Studien zur Theorie und Soziologie des gerichtlichen Verfahrens: Ein Beitrag zur Diskussion um Grundlagen und Grundbegriffe von Prozeß und Prozeßrecht [1 ed.] 9783428459162, 9783428059164

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Studien zur Theorie und Soziologie des gerichtlichen Verfahrens: Ein Beitrag zur Diskussion um Grundlagen und Grundbegriffe von Prozeß und Prozeßrecht [1 ed.]
 9783428459162, 9783428059164

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JÜRGEN SCHAPER

Studien zur Theorie und Soziologie des gerichtlichen Verfahrens

Schriften

zur

Rechtstheorie

Heft 116

Studien zur Theorie und Soziologie des gerichtlichen Verfahrens Ein Beitrag zur Diskussion um Grundlagen und Grundbegriffe von Prozeß und Prozeßrecht

Von D r . Jürgen Schaper

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schaper, Jürgen: Studien zur Theorie u n d Soziologie des gerichtlichen Verfahrens: e. Beitr. zur Diskussion u m Grundlagen u. Grundbegriffe von Prozess u. Prozessrecht / von Jürgen Schaper. — B e r l i n : Duncker u n d Humblot, 1985. (Schriften zur Rechtstheorie; H. 116) I S B N 3-428-05916-6 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1985 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 · Druck: Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-05916-6

Für Edith

Vorwort Das gerichtliche Verfahren ist wohl die Institution, durch die das Recht dem Bürger, gleich ob als Rechtssuchendem oder Rechtsunterworfenem, am greifbarsten erfahrbar wird. Je nach A r t einer solchen Erfahrung kann ein Prozeß dabei als Manifestation staatlicher Machtausübung oder als plastischer Ausdruck rechtsstaatlicher Garantien erscheinen, und je nach Standpunkt kann das gerichtliche Verfahren entweder als freiheitsverbürgende Institution glorifiziert oder als Ausdruck staatlichen Machtanspruchs, j a staatlicher W i l l k ü r perhorresziert werden. Die typische Argumentation für ersteres zielt dabei eher auf die an den Prozeß zu stellenden Ansprüche, die für letzteres betont besonders die tatsächlichen Defizite bei der praktischen Durchführung. So kann es kaum verwundern, wenn eine Prozeßbetrachtung, die sich vornehmlich mit den normativen Anforderungen an den Prozeß beschäftigt, zu ersterem neigt und die Gegenposition gern sozialwissenschaftlich Betrachtungen vereinnahmt, die vermeintliche oder tatsächliche Widersprüche zwischen Anspruch und tatsächlicher Handhabung aufdecken. Die Dichotomie von normativer und empirischer Prozeßbetrachtung läßt sich bei Anwendung eines genügend groben Rasters auch i n der geschichtlichen Entwicklung der Schwerpunkte des wissenschaftlichen Interesses i n der juristischen Prozeßtheorie wiederfinden: Jahrzehnte lang beschäftigte sich die juristische Prozeßtheorie vornehmlich, ja fast ausschließlich m i t den Rechtsbeziehungen innerhalb des Prozesses. Es ging ihr u m die Erfassung und Systematisierung der Prozeßrechtsvorschriften durch dogmatische Figuren wie das Prozeßrechtsverhältnis und den Rechtsschutzanspruch, wobei sie den Begriff des Prozeßrechts lange Zeit als unproblematisch vorgegeben voraussetzte. Soweit die Auswirkungen des Prozeßrechts und des Prozesses i n den Blick kamen, wurden sie unter dem Stichwort Prozeßzweck als Ableitung der Prozeßrechtsvorschriften diskutiert und parallel dazu die Probleme der Anwendung des Rechts i m Prozeß als Methodenproblem. Auffassungen, die auch außerrechtliche Einflüsse auf den Prozeß oder außerrechtliche Wirkungen berücksichtigen wollten, blieben Außenseiterpositionen oder jedenfalls Mindermeinungen. Diese Tradition bricht Mitte der 60er Jahre ab. Ins Blickfeld treten jetzt die außerrechtlichen Einflüsse auf den Prozeß und seine tatsächlichen Wirkungen. Eine fast heillos gewordene Zersplitterung der Methodendiskussion ließ es fraglich erscheinen, ob die normativen Vorgaben für das Verhalten der Prozeßbeteiligten überhaupt noch motivfähig

Vorwort

8

sein konnten. Die Frage lautete nicht mehr, welche normativen Anforderungen an die Prozeßbeteiligten zu stellen sind, sondern welche empirischen Faktoren ihr Handeln, insbesondere das der Richter beeinflussen und welche tatsächliche Bedeutung der Prozeß innerhalb der staatlichen Organisation hat. War die juristische Prozeßtheorie vorher befangen i n einer internen Betrachtung der Normen, wurden die rechtlichen Vorgaben jetzt zu einer A r t „black box", die außerhalb der Betrachtung blieb. Diese Entrechtlichung des Prozesses konnte aber ein rechtlich geregeltes Verfahren allenfalls teilweise erfassen. Schon Ende der 70er Jahre wandte sich das Interesse wieder den rechtlichen Vorgaben der Entscheidungsfindung zu m i t dem Versuch, i n den sprachlichen und logischen Strukturen der Normen nicht nur eine Lösung des Methodenproblems zu finden, sondern spiegelbildlich auch eine Struktur des Prozesses. Die vorliegende Untersuchung liegt i n gewisser Weise quer zu diesen Entwicklungen. Sie knüpft zwar an die traditionelle juristische Prozeßbetrachtung an, aber m i t dem Ziel, aus ihrer K r i t i k einen tragfähigen Begriff des Prozesses und des Prozeßrechts zu gewinnen, der auf empirischer Basis die normativen Vorgaben einschließt. Es geht ihr u m eine Diskussion der Ansprüche, die an den Prozeß und das Prozeßrecht gestellt werden können unter Beachtung der tatsächlichen Beschränkungen, denen die Entscheidungsfindung i m Prozeß unterliegt. M i t dieser Arbeit ist nicht beabsichtigt, die geschlossene Darstellung einer Prozeßtheorie vorzustellen, sondern es w i r d versucht, vorhandene Theoriebildungen aufzuarbeiten, die Reichweite ihrer Ansätze zu analysieren und i n der K r i t i k die tragfähigen Gedanken festzuhalten. Die Untersuchung ist daher allenfalls als Vorbereitung einer allgemeinen Verfahrenslehre zu verstehen. Das Ergebnis ist gleichwohl der Versuch, einige Parameter der inneren Funktionsweise von Verfahren zur rechtlich geregelten Entscheidungsfindung und der Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zu beschreiben. Das Manuskript wurde 1981 abgeschlossen und i m Sommer 1984 von der juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Bei der Drucklegung konnten einige neuere Veröffentlichungen noch berücksichtigt werden. Zu danken habe ich Herrn Professor Dr. Hans-Ludwig Schreiber, der diese Arbeit angeregt hat, und Herrn Professor Dr. Fritz Loos als Zweitgutachter für die von ihnen gegebenen Anregungen und Hinweise sowie dem Verlag Duncker & Humblot für die Aufnahme i n diese Reihe. Bremen, i m J u l i 1985 Jürgen Schaper

Inhaltsverzeichnis Einleitung

23

I. Unterschiedliche Theorieansätze u n d Begriffsbildungen I I . Allgemeines zum Gang der Untersuchung

23 25

1. A b s c h n i t t Juristische Prozeß- und Prozeßrechtsbetrachtungen Teil 1

Dogmengeschichtliche Grundlegung I. Z u r Situation der Prozeßkunde i m 19. Jahrhundert I I . Probleme der gemeinrechtlichen Prozeßkunde

29 29 30

1. Grenzen der Prozeßkunde

30

2. „Grenzüberschreitungen"

31

3. Systematisierungsversuche

31

I I I . Entstehungsbedingungen für die Theorie v o m Prozeß als Rechtsverhältnis

32

1. Übernahme zivilistischer Begriffsbildungen

32

2. Die „Emanzipation dès Prozeßrechts"

33

3. Dogmengeschichtlicher Ausgangspunkt für O. v. B ü l o w

34

Teil 2

Der Prozeß als Rechtsverhältnis I. Bülows Konzeption I I . Streitpunkte unter den Anhängern von Bülows Lehre 1. Gesamtrechtsverhältnis

35 35 37 37

2. Entstehung des Prozeßrechtsverhältnisses

37

3. Beteiligte

37

4. I n h a l t des Prozeßrechtsverhältnisses

38

10

Inhaltsverzeichnis

I I I . Der Rechtsschutzanspruch als I n h a l t des Prozeßrechtsverhältnisses . . 1. Der Begriff des Rechtsschutzanspruchs

39 39

2. Dogmengeschichtliche E n t w i c k l u n g

39

a) Der Rechtsschutzanspruch i n der zivilistischen Theorie (1) Gemeinrechtliche Lehre (2) Windscheid (3) M u t h e r (4) Degenkolb b) Der Rechtsschutzanspruch i n der strafprozessualen Theorie . . (1) Aktionenrechtliches Gedankengut (2) Der „reformierte Strafprozeß" 3. Die E n t w i c k l u n g des Rechtsschutzanspruchs v o n Wach bis heute

39 39 39 40 40 42 42 42 43

a) Rechtsschutzanspruch u n d Streitgegenstand

43

b) Die „Wiedergeburt" des Rechtsschutzanspruchs nach 1960

45

4. Der Rechtsschutzanspruch heute (1) Anspruch auf günstige Entscheidung (2) Subjektives öffentliches Recht (3) Anspruchsvoraussetzungen (a) Prozeßvoraussetzungen (b) Rechtsschutzvoraussetzungen (c) Materielle Begründetheit (d) Prozessuale Überlagerung (4) Freisprechungsanspruch (5) Entstehungszeitpunkt 5. K r i t i k am Begriff des Rechtsschutzanspruchs a) Einwände gegen den Rechtsschutzanspruch Recht (1) Anspruch der Parteien gegeneinander (2) Begriff des subjektiven Rechts

46 46 46 46 46 47 47 47 47 49 49 als

subjektives

b) F ü n f Argumente gegen einen zivilprozessualen Rechtsschutzanspruch (1) Nicht Streitgegenstand (2) K e i n Unterschied zwischen Prozeß- u n d Rechtsschutzvoraussetzungen (3) Brücke zwischen materiellem u n d Prozeßrecht (4) Begründung der Klagvoraussetzungen (5) Reine Theorie c) Der Rechtsschutzanspruch als „Kernstück des Prozeßrechtsverhältnisses" (1) Privatrechtliche Orientierung des Begriffs (2) A b l e h n u n g eines strafprozessualen Rechtsschutzanspruchs . . (a) Strafanspruch (b) Strafklagerecht (c) Rechtsschutzanspruch d) Untauglichkeit des Rechtsschutzanspruchs als prozessualer Grundbegriff

49 49 49 50 50 50 50 51 51 51 51 53 53 53 54 56

Inhaltsverzeichnis I V . Andere (mögliche) Inhalte des Prozeßrechtsverhältnisses 1. Der Justiz(gewährs)anspruch

57 57

a) Der I n h a l t des Justizgewährsanspruchs b) Probleme des Justizgewährsanspruchs als I n h a l t des Prozeßrechtsverhältnisses (1) Vollständigkeit (2) Notwendigkeit (3) Leistungsfähigkeit 2. Rechte u n d Pflichten als Folge der Prozeßhandlungen (Bülows Konzeption)

57 58 58 59 59 60

a) Begründung

60

b) K r i t i k

61

V. K r i t i k an der Lehre v o m Prozeß als Rechtsverhältnis

61

1. Begriff des Prozeßrechtsverhältnisses: Folge der rechtlichen Betrachtung des Prozesses

61

2. Nicht Rechtsfolge der Prozeßvoraussetzungen

61

3. Reiner Sammelbegriff

61

4. Unterscheidung v o n materiellem Recht u n d Prozeßrecht

62

5. Abhängigkeit des Begriffs v o n rechtsdogmatischen Streitfragen . .

62

6. Praktische Bedeutungslosigkeit

62

Teil 3

Der Prozeß als Rechtslage oder die prozessuale Betrachtungsweise

63

I. Grundbegriffe u n d Grundgedanken der Lehre v o m Prozeß als Rechtslage

63

1. Bezugnahme auf die Lehre v o m Prozeß als Rechtsverhältnis u n d neue Deutungen

63

a) D y n a m i k b) Rechtslage 2. U r t e i l als Bezugspunkt u n d Justizgewähr a) Bedeutung der Justizgewähr b) Justizgewähr als staatsrechtlicher, nicht prozessualer Anspruch c) „Prozeßrechtsverhältnis" 3. Rechtliche Imperative u n d Urteilsmaßstäbe a) Der Begriff des Urteilsmaßstabs b) I m Prozeß n u r Urteilsmaßstäbe c) Unterschied v o n materiellem Recht u n d Prozeßrecht

64 64 66 66 67 67 68 68 68 69

4. Die prozessualen „Rechte" u n d „Pflichten": Aussichten, Möglichkeiten u n d Lasten

70

5. Doppelfunktionale Normen u n d Prozeßhandlungen

71

Inhaltsverzeichnis

12

a) Begriff der Doppelfunktionalität

71

b) Beispiel: Erscheinungspflicht

71

c) Entstehungsgeschichte

72

6. Wirkungsbereich u n d Kurzdefinitionen

73

I I . Die prozessuale Betrachtungsweise u n d die Unterscheidung von Prozeßrecht u n d materiellem Recht

73

1. Ausgangspunkt

73

2. Pflichten u n d Lasten i m Prozeß

74

a) Goldschmidts Auffassung 74 b) Gründe für das Nebeneinander v o n Pflichten u n d Lasten i m Prozeß 75 (1) Eigenart der Sanktion bei Lasten 75 (2) Grenzen der Lasten — Gründe für Pflichten 76 3. Doppelfunktionalität materiellem Recht

u n d Unterscheidung v o n Prozeßrecht

und

4. Analyse der doppelfunktionalen Betrachtung I I I . K r i t i k der prozessualen Betrachtungsweise

76 77 79

1. Leistungen der Lehre v o m Prozeß als Rechtslage

79

2. Kritische Punkte — insbesondere der Dynamikbegriff u n d das Problem des unrichtigen Urteils a) D y n a m i k i m materiellen Recht

79 80

b) Statik der Imperative — D y n a m i k der Urteilsmaßstäbe

81

3. Methodische Bedenken a) Grundannahmen der Lehre v o m Prozeß als Rechtslage b) Normative u n d faktische Aussagen c) Das ungelöste Problem

82 82 83 85

Teil 4

Zwischenergebnis I. Der Prozeß als Rechtsverhältnis I I . Der Prozeß als Rechtslage

87 87 88

Teil 5

Eine pragmatische Prozeßbetrachtung I. Versuche zur K o m b i n a t i o n v o n Rechtsverhältnis u n d Rechtslage I I . Prozeßrecht u n d materielles Recht

90 90 91

1. Henkels Analyse möglicher Unterscheidungskriterien

91

2. Folgerungen u n d Ergebnis

93

Inhaltsverzeichnis a) Leistung der Abgrenzung

93

b) Prozeß u n d Prozeßrecht

94

c) Ergebnis

95

I I I . Pragmatische Bestimmung des „Prozeß"-Begriffs 1. K r i t e r i e n zur Eingrenzung a) Möglichkeiten

95 95 95

b) Folgen c) A u s w a h l

95 95

2. Elemente des „Prozesses"

97

a) Einzelne Elemente (1) Entscheidung (2) K o m m u n i k a t i o n (3) Rechtliche Regelung (4) Weitere Bestimmungen (a) Neutralitätspostulat (b) Staatliches Organ (c) Abgrenzung zum Gesetzgebungsverfahren (d) Weitere Abgrenzungsmerkmale b) Zusammenfassung I V . Das Prozeßrecht

97 97 97 98 98 98 99 99 99 99 100

1. Das Prozeßrechtsverhältnis

100

2. Prozeßrecht als öffentliches Recht a) Rechte u n d Pflichten der Parteien

100 100

b) Staatlicher Eingriff — staatliche Leistung

101

3. Prozeßrecht als „besonderes Zivilrecht"?

102

4. Folgerungen u n d Erklärungswert a) Degenkolbs abstraktes Klagrecht b) Prozeßrecht als „angewandtes Verfassungsrecht"

102 103 103

2. A b s c h n i t t Der Zweck des gerichtlichen Verfahrens Teil 1

Einführendes

zum Stellenwert der Prozeßzweckanalyse

104

Teil 2

Darstellung der Prozeßzweckdiskussion I. Begriffsbildungen

107 107

Inhaltsverzeichnis

14

I I . Prozeßzweckbestimmungen

107

1. V e r w i r k l i c h u n g des objektiven, materiellen Rechts

108

2. Durchsetzung subjektiver Rechte

110

3. Schutz v o n Rechtsinstitutionen

110

4. Wahrheit u n d Gerechtigkeit

111

5. Rechtsfrieden

112

a) Ersatz f ü r Selbsthilfe u n d Fehde b) Streitbeendigung durch Entscheidung c) Kombinationen m i t anderen Zweckbestimmungen

112 113 113

6. Rechtssicherheit — Rechtsgewißheit a) Gleichbedeutend m i t Rechtsfrieden b) Schutz v o r staatlicher W i l l k ü r

114 114 114

7. Rechtskraft als Prozeßzweck (Goldschmidt)

115

8. Rechtsausübung (Henckel)

116

9. Kreationstheorien a) Begriff b) Einzelne Ausprägungen (1) B ü l o w / Binder (2) Sauer (3) Pawlowski

116 116 117 117 117 118

10. Schlichtung sozialer K o n f l i k t e

118

11. Rechtsfortbildung

119

12. Prozeßökonomie

119 Teil 3

Zur Analyse und Kritik der Prozeßzweckbestimmungen

120

I. Die K o m b i n a t i o n v o n Prozeßzweckbestimmungen u n d i h r e Grenzen 120 1. Ansätze f ü r Kombinationsbemühungen

120

2. Widersprüche bei der praktischen A n w e n d u n g

120

3. K r i t i k p u n k t e

122

I I . Die Besonderheiten Goldschmidts

der

Kreationstheorien

und

der

Auffassung

1. Bülow, Binder u n d die materielle Rechtskrafttheorie a) Darstellung b) Der Wahrheitsbegriff c) Der Rechtsbegriff d) Ähnlichkeiten u n d Unterschiede zu Sauer u n d Pawlowski 2. Sauers Prozeßtheorie

122 123 123 123 124 125 125

Inhaltsverzeichnis a) Darstellung

125

b) Weitere K r i t i k

126

c) Das Problem der Rechtsfindung i m Prozeß

127

3. Pawlowskis Theorie der prozessualen Rechtsfindung a) Der Rechtsbegriff, Recht u n d Rechtsgang

127 127

b) Anthropologische A n n a h m e n c) K r i t i k

128 129

d) Festzuhaltendes

130

4. Goldschmidts Theorie der Rechtskraft als Prozeßzweck

130

a) Goldschmidts Lehre u n d die Kreationstheorien

130

b) Tautologie u n d Fehlschluß c) Die verkürzte Empirie

131 132

I I I . Wahrheit u n d Gerechtigkeit u n d die übrigen mungen

Prozeßzweckbestim-

1. Unterschiedliche Fragestellungen

132 132

a) Zweck u n d F u n k t i o n

133

b) Zweck des Prozeßrechts c) Zweckmäßigkeit des Rechts u n d Zweckmäßigkeitsrecht (1) Zweckmäßigkeit u n d Ökonomie des Prozesses (2) Zweckmäßigkeit des materiellen Rechts

135 135 135 136

2. Analyse des Prozeßzwecks

137

a) Prozeß u n d die Ablösung v o n Fehde u n d Selbsthilfe (1) Das staatliche Gewaltmonopol (2) Zusammenhang zwischen Prozeß u n d Gewaltmonopol

137 137 138

b) Prozeß als Entlastung des staatlichen Gewaltmonopols c) Überlegungen zur Präzisierung eines Begriffs der „Gerechtigk e i t " für die praktische Handhabung (1) „Gerechtigkeit" als Maßstab f ü r den I n h a l t einer Entscheidung u n d w a r u m auf den Begriff nicht verzichtet werden kann (2) Schwierigkeiten einer inhaltlichen Bestimmung u n d p r a k tische Annäherung (a) Unbestimmtheit des Gerechtigkeitsbegriffs (b) Recht u n d Gesetz als praktische Annäherung

139

3. Probleme v o n „Recht u n d Gesetz" als Maßstab f ü r den I n h a l t einer Entscheidung a) D y n a m i k des Gesetzes u n d Grenzen der Gesetzesbindung b) Gesetzesbindung als selbstverpflichtetes politisches Handeln . . (1) Verantwortliches politisches Handeln (2) Modell einer Gesetzesbindung als Arbeitsteilung (3) Juristisch-technische Möglichkeiten einer offenen Gesetzesbindung c) Gesetzesbindung u n d soziale Kontrolle d) A l t e r n a t i v e n zum Gesetzesbindungspostulat (1) Individuelle Gerechtigkeitsvorstellungen

141 141 142 142 143 144 144 145 145 146 147 147 148 148

Inhaltsverzeichnis

16

(2) Schlichtung sozialer K o n f l i k t e als Prozeßzweck e) Zwischenergebnis

150 151

4. Z u m Verhältnis von materiellem Recht, Prozeßrecht u n d Gerechtigkeit 152 a) Materielles Recht u n d Prozeß b) Der Gerechtigkeitswert verfahrensrechtlicher Normen u n d der Zusammenhang v o n Prozeßrecht u n d materiellem Recht (1) ζ. B. Die Prozeßmaximen (2) ζ. B. Prozessuale Lasten (3) Prozeßrecht als staatliches Eingriffsrecht c) Zwischenergebnis (1) Beziehungen des materiellen u n d Prozeßrechts (2) Der Prozeß k a n n nicht besser sein als das materielle Recht, das Grundlage für die Entscheidung ist 5. Z u m Verhältnis v o n Wahrheit u n d Gerechtigkeit

152 152 152 153 154 155 155 155 156

a) Unabhängigkeit v o n Unwahrheit i m Prozeß u n d Gerechtigkeit der Entscheidung 156 b) „Unwahre" Tatsachen u n d „wahre" N o r m c) Schlußfolgerungen 6. Z u m Problem der Tatsachenfeststellung u n d Wahrheitsfindung i m Prozeß a) Abhängigkeiten zwischen Tatsachen u n d Normen (1) Das Problem (Hermeneutischer Zirkel) (2) Eine Lösung (Antrag u n d Streitgegenstandsbestimmung) . . (3) Formvorschriften (4) Erörterung v o n Tatsachen u n d Normen b) Die Feststellung v o n Tatsachen u n d ihre Grenzen I V . Z u den Einwänden der Gegenpositionen 1. Formelle-materielle Wahrheit a) Begriff der formellen Wahrheit b) Verhandlungsmaxime c) Dispositionsmaxime

156 157 158 158 158 158 159 159 159 160 160 160 161 161

2. Das unrichtige U r t e i l 162 a) Rechtsfrieden, Rechtssicherheit oder Rechtsgewißheit als Prozeßzweck 162 (1) Das Problem 162 (2) Z u r Analyse u n d K r i t i k 162 (3) Der Zweck des Urteils 163 (4) Festzuhaltendes 164 b) Der ungerechtfertigte Vollstreckungsbetrieb 164 (1) Keine Abhängigkeit des Prozeßzwecks v o m Problem der Vollstreckung eines unrichtigen Urteils 164 (2) V e r m u t u n g der Richtigkeit u n d Lösungsvorschlag 165 3. Die Grenzen der Rechte u n d ihrer Ausübung a) Henckels Ansicht u n d ihre Widersprüche

165 165

Inhaltsverzeichnis b) E i n verdecktes Problem

166

c) Festzuhaltendes

166

4. Die Dichotomie v o n „subjektiven Rechtsordnung" a) Auflösung der Dichotomie

Rechten"

und

„objektiver

b) Hintergründe eines Scheingefechts

167 167 167

Teil 4

Zwischenergebnis und Überleitung

169

I. Zwischenergebnis

169

1. Z u m Prozeß

169

2. Z u m Prozeßzweck u n d der Ausgestaltung des Prozesses

170

3. Prozeßzweck, Recht u n d Gesetz

171

I I . Überleitung

172

1. Z u r — sozialwissenschaftlich begründeten — K r i t i k am Prozeß . . 172 a) K r i t i k p u n k t e (1) Recht u n d Rechtsanwendung (2) Zugangsbarrieren (3) Unterschiedliche Handlungskompetenzen (4) Strukturelle Asymmetrie b) Z u r Einordnung dieser K r i t i k

172 172 173 173 173 173

2. Prozeß als Diskurs a) Habermas' Auffassung b) S t r u k t u r des Prozesses u n d Diskurs (1) Theorie der juristischen Argumentation (2) Handlungsformen i m Prozeß (3) Konsensustheorie der Wahrheit u n d Prozeß c) „Quasi Diskurs"

174 174 174 175 176 177 178

3. E i n grundlegend anderer soziologischer Ansatz

178

3. A b s c h n i t t Exkurs — Grundlagen und Grundbegriffe der Systemtheorien Teil 1

Einleitung

179

Teil 2

Systemtheorien I. Allgemeine Systemtheorie (General-Systems-Theory) 2 Schaper

181 181

Inhaltsverzeichnis

18

I I . Kybernetische Systemtheorie

181

1. Grundlagen

182

2. Komplexe Systeme

182

I I I . Struktur-funktionale Systemtheorie (Talcott Parsons) 1. Allgemeines Handlungssystem a) Der Bezugsrahmen

183 183 183

b) S t r u k t u r (1) Strukturbegriff (2) „pattern variables"

184 184 184

c) F u n k t i o n (1) Prozesse (2) Vier Systemprobleme (AGIL-Schema)

185 185 185

2. Die vier Subsysteme a) Verhaltensorganismus b) Persönlichkeitssystem

186 186 186

c) Sozialsystem (1) Vorbemerkung (2) S t r u k t u r — Rollentheorie (3) F u n k t i o n d) Kulturelles System 3. Z u m Anwendungsbereich

188

I V . F u n k t i o n a l - s t r u k t u r e l l e Systemtheorie (Niklas Luhmann) 1. Parson's Systemtheorie als Ausgangspunkt 2. Luhmanns Konzeption a) b) c) d)

187 187 187 188 188

189 189 189

Der funktionelle Bezugspunkt Systemgrenzen u n d Sinnbegriff K o m p l e x i t ä t des Systems S t r u k t u r u n d Prozeß (1) S t r u k t u r (2) Prozesse

3. Z u m Anwendungsbereich

190 190 191 192 192 193 193

Teil 3 Systemtheorie und Recht I. Rechtssystem 1. Der Systembegriff der Rechtswissenschaft

194 194 194

2. Leistungsfähigkeit u n d Grenzen des „Systems der Rechtssätze" . . 195 I I . Grundbegriffe u n d Grundzüge i n Luhmanns Rechtssoziologie

196

Inhaltsverzeichnis

19

1. Der Begriff des Rechts

196

2. Positives Recht

197

a) Das politische (Sub-)System u n d seine F u n k t i o n

197

b) Der Machtbegriff

197

c) Positivierung des Rechts

198

3. Programmierendes u n d programmiertes Entscheiden a) Programmierung

199 199

b) Zweck- u n d Konditionalprogramm

200

c) Programmiertes Entscheiden

200

4. A b s c h n i t t Niklas Luhmanns Legitimation durch Verfahren

Teil 1

Der Verfahrensbegriff I. Gegenstand

202

I I . Der systemtheoretische Ansatz

202

1. Der Systembegriff

203

2. Strukturen des Verfahrenssystems

203

a) Ausdifferenzierung u n d Autonomie

203

b) Prozeßrecht

204

c) Verfahrensgeschichte

204

3. Folgerungen für den Verfahrensbegriff

205

a) Verfahren als faktische K o m m u n i k a t i o n

205

b) Unabhängigkeit v o m Entscheidungsprozeß

205

Teil 2

Der Begriff

der Legitimation durch Verfahren

I. K r i t i k der „klassischen Verfahrenslehren" I I . Der Legitimationsbegriff 1. F u n k t i o n v o n Wahrheit u n d Macht 2. Legitimität

2*

207 207 208 208 209

a) Begriff

209

b) Anerkennung

209

Inhaltsverzeichnis

20 c) Begriff des Lernens

210

3. Legitimation durch institutionalisiertes Lernen a) Lernen allgemein

210 210

b) Enttäuschungsfreies Lernen

211

c) Lernen durch Enttäuschung

211

d) Konfliktlösungsmechanismus: Legitimation durch Verfahren . . 212 I I I . Systemmerkmale u n d Leistung des Verfahrenssystems

213

1. Ausdifferenzierung u n d Autonomie

213

2. Rollenverhalten u n d K o n f l i k t d ä m p f u n g

213

3. Vereinzelung u n d K r i t i k i m m u n i s i e r u n g

215

I V . Festzuhaltendes: Der Legitimationsmechanismus als F u n k t i o n v o n Verfahren 215

Teil 3

Legitimation durch Verfahren und die juristische Prozeßzweckdiskussion I . Verbindlichkeit der Entscheidung

217 217

1. Parallelen Goldschmidt — L u h m a n n

217

2. Unterschiede

217

I I . „Legitimation" u n d Rechtskraft

218

Teil 4

Zur Kritik an Niklas Luhmanns Légitimation durch Verfahren I. Einleitung I I . Z u Luhmanns Begriff der Legitimität u n d Legitimation

220 220 220

1. Begriffsgeschichte der „ L e g i t i m i t ä t "

221

a) Legitimität als Rechtsbegriff

221

b) Legitimation i n der Soziologie (Weber, Parsons)

221

c) Gegenpositionen (1) Wahrheitsabhängigkeit der Legitimation (Habermas) (2) Faktisierung der Legitimation (Luhmann)

222 222 222

2. Die juristische K r i t i k an Luhmanns Legitimationsbegriff

223

a) Ansatzpunkte der juristischen K r i t i k (1) Ausgangspunkte (2) Argumente: „Fellachisierung" u n d Grundkonsens

223 223 223

Inhaltsverzeichnis (3) Luhmanns Replik

224

b) Unterschiedliche Begriffsbildungen

225

c) Mißverständnisse (1) Legitimation des Verfahrens (2) Lernbegriff (3) Verfahren u n d Entscheidungsprozeß

225 225 226 226

d) Resümee

226

3. Luhmanns Legitimationsbegriff: Macht durch Verfahren

227

a) Legitimation, Wahrheit u n d Macht

227

b) Wahrheit u n d Macht u n d die F u n k t i o n v o n Verfahren

228

c) Z u m Verhältnis v o n Legitimität u n d Macht

229

4. Legitimation außerhalb v o n Verfahren

231

a) Realer Konsens — Institutionalisierung v o n Verhaltenserwartungen 231 b) Grundkonsens als deus ex machina

233

I I I . Bemerkungen zu Luhmanns Einsichten i n den Gang des gerichtlichen Verfahrens 233 1. Luhmanns Interpretation der Verfahrensprinzipien 2. Einschätzungen zum Realitätsgehalt der Interpretation

233 234

a) Ungewißheit als M o t i v a t i o n für Teilnahme?

235

b) Isolierung streitbarer Interessen?

235

3. K r i t i k der Juristen I V . Z u Luhmanns Verfahrensbegriff

237 239

1. Luhmanns Anspruch

239

2. „Wirkliches Geschehen"

239

a) Überdifferenziertheit des Verfahrensbegriffs

240

b) Überabstraktheit des Legitimationsbegriffs

240

3. Die zweite Perspektive

241

a) Das Schauspiel der Gerechtigkeitssuche

241

b) Z u r empirischen Überprüfung der beiden Perspektiven

241

4. Das Problem v o n Verfahren u n d Entscheidung a) E i n Scheinargument

242 242

b) Entscheidung u n d Vollstreckung

243

c) Luhmanns „Formalismus"

244

d) Folgerung

245

V. Ergebnis

246

1. Z u r K r i t i k

246

2. Z u r Gegenposition

247

Inhaltsverzeichnis

22 Schlußbemerkungen

249

I. Anstelle einer Zusammenfassung

249

I I . Die F u n k t i o n gerichtlicher Verfahren

249

1. Der „soziale K o n f l i k t "

249

2. Konfiiktlösungsbedingungen

250

3. Die Strategie des Verfahrens

250

a) Isolierter K o n f l i k t

250

b) Lösungsmechanismen

250

c) Folgenorientierung durch Recht

250

d) Das Idealbild verfahrensmäßiger Konfliktlösung

251

4. Die Verfahrenskommunikation

251

a) Informationsquellen

251

b) Sachverhaltserarbeitung

251

c) Abschluß

252

5. Die F u n k t i o n der Institutionalisierung

252

a) Schutz des staatlichen Gewaltmonopols

252

b) Recht u n d Handlungsorientierung

253

c) Grenzen der Funktionsfähigkeit

253

6. V o r - u n d Nachteile

253

a) Vorteile b) Nachteile 7. Prozeß u n d Recht

Literaturverzeichnis

253 !

254 255

256

Einleitung I. Unterschiedliche Theorieansätze und Begriffsbildungen Das gerichtliche Verfahren stößt i n der öffentlichen Diskussion auf ein erhebliches Interesse, das jedoch von einem seltsamen Zwiespalt gekennzeichnet ist: Einerseits w i r d das Verfahren als die entscheidende Erscheinungsform des Rechtslebens betrachtet und Veröffentlichungen über „Prozesse" sind zum Teil häufiger zu finden als Berichte über neue Gesetzgebungsvorhaben; andererseits erscheinen die Verfahrensregelungen und ihre Formalien ebenso häufig undurchschaubar und unverständlich. A u f den ersten Blick w i r d diese vermeintliche Undurchschaubarkeit durch die wissenschaftliche Behandlung von Verfahrensproblemen kaum aufgeklärt. Die wissenschaftliche Diskussion zeigt ein derartig breites Meinungsspektrum zur Erklärung von Erscheinungsformen und zur systematischen Einordnung von Verfahrensregelungen, daß sie eher geeignet erscheint, Unklarheiten zu vergrößern als abzubauen. Symptomatisch für die verwirrende Vielfalt der Erklärungsversuche ist, daß es noch nicht einmal einheitliche Definitionen für die Grundbegriffe gibt. Schon der Begriff Prozeß, durch den der Gegenstand einer Betrachtung des gerichtlichen Verfahrens an sich festgelegt sein müßte, ist schillernd i n den Bedeutungen, i n denen er benutzt wird. 1 So kennzeichnet er einmal das zivilprozessuale bzw. verwaltungsgerichtliche Erkenntnisverfahren u n d die strafrechtliche Hauptverhandlung 2 , w ä h rend andererseits zwischen dem „Prozeß i m engeren Sinn" (gemeint ist w i e vorstehend die Gerichtsverhandlung) u n d „Prozeß i m weiteren Sinn" (unter Einschluß der Vollstreckung) unterschieden wird.® I m strafrechtlichen Bereich w i r d zum T e i l das gesamte Verfahren bis zum U r t e i l unter Einschluß des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens zum „Prozeß" gerechnet. 4 Der Begriff w i r d aber auch zur Kennzeichnung „der Rechtseinrichtung als solcher" 5 verwendet, w o m i t meist die Rechtsprechung i m Sinne des A r t i k e l s 92 GG gemeint ist.« 1 Verschiedene Bedeutungen sind bei Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. A , S. 3 aufgeführt. 8 So ζ. B. Grunsky, Grundlagen, § 1 I I , S. 2; Henckel, Prozeßrecht, S. 8. 8 So für den Zivilprozeß Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. B, S. 3. 4 Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, Rdn. 45, S. 59. 5 So Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. A , S. 3. 6 Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 39.

24

Einleitung

Des weiteren w i r d die Bezeichnung „Prozeß" f ü r das Durchlaufen einer Sache durch den Instanzenzug bis zur endgültigen (rechtskräftigen) E n t scheidung benutzt. A b e r auch der Instanzenzug selbst heißt „Prozeß". Die Begriffe „Prozeß" u n d „Verfahren" werden häufig synonym verwendet 7 , während andere sie nach den verschiedensten K r i t e r i e n unterscheiden: Dabei taucht Verfahren z . B . als Oberbegriff i m Sinne der Unterscheidung gerichtlicher u n d nicht gerichtlicher Verfahren auf. 8 Eine Unterscheidung w i r d aber auch i n dem Sinne getroffen, daß „ i n einem Verfahren mehrere Prozesse erledigt werden, so ζ. B. Klage u n d Widerklage". 9 Schließlich w i r d der Begriff „Prozeß" auch noch für „Prozeßrecht" verwendet, was bedeutet, daß für diese Ansicht Prozeß u n d Prozeßrecht identisch sind. 1 0 Diese Liste ließe sich für weitere Begriffe fortsetzen. So klagt z . B . Niese über die Diskussion zum Rechtsschutzanspruch: 11 „Dazu k o m m t eine v e r w i r rende Fülle v o n Bezeichnungen; jeder schafft sich eine eigene Nomenklatur, u n d m a n glaubt sich i n die gemeinrechtliche Dogmatik des 19. Jahrhunderts versetzt, w o es als höchstes Verdienst galt, eine neue Unterscheidung und neue Namen dafür gefunden zu haben." 1 2 Es g e h ö r t zu d e n P r o b l e m e n j e d e r Geisteswissenschaft, daß sie e i n e n T e i l i h r e r B e m ü h u n g e n a u f die E r s t e l l u n g e i n e r b r a u c h b a r e n T e r m i n o l o g i e v e r w e n d e n m u ß , da n u r e i n d e u t i g e B e g r i f f e v e r b i n d l i c h e u n d ü b e r p r ü f b a r e Aussagen e r l a u b e n . 1 3 M a n sollte d a h e r m e i n e n , daß die D a r s t e l l u n g , insbesondere aber d i e A n a l y s e u n d K r i t i k e i n z e l n e r V e r f a h rens- u n d P r o z e ß t h e o r i e n voraussetzt, daß i h r e i n v e r b i n d l i c h e r B e g r i f f s a p p a r a t v o r a n g e s t e l l t w i r d . D e n n o c h w ä r e es v e r f e h l t , der V i e l z a h l v o n D e f i n i t i o n e n u n d B e g r i f f s b e s t i m m u n g e n u n v e r m i t t e l t eine neue eigene h i n z u z u f ü g e n . D i e u n t e r s c h i e d l i c h e V e r w e n d u n g d e r B e g r i f f e e r k l ä r t sich n ä m l i c h w e i t g e h e n d aus d e n u n t e r s c h i e d l i c h e n t h e o r e tischen A n s ä t z e n , die e i n e n e i n h e i t l i c h e n t h e o r e t i s c h e n A u s g a n g s p u n k t f ü r die D a r s t e l l u n g u n d A n a l y s e des „Prozesses" u n d seiner P r o b l e m e p r a k t i s c h n i c h t m e h r e r k e n n e n lassen. H i e r k o n k u r r i e r e n die verschiedensten, i m e n g e r e n S i n n e j u r i s t i s c h e n K o n z e p t i o n e n m i t anderen, die sich z u m T e i l a u f soziologische A n s ä t z e z u r V e r f a h r e n s t h e o r i e s t ü t z e n 1 4 7

Hagen, Elemente, S. 15; Henckel, Prozeßrecht, S. 22. v o n Kries, Strafprozeßrecht, S. 2, 4. 9 Rosenberg / Schwab, § 1 I I 1, S. 1. 10 So ζ. B. Friedrich Stein i n seinem berühmten W o r t : „Der Prozeß ist für mich das technische Recht i n seiner allerschärf sten Ausprägung . . . ; (Grundriß, V o r w o r t zur 1. A u f l . S. X I V — Hervorhebung n u r hier). 11 Z u m Rechtsschutzanspruch siehe unten 1. Abschnitt T e i l 2 I I I . 12 Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 26. 13 Vgl. dazu Hagen, Elemente, S. 14 f. 14 z. B. Callies, Theorie der Strafe i m demokratischen u n d sozialen Rechtsstaat; Rottleuthner, K J 1970, S. 282 ff.; K J 1971, S. 60 ff.; siehe auch den Definitionsansatz des „labeling approach", i n Deutschland v o r allem vertreten v o n Fritz Sack (z. B. Neue Perspektiven i n der Kriminologie, i n : Sack / König, Kriminalsoziologie, S. 431 ff.; K r i m . Journ. 1972, S. 3 ff.), der sich vornehmlich 8

II. Allgemeines zum Gang der Untersuchung

25

oder explizit eine rein soziologische Analyse liefern wollen, wie zum Beispiel Niklas Luhmann 1 5 , während andererseits Jürgen Rödig 1 6 versucht hat, von einem rechtstheoretisch, rechtslogischen Ansatz her den Prozeß durch die „logische Form des Beweises" zu beschreiben. Hieran zeigt sich bereits, daß zur „Prozeßtheorie" sehr unterschiedliche Fragestellungen gezählt werden. Der Versuch, die unterschiedlichen theoretischen Ansätze für eine Analyse aufzuarbeiten, stößt damit auf das Problem, sich m i t ausgesprochen heterogenen Gegenständen beschäftigen zu müssen. Dieses Problem dürfte der Grund dafür sein, daß die wissenschaftliche Diskussion sich inzwischen soweit i n Spezialgebiete aufgesplittert hat, daß i n der Vielfalt der Meinungen eine gemeinsame Grundlage kaum mehr erkennbar ist; ganz zu schweigen davon, daß die wissenschaftliche Diskussion die Praxis längst nicht mehr erreicht und umgekehrt die Praxis zumindest noch das Vokabular einer Theorieentwicklung verwendet, die von der Wissenschaft inzwischen ad acta gelegt wurde. So scheint es, daß die juristische Praxis über den Stand der Theorie vom Prozeß als Rechtsverhältnis 17 kaum hinaus gekommen ist. Wie selbstverständlich w i r d die Terminologie dieser Theoriebildung verwandt, wenn m i t dem „Prozeßrechtsverhältnis" argumentiert w i r d 1 8 , und auch der „Staatliche Strafanspruch", der hier einen seiner U r sprünge hat, ist wenigstens noch dazu gut, „ v e r w i r k t " zu werden. 1 9 Zwar nährt die A r t der Argumentation den Verdacht, daß z. T. nur noch eine Terminologie ohne genaue Kenntnis des theoretischen Hintergrundes benutzt wird, aber die Beispiele zeigen doch, daß diese Theorie für die Praxis nicht erledigt ist. Π . Allgemeines zum Gang der Untersuchung 1. Wer überhaupt den Versuch machen w i l l , mit einer Aufarbeitung von Prozeßtheorie auch die Ansatzpunkte der Praxis zu erreichen, w i r d daher mit einer A r t rechtshistorischer Untersuchung dieses Theorieansatzes beginnen und i n Kauf nehmen müssen, daß ein mehr an der auf Harold Garfinkel (Conditions of Successfull Degradiation Ceremonies, in: American Journal of Sociology 1956, S. 420 ff.) beruft; aber auch F e e s t / Blankenburg, Definitionsmacht, insbesondere S. 114 ff.; Quensel, Wie w i r d man kriminell?, i n : H. Giesecke (Hrsg.), Sozialpädagogik, S. 45 ff.; dazu u n d zu weiteren Ansätzen Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 117 ff. 15 Luhmann, Legitimation durch Verfahren. 18 Rödig, Theorie des Gerichtlichen Erkenntnisverfahrens. 17 Siehe unten 1. Abschnitt T e i l 2. 18 z. B. B G H N J W 1982, S. 1598. 19 z. B. B G H N J W 1980, S. 1760; B G H NStZ 1981, S. 70; B G H StrVert. 1981, S. 276; zum Strafanspruch unten 1. Abschnitt T e i l 2 I I I 5 c) (2).

26

Einleitung

neueren Theorieentwicklung interessierter Leser diese Diskussion nicht besonders aufregend finden mag; eine Einschätzung, die angesichts der großen praktischen Bedeutung der Theorie allerdings bedauerlich wäre. Es soll daher auch gezeigt werden, i n welcher Situation diese Theorie entstanden ist und auf welche Fragestellung sie zunächst A n t w o r t geben wollte, denn nur daraus w i r d erklärlich, warum sie eine so breite Anhängerschaft finden konnte, und es soll auch gezeigt werden, warum diese Theorie trotz eines letztlich verfehlten Ansatzes so viel zur Weiterentwicklung des Prozeßrechts beitragen konnte. Ihre Bedeutung liegt darüber hinaus darin, daß sie der theoretische Ausgangspunkt praktisch aller rein juristischen Prozeßbetrachtungen und Prozeßlehren ist. Selbst ihr Gegenpol, die Theorie vom Prozeß als Rechtslage 20 hat weitgehend auf ihrem Ansatz aufgebaut. Diese Lehre wiederum verdient besondere Beachtung, weil i n ihr Differenzierungen und Gedanken angelegt sind, die sich bei Niklas Luhmann i n seiner rein soziologischen Prozeßbetrachtung wiederfinden. 2 1 2. M i t der Anknüpfung an die Praxis ist der eine Ausgangspunkt der Untersuchung beschrieben. Ein zweiter ergibt sich aus der Dichotomie von juristischer und soziologischer Prozeßbetrachtung. Eine erste Klärung von Unklarheiten dürfte mit der Feststellung erreicht sein, daß „Prozeß" aus zwei unterschiedlichen Komponenten besteht: 1. Prozeß kann aufgefaßt werden als die Summe der Rechtsnormen, durch die er geregelt wird. Er kann m i t Hilfe und durch Analyse dieser Normen beschrieben werden. M i t Hagen 2 2 kann man dies als „normativen Prozeß" bezeichnen. Er ist normalerweise Gegenstand der juristischen Prozeßrechtslehre. 2. Prozeß kann beschrieben werden als Summe von Handlungen, die i n einem soziologischen Sinnzusammenhang stehen. Hagen 23 nennt dies den „empirisch-soziologischen Prozeß". Diesen Prozeßbegriff legt z. B. Luhmann 2 4 seiner Verfahrenstheorie zugrunde. Die Untersuchung w i r d zeigen, daß diese Unterscheidung insbesondere bei der Theorie vom Prozeß als Rechtsverhältnis überhaupt nicht i n den Blick kommt, weil sie den Prozeß ausschließlich als eine Summe von Rechtsnormen betrachtet und daher nicht mehr zwischen Prozeß und Prozeßrecht unterscheiden kann und braucht. Für sie ist Prozeß 20

Siehe unten 1. Abschnitt T e i l 3. Siehe unten 4. Abschnitt T e i l 3. 22 Hagen, Elemente, S. 19 f. 23 Ebenda. 24 Luhmann, Legitimation durch Verfahren; Rechtssoziologie Bd. 1, S. 142, dazu näher unten 4. Abschnitt. 21

II. Allgemeines zum Gang der Untersuchung

27

gleich Recht. Es w i r d sich aber zeigen, daß der normative Prozeß ohne Rückgriff auf den empirischen überhaupt nicht beschrieben werden kann und Versuche, das Prozeßrecht allein nach normativen Kategorien vom materiellen Recht abzugrenzen, zum Scheitern verurteilt sind. 25 Andererseits kann sich eine Prozeßtheorie nicht darauf beschränken, das faktische Verhalten der Verfahrensbeteiligten empirisch zu erfassen und gegen die Norm i n Kontrast zu setzen. Untersuchungen über das Verhalten von Richtern und ihren A t t i t ü d e n 2 6 ergeben noch keine Prozeßtheorie. Ganz i m Sinne Luhmanns 2 7 sind normativer und empirischer Prozeß vielmehr zwei Pole, die i n Bezug aufeinander zwar als variabel gedacht werden müssen, deren Beziehung zueinander aber gerade das Wesentliche rechtlich geregelter Verfahren ausmachen. 3. I m einzelnen verfolgt die Untersuchung das Konzept, i m 1. Abschnitt aus einer Diskussion der Theorie vom Prozeß als Rechtsverhältnis und der vom Prozeß als Rechtslage Kriterien für die Bildung eines Prozeßbegriffs und die Unterscheidung von Prozeßrecht und materiellem Recht zu gewinnen. I n diesem Zusammenhang w i r d versucht, das Verhältnis von normativem und empirischem Prozeß i n einer pragmatischen Prozeßbetrachtung zu klären. Die Einschätzung der Tragweite der gewonnenen Unterscheidung w i r d zeigen, daß näherer Aufschluß über die Bedeutung von Prozeß und Prozeßrecht erst aus der Bestimmung des Prozeßzwecks zu gewinnen ist. Dem w i r d i m 2. Abschnitt nachgegangen. Schon bei dieser Diskussion w i r d die Unterscheidung von Zweck und Funktion zu beachten sein. Das Ergebnis dieser Untersuchung muß sich dann der Frage stellen, ob es angesichts der tatsächlichen Wirkungen, der Funktion von Verfahren nicht nur eine realitätsferne Idealisierung darstellt. Dies w i r d i m 4. Abschnitt i n Auseinandersetzung m i t der Theorie Luhmanns untersucht. Dem ist i m 3. Abschnitt zum besseren Verständnis ein Exkurs über Grundlagen und Grundbegriffe der Systemtheorien vorangestellt. Damit ist zugleich der Rahmen für eine Beschränkung der Vielzahl der theoretischen Ansätze abgesteckt. 25 Dazu näher unten 1. Abschnitt, Teile 1, 2, 4; unter Berufung auf K a r l Peters (Strafprozeßlehre, in: Gedächtnisschrift für Hans Peters, S. 905) formul i e r t Schreiber (ZStW 88 (1976), S. 117): Eine „Absage an eine . . . Beschränk u n g auf eine rein juristische Betrachtung von Verfahren". 26 Z u diesen Ansätzen Rottleuthner, Richterliches Handeln, S. 61 ff. m i t umfangreichen Nachweisen. 27 Luhmann, Legitimation, S. 12/13.

28

Einleitung

Die Darstellung der juristischen Prozeßkonzeption w i r d i m wesentlichen auf die Theorie vom Prozeß als Rechtsverhältnis und vom Prozeß als Rechtslage beschränkt. Andere Ansätze finden sich zum Teil i n der Darstellung der pragmatischen Prozeßbetrachtung wieder oder werden i m Zusammenhang m i t der Diskussion u m den Prozeßzweck behandelt. 28 Juristische Konzeptionen, die i m wesentlichen auf soziologischen Verfahrenstheorien aufbauen, werden nicht ausführlich behandelt, weil ihre Grundlagen entweder i m Zusammenhang m i t den soziologischen Verfahrenstheorien behandelt werden oder weil sie mit dem Gang der Untersuchung nicht i m direkten Zusammenhang stehen. Eine zweite Beschränkung ergibt sich daraus, daß es teilweise innerhalb einzelner Ansätze noch ein derartig breites Spektrum von Meinungen gibt, daß sie nicht alle i m einzelnen behandelt werden können. Dies zwingt zur Vereinfachung der Darstellung. Sie ist jedoch gerechtfertigt, weil es hier nicht so sehr u m Einzelergebnisse geht, sondern u m eine Auseinandersetzung m i t dem theoretischen Ansatz, den Möglichkeiten, die er eröffnet, und den Beschränkungen, denen er unterliegt. Dies bedeutet gleichzeitig, daß die unübersehbare Menge an Literatur, die sich m i t dem Prozeß und seinen Problemen beschäftigt, nicht vollständig berücksichtigt werden kann. Eine dritte Beschränkung ergibt sich schließlich daraus, daß die Erörterungen mehrfach zu grundlegenden philosophischen, rechtstheoretischen und rechtsmethodischen Fragestellungen vorstoßen werden, ohne diese Grenzfragen immer i n der ihnen vielleicht angemessenen Weise vertiefen zu können. Hier muß i n Einzelfällen ein knapper Hinweis genügen, u m das Gesamtkonzept nicht aus dem Auge zu verlieren. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß einem nur an Teilaspekten interessierten Leser dadurch entgegengekommen wird, daß alle 4 Abschnitte so konzipiert sind, daß sie trotz des verfolgten Gesamtkonzepts jeweils für sich verständlich sein müßten.

28 ζ. B. Sauers „prozessuale Betrachtungsweise" (Sauer, Arch. f. R u W i P h i l . 19, S. 268 ff.) unten 2. Abschnitt Teil 3 I I 2); Pawlowskis Theorie der prozessualen Rechtsfindung (Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 345 ff.) unten 2. A b schnitt Teil 3 I I 3).

1. Abschnitt

Juristische Prozeß- und Prozefirechtsbetrachtungen

Teil 1

Dogmengeschichtliche Grundlegung I. Zur Situation der Prozeßkunde im 19. Jahrhundert Wenn man bedenkt, daß der Verfahrensaspekt für liberale Staatsdenker nahezu das Wesen von Recht und Staat ausmachte,1 zumindest aber die praktische Bedeutsamkeit von Verfahren stets bewußt war, so mag es verwundern, daß die wissenschaftliche Behandlung des Prozesses zunächst mit der des materiellen Rechts nicht Schritt hielt: I m Bereich des Zivilrechts wurde der Lehre vom Prozeß bis i n die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nur ein schmaler Bereich zugewiesen. Unger 2 hat noch 1859 der Wissenschaft vom Prozeß als Gegenstand allein das Wie der Verwirklichung der Privatrechte, also nur die Formen des Prozesses zugeschrieben 3 , und es ist auch nicht als Polemik zu verstehen, wenn Nettelblatt 4 den Prozeß als „Kunst A k t e n anzufertigen und m i t ihnen geschickt umzugehen" definierte. Diese Auffassung scheint am besten m i t den 1921 Worten Friedrich Steins 5 beschrieben. Danach ist „der technische Recht i n seiner allerschärfsten Ausprägung, den Zweckmäßigkeiten beherrscht, der Ewigkeitswerte 1

geschriebenen Prozeß . . . das von wechselnbar". 0 Ähnlich

Luhmann, Legitimation, S. 11 m i t Nachweisen. Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts (1. A u f l . 1859), § 112. 8 Vgl. Gaul, AcP 168 (1968), S. 27 (28). 4 Nettelblatt, A b h a n d l u n g von der Praktischen Rechtsgelehrtheit (1764), § 8, zitiert nach Degenkolb, Einlassungszwang, S. 1 ff. 5 Stein, Grundriß, V o r w o r t zur 1. Aufl., S. X I V . 6 Gaul (AcP 168 (1968), S. 32/33) hat nachzuweisen versucht, daß dieser Satz Steins Auffassung n u r unzureichend wiedergibt. Er verweist darauf, daß Stein n u r die „rechtsphilosophische Betrachtung" aus seiner Darstellung aus2

30

1. Abschnitt, Teil 1: Dogmengeschichtliche Grundlegung

erscheint der Prozeß auch bei Ihering 7 noch als eine „Mechanik", bei der es lediglich u m Zweckmäßigkeit geht. I I . Probleme der gemeinrechtlichen Prozeßkunde Die wissenschaftliche Enthaltsamkeit der gemeinrechtlichen Prozeßkunde ist jedoch erklärlich. 8 1. Landsberg 9 hat ausführlich beschrieben, daß die Prozeßkunde z. Zt. des gemeinen Rechts zunächst damit beschäftigt war, den Inhalt des positiven Prozeßrechts selbst festzustellen, denn i m Gegensatz zum materiellen Zivilrecht verfügte das rezipierte römisch-kanonische Prozeßrecht über kein einheitliches allgemeines Gesetzbuch, und die gerade i m Bereich des Prozeßrechts stark voneinander abweichende Partikulargesetzgebung 10 führte zu weiterer Verwirrung. Diese Feststellungsarbeit dauerte bis i n die Mitte des 19. Jahrhunderts. Wenn die Formulierungen innerhalb der gemeinrechtlichen Prozeßkunde darauf hindeuten, daß die Lehre vom Prozeß „nur die leeren Formeln" zu geben habe, die von „anderen Disziplinen mit Inhalt und Leben erfüllt werden" 1 1 , so liegt das auch daran, daß für das Aktionenrecht das materielle subjektive Privatrecht und das Klagerecht rechtssystematisch eine Einheit bilden, die dem Bereich des materiellen Rechts zuzuordnen ist. Für die Lehre vom Prozeß ist damit keine eigene Substanz vorhanden. 12 So lebte die gemeinrechtliche Zivilprozeßtheorie nach der Schilderung Wetzells — den Gaul 1 3 den Windscheid des gemeinen Zivilprozeßrechts genannt hat — „wesentlich vom K r e d i t " 1 4 : „Die Prozeßtheorie (hat) den Begriff der Klage dem Zivilrecht entlehnt", „den der Gerichtsbarkeit als vom Staatsrecht überliefert" erhalten und „nur schließen wollte, sich damit aber rechtspolitischen Erwägungen, die den Prozeßrechtssätzen zugrunde liegen, nicht verschlossen habe, sondern anerkannte, daß auch die Prozeßrechtsnormen nach Steins eigenen Worten „den ethischen u n d sozialen Zwecken der Gerechtigkeit dienen u n d nicht etwa bloße Formen u m i h r e r selbst w i l l e n sind." (Stein, Grundriß, V o r w o r t S. I I I ) . Dieser Deutung hat sich Rimmelspacher (Anspruch, S. 1) angeschlossen. 7 Ihering, Geist des römischen Rechts I I I , 1, S. 15, 18. 8 Vgl. zum Folgenden Nakano, ZZP 79 (1966), S. 99. 9 Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I I I , S. 147 ff., 380 ff., 591 ff. 10 Einen kurzen Uberblick über die unterschiedlichen Regelungen gibt A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht § 2 11, S. 8 f. 11 So Degenkolb, Einlassungszwang, S. 2. 12 Simshäuser, Entwicklung, S. 55. 18 Gaul, AcP 168 (1968), S. 27 (29). 14 Ausdruck v o n Gaul, ebenda.

II. Probleme der gemeinrechtlichen Prozeßkunde

31

von Seiten ihrer praktischen Anwendung" fiel beides dem Prozeßrecht zu. 1 5 2. Diese enge Begrenzung hat die gemeinrechtliche Prozeßtheorie aber nicht eingehalten. 16 Selbst Savigny hat die Grenzüberschreitung für zulässig erklärt, denn Prozeß- und Aktionsrecht stünden „ i n so enger Verbindung" zueinander, „daß es dem Urteil eines jeden Bearbeiters der einen oder anderen Disziplin überlassen bleiben" müsse, „wieviel er von diesem Gränzgebiet zur vollständigen Entwicklung seiner Gedanken i n Besitz zu nehmen nötig" hielt. 1 7 I n den Darstellungen des materiellen Aktionenrechts und den Systemen des Zivilprozesses finden sich denn auch zahlreiche Überschneidungen 18 , deren bekannteste i n der Kontroverse zwischen Savigny 1 9 und Wetzeil 2 0 über die materielle Rechtskraft der Entscheidungsgründe zutage getreten ist (diese Frage wurde i m übrigen von der CPO zugunsten Wetzells entschieden). 21 Auch der Savignyschüler von Bethmann-Hollweg kam i n seinem groß angelegten Werk über den „Civilprozeß des gemeinen Rechts i n geschichtlicher Entwicklung" (1864) zu der Einsicht: „Es war also eine falsche Abstraktion, wenn die neueren Prozessualisten nur die Formen des Thuns der Partei und des Gerichts beschrieben, die zum Grunde liegenden oder dadurch erzeugten Rechte, das sog. materielle Aktionenrecht sich von den Civilisten entwenden ließen, während i n diesem der eigentliche Schlüssel zum Verständnis der Einzelheiten zum Verfahren, Klage, Einrede, Beweis usw. und seines Zusammenhanges liegt." 2 2 3. Darüber hinaus hat die gemeinrechtliche Zivilprozeßtheorie durchaus versucht, ein System des Zivilprozesses zu entwickeln, das sich i n den methodischen Ansprüchen mit dem privatrechtlichen System messen kann, das etwa Savigny seiner Darstellung „des heutigen Römischen Rechts" 23 zugrunde legte. Insbesondere Wetzeil strebte m i t seinem „System des ordentlichen Zivilprozesses" 24 eine solche metho15

Wetzeil, System (3. Aufl.), § 31, S. 330. Diese Einschätzung teilen Gaul, AcP 168 (1968), S. 27 (29), u n d Simshäuser, Entwicklung, S. 55. 17 Savigny, System V, § 204, S. 2 m. N. a. 18 Simshäuser, Entwicklung, S. 57. 19 Savigny, System V I , §§ 289 - 301. 20 Wetzeil, System, §§ 46, 47. 21 Hahn, Die gesamten Materialien zu den Rechtsjustizgesetzen, Bd. 2, 1. Abteilung, S. 290 - 292. 22 Bethmann-Hollweg, Civilprozeß des gemeinen Rechts i n geschichtlicher E n t w i c k l u n g (1864), Vorrede S. I X f. 23 Savigny, System Bd. V, V I ; zur E n t w i c k l u n g des Verhältnisses von materiellem u n d Prozeßrecht seit Savigny vgl. i m einzelnen Simshäuser, E n t wicklung, S. 46 ff. 24 Wetzell, System des ordentlichen Civilprozesses, 1. A u f l . 1854; 3. A u f l . 1878. 16

32

1. Abschnitt, Teil 1: Dogmengeschichtliche Grundlegung

disch-systematische Darstellung an. Er wollte mehr als lediglich eine übersichtliche „äußere Anordnung" des Stoffes bieten, mit der die methodisch systematischen Ansprüche nicht zu erfüllen waren. 2 5 Daß es der gemeinrechtlichen Prozeßtheorie — und das gilt letztlich auch für Wetzell 2 6 — i m Gegensatz zur zivilistischen Pandektistik nicht gelang, eine einheitliche auf wenigen zentralen Grundbegriffen beruhende systematische Darstellung hervorzubringen 2 7 , liegt i m wesentlichen daran, daß es i m Zivilprozeßrecht an vergleichbaren vorgeformten Grundbegriffen fehlte, die die Pandektistik als „naturrechtliches Erbe" 2 8 nach der „systematischen Einordnung und inhaltlichen Bestimmung durch die naturrechtliche systematische und rationalistische Jurisprudenz des 18. Jahrhunderts" 2 9 zur Grundlegung ihres Privatrechtssystems verwenden konnte. 8 0 I I I . Entstehungsbedingungen für die Theorie vom Prozeß als Rechtsverhältnis 1. Da aber nach Abschluß der reinen Feststellungsarbeit und i m Hinblick auf die allgemeine Tendenz zu einer einheitlichen Kodifikation, auch des Zivilprozeßrechts, der Drang zur dogmatischen Verfeinerung der Prozeßlehre stärker wurde 3 1 , hat die Prozeßrechtslehre — ebenso wie die Theorie des öffentlichen Rechts — zunächst versucht, auf die vorhandenen privatrechtlichen Kategorien zurückzugreifen. 32 Es ist daher kein Wunder, daß sich die Prozessualisten auch des Begriffs des „Rechtsverhältnisses" bemächtigen, dessen hervorragende Brauchbarkeit 25

Wetzell, System, S. 32 ff. (34 F N 29; 35). Vgl. die eingehende Begründung bei Simshäuser (Entwicklung, S. 48 ff., insbesondere S. 50/51). Simshäuser verweist zum einen auf Wetzells Lehre v o n den sog. Prozeßeinreden, die auch für O. v. B ü l o w i n dessen berühmten Buch „Die Lehre v o n den Prozeßeinreden u n d Prozeßvoraussetzungen" (1868) der Stein des Anstoßes waren (vgl. dort S. 10 ff.), zum anderen auf die m a n gelnde Einordnung des Erfordernisses der ordnungsgemäßen Klageerhebung, u n d w i r f t Wetzell m i t einem W o r t Savignys (System des heutigen Römischen Rechts Bd. 1, S. 406) vor, dabei „das wahre Verhältnis der Wichtigkeit v e r schiedener Institute gegeneinander entstellt u n d verkehrt" zu haben, u n d durch Mängel dieser A r t „den Stoff selbst (zu) verdunkeln u n d der wahren Einsicht hinderlich (zu) werden". 27 Vgl. den — gescheiterten — Versuch O. v. Bülows (ZZP 27 (1900), S. 268 ff.) einen „Allgemeinen T e i l des Zivilprozeßrechts" zu entwickeln. 28 Begriff v o n Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1. A u f l . (1952) S. 230, 2. A u f l . S. 372. 26

29

Simshäuser, Entwicklung, S. 48. Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, §§ 20, 21, S. 349 ff.; Wilhelm, Methodenlehre, S. 61/63. 31 Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I I I , S. 593 f. 32 Nakano, ZZP 79 (1966), S. 99. 30

I I I . Entstehung der Theorie v o m Prozeß als Rechtsverhältnis

33

für das materielle Zivilrecht schon durch Savigny i n dessen „System des heutigen Römischen Rechts" überzeugend beschrieben worden war. So gelangte von Bethmann-Hollweg schon vor Oskar v. Bülow dazu, den Prozeß als „ein Rechtsverhältnis organischer Natur" anzusehen, das „aus einem i h m einwohnenden Gesetz entsteht, sich fortschreitend entwickelt und erlischt". 3 3 Dabei konnte er an Hegels Deutung des „Rechtsganges" anknüpfen, wonach dieser den Richter i n den Stand setzt, schrittweise i n Kenntnis der Sache zu gelangen, indem die Parteien ihrerseits die Möglichkeit erhalten, Beweismittel und Rechtsgründe geltend zu machen. Diese einzelnen Schritte bezeichnete Hegel als Rechte. 34 2. Das Verdienst, die „Emanzipation des Prozeßrechts aus den Fesseln des Zivilrechts" 3 5 eingeleitet zu haben, w i r d jedoch allgemein Oskar von Bülow zugeschrieben, der für sich selbst i n Anspruch nahm, durch seine umfassende Lehre vom öffentlich-rechtlichen Prozeßverhältnis, der sogenannten beschreibenden Prozeßkunde ein Ende gesetzt und die Epoche einer modernen konstruktiven Prozeßrechtswissenschaft eingeleitet zu haben. 36 Diese Selbsteinschätzung w i r d zum Teil unter Berufung auf Landsberg geteilt 3 7 , der jedoch zurückhaltender formuliert: „Namentlich aber setzte u m die Ubergangszeit eine vorwiegend konstruktive und begriffsjuristische Richtung ein, die eher an die letzten Zeiten Puchtas und die ersten Zeiten von Ihering, kurz an die zivilistische Konstruktionsneigung der fünfziger Jahre erinnert. Dies führt hier zu besonders tiefem Eindringen i n die Natur des Zivilprozesses und zur Aufwerfung ganz neuer weiterführender Probleme. Als erste mächtige Welle der bevorstehenden Flut erscheint 1868 das Werk von Oskar Bülow ,Die Lehre von den Prozeßeinreden und Prozeßvoraussetzungen' "38

Auch wenn man Bülows Selbsteinschätzung nicht teilt, bleibt bei aller berechtigten K r i t i k an seiner Auffassung hier festzuhalten, daß die Theorie vom Prozeß als Rechtsverhältnis auch mehr als hundert Jahre nach ihrer Entstehung für die Prozeßrechtstheorie immer noch von mehr als nur historischer Bedeutung ist. 83

Bethmann-Hollweg, Civilprozeß I, S. 22. Hegel, Philosophie des Rechts, § 222: „Diese Schritte sind selbst Rechte". 85 Dieses Schlagwort findet sich schon bei Kohler (ZZP 33 (1904), S. 218) u n d taucht seitdem immer wieder auf: ζ. B. Jauerning, Das fehlerhafte Z i v i l u r t e i l (1958), S. 1; Gaul, AcP 168 (1968), S. 31. 38 Ο. V. Bülow, ZZP 27 (1900), S. 201 ff. (202/204; 207; 223). 37 ζ. B. Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 1, 106; Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 15, 21 ff. 38 Stintzing / Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft I I I 2, S. 954. 34

3 Schaper

34

1. Abschnitt, Teil 1: Dogmengeschichtliche Grundlegung

3. Die dogmengeschichtliche Situation, i n der Bülows Theorie entstanden ist, macht ihren Ausgangspunkt deutlich: Es ging u m eine dogmatische Erfassung des bestehenden Prozeßrechts und den Versuch, dieses „auf den Begriff" zu bringen. Da das Prozeßrecht als solches bereits vorhanden war, ging es zunächst nicht u m eine Abgrenzung des Prozeßrechts vom materiellen Recht. Außerdem schien dieses Problem für Bülow bereits gelöst, denn zum Prozeßrecht gehörte, nachdem Windscheid den materiell-rechtlichen Anspruch aus der Actio gelöst hatte 3 9 , all das, was von der Actio noch übrig geblieben war — und die Bestimmung dessen, was dazu gehört, schien unproblematisch.

89 Windscheid, Die A c t i o des römischen Civilrechts v o m Standpunkt des heutigen Rechts (1856); siehe dazu auch unten T e i l 2 I I I 2 a.

Teil 2

Der Prozeß als Rechtsverhältnis I. Bülows Konzeption Nach Bülows Konzeption ist der Prozeß ein „stufenweise vorwärts schreitendes, sich von Schritt zu Schritt entwickelndes Rechtsverhältnis" 1 , d.h. eine rechtlich geregelte Beziehung zwischen den Prozeßsubjekten. Den Unterschied zum materiellen Rechtsverhältnis sah Bülow vor allem i n zwei Punkten: 1. zum einen sei das Prozeßrechtsverhältnis öffentlich-rechtlicher Natur, 2. zum anderen sei es durch seinen „Entwicklungscharakter" gekennzeichnet. Besonders i n dem zweiten Punkt sah er die hervorstechende Eigenart des Prozesses gegenüber den materiellrechtlichen Rechtsverhältnissen, die den Gegenstand der Verhandlung bilden, weil letztere „sich schon als fertig abgeschlossen darstellen", während sich das Prozeßrechtsverhältnis i n „ständiger Bewegung und Entwicklung" befinde. 2 Auch von anderen Autoren, die Bülows Sicht des Prozesses als Rechtsverhältnis gefolgt sind, w i r d betont, daß das Prozeßrechtsverhältnis nicht erstarrt sei; „es bleibt i m organischen Fluße". „Ein compliziertes Verhältnis deshalb, weil es, einmal erzeugt, immer wieder durch neue Rechtsakte beeinflußt w i r d . " 3 Ob damit wirklich ein fundamentaler Gegensatz zu materiellrechtlichen Rechtsverhältnissen aufgezeigt ist, muß jedoch zweifelhaft erscheinen. Schon Kohler 4 sah das Prozeßrechtsverhältnis analog zum (materiellrechtlichen) Gesellschaftsverhältnis, das „während der ganzen Sozietätsdauer . . . durch neue Akte modifiziert" wird. 5 Auch Schwab 6 1

Ο. v. Bülow, Proceßeinreden, S. 2 f.; ZZP 27 (1900), S. 201 (230 ff.) u. ö. Vgl. auch Nakano, Z Z P 79 (1966), S. 99 (101). 3 Kohler, Prozeß als Rechtsverhältnis, S. 2. 4 Ebenda. 5 Die Möglichkeit, daß sich auch materiellrechtliche Rechtsverhältnisse entwickeln können, w i r d i m allgemeinen i m Zusammenhang einer K r i t i k an 2



36

1. Abschnitt, Teil 2: Der Prozeß als Rechtsverhältnis

ζ. B. sieht den Entwicklungscharakter des Prozeßrechtsverhältnisses, aber ebenfalls nicht i m Gegensatz zum materiellrechtlichen, wie sein Hinweis auf Gierkes 7 ,dauernde Schuldverhältnisse' belegt. Immerhin hat aber die Theorie vom „Prozeß als Rechtsverhältnis" nicht verkannt, daß der Prozeß einen deutlichen Entwicklungscharakter hat, der es erforderlich macht, wie Pohle 8 es ausgedrückt hat, die Entwicklung des Rechtsstreits i n Gang zu halten, Rückschritte auszuschließen und einmal Erreichtes nicht wieder umzustürzen. Wenn diese Theorie also m i t der lapidaren Feststellung kritisiert wird, sie übertrage die statische Betrachtungsweise des materiellen Rechts auf das Prozeßrecht und könne i h m daher nicht gerecht werden 9 , so erscheint diese K r i t i k zunächst einmal unberechtigt. Sie hätte eine Begründungslast, darzulegen, a) warum eine „materiellrechtliche Betrachtungsweise" notwendig statisch sei und b) warum es der Theorie vom Prozeßrechtsverhältnis trotz ihres Ansatzes nicht gelungen sei, diese Statik zu überwinden. Soweit ersichtlich, hat nur die von Goldschmidt 10 begründete „prozessuale Betrachtungsweise" versucht, dieses Begründungserfordernis einzulösen (dazu näher unten Teil 3). Bülows Konzeption gewann schnell Anhänger, nicht nur für den Bereich des Zivilprozesses 11 , sondern auch für das verwaltungsgerichtliche 1 2 und das Strafverfahren 1 3 , hoffte man doch auf dem Boden des Begriffs „Prozeßrechtsverhältnis" endlich eine Systematik des Prozeßrechts entwickeln zu können, m i t der es möglich war, „die Begründung des Prozesses wie die eines anderen Rechtsverhältnisses vom systematischen Gesichtspunkt aus zu beurteilen, Entstehungstatbestand und Voraussetzungen dieses Rechtsverhältnisses einheitlich zu betrachten Goldschmidts These v o m „dynamischen Wesen des Prozesses" u n d der daraus folgenden, prozessualen Betrachtungsweise* aufgezeigt u n d diskutiert. So neuerdings Rödig, Erkenntnis verfahren, S. 25 f.; Bruns, Zivilprozeßrecht, S. 19; vgl. auch Nakano, ZZP 79 (1966), S. 99 (104) unter Berufung auf Larenz, Schuldrecht I (7. Aufl.), S. 21 ( = 11. Aufl., S. 25); F. v. Hippel, ZZP 65 (1952), S. 447 ff.; siehe dazu näher u n t e n 1. Abschnitt T e i l 3 I I I 2 a). 6 Rosenberg / Schwab, § 2 V 3, S. 10. 7 Gierke, IherJhb. 64 (1914), S. 355. 8 Stein / Jonas / Pohle, Einl. F 11. 9 ζ. Β . Sax, ZZP 67 (1954), S. 22; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 135. 10 Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage (1925). 11 z . B . Oertmann, Grundriß, S. 9, 11; J. W. Planck, Zivilprozeßrecht I, S. 201; Seuffert, Zivilprozeßordnung (11. Aufl.), Ν 1 zu § 274; Degenkolb, AcP 103 (1908), S. 385 ff.; Wach, Handbuch, § 4; Stein, Kommentar zur ZPO (10. Aufl.), I zu § 274. 12 ζ. B. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, § 14. 13 Binding, Grundriß § 1 I V ; v. Kries, L B des Strafprozeßrechts § 2; Beling, Strafprozeßrecht, in: Holtzendorf / Kohler, Enzyklopädie § 20 I I .

I I . Streitpunkt unter den Anhängern v o n Bülows Lehre

37

und zu regeln". 1 4 Bülow selbst glaubte, daß sämtliche Bestandteile des Prozeßrechts i m Begriff des Prozeßrechtsverhältnisses ihren festen Stützpunkt und eine harmonische, leicht überschaubare Gliederung erhalten könnten und entwarf dafür einen Grundplan 1 5 , dem aber Nakano 1 6 nicht zu Unrecht völlige Inhaltslosigkeit vorgeworfen hat. II. Streitpunkte unter den Anhängern von Bülows Lehre Unter den Anhängern dieser Theorie sind viele wichtige Fragen streitig geblieben. 1. Der Streit betraf schon die Frage, ob man dem Entwicklungscharakter des Prozesses dadurch Rechnung tragen könne, daß man i h n (wie oben beschrieben) als zwar einheitliches, aber stufenweise fortschreitendes, sich entwickelndes Rechtsverhältnis ansieht 17 , oder ob man ihn dazu i n eine ganze Reihe verschiedener, aufeinander folgende Rechtsverhältnisse auflösen muß. 1 8 2. Weiter konnte man sich lange Zeit nicht einigen, wann das Prozeßrechtsverhältnis entsteht. Nach einer Ansicht sollte das Entstehen des Prozeßrechtsverhältnisses die Rechtsfolge aus dem Vorliegen der sogenannten Prozeßvoraussetzungen sein 19 ; nach einer zweiten sollte das Prozeßrechtsverhältnis schon durch Klagerhebung entstehen. 20 3. Dagegen ist notwendige Folge der Auffassung, den Prozeß als Rechtsverhältnis anzusehen, daß den Parteien subjektive (prozessuale) Rechte zugesprochen und prozessuale Pflichten auferlegt werden. Die Handlungen der Prozeßsubjekte sind damit nicht nur als „ w i r k sam" bzw. „unwirksam" und „zulässig" bzw. „unzulässig" zu kennzeichnen, sondern unterliegen darüber hinaus einer Bewertung als „rechtmäßig" bzw. „rechtswidrig". Doch auch die Frage, wer die Prozeßsubjekte sind und i n welcher Weise das Prozeßrechtsverhältnis besteht, ist streitig geblieben 21 : 14

S. 17. 15

Süß, Z Z P 54 (1929), S. 12 (13) m i t Hinweis (FN 3) auf Hellwig, Klagrecht,

Ο. V. Bülow, ZZP 27 (1900), S. 255 ff. Nakano, ZZP 79 (1966), S. 100 F N 11. 17 Außer den oben (FN 1, 3, 6) genannten auch Hellwig, L B d. dt. C i v i l prozeßrechts I I , S. 31; Wach, Handbuch § 411; neuerdings z . B . S t e i n / J o n a s / Pohle, Einl. E I I , F I, S. 27 ff. 18 So insbesondere J. W. Planck, L B d. dt. Civilprozeßrechts I, S. 206. 19 So z. B. Kohler, Rechtsverhältnis, S. 3 ff.; Süß, Z Z P 54 (1929), S. 12 ff. (52) m i t Nachweisen. 20 So ζ. Β . Ο. v. Bülow, Proceßeinreden, S. 6; Z Z P 27 (1900), S. 201 (257); u. ö. 21 Vgl. den Überblick bei Rosenberg / Schwab, § 2 I I 1, S. 7. 16

38

1. Abschnitt, Teil 2: Der Prozeß als Rechtsverhältnis

1. Nach einer Ansicht 2 2 besteht es n u r zwischen den Parteien. Köhler, der Begründer dieser Auffassung, begründete dies allerdings m i t dem heute wenig überzeugenden Argument, daß die „Richterbank zu hoch (steht), als daß sie m i t den Parteien paktierte". 2 ' H a r t m a n n 2 4 dagegen meint, daß sich die Beziehungen zwischen den Parteien u n d dem Gericht deshalb nicht als subjektive Rechte begreifen lassen, w e i l sie „nicht anders sind als die sonstiger Personen zu beliebigen anderen Behörden." 2. Nach einer zweiten Ansicht 2 5 besteht es n u r zwischen dem Gericht einerseits u n d jeder Partei andererseits. 3. F ü r B ü l o w selbst ist es „ein dreiseitiges . . . theils aus einer wechselseitigen Rechtsgebundenheit der Parteien untereinander, theils aus Handlungspflichten des Gerichts gegenüber den Parteien u n d den entsprechenden Rechten u n d Pflichten gegenüber dem Gerichte bestehendes Rechtsganzes." 2 · Die Annahme eines solchen dreiseitigen Rechtsverhältnisses w i r d w o h l v o n einer relativen Mehrheit v o n Autoren geteilt. 2 7 Insbesondere stellt diese A n sicht die herrschende Lehre 2 8 unter den A u t o r e n dar, die die Theorie v o m Prozeß als Rechtsverhältnis i n neuerer Zeit (nach 1945) vertreten haben. 2 9

4. Meinungsverschiedenheiten gibt es auch hinsichtlich der Frage, welche konkreten Rechte Inhalt und Gegenstand des Prozeßrechtsverhältnisses sind; Meinungsverschiedenheiten, die ihre Ursache zum Teil i n den unterschiedlichen Auffassungen über die Prozeßsubjekte haben, ζ. T. aber auch zwischen Autoren bestehen, die sich i n jener Frage einig sind. 22 Köhler, Prozeß als Rechtsverhältnis, S. 6 ff.; Baumbach / Lauterbach / Hartmann, Grundz. 2 vor § 128. 28 Kohler, Prozeß als Rechtsverhältnis, S. 8. 24 Baumbach / Lauterbach / Hartmann, Grundz. 2 Β v o r § 128. 25 Hellwig, System I, § 138 I I ; L B d. dt. Civilprozeßrechts I I , S. 1 ff.; Süß, ZZP 54 (1929), S. 12; Oertmann, Grundriß, § 11; J. W. Planck, L B d. dt. C i v i l prozeßrechts I, S. 201; Seuffert, ZPO, Ν 1 zu § 274; Bierlig, ZStW 10, S. 307; Beling, Strafprozeßrecht, i n : Holtzendorff / Kohler, Enzyklopädie, § 20 I I ; B i n ding, Grundriß, § 1 I V . 26 Ο. V. Bülow, Z Z P 27 (1900), S. 233. 27 Aus der älteren Literatur: Degenkolb, Einlassungszwang, S. 58; A c P 103 (1908), S. 385 (393/395); Ri. Schmidt, L B d. dt. Civilprozeßrechts, § 41; Stein, Kommentar zur ZPO (10. A u f l . 1911), I zu § 274; Wach, Handbuch, § 4 V ; Graf Dona, Strafverfahren, S. 43; v. Kries, L B d. Strafprozeßrechts, § 2; vgl. auch Sauer, Grundlagen, § 8 c I I 2 b, S. 140, der gegenüber der Lehre v o m Prozeß als Rechtsverhältnis jedoch erhebliche Vorbehalte geltend macht. 28 A l s herrschende Lehre w i r d diese Auffassung auch v o n Stein / Jonas / Pohle, Einl. E I I , S. 21 F N 29; Mes, Rechtsschutzanspruch, § 6 1, S. 27 bezeichnet. 29 z . B . Rosenberg/ Schwab, § 2 I I 1, S. 7; S t e i n / Jonas / P o h l e (19. Aufl.), Einl. E l l , S. 21; Einl. F I , S. 31; Stein / Jonas / Schönke (18. Aufl.), Einl. E, S. 26; Schönke, Zivilprozeßrecht (5. Aufl.), § 2 I, S. 4/5 u n d passim, übernommen v o n Niese i n der 8. A u f l . (§ 2, S. 23) entgegen Nieses i n „Doppelfunktionale Prozeßhandlungen" dargelegten Auffassung (vgl. dazu das V o r w o r t der 8. Aufl.). Wie Schönke wieder Kuchinke i n der 9. A u f l . (§ 4 I, S. 8).

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III. Der Rechtsschutzanspruch ΙΠ. Der Rechtsschutzanspruch als Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses 1. Der Begriff des Rechtsschutzanspruchs

Von einer ganzen Reihe von Autoren wurde der „Rechtsschutzanspruch", das subjektive Recht auf ein günstiges Urteil, als Zentralbegriff des Prozeßrechtssystems angesehen.1 Während die Konstruktion des Prozeßrechtsverhältnisses die Beziehungen der Prozeßbeteiligten innerhalb des Verfahrens auf einen gemeinsamen Nenner bringen sollte, war der Rechtsschutzanspruch dazu bestimmt, die „seit der Absetzung des römischen Aktionenrechts zerstörte Brücke zwischen Privat- und Prozeßrecht zu schlagen" 2 , „auf der das streitige Privatrechtsverhältnis dogmatisch i n den öffentlich-rechtlichen prozessualen Raum gelangt". Er stellte die Verknüpfung des Prozeßrechts mit dem materiellen Recht her, da er sowohl von prozessualen als auch von materiellen Bedingungen abhängig war. 3 So sollten die Rechtsbeziehungen erklärt werden, die eintreten, wenn der Staatsbürger als Kläger vom Staat Rechtsschutz gegen den Verletzer seiner Privatrechte verlangt, und damit sollte der „eigentliche Gegenstand der richterlichen Entscheidung" 4 gegeben sein. 2. Dogmengeschichtliche Entwicklung

Die Theorie vom Rechtsschutzanspruch hat ihre eigene dogmengeschichtliche Entwicklungsgeschichte: a) Der Rechtsschutzanspruch in der zivilistischen

Theorie

(1) Die gemeinrechtliche Lehre, die an den Begriff der „Actio" anknüpfte, sah das Recht, Klage zu erheben und ein Urteil zu erlangen, als eine Metamorphose des materiellen Rechts an, „die i n jedem selbständigen Recht eintreten kann" 5 : Das subjektive Recht selbst verwandelt sich mit seiner Verletzung i n ein Klagrecht gegen den Verletzer. Die Klagbarkeit (das Klagrecht) war damit eine Eigenschaft des materiellen Rechts.6 (2) Nach Windscheids Entwicklung des rein materiellen Anspruchsbegriffs mußte das materiell-zivilrechtliche Klagrecht fallen. Das Klag1

Henckel, Prozeßrecht, S. 12. Goldschmidt, Z w e i Beiträge . . . , i n : Festschrift f. Brunner, S. 131,133. 3 Henckel, Prozeßrecht, S. 12. 4 Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungnen, S. 25. 6 Savigny, System V (1841), S. 2/3. • A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 I I I 1, S. 5; Kaufmannn, Strafansnpruch, S. 41. 2

40

1. Abschnitt, Teil 2: Der Prozeß als Rechtsverhältnis

recht konnte nur noch dem Prozeßrecht angehören, von dem Bülow erkannte, daß es öffentliches Recht sei. I n seiner Erwiderung auf Muther 7 hat Windscheid ein gegen den Staat gerichtetes, seiner Ansicht nach i n die Lehre vom Prozeß gehörendes Klagrecht ausdrücklich anerkannt. 8 Damit war aber die These von der Metamorphose des materiellen Rechts noch nicht aufgegeben, denn für Windscheid war „das Klagrecht nichts als ein Schatten des Rechts, ein Ding, das i n diesem aufgeht, nur von i h m sein Leben herleitet". 9 (3) War das Klagrecht für Windscheid ein ,Schatten des Rechts', so hat Muther 1 0 diesen Schatten i n seiner K r i t i k an Windscheid zu neuem Leben erweckt. 11 Für ihn war die Actio i m Gegensatz zu Windscheid nicht das Recht gegen den privatrechtlich Verpflichteten, sondern „das Recht auf Erteilung einer Formel", „ein Anspruch auf Gewährung (von) Staatshilfe". 1 2 Muther gab damit den Ausgangspunkt für die Lehren vom öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Rechtsschutz 13 ; nach Binders 1 4 Ansicht „die Geburtsstunde der Theorie vom Rechtsschutzanspruch". Dabei lehnte Muther Savignys These von der Metamorphose des materiellen Rechts zwar ausdrücklich ab 1 5 , doch auch für i h n bestand das Klagrecht noch ausschließlich u m des Privatrechts w i l l e n und setzte deshalb das letztere voraus. 16 (4) Auf diesem Hintergrund entwickelte Degenkolb eine neue Klagtheorie. Hatte Bülow versucht, mit der Theorie des Prozesses als Rechtsverhältnis die Entwicklung des Prozesses von der Klageinreichung bis zum Endurteil zu verdeutlichen, so stellte Degenkolb die Frage nach der Rechtslage vor seinem Beginn: warum jeder jeden mit einer Klage — die zur Verurteilung führt, wenn man sich nicht dagegen wehrt — überziehen darf 1 7 : 7

Muther, Lehre v o n der Römischen Actio, insbesondere S. 35 ff. Windscheid, A b w e h r , S. 26/29. 9 Windscheid, Actio, S. 229; vgl. auch Binder, Prozeß, S. 114. 10 Muther, Actio, S. 35 ff. 11 Vgl. dazu Binder, Prozeß, S. 114 ff.; H. Kaufmannn, Strafanspruch, S. 41 ff. 12 Muther, Actio, S. 37. 13 H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 41. 14 Binder, Prozeß, S. 115. 15 Muther, Actio, S. 42. 18 Binder, Prozeß, S. 121. 17 Mes, Rechtsschutzanspruch, § 6 1.2., S. 27/28; H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 29, 41. 8

III. Der Rechtsschutzanspruch

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„Die Klage w i r d (in den gemeinrechtlichen Klagrechtstheorien) aus dem (subjektiven) Recht abgeleitet . . . Wie aber erklärt man den Klagzwang (den von der Klage praktisch ausgehenden Zwang, auf sie zu reagieren) aus dem unbegründeten Anspruch, aus dem nicht vorhandenen Recht?" 18 Und seine Antwort: „Aus dem Hypothetischen allein kann sich nie das real Existierende entwickeln, aus dem bloß i n hypothesie bestehenden Recht des Klägers nicht das real vorhandene Recht, den Verklagten zur Verantwortung vor Gericht zu ziehen. Das bloß behauptete Recht setzt sich daher u m i n die Wirklichkeit der rechtlichen Behauptung." 1 9 Degenkolb versetzt damit der materiellen Klagrechtstheorie den entscheidenden Stoß. „Ein »Klagrecht' läßt sich nicht mehr aus dem angeblich hinter dem Prozeß stehenden Privatrecht ableiten, die These von der Metamorphose des materiellen Rechts zum Klagrecht bricht damit endgültig zusammen." 20 Das Klagrecht ist demnach für Degenkolb das Recht, jemanden m i t einem Prozeß zu überziehen, unabhängig davon, ob er dem Kläger tatsächlich verpflichtet ist; „das Recht von i h m M i t w i r k u n g zum Prozeß i n der Weise »verlangen 4 zu können, daß Nichtmitwirkung zu Lasten des Beklagten geht" (abstraktes Klagrecht). 21 Ein Recht, das er jedoch (und darin sieht H. Kaufmann 2 2 den wesentlichen Kern seiner Lehre) auf die gutgläubige Klage mit rechtserheblichem Inhalt beschränkt sehen w i l l . 2 3 M i t dieser Lehre vom abstrakten Klagrecht gilt Degenkolb als der Schöpfer des gegen den Staat gerichteten Rechts auf rechtliches Gehör und Entscheidung 24 , eine Auffassung, deren Kern sich heute i m sogenannten Justiz- oder Justizgewährsanspruch wiederfindet. Als Anspruch gegen den Staat setzte das abstrakte Klagrecht ebenso wie die Theorie vom Rechtsschutzanspruch die Anerkennung subjektivöffentlicher Rechte voraus. 25 Eine Lehre, die Gerber 2 6 (1852), ausgehend von der Auffassung von der Unterwerfung des Staates unter die Rechts18

Degenkolb, Einlassungszwang, S. 15. Degenkolb, Einlassungszwang, S. 27 — Hervorhebung dort. 20 H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 29. 21 H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 32 m i t Nachweisen weiterer Anhänger dieser Lehre; Spielarten des ,abstrakten Klagrechts' sind bei Schüler, Urteilsanspruch, S. 5 ff. angeführt. 22 H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 42. 23 Degenkolb, Einlassungszwang, S. 41 f. 24 So z.B. Binder, Prozeß, S. 127; Bley, Klagrecht, S. 31; Schüler, Urteilsanspruch, S. 4. 25 Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 28. 26 Gerber, Über öffentliche Rechte (1. A u f l . 1852). 19

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1. Abschnitt, Teil 2: Der Prozeß als Rechtsverhältnis

Ordnung 27, begründet hatte und die m i t der Durchsetzung dieser Auffassung verbreitete Anerkennung fand. 28 b) Der Rechtsschutzanspruch in der strafprozessualen

Theorie

(1) Auch i n der strafprozessualen Theorie findet sich zunächst aktionenrechtliches Gedankengut; natürlich nicht wie i m Zivilrecht als System der Aktionen, sondern nur i n dem Sinne, daß materiellrechtliche Fragen i n prozessuale umgedacht wurden. 2 9 So w i r d unter anderem der aktionenrechtliche Begriff der „exceptio" verwendet, zu dem sowohl materielle Rechtsfragen wie Notwehr, Zurechenbarkeit u. a., aber auch prozessuale Fragen wie die Beweiswürdigung gerechnet werden. 3 0 Eine theoretische Einordnung dieses Begriffes findet sich jedoch nicht. Dies hat seinen Grund i n der geringen theoretischen Durchdringung des Strafprozesses. (2) M i t der Partikulargesetzgebung u m die Mitte des vorigen Jahrhunderts und dem Aufkommen des sogenannten „reformierten deutschen Strafprozesses" 31 verringerte sich das Defizit der strafprozessualen Theorie gegenüber der zivilprozessualen etwas. Schlagendes Beispiel dafür ist Plancks „Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens" 32 , i n der er parallel zu Savignys Ausführungen, die Lehre von der Form des Verfahrens von der Lehre der Veränderungen des materiellen Rechts abtrennte: Ähnlich wie Savigny und die gemeinrechtliche Lehre von der „Metamorphose" des materiellen Rechts zum Klagrecht sprachen, sprach Planck von der „Veränderung" des Strafrechts, das durch die „Möglichkeit seiner Geltendmachung vor Gericht eine eigentümliche Gestaltung" annehme, eben als Klagrecht erscheine. 83 Plancks Lehre ist damit die genaue Entsprechung zur zivilistischen Lehre vom (materiellen) Klagrecht. Die dem materiellen Klagrecht zugrunde liegende Lehre von der Metamorphose des materiellen Rechts 27 Gerber, ebenda, insbesondere S. 65; vgl. Simshäuser, Entwicklung, S. 111; Forsthoff, Verwaltungsrecht, § 10 3., S. 178 F N 4. 28 Heute ist die Lehre v o n den subjektiv-öffentlichen Rechten unbestritten. Vgl. n u r W o l f f / Bachof, Verwaltungsrecht I , § 43, S. 318 ff. u n d die dort angeführten umfangreichen Nachweise. 29 Vgl. hierzu u n d zum folgenden eingehend H. Kaufmann, Strafanspruch, insbesondere S. 46 ff. 80 E t w a bei G r o l l m a n n (1825), Criminalwissenschaft, S. 144, 454, 552; M i t t e r maier, Strafverfahren I I (1832), S. 336 ff. 81 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 73 C I I , S. 347. 32 J. W. Planck, Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens, a.a.O. 83 J. W. Planck, Strafverfahren, S. 117 f.

