Syphilis und Innere Medizin: Die Syphilis des Zirkulations- und Respirationstraktes und der Innersekretorischen Drüsen Syphilis und Blutkrankheiten III. Teil [1. Aufl.] 978-3-7091-4552-4;978-3-7091-4701-6

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German Pages IV, 238 [244] Year 1928

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Syphilis und Innere Medizin: Die Syphilis des Zirkulations- und Respirationstraktes und der Innersekretorischen Drüsen Syphilis und Blutkrankheiten III. Teil [1. Aufl.]
 978-3-7091-4552-4;978-3-7091-4701-6

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-VI
Herzsyphilis (Hermann Schlesinger)....Pages 1-20
Syphilis der Aorta und größerer Gefäße (Hermann Schlesinger)....Pages 20-120
Syphilis der Bronchien, Lungen und Pleura (Hermann Schlesinger)....Pages 120-166
Blutkrankheiten und Syphilis (Hermann Schlesinger)....Pages 166-177
Syphilis und endokrine Drüsen (Hermann Schlesinger)....Pages 177-199
Back Matter ....Pages 200-237

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SYPHILIS UND INNERE MEDIZIN VON

HOFRAT PROFESSOR DR.

HERMANN SCHLESINGER

VORSTAND DER III. MEDIZINISCHEN ABTEILUNG DES ALLGEMEINEN KRANKENHAUSES IN WIEN

III. TEIL DIE SYPHILIS DES ZIRKULATIONS- UND RESPIRATIONSTRAKTES UND DER INNERSEKRETORISCHEN DRÜSEN SYPHILIS UND BLUTKRANKHEITEN

MIT 12 ABBILDUNGEN IM TEXT

SPRINGER-VERLAG WIEN GMBH 1928

ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ÜBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN © SPRINGER-VERLAG WIEN 1928 URSPRÜNGLICH ERSCHIENEN BEI JULIUS SPRINGER, VIENNA 1928

ISBN 978-3-7091-4552-4 DOI 10.1007/978-3-7091-4701-6

ISBN 978-3-7091-4701-6 (eBook)

Vorwort Auch im vorliegenden SchluBbande muBte ich zu einer Reihe strittiger Punkte auf Grund personlicher Erfahrungen Stellung nehmen. Vielleicht noch mehr als in den beiden ersten Teilen war es erforderlich, gut fundierte Ergebnisse von nicht bewiesenen oder rein hypothetischen Behauptungen zu sondern. Gerade letztere finden sich in der Literatur der syphilitischen Erkrankungen auffallend haufig vor. Mir erschien es notwendig, die Bedeutung der Seroreaktionen fiir die Diagnose, aber auch fiir die Behandlung innerer Affektionen eingehender zu erortern, da auf diesem Gebiete keineswegs volle Klarheit herrscht. Das Buch laBt deutlich die W andlung erkennen, welche die Syphilis und ihre Lehre in den letzten Dezennien erfahren hat. Mehr als friiher miissen praktische Arzte, Internisten und Neurologen sich mit den luetischen Erkrankungen der inneren Organe und des Nervensystems beschaftigen. In der Lehre von den syphilitischen Aortenerkrankungen glaubte ich die Prognose abweichend von den zumeist herrschenden Ansichten darstellen zu miissen. Dasselbe gilt fiir einen Teil der klinischen Schilderung. Im Texte haben einige seltene, bisher wenig gekannte Krankheitsbilder Aufnahme gefunden. Hingegen habe ich von einer Besprechung der Erkrankungen der Hirnarterien Abstand genommen. Bei der Darstellung der Lungensyphilis war es erforderlich, zur Vorsicht bei der Deutung von Befunden zu mahnen, da die klinischen Diagnosen sich oft nicht mit den anatomischen Erfahrungen decken. Die Beziehungen von Blutkrankheiten zur Syphilis sind nicht geniigend geklart. Herbeischaffung weiteren, sorgfaltig gesichteten Beobachtungsmaterials ware erwiinscht. Die Relationen der endokrinen Driisen zur Syphilis sind offenbar viel inniger, als man bis vor kurzem annahm. Das Sichergestellte ist in dem Buche mitgeteilt. Leider ist auch auf diesem Gebiete ein Uberwuchern von Hypothesen vorhanden. In allen drei Banden war ich bestrebt, kritisch zu prufen, wie weit wir in bezug auf die Diagnose und,Therapie der Syphilis innerer Organe durch die Anwendung der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden

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Vorwort

gelangt sind. Die Notwendigkeit einer solchen Darstellung ergibt sich aus dem Resultate der Untersuchungen, welche mehrfach zu einem von den herrschenden Ansichten abweichenden Ergebnis gefiihrt haben. Die breitere Darstellung der Therapie hat ihren Grund darin, daB die Behandlung der inneren Syphilis nicht immer nach dem iiblichen Schema erlolgen darl. Allem Anscheine nach wird ja die Therapie der Lues entsprechend der Wandlung ihrer Lokalisationen zwangslaufig wieder mehr das Gebiet der praktischen Arzte, der Internisten und der Neurologen werden. Die ungewohnlich freundliche Aufnahme, welche die beiden ersten Teile gefunden haben und die sich in sehr wohlwollenden Kritiken auBerte, laBt mich hoffen, daB auch dieses Buch dem von mir angestrebten Ziele nahekommen diirlte: Objektive Darstellung des gesamten Stoffes unter Bedachtnahme auf personliche Erfahrungen und strenge sachliche Sichtung der vorliegenden Literatur. Herrn Prof. MA.RESCH, Dozent MATERNA, Frau Dr. CoRONINI, den Herren Dr. CmARI und HAMPERL bin ich fiir ihre freundliche Unterstiitzung zu bestem Danke verpflichtet. Wien, August 1927

Hermann Schlesinger

Inhaltsverzeichnis des dritten Bandes Herz syphilis I. Erkrankungen des Herzens und der Gefa.Be im Fruhstadium der Syphilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erkrankungen des Herzens in den Spatstadien der Syphilis. Die syphilitische Herzmuskelinsuffizienz tlberleitungsstorungen des Herzens . Herzfehler syphilitischer N atur Therapie der Herzsyphilis . . . . . Anhang: Perikarditis syphilitica . . . Syphilis der Aorta und der gro.Beren Gefa.Be I. Aortitis syphilitica . . . . . . . . . . . . . Initialstadium . . . . . . . . . . . . . . a) Die unkomplizierte Aortitis syphilitica . , . b) Folgeerscheinungen und Komplikationen der Aortitis. I. Syphilitische Aorteninsuffizienz 2. Angina pectoris . . . . . . 3. Kardiale Dyspnoe . . . . . Haufigkeit der Aortitis . . . . . Alter, Geschlecht, Beginn, Verlauf Prognose . . . . . Diagnose . . . . . Differentialdiagnose . c) Aortenaneurysma I. Symptome . . Objektive . . . Komplikationen . 2. Diagnose. Differentialdiagnose 3. Prognose. Alter. Geschlecht. Haufigkeit Pathologische Anatomie . . . . Prophylaxe. . . . . . . . . . . . . . . . Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . II. Syphilis der Arteria pulmonalis . . . . . . III. Syphilitische Erkrankungen der mittleren und kleinen Arterien. IV. Syphilis der Extremitatenarterien . . . . . . . . . . . V. Syphilitische Erkrankungen gro.Berer Venen . . . . . . . Syphilis der Respirationsorgane und des Mediastinum I. Syphilis der Bronchien . . . . . . . . II. Lungensyphilis. Klinik der Lungensyphilis Lungensyphilis der Erwachsenen . Lungensyphilis der Neugeborenen Diagnose . . . . . . . . . . . .

1 5 7 10 14 17 19 20 22 25 33 33 37 42 43 48 51 55 58 61 61 63 69 71 76 80 89 90 103 106 109 119 120 126 128 133 134

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Inhaltsverzeichnis des dritten Bandes

Differentialdiagnose . . . . . . Prognose . . . . . . . . . . Pathologische Anatomie . . . . Syphilis und Lungentuberkulose Therapie . . . . . . . . . . III. Syphilis der Pleura . . . . . . Pleuritische Erkrankungen im Sekundarstadium der Lues . Pleuritis in den syphilitischen Spatstailien IV. Mediastinitis chronica syphilitica . . . . . Blutkrankheiten und Syphilis I. Anamie und Syphilis . . . . . . . . . . II. Syphilis und progressive perniziose Anamie III. Syphilis und Polyzythamie . . IV. Syphilis und Leukamie . . . . Syphilis und endokrine Driisen I. Syphilis der Hypophyse Formen Akromegalie und Syphilis . . Hypophysare Fettsucht, Diabetes insipidus und Syphilis. Hypophysare Gerodermie, Zwergwuchs, Infantilismus und hypophysare Kachexie Pathologische Anatomie . Therapie . . . . . . . II. Zirbeldriise und Syphilis III. Syphilis der Nebennieren Anhang: Andere endokrine Storungen IV. Syphilitische Erkrankungen der Schilddriise V. Syphilis der Epithelkorperchen VI. Syphilitische Erkrankungen der Thymus VII. Syphilis und pluriglandulare Storungen.

138 143 143 146 154 157 158 159 164 166 168 175 176 177 178 180 184 185 188 188 189 192 192 196 197 198

Literaturverzeichnis

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Sachverzeichnis

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Herzsyphilis I. Erkrankungen des Herzens und der GefaBe im Friihstadium der Syphilis Die Untersuchung der Kreislauforgane in den Friihstadien der Lues f6rdert oft Befunde zutage, welche als pathologisch anzusprechen sind. Die meisten Erscheinungen sind passager und als leichtere Veranderungen zu beurteilen, jedoch beobachtet man mitunter auch schwerere und bleibende Zustande. Mit diesen Erkrankungen haben sich wiederholt Autoren in eingehender Weise beschaftigt. Von ihnen sind besonders FOURNIER, MRACEK, GRASSMANN, L. BRAUN, RENVERS, AMELUNG-STERNBERG, TURNER-WHITE zu nennen. AuBerdem gibt es eine ziemlich groBe, aber nicht immer verwendbare Kasuistik. FOURNIER scheint als erster die Affektionen studiert zu haben. Er glaubt, daB die nachgewiesenen Funktionsstorungen nicht anatomischer, sondern nervoser (dynamischer) Natur waren. Dieser, 1873 veroffentlichten Mitteilung folgten die von HERTZ (1873), E. KoHN (1875), CHVOSTEK-WEICHSELBAUM (1877) und GRENOULLIER (1879) nach. Spaterhin erschienen Beitrage van ROSENTHAL, ROSENFELD, LEYDEN, GREENE, GAMBERINI, HUTCHINSON, MACKENZIE, COUNCILMAN, SACHARJIN, SEMMOLA, PELLETIER. 1892 erklart ENGEL-REIMERS in Bekraftigung bereits friiher aufgestellter Behauptungen, daB in den luetischen Friihperioden Endocarditis verrucosa vorkomme. MRACEK hat (1893) in einer griindlichen Arbeit das bisher publizierte Material kritisch gesichtet und mit Recht manche Befunde, besonders die schwereren, beschriebenen Herzveranderungen zu den spatsyphilitischen gerechnet. Wir kommen noch auf diesen wertvollen Beitrag zuriick. LANG, FINGER, QuENSEL, KOPP beschaftigen sich kurz mit diesen Veranderungen, denken auch an anatomische Lasionen als Ursache der klinischen Symptome. RENVERS nimmt (1904) zwei Arten anatomischer Veranderungen des Herzmuskels in den Friihstadien der Lues an: Toxisch parenchymatose Muskelveranderungen und interstitielle Herderkrankungen. Beide Formen tendieren zur Heilung. L. BRAUN hat 1912 einen wertvollen Beitrag zu dieser Frage geliefert. Seine, wie die Arbeit von GRASSMANN (1900) sind die wichtigsten neueren Darstellungen dieses Sch I es in g er, Syphilis. III.

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Erkrankungen des Herzens und der GefaBe im Friihstadium der Syphilis

Kapitels der Medizin. In den letzten Jahren haben AMELUNG-STERNBERG und TURNER-WHITE je eine Studie iiber diesen Gegenstand veroffentlicht. GRASSMANNs Untersuchungen beziehen sich auf 288 Falle (61 mannliche, 227 weibliche Kranke). L. BRAUN teilt die Befunde von 100 Fallen, vorwiegend weiblichen Geschlechtes mit. Beide Autoren haben groBtenteils die Veranderungen an jugendlichen Individuen studiert, um andere Schadlichkeiten als Lues moglichst auszuschlieBen. Die auBerordentlich eingehenden Beobachtungen GRASSMANN s zeigten, daB in den Friihstadien der Lues haufig Herzstorungen vorhanden sind, welche nicht mehr in den Bereich der rein funktionellen fallen. Die Storungen betrafen mehr als zwei Drittel der Falle und bewegten sich zwischen klinisch sehr geringfiigigen Anomalien und ausgesprochener Herzinsuffizienz. Subjektive Storungen sind haufig, namentlich Druck in der Herzgegend, Palpitationen, Prakordialangst (MRACEK, E. KoHN, eigene Beobachtungen), wahrend FOURNIER sie fiir selten anspricht. In der Regel sind sie von objektiv nachweisbaren Storungen begleitet (GRASSMANN, AMEL UNG-STERNBERG). Pulsstorungen treten nach GRASSMANN zahlreich hervor, und zwar besonders Frequenzanomalien im Sinne einer Bradykardie oder einer Tachykardie. Die Bradykardie dauert bisweilen nur einige Tage, ofters auch langer, auch nimmt sie mitunter noch wahrend einer spezifischen Therapie ( Quecksilber) zu. Die Frequenzsteigerung bleibt oft lange bestehen, nur in einigen Fallen ging sie wahrend der Behandlung zuriick. Tachykardie nach Anstrengungen hebt ARNET hervor. In der Regel gehen diese Storungen mit einer mehr oder minder starkenArrhythmie einher, welche schon vielen alteren Beobachtern aufgefallen war (FOURNIER, GRENOULLIER, E. KoHN, M. JosEPH, LANG, RENVERS, MRACEK). In einzelnen Fallen sind sogar Anfalle vom Charakter der Angina pectoris beobachtet worden. In dem Friihstadium der Lues ist die Funktion des Herzmuskels oft geschadigt (GRASSMANN, ENGMAN, BROOKS). Dies dokumentiert sich durch Palpitationen und eine bald geringe, bald auch erhebliche Insuffizienz der Herzmuskelleistung. Die Schwache des Muskels fiihrt nicht selten zu einer maBigen, ausnahmsweise zu starker Dilatation des rechten Herzens, zuweilen des linken Ventrikels. In der Regel ist dann ein akzidentelles systolisches Gerausch zu horen. Zumeist sind nach GRASSMANN, dessen Darstellung ich folge, diese Storungen labil, mitunter aber doch konstanter Natur. Relativ haufig entwickelt sich das Bild einer muskularen Mitralinsuffizienz, welches nicht selten sich wahrend der antiluetischen Therapie zuriickbildet. Rezente Endokarditis scheint bei Lues II nur ganz ausnahmsweise zur Ausbildung zu gelangen. Altere Klappenerkrankungen konnen

