Sylt: Ein Führer durch die Inselwelt [4. Aufl., Reprint 2020] 9783112317914, 9783112306642

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German Pages 148 [164] Year 1968

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Sylt: Ein Führer durch die Inselwelt [4. Aufl., Reprint 2020]
 9783112317914, 9783112306642

Table of contents :
Vorwort zur 4. Auflage
Aus dem Vorwort zur 3. Auflage
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung
NATUR
KULTUR
Nachwort
Literatur- und Quellenverzeichnis
Personen- und Sachregister

Citation preview

K O E H N • SYLT

Meiner Schwester GERTRUD gewidmet

HENRY KOEHN

SYLT EIN FÜHRER DURCH DIE INSELWELT

4. neu bearbeitete Auflage 1968

C R A M , DE G R U Y T E R & CO HAMBURG

Bearbeitet und herausgegeben von Eva Koehn und Herbert Krause

Mit 39 Aufnahmen des Verfassers, 2 Abbildungen nach Prof. Dr. Karl Kersten und einer Karte. Kardiographie: Horst W. Auricht, Reinbek

©

Copyright 1 9 j i by Cram, de Gruyter & Co., Hamburg 13 Alle Rechte, insbesondere das Ubersetzungsredit, vorbehalten Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck

Vorwort zur 4. Auflage Dieses ist die erste Auflage des Sylt-Führers von Henry Koehn, die er nicht selbst berichtigen und ergänzen konnte, da er am 1. Mai 1963 verstarb. Wir haben am Aufbau des Werkes nichts geändert, da uns die von Henry Koehn gewählte Gliederung des Stoffes auch heute nodi sinnvoll erscheint. Sofern es sachliche Veränderungen nicht erforderlich machten, haben wir auch die bisherige Textfassung weitgehend übernommen. Mit der Absicht, diesen Inselführer auf den heutigen Stand zu bringen, haben wir die neuere Sylt-Literatur berücksichtigt und zahlreiche Informationen von Wissenschaftlern, Fachleuten und amtlichen Stellen in den Text neu aufgenommen. Die grundlegende Überarbeitung des Kapitels „Erdgeschichte" besorgte freundlicherweise der Oberlandesgeologe Dr. Curt Dietz, die des Kapitels „Sprache" der Rektor i. R. Hermann Schmidt. Allen, die durch Auskünfte und die fachliche Beratung der Bearbeiter die Veröffentlichung gefördert haben, sei hiermit herzlich gedankt. Kampen/Sylt und Hamburg, im April 1968

E V A KOEHN u n d HERBERT KRAUSE

Henry Koehn, 20. VI. 1892 - 1 . V. 1963

Aus dem Vorwort zur 3. Auflage Der Verfasser dieser Abhandlung stammt mütterlicherseits vom 18. Jahrhundert her von der westfriesischen Insel Vlieland. E r lernte Sylt zuerst im Jahre 1912 kennen. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt nach dem ersten Weltkrieg im Innern von Java gab ihm 1922 das Werk von Oswald Spengler „Der Untergang des Abendlandes" den Anstoß zum Studium der Kulturgeschichte. Die persönliche Verbindung mit Spengler währte bis zu dessen Tod 1936. Vier Jahre kulturmorphologischer Arbeiten waren von 1923 ab im Forschungsinstitut von Leo Frobenius der Völkerkunde von Afrika gewidmet. Es folgten danach Studien mit eigenen Reiseunternehmen in verschiedenen europäischen Ländern, und zwar vornehmlich im Norden unseres Erdteiles. Von 1928 bis 1939 wurden die Nordfriesischen Inseln systematisch durchforscht. Es war der Versuch, ein in sich geschlossenes Gebiet allseitig im Zusammenhang zu erfassen. Unter dem Titel „Die Nordfriesischen Inseln. Die Entwicklung ihrer Landschaft und die Geschichte ihres Volkstums" erschien 1939 ein Niederschlag dieser Arbeit. Im Jahre 1961 konnte bereits die 5. erneuerte Auflage dieses Werkes veröffentlicht werden. Die Sinngebung des kleinen Buches besteht darin, daß es ein Hinweis auf all die vielen Werte sein soll, die die Inselwelt in den Bereichen ihrer Natur und Kultur besitzt. Möge diese geistige Erschließung mit dazu beitragen, daß alle Kräfte eingesetzt werden, die der Erhaltung dieser Werte dienen können. Die Beschreibung von Sylt ist nicht in Form eines sonst üblichen Reiseführers erfolgt. Es schien dem Verfasser sinnvoller und für den Leser nützlicher, sie nach stofflichen Gesichtspunkten zu gruppieren. Das beigefügte Sach- und Personenverzeichnis ermöglicht ein leichtes Auffinden des Gewünschten im Text. Auf einer beigegebenen Karte sind die wichtigsten örtlichkeiten verzeichnet. HENRY KOEHN

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort Inhalt

5 11 13

Einleitung

NATUR Inselraum • Allgemeines Inselraum • Erdgeschichte Meeresraum Luftraum Pflanzenwelt Tierwelt

14 21 29 46 57 66

KULTUR Vorgeschichte Geschichte Hausbau Tracht und Schmuck Sprache Seefährt Landwirtschaft Geistesleben Nachwort Literatur- und Quellenverzeichnis Personen-und Sachregister

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Einleitung Die nordfriesischen Uthlande weisen je nach Insel und Hallig bestimmte Landschafttypen auf. J e öfter man die Inseln bereist und je aufmerksamer man sie beobachtet und durchforscht, um so deutlicher spürt man die Eigennote. Die Lage, Größe und Gestalt von Sylt läßt schon auf der Karte seine besondere Eigenart erkennen. Hier ist die Landschaft ursprünglich und einfach, alt und jung, in sich ruhend und beweglich, friedlidi und gewaltsam, kleinförmig und großräumig. Übergänge aller Art stehen neben schroffen Gegensätzen, Verbindungen neben Vernichtungen. Jahrmillionen der Erdgeschichte und die Spuren von Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte liegen offen vor unseren Augen. So erklärt sich die oftmals gewiß unbewußte Anziehungskraft, die Sylt, abgesehen vom Badeleben, das auch andere Seebäder bieten, für viele Menschen besitzt. Es müßte das Anliegen und der Reiz eines jeden Reisenden sein, das Eigenwesen dieser Landschaft zu erfassen, damit sie ihm zum Erlebnis wird. Hierzu bedarf es keiner wissenschaftlichen Studien, im Grunde genommen nur der Aufgeschlossenheit und Einfühlung. Daß die Vorbereitung an Hand von Literatur den Eindruck verstärkt und vertieft, ist nur natürlich. Diesem Zweck mögen die folgenden Ausführungen über die Natur und Kultur auf Sylt dienen.

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NATUR Inselraum • Allgemeines Aus den Vertikalkräften der Erdkrustenbewegungen und den Horizontalkräften der Wassermassen ergibt sich das vielgestaltige Bild, das uns die Uthlande heute nach Lage, Form, Größe, Höhe, Bodenbeschaffenheit und Alter zeigen. Diese Faktoren bestimmen auch das Leben auf den Inseln. Die Nordfriesischen Inseln setzen sich aus den drei großen, tertiären Geestinseln Sylt, Amrum und Föhr im Norden, aus den nacheiszeitlichen, alluvialen beiden großen Marschinseln Nordstrand und Pellworm (ursprünglich Altnordstrand) im Süden und den zehn jungen, erst seit dem Mittelalter (nach 1362) bestehenden kleinen Marscheilanden der Halligen, die sich kreisförmig um Pellworm herumziehen. Sylt ist die größte der Nordfriesischen Inseln und der Lage nach die nördlichste. Der Ellenbogen, der nördliche Ausläufer des Listlandes, ist das nördlichste Grenzgebiet von Deutschland, List der nördlichste Ort der Bundesrepublik. Die Insel erstreckt sich zwischen 54°44' und 55°03' nördlicher Breite sowie zwischen 8° 16' und 8°3o' östlicher Länge. Sie liegt damit auf einer annähernd gleichen Höhe wie Königsberg und wie Newcastle in England. Die Insel ist der Westküste von Schleswig-Holstein in einer Entfernung vorgelagert, deren geringster Abstand 8 km (Nössespitze-Lübke-Koog) und deren weitester 27,5 km (Hörnum-Dagebüll-Nord) beträgt. Die Entfernung zur englischen Ostküste beläuft sich auf der Höhe der Humbermündung auf 580 km. Wie erreicht man die Insel Sylt? Mit der Bundesbahn über den Hindenburgdamm bis zum Bahnhof Westerland, mit dem Auto ab Niebüll im Autozug ebenfalls über den Hindenburgdamm oder über die dänische Insel Rom, die durch einen Damm mit dem Festland verbunden ist. Von Havneby auf Rom kann man sich mit dem Auto auf einem Fährschiff der Lindinger-Reederei in 45 Minuten nach List auf Sylt übersetzen lassen. Die An- und Abfahrt per Schiff ist mit den Seebäderschiffen des Hapag-Hadag-Seebäderdienstes von Hamburg über Helgoland nach Hörnum und zurück möglich. Kreuzfahrten ab Hörnum durch die Nordfriesische Inselwelt und nach Helgoland, ab List nach

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Havneby und Esbjerg veranstaltet die W y k e r Dampfschiffahrts-Reederei. Z u erwähnen sind hier noch die Ausflugsfahrten der Fischkutter nach Dänemark und zu den Seehundsbänken ab List. Auch auf dem Luftweg kommt man nach Sylt: Mit den Maschinen der „General Air" von Hamburg nach Westerland im Direktflug oder mit Zwischenlandungen in Neumünster und Kiel. Während der Saison führt das Germania-Reisebüro Non-Stop-Flüge von Berlin nach Westerland und zurück durch. Der öffentliche Personenverkehr auf der Insel wird durch die Sylter Verkehrsgesellschaft mbH betrieben. Die Inselbahn fährt von Hörnum über Rantum, Westerland, Wenningstedt, Kampen nach List. Von List nach Westerland und nach Keitum und Archsum fahren Busse der gleichen Gesellschaft, ferner als Stadtverkehrslinie in Westerland. Außerdem finden Inselrundfahrten statt. Die von Ellenbogen bis Hörnum-Odde reichende Westküste hat eine Länge von 38,5 km. Die Breite der Insel schwankt zwischen 400 m (am Königshafen - Listland) bzw. 600 m (beim Rantum-Becken und ebenso südlich Rantum-Burgtal) und 12,6 km (Westerland-Süd bis Nösse-Ostspitze). Die gesamte Uferfläche beträgt nach Feststellung durch das Katasteramt Niebüll 107 km, für Föhr 37 und f ü r Amrum 34 km. Die Westküste verläuft von Hörnum bis Westerland annähernd Nord-Süd und weicht von dort bis zum Ellenbogen um etwa 19 0 nach Osten ab. Westerland bildet somit einen Scheitelpunkt. E r ist dadurch bedingt, daß verschiedene Hauptströmungen der Nordseegezeiten sich vor der Sylter Westküste vereinigen, der Hauptstrom auf Westerland stößt und sich hier so teilt, daß je ein Küstenstrom nach Nord und Süd an der Insel entlangstreicht. Dieser Küstenstrom ist für das Wattenmeer zugleich Flut- und Ebbstrom. Die Abweichung d e r nördlichen Inselhälfte ist hauptsächlich durch den vorherrschenden Südwestwind verursacht, der hier in stärkerem Maße Abbruch bewirkt. Auf der Höhe des Königshafens bei Profil 32 erreicht der Abbruch sein größtes Ausmaß. Hier sind von 1870 bis 1966 im ganzen 418 m, also pro Jahr durchschnittlich 4,37 m Inselboden verlorengegangen. Der Flächeninhalt der Insel beträgt laut Katasteramt nach dem Stand vom 1. 1. 1967 99,15 qkm (einschließlich Rantum-Becken). Für die

