven Ebenen und in verschiedenen Stadien der Weiter­ entwicklung gleichermaßen auf die spätantike platonische Kosmologie und ihre astral- und solarmythologischen Derivate zurückzuführen sind. Motive, die auf die antiken Mythen um den Kampf von altem und neuem Sonnengott und die Heilige Hochzeit von Sonne und Mond zurückgehen, wurden aktualisiert, indem sie neu mit ihren mittelalterlichen Fortschreibungen im Sagenkreis um Dietrich von Bern verknüpft wurden. Vorbild wurde dabei der Fluch des Eligius gegen die Anhänger des Erchinoald. Das sacrilegium der Ungehorsamen wurde mit Stereotypen aus der kirchlichen Superstitionsverfolgung ausgemalt, wie sie ebenfalls in der Vita Eligii exemplarisch vorformuliert sind. Für Delinquenten dieser Art bot sich kirchenrechtlich die Buß-peregrinatio an, womit sich der Kreis zum anzunehmenden Schreibanlass schloss. Zugleich konnte man nun aus Augustinus einen neuen Ausgang für die Geschichte ziehen. Aus diesen Zutaten konstruierten bald nach 1021 Unbekannte im Umfeld der lothringischen Klöster und des Erzbistums Köln die Grundlagen der Wundererzählung. Der Tanz von Kölbick ist also ein genuines Produkt jenes in der Tradition der merowingischen und karolingischen Klosterbildung stehenden Milieus, in dem philosophischer Neoplatonismus, am Vorbild des spätrömischen Kaisertums orientierte Herrscherideologie und volkskulturelle Reflexe des spätantiken Sonnenglaubens sich in immer neuer Auseinandersetzung zu einer spezifisch mittelalterlichen Christianität entwickelt hatten, und in dem nun seit dem späten 10. Jahrhundert die Grundlagen der Kirchenreformbewegung gelegt wurden. Deutlicher sichtbar wird dieser Hintergrund noch, wenn man die drei maßgeblichen Zeugnisse je für sich liest.144

144 Wenn dabei im Folgenden nicht die seit Edward Schröder kanonische Reihenfolge der Texte (I, II, III), sondern eine an die hypothetische Stemmatisierung von Borck angelehnte Gliederung gewählt wird (III, I, II), so ist dies ausdrücklich nicht einer Zustimmung zu dieser Chronologie geschuldet, sondern allein dem Argumentationsgang der folgenden Kapitel. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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VI.3.1 Der Bericht der Handschrift Paris, BNM Ms. lat. 9560 (Schröder: Fassung III) Die Handschrift Ms. lat. 9560 der Pariser Nationalbibliothek enthält eine Sammlung von Predigten Gregors des Großen.145 Auf dem Vorsatzblatt des ­Codex hat eine etwas spätere Hand die nur hier überlieferte berichtsförmige Fassung des Kölbigker Tanzmirakels (Fassung III) eingetragen. Karl-Heinz Borck datiert diese in die Zeit um 1100, Jean Schroeder hat hingegen eine Entstehung vor der Mitte des 11. Jahrhunderts annehmen wollen. Die Handschrift stammt aus Echternach, womit freilich weder die Entstehung des vorliegenden Textes noch gar der Mirakelgeschichte überhaupt in diesem Kloster belegt ist.146 Wohl aber stellt die Fassung III nach Borck die früheste erhaltene handschriftliche Überlieferung des Tanzmirakels dar. Borck hat zudem anhand des Datierungsstils eine Entstehung im Kölner Raum wahrscheinlich gemacht. In jedem Fall bewegen wir uns damit im Mittelrhein-Mosel-Raum, im Einzugsgebiet der lothringischen Klosterreform also. Die Eintragung im Vorsatz einer Homiliensammlung mag nun auf eine Verwendung als Predigtexempel hinweisen. Problematisch ist jedoch die Annahme Jean Schroeders, man könne daraus etwa auf die Lehrmeinung des Klosters zu den ihm zufolge schon für das 11. Jahrhundert nachweisbaren Reigen bei Wallfahrten zum Willibrord-Grab schließen.147 Ob diese von den Mönchen als Superstition missbilligt oder nicht vielleicht eher als paraliturgisches Ritual gepflegt wurden, bliebe zu klären. Augenfällig wird durch diese örtliche Koin­zidenz jedoch, dass die Genese des Kölbigker Mirakels im Kontext der frühmittelalterlichen fränkischen Christianität mit ihren spezifischen neoplatonisch-kosmologischen Traditionen zu sehen ist. Zumindest die spätere Rezeption sollte das Tanzwunder dann tatsächlich in einen direkten Zusammenhang mit den Echternacher Tänzen bringen, indem es die Kölbigker Erzählung

145 Schroeder, Herkunft; Ders., Beziehungen, S.  386 f.; Ders., Kulttänze; dagegen Kleinschmidt, Perception and Action, S.  44 mit Anm.  12, 46; allg.: Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 135–140 (datiert die Hs. ins 11. Jh., den Tanzbericht Mitte des 12. Jh.); Borck, Tanz zu Kölbigk (1955), S. 277–279 (datiert die Hs. ins 11. Jh., die Eintragung »wohl gegen 1100«); Ders., Tanz zu Kölbigk (1951), S. 17, 34 f., 50–55; dagegen Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. ­46–48. 146 Vgl. oben, Kap. VI.1.2. 147 Zu diesen vgl. oben, Kap. III.3.3; Gregor der Große war eine der Autoritäten, die im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Superstitionen immer wieder zitiert wurden. Als einer von wenigen Kirchenvätern hatte er für eine graduelle Akkulturation im Missionsbetrieb und damit für die kontrollierte Integration von körperlichen Expressionen in die christliche Liturgie plädiert. Ein Zusammenhang ließe sich hier freilich nur feststellen, wenn der Inhalt der Pariser Homiliensammlung genauer erschlossen wäre. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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auf Willibrord und das Eifeldorf Waxweiler übertrug, von wo aus man alljährlich zur Springprozession nach Echternach pilgerte.148 Die Pariser bzw. Echternacher Fassung III jedenfalls ist nicht, wie die beiden anderen Hauptzeugen, als Ich-Erzählung eines Beteiligten stilisiert, sondern in einer nüchternen Berichtsform gehalten: »Im Jahr der Fleischwerdung unseres Herrn Jesus Christus 1018, in der 15. Indiktion, an dem Ort namens Kölbigk, wo die Reliquien des Märtyrers Magnus in der Kirche aufbewahrt werden, traten genau in der Nacht der Geburt unseres Herrn und Heilands Jesus Christus im Hof derselben Kirche [Leute] auf, die Spielen und Frivoliäten hingegeben waren und Reigen und Tänze ins Werk setzten. Es waren 27, deren Namen diese sind: Ŏtelrihc, Hereman, Thiederihc, Meinnolf, Gerolf, Gerlahc, Martin, Lamber?th, Heinrich, Wezel, Fritherich, Arnolt, Johan, Siuuart, Hezzel, Amelrich, Alret, Buouo, Wunekin, Berenarth, Bio, Wilhelm, Gerath, Vocco, Adelolt, Walthelm, Mersuit, die die einzige Frau unter den anderen war, die alle dieselbige hochheilige Weihnacht nicht mit der geschuldeten Ehrerbietung würdigten. Als aber der Priester des Herrn sich zum Zelebrieren der Heiligen Messe angeschickt hatte und sie zur andächtigen Mitfeier einlud, misachteten sie seinen Vorschlag und wollten ihm nicht Folge leisten. Und da er zum zweiten und dritten Mal zu ihnen hinausging und [seine Aufforderung] wiederholte, antworteten sie, dass sie keinesfalls um der Messe willen aufhören wollten, bevor nicht ihr Lied beendet sei. Von Zorn bewegt sagte da der Priester: ›Weil Ihr Gottes durch mich, seinen unwürdigen Diener, [ausgesprochene] Gebote nicht würdigt und nicht zulasst, den Gottes­dienst vor den Augen des Volkes zu zelebrieren, bewirke Gott durch die Verdienste seines heiligen Märtyrers Magnus, dass ihr ein ganzes Jahr nicht weichen sollt von dem Platz, wo ihr Euch bewegt, und nichts anderes sprechen sollt, als ihr gerade im Munde habt.‹ Die noch nicht den Geboten Gottes und seines Priesters gehorchen wollten, verdienten sich so die Vergeltung der Geißel Gottes. Und so vortrefflich der Märtyrer Gottes schon dem Namen nach herausragt, so großartig leuchteten die Zeichen seiner Bewunderung. Nach den vorstehenden Worten ging der Priester zu seiner Tochter, die auch mit den anderen den Reigen führte, und ergriff sie am Arm, um, wenn es ginge, sie mit sich zu ziehen und in die Kirche zurückzuführen. Welcher [Arm] sofort so leicht folgte, als ob er in keiner Weise dem Körper verbunden ge­wesen wäre, so aber, was wundersam zu erzählen ist, dass weder Blut herausfloss noch sie [die Tochter] irgendeine Verletzung spürte. Als dieses geschehen war, verwunderte er [der Priester] sich selbst, trug den ergriffenen Arm in die Kirche, um ihn nach vollzogenem Gottesdienst der Erde zu übergeben. Aber gewissermaßen von göttlicher Kraft [bewegt,] gelangte jener mit höchster Geschwindigkeit wie ein Vogel mitten in den Kreis des Reigens und begann sich dort wie ein Aal herumzuwälzen. Nach 148 Als reales Ereignis werten den Tanz von Waxweiler: Krier, Springprozession, S. 66 f.; Backman, Religious Dances, S. 172; Beek, De geestesgestoorde, S. 240; dagegen weist auf das Kölbigker Vorbild hin: Schroeder, Kulttänze, S. 191 f.; Müller, Abhandlung, S. 10, erwähnt das Präzessionsrecht der Gemeinde Waxweiler bei der Springprozession in Echternach, nicht aber die Legende; nach Kouthen, La procession dansante, S. 408 ff., wurde die Bannprozession aus Waxweiler und Prüm nach Echternach um 1860 erneuert. Die Legende könnte in diesem Zusammenhang übertragen worden sein. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Vollzug der Messe ergriff man den Arm erneut und wollte ihn der Erde über­geben, aber jener kroch nichtsdestoweniger wie Würmer aus der Erde und kehrte erneut in die Mitte des Reigens zurück, und blieb dort, solange das Jahr andauerte. Gemäß gött­lichem Willen erfüllten sich die von dem Priester gesprochenen Worte. Das ganze Jahr verbrachten sie in jenen Gesängen und Tänzen. Weder aßen sie noch tranken sie noch fühlten sie Frost oder Hitze, ebenso hatten sie keine Risse in ihren Schuhen oder anderen Kleidern, bis zum Nabel gingen sie in die Erde hinein. Als aber ihre Eltern immer wieder ein Dach über ihnen zu bauen versuchten, konnten sie, was sie abends errichtet hatten, am Morgen nicht wieder finden. Jeden Tag zur neunten Stunde erfüllte ein gewisser höchst süßer Duft wie von einem zarten Windhauch ihre Nasen und Brüste, von dem erquickt und wie von allen süßesten Speisen erfüllt sie keinen Hunger spürten. In diesem aus Gottes Allmacht das ganze Jahr dauernden Werk und Wunder erreichten sie schließlich die gleiche heilige Nacht der Geburt des Herrn. In der gleichen Stunde und in jenem Moment, in dem sie gebunden worden waren, löste sie die göttliche Barmherzigkeit, und bald kamen sie in die Kirche, um für ihre Un­taten um Gnade zu bitten. Dort lagen sie für zwei Nächte und einen Tag, sprachen kein Wort und bewegten sich nicht. Dort starben die Tochter des Priesters und ein weiterer von ihnen. Am dritten Tag kamen sie auch wieder zu sich, wurden aus der Kirche geworfen und, nachdem ihre Eltern sie nicht ohne gewisse Gewalt ergriffen hatten, gebadet und gekleidet. Als diese [die Eltern] ihre Kleider berührten, die unversehrt geblieben waren und auch weiterhin nicht gealtert wären, wenn es möglich gewesen wäre sie zu benutzen, fielen sie wie Spinnennetze zusammen und verschwanden wie Rauch. Von diesem Zeitpunkt an wurden sie über den ganzen Erdkreis zerstreut, damit Gott an ihrem Beispiel allen zeige, welche Strafe jenen drohe, die sein Werk nicht ehren und seinen Priestern nicht gehorsam sind.«149

Der Fokus der Darstellung liegt deutlich auf »Spielen und Frivolitäten« im »­atrium«, also wohl dem Vorhof der Kirche, in der Weihnachtsnacht, also vom 24. auf den 25. Dezember.150 Die Formulierung erinnert deutlich an die stereotypen Verbote von Superstitionen, wie sie Bußbücher und Synodalstatuten oder auch die Musterpredigt der Vita Eligii enthalten. Und tatsächlich sind in dieser Fassung ausdrücklich der Ungehorsam der Tänzer gegenüber dem Priester und ihre Nichtteilnahme am Weihnachtsgottesdienst die Auslöser des Weiteren. Die namentliche Aufzählung der Beteiligten überschneidet sich zu erheb­ lichen Teilen mit jener in der Fassung II (Theodericus). Nach Vorarbeiten von Schröder und Borck (insbesondere zur geographischen Provenienz) hat Ernst Erich Metzner aus diesem Namensmaterial seine These eines Nebeneinander von Personennamen der Mitspieler und Rollennamen in dem von ihm an­ genommenen Dietrich-Singspiel entwickelt. 149 Vgl. die Edition bei Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 135–137; hier maßgeblich: Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 47 f. 150 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 47: »[…] fuerunt in ipsa nocte nativitatis Salvatoris domini nostri Jhesu Christi in atrio ipsius ecclesie lusibus et lascivitatis dediti, choreis et saltationibus operam dantes, […].« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Von der Kirche als Reigen zum blasphemischen Tanz

Der Priester warnt die Delinquenten dreimal, bevor er sie bestraft, womit er üblichen Verfahrensregeln der Bußbücher entspricht. Dabei ist nicht etwa der in die Kirche dringende laute Gesang der Tanzenden das Problem, wie vielfach in der späteren Rezeption. Vielmehr ist es der Reigen selbst, der den Gottesdienst im Beisein der Gemeinde unmöglich macht.151 Eine kleine Gruppe, die die Teilnahme an der Liturgie verweigert und sich stattdessen einem konkurrierenden Ritual widmet, macht also die eucharistische Vergegenwärtigung Christi am Fest seiner Geburt unmöglich. Der Reigen ist eine spirituelle Störung der ecclesia. Der den Wunsch der Tänzer hypostasierende Fluch des Priesters deutet dabei das Motiv des ununterbrochenen Singens eines immer gleichen Liedes an, wie es explizit nur noch in der Fassung II erhalten ist.152 Dies könnte nun auf eine Kürzung gegenüber den nicht mehr erhaltenen Vorstufen hinweisen. Ebenso gut kann das zunächst ansatzweise enthaltene Motiv aber auch erst vom späteren Bearbeiter zum Anlass genommen worden sein, die entsprechenden Verse zu inserieren.153 Unmittelbar im Anschluss an den Fluch des Priesters folgt das Armwunder. Die namenlose Tochter des Priesters wird in der Forschung in der Regel umstandslos mit der einzigen Frau in der Reihe der Tanzenden gleichgesetzt.154 Man könnte hier jedoch auch einen weiteren Bruch im Text vermuten, der durch eine Kürzung entstanden sein könnte.155 Dass die Urfassung der Tochter und einem der männlichen Beteiligten eine prominentere Rolle zugewiesen haben muss, wie in II überliefert, zeigt auch die Fassung III noch, welche – textimmanent eher unmotiviert – die Tochter und einen Mann am Ende sterben lässt.156 Der Priester versucht jedenfalls, seine Tochter »in die Kirche zurückzuführen«, woraus schon Dag Strömbäck hat schließen wollen, dass die Fassung III ein schon in ihrer Vorlage enthaltenes Entführungsmotiv (wie in II überliefert) gekürzt habe.157 Da das Mädchen jedoch durch seinen Fluch gebunden ist, ist dies unmöglich: Der kosmische Reigen und die ecclesia schließen einander aus, wie 151 Ebd., S. 47: »Quia Dei precepta per me indignum eius sacerdotem contempnitis et divinum officium spectante populo celebrare non sinitis, faciat Deus per merita sancti martiris sui Magni, ut toto isto anno non recedatis de loco in quo ambulatis, nec aliud quam quod modo in ore habetis dicatis.« 152 Vgl. ähnlich etwas weiter unten: »Implentur verba sacerdotis divino nutu loquentis. Totum illum annum in eisdem cantationibus et saltationibus duxerunt.« 153 Vgl. zum Tanzlied unten, Kap. VI.2.2. 154 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S.  47: »[…] Mersuit, que sola inter alios femina erat.« Ebd.: »[…] accessit presbiter ad filiam suam, que etiam cum aliis chorum ducebat, […].« 155 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 135, 143. 156 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S.  47: »Quo loco filia presbiteri et unus ex eis ­obierunt.« 157 Ihm folgend ebd., S. 53, der ebenso darauf hinweist, dass III auch die Namen der in II im Tanzlied überlieferten »Bovo« und »Mersuit«/»Mersint« kennt. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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der wundersam ausgerissene Arm der Tochter augenfällig macht.158 Er lässt sich trotz wiederum dreimaligem Versuch weder im Sakralraum bestatten noch aus dem Kreis der Tanzenden entfernen. Wie ein Wurm kriecht er aus der Erde, wie ein Vogel kehrt er immer wieder in den Reigen im atrium zurück, wie ein Aal sich auf trockenem Boden schlängelnd wird er zum Mittelpunkt des Reigens. Der ausgerissene Arm nimmt also dämonengleiche Gestalt an, er wird wie der schwarze, schuppenlos-glatte, schlangengleiche Fisch ungreifbar,159 zugleich jedoch symbolisiert er als aufs Land geworfenes Wassertier die Ver­ lorenheit der im Tanz gefangenen Seelen. In dieser desparaten Rolle wird er pars pro toto zum Reigenführer: Statt mit den himmlischen Sphären zu kommunizieren, wälzt der choragus sich am Boden, während seine Adepten sich bis zum Bauchnabel in den Boden tanzen, statt aufzusteigen zu den Sternen.160 Der Arm nimmt so jene Postion in der Mitte des Kreises ein, die in der Fassung II die Tochter des Priesters selbst zu haben scheint161 – eine Position, die die endlose Kreisform des Reigens aufrechterhielte. Dass sie eher in der Kette der Tanzenden als in ihrer Mitte gedacht wird, dass sie also trotz Armverlust weiter die Hand ihres Nebenmannes halten müsste, markiert den Reigen an sich als ge­ brochen, als eben nicht ewig und unendlich.162 Es sind dabei nicht etwa Dämonen, die die Tanzenden antreiben, auch der herrinnenlose Arm wird ausdrücklich »vi quadam divina« bewegt, von göttlicher Kraft also. Anders als die verwandte Episode in der Vita Eligii folgt die Kölbigker Geschichte nicht der Logik der dämonischen Besessenheit, sondern jener der spiegelnden Strafe.163 Die Tochter spürt auch keine Verletzung und verliert kein Blut, wie Gott den Verfluchten ohnehin recht gnädig ist: Aller körperlichen Bedürfnisse und Emp 158 Ebd., S. 47: »Et post predicta verba accessit presbiter ad filiam suam, que etiam cum aliis chorum ducebat, eam per brachium apprehendebat, ut si fieri posset, secum traheret et ad ecclesiam reduceret. Quod statim tam leviter secutum est, ac si nullo modo corpori adhereret, ita tamen, quod mirum dictu est, ut neque sanguis exiret neque lesionem ullam sentiret. Quod dum factum secum ipse miraretur, apprehensum brachium portavit in ecclesiam, ut peracto divino officio terra cooperiret, sed illud vi quadam divina cum summa velocitate velut avis in medium chori circulum pervenit ibique in modum anguille volutari cepit. Post peracta missarum sollempnia iterum brachium sumentes terra cooperunt, sed illud nihilominus velut vermis de terra exiliens iterum in medium chorum pervenit, ibique in medio usque ad annum ­duravit.« 159 Zur Symbolik vgl. Herzog, (Art.) Aal. 160 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 47: »[…] donec ad umbilicum terram inambu­ laverunt.« 161 Vgl. Fassung II, Wilmart (Hg.), La légende, S. 288: »[…] ut raptam de medio nostrum in ecclesiam adducat Auam.« 162 Vgl. Baesecke, Kölbigker Tanz, S.  266; dagegen Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 144 f., der gegen die zahlreichen eine Kreis implizierenden Termini von einem offenen Reigen ausgeht. 163 Röcke/Velten, Tanzwut, S. 311, die freilich gleich darauf, S. 312, wiederum den Teufel am Werk sehen. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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findungen ledig tanzen sie das ganze Jahr hindurch, denn täglich zur neunten Stunde umgibt sie ein »odor suavissimus«, der sie ernährt.164 Es ist also anders als in der Passio Domitillae nicht der Tanz selbst, der über die Tänzer kommt. Es ist ein buchstäblich göttlicher Reigen, in dem sie gebannt sind, um ihre Störung der ecclesia zu sühnen. Sie sind also letztlich ein Gegenstand der göttlichen Huld, und so versorgt Gott sie, bis sie wieder in die Gemeinschaft mit ihm aufgenommen werden können.165 Diese Begnadung freilich gilt nur für die Dauer ihrer Sühne: Als sie in die Immanenz der Welt zurückgekehrt sind, zerfallen ihre zuvor unverwüstlichen Kleider wie Spinnweben zu Staub.166 Zwar ist der Reigen hier nicht – wie die zeitgenössischen liturgischen tripu­ dia – ein funktionierendes Medium der Kommunikation mit Gott, er ist aber auch nicht etwa an sich verderblich. Er ist ein Beweis der Allmacht Gottes und der exklusiven Heilsvermittlung der Kirche: Wenn Gott will und dies durch seinen Priester bewirkt, dann sind die Gläubigen unlösbar gebunden in einer Kontrafaktur des ewigen Sternenreigens. Dass bei diesem Reigen an solar­ mythologische Vorbilder zu denken ist, zeigt das deutlich wirksame zyklische Zeitverständnis: Nach einem Umlauf der Sonne bzw. des Kirchenjahres, im selben Moment, in dem sie gebunden wurden, werden die Tänzer auch wieder erlöst.167 Dabei ist es nicht der Priester oder ein anderer Inhaber der kirchlichen Sakramental­gewalt, der die Tanzenden befreit. Vielmehr ist die Dauer des Tanzes in der Fassung III schon durch den Fluch festgelegt.168 Um nach dieser überlangen Lehrstunde in göttlicher Allmacht ihren Verstoß gegen die Harmonie der ecclesia zu büßen, kommen die Tänzer nun in die Kirche. Zwei Nächte und einen Tag liegen sie ausgestreckt und regungslos am Boden – in der üblichen Bußhaltung (»prostrati«).169 Wie Christus in der Passion »am dritten Tag« aufersteht, am Morgen des Stephanstages (26.12.), kommen sie 164 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 47: »Totum illum annum in eisdem cantationibus et saltationibus duxerunt: non manducantes neque bibentes neque frigus neque estum sentientes, non scissuram in calciamentis vel in aliis vestimentis habentes, […] In ipsa hora nona cottidie odor quidam suavissimus velut aura lenis eorum nares et pectora repleverat, quo re­ focilati et velut omni dulcedine ciborum repleti nullam famen senserunt.« Zu den biblischen und literarischen Vorlagen dieser Passage und ihrer Deutung vgl. unten, Kap. VI.4.1. 165 Vgl. ebd., S. 66–68, wo Metzner auf eine ganz ähnliche Konzeption bei Hartmann von Aue hinweist. 166 Ebd., S. 47 f.: »Ad quorum tactum vestimenta sua, que illesa permanserunt et amplius si liceret eis uti non veterascerent, ut tela aranearum defecerunt et velut fumus evanuerunt.« 167 Ebd., S. 47: »In hoc labore et mira Dei potentia per totum spatium anni durantes per­ veniunt ad ipsam sacram noctem nativitatis Domini. In ipsa hora et in eodem momento quo ligati erant solvit divina clementia, […].« 168 Ebd., S. 47: »[…] faciat Deus per merita sancti martiris sui Magni, ut toto isto anno non recedatis de loco in quo ambulatis […].« 169 Ebd., S. 47: »Ubi prostrati per duas noctes et unum dies iacentes nullum verbum locuti sunt, et nullum motum petientes.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sodann »wieder zu sich« (»ad se ipsos redeuntes«), womit wie in I und II die Bußübung zum Schlaf bzw. zur Ohnmacht am Altar wird. Zugleich ist die Abkehr von der Sünde als Wiederherstellung der personalen Identität markiert. Ihre Eltern, die sich schon während des Tanzes um die offenbar noch unmündigen Tanzenden gekümmert haben,170 nehmen sich nun wiederum ihrer an. Zuvor jedoch werden diese – von wem auch immer – »aus der Kirche ge­worfen«, da ihre Sühne noch nicht beendet ist. Denn auch der in der dritten Person gehaltene Mirakelbericht III kennt die Zerstreuung der Tanzenden zu einer Bußpilgerschaft.171 Einige Aspekte der Erzählung finden sich nur in dieser Fassung III. Andere fehlen hier, wobei die sprachliche Form mehrmals die Vermutung einer Kürzung nahelegt. Die Echternacher Version stellt jedenfalls mitnichten einfach eine vorliterarische Grundstufe der Erzählung dar, auf die dann die weitere Stilisie­rung hätte aufbauen können.172 Auch sie enthält ja schon die wört­ liche Rede des Priesters und zahlreiche biblische und literarische Anspielungen. Aufällig bleibt die Neutralität, mit der die eigentlich hochkomplexe und theologisch nicht eben widerspruchsfreie Konstellation geschildert wird: Der offenkundig nicht-zölibatäre Priester steht eher am Rande des Geschehens, das sich ganz auf das Wirken Gottes gegenüber den superstitiösen Tänzern konzentriert. Diese werden eher in der Unfreiheit des Tanzfluches vorgeführt als wirklich Qualen ausgesetzt. Ihr Zustand ist aber deutlich erkennbar eine Folge des ersten Reigens, mit dem sie die für den Vollzug der Eucharistie notwendige Harmonie der ecclesia mit ihrem Gott gestört hatten. Anders als den Gegenspielern des Eligius ist ihnen auch nach dem Ende des einjährigen Bannes der Weg in die Kirche verbaut. Sie finden sich in der Ortlosigkeit der Pilgerschaft wieder, nur als wandelnde Zeichen Gottes in die Gemeinschaft der Gläubigen integriert. Aus diesem Zustand kennen die beiden anderen Textzeugen einen Ausweg.

VI.3.2 Der »Bericht des Othbert« (Schröder: Fassung I) Die mit Abstand weiteste Verbreitung unter den Quellen zum angeblichen Kölbigker Mirakel erlangte der sogenannte Bericht des Othbert (Fassung I). Er ist als im Jahr 1021 von dem Erzbischof Pilgrim von Köln (1021–1036) ausgestellte Bettelautorisierung für Bußpilger stilisiert und enthält den Augenzeugenbericht eines angeblichen Beteiligten mit dem auch in der Fassung II auftauchenden 170 Vgl. dazu Borck, Tanz zu Kölbigk (1955), S. 277 f. 171 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S.  47 f.: »Ex quo tempore per totum orbem dispersi sunt, ut in eis exemplum ostendat Deus omnibus, quante ultionis sit opus Dei neglegere et sacer­dotibus eius non obedire.« 172 So Borck, Tanz zu Kölbigk; vgl. oben, Kap. VI.1.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Namen Othbert.173 Daher hat Karl-Heinz Borck wohl zu Recht angenommen, dass schon die nicht erhaltene Vorstufe *I II die Gestalt einer Bettelbescheinigung für einen angeblichen Tanzteilnehmer namens Othbert gehabt haben könnte.174 Die überlieferte Fassung I hat Borck in das zweite Viertel des 11. Jahrhunderts und in den deutsch-romanischen Übergangsraum an Rhein und Maas, in die Diözese Lüttich, datiert. Die behauptete Ausstellung durch Pilgrim von Köln, zu dessen Erzbistum Lüttich gehörte, könnte also zumindest zeitlich und räumlich den Tatsachen entsprechen.175 Allerdings weicht der Text trotz ­einiger Anklänge an Akten- bzw. Urkundenförmigkeit (zumal in Protokoll und Eschatokoll) erheblich von dem seit karolingischer Zeit überlieferten Formular für bischöfliche Begleitschreiben für Bußpilger ab:176 »Erzählung über das in dem Land Sachsen zur Zeit des Erzbischofs Heribert von Köln geschehene Wunder. Ich Sünder mit Namen Otbert: Wenn ich auch meine Sünde verstecken wollte, wäre doch die Unruhe meines Blutes und die Bewegung meiner Glieder ein Zeichen. Auf dass jeder wisse, weshalb es sich ereignet habe, und damit mir Gott zu Ehren ein Almosen gegeben werde, lege ich [es] geordnet vor für jene, die es lesen wollen. Wir waren achtzehn, fünfzehn Männer und drei Frauen, in der Ortschaft Colbizce [Kölbigk] in Sachsen, wo der heilige Magnus sein Martyrium erlitten hat. Die wir am heiligsten Fest der Geburt des Herrn nach Vollendung des Morgens an der Feier der Messe hätten teilnehmen sollen, führten wir vom Teufel bewegt im Kirchhof Reigen auf. Der Priester mit dem Namen Ruthbertus hatte schon mit der ersten Messe begonnen, aber ach! So sehr wurde er durch unsere Gesänge behindert, dass es selbst die heiligen Worte übertönte. Von dieser Störung bewegt kam er zu uns, uns ermahnend, dass wir von diesem Werk ablassen und in die Kirche eintreten sollten. Doch von uns verschmäht war dies sein Wunsch: ›Hoffentlich müsst ihr so Ruhelosen aus der Allmacht Gottes und Kraft seines heiligen Märtyrers Magnus ein Jahr singend verbringen.‹ Wir aber verhöhnten seine Worte und setzten unseren Gesang fort. Es war jedoch von den drei Frauen eine die Tochter des Priesters namens Mersint. Diese versuchte ihr Bruder namens Johannes auf Befehl des Vaters am Arm aus dem Reigen herauszuziehen. Aber sogleich fiel der Arm vom Körper ab, und dennoch floss kein Tropfen Blut. Und was wundersam zu erzählen ist: Sie fuhr ohne den Arm für das Jahr mit uns fort zu singen und die Füße zu benutzen, wie der Priester erfleht hatte. Nach Ablauf von sechs Monaten waren wir daher bis zu den Knien in der Erde verschwunden. Als nach einem Jahr dieselbe heiligste Geburt des Herrn wiederkehrte, führten wir unseren Kreisreigen bis zur Hüfte in der Erde versunken fort. Und dann 173 Vgl. allg. Balogh, Tänze, S.  3–5; Siebert, Tanzwunder, S.  4 f.; Schröder, Tänzer von ­Kölbigk, S.  96–100 (handschriftliche Überlieferung), S.  101–103 (Edition); Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 2–9; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S. 243 mit Anm. 1 (handschriftliche Überlieferung), S. 269 f. (Provenienz); Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 31–39. 174 Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 80. 175 Borck, Tanz zu Kölbigk (1955), S. 266–269. 176 Vgl. Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S.  39–45, 112; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S. 264–266. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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wurden wir durch den Herrn und Heiligen Heribert, Bischof von Köln, nach dem Willen Christi befreit. Derselbe löste uns, als er an jenem Festtag der Weihnacht zu uns kam und ein Gebet über uns sprach, von den Fesseln, durch die wir gegenseitig Hand an Hand gebunden waren, und rekonziliierte uns vor dem Altar des heiligen Magnus, des kostbaren Märtyrers der Kirche. Da erfasste uns zunächst tiefster Schlaf und dort vor dem Altar schliefen wir ein, und drei Tage und drei Nächte, Gott sei unser Zeuge, schliefen wir ununterbrochen. Einer aber von uns, mit Namen Johannes, und auch die Tochter des oben genannten Priesters und zwei andere Frauen hauchten sofort, als sie da vor selbigem Altar auf der Erde ausgestreckt lagen, ihren Geist aus. Als wir nach unserer Verzückung wieder zu uns selbst gekommen waren, bekamen wir zu essen. Und so hat uns bis heute ein Zittern der Glieder als Zeichen der Erinnerung oder besser der Bestätigung nicht verlassen. So haben wir in jenem ganzen Jahr nicht gegessen und nicht getrunken und nicht geschlafen und kein Regen hat uns gestört. Nichts haben wir gefühlt, nichts hat uns gefehlt, als wir ohne Sinne sangen. Mehrmals wurden über uns Dächer errichtet, um den Regen abzuhalten, aber diese wurden nach dem Willen Gottes [immer wieder] zerstört. Unsere Kleider und unsere Schuhe nutzten sich nicht ab, unsere Nägel und Haare wuchsen nicht in dem üblichen Maße, sondern, wie wir begonnen hatten, blieben wir für ein ganzes Jahr bewusstlos. Einige von uns sind schon verstorben und wirken Wunder [miraculis choruscant], einige singen als Befreite das Lob Gottes. Gegeben ist dies im Jahr nach der Geburt des Herrn 1021 in der vierten Indiktion unter der Regierung Heinrichs II. Dieser Brief wurde uns ausgestellt vom Herrn Pilgrim, Bischof von Köln, dem ehrwürdigen Nachfolger des Herrn Heribert.«177

Der Bericht datiert das geschilderte Wunder in die Zeit des Erzbischofs Heribert von Köln (999–1021), des Vorgängers des angeblichen Ausstellers. Heribert tritt dabei auch als Löser des Fluches nach Ablauf eines Jahres auf.178 Da der Priester seinen Wunsch wie in III freilich schon zu Beginn auf ein Jahr terminiert hatte, liegt hier eigentlich eine logische Doppelung vor.179 Wie Eligius in der Vita des Audoinus tanzend reale Fesseln lösen und zugleich auch von den Zwängen eines unfreiwilligen Tanzes befreien kann, so verfügt Heribert über die Fähigkeit, von den spirituellen Bindungen des Tanzfluches zu befreien. Der einjährige Reigen Othberts und seiner Genossen steht so in der Tradition der mania als Mimesis der kosmischen Harmonie, freilich nunmehr ins Negative verkehrt, als fluch-

177 Vgl. die Editionen bei Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 101 ff.; und (hier maßgeblich) Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 38 f., jedoch gekürzt um einen aus einer späten Überlieferungsgruppe stammenden Vorspann, vgl. Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 83. 178 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 38: »Et tunc per dominum et sanctum Herber­ tum Colonie civitatis episcopum Christo volente liberati sumus. Idem at nos eadem die nativitatis veniens et orationem super nos complens a ligatura, qua invicem manu ad manum ­tenebamur, solvit nos, et ante altare Sancti Magni preciosi martiris ecclesie reconciliavit.« 179 Ebd., S. 38: »›Utinam potentia Dei et merito sancti Magni martiris sic inquieti annum cantando ducatis.‹« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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förmige »ligatura«, von der der thaumaturgische Erzbischof in der Rolle des eleutherius befreit. Die kosmische Konnotation des einjährigen Reigens wird auch durch die Zustandsbeschreibungen zur Halbzeit (Sommersonnenwende)  und zum Schluss (erneut Wintersonnenwende) markiert. Die Wiederkehr des Weihnachtsfestes indiziert zugleich die zyklische Struktur des Kirchenjahres.180 Die Erzählung ist ansonsten ganz auf das Vergehen der achtzehn Tanzenden konzentriert: Statt mit der Gemeinde am morgendlichen Gottesdienst des Weihnachtstages (also nicht des Vorabends wie in III und I) teilzunehmen, führen sie »suadente diabolo« im Kirchhof »choros« auf. Der daraufhin ausgesprochene Strafwunsch des Priesters Ruthbert ist erfolgreich, wie zunächst nur am Schicksal seiner Tochter Mersint vorgeführt wird.181 Ihr Bruder, der sie aus dem Reigen zu retten versucht und dabei ihren Arm ausreißt, trägt den Namen Johannes. Zugleich erwähnt der Bericht – als einzige weitere Namensnennung eines Tänzers – einen Johannes als den Mann, der schließlich mit den drei beteiligten Frauen stirbt. Jostes hat in dieser verdoppelten Namensgebung einen Reflex auf das Mythem der Heiligen Hochzeit sehen wollen, in der »Johannes« als christianisierte Va­ riante für den jungen Sonnengott und Bruder bzw. Gatten der Mondgöttin fungierte.182 Der verstorbene Tänzer »Johannes« wäre demnach deckungsgleich mit dem Bruder der Mersint. Dies widerspräche nun fundamental der Logik der Erzählung, da der Sohn des Priesters seine Schwester ja nur zu befreien versucht haben kann, wenn er nicht selbst im Reigen gebunden war. Nichtsdestoweniger bleibt der doppelte Rückgriff auf den solarmythisch aufgeladenen Namen »­Johannes« hier aufällig.183 Der Priestersohn Johannes, der seine Schwester Mersint aus dem Reigen zu lösen versucht und dabei verletzt, womit auch der vom Vater befohlene Tanzkreis gestört wird, könnte tatsächlich eine weitere christliche Kontrafaktur der Hierogamie sein. Während der frevelhafte Tanz zur Zeit der Weihnachtsmesse ausdrücklich als Folge teuflischer Einflüsterung disqualifiziert wird, schildert »Othbert« den einjährigen Dauertanz mit merkwürdig neutralen, ja: eher positiven Worten. Die »Verzückung« (»excitatio«) wird wie in Fassung III als Zustand der 180 Ebd., S.  38: »Ergo VI mensis evolutis usque ad genua terre immersi sumus, post annum redeunte eadem sanctissima nativitate Domini usque ad latera dimersi in circuitu choros ­duximus.« 181 Ebd., S.  38: »Erat vero una trium mulierum filia presbiteri nomine Mersint. Quam iussu patris frater ipsius mulieris vocatus Johannes brachio apprehendens conabatur a choro retrahere. Sed mox brachium a corpore abstraxit; attamen una gutta sanguinis non manavit. Quodque est mirabile dictu, sine brachio nobiscum cantando et terendo pedibus secundum ­imprecationem presbiteri annum peregit.« 182 Vgl. auch unten, Kap. VII.1.3. 183 Vgl. Schröder, Tänzer von Kölbigk, S.  108; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. ­140–144. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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spirituellen Körperlosigkeit geschildert.184 Wieder tanzen die Delinquenten nach dem Willen Gottes unter freiem Himmel.185 Hier nun wachsen ihnen nicht einmal mehr ihre Haare und Nägel. Diese Beschreibung ihres Zustands während des Zwangstanzes steht im Kontext isoliert nach der Schilderung der Rekonziliation und des abschließenden Todes von vier der Beteiligten. Dies könnte auf eine Kompilation zweier Vorlagen hinweisen. Anders als in der Vita Eligii treten wiederum nicht etwa Dämonen als Auslöser auf. Es ist hier vielmehr wie in der Passio Domitillae der Tanz selbst, der beinahe beiläufig Macht über die Frevler gewinnt. Anders als die Leute des ­Erchinoald »toben« die Genossen des »Othbert« auch nicht: Ihr »circuitus« ist klar benannt, und auch in die Erde hinein tanzen können sie sich nur mit einem Kreisreigen. Der unfreiwillige Tanz selbst steht hier also für den liminalen Zustand des Herausfallens aus der von der Kirche vermittelten Teilhabe am Heil. Zugleich ist ganz entsprechend der augustinischen Anthropologie das Ende des heillosen Reigens als Rückkehr zur Freiheit und autonomen Personalität kon­zipiert.186 Folglich kann der Heilige und Bischof als Inhaber der göttlichen Gnade von diesen spirituellen Fesseln lösen. Drei Tage und drei Nächte, also nicht bis zum dritten Tag wie in III, schlafen die Teilnehmer des Reigens darauf am Altar. Der Zustand der körperlichen Ruhelosigkeit freilich setzt sich auch nach dem Ende des einjährigen Reigens als Zeichen für die Untat der Tänzer fort.187 Ein chronisches körperliches Leiden wird so spirituell konzipiert als Folge des Verstoßes gegen den göttlichen Willen. Seine Träger sind damit jedoch weniger stigmatisiert, als vielmehr als Empfänger eines Wunders sakralisiert, wie sich deutlicher in der jüngeren Fassung II des Augenzeugenberichts zeigt.

VI.3.3 Der »Bericht des Theodericus« (Schröder: Fassung II) Wie der Bericht des »Othbert« (I) rekurriert auch die Fassung II auf eine bischöf­liche Bettelerlaubnis. Hier jedoch zeigt der »Theodericus« genannte Bußpilger seine »carta« nur zur Bestätigung seines mündlichen Berichtes vor, 184 Ebd., S. 38 f.: »Sic in toto illo anno non manducavimus neque bibimus nec sompnum ­cepimus nec pluvia irrigati sumus. Nichil sensimus, nichil egimus, quam cantantes sine sensu fuimus. Frequenter super nos fabrica tecti ob arcendas pluvias erigebatur, sed hoc nutu Dei dissipabatur. Vestimenta nostra et calciamenta non sunt attrita, nec ungule capillive in modico crevere, sed ita ut cepimus insensati per totum annum mansimus.« 185 Vgl. unten, Kap. VI.4.1. 186 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S.  38: »Post excitationem nostram ad propria ­reversi […].« Vgl. unten, Kap. VI.5.3. 187 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 38: »[…] et ita hactenus tremor membrorum in signo recordationis vel potius approbationis non nos deserit«; ebd., S. 38: »[…] etsi vellem tegere peccatum meum, indicium esset mearum inquietudo venarum et motus membrorum.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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den der Verfasser dann ausdrücklich in eigenen Worten wiedergibt.188 Dieser Theodericus, wie Othbert ein Teilnehmer des Reigens, hatte demnach nach jahrzehntelanger Wanderschaft zur Zeit König Edwards des Bekenners (* um 1004, Kg. 1042–1066) das südenglische Kloster Wilton erreicht.189 Hier erlangte er Heilung von der Patronin des Klosters, der hl. Edgith von Wilton. Da der Text vielfach isoliert überliefert ist, war die Verfasserschaft in der älteren Forschung umstritten. Léopold Delisle und Paul Verrier wollten eine in Paris überlieferte Handschrift des 12. Jahrhunderts als das Original und damit den Schreiber, den Normannen Ordericus Vitalis (1075–1142), als den Urheber des Mirakelberichts sehen.190 Edward Schröder hingegen konnte die Fassung II wie die anderen frühen Überlieferungen der Legende im deutschsprachigen Raum Niederlothringens lokalisieren. Schließlich wurde der Text als Werk des aus Flandern stammenden Mönchs Goscelin identifiziert, der ihn für den Wunderanhang seiner Vita der Edgith von Wilton verfasst hatte.191 Goscelin (* um 1035) stammte vielleicht aus Thérouanne.192 Als Mönch in Saint-Bertin (Sithiu) lernte er den aus Niederlothringen stammenden späteren Bischof Hermann von Ramsbury kennen, der hier von 1055 bis 1058 im Exil weilte. Während der Herrschaft Leos IX. hatte Hermann von 1049 bis 1053 wie viele Anhänger der lothringischen Reformbewegung in Rom geweilt.193 Vermutlich als er 1058 nach England zurückkehrte und Bischof von Sherborne und Ramsbury wurde, begleitete ihn Goscelin als sein Sekretär.194 Als solcher wurde er in Wilton und später in Sarum (Salisbury) zu einem bekannten 188 Wilmart (Hg.), La légende, S.  287: »Verum ille prudencia notabilior exponit suam ­causam et testem de pera profert cartam, quam in persona illius chori dictauerat Bruno Tulla­ nus episcopus in medio ciuitatis, qui postea, papa leo dictus, sanctissimum lumen emicuit ­nostri temporis. Cuius descriptionis uel narrationis hic sensus est memorabilis.« 189 Ebd., S.  286 f.: »Hic quoque, multis terris sacrisque oratoriis pererratis ac mari permenso, nouum spectaculum in Anglicam Britanniam ipsique regnatori Edwardo in ammira­ tionem uenerat debitam, tandemque piam requietionis sancte Edithae contigerat basilicam.« 190 Vgl. dazu Schröder, Tänzer von Kölbigk, S.  123 f., 130 f.; Ders., Tanzlied, zumal S.  370 f.; Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S.  37 f.; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S.  243, 273; Wilmart (Hg.), La légende, S. 20–23; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 40 f. 191 Edition: Wilmart (Hg.), La légende, S.  285–292, dazu ebd., S.  21; älterer Abdruck: Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 126–130, vgl. dazu ebd., S. 123–134; Borck, Tanz zu ­Kölbigk (1951), S.  10–17 (mit Abdruck), S.  33 f., 45–48; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S.  ­272–277; Metzner, Zur frühesten Geschichte, bes. S.  40 f.; neuerdings die englische Übersetzung: Wright/Loncar (Übers.), Goscelin’s Legend of Edith. 192 Zu Person und Werk vgl. Talbot (Hg.), Liber Confortatorius, S. 3–14; Otter (Übers.), Liber Confortatorius, S. 5; Hollis, Strategies of Emplacement, S. 153 f. 193 Nach Zimmermann, (Art.) Goscelin, und ihm folgend Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 49, 84, bzw. Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S. 272–277, soll Goscelin Hermann von ­Wilton bereits bei diesem Aufenthalt an der Kurie Leos IX. begleitet haben. Talbot (Hg.), Liber ­Confortatorius, S. 3, hält dies für unklar. Der biographische Aufriss Wilmart, Ève et Goscelin, erwähnt diesen Aufenthalt nicht; ebenso nicht Rollason, (Art.) Goscelinus. 194 Hollis, Goscelin’s Writings, S. 218 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Hagiographen.195 Nach Hermanns Tod im Jahr 1078 und einer längeren Zeit der Heimatlosigkeit siedelte Goscelin nach Canterbury über, wo er um 1100196 verstarb. Hier bewegte er sich im Umfeld Lanfrancs von Bec (1010–1089), der ab 1070 Erzbischof von Canterbury war.197 Diesem ist auch eine Fassung der Vita Edgithae gewidmet.198 Wie Hermann von Wilton hatte auch Lanfranc in den Jahren nach 1049 zum Umfeld Leos IX. gehört. Bekannt ist er heute vor allem als Initiator und Protagonist des zweiten Abendmahlsstreits um Berengar von Tours (um 1000–1088).199 Nach der normannischen Machtübernahme versuchten die englischen Konvente vielfach, ihre angelsächsischen Heiligen gegen die Skepsis der mit dem neuen Herrscherhaus gekommenen kontinentalen Theo­ logen zu verteidigen. Der selbst aus Flandern stammende Goscelin war für diese Aufgabe besonders geeignet. In diesem Kontext könnte auch die Widmung der Vita an Lanfranc stehen.200 Sehr wahrscheinlich dürfte Goscelin die Tanzlegende in Grundzügen bereits gekannt haben, als er 1058 nach England übersiedelte, so dass sich auch dieser Überlieferungsstrang auf den niederlothringischen Raum zurückführen lässt. Da die Vita Edgithae wohl erst um 1080 fertiggestellt wurde,201 könnte der Wunderbericht II zunächst unabhängig davon entstanden sein. Edward der Be­ kenner wird in ihm als verstorben geführt, so dass zumindest die vorliegende Fassung nach der normannischen Eroberung 1066 entstanden sein dürfte. Ebenso wird die Äbtissin Brightiva/Brihtgifu (ca. 997–1065, Äbtissin ab 1040) als Beteiligte erwähnt.202 Ganz sicher jedoch ist der Bericht des »Theodericus«

195 Talbot (Hg.), Liber Confortatorius, S. 11–18. 196 Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 47 f.: um 1090; Rollason, (Art.) Goscelinus, Sp. 1567: nach 1107; Hollis, Strategies of Emplacement, S. 153 f.: 1114. 197 Relativierend dies., Goscelin’s Writings, S.  224, die ihre Recherche nach Kontakten Goscelins zu den Reformkreisen sehr auf die Personen Anselms von Canterbury und Lanfrancs fixiert; ebenso Dies., Introduction, S. 10; vgl. dagegen Otter (Übers.), Liber Con­ fortatorius, S. 3 f., die Goscelin als Vorreiter sieht. Außerdem Wilmart (Hg.), La légende, S. 6; Ders., Ève et Goscelin, Bd. 2, S. 42–51, 83; Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 46–49, 116; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S. 274–276. 198 Wilmart (Hg.), La légende, S. 34; nach Hollis, Introduction, S. 11, war die von ­Wilmart 1938 herangezogene Oxforder Handschrift Lanfranc gewidmet, eine überarbeitete, längere Fassung, heute in Cardiff, für den Konvent von Wilton bestimmt. 199 Montclos, Lanfranc et Bérenger; Kandler, Abendmahlslehre, S. 54–71, zumal S. 54, 61; Dirschner, Humbert von Silva Candida, S. 143 f.; Barstow, Married Priests, S. 87 (zum Vor­ gehen Lanfrancs gegen die Priesterehe in seiner Erzdiözese 1076). 200 Hollis, Goscelin’s Writings, S.  224, 233–236, weist auf die Distanz zwischen der Schilderung der Heiligen in der Vita und den theologischen Vorstellungen Lanfrancs hin. Über Goscelins Bemühungen, die hl. Edgith Lanfrancs Vorstellungen anzupassen vgl. Dies., St. Edith, S. 257–260. 201 Hollis, Goscelin’s Writings, S. 217 f. 202 Ebd., S. 219, 231–233, 250; Dies., St. Edith, S. 247, 271. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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in der heute vorliegenden Form nicht vor 1058 entstanden, als Goscelin noch gar nicht in Wilton weilte.203 Denn zumindest die Rahmenhandlung ist ganz auf das Lob der Kloster­ patronin zugeschnitten: »Von einem von dem Schrecken und Joch des Tanzes befreiten Ankömmling: Nachdem diese [anderen Wunder] also getreulich erzählt sind, sollen wir einige weitere [Ereignisse] unserer Zeit behandeln. Diese erzählen wir frei heraus, damit das Gesehene und Gehörte umso leichter erfahren werden mag. Der römische Weltkreis kannte und die heutige Jugend erinnert sich an Menschen, die nach göttlichem Willen von einer neuartigen Unruhe der Körper geschlagen wurden und überall hin unter den Völkern herumzogen, von denen vier uns zu Gesicht gekommen sind und andere bis jetzt überlebt haben können. Zunächst widmen wir die Erzählung dieser Neuigkeit der geliebten Jungfrau Christi Edgith, durch die ein Beteiligter dieses Unglücks namens Theodericus denkwürdigerweise geheilt wurde. Nachdem er durch viele Länder und viele heilige Gebetshäuser geirrt war und viele Meere durchmessen hatte, war dieser auch ins englische Britannien und ebendort zur Zeit des Königs Edward zu der angemessenen Bewunderung gekommen und hatte endlich die fromme Basilika der Ruhe der heiligen Edgith erreicht. Und einige Ungebildete hatten begonnen, diesen Menschen wie einen Wahnsinnigen zu fürchten; selbst die geheiligten Jungfrauen [hatten begonnen], die Strafe eines solchen Unglücks zu beweinen. Aber jener erläuterte mit bemerkenswerter Klugheit seinen Fall und zog zum Beweis aus dem Ranzen ein Schreiben über jenen Reigen, das der ­Bischof Bruno von Toul selbst mitten in der Stadt diktiert hatte, der später als Papst Leo [IX.] das heiligste Licht unserer Zeit entzünden sollte. Dies ist der bedenkenswerte Inhalt dieser Beschreibung oder Erzählung: ›In der lichtbringenden Nacht der Geburt des Herrn, in der das Licht der Welten geboren wurde, kamen wir zwölf Genossen in Eitelkeit und Verrücktheit zusammen an dem Ort, der Kölbigk genannt wird, in der Kirche, die dem heiligen Magnus und seiner Schwester, der heiligen Buccestra, geweiht ist. Unser Anführer war Ger­ levus, und auch die anderen zwölf sind um der größeren Glaubwürdigkeit willen hier zu erwähnen, so also wurden sie genannt: Theodericus, Meinoldus, Odbertus, Bouo, Gerardus, Wetzelo, Azelinus, Folpoldus, Hildebrandus, Aluuardus, Benna, ­Odricus. Was zögern wir, unser Unglück zu schildern? Das einzige Ziel unseres verdammenswerten Zusammenkommens war, dass wir einem unserer Genossen in Hochmut und Missbrauch ein Mädchen rauben wollten, die Tochter des Pfarrpriesters Rodbert. Das Mädchen aber hieß Aua. Nicht die Erinnerung an die jungfräuliche Geburt des Herrn, nicht die an den christlichen Glauben, nicht die Ehrerbietung des ganzen fromm zur Kirche strömenden Volkes, nicht das Hören des Gotteslobes aus dem Mund des Ausrufers mäßigte unsere Unverschämtheit von einer solchen Schärfe. Wir 203 Zur Datierung: Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 40: Bericht um 1060, Vita um 1080; Wilmart (Hg.), La légende, S.  286, Anm.  1: zwischen 1048 und 1058 (!), obwohl der hier als terminus post quem (Weihe) herangezogene Bruno von Toul/Leo IX. doch im Bericht ausdrücklich als tot geführt wird. Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 131–134: nach 1048 auf dem Kontinent entstanden, um 1066 in Wilton überarbeitet; Borck, Tanz zu Kölbigk (1955), S. 273 f., 277: nach 1058, wohl frühe 1060er Jahre. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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schickten die zwei jungen Schwestern Mersuind und Wibecyna, die diejenige, auf die wir als Beute lauerten, als Gleiche durch Gleiche von der Kirche in den Reigen unserer Unrechtmäßigkeit locken sollten. Was ist leichter als dieser Vogelfang? Wie ein Vögelchen im Netz wurde Aua herangeführt. Bouo empfing die Ankömmlinge, der sowohl an Alter wie an Dummheit der Erste war. Wir fassen uns an den Händen und beginnen unseren Reigen der Unordnung. Gerlev, der Anführer unserer Raserei, beginnt, indem er das fatale Lied anstimmt: Bouo ritt durch den grünen Wald; er führte heim204die schöne Mersuind: Was stehen wir? Warum gehen wir nicht?205 Nach einem solchen gauklerischen Beginnen geschah uns Unglücklichen Gottes gerechtes Urteil. Denn dieses Lied wiederholten wir für ein ganzes Jahr Tag und Nacht kreisend. Was mehr? Als die nächtlichen Gebete beendet sind, zur ersten Messe, bei der ganzen geschuldeten Verehrung zur Nachtzeit, wird begonnen. Mit lautem Getöse toben wir, als wollten wir mit unserem Chor die Diener Gottes und das Lob Gottes übertönen. Als er dies vernommen hat, geht der Priester vom Altar zur Tür der Kirche und fleht uns mit erhobener Stimme an, dass wir der Gottheit die Ehre geben und nach christlicher Sitte zur heiligen Messe eintreten. Weil aber aus verhärtetem Herzen niemand Ruhe geben und hören wollte, flehte der Priester im heiligen Zorn Gottes durch den heiligen Märtyrer Magnus die Vergeltung auf uns herab und sprach: ›Von diesem Dienst sollt ihr kraft Gottes fürderhin nicht weichen.‹ Er sprach es, und schon band uns der gesprochene Satz, so dass keiner von uns von dem Vorhaben zurücktreten, keiner sich vom anderen lösen konnte. Aber der Priester schickte seinen Sohn Azo, dass er die entführte Aua, seine Schwester, aus unserer Mitte in die Kirche führe. Doch er hatte uns nicht so leicht lösbare Fesseln angelegt, und zu langsam kam seiner Tochter das Heil wieder in den Sinn. Es geht jener wie vom Vater befohlen und zieht die Schwester an der ergriffenen Hand. Ein in den Zeiten unerhörtes Wunder: Der ganze Arm folgt, und als er ihn im Gelenk abgerissen hat, fällt er [den Arm] in der Hand ziehend von selbst nach hinten, während jene [die Tochter] mit ihrem restlichen Körper unauflöslich dem Reigen der Genossen angehört. Und aufs äußerste wird dieses bedeutendere Zeichen gesteigert, indem nach dem Ausreißen des Armes nicht auch nur ein Tropfen Blut herausfließt. So bringt der Sohn seinem Vater die beweinenswerte Last, er bringt ein Glied der Tochter, abgerissen wie ein Ast von einem Baum, während der restliche Körper zurückbleibt, mit dieser Erwägung: ›Ach, Vater, schau: Dies ist meine Schwester, dies ist deine Tochter, die du mir herzuholen befohlen hast.‹ Da bestattete jener betrübt und zu spät seines Fluches reuend allein den Arm seiner überlebenden Tochter. Wunder werden durch Wunder entschädigt: Am folgenden Tag findet er das begrabene Glied nach oben geworfen. Wiederum bestattet er es, wiederum findet er es am nächsten Tag ausgegraben. Ein drittes Mal vergräbt er 204 Zu dieser Übersetzung vgl. Schröder, Tanzlied, S. 369. 205 »Quid stamus? Cur non imus?«; nach Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 94, 99, kann das hier in der angenommenen althochdeutschen Vorlage zu denkende gen/gan auch »tanzen« bedeuten. Die lateinische Übersetzung mit »ire« beschneidet demnach diese Bedeutungsmöglichkeit. Vgl. dagegen Holtorf, Tanzlied, S. 34. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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es, ein drittes Mal findet er es dennoch am nächsten Tag herausgeworfen. Einen weiteren Versuch fürchtend, bringt er den Arm in die Kirche. Wir hören [derweil] zu keinem Zeitpunkt auf, tanzend zu kreisen, die Erde mit den Füßen zu treten, bejammernswertes Klatschen [Tanzen?] und Springen zu vollführen und ebenjenes Lied zu wiederholen. Aber beinahe immer ergreift [uns] die Rückkehr unseres Liedes, die wir weder widerstehen noch [unsere Verbindung] wechseln können: Was stehen wir? Warum gehen wir nicht? Aber dergestalt war uns keine andere Art der Dinge gegeben, dass wir, was auch immer an menschlichen Notwendigkeiten anfällt, nicht taten und nicht erlitten. Tatsächlich nämlich aßen wir in jenem ganzen Jahr unserer erzwungenen Heerfahrt nicht, noch tranken wir noch schliefen wir; sondern wir spürten weder Hunger noch Durst noch Schläfrigkeit noch irgendein anderes fleischliches Bedürfnis. Tag und Nacht, heißer Sommer und eisiger Winter, Unwetter, Überflutungen, Schnee und Hagel und alle Wechsel des Wetters erreichten uns überhaupt nicht; noch wurden wir durch die Dauer des Reigens ermüdet. Weder unsere Haare noch unsere Nägel wuchsen. Auch wurden unsere Kleider nicht verschlissen. So barmherzig war die Strafe, so wohltuend quälte uns die überirdische Sanftmut. Welche Länder hat diese Geschichte nicht erreicht! Welches Volk, welche Nation eilt nicht zu diesem Spektakel? Selbst der allerchristlichste Kaiser Heinrich, wie man hört, rühmte die Ratschlüsse des wahren Gottes, nachdem vom Gesicht des höchsten Kaisers reichlich Tränen geflossen waren, wie Wachs von der Gestalt des Feuers fließt. Dann befahl er aus menschlicher Milde, über uns zum Schutz vor den Unbilden des Himmels Dächer zu bauen. Aber umsonst bemühten sich die Zimmerer, denn was immer sie am Tag bauten, wurde in der Nacht völlig umgestürzt. Dies wurde einmal, zweimal, dreimal errichtet und wieder zerstört. Nachdem wir uns so unter freiem Himmel das ganze Jahr im Kreis gedreht hatten, kam die glückliche und heilvolle Nacht der Geburt des Herrn wieder in die Welt. Diese hatte uns gebunden, diese löste uns wiederum. Nachdem wir nämlich in jene Stunde der Zeit zurückgefallen waren, in der wir sowohl begonnen hatten zu spielen als auch vom Mund des Priesters gebunden worden waren, wurden wir durch einen plötzlichen Schlag von einem Augenblick zum anderen an den Händen voneinander getrennt, so dass keiner vom anderen mehr gehalten werden konnte. Von dem gleichen Drang bewegt gingen wir in die Kirche und fielen sogleich zu Boden, und nach langem Wachen schliefen wir für drei Tage gänzlich unbewegt ein. Erst am dritten Tag, als wir uns erhoben hatten wie von den Toten auferstanden und aufgerichtet wurden, hattest Du, Begleiterin unserer langen Unruhe, Du Grund und Vorbild einer solchen Strafe, welche die Rechte eingebüßt hatte, verfallen den Genossen der Sünde, schon Deine Mühen beendet und bist, dem Schlaf des ewigen Friedens hingegeben, wie wir glauben, zur Ruhe gekommen. Mädchen Aua, mit uns von der väterlichen Rute geschlagen, Du lagst tot da, als wir alle uns erhoben und unter Staunen und Zittern sahen, was wir getan hatten. Du Selige, von der ein Glied abstarb, solltest nicht gänzlich zugrunde gehen. [Du,] die durch die göttlichen Geißeln vor der Verderbnis bewahrt worden war, wurdest im Sterben auch vom [ewigen] Tod befreit. Auch der Priester Rodbertus selbst folgte bald der Tochter im Tod nach. Den nicht begrabbaren Arm des Mädchens jedoch ließ der Kaiser Heinrich in Gold und Silber gefasst als Zeichen der großen Taten Gottes in der Kirche aufhängen. Wir jedoch, nachdem wir voneinander gelöst worden waren, vollführten nun allein ebenjene Sprünge © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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und Kreise, die wir miteinander gemacht hatten, und so schienen wir jeder für sich von einem Zucken der Glieder erschüttert zu werden. Immer wieder umringt uns das Volk und beobachtet uns, als ob wir gerade zum ersten Mal erfasst würden. Sie erkennen unsere Kleider, unser Haar, unsere Nägel und andere Sehenswürdigkeiten; und sie finden ebenso alles, was zuvor wild war, sauber, glänzend und unbescholten. So wurden wir also gleichsam wechselweise umgekehrt zu einer anderen Strafe befreit [und] getrennt, so dass wir, die wir zuvor uns nicht hatten trennen können, nun nicht länger zusammenkommen können. So wandern wir zerstreut durch alle Länder, wie solchen, denen zuvor nicht erlaubt war, irgendwo hinzugehen, nun nicht erlaubt ist, irgendwo zu bleiben. Wohin auch immer wir fliehen, begleitet uns dieses Kreisen der Glieder, und schon schätzt man, dass wir viele Jahre auf dieser Reise unterwegs sind. Der gnädige Gott erbarme sich unser und sei nach all den frommen Bitten unserer Sünde gnädig.‹ Dies gleichermaßen mit dem Munde bekennend, mit seinen eigenen Bewegungen, seinem unglücklichen Springen und Klatschen [oder: Tanzen] bestätigend und das bezeugende Schreiben vorzeigend, rief jener Theodericus die gnadenvolle Edgith an. Gerade hatte der berühmte Tag der Empfängnis des Herrn die Welt zu erleuchten begonnen, und als alle herausgegangen waren, blieb allein der ehrwürdige Gast bei der heiligen Jungfrau zurück, der dort ausgestreckt vor ihr [vor dem Altar] eingeschlafen war und – oh, die Allmacht Gottes und seine Gnade sei bei Gott gepriesen! – als er erwachte, erhob sich der Mann gänzlich gesund! Der zuvor Ruhelose sieht sich unbeweglich stehen können, sieht sich wieder ganz in den Besitz seiner Kraft gestellt. Und sich [den anderen] zeigend wundert er sich über diese erneute Verwandlung, wundert sich, dass der unaufhebbare priesterliche Spruch der Bindung aufgehoben ist. Die Menschen laufen sofort zusammen bei diesem großen Spektakel, und umso mehr sind sie erstaunt, dass er von der Unruhe lassen kann, als sie zuvor schon erstaunt waren, dass er sich nicht ruhig halten konnte. Und als einige überraschend hinzukommen, kann er vor Freude ausrufen: ›Seht![‹, sagt er,] ›diese selige Herrin, die ich kaum anzurufen wusste, der ich kaum richtig zu benennen wusste, was mich so höchst verzweifelt machte, wie sie mir mich wiedergegeben hat und meine Schande, allen Augen offensichtlich, von allen [Augen] abgewischt hat. So viele Heilige suchte ich auf, aber weil der allmächtige Gott meiner Genesung bei dieser heiligen Jungfrau zustimmte, leuchtet [sie].‹ Wie also war es damals, diesen Menschen zu sehen, erst das eine, dann das andere machend, zunächst unstet, dann beständig, eben noch unanständig tanzend, bald anständig still stehend. Machtvoll ist so durch die Jungfrau gelöst worden am Tag der jungfräulichen Freude, am Tag der Empfängnis des Herrn,206 was ge­ bunden worden war am Tag der Geburt des Herrn. Dies ist im Beisein der denkwürdigen Äbtissin Brihgtiva erklärt und ein volkssprachliches Schreiben ist aufgesetzt worden. Aber nachdem wir dieses wegen seiner Bedeutung und Neuigkeit freizügiger ausgegossen haben, werden wir anderes, was noch kommt, zügeln.«207

206 25.03. 207 Vgl. die Editionen bei Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 126–130; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 43–46; hier maßgeblich Wilmart (Hg.), La légende, Kap. 16, S. 285–292; vgl. auch die Übersetzung bei Holtdorf, Tanzlied, S. 16–18. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Schon Karl-Heinz Borck hat auf die hochgradig literarische Durchformung dieser Erzählung hingewiesen.208 Höhepunkte werden durch historisches Präsens ausgezeichnet, rhetorische Fragen gliedern den Verlauf, die Klimax wird mit einer längeren direkten Ansprache an die Tochter des Priesters markiert. Freilich zeigt auch der Text des Goscelin zumindest eine Inkongruenz: Im Anschluss an das Lied wird der unfreiwillige Tanz bereits kurz vorweggenommen, um dann nach einem »Quid multa?« noch einmal bei der Vorgeschichte anzusetzen.209 Die rhetorische Frage verbindet die von II ergänzte Schilderung des das Wunder auslösenden Brautwerbungs- bzw. Entführungsstanzes (inklusive des Liedes) mit der ähnlich wie in I und III verlaufenden Wundergeschichte. Ausdrücklich erwähnt Goscelin die Berühmtheit, die das Tanzwunder im ganzen Erdkreis erlangt habe, aber auch die Neuartigkeit des dadurch ausgelösten Leidens.210 Er habe selbst – vielleicht vor seiner Übersiedlung nach England? – noch weitere Betroffene gesehen, und nimmt an, dass auch andere noch am Leben sein könnten.211 Und Goscelin ist auch die Beziehung Heinrichs II. zum angeblichen Ort des Geschehens bekannt, schildert er doch wortreich die Erschütterung des Kaisers über das Vorgefallene.212 Dieser lässt demnach sogar den Arm der Priestertochter wie eine Reliquie in Gold und Silber fassen und in der Kirche ausstellen – was den Gedanken an Wallfahrten nahelegt.213 Wo der Bericht des Othbert vielleicht eine versteckte Polemik gegen den Kaiser impliziert, da macht Goscelin Heinrich mit Psalmworten zur gottgleichen Herrschergestalt, die sich um die angemessene memoria für das Wunder bemüht. Das Kloster Wilton stand unter dem Einfluss des angelsächsischen Königshauses Wessex: Die hl. Edgith (ca. 961–984) war eine Tochter des Königs Edgar (943/44–975, Kg. ab 957) mit seiner zweiten Frau oder Konkubine Wulftryth gewesen.214 Ihr Großvater König Edmund (921–946) war ein Bruder der gleich­ namigen Edgith von Wessex (910–946), der ersten Frau des späteren Kaisers 208 Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 15, 81. 209 Wilmart (Hg.), La légende, S.  288: »Istud enim carmen noctes et dies incessabiliter gyrando per continuum redintegrauimus annum. Quid multa? Finitis nocturnalibus sacris, prima missa, tante noctis reuerentie debita, incipitur; […].« 210 Ebd., S. 285 f.: »Romanus orbis nouit et hodierna iuuentus recolit homines noua inquitudine corporum diuinitus percussos et ubiuis gentium peruagatos, […].« 211 Ebd., S. 285: »[…] ex quibus quatuor nobis conspecti et adhuc superesse possunt aliqui.« 212 Ebd., S. 290: »Ipse cristianissimus imperator Henricus, ut audiuit, a facie altissimi imperatoris, ut cera a facie ignis, [!] defluxit, suffususque ubertim lacrimis iudicia Domini uera magnificauit.« Vgl. Vulgata, Psalm 17,9: »[…] ascendit fumus de furore eius et ignis ex ore eius devorans carbones incensi sunt ab eo«, vgl. Wilmart (Hg.), La légende, S. 290, Anm. 1–4. 213 Ebd., S. 291: »Brachium uero puelle insepelibile imperator Henricus auro argentoque fabricatum ad exemplum Dei magnalium in ecclesia iussit dependere.« Vgl. dazu Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 194 f. 214 Zu Edgith von Wilton vgl. Hollis, St. Edith; Dies., Strategies of Emplacement, S. ­154–159. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Otto I., die an ihrem Grab im Magdeburger Mauritiuskloster als Heilige verehrt wurde.215 Eine dritte Trägerin des Namens Edgith (um 1029–1075) war die Ehefrau des Königs Edward des Bekenners, die Tochter des Grafen Godwin von Wessex (um 1001–1053) und Schwester des letzten angelsächsischen Königs Harald II. (1022–1066). Nach dem Tod ihres Mannes und der tödlichen Nieder­ lage ihres Bruders gegen Wilhelm den Eroberer 1066 zog sie sich in das Kloster Wilton zurück, in dem sie auch erzogen worden war. Schon zu Lebzeiten Edwards hatte sie eine neue Klosterkirche errichten lassen.216 Wohl ­Goscelin verfasste in ihrem Auftrag die Vita Aedwardi regis über ihren verstorbenen Mann.217 Die als Heilige verehrte Prinzessin Edgith war als kleines Mädchen um 963 nach Wilton gekommen, als ihre Mutter Wulfthryth nach Auflösung der Verbindung zu ihrem Cousin, dem König Edgar, Äbtissin von Wilton geworden war. Sie nahm nicht den Schleier, sondern lebte zeitlebens als Laienkonven­ tualin im Kloster, mit allem Luxus einer Königstochter. Schon bald nach ihrem Tod betrieb König Aethelred (um 968–1016) die Installation eines Heiligen­ kultes seiner Halbschwester. Die Erhebung ihrer Gebeine im Jahr 997 war denn auch eher Ausdruck von politischen Ausgleichsbemühungen zwischen kon­ kurrierenden Zweigen des Hauses Essex, als dass sie auf eine spirituelle Initiative des Klosters Wilton zurückzuführen wäre.218 Erst ab etwa 1040 öffnete sich der Konvent dem oktroyierten Heiligenkult, und erst mit der Weihe der von ihrer Namensvetterin gestifteten neuen Kirche wurde Edgith zur neuen Hauptpatronin des Klosters. Goscelins Vita Edgithae sollte dazu dienen, diese umstrittene Heilige nicht nur vor den neuen Eliten vom Kontinent, sondern auch gegenüber den Wiltoner Nonnen zu rechtfertigen.219 So blieb Edgith denn auch immer eine Heilige von allenfalls regionaler Bedeutung.220 Noch weitere weibliche Mitglieder des angelsächsischen Hochadels hatten in diesem königlichen Hauskloster und Bildungszentrum Aufnahme gefunden.221 Diese Tradition Wiltons als Memorialort des mit den Ottonen verbundenen Hauses Wessex lebte vielleicht auch noch fort, als Goscelin die anti­kaiserliche 215 Kleinschmidt, Königtum, S.  180–189. Zum machtpolitschen Kontext: Sarnowsky, England im Mittelalter, S. 53–58. 216 Otter (Übers.), Liber Confortatorius, S. 23 mit Anm. 9; Hollis, St. Edith, S. 253 f. 217 Otter, Closed Doors, S. 64 f., 68–72. 218 Hollis, St. Edith, S. 245–267; Dies., Strategies of Emplacement, S. 154–156; Dies., Intro­ duction, S. 4. 219 Hollis, St. Edith, S. 246, 263–277; Dies., Goscelin’s Writing, S. 231 f.; Dies., Strategies of Emplacement, S. 157–159. 220 Ihre Verehrung war und blieb auf die südenglischen Bistümer Salisbury, Durham und Winchester beschränkt, vgl. Borck, Tanz zu Kölbigk (1955), S. 273. 221 Wilmart, Ève et Goscelin, Teil  1, S.  425–427; Hollis, Introduction, S.  2–8; Dies., St. Edith, S. 245: »Wilton […] fulfilled the role of an upper-class boarding school […]«, S. 250– 252; ausführlich: Dies., Centre of Learning. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Tendenz der älteren Kölbigker Legende umkehrte zu einer Lobrede auf Heinrich II.222 Der wandernde Bettler Theodericus, der von der wundertätigen Edgith von Wilton geheilt wurde, reproduziert so die alte Verbindung der vormaligen Königsdynastie zum sächsischen Zentralraum des Kaisertums. Dabei wird die in der überregionalen Publikumswirkung wenig prominente Heilige als Spitzenathletin im thaumaturgischen Konkurrenzkampf dargestellt.223 Zugleich ist sie siegreich in einem zweiten Konkurrenzverhältnis, nämlich im Streit über die Deutung des merkwürdigen Verhaltens des zuckenden Pilgers: Goscelin kennt die medizinische Interpretation des enthusiasmos als Wahnsinn, wie sie seit der Spätantike unter Ärzten diskutiert wurde.224 Er legt sie auch Beobachtern der Wiltoner Szene in den Mund, ja: gerade den Nonnen, deren Mitleid Theodericus erregt. Auf die Diagnose als »vecordia« jedoch könnten, so Goscelin, nur Ungebildete kommen.225 Handelt es sich dabei doch um eine Folge der Abkehr von Gott, wie der Betroffene mit einem Schreiben keines Geringeren als des späteren Papstes Bruno von Toul belegen kann.226 Allerdings belegt Goscelin das die spirituelle Krise auslösende Vergehen der Tanzenden seinerseits mit einer Vokabel, die zumindest auch Wahnsinn im medizinischen Sinn markieren konnte: »insania«.227 »Eitelkeit und Verrücktheit« bezeichnen hier aber nicht den zwanghaften Dauertanz, sondern den ganz freiwilligen ersten Reigen. Dieser ist also wahnsinnig, wie schon bei Sulpicius Severus und seinen Zeitgenossen jede Abkehr von Gott als Geisteskrankheit interpretiert wurde. Er ist Ausdruck der immer zugleich psychischen wie spirituellen »mala­die de l’erreur«, wie sie Aline Rousselle herausgearbeitet hat.228 Bei Goscelin findet sich so der auch in den anderen Textzeugnissen zum Kölbigker Tanz ausformulierte Rekurs auf die Doppelstruktur der platonischen mania expliziert: Der nicht von einem kraft göttlicher Begnadung kompetenten Spezialisten geleitete Reigen der jungen Leute ist ataktisch, ein Auslöser von Disharmonie,

222 Vgl. dazu unten, Kap. VI.4.5. 223 So lässt Goscelin den geheilten Theodericus denn auch ausrufen: »›Videte, inquit, hec benedicta domina, quam uix inuocare, uix nominare recte sciebam, quid michi desperatissimo fecit, quomodo me michi restituit et obprobrium meum, omnium occulis conspicuum, ab omnibus detersit. Tot sanctos requisiui; sed lucet quia omnipotens Deus salutem meam annuit huic sancte uirgini.‹«, Wilmart (Hg.), La légende, S. 292. 224 Vgl. oben, Kap. II.3.3. 225 Wilmart (Hg.), La légende, S. 287: »Cepere plerique rudes hominem quasi uecordem horrere; ipse sacre uirgines tantam miseri penam flere.« 226 Ebd., S. 287: »Verum ille prudencia notabilior exponit suam causam et testem de pera profert cartam, quam in persona illius chori dictauerat Bruno Tullanus episcopus in medio ciuitatis, […].« 227 Ebd., S.  287: »[…] nos duodecim socii in uanitate et insania uenimus ad locum qui dicitur Colebecci, […].« 228 Rousselle, Croire et guerír, S. 136; vgl. oben, Kap. V.2.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ein »Reigen der Unordnung«,229 und macht so einen zweiten Tanz notwendig. Daher beschreibt Goscelin diesen ersten, freiwilligen Reigen mit jenem Begriff, den Audoinus in der Vita Eligii für die zwanghafte Raserei im Anschluss verwendet hatte: »debacari« bzw. debaccare (toben, rasen). Schon der Versuch, durch einen Nachvollzug der kosmischen Bewegungen mit den höheren Sphären in Kontakt zu treten, statt sich auf die Sakramente der Kirche zu verlassen, ist nun also Ausdruck von Wahnsinn im Sinne der »maladie de l’erreur«. Der Reigen der jungen Leute wird zur akustischen Konkurrenz für den Gottes­dienst.230 Und nicht ohne Ironie reagiert darauf der Pfarrer: »Von diesem Dienst sollt ihr kraft Gottes fürderhin nicht weichen.«231 Allerdings macht Goscelin auch deutlich, dass die Tanzenden mit ihrem Reigen ihre »christia­ nitas«, also wohl: den durch die Taufe gestifteten Glauben, vergessen haben.232 Deutlich wird hier auf die im zeitgenössischen Horizont virulenten Vorstellungen von sakralem Tanz als Mittel der Kommunikation mit Gott angespielt, und ebenso deutlich werden sie als Konkurrenz, ja: Kontrafaktur der Eucha­ristie disqualifiziert. Wie in der Vita Eligii überschreiten die Laien ihre Kompetenz, wenn sie die vom Priester verwaltete kirchliche Heilsvermittlung zugunsten eigen­mächtiger Rituale verschmähen. Der vom Bann des Priesters ausgelöste unfreiwillige Tanz ist nun bei G ­ oscelin eindeutiger als in I und III als beklagenswert, als Schrecken, Joch bzw. Unglück beschrieben.233 Entsprechend ist auch die in den beiden anderen Fassungen angedeutete einjährige körperliche Leb- und Bedürfnislosigkeit der Tanzenden gestaltet. Umso deutlicher kontrastiert gegenüber dem Horror des Fluches die Gnade Gottes, der die Büßenden nicht leiden lässt.234 Ausdrücklich ist 229 Wilmart (Hg.), La légende, S.  288: »Conserimus manus et chorollam confusionis in atrio ordinamus.« 230 Ebd., S. 288: »[…] nos maiori strepitu, quasi Dei ministros ac Dei laudes nostro perdendo choro superaturi, debacamur.« 231 Ebd., S. 288: »›Ab isto, inquit, officio ex Dei nutu amodo non cessetis.‹« 232 Ebd., S.  287: »Non uirginalis natiuitatis Domini, non christianitatis memoria, non ­tocius fidelis populi ad ecclesiam concurrentis reuerentia, non diuine laudis audita preconia inpudentiam nostram a tanta temperauit audacia.« Für Hinweise zur Deutung dieser Stelle danke ich Tim Geelhaar, Frankfurt/Main. 233 Wilmart (Hg.), La légende, S.  285: »De advena ab orrendo et iugi saltatu liberato« (Überschrift, eher auf den tremor des Theodericus zu beziehen); ebd., S. 289: »[…] lacrimabiles plausus et saltus dare […]«; ebd., S. 291: »[…] saltu et plausu suo iniocundo […]«. 234 Ebd., S.  289 f.: »Sicut autem nullus alius rerum nobis dabatur modus, ita quicquid est humanae neccesitatis nec fecimus nec passi sumus. Reuera enim in toto anno illo districte expedicionis nostre nec comedimus nec bibimus nec dormiuimus; sed neque famem neque sitim neque somnolentiam nec quicquam carnalis condicionis sensimus. Nox, dies, estas torrida, hiems gelida, tempestates, inundationes, niues, grandines uniuersaque aeris intemperies omnino nos non tetigere; nec lassati sumus circulacionis diuturnitate. Non capilli, non ungule nostre crescebant; non sunt attrita uestimenta nostra. Ita clemens erat pena, ita suauiter nos torquebat superna clementia.« Vgl. dazu unten, Kap. VI.4.1. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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es nicht der Schrecken der Strafe, der die Prominenz des Wunders ausmacht, sondern die Leidenslosigkeit der Bestraften, mit der Gott seine unermessliche Barm­herzigkeit beweist.235 Die Geschichte der Tänzer von Kölbigk, zumindest, wie sie die frühen Textzeugnisse erzählen, ist im Kern eben nicht, wie die Forschung ausnahmslos annimmt, eine »Warnlegende« vor dem strafenden Gott, sondern vielmehr ein Exempel in kirchlich vermitteltem göttlichem Heil. Der Wunsch des Priesters und seine Folgen sind demgegenüber eher selbst­ verständliche Voraussetzung für die Erzählung, als dass sie die Pointe markieren würden. Stärker noch als in I und III wird bei der Beschreibung dieses Ausspruchs mit der Metaphorik von Bindung und Lösung operiert. Der Priester hat die Kompetenz, Missetäter im Reigen zu fesseln.236 Die Wirkung geht freilich nicht von ihm aus, sondern von Gott und dem hl. Magnus: Ebenso wie in den Fassungen I und III – und anders als in der Vorlage, der Vita Eligii – kann der Priester seinen Fluch selbst nicht wieder lösen – der performative Sprechakt ist nicht revidierbar. Wie in I schickt er seinen Sohn – hier Azo genannt –, um die Tochter aus dem Reigen zu retten. Während der verwandte Bericht des Othbert (I) das Armwunder nur kurz erwähnt, steigert Goscelin diesen Konflikt dramaturgisch geschickt mittels direkter Rede. Dreimal versucht Rodbert, den ausgerissenen Arm zu bestatten, dreimal wehrt sich die geweihte Erde gegen das Körperteil der im Reigen gebundenen Tochter.237 Anders als in III tanzt der Arm nicht selbst, sondern bleibt leblos den vergeblichen Bemühungen des Priesters ausgesetzt: Es ist der Boden des Friedhofs, der ihn abstößt, bis Heinrich II. dafür sorgt, dass er als Reliquie des Wunders in der Kirche ausgestellt

235 Wilmart (Hg.), La légende, S.  290: »Quas terras hec fama non adiit? Que gens, que natio ad hoc spectaculum non cucurrit? Ipse cristianissimus imperator Henricus, ut audiuit, a facie altissimi imperatoris, ut cera a facie ignis defluxit, suffususque ubertim lacrimis iudicia Domini uera magnificauit.« 236 Ebd., S. 288: »Dixerat, atque ita nos prolata sentencia alligauit ut nullus nostrum ab incepto cessare, nullus ab alio dissolui potuerit.« Ebd.: »[…] sed non ita resolubilem iniecerat nobis manicam, […].« 237 Ebd., S.  288 f.: »At presbiter mittit filium, nomine Azonem, ut raptam de medio ­nostrum in ecclesiam adducat Auam, suam sororem; sed non ita resolubilem iniecerat ­nobis manicam, nimisque tarde ei filie salus uenit in memoriam. Ita ille patrio precepto, arreptamque manu sororem trahebat. Inauditum seculis miraculum: totum brachium sequutum est, suaque compage auulsum in manum trahentis ultro recessit, atque illa cum reliquo corpore sociali choro inseparabilis adhesit. Maximoque hoc maius additur prodigium, quia exausto brachio nulla unquam gutta sanguinis effluxit. Refert filius patri munus lamentabile, refert partem nate quasi ramum de arbore, cetero corpore remanente, cum tali animaduersione: ›En pater, suscipe: hec est soror mea, hec filia tua, quam me iussisti adducere.‹ Tum ille luctuosus et sero penitens sentencie sue solum brachium sepelit superstitis nate. Miracula miraculis repensatur. Sepultum membrum inuenit sequenti die summotenus proiectum. Iterum sepelit, iterum postera die inhumatum reperit. Tercio sepelit, tercio nihilominus die altius eiectum offendit: quod ultra tentare timens, in ecclesia brachium recondidit.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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wird.238 So wird der thaumaturgische Schadensfluch des Priesters zugunsten der Gemeinde kompensiert.239 Der Fluch des Rodbert unter Berufung auf Gott und Sankt Magnus ist demnach wirksam ex opere operato wie bei Jamblichus ein theurgischer Akt und bald nach der Entstehungszeit des Kölbigker Mirakels die kirchlichen Sakramente.240 Da er nicht zölibatär lebt, hat unser Pfarrer jedoch irdisch-mensch­ liche Loyalitäten. Also bereut er seinen Fluch, kaum ist er ausgesprochen. Vorbild für die unbedachte Emotionalität wie für die spätere Reue ist deutlich erkennbar die Witwe von Caesarea, wie Augustinus sie schildert. Und Rodbert muss für seinen »heiligen Zorn« und den Missbrauch der ihm gegebenen kirchlichen Bindegewalt bitter bezahlen mit dem Tod der Tochter und seinem eigenen Ableben kurz darauf. Dabei ist die Buße an sich im Horizont der Erzählung nicht etwa ungerecht: Gott sorgt wie erwähnt für Linderung. Anders als in III und I legt der Priester mit seinem Fluch auch noch nicht die Dauer des Tanzes fest. Die Einjährigkeit ist vielmehr ein autonomes Phänomen, womit die kosmisch-zyklische Struktur noch hervorgehoben ist. Recht eigentlich ist es die Weihnacht, die die Tanzenden bindet und löst.241 Damit ist der Tanzfluch als Zustand der auf Dauer gestellten Liminalität beendet, woran sich mit dem dreitägigen Schlaf in der Kirche noch eine explizite Allusion auf Tod und Auferstehung Christi, auf Ostern also, anschließt.242 Jedoch ist wie auch in I und III die kosmische Harmonie mitnichten wiederhergestellt: Gelöst ist nur die wortwörtlich handgreifliche Bindung der Tanzenden aneinander, sie behalten jedoch wie in I und III einen tremor zurück, als direkte Fortsetzung des zwanghaften Reigens.243 Für dieses Zittern deutet der Text andererseits eine psychologische Erklärung an, indem er es mit dem Anblick der gestorbe-

238 Ebd., S. 290: »Brachium uero puelle insepelibile imperator Henricus auro argentoque fabricatum ad exemplum Dei magnalium in eclesia iussit dependere. » 239 Anders wäre die zunächst rätselhafte Bemerkung Wilmart (Hg.), La légende, S. 289: »Miracula miraculis repensatur«, kaum zu interpretieren. 240 Zu den platonischen Traditionslinien dieser Konzeption vgl. oben, Kap. II.2.2. und IV.2.2. 241 Wilmart (Hg.), La légende, S. 290: »Sic nobis cum toto anni circulo sub nudo aere rotatis rediit mundo fausta et remediabilis nox dominici natalis. Illa nos alligauit, illa reuersa absoluit. In eadem quippe hora temporis reuoluti qua uel cepimus iocari uel constricti sumus ore sacerdotali, repentina uiolentia quasi in ictu oculi singulis manibus ab inuicem sumus excussi, ut nullus ab alio posset retineri.« 242 Ebd., S. 290: »Eodemque impetu ecclesiam ingressi subitoque in pauimentum proiecti, post longas uigilias triduo integro obdormiuimus immoti. Tercio demum die, ubi per resurgentem a mortuis surreximus et erecti sumus, […].« 243 Ebd., S. 291: »Nos, licet ab inuicem essemus dissoluti, tamen eosdem saltus et rotatus quos simul feceramus fecimus singuli, atque ita singuli iactu membrorum uidebamur tumul­ tuari.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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nen Tochter beginnen lässt.244 Letztlich jedoch löst den Theodericus erst die hl. Edgith von dem Fluch des Priesters.245 Anders als in der Vita Eligii also ist der zweite Tanz der Doppelstruktur nicht mehr nach einem Jahr zu beenden. Er ist jedoch auch nicht mehr tödlich, wie in der Passio Domitillae, sondern bleibt als dauerhaftes Zeichen zurück. Das vorgetäuschte oder reale körperliche Leiden wird so als Erinnerung an das Wunder und Zeichen für die Allmacht Gottes neu semantisiert, die »maladie de l’erreur« bekommt ein Stigma.246 Dieses Stigma freilich, so die Logik der Erzählung, ist ein Zeichen der Barmherzigkeit Gottes an den Büßenden, deren eigentliches Opfer die Priestertochter Ava ist. Folgerichtig ist ihr Tod eine Er­lösung, eine Reinigung von dem Verderben, in das die Tänzer und ihr Vater die Unschuldige gebracht haben.247 Sie wird so zur Märtyrerin, die dem Unglauben ihrer Freunde zum Opfer fällt.248 Und nur darum kann ihr Arm zur Reliquie werden. Denn das Kernproblem in Goscelins Variante der Kölbigker Erzählung ist recht eigentlich nicht der Tanz an der Kirche, sondern die Entführung der Ava aus der Kirche.249 Der »Reigen unserer Unrechtmäßigkeit« dient nur dazu, die Unglückliche von der Kirche wegzulocken, wörtlich: wie das Kind von der Mutterbrust zu entwöhnen.250 Goscelin führt damit ein ganz neues Motiv in die Erzählung ein: Ein wohl sorgfältig nachgezeichnetes Initiations- oder Brautwerbungsritual, das zugleich 244 Ebd., S. 290: »Aua puella, paterna uirga nobiscum percussa, novis surgentibus, iacebas mortua, stupor et tremor omnibus hec uidentibus facta.« 245 Ebd., S.  291: »signansque se miratur tam repentinam mutationem, miratur deletam sacerdotalis alligationis sententiam indelebilem.« 246 Ebd., S. 291: »Stipat nos frequens populus et intuetur nos, quasi tunc primum cepissemus. Notant uestes nostras, crines, ungulas et cetera spectabilia; inueniuntque eodem modo omnia, quo fuerant ante fera discrimina, munda, nitida, integra. Ita ergo ab inuicem quasi conuersa in aliam uindicta penam sumus seiuncti, ut qui prius non poteramus separari iam non possimus amplius aggregari; ita uagamur per omnes terras dispersi, ut quibus antea nusquam licuit prodire iam nusquam liceat stabiles durare. Quocumque fugimus, iste nos rotatus membrorum fugat et comitatur, iamque nobis plures anni tam districte euagationis censentur.« 247 Ebd., S. 290: »Tercio demum die, ubi per resurgentem a mortuis surreximus et erecti sumus, tu comes longe inquietudinis, tu causa et exemplum tante animaduersionis, que dex­ tram amiseras, datam sociis preuaricacionis, iam tuos labores finieras et, somno perpetue pacis, ut credimus, dedita, quiescebas; Aua puella, paterna uirga nobiscum percussa, novis surgentibus, iacebas mortua, stupor et tremor omnibus hec uidentibus facta. Beata, cuius ­periit unum membrum, ne perires tota; que, diuinis flagellis a corruptione seruata, et moriendo a morte es liberata.« 248 Vgl. unten, Kap. VI.4.4. 249 Wilmart (Hg.), La légende, S. 287: »Tota causa hec erat damnosi conuentus nostri, ut uni sodalium nostrorum in superbia et in abusione puellam raperemus, parrochiani presbiteri filiam, nomine Rodberti.« Dies sieht schon Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 334 f. 250 Wilmart (Hg.), La légende, S. 287: »Mittimus geminas puellas Mersuinden et Wibecynam, que similes similem de ecclesia allactarent ad iniquitatis nostri choream quam uenebamur predam.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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auf mythische Muster der Heiligen Hochzeit rekurriert. Diese kosmische Vereinigung im Gewand eines ländlichen Altersklassen-Rituals steht jedoch nicht für sich selbst – und ist auch nicht für sich selbst Gegenstand der homiletischen Disqualifiation durch eine »Warnlegende«. Sie steht für den Gegensatz zwischen der ecclesia und der heillosen Welt, für den aus den gängigsten Stereotypen der Superstitionsliteratur kompilierten Inbegriff von Unglauben. Ganz ähnliche metaphorische Relationen zwischen der Kirche als Mutter, dem Bischof als Bräutigam der Kirche und der spirituellen Brautschaft der ecclesia als Modell für die verwandtschaftliche Eheschließung hat Megan M ­ cLaughlin jüngst in der Reformpublizistik des 11.  und frühen 12.  Jahrhunderts nach­ gezeichnet.251 Der weltliche Reigen des profanen Brautwerbungsrituals bildet so die Negativfolie für die Binde- und Lösegewalt der Kirche, die ihre sakramentale Wirksamkeit aus der kosmischen Harmonie mit Gott bezieht. Ihr wird Ava entfremdet und stattdessen unfreiwillig in den unausweichlichen Reigen der auf Dauer gestellten Liminalität, der vergeblichen imitatio des kosmischen Reigens, gelockt. Am Beispiel der Priestertochter wird also durchgespielt, wie der den drohenden Heilsverlust markierende Dauertanz ins Verderben führt. Die appellative Ansprache des Theodericus an die Verstorbene vor den Zuhörern in Wilton markiert so die Klimax der Rahmenhandlung und das Kernproblem der ganzen Geschichte. Dass Goscelin hier nicht nur an pagane oder despektierliche Brautwerbespiele der dörflichen Jugend denkt, zeigen seine zahlreichen Allusionen auf platonisch-solare Vorstellungen: Mersuind und Wibecyna, wie hier die beiden weiteren Frauen heißen, locken »als Gleiche die Gleiche« (»similes similem«) aus der Kirche, womit ausdrücklich das Prinzip der »Sympathie« (similia similibus), wie es Plotin für die Kommunikation der Seele mit den himmlischen Sphären formuliert hatte, Anwendung findet.252 Deutlich wird die Unendlichkeit des kreisförmigen Reigens gezeichnet, die freilich zugleich durch den fehlenden Arm der Ava als gebrochen, als ataktisch und uneigentlich markiert ist.253 Mit zwölf Tänzern und einem Reigenführer ist ausdrücklicher als in I und III die Konnotation zu den Tierkreiszeichen, den Aposteln oder anderen mythischen Derivaten der kosmischen Zwölfzahl gegeben – dies umso mehr, als hier wie erwähnt auf Erzählmotive aus dem Ermanrich/Dietrich-Sagenkreis alludiert wird.254 Dem potentiellen Bräutigam der Ava und zugleich Protagonisten des Tanzliedes, »an Alter wie an Dummheit der Erste«, gibt Goscelin den sprechenden 251 McLaughlin, Episcopal Reform. 252 Vgl. oben, Kap. II.2.2. 253 Wilmart (Hg.), La légende, S 288: »Istud enim carmen noctes et dies incessabiliter ­g yrando per continuum redintegrauimus annum.« Ebd., S. 289: »Nos nullo momento intermittimus chorizando circuire, terram pede pulsare, lacrimabiles plausus et saltus dare, eandem cantilenam perpetuare.« 254 Vgl. Metzner, Zur frühesten Geschichte, und oben, Kap. VI.2.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Namen »Bovo«.255 Der solare Stiergott als Anführer des Reigens um sich und seine Braut ist also ein Dummkopf, und die Mimesis der kosmischen Kreisbewegung erweist sich als Flop: Sie führt nicht, wie in der hier als Negativ­folie unterstellten paganen Praxis, zur Kommunikation mit dem Göttlichen, sondern nur in eine fundamentale Disharmonie. Aus dieser Ausweglosigkeit kann nur die Zyklizität der christlichen Heilszeit, wie sie die Kirche verwaltet, retten. Ja: Wie die jungen Burschen am Weihnachtstag in ihren Zwangstanz verfallen sind, so kann erst die erneute Geburt der »wahren Sonne« Christus sie schließlich befreien.256 Letztlich ist es also Christus selbst, der den Tanz auslöst und auch wieder beendet, der bindet und auch wieder löst. Folgerichtig erfolgt die endgültige Heilung des Theodericus am Grab der hl.  Edgith von Wilton an Mariae Verkündigung,257 dem 25.03., also am Tag der göttlichen Zeugung der »wahren Sonne«, am alten Datum des Frühjahrs­ äquinoktiums, an dem die Sonne angeblich wie an Weihnachten drei Tage stillsteht und ein tripudium aufführt.258 An diesem Tag macht die Jungfrau Edgith aus dem unsteten, jederzeit ataktisch zuckenden und kreisenden Theode­ricus einen syntaktisch standhaften, in sich ruhenden Mann, der mit lautem Jubel die wiedergewonnene Herrschaft über sich selbst feiert.259 Nicht nur das zu disqualifizierende Vergehen also wird von Goscelin solarmythologisch stilisiert. Er will nicht etwa jeden Rekurs auf kosmologische Konzepte disqualifizieren. Vielmehr literarisiert er selbst den in seinen Vorlagen bereits anklingenden Konflikt von der Warte des christlichen Platonismus aus, der die pagan-astral­ mythologische Frömmigkeit, deren Widerhall er aus der Superstitionsdiskussion kannte, selbstredend ablehnte, dies aber in selbst zutiefst kosmologischen Denkstrukturen.

255 Wilmart (Hg.), La légende, S. 287 f.: »colligit aduenientes Bouo, tam etate prior quam stultitia.« 256 Ebd., S. 290: »Sic nobis cum toto anni circulo sub nudo aere rotatis rediit mundo fausta et remediabilis nox dominici natalis. Illa nos alligauit, illa reuersa absoluit. In eadem quippe hora temporis reuoluti qua uel cepimus iocari uel constricti sumus ore sacerdotali, repentina uiolentia quasi in ictu oculi singulis manibus ab inuicem sumus excussi, ut nullus ab alio ­posset retineri.« 257 Ebd., S.  291:»Illuxerat mundo celebris dies dominice annuntiationis, omnibusque ­egressis remansit solus aput sanctam uirginem aduena spectabilis, cum ecce prostratus coram obdormiuit et – o Dei onipotentiam et apud Deum dilecte sue gratiam! – euigilans homo ­totus sanus surrexit. Videt se de instabili stare posse immobilem, uidet se totum factum sui com­potem; […].« 258 Zur Bedeutung dieses Datums in der patristischen Diskussion über den Termin des Osterfestes vgl. oben, Kap. IV.2.2. 259 Wilmart (Hg.), La légende, S. 291 f.: »›Videte, inquit, hec benedicta domina, quam uix inuocare, uix nominare recte sciebam, quid michi desperatissimo fecit, quomodo me michi ­restituit et obprobrium meum, omnium occulis conspicuum, ab omnibus detersit. […]‹« Vgl. dazu unten, Kap. VI.5.3. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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So ist denn auch Goscelin’ Terminologie geprägt von Lichtmetaphern, wie schon Karl-Heinz Borck festgestellt hat:260 Den Pilgerausweis des Theodericus hat Bruno von Toul ausgestellt, »[…] der später als Papst Leo [IX.] das heiligste Licht unserer Zeit entzünden sollte«.261 Der sträfliche Brautwerbe-Reigen geschieht »[i]n der lichtbringenden Nacht der Geburt des Herrn, in der das Licht der Welt geboren wurde«.262 Auch Kaiser Heinrich II. wird mit Metaphern von Feuer und Licht gezeichnet.263 Und der Tag der Verkündigung des Engels an Maria, an dem Theodericus durch Edgith geheilt wird, hatte »[g]erade […] die Welt zu erleuchten begonnen«.264 Goscelins Lichtmetaphorik rekurriert also nicht auf das Bild der aufgehenden Sonne, sondern eher auf das der im Dunkel entzündeten Kerze. An anderen Stellen in der Vita Edgithae zeigt Goscelin deutlichere Affinitäten zum spezifischen mythologischen Deutungsrahmen der alten fränkischen Christianität: Edgith von Wilton lässt Reliquien des hl. Dionysius von Paris nach England bringen und für sie eine Kapelle errichten.265 Handelt es sich hierbei wohl noch schlicht um einen realhistorischen Reliquientransfer, so wird der mythische Rekurs deutlicher, wenn die Heilige in einer Vision einen Stier sieht, der sich dreimal in einer Bleischüssel dreht und dabei singt: »›Der Geist weht, wo er will‹«.266 Mit solchen Erzählungen reagierte ein theologisch ge­bildeter Hagiograph des 11.  Jahrhunderts wohl nicht mehr unmittelbar auf volksreli­ giöse Praktiken oder mythische Vorstellungen in seiner Umgebung. Eher schon riefen die Narrative einer agrarischen Gesellschaft, die vielfach fragmentiert und iteriert astralmythische Konzeptionen in christianisierter Form fortschrieben, bei ihm und seinem klösterlichen bzw. klerikalen Publikum die Erinnerung an den ganzen Deutungsapparat der Paganismus-Verfolgung auf. So war der Imaginationshorizont abgesteckt, innerhalb dessen er für seine Wunder­ geschichte einen quasi archetypischen Unglauben stilisieren konnte: Für das Herausfallen aus der Heilsgemeischaft der ecclesia gab es das Bild des Tanzes auf der Schwelle, das Goscelin im Anschluss an die Vorüberlieferung zu seinem Mirakel ausgestalten konnte. In welchem Milieu sich Goscelin bewegte, dokumentiert er selbst mit der Art, wie er den angeblichen Aussteller des von Theodericus vorgezeigten Pilger­ 260 Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 47. 261 Wilmart (Hg.), La légende, S.  287: »[…] qui postea, papa leo dictus, sanctissimum ­lumen emicuit nostri temporis.« 262 Ebd., S. 287: »In nocte natalis Domini lucifera, qua lux seculorum est orta […].« 263 Ebd., S.  290: »Ipse cristianissimus imperator Henricus, ut audiuit,  a facie altissimi ­imperatoris, ut cera a facie ignis defluxit, suffususque ubertim lacrimis iudicia Domini uera magnificauit.« 264 Ebd., S. 291: »Illuxerat mundo celebris dies dominice annuntiationis, […].« 265 Ebd., S. 86 f. 266 Ebd., S. 92 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ausweises vorstellt: Bruno von Toul, den späteren Papst Leo IX. (1049–1054), den ersten Vertreter der lothringischen Kirchenreform auf dem römischen Thron.267 Der in Flandern geborene und in Saint-Bertin ausgebildete G ­ oscelin stammte nicht nur aus dem Kernland der Erneuerungsbewegung. Wie erwähnt hatte er mit Bischof Hermann von Wilton bzw. Salisbury einen Patron, der im Umfeld Leos nachweisbar ist. Auch Goscelins späterer Förderer, Erzbischof Lanfranc von Canterbury, hatte schon in den fünfziger Jahren zu den Protagonisten der Reformpartei gehört. Bruno als faktischer oder fiktiver Aus­steller der »carta« des Theodericus und Goscelin als Verfasser des auf dessen Schilderungen be­ ruhenden Mirakelberichts II stellen die Kölbigker Legende also in einen engen Zusammenhang mit der frühen lothringischen Kirchenreformbewegung.268 Damit erweist sich Goscelin als Anhänger einer theologischen Schulrichtung, in der wiederum der christliche Neoplatonismus die Grundlage der Argumentation bildete.269 Die Theologen des 11. Jahrhunderts jedoch rezipierten den Platonismus nicht mehr im Kontext einer lebendigen Mythenwelt, sondern in seiner von der spätantiken Philosophie sublimierten und von den Kirchenvätern christianisierten Form. Die pythagoräische Kosmologie gab für Goscelin nicht mehr den Imaginationshorizont ab, sondern nurmehr ein Reservoir von Stereotypen, auf das er zurückgreifen konnte, um zugleich die theologischen Grundlagen seiner Erzählung zu rechtfertigen und ihre mythologischen Implikationen zu verneinen. Demnach stilisierte auch Goscelin eine theologisch durchgeformte Version christlicher Heiligkeit, die die von ihm als pagan und superstitiös identifizierte vorherige Entwicklungsstufe überschreiben konnte. Denn die lothringische Reformbewegung des frühen 11.  Jahrhunderts war in ihren Vorstellungen sicherlich nicht mehr deckungsgleich mit der noch in spätantiken Traditionen verhafteten Christianität der Merowingerzeit. Sie benutzte tradierte Narrative, um ganz andere Probleme neu zu thematisieren: Tanz auf dem Kirchhof war zumindest für Goscelin weniger ein manifestes Problem als vielmehr ein klassischer Topos für die Krise der Kirche. Der Rekurs auf kosmologische Konzepte von Himmelsreigen etc. lebt von ihrem Konotationspotential zu dem zentralen theologischen Konfliktfeld der Zeit: der Frage nach der Binde- und Lösegewalt der Kirche. 267 Ebd., S. 287: »Verum ille prudencia notabilior exponit suam causam et testem de pera profert cartam, quam in persona illius chori dictauerat Bruno Tullanus episcopus in medio ciuitatis, qui postea, papa leo dictus, sanctissimum lumen emicuit nostri temporis.« Zur Einführung Brunos/Leos als Aussteller der Bettelerlaubnis vgl. Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 49; Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S. 274 f., 283, 287; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 132 f. (vermutet eine Fälschung); Metzner, Zur frühesten Geschichte, S.  21 f., 76–81 (vermutet eine tatsächliche Ausstellung durch Bruno, sieht diesen gar als eigenhändigen Redaktor der »carta«, was sicherlich an der Kanzleipraxis am Bischofssitz vorbeigeht). 268 So schon Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 85 f., vgl. allg. S. 82–88; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 79–84, 152. 269 Vgl. unten, Kap. II.2.4. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Aus seinen astralmythisch grundierten Vorlagen kannte Goscelin das Grundmuster der Erzählung vom Priester, der seine eigene Tochter und ihre Begleiter zum ewigen Reigen verflucht. Diese Konstellation inspirierte ihn zu einer psychologisch und theologisch fein stilisierten Reflexion über die Aporien der Reformdiskussionen seiner Zeit. Dies wird augenfällig, wenn man sich erneut dem Verhältnis der drei Kölbigker Textzeugnisse zu ihrem Zeitkontext und möglichen weiteren Vorlagen zuwendet.

VI.4 Textgenese und Prätexte 2: Der Tanz von Kölbigk im Kontext der frühen Kirchenreform Auffällig an allen drei frühen Quellen zum Kölbigker Tanz ist die eingehende Schilderung der Umstände des einjährigen Reigens. Audoinus von Rouen hatte sich in der Vita Eligii noch auf die summarische Feststellung beschränkt, die von den alten Göttern Besessenen hätten begonnen, »auf verschiedene Weise zu toben«.270 Im Fall Kölbigk nun ist sehr viel spezifischer von einem Reigen die Rede. Auch fügen die Verfasser in jeweils unterschiedlich elaborierter Form Erläuterungen zu diesem unfreiwilligen Tanz ein. Nicht alle Aspekte dieser Ausführungen sind bisher befriedigend entschlüsselt. Viele jedoch lassen sich aus biblischen oder theologischen Vorlagen ableiten. Der Blick auf diese Prätexte eröffnet nicht nur einen genaueren Blick auf die Entstehung des Berichts, sondern vor allem eine weitere Interpretationsebene, die in der Forschung bisher kaum gesehen wurde: den engen Zusammenhang schon der Entstehung der Kölbigker Legende zur frühen Kirchenreformbewegung.271

VI.4.1 Im Hintergrund: Der Tanz des Volkes Israel um das Goldene Kalb Goscelin lässt seinen Berichterstatter »Theodericus« ausdrücklich beklagen, er und seine Mittänzer hätten die Erinnerung an die maßgeblichen Mysterien des christlichen Glaubens, ja: an ihre christianitas selbst verloren, als sie mit ih-

270 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Liber II, Cap. 20, S. 711 f.: »[…] ­modis diversis debaccare […]«. 271 Schon Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S.  82–88 und Ders., Tanz zu Kölbigk (1955), S.  297 f., hat andeutungsweise auf die zunehmende Durchdringung der drei Fassungen des Mirakels mit Ideen der Kirchenreform hingewiesen, ebenso auf die persönliche Nähe ­Goscelins zu einigen ihrer Protagonisten. Vgl. dazu Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. ­76–81; den Zusammenhang mit der zunehmenden Sakralisierung des Kirchenraumes sieht auch Kleinschmidt, Perception and Action, S. 52. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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rem Spiel begannen.272 Sie hätten also ihre Taufe, ihre Zugehörigkeit zur Heilsgemeinschaft der Kirche schlichtweg vergessen. Nun berichten alle drei frühen Zeugnisse, die Teilnehmer des unfreiwilligen Reigens hätten das ganze Jahr über keinerlei körperliche Bedürfnisse verspürt.273 Die »districta expedicio« der Tänzer von Kölbigk, wohlgemerkt: ihr einjähriger Dauerreigen, nicht etwa ihre anschließende Zerstreuung in die Welt, wird so nach dem Muster der vierzigjährigen Wanderschaft des Volkes Israel durch die Wüste gezeichnet: »Moses rief ganz Israel zusammen und sagte zu den Israeliten: […] Mit eigenen Augen hast du jene schweren Prüfungen, die großen Zeichen und Wunder gesehen. Aber einen Verstand, der wirklich erkennt, Augen, die wirklich sehen, und Ohren, die wirklich hören, hat der Herr euch bis zum heutigen Tag nicht gegeben. Ich habe euch vierzig Jahre lang durch die Wüste geführt. Eure Kleider sind euch nicht in Lumpen vom Leib gefallen, deine Schuhe sind dir nicht an den Füßen zerrissen, ihr habt kein Brot gegessen und keinen Wein und kein Bier getrunken, denn ihr solltet erkennen: Ich bin Jahwe, Euer Gott.«274

Mit ganz ähnlichen Worten sollte im 12.  Jahrhundert Hildegard von Bingen den Zustand der »Gottesvergessenheit« als Wanderung durch ein trockenes, unfruchtbares Land allegorisieren. Die Wüste Sinai des Alten Testaments wurde ihr zum Sinnbild auch für das Stillstehen körperlicher Fruchtbarkeit. So lässt Hildegard im Zustand der Gottesvergessenheit auch Haare und Nägel nicht mehr wachsen, wie ja in der Wüste auch keine Früchte gedeihen.275 Phänomenologisch ist die körperliche Empfindungslosigkeit ein oft zitiertes Zeichen für Trancezustände. Hatte Jamblichus, der neoplatonische Theo­ 272 Wilmart (Hg.), La légende, S. 288: »Non uirginalis natiuitatis Domini, non christia­ nitatis memoria, non tocius fidelis populi ad ecclesiam concurrentis reuerentia, non diuine ­laudis audita preconia inpudentiam nostram a tanta temperauit audacia.« 273 Fassung II, ebd., S. 289 f.: »Sicut autem nullus alius rerum nobis dabatur modus, ita quicquid est humanae neccesitatis nec fecimus nec passi sumus. Reuera enim in toto anno illo districte expedicionis nostre nec comedimus nec bibimus nec dormiuimus; sed neque famem neque sitim neque somnolentiam nec quicquam carnalis condicionis sensimus. Nox, dies, estas torrida, hiems gelida, tempestates, inundationes, niues, grandines uniuersaque ­aeris intem­peries omnino nos non tetigere; nec lassati sumus circulacionis diuturnitate. Non capilli, non ungule nostre crescebant; non sunt attrita uestimenta nostra. Ita clemens erat pena, ita ­suauiter nos torquebat superna clementia«; vgl. Fassung I, Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 39: »Sic in toto illo anno non manducavimus neque bibimus nec sompnum cepimus nec pluvia irrigati sumus. Nichil sensimus, nichil egimus, quam cantantes sine sensu fuimus«; vgl. Fassung III, Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 47: »[…] non manducantes neque bibentes neque frigus neque estum sentientes, non scissuram in calciamentis vel in aliis vestimentis habentes, […]. In ipsa hora nona cottidie odor quidam suavissimus velut aura lenis eorum nares et pectora repleverat, quo refocilati et velut omni dulcedine ciborum repleti nullam famen senserunt«; vgl. unten, Kap. VI.5.3. 274 Deut 29,1–5; vgl. Wilmart (Hg.), La légende, S. 290 mit Anm. 1. 275 Meier, Vergessen, Erinnern, Gedächtnis, S. 181. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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retiker der Theurgie, die Unanfechtbarkeit durch irdische Einflüsse im enthu­ siasmos gerade auf die vollständige Verdrängung der personalen Existenz durch den einwohnenden Gott zurückgeführt, so formuliert die christliche Rezeption auch diesbezüglich eine Inversion: Der Schwellenzustand ist eben nicht durch die An-, sondern durch die Abwesenheit Gottes gekennzeichnet, und die Bedürfnislosigkeit markiert nicht die Kommunikation mit dem »Höchsten«, sondern gerade die vergebliche Suche nach ihm. Freilich gingen auch die christlichen Asketen ja in die Wüste, in die un­ bewohnte, ungeordnete Wildnis  – um Gott gerade besonders nahe zu kommen. Der liminale Raum war also der Ort, wo Bedrohung und Erlösung eng bei­einander lagen, wo Gott zwar fern war, aber seine Gnade doch umso unmittel­barer erlangt werden konnte. Der einjährige Tanz auf dem Kirchhof ist demnach in allen drei überlieferten Versionen der Kölbigker Geschichte ausdrücklich eine vergebliche Suche nach dem Heil. Der Fluch löst nicht einfach eine Strafe für blasphemisches Verhalten aus, sondern er ist wie in der Vita Eligii ein Mittel Gottes, Ungehorsame zur Erkenntnis des einzigen Weges zu seiner Gnade zu zwingen. Daher ist es nur logisch, dass er die büßenden Tänzer während ihrer »Heerfahrt« nicht leiden lässt. Durch den ataktischen ersten Reigen sind sie in einen Zustand der Heilsferne versetzt. Auch in diesem Schwellenraum der Suche jedoch ist Gott ihnen zu­getan. Auslöser der vierzigjährigen Gottessuche ist auch im Alten Testament ein Reigen, der Tanz der Israeliten um das Goldene Kalb nämlich.276 Dieser Inbegriff der menschlichen Gottesvergessenheit reflektiert deutlich die oft körperlich-expressive Verehrung von Stier- oder Rindsgottheiten, wie sie im ost­mediterranen Raum der hellenistischen Zeit häufig war. Im 11. Jahrhundert wird die Parallele zur dionysisch-solaren Mythologie der Spätantike nurmehr allenfalls in Bruchstücken präsent gewesen sein – wohl aber, dass Gott die Israeli­ten zur Strafe für einen seine Ordnung störenden Tanz auf eine fast endlose Wanderschaft geschickt hatte. Schon im rabbinischen Judentum war auch der Bund Gottes mit Moses auf dem Berg Sinai als Hochzeit metaphorisiert worden, womit jeder Glaubens­abfall als Ehebruch deutbar wurde.277 Der Inbegriff des Verstoßes gegen die Brautschaft der Gläubigen mit Gott war demnach der Tanz um das Goldene Kalb, den die Kölbigker Überlieferung darum ganz folgerichtig mit einem Hochzeitstanz gleichsetzt. Diese Suche nach dem Rückweg in die Gnade verknüpft die ­Kölbigker Legende nun mit dem von der platonischen mania bekannten Motiv des telestischen, die kosmische Harmonie wiederherstellenden Reigens. Zugleich wird der dritte Schritt, die Verlängerung zur Bußwallfahrt, verständ 276 Ex 32 f.; zur mittelalterlichen Rezeption vgl. Salmen, Tanz und Tanzen, S.  11–13; Zimmer­mann, Engelsreigen, S. 90–92. 277 Zimmermann, Geschlechtermetaphorik, S. 208 ff. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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licher: Die zuckenden Bettler, die an das Klostertor pochten, wurden so zu Pilgern auf den Spuren des Gottesvolkes ins Gelobte Land. Und wie Gott das Volk Israel trotz seiner Verstocktheit versorgt hatte, wollte er auch die Büßer von Kölbigk durch die Almosen der Barmherzigen versorgt wissen. Der Kölbigker Priester wird dadurch mit Aaron vergleichbar. Ihn hatte Moses aus den Vertretern der zwölf Stämme Israels (vgl. die Zahl der Tänzer in II) zum Hohenpriester ausgewählt. Mit seiner Auflehnung gegen Moses und der Einrichtung des Kultes um das Goldene Kalb personifizierte er den jedem Menschen in seiner Fehlbarkeit drohenden Heilsverlust. Seine Söhne Nadab und Abihu vollzogen ein nicht von Gott offenbartes Brandopfer, weshalb sie von einem Feuer verzehrt wurden.278 Brandopfer, so machte Moses seinem Bruder nach dieser tragischen Erfahrung deutlich, dürften nur durch die von Gott ausgewählten Priester, nur mit reinen Händen, nur dem von Gott gestifteten Ritual entsprechend und nur im Heiligtum vollführt werden.279 Die Tochter des Kölbigker Priesters – und mit ihr die je nach Version ein bis drei weiteren Tanzteilnehmer – sterben also nach dem Ende des Reigens, weil sie wie die Söhne des fehlbaren Hohenpriesters Aaron ein falsches Opfer ausgeführt haben, und zugleich, weil Gott seinen Zorn wie gegenüber dem Volk Israel stellvertretend nur an einem Teil der Ungehorsamen wirken lässt. Auf dieser Interpretationsebene sind letztlich gar nicht die jungen Leute mit ihrem Reigen auf dem Kirchhof das zentrale Problem der Legende, sondern es ist der Priester, der sie nicht zum Gehorsam bringen kann. Wohl schon die aus astralmythischen Motiven gespeiste Vorstufe der Erzählung gibt ihm eine Tochter und einen Sohn, die zugleich als zentrale Figuren am Konflikt um den Reigen beteiligt sind. Dass er damit als Nicht-Zölibatärer, in der Diktion der Mitte des 11.  Jahrhunderts: als Nikolait,280 gekennzeichnet war, dürfte schon bald zum Kernpunkt geworden sein. Nicht erst Goscelin, sondern schon der Urheber der typologischen Analogisierung des Reigens mit der Wanderschaft des Volkes Israel muss diese Bedeutungsebene gesehen haben. Zur Zeit und im Umfeld Goscelins jedoch wurde sie für die Lektüre der Kölbigker Legende maßgeblich. Denn auf die mosaischen Opfergesetze und ihre Übertretung durch Aaron und seine Söhne rekurrierten auch die frühen Verfechter der Kirchenreform und des Pflichtzölibats.