Erkrankungen des Herzens und der GefaBe im Friihstadium der Syphilis

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aber in diesem Stadium eine Rekrudeszenz der Endokarditis darbieten. Den Darlegungen MRAoEKs ist meiner Meinung nach unbedingt beizustimmen, wenn er die anatomischen Veranderungen des Endokards und schwerere GefaBveranderungen als Raritat im Friihstadium der Lues bezeichnet und der Ansicht Ausdruck gibt, daB solche Befunde zu den Spatstadien de1 Syphilis gehtiren. Sicher sind derartige Beobachtungen, wie die von ENGEL-REIMERS, GREENE, SACCHARJN, PELLETIER, LEYDEN, HERTZ, HUTCHINSON, GAMBERINI, COUNCILMAN im Sinne von MRACEK und auch von L. BRAUN zu deuten. Unter den neueren Autoren verhalt sich besonders PRICE sehr skeptisch gegeniiber der Annahme anatomischer Klappenveranderungen in den Friihstadien der Syphilis. GewiB laBt sich diese Frage nicht nur nach der seit der Infektion verflossenen Zeit beurteilen. Im Weltkriege und in den Hungerjahren habe ich, wie viele andere Autoren, an den GefaBen und am Nervensystem schon wenige Monate nach der Infektion Veranderungen beobachtet, wie wir sie sonst erst nach langen Jahren bei Spatformen der Syphilis sehen. (Konnten wir sogar schon im ersten Jahre nach erlolgter Ansteckung Zustandsbilder studieren, welche vollstandig einer progressiven Paralyse entsprachen !) Das Intervall zwischen Infektion und Ausbildung jener anatomischen Veranderungen, welche den Spatformen der Lues zuzurechnen sind, ist eben wechselnd. Wir wissen doch, daB im Alter die Inkubationszeit auBerordentlich viel kiirzer ist als im allgemeinen im friiheren Lebensalter. Dennoch diirlten die schwereren Klappenlasionen, welche zwei bis drei Jahre nach erlolgter Infektion gefunden wurden, entweder zu den Spatformen der Lues gehoren oder durch akzidentelle Erkrankungen hervorgerufen sein. Hingegen findet die Anschauung RENVERS von der Frequenz anatomischer Herzmuskelveranderungen durch die klinischen Befunde von GRASSMANN, A:l\IELUNG und STERNBERG, BROOKS eine Unterstiitzung. Wie friiher erwahnt, nimmt GRASSMANN toxisch parenchymatose Muskelveranderungen an, welche die Frequenzstorungen, die Arrhythmie und Ermiidbarkeit des Herzens erklaren konnen. Eine zweite Gruppe ware die interstitielle Myokarditis, welche durch Mitbeteiligung der GefaBe hervorgerufen sei. Da wir namentlich durch Untersuchungen der Leipziger Schule wissen, wie oft eine Myokarditis im Gefolge der verschiedenen Infektionskrankheiten auftritt, ist diese Annahme von vornherein nicht unwahrscheinlich. Autoptische Befunde sind allerdings in nennenswerter Zahl bei der Heilbarkeit der Erkrankung nicht zu erwarten. Perikarditis mit deutlichem Reibegerausch, mit und ohne erheblichem FliissigkeitserguB, ist in diesem Stadium einige Male beobachtet worden (WALCHER, GRASSMANN). Dain einem Falle (WALCHER) synchron mit dem Beginne der antiluetischen Therapie das Fieber verschwand, die 1*

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Erkraokungen des Herzens und der Gefii.lle im Friihstadium der Syphilis

perikardialen Symptome sich riickbildeten, ist ein kausaler Zusammenhang mit Lues als moglich zu bezeichnen. KERNBACH meint sogar auf Grund anatomischer Untersuchungen, daB Perikarditis iiber dem rechten Herzen haufig ware. Der Blutdruck ist nach GRASSMANN nahezu bei alien Kranken dieses Stadiums herabgesetzt und erfahrt wahrend einer Quecksilbertherapie Schwankungen. CHIAPPINI fand hingegen bei Untersuchung von 100 Kranken keine wesentliche Abweichung von der Norm, auch C. WOLFF bei der Untersuchung von 160 Fallen nie eine Hypertension. Die Herzstorungen lassen sich nach GRASSMANN nicht durch die so oft vorhandene Anamie, ebensowenig durch die spezifische Therapie erklaren, sondern sind durch die luetische Infektion, bzw. das Virus bedingt, ohne daB man iiber die Art der Einwirkung Naheres weiB. ARNOLDI denkt an eine Beeinflussung des vegetativen Nervensystems durch das syphilitische Virus mit Reizung oder mit Lahmung des Vagus oder des Sympathikus, aber auBert sich nicht eingehender iiber die Angriffsstelle und iiber den wahrscheinlich dabei wirksamen Mechanismus. W enn man die Haufigkeit der friiher geschilderten Herzzustande in dem Friihstadium der Syphilis in Betracht zieht und damit die relative Seltenheit erkennbarer schwerer Anomalien zwei bis drei Jahre post infectionem, so muB man zu dem Schlusse gelangen, daB entweder die Therapie vorhandene anatomische Lasionen sehr oft zur Riickbildung bringt, oder daB ein betrachtlicher Teil der Herzstorungen nicht organischer Natur ist. Sicher spielen die allgemeinen Erregungszustande, welche die Generalisation der Syphilis haufig begleiten, cine groBe Rolle bei Ausl6sung mannigfacher Herzstorungen. Fiir viele Falle wird man gar nicht zu Hypothesen der Beeinflussung des Muskel- oder Nervensystems durch das Luesvirus seine Zuflucht nehmen miissen. Ob die Kranken mit friihsyphilitischen Herzst6rungen in der Tat Kandidaten fiir spatsyphilitische kardiale Prozesse sind, wie AMELUNG und STERNBERG, ENGMAN vermuten, miissen erst weitere Erfahrungen lehren. Dies konnte aber wohl nur fiir einen Teil der Falle zutreffen. Im Gegensatze zu den mitgeteilten Ergebnissen vertreten TuRNERWHITE die Ansicht, daB Syphilis II bei vorher vollkommen gesunden Individuen keine Herzveranderungen hervorruft. Sie haben 50 sekundar luetische, vordem in jeglicher Hinsicht normale Kranke sehr sorgfaltig, auch elektrokardiographisch und rontgenologisch mit negativem Ergebnisse in Bezug auf HerzsWrungeu untersucht. Die Natur macht aber keine so ,,reinen" Experimente. Die luetische Infektion trifft sehr oft Menschen, welche schon irgend cine Krankheit haben oder deren Herz durch Infektionen anderer Art, Alkohol, Nikotin oder andere Gifte geschadigt ist. Dann mag die neu hinzugekommene Lues wohl die Erscheinungen hervorrufen, iiber welche die anderen Autoren berichten.

Die Erkrankungen des Herzens im Spatstadium der Lues

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II. Die Erkrankungen des Herzens im Spatstadium der Lues Die spatsyphilitischen Herzaffektionen bieten weder ein einheitlich klinisches, noch ein gemeinsames anatomisches Bild dar. Es sind im Gegenteile sehr verschiedene klinische Erscheinungen auf Herzsyphilis zu beziehen und die anatomischen Veranderungen prasentieren sich recht abwechslungsreich. Im Vordergrunde steht die muskulare Affektion, welche sich oft mit Aorten- und Koronarlasionen kombiniert. Die Erkrankung der Aortenklappen, welche iiberaus haufig vorkommt und als folgenschweres Leiden zu betrachten ist, steht mit der Mesaortitis in so innigem Zusammenhange, daB wir sie bei der Besprechung dieses Leidens schildern. Viel seltener sind andere Klappenschadigungen syphilitischer Genese und die spezifische Endokarderkrankung. Zu den spezifischen gesellen sich oft noch cnspezifische Veranderungen hinzu. Die klinisch und anatomisch bestgekannte luetische Herzerkrankung ist durch Veranderungen syphilitischer Natur (Gummen, sklerotische Prozesse, Verkalkungen) im Reizleitungssystem hervorgerufen. Partieller und totaler Herzblock (bzw. Stokes-Adamssche Erkrankung) sind die markanten Folgeerscheinungen dieser Lokalisation. Die diffuse Erkrankung des Herzmuskels fibroser Art oder die umschriebene Schadigung durch Gummen mit anderer Lokalisation als im Reizleitungssystem ist in Bezug auf klinische Erscheinungen derzeit nur schwer von einer Myokarditis zu unterscheiden, welche durch nicht spezifische Prozesse bedingt ist (cf. die folgenden klinischen Kapitel). Die Gummata erreichen mitunter einen sehr erheblichen Umfang (bis HiihnereigroBe und dariiber), sind aber zumeist nicht so groB (hirsekorn- bis bohnengroB), oft multipel. Auch bei dem Sitze im Reizleitungssystem sind sie oft von Herden an anderen Stellen des Myokards begleitet. W enn das zirkumskripte Gumma eine erheblichere Ausdehnung besitzt, so springt es in der Regel in das Ventrikel- oder Vorhoflumen vor. Ist es in der Nahe der Ostien, so kann es dieselben partiell verlegen (wie einige Beispiele im Abschnitte Uberleitungsstorungen zeigen). Die gummosen Geschwiilste bevorzugen auBer dem Septum die Wand des linken Ventrikels. Ihr Ausgangspunkt ist das Bindegewebe; die jiingeren Knoten sind weich und gallertig, die alteren derb, im Zentrum verkast. Jedoch sind die Muskelfasern im Bereiche der Gummen nicht immer vollkommen zugrunde gegangen, sondern sind noch bei der mikroskopischen Untersuchung nachweisbar. W enn die gummose Herzveranderung ausheilt, so entwickeln sich schwielige Hertle, in welchen oft noch kasige Einlagerungen anzeigen, daB der fibrose ProzeB aus Gummaknoten entstanden ist. Riesenzellen sind mehrmals gefunden worden (BussE, HELLER, TAKATA).

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Die Erkrankungen des Herzens im Spiitstadium der Lues

Ein Herzaneurysma des linken und Gumma in der Wand des rechten Ventrikels beobachtete YouNG bei einem 24jahrigen Manne. Sehr haufig aber bilden sich sklerosierende Prozesse im Herzen ohne vorausgegangene gummose Veranderungen oder neben solchen aus. Sie konnen diffus in groBer Ausdehnung den Herzmuskel befallen oder entwickeln sich in Form zirkumskripter Hertle. LENOBLE hebt das haufige Befallensein der rechten Aurikel hervor. BOYD fand Anhaufungen von polymorphkernigen Leukozyten und Spirochaten im bindegewebigen Anteile des linken Ventrikels. Da die KoronargefaBe oft syphilitisch erkrankt sind, konnen dieselben den Ausgangspunkt der V eranderungen bilden. Letztere konnen aber auch direkt im Parenchym oder im Bindegewebe angreifen; dann fehlen GefiiBerkrankungen. TAKATA fand namentlich in der Muskulatur des linken Ventrikels kleine nekrotische Hertle in Begleitung von Periarteriitis und Periphlebitis. In der Umgebung der Hertle waren reichliche Plasma- und Rundzellen, auch Riesenzellen nachweisbar. SPALDING-GLASS beschreiben die Ruptur des hinteren Mitralpapillarmuskels auf syphilitischer Basis. In dem nekrotischen und verfetteten Muskel wurden Spirochaten gefunden. Die erkrankten Stellen sind manchmal so schwer verandert, daB vollige Myolyse eintritt. Einlagerung von Kalksalzen in die Muskulatur kommt bisweilen vor, selbst Knochenbildung ist beschrieben. Da die syphilitischen Lasionen hiiufig multipel sind, kann es nicht Wunder nehmen, daB neben der Herzmuskelaffektion oft Endokardveranderungen sich vorfinden. Zumeist sind es Verdickungen, bisweilen aber miliare Gummen oder Wandendokarditis. Selten werden kleine Aneurysmen der Koronararterien beobachtet (BROOKE). Ausnahmsweise begleitet eine luetische Perikarditis, haufiger eine nicht spezifische die Herzmuskelerkrankung. Sie kann auch zur Concretio pericardii fiihren (ODDO-MATTEI, TAKEYA). Die Myokardaffektion bei Spatsyphilis verlauft, wie es scheint, zumeist im Gegensatze zu dem Verhalten bei der kongenitalen Lues, ohne Anwesenheit von Spirochaten. Dieselben sind schon abgewandert. LENOBLE bezeichnet deshalb die syphilitische Myokarditis als ,,deshabitee". Immerhin wurde in seltenen Fallen doch die Anwesenheit von Treponemen festgestellt (BIANCHI, SPALDING-GLASS, BOYD). Nach MRACEK, GRENOUILLIER und STOCKMANN ist die Reihenfolge in der Haufigkeit des Befallenseins: 1. Ventrikel, Ventrikelseptum, Papillarmuskeln, rechter Ventrikel, rechter Vorhof, Vorhofseptum, linker Vorhof (zitiert nach L. BRAUN, welchem ich auch in bezug auf einige andere Daten folge). Das Intervall zwischen Infektion und Nachweis des Herzgummas ist sehr verschieden lang. Mehrere W ochen nach den sekundaren Erscheinungen hat sie MACKENZIE gesehen; in anderen Fallen lagen De-

Die syphilitische Herzmuskelinsuffizienz

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zennien, in einer Beobachtung von FOURNIER 55 Jahre dazwischen. Im Durchschnitt scheinen Gummen etwas frillier als die Mesaortitis aufzutreten, im Mittel etwa acht bis zehn Jahre nach der Infektion. Die gummi:ise Herzaffektion ist (auBer bei heredoluetischen Kindern) Ofters bei Mannern im mittleren Lebensalter als bei Frauen beobachtet worden. Die Haufigkeit von Herzgummen bei erworbener Herzsyphilis ist keine groBe: Die Frequenz scheint auch an verschiedenen Orten zu wechseln. Wahrend RENVERS (Berlin) unter 600 Autopsien Herzkranker dreimal Gummen sah, hatte STOLPER (Breslau) unter 3000 Autopsien zwei Falle, PHILIPPS (Kiel) unter 4000 Autopsien zwei Falle. J. BRAUN konnte im Wiener Obduktionsmaterial unter 20.000 Obduktionen nur zwei Falle von gummi:isen Herzaffektionen finden. Allerdings scheint die Zahl der gefundenen Herzgummen zuzunehmen, seitdem man bei Reizleitungssti:irungen mehr auf sie fahndet. AuBer in fibri:ise Umwandlung kommt es in seltenen Fallen zur Erweichung des Herzgummas und zum Durchbruch in die Herzhi:ihlen. Alte Formen der Herzsyphilis sind iiberwiegend haufig von einer spezifischen Aortitis begleitet. In jiingster Zeit achtet man mehr auf unspezifische Veranderungen des Herzmuskels bei Mesaortitis. So berichten GLAHN und WILSHUSEN iiber Mesaortitis mit Aneurysmenbildung und Aorteninsuffizienz; daneben bestand in zwei Fallen eine rheumatische Myokarditis und Aschoffsche Kni:itchen im Herzmuskel.

Die syphilitische Herzmuskelinsuffizienz Keinerlei charakteristische Erscheinungen kennzeichnen das Bild der luetischen Herzinsuffizienz. Dieselbe prasentiert sich gerade so wie jede andere chronische Herzschwacbe. In vielen Fallen ist eine initiale Dyspnoe vorhanden, welche schon bei maBiger Bewegung auftritt. Manchmal steht eine Tachykardie im Vordergrunde, welche mit oder ohne Arrhythmie verlaufen kann. ROMBERG erwahnt eine initiale Sinusarrhythmie mit 124 Pulsen in der Minute. Wieder in anderen Fallen ist eine rasch einsetzende und fortschreitende Herzdilatation nach maBiger Anstrengung das erste alarmierende Symptom. Ich habe vor einigen Jahren eine gigantische Dilatation des rechten Ventrikels als Friihsymptom einer sypbilitischen Herzaffektion beobachtet. Die Dilatation und abdominelle Stauungen bildeten sich zuriick, jedoch blieb der Zustand des Myokards stets labil. Der Patient erlag einige Jahre spater den Folgezustanden eines Aortenaneurysmas. Die Wand des rechten Ventrikels erwies sich in groBer Ausdehnung schwielig verandert.