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einzelnen Gemeinden ergeben sich folgende Flächengrößen: Archsum - 678,7060 ha, Hörnum - 716,9066 ha, Kampen - 868,7458 ha, Keitum - 1040,2402 ha, List - 1918,0226 ha, Morsum - 1163,8659 ha, Rantum - 741,0608 ha, Tinnum - 750,9848 ha, Wenningstedt - 636,5541 ha, Westerland - 842,5128 ha, Rantum-Becken - 560,2718 ha. Das ergibt eine Gesamtgröße von 9916,9914 ha. Durch Abbruch und Anlandung finden jedoch laufend Veränderungen statt. Die höchste Erhebung der Bodenoberfläche beträgt nach der Landesaufnahme von 1953/54 27,2 m ü. N . N . Auf ihr, südlich von Kampen, wurde 1855 ein Leuchtturm von 38 m Höhe errichtet. Die höchste Dünenerhebung ist mit 52,5 m ü. N . N . die Uwe-Düne bei Kampen, die dem hier etwa noch 25 m hohen Roten Kliff aufgelagert ist. Sie liegt südlich des Gebietes, auf dem früher das Kurhaus stand. Weitere größere Dünenerhebungen sind von N o r d nach Süd die folgenden: Jensmetten Berg westlich List 30,4 m; Sand Berg westlich List 34,7 m; Sütterknoll im Südwesten von List 36,9 m; die große Wanderdüne (etwa 1 km lang) bei den Norder Strandtälern inmitten des Listlandes 26,4 m; Düne westlich Blidselbucht 30,9 m; Düne im Nordosten von Klappholttal 34,3 m; die Stranddünen beim Denghoog von Wenningstedt 42,8 m. Auf dem Südhaken erreichen die höchsten Dünen und die Thörnhörndüne südlich Puan Klent 23 m; der Budersandberg im N o r den von Hörnum 32 m; die sonstigen Dünen bei Hörnum bis zu 27 m. Der Raum der Nordfriesischen Inseln bildet landsdiaftskundlich eine Wattenmeer-Kliffküste. Auf Sylt finden w i r alle Charakteristika dieser Landschaftsform. Die Insel wird nach Westen durch die offene Nordsee, nach Osten durch das Wattenmeer begrenzt. Die Gestalt des Inselkörpers ist einmal durch die erdgeschichtlichen Veränderungen der letzten Jahrtausende, v o r allem aber durch die Wirksamkeit von See und Watt, vornehmlich seit dem Mittelalter geformt worden und unterliegt auch heute noch steter Veränderung. W i n d und Wasser sind die Hauptwirkungselemente der Natur. V o n allen Nordseeinseln ist Sylt beiden am stärksten ausgesetzt. In dem mit vielen Karten ausgestatteten W e r k von Caspar Danckwerth „ N e w e Landesbeschreibung der zwey Herzogthümer Schleswich und Holstein" aus dem Jahre 1652 sind mehrere Darstellungen von Sylt aus jener Zeit enthalten. Die Karte von 1240 kann nicht als 16

zuverlässig gelten. Die Wiedergabe der Insel auf dem Blatt „Das Ambt Tondern Anno 1648" entspricht im Prinzip den heutigen Verhältnissen. Aus den Bestätigungen auch anderer Überlieferungen wissen wir, daß im Mittelalter und noch danach zahlreiche Inselorte dem Meer und auch dem Sandflug zum Opfer gefallen sind. Hierüber seien nur einige Angaben gemacht. Inmitten der Dünen westlich des heutigen Ortes List hat einstmals ein Listum gelegen, das vermutlich in der großen Flut von 1362 (Rungholtflut) seinen Untergang gefunden hat. Heute noch erhaltene Kulturspuren dieser Stätte sind uns bekannt. Der erste Ort List soll vom Meer verschlungen worden sein. Das jetzige Blidsel leitet seinen Namen von einem früheren Ort Blidsum oder Blydum ab, von dem Reste, wie der Chronist C. P. Hansen schreibt, um 1859 in den dortigen Dünen noch nachzuweisen waren. V o r Wenningstedt hat der Überlieferung nach das vermutlich wie Alt-List ebenfalls 1362 in den Fluten versunkene Wendingstadt gelegen, von dem aus die Angelsachsen die Überfahrt nach England angetreten haben. Westerland führt seine Enstehung auf den Ort Eidum zurück, der einst im Südwesten des heutigen Stadtgebietes lag. E r war aber schon ein Nachfolgeort eines gleichnamigen, der noch weiter westwärts gelegen hatte. Das zweite Eidum wurde in der Allerheiligenflut von 1436 zerstört. C. P. Hansen berichtete 1868 über die Entstehung von Westerland folgendes: „Die (seit Allerheiligen 1436) übrig gebliebenen Eidumer baueten sich mehrenteils jetzt nordöstlicher, auf einer höheren, ehemaligen Haidegegend voller altheidnischer Grabhügel wieder an, nannten diese neuen Dorftheile die Hedigen (Hedken), nemlich Südhedig, Osthedig, Nordhedig und Westhedig, verschmäheten aber, ihr Kirchspiel noch nach dem treulosen und radisüchtigen heidnischen Meeresgotte (Eigir) Eidum zu nennen, sondern nannte dasselbe von nun an stets Westerland, so daß von 1450 an der alte Kirchspielnahme aufhörte." Ein ähnliches Schicksal erlebte Rantum. C. P. Hansen führt auf seiner „Antiquarischen Karte der friesischen Bergharden" einschließlich des heutigen Ortes vier Stätten dieses Namens auf. Alt-Rantum, der dritte Ort, fiel 1801 dem Sandflug zum Opfer. In diesem Jahr staute sich der Dünensand bereits bis zu den Fenstern der Kirche hinauf. Vom Abbruch der Insel bei Rantum im 18. Jahrhundert schreibt der

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Sylter Schiffskapitän und Chronist Henning Rinken ( 1 7 7 7 - 1 8 6 2 ) : „ W i e es in der Gegend bei Rantum abgenommen hat, kann aus Folgendem beurtheilt werden: 1725 stand die vorletzte Kirche noch i62/3 Ruthen von den Dünen entfernt; von dem Westkirchhofwall bis zu den nächsten Dünen war noch ein schönes Stück Grasland vorhanden; dennoch mußte diese Kirche wegen Untergang vom Sande 1757 abgebrochen werden, und in selbigem Jahre wurde die letzte Kirche gebaut (südöstlich von der früheren). - Also waren innerhalb 32 Jahren die Dünen i62/3 Ruthen oder 100 Schritte nach Osten fortgerückt. (Die Häuserzahl war in derselben Zeit aus ähnlichen Ursachen von 40 auf 26 vermindert worden.) - 1794, den 26. Januar, mit einem starken Sturm und hoher Fluth nahmen die Sanddünen geradezu neben Rantum in ihrer Breite 36 Schritte ab (die See hatte während des Sturmes 36 Schritte oder 100 Fuß von der Westseite der Dünen weggespült), und es blieben nur 24 Schritte Dünenbreite übrig. Mit diesem Sturm kam der alte Kirchhof zum Vorschein. Ein schauderhafter Anblick! Die Hälfte von der Länge der Gräber war über das sogenannte Kliff hinabgestürzt. Die Wellen hatten die Asche der Todten aus den Gräbern gespült, und so konnte man unter die gewölbten Grabeshügel von Westen hineinsehen, wo die Vorväter dereinst zur Ruhe hinabgesenkt waren. Der alte Schwibbogen der Kirche, aus Feldsteinen und Kalk gemauert, kam außer der obersten Rundung unter den Dünen hervor. Ich ging diesen Winter zur Confirmation nach Westerland und hatte jeden Tag diesen Anblick. 1795 brachen meine Eltern unser Haus in Rantum ab und zogen nach Westerland." Wenn der Weststrand von Rantum gelegentlich sandfrei wird, kann man dort noch Siedlungsspuren wie Brunnenringe aus Soden, in den festen Kleiboden eingedrückte Spuren von Rinderhufen, Wagenrädern und anderes sehen. Das Wattenmeer der Nordfriesischen Inseln zeigt an vielen Stellen, teils über weite Flächen hin, Spuren vergangener Tage. Viele gehen auf die Flut von 1634 zurück, als Altnordstrand unterging, aber auch auf die Flutkatastrophe von Rungholt im Jahre 1362; andere Spuren reichen bis in die Vorzeit zurück. Daß Sylt alle typischen Landschaftsformen einer Geestinsel zwischen Wattenmeer und offener See besitzt, wurde bereits erwähnt. Sie 18

