Studien zur Biblia pauperum 9783034320597, 9783035109269, 3034320590

Die «Studien zur Biblia pauperum» befassen sich mit dem Anlagekonzept der Biblia pauperum, mit einer Analyse der Erschei

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Studien zur Biblia pauperum
 9783034320597, 9783035109269, 3034320590

Table of contents :
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Inhaltsverzeichnis
Heilsgeschichtliche Sukzession und typologische Synopse in Manuskripten der Biblia pauperum (Bruno Reudenbach)
Ein neuer Blick auf die Seitendisposition in Biblia pauperum-Handschriften (Hanna Wimmer)
Spuren eines produktiven Schreibers in der Münchener Biblia pauperum Clm 28141 (Malena Ratzke)
Bildteil
Farbtafeln
Abbildungen
Bildnachweise
Bibliographie
Register

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ISBN 978-3-0343-2059-7

Hanna Wimmer, Malena Ratzke und Bruno Reudenbach (Hrsg.)

Studien zur Biblia pauperum

Peter Lang

Studien zur Biblia pauperum

VEST IGIA BIBLIAE 34

VESTIGIA 34 BIBLIAE

Peter Lang www.peterlang.com

ISBN 

Hanna Wimmer, Malena Ratzke und Bruno Reudenbach (Hrsg.)

Studien zur Biblia pauperum

Peter Lang

Studien zur Biblia pauperum

VEST IGIA BIBLIAE 34

VESTIGIA 34 BIBLIAE

Peter Lang www.peterlang.com

Studien zur Biblia pauperum

V E S T IG I A BI BL I A E Jahrbuch d es D eut s ch en B i b el - Arc h i vs H am b u rg B eg rü nd et vo n H ei mo R ei ni t zer H eraus g egeb en vo n B runo R eud en b a ch B and 34

PETER LANG Bern • Berlin • Bruxelles • Frankfurt am Main • New York • Oxford • Wien

Hanna Wimmer, Malena Ratzke und Bruno Reudenbach (Hrsg.)

Studien zur Biblia pauperum

PETER LANG Bern • Berlin • Bruxelles • Frankfurt am Main • New York • Oxford • Wien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

Gedruckt mit Unterstützung des durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanzierten Sonderforschungsbereichs 950 – Manuskriptkulturen in Asien, Afrika und Europa und der „Gemeinschaft der Freunde des Deutschen Bibel-Archivs e.V.“ Copyright der Abb. bei den angegebenen Museen, Bibliotheken und Institutionen. Umschlaggestaltung: Thomas Jaberg, Peter Lang AG

ISSN 0939-6233 br. ISBN 978-3-0343-2059-7 br.

ISSN 2235-7173 eBook ISBN 978-3-0351-0926-9 eBook

Diese Publikation wurde begutachtet. © Peter Lang AG, Internationaler Verlag der Wissenschaften, Bern 2016 Hochfeldstrasse 32, CH-3012 Bern, Schweiz [email protected], www.peterlang.com Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Switzerland

Vorbemerkung

Mit den hier vorgelegten Studien werden erste Ergebnisse des Forschungsprojektes »Biblia Pauperum-Handschriften. Die Neustrukturierung von Bibel- und Glaubenswissen in Text-Bild-Einheiten« vorgelegt, das in den Jahren 2011–2015 als Teilprojekt B01 dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereich 950 »Manuskriptkulturen in Asien, Afrika und Europa« an der Universität Hamburg angehörte. Unser Dank gilt den Kolleginnen und Kollegen des Sonderforschungsbereichs 950, insbesondere im Projektbereich »Visuelle Organisation«, für inspirierende Diskussionen, Fridericke Conrad für die Redaktion des Bandes und Laura Weißenberger für Hilfe bei der Erstellung des Registers. Die sorgfältige Betreuung des Bandes beim Verlag lag in den bewährten Händen von Friederike Meisner und Benjamin Fröhlich. Auch dafür danken wir herzlich. Hanna Wimmer, Malena Ratzke und Bruno Reudenbach

Inhaltsverzeichnis

Bruno Reudenbach Heilsgeschichtliche Sukzession und typologische Synopse in Manuskripten der Biblia pauperum ............................................................ 9

Hanna Wimmer Ein neuer Blick auf die Seitendisposition in Biblia pauperum-Handschriften................................................................ 31

Malena Ratzke Spuren eines produktiven Schreibers in der Münchener Biblia pauperum Clm 28141 ....................................................................... 101

Bildteil......................................................................................................... 129 Farbtafeln ................................................................................................ 129 Abbildungen ............................................................................................ 137 Bildnachweise ......................................................................................... 178 Bibliographie............................................................................................... 179 Register ....................................................................................................... 189

Bruno Reudenbach

Heilsgeschichtliche Sukzession und typologische Synopse in Manuskripten der Biblia pauperum

Et sic scriptura est longissima quia in tractando incipit a mundi et temporis exordio in principio genesis et pervenit usque ad finem mundi et temporis scilicet in fine apocalypsis. […] Et quia nullus homo tam longaevus est quod totam possit videre oculis carnis suae nec futura potest per se praevidere providit nobis spiritus sanctus librum scripturae sacrae cuius longitudo commetitur se decursui regiminis universi. [Die hl. Schrift ist deshalb von so großer Länge, weil sie am Anfang der Genesis die Darstellung mit dem Anfang der Welt und der Zeit beginnt und bis zum Ende von Welt und Zeit, bis zum Schluss der Apokalypse reicht. […] Und weil kein Mensch so lange lebt, dass er das Ganze mit den Augen des Fleisches überblicken und auch nicht die Zukunft vorhersehen kann, hat uns der Heilige Geist das Buch der Heiligen Schrift geschenkt, deren Länge sich nach dem Lauf des Regiments der Welt bemisst.]1

Mit diesen Worten formuliert um die Mitte des 13. Jahrhunderts Bonaventura (1217/18−1274) in seinem Breviloquium den Zusammenhang zwischen der Bibel als Buch und der Vorstellung von Zeit und Geschichte, wie sie den biblischen Texten zugrunde liegt und wie sie schon lange vor Bonaventura die Kirchenväter erkannt hatten.2 Die in der Bibel gegründete Geschichtskonzeption, die in den biblischen Erzählungen Weltgeschichte als Heilsgeschichte entworfen sieht, wird von Bonaventura explizit und mit rigoroser Direktheit zur Kongruenz von Buch und Welt zugespitzt. Das programmatische In principio, mit dem der erste Vers des Buches Genesis beginnt, ist der Anfang der Schöpfungserzählung, die die göttliche Weltordnung, die Disposition der Welt in Himmel und Erde, Licht und Finsternis darlegt. Als Zeitbestimmung ist das In principio zugleich der Anfang der Geschichte, die nach dem göttlichen 1 2

Bonaventura: Breviloquium, Prolog II, 15; II, 78. Josipovici, Gabriel: The Book of God. A Response to the Bible, New Haven/London 1988, S. 53–74; Harris, Jennifer A.: The Bible and the Meaning of History in the Middle Ages, in: The Practice of the Bible in The Middle Ages. Production, Reception, and Performance in Western Christianity, hrsg. v. Susan Boynton und Diane J. Reilly, New York 2011, S. 84–104; Goetz, Hans-Werner: Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters, Teil I, Bd. 2: I. Die materielle Schöpfung. Kosmos und Welt, II. Die Welt als Heilsgeschehen Berlin 2012 (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters, 13.2), S. 215–230.

Heilsplan verläuft.3 Im Buch der Heiligen Schrift ist er durch die Korrespondenz von Anfang und Ende artikuliert. Die Vision des Johannes von der himmlischen Stadt, die sich am Weltende auf die Erde herabsenkt, ist mit Blick auf den Anfang, auf Genesis 1,1 gestaltet: dem »creavit caelum et terram« des Anfangs wird das »vidi caelum novum et terram novam« (Apoc 21,1) am Ende gegenüber gestellt. Diese Korrespondenz und Kongruenz von Weltanfang und -ende mit Buchanfang und -ende ist für die Überlieferungs- wie für die Illustrationsgeschichte der Bibel von kaum zu überschätzender Bedeutung. Schon Beda Venerabilis (672/73−735) verstand die Genesis als einen Urprolog und sah im Anfang der Welt auch aller Bücher Haupt und Anfang (»omnium librorum caput«). Damit rückten für ihn auch Struktureigenschaften der Bibel in den Blick, die letztlich wiederum das heilsgeschichtliche Konzept artikulieren: Die Aufteilung der scriptura divina in Altes und Neues Testament und die verschiedenen Modi der Texte, die Geistiges darlegen (»interna intimantur«), Ereignisse erzählen (»facta narrantur«) und Zukünftiges ankündigen (»futura pronuntiantur«).4 Auch ohne dass die Vielfalt der in den biblischen Texten versammelten Autoren, Kulturen und Gattungen zu einer Einheit homogenisiert worden wäre – insgesamt wurde diese über Jahrhunderte gewachsene Textsammlung demnach dennoch als Ausweis einer Geschichtskonzeption verstanden, die auch die christliche Vorstellung von Zeit und Geschichte begründete. Augustinus wandte sich in De civitate Dei gegen die philosophi, die »ohne Aufhören einen Kreislauf der entstehenden und vergehenden Zeitalter« behaupteten. Er zitierte dazu Ps 11,9: »In circuitu impii ambulant« − Im Kreise wandeln die Ungläubigen.5 Das christliche Geschichtsbild setzte nicht auf das zyklische Denken der impii, sondern auf die via recta der Linearität. Sie ist ausformuliert in der Aufeinanderfolge der biblischen Texte vom Anfang der Genesis bis zum Ende der 3

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Prica, Aleksandra: Heilsgeschichten. Untersuchungen zur mittelalterlichen Bibelauslegung zwischen Poetik und Exegese, Zürich 2010 (Medienwandel − Medienwechsel – Medienwissen, 8), S. 57f. Beda Venerabilis: De sex dierum creatione, in: Patrologia series latina, hrsg. v. J.-P. Migne, Bd. 93, Sp. 207A–234D, hier Sp. 207A: ›In principio creavit Deus coelum et terram‹. Istud capitulum omnium librorum caput est. Omnis enim Scriptura divina bipartita est, Vetus Testamentum, et Novum. Alia quippe sunt, ubi interna intimantur, ut est: ›In principio erat Verbum‹ (Io 1,1). Alia facta narrantur, ut est: ›In principio fecit Deus coelum et terram‹. Alia futura pronuntiantur, sicut dicitur: ›Cum venerit Filius hominis in majestate sua‹ (Mt 25, 31); Jaeger, C. Stephen: Der Schöpfer der Welt und das Schöpfungswerk als Prologmotiv in der mhd. Dichtung, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 107 (1978), S. 1–18, hier S. 11. Augustinus: De civitate Dei, Libri XI–XXII, hrsg. v. A. Kalb und B. Dombart, Turnhout 1955 (Corpus Christianorum, Series latina, 48), XII, 14, S. 369, Z. 55f.

Apokalypse, vor allem in den narrativen Büchern, die den Weg des Volkes Israel im Alten Testament nachzeichnen, im Neuen Testament die Wege Jesu durch Palästina und in der Apostelgeschichte die Missionsreisen der Apostel im Wechsel von Zeitstrecken und punktuellen Heilsereignissen schildern. Zwischen dem von Gott gesetzten Anfang und Ende entfaltet sich der göttliche Heilsplan, die Ereignisfolge der Heilsgeschichte, einzigartig und irreversibel.6 Diese Dimension der biblischen Texte war auch für die Illustrationsgeschichte der Bibel schon von deren Anfängen an von größter Bedeutung. Zwar erscheint die Überlieferung der illustrierten spätantik-frühchristlichen Manuskripte mit biblischen Texten ebenso lückenhaft wie zufällig.7 Umso aufschlussreicher ist es aber, dass die nur fragmentarisch belegte frühe Illustrationspraxis dennoch zu erkennen gibt, wie gerade durch Illustrationen und Illustrationszyklen und durch deren Ort im Anlagekonzept einzelner Manuskripte die Textkompilation der Bibel als kohärentes Geschichtsbuch ausgewiesen wurde. Man kann dazu allgemein auf den in den frühchristlichen Bibelillustrationen dominierenden Bildmodus des kontinuierenden Erzählens hinweisen, wie er z. B. im 6. Jahrhundert in der Wiener Genesis oder im Codex Rossanenesis vorgeführt wird, ein Bildmodus, der die Handlung nicht in einer Folge getrennter Einzelbilder, sondern in horizontalen Bildstreifen als ein fließendes Erzählkontinuum ohne strikte Szenentrennung entfaltet und somit visuell die Kontinuität einer Ereignisfolge stark macht. Wie Bild- und Textseiten im Codex Rossanensis ursprünglich angeordnet waren, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen; vielleicht waren die Bildseiten zu einem vom Text separierten eigenständigen Bildzyklus zusammengestellt.8 Im frühen Mittelalter ist ein derartiges Illustrationsverfahren jedenfalls etabliert und wird zur Entfaltung einer Art bildlicher Evangelienharmonie genutzt. Gerade die vier Evangelien bedeuten ja für die Vorstellung von der Bibel als einer linearen und irreversiblen Erzählung von Heilsgeschichte insofern ein Problem, als sie die Vita des Erlösers vier Mal schildern, die Erzählung also vier Mal neu ansetzt und damit eigentlich den linearen Ablauf des Geschichtsweges bricht. Im Codex aureus aus Echternach (um 1030) hat man jedem Evangelium einen Bildzyklus von zwei Doppelseiten mit Szenen aus den Evangelien 6 7

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Kemp, Wolfgang: Christliche Kunst. Ihre Anfänge, ihre Strukturen, München u. a. 1999, S. 75–84. Sörries, Reiner: Christlich-antike Buchmalerei im Überblick, 2 Bde. (Text u. Tafel), Wiesbaden 1993; Lowden, John: The Beginnings of Biblical Illustration, in: Imaging the Early medieval Bible, hrsg. v. John Williams, University Park, Pa. 1999, S. 9–59; In the Beginning. Bibles before the Year 1000, hrsg. v. Michelle P. Brown. (Ausst.-Kat., Freer Gallery of Art und Arthur M. Sackler Gallery, 21. Oktober 2006−7. Januar 2007), Washington 2006. Sörries, Reiner: Christlich-antike Buchmalerei [wie Anm. 7], S. 71, 75f.

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vorangestellt, auf den Evangelistenbild, Initialseiten und aufwändig gestaltete Textanfangsseiten folgen.9 Die Auswahl der Szenen ist dabei so getroffen, dass die Bildseiten zwar auf die vier Evangelien verteilt sind, aber dennoch das Leben Jesu zusammenhängend und ohne Wiederholung erzählen, indem sie einen Bogen schlagen von der Verkündigung am Anfang der Bildseiten vor dem Matthäusevangelium bis zu Himmelfahrt und Pfingsten als letzten Szenen vor dem Johannesevangelium.10 Die vier Illustrationsfolgen lassen also unberücksichtigt, dass die Vita Christi in den vier Evangelien jeweils neu erzählt wird. Sie schaffen stattdessen eine die Evangelien vereinende kontinuierlich angelegte Narration, mit einer Bildfolge zur Kindheit Jesu vor dem Matthäusevangelium, auf die die Wunder und dann die Gleichnisse vor dem Markus- und Lukasevangelium folgen und die von Passion, Himmelfahrt und Pfingsten vor dem Johannesevangelium abgeschlossen wird. Ein derartiges Bildprogramm nimmt die Zuschreibung der vier Evangelistensymbole an Inkarnation, Tod am Kreuz, Auferstehung und Himmelfahrt variiert auf.11 Im Codex aureus ist die die Evangelien vereinende Bilderzählung dabei auffällig dem Modus des linearen Lesens, Zeile für Zeile und Seite für Seite angeglichen, mit auf jeder Seite drei horizontalen Bildstreifen und einem darüber jeweils einzeiligen gerahmten Bildtitulus. Die Bilder überschreiben die vierfache Wiederholung der Vita Christi durch eine kohärente Bilderzählung, die im visuellen Modus eines linear und zeilenweise präsentierten Textes den geschriebenen Text der vier Evangelien überformt und visuell markant auf die Sukzession des Heilsweges verpflichtet. Blickt man nun nochmals zurück auf die frühchristlichen Anfänge der Bildausstattung von Manuskripten mit biblischen Texten, dann zeigt sich, dass in der lückenhaften Überlieferung neben Bildern im Modus der Erzählung auch überraschend häufig diagrammatische Bilder vertreten sind, mit denen Einheit und Harmonie der biblischen Textkompilation ausgewiesen werden. Der Codex Rossanensis enthält beispielsweise ein heute auf fol. 5r platziertes, ganzseitiges Kreisdiagramm, das in den Hauptachsen Medaillonbildnisse der vier Evangelisten zeigt und das durch seine Beschriftung explizit als Darstellung der Harmonie der Evangelien zu verstehen ist (Abb. 1).12 Im Codex Amiatinus (um 700) wird 9

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Codex Aureus Epternacensis. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 156142; Das Goldene Evangelienbuch von Echternach. Eine Prunkhandschrift des 11. Jahrhunderts, hrsg. v. Rainer Kahsnitz, Ursula Mende und Elisabeth Rücker, Frankfurt a. M. 1982; Grebe, Anja: Codex Aureus. Das Goldene Evangelienbuch von Echternach, Darmstadt 2007, S. 50–107. Kahsnitz/Mende/Rücker: Das Goldene Evangelienbuch von Echternach [wie Anm. 9], S. 112, 158f., 172f., 181f., 190f.; Grebe, Anja: Codex Aureus [wie Anm. 9]. Nilgen, Ursula: Evangelistensymbole, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. 6, München 1970, Sp. 517–572, hier Sp. 518. Rossano, Museo dell’ Arcivescovado, Codex Purpureus Rossanenesis, fol. 5r; Sörries, Reiner: Christlich-antike Buchmalerei [wie Anm. 7], S. 74.

anhand von drei Diagrammen die Vorstellung verschiedener Autoren zur Aufteilung der Heiligen Schrift in Altes und Neues Testament und in die biblischen Bücher erläutert. Bei allen drei Diagrammen aber dient als Ausgangspunkt ein Medaillon an der Spitze, das jeweils eine der drei Gestalten der Trinität zeigt. So wird deutlich, dass trotz der durch die Diagramme erläuterten Unterschiede die Heilige Schrift nur den einen Ursprung im trinitarischen Gott hat.13 Zu den diagrammatischen Bildern im weitesten Sinne zählen aber vor allem die Kanontafeln, wie sie schon im syrischen Rabbula-Codex (586) erscheinen.14 Sie gehören im Mittelalter zur Standardausstattung von Evangelienbüchern, obwohl sie ohne direkte liturgische Funktion sind. Ihre ursprüngliche Funktion als synoptische Tabellen ist im Evangeliar weitgehend ohne Belang. Dennoch werden sie für lange Zeit zu einer Formaufgabe, der die besondere Zuwendung der Buchmalerei gilt, und dies offenbar nicht aufgrund ihrer praktischen Funktion, sondern wegen des in ihrer architektonischen Erscheinungsform kulminierenden symbolischen Wertes. Die Arkaden und Gebälke, mit denen die Zahlenkolumnen und die sie trennenden Säulen verbunden und überfangen sind, signalisieren die Relationen zwischen den Kolumnen und Evangelien, machen Synopse anschaulich. Die einzelnen durch die Zahlen repräsentierten Textabschnitte werden dabei zugleich in einer Rahmenarchitektur zusammengefasst, mit der die Vierzahl der Evangelien anschaulich zu einer neuen Einheit überformt wird. Konsequent zählt der in die Evangeliare ebenfalls aufgenommene Begleitbrief des Eusebius von Caesarea (um 260–339) an Karpianos die Kanontafeln zu den Bemühungen um eine Evangelienharmonie und setzt sie gegen das von einem gewissen Ammonius entwickelte Modell.15 Insofern muss das Textmodell der Kanontafeln verstanden werden als tabellarisch-diagrammatische Formulierung einer Evangelienharmonie, die vergleichbar die Vierzahl der Evangelien in Textform zu einer kontinuierlichen Erzählung vereint. Die sich oft über acht oder zehn Seiten hinziehende Reihung der Säulen und Arkaden, mit denen die Kanontafeln den Prologteil der Evangeliare visuell dominieren, lässt sich 13

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Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Codex Amiatinus 1, fol. VI, VII, VIII; Sörries, Reiner: Christlich-antike Buchmalerei [wie Anm. 7], S. 38; Chazelle, Celia: Christ and the Vision of God: The Biblical Diagrams of the Codex Amiatinus, in: The Mind’s Eye. Art and Theological Argument in the Middle Ages, hrsg. v. Jeffrey Hamburger und AnneMarie Bouché, Princeton 2006, S. 84–111. Florenz, Biblioteca medicea Laurenziana, cod. Plut. 1,56. fol. 3v–12v; Sörries, Reiner: Christlich-antike Buchmalerei [wie Anm. 7], S. 95–98. Bruyne, Donatien de: Préfaces de la Bible latine, Namur 1920, S. 157. S. auch Euw, Anton von: Das Buch der vier Evangelien. Kölns karolingische Evangelienbücher. Begleitheft zur Ausstellung des Schnütgen-Museums, Köln 1989 (Kölner Museums-Bulletin. Sonderheft 1.1989), S. 12.