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Die Erkrankungen des Herzens im Spii.tstadium der Lues

Bisweilen herrschen pulmonale Erscheinungen, namentlich Stauungsbronchitis oder anfallsweise auftretendes Lungenodem vor. Ich habe bei einem Kranken mit Mesaortitis und luetischer Herzmuskelerkrankung haufig sich wiederholendes Lungenodem gesehen. Wahrend eines mehrmonatigen Spitalsaufenthaltes war mehr als fiinfzehnmal Lungenodem mit charakteristischem Sputum beobachtet worden. Arrhythmia perpetua ist nicht selten in vorgeschrittenen Fallen vorhanden. Auch bilden sich Odeme an den unteren Extremitaten, Leberschwellung, Stauungsniere und Aszites bei sinkendem Blutdruck aus und es ist der ganze Symptomenkomplex einer Herzinsuffizienz vorhanden. Diagnose. So wenig charakteristisch die Erscheinungen der Herzinsuffizienz an sich sind, so laBt doch die Gruppierung der Erscheinungen und das Auftreten von Begleitsymptomen ofters die Erkennung zu. Da die Koronararterien sehr oft miterkrankt sind, spielen stenokardische Beschwerden eine groBe Rolle. Die Entwicklung einer schweren Dyspnoe, das Auftreten stenokardischer Anfalle bei relativ jungen Individuen, das Vorhandensein anderer luetischer Zeichen, einer positiven Seroreaktion und das Fehlen anderer atiologischer Momente konnen fiir die Diagnose herangezogen werden. Der Nachweis eines zentralen luetischen Prozesses macht auch die syphilitische Natur des Herzleidens wahrscheinlicher. Ebenso der anamnestische Befund einer stattgehabten Infektion. Alle diese Momente sind aber, wie schon HEINRICH CuRSCHMANN hervorgehoben hat, nicht fiir die Diagnose beweisend. Allerdings konkurrieren haufig andere Faktoren, namentlich AlkoholmiBbrauch, Nikotin, das Uberstehen von Infektionskrankheiten mit der Lues, jedoch laBt sich trotzdem oft die Diagnose stellen. Das Vorhandensein einer Mesaortitis specifica, einer nicht rheumatischen Aorteninsuffizienz konnen, besonders bei Kranken im mittleren Lebensalter, die Entscheidung im Sinne einer spezifischen Herzaffektion beeinflussen. Geringeres Gewicht mochte ich auf den giinstigen Effekt einer antisyphilitischen Therapie legen. Namentlich sollte man den guten Erfolg einer Quecksilberkur nicht ohneweiters dem Bestehen einer syphilitischen Herzveranderung zuschreiben. Versagen der spezifischen Therapie spricht, wie ROMBERG richtig hervorhebt, nicht gegen Syphilis. Die Entwicklung eines partiellen Herzaneurysmas unter den von M. STERNBERG angegebenen Erscheinungen (gehaufte schwere stenokardische Anfalle mit Herzschwache und nachfolgendes perikardiales Reiben, langeres Ruhestadium, dann Herzschwache) erfolgt in gleicher Weise bei der arteriosklerotischen wie bei der syphilitischen Veranderung der Koronararterie. Das Vorhandensein eines oder multipler Aneurysmen an der Aorta oder an anderen GefaBen stiitzt bei Zeichen einer Herzinsuffizienz

Die syphilitische Herzmuskelinsuffizienz

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die Annahme einer syphilitischen Herzerkrankung. Beide Veranderungen kommen oft gleichzeitig vor. Die groBe Mehrzahl der Falle von Aortenaneurysmen erliegt den Folgen des Herzleidens; allerdings ist die Myokardlasion bei Aneurysmen nicht immer spezifischer Natur. Uberleitungsstorungen, namentlich Herzblock, sind sehr oft auf syphilitische Erkrankungen des Atrioventrikularbiindels zuriickzufiihren. Daher hat man nach Konstatierung dieses Symptomenkomplexes zuerst an Lues zu denken. Im folgenden Abschnitte ist dies weitlaufiger ausgefiihrt. Haufigkeit. Die Herzmuskelerkrankung bei Lues ist sehr haufig. ROMBERG fand sie in seinem Materiale als die haufigste innere Erkrankung der Tertiarperiode. Ich mochte nach meinen Erfahrungen ROMBERG fiir die syphilitische Herz- und Aortenerkrankung beipflichten. Auch viele andere Autoren,wie HORINE, GONZALE, H. CuRSCHM.ANN, H. BROOKE, LENOBLE betrachten die syphilitische Myokardlasion als haufiges Leiden. Viele betonen die gleichzeitige Einwirkung mehrerer atiologischer Faktoren, so des Rheumatismus (MINET-DUHOT-LEYRAND). Verlauf, Prognose. Beginnende Herzveranderungen heilen gerne unter antisyphilitischer Therapie aus. Daher erklart sich auch die so hiiufige Riickbildung der Herzerscheinungen in den Friihstadien der Lues. Die Prognose vorgeschrittener Veranderungen ist wesentlich ungiinstiger. Stiirmisch und schwer einsetzende Kompensationsstorungen sind in der Regel ungiinstig zu beurteilen, selbst wenn sie sich unter Herzund spezifischer Therapie riickbilden. Zumeist sind dann schon erhebliche Herzmuskelveranderungen vorhanden. Daher sind akute Herzdilatationen, Lungenodem, schwere Stauungserscheinungen als Friihzeichen der Herzerkrankung prognostisch ungiinstig. Hingegen ist Vorhofflimmern wiederholt jahrelang beobachtet worden (HEIM.ANN, LEWIS), wiirde also nicht fiir einen raschen ungiinstigen Verlauf sprechen. Der Verlauf ist auch wesentlich schlechter, wenn kardiale Dyspnoe starker in den Vordergrund tritt oder haufigere schwere stenokardische Attacken den Kranken qualen. Beide Symptome zeigen eine starkere Erkrankung der KoronargefaBe und damit eine weitergehende anatomische Schadigung an. In der Regel handelt es sich dann um Falle, deren Lebensdauer nur mehr nach Monaten, ausnahmsweise mit wenigen Jahren zu bemessen ist. Hingegen konnen leichte stenokardische Anfalle durch viele Jahre hindurch immer wieder auftreten (ROMBERG, eigene Beobachtungen). Ich habe einen Kranken mit Syphilis in der Anamnese und leichten anginosen Beschwerden im Jahr 1927 wieder untersucht, bei welchem ich schon 1914 Stenokardie und leichte Herzmuskelinsuffizienz auf luetischer Basis notiert hatte. Die Ausbildung einer Aorteninsuffizienz ohne andere Atiologie ist ebenfalls als ungiinstiges, den Krankheitsverlauf erschwerendes Zeichen

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Die Erkrankungen des Herzens irn Spatstadiurn der Lues

zu betrachten. Ebenso alle Symptome, welche bei der Funktionspriifung eine starkere Schadigung der Herzfunktion dartun. Nach H. HEIMANN soll bei der elektrokardiographischen Untersuchung eine Anderung der T-Zacke Zeichen einer schweren myokardialen Schadigung sein. Hingegen konnen langerwahrende Zeichen einer beginnenden Herzinsuffizienz, wie maBige Kurzatmigkeit, zeitweilige Arrhythmie und geringe Tachykardie leichte Nykturie und andere weit giinstiger in bezug auf Prognose beurteilt werden. W enn der Kranke sich schont, schadliche Einfliisse auf den Herzmuskel vermeidet, bleibt er bei intermittierendem Gebrauche von Herzmitteln oft viele Jahre lang arbeits- und berufsfahig. Der Hinzutritt von Koronarerscheinungen verschlechtert die Aussichten. Auf plOtzliche Todesfiille bei latenter Syphilis des Herzens macht A. W ARTHIN auf Grund von acht Beobachtungen aufmerksam und bringt sie mit groBeren, in der Herzmuskulatur gefundenen Herden von polynuklearen Zellen in Verbindung.

Uberleitungsstorungen des Herzens (STOKES-ADAMSsche Krankheit) Unter den Erscheinungen, welche die Syphilis am Herzen hervorrufen kann, erwecken die Uberleitungsstorungen ein besonderes Interesse. Zahlreiche anatomische Erfahrungen haben gelehrt, daB das Atrioventrikularbiindel und dessen Schenkel besonders haufig durch die Syphilis geschadigt werden. Seine besondere GefaBversorgung bewirkt, daB bei Erkrankungen der Koronararterien oft das Hissche Biindel ganz unversehrt bleibt, auch wenn das iibrigen Myokard schwer degeneriert ist. Andererseits kommt es vor, daB der Herzmuskel relativ wenig Veranderungen aufweist, wahrend gummose Bildungen das Reizleitungssystem komplett oder partiell unterbrechen. Zumeist ist aber bei Erkrankungen des Hisschen Biindels auch eine solche des iibrigen Myokards vorhanden. Das klinische Bild dieses Leidens ist seit langem gekannt. Die klassischen Erscheinungen, welche von ADAMS und STOKES schon vor 100 Jahren beobachtet wurden, bestehen in einer anfallsweisen, oft exzessiven Bradykardie, in dem Auftreten von schweren Atemstorungen und in zerebralen Storungen. Die Bradykardie ist manchmal so erheblich, daB man in der Minute nur 20 bis 25 Ventrikelkontraktionen zahlen kann. MARVAL und VIOLI haben Aussetzen der Kammerkontraktionen bis zu einer Minute bei einem rasch todlich verlaufenden Falle beobachtet. Sie ist manchmal nur kurze Zeit vorhanden, ich habe aber eine Bradykardie syphilitischen Ursprunges von 30 Schlagen in der Minute mehr als drei Monate Jang beobachtet.

Uberleitungsstiirungen des Herzens (STOKES-ADAMSsche Krankheit)

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In der Regel ist dabei die Schlagfolge nicht gestort, ausnahmsweise ist aber auch Arrhythmie vorhanden. Die Atemstorungen weisen den Typus des Cheyne-Stokesschen Atmens auf. In einem vor kurzem von mir beobachteten Falle eines syphilitischen Adams-Stokesschen Symptomenkomplexes trat die Atemstorung nur nachts auf. Die zerebralen Storungen bestehen in Anfallen von BewuBtseinstriibung mit oder ohne generalisierte Konvulsionen. Manchmal sind nur leichte Zuckungen, analog den uramischen vorhanden, in anderen Fallen, wie in dem von HoLTERSDORF, entwickelt sich sogar ein Status epilepticus. Das wichtigste Symptom ist aber der Herzblock, die Dissoziation der Vorhof- und Kammerkontraktionen, welche sich in verschiedener Weise reprasentieren kann, je nachdem unvollstandiger oder kompletter Herzblock vorhanden ist. In der Regel entfallen auf zwei Vorhofkontraktionen eine Kammerkontraktion, wenn die Schadigung des Hisschen Biindels eine schwere ist, ja es kann sogar zu einem 3: 1 Herz block kommen. W enn aber das Atrioventrikularbiindel nur teilweise zerstort ist, so ist wohl eine Verlangsamung der Ventrikelaktion vorhanden, es fallen aber nur einzelne Kammersystolen aus. Die Beobachtung der Halsvenen zeigt eine starke Fiillung derselben und Pulsationsphanomene. Die Anschwellung erfolgt viel haufiger, als Kammersystolen zustande kommen, in der Regel zweimal oder dreimal os oft, ohne daB die Atmung an der wechselnden Fiillung beteiligt ist. Einverleibung von Atropin oder Einatmung von Amylnitrit andert in reinen derartigen Fallen das klinische Bild nicht. Druck auf den Vagus hat in der anfallsfreien Zeit keine Verlangsamung der Herzaktion zur Folge. Der unvollkommene Herzblock ist durch Verlangsamung der Ventrikelschlagzahl zu erkennen. 40 bis 50 Kontraktionen in der Minute wechseln mit der doppelten Zahl, namentlich nach Bewegungen oder nach Inhalationen von Amylnitrit. Eine Verdopplung des ersten oder auch des zweiten Herztones sind mitunter die auskultatorischen Begleitsymptome. Bei komplettem Herzblock hort man immer wiederkehrende Veranderungen in der Intensitat der Herztone ohne Zusammenhang mit der Respiration bei langsamer und regelmaBiger Herztatigkeit (TH. LEWIS). Die Schlagzahl betragt 35 oder darunter. W enn derHerzmuskel noch leistungsfahig ist, bleibt der Puls voll und ist der Blutdruck erhoht. Wenn die Pulszahl stark sinkt, so treten Ohnmachtsanfalle auf, bei langerer Dauer der Bradykardie blasse Zyanose, stertoroses Atmen und Zuckungen besonders des Gesichtes und der oberen Extremitaten. Bei Fehlen von Herztonen sieht man lebhafte Jugularisundulationen.