III. Der Rechtsschutzanspruch

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zum Klagrecht ist i m Bereich des Strafrechts vereinzelt noch sehr lange vertreten worden, die Mehrheit der strafprozessualen Literatur Schloß sich aber alsbald der zivilprozessualen Entwicklung an und übertrug deren Einsichten und Ergebnisse auf den Strafprozeß. 34* Dabei wurde einmal der öffentlich-rechtliche Strafanspruchsbegriff gebildet, analog zu Windscheids zivilrechtlichem materiellen Anspruchsbegriff. 8 5 Es wurden aber auch die i m folgenden entwickelten prozessualen Klagrechtsbegriffe (Degenkolb) mehr oder weniger konsequent auf den Strafprozeß übertragen. 36 3. Die Entwicklung des Rechtsschutzanspruchs von Wach bis heute

a) Rechtsschutzanspruch und Streitgegenstand I n Fortführung, aber auch gleichzeitiger Abkehr von der Lehre Degenkolbs, betonte Wach wie dieser Rechte des Klägers gegen den Staat, wandte sich aber dagegen, daß diese Rechte jedermann, unabhängig vom Bestehen eines materiellen Rechts — d.h. unabhängig vom tatsächlichen Vorliegen eines materiellen Anspruchs gegen den Prozeßgegner — zukommen sollten. 37 Nach der von i h m 3 8 begründeten Lehre vom Rechtsschutzanspruch 39 als „Recht auf siegreiche Feststellung günstiger Rechtsfolgen" 40 , war Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses das „Recht auf zivilprozessualen Schutz" 41 , das sowohl gegen den Staat als auch gegen den Prozeßgegner gerichtet sein sollte und „publizistischer Natur" war. 4 2 Der Rechtsschutzanspruch sollte Streitgegenstand des Prozesses sein. Er war weitgehend von materiellrechtlichen Bedingungen abhängig und stellte „ i m Grunde . . . nichts anderes dar als die Wiederher34 Schäfer (Löwe / Rosenberg, Einl. Kap. 11 Rdn. 2) nennt das: „aus der reichen Quelle des Zivilprozesses schöpfen". 35 Z u r E n t w i c k l u n g des materiellrechtlichen Strafanspruchbegriffs, den Windscheid zunächst f ü r die zivilen Pönalklagen entwickelte u n d der später auch i m öffentlichen Strafrecht verwandt u n d allgemein übernommen wurde, vgl. H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 44 ff. 33 Vgl. ζ. B. Binding, Handbuch, S. 46 ff.; Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 4 f., 97 ff.; sieh dazu näher u n t e n I I I 5 c) (2). 37 Wach, Handbuch, S. 22 u. F N 5; Grünhuts Zeitschrift Bd. 6, S. 515, 546, 549 ff. so heute auch Bucher, Das subjektive Recht, S. 190; vgl. dazu Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 28. 38 Wach, Der Feststellungsanspruch, i n : Festgabe f ü r Windscheid (1888). 39 Z u den Verästelungen der Lehre v o m Rechtsschutzanspruch siehe Schüler, Urteilsanspruch, § 2, S. 12 ff.; Neuner, Privatrecht u n d Prozeßrecht, S. 15 ff., der die Theorie noch als herrschende bezeichnet (1925); zu Wach siehe auch H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 28. 40 Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 28. 41 Wach, Feststellungsanspruch, S. 15. 42 Wach, Feststellungsanspruch, S. 15, 31 f.; Handbuch I, S. 19.

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1. Abschnitt, Teil 2: Der Prozeß als Rechtsverhältnis

Stellung der Einheit des actio-Begriffes . . . für den Bereich des Prozeßrechts". 43 Die These, daß der Rechtsschutzanspruch Gegenstand des Rechtsstreits sei 4 4 , konnte Wach selbst jedoch nicht aufrechterhalten. 45 So mußte er ζ. B. für die Frage, ob eine Klageänderung oder Klagehäufung vorlag, einen Streitgegenstandsbegriff i m Sinne des materiellen Anspruchs konstruieren 4 6 , während er als Urteilsgegenstand den davon zu unterscheidenden Rechtsschutzanspruch ansah. 47 Auch Wach's Vorstellung, daß sich der öffentlich-rechtliche Rechtsschutzanspruch nicht nur gegen das Gericht, sondern auch gegen den Beklagten richte, ließ sich nicht halten. Seit H e l l w i g 4 8 besteht Einigkeit, daß sich der von i h m als (konkretes) „Klagerecht" 4 9 bezeichnete Rechtsschutzanspruch nur gegen den Staat richtet. 5 0 M i t Hellwigs Entwicklung des prozessualen Anspruchs begann auch die endgültige Loslösung des Streitgegenstandes vom Rechtsschutzanspruch. 51 Heute kann es trotz vereinzelter Gegenstimmen, die sich ausschließlich auf die Gestaltungsklagen beziehen 52 , als gesichert gelten, daß beide nicht miteinander identifiziert werden dürfen. 5 3 Bedenken gegen eine Identifizierung stützen sich zum Teil darauf, daß die Parteien i n gewissem Umfang über den Streitgegenstand disponieren können, dies aber nur schwer erklärlich wäre, wenn er m i t dem gegen den Staat gerichteten Rechtsschutzanspruch identisch wäre: „Wie könnten sich die Parteien über einen Rechtsstreit vergleichen, wie könnten sie i h n für erledigt erklären, wenn der Anspruch nicht zwischen ihnen, sondern zwischen einer Partei und dem Gericht bestünde?" 5 4 Darüber hinaus wären alle Rechtsstreitigkeiten öffentlich-rechtlicher Natur, wenn der öffentlich-rechtliche Rechtsschutzanspruch gleichzeitig Streitgegenstand 43

Henckel, Parteienlehre, S. 25. Wach, Feststellungsanspruch, S. 15, 24; ZZP 32 (1904), S. 30. 45 Vgl. zum folgenden eingehend Henckel, Parteienlehre, S. 26 ff. 46 Wach, Feststellungsanspruch, S. 42; Handbuch I, S. 18, 293 f.; ZZP 32 (1904), S. 32. 47 Wach, Feststellungsanspruch, S. 24 f.; Handbuch I, S. 18, 293 f.; ZZP 32 (1904), S. 32. 48 Konrad Hellwig, Anspruch und Klagrecht 1900. 49 K . Hellwig, S. 145,153 f.; ders., Klagrecht und Klagmöglichkeit, S. 4. 50 Henckel, Parteienlehre, S. 27; Rosenberg / Schwab, § 3 I I 1, S. 12 vgl. auch Schüler, Urteilsanspruch, S. 16, 26, der (FN 16) darauf verweist, daß sich auch Stein, der zunächst Wach gefolgt war, später Hellwigs Ansicht angeschlossen hat. 61 Siehe dazu Henckel, Parteienlehre, S. 27 f. 52 Pohle, Festschrift f. Segni, S. 116; Stein / Jonas / Pohle, Einl. E I I I 1 c; für Gestaltungsklagen auch Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 374 ff. 53 Rosenberg / Schwab, § 3 I I 2 b, S. 13; Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 118 ff. 54 Rosenberg / Schwab, § 3 I I 2 b, S. 13. 44

III. Der Rechtsschutzanspruch

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wäre. N u r die Anerkennung eines vom Rechtsschutzanspruch verschiedenen Streitgegenstandes kann daher die Annahme eines Rechtsschutzanspruchs retten. 5 6 Rechtsschutzanspruch und Streitgegenstand sind folglich funktional zu trennen: „Der Streitgegenstand ist die Frage nach dem inhaltlich bestimmten Klagebegehren, der Rechtsschutzanspruch hingegen die nach der Berechtigung eines solchen Begehrens i m Hinblick auf Erlangung eines Urteils". 5 7 Nachdem sich die Auffassung Hellwigs durchgesetzt hatte, daß sich der Rechtsschutzanspruch nur gegen den Staat (bzw. das Gericht 58 ) richtet, wurde er zum Teil für ein zwar öffentliches, aber prozessuales Recht gehalten. 59 Doch auch dagegen wurden früh kritische Stimmen laut. 6 0 Heute besteht Einigkeit, daß der Rechtsschutzanspruch oder auch die abgeschwächte Form eines Justizgewährsanspruchs n u r dem materiellen öffentlichen Recht angehören kann. 6 1 Die Feststellung, daß ein Rechtsschutzanspruch nur dem materiellöffentlichen Recht angehören kann, hindert allerdings nicht, i h n als Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses anzusehen, besagt diese Zuordnung doch nur, daß auch das Prozeßrechtsverhältnis selbst einen materiell öffentlich-rechtlichen Charakter hat — was Bülow gerade betont hatte und seitdem unbestritten ist. b) Die „ Wiedergeburt"

des Rechtsschutzanspruchs nach 1960

Die Lehre vom Rechtsschutzanspruch war nach der Initialzündung durch Wach rasch i n den Mittelpunkt wissenschaftlichen Interesses gerückt, wurde wie oben beschrieben weiterentwickelt und verändert, ohne daß sich jedoch eine einheitliche Meinung gebildet hätte. Trotz der zum Teil prominenten K r i t i k 6 2 konnte sie bis etwa Ende der zwanziger Jahre als „herrschend" bezeichnet werden. 6 3 Seit den 55

Schwab, ZZP 81 (1968), S. 423. Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 118/119. Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 128. 58 Vgl. dazu Rosenberg / Schwab, § 3 I I 2 a, S. 13. 69 Vgl. Schüler, Urteilsanspruch, S. 16 FN 19. 80 So schon Bülow, ZZP 27 (1900), S. 216 ff.; Kohler, ZZP 33 (1904), S. 219. 61 Stein / Jonas / Pohle, Einl. E I e, S. 19; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 I I I , S. 4 ff.; Henckel, Prozeßrecht, S. 13, alle m i t Nachweisen. 62 Ο. V. Bülow, ZZP 31 (1903), S. 191 u.ö.; Kohler, ZZP 33 (1904), S. 211 ff.; AcP 97, S. 1 ff.; Rechtsverhältnis, S. 13 ff.; Nußbaum, Prozeßhandlungen, S. 147 ff.; Fischer, ZZP 10 (1887), S. 427 ff.; Bley, Klagrecht, S. 12; Groh, ZZP 51 (1926), S. 175; Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht, S. 16 ff.; Bernhardt, V o l l streckungsgewalt, S. 17, 32; Rechtsstreit, S. 3. 63 Zustimmend u. a.: Stein, Grundriß, § 5, S. 11 ff.; Laband, Staatsrecht, S. 349; Ri. Schmidt, Lehrbuch d. dt. Zivilprozeßrechts, S. 17 ff.; Prozeß und die staatsbürgerlichen Rechte, S. 28, 38 ff.; Hellwig, Klagrecht, S. 1, 12; A n 56

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1. Abschnitt, Teil 2: Der Prozeß als Rechtsverhältnis

dreißiger Jahren jedoch ging die Zahl ihrer Vertreter immer mehr zurück. 1954 feierte Habscheid 64 „Abschied vom Rechtsschutzanspruch", und Baumgärtel 6 5 konnte 1962 m i t Recht bemerken, daß die Ablehnung des Rechtsschutzanspruchs „eine gesicherte Erkenntnis der Prozeßrechtswissenschaft" sei. Doch schon kurz darauf erlebte der Rechtsschutzanspruch eine „Auferstehung" 66 . Zuerst hat sich Blomeyer 6 7 (1963) für i h n ausgesprochen, i h m folgten Pohle 6 8 , Dölle 6 9 , Kuchinke 7 0 und Mes 71 ; für den Bereich der Gestaltungsklagen auch Schlosser 72 . 4. Der Rechtsschutzanspruch heute

Soweit der Rechtsschutzanspruch heute noch 78 (oder wieder 7 4 ) vertreten wird, stellt er sich folgendermaßen dar: (1) Er ist Anspruch auf eine der Partei günstige Entscheidung. (2) Er richtet sich nur gegen den Staat und ist ein subjektives öffentliches Recht. (3) Voraussetzung dafür, daß er einer Partei tatsächlich zusteht, ist, daß nach Prozeßrecht und materiellem Recht eine für die Partei günstige Entscheidung ergehen muß. Für einen Rechtsschutz ansprach des Klägers müssen daher (a) die Prozeßvoraussetzungen als Sachurteilsvoraussetzungen spruch, S. 145; Lehrbuch I , S. 146; System I, § 110, S. 291 ff.; Seuffert, K o m mentar z. ZPO A n m . 1 zu § 253; J. W. Planck, Lehrbuch I I , § 86, S. 4 ff.; Z i t telmann, B G B - A T , S. 24; Goldschmidt, Materielles Justizrecht, in: Festgabe für Hübler, S. 86 ff.; Z w e i Beiträge in: Festschrift für Brunner, S. 109 ff.; Zivilprozeßrecht, § 1, S. 1 f.; § 12, S. 52; Schüler, Urteilsanspruch, S. 1 ff., m i t einer umfassenden Zusammenstellung v o n Befürwortern (S. 14) u n d Gegnern (S. 16) bis ca. 1920; vgl. auch Schiedemair, Vereinbarungen, S. 68 u n d dort F N 56. ®4 Habscheid, Z Z P 67 (1954), S. 183 ff. 65 Baumgärtel, Z Z P 75 (1962), S. 391 ff. ββ Ausdruck v o n Schwab, Rosenberg / Schwab, § 3 I I 1, S. 12. 67 A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 I I I , S. 4 ff. u n d später Festschrift für Bötticher, S. 61 ff. 68 Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. E, S. 17 ff. 69 Dölle, Festschrift für Bötticher, S. 93. 70 Schönke / Kuchinke, Zivilprozeßrecht (9. Aufl.), § 3 I I I . 71 Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 27 ff., 131 f. 72 Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 374 ff.; ähnlich schon Henckel, Parteienlehre, S. 34 u n d Zeiss, Die arglistige Prozeßpartei, S. 119, 149. 73 Neben den oben genannten auch A . Bülow, DNotZ 1965, S. 375; M a r t i n , Pfändungsrecht, S. 81 F N 10; Petschek / Stagel, Der österreichische Z i v i l p r o zeß, § 78, S. 237; w o h l auch Grunsky, Z Z P 80 (1967), S. 59 F N 5; Lehmann, B G B - A T § 13 I V , S. 90. 74 So hat ζ. B. Habscheid unter dem Eindruck der Darstellung Pohles seinen „Abschied v o m Rechtsschutzanspruch" (ZZP 67 (1954), S. 189 ff.) wieder revidiert (FamRZ 1964, S. 479 ff.).

I I I . Der Rechtsschutzanspruch

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(b) die s o g e n a n n t e n Rechtsschutzvoraussetzungen der Rechtsschutzfähigk e i t ( K l a g b a r k e i t ) u n d das Rechtsschutzbedürfnis gegeben sein. Die Unterscheidung v o n Prozeß- u n d Rechtsschutzvoraussetzungen geht zurück auf die frühere Ansicht, daß die Rechtsschutzvoraussetzungen T e i l der Sachverhandlung seien, i h r Fehlen also eine Abweisung als unbegründet v e r lange. 7 5 Sie w i r d heute i n dieser F o r m nicht mehr vertreten 7 ®: Nach allgemeiner Meinung ist die Klage auch beim Fehlen der sogenannten Rechtsschutzvoraussetzungen durch Prozeßurteil als unzulässig abzuweisen. 77 V o n einigen A u t o r e n w i r d dies jedoch modifiziert f ü r den Fall, daß die Klage offensichtlich unbegründet ist; dann soll sie ohne eingehende Prüfung der Rechtsschutzvoraussetzungen als unbegründet abgewiesen werden. 7 8 M i t der weitgehenden Gleichstellung v o n Prozeß- u n d Rechtsschutzvoraussetzimg ist allerdings der Wert der Unterscheidung fraglich geworden 7 9 , m i t der zum T e i l der praktische W e r t der Lehre v o m Rechtsschutzanspruch dargetan werden sollte. (c) W e i t e r h i n m u ß die K l a g e nach d e m m a t e r i e l l e n Recht

begründet

sein, das aber (d) v o n prozessualem Geschehen w i e A n e r k e n n t n i s oder S ä u m n i s ü b e r lagert werden kann. (4) F e h l t eine d e r V o r a u s s e t z u n g e n des k l ä g e r i s c h e n Rechtsschutzanspruchs, h a t d e r B e k l a g t e d e n Rechtsschutzanspruch a u f K l a g a b w e i sung.80 E r geht b e i u n z u l ä s s i g e r K l a g e a u f Prozeß ab Weisung, b e i u n b e g r ü n deter K l a g e auf S a c h a b w e i s u n g . 8 1 75 So Wach, Feststellungsanspruch, S. 24; noch RGZ 71, 71; anders RGZ 160, 209. 76 Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 112; A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 I I I 2, S. 6, jeweils m i t Nachweisen; schon Goldschmidt, Z w e i Beiträge, i n : Festschrift für Brunner, S. 156 ff.; ders., Zivilprozeßrecht, § 12.4., S. 53; vgl. auch Rimpelspacher, Prüfung v o n A m t s wegen, S. 91 ff., der die Unterscheidung v o n Zulässigkeit u n d Begründetheit v ö l l i g ablehnt; dem teilweise zustimmend Grunsky, Z Z P 80 (1967), S. 55 ff. 77 Rosenberg / Schwab, § 94 I I I , S. 490 ff.; A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 I I I 2, S. 6; RGZ 160, S. 209. 78 S t e i n / J o n a s / Pohle (19. Aufl.), Einl. E I 3 b , d, S. 18/19; Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 113; Baumgärtel, Zivilprozeßrechtsfall, S. 34. 79 Rosenberg, Zivilprozeßrecht (9. Aufl.), § 90 I V 2 a, S. 438; vgl. auch Rosenberg / Schwab, § 3 I I 2 c, S. 14. 80 Der Rechtsschutzanspruch des Beklagten w i r d u. a. befürwortet von: Wach, Handbuch I, S. 19 ff.; Hellwig, Klagrecht, S. 47 ff.; Langheineken, U r teilsanspruch, S. 24; Schüler, Urteilsanspruch, S. 68 ff.; Hegler, Beiträge, S. 18 ff. (S. 19 F N 3); Oertmann, Grundriß, § 16, S. 36; Grosse, ZZP 36 (1907), S. 113 ff.; Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. E I 3 b , c , d , S. 18 f.; Pohle, Festschrift f ü r Segni, S. 93 ff.; Α . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 I I I 2 a, S. 6; Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 130 f. 81 Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 130; Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. E 1 3 b, d, S. 19 f. Nach der heute aufgegebenen (siehe oben (3) (b)) Lehre v o n den Rechtsschutzvoraussetzungen sollte der Abweisungsanspruch des Beklagten i m m e r durch Sachurteil zu bescheiden sein. Vgl. dazu die zutreffende K r i t i k v o n Pagenstecher (AcP 97, S. 17 ff.).

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1. Abschnitt, Teil 2: Der Prozeß als Rechtsverhältnis

M i t der Anerkennung eines „Freisprechungsanspruchs" 82 w i r d der K r i t i k am Rechtsschutzanspruch Rechnung getragen, er sei einseitig v o m Standp u n k t des Klägers aus konstruiert 8 3 u n d könne (daher) keine E r k l ä r u n g dafür geben, daß i n einer nicht geringen A n z a h l v o n Fällen das Begehren des Klägers abgewiesen w i r d . 8 4 Der Rechtsschutzanspruch des Beklagten w i r d denn auch m i t der Überlegung begründet, daß jeder Rechtsstreit m i t dem Sieg einer Partei enden müsse; sofern also dem Kläger k e i n Anspruch auf ein günstiges U r t e i l zustehe, habe daher der Beklagte einen Anspruch auf Entscheidung zu seinen Gunsten. 8 5 Die Annahme eines „Freisprechungsanspruchs" ist jedoch nicht n u r bei Gegnern 8 6 , sondern auch bei B e f ü r w o r t e r n 8 7 des Rechtsschutzanspruchs (des Klägers) auf Widerspruch gestoßen. Die Ablehnung w i r d damit begründet, daß ein Rechtsschutzanspruch des Beklagten v o n der Erhebung einer unzulässigen oder unbegründeten Klage abhängig u n d somit nicht vorprozessualer, sondern innerprozessualer Natur sei. 88 Darüber hinaus könne einem solchen Anspruch v o r Einlassung des Beklagten durch Klagrücknahme beliebig der Boden entzogen werden. 8 9 Der Rechtsschutzanspruch des Klägers besteht schon v o r Prozeßbeginn, durch Klagerhebung w i r d er n u r geltend gemacht. F ü r den des Beklagten dagegen ist unklar, ob er erst bei dessen A n t r a g auf Klagabweisung 9 0 oder schon bei Klageinreichung besteht. 9 1 Läßt m a n i h n erst m i t dem Abweisungsantrag entstehen, dann wäre das Argument ausgeräumt, daß i h m durch Klagrücknahme der Boden entzogen werden k a n n (Argumentum § 269 ZPO), dagegen spricht aber, daß bei unzulässiger Klage oder beim Fehlen des Feststellungsinteresses (Rechtsschutzbedürfnisse) auch ohne A n t r a g des Beklagten abgewiesen werden muß. 9 2 (Vgl. § 331 Abs. 2 ZPO) Mes ist demgegenüber der Ansicht, es komme nicht darauf an, ob er erst mit oder schon vor Einlassung des Beklagten entstanden sei; entscheidend sei allein, daß der Beklagte aus § 269 Abs. 1 ZPO berechtigt sei, „über eine bloße Verteidigung hinaus die Abweisimg der Klage selbständig (zu) v e r folgen." 9 3 82

Ausdruck v o n O. v. Bülow, ZZP 31 (1903), S. 261. So Ο. v. Bülow, ZZP 27, S. 216; ZZP 31 (1903), S. 261; Nußbaum, Prozeßhandlungen, S. 147; Sauer, Grundlagen, § 28 I I 2 c, S. 539. 84 Ο. v. Bülow, ZZP 31 (1903), S. 241 ff.; Kohler, ZZP 33 (1904), S. 211 ff. 85 Oertmann, Grundriß, § 16, S. 36; Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 36, 129 ff. 86 Siehe v o r allem Rosenberg, Zivilprozeßrecht (9. Aufl.), § 90 I V 2 c, S. 438 m i t ausführlicher Begründung. 87 U. a. Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 268 ff.; Pagenstecher, A c P 97, S. 17 ff. 88 Rosenberg, Zivilprozeßrecht (9. Aufl.), § 90 I V 2 c, S. 438. 89 Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 270; vgl. auch Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 131 bei F N 29. 90 So Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 130 f.; Richard Schmidt, Lehrbuch, S. 698. 91 So Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. E I 3 d, S. 19, der aber annimmt, daß der Anspruch erst durch A n t r a g auf Abweisung „geltendgemacht" w i r d (Einl. E I 3 c, S. 18). 92 Rosenberg, Zivilprozeßrecht (9. Aufl.), § 90 2 c, S. 438. 93 Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 130 f. m i t Verweis (FN 24) auf Richard Schmidt, Lehrbuch, S. 698 zu F N 2. 83

III. Der Rechtsschutzanspruch

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Er gibt aber zu, daß sich der Rechtsschutzanspruch des Beklagten v o n dem des Klägers unterscheidet, meint aber, daß es sich hierbei u m eine sachgerechte Unterscheidung handele, die weder gegen die Annahme eines Rechtsschutzanspruchs des Beklagten noch gar die eines Rechtsschutzanspruchs überhaupt spreche. 94

(5) Für den Rechtsschutzanspruch des Klägers und den des Beklagten gilt, daß die Voraussetzungen zur Erfüllung des Anspruchs erst bei Entscheidungsreife gegeben sein müssen, weil über Bestehen oder Nichtbestehen auch prozessuale Tatbestände entscheiden. Er w i r d aber trotzdem schon vorher als entstanden angesehen.95 5. Kritik am Begriff des Rechtsschutzanspruchs

a) Einwände gegen den Rechtsschutzanspruch als subjektives Recht Die K r i t i k am Rechtsschutzanspruch stützt sich nicht nur auf die — oben aufgezeigten — Schwierigkeiten, gleichwertige Ansprüche für Kläger und Beklagte zu konstruieren, sondern erhebt grundsätzliche Einwände: (1) Da der Rechtsschutzanspruch zumindest auch gegen den Staat (bzw. das Gericht) gerichtet ist, widerspricht er der Auffassung, daß das Prozeßrechtsverhältnis nur zwischen den Parteien besteht. 96 Kohlers Begründung, „die Parteien haben ebensowenig einen A n spruch gegen das Gericht, als die Bürger überhaupt gegen den Staat ,auf Vollziehung der Staatstätigkeit' . . ." 9 7 , läuft jedoch darauf hinaus, daß die Möglichkeit subjektiv öffentlicher Rechte als Rechte des Bürgers gegen den Staat überhaupt geleugnet wird. (2) Erkennt man dagegen an, daß es subjektive öffentliche Rechte gibt, bleibt die Frage, ob der Rechtsschutzanspruch die Anforderungen erfüllt, die an ein solches Recht zu stellen sind. Dies w i r d zum einen m i t dem Hinweis darauf bezweifelt, daß dem Rechtsschutzanspruch (als vorprozessualem Recht) das Mindestmaß an Bestimmtheit für ein solches Recht fehle 98, da seine Voraussetzungen erst am Schluß der Verhandlung tatsächlich vorliegen können, er gleichwohl aber schon vorprozessual gedacht w i r d (werden muß). 94 Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 131; a. A . Rosenberg, Zivilprozeßrecht (9. Aufl.), § 90 I V 2 c, S. 438. 95 Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. E I 3 c, S. 18. 96 Siehe oben Teil 3 I I 3) 1., bei F N 22. 97 Kohler, Prozeß, S. 13; ders., Grünhuts Zeitschrift 14 (1887), S. 38 ff. unter Berufung auf Fischer, ZZP 10, S. 428 ff. 98 So ζ. Β . Ο. v. Bülow, ZZP 31 (1903), S. 202 ff.; Kohler, Grundriß, 1. Buch 3 I I I , S. 14; Fischer, ZZP 10 (1887), S. 429.

4 Schaper

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1. Abschnitt, Teil 2: Der Prozeß als Rechtsverhältnis

Zum anderen w i r d darauf hingewiesen, daß der Rechtsschutzanspruch nicht erzwingbar sei, da das Gericht Gegner des Rechtsschutzanspruchs ist und gleichzeitig nur das Gericht über i h n entscheidet." Fraglich muß allerdings bleiben, ob diese Argumente wirklich ausreichen, um den Charakter des Rechtsschutzanspruchs als eines subjektiven öffentlichen Rechts zu widerlegen, denn immerhin gibt es auch andere unerzwingbare Ansprüche 1 0 0 (ζ. B. den Anspruch des Verkäufers auf Vornahme der Spezifikation durch den Käufer nach § 375 HGB). Die Entscheidung hängt i m wesentlichen davon ab, wie man den Begriff des subjektiven Rechts faßt. Dieser Frage soll und braucht hier jedoch nicht nachgegangen zu werden: Für die hier interessierende Frage, ob der Rechtsschutzanspruch eine geeignete Kategorie zur Bestimmung des Inhalts des Prozeßrechtsverhältnisses ist, sind andere Überlegungen entscheidend. b) Fünf Argumente gegen einen zivilprozessualen Rechtsschutzanspruch I m Grunde genommen stellt der Rechtsschutzanspruch nichts anderes dar als die Umdeutung des objektiven Rechts, das die Voraussetzungen zum Erlaß eines (obsiegenden) Urteils ergibt, i n die Form eines subjektiven Rechts auf Erlaß eben dieses Urteils. 1 0 1 Andersherum ausgedrückt: enthebt man den Rechtsschutzanspruch seiner Einkleidung als subjektives Recht, bleiben genau der durch objektives Prozeßrecht gebildete Aufbau des Prozesses und das materielle, streitbefangene Rechtsverhältnis übrig. Die Frage ist nun, was durch das Umdenken des objektiven Rechts i n subjektive Rechte gewonnen ist (selbst wenn es i n Übereinstimmung m i t der Begriffsbildung des subjektiven Rechts geschieht). (1) Daß damit nicht der Streitgegenstand des Prozesses gefunden werden kann, wurde bereits oben dargelegt (siehe oben I I I 3. a)). (2) Weiter wurde bereits dargetan, daß es keinen Wesensunterschied zwischen den Prozeßvoraussetzungen gibt, aus dem sich eine Berechtigung der Konstruktion ableiten ließe (oben I I I 4. (3)). (3) Auch als Brücke zwischen dem materiellen Recht und dem Prozeßrecht ist der Rechtsschutzanspruch nicht unentbehrlich. Diese Brücke kann ebensogut i n der verfassungsrechtlichen Justizgewähr (Art. 19 99

Rosenberg / Schwab, § 3 I I 2 a, S. 13; Habscheid, ZZP 67 (1954), S. 191. 100 v g L dazu Stech, Z Z P 77 (1964), S. 161. 101

Ebenso H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 39 f.

III. Der Rechtsschutzanspruch

51

Abs. 4 GG) gefunden werden, die den Staat verpflichtet, durch seine Gerichte Rechtspflege zu üben und damit die Durchsetzbarkeit des (materiellen) subjektiven Rechts zu ermöglichen 102 ; und selbst wenn man einen Anspruch auf Justizgewähr nicht anerkennen w i l l , wäre die Brücke zwischen materiellem und Prozeßrecht noch durch die Prozeßführungsbefugnis geschlagen. 103 (4) Sieht man m i t Mes 1 0 4 die Funktion des Rechtsschutzanspruches darin, Antwort auf die Frage nach der Berechtigung eines Klagbegehrens i m Hinblick auf die Erlangung eines Urteils zu geben, so ist dem entgegenzuhalten, daß schon Hellwig erkannte, daß der Rechtsschutzanspruch nicht erforderlich ist, u m die Grundsätze über die Klagvoraussetzungen zu begründen. Sie gelten auch dann, „wenn man zwar eine Pflicht zur Erteilung des Rechtsschutzes, aber kein Recht auf diese annimmt." 1 0 5 (5) Damit bleibt die Lehre vom Rechtsschutzanspruch reine Theorie und selbst Befürworter geben zu, daß ihre „unmittelbare praktische Bedeutung . . . gering" 1 0 6 ist. Sie ist heute nicht einmal nötig, um die öffentlich-rechtliche Natur des Prozeßrechtsverhältnisses zu begründen. 1 0 7 c) Der Rechtsschutzanspruch als „Kernstück des Prozeßrechtsverhältnisses" So bleibt am Ende die Frage, ob der Rechtsschutzanspruch, wenn er schon praktisch überflüssig ist, doch wenigstens als theoretisches Konstrukt noch eine Aufgabe erfüllen kann, nämlich „das Kernstück des Prozeßrechtsverhältnisses (zu bilden), das sonst ein etwas blutleeres Gebilde bliebe". 1 0 8 (1) Privatrechtliche Orientierung des Begriffs Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Theorie vom Rechtsschutzanspruch das Konglomerat von Rechten, die erst i m Laufe des Prozesses durch Aktionen und Reaktionen der Prozeßsubjekte entstehen und durch die er gebildet wird, so behandeln muß, als wären sie schon 102 103 104 105

S. 28. 108

So Rosenberg / Schwab, § 3 I I 2 d, S. 14. So Bruns, Zivilprozeßrecht, S. 14. Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 128; siehe schon oben S. 45. Hellwig, System I, § 98 I I I 2, S. 250; vgl. auch Henckel, Parteienlehre,

Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. E I 3 g, S. 20. Vgl. Henckel, Parteienlehre, S. 28; Rosenberg, Zivilprozeßrecht (9. Aufl.), § 90, S. 433 ff.; Habscheid, Streitgegenstand, S. 99 ff.; ders., Z Z P 67 (1954), S. 188 ff. 108 Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. E I 3 g, S. 20. 107

4*

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1. Abschnitt, Teil 2: Der Prozeß als Rechtsverhältnis

durch Klagerhebung entstanden. 109 Das bedeutet, daß die Vertreter der Rechtsschutztheorie alles, was i m Urteil liegt, bereits i n das Klagerecht (als Anspruch auf günstiges Urteil) hineinzwängen. 1 1 0 Damit verliert die Lehre vom Rechtsschutzanspruch aber den Entwicklungscharakter des Prozesses und des Prozeßrechtsverhältnisses aus den Augen: I m Rechtsschutzanspruch erscheinen die Vorgänge des Prozesses als von Anfang an feststehend — statisch. Es zeigt sich hier eine Betrachtungsweise, die der des materiellen Rechtsverhältnisses aus der Sicht des Prozesses entspricht; dort erscheint das materielle Rechtsverhältnis abgeschlossen, als etwas, das feststeht und nur noch erkannt werden muß. Diese Sicht mag für das materielle Verhältnis angemessen sein (obwohl es selbst auch einen Entwicklungscharakter trägt 1 1 1 ), da es für den Prozeß und die Entscheidung i m Prozeß nur auf das Ergebnis dieser Entwicklung ankommt. Für den Prozeß bedeutet die Übertragung dieser Sichtweise jedoch, daß ebenfalls nur auf sein Ergebnis, die Entscheidung, das Urteil, abgestellt wird, dadurch aber die Leistung des Prozesses für das Urteil nicht mehr erfaßt werden kann. Die Einheit des Prozesses von der Klagerhebung bis zum Urteil w i r d nur noch durch den „Trick" des Umdenkens des Anspruchs auf den Zeitpunkt der Klagerhebung gewahrt, ohne daß sie inhaltlich angemessen erfaßt und beschrieben wird. Der Rechtsschutzanspruch ist daher ungeeignet, den Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses angemessen zu beschreiben. „Die Theorie des Rechtsschutzanspruchs ist eben durchaus privatrechtlich orientiert, sie erklärt sich aus einer Überschätzung des Anspruchsbegriffs für das Prozeßrecht; dieser paßt nicht einmal für den Zivil-, geschweige denn für den Strafprozeß." 112 Schon Bülow hatte erkannt, daß der den Prozeß „übergreifende" Rechtsschutzanspruch dem von i h m herausgearbeiteten Wesensmerkmal des Prozesses, seinem Entwicklungscharakter, widerstreitet und dagegen wie folgt Stellung genommen: „Die prozeßordnungsgemäß angestellte Klage begründet bloß ein Recht auf Einleitung einer prozeßordnungsgemäßen gerichtlichen Verhandlung . . . Erst am Schluß entsteht die rechtliche Möglichkeit der Urteilsfällung." 1 1 8 109 Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. E I 3 d, S. 19; siehe schon oben I I I 4) (5) (bei F N 95). 110 Sauer, Grundlagen, § 28 V d, S. 39. 111 Dazu Emmerich, Grundlagen, Kap. 5 § 2 I, S. 294 f.; Larenz, Schuldrecht I, § 2 V, S. 25; siehe dazu schon oben T e i l 2 I. 112 Sauer, Grundlagen, § 28 I I 2 c, S. 537; i m gleichen Sinne Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 25. 113 Ο. v. Bülow, ZZP 31, S. 265 — Hervorhebung i m Original.

III. Der Rechtsschutzanspruch

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(2) Ablehnung eines strafprozessualen Rechtsschutzanspruchs Der „zivilistische Charakter" der Lehre vom Rechtsschutzanspruch w i r d deutlich, wenn man das Schicksal des strafprozessualen Rechtsschutzanspruches betrachtet. Die weitgehende Anlehnung der strafprozessualen Theorie an die Ergebnisse der zivilprozessualen Untersuchungen hatte auch zur Übernahme dieser Lehre geführt. Dabei sind jedoch einige Besonderheiten zu berücksichtigen und ähnliche Begriffsbildungen klar zu unterscheiden. (a) Der sogenannte „Strafanspruch", mit dem sich vor allem Binding 1 1 4 eingehend auseinandersetzte, und dessen Bedeutung lange unumstritten w a r 1 1 5 , stellt nicht das Gegenstück zum Rechtsschutzanspruch dar. Er ist der rein materiellrechtliche Anspruch auf Strafe, analog dem von Windscheid entwickelten Anspruchsbegriff für das materielle Zivilrecht. (b) Nicht identisch m i t dem Rechtsschutzanspruch sind auch die Strafklagrechtstheorien, die i m Zuge der Entwicklung weg von der materiellen Klagrechtstheorie und ihrem aktionenrechtlichen Ausgangspunkt von Glaser 1 1 6 , Binding 1 1 7 u. a. entwickelt wurden; eine Entwicklung, die ihren Abschluß m i t der Bildung eines formellen Strafklagrechts 4 durch Beling 1 1 8 erreichte. I n A n l e h n u n g an die Lehre Degenkolbs, nach der die Entstehungstatbestände f ü r das Klagrecht u n d das materielle Recht voneinander zu trennen sind, n a h m diese Theorie ihren Ausgangspunkt darin, daß der Strafprozeß auch gegen Unschuldige — n u r Tatverdächtige — erhoben werden dürfe: „Eine landläufige Redewendung läßt den Strafprozeß, gleich der Strafe sel114

Schon i n „Die Normen u n d ihre Übertretung" (1. A u f l . 1872!); Handbuch, insbesondere S. 191 ff.; später modifizierend i n der 2. A u f l . v o n „Die Normen u n d ihre Übertretung"; sowie Abhandlungen I I , insbesondere S. 269; vgl. zur E n t w i c k l u n g des Begriffs bei Binding: H. Kaufmann, Straf anspruch, S. 73 ff. 115 Die Lehre v o m Strafanspruch wurde u. a. vertreten von: Allfeld, L e h r buch, S. 1; Baumgarten, Verbrechenslehre, S. 20 f., 32 f.; Beling, Prozeß, S. 1; Verbrechen, S. 5; Birkmeyer, Strafprozeß, S. 3 f.; Dohna, Strafprozeßrecht, S. 16 f.; Finger, Lehrbuch, S. 1 f., 184; Frank, Strafgesetzbuch, § 66 A I I ; Glaser, Handbuch I, S. 12 f.; Hafter, Lehrbuch, S. 1; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 282 F N 10; R. v. Hippel, Strafrecht I, S. 4; Strafprozeß, S. 228 F N 4; Kern, Strafverfahrensrecht (8. Aufl.), S. 91 f.; Köhler, Strafrecht, S. 24 (mit dem Hinweis, der Straf anspruch sei k e i n Anspruch i m bürgerlichen Sinne); V. Kries, Strafprozeßrecht, S. 2; Rosenfeld, Strafprozeßrecht I , S. 28 f.; Eb. Schmidt, Lehrbuch, S. 1 F N 1; ν. Weber, Grundriß, S. 129; vgl. auch Mezger, Lehrbuch, S. 5 u n d RGSt. 33, 205, m i t dem Hinweis, daß die Auffassung v o m Bestehen des „Strafanspruchs" der st. Rspr. des RG zugrunde liege. 116 Glaser, Handbuch, S. 46 ff. 117 Binding, Handbuch, S. 192 ff.; Normen I (2. Aufl.), S. 234 u. ö. 118 Beling, Reichsstraf prozeßrecht, S. 4 f., 97 ff.; das formelle S traf k l agerecht wurde noch v o n Kern, Strafverfahrensrecht (8. Aufl.), S. 91 ff. vertreten; A n klänge finden sich bei Peters, Strafprozeß, § 35, S. 235 ff. (S. 239 f.).

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1. Abschnitt, T e i l 2: Der Prozeß als

echtsverhältnis

ber, aus dem Verbrechen entspringen; . . . Das ist schief. Schon rein tatsächlich entspringen keineswegs alle Prozesse aus einem Verbrechen; viele rühren lediglich davon her, daß der falsche Anschein eines solchen aufgetaucht i s t . " 1 1 9 Oder w i e es schon B i n d i n g ausgedrückt hat: Es „ k a n n das Verbrechen fehlen, aber sein Verdacht begründet das Straf klagerecht". 1 2 0 I n h a l t l i c h geht dieses Strafklagerecht daher nicht auf das Strafleiden, „nicht einmal auf verurteilende Tätigkeit des Gerichts, sondern n u r auf ordnungsgemäße A b w i c k l u n g des Prozesses m i t dem Ziel einer gerichtlichen Entscheidung über den Prozeßgegenstand." 121 „Das Strafklagerecht ist das Recht, eine Strafverfolgung einzuleiten u n d durchzuführen." 1 2 2 Es hängt, anders als der Strafanspruch, der die strafbare Handlung voraussetzt, n u r von den formalen Verfolgungsbedingungen ab. Die Verfolgungsbedingungen sollen — u n d hier zeigt sich eine Parallele zu der K o n s t r u k t i o n v o n besonderen Rechtsschutzvoraussetzungen beim Rechtsschutzanspruch 123 — i n Strafklagerechtsvoraussetzungen u n d andere Prozeßvoraussetzungen zu trennen sein. 1 2 4 (c) E i n Rechtsschutzanspruch i m S i n n e des Rechts a u f obsiegendes U r t e i l e r g i b t sich erst, w e n n s o w o h l die V o r a u s s e t z u n g e n des prozessualen (oder f o r m e l l e n ) S t r a f k l a g e r e c h t s und des m a t e r i e l l e n Strafanspruchs v o r l i e g e n . ( A u c h dieser A n s p r u c h t a u c h t j e d o c h z u w e i l e n u n t e r d e m N a m e n „ S t r a f k l a g e r e c h t " a u f . 1 2 6 ) Besonders d e u t l i c h w i r d dieser Z u sammenhang w i e d e r u m bei B e l i n g 1 2 6 , der b e i m gleichzeitigen Vorliegen des ( v o n i h m e n t w i c k e l t e n ) S t r a f k l a g e r e c h t s u n d des m a t e r i e l l e n S t r a f anspruchs v o n e i n e m „ s t r a f r e c h t l i c h e n Rechtsschutzanspruch" entsprechend d e m z i v i l r e c h t l i c h e n spricht. B e i m strafrechtlichen Rechtsschutzanspruch h a n d e l t es sich also u m eine K o m b i n a t i o n des ( f o r m e l l e n ) Strafklagerechts u n d des ( m a t e r i e l l e n ) Strafanspruchs. Gegen i h n lassen sich d a h e r s o w o h l die E i n w ä n d e erheben, die sich gegen das S t r a f k l a g e r e c h t r i c h t e n , als auch d i e j e n i g e n gegen d e n S t r a f a n s p r u c h ; u n d n a t ü r l i c h g e l t e n auch h i e r a l l die A r g u m e n t e , die gegen d e n Rechtsschutzanspruch selbst b e r e i t s v o r g e t r a g e n wurden. D i e E i n w ä n d e gegen das Strafklagerecht r i c h t e n sich v o r a l l e m gegen die A u f s p a l t u n g d e r Prozeßvoraussetzungen, da sie als Folge d e r Z u 119

Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 4. Binding, Handbuch, S. 193. 121 H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 68. 122 Kern, Strafverfahrensrecht, S. 91. 123 A u f diese Parallele beruft sich noch Kern, Strafverfahrensrecht (8. Aufl.), S. 90; zum Rechtsschutzanspruch siehe schon oben I I I 4. 124 Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 100 f. 125 Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 100 f.; H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 69; zur „verwirrenden Fülle v o n Bezeichnungen" i n der Nomenklatur der Klagrechte vgl. Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 26 u n d H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 38. 126 Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 97 ff. (99); vgl. auch Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 25 F N 23. 120

I I I . Der Rechtsschutzanspruch

55

Ordnung des S t r a f k l a g e r e c h t s z u m Prozeßrecht r e c h t l i c h g l e i c h z u s t e l l e n sind.127 Hier zeigt sich wiederum die Parallele zur K o n s t r u k t i o n der besonderen Rechtsschutzvoraussetzungen u n d deren Ablehnung beim zivilprozessualen Rechtsschutzanspruch. 128 Der Begriff der Strafklagrechtsvoraussetzungen ist heute ebenfalls w e i t gehend als „überflüssige Nomenklatur" beiseite geschoben worden. 1 2 9 Läßt m a n gelten, daß zur Durchführung des Prozesses (nur) die Prozeßvoraussetzungen vorliegen müssen, die sich aus dem objektiven Prozeßrecht ergeben, so stellt die K o n s t r u k t i o n eines (formellen) Strafklagerechts nichts anderes dar, als das Umdenken des objektiven Rechts i n ein subjektives, dessen besondere Problematik noch darin besteht, daß es ein Recht des Klägers gegen das Gericht darstellt, wobei sowohl Kläger (Staatsanwaltschaft) als auch Gericht i m Normalfall staatliche Organe sind. Bereits hier taucht damit das Problem eines Anspruchs des Staates gegen sich selbst auf. Diese gegenüber d e m Z i v i l r e c h t besondere P r o b l e m a t i k t r i t t i n v o l l e r Schärfe b e i m ( m a t e r i e l l e n ) Strafanspruch

zutage. D i e S c h w i e r i g k e i t , d e n

I n h a l t eines „ s u b j e k t i v e n Rechts a u f S t r a f e " 1 8 0 z u b e s t i m m e n , zeigt sich an d e r E n t w i c k l u n g , d e n d e r S t r a f a n s p r u c h b e g r i f f

allein bei Binding

durchgemacht hat. Zunächst konzipiert als ein „Rechtsverhältnis zwischen dem Staat u n d dem Strafberechtigten" (d. i. ebenfalls der Staat!) sollte i n i h m die Korrespondenz von Recht u n d Pflicht zur Strafe dargestellt werden u n d damit auch das Problem der Selbstbindung des Staates gelöst werden. 1 8 1 Diese Auffassung ließ B i n d i n g selbst wieder fallen, w e i l es auch Strafgesetze ohne Strafpflichten gebe. 182 Stattdessen w i r d der Strafanspruch zum Recht des Staates auf Strafe u n d die (korrespondierende) Pflicht des Verbrechers zur Straferduldung 1 3 8 ; doch auch davon rückt B i n d i n g schließlich wieder ab, w e i l der Verbrecher, der sich dem Strafverfahren entzieht, keiner Straferduldungspflicht zuwiderhandelt. 1 3 4 Was b l e i b t , ist n u r noch d e r N a m e „ A n s p r u c h " f ü r d i e o b j e k t i v e E r m ä c h t i g u n g des Staates, z u S t r a f z w e c k e n i n d e n (verfassungsrechtlich 127 H. Kaufmann, Straf anspruch, S. 70; auch schon Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 100 ff. 128 Siehe oben I I I 4. (3) (b). 129 So Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 280 A n m . 2; Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 25; R. v. Hippel, Strafprozeß, S. 10. 180 ,Straf anspruch 1 u n d »subjektives Recht auf Strafe 4 sind synonyme Begriffe, vgl. Binding, Abhandlungen I I , S. 269; H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 71, 75 F N 23; Nawiasky, Rechtslehre, S. 155. 181 Vgl. hierzu — w i e zur ganzen E n t w i c k l u n g — H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 72 ff. (73) u n d Binding, Normen I (2. Aufl.), S. 20 zu dieser i n N o r men I (1. Aufl.), S. 10 ff. entwickelten Auffassung. 132 Binding, Handbuch, S. 191; auch Normen I (2. Aufl.), S. 18 f. 138 Binding, Handbuch, S. 91. 134 Binding, Normen I (2. Aufl.), S. 24, bes. F N 9, wo er ausdrücklich v o n der i m Handbuch vertretenen Auffassung abrückt,

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1. Abschnitt, Teil 2: Der Prozeß als Rechtsverhältnis

geschützten) Bereich des einzelnen unter bestimmten, tatbestandlichen Voraussetzungen einzugreifen. Der Begriff des Anspruchs ist dazu überflüssig, er führt allenfalls zur Verwirrung, weil er m i t dem zivilrechtlichen Anspruch kaum noch etwas gemein h a t 1 3 5 und das verfassungsrechtliche Verhältnis von grundrechtlich geschütztem Bereich des Einzelnen, Gesetzesvorbehalten und Bindung von staatlicher (Eingriffs-) Verwaltung und Gericht an Verfassung, Gesetz und Recht vernebelt. I n diesem Verhältnis ist auch die Lösung für das Problem der Selbstbindung des Staates zu suchen. Der Strafanspruch ist daher auch als „programmatischer Begriff i m Kampf u m die rechtsstaatliche Bindung des Staates" 136 entbehrlich. Hinzu kommt, daß der Strafanspruch als subjektives Recht auf Strafe erheblichen dogmatischen Bedenken begegnet. 137 Er w i r d abgelehnt, weil es an der elementarsten Gemeinsamkeit des Strafrechts mit allen sonstigen, je unter den Begriff des subjektiven Rechts gebrachten Rechtsfiguren fehlt, nämlich an der Begünstigung des Berechtigten. Das Strafrecht begründet daher nur eine organisatorische Zuständigkeit, kein subjektives Recht auf Strafe. 138 Bei der Häufung von Bedenken, Problemen und Widersprüchen ist es wohl nur zu verständlich, daß der „strafrechtliche Rechtsschutzanspruch" heute nicht mehr vertreten wird. d) Untauglichkeit des Rechtsschutzanspruchs als prozessualer Grundbegriff Der Begriff des Rechtsschutzanspruchs ist damit ungeeignet, als zentraler Begriff eines allgemeinen Prozeßrechtssystems den Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses zu beschreiben. Dies gilt m i t Sicherheit für einen die drei Bereiche des Straf-, Z i v i l - und Verwaltungsprozesses gemeinsam umfassenden (allgemeinen) Prozeßbegriff; wegen der aufgeführten Mängel aber auch für einen isolierten Begriff des Zivilprozesses. Da der Begriff des Rechtsschutzanspruches auf Grund seines „zivilistischen Charakters" prozeßfremde Elemente enthält, ist i h m der „große Lehrwert", den i h m Mes 1 3 9 zuschreibt, abzusprechen: „ . . . der Begriff erleichtert weder den theoretischen Aufbau noch die praktische 135

Das hatte schon B i n d i n g erkannt (!). Vgl. Abhandlungen I I , S. 269. Vgl. dazu die Kontroverse H. Meyer, GS 1934, S. 309; Oetker, GS 1936, S. 1 ff.; Henkel, DJZ 1935, Sp. 533 f.; Schaffstein, J W 1934, S. 531. 137 Ausdrücklich dagegen ausgesprochen haben sich Esser, Grundbegriffe, S. 140 ff.; Burckhard, Methode, S. 190; Organisation, S. 81; H. Kaufmann, Straf ansprach, S. 77 ff. (98); m i t Modifikationen auch Baumgarten, Verbrechenslehre, S. 32 ff., der dem Straf recht den Charakter eines ,subjektiven Rechts i. e. S.' abspricht. 138 Esser, Grundbegriffe, S. 154; H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 98 f. 139 Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 131, 136

IV. Andere Inhalte des Prozeßrechtsverhältnisses Handhabung noch das ist dieser Lehre nicht als der unbestreitbare wenn sie (zulässig und)

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Verständnis des Gesetzes . . . Irgendein Gewinn zu entnehmen. I n Wahrheit bleibt nichts übrig Satz, daß eine Klage nur durchdringen kann, begründet ist". 1 4 0

I V . Andere (mögliche) I n h a l t e des Prozeßrechtsverhältnisses 1. Der Justiz(gewährs)anspruch

Der Anspruch auf Justizgewähr, der heute jedenfalls von der herrschenden Lehre anerkannt w i r d 1 , hat seine Grundlagen nicht so sehr i n der Lehre vom Rechtsschutzanspruch, als vielmehr i n Degenkolbs abstraktem Klagerecht (s. o. I I I 2 a) (4)) und vor allem i m materiellen Staatsrecht, denn das subjektiv öffentliche Recht auf Justizgewähr als Recht auf rechtliches Gehör und Entscheidung wurde schon von Laband 2 und Jellinek 3 anerkannt. Heute w i r d der Justizgewährsanspruch überwiegend aus A r t . 103 GG und A r t . 6 Abs. 1 der Menschenrechtskonvention und — soweit es den öffentlich-rechtlichen Bereich betrifft — aus A r t . 19 Abs. 4 GG abgeleitet 4 und gehört daher dem (materiellen) öffentlichen Recht an, was nicht hindern würde, den Justizanspruch statt des gescheiterten Rechtsschutzanspruchs als Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses zu betrachten. 5 a) Der Inhalt des Justizgewährsanspruchs Dabei ist jedoch hinsichtlich des Inhalts des Justizgewährsanspruchs zu differenzieren. Teilweise w i r d seine Geltung auf das bereits i n Gang gesetzte Verfahren beschränkt. Nur innerhalb dieses Verfahrens soll er einen A n 140 So eine zutreffende Formulierung v o n Baumbach (Zivilprozeßordnung (6. Aufl.), A n m . 1 u. 2 v o r § 253 ZPO) zitiert nach Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 26. 1 „Recht darauf, daß das Gericht das objektive Recht anwendet u n d bei Entscheidungsreife das U r t e i l f ä l l t " ; Bettermann, Schutz der Grundrechte, in: Die Grundrechte Bd. 3.2 (1959), S. 784; Baumgärtel, ZZP 75 (1962), S. 392 („Recht auf Sachentscheidung"); Rosenberg, Zivilprozeßrecht (9. Aufl.), § 2 I I 3 a; Rosenberg / Schwab (12. Aufl.), § 3 I, S. 11; Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rdn. 16 ff., S. 41 ff.; Lent / Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 36 I I I ; Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 2 V ; Schönke / Schröder / Niese, Zivilprozeßrecht (8. Aufl.), § 1 V I ; siehe auch B G H Z 37, 121; Habscheid, ZZP 67 (1954), S. 189; Baur, AcP 153 (1954), S. 399 ff.; Grunsky, Grundlagen, § 1 I I , S. 2. 2 Laband, Staatsrecht I I , S. 372 f. 3 G. Jellinek, Subjektives Recht, S. 124 ff. 4 So Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rdn. 17, S. 41 f. u n d dort F N 37, 38; Baur, A c P 153, S. 396 ff.; Habscheid, ZZP 67, S. 193 ff. (196); abweichend Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. E 12, S. 17, der meint, ein Anspruch auf Entscheidung ließe sich nicht allein aus den grundgesetzlichen Normen ableiten. — A l l e m i t weiteren Nachweisen. 5 So z. B. Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. E I I 1, S. 21.

1. Abschnitt, Teil 2: Der Prozeß als Rechtsverhältnis

58

spruch auf Tätigwerden der Justizorgane — Gewährung rechtlichen Gehörs und Entscheidung — begründen. 6 Andere 7 sehen i n i h m auch einen Anspruch des Einzelnen auf Zugang zum Gericht überhaupt; das Recht, einen Prozeß anzustrengen (für den potentiellen zivil- odeer verwaltungsgerichtlichen Kläger), bzw. das Recht, daß nicht ohne Prozeß (ζ. B. über Strafe) entschieden w i r d (für den jeweiligen Beklagten oder strafrechtlich Beschuldigten). Dieser Aspekt — für dessen Einbeziehung i n den Justizgewährsanspruch A r t . 6 M R K und A r t . 19 Abs. 4 GG sprechen 8 — sagt jedoch als Anspruch auf Prozeß nichts aus über die rechtlichen Beziehungen im Prozeß. Er ist allein ein Anspruch darauf, daß dem Einzelnen der Zugang zum Gericht nicht überhaupt versagt w i r d (Justizverweigerung), sei es durch Maßnahmen des Gesetzgebers oder auf andere Weise. Als solcher ist er ein rein materiellrechtlicher Anspruch, der das Prozeßrechtsverhältnis, das erst m i t Klagerhebung entsteht 9 , nicht betreffen kann. b) Probleme des Justizgewährsanspruchs als Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses Der innerprozessuale Teil des Justizgewährsanspruchs dagegen stellt eine rechtliche Beziehung zwischen den Prozeßsubjekten dar und ist damit ein möglicher Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses. 10 (1) Fraglich ist jedoch, ob diese Inhaltsbestimmung des Prozeßrechtsverhältnisses die rechtlichen Beziehungen i m Prozeß vollständig erfaßt. — Täte sie es, wäre die Ansicht bestätigt, daß das Prozeßrechtsverhältnis nur zwischen dem Gericht und jeder „Partei" besteht. Die anderen Ansichten wären widerlegt. 1 1 Bedenken bestehen, weil sich auch andere Rechte und Pflichten zwischen den Prozeßsubjekten konstruieren lassen. I m Zivilprozeß vor allem die Wahrheitspflicht (§ 138 ZPO) 1 2 und die Pflicht persönlich zu erscheinen (§ 141 ZPO) 1 3 , aber auch eine auf den Grundsatz von Treu 6 H. Dahs (jr.), Diss. Bonn 1963, S. 12 ff.; M a u n z / D ü r i g , G G A r t . 103 Rdn. 88, 97; Stein / Jonas / Pohle, Einl. E I 2, S. 17; jeweils m i t Nachweisen. 7 V o r allem Baur, A c P 153 (154), S. 396 ff. (S. 398) u n d Justizaufsicht, S. 25; i m Anschluß daran Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rdn. 17 u n d F N 38; ähnlich Grunsky, Grundlagen, § 1 I I , S. 2, jeweils m i t Nachweisen.

8

Deutlicher als Art. 103 Abs. 1 GG, der lediglich auf rechtliches Gehör vor

Gericht

abstellt, ist A r t . 6 Abs. 1 M R K , w o v o n einem Anspruch darauf, daß

jedermanns Sache in billiger Weise von einem Gericht gehört wird, die Rede ist. (So auch Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rdn. 17, S. 41/42.) 9 Dazu schon oben Teil 2 I I 2). 10 So z. B. Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. E I I 1, S. 21. 11 Siehe dazu schon oben T e i l 2 I I 3). 12 Dazu näher Lent, ZZP 67 (1954), S. 344 ff.; Henckel, Prozeßrecht, S. 15 ff. 13 Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. E I I 1.

IV. Andere Inhalte des Prozeßrechtsverhältnisses

59

und Glauben gestützte Pflicht der Parteien zu gegenseitiger Rücksichtnahme 1 4 oder gar eine allgemeine Mitwirkungspflicht der Parteien. 15 I m Strafprozeß wäre hier an ein Recht 16 , aber auch an eine Pflicht des Angeklagten, auf Anwesenheit 1 7 (§ 230 Abs. 1 und Abs. 2 StPO) zu denken. 18 (2) Weiterhin ist die Zuordnung des innerprozessualen Teils des Justizgewährsanspruchs zum Prozeßrechtsverhältnis auch nicht zwingend: Inhaltlich ist dieser Teil eine (materiell-verfassungsrechtliche) Konkretisierung des (außerprozessualen) Rechts auf Prozeß: Der Begriff „Prozeß" w i r d dadurch festgelegt auf ein Verfahren, i n dem erstens eine Entscheidung ergeht (ergehen muß) und zweitens diejenigen, die von der Entscheidung direkt betroffen sind, vorher vom Entscheidenden gehört werden (werden müssen). Unter diesem Blickwinkel stellen inner- und außerprozessualer Teil des Justizgewährsanspruchs nur einen einheitlichen materiell staatsrechtlichen Anspruch auf „Prozeß" dar. Dieser muß erst i n einen außerprozessualen auf Zugang zum Gericht und einen innerprozessualen auf Entscheidung und rechtliches Gehör aufgespalten werden, damit sein innerprozessualer Teil i n einen Anspruch gegen das Gericht umgedeutet werden kann, u m so als Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses zu dienen. (3) Erkennt man aber nur einen innerprozessualen Justizgewährsanspruch an oder trennt i h n von dem außerprozessualen ab, so fragt sich, was m i t der Behauptung gewonnen ist, er sei Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses (außer, daß der Begriff des Prozeßrechtsverhältnisses aufrechterhalten werden kann). 1. Die Aussagekraft für das einzelne Verfahren ist gering. Es sagt zwar, daß bei Entscheidungsreife eine Entscheidung ergehen muß, aber nicht, w a n n Entscheidungsreife vorliegt; diese Bestimmung geschieht erst durch das objektive Prozeßrecht, das auch festlegt, w i e das Recht auf Gehör wahrzunehmen u n d zu gewähren ist. Der Anspruch ist also i n bezug auf die Inhaltsbestimmung des einzelnen Prozeßrechtsverhältnisses reichlich unbestimmt. 1 9 2. Entscheidend ist aber, daß aus dem prozessualen Charakter des Anspruchs keine Folgen erwachsen. A l l e Anforderungen, die der Justizanspruch an 14 Dazu näher Zeiss, Arglistige Prozeßpartei, S. 32 ff.; Baumgärtel, Z Z P 69 (1956), S. 89 f.; auch Β G H Z 10, S. 333; 20, S. 206; 31, S. 81. 15 So Baumbach / Lauterbach / Hartmann, Grdz. 2 vor § 128; Dölle, Festschrift f ü r Riese, S. 289 ff. 18 Dazu Rieß, JZ 1975, S. 267. 17 Kleinknecht, Strafprozeßordnung, § 230 A n m . 1. 18 Z u r Möglichkeit, alle Normen des objektiven Prozeßrechts i n subjektive Rechte u n d Pflichten umzudeuten u n d so zum I n h a l t des Prozeßrechtsverhältnisses zu machen, siehe Bülows Konzeption unten 2) — bei F N 22. 19 Den V o r w u r f der Unbestimmtheit erhebt auch H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 40 (mit weiteren Nachweisen).

60

1. Abschnitt, Teil 2: Der Prozeß als Rechtsverhältnis

das Gericht stellt, bestehen i n gleicher Weise, w e n n m a n i h n allein als einen rein materiellrechtlichen Anspruch ansieht. Der Prozeß läuft nach den prozeßrechtlichen Normen ab, die i m Lichte des Justizanspruchs zu betrachten sind, gleich, ob dieser I n h a l t des Prozeßrechtsverhältnisses ist oder nicht. Die einschneidende rechtliche Konsequenz, daß die Verletzung dieses Anspruchs unter Umständen m i t einer Verfassungsbeschwerde (erfolgreich) gerügt w e r den kann, ergibt sich aber allein aus seinem materiell verfassungsrechtlichen Charakter. 3. Nichts gewonnen ist m i t dieser Inhaltsbestimmung v o r allem für die Frage, w i e Prozeßrecht u n d materielles Recht zu trennen sind, denn die Zuordnung des innerprozessualen Justizgewährsanspruchs zum Prozeß rechts Verhältnis setzt den Prozeß u n d seine rechtliche Erfassung schon voraus. 2 0 2. Rechte und Pflichten als Folge der Prozeßhandlungen (Bülows Konzeption)

Es bleibt die Möglichkeit, den Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses nicht einheitlich für alle Prozesse zu bestimmen, sondern Rechte und Pflichten m i t dem Fortschreiten des Prozesses und seiner jeweiligen Situation zu konstruieren. Diesen Weg hat B ü l o w 2 1 beschritten: a) „Die prozeßordnungsgemäß angestellte Klage begründet bloß ein Recht auf Einleitung einer prozeßordnungsgemäßen gerichtlichen Verhandlung über die durch die Klage zur Aburteilung verstellte Rechtsangelegenheit." Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag begründet dann ein Recht auf Beweiserhebung usw. bis h i n zum Schluß des Prozesses m i t dem Anspruch auf Entscheidung. 22 Der Inhalt des Rechtsverhältnisses ändert sich damit durch jede Prozeßhandlung: Das Prozeßrechtsverhältnis w i r d „dynamisch" i m Sinne Bülows. Die jeweils entstehenden Rechte und Pflichten werden jedoch — wie schon beim Rechtsschutzanspruch — dadurch gewonnen, daß die Anforderungen des objektiven Prozeßrechts (der Aufbau des Prozesses) jeweils i n subjektive Rechte und Pflichten umgedacht werden. 2 3 A u f diese A r t und Weise werden letztlich auch die Rechte und Pflichten gewonnen, die nicht nur für die jeweilige Situation i n dem jeweiligen Prozeß gelten sollen, sondern für alle Prozesse gleichermaßen; also die oben schon erwähnten Rechte und Pflichten wie „Wahrheitspflicht" der Parteien, Rechte auf abgesonderte Entscheidung 24 , Recht auf Rechtsmittel verfahren 2 5 u. ä. Auch sie hängen nur vom objektiven Prozeßrecht ab und nicht vom (imaginären) „Wesen" des Prozesses. 20 21 22 23 24 25

Ä h n l i c h H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 40. Ο. V. Bülow, ZZP 31 (1903), S. 265 u. ö. Vgl. Ο. ν. Bülow, ZZP 31 (1903), S. 265. H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 39 f. So ζ. B. Bley, Klagrecht, S. 44. ζ. B. Plósz, Beiträge, S. 109.

V. K r i t i k an der Lehre v o m Prozeß als Rechtsverhältnis

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I m Prinzip gehört auch der innerprozessuale Justizgewährsanspruch i n diese Reihe, er nimmt nur deshalb eine besondere Stellung ein, weil er nicht vom einfachen Prozeßrecht, sondern vom Verfassungsrecht abhängt. b) Gegen dieses Umdenken des objektiven Rechts i n subjektive Rechte und Pflichten ist zwar nichts einzuwenden, solange es i n Übereinstimmung mit dem Begriff des subjektiven Rechts geschieht, doch wie schon am Beispiel des Rechtsschutz- und des Justizgewährsanspruchs gezeigt, w i r d dadurch nichts gewonnen 26 : Die praktische Handhabung des Prozeßrechts bleibt die gleiche, wenn man es nur als objektives Recht betrachtet. V. Kritik an der Lehre vom Prozeß als Rechtsverhältnis 1. Damit ist deutlich geworden: Der Begriff des Prozeßrechtsverhältnisses ist nicht die Voraussetzung einer rechtlichen Betrachtung des Prozesses, sondern dessen Folge; es ist „eine Konsequenz des (möglichen) Bestehens von Rechten und Pflichten" 2 7 , die u. a. i m Laufe des Prozesses durch Prozeßhandlungen entstehen können. Ob aus einer Handlung Rechte bzw. Pflichten entstehen, bestimmt das objektive Prozeßrecht. Darüber hinaus können Rechte und Pflichten von Prozeßbeteiligten (natürlich) auch durch Verfassungsrecht, ja durch jede Rechtsquelle (Gewohnheitsrecht!) geschaffen werden. Diese Existenz von Rechten und Pflichten oder wenigstens die Möglichkeit, daß unter gewissen Verhältnissen solche entstehen können, ist der einzige Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses. 28 2. Da ein Prozeß entstehen kann, auch wenn einzelne (oder mehrere) sogenannte Prozeßvoraussetzungen nicht vorliegen (die Möglichkeit eines Prozeßurteils ist hier Beleg) und auch i n einem solchen Prozeß Rechte und Pflichten entstehen können, kann das Prozeßrechtsverhältnis auch nicht die Rechtsfolge aus dem Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen sein. 29 3. Der Begriff des Prozeßrechtsverhältnisses faßt also nur die Rechte und Pflichten, die i m Prozeß entstehen, unter einem einheitlichen Begriff zusammen, ohne damit irgendetwas zu einer Strukturierung 28 Siehe oben T e i l 2 I I I 5 b); I V 1 b); i m gleichen Sinne H. Kaufmann, Strafanspruch, S. 40. 27 Sauer, Grundlagen, § 9 I 3 c, S. 162. 28 Sauer, Grundlagen, § 9 I I I 1 a, S. 176. 29 So aber O. v. Bülow, Proceßeinreden, S. 6 ff.; ZZP 27 (1900), S. 201 (257); w i e hier auch Süß, Z Z P 54 (1929), S. 17, 21; Rosenberg, Zivilprozeßrecht (9. Aufl.), § 88 12.

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1. Abschnitt, Teil 2: Der Prozeß als Rechtsverhältnis

oder Analyse der rechtlichen Betrachtung des Prozesses beizutragen. Er ist ein reiner Sammelbegriff. Dies gilt auch dann, wenn man bestreitet, daß alle Normen des Prozeßrechts subjektive Rechte oder Pflichten begründen können, oder als Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses sogar nur solche Rechte und Pflichten anerkennen w i l l , die i n jedem Prozeß entstehen. — Die Auswahl und Begründung von Rechten und Pflichten, die ζ. B. i n jedem Prozeß notwendig entstehen, kann zwar zu einer Strukturierung und Analyse der Prozeßrechtsnormen beitragen, das Prozeßrechtsverhältnis selbst ist aber i n jedem Falle nur die Zusammenfassung der schließlich anerkannten Rechte und Pflichten. 4. Da das Prozeßrechtsverhältnis Folge des prozessualen Rechts ist, setzt es die Unterscheidung von prozessualem und materiellem Recht bereits voraus und kann zur Entwicklung von Kriterien zu dieser Unterscheidung nichts beitragen. 5. Schließlich hängt auch die Frage, zwischen welchen Prozeßbeteiligten das Prozeßrechtsverhältnis besteht, nur davon ab, welche prozessualen Rechte und Pflichten man anerkennt. Dabei ist die Frage, welche Rechte und Pflichten bestehen, zunächst ein Problem der Auslegung des objektiven Rechts. Soweit das objektive Prozeßrecht Anforderungen an staatliche Organe (insbesondere das Gericht) stellt, ist streitig, ob dadurch nur eine Kompetenzzuweisung erfolgt oder ob dadurch gleichzeitig subjektiv-öffentliche Rechte der Beteiligten begründet werden. 3 0 Die Entscheidung dieses Streits hängt allein davon ab, wie man den Begriff des subjektiv-öffentlichen Rechts faßt. Streitig ist schließlich auch noch, ob die jeweils anerkannten Rechte und Pflichten zum Prozeßrecht gehören oder nur Ausfluß des materiellrechtlichen Rechtsverhältnisses der Beteiligten sind. 31 Zu all diesen Streitfragen kann der Begriff des Prozeßrechtsverhältnisses nichts beitragen. Er ist vielmehr von ihrer Lösung abhängig. 6. I m Ergebnis ist daher Sauers Feststellung zu unterstreichen: „Die Betrachtung des Prozesses unter dem Gesichtspunkt eines solchen Gesamtrechtsverhältnisses ist i n ihrer Bedeutung also nicht zu überschätzen. Ihr Wert besteht höchstens darin, daß . . . (die einzelnen Rechte und Pflichten), wie sie sich i m Laufe des Prozesses infolge der Prozeßhandlungen verändern, auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Praktisch w i r d dadurch nichts gewonnen." 32 30

Dazu schon oben T e i l 2 I I 3. 1. u n d I I I 5. a) (1). Z u der Auffassung, die die Möglichkeit v o n prozessualen Rechten überhaupt leugnet, siehe unten T e i l 3. 32 Sauer, Grundlagen, § 9 I I I 1 b, S. 179. 31

Teil 3

Der Prozeß als Rechtslage oder die prozessuale Betrachtungsweise I. Grundbegriffe und Grundgedanken der Lehre vom Prozeß als Rechtslage Die Lehre vom Prozeß als Rechtsverhältnis hatte versucht, den Prozeß und das Prozeßrecht mit den dogmatischen Kategorien „Rechtsverhältnis", „subjektive Rechte und Pflichten" und „Anspruch" i n den Griff zu bekommen, die sich insbesondere für das materielle Zivilrecht — schon weniger für das Strafrecht — als so überaus fruchtbar erwiesen hatten. Dieser Anleihe des Prozeßrechts beim materiellen Recht setzten zuerst Goldschmidt 1 und unter Berufung auf ihn später Niese 2 und Eberhard Schmidt 3 die Behauptung der prinzipiellen Unvereinbarkeit von materiellem Recht und Prozeßrecht entgegen, für das Goldschmidt eine eigenständige „prozessuale Betrachtungsweise" 4 forderte und entwikkelte. 1. Bezugnahme auf die Lehre vom Prozeß als Rechtsverhältnis und neue Deutungen

Ausgangspunkt für die „prozessuale Betrachtungsweise" war die Erkenntnis, daß der Sinn des Prozesses i n der Herbeiführung eines Urteils liegt, zu dem das ganze Verfahren i n „Endbeziehung" 5 steht. Deshalb sei der „Prozeß als eine Entwicklung zum Urteil h i n (zu) begreifen" und „dem Prozeßrecht wissenschaftlich nur m i t einer »dynamischen' Betrachtungsweise beizukommen, die dem Prozeß und alle seine Einzelerscheinungen als einen Durchgang zum Urteil auffaßt und wertet." 6 1

Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage, a.a.O. Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 57. Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 42 ff., S. 57 ff. 4 Goldschmidt, Rechtslage, S. 290; siehe auch Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 57/58. 5 Goldschmidt, Rechtslage, S. 290; Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 46; Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 33, S. 48 („final bezogen"). β Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 57. 2

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1. Abschnitt, Teil : Der Prozeß als Rechtsl

a) I n diesem Entwicklungscharakter des Prozesses w i r d der entscheidende Unterschied von Prozeßrecht und materiellem Recht gesehen, „dessen Wesen i n der Statik seiner Rechtsverhältnisse liegt und dem deshalb eine »statische' Betrachtungsweise angemessen ist." 7 Beide Gedanken stellen allerdings keine neue Erkenntnis der „prozessualen Betrachtungsweise" dar, sondern finden sich schon bei O. v. Bülow. Bülow hatte versucht, dem Entwicklungscharakter dadurch Rechnung zu tragen, daß durch die Prozeßhandlungen der Prozeßsubjekte jeweils neue Rechte und Pflichten entstehen, die den Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses bis zum Urteil laufend verändern. Auch dieser Gedanke von Bülows, daß die Prozeßhandlungen die Entwicklung des Prozesses vorantreiben, findet sich wieder: „Die Prozeßsubjekte nehmen . . . (am Prozeß) m i t dem Bestreben teil, ein Urteil solchen Inhalts zu erzielen, das ihren Vorstellungen und Wünschen entspricht. . . . A l l e Prozeßhandlungen der Prozeßsubjekte haben vom Standpunkt des Handelnden aus den Zweck, ihn einem i n diesem Sinne erwünschten Urteil näherzubringen. Jede Prozeßhandlung schafft eine Lage (Prozeßlage, Lage des Verfahrens), von der aus jedes Prozeßsubjekt seine Aussicht auf das i h m gewünschte Urteil prüfen und sich überlegen wird, welche prozeßrechtlich zugelassene Handlung er vornehmen muß, u m diese Aussicht günstiger zu gestalten. I n diesem Sinne zerfällt der ganze Prozeß i n „Lagen", die ständig wechseln, (und) jede für sich nur einen Durchgangspunkt auf dem Wege zum Urteil bilden." 8 b) Auch m i t dem Begriff der „Rechtslage" konnte Goldschmidt an die Lehre vom Prozeß als Rechtsverhältnis anknüpfen, denn schon Kohler hatte die Bedeutung der „rechtlichen Situation" für die Betrachtung des Prozesses erkannt: „Gerade das Fortschreiten des Prozesses mit der ständigen Änderung der Parteichancen, gerade der ständige Wechsel der Parteivorteile und -nachteile . . . ist ein Wechsel der durch den Prozeßfortschritt geschaffenen rechtlichen Situation." 9 » 1 0 7

Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 57. Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 49, S. 60/61 (Hervorhebungen i m Original). 9 Kohler, Rechtsverhältnis, S. 63. 10 Daß Goldschmidt sich, trotz weitgehender Ubereinstimmung i n den Ausgangspunkten seiner Lehre m i t der Theorie v o m Prozeß als Rechtsverhältnis, v o n letzterer so überaus polemisch — scharf absetzt u n d i h r immer wieder „ S t a t i k " v o r w i r f t , ist aus den sachlichen Unterschieden n u r schwer zu erklären. Es ist aber zu berücksichtigen, daß zur Zeit Goldschmidts die Lehre v o m Prozeß als Rechtsverhältnis aufs engste m i t dem Begriff des Rechtsschutzanspruchs v e r k n ü p f t war, der — w i e oben Teil 2 I I I 5 c) (1) gezeigt — tatsächlich statische Elemente i n Bülows Lehre getragen hatte. Daß Goldschmidts K r i t i k stets ein Prozeßrechtsverhältnis vor Augen hatte, das i n h a l t 8

I. Grundlagen der Lehre vom Prozeß als Rechtslage

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Bei Kohler diente der Begriff der Rechtslage dazu, den Wandel von Rechten und Pflichten während des Fortschreitens des Prozesses unter Aufrechterhaltung eines einheitlichen Prozeßrechtsverhältnisses „auf den Begriff zu bringen". Die „prozessuale Betrachtungsweise" betont demgegenüber den Charakter der Rechtslage als reinen Durchgangspunkt zum Urteil. Hier soll mit dem Begriff der Rechtslage das „Spannungsverhältnis" deutlich gemacht werden, i n dem sich die Handlungen der Prozeßbeteiligten „zu dem erwarteten richterlichen U r t e i l " 1 1 befinden: Da sich das richterliche Urteil nicht mit Sicherheit berechnen läßt, „ist das Moment des Unfertigen und Unsicheren . . . untrennbar mit dem Begriff der Rechtslage verbunden". 1 2 „Prozeßrechtlich betrachtet gewährt keine Prozeßhandlung ein „Recht" auf ein bestimmtes richterliches Verhalten i n dem Sinne, daß bei Gegebensein bestimmter Voraussetzungen mit Sicherheit ein bestimmtes richterliches Verhalten erfolgen müsse." 13 Eine „Rechtslage ist (nur) die rechtlich begründete Aussicht auf ein günstiges oder ungünstiges richterliches Urteil. Die Rechtslage ist also allerdings eine ,Anwartschaft 4 , aber nicht auf ein Recht, sondern . . . auf ein Urteil." 1 4 „Die prozessuale Rechtslage ist letztlich immer eine Aussicht auf günstiges oder ungünstiges Urteil. Diese Aussicht kann indessen eine mehr oder weniger nahe und sichere sein, und je entfernter und weniger sicher sie ist, desto mehr ist sie davon abhängig, daß vorher die eine oder andere Partei sich ihr bietende Möglichkeiten wahrnimmt oder verpaßt, ihr auferlegter Lasten sich entledigt oder solche versäumt, und nähere und sichere, aber minder bedeutsame Aussichten (Zwischenaussichten) sich verwirklichen. Diese Möglichkeiten, Lasten und Zwischenaussichten sind dann der primäre Inhalt einer Prozeßlage, welche i n bezug auf das — günstige oder ungünstige — Urteil nur eine entferntere und weniger sichere Aussicht zum Inhalt hat." 1 5

lieh durch den Rechtsschutzanspruch gefüllt ist, zeigt sich daran, daß er ständig betont, daß es prozessual keinen „Anspruch auf günstiges Urteil" gibt (ζ. B. Prozeß als Rechtslage, S. 254, S. 259 — Hervorhebung n u r hier —). 11 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 52, S. 62, unter Berufung auf Goldschmidt, Zivilprozeßrecht, S. 5 u n d Niese, Prozeßhandlungen, S. 45, 49; siehe auch Foth, Diss. Münster 1953, S. 31. — Spannungsverhältnisse i m Prozeß werden auch sonst — vor allem i m Hinblick auf das Strafverfahren — behandelt. (Vgl. etwa Peters, Strafprozeß, § 16 I, S. 86; J. Meyer, Dialektik, § 44, S. 43 ff.; Mangakis, G A 1966, S. 321 (326).) 12 Goldschmidt, Rechtslage, S. 255. 13 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 52, S. 62 (Hervorhebungen i m O r i ginal). 14 Goldschmidt, Rechtslage, S. 254 f. 15 Goldschmidt, Rechtslage, S. 259. 5 Schaper

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1. Abschnitt, Teil 3: Der Prozeß als Rechtslage

Daß keine der „prozessualen Lagen eine für sich selbständige Bedeutung (hat) . . . unterscheidet den Prozeß von den i m materiellen Recht vorkommenden Rechtsverhältnissen variablen Inhalts (z.B. Kontokorrentverhältnisse). Bei den letzteren bedeutet jede einzelne Station eine i n sich selbst rechtlich bedeutsame Rechtsbeziehung" zwischen den Beteiligten, denn „jede dieser Stationen kann nach dem rechtsgeschäftlichen Willen der Beteiligten die letzte sein und den endgültigen Status der Rechtsbeziehung zwischen den Beteiligten ausmachen. Die prozessualen Lagen aber haben nur Bedeutung i m Hinblick auf das richterliche Urteil als das Verfahrensziel, sind nur Durchgangsstationen zu diesem h i n und stellen, richtig gesehen, überhaupt keine Rechtsbeziehung unter den Prozeßbeteiligten dar, der irgendeine j u ristische Bedeutung zukommen könnte." 1 6 „ I n Wahrheit besteht der Wert der prozessualen d. i. dynamischen Betrachtungsweise gerade i n der Erkenntnis, daß die prozessualen Rechtsbeziehungen »unfertig', eben bloße Rechtslagen sind." 1 7 „Jede einzelne ist nur dazu da, u m alsbald durch eine neue abgelöst zu werden, bis das Urteil eine endgültige »Situation' schafft." 18 2. Urteil als Bezugspunkt und Justizgewähr

a) Für die Lehre vom ,Prozeß als Rechtslage' ist also das Urteil der „feste Punkt" des Prozeßsystems 19 , alles andere w i r d als ,in ständiger Bewegung zu i h m hin' betrachtet. Daß das Gericht überhaupt entscheidet, also tatsächlich ein Urteil ergeht, ist für die Vertreter der „prozessualen Betrachtungsweise" allerdings nicht das zufällige Ergebnis einer i m Einzelfall gelungenen Entwicklung des jeweiligen Prozesses, sondern w i r d von außerhalb des Prozesses durch die Normen des materiellen Staatsrechts sichergestellt. Sie gewähren den Betroffenen einen Anspruch auf gerichtliche Entscheidung durch die Justizgewährspflicht und den korrespondierenden Justizgewährsanspruch. 20 Das Urteil verankert damit den Prozeß (und das Prozeßrecht) i m materiellen öffentlichen Recht. „Die Justizgewährspflicht ist die staatsrechtliche Grundlage jedes Prozesses; die Gerichte und die gesamte Rechtspflege beruhen auf ihr, auch die Prozeßgesetze sind zu ihrer Durchführung geschaffen." 21 16

Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 54, 55, S. 63. Goldschmidt, Rechtslage, S. 259. 18 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I , Rdn. 55, S. 63. 19 Vgl. Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 103 („Angelpunkt"). 20 Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 59; Eb. Schmidt, L e h r kommentar I, Rdn. 17 ff., S. 41 ff. 21 Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 59; ähnlich Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 19, 20, S. 42, 43. 17

I. Grundlagen der Lehre vom Prozeß als Rechtslage

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b) Die Zugehörigkeit des Justizgewährsanspruchs zum materiellen Staatsrecht und nicht zum Prozeßrecht ergibt sich aus den materiellrechtlichen Haftungsfolgen bei einer Verletzung. Pflichtwidrige Handlungen lösen unmittelbar nur Wirkungen i m materiellen Raum aus — etwa Strafandrohungen gem. §§ 336, 343 StGB, Schadensersatzansprüche nach Maßgabe des § 839 Abs. 2 BGB, disziplinarische Maßnahmen und unter bestimmten Voraussetzungen die politische Haftung gem. A r t . 98 GG bzw. gemäß entsprechender Haftungsbestimmungen der Länder. 2 2 Der Einfluß auf das von ihnen betroffene Verfahren, insbesondere auf das Urteil, ist nur ein mittelbarer, denn dies kann nur i m Wege einer prozeßordnungsgemäßen Anfechtung — eventuell sogar nur i m Wiederaufnahmeverfahren — beseitigt werden. Die Anfechtungsmöglichkeit ist aber nur eine aus den Normen des Prozeßrechts abgeleitete „prozessuale Möglichkeit" und folgt nicht direkt aus der Verletzung des Justizgewährsanspruchs. 23 Innerhalb des Prozesses „gibt es keinen »Anspruch auf Justizgewährung', sondern nur eine ,Aussicht 4 auf Gehör." 2 4 c) Da der Justizgewährsanspruch ein gegenseitiges Rechts- und Pflichtenverhältnis zwischen den Justizbehörden und den Rechtsuchenden konstituiert — i n das Eb. Schmidt alle am Prozeß i n irgendeiner Rolle Beteiligten (Zeugen, Sachverständige, Verteidiger, Beistände, ja sogar Zuhörer) mit einbeziehen w i l l 2 5 — und dieses Verhältnis i m äußeren Erscheinungsbild des Prozesses sichtbar wird, kann man i n dem Sinne sogar von einem (Prozeß-)Rechtsverhältnis sprechen. Dieses Rechtsverhältnis besteht aber nur auf materiell-staatsrechtlicher Ebene und hat nichts mit den Beziehungen der Prozeßbeteiligten innerhalb des Prozesses zu tun, da „damit das Spezifisch-Wesentliche des Prozesses als solchen, d.h. eines auf Urteilsgewinnung hinstrebenden dynamischen Vorgangs nicht erfaßt, ja überhaupt nicht berührt w i r d . " 2 6 ' 2 7 22

Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 40, S. 55 u n d zur politischen Haft u n g des Richters, ders., Rdn. 534 f., S. 300 ff. 23 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 40, S. 55 f.; Goldschmidt, Rechtslage, S. 247; Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 59 f. 24 Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 60. 26 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, S. 58 F N 95. 26 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 44, S. 58. 27 Während die neueren Vertreter der Lehre v o m Prozeß als Rechtslage die Einbindung des Prozesses i n das materielle Recht durch den Justizanspruch gewährleistet sehen, hatte Goldschmidt noch versucht, diese Bindung durch den Rechtsschutzanspruch herzustellen. Der Rechtsschutzanspruch mußte dazu als prozessualer Begriff aufgegeben werden, u n d Goldschmidt verweist i h n konsequent i n den Bereich des v o n i h m konstruierten „materiellen Justizrechts". Darunter versteht Goldschmidt — für den Bereich des Zivilrechts — „das bürgerliche Recht selbst, umgedacht als Inbegriff von Rechtsregeln für das Verhältnis der I n d i v i d u e n zum rechtsschutzpflichtigen Staat . . . es ist das bürgerliche Recht i n seiner Eigenschaft

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1. Abschnitt, Teil 3: Der Prozeß als Rechtslage 3. Rechtliche Imperative und Urteilsmaßstäbe

a) Die Justizgewährspflicht m i t ihren aufgezeigten Verletzungsfolgen ist also ein rechtlicher Imperativ, dem der Richter bei seiner Amtsausübung unterworfen ist. „ I n einem ganz anderen Verhältnis steht aber der Richter zu dem Recht, das er i n Befolgung dieses Imperativs nach seiner pflichtgemäßen Überzeugung anwendet. Dies „befolgt" er nicht, sondern handhabt es, er steht dabei nicht unter, sondern über i h m . " 2 8 „ F ü r den urteilenden Richter sind also die materiellrechtlichen Normen nicht Imperative, die er zu ,befolgen 4 , sondern Urteilsmaßstäbe, die er »anzuwenden4 hat. Der Zwang hierzu folgt für i h n nicht aus den anzuwendenden Normen als solchen, sondern aus seiner staatsrechtlichen Justizgewährspflicht." 2 9 b) Was für die Handhabung des materiellen Rechts i m Prozeß gilt, gilt gleichermaßen für die des Prozeßrechts. Auch das Prozeßrecht wendet der Richter i m Verfahren als Beurteilungsmaßstab für das eigene und das prozeßrechtliche Verhalten der Prozeßbeteiligten an, denn eine falsche Handhabung löst i m prozessualen Raum die gleichen Folgen aus wie die fehlerhafte „Anwendung" materiellrechtlicher Rechtssätze durch den Richter. Die §§ 550 ZPO, 337 Abs. 2 StPO gelten für das Prozeßrecht ebenso wie für das materielle Recht. Sie fassen eben „die Aufgabe des Richters i n bezug auf das Prozeßrecht nicht anders auf als seine Aufgabe i n bezug auf das materielle Recht, nämlich als Rechtsanwendung, nicht als Rechtsbefolgung." 30 Da also die Vorschriften des Prozeßrechts für den Richter keine I m perative sind, deren Nichtbeachtung zu „rechtswidrigem" richterlichen Handeln führen könnte, sondern n u r Beurteilungsmaßstäbe, kann er als Jurisdiktionsnorm" (Zwei Beiträge, S. 120) . . . „der Inbegriff der den Rechtsschutzanspruch gegen den Staat betreffenden Rechtssätze" (Zwei Beiträge, S. 126). I m Bereich des Strafrechts dagegen soll es das Strafrecht selbst sein, das bereits v o m Standpunkt einer prozessualen Betrachtungsweise geschrieben wurde u n d von der »herrschenden Auffassung 4 auch so angegangen w i r d : Wenn man die Strafdrohungen als Nötigung zu einem Unterlassen auffaßt, führe dies zu der Erkenntnis, daß es n u r eine Nötigung sei, die prozessualen Nachteile der Strafeerurteilung v o n sich abzuwenden. „Dazu ist die Unterlassung der Straftat weder erforderlich noch genügend." (!) (Prozeß als Rechtslage, S. 342.) Da Goldschmidts Konstruktion des „materiellen Justizrechts" k a u m A n hänger gefunden hat und heute nicht mehr vertreten w i r d , soll hier auf eine Auseinandersetzung verzichtet werden. (Zur K r i t i k vgl. n u r Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 78 ff., 104 ff.) 28 Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 60; gleichlautend Goldschmidt, Rechtslage, S. 246. 29 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 39, S. 54; vgl. Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 61. 30 Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 61; siehe auch Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 41, S. 56.