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so lesen als Markierung einer gerichteten, in das Buch führenden Linearität, als Veranschaulichung des mit den Texten formulierten Weges durch die Heilsgeschichte, der, wie es später Bonaventura formulieren wird, zum Weg durch das Buch wird.16 In diesem Sinne durchziehen im Codex Brixianus (Anfang 6. Jahrhundert), einem frühen Purpurevangeliar, die Arkadenreihen der Kanontafeln den gesamten Evangelientext, indem sie im Kleinformat auf jeder Textseite als unteres Register erscheinen.17 Angedeutet ist diese Idee, die Kanontafeln als Bild eines durch das Buch führenden Weges zu verstehen, im Eusebius-Brief an Karpanios, wenn es dort heißt, dass die Kanontafeln es gestatten, im Buch gemäß seiner Ordnung von Anfang bis zum Ende voranzuschreiten.18 Die bisher angeführten Aspekte einer Geschichte der Bibel als illustriertes Buch scheinen auf den ersten Blick ohne Belang für die spätmittelalterliche Biblia pauperum und ihre sehr spezielle visuelle Konstitution, um die es im Folgenden gehen soll. Doch sind die Manuskripte der Biblia pauperum, die in einem kontinuierlich durchgehaltenen diagrammatischen Layout biblische Texte und Bilder kombinieren, damit auch Teil biblischer Überlieferungs- und Illustrationsgeschichte. Dies gilt, obwohl die Biblia pauperum selbstverständlich nicht die liturgische Funktion eines Evangeliars hatte und sich ebenso wenig in die Textgeschichte mittelalterlicher Bibeln einreiht, insoweit es dabei um die Gewinnung einer korrekten Übersetzung und Textfassung ging, eine Frage, auf die man in früh- und hochmittelalterlichen Bibelmanuskripten in der Regel mit der Berufung auf Hieronymus und mit die Authentizität sichernden Prologtexten reagierte. Wenn aber, wie oben erläutert, die Vorstellung von der Bibel als Geschichtsbuch für die Illustrationsgeschichte von Beginn an von Bedeutung war, dann kann die Biblia pauperum an diese Überlieferung unmittelbar angeschlossen werden, ist doch Typologie als Denkform und Deutung biblischer Geschichte die Leitidee ihrer Konzeption. Dabei fußt das für Biblia pauperum-Manuskripte charakteristische Layout, mit dem typologische Geschichtsdeutung visualisiert wird, auf einer Verbindung von diagrammatischen mit 16

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Reudenbach, Bruno: Der Codex als heiliger Raum. Überlegungen zur Bildausstattung früher Evangelienbücher, in: Codex und Raum, hrsg. v. Stephan Müller, Lieselotte E. SaurmaJeltsch und Peter Strohschneider, Wiesbaden 2009 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien, 21), S. 59–84. Codex Brixianus, Brescia, Biblioteca Civica Queriniana; Nordenfalk, Carl: Die spätantiken Kanontafeln, Text- u. Tafelband, Göteborg 1938 (Die Bücherornamentik der Spätantike, 1), S. 263–265, 283, Taf. 160b; Reudenbach, Bruno: Purpur-Evangeliar aus Brescia (»Codex Brixianus«), in: Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern, Ausst.Kat., München 2005, S. 262f., Kat.-Nr. 135. Bruyne, Donatien de: Préfaces de la Bible [wie Anm. 15], S. 157: »incipiens a primo … et per ordinem librorum ad finem usque progrediens.«

szenischen Bildern, also gerade auf der Verbindung von Narration, Systematik und Synopse, wie sie schon in den Anfängen biblischer Illustrationsgeschichte angelegt ist. Es ist kein Widerspruch, wenn damit zugleich gesagt wird, dass die Biblia pauperum sich fundamental von dem unterscheidet, was allgemein »Bibel« genannt wird. Ein Buch, das den Text der Bibel enthält und diesen Text den Lesern zur Lektüre anbietet, ist die Biblia pauperum nicht oder nur sehr eingeschränkt, gehört sie doch zu den besonders häufig im späten Mittelalter und im Jahrhundert vor der Reformation entstandenen Bearbeitungen der biblischen Texte, die man nicht nur übersetzte, sondern die man auch paraphrasierte, kürzte oder erweiterte, kommentierte und interpretierte.19 Das Anliegen der Biblia pauperum ist es, die Bibel als ein Sinnsystem zu erweisen. Sie expliziert das Verfahren der Schriftauslegung nach der Denkform der Typologie, mit der eine Beziehung zwischen dem Alten Testament und dem Neuen Testament hergestellt wird.20 Personen und Geschehnisse des Alten Testaments werden als Präfigurationen, als Typen der neutestamentlichen Zeit verstanden. Typologie ist demnach gerade nicht Geschichtserzählung und stellt deshalb für die Vorstellung von der Bibel als einem linear erzählten Geschichtsbuch eine Herausforderung dar. Typologie ist Geschichts- und Ereignisdeutung, die zwischen zeitlich weit auseinander liegenden Ereignissen eine Sinnbeziehung konstruiert. Ihr liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Geschichte Heilsgeschichte ist, in der Altes und Neues eine nach Gottes Plan geordnete Einheit bilden. Die Beziehung zwischen den alttestamentlichen Typen und dem neutestamentlichen Antitypus ist dabei die von Ankündigung und 19 20

Kaufmann, Thomas: Vorreformatorische Laienbibel und reformatorisches Evangelium, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 101 (2004), S. 138–174. Beil, Ulrich Johannes: Vom Typos zur Typologie. Ansätze figurativen Denkens bei Paulus, in: Figura. Dynamiken der Zeiten und Zeichen im Mittelalter, hrsg. v. Christian Kiening und Katharina Mertens Fleury, Würzburg 2013, S. 21–49; Mohnhaupt, Bernd: Beziehungsgeflechte. Typologische Kunst des Mittelalters Bern, u. a. 2000 (Vestigia Bibliae, 22), S. 13–35; Suntrup, Rudolf: Typologie, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 3, Berlin/New York 2003, S. 707–709; ders.: Typologie, in: Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 15.3, Stuttgart/Weimar 2003, S. 678–686; ders., Typologische Heilsgeschichts-Konzepte in mittelalterlicher geistlicher Literatur, in: Germanistische Mediävistik, hrsg. v. Volker Honemann und Tomas Tomasek, Münster u. a. 1999 (Münsteraner Einführungen: Germanistik, 4), S. 276–308; Ohly, Friedrich: Typologie als Denkform der Geschichtsbetrachtung, in: Ders.: Ausgewählte und neue Schriften zur Literaturgeschichte und zur Bedeutungsforschung, hrsg. v. Uwe Ruberg und Dietmar Peil, Leipzig/Stuttgart 1995, S. 445–472; Typologie, hrsg. v. Volker Bohn, Frankfurt a. M. 1988; Iking, Thomas: Vom Sakramentar der Schrift. Typologisches Denken am Beispiel der Biblia Pauperum, in: … kein Bildnis machen. Kunst und Theologie im Gespräch, hrsg. v. Christoph Dohmen und Thomas Sternberg, Würzburg 1987, S. 83–96.

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Erfüllung. Mit Christus ereignet sich die entscheidende Zeitenwende; er ist die Mitte der Zeit und sein Wirken lässt die Zeit der Gnade und der Vollendung (tempus sub gratia) anbrechen.21 Die Epoche Israels, das Alte Testament, die Zeit ante legem und sub lege, werden als schattenhafte Ankündigung und Vorausdeutung der auf Christus folgenden Zeit verstanden. Die Manuskripte der Biblia pauperum enthalten, weil sie diesem Geschichtskonzept folgen und die typologische Beziehung zwischen verschiedenen biblischen Ereignissen darlegen, nicht einfach den originalen Bibeltext zur Lektüre. Lesen im strengen Sinne als ein Zeile für Zeile und Seite für Seite fortschreitendes Lesen kann man eine Biblia pauperum nicht, schon deshalb nicht, weil sie gar keinen kontinuierlich durchgehenden Text bietet. Sie bietet kurze, in den späteren Exemplaren auch längere Texteinheiten, die den ursprünglichen Bibeltext zitieren, paraphrasieren, auf ihn verweisen oder ihn kommentieren. Die Aussage aber wird erst durch die synoptische Zuordnung dieser Textelemente und ihre Interaktion mit Bildern und Schriftbändern entfaltet, wie sie die visuelle Organisation der Seite herstellt. Insofern liegt die Annahme nahe, dass die eingangs skizzierte Vorstellung einer Kongruenz von Buch und Weltgeschichte für die Biblia pauperum ohne Bedeutung ist. Ein solcher Schluss geht allerdings fehl, schon deshalb, weil die typologische Deutung der biblischen Geschichte mit der Konstruktion von Ankündigung und Erfüllung nur als ein heilsgeschichtlicher Entwurf sinnvoll ist. Insofern muss man fragen, wie die typologischen Gruppen der Biblia pauperum in den linearen und vor allem gerichteten Verlauf der Heilsgeschichte eingegliedert sind und ob dies auch anschaulich und nachvollziehbar in den Manuskripten manifest wird. Diese Wendung zum konkreten Manuskript, zur Materialität des Buches ist in der eingangs zitierten Passage aus Bonaventuras Breviloquium offensichtlich mit gedacht, auch wenn Bonaventura nicht die Biblia pauperum, sondern die Bibel generell im Blick hat. Er spricht nicht nur von scriptura oder von sacra scriptura, sondern vom liber sacrae scripturae und er hebt auf die visuelle Wahrnehmung ab, wenn es heißt, dass kein Mensch so lange lebe, dass er mit seinen physischen Augen, mit den oculi carnis, das Ganze, Vergangenheit und Zukunft überblicken könne. Es mag dahingestellt bleiben, ob Bonaventura dabei auch daran dachte, die Entfaltung des biblischen Textes Zeile für 21

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Kiening, Christian: Mitte der Zeit. Geschichten und Paradoxien der Passion Christi, in: Wiederkehr und Verheißung. Dynamiken der Medialität in der Zeitlichkeit, hrsg. v. Christian Kiening, Aleksandra Prica und Benno Wirz, Zürich 2010, S. 121–137; Angenendt, Arnold: Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, S. 219–223; Ohly, Friedrich: Typologie als Denkform [wie Anm. 20], S. 449; Suntrup, Rudolf: Typologische Heilsgeschichts-Konzepte [wie Anm. 20], S. 283.

Zeile über viele Seiten im Codex geschrieben als ein materielles Äquivalent zum biblisch-christlichen Geschichtsbild zu verstehen. Zweifellos aber spiegelt das Buch als Ganzes mit Anfang und Ende und mit einem Umfang, der die Dauer der von Gott bestimmten Zeit umfasst, die Welt- und Heilsgeschichte. Für die Biblia pauperum heißt diese Wendung zur Materialität der Heiligen Schrift: Verzicht auf einen kontinuierlich fortlaufenden Text, Umformung der biblischen Texte in ein spezifisches, diagrammatisches Layout, das Bilder und Texte kombiniert. Dabei stehen Text und Bild nicht im direkten und eindimensionalen Abhängigkeitsverhältnis einer Illustration, bei dem die Bilder einem vorgegebenen Text nachgeordnet und allein auf diesen bezogen sind. Vielmehr ergibt in der Biblia pauperum die Anordnung von Bildern und mehr oder weniger kurzen Texten eine mehrdimensionale, visuell erschließbare Matrix, ein Netz von Relationen und Verweisungszusammenhängen.22 Damit ist auch ein anderer Rezeptionsmodus verlangt, nicht allein lineare Textlektüre, sondern die Wahrnehmung von Relationen und Synopsen, die vor allem durch visuelle Konfigurationen artikuliert werden.23 Dies sei zunächst exemplarisch an einer um 1425 entstandenen Biblia pauperum vorgeführt, dem bekannten MS Pal. lat. 871 der Biblioteca Apostolica Vaticana.24 Das Schema im MS Pal. lat. 871 ist klar gegliedert und leicht zu entschlüsseln (Abb. 2–4). Im oberen Teil der Seite ist eine Konfiguration von Bildern platziert. Sie ist dreigeteilt und zeigt in der Mitte einen Quincunx aus fünf Kreismedaillons. Im mittleren und größeren Kreis erscheint jeweils als szenische Darstellung der neutestamentliche Antitypus, während in den vier kleineren Kreisen die gestikulierenden Halbfiguren von Propheten zu sehen sind. Rechts und links neben dem Quincunx sind ohne Rahmung die alttestamentlichen 22 23

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Siehe den Beitrag von Hanna Wimmer in diesem Band. Meier, Christel: Typen der Text-Bild-Lektüre, in: Lesevorgänge: Prozesse des Erkennens in mittelalterlichen Texten, Bildern und Handschriften, hrsg. v. Eckart Conrad Lutz, Martina Backes und Stefan Matter, Zürich 2010 (Medienwandel, Medienwechsel, Medienwissen, 11), S. 157–181, dort zum »abstrahierend-diagrammatischen« Bildtyp, der gekennzeichnet ist durch »Reduktion von Multiplizität auf einfache Formen, Konstruktion und Synthesemodelle« und der »dem Betrachter und Leser in der Regel verschiedene Perzeptionsweisen (sc. eröffnet). Er ist multiperspektivisch und daher auch permutativ wahrzunehmen: von oben nach unten und umgekehrt, von außen nach innen und umgekehrt, in konzentrischen Kreisen, im Spiralgang, in Oppositionen usf., je nach Anlage der Figur und ihren dominanten Vorgaben. Darüber hinaus wird in allen auch eine ruhige Synopse, eine kontuitive, meist kontemplative Betrachtung ermöglicht, so daß sie zugleich Mutabilität und Stabilität, Sukzession und Simultaneität, Transitorisches und Ewiges visuell und logisch-rational umfassen« (S. 180). Die Biblia pauperum im Codex Palatinus Latinus 871 der Biblioteca Apostolica Vaticana sowie ihre bebilderten Zusätze, Faksimile und Kommentarband, hrsg. v. Karl-August Wirth, Zürich 1982 (Codices e Vaticanis selecti quam simillime expressi, 51).

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Typen dargestellt, im Maßstab erheblich größer als die Szene im Mittelkreis. Der nur wenige Zeilen umfassende Schriftspiegel über der Bilderkonfiguration ist auf deren Dreiteilung bezogen und ebenfalls in drei Kolumnen geteilt. In der Mitte erscheint der Titulus, zweisprachig in frühneuhochdeutsch und lateinisch, der ein Thema angibt, das darunter mal direkt, mal eher indirekt eingelöst wird. Auf fol. 13v lautet es z. B.: »Christus martel loset vns von der trurigen helle / Eruit a tristi baratro nos passio Christi« [Christus hat uns von der traurigen Hölle erlöst.]25 Unter diesem Titulus zeigt die zentrale Position der Bilderkonfiguration in dem großen Kreis nun nicht, wie zu erwarten wäre, die Kreuzigung, sondern wie Christus ans Kreuz genagelt wird. Die beiden Kolumnen rechts und links oben sind auf die beiden Darstellungen bezogen, die im größeren Maßstab die Kreuzannagelung flankieren, links die Opferung Isaaks, rechts die Verehrung der Ehernen Schlange. So heißt es oben links: »Der vader, der dis kint opperte, bedudit xpm. / Sign(ifica)ntem xpm puerum p(ate)r immolat istum« [Der Vater opferte dieses Kind, das Christus bedeutet.] Der Text über der Darstellung der Ehernen Schlange lautet: »Die serdigen werden geheilt / wanne sie den slangen ane / sehent. Lesi curantur, ser/pentem dum speculantur.« [Die Versehrten werden geheilt, wenn sie die Schlange ansehen.] Mit den Tituli oben werden demnach das alle Elemente zusammenschließende Thema der Seite, das auch die Bezeichnung des Antitypus sein kann, angezeigt und die beiden Typen links und rechts benannt. Unter der Bilderkonfiguration steht dagegen ein Text, der die Beziehungen der beiden alttestamentlichen Typen zum Antitypus des Neuen Testaments erläutert, auf fol. 13v also die Beziehung der Opferung Isaaks und der Ehernen Schlange zur Kreuzigung Christi. Diese Lektionen sind in zwei Kolumnen geschrieben, die jeweils in zwei Absätze geteilt sind. Der obere enthält den Text in lateinischer, der untere in deutscher Sprache, und beide sind alternierend mit einer blauen oder roten Initiale ausgezeichnet. Dabei stellen die Texte die direkte Verbindung zum Text der Bibel her. Sie beginnen mit einer konkreten Stellenangabe, hier z. B. mit ›Man liest in dem Buch Genesis an dem XXII cappitele […] – Legitur in Genesi vicesimo secundo capitulo […]‹ [Es heißt im Buch Genesis im 22. Kapitel […]]. Darauf folgen eine kurze Paraphrase des Bibeltextes und deren Deutung. ›Abraham bezeichente den hiemmelischen vader, der sinen son Iesum Christum vor uns alle an dem crucze opperte, das er uns do midde bewisete zeichen rechter liebe und ganczer mynne. – Abraham patrem celestem significat, qui filium suum, scilicet Christum, pro nobis omnibus in cruce immolavit, ut per hoc signum innueret amoris.‹ [Abraham bezeichnet den himmlischen Vater, der seinen Sohn Jesus Christus für uns alle am Kreuze opferte, um damit ein Zeichen der Liebe zu zeigen.] 25

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Ebd., S. 70.

Der zentrale Titulus oben benennt mit ›Christus martel loset vns von der trurigen helle‹ also nur indirekt oder gar nicht, was auf der Seite zu sehen ist, nämlich nicht eine gängige Kreuzigungsszene, sondern wie Christus an das liegende Kreuz genagelt wird.26 Auch scheint die größere Aufmerksamkeit den alttestamentlichen Typen zu gelten, die auf die Kreuzigung hindeuten. Sie erscheinen bildlich in größerem Maßstab, auf sie wird in den Lektionen Bezug genommen und der sie betreffende Bibeltext wird angeführt. Noch verstärkt wird die Position des Alten Testaments durch die Aufnahme der vier Propheten in das Seitenschema, die gestikulierend auf die Szene im Zentrum deuten. Ihnen sind Zitate zugewiesen, die umlaufend im Rahmen der Kreise auf lateinisch und in den benachbarten Kolumnen auf Deutsch mit dem rubrizierten Namen des Propheten am Anfang geschrieben sind. Das Schema des Seiten-Layouts ist also charakterisiert durch klare und visuell markierte Zuordnungen und Oppositionen: Rechteck, Quincunx und Kreis, Zentrum und Randpositionen, zwei und drei Kolumnen, lateinisch und deutsch, Altes und Neues Testament. Hinzu kommt die Unterscheidung verschiedener Bildmodi – Szene, Prophetenfigur, Diagramm – und verschiedener Textsorten – Tituli, Lektionen und Prophetensprüche –, mit denen die einzelnen Positionen des Schemas gefüllt sind.27 Wie gesagt, ist diese Seitendisposition nicht für eine lineare Textlektüre eingerichtet, sie erfordert vielmehr das Erfassen von Relationen und synoptisches Sehen. Diesem Sehen bietet die visuelle Textur, die durch die Kombination und Zuordnung der pikturalen und skripturalen Elemente entsteht, eine klare Akzentsetzung, eine Über- und Unterordnung der Elemente an. Als Zentrum ist der große Kreis ausgewiesen, der die Mitte der Quincunx-Figur bildet, die selbst das Erscheinungsbild der ganzen Seite dominiert. Die übrigen Elemente des Layouts sind auf dieses Zentrum hin orientiert, die Propheten mit Blickrichtung und Gesten, die alttestamentlichen Szenen durch ihre Bewegung und Ausrichtung. Diese Disposition bildet ein visuelles Äquivalent zur Denkform der Typologie, ist die Visualisierung eines Sinnsystems, das eben eines von Relationen, Verweisen, Analogien ist. Dabei ist Typologie weitgehend auf Ereignisse konzentriert; sie sieht das Geschehen des Alten Testaments als Ankündigung des Neuen in factis – und so ist in unserem Beispiel den beiden Typen, der Opferung Isaaks und der Ehernen Schlange, ein Großteil des Bildregisters eingeräumt. Ergänzt wird diese Ankündigung in factis durch diejenige in dictis, durch die Prophetenworte.28 Beide aber sind ausgerichtet auf Christus als 26 27 28

Derartige Diskrepanzen scheinen häufiger aufzutreten; s. den Beitrag von Malena Ratzke in diesem Band, S. 123f. Cornell, Henrik: Biblia pauperum, Stockholm 1925, S. 8–56. Ohly, Friedrich: Typologie als Denkform [wie Anm. 20], S. 451.

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Sinnzentrum und Mitte der Zeit, dem die Eckpositionen und der Rand zu- und trotz des größeren Maßstabs untergeordnet sind. Die visuelle Organisation der Seiten, mit der auf diese Weise Typologie entfaltet und veranschaulicht wird, ist dabei auffällig auf die materielle Konstitution eines Codex abgestimmt, indem jedes typologische Thema eine Seite beansprucht und diese je nach Umfang der Textblöcke mehr oder weniger vollständig ausfüllt. Die durch den Quincunx betonte Zentralisierung der Seitendisposition bedeutet demnach auch, dass jede Seite eine in sich geschlossene Einheit bildet und mit einer neuen Seite auch ein neues Thema und eine neue Sinngruppe folgt. Die frühesten Manuskripte der Biblia pauperum platzieren demgegenüber jeweils zwei Sinngruppen auf einer Seite, sind also ebenfalls auf die Grundstruktur einer Aufeinanderfolge von Seiten bezogen. Erst später wird durch eine Umgruppierung der einzelnen Elemente und eine Ausweitung der Textpartien zu mehrseitigen Abfolgen diese Bindung an die Seitenfolge eines Codex aufgegeben. Damit löst sich auch das diagrammatische Schema auf und wird der Disposition eines narrativen Fließtextes mit eingestellten Illustrationen angenähert.29 Zunächst aber gilt für die meisten der Manuskripte, dass bei aller Verschiedenheit der jeweiligen Layout-Lösungen jede Seite eine in sich geschlossene und für sich verständliche visuelle Matrix anbietet, mit der die typologischen Sinnbezüge unter Einbeziehung der sie begründenden Texte, Analogien und Erklärungen veranschaulicht werden. Diese Typologien gründen zwar auf dem Konzept von Heilsgeschichte, sie lösen aber in der Relationierung von Altem und Neuem Chronologie und Abfolge der biblischen Narrative auf. Entsprechend verzichtet die Biblia pauperum weitestgehend auf den erzählenden Bibeltext und enthält stattdessen eine Folge für sich stehender Sinngruppen. Insofern ist die Biblia pauperum der Schriftexegese verbunden und damit auch einem Umgang mit dem Bibeltext, der nicht allein die zusammenhängende und fortschreitende Lektüre ganzer Bücher oder Abschnitte, beispielsweise für die liturgische Lesung, kennt. Von den Interessen der Exegese ist dagegen eine Gebrauchs- und Lektürepraxis geprägt, die häufig, insbesondere vor dem 12. Jahrhundert, nicht die Kohärenz eines Textabschnittes, einer Episode oder Erzählung im Blick hat, sondern eine den Textzusammenhang auflösende von Wort zu Wort oder Vers zu Vers fortschreitende Auslegung nach den vier Schriftsinnen expliziert.30 Die typologischen Sinngruppen der Biblia pauperum stehen in 29 30

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Siehe den Beitrag von Hanna Wimmer in diesem Band, S. 73–77. Zur schon im frühen Christentum praktizierten lexikographischen Herangehensweise an die biblischen Texte oder zur Argumentation mit vom Kontext isolierten Bibelzitaten A. Hilhorst, Biblical Scholarship in the Early Church, in: The Impact of Scripture in Early Christianity, hrsg. v. J. den Boeft und M. L. van Poll-van de Lisdonk, Leiden 1999 (Supplements to Vigiliae Christianae, 44), S. 1–19, hier 8f., 14f.; zu Lektürepraxis, dem Auswendiglernen

dieser Tradition, ohne dass dies allerdings eine Abkehr von der zuvor für illustrierte Bibelmanuskripte so wichtigen Vorstellung der Bibel als Geschichtsbuch bedeutete. Es lassen sich vielmehr Anlagekonzepte und Illustrationsverfahren beobachten, mit denen auch in der Folge isolierter typologischer Sinngruppen der Zusammenhang einer biblischer Narration bewahrt und anschaulich werden kann. Befördert wird dies durch die materielle Konstitution eines Codex, dessen Seitenfolge die typologischen Gruppen sowohl in ihrer Anlage wie im Rezeptionsvorgang des Umblätterns in ein zeitliches Nacheinander zwingt. Diese Vorgabe ist in den Manuskripten der Biblia pauperum durchgehend genutzt, um die christologischen Antitypen nicht nur einzeln und isoliert in jeder Sinngruppe präsent zu halten, sondern sie zu einer Bildvita Christi zu verbinden. So fügen sich auch im MS Pal. lat. 871 die Szenen im Mittelkreis zu einer chronologisch angeordneten Bildfolge von der Verkündigung am Anfang (Abb. 2) über die Kindheitsgeschichte, das Wirken Christi und die Passion bis zur Himmelfahrt (Abb. 3, 4), an die noch die Ausgießung des hl. Geistes und die Marienkrönung angeschlossen sind. Oben konnte gezeigt werden, dass in der visuellen Organisation der einzelnen Seiten die christologische Szene im Mittelkreis den anderen Elementen, trotz des größeren Maßstabs der Typen, übergeordnet ist, eine Hierarchie, die durch die Sukzession von einem Kreis zum nächsten noch gestärkt wird. Die Folge der typologischen Schemata ist damit an der Chronologie der Evangelien orientiert und im Nacheinander der Stationen des Lebens Christi realisiert. Die Zentralisierung des typologischen Seitenschemas wird so gleichsam durchschnitten von einer die Seiten verbindenden Linie der Narration, die, wie in Bilderzählungen üblich, in eine Folge signifikanter Ereignisse zerlegt und gleichzeitig verdichtet ist. Der zeitliche Ablauf der Evangelienerzählung ist damit auf das Buch als Ganzes projiziert und mit der Struktur des Codex in Einklang gebracht. Auf diese Weise lässt sich das Umblättern der Seiten als Nachvollzug der durch die Evangelienerzählung vorgegebenen Chronologie verstehen. Die in der Zeit vollzogene reale Bewegung des Blätterns im Codex ist die Verdichtung der erzählten Zeit, die nacheinander, Seite für Seite, das Leben Christi vorführt, dabei aber auch jede Station typologisch ausdeutet. Dies ist, wie von Bibeltexten und zur Orientierung an einzelnen Bibelzitaten im frühen Mönchtum Bartelink, Gerard: Die Rolle der Bibel in den asketischen Kreisen des vierten und fünften Jahrhunderts, in: The Impact of Scripture in Early Christianity, hrsg. v. J. den Boeft und M. L. van Poll-van de Lisdonk, Leiden 1999 (Supplements to Vigiliae Christianae, 44), S. 27–38. − Das umfangreiche Schrifttum zu Exegese und vierfachem Schriftsinn ist hier nicht zu dokumentieren; verwiesen sei lediglich auf die klassische Einführung von Ohly, Friedrich: Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, in: Ders.: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, S. 1–31; außerdem: Meyer, Heinz: Schriftsinn, mehrfacher, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, Basel 1992, Sp. 1431–1439.