278 Lev 10,1–5. 279 Lev 10,6–20. 280 Vgl. Barstow, Married Priests, S. 52–54; Beulertz, (Art.) Nikolaitismus. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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VI.4.2 Amator exclusus: Der Rasende vor der geschlossenen Tür Und mehr noch: In ihren Grundzügen dürfte die Wundergeschichte im zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts im Milieu der lothringischen Kloster- und Kirchenreformbewegung formuliert worden sein. Unter Leo IX. trafen diese Kreise ab 1049 in Rom bzw. am Hof des reisenden Papstes auf italienische Gleich­ gesinnte, so auch auf Petrus Damiani. Petrus Damiani, um 1007 in Ravenna geboren, war um 1035 in die Einsiedelei Fonte Avellana eingetreten.281 Der strenge Asket setzte sich schon bald mit zahlreichen Briefen für eine Erneuerung der monastischen und klerikalen Disziplin ein. 1049 sandte er dem neuen Papst Leo IX. seine radikale Streitschrift Liber Gomorrhianus über die sexuellen Ausschweifungen des Klerus. Obwohl diese Schrift wegen der darin vertretenen Extrempositionen wenig Erfolg hatte, gehörte Petrus von nun an zum engen Kreis der Kirchenreformer. 1057 wurde er Kardinalbischof von Ostia, zog sich jedoch schon 1061 wieder ins Kloster zurück. Bis zu seinem Tod 1072 war er immer wieder im Auftrag der Päpste als Vorkämpfer der kirchlichen Reformbewegung unterwegs. Während er gegen die Forderungen eines Humbert von Silva Candida die sakramentale Kom­ petenz von simonistischen Priestern nicht in Frage stellen wollte und so die spätere Lehrmeinung der Kirche von der Wirksamkeit der Sakramente ex opere operato prägte,282 kannte er, was den Pflichtzölibat des höheren Klerus angeht, keine Kompromisse. Wie schon im Liber Gomorrhianus geißelte er auch in den beiden kürzeren Schriften De caelibatu sacerdotum (1059) und Contra intem­ perantes clericos (1065/66) verheiratete und sexuell aktive Priester als eschatolo­ gische Bedrohung.283 Petrus könnte das Tanzmirakel in seinen Grundzügen also zu ebenjener Zeit kennengelernt haben, als er seinen Liber Gomorrhianus verfasste. Dies würde zumindest eine bemerkenswerte Parallele in dieser im Frühjahr 1049 für den neuen Papst geschriebenen Suada erklären: »Wenn ein der Ordnung nach zum Dienst am heiligen Altar Unwürdiger es also wagt, einzubrechen, was ist dies anderes, als zu versuchen durch den undurchdring­ lichen Wall der Wand hineinzugehen, nachdem man an der Schwelle der Tür zurück­ gelassen wurde? Und weil der freie Zutritt den Füßen nicht offensteht, sind diese, während sie meinen, zu den Sakramenten Zugang zu haben, gezwungen, da dieser 281 Zur Person vgl. Denzler, Amtszölibat, S. 58–62; Fornasari, (Art.) Petrus Damiani. 282 Bes. im Liber Gratissimus (1051), vgl. Laudage, Priesterbild und Reformpapsttum, S. 185–206, 315 f.; zum Konflikt zwischen Petrus und Humbert vgl. Dirschner, Humbert von Silva Candida, S. 83, 94–108; Freund, Studien zur literarischen Wirksamkeit, S. 12–15; Dressler, Petrus Damiani, S. 107 f. 283 Laudage, Priesterbild und Reformpapsttum, S. 198 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Anspruch unerfüllt bleibt, besser in der äußeren Vorhalle zu bleiben. Zwar können Schwerter das Deckblatt der Heiligen Schrift durchstoßen, doch der Zugang zur göttlichen Macht ist ihnen in keiner Form erlaubt. Und wenn sie versuchen, einzutreten, wo es ihnen nicht gestattet ist, machen sie nichts anderes, als dass sie eine verschlossene Wand vergeblich antasten. Zu diesen passt nicht zu Unrecht das, was durch den Propheten gesagt wurde: Wie bei Nacht, so am Tag suchen sie [auch: zittern sie].284 Und weil sie die Schwelle des rechten Zugangs nicht übertreten können, werden sie vom Wahnsinn im Reigen herumirrend und kreisend bewegt. Von diesen wird in den Psalmen gesagt: Mein Gott, lass jene wie im Kreis [sich drehen];285 und an anderer Stelle:286 Die Ungläubigen laufen im Kreis.«287

Unwürdige Priester, die ihr Amt auszuüben versuchen, bleiben also nach P ­ etrus buchstäblich an der Schwelle zum Heil, in der Vorhalle (»vestibulum«) der Kirche stehen. So sind sie zu einer endlosen Gottessuche gezwungen, die als 284 Vgl. Hiob 5,14: »Am hellen Tag stoßen sie auf Finsternis, am Mittag tappen sie umher wie in der Nacht.« Die vielfältigen Bedeutungen des Verbs palpare sind anhand des lexika­lischen Befundes grob absteckbar zwischen: »suchen«, »schmeicheln«, »stammeln«, »­zittern«; vgl. Habel/Gröbel, Mittellateinisches Glossar, s. v. palpare: streicheln, schmeicheln; s. v. palpitare: zucken, zittern; auch synonym mit palpare gebraucht; Niermeyer/van de Kieft, Mediae Latinitatis Lexicon Minus, Bd. 2, Sp. 986: s. v. palpabilis: greifbar; s. v. palpatio: Umschweif; s. v. palpitare: stammeln; Du Cange, Glossarium, Bd. 4, S. 123: s. v. palpare: salire, tremere; s. v. palpitare: palpari (also: ergriffen/bewegt werden), praetentare; s. v. palpitatio: dubitatio, haesitatio, incertitudo; Thesaurus Linguae Latinae X,1, Fasc. II, Sp. 163–166: s. v. palpitare: tremere, movere tremens; s. v. palpare: blandiri (schmeicheln). 285 Ps 83,14: »Mein Gott, lass sie dahinwirbeln wie Staub, wie Spreu vor dem Wind.« 286 Ps 11,8 f.: » Du, Herr, wirst uns behüten, und uns vor diesen Leuten für immer retten, auch wenn die Frevler frei umhergehen, […].« Vgl. Weber/Gryson (Hg), Biblia sacra Vulgata, Ps 11,8 f.: »[…] tu Domine custodies ea servabis nos a generatione hac in aeternum; in circuitu impii ambulabunt cum exaltati fuerint vilissimi filiorum hominum.« Vgl. Rahlfs (Hg.), Septuaginta, Ps 11,8 f.: »σύ, κύριε, φυλάξεις ἡμᾶς καὶ διατηρήσεις ἡμᾶς ἀπὸ τῆς γενεᾶς ταύτης καὶ εἰς τὸν ἀϊῶνα. κύκλῳ οἱ ἀσεβεῖς περιπατοῦσιν κατὰ τὸ ὕψος σου ἐπολυώρησας τοὺς υἱοὺς τῶν ἀνθρώπων.« Die Konnotation mit Reigen/Kreisbewegung ist demnach ein Produkt der Vulgata-Übersetzung, die das neutralere »περιπατοῦσιν« der Septuaginta adverbial ergänzt. ­Petrus Damiani löst diese Sentenz aus ihrem biblischen Kontext und verengt sie so semantisch noch deutlicher auf diese Konnotation. 287 Reindel (Hg.), Petrus Damiani, Liber Gomorrhianus, S.  293 f.: »Qui enim indignus ­ordine ad sacri altaris officium conatur irrumpere, quid aliud quam relicto ianuae limine per immeabiliem parietis obicem nititur introire? Et quia liber pedibus non patet ingressus, hii ­tales, dum sibi spondent, ad sacrarium posse pertingere, qua presumptione frustrati coguntur potius in exteriori vestibulo remanere. Et frontem quidem possunt in sacre scripturae saxa percutere, sed per divinae auctoritatis aditum nequaquam permittuntur intrare atque dum ingredi, quo non sinuntur, attemptant, nichil, aliud faciunt, quam obtectum parietem inaniter palpant. Quibus non immerito congruit, quod per prophetam dicitur: Sicut in nocte ita palpabunt in meridie [Iob 5,14]. Et quia recti aditus limen transcendere nequeunt, pererrando circuitum insania rotante volvuntur. De quibus per psalmistam dicitur: Deus meus, pone illos, ut rotam, [Ps 82,14] et iterum: In circuitu impii ambulant [Ps 11,9]. De quibus etiam Paulus, cum superius memorata loqueretur, paulo post subdit dicens: Qui talia agunt, digni sunt morte, non solum qui illa faciunt, sed et qui consentiunt facientibus [Rom 1,32].« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»schmeicheln« oder »zucken« bzw. »zittern« (palpare bzw. palpitare) beschrieben wird. Die »insania« ihrer Gottesferne führt sie schließlich ausdrücklich in einen »circuitus«, eine »rota«, ja: Die vergebliche Suche nach der Gnade findet mit dem mehrdeutigen Bewegungsbegriff palpare eine Semantik, die umso deutlicher den tremor der pilgernden Kölbigker Tänzer zum performativen Ausdruck der Buße werden lässt. Die wegen ihrer irdischen Leidenschaften unwürdigen Priester beschreibt Petrus also ganz nach dem Muster der auf der Schwelle zum Heilsraum sich bewegenden energumenoi der spätantiken gallischen Kirche.288 Er stützt sich dabei auf Psalmworte, doch seine Konzeption verrät deutlich ihre Verwurzelung in der Auseinandersetzung der frühmittelalterlichen Kirche mit dem Motiv des kosmischen Reigens als Ausdruck des drohenden Heilsverlusts.289 Dabei hat der circuitus bei Petrus keine Ambivalenz: Positive Konnotationsebenen der kos­ mischen Mimesis kennt seine Anspielung im Liber Gomorrhianus nicht. Wohlgemerkt: Petrus schildert hier das Schicksal der nicht-zölibatären Priester, nicht das ihrer Gemeinden. Es ist aber dennoch sicherlich kein Zufall, dass die zur gleichen Zeit unter seinen nordalpinen Gesinnungsgenossen kursierende Mirakelerzählung eine ganz ähnliche Konstellation für die vergebliche Heilssuche der Laien bietet. Nicht unwahrscheinlich ist, dass Petrus D ­ amiani eine Vorstufe der Kölbigker Legende heranzog und die Perspektive von den Laien auf die »Nikolaiten« verschob, die ja im Mittelpunkt seiner Argumentation im Liber Gomorrhianus stehen.290 Die umgekehrte Annahme, dass schon die Genese des Tanzwunderberichts auf die Rezeption der 1049 entstandenen Schrift zurückgehe, würde eine vollständige Revision der Forschungslage zur Chronologie der Textentstehung voraussetzen. Die komplexe Konstruktion von Prätexten, die für die Kölbigker Geschichte nachgewiesen werden kann, kann auch nur schwerlich monokausal auf die zudem in der Fokussierung deutlich abweichende Passage im Liber Gomorrhianus zurückgeführt werden. Zumindest wird man aber in beiden Fällen festhalten können, dass das seit der Spät­ antike vorgeformte Motiv des unfreiwilligen Tanzes an der Schwelle des Heils im Milieu der frühen Kirchenreform virulent war. Petrus Damiani verwendete es für die Darstellung der Heillosigkeit nicht-zölibatärer Kleriker, wie es die Kölbigker Geschichte für den Unglauben der durch diese von Gott entfremdeten Laien heranzog. Petrus Damiani und die Verfasser der Kölbigker Legende griffen dabei zudem auf ein Motiv zurück, das schon in der antiken römischen Literatur große Breitenwirkung gehabt hatte: den amator exclusus (griech.: paraklausithyron). 288 Vgl. oben, Kap. V.2.2. 289 Vgl. oben, Kap. III.5.1. 290 Nicht erwähnt ist diese mögliche Vorlage bei Ryan, Canonical Sources, S. [28]–[31], und in der sonstigen hier zitierten Literatur zu Petrus Damiani. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Der betrunken von einem Symposium heimkehrende Liebhaber wird von seiner Angebeteten bzw. einer personifizierten Tür ausgeschlossen. Noch mit einem Blumenkranz im Haar protestiert er singend und tanzend und gerät in Wut, bis er versucht, die Tür aufzubrechen.291 Christliche Autoren hatten dieses Motiv mit den Vorschriften zur Einrichtung des Tempels im Buch Ezechiel (44,1–3) verknüpft, in denen Gott befiehlt, das Osttor, durch welches er den Tempel betreten hatte, verschlossen zu halten. Schon Ambrosius hatte dies als Allegorie auf die Jungfräulichkeit Marias gelesen, die den Herrn empfangen hatte, ohne die Tür zu öffnen. Die geschlossene Tür wurde so auch zu einem Bild für die Gottesbrautschaft der Jungfrauen und der Kirche selbst.292 Der Kreisreigen der Tänzer von Kölbigk wie der circuitus des von Petrus Damiani zitierten Psalms markieren also auch die wütende Raserei dessen, der in seiner ekstatischen Hingabe an die irdischen Leidenschaften die Brautschaft mit der Kirche nicht erlangen kann. Sie bleiben auf der Schwelle des Heils, wo sie schließlich wie der trunkene Liebhaber einschlafen – nicht vor der Kirche, aber vor dem heilsbringenden Altar. Ebenso lässt Goscelin es auch in Wilton einem Adeligen ergehen, der dem Kloster der hl. Edgith Land entfremdet hatte und deshalb ihre Grabkirche nicht betreten konnte.293 Die Polemiken des Petrus Damiani griffen jedoch nicht nur selbst auf das Motiv des liminalen Reigens zurück, sondern dokumentieren auch Argumen­ tationslinien der frühen Kirchenreform, die sich ganz ähnlich auch in der ­Kölbigker Überlieferung, besonders in Goscelins Fassung II, finden.

VI.4.3 Der Pfarrer von Kölbigk als Nikolait Schon Leo IX. hatte auf den von ihm in Rom und im Reich abgehaltenen Synoden immer wieder auch Beschlüsse gegen Priesterehe und Konkubinat fassen lassen.294 1050 forderte eine römische Provinzialsynode Priester und Laien dazu auf, die Teilnahme an den liturgischen Handlungen nicht-zölibatärer Priester zu vermeiden. Verheiratete und Konkubinarier sollten keinen Altardienst mehr versehen, stattdessen sollten fromme Mönche ihre Aufgaben übernehmen.295 Dieses kirchliche Gebot, »Nikolaiten« zu boykottieren und so der Gefahr un­ gültiger Sakramentarien zu entgehen, sollte zumal unter Gregor VII. zu einem willkommenen – und umstrittenen – Mittel werden, die Laien gegen die Reform­ 291 Copley, Exclusus amator; dazu Otter (Übers.), Liber Confortatorius, S. 158. 292 Otter, Closed Doors, S. 78. 293 Wilmart (Hg.), La légende, S. 283 f.; vgl. Hollis, Strategies of Emplacement, S. 159. 294 Zotz, Zustand; Munier, Léon IX et la reforme, S. 116–118, 130 f., 302 f.; Denzler, Amtszölibat, Bd.  1, S.  52 f.; Wolter, Synoden im Reichsgebiet, S.  406 f., 411; Rapp, Introduction, S. 15. 295 Denzler, Amtszölibat, Bd. 1, S. 52; Barstow, Married Priests, S. 53. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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gegener zu mobilisieren.296 Und auch Petrus Damiani, der doch die Gültigkeit der von »Simonisten« durchgeführten Weihen nicht in Zweifel ziehen wollte, sah durch »Nikolaiten« das Seelenheil der Gläubigen grundsätzlich in Gefahr. 1059 ließ der neu gewählte Papst Nikolaus II., zu dessen Beraterkreis Petrus zählte, eine römische Provinzialsynode ausdrücklich das Verbot aussprechen: »Dass keiner die Messe eines Priesters höre, von dem er zweifelsfrei weiß, dass er eine Konkubine oder Beischläferin hat.«297

Zunächst nur für die römische Kirchenprovinz erlassen, fand diese Bestimmung durch die Reformlegaten der Päpste bald weite Verbreitung in der ganzen lateinischen Kirche. Kurz zuvor (1057) hatten die Anhänger der »Pataria« in Mailand begonnen, unwürdige Priester zu boykottieren, und den reformfeindlichen Erzbischof aus der Stadt vertrieben. Papst Alexander II. schickte ihnen 1064 die Petersfahne und autorisierte so ihren Kampf. Gregor VII. feierte ihren 1075 ermordeten Anführer Erlembald als Märtyrer.298 Die Reformer förderten also die radikale Abkehr vom alten Klerus. Damit ergaben sich freilich nicht nur für die soziale Position der zahllosen nicht-zölibatären Priester massive Probleme, sondern vor allem für die sakramentale und seelsorgliche Versorgung ihrer Gemeinden: An wen sollten sich die Gläubigen denn wenden, wenn große Teile des Pfarrklerus ihnen verboten waren? Petrus Damiani und andere Re­former sahen hier die Ordens- und Stiftsgeistlichen sowie die Mönche am Zuge, denen man allgemein ein höheres Maß an moralischer Würdigkeit und kul­tischer Reinheit zutraute.299 Genau dieser Konflikt, und dies ist in der Forschung bisher nicht gesehen worden,300 wird in der Kölbigker Tanzgeschichte, zumindest in den heute überlieferten Redaktionen, thematisiert. Andeutungsweise ist dies schon in den Fassungen III und I zu spüren, die offenbar die beginnende Diskussion im zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts spiegeln. Elaboriert wird diese Interpretation jedoch bei Goscelin von Canterbury. Als er nach 1066, vielleicht erst um 1080 das Mirakel für die Vita Edgithae umstilisierte, dürften in seinem direkten Umfeld, den Kreisen um Herman von Salisbury und Lanfranc von Canterbury, die 296 Dirschner, Humbert von Silva Candida, S. 177 f. 297 Weiland (Hg.), Nicolai II. Synodica Generalis, MGH Constitutiones, Bd. 1, Nr. 384, S. 547: »Ut nullus missam audiat presbyteri, quem scit concubinam indubitanter habere aut subintroductam mulierem. […]« Vgl. dazu Dirschner, Humbert von Silva Candida, S. 205 mit Anm.  87; Barstow, Married Priests, S.  56–60; Denzler, Amtszölibat, Bd.  1, S.  56 f.; Gresser, Synoden und Konzilien, S. 41–48. 298 Vgl. nur Oberste, Ketzerei, S. 38 f. 299 Zu den publizistischen Debatten über den Pflichtzölibat und den Gegenargumenten der Reformgegner vgl. allg. Barstow, Married Priests. 300 Dieser Befund ist umso erstaunlicher, da der Herausgeber der Fassung II (Goscelin), der Bollandist André Wilmart, zugleich ein profunder Kenner der Werke Petrus Damianis war. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Schriften des Petrus Damiani und die dadurch inspirierten römischen Synodalbeschlüsse bekannt gewesen sein.301 Immerhin zeichneten sich sowohl der angelsächsische als auch der normannische Machtbereich im 11.  Jahrhundert durch eine ausgeprägte Verbreitung der Priesterehe, ja: durch die Ausbildung von regelrechten Klerikerdynastien aus. Entsprechend war hier auch der Widerstand gegen die radikalen Reformer besonders stark.302 Die jungen Leute in der Kölbigker Legende, die die Teilnahme an der Weihnachtsmesse ihres Pfarrers boykottieren, begehen damit also keine Sünde, sondern entsprechen den Geboten von Papst und Synode. Denn ihr Pfarrer ist durch seine zwei Kinder eindeutig als Nicht-Zölibatärer markiert.303 Wie gefordert verweigern sie dem »Nikolaiten« den Gottesdienstbesuch. Da sie jedoch damit der liturgischen Versorgung entbehren, wenden sie sich konkurrierenden Formen der Heilsvermittlung zu, oder kirchlich gesprochen: Fallen sie in den Zustand des Unglaubens zurück.304 Für die Beschreibung dieses Heilsverlusts standen kosmischer Reigen und Superstitionen als Stereotypen bereit. Und so richtet sich die Kölbigker Legende weniger gegen das blasphemische oder heidnische Tanzen, sondern vielmehr gegen unwürdige Priester. Das Mirakel erweist sich in dieser Lesart als Parabel auf die Aporien der kirchenreformerischen Debatten um Zölibat und Priesteramt. Und für dieses kirchenpolitische Exempel munitionierte sich Goscelin auch weiterhin bei Petrus Damiani. Auch für die typologische Gleichsetzung des verzweifelt um das Leben seiner Tochter kämpfenden Priesters mit dem alt­ testamentarischen Aaron findet sich ein Anknüpfungspunkt in Contra intemperantes clericos: »Warum soll man nicht in Erinnerung rufen, wie einst die Söhne des Aaron, Nadab und Abiu, als sie dem göttlichen Altar fremde Flammen entzündeten, unverzüglich von einem vom Himmel geschickten Feuer eingeäschert wurden? ›Nadab und Abiu, die Söhne Aarons‹, so heißt es da, ›nahmen ihre Opferpfannen, legten Feuer und ­Räucherwerk auf, brachten vor dem Herrn ein unerlaubtes Brandopfer dar, das nicht seinen Geboten entsprach. Und ein vom Herrn ausgehendes Feuer verschlang sie und 301 Vgl. hingegen Hollis, Edith as Contemplative, S. 284 f. 302 Barstow, Married Priests, S. 85–97. 303 Außerhalb des in den überlieferten Versionen greifbaren Erzählhorizonts steht die Frage, ob der Priester noch aktuell gegen das Zölibat verstößt, oder vielmehr entsprechend den Durchführungsbestimmungen der zeitgenössischen Synodalstatuten getrennt von Frau bzw. Konkubine lebt. Im letzteren Fall wären seine liturgischen Handlungen zweifelsfrei als gültig und ein Boykott tatsächlich als sündig gesehen worden; vgl. etwa Denzler, Amtszölibat, Bd. 1, S. 62–64 über die Duldung der bereits geschlossenen Priesterehen unter der Bedingung der Trennung von Tisch und Bett durch Alexander II. 304 Allerdings markiert auch die Fassung II den Reigen auf dem Kirchhof als Verstoß gegen die Verpflichtung zur Gottesdienstteilnahme, wohl um das Herausfallen aus der Heilsgemeinschaft zu profilieren, vgl. Wilmart (Hg.), La légende, S. 287: »[…] non tocius fidelis populi ad ecclesiam concurrentis reuerentia […] inpudentiam nostram a tanta temperauit audacia.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sie starben im Angesicht des Herrn.‹ Denn was bedeutet, dass Priester dem Herrn ein unerlaubtes Feuer darbringen, wenn nicht dies, dass sie sich von brennender Leidenschaft entflammt den heiligsten Altären nähern?«305

Auch hier setzt Petrus den nicht-zölibatären Priester selbst mit den frevelhaften Söhnen gleich, während dieser in der Kölbigker Legende mit deren Vater A ­ aron in Beziehung gesetzt wird. Diese Sinnverschiebung war möglich, weil einerseits auch Aaron ja mit dem Tanz um das Goldene Kalb gesündigt hatte, andererseits die tanzenden Kölbigker mit ihrem Reigen ebenso ein »unerlaubtes Opfer« brachten. Nur der kultisch reine Priester darf das Opfer ausführen, wie Moses infolge des tödlichen Vergehens der Söhne dem Vater erklärt.306 Diese alt­ testamentlichen Opfervorschriften dienten nun Petrus Damiani als Typus für die kirchliche Heilsvermittlung durch den Klerus.307 Auffällig bleibt, dass er das ausgesprochen blutige Stieropfer des Hohenpriesters und seiner Söhne typo­ logisch mit der Eucharistie verbindet, ähnelten diese mosaischen Opfer doch in vielerlei Hinsicht ebenjenen Taurobolien, mit denen die spätantiken Erlösungsmysterien mit dem frühen Christentum konkurriert hatten.308 Als Inbegriff der Rebellion gegen die göttliche Ordnung kann der Kölbigker Reigen auch noch mit einer weiteren Episode aus der Wanderungsgeschichte des Volkes Israel gleichgesetzt werden: In der Wüste stellen sich 250 Männer unter Führung von Korach, Dathan und Abiram gegen Moses und Aaron: »Ihr nehmt euch zu viel heraus. Alle sind heilig, die ganze Gemeinde, und der Herr ist mitten unter ihnen. Warum erhebt ihr euch über die Gemeinde des Herrn?«309

Die murrenden Israeliten nehmen also das antiklerikale Kernargument aller mittelalterlichen Häresien vorweg. Zur Strafe lässt Gott die Erde sich unter ihnen öffnen und sie verschlucken. Petrus Damiani stellte diese Episode in Contra 305 Petrus Damiani, Contra intemperantes clericos, PL 145, S. 405: »Cur non ad memoriam revocatur, quoniam filii Aaron, Nadab videlicet et Abiu, dum divino altari alienos ­ignes inferunt, incendio coelitus misso protinus exuruntur? ›Arreptis, inquit, Nadab et Abiu filii ­Aaron thuribulis suis, posuerunt ignem et incensum desuper, offerentes coram Domino ignem alienum, quod eis praeceptum non erat: egressusque ignis a Domino, devoravit eos, et mortui sunt coram Domino.‹ Quid est enim alienum ignem Domino sacerdotes offerre, nisi ardore libidinis inflammato sacrosanctis altaribus propinquare.« Vgl. Lev 10,1–3. 306 Lev 10,6–20. 307 Vgl. Petrus Damiani, Contra intemperantes clericos, PL 145, S. 414: »Nempe quanto major est presbyter monacho in dignitatis ecclesiasticae privilegio, tanto deterior est in peccato. Nam cum monachis de populo nil pertineat, sacerdotibus jussum est populi peccata portare. Sicut Moyses ad Aaron dicit: ›Cur non comedistis hostiam in loco sancto, qui sanctorum est, et data est vobis, ut portetis iniquitatem multitudinis, et rogetis pro ea in conspectu Domini?‹ Sane quomodo nunc aliena possunt peccata portare, quoniam oculi semper intendunt ad uteros tumentes et pueros vagientes?« 308 Lev 9; vgl. oben, Kap. IV.2.2. 309 Num 16,3, vgl. ebd., 16,1–35. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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intemperantes clericos mit dem Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl bei Matthäus zusammen: »Wenn jener, der nicht mit Hochzeitskleidern geschmückt ist, gebunden an Händen und Füßen in das Dunkel der Rache gestoßen wird;310 was steht jenem zu hoffen, der in die himmlischen Speisezimmer eingelassen, nicht allein des sichtbaren Schmucks der geistlichen Bekleidung entbehrt, sondern vielmehr übervoll ist des Schmutzes unreiner Zügellosigkeit? Wenn jener mit dem Knirschen seiner Zähne und dem Weinen seiner Augen geschlagen wird, der sich dem Anblick der Gäste nicht in Fest­k leidung zeigen wollte, welches Urteil [soll] jenem [zuteil werden], der kotbeschmiert und angstfahl darüber, wie sehr er selbst die Zierde des Hochzeitsmahls verunreinigt, die Unbescholtenen unter den zu Tisch Liegenden beleidigt, und den König selbst mit ungepflegten Händen zu ergreifen wagt? Dathan und Abiron, als sie gegen Moses und Aaron stritten, verschluckte die sich öffnende Erde.«311

Wer unwürdig zum Mahl mit dem Herrn erscheint, so die Schlussfolgerung, der rebelliert gegen ihn wie die Israeliten gegen Gottes Priester. Er riskiert damit, mitsamt den ihm Anvertrauten von der Erde verschluckt zu werden. Seine Reue zeigt sich in »Heulen und Zähneknirschen«, in den archetypischen körperlichen Expressionen der Gottesferne also.312 Dabei wird die Eucharistie mit der Hochzeit des »Herrn« metaphorisiert – womit der Konnotationsapparat von Heiliger Hochzeit und Gottesbrautschaft aufgerufen ist, der auch der K ­ ölbigker Geschichte unterliegt.313 Ebenso droht es ja den Tanzenden in der Kölbigker Wundergeschichte zu ergehen, die schließlich schon bis zur Hüfte im Boden versunken sind.314 Gottes Gnade hält sie auf der Schwelle des Unheils, lässt sie nicht wirklich versinken, wohl aber die Gefahr spüren. 310 Vgl. Mt 22,11–14: »Als sie sich gesetzt hatten, und der König eintrat, um sich die Gäste anzusehen, bemerkte er unter ihnen einen Mann, der kein Hochzeitsgewand anhatte. Er sagte zu ihm: Mein Freund, wie konntest du hier ohne Hochzeitsgewand erscheinen? Darauf wußte der Mann nichts zu sagen. Da befahl der König seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße, und werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen. Denn viele sind gerufen, aber nur wenige auserwählt.« 311 Petrus Damiani, Contra intemperantes clericos, I.4, PL 145, S. 394: »Si is, qui nuptia­ libus non ornabatur induviis, manuum pedumque loris addictus in tenebras projicitur ­ultionis; quid illi sperandum est, qui coelestibus tricliniis intromissus, non modo non est spiritalis indumenti decore conspicuus, sed ultro etiam fetet sordentis luxuriae squalore perfusus? Si ille stridore dentium, et fletu plectitur oculorum, qui cultu vestium, convivantium non oblectat aspectus. Quod illi judicium, qui faeculentus ac luridus, quantum ad seipsum nuptialis edulii munditiam polluit, discumbentium candidatos offendit, ipsumque Regem sordidis manibus attrectare praesumit? Dathan et Abiron jurgantes contra Moysen et Aaron dehiscens terra deglutiit.« 312 Vgl. oben, Kap. V.2.2. 313 Vgl. oben, Kap. V.1.2. 314 Fassung I, Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 38: »Ergo VI mensis evolutis usque ad genua terre immersi sumus, post annum redeunte eadem sanctissima nativitate Domini usque ad latera dimersi in circuitu choros duximus«; vgl. Fassung III, ebd., S. 47: »[…] donec ad um© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Priester, die sich ihren irdischen Leidenschaften hingeben, setzt Petrus Damiani mit einer beinahe unerschöpflichen Reihe von Giften, Ansteckungsherden, Verlockungen und Untugenden gleich. Sie sind wie Nymphen, Sirenen, Lamien, Harpyien, wie Diana oder Charybdis, sie sind »Gefäße des Zorns und der Wut Gottes«. Sie sind wie die Moabiter und Midianiter, mit denen sich die Israeliten auf ihrer Wanderschaft sexuell und auch religiös-kultisch vermischten und sich so von Gott entfernten.315 Der nikolaitische Priester also kann seine Gemeinde nicht vom Rückfall in das Heidentum abhalten, denn er ist selbst der Versucher, der die Gläubigen von Gott entfremdet, da er nicht den rechten Glauben vermitteln kann. Selbst wenn er will, kann »Ruthpert/Rodbert« die Tänzer nicht von ihrem Reigen abhalten, denn, wie Petrus Damiani schon im Liber Gomorrhianus argumentiert hatte: »Und wer selbst durch die Fessel einer ungerechtfertigten Verbindung gebunden ist, nach welchem Gesetz, mit welchem Recht soll er einen anderen lösen oder binden können? Denn vergeblich wird jener einen anderen zu lösen versuchen, der selbst mit Fesseln gebunden ist.«316

Darum also kann der Priester in der Kölbigker Legende anders als noch Eligius in der Vita des Audoinus den Fluch nicht mehr selbst beenden.317 Aussprechen also kann er ihn, lösen jedoch muss Gott selbst (II und III) bzw. ein legitimer Inhaber der kirchlichen Heilsvermittlung (Fassung I). Binden kann der nikolaitische Priester die ungehorsamen Laien, weil die Kölbigker Geschichte auch insofern der Argumentationslinie des Petrus Damiani entspricht, nicht etwa der des Humbert von Silva Candida (1006/10–1061): Hatte dieser die Möglichkeit einer Vermittlung des Heiligen Geistes durch unwürdige Priester grundsätzlich abgelehnt, so sah Petrus Damiani diese zwar als Sünder, die aber dennoch gültige Sakramente spenden könnten, da nicht der fehlbare Mensch, sondern Gott selbst in der Weihehandlung wirke (ex opere operato). Er hatte dies schon in seinem Liber Gratissimus (1051) zu beweisen versucht, der ein ganzes Kapitel enthält »Dass auch durch unwürdige Priester oft Wunder gewirkt werden«.318 bilicum terram inambulaverunt.« Zur Rezeption dieser Bibelstelle im Mittelalter vgl. allg. Gurjewitsch, Volkskultur, S. 314 mit Anm. 524. 315 Petrus Damiani, Contra intemperantes clericos, II.7, PL 145, S. 410; vgl. Num, 25,1–18. 316 Reindel (Hg.), Petrus Damiani, Liber Gomorrhianus, S. 297: »Et qui sociali vinculo peractae iniquitatis astringitur, qua lege, quo iure alterum poterit ligare vel solvere? Frustra enim quis alium solvere nititur, qui et ipse vinculis irretitur.« 317 Vgl. Fassung II: Wilmart (Hg.), La légende, S. 288: »[…] sed non ita resolubilem iniecerat nobis manicam, […].« 318 Dümmler (Hg.), Petrus Damiani, Liber Gratissimus, MGH libelli de lite, Bd.  1, Kap. XVIII, S. 41–45: »Quod per indignos etiam sacerdotes exhibentur sepe miracula.« Humbert von Silva Candida hingegen lehnte die Möglichkeit gültiger sakramentaler Handlungen durch unwürdige Priester ab, vgl. nur Kandler, Abendmahlslehre, S. 49 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Das von Petrus entwickelte und bald darauf kanonisch gewordene Grundprinzip der Sakramententheologie konnte zu diesem frühen Zeitpunkt der theologischen Diskussion also auch am Beispiel eines im strengeren Sinn nicht sakramentalen Aktes durchgespielt werden, ja: am Beispiel eines Fluches, der explizit als moralisch problematisch, da von menschlichen Leidenschaften motiviert, gekennzeichnet ist. Denn der Kölbigker Priester handelt zumindest in III von ganz irdischem, in II von »heiligem Zorn« bewegt.319 Folglich bereut Rodbert/ Ruthpert seinen Fluch ja auch sogleich, als er seine Tochter nicht aus dem Reigen lösen kann.320 Wie er seiner sexuellen Leidenschaften nicht Herr werden kann, so auch nicht seiner allgemeinen emotionalen Unausgeglichenheit, oder besser: Weil er durch den geschlechtlichen Verkehr der intemperantia die Tür geöffnet hat, kann er nun seine Leidenschaften nicht mehr steuern, wie Petrus Damiani am Beispiel der Richter des Alten Testaments ausführt: »Hier ist festzuhalten, wie löblich und bewundernswert die Unterscheidungskraft dieser Männer war. Denn wann immer sie in Zorn geraten konnten, wollte diese nicht bestrafen. Wo aber schon der Gegenstand für jeden Zorn oder Wut fehlte, vollzog sie die Zucht der Vergeltung, damit das Recht nicht gänzlich dahingehe. Wenn nämlich der Rächer nichts für sich hat, dann wird dem Urteil zu Recht die Rache ent­zogen. Daher ergötzte sich David nicht an der Vergeltung, weil er nicht durch Unrecht gequält wurde: Ihn machte Zorn nicht unangemessen feurig, noch gab Frömmigkeit unangebrachte Milde.«321

Ein würdiger Kleriker also hätte den Fluch entweder nicht ausgesprochen, oder zumindest nur die Anstifter bestraft, wie schon Augustinus in der Geschichte der Witwe von Caesarea nahegelegt hatte. Nichtsdestoweniger ist der im Zorn ausgesprochene Fluch wirksam, und nur Gottes Gnade kann die Verfluchten retten.

319 Fassung I, Metzner, Zur frühesten Geschichte, S.  38: »Commotus hac importunitate nos adiit, […]«; Fassung II, Wilmart (Hg.), La légende, S. 288: »[…] sacerdos diuino zelo Dei ­ultionem per sanctum Magnum martirem imprecatus est nobis […]«; Fassung III: Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 47: »Tunc presbiter commotus in iram dixit: […].« Vgl. dazu Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 83, der hier eine Entwicklung hin zu einer Idealisierung des Priesters entsprechend den Vorstellungen der Kirchenreform sehen wollte. 320 Fassung II, Wilmart (Hg.), La légende, S.  288: »Tum ille luctuosus et sero penitens sentencie sue solum brachium sepelit superstitis nate.« 321 Petrus Damiani, Contra intemperantes clericos, III.4, PL 145, S.  422 f.: »Ubi notandum, quam laudabilis hujus viri fuerit, et admiranda discretio; quia quandiu potuit irasci, noluit vindicare, deficiente vero jam omni furoris et irae materia, ne praeteriret omnino ­justitiam, ultionis exeruit disciplinam. Cum enim ultor non habet aliquid de suo, tunc recto depromitur vindicta judicio. Unde David non pascebatur vindicta, quia nec cruciabatur injuria: non eum zelus fecit immoderatus accensum, nec pietas reddidit inordinata remissum.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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VI.4.4 Von der Rute des Vaters geschlagen: Das fragmentierte Priesterkind Es ist bezeichnend, dass die Kölbigker Legende die Frau bzw. Konkubine des Priesters verschweigt. Die Kinder passten, schon was ihre Altersklasse anging, viel besser in den Plot von den jungen Leuten und ihrem Reigen. Zumal anhand der Tochter ließ sich zudem die moralische und spirituelle Fallhöhe viel prägnanter herausarbeiten. Denn der ausgerissene Arm der Priestertochter steht nicht nur für die Unmöglichkeit, den Reigen aufzulösen (und zugleich für dessen immanente Gebrochenheit).322 Er symbolisiert auch die durch den sexuellen Verkehr kultisch verunreinigten Hände des Priesters selbst, von denen Petrus Damiani schreibt: »Oh, was für ein Verbrechen! Hände, die bestimmt waren, in der Schüssel himm­ lischer Tafeln die lebendigen Mahlzeiten der Engel anzurichten, fürchten sich nicht, die Öbszönitäten und ansteckenden Befleckungen der Frauen zu berühren. Jene, die die Sakramente der Engelschöre mit diesen Grausamkeiten vermischen, sinken bald, als ob sie vom Himmel stürzten, zurück in die Umarmungen der weiblichen Ver­ strickung, und wie Schweine tauchen sie in die Suhle des schmutzigen Mahls, des Gewürms der Völlerei. ›Deren Feuer nämlich wird nicht verlöschen und die Würmer in ihnen werden nicht sterben.‹«323

Auch hier büßt »Mersind/Ava« also letztlich für die Sündigkeit ihres Vaters, oder besser: Ihre Fragmentierung wird diesem zum Zeichen seiner Unwürdigkeit. Aus der Gemeinschaft mit den Engeln ist er in die sündige Umarmung der Frauen zurückgefallen. Dem himmlischen Reigen wird die weltliche Verbindung mit dem weibliche Geschlecht gegenübergestellt. Wie die Harmonie der Engel ewig ist, so ist der Körper der Frauen »ansteckend« – eine Analogie­ bildung, die für das Verständnis von weltlichem Tanz als »epidemisch« schulbildend werden sollte. Wie die im »Gewürm der Völlerei« versunkene Hand des Priesters wird der Arm seiner Tochter zum Wurm bzw. zum Aal, der (in der Fassung III) sich am 322 Vgl. oben, Kap. VI.3.3. 323 Petrus Damiani, Contra intemperantes clericos, I.4, PL 145, S. 393: »Ah scelus! Manus, quae deputatae fuerant ad ordinandas in coelestis mensae ferculo vitales epulas angelorum, tractare non metuunt obscoenitates et spurca contagia mulierum. Ii, qui inter illa terribilia sacramenta choris admiscentur angelicis, mox tanquam de coelo ruentes, ad femineae foeditatis relabuntur amplexus, et velut sues immundae coenosis vermigenae luxuriae volutabris immerguntur. ›Quorum scilicet ignis non exstinguetur, et vermis non morietur‹.« Vgl. Jes 66,24: »Dann wird man hinausgehen, um die Leichen derer zu sehen, die sich gegen mich aufgelehnt haben. Denn der Wurm in ihnen wird nicht sterben, und das Feuer in ihnen wird niemals erlöschen; ein Ekel sind sie für alle Welt.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Boden windet.324 Und weil sie letztlich nur als Exempel für ihren Vater dient, lässt Gott sie selbst auch dabei nicht leiden, ja: nicht einmal bluten. Warum aber kann der Arm seiner Tochter stellvertretend für die unwürdige Hand des Priesters zum Aal werden? Warum fokussiert der Mirakelbericht den Konflikt um den nicht-zölibatären Priester auf dessen Kinder? Weil nach der Logik Petrus Damianis Vater und Tochter »ein Fleisch« sind,325 und folgerichtig die Verdoppelung der sozialen Verwandtschaft durch die spirituelle Verbindung zwischen Priester und Gemeindemitglied  – genauer: zwischen dem Priester und einer von ihm oder unter seiner Patenschaft getauften Gläubigen – den Tatbestand des Inzests erfüllt. Den reziproken Fall der Verdoppelung der spirituellen Verwandtschaft von Priester und Täufling durch eine sexuelle Verbindung beklagt Petrus Damiani bereits im Liber Gomorrhianus: »Aber, oh unerhörtes Verbrechen, oh mit einem regelrechten Tränenbrunnen beklagenswerter Frevel! […] Wenn einer eine Frau schändet, die er aus der heiligen Taufe gehoben hat, warum wird nicht entschieden, ihn ohne jedes Hindernis des Zögerns von der Gemeinschaft auszuschließen und ihm befohlen, durch öffentliche Buße die Strafe der heiligen Canones zu durchlaufen? Denn geschrieben steht, dass die geist­ liche Abstammung der fleischlichen überlegen ist. Aber wer es unternimmt, aus dem weltlichen Stand in den der Kleriker zu kommen, hat selten anders geistliche Kinder in Gott gezeugt, als jene, die er getauft hat oder die er aus der Taufe zu heben unternommen hat.«326

Der Priester steht also in einem Verhältnis der spirituellen Verwandtschaft mit seinen Täuflingen, den Gläubigen seiner Gemeinde, und letztlich mit allen Christen. Mit einer von ihnen sexuell zu verkehren, ist also zwangsläufig Inzest. Dieses Verdikt gilt auch für mögliche Kinder aus dieser Verbindung, für Töchter wie für Söhne: »Es folgt also, dass dieses Urteil gleichermaßen jenen treffen soll, der seine fleisch­ liche Tochter verdirbt, wie jenen, der seine spirituelle Tochter durch die sakrilegische Vermischung ins Unglück stürzt, und auch jenen Kleriker, der durch von ihm begangene nichtsnutzige Zügellosigkeit sich beschmutzt. Dies geschieht, wenn in die 324 Fassung III, Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 47: »[…] sed illud nihilominus velut vermis de terra exiliens iterum in medium chorum pervenit […]«; ebd.: »[…] ibique in modum anguille volutari cepit.« 325 Vgl. Gen 2,24: »Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an eine Frau, und sie werden ein Fleisch.« 326 Reindel (Hg.), Petrus Damiani, Liber Gomorrhianus, S. 294 f.: »Sed o scelus inauditum, o facinus toto lacrimarum fonte lugendum! […] Si mulierem quis violat, quam de sacro fonte levavit, nunquid non absque ullo cunctationis obstaculo communione privandus esse decernitur et sacrorum censura canonum per publicam penitentiam transire iubetur? Scriptum namque est, quia maior est generatio spiritalis quam carnalis. Sed qui de saeculo venientem in clericalem suscipit ordinem, pene non aliter, quam qui baptizaverit vel qui de baptismate levatum susceperit, spiritalem Deo filium generavit.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ser Hinsicht nicht streng die Art der beiden Verbrechen unterschieden wird, so dass jener, weil er mit einer Frau sündigte, dennoch gleichermaßen der Natur nach inzestuös in der sittlichen Verkommenheit des Klerus ein Sakrilegium an seinem Sohn, nämlich das Verbrechen des Inzests, begangen und zugleich das natürliche Gesetz des Mannes aufgelöst hat. Und, wie mir scheint, ist es eher zu ertragen, wenn einer mit einem Schaf als wenn er mit einem Mann in die Sünde der Zügellosigkeit fällt. Um wie viel leichter nämlich wäre einer zu beurteilen, der allein ins Verderben ginge, als wenn er mit sich auch andere in den Untergang zieht. Beklagenswert freilich ist es, wenn dergestalt der Sturz des einen aus dem des anderen sich ergibt, und während einer ausgelöscht wird, der andere notwendigerweise im Tod folgen wird.«327

Ganz ähnlich fasst Petrus diesen Zusammenhang zehn Jahre später in De caelibatu sacerdotum auf: »Offensichtlich wird ein Vater, der seine Tochter inzestuös verdirbt, sogleich als Auswurf der Kirche ausgeschlossen, der Gemeinschaft beraubt und entweder in den Kerker getrieben oder ins Exil geschickt. Um wie viel mehr also bist du selbst zu verwerfen, wenn du mit deiner Tochter nicht nur fleischlich, was das Geringere ist, sondern vielmehr geistig zu verkehren dich nicht unterstehst? Denn alle Kinder deiner Kirche sind ohne Zweifel deine Kinder. Und sicher und offensichtlich ist, dass spirituelle Abstammung bedeutender ist als fleischliche. Ferner: Wenn Du der Mann und Bräutigam deiner Kirche wärest, was jedenfalls sowohl der Verlobungsring als auch die Rute der Verbindung behaupten, werden [!] alle, die in dieser [Kirche] durch das Sakrament der Taufe wiedergeboren werden, notwendigerweise auch nichtsdesto­weniger mit dir als Kinder verbunden sein. Wenn du also mit deiner geistlichen Tochter Inzest begangen hast, wie wagst du es, guten Gewissens das Mysterium des Körpers des Herrn zu wirken?«328 327 Ebd., S.  296 f.: »Sequitur ergo, ut eadem sententia digne feriatur et qui carnalem ­filiam perdidit et qui spiritalem sacrilega commixtione corrumpit et is quoque, qui a se factum ­clericum nefanda luxuria polluit, nisi forte in hoc utriusque criminis qualitas discernatur, quod uterque iste incestuose naturaliter tamen, quia cum muliere peccavit, ille in clericum ­turpitudinem operans sacrilegium commisit in filium, incestus crimen incurrit, in masculum naturae iura dissolvit. Et, ut michi videtur, tolerabilius est cum pecude quam cum viro in ­luxuriae flagitium labi. Quanto videlicet levius iudicatur quemlibet solum perire, quam secum quoque alium ad interitus perniciem trahere. Miserabilis quippe conditio est, ubi sic unius ruina pendet ex altero, ut dum unus extinguitur, alter in mortem necessario subsequatur.« Vgl. ähnlich ebd., S. 299, wo Petrus den Inzestvorwurf auch auf das Bußsakrament ausdehnt. 328 Petrus Damiani, De caelibatu sacerdotum, Kap.  2, PL 145, S.  384 f.: »Plane si pater ­filiam suam incestuose corrumpit, mox ab Ecclesia projectus excluditur, communione privatur, et vel in carcerem truditur, vel in exsilium destinatur. Quanto ergo deterius ipse abjiciendus es, qui cum filia tua non quidem carnali, quod minus est, sed cum spirituali potius perire non ­metuis? Omnes quippe Ecclesiae tuae filii, tui procul dubio filii sunt. Et certe perspicuum est quia spiritualis generatio major est quam carnalis. Porro cum tu sis vir et sponsus Ecclesiae tuae, quod utique perhibent et annulus desponsationis, et virga commissionis; omnes qui in ea regenerati sunt per baptismatis sacramentum, tibi quoque nihilominus astringuntur necessitudine filiorum. Qui ergo cum spirituali filia tua commitis incestum, qua conscientia Dominici corporis audes tractare mysterium?« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Der nicht-zölibatäre Priester befindet sich also im Verhältnis des Inzests nicht nur zu seiner Frau, sondern auch zu seinen natürlichen Kindern, ja: Mit seinem Sohn macht er sich zudem der »Sodomie« schuldig – für Petrus Damianus die mit Abstand schlimmste Sünde.329 Er entfernt sich damit nicht nur selbst von Gott, sondern reißt auch Frau und Kinder mit in den Abgrund. Mit dem Vater sterben auch Sohn und Tochter als Opfer seiner Zügellosigkeit. Der irritierende Umstand, dass in der Kölbigker Geschichte am Ende nicht nur ausgerechnet die Tochter des Priesters sterben muss, sondern zumindest in der Fassung II (Goscelin) bald darauf auch der Pfarrer selbst, wird so mit Blick auf zeitgenössische Diskussionen über die Priesterehe verständlich.330 Die Tochter ist im mehrfachen Sinn »von der Rute des Vaters« geschlagen (Fassung II), zunächst nämlich durch ihre inzestuöse Zeugung, sodann durch ihre inzestuöse Taufe, schließlich durch den Fluch. In der Echternacher Fassung (III) liegt demgegenüber der homiletische Schwerpunkt auf der Warnung vor Ungehorsam gegenüber dem Klerus, folgerichtig stirbt hier nur die Tochter.331 Großen Wert hingegen legt die Fassung III auf die Unmöglichkeit, den abgerissenen Arm der Tochter zu bestatten oder auch nur zur Ruhe zu bringen. Die fragmentierte Mersuit wird so zur Kontrafaktur der ecclesia selbst: Wie diese als Körper Christi durch die Taufe zu einem Ganzen vereint wurde,332 so zeigt sich im in III deutlich negativ gezeichneten Schicksal der Priestertochter die Desintegration durch das Böse. Der Versuch, sie aus dem verderblichen Reigen herauszuziehen und »in die Kirche zurückzuführen«,333 scheitert: Die Gemeinschaft der Gläubigen mit 329 Vgl. nur Reindel (Hg.), Petrus Damiani, Liber Gomorrhianus, S. 308 ff., bes. 310: »Hoc vitium  a choro ecclesiastici conventus eliminat et cum energuminis ac demonio laborantibus orare compellit, a Deo animam separat, ut demonibus iungat.« Zur Thematisierung der Homo­sexualität im Liber Gomorrhianus vgl. Leyser, Cities of the Plain; Puff, Sünde. 330 Vgl. deutlich die appellative Ansprache des »Theodericus« an Ava in II, Wilmart (Hg.), La légende, S. 290 f.: »Tercio demum die, ubi per resurgentem a mortuis surreximus et erecti sumus, tu comes longe inquietudinis, tu causa et exemplum tante animaduersionis, que dextram amiseras, datam sociis preuaricacionis, iam tuos labores finieras et, somno per­petue pacis, ut credimus, dedita, quiescebas; Aua puella, paterna uirga nobiscum percussa, novis surgentibus, iacebas mortua, stupor et tremor omnibus hec uidentibus facta. Beata, cuius periit unum membrum, ne perires tota; que, diuinis flagellis a corruptione seruata, et moriendo a morte es liberata. Ipse quoque presbiter Rodbertus proxima morte filiam est sequutus.« 331 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S.  47: »Quo loco filia presbiteri et unus ex eis ­obierunt.« Vgl. ebd., S. 47 f.: »Ex quo tempore per totum orbem dispersi sunt, ut in eis exemplum ostendat Deus omnibus, quante ultionis sit opus Dei neglegere et sacerdotibus eius non obedire.« Ähnlich in I: Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 38, wo freilich der männliche Verstorbene den Namen des nicht am Reigen beteiligten Priestersohnes trägt: »Unus ergo ex nobis, Johannes nomine, cum supradicta presbiteri filia et cum duabus aliis feminis ante ipsum altare prostrati terre statim spiritum emiserunt.« 332 Hayes, Body and Sacred Place, S. 13–17. 333 Fassung III: »[…] ut si fieri posset, secum traheret et ad ecclesiam reduceret.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Gott ist durch den Reigen der Ungehorsamen zerstört wie der Körper der Priestertochter. In der Fassung II (Goscelin) hingegen wird der ausgerissene Arm sogar Gegenstand eines veritablen Reliquienkultes. Wie hier auch die Teilnehmer des Reigens und ihr Tun selbst eher als von Gott begnadet gesehen werden, so kann der ausgerissene und nicht verwesende Arm zum körperlichen Zeichen von Heiligkeit und »Ava« zur Märtyrerin werden.334 Am Beispiel der Priestertochter wird in der Kölbigker Mirakelerzählung also zugeich das Schicksal des nicht-zölibatären Priesters und seiner Gemeinde durchgespielt. In der Fassung III ist diese Interpretation stark negativ kon­ notiert, weniger deutlich konturiert ist sie in I. Schon die Grundstruktur der Erzählung rekurriert jedoch erkennbar auf Stereotypen, die sich auch bei Petrus Damiani finden, die also in den Diskussionen der frühen Kirchenreformer bekannt gewesen dürften: Weil der Priester den weltlichen Leidenschaften statt der himmlischen Harmonie verbunden ist, droht seinen Gläubigen der Heilsverlust. Dies zeigt sich an ihrem superstitiösen Reigen. Denn die Anhänger der Kirchenreform sahen letztlich jeden Ungehorsam gegenüber der Kirche, zumal jeden Ungehorsam gegenüber Rom und dem Papst, als Rückfall in das Heidentum.335 Der darauf reagierende Fluch führt dann zu einer performativen Umsetzung der in der erzählten Situation latenten Heilsunsicherheit. Während die Fassungen I und III nun bei der Schilderung des auslösenden Reigens recht allgemein bleiben, führt Goscelin hier einen elaborierten neuen Erzählstrang ein: Der Tanz auf dem Kirchhof zu Weihnachten wird bei ihm zum Brautwerbetanz mit einem Entführungsmotiv. Wie der unwürdige Kleriker bei Petrus Damiani die Hochzeit seines Herrn stört (Mt 22,11–14), so die jungen Leute mit ihrem superstitiösen Hochzeitsreigen (Fassung II) die Brautschaft der ecclesia mit Gott. Der nicht-zölibatäre Priester ist in II daher nicht mit irgendeiner Form von Unglauben konfrontiert, sondern ausgerechnet mit einem sorgfältig stilisierten profanen Hochzeitsritual. Und dieser Brautwerbereigen ist deutlich als mimesis des kosmischen Reigens gezeichnet. Goscelin kontrastiert also gezielt die kosmische Bindegewalt außerkirchlicher Rechtsakte mit der sakramentalen Bindegewalt der ecclesia. Ein nicht-zölibatärer Kleriker nun konnte nicht nur wie erwähnt die Binde- und Lösegewalt nur unvoll­ständig ausüben. Er konnte auch schwerlich seinen Gemeindemitgliedern die Ausübung nicht-kanonischer Riten verbieten, war er doch selbst diesseitig »gebunden«. Er hätte die vollständige Kompetenz wie ein theurgos nur gehabt, wäre er ihrer durch eigene Bindungslosigkeit auch würdig gewesen. So aber kann er nur weitere »ataktische«, disharmonische Störungen der göttlichen Harmonie ver­ 334 Zu vergleichbaren Fällen insbesondere bei Caesarius von Heisterbach siehe Bynum, Fragmentierung und Erlösung, S. 195 f. 335 Dirschner, Humbert von Silva Candida, S. 173–177. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ursachen. Die in allen drei Versionen der Kölbigker Überlieferung virulente Metaphorik von Fesseln, Binden und Lösen spielte also auch auf die Ehe-Theologie an, die mit dem Zölibatsverständnis in einem engen Zusammenhang stand. Die Binde- und Lösegewalt der römischen Kirche336 geht hier also verloren bzw. wird in Frage gestellt, weil der Priester selbst sich ihr widersetzt: Die Folge ist der Rückfall in die Imitation des ewigen, unausweichlichen Sternenreigens. Am Beispiel der Priestertochter spielt Goscelin also Konfliktfelder der entstehenden Sakramententheologie durch: Er lässt sie – die er bezeichenderweise nicht mit dem solar konnotierten Namen »Merswind« belegt – gegen ihren Willen aus der Heilsgemeinschaft der Kirche heraus in einen Nachvollzug des bezwingenden Sternenreigens entführt werden. Er lässt ihren Vater wegen seiner eigenen weltlichen Bindungen an der Ausübung der kirchlichen Lösegewalt scheitern. Schließlich müssen Vater und Tochter als Folge ihrer die göttliche Ordnung durchbrechenden inzestuösen Verbindung sterben. Die ecclesia, und zumal die Eucharistie, stehen also als wahre Mimesis der göttlichen Harmonie gegen die nur vorgetäuschte Imitation des kosmischen Reigens in der Superstition. Ava und Ruthbert (und auch die anderen Beteiligten) geraten wegen der Zügellosigkeit des Letzeren zwischen die Fronten. Allerdings wird ihr Leiden von allen drei Überlieferungen eher als Gnade Gottes und als Reinigung inszeniert, am deutlichsten wiederum von Goscelin: Durch die schuldlose Partizipation am sündigen Tanz ihrer Entführer büßt Ava zugleich die Sünde des Inzests mit ihrem Vater und wird so durch den Tod befreit.

VI.4.5 Das auf Sand gebaute Haus über den Tänzern Die ecclesia und das Walten des Klerus in ihr sind demnach in der Kölbigker Erzählung ganz auf die Eucharistie als Nachvollzug der himmlischen Mahlgemeinschaft konzentriert. Ein positives Bild vom Reigen der Engel oder der Kirche als dessen Nachvollzug kennt dieses Mirakel nicht. Der Kreistanz ist hier vielmehr eindeutig als Negativfolie, als Bild für die Verirrung vom wahren Glauben semantisiert. Dass diese ekklesiologische Deutungsebene im Kontext der frühen Kirchenreform nicht erst der Literarisierung durch Goscelin geschuldet ist, zeigt der Umstand, dass eine zentrale Metapher der Erneuerungs­ 336 Vgl. Mt 19,6: »Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen« (­unter Rekurs auf Gen 2,24); ebd., 19,12: »Denn es ist so, manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht, und manche haben sich selber dazu gemacht, um des Himmelreiches willen« (die für die Begründung des Zölibats zentrale Perikope); ebd., 16,18: »[…] Du bis Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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bewegung in allen drei Fassungen des Mirakels auftaucht: Während der Bericht des Othbert recht neutral erwähnt, über den Tanzenden sei mehrmals vergeblich ein Schutzdach errichtet worden,337 lässt die Echternacher Version auch hier die Eltern sich um das Wohl ihrer Kinder bemühen.338 Bei Goscelin ist es der mitleidige Kaiser Heinrich II., der die Büßenden vor Wind und Wetter schützen will.339 Gott jedoch lässt auch seine Bemühungen immer wieder zuschanden werden. Warum? Die Antwort findet sich diesmal bei Humbert von Silva Candida: »[…] wo sie [die Kirche in der Hand von Simonisten, d. h. Häretikern, GR] gefangen ist, da baut der Herr sein Zelt ab, in dem er sonst bei den Menschen wohnte, und überlässt ihr Heil der Gefangenschaft und ihren Glanz der Hand des Feindes. […]«340

Gemeint ist mit dem »tabernaculum« Gottes das Offenbarungszelt, in dem Jahwe sich während des Zuges der Israeliten aufgehalten hatte und dem sich nur die Priesterkaste der Leviten hatte nähern dürfen.341 Nach dem Tanz um das Goldene Kalb hatte Gott sein Volk verlassen. Nur in dem abseits des Lagers aufgeschlagenen Zelt konnte Moses ihn noch treffen.342 Direkte Vorlage Humberts und wohl auch des Verfassers der Kölbigker Legende ist sicherlich das Psalmwort, das Gottes Reaktion auf den Glaubensabfall der Israeliten präzise zu­ sammenfasst: »Als Gott es sah, war er voll Grimm und sagte sich los von Israel. Er verwarf seine Wohnung in Schilo, das Zelt, wo er unter den Menschen wohnte. Er gab seine Macht in Gefangenschaft, seine heilige Lade fiel in die Hand des Feindes.«343

337 Fassung I, Metzner, Zur frühesten Geschichte, S.  38: »Frequenter super nos fabrica tecti ob arcendas pluvias erigebatur, sed hoc nutu Dei dissipabatur.« 338 Fassung III, ebd., S. 47: »At parentes eorum dum sepe fabricam super eos construerent, quod vespere edificaverunt, mane non invenerunt.« 339 Fassung II, Wilmart (Hg.), La légende, S. 290: »Tum humana benignitate iussit super nos tecta a celi turbine defensoria fabricari; sed frustra laborauerunt artificies lignarii, quia quicquid in die edificabatur in nocte penitus euertebatur. Hoc semel, hoc bis, hoc etiam tercio ceptum et cassatum est.« 340 Thaner (Hg.), Humbert von Silva Candida, Adversus simoniacos, MGH Libelli de lite, Bd. 1, Buch III, Kap. 18, S. 221: »[…] qua captivata repellit Dominus tabernaculum suum, ubi habitavit in hominibus, traditque in captivitatem virtutem eorum et pulchritudinem eorum in manus inimici […].« Vgl. dazu Kandler, Abendmahlslehre, S. 43 f. Auf eine ähnliche Bild­ sprache greift die Regula Benedicti zurück, wenn sie das Reich Gottes als »tabernaculum« und die Mönche als seine Bewohner bezeichnet, vgl. Neufville (Hg.), La règle de Saint Benoît, Prolog 22, Bd. 1, S. 418; Prolog 39 f., Bd. 1, S. 422; dazu Harris, Peter Damien, S. 144. 341 Ex 26; Num 8,5–26; vgl. Pola, (Art.) Stiftshütte; ebenso übersetzt die Vulgata die Wohnstatt Gottes in der Joh-Apk. 21,1–8, mit »tabernaculum«, vgl. Claussen, (Art.) Taber­ nakel. 342 Ex 33. 343 Ps 78,59 ff. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Eine ähnliche Metapher verwendet Petrus Damiani, auf das den Vorherrschaftsanspruch der römischen Kirche und die Sakramentenlehre begründende Christuswort an Simon Petrus abhebend (Mt 16,18): »Sandig ist nämlich der Uferstreifen, und weich der Boden, welcher beim Bau eines Hauses das Fundament nicht halten kann. Daher wurde die Kirche nicht auf Sand, sondern auf ewig undurchdringlichen Felsen gegründet: ›Auf diesen Felsen, spricht der Herr, will ich meine Kirche bauen.‹ Sein Fundament im Fels der Kirche bilden alle Standhaften, die beständig bei den guten Werken bleiben. Von diesen spricht der Herr im Evangelium: ›Jeder Mensch, der meine Worte hört und danach handelt, gleicht einem weisen Mann, der sein Haus auf festen Grund baute. Es fiel der Regen, es kamen Fluten, es blies der Wind, und stürzten über sein Haus herein, aber es fiel nicht, denn es war auf festen Grund gebaut.‹344 Die aber unsicher sind und wie Staub, und wie Schilfrohr getrieben vom Hauch der fleischlichen Verlockungen, sind zweifellos zu vergleichen mit einem sandigen, unfruchtbaren Uferstreifen. Von jenen wird beim Psalmisten gesagt: ›Nicht so die Frevler, sie sind Spreu, die der Wind vom Angesicht der Erde verweht.‹ Und der Herr sagt: ›Wer aber meine Worte hört und nicht danach handelt, ist wie ein unvernünftiger Mensch, der sein Haus auf Sand baute. Und es kamen Regengüsse, und es kamen Fluten und ein Sturm wehte, und sie stürzten auf jenes Haus ein, da brach es zusammen und wurde völlig zerstört.‹«345

Das Dach, das die Tänzer des Kölbigker Mirakels schützen soll, ist also auf Sand gebaut. Unter ihm ist Gott nicht zuhause. Auf ihrer »expedicio« ist Gott nicht in seinem Zelt zu finden – wohl aber weiter bei ihnen, wie seine Gnadengaben beweisen. Der kosmische Reigen der jungen Leute wird so wiederum in eine 344 Mt 7,24–27: »Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Wolkenbruch kam und die Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es nicht ein; denn es war auf Fels gebaut. Wer aber meine Worte hört und nicht danach handelt, ist wie ein unvernünftiger Mensch, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Wolkenbruch kam und die Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es ein und wurde völlig zerstört.« 345 Petrus Damiani, Contra intemperantes clericos, I.6, PL 145, S. 396 f.: »Sabulum quippe arenosa est, et fragilis terra, quae surgentis aedificii continere nequeat fundamentum. Unde non in arena, sed in petra perpetuo non lasura fundatur Ecclesia: ›Super hanc, inquit Dominus, petram aedificabo Ecclesiam meam.‹ Fundamentum ergo suum in petra Ecclesiae collocant quique fixi, ac stabiles in bonis operibus perseverant. De quibus in Evangelio Dominus ait: ›Omnis homo, qui audit verba mea haec, et facit ea, assimilabitur viro sapienti, qui ­aedificavit domum suam supra petram. Descendit pluvia, et venerunt flumina, et flaverunt venti, et ­irruerunt in domum illam, et non cecidit: fundata enim erat supra petram.‹ Qui vero fragiles sunt atque pulverei, et velut arundo impellentibus carnalis illecebrae flatibus agitati, arenosi procul dubio sabuli sunt subsicivio comparandi. De quibus per Psalmistam dicitur: ›Non sic impii, non sic, sed tanquam pulvis, quem projicit ventus a facie terrae.‹ Et Dominus: ›Omnis, inquit, qui audit verba mea haec, et non facit ea, similis erit viro stulto, qui aedificavit domum suam supra arenam: et descendit pluvia, et venerunt flumina, et flaverunt venti, et irruerunt in domum illam, et cecidit, et fuit ruina ejus magna.‹« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Opposition gestellt zu dem auf Felsen errichteten Bau der Kirche. Im Bild des immer wieder einstürzenden Schutzdaches überschneiden sich also verschiedene Aspekte des unfreiwilligen Reigens: die Gottessuche, die durch göttliche Gnade bewirkte Körperlosigkeit, der Tanz in den unfesten Boden, die auf Fels gebaute römische Kirche. Im Tabernakel als der Wohnstatt Gottes in der diesseitigen Welt wurde zudem nicht nur ganz konkret das Altarsakrament, der »Leib Christi« aufbewahrt. Mit dem Johannes-Evangelium wurde die Inkarnation sogar direkt auf den alttestamentlichen Typus des Offenbarungszelts bezogen.346 Das Dach über den Kölbigker Tänzern muss also nach dem Willen Gottes einstürzen, weil es die Kirche, die Inkarnation, ja: überhaupt die An­ wesenheit Gottes in der Welt dementiert. Die Verfasser der Wundergeschichte explizieren hier eine wichtige seman­ tische Verschiebung in der Metaphorik der theologischen Diskussionen über den Charakter der Kirche: Hatten die spätantiken Christen ihre ecclesia vielfach als Reigen der Gläubigen um Gott verstanden, so rekurrierte die Ekklesiologie des frühen Mittelalters immer stärker auf architektonische Bilder, auf die Kirche als Haus Gottes, den Kirchenbau als Abbild des Himmels u. Ä.347 Die Kölbigker Erzählung markiert so die Scharnierstelle zwischen diesen Konzeptionen, und sie zieht dafür aus der zeitgenössischen theologischen Diskussion das eindrückliche Bild vom einstürzenden Zelt über den Köpfen der Tänzer heran. Der Mönch Goscelin schließlich baut diese Allegorie in den 1060er Jahren zu einer differenzierten Anspielung auf das Verhältnis von sacerdotium und regnum aus: Der durch Psalmenzitate hinlänglich sakralisierte Kaiser darf über das Elend der Büßenden weinen, er darf anschließend für die memoria des Wunders sorgen. Sein Versuch, in das göttliche Gnadenwirken einzugreifen und über den Tanzenden ein Dach in Konkurrenz zur Pfarrkirche zu errichten, wird jedoch zunichte gemacht. Er darf zwar die Kirche beschützen und ausstatten, nicht jedoch in die kirchliche Heilsvermittlung eingreifen.348 Während das Tanzwunder im Pilgerausweis des Othbert (Fassung I) noch eine Polemik ad personam der machtpolitischen Gegner Heriberts von Köln um Heinrich II. enthält, während es ansonsten in I und III eher allgemein Denkmuster der lothringischen Kirchenreformbewegung spiegelt, wird es bei ­Goscelin in der Lanfranc von Bec gewidmeten Fassung II zur präzise stilisierten Reflexion über die zentralen Fragen der Zeit: Wenn sakramentale Akte ex opere operato gültig sind, was heißt dies für die Handlungen nicht-zölibatärer Priester? Wenn die Laien nicht an liturgischen Akten von »Nikolaiten« teil­ 346 Joh 1,14: »Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, […].« 347 Vgl. oben, Kap. II.4.2. 348 Zur Diskussion um das Verhältnis von weltlicher Herrschaft und Kirche bei Petrus und Humbert vgl. nur Dirschner, Humbert von Silva Candida, S. 198–209; Laudage, Priesterbild und Reformpapsttum, S. 175–181. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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nehmen dürfen, wie verhindert man ihr völliges Herausfallen aus der Heils­ gemeinschaft? Welche Rolle hat der weltliche Herrscher in der Kirche? Goscelin montierte so aus der Vorstufe des Tanzmirakels und seiner Lektüre der Schriften des Petrus Damiani eine komplexe Parabel auf aktuelle kirchenpolitische Diskussionen. Der konkubinarische Priester der Kölbigker Legende und seine irre­geleiteten (Pfarr-)Kinder boten sich für eine solche Reflexion der Stellung des Kaisers zur Kirche auch aus einem weiteren Grund besonders an: Der von Humbert von Silva Candida für die Bezeichnung nicht-zölibatärer Kleriker eingeführte Begriff des »Nikolaitismus« bezeichnet in der Johannes-Offenbarung eine frühchristliche Parteiung, die für Kompromissbereitschaft gegenüber den Verpflichtungen des imperialen Herrscherkultes eingetreten war. »Nikolaiten« waren zunächst diejenigen, die der »großen Dirne Babylon« dienen wollten. Wegen dieses Glaubensabfalls (als Ehebruch mit Gott) wurde ihnen zugleich sexuelle Promiskuität unterstellt.349 Schon im Begriff des »Nikolaitismus« war somit die doppelte Problematik von Priesterkonnubium und Unterwerfung der Kirche unter den Kaiser und seine Heilige Hochzeit enthalten, wie sie in den Varianten der Kölbigker Legende nun debattiert wurde. Noch ein weiteres Motiv aller drei frühen Texte zum Kölbigker Wunder lässt sich als Rekurs auf die christologischen und ekklesiologischen Debatten des 11.  Jahrhunderts lesen: Die Datierung des Ereignisses auf die Weihnacht. Wenn der Reigen als irrgläubige und daher zum Scheitern verurteilte kosmische ­mimesis die Konkurrenz zur Eucharistie, die Opposition zur kirchlichen Lehre von der realen Menschwerdung Christi und der daraus folgenden Sakramententheologie markieren sollte, dann war die Geburt des Messias, der Tag seiner Inkarnation also, das optimale Datum, den Konflikt narrativ auszutragen. Zugleich war damit der Kontrast aufgerufen zu dem selbstverständlich positiv besetzten himmlischen Reigen der Engel, der sich bei dieser Gelegenheit den Menschen gezeigt hatte.350 Die Weihnachtsgeschichte sollte denn auch in der spätmittelalterlichen Kunst vielfach Gelegenheit bieten, den Engelsreigen ab­ zubilden. Und nicht von ungefähr sollten zur gleichen Zeit viele religiöse Tänze an das Weihnachtsfest anknüpfen.351

349 Vgl. Apk 2,6; 2,14 f.; 2,20; dazu Zimmermann, Geschlechtermetaphorik, S. 441–443. 350 Vgl. Lk 2,13 f. 351 Vgl. oben, Kap. III.3.3. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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VI.4.6 »Aua« und Eva, »Rodbertus« und Goscelin Biographischen Interpretationen literarischer Texte wohnt die Gefahr der Projektion inne – dies zumal, wenn sie von Annahmen über sublimes oder gar ausgelebtes sexuelles Begehren ausgehen. Erst recht erwartet man im Genre der hochmittelalterlichen Hagiographie alles, nur nicht individuelle Reflexionen der Verfasser über ihr emotionales oder gar erotisches Erleben. Was wir geneigt sind, psychologisch als Spiegelung innerer Nöte eines uns als Individuum ansonsten kaum greifbaren Mönchs des 11. Jahrhunderts zu lesen, könnte für dessen literarische Intentionen jedoch ganz anderen Zielen entsprochen haben: Das abstrakte theologisch-mystische Problem des Verhältnisses zwischen Mensch, Kirche und Kosmos wurde von Goscelin nämlich nicht nur in das Gegenbild des vergeblichen Tanzes auf der Schwelle umgesetzt. Er formulierte die Ambiguität der Kirche als spiritueller Mutter und Braut und das dieser Konzeption innewohnende Gefährdungspotential auch in einer ganz bemerkenswerten biographischen Anspielung aus. Sich selbst so versteckt, aber doch erkennbar in die theologisch durchgeformte Mirakelgeschichte einzuschreiben konnte als literarische Strategie durchaus aufgehen, da die Vita Edgithae mit ihrem Wunder­anhang sich zunächst an den Konvent des Klosters Wilton und an den Bischof Lanfranc richtete. Dieses Publikum der Erzählung also musste die Allu­ sion auf die eigene Person verstehen können, und mutmaßlich konnte es dies sehr wohl. In der autobiographischen Anspielung äußert sich also nicht etwa ein unterdrücktes psychisches Bedürfnis. Vielmehr setzte Goscelin bewusst die eigene Person und Menschen seines Umfelds mit der theologischen Reflexion in Beziehung. Der Hagiograph nämlich gibt der Priestertochter in seiner Fassung der Kölbigker Legende einen neuen Namen: »[…] puella uero dicebatur Aua.« Dass er den in den Fassungen I und III überlieferten Namen »Mersint« bzw. »Mersuit« kennt, zeigt der Umstand, dass er ihn (als »Mersuind«) in der Entführungs­ geschichte des Liedes und für eine der beteiligten Freundinnen der Priestertochter beibehält.352 In Wilton hatte er als geistlicher Lehrer offenbar ein enges Verhältnis zu einer jungen Oblatin namens Eva entwickelt.353 Um 1078, also etwa in der Entstehungszeit der Vita Edgithae, verließ diese, mittlerweile eine junge Frau, das Kloster, um im französischen Angers das Leben einer anachoretischen Reklusin

352 Wilmart (Hg.), La légende, S. 287 und 288. 353 Hollis, Introduction, S. 1; und Dies., Goscelin’s Writings, S. 225 f., vermutet, ­Goscelin sei von seinem Patron Herman gezielt als Lehrer der Eva, die vielleicht eine Nichte des Bischofs war, nach Wilton geholt worden. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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anzutreten.354 Goscelin, nach dem Tod seines Patrons Hermann zu dieser Zeit selbst heimatlos, schrieb für sie um 1082 den Liber confortatorius, mit dem er, so die von den Gender Studies inspirierte Forschung, nicht nur die junge Eremitin für die Abkehr von der Welt bestärken, sondern auch sich selbst über den Verlust der spirituellen Tochter hinwegtrösten wollte.355 Wie in der Vita Edgithae verwendete er darin eine emotionale und bildreiche Sprache. Man wird die hier behauptete tiefe Emotionalität mystisch-spiritueller Verbindungen nun nicht einfach auf Kindesmissbrauch oder eine camouflierte sexuelle Beziehung reduzieren können.356 Auch enthält der Liber confortatorius wenig konkrete Hinweise auf eine manifeste Praxis. Zwar ist die Existenz Evas auch durch andere Quellen bezeugt. Wir wissen aber nicht, ob der als Schreiben an sie stilisierte ­Liber confortatorius die Reklusin je erreichte oder überhaupt erreichen sollte, ob die Ansprache eines Ich-Erzählers an eine zweite Person hier nicht nur einem literarischen Stereotyp entspricht.357 Explizit thematisiert Goscelin im Liber confortatorius die latente Bedrohung des Seelenheils, die von der sublimen, gleichwohl massiven Erotik der Beziehung zu Eva ausgegangen sei.358 Augenfällig wird dies besonders, wenn er die auch andernorts überlieferte Geschichte des Eremiten Alexander erzählt, welche erkennbar das Lehrer-Schülerin-Verhältnis zwischen Verfasser und Adressatin wiederholt: In einem Wald zurückgezogen widmet sich Alexander ganz der Askese, bis ihm der Satan die Tochter eines Königs als Pflegetochter zuführt. Das Mädchen wird erwachsen und Alexander schwängert sie. Auf Anraten des Teufels ermordet der Eremit sie, um das Vergehen zu vertuschen. Als der Böse daraufhin Besitz von ihm ergreifen will, tut Alexander Buße. Von einer Lichterscheinung in einer Eiche angelockt, greift er mit beiden Händen in eine Öffnung, die sich schließt und ihn so fesselt. Fünfzehn Jahre steht er in dem Baum gebunden und ernährt sich nur von dem, was er aus der Luft aufschnappen kann. Dann kommt auf der Jagd der König und Vater der Ermordeten und findet ihn. Alexander gesteht und zeigt ihm das Grab der Tochter. Der Leichnam erweist sich als unversehrt, und als der König den Büßer mit einem Finger von der Hand der Toten berührt, wird dieser befreit. Der König baut am Ort des Geschehens ein Kloster und wird Mönch. Seine ermordete Tochter, er selbst und auch der gefallene Eremit werden dort später als Heilige verehrt, denn: 354 Zur Person vgl. Otter (Übers.), Liber Confortatorius, S. 5–11. 355 Edition: Talbot (Hg.), Liber Confortatorius; vgl. Otter (Übers.), Liber Confortatorius, zum Schreibanlass bes. S. 154 f.; vgl. die im gleichen Jahr erschienene Übersetzung von Barnes/Hayward (Übers.), Goscelin’s Liber Confortatorius; weiterhin Hollis, Strategies of ­Emplacement. 356 Dies insinuiert apodiktisch Latzke, Robert von Arbrissel, S.  136–141; vgl. Otter (Übers.), Liber Confortatorius, S. 7–11. 357 Ebd., S. 6, S. 9 f. 358 Ebd., S. 7–11, 156–158, 166. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»Es freute sich der selige Alexander, weil er sich vom Verbrechen mit Verderben und Tod der Märtyrerin zur Frucht gemacht hatte, und weil er diesem himmlischen Triumph durch das untrennbare Band der Liebe [verbunden sein würde].«359

Wie die Tochter im Kölbigker Mirakel wird also auch die Prinzessin in der Alexander­geschichte durch die Sexualität ihres priesterlichen (Pflege-)vaters zur Märtyrerin. Und wie Alexander mit dem Baumwunder muss auch der Pfarrer Rodbert dies (mit seinem Tod) büßen. Beide aber sind damit nicht etwa dem Verderben anheimgegeben, sondern durch die Untat und ihre Buße geheiligt. Denn Gottes Gnade wirkt auch bei den größten Sündern, wie Goscelin in einem mit Bibel- und Väterzitaten gespickten Epilog ausführt.360 Im Kontext des Liber confortatorius ist diese Analogie zudem übertragbar auf den Verfasser und seine prätendierte Adressatin, auf Goscelin und Eva also, die aus diesem Exempel ja Bestärkung für ihr Leben als Anachoretin ziehen sollte und mit der sich der verlassene Ziehvater im Himmel wieder zu ver­ einigen hoffte.361 Nun sollte man den Liber confortatorius nicht unmittelbar wie ein modernes »Ego-Dokument« lesen. Vielmehr handelt es sich dabei um einen didaktischen Text, eine Anleitung zum anachoretischen Leben im Gewand eines überlangen Briefes. Der Rekurs auf das biographische Erleben von Verfasser/Ich-Erzähler und literarischer (auch realer?) Adressatin dient insofern zunächst als literarischer Code der Steigerung der Authentizität und des Identifikationspotentials für die erwarteten Leserinnen und Leser.362 Diese, etwa die Nonnen von Wilton, kannten Schülerin und Lehrer eventuell selbst, oder aber sie konnten zumindest die hier explizierten seelischen Nöte nachvollziehen.363 Goscelin dürfte den wohl um 1082 fertiggestellten Liber confortatorius und die vermutlich um 1080 vollendete Vita Edgithae längere Zeit nebeneinander bearbeitet haben.364 Die mühsam zur heiligen Asketin umgeformte ungeliebte Prinzessin Edgith und die heiligmäßige Jungfrau Eva erhalten bei ihm denn 359 Talbot (Hg.), Liber Confortatorius, S. 104 f., Zitat S. 105: »Gaudet beatus Alexander de crimine corruptoris ac percussoris se fructum fecisse martyris, atque hanc sibi triumphaturam in celis inseparabili nexu dilectionis.« Engl. Übers.: Otter (Übers.), Liber Confortatorius, S. 131–133; vgl. dazu Hayward/Hollis, The Female Reader, S. 396 f. 360 Talbot (Hg.), Liber Confortatorius, S. 105 f. 361 Otter (Übers.), Liber Confortatorius, S. 166. 362 Zu literarischen Vorlagen vgl. Hayward, Spiritual Kinship; Hollis, Edith as Contem­ plative, S. 286. 363 Wie erwähnt war zumindest eine der beiden erhaltenen Handschriften der Vita Edgithae für den Wiltoner Konvent bestimmt. Auch inhaltlich entspricht die Vita eher den Ansprüchen eines klösterlichen Publikums als denen des Reformtheologen Lanfranc, dem die andere Handschrift gewidmet war, vgl. Hollis, Introduction, S.  11 f.; Dies., Goscelin’s ­Writings, S. 234–236. 364 Ebd., S. 217 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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auch ganz ähnliche Züge.365 Der flämische Mönch im England der normannischen Eroberungszeit entwickelt dazu eine für seine Zeit innovative Argumentationsfigur: Unter Rückgriff auf Origenes’ Hohelied-Auslegung nimmt er die Brautmystik eines Anselm von Canterbury oder eines Bernhard von Clairvaux vorweg und macht aus seinen Protagonistinnen exemplarische sponsae ­Christi.366 Ähnliche Denkfiguren finden sich zeitgenössisch auch bei dem in die Normandie gekommenen Italiener Johannes von Fécamp († 1079) – und bei Petrus Damiani.367 Die junge, standesbewusste Prinzessin Edgith wird so in der Vita Edgithae zur paradigmatischen Asketin umgearbeitet, die durch Entsagung, Lektüre und Meditation ihr Leben als Wanderung zur himmlischen Hochzeit mit Christus gestaltet habe. Zugleich wird sie zur heiligen Patronin ihres Klosters, das seinerseits als spirituelle Mutter der Konventualinnen und als pars pro toto für die ecclesia in das brautmystische Beziehungsgeflecht eingebunden wird. Die heilige Jungfrau, ihr Konvent, die Kirche, das himmlische Jerusalem und die Muttergottes konvergieren so im spirituellen Kristallisationspunkt der himm­ lischen Brautschaft.368 Weniger explizit, gleichwohl deutlich, wird dieses Motiv auch im Liber confortatorius für die Zeichnung der jungen Schülerin Eva und erst recht in der didaktischen Ansprache an diese gebraucht. Die Reklusin Eva als sponsa Christi konvergiert dabei mit der (zur selben Zeit erst hagiographisch konstruierten) Hauspatronin ihres Herkunftskonvents, mit diesem selbst, der ecclesia und schließlich Maria, die allesamt gleichermaßen am Jüngsten Tag im himmlischen Jerusalem zur Vereinigung mit dem Höchsten gelangen werden.369 So schildert Goscelin gleich zu Beginn des Liber seine eigene Ergriffenheit, als er Eva bei ihrer Profess in den himmelsgleichen Reigen zur Hochzeit mit dem Höchsten eintreten gesehen habe. Dabei kommt ihm sogar ein spirituelles Hochzeitslied in den Sinn – die Antiphon der Vesper am Tag der hl. Agnes, einer exemplarischen heiligen Jungfrau.370 Gleich darauf lässt er die junge 365 Hollis, Strategies of Emplacement, S. 152, 154, 162 f., die sogar eine direkte Vorbildfunktion der Eva für die Darstellung der Edgith annimmt; Dies., Introduction, S. 5; Dies., Goscelin’s Writings, S. 233. 366 Hollis, Edith as Contemplative, S. 281–284; Dies., Introduction, S. 9. 367 Reindel (Hg.), Petrus Damiani, Briefe, Bd. 2, Nr. 66, S. 247–279; Hollis, Edith as Contemplative, S. 283. 368 Vgl. das Gedicht Goscelins auf Edgith als Braut Christi: Wilmart (Hg.), La légende, S. 69 f.; Hollis, Edith as Contemplative, S. 291–292, 297–299; Dies., Introduction, S. 5; Dies., Goscelin’s Writings, S.  243 f.; Dies., Strategies of Emplacement, S.  159–161, 166 f.; Otter (Übers.), Liber Confortatorius, S. 147 f., 155 f. 369 Ebd., S. 158; Hollis, Strategies of Emplacement, S. 152, 154, 160–163, 166–169; Dies., Edith as Contemplative, S.  288–292; Dies., S.  299 f., nimmt an, die von ihrem Lehrer pro­ pagierte Brautmystik habe Evas Entschluss zum Rückzug in die Reklusion beeinflusst. 370 Talbot (Hg.), Liber Confortatorius, S.  28: »Vbi uero inter quattuordecim uirgines, ­coruscantibus cereis tanquam syderibus et lampadibus supernis, ad dominicas nuptias ­trepida © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Nonne auch an der Weihe der neuen Klosterkirche im Jahr 1065 teilnehmen und verknüpft so schon hier die Gottesbrautschaft der Jungfrau mit jener der ecclesia und der sakramentalen Konstituierung eines Sakralraumes.371 Als Erzieher und spiritueller Vater der Eva konnte Goscelin auch sich selbst noch in dieses komplexe Gefüge von Mutter- und Brautverhältnissen hineinschreiben. Mehrmals bezeichnet er sich dazu als die »Mutterseele«, die Eva geboren habe.372 Andererseits richtet sich schon im ersten Satz des Prologs »der Ausgeschlossene an die Eingeschlossene« (»inkluse exclusus«).373 Auch ­Goscelin ist also ein amator exclusus, und die Zelle der Eva ist zugleich der verschlossene Tempel der Kirche.374 Er selbst steht wegen seines sündigen Verhältnisses zu Eva auf der Schwelle des Unheils, er wird aber auch nur durch Eva die Gnade er­langen können. Denn abschließend bittet er seine zur Braut Christi gewordene geistige Tochter, bei Gott ein gutes Wort für ihn armen Sünder einzu­ legen.375 Indem er sich selbst so in die Position des von der Gnade Gottes und der Fürbitte seines Opfers abhängigen Sünders stellt, entspricht er dem asketischen Ideal, wie es etwa die Eremiten von Fonte Avellana um Petrus Damiani postulierten. Goscelin mag sich nicht wie diese gegeißelt haben. Wohl aber übernahm er für sich eine extreme Demutstheologie, die der eigenen Person gegenüber zum Ankläger, Richter und Vollstrecker zugleich zu werden forderte.376 Gerade in Buße und Selbstkasteiung imitierte der Mensch demnach Christus und konnte so zum Zustand des nackten Adam zurückkehren – eine Typologie, die auch für Goscelin nahelag. Während »seine Eva« die Pilgerschaft des Lebens in die gottgefällige Reklusion geführt hatte, war Goscelin seit 1078 als Exilant auf einer Wanderschaft gefangen, die sich durchaus als augustinische Bußperegrinatio lesen ließ. Erst im Jenseits würden »Vater« und »Tochter« sich wieder vereinigen377 – und so auch der Sünder Goscelin wie der gefallene Eremit Alexander an der himmlischen Vereinigung Anteil haben. Die Thematisierung et penultima accessisti […], tanquam ab igneo throno Dei sedentis super cherubim, sapienter metuentis, altius uiscera me percussere cum hoc epithalamico carmine admirabilis gratie: ›Ipse sum desponsata, cui angeli seruiunt, et an[n]ulo suo subarrauit me‹.« Zum Lied vgl. ebd., Anm. 8. 371 Talbot (Hg.), Liber Confortatorius, S.  28: »Feci ut ipsa dicata interesses proxime ­dedicationi ecclesie, cupiens te tantis sacramentis proficere.« 372 Ebd., S. 29: »Illa mater anima que te anhelis uisceribus peperit, […]«; S. 116: »[…] o ­dulcis partus anime mee […]«; vgl. dazu Otter (Übers.), Liber Confortatorius, S. 162. 373 Talbot (Hg.), Liber Confortatorius, S. 26. 374 Otter (Übers.), Liber Confortatorius, S. 156–158. 375 Talbot (Hg.), Liber Confortatorius, S. 117. 376 Vgl. zur radikalen Bußtheologie Petrus Damianis: Largier, Lob der Peitsche, S. 60–77, 273. 377 Otter (Übers.), Liber Confortatorius, S. 159–161; Hollis, Goscelin’s Writings, S. 221, mutmaßt, die Feindschaft des neuen Bischofs Osmund gegen Goscelin sei auch eine Reaktion auf das »skandalöse« Verhältnis zu Eva. Dies setzt freilich ein solches in der Realität voraus, was sich durchaus nicht sichern lässt. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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der eigenen erotischen Versuchung des Verfassers ist also literarische Stilisierung und aske­tische Selbstdemütigung zugleich, nicht aber unmittelbare psychische Not. Das hochmittelalterliche Eremitentum wurde ausdrücklich in der Tradition der ägyptischen Wüstenväter (und -mütter) gesehen. Eva hatte sich aus der Gemeinschaft, dem choros, zurückgezogen (griech. anachoreo), war zur Anachore­ tin geworden. Die Reklusion bedeutete so schon etymologisch den Grund­ gegensatz zur Teilhabe am »Reigen«. Sie bedeutete den Gang in die Wüste der Gottessuche, in einen auf die Dauer des restlichen Lebens gestellten Zustand der gewollten und inszenierten Heillosigkeit, an deren Ende jedoch die Vereinigung mit Gott stehen sollte.378 Eva befand sich also nach Goscelin auf dem gleichen Weg wie das Volk Israel in der Wüste – und wie die Kölbigker Tänzer. Am Ende würde sie in das Haus Gottes, das tabernaculum, eingehen, dessen Gestalt Goscelin denn auch ausführlich beschreibt. Der Tabernakel präfiguriert zugleich das neue Jerusalem, ähnelt denn auch weniger dem Zelt des Buches Exodus (25 f.) als eher einer Kathedrale, wird zugleich aber mit Evas Zelle in Angers gleichgesetzt.379 In der stabilitas der Zelle empfiehlt Goscelin den täglichen Empfang der Eucharistie als Erneuerung des Bundes mit Gott und den Engeln380 – auch insofern den theologisch korrekten Gegensatz zur Teilnahme am weltlichen circuitus korrekt markierend. Ihrerseits wie eine amatrix exclusa steht die Reklusin nun vor dem Tor des Paradieses, bis »der Herr« ihr schließlich öffnen wird.381 Denn während der Ich-Erzähler noch auf der Wanderschaft ist, kann Eva bereits den Psalm (61,3–6) singen: »Du, Herr, hast mich auf einen Felsen gestellt. […] [Du bist der] feste Turm im An­ gesicht der Feinde. Für immer werde ich wohnen in Deinem Tabernakel.«382

In der asketischen Reklusion als freiwilligem Zustand der Gottessuche findet Goscelin also ein positives Gegenbild für seine eigene Wüstenwanderung und das Kreisen der unwürdigen Priester wie der Tänzer als einer gleichermaßen un 378 Otter (Übers.), Liber Confortatorius, S.  4, 11–15; Hayward/Hollis, The Anchorite’s Process; vgl. das Kapitel »Longanimitas Sanctorum« über die Wüstenasketen, Talbot (Hg.), Liber Confortatorius, S. 75–77. 379 Ebd., S. 68 f.; Hayward/Hollis, The Anchorite’s Process, S. 374 f.; Hollis, Strategies of Emplacement, S. 168. 380 Talbot (Hg.), Liber Confortatorius, S. 90; vgl. dazu Otter (Übers.), Liber Confortatorius, S. 111. 381 Talbot (Hg.), Liber Confortatorius, S. 36: »Venisti ad ianuam paradisi uere uoluptatis; persiste et pulsa assidua importunitate, donec intres Domino ueniente, nec te reuocent uoluptates relicte« (Buch I, Kap.: »Salus peregrinantium sanctorum«). 382 Ebd., S. 34: »Tu in portu es, ego fluctuo. Tu domi resides, ego naufragor. Tu nidificasti in petra, ego arenis illidor. Iam potes cantando gloriari: […] Domine, in petra exaltasti me. […] turris fortitudinis a facie inimici; Inhabitabo in tabernacula tua in secula, […]« (Buch I, Kap.: »Fructus orationis«). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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entrinnbaren Heillosigkeit: Der Anachoretin wird eines Tages geöffnet werden, während die Unwürdigen Petrus Damiani zufolge ja nur an der Wand kratzen können. Die Reklusin Eva als paradigmatische sponsa Christi wird von Goscelin also mit einer ganzen Reihe von exegetischen Assoziationen ausgestattet, deren biblische Belegstellen auch in seiner Bearbeitung der Kölbigker Erzählung eine Rolle spielen. Und er verwendet nicht nur die gleichen Verse der Schrift, sondern er entwickelt aus ihnen für die Reklusin Eva das positive Kontrastbild zu jener negativen Allegorese, die er für die Tänzer ausbreitet. Ein ähnliches Modell entwirft schon die Goscelin zugeschriebene Vita Aedwardi regis, um die Kinderlosigkeit der Königin Edgith, die zur normannischen Machtübernahme in England geführt hatte, spirituell zu kompensieren: Als Stifterin einer neuen Klosterkirche wird Edgith zur zweiten Gründerin und Mutter des Klosters W ­ ilton und damit ihrerseits zur Braut Christi. Die keusche Witwe wird so quasi zur Jungfrau, der der Verfasser sogar ein epithalamium, ein Hochzeitslied, singen kann. Vorbild ist wohl die Vita Cunigundis, die das ebenfalls kinderlose Kaiserpaar Heinrich II. und Kunigunde ebenso zu spirituellen, weil keuschen Eltern der von ihnen gegründeten Kirchen stilisiert hatte.383 Wir erinnern uns: Heinrich II. wird in Goscelins Fassung der Kölbigker Legende zum heiligmäßigen Herrscher, der im Angesicht des Tanzwunders die Leiden seiner spirituellen Kinder beweint und für die memoria der Opfer sorgt. Heinrich und Kunigunde, ebenso Edward der Bekenner und die Königin Edgith, werden so selbst zu christlichen Kontrafakturen der paganen Heiligen Hochzeit, die die irdische Fruchtbarkeit verweigern im Zeichen himmlischer Jungfräulichkeit. Die Heilungsgeschichte des Theodericus-Berichts spielt also in einer Kirche, die selbst Produkt einer brautmystischen Beziehung ist. Und mehr noch: Das Grab der Heiligen, an dem der Bettler Theodericus in Schlaf fällt und wundersam geheilt wird, ist ebenjenes Grab, das Goscelin in der Vita Edgithae als den Platz der mystischen Vereinigung von jungfräulicher Braut und himmlischem Bräutigam zeichnet.384 Das Opfer einer irdischen Hochzeit gesundet also durch die himmlische Ehe der Heiligen mit Christus in der Kirche der jungfräulichen Königin. Dass er kosmologischen Motiven gegenüber aufgeschlossen war, zeigt G ­ oscelin im Liber confortatorius immer wieder: Das vierte Buch, das den Aufstieg der Seele zu Gott behandelt, wird im Prolog angekündigt wie folgt: »[…] das vierte [Buch] greift nach den Sternen in einem vierrädrigen Wagen«.385 Das Kapitel »Der heilige Tag der Erlösung« in Buch III versieht die Heilsgeschichte 383 Otter, Closed Doors, S. 68–76. 384 Hollis, Edith as Contemplative, S. 292 f.; zu Grabarchitektur und Grabschmuck vgl. ebd., S. 300 f.; Dies., Strategies of Emplacement, S. 160 f. 385 Talbot (Hg.), Liber Confortatorius, S. 26: »[…] quartus petit astra quadrigis«. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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mit einer Vielzahl von kalendarischen und astronomischen Analogien.386 Kurz darauf belehrt der Verfasser seine prätendierte Leserin sogar über die Grundzüge der Astronomie und der irdischen Geographie.387 Dieses »Die Reichtümer des All-Schöpfers« überschriebene Kapitel gipfelt schließlich in Ausführungen über die himmlische Hierarchie und den Aufstieg der Seele zur Vereinigung mit Gott.388 Diese kosmische Harmonie der Himmelsmächte und der Gläubigen jedoch wird am Jüngsten Tag – eben in der ewigen Brautschaft mit Gott – in einem allgemeinen Hochzeitsreigen wiederhergestellt, so Goscelin zum Schluss seines Werkes.389 Denn »der Schöpfer des ewigen Lichts und die Sonne der immerwährenden Freude« leuchten viel heller als die irdische Sonne.390 Es ist die platonisch-christliche Kosmologie des Corpus Dionysiacum, die Goscelin hier heranzieht, um Eva ihre Vereinigung mit Gott (und ihm) am Jüngsten Tag auszumalen. Allerdings hebt er dabei wiederum vor allem auf Metaphern von Licht, Gesang und auf die Astronomie ab, nicht aber auf die Bewegungen der Sphären. Der himmlische Reigen kommt bei Goscelin nur für die endgültige Vereinigung in den Blick, nicht aber für die Zeitlichkeit. Deshalb können kosmische Mythenmotive bei ihm auch nur als Negativpol für seine dogmatisch strukturierten Konzepte dienen. Aus anderen etwa gleichzeitigen Schriften Goscelins lässt sich also der gedankliche Hintergrund erhellen, vor dem dieser das Tanzwunder im Mirakelanhang der Vita Edgithae stilisierte. Nun handelt es sich bei diesem zunächst nur um eine Episode in einer langen Reihe von thaumaturgischen Leistungen der Heiligen. Warum also sollte ein Hagiograph ausgerechnet dieses eine Wunder mit einem solchen Apparat an literarischer und autobiographischer Intertextualität aufladen? Man wird erstens annehmen können, dass das hier anhand des Liber confortatorius und der Vita Edgithae herausgearbeite Feld von Imaginationen das Denken und Schreiben des Verfassers determinierte, dass viele der angedeuteten Konnotationen also nicht bewusst gesetzt waren, sondern unbewusst einflossen. Zweitens nähern gerade die nur bei Goscelin greifbaren Ergänzungen, insbesondere die Entführungs- und Hochzeitsgeschichte, die Tanzgeschichte so massiv der Grundkonstellation der Brautmystik und ihrer Inversion an, dass es beinahe überraschen würde, wenn er dabei nicht an dieses für ihn offenbar so zentrale Motiv gedacht hätte. Und drittens handelt es sich bei der Tanzepisode in der Mirakelsammlung durchaus nicht einfach um eine von vielen. Vielmehr markiert Goscelin sie mit entsprechenden Klauseln zu 386 Talbot (Hg.), Liber Confortatorius, S. 83–85. 387 Ebd., S. 86 f. 388 Ebd., S. 87 f.: »Cuncticreantis Divitie«. 389 Ebd., S. 115: »Vbique chori, ubique carmina, ubique sollemnia, plausu, iubili, tripudia, conuiuia celestia, nuptiarum immaculatarum epythalamia, […].« 390 Ebd., S. 116. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Beginn und am Schluss ausdrücklich als eine besonders wichtige, Aufmerksamkeit erheischende Passage.391 Wie ließ sich die besondere Begnadung der zu propagierenden neuen Hei­ ligen besser beweisen, als mit der Behauptung, dass sie selbst einen der verzweifelt alle Welt auf der Suche nach Heilung durchstreifenden sächsischen Tänzer wiederhergestellt habe? Wenn dem so war, war es umso sinnvoller, das Tanzwunder in jenes fein verwobene mystische Beziehungsnetz einzuspinnen, das Goscelins hagiographische und didaktische Texte durchzieht. Hier konnte der von der Idee der Heiligen Hochzeit erkennbar faszinierte Mönch ein perfektes Gegenbild entwerfen – und dabei zugleich die diesem mystischen Modell innewohnenden Ambivalenzen ausbuchstabieren. Entstanden war das Tanzmirakel auf dem Kontinent, im regionalen und wohl auch sozialen Umfeld der lothringischen Kirchenreform. Goscelins Aufgabe in der Vita Edgithae war es unter anderem, gegenüber den mit dem normanischen Herrscherhaus nach England gekommenen Theologen wie dem Bischof Lanfranc die wenig vorbildliche angelsächsische Königstochter als legitime Heilige zu rechtfertigen. Goscelin, den die Herkunft mit jenen neuen Eliten verband, griff dazu auf eine Erzählung zurück, die diesen bekannt sein konnte, und er ließ ausgerechnet die ominöse Adelsheilige des vorherigen Jahrhunderts für die endgültige Auflösung des Kölbigker Rätsels sorgen. Wenn er dabei auf in Wilton bereits vorhandene Erzähltraditionen über ein Wunder vor dem Zeitpunkt seines Eintreffens zurückgegriffen haben sollte, bot ihm dies umso mehr Anlass, es in seine brautmystische Assoziationskette einzubauen, die in so vielerlei Hinsicht Positionen der frühen Kirchenreform integrierte. Wenn Goscelin also in seinem Kölbigker Mirakel der an den Folgen des Fluchs sterbenden Priestertochter kaum verschleiert den Namen seiner »spirituellen Tochter« gibt, identifiziert er sich selbst zugleich mit der Leben und Heil spendenden Mutter Kirche, aber auch mit dem unwürdigen Priester ­Rodbert der Mirakelerzählung, der mit seinen weltlichen Gelüsten das Seelenheil der ihm Anvertrauten gefährdet hatte. Wie die Königstochter in der AlexanderLegende ihrem Peiniger schließlich sogar das Himmelreich beschert und Eva im Liber confortatorius für ihren sündigen »Vater« bitten sollte, so kann Ava im Kölbigker Mirakel auch für die durch den nikolaitischen Priester gefährdete Brautschaft der Kirche mit Christus stehen und seine Sünden stellvertretend büßen. Die rhetorisch zu höchster Emphase gesteigerte Ansprache des Theodericus an die tote Ava in Goscelins Fassung des Tanzmirakels liest sich so auch wie eine Ansprache des Lehrers an seine Schülerin, in der er ihren Tod als Buße

391 Wilmart (Hg.), La lègende, S. 285: »His ergo fideliter euolutis, cetera exequamur nostri temporis. Hec eo recensemus liberius quo uisa quam audita percipiuntur facilius«; ebd., S. 292: »Sed, his pro magnitudine sua ac nouitate effusis liberius, cetera que restant succingamus.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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für seine Verfehlungen imaginiert.392 Die reale Eva hingegen hatte sich nicht in den verderblichen Reigen ziehen lassen und war stattdessen in die asketische Bewegungslosigkeit der erfolgreichen Gottessuche gegangen.

VI.5 »Quid stamus, cur non imus?« Ekklesiologie und Anthropologie in der Kölbigker Legende VI.5.1 Der Apostelreigen der gnostischen Johannes-Akten und seine Kölbigker Kontrafaktur Der die Beteiligten wie in einer Kette gefangen haltende Kreisreigen der Kölbigker Erzählung steht der kirchlichen Binde- und Lösegewalt als Kontrapunkt gegenüber.393 Das alte Bild vom unausweichlichen kosmischen Tanz wird hier also in eine Situation der Gefangenschaft übersetzt ‒ einer Gefangenschaft in der vergeblichen Suche nach Gottesnähe, wie sie auch der Ich-Erzähler des Liber confortatorius sich selbst zuschreibt. Die Vorstellung vom kosmischen Reigen war schon im 2.  und 3.  Jahrhundert von gnostischen Gruppen auf Christus übertragen worden. So lassen etwa die apokryphen »Johannes-Akten«, eine gnostisch-christliche Schrift wohl aus dem syrischen Raum des frühen 3. Jahrhunderts, an Stelle des letzten Abendmahls Jesus die Zwölf Apostel zu einem Reigen versammeln.394 In der Rolle des Tanzmeisters, umgeben von den Aposteln in der Position der Zodiakalzeichen, stimmt der gnostische Jesus nun einen Hymnus an: »[…] ›Bevor ich jenen preisgegeben werde, wollen wir dem Vater lobsingen und dann hinausgehen zu dem, was bevorsteht.‹ Er befahl uns nun, einen Kreis zu bilden. Indem wir einander bei den Händen hielten, trat er selber in die Mitte und sagte: ›Respondiert mir mit Amen!‹ […] Und wir umkreisten ihn und respondierten ihm mit Amen.