I. Grundlagen der Lehre vom Prozeß als Rechtslage

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mit ihrer Hilfe zu den Prozeßhandlungen der Prozeßbeteiligten (einschließlich seiner eigenen) auch nur Stellung nehmen, indem er sie nach den „prozeßrechtlichen Wertkategorien" als „zulässig — unzulässig", „beachtlich — unbeachtlich", „begründet — unbegründet" beurteilt. 3 1 „Für das Gericht kann sich ein Sollen i m Sinne materiellrechtlicher Verpflichtung zu willensmäßig richtigem Verhalten nur aus der staatlichen Justizgewährspflicht ergeben"; „bei der Anwendung i m Prozeß" t r i t t sowohl das prozessuale wie das materielle Recht „dem Richter als ein Inbegriff von Urteilsmaßstäben entgegen." 32 c) Obwohl materielles Recht und Prozeßrecht für die prozessuale Betrachtungsweise i m Prozeß beide „nur" Urteilsmaßstäbe für den Richter darstellen, sind sie doch streng voneinander zu trennen. Anders als das prozessuale Recht, das nur i m Prozeß selbst auftritt, erfüllt das materielle Recht über seine Funktion i m Prozeß hinaus eine Funktion i m Räume der „sozialen Lebensinteressen" 33 : dort bestimmt es, welche Rechte und Pflichten die Rechtsgenossen untereinander haben. Dabei bestimmen die Normen des materiellen Rechts zunächst, was „objektiv, d. h. unter Absehung von dem, was vom einzelnen zu erwarten ist, . . . i m sozialen Zusammenleben zuträglich und darum rechtlich erlaubt, was i h m unzuträglich und darum rechtlich verboten ist," sodann geben sie einen Wertmaßstab ab, m i t dem die Handlungen der Rechtsunterworfenen als „rechtmäßig" bzw. „rechtswidrig" beurteilt werden können (Bewertungsfunktion). 34 Außerhalb des „prozessualen Raums" stellt sich das materielle Recht also als ein System von Imperativen dar, das die Rechtsunterworfenen — ob mit oder ohne Androhung von Zwang — zu richtigem (rechtmäßigem) Verhalten motivieren soll. Insoweit hat das materielle Recht eine eigenständige Funktion außerhalb des Prozesses. 35 Diese zweite Seite, die Handlungen außerhalb des Prozesses zu bestimmen und zu bewerten, fehlt den Prozeßnormen, da sie sich nur auf 81 Eb. Schmidt, ebenda; i m gleichen Sinne Goldschmidt, Rechtslage, S. 249; Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 75; i m Ergebnis auch Sax, ZZP 67 (1954), S. 21 ff. (50); auch Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 214, w i l l den Gesichtspunkt materiellrechtlicher „Schuld" nicht auf Prozeßverstöße anwenden. 32 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 41, S. 57 unter wörtlicher Bezugnahme (FN 90) auf Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 61. 33 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 38, S. 53. 34 Eb. Schmidt, ebenda; hierzu eingehend schon ders. i n v. Liszt-Schmidt, Lehrbuch I, S. 174 ff.; S. 22 ff. unter Berufung auf Mezger, GS 89, S. 216; ders., Strafrecht A T , S. 86 ff.; Goldschmidt, Festgabe für Frank I, S. 428 u n d Rechtslage, S. 229. Ubereinstimmend auch Engisch, Einführung, S. 27 f.; Bockelmann, Einführung, S. 23 ff.; kritisch Nowakowski, ZStW 63 (1951), S. 289. 35 Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 32.

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1. Abschnitt, Teil 3: Der Prozeß als Rechtslage

den Prozeß selbst beziehen und daher nur „prozessuale Wertkategorien" („zulässig — unzulässig" etc.) zulassen. Dadurch, daß sich „das (materielle) Recht i n der Hand des Richters aus einer Ordnung von Imperativen an die Rechtsunterworfenen i n einen Inbegriff von Urteilsmaßstäben verwandelt" 8 6 , „verflüchtigt" sich ein materiell bestehendes Recht i m Prozeß zu einer „Aussicht" auf ein entsprechendes Urteil. 4. Die prozessualen „Rechte" und „Pflichten": Aussichten, Möglichkeiten und Lasten

Für die prozessuale Betrachtungsweise sind „die Rechtssätze für die Rechtsunterworfenen Verheißungen oder Androhungen eines bestimmten richterlichen Verhaltens, letztlich eines richterlichen Urteils bestimmten Inhalts. Die hierdurch begründeten Rechtsbeziehungen der Parteien sind keine Rechtsverhältnisse, d. h. weder Pflichten noch Rechte i m Sinne von Herrschaften über Imperative, sondern Rechtslagen, das sind Spannungsverhältnisse zu dem zu erwartenden richterlichen Urteil, nämlich Aussichten, Möglichkeiten und Lasten" .37 Diese prozessualen „Rechte" u n d „Pflichten" werden v o n Goldschmidt wie folgt definiert: 1. „Eine prozessuale Möglichkeit liegt vor, w e n n eine Partei i n der Lage ist, m i t überwiegender Wahrscheinlichkeit durch eine Prozeßhandlung diejenige Prozeßlage herbeizuführen, welche nach der Zweckbestimmung der Handlung u n d nach dem Stand des Verfahrens als nächste Stufe auf dem Weg zu einem günstigen Prozeßausgang anzusehen i s t . " 3 8 2. V o n den Möglichkeiten unterscheiden sich die Aussichten dadurch, daß sie „Aussicht auf einen prozessualen Vorteil, i n letzter L i n i e auf ein günstiges U r t e i l bieten, ohne vorher Möglichkeiten zu seiner Erlangung durch eigene Prozeßhandlungen gewesen zu sein." 3 9 3. „Die prozessuale ,Last' ist die Nötigung, durch Vornahme einer Prozeßhandlung einen prozessualen Nachteil i n letzter L i n i e ein ungünstiges U r t e i l abzuwenden." 4 0

Diese Definitionen verdeutlichen, daß die prozessualen „Rechte" (Möglichkeiten, Aussichten) keine Imperative sind, die dem Gegner oder 36

Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 63. Goldschmidt, Zivilprozeßrecht, S. 5 (Hervorhebungen i m Original). 38 Goldschmidt, Rechtslage, S. 288. 39 Goldschmidt, Rechtslage, S. 268, siehe auch dort S. 73. Als Beispiele nennt Niese (Prozeßhandlungen, S. 63 F N 17): I m Zivilprozeß die Aussicht des säumigen Beklagten auf Zurückweisung des beantragten Versäumnisurteils gem. § 335 ZPO; Aussicht auf Verwerfung eines unzulässigen Rechtsmittels (§§ 341, 519 b, 554 a ZPO). I m Strafprozeß die Aussicht auf Bestellung eines notwendigen Verteidigers (§ 140 StPO) u. a. Weitere Beispiele bei Goldschmidt, Rechtslage, S. 274 f. 40 Goldschmidt, Rechtslage, S. 288, 37

I. Grundlagen der Lehre vom Prozeß als Rechtslage

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dem Gericht ein entsprechendes Verhalten zwingend befehlen. Umgekehrt steht den Lasten kein entsprechendes Recht des Richters oder des Gegners gegenüber. Lasten sind stets nur „Pflichten gegen sich selbst" oder „Gebote des eigenen Interesses". 41 „Es gibt i m prozessualen Raum grundsätzlich keine Handlungspflichten der Parteien." 4 2 5. Doppelfunktionale Normen und Prozeßhandlungen

Dem scheint zu widersprechen, daß die Prozeßgesetze selbst Handlungspflichten, wie die Pflicht, zu erscheinen (§§ 141, 273 Abs. 2 Nr. 3, 613 ZPO; §§ 95, 125 Abs. 1, 142 VwGO, §§ 236, 329 Abs. 4 und § 230 StPO) und die Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) auferlegen — ganz abgesehen davon, daß insbesondere die zivilprozessuale Lehre weitere Pflichten aus § 242 BGB herleitet, die ebenfalls als prozessuale Pflichten bezeichnet werden. 4 3 a) Diesem Befund setzt die „prozessuale Betrachtungsweise" die Feststellung entgegen, „daß es Normen gibt, die sowohl eine materiellrechtliche wie eine prozeßrechtliche Funktion haben, wie es auch Handlungen gibt, die sowohl i m prozessualen Raum wie auch i m Raum der sozialen Lebensinteressen Wirkungen äußern. Daher gibt es doppelfunktionelle Handlungen wie auch doppelfunktionelle Normen, und zwar i n dem Sinne, daß Handlungen als ausgesprochene Prozeßhandlungen eine entsprechende prozessuale Funktion haben, zugleich aber über den internen Prozeßraum hinaus hineinwirken i n den Raum des sozialen Lebensinteresses." 44 Das bedeutet, daß die „prozessualen Pflichten" funktional getrennt werden i n eine materielle Wirkung — Pflicht — und eine prozessuale — Last —. b) Diese gedankliche Operation soll am Beispiel der Erscheinungspflicht verdeutlicht werden: Das Erscheinen der Parteien i m Zivilprozeß (§ 141 ZPO) w i r d durch Ordnungsgeld (§ 141 Abs. 3 i. V. m. § 380 ZPO) erzwungen. Das gleiche gilt gem. § 95 VwGO für das Erscheinen eines Beteiligten i m verwaltungsgerichtlichen Verfahren. I m Strafprozeß w i r d das Erscheinen des Angeklagten durch Vorführung und Verhaftung (§§ 230 Abs. 2, 236, 329 Abs. 4 StPO) zwangsweise durchgesetzt. Insoweit stellen die Erscheinungspflichten „echte Pflichten" dar, die durch einen rechtlichen Impe41

Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 65; S. 336. Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 64. 43 Siehe A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht § 1 I I I , S. 4 ff.; Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. E I, S. 16 ff.; Zeiss, Die arglistige Prozeßpartei, S. 32 ff.; u n d die schon oben T e i l 2 I V F N 14, 15, 22, 24, 25 aufgeführten. 44 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I , Rdn. 35, S. 51; Rdn. 36, S. 52. 42

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1. Abschnitt, Teil 3: Der Prozeß als Rechtslage

rativ gefordert werden. Aber dieser Imperativ w i r k t nur auf die materielle Sphäre des Verpflichteten ein. 4 5 Ein pflichtwidriger Verstoß gegen ihn läßt die Handlung zwar als rechtswidrig i. S. der Imperativtheorie erscheinen, diese Rechtswidrigkeit w i r k t sich aber nur i m materiellen Raum — als Eingriff i n das Vermögen oder i n die persönliche Freiheit — aus, nicht aber i m Prozeß als solchen. Ganz deutlich zeigt sich das i m S traf prozeß: So rechtswidrig das Ausbleiben eines flüchtigen Tatverdächtigen, gegen den Haftbefehl erlassen ist, sein mag, innerprozessual w i r k t es sich durchaus zu seinen Gunsten aus, indem seine Anwesenheit i n aller Regel eine Sachentscheidungsvoraussetzung ist, deren Fehlen seine Verurteilung verhindert. 4 6 Aber auch i m Zivilprozeß sind die prozessualen Folgen des Ausbleibens keine anderen, als wenn die Partei zwar erscheint, aber keine A n gaben macht. I n beiden Fällen ist die Weigerung durch das Gericht nach § 286 ZPO frei zu würdigen. 4 7 Befürchtet die Partei von der freien Beweiswürdigung Nachteile, ist sie gehalten, diesen prozessualen Nachteil (Last) abzuwenden. Die „Erscheinungsp/Zic/ii" als eine „Last" heraus, ihr rechtlichen Wirkungen der allein i m außerprozessualen

stellt sich daher innerprozessual allenfalls Pflichtcharakter beruht auf den materiellAnordnung zum Erscheinen und verbleibt Bereich.

c) A u f die Erscheinung der doppelfunktionalen Normen und Prozeßhandlungen hatte bereits Eberhard Schmidt 1939 hingewiesen 48 , und auch Goldschmidt 49 war bereits darauf gestoßen, aber erst Niese 50 hat das gesamte Z i v i l - und Strafprozeßrecht daraufhin durchgemustert und gezeigt, daß sie sich jeweils i n eine materielle und eine prozessuale Komponente zerlegen lassen. Er kam daher zu dem Ergebnis, „daß i n den Fällen, i n denen das Prozeßrecht Handlungspflichten aufstellt, diese sich als solche immer nur i m materiellen, niemals aber i m prozessualen Raum auswirken. . . . (und folglich) die Wertkategorie der Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit in dem prozessualen Raum nicht anwendbar" 5 1 ist. „So wenig die richterlichen Handlungen für die prozessuale Betrachtungsweise rechtmäßige oder rechtswidrige sind, sondern richtige oder unrichtige, so wenig 45

Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 66. Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 76. 47 Thomas / Putzo, § 241 A n m . 4, 5; B G H ZZP 71 (1958), S. 364. 48 Eb. Schmidt, A r z t i m Strafrecht, S. 53 ff. 49 Goldschmidt, Rechtslage, insbesondere S. 264, aber auch S. 247, 291 u n d passim. 50 Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 57 ff., i m Einzelnen siehe S. 106 ff., sowie ders., ZStW 63 (1951), S. 215 ff. 51 Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 75. 46

II. Die Unterscheidung von Prozeßrecht und materiellem Recht

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sind es die Parteihandlungen. Die prozessuale Betrachtungsweise ist, wenn man so w i l l , moralinfrei." 5 2 6. Wirkungsbereich und Kurzdefinitionen

Die Kategorie der „doppelfunktionalen Normen und Prozeßhandlungen" hat vor allem Eingang i n die strafprozessuale Lehre gefunden 53 , während die Zivilprozessualistik ihr überwiegend ablehnend gegenübersteht. 54 Ähnliches gilt für die Lehre vom Prozeß als Rechtslage, deren Kern sich i n der Kurzdefinition des Prozesses durch Eberhard Schmidt zusammenfassen läßt: „Der Prozeß ist der rechtlich geordnete, sich von Lage zu Lage entwickelnde Vorgang zwecks Gewinnung einer richterlichen Entscheidung über ein materiellrechtliches Rechtsverhältnis." 55 Sachlich gleichbedeutend damit ist Sax' Beschreibung des „Wesens des Strafprozesses" als „ein durch die Prozeßgesetze geordnetes Gefiige funktional verbundener, auf das Sachurteil hin sich fortentwickelnder Lagen." 56 Auch diese Lehre hat ihre Anhänger i m wesentlichen unter den S t r a f p r o z e s s u a l e n 5 7 , während die Zivilprozessualistik ihr überwiegend kritisch gegenübersteht. 58 I I . Die prozessuale Betrachtungsweise und die Unterscheidung von Prozeßrecht und materiellem Recht 1. Ausgangspunkt

Die Theorie vom Prozeß als Rechtslage hätte ihre Berechtigung überzeugend dargetan, wenn sie nicht nur vermöchte, den Blick auf das 52

Goldschmidt, Rechtslage, S. 292. Vgl. Peters, Strafprozeß, S. 201 f.; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 292, 312; Foth, Diss. Münster 1953, S. 53. 54 Kritisch vor allem F. v. Hippel, ZZP 65 (1952), S. 424 ff., dessen Polemik gegen Niese allerdings davon zeugt, daß er sich nicht u m Verständnis der Gedanken Nieses bemüht hat. Siehe aber auch Henckel, Prozeßrecht, S. 33 f.; i m Grunde genommen gehören hierher alle Anhänger der Lehre von Prozeß als Rechtsverhältnis, für die eine doppelfunktionale Betrachtungsweise überflüssig, j a systemwidrig ist. 55 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 56, S. 63. 56 Kleinknecht / M ü l l e r / Sax, Einl. 9 a, S. 53 (Hervorhebung i m Original) u n d Sax, ZZP 67 (1954), S. 24. 57 Außer den bereits Genannten: Kleinknecht, Kurzkommentar, Einl. 1 A , S. 6; siehe auch Hagen, Elemente, S. 15; ähnlich Peters, Strafprozeß, S. 16. 58 z.B. Henckel, Prozeßrecht, S. 23 f.; Hegler, GS 93 (1926), S. 440 f.; F . v . Hippel, Wahrheitspflicht, S. 319 ff. 58

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1. Abschnitt, Teil 3: Der Prozeß als Rechtslage

durch die Prozeßhandlungen gesteuerte Voranschreiten des Prozesses zum Urteil zu lenken — das hatte schon O. v. Bülow m i t der Lehre vom Prozeß als Rechtsverhältnis getan —, sondern darüber hinaus nachgewiesen hätte, daß sich Prozeßrecht und materielles Recht strukturell unterscheiden. Das Abgrenzungsproblem von Prozeßrecht und materiellem Recht wäre gelöst, wenn die prozessuale Betrachtungsweise ein strukturelles K r i t e r i u m für die Unterscheidung anbieten könnte. Ein solches K r i t e r i u m könnte die Struktur der Rechtsfolgen sein: Rechte und Pflichten beim materiellen Recht, Möglichkeiten, Aussichten und Lasten beim Prozeßrecht. Voraussetzungen wären, — daß es einerseits i m Prozeßrecht tatsächlich keine Rechte und Pflichten geben kann und — daß andererseits das materielle Recht keine Möglichkeiten, Aussichten und Lasten kennt. Die prozessuale Betrachtungsweise hat gezeigt, daß es möglich ist, durch eine funktionale Trennung von Prozeßrecht und materiellem Recht, alle Pflichten und Rechte aus dem Prozeßrecht zu verbannen. Die Pflichten des Richters werden dabei dem materiellen Justizgewährsanspruch zugeordnet, die der Parteien mittels der Kategorie der doppelfunktionalen Prozeßhandlung i n das materielle Straf-, Z i v i l oder öffentliche Recht verwiesen. Dem Prozeßrecht verbleiben die „Möglichkeiten", „Aussichten" und „Lasten". 2. Pflichten und Lasten im Prozeß

a) Goldschmidts Auffassung Gegenüber dieser heute vorherrschenden Auffassung i n der Lehre vom Prozeß als Rechtslage war Goldschmidt sogar noch einen Schritt weitergegangen. Er hielt jeden Einsatz von Pflichten i m Bereich des Prozesses für überflüssig. Die Wahrheitspflicht erschien i h m allenfalls als moralisches Postulat 5 9 und selbst die Erscheinungspflicht i m Z i v i l prozeß bezeichnete er als „widersinnig" und „sinnlos" 6 0 , weil der Prozeß auch ohne „materielle Hebel" allein durch prozessuale Rechtsfolgen gesteuert werde. Für i h n war daher die Doppelfunktionalität gar kein prozessuales Problem. Goldschmidts Polemik gegen den gesetzgeberischen Einsatz von Pflichten zur Lenkung des Prozeßgeschehens hält einer Analyse der Struktur und Funktion von Pflichten und Lasten nicht stand. 59 60

Goldschmidt, Rechtslage, S. 125 ff. Goldschmidt, Zivilprozeß, S. 106; Rechtslage, S. 144.

II. Die Unterscheidung von Prozeßrecht und materiellem Recht b) Gründe für das Nebeneinander

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von Pflichten und Lasten im Prozeß

(1) Daß sich der Gesetzgeber zum größten Teil m i t der Normierung von prozessualen Lasten begnügt, während er i n anderen Fällen auf prozessuale Pflichten zurückgreift, läßt sich nicht dadurch erklären, daß er bei letzteren das zugrunde liegende Verhalten m i ß b i l l i g t 6 1 und daher m i t Sanktionen belegt, denn gewiß mißbilligt er auch die Säumnis, wenn sie auf Nachlässigkeit beruht und sanktioniert sie durch ein Versäumnisurteil (§§ 330 ff. ZPO). 62 Trotzdem handelt es sich hier nicht um die Pflicht, nicht zu säumen, sondern u m eine prozessuale Last. Das gleiche gilt für die Prozeßverschleppung (§§ 282; 296; 296 a; 257; 528 ZPO), die mit dem Ausschluß des Vorbringens sanktioniert ist und vom Gesetzgeber sicherlich mißbilligt wird, obwohl sie nur eine Last und keine Pflicht zur Beschleunigung darstellt. 6 3 Der Gesetzgeber bringt hier seine Mißbilligung nur deshalb nicht besonders zum Ausdruck, weil er durch die Eigenart der Sanktion alle etwaigen Nachteile, die dem Gegner oder dem Gericht entstehen können, gegen die Partei kehrt, die gegen das gewünschte Verhalten verstößt. „Deshalb braucht der Gesetzgeber auch nicht zu differenzieren zwischen den Fällen, i n denen ζ. B. die säumige Partei das Versäumnisurteil w i l l und deshalb nicht erscheint, und den anderen, i n denen sie aus Nachlässigkeit nicht kommt und dafür einen Vorwurf verdiente. . . . Durch die Eigenart der Sanktion w i r d das Fehl verhalten ausschließlich zum Handeln wider eigene Interessen und bedarf deshalb der ausdrücklichen Mißbilligung nicht mehr, sofern die Partei über ihre Interessen disponieren kann." 6 4 Die Eigenart der Sanktion begründet damit die Unterscheidung zwischen Lasten und „prozessualen Pflichten". 6 5 Dabei ist nicht entscheidend, ob das gewünschte Verhalten erzwingbar ist, denn es gibt eine Reihe von (materiellen) Pflichten, die nicht erzwungen werden können, ebenso wie die (prozessuale) Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) keine wahre und vollständige Darstellung des Sachverhalts erzwingen kann. 6 6 el So aber A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 145 i m Anschluß an Lent, ZZP 67 (1954), S. 344 (350 f.). 62 So m i t Recht Henckel, Prozeßrecht, S. 13. 63 Otto (Präklusion, S. 133 f.) hält das M e r k m a l der »Mißbilligung durch den Gesetzgeber* für ein ungeeignetes K r i t e r i u m , u m Pflichten u n d Obliegenheiten i m materiellen Recht abzugrenzen. Er zeigt dies m i t der gleichen A r g u mentation wie der Text am Beispiel des § 254 Abs. 1 BGB. 84 Henckel, Prozeßrecht, S. 13 f.; siehe auch dort F N 26. 65 Vgl. Otto, Präklusion, S. 133; Henckel, Prozeßrecht, S. 14; ebenso P l a n c k / Siber, Schuldrecht A T , Vorbem. I I I 3 b für die Unterscheidung Pflicht - Obliegenheit i m materiellen Recht. ββ Lent, ZZP 67 (1954), S. 348 f.

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1. Abschnitt, Teil 3: Der Prozeß als Rechtslage

(2) Das Beispiel der Wahrheitspflicht zeigt, daß der Gesetzgeber dann zur Pflicht greift, wenn ein prozessuales Fehlverhalten mit prozessualen Lasten nicht mehr ausreichend sanktioniert werden kann. Denn wenn das Gericht einen Wahrheitsverstoß nicht entdeckt, bliebe die Prozeßlüge ohne jede Sanktion, würde man nur eine Wahrheitslast annehmen. Die Verletzung der Wahrheitspflicht jedoch führt u. a. zur Bestrafung wegen Prozeßbetruges und eröffnet damit die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 580 Nr. 4 ZPO. Der eigentliche Grund für den Einsatz „prozessualer Pflichten" besteht aber nicht darin, daß der Gegner eines besonderen Schutzes bedarf. Der Gegner w i r d auch durch die prozessualen Lasten äußerst wirksam geschützt, weil sie jeden Nachteil eines Fehl Verhaltens von vornherein von i h m fernhalten. Das gleiche gilt für den Schutz öffentlicher Interessen. 67 Die Grenze der Einsatzmöglichkeit von Lasten zur Steuerung des Prozeßablaufs liegt darin, „daß die angedrohten Nachteile das Ziel des Prozesses nicht gefährden dürfen." 6 8 Deshalb kann eine prozessuale Pflicht unter Umständen sogar zum Handeln i m eigenen Interesse anhalten. 6 9 Daraus ergibt sich, „daß die Prozeßpflichten i n verstärktem Umfang eingesetzt werden müssen, wenn die Partei über ihre eigenen Interessen nicht disponieren kann oder soll." 7 0 Die auf den Prozeßverlauf bezogene Pflicht ist also i m Gegensatz zu Goldschmidts Auffassung ein notwendiges Gestaltungsmittel, das neben der prozessualen Last seine Berechtigung hat, wenn der Normzweck m i t der Anordnung einer prozessualen Last nicht erreicht werden kann. 7 1 3. Doppelfunktionalität und Unterscheidung von Prozeßrecht und materiellem Redit

Aber auch m i t der Kategorie der Doppelfunktionalität, die den Einsatz von Pflichten als Gestaltungsmittel i m Prinzip anerkennt, sie nur i n eine materielle und eine prozessuale Komponente aufspaltet, läßt sich ein eindeutiges K r i t e r i u m für die Trennung von Prozeßrecht und materiellem Recht aus der A r t der Rechtsfolge nicht gewinnen. 67

Lent, ZZP 67 (1954), S. 346. Nakano, ZZP 79 (1966), S. 99 (105) unter Berufung auf Lent, Z Z P 67 (1954), S. 346. 69 Henckel, Prozeßrecht, S. 16 m i t Beispielen. 70 Henckel, ebenda. 71 Henckel, Prozeßrecht, S. 17. 68

II. Die Unterscheidung von Prozeßrecht und materiellem Recht

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72

Wie oben gezeigt, sind Lasten Rechtsfolgen, die an ein fehlsames Verhalten unmittelbare Nachteile für die falsch handelnde Person knüpfen. Diese A r t der Rechtsfolge ist aber nicht ausschließlich i m Prozeßrecht zu finden, sondern kommt auch i m materiellen Recht vor. Dort w i r d sie allerdings nicht Last, sondern Obliegenheit genannt, „ohne daß der Abweichung i m Ausdruck ein Unterschied i n der Sache zu Grunde läge." 7 3 Sowohl bei der Last wie bei der Obliegenheit (ζ. B. Gläubigerverzug, § 293 ff. BGB) w i r d ein Fehlverhalten i n eine Schädigung eigener Interessen umgelenkt. 7 4 Man kann die Obliegenheiten daher m i t Recht als „materielle Lasten" 7 5 bezeichnen. Die Existenz der materiellen Last schließt es aber aus, Prozeßrecht und materielles Recht nach der A r t der Rechtsfolgen unterscheiden zu wollen. Dabei ist es unwesentlich, ob man der Meinung folgt, die für das Bürgerliche Recht zwischen Lasten, die allein ein Gebot des eigenen Interesses beinhalten, und Obliegenheiten, die auch den Interessen des Gegners dienen, unterscheiden w i l l . 7 6 I n beiden Fällen bleibt die A r t der Rechtsfolge die gleiche wie bei der prozessualen Last: Es werden Nachteile an das eigene (Fehl-)Verhalten geknüpft. Auch die prozessuale Betrachtungsweise kann daher Prozeßrecht und materielles Recht nicht durch einen strukturellen Unterschied der Rechtsfolgen trennen. Daß hinter der Behauptung der Unvereinbarkeit von prozessualem und materiellem Recht andere Kriterien zur Unterscheidung stehen als die A r t der Rechtsfolge, w i r d deutlich, wenn man die doppelfunktionale Betrachtungsweise näher untersucht. 4. Analyse der doppelfunktionalen Betrachtung

Gerade wenn man — wie Eb. Schmidt 77 i n seiner K r i t i k an Beling 7 8 — betont, daß es nicht darum gehe, einen Gesetzesparagraphen i n zwei verschiedene Rechtsnormen (eine materielle und eine prozessuale) auseinanderzudividieren, führt eine funktionale Trennung zu der A n nahme, daß eine Norm zwei unterschiedliche Rechtsfolgen haben kann. 72

Siehe oben Teil 314) u n d insbesondere vorstehend I I 2) b). So wörtlich Henckel, Prozeßrecht, S. 18. 74 So auch Schönke / Kuchinke (9. Aufl.), § 4 I, S. 9. 75 Henckel, Prozeßrecht, S. 18. 76 Reimer / Schmidt, Obliegenheiten, S. 104, 314 f.; Larenz, Allgemeiner T e i l des B G B § 18 I I d, S. 223; Enneccerus / Nipperday Bd. 11, § 74 I V , S. 444; anders Esser / Schmidt, Schuldrecht I 1, § 4 V, S. 42; Esser, Schuldrecht I (4. Aufl.) § 5, S. 31; zum ganzen auch Esser, AcP 154 (1955), S. 49 u n d Otto, Präklusion, S. 133 f. 77 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 35, S. 51. 78 Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 5. 73

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1. Abschnitt, Teil 3: Der Prozeß als Rechtslage

Der funktionale Bezugspunkt, von dem die Unterscheidung abgeleitet wird, ist nicht der Charakter der Norm oder ihre Rechtsfolge, sondern die Zuordnung zu einem „prozessualen Raum" bzw. zu einem „Raum der sozialen Lebensinteressen". 70 Das gleiche gilt für die „doppelfunktionalen Prozeßhandlungen", die ebenfalls zwei Wirkungen haben (eine materielle und eine prozessuale), wobei der funktionale Bezugspunkt, von dem aus sie unterschieden werden, wiederum einer der beiden „Räume " ist. Die Kriterien, die diese beiden „Räume" trennen, sind damit auch die Kriterien, die das materielle und das prozessuale Recht trennen. Da die beiden Bereiche zwei „verschieden soziale Wirklichkeitsräume" 8 0 darstellen, es sich also u m zwei unterschiedliche empirische Phänomene handelt, sind auch die Unterscheidungskriterien empirisch phänomenologischer A r t . Die Zuordnung verschiedenartiger Rechtsfolgen zum prozessualen oder materiellen Raum setzt die Trennung dieser beiden Räume bereits voraus. Die A r t der Rechtsfolge ist damit nicht Kriterium für die Trennung der Lebensräume „Prozeß" und „übrige Wirklichkeit", sondern eine Folge dieser Trennung einerseits und der prozessualen Betrachtungsweise, die das Recht i m prozessualen Raum nur als Urteilsmaßstab ansieht andererseits. 81 Damit w i r d deutlich, daß für die „prozessuale Betrachtungsweise" Prozeßrecht und materielles Recht durch empirische Kriterien zu unterscheiden sind. Diese Unterscheidung soll aber zwei grundsätzlich verschiedene Rechtsarten trennen, zwischen denen eine strukturelle Unvereinbarkeit besteht, die sich u. a. i n den spezifischen Rechtsfolgen des materiellen Rechts einerseits und des Prozeßrechts andererseits zeigt. Die Feststellung, daß sich Prozeßrecht und materielles Recht i n ihren Rechtsfolgen nicht so grundlegend unterscheiden — wie die Existenz der „materiellen Last" beweist — ist damit ein erstes Argument, das sich gegen die Grundlage der Lehre vom Prozeß als Rechtslage richtet, nämlich ihre Auffassung, das Recht i m prozessualen Raum nur als Urteilsmaßstab zu betrachten.

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Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 35/36, S. 51/52. Eb. Schmidt, A r z t i m Strafrecht, S. 53. 81 Bereits Sax hat darauf hingewiesen, daß die Leugnung prozessualer Rechte u n d Pflichten u n d damit der Bewertungsmöglichkeit von prozessualen Vorgängen als rechtmäßig bzw. rechtswidrig allein v o n der „Eigenschaft allen, auch des prozessualen Rechts, i n prozessualer Sicht n u r Urteilsmaßstab zu sein" abhängt. (ZZP 67 (1954), S. 49/50 —- Hervorhebung i m O r i ginal —.) 80

III. Kritik der prozessualen Betrachtungsweise

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I I I . Kritik der prozessualen Betrachtungsweise 1. Leistungen der Lehre vom Prozeß als Rechtslage

Bevor die Bedenken gegenüber der „prozessualen Betrachtungsweise" weiterverfolgt werden, gilt es jedoch, ihre Leistungen noch einmal hervorzuheben: 1. I h r k o m m t unbestritten das Verdienst zu, die prozessuale Last als eine besondere F o r m der rechtlichen Regelung u n d Steuerung des gerichtlichen Verfahrens entdeckt zu haben. Deren Existenz w i r d nicht geleugnet, u n d ihre Bedeutung für die Erfassung der prozeßrechtlichen Regelungen ist allgemein anerkannt 8 2 — auch v o n denen, die w e i t e r h i n daran festhalten, daß sich das Prozeßrecht am besten m i t den Begriffen des Prozeßrechtsverhältnisses sowie Rechten u n d Pflichten der Parteien erfassen läßt. 2. Es ist ein Verdienst der Lehre v o m Prozeß als Rechtsverhältnis, den „dynamischen Charakter" des Prozesses zu betonen, verbunden m i t dem Bestreben, diesem bei der Betrachtung des Prozeßrechts Rechnung zu tragen. Dabei meint „ D y n a m i k " hier nichts anderes, als daß der Prozeß dem U r t e i l zustreben muß u n d erst m i t i h m seinen Abschluß findet.

Die Forderung, „beim Führen von Prozessen stets auf deren Ausgang (zu) achten" und die Erkenntnis, „daß es angemessen ist, prozessuale Normen i m Hinblick auf die Funktion des gerichtlichen Verfahrens, insbesondere i m Hinblick auf das den Prozeß beschließende rechtskräftige Urteil zu sehen" 83 , erscheinen heute so selbstverständlich, daß sie zum Teil als Trivialität bezeichnet werden. 8 4 Es ist jedoch bereits dargestellt worden, daß diese Erkenntnis bei der Diskussion u m den Rechtsschutzanspruch als Inhalt des Prozeßrechtsverhältnisses weitgehend i n den Hintergrund getreten war. 8 5 Goldschmidt kommt damit das Verdienst zu, sie wieder ins Bewußtsein gehoben zu haben. 2. Kritische Punkte — insbesondere der Dynamikbegriff und das Problem des unrichtigen Urteils

Die Bedenken gegenüber der „prozessualen Betrachtungsweise" richten sich denn auch nicht gegen diese beiden Erkenntnisse, sondern gegen die zu weitreichenden Folgerungen, die daraus abgeleitet werden: Aus der Unterscheidung von Lasten und Pflichten ergibt sich eben kein K r i t e r i u m für die Unterscheidung von materiellem und prozessualem Recht. Dies wurde bereits ausgeführt. 86 82

ζ. B. Henckel, Prozeßrecht, S. 13 ff., bes. S. 17; Lent, Z Z P 67 (1954), S. 344 ff.; Schönke / Kuchinke (9. Aufl.) § 4 I, S. 9. 88 Rödig, Erkenntnisverfahren § 12.7., S. 30. 84 ζ. B. Rödig, Erkenntnisverfahren § 12.2., S. 24. 85 Siehe oben T e i l 2 I I I 5). 86 Siehe oben T e i l 3 I I .

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1. Abschnitt, Teil 3: Der Prozeß als Rechtslage

Ebensowenig läßt sich die Behauptung halten, nur dem Prozeßrecht wohne die angeführte „Dynamik" inne und dadurch unterscheide sich das Prozeßrecht von der „Statik" des materiellen Rechts. 87 a) Dynamik im materiellen

Recht

Auch materielle Rechtsverhältnisse entwickeln sich, streben einem Abschluß (Erfüllung) zu. 8 8 Statisch erscheinen sie nur aus der Sicht des Prozesses, dessen letzte mündliche Verhandlung einen Zeitpunkt fixiert, für den die momentane Gestaltung und der momentane Zustand des Rechtsverhältnisses festgestellt wird. Die Behauptung der Lehre vom Prozeß als Rechtslage — wie sie von Eb. Schmidt 8 9 ausgeführt w i r d — der Unterschied zwischen materiellem und prozessualem Recht bestehe gerade darin, daß die Phasen des Prozesses anders als die Stationen materieller Rechtsverhältnisse einer derartigen „Zwischenfeststellung" unzugänglich und deshalb unselbständig seien, kann die Behauptung von der Statik des materiellen Rechts als Gegensatz zur Dynamik des prozessualen nicht retten. Sie verkennt, daß einzelne Stationen des Prozesses, etwa die Frage, ob Beweis erhoben werden muß, ob ein Vorbringen wegen Verspätung ausgeschlossen werden oder ohne den Angeklagten verhandelt werden darf u. ä., ebenso einer externen Beurteilung und „Zwischenfeststellung" zugänglich sind, wie die Stationen eines materiellen Rechtsverhältnisses durch den Prozeß extern beurteilt und festgestellt werden können. Nur und gerade weil es eine externe „Zwischenfeststellung" und Beurteilung geben kann, ist überhaupt eine K r i t i k am prozessualen Verhalten der Prozeßsubjekte möglich. Nur so ist ζ. B. die Feststellung möglich, daß ein Richter i m Prozeß die Prozeßordnung nicht befolgt, also Fehler gemacht hat. Bezeichnenderweise taucht das Problem des richterlichen Fehlverhaltens für die prozessuale Betrachtungsweise nicht auf. Es w i r d verscho87

So auch Bruns, Zivilprozeßrecht, S. 9; Erkenntnisverfahren § 12.2., S. 25. „Bei allen Änderungen, die das Schuldrecht zwischen seinem Beginn u n d seinem Ende erfahren kann, bleibt i h m . . . die Gerichtetheit auf das Ziel der vollständigen Befriedigung des Leistungsinteresses des Gläubigers. Die Erreichung dieses Ziels bedeutet zugleich das zeitliche Ende des Schuldverhältnisses. W e i l es auf dem Wege zu diesem Ziel mannigfache Ä n d e r u n gen erfahren kann, ohne doch seine Zielgerichtetheit einzubüßen, k a n n m a n es auch als einen in der Zeit verlaufenden Prozeß betrachten." (Larenz, Schuldrecht I, § 2 V, S. 25 — Hervorhebung i m Original — ebenso Emmerich, Grundlagen, Kap. 5 § 2 I, S. 94 f.) 89 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 54/55, S. 63; siehe schon oben T e i l 1 1 1 b bei F N 15, 16. 88

III. Kritik der prozessualen Betrachtungsweise

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ben auf das Ende des Prozesses und stellt sich damit als das Problem des unrichtigen Urteils dar. 9 0 Das unrichtige Urteil aber w i r d von der Lehre des Prozesses als Rechtslage nicht mehr als Problem behandelt. Es ist ein Faktum, das hingenommen werden muß, weil — so Goldschmidt 91 — der Richter durch die Rechtskraft des Urteils (von Goldschmidt als „Gerichtskraft" bezeichnet) eine zweite Ordnung schafft, „die neben die Rechtsordnung t r i t t und ihr i m Konfliktsfall nach dem soziologischen Machtprinzip vorgeht." b) Statik der Imperative

— Dynamik der Urteilsmaßstäbe

Die Unvollkommenheit und Unfertigkeit der Rechtslagen i m Prozeß, die die Dynamik des Prozeßrechts gegenüber der Statik des materiellen Rechts begründen sollen, beruhen aber nicht nur darauf, daß jede Rechtslage nur ein Teil des ganzen Prozesses ist und nur i n dessen Gesamtzusammenhang gesehen werden soll, „daß ein Geschehen, welches nur als Ganzes seinen Zweck erfüllt, eben noch nicht »fertig' ist" 9 2 , sondern auch auf der Entgegensetzung der Sicht des Rechts als Inbegriff von Imperativen einerseits und als Urteilsmaßstab andererseits: Weil alles Recht i m Prozeß keine Imperativen an die Beteiligten richtet, sondern nur Urteilsmaßstab für den Richter ist, schafft es auch keine festen Positionen, sondern nur eine Basis für Prognosen. M i t dieser Unvollkommenheit ist also der Unterschied gemeint, der zwischen einem (materiellen) rechtlichen Anspruch und der Aussicht des Klägers besteht, diesen i m Prozeß auch durchzusetzen. Die Abbildung des Anspruchs, wie er auf Grund materiellen Rechts besteht, durch die jeweilige prozessuale Lage ist nicht notwendig adäquat und ändert sich von Lage zu Lage („Dynamik"). Der Anspruch als solcher bleibt demgegenüber stets der gleiche („Statik"). 9 3 Diese zweite A r t der Unvollkommenheit der Rechtslagen ist für die prozessuale Betrachtungsweise die wesentlich wichtigere, denn sie ist die Erklärung dafür, warum eine externe Betrachtung des Prozeßrechts nicht möglich sein soll: Weil alles Recht i m Prozeß nur Maßstab für die Tätigkeit des Richters ist und nur er über die Handhabung dieses Maßstabs entscheidet, sind alle Handlungen i m Prozeß i m Hinblick auf die (wechselnden) Entscheidungen des Richters zu beurteilen. Eine externe Beurteilung der, richterlichen Handlungen an Hand der Normen ist 90 Sax (ZZP 67 (1954), S. 21 ff.) h ä l t das „unrichtige Sachurteil" für das „Zentralproblem der allgemeinen Prozeßrechtslehre". 91 Goldschmidt, Rechtslage, S. 213, 246. 92 Rödig, Erkenntnisverfahren § 12.4., S. 27. 93 Rödig, Erkenntnisverfahren § 12.3.; § 12.4., S. 26 f.

6 Schaper

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1. Abschnitt, Teil 3: Der Prozeß als Rechtslage

nicht möglich, weil sie keinen Imperativ enthalten, der dem Richter ein bestimmtes Verhalten vorschreibt — i m Prozeß steht der Richter „über dem Recht und also außerhalb desselben" 94 , entzieht sich also auch einer Beurteilung durch das Recht. Da gleichzeitig der Lebensbereich „Prozeß" vom Lebensbereich, i n dem das materielle Recht w i r k t , empirisch unterscheidbar ist und unterschieden wird, bleibt die materielle Rechtsordnung von dieser Sicht völlig unberührt. Damit taucht für die prozessuale Betrachtungsweise das Problem der fehlerhaften Abbildung des materiellen Rechts i m Prozeß auf, das jedoch erst virulent werden kann, wenn der Lebensbereich des Prozesses wieder verlassen wird. Dies geschieht erst, aber auch notwendig durch das rechtskräftige Urteil. Von welcher Seite man es auch betrachtet: Das Problem des unrichtigen Urteils bleibt damit ein ungelöster Rest der Lehre vom Prozeß als Rechtslage. Man kann versuchen, das Problem wegzudiskutieren, wie Sax 9 5 es versucht hat, indem er als Prozeßziel nicht das richtige, sondern nur das beachtliche Urteil ansieht, oder man kann den gordischen Knoten zerschneiden, indem man wie Goldschmidt auf das empirische „Argument" eines „soziologischen Machtprinzips" zurückgreift, und damit das Problem „lösen". 9 6 3. Methodische Bedenken

Gegenüber der „prozessualen Betrachtungsweise" bestehen darüber hinaus aber vor allem methodische Bedenken, die die Unterscheidung von Recht als Imperativ und Urteilsmaßstab fragwürdig erscheinen lassen. a) Grundannahmen

der Lehre vom Prozeß als Rechtslage

Vordergründig scheinen Grundlage der Lehre vom Prozeß als Rechtslage zwei empirisch begründete Ausgangspunkte zu sein: Erstens eine nach empirischen Kriterien vorgenommene Trennung des Lebensbereichs Prozeß von allen übrigen Lebensbereichen und damit eine empirische Umschreibung des Prozeßbegriffs. 94

Goldschmidt, Rechtslage, S. 246. Sax, ZZP 67 (1954), S. 43 ff. (43, 46). 96 Die Lösung des Problems des unrichtigen u n d gleichwohl vollstreckbaren Urteils dürfte i n Richtung auf die Lehre v o m fehlerhaften Staatsakt zu suchen sein, nach der auch Urteile bis zur Aufhebung verbindlich bleiben, es sei denn, sie seien nicht n u r aufhebbar, sondern nichtig (vgl. Stratenwerth, Verantwortung u n d Gehorsam, S. 131 ff. (133); Gaul, A c P 168 (1968), S. 61; Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 250 ff. (257 f.); dazu näher unten 2. Abschnitt T e i l 3 I V 2 b). 96

III. Kritik der prozessualen Betrachtungsweise

83

Zweitens die Feststellung, daß der Richter i m Prozeß nicht „Gegenstand einer rechtlichen Beziehung" 9 7 ist, sondern das Recht handhabt und so zum Gegenstand seines Handelns macht. Dahinter steht die kaum bestreitbare empirische Tatsache, daß der Richter i m Prozeß die Interpretationsherrschaft ausübt und daß Fehler und Irrtümer des Richters bei der Anwendung des Rechts außerhalb der gerichtlichen Verfahren nicht mehr korrigiert werden können: das rechtskräftige Urteil schafft eine endgültige Situation. Dies könnte zu dem Schluß verleiten, daß es sich hier u m eine empirisch-soziologische Prozeßtheorie handelt. Es wäre jedoch ein Fehlschluß, dem Goldschmidt allerdings selbst Vorschub geleistet hat, nennt er seine Prozeßbetrachtung doch eine „empirische". 98 Wollte man diesen Anspruch ernst nehmen und die Lehre vom Prozeß als Rechtslage allein als eine empirisch-soziologische Beschreibung dessen, was i m Prozeß geschieht, betrachten, wäre sie i m Hinblick auf die soziologischen Aussagen t r i v i a l und ließe viele (zu viele) Fragen offen; z. B.: Ist das Verhalten des Richters w i l l k ü r l i c h oder worin liegen die Beschränkungen der Willkür? Warum w i r d der Aufwand des gerichtlichen Verfahrens überhaupt betrieben? Welche Macht steht hinter dem „soziologischen Machtprinzip", das das rechtskräftige Urteil der Rechtsordnung vorgehen läßt? b) Normative

und faktische Aussagen

Eine solche Sicht würde zudem verkennen, daß die Lehre vom Prozeß als Rechtslage i n ihren wesentlichen Aussagen nicht eine Beschreibung des empirischen Faktums „Prozeß" versucht, sondern u m eine theoretische Erfassung des Rechts, insbesondere des Prozeßrechts bemüht ist. Sie hat — ebenso wie die Theorie vom Prozeß als Rechtsverhältnis — den normativen Prozeß als Summe der Prozeßrechtsnormen vor Augen, nicht den Prozeß als tatsächliches Geschehen und macht Aussagen über die Rechtswirkungen i m Prozeß, nicht über die soziologischen Handlungszusammenhänge. Sie baut dabei auf einer rechtstheoretischen Grundannahme auf, nach der das (materielle) Recht ein Inbegriff von Imperativen ist, deren Beachtung durch Sanktionen sichergestellt wird. Hier werden Ähnlichkeiten zur älteren analytischen Rechtstheorie deutlich, für die Rechtsnormen Befehle einer kompetenten äußeren Autorität waren. 9 9 Diese Auffassung führt jedoch i n Schwierigkeiten, 97

Goldschmidt, Rechtslage, S. 246. Goldschmidt, Rechtslage, S. 153. 99 ζ. B. Austin, The Province of Jurisprudence Determined J. Bentham, A n Introduction to the Principles of Morals and Legislation. Vgl. dazu den k u r 98

6*

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1. Abschnitt, Teil 3: Der Prozeß als Rechtslage

wenn man die Wirkungen des Rechts i m Prozeß betrachten w i l l : Mag das (materielle) Recht noch als Imperativ an die Rechtsunterworfenen verstanden werden, ein Imperativ an den Richter ist es sicher nicht: § 433 Abs. 2 BGB befiehlt vielleicht dem Käufer, den Kaufpreis zu zahlen, nicht aber dem Richter. Und er befiehlt dem Richter auch nicht, den Käufer zur Zahlung zu verurteilen, denn ein solcher Befehl kann allenfalls i n staatsrechtlichen oder prozessualen Normen gefunden werden. Die prozessuale Betrachtungsweise hat daher richtig erkannt, daß das materielle Recht i m Prozeß eine andere Wirkung haben muß. Diese rechtstheoretische Fragestellung, die an sich nahelegt, entweder nach den Imperativen für den Richter zu suchen oder die normentheoretische Grundannahme so zu erweitern, daß auch die Geltung des Rechts für den Richter erklärt werden kann, w i r d auf eine methodisch problematische Weise m i t empirischen Feststellungen vermengt. Dabei w i r d mit dem Stichwort Interpretationsherrschaft die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer Gesetzesbindung der Richter aufgeworfen. Dieses Problem w i r d aber nicht aufgegriffen, sondern unter Hinweis auf den empirischen Befund, daß das Gericht bei der Rechtsanwendung keiner sanktionsbewehrten Kontrolle unterliegt, als Problem geleugnet. So kann denn die normentheoretische Grundannahme ohne weitere Problematisierung aufrecht erhalten werden, aber u m den Preis, daß die normativen Aussagen unversehens aus empirischen Feststellungen abgeleitet werden: 1. W e i l der Richter Interpretationsherrschaft hat, ist alles Recht i m Prozeß nicht mehr (verbindliches) Recht, sondern n u r noch (unverbindlicher) U r teilsmaßstab, u n d daraus folgt wiederum die rechtliche Unselbständigkeit u n d Unvollkommenheit der Prozeßlagen. 2. Aus der Möglichkeit, den Prozeß als empirische Erscheinung zu beschreiben, w i r d ein Gegensatz zu allen übrigen Lebensbereichen konstituiert. Aus diesem Gegensatz w i r d dann abgeleitet, daß das Recht außerhalb des Prozesses doch verbindliches Recht bleibt.

Dabei w i r d verkannt, daß die Interpretationsherrschaft eine normat i v geregelte ist und der Richter auch i m Prozeß rechtlichen Anforderungen unterworfen ist, die sich nicht auf den Inhalt des Justizgewährsanspruchs reduzieren lassen, der von i h m nur noch verlangt, daß er ein Urteil erläßt. Zu den rechtlichen Geboten, denen der Richter i m Prozeß unterworfen ist, gehören an erster Stelle die Normen des Prozeßrechts.

zen Uberblick bei Dreier, Recht und Staat 1975, S. 8 m i t Hinweisen auf w e i tere Darstellungen.

III. Kritik der prozessualen Betrachtungsweise

85

Sicherlich kann der Richter bei der Anwendung allen Rechts irren, kann Voraussetzungen und Inhalt der Gebote, die ihn treffen, ebenso verkennen, wie er den Inhalt und die Voraussetzungen des materiellen Rechts verkennen kann. Das gibt aber noch keinen Grund, die den Richter treffenden Gebote zu ignorieren oder zu „Richtscheiten" 100 abzuschwächen, m i t denen er nur noch hantiert. „Ein Gebot hört nicht schon darum auf zu gelten, weil man es verletzt, und sei es auch nur deshalb, weil man — vielleicht nicht einmal fahrlässig — die Voraussetzungen verkennt, nach dem Gebot zu handeln. Auch die Geltung mathematischer Gesetze hängt nicht etwa davon ab, daß sie stets richtig angewendet werden." 1 0 1 Auch Goldschmidts Lösung, bei Aufrechterhaltung der konsequenten Trennung von Prozeß und übriger Wirklichkeit, von Imperativen und Urteilsmaßstäben, für die den Richter betreffenden Gebote die neue Kategorie des „materiellen Justizrechts" 102 zu bilden, hat zu recht kaum Anhänger gefunden 103 , da sie nur scheinbar weiter hilft. Es macht auch innerhalb des rechtstheoretischen Grundkonzepts, auf dem Goldschmidt aufbaut, wenig Sinn, alle Imperative, die sich an die Rechtsunterworfenen richten und i m Zweifel durch die Gerichte durchgesetzt werden, i n staatsrechtliche Normen umzuformulieren, die von den Gerichten eben dies verlangen, denn auch ein solches materielles Justizrecht unterliegt ebenso wie die Urteilsmaßstäbe keiner gerichtlichen Kontrolle. M i t dieser Kategorie w i r d nichts für die Frage gewonnen, ob und wie sich der Richter an das Recht halten kann, sondern allenfalls der Mangel der normentheoretischen Grundannahme verdeckt, daß diese nicht angeben kann, wie die Gerichte dazu angehalten werden sollen, die Imperative des materiellen Rechts zu beachten. c) Das ungelöste Problem Dieses Problem ist übrigens nicht auf die Gerichte beschränkt, sondern ist das allgemeine Problem jeder Rechtsanwendung, ob und wie eine Bindung an das Recht möglich ist. Es stellt sich zwar i n besonderem Maße für den Richter oder sonstigen Rechtsanwender (und w i r d herkömmlicher Weise nur für diese diskutiert), genauso stellt es sich aber für jeden, der sich rechtstreu verhalten und das Recht zum Maßstab seines Handelns machen w i l l . 100

Goldschmidt, Rechtslage, S. 246. Rödig, Erkenntnisverfahren § 12.5., S. 28. 102 Dazu schon oben T e i l 3 I 2 c, F N 27. 103 Soweit ersichtlich, n u r K i p p / Windscheid, Pandektenrecht Bd. 1, S. 617; K i p p , Doppelwirkungen i m Recht, S. 212 ff.; Schüler, Urteilsanspruch § 8, S. 47 ff. 101

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1. Abschnitt, Teil 3: Der Prozeß als Rechtslage

Die Lehre vom Prozeß als Rechtslage verengt dieses allgemeine Problem von vornherein auf die richterliche Interpretationsfreiheit, indem sie einen scharfen Trennungsstrich zwischen Prozeß und „übriger W i r k lichkeit" zieht und das Recht von einem verabsolutierten Standpunkt des Prozesses aus betrachtet. 104 Doch auch für den Prozeß w i r d keine Lösung des Problems versucht, sondern nur die Tatsache der richterlichen Interpretationsfreiheit i n den juristischen Begriff des „Urteilsmaßstabs" eingefangen und damit als Problem aus der Prozeßbetrachtung eliminiert. Es taucht jedoch an der Nahtstelle zwischen Prozeß und „übriger Wirklichkeit", bei der Frage nach dem richtigen bzw. unrichtigen Urteil wieder auf und zeigt damit, daß es auch für den Prozeß kein Scheinproblem ist. Hier zeigt sich ein Nachteil der normentheoretischen Grundlage, die verbindliches Recht ausschließlich als Inbegriff von Imperativen begreift, deren Beachtung durch Sanktionen sichergestellt wird. Sie erklärt allenfalls einen Aspekt des Rechts und versagt, wo Sanktionen nicht festgestellt werden können. 1 0 5 Die K r i t i k an der Lehre vom Prozeß als Rechtslage beruht aber weniger darauf, daß sie für das Problem der Rechtsgeltung und der Gesetzesbindung keine konsensfähige Lösung anbietet. M i t der „allgemeinen Desorientierung" 1 0 6 i n theoretischen Fragen, dem Streit u m grundsätzliche Konzeptionen von Rechtstheorie, -philosophie und -Soziologie und deren Kompetenzen sind auch die Aussagen zur Rechtsmethodik und -dogmatik, von denen gemeinhin eine Lösung dieser Fragen erwartet wird, i n die Desorientierung einbezogen 107 , so daß eine allgemein akzeptierbare Lösung ferner denn je erscheint. Der Vorwurf gegenüber der prozessualen Betrachtungsweise besteht vielmehr darin, daß sie auf einer Grundkonzeption aufbaut, die dieses Problem für das materielle Recht nicht zur Kenntnis nimmt und für den Prozeß vorschnell leugnet, um daraus dann zu schließen, daß sich Prozeßrecht und materielles Recht „wesensmäßig" unterscheiden.

104 Gegen die „Selbständigkeit" des Prozeßrechts auch Grunsky, Grundlagen § 1 V, S. 15; A. Blomeyer, AcP 159 (1960/61), S. 405; Renck, JuS 1966, S. 275; Rimmelspacher, Anspruch, S. 2; Gaul, A c P 168 (1968), S. 56. 105 Z u r K r i t i k vgl. Hart, Begriff des Rechts, S. 34 ff., insbes. S. 54 ff.; siehe auch die Zusammenfassung ebenda S. 115 f. 106 Ausdruck v o n Dreier, Recht u n d Staat Heft 444/445, S. 21; vgl. zum Ganzen die Darstellung v o n Dreier, ebenda, besonders S. 13 ff., 23 ff.; ähnlich auch Hagen, DuR 1976, S. 24. 107 Eine knappe Übersicht über den — v o n ihnen so bezeichneten — „entmutigenden Streitstand" der Methodendiskussion geben Koch / Rüßmann, Begründungslehre § 12.2., S. 177 ff.

Teil

Zwischenergebnis Die Untersuchung der beiden großen Entwürfe, den Prozeß als rechtliches Phänomen zu erfassen, läßt sich i m Ergebnis folgendermaßen zusammenfassen: Die Auffassung, den Prozeß als Rechtsverhältnis zu betrachten, ist zwar nicht falsch, sie führt jedoch nicht weiter. Der „prozessualen Betrachtungsweise" sind dagegen einige weiterführende Erkenntnisse über die rechtliche Steuerung des Prozesses (Funktion der Lasten i m Prozeß) zu verdanken, ihre rechtstheoretischen Grundannahmen begegnen jedoch erheblichen Bedenken, so daß der Theorie vom Prozeß als Rechtslage nicht gefolgt werden kann. I. Der Prozeß als Rechtsverhältnis Daß die Aussage, der Prozeß sei ein Rechtsverhältnis, richtig, aber ohne weitergehenden Erklärungswert ist, liegt daran, daß sie durch vollständige Tautologie gewonnen ist: Ein Rechtsverhältnis ist definiert als die „rechtliche Beziehung zwischen Personen oder zwischen einer Person und einer Sache".1 Beschränkt man sich darauf, den Prozeß als Summe von rechtlichen Beziehungen zu betrachten, wie es die Theorie vom Prozeß als Rechtsverhältnis tut, ergibt sich logisch zwingend, daß der Prozeß ein Rechtsverhältnis ist. Damit kann jedoch weder eine Aussage über den Inhalt der rechtlichen Beziehungen (bzw. des Rechtsverhältnisses) gewonnen werden noch kann daraus eine Abgrenzung von materiellem Recht und Prozeßrecht abgeleitet werden. A n dieser Beschränktheit des theoretischen Ausgangspunktes liegt es, daß die großen Erwartungen, die man ursprünglich an den Begriff des 1 B G H Z 5 S. 387; 37 S. 331 (335); B V e r w G E 14 S. 235; Stein / Jonas / Schumann / Leipold, § 256 A n m . I l l a ; Rosenberg / Schwab, § 94 I I ; R e d e k e r / v . Oertzen, V w G O § 43 Rdn. 3; Eyermann / Fröhler, V w G O § 43 Rdn. 3; alle m i t weiteren Nachweisen; a. A . (nur Rechtsbeziehungen zwischen Personen) Jellinek, Verwaltungsrecht § 9 I, S. 191; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit § 43 A n m . 12 a u n d Verwaltungsprozeßrecht § 32 I I 4 a, S. 123,

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1. Abschnitt, Teil 4: Zwischenergebnis

„Prozeßrechtsverhältnisses" geknüpft hatte, i m Ergebnis nicht zu verwirklichen waren. Bülows Bestreben, den Begriff des Prozeßrechtsverhältnisses darzustellen, als „allein geeignet" „dem gesamten Aufbau des Prozeßrechtsganzen zum Grundpfeiler zu dienen" 2 , zeigt, ebenso wie sein Vertrauen auf die absolute Herrschaft der einmal zur vollkommenen Ausbildung und Erkenntnis gelangten elementaren Prozeßbegriffe, die für die ,Begriffsjurisprudenz' typische „Hypostasierung der juristischen Grundbegriffe". 3 Man kann daher die Theorie vom Prozeß als Rechtsverhältnis als die adäquate begriffsjuristische Prozeßbetrachtung bezeichnen. 4 Daß die Lehre vom Prozeß als Rechtsverhältnis dennoch zur Verfeinerung der Prozeßrechtswissenschaft wesentlich beigetragen hat, liegt daran, daß sie zum einen für das Prozeßrecht die Konsequenzen aus einer (durch Windscheid) veränderten Sicht des materiellen Rechts gezogen hat, und zum anderen daran, daß sie das wissenschaftliche Interesse auf die Frage nach dem Inhalt der prozeßrechtlichen Beziehungen und ihrer Systematisierung gelenkt hat. 5 I h r Beitrag zur Entwicklung der Prozeßrechtswissenschaft war daher eher eine Folge ihrer „Fermentwirkung" 6 als das Ergebnis unmittelbarer theoretischer Schlüsse. II. Der Prozeß als Rechtslage Die „prozessuale Betrachtungsweise" stellt sich demgegenüber als Versuch dar, auf der Grundlage des rechtstheoretischen Modells, das Recht als Inbegriff von Imperativen zu betrachten, eine adäquate Prozeßtheorie zu entwickeln. I h r Ausgangspunkt dazu ist die empirische Unterscheidung zwischen einem „Lebensbereich Prozeß" und den übrigen Lebensbereichen, der gleichzeitig die Unterscheidung von Recht und Urteilsmaßstab beigelegt wird. Anders als die Theorie vom Prozeß als Rechtsverhältnis kann sie so den Prozeßbegriff innerhalb der Theorie klären, und es muß anerkannt werden, daß sie ein hohes Maß an innerer Folgerichtigkeit und Geschlossenheit entwickelt. 7 Diese Konsequenz und ihr empirischer Ausgangspunkt haben ihr zudem i n einer 2

Ο. v. Bülow, ZZP 27, S. 212 ff. (233 ff., 246, 255). Simshäuser, Entwicklung, S. 93, unter Berufung auf Wilhelm, Methodenlehre, S. 82/83, 105. 4 Dazu bemerkt schon Degenkolb (Beiträge, S. 2): „Über das Klagrecht w i r d vornehmlich i m Begriffshimmel verhandelt u n d i n diesem H i m m e l geht es erfahrengsgemäß nichts weniger als friedlich zu. Uber nichts w i r d erbitterter u n d zugleich aussichtsloser gestritten, als über juristische Konstruktionen u n d den i h r dienenden Begriff." 5 So auch Nakano, ZZP 79 (1966), S. 99/100. « Diesen Ausdruck verwendet schon Degenkolb, AcP 103 (1908), S. 402 f. 7 Siehe dazu auch Hagen, Allgemeine Verfahrenslehre, S. 49. 3

II. Der Prozeß als Rechtslage

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Reihe weiterführender Erkenntnisse über die Steuerungsmechanismen des Prozesses verholfen. Die rechtstheoretische Grundlage erscheint jedoch zumindest teilweise unzureichend und die Unterscheidung von Recht und Urteilsmaßstab damit fragwürdig. Letztlich zeigt Goldschmidts Vorstellung vom rechtsfreien Raum des Prozesses, i n dem der — dem Krieg vergleichbare — Kampf ums Recht stattfindet 8 , eine Befangenheit der prozessualen Betrachtungsweise i n einem liberalistischen Vorurteil für den Prozeß, insbesondere den Zivilprozeß.

8 Goldschmidt, Rechtslage, V o r w o r t S.V.; kritisch Henkel, Prozeßrecht, S. 24 m i t weiteren Nachweisen.

Teil

Eine pragmatische Prozeßbetrachtung I. Versuche zur Kombination von Rechtsverhältnis und Rechtslage 1. Zur Weiterführung der Prozeßtheorie ist versucht worden, eine Beziehung zwischen beiden Theorien herzustellen. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten. a) Die Auffassung, der Begriff der Rechtslage sei nur eine terminologische Neufassung des „Prozeßrechtsverhältnisses" 1 , verkennt die grundlegenden Unterschiede der beiden Theorien: Während mit dem Begriff „Prozeßrechtsverhältnis" die Rechtsbeziehungen der Prozeßsubjekte zusammengefaßt werden, die unabhängig von dem i m Prozeß selbst umstrittenen materiellen Recht bestehen, ist die „Prozeßlage" keine rechtliche Beziehung zwischen den Prozeßsubjekten, sondern eine Relation zwischen dem materiellen Recht (um das gestritten wird) und der Lage der Partei bei der prozessualen Geltendmachung dieses Rechts. b) Auch die Behauptung, die beiden Begriffe „Prozeßrechtsverhältnis" und „Prozeßlage" stünden überhaupt nicht i n Widerspruch zueinander 2 , sondern beträfen nur unterschiedliche Problemstellungen 3 , ist zumindest mißverständlich — wenn nicht falsch. Richtig ist sie, wenn man m i t Eberhard Schmidt 4 als „Prozeßrechtsverhältnis" lediglich das materiell staatsrechtliche Rechts- und Pflichtenverhältnis ansprechen w i l l , das zwischen den Justizbehörden und den Prozeßbeteiligten i m äußeren Erscheinungsbild des einzelnen Verfahrens sichtbar wird. Für die prozessuale Betrachtungsweise existiert dieses Rechtsverhältnis aber nur außerhalb des prozessualen Raumes, während für die 1 So z.B. Rümelin, A c P 126 (1926), S. 121; Sauer, Arch, für Rechts- u n d Wirtschaftsphilosophie, Bd. 19, S. 286; vgl. auch Rosenberg / Schwab (§ 2 V 3, S. 10), der die Stufen des sich fortentwickelnden Rechtsverhältnisses als Rechtslagen ansieht. 2 ζ. Β . A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 62. 3 Nakano, ZZP 79 (1966), S. 105. 4 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 44, S. 58.

II. Prozeßrecht und materielles Recht

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Theorie vom Prozeß als Rechtsverhältnis damit die gesamten prozessualen Rechtsbeziehungen erfaßt werden. Der Ausgangspunkt der Theorie vom Prozeß als Rechtsverhältnis, daß es i m Prozeß überhaupt rechtliche Beziehungen zwischen Personen gibt, w i r d von der Theorie des Prozesses als Rechtslage m i t der Konstruktion des Rechts als Urteilsmaßstab gerade bestritten. Da die Auffassung vom Recht als Urteilsmaßstab aber die Grundlage für den Begriff der Rechtslage bildet, besteht zwischen den beiden Theorien ein unüberbrückbarer Widerspruch. 2. Die beiden Theorien können also nicht einfach durch Kombination zu einer neuen Prozeßrechtstheorie verknüpft werden. Gibt man aber die fragwürdige Konstruktion des Rechts als Urteilsmaßstab auf, w i r d der Weg frei zu der Erkenntnis, daß die Beziehungen zwischen den Prozeßbeteiligten rechtlich geregelt sind und damit Rechtsbeziehungen, die sich strukturell von den materiellrechtlichen Beziehungen nicht unterscheiden. Was das Prozeßrecht von dem streitbefangenen materiellen Recht unterscheidet, ist nicht eine strukturelle Besonderheit des Prozeßrechts, sondern seine Zuordnung zu einem bestimmten Lebenssachverhalt: dem Prozeß. Eine Erkenntnis, die der prozessualen Betrachtungsweise zu verdanken ist. Prozeßrecht und materielles Recht unterscheiden sich demnach nur durch ihre unterschiedliche Zuordnung zu empirisch unterscheidbaren Lebensbereichen. Ihre Trennung erfolgt nach empirischen Kriterien; aus ihr können daher nur sehr begrenzt rechtliche Folgerungen abgeleitet werden. I I . Prozeßrecht u n d materielles R e d i t 1. Henckels Analyse möglicher Unterscfaeidungskriterien

Von einem anderen Ansatz her hat Wolfram Henckel 5 bereits ausführlich begründet, daß Prozeßrecht und materielles Recht nur durch die Zuordnung zu unterschiedlichen Lebensbereichen unterschieden werden können. Henckel hat für den Zivilprozeß gezeigt, daß eine Abgrenzung des Prozeßrechts vom materiellen Recht nicht aus normativen Kriterien gewonnen werden kann. 1. Eine Abgrenzung k a n n nicht danach erfolgen, ob ein Rechtssatz i n Prozeßordnungen oder materiellrechtlichen Gesetzbüchern enthalten ist, denn 6 Prozeßrecht u n d materielles Recht, 1. Kap. I, S. 5 ff., die i m folgenden Text angeführten Seitenzahlen beziehen sich hierauf. Siehe dazu auch Arens, AcP 173 (1973), S. 250 (251 ff.); die Rezension von Bötticher, Z Z P 85 (1972), S. 1 ff. geht auf diese Fragen nicht ein.

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1. Abschnitt, Teil 5: Eine pragmatische Prozeßbetrachtung

der Gesetzesbefehl ordnet n u r Rechtsfolgen an, umfaßt aber nicht ihre systematische Zuordnung. (S. 5) 2. Der Prozeßzweck k a n n allenfalls etwas darüber aussagen, wie der Prozeß (bzw. das Prozeßrecht) sein soll. Er k a n n daher nicht zugleich beschreiben, was der Prozeß (bzw. das Prozeßrecht) ist. (S. 7/8) 3. Die Tatbestandsseite einer N o r m ist zur Abgrenzung ungeeignet, w e i l materiellrechtliche Normen nicht dadurch zu prozessualen werden, daß ein prozessualer Vorgang ihren Tatbestand erfüllt. (Beispiel: § 823 Abs. 1 B G B bleibt eine materiellrechtliche Norm, auch w e n n die unerlaubte Handlung eine Prozeßhandlung ist.) Das gleiche g i l t umgek e h r t (Beispiel: § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO). (S. 9/10) 4. Daß die Rechtsfolgen der N o r m k e i n Unterscheidungsmerkmal bieten, ist oben® bereits ausführlich dargelegt worden. 5. Unergiebig ist schließlich der Abgrenzungsversuch Neuners 7 , der die Normen danach unterscheidet, ob sie den I n h a l t des Urteils regeln (materielles Recht) oder seine Voraussetzungen (Prozeßrecht), denn auch das Prozeßrecht k a n n den Urteilsinhalt bestimmen — das zeigt u. a. das Prozeßurteil. (S. 19)

Henckel kommt daher zu dem Schluß, daß das Prozeßrecht nur durch seinen Gegenstand, den Prozeß, definiert und vom materiellen Recht abgegrenzt werden kann. „Da das Recht menschliches Verhalten regelt, . . . , ist zu fragen, ob die Erfüllung der Pflichten, die Abwendung von Lasten und die Verwirklichung des Rechts auf das Prozeßgeschehen Einfluß hat oder auf den Lebensbereich, i n dem sich die Privatrechtssubjekte unmittelbar begegnen ohne die Vermittlung eines zur Entscheidung oder zu einem anderen Rechtspflegeakt angerufenen Rechtspflegeorgans." 8 Unter Berufung auf Eberhard Schmidt 9 formuliert Henckel als Lösung des Abgrenzungsproblems: „Eine Norm gehört also dem Prozeßrecht an, wenn sie ein Verhalten i n einem Verfahren von und vor Rechtspflegeorganen regelt, das auf ein bestimmtes Rechtspflegeziel ausgerichtet ist. Eine Norm gehört dem materiellen Recht an, wenn sie ein Verhalten i n Lebensbereichen regelt, i n denen sich Rechtssubjekte unmittelbar begegnen ohne Vermittlung eines zu einem Rechtspflegeakt angerufenen Rechtspflegeorgans." 10 Dieses Ergebnis bezieht Henckel ausdrücklich nur auf den Zivilprozeß und nur für diesen ist es begründet. Doch zeigt die Übersicht seiner Argumente, daß sie genauso für das Verfahren vor Straf-, Verwaltungs- und Verfassungsgerichten gelten können. Henckels Ergebnis läßt sich daher auch auf diese Verfahren übertragen. 6

Siehe dazu schon oben T e i l 3 I I 2; und bes. T e i l 3 I I 3. Neuner, Privatrecht u n d Prozeßrecht, insbesondere S. 6 f. 8 Henckel, Prozeßrecht, S. 19; siehe auch ders., S. 8. 9 Eb. Schmidt, A r z t i m Strafrecht, S. 53. 10 Henckel, Prozeßrecht, S. 21; siehe auch S. 25. 7

II. Prozeßrecht und materielles Recht

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2. Folgerungen und Ergebnis

a) M i t seiner Definition geht Henckel allerdings bereits über die oben formulierte Aussage, daß Prozeßrecht und materielles Recht durch die empirischen Kriterien der Unterscheidung von prozessualem und übrigem Lebensbereich getrennt wird, hinaus. Er definiert nämlich den prozessualen Lebensbereich als „Verfahren von und vor Rechtspflegeorganen". Diese Definition ist nicht unproblematisch, denn es fehlt die genaue Bestimmung, was „Rechtspflegeorgane" sind. So muß Henckel ζ. B. die Frage offen lassen, ob die Normen über das zivilprozessuale Schiedsgerichtsverfahren oder über das Verfahren des Gläubigerausschusses und der Gläubigerversammlung zum Prozeßrecht oder zum materiellen Recht gehören. 11 Wollte man Henckels Definition auf alle Prozeßarten übertragen, so würde sich ζ. B. für das Strafverfahren die Frage stellen, ob auch die Staatsanwaltschaft „Rechtspflegeorgan" ist, m i t der Folge, daß sowohl die strafprozessualen Vorschriften über das Verfahren der Staatsanwaltschaft als auch Vorschriften, wie die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren, zum Prozeßrecht gehören. Auch die Vorschriften, die das Verhalten von Rechtsanwälten regeln (Bundesrechtsanwaltsordnung, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte), könnten mit dem Hinweis darauf, daß Rechtsanwälte „Organe der Rechtspflege" (§ 1 BRAO) sind 1 2 , zum Prozeßrecht gerechnet werden. Die Tragweite einer Unterscheidung von materiellem Recht und Prozeßrecht und damit die Bedeutung dieser Fragen, w i r d jedoch allzu leicht überschätzt. Nur wer aus der Unterscheidung von Prozeßrecht und materiellem Recht einen Unterschied i m Rechtsgehalt ableiten w i l l , muß zugleich eine exakte, systematisch eindeutige, vollständige und widerspruchsfreie Trennung dieser beiden Normengruppen anbieten, die sich letztlich an dem behaupteten Unterschied i m Rechtsgehalt orientieren muß. Die Versuche, insbesondere durch die Theorie vom Prozeß als Rechtslage, dem Prozeßrecht einen besonderen, vom materiellen Recht unterscheidbaren Rechtsgehalt beizulegen, müssen aber als gescheitert angesehen werden. „Wenn man . . . das Prozeßrecht i n seinem Gegensatz zum materiellen Recht definieren w i l l , so kann der Unterschied nur i m prozessualen Sachbereich gegenüber den vom materiellen Recht erfaßten Lebensbe11

Henckel, Prozeßrecht, S. 8. So ζ. B. BVerfGE 38 S. 105; Kleinknecht, StPO Vorbem. 1 zu § 136 a; kritisch: Knapp, Verteidiger, insbes. S. 138, 140 f.; zur Geschichte des Begriffs vgl. Knapp, Verteidiger, S. 36 ff. 12

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1. Abschnitt, Teil 5: Eine pragmatische Prozeßbetrachtung

reichen liegen. Ein Unterschied i m Rechtsgehalt kann i n eine solche Kontrastdefinition nicht hineingelegt werden." 1 3 „ M i t dieser Abgrenzung erhalten w i r zwei unterschiedliche Objekte der Betrachtung. Eine dem jeweiligen Objekt angemessene prozessuale oder materielle Betrachtungsweise ist aber nur soweit angemessen, als die Regelung jedes Lebensbereiches diesem adäquat sein muß. Die Abgrenzung des Prozeßrechts vom materiellen Recht kann deshalb über die rechtlichen Wertungen des Prozeßrechts oder des materiellen Rechts nur wenig aussagen. Für die Ermittlung des Zweckes der Normen gibt die Trennung nicht mehr her, als daß die Normen der Regelung der Lebensbereiche dienen, auf die sie sich beziehen." 14 Wenn Arens 1 5 Henckel vorhält, daß „man aus einer solchen Abgrenzung wenig für die Entscheidung problematischer Einzelheiten herleiten" kann, so ist i h m entgegenzuhalten, daß er aus der Abgrenzung von materiellem Recht und Prozeßrecht mehr Aussagen herauslesen w i l l , als sie tatsächlich enthält. 1 6 b) Um Aussagen über das Prozeßrecht zu machen, muß man zunächst den Inhalt des Prozeßrechtsbegriffs klären. Dazu ist weder seine normative Bestimmung möglich, noch kann dieser Begriff ohne Bezug auf einen bestimmten Lebensbereich apriori definiert werden. Es muß vielmehr der Lebensbereich genau beschrieben werden, der als „Prozeß" zu bezeichnen ist, und das Prozeßrecht sind dann die Normen, die diesen regeln. Für die Abgrenzung eines solchen Bereichs gibt es zwar keine zwingenden strukturellen Kriterien, die Abgrenzung hat aber Folgen für die Aussagen, die über den Bereich gemacht werden können. Je umfassender der Lebensbereich „Prozeß" gefaßt wird, je uneinheitlicher er ist, desto weiter und inhaltsleerer müssen die Aussagen über Recht, das ihn regelt, gefaßt werden. Wenn man also ζ. B. Verfahren vor nichtstaatlichen Organen i n den Lebensbereich „Prozeß" mit einbezieht, w i r d die Aussage problematisch, Prozeßrecht sei öffentliches Recht. Andererseits bedeutet die Begrenzung des Lebensbereichs „Prozeß" auf das Verfahren von und vor staatlichen Gerichten noch nicht, daß etwa das Recht des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens, das von der Staatsanwaltschaft geführt wird, nun dem materiellen Strafrecht zuzuordnen ist. Es bleibt ein Verfahrensrecht, das nur einem besonde13

Henckel, Prozeßrecht, S. 23. Henckel, Prozeßrecht, S. 25. 15 Arens, AcP 173 (1973), S. 253. 16 Gegen Versuche, aus der begrifflichen Trennung v o n Prozeßrecht u n d materiellem Recht zu weitgehende Folgerungen abzuleiten, auch Puttfarken (JuS 1977, S. 493 ff., insbes. S. 498/499) i n seiner K r i t i k an Schwab (JuS 1976, S. 69 ff.). 14

III. Pragmatische Bestimmung des „Prozeß"-Begriffs

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ren Lebenssachverhalt zuzuordnen ist, den man sowohl von dem Lebensbereich, auf den sich das materielle Strafrecht bezieht, als auch von dem eines gerichtlichen Verfahrens unterscheiden kann. Trotzdem bleibt es natürlich freigestellt, als Objekt der Betrachtung das Strafverfahren (unter Einschluß des Ermittlungsverfahrens) — i m Gegensatz zu dem Lebensbereich, auf den sich das materielle Strafrecht bezieht — zu wählen und die Normen, die es regeln, dann als Strafverfahrensrecht oder formelles Strafrecht zu bezeichnen. 17 c) Die Auswahl des Objekts, das man betrachten w i l l , und seine A b grenzung bleiben freigestellt. Diese Freiheit bedeutet aber nicht, daß das Objekt beliebig definiert werden und die Begriffsbildung völlig w i l l k ü r l i c h erfolgen könnte, denn zum einen ist das Objekt dem Betrachter vorgegeben und kann von i h m nicht per definitonem geschaffen werden, sondern es muß richtig erkannt und beschrieben werden, zum anderen erfordert systematische Erkenntnis eine „sinnvolle Ordnung des Chaos der Dinge" 1 8 , und so gibt es zwar keinen richtigen oder falschen, wohl aber einen sinnvollen oder weniger sinnvollen Prozeßbegriff. Die Kriterien für die Wahl des Forschungsobjekts sind daher i m wesentlichen pragmatische Gesichtspunkte für eine sinnvolle Systematisierung von Aussagen. Insofern ist die Trennung von materiellem Recht und Prozeßrecht eine pragmatische. Da die Trennung keine Trennung von unterschiedlichen Rechtsgehalten ist, kann man paradox formulieren: Das Prozeßrecht ist das materielle Recht, das sich auf den Prozeß bezieht. I I I . Pragmatische Bestimmung des „Prozeß"-Begriffs Wenn die Wahl seines Objekts dem Betrachter weitgehend freigestellt ist, hängt eine Entscheidung darüber, ob die Wahl sinnvoll ist oder nicht, weitgehend vom Erkenntnisinteresse des Betrachters ab. 1. Kriterien zur Eingrenzung

a) Wer ζ. B. Aussagen über „das Strafverfahren" und seine rechtliche Regelung machen w i l l — u m etwa Unterschiede zu anderen rechtlich geregelten Verfahren aufzuzeigen — muß das Objekt seiner Betrach17

E i n solcher Begriff liegt i m allgemeinen den Darstellungen der StPO zugrunde, vgl. ζ. B. Roxin, Strafverfahrensrecht § I A , S. 1; Eb. Schmidt, L e h r kommentar, Rdn. 94, S. 78, der aber gleichzeitig „die Gliederung des Strafprozesses i n zwei grundlegend verschiedenartige Abschnitte" hervorhebt. 18 Hagen, Elemente, S. 14.

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1. Abschnitt, Teil 5: Eine pragmatische Prozeßbetrachtung

tung nicht nur gegenüber den Lebensbereichen abgrenzen, i n denen sich „Rechtsobjekte unmittelbar begegnen ohne Vermittlung eines zu einem Rechtspflegeakt berufenen Rechtspflegeorgans" 19 („Raum der sozialen Lebensinteressen" 20 ), sondern auch gegenüber den Lebensbereichen, i n denen andere Entscheidungen zu fällen sind, also den Zivil-, Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsprozessen, den Verwaltungsverfahren und den parlamentarischen Entscheidungsverfahren. Und auch „das Strafverfahren" ließe sich — ebenso wie alle anderen Verfahren — wieder i n unterscheidbare Abschnitte zerlegen, die jeder für sich zum Gegenstand der Betrachtung gemacht werden können. 2 1 Demgegenüber ist es ebenso möglich, „das Verfahren" als Zusammenfassung aller Lebensbereiche, i n denen rechtlich geregelte Entscheidungsfindung betrieben wird, zum Gegenstand einer Untersuchung zu machen. 22 b) Während bei einem möglichst umfassenden Objekt die Aussagen zunehmend unspezifischer und damit für die Verwertung bei der Lösung von praktischen Problemen innerhalb der einzelnen Verfahren zunehmend unbrauchbar werden 2 3 , besteht bei der Wahl eines sehr eng abgegrenzten konkreten Objekts die Gefahr, daß die Zusammenhänge verloren gehen, m i t denen der betrachtete Lebensbereich i n andere eingebettet ist, so daß Aussagen, die auf diese A r t gewonnen werden, verkürzt, wenn nicht falsch sind. Dieser Gefahr kann man nur dadurch entgehen, daß bei der Wahl eines konkreten Objekts und seiner Betrachtung die Einbindungen i n andere Lebensbereiche m i t berücksichtigt werden. Bei der Wahl eines umfassenden Objekts darf dagegen nicht vergessen werden, daß dadurch Differenzierungen und Unterschiede verloren gehen. >c) Indes: hier soll es darauf ankommen, zunächst die Gemeinsamkeiten zu sehen, ohne den Kreis der Betrachtungen zu weit zu ziehen. Als Prozeß sollen hier diejenigen Bereiche betrachtet werden, die auch die juristischen Prozeß- und Prozeßrechtstheorien ihren Erörterungen zugrunde legen. Die Ausführungen sollen sich daher auf einen Bereich beschränken, den man etwas ungenau als „gerichtliches Ver19

So die Formulierung v o n Henckel, Prozeßrecht, S. 21. So Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 33, S. 53. 21 Vgl. Schreiber, Tendenzen der Strafprozeßreform, i n : ders. (Hrsg.), Strafprozeß u n d Reform, S. 22: „Das Strafverfahren gibt es i n W i r k l i c h k e i t nicht, sondern eine Vielzahl verschiedener Verfahrenstypen, ganz verschieden nach Gegenstand u n d Betroffenen." 22 Diesen weiten Verfahrensbegriff verwendet ζ. B. L u h m a n n in: Legitimat i o n durch Verfahren (S. 9 ff., 38 ff.). 23 A u f diese Gefahr weist auch Hagen, Elemente, S. 17, hin. 20

III. Pragmatische Bestimmung des „Prozeß"-Begriffs

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fahren" bezeichnen kann. Gemeint ist damit das, was i m Zivilprozeß als Erkenntnisverfahren und i m Strafverfahren als Hauptverhandlung bezeichnet wird, sich i n entsprechender Form aber auch i n allen anderen Gerichtsbarkeiten findet. Dabei lassen w i r offen, ob und ggf. inwieweit die Ausführungen gleichzeitig für die jeweiligen Vollstreckungsverfahren gelten können, da hier weitere Differenzierungen erforderlich erscheinen, die den Blick auf das Gemeinsame u. U. verstellen würden. 2. Elemente des „Prozesses"

a) Diese grob umschriebene Zusammenfassung von Lebensbereichen läßt sich durch eine Anzahl übereinstimmender Elemente näher beschreiben, Elemente, die für „den Prozeß" typisch sind, ohne die Prozeß nicht Prozeß wäre, und die i h n von anderen ähnlichen Veranstaltungen unterscheiden. (1) Wichtigstes Merkmal des Prozesses ist, daß an seinem Ende eine Entscheidung steht. 24 Entscheidung bedeutet verbindliche Festlegung, Ausschluß anderer Möglichkeiten; bedeutet Abschluß und läßt — innerhalb des Prozesses — keine Infragestellung mehr zu, auch wenn Fragen offen geblieben sind. (Im S traf prozeß w i r d ζ. B. die Frage nach dem Sinn von Strafe und allgemein i n Prozessen die Frage nach dem Geltungsgrund von Recht typischerweise nicht beantwortet.) Die Notwendigkeit einer Möglichkeit zur Entscheidung unterscheidet den Prozeß von Diskussionsveranstaltungen 25 und „brain-storming" Gruppen, die nur Vorschläge für Entscheidungen entwerfen. (2) Der Entscheidung geht eine Kommunikationsveranstaltung voraus, die unter dem Eindruck der Möglichkeit zur Entscheidung steht. Die Kommunikation schreitet daher i n Richtung auf die Entscheidung fort; sie kann i m Zweifel dahingehend gesteuert werden. 2 6 Mündlichkeit ist zwar typisch für diese Veranstaltung, aber nicht begriffsnotwendig. (So kann bei der Mehrzahl der zivilprozessualen Verhandlungen heute nicht mehr von mündlicher Kommunikation gesprochen werden." 2 7 ) 24

Für alle Henckel, Prozeßrecht, S. 8; Hagen, Elemente, S. 19 ff. Auch v o m Habermas'schen Diskurs, dazu Schreiber, Tendenzen der Strafprozeßreform, in: ders. (Hrsg.), Strafprozeß u n d Reform, S. 25. 26 Prozeß ist ein „am Ergebnis orientierter Vorgang" (Hagen, Elemente, S. 17); siehe auch O. v. Bülow, Proceßeinreden, S. 2; Goldschmidt, Rechtslage, S. 251 f.; Henckel, Prozeßrecht, S. 8; Luhmann, Legitimation, S. 44 f. u. ö. 27 Vgl. auch die Regelung des § 128 Abs. 2, 3 ZPO; siehe auch Arens, M ü n d lichkeitsprinzip (S. 10 ff.) zur geschichtlichen Entwicklung u n d den Möglichkeiten u n d Grenzen des Mündlichkeitsprinzips (S. 30 ff.). 25

7 Schaper

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1. Abschnitt, Teil 5: Eine pragmatische Prozeßbetrachtung

Die Betroffenen müssen die Möglichkeit haben, an dieser Kommunikation aktiv teilzunehmen. Durch das Merkmal der Kommunikation unterscheidet sich der Prozeß von Verfahren, i n denen eine Entscheidung entweder einsam — ohne jede kommunikative Rückkopplung — oder aber doch ohne Kommunikation m i t den Beteiligten getroffen wird. (3) Sowohl die Einrichtung der Veranstaltung, als auch die Steuerung der Kommunikation erfolgt aufgrund von Rechtsnormen. Der Prozeß ist daher ein rechtlich geregeltes Verfahren. (4) U m den Prozeß von anderen rechtlich geregelten Entscheidungsverfahren abzugrenzen, müssen weitere Bestimmungen eingeführt werden. (a) Eine Besonderheit des Prozesses liegt darin, daß die Möglichkeit zur Entscheidung i n der Hand von jemandem liegt, der — unmittelbar jedenfalls 2 8 — von der Entscheidung weder selbst betroffen ist noch einen Betroffenen v e r t r i t t oder enge Beziehungen zu i h m hat. Dadurch unterscheidet sich der Prozeß ζ. B. vom Verwaltungsverfahren. Die inhaltliche Bedeutung des „Neutralitätspostulats" ist allerdings umstritten. Die „Unabhängigkeit des Richters" w i r d aus unterschiedlichen Gründen bezweifelt. Sie reichen vom Problem des hermeneutischen Zirkels und des Vorverständnisses 29 über behavioristische Feststellungen von Wertorientierungen und Attitüden der Richter, die ein unbefangenes und neutrales Handeln ausschließen 30 , bis h i n zu einer grundsätzlichen K r i t i k der Neutralitätsthese durch die Theorie von der Klassenjustiz. 31 Es bestehen daher Zweifel, ob das K r i t e r i u m der „Neutralität" bzw. „Unabhängigkeit" des Entscheidenden zur Abgrenzung des Prozesses geeignet ist. Das Neutralitätspostulat geht jedoch m i t dem formalen Merkmal einher, daß der Entscheidende nicht darüber entscheidet, ob eine Entscheidung zu treffen ist. Die zu entscheidende Sache muß von außen an i h n herangetragen werden, und wenn das geschehen ist, muß er entscheiden. Dieser mangelnde Zugriff auf die Sache ist für den Prozeß typisch 28

Z u r Frage, i n w i e w e i t der Entscheidende mittelbar doch Betroffener ist, siehe das Folgende. — Das Postulat der ausschließlichen Bindung des Richters an „Recht u n d Gesetz" w i r d von verschiedenen Ansätzen her kritisch beleuchtet. Einen Überblick über diese Ansätze gibt Rottleuthner, Richterliches Handeln. 29 Dazu vor allem Esser, Vorverständnis; siehe aber auch Hassemer, T a t bestand u n d Typus. 80 Siehe dazu die Darstellung v o n Rottleuthner, Richterliches Handeln, S. 64 ff., m i t einer umfassenden Literaturübersicht. 31 So ζ. B. K a r l Liebknecht, Rechtsstaat u n d Klassenjustiz, in: Ges. Reden u n d Schriften Bd. 2, S. 17 ff.; vgl. T. Raiser, Z u m Problem der Klassenjustiz, i n : Jahrbuch Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie I I , S. 123 ff.; Rottleuthner, Klassenjustiz, in: K J 1969, S. 1 ff.