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erwähnt, dem exegetischen Verfahren und der Struktur eines Bibelkommentars vergleichbar, indem bestimmte Worte, Begriffe oder Personen aus dem Textzusammenhang gelöst werden, um an und mit ihnen eine allegorische oder typologische Deutung zu entfalten. Im MS Pal. lat. 871 und in den Manuskripten mit einer vergleichbaren Seitendisposition wird so auf bemerkenswerte Weise das bereits in der Frühgeschichte illustrierter Bibelmanuskripte angelegte Verfahren der Bilderzählung, mit dem die Evangelien oder die Bibel insgesamt auf das Modell eines kontinuierlich fortschreitenden und gerichteten Geschichtsverlaufs verpflichtet werden, aktualisiert und neu interpretiert. Man kann dabei die Wahrnehmung der Bibel als Buch und als Geschichtsbuch noch wirksam sehen, wie sie dann Bonaventura explizit formuliert hat und wie sie gerade durch illustrierte Evangelienbücher, durch deren horizontale Bildregister oder durch die Reihung der Kanontafeln geprägt und konventionalisiert wurde. Ist für die Biblia pauperum charakteristisch, dass sie die durch das Buch führende Geschichtsachse mit diagrammatischen Bildern aktualisiert, so bewegt sie sich damit auch in einer Nähe zu chronographischer Literatur und zu diagrammatischen Chroniken, wie dem einflussreichen Compendium historiae in genealogia Christi des Petrus von Poitiers (um 1130–1205), das noch im 15. Jahrhundert im Fasciculus temporum des Werner Rolevinck (1425–1502) einen späten Nachfahren fand.31 Das Compendium des Petrus von Poitiers verfolgt die Abstammung Christi bis zu Adam und entwirft eine auf Personen reduzierte biblische Geschichte, die zugleich Synopse sein kann, wenn ihr ägyptische oder babylonische Herrscherreihen, Propheten oder Hohepriester zugeordnet werden, später auch weitere Genealogien und Chroniken.32 Diese auch mit gekürzten Bibeltexten und mit eingefügten Illustrationen operierende Geschichte ist mehr Stammbaum als Geschichtserzählung und wird mit den diagrammatischen Basisinstrumenten Linie und Kreis veranschaulicht. Eine oder mehrere Linien durchziehen jede einzelne Seite des Compendium in der Vertikalen von oben nach unten. In Rolevincks Fasciculus dagegen verläuft die Linienführung in der 31

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Hilpert, Hans-Eberhard: Geistliche Bildung und Laienbildung. Zur Überlieferung der Schulschrift Compendium historiae in genealogia Christi (Compendium veteris testamenti) des Petrus von Poitiers († 1205) in England, in: Journal of Medieval History 11 (1985), S. 315– 331; Suckale, Robert: Klosterreform und Buchkunst. Die Handschriften des Mettener Abtes Peter I.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 8201 und Clm 8201d, Petersberg 2012, S. 125–127; Worm, Andrea: Diagrammatic chronicles, in: Encyclopedia of the Medieval Chronicle, hrsg. v. R. G. Dunphy, Leiden/Boston 2010, S. 522–532; dies.: Visualizing the order of history. Hugh of Saint Victor’s »Chronicon« and Peter of Poitiers’ »Compendium historiae«, in: Romanesque and the past. Retrospection in the art and architecture of Romanesque Europe, hrsg. v. John McNeill, Leeds 2013, S. 243–264. Hilpert, Hans-Eberhard: Geistliche Bildung [wie Anm. 31], S. 318.

Horizontalen von links nach rechts, über die gesamte Doppelseite. Die Linien können auch Abzweigungen und Nebenwege ausbilden, sie integrieren Stammbäume und Generationenfolgen oder zeigen parallel geführte gleichzeitige Dynastien und Generationen. Die Hauptlinie ist dabei eine Zeitachse, die den Verlauf der Geschichte anzeigt. Historische Personen oder markante Ereignisse sind durch Kreise auf dieser über die Seiten und durch das Buch führenden Linie der Geschichte verortet. Das Verfahren, eine Achse biblischer Zeit durch das Buch zu führen, münzt die Kongruenz von Buch und Geschichte direkt und anschaulich aus. Dem ist vergleichbar, wenn in der Biblia pauperum die einzelnen Lebensstationen Christi innerhalb des typologischen Schemas erscheinen und sie sich von Seite zu Seite zu einer virtuellen, der Chronologie folgenden Linie verbinden, die dann aber beim Umblättern tatsächlich verfolgt werden kann. Auf die Einsicht in diese Vergleichbarkeit ist es vielleicht zurückzuführen, dass man einer Tegernseer Sammelhandschrift um 1330/40 nicht nur eine Biblia pauperum (fol. 153r–170v), sondern unmittelbar folgend (171r–176r) auch das Compendium des Petrus von Poitiers eingefügt hat.33 Im Compendium ist die vertikale Hauptachse des Geschichtsdiagramms ausdrücklich als linea Christi bezeichnet.34 Auf fol. 176r (Abb. 5) verbindet diese linea ein Bild des Jesuskindes in einer geflochtenen, korbartigen Krippe oben mit der Bezeichnung als Geburt Christi in einem Kreis darunter mit dem Tod am Kreuz unten als Endpunkt. Dass hier die Geschichtsachse vertikal über die Seite verläuft, ist vielleicht der Orientierung an der Textlektüre einer Seite geschuldet, vielleicht auch ein Reflex der ebenfalls nachweisbaren Überlieferung des Compendium in vertikal ausgerichteten Rollen. In der Regel jedoch wird im Codex und generell in der mit Bildsystemen operierenden Bildwelt des Mittelalters das dargestellte Geschehen in seinem zeitlichen Verlauf als Horizontalbewegung 33

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München, Bayerische Staatsbibliothek, clm 19414; Hernad, Béatrice: Die gotischen Handschriften deutscher Herkunft in der Bayerischen Staatsbibliothek: Teil 1. Vom späten 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Mit Beiträgen von Andreas Weiner (Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek in München, 5,1) Wiesbaden 2000, Nr. 178, S. 119–125. S. auch den Beitrag von Hanna Wimmer in diesem Band, S. 62f. – Im 1414/15 angelegten Mettener Kompendium (München, Bayerische Staatsbibliothek, clm 8201) sind mit der Biblia pauperum u. a. De missarum mysteriis von Innozenz III. und die Genealogia Christi des Petrus von Poitiers versammelt (dazu Suckale, Robert: Klosterreform und Buchkunst [wie Anm. 31], S. 68–84, zur Biblia pauperum, S. 84–98; zu De missarum mysteriis, S. 125–128 zur Genealogia Christi). Eine um 1450 entstandene nordfranzösische Sammelhandschrift (Den Haag, Museum Meermanno, Ms. 10 A 15) enthält neben einer Biblia pauperum u. a. die Historia scholastica des Petrus Comestor und die Genealogia Christi des Petrus von Poitiers. Suckale, Robert: Klosterreform und Buchkunst [wie Anm. 31], S. 128.

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und überwiegend auch in der Richtung, in der wir lesen und schreiben, vorgeführt. Zentralisierung und Vertikalität werden dagegen eher genutzt zur Veranschaulichung von Zuständen, Sinnbezügen, Wertungen, Deutungen.35 Schon im Codex Rossanensis ist diese Unterscheidung zu verfolgen, wo Episoden des Evangelientextes in einem Bildstreifen im oberen Teil der Bildseiten dargestellt sind (Abb. 1). Die Propheten darunter zeigen mit ihren Gesten, dass sich ihre Sprüche auf das Geschehen im oberen Bildregister beziehen. Die Vertikale als Sinnbezug zwischen Evangelium oben und Propheten unten wird visuell noch verstärkt durch die Anordnung der Prophetensprüche. Sie sind wie Textkolumnen nebeneinander gestellt, zugleich aber als senkrecht nach unten entrollte Schriftrollen zu verstehen.36 Die Biblia pauperum steht also nicht allein mit ihrer Verschränkung von Erzählung, die hier aus einer Sequenz von Einzelbildern besteht, und deren exegetischer Erschließung, die sozusagen quer zur Erzählrichtung angelegt wird. Auch außerhalb der Buchkultur ist dieses Prinzip zu beobachten. So ist das Anlagekonzept eines der prominentesten Werke typologischer Kunst, des Klosterneuburger Ambos (1181) des Nikolaus von Verdun, denn auch dem der Biblia pauperum eng verwandt. Nikolaus ordnete drei Reihen von Kleeblattbögen mit Grubenschmelzplatten parallel an, so dass immer drei Bogenstellungen in einer Achse übereinander stehen (Abb. 6). Jede horizontale Reihe ist einer Epoche der Heilsgeschichte gewidmet, die obere und untere mit Szenen des Alten Testaments der Zeit ante legem und sub lege, die mittlere, in der Leben und Wirken Jesu von der Verkündigung an Maria bis zum Jüngsten Gericht dargestellt sind, der Zeit sub gratia.37 Im Nebeneinander der Bögen von links nach rechts kann man dabei die Sukzession der Zeit veranschaulicht sehen. Die mittlere Reihe bildet gleichsam eine linea Christi, sodass die Reihen darüber und darunter dem Antitypus Christus jeweils zwei alttestamentliche Typen zuordnen und diese typologischen Zuordnungen und Analogien die Linearität der Vita Christi vertikal durchkreuzen. Wie oben gezeigt werden konnte, wird in Manuskripten der Biblia pauperum die 35 36 37

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Kemp, Wolfgang: Mittelalterliche Bildsysteme, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 22 (1989), S. 121–142. Kemp, Wolfgang: Christliche Kunst [wie Anm. 6], S. 127–133. Buschhausen, Helmut: Der Verduner Altar. Das Emailwerk des Nikolaus von Verdun im Stift Klosterneuburg, Wien 1980, S. 91, 117; Arnulf, Arwed: Studien zum Klosterneuburger Ambo und den theologischen Quellen bildlicher Typologien von der Spätantike bis 1200, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 48 (1995), S. 9–41; Schlie, Heike: Der Klosterneuburger Ambo des Nikolaus von Verdun. Das Kunstwerk als figura zwischen Inkarnation und Wiederkunft des Logos, in: Figura. Dynamiken der Zeiten und Zeichen im Mittelalter, hrsg. v. Christian Kiening und Katharina Mertens Fleury, Würzburg 2013, S. 205–247; Mohnhaupt, Bernd: Beziehungsgeflechte [wie Anm. 20], S. 118–138.

Sequenz der Einzelbilder zum Leben Christi auf ganz ähnliche Weise mit einer typologische Deutung verbunden. Sie wird im diagrammatischen Layout der Einzelseite expliziert, das den am Klosterneuburger Ambo beobachteten vertikalen Achsen des typologischen Sinns entspricht – allerdings mit einem Unterschied. Die Fläche des Ambos, wie immer er im einzelnen ausgesehen haben mag, macht auch ein gleichzeitiges und synoptisches Sehen mehrerer Dreiergruppen möglich, erfordert nicht zwingend ein sukzessives Fortschreiten von links nach rechts, von einer Dreiergruppe zur nächsten, auch wenn dieses durch die begleitenden Inschriften nahegelegt wird. Der Codex dagegen ist durch das Nacheinander der Seiten auf die Sukzession der erzählten Zeit festgelegt, die in der realen Folge des Umblätterns erfahrbar wird. An einer Gruppe von Handschriften der Biblia pauperum, die in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts vielleicht im Augustinerchorherrenstift St. Florian bei Linz entstanden ist, lässt sich zeigen, wie kalkuliert man Layout-Lösungen suchte, die im Repertoire typologischer Beziehungen dennoch eine kontinuierliche Geschichtsnarration erkennbar machten (Farbtafel I).38 In Grundzügen ist in diesen Manuskripten die Seitendisposition, die dann später auch im MS Pal. lat. 871 genutzt wird, bereits entwickelt, allerdings mit dem Unterschied, dass hier nicht jede Seite von einer, sondern von zwei übereinander platzierten Sinngruppen ausgefüllt wird, nach jedem Umblättern also nicht zwei, sondern vier Gruppen und damit auch vier Stationen der Vita Christi erscheinen. Die Opposition von narrativer Horizontalität und typologischer Zentralität geht hier demnach nicht so leicht auf, eine linea Christi ergibt sich nicht von selbst. Die Seite ist jedoch so disponiert, dass gerade in dieser Hinsicht Eindeutigkeit hergestellt wird. Jede Seite ist für sich von oben nach unten zu lesen. Diese Reihenfolge aber ergibt sich nicht selbstverständlich; denkbar wäre auch gewesen, die Szenenfolge für die Doppelseite als Ganze zu konzipieren und zunächst durch das obere Register beider Seiten und dann durch das untere zu führen. Um diese Leserichtung auszuschließen, hat man die Antitypen auf jeder Seite so miteinander verbunden, dass die beiden Christus-Medaillons und das sie verbindende Rahmenband eine die Seite visuell dominierende Figur ergeben, mit der die Reihenfolge von oben nach unten eindeutig angezeigt wird. Wichtig ist dabei, dass der verbindende Mittelsteg über die Kreise hinaus nach oben und unten fortgeführt wird und so auch die Kolumnen der Lektionen trennt. Hier ist die Seite also ähnlich wie im Compendium des Petrus von Poitiers 38

Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 27], S. 73–76; Schmidt, Gerhard: Die Armenbibeln des XIV. Jahrhunderts, Graz/Köln 1959, S. 9–13; Siehe auch den Beitrag von Hanna Wimmer in diesem Band S. 38–41.

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vertikal von einer linea Christi durchzogen, die vorher beginnt und auf den folgenden Seiten weitergeführt wird. So bleiben auch hier die typologischen Sinngruppen nicht isoliert, sondern sind auf die Chronologie der Vita Christi verpflichtet. Dass eine derart kalkulierte und intelligente Verschränkung nicht selbstverständlich ist, zeigt der Blick in Manuskripte anderer mit der Biblia pauperum eng verwandter typologischer Werke, wie dem Speculum salvationis (Abb. 7–8) oder den Concordantiae caritatis des Ulrich von Lilienfeld (1. H. 14. Jh.; Abb. 9).39 Auch sie bilden typologische Gruppen, wobei das Repertoire an Motiven wie an Texten erheblich breiter und die gesamte Werkanlage damit eigentlich komplexer als bei der Biblia pauperum ist. Dennoch ist das Layout in der Regel deutlich weniger elaboriert. Schon der berühmte Codex des 14. Jahrhunderts aus Kremsmünster zeigt das, was man das Standard-Layout des Speculum nennen kann. Dem Antitypus sind drei Typen zugeordnet, die gesamte Gruppe wird in vier gleich dimensionierten und nebeneinander aufgereihten Kolumnen auf einer Doppelseite platziert. Mit der Reihung ergibt sich, anders als im Layout der Biblia pauperum, aber kein System von Zuordnungen und Verweisen. Typen und Antitypus stehen systemfremd gleichgewichtig nebeneinander. Zudem ist die zeitliche Abfolge umgekehrt, wenn der Antitypus am Anfang steht und die zeitlich vorangehenden Typen nachfolgen, es sei denn, man sieht in dieser Anordnung die Überordnung des Antitypus veranschaulicht. Doch werden so weder das typologische Deutungssystem und die argumentative Figur von Vorausdeutung und Erfüllung überzeugend in ein visuelles Äquivalent überführt, noch ergibt sich in der Parataxe der zeitlich unterschiedlich positionierten Kolumnen eine Veranschaulichung linearer Narration, die die Antitypen miteinander verbindet. Im MS Pal. lat. 871 ist dieses Konzept einer Kombinatorik von typologischer Deutung und historischer Narration noch über die Sequenz der dreiunddreißig dem Leben Christi folgenden Sinngruppen hinausgeführt. Sie sind nämlich nicht nur durch die Vita Christi verbunden, sondern sind eingestellt in den umfassenderen biblischen Erzählzusammenhang. Vor den typologischen 39

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Niesner, Manuela: Das »Speculum humanae salvationis« der Stiftsbibliothek Kremsmünster. Edition der mittelhochdeutschen Versübersetzung und Studien zum Verhältnis von Bild und Text, Köln u. a. 1995 (Pictura et poesis, 8); Palmer, Nigel F.: ›Turning many to righteousness‹. Religious didacticism in the ›Speculum humanae salvationis‹ and the similitude of the oak tree, in: Lehrhaftes Sprechen in der deutschen Literatur des Mittelalters, hrsg. v. Henrike Lähnemann und Sandra Linden, Berlin/New York 2009, S. 345–366; Douteil, Herbert: Die »Concordantiae Caritatis« des Ulrich von Lilienfeld. Edition des Codex Campililiensis 151 (um 1355), hrsg. v. Arnold Angenendt, Volker Honemann und Rudolf Suntrup, 2 Bde., Münster 2010.

Seiten sind vier Bildseiten platziert, die nicht das charakteristische Layout des typologischen Schemas zeigen. Stattdessen nimmt ein beide Kolumnen überspannendes Bildfeld den größten Teil der Seite ein; darunter ist, wie auf den typologischen Seiten, das Geschehen in zwei Kolumnen lateinisch und deutsch erläutert, meist in Form eines Bibelzitats oder mit einer Paraphrase des Bibeltextes. Diese vier einleitenden Bildseiten gehören mit den folgenden unzweifelhaft zusammen, zeigen gleiche Schrift, Figurenstil und Farbigkeit und ein übereinstimmendes Liniensystem. Am Anfang (fol. 1v) ist der Sturz Luzifers dargestellt, zu dem hier, obwohl er in der Bibel nicht ausdrücklich erwähnt wird, Isaiah 14, 12 zitiert wird: »Quomodo cecidisti de caelo, Luzifer« (Abb. 10). Auf der gegenüberliegenden Seite (fol. 2r) folgt die Erschaffung Evas und ihre Vermählung mit Adam (Abb. 11), die folgende Doppelseite (fol. 2v/3r) zeigt weitere Szenen aus der Geschichte des ersten Menschenpaares, das Gespräch Evas mit der Schlange und den Sündenfall links, die Vertreibung aus dem Paradies und die irdische Arbeit Adams und Evas rechts (Abb. 12). Erst nach diesen Doppelseiten setzt die typologische Reihe mit Verkündigung und Geburt ein (Abb. 2). Am Anfang wird also nicht das eigentliche Schöpfungswerk gezeigt, sondern durch die Darstellung des Engelsturzes und des Sündenfalls der Antagonismus von Gut und Böse. Dieser Vorspann scheint beeinflusst durch das Speculum salvationis, das ebenfalls mit dem Sturz Luzifers beginnt, auf den die Erschaffung Evas und die Sündenfallgeschichte folgt.40 Rudimentär ist dieser Werkbeginn noch in die Biblia pauperum eingegangen, wenn in der ersten der typologischen Bildgruppen der Verkündigung die Verfluchung der Schlange und Gideons Vlies als Typen zugeordnet sind.41 Erscheint dann die Verfluchung der Schlange links von der Verkündigung ist sie nicht nur in das diagrammatische Schema eingebunden, sondern bildet zugleich den Einstieg in das Werk und fungiert dabei als Kürzel der Sündenfallgeschichte. Diesen Anfangsakzent der typologischen Gruppen hat man im MS Pal. lat. 871 beibehalten, ohne sich aber darauf zu beschränken. Vielmehr hat man auch noch die vorangehenden Szenen, wie im Speculum salvationis beginnend beim Sturz Luzifers, als Vorspann vor den typologischen Gruppen platziert. Die Sequenz dieses Vorspanns wurde dabei deutlich als zusammenhängende Bildgeschichte konzipiert, die auf die folgenden Typologien hinführt, von ihnen aber durch den erzählerischen

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Niesner, Manuela: Speculum humanae salvationis [wie Anm. 39], S. 173–179. Als sog. Urfassung hat man eine Folge von 33 oder 34 Bildgruppen identifiziert, die mit der Zuordnung von Verfluchung der Schlange und Gideons Vlies als Typen der Verkündigung beginnt; s. Wirth, Karl August: Biblia pauperum, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 1, Berlin/New York 1978, Sp. 843–852, hier Sp. 846.

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Bildmodus unterschieden ist. Statt der typologischen Zuordnungen ruft der Vorspann auf diese Weise Beginn und Verlauf der Heilsgeschichte auf, in die sich die typologischen Seiten einfügen. In diesem Sinne wird man auch Zufügungen wie die des Compendium historiae in genealogia Christi des Petrus von Poitiers in der Tegernseer Handschrift oder die einer Apokalypse im Weimarer Manuskript werten können.42 Schließlich ist die Quincunx-Figur, mit der in einer Gruppe von Manuskripten das typologische Bezugssystem vorgeführt wird, ein der Bildwelt des Mittelalters vertrautes visuelles Muster, das schon lange vorher nicht ausschließlich, aber sehr häufig genutzt wurde für die Darstellung Gottes in der Bildformel der Maiestas Domini: Gott, auf den alles ausgerichtet ist und von dem alles ausgeht, außerhalb von Raum und Zeit in der jenseitigen Ewigkeit.43 Die Verwendung dieser Figur in den typologischen Schemata lässt sich als visuelle Exegese verstehen, die im Sinne einer welt- und heilsgeschichtlichen Dimensionierung über die konkrete typologische Konstellation hinaus- und auf die überzeitliche Vollendung der Welt vorausweist.44 Vielfach hat die mittelalterliche Historiographie formuliert, dass der Sündenfall der eigentliche Anfang der Geschichte der Menschheit ist.45 Geschichte als Abfolge menschlichen Handelns zwischen Gut und Böse beginnt mit der Vertreibung aus dem Paradies und dem Schritt durch das Paradiestor in die Welt; diese Geschichte ist seither opus restaurationis, der Versuch, die 42

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Zur Weimarer Biblia pauperum: Ott, Norbert H.: Biblia pauperum, in: Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften, hrsg. v. Hella Frühmorgen-Voss und Nobert H. Ott, Bd. 2, München 1996, Kat.-Nr. 16.0.22, S. 316–319; Hamburger, Jeffrey F.: Medieval multiples before the age of print. The Weimar and Nuremberg Apocalypses in Light of a Newly Discovered Leaf, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums (2012), S. 13–26. Kühnel, Bianca: The End of Time in the Order of Things. Science and Eschatology in Early Medieval Art, Regensburg 2003, S. 37–52, 222–225; Suckale, Robert: Klosterreform und Buchkunst [wie Anm. 31], S. 84. Esmeijer, Anna C.: Divina quaternitas. A Preliminary Study in the Method and Application of Visual Exegesis, Assen/Amsterdam 1978, S. 49–58 und passim; Caviness, Madeline H.: Images of Divine Order and the Third Mode of Seeing, in: Gesta 22 (1983), S. 99–120, bes. S. 103–108. Goetz, Hans-Werner: Gott und die Welt [wie Anm. 2], S. 188–201; Reudenbach, Bruno: Gestörte Ordnung – deformierte Körper. Beobachtungen an mittelalterlichen Darstellungen des Sündenfalls, in: Geschichtsvorstellungen. Bilder, Texte und Begriffe aus dem Mittelalter. Festschrift für Hans-Werner Goetz zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Steffen Patzold, Anja Rathmann-Lutz und Volker Scior, Köln/Wien 2012, S. 363–378. Auch im Speculum salvationis erkennt Niesner, Manuela: Speculum humanae salvationis [wie Anm. 39], S. 173–324 eine Struktur, deren Teile sie betitelt als »Der Sündenfall und seine Folgen« – »Vorbereitung der reparatio« – »Das Heilswirken Christi«; daran schließt sich dann noch der mariologische Teil des Speculum an.

im Sündenfall verlorene Seligkeit wieder herzustellen. Dies erfordert die Erlösungstat am Kreuz – und so folgt auf die erzählende Eingangssequenz mit Adam und Eva der christologisch-typologische Zyklus, der beginnt mit der Ankündigung der Geburt des Erlösers. Der von Gott geplante und geordnete Verlauf der Geschichte wird nicht allein durch die typologischen Konstruktionen artikuliert, sondern auch durch den mit dieser Bildfolge dargestellten Verlauf der Weltgeschichte, die Heilsgeschichte ist. Konsequent endet der typologische Zyklus daher nicht mit der Marienkrönung; vielmehr ist ein zusätzliches Bild am Ende angefügt. Dort erscheinen das Weltende und das Jüngste Gericht. Und wie in der Bibel als Geschichtsbuch das Ende auf den Anfang Bezug nimmt, korrespondieren in dieser Biblia pauperum Anfang und Ende. Der Antagonismus von Gut und Böse, der im Anfangsbild mit dem Sturz Luzifers als Kampf geschildert wird, ist am Weltende in einen klar geordneten Endzustand überführt (fol. 20r). Dessen Darstellung ist im Anklang an die typologischen Seiten diagrammartig und zentralistisch komponiert, aber nicht zur Darstellung typologischer Beziehungen, sondern als Anwendung traditioneller Ikonographie des Weltgerichts (Abb. 13). Der auf der ersten Seite als Anfang und Initiator der Bilderzählung nach rechts gewendete und agierende Schöpfergott erscheint im Bild des Gerichts frontal und eingefasst von der Symmetrie der Mandorla, still gestellt am Ende der Zeit. Unterhalb der Mandorla des Pantokrators ist der Höllenrachen des Anfangs an die Seite gerückt als Gegenüber zum Himmelstor. Dazwischen ist die Menschheit in Selige und Verdammte geschieden. So ist in diesem Bild des Endes auch die Durchkreuzung von linearer Geschichtserzählung und zentralisiertem typologischen Diagramm aufgehoben, die Geschichte ist an ihr Ende gekommen. Dieses Finale und die alttestamentliche Ouvertüre, die zusammen den typologischen Zyklus einrahmen, zeigen also deutlich: Die Biblia pauperum kann sehr viel mehr sein als ein typologisches Kompendium, in dem Beispiele für typologische Beziehungen zwischen dem Alten und dem Neuen Testament gesammelt sind. Die Anlage des MS Pal. lat. 871 bindet die typologischen Beispiele mit der Gliederung in eine alttestamentliche Anfangssequenz, die folgenden typologischen Gruppen und das Weltgericht am Ende in den Verlauf der universalen Heilsgeschichte ein. Sie beansprucht damit auch für diese Bibelbearbeitung die Vorstellung von der Bibel als einem Geschichtsentwurf, der in der Bibel als Buch realisiert und nachvollziehbar ist. Damit ist nun allerdings kein für die Überlieferung der Biblia pauperum generell gültiges Konzept benannt. Es steht vielmehr für die Offenheit dessen, was mit der Bezeichnung Biblia pauperum unzulässig homogenisiert ist. Die Kombinatorik der werkkonstituierenden Elemente gestattet die Realisierung dieses Konzeptes, 29

das aber neben anderen steht. Erst mit der Identifizierung derartiger Anlagekonzepte wird man auch einer Antwort auf die bisher offene Frage nach den Intentionen und Gebrauchsfunktionen der einzelnen Manuskripte näherkommen können.