392 Ebd., S. 290. 393 Fassung I, Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 38: »Idem [Heribert von Köln] at nos eadem die nativitatis veniens et orationem super nos complens a ligatura, qua invicem manu ad manum tenebamur, solvit nos […]«, Fassung II, Wilmart (Hg.), La légende, S. 288: »Dixerat [der Priester], atque ita nos prolata sentencia alligauit ut nullus nostrum ab incepto cessare, nullus ab alio dissolui potuerit«; ebd., S. 290: »In eadem quippe hora temporis reuoluti qua uel cepimus iocari uel constricti sumus ore sacerdotali, repentina uiolentia quasi in ictu oculi singulis manibus ab inuicem sumus excussi, ut nullus ab alio posset retineri.« 394 Junod/Kaestli (Hg.), Acta Johannis; Übers. und Kommentar: Schäferdiek (Bearb.), Johannes-Akten, S. 138–156, zur Datierung ebd., S. 154 f.; Ders., (Art.) Johannes-Akten; allg.: Hammerstein, Musik der Engel, S.  47 f.; Andresen, Altchristliche Kritik, S.  357–359; Backman, Religious Dances, S. 15 f.; Horowitz, Danses cléricales, S. 283 f.; Schulz, Bild, S. 83–87; ­Wössner, Göttertanz; Zimmermann, Engelsreigen, S. 96–98; Quispel, Gnosis, S. 431 f.; Miller, Measures of Wisdom, S. 81–139. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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›Ehre sei dir, Logos!‹ ›Ehre sei Dir, Gnade!‹ – ›Amen.‹ […] ›Die Gnade tanzt den Reigen.‹ […] ›Flöten will ich, tanzet alle!‹ – ›Amen.‹ […] ›(Die) eine Achtzahl lobsingt mit uns.‹ – ›Amen.‹ ›Die zwölfte Zahl tanzt in der Höhe.‹ – ›Amen.‹ ›Dem All kommt es zu, in der Höhe zu tanzen.‹ – ›Amen.‹ ›Wer nicht tanzt, erkennt nicht, was sich begibt.‹ – ›Amen.‹ ›Fliehen will ich und bleiben will ich.‹ – ›Amen.‹ […] ›Ein Haus habe ich nicht, und Häuser habe ich.‹ – ›Amen!‹ […] ›Einen Tempel habe ich nicht, und Tempel habe ich.‹ – ›Amen!‹ […] ›Eine Tür bin ich dir, [der] du an mir anklopfst.‹ – ›Amen!‹ […] ›Wenn Du aber Folge leistest meinem Reigen, sieh dich selbst in mir, dem Redenden. Und wenn Du gesehen hast, was ich tue, schweige über meine Mysterien. Der du tanzt, erkenne, was ich tue, weil dein ist dieses Leiden des Menschen, das ich leiden muß. […] und als du sahst, bliebst du nicht stehen, sondern gerietest ganz in Bewegung. In Bewegung geraten, weise zu machen, hast du mich als Ruhelager. […] In Einklang befindlich will ich haben heilige Seelen mit mir. […] Ich hüpfte, du aber begreife das Ganze, und wenn du es begriffen hast, sage: Ehre sei dir, Vater! – ›Amen.‹ […] Nachdem der Herr, Geliebte, so mit uns getanzt hatte, ging er fort. Und wir waren wie Verirrte oder auch in Schlaf Verfallene auf der Flucht, der eine dahin, der andere dorthin.«395

Wo Christus in den neutestamentlichen Evangelien mit dem letzten Abendmahl die Eucharistie begründet, lassen ihn die Johannes-Akten also einen kosmischen Reigen als zentrales Mysterium seines Kultes einsetzen.396 Der Hymnus steht in der Tradition gnostischer und hermetischer Erlösungskulte, die den kosmischen Reigen der »Zwölf« um den Mystagogen als Mittel des Seelenaufstiegs sahen.397 Die »Gnade«, der logos und diverse weitere Emanationen des »Einen«398 tanzen da mit der »Achtzahl«, einer zentralen Chiffre der gnostischen Kosmologie, und der »zwölften Zahl«. Die zwölf Himmelshäuser, so Max 395 Schäferdiek (Bearb.), Johannes-Akten, S. 166–168. 396 Pulver, Jesu Reigen, S. 148. 397 Ebd., S. 150 f. 398 Ebd., S. 161 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Pulver, markierten für die Gnosis die Sphäre der kosmischen Harmonie, die jedoch zugleich die Sphäre des schicksalhaften Sternenzwangs, der heimarmene war. Der Aufstieg in die »Achtheit« hingegen befreite die Seele vom Sternenzwang.399 Der Nachvollzug dieses Reigens durch die Apostel war der privilegierte Weg zur Erkenntnis Gottes, wie dies schon die platonische Philosophie gelehrt hatte. Christus selbst »hüpft« wie Dionysos im Zentrum des Reigens seiner Adepten, deren Seelen sich nach ihm ausrichten sollen.400 Der nur spirituell in die Welt (hyle) hinabgestiegene Christus ist mal körperlich, mal nicht: »Ein Haus habe ich nicht, und Häuser habe ich.« Ebenso soll der Myste in der Ekstase und im Seelenaufstieg nach dem Tod seine Körperlichkeit hinter sich lassen.401 Der in die Welt gekommene Gott leidet nur scheinbar, damit der Mensch sein reales Leiden in ihm erkennt.402 So wird der gnostische Christus selbst zum Himmelstor, durch das die Seele bei ihrem Aufstieg durch die Sphären schreiten muss: »Eine Tür bin ich dir, [der] du an mir anklopfst.«403 Anders als in der tanzgeschichtlichen Forschung immer wieder behauptet, wurde dieser Text im mittelalterlichen Christentum nicht als Legitimation sakraler Tänze herangezogen.404 Vielmehr hatte schon Clemens von Alexan­drien die gnostische Vorstellungswelt der Johannes-Akten kritisiert.405 Eusebius von Caesarea hatte sie in seiner Kirchengeschichte als häretisch verurteilt,406 ebenso Papst Leo I. (um 400–461)407 und Augustinus.408 Für den Reigen interessierte der Bischof von Hippo sich jedoch gar nicht besonders. Zentral für Augustinus war, dass die Johannes-Akten eine rein spiritualistische Deutung des Kreuzestodes insinuierten: Christus war demnach nicht realiter Mensch geworden, sondern hatte als Gott in Menschengestalt irdisches Leben und irdischen Tod nur vorgetäuscht. Dies widersprach entschieden der kirchlichen Christo 399 Wössing, Göttertanz, S.  152 f.; Pulver, Jesu Reigen, S.  168–170; Backman, Religious Dances, S. 16. 400 Pulver, Jesu Reigen, S. 175 f. 401 Ebd., S. 171. 402 Ebd., S. 172 f. 403 Ebd., S. 173 f.; zur Rezeption des Motivs der »Himmelspforte« in der Veitslegende vgl. unten, Kap. VII.3.8. 404 So z. B. ohne Beleg Horowitz, Danses cléricales, S. 283 f.; dagegen Schäferdiek (Bearb.), Johannes-Akten, S. 142, dem zufolge die Rezeption im lateinischen Raum mit dem 5. Jh. fast völlig abbricht. Wohl aber gab der Hymnus Christi im 20.  Jh. Anlass zu einer breiten Rezeption im literarischen und künstlerischen Leben, vgl. Leutzsch, Der tanzende Christus, S. 109 ff., 132 f. 405 Miller, Measures of Wisdom, S. 116–121. 406 Rebell, Neutestamentliche Apokryphen, S.  166; Schäferdiek (Bearb.), JohannesAkten, S. 140; vgl. dort, S. 139–144 zur weiteren Rezeption. 407 Rebell, Neutestamentliche Apokryphen, S.  166; Schäferdiek (Bearb.), JohannesAkten, S. 144. 408 Zimmermann, Engelsreigen, S. 97 f.; Miller, Measures of Wisdom, S. 99–101; Pulver, Jesu Reigen, S. 146. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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logie.409 Aus der gnostischen Verneinung der Fleischwerdung des Sohnes folgerten hetero­doxe Gruppen der Spätantike, dass das Mysterium des göttlichen logos keines irdischen Tempels bedürfe, dass die Sakralisierung von Kirchenbauten also abergläubisch sei.410 Im 8. Jahrhundert wurden die Johannes-Akten im östlichen Christentum erneut diskutiert, nun im Zusammenhang mit der Frage der Bilderverehrung. So wurden sie auch auf dem zweiten Konzil von Nicäa im Jahr 787, dem nominell letzten gemeinsamen Konzil von Ost- und Westkirche, auszugsweise verlesen und mit dem Anathema belegt.411 Dieses Konzil ist in der Kirchengeschichte vor allem wegen seiner Erlaubnis der Bilderverehrung bekannt. Die Gesandten Papst Hadrians I. (772–795) brachten eine lateinische Übersetzung der Konzilsakten mit in den Westen, wo Karl der Große gegen den Willen des Papstes ihre Ablehnung betrieb. In den Libri Carolini ließ er die Aufhebung des Bilderverbots durch das ostkirchliche Konzil widerlegen.412 Schon mit dem Frankfurter Konzil von 794 freilich ruderte man am fränkischen Hof zurück und schwenkte auf eine kompromissbereite Haltung ein.413 Schon mit der ungleich häufiger überlieferten Admonitio generalis von 789 hatte Karl der Große seine Ziele für die Reform von Glauben und Kirche propagieren lassen. Die Kirche als Körper Christi sollte auch in seinem Reich in ihren Gliedern, dem Klerus, sichtbar werden. Verbunden war damit eine Tendenz zur Sakralisierung des Kirchen­raumes, zur Konzentration der Frömmigkeitspraxis auf die Pfarrkirche und nicht zuletzt eine erneute Einschärfung des Kampfes gegen die »Superstitionen«.414 In diesem Zusammenhang also wurde auch die gnostische Vorstellung vom Reigen der Apostel um Jesus im Westen erneut bekannt. Denn das Exzerpt aus den Johannes-Akten in den Unterlagen des zweiten Nicäanums enthält zwar nicht den gesamten Hymnus des gnostischen Christus, wohl aber so erhebliche Teile, dass ein Leser sich den Zusammenhang rekonstruieren konnte.415 Zudem 409 Rebell, Neutestamentliche Apokryphen, S. 170. 410 Miller, Measures of Wisdom, S. 82; vgl. unten, Kap. VI.5.2. 411 Mansi (Hg.), Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, Bd. 13, S. 169–174; vgl. Miller, Measures of Wisdom, S. 101; Schäferdiek (Bearb.), Johannes-Akten, S. 142–144; zum zweiten Konzil von Nicäa allg.: Thümmel, (Art.) Nicäa II. 412 Freeman (Hg.), Opus Caroli regis contra synodum; Hartmann, Das Konzil von Frankfurt, S. 341–345; Thümmel, Karl der Große, Rom und Byzanz. 413 Fleckenstein, Karl der Große und die Hofgelehrten, S. 43; Hartmann, Das Konzil von Frankfurt, S. 331 f. 414 Iogna-Prat, La Maison Dieu, S. 110–115. 415 Anastasius Bibliothecarius, Sancta synodus septima generalis, PL 129, Sp.  357 f.: »[…] Porro antequam comprehenderetur ab impiis et ab iniquo serpente legem accipientibus ­Judaeis, congregans nos omnes, ait: Priusquam illis tradar, hymnum dicamus Patri, et sic ad propositum exeamus. Cum ergo jussisset nobis gyrum facere tenentibus invicem manus, ipse medius factus dicebat: Amen, obedite mihi. Coepit ergo hymnum canere et dicere: Gloria tibi, Pater. Et nos circumdantes respondebamus ei: Amen. Gloria tibi, Verbum, gloria tibi, gratia. Amen. Gloria tibi, Spiritus; gloria tibi, sancte, gloria gloriae tuae. Amen. Laudamus te, Pater; © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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waren die Johannes-Akten zumindest in Teilen auch anderwärts im Westen bekannt: Hrotswith von Gandersheim (um 938 – nach 973) etwa kannte zumindest die sogenannte Kallimachos-Episode.416 Weder die Libri Carolini noch die Zusammenfassung der Ergebnisse des Frankfurter Konzils in einem Capitulare des Königs417 enthalten nun Hinweise darauf, dass der Apostelreigen der Johannes-Akten und deren Anathematisierung im Westen rezipiert worden wären. Dies wird aus dem Umstand zu erklären sein, dass sich die fränkischen Theologen bei ihrer Lektüre der Konzilsakten auf die Bilderfrage konzentrierten, für die der Hymnus des gnostischen Christus allenfalls von sekundärer Bedeutung war. Das Nicäanum II blieb jedoch für die Gelehrten im Umkreis des karolingischen Hofes wie an der Kurie von Interesse. Noch Mitte des 9. Jahrhunderts fertigte in Rom Anastasius Bibliothecarius (vor 817 – um 879, Gegenpapst 855) eine neue lateinische Übersetzung an, die offenbar jene (heute nicht mehr erhaltene)  fehlerhafte ersetzen sollte, die ­Hadrians Gesandte aus Byzanz mitgebracht hatten.418 Diese Übersetzungen könnten zu Beginn des 11. Jahrhunderts neues Interesse gefunden haben, als besonders in den lothringischen Reformklöstern Diskussionen über die Natur und die Gestalt der Sakramente und daraus folgend über die Wirkung kirchlicher Weihen aufkamen. In diesem »Zweiten Abendmahlstreit« standen erneut Vertreter einer spiritualistischen Deutung der Anwesenheit Christi in der Welt gegen solche einer realen Menschennatur.419 Diese Debatten sind im Kontext einer zunehmenden Furcht vor angeblichen oder tatsächlichen dualistischen Häresien zu sehen, wie sie in der ersten Hälfte des 11.  Jahrhunderts besonders im Westfrankenreich und in Lothringen um sich griff. Auf dem Konzil von Reims 1049 war es gerade Leo IX., der sich auch die Bekämpfung dieser Glaubensabweichungen auf die Fahnen schrieb.420 gratias tibi agimus, lux in qua tenebrae non habitant. Amen. In quo autem gratias agebamus, dico [forte dicit]: Salvari volo, et servare volo. Amen. Solvi volo, et solvere volo. Amen. Tabe­ fieri volo, et tabescere facere [tabefacere] volo. [Gr. add. Sauciari volo, et sauciare volo.] Amen. Nasci volo, et gignere volo. Manducare volo, et consumi volo. Amen. Audiri volo, et audire volo. Amen. Intelligi volo, cum intellectus sim totus. Amen. Lavari volo, et lavare volo. Amen. Gratia chorum ducit. Tibia canere volo, saltate omnes. Amen. Lamentari volo, plangite omnes. Amen. Et post alia: Haec, dilectissimi, chorum ducens nobiscum Dominus exivit: et nos quasi aberrantes, vel etiam obdormientes, hac illacque fugimus.« 416 Rebell, Neutestamentliche Apokryphen, S. 167. 417 Werminghoff (Hg.), MGH Concilia aevi Karolini II, S. 165–171; Boretius (Hg.), MGH Capitularia regum Francorum I, Nr. 28, S. 73 ff.; vgl. Mordek, Frankfurter Kapitular. 418 Anastasius Bibliothecarius, Sancta synodus septima generalis, PL 129, Sp. 357C–360B; zur Person vgl. Wolter, (Art.) Anasthasius Bibliothecarius. 419 Vgl. nur Hödl, (Art.) Abendmahl, Abendmahlsstreit; de Montclos, (Art.) Berengar von Tours; Gibson, (Art.) Lanfrank von Bec; Blumenthal, (Art.) Humbert von Silva Candida; Schieffer, (Art.) Humbert von Silva Candida. 420 Vgl. nur Oberste, Ketzerei, S. 30–34. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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War Christus also im Sakrament infolge der priesterlichen Weihe anwesend, weil er realiter fleischlicher Mensch geworden war? Oder war er nur symbolisch und spirituell präsent? Der Patriarch Tarasius hatte in Nicäa 787 gegen die spiritualistische Christologie der Johannes-Akten und für die fleischliche Menschengestalt mit folgenden eindrücklichen Worten plädiert: »In jenem Reisebericht421 steht geschrieben, dass er [Christus] weder gegessen noch getrunken noch mit seinen Füßen den Boden berührt habe, und ähnliche Phantastereien. Aber im Evangelium steht von Christus geschrieben, dass er sowohl aß als auch trank und dass die Juden von ihm selbst sagten: Seht diesen verfressenen und trunksüchtigen Mann. Und wenn er, wie fabuliert wird, die Erde nicht berührte, warum steht dann in den Evangelien, dass Jesus sich, müde von der Reise, an einen Brunnen setzte?«422

Tarasius bezieht sich hier auf Lukas 7,31–35, das Urteil Jesu über Johannes den Täufer  – eine Perikope, die vielleicht nicht zufällig zugleich eine der zentralen Bezugsstellen für die metaphorisch-allegorische Verwendung von Tanz und Reigen in der christlichen Theologie enthält.423 Jesus vergleicht sich selbst mit seinem Vorläufer Johannes dem Täufer (nicht dem Evangelisten als an­ geblichem Verfasser der Johannes-Akten), und er stellt dessen asketischen Nahrungsverzicht der eigenen Leiblichkeit gegenüber. Wie die Ungläubigen Johannes unterstellt hätten, von Dämonen besessen zu sein, so verspotteten sie ihn, Jesus, gerade wegen seiner realen Menschwerdung. Wenn in der Fassung I der Kölbigker Legende sowohl der Sohn des Priesters, der seine Schwester aus dem Reigen ziehen soll, als auch der wie diese nach dem Tanz sterbende Mittäter »Johannes« genannt werden,424 so verweist dies wohl 421 Die Johannes-Akten enthalten hauptsächlich eine Darstellung der Missionsreisen des Johannes Evangelista, daher die Bezeichnung als »itinera«. 422 »In itineribus istis scriptum est, quod neque manducaret, neque biberet, neque pedibus terram calcaret, consimilia Phantasticorum. Sed in Evangelio scriptum est de Christo, quia et manducavit et bibit; et Judaei de ipso dicebant: Ecce homo vorax et vini potator. Et si, ut fabulose mentiti sunt, terram non calcabat, quomodo scriptum est in Evangeliis, quod Jesus fatigatus ex itinere sedit circa puteum?«, Anastasius Bibliothecarius, Sancta synodus septima generalis, PL 129, Sp. 358 f.; Mansi (Hg.), Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, Bd. 13, Sp. 171 f.; zum Fortleben dieser doketistischen Christologie vgl. nur Zschoch, Christenheit, S. 119 f. 423 Lk 7,31–35: »Mit wem soll ich also die Menschen dieser Generation vergleichen? Wem sind sie ähnlich? Sie sind wie Kinder, die auf dem Marktplatz sitzen und einander zurufen: Wir haben für euch auf der Flöte gespielt, und ihr habt nicht getanzt; wir haben Klagelieder gesungen, und ihr habt nicht geweint. Johannes der Täufer ist gekommen, er ißt kein Brot und trinkt keinen Wein, und ihr sagt: Er ist von einem Dämon besessen. Der Menschensohn ist gekommen, er ißt und trinkt; darauf sagt ihr: Dieser Fresser und Säufer, dieser Freund der Zöllner und Sünder! Und doch hat die Weisheit durch alle ihre Kinder recht bekommen.« Zur allegorischen Deutung dieser Perikope vgl. oben, Kap. III.4.1. 424 Vgl. oben, Kap. VI.3.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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auch auf diese Bibelstelle. Die Verfasser des Mirakels hatten sie sicherlich unabhängig von den Johannes-Akten vor Augen und überblendeten sie mit dem Motiv der Heilssuche des Volkes Israel: Der Täufer hat gepredigt (allegorisch: auf der Flöte gespielt), und die »Kinder« haben ihm nicht geglaubt (allegorisch: nicht getanzt). Da »Tanz« hier ausschließlich sublimiert den spirituellen Nachvollzug der kosmischen Harmonie meint, sind die Bedeutungen umgekehrt zu denken: Realiter zu tanzen (wie die jungen Leute im Mirakel) heißt, nicht zu glauben, den spirituellen Tanz also zu verweigern. Zugleich eröffnet das Lukas-Evangelium den Blick auf die Nahrungslosigkeit: Wie beim Täufer ist die Bedürfnislosigkeit der Tänzer ein Zeichen der göttlichen Gnade, nicht dämonischer Besessenheit, wie die »Pharisäer« vermeinen. Und Jesus ist realiter inkarniert, weshalb er isst und trinkt, ohne dass dies seine Göttlichkeit in Frage stellen könnte.425 In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, der Entstehungszeit des K ­ ölbigker Mirakels, wurde im Umfeld der beginnenden Kirchenreform der Konflikt zwischen spiritualistischen und realistischen Tendenzen in der Christologie mit neuer Härte ausgefochten. Im Zweiten Abendmahlsstreit identifizierten die siegreichen »Realisten« ihre Gegner immer wieder mit der spiritualistischen Leugnung der Inkarnation Christi.426 Ein Kenner dieser theologischen Diskussionen könnte die – ihrerseits auf astralmythische Motive rekurrierende – Mirakelerzählung vom Tanz der ungehorsamen jungen Leute mit dem kosmischen Reigen der Apostel in der häretischen Apokryphe assoziiert haben. Die Darstellung der Tänzer als frei von allen körperlichen Bedürfnissen, die zunächst auf den alttestamentlichen Typus der Wüstenwanderschaft Israels rekurrierte, wäre für ihn demnach auch als Karikatur der gnostisch-spiritualistischen Christologie lesbar geworden. Dieser Reigen war also keine Imitation der ewigen Harmonie der Engel, sondern ein abergläubischer Nachvollzug der Irr­lehren der Priszillianer und Manichäer, von denen Augustinus gesprochen hatte. Für die Zerstreuung der Kölbigker Tänzer in alle Welt könnte demnach neben der kirchenrechtlichen Buß-peregrinatio und dem augustinischen Sermo von den Kindern der Witwe von Caesarea auch jene Zerstreuung der Apostel Vorbild geworden sein, die die Johannes-Akten an den Schluss ihres Reigens setzen. Ebenso lässt ja das Markus-Evangelium nach der Verhaftung Jesu die Jünger auseinanderlaufen.427 Das Verschwinden des menschenähnlichen Gottes aus ihrer Mitte wäre so vergleichbar mit der Auflösung des zwanghaften Reigens der Kölbigker Tänzer, ihre Zerstreuung mit der Kopflosigkeit der Apostel: 425 Zur doketistischen Vorstellung von Christus als Geistwesen in den Johannes-Akten vgl. Miller, Measures of Wisdom, S. 121–133. 426 Kandler, Abendmahlslehre, S. 47, 54–71. 427 Mt 26,56. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»So wurden wir also gleichsam wechselweise umgekehrt zu einer anderen Strafe befreit [und] getrennt, so dass wir, die wir zuvor uns nicht hatten trennen können, nun nicht länger zusammenkommen können. So wandern wir zerstreut durch alle Länder, wie solchen, denen zuvor nicht erlaubt war, irgendwo hinzugehen, nun nicht erlaubt ist, irgendwo zu bleiben.«428

Überhaupt könnte das besonders in der Fassung II ausgeprägte Spiel mit Gegensätzen von Bewegung und Statik sein Vorbild in den paradoxen Umschreibungen seiner spirituellen Natur im Hymnus des gnostischen Christus haben, bis hin zu jenem berühmten Kehrvers, den Goscelin die Tänzer bei ihrem einjährigen Reigen wiederholen lässt: »Warum stehen wir? Warum gehen [bzw. tanzen] wir nicht?«429 James Miller hat darauf hingewiesen, dass diese Polarität von Bewegung und Statik im Hymnus der Johannes-Akten auf eine der Grundannahmen der pythagoräisch-platonischen Kosmologie verweist, auf den Gegensatz zwischen dem von Apollon beherrschten »Kreis des Gleichen« und dem von Dionysos geführten »Kreis des Unterschiedlichen«.430 Während die Sphären der Planeten sich bewegen und ihre Position zueinander verändern, stehen die Fixsterne stabil zueinander. Wie die Tänzer eines Reigens bewegen sie sich zwar um einen Mittelpunkt, im Verhältnis zueinander bleiben sie jedoch unverändert.431 Der Mittelpunkt selbst, der »Eine«, ist zugleich als Teil des Reigens dynamisch und veränderlich und als Zentrum stabil und statisch.432 Der Jesus der Johannes-Akten agiert demnach als Mittelpunkt, die Apostel als Planeten. Er wird so zum neuen Demiurgen einer neuen Lehre, die die alte philosophische Kosmologie überwindet. Der äußere Nachvollzug des kosmischen Reigens wird hier Miller zufolge schon invertiert, um die eigentliche Befreiung durch die innere Erfahrung des logos zu feiern.433 In diesem Gegensatz von Bewegung und Stabilität sollte auch Pseudo-Dionysius Areopagita die ewige Beständigkeit der ecclesia bei gleichzeitiger Teilhabe an den harmonischen Bewegungen der Himmelsmächte wiederfinden.434 Auf dieser Deutungsebene ist das »Quid stamus? 428 Wilmart (Hg.), La légende, S. 291: »[…] Ita ergo ab inuicem quasi conuersa in aliam uindicta penam sumus seiuncti, ut qui prius non poteramus separari iam non possimus amplius aggregari; ita uagamur per omnes terras dispersi, ut quibus antea nusquam licuit prodire iam nusquam liceat stabiles durare. […]« 429 Ebd., S. 289: »Semper uero insultabat nostre pene cantilene regressus: Quid stamus? /  Cur non imus? Qui nec restare nec sutulum nostrum mutare potuimus.« Vgl. dazu Schäferdiek (Bearb.), Johannes-Akten, S.  167: »›Wer nicht tanzt, erkennt nicht, was sich begibt.‹  – ›Amen.‹ / ›Fliehen will ich und bleiben will ich.‹ – ›Amen.‹ […]« 430 Miller, Measures of Wisdom, S. 133–135; zur Assoziation mit Apollo und Dionysos vgl. ebd., S. 428–430, 453–455. 431 Ebd., S. 502. 432 Ebd., S. 414 f., 434 ff. 433 Ebd., S. 101–107. 434 Ebd., S. 502. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Cur non imus?« des Kölbigker Tanzes also weniger eine ironische Brechung des Schicksals, welches die Tänzer während ihres Gesangs erleiden, als vielmehr eine Reflexion auf die kosmischen Fundamente der christlichen Kirche. Entsprechend kehren auch die Kölbigker Wunderberichte dieses Gegensatzpaar um: Nicht die Bewegung ist der Weg zum Heil, sondern der Stillstand. Wo der gnostische Christus seinen Adepten empfiehlt, im Reigen Gott und sich selbst zu erkennen und so zur Befreiung vom Sternenzwang zu gelangen, da gewinnen die Tänzer von Kölbigk ganz im Gegenteil ihr Heil und ihre Individualität erst mit der gnadenvollen Erlösung vom Reigen zurück. Nun enthalten die kurzen Auszüge aus dem Hymnus des Christus, wie sie das zweite Nicäanum überlieferte und so auch im Westen bekannt machte, nur Rudimente dieser im vollständigen Text der Johannes-Akten ausgeprägten platonisch-kosmologischen Tendenz. Zwar ist es möglich, dass die Urheber der Kölbigker Textzeugnisse, etwa Goscelin in Wilton, Zugang zu umfangreicheren Passagen der Johannes-Akten hatten, feststellbar ist dies jedoch nicht.435 Die in der Tanzlegende angelegte Inversion des Apostelreigens dürfte demnach zwar auf eine Anregung durch das anathematisierte Exzerpt in den Konzilsakten zurückgehen. Für die elaborierte Ausgestaltung zumal in der Fassung II sind aber eher allgemeine Kenntnisse der platonischen Kosmologie in Rechnung zu stellen. Bei der Lektüre der Konzilsakten öffnete sich für einen klösterlichen Leser wie Goscelin augenscheinlich ein Fundus von Assoziationen mit der plato­nischen Kosmologie und ihren häretisierten Weiterungen, aus dem er sich bedienen konnte, um die Lücken zu füllen. Die spätantike ekklesiolo­ gische Leitmetapher von der Kirche als ewigem Reigen um den Höchsten wurde so auf dem Umweg über die gnostischen Apokryphen und die frühmittelalterliche Häresiologie zur polemischen Kontrafaktur der neuen Ekklesiologie, die nicht mehr von der kosmischen Harmonie, sondern von der Sakralität des Hauses Gottes in der Welt ausging: Der Christus des Tanzes von Kölbigk hat ein »Haus«, seinen inkarnierten Körper, er hat einen »Tempel«, die ecclesia, und zu ihm gelangt die Seele nicht durch einen Reigen, sondern durch die sakramentale Heilsvermittlung der Kirche.

435 Auch Schäferdiek (Bearb.), Johannes-Akten, S. 138–144, vermutet neben den ab dem 6. Jh. nurmehr bruchstückhaften Rezeptionszeugnissen weitere Überlieferung. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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VI.5.2 Sakralisierung des Kirchenraumes und encadrement: Neue Bedeutungen für eine alte Erzählung Im Umkehrschluss ließ sich dies mit Petrus Damiani zusammenfassen: »In ­circuitu impii ambulant«.436 Im Kreis zu laufen war ihm nurmehr ein Zeichen für jene Ungläubigen, die dem Zwang des Sternenreigens unterworfen waren. Der Reigen der Engel, die Kirche als Abbild der kosmischen Sphärenbewegungen wurden bei ihm stillgestellt, oder besser: sie wurden ersetzt durch Metaphern des himmlischen Mahls bei der Hochzeit im Haus Gottes. Ebenso sollte noch der Straßburger Dominikaner Meister Ingold (um 1380–1440/50) in seinem »Püchlein vom guldin spil« den Psalmvers als Aufhänger für seine moralische Verurteilung des Tanzes insgesamt wählen.437 Auch die jungen Leute der Kölbigker Legende tanzten nicht einfach auf dem Kirchhof, sondern sie führten dem Bericht des Othbert (I) zufolge ausdrücklich einen verderblichen »circuitus«438 auf. Ein lothringischer Kleriker des frühen 11. Jahrhunderts, der Berichte über das Tanzwunder hörte oder las, muss dabei beinahe zwangsäufig an diesen Wechsel in der ekklesiologischen Semantik vom Tanz als Mimesis der Sphärenbewegungen zur Kirche als Abbild des himmlischen Gotteshauses gedacht haben. Dies umso mehr, da ja das Verhältnis zwischen Gott und seiner ecclesia als spirituelle Ehe verstanden wurde, und ebenso jenes zwischen dem Priester und seiner Gemeinde.439 Freilich verstellt die Konzentration auf den asketischen Eiferer Petrus ­Damiani hier eher den Blick auf die vielfältigen Bedeutungsebenen des Begriffs. Denn als circuitus bezeichnete man weiterhin auch im positiven Sinn die liturgische Umschreitung von Kirche und Kirchhof durch den Bischof bei der Kirchweihe.440 Erst diese Umschreitung begründete die Abschließung des Sakral­ 436 Reindel (Hg.), Petrus Damiani, Liber Gomorrhianus, S. 294; vgl. Ps. 12,9; vgl. oben, Kap. VI.4.2. 437 Harding, Investigation, S. 71, die diese Sentenz für eine Variation des vielfach über­ lieferten Sprichworts »chorea est circulus …« hält. 438 Fassung I, Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 38: »[…] post annum redeunte ­eadem sanctissima nativitate Domini usque ad latera dimersi in circuitu choros duximus.« Vgl. das ähnliche Vokabular in Fassung II, Wilmart (Hg.), La légende: »incessabiliter ­gyrando« (S.  288); »chorizando circuire« (S.  289); »[…] nec lassati sumus circulacionis diuturnitate« (S. 290); »circulo sub nudo aere rotatis« (S. 290); »saltus et rotatus« (S. 291); »rotatus membrorum« (ebd.); Fassung III: Metzner, Zur frühesten Geschichte, S.  47: »in medium chori ­circulum«. 439 Iogna-Prat, Léon IX, pape consecrateur, S.  357; Lauwers, Naissance du cimetière, S. 60 f.; vgl. oben, Kap. VI.2.2. 440 Iogna-Prat, Léon IX, pape consecrateur, S. 365 f, 369 f.; Iogna-Prat, La Maison Dieu, S. 60; Lauwers, Naissance du cimetière, S. 58–60, 137–139, 202–208; Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 84 mit Anm. 382. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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raumes von der diesseitigen Umwelt: Die bösen Mächte wurden so aus dem durch den Weiheakt konstituierten Raum ausgeschlossen.441 Ganz entsprechend berichtet etwa Anselm von Saint-Remi in De dedicatione ecclesiae sancti Remigii Remensis über die Einweihung der neuen Klosterkirche von Reims im Jahr 1049, dass der neue Papst Leo IX. und seine Konzelebranten die Reliquien in einer »circuitio extra civitatis moenia« um Abtei und Stadt herumgeführt hätten.442 Die umkreiste Siedlung wurde so zum Abbild des himmlischen Jerusalem.443 Der Gang um die Kirche, das Grab, den Altar bildete allgemein ein zentrales performatives Mittel in liturgischen und paraliturgischen Akten.444 Jede Umgangsprozession jedoch war und blieb eine Imitation des perfekten »inter­ minabilis circuitus« der Engel, so Pseudo-Bonaventura noch im 13.  Jahrhundert.445 Wie das Labyrinth auf dem Kirchenboden für die Stadt und das himmlische Jerusalem stehen konnte, die an Ostern von den Kanonikern in einem Reigen umtanzt wurde, so verwandelte auch die Prozession bei der Kirchweihe ihr Inneres in ein Abbild Zions.446 Die Umkreisung war jedoch ebenso Teil  volkskultureller Hochzeitsbräuche, und allgemeiner: ein zentrales performatives Mittel der profanen Rechtspraxis. Sie definierte und konstituierte Rechtsräume und Festzeiten und vermittelte bei Übergangsritualen die Integration von Personen in neue Gruppenzusammenhänge – sei es bei Geburt, Übergang in die Mündigkeit, Hochzeit oder Tod und Bestattung.447 Als apotropäi 441 Hayes, Body and Sacred Place, S. 11 f. 442 Hourlier (Hg./Übers.), Anselme de Saint-Remi, Histoire de la dedicace, Kap. XXIV, S.  230; Iogna-Prat, Léon IX, pape consecrateur, S.  362; Lauwers, Naissance du cimetière, S. 208. Es handelt sich bei dieser Umgangsprozesssion freilich nicht um die Weihe des Sakralbezirks der Kirche, sondern um die Übergabe der ganzen Siedlung an das Patronat des Heiligen. Neben der Kirche als sakralem Zentrum und dem Kirchhof als ihrem sakralisierten Umfeld wurde so eine dritte Abstufung der Sakralität konstituiert. Circuitus konnte dabei auch den abgegrenzten Raum, etwa die Umgebung der Siedlung, selbst bezeichnen, vgl. Anselme de Saint-Remi, Histoire de la dedicace, Kap.  XXIII, S.  230: »Quod in circuitu civitatis cum jocunditate deportantes, congruas stationes per praefixa faciunt spacia.« 443 Doob, The Idea, S. 138 f. 444 Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S.  35. Ebenso hatte etwa das frühmittelalterliche Taufritual aus der antiken römischen Kultpraxis die einmalige Umdrehung des Gläubigen um sich selbst als Zeichen der Verehrung und Nachvollzug des Sonnenlaufs übernommen, vgl. Dölger, Sol salutis, S. 57 ff. 445 Schulz, Bild, S. 148; Zimmermann, Engelsreigen, S. 99. Zum Kreis als perfekter Form vgl. nur Kirkendale, Circulatio-Tradition, S. 78 f. 446 Vgl. oben, Kap. III.5.3. 447 Hochzeitsritual: Schulz, Bild, S. 46; Knuckel, Umwandlung, S. 13–18, 28–30, allg. ebd., S. 19–26, 38–47 (Sterbe- und Funeralritual); Panzer, Tanz und Recht, S. 5 f., 108 (Umschreiten des Tanzplatzes konstituiert Kirchweihfrieden); Tabbert, Kreis in Kult und Zauber, S. 17 f. (Umkreisung konstituiert Bann/Friedensraum des Gerichts), S. 25–29 (Kreis schließt Teufel/ böse Geister aus/ein); Stocks, Disziplinierung, S. 96 f.; Sachs, Weltgeschichte, S. 43 ff. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sches Ritual bannte die Umkreisung Krankheiten oder Dämonen.448 Nicht jede Kreisbewegung also war frevelhaft. Wie im Fall der merowingerzeitlichen tripudia musste vielmehr scharf unterschieden werden zwischen solchen circuitus, die Laien in Eigenregie und folglich aus theologischer Sicht ataktisch ausführten, und solchen, die autorisiert durch die Kirche oder gar unter Führung des Bischofs als Inhaber der kirchlichen Binde- und Lösegewalt ausgeführt wurden. Der circuitus der Kölbigker Tänzer verknüpft demnach zwei Bedeutungen, die die kosmologische Rückbindung gemeinsam haben, in der rituellen Praxis des 11. Jahrhunderts jedoch konkurrierten: das traditionelle Ritual, das auf astralmythologische Vorstellungen der Integration in die Sphärenbewegungen rekurrierte; und die Weihe der Kirche, die beide gleichermaßen auf die Bewegungen der Himmelsmächte verweisen. Die Kirchweihe als quasi sakramentaler Akt freilich war im 11.  Jahrhundert noch ein relativ neues Phänomen. Ein entscheidender Wegbereiter dieses Wandlungsprozesses in der ekklesiologischen Metaphorik und sakramentalen Praxis war ebenjener Bischof Bruno von Toul bzw. Papst Leo IX., den ­Goscelin in der Fassung II des Kölbigker Berichts so hymnisch lobt. Schon als Bischof ein Förderer der Erneuerungsbewegung, war er zum ersten Vertreter der Kirchenreform auf dem Papstthron geworden.449 Besonders auf seinen Reisen durch Lothringen und das Reich und auf zahlreichen Synoden bemühte er sich um die Durchsetzung eines neuen Verständnisses der ecclesia.450 Auf der Synode von Reims Anfang Oktober 1049 wurde in seinem Beisein neben Häresie, Simonie und Nikolaitismus auch das Problem sakrilegischer Gewohnheiten im Kirchenraum behandelt.451 Bei dieser Gelegenheit konsekrierte Leo die neue Abtei­k irche. Dies war Teil einer ganzen Kampagne von Kirchweihen, mit der der neue Papst zur Durchsetzung eines neuen Paradigmas von der Kirche als durch das bischöfliche Weiheritual begründetem Sakralraum beitrug.452 448 Knuckel, Umwandlung, S. 62–66. 449 Vgl. neuerdings den Sammelband Bischoff/Tock (Hg.), Léon IX; darin bes. Rapp, Intro­duction; Dalhaus, Das bischöfliche Wirken, S.  46 ff.; außerdem Wolter, Synoden im Reichsgebiet, S. 405 f.; Gresser, Synoden und Konzilien, S. 11 f. 450 Iogna-Prat, La Maison Dieu, S.  366–370, 380 f.; Ders., Léon IX, pape consecrateur, S. 358 f.; Freck, Reisetätigkeit, S. 162 f.; Munier, Léon IX et la reforme, S. 130 f.; Wolter, Synoden im Reichsgebiet, S. 406 f., 411; Blumenthal, Ein neuer Text, S. 38–40; Gresser, Synoden und Konzilien, S.  11–30; über Lotharingien als Zentrum der Kirchenreform vgl. Laudage, Priesterbild und Reformpapsttum, S. 126–141. 451 Über diese Synode vgl. Bur, Léon IX et la France, S. 244–252; Morelle, Le concile de Reims; Wolter, Synoden im Reichsgebiet, S. 406–408; Munier, Léon IX et le droit canonique; Ders., Léon IX et la reforme, S. 125–127; Iogna-Prat, La Maison Dieu, S. 371–375; Ders., Léon IX, pape consecrateur, S. 364 f., 383; Blumenthal, Ein neuer Text, S. 39 f.; Gresser, Synoden und Konzilien, S. 17–21. 452 Iogna-Prat, La Maison Dieu, S. 260–265, 366–370, 381–388; Ders., Léon IX, pape consecrateur; Lauwers, Naissance du cimetière, S. 61–63. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Dieses neue Verständnis, wie es vor allem Dominique Iogna-Prat und Michel Lauwers erforscht haben, beinhaltete auch eine Neubewertung der Sakralität des direkten Umfelds des Kirchengebäudes, des Kirchhofs also, der schon seit der Spätantike immer mehr zum liminalen Raum zwischen Umwelt und Kirche geworden war,453 nun aber zunehmend durch einen eigenen Weiheakt vom profanen Raum abgegrenzt wurde.454 Kein anderer als Leo IX. gilt als der erste Bischof, der systematisch Friedhöfe weihte.455 Wenn in der Kölbigker Überlieferung der Ort des Tanzes als »cimiterium« und »atrium« bezeichnet wird,456 handelte es sich dabei also um einen abgesonderten Rechtsraum, dessen Status sich im 11.  Jahrhundert und ausgehend vom lothringischen und angelsächsischen Kernraum der Kölbigker Überlieferung massiv veränderte.457 Im Boden dieser neuen Zone abgestufter Sakralität fanden die verstorbenen Mitgläubigen der Gemeinde ihren Platz. Sie blieben so in der Versammlung der Christen präsent. Die Erde des Friedhofs wurde in einer gewagten marianischen Allegorese zum »Mutterschoß der Kirche«.458 Allerdings wurde oft nur ein Teil des durch den circuitus definierten Kirchhofes als Bestattungsplatz genutzt.459 Ein Reigen im atrium der Kirche, wenn er denn außerhalb der Imagination klerikaler Autoren stattgefunden haben sollte, war also nicht zwangsläufig buchstäblich ein Tanz auf den Gräbern.460 Er diente nicht primär der Kommunikation mit den Toten, sondern der Imitation der kosmischen Bewegungen, denen man hier spirituell besonders nahe kam. Und er verstieß nicht primär gegen Gesetze der Pietät, sondern gegen die Sakralität des Ortes. Folglich umfassten die bischöflichen Weiheakte immer auch die Androhung, dass all jene, die den durch den circuitus definierten Raum verletzten, für immer verflucht und anathematisiert sein sollten.461 Der Fluch des Priesters von Kölbigk 453 Hamilton/Spicer, Defining the Holy, S. 10 f. 454 Lauwers, Naissance du cimetière; Iogna-Prat, La Maison Dieu, S.  245–249, S.  312; Ders., Léon IX, pape consecrateur, S. 370 f.; Zadora-Rio, Making of Churchyards, S. 13; ganz ähnlich schon Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 80–90. 455 Lauwers, Naissance du cimetière, S. 128–150; Iogna-Prat, La Maison Dieu, S. 382–388; Ders., Léon IX, pape consecrateur, S. 372 f. 456 Fassung I: Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 38: »choros in cimiterio duximus«; Fassung II, Wilmart (Hg.), La légende, S. 296: »chorollam confusionis in atrio ordinamus«; Fassung III: Metzner, Zur frühesten Geschichte, S.  47: »in atrio ipsius ecclesie lusibus et lascivitatis dediti«; vgl. dazu Schröder, Tänzer von Kölbigk, S.  140 f.; zum Begriff atrium (= Vorplatz, Kirchhof, nicht Vor-/Torhalle) vgl. Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 80, 83. 457 Lauwers, Naissance du cimetière, S. 148–154. 458 Ebd., S. 9–15, 116–120 (Friedhof als neuer Mutterschoß der Kirche), 126–132, 160. 459 Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S.  86–88; Zadora-Rio, Making of Churchyards, S.  ­13–16, spricht von einem kontinuierlichen Prozess der Verkleinerung der Begräbnisflächen zwischen dem 11. und dem 19. Jh. 460 So etwa noch Kleinschmidt, Folgen einer Ekstase, S. 268 f. 461 Lauwers, Naissance du cimetière, S. 154–158; vgl. Iogna-Prat, Léon IX, pape consecrateur, S. 370 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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exekutiert also insofern nur – freilich auf recht bildhafte Weise – Bestimmungen des kirchlichen Rechts: Die Gefangenheit im astralen Reigen bezeichnete doch nichts anderes als den angedrohten Ausschluss aus der Heilsgemeinschaft. Wenn die Fassungen I und III also die Tänzer sukzessive in der Erde ver­ sinken sehen, so wird dabei sicherlich auf die spezifische Qualität der terra ­cimiteriata als materielles Substrat der kollektiven Präsenz der Toten abge­ hoben.462 Viele spätere Tanzsagen sollten ihre Delinquenten noch eindeutiger wie Dathan und Abiram im Boden versinken lassen. So wurde der Legenda ­aurea zufolge etwa auch Salome nach ihrem Tanz vom Boden (bzw.: vom brechenden Eis eines Sees) verschluckt.463 Im Kölbigker Fall jedoch, im Kontext der gerade aktuellen Neusemantisierung des Bestattungsraumes, liegen die Deutungsebenen anders: Wenn der Boden des Friedhofs als Ort der auf die Auf­ erstehung wartenden Christen selbst materiell aus deren Leibern besteht, dann tanzen die jungen Leute nicht quasi in die Hölle. Ihr Versinken in der terra ­cimiteriata ist vielmehr lesbar als vergeblicher Versuch, die Gemeinschaft mit den Seligen herbeizutanzen, als weiterer bildlicher Ausdruck der notwendigen Heilsferne ihrer Bemühungen also. Sie erlangen nicht die Teilhabe an der Gemeinschaft mit Gott wie die Bestatteten zu ihren Füßen, sondern bleiben in der Welt, auch wenn der Graben um sie immer tiefer wird.464 Bei Goscelin ist es entsprechend ausdrücklich der Boden, der den abgerissenen Arm der Ava dreimal buchstäblich ausstößt.465 Ebenso berichtet noch Petrarca von seinem Besuch in Köln im Jahr 1333, man habe ihm dort erzählt, dass der Boden der Kirche St. Ursula die Leiber unwürdiger Toter nicht aufnehme.466 Im Kreis der Umformungen der Tanzlegende tritt sogar die Behauptung auf, der so entstandene kreisrunde Graben sei späterhin noch als Zeugnis des Wunders vorgezeigt worden.467 Damit wäre der circuitus der Tänzer sogar materialiter zur Kontrafaktur der rituellen Eingrenzung des Kirchhofes geworden, die in aller Regel mit dem Bau von Zaun, Hecke, Mauer und/oder Graben verbunden war.468 Wenn in der Kölbigker Wundererzählung Reflexionen der neuen Abendmahlslehre, des zölibatären Priesterideals und der neuen Ekklesiologie konvergieren, so geschieht dies also nicht zufällig: Das Tanzmirakel spiegelt diese drei einander bedingenden Aspekte der Reformtheologie im Gegenbild des kosmisch 462 Lauwers, Naissance du cimetière, S. 126–132. 463 Hausamann, Salome, S. 187. 464 Dies gegen Röcke/Velten, Tanzwut, S. 312 f. 465 Wilmart (Hg.), La légende, S. 289: »Tum ille luctuosus et sero penitens sentencie sue solum brachium sepelit superstitis nate. Miracula miraculis repensatur. Sepultum membrum inuenit sequenti die summotenus proiectum. Iterum sepelit, iterum postera die inhumatum reperit. Tercio sepelit, tercio nihilominus die altius eiectum offendit: quod ultra tentare timens, in ecclesia brachium recondidit.« 466 Widmer (Hg./Übers.), Petrarca, Familiaria, Nr. I.5, S. 29. 467 Vgl. unten, Kap. VI.6. 468 Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 81 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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spirituellen Reigens, der zugleich als Kontrafaktur der Kirche als Haus Gottes, des Priestertums als Brautschaft mit Gott und der Kirche und der Eucharistie als sakramentaler Gemeinschaft mit Gott funktionierte. Auch bei den Tänzern von Kölbigk geht es also nicht um einen Konflikt von Heiden gegen Christen oder Volkskultur gegen Klerus, sondern um innertheologische Debatten über den Charakter der ecclesia. Die Rudimente altchristlicher und volkskultureller Traditionen mussten freilich für die argumentative Unterfütterung dieser Debatten als Bildreservoir herhalten. Auch im 11. Jahrhundert wurde nicht grundsätzlich um die spirituelle Validität von Tanz als kosmischer mimesis gerungen, sondern um die Frage, ob die Beziehung der Gläubigen zu Gott mit Imagina­ tionen von Statik und räumlicher Sakralität oder eher mit solchen von Dynamik und temporärer spiritueller Präsenz beschrieben werden sollte. Das Brautwerberitual, wie es die Kölbigker Erzählung zumindest topisch alludiert, mag nun als volkskultureller Brauch zur Verstärkung seiner Wirkung tatsächlich bevorzugt auf geweihtem Grund oder auf den Gräbern der Vorfahren durchgeführt worden sein.469 Vielleicht fand es auch lediglich gewohnheitsmäßig im Zentrum der Siedlung statt. Infolge des »encadrement«, wie es Dominique Iogna-Prat und Michel Lauwers beschrieben haben,470 war dieser alltägliche Versammlungsort nun jedoch durch die Kirche und den Kirchhof belegt. Damit konnten an diesen Plätzen, die für sich neuerdings Sakralität beanspruchten, zumindest idealtypisch keine profanen oder gar superstitiösen Rituale mehr geduldet werden. Der Brauttanz wurde insofern vielleicht erst zum Problem, als die neue Ekklesiologie seinen Ort sakral besetzte. Der Erfolg der Kölbigker Mirakelerzählung in der spätmittelalterlichen Rezeption lebte dann vornehmlich davon, dass sie die theologisch-kirchenrecht­ liche Ambivalenz der doppelten profan-sakralen Zentralfunktion der Kirche auf eine einfache narrative Formel brachte. Die Legende wurde immer wieder erzählt, gerade weil die normativen Ansprüche, die sie formulierte, nicht durchsetzbar waren. Sie wurde so selbst zum Ausdruck und Medium des beschriebenen Wandels der Auffassung von der Sakralität des Raumes hin zu einer strikten Polarität. Diese klare, einfache Unterscheidung von Innen und Außen der ecclesia steht jedoch am Ende der langen Rezeptionsgeschichte des Kölbigker Tanzes, nicht schon an ihren Anfängen. Dabei war die Frage des 7. Jahrhunderts nach der Legitimität von Tanz in der Liturgie jedoch in der Mitte des 11. Jahrhunderts noch längst nicht eindeutig geklärt. Denn wie Anselm von Saint-Remi vermerkt, fielen auch noch 1049 bei der Weihe der neuen Abtei von Reims die Leute in ein »jubilationis tripudium«.471 Die gläubigen Anhänger Leos IX., des 469 Wiora, Brautreigen, S. 194; Kyll, Tod, Grab, Begräbnisplatz, S. 90 f., die beide auf revisionsbedürftige Forschungen zur germanischen Ahnenverehrung rekurrieren. 470 Lauwers, Naissance du cimetière, bes. S. 273 (Fazit). 471 Hourlier (Hg.), Anselme de Saint-Remi, Histoire de la dedicace, S. 226. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ersten Papstes der Kirchenrefom, tanzten also wohl selbst auf dem Kirchhof, offensichtlich ohne damit die kosmische Harmonie der ecclesia zu stören.

VI.5.3 Selbst-Verlust im Sternenzwang oder Einwohnung Gottes in der Kontemplation Indem die Kölbigker Überlieferung die dämonische Raserei der Gegen­spieler des Eligius zum einjährigen Zwangsreigen umformulierte, blieb sie zwar im konzeptionellen Rahmen der platonischen mania. Verschoben jedoch wurden die Gewichte: Da »Tanz« und »Reigen« mit dem beschriebenen Wandel der ­ekklesiologischen Metaphorik eine deutlicher negative Konnotation bekamen, konnte nun der Gegensatz von Disharmonie (debacari) und Harmonie (tripudium) abgelöst werden durch jenen von Bewegung und Statik. Die Doppelstruktur der platonischen mania von unregulierter Besessenheit und reguliertem enthusiasmos, die bereits bei Audoinus umgekehrt worden war in blasphemischen Tanz als Ursache für besessene Raserei bzw. diese als Strafe für jenen, wird im Fall der Tänzer von Kölbigk in einer Dreierstruktur neu gefasst: Der sakrilegische Tanz ist selbst die Störung der kosmischen Harmonie, wie sie in der durch ihn gestörten Liturgie abgebildet wird. Der christ­liche Gott (in Person seines Priesters) straft dieses Sakrileg, indem er einen zweiten, unfreiwilligen Tanz induziert. In seiner Unaufhörlichkeit markiert dieser zweite Reigen wie der tödliche Tanz des Aurelianus in der Passio Domitillae zugleich die Vergeblichkeit des scheiternden Rituals: Die Tänzer können den Reigen nicht beenden, weil er als Kommunikationsform nicht mit der Sphäre des Göttlichen, sondern nur mit jener des Sternenzwangs verbindet. Nicht der ein Jahr dauernde Reigen befreit die Tänzer, sondern die Gnade Gottes, und nicht durch die Kraft des enthusiasmos, sondern durch die Heilsvermittlung der Kirche. Nachdem dieser zweite Tanz beendet ist, behalten die Beteiligten einen dritten, dauerhaften »Tanz« als Zeichen ihrer göttlichen Bestrafung zurück, den tremor, der die wandernden Inhaber der Bettelausweise als körperlicher Beweis ihrer Erzählung begleiten wird. Die mania wird so von einer temporären Störung der körperlichen wie kosmischen Ordnng zu einem dauerhaften Zeichen gottgewollten Leidens umgedeutet. Mit dem Motiv der chronischen Zuckungen öffnete sich die diskursive Weiterentwicklung der platonischen mania auch zu Assoziationen mit zerebralen oder konvulsivischen Leiden: Entsprechende Symptome von körperlichem Kontrollverlust wurden so lesbar als Stigma und Buße für eine frühere Abkehr von Gott. Zugleich vollzieht die Kölbigker Geschichte eine auffällige Individualisierung ihres Themas: Durch die Umformung zu einer Erzählung in der ersten Person wird aus der anonymen Gruppe der Rasenden in der Vita Eligii wieder eine identifizierbare Person wie in der Passio Domitillae. Es sind Einzelne, © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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die mit ihren Pilgerausweisen an die Klostertore klopfen und von jenem wundersamen Reigen berichten.472 Es sind Einzelne, die als angebliche Urheber von Selbstzeugnissen stilisiert werden. Dass dies nicht selbstverständlich ist, zeigt schon das Gegenteil, nämlich der Umstand, dass in der Pariser/Echternacher Fassung (III) und auch in vielen späteren Bearbeitungen von I und II die erste Person Singular wiederum zurückgenommen ist zugunsten einer neutraleren Berichtsform. Am Beispiel der Priestertochter, die für den Sündenfall ihres Vaters stell­ vertretend büßt, spielt das Tanzwunder den Zerfall der körperlichen und personalen Integrität infolge der Abkehr von Gott exemplarisch durch. Vor allem jedoch thematisiert das Mirakel den Kontrollverlust der Tanzenden über ihren eigenen Körper, ja: über sich selbst, in den Aussagen der Berichterstatter. So lässt die Fassung III die aus dem Schlaf in der Kirche erwachten Teilnehmer »zu sich kommen« – gleich darauf jedoch von ihren Eltern wiederum auffällig unselbständig behandelt werden.473 Nicht ganz so dominant tritt das Umfeld im Bericht des Othbert (Fassung I) auf, der die Rekonziliation jedoch ebenso eindeutig als Rückkehr zur eigenen Personalität beschreibt.474 Bei Goscelin (Fassung II) hingegen steht das Ende des unfreiwilligen Reigens ganz im Zeichen des Martyriums der unschuldigen Priestertochter Ava. Umso deutlicher kann er die Wiedererlangung der Selbstkontrolle im Zusammenhang mit der endgültigen Heilung des »Theodericus« durch die Klosterpatronin Edgith von Wilton thematisieren. Der vor dem Altar Eingeschlafene erwacht, und da: »Der zuvor Ruhelose sieht sich unbeweglich stehen können, sieht sich wieder ganz in den Besitz seiner Kraft gestellt.«475

Den Herbeigelaufenen ruft er zu: »›Seht! […] diese selige Herrin, die ich kaum anzurufen wusste, der ich kaum richtig zu benennen wusste, was mich so höchst verzweifelt machte, wie sie mir mich wiedergegeben hat […].«476

Der Verfasser schließlich erinnert an den Eindruck der Umstehenden: 472 Dies gilt für die Fassung II (»Theodericus«), aber auch für Lampert von Hersfeld (»Ruthart«), vgl. oben, Kap. VI.2.1. Vgl. jedoch Fassung I, Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 38 f.: »Hec littere date sunt nobis a domino Peregrino Coloniensi episcopo […].« 473 Ebd., S. 47: »Tertio quoque die ad se ipsos redeuntes de ecclesia expulsi sunt et capti a parentibus non sine quadam violentia balneati et vestiti sunt.« 474 Ebd., S. 38: »Post excitationem nostram ad propria reversi accepimus cibum.« 475 Wilmart (Hg.), La légende, S. 291: »Videt se de instabili stare posse immobilem, uidet se totum factum sui compotem; […].« 476 Ebd.: »›Videte, inquit, hec benedicta domina, quam uix inuocare, uix nominare recte sciebam, quid michi desperatissimo fecit, quomodo me michi restituit et obprobrium meum, omnium occulis conspicuum, ab omnibus detersit.‹« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»Wie also war es damals, diesen Menschen zu sehen, erst das eine, dann das andere machend, zunächst unstet, dann beständig, eben noch unanständig tanzend, bald anständig still stehend.«477

Goscelin verschiebt hier gegenüber III und I die Gewichtungen, zeichnen diese doch die Tanzteilnehmer einerseits als chronisch durch ein Zucken stigma­ tisiert, andererseits als in ihrer Personalität wiederhergestellt. Offenbar galt eine sichtbare Beeinträchtigung wie der tremor der Büßenden zunächst nicht als Minderung der Verfügungsgewalt über das eigene Selbst – eine Vorstellung, die in einer durch die Präsenz körperlicher Gebrechen gekennzeichneten Gesellschaft naheliegend war. Und auch die Unterwerfung der gerade »Zu-sich«-Gekommenen unter die Verfügungsgewalt ihrer Eltern widerspricht bei Unmündigen nicht der Vorstellung einer wiedererlangten sozialen Personalität. Der Mönch Goscelin jedoch verschärft hier die Kategorien: Ihm ist nur ein Mensch, der »unbeweglich stehen« kann, »ganz in Besitz seiner Kraft gestellt«. Und die Heilige, die dies bewirkt, tut nichts Geringeres, als ihn wortwörtlich sich selbst zurückzugeben. Die für die Kölbigker Geschichte in vielerlei Hinsicht als Vorlage dienende Erzählung des »Paulus« über den Fluch der Witwe von Caesarea, wie sie Augustinus überliefert, hatte diesen Zusammenhang noch anders geschildert: Der zuckende Büßer fällt auch hier vor dem Altar zu Boden und verliert das Bewusstsein. Als er erwacht, findet auch er sich vom tremor geheilt, jedoch ohne ein weiteres Wort über seine Selbstwahrnehmung.478 Der Zustand der Liminalität im Tanz wird also in allen drei frühen Kölbigker Zeugnissen als Verlust des Selbst beschrieben, der nur durch den hl. Magnus bzw die hl. Edgith mit Gottes Hilfe rückgängig gemacht werden kann. Die Gefangenschaft im Schwellenraum der Gottesferne ist nicht nur ein Zustand der Unfreiheit, wie die massive Verwendung von Metaphern des Bindens und Lösens impliziert. Sie ist auch ein Zustand der Entfremdung von der eigenen Person: Gott bzw. der Heilige als wahrer eleutherius479 beendet den Reigen und führt den Menschen zur Freiheit. Hatte die platonische Kosmologie im rituellen Nachvollzug der kosmischen Bewegungen der Seele den Aufstieg zur Befreiung von den irdischen Zwängen verheißen, so sieht das Kölbigker Mirakel gerade im Tanz selbst Unfreiheit und Selbstverlust gegeben. Der Hymnus der apo­k ryphen 477 Ebd.: »Quale tunc erat uidere eundem hominem alium atque alium factum, prius instabilem, deinde constabilem, hodie importune saltantem, modo oportune astantem.« Vgl. kurz zuvor: »Concurrunt passim ad maius spectaculum, magisque iam obstupescunt homines potuisse ab inquietudine cessare quam obstupuerant non potuisse quiescere.« 478 Vgl. Augustinus, Sermo 322, PL 38, Sp.  1444: »Die autem dominico Paschae, sicut alii qui praesentes erant, viderunt, dum orans cum magno fletu cancellos teneo, subito cecidi. ­Alienatus autem a sensu, ubi fuerim nescio. Post paululum assurrexi, et illum tremorem in corpore meo non inveni.« Vgl. dazu oben, Kap. VI.2.4. 479 Zu Eligius als lysios bzw. eleutherius vgl. oben, Kap. V.3.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Johannes-Akten etwa, wie er den Verfassern der Kölbigker Legende vielleicht als Beispiel für spiritualistische Häresien vor Augen stand, versprach mit der Einweihung in das Mysterium genau diese Befreiung von der heimarmene. Entsprechend denkt auch das Kölbigker Mirakel ganz platonisch-kosmo­ logisch, kehrt jedoch die Vorzeichen um: Der Tanz als solcher ist Performanz der Unfreiheit, weil er Nachvollzug der kosmischen Bewegungen ist. Er bietet aber keine Option auf Seelenaufstieg oder Befreiung. Nur die Harmonie mit Gott selbst, also die Annäherung im Glauben, kann aus dem Sternenzwang befreien, denn nur Gott kann aus der Gefangenschaft in der fatalen Imitation der Sphärenharmonie befreien. Nicht mehr die Teilhabe am häretischen Mysterium des Reigens mit Christus ist der Weg zum Seelenaufstieg, sondern die innere Begnadung durch Gott selbst, die aber den irdischen Tanz gerade ausschließt. Wo der gnostische Christus seinen Adepten befiehlt, im Reigen sich selbst und Gott zu erkennen, da gewinnen die Tänzer von Kölbigk ganz im Gegenteil ihre Personalität erst mit der gnadenvollen Erlösung von der Zwanghaftigkeit des Reigens zurück. Der einjährige Reigen infolge des Fluches ist dabei durchaus weiterhin mikrokosmische mimesis der Sternenbewegungen, nur nicht mehr als funktionierendes Ritual, sondern als Zustand des gottgewollten Ausgeliefertseins an die heimarmene. Wie Eligius die Ungehorsamen den Dämonen überlassen hatte, so gestattet Gott im Kölbigker Mirakel den Sternen, ihre Macht über die Menschen zurückzugewinnen. Der Tanz von Kölbigk als Inversion gnostischer Denkmuster, wie sie die Urheber auf dem Umweg über die entstehende Häresiologie kennengelernt hatten, setzt so an die Stelle der Teilhabe an der kosmischen Harmonie die Befreiung durch den Glauben. Mikrokosmische mimesis der Sphärenbewegungen wird per se als Unterwerfung unter den Sternenzwang disqualifiziert. Dieser wird die Autonomie der Personalität im Ideal der körperlichen und seelischen Stabilität gegenübergestellt. Bewegung wird mit Heilsverlust und Heilsverlust mit Ich-Verlust gleichgesetzt. In diesem Sinn hatte schon Pseudo-Dionysius Areopagita die Seele des Christen durch die charismatische Vereinigung mit dem logos konstituiert gesehen, und eben nicht durch die ekstatische oder theurgische Kommunikation mit den Sphären, durch die von der Kirche vermittelte Gnade also statt durch den Tanz der Korybanten.480 Dabei stellt auch das Kölbigker Tanzwunder die Grundannahmen der platonischen Kosmologie nicht in Frage: Die bezwingende Kraft der Sterne bleibt wirksam, und Gott wendet sich den Tänzern auch durchaus in besonderer Weise zu. Nur wird aus der Kongruenz zwischen Gott und den Sternen ein Gegensatz: Die Gnade wird den Teilnehmern des Reigens nicht wegen, sondern trotz ihrer Performanz zuteil. Ihre Gottesnähe ist nicht theurgisch ex opere operato erzeugt. Vielmehr haben sie

480 Miller, Measures of Wisdom, S. 491. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sich – verschuldet durch ihren unwürdigen Pfarrer – von Gott entfernt, der jedoch an ihnen ein Exempel seiner Güte statuiert. Wo die fränkische Christianität zur Zeit des Eligius noch aushandeln musste, wer unter der autoritativen Aufsicht der Kirche tripudia ausführen dürfe, wo also vier Jahrhunderte früher noch ein Kampf um die Monopolisierung theurgischer Akte ausgefochten wurde, da entwickeln Verfasser im Umfeld der frühen Kirchenreform eine eindeutige Opposition von kirchlich verwalteter Eucharistie einerseits und grundsätzlich dysfunktionaler kosmischer mimesis andererseits. Nur die ecclesia vermittelt im Sinnhorizont des Kölbigker Mirakels das Heil. Dieses Heil ist per se die Befreiung vom Sternenzwang der Fixsternsphäre. Der performative Nachvollzug des kosmischen Reigens wird so zum Inbegriff der Entfernung von Gott: Wie die Israeliten Gott vergessen und stattdessen um das Goldene Kalb getanzt hatten, so konnte Petrus Damiani die Psalmen zitierend feststellen: »Die Ungläubigen laufen im Kreis.« Und wie das Volk Israel auf die lange Wanderschaft durch die Wüste der Gottessuche geschickt worden war, so malte sich Hildegard von Bingen im 12. Jahrhundert den Zustand der Gottesvergessenheit als wüstengleiche Unfruchtbarkeit und Leblosigkeit aus.481 Wie Christel Meier am Beispiel Hildegards herausgearbeitet hat, galt der Mensch, der Gott vergessen hatte, der sich also schuldhaft vom Glauben entfernt hatte, immer auch als selbstvergessen.482 Der Mensch als Abbild Gottes konnte sich demnach nur in der Zuwendung zu Gott erkennen. Eigensinn und Abwendung vom Schöpfer führten also zwangsläufig zu Selbst-Vergessen, zum Verlust der Personalität. Menschliche Personalität und Freiheit erwies sich der augustinischen Anthropologie folgend immer nur in der Zuwendung zu Gott.483 Ebenso war Luzifer gefallen, weil er Gott und sich selbst vergessen hatte. Und so versuchte er seit dem Sündenfall, auch den Menschen zum Vergessen Gottes zu verführen. Sinnbild dieses eigensinnigen Gottvergessens (»oblivio Dei«) ist bei Hildegard ein eidechsenähnliches Wesen, Symbol der Sprunghaftigkeit und Unbeständigkeit, und eng verwandt mit der ebenso sündigen »inconstantia«. Der Rückweg zur Erinnerung Gottes (im doppelten Sinn) führt über das »ad cor suum redire«, über die Rückkehr zum eigenen Herzen, die »recordatio«.484 Nur in der Erinnerung an das Paradies und seinen Fall könne der Mensch die Erinnerung Gottes, also das Heil wiedererlangen. Die Initiative dazu aber gehe immer von der göttlichen Begnadung aus.485 Zentrales Medium der memoria Gottes und seiner Heilstat jedoch ist die Eucharistie.486 »Sich selbst zu vergessen«, 481 Vgl. oben, Kap. VI.4.1. 482 Meier, Vergessen, Erinnerung, Gedächtnis, S. 159–164. 483 Ebd., S.  188 f.; vgl. zur Entwicklung der augustinischen Lehre vom freien Willen: Flasch, Augustin, S. 104–108, 191. 484 Meier, Vergessen, Erinnerung, Gedächtnis, S. 176. 485 Ebd., S. 164–168. 486 Ebd., S. 192 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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also Eigensinn und Hochmut als Abkehr von Gott, war in diesem Sinn überhaupt die Voraussetzung und Ursache der Sünde.487 Entfremdung von Gott ist immer auch das Extrem der Entfremdung von sich selbst. In der Wüste der Gottesvergessenheit sind die Menschen entsprechend bewusstlos: Nur im Seelenheil ist Individuation überhaupt möglich. Der unfreiwillige Reigen und ebenso das anschließende Zucken und Zittern der Kölbigker Wundergeschichte erweisen sich auch insofern als perfekte Kontrafakturen der Eucharistie: Der Mirakelbericht des 11. Jahrhunderts nimmt in kongenialer Weise die körperliche Unkontrolliertheit in der wüstengleichen Unfruchtbarkeit der Gottesferne vorweg, die Hildegard von Bingen gut hundert Jahre später ausformulieren sollte, die jedoch in der christlichen Anthropologie spätestens seit Augustinus angelegt war. Dass ganz ähnliche Konzeptionen im Milieu der frühen Kirchenreform virulent waren, zeigt wiederum Petrus Damiani. Der unfreiwillig zum Kardinalbischof erhobene Eremit und Propagandist der monastischen Askese entwickelt in einem etwa 1057 geschriebenen Brief488 eine Konzeption der Selbstkonstruktion, die in vielerlei Hinsicht schulbildend werden sollte.489 Die Seele des Menschen ist demnach der Tempel Gottes, in den dieser »am siebenten Tag«, also nach Vollendung der Schöpfung, zur Ruhe einkehren wird. Aufgabe des Christen ist es, durch innerweltliches Streben nach Perfektion Gott einen inneren »Sabbat«, ein Ruhebett zu bereiten.490 Die menschliche Personalität erfüllt sich im Bau an diesem inneren Tempel der Seele. Voraussetzung für die Einkehr Gottes zum Sabbat sind freilich Kontemplation und »heilige Ruhe« (»sanctae quietis rigor«):491 »All unsere Umkehr und Abwendung von der Welt strebt zu nichts anderem als zur Ruhe.«492 Mit der Vorstellung von der Seele als wahrem Tempel Gottes nahm Petrus ein Muster auf, das seit Paulus im Christentum virulent war,493 das freilich auch die spiritualistischen Gegner der Lehre von der Realpräsenz und Inkarnation Christi immer wieder herangezogen hatten.494 Augustinus folgend verknüpfte Petrus dieses Muster nun mit der sich entwickelnden Assoziation von spiritueller ecclesia und realer Kirchenarchitektur.495 Die im Körper wohnende Seele 487 Für das 15. und 16. Jh.: Algazi, Sich selbst vergessen, S. 412 f. 488 Reindel (Hg.), Briefe des Petrus Damiani, Bd. 2, Nr. 49, S. 62–77, an Hildebrand, den Kardinalpriester Stephan, Alfanus von Salerno und Desiderius von Monte Cassino; vgl. dazu Harris, Peter Damien, S. 133 f. 489 Ebd., S. 132 f.; allg.: van’t Spijker, Peter Damien. 490 Harris, Peter Damien, S. 133 f. 491 Ebd., S. 135 f., 144–147. 492 Reindel (Hg.), Briefe des Petrus Damiani, Bd. 4, Nr. 153, S. 29 f.: »Omnia denique nostra conversio et abrenuntiatio seculi ad nihil aliud nisis ad requiem tendit«; vgl. Harris, Peter Damien, S. 144, Anm. 59. 493 Ebd., S. 137–139. 494 Etwa die eben erwähnten gnostischen Johannes-Akten, vgl. oben, Kap. VI.5.1. 495 Harris, Peter Damien, S. 138 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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als innerer Tempel war so nicht etwa ein Gegenbild zur Inkarnation, sondern wurde recht eigentlich erst durch diese denkbar.496 In einem Prozess der sukzessiven Perfektionierung durch Disziplin und Kontemplation also wollte Petrus Damiani – hierin von Augustinus abweichend – die Seele für die Einwohnung Gottes am heilsgeschichtlichen Sabbat vorbereiten.497 Leitmetapher für diese Einrichtung der menschlichen Seele als Gottes Ruheplatz wurde die Architektur und Ausschmückung des Kirchengebäudes als Abbild des himm­lischen Jerusalem.498 Dessen Weiheliturgie besprach Petrus Damiani in einer auf einer Reise nach Cluny gehaltenen Predigt: Wie der menschliche Körper durch Taufe und Bibellektüre zum Ort Gottes werde, so der Kirchenbau durch Weihe und rituelle Enschreibung des Alphabets.499 Der Seele, die die Grade der Perfektion durchschritten hat, winkt dann einem Gedicht des Petrus zufolge ganz platonisch-kosmologisch der Aufstieg in das himmlische Jerusalem. Unterwegs sieht sie wiederum die immer gleichen Bewegungen der Himmelskörper auf der Fixsternsphäre, jedoch: sie lässt sie hinter sich zurück: »Glücklich die Seele, die den anwesenden König des Himmels erkennt, und unter dem Thron den tiefen Mechanismus des Weltkreises sich drehen sieht, die Sonne, den Mond und die Sphären der Sterne in ihrem doppelten Kreis.«500

In der disziplinierten Ruhe der Kontemplation also soll der Christ die Heils­ geschichte, im Kern: die Menschwerdung Christi, nachvollziehen und so wie die geweihte Kirche bereit werden für die Einwohnung Gottes am Sabbat. So erfüllt sich der Sinn seiner Personalität wiederum im Vorgriff auf den Seelenaufstieg nach dem Jüngsten Gericht. Der asketische Theologe des 11. Jahrhunderts formuliert damit eine Konzeption, zu der das gleichzeitig entstandene Kölbigker Tanzmirakel die in jedem Punkt perfekte Kontrafaktur liefert: In der zwanghaften Unstetigkeit des Reigens am Weihnachtstag, die die Realpräsenz Christi in der Eucharistie leugnet und die Sakralität des Kirchenraumes durchbricht, streben die Ungläubigen der heimarmene unterworfen vergeblich nach kosmischer Einwohnung (enthusiasmos). 496 Ebd., S. 137. 497 Ebd., S. 139–141. 498 Ebd., S. 147–156. 499 Petrus Damiani, Sermones, Nr. LXXII, S. 422; vgl. dazu Harris, Peter Damien, S. 141 f. 500 Petrus Damiani, Rhytmus [!] de gavdio paradisi, in: Lokrantz (Hg.), L’opera poetica, S. 80–83, hier S. 83: »Felix, caeli quae praesentem regem cernit, anima / Et sub sede spectat ­altam orbis uolui machinam, / Solem, lunam et globosa bini cursus sidera.« Leicht abweichend der Text bei Petrus Damiani, De gloria paradisii, in: Raby (Hg.), Oxford Book of Medieval ­Latin Verse, S. 189: »Felix, caeli quae praesentem regem cernit, anima, / Et sub se spectat ­alterni orbis volvi machinam, / Solem, lunam et globosa bini cursus sidera« (»[…] / und unter sich den Mechanismus einer anderen Welt sich drehen sieht, / […]«); dieser Fassung folgt Harris, Peter Damien, S. 154. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Der unfreiwillige Tanz ist also im Kern eine Inversion des kosmischen e­ nthusiasmos zur Unterwerfung des Selbst unter die Fremdbestimmung der Gottesferne, aus der nur die Heilsvermittlung der Kirche retten kann. In der Gottesvergessenheit des Eigensinns kann der Mensch allenfalls die Sphäre des Sternenzwangs imitieren. Erst in der Hinwendung zu Gott und den von der Kirche verwalteten Gnadenmitteln kann er seine Seele zum himmlischen Jerusalem aufsteigen lassen, kann er also buchstäblich von oben auf die Sphäre der »Zwölfheit«, des Zodiaks, der heimarmene zurückschauen. Das neue Ideal der kontemplativen Ruhe und Unbeweglichkeit hebt die Bindung an den Kosmos nicht etwa auf. Es postuliert für sich nur einen Aufstieg über die beweglichen Himmelsmächte hinaus in das Reich des ohnehin und schon immer unbeweg­ lichen »Einen«. Die Ekklesiologie verliert also nicht ihren kosmologische Bezugsrahmen, sie ändert nur ihren Bezugspunkt in der Hierarchie der Sphären. Zurück bleiben die Gottvergessenen mit ihren alten Ritualen, die nicht mehr zur Gotteserkenntnis, sondern nurmehr zu den Sternen gelangen lassen. Der Wandel der Ekklesiologie vom Reigen der Seelen um den Höchsten zur Gemeinschaft in der Mahlgemeinschaft des Hauses Gottes, damit verbunden der Aufstieg des Kirchengebäudes zum Sakralraum und die Verdichtung der sozialräumlichen Strukturen um die Pfarrkirche als Zentrum sind also zusammen zu denken mit Aushandlungen über die christliche Anthropologie, wie sie in der neuen Hochschätzung des »Selbst« zum Ausdruck kommen. Das »Selbst« ist demnach nur denkbar in der Teilhabe an der Heilsgemeinschaft der Kirche.501 In der liminalen Performanz des zwanghaften Tanzes, wie sie die Kölbigker Legende diskursiv elaboriert und die spätere Tanzwut rituell realisiert, werden die Grenzen dieser Selbst-Konzeption visualisiert und erfahrbar gemacht. Dabei bleibt zunächst ein Schwellenraum geöffnet, in dem der Heils­ verlust virulent wird, ohne schon irreversibel zu werden. Gott bleibt den den Sternen Verfallenen gnädig. In den späteren Umformungen des Kölbigker Mirakels, die seine kosmologischen Implikationen nurmehr fragmentiert transportierten, wird gerade diese Offenheit für eine Wiedereingliederung in die ecclesia vielfach verlorengehen, und damit auch das Verständnis für den besonderen Gnadenstatus der Büßer. Diese Eindeutigkeit jedoch ist erst Produkt der Rezeption, und wo sie manifest wird, ist sie nur eine von mehreren Deutungsmöglichkeiten: Der unfreiwillige Tanz bleibt ein Schwellenphänomen sui generis, nicht an sich verderblich, dämonisch oder teuflisch, sondern eher eine expressive Inszenierung der Unterworfenheit aller unerlösten Menschen unter das Schicksal.

501 Iogna-Prat, Édification personelle. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Metamorphosen einer Erzählung

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VI.6 Metamorphosen einer Erzählung: Das Tanzwunder wird zum Exempel Das Kölbigker Tanzmirakel erweist sich also in seiner Genese als eng verwoben mit der Vorgeschichte und Frühphase der gregorianischen Reformen. In allen drei frühen Textzeugen ist diese Wechselwirkung in je spezifischer Form nachweisbar. Während jedoch die Fassungen I (Othbert) und III (Paris/Echternach) eher auf den unerlaubten Reigen im atrium der Pfarrkirche fokussieren, wurde die Fassung II (Theodericus) von ihrem Verfasser Goscelin zu einer kom­plexen Parabel auf die Aporien der theologischen und kirchenrechtlichen Diskussionen ab der Mitte des 11.  Jahrhunderts ausgestaltet. Dieser ausgeprägte Aktualitätsbezug, der vergleichsweise große Umfang und die sperrige literarische Struktur führten allerdings dazu, dass die Fassung II im späteren Mittelalter nurmehr relativ selten rezipiert wurde. Reiche Spuren hat der Bericht des »Theodericus« vor allem in der skandinavischen Überlieferung hinterlassen, wo auch das Tanzlied eine eigene Wirkungsgeschichte entfalten konnte.502 Auch auf den Britischen Inseln wurde sie bald rezipiert, mehrfach in englischen Übertragungen. Als »the tale of the sacrilegious carollers« ging sie etwa in Robert Mannings (um 1275 – um 1338) »Handlyng Synne« ein.503 Die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen lateinischer, volkssprachlich-englischer und nordischer Überlieferung hat Ernst Erich Metzner auf Grundlage der skandinavischen Forschung nachgezeichnet.504 Von dieser Überlieferung abhängig ist auch eine Textversion, die seit John Meier immer wieder in der Diskussion über den Kölbigker Tanz herangezogen wird. Der Liber constructionis monasterii ad S.  Blasium, eine in einer Handschrift des 15. Jahrhunderst überlieferte, aber wohl im 13. Jahrhundert verfasste Gründungsgeschichte des Klosters St. Blasien, überliefert den Bericht eines Pilgers Iring, der demnach um 1190 nach jahrzehntelanger Wanderschaft hochbetagt im Kloster gestorben sei. Zuvor habe er den Mönchen von seinem Besuch an dem angeblichen Schauplatz des Tanzwunders erzählt, den er auf eine Insel ins Nordmeer verlegt.505 Mit »Iring von St. Blasien« kehrte die Erzählung also aus dem nordeuropäischen Raum wieder in das Zentrum des lateinischen Europa zurück. 502 Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 107; vgl. Kleinschmidt, Menschen in Bewegung, S. 59. 503 Schroeder, Beziehungen, S. 388. 504 Metzner, Zur frühesten Geschichte, der freilich eine in vielerlei Hinsicht zu revidierende Stemmatisierung entwickelt. 505 Böhme, Geschichte des Tanzes, Bd. 1, S. 20 f.; Meier, Tanzlied, mit Abdruck, S. 153– 155; vgl. dazu Holtdorf, Tanzlied, S. 14, 42; Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 85–91, mit detaillierter Analyse. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Viel häufiger jedoch wurde die Fassung I, der Pilgerausweis des »­Othbert«, gelesen.506 Eine beinahe unüberschaubare Fülle von Rezeptionszeugnissen in den verschiedensten Literaturgattungen bezeugt die Relevanz des Stoffes für die spätmittelalterliche Kultur. Wilhelm von Malmesbury (1080/95–1143) brachte eine gekürzte Version der Fassung I schon um 1120 in seinen Gesta regum Anglorum nach England.507 Die von ihm geprägte Form wurde dann vor allem in Frankreich breit rezipiert.508 Von ihm übernahm auch der Dominikaner Vinzenz von Beauvais (vor 1200 – nach 1264) sie in sein Speculum Histo­ riale. Früh in den neu gegründeten Predigerorden eingetreten, war Vinzenz seit 1245 als Erzieher und Berater am Hof Ludwigs IX. von Frankreich tätig. In dieser Zeit veröffentlichte er sein Speculum maius, eine aus drei Teilen (Speculum naturale, Speculum doctrinale und Speculum historiale)  bestehende Enzyklo­ pädie.509 Sein Werk, zunächst wohl als Exempelsammlung für den Predigt­ betrieb gedacht, diente im ganzen Spätmittelalter als vielgelesene Sammlung des gelehrten Wissens. Es wurde früh ins Französische, Katalanische und Niederländische übersetzt. 1473 wurde es erstmals gedruckt, danach immer wieder. Das Speculum historiale versammelt in je nach Überlieferung 30 bis 32 Büchern die Welt­geschichte bis zu seiner Gegenwart. Im 25. Buch findet sich nun auch der Kölbigker Tanz: »Über die Strafe Gottes an Leuten, die auf dem Friedhof Reigen aufführen. In diesem Jahr geschah in einem gewissen Dorf in Sachsen, wo die Kirche des heiligen Märtyrers Magnus steht, dies, dass am Vorabend der Geburt des Herrn der Pfarrer Robert mit der ersten Nachtmesse begonnen hatte, aber auf dem Friedhof ein gewisser Othbert mit achtzehn Genossen, fünfzehn Männern und drei Frauen, Reigen tanzend und weltliche Lieder grölend den Priester so sehr störte, dass er selbst ihre Worte gegen seinen Willen hinein in die Heiligkeit der Messe wiederholte. Jener wies sie an, zu schweigen. Daraufhin nicht gehört, verfluchte er sie mit den Worten: ›Es gefalle Gott und dem heiligen Magnus, dass ihr so singend verbleibt bis zum [nächsten] Jahr.‹ Worte hatten Gewicht: Der Sohn des Pfarrers namens Johannes zog seine singende Schwester am Arm, und sofort riss er jenen vom Körper; aber dennoch 506 Zur Rezeption der Fassung I vgl. allg. Schröder, Tänzer von Kölbigk; ergänzend ­Balogh, Tänze, S. 4 mit Anm.  4; Kleinschmidt, Perception and Action, S.  44 mit Anm.  12; Baesecke, Kölbigker Tanz, S. 273 f.; Tubach, Index Exemplorum, Nr. 1419. 507 Waitz (Hg.), Wilhelmus de Malmesbury, MGH Scriptores, Bd. 10, Liber II, Cap. 173 f., S.  464 f.; neue Edition: Mynors (Hg./Übers.), William of Malmesbury, Bd.  1, S.  294–297. Vgl. Böhme, Geschichte des Tanzes, Bd. 1, S. 19 f.; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 111–113; ­Balogh, Tänze, S. 4; Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 36, 107 f. (mit Abdruck des Textes nach den MGH); Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 84 f. 508 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 112 f. 509 Vielfach als Speculum quadruplex bezeichnet, da traditionell auch das Speculum ­morale als viertes Buch hinzugezählt wurde. Dieses war schon von Vinzenz geplant, wird in der vorliegenden Form heute aber nicht mehr als sein Werk gesehen; vgl. allg. nur Lusignan, Preface, S. 15–20; Düchting, (Art.) Vinzenz von Beauvais; Weigand, Vinzenz von Beauvais. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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floss kein Tropfen Blut. Jene aber verblieb das ganze Jahr mit den anderen Reigen tanzend und singend. Regen fiel nicht auf sie, weder Kälte noch Hitze, weder Hunger noch Durst, auch keine Erschöpfung erfasste sie. Ihre Kleidung und ihr Schuhwerk wurde nicht verschlissen, sondern wie Wahnsinnige sangen sie. Zuerst versanken sie bis zu den Knien, dann bis zu den Oberschenkeln in der Erde. Ein Dachbau wurde irgendwann nach dem Willen Gottes über ihnen errichtet, der den Regen ab­ halten sollte. Nach Ablauf eines Jahres löste sie Bischof Heribert von Köln von der Bindung, die ihre Hände aneinandergekettet hatte, und vor dem Altar des heiligen Magnus rekonziliierte er sie. Die Tochter des Pfarrers wurde mit zwei anderen getötet. Die anderen schliefen drei Nächte am Stück. Einige starben später und wie man sagt, wirkten Wunder, weil sie so sehr gebüßt hatten. Die Übrigen gaben ihre Strafe durch ein Zittern der Glieder preis. Dies hinterließ so beschrieben Othbert selbst, der einer von jenen gewesen war. Am Schluss jenes Schreibens heißt es wie folgt: Ausgestellt wurden uns diese Zeilen vom Herrn Pilgrim, dem Nachfolger des seligen Heribert im Jahr des Herrn 1003 [1013].«510

Der französische Dominikaner interessiert sich erkennbar weniger für das konkrete historische Ereignis (von dessen Realität für ihn ja auszugehen war), als vielmehr für die erbauliche Wundergeschichte. Die Ich-Erzählung ist umgeformt zum sachlicheren Bericht in der dritten Person. Die Behauptung in  I, der hl. Magnus habe in Kölbigk das Martyrium erlitten, wird nicht wiederholt, wohl weil sie kaum mit dem hagiographischen Wissen des 13. Jahrhunderts in Einklang zu bringen war. Der Name des Schauplatzes ist ausgefallen, ebenso die 510 Vincentius Bellovacensis, Speculum quadruplex, Bd. 4: Speculum historiale, Buch 25, Kap. 10, S. 1005: »De ultione Dei super ducentes choreas in caemeterio. […] // Hoc anno contigit in quadam villa Saxoniae vbi erat ecclesia Magni Martyris, tale quid [Schröder: quod] in vigilia natalis domini Robertus presbyter primam missam de nocte inchoauerat, at in caemeterio Othbertus quidam cum 18. sodalibus viris 15 et feminis tribus choreas ducens, & cantilenas seculares perstrepens, ita sacerdotem impediebant, vt ipse verba eorum inter sacra missarum solennia inuitus resonaret. Ille mandauit eis, vt tacerent. Quo neglecto imprecatus est dicens: Placeat Deo, & sancto Magno, vt ita cantantes permaneatis vsque ad annum. Verba pondus habuerunt, filius presbyteri Joannes sororem suam cantantem per brachium arripuit, & statim illud a corpore auulsit, sed gutta sanguinis inde non exiuit. Illa vero toto anno cum caeteris permansit choreas ducens & cantitans; pluuia non cecidit super eos, non frigus non calor, non fames non sitis, non lassitudo eos affecit. Indumenta vel calciamenta non sunt ­attrita, sed quasi vecordes cantabant. Primum vsque ad genua, deinde vsque ad femora terrae demersi sunt, fabrica tecti aliquando super eos nutu Dei erigebatur, ut pluuias arceret. // Evoluto anno Heribertus Coloniensis Episcopus eos absoluit a nodo, quo manus eorum ligabantur, & ante altare sancti Magni reconciliauit. Filia Presbyteri cum alijs duobus continuo exanimata est: caeteri continuis tribus noctibus dormierunt, aliqui postea obierunt & miraculis, vt fertur, ­coruscarunt, quia valde paenituerunt. Caeteri paenam suam membrorum tremore prodiderunt, hoc ita scriptum reliquit Othberthus ipse, qui fuit vnus ex eis. In cuius scripti fine sic scriptum est. Date sunt nobis litterae a domino Pelegrino beati Hereberti successore Anno domini 1003 [Schröder: MXIII].« Vgl. dazu Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 113–115; Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S 108, 113. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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zwei überlieferten Namen von Tänzern: der der Priestertochter Mersint und der des Tänzers Johannes, der im Bericht des Othbert mit ihr und den zwei weiteren Frauen stirbt. Dieser Namensvetter des Priestersohnes taucht gar nicht mehr auf. Die anderen Personennamen, insbesondere die des Kronzeugen Othbert und des Pfarrers Ro[d]bert, sind übernommen. Das Geschehen ist vom Morgen des Weihnachtstages auf den Vorabend verlegt, womit Vinzenz sich vielleicht an die Fassung II anlehnt. Im Gegensatz zu Goscelin sind für den Enzyklopädisten des 13.  Jahrhunderts jedoch die Begleitumstände kaum noch zentral, ja: nicht einmal mehr der Tanz der jungen Leute. Kernproblem seiner Erzählung ist der weltliche Gesang, der den Priester bei der Messe stört. Und diese Beeinträchtigung ist wie schon im Bericht des Othbert handfest vorzustellen: Das Singen, oder besser: Grölen (»perstrepens«) der jungen Leute übertönt die Eucharistie, ja: es lenkt den Priester am Altar so sehr ab, dass er selbst in ihre Lieder einstimmt (eine Pointe, die erst Vinzenz einführt)! Stärker noch als in der Fassung I hebt Vinzenz auch ansonsten auf den Gesang ab. Er konzentriert sich also weniger auf die Ent­ weihung des Sakralraumes oder die Konkurrenz zur Eucharistie als vielmehr auf die ganz praktische Störung der Andacht. Statt die jungen Leute in die Kirche zu bitten, will der Priester ihnen schlicht die Ruhestörung verbieten. Es geht hier also nicht um eine Performanz an den Grenzen der Heilsgemeinschaft oder gar um eine konkurrierende Form der Kommunikation mit den höheren Sphären, sondern schlicht um Blasphemie. Für den Dominikaner des 13. Jahrhunderts standen nicht mehr kosmologische Imaginationen der Ekklesiologie und Fragen der Klerus- und Kirchenreform im Vordergrund, sondern die Störung der Liturgie durch profane Aktivitäten neben der Dorfkirche. Die körperliche Bedürfnis- und Empfindungslosigkeit der Tänzer hatte »Othbert« recht neutral als »Gefühllosigkeit« eher beschrieben als erklärt.511 Vinzenz macht daraus »wie wahnsinnig« (»quasi vecordes«). Die göttliche Begnadung auf der Heilssuche in der Tradition des Volkes Israel in der Wüste wird so zum Zeichen für ebenjene krankhafte Devianz, die Goscelin in der Fassung II als Erklärung noch ausdrücklich abgelehnt hatte. Der in den drei frühen Zeugnissen durchaus ambivalent gezeichnete Zwangstanz wird bei Vinzenz also tatsächlich zu jenem Ausdruck von Verrücktheit, als den ihn auch die spätere Rezeption sehen sollte. Entsprechend hatte schon Wilhelm von Malmesbury die Pointe der Schutzdach-Episode nicht mehr verstanden und daher die Rolle Gottes in ihr Gegenteil verkehrt.512 Vinzenz folgt ihm darin, obwohl doch die Erklärung, dass nach 511 Fassung I, Metzner, Zur frühesten Geschichte, S.  38: »Nichil sensimus, nichil egimus, quam cantantes sine sensu fuimus«; »sed ita ut cepimus insensati per totum annum mansumus«. 512 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 112. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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göttlichem Willen ein Dach gegen den Regen gebaut worden sei, unsinnig ist nach der direkt zuvor stehenden Angabe, dass das Klima die Tänzer gar nicht erreicht habe. Spätere Bearbeiter sollten diese irritierende Passage denn auch oft schlicht auslassen. Ebenso kommt der Dominikaner natürlich in Erklärungsnot angesichts des Hinweises des »Othbert«, seine bereits verstorbenen Mittänzer hätten (wohl an ihren Gräbern) Wunder gewirkt. Er relativiert diese Angabe mit der quellenkritischen Einschränkung »wie man sagt« (»ut fertur«) und versucht die Wundertätigkeit mit der besonderen Bußfertigkeit der Verstorbenen zu erklären. Immerhin bestätigt Vinzenz damit, dass der einjährige Zwangstanz und der anschließende tremor als Sühneleistung funktioniert hätten. Wohlgemerkt: Auch bei Vinzenz von Beauvais haben nicht etwa Dämonen oder der Teufel die Hände im Spiel. Der Tanzfluch des Priesters Robert ist aus sich selbst heraus wirksam, die Geschichte folgt wiederum nicht der Logik der dämonischen Besessenheit, sondern jener der spiegelnden Strafe. Das Tanzmirakel im Speculum historiale des Vinzenz von Beauvais wurde Vorlage für zahlreiche Traktate, Predigten, Exempelsammlungen, vor allem von französischsprachigen Dominikanern wie Arnoldus von Lüttich (Anf. 14. Jh.) in seinem Alphabetum narrationum oder Jean Gobi in seiner Scala coeli (1300– 1350),513 für deutsche Dominikaner wie Heinrich von Herford (1300–1370), Johannes Herold (um 1425, gedruckt Nürnberg 1480), für das anonym überlieferte niederländische Speculum exemplorum (um 1480) oder auch für die beliebte Exempelsammlung »Schimpf und Ernst« (gedruckt 1522) des elsässischen Franziskaners Johannes Pauli (um 1455 – nach 1530).514 Der »Bericht des ­Othbert« in all seinen Ableitungen wurde so in vielfältig variierter Form zum legendarischen Allgemeingut des späten Mittelalters, weit über seinen angeblichen Schauplatz oder den Entstehungsraum der schriftlichen Überlieferung hinaus. Daher konnte Edward Schröder schon 1897 feststellen: »Erst seit Vincenz von Beauvais gehört das sächsische Tanzwunder allgemein zum festen Thatsachenbestand der Weltgeschichte und mehr noch als die Historiker tragen die Prediger und Moralisten […] dazu bei, das grausige Exempel populär zu machen.«515

Wie die Kölbigker Erzählung dabei rezipiert wurde, mag ein weiteres Beispiel verdeutlichen: Wohl in Westfalen oder in den Niederlanden, nordöstlich des

513 Wilmart (Hg.), La légende, S. 22; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 116 f.; zur franzö­ sischen Rezeption vgl. Sahlin, Étude, S. 141 (mit weiterer Lit.). 514 Österley (Hg.), Schimpf und Ernst von Johannes Pauli, Nr. 388, S. 236 f.; dazu Siebert, Knecht Ruprecht, S. 356, der die Version auf die Fassung III zurückführt; vgl. dagegen Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 117; Zimmermann, Engelsreigen, S. 85 f.; verfehlt die theoretisch sehr avancierte, empirisch jedoch oberflächliche Interpretation von Röcke/Velten, Tanzwut. 515 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 115. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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mutmaßlichen Entstehungsgebietes der Kölbigker Legende, wurde um die Mitte des 14. Jahrhunderts der »Große Seelentrost« zusammengestellt.516 Der Verfasser könnte ein Dominikaner gewesen sein.517 Die für die Katechese gedachte, dialogisch aufgebaute Exempelsammlung folgt der Ordnung der Zehn Gebote. Zu jedem Lehrpunkt versammelt sie mehrere Exempel. Ein zweites Werk, der »Kleine Seelentrost«, der faktisch jedoch viel umfangreicher ist, orientiert sich an den Sieben Sakramenten und enthält zudem einen Beichtspiegel.518 Eine noch wesentlich umfangreichere Planung musste der Verfasser offenbar aufgeben.519 Der niederdeutsche »Seelentrost« wurde vor allem in Nordwestdeutschland und in den Niederlanden viel gelesen, in hochdeutschen Übersetzungen auch in Süddeutschland und ebenso in Übertragungen in den nordischen Ländern. Nach dem hochdeutschen Erstdruck Köln 1474 folgten bis 1500 dreizehn weitere Ausgaben, bis ins 18.  Jahrhundert noch einmal vierzehn, alle in hochdeutscher oder niederländischer Sprache. Zwei niederdeutsche Drucke sind nachweisbar, aber nicht überliefert.520 Als viertes Exempel zum dritten Gebot (Feiertagsheiligung) bringt der »Große Seelentrost« auch den Tanz von Kölbigk: »Dies geschah in dem Land Sachsen in einem Dorf, das Kölbigk heißt. In der Heiligen Christnacht, als man die Messe sang, da standen freie Leute auf dem Kirchhof, und einer sprach zu den anderen: ›Wollen wir ein wenig springen, damit wir warm werden?‹ Da begannen sie zu tanzen und zu springen. Als der Priester die Christmesse beginnen sollte, ging er hinaus und bat sie, aufzuhören. Sie jedoch ließen nicht ab. Da sprach er: ›Nun gebe Gott und der heilige Herr Sankt Magnus, der hier Hauptpatron ist, das ihr eben so ein ganzes Jahr springen und tanzen müsst.‹ Das geschah. Sie tanzten so das ganze Jahr über, was sie nun nicht bereuten und nicht verstanden. Des Priesters Tochter war bei dem Tanz dabei. Ihr Bruder kam und griff sie bei dem Arm und wollte sie herausziehen, und zog ihr doch nur den Arm aus dem Leib. Und da floss kein Blut heraus. Fortan tanzte sie mit einem Arm weiter. Die Nachricht von diesem Wunder ging durch alle Lande. Da zogen die Leute aus der Ferne hin und betrachteten den Jammer an den Tanzenden. Ihre Kleider und ihre Schuhe verschlissen nicht, auf sie fiel kein Schnee und kein Regen. Sie hatten eine Grube bis zum Gürtel in die Erde getanzt. Als das Jahr um war, hörten sie auf. Da brachte man sie vor den Altar. Dort lagen sie und schliefen drei Tage und drei Nächte, bis sie geweckt wurden. Einige Leute starben sogleich, einige Leute lebten darnach nicht mehr lange. Insgesamt waren ihrer fünfzehn Mann und drei Frauen. – Liebes Kind, lass Dir das eine Lehre sein. Liebes Kind, du sollst nicht nur das Tanzen an dem heiligen Tage vermeiden, sondern

516 Zur Datierung: Schmitt (Hg.), Großer Seelentrost, S. 118*–124*; zur Provenienz ebd., S. 135* f. 517 Ebd., S. 143*. 518 Ebd., S. 9* f. 519 Ebd., S. 138* f. 520 Zur Überlieferung ebd., S. 11*–34*. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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auch zu allen anderen Zeiten sollst Du dem Tanz und allen anderen irdischen Freuden aus dem Weg gehen, auf dass Dir Gott die ewige Freude gebe.«521

Die Schilderung folgt jener bei Vinzenz von Beauvais. Allerdings führt der Verfasser den Ortsnamen Kölbigk wieder ein, der also unabhängig bekannt gewesen sein muss. Auch die Angabe, dass die Tänzer sich »bis zum Gürtel« in die Erde getanzt hätten (Vinzenz: »bis zu den Oberschenkeln«) dürfte er aus einer anderen Überlieferung des Othbert-Berichts gezogen haben. Ebenso fallen einige Auslassungen auf, die freilich eher durch spezifische Stilisierungs­ absichten begründet sein dürften.522 Die Personennamen interessierten ihn nicht, da ihm um das katechetische Exempel zu tun war, weniger um das historische Mirakel. Für den Reigen gibt der »Seelentrost« eine sehr prosaische Begründung: Den vor der Kirche wartenden Leuten ist kalt, und Bewegung wärmt. Offensichtlich will oder kann der Verfasser den Tanz auf dem Kirchhof nicht mit Vorstellungen von religiösem Verhalten assoziieren, sondern den Verstoß gegen das Festtagsgebot ganz auf die eher unbedachte Blasphemie konzentrieren.523 Im westfälisch-niederdeutschen Raum hatte die Tradition des paraliturgischen Kirchentanzes keine Verankerung, anders als weiter südwestlich im Grenzraum zum romanischen Sprachgebiet. Ein theologisch geschulter Dominikaner wird 521 Ebd., S. 70: »Dat geschach in deme lande to Sassen in eyneme dorpe, dat het Kolbeke. In des hilgen kerstes nacht, do men de mettene sangk, do stunden vrie lude vppe deme kerkhoue, vnde eyn sprak to den anderen: ›Wil wij eyn weynich springen, dat wij warm werden.‹ Dar begunden se to dansen vnde sprungen. Do de prester beghynnen scholde des hilgen kerstes mysse, do genk he vt vnde bat se, dat se affleten. Se enleten nicht aff. Do sprak he: ›Nu geue god vnde de hilge here Sunte Magnus, de hijr houet here ys, dat gij aldus eyn gantz jar moten springen vnde dansen.‹ Dat geschach. Se danseden so al dat jar vmme, dat se nu enrauweden, vnde newisten nicht vmme de synne. Des presteres dochter was in deme danse. Ere broder quam vnde grep se bij deme arme vnde wolde se affteyn vnde toch ere den arm vte deme liue, vnde dar negenk neyn blot vth. Nochtan dansede se vort myt eyme arme. Dat wunder quam ouer al dat lant. Dar togen de lude to van verne landen vnde segen den jamer an den luden. Ere cledere vnde ere sco vorsleten nicht, vppe se ne vel neyn sne noch regen. Se hadden gesprungen eyne kulen in de erden bitte to deme gordele. Do dat jat vmme quam, do horden se vp. Do brochtemen [!] se vor dat altar. Dar legen se vnde slepen dre dage vnde dre nacht, do worden se vntwaken. Ichteswelke lude storuen alto hand, ichteswelke lude leueden nicht lange dar na. Erer weren oueral vifteyn man vnde dre fruen. – Kint leue, lat dij dijt eyn lere wesen. Kint leue, du ne schalt nicht allene dansen vormyden in deme hilgen dage, sunder ock to allen tijden schaltu vormyden den dans vnde allerleye erdesche vraude, vppe dat dij god geue de ewigen vraude. […]« 522 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 153 f., hatte daher gegen eine Ableitung aus der Fassung des Speculum historiale plädiert; dagegen Andersson-Schmitt, Quellen des Großen Seelentrostes, S. 23, 37–40. 523 Andersson-Schmitt nimmt ebd., S. 40, an, der Verfasser habe die Tradition welt­licher bzw. paganer Gesänge auf dem Kirchhof nicht mehr gekannt. Da diese jedoch im kano­ nischen Recht verankert war (stärker als in der greifbaren Frömmigkeitspraxis!), scheint eine gezielte Auslassung im Sinne der katechetischen Funktion wahrscheinlicher. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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seinem laikalen Publikum daher eine profane Motivation für das ansonsten unverständliche Verhalten in der Erzählung gegeben haben, hätte doch jede Explikation zu einem wie auch immer gearteten transzendenten Hintergrund sein Argument geschwächt. Wie schon bei Vinzenz bittet der Priester die Tänzer nicht mehr in die Kirche hinein. Der Reigen ist also keine Konkurrenz zur Eucharistie, sondern schlicht Blasphemie, wobei unklar bleibt, was die Dörfler motiviert, zwar zur Gottesdienstzeit an der Kirche zu erscheinen, dann jedoch die Teilnahme an der Messe zu verweigern. Anders als bei Vinzenz ist jedoch der Tanz als solcher das Problem, nicht etwa der freilich wohl hinzuzudenkende Gesang. Die Kinder des Priesters werden wie selbstverständlich wertungsfrei erwähnt, ihr Status bleibt aber auch völlig akzidentiell für die Handlung. Ausgelassen ist das Dachwunder, dessen logische Defizite bei Vinzenz wohl zu offensichtlich waren. Da der Fluch des Priesters wie in den Fassungen I und III und bei Vinzenz von Anfang an auf ein Jahr terminiert ist, bedarf es auch nicht des Bischofs Heribert oder einer irgendwie ausgestalteten rituellen Lösung: Wie der Tanzbeginn wird auch sein Ende lakonisch festgestellt. Wiederum ist der Fluch aus sich selbst heraus wirksam, werden nicht etwa Dämonen oder der Teufel eingeführt. Durch die Reduktion der Erzählung werden so aber die kosmologisch-zyklischen Konnotationen der Zwangstanzes deutlich neutralisiert. Nicht aus der Filiation der Othbert-Überlieferung ableitbar ist die Behauptung, das ein Jahr währende Wunder habe Schaulustige bzw. Pilger aus fernen Ländern angezogen. Der Verfasser kann sich hier auf Derivate von Goscelins Bericht stützen, oder aber auf orale Ausgestaltungen der mittlerweile ja populären Erzählung. Wesentlich eindeutiger ist nun auch das Ende der Geschichte: Der tremor als dauerhaftes Zeichen und die Buß-peregrinatio der Überlebenden sind komplett weggefallen. Stattdessen lässt der »Große Seelentrost« schlicht alle Tänzer sterben. Auch von Wundern an ihren Gräbern ist nun keine Rede mehr. Die Erklärung des Vinzenz, die Tanzteilnehmer hätten durch ihre große Bußfertigkeit einen heiligmäßigen Status erlangt, kann der »Große Seelentrost« ja nicht mehr annehmen, da die Pilgerschaft ersatzlos gestrichen ist. Während des einjährigen Tanzes, so die lapidare Feststellung, sei für Reue keine Möglichkeit gewesen, da die Tänzer den Sinn der Strafe gar nicht erfassten. Der »Große Seelentrost« also lehnt, anders als seine Vorlage Vinzenz von Beauvais, die Vorstellung ab, dass der fluchbedingte Zwangstanz eine sühnende Wirkung für die Teilnehmer gehabt haben könnte. Zwei eng benachbarte Texte markieren so die beiden Extrempole einer Diskussion, die die ganze Entwicklung des Kölbigker Mirakels prägt: Kann der Tanz, wenn er schon nicht zur Gottesschau, sondern nur zur Unterwerfung unter die Sterne führt, den Teilnehmern wenigstens als Bußleistung angerechnet werden? Die Ambivalenz des Reigens zwischen Sünde, Buße und besonderer Begnadung durch Gott ist damit aufgelöst zugunsten einer reinen Negativzeich© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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nung. Tanz ist also weiter eine Performanz zwischen Heil und Unheil, zwischen Leben und Verderben. Es gibt jedoch keine Versöhnung, keine Umkehr, kein Zurück mehr: Aus der Schwelle ist im »Großen Seelentrost« eine Grenze geworden, eine eindeutige Scheidelinie, die endgültig und klar Innen und Außen, Heil und Unheil teilt. Auch die explizierte Moral der Geschichte ist eindeutig: Gewarnt wird nicht nur vor der Brechung der Feiertagsruhe, sondern vor jedem weltlichen Vergnügen. Der moralische Tauschhandel: Verzicht auf diesseitigen Tanz wird belohnt durch die Teilhabe am jenseitigen Reigen mit Gott, wird denn auch im folgenden Exempel mit der vielfach überlieferten Wundererzählung von der tanzbegeisterten Jungfrau expliziert: Ein junges tanzbegeistertes Mädchen lässt sich von einem Mönch überzeugen, um des himmlischen Reigens willen nicht mehr zu tanzen. Als sie bald darauf stirbt, berichtet sie dem Beichtvater, wie sie den Himmel offen und die Jungfrauen und Engel unter Führung Mariens im Reigen mit Gott erblickt.524 Die Vorstellung vom himmlischen Reigen war dem Verfasser des »Großen Seelentrostes« also durchaus bekannt  – nur wollte er den irdischen Tanz gerade konsequent von diesem Komplex entkoppeln. Tanz im Diesseits ist nicht mehr – nicht einmal mehr gescheiterte – Imitation der Bewegungen der Himmelsmächte, sondern ausschließlich Störung der göttlichen Ordnung. Damit postuliert das Exempel des »Großen Seelentrostes« eine eindeutige Auflösung des alten Grunddilemmas der christlich-platonischen Kosmologie, die zumindest in seinen ursprünglichen Vorlagen nicht angelegt war. Hier, im 14.  Jahrhundert und isoliert im Text einer katechetischen Exempelsammlung, findet sich jene eindeutige Haltung zum Tanz formuliert, die die Forschung gern in der ganzen Überlieferung zum Kölbigker Mirakel, ja: in der ganzen Geschichte des Christentums, wirken sieht. Der »Große Seelentrost« steht mit dieser radikalen Konsequenz nicht allein. Den kulturellen Imaginationshorizont füllte sie jedoch nicht aus. Freilich wurde sie an der Wende zur Neuzeit zumindest im Rahmen der katechetischen und moraldidaktischen Literatur zu einer validen Denkmöglichkeit. Dies sollte aber nicht den Blick auf die differenzierte Vorgeschichte und das Weiterwirken der alten Ambivalenzen verstellen. In den dominikanischen und franziskanischen Exempelsammlungen für den Predigtbetrieb nahm das Kölbigker Mirakel nun eine prominente Position neben verwandten Stoffen wie dem Tanz der Salome oder dem Tanz der Israeliten um das Goldene Kalb ein.525 In dieser Gesellschaft findet es sich vielfach auch in der reichen Traktatliteratur wieder, die sich im 15. Jahrhundert moralisierend gegen den Tanz richtete, etwa in »Was schaden tantzen bringt« oder in

524 Schmitt (Hg.), Der Große Seelentrost, S. 70 f.; vgl. oben, Kap. III.5.2. 525 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 115. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»Von den mannigfaltigen schaden des tanz«.526 Die für die Textgenese des Mirakels so zentrale Problematik des Priesterkonkubinats geriet dabei in der Regel völlig aus dem Blick. So neutralisiert etwa die Schrift »Was schaden tantzen bringt« das Armwunder wie folgt: »vnd was einr, der wolt sin swester von dem tanzen ziehen vnd zohe sie als vast, das er ir einen arm abe zohe […].«527

Vom Priestersohn Johannes ist damit in dieser ansonsten der Fassung I (­Othbert) folgenden Version keine Rede mehr. Nach der Reformation diente die Erzählung gleichermaßen in katho­ lischen,528 lutherischen529 und reformierten Kreisen530 zur Illustration des je eigenen konfessionellen Standpunktes. Dabei wurde insbesondere auf den vielgelesenen Hamburger Domherrn Albert Krantz († 1517) zurückgegriffen, der das Wunder in seiner Saxonia erwähnt.531 Vielleicht aus Jean Gobis weitverbreiteter Sammlung Scala coeli zog noch Hartmann Schedel (1440–1514) den Kölbigker Stoff für seine Weltchronik (1493), aus der er wiederum vielfach weiter rezipiert wurde, so bei dem Braunschweiger Chronisten Hermann Bote oder bei dem Straßburger Sebastian Franck (1499–1542/43).532 Ebenso ging die Kölbigker Erzählung über Vinzenz von Beau­vais in die Chronistik ein, etwa in Werner Rolevincks (1425–1502) Fasciculus temporum (1474 gedruckt), in die »Koelhoff’sche Chronik« von 1499, in Johannes Trithemius’ (1462–1516) Chronicon Hirsaugiense oder in Johannes Nauclerus’ (1425–1510) Chronica (gedruckt 1516).533 Direkt auf der Fassung I (Othbert) fußen die Erwähnungen etwa in der Erfurter Chronica minor von 1261 oder in der Chronik des Franziskaners ­A lbert von Stade (um 1240).534 Ähnlich taucht das Wunder in der »Thüringischen Chronik« des Johannes Rothe von Eisenach (1360–1434),535 in der Historia 526 Zimmermann, Engelsreigen, S. 85, 95; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 164; Böhme, Geschichte des Tanzes, Bd.  1, S.  95 (Predigt: »Was schaden tantzen bringt«, 15.  Jh., ebd., S. ­94–100); Friedrich, Terpsichore im Massenwahn, S. 34 (nach von Boehn). 527 Zitiert nach: Böhme, Geschichte des Tanzes, Bd. 1, S. 95. 528 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 120, 123. 529 Ebd., S. 120–122 (Teufelsbücher und lutherische Exempelsammlungen); Kleinschmidt, Perception and Action, S. 46 (Cyriakus Spangenberg). 530 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 119 f. 531 Ebd., S. 118. 532 Jungmann, Tanz, Tod und Teufel, S. 44 f. mit Abb 7; Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 117; vgl. Backman, Religious Dances, S. 173–175; Sorell, Tanz als Spiegel, S. 10. 533 Allg. zur Überlieferung: Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 115–120; vgl. Ders., Tanzlied, S. 361 f. 534 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S.  95, S.  108–111; Borck, Tanz zu Kölbigk (1951), S. 109. 535 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 110. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 8: Matthäus Merian d. Ä.: Die Tänzer von Kölbigk, Kupferstich, in: Johann Ludwig Gottfried/Johann Philipp Abelin: Historische Chronica, Teil 6, Frankfurt 1632, Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, 4 H UN II, 275:6, S. 14.

S­ axoniae, seu nunc Westphaliae des Bernardus Wittius (1517)536 und bei weiteren sächsischen und thüringischen Chronisten des 16. Jahrhunderts auf.537 Mit dem Kupferstich von Matthäus Merian zu Johann Ludwig Abelins (genannt Johann Ludwig Gottfried) Historica chronica (Straßburg 1630, 2Frankfurt 1632, 3Frankfurt 1642) bekam das Tanzwunder schließlich seine kanonische Bildgestalt.538 Rechts im Bild sieht man das Portal der kleinen Kirche, der Blick des Betrachters geht also von Norden nach Süden. Der Kirchhof ist durch eine Mauer und ein Tor deutlich vom Dorf abgegrenzt, zugleich durch Holzkreuze auf den Gräbern und ein Beinhaus im Hintergrund als Begräbnisplatz gekennzeichnet. Die zwölf Tänzer (inklusive der drei Frauen) tanzen ihren Kreisreigen jedoch nicht unmittelbar auf den Gräbern, sondern auf dem freien Vorplatz vor der Kirchentür, überwölbt von einem ausladenden Baum. Der Priester 536 Ebd., S. 98 f., 111 (verlegt nach Körbecke bei Soest). 537 Ebd., S. 110 f. 538 Ebd., S. 119; Backman, Religious Dances, S. 174 mit Abb. 65; Kleinschmidt, Perception and Action, S. 47 mit Abb. 12. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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tritt gerade aus der Kirche und hat die linke Hand segnend bzw. fluchend erhoben. Rechts kommen zwei ältere Männer auf den Platz, die Hände im Erschrecken erhoben. Zwei Hunde bei ihnen kläffen die Tänzer an. Links im Vordergrund am Bildrand ist ein Kind zu erkennen, das offenbar den Rhythmus des Reigens mitklatscht. Ein älterer Mann neben ihm zeigt hingegen warnend auf den Priester. Ein weiterer Mann hinter den beiden erhebt die Hand zum Klagegestus. Ein durch seine körpernahe Kleidung als Jüngling markierter weiterer Mann, der Priestersohn, durchbricht gerade den Kreis der Tanzenden. In der Rechten hält er, genau im Bildzentrum, den abgerissenen Arm der links neben ihm in Rücken­ansicht gezeigten Schwester. Links neben dem Bruder tanzt eine der beiden weiteren Frauen, die durch sein Eingreifen frei gewordene Rechte zur Hüfte herabgesunken. Die ganze Darstellung ist fokussiert auf den Fluch des Priesters und den zeitlich nachfolgenden Moment des Armwunders, das die Unausweichlichkeit des unfreiwilligen Reigens mit körperlicher Drastik augenfällig macht. Dieser Tanzfluch ist Strafe für die Entweihung des Sakralraumes bzw. die Störung des Gottesdienstes. Damit ist die in ihren Ursprüngen so komplexe Kölbigker Mirakelerzählung auf einen einfachen und eindeutigen Kern reduziert. An die in den Vorlagen thematisierten theologischen und kosmologischen Bezüge erinnert allenfalls noch die Zwölfzahl der Tanzteilnehmer, die Merian nicht aus der Othbert-Überlieferung bezog, vielleicht aber auch nur zufällig wegen des begrenzten Bildraumes einführte. Insgesamt zählt schon Edward Schröder für die Zeit von Vinzenz von Beauvais bis 1715 allein in Deutschland über vierzig Bearbeitungen des Othbert-Berichts.539 Mit den Gebrüdern Grimm, die sich zunächst nur auf chroni­kalische Überlieferungen des 15.  und 16.  Jahrhunderts gestützt hatten, dann jedoch ebenfalls auf Vinzenz von Beauvais zurückgriffen, gingen die tanzenden Bauern von Kölbigk dann in die moderne Märchenwelt ein. Der Stoff war jedoch zu Anfang des 19. Jahrhunderts auch ansonsten noch so virulent, dass seine Motivik sogar in der Memoirenliteratur als angebliches Jugenderlebnis reproduziert werden konnte.540 Es hatte sich so sekundär ein narrativer Kern herausgebildet, an den beinahe beliebig Einzelmotive angelagert werden konnten. Dabei wurde die Rahmenhandlung peu à peu reduziert und die Erzählung immer weiter auf den Konflikt zwischen den ungehorsamen Laien und dem Priester als Vertreter der Kirche zugespitzt. Aus der Reflexion über die Ekklesiologie und Christo­ logie der lothringischen Kirchenreformbewegung war tatsächlich eine »Warnlegende« vor blasphemischem Tanz und vor Ungehorsam gegenüber dem Klerus geworden. Die Erzählung konnte nun eine vielgestaltige Wirkung für die Verbreitung der Vorstellung vom zwanghaften Tanz entfalten.

539 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 122. 540 Kleinschmidt, Perception and Action, S. 46. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Und die Tänzer von Kölbigk blieben nicht allein: Ein ganzer Kreis von Sagen über unbotmäßigen Tanz und seine Bestrafung ist überliefert.541 Sie sind zum Teil deutlich als Umformungen des Kölbigker Mirakels erkennbar, etwa, wenn die Handlung lediglich an andere Orte verlegt wird, wie im Fall des westfälischen Körbecke,542 des thüringischen Dannstedt543 oder des bei Echternach gelegenen Waxweiler.544 In anderen Fällen jedoch weicht die Fabel so weit von der Kölbigker Erzählung ab, dass von einer weitgehend autonomen Entwicklung auszugehen ist. Dabei wird manchmal die durch Predigt und Katechese popularisierte Kölbigker Wundergeschichte zumindest als Inspiration im Hintergrund stehen. Da diese Erzählstoffe jedoch vielfach wiederum als Predigt­ exempel überliefert sind, wird man wohl auch von einer je eigenständigen Auseinandersetzung mit dem die christliche Theologie prägenden Paradox von jenseitigem Engelsreigen und diesseitigem Tanzverbot, von neoplatonisch begründeter Ekklesiologie und Eschatologie einerseits und moralischer Disqualifikation der kosmologischen Mimesis in der Volksfrömmigkeit andererseits ausgehen können. Mit der vielfältigen Rezeption des Kölbigker Wunders wurde die Erzählung also ab dem 12. Jahrhundert von ihren kosmologischen und theologischen Grundlagen isoliert und zugleich tendenziell ihrer Ambivalenzen beraubt. Die Vorstellung vom unfreiwilligen Tanz als Strafe Gottes für Ungehorsam und Blasphemie wurde nun ein wirksames Erzählmuster mit eigener Dynamik und eigener Wirkung. Die Kölbigker Legende in ihren vielfältigen Umarbeitungen wurde so zum wichtigsten Transmissionsmedium zwischen der in fränkischer Zeit umgeformten, noch stark antik-mediterran geprägten Christianität des frühen Mittelalters und der von den asketischen Idealen der Bettelorden geprägten Religiosität des Spätmittelalters. Sie autonomisierte die Konzeption von Tanz als Performanz der Heilsliminalität und vermittelte sie in den Wahrnehmungshorizont späterer Jahrhunderte. Damit war das Paradigma gewonnen für die Formierung des Krankheitskonzepts Tanzwut. Dieses Modell wurde freilich auch in der Folge immer wieder mit der christlich-platonischen Kosmo­ logie rückgekoppelt, blieb diese doch auch weiterhin im Denken der Gelehrten virulent.

541 Stieren, Tänzersage, bes. S. 4; Balogh, Tänze, S. 3 f.; mit umfangreichem Quellennachweis nun auch das Wiki: Graf (Betreuer), Mordgrube zu Feiberg. 542 Schröder, Tänzer von Kölbigk, S. 111. 543 Ebd., S. 155, 162 f.; Voss, Tanz, S. 269 f. 544 Backman, Religious Dances, S. 172; Schroeder, Kulttänze, S. 191 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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VI.7 Querschnitt: Theologische Reflexion statt Warnlegende Im 11. Jahrhundert wird im niederlothringischen Raum die Legende vom so­ genannten Tanz von Kölbigk entwickelt. Ihre Entstehung steht im engen Zusammenhang mit der beginnenden Kirchenreform und den durch sie aus­gelösten Kontroversen. Sie rekurriert nicht auf ein reales Geschehen im sächsischen Stift Kölbigk, erst recht nicht auf ein frühes Vorkommen der Tanzwut, und ebenso wenig hat sie unmittelbar pagane oder volkskulturelle Rituale als Hintergrund. Vielmehr werden hier Motive, die im Wahrnehmungshorizont christlicher Theologen als Chiffren für »Heidentum« und Gottesferne markiert waren, zusammengestellt zu einer komplexen Parabel auf die theologischen Aporien der Kirchenreformbewegung. Die Tänzer der Kölbigker Legende sind dabei zunächst nicht Sünder, sondern Opfer ihres nikolaitischen Priesters. Dessen Tanzfluch ist denn auch eher ein Betriebsunfall als ein Wunder: Die theurgische Beherrschung der mania ist selbst zum Problem geworden, dem letztlich nur die kirchlich vermittelte Gnade abhelfen kann. Darum bestraft Gott die Tänzer auch nicht, sondern lässt ihnen vielmehr während ihrer unausweichlichen Heilssuche besondere Fürsorge zuteilwerden. Die irdische Hochzeit als Gegenbild der Gottesbrautschaft der Kirche in der Eucharistie wird mit dem unfreiwilligen Tanz als Metapher für die Gefangenheit im Zustand der Gottessuche kombiniert. Für die in der christlichen ­mania-Konzeption angelegte Vorstellung von der Gottessuche als Tanz auf der Schwelle der Kirche kann sich die Legende auf den radikalen Reformtheologen Petrus Damiani berufen. Dabei wird die Bindung im Tanz als Ausdruck des Sternenzwangs der Freiheit des Menschen gegenübergestellt, sich Gott zu­ zuwenden. Menschlicher Eigensinn führt zur Gottesvergessenheit und damit zur mania. Die Hinwendung zu Gott vermittelt die Gnade und damit die Ruhe der Seele. Dieser ataktische kosmische Reigen wird so geradezu zum Gegenbild der Heilsgemeinschaft der ecclesia. Die peregrinatio der von einem tremor gezeichneten Tänzer stellt dabei den Schwellenzustand des Tanzes auf Dauer, womit eine neue narrative Lösung für das Problem der Latenz der Liminalität gefunden ist: statt Heilung und Re-Integration (Eligius) oder Tod (Aurelianus) hier nun dauerhafte Entwurzelung. Nicht nur die ekklesiologische, sondern auch die anthropologische Meta­ phorik wird also von Dynamik auf Statik umgestellt. Im Haus Gottes tanzt man nicht, weil man hier ohnedies seiner Gnade teilhaftig wird. Der unendlichen Bewegung der unerlösten Seelen steht so die Ruhe des Heils gegenüber. Damit ist der Selbstverlust im kosmischen Tanz einseitig mit Gottesferne assoziiert: ­Ekstatische Überschreitung ist zumindest in dieser Konzeption – anders als etwa in der späteren Mystik – nicht mehr positiv semantisierbar. Damit ist © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Querschnitt: Theologische Reflexion statt Warnlegende

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in der Kölbigker Tanzlegende die neuzeitliche europäische Individualität vorformuliert. Die Kölbigker Legende steht so zwar nicht für ein reales Vorkommen der Tanzwut, wohl aber für jenen Moment in der Diskursgenealogie, in der die platonische mania durch elaborierte theologische Reflexion mit all jenen Aspekten aufgeladen wurde, die später in der Tanzwut aktiviert werden sollten: Der unfreiwillige Reigen markiert nicht nur einen Zustand der Gottessuche, sondern auch einen Grundwiderspruch zur Gnadenvermittlung der Kirche und zugleich zur seelischen Gesundheit des Individuums. Zur »Warnlegende« gegen blas­ phemischen Tanz wurde die Erzählung erst in der weiteren Rezeption. Als solche kann man sie auch nur interpretieren, wenn man all jene Aspekte der frühen Überlieferung, die die vorliegende Interpretation explizit einbezieht, als arbiträres »Sondergut« oder Ausdruck der zeittypischen Irrationalität der Verfasser ausklammert.

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VII. Heilige Patrone der Tanzwut und ihre Konstruktion: Johannes der Täufer und Vitus

»Celebratur autem natiuitas beati Iohannis propter hystoriam et propter allegoriam: propter hystoriam, quia dixit angelus: Multi in natiuitate eius gaudebunt. […] Propter allegoriam, quia ipse figurauit ortum gratie.« Johannes Beleth, Summa de Ecclesiasticis Officiis1

Mit der Legende vom Kölbigker Tanz ist im 11. Jahrhundert die Semantik von Tanz als liminaler Status des drohenden Heilsverlusts manifestiert. Predigt­ exempel und Legenden popularisieren in den folgenden Jahrhunderten diese Vorstellung. Zugleich aber verbindet sich die Konzeption von Tanz als Schwellenzustand mit der Verehrung mehrerer Heiliger. Im späteren Verbreitungsraum der Tanzwut, dem Rhein-Mosel-Maas-Becken, sind dies vor allem ­Johannes der Täufer und Vitus (Veit). Immer wieder ist in der Literatur die als ahistorisch-universales Syndrom verstandene »Tanzkrankheit« aus dem Kult dieser beiden Heiligen abgeleitet worden, indem man diesen als Rudiment paganer Traditionen deutete. Beide Heilige jedoch werden erst seit dem 13./14. Jahrhundert in den sich formierenden Tanzwut-Diskurs integriert. Sie befruchten diesen nun mit einer Fülle narrativer Motive und transformieren ihn so von einem Produkt der gelehrten Kosmologie zu einem genuinen Ausdruck der religiösen Praxis. Warum waren gerade diese Figuren der christlichen Mythologie für eine Assozia­tion mit dem sich formierenden Tanzzwang-Konstrukt attraktiv? Wann und unter welchen Umständen verbanden sich Tanzzwang und Heilige zu einer neuen, wirksamen Erzählung? Warum konnten Johannes und Veit im Ver­breitungsgebiet dauerhaft nebeneinander als Patrone der Tanzwut stehen? Um diese Fragen zu beantworten, genügt nicht der Blick auf die spätmittelalterlichen Fassungen der jeweiligen Heiligenlegenden. Zwar bieten diese Viten durchaus Anknüpfungspunkte. Mythos und Verehrung des Täufers wie des Vitus haben jedoch Tiefenstrukturen, die in die spätantike Formierungsphase des Christentums zurückweisen. Beide Heilige müssen daher konsequent als Produkte eines Austauschprozesses mit paganen Erzählungen gelesen werden.