III. Pragmatische Bestimmung des „Prozeß"-Begriffs

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und unterscheidet ihn von anderen rechtlich geregelten Entscheidungsverfahren. So liegt es i m Verwaltungsverfahren weitgehend i n der Hand des Entscheidenden, ob er sich einer Sache annehmen w i l l oder nicht. Das formale K r i t e r i u m reicht daher zur Abgrenzung des Prozesses von anderen Verfahren aus und ist dem umstrittenen „Neutralitätskriterium" vorzuziehen. Dabei kann dahinstehen, ob der mangelnde Zugriff auf die Sache eine Voraussetzung für die Neutralität ist oder nur zu ihrer Absicherung dient, oder ob sich die Neutralität gar i n diesem formalen Merkmal erschöpft. 32 (b) Um einen Kernbereich des Prozesses zu umschreiben, soll hier als weitere Bestimmung eingeführt werden, daß der Entscheidende ein staatliches Organ ist. (c) Schließlich wäre der Prozeß noch gegenüber parlamentarischen Entscheidungsverfahren abzugrenzen. Uberwiegend w i r d dazu auf den Gegensatz von Rechtssetzung und Rechtsanwendung abgestellt. Der Wert dieses Unterscheidungsmerkmals ist jedoch umstritten, da zum Teil die Ansicht vertreten wird, daß auch i m Prozeß Recht geschaffen und nicht nur angewandt w i r d . 3 3 Unter diesem Gesichtspunkt wäre Prozeß dann ein „Verfahren zur Erzeugung individueller Normen". 3 4 Es kommt hier jedoch nicht darauf an, den strukturellen Unterschied zu diskutieren, sondern nur ein Abgrenzungsmerkmal aufzuzeigen. Ein solcher Unterschied liegt ζ. B. darin, daß am parlamentarischen Verfahren die Betroffenen nicht unmittelbar beteiligt sein müssen. (d) I n ihrem Wert umstritten 3 5 sind auch andere Abgrenzungsmerkmale, wie ζ. B. die Unterscheidung i n programmierende und programmierte Verfahren und hier wiederum Konditional- und Zweckprogrammierungen. 36 Sie können daher ebenfalls nicht ohne weiteres übernommen werden. b) Gleichwohl dürfte m i t diesen Merkmalen ein Bereich beschrieben sein, der es erlaubt, die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Prozeßarten und des Rechts, das sie regelt, zu betrachten. Gleichzeitig hat diese Umschreibung den Vorteil, daß sie einen Kernbereich des Prozesses abgrenzt, auf den sich auch die Aussagen zu den 32

Dazu Kollhosser, JZ 1973, S. 8 (10/11). Ο. v. Bülow, Gesetz u n d Richteramt, S. 3, 7, 45 ff. u. ö.; Sauer, A l l g e meine Prozeß rechtslehre, S. 2, 18 f.; ähnlich Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 345 (365 ff.). 34 Hagen, Elemente, S. 18, 21. 35 Vgl. insbesondere Luhmann, Legitimation, S. 129 ff.; ders., Systemtheoretische Beiträge zur Rechtssoziologie, in: Jahrbuch f. Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie I I , S. 255 (266); Esser, Vorverständnis, S. 145 ff. 36 So Luhmann, Legitimation, S. 52 f.; ders., Rechtssoziologie Bd. 2, S. 227 ff. 33

ν

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1. Abschnitt, Teil 5: Eine pragmatische Prozeßbetrachtung

allgemeinen Prozeß- und Prozeßrechtstheorien beziehen. Insbesondere die Aussagen der juristischen Prozeß- und Prozeßrechtstheorien können daher bei einer pragmatischen Prozeßrechtsbetrachtung ohne Schwierigkeiten mitberücksichtigt werden. I V . Das Prozeßrecht Für das Recht, das diesen Bereich regelt, lassen sich einige Gemeinsamkeiten aufzeigen. 1. Das Prozeßrechtsverhältnis

Durch dieses Recht werden zwischen den am Prozeß beteiligten Personen Rechtsbeziehungen hergestellt, die man als Prozeßrechtsverhältnis zusammenfassen kann. Dieses Rechtsverhältnis beschränkt sich nicht auf die Beziehungen zwischen den Parteien und dem Richter, sondern schließt alle Beteiligten, also auch die Zeugen und selbst die Zuschauer m i t ein. 3 7 2. Prozeßrecht als öffentliches Redit

Da der Kernbereich des Prozesses dahingehend eingeschränkt wurde, daß der Entscheidende ein staatliches Organ ist, ist das Prozeßrecht öffentliches Recht, denn durch die Rechtssätze, die den Prozeß regeln, w i r d nicht jedermann, sondern das Gericht als Träger hoheitlicher Gewalt berechtigt und verpflichtet. 3 8 a) Dieser Auffassung stehen Rechte, Pflichten und Lasten der übrigen Beteiligten nicht entgegen, soweit sie gegenüber dem Gericht bestehen. Problematisch ist allerdings die Einordnung von Rechten und Pflichten der Parteien untereinander. 80 Soweit solche jedoch überhaupt anerkannt werden können, bestehen sie nicht wegen des privatrechtlichen Verhältnisses der Parteien — ein solches braucht (ζ. B. bei der unbegründeten Klage) gar nicht zu bestehen — sondern, u m den Prozeß ordnungsgemäß abwickeln zu können und dem Gericht eine ordnungsgemäße Entscheidung zu ermöglichen. Die Verletzung derartiger Pflichten gibt also zunächst dem Gericht Reaktionsmöglichkeiten; insoweit ist ihr öffentlich-rechtlicher Charakter unproblematisch. 37 Es entspricht damit dem Rechtsverhältnis, das Eb. Schmidt (Lehrkommentar I, Rdn. 44 u n d F N 96, S. 58) als außerprozessuales, materiellrechtliches Verhältnis anerkennen w i l l . 38 So auch Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 85; die Formulierung entspricht der sog. „neueren Subjekttheorie" H.-J. Wolffs (vgl. W o l f f / B a c h o f § 2211c, S. 99 f.; B V e r w G DVB1. 1961, S. 207; B G H Z 41, S. 264). 39 Darauf weisen auch H.-J. Hellwig, Systematik, S. 46 u n d Mes, Rechtsschutzanspruch, S. 84 hin.

IV. Das Prozeßrecht

101

I m Verhältnis der Parteien zueinander liegt die Bedeutung dieser Rechte und Pflichten vor allem darin, daß an die Verletzung Schadensersatzansprüche geknüpft werden können. Ihre Bedeutung ist daher die gleiche wie die der Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB. Auch diese können öffentlich-rechtliche Normen sein. Die Pflichten der Parteien untereinander haben eine erhebliche Ähnlichkeit mit den sog. öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzrechten, deren öffentlich-rechtlicher Charakter nicht i n Frage steht. Es dürfte sich daher empfehlen, sie entsprechend zu behandeln. Auch i m Zivilprozeß stehen sich die Parteien eben nicht primär als Privatrechtssubjekte gegenüber 40 , sondern als Beteiligte an der hoheitlichen Maßnahme der Entscheidungsfindung. Das ändert sich auch nicht dadurch, daß sie „um ihre privaten Rechtsbeziehungen streiten und deshalb das prozessuale Schicksal ihrer Rechte auch privatrechtlich motiviert sein muß". 4 1 Letzteres bedeutet nur, daß die (öffentlich-)rechtliche Regelung des Prozesses nicht ohne Beziehung zum streitbefangenen materiellen Recht erfolgen kann. 4 2 b) Das Prozeßrecht ist von den Prozeßparteien aus gesehen janusköpfig: Was sich für den einen als Belastung und als hoheitlicher Eingriff durch das Gericht darstellt, ist für den anderen die Gewährung einer staatlichen Leistung. Selbstverständlich bleiben die Normen, aufgrund derer eine solche Leistung gewährt wird, auch dann öffentlichrechtliche, wenn sie dem Betroffenen einen Anspruch gegen den Träger öffentlicher Gewalt einräumen. Eine Auffassung, die öffentliches Recht nur als Regelung von Eingriffskompetenzen der Hoheitsträger kennt, ist angesichts der ständigen Ausweitung staatlicher Leistungsaufgaben längst obsolet; und die j anusköpf ige Konstellation des Prozeßrechts ist i m Verwaltungsrecht eine alltägliche Erscheinung: man denke nur an das Baurecht, das dem einen Nachbarn einen Anspruch auf Baugenehmigung gibt, während es sich für den anderen als Belastung und Einschränkung seiner Rechte darstellt. Diese Wirkung des Prozeßrechts, einen Beteiligten zu belasten, wenn es den anderen begünstigt, ist am ausgeprägtesten i m Zivilprozeß. I m Strafprozeß t r i t t sie schon wegen der Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, auch entlastende Umstände zu berücksichtigen (§ 160 Abs. 2 StPO) 43 , nicht so i n den Vordergrund, ist aber gleichwohl vorhanden. 40

So aber Henckel, S. 64. Ebenda. 42 Diesen Aspekt stellt Henckel stark i n den Vordergrund. Die Unterschiede zwischen i h m und dem Text liegen w o h l i m wesentlichen i n der Betonung der einzelnen Aspekte. 43 Das g i l t auch i n der Hauptverhandlung! Vgl. Kleinknecht, StPO § 160 A n m . 2) m i t Nachweisen. 41

102

1. Abschnitt, Teil 5: Eine pragmatische Prozeßbetrachtung 3. Prozeßrecht als „besonderes Zivilrecht"?

Gegenüber der ganz herrschenden Ansicht, daß das Prozeßrecht öffentliches Recht ist, hat Puttfarken 4 4 die Auffassung vertreten, das Zivilprozeßrecht sei „besonderes Zivilrecht". Seine Begründung dafür ist i m Zusammenhang m i t seiner K r i t i k an einer rein „begriffslogischen" Behandlung von prozessualen Problemen zu sehen 45 , gegenüber der er betont, daß eine Problemlösung weitgehend an den Interessen der Parteien orientiert werden müsse: „Jede Entscheidung des Gerichts ist Entscheidung zwischen den Parteien, . . . Jeder Rechtssatz, der Entscheidungen des Gerichts regelt, ist ein Rechtssatz über die Interessen der Parteien". 4 6 Daraus folgert er: „ Z u sagen, die Interessen seien zwar die der Parteien, das Recht aber, da ein Staatsorgan beteiligt, öffentlich, ist keine A n t w o r t . " 4 7 M i t seiner Ansicht fällt Puttfarken jedoch selbst i n die von i h m angeprangerten begriffsjuristischen Vorstellungen zurück, weil er unterstellt, daß aus dem öffentlich-rechtlichen Charakter des Prozeßrechts die Lösung von prozessualen Problemen deduziert werden könnte. Es ist aber schon oben ausgeführt worden, daß eine Trennung von Prozeßrecht und materiellem Recht nicht bedeutet, daß die materiellrechtlichen Wertungen i m Prozeß unberücksichtigt bleiben müßten. Auch wenn das Prozeßrecht dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist, kann man sich „für Verständnis und Auslegung i n Nachbar gebieten nach Interessen, Begriffen, Theorien umsehen". 48 Es ist überflüssig und trägt allenfalls zur Verwirrung der Grundlagen der Rechtsdogmatik bei, wenn nur, u m einen solchen ,Wertungsübergriff' zu ermöglichen, die neue Kategorie des „besonderen Zivilrechts" bemüht wird. Auch die Auslegung des Baurechts hat die Interessen der Nachbarn zu berücksichtigen, ohne daß deshalb jemand auf die Idee käme, das Baurecht insoweit zum besonderen Zivilrecht zu erklären. 4. Folgerungen und Erklärungswert

Obwohl die Einordnung des Prozeßrechts i n das öffentliche Recht die Berücksichtigung von Parteiinteressen und Wertungen des streitbefan44

Puttfarken, JuS 1977, S. 493 ff. So vor allem (JuS 1977, S. 497 ff.) i n seiner K r i t i k an Schwabs Darstell u n g der „Gegenwartsprobleme der deutschen Zivilprozeßrechtswissenschaft" (Schwab, JuS 1976, S. 69 ff.). 46 Puttfarken, JuS 1977, S. 499 unter Berufung auf Goldschmidt, Rechtslage, S. 248 f. 47 Ebenda. 48 Die von Puttfarken für seine Auffassung reklamierten Literaturangaben (JuS 1977, S. 499 F N 65) stimmen allenfalls dieser Forderung zu, nicht jedoch der Ansicht, das Zivilprozeßrecht sei „besonderes Zivilrecht". 45

IV. Das Prozeßrecht

103

genen materiellen Rechts nicht ausschließt, sondern i m Gegenteil geradezu fordert, ist diese Einordnung nicht ohne eigenen Erklärungswert: a) Aus dem öffentlich-rechtlichen Charakter des Prozeßrechts läßt sich ζ. B. die Lösung für Degenkolbs Problem erklären, daß von jemandem, der nach den Regeln des materiellen Rechts Unbeteiligter ist, die M i t w i r k u n g am Prozeß verlangt werden kann — jedenfalls i n der Form, daß Nichtmitwirkung zu seinen Lasten geht. 49 Das Prozeßrecht soll zunächst die Möglichkeit einer Entscheidung durch ein staatliches Organ sicherstellen. Insoweit ist es ein Zwangsrecht dieses Organs, aufgrund dessen Eingriffe von hoher Hand i n die Freiheit von Prozeßbeteiligten möglich sind. Die Verpflichtung eines Beklagten zur Teilnahme am Prozeß ist ein solcher Eingriff. Dabei ist unerheblich, ob dieser Eingriff durch eine echte Pflicht oder durch eine prozessuale Last durchgesetzt w i r d . 5 0 Degenkolbs „abstraktes Klagerecht" ist nichts anderes als das Umdenken dieser öffentlich-rechtlichen Verpflichtung i n ein subjektives Recht des Klägers. Da dieses Recht nur innerprozessuale Bedeutung hat, ist sein praktischer Wert gleich Null. Darüber hinaus ist fraglich, ob es m i t dem Begriff des subjektiven Rechts vereinbar ist, weil es nicht das Gegenstück zu einer Pflicht des Beklagten, sondern zu einer prozessualen Last ist. b) Noch deutlicher als beim Zivilprozeß ist der Zwangscharakter des Prozeßrechts beim Strafprozeß. Dort kann die Teilnahme des Angeklagten an der Hauptverhandlung sogar durch Haftbefehl sichergestellt werden. (§ 230 Abs. 2 StPO) Als staatliches Zwangsrecht muß sich das Prozeßrecht an den Freiheitsgarantien der Verfassung, insbesondere den Grundrechtsgarantien, messen lassen. Das Wort vom Prozeßrecht als „angewandtes Verfassungsrecht" 51 ist daher vor allem als Anspruch zu verstehen, der an das Prozeßrecht zu richten ist. Inwieweit die einzelnen Prozeßgesetze diesen Anspruch tatsächlich erfüllen, ist eine Frage, die nur bei detaillierter Analyse der einzelnen Vorschriften beantwortet werden kann, und die unter Umständen für die einzelnen Prozeß arten unterschiedlich zu beurteilen ist. 49 Degenkolb, Einlassungszwang, S. 15 ff.; siehe dazu schon oben T e i l 2 I I I 2 a (4). 50 Z u m Verhältnis v o n Lasten u n d Pflichten i m Prozeß siehe schon oben Teil 3 I I 2. 51 So zuerst Henkel, Strafverfahrensrecht V, S. 98; vgl. auch Schönke / Schröder / Niese, Zivilprozeßrecht (8. Aufl.), S. 13; kritisch Forsthoff, Festschrift f. d. 45. DJT, S. 41 ff. (43).

2. Abschnitt

Der Zweck des gerichtlichen Verfahrens Teil 1

Einführendes zum Stellenwert der Prozeßzweckanalyee Eine weitergehende Analyse des Prozeßrechts kann von unterschiedlichen Ansätzen her und m i t unterschiedlichem Erkenntnisinteresse vorgenommen werden. Einmal kann man die bestehenden Verfahrensordnungen daraufhin untersuchen, wie sie die Steuerung des Prozesses normativ geregelt haben; mit dem Ziel, die gesetzlichen Anforderungen an das Verhalten der Prozeßbeteiligten zu konkretisieren und zu systematisieren. Das ist das übliche Erkenntnisziel der Prozeßrechtsdogmatik. 1 Zum anderen kann man die Bindungen an die positivrechtlichen Regelungen außer acht lassen und untersuchen, welche Probleme Prozesse grundsätzlich zu lösen haben, welche Anforderungen an ihren inneren Aufbau zu stellen sind und welche Bedingungen eine normative Regelung erfüllen muß, damit der Prozeß sinnvoll gesteuert werden kann und die Ansprüche, die an den Prozeß zu stellen sind, eingehalten werden können. Erkenntnisziel dieser Fragestellung wäre es, die Determinanten herauszuarbeiten, an denen sich der Aufbau des Prozesses und des Prozeßrechts unabhängig von der konkreten positivrechtlichen Regelung der einzelnen Prozeßarten orientieren muß. 2 Darin eingeschlossen liegt die Möglichkeit zur K r i t i k am bestehenden Prozeß und Prozeßrecht. Dies ist ζ. B. ein mögliches Erkenntnisziel einer allgemeinen Prozeßtheorie. Trotz der grundsätzlichen Unterschiede beider Ansätze liegen die Probleme, die zum Erreichen des Erkenntnisziels bewältigt werden 1 2

Diesen Weg hat auch Henckel, Prozeßrecht, beschritten. Hagen, Elemente, S. 14, 21.

2. Abschnitt, Teil :

rende

Prozeßzweckn

müssen, nahe beieinander. Schlüsselt man die vorstehende Formulierung der Erkenntnisziele weiter auf, um sie zu präzisieren, lassen sich vier mit ihnen zusammenhängende Fragen feststellen: (1) Wie ist das Prozeßrecht — welche Wirkungen/Folgen hat es. (2) Wie soll das Prozeßrecht sein — welche Wirkungen/Folgen soll es haben. (3) Wie sollen Prozesse sein — welche Wirkungen/Folgen sollen sie haben. (4) Wie sind Prozesse — welche Wirkungen/Folgen haben sie. Die Prozeßrechtsdogmatik gibt dabei üblicherweise Antwort auf Frage (1), während die allgemeine Prozeßtheorie sich eher u m Antworten auf die Fragen (2) und (3) — u. U. auch Frage (4)8 bemüht. Nach dem heute gesicherten Stand der Rechtsdogmatik steht aber fest, daß die Frage (1) nicht ohne Bezug auf die Frage nach dem Zweck des Prozeßrechts (2) beantwortet werden kann. Eine Analyse der Prozeßrechtsnormen ist stets gleichzeitig eine Auslegung des Prozeßrechts, die trotz allem Bemühen u m wortgerechte Auslegung nicht ohne Blick auf den Zweck des Gesetzes auskommt. 4 Die Frage (2) kann dagegen nicht ohne Blick auf die Frage nach dem Prozeßzweck (3) beantwortet werden, wenn man nicht Widersprüche i n Kauf nehmen w i l l , die den Sinn einer Rechtsdogmatik selbst i n Frage stellen. Da das Prozeßrecht nicht „Selbstzweck" sein kann, sondern nur Mittel zur Regelung der Handlungszusammenhänge, die w i r Prozeß nennen, kann der Zweck des Prozeßrechts (ganz i m Sinne einer hierarchischen Ordnung von Zwecken nach dem Mittel-Zweck-Schema 5 ) nur 3 Die Frage (4) b e t r i f f t nicht den Zweck, sondern die F u n k t i o n v o n Prozessen. Z u dieser Unterscheidung, die i n der juristischen Prozeßtheorie ζ. T. weder terminologisch noch sachlich genau beachtet w i r d näher unten T e i l 3 I I I 1 a). 4 Engisch, Einführung, S. 74; Larenz, Methodenlehre, S. 322 ff.; siehe auch Koch / Rüßmann, Begründungslehre, § 17.2. a), S. 166 ff., § 18.2., S. 210 ff., die allerdings die ungenaue u n d mißverständliche Begriffsbildung „Zweck des Gesetzes" kritisieren u n d zu recht darauf verweisen, daß Zweckbegriff eine Bewertung von Handlungsfolgen beinhaltet, die n u r von einem handelnden Subjekt vorgenommen werden kann. Zwecke sind daher keine Eigenschaften, die sich aus der Sache selbst u n m i t t e l b a r ergeben, u n d es ist „einfach sinnlos ( = sprachlich unverständlich) . . . v o n dem Zweck zu reden, den ein Gesetz m i t sich selber verfolgt." (S. 169/170). Dazu näher unten Teil 3 I I I 1 a). Wenn die Begriffe Prozeßzweck u n d Zweck des Prozeßrechts i m folgenden dennoch weiter verwandt werden, so geschieht dies, w e i l sie allgemein üblich sind u n d i n dem Bewußtsein, daß sie nicht einen der Sache ontologisch anhaftenden Zweck, sondern die Zwecksetzung des jeweiligen Verwenders ausdrücken. 5 Dazu Luhmann, Zweckbegriff, S. 11 m i t weiteren Nachweisen.

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2. Abschnitt, Teil :

rende

Prozeßzweckn

als Mittel zum Erreichen des übergeordneten Zwecks des Prozesses konzipiert werden. Die Frage nach dem Prozeßzweck führt damit beide Ansätze zur Analyse des Prozeßzwecks zusammen. Das bedeutet nicht, daß aus dem Prozeßzweck die Lösung für jedes prozeß rechtliche Problem deduziert werden kann, denn er bietet „gegenüber der Fülle der zu regelnden verschiedenartigen Sachlagen kein Einheitsrezept". 6 Dennoch geht von Hippels 7 Polemik gegen jede Zweckbetrachtung als „Rechtsphilosophie i m Westentaschenformat" fehl, denn allein durch den Prozeßzweck können die auslegungsleitenden Wertungen vereinheitlicht werden und die Wertung der einzelnen Norm i n einen „Zusammenhang mit dem Ganzen der Rechtsordnung" gebracht werden. 8 Dabei spiegelt der Zusammenhang der Rechtsordnung nur den Zusammenhang aller Lebenssachverhalte wider, aus dem der Prozeß mehr oder weniger w i l l k ü r l i c h herausgelöst wurde.

6

F . V . H i p p e l , Wahrheitspflicht, S. 171 F N 13. Ebenda. 8 So auch Henckel, Prozeßrecht, S. 47; Rimmelspacher, Prüfung v o n A m t s wegen, § 2 I I 1, S. 13: „Der Zweck des Prozesses soll die Auslegung der V e r fahrensnormen leiten." So auch Schönke, A c P 150 (1949), S. 218; Stein / J o nas / Schönke (18. Aufl.), Einl. C. — A l s Begründer der teleologischen Methode i m Zivilprozeß gilt Wach. (So Gaul, A c P 168 (1968), S. 43 — vgl. dazu Wach, Handbuch § 1, S. 7 F N 7 u n d näher ZZP 32 (1904), S. 5 f.). — Gegen Hippel siehe Rimmelspacher: „Die teleologische Betrachtung bedarf heute keiner Rechtfertigung mehr" (Prüfung v o n A m t s wegen, § 1, S. 10 unter Berufung auf B G H Z 10, S. 351 (359); B G H Z 18, S. 98 (106); Β GHZ 28, S. 278 (283 f.); Sax, ZZP 67, S. 26; Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, S. 12 f.); zurückhaltender Nikisch, Zivilprozeßrecht § 6 I I I , S. 27. 7

Teil

Darstellung der Prozeßzweckdiskussion I. Begriffsbildung Eine Untersuchung des Prozeßzwecks stößt zunächst auf eine Anzahl ähnlicher Begriffe wie Ziel 1 , Wesen 2 , Aufgabe 3 oder Funktion 4 des Prozesses. Trotz ihrer schon umgangssprachlichen Bedeutungsunterschiede werden sie alle zur Umschreibung der gleichen Problemkreise benutzt. Zwar gibt es unterschiedliche Ansätze und Lösungen, und einzelne Autoren führen Unterscheidungen ζ. B. zwischen Wesen und Ziel 5 oder Zweck und Aufgaben 6 ein, aber ohne daß Ansatz oder Lösungsweg durch die Auswahl der Begriffe irgendwie näher bezeichnet wären. 7 Dabei fällt allenfalls auf, daß die zivilprozessuale Literatur überwiegend vom Zweck, die strafprozessuale meist vom Ziel des Prozesses spricht. Aber auch hier ist eine grundsätzliche Unterscheidung des A n satzes nicht erkennbar. I L Prozeßzweckbestimmungen Werden die graduellen Unterschiede, die sich bei den einzelnen Vertretern von Prozeßzweckbestimmungen finden, zunächst außer acht gelassen, so lassen sich 12 verschiedene Bestimmungen des Prozeßzwecks zusammenfassen: 1 z. B. Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 20, S. 43; Schmidthäuser, Festschrift f. Eb. Schmidt, S. 511 ff. 2 ζ. B. Kleinknecht / M ü l l e r / Sax, StPO Bd. 1, Einl. 9, S. 52. 3 z.B. L e n t / J a u e r n i g , Zivilprozeßrecht, § 15.1; Grunsky, Grundlagen, § 1, S. 1. 4 z. B. Baumgärtel, JuS 1974, S. 69 (70); Sax, ZZP 67 (1954), S. 21 (25). 5 So z. B. Löwe / Rosenberg / Schäfer, Einl. Kap. 5, 1 u. 2, S. 45 f. 6 So z. B. Rosenberg / Schwab, § 1 I I I , I V , S. 2 f.; Johannsen, Festschrift f. d. 45. DJT, S. 85 f. 7 Daß die verschiedenen Begriffe z . T . gleichbedeutend benutzt werden, zeigt sich z. B. bei Grunsky (Grundlagen § 1) u n d Lent / Jauernig (Zivilprozeßrecht § 1), w o die Begriffe „Aufgaben" u n d „Zweck" gleichbedeutend nebeneinander stehen. Bei Pawlowsky g i l t das für die Begriffe „Aufgabe" u n d „ F u n k t i o n " (vgl. Z Z P 80 (1967), S. 345).

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2. Abschnitt, Teil 2: Darstellung der Prozeßzweckdiskussion 1. Verwirklichung des objektiven, materiellen Rechts

Diese Ansicht geht auf Wach 8 zurück. Ansatzweise findet sich dieser Gedanke zwar schon bei gemeinrechtlichen Autoren, wenn etwa Wetzell 9 ausführt, die Staatsmacht habe „vermöge der ihr obliegenden Sorge für die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung dem gestörten Recht seine Geltung zu verschaffen". Die gemeinrechtliche Doktrin, — „noch ersichtlich befangen in dem sog. Celsinistischen Aktionenbegriff" 1 0 — äußerte sich zum Prozeßzweck jedoch durchweg i m Sinne von Savignys 11 Formulierung, daß der Staat i m Civilprozeß „dem Einzelnen, der i n seinen Rechten verletzt ist, Schutz zu gewähren hat gegen diese Verletzung." Sie sah den Prozeß eben mehr vom subjektiven Standpunkt des Klägers, formulierte also eher den Klagezweck als den Prozeßzweck. Der Kläger erscheint dabei unwillkürlich als der zweifellos Berechtigte, der Beklagte als der böse Rechtsstörer. 12 Wach 13 betonte demgegenüber: „Der Aufbau der Prozeßrechtswissenschaft hat auf der objektiven, nicht auf der subjektiven Zweckbestimmung (des Prozesses) zu erfolgen" und gelangt so zu der Folgerung, daß Zweck des Prozesses die Bewährung der Privatrechtsordnung durch Gewährung von Rechtsschutz sei. 14 Die Formulierung von der „Bewährung der objektiven Rechtsordnung" w i r d noch heute häufig zur Kennzeichnung dieses Prozeßzwecks verwendet — insbesondere i n der zivilprozessualen Literatur. 1 5 Auch Bruns greift letztlich auf sie zurück, wenn er sie i n einem Wortspiel zur „Bewehrung" abschwächt. 16

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Wach, Handbuch § 1, S. 3 - 12. Wetzell, System (1. A u f l . 1854) § 1, S. 2; nicht so eindeutig die entsprechende Stelle i n der 3. A u f l . (1878), § 1, S. 2. 10 Gaul, AcP 168 (1968), S. 43. 11 Savigny, System I, S. 23 f. (24); Wetzell, System (3. A u f l . 1878), § 1, S. 2: „ u m den i n seinem Recht Gekränkten Recht zu verschaffen"; Gönner, Handbuch Bd. 1, S. 120: „Endzweck allen gerichtlichen Verfahrens ist der Schutz des Seinen"; vgl. auch Heffter, System, S. 2. 12 Vgl. Stein, Grundriß, § 1 V , S. 3; Gaul, AcP 168 (1968), S. 43. 13 Wach, Handbuch, § 1 I I , S. 5. 14 Wach, Handbuch, § 1, siehe insbesondere S. 4, 6. 15 Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, S. 12 f.; ders., AcP 150 (1949), S. 216 ff. u n d Stein / Jonas / Schönke (18. Aufl.), Einl. E, S. 26; de Boor, Festschrift für Boehmer, S. 207; A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht § 114, S. 2; vgl. auch Lent / Jauernig, § 112, S. 2, der diesen Zweck für den Zivilprozeß allerdings n u r als Ausnahme anerkennt. 16 Nach Bruns (Zivilprozeßrecht § 1 I I 3) k a n n „allenfalls von ,Bewehrung' (der Rechtsordnung), also v o n ihrer Verteidigung" gesprochen werden — „eine Verteidigung letzter Linie, nach Ausschöpfung des »Rechtszwanges' des materiellen Rechts." 9

I . Prozeßzweckbestimmungen

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Die Verwirklichung des materiellen Rechts w i r d zwar z.T. als gemeinsamer Zweck aller gerichtlicher Verfahren angesehen 17 , die überwiegende Mehrheit der Autoren, die diese Zweckbestimmung verwenden, äußert sich aber nur zu jeweils einer Prozeßart. Teilweise w i r d auch jeder Prozeßart ein eigener Zweck beigelegt. So bezeichnet ζ. B. Grunsky als Zweck des Strafprozesses die „Durchsetzung des materiellen Straf rechts" 18 , während er als Zweck von Zivil-, Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsprozessen die Durchsetzung subjektiver Rechte ansieht. 19 Eine Sonderstellung nehmen dabei die verwaltungs« und verfassungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren ein. Sie bezwecken ebenfalls die „Durchsetzung des objektiven Rechts". 20 Die Auffassung von der Verwirklichung des objektiven Rechts als Prozeßzweck w i r d vor allem für den Strafprozeß vertreten 2 1 , sie w i r d aber m i t dem Gedanken der „objektiven Rechtskontrolle der Verwaltung" als sog. »preußisches System' auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren angeführt. 22 Heftig umstritten ist diese Auffassung für den Zivilprozeß 2 3 , wo ihr häufig die „Durchsetzung subjektiver Rechte" entgegengesetzt w i r d . 2 4 Sie fand große Verfechter i n Franz K l e i n 2 5 und Adolf Schönke 26 , wobei heute die Auffassung vorherrscht, die „Durchsetzung subjektiver Rechte" sei vom Prozeßzweck der Verwirklichung des materiellen Rechts mitumfaßt, soweit das objektive materielle Recht dem Einzelnen subjektive Rechte gewährt. 2 7 17 ζ. B. Sauer, Grundlagen, S. 40 ff.; vgl. auch Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 31, 39 u n d Lent / Jauernig, § 11 2, S. 1. 18 Grunsky, Grundlagen, § 1 I I I 3, S. 11. 19 Grunsky, Grundlagen, § 1 I I , S. 2 f., 6; § 1 I I I 1, S. 8; § 1 I I I 2, S. 10. 20 Grunsky, Grundlagen, § 1 I I I 1 d, S. 9; § 1 I I I 2, S. 10 f. 21 Vgl. u. a. Henkel, Strafverfahrensrecht § 1 I I 2 a; Löwe / Rosenberg / Schäfer, Einl. Kap. 5.1., S. 45 u n d 5.2., S. 51; Eb. Schmidt, Lehrkommentar I , Rdn. 24, S. 46; Peters, Strafprozeß, S. 15; BGHSt 24, 40 ff. 22 Niese, JZ 1951, S. 353 (355); Z u r Konzeption des »preußischen Systems 4 , die sich auf R. v. Gneist zurückführen läßt vgl. Menger, Grundrechte 3. Bd. 2. Hlbbd., S. 727 u n d ders, System, S. 17 ff. 23 Dafür haben sich u. a. ausgesprochen: Baumbach / Lauterbach / H a r t mann, Einl. I I I 2 A ; Pleyer, ZZP 77 (1964), S. 375; Bernhardt, Vollstreckungsgewalt, S. 24 ff., 31 ff. u n d ZZP 66 (1953), S. 77; Nikisch, Zivilprozeßrecht § 1 I I , S. 2; siehe auch die Nachweise i n den F N 8 bis 22. 24 Dazu unten unter 2). 25 Klein, Vorlesungen, S. 11; ders., Zeit u n d Geistesströmungen, S. 25 ff.; K l e i n / Engel, Zivilprozeß Österreichs, S. 188 ff. 26 Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, S. 12; ders., AcP 150, S. 217; S t e i n / J o nas / Schönke (18. Aufl.), Einl. C. 27 Gaul, AcP 168 (1968), 46 f.; so auch Schönke (s.o. F N 4); ähnlich Baumgärtel, JuS 1974, S. 69 (70).

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2. Abschnitt, Teil 2: Darstellung der Prozeßzweckdiskussion 2. Durchsetzung subjektiver Rechte

Diese Auffassung vom Prozeßzweck, die unübersehbare Anklänge an gemeinrechtliche Vorstellungen hat, findet eine verbreitete Anhängerschaft i m Bereich des Zivilprozesses. 28 Aus ihr werden ζ. T. Berechtigung und Notwendigkeit der Verhandlungs- und Dispositionsmaxime für den Zivilprozeß abgeleitet. 29 Insoweit w i r d sie dem Prozeßzweck der Verwirklichung des objektiven Rechts oft entgegengesetzt. Die Fronten dürften sich inzwischen dahingehend geklärt haben, daß für die Vertreter der einen Ansicht (Verwirklichung des objektiven materiellen Rechts) die Bewährung der Rechtsordnung eine Durchsetzung der subjektiven Rechte einschließt, während die Vertreter der anderen Ansicht die Bewährung der Rechtsordnung nur als Nebenfolge der Durchsetzung subjektiver Rechte anerkennen. 30 Als Zweck des Strafprozesses kann die Durchsetzung subjektiver Rechte dagegen nur angesehen werden, wenn man einen staatlichen und dennoch subjektiven Strafanspruch anerkennt. 3 1 Für den Verwaltungsprozeß schließlich findet sich diese Zweckbestimmung i n der Idee des Schutzes subjektiver öffentlicher Rechte durch das Verwaltungsgerichtsverfahren, dem sog. „süddeutschen System". 32 3. Schutz von Rechtsinstitutionen

I m Sinne einer Vermittlung zwischen der Ansicht, daß Prozeßzweck die Bewährung des objektiven Rechts und der, daß Prozeßzweck die Durchsetzung subjektiver Rechte sei, ist auch die Ansicht zu verstehen, daß der Prozeß neben der Durchsetzung von subjektiven Rechten zugleich dem Schutz von Rechtsinstitutionen diene — Rechtsinstitution i m 28 Hellwig, Lehrbuch I, § 11, S. 2; Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. C; Baur, Richtermacht u n d Formalismus, in: summum jus summa i n j u r i a , S. 97 (98, 103 f.) — siehe auch die weiteren F N —; vgl. auch Bericht der K o m m i s sion zur Vorbereitunng einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit, S. 163 ff. 29 ζ. B. Jauernig, JuS 1971, S. 331. 30 So z. B. Stein / Jonas / Pohle, der (Einl. C I V , S. 6) feststellt, daß „der Zivilprozeß . . . m i t dem Schutz subjektiver Rechte zugleich die Bewährung des Rechts" bezwecke, den Prozeßzweck der Durchsetzung subjektiver Rechte aber zunächst der V e r w i r k l i c h u n g des objektiven Rechts entgegensetzt (Einl. C I, S. 4). — Siehe auch Rimmelspacher, Prüfung v o n A m t s wegen, S. 13; Rosenberg / Schwab, § 1 I I I 1, S. 2; anders Lent / Jauernig, § 11 2, 1 I I , S. 2 f.; Jauernig, JuS 1971, S. 331 f., der die Bewährung der Rechtsordnung auch nicht als Nebenfolge der Durchsetzung subjektiver Rechte anerkennt, sondern jenen Prozeßzweck n u r als Ausnahme für den Zivilprozeß anerkennt, w e n n es „ i m Zivilprozeß nicht u m ein subjektives Recht" geht. (Klage des Bigamisten auf Vernichtung seiner zweiten Ehe, § 241 EheGes.) 31 Dazu schon ausführlich oben 1. Abschnitt T e i l 2 I I 5 c) (2). 32 Bettermann, DVB1 1953, S. 163 und 202; Lüke, JuS 1967, S. 1; Ule, V e r waltungsprozeß recht, § 1 I I I 2; Menger, Grundrechte 3. Bd. 2. Hlbbd., S. 727 ff.

I . Prozeßzweckbestimmungen

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Sinne „eines vom objektiven Recht geordneten typischen Lebensverhältnisses." 83 Nach dieser Auffassung schützt derjenige, der i m Prozeß seine subjektiven Rechte durchzusetzen versucht, zugleich als „Funktionär der Gesamtrechtsordnung" 34 die Rechtsinstitutionen, i n denen sein subjektives Recht verankert ist. 3 5 4. Wahrheit nnd Gerechtigkeit

Soweit die Wahrheitsfindung als Prozeßzweck anerkannt ist, gilt sie als grundlegend für alle Prozesse. 36 Dabei w i r d ihr stets das Ziel der Gerechtigkeit gleichberechtigt an die Seite gestellt. Typisch ist daher die knappe Formel Nieses 37 : „Ziel eines jeden Prozesses ist Wahrheit und Gerechtigkeit". Dem entsprechen die etwas präziseren Formulierungen, wie die von Schäfer 38 , Zweck des Prozesses sei „die Gewinnung eines auf Wahrheit und Gerechtigkeit beruhenden Urteils". Teilweise w i r d versucht, den Begriff der Gerechtigkeit durch eine Bestimmung i. S. d. V e r w i r k l i chung des materiellen Rechts zu füllen. 3 9 Dies kommt ζ. B. i n der Formel von Gaul zum Ausdruck, wonach Zweck des Prozesses die „Verwirklichung des sachlichen Rechts auf der Grundlage der Wahrheit" ist. 4 0 Diese Zweckbestimmung scheint einerseits so selbstverständlich zu sein, daß sie keiner besonderen Begründung bedarf: ihre Notwendigkeit für jedes Verfahren w i r d durchweg mehr konstatiert als positiv 33 Raiser, Rechtsschutz, in: Summum jus summa i n j u r i a , S. 145 ff. (148); vgl. auch ders., JZ 1961, S. 465 f., 470, 472 f.; Löwisch, Deliktsschutz, S. 126 ff. 34 Raiser, Rechtsschutz, i n : Summum jus summa i n j u r i a , S. 159. 35 Dagegen ausdrücklich Jauernig, JuS 1971, S. 331 u n d Lent / Jauernig, § 1 I I 3, S. 2. 36 Wieczorek, ZPO Bd. 1 Teil 1, Einl. A I I c, S. 4: „Wahrheit liegt i n jedem Verfahren zugrunde", „anders undenkbar" (so Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 16; s.a. S. 110); Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 20, S. 43 f.: „es gibt i m Rechtsstaat k e i n anderes Ziel für die Rechtspflegetätigkeit."; vgl. auch Hassold, Streitgenossenschaft, S. 78 ff. 37 Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 16; vgl. auch Baur, AcP 153 (1954), S. 402. 38 Löwe / Rosenberg / Schäfer, Einl. Kap. 5.2., S. 47; ähnlich Eb. Schmidt (Lehrkommentar I, Rdn. 11, S. 39) unter Berufung auf Eichenberger (Richterliche Unabhängigkeit, S. 83): „ V o m Wert der Gerechtigkeit bestimmt, ist das Ziel der Rechtsprechung der sach- u n d rechtsrichtige Richterspruch, d. h. der i n bezug auf die tatsächlichen Verhältnisse u n d die normative Rechtslage unverfälschte Entscheid." 39 So ausdrücklich Sax, ZZP 67 (1954), S. 27. 40 Gaul, A c P 168 (1968), S. 53, u n d i m Anschluß daran Baumbach / Lauterbach / Hartmann, Einl. I I I 2 A , der aber i m Unterschied zu Gaul (AcP 168, S. 49 f.) auf der Unterscheidung v o n formeller Wahrheit i m Z i v i l - u n d materieller i m Strafprozeß besteht.

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2. Abschnitt, Teil 2: Darstellung der Prozeßzweckdiskussion

begründet 41 . Andererseits muß sie sich gegen zwei kritische Einwände verteidigen: 1. Es w i r d unter Hinweis auf die Möglichkeit eines rechtlich und tatsächlich unrichtigen Urteils bestritten, daß dieser Zweck erreichbar sei und behauptet, Wahrheit und Gerechtigkeit könnten daher nicht Ziel oder Zweck des Prozesses sein. 42 2. Es w i r d darauf hingewiesen, daß der Wahrheitsfindung i m Prozeß Grenzen gesetzt seien. Daraus ergäbe sich, daß Wahrheit und Gerechtigkeit nicht Ziel des Prozesses sein könne. Dieser Einwand taucht häufig unter dem Stichwort der nur „formellen Wahrheit i m Z i v i l prozeß" auf. 4»3 5. Rechtsfrieden

Die Ansicht, der Prozeß bezwecke die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Rechtsfriedens, w i r d von ihren Vertretern überwiegend als Prozeßzweck behandelt, der allen Prozessen gleichermaßen zukommt. Der Terminus „Rechtsfrieden" taucht dabei i n zwei unterschiedlichen Begründungszusammenhängen auf: a) Fast alle Autoren 4 4 weisen darauf hin, daß die i n der Vergangenheit anerkannte Selbsthilfe, aufgrund derer jeder ,sein Recht' selbst mit Gewalt durchsetzen konnte, von einem erstarkenden Staat durch ein staatlich geregeltes Verfahren — den Prozeß — ersetzt wurde. 4 5 Dies „läßt sein (des Staates) Bemühen u m Rechtsfrieden erkennen, der sich dabei als letztlich dem Gedanken des Rechtsstaates entspringender Prozeßzweck erweist." 4 6 41 Siehe z.B. Baur, AcP 153 (1954), S. 402 und ders., Richtermacht u n d Formalismus, in: Summum jus summa i n j u r i a , wo er zunächst Rechtsverw i r k l i c h u n g als Prozeßzweck begründet (S. 103 f.), u m dann (S. 108) m i t „Wahrheit u n d Gerechtigkeit" zu operieren. Typisch auch Gaul, A c P 168 (1968), S. 46 ff., der die Erörterung von den A n g r i f f e n gegen „Wahrheit u n d Gerechtigkeit" her auftaut. Siehe auch Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 20, S. 32 und dort F N 44. 42 Dazu v o r allem Schmidthäuser, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 511 ff. (514, 516 ff.). 43 Z u alledem siehe Stock, Festschrift für Mezger, S. 446 ff.; auch B G H S t 14, 358 (365). 44 Schon Hellwig, Klagerecht, S. 1; Stein, Grundriß, S. 1 f.; vgl. heute z . B . A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht I I , S. 2; Rosenberg / Schwab, § 1 I I I 2, S. 2; Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 1 ff., S. 35 f.; Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. C I I , S. 4; Grunsky, Grundlagen § 1 I I , S. 3; Lent / Jauernig, § 1 11, S. 1; alle m i t weiteren Nachweisen; vgl. auch B G H Z 46, 300 (302); k r i tisch dazu Pawlowski, ZZP 90 (1967), S. 346 F N 2 u n d S. 389 f. 45 Z u r historischen Entwicklung vgl. Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 2 ff., S. 35 ff. m i t Nachweisen. 46 Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. C I I , S. 4 unter Berufung auf Hesse, Festgabe für Smend, S. 71 f.; Maunz / Dürig, GG A r t . 20 Rdn. 58 ff,; BVerfG 1, 178; 7, 92 (196) u. ö.

I . Prozeßzweckbestimmungen

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b) Unter Hinweis darauf, daß Wahrheitserforschung und Gerechtigkeitsstreben i m Prozeß durch Beschränkung von Rechtsmitteln u. ä. Grenzen gesetzt sind und daß Urteile auch dann rechtskräftig und beachtlich werden müssen, wenn das Urteil „infolge unrichtiger Tatsachenfeststellung oder unrichtiger Rechtsanwendung fehlerhaft ist", weil jeder Rechtsstreit einmal sein Ende nehmen muß, w i r d gefolgert, daß der Prozeß als Zweck die Wahrung des Rechtsfriedens verfolgt. 4 7 Der Begriff des Rechtsfriedens — für den gleichbedeutend auch die Termini „Rechtssicherheit" und „Rechtsgewißheit" benutzt werden 4 8 — bedeutet hier die Forderung, das Vertrauen i n den Bestand einer einmal getroffenen gerichtlichen Entscheidung zu fördern und zu erhalten. Schmidhäuser meint demgegenüber allerdings, daß das Vertrauen auf den Bestand eines richtigen oder unrichtigen Urteils nicht Zweck des Prozesses sein könne — das allein würde eher die „Unrechtssicherh e i t " 4 9 zum Prozeßzweck erheben — und bestimmt „Rechtsfrieden" daher, bezogen auf den Strafprozeß, als „Zustand, bei dem sich die Gemeinschaft über den Rechtsbruch beruhigen kann." 5 0 c) Die Erzeugung von „Rechtsfrieden" w i r d ζ. T. als alleiniger Zweck jedes Prozesses angesehen 51 , häufiger t r i t t er jedoch neben die Durchsetzung des (objektiven oder subjektiven) materiellen Rechts oder die Erzielung von Wahrheit und Gerechtigkeit. Diese Auffassung versucht, das unrichtige Urteil dadurch m i t dem Prozeßzweck (Durchsetzung des Rechts oder Wahrheit und Gerechtigkeit) i n Einklang zu bringen, daß sie den Prozeßzweck selbst um den Zweck der Wahrung des Rechtsfriedens erweitert. Sie ist vor allem von Schönke 52 vertreten worden, der die Bewährung des objektiven Rechts und die Wahrung des Rechtsfriedens als selbständige, nebeneinander bestehende Zwecke des Prozesses ansah, die sich gegenseitig ergänzen. 47 z . B . Schmidhäuser, Festschrift f. Eb. Schmidt, S. 511 ff.; Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, S. 11 ff. u. ö.; siehe auch die weiteren FN; dagegen Eb. Schmidt, Lehrkommentar Rdn. 20, S. 43 F N n 44 u n d JZ 1968, S. 683. 48 Dazu näher unten unter 6). 49 So auch Stock, Festschrift f. Menger, S. 451 F N 1. 50 Schmidhäuser, Festschrift f. Eb. Schmidt, S. 516. 51 z . B . Schmidhäuser, Festschrift f. Eb. Schmidt, S. 511 ff.; ähnlich Johannsen, Festschrift f. d. 45. D J T (1964), S. 85, der i n der „Befriedigung" den „eigentlichen Hauptzweck des Prozesses" sieht, jedoch zwischen Aufgabe u n d Zweck unterscheidet, so daß i m Fehlurteil der Prozeß zwar seine Aufgabe verfehlt habe, aber seinen Zweck trotzdem erfüllen könne, w e n n „trotz dieser Fehlleistungen der Rechtsfrieden wiederhergestellt worden ist." (S. 86). 52 Schönke, Rechtsschutzbedürfnis, S. 11, 13, 19; AcP 150, 216 (218, 222); Zivilprozeßrecht (7. Aufl.), S. 5; S t e i n / J o n a s (18. Aufl.), Einl. C; übereinstimmend damit Bernhardt, Zivilprozeßrecht, S. 2 u n d Festschrift für Rosenberg, S. 9; vgl. schon Degenkolb, Beiträge zum Zivilprozeßrecht 1905, S. 25 ff.; RGZ

8 Schaper

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2. Abschnitt, Teil 2: Darstellung der Prozeßzweckdiskussion

Eine ähnliche Auffassung vertritt Rimmelspacher 53 mit der folgenden Kombination von Prozeßzwecken: „Ideales Ziel des Zivilprozesses ist die Wahrung des Rechtsfriedens (— wobei er aber „Rechtsfrieden" i. S. des Verbots der Selbsthilfe versteht —), reales Ziel i m Rahmen des idealen ist der Schutz subjektiver Privatrechte." Auch für ihn bildet beides eine Einheit, denn „ m i t der Sicherung und Durchsetzung des materiellen Rechts . . . erreicht der Zivilprozeß sein ideales Ziel der Rechtsfriedenswahrung." 6. Rechtssicherheit — Rechtsgewißheit

a) Diese beiden Begriffe werden ζ. T. gleichbedeutend mit dem Begriff Rechtsfrieden benutzt. 5 4 So ζ. B. von den beiden Autoren, die Schönkes Lehrbuch des Zivilprozeßrechts (Niese) und seine Arbeit am ZPO-Kommentar (Pohle) fortgeführt haben. Beide haben Schönkes Ansicht allerdings erheblich abgeschwächt. Niese 55 erkennt zwar an, daß „als weiterer Zweck des Zivilprozesses neben die Bewährung des Rechts die Rechtssicherheit" t r i t t , betont aber, daß die Rechtskraft unrichtiger Urteile nur als „notwendiges Übel" hingenommen werde. Und nach Pohles 56 Ansicht schafft der Prozeß zwar „Gewißheit für die Parteien darüber, was sie als Recht anzusehen haben" und „diese Rechtsgewißheit schaffen auch etwaige unrichtige Urteile"; er betont jedoch gleichzeitig: „Dieser Zwang, das Fehlurteil i n Kauf zu nehmen, besagt nicht, daß das Fehlurteil und seine Anerkennung Ziele des Prozesses seien, die dessen Ausgestaltung zu bestimmen hätten." b) Ein von der bisherigen Verwendung abweichender Inhalt w i r d dem Begriff der Rechtssicherheit beigelegt, wenn er m i t der Begründung zum Prozeßzweck erklärt wird, daß das „gerichtliche Verfahren die Verhinderung der Gewaltanwendung durch den Staat" 5 7 zum Ziele habe. Damit erfährt der Gedanke, daß der Prozeß durch Ablösung der Selbsthilfe eine Gewaltanwendung der Parteien verhindere, eine gewisse Umkehrung, indem er die Schutzfunktion des Prozesses gegen den Staat kehrt. (GS) 151, 82 (85 f.), bestätigt v o n B G H L M Nr. 3 zu § 518 ZPO sieht i n der Wahrung des Rechtsfriedens sogar ein höheres Ziel als i n der Durchsetzung des materiellen Rechts. A l s gleichberechtigt werden beide v o m B G H Z 46, 300 (302) angesehen. 58 Rimmelspacher, Prüfung v o n A m t s wegen, S. 22, 23. 54 So z.B. Lent / Jauernig, § 621, S. 182; § 641, S. 193 f.; Arens, A c P 173 (1973), S. 254. 65 Schönke / Schröder / Niese (8. Aufl.), S. 18. δβ Stein / Jonas / Pohle, Einl. C I I , S. 4 u n d Einl. C I I I , S. 5. 67 So Wieczorek, Einl. A I I c 3.

II. Prozeßzweckbestimmungen

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Hagen verwendet den Begriff i m gleichen Sinne, wenn er die durch das bloße Vorliegen einer Verfahrensregelung verbriefte Rechtssicherheit, die zur Berechenbarkeit des rechtlich geordneten Verfahrens führt, als „Grundfunktion" des Prozesses bezeichnet. 7. Rechtskraft als Prozeßzweck (Goldschmidt)

Den wohl radikalsten Versuch, den Prozeßzweck m i t einem möglicherweise unrichtigen und dennoch beachtlichen Urteil i n Übereinstimmung zu bringen, hat Goldschmidt unternommen. Ausgehend von der prozessualen Betrachtungsweise, wonach der Prozeß darin besteht, dynamisch über wechselnde Rechtslagen dem abschließenden Urteil zuzustreben 59 , dessen wesentliche Wirkung die Rechtskraft ist 6 0 , bestimmt er diese Eigenschaft des Urteils als Ziel, zu dessen Herbeiführung der Prozeß veranstaltet wird. Da es aufgrund der Prozeßrechtsvorschriften auch stets erreicht werden kann, kann er so nicht nur den Zweck des Prozesses bestimmen, sondern umgekehrt den Prozeß aus dem Zweck heraus definieren als „das auf Herbeiführung von Rechtskraft gerichtete Verfahren." 6 1 Auf diese Weise kann Goldschmidt allerdings nur den prozessualen Vorgängen, die vor der Rechtskraft liegen, einen Zweck setzen, nämlich ein rechtskräftiges Urteil herbeizuführen, nicht jedoch den Zweck des prozessualen Instituts Rechtskraft bestimmen. 62 Gegen eine solche Zweckbestimmung, die über den Prozeß selbst hinausgreifen müßte, wehrt Goldschmidt sich aber gerade mit seinen Angriffen gegen jeden „metaphysischen Prozeßbegriff" 63 , dem er einen „empirischen" 6 4 entgegensetzt und aus dem heraus er schließlich die Rechtskraft als „Gerichtskraft" bestimmt. 6 5 M i t der Gerichtskraft schafft der Richter eine zweite Ordnung, „die neben die Rechtsordnung t r i t t und ihr i m Konfliktfall nach dem soziologischen Machtprinzip vorgeht." 6 6 Damit hebt sich Goldschmidts A n sicht nicht nur von allen bisher referierten Prozeßzweckbestimmungen 58

Hagen, Elemente, S. 29. Dazu ausführlich schon oben 1. Abschnitt T e i l 311). 60 Goldschmidt, Rechtslage, S. 503. 61 Goldschmidt, Rechtslage, S. 151. Die Gedanken Goldschmidts finden sich bei Puttfarken (JuS 1977, S. 493 ff.) wieder: „Rechtskraft ist Endgültigkeit dieser Entscheidung; das ist der Zweck des ganzen Verfahrens." (JuS 1977, S. 498 bei F N 54.) β2 Henckel, Prozeßrecht, S. 48/49. 63 Goldschmidt, Rechtslage, S. 150, 187, 188. 84 Goldschmidt, Rechtslage, S. 151; siehe schon oben 1. Abschnitt T e i l 3 I I I 3. 65 Goldschmidt, Rechtslage, S. 211. ββ Goldschmidt, Rechtslage, S. 213, 246. 59

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2. Abschnitt, Teil 2: Darstellung der Prozeßzweckdiskussion

ab, sondern löst auf eine — wie er es versteht — „empirische" Weise das Problem des unrichtigen Urteils, daß die Rechtsverwirklichung, das „ideale Ziel des metaphysischen Prozeßbegriffs", überall dort mit dessen empirischen Ergebnis, der materiellen Rechtskraft, unvereinbar sei, wo das Urteil nicht dem materiellrechtlichen Zustand entspreche. 67 8. Rechtsausübung (Henckel)

Ebenfalls als Antwort auf die Beschränkungen, denen die V e r w i r k lichung des materiellen Rechts bzw. von Wahrheit und Gerechtigkeit i m Prozeß ausgesetzt ist, ist die Auffassung zu verstehen, die Henckel für den Zivilprozeß dargetan hat. Danach ist Zweck des Zivilprozesses die „Ausübung subjektiver Privatrechte und privatrechtlich geschützter Interessen vor dem Gericht und m i t Hilfe des Gerichts." 68 Henckel begründet diese Ansicht damit, daß sich das subjektive Recht nicht notwendig verwirklicht, sondern der Prozeß seiner Durchsetzung Grenzen setzt. „Deshalb können w i r nicht davon sprechen, daß der Prozeß den Zweck verfolgt, das subjektive Recht durchzusetzen oder zu verteidigen. W i r sagen besser, daß i m Prozeß das Recht ausgeübt werden kann und darf und daß unser Prozeßrecht dieser Rechtsausübung Grenzen setzt." 69 9. Kreationstheorien

a) Als „Kreationstheorie" 7 0 w i r d die — vor allem von Sauer 71 vertretene — Auffassung bezeichnet, daß der Prozeß die ,konkrete Gestaltung des Rechts' bezweckt. Sie geht davon aus, daß das abstrakte materielle Recht dem Einzelfall nicht „gerecht" w i r d und das konkrete, geltende Recht daher erst durch den Richter aus einer unfertigen, abstrakten Rechtsordnung „gestaltet, geschaffen, geschöpft" 72 wird. Eine ähnliche Ansicht vertritt Pawlowski 7 3 , der dem Prozeß die Aufgabe zuschreibt, „festzustellen, was heute — was in diesem Falle — konkret Recht isf." 7 4 Auch danach ist Zweck des Prozesses, die Unbestimmtheit des Rechts zu überwinden. 67 Goldschmidt, Rechtslage, S. 187, 159 i m Anschluß an Degenkolb, Beiträge, S. 32 ff.; AcP 103 (1908), S. 411 F N 32. 88 Henckel, Prozeßrecht, S. 61 ff. (62) unter Verweis auf Neuner, P r i v a t recht u n d Prozeßrecht, S. 172; kritisch dazu Arens, A c P 173 (1973), S. 254. 89 Henckel, Prozeßrecht, S. 62. 70 Der Begriff stammt v o n Sauer, Allgemeine Prozeß rechtslehre, § 1, S. 2; aufgenommen hat i h n ζ. B. Henckel, Prozeßrecht, S. 51. 71 Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre, § 1, S. 1 ff. (7); Arch. f. Wirtschaftsu n d Sozialphilosophie, Bd. 19, S. 285 ff. 72 Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre, § 1, S. 2. 73 Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 345 ff. 74 Pawlowski, Z Z P 80 (1967), S. 368 — Hervorhebungen i m Original —.

I . Prozeßzweckbestimmungen

117

Diesen Auffassungen liegt die — schon i n den Lehren Bülows 7 5 und Binders 7 6 angelegte — Vorstellung zugrunde, daß die Rechtsidee erst durch das richterliche Urteil konkretisiert werde, weil das (materielle) Recht, wenn es überhaupt als „Recht" bezeichnet werden kann, jedenfalls unfertig, abstrakt, unbestimmt ist. b) Die Unterschiede zwischen den einzelnen Autoren bestehen vor allem i n der Einschätzung des materiellen Rechts und seiner Bedeutung für das Urteil. (1) Für Bülow 7 7 stellen die materiellen Normen für sich genommen noch kein vollständiges Recht dar, sondern nur einen „Plan", einen „Entw u r f einer zukünftigen erwünschten Rechtsordnung." Erst der Richterspruch schaffe die vollendete Rechtsnorm. Da erst das Urteil das gültige Recht schafft, ist es aber auch notwendig »richtig 4. Nach Bülows Ansicht sogar ohne Rücksicht auf den „wahren Sachverhalt". 78 Er konnte den Prozeßzweck daher nicht i m Schutz des (für i h n noch gar nicht vorhandenen) Rechts sehen, sondern sah ihn i n der „Herstellung konkreter Rechtsgewißheit". 79 Ähnlich ist die monistische Lehre Binders von der Einheit der Rechtsordnung, nach der es ebenfalls keinen Zwiespalt zwischen Rechtsordnung und Urteil geben kann: Das prozeßordnungsgemäß ergangene Urteil ist danach „notwendig richtig, sobald es Rechtskraft erlangt" 8 0 , und zwar vermöge der „ i m Urteil ausgesprochenen Rechtsgestaltung." »Richtig 4 i m Sinne einer „unumstößlichen, fiktionslosen, materiellen Wahrheit". 8 1 Diese Auffassungen könnte man auch als besondere Variante der Ansicht auffassen, nach der der Prozeß die Schaffung von Rechtsfrieden bezweckt. 82 (2) Nicht so weit i n der »Entwertung 4 des materiellen Rechts geht Sauer, wenn er anerkennt, daß Recht auch vor und neben dem Richterspruch vorhanden ist. Er sieht aber das materielle Recht, die „abstrakte Ordnung", nur als „äußeren Rahmen, innerhalb dessen sich das lebende Recht entwickelt". 8 3 76 76 77 78 79 80 81 82 83

Ο. v. Bülow, Gesetz u n d Richteramt, S. 3 ff., 45 ff. u. ö. Binder, Prozeß u n d Recht, S. 174 ff. u. ö. Ο. v. Bülow, Gesetz u n d Richteramt, S. 3, 7, 45, 49 u. ö. Ο. V. Bülow, ZZP 31 (1903), 238 (246). Vgl. Ο. V. Bülow, Z Z P 31 (1903), 238 (245, 266 f., 270). Binder Prozeß u n d Recht, S. 307. Binder, Prozeß u n d Recht, S. 333; vgl. auch schon ders., S. 257. Dazu siehen oben 5). Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre, S. 18,19,

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2. Abschnitt, Teil 2: Darstellung der Prozeßzweckdiskussion

Für Sauer bezweckt der Prozeß die „Gestaltung eines Einzelfalls . . . gemäß der Gerechtigkeit". 84 Dieser Einzelfall, ein „Lebensverhältnis", das sich i n einem gemeinschaftswidrigen, zunächst unklaren Zustand befindet — von Sauer auch als „Sache" 85 bezeichnet —, soll i m Prozeß an die Gerechtigkeit angenähert werden. Dem Einzelfall können aber die abstrakten Sätze des materiellen Rechts nicht „gerecht" werden. Der Richter muß daher das „wirkliche Recht" erst aus der abstrakten Rechtsordnung schöpfen. 86 (3) Ähnlich wie Sauer erkennt auch Pawlowski die Existenz von Recht außerhalb des Prozesses an. Während Sauer aber das Recht des Einzelfalls i m Prozeß entstehen sieht, begnügt sich Pawlowski damit, daß das i n stetem Wandel begriffene Recht für einen konkreten Fall festgestellt w i r d . 8 7 Da aber das Recht von gestern nicht das Recht für heute sein kann, ist das gesetzte Recht immer schon veraltet und damit nicht das geltende Recht. Dieses veraltete, gesetzte Recht w i r d durch den Prozeß fortentwickelt. 8 8 10. Schlichtung sozialer Konflikte

Deutlich von sozialwissenschaftlichen Ansätzen beeinflußt ist die Auffassung, daß Zweck des Prozesses „Schlichtung sozialer Konflikte" sei. Sie konstatiert, daß die Gerichte „über eine erhebliche Machtfülle (verfügen), die sie zum Sozialgestalter neben dem Gesetzgeber werden läßt", weil „Recht seit jeher Ausdruck politischer Machtkonstellation gewesen ist und Rechtsanwendung auch i m demokratischen Gemeinwesen Ausübung gesellschaftlicher Macht bedeutet." 8 9 Aus dieser Feststellung w i r d aber nicht gefolgert, daß diese Macht zur Schlichtung i m Sinne einer reinen Streitbeendigung genutzt werden soll, sondern die Ausübung dieser Macht w i r d m i t der Forderung 84

Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre, S. 1. Siehe ζ. B. Bauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre, S. 103. 88 Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre, S. 2; vgl. zu Sauer auch Henckel, Prozeßrecht, S. 50 ff. 87 Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 345 ff.: „Der Prozeß dient i n allen Instanzen demselben Zweck u n d derselben Aufgabe — nämlich der Feststellung des hic et nunc zwischen den Parteien geltenden Rechts." (S. 359); siehe auch ebenda F N 60, wo sich Pawlowski gegen die Auffassung A d o l f A r n d t s (NJW 1959, S. 6 ff.) wendet, nach der das Gericht „Recht schöpfe" (und nicht findet); vgl. auch Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, § 11, S. 277 ff. 88 Pawlowski, Z Z P 80 (1967), S. 345 ff., insbesondere S. 363, 368, 382; zu Pawlowski siehe auch Henckel, Prozeßrecht, S. 52 ff. 89 ζ. B. Eike Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, S. 32; danach ist Zweck „die richterliche Schlichtung sozialer K o n f l i k t e an Hand des j e festzustellenden w i e zu konkretisierenden Rechts auf der Grundlage materieller Wahrheit." (S. 38) 85

I . Prozeßzweckbestimmungen

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an das Gericht verknüpft, „aus formalem Rechtsschutz auch materiellen Sozialschutz" werden zu lassen und damit „neben und mit der Rechtsstaatskomponente auch die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes" zu verwirklichen. 9 0 Diese Auffassung steht damit derjenigen nahe, nach der Wahrheit und Gerechtigkeit Prozeßzwecke sind. Die abweichende Formulierung ist zum einen als Konkretisierung zu verstehen, bringt zum anderen aber auch einen Vorbehalt gegenüber der Verwendung des Begriffs „Gerechtigkeit" zum Ausdruck. 9 1 11. Rechtsfortbildung

Insbesondere i m Hinblick auf § 137 GVG w i r d darauf hingewiesen, daß vor allem das Revisionsverfahren die Fortbildung des Rechts bezwecke. 92 Dabei w i r d dieser Zweck nur neben anderen, meist sogar als zweitrangig oder unselbständig gegenüber anderen Zwecken anerkannt. 9 3 Die Fortbildung des Rechts erscheint hier eher als eine Nebenaufgabe des Prozesses, ohne daß von ihr der Prozeßzweck grundsätzlich bestimmt werden könnte. Damit unterscheidet sich diese Auffassung grundlegend von den Kreationstheorien. 12. Prozeßökonomie

Soweit der Grundsatz der Prozeßökonomie überhaupt als Prozeßzweck anerkannt wird, gilt er allenfalls als unselbständig bzw. als Ergänzung anderer Prozeßzwecke. 94 Dennoch spielt die Prozeßökonomie i m Rahmen einer teleologischen Auslegung, insbesondere bei Gerichten, eine erhebliche Rolle. 9 5 90

Eike Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, S. 31, 32. So spricht Eike Schmidt v o n der „Relativität v o n Gerechtigkeitsvorstellungen (Zweck des Zivilprozesses, S. 32, unter Berufung auf Perelmann, Über die Gerechtigkeit 1967). 92 Schwinge, Grundlagen des Revisionsrechts, S. 7 ff., 21 ff.; vgl. auch Bettermann, JZ 1958, S. 235 (236 f.), N J W 1954, S. 1305 (1308/1309); einschränkend Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Einl. A , S. 7, der n u r v o n einer „ M i t a r b e i t an der Rechtsfortbildung" sprechen w i l l . 98 ζ. B. Grunsky, Grundlagen, § 1 I I , S. 6. 94 ζ. B. Bauer, Richteramt u n d Formalismus, i n : Summum jus summa i n j u ria, S. 110: „Wenn A b l a u f u n d Tempo des Verfahrens v o m Richter bestimmt werden, so müssen dafür außerprozessuale Gründe entscheidend sein. Sie werden aus der I n s t i t u t i o n der Rechtspflege abgeleitet, deren Funktionieren einen zielstrebigen Prozeßverlauf u n d eine rasche Urteilsfällung erfordere." Vgl. auch Eike Schmidt, der sich dagegen wendet, Prozeßökonomie als Prozeßzweck zu betrachten (Zweck des Zivilprozesses. S. 8). 95 B G H Z 2, 278; 3, 65; 5, 373; 53, 128; vgl. auch die Beispiele bei Eike Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, S. 46 ff., m i t der K r i t i k der Rechtsprechung. 91

Teil

Zur Analyse und Kritik der Prozeßzweckbestimmungen I. Die Kombination von Prozeßzweckbestimmungen und ihre Grenzen 1. Eine Analyse der verschiedenen Prozeßzweckbestimmungen vor dem Problem, daß diese von ihren jeweiligen Vertretern unbedingt als völlig unvereinbar gegeneinander gestellt werden, dern ζ. T. als gegenseitige Ergänzungen gesehen werden, ζ. T. aber als Antworten auf unterschiedliche Fragestellungen. 1

steht nicht sonauch

Häufig w i r d dem Prozeß daher eine ganze Reihe von Zwecken zugeschrieben. 2 Dabei werden die verschiedenen Zwecke entweder als gleichrangig nebeneinanderstehend gedacht (auf eine derartige Kombination der Zwecke „Bewährung der Rechtsordnung" und „Rechtsfrieden" ist bereits hingewiesen worden) 3 , oder aber i n eine Stufenfolge von Haupt- und Hilfszwecken gebracht. 4 Bei derartigen Kombinationsbemühungen ist jedoch Vorsicht geboten. 2. Ein Blick auf die Verwendung der unterschiedlichen Prozeßzweckbestimmungen als teleologische Argumentationstopoi i n der Rechtsprechung zeigt, daß zumindest der Betonung von Rechtssicherheit u. ä. einerseits und der Rechtsverwirklichung andererseits gegenläufige Tendenzen zugrunde liegen. So wie aus widersprüchlichen Prämissen Schlüsse mit beliebigem Ergebnis gezogen werden können, ist die unkritische Verwendung dieser unterschiedlichen Zweckbestimmungen geeignet, beliebige Ergebnisse zu begründen. Der BGH 5 hat mehrfach ausgeführt: „Der Zivilprozeß hat die Verwirklichung des materiellen Rechts zum Ziele; die für ihn geltenden 1

Vgl. ζ. B. Rödig, Erkenntnisverfahren, § 21.1., S. 41. So ζ. B. Bericht der Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit, S. 167 ff.; Schönke / Kuchinke, Zivilprozeßrecht (9. Aufl.), § 1 I I , S. 3; A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 114., S. 2. 3 Siehe oben T e i l 2 I I 5 c). 4 Als Hilfszwecke werden ζ. B. die Prozeßökonomie u n d die Fortbildung des Rechts angesehen. Dazu schon oben T e i l 2 I I 11), 12). 5 B G H Z 10, 350 (359) = N J W 1953, 1826 (1828); B G H Z 18, 98 (106), w o aller2

I. Zur Kombination von Prozeßzweckbestimmungen

121

Vorschriften sind nicht Selbstzweck, sondern Zweckmäßigkeitsnormen, gerichtet auf eine sachliche Entscheidung des Rechtsstreits". Dieser Topos w i r d schon seit den 20er Jahren vom RG dazu benutzt, auch die Form- und Mußvorschriften des Prozeßrechts einer freien Auslegung zu unterziehen. 6 Typisch ist dabei die Formulierung: „Die Formvorschriften sollen dem Schutz des materiellen Rechts, nicht aber seiner Vereitelung dienen." 7 M i t ihr wurde mehrfach eine Abkehr von der prozessualen Formstrenge begründet. Die Rechtsprechung hat zwar weitgehend Zustimmung gefunden 8 , wenn es auch nicht an Stimmen fehlt, die auf die Notwendigkeit einer gewissen „Justizförmigkeit" 9 des Verfahrens hinweisen. So haben ζ. B. Baur 1 0 und Gaul 1 1 die Berechtigung der Formulierung Iherings 1 2 hervorgehoben, nach der die „Form . . . die geschworene Feindin der W i l l k ü r , die Zwillingsschwester der Freiheit" ist. A u f die Frage, ob den Ergebnissen der Rechtsprechung i n allen Punkten zu folgen ist, kommt es i n diesem Zusammenhang allerdings nicht an. Fragwürdig ist — und das soll hervorgehoben werden — die Argumentation der Rechtsprechung, wenn man die Argumente betrachtet, mit denen sie umgekehrt an den Formerfordernissen festhält. So begründet der Große Zivilsenat des RG 1 3 — bestätigt durch den B G H 1 4 — das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift des Anwalts unter einen bestimmenden Schriftsatz m i t den Worten: „Wenn auch die Vorschriften der ZPO nicht Selbstzweck, sondern dazu bestimmt sind, die Findung und Verwirklichung des sachlichen Rechts zu ermöglichen, so steht doch über der Aufgabe der Verwirklichung des sachlichen Rechts i m Einzelfall das höhere Ziel der Wahrung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit zum Wohle der Volksgemeinschaft. Dieses Ziel aber dings statt v o n „sachlicher Entscheidung" v o n „richtiger Urteilsfindung" gesprochen w i r d ; ähnlich Β GHZ 34, 53 (64); vgl. auch B G H Z 15, 142 (144). 6 Diese Absicht w i r d i n RGZ 102, 276 (278) ausdrücklich hervorgehoben; übereinstimmend RGZ 141, 347 (350). 7 RGZ 123, 204 (206); vgl. auch RGZ 105, 421 (427): „Das materielle Recht soll u n d darf unter der Herrschaft der Prozeßvorschriften nicht oder n u r möglichst wenig leiden." Damit fast w ö r t l i c h übereinstimmend RGZ 150, 357 (363); sachlich gleichartig auch RGZ 106, 264 (265); RGZ 154, 299 (302); vgl. auch Gaul, AcP 168 (1968), S. 27 (37 f.). 8 Vgl. ζ. Β . A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht § 2 I V , S. 12 u n d neuerdings V o l l kommer, Formenstrenge u n d prozessuale B i l l i g k e i t , S. 49 ff. m i t umfangreichen Nachweisen. 9 Den Begriff hat Eb. Schmidt (Lehrkommentar I, Rdn. 22, S. 44) geprägt. 10 Baur, Richtermacht u n d Formalismus, in: Summum jus summa i n j u r i a , S. 116. 11 Gaul, A c P 168 (1968), S. 39. 12 Ihering, Geist des römischen Rechts, I I 2, S. 471. 13 RGZ 151, 82 (S. 85 f.). 14 B G H L M Nr. 3 zu § 518 ZPO.

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2. Abschnitt, Teil :

aseund

Prozeßzwecks

läßt sich ohne eine gewisse Formstrenge des Prozeßverfahrens nicht erreichen." 3. Gegenüber einer derartigen „teleologischen Auslegung", die sich wahllos Versatzstücke aus der Prozeßzweckdiskussion herausgreift, hat Gaul 1 5 mit Recht eingewandt: „Hier erweist sich die vermeintliche Teleologie als eine recht wetterwendige Ideologie, orientiert am jeweiligen Bedarfsfalle." Ebenso fragwürdig ist das Argumentieren m i t dem Prozeßzweck, wenn man die Rechtsprechung zur Durchbrechung der Rechtskraft wegen Verstoßes gegen die guten Sitten einerseits und die restriktive Auslegung der Wiederaufnahmevorschriften andererseits betrachtet. 16 I m ersten Fall schöpft der BGH seine Argumente wiederum aus „dem höchsten Zweck der Rechtspflege, Gerechtigkeit zu wirken", dem der Grundsatz der Rechtskraft, der dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit entspringe, weichen müsse 17 , während i m zweiten Fall wieder der Vorrang der Rechtssicherheit bemüht w i r d . 1 8 Fragwürdig ist aber auch die unkritische Verwendung anderer Prozeßzweckbestimmungen als Argumentationshilfe. Unter anderen hat Gaul z. B. auf die Gefahren hingewiesen, die einem „geordneten Rechtsgang" von der zunehmenden Berufung auf das „Schlagwort von der Prozeßökonomie" drohen. 19 Die Kombination von verschiedenen Prozeßzwecken setzt daher voraus, daß diese genügend klar voneinander abgegrenzt werden und ihre Bedeutung i m Rahmen des Prozesses genau beschrieben wird. I I . Die Besonderheiten der Kreationstheorien und der Auffassung Goldschmidts Jeglichen Kombinationsbemühungen entziehen sich jedoch die Kreationstheorien und Goldschmidts These von der Rechtskraft als Prozeßzweck. Diese Auffassungen gehen von einem theoretischen Ansatz aus, der sie mit den übrigen Auffassungen etwa der Durchsetzung des subjektiven oder objektiven Rechts, aber auch den üblichen Auffassungen von Erzielung von Rechtsfrieden bzw. Rechtsgewißheit oder der Fort15

Gaul, AcP 168 (1968), S. 39. Dazu Gaul, AcP 168 (1968), S. 40/41. 17 So der B G H i n der Ausgangsentscheidung zur Arglistklage gegen rechtskräftige Entscheidungen (NJW 1951, S. 759), m i t der er die Rechtsprechung des RG übernahm. 18 z. B. B G H Z 46, 300 (302). 19 Gaul, AcP 168 (1968), S. 42; kritisch gegenüber einer uneingeschränkten Berufung auf „Prozeßökonomie" auch Eike Schmidt, Zweck des Prozesses, S. 39 ff., der zugleich eine kritische Bestandsaufnahme der einschlägigen Rechtsprechung des B G H b r i n g t (S. 46 ff.) u n d der Rspr. sogar W i l l k ü r bei der Verwendung des Ökonomie-Arguments v o r w i r f t . (S. 114) 16

II. Kreationstheorien und die Auffassung Goldschmidts

123

bildung des Rechts, unvereinbar erscheinen lassen. Sollten sie sich daher als richtig erweisen, müßten die übrigen Ansichten entweder verworfen oder aber doch i n einem völlig neuen Licht gesehen werden. 1. Bülow, Binder tind die materielle Rechtskrafttheorie

a) Sicher nicht richtig sind dabei die Ausprägungen der Kreationstheorien, wie sie i n den Lehren Bülows und Binders zum Ausdruck kommen, nach denen der Inhalt der richterlichen Entscheidung notwendig richtig und wahr ist. 2 0 Dies gilt nicht nur für die monistische Lehre Binders, nach der ein Dualismus zwischen Prozeßergebnis und materieller Rechtslage schon vom Ansatz her gar nicht denkbar ist, sondern auch für den Versuch der materiellen Rechtskrafttheorie, das unrichtige Urteil m i t dem sog. metaphysischen Prozeßbegriff (Erzielung von Wahrheit und Gerechtigkeit) i n Einklang zu bringen. Gerade weil m i t der Unrichtigkeit des Urteils i. S. eines Auseinanderfallens von Prozeßergebnis und materieller Rechtsordnung gerechnet werden muß, stellt sie die Einheit zwischen beiden dadurch wieder her, daß sie dem Urteil rechtskonstitutive Wirkung beilegt und bindet Richter und Parteien so an das Judikatsrecht. Die Quintessenz dieser Auffassung formuliert Pagenstecher 21 , wenn er deduziert: „Ziel des Prozesses ist Wahrheitsforschung. Das Resultat ist seiner Idee nach Deklaration der Wahrheit. Ist das, was der Richter deklariert aber nicht die Wahrheit, so w i r d wahr, was er (als wahr) deklariert." b) M i t Recht hat Goldschmidt 22 dem entgegengehalten, daß damit statt der Wahrheitsforschung die „Wahrheitsfälschung" zum Prinzip erhoben werde, denn Wahrheit steht nicht zur Disposition der Gerichte. Dies gilt naturgemäß für einen Wahrheitsbegriff, nach dem „Wahrheit" absolut und unveränderlich ist und daher zu niemandes Disposition steht, für den „Wahrheit" weder gemacht noch definiert werden, sondern allenfalls erkannt oder verkannt werden kann. Aber auch dann, wenn man einen solchen absoluten Wahrheitsbegriff nicht teilt und „Wahrheit" als eine gesellschaftsabhängige, historisch gewachsene und m i t h i n historisch veränderliche Größe ansieht 23 , kann „Wahrheit" nicht durch das Ergebnis eines Prozesses definiert werden. Auch bei einem relativen Wahrheitsbegriff sind die Kriterien für „Wahrheit" allgemei20 Siehe dazu schon oben T e i l 2 119); zum folgenden auch Gaul, A c P 168 (1968), S. 54 f. 21 Pagenstecher, Z u r Lehre v o n der materiellen Rechtskraft (1905), S. 305. 22 Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 188. 23 Einen ,relativen Wahrheitsbegriff' v e r t r i t t ζ. B. Luhmann; vgl. u. a. W a h r heit u n d Ideologie, in: Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 59 ff.; zu Luhmanns Wahrheitsbegriff siehe Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft S. 221 ff.

1 2 4 2 . Abschnitt, Teil :

aseund

Prozeßzwecks

ner und genereller als das, was i n einem Prozeß geschaffen werden kann. Der Prozeß m i t seiner begrenzten Thematik, seinem begrenzten Teilnehmerkreis und dem Zwang, eine Entscheidung zu produzieren, die sich an der begrenzten Thematik orientiert, kann nicht zugleich festlegen, was über den Prozeß hinaus wahr sein soll. Es ist daher unzulässig, die Entscheidung i n einem Prozeß gleichzusetzen m i t der Erkenntnis dessen, was „wahr" ist. Der Wahrheitsbegriff ist für etwas anderes, allgemeineres belegt. c) Fraglich ist jedoch, ob das, was hier zum Verhältnis von Wahrheit und gerichtlicher Entscheidung gesagt wurde, auch i n bezug auf das Recht gelten kann. Zwar ist der Richter nach überkommener Vorstellung und von den normativen Anforderungen des Grundgesetzes her dem Recht unterworfen und kann nach dieser Vorstellung folglich nicht derjenige sein, der durch seine Entscheidung das Recht erst schafft 24 ; es bestehen aber erhebliche Zweifel, ob diese idealisierende Vorstellung das Verhältnis von Recht und Gerichtsentscheid jemals richtig wiedergegeben hat. Es bedarf nicht erst des Verweises auf höchstrichterliche Rechtsprechung zum Arbeits- und Sozialrecht, die zweifellos allgemeinverbindliche Normen i n diesem Bereich geschaffen hat — Normen, die i n bezug auf Generalität, Allgemeinheit und Verbindlichkeit den vom Gesetzgeber gesetzten Rechtsnormen durchaus ebenbürtig sind —, u m zu belegen, daß das Recht durch die Spruchtätigkeit der Gerichte zumindest mitbestimmt wird: Was i m konkreten Fall und damit i m jeweiligen Prozeß das geltende, anzuwendende Recht ist, hängt immer von der Auslegung der abstrakten Rechtsnorm ab. Die Auslegung w i r d nicht vom Recht gesteuert, und alle rechtsdogmatischen und theoretischen Auslegungsregeln und Anweisungen stehen mangels Sanktionsmöglichkeit letztlich zur Disposition desjenigen, der die endgültige Entscheidung t r i f f t — und das ist nach der Konstruktion des Prozesses und des Gerichtswesens stets ein Gericht. Die von den Kreationstheorien negativ beantwortete Frage lautet daher: „Ist es sinnvoll, das abstrakte Normengefüge, das i m Prozeß erst eine Bearbeitung und Veränderung erfährt, ehe es praktisch wirksam wird, bereits als Recht zu bezeichnen?" Da aber eben dieses Normengefüge üblicherweise als „Recht" bezeichnet wird, zeigt sich, daß die Kreationstheorien einen veränderten Begriff des Rechts benutzen. Dieser veränderte Begriff des Rechts ist aber nicht nur unüblich, sondern auch wenig sinnvoll. 24 Vgl. Henckel, Prozeßrecht, S. 56, der dieses Argument gegen Pawlowski vorbringt.

II. Kreationstheorien und die Auffassung Goldschmidts

125

Besonders i n der krassen, von Bülow vertretenen Form, nach der es außerhalb des Prozesses überhaupt kein geltendes Recht gibt, ist er unhaltbar, denn Bülows Unterstellung, das Recht wirke allein i m und durch den Prozeß, ist falsch. Wenn das Recht das Verhalten des Richters steuern oder beeinflussen kann, kann es auch das Verhalten jedes anderen Rechtsunterworfenen außerhalb des Prozesses beeinflussen. Jeder, der sich rechtstreu verhalten w i l l , ist zunächst einmal sein eigener Richter und kann sich genauso gut (oder genauso schlecht) wie der staatliche Richter am Recht orientieren. Die übergroße Anzahl aller am Recht orientierten menschlichen Verhaltensweisen w i r d denn auch niemals zur Überprüfung eines Gerichtes gestellt. Daß dieses Verhalten auch durch die Drohung von prozessualen Folgen bestimmt wird, spricht nicht dagegen, daß das Recht auch außerhalb des Prozesses w i r k t , denn die Möglichkeit zum Prozeß besteht von Rechts wegen. Nach der Konstruktion der geltenden Rechtsordnung spielt sich der (private) Verkehr eben nicht i n einem rechtsleeren Raum ab. 25 d) I m Prinzip gelten diese Einwände auch gegenüber den Theorien von Sauer und Pawlowski. Auch Sauer verwendet einen unüblichen Begriff des Rechts, wenn er den Richterspruch als „konkrete Satzung" bezeichnet, die als „lebendes Recht" das „wirkliche Recht" sei. 26 Recht ist hier nicht mehr wie üblich die abstrakt-generelle Regelung — die Sauer immerhin noch als „äußeren Rahmen" für das ,wirkliche Recht' anerkennt 2 7 —, sondern die individuelle Norm, die der konkreten Entscheidung zugrunde liegt. Für Sauer gilt das wirkliche Recht daher ebenfalls nur i m Prozeß und nicht i m allgemeinen Verkehr. Das gleiche gilt auch für Pawlowskis Annahme, nach der das „geltende Recht" erst durch den Prozeß festgestellt werden muß. 2 8 Hiermit sind allerdings die Besonderheiten der Kreationstheorien von Sauer und Pawlowski noch nicht ausreichend erfaßt, denn der besondere Rechtsbegriff ist bei beiden i n eine eigenständige Prozeßtheorie eingebaut. 2. Sauers Prozeßtheorie

a) Sauers Prozeßtheorie ist gekennzeichnet durch (1) den besonderen Rechtsbegriff, der das Recht i n den äußeren — für den Richter nur begrenzt verbindlichen — Rahmen und das lebende (Richter-)Recht unterteilt; 25 26 27 28

Gaul, A c P 168 (1968), S. 54/55. Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre, S. 2, 18, 19. Dazu schon oben T e i l 2 I I 9) b) (2). Dazu schon oben T e i l 2 I I 9) b) (3).

1 2 6 2 . Abschnitt, Teil :

aseund

Prozeßzwecks

(2) die Annahme, daß der Richter einen Lebenssachverhalt zu gestalten und der Gerechtigkeit anzunähern hat. Diese Sachgestaltung ist zugleich Rechtsgestaltung (!) 29 (3) die besondere prozessuale Betrachtungsweise. Danach kann das Prozeßrecht nur durch „die Eigenart des prozessualen Denkens, nicht auch durch die Eigenart des Gegenstandes, wissenschaftlich konstituiert werden. 3 0 Sie unterscheidet: „1. das zu (!) gestaltende Recht (in der Regel materielles Recht, bei Prozeßprozessen auch Prozeßrecht), 2. das gestaltende Recht (mit Rechtskraftwirkung: Prozeßrecht; sonst Recht der f r e i w i l l i g e n Gerichtsbarkeit, der V e r w a l t u n g usw.), 3. die Gestaltung (Prozeß, V e r w a l t u n g usw.)" 3 1

b) Es ist oben 32 bereits dargestellt worden, daß i m Gegensatz zu dieser Ansicht Prozeßrecht und materielles Recht nur durch ihren Gegenstand unterschieden werden können. Darüber hinaus ist die Auffassung, daß das Prozeßrecht das materielle Recht „gestalten" könne, unhaltbar. Das Prozeßrecht enthält keine Normen darüber, wie aus dem materiellen Recht die der Entscheidung zugrunde liegende konkrete individuelle Norm gefunden — oder u m mit Sauer zu reden: gestaltet — werden kann. Derartige Regelungen enthalten allenfalls die Sätze der Rechtsdogmatik. Darüber hinaus steht der Richter bei der Betrachtung des Prozeßrechts vor dem gleichen Problem: auch seine Normen bedürfen der Auslegung (nach Sauer: der Gestaltung), und das nicht nur bei „Prozeßprozessen". 33 Daß bei Sauer das „Prozeßrecht" an zwei verschiedenen Stellen vorkommt, zeigt bereits, daß seine Einteilung sachliche Mängel aufweist. Hinter dem Zauberwort der „Rechtsgestaltung" verbirgt sich i n W i r k lichkeit nichts anderes als die prozessuale Verbrämung des rechtstheoretischen Problems, wie aus einer abstrakten Norm ein konkretes Urteil gefunden werden kann und eine durchaus unbefriedigende A n t w o r t darauf: Der Richter hat das Urteil „gleichwie der Forscher schöpferisch die neue Erkenntnis, der Künstler schöpferisch das Werk" hervorzubringen. Es „würde eine Herabwürdigung des Richters bedeuten", wollte man ihn an das Gesetz binden. 3 4 29 Sauer, Allgemeine Prozeß rechtslehre, S. 2; ders., Grundlagen, § 7, S. 110, 117, Arch. f. R u W i P h i l 19, S. 277, 283; siehe auch dort S. 277 F N 21. 30 Sauer, Arch. f. R u W i P h i l 19, S. 284. 31 Sauer, Arch. f. R u W i P h i l 19, S. 284. 32 Siehe oben 1. Abschnitt T e i l 5. 33 Vgl. Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre, S. 141; „Prozeßprozesse" sind für Sauer Verfahren, bei denen n u r über die (Un-)Zuständigkeit des Gerichts entschieden w i r d (vgl. Arch. f. R u W i P h i l 19, S. 283 f. u n d dort F N 37). 34 Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre, S. 2.

II. Kreationstheorien und die Auffassung Goldschmidts

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Überspitzt könnte man daher sagen, daß bei Sauer die richterliche W i l l k ü r das Problem löst. 35 c) Bei dieser K r i t i k darf freilich nicht verkannt werden, daß es durchaus ein praktisch ungelöstes Problem ist, ob und wie das abstrakte Recht den Richter zu einer bestimmten Entscheidung motivieren kann. Dieses Problem ist i n der rechtstheoretischen und rechtssoziologischen Diskussion zu Recht dominierend. 36 Die schon beklagte Desorientierung i n theoretischen und methodischen Fragen 37 hat sicher dazu beigetragen, daß den Einzelfallentscheidungen der Gerichte weitgehend auch die Bedeutung zukommt, allgemeinverbindliche Auslegungen zu produzieren, durch die faktisch auch das materielle Recht verändert wird. Das rechtfertigt aber noch nicht, den Richter von allen Bindungen an Recht und Gesetz zu befreien. Es hieße aus der theoretischen Not eine praktische Untugend zu machen, wollte man m i t Verweis auf den Prozeß dieses Problem für gegenstandslos erklären. Genau dies tut Sauer aber, wenn er den Richter weitgehend von den Bindungen an den „äußeren Rahmen" des materiellen Rechts befreit, um ihn auf eine — diffus bleibende — Gerechtigkeit zu verpflichten, an der er das streitbefangene Lebensverhältnis wohl eher autoritativ ausrichtet. 3. Pawlowskis Theorie der prozessualen Rechtsfindung

Auch Pawlowski pointiert zunächst das Problem, wie aus dem abstrakten materiellen Recht die konkrete Norm, auf die das Urteil zu stützen ist, gefunden werden kann — mit dem Ergebnis, daß dies kein Prozeß des Normfindens, sondern ein Prozeß der Rechtsfortbildung sei, weil das abstrakte Recht zu unbestimmt und stets veraltet sei. 38 a) Pawlowski thematisiert damit ein Unbehagen an der Gesetzgebungstätigkeit, die trotz steigendem Normenausstoß nach verbreiteter Ansicht nicht i n der Lage ist, auf Veränderungen der sozialen Situation und das Entstehen neuer Konfliktlagen angemessen zu reagieren. 39 Insoweit unterscheidet sich Pawlowskis Auffassung nicht wesentlich von den übrigen Kreationstheorien. Während letztere aber das Auslegungsproblem eher wegdiskutieren als lösen, indem sie allein das Gerechtig35 Überspitzt deshalb, w e i l Sauer den Richter zwar nicht an das Recht, w o h l aber an eine — w e n n auch reichlich diffuse — „Gerechtigkeit" binden w i l l . (Vgl. Allgemeine Prozeßrechtslehre, S. 2/3.) 36 ζ. B. Esser, Vorverständnis u n d Methodenwahl; Luhmann, Rechtsdogmat i k ; Rottleuthner, Richterliches Handeln. 37 Siehe schon oben 1. Abschnitt T e i l 3 I I I 3 c) bei F N 106/107. 38 Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 367 f. u n d F N 101. 39 ζ. Β . Eike Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, S. 22 f., 31 f.