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Die Erkrankungen des Herzens im Spatstadium der Lues

Die anatomischenBefunde sind nicht ganz einheitlicher Natur. In der Regel ist eine Schadigung des Reizleitungssystems durch verschiedene anatomische Veranderungen, besonders oft durch syphilitische Produkte vorhanden. ASCHOFF hat eine ganze Reihe von Fallen mit frischen oder verkalkten Gummen oder Schwielen und den Symptomen des lokalen Herzblocks beschrieben. TH. LEWIS hat in dem vierten Tell der obduzierten Falle die gummi:ise Natur des Leidens festgestellt. Biswellen ist eine vollkommene Quertrennung der Atrioventrikularbahn beobachtet, so neuerlich von HARNO-KOKITA. In diesem Falle fand man auBer einem hiihnereigroBen Myokardgumma im Konus des rechten Herzens noch ein ganseeigroBes in der oberen Halfte der muskularen Kammerscheidewand; letzteres ragte zum groBten Telle in die rechte Hohle hinein. Die Kammerscheidewand bestand in der Mitte des Knotens ganz aus typischem Gummagewebe ohne jeden muskularen Anteil auch bei der histologischen Untersuchung. Da in diesem Falle auch alle anderen Telle des Herzens schwere Veranderungen aufwiesen, spricht HARNOKOKITA von ,,Pankarditis" und bezeichnet seinen Fall, zu dem bisher kein vi:illiges Analogon existiert, als ,,Vollkommentypus", welchem er den ,,Unvollkommentypus" entgegenstellt. Die oft recht groBen Gummen ki:innen sowohl das Aorten- als auch das Pulmonalostium verengern, wie in einem Fall von MAJOR RALPH. Durch narbige Umwandlung konnen auch sehnige Diaphragmen den Conus arteriosus stenosieren (SCHWALBE). Im Falle von JAGIC hatte die umfangliche gummi:is-schwielige Lasion des Septum ventriculorum auf die Trikuspidalis iibergegriffen und sie destruiert. In vita hatte typischer Herzblock bestanden. In anderen Fallen ist im Reizleitungssystem eine Unterbrechung durch Schwielen nach syphilitischen Herden (M6NCKEBERG, DucAMPGuEIT-PAGES, ASCHOFF, CHAUPMAN), biswellen mit Verkalkung oder gar mit Verknocherung, wie im Falle von YosmsATO HIKI. Eine vollige Durchtrennung des Hisschen Biindels · durch Schwielen beschreiben HERXHEIMER-KOHL. Syphllome im Reizleitungssystem sind unter anderen auBer den friiher genanntenAutoren von FARR, VAQUEZ-ESMEIN, SuMBUL, HoLTERSDORF, LUCE, GRASSMANN, SCHMORL, KARCHER, SCHAFFNER, WAGNER beschrieben. Mit der Stokes-Adamsschen Mfektion auf syphilitischer Basis haben sich auch MuLLER-HOSLIN, KEITH-MILLER, HARTFORD, HEINICKE, STOBIE, MARvAL-VIOLI beschaftigt. Haufig ist neben der gummi:isen Septumaffektion noch eine typische Mesaortitis ausgebildet (J. SuMBUL, eigene Beobachtungen, JAGIC). Diagnose. Die Erkennung des kompletten Herzblocks ist leicht mi:iglich, wenn man die unbeeinfluBbare Bradykardie (zirka 30 Pulse), die GleichmaBigkeit des Herzrhythmus, die regelmaBigen

Uberleitungsstorungen des Herzens (STOKES-ADAMSsche Krankheit)

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Undulationen des Halsvenen und die intermittierende Verstarkung der Herztone beachtet. Schwerere synkopale Attacken und Cheyne-Stokessches Atmen sichern die Diagnose einer Erkrankung des Atrioventrikularbiindels bzw. der Stokes-Adamsschen Krankheit. Wenn Lues anamnestisch oder bei der Untersuchung nachweisbar, die Seroreaktion positiv ist, so gewinnt die Annahme einer spezifischen Lasion des Reizleitungssystems sehr an W ahrscheinlichkeit. Die Diagnose eines partiellen Herzblocks ist vor allem durch elektrokardiographische Aufnahmen zu erkennen, welche die zeitliche Verschiedenheit der Vorhof- und Kammerkontraktionen erkennen lassen. Eine ma.Bige Bradykardie (zirka 40 bis 50 Kontraktionen) in der Minute weckt den Verdacht auf Herzblock. Bewegungen, auch Inhalationen von Amylnitrit beschleunigen voriibergehend die Schlagzahl. In der Ruhe treten oft Intermissionen auf, wahrend deren man keinen auskultatorischen Befund iiber dem Herzen erheben kann. Haufig hort man einen verdoppelten ersten oder zweiten Herzton. Digitalis pflegt die Erscheinungen des Herzblocks starker hervortreten zu lassen. Partieller Herzblock kann bestehen, ohne daB sich die iibrigen Zeichen einer Stokes-Adamsschen Krankheit ausbilden. Die UnbeeinfluBbarkeit der Bradykardie durch Atropin wird gegen eine neurogene (Vagus-) Bradykardie sprechen. Alter. Uberleitungsstorungen syphilitischer Natur konnen in jedem Alter auftreten. Das mittlere Lebensalter ist das bevorzugte, aber es kann das Syndrom auch im hoheren Alter beobachtet werden. Ich habe es wiederholt bei Kranken iiber 60 Jahre, einmal bei einem 7ljahrigen beobachtet. In dem letzteren Falle hatten sich zu gleicher Zeit andere gummose Prozesse gezeigt, so daB die Annahme einer spezifischen Veranderung des Hisschen Biindels gerechtfertigt schien. Prognose. Das Leiden ist stets als schweres und ernstes zu betrachten. Selbst ein partieller syphilitischer Herzblock kann unter Umstanden den Tod herbeifiihren. Die spezifische Veranderung kann rasch fortschreiten und den ganzen Querschnitt des Atrioventrikularbiindels betreffen und damit eine weit bedrohlichere Situation schaffen. Allerdings geht E. HORINE zu weit, wenn er behauptet, mit konstantem Vorhofkammerblock oder intraventrikularem Block ginge der Kranke binnen Jahresfrist zugrunde. Man darf aber auch nicht vergessen, daB die Lues nur selten einen Punkt im Korper allein aufsucht, sondern mit Vorliebe multilokulare Veranderungen setzt. Neben der Erkrankung des Hisschen Biindels besteht in der Regel auch eine mehr oder minder ausgesprochene luetische Myokarditis. Auch ist eine begleitende Mesaortitis und Erkrankung der Koronararterien, wie bereits erwahnt, nicht selten. Einem Kranken mit syphilitischem Herzblock drohen also von verschiedenen Seiten Gefahren. Das Gumma des Septum kann erweichen

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und zur Perforation fiihren (LUCE, GRASSMANN}. Eine komplizierende Affektion kann lebensbedrohlich werden. In der Tat gehen nicht wenige Kranke mit diesem Leiden plotzlich durch Herzstillstand zugrunde. In anderen Fallen bildet sich chronische Dekompensation aus, welcher der Kranke nach einer hochstens mehrjahrigen Krankheitsdauer erliegt. Nur ein maBiger Prozentsatz der Falle tragt das Leiden relativ gut und lange. Es sind dies Kranke, bei welchen synkopale oder epileptiforme Anfalle fehlen. Jeder einzelne Anfall bedeutet ein Gefahrsmoment, welches von lebensbedrohender Bedeutung werden kann. Die antiluetische Therapie kann ja in manchen Fallen das Leiden und damit die Prognose wesentlich bessern, jedoch verhalten sich viele Kranke gegen eine spezifische Behandlung refraktar. Wenn das Atrioventrikularbiindel durch eine Schwiele ersetzt oder der Sitz eines verkasten Gummiknotens ist, kann eine antisyphilitische Behandlung die Leitungsfahigkeit des Biindels nicht wieder herbeifiihren. Auch ist im Beginne bei intensiver Therapie eine schwere Herxheimersche Reaktion mit Verschlimmerung des Zustandes zu befiirchten. HoRDER gibt folgende Direktiven fiir die Prognose. Kranke mit Stokes-Adamsscher Affektion im Alter unter 40, selbst noch unter 50 Jahren geben Aussichten auf Erfolg bei antiluetischer Therapie. Hat der Patient das 60. Jahr erreicht, so ist die Behandlung aussichtslos. HEIMANN teilt aus dem Londoner Herzspitale mit, daB von 21 beobachteten Kranken mit Herzblock fiinf ad exitum kamen.

Die Herzfehler syphilitischer Natur Die Klappenapparate und Ostien des Herzens werden durch Lues verschieden stark in Mitleidenschaft gezogen. Die typische und fiir die Syphilis durch die Begleitumstande charakteristische Klappenerkrankung ist die Aorteninsuffizienz, welche im Kapitel Aortitis eingehend besprochen ist. So haufig auch die syphilitische Insuffizienz der Aortenklappen ist, so selten sind andere Klappen- und Ostienerkrankungen luetischer Natur. Gelegentlich konnen aber alle valvularen Apparate durch die Lues geschadigt sein. Eine luetische Aortenstenose stellt ein sehr ungewohnliches Vorkommnis dar. Sie soll nach HucHARD bei hereditarer Lues bisweilen beobachtet worden sein (HARE, CosTER-WORKMANN, BuRGUIERES. Erworbene Lues fiihrt kaum je zur Aortenstenose. Ich habe noch keinen derartigen Fail gesehen; auch ROMBERG hat keinenFall beobachtet. Subvalvulare Stenosen durch vorspringende Gummen sind vereinzelt beobachtet worden (s. spater). Relativ haufig, wenigstens im Vergleiche zu der sonst so seltenen Erkrankung ist das rechte arterielle Ostium stenosiert, bzw. sind

Die Herzfehler syphilitischer N atur

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die Pulmonalklappen durch syphilitische Prozesse insuffizient. So sind in der alteren Literatur bei Erwachsenen gummose Erkrankungen der Pulmonalklappen zumeist durch Ubergreifen eines benachbarten Gummas von SCHWALBE, LEBERT, VrncHOW, in der neueren von TAKAYA beschrieben. Mehrere Falle von kongenitaler Pulmonalstenose wie von anderen angeborenen Herzfehlern werden auf Heredolues bezogen, da die Syphilis des Vaters oder der Mutter sichergestellt war (EGER, CROCKER, v. BERKS). In einem anderen Kapitel des Buches sind Falle von groBen Septumgummen mitgeteilt, welche durch starkes Vorspringen in das Lumen des Ventrikels knapp unter dem Klappenapparate zu einer Stenose des Pulmonal- und Aortenostiums gefiihrt hatten (MAJOR RALPH, HARNO KOKITA). . Ausnahmsweise erkrankt auch die Trikuspidalis allein (TISSIER, JAGIC, BRAUN} oder zugleich mit den Pulmonalklappen (VrncHow) oder in Kombination mit der Mitralis (JURGENS}. Auch ist ihre Schadigung bei Heredolues beschrieben. Eine eigentiimliche Stellung nimmt die Erkrankung des linken venosen Ostiums, bzw. der Mitralklappen ein. Bekanntlich ist sowohl die angeborene als auch die erworbene reine Stenose des linken venosen Ostiums ein sehr seltenes Leiden. Die kongenitale Form, auch als Duroziersche Krankheit bezeichnet, fiihrt zumeist schon in den ersten Lebensmonaten zum Tode. Jedoch konnen nach HucHARD die ersten Symptome sich in der Pubertat zeigen, da dann das MiBverhaltnis zwischen Enge des Ostiums und wachsendem Herzen groBer wird. Bei Iangerer Persistenz soll sie nach FERANNINI ein Zuriickbleiben der Entwicklung des Organismus, eine Art Infantilismus hervorrufen. Ich habe in einer 37jahrigen Spitalszeit erst drei autoptisch verifizierte Falle dieses Leidens gesehen, erinnere mich aber nicht, Entwicklungsstorungen anderer Art bei diesen Kranken beobachtet zu haben. Die Mitralklappen sind in diesen Fallen zart, das diastolische Gerausch ist weich, vom Charakter eines Aorteninsuffziienzgerausches. In einem meiner Falle bestand auch kongenitale Stenose am rechten venosen Ostium ebenfalls bei zarten, miteinander verwachsenen Klappen. HucHARD nimmt an, daB diese angeborene Klappenverwachsung hauptsachlich zwei infektiOsen Momenten ihre Entstehung verdanke, der Syphilis und der Tuberkulose. Die Annahme einer hereditaren Lues als Ursache der Klappenerkrankung wird besonders von CHAuFFARD und MILIAN vertreten. Die Beobachtung CHAUFFARDs ist weniger iiberzeugend. Sie betrifft eine luetische Frau mit Zwergwuchs, bei welcher erst ziemlich spat (nach der zweiten Graviditat) eine Mitralstenose auftrat. Eigenartiger ist die Beobachtung von MILIAN. Drei von vier Geschwistern hatten Mitralfehler, eines eine Mitralstenose. Der Vater hatte angeborene, die Mutter erworbene Syphilis. Andere Autoren, wie

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Die Erkrankungen des Herzens im Spiitstadium der Lues

BARD, E. BL UMENFELDT, verhalten sich beziiglich des Einflusses infektioser Affektionen (Lues, Tuberkulose) auf die Entstehung dieses Leidens zuriickhaltender. Die Mitralinsuffizienz und Mitralstenose bei Kranken mit erworbener Lues ist in der Literatur wiederholt, besonders in jiingster Zeit besprochen. Von vornherein ware zu erklaren, daJ3 bei der Erorterung eines solchen Zusammenhanges aul3erste Vorsicht geboten ist. Die groJ3e Verbreitung der Syphilis macht es verstandlich, daJ3 der haufigste Klappenfehler, die Mitralinsuffizienz, nicht gerade selten in individuo luetico vorkommen diirfte. Auf die rein zufallige Koinzidenz der zwei, so oft vorkommenden Leiden ist meines Erachtens zu wenig Riicksicht genommen worden. Dies trifft beispielsweise auf die Arbeit von AMBARD zu, welcher unter iibermal3iger Beriicksichtigung der Serumreaktionen zu der Anschauung gelangt, daJ3 Mitralstenosen zumeist auf kongenitale Lues zuriickzufiihren waren. Schon die groJ3e Zahl der von ihm beriicksichtigten Mitralstenosen (165) zeigt, daJ3 es sich unmoglich um die relativ seltene isolierte Mitralstenose gehandelt haben kann, sondern um Verengerungen des Ostium neben Insuffizienz. Und da muJ3 man doch berechtigte Zweifel hegen, ob nicht rheumatische Einfliisse eine gr6J3ere Rolle gespielt haben als Lues. Den gleichen Vorhalt hat man MERKLEN zu machen, welcher AMBARD beistimmt. Die Haufigkeit rheumatischer Klappenlasionen bei Syphilitikern ist ja erwiesen. Die Lues schafft anscheinend eine Pradisposition fiir die Ausbildung einer Endokarditis, besonders wenn schon eine spezifische Schadigung eines Klappenapparates vorhanden ist. 0RMHANG fand unter 314 Autopsien von Endokarditiden Syphilis in 14%. Diesbeziigliche klinische und anatomische Beobachtungen sind auch wiederholt von mir erhoben, von PINELES, MINET-DUHOT-LEGRAND, ATTINGER, HEIMANN beschrieben worden. Auch kann der Mechanismus der Entstehung einer Mitralinsuffizienz ein wesentlich anderer sein, wenn muskulare Insuffizienzen zustande kommen. So war in der Beobachtung von SPALDINGGLAN eine Ruptur eines nekrotischen Papillarmuskels die Ursache einer Schlul3unfahigkeit der Mitralklappe. GRASSMANN, AMELUNG und STERNBERG beobachteten in den Friihstadien der Lues Herzveranderungen, welche wahrscheinlich als muskulare Mitralinsuffizienzen aufzufassen sind. Leider scheinen nach den Untersuchungen von KAPFF in solchen Fallen auch elektrokardiographische Untersuchungen nicht wesentliches Material fiir die Beurteilung beizubringen, ob vorhandene Gerausche auf organische Erkrankungen oder auf nervose Einfliisse zu beziehen sind. Die syphilitische Myokarditis und ihre Folgezustande konnen in den Spatstadien eine SchluJ3unfahigkeit der Bikuspidalis herbeifiihren. Auch ROMBERG glaubt, daJ3 in der Regel nur muskulare Insuffizienz die Schlul3unfahigkeit der Klappe herbeifiihrt. Ob eine syphilitische

Therapie der Herzsyphilis

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Mitral-Endokarditis vorkommt, wie GRENET, DuM.AS-BRUNAT, LEVENT· PELISSIER annehmen, ist noch nicht bewiesen. Letztere stiitzen die Hypothese auf den Umstand, daB bei ihren Kranken andere infektiose Momente als Lues gefehlt haben und daB in einem autoptischen Falle eine Mesaortitis ohne Aortenklappeninsuffizienz, aber mit einer Verdickung der Mitralsegel gefunden wurde. Ein mikroskopischer Befund fehlt. Nach meiner Ansicht ist die Frage noch in Schwebe zu lassen, bis zweifellose syphilitische Klappenveranderungen nachgewiesen sind. Im Fall von DuMAS-BRUNAT entsprachen die histologischen Befunde denen einer rheumatischen Endokarditis, so daB auch GALLAVARDIN sich gegen die luetische Natur der Klappenerkrankung aussprach. Zusammenfassend laBt sich iiber die Mitralerkrankungen bei Lues erklaren: Die seltenen angeborenen (Durozierschen)Mitralstenosen hangen vielleicht mit Lues congenita zusammen. Die Mitralklappenerkrankungen der Erwachsenen sind auch bei Syphilitischen in der Regel nicht spezifischer Natur, sondern sind zumeist durch Assoziation von rheumatischer Endokarditis und Lues hervorgerufen. Muskulare Insuffizi.enzen der Bikuspidalis konnen durch Syphilis bedingt sein und sowohl im Stadium II der Lues als auch in den Spatstadien zur Ausbildung gelangen. Die Lasion des Muskels diirfte verschiedener anatomischer Natur sein.