bestehen aus den Stränden und Wattufern, der Geest und Marsch, den Dünen und Heiden, den Flachländern und Hügelzonen und schließlich den Kliffs. W e r diese Vielfalt der Formen an einer Stelle der Insel erleben will, findet sie bei Kampen. Auf einem W e g von zweieinhalb Kilometern vom Meer bis zum Watt sieht er hier den Strand, das Kliff, die Dünen und Heiden, die Wattwiesen und schließlich das Wattufer. Der Wechsel erfolgt über das höchste Höhengelände der Insel, das nach allen Seiten hin die verschiedensten Fernblicke ermöglicht. Nach Norden hin fällt es zum einstigen Kliffrand des Geestkörpers bei Kliffende ab und geht in das Dünengebiet des Listlandes über. Der prachtvolle Ausblick von der hohen Uwe-Düne auf den Norden der Insel mit seiner seltsamen Hakenbildung des Ellenbogens, die künstlerische Formung und Tönung einer scheinbar aller Erdenschwere ledigen, zwischen zwei Wassern schwimmenden Dünenlandschaft steigert sich hier ins Uberwirkliche. Der Eindruck wird noch durch den ständigen Wechsel der atmosphärischen Stimmung verstärkt. Wenn die Sandberge der Dünen Wogenbildungen des Windes sind, so haben die Kräfte der Eiszeit durch Ablagerung und Auswaschung (Erosion) der Oberfläche von Sylt auch ein Relief, eine Dünung gegeben. Von dem Mittelrücken der Insel aus verlaufen Schmelzwassertäler nach allen Seiten. Sie bilden reizvolle Schluchten im Gelände, wie die Wuldeschlucht bei Kampen, das weiter südlich gelegene Puktal, die Talung zum Hafen von Munkmarsch hinunter, das Apdeel bei Wenningstedt und andere mehr. Die Geest, in der vorletzten Eiszeit vor etwa 180 000 Jahren durch Ablagerung von Geschiebelehm geschaffen, die beiden Hakenbildungen im Norden und Süden aus jüngerer Zeit sowie die Marschländereien und Anwachswiesen haben das Bild der Insel geprägt. Die langwelligen Hügelzüge der Geestkuppen, die früher alle von Heide überzogen waren, ergeben in ihrem Verlauf, wenn man sie aus den Niederungen betrachtet, durch die Berührung mit Wasser und Himmel reizvolle Horizonte. Dort, wo die weiten Heideflächen noch erhalten sind, ist der Vorgang des eiszeitlichen Geschehens noch unmittelbar nacherlebbar. Wenn man vom östlichen Kliffrand beim Puktal im Süden von Kampen in das bergige Heideland blickt, fühlt man sich an Landschaften auf Island erinnert.

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„Die in großen Teilen noch unverfälschte Naturlandschaft mit ihren vielfältigen Dünenformen, den Kliffs trecken und den offenen Heidegebieten gibt der Insel einen einmaligen Charakter und bildet in Verbindung mit der offenen See, dem Wattenmeer und dem Nordseeklima die wesentliche Grundlage des Fremdenverkehrs. Die Naturlandschaft soll in ihrem Zustand erhalten werden. Dazu gehört ihre rechtliche Sicherung, insbesondere als Natur- bzw. Landschaftsschutzgebiet, die Ordnung des Verkehrs, Maßnahmen zur Verhütung der Verunreinigung der Landschaft und zur Versorgung des Bade Verkehrs." Diesen Text entnehmen wir dem „Regionalplan Nordfriesische Inseln" vom März 1967. E r charakterisiert treffend die Bedeutung der Naturlandschaft dieser Insel für ihre Bewohner und ihre zahlreichen Besucher und ist als Programm der amtlichen Stellen zu begrüßen. Große Teile der Insel sind aber bereits, einige schon seit 1923 zu Naturbzw. Landschaftsschutzgebieten erklärt worden. Von den 99,15 qkm Gesamtfläche stehen 26,7 qkm unter Naturschutz und 14,8 qkm unter Landschaftsschutz. W i r haben auf Sylt folgende Naturschutzgebiete: Ellenbogen (2,5 qkm), Insel Uthörn (1,5 qkm), Kampener Dünen (4,0 qkm), Vogelkoje Kampen mit Sdiilfland (0,5 qkm), Morsumkliff mit Baggerkuhle ( 1 , 1 qkm), Rantum-Becken (5,6 qkm). Ellenbogen, Uthörn und das Rantum-Becken sind außerdem Vogelschutzgebiete. Unter Landschaftsschutz stehen: Kampen-Nordgrönning (1,5 qkm), Kampen-Nordwestheide (1,5 qkm), Rotes Kliff (2,5 qkm), Braderuper Ufer (1,0 qkm), Munkmarscher U f e r (0,5 qkm), Keitumer U f e r (2,0 qkm), Rantumer Dünen (2,0 qkm), Hörnumer Dünen (1,0 qkm) und die Tinnum-Burg (0,3 qkm). Als Natur- und Vogelschutzgebiet mit einer Fläche von 207,0 qkm muß ferner noch das „Vogelschutzgebiet Norder H a f f " , das Wattenmeer östlich von Sylt genannt werden. Es ist u. a. geplant, die Dünengebiete von Hörnum-Odde und nördlich von Hörnum bis zum Strandabschnitt „Samoa" ebenfalls unter Naturschutz zu stellen. Das Dünengebiet zwischen Wenningstedt und Kampen, das Gebiet zwischen Keitum und Morsum von der Bahnlinie nach Norden bis zur Wattküste und die Nössehalbinsel östlich vom Naturschutzgebiet Morsumkliff sollen Landschaftsschutzgebiete werden. Die Aufgaben des Naturschutzes und der Landsdiaftspflege auf der 20

Insel fördert und unterstützt seit 1923 der „Verein Naturschutz Insel Sylt e. V . " unter seinem Vorsitzenden Dr. med Knud Ahlborn, Kampen. Der Verfasser dieses Buches war von 1950 bis zu seinem Tode im Jahre 1963 Kreisbeauftragter für Naturschutz und Landschafts- und Denkmalpflege.

Inselraum • Erdgeschichte Das Antlitz der Erde zeigt eine Verteilung von Meer und Land im Verhältnis von etwa 1 2 : 5 . Mächte aus dem Innern und Kräfte aus dem Kosmos haben in vereinter Wirkung bei stetem Wandel durch lange Zeiträume das Gesicht der Erde so gezeichnet, wie es heute vor uns liegt. Das gilt auch für das gewordene Bild einer Landschaft: es trägt die Züge seines Werdeganges in sidi. Dort, wo uns Aufschlüsse vorliegen, geologische Profile und Grenzhorizonte (Bildungsstufen) vorhanden sind, wird dies besonders deutlich. Das gilt aber auch für Bodenformen wie Marsch und Geest. Hierfür bildet gerade Sylt ein besonders anschauliches Beispiel. Vorgänge, die bei der Gestaltung unseres Erdbildes im großen wirksam waren, wie die des amphibischen Urzustandes, der Erdkrustenbewegungen, der Niveauveränderungen des Meeresspiegels, der Gezeitenwirkungen, des Klimawechsels, sind in der Geologie und Geophysik des Nordfriesischen Inselraumes im kleinen audi nachweisbar. Das Interesse von Forschern und Naturfreunden, zumal das an der Ergründung der vielen, noch ungeklärten Fragen ist daher auch überaus rege. Die Literatur, die über dieses Gebiet bereits vorliegt, ist so reichhaltig, wie sie sonst wohl kein zweiter deutscher Landschaftsraum dieser Größe aufweist. Tief im Untergrund von Sylt liegt ein Gebirge der Zechsteinzeit, das die Gebirgszüge von Mitteldeutschland und Skandinavien miteinander verbindet. Die Zechsteinzeit fällt in das Perm, in die jüngste Periode der Altzeit unserer Erde. Kurz vorher fand die Bildung des Nordseebeckens statt, das nunmehr durch das Zechsteinmeer ausgefüllt wurde und somit als Urnordsee gelten kann. Von der Zechsteinzeit bis zum Jungtertiär haben sich die Meere des Nordseebeckens in verschie21

denen Zeitaltern neunmal verändert. Eine kartographische Darstellung davon hat K . Gripp 1937 veröffentlicht. Die ältesten auf der Insel Sylt zutage tretenden Formationen sind Miozän und Pliozän des Jungtertiärs (am Morsumkliff). Aus dem Alttertiär (Eozän) stammt der Bernstein, der zuweilen Einschlüsse von Insekten und Pflanzenteilen enthält und der in früheren Zeiten, vor allem während der Bronzezeit (1600-450 v. Chr.), aber auch noch im vergangenen Jahrhundert reichlich gefunden wurde. Bei günstigen Wind- und Wasserverhältnissen wird er auch jetzt noch in einzelnen Stücken an den Strand gespült. Die Geestrücken auf Sylt, Föhr und Amrum sind eiszeitliche Ablagerungen. Auf Sylt bildet das Dreieck der Gemarkungen Kampen, Westerland und Keitum das Hauptgebiet der Geest, im Osten schließen sich dann die Bodenerhebungen bei Archsum und Morsum an. Fährt man auf der Landstraße von Keitum über Archsum nach Morsum, kann man die sich zwar nur schwach, aber doch deutlich von den dazwischenliegenden Marschländereien abhebenden Geländewellen erkennen. Auf ihnen haben sich naturgemäß die Menschen schon in vorgeschichtlicher Zeit angesiedelt, und auf ihnen sehen wir heute noch die zumeist auf Warften errichteten Bauernhäuser liegen. Auf der höchsten Bodenerhebung von 23,165 m am Morsumkliff liegt im Nordwesten der Gaststätte Nösse der Grabhügel Munkhoog. Auf der höchsten Pleistozänerhebung der Insel von 27,2 m ist der Kampener Leuchtturm errichtet worden. Die drei pleistozänen Skeletteile sind in holozäner, d. h. nacheiszeitlicher Zeit durch Ablagerung von Marschland miteinander verbunden worden und haben in noch jüngerer Zeit die beiden Hakenbildungen mit ihren Dünenauflagerungen im Norden zum Listland und im Süden nach Hörnum hin erhalten. Der Aufbau und die Entstehung der Insel ist an den Kliffen von Morsum, Braderup und Kampen-Wenningstedt vom Miozän und Pliozän, d. h. vom Ende des Tertiärs an bis in das jüngere Pleistozän, also bis in die letzte Eiszeit unseres Quartärzeitalters zu erkennen. Es ist ein Zeitraum, den die Forschung auf über zwei Millionen Jahre berechnet. Das Morsumkliff zeigt die ältesten Schichten von Sylt, und zwar in der Bildung einer eiszeitlichen Umlagerung. Es ist das einzige Vor22

i. Morsumkliff. Ostende mit Limonitsandstein (vorn), Kaolinsand und Glimmerton.