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Hanna Wimmer

Ein neuer Blick auf die Seitendisposition in Biblia pauperum-Handschriften

Einleitung: Jenseits des Verfalls-Narrativs S. 31 – 1. Die diagrammatische Seitendisposition und ihre Variationen in den frühen Handschriften – S. 37 – Die Einfügung von Architekturelementen S. 41 – Das Quincunx-Schema und seine Variationen S. 44 – Zusammenfassung S. 49 – 2. Vereinfachungen der frühen Seitenschemata: Rasterstrukturen und ihre Konsequenzen für die visuelle Organisation S. 51 – 3. Seitendispositionen mit nur einer typologischen Gruppe S. 55 – Seitenformat und Seitenschema S. 58 – Inhaltliche Erweiterungen der typologischen Gruppen S. 62 – Zweisprachige Handschriften S. 66 – Zusammenfassung S. 69 – 4. Die Biblia pauperum als Lesebuch? Seitenschemata in Handschriften des ›deutschen erzählenden Typs‹ S. 70 – Lektionen als Glossen S. 71 – Lektionen als Fließtext S. 73 – Zusammenfassung S. 77 – 5. Neustrukturierungen des Seitenschemas nach dem Vorbild anderer Handschriftentypen S. 78 – 6. Die Biblia pauperum als Bilderbuch? Andere Neukonzeptionen des Seitenschemas im 15. Jahrhundert S. 86 – Statische und vegetabile Strukturmetaphern S. 87 – Das Triptychon-Schema und seine Weiterentwicklung S. 90 – Zusammenfassung S. 97 – Biblia pauperum-Handschriften: Die kontinuierliche Reinterpretation eines Konzepts S. 98

Einleitung: Jenseits des Verfalls-Narrativs Hoc excerptum in suo originali dictum est biblia pauperum, in quo plures hystorie continentur nove legis, que verbum incarnatum respiciunt et quelibet hystoriarum innitantur prophetarum quatuor testimonio et post hoc cuilibet earum applicantur due prophetie veteris testamenti vel hystorie que in fine versibus concluduntur. Sic quod primus versus proprie hystorie correspondit, secundus tangit de novo testamento aliquid de verbo incarnato, tertius vero versus comprehendit secundam hystoriam. [Dies Exzerpt wird ursprünglich Armenbibel genannt, in dem mehrere Geschichten aus dem Neuen Testament enthalten sind, die sich auf das Fleisch gewordene Wort beziehen; und eine jede dieser Historien wird unterstützt durch das Zeugnis von vier Propheten; und danach werden einer jeden zwei Prophetien der Alten Testaments bzw. Historien zugeordnet, die mit Versen erklärt werden; so dass sich der erste Vers auf die erste Historie bezieht, der zweite auf das Fleisch gewordene Wort, der dritte aber auf die zweite Historie des Alten Bundes.]1 1

München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 12717, fol. 142r. Transkription und Übers. nach Suckale, Robert: Klosterreform und Buchkunst. Die Handschriften des Mettener

In einer 1398 datierten Handschrift aus dem Augustiner-Chorherrenstift St. Pankraz in Ranshofen stellt der Schreiber einer Biblia pauperum diese kurze Einleitung voran, in der er das Konzept dieses um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen Handschriftentyps erläutert, der aus einer Folge typologischer Gruppen besteht. Er zählt die unterschiedlichen Elemente einer jeden dieser Gruppen auf und definiert ihre Beziehungen zueinander: Prophezeiungen und ihre Erfüllung, biblische historia und ihre Exegese. In der Forschung ist dieser Vermerk vor allem deshalb bekannt, weil es sich um einen der sehr seltenen Fälle handelt, bei dem der Name ›Biblia pauperum‹ bereits im Mittelalter mit einem Exemplar jener Gruppe von Handschriften in Beziehung gebracht wurde, die heute unter diesem Titel bekannt ist.2 Ebenso ungewöhnlich ist es indes, dass einer Biblia pauperum eine so ausführliche Erläuterung beigegeben wurde. Dass dies notwendig erschien, mag daran gelegen haben, dass die typologischen Gruppen der Biblia pauperum in dieser Handschrift nicht, wie ursprünglich konzipiert, als Konfigurationen aus Schrift- und Bildelementen ausgeführt wurden. Stattdessen wurden Gruppenbezeichnungen, Prophetensprüche, Tituli und kurze Lektionen in Schriftspalten untereinander geschrieben. Damit ist hier mehr weggefallen als nur die Bildelemente der typologischen Gruppen, nämlich jeweils eine Szene aus der Vita Christi, Darstellungen zweier alttestamentlicher Ereignisse und vier Prophetenbilder. Es fehlt auch die für die meisten Biblia pauperum-Handschriften so charakteristische Seitendisposition, in der die alttestamentlichen Prophezeiungen und Präfigurationen in Schrift und Bild auf den neutestamentlichen Antitypus hin ausgerichtet sind. Der Bezug der diversen Bild- und Schriftelemente wird in erster Linie über ihre komplexe Disposition auf der Codexseite hergestellt. Die Lektionen, die die Geschichten der alttestamentlichen Typen paraphrasieren und ihren Bezug zum Antitypus benennen, ebenso wie einige der Verstituli, erläutern die Art dieser Beziehungen punktuell und unterstützen damit die visuelle Syntax der Schrift-Bild-Konfigurationen, ersetzen sie jedoch nicht. Eine bloße Aneinanderreihung der Elemente einer typologischen Gruppe oder auch nur ihrer Schriftelemente wie in der Handschrift aus Ranshofen führt dazu, dass ihre Bezüge zueinander nur mehr mühsam erschlossen werden können. Die exegetische Systematik, aber auch Regelhaftigkeit, ja Gesetzmäßigkeit, die in dem

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Abtes Peters I.: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 8201 und 8201d, Petersberg 2012 (zugl. Habil.-Schrift, LMU München 1975), S. 69 (erläuternde Einschübe wurden gelöscht). Zur Biblia pauperum in dieser Handschrift s. a. Cornell, Henrik: Biblia pauperum, Stockholm 1925, Kat.-Nr. 22. So bei Suckale, Robert: Klosterreform und Buchkunst [wie Anm. 1], S. 69. Zur Geschichte des Titels ‚Biblia pauperum‘ und seiner Problematik ausführlich Schmidt, Gerhard: Die Armenbibeln des XIV. Jahrhunderts, Graz/Köln u. a. 1959, S. 117–120.

innerhalb der Handschriften für jede einzelne typologische Gruppe wiederholten Seitenschema visuell so überzeugend suggeriert und inszeniert wird, ist nicht mehr auf die gleiche Weise nachvollziehbar. Der Schreibervermerk sollte offenbar dazu dienen, den Mangel eines solchen visuellen Organisationsschemas zumindest zu einem gewissen Grade zu kompensieren. Die Seitendisposition der typologischen Gruppen muss also ebenso wie ihre einzelnen Bild- und Schriftelemente als integraler Bestandteil von Biblia pauperum-Handschriften betrachtet werden, der für die Vermittlung der Inhalte dieses typologischen Handschriftentyps von zentraler Bedeutung ist. Umso auffälliger ist es aber, dass dieses visuelle Organisationsschema zwar in aller Regel nicht innerhalb einer Handschrift, wohl aber in unterschiedlichen Manuskripten stark variiert. In den rund 50 erhaltenen Biblia pauperum-Handschriften mit Schrift- und Bildelementen, die aus der Zeit vom frühen 14. bis zum späten 15. Jahrhundert stammen, sowie in mehreren Blockbuchausgaben ist es immer wieder modifiziert und neu konzipiert worden. Die Vermutung liegt nahe, dass solche Veränderungen Konsequenzen für die Art und Weise haben, wie die so präsentierten Inhalte vermittelt wurden. Welche Umstände dazu führten, dass die visuelle Matrix der Schrift-Bild-Konfigurationen modifiziert wurde, worin diese Veränderungen im Einzelnen bestehen und inwiefern sie Auswirkungen darauf hatten, wie die Inhalte der Biblia pauperum-Handschriften vermittelt wurden, sind jedoch Fragen, mit denen sich die bisherige Forschung nur auf sehr allgemeiner Ebene beschäftigt hat. Die wichtigsten Erkenntnisse und Thesen sollen hier zunächst kurz zusammengefasst werden. Grundlegend ist nach wie vor die breit angelegte Studie Henrik Cornells aus dem Jahr 1925,3 ergänzt durch Gerhard Schmidts Veröffentlichung zu den Biblia pauperum-Handschriften des 14. Jahrhunderts von 1959.4 Beide Forscher vereint ein starkes Interesse am verlorenen ›Urexemplar‹. Ihre Analyse der Variationen der Bild- und Schriftelemente der Gruppen, ihrer Auswahl und Reihenfolge sowie eben auch ihrer visuellen Organisation in den erhaltenen Codices steht in erster Linie im Dienste von dessen Rekonstruktion sowie der Einordnung der später entstandenen Handschriften in Filiationslinien und ›Handschriftenfamilien‹. Die Zuordnungen Cornells in verschiedene ›Handschriftenfamilien‹, ›Unterfamilien‹ und ›Gruppen‹ sind, mit punktuellen Änderungen und Ergänzungen, von der Forschung übernommen worden.5 3 4 5

Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1]. Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2]. So auch etwa von Norbert Ott in seinem Katalog der deutschsprachigen Biblia pauperumHandschriften; Ott, Norbert H.: Biblia pauperum, in: Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften, hrsg. v. Hella Frühmorgen-Voss und Nobert H. Ott, Bd. 2, München 1996, S. 249–327.

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Im Zuge dieser Forschung ist der äußerst enge Bezug zwischen dem visuellen Organisationsschema und den Inhalten der Biblia pauperum-Handschriften erkannt worden. So ist die inhaltliche Struktur der Biblia pauperum in den meisten Handschriften in ganz besonderer Weise auf die physische Struktur des Codex bezogen: In den frühen erhaltenen Handschriften bildet jede Doppelseite eine Matrix für vier typologische Gruppen, zwei auf jeder Seite. Die neutestamentlichen Antitypen, deren Chronologie gewissermaßen das Rückgrat der Biblia pauperum bildet, sind auf jeder Doppelseite so zusammengestellt, dass sie gemeinsam eine thematische Einheit innerhalb der Vita Christi bilden.6 Entsprechend blieb die erste recto-Seite gewöhnlich leer, damit die erste Vierergruppe rund um die Inkarnation und frühe Kindheit Christi auf einer Doppelseite präsentiert werden konnte.7 Ein so ausdifferenziertes Organisationsschema setzt den Möglichkeiten inhaltlicher und formaler Gestaltung enge Grenzen. So ist bereits von Cornell bemerkt worden, dass die Entscheidung, jeweils vier Gruppen, deren Antitypen thematisch zueinander passen, auf einer Doppelseite zusammenzustellen, dazu geführt hat, dass einige geläufige Szenen aus dem Leben Christi, etwa die Fußwaschung oder die Geißelung, ursprünglich nicht in die Biblia pauperumHandschriften aufgenommen wurden.8 Andere, weniger bekannte kamen dagegen hinzu, um Vierergruppen zu vervollständigen. So ergänzt der nur apokryph überlieferte Sturz der ägyptischen Götzenbilder die Flucht, den Kindermord und die Rückkehr aus Ägypten.9 Auf der Ebene der einzelnen Gruppen diktierte das Schema, dass jedem Antitypus zwei alttestamentliche Ereignisse und vier Prophezeiungen zugeordnet werden mussten. Dies führte bei den alttestamentlichen Typen dazu, dass der Konzeptor des ›Urexemplars‹ mitunter obskure und in der modernen Forschung in ihrer Eignung oft nicht eben gnädig beurteilte Szenen für manche Antitypen heranziehen und bei anderen Antitypen unter zahlreichen bekannten Typen zwei auswählen musste. Auch vier Prophezeiungen für jeden Antitypus zu finden, gestaltete sich offenbar nicht immer leicht. So blieben anscheinend zwei Prophetenfiguren zunächst unidentifiziert, denn sie sind in späteren Handschriften unterschiedlich ergänzt worden.10 Umgekehrt lässt sich auf vielen unterschiedlichen Ebenen beobachten, dass bei einer Lockerung dieses Schemas Ergänzungen hinzukommen: In Handschriften, die nur eine typologische Gruppe pro Seite präsentieren und damit die Vierereinheiten effektiv auflösen,

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Siehe Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 79–81. Ebd., S. 80. Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 80–81. Ebd., S. 80. Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 83.

werden weitere typologische Gruppen eingefügt.11 In bilderlosen Handschriften der Biblia pauperum, die lediglich die Schriftelemente der typologischen Gruppen enthalten und diese nicht in einem grafischen Schema präsentieren, sondern sie lediglich untereinander auflisten, werden die beiden alttestamentlichen Typen und ihre Lektionen manchmal um weitere ergänzt.12 Solche inhaltlichen und strukturellen Erweiterungen und Veränderungen des ›Urexemplars‹ werden insbesondere von Schmidt als ein Prozess des ›Verfalls‹ der ursprünglichen Konzeption der Biblia pauperum aufgefasst, an dessen Ende nicht nur das Prinzip der thematischen Vierergruppe auf der Doppelseite aufgelöst worden ist, sondern auch der enge Zusammenhang aller Bild- und Schriftelemente einer typologischen Gruppe im Seitenschema.13 In einem solchen Verlust an innerer Systematik manifestieren sich ihm zufolge theologische und frömmigkeitsgeschichtliche Entwicklungen der Zeit. Die Biblia pauperum gilt ihm dabei als ein »Produkt eines historischen Überganges« von einer älteren, systematisch-spekulativ geprägten Typologie zu einer jüngeren mit überwiegend moralisch-didaktischem Anspruch: »ihr geistiges Konzept wurzelt noch ganz in der strengen typologischen Systematik des 12. Jahrhunderts, während ihre praktische Verwertbarkeit auf die erbaulichen und didaktischen Tendenzen jener Schriften vorausweist, die ihr im 14. Jahrhundert nachfolgen sollten«.14 Dass solche »recht pauschalen Entwicklungsmomente« als Begründung der Breite an unterschiedlichen Varianten von Biblia pauperum-Handschriften problematisch sind, ist bereits von Ralf Schlechtweg-Jahn angemerkt worden.15 Hinzu kommt, dass sich, seit Schmidts Studie erschienen ist, das Interesse vieler Philologen und Handschriftenforscher an den individuellen materiellen ›Zeugen‹ literarischer (und bildlicher) Traditionen verändert hat. Nicht mehr die Rekonstruktion des ›Urexemplars‹ und der Filiationslinien seiner ›Abschriften‹ stehen allein im Vordergrund; statt als Symptome des Verfalls und der Verderbung im Laufe der Überlieferung können Varianten und Variationen als 11 12 13

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Ebd., S. 103. Dies ist etwa der Fall in München, Cgm 3974; siehe Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.15, S. 295–296. Bei Schmidt ist zwar die Rede von einem Prozess, »den man – je nach Neigung – als ›Verfall‹ oder ›Anpassung‹ bezeichnen kann«; er selbst neigt indes deutlich zu Ersterem. Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 99. Ähnlich auch die Äußerungen Otts: Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], S. 250–251. Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 98–100, Zitat S. 98. Schlechtweg-Jahn, Ralf: Christus als medium in der Armenbibel von 1471. Spielräume von Typologie in Text, Bild und Performanz, in: Das Buch in den Büchern. Wechselwirkungen von Bibel und Literatur, hrsg. v. Andrea Polaschegg u. Daniel Weidner, München 2012 (Trajekte. Eine Reihe des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung), S. 103–118, hier S. 117.

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Adaptionen, Übersetzungen und Übertragungen betrachtet werden, als Spuren der Auseinandersetzung mit tradiertem Material, das mal mehr, mal weniger gezielt und bewusst adaptiert, modifiziert und interpretiert wurde.16 Es erscheint also an der Zeit, die visuelle Organisation von Biblia pauperum-Handschriften einer neuen Betrachtung zu unterziehen. Dabei soll bewusst auf eine systematische Neuerzählung der Entwicklung der nicht nur in vielen unterschiedlichen Varianten, sondern auch extrem lückenhaft überlieferten Biblia pauperum unter neuen Vorzeichen verzichtet werden. Vielmehr soll eine Reihe exemplarischer Fallstudien Gelegenheit dazu bieten, einigen der Faktoren auf die Spur zu kommen, die die visuelle Organisation einzelner Biblia pauperum-Handschriften geprägt haben, und es soll nach möglichen Gründen für die Modifikation der Seitenschemata in Biblia pauperum-Handschriften und ihren Folgen für die Rezeption ihres Inhalts gefragt werden. Der Preis für ein solches Vorgehen ist die Gefahr, dass der Eindruck völliger Fragmentierung einer Gruppe von Handschriften entsteht, die trotz aller Heterogenität in Umfang, Inhalt und visueller Organisation ein gemeinsames Grundkonzept und ein gemeinsamer Grundstock an Schrift- und Bildelementen verbindet; eine Gruppe, für die der zu eng gefasste Begriff des ›Werkes‹ eines einzigen (anonymen) Verfassers beinahe ebenso problematisch erscheint wie der allzu allgemeine eines »type of book«.17 Die Fokussierung auf die visuelle Organisation von Biblia pauperum-Handschriften bedeutet auch, dass die von Cornell eingeführten Gruppierungen für die folgende Untersuchung nur begrenzt nützlich sind. Cornells Zuordnungen gründen primär auf der Abfolge der typologischen Gruppen in den Manuskripten und auf dem Wortlaut der Tituli. Wilhelm Ludwig Schreibers früherer Versuch, eine Kategorisierung der Handschriften aufgrund von allerdings sehr allgemein gefassten Merkmalen ihrer Seitendispositionen vorzunehmen, hat

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Es seien an dieser Stelle nur zwei bahnbrechende Sammelbände erwähnt, die mittelalterlichen Konzepten der Übertragung und Retextualisierung gewidmet sind: Übertragungen. Formen und Konzepte von Reproduktion in Mittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. v. Britta Bußmann, Albrecht Hausmann, Annelie Kreft und Cornelia Logemann, Berlin 2005 sowie Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur, hrsg. v. Joachim Bumke und Ursula Peters, Berlin 2005 (Sonderheft d. Zeitschrift für deutsche Philologie 124 [2005]). Für letztere Bezeichnung entscheidet sich James Marrow: »The Biblia pauperum is the modern name for a type of book that sets forth the story of the redemption of mankind by Christ in the context of pertinent prophecies and prefigurations from the Old Testament.« Marrow, James: Art and Experience in Dutch Manuscript Illumination around 1400. Transcending the Boundaries, in: The Journal of the Walters Art Gallery 54 (1996), Essays in Honor of Lilian M. C. Randall, S. 101–117, hier S. 108.

sich nicht durchgesetzt.18 Entsprechend gibt es innerhalb der von Cornell vorgenommenen Gruppierungen zwar häufig, aber eben längst nicht immer deutliche Ähnlichkeiten in den Dispositionsschemata der Handschriften, während andererseits durchaus vergleichbare Lösungen für Handschriften aus unterschiedlichen Gruppen beobachtet werden können. Während also Cornells Systematik einen wichtigen Ausgangspunkt bietet, wird im Folgenden eine allzu enge Rückbindung an die Cornellschen Gruppierungen vermieden.

1. Die diagrammatische Seitendisposition und ihre Variationen in den frühen Handschriften Vielen der ältesten erhaltenen Handschriften, die aus dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts stammen, sind zahlreiche Elemente ihrer visuellen Organisation gemeinsam (Farbtafel I, Abb 14–22). Andererseits aber weisen bereits diese frühesten erhaltenen Handschriften in ihrer Anlage und Seitendisposition deutliche Unterschiede auf, die stärkere Konsequenzen für die Art und Weise haben, wie das typologische Konzept in visuellen Konfigurationen auf der Seite veranschaulicht wird, als ihnen in der bisherigen Forschung zugeschrieben worden ist. Gemeinsam ist den Handschriften zunächst, dass jeweils zwei typologische Gruppen auf einer Seite und damit vier auf einer Doppelseite platziert sind. Die Gruppen sind jeweils querrechteckig angelegt, damit immer zwei auf eine hochrechteckige Seite passen. Ihrer Bedeutung entsprechend sind die Bilder des Antitypus das kompositionelle Zentrum jeder Gruppe und bilden den gemeinsamen Bezugspunkt für alle übrigen Bild- und Schriftelemente. Sie sind in Medaillons eingefasst und werden zu beiden Seiten von einer alttestamentlichen Szene flankiert. Vier als Halbfiguren dargestellte Propheten umgeben den zentralen Kreis und füllen die Zwickelfelder eines gedachten (und im Liniensystem oft konkret eingezeichneten) Rechtecks, in das der Kreis eingeschrieben ist. Auffällig ist der meist beträchtliche Größenunterschied zwischen den Bildern der alttestamentlichen Typen und demjenigen des neutestamentlichen Antitypus. Letzteres ist zwar durch seine zentrale Position und den kreisförmigen Rahmen hervorgehoben und ausgezeichnet, aber deutlich kleiner als die Darstellungen der Typen. Diese erscheinen ihrerseits in ungerahmten 18

Biblia pauperum. Nach dem einzigen Exemplare in 50 Darstellungen (früher in Wolfenbüttel, jetzt in der Bibliothèque nationale), hrsg. v. Paul Heitz, mit einer Einleitung über die Entstehung und Entwicklung der Biblia pauperum unter bes. Berücksichtigung der uns erhaltenen Handschriften v. Wilhelm Ludwig Schreiber, Straßburg 1903, S. 1–45, hier S. 25–32; s. a. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 3–6.