1 Douteil (Hg.), Johannes Beleth, De Ecclesiasticis Officiis, Bd. 2, Kap. 136, S. 265. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Heilige Patrone der Tanzwut

VII.1 Der verderbliche Tanz und die sinkende Sonne: Salome und Johannes der Täufer VII.1.1 Johannistanz und Sonnenwende »Keiner soll am Fest des hl. Johannes oder bei den Feiern gewisser Heiliger die Sonnenwende, Tänze und Sprünge oder diabolische Gesänge aufführen.«2

Mit diesen Worten lässt Audoinus von Rouen Eligius superstitiöse Praktiken zur Mitsommernacht geißeln. Auch die Tänzer, die im Sommer 1374 am Oberrhein und dann in Aachen und Köln bis weit nach Flandern und in den Hennegau (die Gegend um Eligius’ Bischofsstadt Tournai also) in großen Gruppen durch die Städte zogen, riefen Johannes den Täufer als heiligen Patron an. Immer wieder wurde daher vermutet, dass die Johannistanz-Bewegung von 1374 von nächtlichen Feiern zur Sommersonnenwende ausgegangen sei.3 Die ältere volkskundliche und medizingeschichtliche Literatur hat für diese Johannis­ rituale auch allgemein eine therapeutische oder prophylaktische Wirkung gegen Fallsucht bzw. Epilepsie und Tanzwut postuliert.4 Da man diese Feiern als germanisches Kulterbe sehen wollte, ließ sich so eine vorchristliche Tradition der Bekämpfung dieser und ähnlicher Krankheitsformen wie Krämpfe und Kopfleiden durch Heiltanz und Gesang am Tag des Solstitiums konstru­ieren.5 Antike Feuerlustrationen, angeblicher germanischer Sonnenglauben und spätmittelalterliche bzw. frühmoderne Dämonologie wurden dabei gleichermaßen als Deutungshorizont für angebliche primitive Heilrituale herangezogen.6 Sonnenwendfeiern, Johannes-Verehrung und damit auch die Johannistanz­ bewegung von 1374 wurden so als Überreste vorchristlicher oder ausdrücklich 2 Krusch (Hg.), Vita Eligii, MGH SS rer. Mer., Bd. 4, Buch 2, Kap. 16, S. 705 f.: »Nullus in festivitate sancti Iohannis vel quibusque sanctorum sollemnitatibus solestitia aut vallationes vel saltationes aut cantica diabolica exerceat.« Vgl. oben, Kap. V.3.1. 3 Hecker, Tanzwuth, S.  12; Backman, Religious Dances, S.  260; Midelfort, History of Madness, S. 33; Bergdolt, Veitstanz, S. 89 f.; Schneider, Tanzlexikon, S. 259; differenzierter: Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S. 232; allg.: Sartori, (Art.) Johannesfeuer. 4 Meisen, Springprozessionen, S. 172; Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S. ­236–238 (will die Heiltänze von der »eigentlichen« Tanzkrankheit trennen); von Hovorka/Kronfeld, Vergleichende Volksmedizin, Bd. 2, S. 210; Backman, Religious Dances, S. 203–206, 260. 5 Höfler, Hirnweh, S.  100; Diepgen, Volksmedizin, S.  83–92; diesem folgend SchmitzCliever/Schmitz-Cliever, Heiltanz; Schmitz-Cliever, Tanzkrankheit; Katner, Rätsel des Tarentismus, S. 28 f.; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 55 f.; Bergdolt, Veitstanz, S. 90; kritisch: Midelfort, History of Madness, S. 46. 6 Hecker, Tanzwuth, S.  13 (mit Hinweis auf antike Vorlagen); Koch, Salomes Schleier, 55 (Feuersprung als Teufelsabwehr in der Frühneuzeit); Jung, Körperlust und Disziplin, S. ­118–120 (ältere Volkskunde reproduzierend). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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germanischer Kulte im christlichen Mittelalter beschreibbar.7 Das Missionschristentum habe das Fest des Täufers gezielt auf den 24. Juni gelegt, um pagane Sonnenwendfeiern zu überschreiben – wie ja auch das christliche Weihnachtsfest angeblich einen heidnischen Geburtstag des Sol invictus ersetzt hatte.8 Wie für andere sogenannte germanische superstitiones gilt jedoch auch hier, dass diese nur aus normativen Texten aus christlicher Zeit erschließbar sind – etwa aus Predigten wie jenen des Eligius, die beinahe wortgleich in der Tradition des Caesarius von Arles und des Martin von Braga stehen.9 Es ist umstritten, ob und inwieweit diese normativen Quellen aus christlicher Zeit auf zeitgenössisch reale kulturelle Traditionen rekurrieren. Sicherlich aber lassen sich aus ihnen keinerlei Rückschlüsse auf die germanische oder andere vorchristliche Religionen ziehen. Vielmehr reproduzieren sie gelehrte Stereotypen der Antike, die von den Kirchenvätern autorisiert bis ins Spätmittelalter die Bußtheologie prägten. Mittelalterliche oder frühneuzeitliche Phänomene sind daher nicht als Residuen paganer Kulte zu begreifen, wie es die ältere Religionsgeschichte und Volkskunde postulierten.10 Auch ist heute bekannt, dass die Sonnenverehrung im nordeuropäischen Raum als Transfer aus den vorderasiatischen und mediterranen Kulturen angesprochen werden muss.11 Die Sommersonnenwende ist also kein »germa­nisches Fest«, sondern hat sich erst mit dem Christentum im nordalpinen Raum verbreitet.12 Im heutigen Deutschland hat sie sich offenbar erst seit dem 18. und vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert auf breiter Front durchgesetzt – eine politisch motivierte invention of tradition, der die populärwissenschaft­liche Brauchtumsforschung freilich umso lieber aufsitzt.13 So erwähnen Predigten und Bußbücher vielfach das sogenannte nodfyr oder niedfyr, wobei unklar ist, ob diese vernakulare Bezeichnung überhaupt auf ein außerchristliches Brauchtum oder sogar konkret auf Solstitialrituale be­

7 So noch Biquard, Le mal de saint Vit, S. [4 mit Anm. 12]; Höfler, Deutsches Krankheitsnamenbuch, S. 727 (s. v. »Tanz«); Voss, Tanz, S. 81–84; Beitl, Wörterbuch der Volkskunde, S.  376 f.; Hausamann, Salome, S.  208 ff.; Koch, Salomes Schleier, S.  74 f.; verallgemeinernd: Salmen, Tanz und Tanzen, S.  54 f.; eine Herleitung des Tanzwut- und Fallsucht-Patronats des Täufers aus keltoromanischen Solstitialkulten nimmt an: van Kraemer, Les maladies, S. 69 f. 8 So noch Hen, Culture and Religion, S.  107 (zu Eligius von Noyon); schon Hecker, Tanzwuth, 10 f.; zum solaren Charakter des christlichen Kalenders vgl. oben, Kap. IV.2.2. 9 Vgl. oben, Kap. III.2.2 und V.3.1. 10 Haid, (Art.) Jahresbrauchtum, S. 14; ebenso schon Kramer, (Art.) Agrarisches Brauchtum, der freilich noch jahreszeitliche Feuerrituale annimmt. 11 Haid, (Art.) Jahresbrauchtum, S.  15 f.; del Arbol Navarro, Spanien, der keltiberische Herkunft postuliert. 12 Zender, Zusammenfassung. 13 Ders., Jahresfeuer in Deutschland, S. 20 ff.; Ders., Bundesrepublik Deutschland. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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zogen werden kann.14 Das durchaus allgemein übliche Jahresfeuer wurde (und wird) in vielen Regionen eben nicht zur Sommersonnenwende, sondern zu anderen Terminen im Frühjahr begangen.15 Im Kernraum der Tanzwut-Phänomene zeigt sich dabei ein differenziertes Bild: Während am Rhein nördlich von Straßburg der Tag der Sonnenwende oder der Johannistag dominieren, ebenso in einem schmalen Streifen vom westlichen Bodensee bis zur Donau, werden am südlichen Oberrhein, in Schwaben und in der deutschsprachigen Schweiz die Jahresfeuer, wo sie überhaupt nachweisbar sind, am ersten Fastenwochenende oder an Ostern abgebrannt. Weiter nördlich an Mittelrhein, Mosel und Maas dominieren neben dem Fastenbeginn Mai- (01.05.) und Martinsfeuer (10./11.11.)16 Dominant sind der 21.06. oder der 24.06. als Termin des Jahresfeuers hingegen weiter nördlich in Franken und Hessen – Regionen, für die die Tanzwut nicht überliefert ist. Zudem hatte sich infolge der Ungenauigkeit des Julianischen Kalenders das astro­nomische Solstitium bis zum Ende des 16. Jahrhunderts bis auf den 12. Juni verschoben.17 Auch nach der gregorianischen Kalenderreform sollte der Johannistag eben nicht die empirisch messbare Mitsommernacht markieren. Vielmehr war er nur noch durch die Superstitionsliteratur des Mittelalters literarisch als Datum der Sonnenwende fixiert und wurde zunächst vor allem in literaten Milieus begangen. Wo das Johannisfeuer schon im späten Mittelalter oder in der Frühen Neuzeit überliefert ist, handelt es sich nämlich in der Regel nicht um ländlich-agrarische, sondern um städtische oder gar höfisch-adelige Milieus18 – ein weiteres Indiz gegen die Annahme einer Kulttradition und für eine gelehrte Innovation. Schon im spätantiken Christentum hatten sich in der Verehrung Johannes des Täufers Ritualformen ausgebildet, die von den Kirchenvätern als Paganismen abgelehnt wurden.19 So verurteilte Augustinus rituelle Bäder der Gläubigen im Meer an diesem Tag, mit denen offenbar die Taufe wiederholt und erneu-

14 Hecker, Tanzwuth, S.  10 f.; Boudriot, Altgermanische Religion, S.  31 f.; Meinecke/ Schmidt-Wiegand, (Art.) Indiculus superstitionum; Haid, (Art.) Notfeuer und Feuerverehrung (»Notfeuer« als therapeutisch-kathartisches Ritual mit ostmediterranen Ursprüngen, in agrarischer Bevölkerung bis ins 19. Jh. verbreitet). 15 Ebd., S. 429; Zender, Zusammenfassung, S. 112 f. 16 Ethnologischer Atlas Europas, Frankfurt 1979, Karte 1: Die Termine der Jahresfeuer. 17 Vgl. unten, Kap. VII.3.2. 18 Zender, Bundesrepublik Deutschland, S.  9; Ders., Zusammenfassung, S.  111; Haid, (Art.) Notfeuer und Feuerverehrung, S.  428. Vgl. etwa die Belege bei Beitl, Wörterbuch der Volkskunde, S. 376 f. (»geistliche Förderer des Johannisfeuers«); Voss, Tanz, S. 84 (über ­Johannisfeuer im höfischen Fest des 15.  Jh.); Böhme, Geschichte des Tanzes, Bd.  1, S.  116 (über oft feuerpolizeilich motivierte städtische Verbote von Sonnenwendfeuern); Panzer, Tanz und Recht, S. 14–16 (Nürnberg); Jung, Körperlust und Disziplin, S. 120 f. (Köln 1631). 19 Förster, Anfänge, S. 281; Zender, Zusammenfassung, S. 111; Hecker, Tanzwuth, S. 11 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ert werden sollte.20 Ganz ähnliche Baderituale junger Frauen am Johannistag sollte Petrarca noch 1388 in Köln beobachten.21 Wieweit dem frühen Humanisten hier die Kirchenväter-Lektüre die Wahrnehmung strukturierte, wäre zu klären. Seine Beschreibung der Stadt am Rhein war jedenfalls durch ihren römischen Charakter geprägt, der den Italiener ausdrücklich in Begeisterung versetzte.22 Wenn er hier vorchristliche Traditionen erkennen wollte, dann also römische, nicht germanische. Und was er beschreibt, steht wohl eher in einem christlichen Kontext. Denn die volksfromme Verehrung des Johannes setzte hier erkennbar bei seinem Patronat über das Taufsakrament an, gerade nicht bei einer angeblichen heidnischen Kultkontinuität. Dabei waren dem christlichen Johannes-Kult durchaus früh Assoziationen zu Sonne und Feuer inhärent. Doch speisten sich diese aus der jüdischen und christlichen Tradition solarer Symboliken, die aus dem Kontext der mytho­ logischen lingua franca der Spätantike zu erklären sind,23 im Spätmittelalter jedoch einer genuin christlichen Semantik geschuldet waren. Zwar erklärt etwa Johannes Beleth († 1182/85) in seiner Summa de Ecclesiasticis Officiis (um 1150) die Brandopfer der Schüler mit heidnischen Ursprüngen  – wobei er sie übrigens nicht explizit ablehnt, sondern neben den tripudia in den Johannisnacht neutral schildert.24 Das früher vielfach als Symbol germanischer Gottheiten gedeutete Abbrennen von Feuerrädern zu Johannis oder auch zu Weihnachten (»­Julräder«) dürfte jedoch, wo es überhaupt nachweisbar ist, eher auf römische und biblische Traditionslinien zurückgehen.25 Eine anonyme Predigt des 15. Jahrhunderts auf den Täufer fasst die spezifisch christliche Interpretation der Feierlichkeiten zur Johannisnacht präzise zusammen: »Lieben kint ir sont wissen das an sant Johans äbend ding gewonlich geschehent die man an keines anderen hailigen vigili vnd äbend tuot. Man macht gar grossi fur. Das bezaichnet das Johannes was ain brinnendi lucerne gen jm selben das da lucht gegen ­Christo. Vnd also hät er das ampt der Seraphin das ist als vil gesprochen als ›ain brinnender‹. […] Die lut sint froelich vnd tanzent. Das betut das der engel sprach: ›In sin geburt werdent sich vil froewent.‹ […] In etlichen stetten da gänt die jungen lut vnd schläffent vff dem veld uber nacht. Das betut do Johannes was vij jär alt das er do in die 20 Augustinus, Sermo 196, 4, PL 38, Sp. 1021; vgl. Franz, Benediktionen, Bd. 1, S. 296. 21 Dotti/Audisio/Rossi/Bosco (Hg./Übers.), Petrarca, Le Familiari, Nr. I.5, S. 80–89 (an den Kardinal Giovanni Colonna), hier S. 80–82; vgl. Bergdolt, Veitstanz, S. 90 (mit falschem Beleg). 22 Stierle, Petrarca, S. 275 f. 23 Vgl. oben, Kap. IV.2.2. 24 Douteil (Hg.), Johannes Beleth, De Ecclesiasticis Officiis, Bd. 2, S. 262–269, bes. S. 268: »Quod autem immunda cremant, hoc habent ex gentilibus.« 25 Skeptisch Zender, Bundesrepublik Deutschland, S. 12; klassisch: Hausamann, Salome, S. 210 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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wuesti gieng. Vnd darumb singet man von jm das er in sinen jungen jären gieng in die wuesti vnd in die hulinen.«26

Die Verehrung Johannes des Täufers, des letzten Propheten des Alten und ersten Heiligen des Neuen Testaments, entstand, als sich das frühe Christentum in Auseinandersetzung mit den konkurrierenden Erlösungsreligionen mit kosmologischen und solarmythologischen Erzählmotiven und -strukturen auflud. Da Christus als verus Sol konzipiert wurde, wurde auch der sprichwörtliche »Vorläufer« zum Gegenstand einer solaren Mythologisierung. Die christliche Johannes-Verehrung sollte also den paganen Sonnenkult nicht ersetzen, sondern entwickelte sich gleichzeitig mit diesem als christliche Variante. Sie adaptierte dabei durchaus auch Motive aus nicht-christlichen Mythen. Im Verbreitungs­ gebiet der späteren Tanzwut jedoch ist sie nicht früheren Kultkontinuitäten aufgepropft, sondern funktioniert als Phänomen einer spezifisch solarmythologisch-kosmologischen Christianität.27

VII.1.2 Der Vorläufer: Die Verehrung Johannes des Täufers »Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.« Diese Worte legt das JohannesEvangelium (Joh 3,30) dem erfolgreichen Prediger Johannes dem Täufer in den Mund, um den von ihm getauften Jesus als den angekündigten Messias zu bestätigen. Die kanonische neutestamentliche Überlieferung integriert so einen Konkurrenten in die heilsgeschichtliche Erzählung, war doch die frühe Phase des Judenchristentums im 1.  Jahrhundert gekennzeichnet durch die Ausein­ andersetzung mit Gemeinden, die sich auf den Täufer als messianische Gestalt bezogen.28 Dieses sogenannte Johannes-Christentum mit seiner starken Orien­ tierung an gnostischen und antik-mythologischen Zügen transportierte so Züge einer konkurrierenden Konzeption aus dem gemeinsamen Milieu des hellenistischen Judentums. Die tendenziell spiritualistische und dualistische Theologie diese Gruppierungen prägt noch die gnostischen »Johannes-Akten« des frühen 3.  Jahrhunderts, die über die Auseinandersetzung zwischen Ost- und West­ kirche im späten 8. Jahrhundert in die Überlieferung zum Kölbigker Tanz einfließen sollten.29 Nicht häretisiert, sondern kanonisch integriert wurde sie über das Johannes-Evangelium und die Johannes-Apokalypse auch im MehrheitsChristentum wirksam. So behielt der Täufer als letzter Prophet und direkter 26 Zitiert nach: Zimmermann, Engelsreigen, S.  285 f., die das beschriebene Brauchtum wiederum als christlich legitimierten Paganismus sehen will. 27 Gegen germanische und für römisch-antike Grundlagen der solaren Symbolik im Johannes-Kult plädiert schon Franz, Benediktionen, Bd. 1, S. 303 f. 28 Müller, Johannes der Täufer, S 190–197. 29 Dewey, The Hymns, S. 86 ff.; vgl. oben, Kap. VI.5.1. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Vorgänger Christi eine Sonderrolle im Heiligenhimmel. Jesu Wort über ihn folgend (Lk 7,33) und mit Blick auf sein Leben in der Wüste galt er als Inbegriff der Askese, als Mensch, der sich in der Abkehr von der Welt Gott am nächsten angenähert hatte.30 »Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen« – aus dieser Sentenz des Täufers über Jesus schloss man auch, dass die Geburt des Johannes auf die Sommersonnenwende fallen müsse: Die ab dem Tag ihrer Geburt abnehmende »alte« Sonne Johannes geht damit der ab dem Tag ihrer Geburt (25.12.) zunehmenden »neuen« und »wahren Sonne« Christus voraus, so Augustinus in seiner solarmystischen Deutung des Kirchenjahres.31 Damit ist er der einzige Heilige, bei dem als dies natalis tatsächlich der Geburtstag und nicht die spirituelle Wiedergeburt des (Märtyrer-)Todes gefeiert wird. Wie bei Christus wird zusätzlich am 29.  August das Martyrium gefeiert.32 Zugleich markiert der Johannistag je nach Osterdatum den spätestmöglichen Termin für das seit dem 13.  Jahrhundert immer intensiver gefeierte Fest Corpus Christi (Fronleichnam) – eine seltene Konjunktion, die Anlass zu apokalyptischen Erwartungen gab.33 Als »Vorläufer« der »wahren Sonne« wurde Johannes der Täufer schon seit dem 4.  Jahrhundert auch mit der Venus, dem Morgenstern, assoziiert.34 Wie die Sonne der pythagoräischen Kosmologie zufolge an den Solstitien und Äquinoktien jeweils drei Tage stillsteht bzw. tanzt,35 so hatte der »Vorläufer« Johannes im Mutterleib gehüpft, als die schwangere Maria seine Mutter Elisabeth besuchte (Lk 1,41–44).36 Die Verehrung des Täufers steht also seit dem 4. Jahrhundert kalendarisch wie mythisch in einem engen Wechselspiel mit dem Leben und Sterben Christi, das über astronomische bzw. solarmythologische Bezüge vermittelt wird. Umso auffälliger ist die prominente Rolle, die dem Heiligen in den Auseinandersetzungen um die Durchsetzung des Christentums als Staatsreligion durch die römischen Kaiser zugeschrieben wurde. Rufinus zufolge hatte ­Julian 30 So etwa bei Raymund von Capua im Leben der Katharina von Siena, vgl. Lamb (Übers.), Raymund of Capua, Live of Saint Catherine, Kap. V, S. 158; oder bei Mechthild von Magdeburg: Vollmann-Profe (Hg.), Mechthild von Magdeburg, S. 63. 31 Koch, Salomes Schleier, S.  192; Walraff, Christus verus Sol, S.  58; Förster, Anfänge, S. 273 f. 32 Zimmermann, Engelsreigen, S. 283; Koch, Salomes Schleier, S. 193, nennt Johannes den einzigen Heiligen, bei dem nicht nur die Geburt, sondern auch der Tod (!) gefeiert werde. 33 Delumeau, Angst im Abendland, S.  345 f.; Scribner, Ritual and Popular Religion, S. 50. 34 Walraff, Christus verus Sol, S. 58; Scherer, Gestirnsnamen, S. 99. 35 Vgl. oben, Kap. III.1.2. 36 Dies nimmt zum Anlass für das Tanzpatronat des Täufers: Uhland, Alte Volkslieder, S. 400 f. Schon das Evangelienbuch des Otfried von Weißenburg (863/72) enthält ein Bittlied an Johannes den Täufer, das auf diese pränatale Prophezeiung Bezug nimmt, vgl. Haubrichs, Heiligenfest, S. 135. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»Apostata« das Grab des Täufers in Sebaste öffnen und die Gebeine ver­ brennen lassen.37 Unter Theodosius I. (347–395) hingegen wurde Johannes zum Schutzherrn und Sieghelfer des christlichen Kaisers.38 Man könnte bei beiden Maßnahmen einen Zusammenhang zur solarmythologischen Grundierung des Hofzeremoniells und zumal zur Kommunikation der Kaiser mit ihren Truppen vermuten. Theodosius war es auch, der das angeblich wiederentdeckte Haupt des Johannes nach Damaskus (oder auch nach Konstanti­nopel) bringen und zur Verehrung ausstellen ließ.39 452 jedoch tauchte ausgerechnet in Emesa, dem vormaligen Hauptort des syrischen Elagabal-Kultes,40 eine andere Kopfreliquie des Täufers auf.41 Am Beginn der mittelalterlichen JohannesVerehrung stehen also Reliquieninventionen, die in recht konkretem Zusammenhang zu den religionspolitischen Maßnahmen der Kaiser zu sehen sind, sei es, dass sie die Durchsetzung des Christentums als Staatsreligion flankieren wie bei Theodosius, sei es, dass sie örtliche Kulttraditionen des von den letzten nicht-christlichen Kaisern geförderten Sonnenkultes überschreiben sollen. Johannes der Täufer erweist sich auch insofern als solarmythologisch auf­ geladene Figur. Im 11. Jahrhundert wurde die Kopfreliquie von Emesa nach Konstantinopel transferiert, wo sich zumindest einem Überlieferungsstrang zufolge schon das von Theodosius erhobene Haupt des Täufers befand. 1204 wurde jedenfalls ein Johannes-Kopf von den Kreuzfahrern geraubt und in Teilen nach Westen gebracht.42 Dort war zu Beginn des 11. Jahrhunderts bereits in St-Jean-d’Angély im Poitou ein weiteres Haupt des Täufers entdeckt und erhoben worden  – unter Beteiligung des Königs Robert II., weshalb Johannes zeitweise zum Reichs­heiligen Frankreichs aufstieg.43 Angeblich hatte im 8.  Jahrhundert ein Mönch die Reliquie aus Jerusalem mitgebracht und mit ihrer Hilfe zwölf erschlagene Ritter zum Leben erweckt, die daraufhin das Kloster St-Jean ge­ gründet hatten44  – ein deutlicher narrativer Reflex auf die kosmologische Struktur der Johannes-Legende. Nach 1206 wurde Amiens mit einer weiteren Kopfreliquie zum Zentrum der Johannes-Verehrung, insbesondere zum Aus 37 Weis, (Art.) Johannes der Täufer, Sp.  186; Rosen, Julian, S.  407; Lucius, Anfänge, S. 162 ff. 38 Leppin, Theodosius, S. 216 f. 39 Lucius, Anfänge, S. 162 f.; Hausamann, Salome, S. 190; Müller, Johannes der Täufer, S. 208. 40 Colpe, Einführung, S. 16–18; vgl. oben, Kap. IV.2.1. 41 Lucius, Anfänge, S. 163 f.; Günter, Psychologie der Legende, S. 224, mit ausführlicher Aufschlüsselung der konkurrierenden Reliquien-Provenienzen; Hausamann, Salome, S. 190; ebd., S.  188 ff. weitere Angaben zur Verbreitung der Reliquien des Täufers; vgl. dazu auch ­Rosen, Julian, S. 407 f.; Weis, (Art.) Johannes der Täufer, Sp. 186 f. 42 Lucius, Anfänge, S. 164; Hausamann, Salome, S. 153, 190; Rosen, Julian, S. 408. 43 Ehlers, Politik und Heiligenverehrung, S. 164 f. 44 Hausamann, Salome, S. 190 (ohne Quellenangabe). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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gangspunkt ­seines Patronats für die im Französischen bald mal Saint-Jehan genannte Fallsucht.45 Neben zahlreichen anderen angeblichen Reliquien des Täufers kannte man in Gallien schon zur Zeit Gregors von Tours auch einen Krug mit seinem Blut.46 Das bis heute in der Naturheilkunde vielfach als »beruhigend« verwendete Johanniskraut sollte schon in der spätmittelalterlichen Heilkunde gegen Besessenheit, Geister, Krämpfe und Fallsucht helfen, zumal, wenn es am Geburtstag oder am Todestag des Heiligen gesammelt worden war.47 Das rote Sekret der Pflanze galt als »Johannesblut«48 oder auch (in Italien) als das Blut Christi.49 Die Enthauptung machte den Täufer also auch zum Repräsentanten des Blutes, des mit dem Frühling und der Farbe Rot assoziierten Körpersafts.50 Als Täufer Christi stand Johannes zugleich für das Element Wasser und seine lebensspendende Kraft.51 Schon in der frühmittelalterlichen gallischen Kirche waren die bei den Kathedralkirchen gelegenen Baptisterien in aller Regel Johannes geweiht.52 Taufen fanden – außer an Ostern – bevorzugt am Jo­ hannistag statt.53 Am Johannistag geschöpftes Wasser hatte heilende (und verderbende)  Wirkung.54 Johanniskirchen lagen oft in der Nähe von Wasserläufen.55 Als Patron der Taufe steht Johannes also an der Schwelle des Eintritts des Menschen in die Heilsgemeinschaft der ecclesia. Er markiert auch insofern den liminalen Raum zwischen Immanenz und Transzendenz, zwischen Diesseits und Jenseits. Johannes der Täufer war jedoch auch »die Stimme des Rufers in der Wüste« (Joh 1,23). Das Leben in der Einöde machte den Propheten zum Inbegriff der erfolgreichen Gottessuche. Bei Hildegard von Bingen (1098–1179) steht er daher als Prototyp des Wüstenasketen typologisch für die Verlassenheit des Menschen in der Welt. Als unmittelbarer Vorläufer des Messias befindet er sich in einem engen Verhältnis zu den Bewegungen des Kosmos. So zeigt sich an ihm noch die unmittelbare Wechselbeziehung des Mikrokosmos Mensch mit dem 45 van Kraemer, Les maladies, S. 63–74; Winkle, Geißeln (32005), S. 1095 f., erwähnt ohne Beleg viele Heilungen von Tanzwut- und Fallsucht-Fällen durch die Kopfreliquie in Amiens. 46 Hausamann, Salome, S. 188. 47 Marzell, (Art.) Johanniskräuter; Beitl, Wörterbuch der Volkskunde, S. 381 f.; für Süditalien: Hauschild, Magie und Macht, S. 372–376; Hausamann, Salome, S. 212–214, der Johannes hier als Erbe des paganen Donar/Jupiter sehen will. 48 Beitl, Wörterbuch der Volkskunde, S. 376, 381 f. 49 Hauschild, Magie und Macht, S. 374. 50 Schöner, Viererschema, Tafel nach S. 114. 51 Ethnographisch: Hauschild, Magie und Macht, S. 37 ff. 52 Ewig, Kathedralpatrozinien, S. 274–277, 316. 53 Angenendt, Taufritus, S. 287. 54 Beitl, Wörterbuch der Volkskunde, S. 379 f. 55 Für Württemberg, d. h. den südöstlichen Einzugsbereich der Tanzwut, vgl. Hoffmann, Kirchenheilige, S. 21. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Makro­kosmos, die für alle anderen Menschen durch die Erbsünde verloren­ gegangen ist. Er kann daher die Kräfte der Elemente aufnehmen, ohne irdische Nahrung zu brauchen. Johannes vermittelt also die kosmische Wirkmacht Gottes in die Welt des verworfenen Menschen (»homo destitutus«) hinein, wie ­Maria mit der Geburt Jesu die Hoffnung auf Erlösung bringt (»restitutio«).56 Auch für Hildegard hat Johannes also eine besondere Qualität, in der sich die Heils­geschichte kosmologisch abbildet. Wenig früher bezeichnet auch Johannes Beleth den ohne Erbsünde empfangenen Täufer Jesu als den Vermittler des Heils in die Welt und als »Eckstein zwischen Altem und Neuem Testament«.57 Mit dieser heiklen Sonderrolle erklärt eine wohl neuzeitliche Legende aus Flandern des Johannes auch seine Zuständigkeit für die Fallsucht: Der Täufer bittet Gott, ihm zu zeigen, wie Gewitter entstehen. Gott warnt ihn, dass er als Mensch dessen nicht ansichtig werden könne, doch Johannes bleibt bei seinem Wunsch. Als Gott ihm seinen Wunsch erfüllt, ist er geblendet und stürzt zu ­Boden. Dies ist die Ursache für die Fallsucht (»mal caduc ou mal de St-Jean«) und für die Heilwirkung des Johannes.58 Der »Vorläufer« wird also wirkungsvoll auf seine menschliche Qualität zurückverwiesen, zugleich wird eine spirituelle Ätiologie für die Fallsucht formuliert: Der Fallende wird zum Inbegriff des sündigen und an das irdische Leben gefesselten Menschen, das Gewitter zum alltäglichen Vorgriff auf das Jüngste Gericht, die Krankheit zur Performanz der menschlichen Unzulänglichkeit und Heilsbedürftigkeit.

VII.1.3 Der Orpheus redivivus und die Mänade: Das Martyrium des Täufers in der Auseinandersetzung der Patristik mit den paganen Religionen Franz Jostes hat Johannes den Täufer auf den mesopotamischen Mond-, Wasser- und Schöpfergott »Oannes«/»Ea« zurückführen wollen.59 Der fischleibige Gott des Meeres, der die Schöpfung ordnet, wurde im ganzen vorderasiatischen Raum als messiasgleicher König des Goldenen Zeitalters verehrt.60 Freilich wurde in späthellenistischer Zeit eher der Sonnengott in der ordnungsstiftenden Funktion des Kosmokrators gesehen.61 Sollte der »Täufer« auch insofern 56 Schipperges (Hg.), Hildegard von Bingen, Heilkunde, S. 32 f. 57 Douteil (Hg.), Johannes Beleth, De Ecclesiasticis Officiis, Bd. 2, Kap. 136, S. 262–266. 58 de Cock, Volksgeneeskunde, S. 94; Backman, Religious Dances, S. 260; Hausamann, Salome, S.  207; Sartori, (Art.) Johanneskrankheit (der hier Johannes den Evangelisten gemeint sieht). 59 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 422–428. 60 Roscher, Ausführliches Lexikon, Bd.  3, Teil  1, Sp.  577–593; Maury, Croyances et ­légendes, S. 276. 61 Fauth, Helios megistos, S. 34 ff., 199–202. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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den »Vorläufer« der »wahren Sonne« markieren? Die Assoziation dürfte allenfalls sehr mittelbar zutreffen, zumal der hebräische Name »Johannes« etymo­ logisch in der Regel auf die Bedeutung »Jahwe ist gnädig« zurückgeführt wird.62 Die neutestamentlichen Erzählungen zum Martyrium Johannes des Täufers (Mt 14,3–12; Mk 6,17–29) gelten in der historisch-kritischen Theologie heute als Übernahme älterer Motive, die den moralisch strengen Prediger als Vorläufer Christi in die Heilsgeschichte integrieren sollten.63 Für den Herrscher, der aus Leidenschaft einen Unschuldigen hinrichten lässt, kannte die antike Rhetorik als Vorbild den römischen Konsul Lucius Quinctius Flamininus (184 v. Chr.), der einem Lustknaben (oder: einer Kurtisane) zuliebe einen Mord hatte begehen lassen. Diese Parallele wurde schon von Hieronymus gesehen und in die christliche Exegese eingeführt.64 Indirekte Vorlage für die Ausgestaltung könnte auch die bei Herodot überlieferte Episode aus dem Leben des Perserkönigs Xerxes gewesen sein, der seiner Schwiegertochter und Geliebten einen Wunsch freistellte.65 Die Präsentation des Kopfes schließlich erinnert an stereotype Triumphgesten, wie sie bei Euripides in der Figur der Mänade Agaue vorgezeichnet sind, die nach seiner Zerreißung den Kopf ihres Sohnes Pentheus an ihrem Stab in die Stadt trägt.66 Der Tod des Täufers wurde also schon in seinen neutestament­ lichen Redaktionen nach Vorbildern aus der antiken Historiographie und aus der dionysischen Mythologie gezeichnet, um Herodes und Herodias als tyrannisch und unmoralisch zu kennzeichnen. Der Tanz der Prinzessin vor der Hofgesellschaft steht dabei zunächst gar nicht im Fokus der Erzählung. Die Tochter der Herodias hat nicht einmal einen Namen. Erst Flavius Josephus erschloss aus der Geschichtsschreibung den Namen Salome – was noch unter den Kirchenvätern nur vereinzelt übernommen wurde.67 Origenes (185 – um 254) hatte Mutter und Tochter gleichermaßen mit dem Namen Herodias bezeichnet. Der Tanz der Prinzessin steht bei ihm für die Weigerung der Juden, dem Propheten Johannes und dem von ihm verkündeten Messias zu folgen, als pervertierende Antwort also auf das Wort Jesu: »Wir haben für Euch auf der Pfeife gespielt, und ihr habt nicht getanzt.«68 Zugleich führte Origenes die platonische Ablehnung des professionellen Theatertanzes in die Bibelexegese ein: Der laszive Reigen der Herodias wird dem prophe­ 62 Müller, Johannes der Täufer, S. 14; Cardinali, (Art.) Giovanni Battista, Sp. 599. 63 Tilly, Johannes der Täufer, S. 56–60, 236 f., 246 f.; Müller, Johannes der Täufer, S. ­86–93; Hartmann, Der Tod Johannes des Täufers, S. 125–128, 221 ff. 64 Petersen, Salome, S. 72 f.; Hausamann, Salome, S. 26–29, 174 f.; vgl. dagegen Hartmann, Der Tod Johannes des Täufers, S. 187 f. 65 Ebd., S. 229–234 mit weiteren Analogien. 66 Ebd., S. 190–196. 67 Petersen, Salome, S. 64–67; Hausamann, Salome, S. 279; Zimmermann, Engelsreigen, S. 229. 68 Ebd., S. 250; Hausamann, Salome, S. 173. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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tischen Sprechen des Täufers gegenübergestellt. Der Verstoß gegen die Körperdisziplin wird zum Zeichen des Heilsverlusts der Juden umgedeutet.69 Ebenfalls im 2. Jahrhundert sehen andere christliche Zeugnisse in der tanzenden Königstochter eine typologische Personifikation der luxuria, die noch Prudentius im 4. Jahrhundert als »saltatrix ebria« charakterisieren sollte.70 Paradigmatisch für die Wahrnehmung des Tanzes der Königstochter sollte jedoch Johannes Chrysostomus (344/49–407) werden. Gott gebe den Menschen die Füße nicht, damit sie auf Erden tanzen, sondern damit sie im Himmel in den Reigen der Engel eintreten könnten. Der Reigen der Tochter der Herodias sei vom Teufel geleitet, denn wo ein (Theater-)Tanz sei, da sei der Teufel nicht weit.71 Auch er vergleicht ihren Reigen mit den von der spätantiken Philosophie abgelehnten Vorführungen professioneller Akrobaten  – und nimmt damit die im Mittelalter prägende Wahrnehmung der tanzenden Prinzessin als bezahlte Gauklerin und Prostituierte vorweg. Gegenübergestellt wird dieses verwerfliche Tun dem Psalmisten und Tänzer David – auch dies ein Motiv, das in der weiteren Rezeption des Salome-Stoffes prägend werden sollte.72 Etwa gleichzeitig zu Chrysostomus zitiert im Westen Ambrosius (339–397) den Tanz der Tochter der Herodias als Inbegriff der Verderblichkeit körperlicher Exaltationen und zugleich als Auslöser wahnsinniger Ekstase.73 Klang schon bei Johannes Chrysostomus die Gegenüberstellung von heid­ nischer Ekstase im Diesseits und christlichem Engelsreigen im Jenseits an, so expliziert im 5. Jahrhundert Petrus Chrysologus (um 380–451) die Analogisierung der Salome mit der Raserei der dionysischen Mänaden: »Eine Schlange war in diesem Weib verborgen, die ihr unheilvolles Gift in den ganzen Körper ergoss, und von diesem teilte es sich den Gästen mit, so dass deren Leib und Seele die Raserei packte, sie zu Bestien verwandelt wurden, dass sie nicht Wein, sondern menschliches Blut zu trinken und nicht Brot, sondern menschliches Fleisch zu essen verlangten und erst zufrieden waren, als die Prinzessin das Haupt mit dem dampfenden Blut brachte.«74 69 Bermont, La danza, S. 132 f. 70 Zimmermann, Engelsreigen, S. 254, Anm. 91. 71 Hausamann, Salome, S. 113–117, 166 f., 177; Andresen, Altchristliche Kritik, S. 345 f.; Miller, Measures of Wisdom, S. 412 f. 72 Andresen, Altchristliche Kritik, S. 346; allg.: Zimmermann, Engelsreigen, S. 302–311; Arcangeli, Davide o Salomé, S. 201–203 (Rezeption). 73 Andresen, Altchristliche Kritik, S. 346; Hausamann, Salome, S. 173 f. 74 Petrus Chrysologus, Sermo 174, PL 52, Sp. 654: »Serpens tunc latebat in femina, quae reptans gressibus flexuosis lethale toto corpore virus effudit, ut discumbentium mentes furor, venenum corpora sauciaret, homines verterentur in bestias; nec vino jam tales, sed sanguine potarentur; nec pane rabidi, sed carnibus vescerentur humanis. Tales utique tales reddidit, quibus adhuc fumante sanguine caput intulit tunc Joannis; […]«; Übers. nach Daffner, Salome, S.  41; vgl. Hausamann, Salome, S.  178 f.; Zimmermann, Engelsreigen, S.  266; Lindner, Mä­ naden, S. 296 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Das biblische Bild der teuflischen Schlange wird hier also mit dem diony­ sischen Rausch verknüpft. Aus dem Wohlgefallen der Hofgesellschaft am Anblick der Prinzessin wird die kannibalische Raserei der Mänaden. Und vor allem: Der Tanz der Salome wird mit einem sympathetischen Ansteckungsmotiv assoziiert. Er vergiftet die Zuschauer und reizt sie so zwar nicht zum Mittanzen, aber immerhin zum dionysischen Blutrausch.75 Diese Gleichsetzung der Salome mit den ekstatischen Bacchantinnen wurde bald darauf von Basilius von Seleucia († nach 468) ausformuliert und sollte damit kanonisch werden für die weitere Rezeption auch im lateinischen Westen.76 Das Martyrium des Täufers wurde zum sparagmos (Blutrausch/Zerreißung), der Tanz der Prinzessin zum rasenden thiasos, zum Inbegriff des ekstatischen Kontrollverlusts.77 Letztlich kulminierten in der Salome-Figur alle Negativstereotypen, die die spätantike Philosophie gegen Bacchantinnen, Dionysos-Jünger und Korybanten entwickelt hatte:78 Der in den neutestamentlichen Zeugnissen noch gar nicht elaborierte, aber offenbar vage erotisch gemeinte Tanz wurde so zum allgemeinen Sinnbild für die teuflische Zerstörung der Harmonie, für den ansteckenden Heilsverlust. Johannes wurde damit zu einem christlichen Analogon des Pentheus, der in Euripides’ Bacchae von seiner Mutter Agaue im dionysischen Rausch zerrissen wird, aber auch zu einem neuen Orpheus, den die Mänaden zerrissen hatten, weil er ihre Mysterien verraten hatte.79 Besonders Orpheus als einsamer Einsiedler80 und Repräsentant der harmonischen Ordnung, der der dionysischen Entgrenzung zum Opfer fällt – ein zentraler Mythos der spätantiken Religio­sität –, faszinierte das junge Christentum: So hatte schon Clemens von Alexan­drien Christus, dessen Präfiguration Johannes ja war, als den »wahren Orpheus« gefeiert, der die Seelen reinige. So konnte nun auch der Täufer zum Orpheus redivivus stilisiert werden.81 Wie das Haupt des Orpheus auch nach seiner Zerfleischung noch gesungen hatte, so sprach der Legende zufolge auch jenes des Täufers noch auf der Schüssel liegend zu Herodes, weshalb Herodias ihm die Zunge ausstechen musste.82 Teile eines fragmentierten Körpers setzen ihre kosmologisch-harmonische Tätigkeit auch nach der Trennung vom Leib

75 Zur Wirkung dieses Motivs vgl. Zimmermann, Engelsreigen, S. 248. 76 Hausamann, Salome, S. 179–181; Zimmermann, Engelsreigen, S. 268; Lindner, Mänaden, S. 297. 77 Zimmermann, Engelsreigen, S. 267. 78 Vgl. oben, Kap. II.3.2. 79 Zimmermann, Engelsreigen, S. 263 f. 80 Eisler, Mysterien-Gedanke, S. 353. 81 Zimmermann, Engelsreigen, S. 263; Lindner, Mänaden, S. 294 f.; Hausamann, ­Salome, S. 318 f.; zur Assoziation des Orpheus mit dem Musiker und Tänzer David vgl. oben, Kap. V.3.2. 82 Lindner, Mänaden, S. 297; Hausamann, Salome, S. 175 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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fort – die Assoziation zu dem von ihrem Bruder »Johannes« ausgerissenen Arm der Priestertochter in der Kölbigker Legende liegt nahe.83 Die kosmologische und solarmythologische Aufladung des Verhältnisses zwischen Täufer und Messias in der eschatologischen Konzeption des Christentums konnte umso besser Geltung erlangen, weil sie an die astrologische Rückbindung gerade der orphischen Mysterien anknüpfen bzw. diese überschreiben konnte. Berichten doch schon die orphischen Hymnen ausführlicher als die heiligen Texte anderer Gruppenreligionen von der Verstirnung ihres Gottes, vom Lauf der Sonne, des Mondes und der Planeten, von der Seelenwanderung durch die Sphären, von den dämonischen Planeten, die die Erlösung zu behindern trachten, und von dem kosmokratischen Schöpfergott.84 Mit dem Orpheus redivivus-Motiv handelten sich die Christen trotz ihrer ausdrücklichen Ab­ lehnung der Astrologie auch diesen Konnotationshorizont ein. So wurde der Vorläufer Christi einerseits zum Anti-Dionysos, andererseits bot seine Legende selbst Anknüpfungspunkte für die christliche Überschreibung des Bacchus-Mythos. Wie Johannes im Bauch der Elisabeth war auch Dionysos im Bauch seiner Mutter Semele gehüpft, die daher während der Schwangerschaft hatte tanzen müssen, so oft sie eine Flöte gehört hatte.85 Zugleich beerbten Herodias und ihre Tochter Salome in negativer Hinsicht die großen jungfräulichen Mondgöttinnen der Antike: Ischtar, Isis, Kybele, Aphrodite, S­ emele, Diana.86 Johannes als Orpheus redivivus und Anti-Dionysos tritt so auch selbst als Kontrafaktur in diese mythische Genealogie ein.87 Damit ist erneut das Motiv der Heiligen Hochzeit aufgerufen, das bei der Formierung des Tanzzwang-Diskurses immer wieder im Hintergrund zu denken ist. Die jungfräuliche Mondgöttin muss sich mit dem alten Sonnengott, zugleich Vater und Ehemann, vermählen und den jungen Sonnengott gebären, um die zyklische Fruchtbarkeit der Welt zu gewährleisten.88 Wie Martin D ­ ibelius an­gemerkt hat, bezeichnet Matthäus den Herodes in seinem Bericht über das Martyrium des Täufers mit dem untypischen Titel eines »basileus«, nicht mit dem korrekten eines Tetrarchen.89 Dies erinnert vielleicht an den Titel des athenischen Oberpriesters, dessen Frau alljährlich zu den Anthesterien mit Dio­ nysos vermählt wurde.90 Schwang hier schon in der neutestamentlichen For 83 Vgl. oben, Kap. VI.4.4. 84 Gundel/Gundel, Astrologumena, S. 305–307. 85 Otto, Dionysos, S. 87–89. 86 Hausamann, Salome, S. 258 ff., 271 f. 87 Auch der Pfarrer des schottischen Inverkeiting, der der Chronik von Lanercost zufolge im Jahr 1282 einen Priapus-Kult begründete, heißt Johannes, Sahlin, Étude, S. 142; Dickson, Religious Enthusiasm, S. II 8 f.; Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 327; vgl. oben, Kap. III.2.2. 88 Hausamann, Salome, S. 265. 89 Dibelius, Urchristliche Überlieferung, S. 79. 90 Vgl. oben, Kap. V.1.2. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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mierung der Salome-Geschichte die Idee der Heiligen Hochzeit mit? Kann man also Herodes als Figuration des alten Sonnengottes deuten, Herodias und ihre mit ihr ja bis in die Patristik in der Regel namensgleiche und personal vielfach verschmelzende Tochter als solche der Mondgöttin? Johannes wäre dann an die Stelle zugleich ihres Sohnes und ihres Geliebten getreten, oder besser: Er hätte diese in einer christlichen Kontrafaktur des Mythos ersetzt. Denn anders als die ältere Synkretismus-Forschung implizierte, handelt es sich bei solchen Anverwandlungen nicht um identische Übernahmen,91 sondern gerade um polemisch intendierte Überschreibungen. Franz Jostes hat darauf hingewiesen, dass die solare Konfiguration von Herodes, Herodias und Salome auch in dem hochmittelalterlichen Heldenepos um Ermanrich und Farahild wiederholt wird.92 Herodes wäre demnach als der absteigende, kraftlose Sonnengott zu identifizieren, der an seinem Geburtstag93 seinen »Sohn« opfern müsste, um der jungfräulichen Göttin zu gefallen. Herodias – Mutter und Tochter – wären als Isis (verhinderte) Gemahlin von altem und neuem Sonnengott zugleich. Johannes aber entspräche damit dem von Seth geköpften Osiris/Sarapis/Attis, um den Isis trauert. Ganz folgerichtig wurde schon im frühen Mittelalter die antike Waldund Mondgöttin Diana mit der biblischen Herodias identifiziert.94 Der Christus präfigurierende Asket Johannes träte demnach in eine der Heiligen Hochzeit analoge Figuration ein, gerade um mit seiner Verweigerung die Reproduktion der alten zyklischen Ordnung zu verhindern. Indem er die ehebrecherische Verbindung von Herodes und Herodias rügt, sprengt er die Verbindung auf der Ebene der alten Gottheiten. Indem er nicht selbst der Verführung erliegt, tut er dies auf der Ebene der jungen Gottheiten. Johannes der Täufer hatte auf das Lamm als Symbol für den kommenden Messias und dessen Opfertod verwiesen. Die Johannes-Apokalypse nun allegorisiert die Brautschaft der Kirche mit Gott als Hochzeit mit dem Lamm (Apk 19,7–10).95 Der Prophet, der selbst in seinem Martyrium die Heilige Hochzeit verweigert, wird im christlichen Denken so zugleich zum Vermittler der »wahren« Vereinigung mit Christus. Nun sitzt der Täufer in den biblischen Fassungen der Legende freilich fernab des Symposiums im Kerker und wird geköpft, ohne des Tanzes der Salome überhaupt gewärtig zu werden. Anschließend reicht das Mädchen seinen Kopf in der Schüssel dem Königspaar, ohne wie etwa in den romantischen Bearbeitungen des fin de siècle mit dem Haupt zu tanzen. Schon Johannes Chrysostomus jedoch lässt die Prinzessin um das bereits abgeschlagene Haupt des Täufers 91 So noch Hausamann, Salome, S. 209–216; vgl. oben, Kap. I.3.3. 92 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 98 f. 93 Mt 14,6; Mk 6,21. 94 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 535 f. 95 Zimmermann, Geschlechtermetaphorik, S. 402–437; zur Assoziationskette: Johannes – Lamm – Christus – Martyrium – Tanz (im Labyrinth) vgl. auch Wright, The Maze, S. 101–127. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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kreisen.96 Zumindest die hochmittelalterliche ostkirchliche Tradition deutete den Tanz der Salome auch als Brauttanz.97 Und bereits im 12.  Jahrhundert wurde in flandrischen Erzählungen im Umfeld des Reineke Voss-Stoffes die Salome-Erzählung als Geschichte der unglücklichen Liebe der Prinzessin zum Täufer neu erzählt – einer Liebe, die durch den Tyrannen Herodes mörderisch unterbunden worden sei. Da auch Johannes sich ihr verweigert, wird Salome/ Herodias zur Herrin der Lüfte, als die sie später in der Hexen-Mythologie wieder auftreten wird.98 Auch in der spätmittelalterlichen Ikonographie wird entgegen der neutestamentlichen Erzählung vielfach der Asket Johannes mit der tanzenden Salome konfrontiert.99 Der solare Heilige wird so zum Zentrum des heillosen Reigens der Prinzessin – und verweigert sich diesem. Wenn Johannes in der Geschichte seines Martyriums die Heilige Hochzeit ausschlägt, so tut er dies ausdrücklich als Präfiguration Christi – wird doch das Gastmahl des Herodes schon bei Markus direkt der Speisung der 5000 durch Jesus am See Genezareth gegenübergestellt.100 Das Symposium mit Wein, Speisen und verführerischem Tanz bildet das Negativ zur Eucharistie – eine Polarität, die die christliche Ikonographie schon früh thematisierte, etwa indem sie beim Gastmahl des Herodes wie am See Genezareth Brot und Fische, oder wie beim letzten Abendmahl Wein und mit dem Kreuz bezeichnetes Brot auftragen ließ.101 Und wie Jesus gleich nach der Speisung der 5000 über das Wasser gegangen war, so lässt schon Dorotheus von Tyrus zu Beginn des 4. Jahrhunderts Salome über das Eis des See Genezareth tanzen, um dann einzubrechen und von der scharfen Kante geköpft zu werden.102 Ähnliches weiß im Westen etwa auch der »Große Seelentrost« des 13. Jahrhunderts zu berichten.103 Im 14. Jahrhundert führt der Grieche Nikephoros Kallistos aus, der abgetrennte Kopf der Prinzessin habe auf dem Eis weitergetanzt, während ihr Leib im Wasser im Todeskampf gezuckt habe.104 Eine andere byzantinische Überlieferung lässt Salome von der Erde verschluckt werden – eine Variante, die dann auch in der Legenda aurea kanonisch werden sollte.105 Oder aber Salome fällt in einen Brunnen, während der Leichnam des Herodes nach seinem Tod nicht von der Erde aufgenommen wird, sondern von den Vögeln aufgefressen, so ein griechischer Autor 96 Johannes Chrysostomus, In Matthaeum Hom. 48,5–49,3, PG 58, Sp. 491. 97 Hausamann, Salome, S. 183. 98 Ebd., S. 195, 217. 99 Ebd., S. 315–317. 100 Mk 6,32–44; vgl. Hartmann, Der Tod Johannes des Täufers, S. 159–162. 101 Hausamann, Salome, S. 326–338, 359 f., 383, 392. 102 Mk 6,45–52; Mt 14,22–33; Hausamann, Salome, S. 173; vgl. Koch, Salomes Schleier, S. 200. 103 Schmitt (Hg.), Der große Seelentrost, S. 187. 104 Hausamann, Salome, S. 185 f. 105 Ebd., S. 187. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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des 11. Jahrhunderts.106 Salome muss in der christlichen Legendenbildung also den von ihr verschuldeten Tod des Täufers quasi symbolisch nacherleben: Wo der »Vorläufer« den heilsgeschichtlichen Weg eröffnet, muss sie ausdrücklich von jeder Erlösung ausgeschlossen werden. Wie die Sonne in der Erde oder im Meer versinkt, geht auch sie unter – und wird nicht wieder auftauchen, während Johannes seit Augustinus die zyklische Wiederkehr im Jahreslauf adaptiert. Auch diese Todeslegenden spielen also mit solarmythologischen Motiven, gerade um die christliche Position zu profilieren. Und sie spielen mit einer Semantik von Untergang, Fragmentierung und Nicht-Erlösung, die auffällig an den Tanz von Kölbigk und andere Tanzlegenden erinnern.107 Die »synkretistische« Deutungsebene des Johannes-Martyriums als Ver­ weigerung der Heiligen Hochzeit sollte demnach gerade im Kontrast die Heilsvermittlung durch das christliche Mysterium der Eucharistie einschärfen: Wie in der Passio Domitillae die christliche Jungfrau als Kontrafaktur der Kaiserin/ Mondgöttin den kosmischen Reigen verweigert, so in der ungleich bedeutenderen und auch zeitlich früheren Johannes-Erzählung der Prophet als Kontra­ faktur des solaren Gottes (Attis/Sarapis/Dionysos). Gerade in dieser Verweigerung präfiguriert Johannes den Messias, d. h.: in der Negation der Teilhabe am irreführenden kosmischen Reigen, für den Salome steht. Die Gegenüberstellung von ecclesia als Brautschaft mit Christus und Teilhabe am himmlischen Reigen einerseits und dionysischer Ekstase als Gefangenheit im falschen, teuflisch inspirierten Tanz andererseits, wie sie die Entstehung des Tanzzwang-Motivs im frühen Mittelalter prägen wird,108 findet sich also bereits in der frühen Rezeption des Täufer-Martyriums angelegt. Schon seit dem 6. Jahrhundert verehrte man in der Ostkirche auch die Reliquie der »Johannes-Schüssel«, in der dem König Herodes das abgeschlagene Haupt des Täufers serviert worden war.109 Damit war eines der am weitesten verbreiteten Motive der mittelalterlichen Ikonographie vorgezeichnet. Der abgeschlagene Kopf des Täufers in der kreisförmigen Schale erinnert nun an den Nimbus Gottes und der Heiligen – der seinerseits ja aus der antiken Herrscherund damit der Sonnenikonographie übernommen war. Die Hinrichtung des Johannes durch Köpfen nahm zugleich die in der Hagiographie schon bald allgemein übliche finale Todesart vorweg: Während die verschiedensten Qualen die frühmittelalterlichen Märtyrer nicht überwinden können, dient regel­mäßig die Dekapitation zur endgültigen Entleibung und damit im heilsgeschicht­ lichen Sinn zur Wiedergeburt.110 Warum müssen Märtyrer ihren Kopf verlie 106 Ebd., S. 186. 107 Vgl. oben, Kap. VI.6. 108 Vgl. oben, Kap. V.2. 109 Hausamann, Salome, S. 188; Lindner, Mänaden, S. 297 f. 110 Delehaye, Hagiographische Legende, S. 97 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ren, um endlich im Jenseits wiedergeboren zu werden? Weil die Enthauptung das zentrale Moment des fruchtbarkeitsstiftenden Zyklus von Tod und Wiedergeburt des Mondes darstellt.111 Das Martyrium des Johannes wurde so zum Paradigma der christlichen Hagiographie, weil es auch insofern ein Motiv der antiken Mythologie überschrieb. Und auch damit präfigurierte Johannes Jesus, lässt der Evangelist Markus doch Herodes sogar ausdrücklich vermuten, in diesem sei jener zur Erde zurückgekehrt: »Johannes, den ich enthaupten ließ, ist auferstanden.«112 Die heidnische Idee von Tod und Auferstehung eines Gottes soll hier also ausdrücklich falsifiziert werden, indem sie Herodes als Fehldeutung des Verhältnisses von Vorläufer und Messias in den Mund gelegt wird. Der Täufer muss sich der Wiedergeburt ebenso verweigern wie der Heiligen Hochzeit, damit der – nach christlicher Lesart – wirkliche Messias seine heils­ geschichtliche Rolle erfüllen kann. Das zyklisch-vegetative Konzept der paganen Mythologie wird in der christlichen Hagiographie zu einem linear-eschatologischen umgeformt: Tod und Wiedergeburt markieren nicht mehr die ewige Wiederkehr, sondern die Verheißung des endgültigen Heils. Nur in diesem Sinn ist es zu verstehen, dass Johannes der Täufer bei der Umwidmung paganer Tempel auffällig oft Gottheiten aus dem Kreis des solar-lunaren Mythos der Heiligen Hochzeit ersetzte, etwa Sarapis und Isis in Ägypten.113 Der Heilige übernahm nicht einfach identisch die Position des antiken Gottes, sondern er übernahm sie als kontrafaktische Überschreibung, die die mythischen Konfigurationen christlich neu semantisierte.

VII.1.4 Der Heilige und die Gauklerin: Salome im Mittelalter Dass die Assoziation des Tanzes der Salome mit den paganen Kulten im frühen Mittelalter noch bekannt war, belegt Paschasius Radbertus im frühen 9. Jahrhundert für die karolingische Zeit.114 Als vom Teufel eingeflüsterte Perversion der Anbetung wurde ihr Tanz nun zum Inbegriff der Glaubensferne, der weltlich und weiblich konnotierten Sünde – mit Ähnlichkeiten zu Figuren wie der Frau Welt, der personifizierten Synagoge etc.115 Vor allem aber wurde in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wahrnehmung die schon bei den Kirchenvätern angelegte Deutung der Salome als professionelle, d. h. un­ehrenhafte

111 Siecke, Götterattribute, S.  127–142; Fries, Attribute, S.  7–10; Hausamann, Salome, S. 209 f. 112 Mk 6,16; vgl. Mt 14,2: »Er ist von den Toten auferstanden, deshalb wirken solche Kräfte in ihm.« 113 MacMullen, Christianity and Paganism, S. 133; Lucius, Anfänge, S. 264 f. 114 Zimmermann, Engelsreigen, S. 251; zur Person vgl. unten, Kap. VII.3.7. 115 Zimmermann, Engelsreigen, S. 247–253. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Theatertänzerin und Akrobatin elaboriert: Die Fürstentochter wurde zur Gauklerin, zur »Histrionin«.116 Dabei ist, wie Julia Zimmermann gezeigt hat, etwa noch in der Bibel­ dichtung »Der Saelden Hort« (um 1300) die Intertextualität mit den Bacchae des ­Euripides durchaus präsent.117 Das »spilwîp« Salome singt da auf einem höfischen Fest zunächst Minnelieder, tanzt sich dann aber mit akrobatischen Figuren dermaßen in Rage, dass ihre ununterbrochenen Exaltationen bei den Zuschauern Ekel und Angst auslösen. Nach der Hinrichtung des Täufers vollführt sie einen Handtanz um das Haupt in der Schüssel, spielt mit den Füßen mit diesem, bis sie selbst ganz mit Blut verschmiert ist. Die »falsche Minne«, zu der sie mit ihrem erotischen Tanz aufreizt, so der moralisierende Schluss, gleiche der Tobsucht, an der man lachend zugrunde gehe.118 Zimmermann deutet, Ines Lindner folgend, die antiken Mänaden wie die Salome der mittelalterlichen Rezeption vor allem als männliche Imaginationen von weiblicher Übermächtigung durch Affektentfesselung. Sicherlich geht das Faszinosum der Figur von dieser geschlechtsspezifischen Zuschreibung von Affektivität, Kontroll- und Heilsverlust aus. Die durchaus existierende Gegenprobe – die Frau als Opfer des kosmischen Tanzes im Fall Domitilla und Aurelianus – erlangte nicht nur eine mit Abstand geringere Breitenwirkung. Sie bewegt sich mit ihrer Charakterisierung der makellosen Jungfrau auch ebenso in den engen Grenzen der möglichen Stereotypen für Weiblichkeit: Zwischen »Frau Welt« (Herodias/Salome)  und »Braut Christi« (Domitilla) gibt es im christlich transformierten Erzählhorizont der Heiligen Hochzeit keinen Spielraum.119 So nimmt es nicht wunder, dass die frühneuzeitliche Wahr­nehmung Salome fast völlig auf das Motiv der dämonischen Weiblichkeit reduzieren konnte, als eines von vielen Beispielen für die Übermächtigung des Mannes durch die Frau.120 Ihre Verwerflichkeit wurde dabei oft nur noch durch die symbolische Farbigkeit ihrer Kleider – Rot oder Gelb dominieren – oder durch erotisch konnotierte Gestik dokumentiert. Die mittelalterliche Bildlichkeit hingegen hatte sich sehr für die Ausgestaltung ihres Reigens interessiert. Wurde er lange Zeit unter byzantinischem Einfluss als Drehtanz stilisiert,121 so setzte sich zumal im Mittelmeerraum der nach 116 Koch, Salomes Schleier, S.  189–202 (sehr holzschnittartig); Zimmermann, Engels­ reigen, S. 234–247; Petersen, Salome, S. 53–63. 117 Zimmermann, Engelsreigen, S. 268 f. 118 Adrian (Hg.), Der Saelden Hort, v. 3293–3295: »dez sich der valschen minne fruht /  gelichet ainer toben suht, / der man verdirbet lachend«; vgl. Zimmermann, Engelsreigen, S. 275, 283. 119 Vgl. die Überlegungen bei Koch, Salomes Schleier, S. 197–199, über die Interpretation des Herodes bei Luther und Calvin. 120 Hausamann, Salome, S. 185. 121 Ebd., S. 381–387. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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dem Vorbild der Mänadenikonographie und der antiken Hetärenbilder gezeichnete Tanz mit dem abgeschlagenen Haupt des Täufers durch.122 Oft war dieser Tanz nur durch Handbewegungen konstituiert.123 Vereinzelt konnte die zur Gauklerin umgeformte Prinzessin auch als akrobatische Schwerttänzerin gezeigt werden – ein Motiv, dessen Verbindung zu vorchristlichen Kulten durch Lukian und andere klassische Autoren überliefert wurde und das ja auch im medikalen mania-Diskurs eine Rolle spielt.124 Prägend aber sollte in der spätmittelalterlichen Bildkunst ein anderes Motiv werden: Die Brücke, d. h. das akrobatische »Überwerfen« nach rückwärts in den Handstand bzw. Handstandlauf.125 Es war dies zunächste eine klas­ sische Figur der professionellen Akrobatik, die Salome als Gauklerin kennzeichnete.126 Die Torsion des Körpers nach hinten ist ethnologisch auch aus dem schamanischen Ritual bekannt.127 In spätantiken dionysischen Mysterien­ kulten hatte die Figur der Brücke als Nachvollzug der kosmischen Zyklizität die Klimax der performativen Kontemplation markiert.128 Schon in Ägypten hatten Handstandtanz und Brücke rückwärts für den Tod des Osiris und das Totenreich gestanden, während die Brücke vorwärts das Himmelszelt symboli­ sierte.129 Entsprechend markierte die Brücke nach hinten im hellenistischen Isis/Osiris-Mythos die Inversion der Himmelsbrücke, den Weg ins Totenreich. Pseudo-Dionysius Areopagita und auch Johannes Chrysostomos hatten diese ekstatische körperliche Expression als teuflische Ablenkung von der spirituellen Heilsvermittlung abgelehnt.130 Zwar konnte auch der gute Tanz des Königs David mit dem »Überwerfen« nach hinten gekennzeichnet werden.131 Kopfüber zu stehen, zu gehen oder zu tanzen symbolisierte in der mittelalterlichen Ikonograpie in der Regel jedoch die Umkehrung der Ordnung,132 den Höllensturz.133 Die Brücke rückwärts markierte daher typischerweise den dämonisch Besessenen,134 den Fallsüchtigen, aber auch die spätmittelalterliche 122 Ebd., S. 387–391. 123 Zimmermann, Engelsreigen, S. 243 f. 124 Hausamann, Salome, S. 391–397; vgl. oben, Kap. II.3.2. und II.3.3. 125 Zimmermann, Engelsreigen, S. 191–193; Hausamann, Salome, S. 340–351. 126 Zimmermann, Engelsreigen, S. 242 f.; Salmen, Tanz und Tanzen, S. 127 f. 127 So in vorkolonialen mesoamerikanischen Kulturen, vgl. etwa: Nationales Anthro­ pologisches Museum, Mexico City, Führer (dt.), o. J., S. 26. 128 Miller, Measures of Wisdom, S. 491; Merkelbach, Hirten, S. 81; Hausamann, Salome, S. 349–353. 129 Ebd., S. 355. 130 Miller, Measures of Wisdom, S. 411, 491. 131 Zimmermann, Engelsreigen, S. 291–295; Hausamann, Salome, S. 353. 132 Zimmermann, Engelsreigen, S. 294. 133 Hausamann, Salome, S.  354 f.; Zimmermann, Engelsreigen, S.  243; Forrest, Morris Dancing, S. 83 f. 134 Rosen, Madness in Society, S. 146; Rouget, Music and Trance, S. 161. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Mystikerin.135 So taucht sie auch in der Symptomatik des italienischen Tarantismus auf.136 Und zumindest die Koelhoffsche Chronik von 1499 aus Köln vermerkt über die Johannistänzer des Jahres 1374: »[…] und [sie] gingen liggen up iren rugge, […].«137 Als arc de cercle bzw. arc en cercle ging diese Figur schließlich im 19. Jahrhundert in die medizinische Diagnostik der Hysterie ein.138 So konnte die retrospektive Diagnostik dann Salome, den Tanzwütigen und ähn­ lichen Fällen »Hysterie« diagnostizieren. Salome in der Torsion nach hinten markierte im mittelalterlichen Denken also zunächst schlicht die unehrenhafte Akrobatin, weiterhin verknüpfte sie den Tod des Täufers auch ikonographisch mit dem Mänadenmotiv und der Heiligen Hochzeit, wobei diese Bedeutungsebenen aus hellenistischer Zeit sicherlich nur noch vermittelt durch die Zeugnisse der Kirchenväter wahrnehmbar waren. Schließlich verbildlichte die in der rückwärtigen Brücke tanzende Prinzessin unmittelbar die Heillosigkeit ihres Tanzes als Höllensturz. Als Verderben bringende, zu weltlichen Leidenschaften verführende Gaukle­ rin und Akrobatin war Salome auch eine gängige Figur in christlichen Mysterien­ spielen. Tanz wurde in diesen bevorzugt dort eingeführt, wo Teufel, Juden oder ehrlose Gaukler darzustellen waren – wo es also galt, Unglauben und Heilsferne zu verbildlichen.139 Solotanzrollen wurden verwendet für Maria Magdalena vor ihrer Bekehrung140 und eben für Salome bzw. Herodias.141 Das Martyrium des Täufers, oft aufgeführt am Johannistag, bildete seit dem 12. Jahrhundert eines der beliebtesten Sujets für Mysterienspiele. Oft wurden die Königin und ihre Tochter mit längeren Ansprachen an die Zuschauer als verlockende Repräsentantinnen der Weltlichkeit, der luxuria und superbia gezeichnet.142 Ihren Reigen führte die Prinzessin vielfach mit der Johannisschüssel in den Händen auf.143 Als Gauklerin konnte sie auch artistische Figuren darbieten, das »Überwerfen« oder extreme Sprünge etwa, oder – seit dem 15. Jahrhundert – der exaltierten Choreo-

135 Schmitt, Logik der Gesten, S. 302, über die Mystikerin Lukardis von Oberweimar (um 1274–1309). 136 Rouget, Music and Trance, S. 27 f. 137 Hegel (Hg.), Die Cronica van der hilliger stat van Coellen, S. 715; vgl. Schmitz-Cliever, Tanzkrankheit, S. 150. 138 zur Lippe, Naturbeherrschung, Bd. 2, S. 237. 139 Salmen, Choreographie; nicht zutreffend ist freilich die Annahme Salmens, Tanz sei ausschließlich für diese Negativrollen zugelassen gewesen. Das christliche Mysterienspiel kannte etwa durchaus auch den Reigen der Engel, vgl. oben, Kap. III.3.3 und III.5.3. 140 Salmen, Tanz und Tanzen, S. 62 f.; Hausamann, Salome, S. 197; Hammerstein, Dia­ bolus in musica, S. 48 f. 141 Hausamann, Salome, S. 197. 142 Ebd., S. 196 f. 143 So etwa im Alsfelder Passionsspiel (um 1500), vgl. Sorell, Tanz als Spiegel, S. 36 (dort fälschlich in das 14. Jh. datiert). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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graphie der Moriskentänze folgen.144 Im Dialog mit dem Teufel oder auch dem per­sonifizierten Tod wurde sodann die Unausweichlichkeit ihres Verderbens thematisiert. Ihr Tanz an der Hand des Teufels führte oft direkt in die Hölle. Im gespielten Nachvollzug des Johannes-Martyriums lag so auch eine Verknüpfung zum Kreis der Totentanz-Motivik, die ja ebenfalls den Lehrdialog zwischen Tod und Mensch über die Unausweichlichkeit des Sterbens kennt, freilich nicht mit einem zwangsläufigen Heilsverlust.145 Der Tanz der Salome bekam also einmal mehr einen Hauch von Unfreiwilligkeit – nun unmittelbar als Metapher für die Unausweichlichkeit ihrer Verstrickung. Im höfischen Ballett sollte dieser Zusammenhang 1581 unter Heinrich III. von Frankreich (1551– 1589, Kg. ab 1574) klassisch gefasst werden, indem Salome mit Circe gleichgesetzt wurde, derer sich der König in der Rolle des Jupiter zu erwehren hatte .146 Herodias, die Mutter der Salome, sollte im späten Mittelalter zentral für die Ausbildung des Hexenstereotyps werden. Als Herodiana, Herodias oder Diana wurde sie zum weiblichen Oberhaupt der dämonischen Mächte, die des Nachts über den Himmel fuhren, dies besonders in der Nacht der Sommersonnenwende. Der Mythos von der »Nachtschar« oder »Wilden Jagd« verknüpfte sich hier offenbar mit älteren Vorstellungen von ekstatischer Überschreitung im Zeichen lunarer Göttinnen.147 Schon Regino von Prüm im 10. und Burchard von Worms im 11. Jahrhundert hatten diese Gestalt gekannt, der eine als »Diana«, der andere als »Diana oder Herodias«. Sie hatten jedoch noch nicht die Anhängerschaft bestrafen wollen, sondern den Aberglauben, dass es sie außerhalb teuflischer Vorspiegelung gäbe – wie sie ja auch nicht die Hexerei, sondern den Glauben an ihre Wirksamkeit verfolgen wollten.148 Die »Nachtschar« und ihre Führerin (Ginzburgs Benandanti) waren zunächst auch keineswegs ausschließlich negativ konnotiert, sondern galten als wohlwollende Geister.149 Erst im späten 14. und vor allem im frühen 15. Jahrhundert erwuchs daraus im Alpenraum die Vorstellung einer real existierenden Hexensekte unter der Führung der teuflischen Göttin Diana/Herodias.150 144 Salmen, Tanz und Tanzen, S. 63 f. 145 Hausamann, Salome, S. 195–205; zur Lippe, Naturbeherrschung, Bd. 1, S. 109; Wagner, Adversaries, S. 5 f. 146 Koch, Salomes Schleier, S. 316–321, 327. 147 Behringer, Conrad Stoeckhlin, S. 31–43; Tuczay, Magie und Magier, S. 17; Ginzburg, Hexensabbat, S. 117–121; Boudriot, Altgermanische Religion, S. 55–60; Hausamann, Salome, S. 231–234; zu Hexenaktivitäten in der Johannisnacht vgl. Sartori, (Art.) Johannes der Täufer, Sp. 721 f. 148 Ginzburg, Hexensabbat, S. 103–106; Tuczay, Magie und Magier, S. 126–128. 149 Behringer, Conrad Stoeckhlin, S. 28–40. 150 Ginzburg, Hexensabbat, S.  87–98, 121–123, bes. S.  298–302 über Bernhardin von ­Siena; Behringer, Conrad Stoeckhlin, S.  62 f., 138–147; Tuczay, Magie und Magier, S.  127, 134; Hausamann, Salome, S. 160, 216–219 (reproduziert Vorstellungen einer germanischen Mythen­kontinuität), S. 273–284. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Carlo Ginzburg hat darauf hingewiesen, dass diese Imaginationen der Hero­ dias und anderer ekstatischer Göttinnengestalten eine geographisch spezifische Verbreitung aufweisen: Sie sind ausschließlich südlich und westlich der germanisch-romanischen Sprachgrenze belegbar, oder, wie Ginzburg annahm: des Übergangs von keltischer zu germanischer Besiedlung.151 Diese Scheide­linie entspricht weitgehend jener zwischen schon in der Spätantike christianisierten Regionen und solchen, die erst im Zuge der früh- und hochmittelalterlichen Mission den neuen Glauben annahmen. Die spezifische Verbreitung könnte also wiederum eher auf Unterschiede in den Formen der Christianität zurückgehen.152 Eher als auf eine keltische Kultkontinuität könnte »Diana/Herodias« auf gelehrte und populäre Mytheme im Kontext der spätantiken Johannes-Verehrung verweisen, wie sie eben schon in der frühen Superstitions- und Pönitentialliteratur auftauchen. Jedenfalls deckt sich die von Ginzburg herausgearbeite Verbreitung im Norden, an Mittelrhein, Maas und Mosel mit dem späteren Aufreten der Tanzwut, am Oberrhein zudem mit dem auffälligen Nebeneinander von Johannes und Veit als Patronen der Tanzkranken: Während westlich und südlich des Rheins der Täufer dominiert, findet sich in Schwaben vornehmlich Vitus als Heiliger der Tanzwütigen. Hier, außerhalb des Einzugsgebiets der ekstatischen Göttin der Nachtfahrenden, verknüpfte das Tanzzwang-Motiv sich also mit einem anderen, freilich nicht weniger solar-dionysisch konnotierten Heiligen.

VII.1.5 Die Raserei der Kinder der Herodias Kurz bevor im 14. und 15. Jahrhundert im Alpenraum auf dieser Grundlage das Hexenstereotyp konstruiert wurde, trat etwas nördlich davon, an Oberrhein und Bodensee, eine verwandte Vorstellung in Erscheinung:153 Schon hier war Herodias die Schlüsselfigur. Doch wo die Synthese aus Häresiologie und Hexenglauben zur Ausschließung und blutigen Verfolgung der angeblichen Anhängerinnen und Anhänger der Dämonenfürstin führen sollte, hatten die Schilderungen des zwanghaften Tanzes inkludierende Wirkung: Die Kinder der Herodias blieben in dieser Erzählung Teil der ecclesia, und diese vermittelte ihnen die heilende Macht des Täufers. Wohl in den letzten Jahren des 13. Jahrhunderts schrieb ein unbekannter Verfasser im westlichen Bodenseeraum, vielleicht in Basel, eine über 11.000 Verse 151 Ginzburg, Hexensabbat, S.  121, mit Karte S.  172 f.; für eine keltische Provenienz spricht die Verbreitung in Schottland; hier wäre die von Ginzburg gebildete Sammelkategorie stärker zu differenzieren zwischen Feen, Diana/Herodias-Gestalten etc. 152 Vgl. oben, Kap. IV.2.6. 153 Vgl. zum Folgenden Zimmermann, Engelsreigen, S. 278–287. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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lange Dichtung mit Motiven aus dem Neuen Testament.154 Seine erhebliche theologische Bildung spricht dafür, ihn als Kleriker zu identifizieren. Geschrieben wurde sein Werk aber wohl für ein adliges Publikum, zumindest passen seine Verse die biblische Geschichte in vielen Zügen erkennbar an höfische Wahrnehmungsgewohnheiten an.155 Der von Edward Schröder vorgeschlagene Titel »Der Saelden Hort«, also etwa: »Des Glückes Schatzkästlein«, trifft die katechetische Botschaft des Textes: Stellen die beiden Bücher des Epos doch das Martyrium des Täufers durch Salome einerseits und die Weltlichkeit und Umkehr der Maria Magdalena andererseits gegenüber. Während die verderbliche Frau Salome dem Täufer den Tod bringt, gefährdet Maria Magdalena mit ihrer Schönheit zwar zunächst das Heil Johannes des Evangelisten. Dieser widersteht jedoch der Verlockung und wird Jünger Jesu, statt sie zu heiraten. Dann bekehrt sich auch Magdalena zum Glauben und zur jungfräulichen Keuschheit. Am Beispiel der beiden Johannes-Heiligen und der beiden Frauen werden also Heil und Unheil sowie die Verweigerung der weltlichen Leidenschaften exemplifiziert. Julia Zimmermann hat ausführlich geschildert, wie dabei der Reigen der Salome von der Gaukelei eines spilwîp zur mänadischen Raserei mit dem abgeschlagenen Haupt des Täufers umkippt, und wie dieser alle Konventionen sprengende Tanz schließlich die edlen Gäste des Königs Herodes angeekelt das Weite suchen lässt.156 Ihr Opfer, den geköpften Vorläufer Christi, setzt das Bibelgedicht in einem längeren Lobpreis mit den Engeln gleich, genauer: mit den Erzengeln Michael, Gabriel und Raphael und den himmlischen Hierarchien nach Pseudo-Dionysius Areopagita bis hin zu Elias. Diesem hätten wie dem Täufer in der Liebe zu Gott »lip, sel, hertz, sinn an underlaus gar státeclich« gebrannt, und mit diesem lobe Johannes nun nächst Maria Gott. Ja: »Wie der reine Stern Luzifer scheint Johannes« (»Johannes sam der raine / sterr schinet ­Lucifer«), also wie der höchste der Engel vor seinem Fall.157 Der Täufer wird also einmal mehr kosmologisch zum Über-Heiligen aufgeladen, in der spirituellen Hierarchie auf eine Ebene mit der Muttergottes und dem höchsten Engel und »Lichtbringer« gestellt. Herodias aber flüstert ihrer Tochter nicht nur ein, vom König den Kopf des Predigers zu fordern, sondern prophezeit auch: »es werd in al der welt vernomen / von ús und úsern nach komen.«158 Und tatsächlich, so der Dichter in einem kurzen Exkurs: »Mit Tobsucht beladen ist seitdem ihr Geschlecht. Von einem so jämmerlichen Ge­ brechen hat man noch nirgends sonst rufen gehört, wie jene alljährlich haben, die von ihr abstammen. Ich habe in Paris in der Johanneskapelle kleine Kinder, schöne 154 Adrian (Hg.), Der Saelden Hort, S. v–xxviii. 155 Ebd., S. xxv. 156 Zimmermann, Engelsreigen, S. 271. 157 Adrian (Hg.), Der Saelden Hort, v. 3451–3694. 158 Ebd., v. 2945 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Frauen, starke Männer, große Marter ausstehen gesehen. Sie schreien, kreischen, gellen, während sie sich am Johannisabend sehr übel benehmen. Von der Non bis zur Non treiben sie dieses Tun, alle Jahre immer wieder seit der verbrecherischen Feier. Und wer zu der Zeit nicht dahin kommt, der muss leiden das ganze Jahr. Von Non zu Non verbindet diese Not alle Monate.«159

Alljährlich kommen also die Nachkommen der Herodias in der Johannes­ kapelle in Paris zusammen, um von der neunten Stunde des Johannisabends, also vom Nachmittag des 23. Juni, bis zur neunten Stunde des Johannistages, bis zum 24.  Juni nachmittags, die Raserei der Salome nachzuvollziehen. Dadurch werden sie für ein Jahr befreit, denn jene, die nicht anwesend sein können, müssen das ganze Jahr leiden. Der etwas unklare letzte Satz der Passage gibt diesem ganz­jährigen Leiden einen zyklischen Rhythmus, bei dem vielleicht der Mond als Taktgeber der Monate mitzudenken ist. Jedenfalls wird nicht näher beschrieben, was diejenigen, die nicht in die Johanneskirche kommen, im restlichen Jahr auszustehen haben. Zu denken ist wohl an ähnliche Symptome, wie sie die anderen nur in der Mitsommernacht zeigen. Wie alle Menschen seit Adam und Eva die Erbsünde tragen müssen, so haben die Nachkommen der grausamen und ehebrecherischen Königin also die Schuld am Tod des Wegbereiters Christi geerbt. Diese freilich kann durch eine regelmäßige imitierende Buße getilgt werden. Eine ganz ähnliche Konzeption formuliert zur gleichen Zeit, um das Jahr 1300, auch Hugo von Schaffhausen bzw. nach seiner mutmaßlichen Herkunft: von Konstanz. 1279 und 1288 ist er als Lektor im Dominikanerkloster Konstanz bezeugt, 1288 bis 1295 als Prior in Zürich. Im Jahr 1300 übernahm er die Leitung der deutschen Ordensprovinz, verstarb jedoch 1303 oder 1304.160 Von ihm sind insgesamt drei volkssprachliche Predigten überliefert, eine über Johannes den Evangelisten, zwei über Johannes den Täufer. In Konstanz hatte sich um 1300 ein Kreis von gebildeten vornehmen Laien und Klerikern gebildet, in dem auch die örtlichen Dominikaner Einfluss ge 159 Ebd., v. 2952–2972: sie schrien, glien, gellen »mit tober suht úberladen gar úbel sich gehabende. ist ie sit ir geslehte von non hin ze non so jemerlich gebrehte si triben das gedon von geschrien wart gehóret nie allú jar und úmer sit sam állú jar noch haben die von der vertanen hohzit; die von ir fruht komen sint. und swer der zit nit komet dar, ich han gesehen klainú kint, der mu[o]st liden dur daz jar schon vrowen, stark man von non ze non dis not ze Paris gros marter han ainest all manot.« in sant Johans capellen; Vgl dazu: Zimmermann, Engelsreigen, S. 283 f. 160 Ladisch-Grube/Ruh, (Art.) Hugo von Konstanz; Schiewer, Die beiden Sankt J­ ohannsen, S. 29 f.; Wehrli-Johns, Predigerkonvent, S. 175–179. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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wannen.161 Aus diesem Umfeld könnte auch eine Sammlung von Predigten auf den Täufer und den Evangelisten stammen, die als »Johannes-Libellus« in der Gräflich Schönbornschen Bibliothek überliefert ist.162 Ähnliche Zusammen­ stellungen mit erheblichen Parallelüberlieferungen sind auch in anderen Handschriften zu finden.163 Diese Kompilation erweist sich als besonders auf die Bedürfnisse der cura monialium, also der Seelsorge für Frauenklöster, zu­ geschnitten, ein Tätigkeitsfeld, um dessen Reorganisation sich Hugo von Konstanz bemüht hatte.164 Johannes der Evangelist und Johannes der Täufer galten in der aufkommenden dominikanischen Mystik als exempla der Gottesminne.165 Die beiden wurden vielfach nebeneinander verehrt, es entwickelte sich aber auch eine zum Teil offen ausgetragene Konkurrenz ihrer Kulte. So bildeten sich unter den dominikanischen Frauenklöstern, auch im Kloster Katharinenthal in Diesenhofen bei Schaffhausen, zwei Fraktionen heraus, die »Evangelistinnen« und die »Baptistinnen«.166 Während die einen den Lieblingsjünger Jesu als ideales Vorbild für die Brautschaft der geweihten Jungfrauen mit Christus ansahen, verehrten die anderen den Täufer als optimales Rollenmodell. Auf diesen Konflikt spielt wohl auch Hugo von Konstanz in seiner im »JohannesLibellus« und in einer ähnlichen Karlsruher Handschrift überlieferten späteren Predigt auf Johannes den Täufer an, indem er daran erinnert, dass schon die ersten Christen sich gestritten hätten, ob eher Petrus oder eher Paulus zu folgen sei: »Dauon soltent ir chain krieg han wann es ist ein rechte torhait vnd wiget es sant Pauel fur eine keczerei […]. Vnßer herre Ihesus Christus hat euch allaine erloßet mit seinem tode. Sie seint alle eines herren knecht. Taillent ir die heilligen so tailent ir auch got.«167

Die vorliegende Predigt wird sich also an die Nonnen des Klosters Katharinen­ thal oder eines anderen Dominikanerinnenkonvents gerichtet haben.168 Ausgangspunkt ist der Bericht des Lukas-Evangeliums (1,57–80) über die Geburt Johannes des Täufers durch Elisabeth und seine wunderbare Namensgebung. Den Namen der Mutter deutet Hugo als »saturitas«, also »Sättigung des Herrn«, den des Vaters Zacharias als »memoria Dei«, also: Erinnerung Gottes. Johannes jedoch erhält seinen Namen »Gott ist gnädig« auf Geheiß des Erzengels 161 Schiewer, Die beiden Sankt Johannsen, S. 21–36. 162 Ebd., S. 26–28, 34 f.; Julia Zimmermann und Carola Redzich haben mir Ausschnitte ihrer leider unveröffentlichten Edition des »Johannes-Libellus«, Pommersfelden, GräflichSchönbornsche Bibliothek, Ms. 120, zugänglich gemacht. Dafür sei beiden herzlich gedankt. 163 Schiewer, Die beiden Sankt Johannsen, S. 40, 55. 164 Ebd., S. 35–39, 29 f. 165 Ebd., S. 47 f. 166 Ebd., S. 48–51. 167 Johannes-Libellus, fol. 106ra.–106rb. 168 Ähnlich: Zimmermann, Engelsreigen, S. 285. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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­Gabriel.169 Dieser Knabe wird nach seiner Zeit in der Wüste der Wegbereiter Christi, der dem Teufel und der Welt widerstehen musste, um die Erlösung möglich zu machen.170 Besonders qualifiziert hatte ihn dazu schon im Mutterleib die Nähe zu Jesus selbst, denn, so Hugo, die schwangere Maria hatte Elisabeth nicht nur besucht, sondern auch bis zur Entbindung gepflegt, ja: die Muttergottes ist ihm zufolge zugleich die Hebamme des Täufers.171 So ist Johannes die Stimme, die das Wort, die Laterne, die das wahre Licht vorwegnimmt: »Die lucerne wart auch da gefuget zu dem liechte.«172 Und an anderer Stelle: »Vnd als der morgen sterne auf gat vor der sunnen an dem angene des tages also gieng er auff vor der ewigen sunnen.«173 Wie in »Der Saelden Hort« wird auch in der Predigt des Konstanzer Dominikaners der Täufer ausdrücklich mit den Engeln gleichgesetzt.174 Da er so untrennbar mit der Dreifaltigkeit verflochten war, konnte er in seiner Welt­abkehr wie ein Engel jegliche menschlichen Bedürfnisse ablegen.175 Freilich warnt Hugo seine Zuhörer vor Missverständnissen: »Er was als strenges vnd als heilges lebens, das etlich keczer sprachen er wer ein engel vnd nit ein mensche, wann das er ein forme menschliches bildes an sich het genomen, das man in gesehen mocht. Das widerwirffet sant Johannes ewangelista in dem ewangelio […].«176

Bei aller Sternen- und Engelsgleichheit also ist Hugos Täufer doch nicht spiritualistisch zu deuten, wie dies etwa die gnostischen Johannes-Akten getan hatten177 und wie die kirchliche Häresiologie dogmatischen Abweichlern in aller Regel unterstellte. Johannes, so Hugo, erklärt sich selbst: »Do sprach sant ­Johannes: ›Ego vox clamantis in deserto. Jch bin ein stymme die da schreiet in der Wust.‹«178 Der den Sternen und den Engeln gleiche Johannes der Täufer also erlebt gerade in der Wüste die größte Gottesnähe – und ruft dabei zugleich die Menschen zur Umkehr auf. Die dominikanische Mystik formuliert hier das perfekte Gegenbild zu der einige Jahrzehnte zuvor von Hildegard von Bingen elaborierten Allegorese der Wüste als Ort der Gottesferne und Heillosigkeit.179 Der 169 Johannes-Libellus, fol. 103va.–103vb. 170 Ebd., fol. 106va.–106vb. 171 Ebd., fol. 109ra.–109vb. 172 Ebd., fol. 109vb. 173 Ebd., fol. 112ra. 174 Ebd., fol. 108ra.–110vb. 175 Ebd., fol. 110vb.–111rb. 176 Ebd., fol. 112ra. 177 Vgl. oben, Kap. VI.5.1. 178 Johannes-Libellus, fol. 112rb.; vgl. Mt 3,3; Lk 3,4; Jo 1,23; vgl. auch Adrian (Hg.), Der Saelden Hort, S. 43. 179 Vgl. oben, Kap. VI.4.1. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Wegbereiter, der selbst die Gnade und dessen Vater die memoria Dei im Namen trägt, zeigt den auf der Suche nach Gott durch die Wüste irrenden Menschen also den Weg, und er kann dies, weil nur er von menschlichen Bedürfnissen und Leidenschaften völlig frei ist. Er rettet aus dem Schwellenzustand der Heilsferne, weil er selbst genuin liminal ist, nämlich zwischen Mensch und Engel, Immanenz und Transzendenz, Welt und Heil steht. Aus der Limina­ lität der besonderen Heilsnähe leitet sich also seine besondere Vermittlerfunktion ab. Diese Heilssuche der Menschen hatte das Kölbigker Tanzmirakel des 11. Jahrhunderts als Reigen im Vorhof der Kirche beschrieben.180 So ist es kein Wunder, dass bei dem Tanzwunder ausgerechnet der Bruder der tanzenden Priester­ tochter bzw. einer der verstorbenen Tänzer den Namen »Johannes« trägt. Und umso eindrücklicher wird klar, warum sich das Motiv des unausweichlichen Reigens der Gottessuche mit dem verderblichen Tanz der Salome verbinden konnte. Denn auch Hugo von Konstanz beschreibt die aus »Der Saelden Hort« bekannten unfreiwilligen Exaltationen der Kinder der Herodias. Er reflektiert zu Beginn seiner Predigt über das Verhältnis zwischen Elisabeth, Zacharias und ihrem so prominenten Sohn: »Nu ist das von nature, das tugent flussent von vater vnd von muter vnd von den vordern herabe in die kint. Vnd als das von nature ist also geschehet das dick, das kint ­arbent vntugent von vater vnd von muter. Dauon spricht vnser herre durch den weissagen: ›Jch bin ein reichlicher [= rächender] got. Jch reich mich in das dritte vnd in das vierde geschleht.‹181 Das wort ist wol erfullet an der junckfrawen die da sprang vor dem konige Herode vnd von dem rate ir muter do sie bat vmb sant Johannes haubt. Vnd das hat gott gerochen von ir herabe in das zwelf hundertesten gesleht. Vnd sol weren vncz an den iungsten tag. Das han ich gesehen mit meinen augen, das alle die frawen die von ir geboren seint mußen komen in sant Johannes münster. Vnd an seinem abent zu vesper zeit so werdent sie begriffen mit ainem als unsagenlich we, das sie schreient vnd waffent vnd hant slagen von iamer vnd von nott die sie leident. Vnd das we ist als grosz, das aine frawe kaine zwen oder drey man gehan mugen. Das weret vncz morgen zu none das man das ampt volbringet. Also hat vnser herre den guten sant Johannes gerochen.«182

Die große Ähnlichkeit dieser Beschreibung legt nun zunächst die Vermutung nahe, dass beide Texte einen gemeinsamen Milieuhintergrund haben müssen. Da auch »Der Saelden Hort« sprachgeschichtlich in den Bodensee- und Oberrhein-Raum weist, wird man vielleicht auch diese Bibeldichtung jenem vor­ nehmen Kreis von Gelehrten und gebildeten Laien in und um Konstanz zu-

180 Vgl. oben, bes. Kap. VI.4.2. 181 Ex, 20,5. 182 Johannes-Libellus, fol. 104vb.–105ra.; vgl. dazu Zimmermann, Engelsreigen, S. 284. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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schreiben können, in dem Hans-Jochen Schiewer den Dominikanerprovinzial Hugo verortet hat. Anders als in »Der Saelden Hort« sind es bei Hugo nur die Frauen, die am Johannis­abend ergriffen werden. Dies könnte der Anpassung an Hugos weib­ liches Publikum geschuldet sein, da die cura monialium eine Betonung weib­ licher Stereotypen nahelegt.183 In der spezifisch weiblichen Negativgestalt Salome war diese Tendenz freilich angelegt. In beiden Passagen büßen die Nachkommen der Herodias zwar für den Tanz der Salome, sie tun dies aber nicht mit einem Reigen, sondern mit schmerzhaften Exaltationen und Wehklagen. Diese Schilderungen erinnern eher an die mänadische Raserei, die in »Der Saelden Hort« ja ausdrücklich alludiert wird. Vor allem aber entsprechen sie jenen Imaginationen, die seit dem frühen Mittelalter für das Verhalten von Heilsfernen, von Besessenen oder auch des durch die Taufe machtlos gewordenen Teufels bereitstanden.184 Hugos Satz »Das weret vncz morgen zu none das man das ampt volbringet« beschreibt nicht einfach die Dauer des eigentümlichen Rituals bis zum folgenden Nachmittag, sondern stellt wohl typologisch eine Verbindung her zum vergeblichen Tanz der Baalspriester auf dem Berg Karmel (1 Kge 18). Dieser dauert nämlich ebenfalls bis zum Nachmittag und bis zu der Zeit »da man das Speiseopfer darzubringen pflegt«.185 Tugend und Laster sind erblich, wofür sich Hugo auf das Buch Exodus be­ rufen kann. Und wie die Sünde Evas bis zum Jüngsten Gericht durch ihre Nachkommen, also durch alle Menschen, gebüßt werden muss, so die der Herodias durch die ihren. Hugo von Konstanz aber hat hier wohl nicht nur den »strafenden Gott« vor Augen. Denn gerade die »telestische mania« hatte schon Platon im Phaidros als Folge einer erblichen Anfälligkeit der Seele beschrieben: Die heilende mania erfasst demnach gerade die Nachkommen solcher edlen Familien, die früher einmal die Götter durch Fehlverhalten erzürnt hatten.186 Mit der Raserei der mania strafte Dionysos ja diejenigen, die sich ihm und seinem Gebot verweigert hatten.187 Ebenso straft nun bei Hugo von Konstanz Gott die Nachkommen der Herodias stellvertretend für das Martyrium des Johannes. Wie in der früheren christlichen Überlieferung des unfreiwilligen Tanzes auf der Schwelle ist also der Tanz selbst die Störung der Ordnung. Anders als in der Passio Domitillae, der Vita Eligii oder dem Kölbigker Mirakel erneuert die um 1300 im Konstanzer Raum entwickelte Idee einer erblichen Schuld jedoch 183 Ebd., S. 284 f. 184 Vgl. oben, Kap. V.2.2. 185 (Vulgata) 1 Kge 18,29: »postquam autem transiit meridies et illis prophetantibus venerat tempus quo sacrificium offerri solet […].« 186 Linforth, Telestic Mania, S. 165–172, über Platon, Phaedros 244B; als archaisch deutet Dodds, Die Griechen und das Irrationale, S. 22 f., diese Konzepte von erblicher Götterstrafe. 187 Otto, Dionysos, S. 160 f.; Eisler, Mysteriengedanke, S. 287. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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die platonische Idee von der Heilwirkung der »telestischen mania«: Zwar ist der blasphemische Tanz aus der Gegenwart des Berichts in die biblische Vergangenheit verschoben, doch der zweite, sühnende »Tanz« hat offenbar zumindest für das nächste Jahr durchaus Wirkung: Er stellt die kosmische Harmonie wieder her und befreit die Störer von ihren Symptomen. Hugo von Konstanz beschreibt eine entgleiste, nicht-rituelle mania, aber ihre Funktion entspricht dem plato­ nischen Konzept der rituellen Trance. Der Dominikaner synthetisiert also an der Wende zum 14.  Jahrhundert christliche Eschatologie und platonisch-kosmologische mania-Konzeption neu. Damit sind eschatologisches Unheil und körperliches Leiden unmittelbar verknüpft: In den Exaltationen der Kinder der Herodias zeigt sich die erbliche Labilität ihres Zugangs zum Seelenheil. Denn sie sind ja nicht etwa im Sinne einer Prädestination grundsätzlich verworfen. Vielmehr bilden sie innerhalb der ecclesia, die ja ohnehin eine Versammlung erblich sündiger Menschen ist, eine eigene Kategorie, die mit einem besonderen Malus zu leben hat. In der Heils­ökonomie stehen sie also kollektiv auf der Kippe, und ihre alljährliche Performanz am Altar des Täufers dokumentiert einerseits diese Unsicherheit, stabilisiert ihre Position aber andererseits auch. Erneut treten Konzepte von mania und »Raserei« dort in Erscheinung, wo es gilt, die Randzonen der Heilsgemeinschaft zu markieren, ohne eine Exklusion zu formulieren. Unfreiwilliger Tanz bietet die Semantik der Schwelle, wobei auch jene, die nicht in der Johannisnacht in die Kirche kommen, durchaus nicht grundsätzlich den Zugang zur Gnade verlieren. Sie werden krank, aber sie bleiben Teil der ecclesia. Hier wird eine diskursive Verschiebung erkennbar, die für die weitere Entwicklung der Tanzwut-Konzeption maßgebliche Wirkungen haben sollte: Unter dem Einfluss der platonischen mania-Vorstellung wird die »Raserei« neu verortet zwischen falschem Ritual, Symptom und spiritueller Therapie: War sie in der frühmittelalterlichen Überlieferung nur scheiterndes, weil superstitiöses Ritual oder Folge eines Fluches, so wird sie nun zugleich als erbliche Schuld und als deren performative Sühne aufgefasst, gleichermaßen als Leiden und Linderung. Damit ist – vielleicht unter Einfluss der medikalen mania-Konzeption des Frühmittelalters – der Weg beschritten zu einer Ausdifferenzierung von Eschatologie und Pathologie: Die Kinder der Herodias leiden unter der Schuld ihrer Ahnherrin, sie bleiben aber im Heil. Linderung der körperlichen Symptome bringt eine kirchlich vermittelte spirituelle Therapie, die auf einer performa­ tiven Wiederholung ebendieser Symptome und zugleich der Schuld beruht. Was beide Texte hier beschreiben, erinnert frappierend an die Tanzwallfahrten zu Johannes- und Veitskirchen, wie wir sie in Schwaben und am Oberrhein im 16. und 17. Jahrhundert fassen können.188 Julia Zimmermann wollte sie denn auch als Zeugnisse für ein frühes Vorkommen der besonders 1374 im Rhein 188 Vgl. oben, Kap. I.1.1. und unten, VII.3.9. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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land manifest gewordenen Tanzwut werten.189 Ein Dreivierteljahrhundert nach Hugo von Konstanz und »Der Saelden Hort« sollte diese Bewegung ja tatsächlich vom alemannischen Raum ausgehen.190 Freilich traten die Tänzer des Jahres 1374 nicht nur in der Johannisnacht auf, sondern den ganzen Sommer über. Ihre mehrtägigen Reigen und ihr Ziehen von Ort zu Ort indizieren auch weit über die um 1300 greifbaren Hintergründe hinausweisende Funktionen, Intentionen und Wahrnehmungen. Löst man sich von der Vorstellung eines zeitlich und kulturell unspezifischen psychopathologischen Syndroms Tanzwut, so fallen eher die Unterschiede als die Gemeinsamkeiten ins Auge. Korrekt aber ist der Hinweis, dass wir hier im Konstanzer Raum um 1300 die Grundzüge einer Semantik des zwanghaften Tanzes zu Ehren Johannes des Täufers greifen können, aus denen sich dann 75 Jahre später die große Bewegung des Jahres 1374 speisen konnte.

VII.1.6 Von Paris an den Bodensee, von der Fallsucht zur mania Im gelehrten Milieu aus Adeligen, städtischen Eliten, Mönchen und Klerikern wird diese Konzeption um die Wende zum 14. Jahrhundert für uns greifbar, genauer: im Umfeld des Dominikanerordens, der ja auch für die Durchsetzung und Verbreitung der Vorstellung von der Hexensekte massive Bedeutung haben sollte. Gaben Hugo von Konstanz und seine Mitbrüder in Predigten und Seelsorge diese Idee vom alljährlichen Tanz der Kinder der Herodias auch den Leuten auf der Straße weiter und popularisierten sie damit, so dass sie ein Drei­ vierteljahrhundert später als rituell-performative Massenbewegung Wirklichkeit werden konnte? Wie gelehrte Konzeptionen und populäre Mytheme zu einer höchst realitätswirksamen Synthese kommen konnten, zeigt ja das eng verwandte Beispiel der »Nachtfahrenden« und »Hexen« unter der Führung der Herodias/Diana. Oder beschreiben Hugo und »Der Saelden Hort« sogar schon selbst eine fromme Praxis? Und wenn: Gaben sie dieser frommen Raserei eine theologischexegetische Fremddeutung, oder sahen sich auch die, die da in der Johanneskirche rasten, als Kinder der verderblichen Königin? Beide Texte rekurrieren ausdrücklich auf Augenzeugenschaft. Dies könnte nun schlicht ein Topos der Autorisierung des Berichteten sein. Da sich beide Verfasser jedoch an ein relativ begrenztes Publikum richteten, die Predigt an die Nonnen eines im regionalen Umfeld gelegenen Klosters, das Versepos an einen höfisch-elitären Kreis in der 189 Zimmermann, Engelsreigen, S. 282–285. 190 Braekman, Dansomanie; Fredericq, Secten; Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S. 226–233; Hecker, Tanzwuth, S. 1–7; neuerdings: Stoye, Tanzwut. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Region, dürfte der Augenzeugenbericht im Wahrnehmungshorizont der Rezi­ pienten mit Glaubwürdigkeit gerechnet haben. Ganz abwegig kann die Idee von den »Kindern der Herodias« also nicht gewesen sein. Und da wir wissen, dass gut zwei Generationen später eine große Zahl von Menschen mit eng verwandten Vorstellungen realiter den Rhein hinabzog, steht der Annahme, dass es um 1300 zur Johannisnacht rituelle Exaltationen in Kirchen des Heiligen gegeben haben dürfte, wenig entgegen. Hugo von Konstanz gibt nur unspezifisch an, die Rasenden »in sant Jo­hannes münster« gesehen zu haben. Er muss also damit gerechnet haben, dass seine Zuhörerinnen  – in einem regionalen Dominikanerinnenkonvent  – diese ungefähre Aussage selbst zuordnen konnten. Zu suchen wäre nach einem Johannes geweihten »Münster«, also wohl einer großen Kloster- oder Stiftskirche. Naheliegend wäre die Vermutung, dass Hugo das Chorherrenstift St. Johann in Konstanz gemeint haben könnte. Etwas östlich des eigentlichen (Liebfrauen)»Münsters« war ab 1266/67 an einer seit dem 10.  Jahrhundert bestehenden Pfarrkirche ein Kollegiatstift mit dem Doppelpatronat Johannes des Evange­ listen und Johannes des Täufers eingerichtet worden. Das Stift – das auch weiterhin Pfarrkirche blieb  – erlebte im späten 13.  und frühen 14.  Jahrhundert einen rasanten Aufstieg, zumal die Pfründen schnell vom regionalen Adel und von den städtischen Eliten dominiert wurden, jenen Kreisen also, in denen zur gleichen Zeit auch das Publikum von »Der Saelden Hort« und die Ansprechpartner Hugos von Konstanz zu suchen sind.191 Fanden in dieser Kirche auch die Tänze der »Kinder der Herodias« statt? Gab es hier gar eine Wallfahrt zur Johannisnacht, die dann eventuell zum Aufstieg des Konvents beigetragen haben könnte? Gegen eine so konkrete Verkettung der Indizien mag sprechen, dass der Erzähler von »Der Saelden Hort« die rituelle Raserei sehr viel genauer lokalisiert, nämlich »ze Paris […] in sant Johans capellen«. Wenn er sich an ein Konstanzer Publikum richtete und es in der Stadt selbst derartige Tänze ge­ geben haben sollte, dann wäre dieser Hinweis auf eine Provenienz aus der französischen Metropole doch wohl erklärungsbedürftig gewesen. Freilich stammt die älteste Handschrift der Dichtung erst vom Ende des 14.  Jahrhunderts.192 Denkbar ist also, dass die Ortsangabe von einem späteren, vielleicht ortsfremden Kopisten geändert wurde und so in die heutige Überlieferung einging. Auch dies bleibt freilich letztlich unklar. Verfasser oder späterer Abschreiber von »Der Saelden Hort« gleichermaßen könnten bei der Lokalisierung ihrer Beobachtungen in Paris jedoch eine konkrete Kirche im Hinterkopf gehabt haben. Denn seit etwa 1290 sind an der Kirche St. Jean-en-Grève nahe der Place de Grève in Paris große Prozessionen zum Fest Corpus Christi (Fronleichnam) überliefert. Die Place de Grève mit dem 191 Bock, St. Johann in Konstanz. 192 Adrian (Hg.), Der Saelden Hort, S. v. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Hôtel de Ville, direkt am nördlichen Ufer der Seine etwas östlich der Île de la Cité gelegen, bildete im Mittelalter die einzige große Platzanlage von Paris und damit das Zentrum des städtischen Lebens.193 Die Kirche St.-Jean gehört bereits zum merowingerzeitlichen Siedlungskern. 1212 wurde sie zur Pfarrkirche erhoben und umgebaut, 1326 ein Neubau errichtet.194 Eine angebliche Hostienschändung wurde seit Ende des 13. Jahrhunderts zum Anlass einer großen Corpus Christi-Prozession durch die Stadt, die auch die Johanneskirche als Station integrierte.195 Erst seit dem frühen 15. Jahrhundert sind auf der Place de Grève auch große Johannisfeuer am Abend des 23. Juni sicherbar.196 Dieses von der Kommune ausgerichtete und finanzierte Fest bildete offenbar ein zentrales Ereignis im Jahreslauf der Stadt Paris.197 Ob diese Johannisfeuer, wie in der Forschung ver­mutet, auf eine längere Tradition zurückblicken, wäre zu überprüfen. Schon für das 13. Jahrhundert jedoch ist in Paris eine Wallfahrt überliefert, die wohl das direkte Vorbild für die Schilderungen in »Der Saelden Hort« und bei Hugo von Kon­ stanz abgegeben haben wird. Guillaume de Saint-Pathus (um 1250 – um 1315), Beichtvater der Königin Marguerite von der Provence (1221–1295) und ihrer Tochter Blanche (1253–1320), berichtet in seinen »Miracles de Saint Louis« von einem durch den König Ludwig IX. (1214–1270, Kg. ab 1226) gewirkten Wunder. Einem Kind namens Jehennet wird da nach einem Besuch am Grab des Königs in Saint-Denis der gelähmte Arm geheilt. Sichtbar wird dieses Wunder aber erst, als es mit seiner Mutter schon nach Paris zur Kirche St. Jean-en-Grève weitergereist ist. Dort nämlich treffen sich am (Vor-)Abend des Johannistages nach der Vesper die Kranken, die am »mal saint Jehan« leiden. Als die Mutter sich gerade in der Kirche befindet, kann der Sohn plötzlich seinen Arm wieder bewegen.198

193 Simon-Murscheid, Ordnung, S. 278–280. 194 Ebd., S. 278 mit Anm. 9. 195 Ebd., S. 290–296; Lombard-Jourdan, Paris, S. 152–154. 196 Tuetey (Hg.), Journal d’un bourgeoise, S. 21, 202, 239, 372, 392 (über Corpus Christi); vgl. Simon-Murscheid, Ordnung, S. 296–300. Die beleglose Angabe von Sorell, Tanz als Spiegel, S.  27, es sei 1445 in Paris zu einem Ausbruch von Tanzwut gekommen, ist nicht veri­ fizierbar. 197 Simon-Murscheid, Ordnung, S. 296–300; Vaultier, Les fêtes populaires, S. 131–143, der von paganen Ursprüngen ausgeht; ebenso: Lombard-Jourdan, Paris, S. 21–27. Dieses Ritual dürfte jedoch eher als christlich grundierte Inszenierung des Gegensatzes von Gut (Sonne/ Feuer) und Böse (Teufel/Katzen etc.) anszusprechen sein. 198 Fay (Hg.), Guillaume de Saint-Pathus, S. 147–150, hier S. 149: »Et adonc, quant ce vint au jour de la vegile saint-Jean aprés vespres entor soleil esconsant, comme les dies femmes et li dit jehennet et les autres malades fussent hors mis de l’eglise de Saint Denis et se seissent ­delez hors de la porte, la dite Marie, mere de celui entant, ala a l’eglise de saint Jehan ou les ­malades estoint qui cele nuit sont malades du mal saint Jehan.« Vgl. allg. van Kraemer, Les maladies, S. 62 f., zum mal Saint-Jehan allg. ebd., S. 63–65; Schneble, Krankheit der ungezählten Namen, S. 64–67. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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In St. Jean-en-Grève gab es demnach um 1290199 am Vorabend des 24. Juni eine Wallfahrt der Fallsüchtigen, deren Leiden in Frankreich allgemein mit dem Täufer assoziiert wurde. Da Guillaume de Saint-Pathus erkennbar um sachliche Korrektheit seiner Mirakelberichte bemüht ist, gibt es wenig Grund, an der Fakti­ zität seiner Rahmenerzählung zu zweifeln. Jeweils wenige Wochen bis Tage nach der großen Corpus Christi-Prozession gab es an der zentral gelegenen Johannes­ kirche also Ende des 13. Jahrhunderts ein zweites religiöses Großereignis. Wie lange diese Wallfahrt der Fallsüchtigen gepflegt wurde, ist nicht bekannt.200 Eine um 1500 entstandene französische Reim-Vita des Täufers erläutert, dass Herodias als Strafe für die Enthauptung des Johannes mit der Fallsucht gestraft worden sei.201 Man wird hier wohl eine ähnliche Vorstellung von Erblichkeit ableiten können wie in den beiden oberrheinischen Quellen. Auch allgemein erinnert dies stark an die Beschreibung in »Der Saelden Hort« und bei Hugo von Konstanz. Es ist also die französische Krankheitskonzeption der Fallsucht als mal Saint-Jean, die um 1300 am Bodensee aufgenommen wurde. Die in diesen deutschen Quellen geschilderten Anzeichen der Kranken lassen sich nun tatsächlich auch mit zeitgenössischen Schilderungen der Fallsucht in Verbindung bringen. Doch anders als die französischen Quellen gestaltet zumal Hugo von Konstanz seine Beschreibung der rasenden Kinder der Herodias weiter aus. Insbesondere ersetzt er die einfache Kausalität »fallender Kopf = fallende Sucht« durch die elaborierte Konzeption einer christlich-platonischen mania. Die aus Frankreich importierte Assoziation des Täufers mit der Fallsucht wurde also um 1300 im wirtschaftlich und kulturell aufblühenden Umfeld der oberrheinischen Reichsstädte mit der Idee des zwanghaften Tanzes auf der Schwelle des Heils verknüpft und so die Grundlage für die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts manifest werdende Vorstellung eines »Johannistanzes« gelegt. In Frankreich, wo (para)liturgischer Tanz nicht exkludiert war, war der Täufer der Patron der Fallsüchtigen. Im Rheinland übertrug man diese Assoziation auf eine Krankheitskonzeption, die sich aus der Pathologisierung von 199 Guillaume de Saint-Pathus datiert die Lähmung des Knaben ins Jahr 1282 und spricht von einer achtjährigen Krankheit. Die Heilung wäre also ins Jahr 1290 zu datieren. 200 Eine ähnliche Wallfahrt von Fallsüchtigen am Johannistag zur Kirche Saint-Mauresdes-Fossés erwähnt Vaultier, Les fêtes populaires, S. 139, für das Spätmittelalter (ohne Da­ tierung). 201 La Vie Saint Jehan Baptiste, in: de Montaiglon/de Rothschild (Hg.), Recueil de ­poésies, S. 295–304, hier: S. 303 f.: En tous le jours fut tourmentée »Et la fille par grant présent En maladie et en douleur. Le chief présenta à sa mère, Nous devons tel saint réclamer, Mais il advint lors en présent Qui de tel douleur et tel peine A la mère doulceur amère, Nous peut trestous bien préserver Car oncques ouis ne fut journée De maladie si villaine.« Que ne tumbast troys fois le jour; Vgl. dazu van Kraemer, Les maladies, S. 65 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»Tanz« speiste. Zumindest 1374 konnte diese Vorstellung zu einer breit überlieferten Praxis mit Auswirkungen vom Oberrhein bis in den Nordseeraum führen. Ob es schon um 1300 auch in Konstanz oder Umgebung entsprechende Treffen von »Kindern der Herodias« gegeben hat, bleibt unklar. Sicher ist nur die Vorbildfunktion der französischen Metropole und die Vermittlung durch dominikanisch-patrizische Gelehrtenkreise im Bodenseeraum.