2. Morsumkliff. Kaolinsand am Ostende mit schräggestellter Schichtung von etwa 20°.

kommen in Deutschland, an dem die Grenzschichten zwischen Miozän und Pliozän zutage anstehen. Auf Grund seiner geologischen Bedeutung wurde es im Jahre 1923 zum Naturschutzgebiet erklärt. In dreifacher Schichtung lagerten ursprünglich schwarzer miozäner Glimmerton, brauner pliozäner Limonitsandstein und weißer pliozäner Kaolinsand übereinander. Diese horizontale Ablagerung ist durch Gletscherschub während der letzten Eiszeit infolge Quetschung und Faltung so umgelagert worden, daß die drei Erdreiche durch Verschuppung jetzt nebeneinander liegen, und zwar sogar in dreimaliger Folge in einer Erstreckung von nahezu 2 km Länge. Je nach dem Angriff des Meeres ändert das Kliff oftmals sein Aussehen. Dadurch wechseln die geologischen Beobachtungsmöglichkeiten. So waren die tertiären Schichten nach der Sturmflut vom 17. 2. 1962 hier besonders gut einzusehen (C. Dietz, 1963). Das Morsumkliff gehört zu den reizvollsten Landschaften Sylts. Es ist wissenschaftlich ebenso bedeutsam wie künstlerisch mit Strand und Watt motivreich. In der Zeit des miozänen Glimmertons war das Klima sehr viel wärmer. Amerikanische Sumpfzypressen, Lorbeer und Magnolien gehörten zu der damaligen reichen Waldvegetation. Flußläufe, die Überschwemmungen verursachten, führten zur Vermoderung des Waldes und damit zur Bildung von Braunkohle. Auch das Wasser war wärmer als das der heutigen Nordsee. Es hatte zeitweilig unmittelbare Verbindung mit dem Mittelmeer. Der Glimmerton ist eine Schlammbildung jenes Meeres. Pollenuntersuchungen vom miozänen Glimmerton liegen von U. Rein (1961) sowie vom Glimmerton und den humosen Einlagerungen im Kaolinsand von F.-R. Averdieck (1961) vor. An tierischen Überresten aus jener Zeit finden wir Schnecken, Muscheln, Krebse, Zähne von Haifischgebissen und Gehörsteine von Knochenfischen sowie Wirbel von Walen. Als besonders bemerkenswerter Fund ist ein Backenzahn des noch dreizehigen Zebras Hipparion gracile Kaup zu nennen. Dieser Fund des Pferdes aus dem Glimmerton ist der nördlichste dieser Gattung, der bisher in Europa gemacht wurde. Er deutet darauf hin, daß in nicht allzu weiter Entfernung Land gewesen sein muß. Bei der Zerstörung des Mineralogischen-Geologischen Museums in Hamburg 1943, in dem er verwahrt wurde, ging er leider verloren. 24

Im Miozän war Sylt Meeresgrund, zur Zeit des Limonitsandsteins (Pliozän) zog sich das Meer aus dem Bereich der Insel allmählich zurück. Die Strandablagerungen wurden z. T . grobklastischer, Eisenlösungen durchtränkten und verkitteten sie zu dem sog. Limonitsandstein. Dieser Sandstein ist in höheren Lagen feinkörnig, mürbe und rostbraun gefärbt. Bestimmte Schichten bergen eine reichhaltige Muschel- und Schneckenfauna. In der darauf folgenden Ablagerung des Kaolinsandes war Sylt Land. Mit einer Geröllage, die vereinzelte, verkieselte Silurkalke und Granite mit zersetzten Feldspäten enthält, beginnt der Kaolinsand. Sonst ist der Sand fein- bis mittelkörnig. Wenn uns auf Sylt die Geologie im allgemeinen statisch entgegentritt, erleben wir hier ein Bild voller Dynamik. Aus der Lagerrichtung des Kaolinsandes ersehen wir, daß der Eisschub sich von Nordosten kommend nach Südwesten hin auswirkte. Das Profil des Kaolinsandes zeigt außerdem Schrägschiditungen, die jeweils nach verschiedenen Richtungen verlaufen. Der Kaolinsand ist eine Ablagerung von fließendem Wasser eines weitverzweigten Stromsystems, der nach H. Illies aus Mittelskandinavien zum Nordseebecken befördert wurde. Illies hat am Roten Kliff, bei Braderup und bei Keitum Schrägschichtenmessungen (Diagonalschichtung, Rippelschichtung, bogige Schrägschichtung) vorgenommen. W i r gewinnen hierdurch von dem geologischen Geschehen damaliger Zeit ein unmittelbares Bild, das uns die Entstehung und den Aufbau der Insel eindrucksvoll und lebendig veranschaulicht. Bei Braderup besteht das Kliff östlich des Dorfes aus Kaolinsand. Südöstlich von Braderup am Feldweg, der nach Munkmarsch führt, sind zwei große und tiefe Kaolinsandgruben durch Ausschachtung f ü r Bauzwecke entstanden. Sie geben uns ein gutes Bild von der Zusammensetzung der Kaolinsandschicht, die von Morsumkliff zum Roten Kliff unter dem Geschiebelehm durch die ganze Insel hindurchstreicht. Der Kaolinsand enthält u. a. versteinerte Schwämme und Korallen sowie lavendelblaue Hornsteine aus dem Silur, die aus Estland oder Schweden hierher verfrachtet wurden. Unter den vorkommenden Halbedelsteinen nennt W . Wolff Achate, Rauchquarze und Amethyste. Bei schweren Sturmfluten, zumeist im Herbst, wird durch örtliche Unterspülung des Fußes die Steilwand des Roten Kliffs im ganzen Pro2

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fil freigelegt. Es tritt dann auch dort der Kaolinsand in Erscheinung, der sonst durch Regeneinwirkung von oben her mit Lehm überlagert ist. Ebenso führen im Winter die Bildung von Frostspalten an der Abbruchkante zu nachfolgenden Abbrächen des Geschiebelehms. Von Zeit zu Zeit wird durch Unterspülung im Roten Kliff bei der Buhne 31 eine mehrere Meter mächtige humose, z. T . f aulschlammhaltige Schicht, auch Saprohumolith genannt, freigelegt. Diese humose Bildung ist dem Kaolinsand am Fuß des Roten Kliffs linsenförmig eingeschaltet. Eine gleiche Ablagerung ist im Kliff nördlich vom Bahnhof Morsum im Kaolinsand zeitweilig zu finden. Der Grenzhorizont von Kaolinsand und Geschiebelehm im Bereich des Roten Kliffs zwischen Wenningstedt und Kampen wird dabei wie ein mit dem Lineal gezogener, nahezu horizontal verlaufender Trennungsstrich sichtbar. Südlich Wenningstedt sinkt der Kaolinsand ab. Es verliert auch das Kliff an Höhe. Bei der Seenotstelle nördlich von W e sterland erhebt es sich nur noch etwa einen Meter über den angrenzenden Strandsand. In den Schichten des Morsumkliffs sind Fossilien (Versteinerungen) und andere Überlieferungen pflanzlicher und tierischer Art aus dem Miozän und der Pliozän erhalten geblieben. Eine reichhaltige Sammlung solcher Funde, die von dem Chronisten der Insel, C. P. Hansen stammt, verwahrt das Sylter Heimatmuseum in Keitum. Die wissenschaftliche Bearbeitung solcher Einschlüsse ist vor allem durch K. Gripp und durch D. Wirtz erfolgt. Wirtz (1949) führt allein an Mollusken aus dem Glimmerton 29 Arten und aus dem Limonitsandstein 28 bestimmbare und 8 nicht näher zu bestimmende Arten auf. Forschungen auf Grund von Bohrungen durch K. Gripp unter Mitarbeit von W . G. Simon und W . Becker, fußend auf älteren Arbeiten von Meyn, Mager, Wolff, Solger, Braun, Ordemann, Jessen, Kolumbe u. a. haben unsere Kenntnis vom Aufbau und der Entstehung Sylts weitgehend gefördert und exakt fundiert. W . Wolff (1938) hat in einer kleinen Schrift „Die Entstehung der Insel Sylt" eine sehr anschauliche Darstellung davon gegeben. Im Jahre 1952 erschien sodann von Oberregierungsgeologe C. Dietz eine alle geologischen Einzelfragen berührende Veröffentlichung über Sylt, die eine Gesamtschau der Erdgeschichte dieser Insel vermittelt. Der Arbeit sind zwei Blätter Sylt26

4. Rotes Kliff bei Kampen. Abbruchkante mit Spaltenbildung durd) Regen, Schnee und Frost. Auf der Oberfläche Steinsohle mit Windkantern.

Nord und Sylt-Süd im Maßstab i : 25 000 beigegeben, die die Gegebenheiten im Kartenbild anschaulich machen. In der vorletzten Eiszeit, vor etwa 180 000 Jahren erfolgte dann die Ablagerung der obersten Bodenschicht der Sylter Inselkerne, die des Geschiebelehms, dessen Mächtigkeit am Steilhang des Roten Kliffs zutage tritt. Gesteine aller Art, wie Granite und Gneis aus Schweden, Rhombenporphyr aus dem Oslogebiet von Norwegen, Rapakiwi von den Aland-Inseln, aus Finnland u. a. wurden dabei in allen Größen bis zu den riesigen Decksteinen des Denghoog, des jungsteinzeitlichen Ganggrabes bei Wenningstedt, mit hertransportiert. Die höchste Erhebung des Roten Kliffs liegt dort, wo früher das Kurhaus Kampen stand, und beträgt 25 m. Nach Norden und Süden flacht das Kliff allmählich ab. Die Gesamtlänge des Kliffs von Kliffende bei Kampen bis zur Nordseeklinik nördlich Westerland bzw. bis zum Buhnenhauptwerk 4 mißt 4,4 km. Auch Brodelboden tritt im Anschnitt der Oberfläche des Roten Kliffs in Erscheinung. Die Oberfläche selbst ist übersät mit kleinen Geschieben aller Art. Unter ihnen findet man sogenannte Windkanter, das sind vom eiszeitlichen Sandschliff ein- oder mehrkantig geformte Steine. Die letzte Vereisung, deren Rückgang vor etwa 18 000 Jahren erfolgte, drang über die Ostsee, den Mittelrücken Schleswig-Holstein, dann in unserem Falle nördlich um das Husumer Massiv (K. Picard 1958) noch eben bis zur Insel Sylt vor. Geringmächtige Ablagerungen aus diesem Zeitraum sind in der flachen Erhebung beim Ausflugslokal „Schauinsland" zwischen Wenningstedt und dem Nordseesanatorium erhalten. Die Zwischeneis- oder Warmzeiten waren infolge der Eisschmelze jeweils von einer „Landsenke" bzw. einem Wasserspiegelanstieg begleitet. Nach der vorletzten Vereisung umspülte auch das zwischeneiszeitliche Eem-Meer die Nordfriesischen Inseln. Uber den Ablagerungen dieses Meeres liegen Reste der jüngsten Vereisung. Ferner trat nach der letzten Eiszeit, im Altholozän (5500 bis 4000 v. Chr.) eine starke „Landsenkung" ein, die als Corbula-Transgression oder allgemein als flandrische Transgression bezeichnet wird. Sie fällt zeitlich mit der Litorinasenkung des Ostseeraumes zusammen. Der südliche Teil der Nordsee bis etwa zur 40 m Tiefenlinie (Doggerbank-Skagen), der vorher Land war, wurde Meer. 28