Therapie der Herzsyphilis W enn eine syphilitische Erkrankung des Herzens sichergestellt oder nur sehr wahrscheinlich ist, erscheint eine antiluetische Behandlung geboten. Der Erfolg der Behandlung ist bei den Friihformen am giinstigsten; nicht selten erzielt die spezifische Therapie dann eine vollkommene Heilung. Weniger erfolgreich ist die antisyphilitische Behandlung bei spatsyphilitischen Myokarditiden. Aber immerhin gelingt es hii.ufig, einen Stillstand oder langerwahrenden Riickgang des Leidens herbeizufiihren. Viel ungiinstiger liegen die Aussichten, wenn die Herzaffektion durch eine Koronararterienerkrankung kompliziert ist. Ubereinstimm~nd erklaren zwar verschiedene Autoren, auch dann nach spezifischer Therapie eine Besserung gesehen zu haben, aber nach meiner Erfahrung ist dies doch nur bei der Minderzahl der Kranken der Fall. Syphilitische Klappenfehler sind durch die Behandlung unbeeinfluBbar; sehr seltene Ausnahmen erharten diese Regel. Beziiglich der Durchfiihrung der antiluetischen Therapie verweise ich auf das Kapitel der Aortitis syphilitica. Ich mochte aber an dieser Stelle bemerken, daB ich bei luetischen Herz- und Aortenerkrankungen Sch I es in g er, Syphilis. III.

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Die Erkrankungen des Herzens im Spatstadium der Lues

bisher nach Verwendung maBiger J odgaben keine Schadigungen im Sinne von Thyreotoxikosen gesehen habe, wahrend in Miinchen wiederholt solche Folgezustande auch bei Syphilitischen beobachtet wurden (FR. MULLER, ROMBERG). Dabei ist mir das Bild der J odthyreotoxikosen seit Dezennien wohl bekannt und ich habe die rasche Zunahme dieser Erkrankung im letzten Dezennium bei nicht Syphilitischen wiederholt auch in arztlichen Versammlungen konstatiert. Es ware praventiv darauf zu achten, daB die in manchen Gegenden beliebten Durstkuren gegen Syphilis (so die ,,Semmelkuren" von Lindewiese) unterbleiben. Ich habe wiederholt solchen ,,Kuren" schwere Herzstorungen nachfolgen gesehen, welche zu einem unaufhaltsam fortschreitenden Krafteverfall fiihrten. Auch sind die so oft angewendeten Schwitzprozeduren, Dampfbader, heiBe Schwefel- und Schlammbader fiir solche Kranke mit erheblichen Gefahren verkniipft, daher selbst bei Komplikationen mit Gelenk- oder Nervenaffektionen zu vermeiden. Jede den Korper schwachende MaBnahme trifft auch das Herz, manchmal sogar starker a_ls den iibrigen Organismus. Die so beliebten Abmagerungskuren mit sehr starker Nahrungseinschrankung oder gar mit Thyreoideatherapie fiihren nicht selten zu schwerer Herzinsuffizienz, namentlich bei Schadigung des Myokards durch Syphilis. Ist die Herzaffektion ganz ausgeglichen, so sind Kardiaka nicht erforderlich. Wohl aber sollten solche Kranke sich korperlich nicht zu viel zumuten -- ich sah pli:itzliche schwerste Dekompensation nach einer Hochgebirgstour. Auch kann Abusus nicotianus oder AlkoholmiBbrauch sehr schaden, ebenso iibermaBiges Essen. MaBige korperliche Bewegung ist aber eher zutraglich; auch wird man dem Kranken die jetzt iiblichen, nicht anstrengenden Tanze gestatten - natiirlich nur in sehr maBigem AusmaBe. Leichter korperlicher Sport wird zumeist gut vertragen. Schwimmen sollte aber auch bei nur zeitweiligen ,,Mahnungen" besser unterbleiben. Wenn eine auch nur leichte Dekompensation vorhanden war, ist eine lange Zeit - selbst jahrelang fortgesetzte Behandlung mit Herzmitteln in kleiner Dosis zweckmaBig. Es empfiehlt sich, den Kranken zum Beispiel zweimal wochentlich kleine Digitalismengen oder Strophantus nehmen zu lassen (Digipurat zweimal fiinf bis zehn Tropfen, Pulv. fol. Digital. titr. 0,03 mit 0,005 Extr. Strychni zweimal taglich oder in der neuerlich von WENCKEBACH empfohlenen Kombination mit Chinin) oder Theobromin zu geben (zweimal 0,5 Diuretin mit oder ohne Digitalis). Auch ist in solchen Fallen eine sorgfaltig abgestufte Herz- und Atmungsgymnastik von groBem Vorteil. Die Ubungen diirfen aber nicht dem Ermessen der Kranken vorbehalten bleiben, sondern erfordern arztliche Kontrolle.

Pericarditis syphilitica

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Badekuren, namentlich Kohlensaurebader sind von Zeit zu Zeit angewendet vorteilhaft. Ihr Gebrauch ist besonders bei komplizierenden zentralen Erkrankungen oder bei gleichzeitigen Gelenkaffektionen zweckmaBig. Viele Kranke fiihlen sich nach Jodbadern (Hall, Tolz} besonders wohl, jedoch ist dann vor einer zu langen Ausdehnung des Badeaufenthaltes und vor zu intensiver Kur zu warnen. Ausgesprochene Dekompensation erfordert die gleiche Behandlung wie die einer-Herzinsuffizienz aus anderer Ursache. Es kommt vorwiegend eine medikamentos diatetische Therapie in Betracht, welche durch Herzgymnastik und Kohlensaurebader unterstiitzt wird. Sind Uberleitungsstorungen vorhanden, so ware die Erfahrung zu beriicksichtigen, daB ein partieller Herz block nach Digitalis, Strophantin, Chinin oder nach Chinidin in einen totalen sich umwandeln kann. W enn keine anderen Herzinsuffizienzerscheinungen bestehen, so kann die Anwendung von Kardiazis unterbleiben. Sonst diirfte der Gebrauch von Theobromin wertvoller sein als der der Digitalis. Anhang

Pericarditis syphilitica Die luetische Herzbeutelentziindung ist ein sehr seltenes Leiden. Als selbstandige Affektion wurde sie anscheinend bisher nicht beobachtet, sondern nur als Begleiterscheinung anderer Prozesse. Gelegentlich wird perikardiales Reiben unter den viszeralen Begleitsymptomen der sekundar syphilitischen Eruptionsperiode erwahnt, jedoch ist diese Beobachtung gewiB ungewohnlich und das Reibegerausch nicht in jedem Falle auf das Perikard zu beziehen. So erwahnt GRASSMANN' daB das perikardiale Reibegerausch in einem Falle nur bei forciertem Exspirium zu horen (also, wie ich annehmen muB, extern perikardialer Natur) war. GRASSMANN bringt iibrigens das perikardiale Reiben seiner zwei Beobachtungen nicht mit Syphilis in Verbindung. Sparliche Falle von gummoser Perikarditis sind mitgeteilt. Manchmal waren es nur solitare Gummen (neben Lungengummen), wie im Falle von LANCERAUX, bald reichlichere kleinere Gummen (L. PICK, STOBIE). Im letzteren Falle war auch ein reichlicherer ErguB mit nachweisbaren Spirochaten vorhanden. Auch GERHARDT erwahnt Perikarditis mit reichlichem Ergusse. In einem Falle von TAKAYA hatte eine gummose Infiltration direkt vom Perikard auf Pleura, Lunge, Diaphragma und serosen Uberzug der Leber iibergegriffen. Im Falle von WAGNER bestand eine miliare Aussaat von Gummen am Viszeralblatt des Perikards, daneben gummose Veranderungen des Myokards und der Art. pulmonalis. Auch im Falle von L. PrcK waren neben miliarer 2*

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Syphilis der Aorta und grollerer Gefalle

gummoser Perikarditis mit groBem Ergusse noch Gummen des Myokards und eine spezifische Erkrankung des vorderen Mediastinum vorhanden. Wiederholt ist bei heredoluetischen Kindern eine gummose oder entziindliche Erkrankung des Perikards mit Adhasionen beschrieben (ORTH, MRACEK). Auch sah man adhasive Perikarditis mit mehr oder minder groBen Synechien bei gummosen oder diffus fibrosen Myokardveranderungen (LEYDEN, FRIEDREICH, MRACEK, ORTH, LANCERAUX, TAKAYA, BALZER). Die Mfektion hat bisher mehr anatomisches als klinisches Interesse. Sie kann vermutet werden, wenn sie sich im Verlaufe einer Spatlues entwickelt und andere Ursachen, namentlich Tuberkulose, nicht zu erkennen sind. Ex juvantibus darf man auf die syphilitische Natur der Perikarditis nicht schlie.Ben, da au.Berordentlich haufig auch umfangreiche perikardiale Ergiisse in kurzer Zeit sich spontan riickbilden. N ur eine Punctio pericardii und der Nachweis von Spirochaten im Exsudate, starkere W assermannsche Reaktion in der Fliissigkeit als im Blute oder ein positiver Tierversuch konnten eine sichere Diagnose bringen. Ich habe bisher keinen einwandfreien Fall gesehen. HEIMANN erwahnt kurz, da.B in Siidafrika unter den Eingeborenen eine-hamorrhagische Perikarditis luetischer Natur vorzukommen scheine. Die Wassermannsche Reaktion ist positiv und die antiluetische Therapie ist erfolgreich. STRICKLAND GOODALL teilt mit, er hatte vier Falle von syphilitischer Perikarditis mit lebhaften Herzschmerzen, Dyspnoe und positiver Wassermannschen Reaktion gesehen. Spezifische Therapie war erfolgreich.

Syphilis der Aorta und grof3erer Gefiif3e I. Aortitis syphilitica Gummigeschwiilste in der Aorta wurden in der zweiten Halfte des vorigen Jahrhunderts einige Male beobachtet. WILKS schilderte 1863 diese Erkrankung bei einem Aneurysma der Aorta abdominalis, NALTY am Arcus aortae. C. 0. WEBER und E. WEBER sahen Gummata der Art. pulmonalis, HERTZ Aneurysmen mit gummosen Nekrosen und daneben eine eigenartige schwielige Aortensklerose (1873). Auch spaterhin wurden (1894) von BABES-CALINDERO, (1902) von FABRIS Gefa.Bgummata beobachtet. Die schwielige Aortitis beschriebHELMSTADTER 1873 genauer. 1877 nahm HEIBERG in der Media im Verlaufe der Vasa vasorum Zellinfiltrate wahr, welche er wie gleichzeitig LAVERAN als miliare Gummen ansprach. Spater brachten nach C. BENDA, dessen Darlegungen ich folge,

Aortitis syphilitica

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VALLIN (1879), SNOW, KOSTER (1880), VERDIC (1884) weiteres Material bei: Multiplizitat der Aneurysmen, Obliteration abgehender GefaBe, Mediazerstorungen, welche KosTER als nichtspezifisch ansprach. Im Jahre 1885 erorterte DOERLE Veranderungen in der Aorta eines Mannes, welche er als syphilitische auffaBte. Langsam zogernd folgten andere Autoren. 1888 publizierte MALMSTEN nebst einer groBeren Statistik iiber die Haufigkeit der Lues bei Aortenaneurysmen eine genaue Beschreibung des anatomischen Befundes von Aortenerkrankungen bei Syphilis. 1891 veroffentlichte JAKOB eine einschlagige anatomische Beobachtung von VerschluB der rechten Koronararterie. Spaterhin kamen Arbeiten von CROOKE und eine eingehende neuerliche Schilderung der ,,Aortitis syphilitica" von DoEHLE mit Beitragen von HELLER (1895). Auf diese Darlegungen komme ich spater zuriick. Die Sparlichkeit der Mitteilungen zeigt, wie langsam die Auffassung an Boden gewann, daB an der Aorta eine spezifische, syphilitische Erkrankung vorkame. Die Darlegungen DoEHLEs stieBen in manchen Punkten auf lebhaften Widerstand (z. B. seitens MANCHOT), aber wurden 1902 durch die wichtigen Untersuchungen von FABRIS gestiitzt und erganzt. FABRIS machte es wahrscheinlich, daB die Aortensklerose das Endergebnis einer echten gummosen, vom periadventitiellen Gewebe ausgehenden Erkrankung sei. Erst das Jahr 1903 brachte eine entscheidende Wandlung in der Stellungnahme der Anatomen zu diesem Problem. In der Deutschen pathologischen Gesellschaft traten CHIARI und BENDA fiir die Spezifitat der syphilitischen Aortenerkrankung ein. Ersterer bezeichnet sie als ,.produktive Mesaortitis", letzterer als ,,syphilitische Aortensklerose". CHIARI betonte, daB schon makroskopisch die Erkrankung sich von der Endaortitis deformans abtrennen lasse. Die Lokalisationen, die geringe Neigung zu regressiven Metamorphosen der Intimaverdickungen sprachen, abgesehen von den mikroskopischen Alterationen mit Elastikazerfall, mit Vorwiegen der Media- und Adventitiaerkrankung und kleinen Nekrosen fiir die Sonderstellung des anatomischen Prozesses. Er sieht sie nicht als spezifisch syphilitische Affektionen an, denkt aber doch in erster Linie an Lues. C. BENDA hob hervor, daB er in typischen Fallen der Doehleschen Aortitis vereinzelte makroskopische Gummiknoten, einmal sogar mit einem einzelnen Gummi zwischen Sklerosen gefunden habe. In einem floriden und umfangreichen gummosen Prozesse der Aorta ascendens konnte er alle Ubergange in Vernarbungen, ZerreiBungen und Aneurysmenbildungen nebeneinander studieren. Weitere anatomische Publikationen stammten von MARCHAND, LuBARSCH, HART, AscHENHEIM, HERXHEIMER, BECK-KAUFMANN, ABRAMOW, FARR, MoNKEBERG, welche im wesentlichen die Befunde

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bestatigten, in der Deutung sich bald CHIARI, bald DOERLE-HELLER, bzw. BENDA anschlossen. Nach Entdeckung der Spirochaten gelang deren Nachweis auch in vereinzelten Fallen BENDA, REUTER, ScHMORL, RICHARDSON; die Auffindung der W assermannschen Reaktion und deren positiver Ausfall im Leichenblut (FRAENKEL-M UCH 1908) stiitzte die Deutung der anatomischen Befunde als spezifisch luetische. Mit der Kenntnis des anatomischen Bildes vertieften sich allmahlicb die klinischen Erfahrungen. Ratte man schon lange gewuBt, daB Aorteninsuffizienz bei Tabischen nicht selten vorkomme und schon in den letzten Dezennien des vorigen und im Beginne dieses Jahrhunderts das auf eine gemeinsame Ursache - die Lues - bezogen (u. a. OPPENHEIM, HucHARD, 0. RosENBACH, STRUMPELL, F. SCHULTZE, RuGE-HuTTNER, RYBA, STINTZING, GoLDSCHEIDER, SCHUSTER, 0POLENSKY), so begann man spaterhin den eigentlich klinischen Symptomen der Aortitis mehr nachzugehen. Mit der Messung der Aorta nach KREUZFUCHS gelang der schon friiher mit geringerem Erfolge versuchte ri.intgenologische Nachweis der Erweiterung bestimmter Aortenabschnitte. Dadurch war ein wichtiger Schritt nach vorwarts in der Diagnose der Aortitis gemacht. Viele Kliniker haben sich in letzter Zeit mit der Diagnose der Aortenlues, ihren Beziehungen zum Aneurysma, zu pli.itzlichen Todesfallen, zur Neurolues, zur hereditaren Lues beschaftigt. Die Behandlung ist viel diskutiert, ohne daB bisher Einmiitigkeit erzielt wurde. Immerhin kann man erklaren, daB die anatomische und auch die klinische Diagnose der Aortitis syphilitica schon einen erheblichen Grad von Sicherheit erreicht hat und daB der vorsichtige Diagnostiker selten bei der Autopsie durch eine Aortenveranderung anderer Art iiberrascht wird. Die Affektion tragt verschiedene Bezeichnungen. Vielfach ist dieBenennung Heller-Doehlesche Krankheit iiblich. Gerade so oft findet man den von DOERLE vorgeschlagenen Namen Aortitis syphilitica. Aber in der Literatur geht die Erkrankung auch als Mesaortitis syphilitica, produktive Mesaortitis (CHIARI), syphilitische Aortensklerose (BENDA), sklerogummi.ise Aortitis (MALMSTEN), schwielige Aortensklerose, fibri:ise Aortitis.