VII.2 Johannes der Evangelist: Der Minnetrunk und der Apostel im Kessel Die Konstanzer Stiftskirche St. Johann hatte ein Doppelpatronat, war also zugleich dem Evangelisten und dem Täufer geweiht. Diese Kombination tritt häufig auf, wurden der Apostel und »Lieblingsjünger Jesu« und der Prophet und »Vorläufer« doch oft gemeinsam verehrt.202 Daher ist oft nur schwer zu eruieren, manchmal wohl auch schon den zeitgenössischen Laien nicht recht klar gewesen, welcher hl. Johannes von Fall zu Fall angesprochen war.203 Verschärft wurde diese Tendenz dadurch, dass der Geburtstag des Täufers am 24. Juni zugleich als Todestag Johannes des Evangelisten gefeiert wurde.204 Um den Heiligenkalender zu entzerren, hatte man zwar schon im Frühmittelalter den Tag seiner Rückkehr aus der Verbannung auf Patmos, den 27. Dezember, zum neuen Hauptfest des Evangelisten aufgewertet. Die Konkurrenz der beiden Heiligen blieb aber noch im 12. und 13. Jahrhundert virulent, etwa bei Honorius Augustodunensis oder Guilhelmus Durandus.205 Ebenso wie der Täufer repräsentierte Johannes der Evangelist mit seinem winterlichen Hauptfest und seinem Todestag so die beiden Solstitien.206 Der Apostel Johannes, den man mit dem Verfasser des gleichnamigen Evangeliums und der Apokalypse identifizierte, war der Sohn des Zebedäus und einer Frau namens Salome (!). Als »Lieblingsjünger« Jesu wurde er im späten Mittelalter zum Inbegriff des schönen Jünglings, den sich etwa die Mystikerinnen zum Vorbild ihres Strebens nach unio mystica mit dem Höchsten er­ koren.207 Das ihm zugeschriebene Evangelium mit seiner charakteristischen 202 Für Gallien: Ewig, Kathedralpatrozinien, S.  290 f.; Braun, Tracht und Attribute, Sp. 396. 203 So für die Tanzwut schon Morgenthaler, Tanzepidemien, S. 273. 204 So schon im Martyrologium Hieronymianum, AA SS, Nov. II.1, S. [82]; vgl. dazu unten, Kap. VII.3.1. 205 Franz, Benediktionen, Bd. 1, S. 294 f.; Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 595 f., der auch den Evangelisten mit dem babylonischen Oannes-Ea in Verbindung bringen will; vgl. ebd., Bd. 1, S. 106; Bd. 2, S. 422, 437. 206 Mit weiterer Lit. Heck, Iconographie mediévale, S. 254–256. 207 Dinzelbacher, Körper und Frömmigkeit, S. 174, über das Motiv des Trinkens aus Jesu Seitenwunde. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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logozentrischen Theologie wurde schon seit den Anfängen der Kirche immer wieder zum Anknüpfungspunkt für spiritualistische oder gnostische Tendenzen, ebenso für die entsprechenden Projektionen der kirchentreuen Häresio­ logie. Seine Anfangsperikope »in principio erat verbum« war als besonders wirksame Beschwörungsformel unter Exorzisten weit verbreitet, wurde ebenso aber auch für Amulette und andere magische Praktiken eingesetzt.208 In der Humoralpathologie der sich auf Galen berufenden Ärzte, die den Mikrokosmos Mensch in vielfältiger Weise mit dem Makrokosmos verknüpft sah, stand Johannes der Evangelist für den Herbst, das Element Erde und das melancholische Temperament.209 An seinem Feiertag drei Tage nach Weihnachten fand in vielen süddeutschen und französischen Stiften das narrenfest, die fête des fous statt, bei der Kleriker und Schüler in und an der Kirche Maskenspiele und Tänze aufführten.210 Auch am Fest des Evangelisten also wurde getanzt – freilich im Rahmen einer temporären rituellen Außerkraftsetzung der göttlichen Ordnung, die so wie im Karneval in ihrer Umkehrung neu bewusst gemacht und reproduziert wurde. Seiner Legende nach hatte der Apostel Johannes nach seiner Rückkehr von der Insel Patmos in Ephesus das Diana-Heiligtum zum Einsturz gebracht. Der Oberpriester des Tempels versprach sich zu bekehren, wenn Johannes vor seinen Augen einen Becher mit Gift tränke. Da dieser die Probe selbstverständlich überlebte, wurde er in der spätmittelalterlichen Kunst oft mit einem Becher oder Kelch in der Hand dargestellt.211 Wie Johannes der Täufer Herodias zur dämonischen Gegenspielerin hat, so also der Evangelist die andere Hexen­ fürstin, die antike Mondgöttin Diana. Das Attribut, mit dem er sie besiegt hatte, wurde zum Anknüpfungspunkt für ein weitverbreitetes Ritual, das Trinken der sogenannten Johannisminne. Der Brauch des »Minnetrinkens« speist sich wohl weniger, wie lange Zeit angenommen, aus paganen Kultvorläufern als vielmehr aus den mittelalterlichen Formen der genossenschaftlichen Mahlgemeinschaft. Wie für Maria und einige andere Heilige – Michael, Stephan, Martin, Gertrud, Ulrich von Augsburg – ist seit dem 9./10. Jahrhundert der Wein-Umtrunk am Fest Johannes des Täufers und vor allem an dem des Evangelisten überliefert.212 Anders als bei den an­ 208 Franz, Benediktionen, Bd.  2, S.  57, 352 f.; Tuczay, Magie und Magier, S.  91 f.; Beitl, Wörterbuch der Volkskunde, S. 375. 209 Schöner, Viererschema, vgl. bes. die Farbtafel nach S. 114 (bearbeitet von Robert Herrlinger). 210 Ilg, Gesänge, S. 20 f.; vgl. oben, Kap. III.3.3. 211 Braun, Tracht und Attribute, Sp. 374 f. 212 Meinecke/Schmidt-Wiegand, (Art.) Indiculus superstitionum, Sp. 378; Zimmermann, (Art.) Minne und Minnetrinken; allg.: Franz, Benediktionen, Bd. 1, S. 286–310; Beitl, Wörterbuch der Volkskunde, S. 374 ff. (Johannes der Evangelist); Sommer, Heidnische und christliche Normen, S. 172 f.; zur populären Rezeption vgl. Pleij, Schlaraffenland, S. 184 f., 454. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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deren Heiligen, für die das Minnetrinken überliefert ist, anders auch als bei Johannes dem Täufer, blieb die Minne für den Evangelisten kein volkstümlicher Brauch, sondern wurde zumindest im deutschen Sprachraum seit dem 12. Jahrhundert durch spezifische Benediktionen zu einer Sakramentalie aufgewertet.213 Möglich wurde dies, weil mit der Giftbecher-Episode der Heiligenlegende eine theologisch unverfängliche Anknüpfungsmöglichkeit gegeben war.214 Die entsprechenden Weiheformeln rekurrierten denn auch immer wieder auf den angeblichen Segen des Apostels über den zu trinkenden Giftkelch, und auch sie waren oft begleitet von der Eingangssentenz des Johannes-Evangeliums.215 Dieser Trunk in liebender Erinnerung an den Heiligen sollte vor Ungeziefer und Gift schützen, aber auch vor Dämonen – zu deren Anführerin Diana ja gerade aufstieg. Er wurde vor Kriegszügen und vor dem Reiseantritt zelebriert, bei Begräbnissen, aber auch vor der Eheschließung. So wurde er – ausschließlich im deutschsprachigen Raum  – zu einer weitverbreiteten Praxis.216 Insofern steht auch die Johannisminne durchaus im Kontext der mittelalterlichen Auseinandersetzung mit paganen Mythemen. Ihre Logik ist jedoch nicht etwa die einer vage kaschierten Kultkontinuität, sondern die einer genuin christlichen Praxis der spirituellen Daseinsfürsorge. Eine der Heiligen, für die ebenfalls das Minnetrinken überliefert ist, ist Gertrud von Nivelles (626–659). Die Tochter Pippins des Älteren war Äbtissin des von ihrer Mutter Itta gegründeten Klosters Nivelles, heute südwestlich von Brüssel.217 Später wurde sie als Schutzheilige gegen Ratten und Mäuse, gegen Gefahren der Reise, des Meeres und der Gefangenschaft, aber auch gegen Krankheiten angerufen. Verstorbene Seelen wurden in der ersten Nacht nach ihrem Tod von der hl. Gertrud beherbergt. Vor Antritt einer Reise trank man im deutschsprachigen Raum die Gertrudenminne. Die ältere Religions­ geschichte hat Gertrud als »synkretistische« Fortsetzung germanischer Mythengestalten, zumal der Walküre »Kertrud« bzw. der »Truden«, aber auch spätrömisch-gallischer Isis-Abwandlungen sehen wollen.218 Mit Frantişek Graus wird man die historische Person der Heiligen von möglichen Mythen-Adaptationen in der Hagiographie und ihrem Kult trennen müssen, der zudem erst im 13. Jahr­hundert überregional populär wurde.219 Wenn die Gertrud-Verehrung also Funktionen und Motive paganer Mythen übernommen haben sollte, so 213 Franz, Benediktionen, Bd. 1, S. 297 ff.; Mackensen, (Art.) Johannisminne. 214 Franz, Benediktionen, Bd. 1, S. 304–306. 215 Ebd., Bd. 1, S. 306–326, bes. S. 316. 216 Ebd., Bd.1, S. 327–331. 217 Braun, Tracht und Attribute, Sp. 294 f.; Franz, Benediktionen, Bd. 1, S. 289 f. 218 Vgl. etwa Bernoulli, Heilige, S.  197–199; Jostes, Sonnenwende, Bd.  1, S.  137, 179 f.; Bd. 2, S. 532–535, 538; kritisch: Franz, Benediktionen, Bd. 1, S. 290. 219 Graus, Volk, Herrscher, Heilige, S. 193, 414; allg. (schon kritisch): Zender, Räume und Schichten, S. 89–117. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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erst in fundamental christlicher Umformung. Sekundär wurde Gertrud durch eine Legende auch mit dem Brauch des Trinkens auf Johannes den Evangelisten asso­ziiert. Ein – freilich erst im späten 19. Jahrhundert – von dem Altgermanisten Karl Simrock im Rheinland aufgenommenes Volkslied auf die hl. Gertrud dokumentiert die frühneuzeitliche Verbreitung dieser Erzählung. Ein armer Mann auf Reisen verschreibt sich da dem Teufel, um für sieben Jahre zum Ritter zu werden. Als die Frist endet, befreit ihn Gertrud mit einem Johannessegen: »St. Johann sei euer Geleiter in grüner Heide, / St. Johann sei euer Geleit […]«. Als er den Teufel wieder trifft, muss dieser eingestehen: »Hättest Du den letzten Trunk nicht gethan, Wie würd ich mit dir getanzet han, Mit Dir und deinen Gesellen, zu der Hellen, Mit dir und deinen Gesellen.«220

Simrock erwähnt ein ähnliches Lied auch in der niederländischen Überlieferung. Wie im Mysterienspiel mit Herodias und Salome, so wäre der Teufel also auch mit dem fahrenden Ritter in die Hölle getanzt. Der von Gertrud ver­ abreichte Minnetrunk jedoch kann dies verhindern. Tanz steht hier für den Weg in die ewige Verdammnis, in die endgültige Exklusion also – anders als im verwandten Motiv des Totentanzes. Und der Genuss des geweihten Johannisweins schützt vor diesem Heilsverlust. So lässt sich vielleicht erklären, warum Mitte des 16. Jahrhunderts in Sint Jans-Molenbeek, westlich von Brüssel und damit nur gut 40 Kilometer von Nivelles entfernt, an einer Gertrudenkirche Johannistänzer auftreten konnten. Zeichnungen aus der Werkstatt Pieter Brueghels d. Ä. haben sie berühmt gemacht.221 Und für die Wallfahrt der Tanzwütigen zur Kirche St. Vitus in Treffel­hausen (Schwäbische Alb) lässt sich noch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine regelmäßige Weinspende an die Tanzenden nachweisen.222 Schon die anhand der Kirchenrechnungen erschließbare geringe Menge deutet auf einen ri­tuellen Kontext, nicht etwa auf geselliges Trinken hin. Vielleicht brachten die Pilger 220 Simrock, Die deutschen Volkslieder, Nr. 74, S. 148 f. mit Anm. S. 599; Franz, Benediktionen, Bd. 1, S. 289 f., 302. 221 Backman, Religious Dances, S. 112 f., 244–250, 267 f.; Midelfort, History of Madness, S. 45; Schumacher, Seelische Volkskrankheiten, S. 62–64; Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S.  131–133; Schmitz-Cliever/Schmitz-Cliever, Heiltanz, S.  312, 316; Bergdolt, Veitstanz, S.  91 f.; Stieren, Tänzersage, S.  24; Biquard, Le mal de Saint-Vit, [S. 5]; Beek, De geestes­ gestoorde, S. 241. 222 Gräflich Rechbergisches Archiv, Donzdorf: Heiligenrechnungen Treffelhausen (unverzeichnete Aktenfaszikel, ohne Nr.), 1596/97: »Den Armen leutte[n] vmb 2 maß wein 6 baz.«; 1604/05: »Item den Armen für speiß vnnd wein 5 den«; so bis 1612/13 regelmäßig; 1615/16: »(…) Item an St. Veitstag den armen / Veitigen, als Sie sich versehen für Wein .. 3 kr.«; 1616/17: »Item den Armen Veitigen alß Sie / das Nachtmal Empfangen für Wein 3 kr.«; ähnlich 1617/18 bis 1619/20. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Johannes der Evangelist

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auch eigenen Wein mit, wie dies für die Johannisminne vielfach über­liefert ist.223 Ob dieser Wein in Treffelhausen eine sakramentale Benediktion – auf Johannes? – erhalten hatte, wissen wir nicht. Erkennbar wird hier jedoch, dass der Minnetrunk als spirituelles Hilfsmittel für die in der Tanzwut ausagierte Heilsungewissheit auch im 16. und 17. Jahrhundert noch wirksam war. Wie der Reisende in der Fremde oder der Ritter auf dem Kriegszug in eine manifeste Unsicherheit geworfen war, vor der Gertrud und die Johannisminne schützen sollten, so befanden sich auch die Tanzwütigen auf ihrer Gottessuche in einer fundamentalen Bedrohungssituation, vor der sie der Wein schützen sollte. Neben dem Giftbecher bzw. Johanniskelch wurde der Evangelist seit dem 13. Jahrhundert mit einem Fass oder einem Kessel abgebildet. Manche Darstellungen zeigen ihn auch im Kessel sitzend.224 Das Fass an Stelle des Kochtopfs dürfte einer Anpassung an die Assoziation des Heiligen mit dem Minnewein geschuldet sein. Denn schon Tertullian und Hieronymus zufolge war Johannes um das Jahr 95 unter Domitian in Rom vor der Porta Latina in einen Topf mit kochendem Öl gesteckt worden. Er sprang jedoch unversehrt heraus und wurde daraufhin auf die Insel Patmos verbannt. Obwohl Johannes zu diesem Zeitpunkt bereits als alter Mann zu denken ist, wurde er dabei in der Regel als schöner Jüngling, als der »Lieblingsjünger«, abgebildet. Der Märtyrer im Kochtopf erinnert ikonographisch auffällig an Darstellungen von Taufen, bei denen der erwachsene Täufling vielfach bis zur Hüfte im Taufbecken oder, wie im Fall der Taufe Christi im Jordan, im Wasser eines Flusses stehend gezeigt wird. Der vergebliche Versuch der Heiden, den Apostel Johannes im Kessel zu töten, bildet so auch eine Kontrafaktur des zentralen Ritus der Aufnahme in die ecclesia, die von Johannes dem Täufer vermittelt wurde. Ab dem 15. Jahrhundert wurden Kessel und Fass in der Ikonographie im deutschsprachigen Raum für Johannes den Evangelisten ungebräuchlich.225 Denn nun wurde zumal in Oberdeutschland ein anderer Heiliger populär, der ebenfalls als schöner Jüngling im Kochtopf abgebildet wurde: Vitus bzw. Veit. Der zweite heilige Patron der Tanzwut neben Johannes dem Täufer beerbte also Johannes den Evangelisten in einem seiner wichtigsten Attribute.226

223 Franz, Benediktionen, Bd. 1, S. 328 f. 224 Braun, Tracht und Attribute, S. 370 f., spricht von einem Fass; vgl. allg. Lechner, (Art.) Johannes der Evangelist, Sp. 121, 123, 128. 225 Braun, Tracht und Attribute, Sp. 371. 226 Vgl. unten, Kap. VII.3.8. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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VII.3 Kosmologie, Tanz und Fallsucht in der Kultgenese des hl. Vitus VII.3.1 Entwicklung und Wanderung des Vitus-Kultes Geboren im sizilischen Mazzara und aus vornehmer senatorischer Familie, soll Vitus Christ geworden sein und um 304 als junger Knabe gemeinsam mit seinem Lehrer Modestus und seiner Amme Crescentia das Martyrium erlitten haben. Nach Heinrich Königs ist die Verehrung des Vitus in Italien schon vor der Mitte des 5. Jahrhunderts nachweisbar.227 Im frühen 7. Jahrhundert jedenfalls ging der Heilige in die südgallische Redaktion des Martyrologium Hieronymianum ein.228 Aus diesem wird er in die maßgeblichen Heiligenkalender des frühen und hohen Mittelalters übernommen.229 Dabei wurde sein Kult den Bollandisten zufolge schon früh mit dem eines gleichnamigen römischen Märtyrers verschmolzen.230 Diese und später auch Königs gingen davon aus, dass das M ­ artyrologium Hieronymianum auf Vorstufen des 4.  Jahrhunderts aufbauend bereits im 5. Jahrhundert zusammengestellt worden sei. Nachdem Felice L ­ ifshitz wahrscheinlich gemacht hat, dass diese umfassende kalendarische Kompilation von Märtyrernamen kaum vor dem 7./8. Jahrhundert entstanden sein kann, wären diese Annahmen zu überprüfen.231 Sollte sich Lifshitz’ – Bruno Krusch folgende  – Lokalisierung des Martyriologium Hieronymianum im Umfeld des columbanischen Klosterwesens in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts bestätigen,232 so würde auch diese Überlieferung für den Vitus-Kult in jenes Milieu im Umfeld der zerstrittenen merowingischen Teildynastien weisen, in dem wir die retrospektive Konstruktion einer paganen Ursprungsmythologie des Herrscherhauses und die solarmythologisch aufgeladene Heiligenlegende des Eligius kennengelernt haben.233 Der Kompilator des Martyrologium Hieronymianum muss den Heiligen jedoch auf seiner Forschungsreise aus Italien mitgebracht haben: Denn schon Papst Gelasius I. (Papst 492–496) weihte dem Hei 227 Königs, Der heilige Vitus, S. 4 f., 100 f. 228 Martyrologium Hieronymianum, in: AA SS, Nov. II.1, S. [78]: xvii kal. iul.: »in sicilia viti modesti et criscentiae«; vgl. weiterhin: AA SS, Iunii II, S. 1020–1021 (6. oder 7. Jh.); BHL 8711; Königs, Der heilige Vitus, S. 1–4, 101; Wasyliev, Martyrdom, S. 43 (datiert diese ins späte 7. Jh.). 229 Königs, Der heilige Vitus, S. 101; Kessel, St. Veit, S. 156; Röckelein, Reliquentranslationen, S. 182 f. mit Anm. 206. 230 AA SS, Iunii II, S. 1020 f. 231 Lifshitz, The Name of the Saint, S. 3–11. 232 Ebd., S. 14–23. 233 Die heutige Form des Hieronymianum geht nach Lifshitz, The Name of the Saint, S. 30–43, maßgeblich auf Willibrord und seine Schüler in Echternach zurück. Auch hier bewegen wir uns also wieder im gemeinsamen Überlieferungsmilieu der neoplatonisch-kosmologischen Christianität des früheren Frankenreichs. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ligen eine Kirche.234 Gregor der Große (540–604) erwähnt Vitus-Patrozinien in Sizilien und Sardinien. Königs zufolge wurden die Reliquien um 583 nach Lukanien transferiert.235 Um 672 gelangten Partikel nach Apulien, kurze Zeit später größere Teile nach Rom.236 Von hier aus transferierte 756 ein Verwandter des Abtes Fulrad von St. Denis den Leichnam des Heiligen in eine Kirche nördlich von Paris.237 ­Hedwig Röckelein hat wahrscheinlich gemacht, dass es sich bei diesem um den Grafen Gozbert († 777/78) handelte, der als Graf im Niebelgau am westlichen Bodensee die fränkische Herrschaftsdurchdringung Alemanniens vorantrieb. Auf ihn geht wohl auch die frühe Vitus-Verehrung in Schienen am Bodensee und in St. Gallen zurück.238 Nach seinem Tod fiel seine Eigenkirche im heutigen Saint-Witz mit den Reliquien an das Kloster Saint-Denis.239 Ebenso ist auch in Doubs bei Boussières (Bistum Besançon) bereits um 800 ein Vitus-Patrozinium überliefert.240 Von Saint-Denis aus wurden dann schon während der frühen fränkischen Sachsenmission vereinzelt Vitus-Patrozinien bedient, etwa in Mönchengladbach (793), Fulda (819), Halberstadt und anderen frühen Missionsstützpunkten.241 Wohl aus Mönchengladbach und vermittelt über St. Maximin in Trier wurde der Vitus-Kult auch im Straßburger Raum bekannt.242 836 wurden die Reliquien  – wohl gegen die Bestimmungen des Erblassers Gozbert, der einen Verbleib in seiner Kirche gewünscht hatte – von Saint Denis an das 822/23 neu gegründete Kloster Corvey an der Weser abgegeben.243 Von Corvey aus verbreitete sich der Veits-Kult in Sachsen, aber auch in Bayern (Eichstätt, Passau, Regensburg) und nach Oberitalien.244 Ebenfalls aus Corvey 234 Vgl. zum Folgenden allg. Drobner, (Art.) Vitus; Amore, (Art.) Vito, Modesto e Crescenzia (fehlerhaft); Hecker, Tanzwuth, S. 8 f.; Königs, Der heilige Vitus, S. 5 f.; Biquard, Le mal de saint Vit, [S. 2]. 235 Königs, Der heilige Vitus, S. 20; Röckelein, Reliquientranslationen, S. 177. 236 Ebd., S. 177 mit Anm. 169; Königs, Der heilige Vitus, S. 20. 237 Röckelein, Reliquientranslationen, S.  104, 178 f.; Dies., Der heilige Vitus, S.  20; ­Schmale-Ott (Hg.), Translatio Sancti Viti, S. 32 f.; Stoclet, Fulrad de Saint-Denis, S. 360–372. 238 Röckelein, Reliquientranslationen, S.  179–181; zur Person: Stoclet, Fulrad de SaintDenis, S. 211 f.; vgl. Königs, Der heilige Vitus, S. 346, 437; auch auf der Reichenau wurde V ­ itus demnach bereits um 814 in die Heiligenlitanei aufgenommen. 239 Röckelein, Reliquientranslationen, S. 181. 240 Stoclet, Fulrad de Saint-Denis, S. 373 f. 241 Röckelein, Reliquientranslationen, S. 87; die ebd., S. 604, auch eine Reliquienvergabe während der Translation nach Corvey 836 für denkbar hält; Dies., Der heilige Vitus, S. 22 f.; Königs, Der heilige Vitus, S. 304, 398. 242 Ebd., S. 503. 243 Röckelein, Reliquientranslationen, S. 181–183; Dies., Der heilige Vitus, S. 20 f. 244 Röckelein, Reliquientranslationen, S. 87 ff.; Dies., Der heilige Vitus, S. 28; Königs, Der heilige Vitus, S.  102 ff., 180, 347 f., 385–388, 526 f.; Kessel, St. Veit, S.  160 f.; laut van Krae­ mer, Les maladies, S. 83, wurden später auch Veitsreliquien von Corvey in das Mutterkloster ­Corbie überführt. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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überführte Kaiser Heinrich II. Reliquien des Vitus in sein neu gegründetes Mis­ sionszentrum Bamberg,245 von wo aus der Kult des Heiligen weit nach Böhmen, Thüringen und in den Ostalpenraum ausstrahlte.246 Im neu gegründeten Bamberger Dom wurden die Vitus-Reliquien in einem Seitenaltar gemeinsam mit solchen der Pariser Königsheiligen Dionysius, Rusticus und Eleutherius247 und der römischen Heiligen Nereus und Achilleus geborgen, die als Glaubenslehrer der Flavia Domitilla mit der Passio Domitillae verbunden sind.248 In Bamberg überkreuzen sich also im 11.  Jahrhundert die Überlieferungswege der mero­ wingerzeitlichen dynastischen Heiligenverehrung, des Vitus-Kultes, der Aure­ lianus-Legende und des Kölbigker Tanzmirakels.249 Eine konkrete Wechsel­ wirkung ist freilich nicht feststellbar. Für 987 ist ein Vitus-Patrozinium auch im schwäbischen Kloster Ell­wangen gesichert, vielleicht von Mönchengladbach aus.250 Die Annales Elwangenses des 12. Jahrhunderts berichten freilich, dass schon die Gründung des Klosters im Jahr 764 unter dem Patronat des Vitus erfolgt sei.251 Weitere Patrone von Ellwangen waren Sulpicius und Servilianus  – niemand anders als die mit ihren frommen Freundinnen Domitilla, Theodora und Euphrosina ins Martyrium gegangenen Römer der Passio Domitillae.252 Noch Ladislaus Suntheim (um 1440–1512/13) erwähnt um 1500 unter den Reliquien des Klosters Ellwangen (von insgesamt sechzehn Heiligen) auch Domitilla, Euphrosina, Theodora, Sulpicius und Servilianus.253 Vitus verdrängte diese nördlich der Alpen ansonsten kaum überlieferten Nebengestalten der Legende vom Tanz des Aurelianus also entweder im späten 10. Jahrhundert als Hauptpatrone des Klosters, oder aber sein Kult wurde hier schon im 8. Jahrhundert mit ihrem verbunden. In jedem Fall ist das gemeinsame Auftreten dieser aus der römischen Christianität des Umbruchs zum Frühmittelalter stammenden Heiligengestalten ein Zeichen der Verwandtschaft ihrer Kulte.

245 Königs, Der heilige Vitus, S.  16, 58 (Teilnahme Heinrichs II. am Vitusfest 1019), S. 86 f., 181. 246 Ebd., S. 348, 372 f., S. 400–410. 247 Vgl. oben, Kap. V.3.3. 248 Schneidmüller, Geliebte Stadt, S. 43: Patrozinien der Altäre im Bamberger Dom, 1012: 3.  Seitenaltar links: Patron: Vitus; Reliquien: Vitus und Modestus, Nereus und Achilleus, Diony­sius, Rusticus und Eleutherius u. a. 249 Vgl. oben, Kap. VI.1.2. 250 So Petry, Gründungsgeschichte, S. 39 f. 251 Stoclet, Fulrad de Saint-Denis, S. 371–373; Hoffmann, Kirchenheilige, S. 28, 85 f.; Königs, Der heilige Vitus, S. 356–358; Röckelein, Reliquientranslationen, S. 179 mit Anm. 186. 252 Vgl. oben, Kap. V.2.1. 253 Hartmann, Landesbeschreibung, S. 126; Vitus erwähnt Suntheim nicht, vielleicht weil er den Vitus-Kult seiner Heimatstadt Ravensburg besonders herausstellen wollte, vgl. ebd., S. 129. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Wohl über Ellwangen wurde seit dem 11.  Jahrhundert der Veits-Kult aus ­ orvey und Mönchengladbach in den schwäbischen Raum und in das Bodensee­ C gebiet vermittelt,254 aber auch ins Bistum Augsburg.255 Anknüpfend an ein wohl schon im frühen 10. Jahrhundert von Corvey aus begründetes Patrozinium, jedoch mit einer neuen, in Pavia erworbenen Kopfreliquie, machte Karl IV. (1316–1378) Vitus im Jahr 1355 zum Patron des Prager Veitsdoms und damit zum Schutzheiligen Böhmens und des Reiches.256 Aus­ gehend von den bereits vorhandenen Veits-Patrozinien breitete sich sein Kult im 14.  und 15.  Jahrhundert zumal in Süddeutschland massiv aus.257 Vielfach etablierten sich Wallfahrten zum Veitstag, etwa in Bayern,258 Oberschwaben,259 Württemberg260 und Baden.261 Seit dem frühen 15.  Jahrhundert wurden verstärkt die Vierzehn Nothelfer verehrt, mit dem fränkischen Kloster Vierzehnheiligen und der Bischofsstadt Regensburg als Zentrum. Als einer dieser spezialisierten Schutzpatrone erlebte nun auch Vitus eine neue Hochkonjunktur.262 Vier Wellen der Verbreitung des Vitus-Kultes sind also im Reich zu unterscheiden: Zunächst die frühe Phase der Gründungen in fränkischer Zeit von St. Denis, Mönchengladbach und zumal Corvey aus; sodann im 10. bis 12. Jahrhundert die Verbreitung im süddeutschen, böhmischen und ostalpinen Raum, vermittelt über Ellwangen und Bamberg; nach dem Aufstieg zum Hausheiligen des luxemburgischen Kaiserhauses die weitere Durchdringung besonders der schwäbischen und alemannischen Gebiete; und schließlich die Popularisierung 254 Königs, Der heilige Vitus, S.  357 f. (Schwäbische Alb), 428–440 (Bistum Konstanz); Kessel, St.Veit, S.  182 f.; zahlreiche Belege für Veitspatrozinien bei Hoffmann, Kirchen­ heilige; Bossert, Veit, S. 119–121, hat angenommen, die Kaiserin Gisela (989/90–1043), Gemahlin Konrads II., habe den Vitus-Kult aus Corvey nach Schwaben transferiert. Zumindest eine auffällige Koinzidenz wäre dann der Umstand, dass diese seit 1036 auch den von ihrem ­dritten Mann gegründeten Markt Kölbigk, Schauplatz der bekannten Tanzlegende, zu ihrem Dotalgut zählte, vgl. oben, Kap. VI.2.1. Ein Zusammenhang zu den erst gut 500 Jahre später aktenkundig werdenden Tanzwallfahrten an schwäbischen Veitskirchen dürfte hier freilich nicht festzustellen sein. 255 Königs, Der heilige Vitus, S. 350 f. 256 Nach Königs, Der heilige Vitus, S.  20, war diese Kopfreliquie schon vor der Trans­ lation des Heiligen nach St. Denis nach Pavia überführt worden; kritisch dazu Röckelein, Reliquientranslationen, S. 178; allg.: Königs, Der heilige Vitus, S. 179 f., 481–483; Röckelein, Der heilige Vitus, S. 29; Müller-Wille, Slawenmission, S. 10 f.; Winkle, Geißeln (32005), S. 1096, will das Vitus-Patrozinium des Prager Domes als kaiserliche Abwehrmaßnahme gegen die »schweren Tanzwutepidemien« der Zeit sehen. Dies entbehrt jeder Grundlage. 257 Königs, Der heilige Vitus, S. 559 f. 258 Ebd., S. 453 f., 456. 259 Ebd., S. 358, 371. 260 Griesel, Wallfahrtsorte, S. 20 f. (diverse Nachweise); Königs, Der heilige Vitus, S. 433, 436, 517, 522. 261 Ebd., S. 394 f. 262 Hecker, Tanzwuth, S. 9 f.; Röckelein, Der heilige Vitus, S. 25; Königs, Der heilige Vitus, S. 37, 344; Jankrift, Krankheit und Heilkunde, S. 32 f.; Hann, St. Veit, S. 51 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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als einer der Vierzehn Nothelfer. Im Dreieck zwischen Bodensee, Oberrhein und Schwäbischer Alb etablierte sich dabei ein ganzes Netz von Veitswallfahrtsorten, an denen dann im 16.  und 17.  Jahrhundert teilweise Pilgerfahrten von Tanzwütigen überliefert sind. Während weiter westlich und nördlich Johannes der Täufer zum Patron der Tänzer wurde, entstand im oberdeutschen Südwesten der Kernraum des Krankheitsphänomens Veitstanz.

VII.3.2 Veit und die Sommersonnenwende »A[nno] 1586 den 15. jun[ii] uff s[anct] Vitustag verenderet sich die zit, der tag verleust, die nacht gewint, o her laiss die werken der duisternisse nit oberhant nemen.«263

Diese Worte trug der Kölner Ratsherr Hermann Weinsberg (1518–1597) im Jahr 1586 in seinen Liber senectutis ein. Der Vitustag wurde seit dem späten Mittel­a lter oft an Stelle des Johannistages als der eigentliche Sommerbeginn begangen. Julius Caesar hatte bei seiner Kalenderreform (46 v. Chr.) das Sommersolstitium auf den 25. Juni festgelegt. Wegen der nicht ausreichenden Schaltregelungen im Julianischen Kalender wanderte jedoch das Sonnenjahr alle 128 Jahre um einen Tag in der Datumszählung nach vorn. Die christliche Zeitrechnung legte sie später auf den 24. Juni fest und setzte als Patrone dieses Tages Johannes den Täufer und Johannes den Evangelisten ein. Bis zum 16. Jahrhundert hatte sich der astronomische Kalender gegenüber der Datumszählung jedoch um ins­gesamt zwölf bis dreizehn Tage verschoben. Das Sommersolstitium war also nun realiter am 12./13. Juni zu beobachten, das Wintersolstitium am 12./13. Dezember.264 Von der Mitte des 13. Jahrhunderts an markierte also der Vitustag für gut hundert Jahre die astronomische Sonnenwende. Und tatsächlich setzte sich Vitus/Veit im Spätmittelalter neben Johannes als Patron des Sommerbeginns auf breiter Front durch. Da man vielfach annahm, dass der Sonnenlauf an den Solstitien und Äquinoktien drei Tage stillstehe,265 konnte die Fixierung der Sonnenwende am 15. Juni wohl auch im späteren 16. Jahrhundert noch einer oberflächlichen Naturbeobachtung entsprechen. Als Papst Gregor XIII. 1582/83 den Kalender reformieren ließ, nahm man nicht die Zeit des Heiden Julius Caesar, sondern das Jahr des Konzils von N ­ icäa (325) als Referenzpunkt an, weshalb das astronomische Solstitium nun auf den 21.  Juni fiel (und fällt).266 In katholischen Territorien wie der Stadt Köln war 263 Stein (Hg.), [Hermann Weinsberg], Buch Weinsberg, Bd. 5, S. 270. 264 Wallraff, Christus verus Sol, S. 178; Bilfinger, St. Veitstanz, S. 238 f.; Beitl, Wörterbuch der Volkskunde, S. 780 f.; Jungbauer, Volksmedizin, S. 170. 265 Vgl. oben, Kap. III.1.2. 266 Wallraff, Christus verus Sol, S. 178. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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diese Datumsverschiebung schon 1583 publiziert und verpflichtend gemacht worden. Hermann Weinsberg hatte dies auch in seinen Aufzeichnungen notiert.267 Dass er den Sommerbeginn 1586 dennoch weiterhin auf den 15.  Juni datierte, zeigt die Persistenz der Verknüpfung von Heiligenverehrung und Zeitwahrnehmung im kulturellen Wahrnehmungshorizont. Johannes und Veit blieben die maßgeblichen Patrone des Solstitiums, auch wenn dieses als astro­ nomisch beobachtbares Phänomen ein anderes Datum hatte.268 Die ältere Forschung hat nun annehmen wollen, dass mit der sukzessiven Verschiebung der Sonnenwende vom Johannis- auf den Veitstag auch das entsprechende Brauchtum vom einen Heiligen zum anderen verlagert worden sei. Ging man doch davon aus, dass Johannisfeuer, Johanniskräuter, Johannistänze etc. als vorchristliches Brauchtum aufzufassen seien. Demnach hätte Veit auch die Zuständigkeit für die Reigen zur Mitsommernacht und für die Tanzwut schlicht von Johannes geerbt.269 Tatsächlich etablierte sich Vitus als Heiliger des Sommerbeginns offensichtlich besonders im ländlich-agrarischen Raum: Am Veitstag begann die Heuernte, die Pflanzung und Saat bestimmter Pflanzen, sammelte man Heilkräuter etc.270 Freilich sind Jahresfeuer zum Veitstag zumindest für das 19. und 20. Jahrhundert volkskundlich nicht mehr nachweisbar. Vielmehr entfaltete sich der Vitus-Kult im schwäbisch-oberrheinischen Raum in einer Region, die Jahresfeuer überhaupt nicht kennt oder am ersten Fastenwochenende ansetzt.271 Die Verehrung des hl. Veit verband sich also durchaus mit dem Sommersolstitium, jedoch ist eine Verbindung zum Abbrennen von Feuern nicht belegbar.272 Wie bereits gesehen, handelt es sich bei vergleich­ 267 Lau (Hg.), [Hermann Weinsberg], Buch Weinsberg, Bd. 3, S. 216 f. 268 Zum 23.  Juli [!] 1568 berichtet Hermann Weinsberg, Höhlbaum (Hg.), [Hermann Weinsberg], Das Buch Weinsberg, Bd. 2, S. 183 f., gemeinsam mit mehreren andere Zeugen die Sonne tanzen gesehen zu haben: »A. 1568 den 23. jul. hab ich den morgen zu 7 uren im cloister zu Minderbrodern gangen im umbgank und hab gesehen, das die sonne hat up und neder gedanzt und ist roit und bleich worden, hat doch nit ein halb firdel stunden geduret. ­Jonker Brun Angelmecher, der porzner im cloister, min junge Georgen Titz und ander mehe haben es gesehen und haben uns dess verwondert.« Es bleibt unklar, ob es sich bei der Datierung um einen Abschreibefehler (23. Juni?) beim Transfer von Weinsbergs Notizen in die End­ fassung handelt. 269 So Bilfinger, St. Veitstanz, S. 240 f. 270 Ebd., S. 238–240; Königs, Der heilige Vitus, S. 207 f. (Viehauftrieb am Veitstag), 218 ff.; Strasser, Sankt Vitus, S.  561; Müller/Dillmeier, Rheinisches Wörterbuch, Bd.  9, Sp.  127 f.; Staub/Tobler, Schweizerisches Idiotikon, Bd. 1, Sp. 1134 f.; Fischer, Schwäbisches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1029–1031; Spangenberg, Thüringisches Wörterbuch, Bd. 6, Sp. 454. 271 Ethnologischer Atlas Europas, Tafel 1: Die Termine der Jahresfeuer: Johannis- oder Sonnenwendfeuer im Hegau und nördlich davon zwischen westlichem Bodensee und Donau und am Rhein nördlich von Straßburg; ansonsten Fasten- oder Osterfeuer oder keine Überlieferung; Veitsfeuer sind nicht verzeichnet. 272 Denkbar, aber nicht nachweisbar, wäre, dass Jahresfeuer zu Mitsommer vor der gregoria­nischen Kalenderreform am Veitstag begangen und später auf den 21.  oder 24.06. verlegt wurden. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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baren Sitten am Johannistag auch nicht um Zeugnisse langfristiger Kultkon­ tinuität, sondern um Innovationen des hohen und späten Mittelalters.273 Johannes wurde in den stark literarisch geprägten Milieus der Höfe und Städte zu einem Zeitpunkt zum Heiligen der Sonnenwende, zu dem dies astronomisch schon seit gut einem Jahrtausend gegenstandslos geworden war. Auf dem Land, wo man ungleich stärker auf eine korrekte Naturbeobachtung angewiesen war, konnte man wohl regional den Johannistag als Datum des Sommerbeginns beibehalten. Grundsätzlich dürfte es für einen Bauern aber eher als für einen Städter naheliegend gewesen sein, die Verschiebung des Sonnenjahres nachzuvollziehen und etwa den Veitstag als Fixpunkt zu setzen. Jedenfalls dürften sich die rituellen Ausformungen des Veits- und des Johannes-Kultes im Spätmittelalter eher gleichzeitig und analog entwickelt haben, als regional spezifische Varianten einer Kultur, die agrarisches Erfahrungswissen, kosmologische Versatzstücke und christliche Mythen verband. Welcher der beiden Heiligen dabei als Patron zum Zuge kam, dürfte regional vielfältigen Faktoren unterworfen gewesen sein, etwa örtlichen Traditionen in der Vergabe von Patrozinien oder dem Einfluss unterschiedlicher religiöser Zentren auf die Frömmigkeitskultur. Dass dabei nicht etwa fest an das Sonnenjahr gebundene pagane Kult­ kontinuitäten mehr oder weniger zufällig auf die Tagesheiligen des Solstitiums übertragen wurden, zeigt der Umstand, dass nur Johannes und Vitus dauerhaft zu Patronen der Sommersonnenwende wurden, nicht aber etwa die Tagesheiligen des 12., 13. oder 14. Juni.274 Denn beide wiesen auch durch ihre vorherige Kultgeschichte schon eine erhebliche Affinität zu solaren Konnotationen auf. Bei Johannes konnte diese offenbar relativ unabhängig von astronomischer Empirie abgerufen werden, da sie durch Bibel und Hagiographie fest verankert war. Wie er war aber auch Vitus/Veit offen für Assoziationen mit kosmologischen Bezügen. Er hatte diese solarmythologischen Bezüge schon im frühen Mittel­ alter, als das Solstitium noch längst nicht auf seinen Tag gewandert war. Als der Vitus-Kult seit der Mitte des 14. Jahrhunderts einen neuen Aufschwung erlebte, war das astronomische Solstitium zwar schon einen Tag weiter nach vorn gewandert, die enge Verknüpfung blieb aber im kulturellen Horizont virulent. Mit der kosmologischen Tiefenstruktur seines Mythos hatte der Heilige die Funktion des Solstitialheiligen dauerhaft besetzen können. Das Uhrwerk des Kirchenjahres war quasi am Tag Sancti Viti eingerastet.

273 Vgl. oben, Kap. VII.1.1. 274 Für das Wintersolstitium übernahm  – mit entsprechender Namensetymologie  – ­Lucia (13. Dezember) die Rolle der Lichtpatronin. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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VII.3.3 Vitus, Guy, Vit, Svantovit – religionsgeschichtliche und etymologische Deutungsansätze Widukind von Corvey (um 925 – nach 973) berichtet in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts in seinen Res gestae Saxonicae, mit der Translation des hl. Vitus von St. Denis nach Corvey im Jahr 836 seien auch das Herrscherheil und das Imperium von den westfränkischen Karolingern auf die Ottonen über­ gegangen.275 Daraus hat man schließen wollen, Vitus sei von den sächsischen Kaisern als Reichsheiliger verehrt worden und habe daher noch unter den ­Saliern und Staufern große Förderung erhalten.276 Allerdings haben Karl-Heinz Krüger 1974 und Matthias Becher 1997 zeigen können, dass das Kloster Corvey zu Widukinds Zeit von einem massiven politischen Gewichtsverlust betroffen war: Nachdem noch Heinrich I. tatsächlich Corvey und seinen Hausheiligen Vitus begünstigt hatte, förderte Otto I. Magdeburg mit dem hl. Mauritius als spirituelles Zentrum seiner Herrschaft. Widukind versuchte in seinem der Äbtissin Mathilde von Quedlinburg (955–999), der Tochter Ottos, gewidmeten Werk offensichtlich, gegenüber dieser übermächtigen Konkurrenz ein Alternativangebot zu machen. Der Patron des alten karolingischen Reichsklosters stand so für die vom Erzbischof Wilhelm von Mainz (929–968) organisierte Oppostion gegen die Hausmachtpolitik Ottos – und auch dies wohl nur in den Zeilen des Corveyer Chronisten.277 Warum jedoch führte Widukind ausgerechnet den Kinderheiligen V ­ itus gegen Mauritius ins Feld, nicht etwa den gleichrangigen Corveyer Patron Stephanus?278 Zunächst bot die Translatio Sancti Viti aus dem Einzugsbereich von St. Denis nach Corvey natürlich einen bequemen Anknüpfungspunkt für eine Translatio Imperii vom westfränkischen auf das ostfränkische Königtum. Vor allem aber könnte der Name den Heiligen für die Rolle eines sächsischen Landesheiligen qualifiziert haben – dies zumal in den Augen eines Mannes, den sein eigener Name an die zu seiner Zeit schon halb mythischen Widukinde erinnern musste, von denen auch die Liudolfinger bzw. Ottonen abstammten.279 Widukinds Vorfahren waren wohl keine Sachsen, sondern erst im späten 7. oder frühen 8. Jahrhundert aus dem Moselgebiet nach Osten gewandert.280 275 Röckelein, Reliquientranslationen, S. 182; Dies., Der heilige Vitus, S. 28 f.; Becher, Vitus von Corvey, S. 237 f.; Krüger, Dionysius und Vitus; van Landschoot, La translation, S. 620–623. 276 So z. B. Königs, Der heilige Vitus, S. 47 f., 85–88, 234–237, 307. 277 Krüger, Dionysius und Vitus, S. 144–147, 152–154 (differenzierter und quellenmäßig dicht); apodiktisch Becher, Vitus von Corvey, S. 238–249. 278 Vgl. Krüger, Dionysius und Vitus, S. 238; zu Widukinds Darstellung des Vitus als Kinderheiligem vgl. unten, Kap. VII.3.3. 279 Grote, Stammtafeln, S. 32. 280 Tiefenbach/Springer, (Art.) Widukind; Kasten, Adalhard von Corbie, S. 195–200. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Diese »Widonen« sollten bis ins 10. Jahrhundert in Sachsen politisch einflussreich bleiben.281 Während sie sich freilich im 9.  Jahrhundert mit römischen Hausheiligen wie Alexander, Felicitas und Sixtus verbunden hatten, stützte sich eine konkurrierende Gruppenbildung, die in der Forschung als »Ekber­tiner« oder »Bovonen« bezeichnet werden, vornehmlich auf westfränkische Heilige.282 Diese prägten auch die Frühgeschichte Corveys und des Veits-Kultes in Sachsen.283 Der erste Abt von Corvey, Warin (um 800–856), ein Großneffe des Adalhard von Corbie und der Äbtissin Theodrada von Soissons, war der Sohn eines Ekbertiners. Nach ihm sollten insgesamt drei Äbte namens Bovo die Ge­ schicke des Klosters an der Weser leiten. Warin war zugleich ein Onkel des Herzogs Liudolf, des Stammvaters der späteren Ottonen. Die Ekbertiner waren so einerseits mit den westfränkischen Karolingern verwandt, andererseits mit dem späteren sächsischen Königshaus.284 Ebenso hatte Warin von Corvey auch verwandtschaftliche Verbindungen zu den Widonen.285 Man wird diese vor allem über ihre Leitnamen identifizierbaren Gruppenbildungen nicht vorschnell als über längere Zeit stabile Verwandtschaftsverbände (»Sippen«) deuten können. Im Wechselspiel der politischen Konflikte markieren sie jedoch Loyalitäts­ beziehungen, die auch entlang von Kulttraditionen verhandelt wurden. Die Vitus-Verehrung im Sachsen des 9. Jahrhunderts stand dabei offenbar im Bannkreis der Ekbertiner und wirkte von diesen vielleicht auch ins 10. Jahrhundert weiter.286 Vitus, ein italienischer Heiliger, der vermittelt über das Westfrankenreich nach Corvey importiert worden war, könnte dabei für die konkurrierenden sächsischen Großen von besonderem Interesse gewesen sein, weil sein lateinischer Name vielfältige Assoziationsmöglichkeiten in der Volkssprache bot. »Widukind« und »Wido« werden etymologisch in der Regel auf althochdeutsch *widu bzw. *witu ( = Holz, Wald, Baum) zurückgeführt.287 Infolge einer Lautverschiebung ersetzte die romanische Sprache im spätantiken Gallien etwa seit dem 5. Jahrhundert bei germanischen Vokabeln das w/v durch gu. Erhalten blieb die alte Lautung jedoch bis heute in den nord- und ostfranzö­sischen Dialekten  – etwa in dem Ortsnamen Saint-Vith (bei Malmedy).288 Erkenn 281 Röckelein, Reliquientranslationen, S. 67–70. 282 Ebd., S. 241–261. 283 Ebd., S. 367. 284 Wiesemeyer, Gründung, S. 271; Schmale-Ott (Hg.), Translatio sancti Viti, S. 18 mit Anm. 69; Kasten, Adalhard von Corbie, S. 166 f., 176–181. 285 Kasten, Adahard von Corbie, S. 195–201. 286 Nach Röckelein, Reliquientranslationen, S. 189, verehrten die Liudolfinger Vitus als Hauspatron ihrer ekbertinischen Vorfahren; nach Becher, Vitus von Corvey, S. 238, brachten sie dem Heiligen hingegen keinerlei besondere Devotion entgegen. 287 Röckelein, Reliquientranslationen, S. 67 f. 288 Pitz, Zentralfranzösische Neuerungsräume, S. 142 ff., 150–159; Haubrichs/Pfister, ›In Francia fui‹, S. 23–31. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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bar ist dies etwa an Namen wie Wilhelm/Guilhelmus, Wibert/Guibert etc. Vitus wurde daher in Frankreich zu »Gui« bzw. »Guy«.289 Wo er aber im späteren Mittelalter und in jüngerer Zeit aus der deutschen Sprache re-importiert wurde, behielt er oft die germanische Schreibung Vit o. Ä.290 In Italien hingegen steht neben »Guido« ( = Wido) der romanische Heiligenname »Vito«.291 Etymologisch ließe sich jedoch auch eine Verbindung zu althochdeutsch wîh (= heilig, vgl.: wîtzo âtum = Heiliger Geist) herstellen,292 ebenso zu germanisch *wihti- ( = kämpfen).293 Franz Jostes hat davon ausgehend weitreichende Vermutungen zu Motivtransfers und verwandten Figuren in der hoch- und spätmittelalterlichen Heldenepik angestellt. Figuren mit Namen oder Namensbestandteilen wie »Vi-«, »Wio-«, »Gui-«  – etwa Wiomad, Guilhelmus/Wilhelm, Wieland, Guibert etc. – ließen sich ihm zufolge allesamt auf das von ihm postulierte Grundmuster des solaren Kriegergottes zurückführen. »Guy«/»Gui«/»Vi« hätte demnach im fränkischen Mythos den Begleiter und Beschützer des aus der antiken Mythologie transferierten Stier- und Hammergottes (»Clojo«/»Bovo«) markiert, der Jostes zufolge in der französischen, deutschen und nordischen Epik in vielerlei Gestalt reproduziert wurde.294 Diese mythologischen Asso­ ziationsketten sind nun im Einzelnen kaum zu überprüfen. Wenn aber etwa in der französischen Sage des 12.  Jahrhunderts der Held Wilhelm von Toulouse den König Ludwig gegen einen König Guy d’Allemagne verteidigt,295 so liegt die Vermutung nahe, dass der Heilige und eine homonyme Sagengestalt in der außertheologischen Wahrnehmung in einen Austausch treten konnten. Ähnliches gilt, wenn eine Sagengestalt »Gui« wie der hl. Vitus und der antike Osiris zerstückelt wird296 oder wenn ein volkstümlicher bretonischer Heiliger »Gurguidus«/»Tangui« (= »Feuer-Veit«) eine Mutter namens »Florencia« hat297 – ein Name, der ebenso in der Vitus-Passio auftaucht und aus der antiken Vegetationsmythologie stammt.298

289 Von diesem französischen leitet sich dann der englische Eigenname »Guy« ab. Dieser wiederum wurde durch die Popularisierung des katholischen Rebellen Guy Fawkes ­(1570–1606) als Sagen- und Brauchtumsgestalt zu der heute gängigen englischen Vokabel für »(junger) Mann«. 290 Vgl. nur den Titel von Biquard, Le mal de saint Vit (ou saint Guy). 291 Giorgi, Santi, S. 367. 292 Schröder, Altgermanische Kulturprobleme, S.  119; vgl. altnordisch vé = Heiligtum: Simek, Lexikon der germanischen Mythologie, S. 449; Beck, Probleme, S. 482–484. 293 Francovich Onesti, Vestigia longobarde, S. 220 f. 294 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 205 f., 215, 279 f., 288, 335, 429–431, 446–452, 527, 544, 605. 295 Ebd., Bd. 2, S. 382–389. 296 Ebd., Bd. 2, S. 446. 297 Ebd., Bd. 1, S. 219 f. 298 Vgl. unten, Kap. VII.3.5. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 9: Lorenzo Lotto: San Vito, Seitenflügel zu: Madonna con bambino e santi, 1506/08, Recanati: Pinacoteca Comunale (akg-images).

Die etymologische Verknüpfung des Namens Vitus mit Bedeutungen von Kampf und Heldentum könnte jedenfalls erklären, warum der gänzlich un­ militärische Kindermärtyrer Vitus schon in karolingischer Zeit auch als Adelsheiliger verehrt wurde,299 warum Karl IV. ihn als Beschützer seiner Herrschaft wählen konnte, warum dieser in Deutschland vielfach als vornehmer Ritter oder gar im Kaiserornat abgebildet wurde300 und warum er im Spätmittelalter ein beliebter Patron für Ritter und Landsknechte werden sollte.301 Dies jeden 299 Röckelein, Reliquientranslationen, S. 177 f., 263. 300 Giorgi, Santi, S. 367; Braun, Tracht und Attribute, Sp. 731 f. (der dies für arbiträr hält); Hensel, (Art.) Vitus, Veit, Gui, Sp. 580. 301 Königs, Der heilige Vitus, S. 236–239. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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falls leistete der Verbreitung seines Patroziniums etwa im Siedlungsgebiet des schwäbischen Reichsrittertums weiteren Vorschub.302 Gleichzeitig konnte der Name Veit auch für negativ konnotierte Bedrohungsfiguren wie Söldner, Räuber, Gespenster etc. herangezogen werden.303 Als »Veitsfechter« bezeichnete sich im 15.  und 16.  Jahrhundert die in Prag beheimatete reichsweite Bruderschaft der Fechter, Fechtmeister und Schwertakrobaten.304 Diese Berufsfechter übernahmen im Auftrag Dritter gerichtliche Zweikämpfe, verdienten ihr Geld aber auch als Jahrmarktsattraktion. Damit näherten sie sich den Gauklern an, deren Negativbild durch Salome geprägt war. Hier könnte der Anknüpfungspunkt für eine erneute Assoziation des Schwerttanzes mit der Tanzwut liegen, wie sie schon in den spätantiken Beschreibungen des enthusiasmos aufscheint.305 Die vielfach mit den Großen des westfränkischen Raumes verbundenen sächsischen Führungsgruppen könnten im 9. und 10. Jahrhundert den hl. Vitus schlicht wegen der Namensgleichheit oder auch wegen der etymologischen Assoziierbarkeit mit diesem Bedeutungskomplex in Zusammenhang gebracht haben. Dies könnte zumindest erklären, warum Widukind von Corvey versuchte, der Ottonentochter Mathilde den Hausheiligen seines Klosters als neuen Reichspatron schmackhaft zu machen. Und es indiziert eine solarmythische Konnotationsebene des Vitus-Kultes, wie sie ähnlich auch bei Eligius von Noyon spürbar ist.306 Dass der lateinische Name des Heiligen mit vernakularsprachlichen Vokabeln assoziierbar war, belegt der Blick aus dem sächsischen in den benachbarten slawischen Siedlungsraum, oder genauer: der Blick auf die Wahrnehmung der Slawen durch die benachbarten Sachsen. Helmold von Bosau (um 1120 – nach 1177) berichtet um 1170 in seiner Slawenchronik, um 876/77 hätten Corveyer Mönche die Insel Rügen missioniert und hier eine Kirche ihres Klosterpatrons Vitus errichtet. Später seien die auf der Insel wohnenden »Rani siue Rugiani« wiederum vom Christentum abgefallen und hätten aus dem christlichen Heiligen einen heidnischen Gott »Svantovit« gemacht.307 Ebenso berichten dies Saxo Grammaticus († 1204) und andere von Helmold abhängige Annalen des 12. und 302 Ebd., S. 343. 303 Staub/Tobler, Schweizerisches Idiotikon, Bd. 1, Sp. 1134 f.; Fischer, Schwäbisches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1030; Müller/Dillmeier, Rheinisches Wörterbuch, Bd. 9, Sp. 127 f.; Michael Lindner (1520–1562) lässt in seinem Schwankbuch »Katzipori« eine streitende Frau ausrufen: »[…] schemst du dich nit, das du alhie an dem marckt vor den leüten zaust und greinst wie Veitten Fotz«; Lindner, Rastbüchlein und Katzipori, S. 112, Nr. 55. »Veit« war also der Inbegriff des Landsknechts, »Veits Fotze« die entsprechend moralisch disqualifizierte weibliche Entsprechung. 304 Schubert, Fahrende Leute, S. 141, 235–237. 305 Vgl. oben, Kap. II.3.2. und II.3.3. 306 Vgl. oben, Kap. V.3.3. 307 Schmeidler (Hg.), Helmold von Bosau, Chronicon, S. 16. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 10: Vitus, Wenzel und Sigismund als Hausheilige der Luxemburger: Mühlhausener Altar (Prager Altar), 1385, Stuttgart: Staatsgalerie (akg-images).

13. Jahrhunderts.308 Bis in die aktuelle Literatur findet sich daher die Annahme, der slawische Gott Svantovit sei ein Produkt der Paganisierung des christlichen Vitus-Kultes.309 Eine Eroberung Rügens im 9. Jahrhundert ist jedoch anderweitig nicht belegt.310 Auch geben die Beschreibungen des Svantovit-Kultes zum 308 Schildgen, St. Vitus, S. 5–7. 309 So etwa noch Borgolte, Christen, Juden, Muselmanen, S. 32; vgl. Graus, Volk, Herrscher, Heilige, S. 171 mit Anm. 182; Padberg, Christianisierung, S. 262; sehr unkritisch: Kessel, St. Veit, S. 161–180, der alle slawischen Götternamen auf -vit von Vitus ableiten und den Ritter Veit des Spätmittelalters auf diese slawische Svantovit-Gestalt zurückführen wollte; neutral: Wienecke, Religion der Westslawen, S. 151 f. (politisch tendenziös). 310 Schildgen, St. Vitus, S. 10 f.; vgl. Schmidt, Götter, Mythen und Bräuche, S. 36; Königs, Der heilige Vitus, S. 236. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Zeitpunkt der dänischen Eroberung der Insel Rügen im Jahr 1168 wenig Anlass zu einer Herleitung aus dem Vitus-Kult.311 Umgekehrt findet sich besonders in der volkskundlich orientierten Literatur immer wieder die Annahme, der christliche Vitus-Kult sei ein synkretistischer Reflex auf den slawischen Svantovit, ein Versuch also, einen slawischen Hauptgott durch einen christlichen Heiligen zu ersetzen.312 Auf der Grundlage der Beschreibungen des slawischen Heiligtums auf Rügen bei Helmold oder Saxo Grammaticus und in vielfach zirkelschlüssigen Projektionen wurde Svantovit dabei zu einem angeblich überregional verehrten Sonnengott der Slawen mit einem ekstatischen Kult stilisiert, dessen Kult etwa auch in Prag durch die VeitsVerehrung abgelöst worden sei.313 Klaus Bergdolt wollte noch 2006 den Veitstanz aus diesem paganen Phänomen ableiten.314 Die neuere Forschung zur slawischen Religionsgeschichte hat jedoch darauf hingewiesen, dass eine überregionale Verbreitung des rügischen Svantovit nicht belegbar ist. Vielmehr treten seine Namensbestandteile svet/swant (= heilig, mächtig) oder auch swiat (= Welt) und vit (= Herrscher/Sieger/Licht) im slawischen Sprachraum bei zahlreichen lokal oder regional verehrten Gottheiten auf, ohne dass ein engerer mythologischer oder kultischer Zusammenhang sicherbar wäre.315 Ob die spätere Verehrung des hl. Veit im slawischen Sprachraum Bestandteile dieser lokalen Traditionen adaptieren konnte, bliebe zu klären.316 Für Tanzwut und Veitstanz, die in großer Distanz zum slawischen Siedlungsraum entstanden, bieten sich hier jedenfalls keinerlei Anhaltspunkte. Helmold von Bosau dachte sich seine Corveyer Herleitung des Svantovit-Kultes jedoch nicht einfach aus. Vielmehr hatte sich das Weser-Kloster schon in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts seine angeblichen Besitzrechte auf der Insel Rügen bestätigen lassen. Offenbar hatte man hier, als der ostelbische Raum in den Blick der sächsischen Ostexpansion geriet, aus dem vernakularen Götternamen die Assoziation zum christlichen Heiligen gezogen und daraus wiederum

311 Schildgen, St. Vitus, S.  8 f.; kritisch schon C. J., De donatione insulae Rugiae, facta ecclesiae Corbejensi ob victoriam ad invocationem S. Viti reportatam, in: AA SS, Iunii VI, S. 140–142. Zur Frage des christlichen Einflusses auf die slawische Religion vgl. Słupecki, Einflüsse des Christentums, S. 181–185. 312 Wenskus, Religion abâtardie, S. 207 f.; Schechter, Saint Vitus Dance, S. 1093; Böhme, Geschichte des Tanzes, Bd. 1, S. 162 ff.; Jungk, Handbuch des Tanzes, S. 248; Backman, Religious Dances, S. 8 f.; Königs, Der heilige Vitus, S. 236; dagegen schon Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S. 237 f.; Meisen, Springprozessionen, S. 170. 313 Vgl. etwa Voss, Tanz, S. 189 f. 314 Bergdolt, Veitstanz, S. 90. 315 Schildgen, St. Vitus, S.  12 f.; Hermann (Hg.), Welt der Slawen, S.  279–281; Schmidt, Götter, Mythen und Bräuche, S. 43–53; Wienecke, Religion der Westslawen, S. 257–260. 316 Zum oft aus diesem Zusammenhang abgeleiteten Hahn als Attribut Veits vgl. unten, Kap. VII.3.9. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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auf eine frühere Missionstätigkeit und somit eigene verlorene Rechtsansprüche geschlossen.317 Beim Blick auf die paganen Nachbarn also kam den Corveyer Mönchen ebenjene Assoziation mit volkssprachlich-mythischen Etymologisierungen in den Sinn, die auch die Hochschätzung des Importheiligen Vitus durch ihre Vorgänger im 9. Jahrhundert befeuert haben könnte. Seine sprachgeschichtlichen Ursprünge jedoch hat der Name des Heiligen in jedem Fall in Sizilien bzw. Unteritalien, wo sein Kult sich im 5. Jahrhundert entwickelte, und in Rom, wo er bald darauf in den metropolitanen Heiligenkalender integriert wurde. Was aber bedeutet sein Name »Vitus«? Die Legenda aurea etymologisiert recht gewagt: »Vitus kommt von Leben, […] oder aber es heißt soviel wie ›tugendhaft‹.«318 Rosa Giorgi gibt an, die frühen Christen hätten ­vitus für »Der das (ewige) Leben hat« gebraucht.319 Ansonsten bieten weder die hagiographischen Quellen noch die theologische oder geschichtswissenschaftliche Literatur einschlägige Deutungsversuche. Und tatsächlich kommt man diesbezüglich nicht zu einem klaren Befund: Zu denken wäre zunächst an v­ itis, die Weinrebe, was den jugendlichen Heiligen sowohl mit Bacchus als auch mit der vielfältigen Weinstock-Semantik der Christologie verbinden würde. Lateinisch vitus bezeichnet den Kreis bzw. die Biegung eines Rades,320 was gleichermaßen mit solaren oder lunaren Symboliken wie auch mit den Attributen anderer Heiliger in Beziehung zu setzen wäre.321 Vitulus ist das junge Rind, vitulus aureus also das Goldene Kalb der Bibel. Dabei handelt es sich jedoch nicht etwa um einen Diminutiv, sondern um die Latinisierung der griechischen Vokabel έταλόϚ (= Jährling).322 Eine davon abgeleitete Positiv-Bildung *vitus ( = Rind) ist lexikalisch nicht belegt. Eine solche hätte den kindlichen Märtyrer wiederum in den Kontext der spätantiken Sonnen- und Stiergott-Mythologie gestellt  – anschlussfähig etwa, als sich die auch als »Bovonen« bekannten Ekbertiner des Klosters Corvey und seines Hausheiligen bemächtigten. Diese etymologischen Deutungsansätze lassen sich jedoch kaum erhärten, ebenso fehlen Zeugnisse für entsprechende Konnotationen im semantischen Horizont der späteren Vitus-Rezeption. Zu beachten ist, dass der unteritalienische Entstehungsraum der Vitus-Legende am Übergang zum Frühmittelalter sprachlich und kulturell griechisch geprägt war. Sowohl für die spätantike Kultur als auch für die griechische 317 Schildgen, St. Vitus, S. 17 f.; Wienecke, Religion der Westslawen, S. 167 f. 318 Maggioni (Hg.), Legenda aurea, S. 529: »De Nomine – Vitus a uita […]. Vel uitus quasi uirtus, id est uirtuosus.« 319 Giorgi, Santi, S. 367. 320 Georges, Handwörterbuch, S.  3167; Forcellius, Lexicon totius Latinitatis, Bd.  4, s. v. vitus; Du Cange, Glossarium, Bd. 8, S. 361. 321 Fries, Attribute, S. 11, 64 f. 322 Georges, Handwörterbuch, S. 3167; Menge-Güthling, Enzyklopädisches Wörterbuch, s. v. vitulus; Oxford Latin Dictionary, Bd. 2, S. 2081. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Christianität bildete Unteritalien den zentralen Vermittlungsraum in den lateinischen Westen.323 Sizilien war bis zur arabischen Eroberung kirchlich an Byzanz gebunden, während das süditalienische Festland zunehmend in den Einflussbereich Roms geriet. Lukanien jedoch, das Gebiet südlich des Flusses Siler (Sele), blieb bis zur normannischen Eroberung weitgehend ostkirchlich geprägt.324 So enthält etwa die aus Lukanien stammende Vitus-Passio des 7. Jahrhunderts den Gebetsruf »Agios. Agios. Agios«.325 Auch tauchen Vokabeln griechischer Herkunft (»cathoma«, »clibanum«) und ein griechischer Ortsname auf.326 Das Martyrologium Hieronymianum übernimmt für den 25. Januar aus einem ostkirchlichen Heiligenkalender einen nikomedischen Heiligen namens »Bitos«. Je nach Handschrift wird dieser Name mit »Bitus« oder »Vitus« lati­ nisiert.327 Trägt also auch der sizilisch-lukanische Vitus einen ursprünglich griechischen Namen?328 Und war dieser sprechend? In der Gnosis hießen der androgyne Vorvater oder auch das nicht-personale Urprinzip »Bithos«.329 Eine genauere Analyse der Vitus-Legende wird mögliche Antworten ergeben, die für die eine oder andere dieser Etymologisierungen sprechen könnten.

VII.3.4 Lukanien im 7. Jahrhundert: Die Vitus-Passio als Anti-Mythos Das Martyrologium Hieronymianum enthält keine weitere narrative Ausgestaltung der Leidensgeschichte der sizilischen Heiligen Vitus, Modestus und ­Crescentia. Die von Heinrich Königs vermuteten früheren Vorformen etwa in Form von Märtyrerakten sind nicht sicherbar.330 Ausführlich hingegen behandelt eine wohl im 7. Jahrhundert in Lukanien entstandene Passio das Leben und Sterben der drei Heiligen.331 323 Prinz, Pagane Kulttradition, S. 293–297. 324 de Leo, (Art.) Lukanien. 325 Königs, Der heilige Vitus, S. 562; vgl. AA SS Jun II, Sp 1022e: »Ἅγιος, Ἅγιος, Ἅγιος.« 326 Königs, Der heilige Vitus, S.  564: »Alectorius« = griech. »Ἀλεκτόριος«, vgl. unten, Kap. VII.3.5. 327 de Rossi/Duchene (Hg.), Martyrologium Hieronymianum, hier: syrisches Martyrologium, 25.01.: »ΒίτοϚ«; vgl. ebd., S.  [13]: viii. Kal. Feb.: »Nicomedia Biti [viti] Rom[ae] transl[atio]«. Vgl. AA SS Jan. II: XX. Ianuarii: »De SS. martyribus Nicomediensibus Leontio, Cyriaco, Vito, Candeo, Vrso, Floro, Felice, Marcia, Chelidonia«. Vgl. über diesen nikome­ dischen Vitus: Sauget, (Art.) Leonzio, Ciriaco, Vito, Cindeo, Floro e Felice. 328 Lexikalisch lässt sich zu diesem Namen kein weiterer Befund sichern. 329 Zimmermann, Geschlechtermetaphorik, S. 596 f. 330 Vgl. Königs, Der heilige Vitus, S. 1 f. (skeptisch), S. 7 f., 71 f. 331 AA SS, Iunii II, S. 1021–1023; dazu: Königs, Der heilige Vitus, S. 7–15; vgl. die neuere Edition ebd., S. 561–567; die ebd. angekündigte separate kritische Ausgabe ist offenbar nicht erschienen; zur handschriftlichen Überlieferung vgl. ebd., S. 568–571. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Der etwa sieben Jahre alte332 Vitus wird da, weil er nicht vom christlichen Glauben lassen will, von seinem Vater, dem Senator Hylas, in Ketten gelegt.333 Da erscheint dem Knaben ein Engel, der ihm Schutz bis zum Tag seines Martyriums zusichert. Der praeses Valerianus ruft Hylas zu sich und ermahnt ihn, seinen Sohn zum Widerruf zu bewegen. Hylas versucht, Vitus im Guten von einer Abkehr von dem »Irrsinn, einen toten Mann zu verehren« zu überzeugen.334 Vitus bekennt seinem Flehen zum Trotz seinen Glauben und beginnt, Wunder zu wirken. Valerianus lädt Vitus daraufhin vor Gericht und fragt ihn, warum er trotz der drohenden Strafe den unsterblichen Göttern nicht opfern wolle. Vitus, ohne jede für sein jugendliches Alter typische Furcht, bekennt seinen Glauben. Als Valerianus ihn durch Prügel zur Vernunft bringen will, verdorren seinen Dienern und ihm selbst zur Strafe die Arme. Der Richter wirft Hylas vor, einen Zauberer zum Sohn zu haben. Vitus verheißt ihm Heilung durch die Gnade seines Gottes. Valerianus verspricht, ihm zu glauben, wenn er die Strafe rückgängig mache. Dies geschieht, und Valerianus übergibt Vitus seinem Vater mit der Aufforderung, ihn zum Opfer vor den Göttern zu bewegen. Zuhause überschüttet Hylas seinen Sohn mit Genüssen und schmeichlerischen Worten: »Mit Zimbeln und Orgelpfeifen versuchte er, ihn zu erfreuen, und befahl seinen Mägden, vor jenem zu tanzen, um ihm zu gefallen und ihn umso leichter zu überzeugen, von der Verehrung Gottes abzufallen.«335

Als dies vergeblich bleibt, lässt er Vitus in ein mit allen Reichtümern ausge­ stattetes Zimmer sperren. Als Vitus gegen diese Versuchung die Hilfe der Erzväter und seines Gottes herbeiruft, erfüllen überirdisches Licht wie von zwölf Lampen und himmlischer Duft den Raum. Der von den überwältigten Dienern herbeigerufene Hylas meint, die Götter seien bei seinem Sohn eingekehrt. Er blickt in die Kammer und: »[..] da sah er sieben Engel stehen, die hatten Flügel wie Adler und strahlten den Glanz von unbeschreiblicher Schönheit und Pracht aus; und sie sangen: ›Heilig, heilig, heilig‹.«336 332 Königs, Der heilige Vitus, S. 563: »Erat autem B. Vitus circiter annorum septem.« Über Kinderheilige in der frühen Hagiographie vgl. Wassyliev, Martyrdom, S. 15–24 (Stereotyp der frühen Artikulationsfähigkeit). 333 Königs, Der heilige Vitus, S. 561: »inclitus, sed sacrilegus«, »nobilissim[us] vi[r]«; zur Übersetzung der wohl aus dem Griechischen abgeleiteten Formel »cathomis caedi iussit« vgl. AA SS, Iunii II, Sp. 1023D, Anm. d. 334 Königs, Der heilige Vitus, S.  561: »ab istiusmodi cultus insipientia, […] mortuum ­hominem venerando.« 335 Ebd., S. 562: »cymbalis quoque et organis demulcere tentabat eum, et affectabat ancillas suas saltare ante eum, qualiter placeret ei, et ut a cultu Dei sui recedere facilius persuaderet.« 336 Ebd., S. 562: »Cubiculum autem inaestimabili claritate fulgebat, et videbantur in eo quasi duodecim lampades, nimio fulgore splendentes; respersumque est suavissimo odore. […] © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Dieser Anblick lässt den Vater erblinden. Vitus bittet Gott um Gnade für ihn. Dem durch das Wehgeschrei alarmierten Valerianus berichtet Hylas: »Ich war neugierig und wollte in die Kammer meines Sohnes blicken, da sah ich Götter, deren Augen wie die Sterne waren und ihr Anblick wie der Blitz; […].«337

Der Richter lässt den blinden Vater daraufhin in den Tempel des Jupiter bringen, wo dieser für seine Heilung unzählige Opfergaben und einen Stier mit goldenen Hörnern verspricht, zusätzlich der Vesta heilige Jungfrauen – doch vergeblich. Daraufhin bittet Hylas seinen Sohn um Hilfe. Vitus verlangt von ihm, Jupiter, Herkules, Juno, Minerva, Vesta und Apoll abzuschwören. Nachdem er dies tatsächlich getan hat, heilt Vitus seinen Vater, der danach freilich sofort ausruft: »Ich danke meinen Göttern, die mich gerettet haben, nicht Deinem!«338 Während Hylas noch überlegt, wie er seinen ungehorsamen Sohn bestrafen kann, fliehen Vitus und sein Lehrer,339 der Christ Modestus, geführt von einem Engel per Schiff aus Sizilien zu einem Ort namens »Hahnenort« (»Alectorius locus«) am Fluss Siler—heute Sele am Golf von Salerno.340 Dort werden sie von einem Adler genährt, Vitus aber tut zahlreiche Wunder und predigt dem herbeigelaufenen Volk, so dass sich viele Menschen taufen lassen. Zur gleichen Zeit ist der Sohn des Kaisers Diokletian von einem Dämon besessen, der fordert: »Wenn nicht der lukanische Vitus hierher kommt, werde ich nicht ausfahren.«341 Der Kaiser lässt Vitus nach Rom holen. Bei ihrem Zusammentreffen ist es der Heilige, nicht der Imperator, der sonnengleichen Glanz ausstrahlt.342 Als der Kaiser den Modestus beschimpft, wird er von Vitus zurechtgewiesen. Der heilige Knabe treibt den Dämon aus, der sogleich in umstehende Ungläubige fährt. Daraufhin bietet Diokletian ihm den Großteil seines Reiches, die größten Reichtümer und engste Freundschaft, wenn er den Göttern opfere. Vitus lehnt erwartungsgemäß ab, deshalb lässt Diokletian ihn und Modestus in den tiefsten Kerker werfen, mit 80 Pfund schweren Eisenplatten bedecken und den Kerker mit seinem Siegel bezeichnen, damit niemand ihnen Wasser bringen könne. et vidit septem Angelos stantes, alas habentes more aquilarum, inaestimabilis pulcritudinis et splendoris fulgore radiantes; et cantabant: Agios, Agios, Agios.« 337 Ebd., S. 563: »In cubiculo filium meum curioso coepi mirari intuitu et vidi Deos, quorum aculi erant ut stellae, et aspectus ut fulgur; […].« 338 Ebd., S. 563: »gratias ago diis mei, qui me salvum fecerunt, et non Deo tuo.« 339 Zur Übersetzung vgl. AA SS, Iunii II, Sp. 1023D, Anm. e. 340 Vgl. den Kommentar AA SS, Iunii II, S. 1026 c: griech. Ἀλεκτόριος, lat. Gallinaceus. Der Fluss Siler trennte Lukanien von Picenum, vgl. ebd. 341 Königs, Der heilige Vitus, S. 564: »Interea filius Diocletiani Imperatoris vexabatur a spiritu immundo, et clamabat daemon per os eius, dicens: ›Si non venerit Vitus Lucanus hinc non exibo.‹« 342 Ebd., S. 564: »Vultus autem S[ancti] Viti erat speciosus nimis, et flammeus sicut ignis, et oculi ejus ut radii solis: utpote quia gratia Christi erat repletus.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»Und als sie eingeschlossen waren, erfüllte sofort große Helligkeit den Kerker, so dass die Wachen erschraken. Der hl. Vitus aber erhob seine Stimme und sprach: […] Eile und befreie uns von dieser Strafe, Herr, wie Du die drei Jungen aus dem brennenden Feuerofen und Susanna aus der Ungerechtigkeit der falschen Zeugen gerettet hast. Auf diesen Ruf des seligen Vitus hin bebte in dem Kerker die Erde, ein unvergleich­ liches Licht verbreitete sich und unschätzbarer Atem erfüllte das Verließ.«343

Christus persönlich erscheint und lässt das Eisen wie Asche von ihnen abfallen, während Engelschöre die ersten Zeilen aus dem Benedicat des Zacharias nach der Geburt des Johannes (Lk 1,68 f.) singen: »Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels. Denn er hat sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen; er hat ein Horn des Heils aufgerichtet, im Hause seines Knechts David.«344

Das Befreiungswunder des siebenjährigen Knaben Vitus wird also mit der Geburt des Täufers assoziiert – des Täufers, der im selben Alter von sieben Jahren in die Wüste der Gotteserkenntnis gegangen war. Die erschrockenen Wachen berichten dem Kaiser, was geschehen ist. Dieser plant daraufhin, Vitus und Modestus in der Arena den Raubtieren vor­werfen zu lassen: »Den wildesten Bestien will ich sie überlassen, um zu sehen, ob ihr Christus sie aus meinen Händen befreien kann.«345 Zunächst aber kommt es anders. Vor mehr als 5000 Männern, »Frauen und Kinder nicht mitgerechnet«, bekennt Vitus in einem dramatischen Dialog mit dem Kaiser seinen Glauben: »›Wo siehst Du Dich, Vitus?‹ Der Heilige jedoch, die Augen zum Himmel erhoben, antwortete nicht. Da fragte der Kaiser erneut: ›Wo siehst Du Dich, Vitus?‹ Und ­Vitus sprach: ›Ich sehe mich im Amphitheater [!]. Also tue schnell, was Du zu tun hast.‹ […]«346

343 Ebd., S.  565: »Et cum inclusi fuissent, subito claritas magna resplenduit in carcere, ita ut ipsi custodes territi mirarentur. Sanctus vero Vitus exclamavit voce magna, dicens: In ­auxilium nostrum tu intende, Domine, accelera et liberanos ab hac poena, sicut liberasti tres pueros de camino ignis ardentis, et Susannam de iniquitate falsorum testium. Ad quam vocem B[eati] Viti repente terrae motus factus est in carcere, et lux incomparabiliter radiavit, odorque in­aestimabilis respersus est in habitaculo carceris.« 344 Ebd., S. 565: »[…] et erat una vox psallentium Angelorum multorum cum eis in carcere, dicens: Benedictus Dominus Deus Israel, quia visitavit et fecit redemptionem plebis suae; et erexit cornu salutis nobis, in domo David pueri sui.« 345 Ebd., S.  565: »Bestiis ferocissimis tradam eos, ut videam, si Christus eorum possit ­liberare eos de manibus meis.« 346 Ebd., S. 565: »Cumque starent ante eum, Diocletianus dixit S. Vito: Vite, ubi te vides? Beatus autem Vitus, elevans oculos ad coelum nihil respondit. Et Imperator repetito dixit ei: Ubi te vides, Vite? Et Vitus dixit: Video me esse in amphitheatro: verumtamen fac celerius quod facturus es.« Die Passio lässt das Martyrium also im Amphitheater, nicht etwa in einer Arena, stattfinden. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Daraufhin lässt der Kaiser in einem Ofen (»clibanum«) Blei, Harz und Pech erhitzen und Vitus hineinsetzen. Gerade sagt der Kaiser zu ihm: »So sehe ich, ob Dein Gott Dich aus meinen Händen befreien kann.« Da springt der Knabe mit einem Kreuzzeichen ganz in den Ofen und erstickt so die Flammen. Ein Engel löscht das Feuer, und Vitus stimmt im Ofen stehend einen Hymnus an, in dem er an die Gottessuche des Volkes Israel erinnert. Dem Kaiser und seinen Knechten dankt er für das angenehme Bad.347 Bei diesem Anblick erhebt das ganze Volk seine Stimme und bekennt seinen Glauben an den Gott dieses Knaben. Den Kaiser beschimpft der Knabe nun als Dämon, der gemeinsam mit seinem Vater Satan erröten solle vor Scham.348 Diokletian lässt daraufhin einen Löwen auf Vitus los. Doch bringt dieser die Bestie vermittels eines erneuten Kreuz­zeichens dazu, sich vor ihm zahm auf den Boden zu legen und seine Füße zu lecken. Nebenbei führen Kaiser und Kind vor dem Zirkuspublikum einen weiteren Dialog: Diokletian wirft Vitus vor, die Wunder mithilfe von Magie zu tätigen. Vitus erläutert ihm daraufhin, Feuer und wilde Tiere seien nicht seiner Kunst untertan, sondern ihrem Schöpfer. Weil er, der Kaiser, sich nicht Gott unterwerfen wolle, obwohl er ein rationales Wesen sei, sei er schlechter als alle unvernünftigen Dinge.349 Daraufhin lässt der Kaiser Vitus, Modestus und die hier erstmals erwähnte Amme Crescentia auf einen Marterrost legen und zer­ reißen, bis die Knochen brechen und die Organe heraushängen. Doch ein weiteres Gebet des Vitus löst ein großes Erdbeben aus, bei dem die heidnischen Tempel einstürzen und viele Leute sterben. Der Kaiser flieht, sich dabei vor Gram über seine Niederlage mit den Händen das Gesicht zerkratzend. Gleichzeitig erscheint der Engel wieder und bringt die drei Märtyrer zurück an den Fluss Siler. Vitus bittet Gott um die Gnade des irdischen Todes für sich und seine beiden Gefährten. Außerdem soll am Fest seiner Geburt für vier Tage »die ­Mücke« (Singular) nicht am Ort seines Martyriums erscheinen, denn diese sei

347 Ebd., S. 565 f.: »Tunc prae nimio furore seipsum non capiens Imperator, iussit ministris parare clibanum, et in eo resolvi plumbum et resinam et picem. Feceruntque ministri sicut eis praeceperat Imperator, et deposuerunt in eum beatum athletam Christi Vitum. Dum deponeretur, dixit Imperator: Ecce modo video, si Deus tuus poterit liberare te de manibus meis. Beatus vero Vitus, dum consignaret se signo Crucis vivificae, jactatus est in medium clibani: et efferbuit fornax sicut mare. Et subito apparuit Angelus Domini, qui omnem clibani fervorem extinxit. Beatus autem Vitus in medio clibani stans, hymnum dicebat Domino: Qui liberasti, inquit, Domine, filios Israel de terra Aegypti per Moysen, de jugo durissimo et fornace ferrea, fac nobiscum misericordiam, propter sancti nominis tui gloriam. Et vocans Diocletianum Imperatorem, dixit ei: Gratias ago tibi et ministris tuis, Diocletiane; quia mihi lavacrum placidum praeparastis, etiam sabana praeparate.« 348 Ebd., S. 566: »Imperatorem vero increpans: Erubesce, diabole, cum Satana patre tuo, ­videns quantam virtutem faciat Dominus meus in servo suo.« 349 Ebd., S. 566. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ein Abbild der Dämonen.350 Daraufhin werden die schneeweißen Tauben gleichenden Seelen der drei Heiligen von Chören psalmodierender Engel mit Freuden in den Himmel begleitet. Drei Tage lang bewachen Adler die Leichname der Heiligen. Dann kommt am anderen Ufer des Siler eine Senatorin351 namens Florentina in einem Karren vorbei. Plötzlich scheuen die Pferde und reißen ihren Wagen in die Fluten. Als sie zu ertrinken droht, erscheint ihr Vitus über das Wasser gehend. Er rettet sie, damit sie die drei Leichname begraben kann, und verspricht ihr, dass all ihre Gebete in Erfüllung gehen werden. So werden die Heiligen bestattet an jenem nun »Marianus« genannten Ort. Der Verfasser dieser Erzählung zeigt nun nicht nur einiges stilistisches Geschick, sondern auch eine bemerkenswerte theologische Präzision. Die zahlreichen Dialoge des kindlichen Heiligen mit seinen Peinigern haben deutlich didaktischen Charakter: Einem klug konstruierten Spannungsbogen folgend formulieren die Heiden gängige Einwände gegen das Christentum, vom Unsinn der Verehrung eines Hingerichteten über den querulantischen Wahn des Monotheismus bis zur Deutung der Wundertätigkeit als niedere Magie. Dabei werden sie nicht als Unmenschen, sondern als liebender Vater (Hylas) und notorische Stimme der Vernunft (Valerianus) gezeichnet. Vitus, für sein Alter ausdrücklich untypisch furchtlos und gewitzt, widerlegt all ihre Argumente: Die Thaumaturgie sei nicht Zauberei, sondern dem Wirken des Schöpfers zuzuschreiben  – womit der christliche Heilige den Heiden letztlich die platonische Theurgie erklärt.352 Und als rationales Wesen sei jeder Mensch, auch der Kaiser, selbst für seinen Glauben verantwortlich  – womit die Grundzüge augus­tinischer Anthropologie angesprochen sind. Die für frühmittelalterliche Märtyrer­a kten typische Dialogsituation wird hier also zu theologisch fundierten Reflexionen über den Unterschied zwischen dem christlichen Glauben und dem Irrtum der »Heiden« genutzt. Der Kaiser hingegen ist einerseits deutlich als Sohn des Satans und dämo­ nischer Christenverfolger gezeichnet, andererseits auch als Erwachsener, der zu dem Kind spricht  – und ausdrücklich als Mensch. Überirdische Attribute hat nur der heilige Knabe, etwa als er Diokletian gegenübertritt: Der Heilige als Vertreter Gottes verströmt sonnengleiches Licht, nicht der Imperator. So wird also die solarmythische Legitimation des Kaisertums konterkariert. Der heilige Knabe besiegt schließlich sogar den mächtigen Christenverfolger. Die Vitus 350 Ebd., S.  566: »et per dies quatuor natalis mei, musca non appereat, quae imago est daemonum, in hoc loco martyrii mei.« 351 Ebd., S. 567: »Tertia vero die dum Florentina quaedam, illustris femina, secus locum gestaretur ab equis in basterna, […]«; für den Hinweis auf die korrekte Übersetzung dieser Passage danke ich Wolfgang Spickermann, Erfurt. 352 Vgl. oben, Kap. II.2.2.; vgl. zum Motiv des Magievorwurfs in der Hagiographie auch Wassyliev, Martyrdom, S. 57 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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umgebenden Lichterscheinungen freilich werden von den »Heiden« immer wieder falsch gedeutet, nämlich als kosmische Zeichen der Götter, wie durch den erblindenden Hylas nach dem Blick durch das Schlüsselloch. Die Passio markiert diesen Glauben an die Sterne als irrig, sind es doch die Engel Gottes, die hier in Erscheinung treten. Die kosmologische Metaphorik wird hier also ausdrücklich nicht etwa positiv übernommen, sondern in Form einer Kontrafaktur aufgerufen. Die luka­ nische Vitus-Passio ist demnach zu lesen als manifest anti-kosmologischer Text. Expliziert wird diese Stoßrichtung in dem erwähnten Dialog zwischen Kaiser und Kind in der Arena: »Wo siehst Du Dich, Vitus?«, fragt Diokletian. Der Heilige erhebt die Augen dorthin, wo der »Heide« die als Sternbilder und Planeten sichtbaren Götter erwarten würde. Vitus jedoch sieht nur den christlichen Himmel, in den er durch das Martyrium gelangen will: »Ich sehe mich im Amphitheater. Also tue schnell, was Du zu tun hast.« Er verweigert und leugnet also den Katasterismus. Die Passio folgt dabei in der theologischen Didaxe, aber auch in der Dramaturgie der Leidenserzählung einer auffälligen Überbietungslogik. Immer neue Qualen bieten die Verfolger auf, doch vergeblich: Selbst der Tod des Heiligen bleibt der Macht Gottes unterworfen. Ja: Gerade die Folter des Knaben bewirkt nicht etwa eine Wiederherstellung der Ordnung der Götter, sondern im Gegenteil ein Erdbeben, bei dem die Tempel und Götzenbilder einstürzen. Entstanden ist diese Auseinandersetzung mit dem paganen Glauben freilich nicht etwa in einer historisch realen Konkurrenzsituation, sondern im 7. Jahrhundert, in einer Zeit also, in der auch im griechisch geprägten Unteritalien wohl weniger lebendige kulturelle Kontinuitäten als vielmehr gelehrtes Wissen und theologische Stereotypen die Wahrnehmung des vorchristlichen Glaubens prägten. So ist Diokletian hier der archetypische Christenverfolger. Die Götter, denen Hylas abschwören soll, sind die klassischen Olympier, die in der spätantiken religiösen Praxis nur noch untergeordnete Rollen gespielt hatten. Die Passio Viti arbeitet sich also an einem Stereotyp von Paganismus ab, wie es theologisch gebildete Kreise des Frühmittelalters pflegten. Gerade als Kontrafaktur kosmologischer Konzepte, wie sie die christliche Wahrnehmung des Frühmittelalters als pagan konzipierte, transportierte der Anti-Mythos jedoch zugleich zahl­ reiche Motive aus der spätantiken Mythologie. Gerade diese Spiegelungsfunktion bedingte also die Integration »synkretistischer« Elemente in die christ­liche Hagiographie  – freilich nicht als einfacher Transfer, sondern, um im Bild zu bleiben, seitenverkehrt.

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VII.3.5 Der Anti-Mythos als Spiegel paganer Motive Schon Königs hat angenommen, dass diese Erzählung einen Ortswechsel des Vitus-Kultes aus Sizilien nach Lukanien rechtfertigen sollte.353 Die dürre Namensnennung über drei sizilische Heilige wäre also jenseits des Tyrrhenischen Meeres zum Anlass genommen worden für eine elaborierte Leidensgeschichte, die den Geburtsort des Vitus, den angeblich in Rom angesiedelten Hof des Kaisers und das neue lukanische Kultzentrum verknüpfen sollte. Nun bleiben solche Rückschlüsse aus der Erzählhandlung auf die Kultgeschichte allemal hypothetisch. Der neue Handlungsort ist jedoch sehr bewusst gewählt: Aus Sizilien bringt der Engel die Heiligen über das Meer zum Fluss Siler (Sele), an den »Alectorius locus«, also »Hahnenort«.354 Den offenbar ganz in der Nähe zu denkenden Bestattungsort nennt die Passio dann »Marianus«, »Marienort«.355 Am Unterlauf des Flusses Siler, nördlich von Poseidonia (Paestum), befand sich seit dem frühen 7. Jahrhundert v. Chr. ein Heiligtum der griechischen Göttin Hera. Dieses Heraion hatte zumal in der Frühphase der griechischen Besiedlung Unteritaliens offenbar überregionale Bedeutung gehabt. Es war aber auch in hellenistischer und römischer Zeit noch viel besucht.356 Hera und Zeus waren jenes olympische Götterpaar, dessen hieros gamos paradigmatisch für die Motivik der Heiligen Hochzeit in der antiken Mythologie steht.357 Paestum war seit spätestens 599 Sitz eines Bischofs. Eine erheblich frühere Kirche ist nachweisbar. Zumindest die hochmittelalterliche Kathedrale des Bistums im benachbarten Capaccio hatte ein Patrozinium der »Santa Maria del Granato«. Diese Muttergottes mit dem Granatapfel lässt sich ikonographisch als Reflex auf ähnliche Darstellungen der Hera lesen.358 Der Ortsname »Marianus« der VitusPassio lässt wohl den Schluss zu, dass dieser spezifische Marien-Kult schon um 600 angelegt war. Auch die zunächst eher irritierende letzte Bitte des heiligen Knaben, zum Gedenken an ihn die »musca«, also: »die Mücke[n]«, fernzuhalten, verweist wohl nicht nur allgemein auf die übliche Identifikation des Moskitos als Dämonen 353 Königs, Der heilige Vitus, S.  7–15; dagegen Delehaye, Origines, S.  309, der die sizi­ lische Herkunft für spätere Zutat hält, wie auch die Ergänzung von Modestus und Crescentia. 354 AA SS, Iunii II, Sp. 1024B mit Anm. ebd.. Sp. 1026C. 355 AA SS, Iunii II, Sp. 1026A. 356 Junker, Heraion, S.  1–8; Sestieri, Paestum, S.  30; Conti, Fregio. Zur Geschichte Paestums allg. vgl. Pedley, Paestum. Das Heraion am Focce del Sele ist archäologisch gut erschlossen. Da der ergrabene Bau- und Skulpturenbestand aber vor allem aus archaischer Zeit stammt, sind nähere Aufschlüsse über konkrete Anknüpfungspunkte für die Vitus-Passio nicht zu gewinnen. 357 Vgl. oben, Kap. V.1.2. 358 Hierzu und allg. zur Spätphase Paestums vgl. Pedley, Paestum, S. 163–167. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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tier.359 Vielmehr ist damit auf eine ganz konkrete gesundheitliche Problematik angespielt: Denn einer der maßgeblichen Faktoren für den Niedergang der einst blühenden Stadt Paestum in der römischen Kaiserzeit war neben der Verlagerung von Handelswegen die zunehmende Versumpfung der Sele-Mündung, die nicht nur Wasserversorgung und Schifffahrtswege beeinträchtigte, sondern vor allem für wiederkehrende Malaria-Epidemien sorgte.360 Nun erklärte man diese ja im frühen Mittelalter gemeinhin miasmatisch, also gerade nicht mit der Überträgerschaft von Insekten. Diese gab es hier jedenfalls in großer Zahl, und sie dürften störend genug gewesen sein. Vitus wurde also mit der lukanischen Passio nicht zum Schutzheiligen gegen die Malaria, wohl aber zu einem solchen gegen Mückenstiche. So dokumentiert die Vitus-Passio die Umcodierung einer paganen Kultlandschaft in eine christliche. Die Lokalisierung des Rast- und Sterbeortes des Vitus wenn nicht am Platz, so doch zumindest in direktem Umfeld eines prominenten paganen Heiligtums passt in diesen Kontext. Und ohne dass sich konkrete Bezüge zum Hera/Zeus-Mythos herstellen ließen, bleiben die zahlreichen allgemeinen Allusionen auf den Motivkreis der Heiligen Hochzeit doch augenfällig. Der doppelte Aufenthalt der Heiligen am Fluss Siler zitiert zugleich den Propheten Elias am Bach Kerit, wo er von einem Raben ernährt wurde,361 und später auf dem Berg Horeb (unter einem Ginsterbusch!), wo ihn ein Engel versorgt hatte.362 Wie diese beiden Wüstengänge des solar konnotierten Propheten seinen Sieg im Gottesurteil gegen die Baalspriester einrahmen,363 so die beiden Auf­enthalte des Vitus am Siler/Sele seinen Triumph über den Kaiser in der Arena. Wie Elias wurden viele Heilige in der Einöde von Vögeln genährt.364 Für die kosmologische Konnotationsebene steht zudem der Adler, der Vitus und seine Zieheltern am Fluss Siler versorgt. Er verbindet Vitus nicht nur mit Johannes dem Evangelisten, sondern auch mit der Symbolik der Apokalypse und der christlichen Himmelssysmbolik.365 Schon in der vorchristlichen Symbolik wurden Adler vielfach mit dem Himmel und der Sonne gleichgesetzt, mit Jupiter und später Sol als den höchsten Göttern. So wurde der Adler auch zum Symbol 359 Königs, Der heilige Vitus, S. 3, 15 f., 35 f., wollte hier eine orientalische Erzähltradition sehen. Fliegen wurden als dämonische Tiere mit dem Teufel assoziiert; vgl. Beelzebub = hebr. für »Herr der Fliegen«. Bei Augustinus stehen Mücken symbolisch für den Verstoß gegen das 3. Gebot (Sonntagsheiligung), vgl. Jungmann, Tanz, Tod und Teufel, S. 71 f. Zur Lokalisierung vgl. auch D. P., Disquisitio conjecturalis. 360 Pedley, Paestum, S. 163 f. 361 1 Kge 17,1–7. 362 1 Kge 19,1–13. 363 1 Kge 18. 364 Maury, Croyances et légendes, S. 117. 365 Dinzelbacher, Adlersymbolik, S.  192 f., 201–204. Zum Adler als Beschützer vgl. ­Delehaye, Hagiographische Legende, S. 31. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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tier der hellenistischen Könige und der römischen Kaiser.366 Den späteren Kaiser Aurelian hatte ein Adler aus der Wiege gehoben und auf den Altar des Sonnengottes gelegt. Der Adler als Vogel der Sonne markierte hier das Sonnenkind, wie es bereits in Legenden über Augustus vorgezeichnet ist.367 Das Sternbild des Adlers erinnerte an Zeus und die Entführung des Ganymed.368 Bei PseudoDionysius Areopagita konnte der Adler auch für die Engel stehen.369 Der Adler aus dem Osten als Vogel der Sonne blieb auch in der christlichen Mythologie ein Botentier Gottes.370 Für den Physiologus flogen Adler in die Sonne, um ihre ­Federn zu erneuern. Und auch im Mittelalter glaubte man, dass nur Adler in die Sonne sehen könnten.371 Es ist also ein christianisierter Sonnen- und Himmelsvogel, der hier die Versorgung der Heiligen übernimmt, statt sie als Vogel des Jupiter oder Sol invictus zu töten. Als Vater des Vitus führt die lukanische Passio einen Senator (»vir illustrissimus«) namens Hylas ein – so vornehm, dass der Richter Valerianus zunächst alles tut, um eine Bestrafung des Sohnes zu vermeiden.372 Dieser »vir illustrissimus« trägt den Namen eine Figur aus dem Argonautenmythos: Hylas war der Liebling und Waffenträger des Herakles. Als er in einer besonders frucht­baren Gegend Wasser schöpfen wollte, wurde er von tanzenden Quellnymphen in einen Teich gezogen. Der verzweifelte Herakles verließ die Argonauten, um ihn zu suchen.373 Schon Theokrit (um 270 v. Chr.) und andere verbanden den Argonautenstoff mit dem entstehenden Sarapis-Kult: Herakles wurde bei ihnen mit dem Sonnengott Seth und Hylas mit Osiris (dem Mond) gleichgesetzt.374 Vermittelt durch weitere Bearbeitungen sollte diese hellenistische Synthese auch 366 Drijvers, Dea Syria, S. 254 (zu Palmyra); Hünemörder, (Art.) Adler. 367 Eitrem, Apotheose, S. 28 f. 368 Hübner, Crater Liberi, S. 48 f. (zu Firmicus Maternus); Boll, Offenbarung Johannis, S. 113. 369 Dinzelbacher, Adlersymbolik, S. 188 mit Anm. 3. 370 Dölger, Sol salutis, S. 223–225. 371 Dinzelbacher, Adlersymbolik, S. 190, 198–201. 372 Königs, Der heilige Vitus, S. 561: »Sed et pervenit ad eundem Valerianum, quod ­Beatus Vitus, nobilissimi viri Hylae filius, Jesum Christum Dominum Deum coleret et adoraret. Tunc praeses vocavit patrem eiusdem venerabilis pueri, et dixit ei: Quid est quod audio de filio tuo, qoniam Deum, quem Christiani colunt, adorat? Si vis eum sanum et incolumen habere, ab hac eum stultitia satage revocare«; vgl. ebd., unten: »Haec audiens Valerianus Praeses, sedens pro tribunali, patrem Beati Viti coram omnibus his verbis aggreditur. Jam manifestius, Hylas vir illustrissime, audio, quod filius tuus, illum crucifixum […] tota devotione adorat […]«; und schließlich S.  562: »Tunc Valerianus Beato Vito dixit: Quia nobili genere ortus es, amicitia patris tui hactenus me retinuit, ut in te iussa Principum uti in sacrilegum non explerem.« Für die Übersetzung der Bezeichnung »vir illustrissimus« danke ich Wolfgang Spickermann, Erfurt. 373 Harrauer/Hunger, Lexikon, S. 235 f.; Mauerhofer, Hylas-Mythos, S. 37–54. 374 Ebd., S.  63–66; Merkelbach, Isis regina  – Zeus sarapis, S.  236–238; Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 440–442. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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noch in die orphischen Argonautika des 5. nachchristlichen Jahrhunderts eingehen.375 Die Nymphen, die Hylas in ihr Reich ziehen und dann unter Wasser umsorgen, erinnern zudem an jene Nymphen, die das Dionysos-Kind in einer Quelle baden und dann nähren, so etwa bei Nonnos oder Ovid. Ihr Tanz prägte die spätantiken dionysischen Spiele.376 Der schöne Jüngling mit dem Krug, der im Wasser einer Quelle verschwindet und so unsterblich wird, markiert mythisch die Zyklizität der Vegetation.377 Dieses Motiv des schönen Jünglings mit dem Wasserkrug wurde in der antiken Mythologie auf verschiedene Weise verarbeitet. Am bekanntesten dürfte wohl Ganymed sein, den ein Adler auf den Olymp entführt hatte, damit er dort als Mundschenk der Götter dienen konnte. Auch Dionysos selbst konnte als Knabe mit Becher verbildlicht werden.378 Die ältere astralmythologische Schule wollte Becher, Schalen u. Ä. als sich füllende bzw. sich leerende Gefäße in der Regel mondsymbolisch, seltener auch solar verstanden wissen.379 Die drei­ beinige situla war jedoch auch ein Kultgerät des Isis/Osiris-Kultes,380 der Kelch ein Attribut von Bacchantendarstellungen.381 Der mit dem Nilwasser identifizierte Osiris Kanopos wurde ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. als reliefbedeckter Kessel mit dem Kopf des Osiris dargestellt. Er ist vor allem aus Ägypten und dem italischen Isis-Kult überliefert.382 In dem christlichen Knaben Vitus und seinem heidnischen Vater Hylas stehen sich also der entsagende Begnadete des wahren Gottes und der erotische Liebling des falschen Gottes gegenüber. Wenn Hylas als Osiris für den Sohn des alten Gottes Seth steht, so ist sein Sohn Vitus der Sohn des jungen Gottes – eine christliche Inversion der Zyklizität des solaren Mythos. Vitus also stünde für den Enkel des alten Gottes im Mythos vom ewigen Werden und Vergehen der Sonne – und würde diesen Kreislauf als christlicher Heiliger zugleich ein für allemal durchbrechen und beenden. Die Quellnymphen entführen den Hylas der Argonautensage zwar, sie machen ihn so aber auch unsterblich, erheben ihn über die irdische Welt hinaus. Diese diesseitige Sphäre des Körperlichen heißt in der neoplatonischen Philo­ sophie und Theurgie hyle.383 Die spätantike Gnosis etwa strebte danach, die Seele durch kathartische Akte aus der hyle zu befreien und zum Eintritt in das 375 Mauerhofer, Hylas-Mythos, S. 302–305, zu weiteren Bearbeitungen vgl. ebd. 376 Merkelbach, Hirten, S. 33–47. 377 Roscher, Ausführliches Lexikon, I.2, Sp. 2792–2796; Mauerhofer, Hylas-Mythos, S. 47. 378 Eisler, Mysteriengedanke, S. 181; Boll/Gundel, (Art.) Sternbilder, Sp. 1009 f. 379 Fries, Attribute, S. 19 f., 33; Siecke, Götterattribute, S. 180–183. 380 Merkelbach, Isis regina – Zeus sarapis, S. 510 f. mit Abb. 30–32, S. 615 f. mit Abb. 145 f. 381 Matthews, Clash of Gods, S. 159 mit Abb. 123. 382 Hölbl, Andere ägyptische Gottheiten, S. 167 f. 383 Stäcker, Stellung der Theurgie, S.  150–166; Nasemann, Theurgie und Philosophie, S. 231–282. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Reich des Lichts zu befähigen.384 Neoplatonische, gnostische und christliche Konzeptionen vom Seelenaufstieg entwickelten sich im 3. und 4. Jahrhundert in einem engen Austausch. Jamblichus etwa schmähte die christliche Lehre als niedere Zauberei, der die theurgische Kommunikation mit den »ahylischen« Göttern nicht zugänglich sei.385 Der Knabe Vitus, dem sein Vater und der Kaiser die Verwendung von Magie unterstellen und der doch allein durch die Gnade seines Gottes, nicht durch die vergeblichen Versuche seiner Peiniger, die hyle verlässt, erweist sich auch insofern als geschickte Kontrafaktur nicht nur populärer paganer Mythen, sondern auch komplexer neoplatonischer Philosophie. Zugleich könnte Vitus als Sohn eines die hyle im Namen tragenden Vaters das androgyne Urprinzip bithos der Gnosis zitieren. Als Sohn aus vornehmer römischer Familie hat Vitus einen »papatus« (­Lehrer) namens Modestus und eine Amme namens Crescentia.386 »Modestus«, der Mäßige, Besonnene, markiert dabei den Kontrapunkt zu Hylas, dem Repräsentanten dionysischer Erotik. Zugleich steht er jedoch für ein Ideal, das in den spätantiken orphischen und dionysischen Mysterien eine zentrale Rolle einnahm, diente in ihnen die rituelle Grenzüberschreitung doch gerade zur Erlangung der Einsicht in das Ideal der natürlichen Keuschheit.387 Der hl. Modestus sollte im späteren Mittelalter eine relativ eigenständige Kulttradition ausbilden, so dass er sogar unabhängig von Veit als Patron der Tanzkranken angerufen werden konnte.388 »Crescentia«: die Wachsende, markiert nun zunächst einen im Frühmittelalter häufiger überlieferten Heiligennamen.389 Der Name der Amme erinnert jedoch auch an die Fruchtbarkeits- und Mondgottheiten der Antike. Modestus, Crescentia und Vitus bilden so eine zweite Kontra­ faktur des solaren Mythos von der Heiligen Hochzeit mit Osiris/Dionysos, Isis/ Kybele und ihrem Sohn Horus/Harpokrates. Nicht von ungefähr sollten die drei Hei­ligen in der christlichen Kunst häufiger als typologische Entsprechung der Heiligen Familie aufgefasst werden,390 in der sich der alte Mythos ja ebenso ge­ spiegelt findet. Auffällig ist, dass die Figur der Crescentia in der lukanischen Passio erst im Moment der Folter auf der Streckbank eingeführt wird, jedoch mit dem Hinweis, sie habe ihren Nährsohn bis dorthin immer begleitet. Crescentias Auftritt soll in der vorliegenden Form eigentlich nur noch die Fallhöhe für die Nieder 384 Anrich, Mysterienwesen, S. 92–97. 385 Stäcker, Stellung der Theurgie, S. 164–166. 386 Zu diesem verbreiteten Motiv in Kindermartyrien vgl. Wassyliev, Martyrdom, S. 15, 24 f. 387 Merkelbach, Hirten, S. 127 ff., 157, 165 ff.; zu einer astronomischen Herleitungsmöglichkeit des Namens vgl. unten, Kap. VII.3.8. 388 Meisen, Springprozessionen, S. 170; Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S. 125. 389 Wassyliev, Martyrdom, S. 40, 53 f., 104; Weidemann, Kulturgeschichte, Bd. 2, S. 2, 174. 390 Königs, Der heilige Vitus, S. 62. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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lage des Diokletian erhöhen, der sogar schwache Frauen foltert.391 Impliziert ist hier jedoch, dass Crescentia wie Modestus auch den Gang in den Kerker und die Flucht per Schiff von Sizilien nach Lukanien miterlebt habe. Damit ist die mythische Beschützerinnenrolle der Isis für ihren vom Sonnengott Seth verfolgten Sohn Horus aufgerufen, ebenso die Flucht des Dionysos vor Lykurgos bzw. die Fahrt des Himmelsschiffes mit Isis und Sarapis und eine ganze Reihe von mythischen Schifffahrten aus dem Totenreich bzw. der Unterwelt.392 Die Amme Crescentia musste als Spiegelung der alten Fruchtbarkeits­ gottheiten in der Passio vielleicht stark reduziert werden, da sie sonst kollidiert wäre mit einer zweiten Frauenfigur, deren Name ebenfalls an Vegetations­ mythen und die Heilige Hochzeit erinnert: Die Senatorin (»illustris femina«) Florentina, die mit einem Karren (»basterna«) in den Fluss Siler fährt und zu ertrinken droht, bis ihr Vitus über das Wasser gehend erscheint. Isis/Kybele und verwandte Fruchtbarkeitsgöttinnen wurden oft in Prozessionen auf Wagen sitzend oder stehend verehrt.393 Auf Kybele bzw. die Magna Mater ließe sich eventuell auch der Name des Schauplatzes »Hahnenort« beziehen, nannte man doch die Priester der Kybele galloi. Hier nun muss sie sich zunächst vom christlichen Heiligen aus den Fluten retten lassen, um ihn dann jedoch – nicht wie Isis den von Seth zerstückelten Osiris wieder zusammenzusetzen,394 sondern – christlich zu bestatten. »Die Blühende« als Repräsentantin des Wachstums und des Frühlings findet am Ufer nicht den aufgetauchten Sonnengott, sondern dessen christliche Kontrafaktur, und sorgt durch das Begräbnis für sein ewiges Fortleben.395 Auch hier also reproduziert der Motivtransfer nicht den antiken Mythos, sondern durchbricht und überschreibt ihn. Wie die Rolle des Vaters auf­gespalten ist in Hylas und Modestus, so die der »Mutter«/Geliebten in Crescentia und Florentina. Florentina bildet dabei die Entsprechung zum Senator Hylas, die jedoch durch das Rettungswunder ihres »Sohnes« bekehrt wird und diesen wie Isis bestattet. Die Vitus-Passio spielt so in mehreren Varianten Kontrafakturen des Sarapis/ Isis-Mythos durch. Dies gilt nicht nur für die Namen der Protagonisten, son 391 Ebd., S.  566: »S[anctus] Vitus dixit Imperatori: Ridiculosam et imbecillem ostendis ­virtutem tuam, quia mulierem torquere jubes.« 392 Merkelbach, Isis regina  – Zeus sarapis, S.  18 f., 64–70; Jostes, Sonnenwende, Bd.  1, S.  113 f., 177 ff.; Bd.  2, S.  58, 216; Otto, Dionysos, S.  72 f.; Wenskus, Religion abâtardie, S. ­244–246. 393 Takacs, (Art.) Mater Magna; zur Verehrung der Kybele und des Attis im römischen Paestum vgl. Pedley, Paestum, S. 125. 394 Harrauer/Hunger, Lexikon, S. 253 ff.; Gschößl, Schmelztiegel, S. 83; Vidman, Isis und Osiris; Merkelbach, Isis regina – Zeus sarapis, S. 5–14. 395 Die in den von Jostes postulierten Kreis des profanen Mythos vom Krieger Vitus/Gui gehörende bretonische Legende des hl. Gurguidus, der nach seiner Bekehrung den Namen Tangui (= Feuer-Vitus) annimmt, nennt als seine Eltern einen Galonus und eine Florencia, vgl. Jostes, Sonnenwende, Bd. 1, S. 220 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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dern auch für die vorgeführten Gegenmaßnahmen der Heiden. Wenn der Vater des Vitus seinen Sohn zur Apostasie überreden will, indem er seine Mägde vor ihm tanzen lässt, so liegt die Assoziation zu den Nymphen nahe, die mit ihrem Tanz und ihrer Fruchtbarkeit den Hylas verzaubert und in ihr Reich entführt hatten. Im weiteren Sinn ist der ganze Komplex der kosmischen Reigen aufgerufen, von den dionysischen Mänaden bis zu den tanzenden horae des Kybele/ Attis-Mythos, wie sie etwa in den spätantiken orphischen Hymnen besungen wurden.396 Vitus freilich hat den Beistand des Himmels: Zunächst erscheinen in seiner Kammer zwölf Lichter, Symbole der zwölf Apostel, aber auch der Zwölfteilung des Zodiaks. Und gleich darauf sieht der neugierige Vater sieben Engel um Vitus stehen – christliche Kontrafakturen der Planeten bzw. Sphären, die sich um die Erde drehen.397 Eine Krone von zwölf Sternen trägt in der JohannesApokalypse die Himmelskönigin, die dann einen Sohn gebärt, bevor es zum Kampf mit dem Drachen kommt. Diese Gestalt verweist auf die antike Mythologie um Isis/Artemis, Osiris etc. und präfiguriert zugleich die »Brautschaft des Lammes« und die himmlische Brautschaft der Kirche.398 Hylas mit seinen Versuchen, den Sohn zur Apostasie zu bringen, wird denn auch in der Vitus-Passio einmal ausdrücklich als »jener Drache« bezeichnet.399 Indem der Knabe Vitus, der Sohn des Hylas, die Verbindung mit den Nymphen verweigert, bekennt er sich also zur mystischen Gottesbrautschaft der Christen und reproduziert eine neutestamentliche Konstellation.400 Wie Johannes der Täufer konnte so auch Vitus als neuer Orpheus lesbar werden, als christliches Opfer tanzender Frauen.401 Erneut markiert der Tanz die Grenze zwischen Unglauben und Glauben, wird die Frage der Treue zu Gott in der mythischen Figuration der Heiligen Hochzeit verhandelt. Wie Domitilla und Johannes der Täufer verweigert auch Vitus den Eintritt in den kosmischen Reigen und damit die Apostasie. Und wie diese beiden überwindet er damit das Heidentum und erlangt die Gnade Gottes. Mit der Verführung durch die tanzenden Mägde und dem Besuch durch die zwölf himmlischen Leuchten bzw. sieben Engel ist zugleich wiederum die Doppelstruktur der platonischen mania aufgerufen: Gegen die Störung der gött­ lichen Ordnung im weltlichen Reigen steht hier für den jungfräulichen Knaben 396 Zu diesen vgl. Miller, Measures of Wisdom, S. 303–312. 397 Vgl. Fauth, Helios megistos, S. 7–9, demzufolge schon in den hellenistischen Zauberpapyri die kosmische Zahl Sieben auf die Engel der jüdischen Tradition übertragen wurde. 398 Zimmermann, Geschlechtermetaphorik, S. 453–456. 399 Königs, Der heilige Vitus, S. 562: »Beatus vero Vitus, flectens genua, Dominum deprecabatur, dicens: […] Deus pater dilecti pueri tui Jesu Domini mei, respice in me, et miserere mei, et confirma me in virtute tua: ut non praevaleat draco iste, iniquitatis et malignitatis suae votum perficere in servum tuum […].« 400 Zu den astronomischen Bezügen dieser Episode vgl. unten, Kap. VII.3.8. 401 Vgl. Hausamann, Salome, S. 285. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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die Verheißung der Teilhabe an der jenseitigen Seligkeit. Spirituelle Heilung erlangt Vitus also nicht durch einen irdischen Tanz, sondern durch die Verweigerung desselben. Zudem wird in der Vitus-Passio für die Engel und Lichter keine Bewegungssemantik gebraucht. Das Unheil tanzt, während die Symbole des Heils stillgestellt sind. Der Vater, der beim Anblick der Engel in der Kammer seines Sohnes er­ blindet ist, deutet diese denn auch als polytheistische Götter. Um zu gesunden, opfert Hylas dem Jupiter einen Stier mit goldenen Hörnern – das paradigma­ tische Symbol der Sonnen-und Mondgottheiten.402 Die Passio Viti alludiert hier – in der fragmentierenden Rückschau des 7./8. Jahrhunderts – den ApisStier, der als Kind der Isis mit Horus und Osiris/Sarapis assoziiert wurde,403 den in der Spätantike verbreiteten Kult des Jupiter Dolichenus,404 aber auch das Reinigungs- und Heilungsritual des Tauroboliums, wie es vor allem in den Mithras- und Kybele-Mysterien üblich war.405 Dass der Richter Valerianus den vornehmen Mann zu dieser Gabe anhält, folgt durchaus der Logik der paganen Religiosität. Die sich in der Er­ blindung äußernde Störung der kosmischen Ordnung durch ein öffentliches Opfer wiedergutzumachen entsprach öffentlichem Interesse, für das Valerianus hier steht.406 Auslöser der Störung wäre nach diesem heidnischen Verständnis natürlich der Knabe Vitus selbst. Hylas versucht zunächst, durch die stellvertretende Opferung des Stieres eine Bestrafung seines Sohnes zu vermeiden – umso augenfälliger ist, dass dieses Opfer selbst so vielfältig auf den solar-lunaren Mythenkreis verweist: Der Stier steht letztlich wiederum nur für den »neuen Horus« Vitus selbst  – und das erwartbare Scheitern des Reinigungsopfers dokumentiert einmal mehr die Überlegenheit der christlichen Lehre. Ist Vitus also vielleicht doch der »Stier«, der etymologisch falsch von vitulus (Kalb) ab­ zuleiten wäre?407 Auch bietet Hylas der Göttin Vesta heilige Jungfrauen als Opfer für seine Heilung an.408 Ihren Tempel hüteten sieben (früher sechs) Vestalinnen. Ihr Fest 402 Fries, Attribute, S. 17–19; Fauth, Helios megistos, S. 178 f. (Stier als Tier des Sonnengottes); Otto, Dionysos, S. 153 ff.; Jostes, Sonnenwende, Bd. 1, S. 10, 14, 44, 48–67, 88 f.; Bd.2, S. 17, 155. 403 Hölbl, Andere ägyptische Gottheiten, S. 177–179. 404 Gschößl, Schmelztiegel, S.  22 f., 93–99 (Jupiter Dolichenus, Verknüpfung mit Isis/­ Sarapis-Kult). 405 Duthoy, Taurobolium; Sanders, Kybele und Attis, S. 284–286; Merkelbach, Mithras, S. 130, 145 f., 193–199. 406 Vgl. McMullen, Christianity and Paganism, S. 43 f. 407 Vgl. oben, Kap. VII.3.3. 408 Königs, Der heilige Vitus, S.  563: »Deus invictissime Jovis, si me salvum feceris, ­lumenque oculorum mihi reddideris, victimas innumerabiles offeram tibi, et taurum confla­ tilem cum cornibus aureis, et virgines sacras, dea Vesta, tibi dicabo, cum vestro fuero potitus solatio: sed nullum remedium impetrans, acriori semper augebatur supplicio.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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wurde am 9. Juni begangen, eine Woche vor dem Tag des Vitus-Martyriums.409 Die Leidensgeschichte des christlichen Knaben besetzt also auch einen prominenten heidnischen Kulttermin neu. Nach der Dämonenaustreibung an dem Sohn des Kaisers verspricht Diokletian dem Knaben Teilhabe an seinem Reich – ein Motiv, das in anderen Erzählkontexten oft mit der Verheiratung mit einer Tochter des Herrschers einhergehen sollte.410 Der kaiserliche Christenverfolger der Märtyrerlegende ist als paradigmatische Wiederholung des alten Gottes und Gegenspielers des neuen lesbar – und deshalb ist es sinnvoll, dass die frühen Passiones ihre Heiligen beinahe regelmäßig gegen den Kaiser persönlich antreten lassen. Die Heilige Hochzeit war im spätantiken Wahrnehmungshorizont ja vor allem im Kontext der Kaiser­ ideologie präsent gewesen, und eben auf diese bezogen sich die kurz darauf entstandenen christlichen Legenden invertierend. Entsprechend wird der Kaiser in der Legende auch durchgehend in Rom verortet, nicht etwa an seinen historisch realen Residenzorten wie Mailand oder Spalato (Split). Erneut haben wir hier also eine Brautschafts-Konstellation, die der christliche Protagonist verweigert. Folglich werden Vitus, Modestus und Crescentia in den tiefsten Kerker geworfen und mit schweren Eisenplatten belegt. Typologisch ist damit das Verschwinden von Sonne und Mond in der Unterwelt aufgerufen, nicht nur wegen der folgenden Rettung per Schiff, sondern erst recht, weil die mit Christi Hilfe abgeworfenen Platten an den bedeckenden Schild als Symbol des Himmels und an seine Sprengung erinnern.411 »Den wildesten Bestien will ich sie überlassen, um zu sehen, ob ihr Christus sie aus meinen Händen befreien kann«,412 so denkt der Kaiser daraufhin. Die Christen den Raubtieren vorzuwerfen ist also nicht nur eine dem Bedürfnis nach grausamen Spielen entsprechende Zirkusvorführung. Es ist eine religiöse Machtprobe, und als solche wird die Szene von den Zuschauermassen der Vitus-Passio zufolge auch verstanden. Vitus selbst ist nun zum Opfer geworden, das den Göttern gebracht werden soll – und in diesem Sinn ist aus der Sicht der Hagiographie die Hinrichtung ein kultischer Akt. Der Löwe, der auf die Christen losgelassen wird, ist nicht nur ein gefährliches Tier, sondern ein Symbol für die konkurrierende Gottheit.413 Das Sternbild Löwe wurde in der spätantiken Astronomie mit Dionysos und Sol assoziiert.414 Im Mithras-Kult markierte 409 Phillips, (Art.) Vesta. 410 Eitrem, Apotheose, S.  12; zu einer späteren Aufnahme dieses Motivs vgl. unten, Kap. VII.4. 411 Fries, Attribute, S. 12 f.; Jostes, Sonnenwende, Bd. 1, S. 67; Bd. 2, S. 127, 136, 357. 412 Königs, Der heilige Vitus, S. 565: »Bestiis ferocissimis tradam eos, ut videam, si Christus eorum possit liberare eos de manibus meis.« 413 Vgl. allg. Fischer/Hünemörder, (Art.) Löwe. 414 Hübner, Crater Liberi, S. 50 f.; Dodds (Hg.), Euripides, Bacchae, S. xviii; Jostes, Sonnenwende, Bd. 1, S. 236. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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der Löwe den vierten von sieben Weihegraden.415 Auch begleitete er als heiliges Tier Herakles und Kybele/Astarte.416 Sinnbildlich stand der Löwe für das Feuer und für die Sonne.417 Wenn nun in der Märtyrerlegende dieses Symboltier unter den Kreuzzeichen des Knaben zahm wird, so markiert dies einen besonderen Triumph des christlichen Glaubens: Die göttlichen Bestien werden zu Tieren entzaubert, die wie jedes andere Geschöpf dem Willen Gottes unterworfen sind. Der Knabe Vitus gewinnt hier – so die Darstellungsabsicht seiner Passio – nicht nur einen spirituellen Agon, sondern entzaubert zugleich auch die Natur. Alttestamentliche Vorlage für diese Szene war wohl die Geschichte von Daniel in der Löwengrube (Dan 6,2–29). Der gebildete Leser könnte freilich auch an Lukians Göttergespräch »Attis und Cybele« gedacht haben: Venus schilt da ihren Sohn Amor, weil er immer wieder den Götterhimmel durcheinanderbringe und nun sogar Rhea/Kybele dazu gebracht habe, sich in Attis zu verlieben. So habe er die wilde Raserei der Korybanten auf dem Berg Ida ausgelöst und werde sicher der Rache der Göttin und ihrer Löwen zum Opfer fallen. Amor jedoch antwortet kühl: »Beruhige dich, liebe Mutter, die Löwen werden mir nichts tun; wir sind schon ganz gute Freunde; sie lassen mich willig auf ihren Rücken steigen und sich am Zügel von mir führen, wohin ich will: sie liebkosen mich sogar und lecken mir die Hand, wenn ich sie ihnen in den Rachen stecke, ohne Schaden.«418