Der Geologe E. Dittmer von der Forschungsstelle Westküste, Husum, berichtet in diesem Zusammenhang, daß am Ende dieser Periode die Nordsee den Geestrand in Dithmarschen, die Heverinsel und den Kern von Sylt erreicht hat. Während des anschließenden Mittelholozäns (4000 bis 2000 v. Chr.), das vorgeschichtlich mit der jüngeren Steinzeit (3500 bis 1800 v. Chr.) zusammenfällt, drang die Nordsee auch nach Nordfriesland vor. Es bildete sich hier ein Wattenmeer. In der nachchristlichen Zeit erfolgte dann eine weitere Überflutung, die sogenannte Dünkirchener Transgression, die sich von Sylt bis Calais erstredete. Diese für das nordfriesische Küstengebiet allgemein und für den Küstenschutz und die Landgewinnung im besonderen außerordentlich wichtigen Fragen finden durch die Forschungsstelle Westküste, Husum, unter Leitung von E. Wohlenberg in Mitarbeit von E. Dittmer ihre Bearbeitung. Dittmer hat hier als Geologe ein besonderes Aufgabengebiet gefunden. Im Rahmen der ausgezeichnet durchgeführten Neuaufstellung des Museums im Nissen-Haus, dessen Besuch jedem nur empfohlen werden kann, hat Dittmer die geologische Entwicklung der Westküste unter Verwendung natürlicher Bodenstoffe in einem großen Schaubild sehr eindrucksvoll zur Darstellung gebracht. Das geologisch und biologisch besonders vielgestaltige Westküstengebiet gibt der Forschungsstelle Westküste einen entsprechend mannigfaltigen und wichtigen Aufgabenkreis.

Meeresraum Aus dem Zusammenwirken von Land und Wasser ergeben sich Naturbilder ganz eigener Art und besonderen Erlebnisgehaltes. Das lehren uns schon Teiche, Seen und Flüsse. Die Eindrücke, die uns dabei vermittelt werden, sind sehr unterschiedlich. Sie erfahren eine Steigerung ins Große bei Meeren und Ozeanen. Küste und Insel haben in dieser Doppelnatur ihren Eigencharakter, ihre Einmaligkeit. Man braucht hierbei nicht einmal an den Unterschied zwischen tropischen und arktisdien Meeren zu denken oder etwa das Mittelmeer mit der

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Nordsee zu vergleichen. Selbst in Nordeuropa ist beispielsweise die Wasserwelt um die gebirgigen Färöer eine anders geartete als die in den norwegischen Schären. Die langgestreckte, hagere Gestalt von Sylt läßt erkennen, daß diese Insel dem Meereseinfluß in besonderer Weise ausgesetzt ist. Sie ist von einer Zweiwasserwelt umgeben. Nach Westen breitet sich bis an den fernen Horizont die freie Nordsee aus. Im Osten liegt wie ein Binnenmeer, begrenzt durch die Festlandküste und geteilt durch den Hindenburgdamm, das Wattenmeer. Durch schmale Arme von den Nachbarinseln im Norden und Süden getrennt, umspült und umpulst das Meereswasser die Insel. Die Meereswirkung auf Sylt ergibt sich aus dreierlei Strömungen: aus der Gezeitenströmung, die durch Ebbe und Flut verursacht wird, aus dem durch den W i n d hervorgerufenen Driftstrom und aus dem Reststrom. Der letztere, in seiner Wirkung geringfügigste ist jedoch nur bedingt als Strömung anzusehen. Es sind Teile des Golfstromes, die durch den Kanal und von den Shetlandinseln her in den Nordseeraum gelangen und von der Gezeitenströmung und dem Driftstrom aufgenommen und mitverfrachtet werden. Als Gezeiten bezeichnet man das Steigen (Flut) und Fallen (Ebbe) des Meeresspiegels, die damit verbundenen waagerechten Bewegungen des Meeres werden Gezeitenströme genannt. Die Hauptursache für diesen regelmäßigen Bewegungsablauf beruht auf der Anziehungskraft des Mondes, in schwächerem Maße auf dem Einfluß der Sonne. Durch die breite Verbindung, die die Nordsee zum Atlantik hat (im Gegensatz zur Ostsee), nimmt sie an seinen Gezeitenbewegungen teil. Man spricht daher auch von Mitschwingungszeiten. Die aus dem Nordostatlantischen Ozean in die Nordsee eindringende Gezeitenwelle nimmt ihren Lauf um Schottland herum, läuft an der Ostküste von England südwärts bis zu den Hoofden und schwenkt dann ostwärts auf die Deutsche Bucht und die Westküste von Schleswig-Holstein zu. Die einströmenden Wassermassen stauen sich naturgemäß am meisten im südlichen Teil, so daß dort auch die höchsten Pegelstände (Wasserstandsmessungen) verzeichnet werden. Auf Grund einer Beobachtung von 19 Jahren weisen die mittleren W e r t e des T i denhubs (Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser) für die 3°

nachfolgenden Orte jeweils für die Spring- und Nippzeit (Zeit des Voll- und Neumondes bzw. Zeit des ersten und letzten Mondviertels) folgende Zahlen auf: Wilhelmshaven 4.01 bis 2.99; Cuxhaven 3.20 bis 2.45; Helgoland 2.60 bis 1.90; Sylt-Hörnum 2.13 bis 1.96, Sylt-List 1.81 bis 1.60. Standort und Gestalt von Sylt bedingen an seiner West- und Ostküste erhebliche Gezeitenunterschiede. Bei Munkmarsch tritt das Hochwasser 2 Stunden und 13 Minuten und das Niedrigwasser 1 Stunde und 6 Minuten später ein als bei Westerland. Der normale Salzgehalt des Weltozeans beträgt 3,5 °/o, der Salzgehalt der Nordsee etwa 3,4 °/o. Die Ostsee weist demgegenüber im westlichen Teil nur etwa 1,5 °/o und im mittleren nur 0,7 °/o auf. Die stärkste Brandung im Bereich der Nordsee steht auf der Küste von Sylt. Die vom Westen her auf die Insel zulaufenden Strömungen teilen sich bei Westerland nach Norden und Süden. Westerland wird dadurch zu einem Scheitelpunkt. Die Gefahr der Zerstörung ist hier besonders groß und der Küstenschutz entsprechend vordringlich. Durch die Stromteilung fließt je ein Küstenstrom nordwärts und südwärts an der Westküste entlang. E r macht sich noch bis auf 4 Seemeilen Abstand vom Lande bemerkbar. Mit der Flut strömen die ankommenden Wassermassen um den Ellenbogen durch das Lister Tief und um Hörnum-Odde durch das Vortrapp-Tief in das Wattenmeer ein und kehren zur Ebbezeit auf demselben W e g zurück. Eine kurze Erklärung sei hier für die Entstehung des Watts (von „waten"), den Meeresraum zwischen der Ostküste von Sylt und dem Festland, eingefügt. Es ist durch den zweimal täglich eintretenden Gezeitenwechsel aufgebaut worden: der Flutstrom hat eine größere Geschwindigkeit als der Ebbstrom. Sand, Schlick und abgestorbenes Plankton, die der Flutstrom von der Küste, aber auch aus dem tieferen Nordseebecken in das Watt gebracht hat, können sich beim Stillstand des Wassers zwischen Flut und Ebbe ablagern, und der schwächere Ebbstrom reißt sie nicht wieder mit fort. Die Ausscheidungen der im Watt lebenden Tiere führen zu einer Verfestigung der feinen mineralischen Teile. Zwischen den ungleichmäßigen Schlickanlandungen entstehen Priele, in denen sich der Ebbstrom sammelt und abfließt. Dort, wo das Seichtwassergebiet in die tiefe See übergeht, bilden sich Tiefs, 3i

im Norden der Insel das Lister Tief, im Süden das Hörnumer Tief. Die Wattflächen können nach den Untersuchungen des Ozeanographen Schott nicht über Normalnull anwachsen, da ab 0,10 m über Normalnull der Ebbstrom stärker ist als der Flutstrom. Eine Ausnahme bilden küstennahe Gebiete und strömungsfreie Buchten, w o Schlickablagerungen bis zur Höhe des mittleren Hochwassers möglich sind. Die reißende Strömung an den Enden hat das an engster Stelle zweieinhalb Kilometer breite Lister Tief bis zu 44 m Tiefe und das Hörnum-Tief bis zu 23 m Tiefe ausgefurcht. Die Stärke der Strömung tritt besonders deutlich an der NW-Ecke des Ellenbogens (Ostindienfahrer-Huk) und an dessen Ostende in Erscheinung. Die Strudel der erstgenannten Stelle sind ein beliebter Aufenthaltsort der nahrungsuchenden Eiderenten. Die beiden Tiefs verzweigen sich wurzelartig mit Wasserrinnen im Wattenmeer. Das Lister Tief gliedert sich in das Hoyer-Tief und das Lister-Ley, das sich seinerseits wieder in das W e ster-Ley und das Pander-Tief verzweigt. Das Vortrapp-Tief findet eine Fortsetzung im Hörnum-Tief, von dem aus die Rantum-Lohe, das Eidum-Tief sowie das Oster-Ley und nochmals ein Wester-Ley ausstrahlen. Die den übrigen Wattenmeerraum ausfüllenden Gründe, Sande usw. erreichen bei mittlerem Springniedrigwasser nur bis gegen 1 Meter Tiefe. Durch die Strömungen im Wattenmeer unterliegen die Bodenverhältnisse natürlich laufend Veränderungen. V o n dem Sedimenttransport des Flutstroms zeugen die Anlandungen am Festland. Der Ebbstrom bewirkt Abtragung (Erosion). Die Zustände im Wattenmeer werden laufend durch Vermessungen überprüft. An dieser Stelle sei auf die wissenschaftlichen Veröffentlichungen über das Wasserwesen an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste von Otto Fischer hingewiesen. Bei normalen Bedingungen wurden am Westerländer Strand mit ziemlicher Regelmäßigkeit 9 ( ± 1) Brandungswellen pro Minute festgestellt. Bei Ostwind erhöht sich gegenüber der Brandung bei Westwind die Zahl der Wellen auf 15 pro Minute. Die unterschiedliche Stärke der einzelnen Wellen läßt einen Gruppenrhythmus der Meereswellen erkennen. Eine Folge der Brandung ist die Bodenunruhe am Strand und im Inselinnern. Neben den bereits genannten Kräften beeinflußt auch das Sandriff, das im Abstand von 230 bis 430 m parallel 32