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2. Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks

keitsverständnis des ad hoc zur Entscheidung Berufenen für die Lösung eines Konfliktfalls als maßgebend erklären und die konkrete Norm, die dieser Entscheidung zugrunde liegt, als das („wahre") Recht bezeichnen, geht Pawlowski einen anderen Weg: Er setzt dem Gesetzesrecht einen anderen Rechtsbegriff entgegen, der „auf die allgemeinen (von allen) anerkannten Rechtsauffassungen verweist, ohne zwischen der Meinung von Autoritäten und Fachleuten und der Meinung anderer zu unterscheiden." 40 Das Recht ist hier „eine unfertige — werdende — Gegebenheit: es ist das Ergebnis des Prozesses, der von den Parteien betrieben w i r d — idealiter sogar das Ergebnis der gegenseitigen Verständigung der einzelnen — das Ergebnis eines »Vergleichs 4 ." 41 Es w i r d gefunden, indem „der Dissens der Rechtsauffassung der einzelnen . . . i n dem Prozeß selbst" ausgeglichen wird, „und zwar . . . i m Wege der Diskussion, i n dem von Adolf A r n d t geforderten Rechtsgespräch. 42 Die „Rechtsfortbildung" ist nicht Aufgabe der Gerichte, sondern Aufgabe der Parteien und Folge ihrer Tätigkeit. 4 3 Das bedeutet: „Das Recht ist nicht trennbar vom Rechtsgang, auf dem es gewonnen w i r d " 4 4 , und Pawlowski wehrt sich gegen die „Trennung von gerechtem (sprich: materiellem) und (nur) zweckmäßigem (sprich: prozessualem) Recht." 45 „Der Prozeß ist also . . . nicht nur ein zweckmäßiges Mittel·, das (vorprozessuale) Recht . . . durchzusetzen. Seine Regelung ist vielmehr i n gleichem Maße — nur i n anderer Weise — Maßstab der Gerechtigkeit (Richtigkeit) der gefällten Entscheidung wie die Regelung des materiellen Rechtes." 46 Pawlowski kommt auf diese Weise zu einer Einheit von materiellem und prozessualem Recht — ein Gedanke, der sich auch bei Henckel 47 , Gaul 4 8 u. a. 49 findet. b) Der wesentliche Unterschied zu den übrigen Kreationstheorien ist, daß das „Recht" bei i h m nicht durch den — mehr oder weniger autoritativen — Richterspruch, sondern durch die prozessuale Arbeit aller Mitwirkenden geschaffen wird. Pawlowski sieht die Prozeßparteien gleichsam als Repräsentanten des Volkes an, an dessen Meinung sich 40

Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 381. Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 371. 42 Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 381 unter Bezugnahme auf A d o l f A r n d t , N J W 1959, S. 6 ff. 43 So Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 369 F N 103. 44 A r n d t , N J W 1959, S. 6 zitiert v o n Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 359. 45 Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 361, 362/63. 46 Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 359. 47 ζ. B. Henckel, Prozeßrecht, S. 25/26. 48 Gaul, AcP 168 (1968), S. 62. 49 ζ. B. Puttfarken, JuS 1977, S. 493 (497 ff.). 41

II. Kreationstheorien und die Auffassung Goldschmidts

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eine demokratische Entscheidung zu orientieren hat. Um eine demokratische Legitimation der Prozeßparteien, die sie zur Rechtssetzung berechtigt, ist er jedoch verlegen. 50 Um seinen Ansatz retten zu können, überhöht er ihn daher durch anthropologische Behauptungen. Weil sich „das Recht" i m einzelnen Prozeß bilden soll, darf es den Mitwirkenden i m Prozeß nicht nur um ihren eigenen Vorteil gehen, sondern sie müssen interessiert sein, daß i m Prozeß „das Recht" auch zum Vorschein kommt. Pawlowski beruft sich dazu auf die antropologische Annahme, der Mensch sei von Natur aus bestrebt, richtig, d.h. rechtlich zu handeln und stellt dem das gegenteilige Menschenbild gegenüber, das er der herrschenden Lehre zuschreibt, die den Prozeß als Rechtsanwendung versteht. 51 M i t dem „anthropologischen Argument" erklärt Pawlowski jedermann zum geeigneten und berechtigten Repräsentanten des Volkes i m Prozeß. c) Henckel hat dem m i t Recht entgegengehalten, daß es i m Prozeß nicht nur den „Guten", sondern auch den „Bösen" gibt, der nur seinen Vorteil w i l l und sei es auf Kosten aller anderen. „ A u f sie alle aber muß der Prozeß zugeschnitten sein, und für alle muß er passen." 52 Dies gilt i m besonderen Maße für den Strafprozeß: Es hieße von einem Angeklagten zuviel verlangen, wollte man annehmen, daß es i h m u m die Findung von Recht gehe. Sein legitimes Bestreben ist es, Strafe zu vermeiden — zu Recht oder zu Unrecht. Wohlweislich bezieht sich Pawlowski daher nur auf den Zivilprozeß. Aber soll die Unterscheidung von Z i v i l - und Strafprozeß tatsächlich bedeuten, daß der Angeklagte (ob schuldig oder nicht) anthropologisch andersgeartet ist als die Partei i m Zivilprozeß? Daß Pawlowski sich dennoch auf ein bestimmtes Menschenbild für seine Prozeßtheorie festlegen muß, zeigt, daß er vom Prozeß eine soziale Leistung verlangt, die dieser nicht aus sich heraus, sondern — wenn überhaupt — nur mit idealen Beteiligten erbringen kann. Wie weit er die Leistungsfähigkeit des Prozesses überhöht, zeigt sich daran, daß er das Prozeßergebnis und Gerechtigkeit einfach gleichsetzt. 53 — Die Möglichkeit des Irrtums ist ausgeschlossen. 50 Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 383; siehe dazu auch Henckel, Prozeßrecht, S. 54, 56. 51 Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 356 ff., 371 ff. 52 Henckel, Prozeßrecht, S. 55/56. 53 Pawlowski, Z Z P 80 (1967), S. 369: „Gerecht ist . . . das Urteil, das i n einem anerkannten Verfahren v o r dem zuständigen Richter m i t rechtlichem Gehör usw. gefällt worden ist."

9 Schaper

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2. Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks

d) Dem Auslegungsproblem kann also auch nicht durch den Verweis auf die Mitarbeit aller Prozeßbeteiligten ausgewichen werden. Gleichwohl bleibt von Pawlowskis Auffassung der Gedanke festzuhalten, daß an der Auslegung nicht nur die sog. Fachleute, sondern alle Verfahrensbeteiligten zu beteiligen sind. Wenn dadurch auch nicht „das Recht" geschaffen wird, so ist doch zu erwarten, daß dadurch die Auslegung besser wird. 4. Goldschmidts Theorie der Rechtskraft als Prozeßzweck

a) Eine A r t Gegenpol zu den Kreationstheorien stellt die Auffassung Goldschmidts dar. Während für die Kreationstheorien das materielle Recht erst i m und durch den Prozeß konkretisiert w i r d und nur durch i h n Geltung erlangt, besteht für Goldschmidt 54 eine feste materielle Rechtsordnung außerhalb des Prozesses. Sie hat außerhalb des Prozesses und ohne ihn Geltung, aber sie w i r k t nicht i n den Prozeß hinein, sondern fungiert nur als (mehr oder weniger unverbindlicher) Maßstab für den Richter. Dafür bleibt sie andererseits auch vom Prozeß und seinem Ergebnis unberührt. Trotz des unterschiedlichen Ausgangspunktes besteht aber zwischen beiden Auffassungen eine gewisse Verwandtschaft, denn beide erklären, warum ein rechtskräftiges Urteil gilt, ohne daß es i m Einzelfall auf seine Vereinbarkeit m i t einer abstrakten materiellen Rechtsordnung ankommen kann. 5 5 Das objektive Recht büßt i n beiden Fällen Verbindlichkeit für den Inhalt richterlicher Urteile ein. Und i n beiden Fällen w i r d folgerichtig versucht, die Gültigkeit des richterlichen Urteils letztlich aus sich selbst heraus und nicht aus einer Ableitung vom materiellen Recht zu bestimmen. 56 I m Zusammenhang m i t der Diskussion der Lehre vom Prozeß als Rechtslage ist bereits ausgeführt, daß Goldschmidts Auffassung ein problematischer Rechtsbegriff zugrunde liegt 5 7 — ebenso wie den Kreationstheorien. Während der Rechtsbegriff der Kreationstheorien jedoch dazu führt, daß es ein unrichtiges Urteil i m Sinne eines dem Recht widersprechenden Urteils nicht geben kann — weil das Urteil das Recht schafft —, w i r d das unrichtige Urteil bei Goldschmidt eine normale „Erscheinung, auf welche die rechtlichen Beziehungen (im Prozeß) von vornherein 84

Siehe dazu schon oben 1. Abschnitt T e i l 3, insbes. 13; 1. Abschnitt T e i l 4 1 2 ; 2. Abschnitt T e i l 2 I I 7. 55 Vgl. Henckel, Prozeßrecht, S. 51 F N 40. δβ Vgl. Rödig, Erkenntnisverfahren § 21.1., S. 40. 57 Siehe oben 1. Abschnitt T e i l 3 I I I 3), 4).

II. Kreationstheorien und die Auffassung Goldschmidts

131

eingestellt sind." 5 8 Dabei kann bei Goldschmidt die Unrichtigkeit eines Urteils durch einen Vergleich mit der materiellen Rechtsordnung — die ohne Beziehung zum Prozeß besteht — ex ante festgestellt werden. Die Geltung eines (richtigen oder unrichtigen) Urteils folgt daher nicht aus dem Recht, sondern aus der Macht 5 9 ; hierin liegt ein entscheidender Unterschied zu den Kreationstheorien. Damit entgeht Goldschmidt zwar dem Vorwurf, den er der materiellen Rechtskrafttheorie gemacht hat 6 0 , daß durch „juristische Winkelzüge" die Möglichkeit eines unrichtigen Urteils hinwegdiskutiert werden soll 6 1 , dafür bleibt die Frage, was ein Prozeß noch soll, wenn es schließlich doch nur auf einen Machtspruch ankommt. b) Goldschmidts rigorose Konsequenz der Trennung von Prozeß und allem Außerprozessualen führt sich bei seiner Prozeßzweckbestimmung selbst ad absurdum: Einerseits w i r d der Prozeß durch empirische Kriterien von der übrigen Lebenswirklichkeit abgetrennt 62 , wobei eines dieser Kriterien sein Ende durch (endgültige) Entscheidung ist. Andererseits ist die „Rechtskraft" nur eine Umschreibung der Endgültigkeit der Entscheidung i m normativen Gewand, die bei Goldschmidt selbst aber gerade keine normative Kraft hat, sondern „soziologisch" gedeutet wird, da sie ihre Geltung allein aus einem außerprozessualen faktischen („soziologischen") Machtprinzip ableitet. 6 3 Goldschmidts These lautet daher: „Ein dynamischer Vorgang, der durch Entscheidung endet (Prozeß), endet durch eine Entscheidung. Die Entscheidung gilt aufgrund von (außerprozessualer) Macht." Nimmt man Goldschmidts Empirie ernst, ist seine „Prozeßzweckbestimmung" eine tautologische Beschreibung ihres Gegenstandes. Deshalb kann er den Prozeß auch durch seinen „Zweck" definieren. 64 Der Prozeß ist so nicht nur Selbstzweck 65 , sondern zwecklos. Daß das definitionsgemäße Ende des Prozesses bei Goldschmidt als sein Zweck erscheint, beruht auf dem unzulässigen Schluß, daß das, was faktisch „ist", allein den normativen Zweck hat, so zu sein.

58

Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 255. ® Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 213, 246; siehe schon oben 2. A b schnitt T e i l 2 I I 7). 80 Siehe oben 2. Abschnitt T e i l 3 I I 1 b); vgl. auch Gaul, A c P 168 (1968), S. 55 f. 61 So aber Gaul, AcP 168 (1968), S. 56 gegen Goldschmidt. 82 Dazu schon oben 1. Abschnitt T e i l 315). 83 Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 211 ff. 84 Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 151. 5

85

9*

So Henckel, Prozeßrecht, S. 49; Sax, ZZP 67 (1954), S. 27.

1 3 2 2 . Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks c) Goldschmidts Prozeßbetrachtung vermag zwar noch i n sich schlüssig zu erklären, warum eine Partei sich überhaupt auf einen dem Krieg vergleichbaren Kampf ums Recht einläßt: Sie hat die Aussicht auf ein (möglicherweise) günstiges Urteil. Die strikte Beschränkung der Betrachtung auf den Prozeß und die Vermeidung jeder inhaltlichen Aussage 66 führt jedoch dazu, daß die Geltung des Urteils auf ein Machtprinzip zurückgeführt werden muß, das als außerprozessuales nicht erklärt w i r d und daher als deus ex machina erscheint. Für eine soziologische Theorie hätte sich aber die Frage stellen müssen, wer hinter dem Machtprinzip steht. (Doch wohl kaum die Richter — wie der Terminus „Gerichtskraft" anzudeuten scheint?). Fraglich bleibt auch, warum die Träger des Machtprinzips „ein so minutiös und verklausuliert geregeltes Verfahren" 6 7 vorsehen, u m den Parteien zu einem günstigen oder ungünstigen (!) Urteil zu verhelfen — ein schlichter administrativer Machtanspruch hätte es vielleicht doch auch getan? Eine empirische Theorie, die sich zur Erklärung entscheidender Punkte auf einen deus ex machina beruft, ist verkürzt und damit letztlich wertlos. I I I . Wahrheit und Gerechtigkeit und die übrigen Prozeßzweckbestimmungen 1. Unterschiedliche Fragestellungen

Das eher verwirrende Bild, das die Vielzahl der übrigen Prozeßzweckbestimmungen bietet, ist zum Teil dadurch zu erklären, daß den einzelnen Formulierungen unterschiedliche Fragestellungen zugrunde liegen, die nur allesamt unter dem Begriff des „Prozeßzwecks" diskutiert werden. M i t Rödig 1 lassen sich mindestens 4 verschiedene Fragestellungen unterscheiden: (1) Welcher „Zweck" w i r d durch Prozesse tatsächlich erfüllt? (2) Welchen Zweck sollen Prozesse erfüllen? (3) Welchen Zweck verfolgt das Prozeßrecht? (4) Welches ist der das Prozeßrecht vom materiellen Recht unterscheidende Zweck? Diese Unterscheidungen werden z. T. durch die bereits angeführten Begriffe wie Wesen, Ziel, Aufgabe 2 und ihre unklare und undifferenββ 67 1 2

Dazu Henckel, Prozeßrecht, S. 23 f. So Sax, ZZP 67 (1954), S. 27. Rödig, Erkenntnisverfahren § 21.2., S. 40 f. Oben Teil 2 I.

III. Wahrheit und Gerechtigkeit als Prozeßzweck

133

zierte Verwendung verdeckt. Aber auch die vorstehenden Formulierungen von Rödig sind begrifflich nicht frei von Bedenken. I n der Sache entsprechen die Fragen (1) bis (3) den oben i n der Einleitung zur Prozeßzweckanalyse (Teil 1) aufgeführten Fragestellungen 2 bis 4. Dort wurde aber schon darauf hingewiesen, daß es sprachlich nicht korrekt ist, von einem Zweck zu sprechen, den das Prozeßrecht (mit sich selbst?) verfolgt. 3 Unpräzise ist auch die Verwendung des Begriffs „Zweck" bei der Frage nach den tatsächlichen Wirkungen des Prozesses. a) Zweck und Funktion Die allgemein übliche, knappe aber unpräzise Formulierung „Zweck des Prozesses" oder „Zweck des Prozeßrechts" kann darüber hinweg täuschen, daß Zwecke keine Eigenschaften sind, die sich aus der Sache selbst ergeben. Nach hergebrachtem Verständnis sind „Zwecke W i r kungen von Handlungen, die der Handelnde mit seiner Handlung erstrebt". 4 Sie bezeichnen nicht tatsächliche, sondern gesollte Wirkungen und Folgen von Handlungen oder Handlungszusammenhängen. Diesem Unterschied ist auch begrifflich Rechnung zu tragen. Es ist daher sinnvoll, i n Bezug auf die tatsächlichen Wirkungen nicht vom „Zweck", sondern von „Funktion" zu sprechen, u m deutlich zu machen, daß es einerseits darum geht, zu bestimmen, wie Prozeß bzw. Prozeßrecht sein soll und andererseits darum, was und wie Prozeß und Prozeßrecht ist. Die Frage (1) betrifft daher nicht den Zweck, sondern die Funktion von Prozessen. Da der Zweckbegriff anders als der Begriff der Funktion nicht nur eine Wirkung beschreibt, sondern sie gleichzeitig als erstrebenswert auszeichnet, setzt er eine Bewertung durch einen Menschen voraus 5 , und es ist klarzustellen, wessen Zwecke es denn sind, die betrachtet werden sollen. Der normative Charakter des Zweckbegriffs führt damit zum gleichen Geltungsproblem, das bei allen Normen besteht. Die dezisionistische Lösung dieses Problems, die auf den Gesetzgeber verweist, der die Zwecke des Rechts setzt, h i l f t hier allerdings kaum weiter. Wollten w i r die Frage stellen, welchen Zweck der Gesetzgeber mit dem Prozeß und dem Prozeßrecht verfolgt, würden w i r sofort auf die nächste Frage stoßen, welchen Zweck der Gesetzgeber denn richtigerweise verfolgen sollte. Zudem sind die Äußerungen des Gesetzge8

Oben T e i l 1 u n d dort F N 4. Koch / Rüßmann, Begründungslehre, § 17.2. a), S. 169; dazu auch L u h mann, Zweckbegriff, S. 10 ff. 5 Vgl. Koch / Rüßmann, Begründungslehre, § 17.2. a), S. 170. 4

1 3 4 2 . Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks bers zur Frage nach dem Prozeßzweck wohl kaum mehr als ein schwacher Widerschein dessen, was i n den letzten 100 Jahren von anderen zu dieser Frage dargelegt wurde.® Was i n der Diskussion u m den Prozeßzweck dargestellt wird, sind die Zwecke des jeweiligen Autors, auch wenn manchmal — ζ. T. durch die Verwendung unklarer Begriffe — der Eindruck entsteht, es handele sich u m einen objektiven Befund, der sich aus der Sache selbst ergibt. Mangels einer allgemein anerkannten Autorität bleibt so nur der Versuch, gute Gründe für eine Auswahl von Zwecken zu suchen. Immerhin besteht begründeter Anlaß zur Hoffnung, daß sich i n der langdauernden Diskussion genügend gute Gründe finden, die einen Zweck als vorzugswürdig erscheinen lassen. Die Frage (1) der Funktion des Prozesses h i l f t hierbei zunächst nicht weiter. Sie gehört nicht i n den hier diskutierten Zusammenhang. Wenn man eine Richtschnur für die Auslegung des Prozeßrechts erhalten oder rechtspolitische Leitlinien formulieren w i l l , die Auskunft darüber geben, wie der Prozeß sein soll, kann dies nicht aus einer Beobachtung des Prozesses, wie er ist, gewonnen werden, sondern nur aus der Antwort auf die Frage, wie er sein soll. 7 I m Zusammenhang m i t der K r i t i k an der Auffassung Goldschmidts ist bereits dargelegt worden, daß es einen methodischen Kurzschluß darstellt, von den tatsächlichen Wirkungen auf den normativen Zweck zu schließen.8 Das bedeutet natürlich nicht, daß die Frage (1) ohne Bedeutung oder überflüssig wäre. Sie ist vielmehr notwendig, u m festzustellen, ob der Prozeß den normativen Ansprüchen genügt, die an i h n zu stellen sind. 9 Nicht umsonst werden Untersuchungen zu dieser Frage nicht selten als Justizkritik begriffen, weil ihre Ergebnisse den Antworten auf Frage (2) widersprechen. Es sei nochmals betont, daß dieser K r i t i k nicht dadurch ausgewichen werden kann, daß man die Antworten auf die Frage (2) den Ergebnissen zur Frage (1) anpaßt.

β Z u den Schwierigkeiten, die Zwecke des Gesetzgebers zu e r m i t t e l n siehe auch Koch / Rüßmann, Begründungslehre, § 18.2. a), S. 211 ff., die n u r bei der Auslegung v o n Gesetzen aus Gründen der Gesetzesbindung darauf bestehen, daß die Zwecke des Gesetzgebers nicht durch andere ersetzt werden, dies aber bei der Rechtsfortbildung zulassen. 7 Henckel, Prozeßrecht, S. 53. 8 Siehe oben 2. Abschnitt T e i l 3 I I 4) b). 9 I m 4. Abschnitt w i r d geprüft werden, ob sich die i m Folgenden dargestellte Prozeßzweckbestimmung i m Hinblick auf die F u n k t i o n v o n Prozessen halten läßt.

III. Wahrheit und Gerechtigkeit als Prozeßzweck

135

b) Zweck des Prozeßrechts A n t w o r t auf die Frage (3) nach dem Zweck des ProzeRrechts gibt ζ. B. die Auffassung, nach der eine Verfahrensregelung Rechtssicherheit durch Berechenbarkeit des Prozesses gewährt. 1 0 Es ist aber keine Besonderheit des Prozeßrechts, sondern ganz allgemein der Zweck rechtlicher Regelungen, das Verhalten eines bestimmten Lebensbereiches normativen Anforderungen zu unterwerfen, deren Einhaltung dazu führt, daß das Verhalten vorhersehbar wird. So führt das Kauf recht ζ. B. dazu, daß vorhersehbar ist, was Käufer und Verkäufer tun werden, wenn sie sich an die rechtlichen Regelungen halten; und die öffentlich-rechtlichen Normen machen das Verhalten von Behörden berechenbar. Daß das Prozeßrecht, als ein Teil des öffentlichen Rechts, ebenfalls bezweckt, das Verhalten i n dem von i h m geregelten Lebensbereich berechenbar zu machen und willkürliches Verhalten insbesondere des Staates zu verhindern, ist schon fast eine Trivialität. M i t Recht kann man daher davon sprechen, daß das ProzeRrecht i n diesem Sinne Rechtssicherheit bezweckt. Dies sagt aber noch nichts über den Zweck des Prozesses selbst. Es ist genauso gut oder genauso wenig der Zweck des Prozesses, berechenbar zu sein, wie es der Zweck jeder beliebigen Behörde ist oder des Warenaustausches auf vertraglicher Grundlage. c) Zweckmäßigkeit

des Rechts und Zweckmäßigkeitsrecht

I m Zusammenhang m i t den Fragen (3) und (4) w i r d immer wieder betont, daß das Prozeßrecht reines Zweckmäßigkeitsrecht sei, nur eine technische Regelung, i m Gegensatz zum materiellen Recht, das die gerechte Gestaltung des Lebens bezwecke. 11 (1) Das ist insoweit richtig, als das Prozeßrecht (natürlich!) zweckmäßig sein sollte. Es muß zunächst die Durchführbarkeit des Prozesses gewährleisten, d.h. es muß ermöglichen, daß überhaupt und in jedem Falle eine Entscheidung getroffen werden kann und darf die Kommunikation der Beteiligten nicht behindern. Außerdem sollte es gewährleisten, daß die Kommunikationsveranstaltung möglichst rasch und ohne überflüssigen Aufwand der Beteiligten abläuft und daß die Entscheidung ohne Verzögerungen gefällt und bekanntgemacht werden 10

Siehe oben 2. Abschnitt T e i l 2 I I 6 b). Die Auffassung, Prozeßrecht sei reines Zweckmäßigkeitsrecht, hat ihre Ursprünge i n der gemeinrechtlichen Prozeßbetrachtung. Dazu schon oben 1. Abschnitt T e i l 1 1 u. ö. Sie k l i n g t i n Rspr. (ζ. B. RGZ 102, 276 (278); 141, 347 (350)) u n d L i t e r a t u r i m m e r wieder an. Vgl. Stein / Jonas / Schönke (18. Aufl.), Einl. C; Rimmelspacher, Prüfung v o n A m t s wegen, S. 11 ff.; kritisch Gaul, A c P 168 (1968), S. 27 (32 f.); alle m i t weiteren Nachweisen. 11

1 3 6 2 . Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks kann. Die Abwicklung des Prozesses soll ökonomisch sein, und das Prozeßrecht hat auch die Aufgabe, eine Prozeßökonomie zu gewährleisten. Eine Zweckmäßigkeit i n diesem Sinne allein ist aber weder geeignet, den Zweck des Prozeßrechts zu bestimmen, geschweige denn den Prozeßzweck selbst. Es ist nicht Zweck des Prozesses, möglichst rasch „über die Bühne zu gehen". 12 Zweckmäßigkeit des Prozeßrechts kann nur heißen, daß es dem Zweck des Prozesses gemäß gestaltet ist. Der Prozeßzweck bestimmt, wie schnell der Prozeß i m Idealfall abgewickelt werden kann und welcher Aufwand zur Erreichung des Ziels notwendigerweise getrieben werden muß. 1 3 Prozeßökonomie und Zweckmäßigkeitsanforderung können allenfalls mahnen, das Prozeßrecht daraufhin zu überprüfen, ob es dem Zweck des Prozesses entspricht und nicht seinerseits überflüssigen Sand ins Getriebe streut. 1 4 (2) Die Zweckmäßigkeitsanforderung nicht vom materiellen Recht.

unterscheidet

das

Prozeßrecht

Auch das materielle Recht ist seinem Zweck gemäß zu gestalten. So ist es ζ. B. eine Frage der Zweckmäßigkeit, ob man den Verkehrsschutz i m bürgerlichen Recht durch ein sachenrechtliches Abstraktionsprinzip betreibt, oder ob man sich statt dessen anderer Mechanismen bedient, wie die überwiegende Mehrzahl der Rechtsordnungen. Für das Strafrecht hat Lüderssen 15 gezeigt, daß es sogar eine zweckmäßige Ausrichtung des materiellen Rechts auf das (prozessuale) Beweisrecht gibt, wenn i m Interesse einer Beibehaltung, Ausdehnung oder Einführung der Strafbarkeit schwer beweisbare Tatbestandsmerkmale aus dem materiellen Recht eliminiert werden. Diese „strafrechtsgestaltende Kraft des Beweisrechts" zusammen mit dem von Lüderssen aufgezeigten Gegenstück, der „beweisrechtsgestaltenden Kraft des Strafrechts" zeigt aber auch, daß das materielle Recht 12

„Beschleunigung u m der Eile w i l l e n k a n n das Ziel der Prozeßreform nicht sein. Sie stellt keinen selbständigen Prozeßzweck dar, sondern ist allenfalls M i t t e l zur Durchsetzung u n d Erreichung der eigentlichen Zweck." So zu Recht Eike Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, S. 8, unter Berufung auf Baumann / Fezer, Beschleunigung, S. 8; Deubner, ZZP 82 (1969), S. 257 ff. 13 „Als berechtigt erweist sie (die Beschleunigung) sich allein insoweit, als sie ein geeignetes u n d angemessenes M i t t e l zur V e r w i r k l i c h u n g der eigentlichen dem Strafverfahren gesetzten Ziele ist." So Rudolphi, JuS 1978, S. 864; siehe auch Grünwald, Verh. d. 50. DJT, Bd. I C, S. 16 f. 14 Z u r bedenklichen Ausweitung der Argumentation m i t der Prozeßökonomie siehe oben 2. Abschnitt T e i l 3 13). M i t der Frage, ob das Schuld- oder T a t i n t e r l o k u t ein dem Prozeßzweck angemesseneres Verfahren ermöglicht, beschäftigt sich die Untersuchung v o n Schreiber u n d Schöch. Dazu Schöch, Die Reform der Hauptverhandlung, in: Schreiber (Hrsg.), Strafprozeß u n d Reform, S. 52 ff. 15 Lüderssen, ZStW 85 (1973), S. 288 ff., bes. S. 299.

III. Wahrheit und Gerechtigkeit als Prozeßzweck

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nicht für sich i n Anspruch nehmen kann, materielle Gerechtigkeit allein zu verwirklichen. 1 6 Auch der Prozeß m i t seinen Möglichkeiten und Zwängen hat Einfluß darauf, was als materielles Recht gilt. Dies nicht nur, weil die gerichtlichen Entscheidungen und Auslegungen das materielle Recht über den Einzelfall hinaus konkretisieren, sondern weil schon das materielle Recht selbst — wie Lüderssen gezeigt hat — i m Hinblick auf die prozessuale Anwendbarkeit und Durchsetzbarkeit formuliert wird. Es zeigt sich auch hier, daß die Dichotomie von Prozeßrecht und materiellem Recht nicht zwei unvereinbare Rechtsarten trennt und daß die Kategorien, die die Trennung beschreiben, wenig geeignet sind, zu Dogmen für die Behandlung von rechtlichen Problemen erhoben zu werden. 1 7 2. Analyse des Prozeßzwecks

Die Antworten auf die Frage nach dem Zweck des Prozesses (Frage 2) scheinen bei einer groben Einteilung Variationen über zwei Themen zu sein: 1. Zweck des Prozesses sei die Erzeugung von Rechtsfrieden, Sicherheit u. ä. 18 und 2. der Prozeß bezwecke demgegenüber die Durchsetzung von Recht, Wahrheit und Gerechtigkeit 19 , wobei es nicht an Versuchen fehlt, zwischen beiden Auffassungen zu vermitteln und sie i n Einklang zu bringen. 2 0 Eine Analyse der Auffassungen zeigt jedoch, daß auch hier unterschiedliche Probleme unter dem gleichen Begriff behandelt werden. a) Prozeß und die Ablösung von Fehde und Selbsthilfe So besteht über die Aussage, der Prozeß bezwecke die Herstellung von Rechtsfrieden, weil er die ursprünglichen Mittel zur Durchsetzung und Wahrung eines Rechts — Fehde und Selbsthilfe — abgelöst habe 2 1 , wohl deshalb so weitgehende Einigkeit, weil sie den Zweck des Prozesses gar nicht beschreibt. (1) Es mag sich zwar u m eine korrekte Skizzierung der tatsächlichen historischen Entwicklung handeln, daß die Zurückdrängung von Fehde und Selbsthilfe durch eine „erstarkende Staatsgewalt" Hand i n 16 17 18 19 20 21

Dazu näher unten T e i l 3 I I I 3). So auch Lüderssen, ZStW 85 (1973), S. 288 (316). Siehe oben 2. Abschnitt T e i l 2 I I 5), 6). Siehe oben 2. Abschnitt T e i l 2 I I 1), 2), 3), 4), 10). Siehe oben 2. Abschnitt Teil 2 I I 5 c), 6 a). Siehe oben 2. Abschnitt Teil 2 I I 5 a).

1 3 8 2 . Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks Hand ging mit einer Ausweitung der Gerichtsbarkeit 22 , das bedeutet jedoch nicht, daß der Prozeß Fehde und Selbsthilfe ersetzt haben könnte. Selbsthilfe und Fehde (als eine Form der Selbsthilfe 23 ) sind Begriffe, die Handlungen beschreiben, durch die ein (vermeintliches) Recht durchgesetzt wird. Sie können daher nicht durch eine Entscheidung (das Ergebnis eines Prozesses), ersetzt werden, sondern nur durch ein Organ, das seinerseits zur Durchsetzung handelt. Derartige Handlungen finden sich allein i m Bereich der Vollstreckung. Die Selbsthilfe ist daher nicht durch den Prozeß abgelöst worden, sondern durch das Gewaltmonopol des erstarkenden Staates, das seinen sinnfälligen Ausdruck darin findet, daß die Durchsetzung aller Rechte grundsätzlich seine Sache w i r d . 2 4 Die Befriedung, die durch das Verbot der Selbsthilfe eintritt, ist daher direkte Folge des staatlichen Gewaltmonopols und nicht des Prozesses. (2) Zwischen staatlichem Gewaltmonopol und Prozeß besteht zwar ein Zusammenhang, denn die Vollstreckung setzt eine Entscheidung voraus, ob und was gegebenenfalls durchzusetzen ist, und dies ist nach der Konstruktion der bestehenden Rechtsordnung die Entscheidung i n einem Prozeß, daraus folgt aber nicht, daß der Prozeß schließlich doch der Grund für die Befriedung wäre. Dagegen spricht bereits, daß die Vollstreckung als Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols durch den Prozeß i n vielen Fällen nicht überflüssig, sondern nur eingeleitet wird. Die endgültige Befriedung setzt also die Anwendung staatlicher Machtmittel weiter voraus und ist ihre Folge. Bei dieser Sachlage erscheint die Verknüpfung von Gewaltmonopol und Prozeß eher zufällig, denn wenn es die einzige Aufgabe des Prozesses wäre, die Vollstreckung durch eine Entscheidung vorzubereiten, bliebe der Aufwand, der i m Prozeß getrieben wird, unerklärlich. Wenn die Befriedung schließlich doch durch staatliche Machtmittel gesichert werden muß, könnte auch jede andere Entscheidung, die auf sehr viel „billigere" Weise gefunden wurde, etwa durch staatlichen Machtspruch, m i t den Machtmitteln eben dieses Staates durchgesetzt werden und ebenso zur „Befriedung" führen. 2 5 22 Einen Überblick über die rechtshistorische E n t w i c k l u n g gibt Eb. Schmidt, Lehrkommentar I , Rdn. 1 ff., S. 35 ff. 28 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, Rdn. 1, S. 35. 24 Z u r materiell- u n d prozeß rechtlichen Absicherung des staatlichen Zwangsmonopols siehe A r z t , Notwehr, in: Festschrift f ü r Schaffstein, S. 77 ff. (84). 25 Vgl. Gaul, A c P 168 (1968), S. 59: „Wer also i m Prozeß n u r eine Einricht u n g zur Friedenswahrung sieht, der mutet dem Prozeß nicht mehr zu, als

III. Wahrheit und Gerechtigkeit als Prozeßzweck

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Die Tatsache, daß Fehde und Selbsthilfe durch staatliches Gewaltmonopol und vorgeschalteten Prozeß abgelöst wurden, vermag den Zweck des Prozesses daher nicht zu erklären. Hiermit w i r d vielmehr ein Zweck des staatlichen Gewaltmonopols beschrieben. b) Prozeß als Entlastung des staatlichen

Gewaltmonopols

Das Verhältnis von staatlichem Gewaltmonopol und Prozeß führt aber dennoch zu einer Bestimmung des Prozeßzwecks. (1) Die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols ist letztlich vom Ergebnis des Prozesses abhängig. I m Bereich des Z i v i l - und des Strafrechts gilt das bis auf einige vorbereitende und vorbeugende Maßnahmen mit Sicherungscharakter schon für die Einleitung von Zwangsmaßnahmen, i m öffentlichen Recht gibt die Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) zumindest eine Kontrolle, die sicherstellt, daß Maßnahmen nicht ohne prozessuale Entscheidung endgültig werden. Daß den staatlichen Zwangsmaßnahmen eine eher umständliche Entscheidungsfindung i n einem Prozeß vorgeschaltet ist, läßt sich erklären, wenn dadurch andererseits der staatliche Zwangsapparat entlastet wird, wenn also die Entscheidung selbst ein gewaltsames Eingreifen des Staates erübrigt. Eine Entlastung ist auf zweierlei Weise denkbar: 1. direkt dadurch, daß die Entscheidung die Betroffenen selbst zum Handeln motiviert und damit ein gewaltsames Eingreifen des Staates erübrigt, 2. indirekt dadurch, daß sie die Ausübung des Gewaltmonopols rechtfertigt und weitergehenden Widerstand dagegen verhindert. Die dritte Form der Entlastung, die hier ins Auge springen könnte, daß die Entscheidung aus Furcht vor Zwangsmaßnahmen befolgt wird, bzw. daß Widerstand aus Furcht unterbleibt, wäre nicht dem Prozeß zuzuschreiben. Sie wäre eine A r t Eigendynamik des Gewaltmonopols und würde auch bei jeder anderen A r t von Entscheidung eintreten. Diese Entlastung des staatlichen Gewaltmonopols kann Zweck des Prozesses sein. (2) Gerade weil w i r m i t diesem Ansatz von einer tatsächlichen Wirkung des Prozesses, also einer Funktionsbeschreibung ausgehen, ist entsprechend der Unterscheidung von Zweck und Funktion nicht nur darzulegen, daß — und ggf. unter welchen Bedingungen — diese Ent· was letztlich auch ein administrativer Machtspruch vermöchte." Ä h n l i c h Sax, ZZP 67 (1954), S. 27.

1 4 0 2 . Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks lastung tatsächlich eintritt, sondern auch, daß — und ggf. unter welchen Bedingungen — es erstrebenswert (richtig) ist, daß sie eintritt. Eine Bestimmung des Prozeßzwecks ist auf diesem Wege nur möglich, wenn die Bedingungen, unter denen die Entlastung tatsächlich eintritt, die gleichen sind, unter denen eine Entlastung des staatlichen Gewaltmonopols erstrebenswert ist. Es kann daher nicht ausreichen, daß der Prozeß ζ. B. für Außenstehende den schönen Schein einer gerechtfertigten Anwendung von Zwangsmaßnahmen liefert und so das staatliche Gewaltmonopol entlastet, er muß vielmehr i m Idealfall dazu führen, daß sowohl die Betroffenen als auch alle anderen die i m Prozeß getroffene Entscheidung freiwillig befolgen, d. h. sie akzeptieren. Eine solche Entscheidung, die von allen als richtig anerkannt wird, wollen w i r m i t einer verbreiteten Auffassung der praktischen Philosophie als „gerecht" bezeichnen. 26 Zweck des Prozesses wäre demnach, eine gerechte Entscheidung zu finden. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß eine i n diesem Sinne gerechte Entscheidung, die das staatliche Gewaltmonopol vollständig entlastet und es letztlich überflüssig macht, wünschenswert wäre. Ebenso wenig zweifelhaft ist aber auch, daß eine von allen akzeptierte Entscheidung diese Entlastung tatsächlich bewirkt. Die Probleme liegen nicht i n diesem Ansatz, sondern i n den Restriktionen, denen er bei einer praktischen Anwendung auf den Prozeß unterliegt. Die folgenden Ausführungen werden sich daher fast ausschließlich u m eine Präzisierung i m Hinblick auf vermeintliche oder tatsächliche Restriktionen bemühen und prüfen, ob sich die Prozeßzweckbestimmung trotzdem aufrechterhalten läßt. I m 4. Abschnitt werden w i r dann prüfen, ob die präzisierte Prozeßzweckbestimmung sich mit den tatsächlichen Wirkungen des Prozesses, mit seiner Funktion vereinbaren läßt oder lediglich eine realitätsferne Idealisierung darstellt.

26 Die Auffassung, daß der Begriff „Gerechtigkeit" die Möglichkeit zu i n t e r subjektiver Anerkennung einschließt, findet unter dem Stichwort „Konsensustheorie der Gerechtigkeit" eine breite Anhängerschaft sowohl i n der p h i l o sophischen als auch der juristischen Diskussion, ζ. B. Habermas, Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der k o m m u n i k a t i v e n Kompetenz, i n : Habermas / Luhmann, S. 10 f.; ders., Wahrheitstheorien, in: Festschrift für Schulz, S. 211 ff.; einen umfassenden Uberblick über Theorien des praktischen Diskurses zur Begründung v o n „Gerechtigkeit" gibt A l e x y , Theorie der juristischen Argumentation, S. 51 ff.; eine informative Einführung i n das „Gerechtigkeitsproblem" geben Koch / Rüßmann, Begründungslehre § 43, S. 358 ff.; s. a. Zippelius, Wesen des Rechts, S. 97 ff. (103, 119).

III. Wahrheit und Gerechtigkeit als Prozeßzweck

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c) Überlegungen zur Präzisierung eines Begriffs der „Gerechtigkeit" für die praktische Handhabung Wenn hier der reichlich diffuse, wissenschaftlich äußerst umstrittene Begriff „Gerechtigkeit" 2 7 eingeführt wird, sind einige Präzisierungen erforderlich, die zeigen, i n welchem Sinne er hier verstanden werden soll. (1) „Gerechtigkeit" als Maßstab für den Inhalt einer Entscheidung und warum auf den Begriff nicht verzichtet werden kann Da eine gerechte Entscheidung die Betroffenen zu freiwilligem Handeln motivieren, bzw. Zwangsmaßnahmen rechtfertigen soll, betrifft Gerechtigkeit den Inhalt der Entscheidung, denn es kommt darauf an, ob die Betroffenen ihn akzeptieren können. Der Inhalt der Entscheidung ist aber i m Prinzip unabhängig davon, wie die Entscheidung gefunden wurde. 2 8 Eine Entscheidung mit richtigem ( = gerechtem) Inhalt w i r d nicht dadurch falsch, daß sie ausgelost oder auf andere ungewöhnliche Weise gefällt wurde. Es nützt den Betroffenen wenig, wenn ein Verfahren zur Entscheidungsfindung eingehalten wurde und das Ergebnis falsch ( = ungerecht) ist. Daher ist ein Urteil noch nicht gerecht, wenn es „ i n einem anerkannten Verfahren" 2 9 gefällt wurde. Andererseits kann es den Betroffenen gleichgültig sein, wie eine Entscheidung zustandegekommen ist, wenn sie ihren Inhalt akzeptieren können. Eine Präzisierung des Gerechtigkeitsbegriffs setzt daher eine materielle Bestimmung voraus, die als Maßstab für den Inhalt der Entscheidung dienen kann. Der Idee nach verkörpert das Recht den konkreten Maßstab für richtiges ( = gerechtes) Verhalten nicht nur i m Prozeß, sondern i n allen Lebensbereichen. Das Problem einer Konkretisierung des Begriffs „Gerechtigkeit" i n der Prozeßzweckbestimmung wäre wesentlich vereinfacht, wenn er sich durch „Recht und Gesetz" ersetzen ließe. Es liegt 27

Ablehnend z.B. Geiger, Das Werturteil, in: T o p i t s c h / A l b e r t (Hrsg.), Werturteilsstreit, S. 33 (36); Carnap, Erkenntnis, Br. 2, S. 237: „Die logische Analyse spricht somit das U r t e i l der Sinnlosigkeit über jede vorgebliche Erkenntnis, die über oder h i n t e r die Erfahrung greifen w i l l . . . ; einen Satz, der ein W e r t u r t e i l ausspräche, k a n n man überhaupt nicht bilden." Vgl. auch Luhmanns „systemfunktionalen" Gerechtigkeitsbegriff, Luhmann, Rechtstheorie 4 (1973), S. 131 ff.; dazu Dreier, Rechtstheorie, S. 189 ff. m i t Erwiderung Luhmanns, S. 201 ff. — Dagegen steht die T r a d i t i o n der praktischen Philosophie; Stegmüller, Hauptströmungen I, S. X L I V ff.; auch die m a r x i s t i sche Theorie hält einen wissenschaftlichen Begriff der „Gerechtigkeit" für sinnvoll; vgl. Schischkin, Grundlagen; Klaus / B u h r (Hrsg.), Philosophisches Wörterbuch Stichwort „Gerechtigkeit" (Bd. 1 S. 401) u. „ E t h i k " (Bd. 1 S. 327 346). 28 Luhmann, Legitimation, S. 60. 29 So aber Pawlowski, ZZP 80 (1967), S. 369.

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2. Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks

aber auf der Hand, daß sich die Möglichkeit nicht ausschließen läßt, daß es Recht gibt, das nicht von allen akzeptiert werden kann. Wenn man die Zustimmung aller als notwendige Bedingung für Gerechtigkeit auffaßt, ist eine solche Konkretisierung von vornherein ausgeschlossen. Es liegt aber nahe, die tatsächliche Zustimmung aller nicht so aufzufassen. Dies nicht so sehr, weil sie sich praktisch kaum feststellen läßt, sondern weil sie zu einer Einstimmigkeitsregel führt, die durch jeden Böswilligen oder Ignoranten blockiert werden kann und die, verbunden m i t der Aufforderung, nur gerechte Entscheidungen zu fällen, zur „Gefahr einer durch Minderheitendiktat verordneten Entscheidungsunfähigkeit" führt. 3 0 Es h i l f t aber auch nicht weiter, die Zustimmung aller nur als hinreichende Bedingung zu behandeln, weil damit nichts darüber gesagt ist, was denn unterhalb der Schwelle der Zustimmung aller ausreichen soll. Die Konsensustheorie der Gerechtigkeit behandelt die Zustimmung aller denn auch weiterhin als notwendige Bedingung, führt aber m i t dem Merkmal der „kognitiven Kompetenz" Anforderungen an das Wissen und Denkvermögen ein, die über die Beachtlichkeit bzw. Unbeachtlichkeit der Zustimmung (oder Ablehnung) entscheiden. 31 Gerecht sind dann die Normen und Entscheidungen, denen die Betroffenen mit Rücksicht auf ihr wohlverstandenes eigenes Interesse zustimmen können. 32 Leider läßt sich aber auch nicht ausschließen, daß es positives Recht gibt, das auch diesem relativierten Maßstab nicht genügt. Entscheidungen, die einem solchen falschen Maßstab entsprechen, wären ihrerseits nicht akzeptabel und würden dem Zweck des Prozesses nicht genügen. Für die Bestimmung des Prozeßzwecks muß daher auf einen Begriff zurückgegriffen werden, der noch allgemeiner ist als „Recht und Gesetz". Ein anderer als „Gerechtigkeit" ist dafür nicht ersichtlich, und es bleibt das Problem, i h n m i t Inhalt zu füllen. (2) Schwierigkeiten einer inhaltlichen Bestimmung und praktische Annäherung (a) Ohne daß man tief i n die philosophische Diskussion 33 über Wert und Unwert, Möglichkeiten und Grenzen eines Gerechtigkeitsbe30

Koch / Rüßmann, Begründungslehre, § 43.3., S. 364. Dazu Koch / Rüßmann, Begründungslehre, ebenda. 32 Koch / Rüßmann, Begründungslehre, § 43.3. a) dd), S. 369; ähnlich A l e x y , Theorie der juristischen Argumentation, S. 252 (Regel 5.1.2.); Habermas, Theorie des k o m m u n i k a t i v e n Handelns Bd. 1, S. 39. 33 Siehe die Angaben i n F N 26, 27 u n d aus der ausländischen L i t e r a t u r Rawls. Theory of Justice; dazu A l t h a m , Philosophy 48 (1973), S. 75 ff.; Perelman, Über die Gerechtigkeit (1967); Hare, Die Sprache der M o r a l (1972). 31

III. Wahrheit und Gerechtigkeit als Prozeßzweck

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griffs, seines Inhalts und seiner Bestimmung eindringen muß, läßt sich feststellen, daß eine inhaltliche Bestimmung, die praktischen Anforderungen genügt und allgemein akzeptiert wird, nicht i n Sicht ist. Das gilt auch für die Konsensustheorien, die allenfalls einen „archimedischen P u n k t " 3 4 festlegen, auf den sich die Bemühungen um Entscheidungen, die das Prädikat „gerecht" verdienen, ausrichten lassen. Eine hinreichende Konkretisierung, welchen Inhalt Entscheidungen haben sollen, u m dem Prozeßzweck zu genügen, ist damit keinesfalls gefunden. Dies könnte zu dem resignierenden Schluß verleiten, daß die Bestimmung des Prozeßzwecks durch eine gerechte Entscheidung unbrauchbar und damit unsinnig und falsch ist. (b) Die Schwierigkeiten bei der inhaltlichen Ausfüllung des Gerechtigkeitsbegriffs zwingen jedoch nicht dazu, diesen Anspruch an den Prozeß aufzugeben. Er ist nur deshalb problematisch, weil er für eine praktische Handhabung zu unbestimmt erscheint. M i t dem Postulat des Anspruchs ist aber noch nicht über seine praktische Handhabung entschieden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Gerechtigkeit hier gleichgesetzt wurde mit der Möglichkeit einer Anerkennung durch die Betroffenen. „Gerecht" i m hier verwendeten Sinne ist daher das, was sie akzeptieren können. Es kommt nicht darauf an, ob dies auch einem absoluten Gerechtigkeitsbegriff standhält, der unabhängig von bestehenden Gesellschaftsordnungen über alle Zeiten unverändert gilt, denn weder vergangene, noch zukünftige Menschen können durch ihre Handlungen das staatliche Gewaltmonopol hier und heute beanspruchen oder entlasten. Die Perspektive der Vergangenheit oder Zukunft ist dafür nur insoweit relevant, als sie das wohlverstandene Interesse der Lebenden beeinflußt und damit K r i t e r i u m ihrer Zustimmung oder Ablehnung wird. Der Prozeß erfüllt seinen Zweck daher auch, wenn er nur einer relativen, auf die jeweilige Gesellschaft bezogenen Gerechtigkeit genügt. Eine gesellschaftlich organisierte Konkretisierung von „Gerechtigkeit" findet sich i n Recht und Gesetz. Sie stellen (auch wenn sie m i t der Gerechtigkeit nicht identisch sind) den für den Prozeß handhabbaren Maßstab dar. Bei allen Bedenken gegenüber der Richtigkeit oder Gerechtigkeit des (positiven) Rechts ist es diejenige Konkretion von Gerechtigkeit, die noch am ehesten Anspruch auf allgemeine Zustimmung i n Anspruch nehmen kann. 3 5 34

Koch / Rüßmann, Begründungslehre, § 43.3., S. 369. Z u m Problem der Grenzen des (positiven) Rechts gegenüber M o r a l bzw. Gerechtigkeitsprinzipien: Dreier, Recht u n d Moral, in: Recht — M o r a l — Ideologie, S. 180 ff. m i t Nachweisen. 35

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2. Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks

Zweck des Prozesses ist demnach, eine an Gesetz und Recht orientierte, gerechte Entscheidung zu finden. 3 6 3. Probleme von „Recht und Gesetz" als Maßstab für den Inhalt einer Entscheidung

Die Forderung nach einer Orientierung am Gesetz birgt eine Reihe weiterer Probleme. Fraglich ist, inwieweit eine Gesetzesbindung einerseits möglich und andererseits angesichts der Forderung nach gerechter Entscheidung sinnvoll und wünschenswert ist. a) Dynamik

des Gesetzes und Grenzen der Gesetzesbindung

Die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer Gesetzesbindung, wie sie A r t i k e l 20 Abs. 3 GG verlangt, ist ein beherrschendes Thema der rechtstheoretischen, rechtsmethodischen und rechtssoziologischen Diskussion. Ausgangspunkt des Gesetzesbindungspostulats ist die der Begriffsjurisprudenz zugeschriebene Vorstellung, die Entscheidungstätigkeit sei reiner Gesetzesvollzug, der juristisch-technisch durch Subsumtion eines konkreten Sachverhalts unter ein allgemeines Gesetz zu bewältigen sei. Dieses Rechtsanwendungsmodell ist aber weder methodisch haltbar, noch war es je eine zulängliche Beschreibung der Praxis, und es war auch nicht geeignet, sie anzuleiten oder zu kontrollieren. Es übersah, daß jedes Gesetz notwendigerweise unvollkommen bleibt, weil es als schematischer Vorgriff auf die zu regelnde Wirklichkeit nie alle möglichen Einzelfälle erfaßt. Das Gesetz darf nicht als etwas vollständig Statisches, das nach seiner Setzung unverändert bleibt, mißverstanden werden. Zu berücksichtigen ist, daß seine Geltung einer laufenden Veränderung durch neue Auslegungen und Konkretionen unterliegt. Veränderungen, die durch richterliche Entscheidungen ebenso beeinflußt werden, wie durch die wissenschaftliche Diskussion oder durch einen Wechsel allgemeiner A n schauungen, der die Notwendigkeit einer „Anpassung des Gesetzes" durch neue Auslegungen deutlich macht. 37 36 Diese teilweise Zurücknahme des Gerechtigkeitspostulats für eine p r a k tische Handhabung ist die einschneidenste Restriktion i n der Prozeßzweckbestimmung. Sinn oder Unsinn unserer Bestimmung hängen davon ab, i n wieweit Recht u n d Gesetz der jeweiligen Gesellschaft adäquat u n d akzeptabel sind. Das g i l t aber auch umgekehrt: W e n n Recht u n d Gesetz unakzeptabel u n d ungerecht werden, w i r d der Prozeß zunehmend zwecklos, bis die Gesetze schließlich n u r noch durch das staatliche Gewaltmonopol gegen den Widerstand aller durchgesetzt werden können. Diesen Zustand w i r d allerdings keine Gesellschaft j e erreichen müssen. Sie w i r d sich vorher (ggf. durch Revolution) aufgelöst oder geändert haben. 37 Esser, AcP 172 (1972), S. 97 (112): die Programmierung des N o r m -

III. Wahrheit und Gerechtigkeit als Prozeßzweck

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Es ist daher auch Zweck des Prozesses, das geschriebene Recht an Hand des konkreten Falles fortzuentwickeln 3 8 , u m ein gerechtes Ergebnis zu erzielen. Insofern ist die Rechtsfortbildung nicht auf die Revisionsgerichte beschränkt 39 ; deren Besonderheit besteht nur darin, daß sie Rechtsfortbildung „auf höchster Ebene" betreiben, damit ein größeres Maß an Verbindlichkeit für andere Entscheidungen erreichen und so der Vereinheitlichung der Auslegung dienen. (Vgl. § 137 GVG) Dies alles dient dem Zweck, eine gerechte Entscheidung treffen zu können. Aber auch, wo es nicht gleich u m Rechtsfortbildung i m engeren Sinne geht, hat der Richter — bei der Bewertung von Tatsachen, bei der Auslegung des Rechts — zwischen Alternativen zu entscheiden, ohne daß das Gesetz diese Entscheidung allein bestimmen könnte. 4 0 Diese grundsätzlichen Probleme verhindern unter anderem, daß sich Entscheidungstätigkeit i m Prozeß auf eine Anwendung von Gesetzen beschränken könnte. 4 1 Sie werden verschärft durch die bereits angesprochene Desorientierung i n der theoretischen Diskussion 42 und durch die Frage nach der Gerechtigkeit des positiven Rechts. W i l l man angesichts dieses Befundes das Gesetzesbindungspostulat nicht aufgeben, muß das Verhältnis von richterlicher Entscheidung und Gesetz anders präzisiert werden. b) Gesetzesbindung als selbstverpflichtetes

politisches

Handeln

(1) Das Rechtsanwendungsmodell, das die Entscheidungstätigkeit als reinen Gesetzesvollzug — i n Anlehnung an die Naturwissenschaften und ihre exakten Methoden gerade so wie die Mechanik einer Maschine — beschrieb, wollte m i t der Bindung des Richters an das Gesetz verbürgen, daß das Gesetz und nicht der Richter herrscht. Als adäquater Ausdruck bürgerlich-liberalistischer Staatsauffassung sollte die Herrschaft des Gesetzes, gesichert durch eine von der Exekutive unabhängige Justiz, den Staatsbürger vor staatlicher W i l l k ü r schützen. Die dem Konstitutionalismus eigene Entgegensetzung von politischem Staat und unpolitischer Privatrechtsgesellschaft spiegelte sich i n der Entgegensetinhalts (ist) nicht ausschließlich Sache des Gesetzgebers, sondern eine Kooperationsfrage v o n Textformulierung u n d Textverständnis i m Lichte der a k t u ellen Problemsicht." Vgl. auch Eike Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, S. 22. 38 Z u m Prozeßzweck „Rechtsfortbildung" siehe oben 2. Abschnitt T e i l 2 I I 11). 89 Pawlowski, Z Z P 80, 345 (357). 40 Strecker, ZRP 1984, S. 124; Larenz, Methodenlehre, S. 222 ff., 233 ff. 41 F ü r alle Larenz, Methodenlehre, S. 154: „Daß die A n w e n d u n g der Gesetzesregeln nichts anderes als eine logische Subsumtion unter begrifflich geformte Obersätze sei, k a n n . . . i m Ernst niemand mehr behaupten." 42 Siehe oben 1. Abschnitt T e i l 3 I I I 3 c) bei F N 106/107. 10 Schaper

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2. Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks

zung von Politik und Recht wieder und setzte einem demonisierten Politikbegriff einen entpolitisierten Rechtsprechungsbegriff entgegen, der den Richter einerseits zum Subsumtionsautomaten stempelte, i h n andererseits aber von jeglicher Verantwortlichkeit für seine Entscheidungen frei sprach. M i t dem Zerbrechen dieses Rechtsanwendungsmodells t r i t t der Gedanke ins Blickfeld, daß Entscheidungstätigkeit eine schöpferische Leistung voraussetzt, für die der Richter eigene Verantwortung übernehmen muß. Die richterliche Unabhängigkeit gewinnt damit eine andere Bedeutung: Sie w i r d die Voraussetzung zur verantwortlichen Selbstverpflichtung gegenüber dem Gesetz und der eigenen Entscheidung. 43 I n dieser Perspektive kann Entscheidungstätigkeit nicht mehr als unpolitisch begriffen werden. Die dem Richter notwendigerweise belassenen Freiräume weisen i h m eine nicht unerhebliche Machtfülle zu, da er über den staatlichen Zwangsapparat verfügen kann. Sein Handeln ist daher politisches Handeln, und die Forderung, dies als solches zu begreifen und i n den Zusammenhang gesellschaftlicher und sozialer Entwicklungen zu stellen, nur konsequent. 44 Nur wer sich der politischen Funktion der Entscheidungstätigkeit bewußt ist, kann Verantwortung für diese Tätigkeit übernehmen. Diese Verantwortlichkeit verlangt vom Richter, daß er seine Entscheidungen daraufhin überprüft, ob sie „gerecht", das heißt allgemein akzeptabel und konsensfähig sein können. 45 Blinder Gehorsam gegenüber dem Gesetz ist dazu weder ausreichend, noch ist er überhaupt möglich. (2) Eine Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) ist wohl nur i n Form einer Ergänzung möglich, bei der die Leitlinien des Gesetzgebers zur Konfliktentscheidung vom Richter übernommen und i n „denkendem Gehorsam gegenüber dem Gesetzgeber" 46 zur Lösung konkreter Konflikte fortgeschrieben werden. Das alles geschieht nicht i m luftleeren Raum, sondern i n einem politischen, sozialen, ökonomischen Kontext, der durch jede richterliche Entscheidung beeinflußt und m i t gestaltet w i r d . 4 7 Ob und wie ein Plan des Gesetzgebers verwirklicht werden kann, hängt weitgehend von den realen Verhältnissen der gesetzlich geregelten Lebensbereiche ab und von den realen Folgen möglicher Entschei43 44 45 48 47

Dazu Koch / Rüßmann, Begründungslehre, § 43.3., S. 366. Wassermann, Der politische Richter, S. 17 ff. Vgl. BVerfGE 34, 269, 287. Esser, Wertung, S. 8. Strecker, ZRP 1984, 124.

III. Wahrheit und Gerechtigkeit als Prozeßzweck

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dungsalternativen. Ohne empirisches Wissen, auch sozialwissenschaftliches, ist eine rationale Entscheidung nicht denkbar. 4 8 Nur wenn dieser Kontext bei der Entscheidungstätigkeit mitbedacht, beachtet und offengelegt wird, ist eine selbstverantwortliche Entscheidung möglich, die als begründete oder wenigstens begründbare den Konsens einwerben kann, der sie als „gerecht" auszeichnet. Die hier beschriebene Arbeitsteilung zwischen Gesetzgebung und Prozeß setzt zudem voraus, daß die notwendigen Informationen Eingang i n die prozessuale Kommunikation finden. Auch darauf hat der Richter zu achten und eventuell ungleiche Kommunikationschancen abzugleichen. 4 9 (3) Die Darstellung des komplexen Verhältnisses von gesetzlichen Vorgaben und verantwortlicher Entscheidung unter den Bedingungen eines notwendig unvollkommenen Charakters einzelner Normen oder gar ganzer Rechtsgebiete und des Anspruchs einer Orientierung an der Verfassung, verbunden m i t der Forderung nach Konsensfähigkeit muß hier thesenhaft und pauschal bleiben. Es geht hier nicht darum, ausdifferenzierte Auslegungsregeln oder gar eine juristische Supermethode zu entwickeln, sondern nur darum, die Möglichkeiten und Grenzen einer Gesetzesbindung darzutun. Das Ergebnis ist — wenn man so w i l l — eine Forderung nach kritischer Solidarität gegenüber dem gesetzten Recht, die wohl auch m i t der Formel des „nicht unkritischen Gesetzespositivismus" 5 0 umschrieben sein soll. Inwieweit eine Gesetzesbindung jedenfalls sprachlich-logisch, also juristisch-technisch möglich ist, haben Koch und Rüßmann umfassend dargelegt. 51 Darauf kann bezüglich der technischen Möglichkeiten und Grenzen verwiesen werden, ohne daß Einzelfragen problematisiert und ohne daß damit ein Urteil über Sinn und Grenzen einer Begründungslehre gefällt werden müßte. c) Gesetzesbindung und soziale Kontrolle Die dargestellte offene Gesetzesbindung w i r d durch soziale Kontrollmechanismen gegen eine denkbare unbegrenzte Interpretationsherrschaft der Entscheidenden abgesichert. Sie w i r k e n daran mit, daß das Gesetz über den guten Willen des Einzelnen hinaus „motivfähig" für die Entscheidung bleibt. 48 Dazu ζ. B. Nauke, Über die juristische Relevanz der Sozial Wissenschaft e n (1972); Koch / Rüßmann, Begründungslehre, § 18.2.C, S. 219, 221. 49 Bender, J Z 1982, S. 709 ff.; B V e r f G N J W 1976, 1391 ff.; siehe auch u n t e n Teil 4 II. 60 Böttcher, K J 1981, S. 176. 51 Koch / Rüßmann, Begründungslehre; vgl. schon Koch, Methode i m Staatsrecht, S. 20 ff.

10*

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2. Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks

M i t dem Ende eines jeden Prozesses muß sich der Richter m i t seiner Entscheidung der K r i t i k stellen. Bei unteren Gerichten ist die K r i t i k möglichkeit durch den Instanzenzug institutionalisiert. Die große Bedeutung, die die höchstrichterliche Rechtsprechung für die Entscheidungen unterer Gerichte hat, zeigt, daß diese Kritikmöglichkeit tatsächlich die Interpretationsherrschaft einschränkt. Aber auch höchstrichterliche Entscheidungen müssen sich der K r i t i k stellen. Sie w i r d nicht nur von der (Rechts-)Wissenschaft ausgeübt, sondern auch von Verbänden, Presse u. ä., und schließlich vom Gesetzgeber, wenn er Gesetze i m Hinblick auf eine bestimmte höchstrichterliche Rechtsprechung ändert. Mag auch die Effizienz dieser sozialen Kontrollmechanismen fraglich sein, so ist die Gesetzesbindung doch nicht nur eine unverbindliche Forderung und ein schöner Schein für Uneingeweihte, sondern eine — wenn auch beschränkt wirksame — Realität. Eine Realität, deren vielleicht wichtigste Grundlage die juristische Ausbildung ist, die unter anderem ein am Gesetz orientiertes konsistentes Verhalten von späteren Richtern zum Gegenstand hat. 5 2 d) Alternativen

zum Gesetzesbindungspostulat

Die Grenzen der Gesetzesbindung erfordern, bei der Prozeßzweckbestimmung weiter auf den übergeordneten Gerechtigkeitsbegriff zurückzugreifen und werfen die Frage auf, ob angesichts des komplexen Modells einer voraussetzungsvollen, offenen und kritischen Gesetzesbindung auf eine Orientierung an Recht und Gesetz als Prozeßzweck nicht verzichtet werden sollte. (1) Die einzige Alternative zu dem Versuch einer kritischen Rekonstruktion der Legalordnung ist jedoch, das Prozeßergebnis von der Bindung an Recht und Gesetz zu befreien und der individuellen Gerechtigkeitsvorstellung des entscheidenden Richters zu überlassen. Dies ist kaum sinnvoll. 5 3 Sicher ist es denkbar, auf die handlungsleitende Funktion des Gesetzes zu verzichten. Sie müßte aber durch andere soziale Mechanismen ersetzt werden, wenn dadurch nicht die innere Konsistenz der Gesamtrechtsordnung aufgegeben werden soll. So w i r d diese Funktion i n anderen Rechtsordnungen, insbesondere den angelsächsischen, zum Beispiel durch Präjudizrecht, erfüllt. Derartige Alternativen sind hier aber nicht gemeint, denn sie bedeuten nicht die Aufgabe normativer Vor52 Richter, Bedeutung der Herkunft, S. 47; Wassermann, Erziehung zum Establishment?, i n : ders. (Hrsg.), Erziehung zum Establishment, S. 34 ff. (36). 53 Dazu oben 2. Abschnitt T e i l 3 I I 2 m i t der K r i t i k der Auffassung Sauers; kritisch auch Eike Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, S. 31 f.

III. Wahrheit und Gerechtigkeit als Prozeßzweck

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gaben, sondern nur eine Änderung der juristischen Technik, die nicht zur Diskussion steht. Gemeint sind soziale und politische Reaktionen auf einen Zersetzungsprozeß der Legalordnung, der wegen des damit verbundenen Machtzuwachs der Justiz und der Vergrößerung ihres politischen Handlungsspielraums eine direkte politische Kontrolle geradezu herausfordern würde. Dies gilt u m so mehr, als die Richterschaft heute — anders als i n der Vergangenheit — kein monolitischer Block m i t einheitlichen Wertvorstellungen mehr ist. 5 4 Selbst das „statistisch signifikant konservative Potential" 5 5 , das die Untersuchungen zur Richtersoziologie aus den 60er und frühen 70er Jahren ausgewiesen haben 5 6 , hat — bedingt durch einen Generationenwechsel i n der Justiz — einem i m Ansatz pluraleren B i l d Platz gemacht. Selbst wenn dies i m Einzelfall zu richtigeren Entscheidungen führt, die Gerechtigkeitsvorstellungen insgesamt werden dadurch weniger berechenbar. Die entsprechenden Kontrollmechanismen müßten sich dann auf die Person des Richters, seiner Auffassung, sein Verhalten und seine konkrete Entscheidungstätigkeit erstrecken. Allenfalls Ansätze dazu könnte man i n „Beurteilungen, die das Weltbild des Beurteilenden zum Maßstab der Dinge machen" 57 , entsprechender Beförderungspolitik und Versuchen zu extensiver Dienstaufsicht 58 erkennen. Es bleibt der Phantasie überlassen, sich effektivere und einschneidendere Kontrollinstrumente vorzustellen, deren gemeinsames Merkmal wäre, daß sie sich — anders als die sozialen Kontrollmechanismen zur Sicherung der Gesetzesbindung 5 9 — nicht m i t dem Maßstab des Gesetzes messen lassen müßten. Mangels eines inhaltlichen Kriteriums für die Richtigkeit der Entscheidung müßte die politische Opportunität und die richtige Gesinnung des Entscheidenden Maßstab der Kontrolle sein. Die Geschichte der deutschen Justiz kennt warnende Beispiele. 54

Böttcher, K J 1981, S. 173. Koch / Rottleuthner, Gesetzesbindung, S. 15; dazu Koch, Methode i m Staatsrecht, S. 22 F N 15. 58 Kaupen / Rasehorn, Justiz zwischen Obrigkeitsstaat u n d Demokratie (1971); Kaupen, H ü t e r v o n Recht u n d Ordnung, bes. S. 140 ff.; Richter, Zur soziologischen Struktur, bes. S. 39 ff.; ders., schon in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- u n d Gesellschaftspolitik 1960, S. 241 ff.; dazu Dahrendorf, der das W o r t v o n der „halbierten Gesellschaft" der Richter geprägt hat: „ I h r e soziale W e l t reicht v o n den Spitzen der verschiedenen Funktionsbereiche bis zur unteren Mittelschicht . . . " (Deutsche Richter, i n : Gesellschaft u n d Freiheit, S. 194); vgl. aber auch Werle, Progressive Juristen?, in: Kaupen / Werle, Soziologische Probleme, S. 119 ff. (bes. S. 178 f.) m i t den Feststellungen über sozialdemokratische Juristen. 57 Böttcher, K J 1981, S. 178. 58 Dazu u n d zu den verfassungsrechtlichen Grenzen Kisker, N J W 1981, S. 799. 59 Siehe oben 3 c). 55

1 5 0 2 . Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks Daß diese Alternative i m übrigen m i t A r t . 20 Abs. 3 GG und A r t . 97 GG nicht vereinbar wäre, bedarf wohl keiner weiteren Darlegung. (2) Eine Alternative zum Gesetzesbindungspostulat findet sich auch nicht i n der Auffassung, der Prozeßzweck sei durch „Schlichtung sozialer Konflikte" zu bestimmen. Dies ist weder die Intention ihrer Vertreter, noch läßt sich damit eine genügend konkrete Bestimmung für den Inhalt einer Entscheidung treffen. Diese Auffassung stellt vielmehr den Versuch dar, den abgegriffenen und nebulös erscheinenden Begriff der Gerechtigkeit zu umschreiben und zu konkretisieren. 60 Gegenüber der hier vorgeschlagenen Prozeßzweckbestimmung — Finden einer gerechten, am Gesetz orientierten Entscheidung — sind diese Versuche jedoch weniger leistungsfähig. Soweit damit die differenzierte gesetzliche Regelung auf eine einzige, wiederum relativ unbestimmte Generalklausel reduziert wird, bringt deren Anwendung die gleichen Probleme m i t sich, wie die Berufung auf eine diffuse „Gerechtigkeit". Der Inhalt des Prozeßzwecks w i r d wiederum dem einzelnen Richter überantwortet. Die dabei entstehenden Probleme können auch durch eine verbesserte Ausbildung, die sich stark an sozialwissenschaftlichen Ergebnissen orientiert, allenfalls gemildert, nicht aber beseitigt werden 6 1 , weil i n jedem Falle normative Vorgaben erforderlich sind, die einer Kontrolle entzogen wären. Die Befreiung des Richters von der Bindung an das Gesetz ist denn auch m i t der Betonung der sozialgestalterischen Aufgabe des Gerichts i n der Regel nicht intendiert. 6 2 Dann aber verbirgt sich hinter der vorgeblichen Prozeßzweckbestimmung nur eine Auslegungsregel für die Anwendung des Gesetzes i m Prozeß. Auslegungsregeln sind aber nicht Prozeßzweck, sondern ein Mittel, den Prozeßzweck zu v e r w i r k lichen. Das bedeutet nicht, daß etwa Appelle, die Sozialstaatlichkeit des Grundgesetzes ernst zu nehmen und für eine Auslegung des (einfachen) Gesetzes fruchtbar zu machen, überflüssig oder gar verfehlt wären. 60

Siehe oben 2. Abschnitt Teil 2 I I 10). Kaupen / Rasehorn, Justiz zwischen Obrigkeitsstaat u n d Demokratie (1971), S. 199 ff. 62 Die K r i t i k der sozialwissenschaftlichen Argumentation, die i h r u n t e r stellt, sie plädiere für eine Ersetzung des Gesetzes durch Richterrecht nach politischen Maßstäben (Rupp, N J W 1973, S. 1769 ff.; Jauernig, JuS 1971, S. 333 f.) unterscheidet n i d i t ausreichend zwischen der Frage, 1. ob u n d w i e eine Bindung des Richters an das Gesetz möglich ist, u n d 2. ob u n d w i e die Auslegung des Gesetzes durch Berücksichtigung sozialwissenschaftlicher A r gumente verbessert werden kann. Dazu Koch / Rottleuthner, Gesetzesbindung, S. 3 ff.; Koch, Methode i m Staatsrecht, S. 20 ff. 61

III. Wahrheit und Gerechtigkeit als Prozeßzweck

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Die K r i t i k richtet sich vielmehr darauf, daß das Anliegen über die Hintertür der Prozeßzweckdiskussion vorgebracht wird. Schließlich w i r d auch nicht verkannt, daß die Erreichung des hier vertretenen Prozeßzwecks keineswegs unabhängig von einer „richtigen" Auslegung des Gesetzes ist, denn eine gerechte Entscheidung ist — wie unten (Punkt 4) noch gezeigt werden soll — letztlich nur möglich, wenn sie auf gerechten Normen beruht. Dabei hängt die Verwirklichung der Forderung, aus „formalem Rechtsschutz auch materiellen Sozialschutz" 63 werden zu lassen, nicht nur von materiell-, sondern auch von prozeßrechtlichen Regelungen ab. Aber auch dieser Zusammenhang von Prozeß, Prozeßrecht und materiellem Recht beschreibt eben nur Mittel zur Erreichung des Prozeßzwecks, der selbst sinnvoller Weise umfassender zu formulieren ist. e) Zwischenergebnis Es bleibt festzuhalten, daß eine Orientierung an Gesetz und Recht möglich und sinnvoll ist, u m eine gerechte Entscheidung i m Prozeß zu erreichen. Ein anderer praktisch handhabbarer Maßstab ist nicht i n Sicht. Für die Prozeßzweckbestimmung ist es i m übrigen ohne Bedeutung, ob ein Richter i m Einzelfall seine prozessuale Entscheidung gefunden hat, weil er sich an das Gesetz gebunden fühlte, und ob er sich vom Gesetz tatsächlich hat leiten lassen. Sein privater Weg zur Entscheidung ist für ihren Gerechtigkeitsgehalt unerheblich, denn die Frage, ob seine Entscheidung gerecht ist, beurteilt nicht er, sondern die anderen, die sie akzeptieren sollen und dafür ist es ohne Bedeutung, wie die Entscheidung gefunden wurde. 6 4 Wenn der Richter den Prozeßzweck nicht verfehlen w i l l , tut er allerdings gut daran, sich am Gesetz als einigermaßen handhabbarer Konkretisierung eines allgemeinen Gerechtigkeitsverständnisses zu orientieren. Von dieser Sicht sind die Unbestimmtheit und Unvollständigkeit des Gesetzes und die richterliche Interpretationsherrschaft eher eine Last als eine Befreiung von lästigen Bindungen, erschweren sie ihm doch, den Maßstab für eine dem Prozeßzweck entsprechende Entscheidung zu finden. Die Probleme bei der Anwendung des Gesetzes rechtfertigen es nicht, den Prozeßzweck „Finden einer gerechten, am Gesetz orientierten Entscheidung" aufzugeben. es 64

Eike Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, S. 33. Siehe oben 2 c) (1).

1 5 2 2 . Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks 4. Zum Verhältnis von materiellem Recht, Prozeßrecht und Gerechtigkeit

a) Materielles

Recht und Prozeß

Bedingung dafür, daß eine „am Gesetz orientierte" Entscheidung gerecht sein kann, ist, daß das Gesetz selbst gerecht ist. Trotz der oben bereits erwähnten Dynamik des gesetzten Rechts, dessen Geltung u. a. von Konkretisierungen, die es i n Prozessen erfahren hat, mitbestimmt wird, hat der Prozeß nur beschränkte Möglichkeiten, Ungerechtigkeiten des Gesetzes zu korrigieren. Dies gilt u m so mehr, als die Prozeßbeteiligten, insbesondere die Richter, nicht berufen sind, ihre Gerechtigkeitsvorstellungen gegen das Gesetz durchzusetzen. 65 Die Frage der richtigen Behandlung des Gesetzes i m Prozeß kann auch durch die Prozeßzweckbestimmung nicht beantwortet werden, sondern gehört i n den Zusammenhang der Diskussion u m Auslegungsregeln, Dogmatik, Rechtsmethodik und Theorie. Für den Prozeß muß nur sichergestellt werden, daß die Umstände, die die Dynamik des Gesetzes beeinflussen, bei der Entscheidung auch berücksichtigt werden. Sie sind daher i n die Kommunikation der Beteiligten einzubeziehen. I m übrigen bleibt nur die Forderung, das positive Recht auch außerhalb des Prozesses auf seine Gerechtigkeit zu überprüfen. b) Der Gerechtigkeitswert verfahrensrechtlicher Normen und der Zusammenhang von Prozeßrecht und materiellem Recht Die Gerechtigkeitsanforderung ist für das materielle Recht allgemein anerkannt. Für das Prozeßrecht dagegen t r i t t sie nach verbreiteter A u f fassung jedoch hinter eine davon losgelöste Zweckmäßigkeitsanforderung zurück. 66 Diese Trennung von Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit läßt sich nicht aufrechterhalten. (1) Wenn die Entscheidung i m Prozeß gerecht sein soll, müssen alle Normen, die diese Entscheidung beeinflussen, ihrerseits Gerechtigkeitsanforderungen genügen. Es ist bereits dargestellt worden 6 7 , daß sich die Zweckmäßigkeit der prozessualen Normen nur auf den Prozeßzweck, also das Finden einer gerechten Entscheidung, beziehen kann. Hinter der Zweckmäßigkeit müssen daher zumindest insoweit Gerechtigkeitserwägungen stehen, als die prozessualen Normen den Inhalt der Entscheidung bestimmen können. Dies gilt aber praktisch für alle Normen 65 Die neuere E n t w i c k l u n g i n der Methodendiskussion scheint auf eine »Rückkehr zum Positivismus' hinauszulaufen; dazu Christensen / Kromer, K J 1983, S. 41 ff. m i t Nachweisen; das Bemühen u m einen theoretisch u n d methodisch abgesicherten Positivismus scheint m i r auch ein durchgehender Zug bei Dreier, Recht — M o r a l — Ideologie, zu sein. 86 Siehe oben 2. Abschnitt T e i l 3 I I I 1 c. 87 Siehe oben 2. Abschnitt T e i l 3 I I I 1 c.

III. Wahrheit und Gerechtigkeit als Prozeßzweck

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des Prozeßrechts. Es betrifft ζ. B. schon die Normen, die die Zuständigkeit eines Gerichts und allgemein die Zulässigkeit des gerichtlichen Verfahrens regeln. Daß Rechtsstreitigkeiten den unterschiedlichen Zweigen der Gerichtsbarkeit zugewiesen sind, ist keine reine Frage einer bloß zweckmäßigen Arbeitsteilung, denn die Zivil-, Arbeits-, Verwaltungsund Strafgerichte usw. unterscheiden sich nicht nur durch die Besetzung der jeweiligen Gerichte, sondern auch durch grundsätzliche Prozeßmaximen. Wenn das Zivilverfahren von Beibringungsgrundsatz und Dispositionsmaxime (d. h. der Verfügungsfreiheit der Parteien) beherrscht ist, während i m Verwaltungsprozeß der Untersuchungsgrundsatz gilt, den Parteien aber eine Dispositionsbefugnis bleibt und i m Strafprozeß Anklagegrundsatz und Offizialmaxime gelten, zeigen sich nicht zufällige historische Relikte, sondern grundsätzliche Wertentscheidungen, die eng m i t dem jeweiligen materiellen Recht zusammenhängen. Die Dispositionsmaxime ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Parteien über das materielle Rechtsverhältnis, das Gegenstand des Verfahrens ist, verfügen können. Dann gibt es keinen Grund, ihnen diese Verfügungsgewalt i m Prozeß zu nehmen. Soweit sie jedoch außerhalb des Verfahrens nicht darüber verfügen können, wäre es nicht nur unzweckmäßig, sondern auch ungerecht, ihnen diese Macht i m Prozeß einzuräumen. 68 So mag i m Verwaltungsprozeß ein Anerkenntnis grundsätzlich möglich sein 69 , dies gilt aber nur insoweit, als die Beteiligten nicht durch zwingende Rechtsnormen gebunden oder Rechte Dritter i m Spiel sind. 70 Klagt ζ. B. ein Nachbar gegen eine Baugenehmigung, muß es der Behörde verwehrt sein, die Klage anzuerkennen, weil sie sonst über die Rechte des Bauherrn verfügen würde. Selbst i m Zivilprozeß unterliegt das Anerkenntnis diesen Grenzen, denn nach allgemeiner Meinung ist es unwirksam, wenn es sich auf eine gesetzes- oder sittenwidrige Forderung bezieht. 71 (2) Die Verknüpfung von materiellem und prozessualem Recht zeigt sich aber nicht nur bei den Prozeßmaximen, sondern auch an den Möglichkeiten, den Ablauf der Kommunikation und das Urteil durch prozessuale Lasten zu bestimmen. 68

Grunsky, Grundlagen § 3 I I 1, S. 19 f. O V G Hamburg N J W 1977, S. 214; R e d e k e r / v . Oertzen § 107 Rdn. 6; a. A . noch B V e r w G N J W 1957, S. 885. 70 Eyermann / Fröhler § 107 Rdn. 7. 71 R G J W 1926, S. 2740; O L G Düsseldorf N J W 1974, S. 1517; Stein / Jonas / Schumann / Leipold (19. Aufl.) § 307 I I I 2; § 306 I I 1; Baumbach / Lauterbach / H a r t m a n n § 307 A n m . 2 C. 99

1 5 4 2 . Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks Da Lasten nur eingesetzt werden können, wo der „Belastete" über das materielle Rechtsverhältnis verfügen kann 7 2 , sind die Folgen von Fristversäumung, Nichterscheinen und Verletzung von Formanforderungen je nach dem materiellen Recht unterschiedlich zu regeln. I m Zivilprozeß können den Betroffenen wegen der Verfügungsmöglichkeiten über das materielle Rechtsverhältnis mehr Lasten auferlegt werden als i m Strafverfahren. Aber auch dort sind Lasten nicht ausgeschlossen: Da es jedem Angeklagten freisteht, ein Rechtsmittel einzulegen und eventuell zurückzunehmen, kann sein Nichterscheinen bei der Berufungsverhandlung anders als bei der erstinstanzlichen Hauptverhandlung durch die prozessuale Last sanktioniert werden, daß sein Rechtsmittel verworfen w i r d (§ 329 StPO). 73 Das gleiche gilt für die Einhaltung von Frist- und Formvorschriften (vgl. §§ 319, 322, 346 StPO). Ob prozessuale Lasten angebracht sind und die Nichtbeachtung von prozessualen Vorschriften allein zu einer bestimmten Entscheidung führen darf, ist keine Frage reiner Zweckmäßigkeit, sondern eine Frage der Gerechtigkeit des Urteils. Dabei fließen auch prozessuale Belange i n die Gerechtigkeitserwägungen ein. Zur Gerechtigkeit des Zivilprozesses gehört ζ. B., daß eine Entscheidung i n angemessener Zeit ergeht. 74 Da das staatliche Gewaltmonopol den Kläger daran hindert, sich „sein Recht" selbst zu nehmen, wäre es unerträglich, wenn der Beklagte eine Entscheidung beliebig hinauszögern könnte. Die Festsetzung von Fristen und die Beschleunigung des Verfahrens dienen daher der Gerechtigkeit des Prozesses und des Urteils. (3) Bereits die wenigen Beispiele zeigen, daß erstens auch das Prozeßrecht an Gerechtigkeitserwägungen zu messen ist, zweitens Prozeßrecht und materielles Recht i n enger Verbindung zueinander stehen. Die Auslegung des Prozeßrechts hat daher i m Zusammenhang m i t dem materiellen Recht zu erfolgen. 75 Da das Prozeßrecht darüber hinaus staatliche Eingriffe schon zur Durchführung des Prozesses ermöglicht, ist es zusätzlich als öffentliches Eingriffsrecht an den Gewährleistungen der Verfassung zu messen und unterliegt den Wertungen des (ebenfalls materiellen!) öffentlichen Rechts. 76 72

Siehe oben 1. Abschnitt T e i l 3 I I 2 b (2). „Quasi unechtes Versäumnisurteil", das w i e eine Rücknahme w i r k t u n d aus der Dispositionsbefugnis des Angeklagten folgt. Vgl. Lücke, JuS 1961, S. 47. 74 Rödig, Erkenntnisverfahren § 21.2., S. 45; Puttfarken, JuS 1977, S. 493 (495). 75 So v o r allem Henckel, Prozeßrecht, S. 26 u. ö.; auch Grunsky, Grundlagen § 1 I I , S. 7, § 1 I I I 3, S. 11; Gaul, AcP 168 (1968), S. 62. 76 Siehe schon oben 1. Abschnitt Teil 5 I I I 4 b u. ö.; dazu auch Henckel, V o m Gerechtigkeitswert verfahrensrechtlicher Normen, S. 12 ff.; ders., Prozeßrecht, S. 26. 73

III. Wahrheit und Gerechtigkeit als Prozeßzweck

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c) Zwischenergebnis (1) Die Beziehungen des Prozeßrechts zu dem jeweiligen materiellen Recht und seine Funktion als staatliches Eingriffsrecht zur Durchführung des Prozesses führen dazu, daß — trotz des einheitlichen Prozeßzwecks für alle Zweige der Gerichtsbarkeit — unterschiedliche Regelungen der einzelnen Prozeßarten angebracht sind. Sie können hier i m einzelnen weder aufgezeigt noch diskutiert werden. Außerdem w i r d nicht verkannt, daß die praktische Verwirklichung des Prozeßzwecks — Finden eines gerechten Urteils — durchaus Zweckmäßigkeitserwägungen unterliegt und mancher Weg, wie er durch das gesetzte Recht vorgezeichnet ist, u. U. unzweckmäßig ist; und schließlich mag man i m Einzelfall über die Zweckmäßigkeit streiten. Eine Diskussion muß aber stets i m Hinblick auf das materielle Recht und das Urteil geführt werden, das Gerechtigkeitsanforderungen genügen soll. (2) Die Verbindung von Prozeßrecht und materiellem Recht i m Prozeß bedeutet umgekehrt aber auch, daß die Verwirklichung des Prozeßzwecks nicht nur vom Prozeß und seiner gesetzlichen Regelung abhängt, sondern i n gleichem Maße vom materiellen Recht. Der Prozeß kann nicht besser sein als das materielle lage für die Entscheidung ist.

Recht, das Grund-

Wenn aber die Anwendung (unerkannt) ungerechten Rechts i n Frage steht, zeigt sich besonders deutlich der Eigenwert des Prozeßrechts als eine mehr oder weniger beabsichtigte Nebenfolge seines Gerechtigkeitswertes, denn das Prozeßrecht kann verhindern, daß das ungerechte (materielle) Recht Grundlage für die Entscheidung wird. Das kann dadurch geschehen, daß die Entscheidung bereits auf Grund des Prozeßrechts gefunden w i r d (ζ. B. Verfahrenseinstellungen, Prozeßurteil) oder dadurch, daß das Prozeßrecht (ζ. B. durch Beweiserhebungs- u n d / oder Verwertungsverbote) verhindert, daß Tatsachen berücksichtigt werden, die zur Anwendung des materiellen Rechts führen würden. (Zum Verhältnis von Tatsachen und Recht näher sogleich unter 5. und 6.) Auch wenn dies keine systematische Kontrolle materiellrechtlicher Ungerechtigkeiten darstellt, sind die gerechtigkeitsverbürgenden Prinzipien des Prozeßrechts doch die letzte Bastion gegen die Anwendung ungerechten materiellen Rechts und i n diesen Fällen Garant für das Erreichen des Prozeßzwecks. Sie sind nicht Diener des materiellen Rechts, sondern gleichberechtigter Partner und behalten ihren Wert auch, wo sie die Anwendung materiellen Rechts (gleich ob gerecht oder ungerecht) einschränken oder verhindern.

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2. Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks 5. Zum Verhältnis von Wahrheit und Gerechtigkeit

a) Unabhängigkeit

von Unwahrheit im Prozeß und Gerechtigkeit der Entscheidung

Da die Gerechtigkeit einer Entscheidung nicht davon abhängt, wie man zu ihr gekommen ist, ist es an sich gleichgültig, auf welche Tatsachen sie gestützt ist und mithin, ob diese Tatsachen „wahr" sind. Auch ein Urteil, das auf Unwahrheit gestützt ist, kann gerecht sein. Als Beispiel mag Brechts Kaukasischer Kreidekreis dienen 7 7 : Die Gouverneursfrau und die Magd Grusche Vachnadse sollen auf Geheiß des Richters Azdak die „salomonische Probe" 7 8 machen, wer die w i r k liche (leibliche!?) Mutter des kleinen Michel Abaschwili ist, den seine Mutter — die Gouverneursfrau — bei einer Revolution als Neugeborenes i m Stich ließ. Nachdem Grusche das K i n d zweimal nicht aus dem Kreidekreis gezogen, sondern losgelassen hat („Ich hab's aufgezogen. Soll ich's zerreißen? Ich kann's nicht!"), verkündet Azdak: „Und damit hat der Gerichtshof festgestellt, wer die wahre Mutter ist." Zu Grusche: „ N i m m Dein K i n d und bring's weg." Brechts „Kreidekreis" zeigt erstens, daß Grusche nicht die leibliche Mutter ist, zweitens, daß die Entscheidung des Azdak gleichwohl gerecht ist. b) „Unwahre"

Tatsachen und „wahre"

Norm

Dennoch ist die Ermittlung von Tatsachen für den Prozeß nicht überflüssig, da die gerechte Entscheidung i m Prozeß erst gefunden werden muß. Eine Orientierung an Rechtsnormen ist nur möglich, wenn zunächst ein wahrer Sachverhalt feststeht, denn jede Norm hat einen deskriptiven Bestandteil, der beschreibt, wann sie überhaupt anwendbar ist. 7 9 Ein gerechtes Ergebnis auf unwahrer Tatsachengrundlage ist daher nur denkbar, wenn die (scheinbar) angewandte Norm selbst ungerecht ist. U m beim Beispiel des „Kaukasischen Kreidekreises" zu bleiben: Die (scheinbar) angewandte Norm „das K i n d soll zu seiner leiblichen M u t ter" führt zusammen m i t der unwahren Aussage „Grusche ist die Mut77 Z u r „juristischen Interpretation" des Kaukasischen Kreidekreises W i e t hölter, Rechtswissenschaft, S. 13 ff. 78 1. Könige 3, 16 - 28. 79 Stegmüller, Hauptströmungen, S. 576 f.; Koch, Methode i m Staatsrecht, S. 47; Herberger, Die deskriptiven u n d normativen Tatbestandsmerkmale i m Strafrecht, in: Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre, S. 124 ff.; siehe auch die Darstellung der spraòhphilosophischen Ansätze bei A l e x y , Theorie der juristischen Argumentation, S. 70 ff., alle m i t Nachweisen.

III. Wahrheit und Gerechtigkeit als Prozeßzweck

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ter" nur deshalb zum gerechten Ergebnis, weil die Norm ungerecht ist. Es dürfte ein Anliegen Brechts sein, zu zeigen, daß selbst eine an sich so einleuchtende Norm wie „ein K i n d soll zu seiner leiblichen Mutter" unter bestimmten Umständen nicht gerecht ist, denn die Gouverneursfrau läßt ihr K i n d i n einer für sie gefährlichen Situation (Revolution) i m Stich und w i l l es nur deshalb zurück, weil sie das Vermögen w i l l , das das K i n d erbt. Wenn einer Entscheidung unwahre Tatsachen zugrunde gelegt werden, w i r d — bezogen auf den wahren Sachverhalt — nicht die Norm angewandt, auf die sich die Entscheidung (scheinbar) stützt, sondern eine andere. Diese andere Norm läßt sich aus dem wahren Sachverhalt und der Entscheidung ermitteln. So w i r d denn i m „Kaukasischen Kreidekreis" auch nur scheinbar die Norm „das K i n d soll zu seiner leiblichen Mutter" angewandt. Die wirklich angewandte Norm trägt der Sänger am Ende des Spiels i m Spiel i n Brechts Stück vor: „ I h r aber, Ihr Zuhörer der Geschichte vom „Kreidekreis" nehmt zur Kenntnis die Meinung der Alten: Daß da gehören soll, was da ist, denen, die für es gut sind, also die Kinder den Mütterlichen, damit sie gedeihen, die Wagen den guten Fahrern, damit gut gefahren wird, und das Tal den Bewässerern, damit es Frucht bringt." Es ist der Sinn des Spiels, i m Spiel i n Brechts „Kreidekreis" zu zeigen, daß dies die gerechte Norm ist und nicht die des Gesetzbuches, das der Richter Azdak nur als Sitzgelegenheit benutzt („Etwas für meinen Steiß!"). Die Entscheidung des Azdak erscheint uns als gerecht, weil die ganze Geschichte vom „Kreidekreis" ein Beleg dafür ist, daß Grusche die Mütterliche ist, nicht aber die Gouverneursfrau. c) Schlußfolgerungen Ganz allgemein läßt sich feststellen: Bei Annahme eines falschen Sachverhalts w i r d eine Entscheidung tatsächlich auf eine andere Norm gestützt, als die (scheinbar) angewandte. Die Richtigkeit bzw. Gerechtigkeit der Entscheidung hängt davon ab, ob die Norm, die bei Zugrundelegung des wahren Sachverhalts zur getroffenen Entscheidung führen würde, gerecht ist. Es läßt sich daher nicht von vornherein sagen, daß eine Entscheidung ungerecht ist, wenn sie auf fehlerhaften Annahmen über den zugrunde liegenden Sachverhalt beruht, aber dadurch werden die Normen verändert bzw. verdeckt, an denen die Entscheidung orientiert ist. Es kann aber nicht Aufgabe des Prozesses sein, die Rechtsnormen durch Zugrundelegen unwahrer Tatsachenaussagen zu manipulieren.