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oder nur durch die blassen Spuren des Liniensystems umrandeten Bildfeldern, die wie von dem zentralen Kreisfeld und bisweilen auch von den Prophetenbildern überschnitten wirken. Es entsteht so eine Spannung zwischen dem gerahmten, aber kleinformatigen Bild des Antitypus im Zentrum und den ungerahmten, über- und abgeschnittenen, aber großformatigeren Typen zu beiden Seiten. Oberhalb jeder typologischen Gruppe ist ein Streifen eingezeichnet, in den die Tituli zu den beiden Typen und dem Antitypus so eingetragen wurden, dass sie jeweils genau über deren bildlichen Darstellungen stehen. Neben diesen Gemeinsamkeiten gibt es aber auch einige deutliche Unterschiede. Diese fallen insbesondere dann ins Auge, wenn man auch die Position der Lektionen mit in Betracht zieht, die ja formal und inhaltlich ebenfalls Teil der typologischen Gruppen sind. So fällt beim Codex aus St. Florian (Farbtafel I) der vertikale Streifen auf, der den Schrift-Bild-Spiegel in zwei Hälften teilt und zunächst an das Interkolumnium eines zweispaltigen Schriftspiegels erinnert.19 Ähnliche Streifen rahmen oben, unten und an den Seiten das gesamte SchriftBild-Feld, in dem zusätzlich ein waagerechter Steg die obere typologische Gruppe von der unteren trennt. Dieser Steg wird von dem vertikal verlaufenden Streifen überschnitten, der damit neben einer trennenden auch eine verbindende Funktion erhält: Er separiert einerseits die beiden alttestamentlichen Typen innerhalb jeder typologischen Gruppe und verbindet andererseits die Kreisfelder mit den Antitypen der beiden auf einer Seite platzierten typologischen Gruppen. Die rot beschrifteten Spruchbänder in den Händen der Prophetenfiguren, die sich um den Rahmen des Kreisbildes legen und dann weiter entlang des vertikalen Mittelstreifens verlaufen, betonen diese Verbindung zusätzlich. Die Separierung der Typenbilder durch Mittelsteg und Schriftbänder wird auch in dem Schriftfeld mit den Lektionen aufgenommen, das jeweils oberhalb der Typenbilder angeordnet ist, über die gesamte ›Spalten‹-Breite reicht und nach unten hin von einer einfachen Linie gegen das darunter liegende Bildfeld abgegrenzt ist. Die unterste Zeile dieses Schriftfeldes nehmen schließlich die rubrizierten Tituli ein. In dieser Disposition mögen die Bildelemente stärker ins Auge fallen; die Leserichtung von oben nach unten erzeugt jedoch eine Hierarchie, in der der paraphrasierende und erläuternde Text Präzedenz vor der diagrammatischen Bilderkonfiguration hat, und dies umso mehr, als durch den vertikalen Steg in der Mitte das Muster einer Seite mit zwei Textkolumnen evoziert wird. Aus der strengen vertikalen Zweiteilung des Schrift-Bild-Spiegels, die nur von den Medaillons des Antitypus unterbrochen wird, ergibt sich allerdings eine 19

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St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift, Cod. III, 207; Cornell zufolge um 1310 in St. Florian entstanden. Beschreibungen der Handschrift bei Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 5, S. 73–74; Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 9–10.

Schwierigkeit: Die Tituli der Antitypen, die in der Zeile direkt oberhalb der jeweiligen Bilder stehen, müssen entweder durch den vertikalen Mittelstreifen eigentlich sinnwidrig unterbrochen werden, oder aber sie verlaufen quer über ihn hinweg und schwächen seine Wirkung als Verbindungssteg zwischen den Antitypen der beiden Gruppen erheblich. Exemplarisch lässt sich an dieser Stelle verfolgen, wie die Konzeptoren der verschiedenen Handschriften selbst auf solche scheinbar nebensächlich erscheinenden Nuancen achteten und um adäquate Lösungen rangen. Im Codex aus St. Florian entschied man sich dafür, den Titulus durch den Steg zu unterbrechen, auch wenn dies mitunter bedeutete, dass dieser Schnitt mitten in ein Wort fiel.20 In einer Handschrift mit dem gleichen Seitendispositionstyp, die vermutlich etwa zwei Jahrzehnte später entstand, Cod. 1198 in der Österreichischen Nationalbibliothek (Abb. 14),21 experimentierte der Schreiber zunächst mit beiden Möglichkeiten. Auf den ersten vier Seiten sind die Tituli teils über den vertikalen Mittelsteg geschrieben, teils durch ihn unterbrochen. Erst ab fol. 3v verlaufen alle weiteren Tituli über den Steg.22 Obwohl das Seitenschema der Wiener Handschrift mit dem des Codex aus St. Florian im Aufbau fast identisch ist, finden sich also in der Umsetzung doch kleine Unterschiede, die marginal erscheinen mögen, den Gesamteindruck aber stark verändern können. Dies zeigt sich bereits daran, wie der angesprochene Mittelsteg in dem Liniensystem behandelt wird, das die Anordnung von Schrift und Bild im Seitenschema vorbereitet und festlegt. Im Codex aus St. Florian ist das Liniensystem der Seite mit dunkler Tinte nachgezogen. Die Seitenrahmung, die Trennstege und Rahmen der Antitypusmedaillons werden so betont, ebenso wie die für die Logik des Seitenschemas bedeutsame Tatsache, dass der vertikale Trennsteg dominiert und den horizontalen überschneidet. Auch die waagerechten Linien, die die Textfelder der Lektionen nach oben und unten begrenzen, sind deutlich sichtbar. Innerhalb der Lektionenfelder ist 20

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So etwa beim Titulus zur Anbetung der Könige, »Christus adoratur aurum thus myrra libatur« auf fol. 2r, in dem das Wort »aurum« nach den ersten beiden Buchstaben durch den vertikalen Steg unterbrochen wird. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 1198; Cornell zufolge um 1320 entstanden; Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 6, S. 74. Schmidt schlägt aufgrund seines Vergleichs mit den auf 1331 datierten Klosterneuburger Temperatafeln eine etwa gleichzeitige Entstehungszeit und Klosterneuburg als Entstehungsort vor: Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 10–11. Siehe auch Fingernagel, Andreas und Roland, Martin: Mitteleuropäische Schulen I (ca. 1250–1350) (Die illuminierten Handschriften und Inkunabeln der Österreichischen Nationalbibliothek, 10), Wien 1997, Textbd., Kat.-Nr. 105, S. 261–264. Die Tituli der Antitypen werden in Cod. 1198 bei den folgenden typologischen Gruppen durch den Trennsteg unterbrochen: Verkündigung (fol. 1v, oben), Anbetung der Könige (fol. 2r, oben), Bethlehemitischer Kindermord (fol. 3r, oben) und Rückkehr aus Ägypten (fol. 3r, unten); vgl. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Taf. 1–4.

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dagegen keine Linierung für die einzelnen Zeilen erkennbar. In der Wiener Biblia pauperum-Handschrift sind wie das gesamte Liniensystem auch die Zeilen der Lektionen in blasseren Linien eingezeichnet, hier aber so, dass die Linierung den vertikalen Mittelsteg überschneidet. Schreiber und Rubrizierer haben hier die Felder der Lektionen weniger als durch Rahmungen begrenzte Textfelder links und rechts des Mittelstegs denn als Schriftkolumnen wahrgenommen und entsprechend beschrieben: Nicht immer schließt eine Zeile am nun ganz deutlich als Interkolumnium fungierenden Mittelsteg ab und der Rubrizierer rückte, wenn der Platz knapp war, die Lombarden weit aus der Kolumne aus. Die Funktion des Mittelstegs als vertikale Verbindung der Antitypusfelder tritt damit in den Hintergrund, erst recht, wenn er zusätzlich durch die über ihn verlaufenden Tituluszeilen unterbrochen ist. Dies ist auch der Fall bei sechs heute im Louvre aufbewahrten Fragmenten einer Biblia pauperum, die wohl ebenfalls in St. Florian entstand (Abb. 15).23 Die Gestaltung der Lektionenfelder mit ihrer deutlich erkennbar über den vertikalen Mittelsteg hinweg verlaufenden Zeilenlinierung ähnelt derjenigen in der Wiener Biblia pauperum-Handschrift. Zudem wurde jeder der Schriftblöcke innerhalb der für die Lektionen vorgesehenen Felder jeweils deutlich eingerückt, so dass die Initialen hier zwar innerhalb der markierten Bereiche stehen, der vertikale Trennsteg als schmaler unbeschriebener Streifen zwischen gleichmäßig beschriebenen Feldern aber deutlich an visueller Wirkung einbüßt. Er wird in erster Linie als Trennung zweier Lektionen und der ihnen zugeordneten Bilder und nicht als Verbindungssteg über- und untereinander angeordneter typologischer Gruppen wahrgenommen. Im Fall der Pariser Fragmente wäre eine Betonung der Verbindung übereinanderstehender Gruppen, wie dies im Codex in St. Florian geschieht, allerdings auch wenig sinnvoll: Wie Schmidt nachgewiesen hat, handelt es sich bei ihnen nicht um Fragmente eines Codex, sondern um Überreste einer Wandtafel.24 Dafür musste ein Organisationsschema, das auf die materielle Struktur des Codex mit seiner Folge von Doppelseiten hin konzipiert war, durch eines ersetzt werden, das alle typologischen Gruppen zusammen auf einer rechteckigen Fläche präsentierte. Schmidts Rekonstruktion zufolge wurde dies so gelöst, dass zunächst jede der Gruppenvierheiten, die 23

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Schmidt vermutet, dass die Beschriftung der Handschrift, von der die Pariser Fragmente stammen, von einem Schreiber außerhalb des Klosters nachträglich vorgenommen wurde. Er nennt als Begründung deutliche Varianten des Textes, die auf eine andere Vorlage hindeuten als den Codex aus St. Florian (oder wiederum dessen Vorlage); Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 10 und S. 105–109. Cornell, dem die Fragmente als ›Weigelsche Fragmente‹ bekannt waren, glaubte sie verschollen, Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 7, S. 76. Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 105–109.

sonst auf einer Doppelseite erscheinen, um eine typologische Gruppe reduziert wurde. Die verbleibenden Gruppendreiheiten wurden jeweils in einem Register angeordnet.25 Der Chronologie der Antitypen konnte man also folgen, indem man den Gruppen wie Zeilen in einem Text folgte, angefangen mit der ersten typologischen Gruppe im ersten Feld des obersten Registers bis hin zur letzten Gruppe am Ende des untersten Registers. Dies bedeutete aber, dass die senkrechten Verbindungen, die für die Seitendisposition der Handschrift in St. Florian so charakteristisch sind, in diesem Fall nur willkürliche Querschnitte innerhalb der heilsgeschichtlichen Erzählung markiert hätten. Die Einfügung von Architekturelementen An den Münchener Handschriften Clm 23425 (Abb. 16–18) und Clm 4523 (Abb. 19) lassen sich weitere Variationen des Seitenschemas, wie es im Codex aus St. Florian entwickelt ist, beobachten.26 Eine Verbindung der oberen und unteren Gruppe jeder Seite durch den vertikalen Mittelsteg findet sich hier nicht; vielmehr bildet eine durchgehend beschriftete Tituluszeile eine deutliche Trennung beider Gruppen. Dennoch werden diese durch ein kleines, aber wichtiges Detail aufeinander bezogen: Die Bezeichnungen der Antitypen (z. B. Oblatio regum, Purificatio) sind hier nicht wie in der Handschrift aus St. Florian in die Rahmen der Antitypusmedaillons eingetragen, sondern in die Kopf- und Fußzeile der Seite oberhalb der oberen und unterhalb der unteren typologischen Gruppe und verklammern die beiden Gruppen so miteinander. Außerdem wird durch das Herausrücken der Titel ihr zweifacher Bezug verdeutlicht, sowohl auf die zentrale Darstellung des Antitypus als auch auf die gesamte typologische Gruppe, die auf diese Darstellung hin ausgerichtet ist. Auch die Lektionen sind in den Münchener Handschriften anders platziert als im Codex aus St. Florian. 25 26

Ebd., S. 105–109. München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 23425 und Clm 4523. Bayern, 1. Viertel 14. Jh. Cornell bezeichnet sie als die ältesten erhaltenen Handschriften der sog. Bayerischen Familie. Er schlägt als Entstehungsort Regensburg vor und datiert Clm 23425 auf um 1300, Clm 4523 auf um 1320. Als Begründung für den zeitlichen Unterschied nennt er allerdings lediglich die Tatsache, dass die architektonischen Elemente im Rahmensystem in Clm 23425 Rundbögen, diejenigen in Clm 4523 dagegen Spitzbögen enthalten. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 1, S. 69–71 und Kat.-Nr. 2, S. 71–72; Schmidt kritisiert diese Grundlage für Cornells spätere Datierung, zählt aber weitere Merkmale auf, die für eine Datierung von Clm 4523 zwar nicht einige Jahrzehnte, aber doch einige Jahre später als Clm 23425 sprechen, Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 47–48. Siehe auch Hernad, Béatrice: Die gotischen Handschriften deutscher Herkunft in der Bayerischen Staatsbibliothek: Teil 1. Vom späten 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Mit Beiträgen von Andreas Weiner (Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek in München, Bd. 5,1), Wiesbaden 2000, Kat.-Nr. 173, S. 111–114 (zu Clm 23425) und Kat.-Nr. 174, S. 114–117 (Clm 4523).

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Sind sie dort oberhalb der Typusbilder positioniert, so flankieren sie diese hier in schmalen Schriftkolumnen. Sie werden so an den Ort im Schrift-Bild-Spiegel gerückt, an dem sich in glossierten Handschriften im Allgemeinen die Interpretamente befinden. Ein weiteres Charakteristikum der beiden Handschriften in München sind die angedeuteten architektonischen Elemente, welche die Bildgruppen strukturieren. Zwar erscheinen die Antitypen nach wie vor in zentral positionierten Medaillons, die sie flankierenden alttestamentlichen Szenen sind hier aber von Rund- oder Spitzbogenformen überfangen, die mit dem Zirkel geschlagen sind. Dies gilt auch für die Prophetenfiguren, die auf diese Weise wie Einzelfiguren in Nischen erscheinen. In Clm 4523 wird dieser Eindruck durch kleine Säulen verstärkt, die die Propheten voneinander trennen und gleichzeitig die Bögen über ihren Köpfen zu tragen scheinen. Ihre Spruchbänder tragen wie im Codex aus St. Florian nicht nur inhaltlich durch die Prophetensprüche zur typologischen Gruppe bei, sondern sie sind auch wichtige Formelemente der Bilderkonfiguration und damit fest in die Symmetrie des Schemas eingebunden: Die Spruchbänder der oberen beiden Propheten wölben sich nach außen und bilden eine zweite Bogenform oberhalb der alttestamentlichen Szenen, die Spruchbänder der unteren verlaufen mehr oder minder waagerecht unterhalb der alttestamentlichen Typen. Propheten und Spruchbänder umfassen die Bildgruppe so von oben und unten. Sie verklammern den Antitypus mit seinen alttestamentlichen Typen und visualisieren so die Funktion der Propheten als Mittler zwischen Altem und Neuem Testament. Die Bogenformen oberhalb der alttestamentlichen Szenen und Figuren sind nicht Teil eines Rahmensystems oder Gehäuses für die Bildelemente, das einer schlüssigen Statik gehorcht; die diagrammatische Logik der Disposition wird nicht durch eine architektonische ersetzt. Trotzdem wird die diagrammatische, auf geometrischen Formen und Symmetrien basierende Konfiguration der typologischen Gruppe vom Bild einer – wenn auch nur angedeuteten – Architektur überlagert. Die aus wenigen Zirkelschlägen gebildeten Elemente genügen, um das Motiv architektonischer Ordnung zu evozieren und ihr metaphorisches Potential zu aktivieren, nämlich als »Schrift- und Denkgebäude« den systematischen Charakter der exegetischen Methode zu betonen, die den Gruppen zugrunde liegt.27 Die auf den ersten Blick der Biblia pauperum-Handschrift in St. Florian so ähnliche Seitendisposition der beiden Münchener Handschriften weist auf 27

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Zum Gebäude als Strukturmetapher siehe Spitz, Hans-Jörg: Die Metaphorik des geistigen Schriftsinns. Ein Beitrag zur allegorischen Bibelauslegung des ersten christlichen Jahrtausends, München 1972 (Münstersche Mittelalter-Schriften, 12), S. 205–218, Zitat S. 205.

den zweiten Blick also deutliche Unterschiede auf. Zum einen wird im diagrammatischen Organisationsschema der Bilderkonfiguration eine architektonische Struktur angedeutet und dadurch dem Rahmengerüst selbst neben seiner dispositiven Funktion auch eine metaphorische verliehen. Zum anderen werden Elemente in die Seitendisposition integriert, die den Produzenten wie auch den Rezipienten der Codices aus anderen Handschriftengattungen und deren visueller Organisation vertraut gewesen sein werden. So sind Marginalglossen und rubrizierte Titelangaben in Kopfzeilen bekannte Phänomene in Manuskripten der Zeit, insbesondere in solchen, die der Lehre und der Gelehrsamkeit dienten. Indem das Muster ›Marginalglosse‹ für die Platzierung der Lektionen gewählt wird, werden diese als Erläuterungen, als Paratexte zur zentralen Schrift-Bild-Konfiguration inszeniert. Dies wiederum hat nun Konsequenzen für die Bewertung der Bild- und Schriftelemente: Wenn die Lektionen Paratexte sind, wird die zentrale Konfiguration zum eigentlichen, zum erläuterungswürdigen und erläuterungsbedürftigen Haupt-›Text‹. Auch die angesprochene Verschiebung der Antitypus-Bezeichnungen vom Medaillonrahmen in eine Kopf- oder Fußzeile schließt an Organisationsmuster in anderen Handschriftentypen an: Die Konvention, Titel von Texten und Nummern von Textabschnitten in die Kopfzeile zu rücken, diente dort zunächst sicherlich dazu, das Auffinden bestimmter Texte und Textstellen zu vereinfachen.28 Wenn nun in den Münchner Biblia pauperum-Handschriften die Bezeichnung des Antitypus in die Kopf- oder die Fußzeile eingetragen wird, wird dieses Verfahren übernommen. Dies wiederum hat Konsequenzen für die Rolle und die Bedeutung der Antitypus-Bezeichnungen: Sie werden zu Gruppen- und Abschnittsbezeichnungen. Die Adaption vertrauter Organisationsmuster ordnet die Biblia pauperum auf diese Weise zum einen in eine Tradition didaktischer und gelehrter Literatur ein. Zum anderen schreibt sie einzelnen Elementen der typologischen Gruppen spezifische Funktionen zu. Wie wichtig den Konzeptoren diese visuelle Organisation war, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie für die Adaption der aus anderen Kontexten stammenden Seitendisposition ein hoch kompliziertes Liniensystem in Kauf nahmen, ebenso wie ungünstige Auswirkungen auf Bildkompositionen und Figurenproportionen: Weil zu beiden Seiten Platz für die Lektionenkolumnen gelassen wurde, fallen die Felder für die alttestamentlichen Szenen sehr hoch und schmal aus und mussten deshalb mit stark gelängten Figuren gefüllt werden.29 28

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Vgl. z. B. Rouse, Richard/Rouse, Mary: The Development of Research Tools in the Thirteenth Century, in: Dies., Authentic Witnesses: Approaches to Medieval Texts and Manuscripts, Notre Dame (Ind.) 1991 (Publications in Medieval Studies, 17), S. 221–255, hier S. 244. Hernad, Béatrice: Die gotischen Handschriften [wie Anm. 26], S. 114.

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Das Quincunx-Schema und seine Variationen Eine weitere Variation des Seitenschemas mit diagrammatischen Gruppenkonstellationen lässt sich in einer größeren Gruppe von Handschriften beobachten. Exemplarisch kann hier die älteste erhaltene, vermutlich um 1330–40 entstandene Handschrift aus dieser Gruppe herangezogen werden: Clm 23426 aus der Bayerischen Staatsbibliothek (Abb. 20, 21).30 Auch hier rahmen die Schriftelemente die zentrale Bilderkonfiguration: Die Felder der Lektionen sind an die Seitenränder gerückt und am oberen Rand verläuft die Zeile mit den drei Tituli. Die Bezeichnung des Antitypus findet sich hier in jeder typologischen Gruppe zweimal: Er ist wie in der Handschrift von St. Florian in den Rahmen des zentralen Medaillons eingetragen und verweist konkret auf diese Szene, findet sich aber ein zweites Mal wie in Clm 23425 und Clm 4523 in der Kopf- oder Fußzeile der Seite und fungiert dort als Gruppen- und Abschnittsbezeichnung. Deutlich von diesen Handschriften unterscheidet sich Clm 23426 dadurch, dass anstelle des angedeuteten architektonischen Rahmens eine aus fünf Medaillons bestehende Quincunx-Figur das Gruppenschema dominiert. Der zentrale Kreis mit dem Bild des Antitypus wird von vier kleineren, durch den zentralen Kreis überschnittenen Medaillons umgeben, in denen die Propheten erscheinen. Diese halten keine Spruchbänder, sondern gestikulieren meist in Sprach- und Zeigegesten zu ihrem Gegenüber oder in Richtung des Antitypus. Ihre Sprüche sind in die Rahmenstreifen ihres Kreisfeldes eingetragen. Die Namen der beiden unteren Propheten stehen meist oberhalb der Figuren im Rahmenstreifen des zentralen Kreisfeldes, während die der oberen Propheten in ihre Bildfelder eingetragen sind, da der obere Teil des Rahmenstreifens des Mittelkreises mit der Bezeichnung der neutestamentlichen Szene beschriftet ist. Durch die Figur des Quincunx werden die Propheten formal besonders eng an den Antitypus gebunden. Die beiden Felder mit den Darstellungen der Typen werden dagegen durch die Quincunx-Figur regelrecht überlagert und überschnitten. In der Darstellung der Opferung Isaaks als Typus der Kreuzigung verschwindet etwa der kniende Isaak fast gänzlich hinter dem Kreisfeld, in dem Hiob dargestellt ist (Abb. 22). Durch die Integration der Quincunx-Figur in die Seitendisposition der Biblia pauperumHandschrift verändert sich aber nicht nur die Gewichtung der Bildelemente 30

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München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 23426. Schmidt zufolge süddeutsch, um 1330– 40; Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 34–35. S. a. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 28, S. 95. Siehe auch Hernad, Béatrice: Die gotischen Handschriften [wie Anm. 26], Kat.-Nr. 274, S. 195–199. Die Gruppe, zu der die große Mehrzahl der Handschriften gezählt wird, deren Seitendisposition das Quincunx-Schema aufweist, ist die sog. Weimarer Handschriftenfamilie.

zueinander. Das Schema ist so eng mit dem ikonographischen Schema der Maiestas Domini verknüpft, dass es, ähnlich wie bei den Architekturelementen in den beiden anderen Münchener Handschriften, plausibel scheint, hier mehr als eine reine Organisationsstruktur zu vermuten. Die Quincunx-Figur, zumal mit einem christologischen Antitypus im Zentrum, ruft die eschatologische Bedeutung der Maiestas Domini auf.31 Zwei weitere Beispiele für solche Auseinandersetzungen mit dem Seitenschema seien hier kurz angesprochen. In beiden Fällen wurde deutlich einer der drei beschriebenen Seitendispositionstypen rezipiert, dieser aber signifikant verändert, indem vorhandene Muster modifiziert oder ersetzt wurden. Die erste Handschrift, auf das zweite Viertel des 14. Jahrhunderts datiert, stammt aus dem Bodenseegebiet und befindet sich heute im Rosgartenmuseum in Konstanz (Abb. 23).32 In ihrer Seitendisposition kann sie mit der Handschrift aus St. Florian verglichen werden (Farbtafel I): Mit ihr hat sie die oberhalb der Typusbilder positionierten Lektionen, vor allem aber den vertikalen Mittelsteg gemeinsam, der die Antitypus-Medaillons auf jeder Seite verbindet. Anders als in jener ist aber in der Handschrift in Konstanz jeder Antitypus zusammen mit den vier Propheten in einem Quincunx eingefasst. Zu den vollständigen und angeschnittenen Kreisformen der Fünferfigur tritt ein weiteres Kreisfeld hinzu, das auf der vertikalen Mittelachse jeweils oberhalb des Quincunx eingetragen ist. In dem Kreisfeld steht der Titulus des Antitypus, der im etwas größeren zentralen Kreis des Quincunx direkt darunter dargestellt ist. Eine Bezeichnung des Antitypus bzw. einen Gruppentitel gibt es in dieser Handschrift nicht. Die Breite des vertikalen Stegs in der Mitte des Schrift-Bild-Spiegels wurde auf den Durchmesser der Titulus-Kreisfelder erweitert. Während in der Handschrift in St. Florian die Tituli der Typen im Anschluss an die Lektionen und damit direkt oberhalb der Bilder erscheinen, sind sie in der Handschrift in Konstanz an den Anfang der Lektionen gesetzt. Wie der Titulus des Antitypus sind sie rubriziert und heben sich so deutlich von den Lektionen ab. Wieder sind es vergleichsweise geringe formale Veränderungen, die das Seitenschema neu interpretieren. Statt eines schmalen Trennstegs wie in der Handschrift in St. Florian steht zwischen den beiden Lektionen und oberhalb des Antitypusbildes nun das Kreisfeld mit dem rubrizierten Titulus. Damit ist zum einen das Problem 31 32

Siehe hierzu ausführlicher Bruno Reudenbachs Beitrag in diesem Band. Konstanz, Rosgartenmuseum, Hs. 4; Ott zufolge um 1330–50 im Bodenseegebiet (Konstanz?) entstanden, Schmidt datiert sie ins 3. Viertel des 14. Jh. Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.8, S. 276–279; Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 16–17; Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 8, S. 76–77. Siehe auch Die Kunstwerke des Mittelalters, Bestandskatalog des Rosgartenmuseums Konstanz, bearb. v. Bernd Konrad, Konstanz 1993, Kat.-Nr. 2.02, S. 79–82.