Venus antwortet ihrem Sohn, was wohl auch Diokletian zu dem heiligen Knaben Vitus hätte sagen können: »Du bist ein abscheulicher Junge, es ist gar kein Auskommen mit dir.« Schließlich werden Vitus, Modestus und Crescentia auf Befehl des Kaisers auf der »catasta« zerrissen. Die Passio führt gerade hier die Figur der Crescentia ein und lässt den Vitus die Feigheit Diokletians, der sich nicht scheue, Frauen zu foltern, beklagen. Damit ist um des polemischen Effekts willen die Kontra­ faktur des Isis/Osiris/Horus-Mythos durchbrochen, in der Seth/der alte Gott den ­Osiris zerstückelt, den Isis dann wie die erwähnte Florentina wieder zusammensetzt. Da die orphischen und dionysischen Mysterien der Spätantike das Motiv der Zerreißung jedoch in einer Vielfalt von Formen kannten, dürfte die Anspielung weiter verständlich geblieben sein. Bei christlichen Polemikern wie Clemens von Alexandrien jedenfalls war das Motiv des mänadischen sparagmos prägend. Er beschreibt in seinem Protrepticus als Beweis für die kannibalische Verwerflichkeit der bacchantischen Mysterien ausführlich, wie nach 415 Merkelbach, Mithras, S. 100–109. 416 Jostes, Sonnenwende, Bd.  1, S.  16; Bd.  2, S.  495 (Herakles); Bd.  1, S.  142 f., 162, 165 (­Astarte). 417 Fauth, Helios megistos, S. 27 f, 31. 418 Wieland (Hg.), Lukian, Attis und Cybele, S. 291. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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heid­nischem Glauben die Titanen den jungen Dionysos zerreißen und dann in Wasser kochen.419 Die Titanen können das Kind erst ergreifen, als die Korybanten ihren Reigen an der Höhle, in der es versteckt ist, unterbrochen haben. Auch insofern ist Vitus, der den Tanz verweigert und deshalb zerrissen wird, eine Kontrafaktur des Dionysos-Kindes. Diese Zerfleischung jedenfalls löst wie die Kreuzigung Christi eine Kata­ strophe aus, die Tempel und Idole einstürzen lässt. Wie der »Brüller« Dionysos lässt der Knabe Vitus mit Gottes Hilfe die Erde beben, und treibt den Kaiser – in der Rolle des ob der Niederlage zerknirschten Teufels – in die Flucht.420 Statt die kosmische Ordnung durch die Bestrafung der Opferverweigerer wiederherzustellen, gefährdet die Folter der Heiligen also den Bestand der Welt. In der Passio Viti ist hier nun die Reihenfolge umgedreht: Vitus wird erst zerfleischt, nachdem das Kochen im Ofen gescheitert ist. Die Passio ruft hier einerseits deutlich das alttestamentliche Vorbild der drei Jünglinge im Feuerofen auf. Andererseits ist mit den Flüssigkeiten, in denen der Knabe gekocht werden soll, die Vorstellung eines Kessels impliziert. In einem solchen hatte auch der alte Gott Seth im hellenistischen Mythos den Osiris mit Blei über­ gossen.421 Ebenso wurde Dioynsos/Bacchus im Weinfass bzw. Mischkrug dargestellt.422 Im antiken Symposium diente der krater, der Mischkrug, zum Anrichten des Weines. Der von den Titanen gekochte Dionysos symbolisierte die wunderbare Verwandlung von Trauben in Wein, wie beim Symposium im krater der Wein mit Wasser gemischt wurde. Der Mischkrug stand damit für die elementare Verwandlung der Sonnenkraft in Fruchtbarkeit.423 Der krater war daher auch das zentrale Objekt der dionysischen Mysterien.424 In den Dionysiaka des Nonnos von Pannopolis (5. Jh. n. Chr.) schenkt Aphrodite dem Dionysos einen krater, den Hephaistios geschmiedet hatte. Ebenso tauscht Dionysos mit dem Herakles Astrochiton (= »mit dem Sternenmantel«) von Tyros einen Mischkrug gegen einen Himmelsmantel.425 Schon bei Platon und noch im spätantiken Mithras-Mysterium galt der Mischkrug als Ort der Vermengung von Sterblichem und Unsterblichem, der Verwandlung der Seelensubstanz.426 Gno 419 Merkelbach, Hirten, S. 120; vgl. ebd., S. 130; Eisler, Mysteriengedanke, S. 232; Wössner, Göttertanz, S. 77 f. 420 Zum Erdbebengott Dionysos vgl. Rouget, Music and Trance, S. 207; zum Kaiser/Teufel vgl. oben, Kap. V.2.2. 421 Jostes, Sonnenwende, Bd. 2, S. 446. 422 Ebd., S. 7–9, 82. 423 Fauth, Helios megistos, S. 166. 424 Merkelbach, Hirten, S.  108 f., 615 f. mit Abb. 145 f.; ebenso im Sabazios-Kult: Fellmann, Sabazios-Kult. 425 Otto, Dionysos S. 55; Fauth, Helios megistos, S. 165 f. 426 Merkelbach, Mithras, S. 227–234; Hübner, Crater Liberi, S. 41 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sis und Hermetismus schließlich entwickelten aus diesem Vorstellungskomplex das Motiv der kathartischen Taufe im krater: Wie die sakramentale Wandlung des Weines das Mysterium des Lichts abbildete, sollte auch die Erneuerung des Menschen in einem krater stattfinden.427 Negativ konnotiert lebte der sakrale Mischkrug des paganen Rituals in den Heiligenviten des Jonas von Bobbio (600–659) weiter: Sowohl Columban als auch Vedastus ließen demnach mit Bier gefüllte Kessel, über denen man heidnische Segen gesprochen hatte, durch Kreuzzeichen zerspringen.428 Auch die Vitus-Passio dementiert diese sakrale Funktion des kraters: Vitus als Sohn des ­Herakles-Lieblings Hylas bildet auch insofern eine christliche Kontrafaktur des Dionysos, als er vom Kaiser (in der Rolle des alten Sonnengottes) im Kessel gekocht wird, sich dort jedoch nicht wie das in den Trauben gespeicherte Sonnenlicht in Wein wandelt. Er bleibt sich gleich, sein Fleisch bleibt makellos und weiß wie Schnee.429 Denn erlöst wird er nicht im dionysischen Ritual, sondern in der Taufe. Nicht von ungefähr erinnert die mittelalterliche Ikonographie der Taufe an das Motiv des Menschen im Kessel, wie es etwa auch bei Johannes dem Evangelisten ausgeprägt ist: Der Täufling ist dabei oft im Taufbecken sitzend bzw. aus diesem hervorgehend gezeigt – ein Symbol der Wiedergeburt.430 Verwandte Vorstellungen vom Kessel als Ort der Verwandlung mögen noch einfließen, wenn im christlichen Mittelalter Besessene für den Exorzismus in Bottiche voller Weihwasser gesetzt wurden.431 Wenn der diabolische Diokletian also zu dem im Kessel sitzenden Knaben sagt: »So sehe ich, ob Dein Gott Dich aus meinen Händen befreien kann«, dann spielt die Passio damit direkt auf die Taufe als Lösung der Seele aus den Händen des Teufels an. Schon im Kerker hatte Vitus an die drei Jünglinge im Feuerofen (Dan ­3,1–97) erinnert. Sie hatten sich geweigert, ein von Nebukadnezar errichtetes Götzenbild zu verehren und waren zur Strafe in einen Feuerofen geworfen worden. Dort wurden sie von einem Engel beschützt und sangen ein Loblied, bis der König sie herausholen ließ. Darauf ist wohl auch der Psalm (17,3) zu beziehen, den Vitus rezitiert, als er unverletzt aus dem Kessel steigt: »Du hast mich geprüft, Herr, wie Gold im Feuer hast Du mich untersucht, und keine Unregelmäßigkeit gefunden.« Damit ist das alttestamentliche Vorbild für diese Episode der Passio überdeutlich markiert.432

427 Festugière, Baptême dans le cratère. 428 Zeddies, Religio, S. 318–320; Meriaux, Gallia irradiata, S. 47. 429 Königs, Der heilige Vitus, S. 566: »Et exiliens B[eatus] Vitus de clibano nullam maculam habebat in corpore, sed refulgebat caro ejus tamquam nix […].« 430 Mielke, (Art.) Taufe, Taufszenen. 431 Franz, Benediktionen, Bd. 2, S. 550 f., 555 f., 565, 571. 432 Vgl. Königs, Der heilige Vitus, S. 34 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Die Vulgata verwendete als Vorlage für das Buch Daniel nicht die Septuaginta, sondern eine eigenständige jüdisch-griechische Übersetzung aus dem Hebräisch-Aramäischen, das sogenannte Theodotion.433 Bis zum 18. Jahrhundert hatte das Buch Daniel im Vers 3,24 daher eine Ergänzung: »Und sie gingen in der Mitte der Flammen umher, Gott lobsingend und den Herrn preisend.«434 Der in der Vulgata nicht überlieferte, aber als Apokryphe in der frühen Kirche vielfach herangezogene Lobgesang der drei jungen Männer (Dan 3,51–90) erweist sich dabei als Hymnus auf den von Gott geschaffenen Kosmos. Schon Theodoret von Cyrus († ca. 466) schloss daraus, die Jünglinge hätten im Feuerofen wie die himmlischen Sphären im Reigen um den Höchsten getanzt. Dieser Reigen der Jünglinge im Feuerofen wurde zu einem Typus für die Welt, aus deren Gefahren die Gläubigen am Jüngsten Tag befreit werden würden.435 Das apokryphe (jedoch in der griechischen Kirche bis heute rezipierte)  4.  Mak­ kabäer-Buch (4 Makk 14,6–8) nahm diesen Reigen im Feuerofen zum Vorbild für die sieben makkabäischen Jünglinge, die unter der Folter bis zum Tod tanzten und so das himmlische Leben erlangten. Gregor von Nazianz und andere griechische und lateinische Kirchenväter deuteten auch diese Episode als eschatologische Allegorie.436 Entspechend stellt eine Buchmalerei des 12. Jahrhunderts die von den drei Jünglingen verweigerte Anbetung des Götzenbildes als Reigen von Akrobaten dar und stellt sie der sakralen Musik der Kirche gegenüber.437 Der Gauklertanz wird so zum Inbegriff des paganen Bilderkultes, und Vitus landet wie die drei Jünglinge im Feuerofen, weil er sich diesem verweigert. Wie diese jedoch hat er im Martyrium zugleich schon Anteil am jenseitigen Reigen. Der Feuerofen wird so zum Durchgangsraum, in dem sich irdische Gefährdungen und himmlische Verheißungen überschneiden. Ebenso ruft Vitus vor der Kessel-Szene die biblische Susanna in Erinnerung: Sie war Opfer eines Komplotts zweier ungerechter Richter geworden, die ihr bei ihrem Bad im Garten nachgestellt hatten (Dan 13). Hier sollte wohl auf das »Bad« des Vitus angespielt werden. Vielleicht war ihre keusche Ver­ weigerung gegen die sexuelle Erpressung der Alten auch als eine weitere Verweigerung der Heiligen Hochzeit lesbar. Gerettet hatte die biblische Susanna ein Jüngling namens Daniel. Der Verfasser der Passio bezog seine biblische Typo­logie also offenbar bevorzugt aus dem Prophetenbuch Daniel und seinen apokryphen Erweiterungen. Allerdings kennt der Heiligenkalender auch die Märtyrerin Susanna von Rom, die sich geweigert hatte, den Sohn des Dio­k letian 433 Kraus/Karrer (Hg.), Septuaginta deutsch, S. 1416. 434 Weber/Gryson (Hg.), Vulgata: »Et ambulabant in medio flammae laudantes Deum et benedicentes Domino.« 435 Miller, Measures of Wisdom, S. 370 f. 436 Ebd., S. 373, 394 f. 437 Chailley, Danse religieuse, S. 374 (Tafel), dazu ebd., S. 370. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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zu heiraten und daher angeblich im gleichen Jahr wie Vitus (304) hingerichtet worden sein soll.438 Vitus im »clibanum« synthetisiert demnach zwei kosmologische Erzählungen: Den paganen Mythos von der Zerstückelung und Verwandlung des Dionysos einerseits und den alttestamentlichen Reigen der Jünglinge im Feuerofen der Welt, der sie unversehrt ins ewige Leben bringt. Die Zyklizität des Fruchtbarkeitsmythos wird erneut überschrieben mit der linearen Determiniertheit der Heilsgeschichte: Nicht in der Heiligen Hochzeit erneuert sich die Welt, sondern im Martyrium als Zugang zu Gott. Einmal mehr markiert in der Wahrnehmung der frühmittelalterlichen Kirche ein Reigen den Übergang zwischen Unheil (Welt bzw. Feuer) und Heil (Unversehrtheit bzw. Himmelreich). Das im Wirkungsbereich der griechischen Christianität entwickelte Vitus-Martyrium aktualisiert diese exegetische Tradition und vermittelt sie ins Mittelalter. Der kosmische Reigen konnte sich daher gerade am Bild des Knaben Veit im Kessel festmachen, weil Mischkrug und Feuerofen genau jenen liminalen Raum bezeichnen, in dem auch der Tanz auf der Schwelle seinen Platz hat. Vitus wurde nach dem Transfer von Sizilien nach Lukanien im späten 6. oder 7.  Jahrhundert also mit einer sehr elaborierten Leidensgschichte ausgestattet, in der eine Vielfalt von Motiven und Erzähltraditionen aus der paganen und ­biblischen Astralmythologie gespiegelt werden. Insbesondere die Mythen von Isis, Osiris und Horus und der orphisch-dionysische Kreis boten verschiedene Anschlussmöglichkeiten für eine christliche Überschreibung. Wie Eligius von Noyon im gleichen Zeithorizont wurde Vitus so zu einem genuin anti-solar­ mythischen Heiligen – der freilich genau deshalb so viele mythologische Züge aufnehmen und weiter tragen konnte.439

VII.3.6 Wege der Neutralisierung: Die Vitus-Passio im hagiographischen Kontext Die Vitus-Legende, wie sie im 7.  Jahrhundert in Lukanien formuliert wurde, weist verschiedene Parallelen mit den Leidensgeschichten anderer Heiliger auf. Wie Vitus wurde auch die hl. Perpetua von ihrem eigenen Vater verfolgt.440 Und auch dem Folterer des Prokopius erlahmten die Arme.441 Die hl. Marciana hatte wie Vitus den Löwen in der Arena gezähmt – vermittels ihres spezifisch hei­ligen 438 Clauss, (Art.) Susanna. 439 Die dionysischen Aspekte der Vitus-Figur sieht schon Eisler, Mysteriengedanke, Kommentar zu Tafel XVI (Nachtrag zu S. 232). 440 AA SS, Martii VII, S. 633–638; BHL 6633; sie wohl gemeint bei Wassyliev, Martyrdom, S. 25. 441 AA SS, Iulii II, S. 556–576; vgl. Delehaye, Hagiographische Legende, S. 132. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Märtyrergeruchs.442 Und nicht nur Johannes der Evangelist, sondern auch die hl. Fausta wurde in einem Kessel mit Blei gekocht.443 Ebenfalls unter die Vierzehn Nothelfer wurde später der hl. Cyriakus gezählt, der wie Vitus um 305 das Martyrium erlitten haben soll. Auch sein Name weist in den griechischen Sprachraum. Auch er heilte ein Kind des Kaisers Diokletian von der Besessenheit, freilich eine Tochter.444 Der paradigmatische Verfolger, dessen eigenes Kind als Folge seiner Gottesferne durch Besessenheit gestraft wird und an dem der christliche Heilige die Gnade Gottes vorführt, war offenbar ein gut funk­ tionierendes Stereotyp der frühmittelalterlichen Hagiographie. In diesem Fall revanchiert sich Diokletian, indem er Cyriakus nicht nur verschont, sondern ihm auch ein Haus für eine Kirche zur Verfügung stellt. Erst unter dem Nachfolger Maxentius lässt seine Vita ihn dann sterben. Auch hier bietet die Vitus-Legende also eine Leistungssteigerung. Der heilige Knabe steht mit seiner Spiegelung solarmythologischer Züge demnach in der frühmittelalterlichen italienischen Hagiographie nicht allein. Er kombiniert sie jedoch in einer auffäl­ ligen Fülle und steigert sie so zu einer elaborierten Gegenerzählung. Eindeutig ausgestochen wird dieser athleta Christi jedoch durch den hl. Potitus.445 Auch sein Vater heißt Hylas, und auch dieser will seinen Sohn zur Apostasie überreden, wie ihm der Kaiser befohlen hat. In einem längeren Dialog kann der dreizehnjährige Knabe seinen Vater überzeugen und wird danach durch eine Wolke an einen Ort namens Ephirus gebracht. Da erscheint ihm der Satan, um ihn zu versuchen. Potitus jedoch ist zuvor von einem Engel gewarnt worden. So ist es ihm ein Leichtes, den Teufel vermittels des Kreuzzeichens abzuwehren. Wie der Kaiser in der Passio Viti beklagt nun der Teufel, von einem Kind überwunden worden zu sein. Er hält sich schadlos, indem er in die Tochter des Kaisers, hier Antoninus Pius (86–161, Ks. ab 138), fährt und Besitz von ihr ergreift. Dann verkündet er durch den Mund der Besessenen, dass nur P ­ otitus ihn austreiben könne. Als Soldaten den Knaben holen wollen, um sie zu exorzieren, schützen ihn die wilden Tiere. Der Heilige befiehlt ihnen, sich zurückzuziehen, und lässt sich in den Palast bringen. Die Austreibung des Teufels in Gestalt eines Drachens erregt unter den Umstehenden großes Aufsehen. Nach einem längeren lehrhaften Dialog wirft der Kaiser ihm vor, ein Magier zu sein, und fordert ihn auf, den Göttern zu opfern. Potitus wird gefoltert und lacht darüber. Dann lässt er sich vom Kaiser dessen Götter zeigen, natürlich nur, um die Standbilder demonstrativ zu Boden zu werfen.446 Aus dem Kerker mit den 442 Ebd., S. 80. 443 Fries, Attribute, S. 33 f. 444 Boberg, (Art.) Cyriakus; nach Königs, Der heilige Vitus, S. 12, 16, heilte er die Tochter des Perserkönigs Sapor von Krämpfen; zur Heilung des Kaiserkindes als Motiv der Hagio­ graphie vgl. auch ebd., S. 11 f. 445 AA SS, Ian. I, XIII. Ianuarii, S. 754–757. 446 Zum Motiv des Märtyrers als Idolzerstörer vgl. Zeddies, Religio, S. 311–317. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Eisengewichten, hier immerhin 120 Pfund, befreit ihn ein Engel. Sodann wird Potitus in die Arena gebracht. Auch Antoninus Pius fragt: »›Wo siehst Du Dich? Da sagte Sankt Potitus: ›Ich sehe mich auf meines Gottes Erde stehen.‹ Darauf sagte der Kaiser: ›Siehe, heute wird dein Untergang kommen. Wer ist der Gott, der dich aus meinen Händen befreit?‹«447

Vor 30.000 Zuschauern jedoch zeigt sich Potitus allen erdenklichen Qualen gewachsen und bekehrt so 2.000 Menschen. Daraufhin befiehlt der Kaiser, ihn in einer Pfanne in Öl zu braten und zudem mit flüssigem Blei zu übergießen: »Er aber forderte sie auf, mehr hineinzugießen, denn ihm sei sehr kalt.«448 Als Nächstes lässt Antoninus Pius dem Knaben einen Dorn (»acutum«) durch den Kopf abwärts treiben. Potitus ruft Gott um Hilfe an, und schon erscheint wiederum der Engel, um den Dorn in das Haupt des Kaiser zu bohren. Potitus befreit diesen, als sich dessen Tochter von ihm taufen lässt.449 Der Im­ perator freilich bedankt sich wiederum bei den falschen Göttern für die Heilung. Er lässt Potitus die Augen ausstechen und die Zunge ausreißen, was den Heiligen freilich nicht vom Predigen abhält. Damit hat er nun hinlänglich seine Unüberwindlichkeit bewiesen und kann beruhigt das ersehnte Martyrium antreten: »Da sprach Sankt Potitus: ›Du wirst mich nicht überwinden, nichtsnutzigster Imperator, wenn Du mir nicht mit dem Schwert den Kopf abtrennst.‹ Da befahl der Kaiser von Freude erfüllt, ihn zu köpfen. Und als sie den heiligen Potitus zur Hinrichtung führten, sagte er: ›Ich bitte Dich, Imperator, dass Du befiehlst, mich da zu köpfen, wo ich wünsche.‹«450

Dies wird ihm gestattet, und so kann der Heilige dafür sorgen, dass er in ­Apulien, an einen Ort namens Milianus das Martyrium erleidet. Wie Vitus wird er dort nach drei Tagen bestattet. Bei alledem werden die Dialoge zwischen dem heiligen Kind und den Heiden noch weiter betont. Teils über längere Passagen wortgleich mit der VitusPassio wird das Bild des Kindes, dass mit Gottes Hilfe Teufel und Kaiser besiegt und Zeugnis vom rechten Glauben ablegt, weiter ausgearbeitet. Die Folterun 447 AA SS, Ian. I, XIII. Ianuarii, S. 757: »Tunc Imperator dixit: Vbi te vides? S. Potitus ­dixit: Video me in terra Domini mei stare. Imperator dixit: Ecce hodie interitus tuus erit; & quis est Deus, qui eripiat te de manibus meis?« 448 Ebd.: »Ipse autem confortabat vt adiungerent amplius, quia magnum refrigerium in corpore suo sentiebat.« 449 Leon Battista Alberti sollte um 1430 in seiner Vita Sancti Potiti dieses acutum zu einem »dolor capitis« umdeuten; vgl. Grayson (Hg.), Alberti, Opuscula inediti, S. 84 f. 450 AA SS, Ian. I, XIII. Ianuarii, S. 757: »Tunc S. Potitus dixit: Non me poteris superare, nequissime Imperator, nisi gladio caput meum amputare. Sic Imperator gaudio repletus iussit eum decollari. Et dum duceretur ad decollandum S. Potitus, dixit: Deprecor te Imperator, vt vbi petiero, ibi me tu iubeas decollari. Quod permissum est a principe.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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gen sind der Überbietungslogik folgend weiter gesteigert. Demgegenüber sind die anti-mythologischen bzw. anti-kosmologischen Züge zurückgenommen. Der hl. Potitus bietet so quasi eine bereinigte Version des hl. Vitus. Was an dessen Passio einen späteren Leser irritieren konnte, weil er die mythologischen Allusionen nicht mehr verstand – oder weil diese ihm theologisch nicht mehr orthodox erschienen –, ist ausgelassen. Der diskursive Charakter des Geschehens hingegen ist betont. Die Vita des hl. Potitus ist nicht vor dem 9. Jahrhundert nachweisbar. Erst im Martyrologium Romanum wird er als sardinischer Heiliger erwähnt.451 Verehrt wurde er später vor allem in Neapel, Capua und Benevent, aber auch in Pisa. So markiert Potitus eine historisch und lokal spezifische Situation, in der die Figur des heiligen Kindes nicht mehr als Auseinandersetzung mit der paganen Mythologie und Kosmologie gezeichnet werden konnte. Der Anti-Mythos wird neutralisiert. Stattdessen werden die Folterqualen weiter gesteigert, und der paränetische Charakter der Vita wird erhöht – ein Aspekt, der in der späteren Rezeption der Veits-Legende eher verlorengehen sollte. Mit den Vitus-Reliquien wurde die lukanische Passio ab dem späten 8. Jahrhundert auch nördlich der Alpen bekannt. Auf sie griff auch Widukind von Corvey zurück, als er für die Kaisertochter und Äbtissin Mathilde von Quedlinburg die Res gestae Saxonicae schrieb. Seine Zusammenfassung der lukanischen Passio dient, wie erwähnt, dem vergeblichen Versuch, der Ottonen-Prinzessin den importierten Heiligen als neuen Hausheiligen der Dynastie anzudienen.452 Dabei reduziert Widukind die Erzählung auf das Gerüst der Handlung. Die Feuer-Episode findet ausdrücklich in einem »clibanum« statt. Ein Kessel o. Ä. wird nicht erwähnt. Ebenso lässt Widukind alle anderen Bestandteile aus, die unmittelbar auf Tanz oder astrale Bezüge schließen ließen, etwa den verführerischen Reigen der Mägde, aber auch die den eingeschlossenen Vitus unter­ stützenden sieben Engel und zwölf Leuchten. Stattdessen ist nur von einem »Überfluss an Genüssen« in der Kammer die Rede, der durch das Türloch spähende Vater will dann aber doch »gewisse Heimlichkeiten« ausspionieren.453 Aus dem astralen Reigen macht Widukind also eine wohl sexuell gemeinte Versuchung, die er jedoch gegenüber der Klosterfrau wiederum nicht als solche benennen will. Der Vater wird nicht etwa vom überirdischen Lichtschein in 451 del Ré, (Art.) Potito; AA SS, Propylaeum Decembris, darin: Martyrologium Romanum, S. 18 f.; BHL 6908–6912; Wassyliev, Martyrdom, S. 26; Königs, Der heilige Vitus, S. 11 f., wollte in ihr hingegen eine Vorlage für die Veits-Passio sehen. 452 Waitz (Hg.), Widukindi Res Gestae Saxoniae, MGH SS, Bd. 3, Liber I, Cap. 34, S. 431 f.; Kessel, St. Veit, S. 156–159 (mit Übers.); vgl. oben, Kap. VII.3.3. 453 Waitz (Hg.), Widukindi Res Gestae Saxoniae, MGH SS, Bd.  3, Liber I, Cap. 34, S. 431: »Videns autem pater, quia tormenta irrisit, domum reduxit, cubiculo omnibus deliciis ­affluenti reclusit. Ibi cum archana quaedam Hylas  – sic enim vocabatur pater eius  – con­ spiceret, caecus efficitur.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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der Kammer geblendet, sondern schlicht als Strafe für seine Neugier und Schaulust. In dieser Form wäre die Legende des Heiligen wohl kaum noch offen gewesen für die Krankheitspatronate, die ihm ab dem 12. Jahrhundert zuwachsen sollten. Vielmehr war Vitus hier ganz auf das Grundmotiv des Kindermärtyrers reduziert. Ab dem Hochmittelalter wurde die Vita vielfach weiterverarbeitet.454 So führt auch Jacobus de Voragine (ca. 1230–1298) Vitus und Modestus in seiner Legenda aurea.455 Spätestens damit waren der Knabe und sein Lehrer (in einer Nebenrolle auch seine Amme)  im Kanon der mittelalterlichen Heiligenver­ ehrung angekommen. Gegenüber der lukanischen Passio kürzt Jacobus die lehrhaften Dialoge stark. Die spezifischen Lokalisierungen fallen aus, ebenso der Name des Vaters. Vitus ist bei ihm nicht mehr sieben, sondern zwölf Jahre alt. Der Vater engagiert zwar »Musiken verschiedener Art, spielende Mädchen und andere Freuden«,456 vom Tanz ist aber nicht mehr ausdrücklich die Rede. Hylas erblindet nicht vom Anblick der Engel, sondern erst, als er diese als Götter bezeichnet. Vor allem aber kennt die Legenda aurea die Episode mit dem Ofen nicht. Auch das Mückenwunder ist nicht mehr erwähnt. Alle anderen Be­ standteile sind enthalten, freilich ist die dramaturgisch ausgefeilte narrative Gestaltung zugunsten einer knappen Berichtsform zurückgenommen. Demgegenüber greift der »Große Seelentrost« wiederum zumindest auch auf die lukanische Passio zurück.457 Auch diese dominikanische Exempelsammlung des 14. Jahrhunderts interessiert sich jedoch nicht mehr für die kateche­ tischen Dialoge der Vorlage. Der Vater ist auch hier nur »ein ryke here van ­Sycilien«, Jupiter nur noch ein »affgod«. Die Arme der Häscher und des Richters verdorren nicht wunderbar, sondern werden schlicht lahm vom Prügeln. Auch hier ist nur von »junckfruwen vnde fruwen vnde mannigerhande seyden­ spel« (Saitenspiel) als Überzeugungsversuch die Rede, nicht von Tanz. An Foltern hat die Exempelsammlung den Ofen, den Löwen und die Streckbank, nicht aber die Eisenplatten im Kerker. Statt eines Erdbebens bringt ein Gewitter die Tempel zum Einsturz. Wie in der frühmittelalterlichen Passio ruft der Kaiser: »O we my, dat yk van eme kinde vorwunnen byn.« Die Örtlichkeiten sind noch weiter in den Hintergrund gerückt. So bringt der Engel die Sterbenden schlicht 454 Königs, Der heilige Vitus, S. 23–29. 455 Maggioni (Hg.), Legenda aurea, S. 529–531; vgl. Königs, Der heilige Vitus, S. 24; zur spätmittelalterlichen Kritik an der Legenda aurea vgl. Schreiner, discrimen veri ac falsi, S. 41 f. 456 Maggioni (Hg.), Legenda aurea, S. 530: »Tunc eum in domum ducens diuersis musicorum generibus et puellarum lusibus aliarumque deliciarum generibus immutare animum ­pueri satagebat.« 457 Schmitt (Hg.), Der Große Seelentrost, 2. Gebot, 28. Exempel, S. 57 f.; dies gegen Andersson-Schmitt, Quellen, S. 23, die die Legenda aurea als Quelle annimmt. Zum »Großen Seelentrost« vgl. oben, Kap. VI.6. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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»by eyn water«. Die Mückenplage fehlt auch hier. Auch die Senatorin Florentina tritt nun nicht mehr auf. All jene Bestandteile also, die die lukanische Passio brauchte, um einen ortsspezifischen Heiligenkult zu installieren bzw. narrativ zu rechtfertigen, fallen aus zugunsten einer universal lesbaren Legende. Andere vielleicht spezifisch frühmittelalterliche Erzählkonventionen und Motive werden dem eigenen Wahrnehmungshorizont angepasst, etwa das Alter des Kindes bei Jacobus de Voragine oder die erlahmenden Arme im »Seelentrost«. Vor allem aber verschwinden sowohl in der Legenda aurea als auch im »Großen Seelentrost« alle Anspielungen auf Sterne und Sonne. Helles Licht geht nun nur noch von den Engeln aus, nicht mehr von den Heiligen. Die Versuchungen, mit denen der Vater seinen Sohn zu überzeugen trachtet, umfassen nur noch Musik und Erotik, nicht mehr ausdrücklich den Tanz. Und auch die kosmologischen Metaphern sind dem Berichtsstil gewichen. Die solarmythologische Kontrafaktur hatte in den Augen der Predigerordens-Gelehrten offenbar ihre Relevanz eingebüßt, und wohl auch ihre Verständlichkeit für das potentielle Publikum. Aufällig ist, dass weder der oberitalienische Dominikaner im 13. noch sein niedersächsischer Ordensbruder im 14.  Jahrhundert Vitus mit dem Solstitium in Verbindung bringen. Diesen Gelehrten und Predigern war die empirisch feststellbare und in der populären Frömmigkeit vielfach reflektierte Verschiebung des Sonnenjahres offenbar kein Anknüpfungspunkt im Zusammenhang der Heiligenverehrung. Sie hätten dafür freilich auch ihre autoritativen Text­vorlagen mit der Alltagspraxis der ländlichen Wirtschaft verkoppeln müssen, was wohl an der Schreibintention ihrer Sammlungen vorbeigegangen wäre. Doch auch diese Überarbeitungen der Vitus-Legende führten nicht all­ gemein zu einer Verdrängung des Tanzmotivs aus der Ikonographie. Denn auch die lukanische Fassung der Vitus-Legende wurde weiter rezipiert.458 Die Episode mit dem Ofen etwa wurde immer wieder abgebildet, ja: der Kessel wurde gerade im oberdeutschen Raum zum bevorzugten Attribut des Heiligen.459 Ebenso taucht der Name des Vaters weiter auf, so im Bilderzyklus der Veits­ kapelle in Stuttgart-Mühlhausen von 1380.460 Und auch der Tanz der Mägde vor dem eingesperrten Knaben gehörte weiter zum Bestand der Vitus-Legende, wie etwa eine der frühesten überlieferten Darstellungen des Heiligen im Krumauer Bildercodex (um 1360) belegt. Der Knabe Vitus sitzt auf einer thronartigen Bank, durch den Nimbus als Heiliger markiert 458 Zur Handschriftenüberlieferung vgl. Königs, Der heilige Vitus, S. 568 ff. 459 Vgl. unten, Kap. VII.3.8. 460 Claviez, Wandmalerei, S. 268: Legende zum ersten Bild des Heiligenlebens: »hie sluge ylas vitu[m] in den ars / arg r [?] vitu[s] nit a[n]b[et] abgot«, dazu unterhalb: »ylas sin vater«; ebd., S. 270: Legende zum Tanz der Mägde: »do wolt ylas vitus zwingen zu tanzen.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 11: Hylas beobachtet den Tanz der Magd und die Erscheinung der Engel vor dem eingesperrten Vitus, Krumauer Bildercodex, um 1360, Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Codex 370, fol. 56 v., Detail.

und die Hände vor der Brust zu einer Demutsgeste verschränkt. Rechts von ihm stehen zwei Musiker, die mit Geige und Psalterium einer Tänzerin aufspielen. Diese ist im langen Gewand gezeigt. Vitus jedoch wendet sich vier Engeln zu, die im Bild links von ihm stehen. Der ihm zunächst Stehende weist ihn mit Zeigefinger der rechten und abwehrend erhobener linker Hand an, den Reigen zu missachten. Ganz links steht an einem kleinen Fenster der Vater und blickt in den Raum mit der beschriebenen Szene. Dem Zeichner war aber etwa die kosmologische Zahl der Engel nicht mehr bekannt oder nicht mehr wichtig: Er reduzierte sie so, dass die Figuren bequem in den Bildraum passten. Diese wohl im böhmischen Minoritenkloster Krumau entstandene erbauliche Sammlung von illustrierten Geschichten aus Bibel und Hagiographie zeigt etwa auch das clibanum nicht als Kessel, sondern als regelrechten Backofen. Im Anschluss an die Vitus-Passio wird hier Johannes der Täufer behandelt – ein auffälliges Zeichen der Affinität der beiden Tanzheiligen.461 Die antikosmologische Stoßrichtung der Vitus-Legende blieb also in den folgenden Jahrhunderten abrufbar, und damit prinzipiell auch die solar- und astral­mythologischen Motivtransfers. Aber wurden sie auch verstanden? Die Überarbeitungen der Vitus-Passio in der Potitus-Legende und erst recht bei Widukind, in der Legenda aurea und im »Großen Seelentrost« zeigen, dass gerade diese Spiegelungen paganer Mythen reduziert oder gar eliminiert werden konnten, um die Heiligenfigur an spätere Rezeptionsbedingungen anzupassen. Da etymologische und onomastische Herleitungen, aber auch narrative Motiv 461 Schmid (Hg.), Krumauer Bildercodex, fol. 56r.–59r. (Vitus); fol. 59v.–61v. (Johannes), vgl. dazu S. 78–80; clibanum: fol. 57v. und 58r.; allg. den Kommentar, ebd., S. 9 (Entstehung und Provenienz), S. 32 f. (Intention und Aufbau). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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transfers nicht notwendig im Wahrnehmungshorizont späterer Zuhörer ver­ ankert waren, gilt es also, Spuren der Rezeption des hl. Vitus seit seiner Translation aus Italien ins Frankenreich und dann nach Sachsen zu suchen.

VII.3.7 Westfalen im 9. bis 11. Jahrhundert: Der Heilige am Sternenhimmel Der Heilige traf hier in der zweiten Hälfte des 8. und ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts auf ebenjenes Milieu königs- und hofnaher Klöster, in dem etwa ein Jahrhundert zuvor auch der Kult des Eligius von Noyon entstanden war. In der Zwischenzeit war das Königtum von den Merowingern auf die Karolinger übergegangen. Deren Religionspolitik freilich stand – uneingestanderermaßen – in der Tradition Dagoberts I., Chlodwigs II. und Balthilds.462 Abt Warin I. von Corvey (um 800–856), der 836 Vitus nach Sachsen holte, war zugleich Abt von Rebais, das 635/37 von Audoinus von Rouen gegründet worden war. Während der translatio hielt sich die sächsische Delegation gut zwei Monate in Rebais auf.463 Warin konnte, so Hedwig Röckelein, im westfränkischen Raum auf ein enges Netz von Klöstern zurückgreifen, die auf die Zeit der iro-fränkischen Reform unter den späteren Merowingern zurückgingen und deren Vernetzung den Herrschaftswechsel zu den Karolingern überdauert hatte.464 Vermittelt wurden die Vitus-Reliquien durch Hilduin von St.-Denis, der 830/31 in Corvey im Exil gelebt hatte. Der Abt von St.-Denis, St.-Germaindes-Prés vor Paris und St.-Médard in Soissons war seit den 820er Jahren der einflussreichste Mann im hofnahen Klosterwesen und Herr über den größten Reliquienschatz des Karolingerreiches.465 Unterwegs erhielten auch die Königsklöster Chelles und Jouarre Reliquien des Heiligen. Der in einer eher peripheren Landkirche liegende italienische Importheilige wurde so in die Zirkulation spiritueller Güter im direkten Umfeld der Karolinger integriert. Man bervorzugte in Sachsen im 8./9. Jahrhundert Märtyrer der spätantiken Verfolgungszeit vor jüngeren galloromanischen oder germanischen Heiligen.466 Vitus wurde zum karolingischen Königsheiligen – eine Aufladung, die noch Widukind von ­Corvey im späten 10. Jahrhundert inspirieren sollte.467 Wie Yitzhak Hen gezeigt hat, spielt die spätmerowingische Klosterpolitik eine Schlüsselrolle für die Formierung der mittelalterlichen westeuropäischen 462 Vgl. oben, Kap. V.3.3. 463 Röckelein, Reliquientranslationen, S. 266–270; Schmale-Ott (Hg.), Translatio, S. 48, 52; van Landschoot, La translation, S. 601 f. 464 Röckelein, Reliquientranslationen, S. 270–273, 280. 465 Ebd., S. 174–176. 466 Ebd., S. 137 f. 467 Ebd., S. 182–189; vgl. oben, Kap. VII.3.3. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Kirche.468 Eines der entscheidenden Zentren dieser Tradition bildete das Kloster Corbie. Als Gründung der Königin Balthild stand es in der direkten Tradition der Religionspolitik, die die Witwe Dagoberts I. mithilfe der Reformkreise um Eligius von Noyon und Audoinus von Rouen verfolgt hatte.469 Später sollte Corbie auch die reichen Bestände der Hofbibliothek Karls des Großen übernehmen und so zu einem Zentrum der Antikenrezeption im Frankenreich werden.470 Ab 815 wurde von hier aus die Gründung eines Tochterklosters im Weser­raum betrieben, die schließlich 822/23 mit der Einrichtung von Nova Corbeia (Corvey) abgeschlossen werden konnte. Protagonisten waren der Abt Adalhard von Corbie (752–826) und sein Vetter Wala (773–836), der erste eigenständige Abt von Corvey, beide gleichermaßen mit den Karolingern wie mit den ­Widonen verwandtschaftlich verbunden.471 Zu Beginn des 9.  Jahrhunderts sollte sich in Corbie besonders der Abt ­Paschasius Radbertus (*ca. 790, resigniert 849) um den Transfer antiken Denkens in die christliche Theologie verdient machen.472 In seiner Expositio in Evangelium Mathaei erklärt Paschasius den Tanz der Salome und Tod Johannes des Täufers unter Rekurs auf Psalm 115, in dem die Götzenbilder der Heiden dem vom Gott Israels geschaffenen Himmel gegenübergestellt werden.473 Er verwendet also eine kosmologische Assoziation, um die Geschichte vom Martyrium des Täufers zu interpretieren. Die kosmischen Sphären wurde gerade in der Negierung der paganen Verehrung materieller Götterbilder zum Imaginationsraum der christlichen Mythologie, womit die Astralmythologie als Fundus für Motive der christlichen Heiligenverehrung neu erschlossen werden konnte. ­Paschasius Radbertus war auch an der Gründung und am Ausbau des sächsischen Tochterklosters beteiligt.474 Jedenfalls erlangten seine Schriften schnell großen Einfluss in Corvey, etwa auf den anonymen Verfasser der Translatio Sancti Viti, wohl einen geborenen Sachsen, der in Corbie ausgebildet worden war.475 468 Vgl oben, Kap. V.3.3. 469 Ewig, Privileg, S. 538. 470 Brunhölzl, Geschichte der lateinischen Literatur, Bd. 1, S. 368 f. 471 Königs, Der heilige Vitus, S.  41 f.; Kasten, Adalhard von Corbie, S.  145–154; zum engen Kontakt Corveys nach Corbie vgl. auch Röckelein, Reliquientranslationen, S. 75 f., 80 f. 472 Appleby, Beautiful on the Cross, S. 1–8; Brunhölzl, Geschichte der lateinischen Literatur, Bd. 1, S. 369–380; zu Paschasius’ Platon-Kenntnissen vgl. Marenbon, Platonism, S. 70; zur Platon-Rezeption in Corvey vgl. ebd., S. 81 f. 473 Paschasii Radberti Expositio in Evangelium Matthaei, PL 120, S. 31–994, hier: S. 514; dazu Hausamann, Salome, S. 182; vgl. Ps 115,4 und 16: »Die Götzen der Völker sind nur Silber und Gold, ein Machwerk von Menschenhand. […] Der Himmel ist der Himmel des Herrn, die Erde aber gab er den Menschen.« 474 Aris, (Art.) Paschasius Radbertus; Brunhölzl, Geschichte der lateinischen Literatur, Bd. 1, S. 370. 475 Schmale-Ott (Hg.), Translatio, S.  9–14; Wiesemeyer, Gründung, S.  248–252; Röckelein, Reliquientranslationen, S. 75, 101; über die Translatio allg. vgl. ebd., S. 100–107, 168–176, 266–280. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Auch der Abt Warin von Corvey war ein Schüler des Paschasius Radbertus. Für die Leidensgeschichte des neuen Heiligen stützte man sich in Corvey auf die lukanische Passio mit ihren vielfältigen kosmologischen Anspielungen.476 In der Vorrede dieses Berichts über die Übertragung des neuen Kloster­ patrons nach Corvey im Jahr 836 greift der Anonymus auf die Vorstellung zurück, dass die Menschen, insbesondere jedoch die Heiligen, nach dem Tod als Sterne an den Himmel versetzt würden, um den lebenden Menschen als Vorbild zu dienen.477 Es ist dies eine Verknüpfung von christlicher Heiligenverehrung und spätantiker Astralmythologie, die sorgfältig an der neoplatonischen Theologie der Kirchenväter orientiert ist: Sonne, Mond und Sterne sind selbst­ verständlich Geschöpfe Gottes. Aber als solche können sie für ihn und seine Heiligen stehen und die unsichtbaren Mächte so für die Gläubigen sichtbar werden lassen. Damit war eine christliche Variante des »Katasterismus« formuliert, der Verstirnung von hervorragenden Menschen nach ihrem Tod. Die Vorstellung, dass die Heiligen nach ihrem Tod als Sterne am Himmel sichtbar würden, geht auf die antike Heroenverehrung und den Kaiserkult des Prinzipats zurück.478 Gregor der Große hatte sie in seinen Moralia in Iob bestätigt.479 Das frühe Christentum lehnte zwar die Astrologie als Ausdruck des Polytheismus strikt ab.480 Die Kirchenväter konnten sich dabei auf eine lange Tradition philosophischer Polemiken gegen die Idee der heimarmene, der das menschliche Geschick lenkenden Kraft der Sterne, stützen. Nichtsdesto­weniger konsultierten auch Christen die Astrologie. Viele prominente Theologen wie Firmicus Maternus, Augustinus oder Cyprianus waren vor ihrer Konversion Anhänger der Sterndeutung gewesen.481 Insbesondere die Johannes-Apokalypse mit ihren vielfältigen astralmythologischen Bezügen bot denn auch Anknüpfungspunkte für eine Christianisierung des Sternenhimmels.482 Aus dem Kaiserzeremoniell übernahm das Christentum die architektonisch-bildliche Form des Himmelsgewölbes, die weite Spielräume für astrale Darstellungen eröffnete.483 Immer wieder versuchten spätantike und mittelalterliche Theologen und Maler, die Zeichen des Zodiaks auf die Apostel und die Sternbilder 476 Königs, Der heilige Vitus, S. 71 f., der freilich auch Sondergut annimmt; Röckelein, Reliquientranslationen, S. 104, 176. 477 Schmale-Ott (Hg.), Translatio, S. 30; vgl. oben, Kap. V.3.3. 478 Gundel, Sterne und Sternbilder, S. 109, 112 f., 115–117, 120–122; Schröder, Germanentum und Hellenismus, S. 30–37; Eitrem, Apotheose, S. 18 mit Anm. 3. Zu Katasterismus und Apotheose im Kaiserzeremoniell vgl. aktuell Bechtold, Gott und Gestirn. 479 Gundel, Sterne und Sternbilder, S. 122. 480 Matthews, Clash of Gods, 149 f. 481 Gundel/Gundel, Astrologumena, S. 332–339. 482 Gunkel, Zum religionsgeschichtlichen Verständnis, S.  39–44, 56–64; Boll, Offen­ barung, bes. S. 13 f., 48, 114–119. 483 Matthews, Clash of Gods, S. 144–150. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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auf Heilige umzudeuten.484 So wurden die Apostelfürsten Petrus und Paulus seit dem 3. Jahrhundert und bis weit ins Mittelalter als nova sidera an die Stelle der Dioskuren Castor und Pollux gesetzt.485 Bis ins 5.  Jahrhundert sah man die christlichen Kaiser nach ihrem Tod selbstverständlich als Sternbild an den Himmel versetzt.486 Der hl. Veit hatte also schon längst den Sternenhimmel erreicht, als seine irdischen Überreste in Corvey eintrafen, und diesen Stern feierten die Leute bei seinem adventus: »In dieser selben Menge von sowohl unterwürfig als auch demütig Zusammen­ gekommenen war kein hässliches Wort zu vernehmen, nichts Unernstes oder Absonderliches zu erkennen, sondern Tag und Nacht wurde Gott Lob und Dank gesagt. Immerfort hatten sie das ›Kyrie eleison‹ auf den Lippen, sogar die ganze Nacht getrennte Reigen von Männern und Frauen rund um die Kirche ausführend, ohne Störung und ohne Unterlass die Vigil feiernd und immerfort das ›Kyrie eleison‹ singend.«487

In ununterbrochenen Reigen begrüßten populus und clerus den Heiligen an seiner neuen Wirkungsstätte, und tanzend stellten sie die Verbindung her zwischen ihrer ecclesia (dem Gebäude wie der Gemeinschaft) und der kosmischen ecclesia mit Gott als der wahren Sonne, den Heiligen als den Sternen und den Gläubigen in der Dunkelheit der Welt. Männer und Frauen in getrennten Reigen erinnern dabei an die Mimesis des platonischen Kosmos etwa im Ritual der 484 Boll/Gundel, (Art.) Sternbilder/Sternglauben, Sp.  1045 f.; Gundel, Sterne und Sternbilder, S. 77 f.; vgl. jedoch Delehaye, Hagiographische Legende, S. 189 f., der die Benennung von Sternen nach Heiligen allein auf die Termine des Sternaufgangs im Kirchenjahr zurückführen wollte. Ohne Zweifel macht die Assoziation mit Sternbildern die Heiligen nicht zu »verkappte[n]« heidnischen Göttern. Wohl aber spricht sie für die Übertragung von rituellmythologischen Funktionen und Motiven von Letzteren auf Erstere. 485 Diefenbach, Römische Erinnerungsräume, S. 308–319. 486 Rebenich, Vom 13. Apostel, S. 219. 487 Schmale-Ott (Hg.), Translatio, S. 62: »Inter ipsam denique multitudinem tam devotissime et humiliter concurrentium nullum ibi verbum turpe auditur, nullus iocus aut scurrilitas invenitur, sed die noctuque Deo laudes et grates referuntur, semper in ore ipsorum Kyrie eleison habetur, choros denique seorsum viri, seorsum feminae ducentes per totam noctem in circuitu ecclesiae sine defectu et intermissione vigilias agentes semperque Kyrie eleison in ore ­habentes.« Schmale-Ott übersetzt ebd., S.  63 »choros ducentes« mit »[ihre] Scharen herumführen«. Röckelein, Reliquientranslationen, S.  339–341, 364–368, spricht von gemeinsam von der Menge gesungenen Liedern. Ähnlich Haubrichs, Heiligenfest, S. 133 f., der ansonsten die Praxis von Reigen bei Heiligenfesten durchaus sieht: »Tag und Nacht zieht die Menge im Umgang um die Kirche, Männer und Frauen singen wechselweise Kyrie eleison.« Dies scheint unwahrscheinlich, spricht der Verfasser doch im gleichen Kontext auch zweimal vom Kyrie eleison, das die Gemeinde während der »choros« gesungen habe. Das Volk hätte also Lieder gesungen und dabei das Kyrie angestimmt – eine Übersetzung, die wohl unnötig eine redundante Textstruktur voraussetzt. Wie schon Riché, Danses, S. 165 f.; Ders., (Art.) Dance, S. 406, angenommen hat, dürften die »choros« der Laien auch in Corvey Tänze in der Nacht der Ankunft des neuen Patrons meinen; unentschieden Königs, Der heilige Vitus, S. 56–58. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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jüdischen therapeutes, wie es Philon von Alexandrien im 1. Jahrhundert n. Chr. geschildert hatte.488 Die beiden Geschlechter standen dabei für die gegenläufige Bewegung der Planeten und der Fixsternsphäre.489 Dieser Tanz zu Ehren des neu angekommenen Heiligen steht in der Tradition der sakralen Tänze in der merowingischen und karolingischen Kirche.490 Wie der Goldschmied Eligius tanzend die Gefangenen aus dem dunklen Kerker befreit hatte,491 so würden die Heiligen in ihrer Sphärenharmonie die Menschen zum Licht Gottes führen. Daher war es auch sinnvoll, auf vom Heiligen gewirkte Wunder mit einem tripudium zu antworten und so die ganze Gemeinde mit der thaumaturgischen Macht des in den Himmelsreigen versetzten Heiligen zu verbinden. Das lateinische »in circuitu ecclesiae« bezeichnet das Gelände um das Kirchengebäude, den gerade im 9. und 10. Jahrhundert mehr und mehr als Sakralraum verstandenen und abgegrenzten Kirchhof. Circuitus oder circumambulatio meint jedoch oft auch die liturgischen Prozessionen bei der Weihe von Kirche und Kirchhof.492 Diese Umgangsprozession, die selbst als Schreiten, nicht als Tanz zu verstehen ist, konstituierte eine Grenze zwischen dem Außen der Welt und dem Innen der ecclesia. Auch die »choros« der Gläubigen in Corvey 836 begründeten also einen liminalen Raum zwischen Kirche und Welt. Und in der Translatio Sancti Viti ist angedeutet, dass diese Reigen auf der Grenze zwischen ecclesia und Welt auf kosmologische Konzepte rekurrierten: Auf den ewigen, ununterbrochenen Reigen der Sterne bzw. der Engel und Heiligen im Himmel. Die Translatio Sancti Viti berichtet in ihrem zweiten Teil von einer ganzen Reihe von Wundern, die der Heilige auf dem Weg nach Sachsen und nach seiner Ankunft in Corvey bewirkt haben soll. Verhandelt wird dabei der ganze seit dem Neuen Testament übliche Kanon von Gebrechen und Sünden.493 So enthält das letzte und dem ursprünglichen Text später hinzugefügte Kapitel der Translatio einen Mirakelbericht, für den als Quelle die Chronik des Thietmar von Merseburg (975–1018) angegeben wird.494 Der Bischof von Merseburg erzählt, dass zur Zeit des Abtes Gottschalk (890–900) in Corvey ein Mönch namens Alfric gelebt habe, der an »migranea« gelitten habe. Eines Tages, als ihn seine Mitbrüder unbeobachtet ließen, kamen plötzlich einige Dämonen aus der ­K loake. Sie hielten Bücher in ihren Händen, in denen alle Sünden des armen 488 Miller, Measures of Wisdom, S. 78 f. 489 Ebd., S. 44 mit Tafel 3. 490 Vgl. oben, Kap. III.1.2. 491 Vgl. oben, Kap. V.3.2. 492 Vgl. oben, Kap. VI.5.2. 493 Schmale-Ott (Hg.), Translatio, S.  25 f.; van Landschoot, La translation, S.  606–609; Wassyliev, Martyrdom, S. 43 f. 494 Vgl. zum Folgenden Schmale-Ott (Hg.), Translatio, S. 20; Röckelein, Reliquientranslationen, S. 176. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Mönchs aufgezeichnet waren. Als sie ihn damit erschrecken wollten, erschien plötzlich der heilige Klosterpatron Vitus, vertrieb die Dämonen und beruhigte Alfric. Dann beauftragte er den Mönch, eine Botschaft an seinen Abt zu überbringen: Dieser solle davon ablassen, ungehorsam gegenüber seinem Patron, also dem Heiligen selbst, zu sein. Diese Warnung blieb freilich vergeblich, weshalb Gottschalk kurze Zeit später sein Amt verlieren sollte.495 Der unbekannte Schreiber, der diese Episode in das Weimarer Manuskript der Translatio Sancti Viti übertrug, gibt als seine Quelle ausdrücklich die »­cronica de quinque regibus« an, also Thietmar. Anders als seine Vorlage nennt er jedoch keine natürlichen Ursachen für die »emigranea in capite« des Alfric. Sein Bericht enthält noch weitere vielsagende Abweichungen: Es sind nun sieben Dämonen, von denen sechs jeweils sechs Bücher tragen, also insgesamt 36; der siebente jedoch einen einzelnen Band »immense magnitudinis«. Dieser siebente Dämon beginnt, dem kranken Mönch all seine Sünden von der Geburt bis zum gegenwärtigen Tage vorzulesen – womit das geläufige Motiv des vom Teufel geführten Sündenregisters als Gegenpol zu Gottes liber vitae aufgerufen ist.496 Da aber erscheint vom Kloster her Vitus in hell gleißenden Kleidern und mit engelsgleicher Miene, vertreibt die Dämonen und heilt den Kranken.497 Die 495 Holtzmann (Hg.), Thietmari Merseburgensis episcopi Chronicon, MGH SS. rer. Germ. N. S., Bd.  9, Lib. IV, cap. 72, S.  214: »Fuit olim sub tempore Godescalki abbatis quidam ­monachus nomine Alfricus, cui in capite suo multum nocuit migranea, quae duplex est, aut ex gutta aut ex vermibus. Sed cum eundem iam poene deficientum confratres custodierunt, casu accidit, ut singulariter egredientes hunc dumtaxat solum relinquerunt. Tunc  e cloaca ­egressi sunt demones, libros speciales in manibus habentes eorumque lectione gravi infirmum de suis actionibus inscriptis in vanum terrentes. Namque inclitus Christi martir Vitus ilico ingressus eisdem fugam manu indixit et iuxta eum stans consolatur eum et, quis esset, protinus ei i­ ntimavit ac data benedictione surgere eum iussit et haec mandata predicto abbate celeriter deferre: ›Videbis, ut tot ammoniciones nostras sic incuriose non accipias, ne in posterum ­vacua lamentacione gemas. Pro vero enim assero tibi, si amplius inobediens mihi eris, a Deo con temporis et te adhuc superstite alium in tua sede dominum videbis.‹ Haec, ut puer sanctus per ­monachum egrotantum prenotavit, abbas neglegens postea persensit.« 496 Günter, Psychologie der Legende, S. 304 f.; Dölger, Sonne der Gerechtigkeit, S. 138 ff.; Meier, Vergessen, Erinnerung, Gedächtnis, S. 186 f. mit Anm. 202 und 202a (zum Buch Gottes). 497 Schmale-Ott (Hg.), Translatio sancti Viti, S. 68–70: »Quidam monachus Corbeyensis Alfricus nomine acriter paciebatur emigraneam in capite, et quamvis medicorum cura visitaretur, tamen in tantum infirmabatur, ut desperaretur. Casu autem accidit, quod fratres eum solum iacere reliquerunt. Tunc a cloaca vidit VII demones teterrimos procedere, sex eorum singuli portabant in manibus VI libros, id est XXXVI, septimus vero immense magnitudinis volumen gestabat. Hic legabat coram infirmo omnia mala sua, que fecit ab infantia sua cogitando, loquendo, operando usque in illam horam. Preciosus vero martir Vitus veste fulgida, vultu angelico conspicuus de monasterio venit et cellam egri intravit et demoni fugam manu in­dixit. Egro manum imponens benedixit et eum sanum surgere iussit, per quem Godescalco abbati suo hec mandavit: ›Pro vero tibi assero, si amplius mihi inobediens fueris, a Deo contempneris, et te adhuc vivente alium dominum in tua sede videbis.‹ Moxque sanctus Vitus disparuit. Hec autem intimata abbati predicto per egrotantem monachum negligens postea persensit. Nam eo adhuc vivente superpositus est venerabilis abbas Bovo, vir omni laude dignissimus.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sechs Dämonen unter Führung eines siebenten dürften hier wahrscheinlich für die sieben Planeten unter Führung der Sonne stehen – eine Assoziation, die im spätantiken und frühmittelalterlichen Denken weit verbreitet war.498 Die 36 Bücher entsprechen den 36 »Dekanen«, die jedes der zwölf Zeichen des Tierkreises in drei Abschnitte teilen. In der hermetischen und neoplatonischen Kosmo­ logie wurden sie mit 36 himmlischen Juwelen oder 36 Göttern gleichgesetzt, und auch in der spätantiken Magie wurde diesen 36 Gottheiten (bzw. im christlichen Verständnis: Dämonen) besondere Bedeutung zugeschrieben. Schon im Testamentum Salomonis aus dem 3. Jahrhundert werden die Dekan-Dämonen von den Engeln des christlichen Gottes bekämpft.499 Der hl. Vitus der Corveyer Vision erinnert also an diesen Kampf der himmlischen Mächte. Ausdrücklich als engelsgleiche Lichterscheinung, also als Ab­ gesandter der »wahren Sonne«, bekämpft er die zu Dämonen gewordenen Planetengötter unter der Führung der falschen Sonne, also des Teufels. Damit ergibt sich eine Inversion der Kammer-Episode aus der Vitus-Passio: Hatten ihn dort sieben Engel, die sein Vater für Götter hielt, begleitet, so überwindet er nun selbst sieben Dämonen. Das Mönchshospital und die Latrinen des Klosters Corvey lagen an der Nordostecke des Kreuzgangs, nördlich des Chores der Abteikirche.500 Der »vom Kloster her« erscheinende Heilige wäre demnach wie die von Süden über die Kirche hinweg scheinende Mittagssonne in die Zelle des Kranken gekommen – eine Vorstellung, die einem Corveyer Mönch unmittelbar einleuchten musste. Mit seiner Ermahnung lieferte Vitus dem Kloster eine Legitimation für einen internen Machtwechsel, für die Absetzung Gottschalks und den Amtsantritt des Abtes Bovo II. (900–916). Die Visionsgeschichte ist so auch im Zusammenhang mit der Einflußnahme der mächtigen Interessengruppe der Bovonen/Ekbertiner auf das Kloster Corvey und der Inanspruchnahme des Heiligen als ihrem Schutzpatron zu sehen. Schmale-Ott nimmt an, dass dieses Mirakel in der Zeit des Abtes Erkenbert (1107–1128) in Corvey in die Vita eingefügt wurde. In jedem Fall formulierte der unbekannte Schreiber die Geschichte auf eine signifikante Weise um. Hatte er im Kloster Corvey oder in seinem Umfeld neben Thietmar andere Quellen für diese Episode? Oder war er selbst für die Änderungen verantwortlich, die dem Heiligen einen betont solar­ mythologischen Charakter gaben, wie ihn weder Thietmar noch die übrige Translatio nahelegen? Angeblich schon vor dem Transfer Veits von St.-Witz nach Corvey im Jahr 836, wahrscheinlicher aber erst von dort aus, erhielt die Kirche und spä 498 Matthew, Clash of Gods, S. 149–151; über den neoplatonischen Hintergrund dieses Motivs vgl. Fauth, Helios megistos, S. 7–9, 131 f., 135, 174–176; Jostes, Sonnenwende, Bd. 1, S. 63; Bd. 2, S. 32 f., 441; skeptisch hingegen Boll, Offenbarung, S. 20–22. 499 Boll, Offenbarung, S. 40, 51; Scherer, Gestirnsnamen, S. 213–222; Gundel, (Art.) Dekane; vgl. van Landshoot, La translation, S. 613 f. 500 Stephan, Reichsabtei Corvey, S. 111 mit Abb. 28. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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tere Abtei St. Vitus im niederrheinischen Mönchengladbach Reliquien des Heiligen.501 Um das Jahr 1090 schrieb ein unbekanntes Mitglied des Konvents den Sermo in inventione reliquiarum sanctorum Viti, Cornelii, Cypriani et aliorum in Gladebach, der in Mönchengladbach späterhin als jährliche Lesung am Kirchweihtag verwendet werden sollte.502 Demnach stießen im Jahr 974 der Erz­ bischof Gero von Köln (um 900–976) und ein Trierer Mönch namens Sandrad – der spätere erste Abt von Mönchengladbach – auf der Suche nach einem Platz für die Gründung eines Klosters auf eine alte Kirchenruine. Da sie erfahren wollten, ob diese sich als Platz für ihre Anlage eigne, blieben sie drei Tage fastend und wachend am Ort.503 Wie erhofft stellten sich am dritten Tag mit dem ersten Hahnenschrei in süßesten Tönen singende Engel ein, die dem Bischof und seinem Begleiter die Reliquien des hl. Veit und seiner Mit-Patrone zeigten. Diese, so der Sermo, waren beim Ungarnsturm von 954/55 vor der Zerstörung der Kirche versteckt worden. Der Gesang der Engel wiederholt den Psalm 17,3: »Du prüfst mein Herz, Du suchst mich heim in der Nacht und erprobst mich. Dann findest Du an mir kein Unrecht.« Dieser verknüpft die Episode mit den drei Jünglingen im Feuerofen (Dan 3,1–97), auf die sich Vitus schon in der Passio vor dem Sprung in den Kessel besonnen hatte. Durch ein Tod und Auferstehung Christi und damit den dreitägigen kosmischen Stillstand nachvollziehendes Askeseritual erwirken die Klostergründer also eine göttliche Bestätigung für ihre Ortswahl. Die singenden Engel erscheinen mit dem ersten Hahnenschrei, der den Sonnenaufgang ankündigt.504 Der Heilige im Kessel wird mit der Echtheitsprobe von Gold im Feuer assoziiert  – dem Metall der Sonne im Element der Sonne also. Auch der Gründungsmythos der Abtei Mönchengladbach zeigt Vitus demnach in mehrfacher Hinsicht als solar konnotierten Heiligen, und wie im Fall des Corveyer Mönchs Alfric werden die entsprechenden

501 Königs, Der heilige Veit, S. 345 f. (vorsichtig), S. 420–426, 558 (apodiktisch); Röckelein, Reliquientranslationen, S. 278; van Landshoot, S. 604 f.; skeptisch: Petry (Hg.), Gründungs­ geschichte, S. 30–35; sehr skeptisch jetzt auch Holtschoppen, St. Vitus, S. 25 f. 502 Petry (Hg.), Gründungsgeschichte, S. 14, 18, 27; Holtschoppen, St. Vitus, S. 24. 503 Petry (Hg.), Gründungsgeschichte, S. 60: »Celebrato siquidem ieiunio terciam noctem pervigilem ducentes audierunt circa galli cantum spiritus beatos in loco, quo nunc est oratorium in honore sancti martyris Viti, antiphonam huiuscemodi dulcissima modulatione canentes: ›Beatus Vitus ille¸sus ab igne clybani decantabat: Probasti me, domine, sicut aurum, igne me examinasti, et non est inventa in me iniquitas.‹ Mane autem facto retulerunt utrimque, quod audierant, cum nimio congratulationis gaudio et certi iam facti de oraculo accinxerunt se viriliter operi mox futuro. Sed in operis deo placentis augmentum ce¸lestem terra protulit tesaurum. Nam sapientes architecti, fodientes circa obsequii angelici, quod perceperant noctu, locum, invenerunt – Gloria tibi, Christe! – lapidem supramemoratum, in quo preciosissimorum martyrum condebantur reliquie¸ Viti, Cornelii, Cipriani, Crisanti et Barbare¸.« Vgl. dazu aktuell Holtschoppen, St. Vitus, S. 24–39. 504 Vgl. oben, Kap. V.3.3. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Elemente vom Verfasser der Visionsgeschichte gegenüber den Prätexten gezielt neu kombiniert und ergänzt. Diese beiden Visionsgeschichten stehen in der breiten Überlieferung von anderen, weniger spezifischen Mirakeln des Vitus relativ isoliert. Dennoch lassen sie den Schluss zu, dass dieser Heilige noch im späten 11. Jahrhundert in Sachsen und im Rheinland mit solar- bzw. astralsymbolischen Elementen ausgestattet war, die sich zurückführen lassen auf die Rezeption der neoplatonischen Kosmologie in der merowinger- und karolingerzeitlichen Christianität. Dass die Evidenz für Sonne und Sterne als symbolische Motive in der Hagiographie des früheren Mittelalters nicht massiver ausfällt, mag gattungstypologisch zu begründen sein. Kosmologische Imaginationen konnten in den von Klerikern und zum erheblichen Teil für den innerkirchlichen Gebrauch geschriebenen Viten nur dann Bestand haben, wenn sie präzise in die christologische Dogmatik eingepasst wurden: Der Heilige als solare Gestalt konnte allenfalls als Stellvertreter der »wahren Sonne« im Kampf gegen die astralen Gottheiten (nunmehr: Dämonen) auftreten. In dieser christologisch korrekten Variante scheint jedoch die Attraktivität von Sonne, Sternen und Kosmos als Imaginationsreservoir für die religiösen Vorstellungen der Zeit deutlich durch. Deutsche Hagiographen des 11.  Jahrhunderts wollten offenbar nicht darauf verzichten, ihre Heiligen mit solaren Attributen auszustatten – dies umso mehr, wenn sie sich wie in den Veitsklöstern Corvey und Mönchengladbach in der direkten Tradition der fränkischen Religiosität bewegten, wie sie am merowingischen und karolingischen Hof des 7. und 8. Jahrhunderts geprägt worden war.505 Die Verehrung des hl. Vitus im niederrheinisch-sächsischen Missionsgebiet war also gekennzeichnet durch eine hohe Affinität zu astral- und solarmythologischen Assoziationen und entsprechenden rituellen Praktiken. Wie Röckelein anhand der gleichzeitig zur Reise der Vitus-Reliquien stattfindenden Liborius-Translation nach Paderborn gezeigt hat, mussten die fränkischen Mönche der Bevölkerung vor Ort erklären, wie sie sich beim adventus eines Heiligen zu verhalten habe.506 Zumindest ein später am Hauptaltar des Paderborner Domes gesungener und auch als Inschrift überlieferter Hymnus spricht denn auch von einem tripudium von Klerus und Volk zu Ehren des Heiligen.507 Da in ihrem westfränkischen Herkunftsmilieu solche Reigen üblich waren und offenbar 505 Zumindest St. Vitus in Mönchengladbach war bald nach seiner Wiedergründung im frühen 11. Jh. auch in das Netz der lothringischen Reformklöster eingebunden. Der erste Abt des von Heribert von Köln gegründeten Klosters Deutz, der aus St. Maximin in Trier stammende Volpert, war zugleich Abt von Mönchengladbach, vgl. Kleine, Gesta, Fama, Scripta, S. 76. 506 Röckelein, Reliquientranslationen, S. 335–337. 507 AA SS, Iulii V, S. 437, III: »Devota praesens concio / Pio plaudat Liborio / Sacrotum tripudio / Sacer clerus cum populo / Una sexus foemineo / Exultet devotio«; vgl. Sahlin, Étude, S. 179 f.; Foatelli, Danses religieuses, S. 47. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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nicht als anstößig empfunden wurden, konnte der Verfasser der Vitus-Translatio selbstverständlich befriedigt feststellen, dass dabei kein hässliches Wort, kein blasphemisches Spiel und keine sonstige Abweichung aufgetreten sei.508 Es ist nun durchaus denkbar, dass die sächsischen Neu-Christen an der Weser mit den vielfältigen kulturellen Einflüssen aus dem fränkischen Raum auch die kosmologische Verankerung der alten Christianität übernommen hatten. Zumindest könnten sie unter Anleitung der Missionare ein für sie eigentlich unverständliches Ritual durchgeführt haben. Vielleicht jedoch stilisiert der im karolingischen Kernraum ausgebildete Verfasser der Translatio seinen adventus auch nur dem Erwartungshorizont seiner klösterlichen und klerikalen Leser entsprechend – vielleicht also tanzten die Sachsen gar nicht, sondern der Bericht behauptet dies nur, um Beschreibungskonventionen des westfränkischen Herkunftsraumes der Reliquien und eines Großteils der Akteure zu entsprechen. Der neue Klosterpatron blieb in Corvey allerdings nicht unangefochten. Vielmehr drohte seine Verehrung offenbar mehrmals in Vergessenheit zu geraten, so etwa Ende des 11.  und Anfang des 12.  Jahrhunderts  – genau zu jener Zeit also, zu der das Alfric-Mirakel ihn so besonders profiliert. Erst Wibald von Stablo (1089–1158, Abt von Corvey ab 1146) bewirkte mit seinen Reformbemühungen eine erneute Wertschätzung des Heiligen.509 Mit diesem Bruch und Neuanfang könnte Vitus in Corvey seine aus der fränkischen Christianität übernommenen Züge verloren haben. Die örtliche Ikonographie des Heiligen seit dem Spätmittelalter transportiert jedenfalls weniger die in der lukanischen Passio aufscheinenden kosmologischen Bezüge als vielmehr die neutralisierte Leidensgeschichte, wie sie etwa in der Legenda aurea überliefert ist: Mit Palme und Buch trägt der Knabe in der Regel die eher unspezifischen Zeichen der Glaubenszeugenschaft; Adler und Löwe verweisen auf isolierte Episoden des Martyriums.510 Die astralmythologischen Konnotationen des Vitus-Kultes waren an seinem sächsischen Hauptort im Spätmittelalter offenbar nicht mehr verankert. So findet auch die in der Literatur wiederholt kolportierte Annahme eines Auftretens der Tanzwut in Corvey keinen quellenmäßigen Rückhalt.511 Für die in neuerer Zeit überlieferten alljährlichen Wallfahrten am Patronatstag sind keine Tänze sicherbar.512 Zwar enthält eine 1664 im Weserkloster verfasste 508 Schmale-Ott (Hg.), Translatio, S. 62. 509 Röckelein, Reliquientranslationen, S. 189 f.; Dies., Der heilige Vitus, S. 26; Königs, Der heilige Vitus, S. 64. 510 Königs, Der heilige Vitus, S. 68 ff.; zum Corveyer Barock vgl. die zahlreichen Abb. in Tiggesbäumker/Knaup, Corvey. 511 So etwa Metzner, Zur frühesten Geschichte, S. 108–113, der die Reigen beim adventus 836 als frühes Vorkommen der Tanzwut deuten und daraus eine Entstehung des Kölbigker Tanzmirakels in Corvey ableiten wollte, vgl. dazu oben, Kap. VI.1.2. Dagegen schon Backman, Religious Dances, S. 315. 512 Bei Königs, Der heilige Vitus, S. 52 f., zumindest nicht erwähnt. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Auflistung der Schutzpatronate des Vitus auch »sant Vites dantz undt Plage«.513 Hierbei dürfte es sich aber um einen sekundären Wissenstransfer handeln, war der Veitstanz doch im 17.  Jahrhundert längst ein Gemeinplatz des populären Sprachgebrauchs geworden.514

VII.3.8 Der Crater Liberi, die Seelenwanderung, der Fall des Drachen und die fallende Sucht Der lukanischen Passio zufolge hatte Vitus also am Himmel, an dem die Heiden ihre Götter und Mythen verstirnt sehen konnten, nichts zu suchen.515 Sein Heil lag in der Arena, wo er gleich nach diesem Dialog im »clibanum« gekocht werden sollte. Der Mischkessel des Dionysos jedoch, auf den hier angespielt wird, war selbst ein Sternbild: der Crater Liberi, heute astronomisch als »Becher« bezeichnet.516 Dieser Becher des Dionysos bzw. seiner Entsprechung Liber Pater steht südlich von Jungfrau und Löwe, nördlich der Wasserschlange (Hydra).517 Als Begleiter von Krebs, Löwe und Jungfrau ist der Becher auf der Nordhalbkugel nur zwischen November und Juni sichtbar:518 Im Winter zeigt er den Tagesanbruch an, im Frühling (nach Einbruch der Dunkelheit) den Abend. Er begleitet so die aufsteigende Sonne und kündigt den kommenden Sommer an – in dem er selbst nicht zu sehen ist. Der Löwe galt als Sternbild des Dionysos/Liber Pater und des Sol. Wenn die Passio Viti in der Szene in der Arena das Kochen im Kessel quasi einrahmt durch den zunächst angekündigten und dann stattfindenden Kampf gegen den Löwen, könnte auch diese erzählerische Wendung einer astronomischen Reflexion entspringen. Die auf den alexandrinischen Astronomen Eratosthenes (276/73  –  um 194 v. Chr.) zurückgehenden »Katasterismen« erklären den Becher als Verstirnung des Ikaros, der den Menschen den Wein gebracht habe, oder selbst als

513 Ebd., S. 59. 514 Vgl. unten, Kap. VII.4. 515 Königs, Der heilige Vitus, S. 565; vgl. oben, Kap. VII.3.5. 516 Vgl. allg. Gundel, (Art.) Krater; Boll/Gundel, (Art.) Sternbilder/Sternglauben, Sp. 1009 f. 517 Eisler, Mysteriengedanke, S. 180; Hübner, Crater Liberi, S. 42–45. 518 Alle Angaben nach: AstroViewer 3.1.3, URL: , [16.12.2010]: Am 15. Dezember geht der »Becher« nach Mitternacht im Osten auf (ca. 1 Uhr MEZ) und nach Sonnenaufgang (ca. 9 Uhr MEZ) im Westen unter; am 15. März etwa um 19  Uhr (MEZ) auf und in der zweiten Nachthälfte (ca. 4 Uhr MEZ) unter; am Veitstag (15. Juni) um 13 Uhr auf und ca. um 22 Uhr unter (MESZ-1 h); Mitte September um 7 Uhr morgens auf und um 16 Uhr unter (MESZ-1 h); alle Angaben für Stuttgart im Jahr 1500 als Beobachtungsort, um den Sternenhimmel im Hauptverbreitungsgebiet des Veitstanzes im 15. Jh. nachzuvollziehen. Die MESZ wurde um eine Stunde zurückgerechnet. Für astrono­ mische Hinweise danke ich Henning »Jugend forscht« Engelke, Frankfurt/Main. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 12: Der südliche Sternenhimmel nach Manilius (1. Jh. n. Chr.); oben zentral Crater, Corvus und Hydra, aus: Boll/Bezold/Gundel: Sternenglauben und Sterndeutung, S. 66.

»hydrophoros« (»Wasserträger«).519 Dieser »Knabe mit dem Becher« ist auch in den astronomischen Fragmenten des Teukros von Babylon (1. Jh. n. Chr.) überliefert.520 Andere antike Astronomen wie Marcus Manilius (1. Jh. n. Chr.) und ­Firmicus Maternus (4. Jh. n. Chr.) wollten den Becher als Zeichen des Weines und der Trunkenheit deuten.521 Ihm benachbart steht das Sternbild Corvus (Rabe). Eratosthenes erzählt daher auch, Apollon habe einen Raben ausgeschickt, um mit einem Becher Wasser aus einer Quelle zu holen. Der säumige Rabe habe die Schuld für seine Verspätung dann auf die Wasserschlange (­Hydra)  geschoben.522 Crater, Hydra und Corvus erscheinen auch gemeinsam auf Reliefs in Mithras-Heiligtümern.523 Der Rabe markierte den untersten, die 519 Visser, (Art.) Ganymedes. 520 Hübner, Crater Liberi, S. 51; Gundel, (Art.) Krater, Sp. 1615. 521 Hübner, Crater Liberi, S. 52 f. 522 Ebd., S. 50; Gundel, (Art.) Krater, Sp. 1619; Boll/Gundel, (Art.) Sternbilder, Sp. 1011 f., 1062. 523 Boll, Offenbarung, S. 102. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Schlange den zweiten Weihegrad der Mithras-Mysterien.524 Letztere spielte auch eine bedeutende Rolle als Attribut bei den Tänzen spätantiker Mysterien, etwa des Dionysos und des Sabazios, aber auch in der Asklepios-Verehrung.525 Ihre Häutung macht sie zum Symbol von Tod und Wiedergeburt.526 Das Christentum freilich setzte die Schlange des Dionysos-Kultes mit dem alttestamentlichen Satan in Verbindung. So lässt Clemens von Alexandrien den »neuen Dionysos« Christus den Teufel vertreiben, wie der »alte« und »falsche« vor irdischen Schlangen bewahrt habe.527 Wasserschlange, Rabe und Becher wurden zusammen auch als Draco (Drache) bezeichnet. Nonnos (5. Jh. n. Chr.) lässt hier den Kampf des Typhon/Seth gegen Dionysos bzw. gegen Horus geschehen. Die benachbarte Jungfrau galt als Verstirnung der Isis und der Regina Coeli.528 Franz Boll zufolge spiegelt sich dieser Katasterismus noch in der Johannes-Apokalypse im Kampf zwischen dem Drachen und der Frau (Apk 12,1–18).529 Manilius und Firmicus Maternus setzen den Becher zugleich mit dem benachbarten Paranatellonten-Sternbild Hund (Canicula)  in Verbindung: Ersterer stehe für das Wasser, Letzterer für das Feuer und die Hitze.530 Auch in den benachbarten Tierkreiszeichen Löwe und Krebs treten bei ihnen die Elemente Feuer und Wasser einander gegenüber.531 Das Sternbild Becher bzw. Wasserträger hat also zwei grundsätzlich zu unterscheidende Interpretationsebenen: Zum einen die dionysische, die mit dem Wein und der Fruchtbarkeit verknüpft ist, zum anderen die apollinische, die auf Wasser und Mäßigung abhebt.532 Entsprechend wurde der Crater etwa im L ­ iber Hermetis mit der Tugend der contemperantia assoziiert.533 Es sind dies jene Prinzipien, die auch die sprechenden Namen der Zieheltern des hl. ­Vitus, ­Crescentia und Modestus, prägen. Im Hermetismus wurde das Sternbild C ­ rater alternativ auch als Lavatorium bezeichnet und als Knabe mit einer Wasserschüssel verbildlicht.534 Der wohl auf das 5. Jahrhundert n. Chr. zurück 524 Merkelbach, Mithras, S. 91; Gschößl, Schmelztiegel, S. 107 f. 525 Lawler, Dance in Ancient Greece, S. 64 f.; Miller, Measures of Wisdom, S. 134; Warburg, Schlangenritual, S. 42–48. 526 Turner, Betwixt and Between, S. 99. 527 Miller, Measures of Wisdom, S. 134 f. 528 Boll, Offenbarung, S. 99 f. 529 Ebd., S. 101–109; auch der spätantike Liber Hermetis lokalisierte den Kampf des Typhon im dem Becher (Lavatorium) benachbarten Draco, Hübner, Grade und Gradbezirke, Bd. 1, S. 60–62; vgl. zum Drachen aber ebd., Bd. 2, S. 39. 530 Hübner, Crater Liberi, S. 52 f.; Ders., (Art.) Manilius. 531 Hübner, Crater Liberi, S. 13 f. 532 Ebd., S. 51–53; Gundel, (Art.) Krater, Sp. 1615 f. 533 Hübner, Grade und Gradbezirke, Bd. 1, S. 58–60; Bd. 2, S. 38. 534 Ebd., Bd. 2, S. 43 f.; Bd. 1, S. 93; Ders., Paranatellonten im Liber Hermetis, S. 387 f., 405, 410. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 13: Planisphäre, vor 1029, links Crater, Corvus und Hydra, Bern: Burgerbibliothek, Codex Bernensis 88, fol. 11v.

gehende Liber Hermetis überlieferte dieses astronomisch-kosmologische Wissen ins Mittel­a lter.535 Ebenso übernahm Pseudo-Dionysius Areopagita aus der neoplatonischen Kosmologie das Bild des Mischkrugs (crater), und stellte so seine Kontinuität auch für die christliche Vorstellung vom Himmel sicher.536 Die seit der Spät­ antike vielfach rezipierten, auf den römischen Kaiser Germanicus zurück­ geführten Aratea überlieferten dieses Sternbild ebenfalls. Nachdem noch G ­ regor 535 Zur Entstehung und Rezeption vgl. Hübner, Grade und Gradbezirke, Bd. 1, S. 12–17; zur Vermittlung der antiken Astronomie ins Mittelalter vgl. Boll/Gundel, (Art.) Sternbilder, Sp. 1044 f. 536 Roques, (Art.) Pseudo-Dionysius Areopagita, Sp. 1085. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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der Große ihre Verwendung abgelehnt hatte, wurden sie durch eine in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts in Corbie angefertigte lateinische Übersetzung zur maßgeblichen Vorlage für die Astronomie der Karolingerzeit und des Hochmittelalters.537 Spätantike Bildtraditionen, die vielfach mythologische Versatzstücke umsetzen, wurden so Teil des Bildungskanons am Hof Karls des Großen und Ludwigs des Frommen und dann auch in den liturgischen computus, die Berechnung der Feiertage des Kirchenjahres, integriert.538 Folglich taucht die Kombination von Wasserschlange, Rabe und Becher in mittelalterlichen astronomischen Darstellungen immer wieder auf.539 Es ist also das klösterliche und höfische Gelehrtenmilieu der späteren Mero­ winger- und der Karolingerzeit, das für die Verbreitung der antiken Stern­bilder und ihre Integration in die christliche Kosmologie verantwortlich zeichnet. In diesen Kreisen war auch die Verehrung des hl. Eligius entstanden. Und in diesem Umfeld war der lukanische Importheilige Vitus an den Sternen­himmel versetzt und mit einem Kreisreigen geehrt worden. Zumindest hypothetisch wird man daher den Katasterismus des anonymen Corveyer Mönchs in der Trans­ latio Sancti Viti mit dem Sternbild Crater bzw. Wasserträger (nach Eratos­ thenes) zusammen denken können. Wie der Crater am nächtlichen Sternenhimmel ab Mitte Juni unsichtbar wird, so erlebt der Heilige am 15.  Juni sein Martyrium, um vor dem Wintersolstitium wieder aufzutauchen. Vitus verweigert also in der Legende des 7.  Jahrhunderts gegenüber dem Kaiser ebenjene Versetzung an den Sternenhimmel, die ihm etwa die Trans­ latio Sancti Viti des frühen 9. Jahrhunderts wieder unterstellen wird. Der un­ bekannte Corveyer Mönch konnte aber umso eher auf diese Idee kommen, weil die Passio selbst in dieser Szene die Assoziation mit einem Sternbild transportiert: Wo diese den Anti-Dionysos Vitus explizit die Verstirnung wie die Wiedergeburt im Crater zugunsten der christlichen Erlösung verweigern lässt, da führt die Translatio den Knaben im Kochtopf als astronomisches Motiv wieder ein – umgedeutet zum vom Schöpfergott erlaubten Leitbild für die Gläubigen. Der Transfer astronomischen Wissens von der Antike ins Mittelalter stellt also das Raster bereit, an dem sich die Fortschreibung von Mythenmotiven orientieren konnte. Am nächtlichen Sternenhimmel spiegelte sich das mythische Wissen, und beim Blick in diesen Spiegel wurden die mythischen Erzählungen permanent den aktuellen Wahrnehmungen und Erwartungen angepasst. Der Sternenhimmel wurde zum Bildspender für neue und reproduzierte Motive in der Darstellungsweise des Heiligen. 537 Haffner, Antiker Sternenbilderzyklus, S. 25–30. 538 Ebd., S. 81–90. 539 Ebd., Nr. 38, S. 63 f. mit Abb. 73, S. 163 f. mit Abb. 5, 6, 73, 77; Künzl, Himmels­globen und Sternkarten, Abb. 8.2 (S.  88), Abb. 8.3 (S.  89), Abb. 10.2 (S.  104), Abb. 10.3 (S.  105), Abb. 10.4 (S. 106), Abb. 10.5 (S. 107), Abb. 10.6 (S. 108); von Stuckrad, Geschichte der Astrologie, S. 210, Abb. 8 (Kuppel der Sakristei von San Lorenzo, Florenz). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 14: Vitus mit dem Häfele, vom Hauptaltar der Veitskapelle Stuttgart-Mühlhausen, 1510, Ev. Kirchengemeinde Stuttgart-Mühlhausen, aus: Heimatbuch Mühlhausen am Neckar, 1993, S. 52.

Die astralmythologische Aufladung des Heiligen war also auch insofern kein Rudiment, sondern Folge einer historischen Entwicklung – die freilich auf ältere Grundlagen aufsatteln konnte. Denn Vitus sollte in der spätmittelalterlichen Kunst immer häufiger in einem Kessel sitzend oder aber mit einem kleineren Krug oder Kessel in den Händen dargestellt werden.540 Das Motiv des schönen Jünglings mit dem Krug oder Kelch erbte er ab dem 15. Jahrhundert von Johannes dem Evangelisten. Besteht hier ein Zusammenhang zu der zunehmenden Verdrängung des Evangelisten als Tagesheiligem des 24. Juni durch Johannes den Täufer und zugleich zu dem Eintreten des Vitus in die Rolle des Patrons der Sommersonnenwende? Jedenfalls handelt es sich bei den beiden Bildtypen »Veit im Kessel« und »Veit mit dem Krug« (schwäbisch: Häfele) um die beiden 540 Braun, Tracht und Attribute, Sp. 734 f.; Backman, Religious Dances, S. 265–267, Hensel, (Art.) Vitus; Giorgi, Santi, S. 368 (Mitte des 15. Jh., ital.); Königs, Der heilige Vitus, S. 209 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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im oberdeutschen Verbreitungsraum des Veits-Kultes am stärksten verbreiteten Darstellungsformen. Diese ikonographischen Typen des 15. und 16. Jahrhunderts leiten sich also nicht direkt aus frühmittelalterlichen oder gar antiken Mythemen ab. Nimmt man jedoch an, dass erstens die lukanische Legende als Anti-Mythos zahlreiche kosmologische Motive transportierte, dass zweitens Vitus im Kontext der spezifischen fränkischen Christianität weiter mit astralmythologischen Konnotationen aufgeladen wurde und sogar Gegenstand eines erneuten Katasterismus wurde und dass drittens die antike Astronomie in Grundzügen auch im Mittelalter bekannt blieb, so wird plausibler, dass man im Spätmittelalter in dem Knaben im Kessel bzw. mit dem Krug auch das entsprechende Sternbild wiedererkennen konnte. Dass dieses astronomische Motiv in die bildende Kunst einging, könnte dadurch erleichtert worden sein, dass seit dem 11./12. Jahrhundert die Schriften der antiken Astrologie, wie etwa die Mathesis des Firmicus Maternus, in Übersetzungen aus dem Arabischen auch im Westen wieder breiter zugänglich waren, was zu einer neuen Hochkonjunktur astrologischen und astrono­ mischen Denkens führte.541 Das clibanum der Vitus-Passio konnte spätestens jetzt mit dem Crater am Sternenhimmel assoziiert werden.542 Dem Sternbild Crater/Becher kam in der spätantiken Kosmologie jedoch auch noch eine weitere spezifische Bedeutung zu: Alle Zodiakalzeichen galten etwa

541 Tester, Western Astrology, S. 142 f. 542 Für eine solche Verbildlichung astronomischer Vorstellungen könnte sprechen, dass Veit hier und da auch mit einem Raben (an Stelle des Adlers) dargestellt wird, Hensel, (Art.) Vitus, Sp.  580 f.; nicht erwähnt bei Braun, Tracht und Attribute, Sp.  728–738; Königs, Der heilige Vitus, S. 239–243, deutet dies als arbiträre Abwandlung des Adlers, was freilich angesichts der sehr unterschiedlichen symbolischen Bedeutungen unwahrscheinlich scheint. Nach Zirbt, Čechách Tancovalo, S. 49, wurde in Tirol der Veitstanz als Folge des Verspeisens von Raben (oder auch von Spatzenhirn, Höfler, Krankheitsnamenbuch, S. 729), erklärt. Eine andere Erklärung für den Raben als Attribut des Vitus könnte sein, dass dessen Aufenthalt am Fluss Sele deutlich erkennbar dem des Propheten Elias am Bach Kerit (1 Kge 17,1–7) nachempfunden ist, der dort von einem Raben versorgt wurde wie Vitus von einem Adler. Die Künstler müssten also einen Transfer aus dem biblischen Prätext vorgenommen haben. Ein weiteres Indiz für Katasterismus könnte sein, dass Vitus auch als Patron gegen Schlangenbisse verehrt wurde und vereinzelt sogar mit einer Schlange als Attribut gezeigt wird, Hensel, (Art.) Vitus, Sp. 581; nicht erwähnt bei Braun, Tracht und Attribute, Sp. 728–738; Königs, Der heilige Vitus, S. 214, der das Schutzpatronat aus dem Tagesevangelium Lk 10,19 ableitet: »Sehet, ich habe Euch die Vollmacht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten […]«; und schließlich, dass selbst der Hund als Begleiter erscheint, Hensel, (Art.) Vitus, Sp. 580; nicht erwähnt bei Braun, Tracht und Attribute, Sp. 728–738. Ob sich diese ikonographischen Sonderformen tatsächlich aus astronomischen Bezügen erklären lassen, wäre durch eine präzise Analyse der zeitlichen und räumlichen Verbreitung und der jeweils spezifischen Kontexte zu überprüfen. Sie sind jedenfalls aus der Vitus-Passio nicht erklärbar. Ob mögliche örtliche Legenden, welche die entsprechenden Verbildlichungen auslösten, ihrerseits durch den Blick an den Sternenhimmel ausgelöst waren, bliebe zu fragen. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 15: Veit, Modestus und Crescentia, 15./16. Jh.?, Ihringen-Wasenweiler, Kapelle St. Vitus (Foto: Rohmann).

den Manichäern als Gefäße des Auf- und Abstiegs der Seelen in den Sphären.543 Der später zum Christentum übergetretene einflussreiche Astronom Firmicus Maternus (4. Jh.) sah im Adler als Begleitzeichen des Wassermanns das Sternbild des Zeus und der Sonne. Hier verortete er auch den Aufstieg der Seelen – man denke an Ganymed. Diesem diametral gegenübergestellt sah er jedoch den Becher als Begleitzeichen des Löwen, wo er den Abstieg der Seelen aus dem Himmel verortete.544 Ebenso sah Macrobius (4. Jh.) den Crater Liberi als »Becher des Vergessens«, als Symbol für den Abstiegsweg der Seele.545 Die Idee vom Mischkrug des Demiurgen verband sich hier mit der Metaphorik von Wasser und Wein. Dagegen sieht das Corpus Hermeticum den Mischkrug als den Ort des Seelenaufstiegs: Durch das Eintauchen in den crater bzw. das Trinken aus diesem erlangt der Mensch den Geist, um nach seinem Tod mit Gott eins werden zu können. Die suchende Seele muss in den an eine christliche Taufe erinnern 543 Gundel/Gundel, Astrologumena, S. 329 f. 544 Hübner, Crater Liberi, S. 48 f.; Boll, Offenbarung, S. 113. 545 Hübner, Crater Liberi, S. 6 f., 37 f., 40 f., 54 f.; Boll/Gundel, (Art.) Sternbilder, Sp. 1011. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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den Krater eintauchen, um später die »Chöre der Dämonen« und »Bahnen der Sterne« durchschreiten zu können.546 Denn die neoplatonische Kosmologie sah am Himmel zwei Tore, eines für den Aufstieg der Seele beim Steinbock (Winter­ solstitium), eines für den Abstieg beim Krebs (Sommersolstitium). Durch diese Himmels- oder Sonnentore bewegte sich die Seele bei der Geburt aus der Fixsternsphäre in die irdische Welt hinab und nach dem Tod wieder hinauf.547 ­Homer hatte diese Himmelstore als Nymphengrotten beschrieben  – durch die ja auch der mythische Hylas die Welt verlassen hatte.548 Da die Fixsternsphäre als die äußerste des Himmels galt, der Zodiak jedoch als relativ erdnah, verschob Macrobius das Himmelstor in den erdferneren Crater. Hier, am süd­lichen Rand der Ekliptik, konnte die Seele in die Planetensphäre übergehen und zum Menschen werden, unterstützt durch den dionysischen Weintrunk aus dem Mischkrug.549 Die Vorstellung von den Toren des Himmels ging in die spätantiken Erlösungsmysterien ein und taucht auch in den gnostischen Johannes-Akten auf.550 Die Werke des Macrobius waren auch im Mittelalter bekannt, etwa bei Albertus Magnus. Firmicus Maternus wurde wie erwähnt seit dem 12.  Jahrhundert wieder viel gelesen. So finden sich die Sonnentore bei Krebs und Steinbock in der Buchmalerei häufiger abgebildet.551 Oft wurden diese Himmelspforten nach Johannes 3,30 (»Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen«) auf Christus (Winter, Aufstieg) und Johannes den Täufer (Sommer, Abstieg) bezogen.552 Die Passio Sancti Viti spielt in der Kessel-Episode also auch mit spätantiken Konzeptionen vom Auf- und Abstieg der Seele zwischen Diesseits und Jenseits. Sie dementiert den Crater Liberi als Medium der Kommunikation mit den höheren Sphären und stellt klar, dass nur Gottes Gnade Geburt und Wiedergeburt vermitteln könne. Spätere christliche Rezipienten wollten den Heiligen dann jedoch sehr wohl als Katasterismus am Himmel entdecken. Als Vitus im 13. und 14. Jahrhundert wegen der empirisch beobachtbaren Verschiebung des Sonnenjahres zum Heiligen des Sommersolstitiums geworden war, ließ sich die ohnehin durch die Kessel-Episode seiner Passio gegebene Assoziation mit dem Sternbild Crater auch insofern neu aktualisieren, als er zum Hüter des Sonnen- und Himmelstores gemacht wurde. Als Solstitialheiliger beerbte er also nicht etwa germanische Feuerbräuche, sondern wiederum christianisierte neoplatonische Kosmologie. 546 Colpe/Holzhausen (Hg.), Corpus hermeticum deutsch, Bd. 1, S. 43–47 (Kommentar), S. 49–53, CH IV: »Der Mischkrug und die Monade«, Zitat S. 51. 547 Hübner, Crater Liberi, S. 6–9; zur Formierung dieses Konzepts vgl. ebd., S. 11–36. 548 Ebd., S. 19 f. 549 Ebd., S. 31–36, 54 f. 550 Pulver, Jesu Reigen, S. 173 f.; vgl. oben, Kap. VI.5.1. 551 Heck, Iconographie médiévale, mit Tafel 13 und 14. 552 Hübner, Crater Liberi, S. 6. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Goscelin von Canterbury hatte im Kontext der Kölbigker Tanzlegende die menschliche Seele als amator exclusus bzw. amatrix exclusa am Tor des Paradieses gezeichnet, die dem irdischen »Tanz« entkommen muss, um zur Ver­ einigung mit Gott zu gelangen. Vitus als Hüter des Seelenabstiegs nun ver­ mittelt den Weg aus den primordialen himmlischen Sphärenbewegungen in die Welt, in der es den Menschen aufgetragen ist, sich eben nicht dem verderblichen Kreisreigen anzuschließen. Aufstieg und Abstieg der Seele fallen zusammen im liminalen Moment des Tanzes am himmlischen Tor, zu dem der Mischkrug/Crater geworden ist. Als Tagesheiliger der Sommersonnenwende und als »Knabe mit dem Becher« hütete Vitus nun den Pfad der absteigenden Seele, das Tor vom Himmel zur Erde. Ganz benachbart stand am Sternenhimmel der Drache, der Teufel, den Michael und die Engel aus dem Himmel geworfen hatten und der nun die Jungfrau und das Kind angreifen würde (Apk 12,7–12).553 Dieser Fall Luzifers war das biblische Paradigma der menschlichen Verfallenheit, und umgekehrt: Jedem Fall eines Menschen wohnte auch die latente Assoziation mit dem Fall des Teufels und aller anderen gefallenen Seelen inne. Auch eine Krankheit wurde mit dem Fall der Seelen assoziiert, die sprichwörtliche Fallsucht: Ein aus dem 11.  und 12.  Jahrhundert überlieferter, aber wohl älterer althochdeutscher Segensspruch Contra caducum morbum vermag diese Deutung zu stützen: »[…] Es stellte sich des Teufels Sohn / auf die Brücke Adams / und zerspaltete den Stein an dem Holze. / Es stellte sich der Adamssohn / und schlug den Teufelssohn /  an einem Reis. / […] Er verbannte den Satan: / So verbanne ich dich, un- / reiner Geist aus diesem / christlichen Körper. / So schnell werde Gesundheit diesem christ- /  lichen Körper, wie ich mit den Händen / die Erde berühre. […]«554

Dazu sollte der Heiler von links nach rechts mehrmals über den Kranken treten, eine Brücke bilden und den Spruch dreimal aufsagen. Es ist die schon bei Gregor dem Großen erwähnte Brücke über den Höllenfluss, wo Engel und Dämonen um die Seelen kämpfen. Das Holz ist das Kreuz Christi, das angeblich aus einem Reis des Baumes der Erkenntnis gewachsen war. Hier ist also wohlgemerkt nicht der Fall der untreuen Engel selbst angesprochen, wohl aber das Ringen um die Seelen in einem anderen allegorischen Schwellenraum zwischen Himmel und Erde. Während Georg Baesecke den dem Segen vorangestellten Vers »Doner dutigo dietmahtigo [bzw.: diethewigo]« (»Donar/Donner, Gewal 553 Zu entsprechenden Anspielungen in der Vitus-Passio vgl. oben, Kap. VII.3.4. 554 Baesecke, Contra caducum morbum, S.  234 f. (mit Übers.): »[…] Stuont der tiufeles sun / uf Adames bruggon / unde scitota den stein cemo wite. / Stuont des Adames sun / unde sloc den tiufeles sun / zeinero studon. / friwiste er den Satanan: Also friwise ih dih un- /  reiner athmo fon disemo / christenen lichamen. / Also sciero werde buoz / disemo christenen licha- / men, so sciero so ih mit den handon / beruere di erdon. […]« Vgl. zur Interpretation mit alternativer Lesart Jostes, Sonnenwende, Bd. 1, S. 73–76. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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tiger, Unwiderstehlicher«)555 als germanisch-paganes Rudiment deuten wollte, dem allenfalls noch wortmagische Bedeutung zugekommen sei, sah Franz ­Jostes hier den zum Feuerdämon gewordenen heidnischen Gott Herakles, der den Himmel einstürzen und den Menschen Adam fallen lasse. Das Ritual des Heilers deutete er als Mimesis des Tanzes des Himmelsgottes. Das christliche Heilungsritual deutet die Fallsucht also als eine spezifische Form der dämonischen Besessenheit, die den Einsturz des Himmels und den Kampf um die Seelen abbildet. Der Brückentanz des Heilers  – nach vorn auf die Hände gebeugt – dokumentiert eine ähnliche Semantik, wie sie der akrobatische Tanz der Salome in negativer Inversion zeigte. Der pagane Gott wurde hier nicht etwa noch als wirksamer Schutzpatron angerufen, sondern als Dämon, den es auszutreiben galt. Die Fallsucht wurde also nicht nur wegen phäno­ typischer Ähnlichkeiten vielfach mit dämonischer Besessenheit erklärt,556 sondern weil sie für den drohenden Sturz des Himmels, für den Kampf zwischen Gut und Böse, für den Schwellenraum zwischen Heil und Unheil stand. Dies könnte erklären, warum 1140/50 in Regensburg in der sogenannten Kaiserchronik erstmals auch Vitus als Schutzpatron gegen die Fallsucht über­liefert ist: »[…] Sankt Veit war ein kleines Kind, / bei seinem Martyrium bat er unseren Herrn: /  Alle, die die fallende Sucht befalle, / sollten bei ihm eine Zuflucht haben. / Dies verhieß ihm unser Herr, / dass die in Zukunft immer / für eines Jahres Friste / Ruhe haben sollten.«557

Als Hüter der Schwelle zwischen Heil und Unheil konnte der Knabe im Kessel bzw. mit dem Becher also zum Beschützer vor der Fallsucht werden, einer Krankheit, die eben den Fall des Drachen und sein Einfahren in den Menschen verbildlichte. Dass Vitus den Sohn des Kaisers Diokletian exorziert hatte, wird verstärkende Wirkung auf diese Funktionszuschreibung gehabt haben, dürfte jedoch an sich nicht ausschlaggebend gewesen sein, war die Austreibung von Dämonen doch unter den Heilungswundern gerade der frühmittelalterlichen Hagio 555 So die Übersetzung von Jostes. 556 So tendenziell noch Bergdolt, Veitstanz, S. 88; zum Verhältnis von Fallsucht und Besessenheit vgl. nur Temkin, The Falling Sickness, S. 91, 118–137, der zu Recht darauf hinweist, dass im Mittelalter durchaus auch humoralpathologisch-medikale Erklärungen der Fallsucht wirksam blieben. 557 Schröder (Hg.), Deutsche Kaiserchronik, MGH Deutsche Chroniken I.1, v. 6464 f., S.  200: »Si marterten bî ir zîten / den guoten sanct Vîten / […] / sanct Vit was ein wênigiz kindelîn / an sîner marter bat er mînen trehtîn: / swem wirret diu vallende suht, / die habent alle zuo im fluht, / daz gehiez im selbe unser hêrre, / daz die iemer mêre, / ze ainer jâres friste, sulen haben reste.« Vgl. Meisen, Springprozessionen, S. 168; Königs, Der heilige Vitus, S. 203, 306, 483; Bergdolt, Veitstanz, S. 91; allg.: Nellmann, (Art.) Kaiserchronik. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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graphie eher die Regel als die Ausnahme. Auch ist in der Vitus-Legende für den jungen Prinzen eben nicht von Fallsucht (oder im antiken Sinn: epilepsia) die Rede, sondern ausdrücklich von einem »bösen Geist«. Fallsucht und Besessenheit sind allenfalls einer monokausalen Paläodiagnostik deckungsgleich. Fallsucht im mittelalterlichen Sinn ist auch sicherlich nicht das Gleiche wie Epilepsie im heutigen.558 Im Wahrnehmungshorizont des Mittelalters gab es zwischen beiden Phänomenen durchaus Schnittmengen, sie waren jedoch klar zu unterscheiden. Als einer der Vierzehn Nothelfer wurde Vitus ab dem 15. Jahrhundert häufig auch gegen die Fallsucht angerufen.559 Als solcher stand er jedoch alles andere als allein: Neben dem zumindest im deutschsprachigen Raum dominanten ­Valentin560 wurden zahlreiche weitere Heilige angerufen, etwa Cornelius, ­Hubert, die Heiligen Drei Könige, in Flandern und Frankreich vor allem Johannes.561 Der Medizinhistoriker Owsei Temkin hat darauf hingewiesen, dass unklar ist, ob hier der Evangelist oder der Täufer gemeint war.562 Beide standen wie Veit für das Sommersolstitium und wären so ebenfalls als Hüter des Himmelstores denkbar. Der Wegbereiter Christi stand zudem für die Taufe, für jenes Ritual also, das den Menschen zum Teil der Kirche machte und so der Macht des gefallenen Engels entzog. Der Evangelist war sogar als Heiliger im Kochtopf dem Vitus vorausgegangen – er könnte also auch insofern eine astronomische Referenz gehabt haben, die ihn wie jenen zum Patron des Seelenabstiegs machte. Beide Fälle würden also die These stützen, dass Veit wegen seiner kosmolo­ gischen Verankerung zum Patron der Fallsucht werden konnte. Keinesfalls kann dies jedoch heißen, dass die Fallsucht im mittelalterlichen Sinn oder gar die Epilepsie als moderne diagnostische Kategorie deckungsgleich mit dem Veitstanz gewesen seien.563 Dem widersprechen zahlreiche Dif 558 Vgl. Schmitz-Cliever/Schmitz-Cliever, Heiltanz, S. 315. 559 Meisen, Springprozessionen, S. 168–171; ihm folgend Bergdolt, Veitstanz, S. 88; Jankrift, Krankheit und Heilkunde, S. 32. 560 de Cock, Volksgeneeskunde, S. 101 f.; Beitl, Wörterbuch der Volkskunde, S. 183; Temkin, Falling Sickness, S.  100; Meisen, Sprinprozessionen, S.  168 f.; von Hovorka/Kronfeld, Vergleichende Volksmedizin, Bd. 2, S. 213–220; Jungbauer, Volksmedizin, S. 170; Schneble, Krankheit der ungezählten Namen, S. 60–63. 561 de Cock, Volksgeneeskunde, S. 94 (Johannes der Täufer), S. 101–112; Meisen, Sprinprozessionen, S. 168 f.; von Hovorka/Kronfeld, Vergleichende Volksmedizin, Bd. 2, S. 213 f.; Beitl, Wörterbuch der Volkskunde, S. 183; Königs, Der heilige Vitus, S. 201; zum mal caduc ou mal de St.-Jean vgl. oben, Kap. VII.1.5. 562 Temkin, Falling Sickness, S. 100 f.; für den Täufer wollte er dessen fallenden Kopf als allegorische Grundlage sehen. 563 Vgl. ebd., S.  101, der bei den Tanzwut-Ereignissen Epileptiker und »Chorea«-Pa­ tienten nebeneinander sehen wollte; ähnlich Beek, De geestesgestoorde, S. 241; allg.: Meisen, Springprozessionen, S. 168–171; Beitl, Wörterbuch der Volkskunde, S. 183, 781; Höfler, Deutsches Krankheitsnamenbuch, S. 728; Schubert, Fahrende Leute, S. 182; Eckart, Geschichte der Medizin, S. 90. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ferenzen in den Erscheinungsformen beider Krankheitskonzepte.564 Die seman­ tische Verwandtschaft von Fallsucht und Veitstanz bzw. Tanzwut ergibt sich aus ihren gemeinsamen kosmologischen Wurzeln als Performanzen der Schwelle zwischen Heil und Unheil, der Liminalität der Welt als Austragungsort des Kampfes zwischen Gott und Teufel um die Seelen der Menschen. Die Patrone von Fallsucht und Tanzwut, Hubert, Valentin, Veit und Johannes – außerdem Quirinus  – bildeten noch im frühen 16.  Jahrhundert im elsässisch-oberrheinischen Raum eine feststehende Reihe von in Flüchen angerufenenen Hei­ ligen – eben weil sie nicht für beliebige Krankheiten, sondern für unterschiedliche symbolische Performanzen des Heilsverlustes standen.565 Der fallende ­Drache (Teufel) konnte die Seelen in Beschlag nehmen und so ihren Fall bewirken (Fallsucht). Am Himmelstor bzw. Becher konnte jedoch auch der kosmische Reigen der Seelen auf der Schwelle zwischen Diesseits und Jenseits zur Aufführung kommen (Tanzwut). In der Figur des hl. Veit, wie auch in jener des Johannes, hatten diese beiden im Kern spirituell begründeten Krankheitskonzepte ihre Gemeinsamkeit. Sie blieben jedoch semiotisch, regional und zeitlich spezi­f ische, distinkte Phänomene. Wohlgemerkt: Für die hier hypothetisch entwickelte Assoziation des Vitus mit dem Sternbild Becher/Crater bzw. dem »Wasserträger« gibt es zwar eine Reihe von Indizien, nicht aber einen expliziten Beleg. Dass eine solche Re­lation nicht allgemein und konkurrenzlos verbreitet war, ließe sich etwa daran erkennen, dass astronomische Abbildungen das betreffende Sternbild eben nicht durchgehend als Kessel oder Mischkrug zeigen, sondern als Amphore, als geschlossenen Kelch oder als Kanne mit Henkeln. Andererseits: Gerade die Verschiebung vom Feuerofen des Buches Daniel zum »Hafen« der spätmittelalter­ lichen Heiligenikonographie würde erklärbar als Spiegelung des astronomischen Motivs. Empirisch belegbar und somit erklärungsbedürftig ist jedenfalls der Umstand, dass die breite Verehrung des Vitus als Patron der »Tanzwütigen« nicht etwa bei bildlichen Umsetzungen des Tanzes der Mägde ansetzte, oder jene als Patron der Fallsüchtigen bei solchen der Dämonenaustreibung bei dem Kind des Diokletian. Beide Szenen sind in der Veits-Ikonographie eher randständig gegenüber Attributen, die sich solaren bzw. astronomischen Konnotationen öffnen. 564 So auch Liebscher, Kartographischer Beitrag, S.  5 f.; Diepgen, Volksmedizin, S.  88– 92; ihnen folgend Midelfort, History of Madness, S. 42; zuletzt (ohne Belege) Waller, Time to Dance, S.  179 f. Zu überprüfen wären vor diesem Hintergrund auch die Ergebnisse der Volksmedizin des 19. Jh., die vielfach Veitstanz, Epilepsie und Krampfkrankheiten aller Art gleichsetzten und so auch aus weit vom Kernraum der Tanzwut entfernten Regionen Rezepte »gegen den Veitstanz« aufführen konnten, vgl. nur von Hovorka/Kronfeld, Vergleichende Volksmedizin, Bd. 2, S. 206–209, 219. 565 Vgl. für das Motiv des Landsknechtsfluches bei Thomas Murner und Martin Luther unten, Kap. VII.4. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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VII.3.9 Deutschland im Spätmittelalter: Vitus als Nothelfer Wie kaum ein anderer Heiliger des Spätmittelalters hat Veit eine vielgestaltige Ausstattung mit Attributen und Patronaten erfahren.566 Dies dokumentiert nicht nur seine große Beliebtheit besonders seit dem 14. Jahrhundert, sondern auch die Heterogenität seiner Verehrung, in der erkennbar viele kulturelle und lokale Einflüsse und Bedürfnisse zusammenflossen. Die in der – oft durch einen affirmativen oder aber einen polemischen Zugang zur Heiligenverehrung geprägten – Literatur häufig ohne Beleg aufgeführten Schutzpatronate und Beizeichen enthalten vielfach implizit auch Interpretamente der kirchen- und religionsgeschichtlichen Forschung, deren Prämissen also für eine weitere Analyse zu klären wären. Auch verzichten derartige Aufzählungen zumeist auf chronologische Differenzierungen, weshalb oft Phänomene der posttridentinischen Frömmigkeitskultur auf das Spätmittelalter zurückprojiziert werden. Schließlich ist oft von erheblichen Rückkopplungseffekten zwischen gelehrtem Wissen und Devotionspraxis auszugehen, etwa, wenn Vitus auch weit abseits der historischen Verbreitungsgebiete des Veitstanzes ein entsprechendes Patronat attestiert wird. Dem zusammengetragenen Material lassen sich abseits von arbiträren Einzelbelegen dennoch Regelmäßigkeiten entnehmen, die auf seine weitere Einordnung schließen lassen:567 Angerufen wurde Vitus demnach gegen Unfruchtbarkeit und als Patron der Brautschaft; für Regen und Sonnenschein, gegen Gewitter und Feuergefahr; gegen Schlangenbiss, Besessenheit, Fallsucht, Tollwut und Tanzwut.568 Entsprechend konnte er im ländlichen Glauben auch gegen analoge Krankheiten des Viehs angerufen werden.569 Die bei Königs aufgeführten Kirchenlieder, Litaneien, Gebete etc. zeigen jedoch deutlich, dass Tanzwut und Fallsucht in der späteren kirchlichen Veits-Verehrung alles andere 566 Braun, Tracht und Attribute, Sp. 738. 567 Vgl. die insgesamt 34 Patronate aufzählende Liste bei Königs, Der heilige Vitus, S. 201. 568 Meisen, Springprozessionen, S. 170; Röckelein, Der heilige Vitus, S. 25, die Ergotismus und Veitstanz gleichsetzt, S. 176 f.; Königs, Der heilige Vitus, S. 61 f. (Brautschaft), S. 199–212, bes. S. 201 (Besessenheit), S. 221 (gegen Gewitter und für Regen); Strasser, Sankt Vitus, S. 560, der auch »Hysterie« aufführt; Biquard, Le mal de saint Vit, S. [2]. Nach Katner, Rätsel des Tarentismus, S. 80, und Biquard, Le mal de saint-Vit, S. [4] mit Anm. 12, soll Vitus in Apulien schon im Frühmittelalter gegen Tollwut angerufen worden sein. Diese Annahme stützt sich auf Antonio Baglivi, einen Mediziner des späten 17. Jh., der zur Interpretation des süditalienischen Tarantismus gelehrtes Wissen über den nordalpinen Veitstanz heranzog. Es dürfte sich insofern um eine Rückprojektion handeln. Heute ist Vitus in seiner lukanischen Herkunftsregion auch als Patron gegen die Tanzwut bekannt, vgl. Hauschild, Magie und Macht, S.  103–105. Auch hier wäre zu überprüfen, inwieweit Rückkopplungen mit dem medizin­ historischen Diskurs vorliegen. 569 Königs, Der heilige Vitus, S. 207. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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als dominant waren.570 Schließlich wird er wiederholt als Patron der Schauspieler und Bühnentänzer erwähnt.571 Die Zuständigkeit für menschliche und landwirtschaftliche Fruchtbarkeit und gegen schlechtes Wetter weist Vitus als solar konnotierten Jahreszeiten­ heiligen aus; jene gegen Erdtiere und Dämonen (die oft miteinander assoziiert wurden), die Tanzwut und Ähnliches als Patron gegen die Folgen einer kos­ mischen Disharmonie im platonischen Sinn. Das Patronat für Theater und Ballett dürfte eine jüngere Entwicklung sein, stellt den Heiligen jedoch auffällig in den Kontext der ambivalenten Thematisierung von Schauspiel und Tanz in der christlichen Kultur. Als Begründung für das Patronat des Vitus über den krankhaften Tanz wurde vereinzelt auf den Reigen der Mägde in der Kammer des gefangenen Knaben hingewiesen.572 Der erotische Tanz der heidnischen Mädchen vor dem frommen Asketen entspricht nun in mancherlei Hinsicht dem der Salome vor dem Täufer. Der gläubige Knabe, der sich durch den werbenden Tanz nicht von der Treue zu seinem Gott abbringen lässt, reproduziert sicherlich den Gegensatz von ­ecclesia und Heiliger Hochzeit. Es ist aber nicht die Tanzverweigerung allein, die Vitus zum Patron der unfreiwilligen Tänzer machte. Denn zu be­achten bleibt, dass diese Episode in den späteren Bearbeitungen der Passio teilweise nicht mehr enthalten ist.573 Auch wurde sie im 15. und 16. Jahrhundert nur relativ selten abgebildet, prägte also offenbar nicht die alltägliche Wahrnehmung des Heiligen. Bis zum 15.  Jahrhundert wurde Vitus in der christlichen Bildkunst in der Regel nicht mit Attributen dargestellt, sondern in Einzelszenen aus seiner Leidensgeschichte.574 Besonders in Südwestdeutschland wurde er dann jedoch zu einem beliebten Sujet, und hier verbreitete sich auch das Motiv des »Veit im ­Häfele« besonders, des Knaben im Kessel also, in dem er entweder unbekleidet saß oder den er als kleines Attribut in den Händen hielt.575 Daneben konnte er auch andere Hinweise auf sein Martyrium bei sich haben: den Adler, der ihn genährt hatte;576 den Löwen, der seine Füße geleckt hatte;577 eine Ampel mit zwölf Lichtern, die an die Erscheinung in seiner Gefangenschaft erinnerte.578 Als 570 Ebd., S. 291–336. 571 Strasser, Sankt Vitus, S. 560; Giorgi, Santi, S. 367. 572 So schon der Basler Chronist Johannes Groß zum Jahr 1615, zitiert nach: Böhme, Geschichte des Tanzes, Bd. 1, S. 43; ebenso noch Meisen, Springprozessionen, S. 169. 573 Vgl. oben, Kap. VII.3.6. 574 Braun, Tracht und Attribute, Sp. 730 f.; zur Veits-Ikonographie vgl. allg. Königs, Der heilige Vitus, S. 244–290. 575 Vereinzelt, etwa in St. Veit in Kärnten (Ende 15. Jh.), wurde er der lukanischen Passio entsprechend nicht im Kessel, sondern im Feuerofen dargestellt, Hann, St. Veit, S. 49. 576 Hensel, (Art.) Vitus, Sp. 580. 577 Braun, Tracht und Attribute, Sp. 733. 578 Dormeier, Laienfrömmigkeit in Pestzeiten, S.  275; Braun, Tracht und Attribute, Sp. 728 f., 733 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Abb. 16: Armeliquiar des hl. Veit, Süddeutschland (Bamberg?), 2. Hälfte 15. Jh., Dommuseum Bamberg (akg-images).