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2. Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks

Eine an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung ist daher nur möglich, wenn ihr wahre Tatsachenaussagen zugrunde gelegt werden. Prozeßzweck ist demnach, eine gerechte, an Recht und Gesetz orientierte, auf Wahrheit beruhende Entscheidung zu finden. 8 0 6. Zum Problem der Tatsachenfeststellung und Wahrheitsfindung i m Prozeß

a) Abhängigkeiten

zwischen Tatsachen und Normen

(1) Für eine an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung können nur solche Tatsachen von Bedeutung sein, die i n den deskriptiven Bestandteilen der anzuwendenden Normen auftreten. Diese bestimmen daher, welche Aussagen über Tatsachen i m Prozeß zu berücksichtigen und auf ihre Wahrheit zu überprüfen sind. 8 1 Darin liegt ein Dilemma für den Prozeß, denn einerseits bestimmen die anzuwendenden Normen, welche Aussagen über Tatsachen von Bedeutung und zu berücksichtigen sind, andererseits bestimmen die Tatsachen, welche Normen überhaupt anwendbar sind. (Ein Problem des „Hermeneutischen Zirkels".) 8 2 Der absolute Vorrang der Tatsachen, den das „da m i h i facta, dabo t i b i jus" suggeriert, ist nur eine scheinbare Lösung, denn er ist praktisch undurchführbar. Ohne K r i t e r i u m für eine Einschränkung wäre jeweils die gesamte Menschheits- und Weltgeschichte bis ins letzte Detail zu ermitteln. 8 3 (2) Die Durchführbarkeit des Prozesses setzt daher eine Vorauswahl von i n Betracht kommenden Tatsachen voraus. Da die Bedeutung der Tatsachen von den konkret anzuwendenden Normen abhängt (und umgekehrt), bedeutet dies gleichzeitig eine Vorauswahl der i n Betracht kommenden Normen. 8 4 80 Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, S. 39 Rdn. 11 unter Berufung auf Eichenberger, S. 83: „ V o m Wert der Gerechtigkeit bestimmt ist das Ziel der Rechtsprechung der sach- u n d rechtsrichtige Richterspruch, d . h . der i n bezug auf die tatsächlichen Verhältnisse u n d die normative Rechtslage unverfälschte Entscheid." 81 Gaul, AcP 168 (1968), S. 50. 82 Esser, Vorverständnis, S. 60, 113 f., 133 ff., 137; Engisch, Logische Studien, S. 14 f.; Hassemer, Tatbestand u n d Typus, S. 103 f.; dazu Rottleuthner, Hermeneutik u n d Jurisprudenz, i n : Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre, S. 7 ff. (24 ff.). 83 Z u diesem Problem aus sprachanalytischer Sicht Rüßmann, Zur Abgrenzung v o n Rechts- u n d Tatfrage, in: Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre, S. 242 (258 ff.). 84 Gleichgültig, ob m a n den Vorgang der (endgültigen) Entscheidungsfindung als „rationale Methode" v o n t r i a l and error (Esser, Vorverständnis, S. 135), als „Prozeß der Hypothesenaufstellung, -Überprüfung . . . " usw. (Rottleuthner, Hermeneutik u n d Jurisprudenz, S. 23) oder durch das B i l d der „Spirale" (Hassemer, Tatbestand u n d Typus, S. 107 f.) beschreibt, bleibt es

III. Wahrheit und Gerechtigkeit als Prozeßzweck

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Praktisch erfolgt diese notwendige Vorauswahl durch die i n allen Prozessen erforderlichen prozessualen Anträge. Sie sind normbezogen, weil sie auf bestimmte Rechtsfolgen von Normen gerichtet sind und schließen damit alle Normen aus, die diese Rechtsfolge nicht vorsehen. Sie sind aber auch tatsachenbezogen, einmal, weil mit den ausgeschlossenen Normen auch die dazugehörigen Tatsachen ausgeschlossen werden, zum anderen, weil sie sich auf einen bestimmten historischen Abschnitt beziehen müssen und damit alle nicht dazugehörenden Tatsachen ausgeschlossen werden. (3) Eine weitere Einschränkung der relevanten Tatsachen w i r d durch Formvorschriften erreicht. Die Notwendigkeit, bestimmte Formen einzuhalten, reduziert die zu berücksichtigenden Tatsachen auf diejenigen, die der Form entsprechen. Sie schafft damit zugleich unzweideutige Aussagen über die betreffenden Tatsachen. Das gilt sowohl für die materiellrechtlichen wie für die prozessualen Formvorschriften. Besonders letztere sind für die Durchführung des Prozesses daher kein überflüssiger Ballast, sondern eine Erleichterung. Sie bergen aber andererseits die Gefahr, daß sie Tatsachen und Normen, die für eine gerechte Entscheidung zu berücksichtigen sind, aus der prozessualen Kommunikation ausschließen und dadurch verhindern, daß der Prozeß seinen Zweck erreicht. Gerade bei prozessualen Formvorschriften ist daher i m Einzelfall zu prüfen, ob sie unter Berücksichtigung der Wertungen des materiellen Rechts und der Erfordernisse der Durchführung des Prozesses geeignet sind, die Kommunikation auf eine sichere Grundlage zu stellen, und damit dem Prozeßzweck zu dienen. (4) Die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen anzuwendenden Normen und zu berücksichtigenden Tatsachen bedeuten für den Prozeß aber vor allem, daß nicht nur die Tatsachen zu erörtern und i n die prozessuale Kommunikation einzubeziehen sind, sondern auch die Frage, welche Normen anzuwenden und wie sie auszulegen sind. (Vgl. § 278 Abs. 3 ZPO.) b) Die Feststellung von Tatsachen und ihre Grenzen Schließlich sei noch einmal hervorgehoben, daß die Wahrheit der i n den Prozeß eingeführten Aussagen über Tatsachen dem Prozeß vorgegeben sind. Sie steht weder zur Disposition des Gerichts noch zur Disposition der übrigen Beteiligten, sondern ist bei der Abfassung von Gesetzen als Grundlage für ihre Anwendung vorausgesetzt und kann i m Prozeß nur erkannt — oder verkannt — werden. 85 Die freie Beweiserforderlich, eine Vorauswahl zum Aufstellen der ersten Hypothese zu treffen. 85 Siehe oben 2. Abschnitt Teil 3 I I 1 b.

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2. Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks

Würdigung durch die Richter bedeutet nicht, daß diese entscheiden können, was „wahr" ist. Sie ist nur berechtigt, weil — und solange — aufgrund Erfahrung und allgemeiner Überzeugung feststeht, daß sie i m Zusammenhang m i t den Regeln der Beweislastverteilung am ehesten geeignet ist, gerechte Entscheidungen zu treffen. Die Ermittlung der „materiellen Wahrheit" ist andererseits kein Selbstzweck innerhalb des Prozesses, sondern dient lediglich dem Finden einer gerechten Entscheidung. 86 Die Gerechtigkeit einer Entscheidung hängt aber nicht vom materiellen Recht allein ab, sondern auch vom Prozeßrecht selbst. Wenn die Ermittlung der Wahrheit nur m i t unverhältnismäßigen oder gar unmenschlichen M i t t e l n möglich ist, fordert die Gerechtigkeit, daß darauf verzichtet und nach den Regeln der Beweislastverteilung entschieden wird, die selbst wiederum Ausdruck fundamentaler Gerechtigkeitsvorstellungen sind (und dementsprechend bestimmt werden müssen). Es ist daher keine Einschränkung der „materiellen Wahrheit", wenn — u m das krasseste Beispiel anzuführen — die „Wahrheit" nicht durch Folter ermittelt werden darf. Eine solche Maßnahme würde den Zweck des Prozesses, ein gerechtes Urteil zu finden, selbst i n Frage stellen. Das gleiche gilt für andere Beweiserhebungs- und Verwertungsverbote. 87 Zweck des Prozesses ist daher, eine am Gesetz orientierte, heit beruhende gerechte Entscheidung zu finden.

auf Wahr-

IV. Zu den Einwänden der Gegenpositionen 1. Formelle — materielle Wahrheit

a) Der hier getroffenen Prozeßzweckbestimmung w i r d ζ. T. entgegengehalten, daß es i m Zivilprozeß nicht u m eine materielle, sondern nur u m eine „formelle" Wahrheit gehen könne 8 8 , da er von der Verhandlungs- und Dispositionsmaxime beherrscht sei, — „welche den Richter i n der Ermittlung der Wahrheit beschränkt und hemmt und ihn nicht selten zwingt, ein Urteil zu fällen, das m i t seiner Überzeugung i n Widerspruch steht." 8 9 Das Wort vom „verlogenen Zivilprozeß" verstummte erst m i t der Einführung der Wahrheitspflicht (1933).90 86 Gaul, A c P 168 (1968), S. 50: „der Erkenntnisgegenstand (ist) v o n v o r n herein rechtlich präformiert." 87 I . E . dazu Roxin, Strafverfahrensrecht § 24D, S. 113 ff.; zum Problem der Einschränkung der Wahrheitsforschung aus grundsätzlichen Erwägungen: Niese, ZStW 63 (1951), S. 199 ff. 88 Siehe oben 2. Abschnitt T e i l 2 I I 4. 89 Ihering, Geist des römischen Rechts I I I 1, S. 16. 90 Gaul, AcP 168 (1968), S. 49.

IV. Zu den Einwänden der Gegenpositionen

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b) Der Begriff der formellen Wahrheit ist jedoch ein Relikt aus der Scholastik des mittelalterlichen Gelehrtenprozesses, i n dem der Richter an starre Beweis- und Eidesregeln gebunden war. 9 1 Die Verhandlungsmaxime m i t der formellen Wahrheit zu identifizieren, hieße ihren Sinngehalt verfälschen. Sie beruht auf der psychologischen Hypothese, daß die Wahrheit „aus beider Parteien Mund besser kund" wird, als durch die Untersuchung eines sachfernen Richters. — Wäre diese widerlegt, müßte die Verhandlungsmaxime fallen! 9 2 — Abgesehen davon kann auch beim Untersuchungsgrundsatz nicht darauf verzichtet werden, daß die Beteiligten den Gegenstand des Prozesses bestimmen und zunächst die Tatsachen beibringen, u m den Verfahrensstoff zu begrenzen. 93 Andererseits muß vor einer formalistischen Handhabung gewarnt werden. Auch der Zivilrichter hat über sein Fragerecht (§ 139 ZPO) alle Tatsachen zu ermitteln, die für eine gerechte Entscheidung erforderlich sind. (Vgl. auch § 278 Abs. 3 ZPO.) c) Ebensowenig stellt die Dispositionsmaxime den Prozeßzweck i n Frage. Sie führt nicht zur Anerkennung einer „formellen Wahrheit". Wenn eine Partei durch ihr Säumen zeigt, daß sie sich nicht streiten w i l l , mag sie ein Versäumnisurteil (§§ 330 ff. ZPO) ebenso hinnehmen, wie sie den Anspruch auch anerkennen könnte. Selbst wenn das Versäumnisurteil auf falschen Angaben des Gegners beruht, würde seine Gerechtigkeit davon nicht berührt, da die Partei über ihre Rechte auch durch Nichterscheinen verfügen kann. 9 4 Das gleiche gilt für das Geständnis (§§ 288 ff. ZPO). Es ist nicht nur Ausfluß der Verhandlungsmaxime, sondern ebenso der Dispositionsbefugnis der Parteien 95 , und ist daher unbeachtlich, wenn diese überschritten wird. So ist ζ. B. das Geständnis einer unmöglichen oder offenkundig unwahren Tatsache nicht zu beachten. 96 I m übrigen begeben sich die Parteien durch derartige Verfügungen selbst ihres Rechtsschutzinteresses, soweit es das Interesse an Feststellung der wahren Rechtslage einschließt. „Der Wegfall des Bedürfnisses an Weiterverfolgung eines Zwecks stellt aber den Zweck selbst nicht i n Frage." 9 7 91

Klein, Zeit u n d Geistesströmungen, S. 12. So auch Gaul, A c P 168 (1968), S. 50. 93 Siehe oben 2. Abschnitt T e i l 3 I I I 6 a). 94 Dazu oben 2. Abschnitt Teil 3 I I I 3 b (2). 95 Z u Unrecht schließt Grunsky (Grundlagen § 1 I I , S. 4) daraus, daß damit die „materielle Wahrheit" durchbrochen w i r d . 96 S t e i n / Jonas / S c h u m a n n / Leipold (19. Aufl.) § 288 I I I 2; B a u m b a c h / Lauterbach / H a r t m a n n § 288 A n m . 3 B ; B G H Z 37, 154; B G H Betrieb 1973, 1792. 97 Gaul, AcP 168 (1968), S. 51. 92

11 Schaper

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2. Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks 2. Das unrichtige Urteil

a) Rechtsfrieden, Rechtssicherheit oder Rechtsgewißheit als Prozeßzweck (1) Häufigster Einwand gegen die hier vertretene Prozeßzweckbestimmung ist, daß auch ein Urteil, das diesen Anforderungen nicht genügt, weil es entweder unwahre Tatsachen oder eine falsche Auslegung des Rechts zugrunde legt, von der Rechtskraft sanktioniert wird. Dieses „Festhalten am ungerechten Urteil" nötige dazu, statt „Wahrheit und Gerechtigkeit" den „Rechtsfrieden" als Prozeßzweck anzusehen. 08 Die Orientierung am unrichtigen Urteil hat bei Sax eine besonders kennzeichnende Formulierung gefunden, wenn er ausführt: „Angesichts seiner Häufigkeit und Nicht Vermeidbarkeit hat sich an i h m jede Urteilskonzeption und jede prozeßrechtliche Begriffsbildung auszurichten. Erst die Feststellung eines solchen Prozeßziels, das auch das unrichtige Urteil als Prozeßzielverwirklichung erscheinen läßt . . . verspricht die Entwicklung einer . . . prozeßrechtlichen Methode." 9 9 (2) Den Auffassungen, die Rechtsfrieden, Rechtssicherheit oder Rechtsgewißheit als Zweck des Prozesses ansehen, ist zunächst entgegenzuhalten, daß sie nicht ausreichend differenzieren. Sicherlich ist es Zweck eines Urteils, wie es Zweck jeder Entscheidung ist, die nachfolgenden Maßnahmen, etwa der Vollstreckung, auf eine sichere Grundlage zu stellen und damit für diese Maßnahmen Sicherheit, Gewißheit und schließlich i m Zusammenhang mit der Vollstreckung auch eine »Befriedung 4 zu erreichen. Soweit ein Prozeß seinem oben beschriebenen Zweck genügt und zu einem gerechten Urteil führt, erreicht er notwendiger Weise auch diese Ziele, da das gerechte Urteil m i t einem für alle akzeptablen Entscheid gleichzusetzen ist. Insoweit ist die Betonung, der Prozeß diene der Rechtssicherheit, Gewißheit und dem Rechtsfrieden, überflüssig 1 0 0 , weil dies i n der hier vertretenen Prozeßzweckbestimmung notwendig enthalten ist. Wer jedoch den Prozeß nur als Einrichtung zur Friedenswahrung sieht, mutet i h m nicht mehr zu, als letztlich jeder administrative Machtspruch auch vermöchte, denn jede Entscheidung schafft auf ihre A r t eine Sicherheit und Gewißheit, und ihre Durchsetzung mit Machtmitteln führt auch zu einer ,Befriedung 4 . Ein solcher Machtspruch verdiente aber nicht den Zusatz Rechtssicherheit etc., sondern würde, wie Schmidhäuser zu Recht betont, eher die „Unrechtssicherheit" zum Pro98 Schmidhäuser, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 511 (514, 516); siehe oben T e i l 2 I I 5 b). 99 Sax, ZZP 67 (1954), S. 21 (29). 100 Gaul, AcP 168 (1968), S. 59.

IV. Zu den Einwänden der Gegenpositionen

163

zeßzweck erheben, da Zweck des Prozesses nicht das Vertrauen auf den Bestand eines richtigen oder unrichtigen Urteils sein kann. Ginge es wirklich nur darum, Streitigkeiten mit den Machtmitteln des Staates zu „befrieden" und so eine A r t Friedhofsruhe herzustellen, wäre der Prozeß überflüssig. Er hätte allenfalls noch eine ideologische Funktion als schöner Schein für Uneingeweihte, denen suggeriert werden soll, daß es i m Prozeß u m Recht und Gerechtigkeit geht. Die Wortwahl Rechtsirieden etc. könnte nur zur Verschleierung dieses Zustandes dienen. 1 0 1 Wenn Schmidhäuser deshalb den Begriff „Rechtsfrieden" als den Zustand definiert, „bei dem sich die Gemeinschaft über den Rechtsbruch beruhigen k a n n " 1 0 2 , hat er sich i n der Sache bereits weitgehend der Auffassung angenähert, Prozeßzweck sei Erzielung eines gerechten Urteils. 1 0 3 (3) Die Auffassung, Prozeßzweck sei die Erzielung von Rechtsfrieden u. ä., beschreibt i n Wirklichkeit einen Zweck des Urteils und seiner Vollstreckung. Sie enthält daher einen wahren Kern, denn der Zweck des Urteils ist Teil des gesamten Prozeßzwecks. Er erschöpft sich darin jedoch nicht, sondern stellt an das Urteil inhaltliche Anforderungen. Genügt ein Urteil diesen Anforderungen nicht, so hat der Prozeß seinen Zweck verfehlt. Es ist zwar denkbar, daß auch ein solches Urteil Sicherheit, Gewißheit und schließlich eine Befriedung bewirkt. Dies ist jedoch keine Leistung des Prozesses, sondern eine des staatlichen Gewaltmonopols, das u. U. dazu führt, daß sich die Betroffenen nach dem Urteil richten, weil sie den drohenden Einsatz staatlicher Machtmittel fürchten. Aus dieser Tatsache kann jedoch nicht auf den normativen Zweck des Prozesses geschlossen werden. Sie mag allenfalls zur Erklärung der Funktion des staatlichen Gewaltmonopols dienen. 1 0 4 Auch hier zeigt sich der schon bei Goldschmidt kritisierte Fehlschluß, die Tatsache, daß es unrichtige Urteile gibt, müsse zu einer entsprechenden Prozeßzweckbestimmung führen. 1 0 5 Zu Recht betont Gaul 1 0 6 dem101

Gaul, A c P 168 (1968), S. 60; Schönke / Schröder / Niese (8. Aufl.), S. 109. Schmidhäuser, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 511 (516). 108 So auch Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, S. 43 Rdn. 20, F N 44. 104 Vgl. Habermas, Legitimationsprobleme, S. 132: „Die faktische A n e r k e n nung eines . . . Normensystems beruht gewiß nicht allein auf dem L e g i t i m i tätsglauben der Betroffenen, sondern auch auf Furcht vor u n d Unterwerfung unter i n d i r e k t angedrohte Sanktionen sowie auf bloßer Duldung angesichts der perzipierten eigenen Ohnmacht u n d fehlender A l t e r n a t i v e n (d.h. gefesselter Phantasie)." 102

105

Siehe oben 2. Abschnitt I I 4 b). Gaul, A c P 168 (1968), S. 56 unter Berufung auf Sauer, Grundlagen, S. 17; ebenso Eike Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, S. 37. 106

11·

1 6 4 2 . Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks gegenüber: „Selbst wenn sich statistisch erweisen ließe, daß Fehlsprüche häufiger wären als richtige Urteile, dürfte auch dann aus der empirisch gefundenen Zahl nichts für die Wesens- und Zweckbestimmung des Prozesses entnommen werden, da sich der Normalfall nicht an der Zahl, sondern die Normalität allein an dem Sinn einer Erscheinung, an der Norm und damit der Regel bemißt." (4) Es bleibt daher festzuhalten, daß der Prozeß seinen Zweck verfehlt hat, wenn er zu einem ungerechten Urteil führt. Jede Feststellung eines unrichtigen Urteils kann nur Anlaß sein, nach den Gründen für das Versagen zu suchen, u m daraus Schlüsse für eine konkrete Verbesserung des Prozesses zu ziehen. I n diesem Sinne sind ζ. B. Peters 1 0 7 Untersuchungen zu den Fehlerquellen i m Strafprozeß zu verstehen. Der Versuch, das unrichtige Urteil i n den Prozeßzweck zu integrieren, ist deshalb so bedenklich, weil er durch juristische Winkelzüge bereits die Frage nach der Verbesserungsbedürftigkeit des Prozesses ausschließt. b) Der ungerechtfertigte

Vollstreckungsbetrieb

(1) I m Grunde geht es bei allen Versuchen, auch das unrichtige Urteil als Erfüllung des Prozeßzwecks auszuweisen, u m die Rechtfertigung seiner Vollstreckung. Man sucht eine Formel, sie als „rechtmäßig" zu bezeichnen, u m damit die Versagung eines Widerstands- oder Notwehrrechts des Betroffenen erklären zu können. 1 0 8 Dieses Problem ist jedoch von der Prozeßzweckbestimmung unabhängig. Sicherlich wäre es ein Widerspruch, wollte man den Betroffenen zunächst die Selbsthilfe verbieten, u m ihnen nach Erschöpfung des Rechtsweges ein Widerstandsrecht gegen das rechtskräftige Urteil zu gestatten. Aus der Einrichtung des staatlichen Gewaltmonopols ergibt sich, daß der Betroffene auch gegenüber den staatlichen Vollstreckungsmaßnahmen auf Rechtsbehelfe zu verweisen ist, die i h m die Möglichkeit geben, ein ungerechtes Urteil zu korrigieren. Namentlich ist dabei an die Wiederaufnahme des Verfahrens zu denken. Zu diesen Möglichkeiten gehört auch die dogmatisch umstrittene Rechtsprechung des BGH, 107

Peters, Fehlerquellen i m Strafprozeß, 3 Bände (1970 - 74). z . B . Schmidhäuser, Festschrift f ü r Eb. Schmidt, S. 511 (524, 518): „Aus dem Begriff des Rechtsfriedens als Prozeßziel ergibt sich die Folgerung, daß die Vollstreckung aus einem ungerechtfertigten, aber rechtskräftigen U r t e i l rechtmäßig ist." Dazu auch Niese, Doppelfunktionale Prozeßhandlungen, S. 118, 121 ff.; Sax, ZZP 67 (1954), S. 35 ff.; Eb. Schmidt, Lehrkommentar I, S. 165 ff. Rdn. 284/286; Stein / Jonas / Pohle (19. Aufl.), Vorbem. I I 2 v o r § 704; jeweils m i t Nachweisen; wie hier Gaul, A c P 168 (1968), S. 60; Eike Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, S. 37. 1ϋΒ

IV. Zu den Einwänden der Gegenpositionen

165

die Vollstreckung aus einem arglistig und sittenwidrig erlangten Urteil gemäß § 826 BGB zu verhindern. 1 0 9 (2) Bei allen Bemühungen, ein rechtskräftiges Urteil zu korrigieren, darf jedoch nicht verkannt werden, daß es problematisch ist, festzustellen, ob ein Urteil wirklich ungerecht ist. Wer sollte, nachdem ein Verfahren durch alle Instanzen gelaufen ist, noch verbindlich feststellen, daß das Urteil richtigerweise anders hätte lauten müssen? 110 Es ist daher auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten durchaus vertretbar, die Wiederaufnahme auf Punkte zu beschränken, aus denen die Unrichtigkeit des Urteils zweifelsfrei folgt, und demjenigen, der sich darauf beruft, die Beweislast aufzuerlegen. Gerade wegen der Schwierigkeiten, die Unrichtigkeit eines Urteils festzustellen, hat die Entscheidung, die i n einem ordnungsgemäßen Prozeß ergangen ist, die „Vermutung der Rechtmäßigkeit" für sich. Daraus läßt sich m i t Hilfe der Lehre vom fehlerhaften Staatsakt die Verbindlichkeit und damit Vollstreckbarkeit des Urteils ableiten, ohne damit Rechtswidrigkeit i n Rechtmäßigkeit umdeuten zu müssen. 111 Hieraus wäre allenfalls zu folgern, daß das Wiederaufnahmeverfahren dem anzupassen und u. U. großzügiger zu handhaben wäre. Die Bestimmung des Prozeßzwecks ist jedenfalls nicht vom Problem des sog. ungerechtfertigten Vollstreckungsbetriebs abhängig. 3. Die Grenzen der Rechte und ihrer Ausübung

a) Auch Henckels 112 eher resignative Auffassung, Zweck des Prozesses sei nur die Ausübung von Rechten, weil der Prozeß ihrer Durchsetzung Grenzen setzt, zwingt nicht zu einer Korrektur der hier getroffenen Prozeßzweckbestimmung, denn die Grenzen, denen die Durchsetzung eines Rechts i m Prozeß unterliegt, sind wie alle Grenzen von Rechten unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten zu beurteilen. Prozessuale Lasten, Versäumnisurteile und Beweisschwierigkeiten haben — wie Henckel 1 1 3 selbst feststellt — Parallelen i m außerprozessualen Bereich, 109 Dazu oben 2. Abschnitt T e i l 3 1 3 . Diese Rspr. stellt trotz aller dogmatischer Bedenken den begrüßenswerten Versuch dar, am Ende ein gerechtes Ergebnis zu erreichen. Fraglich ist, ob der Weg der richtige ist oder ob nicht eine großzügigere Handhabung der Bestimmungen über das Wiederaufnahmeverfahren bessere Dienste leisten könnte. Dazu Spellenberg, JuS 1979, S. 554 ff. no v g l . Peters, Fehlerquellen I § 1 V I , S. 11 ff. 111 Stratenwerth, V e r a n t w o r t u n g u n d Gehorsam, S. 131 ff. (133); Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 250 (257 f.); Gaul, A c P 168 (1968), S. 61. 112 Henckel, Prozeßrecht, S. 61 ff.

113

Henckel, Prozeßrecht, S. 61 ff.

1 6 6 2 . Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks etwa i m Gedanken der unzulässigen Rechtsausübung und der V e r w i r kung. Diesen Gedanken hat Henckel indessen erstaunlicherweise nicht zu Ende geführt. 1 1 4 Wenn man sich „den Wechselbeziehungen zwischen Prozeß und materiellem Recht widmet" w i r d man entgegen Henckel 1 1 5 nicht umhin können, zu fragen, welchem Zweck die Rechtsausübung dient, auch wenn diese Frage „über den Zweck des Prozesses hinausgreift" und den „Zweck des subjektiven Privatrechts und seiner außerprozessualen Ausübung mit einschließt". Gerade weil der Prozeßzweck und der Zweck des materiellen Rechts beide auf die Ermöglichung gerechter Urteile gerichtet sind, ist der Weg eröffnet, „das Zivilprozeßrecht und das materielle Privatrecht auf einheitliche Wertungen zurückzuführen". I m Widerspruch zu seiner Prozeßzweckbestimmung führt Henckel 1 1 6 selbst aus: „Der Zweck des Prozesses . . . muß uns zeigen, i n welcher Weise der Prozeß zu einer gerechten Sozialordnung beiträgt und welchen Wertungsprinzipien er folgen muß, u m Gerechtigkeit werden zu lassen." b) Henckels Bemühen, das materielle Recht aus der Prozeßzweckbestimmung auszuklammern 1 1 7 und — fast wie bei Goldschmidt — unantastbar neben dem Prozeßzweck stehen zu lassen, ist eigentlich nur verständlich, wenn er befürchtet, durch eine Problematisierung des Zwecks des materiellen Rechts würde die Frage nach dessen Gerechtigkeit aufgeworfen und damit auch die Übernahme von materiellrechtlichen Wertungen i n das Prozeßrecht problematisch. Dieser Problemat i k kann er aber letztlich nicht ausweichen. Wo die Wertungen des materiellen Rechts ungerecht sind, muß auch der Prozeß scheitern. Ein Urteil kann nicht gerechter sein als das materielle Recht, auf dem es beruht. c) Henckels Anliegen 1 1 8 , Zivilprozeßrecht und materielles Zivilrecht auf einheitliche Wertungen zurückzuführen, w i r d durch diese Problematik nicht vereitelt. Die hier vorgenommene Prozeßzweckbestimmung zeigt vielmehr, daß die von Henckel geforderte Einheitlichkeit der Wertungen zur Erreichung des Prozeßzwecks notwendig ist, ohne daß deshalb das positive materielle Recht einer K r i t i k entzogen wäre.

114 115 116 117 118

Rödig, Erkenntnisverfahren § 21.2., S. 45. Henckel, Prozeßrecht, S. 63. Henckel, Prozeßrecht, S. 47. Henckel, Prozeßrecht, S. 62. Henckel, Prozeßrecht, S. 26, 63.

IV. Zu den Einwänden der Gegenpositionen

167

4. Die Dichotomie von „subjektiven Rechten" und „objektiver Rechtsordnung"

a) Die Erkenntnis, daß das Erreichen des Prozeßzwecks sowohl vom materiellen wie vom formellen Recht abhängt und die Folgerung, daß beide i n einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen 119 , löst schließlich auch den alten Streit, ob Zweck des Prozesses die Bewährung der objektiven Rechtsordnung oder die Durchsetzung subjektiver Rechte ist. Es zeigt sich, daß es sich u m ein Scheingefecht handelt, denn „wie sollte beides ein Widerspruch sein?" 1 2 0 Über Bestehen oder Nichtbestehen eines subjektiven Rechts kann nur aufgrund der objektiven Rechtsordnung entschieden werden, da „subjektive Rechte" nicht ohne oder außerhalb der Rechtsordnung denkbar sind. Außerhalb der Rechtsordnung bestehen zwar Interessen der Beteiligten, die i m Prozeß zu berücksichtigen sind, für eine am Recht orientierte, gerechte Entscheidung ist aber nur von Bedeutung, „ob die Lösung den durch das objektive Recht geschützten Interessen entspricht". 1 2 1 Ob i n die prozessuale Kommunikation eingebrachte Interessen geschützt sind, w i r d allein aufgrund der Rechtsordnung als ganzer — also i m Zusammenspiel von materiellem und formellem Recht — entschieden. 122 Es ist daher ebenso richtig zu sagen, der Schutz subjektiver Rechte sei Folge der Bewährung des objektiven Rechts, wie man m i t Rödig 1 2 3 umgekehrt sagen kann: „Bewährung des objektiven Rechts ist nichts anderes als die Verwirklichung jener Interessen, die man als des Schutzes würdig subjektive Rechte' nennt." b) I n Wirklichkeit geht es bei dem Streit auch nicht u m grundsätzliche Unterschiede i n der Prozeßzweckbestimmung, denn beide Auffassungen sehen die Durchsetzung des Rechts als Prozeßzweck an, sondern um die Charakterisierung einer rechtspolitischen Position, bei der es i m wesentlichen um das Maß des Parteibetriebs i m Zivilprozeß geht. 1 2 4 119 120 121

ginal. 122

Grunsky, Grundlagen, § 1 I I , S. 7. Gaul, AcP 168 (1968), S. 47. Rödig, Erkenntnisverfahren § 21.2., S. 44 — Hervorhebungen i m O r i -

Das gleiche g i l t für den „Schutz v o n Rechtsinstitutionen" (siehe oben T e i l 2 I I 3. 123 Rödig, Erkenntnisverfahren § 21.2., S. 47. 124 Vgl. z.B. Jauernig, JuS 1971, S. 329 ff. Dieser Streit hat sich i n den letzten Jahren zunehmend auf eine Kontroverse u m die Bedeutung der V e r handlungsmaxime verlagert; dazu Leipold, JZ 1982, S. 441 ff.; Bender, JZ 1982, S. 709 ff.; Eike Schmidt, DuR 1984, S. 24 ff.

1 6 8 2 . Abschnitt, Teil 3: Analyse und Kritik des Prozeßzwecks Die „subjektive Ansicht" folgert aus dem Bestehen subjektiver Rechte, „daß letztlich die Parteien i m Rahmen ihrer Privatautonomie für die Beschaffung des Tatsachenmaterials verantwortlich" sein müssen. 125 Die „objektive" dagegen hebt die „soziale Bedeutung" des Prozesses und das „Staatsinteresse an einer zweckmäßigen und gerechten Rechtspflege" hervor. 1 2 6 U m die rechtspolitische Frage zu entscheiden, inwieweit ein Parteibetrieb notwendig und sinnvoll sein kann, ist die Berufung auf Schlagworte jedoch wenig förderlich. 1 2 7 Aus der Tatsache, daß das materielle Recht subjektive Rechte kennt, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, auch der Prozeßbetrieb müsse allein Sache der Parteien sein, denn daß bei schrankenloser Parteiherrschaft i m Prozeß eine auf Wahrheit und Gerechtigkeit beruhende Entscheidung gefällt wird, wäre allenfalls zu hoffen, wenn man annehmen könnte, daß alle Beteiligten gleichermaßen i n der Lage sind, ihren Standpunkt i n tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht dem Gericht vorzutragen und plausibel zu machen. Diese Annahme ist jedoch mehr als fragwürdig. Auch eine rechtspolitische Diskussion sollte sich von der Frage leiten lassen, wie ein möglichst gerechtes Urteil gefunden werden kann. Dazu ist es sinnvoller, i m Einzelfall den Zusammenhang von Prozeßrecht und materiellem Recht i m Auge zu behalten, als eine Entscheidung durch dogmatische Berufung auf einen angeblichen Prozeßzweck vorwegzunehmen.

125

Jauernig, JuS 1971, S. 331. de Boor, Festschrift f ü r Boehmer, S. 104; dazu Gaul, AcP 168 (1968), S. 47 f. 127 Sie f ü h r t ζ. T. sogar zu reiner Polemik. So ist die Befürchtung der subj e k t i v e n Auffassung, die Gegenseite degradiere „die rechtssuchenden Parteien zu bloßen Objekten des Verfahrens" (Gaul, AcP 168 (1968), S. 48 unter Berufung auf Stein, Stein / Juncker, Grundriß, 3. A u f l . 1928, S. 64 f.) schon deshalb k a u m glaubwürdig, w e i l hinsichtlich des Strafverfahrens die objekt i v e Ansicht heute weitgehend anerkannt w i r d , ohne daraus zu folgern, die Betroffenen seien dort bloße Objekte. (Vgl. Grunsky, Grundlagen § 1 I I I 3., S. 11; Gaul, AcP 168 (1968), S. 48/49.) 126

Teil 4

Zwischenergebnis und Uberleitung I . Zwischenergebnis 1. Zum Prozeß

„Prozeß" ist eine tatsächliche Veranstaltung, die als solche beschrieben und von anderen abgegrenzt werden kann. Er steht stets i n größeren Handlungszusammenhängen, und die Frage, welche dieser Zusammenhänge sinnvollerweise zum Prozeßbegriff zusammengefaßt werden, hängt i m wesentlichen vom Erkenntnisinteresse des Betrachters ab. Ein K r i t e r i u m für die Bestimmung eines Prozeßbegriffs ist, daß die Veranstaltung nach rechtlichen Regeln abläuft und mit einer Entscheidung endet. Prozeß ist daher ein rechtlich geregeltes Verfahren. Schränkt man den Begriff weiter auf Verfahren vor staatlichen Gerichten ein, ist Prozeß eine Veranstaltung, i n der nach vorausgegangener Möglichkeit zur Kommunikation eine verbindliche Entscheidung über Rechte — allgemeiner: Interessen — von Personen getroffen wird. A u f der Ebene dieser Rechte bedeutet die Entscheidung einen Eingriff i n die Rechte, da sie feststellt, welche Interessen i n welchem Umfang rechtlich geschützt werden. Mehr als eine solche Feststellung enthält die Entscheidung nicht. Eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse t r i t t erst ein, wenn ein Betroffener sich entsprechend dieser Feststellung verhält oder (im Wege der Vollstreckung) dazu gezwungen wird, bzw. wenn die tatsächlichen Verhältnisse durch die Vollstreckung von Dritten geändert werden (eine A r t Ersatz vornähme). Es ist nicht erst eine Folge der (rechtlichen) Ausgestaltung des Verfahrens, daß stets eine Entscheidung getroffen w i r d (werden kann), sondern dies liegt i n der Struktur begründet: Entweder w i r d eine neue Feststellung über die rechtlichen Positionen getroffen, aufgrund derer etwas verändert werden kann, oder es w i r d keine neue Feststellung getroffen, und es bleibt alles beim alten. Beides ist eine Entscheidung. Sichergestellt werden muß daher nicht die Möglichkeit zur Entscheidung, sondern eine Begrenzung des zeitlichen Rahmens für die Kommunikation, und dies bedeutet gleichzeitig eine Begrenzung des personellen und sachlichen Rahmens. Das Entscheidende ist, daß diese Be-

170

2. Abschnitt, Teil 4: Zwischenergebnis und Überleitung

grenzung nicht w i l l k ü r l i c h erfolgt, sondern dem Zweck des Prozesses entsprechend. 2. Zum Prozeßzweck und der Ausgestaltung des Prozesses

Zweck des Prozesses ist es, eine am Gesetz orientierte, auf Wahrheit beruhende, gerechte Entscheidung zu finden. Dabei wäre es ein I r r t u m anzunehmen, Gerechtigkeit könnte als Ergebnis einer jeweils gelungenen kommunikativen Interaktion des einzelnen Verfahrens begriffen und damit durch die Kommunikationsveranstaltung Prozeß als eigene Leistung hervorgebracht werden. Der Gerechtigkeitsbegriff ist allgemeiner und umfassender, als daß er i n einem Verfahren i n der vorhandenen Ausgestaltung jeweils selbständig erarbeitet werden könnte. Eine Entscheidung ist daher nicht schon deshalb gerecht, weil das Verfahren unter Beachtung des Rechts abgewickelt wurde und die prozessuale Kommunikation ohne Verzerrungen oder gar Störungen verlief. Ob eine Entscheidung gerecht ist, ist vielmehr extern danach zu beurteilen, ob sie dem wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten entspricht (allgemein akzeptabel ist), und diese Beurteilung hängt prinzipiell nicht davon ab, wie die Entscheidung gefunden wurde. Angesichts der Schwierigkeiten, dies jeweils konkret festzustellen, verdient aber bei einer K r i t i k i m Einzelfall die Entscheidung ein größeres Vertrauen, die i n einem ordnungsgemäßen Verfahren unter Beachtung des materiellen und prozessualen Rechts gefällt wurde, denn die Beachtung von Recht und Gesetz begründet eine (widerlegliche) Vermutung dafür, daß die Entscheidung letzten Endes gerecht ist. Die Leistung des Prozesses besteht nicht darin, Gerechtigkeit zu garantieren, sondern die Bedingungen, unter denen eine gerechte Entscheidung gefunden werden kann innerhalb eines jederzeit wiederholbaren Rahmens, sachlich, personell und zeitlich zusammenzufassen. Der sachliche Rahmen w i r d dabei wesentlich durch das (materielle und prozessuale) Recht bestimmt, an dem sich der Entscheidende orientieren soll, u m nicht nur zufällig, sondern unter wiederhol- und rekonstruierbaren Bedingungen eine gerechte Entscheidung zu finden. Der personelle Rahmen w i r d außer durch die Festlegung der Entscheidenden i m wesentlichen dadurch bestimmt, daß die festzustellenden Rechte oder Interessen gegenüber einer anderen Partei, die sie (angeblich) beeinträchtigt, geltend zu machen sind. Dies w i r d dadurch abgesichert, daß die Feststellung i n der Entscheidung auch nur zwischen ihnen verbindlich ist. Es bedeutet gleichzeitig, daß für bestimmte Interessen, die nicht von einer einzelnen Person wahrgenommen werden können oder sollen, institutionelle Sachwalter gefunden werden müssen.

I. Zwischenergebnis

171

Über die personellen und rechtlichen Rahmenbedingungen w i r d auch die für die Entscheidung erforderliche Informationsmenge über Tatsachen gesteuert. Die Auswahl stützt sich erstens auf die Überzeugung, daß die Parteien, geleitet von ihren Interessen, die erforderlichen Tatsachen jedenfalls insoweit einführen, daß ein sinnvolles Nachfragen möglich wird. Zweitens ergibt sich eine Auswahl von relevanten Tatsachen aufgrund der Rechtsnormen, und drittens w i r d die Informationsmenge über ein Geflecht von rechtlich geregelten Verfügungsbefugnissen, Lasten und Vermutungen bis h i n zur Beweislast gesteuert, die es ermöglichen (sollen), daß fehlende Angaben zu bestimmten Tatsachen noch als relevante Informationen i m Hinblick auf eine gerechte Entscheidung gewertet werden können. Insbesondere der beschränkte personelle Rahmen birgt jedoch Gefahren für das Erreichen des Prozeßzwecks. Einerseits kann auch durch die inter-partes Wirkung der Entscheidung nicht ausgeschlossen werden, daß die Rechte und Interessen D r i t ter, die bei der Konstruktion des Verfahrens kaum i n den Blick kommen, durch den Streit der Parteien berührt werden 1 , andererseits steht dieser personell bedingten Verkürzung des sachlichen Rahmens eine sachliche Überforderung der personellen Möglichkeiten gegenüber. Selbst wenn es gelingt, ein kompliziertes Interessengeflecht rechtlich adäquat auf eine Zweiparteienbeziehung zurechtzustutzen, kann i m Einzelfall das Geflecht der Rechte und Interessen sachlich so komplex bleiben, daß die Informationsverarbeitungskapazität für die Beteiligten — insbesondere die Entscheidenden — so beansprucht w i r d und dadurch der zeitliche Rahmen so ausgedehnt wird, daß die Dauer des Prozesses u. U. einer ablehnenden Entscheidung gleichkommt. 3. Prozeßzweck, Recht und Gesetz

Eine konsensfähige, gerechte Entscheidung ist geeignet, das staatliche Gewaltmonopol zu entlasten. Dabei mag i m Idealfall jedermann zustimmen und sich der Entscheidung gemäß verhalten, jedenfalls aber w i r d Widerspruch eine ungerechtfertigte Minderheitsposition und der mögliche Einsatz von Zwangsmitteln gerechtfertigt und von Widerständen entlastet. Wegen dieser Entlastung w i r d der Aufwand des Verfahrens betrieben. Sie begründet das staatliche Interesse am Prozeß und erklärt, warum die M i t w i r k u n g der Betroffenen notfalls durch staatliches Eingriffsrecht und vielfältige Mechanismen — von Pflichten über Lasten 1 A l s Beispiel das sog. Frankfurter Behindertenurteil ( L G F r a n k f u r t / M . v. 25. 2.1980 Az.: 2/24 S 282/79) DuR 1980, 473 m i t A n m e r k u n g Dopatka.

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2. Abschnitt, Teil 4: Zwischenergebnis und Überleitung

bis zur Verhaftung (und zum praeter oder gar contra legem gewährten Geständnisbonus i n Strafsachen) — sichergestellt wird. Um den Prozeßzweck zu erreichen, müssen beim Ablauf des Prozesses und damit auch bei seiner rechtlichen Regelung prozessuale und materièllrechtliche Regelungen ständig ineinandergreifen. Die Möglichkeit den Prozeßzweck zu erreichen, hängt daher auch von der Gestaltung des materiellen Rechts ab. Der Prozeß kann daher nicht besser sein als das materielle Recht, das Grundlage für die Entscheidung ist. Da Gesetz und Recht selbst nicht unbedingt Gerechtigkeitsanforderungen genügen und darüber hinaus für jeden einzelnen Prozeß noch der Aufbereitung (Auslegung) bedürfen, ist an die Beteiligten die Forderung zu stellen, i n der prozessualen Kommunikation Recht und Gesetz und deren Auslegung i m Hinblick auf eine konsensfähige, gerechte Entscheidung zu überprüfen. Alle Beteiligten sollten sich aber auch darüber i m klaren sein, daß Gesetz und Recht bei allen Unvollkommenheiten noch am ehesten eine Grundlage für eine allgemeine konsensfähige und gerechte Entscheidung darstellen: Wenn man so w i l l , ein Aufruf zur „kritischen Solidarität" gegenüber dem gesetzten Recht. II. Uberleitung 1. Zur — sozialwissenschaftlich begründeten — Kritik am Prozeß

a) Eine offene Frage ist, ob die konkrete Ausgestaltung des Prozesses wirklich optimal zur Erreichung des Zwecks ist. Auch ohne daß der konkreten Ausgestaltung i m Einzelfall nachgegangen werden muß, spricht alles dafür, daß Verbesserungen nötig und möglich sind. I m Grunde genommen stellt jede Bemühung u m die Auslegung von prozessualen Normen eine Bemühung u m eine Optimierung dar. Es ist ferner zuzugeben, daß der Prozeß mit einer Reihe von Fehlerquellen belastet ist, die das Erreichen des Prozeßzwecks i n Frage stellen. (1) Neben dem Recht selbst, i n dem bereits Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten angelegt sein können, ergibt sich eine Fehlerquelle aus Problemen und Inkongruenzen bei der Rechtsanwendung, die die Eignung des Rechts, Grundlage für eine gerechte Entscheidung zu sein, zusätzlich i n Frage stellen. Hier sind vor allem die Richter und die außerrechtlichen Einflüsse, denen sie bei der Entscheidungstätigkeit unterliegen, i n den Blick gekommen. 2 2 Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 128 ff.; Rottleuthner, Richterliches Handeln, S. 61 ff., jeweils m i t umfangreichen Nachweisen u n d einer kritischen Betracht u n g dieser Ansätze.

II. Überleitung

173

(2) Kritisiert w i r d auch, daß Zugangschancen zum Prozeß durch Kostenbarrieren und Schwellenängste ungleich verteilt sind 3 und damit bestimmte soziale Gruppen vom Zugriff auf die Möglichkeiten des staatlichen Gewaltmonopols ausgeschlossen sind. Der Ausschluß vom Prozeß kommt einer ablehnenden Entscheidung gleich. (3) Die K r i t i k wegen ungleicher Verteilung der Zugangschancen zum Prozeß hängt eng zusammen m i t einer, die eine asymmetrische Verteilung der Partizipations- und Kommunikationschancen im Prozeß feststellt: Unterschiedliche soziale Gruppen verfügen über unterschiedliche kognitive, sprachliche und interaktive Kompetenzen, die innerhalb des Verfahrens zu Verzerrungen der Kommunikation führen. (4) Dieser K r i t i k , die das Erreichen des Prozeßzwecks durch außerprozessuale Ungleichheiten gefährdet sieht, korrespondiert eine weitergehende, die eine strukturelle Asymmetrie durch die Rollenverteilung i m Prozeß selbst ausmacht. 4 b) Unabhängig von der Frage, inwieweit die K r i t i k i m einzelnen zutreffend ist, ist ihr zuzugeben, daß sie mögliche Fehlerquellen für das Erreichen des Prozeßzwecks aufdeckt, u m deren Beseitigung man sich innerhalb und außerhalb des Verfahrens bemühen muß. Die K r i t i k stellt aber weder den Prozeß noch den Prozeßzweck grundsätzlich i n Frage. Den hier vertretenen Prozeßzweck berührt sie schon deshalb nicht, weil sie selbst an den Prozeß den Anspruch stellt, eine gerechte Entscheidung zu finden, denn nur gegenüber diesem Anspruch ist sie als K r i t i k verständlich. Aus dieser K r i t i k ergibt sich aber auch nicht der Nachweis, daß der Prozeß grundsätzlich ungeeignet ist, seinen Zweck zu erfüllen. Es gibt keinen hinreichenden Anhalt, daß die festgestellten außerrechtlichen Einflüsse eine richtige Entscheidung grundsätzlich verhindern, daß man Zugangsschranken nicht abbauen kann und daß man nicht lernen könnte, unterschiedliche Handlungskompetenzen so weit zu überwinden, daß man zu einer ausreichenden Verständigung kommen kann. Hier sind vor allem die Juristen, namentlich die Richter gefordert, helfend und ausgleichend einzugreifen und über Erläuterungen, Fragen und Hinweise und vor allem durch das Bemühen, die Beteiligten überhaupt richtig zu verstehen, deren oft nur i n Ansätzen erkennbares Begehren i n eine für den Prozeß verwertbare Form zu bringen. Man mag dies als kompensatorische Verhandlungsführung 5 bezeichnen, sollte sich aber klar sein, daß die Probleme bereits i m Vor3 Dazu Baumgärtel, Gleicher Zugang zum Recht für alle, m i t umfangreichen Nachweisen; Wassermann, Justiz i m sozialen Rechtsstaat, S. 134 ff. 4 z. B. Rottleuthner, K J 1971, S. 81 ff. 5 Dazu Bendner, JZ 1982, S. 709 ff.

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2. Abschnitt, Teil 4: Zwischenergebnis und Überleitung

feld, bei der Polizei, bei Behörden, i m Umgang m i t Vertragspartnern und der Suche nach rechtlicher Beratung beginnen. 2. Prozeß als Diskurs

a) Es kann nicht fraglich sein, daß die prozessuale Kommunikation bis zu einem gewissen Grad auf Verständigung der Beteiligten untereinander angewiesen ist und der Prozeß damit diskursive Elemente enthalten muß, u m seinen Zweck zu erfüllen. Dennoch ist es ein I r r t u m anzunehmen, man könne den Prozeß „ i m Anschluß an Habermas . . . als Kommunikation nach dem Diskurs-Modell begreifen." 6 Prozesse stehen unter der Notwendigkeit, i n angemessener Frist eine (richtige) Entscheidung zu fällen und nicht unter dem Anspruch der prinzipiell uneingeschränkten zwanglosen Kommunikation. Habermas selbst hat ihnen daher zunächst den Charakter eines Diskurses abgesprochen und Gerichtsverhandlungen i m Gegensatz dazu als strategisches Handeln konzipiert, mit dem die Beteiligten unter den Beschränkungen der Prozeßordnung und unter Zeitdruck nicht u m Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern u m eine für sie günstige Entscheidung bemüht sind. 7 A l e x y 8 hat dem entgegen gehalten, daß die Entgegensetzung von Diskurs und strategischem Handeln den Besonderheiten des Prozesses nicht gerecht werde und die juristische Argumentation i m Prozeß prinzipiell unter dem Anspruch auf Richtigkeit stehe. Unter dem Eindruck der Darstellung Alexy's hat sich Habermas 9 „davon überzeugen lassen, daß juristische Argumentationen i n allen ihren institutionellen Ausprägungen als Sonderfall des praktischen Diskurses begriffen werden müssen." Auch die Argumentation vor Gericht könne nur nach dem Modell der moralischen Argumentation, überhaupt der Diskussion über die Richtigkeit normativer Aussagen begriffen werden. b) Ungeachtet der Frage, ob diese Einschätzung angesichts der auch von Habermas und Alexy zugestandenen und für notwendig erachteten Beschränkungen der prozessualen Kommunikation noch haltbar ist, kann der Prozeß nicht einfach als Diskurs betrachtet und unter diesem Anspruch kritisiert werden. 6

So M i k i n o v i c / Stangl, DuR 1978, S. 394; Rottleuthner, SJ 1971, S. 81. Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, in: Haberm a s / L u h m a n n , Theorie der Gesellschaft, S. 200 f.; A l e x y (Theorie, S. 270) u n d Habermas selbst (Theorie des k o m m u n i k a t i v e n Handelns Bd. 1, S. 62 F N 63) verstehen die Ausführungen v o n Habermas, in: Habermas / L u h mann, Theorie der Gesellschaft, S. 200 f. so, daß der Prozeß dort als strategisches Handeln qualifiziert wurde, obwohl Habermas dort ausführt, der Prozeß stehe „unter Bedingungen des kommunikativen Handelns . . . " (Hervorhebung n u r hier). 8 A l e x y , Theorie, S. 263 ff. (270). 9 Habermas, Theorie des k o m m u n i k a t i v e n Handelns, Bd. 1, S. 62 F N 63. 7

II. Überleitung

175

(1) Die Beschränkungen der Kommunikation, die sich aus dem Erfordernis einer Entscheidung unter Zeitdruck und der Bindung an Recht und Gesetz ebenso ergeben, wie aus der Möglichkeit rein erfolgsorientierten Verhaltens der Beteiligten, verhindern es, den Prozeß unter dem Anspruch einer kooperativen Wahrheitssuche m i t prinzipiell uneingeschränkter zwangloser Kommunikation zu stellen. 10 Auch A l e x y 1 1 schließt es daher aus, den Prozeß „einfach als Diskurs zu bezeichnen". Die Diskurstheorie ist allenfalls geeignet, die juristische Argumentation, die den Anspruch auf Richtigkeit erhebt, theoretisch zu erfassen, wobei die diskursiven Elemente auf die hypothetische Form der Bezugnahme auf eine ideale Sprechsituation zurückgenommen werden. 12 Die Annahme, daß m i t der Explikation des Begriffs einer vernünftigen juristischen Argumentation zugleich das Strukturprinzip des Prozesses aufgedeckt ist 1 3 , ist aber kaum zu halten. Die Organisationsform des Prozesses ist geprägt von der Notwendigkeit, i n angemessener Zeit eine an Gesetz und Recht orientierte, gerechte Entscheidung zu fällen. Durch die prozessuale Kommunikation sollen die dazu erforderlichen Informationen zusammengetragen werden. Sicher ist es wünschenswert, daß sie dabei nach den Regeln vernünftigen Argumentierens i m Geiste kooperativer Wahrheitssuche abläuft, aber schon der Zeitfaktor setzt hier Grenzen. Die Kommunikation kann daher i m Hinblick auf die Erarbeitung der erforderlichen Informationen gesteuert werden, und wenn relevante Informationen nicht mehr eingebracht werden, kann sie abgebrochen und die Sache entschieden werden. Die i n den Prozeßordnungen niedergelegten Detailregelungen des Verfahrensablaufs halten über Pflichten, Lasten und Partizipationschancen Motivationen für eine Kooperation der Beteiligten bereit, letzten Endes ist der Prozeß darauf aber nicht angewiesen. 14 I m übrigen beziehen sich die von Habermas und Alexy hervorgehobenen diskursiven Elemente der juristischen Argumentation auf die Geltung normativer Aussagen und ihrer Richtigkeit. Die Vorstellung, dies sei ein wesentlicher Teil der prozessualen Kommunikation, geht an der Praxis völlig vorbei. I m Prozeß geht es schon deshalb vorrangig 10 Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 141/142; siehe auch Koch / Rüßmann, Begründungslehre § 43.3 b), S. 371, die darüber hinaus sogar eine Anlehnung an die Diskurstheorie zur Entwicklung von Regeln für die juristische A r g u mentation für „überflüssig u n d dysfunktional" halten (ebenda F N 33). 11 A l e x y , Theorie, S. 271. 12 A l e x y , ebenda; dazu auch Habermas, Theorie des k o m m u n i k a t i v e n H a n delns Bd. 1, S. 44 ff. (47/48). 18 So A l e x y , Theorie, S. 271, 358. 14 Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 145/146.

176

2. Abschnitt, Teil 4: Zwischenergebnis und

berleitung

u m Tatsachenfragen, weil die Information über die normativen Grundlagen der Entscheidung vom Richter kraft Ausbildung und Gesetzeskenntnis selbst vorrätig gehalten werden. Juristische Argumentation findet sich daher hauptsächlich i n der Begründung einer Entscheidung, und die Theorie der juristischen Argumentation ist damit weniger eine Theorie des Prozesses, als vielmehr eine Theorie der rationalen Entscheidungsbegründung. Für das Erreichen des Zwecks des Prozesses ist es aber von geringer Bedeutung, ob eine Entscheidung richtig begründet wurde. Die Richtigkeit einer Entscheidung hängt zwar möglicherweise davon ab, ob sie begründbar ist, nicht aber davon, ob sie richtig begründet wurde. Auch eine falsch oder gar nicht begründete Entscheidung kann richtig sein. (2) Die Tatsache, daß Prozesse keine Diskurse sind und daß i n der prozessualen Kommunikation problematische Geltungsansprüche nicht ausdiskutiert, sondern gegebenenfalls entschieden werden, spricht weder gegen die Rationalität gerichtlicher Verfahren, noch ergibt sich hieraus umgekehrt ein Ansatzpunkt für eine K r i t i k von Habermas' Theorie des kommunikativen Handelns. I m Gegenteil, betrachtet man den Prozeß i m Hinblick auf Habermas' Differenzierung von Diskurs, Argumentation, kommunikativem Handeln und strategischem Handeln 1 5 genauer, zeigt sich, daß die prozessuale Kommunikation m i t all diesen Formen rechnen muß. Da gibt es offenes strategisches Handeln, wenn ζ. B. ein Angeklagter i m Hinblick auf eine für ihn günstige Beweislage schweigt, die bewußte Manipulation (nirgends w i r d so viel gelogen wie vor Gericht) und natürlich die unbewußt verzerrte Kommunikation ebenso wie verständigungsorientiertes Handeln und Argumentation. Unter günstigen Bedingungen mag sogar ein echter Diskurs zustande kommen, der zum Konsens aller Beteiligten führt. Aufgabe des Gerichts ist es unter der Vorgabe rechtlicher Regelungen mit strategischem Handeln, Kommunikationsverweigerungen und -Verzerrungen so umzugehen, daß es den Zweck des Prozesses erreichen kann. Dazu dienen das rechtliche Gehör mit Hinweisund Fragepflichten und -rechten ebenso wie prozessuale Frist- und Formvorschriften (die sichere Entscheidungsgrundlagen geben), prozessuale Pflichten und Lasten, Säumnis- und Beweisverfahren und die Beweislastverteilung. Es wurde schon betont, daß die Erarbeitung der erforderlichen Information nicht ohne ein Mindestmaß von verständigungsorientiertem 15 Dazu Habermas, vorbereitende Bemerkungen, in: Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft, S. 101 ff., insbes. S. 114 ff.; ders., Wahrheitstheorien, i n : Festschrift für Schulz, S. 211 ff.; ders., Theorie des k o m m u n i k a t i v e n Handelns Bd. 1, S. 44 ff.; S. 369 ff.; S. 446 Fig. 18; zur Unterscheidung v o n Handlung u n d Diskurs siehe auch A l e x y , Theorie, S. 138 ff.

II. Überleitung

177

Verhalten, von kommunikativem Handeln, möglich ist, auch wenn dies weniger normative als empirische Aussagen betrifft. Eine diskursive Überprüfung kommunikativen Handelns kommt aber überhaupt erst i n Betracht, wenn dessen Wahrheits- oder Richtigkeitsanspruch kontrovers w i r d . 1 6 Aber auch dafür stehen mit dem Beweisverfahren und der Entscheidungsbefugnis des Gerichts Mechanismen bereit, die auf Diskursbedingungen vielleicht noch hypothetisch Bezug nehmen und i n gewissem Umfang Argumentationen zulassen, i m übrigen aber durch eine Beschränkung der Kommunikation Zeitgewinn versprechen und nicht darauf angewiesen sind, unter M i t w i r k u n g aller Beteiligten „intersubjektive Überzeugungen kraft besserer Argumente herauszubilden." 1 7 Die Orientierung auf eine Entscheidung erlaubt es, die Argumentation — was häufig, wenn nicht i n der Regel geschieht — i n den Bereich der Entscheidungsbegründung zu verschieben (oder sogar ganz darauf zu verzichten). Ob dieses Verfahren i m einzelnen durch alle Prozeßordnungen rational ausgestaltet ist, kann hier nicht geklärt werden. Für grundsätzlich irrational kann dies aber nur jemand halten, der die Möglichkeit rationalen Entscheidens überhaupt leugnet. (3) Selbst wenn man Habermas' Konsensustheorie 18 dahingehend folgt, daß die Wahrheit empirischer und die Richtigkeit normativer Aussagen nur i m Wege des Diskurses geprüft und festgestellt werden können, kann daraus nicht geschlossen werden, daß prozessuale Entscheidungen niemals richtig sein können, nur weil sie nicht i m Wege des Diskurses gefunden wurden. Die Richtigkeit einer Entscheidung hängt nicht davon ab, wie sie gefunden wurde. Entscheidungen können auch „zufällig" richtig sein. Erst nachdem eine Entscheidung getroffen wurde, muß sie sich der Überprüfung stellen, die dann auch i m Wege des Diskurses erfolgen mag. Ebensowenig kann umgekehrt eine Entscheidung schon allein deshalb als „richtig" bezeichnet werden, weil i m Prozeß eine Diskussion nach den Regeln und Formen einer diskursiven juristischen Argumentation stattgefunden h a t 1 9 (auch wenn dadurch die Wahrscheinlichkeit, daß sie richtig ist, erhöht wird). Ob eine Entscheidung richtig ( = gerecht) ist, kann sich nicht unter den notwendigen Beschränkungen der prozessualen Kommunikation entscheiden, sondern erst i m nachherein, wenn sich 18

Habermas, Theorie des k o m m u n i k a t i v e n Handelns, S. 447. Habermas, Theorie des k o m m u n i k a t i v e n Handelns, S. 62. 18 Habermas, Vorbereitende Bemerkungen, i n : Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft, S. 101 ff.; ders., Wahrheitstheorien, i n : Festschrift für Schulz, S. 211 ff.; dazu A l e x y , Theorie, S. 134 ff. 19 So aber A l e x y , Theorie, S. 357; zu diesem Problem i n anderem Zusammenhang schon oben I 2) u n d 2. Abschnitt T e i l 3 I I 1 b); I I 3 c); I I I 2 c (1). 17

12 Schaper

2. Abschnitt, Teil 4: Zwischenergebnis und Überleitung die Entscheidung allgemeiner K r i t i k stellen muß. Auch beim besten Willen der Beteiligten kann das begrenzte Handlungssystem Prozeß nicht über den Gerechtigkeitsbegriff verfügen. Letztlich w i r d dies auch von Alexy ähnlich gesehen, wenn er den Anspruch, m i t den Regeln der juristischen Argumentation ein Richtigkeitskriterium gefunden zu haben, anschließend dahingehend zurücknimmt, daß es nur „vorläufigen Charakter" 2 0 habe. c) Obwohl die Richtigkeit einer Entscheidung nicht davon abhängt, wie sie gefunden wurde und ein rationales Verfahren allein noch keine Richtigkeit garantiert, steht es aber ebenso außer Frage, daß der Prozeß seinen Zweck (die Entscheidung möglichst zufallsunabhängig zu machen) um so besser erfüllen kann, je mehr es gelingt, die prozessuale Kommunikation trotz aller Beschränkungen, wenn nicht zu einem echten, so wenigstens zu einem „Quasi-Diskurs" auszubauen. 3. Ein grundlegend anderer soziologischer Ansatz

Der K r i t i k an der Ausgestaltung des Prozesses soll und kann hier nicht i m einzelnen nachgegangen werden. Jeder K r i t i k p u n k t füllt Bände, und mancher diskussionswürdige Punkt ist noch gar nicht angesprochen. Entscheidend an diesen Kritiken, die sich weitgehend auf sozialwissenschaftliche Theoreme und Untersuchungen stützen, ist, daß sie den Prozeßzweck auch dann nicht i n Frage stellen, wenn sie bei einer Analyse der Funktion des Prozesses tatsächliche Wirkungen aufdecken, die dem Anspruch widerstreiten. Die K r i t i k liegt gerade i m Aufdecken des Auseinanderf aliens von Anspruch und Wirklichkeit. Hiervon unterscheidet sich grundlegend eine Position, die dem Prozeßzweck nicht nur eine abweichende Funktion entgegensetzt, sondern darüber hinaus versucht aufzuzeigen, daß der Anspruch weder zu erfüllen noch der Prozeß überhaupt auf die Erfüllung dieses Anspruchs angelegt ist — ja, die wahre Leistung des Prozesses sogar geschmälert wird, wenn man sich nur an diesem Zweck orientiert. Exemplarisch soll daher der Theorie Niklas Luhmanns nachgegangen werden, der kritisiert: „Ein System, das die Entscheidbarkeit aller aufgeworfenen Probleme garantieren muß, kann nicht zugleich die Richtigkeit der Entscheidung garantieren." 2 1 Bevor jedoch Luhmanns Versuch, auf der Basis seiner funktional-strukturellen Systemtheorie die Funktion von Prozessen als „Legitimation durch Verfahren" zu bestimmen, i m einzelnen dargestellt und untersucht werden kann, sollen i m nächsten Abschnitt i n einem Exkurs die Grundlagen und Grundbegriffe der Systemtheorien erläutert werden. 20 21

A l e x y , Theorie, S. 358. Luhmann, Legitimation, S. 21.

3. Abschnitt

Exkurs — Grundlagen und Grundbegriffe der Systemtheorien Teil 1

Einleitung Systemtheorien sind i n den letzten 15 Jahren — insbesondere durch die Rezeption amerikanischer Arbeiten — weit i n den Vordergrund wissenschaftlicher Betrachtungen gerückt worden, so daß es den A n schein erweckt, als sei das Systemdenken eine Erfindung neuerer Zeit. Seine Tradition reicht aber bis i n die Antike zurück. Es findet sich ζ. B. schon i n dem Problem, ob das „Ganze" mehr ist als die Summe seiner Teile 1 — ohne daß dafür bereits der Begriff „System" bemüht wurde. Obwohl der Systemgedanke immer wieder verwendet wurde, wäre es jedoch falsch, die theoriegeschichtliche Entwicklung bis zum modernen Sozialsystem als bruchlose Fortschreibung dieses philosophischen Gedankens zu betrachten. 2 Die unterschiedliche Verwendung des Systemgedankens w i r d deutlich, wenn dem Systembegriff, der sich auf Objekte der Realwelt bezieht (empirisches System) 3 , i m späten Mittelalter ein anderer entgegengesetzt wird, der „System durch die Einheit eines Prinzips" definiert. Dieser Denkansatz übertrug den Systemgedanken von der Ebene der realen Welt auf die Ebene der Erkenntnis: „Die Einheit des Systems konnte nur als Einheit konsistenter Erkennt1

Schulbeispiel ist das Schiff Theseus, das i m Hafen von Piräus als Ganzes aufbewahrt wurde, obwohl seine Teile nach u n d nach ersetzt werden mußten. Dazu Luhmann, Systemtheoretische Beiträge, in: Jahrbuch f. Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie I I , S. 255 (256). 2 Tjaden, Einleitung, i n : ders. (Hrsg.), Soziale Systeme, S. 13; zur E n t w i c k l u n g des Systemgedankens a u d i Luhmann, Moderne Systemtheorien als F o r m gesamtgesellschaftlicher Analyse, in: Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 7 (9 ff.). 3 „Empirisch" können nicht n u r physikalische, sondern auch abstrakte, begriffliche oder mathematische Systeme sein, bei denen das konkrete Objekt „letztlich (nur noch) durch seine A t t r i b u t e spezifiziert" w i r d . Dazu H a l l / Fagen, Definition des Systems, in: Tjaden (Hrsg.), Soziale Systeme, S. 94 ff. 12*

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3. Abschnitt, Teil 1: Einleitung

nisse begriffen und hypothetisch auf die Welt rückprojiziert werden." 4 (analytisches System) 5 Die Vielzahl der Anwendungsbereiche verhindert auch eine vollständige und unzweideutige Definition des Begriffs „System". 6 Vage Beschreibungen, wie ζ. B. „Ein System ist ein Satz von Objekten zusammen m i t Beziehungen zwischen den Objekten und zwischen ihren A t t r i buten" 7 , mögen zwar für empirische wie analytische Systeme gelten können, wenn man den „Objekt"-Begriff weit genug faßt; wirklichen Sinn ergeben sie aber erst i m Zusammenhang einer Theorie, i n der die verwendeten Begriffe spezifiziert werden.

4

Luhmann, Systemtheoretische Beiträge, in: JRR I I , S. 255 (256). Näher zur Begriffsentwicklung Narr, Theoriebegriffe u n d Systemtheorie, in: N a r r / Naschold, Einführung i n die moderne politische Theorie, Bd. I, S. 89 ff.; N a r r verwendet die Begriffe empirisches - theoretisches System. (S. 92); die Bezeichnung „analytisches" System folgt der Terminologie Luhmanns. β H a l l / Fagen, Definition des Systems, S. 94/95. 7 H a l l / Fagen (ebenda) beziehen diese Definition n u r auf empirische Systeme (vgl. die Definition für „Objekte", S. 95). 5

Teil

Syetemtheorien Ein allgemeines Ziel der Systemanalyse läßt sich am besten an Hand von vier systemtheoretischen Entwürfen darstellen, an denen sich auch Unterschiede und gemeinsame Grundbegriffe moderner Systemtheorien darstellen lassen. I. Allgemeine Systemtheorie (General-Systems-Theory) Sie ist aus dem Bedürfnis entstanden, der Zersplitterung der Wissenschaft i n Spezialdisziplinen die Lehre einer alle Bereiche umfassenden, gemeinsamen Organisationsstruktur entgegenzusetzen. „Der allgemeine Systemgesichtspunkt besteht i m Nachdruck auf struktureller Typologie; man hofft m i t der strukturellen Typologie ein einheitsstif tendes Prinzip bei der Entwicklung von Theorien über Konflikt und Kooperation gefunden zu haben, die für Situationen m i t erheblich verschiedenem Inhalt, aber ähnlicher Logik der Struktur gelten." 8 Dazu muß von den verschiedenen Inhalten abgesehen werden. Aus einer so formalisierten Perspektive behandelt die allgemeine Systemtheorie „allgemeine, strukturelle Beziehungen, Funktionen und Systeme, die verschiedenen Wirklichkeitsbereichen gemeinsam sind." 9 Die Leistung einer allgemeinen Systemtheorie besteht darin, als Unterscheidungsmerkmal von Systemen den „Grad der Komplexität der Beziehungen" und durch Trennung von Struktur und Funktion statische (Organisationen) und dynamische Komponenten (Prozesse) herauszustellen, die aufgrund des formalen Charakters der Theorie mathematisierbar erscheinen. 10 Π . Kybernetische Systemtheorie Der derzeit wichtigste Fall der Allgemeinen Systemtheorie ist die Kybernetik 1 1 , die bei der weitesten Definition des kybernetischen Sy8

Narr, Theoriebegriffe, S. 98 m i t weiteren Nachweisen. Cube, Kybernetik, S. 41. 10 Narr, Theoriebegriffe, S. 98/99. 11 Narr, Theoriebegriffe, S. 100.

9

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3. Abschnitt, Teil 2: Systemtheorien

stems kaum noch zu unterscheiden sind. 12 Als Systemtheorie läßt sich Kybernetik etwa „als Wissenschaft von den dynamischen selbstregulierenden und selbstorganisierenden Systemen" 13 umschreiben. Sie stellt, ausgehend von den Ergebnissen einer allgemeinen Systemtheorie, die dem System immanenten Tendenzen zur Stabilität und Selbsterhaltung fest. 1. Grundlagen

Grundlage kybernetischer Systeme ist, daß eine Ausgangsgröße (Output) abhängig gemacht w i r d von einer oder mehreren Eingangsgrößen (Input). Grundproblem ist nun, das Verhältnis von Eingangs- und Ausgangsgrößen so zu regulieren, daß das System stabil bleibt. „Stabilität" bedeutet nichts weiter, „als daß eine bestimmte Größe bzw. ein Sollzustand konstant gehalten w i r d . " 1 4 Das einfache kybernetische System — ζ. B. ein Heizungsthermostat — reagiert auf störende Einflüsse mit Ausgleichsbewegungen, d. h. es erhält Informationen über sich ändernde Umweltbedingungen, und paßt sich dementsprechend den geänderten Verhältnissen an. Es ist i n der Lage, die Eingangsgrößen (Input) zu regulieren, nicht aber den Sollwert, der vorwegbestimmt oder i m System bereits enthalten ist. 1 5 Die kompensierende Rückkopplung, d. h. die Regelung aufgrund von Informationen, ist der Stabilisierungsfaktor des Systems. 16 Da der Sollwert vorgegeben sein muß, spricht man hier von „Fremdregelung". 1 7 2. Komplexe Systeme

Der Regler des einfachen Systems ist jedoch nicht i n der Lage, Veränderungen aufzufangen, die außerhalb seines Regelungsbereiches liegen. Kompliziertere Systeme, die nicht nur eine variable Eingangsgröße haben, können dagegen durch Rückkopplung immer neue Anpassungsprozesse durchführen, indem sie die Parameterwerte der Variablen stufenweise austauschen. Diese Fähigkeit bezeichnet man als Ultrasta12 Cube, Kybernetik, S. 41: „ U n t e r K y b e r n e t i k i m weiteren Sinne versteht m a n die mathematische u n d konstruktive Behandlung allgemeiner s t r u k t u reller Beziehungen —, Funktionen u n d Systeme . . . " . 13 Klaus / B u h r , Philosophisches Wörterbuch Bd. 2, Stichwort: „Kybernet i k " , S. 640/641. 14 Grimm, Luhmanns soziologische Aufklärung, S. 74 m. w . Nachweisen (Hervorhebungen i m Original). 15 Narr, Theoriebegriffe, S. 101. 16 Klaus / Liebscher (Hrsg.), Wörterbuch der Kybernetik, Stichwort: Regelung, S. 657.

17

Grimm, Luhmanns soziologische Aufklärung, S. 74/75.

III. Struktur-funktionale Systemtheorie (Talcott Parsons)

183

bilität. 1 8 Sie ist nur bei Systemen mit komplexen Strukturen zu erlangen. Komplexität bedeutet dabei, daß das System mindestens zwei alternative Möglichkeiten haben muß, u m gegenüber einer Umweltveränderung zu reagieren. 19 Können Systeme schließlich nicht nur die Eingangsgrößen, sondern auch den Sollwert selbst bestimmen, spricht man von „selbstregelnden" Systemen (Systeme m i t kumulativer Rückkopplung). 20 Bei ihnen w i r d die „Führungsgröße" zur Festlegung des Sollwerts nach systeminternen Kriterien situationsspezifisch ausgewählt. 21 Sie sind i n der Lage, auf gravierende Störungen mit einer teilweisen Umstrukturierung des Systems zu reagieren und so erneut Stabilität herzustellen. 22 Dies ist nur bei komplexen Systemen möglich. Je komplexer ein System strukturiert ist, desto größer ist seine Fähigkeit zur Anpassung und damit zur Selbsterhaltung. Dabei macht die Information sozusagen „das Kapital des kybernetischen Systems" 23 aus. ΙΠ. Struktur-funktionale Systemtheorie (Talcott Parsons) Talcott Parsons hat versucht, den human-gesellschaftlichen Bereich modellhaft durch eine struktur-funktionale Systemtheorie darzustellen. Sein funktionalistisches Gesellschaftssystem rückt die Ordnung, das Gleichgewicht des Systems, i n den Vordergrund der Betrachtung und sucht das „soziale Äquivalent der relativ fixen Struktur der Organismen." 2 4 1. Allgemeines Handlungssystem

a) Der Bezugsrahmen Parsons geht davon aus, daß sich alles menschliche Verhalten durch ein allgemeines Handlungs(Aktions-)system beschreiben läßt. 2 5 18

Narr, Theoriebegriffe, S. 101/102. G r i m m , Luhmanns soziologische A u f k l ä r u n g , S. 57; vgl. auch Luhmann, Soziologie als Theorie sozialer Systeme, i n : Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 113. 20 Klaus / Liebscher (Hrsg.), Wörterbuch der Kybernetik, Stichwort: Regelung, besonders S. 658. 21 Naschold, Systemsteuerung, i n : N a r r / Naschold, Einführung i n die m o derne politische Theorie, Bd. I I , S. 25. 22 Klaus / Liebscher (Hrsg.), Wörterbuch der Kybernetik, Stichwort: Regelung, S. 658; Narr, Theoriebegriffe, S. 102,103. 23 Narr, Theoriebegriffe, S. 102. 24 Narr, Theoriebegriffe, S. 110 m i t weiteren Nachweisen. 26 Dazu Dahrendorf, S t r u k t u r u n d Funktion, i n : Gesellschaft u n d Freiheit, S. 60 ff. 19

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3. Abschnitt, Teil 2: Systemtheorien

Der Bezugsrahmen dieses Systems w i r d beschrieben durch den Handelnden (actor), die Situation des Handelns (situation of action) und die Orientierung des Handelnden zur Situation (orientation of the actor to the situation), die andere Akteure einschließt. 26 Analysiert werden die Beziehungen der A k t i o n und Interaktion zu ihren Situationen, die sich zu Systemen aufbauen. 27 Für dieses Interpretationssystem ist die Person (Persönlichkeit) des Handelnden Umwelt 2 8 , da das relationale System nur einen Ausschnitt der Person erfaßt und sich mit der inneren Struktur seiner Einheiten nicht beschäftigt. 29 Zur Systemanalyse gilt es statische (Struktur) und dynamische (Funktion) Komponenten zu unterscheiden. b) Struktur (1) „Struktur" ist das Gerüst des aus vielfältigen variablen Beziehungen bestehenden Systems. Sie „bezeichnet eine relative Stabilität — Gleichförmigkeiten i n Ergebnissen zugrunde liegender Prozesse, die hinreichend stabil sind, u m sie für pragmatische Zwecke (der Systemanalyse) . . . als konstant anzunehmen." 30 Wegen des stetigen Wandels der Beziehungen ist sie real zwar nicht existent, kann aber für die Analyse gleichsam i n einer Momentaufnahme sichtbar gemacht werden. 3 1 Diese relative Stabilität findet Parsons beim allgemeinen Handlungssystem nicht i n den Verhaltensweisen der Handelnden oder i n Beziehungen eines Handelnden (ego) zu seinem Gegenüber (alter), sondern i n den Erwartungen, die beide aufgrund der Situation dem anderen gegenüber hegen. „Struktur" ist daher ein Geflecht von Erwartungsmustern. 3 2 (2) Um die Struktur eines Systems bestimmen und die Perspektive des Systems auf die des handelnden Subjekts beziehen zu können, hat Parsons die „Orientierungsalternativen, zwischen denen sich ein actor entschieden haben muß, bevor die Bedeutung der Situation für ihn bestimmt i s t " 3 3 (erst dann lassen sich die entsprechenden Erwartungs26

Parsons, K o n s t i t u t i o n sozialer Systeme, in: T j a d e n (Hrsg.), Soziale Systeme, S. 151. 27 Dazu Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 354: Soziologie „muß . . . i h r e n Gegenstand analytisch als System isolieren." 28 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 354/355; 364. 29 Parsons, K o n s t i t u t i o n sozialer Systeme, i n Tjaden (Hrsg.), Soziale Systeme, S. 151. 30 Parsons, Systematische Theorie, in: Rüschemeyer (Hrsg.), Talcott Parsons Beiträge zur soziologischen Theorie, S. 37. 31 Dazu näher Parsons, KZfSS 1964, S. 33; Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 358; Damm, Systemtheorie, S. 88, jeweils m. w . N. 32 Narr, Theoriebegriffe, S. 111 m i t Nachweisen. 33 Parsons / Shills (Hrsg.), T o w a r d a General Theory of Action, zit. nach Damm, Systemtheorie, S. 93.

III. Struktur-funktionale Systemtheorie (Talcott Parsons)

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muster aufdecken), durch „pattern variables" kategorisiert. 34 Dies sind (früher 5, später 4 i n einer dichotomischen Liste geordnete) generalisierte Normalternativen, denen Parsons grundlegende Bedeutung für alle Handlungs- und Subsysteme zumißt. Sie stellen die Variablen dar, aus denen eine Systemstruktur analytisch aufgebaut werden kann. 3 5 c) Funktion (1) Die dynamische Komponente der Systemanalyse sind die ständigen Prozesse, die bestimmte Strukturen erhalten bzw. abbauen, u m durch Anpassung des Systems eventuelle Störungsfaktoren zu paralysieren und die Stabilität des Systems zu erhalten. Sie werden als Funktionen kategorisiert. 36 Durch die Trennung von Struktur und Funktion ist es dem Betrachter möglich, Prozesse i m Hinblick auf die statische Struktur zu analysieren und festzustellen, daß prozessuale Änderungen stets auf die Stabilisierung der Systemstruktur gerichtet sind. 37 (2) Um fortbestehen zu können, muß jedes System vier Systemprobleme lösen, die den zwei Achsen „Intern/Extern" und „Mittel/Zweck ( = instrumentell/konsummativ)" zuzuordnen sind 3 8 : 1. Anpassung an die Umwelt (adaption) = extern — instrumentell 2. Zielverwirklichung (goal attainment) = extern — konsummativ 3. Integration der Systemeinheiten durch „wechselseitige Ausrichtung dieser ,Einheiten 4 . . . vom Gesichtspunkt ihrer »Beiträge 4 zum Funk84 Parsons, Pattern Variables Revisited, ASR 1960, S. 467; siehe auch den Überblick bei Damm, Systemtheorie, S. 93. 85 Dazu Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 358; kritisch Narr, Theoriebegriffe, S. 111/112; Habermas, Technik u n d Wissenschaft als Ideologie, S. 60 ff. 36 Parsons, Systematische Theorie, i n : Rüschemeyer (Hrsg.), Talcott Parsons Beiträge zur soziologischen Theorie, S. 39 ff.; Narr, Theoriebegriffe, S. 110/111. 37 Dahrendorf, S t r u k t u r u n d Funktion, i n : Gesellschaft u n d Freiheit, S. 68. 38 Z u m AGIL-Schema (sog. nach den Anfangsbuchstaben der englischen Bezeichnungen) Parsons, Grundstrukturen u n d Grundfunktionen, in: Tjaden (Hrsg.), Soziale Systeme, S. 164; einen näheren Überblick geben z. B. Damm, Systemtheorie, S. 88 ff.; Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 355 m i t weiteren Nachweisen. Parsons (z.B. Grundstrukturen u n d Grundlagen, S. 166: „ V i e r hauptsächlich funktionale Probleme oder Dimensionen der Systemstruktur u n d des Systemprozesses können v o n diesen Achsen abgeleitet werden.") hat später versucht, den 4 Systemfunktionen bestimmte „pattern variables" zuzuordnen. I n w i e w e i t damit bereits eine Verlagerung seiner s t r u k t u r - f u n k tionalen Theorie zu einer allgemein-funktionalen eingeleitet ist, ist hier nicht zu untersuchen. Dazu z. B. Damm, Systemtheorie, S. 88; Narr, Theoriebegriffe, S. 112.

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3. Abschnitt, Teil 2: Systemtheorien

tionieren des Systems als Ganzem aus" (integration) = intern — konsummativ 4. Regulierung von Spannungen innerhalb der Systemeinheiten (latent tension management and pattern maintenance) durch — Entlastung des Individuums von Interaktion (latente Spannungsentlastung) — Erhaltung grundlegender Wert- und Normordnungen (Mustererhaltung) = intern — instrumentell 2. Die vier Subsysteme

Parsons strukturiert das allgemeine Handlungssystem schließlich durch vier Subsysteme, die nicht konkret, sondern nur analytisch trennbar sind. 39 a) Verhaltensorganismus I m Zuge von Parsons' Freud-Rezeption als Subsystem herausgebildet, greift es die „Aufnahme und Verarbeitung von Informationen i m zentralen Nervensystem" 40 als unterste Ebene von Handlungsvoraussetzungen aus den organischen Abläufen des Handelnden heraus und schreibt i h m die Aufgabe zu, das Handlungssystem, insbesondere das Persönlichkeitssystem mit (psychischer) „Energie" als Voraussetzung für Handlungsprozesse zu versorgen. 41 Der übrige Organismus bleibt für das Handlungssystem „physische Umwelt". b) Persönlichkeitssystem Es ist das System der Handlungsorientierungen des individuellen Handelnden. Dabei w i r d „Persönlichkeit" nur daraufhin betrachtet, inwieweit sie einen Beitrag zu gesellschaftlichem Handeln i n Beziehungen zu anderen leistet. Damit rückt die „Bedürfnisdisposition" als „,Gerichtetheit' der Strebungen auf Objekte der Handlungssituation" 4 2 i n den Vordergrund der Betrachtung. Als auf der Ebene der Erwartungshaltung organisierte Motivation w i r d sie dabei normativ gefaßt und nicht als reales, von einer Handlungssituation unabhängiges Bedürfnis eines Individuums. 4 3 39 40 41 42 43

Dazu Damm, Systemtheorie, S. 95 ff. m i t umfangreichen Nachweisen. Parsons, System moderner Gesellschaften, S. 13. Parsons, Approach, S. 615. Brandenburg, Systemzwang, S. 111. Dazu Brandenburg, Systemzwang, S. 123 ff. — Die normative A b s t r a k -

III. Struktur-funktionale Systemtheorie (Talcott Parsons)

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c) Sozialsystem (1) Da nach den Prämissen Parsons' eine isolierte Betrachtung sozialer Prozesse unmöglich ist, die Isolierung von Objekten der wissenschaftlichen Betrachtung daher nur als willkürliche — angesichts der Unmöglichkeit, alles gleichzeitig zu denken, aber auch notwendige — zu begreifen ist, ist das soziale System nur forschungsstrategisch als Hauptobjekt der Soziologie hervorgehoben. 44 I h m w i r d bei Parsons hauptsächlich Integrationsfunktion — Koordination der Individuen — zugeschrieben. 45 Dies ist jedoch nur eine Gewichtung, denn prinzipiell hat jedes System und Subsystem alle vier Grundfunktionen zu erfüllen. (2) Die Struktureinheit sozialer Systeme ist die Rolle oder genauer „Status-Rolle". 4 6 Parsons Rollentheorie beruht auf der Rezeption des klassischen Rollenkonzepts von Ralph Linton (The Study of Man 1936), i n dem Parsons' systemtheoretische Unterscheidung von Struktur und Funktion bereits mikrokosmisch angelegt ist: „Rolle" und „Status (Position) 47 " bilden den dynamischen und den statischen Aspekt eines untrennbaren Begriffspaares. Position ist ein Ort i m Gefüge sozialer Beziehungen — i m Unterschied zum Individuum, das i h n innehaben kann, einfach eine Reihe von Rechten und Pflichten. Während aber bei Linton die Rolle noch das tatsächliche Verhalten eines Positionsinhabers w a r 4 8 , ist sie bei Parsons wiederum normativ gefaßt. Sie w i r d nicht durch reale Verhaltensweisen beschrieben, sondern durch „Verhaltensweisen, die man von bestimmten Personen i n bestimmten Zusammenhängen und Beziehungen erwartet" 49 und kann daher institutionell definiert und damit generalisiert werden. t i o n ist eine der kritischsten Punkte i n Parsons' Theorie; vgl. Damm, Systemtheorie, S. 99 m i t weiteren Nachweisen. 44 Parsons, A n Outline to the Social System, i n : Parsons / Shils / Naegele / Pitts (Hrsg.), Theories of Society, S. 3 ff. (34). 45 Parsons, System moderner Gesellschaften, S. 12. 46 Vgl. Damm, Systemtheorie, S. 102. 47 Parsons hat v o n L i n t o n den Begriff „Status" übernommen, der aber i n der neueren Soziologie zur Kennzeichnung des sozialen Ansehens der Stell u n g eines Individuums innerhalb der Gesellschaft verwendet w i r d . I n der Rollentheorie w i r d statt dessen der Begriff „Position" verwendet. Vgl. Ciaessens, Rolle u n d Macht, S. 17. 48 Z u r Rollentheorie u n d ihrer Ausprägung bei L i n t o n vgl. Ciaessens, Rolle u n d Macht, S. 16 ff. 49 Parsons, Motivierung wirtschaftlichen Handelns, in: Rüschemeyer (Hrsg.), Talcott Parsons, Beiträge zur soziologischen Theorie, S. 141 — Hervorhebung n u r hier.

188

. Abschnitt, Teil :

tmtorin

(3) Integrationsfunktion des sozialen Systems ist es nun, die „Bedürfnisposition" des Persönlichkeitssystems m i t der Rolle zur Deckung zu bringen. 5 0 Dazu w i r d durch soziale Mechanismen wie Recht, Brauchtum, Sitte und Moral Einfluß auf die Motivation des Individuums genommen. Die sozialen Mechanismen werden dem Einzelnen von K i n d an klargemacht. Die Anerziehung und Internalisierung erfolgt durch Massenkommunikationsmittel ebenso wie durch persönlichere und subtilere Beeinflussung (ζ. B. Erziehung, Umgang etc.) 51 Die Integration menschlichen Verhaltens zielt funktional auf die Ordnung des Systems und die Erhaltung seiner Struktur. Dysfunktionale Verhaltensweisen durch instabile Elemente müssen deshalb disqualifiziert werden. 5 2 d) Kulturelles

System

Dieses — von Parsons erst später i n das allgemeine Handlungssystem eingebaute — Subsystem stellt sozusagen die obere Grenze des Handlungssystems dar. 5 3 Es betrifft den Wirkungs-, nicht aber den Bedeutungszusammenhang „kultureller" Fragen z. B. philosophischer, theologischer oder rechtstheoretischer Ideen. Die Wahrheitsfrage bleibt als „letzte Realität" für das Handlungssystem „Umwelt". Hauptaufgabe des kulturellen Systems ist die Institutionalisierung oberster Werte i n sozialen Normen und Rollen. 54 3. Zum Anwendungsbereich

Parsons Systemtheorie enthält ein analytisches System von Ordnungsgesichtspunkten, das wie ein Netz über die soziale Wirklichkeit geworfen w i r d und es ermöglicht, soziale Erscheinungen —- d.h. bei Parsons: Interaktionen — von der Kleingruppe bis h i n zu ganzen Gesellschaften auf ihre Struktur zu untersuchen und festzustellen, welche Prozesse möglich und erforderlich sind, u m diese zu erhalten. 55 Diese Suche nach den Gleichgewichtsbedingungen bestehender Systeme hat der Theorie — wohl nicht zu unrecht — den Vorwurf eingetragen, i n dem optimistischen Vertrauen auf eine funktionale Bewältigung von 50

Damm, Systemtheorie, S. 104 m i t weiteren Nachweisen. Parsons, Recht u n d soziale Kontrolle, i n : Hirsch / Rehbinder (Hrsg.), KZfSS, Sonderheft 11, 1967, S. 133 f. 52 Narr, Theoriebegriffe, S. 113. 53 Damm, Systemtheorie, S. 108. 54 Näher Parsons, System moderner Gesellschaften, S. 14; ders., Approach, S. 702 ff.; ders., Outline, i n : Parsons / Shills / Naegele / Pitts (Hrsg.), Theorie of Society, S. 36 ff.; Damm, Systemtheorie, S. 109 m i t weiteren Nachweisen. 55 Narr, Theoriebegriffe, S. 112; Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 356, 359; jeweils m i t weiteren Nachweisen. 51

IV. Funktional-strukturelle Systemtheorie (Niklas Luhmann)

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„Systemproblemen" die Bedingungen von sozialem Wandel und die Ursachen sozialer Konflikte aus den Augen zu verlieren. 5 6 I V . Funktional-strukturelle Systemtheorie (Niklas L u h m a n n ) 1. Parsons' Systemtheorie als Ausgangspunkt

Parsons' struktur-funktionale Systemtheorie setzt Systeme m i t bestimmten Strukturen voraus und fragt nach den funktionalen Leistungen, die erbracht werden müssen, damit sie erhalten bleiben. Sie kann Systeme nur i m Hinblick auf die Erhaltung ihrer Struktur untersuchen und muß den Strukturbegriff daher dem Funktionsbegriff vorordnen. Bei der Systemanalyse bleiben Struktur und Prozesse getrennt. Die zu untersuchende Struktur w i r d nach dem jeweiligen Forschungsinteresse ausgewählt (in einer Momentaufnahme sichtbar gemacht) und so ein System analytisch beliebig definiert und zum Bezugspunkt für die funktionale Untersuchung von Prozessen gemacht. 57 Die struktur-funktionale Systemtheorie kann daher den Sinn von Strukturbildung selbst nicht problematisieren, ohne eine umfassendere Systemstruktur als Bezugspunkt der Frage voraussetzen zu müssen; sozialen Wandel kann sie allenfalls an Teilsystemen i m Hinblick auf umfassendere Systeme erörtern. 5 8 Die Frage nach der Funktion der Systembildung selbst ist dagegen durch den analytischen Systembegriff beantwortet: Der Sinn der Systembildung liegt i n der Ordnung der Erkenntnisse, ist damit unproblematisch und kann und braucht nicht hinterfragt zu werden. 5 9 2. Luhmanns Konzeption

Von dieser Theorie — die zunächst Ausgangspunkt seiner eigenen Arbeiten war — setzt sich Luhmann i n zwei entscheidenden Punkten ab. 60 66 Dazu Narr, Theoriebegriffe, S. 113 f.; Damm, Systemtheorie, S. 164 ff.; Dahrendorf, S t r u k t u r u n d Funktion, in: Gesellschaft u n d Freiheit, S. 80 f. u n d ders., Die angewandte Aufklärung, S. 163 f. 57 Dazu Grimm, Luhmanns soziologische Aufklärung, S. 67; Damm, Systemtheorie, S. 88; Luhmann, Soziologie als Theorie sozialer Systeme, i n : Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 113 f.; ders., Legitimation, S. 43 F N 11; jeweils m i t weiteren Nachweisen; siehe dazu schon oben T e i l 2 I I I 1 b) (1). 58 Luhmann, Soziologische A u f k l ä r u n g I , S. 113 f.; ders., Legitimation, S. 41 F N 8; einschränkend Damm, Systemtheorie, S. 88 (bes. F N 40) m i t Nachweisen. 59 Luhmanns K r i t i k an der Struktur-funktionalen Theorie, sie könne nicht nach dem Sinn v o n Systembildung fragen (Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 114) geht daher an der Sache vorbei. Der Sinn v o n Systemen ist n u r für einen empirischen Systembegriff u. U. ein Problem. 80 Grundlegend Luhmann, Soziologie als Theorie sozialer Systeme, KZfSS 19 (1967), S. 615 - 644 unverändert i n : Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 113 ff.