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behoben, das das Seitenschema der älteren Handschrift mit sich brachte: Der Titulus wird nicht mehr durch den vertikalen Verbindungssteg unterbrochen. Zum anderen bildet der Kreis mit dem Titulus darin nun einen Bezugspunkt für die beiden Tituli und Lektionen zu den Typen, die das Kreisfeld flankieren. Damit findet die Bilderkonfiguration, die das Bild des Antitypus im zentralen Kreis von ungerahmten Typusbildern flankiert präsentiert, ihr formales Äquivalent in der Zone darüber, wo die Tituli und Lektionen den Ort der Bilder einnehmen. In einem vermutlich in Westdeutschland um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstandenen Manuskript, das heute im Berliner Kupferstichkabinett aufbewahrt wird (Abb. 24, 25, Farbtafel II),33 hatte die Veränderung eines Elements innerhalb der Seitendisposition weitreichende Folgen sowohl für die Konzeption der Seitendisposition wie auch für die der individuellen Text- und Bildelemente. Die primäre Neuerung in der Seitendisposition dieser Handschrift fällt sofort ins Auge: Der Quincunx im Zentrum ist, um 45° gedreht, zum Vierpass geworden. Die vier äußeren Kreise, die vom zentralen Kreis überschnitten werden, haben beinahe den gleichen Durchmesser wie dieser. Die Vierpassform ist so groß, dass sie alle vier Seiten des von Lektionenkolumnen flankierten, für die Bilderkonfiguration vorgesehenen Feldes berührt, das in seinem quadratischen Format offensichtlich auf diese hin ausgerichtet ist. Beim Eintragen des Titulus des Antitypus und der Prophetensprüche in die Rahmenstreifen der Kreisfelder wurde sorgfältig darauf geachtet, dass diese den Rahmen komplett füllen, was das geometrische Rahmenwerk zusätzlich betont. Aus dem Quincunx wird hier die Figur des Kreuzes, die jeder typologischen Gruppe eingeschrieben ist.34 Die eschatologische Assoziation, die erstere aufruft, wird so durch ein anderes zentrales Symbol der Heilsgeschichte ersetzt. Diese Änderung der Seitendisposition hat weitreichende Konsequenzen für die Konzeption der Bildelemente. Die Felder für die Prophetenbilder sind relativ groß, während die Felder für die Typusbilder nicht nur viel kleiner sind als in den Seitenschemata der bisher besprochenen Handschriften, sondern auch noch jeweils in ein oberes und ein unteres Feld geteilt werden. Die Propheten wurden nicht als Halbfiguren, sondern ganzfigurig in die angeschnittenen Kreisfelder des Vierpasses gezeichnet. Trotzdem sind sie als Einzelfiguren viel größer als die Figuren in den Bildern der Antitypen. Die Prophetenfiguren in den seitlichen Feldern stehen meist, diejenigen in den oberen und unteren 33

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Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Cod. 78 D 2. Südwestdeutsch (?), Mitte 14. Jh. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 27, S. 94; Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 36–37. Siehe auch Wescher, Paul: Beschreibendes Verzeichnis der Miniaturen – Handschriften und Einzelblätter – des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Museen Berlin, Leipzig 1931, S. 43–45. Vgl. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 4.

Felder knien oder sitzen. Der Zeichner hat seinen Figuren dabei viel Dynamik verliehen: Sie wenden sich dem zentralen Kreisfeld zu, ducken sich in die runden Bildfelder, verdrehen die Köpfe nach oben oder beugen sich nach unten. In einzelnen Fällen scheinen sie an den Szenen im Antitypusfeld Anteil zu nehmen, etwa wenn Salomon im Feld oberhalb der Grablegung beim Hinabschauen die Hand in einem Trauergestus an die Wange legt, der dem der klagenden Maria gleicht (Abb. 24). Der Maßstab und die Dynamik sowohl im Einzelbild als auch in den Beziehungen, die durch Gesten und Haltung konstituiert werden, tragen zusätzlich zur visuellen Dominanz des zentralen Kreuz-Vierpasses bei. Während die Prophetenfiguren trotz beträchtlicher Variationsbreite an Gesten und Posen einem festen Grundschema folgen, erforderte die Adaption der Typusbilder jeweils individuelle Entscheidungen und Lösungsansätze. Die bevorzugte Vorgehensweise des Zeichners lässt sich bereits auf der Seite mit den ersten beiden typologischen Gruppen erkennen: Die Bildelemente einer Szene wurden in die beiden übereinander liegenden Felder verteilt und durch Gesten und andere verbindende Elemente aufeinander bezogen. In diese Strategie werden auch Schriftelemente einbezogen. So neigt sich in der Darstellung der Verfluchung der Schlange (Farbtafel II) Gott aus dem Wipfel des Baumes im oberen Register zur Schlange im unteren Register herab. Statt wie häufig ein Spruchband mit dem Wortlaut des Fluches in der Hand zu halten, ist das Bibelzitat »super pectus tuum gradieris […]« (Gen. 3,14) senkrecht nach unten führend den Streifen entlang geschrieben, der den Abstand zwischen Bild- und Lektionenfeld markiert. Am oberen Ende, mit zwei Linien schwungvoll mit der Figur Gottes als Sprechendem verbunden, erreicht der Fluch schließlich im unteren Bildfeld die um einen zweiten Baum gewundene Schlange. Diese neigt wie vom Fluch getroffen Kopf und Brust, die Menschengestalt haben, der Erde zu. Analog zu dieser Darstellung ist die darunterliegende von Moses und dem brennenden Dornbusch als Typus der Geburt Christi angelegt: Im oberen Feld ragt die Figur Gottes aus dem Busch heraus,35 auf dem vertikalen Streifen zwischen Bild- und Lektionenzone stehen die Worte des göttlichen Befehls, Moses solle die Schuhe ausziehen, da der Boden, auf dem er stehe, heilig sei, und im unteren Feld leistet Moses dem Befehl Folge und schaut dabei seinerseits, den Kopf weit in den Nacken gelegt, zur Gestalt Gottes empor. Solche zweigeteilten Szenen, deren Elemente dennoch deutlich aufeinander bezogen sind und der Bilderzählung dadurch zusätzliche Dynamik verleihen, finden sich häufig, so etwa auch bei 35

Zu dieser in mehreren Biblia pauperum-Handschriften zu beobachtende ikonographische Besonderheit siehe unten, Anm. 63.

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der Darstellung des Jonas als Typus des ins Grab gelegten Christus (Abb. 24). Im oberen Bildfeld schaut Jonas, der gerade von einem Mann über Bord geworfen wird, in einem Gestus des Entsetzens beide Hände an den Kopf gepresst, in das Dunkel des riesigen, aufgesperrten Mauls des Wals, das ihn in der Tiefe des unteren Bildfeldes erwartet. Andere Entscheidungen des Buchmalers haben nicht nur für die Bilderzählung Folgen, sondern auch für das Seitenschema. Auch dies wird bereits auf der ersten Seite vorgeführt. Gedeon steht, wie in den meisten Darstellungen der Szene in Biblia pauperum-Handschriften, neben dem auf dem Boden liegenden Vlies, während darüber ein Engel schwebt – oder besser: Der Buchmaler lässt ihn, um seine Ankunft aus dem Himmel und seinen Bezug zu den unter ihm befindlichen Figuren zu verdeutlichen, ein schwungvolles Flugmanöver ausführen. In den Händen hält er etwas, das halb Spruchband, halb Regenschwall zu sein scheint, der sich entlang des Kreisfeldes unter ihm auf das Vlies ergießt. Das andere Ende, das sich nun deutlich in Wasserwellen auflöst, scheint die Maria der Verkündigungsdarstellung zu besprengen und gibt damit einen deutlichen Hinweis auf den Bezug des Typus zum Antitypus. Gedeon steht allerdings nicht im unteren Bildfeld, sondern in dem angrenzenden, dem Lektionenfeld, in einer Nische oder einem Torbogen. Das gleiche gilt für Aaron in der Typusdarstellung zur Geburt Christi direkt darunter: Dort ist es offensichtlich ein ins Lektionenfeld gesetzter Torbogen, durch den er, gefolgt von den übrigen Vertretern der zwölf Stämme Israels, in den Tempel eintritt und den blühenden Stab unter den dürren auf dem Altar findet. Im oberen Bildfeld wächst ein blühender Strauch, ein Lückenfüller, der aber zugleich das Motiv des blühenden Stabes wieder aufnimmt und auf den brennenden Dornbusch des anderen Typusbildes Bezug nimmt. Der Zeichner durchbricht, sicherlich aus Platzmangel, das Schema, das so präzise die Felder für jedes der Bild- und Schriftelemente absteckt; er versucht aber aus dieser Not eine Tugend zu machen und reflektiert und kommentiert seinen Verstoß gegen die Ordnung des Seitenschemas durch die Art und Weise, wie er die Bilder gestaltet. Bei Aaron ist es das Inner- und Außerhalb des Bildfeldes, das durch das Tor thematisiert wird, durch das er und seine Begleiter eintreten. Bei Gedeon ist das Türmotiv weniger überzeugend, weil es nicht Teil der Geschichte ist. Dafür fällt aber bei der in der Nische isolierten Figur umso stärker eine Abweichung von der üblichen Gedeon-Ikonographie auf: Anders als in den meisten anderen Handschriften – und sicherlich anders, als man es bei diesem auf gestische Bezüge achtenden Buchmaler erwarten dürfte – wendet Gedeon sich nicht dem himmlischen Sturzflieger über sich zu. Ruhig in seiner Nische stehend zeigt er stattdessen mit einer Hand, die den Trennstreifen zwischen eigentlichem Bild- und Lektionenfeld überschneidet, auf das betaute Vlies. Er tritt weniger als Protagonist einer Geschichte auf 48

denn vielmehr als Außenstehender und Zeigender, als hätte seine Position im Lektionenfeld auf ihn abgefärbt. Was mit reflexiven Untertönen beginnt, gerät auf den folgenden Seiten allerdings schnell zu einer Auflösung zwar keineswegs des gesamten Seitenschemas, aber doch der Trennung zwischen Typusbilder- und Lektionenfeldern. Dazu tragen nicht nur die Typusbilder bei; auch die Lektionen, die offenbar nach den Zeichnungen eingetragen wurden, bleiben nicht in den für sie vorgesehenen Kolumnen am Rand. Stattdessen weicht der Schreiber, wenn der Platz knapp zu werden droht, in leer gebliebene Segmente der geteilten Typusbildfelder aus (Abb. 25). Ist dies nicht möglich, führt er den Text in der seitlichen Kolumne über die untere Grenzlinie des Bildfeldes fort. Dies ist nur deshalb möglich, weil die Zeile für die Tituli der jeweils unteren typologischen Gruppe nicht wie bei den übrigen bisher untersuchten Handschriften – und nicht wie bei der jeweils oberen Gruppe in diesem – über die gesamte Breite des Schrift-Bild-Spiegels verläuft, sondern nur über die des Bildfeldes. Damit lässt sie dem Schreiber für die Disposition der Lektionen größere Freiheit, muss die Tituli aber in zwei Zeilen präsentieren und das Organisationsprinzip aufgeben, das jeden Titulus über dem jeweiligen Typusbild präsentiert. Ornamentierte waagerechte Streifen markieren dabei deutlich das Ende oder den Anfang von Lektionen und setzten diese so voneinander oder auch von Bildern und Tituli ab. Zusammenfassung Fasst man die Beobachtungen an den frühen Handschriftentypen der Biblia pauperum zusammen, so lässt sich Folgendes festhalten: Ein Grundprinzip der Seitendisposition der frühen Biblia pauperum-Handschriften ist die Präsentation von jeweils vier typologischen Gruppen auf einer Doppelseite, je zwei übereinander gestellt auf jeder Seite. Jede Gruppe wird als eine diagrammatische Konfiguration aus einer festgelegten Zahl von Bild- und Schriftelementen präsentiert. Bereits in den frühesten Handschriften begegnet diese Konfiguration allerdings in unterschiedlichen Varianten. Diese können als Überformungen durch Schemata verstanden werden, die aus anderen Kontexten und Handschriftengattungen stammen und mit denen die Disposition der Biblia pauperum-Handschriften variiert, weiterentwickelt und inhaltlich akzentuiert wird. In diesem Adaptionsprozess werden zum einen Assoziationen und Bedeutungen mit übertragen, die an bestimmte visuelle Muster geknüpft sind; zum anderen haben solche Überformungen und Umformungen Auswirkungen auf die Gewichtung und das Verhältnis der Schrift- und Bildelemente. Das Schema der durch Stege miteinander verbundenen Kreisfelder in der Handschrift in St. Florian (Farbtafel I), dem Wiener Cod. 1198 (Abb. 14) und den Fragmenten im Louvre (Abb. 15) ist aus Chroniken bekannt und betont im Codex in 49

St. Florian die Folge der Antitypen als Stationen einer Chronik der Heilsgeschichte.36 Die strukturierende Rahmung der Bilder in den Handschriften Clm 23425 (Abb. 16–18) und Clm 4523 (Abb. 19) bedient sich des Architekturvokabulars, das die mittelalterliche Bildwelt generell für Rahmungen kennt. In den Handschriften der Biblia pauperum wird durch sie die inhaltliche Geschlossenheit und Schlüssigkeit jeder typologischen Gruppe besonders hervorgehoben. Mit dem Quincunx schließlich wird in der Handschrift Clm 23426 (Abb. 22) das Schema der Maiestas Domini, mit dem Vierpass im Berliner Manuskript die Form des Kreuzes aufgerufen. Beide Figuren binden die Prophetendarstellungen in den äußeren Kreisfeldern formal aufs Engste an den Antitypus im zentralen Feld. In ihrer statischen Geometrie vor dem Getümmel alttestamentlicher historia verdeutlichen sie außerdem die Überbietung des Alten Testaments durch das Neue und formulieren gleichzeitig eine eschatologische Heilserwartung.37 Neben den unterschiedlichen diagrammatischen Konfigurationen von Bildund Schriftelementen, die auf einen Mittelpunkt hin ausgerichtet sind, lässt sich außerdem mal mehr, mal weniger deutlich die Adaption konventionellerer Seitendispositionen nachweisen, die man aus Handschriften kennt, die für Darstellung und Rezeption allein von Texten konzipiert sind. Hierzu gehören die in der Handschrift in St. Florian, den Fragmenten im Louvre und Cod. 1198 der Österreichischen Nationalbibliothek als Kolumnen aufgefassten Felder für die Lektionen und die Darstellungen der Typen, die in Kopf- und Titelzeile gerückten Bezeichnungen der Antitypen in den Münchener Handschriften Clm 4523, Clm 23425 und Clm 23426 sowie die Einrichtung der Lektionenfelder nach dem Muster von Marginalglossen. Indem auf solche Muster zurückgegriffen wird, werden bestimmte Rezeptions- und Interpretationsweisen nahegelegt. So fordert das Muster ›Schriftspalte‹ ein Lesen von oben nach unten und unterstützt damit die Betonung der Vertikalen in der Disposition der Handschrift in St. Florian. Bei den Lektionen und den Bezeichnungen der Antitypen hat ihre Platzierung im Seitenschema sogar Konsequenzen für ihren Status innerhalb des Schrift-Bild-Gefüges: Wird den Lektionen der Ort der Glossen zugeteilt, so wird damit umgekehrt der von ihnen flankierten Bildgruppe eine Priorität zugesprochen.38 Ist die Bezeichnung des Antitypus im Rahmenstreifen des Kreisfeldes in der Handschrift in St. Florian eben das, nämlich die Bezeichnung des 36 37

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Siehe hierzu Bruno Reudenbachs Beitrag in diesem Band. Vgl. Schlechtweg-Jahn, der das Übereinander der beiden Ebenen im Dispositionsschema der Biblia pauperum-Handschriften überdies als Inszenierung eines zeitlichen Nacheinanders interpretiert. Schlechtweg-Jahn, Ralf: Christus als medium [wie Anm. 15], S. 103–118, hier S. 117. Siehe unten, S. 71–73.

Antitypus, so wird sie durch die Ausgliederung in Kopf- und Fußzeile in den Handschriften Clm 23425 und Clm 4523 zum Titulus der gesamten typologischen Gruppe. In Clm 23426 erscheint die gleiche Inschrift sogar zweimal, einmal in jeder Funktion. Die Adaption derartiger Muster, die eine Modifikation der schon in ihren Grundzügen komplexen Seitendisposition der Biblia pauperum verlangte, bereitete offensichtlich auch professionellen Produzenten von Handschriften immer wieder Schwierigkeiten. Dies zeigen sinnwidrig unterbrochene Tituli und extrem überlängte oder von anderen Bildelementen überschnittene Figuren. Die Vielzahl sorgfältig durchdachter Änderungen bezeugt aber vor allem, dass die wichtige Rolle der visuellen Organisation für die Vermittlung ihres typologischen Konzepts und die Konstitution von Bedeutung den Konzeptoren der Biblia pauperum-Handschriften sehr bewusst war und sie immer wieder aufs Neue zu Modifikationen anregte.

2. Vereinfachungen der frühen Seitenschemata: Rasterstrukturen und ihre Konsequenzen für die visuelle Organisation Solche Modifikationen des Seitenschemas bedeuteten einen beträchtlichen zusätzlichen Planungsaufwand und stellten erhebliche Ansprüche an ihre Produzenten. Bereits die Vorbereitung des Liniensystems mit gerahmten Kreisformen und zahlreichen Bild- und Schriftfeldern ist im Vergleich zur Vorbereitung von Seiten, die in einer oder mehreren Kolumnen ausschließlich Schrift enthalten, außerordentlich aufwendig. Dasselbe gilt für den nächsten Schritt, das passgenaue Füllen der Felder: Buchmaler mussten teilweise vielfigurige Szenen an Bildfelder ungewöhnlichen Formats anpassen, Schreiber liefen Gefahr, Tituli nicht in einer einzigen Reihe, Lektionen nicht in den für diese vorgesehenen Feldern unterbringen zu können. Insofern verwundert nicht, dass es auch solche Variationen der Seitendisposition in Biblia pauperum-Handschriften gibt, die in erster Linie eine Vereinfachung des komplexen Seitenschemas für eine leichtere Herstellung anstrebten. Dies ist etwa der Fall bei einer Gruppe von zwei vollständigen Manuskripten sowie einer nur fragmentarisch erhaltenen Handschrift: Ms. theol. et philos. fol. 279 der Stuttgarter Landesbibliothek (Abb. 26),39 Cod. a. VII 43 der Bibliothek des Salzburger Benediktinerstifts 39

Stuttgart, Landesbibliothek, Ms. theol. et phil. fol. 279. Süddeutsch, 3. Viertel 14. Jh. Schmidt, S. 45. S. a. Breitenbach, Edgar: Rezension zu Henrik Cornell, Biblia pauperum, in: Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst, Beilage der »Graphischen Künste« 4 (1927), S. 61–70, hier S. 67–68; nicht bei Cornell erwähnt.

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St. Peter40 und das Fragment in der British Library mit der Signatur Add. MS 31303 A.41 Alle drei werden in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert; Schmidt zufolge ist die Stuttgarter Handschrift, die hier exemplarisch die Gruppe repräsentieren soll, die älteste.42 Alle drei weisen eine sich stark ähnelnde Seitendisposition auf, die eine erheblich vereinfachte Version der Seitendisposition der Handschriften Clm 23425 und 4523 (Abb. 16–19) darstellt. Auf den ersten Blick fällt auf, dass die Seiten der Stuttgarter Biblia pauperum durch rechtwinklig und parallel zueinander gezeichnete Linien rasterförmig aufgeteilt sind. Architektonische Elemente finden sich hier im Gegensatz zu den Münchener Handschriften keine. Den mit einfachen Linien begrenzten, hochrechteckigen Schrift-Bild-Spiegel teilt ein waagerecht verlaufender Streifen, der über die Breite der gesamten Seite weitergeführt ist, in zwei gleich große, querrechteckige Felder für die beiden typologischen Gruppen. Diese sind wiederum durch zwei senkrechte Streifen in drei hochrechteckige Felder geteilt, von denen das innere etwas breiter ist als die beiden äußeren. Im mittleren Feld ist ein gerahmtes Kreisfeld für den Antitypus eingezeichnet. Der Durchmesser des inneren Kreises entspricht etwa der Breite der äußeren Felder. Ober- und unterhalb dieses Kreises sind im mittleren Feld die Halbfiguren der Propheten platziert. Die Tituli sind wieder oberhalb jeder Bildgruppe eingetragen. Wie bei den Handschriften Clm 23425 und Clm 4523 rahmen auch hier ihre Spruchbänder die seitlichen Felder am oberen und unteren Rand und verklammern die Felder der Typen mit dem des Antitypus. Die Lektionen sind hier nicht in ein seitliches Feld eingetragen, sondern direkt in die Felder der Typen und dort über die jeweiligen (zuerst gezeichneten) Figuren. Dies vereinfachte nicht nur die Einrichtung der Seite, sondern auch die Darstellung der alttestamentlichen Szenen, die nicht in ein extrem hochformatiges Feld eingepasst werden mussten. Außerdem wird so der in vielen Handschriften auffällige Größenunterschied zwischen den Figuren von Typus und Antitypus wenn nicht ganz aufgehoben, so doch erheblich abgeschwächt.

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Salzburg, Benediktinerstift St. Peter, Cod. a. VII 43. Süddeutschland o. Salzburg, Ende 14. Jh. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat. Nr. 20, S. 85. Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 46. London, British Library, Add. MS 31303 A, Süddeutschland, 3. Viertel 14. Jh.; Cornell schlägt ein Datum um 1380 vor. Cornell, Kat.-Nr. 21, S. 85–86. Siehe auch Schmidt, S. 45–46. Die Handschriften werden von Cornell der Bayerischen Handschriftenfamilie zugeschlagen und in der Forschung als Untergruppe Metten bezeichnet (ebd., S. 85–87) – eine für unsere Zwecke unglückliche Bezeichnung, da ausgerechnet die Handschrift aus dem Kloster Metten, die hier namensgebend war und auf die im Folgenden noch einzugehen sein wird, eine ganz andere Seitendisposition aufweist. Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 45.