Initialstadium In sehr vielen Fallen entwickelt sich der KrankheitsprozeB langsam, schleichend. Erscheinungen subjektiver Natur ki:innen vollkommen fehlen, der Patient fiihlt sich gesund, bis durch Zufall die Aortenveranderung entdeckt wird. Oder es besteht ein z€ntrales Leiden (Tabes, Paralyse), welches unserer jetzigen Erfahrung gemaB haufig von einer

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spezifischen Aortitis begleitet wird, ohne daB der Kranke Beschwerden auBert, welche auf ein GefaBleiden bezogen werden konnen (FRISCH, Li:iwENBERG). Moglicherweise spielen in solchen Fallen wie F. FRISCH meint, Storungen der viszeralen Sensibilitat, eine Rolle. Offenbar benotigt die Aortenlues lange Zeit, zumeist viele Jahre zur Entwicklung; erst wenn sie erhebliche Grade erreicht hat oder vermoge besonderer Lokalisation komplizierende Symptome auslOst, lenkt sie die Aufmerksamkeit auf sich. Das, was sich demnach klinisch als Initialstadium prasentiert, entspricht anatomisch einem bereits ziemlich vorgeschrittenen Prozesse. Da in reinen Fallen das Herz freibleiben kann, selbst wenn die GefaBveranderung schwer ist, entfallt ein weiterer Faktor, welcher auf das Bestehen einer Aortenerkrankung hinweisen konnte. Der schleichende, symptomenlose Beginn ist von vielen Autoren wie MORITZ, ROMBERG, ScHITTENHEI,M, HucHARD, BARRIE, ROGGE und MULLER, HEIMANN, WARTHIN, R. W. ScoTT ausdriicklich hervorgehoben. Ich sehe alljahrlich nicht wenige Kranke, bei welchen die Aortitis ein Zufallsbefund ist. Subjektive Symptome kommen nach GRAU erst zustande, wenn eine Aortendilatation mit Druck auf die Nachbargebilde vorhanden ist. Ich glaube, mit THOMA, KU-LBS, daB dieses Postulat nicht unbedingt erfiillt sein muB, da in den Wanden der groBen GefaBe Pacinische Korperchen nachgewiesen sind. Die Reizung dieser Gebilde durch anatomische Veranderungen oder durch Druck konnte manche der subjektiven Erscheinungen erklaren. Aber auch die Moglichkeit von Angiospasmen als Ursache der Schmerzen ist nicht aus den Augen zu verlieren. H UCHARD denkt an Periaortitis, welche die sensiblen. Erscheinungen veranlaBt. Haufig fallt bei den Kranken eine Gemiits- oder Charakterveranderung auf. Sie werden reizbarer, haben bisweilen unmotivierte Erregungszustande. Andere sind deprimiert, von unbestimmten Angstgefiihlen heimgesucht, welche oft in der Besorgnis um die Arbeitsfahigkeit und um die Zukunft ihren Grund haben. Palpitationen angstigen den Patienten, besonders wenn sie in der Ruhe oder bei Nacht auftreten. Auch der Schlaf ist oft gestort, unruhig, durch schreckhafte Traume unterbrochen. Diese Erscheinungen konnen auch die ersten Zeichen der so oft mit Aortitis kombinierten zentralen Lues sein, sie konnen aber auch ohne nachfolgende Erkrankung des Zentralnervensystems bestehen. Eine erhebliche Anamie, wie sie GRAU und auch ROMBERG beobachteten, habe ich bei meinen Patienten nicht wahrgenommen. Auch pflegt der Ernahrungszustand nicht wesentlich zu leiden. JURGENSEN fand ebenfalls manchmal bliihendes Aussehe:iJ.. Erst wenn der Kranke durch sein Leiden stark gequalt wird, tritt Abmagerung ein, wie sie ROMBERG. in seinen Fallen afters gesehen hat. HEIMANN fand als Friihsymptom oft Kurzatmigkeit und Schwindel.

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Das wichtigste, auf eine Organveranderung hinweisende Symptom ist der retrosternale Schmerz. Anfangs ist er oft nur angedeutet, von bohrendem oder driickendem Charakter oder es wird auch ein brennendes Gefiihl empfunden. Der Schmerz ist im Beginne nur zeit. weilig vorhanden, zumeist leicht, persistiert nicht lange und kehrt erst nach langerer Pause wieder. Allmahlich wird er immer heftiger und von langerer Dauer. K ULBS meint, daB die Primarsymptome anscheinend immer Schmerzen waren, HEIMANN stellt aber Kurzatmigkeit an erste Stelle. R. W. SCOTT fand bei 25 autoptisch kontrollierten Fallen, daB die Beschwerden plotzlich mit Kurzatmigk@it eingesetzt hatten; nur in einem Falle hatte ein retrosternaler Schmerz bestanden. Es scheint also das Symptom des heftigen Schmerzes in verschiedenen Beobachtungsreihen verschieden haufig zu sein. Ein Druckgefiihl, in der Regel (nach Angabe der meisten Autoren) hinter dem oberen Sternalabschnitt, qualt den Kranken und zeigt sich oft schon nach geringen Anstrengungen und Erregungen, besonders oft beim Marschieren gegen den Wind und selbst ohne erkennbare Ursache. Allerding verschwinden zumeist die Schmerzen bei Ruhe nach wenigen Minuten, kehren aber in schweren Fallen wahrend des Tages mehrmals wieder. Zurn Gliick ist dieses Schmerzgefiihl auch nach meiner Erfahrung bei weitem nicht so haufig, vor allem sind die schweren gehauften Schmerzanfalle seltener, als die Angaben der Literatur vermuten lassen wiirden. Der Sitz der Schmerzen ist nach den meisten Autoren zumeist die Gegend des oberen Sternalendes, oft aber werden sie auch, wie friiher bemerkt, tiefer, manchmal sogar im Epigastrium empfunden. Wiederholt haben ihn meine Kranken in die Gegend zwischen Herzspitze und unteres Sternalende verlegt. Unter den letzten 33 Kranken, welche ich eingehend nach dem Sitze von Schmerzen befragte, gaben nur drei an, hinter dem oberen Teil des Sternums einen qualenden Druck zu empfinden, die anderen hatten den Schmerz tiefer lokalisiert. Meine Erfahrungen decken sich also nicht ganz mit denen anderer Autoren. Die Aortalgie strahlt nicht selten gegen die Schulter oder gegen das Kinn zu aus; auch sind Irradiationen in die oberen Extremitaten, namentlich in die linke, nicht selten. Mitunter treten die retrosternalen Schmerzen vorwiegend nachts auf. ROMBERG hat dies besonders bei Kranken gefunden, welche nur wenig Bewegung machen und angestrengt geistig arbeiten. Nach ROMBERG ist fiir den Schmerz bei Aortitis d_ie RegelmaBigkeit des Einsetzens und Ablaufes bei gleicher Lebensweise geradezu charakteristisch. Der Schmerz ist in der Regel von keinem Vernichtungsgefiihl begleitet. Gerade dieses Moment bewegt viele Kliniker (ORTNER, WENCKEBACH, R. SCHMIDT, ROMBERG), die Aortalgie prinzipiell von der Steno-

Initialstadium

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kardie zu trennen. In meinen Fallen mit anscheinend typischen Aortalgien kam es aber zumeist gelegentlich zu Attacken mit ausgesprochenem schweren Angst- und Vernichtungsgefiihl, welche wieder von einer Periode neuralgiformer Schmerzen gefolgt wurden. In meinem Krankenmaterial waren ,,reine" Falle von Aortalgie nur in der Minderzahl. Ein Druckpunkt in der linken Fossa supraclavicularis entsprechend dem Plexus brachialis ist haufig vorhanden (R. SCHMIDT, JAGic, L. FRANK-WORMS), fehlt aber auch in vielen typischen Fallen. Vage Schmerzen, namentlich Riickenschmerzen, sind nicht selten (DENEKE). GuARINIS Kranke klagten iiber Schulterschmerz. (Sicher ist dies kein konstantes Symptom.) GUARINI erklart die Schmerzen durch Angiospasmen, hervorgerufen durch Druck hypertrophischer Mediastinaldriisen. L. FRANK und W. WORMS haben eine hyperasthetische Hautzone in der Rohe des zweiten bis vierten Dorsalsegmentes gefunden, welche links starker ausgesprochen und riickwarts leichter nachweisbar ist.

a) Die unkomplizierte Aortitis syphilitica Die voll ausgebildete Aortitis syphilitica zeigt ein wechselndes klinisches Bild. Je nachdem man nur reine, auf die Aorta beschrankte Falle ohne Aneurysmenbildungen betrachtet oder die auf die Herzklappen und KoronargefaBe iibergreifenden Falle heranzieht, erhalt man verschiedene Symptomenklomplexe. ScHOTTMULLER bezeichnet dieselben auch als Aortitis valvularis, coronaria, supracoronaria und aneurysmatica. Die Bezeichnungen erscheinen wohl gliicklich gewahlt, da aber im Krankheitsverlaufe zumeist die Formen ineinander iibergehen, haben sie sich nicht eingebiirgert. Die reine Mesaortitis, welche die Sinus Valsalvae und die Klappen verschont hat (Aortitis supracoronaria ScHOTTMULLERS), bietet auBer dem retrosternalen Schmerze noch drei Kardinalsymptome dar: Ein systolisches Gerausch iiber dem Aortenostium und iiber der Aorta ascendens, eine Akzentuation des zweiten Aortentones und eine rontgenologisch nachweisbare Dilatation der Aorta ascendens. Gegeniiber diesen Erscheinungen treten die iibrigen Symptome weit an Dignitat zuriick. Das systolische Gerausch ist laut und rauh, oft im ersten Interkostalraum am deutlichsten zu horen. Nur manchmal ist es vom Charakter der musikalischen, was sich aus der Entstehungsweise der musikalischen Gerausche bzw. den anatomischen Veranderungen zwanglos erklart. Ich habe es, wie ROMBERG, kaum je als fiihlbares systolisches Schwirren nachweisen konnen. Man hort es nicht selten iiber der Karotis und Subklavia, fortgeleitet von gleicher Qualitat, nur etwas leiser. Links ist es iiber diesen GefaBen nicht so oft nachweisbar. Einige Male habe ich Schlesinger, Syphilis, III.

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dicht vor dern geoffneten Mund des Kranken das Gerausch rnit freiern Ohre wahrgenornrnen. Der erste Ton kann noch neben dern Gerausche horbar sein (ROMBERG). Das Gerausch fehlt nur ausnahrnsweise. Der zwei te Aorten ton ist auffallend laut, gar nicht selten klingend. Sowohl das systolische Gerausch als auch die Akzentuation des zweiten Aortentones lenken oft erst die Aufmerksarnkeit des Untersuchers auf den GefaBapparat. Sie gehtiren haufig zu den friih nachweisbaren Zeichen. Die Akzentuation ist besonders auffallend, da ihr - anders als bei Atherorn oder bei Nephrosklerose - keine Erhohung des Blutdruckes zu entsprechen pflegt. DieAngaben von B. THOM iiber Blutdrucksteigerungen bei syphilitischer Aortitis sind an einern zu kleinen Material erhoben. 1 Die Tension ist sonst rneist normal (MATTHES, C. WoLFF, HEIMANN, CHIAPPINI, eigene Beo bach tung en}, kann sogar den unteren Werten der Norm entsprechen. ScHITTENHELM findet sogar zumeist niedrigere als normale Werte. Auf paroxysmale Drucksteigerungen bei Aortensyphilis weisen J. BRAUN, KU-LBS, HANS KOHN, A. DUMAS hin, auf die Erhohung des Blutdruckes in den BeingefaBen bei langerer Dauer der Aortitis LESCHKE und WILLIAMSON. Allerdings zeigen die Untersuchungen von LUISADA, daB die Hypertension der BeingefaBe keinen RiickschluB auf den Zustand des iibrigen GefaBsysternes zulaBt und ein regionaeres Phanornen darstellen kann. Irn Gegensatz hiezu erblicken GOODALL und HEYMANN in einer erheblichen Differenz des Blutdruckes in den Bein- und Armarterien bei syphilitischer Aorteninsuffizienz ein prognostisch giinstiges Zeichen. ARNOLDI findet den venosen Blutdruck in den Armvenen normal. J. BRAUN bezieht das Klingen des zweiten Tones nur auf die strukturelle Veranderung der Aortenwand, ROMBERG zieht zur Erklarung auch die Dilatation der Aorta heran und rnoglicherweise das Heranriicken der Aorta an die Brustwand. Dafiir konnte auch sprechen, daB die aufgelegte Hand bisweilen den lauten zweiten Ton fiihlt. In der Tat sieht rnan auch nicht selten bei Mesaortitis Pulsation im zweiten und ersten Interkostalraurne rechts, da das dilatierte GefaB die Lungenrander zuriickdrangt (F. KRAUS}. Allerdings rnuB erst die Rontgenuntersuchung die Kontrolle erbringen, daB nicht Vorhofpulsation vorliegt oder ein Aneurysrna die Pulsation verursacht. Hingegen beobachtet bzw. fiihlt man nur ausnahrnsweise eine deutliche Pulsation irn J ugul um, wie ich auf Grund meiner Erfahrungen 1 Die Frage der Hypertension auf luetischer Grundlage, welche wiederholt aufgeworfen wurde (so kiirzlich von LIAN und BARRIER!, A. DUMAS), hat mit der des Blutdruckes bei Mesaortitis nur einige Beriihrungspunkte gemein. GALLAVARDIN, BRIN-GEROUX, VAQUEZ, ETIENNE, BRISON, LAUBRY und andere erortern die Hypertension Syphilitischer, finden aber haufig neben Aortitis eine Nierensklerose. Nur bei jugendlichen Individuen mit Hypertension und Lues konnte man eher die Syphilis als Ursache des Hochdruckes beschuldigen.