. Abschnitt, Teil :

eheri

Zum einen versucht er, den analytischen Systembegriff durch einen empirischen (konkreten) zu ersetzen, zum anderen, das Verhältnis von Struktur- und Funktionsbegriff umzukehren und den Funktionsbegriff dem Strukturbegriff vorzuordnen. Darüber hinaus ersetzt er den bei Parsons zentralen Handlungsbegriff durch „Handeln" und „Erleben". 6 1 a) Der funktionelle

Bezugspunkt

Problem eines solchen Funktionsbegriffs ist es, einen Bezugspunkt zu finden, der keine systemstrukturellen Voraussetzungen mehr impliziert. Da sich Systeme durch eine Differenz von Innen und Außen konstituieren, darf die Bezugseinheit keine Grenzen mehr haben. Dafür verwendet Luhmann 6 2 den Begriff „Welt" als das, was nicht mehr als System begriffen werden kann, weil es ohne (weitere) Umwelt kein „Außen" mehr haben kann. Zur „Welt" gehört die Gesamtheit der möglichen Ereignisse, die nicht i m System selbst stattfinden. Sie ist für ein System stets übermäßig komplex, weil sie mehr Möglichkeiten enthält, als das System verarbeiten kann. 6 3 „Komplexität" bedeutet (in erster Annäherung) 6 4 die Gesamtheit der möglichen Ereignisse, nicht als Seinszustand, sondern als Relation zwischen System und (Um-)Welt. Um als System erhalten zu bleiben, d. h. die Innen-Außen-Differenz aufrechtzuerhalten, muß ein System die Welt-Komplexität reduzieren und für systemeigenes Handeln nur vergleichsweise wenige Möglichkeiten offen lassen. 65 Der Bezugspunkt für die Funktion von Systemen ist daher die Erfassung und Reduktion von Komplexität. b) Systemgrenzen und Sinnbegriff Problem eines empirischen Systembegriffs ist bei Systemen, die nicht durch ihren materiellen Bestand von der Umwelt abgegrenzt sind (wie z. B. Maschinen, Organismen), ihre Grenze zu bestimmen. Dazu gehören vor allem soziale Systeme (Systeme der Beziehungen zwischen Hand81 Zur Unterscheidung v o n Handeln (Selbstreduzierung v o n U m w e l t k o m plexität) u n d Erleben (Fremdreduzierung) Luhmann, Sinn als Grundbegriff der Soziologie, in: Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft, S. 25 (76 ff.); ders., Macht, S. 19 f.; dazu auch Amelung, AöR 98 (1973), S. 139. 82 Luhmann, Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 113 (114 f.). 83 Dazu außer Luhmann, ebenda; auch Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozial technologie, in: Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 142 (147). 64 Luhmann, ebenda; näher z u m Komplexitätsbegriff ders., Komplexität, in: Soziologische A u f k l ä r u n g I I , S. 204 ff.; kritisch Habermas, Theorie der Gesellschaft, in: Habermas / Luhmann, S. 157 ff.; G r i m m , Lohmanns Soziologische Aufklärung, S. 9 ff. 85 Luhmann, Legitimation, S. 41.

IV. Funktional-strukturelle Systemtheorie (Niklas Luhmann)

191

lungen verschiedener Menschen). Ihre Grenzen lassen sich nach Luhmann 6 6 „nur als Sinngrenzen begreifen, als Elemente eines Bestandes von Informationen, deren Aktualisierung auslöst, daß Informationen nach bestimmten systeminternen Regeln behandelt werden." „Sinn ist Selektion aus anderen Möglichkeiten und zugleich Verweisung auf andere Möglichkeiten . . . Die Welt bleibt trotz Reduktion als Bereich anderer Möglichkeiten bestehen und w i r d nicht etwa auf das Unmittelbar-Relevante zusammengezogen." 67 Er hat damit eine Doppelstruktur von Komplexität und Kontingenz. Komplexität bezeichnet hier, daß es mehr Möglichkeiten des Erlebens und Handelns gibt, als aktualisiert werden können, Kontingenz, daß die i m Horizont aktuellen Erlebens angezeigten Möglichkeiten weiteren Erlebens und Handelns nur Möglichkeiten sind, daher auch anders ausfallen können, als erwartet wurde. 6 8 „Sinn fungiert als Prämisse der Erlebnisverarbeitung i n einer Weise, die die Auswahl von Bewußtseinszuständen ermöglicht, dabei das jeweils nicht Gewählte aber nicht vernichtet, sondern es i n der Form von Welt erhält und zugänglich bleiben läßt." 6 9 c) Komplexität

des Systems

Die Innen-Außen-Differenz ermöglicht es, Systeme als Inseln geringer Komplexität i n der Welt zu bilden und zu erhalten. Innerhalb des Systems kann die unermeßliche Weltkomplexität soweit reduziert werden, daß eine sinnvolle Orientierung des Handelns möglich w i r d . 7 0 Um gegenüber einer sich ändernden Umwelt bestehen und sich anpassen zu können, müssen einem System von seiner Struktur her ausreichende Reaktionen möglich sein, es muß also hinreichend viele verschiedene Zustände annehmen können. Systeme sind daher selbst komplex. Luhmann unterscheidet damit zwischen System- und Weltkomplexität. Dabei ist der Begriff der Systemkomplexität an kybernetischen Begrifflichkeiten orientiert. 7 1 ββ

Luhmann, Soziologische A u f k l ä r u n g I , S. 117. Luhmann, Soziologische A u f k l ä r u n g I , S. 116. 68 Luhmann, Sinn als Grundbegriff der Soziologie, in: Habermas / L u h mann, Theorie der Gesellschaft, S. 25 (32 f.); dort auch näher zum „ S i n n " Begriff. *j 69 L u h m a n n i n Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft, S. 34; k r i tisch zu Luhmanns „ S i n n " - B e g r i f f Habermas, Theorie der Gesellschaft, i n : Habermas / Luhmann, S. 142 (147): „systematisch folgenreicher Kategorienfehler"; G r i m m , Luhmanns soziologische Aufklärung, S. 59 ff. (69): „Die auf der Sinnbasis konstruierte Formel der Reduktion v o n K o m p l e x i t ä t hat, so scheint es m i r , die (latente) „ H a u p t f u n k t i o n " , aufkommende Zweifel an dem erfahrungswissenschaftlichen Charakter dieser Theorie m i t einem abstrakten Vokabular zuzudecken." 70 Luhmann, Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 118; ders., Legitimation, S. 41. 71 Luhmann, Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 116: „Systeme sind komplex, 67

192

. Abschnitt, Teil :

eheri

M i t steigender Eigenkomplexität sind Systeme zunehmend i n der Lage, eigene Probleme zu bilden und das Problem der Weltkomplexität i n Systemprobleme zu übersetzen und damit i n eine Form zu bringen, die nur noch systemrelativ gilt. Es findet so eine Problemverschiebung für die Reduktion von Komplexität statt. 7 2 U m ein größeres Maß an Weltkomplexität erfassen und reduzieren zu können, muß das System selbst immer komplexer werden. U m eine Orientierung für Erleben und Handeln zu ermöglichen, muß diese Systemkomplexität selbst wiederum reduziert werden. d) Struktur

und Prozeß

Auch die Unterscheidung von Struktur und Prozeß ist eine funktional sinnvolle Differenzierung zur Reduktion von Komplexität. Dadurch w i r d das Ausscheiden anderer Möglichkeiten i n einem abgestuften Verfahren — durch doppelte Selektivität — vollzogen: Sie werden „ i m wesentlichen durch Strukturen absorbiert, i m übrigen fallweise abgearbeitet." 7 3 (1) Struktur ist ein relativ feststehender Rahmen, innerhalb dessen zwischen vorstrukturierten Alternativen konkret gewählt werden kann. Soziale Systeme gewinnen sie durch Generalisierung der Erwartungen für systemzugehöriges Verhalten. Generalisierung bedeutet i m Kern unschädliche Indifferenz gegen Unterschiede und insofern Reduktion von Komplexität. Wie bei Parsons erfolgt sie auf der Ebene des Erwartens — und nicht des unmittelbaren Handelns — durch Institutionalisierung: Soweit eine Erwartung institutionalisiert ist, kann der Erwartende von Zustimmung ausgehen, ohne individuelle Meinungen und Motive geprüft zu haben. 74 Auch bei Luhmann ist der Strukturbegriff damit normativ geprägt. „Man könnte den Bestand an kongruent generalisierten Erwartungen i n einem elementaren Sinne das Recht des Systems nennen." 7 5 w e n n sie mehr als einen Zustand annehmen können, also eine Mehrheit v o n Möglichkeiten haben, die m i t i h r e r S t r u k t u r vereinbar sind." Z u r Kybernet i k . s. o. S. 181 ff.; Luhmann, Soziologische Aufklärung, i n : Soz. A u f k l ä r u n g I, S. 78; ders., Soziologie des politischen Systems, i n : Soziologische A u f k l ä rung I, S. 154 (160); kritisch zum doppelten Komplexitätsbegriff Habermas, Theorie der Gesellschaft, i n : Habermas / Luhmann, S. 154 f.; G r i m m , L u h manns soziologische Aufklärung, S. 56 ff.; jeweils m i t weiteren Nachweisen. 72 Luhmann, Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 117. 73 Luhmann, Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 119 f. (120); auch ders., Rechtssoziologie I, S. 6 ff.; ders., Legitimation, S. 41; zum Verhältnis S t r u k t u r — Prozeß auch ders., Zweckbegriff, S. 64 ff. 74 Luhmann, Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 120 f. 75 Luhmann, Soz. A u f k l ä r u n g I , S. 122 — Hervorhebung i m Original —; dies ist für L u h m a n n der Ansatzpunkt für eine Rechtssoziologie; dazu Rechtssoziologie I, bes. S. 94 ff. (99 f.).

IV. Funktional-strukturelle Systemtheorie (Niklas Luhmann)

193

Es gibt jedoch einen zweiten strukturbildenden Faktor: Von einer gewissen Schwelle der Komplexität ab können Systeme nur noch wachsen, indem sie sich differenzieren und selbständige Subsysteme bilden. Die interne Differenzierung i n autonome Subsysteme m i t eigenen Grenzen ermöglicht eine arbeitsteilige Handlungsorientierung, die das Entstehen komplexer Systeme erst ermöglicht. 76 (2) Faktisch erfolgt Reduktion von Komplexität fallweise durch Prozesse. Sie sind von Systemen nicht ontologisch zu trennen, sondern als faktisches Geschehen selbst Systeme m i t einer Struktur und Voraussetzung für weiteren Auf- und Abbau von Strukturen und damit der Organisation komplexer Systeme. 77 Wächst die Komplexität eines Systems durch Generalisierung von Verhaltenserwartungen und funktionelle Differenzierung, so wächst auch der Bedarf für die Selektionskraft der Prozesse. Dazu ist eine Sicherheit bei der Übertragung von Selektionsleistungen (reduzierter Komplexität) erforderlich durch Medien der Kommunikation: Wahrheit, Macht, Liebe, Geld. 78 3. Zum Anwendungsbereich

M i t Hilfe seiner funktional-strukturellen Systemtheorie w i l l Luhmann empirische Systeme daraufhin untersuchen, welche funktionalen Leistungen erforderlich sind, u m die unermeßliche Weltkomplexität zu reduzieren, den Bestand und die Entwicklung des Systems sicherzustellen und so realitätsbewältigendes menschliches Handeln zu ermöglichen, indem er untersucht, welche funktional äquivalenten Problemlösungsmechanismen möglich sind und welche Folgeprobleme bei der einen oder anderen Lösung auftreten, die dann ebenfalls gelöst werden müssen. 79

76

Luhmann, Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 123 f. Luhmann, Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 125; ders., Legitimation, S. 41; ders., Funktionale Methode u n d Systemtheorie, in: Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 31 (42). 78 Dazu näher Luhmann, Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien, i n : Soziologische A u f k l ä r u n g I I , S. 170 ff.; ders., Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 127 f.; i m einzelnen auch ders., Macht (1975) u n d Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 154 (162 f.) zu Macht; Legitimation, S. 22 ff. — Wahrheit —; Wirtschaft als soziales System, i n : Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 204 (213 ff.) — Geld —; Rechtssystem u n d Rechtsdogmatik, S. 60 ff. — Eigentum, Geld —. 79 Dazu Luhmann, F u n k t i o n u n d Kausalität, in: Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 9 ff. (14 ff.); ders., Funktionale Methode u n d Systemtheorie, in: Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 31 ff.; auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 360 f.; Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 117 (135 f.); jeweils m i t weiteren Nachweisen. 77

13 Schaper

Teil 3

Systemtheorie und Recht I. Rechtssystem 1. Der Systembegriff der Rechtswissenschaft

Der Systembegriff ist der Rechtswissenschaft keineswegs fremd. 8 0 Er ist nicht erst i m Zuge der Diskussion über den Zusammenhang von Rechtswissenschaft und Sozialwissenschaften durch die soziologische Verwendung der Systemtheorien an sie herangetragen worden. Die traditionelle Rechtswissenschaft hat schon lange einen — scheinbar — analytischen Systembegriff akzeptiert, wie die Definition von Coing 8 1 zeigt: „Unter einem System verstehen w i r die Ordnung von Erkenntnissen nach einem einheitlichen Gesichtspunkt". Dieser Systembegriff ist jedoch nur scheinbar ein analytischer, denn als System werden hier nicht Erkenntnisse über Normen (Normen als möglicher Gegenstand der Rechtswissenschaft und Rechtstheorie) betrachtet, sondern die Rechtssätze selbst werden als Erkenntnisse behandelt, die i n einem System geordnet sind. Für diese Rechtstheorie ist damit das System ihrer Erkenntnisse zugleich das System ihres Gegenstandes selbst, nämlich das Normensystem. 82 Folgerichtig w i r d das System damit zum Gesichtspunkt der Rechtsgewinnung erklärt. 8 3 Dies ist der Systembegriff, den Viehweg 8 4 kritisiert und dem er die „Topik" als Methode entgegensetzt. Er gehört sozusagen zum alltäglichen Handwerkszeug eines Juristen, wenn i m Wege „systematischer 8Ü Vgl. Coing, Geschichte u n d Bedeutung des Systemgedankens i n der Rechtswissenschaft; F. v. Hippel, Z u r Gesetzmäßigkeit juristischer Systembildung. 81 Coing, Geschichte u n d Bedeutung des Systemgedankens, S. 26 — H e r v o r hebung n u r hier —. 82 Luhmann, Systemtheoretische Beiträge, i n : JRR I I , S. 256. 8ä Canaris, Systemdenken, S. 13, 86 ff. 84 Viehweg, T o p i k u n d Jurisprudenz, bes. S. 26 ff., 81 ff.; ob dieser Systembegriff i n aller Reinheit heute noch vertreten w i r d k a n n hier dahingestellt bleiben; dazu Canaris, Systemdenken, S. 148; Diederichsen, N J W 1966, S. 700; zu Topik u n d System auch Esser, Vorverständnis, S. 154 ff.

195

I. Rechtssystem Auslegung" die Konsistenz möglicher Entscheidungen mit Rechtssätzen geprüft w i r d . 8 5

weiteren

„System" ist i n diesem Sinne der Perfektionsbegriff der Dogmatik. 8 6 2. Leistungsfähigkeit und Grenzen des „Systems der Rechtssätze"

Die Leistungsfähigkeit dieses Systembegriffs zur Lösung von Auslegungsfragen — unter Umständen als eine Methode unter anderen i n einem rechtsmethodischen Pluralismus 8 7 — soll hier ebenso wenig untersucht werden, wie der K r i t i k Viehwegs nachgegangen werden kann. Festzuhalten ist jedoch, daß er jenem Systembegriff verhaftet ist, der ein System als Ganzes aus der Summe seiner Teile erfaßt, denn das Rechtssystem i. d. S. ist letztlich nichts anderes, als die Summe aller Rechtsnormen. Er impliziert ein Verständnis von Recht als Satzsystem, das „der Rechtswissenschaft . . . schon vorgegeben (ist) und nur noch technisch zu bearbeitendes Material" 8 8 darstellt. Es versteht sich, daß dieser Systembegriff nicht Grundlage einer überpositiven Rechtstheorie oder gar einer Rechtssoziologie sein kann. Durch die Beschränkung des Rechtssystems auf die Rechtssätze müssen die gesellschaftlichen und politischen Dimensionen des Rechts notwendig als ,Außenbeziehungen' bestimmt werden. 8 9 Seine Wertzuweisungen kann das Recht dann nur aufgrund außergesellschaftlichen, göttlichen oder vernünftigen Naturrechts erhalten oder i m Positivismus aus einem Sozialsystem beziehen, das invariant gedacht werden muß, weil es nicht — nicht einmal als Umwelt — thematisiert werden kann, denn ein Systembegriff, der sich auf die Beziehungen des Ganzen zu seinen Teilen und der Teile untereinander beschränkt, kann seine Umwelt nicht als Problem erfassen. Ein solches Rechtsverständnis kann Thesen über Umweltsteuerung und Umweltanpassung des Rechtssystems, die von außen an es herangetragen werden, nur verarbeiten, wenn es seine systematische Geschlossenheit aufgibt. Es steht dann vor dem Problem anzugeben, an welcher Stelle das System für derartige Einflüsse offen ist. Ob dieses Problem mit dem Verweis auf die Generalklauseln und ,Treu und Glauben' ausreichend gelöst ist, ist mehr als fraglich. 85 Dazu Larenz, Methodenlehre, S. 311 ff., 429 ff.; Diederichsen, N J W 1966, S. 697 m i t Beispielen (S. 698 ff.). 86 Luhmann, Systemtheoretische Beiträge, in: JRR I I , S. 256. 87 Esser, Vorverständnis, S. 124 ff. m i t umfangreichen Nachweisen. 88 Calliess, Rechtswissenschaft als P r o j e k t - u n d Strukturwissenschaft, i n : JRR I I , S. 280. 80 Ebenda.

13*

196

3. Abschnitt, Teil 3: Systemtheorie und Recht

Luhmann w i l l demgegenüber die Systemtheorie benutzen, u m die soziale Funktion des Rechts aufzuzeigen und die wechselseitige Steuerung des Gesellschaftssystems durch Recht und die sozialen Entstehungsbedingungen für Recht zu beschreiben. I h m geht es darum, die originäre Gesellschaftlichkeit des Rechts einzufangen und so auch eine ,Rechtssoziologie ohne Recht4 zu überwinden. 9 0 I I . Grundbegriffe und Grundzüge in Luhmanns Rechtssoziologie 1. Der Begriff des Rechts

Luhmanns grundlegender Sinnbegriff 0 1 verweist für die Orientierung des Erlebens und Handelns auf erwartetes und erwartbares Verhalten anderer, dessen Kontingenz einschließt, daß diese Erwartungen nicht eintreffen. Kognitive Erwartungen müssen i m Falle einer solchen Enttäuschung revidiert werden — der Betreffende muß aus der Enttäuschung lernen. Normative Erwartungen zeichnen sich demgegenüber dadurch aus, daß sie auch i m Enttäuschungsfall aufrechterhalten bleiben und die Diskrepanz dem Handelnden zugeordnet wird. Normen sind demnach „kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen". 9 2 Auch normative Erwartungen können aber nicht beliebig m i t Enttäuschungen belastet werden; auch sie müssen — wenn sie nicht aufgegeben werden sollen — i n der Regel Erfolg haben. Über sie muß daher i m Prinzip Konsens bestehen. Nach Luhmann 9 3 kann der faktische Konsens jedoch durch systemeigene M i t t e l nicht wesentlich gesteigert werden. Erwartungen werden daher „institutionalisiert", indem sie auf unterstellbare Erwartenserwartungen Dritter gestützt werden. Damit w i r d ein erwartbarer Konsens unterstellt und so das Verhalten Dritter, die diesen Konsens ebenfalls erwarten müssen, vorhersehbar gemacht. Als „Recht" bezeichnet Luhmann 9 4 nun die normativen Verhaltenserwartungen, die i n zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht kongruent generalisiert sind. Es leistet selektive Kongruenz und bildet dadurch eine Struktur sozialer Systeme. Recht w i r d so funktional-selekt i v begriffen, also nicht durch „Urqualitäten", wie z.B. „Sollen", oder 90 Luhmann, Legitimation, S. 13: „Weder reine Rechtslehren noch reine Wirklichkeitslehren können einem Thema gerecht werden, das i n vorgegebenen Sinnstrukturen u n d i m w i r k l i c h e n Verhalten zwei Pole hat, die i n bezug aufeinander als variabel gedacht werden müssen." 91 Dazu oben T e i l 2 I V 2 b). 92 Luhmann, Rechtssoziologie 1, S. 43; näher dazu auch ders., Die F u n k t i o n des Rechts: Erwartungssicherung oder Verhaltenssteuerung, in: ARSP, Beiheft 8 (1974), S. 31 ff. 93 Luhmann, Rechtssoziologie 1, S. 67. 94 Luhmann, Rechtssoziologie 1, S. 99; Soziologische A u f k l ä r u n g I , S. 121/122.

II. Grundlagen von Luhmanns Rechtssoziologie

197

faktische Mechanismen, wie z.B. „Sanktionen". 9 5 Es ist primär weder Zwangsordnung noch Verhaltenssteuerung, sondern Erwartungserleichterung. 9 6 Seine Funktion ist die Auswahl von Verhaltenserwartungen, von denen erwartet werden kann, daß auch alle anderen sie erwarten. 2. Positives Recht

a) Das politische (Sub-)System und seine Funktion Nach Luhmann 9 7 ist davon auszugehen, daß ein modernes Sozialsystem aufgrund funktionaler Differenzierung i n Teilsysteme m i t hoher Autonomie strukturiert ist, wie sie ζ. B. durch Politik, Religion, Wissenschaft und Wirtschaft gebildet werden. Die funktionale Differenzierung i n leistungsorientierte Subsysteme schafft durch die Möglichkeit spezifischer Problembewältigungen größere Effektivität. Ihre Autonomie und Entscheidungsfreiheit beruht jedoch zum großen Teil auf einem Mangel an gesamtgesellschaftlichen Zielsetzungen und -Vorstellungen, was zu Verständigungsschwierigkeiten führt. 9 8 M i t der Differenzierung wirtschaftlicher und kultureller Subsysteme entsteht daher notwendig auch ein politisches Subsystem, dessen Aufgabe es ist, verbindliche Entscheidungen zur Koordinierung der übrigen Teilsysteme zu fällen. Das ist möglich, weil es eine eigene politische Rationalität gibt, die sich i n der Bestimmbarkeit dessen, was entscheidungsbedürftiges politisches Problem ist, ausdrückt. Die Wirksamkeit des politischen Systems ist garantiert durch Zentralisierung legitimer Macht. 99 b) Der Machtbegriff „Macht ist immer dann gegeben, wenn aus einem Bereich von Möglichkeiten eine bestimmte durch Entscheidung gewählt w i r d und diese Selektion von anderen als Entscheidungsprämisse übernommen wird, obwohl sie selbst nur auf Entscheidung beruht . . . Die Übernahme geschieht i m Hinblick auf permanent stabilisierte Alternativen, die für 95

Luhmann, Rechtssoziologie 1, S. 99. Ebenda; auch ders., F u n k t i o n des Rechts: Erwartungssicherung oder Verhaltenssteuerung? i n : ARSP Beiheft 8, S. 31 ff. 97 Luhmann, Theorie der Gesellschaft, i n : Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 148 f.; ders., Soziologie als Theorie sozialer Systeme, i n : Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 123 ff. 98 Luhmann, Positivität des Rechts, i n : JRR I, S. 187; ders., Grundrechte als Institution, S. 26. 99 Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 24. 96

198

3. Abschnitt, Teil 3: Systemtheorie und Hecht

alle Beteiligten unangenehm sind." 1 0 0 Die Anwendung physischer Zwangsmittel ist eine der wichtigsten, aber keineswegs die einzige. Macht darf dabei nicht m i t der Verwirklichung der permanent stabilisierten Alternativen, etwa der Anwendung von Zwang, verwechselt werden. Für Luhmann ist Macht ein Kommunikationsmedium, durch das Selektionsleistungen übertragen werden, und setzt, damit eine Chance zur Kommunikation besteht, Handlungsalternativen nicht nur für den Machthaber, sondern auch für den Machtunterworfenen voraus. Macht ist daher gerade nicht Zwang, bei dem „die Wahlmöglichkeiten des Gezwungenen auf N u l l reduziert" 1 0 1 werden und folglich keine Kommunikation mehr stattfindet. „ I m Grenzfall läuft Zwang auf Anwendung physischer Gewalt hinaus und damit auf Substitution eigenen Handelns für unerreichbares Handeln anderer" 1 0 2 anstelle der Übertragung von Selektionsleistungen. „Macht setzt voraus, daß beide Partner Alternativen sehen, deren Realisierung sie vermeiden möchten." 1 0 3 Wobei für die Machtausübung wesentlich ist, daß „die Beziehung der Beteiligten zu den jeweiligen Vermeidungsalternativen unterschiedlich strukturiert ist derart, daß der Machtunterworfene seine Alternative vergleichsweise eher vermeiden möchte als der Machthaber" 1 0 4 , und dies für die Beteiligten erkennbar ist. Macht erscheint damit lediglich als Möglichkeit und w i r k t als solche. 105 Sie ist für Luhmann eine (durch den Machtcode gesteuerte) Kommunikation und m i t h i n keine Eigenschaft oder Fähigkeit des Machthabers. 106 c) Positivierung

des Rechts

Durch eine Entscheidung des politischen Systems können Verhaltenserwartungen ausgewählt werden, die aufgrund der Macht des politischen Systems übernommen werden. „Recht" kann daher durch Entscheidung gesetzt werden. Durch eine Entscheidung, die das Recht i n Geltung setzt und i h m seine Geltung auch wieder nehmen kann, w i r d es „positiviert". Das bedeutet, daß für beliebige Inhalte legitime Rechts100 Luhmann, Soziologie des politischen Systems, in: Soziologische Aufklärung I, S. 162 — Hervorhebung n u r hier —. 101 Luhmann, Macht, S. 8 f. (9). 102 Ebenda; dazu auch ders., S. 23, 64. 103 Luhmann, Macht, S. 22 — Hervorhebungen i m Original —. 104 Ebenda — Hervorhebungen i m Original —. 105 Luhmann, Macht, S. 24. 106 Luhmann, Macht, S. 15.

II. Grundlagen von Luhmanns Rechtssoziologie

199

geltung gewonnen werden kann. „Positives Recht gilt kraft Entscheidung." 1 0 7 Das Recht einer Gesellschaft ist daher „positiviert, wenn die Legitimität reiner Legalität Anerkennung findet, wenn also das Recht deswegen beachtet wird, weil es nach bestimmten Regeln durch zuständige Entscheidung gesetzt ist. Damit w i r d i n einer zentralen Frage menschlichen Zusammenlebens Beliebigkeit Institution" 108 Da hiernach Quellen der Legitimation außerhalb des politischen Systems nicht mehr vorausgesetzt werden können, muß auch die Legitimation i m System selbst geleistet werden. Dies führt Luhmann zum Begriff des „Verfahrens", dessen Funktion es ist, Entscheidungen zu legitimieren. 1 0 9 Positives Recht ermöglicht i m Rahmen des politischen Subsystems eine funktionsgerechte Strukturierung der Sozialordnung durch spezialisierte Verhaltensnormen und ständige Anpassung an die funktionale Differenzierung des Gesellschaftssystems. 110 Wie jedes Recht hat es die Funktion, „normative Erwartungen über kontingentem Verhalten zu stabilisieren" und so Komplexität zu reduzieren. 3. Programmierendes und programmiertes Entscheiden

a) Die Komplexität eines für die heutige Gesellschaft brauchbaren Rechtssystems w i r f t i n besonderem Maße das Problem der Selektion und Reduktion von (ζ. T. selbsterzeugter) Komplexität auf. 1 1 1 Es w i r d i n zwei Verfahrensschritten gelöst: Die Gesetzgebung programmiert die zur Entscheidung anstehende komplexe Materie (programmierendes Entscheiden), Rechtsprechung und Verwaltung entscheiden an Hand der Programme (programmiertes Entscheiden). 112 Da Systeme zwar m i t ihrer Umwelt verknüpft, aber durch die Umwelt nicht eindeutig determiniert sind, löst eine Umweltursache, die auf ein System einwirkt, nicht sofort eine bestimmte Reaktion des Systems aus. Das System hat vielmehr Zeit, „interne Prozesse selektiver Informationsverarbeitung einzuschalten und auf diese Weise bestimmte Kau107 Luhmann, Positives Recht u n d Ideologie, in: Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 180. 108 Luhmann, Soziologie des politischen Systems, in: Soziologische A u f k l ä rung I, S. 167 — Hervorhebung n u r hier —. 109 Ebenda; näher Luhmann, Legitimation durch Verfahren; dazu ausführlich unten 4. Abschnitt. 110 Luhmann, Positivität des Rechts, in: JRR I, S. 183. 111 Luhmann, Systemtheoretische Beiträge, in: JRR I I , S. 259. 112 Luhmann, Positivität des Rechts, in: JRR I, S. 190 ff.

200

3. Abschnitt, Teil 3: Systemtheorie und Recht

salfaktoren so zu kombinieren, daß die Wirkung vom System selbst mitbestimmt wird. Die Ordnung dieser selektiven Informationsverarbeitung nennen w i r Programmierung." 1 1 3 b) Nach dem „Input/Output-Modell" ergeben sich zwei Anknüpfungspunkte. Entweder kann vom Input oder vom Output her programmiert werden. Entweder kann eine gewünschte Wirkung invariant gesetzt und als Regel für die Auswahl von Ursachen benutzt werden, die sie bewirken können (die Wirkung w i r d dadurch zum Zweck, das Programm ist ein Zweckprogramm), oder das Programm legt eine bestimmte Ursache fest, die, jedesmal wenn sie vorliegt, ein bestimmtes oder doch bestimmbares Handeln auslösen soll (dann handelt es sich u m konditionale Programmierung). „Zweckprogramme lassen sich besser ideologisch rechtfertigen, Konditionalprogramme lassen sich besser judifizieren." 1 1 4 Die beiden Programmtypen beschreiben die Möglichkeiten der Programmierung vollständig, lassen sich aber kombinieren. 1 1 5 Sie sind die Grundlage für programmiertes Entscheiden. c) Umstritten ist die Zuordnung des Zweckprogramms zum Verwaltungshandeln und vor allem des Konditionalprogramms zur Rechtsprechung. 116 Luhmann sieht jedoch gerade i n der konditionalen „wenn . . . , dann . . . " Programmierung einen großen Vorteil von Rechtsnormen gegenüber einfachen Verhaltenserwartungen, wie sie i n Sittengeboten („Du sollst nicht töten!") zum Ausdruck kommen. Sie erlaubt dem Richter die Prüfung eines abgegrenzten Zusammenhanges und automatische Subsumtion unter einen Tatbestand, ohne daß er die Folgen solcher Entscheidung für den Betroffenen zu überdenken habe 1 1 7 , und schließlich gestattet sie dem Gesetzgeber, sich umfangreiche Einzelfallanweisungen zu ersparen. 118

Luhmann, Positives Recht u n d Ideologie, in: Soziologische A u f k l ä r u n g I,

S. 191. 114

Luhmann, Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 192. Ebenda. 116 Kritisch v o r allem Esser, Vorverständnis, S. 141 ff.; Die Kontroverse besteht darin, daß die Auslegung eines Legislativprogramms i n Zweifelsfällen den ,Durchgriff auf reale Folgen mehrerer Auslegungsmöglichkeiten erfordern kann. Während Esser (ebenda bes. S. 145) dies als normale u n d durchgehende Eigenart richterlicher Praxis, j a Erfordernis normativen E n t scheidens schlechthin ansieht, h ä l t L u h m a n n daran fest, daß der Richter durch seine Rolle u n d seine Erkenntnismittel zu einer Folgenabschätzung nicht befähigt u n d daher auch nicht befugt ist, darin das L e i t m o t i v seiner Praxis zu finden. (Systemtheoretische Beiträge, in: JRR I I , S. 266 u n d dort F N 39; ausführlich Rechtssystem u n d Rechtsdogmatik, S. 31 ff.) 117 Luhmann, Legitimation, S. 131 f. 115

II. Grundlagen von Luhmanns Rechtssoziologie

201

Den zweiten Vorteil des Rechts gegenüber funktional-äquivalenten Problemlösungsmechanismen wie Sitte und Moral sieht Luhmann i n der besseren Durchsetzbarkeit durch physische Gewalt, deren Anwendung von Zeit, Situation, Subjekt und Thema der Handlung unabhängig ist und damit universeller verwendbar als die Machtausübung durch sittlichen und moralischen Druck. 1 1 8

118

Luhmann, Positivität des Rechts, in: JRR I, S. 192 f.

4. Abschnitt

Niklas Luhmanns Legitimation durch Verfahren

Teil 1

Der Verfahrensbegriff I. Gegenstand Die juristische Prozeßrechtslehre hat den „Prozeß" lange nur als Summe von Rechtsnormen beschrieben und analysiert. 1 M i t Hagen 2 kann man ihren Gegenstand als „normativen Prozeß" bezeichnen. Dies kann nicht gleichzeitig der Gegenstand einer (rechts-)soziologischen Betrachtung sein. Eine Rechtssoziologie, die den Prozeß als Ganzes analysieren w i l l , muß auch den „empirisch-soziologischen Prozeß" 3 als Summe von Handlungen, die in einem soziologischen Sinnzusammenhang stehen, zum Gegenstand ihrer Untersuchungen machen, wenn sie etwas über die tatsächlichen Leistungen und Wirkungen aussagen w i l l . I I . Der systemtheoretische Ansatz Niklas Luhmann hat versucht, den »empirischen Prozeß' auf der Basis seiner funktional-strukturellen Systemtheorie als ein kurzfristig eingerichtetes soziales Interaktionssystem auf Zeit zu beschreiben, dessen Funktion es ist, bindende Entscheidungen zu erarbeiten. 4 I h m geht es 1 So vor allem die Lehre v o m Prozeß als Rechtsverhältnis; dazu schon oben Einleitung, bei F N 10 u n d F N 25. 2 Hagen, Elemente, S. 19. 3 Ebenda. 4 Luhmann, Rechtssoziologie I, S. 142; ders., Legitimation, S. 41; vgl. auch Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 136. Z u r Terminologie: L u h m a n n verwendet den Begriff „Prozeß" i n einem weiten soziologischen Sinne f ü r alle dynamischen Vorgänge (vgl. oben 3. Abschn. T e i l 2 I V 2 d (2) für den juristischen Prozeß' benutzt er den Begriff des „gerichtlichen Verfahrens", das er als T e i l „rechtlich geregelter Verfahren" betrachtet. Diese schließen Gesetzgebung u n d V e r w a l t u n g ein.

II. Der systemtheoretische Ansatz

203

nicht u m die normative Sinnbeziehung des normativen Prozesses, den er allerdings voraussetzt, sondern nur u m einen empirisch faßbaren Sachverhalt, um „wirkliches Geschehen" (S. 37)5. Der Sinnzusammenhang der Handlungen ergibt sich für i h n aus dem „Handlungssystem besonderer A r t " , das Prozeß ist, selbst: 1. Der Systembegriff

„Als System kann man jedes Feld von Elementen bezeichnen, die untereinander i n anderen Beziehungen stehen als zu ihrer Umwelt." 6 Wichtigstes Merkmal eines Systems ist sein Verhältnis zur Komplexität der Welt. Unter ,Komplexität 4 ist die Gesamtheit der Möglichkeiten zu verstehen, die sich für faktisches Erleben abzeichnen — sei es i n der Welt (Weltkomplexität) — sei es i m System (Systemkomplexität). (S. 41.) Funktion von Systemen ist es, Komplexität zu reduzieren. Ihre Umwelt ist stets übermäßig komplex, unüberbrückbar und unkontrollierbar. Durch Systembildung w i r d nur eine begrenzte Zahl von Möglichkeiten für systemeigenes Handeln zugelassen und zugleich ein „selektiver Umweltentwurf", eine „subjektive Weltsicht des Systems", entworfen. (S. 41.) Dadurch w i r d für menschliches Erleben und Handeln eine Orientierung i n der Welt möglich. 2. Strukturen des Verfahrenssystems

Wichtigstes Mittel des Systems zur Reduktion von Komplexität ist die Ausbildung einer Struktur. Strukturen beruhen auf Institutionalisierung von kulturellen Verhaltens- und Orientierungsmustern 7 oder, wie Luhmann sagt, „Generalisierung von Verhaltenserwartungen" (S. 42). a) Strukturbildung setzt voraus, daß das Verfahren als System ausdifferenziert ist, „so daß selektive Prozesse der Verarbeitung von Umweltinformationen durch systemeigene Regeln und Entscheidungen gesteuert werden können (S. 59). Den dazu notwendigen Entfaltungsspielraum hat das Verfahren, „weil i n Fragen des Rechts Ungewißheit besteht, und nur, soweit diese Ungewißheit reicht. Die Ausdifferenzierung bezieht sich auf den Prozeß der Absorption dieser Ungewißheit und besagt, daß dieser Prozeß durch verfahrensinterne und nicht durch externe Kriterien gesteuert wird." (S. 60) 5 Seitenzahlen i m Text beziehen sich auf Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 2. Aufl., 1975. 6 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 353 m i t weiteren Nachweisen; dazu auch oben 3. Abschnitt (Exkurs) T e i l 2. 7 Vgl. oben 3. Abschnitt (Exkurs) T e i l 2 I I I , I V .

204

4. Abschnitt, Teil 1: Der Verfahrensbegriff

Voraussetzung einer Ausdifferenzierung ist, daß gesellschaftliche Einflüsse (Einwirkung der Umwelt) auf das Verfahren durch Gesetzgebung, also Positivität des Rechts, kanalisiert und kontrolliert werden (S. 64). b) Für Verfahrenssysteme allgemein und den Prozeß als einen ihrer Sonderfälle bedeutet das, daß sie einerseits einer Strukturierung durch „allgemeine, für viele Verfahren geltende Rechtsnormen" (S. 42) bedürfen. Diese Normen reduzieren die unendliche Vielzahl möglicher Verhaltensweisen so weit, daß es möglich wird, ohne Vorverhandlung über den Zweck der Zusammenkunft einzelne Verfahren i n Gang zu bringen und ihre Systemgrenzen zu definieren. (S. 42) Als konkrete Handlungssysteme sind Verfahren daher nur als Teilsysteme eines größeren, sie überdauernden Systems möglich, das sie veranstaltet und ihnen gewisse Verhaltensregeln vorgibt. (S. 43)8 Diese Strukturbildung dürfte eine, wenn nicht die Funktion von Prozeßrecht sein, das daher auch für Luhmann Voraussetzung für Verfahren ist. (S. 37) c) Andererseits könnten Verfahren jedoch nicht als eigene Handlungssysteme begriffen werden, wenn ihre Struktur vollständig mit dem »normativen Prozeß 4 identisch wären. (Der normative Prozeß würde die Leistungen des empirischen determinieren, der Begriff des empirischen wäre überflüssig, allenfalls noch als Abweichung, als fehlerhaftes Gebilde gegenüber dem Verfahrensrecht denkbar.) Wegen der „Ungewißheit i n Fragen des Rechts" läßt das Verfahrensrecht dem konkreten Prozeß aber genügend Autonomie für den Aufbau einer eigenen Struktur. Diese kann jedoch nicht, wie bei Parsons' strukturell-funktionalen Systemtheorie angenommen, als vorgegebene Konstante behandelt werden, auf deren Erhaltung h i n das System analysiert w i r d 9 , weil der Prozeß seine eigene Struktur erst durch den Aufbau einer Verfahrensgeschichte erarbeitet. (S. 43 f.) „Verfahren sind strukturell so organisiert, daß sie Handeln zwar nicht festlegen, es aber i n eine funktionale Perspektive bringen." (S. 44) Die funktionale Perspektive ist das Erarbeiten einer einmaligen, verbindlichen Entscheidung (S. 41), auf diese Funktion h i n bildet sich die Struktur aus. 10 8 So auch Ballweg, Rechtsphilosophie als Grundlagenforschung, in: JRR I I , S. 43 (45). 9 Z u den Unterschieden der Systemtheorien von Parsons u n d L u h m a n n siehe oben 3. Abschnitt T e i l 2 I I I , I V , besonders I V 1). 10 Auch Luhmann, Rechtssoziologie I, S. 142; zum Verhältnis Prozeß u n d S t r u k t u r allgemein Luhmann, Zweckbegriff, S. 65 ff. u n d oben 3. Abschnitt (Exkurs) T e i l 2 I V 2) d).

II. Der systemtheoretische Ansatz

205

Die Verfahrensgeschichte, i n die alle Handlungen der Beteiligten eingehen und i n bezug auf die Funktion des Verfahrens — Entscheidungsfindung — interpretiert und bewertet werden, kann als „Strukturäquivalent" (S. 44) dienen, obwohl sie nicht konstant ist, sondern sich mit dem Verfahren entwickelt, weil sie die Funktion von Strukturen, Komplexität zu reduzieren, erfüllt: „Schritt für Schritt w i r d mit der Verfahrensgeschichte eine Konstellation von Fakten und Sinnbeziehungen aufgebaut, die mit den unverrückbaren Siegeln der Vergangenheit belegt ist und mehr und mehr Ungewißheit absorbiert." (S. 44) „Als Zukunftsplan absorbiert das Verfahren Ungewißheit, als Geschichte w i r d es Bindung" (S. 94). „Dieser Bindungseffekt würde auch unabhängig von den Prozeßgesetzen und selbst dann eintreten, wenn alle Beteiligten völlig frei wären, ein Verfahren zu beginnen oder nicht; er kann m i t h i n nicht aus dem Gesetz abgeteilt werden, sondern entsteht erst i m Verfahren und durch das Verfahren." (S. 95) 3. Folgerungen für den Verfahrensbegriff

a) Luhmanns Verfahrensbegriff ist damit weitgehend unabhängig von normativen Vorgaben. Ein Verfahren setzt zwar Verfahrensrecht als Bedingung für seine Ausdifferenzierung voraus 11 , liefert aber als System die Sinnbeziehungen der Handlungen durch seine Funktion selbst 12 und kann daher i n zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht Autonomie gewinnen. 13 Der Verfahrensbegriff betrifft, obwohl Verfahren eine rechtliche Regelung voraussetzen, nur „den faktischen Kommunikationsprozeß, der nach Maßgabe rechtlicher Regeln abläuft, also . . . wirkliches Geschehen und nicht . . . eine normative Sinnbeziehung." 1 4 Er bezieht sich auf die jeweilige Veranstaltung, i n der eine Entscheidung erarbeitet w i r d und schließt i n dieser weiten Fassung alle rechtlich geregelten Verfahren — Gesetzgebung, Verwaltung, Gerichte — ein. b) Sieht man von der systemtheoretischen Fassung des Begriffs ab, so scheint er — für den Bereich der gerichtlichen Verfahren — dem zu entsprechen, was i n der juristischen Prozeßtheorie als „Lebensbereich Prozeß" behandelt wird. Das Besondere an Luhmanns Verfahrenstheorie ist aber nicht nur, daß die Leistungen des Verfahrens unabhängig von normativen Vor11

Vgl. Schreiber, Z S t W W 88 (1976), S. 136. Ä h n l i c h Hagen (Elemente, S. 15 ff.), w e n n er den empirischen Prozeß als Summe v o n Handlungen definiert, die v o m Ergebnis (Entscheidung) her v e r bunden sind. 13 Dazu näher Luhmann, Legitimation, S. 70 ff. 14 Luhmann, Legitimation, S. 37; vgl. auch S. 11. 12

206

4. Abschnitt, Teil 1: Der Verfahrensbegriff

gaben erbracht werden, sondern vor allem, daß das Verfahren nicht der eigentliche Entscheidungsprozeß ist (S. 174). Der Verfahrensbegriff trägt nichts zur Klärung des i m Verfahren ablaufenden Entscheidungsprozesses bei. „Verfahren werden als soziale Systeme gesehen, die mit Entscheidungsprozessen synchronisiert, aber nicht identisch sind." 1 5 Diese Unterscheidung folgt aus der — für eine juristische Betrachtung ungewöhnlichen — Bestimmung der Funktion von Verfahren: Sie liegt nicht i m Finden einer (richtigen, gesetzmäßigen o. ä.) Entscheidung, denn „mit der positivistischen These, daß Recht nur als Entscheidung begriffen werden kann, fließt i n alle Bereiche das Merkmal des Beliebigen ein" 1 6 ; auch der Inhalt der Entscheidung i n einem Verfahren ist daher letztlich beliebig. Die Funktion von Verfahren besteht nur i m Erarbeiten einer bindenden Entscheidung, und d. h. die Entscheidung zu „legitimieren". Es liegt am Ansatz funktional-struktureller Systemtheorie, daß der Verfahrensbegriff selbst von der Funktion des Verfahrens her bestimmt w i r d und daher seine konkrete Gestalt erst durch die genaue Bestimmung der Funktion von Verfahren erhält.

15 16

Luhmann, Legitimation, V o r w o r t zur 2. Auflage, S. 3. Hagen, JuS 1972, S. 485 (487).

Teil

Der Begriff der Legitimation durch Verfahren I . K r i t i k der „klassischen Verfahrenslehren"

Luhmanns Untersuchung der Leistung von Verfahren geht von einer K r i t i k an den — wie er es nennt — „klassischen Verfahrenslehren" (S. 18)1 aus. Er setzt bei einem Punkt an, der diese Lehren selbst seit langem beschäftigt: Wer das ,Wesen4 des Prozesses i m Rechtsschutz sieht, hat Schwierigkeiten mit dem Problem der unrichtigen, doch gleichwohl rechtskräftigen Entscheidung. Die Lösung auf eine Doppelformel wie etwa Rechtsschutz und Rechtsfrieden zurückzugreifen, verwirft er, weil sie „den Sinn des Verfahrens aufhebt: Es gibt keine zureichende Instruktion für den Entscheidenden, wenn der Prozeß dafür eingerichtet wird, u m der Wahrheit oder des Friedens w i l l e n richtige oder unrichtige Entscheidungen zu erzeugen" (S. 17). Luhmann wendet sich aber auch gegen den „ K e r n aller klassischen Verfahrenslehren" (S. 18), ihren Bezug auf Wahrheit und Gerechtigkeit; einer Konzeption, nach der der Sinn des Gerichtsverfahrens i n der richtigen Erkenntnis dessen liegt, was als Recht gilt und i m Einzelfall rechtens ist. 2 „Ein System, das die Entscheidbarkeit aller aufgeworfenen Probleme garantieren muß, kann nicht zugleich die Richtigkeit der Entscheidung garantieren" (S. 21). Die Diskussion zeige vielmehr, daß dies Postulat nur aufrechterhalten werden könne, durch Zurücknahme „ i n eine relativistische oder fiktive Form" oder „durch Tautologische Zirkel oder widerspruchsvolle Prämissen, die Beliebiges ermöglichen" (S. 22).

1

Eine Bezeichnung, die L u h m a n n selbst „sachlich für eine Übertreibung" hält (S. 11). 2 Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 136/137; dazu ausführlich oben 2. Abschnitt Teil 2 I I 4) u n d 2. Abschnitt T e i l 3 I I I .

208

4. Abschnitt, Teil 2: Begriff der Legitimation durch Verfahren I I . Der Legitimationsbegriff 1. Funktion von Wahrheit und Macht

Luhmann w i l l daher radikaler fragen, „ob der Gewinn von Wahrheit überhaupt die tragende Funktion rechtlich geregelter Verfahren ist." (S. 22) Ohne der „Wahrheitsfrage jede praktische Bedeutung für Rechtsverfahren abzusprechen oder gar ihren Wert zu bestreiten" (S. 23), w i l l er die Wahrheit nicht länger nur als Wert, sondern als einen sozialen Mechanismus begreifen. Er tut dies m i t Hilfe der Methode, funktionale Äquivalente aufzuzeigen. 3 Auch „Luhmanns Wahrheitstheorie ist als A n t w o r t auf die funktionalistische Grundfrage konzipiert: Welche Leistung übernimmt »Wahrheit 4 für die Lösung des Problems der Bestandserhaltung, und welche funktionalen Äquivalente gibt es für sie?" 4 Systemtheoretisch leistet Wahrheit die Übertragung reduzierter Komplexität i m sozialen Verkehr (S. 23).5 Ihre Funktion ist es, daß i n einer Welt, die für alle Menschen voll unabsehbarer Möglichkeiten und als solche unfaßbar (übermäßig komplex) ist, jeder einzelne Selektionsleistungen anderer als so und nicht anders behandeln kann (S. 23). Wahrheit w i r d so als Medium der Kommunikation eingeführt 6 : „Wahrheit ist damit nur noch Vorstellungsübertragung auf Grund intersubjektiv zwingender Gewißheit" und als solche zu unterscheiden von „Vorstellungsübernahmen auf Grund von Mitgliedschaften oder Machtunterlegenheit." (S. 24) Dieser Funktion der Wahrheit ist die Funktion der Macht äquivalent, die ebenfalls der Übertragung reduzierter Komplexität dient, und zwar durch Übertragung von Selektionsleistungen, die durch Entscheidung erbracht worden sind. (S. 25) Die Frage, warum die Selektionsleistungen übernommen werden, stellt sich für Wahrheit und Macht allerdings unterschiedlich. Wahrheit w i r d übernommen, weil man sich gegen Wahrheit nicht sinnvoll auflehnen kann, ohne sich gleichsam aus der Gesellschaft hinauszu8

Dazu Luhmann, F u n k t i o n u n d Kausalität, in: Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 9 (13 ff.); Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 360 ff. m i t weiteren Nachweisen. 4 Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, i n : Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft, S. 221. 5 Auch Luhmann, Soziologie als Theorie sozialer Systeme, i n : Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 126 ff.; Rottleuthner, K J 1971, S. 69. 6 Habermas, in: Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft, S. 221 u n d S. 218: „Tatsachen ,gibt' es nicht, vielmehr k a n n ein System f ü r eine bestimmte Zeit eine Masse kontingenter Ereignisse als Realitätsbestand festlegen."

II. Der Legitimationsbegriff

209

katapultieren (vgl. S. 24).7 Wahrheit legitimiert sich also von sich heraus. Die Abnahme von Entscheidungen bedarf dagegen besonderer Gründe (Legitimation). Luhmann meint daher, m i t der Legitimation den für eine Theorie des Verfahrens erforderlichen abstrakten funktionalen Bezugspunkt gefunden zu haben, „der den Wahrheitsmechanismus einschließt, aber sich nicht i n i h m erschöpft." (S. 25) „So gesehen ist es das Ziel rechtlich geregelter Verfahren, Reduktion von Komplexität intersubjektiv übertragbar zu machen, — sei es m i t Hilfe von Wahrheit, sei es durch Bildung legitimer Macht zur Entscheidung." (S. 26) „Nicht aus der Wahrheitsfindung w i r d Entscheidung legitimiert, sondern aus der Legitimität der Entscheidung entsteht das Äquivalent der Wahrheit als Leistung des Systems Verfahren." 8 2. Legitimität

Die übliche Formulierung des Legitimitätsproblems lautet: „Wie ist es möglich, wenn nur wenige entscheiden, die faktische Überzeugung von der Richtigkeit oder der verbindlichen Kraft dieses Entscheidens zu verbreiten?" (S. 27) und die Antwort lautet: durch Zwang oder Konsens. 9 a) Luhmann meint nun, daß beim faktischen Akzeptieren einer Entscheidung die wirkliche Motivlage — Furcht vor Machtausübung oder Zustimmung — offenbleiben kann und faßt Legitimität daher als „generalisierte Bereitschaft, inhaltlich noch unbestimmte Entscheidungen innerhalb gewisser Toleranzgrenzen hinzunehmen" auf. (S. 28) Die Fraglosigkeit legitimer Geltung bindender Entscheidungen gehört für Luhmann zu den typischen Kennzeichen des modernen politischen Systems als eine A r t Grundkonsens, dessen Inhalt bei hoher Komplexität und Variabilität des Sozialsystems nicht einer „naturartig vorgestellten Moral" überlassen sein kann, sondern „ i m politischen System selbst erarbeitet werden" muß. (S. 30) „Der Positivierung des Rechts, d. h. der These, daß alles Recht durch Entscheidung gesetzt ist, entspricht es, den Legitimationsbegriff auf die Anerkennung von Entscheidungen als verbindlich festzulegen." (S. 31) b) ,Anerkennung' w i r d nach der „vorherrschenden Auffassung" als „Überzeugung von der Richtigkeit der Werte . . . oder (der) Inhalte der Entscheidungen" bestimmt. (S. 32) 10 7

Vgl. auch Rottleuthner, K J 1971, S. 69. Esser, Vorverständnis, S. 206. 9 Rottleuthner, K J 1971, S. 70. 10 Esser, Vorverständnis, S. 207. 8

14 Schaper

210

4. Abschnitt, Teil 2: Begriff der Legitimation durch Verfahren

Luhmann hält dem entgegen, daß der Komplexität moderner Gesellschaften nur durch GeneralisieTung des Anerkennens Rechnung getragen werden kann, weil kein Mensch i n der Lage sei, für alle aktuellen Entscheidungen Überzeugungen zu bilden. „Es kommt daher weniger auf motivierte Uberzeugung als auf ein motivfreies, von den Eigenarten der individuellen Persönlichkeit unabhängiges Akzeptieren an, das ohne allzuviel konkrete Information typisch vorhersehbar ist. Der Begriff des Akzeptierens muß entsprechend formalisiert werden. Gemeint ist, daß Betroffene aus welchen Gründen auch immer die Entscheidung als Prämisse ihres eigenen Verhaltens übernehmen und ihre Erwartungen entsprechend umstrukturieren", also lernen. (S. 32/33) 11 c) Den Begriff des Lernens bezieht Luhmann nicht nur auf den Prozeß der Übernahme fremder Entscheidungen, sondern auch auf die Verarbeitung von Enttäuschungen. Er bezeichnet allgemein eine wirksame Einstellungsänderung, eine Anpassung an eine vormals frustrierende Umwelt: wenn w i r lernen, finden w i r uns ab, protestieren nicht. 1 2 Demnach geht es bei der Legitimation von Entscheidungen i m Grunde u m ein effektives, möglichst störungsfreies Lernen i m sozialen System. Ein Lernen allerdings, das „gerade nicht auf ,frei — williger 4 Anerkennung, auf persönlich zu verantwortender Überzeugung" beruhen kann, weil es dem einzelnen als Bruch mit seiner Vergangenheit, als Zeichen persönlicher Unzuverlässigkeit angekreidet werden könnte. Es muß vor den Miterlebenden daher als extern veranlaßt erscheinen. (S. 34) „Legitimität beruht somit . . . auf einem sozialen Klima, das die Anerkennung verbindlicher Entscheidungen als Selbstverständlichkeit institutionalisiert und sie nicht als Folge einer persönlichen Entscheidung ansieht . . . Nur wenn man die Bindung des Legitimitätsbegriffs an die persönlich geglaubte Richtigkeit der Entscheidung aufgibt, kann man die sozialen Bedingungen der Institutionalisierung von Legitimität und Lernfähigkeit i m sozialen System angemessen untersuchen." (S. 34) 3. Legitimation durch institutionalisiertes Lernen

a) Luhmann begreift also Legitimation von Entscheidungen als einen „institutionalisierten Lernprozeß, als laufende Umstrukturierung von Erwartungen, die den Entscheidungsprozeß begleiten." (S. 36) Das heißt jedoch nicht, daß durch die Verfahrensbeteiligung „ i n erheblichem Umfang die Zustimmung der Entscheidungsempfänger oder jedenfalls ein einsichtiges Sichabfinden m i t der Entscheidung" erreicht werden kann. 11 12

Hervorhebung n u r hier. Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie 2, S. 262; Rottleuthner, K J 1971, S. 70.

II. Der Legitimationsbegriff

211

(S. 109) Ein Lerneffekt — eine Umstrukturierung von Erwartungen — kommt durch die Entscheidung so oder so zustande. Man kann nach dem Verfahren nicht mehr die gleichen Erwartungen hegen wie vorher. Es gibt aber zwei Wege, wie Erwartungen umstrukturiert werden können: einmal indem der Lernprozeß „ i m Verfahren gesteuert und, dem Recht entsprechend, i n die Selbstauffassung der Beteiligten aufgenommen w i r d " , oder er kommt erst nach der Entscheidung durch ein Enttäuschungserlebnis zustande. (S. 111) b) Nach Luhmanns Auffassung kann i m Rechtsverfahren ein enttäuschungsfreies Lernen i m Normalfall nicht erreicht werden. Ein soziales System, das das leisten wollte, müßte Lernerfolge belohnen können und die Möglichkeit haben, auf die individuellen Bedürfnisse und Lernschwierigkeiten einzugehen und sich nach ihnen zu richten. „Das alles kann von einem System, das primär auf Rechtsanwendung i m Sinne von Programmausführung spezialisiert ist, nicht erwartet werden." (S. 113) „Die Anwendung von Recht und das Lernen von Recht sind verschiedenartige, diskrepante Funktionen, auf die ein System nicht zugleich spezialisiert werden kann, ohne daß beide darunter litten". (S. 114)13 c) Führt die Entscheidung i m Regelfall zu einem Enttäuschungserlebnis, so kann es allerdings sein, daß der Betroffene „den psychisch möglichen Ausweg wählt, sich m i t dem Ergebnis zu identifizieren und i n der amtlichen Entscheidung gleichsam sein A l i b i zu finden". (S. 110) Luhmann w i l l daher nicht bestreiten, daß Verfahren Irrende zur Einsicht bringen kann, aber weder Nachgeben noch Einsicht i n Irrtümer sind für i h n die eigentliche Leitidee oder auch nur die latente Funktion des Verfahrenssystems. (S. 111) Üblicherweise w i r d nämlich der Enttäuschte „seine Erwartungen so umstrukturieren, daß sie seine Enttäuschung »erklären' und zugleich mit den enttäuschten, vom Recht nicht bestätigten Erwartungen konsistent bleiben. Er w i r d ζ. B. einen Schuldigen suchen und finden: den Richter, seinen Anwalt, einen Zeugen, der falsch aussagte usw." (S. I I I ) 1 4 „Verfahren erzeugen (daher) nicht nur bleibende Einsichten, sondern auch bleibende Enttäuschungen. Ihre Funktion liegt nicht i n der Verhinderung von Enttäuschungen, sondern darin, unvermeidbare Enttäuschungen i n die Endform eines diffus verbreiteten privaten Ressentiments zu bringen, das nicht Institution werden kann." (S. 112) 13

Α . A . Calliess, Theorie der Strafe, insbes. S. 99 ff. L u h m a n n sieht darin einen G r u n d für „die Verbreitung eines negativ stereotypisierten Bildes des Juristen u n d des Richters i n der Öffentlichkeit." (S. 112) 14

14*

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4. Abschnitt, Teil 2: Begriff der Legitimation durch Verfahren

Dazu ist es weder nötig noch w i r d erwartet, daß der Betroffene neue Wertorientierungen übernimmt, vielmehr geht es i m Kern u m einen Vorgang der Umstrukturierung von Rechtserwartungen, also Lernen i m sozialen System, der weitgehend dagegen indifferent gemacht werden kann, ob derjenige, der seine Erwartungen ändern muß, zustimmt oder nicht. „Ganz allgemein w i r d man die soziale Funktion eines Konfliktlösungsmechanismus nicht als Auslösung bestimmter psychischer Prozesse des Akzeptierens zu begreifen haben, sondern eher als Immunisierung des sozialen Systems gegen diese Prozesse." (S. 119/120) 15 d) Folgt man Luhmanns generalisierten und formalisierten Begriff des Akzeptierens, bei dem es auf die Gründe für die Übernahme der Entscheidung nicht ankommt 1 6 , „akzeptiert" der Betroffene natürlich jede Entscheidung, die er weder ändern noch ignorieren kann. Dazu braucht man kein Verfahren. (S. 120) „Entscheidend ist, daß Konfliktthemen, bevor sie Anwendung physischen Zwanges auslösen, eine Form erhalten, i n der sie nicht mehr generalisierbar und daher auch nicht mehr politisierbar sind." (S. 118)17 Dazu genügt es nicht, „daß die Vertreter der Macht ihre Entscheidungsgrundsätze und Entscheidungen i n einseitiger Feierlichkeit verkünden" (S. 114), denn das Problem der Akzeption der Entscheidung — m i t h i n der Legitimation — liegt nicht darin, die Unabänderlichkeit der Entscheidung zu bewirken, sondern darin, „das Sozialsystem gegen die Folgen der Wahl einer psychischen Lösung . . . dieses Faktums zu schützen." (S. 120) Eine Lösung, die i n der Identifikation m i t der Entscheidung, aber auch i n Enttäuschungsverarbeitung und Protest bestehen kann. Entscheidend ist, daß die Wahl der Verarbeitung keine soziale Resonanz findet, „nicht Institution werden" (S. 120) kann, damit es möglich bleibt, das Akzeptieren (Konsens) zu unterstellen. „Legitim sind damit Entscheidungen, bei denen man unterstellen kann, daß beliebige Dritte normativ erwarten, daß die Betroffenen sich kognitiv auf das einstellen, was die Entscheidenden als normative Erwartungen mitteilen." 1 8 „Verfahren haben das Ziel, Konfliktthemen, bevor physische Gewalt ausgelöst wird, so zu spezifizieren, daß der Widerstrebende als einzelner isoliert und entpolitisiert w i r d . " 1 0 Dazu ist 15 Vgl. Luhmann, Rechtssoziologie 2, S. 265: „Damit ist weder das faktische Vorkommen noch die Bedeutung . . . psychischer Mechanismen . . . bestritten, w o h l aber behauptet, daß die Legitimität des Rechts . . . nicht davon abhängig sein kann, daß bestimmte Motivationsstrukturen i n F u n k t i o n treten." 16 Siehe oben 3 b). 17 Hervorhebung i m Original. 18 Luhmann, Rechtssoziologie 2, S. 261. 19 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 264.

III. Systemmerkmale und Leistung des Verfahrenssystems

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erforderlich, daß der Betroffene „durch ein Verfahren dazu gebracht (wird), seine Position freiwillig zu individualisieren und zu isolieren." (S. 120) ΙΠ. Systemmerkmale und Leistung des Verfahrenssystems Nach der Bestimmung der Funktion von Verfahren lassen sich die Systemmerkmale ausarbeiten, die zusammenspielen müssen, u m diese Leistung des konkreten Handlungssystems „Verfahren" — insbesondere des gerichtlichen — zu erbringen. 1. Ausdifferenzierung und Autonomie

„Für eine Legitimation durch Verfahren sind . . . Ausdifferenzierung und Autonomie, die einen Spielraum für alternativenreiches, Komplexität reduzierendes Verhalten des Beteiligten eröffnen, von grundlegender Bedeutung. Nur so können die Beteiligten motiviert werden, an der Absorption der Ungewißheit durch Eleminierung anderer Möglichkeiten unter Aufsicht mitzuarbeiten und sich Schritt für Schritt selbst zu binden." (S. 73/78) Die „Motivlage", die die Beteiligten bei der „gemeinsamen Wahrheitssuche" trotz kontradiktorischer Interessen zusammenhält, ist das eigene Interesse am Thema, die Gewißheit, daß eine Entscheidung ergehen w i r d und vor allem die Ungewißheit, welche Entscheidung es sein wird. (S. 51) Auch aus diesem Grunde darf das Verfahren nicht zum Ritual erstarren, bei dem das Ergebnis schon feststeht, weil dann die Mitarbeit extern motiviert werden müßte. (S. 52) 2. Rollenverhalten und Konfliktdämpfung

Die auf diese A r t und Weise i n den Aufbau einer Verfahrensgeschichte inkorporierten Beteiligten schaffen sich i n einer offenen Situation eigene Verbindlichkeit: „Das Verfahren muß zu einer Entscheidung kommen und muß daher an die . . . Informationen, die die Beteiligten geben, zuverlässig anknüpfen können." Letztere sind daher zu konsistenter Darstellung i m Verfahren verpflichtet. (S. 92) Wer sich so auf eine Verfahrensrolle eingelassen hat, kann kein „einsamer Spieler" 2 0 sein: Rollen gewinnen ihren Sinn erst aus ihrer komplementären Funktion: sie enthalten einerseits eine Aufforderung, sich korrespondierend zu verhalten, und signalisieren andererseits die Bereitschaft, den Erwartungen der anderen zu entsprechen. „Das Rollen20

Rottleuthner, K J 1971, S. 71.

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4. Abschnitt, Teil 2: Begriff der Legitimation durch Verfahren

verhalten führt m i t h i n zu einer Einfühlung i n die Rolle des anderen, zu einem Austausch von Perspektiven, zur Stabilisierung komplementärer Verhaltenserwartungen und übergreifender Prämissen sinnhaften Verhaltens — oder es muß mangels Verständigungsmöglichkeit abgebrochen werden." (S. 86) 21 Es scheint nun so, als ob schon durch den psycho-sozialen Mechanismus der rollenmäßigen Verstrickung i n den Verfahrensablauf und den Aufbau einer Verfahrensgeschichte eine Abnahme der Entscheidung — m i t h i n Legitimation i. S. Luhmanns — erreicht werden kann. „Vermutlich ist dies die heimliche Theorie des Verfahrens, daß man durch Verstrickung i n ein Rollenspiel die Persönlichkeit einfangen, umbilden und zur Hinnahme von Entscheidungen motivieren könnte." (S. 87) 22 Sicherlich kann man empirische Belege für die etwas abgeschwächte, auch von Juristen vertretene 2 3 These finden, daß eine Beteiligung der Betroffenen als Ventil für K r i t i k und Ressentiments dient und dadurch die Annahme, zumindest die Durchsetzbarkeit der Entscheidung fördert; es bleibt aber das Faktum, daß „Beteiligte" unzufrieden oder empört den Gerichtssaal verlassen und ihre Enttäuschung i n Form von Protest verarbeiten. Um diesen Protest problemlos zu halten, müssen also weitere Mechanismen zur Verfügung stehen. Ist das Verfahren auch i m allgemeinen nicht motivkräftig genug, u m den unterlegenen Entscheidungsempfängern eine Anerkennung oder gar eine Selbständerung abzugewinnen, so bringt es sie jedenfalls zu einer „unbezahlten zeremoniellen Arbeit" (S. 119) Die Ungewißheit des Ausgangs muß der Richter bei „Strafe" einer Ablehnung wegen Befangenheit bis zum Schluß aufrechterhalten, denn sie ist das Motiv, daß den Entscheidungsempfänger zur Ableistung dieser Arbeit veranlaßt. (S. 117)24· „Durch ihre Teilnahme am Verfahren werden alle Beteiligten veranlaßt, den dekorativen Rahmen und die Ernsthaftigkeit des Geschehens, die Verteilung der Rollen und Entscheidungskompetenzen, die Prämissen der gesuchten Entscheidung, ja das ganze Recht, soweit es nicht i m Streit ist, mit darzustellen und so zu bestätigen." (S. 114) Nach Ableistung der „zeremoniellen Arbeit" findet sich der Betroffene wieder „als jemand, der die Normen i n ihrer Geltung und die Ent21 M i t Verweis auf Parsons einführendes „General Statement" zu Parsons / Shils, T o w a r d a General Theory of A k t i o n , S. 3 - 27 (14 ff.). 22 So ζ. Β . Calliess, Theorie der Strafe, der sich i m Ergebnis zu Unrecht auf L u h m a n n beruft (S. 103); kritisch dazu Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 144. 23 ζ. B. Krauthausen, DVB1. 73 (1958), S. 729 ff.; Ule, Verwaltungsreform, in: Festschrift f. Carl Heymanns Verlag, S. 53 ff. 24 Vgl. Luhmann, Legitimation, S. 133 f.

IV. Der Legitimationsmechanismus als Funktion von Verfahren

215

scheidenden in ihrem Amte bestätigt und sich selbst die Möglichkeit genommen hat, seine Interessen als konsensfähig zu generalisieren und größere soziale oder politische Allianzen für seine Ziele zu bilden. Er hat sich selbst isoliert." (S. 117) 3. Vereinzelung und Kritikimmunisierung

Die Vereinzelung w i r d schließlich dadurch gestützt, daß die Entscheidung und der Entscheidende gegen K r i t i k immunisiert werden. Dies ist gleichsam die Kehrseite der Autonomie des Verfahrens, d. h. der Festlegung systemeigener Regeln für die Verarbeitung von Informationen. Beides geschieht vor allem durch die Entwicklung einer besonderen Rolle des Richters, der von der Rücksicht auf andere Rollen, etwa als Angehöriger einer bestimmten Schicht, Kirche oder Partei, entlastet und insoweit auf Neutralität festgelegt w i r d 2 5 , sowie durch konditionale Programmierung und entsprechende Argumentation des Richters. (S. 113) Rechtsanwendung w i r d zur unpersönlichen Subsumtion. K r i t i k ist nicht an den Folgen des Urteils möglich, sondern nur an der immanenten Richtigkeit des Rechtsanwendungsprozesses, eine K r i tik, m i t der allenfalls die Wiederholung des Verfahrens, nicht aber eine andere Entscheidung erreicht werden kann. Der Richter selbst ist von Folgeerwartungen entlastet, kann allenfalls gewisser Vorurteile verdächtigt werden 2 6 , die jedoch von seiner Rolle abprallen und daher nicht generalisiert werden können. Dem Betroffenen w i r d damit die Möglichkeit genommen, seine Unzufriedenheit zu artikulieren und seinen Protest zu generalisieren. IV. Festzuhaltendes: Der Legitimationsmechanismus als Funktion von Verfahren „Funktion des Verfahrens ist m i t h i n die Spezifizierung der Unzufriedenheit und die Zersplitterung und Absorption von Protesten." (S. 116) „Legitimation durch Verfahren (besteht) nicht darin, den Betroffenen innerlich zu binden, sondern darin, ihn als Problemquelle zu isolieren und die Sozialordnung von seiner Zustimmung oder Ablehnung unabhängig zu stellen." (S. 121) Entproblematisiert werden die Enttäuschungen des Betroffenen aber nur für das soziale System, nicht für den einzelnen, „der w i r d m i t seinen Enttäuschungen allein gelassen." 27 I n seiner isolierten Position 25 26 27

Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 138 m i t weiteren Nachweisen. Rottleuthner, K J 1971, S. 71. Rottleuthner, K J 1971, S. 71.

216

4. Abschnitt, Teil 2: Begriff der Legitimation durch Verfahren

kann er an seinen Erwartungen nur u m den Preis festhalten, als Querulant abgestempelt zu werden. (S. 118) Luhmanns Begründung dafür läuft darauf hinaus, daß er sich vorhalten lassen muß, er habe, weil er sich als Mitspieler verstricken ließ, die Rechtsordnung anerkannt. 2 8 Leistung des Verfahrens — Legitimation — ist nicht, den Betroffenen zu überzeugen, sondern dafür zu sorgen, daß die Allgemeinheit i n gutem Glauben bleibt, daß mit dem Betroffenen ,legitim' verfahren wurde, damit wegen Nichtäußerung von Dissens fingiert werden kann, daß alle bereit sind, jedwede Entscheidung als verbindlich anzuerkennen. (S. 122 f.) Luhmann selbst geht allerdings davon aus, daß diese Fiktion sich nur solange aufrechterhalten läßt, wie ein Mindestmaß an Konsens tatsächlich besteht. (S. 122)29 Auch kontrafaktische Stabilisierungen haben ihre soziale Belastungsgrenze.

28 29

Ebenda. Vgl. Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 137.

Teil 3

Legitimation durch Verfahren und die juristische Prozeßzweckdiskussion I. Verbindlichkeit der Entscheidung Luhmanns Auffassung der „Legitimation durch Verfahren" läßt sich unter dem Aspekt der Verbindlichkeit der Entscheidung i n den Zusammenhang der juristischen Prozeßzweckdiskussion einordnen. 1. Sie zeigt — bei aller Unterschiedlichkeit des Ausgangspunkts — erstaunliche Parallelen zu Goldschmidts 1 „prozessualer Betrachtungsweise". Bei beiden spielt der Inhalt der Entscheidung für das Verfahren keine Rolle, sondern es ist Sinn der Veranstaltung, eine Entscheidung zu erarbeiten, deren einzig wesentliche Eigenschaft ihre Verbindlichkeit ist. Beide gehen davon aus, daß der Ausgang des Verfahrens bei seinem Beginn ungewiß ist und eben diese Ungewißheit das Motiv für die M i t arbeit der Betroffenen ist. Und beide deuten die Verbindlichkeit der Entscheidung soziologisch. 2. Goldschmidt sah das Verfahren — i m Gegensatz zu Luhmann — jedoch als Prozeß der Entscheidungsgenese und erklärte die Beliebigkeit des Ergebnisses m i t einer besonderen Rechtswjrkung i m Prozeß (Recht als Urteilsmaßstab). Durch die strenge Trennung von Recht i m Prozeß und (materiellem) Recht außerhalb des Prozesses konnte das Ergebnis des Prozesses mit der „wirklichen Rechtslage" verglichen werden, und die Verbindlichkeit auch des unrichtigen Urteils folgte nicht aus dem Verfahren, sondern aus dem außerprozessualen „soziologischen Machtprinzip", das der Rechtskraft (Gerichtskraft) Geltung verschafft. 2 Luhmanns Auffassung ist i n zwei Hinsichten radikaler: zum einen folgt die Beliebigkeit des Inhalts einer Entscheidung nicht aus dem Entscheidungsprozeß, sondern bereits aus der Positivität des Rechts, zum zweiten hat das Verfahren m i t dem Entscheidungsprozeß selbst nichts 1

Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925); dazu ausführlich oben 1. Abschnitt T e i l 3, 2. Abschnitt T e i l 2 I I 7), u n d 2. Abschnitt T e i l 3 I I 4). 2 Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 151 ff., 211 ff. u. ö.

218

4. Abschnitt, Teil 3: „Legitimation" und Prozeßzweckdiskussion

mehr zu tun, sondern schafft (durch Absorption von Widerständen und Protest) nur die soziologischen Voraussetzungen für die allgemeine Beachtung der Entscheidung. I n gewisser Weise ist damit das „soziologische Machtprinzip" i n den Prozeß inkorporiert, aber unter völlig veränderten Voraussetzungen. I I . „Legitimation" und Rechtskraft 1. Goldschmidt stand letztlich doch jenen Auffassungen nahe, die unter den Termini Rechtsfrieden u. ä. die Verbindlichkeit der Entscheidung unter dem Gesichtspunkt der Rechtskraft des Urteils als Verfahrenszweck ansehen.3 Rechtskraft ist aber eine Eigenschaft der Entscheidung, die nicht i m Prozeß faktisch erarbeitet w i r d — wie etwa die Aufarbeitung des Sachverhalts — sondern der Entscheidung durch eine Norm zugeschrieben wird. Nach dieser Auffassung ist die Verbindlichkeit der Entscheidung also eine normative Zuschreibung — allenfalls an gewisse faktische Voraussetzungen geknüpft. Sie folgt damit aus dem Recht, das der Entscheidung Rechtskraft zuschreibt. Für Luhmann dagegen w i r d die Verbindlichkeit der Entscheidung i m Verfahren als einem faktischen Sozialsystem konkret erarbeitet. Der konkrete Prozeß als faktisches Geschehen bewirkt „Rechtsfrieden", nicht eine normative Zuschreibung. 4 2. Der Unterschied ist aus zwei Gründen bedeutsam: 1. Rechtskraft kann theoretisch jeder beliebigen Entscheidung zugeschrieben werden, unabhängig davon, ob ein ,Prozeß' stattgefunden hat oder nicht. „Rechtsfrieden" kann unter diesem Aspekt durch jede Entscheidung erreicht werden, gleich auf welche A r t sie getroffen wurde. ,Legitimation' ist dagegen an einen faktisch ablaufenden Prozeß gebunden. 2. Da Rechtskraft eine normative Erscheinung ist, bedarf sie, u m soziologisch wirksam zu werden, einer faktischen ,Übersetzung'. Goldschmidt hatte diese mit dem diffusen „soziologischen Machtprinzip" lediglich postuliert. Differenziert betrachtet, kann faktische Beachtung erreicht werden durch Zwang oder Konsens. W i l l man die Beachtung aber nicht allein auf äußeren Zwang gründen (was sollte dann auch ein aufwendiger Prozeß?), besteht das Pro3

Dazu oben 2. Abschnitt T e i l 2 I I 5), 6). Die Auffassung, L u h m a n n habe lediglich „das Rechtsfriedensargument i n wenngleich moderner Version" erneuert (so Eike Schmidt, Zweck des Z i v i l prozesses, S. 24), ist zumindest mißverständlich. 4

II. „Legitimation" und Rechtskraft

219

blem, unter welchen Bedingungen ein solcher Konsens erreicht werden kann. — Ein Problem, zu dessen Lösung die Frage nach dem Inhalt der Entscheidung und möglicherweise die A r t und Weise, wie sie erarbeitet wurde, etwas beitragen kann, nicht aber die Zuschreibung rechtskräftig zu sein. Dieses Problem genau glaubt Luhmann durch seinen Legitimationsbegriff, der Zwang und Konsens einschließt, gelöst zu haben.

Teil

Zur Kritik an Niklas Luhmanns Legitimation durch Verfahren I. Einleitung Spätestens mit seiner Theorie der „Legitimation durch Verfahren" ist es dem Soziologen Luhmann gelungen, die allgemeine Beachtung der rechtstheoretischen Literatur zu erlangen. Sie wurde von der Rechtswissenschaft relativ schnell — wenn auch zunächst kritisch — aufgenommen und hat inzwischen nicht nur die „mittleren Dissertationen, i n denen heute schon allenthalben Komplexität reduziert w i r d " 1 , sondern vereinzelt auch die Lehr- und Schulungsliteratur erreicht. 2 Darüber hinaus hat sie aber auch zur Renaissance der wissenschaftlichen Betrachtung des Legitimationsbegriffs 3 beigetragen, zeigt Luhmanns Schrift doch zumindest, daß „Legitimation i m Zeichen der Positivierung des Rechts zum Problem geworden ist." 4 Der Bedeutung des Problems mag es angemessen sein, „Legitimation durch Verfahren" nicht nur auf dem Hintergrund der „systemstrukturellen Rechtstheorie" 5 zu untersuchen, sondern darüber hinaus zunächst Luhmanns theoretisches Gesamtkonzept zu analysieren. Beides kann hier jedoch ebensowenig geschehen, wie es beabsichtigt ist, die Luhmann — Habermas Diskussion 6 nachzuzeichnen und ihr wohlmöglich einen weiteren Zusatz anzufügen. Untersucht werden sollen allein Luhmanns Einsichten zum Gang des gerichtlichen Verfahrens und (zum Teil) ihre Anbindung innerhalb seines theoretischen Konzepts. II. Zu Luhmanns Begriff der Legitimität und Legitimation Eine Betrachtung von Luhmanns Legitimitätsbegriff hat mit der Radikalität zu kämpfen, m i t der Luhmann Begriffe der Wissenschafts1

Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 135. z. B. Cube / Hadding, Recht, Lerneinheit 12, S. 247 ff. A m bekanntesten: Habermas, Legitimationsprobleme (1973); siehe auch die Nachweise bei Luhmann, Rechtssoziologie 2, S. 259 F N 102, 103. 4 Hagen, JuS 1972, S. 487. 5 So die Selbstkennzeichnung v o n Luhmann, Soziologische Aufklärung, in: Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 67 ff. (80). β Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft, nebst 3 SupplementBänden. 2

8

II. Zu Luhmanns Begriff der Legitimität und Legitimation

221

und Alltagssprache uminterpretiert und neu faßt, obwohl sie eine — u. U. allerdings nur scheinbar — feststehende Bedeutung haben. 1. Begriffsgeschichte der „Legitimität"

a) Der Begriff der Legitimität wurde i m Mittelalter als Rechtsbegriff zur Abwehr von Usurpation und Tyrannis, zur Unterscheidung rechtmäßiger und unrechtmäßiger Herrschaft gebraucht. I n dieser Bedeutung wurde er i m Zusammenhang der nachnapoleonischen Restauration zur Vokabel des politischen Meinungskampfes. 7 M i t der Positivierung des Rechts i m 19. Jahrhundert verliert der Begriff schließlich seine Bedeutung als Rechtsbegriff und erhält eine Wendung ins Faktische, wenn er nicht mehr die normative Rechtmäßigkeit einer Herrschaft beschreibt, sondern die „faktisch verbreitete Überzeugung von der Gültigkeit des Rechts, der Verbindlichkeit bestimmter Normen oder Entscheidungen oder von dem Wert der Prinzipien, an denen sie sich rechtfertigen." 8 War Legitimität als Rechtsbegriff an bestimmte rechtliche Inhalte gebunden, gründet sie sich jetzt nur noch auf faktischen Konsens, über dessen Inhalt keine Aussagen gemacht werden (müssen), der nur empirisch festgestellt werden kann. Legitimität bezeichnet aber zumindest noch den Unterschied zwischen einer Herrschaft, die sich auf Zwang und einer, die sich auf realen Konsens stützt, und das Erreichen wenigstens faktisch geglaubter Wahrheit und Gerechtigkeit bleibt ein Kriter i u m für die Richtigkeit von Entscheidungen und damit i n gewissem Sinne für die Rechtmäßigkeit bzw. Unrechtmäßigkeit einer Herrschaft. b) Diesen Inhalt behielt der Legitimationsbegriff i m Prinzip auch, als er durch Max Weber 9 für die Soziologie wissenschaftlich nutzbar gemacht wurde. Gleich wie man Max Webers Typologie der legitimen Herrschaft interpretiert 1 0 , bezieht sich Legitimität auf Abwesenheit von unmittelbarer Gewaltanwendung und manifestem Zwang und bleibt gebunden an einen faktischen Legitimitätsglauben als eine empirische Erscheinung. 11 7 Dazu Kielmansegg, Legitimität als analytische Kategorie, in: PVS 12 (1971), S. 367; Luhmann, Rechtssoziologie 2, S. 259; ders., Legitimation, S. 27. 8 Luhmann, Rechtssoziologie 2, S. 259; ders., Legitimation, S. 27; jeweils m i t umfangreichen Nachweisen. 9 M a x Weber, Die Typen der Herrschaft, in: Wirtschaft u n d Gesellschaft, Bd. I, S. 157 ff. 10 Dazu Kielmannsegg, PVS 12 (1971), S. 374 ff.; Habermas, Legitimationsprobleme, S. 133 ff.; Luhmann, Rechtssoziologie 2, S. 259 F N 103; Habermas, Theorie des k o m m u n i k a t i v e n Handelns Bd. 1, S. 322 ff. 11 Habermas, Legitimationsprobleme, S. 134.

222

4. Abschnitt, Teil :

ri

Legitimation durch Verfahren

Selbst Parsons behandelte Legitimation von vornherein als Konsensproblem — genauer als Problem eines Wertkonsenses 12 : Die i n einer Gesellschaft institutionalisierten Normen erhalten ihre Legitimation durch den Konsens der Mitglieder über Wertverpflichtungen — durch einen „Konsens der Mitglieder über die Wertorientierung bezüglich ihrer eigenen Gesellschaft". 13 Dabei handelt es sich jedoch nicht u m konstante Größen, Konsens ist vielmehr relativ, und Parsons zufolge geht es demnach stets nur u m den Grad der Legitimation, der i n einem System erreichbar ist. 1 4 Legitimation heißt aber auch bei Parsons letztlich Rückführbarkeit von Herrschaftsansprüchen auf Mitgliederkonsens. Mitgliederkonsens heißt Wertkonsens, Normenkonsens, und die Funktionen von Normen als handlungsleitende Orientierungskriterien sind nach Parsons' Ansatz grundsätzlich unabhängig von Gewalt denkbar. 15 Die Anwendung physischen Zwanges — aus dem Rechtssystem i n das politische System verdrängt — bleibt als „ultimate sanction" 1 6 der normativen Kontrolle unterworfen. Auch bei Parsons legitimiert Zwang daher nicht, sondern ist zu legitimieren. c) Gegenüber den (in Einzelheiten sehr unterschiedlichen) Auffassungen, die Legitimation letztlich auf Geltungsüberzeugungen — auf einen Legitimitätsglauben — stützen, gibt es heute zwei grundsätzliche Gegenpositionen. Beiden ist gemeinsam, daß sie den schlichten Glauben an Legitimität nicht für ausreichend halten, u m eine Herrschaft zu stabilisieren. (1) Die eine Auffassung — prominent vertreten durch Habermas 1 7 — setzt dem entgegen, daß „ f ü r jeden wirksamen Legitimitätsglauben ein i m m a nenter Wahrheitsbezug vorausgesetzt w i r d " , so daß „die Gründe, auf die dieser sich explizit stützt, einen rationalen Geltungsanspruch (haben), der unabhängig v o n ihrer psychologischen W i r k u n g geprüft u n d k r i t i s i e r t werden kann."18 (2) Die andere Position — am radikalsten vertreten durch L u h m a n n 1 9 — h ä l t es für unmöglich, daß eine faktisch bewußte Legitimitätsüberzeugung nennenswerte Verbreitung finden k a n n u n d drängt den Begriff der Legitimität 12

Dazu Damm, Systemtheorie, S. 74 ff. Parsons, System moderner Gesellschaften, S. 18. 14 Ebenda. 15 So auch Damm, Systemtheorie, S. 78. 16 Parsons, Structure and Process, S. 260; ders., Recht u n d soziale K o n trolle, in: Hirsch / Rehbinder (Hrsg.), KZfSS Sonderheft 11 (1967), S. 121 (123). 17 Legitimationsprobleme, S. 131 ff.; Theorie der Gesellschaft, in: Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft, S. 239 ff.; Theorie des k o m m u n i k a t i v e n Handelns, Bd. 1, S. 358 ff. 18 Habermas, Legitimationsprobleme, S. 134. 19 Luhmann, Rechtssoziologie 2, S. 259; ders., Legitimation, S. 27 ff.; dazu oben S. 209 ff. i m Ansatz ähnlich Kielmannsegg, PVS 12 (1971), S. 367 ff. 13

II. Zu Luhmanns Begriff der Legitimität und L e g i t i m a t i o n 2 2 3 noch weiter ins Faktische. Sie gibt die Trennung v o n Konsens u n d Zwang i m Legitimitätsbegriff auf, w e i l die Gründe, aus denen Entscheidungen befolgt werden, für ein Herrschaftssystem i m Prinzip irrelevant seien, u n d es n u r auf die faktische Geltung v o n Normen, die faktische Übernahme v o n Entscheidungen ankomme.