Während in der Stuttgarter Handschrift die diagrammatische Seitendisposition mit zentralem Medaillon und flankierenden Darstellungen der Typen in den Grundzügen beibehalten wird, ist sie bei einer anderen Gruppe von drei Handschriften durch ein radikal vereinfachtes Seitenschema abgelöst. Die älteste der drei wird auf um 1340–50 datiert und befindet sich heute in der Wolfenbütteler Herzog August Bibliothek (Abb. 27).43 Jede typologische Gruppe ist in einem querrechteckigen Feld angeordnet, das in drei Spalten mit je zwei Registern geteilt ist, so dass sich jede Seite in drei Spalten mit vier Registern gliedert. Im jeweils unteren Register jeder typologischen Gruppe nimmt das mittlere Feld den Antitypus auf, der in den beiden seitlichen Feldern von den Typen flankiert wird. Der Antitypus ist also hier nicht durch ein Kreisfeld hervorgehoben, auch sind die Figuren der Typen und des Antitypus im Maßstab einander angeglichen. Die Texte der Lektionen befinden sich in den beiden seitlichen und linierten Feldern des oberen Registers, dessen mittleres Feld die vier Propheten mit ihren Schriftbändern aufnimmt. In der Handschrift in der Wolfenbütteler Herzog August Bibliothek erscheinen sie als Halbfiguren in den vier Ecken. Ihre vier Schriftbänder bilden die Form einer Raute mit konkav geschwungenen Seiten und mit einem auffällig leeren Zentrum: Statt des Antitypus umgeben die Propheten hier ein Feld bloßen Pergaments. Damit ist eine gravierende Konsequenz der Veränderung des Seitenschemas markiert: Der Antitypus, das inhaltliche Zentrum jeder typologischen Gruppe, ist hier nicht mehr das alleinige und dominierende Zentrum der Bilderkonfiguration. Verständlich bleibt das Konzept der Biblia pauperum indes dennoch; der Bezug der Prophetenbilder und -sprüche auf die darunter angeordnete Darstellung des Antitypus wird analog zum Bezug der Lektionen oben auf die Bilder der Typen unten verstanden. Dass das leere Zentrum im Prophetenfeld dennoch als verbesserungswürdig empfunden wurde, darauf deuten die Lösungen in der einige Jahrzehnte später entstandenen Handschrift aus Kremsmünster hin (Abb. 28). 43

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 35a Helmst., Süddeutschland o. Salzburg, um 1340–50; Heitzmann, Christian: Katalog der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften. T. 1: Cod. Guelf. 1 bis 276 Helmst., beschrieben von Helmar Härtel, Christian Heitzmann, Dieter Merzbacher und Bertram Lesser, Wiesbaden 2012. S. 68–70; Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 15, S. 81–82; Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 17–18. Bei der zweiten Handschrift dieses Typus, den Cornell als Unterfamilie Kremsmünster der Österreichischen Handschriftenfamilie bezeichnet hat, handelt es sich um Kremsmünster, Benediktinerstift, Cod. 328, der Schmidt zufolge um 1360–70 in Österreich entstand; Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 18; s. a. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 16, S. 82. Die dritte Handschrift, Salzburg, Benediktinerstift St. Peter, a IX, 12, ist nach Schmidt um 1370–80 in Österreich, möglicherweise direkt auf der Grundlage der Handschrift in St. Peter, entstanden. Schmidt, s. 18–19; s. a. Cornell, Kat.-Nr. 17, S. 82–83.

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Hier ist die leere Mitte vermieden, weil jede Prophetenfigur ein Viertel des annähernd quadratischen Feldes ganz ausfüllt und so die paarweise einander zugewandten Propheten im Gespräch miteinander zu stehen scheinen. Diese vertraute Darstellungskonvention lässt die Gruppe als in sich schlüssig erscheinen, ohne dass dabei der Bezug nach unten zum Antitypus hin geschwächt würde. Dies ist nicht der einzige Unterschied, der das Darstellungsschema gegenüber der früheren Handschrift noch klarer macht. So sind die Initialen der Lektionen in der Handschrift in Kremsmünster nicht mit Fleuronné versehen. In der Wolfenbütteler Handschrift haben sie lange Fleuronnéstäbe und weitere Ausläufer, die jeweils den gesamten linken Rand der äußeren Spalten entlang verlaufen. Sie scheinen so gerade dort zu einem Lesen entlang der Senkrechten aufzufordern, wo keine narrativ-chronologische Kontinuität gegeben ist, während eine waagerechte Lese- und Schaurichtung zum Antitypus hin durch die filigranen Leisten eher gestört wird. In der Handschrift in Kremsmünster bleibt dagegen das Raster weitgehend ungestört sichtbar. Darüber hinaus sind die Proportionen der Zwischenräume unterschiedlich, die die Bild- und Schriftfelder voneinander trennen. In der Wolfenbütteler Biblia pauperum-Handschrift sind die waagerechten Stege durchgehend breiter als die senkrechten. Der Grund hierfür ist offenbar, dass sie sowohl als Trennstreifen als auch gleichzeitig als Zeilen für Schriftelemente dienen: die Bezeichnungen der Antitypen, Namen alttestamentlicher Figuren sowie die Tituli der Typen und Antitypen der jeweils unteren typologischen Gruppen. In der Kremsmünsterer Handschrift dagegen sind die waagerechten Stege, die die Elemente innerhalb einer typologischen Gruppe voneinander trennen, ebenso schmal wie die senkrechten Stege konzipiert, nur der waagerechte Steg, der zwei typologische Gruppen voneinander trennt, ist breiter. Damit werden gleich zwei Verbesserungen am Seitenschema vorgenommen: Zum einen markiert der breitere Steg klar die Zäsur zwischen den beiden typologischen Einheiten. Zum anderen wird so für die Tituli, die deutlich länger sind als die Themenbezeichnungen der Antitypen und Personennamen, genügend Platz gelassen. In der Wolfenbütteler Handschrift wurde der Streifen deshalb in zwei Zeilen unterteilt und in kleinerer Schrift beschrieben als die übrigen Trennstreifen. Im Codex in Kremsmünster kann dagegen dadurch, dass der Steg, der die beiden typologischen Gruppen trennt, doppelt so breit ist wie die übrigen, für alle diese Schriftelemente die gleiche Schriftgröße verwendet werden. Das Ergebnis ist nicht nur optisch regelmäßiger, sondern vermeidet auch, dass Unterschiede in der Schriftgröße als Wertungen bezüglich der Bedeutung der jeweiligen Elemente gelesen werden können.44 44

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Ähnliches kann auch für die dritte Handschrift der Gruppe gezeigt werden, die heute in St. Peter aufbewahrt wird. Dort wurde ebenfalls auf das Fleuronné der Initialen verzichtet

Vereinfachungen des Organisationsschemas der typologischen Gruppen beschränken sich demnach nicht darauf, auf aufwendige Gestaltungen etwa der Rahmungen zu verzichten. Vielmehr führt die Entscheidung für die denkbar einfachste Grundstruktur, ein gleichmäßiges Linienraster, zu einer Um- und Neustrukturierung der Gruppenkonfigurationen, in deren Folge nicht nur die Propheten aus ihren angestammten Positionen ober- und unterhalb des Antitypus gelöst und in ein eigenes Feld platziert werden, sondern die alt- und neutestamentlichen Szenen einander in ihrer Größe angeglichen werden. Der Vergleich zweier der drei erhaltenen Handschriften mit diesem Seitenschema zeigt, dass auch das einfache Rasterschema seinerseits wieder die Grundlage von Experimenten und Variationen wurde, die in erster Linie dazu dienten, das Schema schlüssiger zu machen. Hierzu gehören Änderungen, die sich ohne oder mit nur geringem Aufwand bewerkstelligen ließen, wie die etwas andere Anordnung der vier Propheten in ihrem Feld und das Weglassen der Fleuronnéstäbe, aber auch solche, die etwa ins Liniensystem der Seiten eingreifen und die einfache, gleichmäßige Rasterstruktur wieder ein wenig komplexer gestalten.

3. Seitendispositionen mit nur einer typologischen Gruppe Bereits aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts sind vereinzelt Biblia pauperum-Handschriften erhalten, die anstelle von vier typologischen Gruppen auf einer Doppelseite nur zwei, also eine Gruppe pro Seite präsentieren. In der Forschung gilt dieser Schritt oft als geradezu paradigmatisches Symptom eines Veränderungsprozesses, der als allmähliches Aufweichen oder als ›Verfall‹ der Konzeption der Biblia pauperum bezeichnet worden ist.45 Folgt man Schmidt, so ist das Ein-Gruppen-Seitenschema eine konsequente Folge jener Auflösung des ›inneren Systems‹, die in zwei großen Schritten verläuft: Zunächst verschwindet die Strukturierung in thematisch zusammenhängende Vierergruppen, die jeweils auf einer Doppelseite angeordnet sind und so eine kapitelartige Einheit bilden. Nach Schmidt erfolgte dieser erste Schritt, weil die Zusammengehörigkeit der Vierergruppen bald nicht mehr erkannt wurde, so dass nichts dagegen sprach, mit den ersten typologischen Gruppen auf einer recto-Seite zu

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und der waagerechte Trennstreifen zwischen den beiden typologischen Gruppen auf jeder Seite breiter konzipiert als die übrigen. Die Prophetenfiguren sind wie in der Wolfenbütteler Handschrift an die Ecken des Bildfeldes gerückt, die leere Mitte zwischen ihnen wird aber zumindest teilweise von den Schriftbändern mehr überbrückt denn gerahmt, die dynamischer gestaltet und in ihren Formen variiert werden. S. o., Anm. 13.

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beginnen, wie dies etwa in der Stuttgarter Biblia pauperum der Fall ist.46 War die Einheit der Vierergruppen erst aufgelöst, sei auch die Notwendigkeit, zwei typologische Gruppen auf derselben Seite zu präsentieren, nicht mehr gegeben gewesen.47 Es folgte der zweite Schritt: die Auflösung des engen Zusammenhangs aller Bild- und Schriftelemente einer typologischen Gruppe in den diagrammatisch aufgebauten Gruppenschemata. Es ist leicht vorstellbar, dass die Unterteilung der Biblia pauperum in Vierergruppen nicht immer verstanden wurde. Die materielle Struktur des Codex, die Doppelseite als Grundlage für die Präsentation inhaltlicher Einheiten zu nehmen, ist ein Kunstgriff, der von einigen Konzeptoren und Produzenten offensichtlich nicht erkannt wurde. Der Einsatz einer Doppelseite als ein den Inhalt strukturierendes Element ist keineswegs einmalig und nicht auf Biblia pauperum-Handschriften beschränkt;48 er wurde andererseits aber auch nicht so häufig angewendet, dass man voraussetzen könnte, dass Rezipienten – Leser und Produzenten der Handschriften – dafür besonders sensibilisiert gewesen wären. Die vier typologischen Gruppen lassen sich im Hinblick auf ihre Antitypen leicht als Reihung lesen, aus der jede Codexseite einen beliebigen Ausschnitt präsentiert. Wenn sie in einer Handschrift, in der die Biblia pauperum auf einer recto-Seite beginnt, jeweils um eine Seite versetzt erscheinen, lassen sie sich nur noch auf diese Weise lesen. Zusätzliche Elemente, die darauf hätten aufmerksam machen können, dass die Doppelseite jeweils eine thematische Untereinheit der Vita Christi zusammenfasst – Titelrubriken für die Vierergruppen wie De infantia Christi, De passione Domini etc. wären denkbar – bietet keine erhaltene Biblia pauperum-Handschrift. Der zweite Schritt, die Aufgabe des Zwei-Gruppen-Seitenschemas, wäre diesem ›Verfallsmodell‹ zufolge damit vorbereitet. Nun mag ein Konzeptor oder Produzent einer Biblia pauperum-Handschrift zwar weniger Bedenken gehabt haben, Handschriften mit nur einer typologischen Gruppe pro Seite herzustellen, wenn man die vier Gruppen auf einer Doppelseite nicht mehr als thematische Einheit wahrnahm und folglich nicht bewusst einen inhaltlichen Verlust in Kauf nehmen musste. Trotzdem verstellt das Narrativ der schrittweisen Auflösung 46 47 48

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Dies ist etwa auch in der Handschrift in Konstanz der Fall (entgegen der Angaben in Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], S. 276–277). Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 102. Siehe hierzu Jeffrey Hamburger, »Openings«, in: Imagination, books and community in Medieval Europe. Papers of a conference held at the State Library of Victoria, hrsg. v. Gregory Kratzmann und Margaret M. Manion, Melbourne, Australia 29–31 May, 2008 in conjunction with the exhibition »The Medieval Imagination« 28 March–15 June 2008, South Yarra (Vic.) 2009, S. 51–129; zu den Fällen, in denen die Doppelseite eine solche Funktion erfüllt, gehören zahlreiche Handschriften des Speculum humanae salvationis.

den Blick darauf, dass eine Reduktion der Gruppenzahl auf eine pro Seite ja keineswegs eine notwendige Folge des ersten Schrittes war. Im Gegenteil: Die Modifikation des Seitenschemas der Biblia pauperum ist, wie bereits deutlich geworden ist, kein leichtes Unterfangen, bei dem außerdem die Veränderung eines Elements fast immer Folgen für die übrigen hat. Mann kann also voraussetzen, dass eine so weitgehende Umgestaltung der Seitendisposition im Einzelfall konkrete Gründe hatte. Um diesen auf die Spur zu kommen, müssen statt allgemeiner Tendenzen die individuellen Handschriften betrachtet werden. Exemplarisch soll dies anhand der frühesten erhaltenen Handschriften geschehen, die jeweils eine typologische Gruppe pro Seite präsentieren. Es sind sechs Biblia pauperum-Handschriften und ein Fragment einer weiteren erhalten, die in das 14. Jahrhundert datiert werden und jeweils eine typologische Gruppe pro Seite enthalten. Vier von ihnen, eine Handschrift im Museum der Bildenden Künste in Budapest (Abb. 32), Arundel MS 246 in der British Library (Abb. 29, 30) sowie der Münchener Clm 19414 (Farbtafeln III, IV, Abb. 33) und das stark beschädigte Fragment Clm 5250–6049 (Abb. 37), werden in das zweite Viertel des 14. Jahrhunderts datiert und sind damit nur wenige Jahrzehnte jünger als die älteste erhaltene Handschrift in St. Florian. Die übrigen drei sind um die Jahrhundertmitte oder später entstanden: Cod. 5. 2. Aug. 4° der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel (Abb. 31) sowie Cgm 20 und Cgm 341 der Bayerischen Staatsbibliothek (Farbtafel V, Abb. 35, 36).50 49

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Budapest, SzépmĦvészeti Múzeum (Nachlass Stephen Delhaes). Nach Schmidt Oberösterreich, um 1330. Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 13–14, hier S. 13. Nicht in Cornell erwähnt. London, British Library, Arundel MS 246 ist Schmidt zufolge vermutlich südwestdeutsch und stammt aus dem 2. Viertel 14. Jh. Schmidt, S. 35–36; Breitenbach, Edgar: Eine neuaufgefundene Handschrift der Biblia pauperum, in: Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst. Beilage der »Graphischen Künste« 2/3 (1928), S. 25; nicht in Cornell erwähnt; München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 19414. Bayern, nach Schmidt um 1340–50, Hernad zufolge bereits um 1330–40 entstanden; Schmidt, S. 50–53, hier S. 50; Hernad, Béatrice: Die gotischen Handschriften [wie Anm. 26], Kat.-Nr. 179, S. 119–125, hier S. 125. S.a. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 36, S. 101–102. München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 5250–60 ist ebenfalls in Bayern, wahrscheinlich in der selben Werkstatt entstanden wie Cgm 19414 und der weiter unten besprochene Cgm 20; Ott datiert das Fragment um 1325–30 und schließt sich damit KarlAugust Wirths Datierung ins zweite Viertel des 14. Jh., »eher zu Beginn als gegen Ende dieses Zeitraums«, an. Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.16, S. 296–298; Wirth, Karl-August: Neuerworbene Armenbibel-Fragmente in der Bayerischen Staatsbibliothek, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 14 (1963), S. 51–78, hier S. 61. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. 5. 2. Aug. 4°. Schmidt zufolge vermutlich im mitteldeutschen Raum um die Mitte des 14. Jh., nach Cornell im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts entstanden. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 31, S. 97–98, hier S. 97; Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 41–42; München,

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Seitenformat und Seitenschema An einigen dieser frühen Handschriften fällt sofort das vergleichsweise kleine Format auf. Die bisher besprochenen Handschriften mit zwei Bildgruppen auf jeder Seite sind dagegen oft auffällig großformatig, um die zahlreichen Bildund Schriftelemente übersichtlich darstellen zu können. Sie haben im heutigen Zustand eine Seitenhöhe von zwischen 29 und 37 cm. Arundel MS 246 und die Budapester Biblia pauperum dagegen haben jeweils eine Seitenhöhe von nur 23 cm, die Biblia pauperum-Handschrift in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel kommt auf eine Seitenhöhe von 25,5 cm. Die Vermutung liegt also nahe, dass das Seitenformat ein Faktor war, der zu der Entscheidung für eine Konzeption eines Seitenschemas mit nur einer typologischen Gruppe beitrug. Die Frage, ob nun die Entscheidung für eine Reduktion der Gruppenzahl auf eine pro Seite zur Wahl eines kleineren Seitenformats geführt hat oder umgekehrt die Seitendisposition an das kleinere Format angepasst wurde, lässt sich zumindest für die Handschrift in der British Library beantworten. Dieses Manuskript enthält nicht, wie die meisten der frühen Handschriften mit dem Zwei-Gruppen-Seitenschema, ausschließlich die Biblia pauperum. Vielmehr handelt es sich um eine Sammelhandschrift mit theologischen Texten, an deren Ende die Biblia pauperum angefügt wurde.51 Die Zeichnungen wirken ungeübt und lassen vermuten, dass es der Schreiber war, der hier auch die Bildelemente hinzufügte. Ihm oblag es außerdem, ein Seitenschema für eine Biblia pauperum zu konzipieren, die sich im bescheidenen Seitenformat des Sammelcodex realisieren ließ. Als Grundlage diente ihm offenbar eine nicht erhaltene Handschrift mit zwei typologischen Gruppen pro Seite, die in ihrer Seitendisposition mit der Handschrift Clm 23426 vergleichbar war (Abb. 20, 21). Dem Zeichner bereitete es offensichtliche Schwierigkeiten, die einzelnen typologischen Gruppen, die ja im Zwei-Gruppen-Seitenschema ein querrechteckiges Feld füllen, an ein hochrechteckiges Seitenformat anzupassen. Die ersten Seiten zeigen deutlich, dass er innerhalb eines konstant bleibenden Liniensystems mit unterschiedlichen Lösungen experimentierte (Abb. 29, 30). Unverrückbar steht dabei die Quincunx-Figur im Zentrum. Da diese mit dem Zirkel konstruierte Figur in dieser Handschrift auf allen Blättern jeder Lage auf die gleiche Weise auffällig asymmetrisch geraten ist, lässt sich leicht erkennen, dass auf jeder zusammengesetzten und zugeklappten Lage die Einstichpunkte für den Zirkel auf der ersten Seite durch

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Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 20; Bayern, um 1360–70; Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.11, S. 282–285; Cornell, Kat.-Nr. 37, S. 102. Hernad, Béatrice: Die gotischen Handschriften [wie Anm. 26], Kat.-Nr. 182, S. 127–131. Die ersten beiden Gruppen wurden auf das freie letzte Blatt der vierten Lage gezeichnet und geschrieben, die restlichen folgen auf zwei weiteren Lagen.

alle Pergamentblätter hindurch gestochen wurden und so auf jeder Seite die Zentren der Kreisfelder festgelegt wurden. Die Position des Einstichs im Zentrum des mittleren Kreises markiert wiederum die Position des Interkolumniums für die beiden linierten Schriftspalten oberhalb, in die die Lektionen eingetragen wurden. Bei den ersten beiden Gruppen ist ihr querrechteckiges Format aus dem Zwei-Gruppen-Seitenschema noch deutlich erkennbar (Abb. 29): Die beiden Typusbilder flankieren den zentralen Quincunx, lediglich die Lektionen wurden nach oben gerückt statt die Bilderkonfiguration zu flankieren. Das Ergebnis ist ein dichtes Figurengedränge im mittleren Bereich der Seite, während darunter ein breiter Streifen Pergament leer bleibt. Erst ab der dritten Gruppe ändert der Zeichner seine Strategie, sei es, weil er die Lösung unausgewogen fand, sei es, dass die Typusbilder der folgenden typologischen Gruppen mehr Bildpersonal umfassten und nicht in die schmalen Steifen rechts und links des zentralen Medaillons passten: Die Typusbilder wurden nun nach unten in den zuvor leer gebliebenen Streifen am Fuß der Seite gerückt.52 Von dort aus breiten sie sich wiederum gelegentlich nach oben in die Zonen seitlich des Quincunx aus. Auch mit der Platzierung der Tituli wurde teilweise experimentiert. Konstant bleibt der Ort des Titulus des Antitypus, der jeweils im Rahmen des mittleren Kreisfeldes eingetragen ist. Die Tituli der Typen wurden auf den ersten beiden Seiten – wohl in Anlehnung an die Seitendisposition der Handschrift, die als Vorlage diente – am oberen Seitenrand über den Lektionen und Typusbildern angebracht. Mit der Änderung der Seitendisposition ab der dritten typologischen Gruppe werden sie in die nun freien Zonen rechts und links des Quincunx eingetragen, sofern der Platz nicht bereits durch zuvor gezeichnete Bildelemente besetzt ist. In solchen Fällen werden sie ober- oder unterhalb der Bildelemente angebracht. Trotz dieser Unregelmäßigkeiten, die durch einen Strategiewechsel und die ungeübt anmutende Umsetzung entstehen, ist ein schlüssiges Dispositionsschema gelungen. Neben der visuell dominanten Quincunx-Figur, um die die übrigen Bildelemente herum platziert werden, ist es das Muster der zweispaltigen Seite, eingeführt durch die Lektionenfelder, das hier ordnet und Sinnbezüge sichtbar macht. Jede der beiden Kolumnen fasst jeweils Lektion, Titulus und Bild eines Typus zusammen und bezieht sie auf den Antitypus im Zentrum des Quincunx, der als einziges Element das Interkolumnium überschneidet. 52

Die einzige Ausnahme ist die Gruppe um die Rückkehr der Heiligen Familie aus Ägypten. Dort flankiert je eine Einzelfigur den Quincunx: links steht David, der zur Gestalt Gottes aufschaut, die hier aus dem linken oberen Kreisfeld des Quincunx hervorzukommen scheint. Rechts ist die Darstellung der Rückkehr Jakobs zu einer einzigen Figur verkürzt worden. Offenbar zog der Zeichner für die hohen Einzelfiguren den schmalen Randstreifen den annähernd quadratischen Feldern des zweigeteilten unteren Seitenstreifens vor.