Glaubenszeuge konnte er auch ein Buch und die Siegespalme des Martyriums tragen579  – unspezifische Attribute, die etwa auch sein entschärftes Derivat ­Potitus bezeichnen.580 Dabei wurde Veit entweder der Passio entsprechend als Knabe gezeigt oder aber als edler Ritter im herrschaftlichen Ornat.581 Waren diese Beigaben tendenziell unspezifisch, so zeichnet neben dem Kessel noch ein zweites Attribut den hl. Veit besonders aus: Ebenfalls seit dem 15.  Jahrhundert wird er häufig mit einem Hahn in der Hand dargestellt.582 579 Braun, Tracht und Attribute, Sp. 732 f.; Königs, Der heilige Vitus, S. 239; Hensel, (Art.) Vitus, Sp. 579 ff. 580 Schütz, (Art.) Potitus, Sp. 223; vgl. oben, Kap. VII.3.6. 581 Vgl. oben, Kap. VII.3.3. 582 Braun, Tracht und Attribute, Sp. 736; Hensel, (Art.) Vitus, Sp. 579 f.; Beitl, Wörterbuch der Volkskunde, S. 780. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Manchmal hält sogar der im Kessel sitzende Heilige einen Hahn in der Hand, wie bei einer Retabelfigur aus dem frühen 16. Jahrhundert in Schwaz/Tirol.583 Besonders im böhmischen und süddeutschen Verbreitungsgebiet der Vitus-Verehrung sind denn auch aus nachmittelalterlicher Zeit Hühner oder Eier als Opfergaben am Veitstag nachgewiesen.584 Es handelte sich hierbei wohl am ehesten um übliche Quatember-Abgaben, die mit dem Solstitialtermin auf den Veitstag verschoben worden waren. Wie die analogen Eierspenden zu Ostern haben diese jedoch immer wieder zu religionsgeschichtlichen Spekulationen Anlass gegeben. Der Hahn als Tier des Veit ist daher wiederholt mit dessen angeblicher Herleitung aus dem slawischen Svantovit-Kult in Verbindung gebracht worden. Angeblich hatten Bamberger Missionare im 12.  Jahrhundert den Pommern den Vitus mit dem Hahn als Ersatz für ihren Fruchtbarkeitsgott angeboten.585 Schon Joseph Braun hat jedoch darauf hingewiesen, dass der Hahn in der Veits-­ Ikonographie erst lange nach dem Ende der Missionszeit gebräuchlich wird, und vor allem: dass im slawischen Svantovit-Kult überhaupt keine Hähne überliefert sind.586 Als Erklärung verweist Braun auf den Namen jenes »Hahnenortes« am Ufer des Flusses Siler, an den der Engel in der Passio Vitus und seine Zieheltern bringt und an dem sie vom Adler genährt werden.587 Diese Erklärung setzt nun voraus, dass spätmittelalterlichen Bildschöpfern die griechische Bedeutung der auch nur in der lukanischen Passio überlieferten Ortsbezeichnung bewusst gewesen sei und dass sie daraus ein der Legende ansonsten fremdes Attribut geformt hätten. Und es erklärt noch nicht, warum der Verfasser der Passio diesen ungewöhnlichen Namen für den Aufenthaltsort seiner Heiligen wählte. In der antiken Mythologie und den spätantiken Mysterien war der Hahn das paradigmatische Tier des Wechselspiels von Sonne und Mond, Tag und Nacht.588 Das frühe Christentum hatte diese rituelle Verwendung von Hähnen und Hühnern, insbesondere die Orientierung am sprichwörtlichen ersten Hahnenschrei, einerseits abgelehnt, andererseits die Allegorese als Symbol für 583 Braun, Tracht und Attribute, Abb. 407, Sp. 735. 584 Königs, Der heilige Vitus, S. 219 f., 225–228, 242; Bilfinger, St. Veitstanz, S. 239 f. 585 Königs, Der heilige Vitus, S.  240–243, 591 f.; Kampschulte, Feier des Vitus-Festes, S.  157 f.; vgl. dazu oben, Kap.  VII.3.3. Kessel, St.Veit, S.  176–178, hingegen hat einen nor­ dischen Hahnen-Kult als Hintergrund annehmen wollen. 586 Braun, Tracht und Attribute, Sp. 736. 587 Braun, Tracht und Attribute, Sp. 737, kann sich hier auf den Kommentar der Bollandisten in den Acta Sanctorum stützen; vgl. oben, Kap. VII.3.4. 588 Fries, Attribute, S. 55; Königs, Der heilige Vitus, S. 590–592; Dölger, Sol salutis, S. 43; Fauth, Helios megistos, S.  143; Eisler, Mysteriengedanke, S.  256 f.; Merkelbach, Mithras, S. 118–121; Vermaseren, Mithras, S. 108 (über Hähne als Opfertiere im Mithras-Kult); vgl. oben, Kap. V.3.3. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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die »wahre Sonne« durchaus übernommen.589 Die Vitus-Passio lokalisiert den Rastplatz der Heiligen also an einem Ort, der im paganen Verständnis als solarmythologisch aufgeladen und für einen christlichen Betrachter als heidnischer Kultort lesbar war. Dass sie hier einen Adler als Gesandten Gottes auftreten lässt, zeigt, dass sie diese Konnotation entweder nicht wahrnahm, nicht wahrnehmen oder aber gezielt überschreiben wollte. An einem Taufbecken hatte die nach dem Vorbild der Mänaden gezeichnete Witwe von Caesarea in der bei Augustinus überlieferten Wundergeschichte ihren Fluch ausgesprochen, und dies ausdrücklich beim ersten Hahnenschrei.590 Wie der crater hatte auch das christliche Taufbecken insofern theurgische Wirkung, zumal in der Kombination mit dem Sonnenaufgang. Und der theur­ gische Akt bewirkte hier ein Gliederzittern bei den Kindern der Fluchenden. Da auch Martin Luther die Augustinus-Stelle unmittelbar mit dem Veitstanz assoziierte,591 wäre zu fragen, inwiefern diese auch bei der Ausbildung der ­Vitus-Ikonographie im Hintergrund mitgeschwungen haben könnte. Das Spätmittelalter jedenfalls kannte Vitus als den Patron der Sommer­ sonnenwende,592 des Tages also, an dem die Hähne besonders früh krähen und die Nacht als Zeit der Dämonen besonders kurz ist.593 Die seit der Entstehung der Veits-Legende aus verschiedenen kosmologischen, mythischen und biblischen Einflüssen kompilierte solarsymbolische Aufladung des Heiligen suchte sich also im 15. Jahrhundert im Attribut des Hahns einen neuen bildlichen Ausdruck: Vitus war der Hüter des Sonnentores wie der Hahn der Hüter des Sonnenaufgangs war.594 589 Nach Dölger, Sol salutis, S. 123 f., feierten die christlichen Gemeinden des 3. Jh. den Gottesdienst zur Zeit des Sonnenaufgangs, das heißt des ersten Hahnenschreis. Der früh­ humanistische Geschichtsschreiber Albert Krantz († 1517) erklärt in seiner Saxonia, in ­Corvey habe sich bis zur christlichen Mission die heidnische »Irminsul« befunden. Von deren Bildschmuck, einem Löwen und einem Hahn, leiteten sich, so Krantz, die Attribute des Klosterpatrons Vitus ab, vgl. Kampschulte, Feier des Vitus-Festes, S. 158. Diese gelehrte Traditionsbehauptung des 16. Jh. rekurriert erkennbar ebenfalls auf solarmythologische Stereotypen. Piero della Francesca (1416–1492) zeigt in seinem Kreuzlegenden-Fresko in der Kirche San Francesco in Arezzo neben dem Thron des Perserkönigs Chosroes das geraubte Kreuz und als Inbegriff des Heidentums eine Säule mit einem Hahn darauf, vgl. Renzi, Basilika des Heiligen Franziskus, S. 39 (Abb.). 590 Augustinus, Sermo 322, PL 38, S.  1443: »Cumque ad sacri Baptismatis fontem post gallorum cantus memorato filio suo iram Dei imprecatura properaret […].« Vgl. dazu oben, Kap. VI.2.4. 591 Vgl. unten, Kap. VII.4. 592 Vgl. oben, Kap. VII.3.2. 593 Königs, Der heilige Vitus, S. 205. 594 Erst zu Beginn des 17. Jh. wurde südlich der Hydra, also in der Nähe von Crater und Corvus auch ein Sternbild Gallus/Hahn eingeführt. In einem christianisierten Sternenhimmel (und ebenso in der älteren arma Christi-Ikonographie) sollte es an den Hahn erinnern, der beim Verrat des Petrus gekräht hatte. Für die Vitus-Ikonographie hat es schon aus chronologischen Gründen keine Relevanz. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Veit als Patron des ersten Hahnenschreis konnte so nun auch angerufen werden gegen das Verschlafen und gegen dessen offenbar häufige Folge bei Kindern, das Bettnässen.595 Wer früh genug erwachte, schaffte es noch auf den Nachttopf, der im Volksmund mit dem Häfele des Veit assoziiert wurde.596 Veit stand also für die Sonne, aber auch für das Wasser. Davon zeugen zumal im südwesteutschen Raum zahlreiche volkstümliche Sprüche, die ihn als Wetter-, Regen- und Gewitterpatron auszeichnen.597 Da hieß es etwa: »De Vit wird’s ­Häfele schon leere.«598 Eine lange Regenperiode im Jahr 1529 ging in Schwaben als »Sankt Veits Guss« in die Chroniken ein.599 Veit wurde nun auch zum Quellpatron, dessen kirchlich gesegnetem »Veitswasser« man heilende Kraft zuschrieb.600 Der Knabe mit dem Becher brachte also Feuer und Wasser gleichermaßen – die populäre Heiligenverehrung erweist sich auch insofern als sehr später Reflex antiker Astronomie. Kontinuität konnten diese Konzepte wohl deshalb er­langen, weil die Heiligenfigur mit ihren vielfältigen kosmologischen Konnotationen einen Referenzpunkt in der beobachtbaren Natur hatte: das Sternbild, mit dem das ihr zugrundeliegende Grundmotiv assoziiert war und anhand dessen es immer neu aktualisiert und angepasst werden konnte. Unterstellt man, dass für die Rhythmisierung der vom Klima abhängigen Landwirtschaft astronomische Kenntnisse gebraucht wurden, so liegt die Vermutung nahe, dass hier gelehrtes Wissen fragmentiert und umgeformt auch den Weg in breitere Bevölkerungsgruppen fand. In der populären Frömmigkeitskultur konnte dieses dann mit der kirchlichen Lehre in einen neuen Austausch treten. Der Sternenhimmel vermittelte zwischen den Rudimenten spätantiker Kosmologie, wie sie im hagiographischen Anti-Mythos gespeichert waren, und der spätmittelalter­ lichen Frömmigkeitspraxis und Ikonographie. Nachdem Veit mit dem 14. Jahrhundert zum Heiligen des Sommersolstitiums geworden war, konnte dies umso deutlicher hervortreten. Der Heilige des Spätmittelalters ist daher wesentlich stärker mit astralmythologischen Versatzstücken aufgeladen als jener des 11. oder 12. Jahrhunderts. Dass diese Entwicklung nicht zu einem kohärenten Bild führte, sondern zu örtlich, zeitlich und situativ abrufbaren, ganz unterschiedlichen Bedeutungs 595 Königs, Der heilige Vitus, S.  209, 228 f.; Höfler, Deutsches Krankheitsnamenbuch, S. 765. 596 Königs, Der heilige Vitus, S.  209 f.; Staab/Tobler, Schweizerisches Idiotikon, Bd.  1, Sp. 1134 f.; Fischer, Schwäbisches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1030. 597 Königs, Der heilige Vitus, S. 199–212; Staab/Tobler, Schweizerisches Idiotikon, Bd. 1, Sp. 1135; Fischer, Schwäbisches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1029; Müller/Dirlmeier, Rheinisches Wörterbuch, Bd. 9, Sp. 127 f. 598 Königs, Der heilige Vitus, S. 212. 599 Fischer, Schwäbisches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1029. 600 Königs, Der heilige Vitus, S.  177 (Zabern bei Straßburg), S.  208 f., 487 f. (Prüll bei ­Regensburg). © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ebenen, zeigt der Umstand, dass der Fruchtbarkeit bringende Knabe mit dem Becher nun auch als Patron des Weins und des Weinbaus auftreten konnte.601 Er war auch insofern ein später Erbe des Dionysos, freilich vermittelt durch ­mehrere Stufen des Transfers aus den Gelehrtenstuben in die populäre Wahrnehmung. Hühneropfer und Wasserkrug in einem apotropäischen Ritual neben­ einander beschreibt der Straßburger Chronist und Theologe Sebastian Franck (1499–1542/43) 1534 in seinem »Weltbuch«: »Nach dem [Fronleichnamsfest] kumpt Sant Veit, dem opffert man seer vil huener, wa er rast, für das freyßlin oder vergifft, vnd kaufft yedem Kind ein kruegelin.«602 Franck entwickelte in Reaktion auf die beginnende konfessionelle Konfrontation eine pantheistische und spiritualistische Theologie, die alle »Haufen« überwinden sollte.603 Den altkirchlichen bzw. katholischen Glauben an Schutzheilige und an die Sakramentalien lehnte er als Zauberei und Aberglauben ab.604 Er schreibt hier also aus der Perspektive des religiösen Reformers, jedoch ohne offene Polemik. Fraysen und Vergicht waren Bezeichnungen für Krämpfe bei Kindern und in der Schwangerschaft.605 Warum wurden diese Krämpfe dem Zuständigkeitsbereich des Knaben mit Hahn und Becher zugeschrieben? Weil er als Hüter des Himmelstores für den Abstieg der Seele auch der Patron über die Geburt des Menschen war. Krämpfe von Schwangeren oder kleinen Kindern konnte man mit dem liminalen Zustands des Eintritts in die Welt in Zusammenhang bringen. Sie wurden so als gestörtes körperliches Echo der kosmischen Kreisbewegungen verständlich, aus denen die Seele sich ja herabbewegen musste. Wie fromme Jungfrauen sich selbst bei ihrem Tod in den himmlischen Reigen aufgenommen erlebten,606 so musste der Mensch bei der Geburt offensichtlich aus dem Tanz der Sphären erst herausgelöst werden. Die Krämpfe der Schwangeren und kleinen Kinder fielen daher in die Zuständigkeit des Heiligen, der mit seinem kruegelin und seinen Hühnern diesen Prozess des Übergangs bewachte. In der liminalen Phase von Schwangerschaft, Geburt und ersten Lebens­monaten607 konnte die Ablösung vom himmlischen Reigen sich demnach in dis­harmonischen Bewegungen äußern.

601 Königs, Der heilige Vitus, S. 201. 602 Franck, Weltbuch, fol. 82v.; Königs, Der heilige Vitus, S. 228. 603 Bautz, (Art.) Sebastian Franck, Sp. 82–85. 604 So etwa Franck, Weltbuch, fol. 84v. 605 Königs, Der heilige Vitus, S. 205, 228, 241; Höfler, Deutsches Krankheitsnamenbuch, S. 765; Schneble, Krankheit der ungezählten Namen, S. 82–84; Stolberg, Homo patiens, S. 138, vgl. ebd., 137–139, zur Entwicklung der »Nervengicht«. 606 Vgl. oben, Kap. III.5.2. 607 Vgl. allg. Douglas, Purity and Danger, S. 95 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Auch die Geburt also war ein  – nein: der paradigmatische  – Tanz auf der Schwelle. Als »kleiner Veitstanz« oder »Chorea Sydenham« (nach dem berühmten englischen Mediziner Thomas Sydenham [1624–1689], der sie erstmals klinisch beschrieb)608 gingen diese Krampferkrankungen in die moderne medizinische Nomenklatur ein609  – und als »Chorea minor« (bei Kindern) und »Chorea gravidarum« (bei Schwangeren) werden sie dort heute noch bezeichnet.610 Die moderne Medizin steht damit nach unzähligen Schritten der Iteration in der Tradition der spätantiken Dionysos-Mythologie: Schon der spätere (?) Christ Nonnos von Pannopolis (5. Jh.) schreibt, Semele sei während ihrer Schwangerschaft mit Dionysos von unbezwinglicher Tanzlust befallen worden. So oft sie eine Flöte gehört habe, habe sie tanzen müssen.611 Auch Dionysos selbst (wie später Johannes der Täufer) tanzte im Bauch seiner Mutter.612 Und Platon vergleicht in den Nomoi die Tänze der Maniakalen ausdrücklich mit dem beruhigenden Schaukeln der Kinder in der Krippe.613 Die Aulos-Flöte wirke auf sie beruhigend wie der Gesang einer Amme.

VII.3.10 Oberrhein und Schwaben um 1500: Vitus als Patron der Tanzwut Neben Fallsucht, Fraisen und Vergicht taucht im 15. Jahrhundert jedoch noch ein drittes Krankheitsphänomen auf, das ebenfalls mit dem hl. Veit in Ver­ bindung gebracht wurde und Menschen beiderlei Geschlechts und aller Alterstufen erfasste: der Veitstanz bzw. der Veitsfluch. Die Assoziation des hl. Veit mit einem durch zwanghaftes Tanzen gekennzeichneten Leiden wird quellenmäßig erstmals am Oberrhein gegen Ende des 15. Jahrhunderts greifbar. Am bekanntesten ist die große Tanzbewegung von Straßburg 1518, bei der mehrere hundert Menschen über Wochen hinweg in der Stadt tanzten. Schließlich wurden sie ins nahe Zabern (Saverne) gebracht, wo sie an einer Wallfahrtskapelle des Vitus Linderung erlangten.614 608 Tshisuaka, (Art.) Sydenham. 609 Meisen, Geschichte der Tanzkrankheit, S. 128 f.; Haeser, Lehrbuch der Geschichte der Medizin, Bd.  2, S.  173 mit Anhang 44; Höfler, Deutsches Krankheitsnamenbuch, S.  728 f.; Midel­fort, History of Madness, S.  42; Grandmougin/Bourdet/Gurruchaga, Danse de SaintGuy, S. 58; Bergdolt, Veitstanz, S. 86 f. 610 Biller-Adorno, (Art.) Veitstanz, Chorea major (Neuzeit); Griffith, Complete Guide, S. 532; Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 1986, zitiert nach: Zimmermann, Engelsreigen, S. 279, Anm. 162. 611 Otto, Dionysos, S. 89. 612 Vgl. oben, Kap. VII.1.3. 613 Rouget, Music and Trance, S. 201 f. 614 Vgl. zuletzt Waller, Time to Dance; Groß, Hans Wydyz, S. 241–254. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Diese Bewegung war jedoch nicht etwa spontan aus dem Nichts entstanden. Vielmehr gab es schon zuvor Wallfahrten von Veitstänzern zum hl. Veit am Hohlen Stein in Zabern. Dies lässt sich jedenfalls aus der 1512 erschienenen »Narrenbeschwörung« des Straßburger Franziskaners Thomas Murner (1475–1537) erschließen. Der populäre Satiriker und Publizist verwendet Veit in einer stereotypen Reihe von im Elsass zu Beginn des 16. Jahrhunderts beliebten Heiligen: Hubertus (Hubrecht), Valentin (Veltin), Quirinus (Kürin), Antonius (Theng) und Vitus (Vit) werden immer wieder gemeinsam erwähnt. Auf sie sind die Flüche der Landsknechte (und ihrer Nachahmer) gemünzt: »Alleyn die streyten by dem wein / Vnd wendt für hansen [Herren] geachtet sein, / […] Deren fründtelichster gruoß / Jst allzeyt heyligen buoß: / Huprecht, velten, sant kürein, / Vnd sant vit jm hollen stein – / Mir die heyligen, in [ihnen] die buoß! / das selb sey recht ir wider gruoß!«615

Auf diese Heiligenreihe berufen sich nach Murner auch die habgierigen Sta­ tionierer, also die professionellen Spendensammler der Orden und Stifte, über deren Geschäfte sich der Franziskaner ausführlich lustig macht: »Vnd liegen von sant veltins plagen, / Von sant thengen feür sy sagen, / Von sant kürin, von sant vyt, / Biß das ein yeder opfer gyt.«616 Ebenso tun dies aber auch die betrügerischen Bettler, die Krankheiten vortäuschen: »Etlich ir lugen thuondt verbrieffen / Vnd sitzend vff der gassen rieffen, / Wie sy hondt sant kürens buoß, Sant theng hat in verbrant den fuoß; / Sant veltin, der lieb herr sant vyt, / Straffen den, das er da lyt / Vnd schumpt recht wie ein eber schwyn, – / Do fraß er vorhin seiffen yn.«617

Je nach Bedarf wird Vitus dabei auf unterschiedliche Weise in den Reim eingefügt. Vitus, der Veitstanz und das Veitsheiligtum »jm hollen stein« bei Zabern618 werden so nebeneinander gebraucht. Man wird daraus folgern können, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die Kapelle des Heiligen ein Ziel von Menschen war, die am Veitstanz litten. In Straßburg, wo Murner schrieb und sein unmittelbares Publikum hatte, war dieses Phänomen offenbar bereits so im Wahrnehmungshorizont verankert, dass er es in seiner Satire stereotyp verwenden konnte. 615 Spanier (Hg.), Murner, Narrenbeschwörung, Nr. 6, v. 33–37, S. 137; vgl. ebd., Nr. 85, v. 45–47, S. 412: »Jn hundert tusent tüfel namen, / Vnd riefft sant veltin, kürin namen / Sancte theng, vnd sant vix dantz; Noch ist syn peters kopff [Hitzköpfigkeit/Starrsinn] nit gantz.« Vgl. dazu den Kommentar ebd., S. 573 f.; Schultz, Deutsches Leben, S. 59, Anm. 3. 616 Spanier (Hg.), Murner, Narrenbeschwörung, Nr.  25, V. 84–95, S.  214; vgl. ähnlich ebd., Nr. 33, V. 78–84, S. 242, wo Vitus in der Aufzählung fehlt. Über die »Stationierer« vgl. ­Schubert, Fahrende Leute, S. 288 ff. 617 Spanier (Hg.), Murner, Narrenbeschwörung, Nr. 56, V. 64–71, S. 319 f. 618 Vgl. den Kommentar zu Nr. 6, V. 35: Spanier (Hg.), Murner, Narrenbeschwörung, S. 583. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Der beschriebene Trick der Bettler legt dabei die Vermutung nahe, dass die Strafen der Heiligen Valentin und Veit mit den gleichen Symptomen assoziiert wurden: Liegen bzw. Fallen und (künstlicher) Schaum vor dem Mund. Zumindest hier zeigt sich also eine enge Affinität des Veitstanzes zur Fallsucht, die freilich in späteren Beschreibungen nicht mehr dominant sein sollte. Vorlage Murners ist hier wohl der um 1510 in Pforzheim erstmals und dann immer wieder gedruckte Liber vagatorum. Heißt es dort doch: »Von den grantnern. Das .viij. capitel ist vo[n] de[n] gra[n]tnern, das seind die betler /  die spreche[n] in des houtze[n] boß. Ach lieber fründ sehend an / ich bin beschwert mit de[n] fallende[n] siechtagen sant Vale[n] / tin, sant Kurin sant Vits sant Anthonius, vnnd hon / mich gelopt zů dem liebe[n] heilige[n], vt supra, mit .vj. pfu[n]d / wachs mit eim altertůch mit eim silberi[n] opffer, et cetera / vnd můß das samlen mit frummer leüeh [!] steür vn[d] hiff, [!] / darumb bit ich eüch, das ir mich woellen stüren ein hel- / ler ein rüschlin flachs ein vnderbant garn zů dem altar // das üch gott vn[d] der lieb heilig woel behůten, vor der pla- / gen oder sichtage[n], Nota ein loe stuck. Item etlich fal- / lent nider vor den kirchen auch allenthalben und nem / en seiffen in de[n] mund das ynen der schum einer fust groß / vff gat, vnd stechen sich mit eim halm in die naßloecher / das sie bluten werden, als ob sie den siechtage[n] hetten, vnd / ist ­buben teding, das selbs sind lantstricher die alle landt bruchen.«619

Mancher, so heißt es weiter, behaupte, er selbst habe beim Anblick eines Bettlers einen Betrugsverdacht gehabt, daher sein Geld lieber behalten und sei gerade deshalb mit der Fallsucht bestraft worden: »[…] es hat sich vff ein zeit begeben das ein betler ist kumme[n] für myns vatter huß. / vn[d] hat geheische[t] vm[m] sant Veltins wille[n], vn[d] mein vat / ter gab mir ein[n] pfen[n]ig ich solt in im bringe[n], ich sprach vat / ter es ist bůben ding, d[er] vatter hieß mich in jm geben vnd / ich gab in jm nit vo[n] stu[n]d an kam mich die falle[nde] sucht an / vn[d] hab mich gelobt zů sant Veltin mit dry pfunt wachs / vnd mit einer singende[n] meß vn[d] muß das heischen, vnd / erbetlen mit frummer leüt hilff, wann ich hab mich al- / so verheissen, sunst het ich von mir selbs genug, […].«

Abschließend wird dem Leser geraten, nur jenen Bettlern zu geben, die nicht viele Worte machen. Denn zwar sei durchaus »[…] manch mensch beswert mit den schwere[n] siechtagen / der heiligen«. Aber wer noch eifrig Wundergeschichten erzählen könne, der sei nicht krank, »[…] dann sie schwetzen eim ein nuß ab / eim baum der inen glauben will, vor den selben hüet du / dich vnd gib innen nüt«. Dass die Heiligen Krankheiten bringen und auch wieder nehmen können, wird hier also nicht in Zweifel gezogen. Wohl aber wird gewarnt vor Bettlern, 619 Hier zitiert nach der Ausgabe: Liber vagatorum. Der Betler orden, Straßburg 1510 [VD 16 L 1548], Digitalisat von BSB München, Rar. 77, URL: [18.08.2010], S. 12–14; vgl. Beek, De geestesgestoorde, S. 34; dazu allg.: Jütte, Abbild und soziale Wirklichkeit. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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die offenbar im Publikum bekannte Symptome inszenierten. Aufällig ist, dass hier die vier Heiligen gleichermaßen als Patrone der »fallenden Sucht« bezeichnet werden. Und sehr farbig beschreibt dieses Handbuch für die Abwehr von Bettelbetrug, wie angebliche oder tatsächliche Kranke mit ihrem Leiden umgingen: Man gelobte dem jeweils als Urheber identifizierten Heiligen Gaben für den liturgischen Gebrauch als spirituelle Wiedergutmachung für einen Akt des Ungehorsams und musste diese dann bei Bedarf durch Bettel erlangen. Wer solchen Büßern gibt, der schützt sich selbst vor dem Unwillen des Heiligen. Hier scheint eine Logik des Gebens und Nehmens im Verhältnis zwischen Heiligem und Gläubigen auf, wie sie auch etwa die Konzeption des Johannistanzes bei Hugo von Konstanz prägte. Andere Zeugnisse zeigen, dass die Assoziation von Tanz und Veit zu Beginn des 16. Jahrhunderts bereits volkstümlich geworden war: Schon im Jahr 1507 erwähnt der Straßburger Münsterprediger Johannes Geiler von Kaisersberg (1455–1510) sie in einer Aufzählung von blasphemischen Flüchen: »­Fluochen [ist], da einer dem andern boeses wünscht das dich der ritt schütt, sant Veltins plag, sant Vrbans plag, sant Vits tantz.«620 Und schon in den 1480er Jahren wird im Stadtrecht von Rottweil, nordwestlich des Bodensees am Rand des Schwarzwalds gelegen, bestimmt: »Item welher den anndern unzüchtigklich schältet oder flůchet, den ritten sant Vitstantz oder derglychen wort, der soll verfallen sin 5 sh.h. [Haller Schilling].«621 Zwischen 1498 und 1503 beschreibt Ladislaus Suntheim, Hofkaplan und Hofchronist Kaiser Maximilians I., in seiner Landesbeschreibung Württembergs jährliche Wallfahrten der Tanzkranken zur Veitskapelle auf dem Burgberg nahe seiner Heimatstadt Ravensburg: »Vor dem Slos (sannd Veitsperg) ist ain Kirchen genannt sannd Veit dahin kommen all Jar Leyt die sannd Veits Plag habenn vnnd tantzen von ainer Vesper zu der ander vnnd ir khommen so viel dahin als in kain Stat imm Swaben Lanndt […].«622 620 Johannes Geiler von Kaisersberg, Von dem weltlichen Leuwen, in: Die brösamen doct[or] kaiserspergs vffgelesen vo[n] Frater Johan[n] Paulin, barfüßer orde[n]s, [Straßburg 1517] (VD 16 G 717), fol. 52v.; zur Datierung (Predigt am fünften Sonntag nach Pfingsten 1507) vgl. ebd., fol. 49r. und 50v; Schultz, Deutsches Leben, S. 59; Schwerhoff, Blasphemare, S. 274 f.; vgl. ähnlich Stöber, 496 Sprichwörter, S. 159, Nr. 441: »Das dich Sankt Veitz tantz ankum!« 621 Greiner, Das älteste Recht, Nr. 336, S. 215 f.; zur unklaren Datierung vgl. ebd., S. 7–10: der Codex geschrieben 1498–1503, die hier betreffende Passage etwas älter; Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S. 121; vgl. Birlinger, Sprache des Rotweiler Stadtrechts, Bd. 2, Anhang, S. 68 (Glossar), der seine Vorlage auf 1545 datiert; dazu Königs, Der heilige Vitus, S. 238, der dieses Zitat nach Fischer, Schwäbisches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1031, fälschlich als »aus einer Predigt« identifiziert. 622 Hartmann, Landesbeschreibung, S.  129; Fischer, Schwäbisches Wörterbuch, Bd.  2, Sp. 1030, Backman, Religious Dances, S. 265, gibt hingegen an, vor 1518 sei die Bezeichnung Veitstanz o. Ä. nicht belegt. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Wie 200 Jahre zuvor die Kinder der Herodias in den Zeugnissen aus dem nahen Konstanz623 kommen die Opfer der »Veitsplage« also alljährlich in die Kirche ihres Patrons, um vom Vorabend des Veitstages bis zum nächsten Abend zu tanzen. Und Suntheims Hinweis auf die Attraktivität der Ravensburger Veitskapelle impliziert zugleich, dass es in Schwaben schon um 1500 weitere Wallfahrten von Tanzkranken zu Kirchen des Heiligen gegeben haben muss. Tatsächlich lassen sich solche Tanzwallfahrten zu Ehren des Vitus für eine ganze Reihe von Orten in Schwaben und am Oberrhein bis ins 17. Jahrhundert nachweisen. Wann diese Wallfahrten entstanden sind, ist unbekannt, ebenso, seit wann Vitus überhaupt konkret mit dem krankhaften Tanz identifiziert wurde. Ravensburg und Zabern waren jedoch vor der Einführung der Reformation in Württemberg keine Einzelfälle. Bekannt sind die durch den Freiburger Stadtarzt Johannes Schenck von Grafenberg (1530–1598) beschriebenen Wall­fahrten zur Johanneskirche in Biesheim bei Breisach und zur Veitskapelle in Wasen­ weiler am Kaiserstuhl, ebenso die bei dem Ulmer Stadtmedicus Gregor Horstius (1578–1636) erwähnte Wallfahrt zum hl. Vitus nach Treffelhausen auf der Schwäbischen Alb.624 Kurz nach dem großen Straßburger Veitstanz von 1518 kam es im schwä­ bischen Kloster Ellwangen zu einem mit großer Öffentlichkeitswirkung aus­ getragenen Konflikt um die Besetzung der Propstei (1519–1521). Wohl 1521 verfasste ein anonymer Parteigänger der Reichsritterschaft ein Streitgedicht gegen die Fürsten. Veit als Hauptpatron des Reichsstifts wird als Beschützer gegen die materiellen Interessen der Gegenpartei angerufen. Der ungetreue Propst habe »Sant Veit sein hafen ouch empfiert«; also: dem Heiligen seinen Kessel entführt, so heißt es da; und schließlich über dessen Entourage: »die glegen send in der vinantz, ich hoff, Sant Veit lad sie zum tantz«,625 also: denen es nur um die Schatzkammer geht und denen daher der Veitstanz zu wünschen sei. Der Anonymus erwähnt einleitend Martin Luther, Ulrich von Hutten und Erasmus von Rotterdam,626 ist also um tagespolitische Aktualität bemüht. Bezieht er sich auf die Straßburger Ereignisse drei Jahre zuvor? Für Ellwangen sind Tanzwall­ fahrten bisher nicht gesichert. Das Motiv des Veitstanzes als Strafe für Fehl­ verhalten gegen den Patron ist jedoch offenbar so gut eingeführt, dass es in einer für die Publikation bestimmten (wenn auch wohl ungedruckt gebliebenen) Polemik verwendet werden konnte. Wer dem Heiligen seine Kirche entfremdet, der begibt sich also in Gefahr, damit auch das Seelenheil zu verspielen und folglich vom Hüter des »Hafens« zum Tanzen gebracht zu werden.

623 Vgl. oben, Kap. VII.1.5. 624 Vgl. oben, Kap. I.1.1. Ich bereite eine Aufsatzveröffentlichung zum Thema vor. 625 Obser, Spruchgedicht, S. 314, 317; Fischer, Schwäbisches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1030. 626 Obser, Spruchgedicht, S. 308. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Dass der Veitstanz nicht nur ein literarisches Stereotyp, sondern eine kulturell reale Krankheit war, beweist gerade eine literarische Quelle: Der Nürnberger Hans Sachs (1494–1576) lässt im Jahr 1544 seinen Ich-Erzähler (genannt »Der dichter«) im Krankenbett über seinen »Podagra« (Gicht) lamentieren. Ein Geist entführt ihn zu den olympischen Göttern, die gerade beraten, wie sie die verderbte Menschheit strafen sollen. Auf Vorschlag Minervas lässt Merkur alle möglichen Krankheiten im Saal aufmarschieren: »[…] Ich raht, das man auff diese zeyt / Die welt mit allerley kranckheyt / Straff, yegk­ lichen nach seiner that, / Darmit er sich versündet hat. / Das wird den menschen fein purgiern, / Von allen lastern loß-quittiern. […]«

Unter den zahlreichen Personalisierungen der Leiden nun – zwischen »Para­ lisis«, »außsatz«, »fallend sucht«, »Frantzosen-sucht«, »fressend krebs«, »rot rur«, »gmechtpruch« und vielen mehr steht da auch: »Sanct-Veits-tantz thet auch nach hin tantzen.« Unzählig ist schließlich die Menge der namenlosen Leiden, die in den Saal drängen und ihren Platz zugewiesen bekommen – nur des »Dichters« »Podagra« ist nicht zu sehen. Am Ausgang jedoch erkennt er eine bleiche ­Figur mit einem Narrenkostüm, die von den Anwesenden verspottet wird. Der Geist erklärt ihm nun, ebendies sei die Personifikation der Gicht. Von den anderen Leiden werde sie belächelt, weil sie nicht töte, sondern den Menschen heute Schmerzen bereite und sie morgen gesund wirken lasse: »Drumb sie ein nerrisch kranckheit ist. / Derhalben du auch schuldig bist, / Den göttern darumb danck zu sagen, / Das sie dich nit mit andern plagen / Haben geplagt, sunder mit der.«

Als Merkur nun die Krankheiten, die den Menschen zur Strafe für ihre Verfehlungen geschickt werden sollen, aufruft, drängen alle diensteifrig nach vorn. In diesem Getümmel erwacht der »Dichter« aus seinem Traum und kommt zur Einsicht.627 Der pro-reformatorische Moralist Hans Sachs also wiederholt die ganz konkret zu verstehende Assoziation von Krankheiten als Strafe mit bestimmten menschlichen Verfehlungen, freilich nicht mehr in den Händen des christlichen Gottes und seiner Heiligen, sondern der literarisch eingeführten Olympier. Die Krankheitsbezeichnung Veitstanz jedoch behält er bei (ebenso »S. Quirins buß«), und er erwähnt sie mit einer Beiläufigkeit, die keinen Zweifel daran lässt, dass er sie hier nur als gängige Benennung eines auch in Nürnberg bekannten Leidens aufführen möchte. Im 1597 wohl in Basel erschienenen »Lalebuch« wollen die Lalen (sprichwörtliche Dummköpfe wie die »Schildbürger«) dem Kaiser einen »Hafen« (Bottich) mit Senf verehren. Als der Bottich zu Boden fällt und der Senf ausläuft, schimpft 627 Sachs, Ein gesprech der götter, S. 406–411; vgl. dazu Winkle, Geißeln (32005), S. 1100, Anm. 41. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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ihr Schultheiß: »Nun hab Euch S. Vix plag, […].«628 Der Fluch beim hl. Veit wird hier nicht etwa willkürlich eingesetzt: Mit dem Geschenk der ­Lalen ist auch eine satirische Anspielung auf das geläufigste Attribut des Märtyrers, den Kessel, gegeben. Ebenso werden in einer zweiten Episode des »Lalebuches« die Hühner- bzw. Eieropfer für den Heiligen alludiert: Eine Bauersfrau geht da mit einem Korb Eier zum Markt und träumt unterwegs von einem Aufstieg zu Reichtum und Ehre: »Mit solchen gedancken verstiege sich die gute Lalin so tieff, daß sie gleichsam als gantz vnempfindlich wurde, vnnd war ihren nicht anderst als einem Trunckenen: darumb als sie jn hopffas schrey, wolte sie auch ein Arm darzu auffwerffen, vnnd einen sprung thun. Ich weiß aber bey S. Grix [S. Vix] nicht, wie sie ihme gethan. Als sie den Arm auffschwung, vnd darzu jauchtzete, stiesse sie mit solchem den Korb mit den Eyern, daß er sich gantz ungestuem hernider begab, vnd die Eyer alle zerbrache[n]. Hiemit lag all ihr Gnadfrawschafft im Dreck: wer lust darzu hat, mags erlesen, vnd ein Gnad Herr sampt ihren damit werden.«629

An der Wende zum 17. Jahrhundert also ist der Heilige mit seiner Legende und dem mit ihm assoziierten »Tanz« im reformierten Basel zum literarischen Stereotyp geworden, mit dem man sozialkritische Satiren ausstaffieren kann. Der Aufstiegswunsch der Bäuerin wird als Größenwahn disqualifiziert, und für diese Verrücktheit steht das Motiv des selbstzerstörerischen Veitstanzes bereit. Aus dem 16. und 17. Jahrhundert sind im oberdeutschen Raum dann immer wieder Formeln für den Veitsfluch überliefert. So etwa im Elsass: »Gott geb dir St. Veit«;630 »dass dich Vix dantz ankomme!«; »Wer nicht liebet Musica, den plag St. Veiths-Tanz und Podagra!«.631 Anders als der Johannistanz entbehrt der Veitstanz einer konkreten mythischen Ätiologie: Der Erblichkeit des Leidens als Buße für den Tanz der ­Salome entspricht bei Veit nur vage der Fluch durch einen menschlichen Dritten. Durch diese Form des performativen Sprechens sollte die mit dem Heiligen asso­ziierte Tanzkrankheit auf den Verfluchten gelenkt werden. Doch heißt das, dass Vitus – und allgemein, dass Heilige – gleichermaßen heilen und krank machen konnten, gut und böse waren? Sprechen solche Flüche für eine quasi animistische Konzeption von Heiligkeit in der Volksreligion?632 Zweifel 628 von Bahder (Hg.), Lalebuch, S. 92; vgl. Königs, Der heilige Vitus, S. 230; allg.: Kön­ neker, Satire im 16. Jahrhundert, S. 205–222. 629 von Bahder (Hg.), Lalebuch, S. 122 f., der »St. Grix« als Variante von »St. Vix/Vits« nachweist. 630 Martin, Geschichte der Tanzkrankheit, S. 120; Biquard, Le mal de saint Vit, S. [5 f.]. 631 Piton, Strasbourg illustré, Bd.  1, S.  133; Martin/Lienhart, Wörterbuch der Elsäs­ sischen Mundarten, Bd.1, Sp. 157; Höfler, Deutsches Krankheitsnamenbuch, S. 728. 632 So noch Biquard, Le mal de saint-Vit, S. [5 f.]. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Kosmologie, Tanz und Fallsucht

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los waren Krankheiten auch als möglicherweise durch seine Heiligen vermittelte Strafen Gottes wahrnehmbar. Zumindest beim Veitstanz greift man aber zu kurz, wenn man ihn unmittelbar mit dem Bild vom »strafenden Gott« oder gar mit einem angeblich kryptopagan-polytheistischen Verständnis von Heiligkeit kurzschließt. Vitus als kosmischer Knabe mit dem Becher behütete das Himmelstor. Er stand also für den Abstieg der Seele in die Welt (in seiner Zuständigkeit für die Geburt), für die gefallenen Seelen (in seiner Zuständigkeit für die Fallsucht), und im weiteren Sinn wohl allgemein für den liminalen Raum zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen der Heilsgemeinschaft der ecclesia einerseits und dem Unheil in der Welt andererseits. Auf dieser Schwelle zwischen Immanenz und Transzendenz war das angesiedelt, was im Begriff »Tanz« nur sehr un­ zureichend gefasst ist: die entweder harmonische oder disharmonische Mimesis der kosmischen Sphärenbewegungen. Wer diese Schwelle überschritt, bei dem zeigte sich der Statuswandel in einer körperlichen Exaltation (der »­Chorea« der Schwangeren und Kinder, dem »Fallen« der Fallsüchtigen). Wer also vor dem Knaben mit dem Becher respektive dem Knaben im Kochtopf »tanzte«, der setzte damit einen Schwellenstatus in Szene: das Herausfallen aus der Gemeinschaft der Gläubigen, den Abstieg aus der ecclesia (als innerweltliche Vorwegnahme und Brückenkopf des Himmels) in die Welt. Der Abstieg durch das von Vitus bewachte Himmelstor entsprach also dem Heraustreten aus der Kirche (dem Gebäude wie der Heilsgemeinschaft). Dabei war dieser Schwellenzustand nicht endgültige Verdammnis. Er war reversibel und durch sakramentale Rituale beherrschbar, wie die Tanzwallfahrten zeigen. In Thomas Murners »Narrenbeschwörung« ist denn auch ausdrücklich von der von den Heiligen bereiteten »buoß« die Rede: Theologisch gesehen ist die Buße der Rückweg zu Gottes Gnade, nicht die Strafe. Wer seinem Feind »Sankt Veits Tanz« wünschte, der verfluchte ihn also nicht einfach zu einem schlimmem Leiden, er »schickte« ihn noch nicht einmal »zur Hölle«. Er verpasste ihm eigentlich nur einen Denkzettel, wünschte ihm eine körperliche und spirituelle Erfahrung seiner (bei einer Feindschaft anzunehmenden) moralischen Schuld, die ihn dem Heilsverlust etwas näher gebracht haben mochte. Der Heilige, mit dem diese Tanzkrankheit assoziiert war, löste diese demnach eben nicht wie ein eifersüchtig strafender Geist selbst aus, sondern der Mensch hatte sich weshalb und womit auch immer in einen Zustand der Heilsungewissheit begeben, der sich eben in dem »Tanz« äußerte, und Veit vermittelte diesen Zustand. Wohlgemerkt: Dieser eschatologische Wirkzusammenhang war sicherlich nicht jedem ersichtlich, der hier und da »Gott gebe dir St. Veit!« murmelte. Und da der Name »Veit« nicht nur für den kirchlichen Heiligen stand, sondern offenbar auch mit der ritterlich-männlichen Figur des »Bruders Veit« assoziiert wurde, wird der Fluch durchaus performativ zu verstehen gewesen sein. Überhaupt dürfte der hier herausgearbeitete kosmolo­ © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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gische Hintergrund der Krankheitskonzeption Veitstanz den Zeitgenossen nur begrenzt bewusst gewesen sein. Er determinierte jedoch die zu ihrer Deutung und ihrer Beherrschung bereitstehende spirituelle wie medizinische Semantik.

VII.4 Der Veitstanz in der beginnenden konfessionellen Auseinandersetzung Anders als das früher belegte Tanzpatronat des Johannes wurde jenes des Vitus denn auch bis heute buchstäblich sprichwörtlich. Denn in den modernen Wahrnehmungshorizont sollte der Veitstanz weniger unmittelbar als Krankheits­ phänomen, sondern vielmehr als Thema der konfessionellen Polemik eingehen.633 Der schon erwähnte Thomas Murner, der zunächst durchaus mit Luther sympathisiert hatte, war seit 1520 polemischen Angriffen durch die elsässischen Anhänger der Reformation ausgesetzt. 1521 reagierte er mit der Veröffent­ lichung des Gedichts »Ain new lied von dem vndergang des Christlichen glaubens«. Dieses sollte demnach »in bruder Veithen thon«, also nach der Melodie eines Landsknechtsliedes gesungen werden.634 Dieser »bruder Veithen thon« wurde dann auch von den Reaktionen auf Murners Attacke aufgenommen, so etwa von dem Esslinger Frühreformator Michael Stifel (1487–1576) in seinem »Ander[n] lied darwider vom auffgang der Christenhait jn D[octor] Mur[ners] Veiten thon«.635 Im Jahr darauf antwortete Murner dem mittlerweile aus Esslingen geflohenen Stifel mit einer »Antwurt und klag mit entschuldigung doctor Murners wider bruoder stifel […] daruß er des lieds den rechten thon er­lernen mag«.636 »Bruder Veit« und der »Veiten Ton« wurden hier zum literarischen Spielmaterial, um dem jeweiligen Gegner den Zugang zur Glaubenswahrheit abzusprechen. Der »bruder Veithen thon« erklang also all jenen, die, um mit ­Michael Stifel zu sprechen, »usserhalb Christo wandeln«.637 Ebenfalls 1522 ließ Murner eine umfangreiche antilutherische Polemik drucken unter dem Titel »Von dem großen lutherischen Narren«. Erneut polemisiert Murner hier auch gegen Stifel, »[…] [d]as schwartz brun münchlein, […] Das gesungen hat von bruoder veit, […]«.638 Der Landsknecht »Bruder Veit« tritt 633 Vgl. zum Folgenden allg. mit weiteren Belegen: Deutsches Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm, Bd. 12.1 (1956 [1984]), Sp. 46 f. 634 Merker (Hg.), Murner, Lutherischer Narr, S. 32 f.; zu Person und Konflikt mit den Reformationsanhängern vgl. ebd., S. 5–39; Waedt, Kutte, Sti(e)fel, Narrenkappe. 635 Merker (Hg.), Murner, Lutherischer Narr, S.  34 f.; Waedt, Kutte, Sti(e)fel, Narrenkappe, S. 238. 636 Ebd., S. 239. 637 Ebd., S. 238. 638 Merker (Hg.), Murner, Lutherischer Narr, S. 196; Waedt, Kutte, Sti(e)fel, Narrenkappe, S. 240. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Der Veitstanz

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nun auch selbst als Figur auf, die zunächst die Weigerung seines Standes, für die neue Lehre gegen den Kaiser und das eigene Volk zu streiten, formuliert.639 Zudem verteidigt er die traditionelle Heiligenverehrung: »Die heiligen ußz der kirchen werffen, / Das wir sie nit me bitten doerffen, / In noeten nit me rieffen an: das thut kein frum noch redlich man. / Ich kan der heiligen manglen nit […]. Die rieff ich in mein noeten an, / So es mir fast würd vbel gan; / darumb mag ich sie nit verlan. / Noch sein der andern heiligen mer / Die bruch ich, so ich schwer; / Sant veltlin vnd sein [!] Kürin beid, / Sant veit sein dantz mit anderm leid, / Sant huprecht vnd cornelius auch; / Sant deng mit feüer vnd auch mit rauch, / Vnnd gotz marter auch damit / Die heiligen mag ich lassen nit.«640

Da seine Gegner ihn wiederholt als habgierige Katze und als Narr (»MurNarr«) beschimpft hatten, lässt Murner nun als als Gegenspieler des »Luther« einen katzenköpfigen Mönch namens »Murner« auftreten. Um den »­Murner« auf seine Seite zu ziehen, will »Luther« ihm demnach seine Tochter »­Adelheid« zur Frau geben. »Murner« lässt sich darauf ein, konvertiert auch zur lutherischen Lehre. Bei der Hochzeit wird wild getanzt, obwohl der Bräutigam ja ein Mönch ist. Als das Paar jedoch zu Bett geht, muss »Adelheid« ihm gestehen, dass sie »den Grind« habe. Angeekelt von dieser Krankheit verstößt »Murner« sie. »­Luther« stirbt vor Kummer, nachdem »Murner« ihn darauf hingewiesen hat, dass die Ehe seiner Meinung nach ja kein Sakrament und daher nicht verbindlich sei. Da er trotz der Ermahnungen des Mönchs keine Sterbesakramente empfangen möchte, wird »Luthers« Leichnam in einem Abort entsorgt, unter Absingen einer Katzenmusik durch den Mönch an Stelle der Seelmesse.641 Das Opfer dieser ausgesprochen expliziten Polemik hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Tochter, ja: war noch nicht einmal verheiratet.642 Auffällig ist, dass »Adelheid« als Spielfrau gezeichnet ist, den Mönch also mit den Mitteln der Salome bezirzt. Murner spielt hier offenbar mit dem seit der spätantiken Hagiographie bekannten Motiv der verweigerten Heiligen Hochzeit: Wie Domitilla, implizit Johannes der Täufer oder auch Vitus selbst, wird der Protagonist »Murner« vor die Wahl gestellt, seinem Glauben treu zu bleiben oder den weiblichen Reizen, dem Tanz und der Apostasie zu erliegen. »Luther« agiert hier in der Rolle des Königs, der dem Helden seine Tochter und einen Anteil an seinem Reich anbietet.643 Er ist der böse Vater der Braut und der teuflische Versucher, weshalb er ein Ende gleich jenem des Herodes findet, dem die mittelalterliche 639 Merker (Hg.), Murner, Lutherischer Narr, V. 1710 ff., S. 162; vgl. ebd., S. 60–63. 640 Ebd., V. 1782 ff., S. 164 f.; vgl. Königs, Der heilige Vitus, S. 237. 641 Merker (Hg.), Murner, Lutherischer Narr, V. 3685 f., 3980–4298; vgl. dazu ebd., S. 57 ff. 642 Zur Deutung vgl. ebd., S.  56 f.; Jarosch, Satirische Schreibart, S.  261 f.; Könneker, ­Satire, S. 148  f.; Langer, Thomas Murners Satiren, S. 335–337. 643 Merker (Hg.), Murner, Lutherischer Narr, V. 3727 f.: »das du mir gebst dein dochter schon, / Uff dieser welt die edel kron.« Vgl. allg. Eitrem, Apotheose, S. 12. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Legende ebenfalls keine ordnungsgemäße Bestattung zugestand.644 Thomas Murner wendet die ausgesprochen disqualifizierenden Angriffe der Anhänger der Reformation gegen ihn zu einem besonders handfesten Angriff auf Luther: Der katzenköpfige Mönch ist eben kein frommer Asket, sondern ein tanzfreudiger Lüstling, der die Tochter nur aus dem Bett stößt, weil sie eine häßliche und entehrende Krankheit hat. Nicht einmal das antiklerikale Klischeebild eines dekadenten Mönchs also würde sich auf »Luthers« teuflisches Werben einlassen, so die Pointe. Zu Beginn dieser skurrilen Hochzeit hat auch der »Bruder Veit« noch einen Auftritt. Ein direkter Zusammenhang zur wie schon 1512 eher stereotypen Verwendung des »Sankt Vit« und seines Tanzes jedoch besteht nicht. Der Rekurs auf das für das christliche Verständnis von Tanz als Metapher für Heilsverlust zentrale Erzählmuster der Heiligen Hochzeit und die Allusionen auf die aktuell virulente Tanzkrankheit stehen eher nebeneinander. Wahrscheinlich wurde der diskursgenetische Zusammenhang auch gar nicht mehr gesehen. Zumindest kommt der notorische Schnellschreiber Murner nicht auf die Idee, eine Verknüpfung zu versuchen. Die Hierogamie ist jedoch als Folie für die Erzählung offensichtlich durchaus noch abrufbar. Der Veitstanz als beobachtbares Phänomen und Gegenstand des Alltagsgesprächs hatte sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts offenbar von seinen kosmologisch-eschatologischen Wurzeln gelöst. Er stand nun als Fluch bzw. Buße des Heiligen für sich selbst. Dafür spricht auch ein Zeugnis der Gegenseite: 1537 veröffentlicht der zu diesem Zeitpunkt in Wittenberg lehrende Reformator Johannes Agricola (1494– 1566) im elsässischen Hagenau seine bekannte Sammlung »Sybenhundertund fünfftzig Teutscher Sprichwörter«. Unter der Nr. 497 (»Daß dich Sant Veitstantz ankomme«) – in der Nachbarschaft einer ganzen Reihe von mit Heiligen verknüpften Flüchen – notiert er: »In Deutschen landen sind der plagen vil gewesen, als da der teuffel die leut besessen hatt, und auß gerichtet was er gewolt hatt. Denn Gottes wort war verloschen, menschen satzung und ordnung regierten, da bestundt sein reich gewaltiglich. Unnd eben daselbs wurden ettliche leutte geplaget, daß sie tantzen muesten, offt tag und nacht an eynander offt zwen tag, drey tag und nacht. Es ist ein fabel, S. Veit ist der vierzehen apo­tecker und nothelffer eyner, und hat Got gepetten, do er ytz solt halß hynreichen, er woelle alle die seinen abent fasten, unnd seine tag feyren, vor dem selben tantz behuetten, unnd bewaren, und als bald ist eyn stymme von hymel kommen, Vite du bist erhoeret. Zu der zit ist es aber also ergangen, daß die heyligen sich selbs Canonisiert, und erhaben haben, da sie gestorben sind. O blintheyt uber blintheyt, daß man Gottes und seines Christi also vergessen hat, und den menschen satzungen also angehengt, zu unsern vorfarn ewigen schaden und verdamnuß. Suoche das wort, Es wirt geschehen wenn der teüffel von Ach kommet.«645 644 Hausamann, Salome, S. 173. 645 Gilman (Hg.), Johannes Agricola, Bd. 1, S. 384. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Der Veitstanz

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Bis in die neuere Literatur findet sich dieser Eintrag herangezogen als Beleg für einen angeblich im 14. Jahrhundert verbreiteten Volksglauben, dem zufolge schon die Vitus-Legende durch eine explizite Bitte des Heiligen sein Schutz­ patronat gegen die Tanzwut begründet habe.646 Immerhin erinnert die Passage an die Bemerkung der Regensburger Kaiserchronik des 12. Jahrhunderts, nach der Vitus auf eigenes Bitten hin das Patronat über die Fallsucht erhalten hatte.647 Dieses Krankheitskonzept ist jedoch nicht etwa deckungsgleich mit dem Veitstanz, weshalb Johannes Agricola gesondert auch den Fluch mit dem hl. Valentin aufführt. Der reformatorische Polemiker wandelt hier jedoch eher die Fliegen-Episode der lukanischen Vitus-Passio ab, um eine knappe Herleitung des von ihm als teuflische Einflüsterung angegriffenen Glaubens an den Veitstanz zu gewinnen. Als Quelle für die vorreformatorische Volksfrömmigkeit ist diese Passage also kaum verwertbar. Wohl aber indiziert sie ein Interesse der Reformatoren am Veitstanz als Exempel für den Irrglauben der alten Kirche. Und sie zeigt, dass die Krankheit des hl. Veit einer neuen Erklärung bedurfte, da man ihren kosmologischen Hintergrund offenbar nicht mehr verstand. Also wurde – zumindest in der protestantischen Polemik – ein entsprechendes Patronat des Heiligen schon in dessen Legende installiert. All diese Stimmen des frühen 16.  Jahrhunderts stammen aus dem Kernraum der Tanzwut am Oberrhein. Doch auch Martin Luther im fernen Wittenberg thematisiert den hl. Veit immer wieder, zumal in nebenbei gefallenen Bemerkungen. Auf Vitus und den Veitstanz aufmerksam gemacht haben werden den Reformator wohl seine elsässischen und oberrheinischen Mitstreiter, Melanchthon etwa, oder sogar die Polemiken um Thomas Murner. Jedenfalls verwendet auch Luther für die Landsknechte immer wieder den Kollektivsingular »Bruder Veit«.648 Auch zeichnet es bei ihm gerade Söldner und Adelige förmlich aus, beim Veitstanz und ähnlichen Krankheiten zu fluchen.649 Daneben aber setzt 646 Biquard, Le mal de saint-Vit, S. [ 4] mit Anm. 11; Grandmougin/Bourdet/Gurruchaga, Danse de saint-Guy, S. 56; Backman, Religious Dances, S. 265; Midelfort, History of Madness, S. 10 mit Anm. 1; Strasser, Sankt Vitus, S. 560. 647 Vgl. oben, Kap. VII.3.8. 648 Luther, Briefwechsel, Bd. 10, Nr. 3956: Luther an eine hohe und namhaftige Person in Niedersachsen, 1543?, S. 492: »[…] nicht do man sicher ist für bruder Veiten, der do schatzet, blündert vnd schlegt, […]«; Ders., Heerpredigt wider den Türken (1529), WA, Abt. 1, Bd. 30.2, S. 181: »[…] das sollen sie bruder Veiten den landsknechten zu samen bracht haben und keinen danck darzu haben«; Ders., Vorlesungen über 1 Mose von 1535–1543, WA, Abt. 1, Bd. 43, S.  683 (über die Wurzener Fehde von 1542, dt. Zitate im lat. Text): »Impio militi, bruder Veiten, qui paulo post diripiat et pessundet omnia. […] Wie bald were bruder Veit kommen, und het in einem tag alles zerrissen.« 649 Ders., Vier tröstliche Psalmen an die Königin zu Ungarn (1525/26), WA, Abt. 1, Bd. 19, S. 575: (über David und Saul): »[…] da giengs ym hofe: ›Ach, das den buben die pesti­ lentz, Veyts tantz und alle flueche bestehen‹ […]«; ebd., S. 605: »Solches Adels und Junckern ist Deudsch land ytzt vol, die ynn den bierheusern Pestiletzen und veytstantzen und nur das messer ­stortzen konnen widder arme, elende, wehrlose leute; als denn sind sie vom Adel!« »veyts­ © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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sich Luther mehrmals konkret mit dem offenbar auch für ihn und sein Umfeld rätselhaften Phänomen Veitstanz auseinander. An diesen Äußerungen lässt sich über die Jahre die ganze Entwicklung seiner Einstellung zur altkirchlichen Heiligenverehrung ablesen. 1516/17, noch vor Veröffentlichung seiner Thesen, predigt der junge Theologe über die Zehn Gebote. Dabei verhandelt er – noch ganz unkritisch – auch eine ganze Reihe von bekannten Schutzheiligen mit ihren Zuständigkeiten. Vitus erwähnt er nur kurz: »Sankt Vitus hat sein Los in jenem bejammernswerten Tanz.«650 Für das Wittenberger Publikum und den jungen Augustinermönch handelt es sich also offenbar um ein bekanntes Phänomen. An der Verbindung des Veitstanzes mit dem Heiligen und seiner Verehrung hat Luther zu diesem Zeitpunkt offenbar noch keinen Zweifel. Ganz anders 1522: In seinem Missive an den pro-reformatorisch gesinnten Ritter Hartmut von Kronberg polemisiert er gegen die »Verstocktheit« der Juden wie der Anhänger des Papstes: »Also ist unßern papisten auch geschehen. sie wollten tzu Worms Christum auch hassen und lesteren, das keyn bitt noch vermanung hilfft sunder nur erger davon werden. Recht ist deyn gericht, hymlischer vatter, das heyst, meyn ich, den rechten santt Veyts tantz haben. Gott ist meyn tzeug, das ich ynn meynem hertzenn eyn angst unnd sorge habe, wo der Jungsttag nit das spiell under nympt, wurt gott seyn wortt auffheben und der teutschen Nation solche blindheyt senden unnd sie also verstocken, da myr grewlich ist an tzudencken.«651

Der »rechte Veitstanz« ist hier Metapher für die Heilsferne der Altgläubigen. Ihre Weigerung, die von Luther vertretene Wahrheit anzuerkennen, stürzt letztlich das ganze Land, ja: die Welt in den Abgrund. Der »rechte Veitstanz« wird erneut zum Bild für Gottesferne, wie er in seiner diskursiven Genese im Frühmittelalter aus dem Imaginationshorizont der Heillosigkeit und des Unglaubens erwachsen war. Wie sehr der Veitstanz in Luthers Denken auch lange nach dem Beginn der Reformation noch mit dem theologischen Diskurs über göttliche Zeichen von Heilsferne verknüpft ist, zeigt eine seiner Tischreden. Im Jahr 1531 waren in tantzen« meint hier den Fluch auf den Veitstanz; vgl. hierzu die ganz ähnliche Passage aus Murners »Narrenbeschwörung«; Luther, Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können (1526), in: ebd., S. 644:: »[…] und das ich auf adelsch davon rede: Teuffel, Veitstantz, Pestilentz, S Anton, S. Kijryn!«; Ders., Auslegung des 118. Psalms (1529/30), WA, Abt. 1, Bd. 31.1, S. 73: »[…] und wolt darueber martern, vitstantzen und pestilentzen, Gott schenden und mit andern fluechen eraus donnern, wie jtzt die marterhansen mit fluchen ihre manheit beweisen.« 650 Ders., Decem praecepta Wittenbergensi praedicata populo (1516/17, gedr. 1518), WA, Abt.1, Bd. 1, S. 414: »Sanctus Vitus suam sortem habet in misera illa saltatione.« Vgl. dazu ­Höfler, Deutsches Krankheitsnamenbuch, S. 765. 651 Luther, Missive an Hartmut von Cronberg (1522), WA, Abt. 1, Bd. 10.2, S. 58. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Der Veitstanz

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Wittenberg drei Kirchenräuber dingfest gemacht worden, weil sie eine Mons­ tranz verkaufen wollten. Auf der Flucht sprang einer von ihnen in die Elbe und ertrank. Wie Justus Jonas (1493–1555) später bei Tisch zu berichten weiß, hatte diesen sein eigener Vater am gleichen Morgen verflucht, weil er ihm zwei Finger abgeschlagen hatte: »Ich wolde, das mein son heutt mitten in der Elben lege!« Die Erfüllung dieses Fluches nun erinnert den Reformator an die Geschichte der Witwe von Caesarea, wie sie Augustinus überliefert:652 »Da antwortete Martin Luther, dass er bei Augustinus von Söhnen gelesen habe, die von ihrer Mutter verflucht worden seien. Als sie gesagt habe: ›Dass Dich der Veit ankomme!‹, da hätten die Kinder ein Zittern bekommen, so dass die Mutter zu Augustinus gekommen sei und das Los ihrer Kinder beklagt habe; aber dann seien sie durch die Gebete der versammelten Gemeinde wiederum befreit worden.«653

Der Fluch des Vaters gegen seinen treulosen und kriminellen (als Kirchen­räuber ja im höchsten Maße heilsfernen) Sohn im Wittenberg des Jahres 1531 erinnert den Reformator also an den Fluch der Witwe von Caesarea im Jahr 425. Bei ­Augustinus hatte die Mutter ihren Kindern selbstverständlich nicht den Veitstanz angeflucht, sondern sie zu Heimatlosigkeit und Wanderschaft verurteilt. Sie war auch nicht selbst nach Hippo gereist, um Augustinus um Hilfe anzugehen. Im Zittern ihrer Kinder hatte sich der Zustand der Gottessuche geäußert, bis zumindest zwei von ihnen die Fürsprache des heiligen Bischofs und Heilung am Altar des hl. Stephanus erlangt hatten. Luther hätte diese Episode nun sicherlich präziser wiedergeben können, als sie die Mitschrift der Tischgespräche überliefert. Für ihn, seine Zuhörer und den Protokollanten erschloss sich die Erzählung von der körperlichen Ruhelosigkeit der nach der Rückkehr in die göttliche Gnade suchenden Kinder aber offenbar unmittelbar durch die akkulturierende Übersetzung: »Dass Dich der Veit ankomme!« Hier schließt sich der Kreis: Der Fluch mit dem Veitstanz ist also auch für ­Luther noch lesbar als performative Verwirklichung eines Zustands der Heilsferne und der Gottessuche. Nicht irgendeine Krankheit wird hier verhandelt, sondern ein körperlicher Zustand der Disharmonie mit Gott. Und Luther projiziert die für ihn tagesaktuelle Semantik von »Veit« und Veitstanz zurück auf einen jener Texte, die konstitutiv für die Formierung der Krankheitskonzeption Tanzwut gewesen waren. Nicht nur als Metapher der konfessionellen Polemik, sondern auch als Deutung für das konkrete Krankheitsphänomen ist dem Veitstanz in der Wahrnehmung des Reformators also die eschatologische Konnota 652 Vgl. oben, Kap. VII.2.4. 653 Luther, Tischreden, Bd. 5: 1540–1544, Nr. 6167, S. 520 f.: »Respondit Martinus Lutherus se in Augustino legisse filios a matribus maledictos, wan sie gesaget haben: das dich der viet ankomme! do sint die kinder tzitternde worden, ita ut mater Augustinum accesserit filiorum morbum deplorans, sed tandem communi eclesiae precatione iterum liberati sunt.« © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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tion noch durchaus inhärent. Veitstanz markiert für Luther nicht einfach eine Krankheit, sondern einen Zustand der Heilsferne. Wie Thomas Murner schon 1512 beklagt hatte, erwähnt auch Luther einmal, dass die modische Verehrung des hl. Veit auch von der Habgier der Klerus befruchtet worden sei.654 Am 18. März 1533 spricht man im Hause Luther über das den Zeitgenossen offenbar immer noch rätselhafte Phänomen. Der aus dem oberrheinischen Bretten stammende Melanchthon stellt den Aufzeichnungen des Johannes Schlaginhausen zufolge fest: »Der Veitstanz ist nur eine teuflische Besessenheit.« Da bestätigt Luther: »Das Gespinst nimmt immer mehr ab.« Und Melanchthon schließt: »Der Satan verlegt sich schon auf eine neue Art von Täuschung.«655 Das im Südwesten des Reiches virulente Krankheitsphänomen also ist Folge teuf­ lischer Einflüsterung. Und im Hause Luther geht man 1533 davon aus, zumindest diesen Angriff des Bösen abgewehrt zu haben. Schon 1540 schreibt der Schweizer Reformator Heinrich Bullinger (1504– 1575) in seiner Schrift »Der christliche Ehestand«, dass man beim Anblick mancher Hochzeitsreigen meinen könne, »[…] Alle dise tänzer hättend alle scham hinder die Oren geschlagen, wärend luter all toub und unsinnig und sprangend sant Vyts reyen.«656 Fünf Jahre nach Heinrich Bullinger und kurz vor seinem eigenen Tod sollte Martin Luther ebenfalls auf das Veitstanz-Motiv zurückgreifen, um den an­ geblichen Sittenverfall in der Stadt Wittenberg zu beschreiben. An seine Frau Katharina von Bora schrieb er 1545: »Vielleicht wird Wittemberg, wie sichs an lesst mit seinem regiment, nicht S. Veits tantz, noch S. Johannis tantz, sondern den Bettler tantz oder Beelzebubs tantz kriegen, wie sie angefangen, die frawen und jungfrawen zu blossen hinden und forn, vnd niemand ist, der da straffe oder wehre, vnd wird Gottes wort da zu gespottet. Nur weg aus dieser Sodoma.«657

Heiligenverehrung und moralische Dekadenz sind gleichermaßen Folge teuf­ lischer Einflüsterung und bringen den Menschen um das Seelenheil. Johannis­ tanz und Veitstanz, die beiden Spielarten der Tanzwut, werden in Luthers 654 Luther, Hauspostille am 10.  Sonntag nach der Dreifaltigkeit (1544), WA, Abt. 1, Bd. 52, S. 442: (über die Opfergaben der Juden): »Da schickten sich die Pfaffen, eben wie im Bapstthumb die München mit den Veitshuenern, das allwegen vihe für der hand war, Unnd ­villeicht auch gelt zum Opffer.« 655 Luther, Tischreden, Bd. 2, Nr. 1879: »Philippus Melachthon dixit: S. veits tantz est mera obsessio Diaboli. – Respondit Doctor: Das gespenst nimpt seer ab. – Philippus Melanchthon: ­Satan iam mutatur in aliud genus imposturarum.« 656 Staab/Tobler, Schweizerisches Idiotikon, Bd.  1, Sp.  1134 f.; vgl. Campi/Roth/Stotz (Hg.), Heinrich Bullinger, Schriften, Bd. 1, S. 514. 657 Luther, Briefwechsel, Bd.  11, Nr.  4139, Luther an seine Frau, Zeitz, 28.  Juli 1545, S. 149 f. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Der Veitstanz

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Semantik des Unheils jedoch offenbar übertroffen von Bettlertanz und Tanz des Beelzebub, also des Teufels selbst. Den Wittenbergern droht ob ihrer Unmoral eben nicht die reversible Gnadenferne der Tanzwut, sondern viel schlimmer: die irreversible Verfallenheit an den Satan. Noch bei Luther also markiert der Veitstanz die Schwelle zwischen Heil und Unheil, ecclesia und Welt, nicht die endgültige Verdammnis. Er bleibt ein liminales Phänomen, nach wie vor nicht ausdrücklich exkludiert und exkludierend. Vielmehr ist mit dem Tanz des Teufels eine Steigerung gegeben, in der die Figur des Bösen die Disqualifikation markiert, noch nicht die Handlung des Tanzes. Aus dem spezifisch oberdeutschen Krankheitskonzept Veitstanz wurde in der konfessionellen Publizistik des 16. Jahrhunderts also eine verallgemeinerbare Kategorie für deviantes Verhalten. Zugleich gaben die Reformatoren dem Begriff seine latent antikatholische Note: Der Veitstanz wurde nun zu einem Ausdruck für mittelalterlichen und »papistischen« Irrglauben. Aus der spirituell heilbaren kosmischen Disharmonie wurde eine Folge des teuflischen Wirkens in der Welt. Jedoch war auch für Luther und seine Zeitgenossen der Tanz auf der Schwelle dem langen Arm der göttlichen Gnade nicht entzogen. Erst die spätere Rezeption sollte diese eschatologische Liminalität nicht mehr sehen. Dass der Veitstanz im konfessionellen Zeitalter auch in umgekehrter Richtung als Metapher für die verstockte Entfernung von Gott verwendbar blieb, beweist die sogenannte Zweite Apologie der tschechischen Stände von 1618. In dieser Streitschrift der reformatorisch gesinnten Böhmen heißt es: »Sobald jemand aus dem katholischen Bekenntnis austritt, sagt man, er sei vom Veitstanz befallen.«658 Der Knabenheilige Vitus war in der Formierungsgeschichte der Tanzwut gegenüber Johannes dem Täufer zunächst deutlich weniger prominent. Da er jedoch im oberrheinisch-schwäbischen Städteraum vorherrschend war, konnte er vermittelt über die hier besonders publikumswirksam ausgetragenen kon­ fessionellen Debatten zum bis heute im Alltagssprachgebrauch verankerten Namens­geber der Tanzkrankheit werden. Anders als in der Hochphase des Johannis­tanzes im 14.  Jahrhundert stand im 16.  Jahrhundert mit dem Druck ein Massenmedium für die Verbreitung dieser Semantik zur Verfügung. Luther und seine reformatorischen Mitstreiter prägten in Deutschland für Jahrhunderte die Lektüregewohnheiten und damit den Wortschatz zumal der literaten Kreise. Noch die Wissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts, auf die unsere Vorstellungen von der Tanzwut zurückgehen, waren in ihrer Mehrheit Kinder des protestantischen Bürgertums oder zumindest eines Bildungsmilieus, dass von diesem geprägt war. Daher sehen wir den Veitstanz bis heute nur im Spiegel der Polemiken eines Luther oder eines Agricola und ihrer Epigonen. 658 Zibrt, Jaksekdy v Čechách Tancovalo, S. 53; ich danke Olga Fejtova, Prag, für den Hinweis auf diese Quelle und Simona Slaniçka, Bern, für die Hilfe bei der Übersetzung. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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VII.5 Querschnitt: Die Hüter der Schwelle Vitus und Johannes konnten im späteren Mittelalter mit der platonisch-kosmologischen Idee eines unfreiwilligen Tanzes verknüpft werden, weil sie selbst als Gestalten der christlichen Legende Produkte der Auseinandersetzung der Kirche mit der nichtchristlichen Mythologie und Religion waren und als solche auch im Mittelalter solarmythologische Konnotationen behielten. Der diskursgenealogische Pfad von der platonischen mania zum Tanz als Zeichen der Gottessuche verbindet sich im späteren Mittelalter mit zwei parallelen Bewegungen: Der Orpheus redivivus und »Vorläufer« des Christus verus sol, Johannes der Täufer, wird durch die verhinderte Heilige Hochzeit mit der paradigmatischen Mänade Salome/Herodias zum Patron des büßenden Tanzes ihrer Nachfahren (um 1300). Als »Rufer in der Wüste«, »destitutum« des Kosmos und Patron der Taufe ist er zugleich prominent als Vermittler zwischen Mensch und Gott ausgewiesen. Der zunächst als christliche Antithese gegen die Astralmythologie konstruierte Vitus wird zum mit dem Sternbild »Becher« und damit der Himmelspforte des Seelenabstiegs assoziierten Sonnenheiligen (15. Jh.). So behütet Vitus den Übergang von Himmel und Erde – eine Aufgabe, die sich in seinen Patronaten für Wetter, Fruchtbarkeit, Geburten und den Schwellenreigen der Tanzwut gleichermaßen konkretisiert. Mit der Verführung durch die tanzenden Mägde und dem Besuch durch die zwölf himmlischen Leuchten bzw. sieben Engel ist auch in der Vitus-Passio wiederum die Doppelstruktur der platonischen mania aufgerufen: Gegen die Störung der göttlichen Ordnung im weltlichen Reigen steht hier für den jungfräulichen Knaben die Verheißung der Teilhabe an der jenseitigen Seligkeit. Diese Konnotationsebene sollte in der späteren Rezeption aber vielfach ausfallen. Die platonische mania ist dem Vitus-Stoff also inhärent, aber überschrieben durch die wesentlich komplexere kosmologische Assoziationskette von Crater/Becher, Himmelstor und und Seelenabstieg. Die Verehrung des hl. Vitus im späteren Mittelalter zeichnet sich in ihren Ursprüngen demnach durch eine große Nähe zur neoplatonisch-kosmologisch inspirierten Spiritualität der Merowingerzeit aus. Veit und Eligius sind als Heilige nahe Verwandte, obwohl ihre Viten auf der oberflächlichen Ebene der Wundererzählung keine direkten Parallelen aufweisen. Während die mania-Konzeption eine abstrakte philosophische Idee ins Mittel­a lter vermittelte, konnte das antike Modell des scheiternden kosmischen Reigens hier durch die Assoziation mit der christlichen Heiligenverehrung sehr viel konkreter verhandelt und weiterentwickelt werden. Als Interzes­soren vor Gott nahmen grundsätzlich alle Heiligen eine Vermittlerfunktion zwischen Immanenz und Transzendenz ein. Johannes der Täufer und Vitus jedoch waren durch ihre spezifische mythische Ausgestaltung als Hüter der Schwelle © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Querschnitt: Die Hüter der Schwelle

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zwischen Jenseits und Diesseits ausgezeichnet. Diese Liminalität der Kommunikation zwischen Kosmos und irdischer Welt ist in beiden Fällen durch eine Inversion des Motivs der Heiligen Hochzeit gekennzeichnet. Den Zwischenraum zwischen Jenseits und Diesseits, Heil und Unheil, verwalteten die beiden Hei­ ligen, die so auch zu Patronen der Tanzwut werden konnten. Beide Patronate entwickelten sich offenbar am Oberrhein, und in beiden Fällen wurde die Zuständigkeit des Heiligen für die Fallsucht umgeformt: Der Johannis­tanz nahm das französische Motiv des mal Saint-Jean auf; der Veitstanz die Assoziation des Hüters der Himmelspforte mit dem Fall der Seelen. Die Verehrung Johannes des Täufers schließt dabei wohl eher an seine Breiten­ wirkung in Frankreich seit dem 13.  Jahrhundert an; die des Vitus an seine Hochkonjunktur als einer der Vierzehn Nothelfer und zugleich als dynastischer Patron der Luxemburger seit dem 14. Jahrhundert. Beide steigen also zeitweise zu Schutzheiligen der Könige auf, und beide übernehmen diese Rolle vielleicht auch wegen ihrer hervorgehobenen Interzessorenfunktion zwischen Immanenz und Transzendenz, die sich in ihrem Patronat zunächst über die Fallsucht und dann über die Tanzwut äußert. Die Tanzwut ist dergestalt nicht mit der Fallsucht gleichzusetzen, ihre Konstruktion schließt aber an diese an: Ein seinerseits kosmologisch grundiertes Krankheitskonzept wird durch die Verkoppelung mit dem Topos vom dionysischen Reigen neu semantisiert. Die Fallsucht selbst bleibt dabei im deutschen Sprachraum eher durch andere Heilige wie Valentin oder Cornelius besetzt. Die Tanzwut wird offenbar besonders mit dem Sommersolstitium assoziiert, das mit den beiden Tagespatronen der üblichen Sonnenwendtermine – im Julianischen Kalender Johannes der Täufer (24. Juni) und astronomisch seit dem 14. Jahrhundert Vitus (15. Juni) – benannt wurde. Dabei steht sie jedoch nicht etwa in der Tradition paganer Kultresiduen, sondern der genuin christlichen Weiterentwicklung der antiken Kosmologie. Beide Heilige sind also nicht etwa durch isolierte Einzelaspekte ihrer Vita zu Patronen der Tanzwut geworden, sondern weil sie beide ein vielschichtiges Bündel von Eigenschaften und Assoziationspotentialen für diese Position qualifizierte. Alle diese Konnotationen kreisen jedoch um die christliche Aus­ einandersetzung mit solar-astralen und dionysischen Mythenmotiven. Besonders die Vitus-Erzählung changiert dabei permanent zwischen Negation der solarmythischen Struktur und ihrer Reproduktion: Die vielfältig eingeschriebene kosmologische Motivik konnte immer zugleich als Kontrafaktur wie als Bestätigung gelesen werden – eine Ambivalenz, der auch die religionsgeschichtliche Forschung immer wieder aufgesessen ist. Durch die Assoziation des liminalen Tanzes mit der Heiligenverehrung bekam das Konzept der Gottessuche einen (para-)liturgischen Schauplatz und wurde so rituell ausagierbar: Tanz war nun nicht mehr nur semiotische Markierung des Schwellenzustands, sondern konnte auch als körperliches Zeichen von © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Gottesferne verwendet werden. Gläubige tanzten, verhielten sich also liminal, um ihren kollektiv oder subjektiv wahrgenommenen Zustand der Heilsferne darzustellen und so zugleich von Gott, dem Heiligen und den irdischen Vermittlerinstanzen eine Wiederherstellung des Heilszugangs zu evozieren. Mani­ fest wurde dies spätestens beim Johannistanz von 1374. Denn mit dem Auftreten der beiden heiligen Patrone wurde die Tanzwut auch quellenmäßig als reales Krankheitsphänomen greifbar. Es handelt sich dabei um ein körperlichpsychisch wirksames Leiden, das jedoch erkennbar noch der spirituellen Logik folgt. Die tanzenden Kinder der Herodias und ebenso die Opfer des Veits­f luches bleiben dabei jedoch ausdrücklich Teil  der ecclesia: Ihre Gottesferne ist eine temporäre, ritualisierte, damit aber auch eingehegte und begrenzte. So kann sich das Krankheitskonzept sukzessive von seinem religiösen Deutungsrahmen entfernen: Die Tanzwallfahrten des 16.  und 17.  Jahrhunderts brauchten wohl nicht mehr in jedem Fall eine soziale oder individuelle Krise als exogene Ursache. Vielmehr wurde hier ein habitualisiertes kulturelles Konzept umgesetzt: Die Tanzkrankheit funktionierte nun aus sich selbst heraus, da die ihr inhärente Logik schlüssig auf beobachtbare Phänomene anwendbar war. Der Krankheitsdiskurs erzeugte nun selbst Evidenz. Die Diskursgenealogie der Tanzwut lebt in ihrer Bewegung also davon, dass immer wieder neu und auf je unterschiedlichen Abstraktionsniveaus Inspirationen aus der antiken Kosmologie bezogen und verarbeitet wurden. Wie eingangs gezeigt wurde, gilt dies auch noch für die »zweite Erfindung« der Tanzwut in der Medizingeschichte des 19. Jahrhunderts. An diesem heiklen Erbe knabbert Europa noch heute.

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VIII. Fazit: Die Tanzwut als Schwellenzustand zwischen Jenseits und Diesseits, Gnade und Gottesferne »Swer die schrift verstên kan eben, Der vindet künic Davides harfen klanc, Und wie manic springer vor im spranc, In gotes dienste, sô er got lobte: Swer daz nu tête, man sprêche er tobte.« Hugo vom Trimberg, Der Renner1

VIII.1 Ergebnisse Die Tanzwut ist mit den Maßstäben der heutigen Medizin und Psychologie nicht angemessen zu verstehen. Vielmehr ist unsere Wahrnehmung dieses historischen Phänomens kontaminiert durch die im Alltagsbewusstsein allgegenwärtige Disqualifikation des Mittelalters als dunkles Zeitalter der Irrationalität und Krisenhaftigkeit.2 Die Tanzwut ist nicht »(Massen)-Hysterie« oder eine andere Form sozial­ psychologisch erklärbarer kollektiver Devianz, sondern diese modernen Konzepte sind umgekehrt Ergebnis einer Diskursentwicklung, in der auch die Tanzwut ihren Platz hat und an deren Beginn die Auseinandersetzung mittelalterlicher Theologen mit der neoplatonischen Kosmologie steht. Ebenso ist die Tanzwut nicht Wahnsinn nach heutigem Verständnis, sondern eine Krankheit im Sinne einer fundamentalen Störung der sympathetischen Harmonie von Mikro­kosmos und Makrokosmos, Mensch und göttlicher Ordnung: Als spätmittelalterliches Krankheitsphänomen steht sie in der Tradition der mania und des enthusiasmos im Sinne Platons, seiner neoplatonischen und dann christlichen Rezipienten. Anders als der moderne Wahnsinn ist sie gekennzeichnet durch die Möglichkeit der Re-Integration in die göttliche Ordnung. Die Tanzwut entsteht auf der Grundlage der Auseinandersetzung des frühen Christentums mit den anderen spätantiken Gruppenreligionen. Die in die 1 Ehrismann (Hg.), Hugo von Trimberg, Der Renner, V. 5816–5820, Bd. 1, S. 242. 2 Da die Kerninhalte der einzelnen Kapitel in den jeweiligen »Querschnitten« zu­ sammengefasst sind, kann sich dieses Fazit auf eine kurze Synthese, einen anschließenden Ausblick auf die Tanzwutereignisse des 14.–17. Jh. und einen Aufriss der sich aus dem Vorhergehenden ergebenden Perspektiven für die Forschung beschränken. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Fazit

ser Konfrontation gewonnenen Motive wurden in der Homiletik und Hagiographie des Mittelalters in vielfältig gebrochener Form weiterentwickelt. Damit verhandelte die christliche Theologie immer auch das Selbstverständnis der ecclesia, wurde diese doch Pseudo-Dionysius Areopagita folgend lange Zeit selbst als Reigen um Gott beschrieben. Diese kosmologische Grundstruktur der mittelalterlichen Ekklesiologie wird in der Auseinandersetzung mit dem Tanz allgemein und dem Motiv des unfreiwilligen Tanzes im Besonderen immer wieder neu verhandelt. Jedem Tanz wohnt so die Ambivalenz zwischen Integration in die Sphärenharmonie und Unterwerfung unter das Schicksal, zwischen Engelsreigen und teuflischem Kreisen inne. Zugleich stehen der unfreiwillige Tanz für die vergebliche Suche nach dem Heil, die maniakale, disharmonische Raserei für Zustände der Gottesverlassenheit. Diese Vorstellungen sind schon im 6. und 7. Jahrhundert sowohl im ostkirchlichen Raum wie in Gallien bzw. im Frankenreich und in Rom nachweisbar. Im Machtbereich der Merowinger und dann der Karolinger wirkte die spätantikhellenistische Christianität lange mit großer Intensität weiter. Daher konnte sich hier Tanz als paraliturgische Form bis in die Neuzeit weit verbreitet erhalten. Und daher konnte sich im Grenzraum zur bonifatianisch-römisch geprägten Missions-Christianität des späteren Deutschland die spezifische Krankheitskonzeption der Tanzwut entwickeln. Das Motiv vom unfreiwilligen Tanz meint also eine problematische Kommunikation zwischen Immanenz und Transzendenz. Es verbindet sich daher immer wieder mit dem Mythem von der Heiligen Hochzeit, der anthropomorphen Verbindung von Himmel und Erde, Göttern und Menschen. So wird ein Set von Erzählmotiven bereitgestellt, mit dem das Verhältnis von göttlicher Ordnung, Kirche und Mensch immer wieder neu verhandelt werden konnte. Paradigmatisch ausformuliert wurde diese Idee in der sogenannten Kölbigker Tanzlegende. Sie erweist sich in ihrer frühesten Überlieferungsstufe nicht als bloße Warnlegende gegen den blasphemischen Tanz, sondern als komplexe Reflexion über die Aporien der Reformtheologie des 11. Jahrhunderts: Das Individuum im Zustand der von unwürdigen Priestern verschuldeten Gottesferne ist gefangen im Sternenzwang. Erst die durch eine erneuerte Kirche vermittelte Gnade kann den Menschen zum Glauben befreien. Der unfreiwillige Reigen steht so für die Antithese der ecclesia. Beim Kölbigker Tanz geht es nicht um heidnische Re­ siduen, sondern um augustinische Anthropologie. Im Spätmittelalter schließlich wird diese Konzeption in ihrem Verbreitungsraum, dem Rhein-Mosel-Maas-Becken, durch die Verkoppelung mit der Verehrung zweier Heiliger breitenwirksam: Johannes des Täufers und des heiligen Vitus. Beide sind schon in ihrer frühen Kultgenese massiv durch spätantikastral­mythologische Narrative geprägt, werden nun aber neu mit astronomischen und kosmologischen Konnotationen aufgeladen. Sie werden so zu Hütern der Schwelle zwischen Immanenz und Transzendenz, Himmel und Erde. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Fazit

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Der Tanz zu ihren Ehren wiederum ist nicht Ausweis einer vorchristlichen Kult-Kontinuität, sondern genuin christlicher Kosmologie. Durch die Assoziation mit der Heiligenverehrung wird die Idee vom unfreiwilligen Tanz als Performanz der Gottessuche realiter rituell ausagierbar, sie bekommt einen Platz im kirchlichen Leben. Zugleich wird sie jedoch einerseits zur Redewendung im Alltagsgebrauch abgeschliffen, andererseits zur Chiffre in religionspolitischen Aueinander­setzungen aufgeladen. Diese Verwendung prägt unser Verständnis von Veitstanz und Tanzwut bis heute.

VIII.2 Ausblick Ausgangspunkt war, dass Tanz per se als außeralltägliches, liminales Verhalten definiert ist. War der Kosmos im spätkaiserzeitlichen und frühmittelalterlichen Denken ein ewiger Reigen, so war jede Kommunikation zwischen Immanenz und Transzendenz, letztlich jeder Schwellenzustand als Tanz beschreibbar: Geburt und Tod als Eintritt in die bzw. Austritt aus der diesseitigen Welt, welche selbst nur eine liminale Phase der Heilsgeschichte bildet; die Konversion zum christlichen Glauben und die Gemeinschaft der Glaubenden mit Gott; aber auch der Glaubensabfall und die Heilsferne der Gottesvergessenheit; der Transfer eines Heiligen zu seinem neuen Bestimmungsort; der Gang in die Kirche zum Gottesdienst etc.; der kosmische Stillstand bei den kirchlichen Hoch­festen, Äquinoktien und Solstitien; umgekehrt das unheilvolle Wirken des Bösen in der diesseitigen Welt. Die anthropologische Liminalität des Tanzes als Phänomen außerhalb der Alltagswelt, seine eschatologische Liminalität als Vermittlung zwischen Immanenz und Transzendenz, ebenso die ethische Ambivalenz des Tanzes im Christentum zwischen erlaubt und verboten – sie alle bilden sich ab in der Entstehung eines kulturellen Konzepts, das die Ambivalenz zwischen Ritual und Krankheit auf Dauer stellt. Die Tanzwut ist also nicht Produkt einer wirksamen Disqualifikation und Exklusion des Tanzes durch die Kirche, sondern im Gegenteil ein Ausdruck der für das europäische Christentum (in antiker Tradition) kennzeichnenden Ambivalenz des Tanzes. Der Tanz steht auf der Schwelle  – und hier entwickelt sich die Tanzwut. Sie behält ihren Ort auf Dauer an den Grenzen zwischen sakral und profan, zwischen Kirchenraum und Straße: Im atrium oder Paradies der Kirche, auf dem umfriedeten Kirchhof, mal am Altar, mal auf dem Marktplatz vor der Kirche, schließlich beim Patronatsfest der für sie zuständigen Heiligen. Tanz als spezifisches Schwellenverhalten wird so zum Inbegriff des scheiternden Rituals, aber auch zur performativen Verwirklichung einer Hilfs­ bedürftigkeit, der nur Gott und die Kirche abhelfen können. Der Ausführende bleibt dabei im Schwellenraum des Rituals gefangen – und diesen Zustand der © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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auf Dauer gestellten Liminalität markiert die Erzählung vom zwanghaften Tanz. Führt man die Tanzwut also auf die antiken und frühmittelalterlichen Imaginationen zurück, aus denen ihre spätere Konstruktion ihre Bausteine entnimmt, so erweist sie sich im Kern als Erzählung von einem scheiternden Mysterium, einem Ritual ohne Ausgang. Der unfreiwillige Tanz als Inszenierung der Heilsbedrohung funktioniert dabei in beide Richtungen: Heilsverlust und Gottesferne führen im Sinne der ataktischen Störung der kosmischen Harmonie zu einem Tanz – und der gegen die göttliche Ordnung verstoßende Reigen führt seinerseits zu Heilsverlust. Und mehr noch (und hierin liegt die Sprengkraft für die kirchliche Wahrnehmung des Tanzes): Im Sinne der platonischen Doppelstruktur der mania kann Tanz auch den Ausweg aus der Gottesferne markieren, den Weg der Suche nach dem Heil. Tanz bleibt so im Kern neutral zwischen Heil und Unheil, ein Ausdruck des Schwellenzustands zwischen Immanenz und Transzendenz. In der Tanzwut repräsentieren und verwirklichen die Tanzenden einen Zustand der fundamentalen Heilsunsicherheit, ohne dass das Ergebnis an sich schon klar wäre. Als kulturell konstruierte Krankheit bildet die Tanzwut ein semiotisches Netz von Zeichen, Bedeutungen und Substratphänomenen, die bei ihrer Perzeption je neu und immer anders aktualisiert und kombiniert werden. So verstanden, hat es die Tanzwut als Entität nie gegeben, sondern immer nur als Konglomerat von abrufbaren Bedeutungen in einer unabschließbaren Semiose. Zugleich jedoch war mit diesem variablen Komplex eine Deutungsmöglichkeit in der Welt, die zur Erklärung beobachtbarer Phänomene herangezogen werden konnte. Damit konnte das Krankheitskonzept aus sich selbst heraus Evidenz erzeugen und so auch unabhängig von seinen Ausgangsdiskursen funk­ tionieren. Wer also im 17.  Jahrhundert bei einer Tanzwallfahrt am Reigen in der Kirche teilnahm, musste dazu nicht Platon oder Petrus Damiani gelesen haben. Ja: Anna Schön aus Colmar muss nicht einmal mehr einen akuten Zustand der Heilsferne verspürt haben. Und doch agierte sie mit ihrem Johannistanz ein Konzept aus, dem diese zweitausendjährige Diskursgeschichte eingeschrieben war. Was aber glaubten und erlebten die Beteiligten? Der vorliegenden Rekonstruktion liegen selbstverständlich beinahe ausschließlich Äußerungen aus der Feder von Außenstehenden zugrunde. Der Weg zur Erfahrungsebene historischer Menschen bleibt uns verschlossen. Wohl aber lässt sich der Wahrnehmungshorizont nachzeichnen, innerhalb dessen verschiedene gesellschaftliche Gruppen und Akteure die Bedeutung des Gesehenen bzw. Erlebten aushandeln konnten. Es gibt letztlich wenig Grund zu zweifeln, dass auch Anna Schön ihren Tanz in diesem Rahmen thematisiert hätte – schon um den Breisacher Rat von ihrem Anliegen zu überzeugen.3



3 Vgl. oben, Kap. I.1.1. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Fazit

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Warum aber wurden Veitstanz und Johannistanz im 14. bis 17. Jahrhunderts im Rhein-Mosel-Maas-Raum manifest? Maßgeblich ist hier wohl die Assoziation mit der boomenden Heiligenverehrung, die ihrerseits auf kosmologische Konzepte aufsattelte. In jedem Fall handelt es sich um ein genuin christliches Phänomen, nicht etwa um einen Ausdruck wie auch immer gearteter heid­ nischer Residuen. Die Doppelstruktur der platonischen mania blieb in den konkreten Tanzwutereignissen zumindest virulent, etwa wenn die Tanzenden von 1374 das Martyrium Johannes des Täufers zum mythischen Anlass nahmen, oder wenn jene von Straßburg 1518 durch den Tanz in der Veitskapelle von Saverne geheilt wurden. Die Tanzwut wurde so zum funktionierenden Medium für die Bewältigung von Krisen, seien sie individuell oder kollektiv, immer zugleich Krankheit im spirituellen Sinn und paraliturgisches Ritual. Die zeit­ genössischen Mediziner stellten dagegen jedoch ihre eigene Interpretation des Geschehens als medikal verstandene Krankheit. Sie sollten damit bald die beinahe ausschließliche Deutungshoheit erringen – ungeachtet der Tatsache, dass ihre Diagnose letztlich derselben mythischen Logik folgte wie jene der Kleriker. Folgt man Victor Turner, so wird in Gesellschaften mit tendenziell uni­ linearen Abstammungssystemen die bei der Weitergabe von Ressourcen bevorrechtigte Seite mit dem Prinzip der Ordnung (structure), die benachteiligte Seite mit jenem der Gemeinschaft (communitas) assoziiert.4 Konkretisiert für die lateineuropäischen Gesellschaften: Die patrilaterale Verwandtschaft steht für die Stabilität sozialer Strukturen und Hierarchien, die matrilaterale für die egalitäre, emotional konstituierte Gemeinschaft der Individuen; der Vater steht für Institutionalität, die Mutter für Charisma. Die ecclesia als Braut und zugleich Mutter Gottes, allgemeiner: die christliche Brautmystik mit ihren vielfältigen symbolischen Ebenen, formuliert in diesem Sinn immer auch eine Antithese zur sozialen Ordnung, sie stellt Charisma gegen Institution, das egalitäre In­ dividuum gegen die hierarchische Rollen-Identität.5 Die mehrere Jahrhunderte dauernde Verschiebung der ekklesiologischen Leitmetaphern von der Kirche als Reigen um Gott zur Kirche als Haus Gottes bildet so auch die sukzessive Institutionalisierung der Kirche ab. In der  – letztlich immer im Ambivalenten verbliebenen – Thematisierung des Tanzes als sakrales Medium verhandelt das Christentum demnach auch sein Verhältnis zu Charisma und Institutiona­ lität als Grundprinzipien der Kirchlichkeit. In der immer neu konzipierten Kontrafaktur und zugleich Fortschreibung der mythischen Heiligen Hochzeit und damit im Hauptstrang der diskursiven Bewegung des Tanzwut-Motivs wird so auch das Selbstverständnis der ecclesia verhandelt, und zugleich das christ­ liche Menschenbild zwischen (in der Zuwendung zu Gott konstituierter) Individualität und Bindung an die soziale Gruppe. Der autoaggressive Schwerttanz 4 Turner, Das Ritual, S. 112–120. 5 Koschorke, Die heilige Familie. © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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der Jünger der Kybele wurde so zur Antithese der Eucharistie, des Selbstopfers des Gottessohnes; der hoffnungslos ergebnislose kosmische Reigen des Heiden ­Aurelianus zum Gegenbild der Gottesjungfräulichkeit, die Raserei der Ungetauften und Ungläubigen zum Zeichen ihrer Unerlöstheit; der Schicksalszwang der kosmischen Sphärenbewegungen zum Inbegriff der Gottes- und Selbstvergessenheit. Im Bild des unfreiwilligen Tanzes zwischen Immanenz und Transzendenz kondensieren und konvergieren so Grundfragen der Ekklesiologie, der Anthropologie und der Kosmologie.

VIII.3 Forschungsperspektiven Die vorliegende Untersuchnung versucht, ein Phänomen des Spätmittelalters einzuordnen und zu erklären, indem sie den Blick öffnet für langfristige Entwicklungslinien der lateineuropäischen Kultur seit der Antike. Zugleich ist sie auch systematisch notwendigerweise interdisziplinär. Wenn dieser Perspektivwechsel erfolgreich gewesen sein sollte, könnten sich daraus Potentiale für die Forschung in einigen Themenfeldern ergeben. Begreift man die Kultur des Mittelalters konsequent als Fortsetzung der späteren römischen Kaiserzeit, wie sich dies in der Forschung mehr und mehr durchsetzt, so geraten Transmissionspotentiale (nicht: Kontinuitäten) in den Blick, die bisher wenig erforscht sind, insbesondere im Bereich der Rezeption antiker Mythologie, Kosmologie und Religion. Dies gilt weniger auf der Ebene theologischer Höhenkammliteratur, sondern auf jener der Hagiographie und Frömmigkeitspraxis, aber auch der Herrschaftslegitimation. Die Ethnogenese und Reichsbildung der Franken, so die hier vorgebrachte Hypothese, könnte verständlicher werden vor dem Hintergrund der neoplatonisch-solarmytho­ logischen Herrschaftskonzeption des spätrömischen Kaisertums. Ich habe versucht, diese Traditionslinien an einigen Beispielen e­ xemplarisch vorzuführen und zugleich einen methodischen Apparat zu ihrer ­Analyse bereitzustellen. Das (neo-)platonische Mittelalter  – nicht als philosophiegeschicht­ liches, sondern als kulturgeschichtliches Phänomen  – wäre in mancherei Hinsicht erst noch zu entdecken. Dies gilt ausdrücklich auch für das 12.  bis 16.  Jahrhundert, wenngleich die konkreten Transferwege in frühmittelalter­ licher Zeit zu suchen sind. Inwiefern wäre vorliegende Untersuchung in der Religionsgeschichte, ins­ besondere der Erforschung der Hagiographie als Gattung wie der Heiligen­ verehrung als Praxis, anschlussfähig? Der Fall der Vitus lässt erkennen, wie aus der kontrafaktischen Auseinandersetzung mit paganen Mythen im Paestum des 7. Jahrhunderts in der Karolingerzeit wiederum eine astral konnotierte Figur werden konnte, die dann seit dem 14. Jahrhundert reich mit astronomischen und astralmythologischen Assoziationen aufgeladen wurde. Ist dieser Befund © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Fazit

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sicherbar oder gar verallgemeinerbar? Die historische Entwicklung einzelner Heiligenkulte wie der christlichen Heiligenverehrung im Ganzen, insbesondere mit Blick auf den jeweiligen kulturellen Kontext, wäre neu durchzusehen auf vergleichbare Phänomene oder Gegenbeispiele. Zu untersuchen wäre insbesondere, in welchem Verhältnis die spätantike und frühmittelalterliche Genese der Heiligenverehrung zu ihrer Blüte im späten Mittelalter steht. Inwiefern etwa Kosmologie und Astronomie als Denkdimensionen die aufkommende Heiligenikonographie auch abseits des hier postulierten Befundes beeinflussten, bliebe zu fragen, ohne dabei die alten Fehler der astralmythologischen Schule zu wiederholen. Abzuleiten wäre aus diesem Ansatz eine vergleichende Geschichte der Pluralität von Christianitäten im europäischen Mittelalter, einer Pluralität, die durch die je nach Kulturraum unterschiedlichen Bedingungen des Umgangs der Christen mit ihrem antiken Erbe bedingt ist. Neben die in den letzten Jahren viel betriebene Einordnung des lateinischen Christentums in den Kontext seiner Nachbarkulturen (Islam,Judentum, Orthodoxie etc.) wäre also die komparatistische Untersuchung von Binnendifferenzen und kleinräumigeren Austauschprozessen zu stellen. Dabei wäre zunächst die hier hypothetisch entwickelte Unterscheidung von gallisch-westfränkischer und ostfränkischer Christianität anhand weiterer Faktoren zu überprüfen. Auch in der Tanzgeschichte wäre der Stellenwert der pythagoräisch-platonischen Kosmologie neu zu evaluieren, sieht man hier die Wirkung des antiken Neoplatonismus doch tendenziell erst mit dem Humanismus des 15. Jahrhunderts (und der notorischen »Renaissance«) wieder als gegeben an. Für die – theoretisch traditionell wesentlich fundiertere – Medizingeschichte bietet sich eher eine methodische Chance in dem hier unternommenen Versuch, eine Krankheit als kulturelle Konstruktion nicht nur synchron zu beschreiben, sondern diachron in ihrer Entstehung nachzuzeichnen. Es wäre zu überprüfen, ob nach ähnlichem Muster auch andere historische Krankheitsphänomene verständlicher würden, wenn man nachzeichnete, welche Zeichen und Bedeutungen bereitstanden, um ein individuelles oder kollektives Erleben mit Sinn auszustatten und so wahrnehmbar zu machen. Dies gilt etwa auch für die notorische Pest von 1348/49, die bakteriologisch auf jungfräulichen Boden gefallen sein mag, kulturell und semiotisch jedoch keinesfalls. Ebenso stellt sich für die mittelalterliche Kulturgeschichte allgemein die Frage nach der weiteren Anwendbarkeit der hier eingeführten Methodik. Mythisches Erzählen, und als solches sind Legenden und Sagen zu begreifen, liefert keinen unmittelbaren Zugang zur Mentalität der Bevölkerung oder auch nur spezifischer sozialer Gruppen, sondern entstammt, soweit es heute noch greifbar ist, einem Aushandlungsprozess zwischen literaten Eliten (Klerus) und vernakularer Kultur. Zu verstehen sind Legenden damit nur als komplexe Konglomerate von Intertexten aus und Anspielungen auf antike Mythen, biblische und © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

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Fazit

theologische Autoritäten, liturgische Texte sowie populäre Erzähltraditionen. Durch präzise Analyse dieser Intertextualitäten verlieren Viten, Mirakelerzählungen etc. ihre kulturelle Exotik und werden als Zeugnisse komplexer intellektueller Auseinandersetzungen mit Fragen ihrer Zeit wahrnehmbar. Wunder sind nicht nur soziale Tatsachen, sondern in ihrer Verschriftlichung auch spezifisch vormoderne Formen der Reflexion über kulturelle, politische und soziale Probleme. Gerade in den Paradoxien und logischen Brüchen verhandeln mythische Texte ihren Gegenstand. Es handelt sich dabei also um komplexe intellektuelle Operationen, nicht um Ausweise von Irrationalität – die Differenz zum Heutigen liegt im Verfahren der Argumentation, nicht im Grad der Rationa­ lität. Das Groteske in historischen Texten ist sicherlich auch Folge einer spezifischen kognitiven und mentalitären Alterität. Das kann aber nicht heißen, dass zeit­genössische Verfasser oder Leser die logischen Brüche nicht wahrgenommen hätten. Vielmehr muss man ihnen zutrauen, ebenso intelligent mit ihren Stoffen gespielt zu haben wie heutige Literaten.

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Abkürzungen

AA SS Acta Sanctorum ADB Allgemeine Deutsche Biographie DA Deutsches Archiv Der Neue Pauly Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike EnzMed Gerabek u. a. (Hg.), Enzyklopädie Medizingeschichte HWBDtAbergl. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens HZ Historische Zeitschrift Kat. Ausstellungskatalog LCI Lexikon der christlichen Ikonographie LMA Lexikon des Mittelalters 1 LThK Lexikon für Theologie und Kirche, 1. Aufl. 3 LThK Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl. 1 MGG Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 1. Aufl. 2 MGG Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl. MGH Monumenta Germaniae Historica MiÖG Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung ND Nachdruck NDB Neue Deutsche Biographie NF Neue Folge N. S. nova series PG Migne, Jacques-Paul (Hg.), Patrologiae cursus completus, Series Graeca PL Migne, Jacques-Paul (Hg.), Patrologiae cursus completus, Series Latina RAC Realenzyklopädie für Antike und Christentum RE Pauly’s Realenzyklopädie der Classischen Altertumswissenschaft 2 RGA Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 2. Aufl. RGG Die Religion in Geschichte und Gegenwart StChr Die Chroniken der deutschen Städte TRE Theologische Realenzyklopädie 2 VL Die Deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Aufl. WA D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe)

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Register

Namenregister Aaron  426, 432 ff. Abammon 113* Abelin, Johann Philipp  489 Abihu 426 Abiram  433f, 469 Achill(es)  340, 343 Achilleus, hl.308 ff., 315, 536 Adalhard von Corbie  144, 542, 577 Adam  179, 451, 519, 595 f. Adelolt 396 Adhemar von Chabannes  338 Ado von Vienne, Erzbf.  315 Aegidius 284 Aethelred (England), Kg. von Wessex  413 Aëtius von Amida  158, 328 Agaue  134, 505, 507 Agnes, hl.  450 Agobard von Lyon, Erzbf.  356–361, 371 Agricola, Johannes  616 f., 621 Agrippa von Nettersheim, Heinrich Cornelius  44, 166 Ahab 303 Aigarich 348 Ajax  104 f. Albert von Stade  488 Alberti, Leon Battista  571* Albertus Magnus  124, 594 Albrecht von Brandenburg, Erzbf.  365 Alexander II., Papst (geb. Anselmo da Baggio)  431, 432* Alexander von Tralleis  157 Alexander, hl.  542 Alighieri, Dante  123, 242 Alret 396 Aluuardus 408 Amandus 348 Ambrosio, Giovanni (geb. Guglielmo Ebreo da Pesaro)  167 Ambrosius von Mailand  121, 148, 219*, 228, 275, 430, 506 Amelrich 396 Amor  109 f., 134, 149*, 237*, 565 Amulus von Lyon, Erzbf.356–361, 371 Anastasius Bibliothecarius  124, 460

Andersen, Hans-Christian  58* Angenendt, Arnold  171, 172 f., 277 Anselm von Canterbury  407*, 450 Anselm von Saint-Remi  466, 470 Ansileubus  143, 144* Antoninus, Marcus Aurelius Severus, röm. Kaiser (gen. Caracalla)  265 Antoninus, Marcus Aurelius, s. Bassianus, Varius Avitus Antonius von Florenz, hl., Erzbf.  184, 607 Antonius, Marcus (gen. Marc Anton)  265, 307* Aphrodite  134, 508, 566 Apis  283, 563 Apoll  55, 74, 100, 102, 134, 136, 141, 145 f., 149*, 152, 166, 179, 264, 266, 283, 307, 335*, 463, 551, 587 f. Apollodor  165, 305 Aretaios von Kappadokien  154–157, 160 f. Ariadne 287 Aristoteles  118*, 135, 167, 224 Arnold(us) von Lüttich  483 Arnolt 396 Arnulf von Halberstadt  368, 389 Artemis  146, 562 Aschera  303 f. Asklepios/Esculapius  149–154, 156 ff.,161, 166, 275, 588 Astarte 565 Athene  307*, 333*, 551, 611 Attis  81, 105, 141, 146, 156, 274 f., 282, 284, 286, 309, 344 f., 509, 511, 561*, 562, 565 Aua/Ava  408 ff., 416*, 418 f., 437, 440*, 441 f., 447, 455, 469, 472 Audoinus von Rouen, hl. (gen. Dado; frz. Ouen)  315, 330 f., 334, 340, 344, ­346–349, 351–355, 384, 385*, 389, 403, 415, 423, 435, 471, 496, 576 f. Augustinus, Aurelius, hl., Bf.  120 f., 148, 174, 189, 212, 220–223, 228, 249, 268, 271, 275, 294*, 322, 333 f., 341, 390–394, 417, 436, 458, 462, 473, 476 f., 498, 501, 511, 557*, 578, 603, 619 Augustus, s. Octavius, Gaius

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Register

Aurelianus  286, 303, 308–316, 318, 339, 353, 355, 471, 492, 513, 536, 630 Aurelianus, Caelius  149,152,159 Aurelianus, Lucius Domitius, röm. Ks.  265, 267 Avitus von Vienne, hl.  290 Azelinus 408 Baal  264, 303 f., 361 Bacchus, s. Dionysos Baesecke, Georg  372 ff., 595 Baglivi, Antonio  599* Balduin von Exeter/Canterbury, Erzbf.  241 Balthild, hl., Kgin  288, 331, 340, 341*, 342, 345 ff., 349, 576 f. Bartholomäus von Narbonne, Erzbf.  356 Basina von Thüringen, Kgin.  286 Basilius von Caesarea, hl.  122, 218 f.*, 226 Basilius von Seleucia  507 Bassianus, Varius Avitus, röm. Kaiser (gen. Elagabal)  119, 264*, 265, 307, 502 Beelzebub, s. Satan Beethoven, Ludwig van  56 Beleth, Johannes  171*, 495, 499, 504 Benedict, Ruth Fulton  65 f., 99 f. Benedikt von Nursia  94 Benna 408 Berenarth 396 Berengar von Tours  407 Bernhard von Angers  194 ff. Bernhard von Clairvaux  224, 450 Bernward von Hildesheim  122*, 388 Bezdechi-Cluj, Stefan  99 Bio 396 Bitos, hl.  549 Boas, Franz  65 f., 100 Bodin, Jean  22, 59 Boëthius, Anicius Manlius Severinus  120 f., 123, 132, 167, 220, 274 Le Bon, Gustave  51 Bonifatius  178*, 294*, 295 f., 299 f. Bora, Katharina von  620 Bote, Hermann  388, 488 Boudriot, Wilhelm  189, 280, 332, 368 Bovo –– (Stiergott)  345, 379, 543 –– (Kölbigker Legende)  392, 396, 398*,408 f., 420 Bovo II.  542, 548, 582 Brant, Sebastian  23*, 166 Braun, Joseph  602 Brightiva/Brihtgifu, Äbtissin von Wilton  407 Brömel, Markus Christian Heinrich  21 Brueghel, Pieter d. Ä.  532 Brunfels, Otto  108 f., 165

Buccestra, hl.  408 Bullinger, Heinrich  620 Burchard von Worms  189 f., 192, 391*, 516 Butler, Judith  67 f. Caesar, Gaius Iulius  538 Caesarius von Arles, Erzbf.  186, 189, 192, 294*, 295, 331–334, 368, 383, 497 Caligula, s. Germanicus, Gaius Caesar Augustus Calmeil, Louis Florentin  48 Capella, Martianus  120, 132 Caracalla, s. Antoninus, Marcus Aurelius Severus Carus, Carl Gustav  51 Cassiodorus, Flavius Magnus Aurelius (gen. Cassiodor)  120 Cassius Dio, s. Cocceianus, Lucius Cassius Dio Castor 579 Catullus, Gaius Valerius (gen. Catull)  98 Chalcidius  121 f., 132, 175 Charcot, Jean-Martin  49 Charybdis 435 Chaucer, Geoffrey  340* ChildebertI., Kg.  182*, 191, 290 Childebert II., Kg.  182*, 191 Childerich I., Kg.  85*, 284, 286, 289 Chilperich I., Kg.  288, 290 ff., 342 Chilperich II., Kg.  341* Chlodwig I., Kg.  255*, 281, 284 ff., 290, 311 Chlodwig II., Kg.  288, 341, 345, 346*, 347, 576 Chloë 380 Chlotar I., Kg.  290 f. Chlotar II., Kg.  292, 337* Chlotar III., Kg.  345 Chosroes, Kg.  603* Chrodechild(is), Kgin.  286 Chrysologus, Petrus  506 Chrysostomos, Johannes (gen. Johannes von Antiochia), hl., Ebf.  130, 216–219, 227, 319, 506, 509, 514 Cicero, Marcus Tullius  106, 120, 166, 228, 383 Circe 516 Clemens von Alexandrien, s. Clemens, Titus Flavius Clemens, Titus Flavius (gen. Clemens von Alexandrien)  89*, 122, 127, 182, 268, 271, 291, 308, 458, 507, 565, 588 Cocceianus, Lucius Cassius Dio (gen. Cassius Dio) 308 Cohn, Norman Rufus Colin  74 Columban von Luxeuil  340 f., 534, 567 ConstantiusI. Chlorus, s. Constantius, Flavius Valerius

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Register Constantius II., s. Constantius, Flavius Iulius Constantius von Lyon  339 Constantius, Flavius Iulius, röm. Kaiser (gen. Constantius II.)  119, 272 f., 282 Constantius, Flavius Valerius, röm. Kaiser (gen. ConstantiusI. Chlorus)  282, 291 Cooper, Anthony Ashley, Third Earl of Shaftesbury 46 Cornelius, hl.  597, 623 Crescentia, hl.  534, 549, 553, 556*, 560 f., 564 f., 588, 593 Cyprianus, Thascius Caecilius, hl.  578 Daedalus  244, 249 Dagobert I., Kg.  288, 292, 299, 300*, 330 f., 337*, 341, 345 ff., 354, 576 f. Damasus I., Papst  315 Daphnis 380 Dathan  433 f., 469 David, Kg.  206, 214 f., 218, 224, 228, 253, 288, 305*, 336–339, 342, 354, 436, 506, 514, 552, 617*, 625 Delehaye, Hyppolite  82, 83*, 92 f.* Delisle, Leopold  406 Derrida, Jaques  67, 90 Diana  145 f., 152, 264, 333, 335*, 435, 508 f., 516 f., 525, 530 f. Dibelius, Martin Franz  508 Diderot, Denis  49, 196, 197* Diepgen, Paul  49 Dietrich von Bern  373, 381–384, 394, 397, 419 Dilthey, Wilhelm  65, 100* Diokletian  266, 551, 553 ff., 561, 564 f., 567 f., 570, 596, 598 Dionysius Areopagita, s. Pseudo-Dionysius Areopagita Dionysos  32, 55*, 74*, 81, 97–100, 105 f., 122, 127, 134, 135*, 140 f., 145 f., 152, 156, 179, 192, 228, 265 f., 274 f.,281*, 287, 289, 292, 305 f., 307*, 309, 337, 339, 344, 361, 380, 391, 458, 463, 507 f., 511, 523, 548, 559 ff., 564, 566 f., 569, 586, 588, 590, 605 f. –– s. auch Sachregister Dodds, Eric Robertson  75, 99–103, 105, 107 ff., 115 f., 161, 167, 323 f. Dölger, Franz Joseph  82 Domitianus, Titus Flavius, röm. Kaiser (gen. Domitian)  308, 533 Domitilla, Flavia, hl.  303, 308–317, 323, 339, 355, 400, 405, 418, 471, 511, 513, 523, 536, 562, 615 Dorotheus von Tyrus  510 Droysen, Johann Gustav Bernhard  65 Durandus, Guilhelmus  131, 171, 529

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Dürer, Albrecht  58 Durkheim, Emile  52 Ea, s. Oannes Eberhard I. von Bamberg, Bf.  389 Eckehard I. von Meißen, Bf.  389 Edgar, Kg.  412 f. Edgith von Wessex, Kgin.  412 f., 453 Edgith von Wilton, hl.  162, 367, 406, 407*, 408, 411 f., 414, 418, 420 f., 430, 449, 450, 453, 472 f. Edward der Bekenner, Kg., hl.  407 f., 413, 453 Egilbert von Bamberg  365 Einstein, Albert  97 Eirene von Athen, Ksin.  270, 276 Elagabal, s. Bassianus, Varius Avitus Eleutherius von Tournai, hl.  343 f., 536 Elhen von Wolfhagen, Tilemann  163 Elias  269, 303 f., 518, 557, 592* Eligius von Noyon, hl.  189, 192, 292, 312, 315, 329, 330–356, 384 f., 387, 389, 394, 401, 403, 435, 471, 474 f., 492, 496 f., 534, 545, 569, 576 f., 580, 590, 622 Empedokles  133, 159 f. Erasmus von Rotterdam  124, 610 Eratosthenes von Kyrene  586 f., 590 Erchinoald, Hausmeier  347–356, 384, 385*, 387, 389, 394, 405 Erkenbert von Homburg  582 Erlembald 431 Ermanrich  381 f., 385*, 419, 509 Eros, s. Amor Eunapius von Sardes  291, 340 Euphrosyna, hl.  309 Euripides  32, 97, 99, 101, 135*, 141, 393, 505, 507, 513 Eusebius von Caesarea  219, 271 f., 276, 283, 291, 308, 313, 458 Eva (Bibel)  179, 519, 523 Eva (Reklusin)  447–456 Farahild 509 Faustina, hl.  570 Fawkes, Guy  543* Felicitas, hl.  542 Ficino, Marsilio  44, 113*, 124 Fides, hl.  192, 194 f. Fincelius, Jacob  370 Firminus, hl.  356 Flamininus, Lucius Quinctius  505 Florentina  554, 561, 565, 574 Florus 356 Folpoldus 408 Foucault, Michel  68, 191 Fracastoro, Girolamo  44

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Register

Francesca, Piero della  603* Franck, Sebastian  488, 605 Fredegarius Scholasticus (gen. Fredegar)  85 f., 284–289, 292, 380 Frentz, Walter  60 Freyr  281, 287 Friedrich, Jörg  61 ff. Fritherich 396 Fulrad von St. Denis  535 Gabriel  518, 521 Galen von Pergamon  44, 143, 148, 150, 152, 157–160, 162 ff., 530 Ganymed  558 f., 593 Gariopontus  152 ff., 156 ff., 161–165 Geiler von Kaysersberg, Johannes  609 Gelasius I., Papst  534 Gennep, Arnold van  73, 75 Gerath/Gerardus  396, 408 Gerlahc 396 Gerlev  408 f. Germanicus, Gaius Caesar Augustus, röm.Ks. (gen. Caligula)  264, 307 Germanicus, Nero Claudius Caesar Augustus, röm.Ks. (gen.: Nero)  264, 589 Germanus von Auxerre  339 Gero von Köln, Erzbf.  583 Gerolf 396 Gerson, Jean le Charlier de  237 Gertrud von Nivelles, hl.  530–533 Geta, Publius Septimius, Mitks.265 Giraldus Cambrensis  241 f. Gisela, Ksin.  365, 537* Goar, Jacobus  319 Gobi, Jean  483, 488 Godwin von Wessex  413 Goetz, Georg  144, 148 Gordianus, Marcus Antonius, röm. Ks. (gen. Gordian III.)  265, 344* Goscelinus von Canterbury  162, 373, 376*, 377 f., 382 f., 392, 406 ff., 412–416, 418–423, 426, 430 ff., 440–443, 445–456, 463 f., 467, 469, 472 f., 479, 482, 486, 595 Gozbert 535 Graus, Frantişek  38, 57, 277, 323, 531 Gregor I. (gen. der Große), Papst  88*, 123, 217*, 234, 294*, 315, 395, 479, 498, 535, 539*, 578, 589 f., 595 Gregor VII., Papst (geb.: Hildebrand von Soana)  430 f. Gregor von Nazianz  122, 126, 130, 217 f., 226, 244, 249, 568 Gregor von Tours  85 f., 281, 284, 286*, 290 ff., 341*, 342 f., 503

Gregor XIII., Papst (geb.: Ugo Boncompagni)  538 Grimm, Gebrüder (Jakob, Wilhelm)  314*, 364, 490 Grimoald d. Ä., Kg.  347 Groddeck, M.  50 Guarimpotus, s. Gariopontus Guillaume de Saint-Pathus  527 f. Gunthramn I., Kg.  291 f. Gurguidus, hl.  543, 561* Gutzkow, Karl Ferdinand  36 Guy d‘Allemagne  543 Hadrian I., Papst  341, 459 f. Haeser, Heinrich  51 Haley, Bill  62 Harald II. (England), Kg.  413 Harmening, Dieter  189–191, 260*, 368 Harpokrates  286, 306, 560 Hartmann von Aue  400* Hauck, Karl  86*, 283, 286 Hautkappe, Franz  189 Hecker, Justus Friedrich Carl  11, 29, 35–59, 62 f., 65 f., 75, 97–102, 108, 305, 371 Hecquet, Philippe  48 Heine, Heinrich Christian Johann  35 Heinrich 396 Heinrich II., Ks.  313, 365, 380, 385 f., 389 f., 403, 410, 412, 414, 416, 421, 443, 445, 453, 536 Heinrich III. von Frankreich Kg.  516 Heinrich von Herford  483 Hekate 146 Helios  81, 116, 146, 264 f., 267, 269, 270*, 271 ff., 275, 283, 286, 291, 308, 345 –– Sol (invictus)  264–267, 270 f., 273, 310, 497, 558 –– s. auch Sachregister Helmold von Bosau  545, 547 Hephaistios  309, 566 Hera  307, 551, 556 f. Heraclius, Flavius, byz. Ks.  288 Hercules/Herakles  265, 270*, 287, 308, 558, 565 ff., 596 Hereman 396 Heribert von Köln, Erzbf.  386, 388 ff., 402 f., 445, 456*, 481, 486, 584* Hermann II. von Schwaben  389 Hermann von Ramsbury  406 f. Hermas 128 Herodes I. der Große, Kg.  217, 240*, 505, ­507–512, 513*, 518, 615 Herodias  206, 218, 228, 505–510, 513, ­515–526, 528 ff., 532, 610, 622, 624

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Register Herodot von Halikarnass(os) 505 Herold, Johannes  483 Hezzel 396 Hieronymus, Sophronius Eusebius  505, 533 Hilarius von Poitiers, hl.  292*, 317 Hildebrandus 408 Hildegard von Bingen, hl.  150*, 235, 424, 475 f., 503 f., 521 Hildigisus 356 Hilduin von Saint-Denis  124, 346, 576 Hippokrates von Kos  148, 154, 158 ff. Hirsch, August  37 f., 54 Hitler, Adolf  60 Homer  309, 343, 594 Honorius Augustodunensis  173, 211*, 529 Horstius, Gregor  22, 158*, 610 Horus  275, 286, 306, 560 f., 563, 565, 569, 588 Hrabanus Maurus  368* Hrotswith von Gandersheim  460 Hubert, hl.  597 f., 607 Hugo von Konstanz/von Schaffhausen  519, 520–528, 609 Hugo von Trimberg  228, 625 Hugo, Victor-Marie  52 Humbert von Silva Candida  427, 435, 443, 445*, 446 Hutten,Ulrich von  610 Hylas (gr. Sagengestalt)  558 ff., 562 f., 567, 594 Hylas (Vater des Vitus)  345, 550 f., 554 f., 558 f., 561 ff., 570, 572*, 573, 575 Hyperion 275 Ibn Butlan  140 Ignatius von Loyola, hl.  238 Ikaros 586 Innozenz II., Papst (geb.: Gregorio Papareschi di Guidoni)  365 Iring von St. Blasien  479 Ischtar  380, 508 Isidor von Sevilla  143*, 148, 174, 189* Isis  282, 284, 286, 306, 379, 380, 508 f., 512, 514, 531, 559–565, 569, 588 Jacobus de Voragine  308, 310, 573 f. Jahn, Albert Heinrich  99 Jahn, Otto  55 Jamblichus von Chalkis  43, 107*, 112–121, 123, 125, 128, 135 ff., 141, 145, 160, 227, 230, 263 f., 268, 272–275, 292, 302, 321 ff., 352, 417, 424, 560 Jacques de Vitry  228, 239 Johannes (Kölbigker Legende)  379, 396, 402 ff., 440*, 461, 480, 482, 488, 505, 508, 522

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Johannes der Täufer  15 f., 20*f., 34, 179, 215, 268, 312, 319, 333, 337*f., 379, 461, 495– 512, 517–533, 538 ff., 552, 562, 575, 577, 591, 594, 597 f., 606, 614 f., 621 ff., 626, 629 –– s. auch Sachregister Johannes von Antiochia, s. Chrysostomos, Johannes Johannes von Ephesos  324–329, 359 Johannes von Fécamp  450 Johannes von Salisbury  383 Johannes, Evangelist  83*, 124, 268*, 461, 518 ff., 526, 529–533, 538, 557, 567, 570, 591 Jonas von Bobbio  340, 567 Jonas, Justus d. Ä.  619 Josef 206 Josephus, Flavius/Joseph ben Mathitjahu  505 Julian, röm. Kaiser (gen. Apostata, geb. Flavius Claudius Iulianus)  119, 146, 168, 217, 220, 226, 267, 273–276, 282 f., 285, 291, 302, 309, 321, 340, 501 f. Julian von Le Mans  178 Juno, s. Hera Jupiter Dolichenus  563 Jupiter, s. Zeus Justinian I., Ks.  269, 275 f., 290, 323, 328 Karl Martell  341* Kallistos, Nikephoros  510 Karl der Große, Ks.  144, 147, 341, 459, 577, 590 Karl IV. Ks. (HRR)  537, 544 Karl VI. von Frankreich, Kg.  28* Katharina von Siena, hl.  501* Kircher, Athanasius  44, 147 Knecht Ruprecht  379* Konrad II., Kg.  365, 537* Konstantin I. der Große, Ks. (geb.: Flavius Valerius Constantius)  118, 220, 245, 269– 273, 275 f., 282 f., 290 f., 353* Konstantin VI., byz.Ks.  276 Konstantius II., Ks. (geb.: Flavius Iulius Constantius)  119, 270*, 272 f., 282 Korach 433 Krantz, Albert  488, 603* Kraton  104, 110 Kronberg, Hartmut von  618 Kronos  141, 281, 288 Krusch, Bruno  330 ff., 334*, 534 Kybele  81, 103 ff., 108, 117, 141 f., 146, 156, 168, 176, 274 f., 282, 284, 286, 306, 309, 344 f., 508, 560–563, 565, 630 Lamberth 396 Lampert von Hersfeld  366, 367*, 377 f., 387, 472*

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Register

Landerich von Paris, hl.  353 Lanfranc von Bec, Erzbf. von Canterbury  377, 407, 422, 431, 445, 447, 449*, 455 Langton, Stephen, Erzbf. von Canterbury  177 Lantpert von Deutz  388 ff. Lawler, Lilian  102 f., 109, 305, 323 Leo I., Papst  458 Leo IX., Papst (geb. Bruno von EgisheimDagsburg)  162, 373, 384*, 406 ff., 421 f., 427, 430, 460, 466 ff., 470 Lévi-Strauss, Claude  18, 64*, 94 Licinius, Licinianus, röm. Ks.  118, 220, 269 f. Lindner, Michael  545* Lindsay, Wallace Martin  144, 145* Linforth, Ivan Mortimer  108, 141*, 142, 161, 165, 167 Lippe, Rudolf zur  172 Livius, Titus  106 Longus von Lesbos  380 Lotto, Lorenzo  544 Lucia, hl.  540* Ludwig I. der Fromme, Ks.  124, 360, 590 Ludwig IX. von Frankreich, Kg (gen. der Heilige)  480, 527, 543 Lukardis von Oberweimar  515* Lukian von Samosata  103 f., 109 ff., 146, 238, 310, 514, 565 Luna, s. Selene Luther, Martin  46*, 58*, 225, 238, 513*, 598*, 603, 610, 614–621 Luxurius 311 Luzifer, s. Satan Lycinus  104, 110 Lykurgos  292, 561 Macrobius, Ambrosius Theodosius  119 f., 132, 250, 593 f. Magna Mater, s. Kybele Magnentius, Flavius Magnus, Gegenks.  282 Magnus, hl.  364*, 378 f., 396, 402 f., 408 f., 416 f., 473, 480 f., 484 Manfred von Sizilien, Kg.  140 Manilius, Marcus  146*, 587 f. Mann, Thomas  52, 57 ff., 63 Manning, Robert  479 Marcellus, hl.  292* Marciana, hl.  569 Marguerite von der Provence  527 Maria  89, 224, 234, 420 f., 430, 450, 501, 504, 518, 521, 530, 556 Maria Magdalena  206, 515, 518 Mars  156, 176, 266, 281, 285 Martial, hl.  197*, 292*, 336, 338, 341, 354 Martianus Capella  120, 132

Martin 396 Martin von Braga, hl.  189, 331 f., 497 Martin von Tours, hl.  120, 292, 316 f., 340, 352 f., 361 Martin, Alfred  29, 100 f. Maternus, Iulius Firmicus  272, 578, 587 f., 592 f., 594 Mathilde von Quedlinburg  541, 545, 572 Matthäus, Evangelist  130*, 217*, 434, 508 Mauburnus, s. Mombaers, Johannes Mauritius, hl.  541 Maury, Alfred  99 Maxentius, Marcus Aurelius Valerius, röm. Ks.  570 Maximilian I., Ks.  609 Mechthild von Magdeburg  236, 501* Medardus, hl.  290, 292*, 341, 348 Meinnolf/Meinoldus  396, 408 Meister Ingold  465 Melampus  165, 305 Melanchthon, Philipp  617, 620 Melkart (Herakles Astrochiton)  566 Menestrier, Claude-Franςois  285* Menippus von Gadara  110 Menot, Michel  229 Merian, Matthäus  22*, 489, 490 Merkur  281, 316, 611 Merowech  286, 288 Mersuit/Mersint  379*, 396, 398*, 402, 404, 409, 419, 440, 447, 482 Metzner, Ernst Erich  365, 372, 375, 381 f., 386*, 391, 397, 400, 479 Michael  518, 530, 595 Milton, John  251 Minerva, s. Athene Mirandola, Pico della  44 Miriam 214 Mithras  81, 266, 274, 282, 563 f., 566, 587 f. Modestus, hl.  534, 536*, 549, 551 ff., 556*, 560 f., 564 f., 573, 588, 593 Mombaers, Johannes  146, 238 Morgenthaler, Wilhelm  59 Moses  424 ff., 433 f., 443 Mummolinus von Noyon  351* Murner, Thomas  598*, 607 f., 613–618, 620 Nadab  426, 432, 433* Naso, Publius Ovidius (gen.: Ovid)  559 Nauclerus, Johannes  488 Nebukadnezar 567 Neptun  287 f., 333, 351* Nereus, hl.308 ff., 315, 345, 536 Nero, s. Germanicus, Nero Claudius Caesar Augustus

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Register Nietzsche, Friedrich  54–59, 62 f., 74 f., 98, 100, 102, 108, 109* Nikolaus II., Papst (geb.: Gerhard von Burgund) 431 Nikolaus von Siegen  164 Noah 270* Nonnos von Panopolis  559, 566, 588, 606 Oannes  504, 529* Octavius, Gaius (gen. Augustus, röm. Ks.)  264, 283, 307*, 558 Odricus 408 Ötelrihc 396 Odysseus 104 Orchesis 109 Orcus 333 Ordericus Vitalis  406 Origenes  122, 182, 268, 450, 505 Orpheus  127, 214*, 274, 337, 339, 507, 562 Osiris  306, 379*, 509, 514, 543, 558–563, 565 f., 569 Otfried von Weißenburg  501* Othbert/Odbertus  362, 367*, 373, 377, 379, 386, 389, 396, 401–406, 408, 412, 416, 443, 445, 465, 472, 479–483, 485 f., 488, 490 Otto I. der Große, Ks.  413, 541 Otto III., Ks.  389 Otto, Walter Friedrich Gustav Hermann  99 Ovid, s. Naso, Publius Ovidius Pan 380 Paracelsus (geb.: Philippus Theophrastus Aureolus Bombast von Hohenheim)  22 f. Paschasius Radbertus  512, 577 f. Pauli, Johannes  372*, 483 Paulus  122*, 123, 345, 353, 428*, 476, 520, 579 Paulus und Palladia  390 ff., 473 Pearce, Nathaniel  101 Pentheus  127*, 134, 505, 507 Perpetua 569 Perseus 103 Petrarca, Francesco  166, 469, 499 Petrus  349, 353, 520, 579, 603* Petrus Damiani  363, 427, 428*, 429–433, 435–438, 441, 444, 446, 450 f., 453, 465, 475 ff., 492, 628 Philipp von Clairvaux  239 Pilgrim von Köln, Erzbf.  373, 378, 386 f., 390, 401 ff., 481 Philo von Alexandria  127, 580 Pippin d. Ä.  124, 531 Pirmin(ius)  177 f., 189, 192 Pius, Antoninus, röm. Ks.  570 f. Platon  46, 74, 99, 108, 111*, 112, 115, 118*,

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121, 133–136, 141 f., 145 f., 149, 159–162, 165–169, 175, 227, 274, 341*, 523, 566, 577*, 606, 625, 628 Platter, Felix  22 Plotinus  42, 44, 112 f., 115, 118, 121, 126, 135, 160, 216, 272, 274, 322, 341*, 419 Plutarch  119, 167 Pollux 579 Porphyrius  42, 112–121, 126, 128, 135, 160 f., 216, 230, 272, 274 f., 322 Potitus, hl.  313, 570 ff., 575, 601 Proteus von Tiryns  165, 305, 312 Pseudo-Bonaventura  261, 466 Pseudo-Dionysius Areopagita  123–126, 128, 132, 175, 233, 238, 247, 252*, 317*, 322, 342, 463, 474, 514, 518, 558, 589, 626 Quintilianus, Aristeides  142 Quirinus, hl.  598, 607 Raphael 518 Raymund von Capua  501* Re 275 Regino von Prüm  189 f., 192, 391*, 516 Remigius, hl.  292* Rhea  141 f., 275, 565 Richard von Durham  191 Richard von St. Victor  235 Riché, Pierre  177, 246, 338 Ritschl, Friedrich Wilhelm  55 Robert II. von Frankreich, Kg.  502 Rohde, Erwin  54 f., 75, 97–100, 102 f., 105, 108*, 109, 161, 323 Rolevinck, Werner  488 Rosen, George  20, 29, 49, 323 Rothe, Johannes  488 Ruthbertus 402 Rusticus, hl.  343, 536 Ruysbroek, Johann, hl.  239 Sachs, Hans  611 Salome  206, 215, 217, 226, 228, 253, 312, 319, 337, 379, 469, 487, 496, 504–519, 522 f., 529, 532, 545, 577, 596, 600, 612, 615, 622 (vgl. auch Herodias) Sandrad 583 Sarapis  81, 265*, 266, 270*, 274 f., 282 ff., 286, 306, 337*, 509, 511 f., 558, 561, 563 Satan  21, 111*, 179, 206, 212*, 217, 225–231, 240, 244, 246*, 251 ff., 310, 316, 318 ff., 322, 326, 334, 340, 354, 361, 370*, 382, 392 f., 399*, 402, 448, 466*, 475, 483, 486, 506, 512, 515 f., 518, 521, 523, 527*, 532, 553 f., 557, 566 f., 570 f., 581 f., 588, 595, 598, 620 f.