zum Weststrand verläuft, die Wirkung des Meeres auf den Inselkörper. Von der unterschiedlichen Oberflächengeschwindigkeit des Wassers kann folgende Messung eine Vorstellung geben, die am 22. 7. 1941 im Hoyer-Tief, östlich von List auf 5 5 ° i ' 5 i " nördlicher Breite und 8°29' 18" östlicher Länge, vorgenommen wurde. Unter den damals durchgeführten Messungen wies diese die höchsten Geschwindigkeiten auf. Sie betrugen für den Ebbstrom um 4 Uhr M E Z 108 cm/sec gleich 3,88 km/std Maximalgeschwindigkeit und für den Flutstrom um 9 Uhr 35 135 cm/sec gleich 4,86 km/std Maximalgeschwindigkeit. Die angegebenen Geschwindigkeiten sind naturgemäß außer vom Tidenhub von der Tiefe des Wassers, von der Bodengestaltung, insbesondere vom Küstenverlauf der Insel sowie von den Winden usw. abhängig. V o r der Seeseite der Insel beträgt der entsprechende Gezeitenstrom etwa 1 bis 1,5 sm/h ( = 1852 m/std). Infolge Sandverfrachtung an der Westküste wachsen die Enden, so daß die Insel zwar langsam, aber stetig zunimmt. Bei tiefer Ebbe sieht man in 200 bis 500 m Entfernung parallel zum Strand auf weite Strekken hin eine Brandungserscheinung. Sie wird durch das bereits erwähnte Sandriff hervorgerufen, das stellenweise, wie z. B. südlich der Kurpromenade von Westerland, auch sichtbar wird. J e nach der Jahreszeit und anderen Umständen bildet sich an der Hochwasserlinie auf dem Strand durch Ablagerung von Meeresgut, das schwimmend herantreibt oder vom Grund des Vorstrandes her angespült wird, ein Flutsaum. Pflanzliche und tierische Substanzen verschiedenster Art werden durch die Brandungswellen, aus näherer oder weiterer Entfernung kommend, hierher verfrachtet. Aber auch aus ferneren Regionen, aus dem Atlantischen Ozean, vom Kanal und der Ostküste von England und weiter auf den Bahnen der genannten Strömungen werden Gegenstände aller Art herantransportiert. Einen Beleg für die unter Mitwirkung von Winden von der englischen Küste her strömenden Wasser sind die im Gewicht sehr leichten, teils noch mit Gasen gefüllten Schlackestücke der britischen Hochöfen, die man oftmals am Strand finden kann. Flaschen und Kistenholz mit holländischen und englischen Aufschriften sind häufig anzutreffen. Unter den ersteren kommt hin und wieder auch einmal eine Flaschenpost auf den Strand. 35

Am 28. Januar 1958 fand der Verfasser am Weststrand von Kampen bei Buhne 31 n. eine Flasche mit einem Schreiben des englischen Seemannes B. Cowling, der die Post fünf Meilen nordöstlich von Oxfordness, d. h. östlich Ipswich in Suffolk, in das Meer geworfen hatte. Die Entfernung zwischen beiden Orten beträgt 600 km Luftlinie. Da das Absendedatum nicht angegeben war, auch nicht mehr ermittelt werden konnte, war die Zeit, die die Flasche zur Überquerung der Nordsee benötigte, leider nicht festzustellen. Vielleicht blieb der Verfasser auf seine Anfrage nach dem Absendedatum deshalb ohne Antwort, weil der Seemann seinen Zeilen nach hoffte, daß die Flasche von einem „nice girl" gefunden würde, das er um einen Brief bat. Es mögen nun einige Angaben über die Nordsee folgen. Sie hat eine durchschnittliche Tiefe von nur 40 Metern. Ihre größte Tiefe in den südlichen Zweidritteln mißt 99 Meter. Bei der Doggerbank flacht das Wasser bis zu 13 Meter ab. Erst von der Höhe Aberdeen-Stavanger, d. h. vom Fladen Grund ab bis zu den Shetland-Inseln hinauf vertieft sich die Nordsee, und zwar auch nur bis zu 140 Metern. Die Weltmeere haben eine mittlere Tiefe von 3800 Metern. Die 10-m-TiefenIinie liegt bei Sylt mit Ausnahme vor dem nördlichen Listland, bei Westerland und an der Südspitze in nur etwa 2 km Entfernung vom Weststrand, während diesem bei Amrum und Rom noch bis auf 8 und 9 km flachliegende Sande vorgelagert sind. Der in früherer Zeit vielleicht einmal bis zu dieser Grenze von 2 km reichende tertiäre Geestkern ist somit dem Meer zum Opfer gefallen. Bei Sturmwetter können die Wellen in der Nordsee eine Höhe von 4 bis 6 Metern erreichen. Im Atlantischen Ozean betragen sie bis zu 14 und 16 Metern. Für die Seefahrt früherer Tage, d. h. f ü r die reine Segelschiffahrt sind solche Stürme immer gefährlich gewesen. Die Küste von Sylt, vor allem deren südlicher Teil, die Hörnumhalbinsel, und das anschließende Gebiet von Amrum mit den vorgelagerten Sandplatten ist manchem Schiff schon zum Verhängnis geworden. Außer den Mannschaften der gestrandeten Schiffe haben bei der Bergung auch viele Insulaner ihr Leben lassen müssen. Uber den Rettungsdienst an den deutschen Küsten folgen im Abschnitt „Seefahrt" einige Angaben. Die letzte große Sturmflut an der deutschen Nordseeküste und ihren Flußmündungen, von der auch Sylt stark betroffen wurde, ereignete

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sich am 16./17. 2. 1962. Wenn man den höchstmöglichen Füllungsgrad bei Hochwasserstand mit 100 °/o ansetzt, so wurden bei dieser Flut an 16 von 22 Pegelständen der Deutschen Bucht sowie der Flußmündungen von Elbe, Weser und Ems über 100 °/o gemeldet: Helgoland hatte den höchsten Wert mit 173 %>, Sylt mit 152 °/o. Von allen Sturmfluten an der Nordseeküste seit 1900 erreichte die Flutkatastrophe vom Februar 1962 den höchsten Wasserstand. Dementsprechend waren auch die Schäden auf Sylt. Am gesamten Weststrand wurde die Vordüne zerstört und die Randdüne stark angegriffen und weiter abgetragen. An einigen Stellen wurde die Dünenkette auf einer Breite von 20 bis 90 m durchbrochen. In Westerland bestand die unmittelbare Gefahr des Durchbruches in die Wohngebiete der Stadt. Schwere Brecher ergossen ihr Wasser über die Küstenschutzanlagen und überschwemmten so die tiefer liegenden Gebiete. Die Strandmauer wurde von ihrer Südseite her unterspült. In Hörnum wurde die Wassermanndüne stark angegriffen, so daß ein Café geräumt und abgebrochen werden mußte. V o r der Kersig-Siedlung wurde die Randdüne restlos zerstört und das dahinterliegende Tal überflutet. In Rantum standen einige Häuser an der Wattseite bis zu 0,5 m unter Wasser. Ein trotz ihrer gefährlichen Folgen gewaltiges Schauspiel bieten die Vereisungen der Nordsee, wie wir sie in den Wintermonaten der Jahre 1946/47 und 1962/63 auf Sylt erlebt haben. In strengen Wintern konnte vor dem Bau des Hindenburgdammes im Jahre 1927 der Verkehr zwischen der Insel und dem Festland nur mit einem Eisboot aufrecht erhalten werden, mit dem neben der Post wenigstens das Notwendigste an Medikamenten usw. befördert werden konnte. Das Eisboot bestand nur aus einem Ruderboot, das von einigen Männern vielfach weite Strecken lang über das Eis geschoben werden mußte. Das Deutsche Hydrographische Institut in Hamburg überließ uns den nachfolgenden Bericht über die beiden bisher größten Vereisungen dieses Jahrhunderts. „Der Winter 1962/63 war im Hinblick auf die Dauer der Vereisung des Wattenmeeres nach dem Winter 1946/47 der zweitstärkste dieses Jahrhunderts. Berücksichtigt man aber die bedrohlichen Auswirkungen der Vereisung auf die Schiffahrt (Tage mit Schiffahrtschluß), dann brachte der Winter 1962/63 zeitweise schwierigere Eisverhält37

nisse als der Vergleichswinter 1946/47, wie am Beispiel f ü r das Lister Tief der folgenden Aufstellung entnommen werden kann. Zusammenstellung über die Eisverhältnisse im Lister Tief Beginn der Vereisung Ende der Vereisung Anzahl der Tage mit Eis Anzahl der Tage mit lockerem Treibeis Anzahl der Tage mit dichtem Treibeis Anzahl der Tage mit Packeis oder Eispressung Anzahl der Tage mit Schiffsbehinderung Anzahl der Tage mit Schiffahrtsschluß

1962/63 29. 12. 6.3. 68

21 13 34 35 30

1946/47 6. 1. 3.4.

77 10 64

0 54 17

Die Eisverhältnisse des Winters 1962/63 lassen sich f ü r das Lister Tief folgendermaßen aufgliedern: 29. 12. - 6. 1. : lockeres Treibeis 7- 1. - 18. 1. : lockeres Treibeis 19. 1. - 10. 2. : Packeis oder Eispressung 11. 2. : dichtes Treibeis 12. 2. - 22. 2. : lockeres Treibeis 2 3- 2. - 5- 3-: Packeis oder Eispressung 6. 3: lockeres Treibeis

Die Perioden mit Packeis und mit Schiffahrtsschluß (24. 1. - 11. 2., 23. 2. - 5 . 3 . ) fallen weitgehend zusammen. Im Seegebiet westlich von Sylt befand sich in der Zeit vom 16. 1. - 21. 1 und vom 28. 1. - 10. 2. sowie am 13. und 21.2. ein mehr oder weniger breiter Treibeisgürtel, der etwa am 6. 2. mit ungefähr 15 sm seine größte Breite aufwies. Im gleichen Winter waren in der Nähe des Hindenburgdammes zeitweilig Fahrverkehr und Fußwanderungen zwischen Festland und Insel möglich. An dieser Stelle sei auf die wichtigen Aufgaben des Küstenschutzes hingewiesen, die vom Marschenbauamt Husum mit einer Zweigstelle in Westerland wahrgenommen werden. Hier wird über die Gefahren gewacht, die dem Bestand der Insel Sylt durch den vereinten Ansturm

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6. Absturz der Seenotstelle nördlich Westerland durch Abbruch des Kliffs bei Sturmflut am 16."Januar1954-