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gleich F. KRAUS, ROMBERG, ScHITTENHELM erklaren kann, wahrend MORITZ die Pulsation unter den Zeichen der Aortitis anfiihrt. Die Perk us si on ergibt bisweilen eine geringe parasternale Dampfung im ersten und zweiten Interkostalraum rechts von maBiger GroBe. Eine erhebliche Dampfung entspricht nicht mehr einer unkomplizierten Aortitis. Es ist aber auffallend, wie oft bei sichtbarer Pulsation eine Dampfung iiber derselben fehlt. ELIAS findet auch haufig eine paravertebrale Dampfung links entsprechend dem dritten und vierten Brustdorn. F. KRA us gibt an, daB die Dampfung nicht bis zum J ugulum reicht; bei kurzem Thorax ist sie helmartig. Das obere Sternalende wird nach meiner Erfahrung nicht selten pulsatorisch gehoben, auch wenn kein Aneurysma vorhanden ist. Die Rontgendurchleuchtung zeitigt besonders wichtige Resultate, mit deren Deutung sich zahlreiche Forscher, wie DENEKE, LENK, G. HuBERT, ErsLER-KREUZFUCHS, KrnNBOCK, AssMANN, VAQUEZBoRDET, LIPPMANN-QUIRING, SUTER beschaftigt haben. EISLER und KREUZFUCHS gaben an, daB ungleichmaBige, diffuse Erweiterung der Aorta fiir Lues spreche und daB die Ubergange zur Aneurysmabildung flieBend seien. LENK hat namentlich die Frage studiert, inwieweit die Messung der Ao rt en brei te fiir die Diagnose Aortenlues verwertbar ist. Er ging von der Tatsache aus, daB die Mesaortitis sehr oft nur auf die Aorta ascendens beschrankt bleibt und eine diffuse Dilatation derselben herbeifiihrt. Er maB die Breitendifferenz der Aorta ascendens (in Fechterstellung) und der Aorta descendens (gemessen im Bereiche des Isthmus aortae nach KREUZFUCHS). Die Aortenbreitendifferenz beim gesunden Erwachsenen betragt 1 / 2 bis lcm. Ist die Breitendifferenz groBer als 1 cm zu gunsten der Aszendens (,,positive Breitendifferenz" nach LENK), so spricht der Befund fiir Lues aortae. Es gibt aber auch Falle von Aortensyphilis mit gleichmaBiger VergroBerung beider MaBe und normaler Breitendifferenz. Ist die Deszendens breiter als die Aszendens (,,negative Breitendifferenz"), so liegt nach LENK ebenfalls Aortenlues vor; besonders haufig findet man letzteres Symptom beim Aneurysma der Aorta descendens. Die Befunde von LIPPMANN und QUIRING an 160 Fallen mit positiver Wassermannscher Reaktion und Herzbeschwerden hatten schon friiher festgestellt, daB die Mindestbreite der Aorta ascendens 3,5 bis 5,5cm gegeniiber dem Normalwert von 3,5cm betrug. Allerdings ist ihre Methode mit Fehlern behaftet, jedoch sind nach AssMANN ihre Messungen zur Ermittlung von Durchschnittsergebnissen verwertbar. AssMANN erklart, daB die diffuse Erweiterung der Aorta auf luetischer Basis sich in nichts von der durch Atheromatose bedingten unterscheiden kann, sie erreicht aber viel haufiger hOhere Grade. Die besonders hiiufige 2a*

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Erweiterung des Anfangsteiles der Aorta gibt sich rontgenologisch in einem auffalligen, lokal beschrankteu Vorspringen des meist stark pulsierenden Aszendensschattens kund. (Er reicht nach EISLER-KREUZFUCHS ebenso weit als der Vorhof oder sogar noch weiter als derselbe bzw. als eine von dessen rechter Grenze nach oben zu gezogene Vertikale.) Vermehrte Pulsation der Aorta ascendens ist nach G. HUBERT ein Friihsymptom. Haufig ist eine deutlich spindelige oder kolbige Auftreibung

Abb. 1. Mesaortitis Juetica bei einer 47j iihrigen Frau. (Anatomischer Prozel.l autoptisch sichergestellt)

des Schattenbandes bemerkbar, welche die Abweichungen von der gewohnlichen Zapfenform iiberschreitet (Durchleuchtung im ersten schragen Durchmesser). An den Randkonturen heben sich bisweilen einzelne Schattenstiicke ab, die durch K alkeinlagerung in der Aortenwand hervorgerufen sind (AssMANN). Der Nachweis dieser Kalkeinlagerungen wiirde die Annahme einer sekundaren Arteriosklerose bei Lues fordern (DENEKE}. Das ganze Aortenband zeigt eine besonders intensive Verschattung. AssMANN erklart, daB dies zum Teil auf einfacher Zunahme des Querschnittes der Blutsaule beruhe, glaubt aber, daB die schwielige Verdickung der Wand hiebei auch eine Rolle spiele. Vor allem stiitzt er sich darauf, da.13 auch nur wenig verbreitete Aorten, bei denen nach dem klinischen Befunde eine Aortitis luetica anzunehmen ist, eine deutliche, gegeniiber der Norm gesteigerte Schattentiefe aufweisen. DENEKE ist der gleichen Ansicht. LIPPMANN und QUIRING sowie VAQUEZ und BoRDET haben durch Mit-

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teilung autoptischer Befunde gezeigt, daB die sklerotische Wandverdikkung bei der Intensitat der Schattenbildung eine sehr bedeutende Rolle spiele. MATTHES betont die wichtige Erfahrung, daB gelegentlich trotz vorhandener Aortitis eine ri:intgenologisch nachweisbare Verbreiterung der Aorta fehlen kann. Der von DENEKE geforderten periodischen Ri:intgenkontrolle ist sicher beizustimmen. Sie kann wertvolle Aufschliisse geben. Von anderen Zeichen der Aortitis waren zu erwahnen: Das Verhalten der Senkungsgeschwindigkeit der Erythrozyten. Dieseist beiAortenlues beschleunigt (LINSENMEIER, A. FRANKEL). Das Symptom ist aber so vieldeutig, daB beschleunigte Senkungsgeschwindigkeit nur mit V orsicht diagnostische Verwertung finden darf. Sagt der positive Ausfall dieser Untersuchung ja nicht einmal mit Sicherheit, ob Lues im Ki:irper vorhanden ist, geschweige etwas iiber die Veranderung eines bestimmten Organs. In acht unserer Falle war nur dreimal die Senkungsgeschwindigkeit auffallend beschleunigt. KosRZYNSKI macht auf Lymphozytose bei Aortitis luetica aufmerksam. MATTHES bemerkt aber mit Recht, daB dieses Symptom so vielen asthenischen Zustanden eigentiimlich sei, daB man es diagnostisch nur schwer verwerten ki:inne. Die halbmondfi:irmige Ri:itung der Haut iiber dem oberen Sternalende und den angrenzenden Thoraxpartien, welche ZAK bei Aortendilatation beschrieben hat, findet auch v. LAMEZAN haufig bei Aortitis syphilitica, wahrend sie FRISCH vermiBt. Ich habe zur Zeit der Niederschrift au£ meiner Spitalsabteilung zwei Falle mit sehr schi:in ausgesprochenem Halbmondsymptom und habe es friiher und auch seither wiederholt bei Mesaortitis beobachtet. Die Galvanopalpation von KAHANE scheint nach Untersuchungen von LAMEZAN und DONATH keine diagnostisch wichtigen Behelfe zu liefern. L. FRANK und W. WoRMS finden regelmaBig bei Aortalgien eine paravertebrale hyperasthetische Zone in der Hi:ihe des zweiten bis vierten Dorsalsegmentes, welcher sie einen groBen Wert fiir die Erkennung des Zustandes beimessen. Die Pulsfreq uenz ist haufig nicht beeinfluBt. In einzelnen Fallen zeigt sich aber eine manchmal bedeutende Bradykardie (besonders bei komplizierendem Herz block). ScHOTTMULLER hat wiederholt paroxysmale Tachykardie bei Aortenlues beobachtet, jedoch ist dies nach meinen Erfahrungen kein haufiges Vorkommnis und ein zufalliges Zusammentreffen beider Affektionen nicht ausgeschlossen. Eine Differenz der Pulse in bezug auf ihre Fiillung kommt zuweilen vor. Man hat dann eine Verziehung der Abgangsstelle groBer GefiiBe oder eine Verengerung derselben anzunehmen. Bei Pulsus differens

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erfolgt bisweilen auch die Fiillung trager und ist der Blutdruck auf der Seite der kleineren Arterie vermindert (KuLBs). Eine Verspatung der Pulse ist aber bei reiner Aortitis nicht vorhanden, sondern kommt erst zustande, wenn Aneurysmen mit bestimmter Lagerung das Bild komplizieren. Ein zeitliches Zuriickbleiben der GefaBpulsation im ersten und zweiten Interkostalraum hinter dem VentrikelstoB beschreibt F. KRAUS. J. BRAUN hebt hervor, wie haufig (im Gegensatz zur Arteriosklerose) die Art. radialis bei deutlich erkennbaren Aortenveranderungen weich bleibt, wahrend HEIMANN mit Recht die oft erkennbare Verdickung der Arterienwand betont. Deutliche Su bk la via pulsation infolge Hochstandes des Subklaviabogens findet man bisweilen (Fa USE, KuLBS); jedoch ist das gleiche Zeichen bei Arteriosklerose vorhanden (TRUNEOEK). Das Herz erscheint bei der reinen Aortitis eher klein, in keinem Abschnitt hypertrophisch. Besonders bei der Rontgenuntersuchung ist die relative GroBendifferenz des Herz- und GefaBschattens auffallend (SOHITTENHELM, F. KRAUS, eigene Erfahrungen). Erst bei Hinzutritt einer Aortenklappenveranderung entwickelt sich eine manchmal bedeutende Hypertrophie des linken Ventrikels. Uber Kopfschmerz und Schwindel klagen die Kranken nicht selten. HEIM.ANN notiert Schwindel etwa in der Halite seiner Falle, jedoch erscheint mir diese Angabe fiir meine Kranken viel zu hoch. Der Kopfschmerz ist zumeist intermittierend, oft von Migranecharakter, in der Regel bei Tag und zessiert, wenn Patient einschlaft. Das Schwindelgefiihl ist manchmal sehr ausgesprochen und lastig, zeigt sich besonders bei Bewegungen (KuLBs) und ist nicht selten mit subjektiven Ohrgerauschen verbunden. Die Kranken horen ein fortwahrendes Sausen und Summen, manchmal deutlich rhythmisch, das sie sogar am Einschlafen hindert. Die initiale Insomnie ist eine haufige Klage der Aortitiker. Die zerebralen Erscheinungen diirften zumeist durch eine Miterkrankung der GehirngefaBe bedingt sein. Es ist ja sichergestellt, daB syphilitische Erkrankungen des Zentralnervensystems auBerordentlich oft von Mesaortitis begleitet sind. Wiederholt ist iiber ausgesprochene Psychosen bei Aortitis mit oder ohne Aorteninsuffizienz berichtet, namentlich bei beginnender Dekompensation und bei Niereninsuffizienz (MICKLE, SaaTHOF, GR.AU, REINHOLD). Albuminurie spielt zumeist keine hervorragende Rolle, zumeist ist sie nur transitorisch. Bisweilen aber kompliziert eine syphilitische N ephrosklerose den KrankheitsprozeB und ruft dann leicht zerebrale Symptome hervor.

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RoMBERG fand in einem Drittel seiner Falle eine Milzvergr6Berung. Ich habe eine solche viel seltener gesehen. Uber die Bedeutung der W assermannschen Reaktion und der ihr gleichwertigen Flockungsreaktionen, auch der Miillerschen Ballungsreaktion, fiir die Diagnose der Aortenlues gibt es schon eine groBe Literatur. Ich kann nicht auf alle Punkte eingehen, weil ich sonst manche Darlegungen in anderen Kapiteln dieses Werkes (Arthrolues, Leberlues, Syphilis des Magens) wiederholen miiBte, verweise deshalb auch auf diese Abschnitte. Die W assermannsche Reaktion ist bei sichergestellter Aortenlues viel haufiger negativ, als man von vornherein erwarten sollte. Man wiirde glauben, daB die Spirochatenwucherung in der Wand eines von Blut durchstromten GefaBes eher durch den Nachweis der die Wassermannsche Reaktion anzeigenden Globuline erkannt werden miiBte, als wenn die Treponemen sich im Gewebe befinden wiirden. Aber die Zahlen sprechen gegen eine solche Hypothese. ROMBERG teilt folgende Zahlen mit: Wahrend in 83% der Krankenhausfalle die Wassermannsche Reaktion positiv war, sank diese Zahl auf 52% der Falle der Privatpraxis. Da von den letzteren 76% die Infektion zugegeben hatten, so laBt sich die Differenz wohl nur auf die bessere bzw. konsequentere antiluetische Therapie zuriickfiihren. Meine Erfahrungen sind ahnlich wie die RoMBERGS. Unter unseren 88 Krankenhausfallen der letzten drei Jahre hatten nach den Zusammenstellungen von REDLICH und STEINER 74 positive, 14 negative Wassermannsche Reaktion. Auch MATTHES, GROEDEL-HUBERT, ScHOTTMULLER, ScHITTENHELM, ARNOLDI, KIMMERLE, WARTHIN, SCOTT betonen, daB negative Seroreaktion nicht unbedingt gegen Aortitis luetica spricht. Das gleiche erklart GRAU auf Grund autoptischer Befunde. THAYSEN und HESS kommen zu analogen Ergebnissen. Die von ARNOLDI mitgeteilte Zahl, daB in 95 % der Falle die W assermannsche Reaktion bei richtiger Ausfiihrung positiv ausfalle, ist gewiB viel zu hoch gegriffen. PRICE ist der Ansicht, daB die Wassermannsche Reaktion in spateren Krankheitsstadien zunehmend negativ wirtl. Gerade so wichtig als die eben besprochene Frage ist die Deutung einer positiven Wassermannschen Reaktion im Serum fiir die Erkennung der Aortenlues. Bei der groBen Haufigkeit einer symptomenarmen und beschwerdefreien Mesaortitis ist das Fehlen der Komplementablenkung cine Mahnung, das Verhalten der Aorta klinisch und namentlich radiologisch zu priifen. Irgendwelche Storungen von Seite des Zirkulationsapparates werden den Verdacht auf Aortenlues starken, wenn keine anderen Infektionskrankheiten vorausgegangen sind. Mussen wir uns doch vor Augen halten, daB die Verfolgung des weiteren Schicksals der Syphilitiker gezeigt hat, daB ein sehr betrachtlicher Prozentsatz