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Register

Saturn, s. Kronos Saxo Grammaticus  545, 547 Scaliger, Joseph Justus  98 f., 108 f., 161, 165 Schedel, Hartmann  488 Schenck von Grafenberg, Johannes  164, 610 Schiller, Johann Christoph Friedrich von  54 Schivelbusch, Wolfgang  59, 61 Schön, Anna  15–19, 23, 70, 628 Schott, Johannes  150, 152 Schröder, Edward  365, 372 ff., 376, 386, 394*, 397, 406, 483, 490, 518 Schröder, Franz Rolf  85 Selene  103, 146, 264 f. Semele  122, 508, 606 Servilianus, Quintus Fabius Maximus  309, 311, 315, 536 Seth  306, 509, 558 f., 561, 565 f., 588 Seuse, Heinrich  236, 261 Severus, Septimius Lucius, röm. Ks.  265 Severus, Sulpicius  120, 292, 316, 319, 321 ff., 340, 352, 357, 361, 414 Shaftesbury, s. Cooper, Anthony Ashley Sigerist, Henry Ernest  49 Sigismund, hl.  546 Silvanus 282 Simrock, Karl Joseph  532 Siuuart 396 Sixtus, hl.  542 Sokrates  133, 159 Sol, s. Helios Soranos von Ephesos  149 Spangenberg, Cyriakus  370 Stein, E.  51 Stephan, hl.  385*, 390 f., 530, 541, 619 Stifel, Michael  614 Strabon  111, 142, 146 Strömbäck, Dag  398 Sudhoff, Karl  37, 49 Suntheim, Ladislaus  536, 609 f. Svantovit  541–549, 602 Syagrius von Soissons  284 f. Sydenham, Thomas  22 f., 38, 606 Tarasius 461 Tertullianus, Quintus Septimius Florens (gen. Tertullian)  268, 291, 533 Teufel, s. Satan Teukros von Babylon  587 Theodboldus von Langres, Bf.  357 Theodericus/Thiederihc  162, 373, 377, 382, 385*, 396 f., 405–423, 440*, 453, 455, 472, 479 Theodora  303*, 308*, 309, 315*, 536 Theodoret von Cyrus  128, 220, 568

Theodosius, Flavius I., röm. Ks.  276*, 281, 294, 502 Theodrada von Soissons  542 Theokrit 558 Theophanes Homologetes (gen. der Bekenner)  276 Theresa von Avila  208*, 239 Theseus  244, 249, 252 Thietmar von Merseburg  365*, 367*, 368, 373 f., 580 ff. Thomas von Aquin  124, 223, 225 Thor 281 Totila, Ostgotenkg.  290 Trithemius, Johannes  488 Turner, Victor Witter  73–76, 78, 629 Tyche 270 Typhon 588 Ulrich von Augsburg, hl.  530 Urban II., Papst (geb.: Odo de Chatillon)  195 Usuard 177* Valerianus, Publius Licinius, röm. Ks. (gen.: Valerian)  345, 550 f., 554, 558, 563 Vedastus, hl.  567 Veit, hl. (Vitus)  16, 20 f.*, 22, 34, 53, 207*, 292, 299 f., 309, 313, 315, 338, 339*,342, 345, 386, 495 f., 517, 533–623, 626, 630 –– s. auch Sachregister Venus, s. Aphrodite Verrier, Paul  406 Vespasianus, Titus Flavius, röm. Kaiser  308 Vesta  551, 563 Victorinus, Marius  126, 249, 275 Vinzenz von Beuavais  480, 482 f., 485 f., 488, 490 Virchow, Rudolf Ludwig Karl  37, 38*, 50, 100 Vitus, s. Veit Vocco 396 Voltaire (geb.: Franςois Marie Arouet)  49, 196 Waetzoldt, Wilhelm  58 Walthelm 396 Warimbod, s. Gariopontrus Warin I. von Corvey  542, 576, 578 Weber, Maximilian Carl Emil  74, 78, 212* Weinsberg, Hermann (von)  314*, 538 f. Wenskus, Reinhard  85 f., 91*, 95, 256, 283– 287, 292, 378 Wezel/Wetzelo  396, 408 Wibald von Stablo und Corvey  585 Wicke, Ernst Conrad  38 Widukind von Corvey  541 f., 545, 572, 575 f.

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Register Wilamowitz-Möllendorff, Ulrich von  55, 98, 109* Wilhelm 396 Wilhelm der Eroberer, Kg.  413 Wilhelm von Mainz, Erzbf.  541 Wilhelm von Malmesbury  480, 482 Wilhelm von Moerbeke  120 Wilhelm von Toulouse  543 Willibrord, hl.  299, 376 f., 396, 534* Willigis von Mainz, Erzbf.  389 Wotan 281

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Wunekin 396 Xerxes 505 Zacharias  520, 522, 552 Zacharias, Papst  296 Zeus  81, 141, 266, 269, 281, 307, 316, 503*, 516, 551, 556 ff., 573, 593 Zosimos 275 Zuccolo, Simone  16

Ortsregister Aachen  62, 496 Abessinien 101 Adria 257 Afrika 256 –– Nordafrika 265 Ägypten  86, 294 f., 512, 514, 559 Aix-en-Provence 240* Alectorius locus (Hahnenort)  551, 556, 561, 602 Alexandrien 154 Algerien 247 –– Algier 247* Alpen  17, 167, 301, 516 f., 536, 572 Amerika, s. USA Amida  323–330, 360 f. Amiens  243, 502, 503* Angers  195, 245, 447, 452 Antiochia 218 Apulien  535, 571, 599* –– Milianus 571 Aquitanien  338*, 351 Arelate, s. Arles Arezzo 603* –– San Francesco  603* Arles 280 Arnstadt  164, 300* Asien 43* Athen  99*, 119, 123, 134, 135*, 142, 226, 274*, 306, 307*, 508 Augsburg  300*, 537 Austrasien  288, 292*, 300, 387 Autun 358 Auxerre  148, 207*, 211*, 243, 244*, 245, 247, 249, 338* Babylon  267, 446, 529* Baden 537 Baltimore 49 Bamberg  11, 228, 315, 365 f., 386 f., 389, 536 f., 601 f.

–– Dom 536 –– Michaelsberg  365 f., 386 Barking 184* Basel  54, 152*, 153, 165, 262*, 301, 517, 611 f. Bayern  245*, 263*, 296, 300, 535, 537 Bayeux 262* Belgien  257, 259 Benevent 572 Berlin  11 f., 35 f., 39, 42, 49 ff., 54 f., 61*, 73*, 232* Bern  165, 589 Bernburg an der Saale  364 Besanςon  207, 243, 535 Biesheim  15 f., 70., 610 Bitburg 206* Bodensee  299, 498, 517, 522, 525, 528 f., 535, 537 f., 539*, 609 Böhmen  536 f., 621 Bologna 211* Bourges 185* Boussières 535 Brandenburg 41 Brecknockshire 241 Breisach am Rhein  13, 15 f., 610, 628 Bretagne 256* Brüssel  16, 238, 388*, 531 f. Burgund  286, 288, 291, 292*, 301 Byzanz  459*, 460, 549 Caesarea  390, 417, 436, 462, 473, 603, 619 Canossa 94 Canterbury  162, 177, 377, 407 Capua 572 Cardiff 407* Chalons-sur-Marne 206* Chartres  121, 243, 248, 251, 260 Chelles  341, 576 China 43 Cluny 477 Cölbigk, s. Kölbigk

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Register

Colmar  15, 628 Conques  194 ff. Constantina 325 Corbie  144, 168 f., 335, 341 f., 535*, 577, 590 Cornwall 256* Corvey  299, 338, 342, 386, 535, 537, 541 f., 545, 547 f., 576 ff., 582 f., 585, 590, 603* Damaskus 502 Dannstedt 491 Dekumatenland 282 Deutschland  25, 41, 45*, 49, 56–59, 61 f., 99 f., 102, 163, 207, 245, 247, 249*, 257*, 258 f., 261 f., 263*, 298, 484, 490, 497, 537, 544, 599 ff., 621, 626 –– Oberdeutschland  17, 533 Deutz  390, 584* Diesenhofen 520 –– Kloster St. Katharinenthal  520 Dijon  357 f., 360 f. –– St. Benignus  357, 359 Diyarbakir, s. Amida Donau  266, 281 f., 298*, 299, 300*, 498, 539* Doubs 535 Dresden 238 Durham 413* Echternach  21*, 186*, 203*, 206, 299, 373, 376, 385*, 395 f., 401, 440, 443, 472, 479, 491, 534* Edessa 325 Eichstätt 535 Eifel  16, 206 Ellwangen  315, 536 f., 610 Elsass  15, 483, 598, 607, 612, 614, 616 f. Emesa  119, 502 England  202*, 205*, 247, 249*, 258, 262, 298, 392*, 406 f., 412, 421, 450, 453, 455, 480 Ephesos  274*, 530 Ephirus 570 Erfurt  11, 75*, 164, 300*, 488 Esslingen 614 Europa  11, 21*, 22, 28, 29*, 35 f., 41, 43*, 47, 59, 61, 64 f., 66*, 72, 74 ff., 84, 86, 89*, 95, 97, 98*, 118, 137 f., 152, 157, 163, 172, 186 f., 192, 197, 200, 202, 203*, 207, 223, 225, 253, 255*, 256, 259, 261, 267, 277, 281, 300, 305 ff., 329, 364, 372*, 479, 493, 497, 498*, 539*, 576, 624, 627, 629 ff. Evreux 206* Flandern  17, 300, 406 f., 422, 496, 504, 597 Florenz  208*, 210, 211*, 590* Fonte Avellana  427, 451 Franken  259, 301, 498

Frankenreich  95, 168, 255–258, 260, 277, 280, 289, 294 f., 299, 301 f., 315, 331, 333, 341, 351, 356, 377, 460, 534*, 542, 576 f., 626 Frankfurt am Main  12, 185*, 459, 460, 489 Frankreich  25, 28*, 49, 52 f., 60, 247, 257 ff., 262, 279, 301 f., 480, 502, 516, 528, 543, 597, 623 Freiburg  164, 610 Fulda  178*, 299, 535 Gallien  89*, 95, 255–258, 273, 277–280, 281*, 282 f., 294 ff., 298, 300*, 301 f., 315 f., 332, 341, 343, 368, 385, 387, 503, 529*, 542, 626 –– Südgallien  189, 192 Genezareth, See  270*, 510 Germania, röm. Provinz  260, 294, 300 ff., 387 Golf von Salerno  551 Griechenland  98, 109, 146, 165, 294 Großbritannien  257*, 259* Halberstadt  368, 382, 388 f., 535 Harz  365, 553 Havelberg 262* Hegau 539* Heliopolis 273 Hennegau 496 Herkenrode 239 Hersfeld  366, 367*, 378, 387 Hessen 498 Hierapolis 103 Hildesheim  37*, 122*, 177*, 183*, 237 f., 388 Hippo Regius  220, 268, 390 ff., 458, 619 Iberische Halbinsel, s. Spanien Ihringen 593 Inverkeiting  191, 508* Israel  214, 303 f., 423–426, 433 ff., 443, 452, 462, 475, 482, 487, 552 f., 577 Italien  17, 36, 37*, 41, 89*, 120 f., 123, 140, 143, 147, 167, 172*, 176, 203*, 247, 256, 257*, 258, 259*, 261, 298, 300, 357, 427, 450, 499, 503, 515, 534 f., 542 f., 570, 574, 576 –– Süditalien  17, 34, 98, 142 f., 154*, 257, 503*, 549, 599* –– Unteritalien  548 f., 555 f. Jericho 248 Jerusalem  130*, 209, 247 f., 325, 450, 452, 466, 477 f., 502 Jordan 533 Jouarre 576 Kärnten 600* Kaiserstuhl 610

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Register Kanaan 89 Kanopos 559 Karmel, Berg  214, 303, 523 Kleinasien  141, 157 Knossos 249 Kohlenwald 387 Kölbigk  22*, 24*, 33 f., 162, 196, 300*, 312–315, 323, 360 f., 363–493, 495, 500, 508, 511, 522 f., 536, 537*, 585*, 595, 626 –– St. Magnus  364 f., 378, 385, 396, 417, 484 Köln  40, 46, 163, 240*, 247, 282, 374, 387–390, 394 f., 402 f., 469, 484, 496, 499, 515, 538 Königshofen 165 Konstantinopel  269 ff., 283 f., 290 f., 324, 502 –– Hagia Sophia  269 –– Hippodrom  271, 291 Konstanz  236 f., 261, 299, 301, 519, 521 ff., 525 f., 529, 537*, 610 –– Stift St. Johann  526, 529 –– Dom 526 Körbecke bei Soest, s. Möhnesee-Körbecke Korbeek-Dijle 387 Korbeek-Lo 387 Kreta 141 Krumau  574 f. Lanercost  191, 508* Langobardenreich 191 Leipzig  37, 49, 238 Lerins  280, 295 Lerinum, s. Lerins Limburg 163 Limoges  197*, 245, 330, 336, 338 London  36, 37*, 184*, 234 Lothringen  373, 375, 460, 467 –– Niederlothringen  260, 370*, 406 –– Oberlothringen 260 Löwen 387 Lucca  247, 251 Lukanien  535, 549, 551*, 556, 561, 569 Lüttich  206, 239, 373 f., 389, 402 –– St. Laurent  389* Luxemburg  537, 546, 623 Lyon 152 Maas  33, 192, 206, 255, 261 ff., 282, 298, 300 ff., 373 f., 377, 402, 495, 498, 517, 626, 629 Madrid  202*, 345* Magdeburg  208*, 365, 388, 413, 541 Main  12, 185*, 258 f., 262, 300 –– Mainfranken 366 Mainz  388 f. Malmedy 542 Marianus  554, 556

695

Marokko 101 Mazzara 534 Merseburg  580, 581* Mittelmeerraum  105, 120, 280, 293 f., 513 Möhnesee-Körbecke  388, 489*, 491 Moissac 243 Mönchen-Gladbach  535 ff., 583 f. –– Abtei St. Vitus  583, 584* Mont Saint-Michel  386 Mosel  33, 163, 192, 206, 255, 262 f., 298, 299*, 300 ff., 377, 395, 495, 498, 517, 541, 626, 629 Mühlhausen  546, 574, 591 Münster  11, 84, 208* Narbonne  233*, 243, 359 Narbonnensis (röm. Provinz)  368 Neapel 572 Nevers 243 New Sarum, s. Salisbury New York  36, 52 Nicäa  128, 256, 271 f., 275 f., 459, 461, 538 Niebelgau 535 Niederlande  245, 257, 261, 483 f. Niedersachsen 617* Nivelles  531 f. Nordsee  300, 529 Normandie  386, 450 Noyon  292, 331, 341, 347 ff., 387 –– Basilika St. Lupus/St. Eligius  341* Nürnberg  483, 611 Orient  84, 106, 115 f., 127, 264, 266 f., 281 f.*, 307, 319*, 380, 557* Österreich  257*, 575 Ostia 427 Paderborn 584 –– Dom 584 Paestum  556 f., 561*, 630 Palmyra  265 f., 558* Paris  11, 35, 48 f., 130, 167, 183*, 185 f.*, 196, 208*, 210 f., 221, 248, 260, 290, 292, 336, 346, 367*, 373, 376, 395 f., 406, 472, 479, 518 f., 525 ff., 535 f., 576 –– Notre Dame  210 f., 224 –– St.–Jean-en-Grève  518 f., 525–528 –– St.-Denis  527, 535 –– St.-Médard  48, 196 –– St.-Germain-des-Prés 576 –– Ste.-Geneviève 221 Passau 535 Patmos  529 f., 533 Pavia  247, 537 Pecquencourt 206*

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Register

Persien 226 Phrygien 141 Picenum 551* Pisa 572 Poitou 502 Pommern 602 Pontia, s. Ponza Ponza 308 Portugal 259* Prag  545, 547, 621* –– Dom St. Veit  537 Preußen  36*, 41 Provence 301 Ramsbury 406 Ravenna  247, 427 Ravensburg  536*, 609 f. –– Kapelle St. Veit  609 f. Rebais 576 Regensburg  300*, 535, 537, 596, 604*, 617 Reims  185*, 243, 387, 460, 466 f., 470 Rhein  15, 17, 25, 34, 40, 63, 98*, 257 f., ­260–263, 266, 281 f., 297–302, 373, 395, 402, 498 f., 517, 526, 539* –– Niederrhein  282, 374, 386, 583 f. –– Oberrhein  16, 70, 296*, 300, 496, 498, 517, 522, 524, 528 f., 538 f., 598, 606, 610, 617, 620 f., 623 –– Rheinland  16, 46, 166, 255, 257*, 258 f., 261 f., 281, 294, 298, 300*, 323, 375, 386, 524 f., 528, 532, 584 –– Rhein-Mosel-Maas-Becken  33, 192,255, 261, 263, 298, 301 f., 377, 495, 626, 629 Rhône  294, 301 Rom  30, 54, 106, 119, 126, 149, 157, 176, 183*f., 188, 192, 256, 257*, 259*, 263, 265, 267, 269, 271, 273, 284 f., 290, 294, 296–299, 308, 313, 315, 349, 353, 406, 427, 430, 441, 460, 500*, 533, 535 f., 548, 549*, 551, 556, 564, 626 –– Ara Pacis Augustae  269 Rottweil 609 Rouen  243, 330 Rügen  545 ff. Saale  58, 364, 368, 378*, 385, 388 Sachsen  245*, 281*, 298, 364, 366, 373, 385, 388, 390, 402, 480, 484, 535, 541 f., 545, 576 f., 580, 584 f. Saint-Bertin, Abtei (Sithiu)  406, 422 Saint-Jean-d’Angély 502 Saint-Vith 542 Salerno  152, 154, 157*, 551 Salins 243 Salisbury  202*, 207, 406, 413*, 422

Sambia 75 St. Blasien  479 Sardinien 535 Saulieu 358 Saverne  604*, 606 f., 610 –– Kapelle St. Veit  574, 591, 629 Schienen 535 Schlesien 37 Schottland 517* Schwaben  16, 299, 301, 498, 517, 524, 536 f., 539, 545, 591, 604, 606, 610, 621 –– Schwäbische Alb  532, 537 f., 610 Schwarzmeerraum 300* Schwarzwald 609 Schweiz  59, 257, 259*, 262, 498, 620 Sebaste 502 Seine 527 Sele, s. Siler Sens 243 Sevilla  206*, 245 Sherborne 406 Siler (Sele), Fluss  549, 551, 553 f., 556 f., 561, 592, 602 Sinai  424 f. Sithiu, s. Saint-Bertin (Abtei) Sizilien  535, 548 f., 551, 556, 561, 569 Skandinavien  247, 249*, 258 Soissons  177*, 290, 292*, 348, 542, 576 –– St.-Médard  48, 177*, 196, 576 Spalato/Split 564 Spalbeek 239 Spanien  206, 256, 257*, 258, 259*, 497* St. Gallen  535 Stettin 262* Straßburg  16, 22, 29, 63, 108, 140, 150, 152, 164 f., 208*, 300, 465, 488 f., 498, 535, 539*, 604*, 605 ff., 608*, 609 f., 629 Stuttgart  546, 586* –– Stuttgart-Mühlhausen  574, 591 Syrien  123, 295 Thérouanne  162, 406 Thrakien 103 Thüringen  385, 536 Tirol  592*, 602 Toledo  186*, 206* Tournai  206*, 284, 292, 331, 343 f., 348, 383, 387, 496 Tours  343, 346 –– St.-Martin 346 Toxandrien 283 Treffelhausen  532 f., 610 Trier  180, 186*, 535, 583, 584* –– St. Maximin  535, 584*

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Register Türkei 325 Tyros 566

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Vermand 348 Verviers 206 Vienne 243

Weimar  59, 515*, 581 Weser  386*, 535, 542, 547, 577, 585 Wessex  412 f. Westgotenreich  143, 190, 258 Wilton  162, 373 f., 378, 380, 382, 385, 406 ff., 412 ff., 419, 430, 447, 449, 453 ff., 464 Winchester 413* Windesheim 238 Wittenberg 616–621 Worms  262*, 618 Württemberg  263*, 503*, 537, 609 f. Würzburg  187*, 258, 262*

Wales 256* Wasenweiler  593, 610 Waxweiler  396, 491

Zabern, s. Saverne Zion  130, 249, 466 Zürich 519

Ulm  158*, 261, 610 Ungarn  583, 617* USA 49 Uzès  356, 358 –– St. Firminus  356

Sachregister Im Text erwähnte Werktitel sind kursiv gedruckt. Nicht aufgenommen wurden die Stichworte »Tanzwut« und »Veitstanz«. Aal  396, 399, 437 f. Abendmahl (Eucharistie)  83*, 126, 131, 146, 168, 222, 237 f., 252, 275, 314, 317 f., 361, 401, 415, 433 f., 442, 446, 452, 456 f., 469 f., 475–477, 482, 486, 492, 510 f., 630 –– Abendmahlsstreit  407, 460, 462 Aberglaube (Superstition)  41 f., 45*, 102, 188 f., 191 f., 195, 200, 262, 270, 279, 293 f., 296, 328, 330–349, 351*, 352, 358 ff., 368 f., 394 f., 397, 401, 419 f., 422, 432, 441 f., 459, 470, 496 f., 516, 524, 605 –– Superstitionsliteratur  188, 190, 203, 222, 297, 368*, 370, 383 ff., 419, 498, 517 Aderlass  149, 152, 165 Admonitio Generalis 459 Alexandros 103 Almosen  355, 377, 390, 402, 426 Alphabetum narrationum 483 Altertumswissenschaften  97, 99, 102, 107, 115* Altes Testament  123, 214, 269, 304, 424 f., 432 f., 436, 445, 462, 504, 565 ff., 569, 588 –– 1. Buch der Könige (1 Kön)  303, 361 –– 2. Buch Mose (Exodus, 2 Mo)  214, 452, 523 –– Daniel (Dan)  565, 567 f., 583, 598 –– Ezechiel (Ez)  430 –– Hohelied Salomos (Hld)  123, 342 –– Zehn Gebote  484, 618 Altorientalistik 82 amator exclusus, s. Liebhaber, ausgeschlossener Amphitheater  552, 555 Ämterkauf (Simonie)  467

Anachoreten  295, 447, 449, 452 f. Angelsachsen 88* Annales Elwangenses 536 Antichrist  216, 226, 274 Antisemitismus  57, 264* Ansteckung, s. Kontagionstheorie Anthesterien  306, 508 Anthropologie  64 f., 100, 101*, 253, 405, 456, 475 f., 478, 554, 626, 630 –– Medizinanthropologie, s. Medizin Apokalypse 557 –– Jüngstes Gericht  128, 233, 320, 450, 454, 477, 504, 523, 568 Apokryphen  215, 314, 462, 464, 568 –– 4. Buch der Makkabäer (4 Makk)  568 –– Johannes-Akten  128, 215*, 456–464, 474, 476*, 500, 521, 594 Apoplexia, s. Krankheit Apostasie  309, 313, 562, 570, 615 Apostel  123, 128, 269, 290, 338, 349, 419, 456, 458 f., 460, 462 f., 464, 529 ff., 533, 562, 578 f. –– Apostelgeschichte, s. Neues Testament Äquinoktium, s. Tag-und-Nacht-Gleiche Aratea 589 Architekturgeschichte  249*, 261* Argonauten  558 f. Arianismus  226 f., 256, 271, 301 Armut 102 Ars grammatica  249 artes liberales  167 Askese  78 f., 233, 325, 327, 448, 476, 501, 583

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698

Register

Astrologie  42, 112 f., 229, 261, 288*, 508, 578, 592 –– Astralmythologie, s. Mythologie –– Astralreligion  115, 322 Astronomie  34, 261, 338, 342, 454, 564, 589*, 590, 592, 604, 631 –– Katasterismus  339*, 555, 578, 586, 588, 590, 592, 594 –– s. auch: Sternbild; Stern atrium, s. Vorhof Audacht Morainn 289 aulos, s. Flöte Baalspriester  214, 303, 305*, 523, 557 Bacchus-Verehrung  32, 57, 74 f., 97, 99, 100 f., 105 ff., 122, 127, 135*, 141, 192, 281*, 380, 567, 588 –– Bacchae  32, 101, 135*, 141, 393, 507, 513 –– Bacchanalienskandal  105 f. –– Mänaden  32, 97, 99*, 100 f., 108*, 127, 134, 227 f., 305, 393, 504–512, 513 ff., 518, 523, 562, 565, 603, 622 Bakteriologie  49–51, 53, 631 Baptisterien, s. Taufe Beat 62 Becher, s. Sternbild Benediktiner  241, 265, 386 Besessenheit  17, 20, 64, 67, 73*, 116 f., 126, 128, 134 f., 137 ff., 150, 154, 157, 164, 168, 209*, 228, 316 ff., 320–323, 326–329, ­352–361, 371, 372*, 378, 399, 423, 429, 461 f., 471, 483, 503, 514, 523, 551, 567, 570, 596 f., 599, 616, 620 Betteln  15, 609 –– Bettelausweis  373, 377, 386, 391, 402, 471 –– Bettelbetrug  378, 609 –– Bettelerlaubnis  15, 373, 382, 401, 405, 422* Bettelorden 491 Bibel  92 f., 163, 216, 235, 320, 337*, 376, 428, 449, 462, 477, 513, 518, 522, 540, 548, 575 –– Altes Testament, s. d. –– Neues Testament, s. d. –– Bibelexegese  477, 505 –– Septuaginta  304, 428*, 568 –– Vulgata  174*, 304, 428*, 443*, 568 Bilderverehrung 459 Bilsenkraut 23 Blasphemie  33, 133, 183, 185, 199, 209, 220, 260, 318, 323, 328, 330, 333, 354, 359, 363, 425, 471, 482, 485 f., 490 f., 493, 524, 585, 609, 626 Blendung 276* Blut  150 f., 154, 155*, 157 ff., 164, 220, 304, 362, 396, 399, 402, 409, 438, 481, 484, 503, 506 f., 513, 517, 565, 608 –– Bluttaufe (Taurobolium)  282

Bohnenkönig 262 Bollandisten  206*, 431*, 534, 602* Botanik  38, 108 Braut  207, 313, 368, 380, 420, 447, 453, 564, 599, 615, 629 –– Brautlied (Epithalamium)  381, 453 –– Brautmystik  131, 233, 235–238, 246, 310, 312 ff., 361, 381, 419, 425, 430, 434, 441, 450 f., 453 ff., 470, 492, 509, 511, 513, 520, 562, 629 –– Brauttanz/Brautwerbungstanz  214, 246, 309, 311, 412, 421, 441, 470, 510 –– Brautwerbungsritual  369, 418 f., 441, 470, 510 Bräutigam  103, 310 ff., 314, 419, 439, 453, 615 Buße/Büßer  126*,150, 191, 222, 233*, 240 ff., 317, 325 f., 400 f., 415, 417 f., 425 f., 429, 438, 439*, 443, 445, 448 f., 451, 455, 471, 473, 478, 483, 486, 497, 519, 609, 612 f., 616 –– Bußbücher  174, 180, 182, 186–191, 234, 333, 351*, 368 f., 384, 391, 397 f., 497 –– Bußwallfahrt  242, 377 f., 386, 394, 401 f., 405, 425, 451, 462, 486 Celerum passionum libri III 149 Chorus, s. Reigen Choragus, s. Reigen(führer) Chorea  15 f., 99, 140*, 173, 175 f., 178*, 211, 229, 243, 597*, 613 –– Chorea Gravidarum  606 –– Chorea Huntington  23, 70 –– Chorea Maior  23 –– Chorea Minor  23, 35*, 606 –– Chorea Sydenham  23, 606 Christentum  17, 32 f., 56, 72, 77–84, 88*, 91*, 92 f., 116, 118 f., 127– 131, 137, 139, 167, 171, 179*, 181, 197, 200 f., 209, 212 f., 215 ff., 221*, 230, 240, 244, 249, 252, 255, 257, 262, 268–271, 273, 276 f., 279 f., 283, 290, 292*, 293–298, 302, 308, 312, 314 f., 317, 320, 322 f., 327, 329, 341, 346, 361, 433, 458 f., 476, 487, 495, 497, 500 ff., 507 f., 545, 554, 578, 588, 593, 602, 625, 627, 629, 631 –– Christenverfolgung  93, 312, 554 f., 564 –– Christianisierung  22, 80*f., 86, 93, 122, 124, 132, 179, 244*, 256, 263, 269, 277–280, 290 f., 296, 299*, 322, 333, 346 f., 351*, 359, 368, 404, 421 f., 517, 558, 578, 595, 603* –– Christianität  81, 106, 169, 186, 191, 201, 240, 256, 261, 278*, 279 f., 294–302, 315, 323, 339, 341, 352, 394 f., 421 f., 475, 491, 500, 517, 534*, 536, 549, 569, 584 f., 626, 631 Chronik  16, 93, 163, 191, 202, 324*, 328*, 369, 488, 490, 508*, 580

© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Register –– Chronica minor 488 –– Chronicon Hirsaugiense  488 –– Fredegar-Chronik  85 f., 284 f., 292 –– Historica chronica  489 –– Kaiserchronik, s. Kaiser –– Koelhoffsche Chronik  163, 488, 515 –– Thüringische Chronik 488 –– Schöppenchronik 388 –– Slawenchronik 545 clibanum, s. Kessel coemeterium, s. Friedhof Contra intemperantes clericos  427, 432 Corpus Christi, s. Feiertage Corpus Dionysiacum  123 f., 179, 235, 252*, 261, 346, 454 Corpus Glossariorum Latinorum 148 Corpus Hermeticum 593 Corrector 190 Crater Liberi, s. Sternbild Dämonen  111, 139, 145, 150 f., 153, 206, 222, 226 f., 240, 310, 312–328, 333 f., 349 f., ­352–361, 399, 405, 461, 467, 474, 483, 486, 517, 531, 554, 556, 580–584, 594, 603 –– Dämonenaustreibung (Exorzismus)  20, 31, 120, 317 f., 320–323, 355, 564, 567, 598 –– s. auch Besessenheit De acutis passionibus  148 f., 152 De caelesti hierarchia  123 De caelibatu sacerdotum  427, 439 De civitate Dei 221 De correctione rusticorum  189 De dedicatione ecclesiae sancti Remigii Remensis 466 De divinis nominibus 123 De institutione musica  120 De musica (Aristeides Quintilianus)  142 De musica (Augustinus)  220 De mysteriis  116, 135 De nuptiis Philologiae et Mercurii  120 De saltatione (Peri Orchesos)  104, 109 f., 238 De synodis causis  174*, 186*, 190 Definitiones medicae  157*, 159 ff. Demiurg, s. Gott Demut  78, 202, 224, 240, 311, 336 f., 451, 575, 579 Der Saelden Hort  513, 518, 521–528 Devotio moderna  28*, 237 ff., 261 Diagnose  17, 23*, 24 f., 31, 60, 64, 69, 108, 141, 157*, 164, 324 f., 329, 414, 629 –– Zeitdiagnose  40, 51, 63 Diät  152–158, 164, 166, 325, 327 f. Dionysos-Verehrung, s. Bacchus-Verehrung Divina Commedia  123, 242

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Dogmatik  80 f., 82, 87 f., 91*, 92, 184, 196, 213–225, 268, 271 f., 275, 278*, 295–298, 336, 454, 521, 584 Dominikaner  120*, 211, 231, 236, 261, 308, 310, 319, 465, 480–487, 519 ff., 521, 523– 526, 529, 573 f. Dreifaltigkeit  275, 521, 620* Ecclesia/Ekklesiologie, s. Kirche Ekbertiner  542, 548, 582 Ekstase  21 f., 24*, 36, 48, 62, 64, 99*, 101*, 103, 108 f., 117, 133 ff., 138, 142, 160, 197, 209, 227, 320, 458, 506, 511 –– s. auch Trance Energumenen, s. Taufe Engel  30, 118, 122, 124–131, 133, 139, 140*, 151, 169, 175, 217, 227–238, 246 f., 251, 271 f., 317, 319 f., 335, 342, 356 f., 359, 421, 437, 442, 452, 462, 466, 487, 499, 518, 521 f., 550–558, 562 f., 567, 570–575, 580–583, 595, 597, 602, 622 –– Cherubim  125*, 319 –– Engelsreigen, s. Reigen –– Erzengel  125*, 319, 518, 520 –– Seraphim  125*, 319 –– s. auch Gabriel, Michael, Raphael Entführung  380 f., 398, 409, 418, 441 f., 447, 558 f., 562, 610 f. –– Entführungsehe  380 f. Entführungstanz, s. Brautwerbungstanz Enthauptung  503, 511 f., 528 Enthusiasmus (enthusiasmos)  20, 40 f., 46 ff., 73*f., 97, 103, 109, 116 f., 128, 133–140, 142 f., 147–169, 196, 208, 228, 238 f., 241, 305 f., 320, 323, 328, 334, 342, 352, 354 f., 360, 414, 425, 471, 477 f., 545, 625 Entmannung, s. Kastration Epidemie  26*, 35 f., 38*, 42 f., 45 f., 48–51, 57 f., 59, 62, 98, 100* –– psychische Epidemie  28*, 38*, 39, 48– 53, 97 Epiphanie 262 Epistemologie, s. Erkenntnistheorie Epithalamium, s. Braut Eranos-Kreis 56 Eremit/in  448, 451 f., 476 Ergotismus, s. Krankheit Erkenntnistheorie (Epistemologie)  47, 49 f., 64, 66–70 Ermenrîkes Dôt 382 Eschatologie  77*, 78, 128 f., 139, 176, 214, 226, 230, 233, 238, 240, 427, 491, 508, 512, 524, 568, 613, 616, 619, 621, 627 Esculapius  149–161, 166

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Register

Esoterik 22* Essentialismus  68, 107, 109 Ethnologie  20, 35*, 56, 64, 65 f., 73, 75, 99, 209*, 514 Ethnomedizin  64*, 65 Ethnozentrismus  64 ff., 73*, 107 Eucharistie, s. Abendmahl Eunuchen  104, 308 f., 312 Exorzismus, s. Dämonenaustreibung Expositio in evangelium Mathaei 577 Exsequien 389 Fasciculus temporum 488 Fass  228, 566 Fasten  220, 498, 539, 583, 616 Fegefeuer  230, 242 Feiertage  131, 182, 198, 220, 241, 267, 484, 487, 530, 590 –– Fronleichnam (Corpus Christi)  30*, 202*, 206*, 240*, 245, 501, 526 ff., 605 –– Ostern  171, 177*, 179*, 183, 207, 212*, 237 f., 245, 268, 314*, 318 f., 392, 417, 420*, 466, 498, 503, 602 –– Stephanstag  385, 400 –– Weihnachten  186*, 207, 245, 262*, 268*, 290, 367*, 392, 397, 402, 410, 420, 441, 484, 499, 530 Fest  15 f., 182, 184*, 185 f., 191 f., 199, 204 f., 208, 215, 218 f., 223, 226, 242, 245, 261 f., 267 f., 291, 296, 306, 333, 349 f., 353, 367, 384, 398, 402, 404, 446, 466, 496 f., 501, 513, 526 f., 529 f., 553, 563, 627 –– Kirchweihfest 205 –– Narrenfest  171*, 205, 261, 530 –– Patronatsfest  194, 199, 246, 627 Feuer/-verehrung  41, 116, 136, 155*, 264, 303 f., 320*, 340, 343, 355 f., 410, 421, 426, 432 f., 437, 496, 498*, 499, 527*, 539, 543, 553, 561*, 565–572, 583, 588, 599, 604, 615 –– Feuerofen  552, 566–569, 583, 598, 600* –– Jahresfeuer  497*, 498, 539 –– Johannisfeuer  498, 527, 539 –– Notfeuer (nodfyr)  497, 498* Flöte (aulos)  101, 117, 144, 146, 155 f., 167, 215, 457, 461*, 462, 508, 606 Franken  81*, 85 f., 123, 189, 225, 256, 259, 277, 280–291, 296, 301 f., 351 ff., 498, 630 –– Salfranken 285 Franziskaner  191, 483, 487*, 607 Freikirche  17, 40 Friedhof  132, 180, 182, 188, 200, 204, 232, 325, 328, 329*, 370, 416, 468 f., 480 Frömmigkeit  22, 28*, 47, 81, 129, 132 f., 139, 171 f., 184, 193, 195, 200 f., 213, 237*, 239,

260 f., 264, 268, 279, 297 f., 302, 338, 420, 436, 459, 485*, 540, 574, 599, 604, 630 –– Volksfrömmigkeit  85, 93, 356, 491, 617 Fruchtbarkeit  192, 306, 382, 424, 453, 508, 512, 558, 562, 566, 569, 588, 600, 605, 622 –– Fruchtbarkeitsgöttin, s. Gott/Göttin –– Unfruchtbarkeit  424, 444, 475 f., 599 Galloi/Galli  103 f., 141*, 146, 156, 274, 309, 561 Gaukler/in  52, 216, 224, 241 f., 310, 409, 506, 512–515, 545, 568 Geißler  45, 57, 221 f., 356, 396, 410, 451, 496 Gemma animae 173 Gender  29, 64, 74 –– Gender Studies  67, 448 Geographika 142 Germanen  84 f., 86*, 188, 255*, 256, 261, 277 f., 282, 284 f., 287, 299–302, 332, 351*, 370, 380–387, 499, 516*, 517, 531, 542 f., 596 –– germanische Religion  21, 80, 180, 188 f., 192, 267, 281, 283, 367, 496 f., 576, 594 Germanistik  21, 33, 69*, 80, 84, 91*, 364*, 365, 370 f., 381, 532 Gesta Dagoberti 346 Gesta regum Anglorum 480 Gnosis  118, 458, 549, 559, 560 Gold  232, 270, 272*, 309 f., 342 ff., 356, 410, 412, 551, 563, 567, 577*, 583 –– Goldenes Kalb  214 f., 423–426, 433, 443, 475, 487, 548 –– Goldenes Zeitalter  264 f., 361, 504 –– Goldschmied  330, 342 f., 345, 347*, 354, 580 Gotik  249, 252*, 260 f. Gott/Göttin  23, 44, 45*, 46, 56, 81, 82*, 85, 89, 91, 103, 105, 109–115, 122–142, 145 f., 149 ff., 154, 156 f., 159 ff., 164, 166, 168 f., 171, 173, 175, 193, 196, 214, 217 f., 220 ff., 224–230, 233, 235–238, 240 ff., 244 f., ­249–253, 260, 263–276, 281, 283, 286 f., 290*, 292*, 293, 297, 303–306, 308, 311–314, 316, 318, 320–325, 329, 332–335, 338 ff., 343 ff., 349–357, 360 f., 364, 373, 390, 392 f., 396, 405, 408–412, 414–420, 423–436, 438, 440–446, 449, 451–459, 462, 464 f., 469– 487, 491 ff., 499, 501, 504, 506, 508 f., 511 f., 516–523, 545 ff., 550–584, 586, 593–596, 598, 600, 603, 608, 611 ff., 616, 618–630 –– Erdgöttin 287 –– Fruchtbarkeitsgöttin  146, 560 f., 602 –– Gottesdienst  182, 188*, 185, 199, 225, 296, 317 ff., 364, 368, 385, 396 ff., 404, 415, 432, 486, 490, 603*

© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Register –– Gottesferne  140, 168, 242, 252, 329, 361, 383*, 429, 434, 473, 476, 478, 492, 521, 570, 618, 624–628 –– Gottesurteil  303, 341*, 557 –– Gottesvergessenheit  424 f., 475 f., 478, 492, 627 –– Hammergott  267, 342, 543 –– Jahwe (bibl. Gott)  125, 424, 443, 505 –– Mondgöttin  89, 146, 286, 306 f., 311, 379, 404, 504, 508–511, 530, 560, 563 –– olympische Götter  81, 264, 281, 286, 556, 611 –– Schöpfergott (Demiurg)  125, 309, 343, 463, 504, 508, 590, 593 –– Sonnengott  146, 179, 263–270, 286, 304, 306, 309–313, 342, 346, 379, 394, 404, 504, 508 f., 547, 558, 561, 563*, 567 –– Stier-/Rindsgottheiten  587, 589, 345, 379, 420, 548 Götze  127, 173, 214, 221, 268, 555, 567 f., 577 Hagiographie  16, 80*, 82, 91 ff., 147, 263, 278, 289, 292 f., 298, 303, 308, 310, 312 f., 316, 322, 329 f., 336, 339 f., 341*, 347, 354*, 361, 388, 447, 495, 511 f., 531, 534, 540, 550*, 554*, 555, 564 f., 567, 570, 575, 584, 615, 626, 630 Hahn  339 f., 392, 547*, 583, 601 ff., 605 Halluzination  109, 155, 159, 165 Handlyng Synne  479 Häresie (Heterodoxie)  79, 132, 190, 222, 227, 315, 433, 443, 460, 467, 474 –– Häresiologie  208, 215, 227, 464, 474, 517, 521, 530 Harmonie  110 f., 114, 118, 125 f., 128, 136, 140, 173, 226, 229 f., 233, 305, 335, 400 f., 437, 441 f., 462, 471, 474, 507, 625 –– Disharmonie  43, 135, 140, 168, 226 f., 305, 311, 414, 420, 471, 600, 619, 621 –– kosmische/Sphären-Harmonie  44, 107, 109–112, 111 f., 117 f., 120, 122, 124 f., 126, 128 f., 134 ff., 139, 142, 167, 175, 179, 211, 215, 226 f., 230, 243–247, 251, 253, 261, 271 f., 312 f., 340, 352, 354 f., 403, 417, 419, 425, 454, 458, 462, 464, 471, 474, 524, 580, 626, 628 Harpyien 435 Heiden/-tum (Paganismus)  21, 31, 34, 80, 83, 86, 88*, 89,91 ff., 118 ff., 123, 125, 127 f., 129 f., 139 f., 146, 168, 172 f., 182 f., 185 f., 188–192, 195, 197 f., 200, 204 f., 218, 220, 222, 226, 240, 244, 252, 255*, 256, 267 f., 269 ff., 273–281, 283, 284*, 286 f., 290 f., 292*, 293–298, 305, 309–315, 321 ff., 328, 330–336, 338, 344, 346, 348, 352 f.,

701

3­ 67–370, 370*, 381–385, 389, 419–422, 432, 435, 441, 453, 470, 485*, 492, 495, 497, 499 f., 503*, 504, 506, 512, 527*, 530 f., 533 f., 538, 540, 545–548, 553–557, 559 f., 562 ff., 566–569, 571 f., 575, 577, 579*, 586, 596, 600, 603, 623, 626, 629 f. –– Kryptopaganismus  188, 219, 279, 331, 613 Heil  20, 41, 79, 122, 127 f., 139, 193, 222, 225, 241 f., 247, 250, 252 f., 318, 320, 326, 329, 335, 339, 350, 353–355, 359, 361, 363, 400, 405, 409, 415 f., 420, 425, 428–430, 432 f., 435, 441, 443, 445, 455, 462, 464, 471, 475, 478, 487, 491 f., 504, 511 f., 514, 518, 522, 524, 528, 541, 552 f., 563, 569, 586, 596, 598, 613, 621, 623 f., 626, 628 –– Heilsferne  146, 253, 303, 323, 326, 329, 361 f., 425, 469, 515, 522 f., 618 ff., 624, 627 f. –– Heilsgemeinschaft  318 f., 327, 361, 393, 421, 424, 432*, 442, 446, 469, 478, 482, 492, 503, 524, 613 –– Heilsgeschichte  77 f., 127, 199, 205, 240, 243, 245, 251, 307, 453, 477, 500, 504 f., 511 f., 569, 627 –– Heilsverlust/Unheil79, 122, 128, 140, 168, 230, 240, 242, 252 f., 311, 313, 315, 318 f., 320, 326 ff., 329, 353 ff., 359, 363, 371, 377, 405, 419, 426, 429, 432, 434, 441, 451 ff., 474, 478, 487, 495, 506 f., 510, 513, 515 f., 518, 521, 524, 532, 563, 569, 596, 598, 613, 616, 618, 621, 623, 627 f. –– s. auch Seelenheil Heilig/-keit  127*, 132, 159, 179, 183, 193, 312 f., 338, 340 f., 349, 384, 392, 408, 417, 422, 427, 432 f., 436, 438, 441, 443, 480, 484, 486, 501, 508, 550, 557, 568 –– Geblütsheiligkeit 283 –– Heilige Familie  275, 306, 560 –– Heilige Hochzeit, s. Hochzeit –– Heiliges Land  247 –– Heilige Lanze  389 –– Heilige Schrift, s. Bibel –– Heiliger Geist  245, 435, 543 Heilige/Heiligenverehrung  34, 82*, 83*, 89, 91, 93, 127*, 128, 131 f., 139, 158, 165, 182 f., 186, 192, 194 ff., 199, 204 f., 209 f., 218, 246, 263, 271, 279*, 290, 292 ff., 308, 313, 316 ff., 322, 325, 327, 330–333, 335– 347, 351–361, 369, 379, 388, 390 f., 405, 407, 411, 413 f., 421, 448 ff., 453 ff., 466*, 473, 495 f., ­500–503, 510 ff., 517 f., 526, 529–551, ­554–566, 569–585, 590 f., 594 f., 597–618, 620, 622 ff., 626 f., 629 ff. –– Adelsheiliger  347, 455, 544, 576 –– Heilige Drei Könige  597

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Register

–– Heiligenviten/Heiligenlegenden, s. Hagiographie Heilung  69, 134 f., 137, 139 f., 142, 165, 178*, 195, 241, 305, 334, 339, 350, 353–356, 366, 390 ff., 406, 408, 414, 420 f., 453, 455, 472 f., 492, 503 f., 517, 523 f., 527, 528*, 550 f., 563, 570 f., 581, 595 f., 604, 612, 619, 621, 629 –– Heilmittel  141, 353, 503, 539 –– Heiltanz, s. Tanz Heimarmene, s. Stern Heldenepik  306, 385, 543 Heliolatrie, s. Sonnenverehrung Hellenismus  42, 85, 97 f., 103, 106 f., 115, 118, 138*, 161, 165, 188 f., 192, 214, 256, 263, 267, 280, 283 f., 286, 289, 298, 300*, 323, 425, 500, 504, 514 f., 556, 558, 562*, 566, 578*, 626 Henotheismus81, 85, 146, 263 f., 268, 273, 276 f., 281, 287 Hermetismus  201, 567, 588 Heroen  82*, 89, 91, 309, 322, 340, 578 Heterodoxie, s. Häresie Hexen/-glauben  17, 22, 24*, 29, 188, 231, 384, 510, 516 f., 525, 530 Hierogamie, s. Hochzeit Himmel  36, 41, 78, 123– 126, 128–132, 139*, 143, 176, 179, 227, 229, 233 ff., 245, 247, 249, 251, 263 f., 268 f., 271 f., 281, 303 f., 306 f., 319, 334, 338, 340, 342, 345, 355, 380, 405, 410, 432, 437, 442*, 445, 449, 454 f., 457 f., 463, 467, 477 f., 487, 501, 506, 514, 516, 552, 554 f., 557 f., 561 f., 564 ff., 569, 576–580, 586–603, 613, 622 f., 626 Himmelskörper  117, 164, 334, 477 –– Planeten  43, 110, 112, 143, 164, 173, 250, 272, 338, 463, 508, 555, 562, 580, 582, 594 –– Sterne, s. d. –– Sonne, s. d. Himmelstor  458, 594, 597 f., 605, 613, 622 Hip Hop  62 Hirsch und Hindin  383 Historia Saxoniae, seu nunc Westphaliae 489 Histrion/in, s. Glaukler/in Hochmut  349, 350*, 382, 408, 418*, 476, 515 Hochzeit  89, 181, 183, 186*, 199, 207, 223, 238, 246, 265, 305, 307, 310, 312, 314, 316, 369, 380 f., 425, 434, 441, 450, 453 f., 465 f., 492, 509, 615 f., 620 –– Gotteshochzeit  264, 305, 434 (s. auch Brautmystik) –– Heilige Hochzeit (Hierogamie) ­286–289, 305–308, 311–314, 361, 378, 379*, 381, 383 f., 394, 404, 419, 434, 446, 453, 455, 508–513, 515, 556 f., 560 ff., 564, 568 f., 600, 615 f., 622 f., 626, 629

Hölle  77, 179, 227 f., 230, 232, 235, 237, 242, 244, 249, 252, 344, 382, 469, 514 ff., 532, 595, 613 Homiletik  189*, 395, 626 Hostienschändung 527 Humanismus  58, 631 –– Neu-Humanismus  99, 108 Humoralpathologie, s. Vier-Säfte-Lehre Hund  151, 154, 490, 588, 592* Hungersnot  325, 371 Hymnus/Hymnologie  125, 130, 177, 186, 194, 202, 210, 211*, 267, 273, 275, 290, 296, 456 f., 458*, 459 f., 463 f., 467, 473, 508, 553, 562, 568, 584 Hysterie  22, 26–30, 48–53, 57*, 61 f., 64 f., 73, 99*, 100 f., 107, 116, 197, 237, 241*, 324–329, 357*, 361, 515, 599*, 625 –– Tanzhysterie s. Tanz Ikaromenippus  110 Ikonographie  71, 82*, 89, 91, 232, 233*, 240, 248*, 265, 269*, 287, 288*, 510 f., 514 f., 533, 556, 567, 574, 592, 603*, 604 –– Heiligenikonographie  345, 533, 585, 598, 600*, 602 f., 631 –– Herrscherikonographie  264, 269, 276* –– Kaiserikonographie  265 f. –– Münzikonographie 307 Immanenz  77 f., 161, 198, 222, 245, 252 f., 307, 400, 503, 522, 613, 622 f., 626–630 Inauguration 296 Indiculus superstitionum  189 Inkarnation  77, 131, 245, 445 f., 462, 464, 476 f. Inkubation, s. Tempelschlaf Instrumentalmusik  101, 111, 114, 144, 153, 175*, 227, 238, 311 Inzest 438–442 Irrgarten, s. Labyrinth Islam  201 f., 257, 631 –– islamische Mystik  22, 201 f. Itinerarium Cambriae 240 Jesuiten  44, 208*, 285* Johannes (vgl. Namensregister) –– Johannes-Akten, s. Apokryphen –– Johannes-Christentum 500 –– Johannisfeuer, s. Feuer –– Johanneskraut  503, 539 –– Johanneskirchen  503, 519, 525, 527 f., 610 –– Johannes-Libellus 520f –– Johannestanz, s. Tanz Judentum  81, 167, 201*f., 206, 214, 216, 425, 461, 500, 505 f., 515, 618, 620*, 631

© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367216 — ISBN E-Book: 9783647367217

Register –– Judenverfolgung  45, 57 –– s. auch Antisemitismus Jungfrau  78 f., 162, 233 f., 246, 306, 308–314, 338, 381, 408, 411, 420, 430, 449–453, 487, 508 f., 511, 513, 518, 520, 551, 562 f., 595, 605, 622, 630 f. Jüngster Tag, s. Apokalypse Kaiser  93, 118 f., 124, 185*, 219, 226, 245, ­263–276, 282, 288–291, 302, 307–315, 328, 342, 345, 380, 385, 389 f., 394, 411–414, 421, 443, 445 f., 453, 501 f., 511, 536 f., 541, 544, 551–560, 564–567, 570– 573, 579, 589 f., 596, 609, 611, 615, 630 –– Kaiserchronik, s. Chronik –– Kaiserkult  82, 88*, 111, 179, 265, 288, 290 f., 296, 340, 343, 361, 578 –– Kaiserzeit (röm.)  33, 80, 97, 105 f., 160, 217, 252, 256, 264, 267, 275, 281, 287, 290, 292*, 297, 300, 302, 344, 380, 557, 627, 630 –– Soldatenkaiser 265 Kalokagathie 344 Kannibalismus  101, 106, 507, 565 Kanoniker  195, 211, 243–246, 249, 466 Kapitularien 182 Karneval  186*, 199 f., 205, 240, 242, 261 f., 530 Karolinger/-zeit  33, 121, 130, 132, 143 f., 148, 152, 168, 191, 255*, 278, 288, 300, 330, 341, 359, 370, 541 f., 576 f., 584, 590, 626, 630 Kastration  104, 309 –– Selbstkastration  146, 275 –– s. auch Eunuchen Katasterismus, s. Astronomie Katastrophe  27 f., 43, 57, 63, 329, 371, 566 Katechese  484, 491 Katechumenen, s. Taufe Katharsis 264 Katholizismus  38, 47, 201, 212, 263, 278 Katzipori 545* Kentaur 383 Kessel  529, 533, 549, 553, 559, 566–575, 583, 586, 591–602, 610, 612 Kinderfahrten, s. Kreuzzug Kirche(ecclesia)  16 f., 20, 25, 40, 62, 70, 78 f., 81 f., 93, 101, 106, 116, 121, 125–133, 158, 169, 171–176, 213, 221 f., 226 f., 229 f., 232 f., 239, 241, 243, 245–252, 290, 293–299, 308, 311, 314, 315–319, 322, 325 ff., 354, 363, 378, 285 f., 390, 394, 396 ff., 400–405, 408 ff., 412, 415–421, 464–482, 485 f., 489–493, 500, 503, 509, 511, 517, 519, 522, 524, 526– 530, 532 f., 535, 454, 556, 562, 568 ff., 576 f., 579 f., 582 f., 590, 597, 599 f., 603*, 608 ff., 613, 615, 617, 619, 621 f., 624, 626–629

703

–– Ekklesiologie  126, 129, 132 f., 233, 388, 445, 456, 464, 469 f., 478, 482, 490 f., 626, 630 Kirchenjahr  199, 245, 400, 404, 501, 540, 579*, 590 Kirchenreform  33, 363, 394, 422 f., 426 f., 429–432, 436*, 441 f., 445, 455, 462, 467, 469, 475 f., 482, 490, 492, 626 Kirchenstreit (Kölner)  40 Kirchenvater  21, 107, 118, 121, 123, 129, 139, 148, 168 f., 175, 187, 210, 216, 219 f., 226, 239, 268, 296, 322 f., 333, 335, 339, 370*, 381, 395*, 422, 497–499, 505, 512, 515, 568, 578 Klerus  31, 71, 78, 126*, 163 f., 173, 183, 185*, 186, 207, 211, 222, 320, 331, 336, 427, 431, 433, 439 f., 442, 459, 470, 482, 490, 584, 620, 631 König  85, 119, 122 ff., 140, 165, 167, 177*, 182, 191, 232, 255*, 257, 267, 283–294, 299, 303 ff., 307, 312, 330 f., 337, 339–349, 351*f., 353, 365, 382, 389, 406, 408, 412 f., 434, 448, 453, 455, 460, 477, 502, 504 ff., 509, 511, 514 ff., 518 f., 522, 525, 527, 534, 541 ff., 558, 562, 567, 570*, 576 f., 603*, 615, 623 Komödie 107 Konkubinat  430, 446, 488 Konstruktivismus  29 f., 64, 66–69 Kontagionstheorie  26*, 39 f., 43–46, 50–53, 103 f., 335, 370*, 435, 507 Konvent  174, 194 f., 341 f., 360, 407, 413, 447, 449*, 450, 520, 526, 583 Konzil  183*–186*, 215, 262*, 290, 301, 459 f., 464 –– Konzil von Konstanz  237 –– Konzil von Trient  181, 263* –– Zweites Konzil von Nicäa  128, 272, 275, 459, 538 –– s. auch Synode Korybanten/-ismus  98 f., 102*, 103, 108 f., 111, 117, 128, 134, 136, 139, 141–143, 146, 154, 159, 161, 164 ff., 238, 310, 323, 474, 507, 565f Kosmos  44, 76, 78, 111–115, 118, 126 ff., 134 ff., 166 ff., 222, 230, 250, 252, 263, 273 f., 307, 309, 322, 338, 343, 355, 361, 447, 478, 503, 568, 579, 584, 622 f., 627 –– Kosmologie  22, 30, 33 ff., 51, 53, 73–79, 95, 97, 109–115, 118, 120, 121*, 123, 129, 133, 135, 140, 166–169, 173, 176, 179, 199, ­218–233, 243 f., 247, 251, 252*, 261, 263, 269, 289, 306, 313 f., 354 f., 420, 422, 453, 457, 463, 467, 478, 482, 486, 490 f., 495, 500–504, 507 f., 518, 534, 540, 555, 557, 569, 572, 574 f., 577 f., 580, 584 f., 589 f., 592, 597 f., 603 f., 613, 616 f., 622–631

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Register

–– Makrokosmos  44 f., 48, 136, 143, 227, 229, 504, 530, 625 –– Mikrokosmos44, 48, 131, 137, 143, 227, 229, 503, 530, 625 –– neoplatonische Kosmologie  34, 42 ff., 111, 115, 121, 125*, 132, 143, 216, 229, 238, 250, 252, 256 f., 261*, 276, 297, 301, 303, 318, 320, 352, 394 f., 454, 463 f., 473 f., 477, 487, 524, 534*, 582, 584, 589, 594, 622, 625, 631 –– s. auch Himmel Krankheit  15 ff., 19–23, 25, 27*, 28–31, 33, ­35–41, 43 f., 46, 48, 50 f., 57 f., 63, 64*, ­65–73, 79, 95, 97 f., 100, 106–110, 116, 133, 136 f., 140, 142 f., 145–157, 159, 161 ff., 166, 168, 218, 256, 300, 302–305, 318, 327 f., 356, 362, 371, 467, 491, 496, 504, 528, 531, 538, 595–599, 606 ff., 611, 613–631 –– Bewegungskrankheit 39 –– Cholera  35 f., 46 –– Chorea, s. d. –– Englischer Schweiß  36, 38* –– Enzephalitis 24 –– Epilepsie  23, 25, 45, 56, 64, 70, 116, 150, 156, 158, 160, 496, 597, 598* –– Fallsucht  23*, 25, 207*, 356 f., 359, 496, 497*, 503 f., 514, 525, 528, 534, 595–599, 606, 608, 613, 617, 623 –– Fisteln 346* –– Geisteskrankheit  41, 61, 99, 109, 135, 137, 142, 165, 414 –– Geschwüre 346* –– Gicht (Podagra)  611 f. –– Hitzeschlag (Apoplexia)  17 –– Malaria 557 –– Melancholie  116, 155 f., 158, 530 –– Mutterkornvergiftung (Ergotismus)  23, 24*, 599* –– Nervenkrankheit  23, 40* –– Paralysis 156 –– Pest  27 f., 35, 36*, 41–51, 53, 57, 62, 227, 231, 323 ff., 617*f., 631 –– Phrenitis  17, 149, 155, 157 –– Schwarzer Tod  27, 42 f., 45, 57 –– Tarantismus  17, 100*, 147 –– Tinitus 157 –– Tremor  162, 415*, 417, 429, 471, 473, 483, 486, 492 –– Typhus 37 Krater, s. Mischkrug Kreuzzug  22, 241 –– Kinderkreuzzug  37, 46, 58 Krieg  41, 55, 58 f., 61, 167, 176, 231, 274, 298, 371, 520, 531, 533, 543, 561* –– Dreißigjähriger Krieg  41*, 238

–– Erster Weltkrieg  59 –– Zweiter Weltkrieg  62 Krise  23, 28, 35 f., 43, 48, 50, 57, 98, 102, 201, 231, 242, 288, 291, 324, 329, 360 f., 371, 414, 422, 624 f., 629 Kriton 159 Krumauer Bildercodex  574 f. Kureten 141 Kurie  257, 259*, 297, 301, 406*, 460 Kurtisane  412, 431, 432*, 437, 505 Kynismus 110 Kyrie eleison  579 La pazzia del ballo 167 Labyrinth (Irrgarten)  211, 243 f., 247–253, 287, 466 –– Kirchenlabyrinth  247, 249*, 250, 252*, 260 –– Labyrinth-Tänze s. Tanz Lalebuch  611 f. Lamien 435 Lavatorium, s. Sternbilder Legenda aurea  308, 310, 469, 510, 548, 573 ff., 585 Legende  33 f., 83*f., 164, 224, 286, 298, 308, 313 ff., 336, 340, 343, 345, 363, 370*, 372, 375, 379*, 382, 388, 396*, 406, 426, 455, 464, 469 f., 483, 492, 495, 502, 504, 507– 511, 530, 532, 536, 558, 561*, 564, 573 ff., 590, 592, 602, 612, 616 f., 622, 631 –– Tanzlegende, s. Tanz –– Warnlegende  33, 363, 416, 419, 490, 492 f., 626 Levitation 321 Libellus de institutione Herveldensis ecclesie  366 Liber confortatorius  448 ff., 453–456 Liber constructionis monasterii ad S. Blasium  479 Liber Dynamidiorum 152 Liber Glossarum  143–157, 163, 335 Liber Gomorrhianus  363, 427, 429, 435, 438 Liber Gratissimus  435 Liber Hermetis  588 f. Liber Historiae Francorum  284, 286, 291 Liber Miraculorum Sancte Fidis 194 Liber senectutis  538 Liber vagatorum 608 Liberalismus  50, 52, 100, 107 Libri Carolini  459 f. Libri medicinales 148 Liebhaber, ausgeschlossener (amator exclusus)  427, 429, 451, 595 Limes  282, 297, 299

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Register Liminalität  72–76, 78 f., 230, 232, 246, 252 f., 312 ff., 320, 353 f., 361, 363, 377, 417, 419, 425, 473, 491 f., 495, 522, 598, 613, 621, 623, 625, 627 f. Lingua franca  269 f., 283, 313, 499 Liturgie  76, 124, 126, 130, 132*, 133, 135, 139, 172 f., 175 ff., 179, 182 f., 195 f., 198 f., 202, 205, 207 f., 210, 211*, 214, 222, 230, 233, 237 f., 244*, 253, 257, 259, 261 ff., 279, 296 f., 311, 315, 317 ff., 330, 339, 341, 352, 354, 376, 395, 398, 400, 430, 432, 445, 465 f., 470 f., 477, 482, 580, 590, 609, 623, 626, 629, 632 –– (para-)liturgischer Tanz, s. Tanz Liudolfinger  541, 542* Lustknabe 505 luxuria  434*, 437*, 439*, 506, 515 Magie  85, 112 ff., 136, 140*, 167, 188, 230, 321 f., 333, 357, 530, 553 f., 560, 570, 582, 596 –– s. auch Zauberei Magnetismus 45 Magnus Liber Organi  210 f. Mänaden, s. Bacchus-Verehrung Mania  16, 40, 53, 97, 102, 104, 106, 108, 110, 116, 133–137, 139 ff., 143 ff., 145*, 147–171, 226 ff., 253, 271, 302, 305, 307, 311, 314, 316, 318–323, 328, 334, 342, 352, 354 f., 359–363, 371, 377, 383, 390, 403, 414, 425, 471, 492 f., 514, 523 ff., 528, 562, 606, 622, 625 f., 628 f. –– mantische Mania  134, 145, 166 –– telestische Mania  134 f., 139, 142, 145 f., 156, 160, 162, 523f Mantik, s. Wahrsagen Märchen  84*, 490 Marienverehrung 263* Martinsfeuer, s. Feuer, Jahresfeuer Martyrium/Märtyrer  40, 75, 78, 89, 92 f., 126, 177 f., 204, 217 f., 219 f.,220, 231, 268, 308, 311–315, 338, 339*, 343, 349, 351, 358*, 359*, 361, 385*, 396, 402 f., 409, 418, 431, 441, 449, 472, 480 f., 501, 504 f., 507–512, 515 f., 518, 523, 533 f., 536, 549 f., 552–555, 564 f., 568–571, 576 f., 583*, 585, 590, 596, 600 f., 612, 629 –– Kindermärtyrer  544, 548, 560*, 573 Martyrologium Hieronymianum  308*, 529*, 534, 549 Martyrologium Romanum 572 Maskenlauf 188 Mathesis  272, 592 Medizin  15 ff., 22 ff., 29–48, 50–54, 61, 63–66, 69, 73*, 79, 97, 99, 101, 105, 108 f., 111, 138– 143, 145, 148 ff., 152–169, 318, 328, 342, 358, 370*, 414, 515, 598 f.*, 606, 614, 625, 629

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–– arabische Medizin  17, 140, 157 –– hippokratische Medizin  143 –– Medizinanthropologie/-soziologie 37, 65 ff., 68 ff. –– Medizingeschichte  16 f., 24 ff., 29, 32, 35, 37, 46, 51, 63, 67*, 99*, 101 f., 371, 496*, 597, 599*, 624, 631 –– Neurologie  23, 25, 64, 73, 161, 167 –– Pharmazie  108, 151, 153, 158 –– Psychiatrie  29, 65, 329 –– s. auch Vier-Säfte-Lehre Memoria  77*, 84, 231 f., 269, 328, 370, 390, 412 f., 445, 453, 475, 520, 522 –– Memorialtanz, s. Tanz Merowinger  33, 80*, 85 f., 91, 121, 182, 191, 255, 257, 260, 263*, 278–294, 298 ff., 302, 310, 315, 329 f., 333, 339–348, 353 ff., 361, 364, 370, 378, 380, 383, 386*, 394, 422, 467, 527, 534, 536, 576, 580, 584, 590, 622, 626 Messias  268 f., 446, 500, 503 ff., 508 f., 511 f. Miaphysitismus  290, 325, 327 Miasma  43, 46, 50, 557 Midianiter 435 Militär  81, 264, 266, 280, 282, 284, 287*, 289, 327, 544 Millenarismus 74 Mimesis  126, 135*, 139, 168 f., 179, 225, 230, 232, 239, 253, 275, 291, 300, 311, 313, 354, 371, 403, 420, 429, 441 f., 446, 465, 470, 474 f., 491, 579, 596, 613 Minne  235 ff., 513, 520, 531 –– Johannesminne  530 f., 533 –– Gertrudenminne 531 –– Minnetrunk 529–534 Minotaurus  244, 249, 252, 286–288 Miracles de saint Eloi  336*, 346* Mirakel, s. Wunder Miracula Heriberti 389 Mischkrug  566 f., 569, 589, 593 ff., 598 Mission  217, 244*, 258, 263, 296, 299, 308, 545 Mithrasverehrung  282, 564, 602* Mitsommernacht, s. Sommersonnenwende Moabiter 435 Mond  84, 244, 250, 268, 271, 306 f., 314, 334 f., 339, 342, 346, 394, 477, 508, 512, 519, 558 f., 564, 578, 602 –– Mondgöttin, s. Gott –– Mondmythologie, s. Mythologie –– mondsüchtig  145 f. Monophysitismus, s. Miaphysitismus Monotheismus  81, 83, 87, 264, 268, 271, 276 f., 281, 554 Moralia in Iob 578 Morisken, s. Tanz

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Register

Moskito 556 Mozaraber 259 Mysterienreligion  74, 81*, 103 f., 129, 135, 139, 216, 226, 274, 281*, 282, 514 Mysterienspiel  515, 532 Mystik  42, 56 f., 74, 89*, 99, 104–108, 113, 115–119, 122–125, 127, 129, 135, 141 f., 146, 160 f., 168, 176, 179, 201*, 202, 203*, 206, 208 f., 215, 217, 233 ff., 236*, 237, 239, 249, 261, 266, 268, 274 f., 281, 282*, 293, 312 f., 317, 338*, 423, 433, 439, 447 f., 453, 455, 457, 459, 474, 492, 501, 507 f., 515, 520 f., 529, 560, 562 f., 565 ff., 588, 594, 602, 628 –– Brautmystik, s. Braut –– christliche Mystik  40, 51, 138, 323, 511 –– dominikanische Mystik  261, 520 f. –– Sufi-Mystik, s. islamische Mystik Mythologie  64, 79, 82, 84 ff., 88 f., 91, 93, 101, 105, 107, 153, 256 f., 289, 293, 302, 306 f., 309, 313, 333, 335, 338, 342*, 344, 381 f., 385, 391, 420 ff., 425, 495, 499, 505, 510, 512, 534, 543, 547, 556, 558, 569, 572, 577, 579*, 590, 606, 622 –– antike Mythologie  80, 86, 109, 178, 303, 361, 378, 380, 500, 512, 543, 548, 555, 559, 562, 602, 630 –– Astralmythologie  82, 83*, 91, 95*, 302, 323, 334 f., 339, 341, 346 f., 353, 381, 420, 467, 559, 569, 575, 577 f., 584 f., 591 f., 604, 622, 626, 630 f. –– Herrschermythologie  270, 276, 287, 289 –– Mondmythologie 82 –– Solarmythologie  82, 91, 179, 256, 267– 277, 283, 302, 312 f., 315, 323, 336, 339, 341– 344, 347, 382, 390, 392, 394, 400, 420, 425, 500 ff., 508, 511, 534, 540, 548, 570, 574, 582, 584, 603, 622, 630 Nachtschar 516 Narrenbeschwörung  607, 613 Nationalsozialismus  57, 60 f. Neoplatonismus  42, 44, 111, 118–121, 132, 137, 161, 168, 197, 201, 216, 227, 233, 252 f., 260, 274, 276, 287, 301 f., 322, 339, 394, 422, 631 Neues Testament  214 f., 307, 457, 500, 504 f., 507 f., 510, 518, 562, 580 –– Apostelgeschichte (Apg)  123, 345 –– Johannesapokalypse (Offenbarung des Johannes, Offb)  83*, 88*, 124, 446, 500, 509, 529, 557, 562, 578, 588 –– Lukasevangelium (Lk)  461 f., 501, 520, 552, 592* –– Johannesevangelium (Io)  445, 500, 529, 531

–– Markusevangelium (Mk)  462, 505 –– Matthäusevangelium (Mt)  320, 340, 434, 441, 444, 505, 508 Neuzeit  28, 57, 66*, 102, 166, 171, 187, 216, 225, 246, 253, 259, 279, 298, 363, 487, 493, 504, 626 –– Frühneuzeit  11, 22, 26, 29*, 31, 53, 80 f., 97, 121, 124, 142 f., 172, 181 f., 185, 187, 197, 203, 205, 224, 239, 253, 262, 327, 496*, 497 f., 512 f., 532 Nikomachische Ethik 224 Nikolaitismus, s. Priesterehe Nomoi  134, 135*, 606 Nothelfer, Vierzehn  537 f., 570, 597, 623 Numismatik 264 Nymphe  380, 435, 558 f., 562, 594 Observationum medicarum rariorum libri VII  164 Onomasticon medicinae  165 Opfer  15, 63, 93, 101, 113 f., 135, 141, 144 ff., 151 ff., 214, 241, 270, 288, 304, 311, 313, 319, 357, 359, 361, 378 f., 383, 393, 418, 426, 432 f., 440, 451, 453, 492, 507, 509, 513, 518, 523, 550 f., 562–566, 568, 570, 602, 605, 610, 612, 615, 620*, 624, 630 –– Brandopfer  86, 304, 426, 432, 499 –– Stieropfer  266, 282 f., 303 f., 433, 563 Orcus, s. Unterwelt Orgie 104* Orthodoxie  128, 181, 190, 296, 572, 631 Orthopraxie  190, 196, 200, 216, 225 Ottonen  364, 368, 385, 388, 413, 541 f., 545, 572 Oxea Patici  148 Paganismus, s. Heidentum Panbabylonismus  82 ff., 86 Pandecti medicinae  148 Panegyrikus  136, 271, 273 Pantheon  84*, 269 Pantomimen  104, 107, 241 Papsttum  30*, 256, 294, 298, 302, 315 Paradies  55, 199*, 235, 452, 475, 595, 627 Parochialsystem 360 Paroxysmus  24*, 156 Partikularismus 65 –– historischer Partikularismus  100 Passion  92*, 93 –– Christus-Passion  93, 239, 244 f., 315, 400, 564 –– Passio Domitillae  303, 308*, 310–315, 323, 339, 400, 405, 418, 471, 511, 523, 536 –– Passionsspiel  206, 515*

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Register –– Vitus-Passion  543, 549, 552*, 555–575, 578, 582 f., 585 f., 590, 592, 594, 595*, 600– 603, 617, 622 Passionarius Galieni  152 Pathologie  17, 22, 26–31, 39, 48, 50, 52*, 59– 63, 73, 99–103, 109, 115, 117, 133, 142, 147, 156, 160, 163, 201, 228, 231, 241, 324, 326, 370*, 371, 524 f., 528 –– Historische Pathologie  35, 37, 38*, 41, 43 f., 47, 50, 54, 57, 65, 75 Patristik  31, 111, 130, 171, 174*, 175, 207*, 213, 216, 219 f., 222, 304, 420*, 504, 509 –– s. auch Kirchenvater Patronat  34, 124, 146, 206, 207*, 264, 266, 283, 290, 292, 308, 319, 339, 341, 345 ff., 357, 365*, 379*, 385*f., 390, 406, 408, 413, 422, 447*, 448, 450, 466*, 472, 484, ­495–503, 517, 526, 528 f., 533, 536–545, 560, 573, 578, 579*, 581–585 f., 591, 592*, ­596–606, 609 f., 614, 617, 622 ff. –– Patronatsfest, s. Fest Petersfahne 431 Phaidros  133, 523 Philologie  33, 83, 101, 109, 165, 382 –– Bonner Philologenkrieg  55 –– Klassische Philologie  54 f., 74, 82, 95, 99, 142, 306 Philosophie  34, 42, 46, 107, 111, 113–118, 120 f., 161, 216, 226, 231, 268, 270 f., 274, 295 f., 320, 463, 578, 622, 630 –– Naturphilosophie  34, 42, 47, 50, 73*, 79, 167 f. –– (spät)antike Philosophie  22, 33, 115, 202, 210, 352, 422, 506 f. Phlegma, s. Humoralpathologie Phrenitis, s. Sonne Physiologus  148, 558 Pilger/-schaft  53, 163, 192 f., 241, 247, 263*, 325 f., 365, 377, 386*, 390, 396, 401, 414, 426, 429, 451, 479, 486, 492, 532, 538 –– Bußpilgerschaft, s. Buße –– Pilgerausweis  387, 421 f., 445, 472, 480 –– s. auch Wallfahrt Platonismus, s. Neoplatonismus Pneumata  154, 318 Podagra, s. Krankheit Pollution 155* Polytheismus80 f., 87, 107, 124, 214, 270, 274 f., 277, 281, 563, 578, 613 Pontificale Romanum 233* Positivismus  84, 90 Postcolonial Studies  66 Prämonstratenser 365 Predigt  31, 34, 93, 182, 185*, 188 f., 192, 224,

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230*, 231, 235, 278, 295, 309, 315, 330–336, 348 f., 351 f., 368, 378, 384, 392, 395, 397, 462, 477, 480, 483, 487, 488*, 491, 495, 497, 499, 519–522, 525, 551, 609*, 618 –– s. auch Homiletik Priester  31, 85, 103, 108, 113, 115, 119, 122*, 126*, 139 ff., 144 ff., 151, 156, 168, 173, 175 f., 186*, 191, 199, 208, 214, 221 f., 230, 246, 265, 270, 274, 285, 303–306, 309, 312, 330, 340, 343, 349, 359, 361, 364, 370*, 378 f., 381, 385, 393, 396–404, 408–412, 415–418, 423, 427–438, 440–443, 445–456, 461, 465, 467*, 468–476, 480, 482–486, 488–492, 508, 522 f., 530, 557, 561, 626 –– s. auch Klerus Priesterehe (Nikolaitismus)  407*, 430, 432, 435, 440, 446, 455, 467, 488, 492 –– s. auch Zölibat Profanität  76, 132, 142, 154, 162, 164, 186, 197 f., 204 f., 209, 213, 218, 222 f., 225, 249*, 253, 262, 274, 278 f., 294, 296, 297*, 342, 352, 359, 368 f., 380 ff., 419, 441, 466, 470, 482, 486, 561*, 627 Promiskuität, sexuelle  27, 45, 75, 78 f., 106, 156, 192, 208, 216, 227, 446 Prophet  103, 119, 122, 137, 214, 269, 303 f., 312, 319, 338, 428, 500, 503, 505, 509, 511, 529, 557, 592* Protrepticus  127, 565 Prozession  76, 84, 126, 176, 182, 195, 198 f., 202*, 205 f., 207*, 211*, 233*, 240, 336, 353, 356, 466, 526, 561, 580 –– Bannprozession  202*, 207*, 299, 396* –– Corpus Christi-Prozession  30*, 206*, 240*, 527 f. –– Echternacher Springprozession  21*, 206*f., 376, 396 –– Tanzprozession, s. Tanz Psychologie  35*, 48, 52, 60, 142, 161, 417, 423, 447, 625 –– Massenpsychologie  48, 51, 53, 61, 97 –– Sozialpsychologie  22, 27 f., 34 f., 49 f., 52, 64, 102, 205, 323, 326, 370*, 625 Püchlein vom guldin spil  465 Quadriga, s. Sonnenwagen Rabe  557, 587 f., 590, 592* Rasse 64 Raserei  32, 97, 100 f., 104 f., 107, 110, 117, 127, 142, 152, 157, 227 f., 305, 313, 316, 320, 325 ff., 329, 352–355, 361, 385, 409, 415, 427, 430, 471, 506 f., 517–525, 526, 528, 565, 626, 630 Rationale divinorum officiorum  131, 171

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Register

Rationalismus  100, 107* Reformation  38*, 54, 108 f., 165, 197, 200 f., 209, 224, 263*, 365, 488, 610 ff., 614, 616–621 Regina Coeli  588 Reigen (Chorus)  18, 44 f., 51, 110, 112, 122, 124–135, 162, 168 f., 171–188, 191, 194 ff., 199 f., 202 f., 206, 208–253, 261, 299, 303, 309 f., 312, 320, 335 f., 339, 351–355, 357, 360, 363–366, 369, 377, 379, 381–385, 393, 395–410, 414–446, 452, 454–481, 485–493, 505 f., 510, 513, 515, 518, 522–525, 539, 562, 566, 568 f., 572, 575, 579 f., 582, 584, 585*, 590, 594 f., 600, 620, 622 f., 626–629 –– himmlischer Reigen  30, 79, 125, 128 f., 139, 156, 175, 179, 227, 232, 246, 252, 272, 320, 322, 335 f., 339, 343, 400, 423, 437, 442, 446, 450, 454–463, 465, 487, 511, 580, 605 –– Höllenreigen  227 f., 235, 339 –– Engelsreigen  125 f., 129, 140*, 175 f., 179, 217, 230, 232 f., 235, 247, 249, 261, 335, 437, 446, 491, 506, 552, 554, 626 –– kosmischer Reigen  51, 110 ff., 120 ff., 126, 128 f., 134, 168, 230–233, 238 f., 245, 247, 251, 267, 271 f., 289, 361, 380, 398, 419, 429, 432, 441 f., 444, 456 f., 462 f., 475, 492, 511, 562, 569, 598, 622, 630 –– Reigenführer (choragus)  122, 228, 234, 272, 399, 419 –– Sonnenreigen 299 –– vgl. auch Tanz Reinkarnation, s. Wiedergeburt Rekluse  447 f., 450–453 Rekonziliation  168, 233*, 312, 315, 320, 355, 390, 405, 472 Religion  11, 15, 17, 21 f., 29 f., 33, 35, 39 f., 46 ff., 51, 53 f., 58, 60, 64, 66, 71, 73 f., 76–93, 97 f., 99*, 102 f., 106 f., 109, 111, 115 f., 119, 135*, 139 f., 142 f., 146 f., 152, 160–163, 165 f., 168 f., 171, 175*, 176, 181 f., 185–189, 192–214, 216, 222 f., 224*, 225 f., 230, 240 ff., 244*, 245, 249*, 255 ff., 262, 264, 265*, 267–291, 293– 298, 302, 309, 313, 317 f., 322–325, 328, 332, 339, 342, 347, 351 f., 421, 435, 485, 491, 495, 497, 500 ff., 504, 507 f., 528, 540, 555, 563 f., 576 f., 584, 605, 612, 622, 624 f., 627, 630 –– Religionsgeschichte  20, 32 ff., 56 f., 81–84, 86, 88*, 90, 95, 101, 103, 255 f., 267, 277, 297, 303 f., 306, 497, 531, 541, 547, 599, 602, 623, 630 –– Religionswissenschaft  33, 56, 64 f., 73, 82, 84, 87 –– religiöser Tanz, s. Tanz Reliquie  132, 178*, 193, 195, 204, 240, 246, 263*, 270, 315, 330, 336 ff., 343, 357–361,

396, 412, 416, 418, 421, 441, 466, 502 f., 511, 535 f., 537, 572, 576, 583 ff. –– Reliquientranslation  336, 341, 348, 386, 421 Renaissance  28*, 40, 46, 121, 166, 197, 233, 341, 631 Res gestae Saxonicae  541, 572 Revolution  37, 50, 52, 74, 100, 240* Ritual  20, 22, 29, 32 f., 47, 52*, 64, 73–76, 81, 84, 88, 97, 100 ff., 105, 107, 109, 114 f., 127, 129, 137, 141*, 188, 190 ff., 197–200, 205, 207*, 216, 219, 240, 244 f., 253, 259, 262 f., 278, 283, 287, 304 f., 312 ff., 318, 320, 323, 329, 335, 338, 352 f., 368 f., 380, 386*, 391, 395, 398, 415, 418 f., 426, 441, 466*, 467, 470 f., 474, 478, 492, 496–499, 514, 523 f., 530, 563, 567, 579, 583, 585, 596 f., 605, 613, 624, 627 ff. –– Bestattungsritual 204 –– Bußritual, s. Buße –– Übergangsritual  73, 77,199, 245 f., 446 Rock ’n’ Roll  62 Römer  81, 85, 95, 106 f., 119, 124, 149, 191 f., 219, 255*, 256, 260, 263–266, 269 f., 280 f., 283–291, 294, 297, 299, 302, 307, 311 f., 314 f., 319, 341 ff., 346*, 349, 361, 394, 408, 422, 429–432, 466*, 499, 501, 505, 531, 534, 536, 542, 558, 560, 589, 626 –– römische Geschichte  106, 308 –– römisches Imperium  28, 81, 119, 255 f., 263 f., 277 f., 281, 282*, 294, 297–302, 310, 316, 323, 327, 347 –– römische Kaiserzeit, s. Kaiser –– römische Kirche  115, 314, 442, 444 f. –– römische Kultur  97, 106, 188, 256, 281, 302, 332 –– römische Religion  30, 40*, 80*, 106, 271, 297 –– römische Republik  92, 105 Rosetum exercitiorum spiritualium et sacrarum meditationum  238 Sabazios-Verehrung  135*, 588 Sabbat  476 f. Sachsen  298, 535, 541, 577, 585 Sakralität  11, 69, 76, 89*, 129–134, 140*, 179 f., 184, 191, 197–201, 203*, 205, 209, 218, 222 f., 232, 241, 243, 251, 255, 262, 271, 274, 283, 313, 318, 329, 338, 343, 405, 466*, 468, 470, 567 f., 627, 629 –– Desakralisierung  115, 168, 253 –– sakraler Tanz, s. Tanz –– Sakralkaisertum  270*, 309, 315, 445 –– Sakralkönigtum  86, 191, 283 f., 291, 333*

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Register –– Sakralraum  129–133, 172, 180, 182, 184– 187, 195 f., 198–205, 209, 212, 222, 225, 242, 243*, 253, 260, 279, 328 f., 358 f., 399, 423*, 451, 459, 464–470, 477 f., 482, 490, 580 –– vgl. auch Profanität Sakrament  109, 141, 199, 222, 317, 415, 417, 419, 427, 430 f., 435 ff., 439, 445, 451, 460 f., 464, 467, 470, 484, 499, 531, 533, 567, 605, 613, 615 –– Altarsakrament  314, 445 –– Sakramentalgewalt  400, 441 –– Sakramentenlehre  115, 436, 442, 444, 446 Sakrileg (sacrilegium)  191, 391, 394, 438 f., 467, 471 Salier (Dynastie)  541 –– Salfranken, s. Franken Salii  156, 176, 285 Saxonia  488, 603 Scala coeli  483, 488 Scarapsus 189 Schamanismus  56, 64, 137 f., 209*, 514 Scharlatan 103 Schimpf und Ernst  372*, 483 Schisma 301 Schlange  392 f., 506 f., 586 ff., 590, 592*, 599 Schröpfung 149 Seele  28*, 31*, 37, 39*, 44, 45*, 58, 77 ff., 112 ff., 118, 128, 134–139, 160, 212, 217, 227, ­235–238, 242, 248, 250, 253, 272, 319, 321 f., 361, 399, 419, 451, 457 f., 464, 473 f., 476 ff., 492, 506 ff., 523, 531, 554, 559, 566 f., 586, ­593–598, 605, 613, 622 f. –– Seelenaufstieg  77, 113, 125, 138, 229, 238, 247, 250 ff., 264, 345, 453 f., 457 f., 474, 477, 560, 593 ff. –– Seelenheil  234, 240, 242, 328, 355, 431, 448, 455, 476, 524, 610, 620 Seelentrost  484 f., 574 –– Großer Seelentrost  484, 486 f., 510, 573 ff. –– Kleiner Seelentrost 484 Selbstkasteiung/-verletzung  156, 275, 309, 320, 451 Seligkeit  129, 220, 230, 234 f., 349 f., 410 f., 449, 469, 472, 481, 552, 563, 622 –– s. auch Heil Semantik  18, 32, 50, 63, 65 f., 69, 72, 79, 88, 90, 111, 161, 173, 175, 179 f., 209, 211*, 219, 251, 253, 293, 326, 418, 428*, 429, 442, 445, 465, 469, 492, 495, 499, 511 f., 524 f., 548, 563, 596, 598, 614, 619, 621, 623 –– Onomasiologie 72 –– semantisches Netzwerk  69* –– Semasiologie 72

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Senat  105 ff., 119 f., 191, 274, 280, 290, 534, 550, 554, 558, 561, 574 Sermo in inventione reliquiarum sanctorum Viti, Cornelii, Cypriani et aliorum in Gladebach 583 Seuche, s. Epidemie Simonie, s. Ämterkauf Sirenen  104, 435 Sitte  108*, 192, 351, 409, 540, 620 Six Livres de la Republique 22 Sklaven  309, 349 –– Sklavenfreikauf  227, 319 Slawen  298, 535, 545, 547 Slawenchronik  545 Sodomie 440 Solstitium  333, 353*, 496, 498, 538 ff., 574 –– Sommersonnenwende  268, 353, 384, 404, 496 ff., 501, 516, 519, 538 ff., 591, 594 f., 597, 603 f., 623 –– Sonnenwendfeier  188, 496 f. –– Sonnwendtanz 333 –– Wintersonnenwende  244, 267 f., 379–383, 404, 538, 540*, 590, 594 Somnium Scipionis 120 Sonne  84, 112, 116, 127, 179, 185*, 227, 244, 250, 263 ff., 267 ff., 271 ff., 275 f., 290 f., 304, 306 f., 308, 310, 314, 319, 320*, 334, 338 ff., 342, 344, 346, 353, 379, 394, 400, 420, 454, 466*, 477, 496, 499, 501, 505, 508, 511, 527*, 538, 539*, 551, 554, 557 ff., 564–567, 574, 578 f., 582 ff., 593 f., 599, 602 ff. –– Sonnengott, s. Gott –– Sonnenheiliger, s. Heilig(e) –– Sonnenkaiser, s. Kaiser –– Sonnenverehrung  21*, 84, 266–269, 276, 293, 332, 334 f., 339, 496 f., 500, 502 –– Sonnenmythologie, s. Mythologie –– Sonnenreigen, s. Reigen –– Sonnenstich, s. Krankheit –– Sonnenaufgang und -untergang  251, 318, 421, 583, 586, 603 –– Sonnenwagen (Quadriga)  265, 269 ff., 276*, 291 –– Tanz der Sonne  179 Soziologie  32, 52, 64, 69, 71*, 82* –– Medizinsoziologie, s. Medizin Sophismus 226 sparagmos, s. Blut Speculum exemplorum  483 Speculum maius  480 –– Speculum doctrinale 480 –– Speculum historiale  480, 483, 485* –– Speculum naturale  480 Spinnenbiss 17

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Register

Staufer 541 Stereotyp  25 f., 31, 50, 53, 57 f., 63, 71, 80 f., 91, 93, 101, 106, 181, 185, 189 f., 191 f., 200, 204 f., 208 f., 212, 216, 227, 286, 291, 307, 323, 333, 340, 344, 351, 354, 380, 368, 394, 397, 419, 422, 432, 441, 448, 497, 505, 507, 513, 516 f., 523, 550*, 555, 570, 603*, 607, 611 f., 616 –– Mittelalter-Stereotyp  19, 28, 59 Sternbild  146*, 555, 558, 564, 578 f., 579*, 586–594, 598, 603*, 604, 622 –– Becher (Crater Liberi/Lavatorium)  308, 586 ff., 590, 592–595, 598, 622 –– Drache 588 –– Jungfrau  586, 588 –– Krebs  586, 588, 594 –– Löwe  564, 586, 588, 593 –– Steinbock 594 –– Wassermann 593 –– Wasserschlange  586–590, 603* Sterne  112, 121, 124, 126, 139, 164, 175, 229, 265, 271, 283, 334 f., 338 f., 343, 353, 380, 399, 453, 474, 477 f., 486, 518, 521, 551, 555, 562, 566, 574, 576, 578 ff., 584, 586*, 587, 590, 592, 594 f., 603*, 604 –– Fixstern  110, 112, 118, 129, 233, 250, 463, 475, 477, 580, 594 –– Morgenstern  501, 521 –– Sternenkult  84, 127, 332 –– Sternenmythologie, s. Mythologie –– Sternenzwang (Heimarmene)  229 f., 232, 253, 458, 464, 471, 474 f., 477 f., 492, 578, 626 Stigma  390, 405, 418, 471, 473 Stoa  104, 107, 111, 127, 216, 226, 228, 271, 297, 320 Stress  20, 48, 102, 329 Stromateis  127, 268 Sühne  391, 400 f., 483, 486, 524 Sünde  127, 193, 214, 222 ff., 227 f., 234, 240 ff., 251, 253, 312, 326, 335, 337, 357, 362, 382, 393, 401 f., 410 f., 432 f., 435, 437, 439 f., 442, 449, 451, 455, 461*, 475 f., 486, 492, 504, 512, 523 f., 580 f., 611 –– Erbsünde  504, 519 –– Sündenfall  128, 472, 475 superbia, s. Hochmut Superstition, s. Aberglaube Svantovit-Kult  546 f., 602 Sympathie  39 f., 42–46, 112 ff., 117, 136, 168, 419 Sympathisches Nervensystem  39, 46 Symposion  74, 142 Symposium  430, 509 f., 566

Syndrom  23, 48, 65, 70, 101, 105, 108, 111, 161, 495, 525 –– culture bound syndrome  65 f., 69* Synkretismus  21, 79–95, 201, 214, 267, 272 f., 277, 288, 293, 298, 380, 509, 511, 531, 547, 555 Synode  180, 183*, 185*ff., 190, 262, 353, 430, 432, 467 –– Diözesansynode 262 –– Lateransynode  123, 258 –– Provinizialsynode  182, 186*, 430 f. Tabernakel  251, 445, 452 Tacuinum sanitatis 140 Tag-und-Nacht-Gleiche (Äquinoktium)  244, 268, 420 Tanz  11 f., 15–23, 24*, 25–51, 52*, 53–59, 60– 64, 66 f., 70–79, 84*, 93, 95, 97–112, 116, 118, 122, 124, 126–129, 133–147, 150 f., 153, 155, 158, 161–257, 259–263, 272, 274 f., 285, 292, 296 f., 299–302, 304 f., 307, 309–316, 319–323, 325, 327 ff., 333, 335–339, 349, 351*, 352–355, 359–374, 379 ff., 383–386, 388 f., 391, 393–405, 408, 410 ff., 414–426, 429–435, 441–445, 447, 452–458, 461–475, 478–493, 495 f., 497*, 498–501, 503*, 505– 518, 522–526, 527*, 529 f., 532 f., 536, 538 f., 545, 547, 550, 558 f., 562 f., 566, 568 f., 572–575, 577, 579 f., 585 f., 588, 592*, 595– 598 ff., 603, 605–629, 631 –– Heiltanz  142 f., 154, 166, 496 –– Jahreswechseltänze 367 –– Johannestanz  15, 371 –– Klerikertänze  187, 199*, 222, 259 –– Labyrinth-Tänze  183, 207, 243, 285, 351* –– Memorialtanz 232 –– Moriskentanz  202*, 516 –– (para)liturgischer Tanz  245, 255, 259 f., 298 f., 302, 341, 386*, 528 –– phrygische Waffentänze  142, 146, 152, 168, 176 –– profaner Tanz  139, 174*, 182, 183*, 184, 210, 217, 222, 225, 229, 235, 437, 487 –– pyrrhischer Tanz  146, 238 –– religiöser/sakraler Tanz  17, 22*, 31, 33, 56, 128, 173, 176, 179., 183, 184*, 187, 197 f., 201 f., 209, 213 f., 216, 222, 225, 228, 238, 256–262, 274, 298, 300 f., 314, 336, 338, 352, 415, 446, 458, 471, 580 –– Schwerttanz  103 f., 146 f., 156, 161, 238, 514, 545, 629 –– Sonnenwendtanz, s. Solstitium –– Tanzbewegung  16, 27, 34, 36, 63, 79, 106, 163, 323, 327, 606

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Register –– Tanzepidemie/-krankheit  15 f., 21*, 23, 33 f., 47, 59, 97, 107, 116, 143, 147, 164, 166, 319, 363, 370*, 371, 437, 495, 517, 537*, 560, 600, 609 f., 612 f., 616, 621, 624 –– Tanzextase  21, 22*, 33, 99*, 176, 208 –– Tanzfluch  323, 384, 390, 401, 403, 417, 483, 490, 492 –– Tanzhysterie  21*, 27, 102 –– Tanzlibretto 382 –– Tanzlied  56, 176, 202, 364, 380, 382, 398*, 419, 479 –– Tanzliteratur  25, 59*, 121, 167, 172, 197 –– Tanzmirakel/-legende  162, 196, 313, 360, 363, 365 ff., 370 ff., 376 ff., 382 ff., 386*, 387 ff., 395, 407, 427, 429, 445 f., 453 ff., 464 f., 469, 472, 474, 477, 479, 483, 489, 493, 511, 522, 536 f., 585*, 595, 626 –– Tanztraktate  121*, 187, 363* –– Tanzprozession  197*, 206 f., 275, 338 –– Tanzritual  21, 31, 101, 172, 203*, 260 –– Tanzregulierung  30*, 181, 183*, 260, 301 –– Tanzverbot  180, 185*, 208*, 243, 260 f., 491 –– Tanzwallfahrt  12 f., 16, 34, 49*, 164, 202 f.*, 524, 537*, 610, 613, 624, 628 –– Tanzwissenschaften  22, 32, 56, 59*, 66 f., 171, 197 –– Tanzzwang  17 ff., 33 f., 71 f., 76 f., 79, 97, 109, 167, 227, 253, 303, 310 f., 313 f., 323, 360, 377, 383, 393, 403, 405, 412, 414 f., 420, 423, 429, 471, 478, 482 f., 486, 490 ff., 495, 508, 511, 517, 523 ff., 528, 538, 600, 606, 622, 626 ff., 630 –– Theatertanz  104, 107, 110, 182, 226, 253, 505 f., 513 –– vgl. auch Braut Tanzwunder von Kölbigk  22*, 24*, 33 f., 162, 196, 300*, 312–315, 323, 360, 362, 363– 493, 495, 500, 508, 511, 522 f., 536, 537*, 585*, 595, 626 –– s. auch Tanzmirakel Tarantella, s. Krankheit Tardarum passionum libri V  149 Taufe  129*, 131, 182*, 227 f., 281, 290, 317 f., 326, 332, 361, 393, 415, 424, 438 ff., 477, 498 f., 503, 523, 533, 551, 567, 571, 593, 597, 622 –– Bluttaufe, s. Blut –– Besessene (Energumenen)126, 317 ff., 320, 322, 352, 359, 429 –– Taufkandidaten (Katechumenen)  126*, 296, 316–322, 352, 371 –– Taufkapelle (Baptisterium)  318 f., 503 Techno 62 tellurisch 43–48

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Tempelschlaf (Inkubation)  391 Templer 106 Testamentum Salomonis  582 Tetrarchie  266, 508 Textgenese  332, 363*, 374 ff., 381, 394, 423, 488 Thaumaturgie  318, 322, 345, 404, 414, 417, 454, 554, 580 Theater  104, 110, 175, 226, 274, 279, 552, 555, 600 –– Theatertanz, s. Tanz –– Theatertheorie 45 –– Theaterwissenschaft 66 Theodotion 568 Theologie  30, 46, 73, 77, 81, 82 f., 87*, 111, 114, 118, 121 f., 123 f., 126 ff., 137, 139, 147, 166, 172 f., 175, 177, 179, 182, 186*, 187, 190*, 191 f., 196 f., 199–202, 205, 207*, 208 f., 212 f., 215–224, 231, 236, 239, 246*, 252, 257, 259 f., 261*f., 264, 268, 270, 272, 275 f., 278*, 279, 288, 290, 292 ff., 302, 307, 315, 320, 326 f., 334 ff., 339, 346 f., 352, 356, 359, 369, 376, 378, 385, 392, 401, 407*, 421 ff., 436, 442, 445, 447, 451 f., 461 f., 467, 470, 479, 485, 490–493, 497, 500, 505, 518, 525, 530 f., 543, 548, 554 f., 572, 577 f., 605, 613, 618, 626, 630, 632 Therapeutika  152, 157, 163 Therapie  16 f., 31, 69, 134, 140, 142, 149, ­151–154, 156*, 157 f., 163, 166, 168, 318, 327, 496, 498*, 524, 580 Theurgie  30, 42, 88, 107*, 112, 114, 115, 118, 120, 128, 135 f., 145, 168, 227, 230, 253, 272, 274, 292, 302, 308, 316, 321 ff., 352, 361, 393, 417, 425, 474 f., 492, 554, 559 f., 603 Thiasos 507 Tierkreiszeichen (Zodiakalzeichen)  146*, 250, 265, 269, 419, 456, 478, 562, 578, 588, 592, 594 Timaios  98, 112, 121, 160 f., 175 Tod  77 ff., 124, 127, 179, 185*, 218, 220, 228, 230–234, 240*, 244 ff., 249 f., 265, 268, 271, 274, 291, 306, 310 ff., 323, 330 f., 341, 345 f., 347*, 351, 355, 360, 389, 405, 407, 410, 413, 417 f., 427, 433, 439, 442, 448 f., 455, 458, 466, 471, 492, 501, 503, 505, 509–520, 529, 531, 535, 553, 555, 568, 577 ff., 583, 593 f., 605, 620, 627 –– Totenkult  204, 328*, 368, 370 –– Totensorge  370, 372* –– s. auch Memoria Torsion (Brücke)  514 f. Totentanz  11, 26, 28*, 204, 231 f., 253, 516, 532 Tractatus de rectitudine catholicae conversa­ tionis  331 f.

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Register

Traktat  16, 142, 149, 167, 182, 268*, 336, 483, 487 –– Tanztraktat, s. Tanz Trance  20 ff., 56, 72 f., 101*, 118*, 133 ff., 137 f., 209, 305, 325, 354, 424, 524 –– s. auch Ekstase Translatio sancti Viti  338 f., 386*, 541, 577, 580 f., 590 Transzendenz  77 f., 102, 107, 111, 125, 137, 139, 198 ff., 222, 225, 233, 240, 245, 252 f., 307, 312, 486, 503, 522, 613, 622 f., 626 ff., 630 Tridentinum, s. Konzil Trinität  275, 290, 322 tripudium  176–180, 195, 205, 211, 219, 243, 299, 330, 338, 354, 420, 470 f., 580, 584 Trojaburg 285 Trojasage 288 Universum  109, 111, 175 Unterwelt  179, 311, 442*, 514, 561, 564 vecordia, s. Wahnsinn Veits-Verehrung  16, 300, 338, 524, 535, 537– 540, 542, 547, 582 f., 586*, 591, 599, 602, 607 –– Veitsfechter 545 –– Veitsfluch  606, 612, 619, 624 –– Veits-Legende  458*, 543, 548 f., 552*, 555– 575, 578, 582 f., 585 f., 590, 592, 594, 595*, 597, 600–603, 617 –– Veitswasser 604 Verdammnis  79, 230, 532, 613, 621 Vergiftung  36, 150, 507 Vier-Säfte-Lehre (Humoralpathologie)  79, 109, 140, 143, 150, 152 f., 156 f., 159–168, 328, 530, 596* –– Blut, s. d. –– Gelbe Galle  150, 154 f., 157–161, 164 –– Schleim  158, 160 f., 164 –– Schwarze Galle  155, 164 Vigilie  183, 186, 192, 194, 196 Visio Thurkilli  242 Vita  292, 312 f., 388*f., 528, 570, 582, 623 –– Vita Aedwardi regis  413, 453 –– Vita Cunigundis 453 –– Vita Dionysii  346 –– Vita Edgithae  162, 367, 373, 377, 406 f., 413, 421, 431, 447–450, 453 ff. –– Vita Eligii  289, 315, 323, 329–355, 361, 369, 384 f., 387, 389–394, 397, 399, 403, 405, 415 f., 418, 423, 425, 435, 471, 523 –– Vita Martini  316 –– Vita Sancti Potiti  571 f. –– s. auch Hagiographie

Völkerwanderung  80 f., 84, 94, 98, 102, 277, 281 Völlerei 437 Von den mannigfaltigen schaden des tanz  488 Vorhof  397, 522 Votiv 377 Wagenrennen  271, 279, 288, 290 f. Wahnsinn (vecordia, insania)  18, 28, 40, 48, 51, 54, 59, 63, 66, 98, 106, 117, 133–142, 146, 156 f., 161 f., 165 f., 168, 227 f., 325, 355, 392 f., 408, 414 f., 428 f., 481 f., 506, 625 Walküren 531 Wallfahrt  15 f., 70, 100, 158, 195, 199, 263, 346, 365, 395, 412, 526 ff., 532, 537 f., 585, 606 f., 609 f. –– Bußwallfahrt, s. Buße –– Tanzwallfahrt, s. Tanz –– s. auch Pilger/-schaft Was schaden tantzen bringt  230*, 487 f. Weihwasser 567 Weimarer Republik  59 Wein  89, 131, 228, 424, 461*, 506, 510, 530, 532 f., 548, 566 f., 586 ff., 593 f., 605, 607 Weltgeist  42 f., 46 Widonen  542, 577 Wiedergeburt (Reinkarnation)  41, 77, 103, 250, 283, 307, 439, 501, 511 f., 567 f., 590, 594, 619 Wunder  93, 178, 192–196, 336, 337*, 338, 346, 358, 360, 362, 364, 367*, 373 f., 377–380, 385, 388 ff., 392, 394, 397 ff., 402 f., 405– 409, 412, 416, 418, 421, 424, 427, 434 f., 445, 447, 449, 454 f., 464, 469, 476, 481, 483 f., 486–492, 522, 527, 550–554, 561, 580, 596, 603, 608, 622, 632 –– Kreuzwunder 57* –– Mückenwunder 573 –– Tanzmirakel, s. Tanz Wurm  397, 399, 437 Zauberei  55, 321, 550, 554, 560, 562, 565, 605 –– Liebeszauber 113 –– Zauberkreis 45 –– Zauberpapyri  125, 562* –– s. auch Magie Zirkus  279, 290 f., 553, 564 –– Circusspiele 290 Zisterzienser 239 Zodiakalzeichen, s. Tierkreiszeichen Zölibat  401, 417, 426 f., 429–433, 438, 440 ff., 445 f., 469 –– s. auch Priesterehe

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