7. Auf 60 Seemeilen vereiste Nordsee. Ansicht vom Strand bei Kampen. Februar 1947.

von Wind und Meer drohen. Beide Gewalten haben den Abbruch des tertiär-pleistozänen Inselkörpers verursacht, der, wie bereits oben erwähnt, einst vielleicht bis zur heutigen 10-m-Tiefenlinie, also etwa bis 2 km westlich des Weststrandes gereicht hat. Mit dem Küstenschutz durch den Bau von Buhnen wurde in den Jahren 1869-1871 begonnen. Man errichtete damals zunächst Steinpfahlbuhnen. Einige von ihnen sind heute noch vorhanden und zeugen damit für ihre Dauerhaftigkeit. Material und Bauart haben sich im Laufe der Zeit jedoch als unzweckmäßig erwiesen. So ging man von 1927 ab dazu über, Eisenbuhnen zu bauen. Infolge von Sandschliff, Rostbildung und teilweise Verlagerung haben auch sie sich nicht bewährt. Man hat sie dann, von Westerland ausgehend, durch Stahlbetonpfahlbauten ersetzt. Doch auch diese Art des Schutzbaus wurde aufgegeben. Zur Sicherung der Westerländer Promenade und des weiteren Küstenbereichs ist ab 1958 nach holländischem Vorbild ein Versuch mit sogenannten „Flundern", d. h. mit langen und breiten, flachen Steinschüttbuhnen gemacht worden. Neuerdings sind vor der Strandmauer Tetrapoden als Schutz aufgestellt worden. Das sind vier Tonnen schwere, vierbeinige Betonkonstruktionen, von denen drei Beine auf dem Boden ruhen und eines senkrecht emporragt, so daß bei Umsturz durch die Brandung das geometrische Gebilde immer gleich wieder auf drei Beinen steht. Die Erfindung der Vierbeiner erfolgte in der großen Versuchsanstalt für Küstenschutz in Grenoble. Ihre Aufgabe besteht darin, die Kraft des Wassers zu brechen und Strand zu bilden. Bisher wurde der Strand von Westerland in einer Breite von 1040 m durch Tetrapoden gesichert. Am Weststrand vor Hörnum ist eine T e trapodensicherung in einer Breite von 1200 m in Bau. Im Anschluß an das Nordende der Strandmauer und vor der Seenotstelle sind 1955 bzw. 1954 nach einem neueren Verfahren Uferdeckwerke gebaut worden. Die Basaltsteine, aus denen sie bestehen, sind untereinander vergossen und in flachem Böschungswinkel angelegt, so daß die ankommende Brandungswoge auslaufen kann. Z u r Zersplitterung der Wassermassen sind die Steine außerdem verschieden hoch gestellt. Von gleichgroßer Wichtigkeit wie der Buhnenbau ist für die Erhaltung der Insel die Sicherung des Vorstrandes und der Strand40

dünen. Sandfangzäune in einer Länge von 35 km und Halmbepflanzungen von 6 m Breite werden jährlich angelegt. In List soll ein 6,5 m hoher Flügeldeich zusätzlichen Schutz bieten und ein Sanddamm den Ellenbogen sichern. Die Erhaltung der Nordfriesischen Inseln ist die Vorbedingung f ü r die Sicherung der Festlandküste. Sylt ist den Elementargewalten am meisten ausgesetzt. Seine hagere Gestalt zeugt davon. Den Hauptangriffspunkt bildet, wie bereits erwähnt, Westerland. Seine Ortslage ist zum Scheitelpunkt der Abtragung geworden. Die Gebiete, die durch einen möglichen Durchbruch des Meeres gefährdet sind, liegen westlich des Königshafens, bei Kliffende, bei der Seenotstelle von Westerland und nördlich von Rantum beim Seeheim. Neben dem unaufhaltsamen Abbruch der Westküste, der durch Buhnenbau nur verlangsamt, nicht aufgehalten werden kann, macht sich seit Jahren nun auch an der Ostküste ein Abbruch bemerkbar. Am bedrohlichsten zeigt sich das am Keitumkliff. Hier ist im Südosten des Dorfes der hohe Hang an einer Stelle bereits angeschnitten. Nach zuverlässigen Beobachtungen hat das Vorland im Norden des Dorfes allein während der Zeit von 1930 bis 1950 um 30 m Breite abgenommen. Die Ursache hierfür dürfte in der Abriegelung des Wattenmeeres durch den 1927 fertiggestellten Hindenburgdamm, teils auch durch den Bau des Verbindungsdammes zur Insel Rom zu suchen sein. V o r dem Dammbau strömten bei normaler Flut 28 Mill. cbm Wasser von Süden nach Norden ab. Dieser Umlauf ist nun unterbunden. Bei stärkeren Südwest- und Nordwestwinden muß sich durch die Dammsperre naturgemäß ein erhöhter Wasserstand bemerkbar machen. Durch den Stau am Damm sind auch Strömungsverlagerungen im Wattenmeer eingetreten. Außer bei Keitum zeigen sich auch andernorts heute schon sehr bedenkliche Gefahrenpunkte des Abbruchs an der Ostküste: Bei List, an der Bucht südlich Blidsel, bei der Kampener Vogelkoje, der Kampener Wuldemarsch, bei Munkmarsch, am Archsum Anwachs, am Morsumkliff, am Südufer bei Nösse Odde, bei Rantum-Inge und bei Puan Klent. Nach den Gefahren, die das Meer der Insel, ihren Bewohnern und ihren Gästen bringen kann, sei nun von seinen positiven Kräften die Rede. 4i

Unter allen Kurorten Deutschlands stehen die auf Sylt in bezug auf die Wirksamkeit ihrer Heilfaktoren mit an führender Stelle. Sie gründen sich auf das Meer, die Luit sowie die Insellandschaft und regenerieren die körperlichen und seelischen Kräfte. Z u r Erforschung der Sylter Kurmittel wurde 1936 neben der Nordseeklinik das „Institut f ü r Bioklimatologie und Meeresheilkunde der Universität Kiel in Westerland" eröffnet, das seitdem unter der Leitung von Prof. Dr. med. H. Pfleiderer steht. Das Schwimmen und das Brandungsbaden dürften gemeinhin das erste Ziel eines Urlaubs- und Erholungsaufenthalts auf Sylt sein. Der plötzliche Wärmeentzug, der durch die intensive Bewegung ausgeglichen wird, sowie die nachträgliche Erwärmung im Sonnenbad oder durch ein kurzes Nachbad im geheizten Meerwasser-Wellenbad dienen, wenn sie den Kräften und der körperlichen Disposition des Kurgastes entsprechend geübt werden, in hohem Maße der Abhärtung und Kräftigung. Aber auch ohne Seebad empfindet der Kurgast am Strand oder bei Strandwanderungen die heilsame Wirkung der Brandung. Seit 1964 ermöglicht das Meerwasser-Wellenbad im Kurmittelhaus in Westerland Brandungsbaden zu jeder Jahreszeit. In einem 35 m langen und 15 m breiten Becken wird biologisch reines Nordseewasser mit ständigem Zufluß auf 23 0 gehalten. Die Lufttemperatur in der Halle beträgt 25 0 . Eine „Wellenmaschine" erzeugt im halbstündigen Rhythmus f ü r die Dauer von jeweils 10 Minuten 80 cm hohe Brandungswellen. Z u r Wirkung des Meeres auf den Menschen soll hier noch kurz eine Besonderheit erwähnt werden. Bei den Bewohnern unserer Küsten besteht seit altersher der Glaube an einen Zusammenhang zwischen den Gezeiten einerseits und Geburt und T o d andererseits. Es gilt als Volksregel, daß die Geburten durch die Flut beeinflußt werden bzw. mit der Flut zusammenfallen und daß eine entsprechende Verbindung auch zwischen den Todesfällen und der Ebbe besteht. Nachprüfungen, die hierüber von Ärzten und anderen Wissenschaftlern vorgenommen wurden, haben bisher noch zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt. Daß der kosmisch-planetarische Vorgang der Gezeiten, der alle Meere in Bewegung zu versetzen vermag, imstande ist, auch den Menschen zu beeinflussen, dürfte als sicher angenommen werden. Es darf aber als

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«MPS

8. Gymnastik für Kurgäste am Strand von Kampen.

p. Badeleben bei Kampen.

ebenso sicher gelten, daß sich diese Wirkung nur auf solche Menschen erstrecken kann, die in unmittelbarem Kontakt mit dem Meer als Umwelt stehen und für die Aufnahme solcher Einflüsse besonders disponiert sind. Bei den Beobachtungen verdient die Ausschaltung von Medikamenten und anderen Eingriffen, die jeweilige Stärke, in der die Gezeiten auftreten usw. eine Beachtung. Es gibt Gezeitenwechsel, die so gut wie unmerklich sind. Die Gezeiten selbst wird man bei der Untersuchung dieser Frage überdies als sekundär ansehen müssen, vielmehr ist die auslösende Kraft das Primäre, indem sie den Menschen gleichzeitig beeinflußt. Bioklimatische Untersuchungen über die Veränderungen der Luft-Ionen beim Tidenwechsel und andere Vorgänge, die im Spiel sein mögen, sind vielleicht geeignet, uns der Klärung dieser Erscheinung näherzubringen. Die Erkenntnis, daß das Meerwasser auch medizinisch von heilsamer Wirkung ist, ist eine sehr alte. W i r kennen Berichte von Hippokrates, Plinius und anderen, die das bezeugen. Chemische Analysen zeigen uns, daß das Meerwasser von außerordentlich vielfältiger Zusammensetzung ist. Prof. Wattenberg nennt 10 Hauptbestandteile und 28 Spurenelemente. Z u den ersteren zählen vornehmlich Chlor (18,97 g/kg) und ein Salzgehalt von insgesamt 34,33 °/o. Die Zusammensetzung des Meerwassers zeigt eine große Ähnlichkeit mit der des Blutserums und der der Zell- und Gewebesäfte des Menschen. Die naturwissenschaftliche Annahme, daß alles Leben aus dem Meere komme, daß das erste Leben sich mutmaßlich im feucht-warmen Schlamm der Meeresküste gebildet habe, findet durch die Ergebnisse der Analyse eine Stütze. Die heilsame Wirkung des Meerwassers bezieht sich sowohl auf äußerlichen wie innerlichen Gebrauch. Bei äußerlicher Anwendung macht sich besonders die hautfreundliche und reinigende Wirkung bemerkbar, die eine bessere Hautdurchblutung bewirkt und bestimmte Hauterkrankungen heilt. Es ist bei Küstenbewohnern, Fischern und Seefahrern von jeher Brauch gewesen, Meerwasser zu Heilzwecken auch zu trinken. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts hat die Wissenschaft in Europa der Meerwasser-Trinkkur erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt. Im Jahre 1931 gründete das Nordseebad Westerland als erstes deutsches Unternehmen dieser Art das „Westerländer Kurwasser-Werk" zur Herstellung 44