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4 bis 40 Jahre spater an Aortenlues erkrankt (27% der Falle unter 200 daraufhin untersuchten Syphilitikern nach BRuHNs). Die durch ziemlich zahlreiche Autopsien gestiitzte Statistik von PORT zeigt, daB bei positiver Wassermannscher Reaktion im vorgeriickten Lebensalter zumeist eine Aortitis luetica vorhanden ist, selbst wenn keine klinischen Symptome darauf hinweisen. Nach PoRT ist dieses Zusammentreffen von positiver Wassermannscher Reaktion und Aortitis nach dem 50. Lebensjahr die Regel; nach KIMMERLE und nach unseren Beobachtungen (REDLICH-STEINER) hingegen fehlt aber auch bei Aortitis des hoheren Lebensalters nicht selten die positive Wassermannsche Reaktion. Positive oder negative Wassermannsche Seroreaktion bei zentraler Lues zeigt in einem groBen Prozentsatz der Falle eine Mesaortitis an. FRISCH (Wien) fand unter 115 Fallen von Nervenlues in 39% sichere Aortenveranderungen, am haufigsten bei der Tabes (in 48%), in 29% der Falle von progressiver Paralyse und in 35% bei Lues cerebrospinalis. Die Aortenveranderungen verlaufen bei diesen Prozessen in der Regel ohne subjektive Symptome. Zu noch hoheren Zahlen gelangt KESSLER (der auch Wiener Material verarbeitete); er findet in 66% der Tabesfalle syphilitische Aortitis. ALZHEIMER stellt in 74%, STRAUB in 82% der Paralytiker eine Mesoartitis fest. COENEN erhob fiir die in der Salvarsanperiode beobachteten Paralytiker in zirka 43% eine Mesaortitis, wahrend in einer friiheren Periode (vor der Einfiihrung des Salvarsan) nur 22% der Paralytiker eine spezifische Aortenerkrankung akquirierten. Auch BERSCH fand bei der Halfte der von ihm obduzierten Paralytiker eine luetische Aortitis, PoPov unter 41 Kranken mit Nervenlues 2lmal Mesaortitis. Unter 88 in den drei letzten Jahren auf meiner Abteilung beobachteten Fallen von Mesaortitis waren zwolf mit luetischen Erkrankungen des Zentralnervensystems (fiinf mit Tabes, drei mit Paralyse, vier mit Lues cerebrospinalis). Sechs Falle betrafen Manner, sechs Frauen. Unter 73 sicheren Fallen von Aortitis im hoheren Lebensalter sah KIMMERLE 22 Tabiker. WITTE fand in einem Materiale von 599 Paralytiker-Autopsien, daB die Mesaortitis im Mittelpunkte des anatomischen Bildes steht. Wenn die Mesaortitis zur Aorteninsuffizienz gefiihrt hat (siehe spater), so wachst der Prozentsatz der Falle mit positiver Seroreaktion. MORITZ stellt bei reinen Aortenfehlern in 55% positive Wassermannsche Reaktion fest. Wir konnen zusammenfassen: Positive Wassermannsche Seroreaktion mac ht Aortenl ues um so wahrscheinlicher, j e alter der Kranke und je ausgesprochener die HerzgefaBerscheinungen sind. Negative Wassermannsche Reaktion darf nicht gegen die Annahme einer Aortitis verwendet

Folgeerscheinungen und Komplikationen der Aortitis

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werden. Zentrale Lues spricht bei positiver oder negativer Wassermannscher Reaktion fiir das Bestehen einer Aortensyphilis, besonders wenn es sich um Falle handelt, welche mit Salvarsan behandelt worden waren.

b) Folgeerscheinungen und Komplikationen der Aortitis Die Aortitis syphilitica geht oft mit Folgeerscheinungen einher. Die haufigsten derselben sind: Die Aorteninsuffizienz, die Angina pectoris, die Herzinsuffizienz unter dem Bilde des Asthma cardiale und die Aneurysmenbildungen der Aorta. 1. Die syphilitische Aorteninsuffizienz

Die Aorteninsuffizienz entwickelt sich wie die Aortitis unmerklich, schleichend. Sie stellt zumeist wenigstens im Beginne einen zufalligen Befund dar, lenkt dann aber erst die Aufmerksamkeit auf das Bestehen einer Aortitis. Bei jiingeren Kranken, welche keine endokarditische Anamnese besitzen, ist der Befund einer Aorteninsuffizienz in vielen Fallen gleichbedeutend mit der Annahme einer Lues. Aber auch im reiferen und selbst im hoheren Alter ist die luetische Aorteninsuffizienz sehr haufig. ROMBERG konstatierte bei einem Drittel seiner Kranken mit Aortitis diese Komplikation. Er nimmt an, daB zwei Drittel aller Aorteninsuffizienzen luetischer Genese waren. PLETNEW findet mehr als die Halfte der Aorteninsuffizienzen luetischen Ursprungs (unter 226 Fallen 128 durch Syphilis verursacht). Noch hOhere Zahlen geben DENEKE (75%) urnI CITRON (80%) an. HEIMANN hatte unter 105 Aortitisfallen des Londoner Herzspitales 81 mit Aorteninsuffizienz. Ich muB L. BRAUN beistimmen, daB solche Werte - wenigstens fiir das Wiener Krankenmaterial - nicht ganz zutr.effen. Sie stellen sich etwas niedriger. Unter unseren letzten 88 Krankenhausfallen von Mesaortitis waren nach der Zusammenstellung von REDLIOH-STEINER 21, also 25% mit Aorteninsuffizienz. GANTER findet ahnliche Zahlen wie wir: Unter 61 reinen Aortenfehlern 20% Lues. Das mittlere Lebensalter ist das bevorzugte. Nach HEIMANN war der Durchschnitt der Kranken 48 Jahre alt; jedoch kommt die syphilitische Aorteninsuffizienz auch im jugendlichen Alter auf dem Boden einer hereditaren Lues zustande. So teilt L. BRAUN den Obduktionsbefund einer Aorteninsuffizienz mit Aortitis syphilitica bei einem lOjahrigen Knaben mit. Ich habe, soweit ich mich erinnere, drei Falle im Alter zwischen 12 und 20 Jahren beobachtet, auf einen Fall bei einem 19jahrigen Madchen komme ich im Kapitel Stenokardie zuriick. REICHE teilt die Krankengeschichte einer 25jahrigen Patientin mit, deren Mutter ein Jahr nach der Geburt des Kindes schon manifeste tabische Zeichen Schlesinger, Syphilis. III.

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Aortitis syphilitioa

darbot. HocHSINGER sah bei zwei K.indem von 11 und 13 Jahren luetische Aorteninsuffizienz. KOPPANG sah einen 20jahrigen Jungling mit Erblues und Angina pectoris. Auch das Senium bleibt von der syphilitischen Aorteninsuffizienz nicht verschont. Im allgemeinen geht die Alterskurve dieser Mfektion mit der der Aortitis parallel (cf. den betreffenden Abschnitt). Das gleiche gilt vom Geschlecht. Die Klappenerkrankung scheint, wenigstens im mittleren Lebensalter, bei Frauen etwas seltener als bei Mannem zu sein. Unter 88 in den letzten Jahren auf meiner Abteilung beobachteten Fallen waren 56 Manner, 32 Frauen. HEIMANN aber sah 97 Manner, 8 Frauen. Mit den klinischen Eigentiimlichkeiten haben sich verschiedene Autoren, so GRAU, L. BRAUN, ROMBERG beschaftigt. Der linke Ven trikel erscheint in der Regel, wenn iiberhaupt, nur maBig hypertrophisch. Ich kann dieses mehrfach in der Literatnr mitgeteilte Verhalten nach meinen Erfahrungen bestatigen. Die Angabe von HEIMANN, daB er zumeist Hypertrophie des linken Ventrikels gefunden habe, steht ziemlich vereinzelt da. GRAU glaubt, daB die Dilatation der Aorta ascendens zu einem geringeren Zuriickstri:imen des Blutes in das Herz fiihre. Dies erklare die relativ geringe linksseitige Ve.ntrikelhypertrophie. L. BRAUN meint hingegen, daB mehrere Faktoren in Betracht kommen: 1. Der Grad der Klappeninsuffizienz ist geringer und dadurch die Regurgitation weniger erheblich. 2. Kompensatorische Klappendehnungen sind anscheinend leichter moglich und die Liicke durch die Klappenverlangerung verkleinert. 3. Die peripheren GefaBe sind relativ wenig geschadigt, daher die Widerstande nicht vermehrt. 4. Die oft vorhandene Verdickung des freien Klappenrandes kann als kompensatorischer Faktor wirken, wenn die Beweglichkeit der Klappen dadurch nicht leidet. Wenn wir in Betracht ziehen, daB auch bei reiner Mesaortitis ohne Aortenklappenerkrankung eine erhebliche Herzhypertrophie oft ausausbleibt, so mogen vielleicht auBer den genannten noch andere Ursachen hiefiir vorhanden sein. Ich abstrahiere von der ausbleibenden Ventrikelhypertrophie bei starkerer Erkrankung der KoronargefaBe, wenn die Ernahrung des Herzmuskels insuffizient wird. Man kann auch an eine Sti:irung nervi:iser Reflexmechanismen denken; auch die fehlerhafte Ubertragung von Reizen ki:innte das Ausbleiben einer Herzhypertrophie bewirken. Es ist uns ja der Gedankengang nicht fremd, daB Erkrankungen von Organen oder Ki:irperteilen den Emahrungszustand benachbarter oder funktionell zugehoriger Muskelgruppen beeinflussen. So ist bei Spitzentuberkulose oft die die Skapula deckende Muskulatur atrophisch; bei Knochentuberkulose kommt es haufig zu einer zirkum-

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skripten Abmagerung der Muskulatur iiber der erkrankten Stelle. Bei Gelenkerkrankungen scheint die ,,arthritische Muskelatrophie" oft reflektorischer Natur zu sein. Und daB an inneren Organen ahnliches moglich ist, zeigt die schon mehrmals von mir an riistigen, kraftigen alteren Personen erhobene Beobachtung des Ausbleibens einer Darmwandhypertrophie bei anatomischen Hindernissen des Darmrohres. Der Auskultationsbefund ergibt einige Besonderheiten. Das diastolische Gerausch pflanzt sich weit nach oben zu fort, bis zu den Klavikeln, ja bis zu den Karotiden. Das Punctum maximum ist nach KUHNEL, auch nach WENCKEBACH im zweiten und ersten Interkostalraum rechts neben dem Sternum. Es scheint dies etwas haufiger zu sein, als in Fallen von der endokarditischen Insuffizienz, bei welcher das diastolische Gerausch oft mehr nach links oder nach unten zu, am Erbschen Punkte (Ansatzpunkt der 3. Rippe) oder am unteren Sternalende besser zu horen ist. J edoch ist ein durchgreifender Unterschied in bezug auf das auskultatorische Verhalten zwischen luetischer und endokarditischer Aorteninsuffizienz nicht vorhanden, wie ich im Gegensatze zu den Erfahrungen von L. BRAUN feststellen mochte. Denn wiederholt habe ich das diastolische Gerausch auch bei Mesaortitis iiber dem ganzen Herzen bis zur Herzspitze (Flintsches Gerausch) gehort. L. BRAUN erklart diese leichtere Fortpflanzung des Gerausches nach oben zu mit der groBeren passiven Beweglichkeit des Herzens durch die Dilatation der Aorta ascendens. Das diastolische Gerausch ist in der Regel weich und blasend und unterscheidet sich in seinen Charakteren, wie ich A. FRANKEL beipflichten muB, nicht von denen der endokarditischen Insuffizienz. Man hort, namentlich bei beginnender Insuffizienz neben dem diastolischen Ton, demselben vorausgehend einen lauten zweiten Ton (STADLER). Fast immer begleitet ein oft rauhes systolisches Gerausch das vie) weichere diastolische Aorteninsuffizienzgerausch, welches nur ausnahmsweise als Schwirren fiihlbar ist. Das anatomische Substrat hiefiir ist fast nie eine Stenose des Aortenostiums; dieser letztgenannte Fehler ist auch nach meinen Erfahrungen, welche sich mit denen von ROMBERG, L. BRAUN, MATTHES decken, auBerst selten luetischer Natur. Manchmal hort man noch neben dem systolischen Gerausch einen schwachen systolischen Ton. Pulsus celer an den peripheren Arterien, auch bei der Rontgendurchleuchtung an der Aorta, Kapillarpuls sind in meinen Fallen fast immer nachweisbar gewesen (im Gegensatze zu GRAU). Auch kommt die Zeleritat des Pulses im Sphygmogramm zum Ausdruck. Nach ARNOLDI sind die arteriellen Druckschwankungen oft nicht so deutlich ausgepragt als die venosen in der Armvene. JURGENSEN betont, daB der Nachweis des Kapillarpulses die Friihdiagnose der Aorteninsuffizienz stiitzen konne. 3*

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Aortitis syphilitica

Hingegen habe ich nicht immer Tonen der Arterien gefunden. Der Doppelton iiber der Femoralis ist weder bei der syphilitischen, p.och bei der endokarditischen Aorteninsuffizienz in der Mehrzahl der Falle vorhanden. Ausgesprochene Blasse der auBeren Deeken kommt nach L. BRAUN nur bei Individuen mit komplizierender Erkrankung der Koronararterien zustande; aber auch das trifft nach meiner Erfahrung nicht immer zu. Man sieht nicht selten Kranke mit Mesaortitis und sehr guter Gesichtsfarbe, welche iiber anginose Zustande klagen. A. FRANKEL meint, daB als Friihsymptom (noch vor dem Auftreten auskultatorischer Phanomene) eine pramonitorische VergroBerung der Pulsamplitude zu finden sei. Die der endokarditischen und auch der atheromatosen Aorteninsuffizienz so haufig zukommenden Bewegungsphanomene, wie rhythmische Erschiitterung des Kopfes (Mussetsches Zeichen), die von F. v. MULLER und mir beschriebene rhythmische Vereingerung des Rachenringes, die regelmaBigen Bewegungen einzelner Extremitatenabschnitte bei bestimmter Haltung sind bei der luetischen Aorteninsuffizienz entschieden seltener. Zwar meint HERZOG, daB das Mussetsche Symptom der Aortitis syphilitica haufig zukomme, ich habe es aber entschieden seltener gesehen als bei Aorteninsuffizienz anderen Ursprunges. Das ,,AufstoBen" der Blutsaule, besonders in der rechten Fossa supraclavicularis (F. KRAus), war auch in vielen meiner Beobachtungen deutlich. Seltener als bei der endokarditischen Aorteninsuffizienz ist die Kombination mit einer anatomischen Veranderung der Mitralklappe. lch fand diese Kombination unter 20 Fallen von syphilitischer Aorteninsuffizienz (in den letzten Jahren beobachtet) sechsmal. Diese relativ hohe Ziffer diirfte, durch die Kleinheit des Materials bedingt, zufalliger Natur sein. Fiir die Annahme einer luetischen Mitralerkrankung (DUMAS-BRUNAT) fehlt jede anatomische Grundlage. Eine Differenz des systolischen Gerausches in der Klangfarbe gegeniiber dem Aortengerausche, die nachgewiesene Hypertrophie des rechten Ventrikels und mitrale Konfiguration im Rontgenbilde miissen fiir die sichere Diagnose gefordert werden. Eine Aorteninsuffizienz ohne Gerausch, von welcher in der Literatur ofters die Rede ist (SCHOTTMULLER), habe ich bisher nicht gesehen. In alien autoptisch nachgewiesenen Fallen von syphilitischen Aorteninsuffizienzen hatte ich in vita das diastolische Gerausch gehort. Die relative Aorteninsuffizienz, welche bisweilen nach ScHOTTMULLER, BoucHuT-GRIVET, eigene Beobachtungen vorkommt und bei welcher die Autopsie keine Veranderungen der Klappen aufzeigt, kann wohl kaum in vita mit Sicherheit als solche erkannt werden. Vielleicht sind manche dieser Falle durch die neueren Befunde von DoEHLE zu erklaren. Es schiebt sich gewuchertes Gewebe der Aortenwand zwischen

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die Ansatzstellen der Klappen und treibt sie dadurch etwas auseinander. Selbst bei KlappenschluB bleiben schmale Rinnen bestehen,