Für den ins rein Faktische abgedrängten Legitimitätsbegriff wäre auch ein Terrorregime legitim, das die Beachtung seiner Entscheidungen allein durch physische Gewalt erzwingt. Luhmann hält ein solches Regime nicht für illegitim, sondern lediglich für instabil, „weil es die Möglichkeit der Unterstellung eines gemeinsamen Interesses gegen den Terror nicht wirksam ausschließen kann." 2 0 Nicht begriffsnotwendig, sondern nur „normalerweise" kommen zur physischen Gewalt als unerläßlichem (wenn auch ergänzungsbedürftigem) Legitimationsfaktor „Einrichtungen hinzu, die die Konsolidierung eines erwartbaren Interesses Dritter gegen bindende Entscheidungen verhindern. Darin liegt die . . . Funktion rechtlich geregelter Verfahren." 2 1 2. Die juristische Kritik an Luhmanns Legitimationsbegriff

a) Ansatzpunkte

der juristischen

Kritik

(1) Soweit die juristische K r i t i k auf Luhmanns Legitimationsbegriff selbst eingeht und sich nicht auf eine K r i t i k an seinen Einsichten zum Gang des gerichtlichen Verfahrens beschränkt 22 , hält sie i h m i m wesentlichen den am realen Konsens orientierten Legitimationsbegriff entgegen. 23 Sie bleibt damit i n der Tradition jener juristischen Debatte zum Thema Legalität und Legitimität, die „unter dem Schock der Hitlerjahre" versuchte, „den Begriff der Legitimität zu einem Instrument der Bindung des Rechts an bestimmte Wertprämissen zu machen" 24 , wenn auch die naturrechtsbegründete Wertorientierung einer Konsensorientierung gewichen ist, die darauf baut, daß Konsens durch eine richtige Entscheidung erzeugt werden kann. (2) Die K r i t i k an der „Faktisierung" des Legitimationsbegriffs hat sich bei Rottleuthner 2 5 bis zum Vorwurf der „Fellachisierung" gesteigert. 20

Luhmann, Rechtssoziologie 2, S. 263. Luhmann, Rechtssoziologie 2, S. 262, 263. 22 So ζ. B. ausdrücklich Eike Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, S. 18; siehe auch Esser, Vorverständnis, S. 202-213, insbes. S. 206 ff.; dazu Rödig, E r kenntnisverfahren, S. 41; dazu näher unten I I I . 2S Dazu Luhmann, Legitimation, V o r w . 2. Aufl., S. 1. 24 Kielmansegg, PVS 12 (1971), S. 369 u n d dort F N 6. 25 Rottleuthner, K J 1971, S. 75; dazu Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 139. 21

224

4. Abschnitt, Teil :

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Legitimation durch Verfahren

Sie hält i h m i n der Sache entgegen, daß Legitimation „tatsächlich nicht ohne Bezug auf Werte, normative Begründungen, konzipiert werden kann." Die Argumentation bezieht sich jedoch i m wesentlichen auf Luhmanns Verknüpfung von Legitimation und Verfahren. Der Vorwurf lautet, daß Luhmann Themen ausspart, „die für die Funktion von Verfahren relevant sind, denen aber ein deutlicher Wertungscharakter eignet." 2 6 Unter Verweis auf die Erforderlichkeit eines Grundkonsenses, den auch Luhmann anerkennt, w i r d betont, daß sich „das Problem der Richtigkeit und Gerechtigkeit richterlicher Entscheidungen i n die Prinzipien des Verfahrens" hineindrängt. 2 7 (3) Diese K r i t i k betrifft aber weniger den Legitimationsbegriff als Luhmanns funktionalistisch halbierten Verfahrensbegriff. 28 Auf den Legitimationsbegriff selbst bezieht sich nur jenes — scheinbar ausschließlich moralische — Argument, daß für den faktischen Legitimationsbegriff auch ein KZ-Reglement legitim ist, das von den Lagerinsassen hingenommen w i r d . 2 9 Luhmann hat dem zwar zugestanden, daß er sich nicht i n „eine Position begeben (wolle), die solche Einrichtungen, wenn auch nur aus Versehen, mitlegitimiert" 3 0 und darüber hinaus seine „These einer Neutralisierung streitbarer individueller Motive durch Verfahren" als „anstößig" bezeichnet. 31 Gleichzeitig beharrt er aber auf der „Errungenschaft des Verfahrens" 3 2 ; und wenn auch die Abnahme von Entscheidungen i n Konzentrationslagern nicht auf Verfahren beruht, so bleibt für Luhmann die Anwendung physischer Gewalt doch ein Legitimationsfaktor, der eben auch solche Einrichtungen legitimiert". Dem Beharren auf den Entscheidungsinhalten und ihrer Konsensfähigkeit als K r i t e r i u m für Legitimation hat Luhmann entgegenzuhalten, daß ein solcher Begriff „schlicht überflüssig" sei, weil er nur dazu führe, „sagen zu können, gerechte Entscheidungen seien legitim, ungerechte Entscheidungen seien nicht legitim." 3 3

26

Rottleuthner, K J 1971, S. 80. Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 140 i m Anschluß an Zippelius, Legitimation durch Verfahren?, in: Festschrift f. K a r l Larenz, S. 297; ähnlich Rottleuthner, K J 1971, S. 75 ff. 28 Z u r K r i t i k am Verfahrensbegriff unten I V . 29 Zippelius, Festschrift für Larenz, S. 296. 80 Luhmann, Legitimation, V o r w . 2. Aufl., S. 1. 31 Luhmann, Politische Verfassungen i m K o n t e x t des Gesellschaftssystems, in: Der Staat 12 (1973), S. 175 F N 81. 32 Ebenda. 83 Luhmann, Legitimation, V o r w . 2. Aufl., S. 2. 27

II. Zu Luhmanns Begriff der Legitimität und Legitimation b) Unterschiedliche

225

Begriffsbildungen

Die Auseinandersetzung führt jedoch letztlich aneinander vorbei, denn es stehen sich zwei unvereinbare Konzeptionen gegenüber: Luhmanns K r i t i k e r benutzen den Legitimationsbegriff i n zweifacher Hinsicht. Erstens faktisch m i t der These, daß eine gerechte (konsensfähige) Entscheidung i n der Lage sei, die zwangsfreie Akzeptation der Entscheidung zu motivieren (und damit den Einsatz von Zwangsmitteln zu erübrigen), und zweitens normativ, daß nur eine gerechte Entscheidung zur Anwendung von Zwang berechtige, wenn ihre Motivationskraft nicht ausreicht. Der Legitimationsbegriff w i r d damit nicht allein — wie bei Luhmann — auf die Entscheidung (und ihre Abnahme) bezogen, sondern auch auf den möglichen Einsatz von Machtmitteln, der folglich legitim oder illegitim sein kann; anders als bei Luhmann, wo Zwang legitimiert, aber nicht legitim ist. So kann denn die K r i t i k Luhmann ihrerseits entgegenhalten, daß man für die von ihr betrachteten Tatbestände „doch nun ein neues Wort finden" muß, wenn man Legitimität „zur Bezeichnung der — vielfältig motivierten — Bereitschaft, staatliche Entscheidungen zu akzeptieren, ganz allgemein verwenden" w i l l . 3 4 c) Mißverständnisse Zumindest hat Luhmanns Neufassung des Legitimitätsbegriffs einigen Mißverständnissen geführt.

zu

(1) I n die herkömmliche Vorstellung, daß Herrschaftsmittel zu legitimieren sein, paßt ζ. B. die Ansicht, daß auch Verfahren legitimierungsbedürftig sind. 35 Das hat zu dem Fehlschluß verleitet, „Legitimation durch Verfahren" setzte eine Legitimität des Verfahrens voraus und beruhe auf ihr. 3 6 Dies ist i n jeder Hinsicht unhaltbar. Luhmanns Legitimationsbegriff bezieht sich nur auf Entscheidungen, da nur sie abgenommen werden müssen, nicht aber auf Verfahren. Es gibt daher keine „das Verfahren seinerseits legitimierende Gründe." 3 7 Die legitimierende Wirkung von Verfahren beruht für Luhmann nicht darauf, daß diese selbst durch einen Konsens legitimiert sind 3 8 , sondern 34

Kielmansegg, PVS 12 (1971), S. 370. Dazu Rottleuthner, K J 1971, S. 81 ff. 36 Zumindest mißverständlich auch Habermas, Legitimationsprobleme, S. 135: „Die formalen Verfahrensregeln reichen als legitimierende Entscheidungsprämissen aus u n d bedürfen ihrerseits keiner weiteren Legitimation."; siehe aber auch ders., S. 138 f. u n d Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft, S. 243 f. 37 Rödig, Erkenntnisverfahren, S. 43 F N 34. 38 So aber Cube, in: Cube / Hadding, Recht, Lerneinheit 12, S. 253. 35

15 Schaper

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Legitimation durch Verfahre

darauf, daß sie „streitbare individuelle Motive" neutralisieren. Für einen konsensorientierten Legitimationsbegriff ist es demgegenüber zwar sinnvoll, von einem „legitimen Verfahren" zu sprechen, da Verfahren als Herrschaftsmittel gerechtfertigt sein können (oder nicht). Dennoch kann auch hier die Legitimität einer Entscheidung nicht mit der Legitimität des Verfahrens begründet werden. Eine Entscheidung ist auch „theoretisch" nicht maßgebend, nur weil sie i n einem Verfahren getroffen wurde, das durch allgemeinen Konsens legitimiert ist, wenn „alle Bürger" bezüglich des Inhalts der Entscheidung abweichender Meinung sind. 39 Eine solche Auffassung ist soziologisch blind und ethisch unhaltbar. Soweit i m übrigen Legitimität als Folge einer gerechten Entscheidung gesehen wird, kann das Verfahren schon deshalb nicht legitimieren, weil die Gerechtigkeit einer Entscheidung letztlich nicht davon abhängt, wie sie gefunden wurde. (2) Ein zweites Mißverständnis folgt aus Luhmanns formalisiertem Lernbegriff. „Lernen" durch Verfahren heißt nicht, daß die Persönlichkeit eingefangen und zur Hinnahme von Entscheidungen enttäuschungsfrei motiviert wird 4 , 0 , sondern beschreibt nur die Erfahrung, die jemand machen muß, wenn er m i t einer Entscheidung konfrontiert wird, die er nicht ändern kann — was i m Regelfall Enttäuschung bedeutet. 41 „Lernen" heißt eben nicht, daß ein realer Konsens erzielt werden müßte. (3) Ein drittes Mißverständnis, auf das Luhmann selbst hingewiesen hat, folgt aus der Fassung seines Verfahrensbegriffs: Legitimation durch Verfahren beschreibt nicht den Entscheidungsprozeß. 42 Die Interaktionsform des Verfahrens dient vielmehr „ganz unmittelbar der Konfliktdämpfung." 4 3 d) Resümee Als K r i t i k an Luhmanns Legitimationsbegriff selbst bleibt letztlich, daß Luhmann ihn seiner normativen und moralischen Komponente entkleidet hat. Dies sieht er aber gerade als Errungenschaft an. Ob durch 89

So aber Cube, ebenda. Anders Calliess, Theorie der Strafe, S. 103; Rödig (Erkenntnisverfahren, S. 42 F N 33) unterstellt L u h m a n n dies zu unrecht. Dazu auch Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 144. 41 Siehe oben T e i l 2 I I 3). 42 Luhmann, Legitimation, V o r w . 2. Aufl., S. 3; so aber offenbar Esser, Vorverständnis, S. 202 ff., bes. S. 206 ff.; dazu Rödig, Erkenntnis verfahren, S. 41. 43 Luhmann, Legitimation, V o r w . 2. Aufl., S. 4. 40

II. Zu Luhmanns Begriff der Legitimität und Legitimation

227

die Faktisierung des Legitimationsbegriffs tatsächlich überflüssiger Ballast abgeworfen oder nur Verwirrung gestiftet wurde, muß sich zunächst i n einer Analyse des Begriffs auf dem Hintergrund von Luhmanns systemtheoretischer Rechtstheorie zeigen. 3. Luhmanns Legitimationsbegriff: Macht durch Verfahren

a) Legitimation,

Wahrheit und Macht

Betrachtet man Luhmanns Legitimitätsbegriff auf der Basis seiner eigenen Theorie, ist sein Ausgangspunkt eine Abstraktion über den beiden Kommunikationsmedien „Macht" und „Wahrheit". 4 4 Beiden ist gemeinsam, daß durch sie Selektionsleistungen (Reduzierte Komplexität) übertragen werden sollen. Zu ihrer Funktion als Kommunikationsmedien gehört daher, daß die Empfänger die Selektionsleistung übernehmen und zur Prämisse für eigenes Erleben und Handeln machen. Die Bereitschaft der Selektionsempfänger, eben dies zu tun, bezeichnet Luhmann als „Legitimität". Daran fällt zunächst auf (ohne daß dem näher nachgegangen werden soll), daß dieser Begriff nur auf zwei der vier Kommunikationsmedien bezogen wird. Aber auch die Bedeutung des Legitimationsbegriffs innerhalb der Theorie ist fraglich. Die Funktion eines Übertragungsmediums setzt die generelle Bereitschaft des Empfängers, die Information (Selektionsleistung) auch aufzunehmen, bereits voraus, da das Übertragungsmedium seine Funktion sonst nicht erfüllen könnte. W i r d der Begriff eines Übertragungsmediums wie bei Luhmann funktional bestimmt, gehört es bereits zum Begriff, daß die zu übertragenden Selektionsleistungen auch abgenommen werden. Da Luhmann „Macht" und „Wahrheit" funktional als Kommunikationsmedien bestimmt, gehört die Abnahme der zu übertragenden Selektionsleistungen bei ihnen zum Begriff. „Macht" und „Wahrheit" sind daher begriffsnotwendig „legitim". Folglich kann es auch keine illegitime „Macht" geben. 45 Legitimität als ein Begriff, der ein notwendiges Merkmal von „Macht" und „Wahrheit" beschreibt und dazu von den Besonderheiten der beiden Kommunikationsmedien abstrahiert 4 6 , ist aber nur sinnvoll, wenn etwas bezeichnet wird, daß auch beides umfaßt. 44

Siehe oben T e i l 2 I I 1). Dazu näher unten c), S. 229. 48 Verschiedene Gründe für die Abnahme der Selektionsleistungen „Wahrheit" u n d „Macht". 45

15*

bei

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Legitimation durch Verfahren

Dies ist gerade auf der Basis von Luhmanns Theorie zweifelhaft, weil „Macht" und „Wahrheit" zwei streng zu unterscheidenden Subsystemen zuzuordnen sind: „Wahrheit" dem Wissenschafts- und „Macht" dem politischen System. Die Bildung eines gemeinsamen Begriffs ist vor allem deshalb so verwunderlich, weil Luhmann i h n nicht einem größeren System zuordnet, das beide Subsysteme umfaßt. 4 7 b) Wahrheit und Macht und die Funktion

von Verfahren

Luhmann scheint nun zu glauben, daß die Gemeinsamkeit i n der Funktion von Verfahren liegt, die „den Wahrheitsmechanismus einschließt, sich aber nicht i n i h m erschöpft." 48 Eine Analyse der von Luhmann beschriebenen Funktion von Verfahren zeigt jedoch, daß sie den Wahrheitsmechanismus i n Wirklichkeit nicht einschließt, sondern sich i m Machtmechanismus erschöpft. Verfahren werden als Teilsysteme des politischen Systems gesehen, wo sie zum Transport von Selektionsleistungen dienen, die durch Entscheidung erbracht wurden. 4 9 Sie haben keinen Bezug zum Wissenschaftssystem und damit auch keine Funktion, Selektionsleistungen „aufgrund intersubjektiver Gewißheit" zu übertragen. I m Gegenteil: Das Postulat der Notwendigkeit positiven Rechts, bei dem „Beliebigkeit Institution" ist, und der Unbestimmtheit des Entscheidungsinhalts als notwendige Strukturmerkmale von Verfahren 5 0 setzt gerade voraus, daß i m Verfahren kein Raum für „intersubjektiv zwingende Gewißheit" ist. Spätestens durch die Bestimmung der Funktion von Verfahren, aufgrund externer Programmierung eine bindende Entscheidung zu erarbeiten, deren Inhalt ebenso beliebig ist wie das Programm selbst, und die damit zusammenhängende Trennung des Verfahrensbegriffs von der Entscheidungsgenese, w i r d die Wahrheit durch die Hintertür aus dem Verfahren ausgesperrt. Was auf der Abstraktionsebene, auf der der Legitimationsbegriff i m Ansatz angesiedelt wurde, zusammengefaßt war — die voraussetzungslose Übernahme der Selektionsleistung — w i r d i m Verfahrensbegriff wieder getrennt. Dadurch, daß Verfahren lediglich als Mechanismen zur Niederhaltung von Protest gesehen werden 5 1 , stellen sie sich als nichts anderes dar, als funktionale Äquivalente zu jenen „permanent stabili47 Vgl. Luhmann, Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 198; dazu Klenner, DuR 1976, S. 16,17. 48 Luhmann, Legitimation, S. 25. 49 Luhmann, Politische Verfassungen, in: Der Staat, S. 11 F N 30. 50 Siehe oben T e i l 1 I I 2) u. ö. 51 Siehe oben 4. Abschnitt T e i l 2 I V ; T e i l 4 I I 2 a) (3).

II. Zu Luhmanns Begriff der Legitimität und L e g i t i m a t i o n 2 2 9 sierten Alternativen", wie Zwang, Belohnung, Kooperationsverweigerung, die als klassische Gründe für die Übernahme von Entscheidungen — für die Anerkennung von Macht — angesehen werden. 5 2 Der Legitimationsbegriff stellt eine falsche Abstraktion dar, da er den entscheidenden Unterschied zwischen Macht und Wahrheit als Kommunikationsmedien verdeckt: die Anerkennung von Macht ist nicht voraussetzungslos. (Bei Macht werden Selektionsleistungen nicht übernommen, weil, sondern obwohl sie auf Entscheidung beruhen.) Da der Legitimationsbegriff i m übrigen i m Machtbegriff bereits enthalten ist, hätte Luhmann seine Theorie besser nicht „Legitimation durch Verfahren" genannt, sondern „Macht durch Verfahren". c) Zum Verhältnis

von Legitimität

und Macht

So erscheint es denn fraglich, ob der Legitimationsbegriff innerhalb Luhmanns Theorie noch eine selbständige Bedeutung gegenüber dem Machtbegriff hat. Bei der Darstellung des Legitimationsbegriffs w i r d zwar zunächst hervorgehoben, die Übertragung und Übernahme von Selektionsleistungen, die nur auf Entscheidung beruhen, bedürfe — i m Gegensatz zur Wahrheit — besonderer Gründe, und diese würden durch den Legitimationsbegriff zusammengefaßt, der Begriff w i r d aber soweit generalisiert und formalisiert, daß nicht mehr zwischen „guten" und „schlechten" Gründen unterschieden werden kann, ja daß die Gründe selbst sogar unerheblich werden und es für die Legitimation nur noch darauf ankommt, daß die Übernahme faktisch vollzogen w i r d . 5 3 Ähnlich wie der Legitimationsbegriff durch Generalisierung und Faktisierung formalisiert ist, entkleidet Luhmann auch den Machtbegriff seines klassischen Gehalts. 54 Der von Max Weber 5 5 geprägte soziologische Machtbegriff setzte noch den Willen aller Beteiligten am Machtverhältnis voraus und war geprägt von der Chance, seine Vorstellungen gegen den Willen anderer durchzusetzen. Bei Luhmann dagegen stellt das Kommunikationsmedium Macht „mögliche Wirkungsketten sicher, unabhängig vom Willen des machtunterworfenen Handelnden — ob er w i l l oder nicht. Die Kausalität der Macht besteht i n der Neutralisierung des Willens, nicht unbedingt i n der Brechung des Willens des Unterworfenen." 5 6 Um seine Funktion zu erfüllen ist der 62 Dazu Luhmann, Soziologie des politischen Systems, in: Soziologische A u f k l ä r u n g I, S. 162. 58 Luhmann, Legitimation, S. 25 ff. u. ö. 54 Z u den Grundlagen des Machtbegriffs s. oben 3. Abschnitt (Exkurs) Teil 3 I I 2 b). 55 M a x Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, § 16, S. 28. 56 Luhmann, Macht, S. 11/12.

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4. Abschnitt, Teil :

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Legitimation durch Verfahren

Rückgriff auf physische Gewalt nicht erforderlich 5 7 ; alle Mittel, die die Übertragung der Selektionsleistung sicherstellen, sind gleichwertig und vom Machtbegriff umfaßt: I n bezug auf Macht gibt es keine Polarität zwischen Konsens und Zwang. 5 8 Darüber hinaus w i r d der Machtbegriff seines politischen Repressionsgehalts entkleidet, da der Machtbegriff auf die Funktion kommunikativer Übertragung von Selektionsleistungen reduziert wird, die beim Machtunterworfenen zur Voraussetzung eigenen Handelns werden. 5 9 „Das Vermeiden von Sanktionen ist für die Funktion von Macht unabdingbar." 6 0 Macht als kommunikative Voraussetzung für das Handeln des Unterworfenen „bricht zusammen, wenn es zur Verwirklichung der Vermeidungsalternativen kommt." 6 1 „So liegt nicht die Brechung von Willen und der Einsatz von Gewalt, sondern das Vermeiden negativer Sanktionen i m Sinn der Machtentfaltung: es ist gerade die kommunikative Angleichung möglicher Abweichungen an die wünschenswerte Entscheidung durch Androhung der Umwandlung relativ positiv bewerteter i n relativ negativ bewertete Machtäußerungen, die möglichst vermieden wird, jedoch stets möglich bleibt, was den Interaktionsfortgang sichert und Zeitgewinn erzeugt." 62 Ebenso wie der Legitimationsbegriff ist damit auch der Machtbegriff formalisiert. Macht kann i m Gegensatz zu anderen Machtbegriffen nicht mehr als die Fähigkeit des Machthabers, Sanktionen auszuüben, gedeutet werden. 6 3 Sie ist nur noch eine Form zur Übertragung von Selektionsleistungen. Legitimationsbegriff und Machtbegriff definieren sich damit m i t Fleiß u m die Frage herum, die für beide Begriffe nach anderen Auffassungen zentral ist: unter welchen Bedingungen es geboten, erlaubt oder wenigstens sinnvoll ist, Macht (i. S. von Sanktion) anzuwenden. Es bleibt insoweit lediglich beim Postulat zur Fähigkeit der „Kontrolle des Ausnahmefalls". 64 Der sollte zwar vermieden werden, wenn er aber 57

Luhmann, Macht, S. 61 ff. zum Verhältnis v o n Macht u n d physischer Gewalt. 58 Luhmann, Macht, S. 68. 59 Vgl. M i k i n o v i c / Stangl, DuR 1978, S. 389 (396). 60 Luhmann, Macht, S. 23. 61 Luhmann, Macht, S. 23. 62 Tjaden, DuR 1976, S. 11, der zu Luhmanns Machttheorie aber (S. 10) bem e r k t : „Ergebnis dessen ist i n Realität u n d Theorie ein scheinbar k o m m u n i kativer, i n Wahrheit narkotisierender M acht gebrauch, der Rückhalt i m u n verändert möglichen Einsatz v o n Zwangsmitteln findet." 63 Luhmann, Macht, S. 15. 84 Luhmann, Macht, S. 23; die Frage, ob Sanktionen zu ergreifen sind oder nicht ist nach L u h m a n n (S. 28) zwar nicht w i l l k ü r l i c h , aber „opportunistisch" zu entscheiden.

II. Zu Luhmanns Begriff der Legitimität und L e g i t i m a t i o n 2 3 1 eintritt — was nicht ausgeschlossen werden kann — ist der Bereich der Macht verlassen: wenn die Entscheidung des „Machthabers" nicht übernommen wird, passiert entweder nichts oder die Vermeidungsalternativen müssen aktiviert werden; i n beiden Fällen liegt keine Macht (mehr) vor. Wenn sich Macht nicht mehr als Fähigkeit, Sanktionen auszuüben, beschreiben läßt, läßt sich Macht als Kommunikation, die i m MachtCode auf Vermeidungsalternativen rekurriert, nur noch feststellen, wenn bestimmt werden kann, ob eine i m Code gebrauchte Alternative eine Vermeidungsalternative ist. Das hängt aber von den jeweiligen Beteiligten ab, da aus ihrer Sicht zu bestimmen ist, ob sie ein Ereignis positiver oder negativer als der andere bewerten. Ob eine Alternative eine Vermeidungsalternative ist, läßt sich daher letztlich nur an zwei Ereignissen feststellen: entweder an der gelungenen (Macht-)Kommunikation (die Entscheidung w i r d übernommen) oder an der Aktualisierung der Alternative (der Durchführung der Sanktion). Jeder Abbruch der Kommunikation vorher läßt die Frage, ob eine eingeführte Alternative eine Vermeidungsalternative war und Macht ausgeübt werden sollte (oder nur eine Warnung, ein Rat oder eine Bitte ausgesprochen wurde), offen. Da aber die Durchführung der Vermeidungsalternative nicht mehr Macht ist, liegt Macht nur bei gelungener Kommunikation vor. Der Erfolg der Kommunikation (Übernahme der Entscheidung) w i r d aber gleichzeitig als Legitimation bezeichnet. „Macht" ist daher stets „legitim". Welchen Sinn macht es, einem Machtbegriff, der unabhängig von der Anwendung von Sanktionen funktional konzipiert ist, einen Legitimationsbegriff zur Seite zu stellen, der ebenfalls Konsens und Zwang einschließend nicht mehr zwischen „guten" und „schlechten" Gründen für die Übernahme von Entscheidungen unterscheiden kann? Wenn man ohnehin nur sagen kann: alle Macht ist legitim, wäre es zumindest weniger mißverständlich gewesen, auf den Legitimationsbegriff und seine Neu-Konzeption zu verzichten. 4. Legitimation außerhalb von Verfahren

a) Die „Faktisierung" des Legitimationsbegriffs und seine weitgehende Identität m i t dem Machtbegriff schließt nun allerdings nicht von vornherein aus, daß die Abnahme einer Entscheidung auch anders als durch die „permanent stabilisierten Alternativen" motiviert werden kann. Zustimmung zum Inhalt der Entscheidung, also realer Konsens, könnte ebenso Grund für Übernahme der Entscheidung sein und damit ein Legitimationsfaktor. Luhmann bestreitet dies auch gar nicht und führt als möglichen weiteren Legitimationsfaktor ζ. B. „die innere Kon-

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4. Abschnitt, Teil :

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Legitimation durch Verfahren

sistenz der durch Entscheidungen hergestellten Rechtsordnung" — „Legitimation durch symbolische Implikationen" — an. 65 Diese weiteren Legitimationsfaktoren hält er aber i m Ergebnis für wenig leistungsfähig und ungenügend, u m die Abnahme von Entscheidungen auf breiter Basis sozial sicherzustellen. 66 Insbesondere realen Konsens hält er für eine derart knappe Ressource, daß Konsens durch Institutionalisierung von Verhaltenserwartungen kontrafaktisch unterstellt werden muß. „Die Funktion von Institutionen liegt i n der Oeconomie des Konsenses, und die Ersparnis w i r d hauptsächlich dadurch erreicht, daß der Konsens i m Erwarten vorweggenommen wird, kraft Unterstellung fingiert und dann normalerweise gar nicht mehr konkret abgefragt werden muß." 6 7 Daß Luhmann die Erzeugung von realem Konsens i n einem System für unmöglich hält 6 8 , ist i n seiner Theorie allerdings von vornherein angelegt: Da durch die Positivierung des Rechts nicht mehr zwischen richtigen und falschen Normen unterschieden werden kann, gibt es kein K r i t e r i u m mehr, unter welchen Bedingungen Konsens möglich ist. Die Frage nach den Bedingungen für einen Konsens kann nicht mehr thematisiert werden. Sie w i r d m i t dem Bemerken, kein Mensch sei „ i n der Lage, für alle aktuellen Entscheidungsthemen Überzeugungen zu bilden" 6 9 , beiseite geschoben. Der entscheidende Schritt, die Erzeugung von realem Konsens aus der „Legitimation durch Verfahren" zu verbannen, w i r d aber nicht mit der Faktisierung des Legitimationsbegriffs getan — er ist so abstrakt und generell gefaßt, daß er noch alle Möglichkeiten einschließt —, sondern durch die funktionalistische Fassung des Verfahrensbegriffs. Das Verfahren als jeweilige Veranstaltung, beschränkt auf die Funktion, eine einmalige bindende Entscheidung beliebigen Inhalts zu erarbeiten, w i r d so von der Entscheidungsgenese getrennt, die nur noch synchron abläuft, ohne daß wechselseitige Beziehungen i n den Blick kommen. 7 0 Jede Frage nach dem Inhalt der Entscheidung und dessen Beitrag zur Legitimation ist damit versperrt. 65 Luhmann, Legitimation, S. 36; siehe auch ders., Legitimation, S. 32: „Es k o m m t weniger (!) auf motivierte Überzeugungen an . . . " ; dazu Esser, V o r verständnis, S. 207. 86 Luhmann, Legitimation, S. 36. 67 Luhmann, Rechtssoziologie 1, S. 67/68. 68 Vgl. ebenda. 69 Luhmann, Rechtssoziologie 1, S. 66 ff.; Legitimation, S. 32; zu den U n t e r schieden der Institutionalisierungsbegriffe siehe Luhmann, Rechtssoziologie 1, S. 65 F N 73; Damm, Systemtheorie, S. 75, der zu Recht auf die Unterschiede zwischen L u h m a n n u n d Parsons hinweist. 70 Darauf insistiert ζ. B. Esser (Vorverständnis, S. 205 ff., 211) bei seiner K r i t i k an Luhmann,

233

III. Luhmanns Einsichten in den Gang des Verfahrens

„Verfahren" i. d. S. können Konsens (natürlich) nicht erzeugen. Sie können ihn nicht einmal fingieren. Fingiert w i r d durch die Niederhaltung von Protest, die „Verfahren" leistet, lediglich die Nichtäußerung von Dissens. b) Die Funktionsfähigkeit dieses Mechanismus setzt — auch bei Luhmann 7 1 — einen realen Konsens voraus, der vom politischen System jedoch nicht erarbeitet werden kann. Luhmann muß daher voraussetzen, daß es einen Grundkonsens gibt, wobei er innerhalb seiner Theorie nicht angeben kann, wie dieser zustandekommt. Feststeht, daß er nicht i m Verfahren produziert wird. Beschrieben w i r d dieser Grundkonsens von Luhmann 7 2 nur mit vagen Begriffen: Die Nichtbeteiligten müssen zu der Überzeugung gelangt sein, „daß alles m i t rechten Dingen zugeht, daß i n ernsthafter, aufrichtiger und angestrengter Bemühung Wahrheit und Recht ermittelt werden." So muß denn das Verfahren wenigstens noch als Drama ausgestaltet sein, „das richtige und gerechte Entscheidung symbolisiert." Damit greift Luhmann zur Beschreibung des Grundkonsenses auf einen umgangssprachlichen Gerechtigkeitsbegriff zurück, der i n seiner Theorie selbst keinen Platz hat. 7 3 Dieser apokryphe Gerechtigkeitsbegriff ist Luhmanns machina" für die „Legitimation durch Verfahren".

„deus

ex

ΙΠ. Bemerkungen zu Luhmanns Einsichten in den Gang des gerichtlichen Verfahrens 1. Luhmanns Interpretation der Verfahrensprinzipien

Luhmanns Interpretation der klassischen Prinzipien des gerichtlichen Verfahrens mag einem unbefangenen Leser als eine Justizkritik vorkommen, die den mit diesen Prinzipien verbundenen Anspruch der Garantie von Rechtsstaatlichkeit als Hohn erscheinen läßt. 7 4 Was die juristische Prozeßtheorie als „Prinzipien der Verfahrensgerechtigkeit" 7 5 herausgestellt hat, gewinnt bei Luhmann eine völlig an71

Luhmann, Legitimation, S. 122; ders., Rechtssoziologie 1, S. 64 ff. Luhmann, Legitimation, S. 123, 124. 73 Vgl. Luhmann, Gerechtigkeit i n den Rechtssystemen der modernen Gesellschaft, in: Rechtstheorie 4 (1973), S. 131 ff.; zu Luhmanns Wechseln z w i schen Alltags- u n d Wissenschaftssprache vgl. G r i m m , Luhmanns Soziologische Aufklärung, S. 99,104. 74 Die 1. Auflage v o n „ L e g i t i m a t i o n durch Verfahren" wurde v o n W o l f Lepenies (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. 6.1970) als solche angezeigt. 75 Zippelius, Festschrift für Larenz, S. 298. 72

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4. Abschnitt, Teil :

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Legitimation durch Verfahren

dere Perspektive, und wendet sich gegen die Verfahrensbeteiligten. Die Respektierung der Prozeßbeteiligten als handelnde Prozeßsubjekte (in Strafverfahren eine der Errungenschaften des reformierten Strafprozesses) und allgemeiner noch das „audiatur et altera pars", dient nur noch als Motivation für den Betroffenen, sich i n das Rollenspiel „Verfahren" inkorporieren zu lassen, um als Vereinzelter, Isolierter wieder herauszukommen, der seine Auffassung anschließend nicht mehr sozial relevant vertreten kann. Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters dient — ebenso wie seine Bindung ans Gesetz — nur noch der Kritikimmunisierung und die Öffentlichkeit des Verfahrens der Darstellung eines Schauspiels für Unbeteiligte. Genug Munition für die Forderung, die bestehenden Verfahrensordnungen zu überdenken, sollte man meinen. Aber davon ist Luhmann weit entfernt. Er beharrt darauf, Verfahren i n seinem Sinne und ihre Wirkungen als Errungenschaft zu preisen. 76 Zwar wehrt er sich gegen den wiederholt vorgebrachten Vorwurf, seine Ausführungen enthielten eine kryptonormative Rechtfertigung von „Verfahren" 7 7 , und w i l l diesen Eindruck „allzu suggestiven Formulierungen zuschreiben" 78 ; eine versteckte Empfehlung enthält seine Darstellung dennoch, denn wie wäre es anders zu verstehen, wenn er allein physische Gewalt und Verfahren als Legitimationsmittel anerkennt und Verfahren unter diesem Aspekt als Errungenschaft preist. Dies gilt unabhängig von der grundsätzlichen Frage, ob die normativen Implikationen des phänomenologischen Bestandsfunktionalismus, die Systemstabilität als erstrebenswerten Zustand auszeichnen, nicht von vornherein die kryptonormative Konsequenz haben, solches Handeln als ,richtig' zu honorieren, welches i m Einklang mit den „Interessen des Systems" steht. 79 2. Einsdiätzungen zum Realitätsgehalt der Interpretation

Ob Luhmanns Interpretation der Verfahrensgrundsätze richtig ist, hängt allerdings nicht entscheidend davon ab, ob seine Darstellung kryptonormative Elemente enthält. Dies mag allenfalls für eine Ein76

Siehe oben Teil 4 I I 2 a) (3). ζ. B. Rödig, Erkenntnisverfahren, S. 41 ff.; Grimm, Luhmanns Soziologische Aufklärung, S. 139. 78 Luhmann, Legitimation, V o r w . zur 2. Auflage, S. 6. 79 So Grimm, Luhmanns Soziologische Aufklärung, S. 139. Dem V o r w u r f des notwendigen kryptonormativen Gehalts jedes Funktionalismus korrespondiert die K r i t i k , es sei eine selbstauferlegte Erkenntnisschranke, „ i m m e r nur nach dem Funktionieren, nie aber nach dem Wesen u n d den Ursachen des (mehr oder weniger) Funktionierenden zu fragen", u n d die Systemtheorie sei nicht i n der Lage, die Rationalität des Systems selbst zu problematisieren. (so z. B. Klenner, DuR 1976, S. 14 ff. (16, 19)) 77

III. Luhmanns Einsichten in den Gang des Verfahrens

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Schätzung der ideologischen Stellung der Theorie von Bedeutung sein. 80 Entscheidend ist die Frage, ob Verfahren tatsächlich i n der beschriebenen Weise „funktionieren". Zweifelhaft ist erstens, ob ein Verfahren tatsächlich die beschriebenen Wirkungen hat und zweitens, ob der Gang des gerichtlichen Verfahrens auf diese Wirkungen angelegt ist. a) Zunächst einmal scheint Luhmann die Motivationskraft der Ungewißheit des Verfahrensausganges für die Teilnahme am Verfahren zu überschätzen. Niemand läßt sich i n ein Verfahren inkorporieren, nur weil der Ausgang ungewiß ist. Interesse an der Teilnahme am Verfahren hat nur, wer die Machtmittel des Staates für die Durchsetzung seiner Interessen braucht und sich ihrer nur mittels der Entscheidung versichern kann; oder aber wer hofft, sich m i t einer solchen Entscheidung gegen das staatliche Gewaltmonopol wehren zu können. Wer die Entscheidung nicht fürchten muß (ζ. B. weil bei i h m „nichts zu holen ist") oder von der Entscheidung nichts erhofft, verweigert häufig schlicht die Teilnahme am Verfahren. (So ist i n vielen Strafverfahren der Einsatz staatlicher Machtmittel schon nötig, u m den Betroffenen zur Teilnahme zu „motivieren".) Die Verfahren werden aber u m der Entscheidung willen doch durchgeführt, und eine so getroffene Entscheidung w i r d i n gleicher Weise abgenommen, wie eine, u m die lange gestritten wurde. Die „unbezahlte zeremonielle Arbeit" und die Ungewißheit werden von Luhmann 8 1 als „legitimierende Faktoren" zu hoch gespielt. Die Ungewißheit w i r d i m Verfahren nicht geschaffen und aufrechterhalten, u m die Beteiligten möglichst ausgiebig zeremonielle Arbeit leisten zu lassen — etwa weil dadurch u m so mehr Protest absorbiert wird. Die Ungewißheit besteht lediglich, bis die zur Entscheidung notwendigen Daten zusammen sind. Dann endet das Verfahren durch Entscheidung, unabhängig davon, ob alle Beteiligten mitgewirkt und zeremonielle Arbeit verrichtet haben oder nicht. Da Verfahren auf Entscheidung angelegt sind, ist auch sichergestellt, daß sie von der Beteiligung nicht abhängig sind, und genausowenig ist die Abnahmefähigkeit der Entscheidung davon abhängig. b) Desweiteren erscheint es zweifelhaft, ob die Unfähigkeit zu sozial relevanter Artikulation der eigenen Interessen und Bedürfnisse wirklich erst Folge der zeremoniellen Arbeit i n Verfahren ist. I m Gegenteil: Die Aufarbeitung eines belanglosen Einzelfalls — von einem bereits i n der Gesellschaft vereinzelten Betroffenen vorgebracht — 80 81

Dazu Tjaden, DuR 1976, S. 5 ff.; Klenner, DuR 1976, S. 14 ff. Luhmann, Legitimation, S. 116/117.

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kann über das Medium des Verfahrens und seiner Öffentlichkeit plötzlich zum allgemein interessierenden Problem werden, an dem die Rechtsordnung nicht mehr dargestellt und bestätigt 8 2 , sondern kritisiert wird. So ist eine Tendenz zu beobachten, Gerichtsverfahren anzuzetteln, ohne daß realistische Erfolgsaussichten bestehen, u m den Werbeund Aufmerksamkeitswert des Verfahrens gerade zur Verbreitung des „sozialen Gehörs" zu nutzen (ζ. B. Alice Schwarzer u. a. ./. Stern). Hier w i r d nicht Protest abgearbeitet, sondern es werden neue Argumente für die Auseinandersetzung gesucht, entweder mit dem Gericht und der Rechtsordnung oder gegen sie — je nach Ausgang des Verfahrens. Und so bleibt es zweifelhaft, ob sich durch die Teilnahme am Verfahren tatsächlich die soziale Relevanz von Protesten verändert. Die Tatsache, daß die Entscheidung unabänderlich ist, beruht nicht darauf, daß ein Verfahren durchgeführt wurde, sondern darauf, daß sie i m Zweifel m i t den Zwangsmitteln des Staates durchgesetzt werden kann. Daß man von Protesten dagegen relativ wenig hört, liegt ebenfalls nicht am Verfahren, sondern daran, daß der Betroffene — ob ein Verfahren durchgeführt wurde oder nicht — m i t seinem Verhalten grundsätzlich nur eine begrenzte Resonanz findet. Dadurch, daß sich jemand auf ein Verfahren einläßt, verliert er aber nicht die Möglichkeit, seine Interessen auch außerhalb des Verfahrens m i t der i h m möglichen Resonanz weiter zu vertreten. Die — i n der Regel — wenigen, die er außerhalb des Verfahrens für seine „gerechte Sache" gewinnen kann, werden sich von der Tatsache, daß ein Verfahren stattgefunden hat, kaum davon abhalten lassen, Protest gegen das „ungerechte Urteil" zu äußern. Es scheint, daß das Verfahren weniger soziale Vereinzelung erzeugt, als daß es umgekehrt soziale Vereinzelung voraussetzt, u m überhaupt durchgeführt werden zu können. Der enge Rahmen der verfahrensmäßigen Kommunikationsveranstaltung ist wegen der sachlichen, persönlichen und zeitlichen Grenzen der Informationskapazität lediglich darauf zugeschnitten, Einzelprobleme zu verarbeiten, und läßt eine angemessene Verarbeitung breit solidarisierter Interessen kaum zu — und wer seine Interessen m i t einer sozialen Relevanz vertreten kann, der sein Gegenüber nicht gewachsen ist, braucht kein Verfahren. Richtig verstanden und angewandt könnte das Verfahren deshalb gerade zur Macht der Machtlosen werden, die hier ihre Interessen in eine sozialrelevante Form bringen können. Luhmann scheint die protestabsorbierende Wirkung der Teilnahme am Verfahren zu überschätzen: Wenn sich nach dem Verfahren kein 82

So Luhmann, Legitimation, S. 116.

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breiterer Protest gegen die Entscheidung mobilisieren läßt, dann nicht deshalb, weil man seine Interessen auf eine „schwierige (juristische) Zweifelsfrage" 83 zurechtgestutzt hat, sondern weil die Entscheidung — entweder m i t guten Gründen oder wegen eines generellen Vertrauens i n die Gerichte — für richtig gehalten w i r d und dem Betroffenen als richtige entgegengesetzt wird. 3. Kritik der Juristen

Seinen juristischen K r i t i k e r n sind die Einsichten Luhmanns i n den Gang des gerichtlichen Verfahrens schon von vornherein zweifelhaft vorgekommen. Luhmanns eher anekdotische Beschreibungen von Prozeßsituationen 84 brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Esser 85 hat sie zu Recht als „ein Stück Prozeßpsychologie oder - t a k t i k — und kein realistisches" gekennzeichnet. Insbesondere Esser 86 hat auch darauf hingewiesen, daß Luhmanns Interpretation der Verfahrensprinzipien i n Widerspruch zu dem „synchron ablaufenden Entscheidungsprozeß" gerät und sich m i t einer rationalen Entscheidungsvorbereitung nicht mehr vereinbaren läßt. Die Interpretation der Verfahrensprinzipien führt aber bereits i m Hinblick auf „Legitimation durch Verfahren" i n Widersprüche. Ein solcher liegt ζ. B. i m Beharren auf der Unbestimmtheit des Verfahrensausgangs als notwendiges Strukturmerkmal einerseits und der Notwendigkeit konditionaler Programmierung andererseits. Denn wenn „alle Entscheidungen i m Recht schon vorentschieden sind, (kann) m i t h i n gar keine Ungewißheit bestehen." 87 Ungewißheit könnte es dann nur noch über die zugrunde liegenden Tatsachen geben. 88 Daß dies eine wirklichkeitsgetreue Vorstellung ist, glaubt Luhmann offenbar selbst nicht, und so beruft er sich auf das Prinzip der Unparteilichkeit des Richters, das die Offenheit der Situation wieder herstellen soll. 89 Spekuliert Luhmann hier auf Unfähigkeit oder Ignoranz der Richter, die Vorentscheidungen des Gesetzgebers zu verstehen? 90 83

So Luhmann, Legitimation, S. 116. Luhmann, ζ. B. Legitimation, S. 46/46; 67; 115/116. 85 Esser, Vorverständnis, S. 210. 86 Esser, Vorverständnis, S. 209 ff. 87 Luhmann, Legitimation, S. 134. 88 Esser, Vorverständnis, S. 210; Eike Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, S. 17, 19. 89 Luhmann, Legitimation, S. 134. 90 Die juristische K r i t i k (Esser, Vorverständnis, S. 208 ff.; E i k e Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, S. 19 ff.; Zippelius, Festschrift für Larenz, S. 299 ff.) wendet sich i n diesem Zusammenhang häufig gegen Luhmanns Vorstellung der konditionalen Programmierung u n d hält i h r entgegen, daß eine Gesetzes84

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Legitimation durch Verfahren

Ein Widerspruch ergibt sich auch, wenn Luhmann einerseits postuliert, daß die Parteien mit Hilfe der Rechtsordnung die offenen Streitpunkte herausarbeiten müssen, andererseits aber die Forderung Arndts 9 1 nach einem echten Rechtsgespräch (die durch § 278 ZPO weitgehend bestätigt wurde) für „nicht unbedenklich" 9 2 hält, j a wenn letztlich jede richterliche Ermittlungstätigkeit ein Problem für die „Legitimierung" darstellt. Hier gerät „Legitimation durch Verfahren" m i t ihren (krypto-)normativen Optimierungsanforderungen i n offenen Konf l i k t zu den Notwendigkeiten einer rationalen Vorbereitung einer Entscheidung. 93 Darüber hinaus t r i t t ein Rollenverständnis des Richters zutage, daß sich weder i n den Anforderungen einer Prozeßordnung noch i n der praktischen Handhabung wiederfindet. 9 4 Die Widersprüche zwischen einer „Legitimation durch Verfahren" und einer rationalen Entscheidungsvorbereitung wenden sich gegen Luhmanns Auffassung, obwohl er darauf insistiert, daß „Verfahren" und „Entscheidungsprozesse" zu trennen sind 9 5 , denn auch Luhmann gesteht letztlich eine Verbindung zwischen „Verfahren" und „synchronisierten Entscheidungsprozessen" zu: Das Verfahren symbolisiert wenigstens noch als Drama richtige und gerechte Entscheidungen. 96 Selbst wenn es richtig ist, daß „Rechtskonstruktionen eher an unerträglichen Folgen als an guten Gründen getestet" 97 werden, muß deshalb i m Verfahren auch sichergestellt werden, daß nicht unerträgliche Entscheidungen produziert werden, die die Symbolkraft des Dramas ebenso ruinieren würden wie „ein Fall von offensichtlicher Schwäche die Macht oder ein Treubruch die Liebe." 9 8

auslegung letztlich nicht ohne Rekurs auf die Folgen auskommen könne. Die fortdauernde Diskussion (z.B. B ö h l k / Unterseher, JuS 1980, S. 323 ff. m i t Nachweisen) braucht hier für eine K r i t i k an „Legitimation durch Verfahren" nicht aufgenommen zu werden. Zur Situation der juristischen Interpretationslehren siehe auch Dreier, Z u r Problematik u n d Situation der Verfassungsinterpretation (1976), in: Recht — M o r a l — Ideologie, S. 106 ff. 91 A r n d t , N J W 1959, S. 6 ff. 92 Luhmann, Legitimation, S. 135. 93 Vgl. Esser, Vorverständnis, S. 211 f.; Eike Schmidt, Zweck des Z i v i l p r o zesses, S. 19 f. 94 Eike Schmidt nennt das eine „naive" Einschätzung richterlicher Tätigkeit (Zweck des Zivilprozesses, S. 18). 95 Luhmann, Legitimation, V o r w . 2. Auflage, S. 3. 96 Luhmann, Legitimation, S. 124. 97 Luhmann, Legitimation, V o r w . 2. Auflage, S. 5. 98 Ebenda.

IV. Zu Luhmanns Verfahrensbegriff

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IV. Zu Luhmanns Verfahrensbegriff 1. Luhmanns Anspruch

Luhmanns funktional-struktureller Verfahrensbegriff, der Verfahren als soziale Systeme betrachtet, deren Funktion i n der Legitimation einer Entscheidung liegt, nimmt für sich i n Anspruch, „den faktischen Kommunikationsprozeß, . . . also wirkliches Geschehen und nicht . . . eine normative Sinnbeziehung" 99 zu beschreiben. Dieser Verfahrensbegriff betrachtet das Verfahren und die Kommunikation i n ihm ausschließlich unter dem Gesichtspunkt „der Konfliktdämpfung, der Schwächung und Zermürbung der Beteiligten, der Umformung und Neutralisierung ihrer Motive i m Laufe einer Geschichte, i n der Darstellungen und Engagements i n Darstellungen sich unter Eliminierung von Alternativen ändern." 1 0 0 Er trägt nichts zur Klärung des i m Verfahren ablaufenden Entscheidungsprozesses bei. „Verfahren werden als soziale Systeme gesehen, die mit Entscheidungsprozessen synchronisiert, aber nicht identisch sind." 1 0 1 Dabei w i r d jedoch die genaue Beziehung zwischen Verfahren i. S. Luhmanns und dem synchron laufenden Entscheidungsprozeß nicht klar: Einerseits w i r d zugestanden, daß „die Interaktionsform des Verfahrens" jedenfalls auch „die Funktion hat, brauchbare Entscheidungsgesichtspunkte herauszufiltern" 1 0 2 , andererseits w i r d betont, daß „die moderne Entscheidungstheorie . . . es vollends unmöglich (macht), Verfahren und Entscheidungsprozeß zu identifizieren." 1 0 3 „Selbst die Prozeßordnungen regeln nicht den selektiven Prozeß des Erzeugens und Ausscheidens anderer Möglichkeiten, nicht die eigentliche Herstellung der Entscheidung, sondern allenfalls die Darstellung der Herstellung der Entscheidung." 10* Und so besteht Luhmann darauf, „diese Verquikkung aufzulösen und den Selektionsprozeß der Informationsverarbeitung begrifflich von dem Sozialsystem des Verfahrens zu trennen". 1 0 5 2. „Wirkliches Geschehen"

Luhmanns problematische Deutung des Ganges des gerichtlichen Verfahrens 106 hat bereits erste Anhaltspunkte geliefert, daß er mit dieser 99

Luhmann, Legitimation, S. 37. Luhmann, V o r w o r t 2. Aufl., S. 4. 101 Luhmann, V o r w o r t 2. Aufl., S. 3. 102 Luhmann, V o r w o r t 2. Aufl., S. 4. 193 Luhmann, S. 174. 104 Luhmann, S. 175 — Hervorhebung n u r hier —. 105 Luhmann, Legitimation, S. 175. 106 Siehe oben I I I 1) u. 2) (bes. nach F N 80). 100

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begrifflichen Trennung seinen Anspruch, „wirkliches Geschehen" zu erfassen, nicht mehr einlösen kann, sondern daß sein Verfahrensbegriff allenfalls noch eine analytische Kategorie ist. Eine Kategorie, deren Überdifferenziertheit zudem durch einen überabstrakten Legitimationsbegriff, der ihre Funktion beschreibt, aufgefangen werden soll. a) Der Verfahrensbegriff ist überdifferenziert, weil „ i n Wirklichkeit" Verfahren i. S. Luhmanns und der Selektionsprozeß der Informationsverarbeitung als ein ineinander verwobenes reales Ganzes ablaufen. Beides kann nicht voneinander getrennt werden, weil der Ablauf der Verfahrenskommunikation ausschließlich von den Erfordernissen der Informationsverarbeitung gesteuert wird. Der Kommunikationsprozeß ist auf Informationsgewinn angelegt und kann dahingehend gesteuert werden. Er ist beendet, wenn relevante Informationen nicht mehr eingebracht werden (können) und Entscheidungsreife vorliegt. Dabei kommt es weder darauf an, ob alle Betroffenen zu Wort gekommen sind, noch ob sie überhaupt anwesend waren (ζ. B. beim Versäumnisurteil). So dient ein real ablaufender Prozeß zunächst einmal vordergründig und real der Erarbeitung von Informationen zur Entscheidungsfindung. Was er darüber hinaus — nicht als Institution, sondern als jeweilige Veranstaltung — zur Abnahme der Entscheidung leistet, w i r d allenfalls hintergründig analytisch als Hypothese formuliert. Dabei bleibt nicht nur die Leistung des Verfahrens für die Entscheidung außerhalb des Blicks, sondern auch, was die Entscheidung selbst zu ihrer Abnahme beiträgt. Ein solcher Verfahrensbegriff ist überdifferenziert, weil er alle Erscheinungsformen aus einem eingeschränkten Gesichtswinkel interpretiert (und so zu problematischen Deutungen kommt). Instanzenzug und Wiederaufnahmeverfahren sind für diesen Verfahrensbegriff funktionslos. b) Diese Beschränkung w i r d überspielt von einem überabstrakten Legitimationsbegriff, der soweit generalisiert, formalisiert und faktisiert ist, daß er nicht mehr zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Anerkennung einer Entscheidung differenziert. I h m entspricht der formalisierte Lernbegriff, der motiviertes Lernen durch Einsicht nicht mehr von der schlichten Enttäuschungserfahrung gegenüber unabänderlichen Zuständen unterscheidet. Der Abstraktionsgrad beider Begriffe führt zwar dazu, daß i n ihnen sowohl das motivierte Lernen als auch eine konsensorientierte Legitimation noch enthalten sind, der Legitimationsbegriff kann aber nicht mehr zwischen unterschiedlichen Gründen für die Abnahme von Entscheidungen unterscheiden und da-

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mit die Beiträge, die die Entscheidung, das „Verfahren", die Institution Prozeß und das staatliche Zwangsmonopol zur Abnahme erbringen, nicht mehr differenziert erfassen. Die Kombination von Verfahrens- und Legitimationsbegriff macht einen wesentlichen Mangel an Luhmanns Darstellung aus: Das Vertrauen i n die Institution und der Konsens über die Entscheidung werden so unversehens zum deus ex machina für „Legitimation durch Verfahren". 1 0 7 3. Die zweite Perspektive

a) Der auf diese Weise funktionalistisch halbierte Verfahrensbegriff ist ungeeignet, die Leistungen des Verfahrens vollständig und adiiquat zu beschreiben. Luhmann selbst muß schon zur Beschreibung der Legitimationswirkung die zweite Perspektive eines Schauspiels von der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit einführen: „Legitimierung ist Institutionalisierung des Anerkennens als verbindlich. Institutionalisierung heißt, daß Konsens über bestimmte Verhaltenserwartungen vermutet und als Handlungsgrundlage benutzt werden darf. Das ist aber nur möglich, wenn Konsens i n großem Umfange tatsächlich besteht oder doch durch Nichtäußerung von Dissens fingiert w i r d . " 1 0 8 Das setzt voraus, daß auch alle Außenstehenden „zu der Überzeugung gelangen, daß alles m i t rechten Dingen zugeht, daß i n ernsthafter, aufrichtiger und angestrengter Bemühung Wahrheit und Recht ermittelt werden und daß auch sie gegebenenfalls m i t Hilfe dieser Institution zu ihrem Recht kommen werden." 1 0 9 Damit wendet sich sein Argument gegen die „klassischen Verfahrenslehren" 1 1 0 gegen sich selbst: Es ergibt keine zureichende Instruktion für den Entscheidenden, wenn der Prozeß einerseits auf die „Schwächung und Zermürbung der Beteiligten" ausgeht und „die Chancen der Legitimation . . . , die ein Verfahren bietet", nutzen soll 1 1 1 , und andererseits ernsthaft und aufrichtig das Schauspiel der Gerechtigkeitssuche bieten muß. b) Die Legitimationsleistung des „Verfahrens" ist zudem empirisch weder meßbar noch überprüfbar. Dies gilt unabhängig von der 107

Dazu schon oben I I 4 b) (bei F N 73). Luhmann, Legitimation, S. 122/123. 109 Luhmann, Legitimation, S. 123. 110 Luhmann, Legitimation, S. 17: „Es ergibt keine zureichende I n s t r u k t i o n für den Entscheidenden, w e n n der Prozeß dafür eingerichtet w i r d , u m der Wahrheit oder des Friedens w i l l e n richtige oder unrichtige Entscheidungen zu erzeugen." Siehe dazu oben T e i l 2 I. 111 Luhmann, Legitimation, S. 115. 108

16 Schaper

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Frage, ob Luhmanns Systemtheorie sich nicht überhaupt einer empirischen Überprüfung entzieht, „weil die Grenzen sozialer Systeme als sinnkonstituierender Systeme empirisch nicht ausmachbar sind" 1 1 2 , denn jedenfalls können „Verfahren", der „Selektionsprozeß der Informationsverarbeitung" und das symbolträchtige Drama der Gerechtigkeitssuche experimentell empirisch nicht voneinander getrennt werden, ohne den Gegenstand zur Unkenntlichkeit zu verändern. Vielleicht kann aber die Konstruktion einer Alternative zum Prozeß die Fragwürdigkeit einer Legitimation erhellen, die nur auf „Verfahren" gründet. W i r müssen uns dazu ein gerichtliches Verfahren vorstellen, das so abläuft, wie bei uns üblich, jedoch mit dem Unterschied, daß sich am Ende das Gericht nicht zur Beratung und Entscheidung zurückzieht, sondern die A k t e n anderen Personen übergibt, die jetzt entscheiden. Alle Bedingungen der Ausdifferenzierung, Autonomie, Rollenübernahme und Entlastungen, die Luhmann für Legitimation durch Verfahren beschreibt, wären erfüllt; und trotzdem ist es kaum vorstellbar, daß die aufgrund eines solchen »Aktenversendungsverfahrens 4 getroffene Entscheidung noch von allen Beteiligten und Außenstehenden als verbindlich akzeptiert werden würde. Nicht umsonst ist der Aktenversendungsprozeß i m Zuge der Aufklärung beseitigt worden. 1 1 3 Die historische Entwicklung und das Ringen u m sie sind wohl kaum erklärlich, wenn es dabei nur u m die Veränderung eines marginalen Schauspiels gegangen wäre. Es spricht alles dafür, daß dadurch die Leistung des Verfahrens verbessert wurde, und dies kann nur i n der Verbesserung der Entscheidungsvoraussetzungen liegen. 4. Das Problem von Verfahren und Entscheidung

Daß Luhmann das Verfahren nicht i m Hinblick auf seinen Beitrag zu einer richtigen Entscheidung untersucht, liegt i n den Grundzügen seiner Theorie begründet. Wenn Recht beliebig ist 1 1 4 , fällt es naturgemäß schwer, die Richtigkeit rechtlich geregelter Entscheidungen als zentrales Problem zu behandeln. a) Aber schon das Ausgangsargument, mit dem jer die Suche nach richtiger Entscheidung als Problem des Verfahrens leugnet, erweist sich als Scheinargument. 112

S. 69.

So G r i m m , Luhmanns soziologische Aufklärung, S. 59; siehe auch ders.,

113 Vgl. zu den historischen Hintergründen und Entwicklungen, Roxin, Strafverfahrensrecht §§ 76, 77; Coing, Epochen der Rechtsgeschichte, S. 54 ff. 114 Siehe oben 3. Abschnitt (Exkurs) T e i l 3 I I 2) c).

IV. Zu Luhmanns Verfahrensbegriff

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Luhmann meint, ein System, das die Entscheidbarkeit aller aufgeworfenen Probleme garantieren müsse, könne nicht zugleich die Richtigkeit der Entscheidung garantieren. 1 1 5 Dies ist ein Scheinargument, da ein t r i v i a l richtiges Element mit einem falschen verknüpft ist: Es ist trivial, daß die Richtigkeit einer Entscheidung nicht garantiert werden kann. Wäre es möglich, Richtigkeit (zumal von Entscheidungen!) zu garantieren, wären vermutlich die Probleme der Menschheit als Ganzes gelöst. Richtigkeit kann allenfalls als kontrafaktisch stabilisierter (normativer) Anspruch gefordert werden. Eine Garantie kann niemand dafür abgeben. Aber es ist falsch so zu tun, als sei die Garantie, daß alles entschieden werden kann, bereits eine Leistung. Entschieden werden kann alles und zu jeder Zeit, wenn man keine andere Anforderung stellt, als daß überhaupt entschieden wird. Wenn Einsicht, Eingebung, Lust, Laune oder W i l l k ü r als Entscheidungsprämisse nicht ausreichen sollten, bliebe immer noch der Zufall. Eine Auswahl aus Alternativen setzt noch nicht einmal ein binäres Schema voraus: Auslosen kann man immer. Ja selbst Entscheidungsverweigerung durch Nichtstun ist noch eine Entscheidung (für den status quo). Formal setzen Entscheidungen nichts voraus, sie sind, wenn man so w i l l „wohlfeil". Das Problem des Entscheidens ist immer ein Problem der Auswahl • des Inhalts der Entscheidung, seiner Wirkungen und Folgen. Problematisch ist also nicht zu entscheiden (dafür braucht man kein Verfahren), sondern richtig zu entscheiden. b) Dieses Problem stellt sich i n besonderem Maße für Entscheidungen i n sozialen Systemen mit ihren teilweise weitreichenden Folgen. Luhmanns Behauptung, soziale Systeme könnten gegen die Auswahl des Inhalts der Entscheidung immunisiert und so von Richtigkeitsanforderungen abgekoppelt werden — und zwar schon durch Absorption von Protest der Verfahrensbeteiligten — scheint (unabhängig von der Frage, ob Verfahren dies tatsächlich leisten) schon deshalb zu kurz zu greifen, weil die Folgen der Entscheidung häufig auch Nicht-(Verfahrens-)Beteiligte treffen. So führt Luhmann selbst als ergänzende Perspektive die Suche nach richtiger Entscheidung als Schauspiel ein. Darüber hinaus ist m i t der Entscheidung zwar das Verfahren, nicht aber der soziale Konflikt erledigt. Der muß (nach Maßgabe der Entscheidung) erst noch durch Handlung beigelegt werden. Wenn die Betroffenen selbst nicht handeln (was das Verfahren auch bei Luhmann gerade nicht sicherstellen kann), müssen ihre Handlungen ersetzt werden — durch das staatliche Gewaltmonopol. Das soziale System muß 115

16*

Luhmann, Legitimation, S. 21.

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daher nicht nur gegen Protest gegen die Entscheidung, sondern auch gegen Widerstand gegen Vollstreckungshandlungen geschützt sein; auch soweit von ihnen Nichtbeteiligte betroffen sind. Es gibt daher einen Bedarf, nicht nur die Abnahme der Entscheidung, sondern auch die Hinnahme von Zwangsmaßnahmen sicherzustellen. 116 Beides nicht nur gegenüber den Betroffenen, sondern ganz allgemein. Hierzu vermag das „Verfahren" nichts beizutragen, wohl aber eine richtige (konsensfähige) Entscheidung. c) Luhmann ist offenbar der Ansicht, das Problem richtig zu entscheiden, sei durch Positivierung des Rechts und konditionale Programmierung gelöst. Er übersieht dabei, daß richterliche Tätigkeit nicht schlichte Programmausführung ist, die m i t dem mechanistischen Modell eines Automaten beschrieben werden könnte, der auf Tatsacheninput m i t Entscheidungsoutput reagiert. 1 1 7 Die komplexen Probleme von Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung werden durch dieses Modell eher verdunkelt als geklärt, und auch die Beliebigkeit des positiven Rechts erschöpft sich i m Formalen: Es ist nur die formelle Erscheinungsform des positiven Rechts, daß es durch (beliebige) Entscheidung i n Geltung gesetzt und i h m die Geltung ebenso wieder genommen werden kann. Inhaltlich hat der Entscheidende auch hier wieder Richtigkeitsanforderungen zu erfüllen. Auch sein Problem ist, richtig zu entscheiden. Luhmann hat i m übrigen selbst jedenfalls den formalen Rahmen von Richtigkeitskriterien vorgetragen. Er fordert vom Rechtssystem konsistentes Entscheiden bei möglichster Komplexität (Gerechtigkeit ist „adäquate Komplexität des Rechtssystems") 118 , wobei die Funktion der Konsistenzkontrolle von der Rechtsdogmatik übernommen werden soll 1 1 9 , die ihrerseits „gesell116 Hier scheint m i r auch eine Schwäche v o n Luhmanns Machtbegriff zu liegen, der die A n w e n d u n g v o n Zwang ausklammert. Macht k a n n sich offenbar nicht i m k o m m u n i k a t i v e n Rekurs auf Vermeidungsalternativen erschöpfen, sondern setzt die Fähigkeit voraus, i m Zweifel das Handeln des anderen tatsächlich zu ersetzen — sonst wäre der Machthaber n u r ein „Papiertiger". Selbst w e n n dadurch ein qualitativer Sprung i n der Machtausübung e i n t r i t t , gibt es i n beiden Fällen das gleichgelagerte Problem, die Hinnahme der Machtäußerung sicherzustellen u n d Widerstände auszuschalten. Dies ist w e i t gehend ein Rechtfertigungsproblem. 117 Esser, Vorverständnis, S. 211; Zippelius, in: Festschrift für Larenz, S. 301; Schreiber ZStW 88 (1976), S. 140. I m Grunde genommen ist Luhmanns Modell der Entscheidungsprogrammierung nichts anderes als das der Begriffsjurisprudenz zugeschriebene mechanistische Subsumtionsmodell, das v o n der modernen Methodendiskussion längst überwunden scheint, (dazu schon oben 2. Abschnitt T e i l 3 I I I 3). 118 Luhmann, Rechtstheorie 4 (1973), S. 142 ff.; ders., Rechtssystem u n d Rechtsdogmatik, S. 21; vgl. dazu Dreier, Rechtstheorie 5 (1974), S. 189 f. 119 Luhmann, Rechtssystem u n d Rechtsdogmatik, S. 19.

IV. Zu Luhmanns Verfahrensbegriff

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schaftsadäquate Begriffe formulieren" muß, u m „Gerechtigkeitsfragen i n ihren Einzelbereichen juristisch operational zu machen." 1 2 0 Der Gerechtigkeitsbegriff w i r d damit seines Absolutheitscharakters entkleidet und gilt nur noch systemrelativ, weil sein Anspruchsniveau i m Korrelationsraum der Variablenkombination, die den Komplexitätsbegriff ausmacht, festzulegen ist. 1 2 1 Darüber hinaus w i r d er nur durch formale Größen beschrieben. Seine inhaltliche Auffüllung dürfte aber auch durch die relativistischen Komponenten gesellschaftsadäquater Konsistenz, bei Beachtung ihrer Auswirkungen über das Rechtssystem hinaus auf andere Teilsysteme, letztlich zu wenigstens systemrelativ „richtigen" Inhalten führen. d) Der normative Anspruch an den Prozeß und seine Entscheidung, richtig (gerecht) zu sein, kann daher weder aufgegeben werden noch auf den Wert einer Fiktion, eines Schauspiels beschränkt sein. 122 Die Suche nach einer richtigen Entscheidung bleibt das zentrale Problem des Prozesses, und seine Leistung muß von der Frage aus gedeutet werden, was er zum Inhalt der Entscheidung, zu ihrer Richtigkeit beisteuern kann. Dabei sollte sich von selbst verstehen, daß die ordnungsgemäße, regelgerechte Durchführung eines Verfahrens als alleiniges Richtigkeitskriterium nicht ausreichen kann. Wenn Dreier 1 2 3 formuliert: „Bedingung der Gerechtigkeit einer Entscheidung wäre danach, daß das Verfahren, i n dem sie ergangen ist, nach Maßgabe des funktional Möglichen eine sachverhaltsangemessene („sachgerechte") Komplexitätsverarbeitung ermöglicht", so ist das mißverständlich. Die Durchführung eines Verfahrens ist nicht nur keine hinreichende, es ist streng genommen nicht einmal eine notwendige Bedingung für die Richtigkeit (Gerechtigkeit) einer Entscheidung. 124 Entscheidungen können auch zufällig richtig sein. Die Kriterien für Gerechtigkeit sind außerhalb (wenn man so w i l l „oberhalb") des Verfahrens angesiedelt und von seiner tatsächlichen Durchführung unabhängig. 1 2 5 120 Luhmann, Rechtssystem u n d Rechtsdogmatik, S. 50, unter Verwendung einer Formulierung v o n Esser, AcP 172 (1972), S. 113. 121 Luhmann, Rechtstheorie 4 (1973), S. 156; gerade w e i l „Gerechtigkeit" n u r systemrelativ gilt, erscheint allerdings die provokante Frage: „Wieviel Gerechtigkeit k a n n sich eine Gesellschaft leisten?" (S. 167) sinnlos: Entweder ist die K o m p l e x i t ä t eines Rechtssystems adäquat oder nicht. 122 Vgl. Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 140. 123 Dreier, Rechtstheorie 5 (1974), S. 192/193. 124 So aber Dreier, Rechtstheorie 5 (1974), S. 200. 125 I n diesem Sinne ist w o h l auch L u h m a n n (Rechtstheorie 5 (1974), S. 202) zu verstehen, w e n n er meint, das „ v o n Dreier angeschnittene Problem der Subsystemgerechtigkeit (sei) v o n zweitrangiger Bedeutung." Der Einführung dieses Begriffs könne m a n n u r folgen, w e n n „die Unterscheidung v o n Sy-

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Legitimation durch Verfahren

Verfahren sind keine Bedingung (im logischen Sinn) für richtiges Entscheiden, ihre Leistung besteht vielmehr darin, unter den von Dreier aufgezeigten Bedingungen, die Entscheidung von Zufall und W i l l k ü r unabhängiger zu machen und so die Wahrscheinlichkeit richtiger Entscheidungen signifikant zu erhöhen. V. Ergebnis 1. Die vorstehenden Erörterungen haben gezeigt, daß Luhmann einen Legitimationsbegriff verwendet, dessen Bedeutung innerhalb seiner eigenen Theorie fraglich ist und dessen Generalisierung und Faktisierung ihn vor allem deshalb als überabstrakt erscheinen läßt, weil er eine (entscheidende) Frage unbeantwortet lassen muß: Unter welchen Bedingungen die Anwendung von Zwang — das Ersetzen fremder Handlung durch eigene — notwendig und sinnvoll ist (wenn man schon nicht sicherstellen kann, daß darauf ganz verzichtet werden kann). Dem steht ein überdifferenzierter Verfahrensbegriff gegenüber, der das Spezifische und Wesentliche des Prozesses nicht mehr erfaßt, sondern m i t der vagen Behauptung, Verfahren und Entscheidungsprozesse seien „synchronisiert" gerade aus dem Verfahrensbegriff heraushält. Der Vorwurf, den Tjaden gegenüber der gesamten funktional-strukturellen Systemtheorie erhoben hat, sie sei „überabstrakt und überdifferenziert" und könne „dementsprechend . . . i n konkrete Einzelmaßnahmen der Praxis auch kaum umgesetzt werden" 1 2 6 , erweist sich jedenfalls am Beispiel von „Legitimation durch Verfahren" als richtig. Wohlgemerkt, die K r i t i k richtet sich nicht dagegen, daß Luhmanns Auffassung etwa ideologisch „anrüchig" ist. 1 2 7 Sie ist nicht auf eine „ideologische Konfrontation angelegt" 1 2 8 , sondern u m den Nachweis bemüht, daß Luhmann durch eine falsche Richtung der Abstraktion und Differenzierung die Wirklichkeit verfehlt 1 2 9 , weil sie stemreferenzen nicht verwischt w i r d u n d bewußt bleibt, daß Teilsystemgerechtigkeit nicht Systemgerechtigkeit ist, u n d ferner: daß die bloße A k k u m u lation aller Teilsystemgerechtigkeiten noch lange nicht die Gerechtigkeit des ganzen Rechtssystems garantiert." 126 Tjaden, DuR 1976, S. 8. 127 So z.B. Tjaden, DuR 1976, S. 9, 10, 14; Klenner, DuR 1976, S. 14ff. m i t weiteren Nachweisen. 128 „Meine K r i t i k gilt der Sache u n d nicht einer F u n k t i o n h i n t e r i h r e m Rücken. N u r auf diesem Wege darf ich hoffen, v o n L u h m a n n zugleich das zu lernen, was w i r v o n einem umfassend gebildeten u n d überraschenden Geiste allemal lernen können." (Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, in: Habermas / Luhmann, Theorie der Gesellschaft, S. 145). Z u m Zitat i m Text: Luhmann, Rechtstheorie 5 (1974), S. 201. 129 Dazu Klenner, DuR 1976, S. 21.

V. Ergebnis

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1. zu falschen Deutungen der Erscheinungsformen des untersuchten Gegenstandes führt, 2. keine Orientierung für das Handeln der Beteiligten ermöglicht und 3. die Leistung des Verfahrens nicht richtig erfaßt. So ist Luhmanns zentrale Behauptung, die faktische Kommunikation immunisiere das Sozialsystem gegen die Folgen beliebiger Entscheidungen, durch nichts beweisbar und angesichts problematischer Deutungen einzelner Erscheinungsformen wenig plausibel. Die behauptete Isolation des Einzelnen w i r d nicht durch das Verfahren erzeugt, sondern ist umgekehrt Verfahrensvoraussetzung, da das Verfahren nur individualisierte Interessen Einzelner verarbeiten kann. Sie ist eine der strukturellen Voraussetzungen des Verfahrens und w i r d durch die Rechtsnormen (die materiellen wie die prozessualen), die über die Relevanz der zu verarbeitenden Informationen entscheiden, sichergestellt, indem sie den Konflikt von vornherein auf einen Zweiparteienstreit zurückführen. Das ist, wenn man so w i l l , eine Leistung des Rechts und nicht des Verfahrens. 2. Ob das Verfahren etwas zur Abnahme der Entscheidung beitragen und ihre Durchsetzung von konkreter Gewalt unabhängiger machen oder jedenfalls das staatliche Gewaltmonopol von Widerständen entlasten kann, hängt davon ab, ob es konsensfähige Entscheidungen ermöglicht oder wenigstens den — auch von Luhmann vorausgesetzten — Grundkonsens stützt. Auch wenn das Ergebnis des Verfahrens „jedenfalls i n letzter Linie nicht von der Zustimmung des Betroffenen abhängig gemacht werden" 1 3 0 kann und Luhmann daher zuzugeben ist, daß realer Konsens i m Einzelfall und enttäuschungsloses Lernen nicht die tragende Funktion von Verfahren sein kann, spricht alles dafür, daß die Abnahme von Entscheidungen nicht durch die faktische Kommunikation erarbeitet, sondern über den Grundkonsens institutionalisiert 1 3 1 ist und i m Zweifel vom staatlichen Gewaltmonopol sichergestellt wird. Um auf den Einsatz von Zwangsmitteln verzichten zu können, muß daher der Grundkonsens i m einzelnen Verfahren ständig neu erarbeitet und bestätigt werden. I n diesem Zusammenhang haben dann auch Instanzenzug und Wiederaufnahmeverfahren ihre Funktion. Wenn i m Verfahren offensichtliches Unrecht geschieht, w i r d auch die „faktische Kommunikation" keinen Ersatz mehr für die Gewalt liefern, mit der die Entscheidung schließlich durchgesetzt wird. I m Gegenteil, ein solches Verfahren ruiniert den Grundkonsens über die „Institution 180 131

Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 141. Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 140.

248

4. Abschnitt, Teil :

ri

Legitimation durch Verfahren

Verfahren", die Legitimation der Entscheidung und die Bereitschaft, sie abzunehmen. Nicht umsonst haben die faschistischen Machthaber darauf verzichtet, den erstellten F i l m über Volksgerichtshof-Prozesse einem breiten Publikum zugänglich zu machen. So erscheint denn „Legitimation durch Verfahren" letztlich als eine Illusion, die zudem geeignet ist, die Kernfrage für die Ausgestaltung des Prozesses zu verdecken: seine Zweckdienlichkeit zur möglichsten Sicherstellung einer gerechten Entscheidung. Luhmanns Versuch, diese Frage aus dem Prozeß auszuklammern, läuft lediglich auf eine Immunisierung gegen K r i t i k hinaus.

Schlußbemerkungen I. Anstelle einer Zusammenfassung Es soll darauf verzichtet werden, an den Schluß eine Zusammenfassung der Ergebnisse oder der tragenden Gedankengänge zu stellen, wie sie vielleicht üblich ist. Hinsichtlich der Einzelergebnisse sei insoweit auf die Ausführungen i n den Rubriken „Zwischenergebnis" verwiesen. Statt dessen soll zum Schluß der noch offenen Frage nachgegangen werden, worin die Leistung von gerichtlichen Verfahren besteht und wie sie tatsächlich erbracht wird. Es soll also versucht werden, die Funktion solcher Verfahren aufzuzeigen. Dies ist zugleich, wie man feststellen wird, kaum mehr als eine besondere Form der Darstellung wesentlicher Argumente, Gedankengänge und Ergebnisse der vorstehenden Untersuchung. Vor übertriebenen Hoffnungen sei daher gewarnt: Die Ansprüche an die folgenden Ausführungen dürfen nicht zu hoch geschraubt werden. Die Darstellung enthält allenfalls einen groben Entwurf und beschränkt sich darauf, zu versuchen, einige Parameter für die Bestimmung der Funktion von Verfahren aufzuzeigen. Π . Die Funktion gerichtlicher Verfahren 1. Gerichtliche Verfahren schweben nicht i m luftleeren Raum. Sie entstehen nicht urwüchsig, sondern setzen voraus, daß sie innerhalb der Organisation einer Gesellschaft institutionalisiert sind. Das heißt zunächst nichts anderes, als daß die sachlichen und personellen Ressourcen für ihre Durchführung permanent bereitgestellt werden. M i t der Institutionalisierung allein entsteht aber noch kein konkretes Verfahren. Dazu bedarf es eines „Anstoßes von außen", der eine bestimmte Form annehmen muß, damit er innerhalb der Institution als ein solcher Anstoß identifiziert werden kann. Der Beginn eines konkreten Verfahrens ist daher von einem „Antrag" abhängig. Die Hintergründe, die dazu führen, daß ein solcher äußerer Anstoß gegeben und ein Antrag gestellt wird, können als „sozialer Konflikt" bezeichnet werden (wobei es sich aus der Sicht des Verfahrensergebnisses als ein Scheinkonflikt erweisen mag und umgekehrt längst nicht alle sozialen Konflikte zu einem Verfahrensanstoß führen).

250

Schlußbemerkungen

2. Verfahren sind nun offenbar nicht dafür eingerichtet, diesen Konf l i k t ohne weitere Voraussetzungen aufzuarbeiten und zu lösen. Dazu müßten die Hintergründe des Konflikts, seine Einbindung i n gesellschaftliche Zustände, Lösungsmöglichkeiten und Alternativen einschließlich der sozialen Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft als Ganzes aufgearbeitet werden und ein breites Arsenal von Einwirkungsmöglichkeiten auf die gesellschaftlichen Zustände bereitstehen, deren jeweilige Folgewirkung konkret abgeschätzt werden müßte. Schließlich müßten Vorzugsregeln für die eine oder andere Alternative und Folge konkret erarbeitet werden. Eine solche umfassende, alle gesellschaftlichen Umstände berücksichtigende Aufarbeitung lassen die Rahmenbedingungen des gerichtlichen Verfahrens offensichtlich nicht zu. Es w i r d vielmehr eine andere Strategie verfolgt: 3. a) Verfahren sind darauf angelegt, einen sozialen Konflikt als isoliertes gesellschaftliches Ereignis zu erfassen. Dies w i r d zum einen dadurch sichergestellt, daß zwei Parteirollen vorausgesetzt werden und zum anderen dadurch, daß ein konkretes Begehren gestellt werden muß. (Ein Verlangen wie ζ. B. „mehr Ruhe für alle" kann gerichtlich nicht verarbeitet werden.) Ein „Antrag", der nicht ein Mindestmaß an Informationen i n diesen beiden Richtungen enthält, kann nicht als A n stoß für ein Verfahren identifiziert werden. Die Mittel, mit der diese Auswahl zu verabreichender Informationen sichergestellt wird, sind die Rechtsförmigkeit des Verfahrens und die Regelungen des materiellen Rechts, dessen Konfliktlösungsstrategien auf solche Beziehungen zugeschnitten sind. b) Die Konfliktlösungsmechanismen sind dem Verfahren ebenfalls vorgegeben: soweit der Konflikt nicht zwischen den beiden Parteien beigelegt werden kann, w i r d nicht auf eine Einwirkung auf Dritte rekurriert, sondern das Handeln zur Lösung ist — wenn die Parteien die Handlung nicht schließlich doch „freiwillig" vornehmen — allein dem staatlichen Gewaltmonopol übertragen. Die möglichen Reaktionen sind auf dessen Handlungsmöglichkeiten beschränkt. c) Dies bedeutet nicht, daß i m Verfahren ohne eine Einbindung des zunächst „isolierten" Konflikts i n gesamtgesellschaftliche Zustände und ohne Orientierung auf Folgen entschieden werden müßte. Diese Einbindung enthält das System der Rechtssätze, dessen Regelung sowohl eine Abschätzung der sozialen Einordnung des Konflikts wie eine der Folgen von Lösungsalternativen und Lösungsmechanismen enthält, denn wenn „Wertungen ausschließlich durch Folgenerwägungen relativ zu den gesellschaftlichen Zuständen diskutierbar sind" 1 , enthalten um1

Dreier, Zur Problematik

u n d Situation der

Verfassungsinterpretation

II. Die Funktion gerichtlicher Verfahren

251

gekehrt normative Aussagen notwendigerweise eine Auswahl solcher Folgenerwägungen. d) Das Idealbild, nach dem soziale Konflikte verfahrensmäßig gelöst werden, sieht demnach so aus, daß Informationen über einen einzelnen isolierten Konflikt eingebracht werden, die an Hand normativer Vorgaben daraufhin untersucht werden, welche Relevanz sie für eine Lösung des Konflikts innerhalb eines Gesamtkonzepts rechtlicher Regelungen haben, das gleichzeitig Informationen über zur Verfügung stehende Reaktions- und Einwirkungsmöglichkeiten enthält. 4. Aufgabe der Verfahrenskommunikation ist es, zwei Perspektiven zu synchronisieren : 1. die Perspektive der Information über den einzelnen Konflikt, 2. die Perspektive rechtlicher Vorgaben zur Konfliktbehandlung und Lösung. a) Die erste Perspektive ist i m Ansatz ausschließlich und i n den Einzelheiten je nach Verfahrensart mehr oder weniger weitgehend von den „Parteien" einzubringen. Die Motivation zu dieser (nicht nur zeremoniellen) konkreten Informationsbeschaffungsarbeit liegt i n der Möglichkeit, über das Prozeßergebnis Zugang zum staatlichen Gewaltmonopol zu erlangen, bzw. dessen Zugriff abzuwehren. Die zweite Perspektive w i r d über die Entscheidenden und ihre Kenntnisse des Systems der Rechtssätze sichergestellt und ergänzt durch die Rechtskenntnisse und rechtlichen Ansichten der übrigen Beteiligten. Die „mühsam zustande gebrachte Institution des gelehrten Juristen und insbesondere des gelehrten Richters" 2 ist ein ungeheures Informationspotential, das den Prozeß über Rechtskenntnis davon entlastet, alle Gesichtspunkte, die über den jeweiligen Konflikt hinausgreifen, jeweils neu zu erarbeiten. Der Richter ist daher von Folgenorientierung nicht entlastet, sondern soll durch die Rechtskenntnis gerade i n die Lage versetzt sein, sie zu leisten. b) Durch eine „Abgleichung" der beiden Perspektiven w i r d i n der Verfahrenskommunikation der soziale Konflikt zum „Fall" aufgearbeitet. Die Leistung der Kommunikation besteht darin, die unterschiedliche Darstellung des Konflikts unter Berücksichtigung der rechtlich vorgegebenen Relevanzbestimmungen anzugleichen und eine möglichst konvergente Sachverhaltsdarstellung zu erzielen. Diese Aufarbei(1976), in: Recht — M o r a l — Ideologie, S. 121 unter Bezugnahme auf Podlech, Wertungen u n d Werte i m Recht, AöR 95 (1970), S. 201 ff. (208) m i t weiteren Nachweisen; Luhmann, Rechtssystem, S. 14. 2 Lüderssen, JuS 1974, S. 133.

252

Schlußbemerkungen

tung des Sachverhalts ist eine wesentliche richterliche Tätigkeit, die auch ein Großteil der Arbeitszeit i n Anspruch nimmt. Sie setzt nicht nur Rechtskenntnisse voraus, sondern vor allem ein Einarbeiten i n die Besonderheiten des sozialen Feldes des Konflikts, der Interessenlagen und nicht zuletzt i n die Terminologie, m i t der die Betroffenen das soziale Umfeld und den Konflikt beschreiben. Dies alles nicht etwa — wie die juristisch-theoretische Diskussion nahelegt — u m die rechtlichen Regelungen auf ihre Angemessenheit zu überprüfen, sondern allein schon u m die Bedeutung der eingebrachten Information überhaupt richtig verstehen zu können. Dieser wesentliche Teil des Verfahrens liegt fast völlig i m Dunkel der juristischen Theorie und w i r d auch i n der juristischen Ausbildung weitgehend vernachlässigt. Bis zu einem gewissen Maß ist das Verfahren also auf Konsenserzielung angelegt und angewiesen. Nicht so sehr bei der Erzielung einer „als Ergebnis des Austrags der Gegensätze sich ergebenden . . . Lösung" 3 , sondern bei der Feststellung von A r t und Umfang des Konflikts. Hierbei w i r d auch ein Teil der Rechtsordnung dargestellt und, soweit er nicht i m Streit ist, bestätigt. 4 Dabei steht wohl außer Frage, daß es zu besseren Informationen kommt, je weitgehender „ i m Stil gemeinsamer Problemerörterung" gearbeitet werden kann; die Chancen, eine richtige Entscheidung zu finden, die gesamte Situation zu bereinigen und die Aussichten der realen Akzeptation des Ergebnisses . . . wachsen." 5 A l l e r dings: nachdem das Verfahren einmal initiiert ist, ist es auf eine weitere Mitarbeit nicht mehr unbedingt angewiesen. Es hält Motivationen dafür bereit, kann aber auch ohne sie zum Abschluß gebracht werden. Auch dies ist durch rechtliche Regelungen sichergestellt. c) Dieser Abschluß erfolgt i n jedem Falle, wenn weitere relevante Informationen nicht mehr eingebracht werden. Der „Fall" w i r d an Hand der rechtlichen Konfliktlösungsstrategien „gelöst" und der Konf l i k t mittels der rechtlich zur Verfügung gestellten Mechanismen verarbeitet. 5. a) Die Funktion der Institutionalisierung von Verfahren besteht darin, das staatliche Gewaltmonopol zu schützen und zu entlasten. Soweit soziale Konflikte nicht gewaltlos zu bereinigen sind, würde sich ein unübersehbarer sozialer Sprengstoff ansammeln, wenn sie wegen des Ausschlusses „privater Gewalt" unerledigt bleiben müßten. Der 8

Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 145. L u h m a n n (Legitimation, S. 114) meint sogar, das gesamte Recht, soweit es nicht i m Streit ist, werde mitdargestellt u n d bestätigt. Das scheint m i r eine Ubertreibung zu sein; schon die Abgrenzung der spezifischen Funktionsbereiche einzelner Verfahren sprechen gegen eine so allumfassende Bezugnahme u n d sei sie n u r symbolisch. 5 Schreiber, ZStW 88 (1976), S. 145. 4

II. Die Funktion gerichtlicher Verfahren

253

Deckel auf diesem Topf müßte mit immer mehr Gewalt zugehalten werden, einmal abgesehen davon, daß eine Anhäufung von unerledigten Konflikten die gesellschaftlichen Strukturen berührt und verändert. Die Konfliktlösung mittels rechtlicher Regelung und Verfahren erlaubt demgegenüber 1. zu entscheiden, was ein regelungsbedürftiger Konflikt ist, 2. eine Abstufung der Reaktionsmöglichkeiten, die u. U. den Einsatz von Zwangsmitteln erübrigt, 3. die Regelung i m Zweifel unter Wahrung des Gewaltmonopols durchzusetzen, 4. verspricht es ferner, das Gewaltmonopol bei der Durchsetzung der Regelung von Widerständen dagegen zu entlasten und 5. macht sie sich das Interesse von Betroffenen bei der Aufspürung und Aufarbeitung des Konflikts zunutze. b) Es zeigt sich hier, daß sich der Sinn rechtlicher Regelungen nicht i n der kontrafaktischen Stabilisierung von Verhaltenserwartungen erschöpft, sondern daß Recht jedenfalls auch auf eine Umsetzung i n Handlung angelegt ist. Wenn die rechtlichen Erwartungen nicht erfüllt werden, eröffnet das Recht Handlungsmöglichkeiten, die sich letztlich i m ersatzweisen Handeln des staatlichen Gewaltmonopols ausdrücken. c) Die Funktion dieses Mechanismus setzt voraus, daß das Recht soziale Konflikte den gesellschaftlichen Zuständen entsprechend erfaßt und die Folgen von Konfliktlösungsstrategien richtig abschätzt — und natürlich, daß die konkreten Entscheidungen i m Verfahren dem ebenfalls entsprechen. Sonst besteht die Gefahr, daß die A r t der „Konfliktlösung" neue Konflikte schafft und Widerstände auslöst, die wiederum nur mit Zwang niedergehalten werden könnten. Das bedeutet nicht, daß eine unangemessene Regelung oder eine falsche Entscheidung bereits meßbare Folgen hätte, denn Fehler und Ungerechtigkeiten können bis zu einer gewissen Belastungsgrenze verarbeitet oder verdeckt werden. Es bedeutet aber, daß das Recht nicht beliebig sein kann. Der Grad der Entlastung des Gewaltmonopols hängt davon ab, i n welchem Umfang die Interessen und Bedürfnisse der M i t glieder der Gesellschaft adäquat berücksichtigt und Konflikte dementsprechend konsensfähig gelöst werden. 6. Vor- und Nachteile dieses Mechanismus liegen auf der Hand: a) Das Vorschalten allgemein gültiger rechtlicher Regelungen erlaubt es, bei kongruenter Ausbildung von „gelehrten Juristen" die Zahl

254

Schlußbemerkungen

der einzelnen Verfahren unermeßlich zu steigern. (Der Kaiser braucht nicht mehr umher zu reisen, u m Gericht zu halten.) Die Grenzen der Steigerung liegen nur i m sachlichen Aufwand. Die rechtliche Aufarbeitung von Konflikten zu Zweiparteienstreitigkeiten erlaubt es, den sachlichen und personellen Aufwand des Verfahrens gering zu halten und verspricht Zeitgewinn. Die Dichotomie schafft gleichzeitig eine Motivlage, die erwarten läßt, daß die erforderlichen Informationen weitgehend freiwillig eingebracht werden. Zeitgewinn w i r d aber hauptsächlich dadurch erreicht, daß durch Relevanzregeln eine Eingrenzung der erforderlichen Information bereits bei der Aufarbeitung des Konflikts möglich ist und vor allem dadurch, daß Verfahren auf bedingungslose Konsenssuche verzichten können. Die „Oeconomie der Entscheidung" macht es möglich, jeden einzelnen isolierten Konflikt zu behandeln. Dies alles war wohl auch Voraussetzung dafür, Konfliktlösungen zu verrechtlichen und legitime Gewalt zu monopolisieren. b) Die Nachteile sind den Vorteilen weitgehend komplementär: Ein an dem Abstraktionsgrad allgemeingültiger Normen geschulter Jurist entfernt sich fast zwangsläufig von dem sozialen Umfeld, i n dem hauptsächlich Konflikte entstehen. Dies w i r d dadurch verschärft, daß mit den „gelehrten Juristen" ein Stand entsteht, dessen Status ihn — unabhängig von seiner Herkunft — i n eine akademisch-mittelständische Gesellschaftsschicht einreiht. Die Reduzierung auf einen Zweiparteienstreit läßt es zweifelhaft erscheinen, ob trotz günstiger Motivlage noch alle relevanten Informationen zusammengetragen werden. (Einmal abgesehen von Schwierigkeiten, das was man weiß auch auszudrücken: Wissen die Beteiligten überhaupt alles, was relevant ist?) Die entscheidende Frage aber ist, ob das Recht wirklich eine den gesellschaftlichen Verhältnissen adäquate Konfliktaufarbeitung und Bewältigung ermöglicht, ob die dort antizipierten Lösungen wirklich konsensfähig sind. So ist ζ. B. fraglich, ob die bereitgestellten Mechanismen zur Konfliktbewältigung m i t ihrem nahezu ausschließlichen Vertrauen auf Machtmittel wirklich ausreichend sind. Insbesondere i m Strafrecht w i r d dies i n der Diskussion u m Möglichkeiten eines Behandlungsvollzugs bezweifelt. Aber das ist nur ein Beispiel: jede Diskussion um Veränderung des Rechts gehört letztlich zu diesem Komplex. Dazu gehört auch das Problem, ob die Informationen, die das Recht zur Folgenorientierung enthält, für eine „gerechte" Entscheidung aus-

II. Die Funktion gerichtlicher Verfahren

255

reichen oder aber durch zusätzliche Kenntnisse des Richters ergänzt werden müssen oder dürfen. Daran schließt die Frage an, woher diese Kenntnisse kommen sollen und wie sie einer systematischen Erfassung und Ausbildung zugänglich gemacht werden können. Das Aufzeigen des Problems soll hier genügen, ebenso wie das Problem einer A r t Gegenstrategie nur angerissen werden kann: Es kann versucht werden, erkannte Defizite einer adäquaten Konfliktlösungsstrategie durch immer neue (konkrete) rechtliche Regelungen aufzufangen. Das muß aber fast notwendig unter Zeitdruck geschehen, und es fragt sich, ob dann die Folgen noch umfassend berücksichtigt werden können. Hinzu kommt, daß dadurch die Entscheidenden unter Informations· und (Arbeits-)Zeitdruck gesetzt werden, wogegen von einer Belastungsgrenze an u. U. Ausweichstrategien entwickelt werden. 7. Die aufgezeigten Probleme treten besonders deutlich bei der Entscheidungstätigkeit i m Prozeß hervor. Dennoch zeigen sie i n erster Linie nicht eine Krise des Prozesses, sondern eine Krise des Rechts. Aber eine Krise des Rechts ist zumindest i n zweiter Linie auch immer eine Krise des Prozesses, denn u. U. mag das Recht noch ohne den Prozeß denkbar sein, der Prozeß jedenfalls ist nicht ohne das Recht denkbar und sein Ergebnis von den rechtlichen Vorgaben abhängig.

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Die Werke werden i m Text nach Verfasser u n d Titelstichwort bzw. T i t e l zitiert, Zeitschriftenaufsätze nach Verfasser u n d Fundstelle, Aufsätze aus A u f satzsammlungen nach Verfasser, T i t e l u n d Fundstelle. Abkürzungen werden w i e i m allgemeinen Gebrauch üblich verwendet, i n Zweifelsfällen vgl. H. Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 2. Aufl., B e r l i n 1968. 18 Schaper