und Abgabe von Meerwasser für Trinkkuren. Heute ist dieses Werk im Besitz der Firma „Biomaris" in Bremen. Die „Biomaris-Atlantik", das betriebseigene Schiff, fährt allwöchentlich in die Gewässer zwischen Helgoland und Borkumriff-Grund, um dort aus 20 m Tiefe 520 000 Liter klares Wasser an Bord zu pumpen. Nach entsprechender Aufbereitung, Entbitterung, Verdünnung (Mineral- und Metallsalzgehalt in der Konzentration des Blutwassers von ca. 0,9 v. H.) usw. ist das Meerwasser als Kurmittel genießbar. Es wirkt heilend auf die Schleimhäute der Verdauungswege, wobei bestimmte Bestandteile des Meerwassers auch über den Magen-Darm-Trakt in die Blutbahn eindringen. Eine Trinkhalle mit Brunnen für die Kurgäste befindet sich auf der Westerländer Wandelbahn am Strand. Wenningstedt hat eine Trinkkurhalle im Kurmittelhaus, List in der Kurstrandhalle am Weststrand. Aber auch in allen anderen Orten der Insel ist das Meerwasser für eine Trinkkur erhältlich. Bei stärkerer Brandung zerstäubt ein Teil der Meereswoge und reichert die Luft am Strand, wie bei den Gradierwerken der Solbäder, mit feinen Salzkristallen und Gasen an. Der Strand erscheint dann zuweilen in seiner ganzen Länge wie in Dunst gehüllt. Dieser Aerosol genannte Gehalt der Meeresluft ist von besonderer Heilwirkung für die Atmungsorgane. Seine Intensität nimmt jedoch zum Inneren der Insel hin rasch ab. Es kann bei starkem Sturm aus westlichen Richtungen der Salzgehalt der Luft aber noch so stark sein, daß die Fenster der Häuser mitten auf der Insel einen Belag davon zeigen. Der Seewind übt außerdem durch seine frottierende Wirkung einen fördernden Einfluß auf die Haut aus, indem er ihre Reaktionsfähigkeit steigert und eine Abhärtung herbeiführt. Die relative Reinheit und der hohe Gehalt an Feuchtigkeit in der Luft an der Seeküste sowie die ständigen Temperaturschwankungen tragen das Ihre dazu bei. Neben den bereits genannten Trinkkurhallen bieten die Kurmittelhäuser in Westerland und Wenningstedt noch folgende meerische Kurmittel: warme Seebäder (Solbäder), Schlickbäder und Schlickpackungen sowie Meerwasser-Inhalationen. In seiner Schrift „Westerland als Heilbad" schreibt Prof. Pfleiderer über den Sylter Schlick, daß er „dank seiner physikalischen Beschaffenheit und dem Gehalt an chemischen Stoffen (u. a. Schwefel, Kalium, Kieselsäure) besonders hochwertig" 45

ist. Westerland und Wenningstedt sind auf Grund ihrer Kurmittelhäuser mit Kur-Liegehalle staatlich anerkannte Heilbäder. W y k auf Föhr hat sich wegen seines milden meerischen Klimas im Laufe der Zeit zu einem besonderen Kurort für Kinder mit ganzjährigem Betrieb entwickelt. Aber auch auf Sylt sind in größerer Zahl in verschiedenen Orten Kinder- und Jugendheime entstanden. In Klappholttal, inmitten der Dünen auf der Höhe der Vogelkoje von Kampen, gründete der Arzt Dr. Knud Ahlborn im Jahre 1919 ein Kindergenesungsheim, das „Nordseeheim Klappholttal", das noch heute von ihm geleitet wird. Unter den weiteren Jugendstätten nennen wir das „Hamburger Jugenderholungsheim Puan Klent" im gleichnamigen Puan Klent, das „Fünf-Städte-Heim" und das „Pidder-Lüng-Haus" in Hörnum, das Schullandheim der Arbeitsgemeinschaft Deutsches Schleswig in Rantum, das Nordseeheim der Bismarckschule, Hamburg, in Wenningstedt, das Kindererholungsheim Vogelkoje, das Jugendseeheim des Landkreises Kassel im Lager Skagerrak und der Verein Freunde der Uthlandkinder in Wenningstedt.

Luftraum Bei der Betrachtung einer Landschaft findet der Himmelsraum und die Wetterkunde im allgemeinen eine zu geringe Beachtung. Und doch spielen Licht und Klima mit all ihren Faktoren eine nicht nur bedeutende, sondern vielfach ausschlaggebende Rolle. Boden und Klima - und auf Sylt selbstverständlich das Meer - sind die Grundelemente der Umwelt. Sieht man von dem geologisch bedingten Bild der Landschaft ab, so ist die belebte Welt wesentlich vom Klima abhängig. Für die Entstehung von Sylt und für das Leben auf der Insel sind die klimatischen Verhältnisse von jeher bedeutsam gewesen, und sie sind es heute noch. Im Miozän, als sich das Morsumkliff bildete, ist das Klima wärmer als heute gewesen. Die Miozänstufe des Tertiärs fällt zeitlich mit der Braunkohlenformation zusammen. In Skandinavien wuchsen damals Palmen. Die damalige Nordsee hatte zeitweise unmittelbare Verbindung mit dem Mittelmeer, aus dem subtropische Lebewesen in den Raum des heutigen Sylt einwanderten. Die Eiszeiten und 46

Warmzeiten im anschließenden Quartär schufen dann wiederum einen völligen Wandel und Wechsel. Die sogenannten Windkantersteine, die wir heute auf der alten Bodenoberfläche der Insel finden, geben uns eine Vorstellung von der Schärfe und Dauer der Winde, die damals über diesen Raum hinweggegangen sind. Die reiche Kultur der Bronzezeit (1600-450 v. Chr.) ist dann durch das damals wärmere Klima mit begünstigt worden, das den Pflanzenwuchs und die Waldbildung förderte und damit die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung der Bevölkerung unterstützte. Allein an Hand des klimatisch bedingten Pflanzenwuchses, wie ihn uns in Marsch und Watt versunkene Moore und Baumstämme aus früheren Jahrtausenden belegen und wie wir ihn durch pollenanalytische Untersuchungen am Tuul (Seetorf) nachweisen können, ließe sich eine Geschichte der Entstehung von Sylt bildlich und textlich darstellen. Durch seine Lage und Höhe unterliegt Sylt extremen Verhältnissen. Es sind in erster Linie die Winde, die „bildhauerisch" und „zeichnerisch" am Werke sind. Im Abschnitt „Meeresraum" wurde die W i r kung des Driftstromes auf die Küstengestaltung beschrieben. Die langen Dünenhaken im Norden und Süden mit der erstaunlichen Masse der Sandberge sind ein Erzeugnis der Winde. Auch der Pflanzenwuchs auf der Insel steht unter ihrem Einfluß. Das ist an dem niedrigen Wachstum und an der Windwüchsigkeit der Sträucher und Bäume erkenntlich; der vorherrschende Westwind schert sie ab. Die Bauweise des friesischen Hauses in West-Ost-Richtung, Grundriß und Raumgestaltung des Hauses, selbst die Staffelung der Soden auf dem First von West nach Ost und die Einfriedigung der Gärten und Gewese mit Friesenwällen sind klimatisch bedingt. Daß das Wesen der Menschen ebenso mit beeinflußt wird, ist nur natürlich. Das Klima auf Sylt interessiert uns nun aber im allgemeinen im Hinblick auf den Fremdenverkehr. Die Kurgäste kommen wegen des Meeres und des Klimas auf die Insel. Beide sind auf Sylt besonders wirksam. In Verbindung mit dem Meer ist das Klima als ein Bioklima zu bezeichnen. Wenn die Naturwelt heute die Existenzgrundlage der Inselbewohner bildet, so nimmt das Klima darin den ersten Rang ein. In Anbetracht seiner Bedeutung sollen daher im folgenden einige Ausführungen gemacht werden, die auf die Eigenarten des Sylter Klimas 47

hinweisen. Die Angaben hierzu sowie die beigefügte Tabelle über die „Klimawerte von Westerland und List auf Sylt" verdankt der Verfasser Rudolf Reidat vom Meteorologischen Institut, Hamburg. Im Bereich des Inselklimas bilden Sonne und Wind die Hauptfaktoren. Die Bräunung der Haut und die Auffrischung des Körpers durch die Seeluft gehören zu den begehrten Zielen der Ferienreisenden. Auf Grund langjähriger klimatologischer Beobachtungen ist zunächst über den Sonnenschein folgendes zusagen: „Im Jahresmittel weist Westerland 1600 Stunden Sonnenschein gegenüber nur 1400 Sonnenscheinstunden in Hamburg auf. Der Inselfriese erhält also eine jährliche Sonnenscheinzuteilung, die um 15 °/o größer ist als die des Großstädters an der Niederelbe. Der Sonnenschein verteilt sich auf die Jahreszeiten folgendermaßen: Westerland Hamburg

Winter 146 109

Frühling 520 459

Sommer 646 564

Herbst 288 267

Jahr 1600 1381

Besonders groß ist der Sonnenüberschuß der Insel in den Monaten Mai bis Juli, die zusammen in Westerland 1 1 6 Stunden Sonne mehr aufweisen als in der Hansestadt." Nicht nur die Dauer des Sonnenscheins ist für das Inselklima charakteristisch, sondern auch die große Strahlungsintensität, die die Sonnenstrahlung in Meeresnähe hat. Der besonders für die Bräunung der Haut so wichtige ultraviolette Strahlungsanteil ist in der Dunstglocke über unseren Städten um mindestens 10 °/o geringer als in der reinen Seeluft der Nordfriesischen Inseln. Sand und Meer verstärken an der See außerdem den direkten Strahlenanteil noch durch ihre Reflexion. Über den Wind sagt Reidat: „Zählt man einmal aus einer mehrjährigen Beobachtungsreihe von Sylt und Hannover die Prozentzahl der Tage, an denen windschwaches oder stürmisches Wetter herrschte, so ergibt sich folgende Häufigkeitsverteilung:

List auf Sylt Hannover 48

sdvwachwindig 0-2 Beaufort 26 °/o 49 %

mäßiger Wind 3-5 Beaufort 57 °/o 48 °/o

starker Wind 6 u. mehr Beaufort 17 °/o 3 %>

11,8

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I 10,6

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