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Auch im Cod. 5. 2. Aug. 4° der Wolfenbütteler Herzog August Bibliothek ist die Biblia pauperum Teil einer Sammelhandschrift (Abb. 31). Diese hat ein Seitenformat von 25,5 × 18 cm. Sie enthält neben einer Reihe von Begriffserklärungen und einem Tugend- und Lasterbaum auf dem ersten Blatt auf 31 Folia das Speculum humanae salvationis (Abb 7, 8), das ähnlich wie die Biblia pauperum Schrift- und Bildelemente zu typologischen Gruppen zusammenführt. Im Anschluss folgt die Biblia pauperum. Obgleich Speculum und Biblia pauperum von unterschiedlichen Zeichnern und Schreibern ausgeführt wurden, lassen die identischen Maße der Schrift-Bild-Spiegel doch vermuten, dass beide als Teile desselben Codex konzipiert wurden. Die Wolfenbütteler Handschrift wurde im Vergleich zur Biblia pauperum im Londoner Codex von deutlich geübteren Zeichnern ausgeführt. Zumindest in Bezug auf die Seitendisposition finden sich keine Spuren des Experimentierens, die eindeutig darauf hinweisen, dass das Seitenschema nicht aus einem älteren Manuskript übernommen wurde, sondern spezifisch für diese Handschrift konzipiert und im Laufe der Herstellung noch weiter modifiziert und korrigiert wurde. Allerdings gibt es auffällige Parallelen zwischen den Seitendispositionen der Biblia pauperum und derjenigen des Speculum. Im Speculum ist je eine typologische Gruppe auf einer Doppelseite präsentiert. Der Schrift-Bild-Spiegel ist auf jeder Seite in zwei Spalten gegliedert. Oben in diesen Spalten befinden sich rechteckige Bildfelder, die, von links nach rechts, den Antitypus und drei Typen darstellen. Unterhalb jedes Bildes steht eine Lektion, die aus einer gleich bleibenden Anzahl von Versen besteht. In der Biblia pauperum werden in dieser Handschrift auf jeder Seite die beiden Typusbilder nebeneinander an der gleichen Stelle und im gleichen Format platziert wie die Bildfelder im Speculum. Damit hören die Anleihen an die Seitendisposition des vorausgehenden Werks allerdings auf. Nicht die Doppelseite, sondern die einzelne Seite wird hier jeweils von einer typologischen Gruppe gefüllt. Die Zweispaltigkeit wird nicht für die Texte der Lektionen und Tituli der Typen übernommen; sie sind stattdessen hintereinander in einen Streifen unterhalb der Typusbilder eingetragen.53 Darunter ist der Quincunx mit dem Antitypusbild und den vier Propheten platziert. In seiner Form ist er dem stark querrechteckigen Format des für ihn bestimmten Feldes angepasst, das etwa die gleichen Maße hat wie dasjenige, das die beiden Typusbilder beherbergt. Die Folge von alttestamentlicher Verheißung und neutestamentlicher Erfüllung wird auf der Seite von oben nach unten entwickelt. Dennoch scheint es möglich, dass in der Wolfenbütteler Biblia pauperum wie auch in Arundel MS 246 ein neues Seitenschema mit nur 53

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Auf die Lektion zum ersten Typus folgt der dazu gehörige Titulus, dann derjenige zum Antitypus, gefolgt vom Titulus und schließlich der Lektion zum zweiten Typus.

einer typologischen Gruppe pro Seite konzipiert wurde, um die Biblia pauperum in eine Sammelhandschrift kleineren Formats einzupassen, und dass Elemente der Seitendisposition eines anderen Werks innerhalb der Sammelhandschrift Eingang in das Seitenschema der Biblia pauperum gefunden und dessen Struktur mitgeformt haben. Mit einem Seitenmaß von 23,0 × 17,5 cm ist die auf um 1330 datierte Handschrift im Museum der Bildenden Künste in Budapest ebenfalls ein relativ kleines Büchlein (Abb. 32). Die Biblia pauperum ist mit einem 13 Folia umfassenden Teil zusammen gebunden, der einen weiteren christologischen Bilderzyklus enthält.54 Zwei weitere Zeichnungen wurden außerdem vom Zeichner der Biblia pauperum auf beiden Seiten des letzten Blattes der letzten Lage der Biblia pauperum ausgeführt.55 Wie in der Wolfenbütteler Handschrift gibt es auch hier keine sichtbaren Spuren anfänglichen Experimentierens mit dem Seitenschema, so dass sich nicht sagen lässt, ob hier bereits eine sehr ähnliche Vorlage detailgetreu umgesetzt oder ob das Organisationsschema einer anderen Handschrift für ein kleineres Format adaptiert wurde. Zwei auf um 1400 oder ins frühe 15. Jahrhundert datierte Handschriften aus unterschiedlichen Regionen, die das gleiche Seitenschema vorweisen und der Handschrift auch in der Ikonographie stark ähneln, weisen aber darauf hin, dass dieser Dispositionstyp der Biblia pauperum eine gewisse Verbreitung fand.56 Das Seitenschema besteht aus einem durch wenige schmale, parallel und rechtwinklig zueinander verlaufende Bänder gebildeten Gerüst. Es stellt eine äußerst vereinfachte und ins Hochformat übertragene Version des diagrammatischen Gruppenschemas mit zentralem Antitypus dar. Zwei senkrecht laufende Bänder teilen den seinerseits 54 55 56

Nach Schmidt stammen die Zeichnungen dieses Zyklus nicht von dem Zeichner der Biblia pauperum, Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 13. Die Zeichnungen sind reproduziert in Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], Taf. 14b und 16a. Ein Fragment einer nordwestdeutschen Handschrift mit nahezu identischer Seitendisposition ist Kopenhagen, Kongelike Bibliotek, Gl. kgl. Saml. 1377 4°. Sie enthält lateinische Tituli, die Lektionen und Prophetensprüche sind dagegen deutsch. Ott datiert sie auf um 1400, Cornell auf das Ende des 14. Jahrhunderts; Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.7, S. 274–275; Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 34, S. 100; Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 15. Die zweite Handschrift ist Salzburg, Benediktinerstift St. Peter, Cod. a. IX. 15. Sie ist vermutlich im süddeutschen Raum oder in Salzburg im frühen 15. Jahrhundert entstanden. Schmidt, S. 14–15; Cornell, Kat.-Nr. 14, S. 78–80. In dieser Handschrift sind die Lektionen nicht innerhalb der Felder untergebracht, die auch die Bilder der Typen enthalten, sondern befinden sich oberhalb des rechteckigen Feldes, in dem sich die Bilderkonfiguration befindet. Die Figuren der Typusdarstellungen sind entsprechend größer dargestellt und stehen zu den Figuren des Antitypus wieder in einem vergleichbaren Maßstabsverhältnis wie in den frühen diagrammatischen Seitenschemata. Vgl. Cornell, Taf. 6 und Schmidt, Taf. 20.

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gerahmten Schrift-Bild-Spiegel in drei Felder. Im mittleren Feld, das etwas breiter ist als die seitlichen, befindet sich das Bild des Antitypus. Die Propheten erscheinen ober- und unterhalb in kleinen, rechteckigen Feldern. Im unteren Bereich der seitlichen Felder befinden sich die Typusbilder, während das obere Drittel liniert und mit den Lektionen beschriftet ist. Auf den untersten Zeilen stehen die rubrizierten Tituli und bilden so den Übergang zu den darunter liegenden Zeichnungen. Die Stege des Seitengerüsts dienen nicht nur dazu, die unterschiedlichen Felder voneinander zu trennen, sondern sind auch mit den Sprüchen der Propheten und, oberhalb des zentralen Bildes, mit dem Titulus des Antitypus beschriftet. Diese Variante der Seitendisposition stellt ohne Frage gegenüber den diagrammatischen Zwei-Gruppen-Schemata eine deutliche Vereinfachung dar. Sie führt andererseits aber auch zu einer deutlichen Umgewichtung der unterschiedlichen Elemente der typologischen Gruppe. Auffällig ist dabei, dass den Bildelementen besonders viel Platz im Schrift-Bild-Spiegel eingeräumt wurde. Das Antitypusbild ist nicht in kleinem Maßstab in einem Kreisfeld untergebracht, sondern es füllt ein großes, rechteckiges Bildfeld. Neutestamentliche und alttestamentliche Gestalten, die Propheten eingeschlossen, sind im annähernd gleichen Maßstab dargestellt. Das Antitypusbild erfährt dabei nicht nur durch seine Position in der Mitte eine besondere Auszeichnung, sondern auch dadurch, dass es durch die Propheten in den Feldern unterhalb wie durch eine Stufe oder einen Sockel erhöht ist. Stärker noch als in den übrigen bisher besprochenen Handschriften spielen die Bilder hier eine dominante Rolle. Die Lektionen hingegen beanspruchen kaum mehr Platz als die Bilder der vier Propheten. Zusammen mit dem umfangreichen christologischen Bilderzyklus und den Einzelbildern, mit denen diese Biblia pauperum-Handschrift zusammen überliefert wurde, ergibt sich das Bild eines Codex, der in erster Linie eine Bilderhandschrift ist, und zwar eine, die sich durch ihr kleines Format für eine individuelle Auseinandersetzung mit dem Inhalt eignete, sei sie zu didaktischen Zwecken oder zur persönlichen Andacht. Starke Abnutzungsspuren besonders an den Seitenrändern und Reparaturen an den Zeichnungen lassen vermuten, dass dieses Manuskript in intensivem Gebrauch war.57 Inhaltliche Erweiterungen der typologischen Gruppen Auch Clm 19414, in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert und aus dem Kloster Tegernsee in die Bayerische Staatsbibliothek gelangt, enthält die Biblia pauperum als Teil einer Sammelhandschrift unter anderem zusammen mit dem Compendium historiae in genealogia Christi des Peter von Poitiers

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Siehe Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 14.

und dem Speculum humanae salvationis (Farbtafeln III, IV, Abb. 33, 5).58 Zu einem späteren Zeitpunkt, wahrscheinlich um das Jahr 1491, wurde dieser Sammelcodex im Kloster Tegernsee mit einer weiteren Handschrift zusammengebunden, die allerdings außer ihrem Format nichts mit diesem gemeinsam zu haben scheint.59 Mit einem Seitenformat von 29,5 × 24,5 cm ist der Codex so groß wie diejenigen, die eine Biblia pauperum mit Zwei-GruppenSeitenschema enthalten. Tatsächlich ist auch offenbar ursprünglich ein Schema mit zwei Gruppen pro Seite geplant gewesen: Das Liniensystem auf der ersten recto-Seite, dem die Markierungen mit Nadelstichen auf den Blättern der gesamten ersten Lage entsprechen, sah ganz offenbar eine Seitendisposition vor, in der zwei typologische Gruppen in einer Rasterstruktur mit fünf Kolumnen und zwei Registern übereinander angeordnet werden sollten (Abb. 33).60 Es wurden jedoch nur zwei der Bildelemente und ein Textelement eingetragen: die Verfluchung der Schlange und Gedeon als Typen der ersten Gruppe sowie die Lektion zur Verfluchung der Schlange. Dieses Schema, das genau in dieser Form in keiner anderen Handschrift überliefert ist,61 wurde zugunsten eines anderen verworfen, das nur eine typologische Gruppe pro Seite enthält (Farbtafeln III, IV). Das letztendlich realisierte Schema ist im Grunde ebenfalls eine Rasterstruktur, die aber mit architektonischen Elementen überformt wurde. Zwei schmale Lektionenkolumnen rahmen ein hochrechteckiges Feld, das durch ein waagerechtes Band in zwei Register geteilt ist. Die beiden Typusbilder befinden sich, von Arkadenbögen überfangen, im oberen Register. Im unteren wird ein ebenso großes, von einer Arkatur überfangenes Bildfeld mit dem Antitypus von zwei Streifen flankiert, in denen sich jeweils übereinander zwei Propheten unter Fenster- oder Nischenbögen befinden. Die 58

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Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 36, S. 101–102; Hernad, Béatrice: Die gotischen Handschriften [wie Anm. 26], Kat.-Nr. 178, S. 119–125; Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 50–53. Vgl. Hernad, Béatrice: Die gotischen Handschriften [wie Anm. 26], S. 119. Vgl. ebd., S. 124; Wirth, Karl-August: Neuerworbene Armenbibel-Fragmente [wie Anm. 49], S. 76–77. Hernad schreibt, das Seitenschema in Clm 19414 entspreche dem der beiden Handschriften Clm 23425 und Clm 4523; Hernad, Béatrice: Die gotischen Handschriften [wie Anm. 26], S. 124. Dies trifft insofern zu, als den Seitendispositionen aller drei Handschriften ein Raster mit ähnlichen Proportionen zugrunde liegt, das den Lektionen jeweils die beiden Randfelder zuweist. Allerdings könnte das Seitenschema in Clm 19414 allenfalls eine unvollständige Version des Seitenschemas der beiden anderen Handschriften darstellen: Am auffälligsten ist das Fehlen des zentralen Kreisfeldes, dessen Position auch nicht durch Einstichlöcher markiert ist. Auch sind keine Felder für die Propheten eingezeichnet. Außerdem hätten die bereits ausgeführten Zeichnungen der beiden Typen zur ersten typologischen Gruppe keinen Platz für die Spruchbänder der Propheten gelassen, die ein wichtiges Element der Bilderkonfiguration in Clm 23425 und Clm 4523 sind (Abb. 16–19).

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Bögen über den Typen und der Trennstreifen zwischen unterem und oberem Register sind mit den entsprechenden Tituli beschriftet. Diese realisierte Version der Biblia pauperum in der Handschrift aus Tegernsee wird von Cornell aufgrund ihrer Gruppenfolge der Bayerischen Familie zugeschrieben. Tatsächlich zeigt das Seitenschema trotz aller Unterschiede auch deutliche Parallelen vor allem zu den bereits besprochenen Handschriften Clm 23425 und Clm 4523 mit ihren Rahmungen, die architektonische Elemente enthalten (Abb. 16, 19). Was dort sparsam durch Zirkelschläge und einzelne Versatzstücke angedeutet ist, ist in der Tegernseer Handschrift zu einer aufwendigen architektonischen Rahmung geworden. Auch erinnern die Proportionen der Seitendisposition nach wie vor stark an die der Handschriften der Untergruppe Benediktbeuren. So entspricht der horizontale Steg, der in der Tegernseer Handschrift das obere von dem unteren Register trennt, in der Seitendisposition der beiden anderen Handschriften formal dem Steg zwischen den beiden typologischen Gruppen. Die Lektionenkolumnen an den Seitenrändern haben eine ähnliche Breite wie diejenigen in der Seitendisposition der Handschriften der Benediktbeurener Gruppe. Die Beziehung zwischen dem verworfenen Schema auf der recto-Seite und dem realisierten Seitenschema ist nach wie vor ungeklärt.62 An den wenigen ausgeführten Elementen im verworfenen Schema wird allerdings bereits deutlich, dass die Unterschiede nicht nur die Seitendisposition betreffen, sondern auch die Ikonographie und die Lektionentexte. Während die Zeichnung Gottvaters mit der Schlange im verworfenen Schema Gott vor dem Baum der Erkenntnis stehend zeigt, an dessen Stamm sich die Schlange windet, ist es im realisierten Schema Gott, der aus der Baumkrone hervorschaut und sich an die Schlange wendet, die sich auf ihrer Schwanzspitze aufgerichtet hat. Diese ja zunächst ungewöhnlich anmutende Platzierung Gottes auf und der Schlange vor dem Baum findet sich in einigen der frühen Biblia pauperum-Handschriften.63 Diese Unterschiede in der Ikonographie sind als Hinweis darauf gedeutet worden, dass dem verworfenen Versuch und der realisierten Version unterschiedliche Handschriften als Grundlage dienten.64 Wie auch immer diese Handschriften ausgesehen haben mögen – wahrscheinlich wurde ihrem Vorbild in Hinsicht auf die Seitendisposition und die Gestaltung der Rahmung nicht genau gefolgt. 62

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Vgl. Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 53 (dem das Fragment Cgm 5250–60 nicht bekannt war); Wirth, Karl-August: Neuerworbene Armenbibel-Fragmente [wie Anm. 49], S. 76–77; Hernad, Béatrice: Die gotischen Handschriften [wie Anm. 26], S. 124. Offenbar ist sie, wie Breitenbach angemerkt hat, als Bezug auf die in Handschriften mit dem Zwei-Gruppen-Seitenschema direkt darunter befindliche Darstellung Gottes im brennenden Dornbusch entstanden; Breitenbach, Edgar: Eine neuaufgefundene Handschrift [wie Anm. 49], S. 66. Siehe auch Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 132. Schmidt, S. 51; Hernad schreibt die Zeichnungen beider Versionen demselben Zeichner zu.

Dies gilt für beide Seitenschemata. Die Figur Gedeons im verworfenen Schema ist zu groß geraten, als dass Vlies, Engel und Regenwolke im Bildfeld noch leicht Platz gefunden hätten, und auf fol. 1v sind einige Elemente des architektonischen Rahmens anders gestaltet als auf den folgenden Seiten. So ist etwa die Säule, die die beiden Felder der Typusbilder trennt, der Länge nach geteilt und folglich als zwei halbe Säulen aufgefasst, die zu zwei unterschiedlichen Bildfeldern gehören und darüber hinaus nicht an dem Kapitell abschließen, das die Bögen oberhalb der Figuren stützt, sondern weiter nach oben verlaufen und dort wie gekappt enden.65 Bereits auf der folgenden Seite hat man eine ganze Säule aus ihr gemacht und sie damit sozusagen aus den Bildfeldern hinausund in das Rahmengerüst hineingenommen. Auch wurden im Folgenden, wenn es der Platz erlaubte, Füllungen in die Bögen der Typusbilder eingesetzt, um diese als Vierpassbögen zu gestalten (Farbtafeln III, IV). An den Lektionentexten fällt zunächst ihre unterschiedliche Länge auf: Der Text im unvollendeten Seitenschema ist deutlich kürzer als derjenige auf der verso-Seite.66 Auch die restlichen Lektionen in dieser Biblia pauperum-Handschrift sind gegenüber den sonst überlieferten lateinischen Lektionen deutlich umfangreicher. Damit hätten sie nicht in die Lektionenfelder eines Zwei-Gruppen-Seitenschemas gepasst. Es wäre also denkbar, dass dieser Seitendispositionstyp – ob nun konkret für dieses Manuskript konzipiert oder in seiner Grundstruktur von einem anderen übernommen – im Hinblick darauf entwickelt wurde, mehr Platz für längere 65

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Siehe Wirth, Karl-August: Neuerworbene Armenbibel-Fragmente [wie Anm. 49], S. 77 und Hernad, Béatrice: Die gotischen Handschriften [wie Anm. 26], S. 124; Wirth sieht hier eine mögliche Anlehnung an die marmorierten senkrechten Trennstreifen in Cgm 20 und Cgm 5250–60 (Farbtafel V, Abb. 37). Der Lektionentext zur Verfluchung der Schlange im verworfenen Schema auf der recto-Seite lautet Legitur in genesi capitulo tercio quod dominus dixit serpenti: ›Super pectus tuum gradieris‹. Et postea ibidem legitur de serpente et muliere: ›Ipsa conteret caput tuum et tu insidiaberis calcaneo eius‹. Nam istud in annunciacione beate virginis adimpletum est. Dies entspricht dem Wortlaut, wie er sich in den frühen Biblia pauperum-Handschriften üblicherweise findet: Die Lektionentexte in Clm 23426, St. Florian, Clm 23425 und Clm 4523 etwa weichen höchstens in einzelnen Wörtern von ihm ab. Der Lektionentext auf der verso-Seite der Handschrift aus Tegernsee dagegen ist viel ausführlicher. Er bettet den Fluch ins Narrativ des Sündenfalls ein, zitiert ihn vollständig und erläutert den Bezug zur Verkündigung: Legitur in genesi capitulo tertio quod dominus dixit serpenti postquam decepit primos parentes maledicens eo [?] sic. Maledictus eris tu inter omnia animancia terre. Super pectus tuum gradieris et terram comedes cunctis diebus vite tue. Ponam insidias inter te et mulierem. Ipsa conteret caput tuum et tu insidiaberis calcaneo eius. Quod in annunciatione dominica est impletum. Nam eva nostra a culpa semper vacua id est gloriosa virgo semper maria caput venenosi serpentis id est diaboli verbo humilitatis ac responso salutis contrivit cum dixit ›ecce ancilla domini‹. Hic nota verbum humilitatis et annectit verbum salutis cum subdit ›Fiat mihi secundum verbum tuum ut virgo permaneam et filium pariam dei mei‹.

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Lektionentexte zu bieten. Deutlicher noch als die Lektionentexte bekommen aber die Bilder der typologischen Gruppen in diesem neuen Seitenschema mehr Platz zugewiesen: Da die flankierenden Lektionenspalten nicht verbreitert wurden und da nun eine typologische Gruppe die Fläche von ursprünglich zwei Gruppen einnimmt, dominieren die Bilder, in einem kompakten, hochrechteckigen Feld zusammengefügt, die Seite. Die Lektionen, obgleich sie z.T. erheblich länger ausfallen als in allen anderen erhaltenen lateinischsprachigen Biblia pauperum-Handschriften, nehmen einen vergleichsweise geringen Teil der Seite ein und werden durch die schmalen marginalen Kolumnen noch deutlicher als in Clm 23425 und Clm 4523 als (Bild-)Glosse inszeniert. Damit ist ein weiterer Faktor in den Blick geraten, der zu einer Reduktion des ZweiGruppen-Seitenschemas zu einem mit nur einer typologischen Gruppe führen konnte: die Erweiterung eines oder mehrerer der Gruppenelemente, die sich nicht mehr in den tradierten Seitenschemata unterbringen lassen. Zweisprachige Handschriften Seit etwa der Mitte des 14. Jahrhunderts sind Biblia pauperum-Handschriften erhalten, die mindestens die Lektionen, manchmal auch die Tituli und Prophetensprüche in lateinischer Version und in deutscher Übersetzung enthalten. Um diese zusätzlichen Schriftelemente im Seitenschema unterbringen zu können, sind unterschiedliche Strategien entwickelt worden. Im Fall der drei frühesten erhaltenen lateinisch-deutschen Handschriften, von denen nur zwei vollständig erhalten sind und die wahrscheinlich um 1350–60 in einer Werkstatt im mitteldeutschen Raum hergestellt wurden, wurde versucht, das tradierte Zwei-Gruppen-Seitenschema weitgehend beizubehalten und trotzdem (bis auf Spruchbänderinschriften und Gruppenbezeichnungen) alle Schriftelemente in beiden Sprachen zu präsentieren (Abb. 34).67 Ausgangs67

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Weimar, Stiftung Weimarer Klassik, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Ms. Fol. max. 4; Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.22, S. 316–319; Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 24, S. 89–90; Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 39. Zu dieser Handschrift wurde eine Faksmile-Ausgabe mit Kommentar veröffentlicht: Biblia pauperum, Apocalypsis: die Weimarer Handschrift, mit Beiträgen von Rainer Behrends, Konrad Kratsch und Heinz Mettke, Leipzig 2007; Siehe auch: Biblia pauperum und Apokalypse der Grossherzogl. Bibliothek zu Weimar, hrsg. v. Hans von der Gabelentz, Strassburg 1912; Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek, Ms. germ. fol. 1362; Ott, Kat.-Nr. 16.0.1, S. 255–259; Schmidt, S. 37–38; Breitenbach, Edgar: Rezension zu Henrik Cornell, Biblia pauperum [wie Anm. 39], S. 61–70, hier S. 70; nicht bei Cornell erwähnt. Bei dem Fragment handelt es sich um Leipzig, Universitätsbibliothek, Cod. 1676. Ott, Kat.-Nr. 16.0.9, S. 279–280; Cornell, Kat.-Nr. 25, S. 90; Schmidt, S. 38–39. Siehe auch Pensel, Franzjosef: Verzeichnis der deutschen mittelalterlichen Handschriften in der Universitätsbibliothek Leipzig, Berlin 1998 (Deutsche Texte des Mittelalters, Bd. 70, Verzeichnis altdeutscher Handschriften, Bd. 3), S. 274.

punkt hierfür war offensichtlich ein Seitenschema wie jenes in Clm 23426, der nur lateinischen Text enthält (Abb. 20). Die Tituli oberhalb der Bilder beanspruchen nun zwei Zeilen statt einer. Da in den Rahmen der Prophetenfelder nicht genug Platz für deren Sprüche in zwei Sprachen ist, wurden die deutschen Übersetzungen ebenfalls an die Ränder der Bilderkonfiguration gerückt und stehen jeweils ober- oder unterhalb des Kreisfeldes. Eingeleitet werden sie jeweils durch den Namen des Propheten. In den seitlichen Kolumnen stehen in jeweils zwei von roten Lombarden eingeleiteten Absätzen oben die lateinischen Lektionen und darunter deren deutsche Übersetzungen. Ein wahrhaft monumentales Seitenformat von 48,8 × 33,2 cm im Berliner und 47,8 × 32,8 cm im Weimarer Manuskript stellt genügend Fläche für diese Erweiterungen zur Verfügung. Zumindest scheint es auf den ersten Blick so; auf den zweiten bemerkt man, dass in vielen Fällen die lateinischen Lektionen nicht vollständig sind, sondern nach wenigen Zeilen mit »etc.« abbrechen, offensichtlich, um genügend Platz für die vollständigen deutschen Übersetzungen zu lassen. Ohne an dieser Stelle der Frage nach dem Nutzen solcher unvollständiger lateinischer Lektionen – und nach den Funktionen solcher zweisprachiger Handschriften – nachgehen zu können, bleibt hier festzustellen, dass man in diesen Fällen offenbar auf die Vollständigkeit mancher Schriftelemente verzichtete, um die Seitendisposition zu erhalten. In anderen Fällen war man offenbar nicht bereit, Teile der Lektionen zu opfern: so etwa in Cgm 341, einem bayerischen Codex aus dem späteren 14. Jahrhundert, der auf den ersten Seiten eine Biblia pauperum mit lateinischen und deutschen Lektionen enthält (Abb. 35, 36).68 Mit einem Seitenformat von 28,4 × 20,0 cm ist er kaum kleiner als viele der Biblia pauperum-Handschriften mit Zwei-GruppenSeitenschema. Auch für einen weitaus geübteren Produzenten von Handschriften mit komplexen Seitendispositionen als denjenigen, der diese Biblia pauperum zeichnete und schrieb, wäre es allerdings eine Herausforderung gewesen, auf dieser Fläche vollständige Lektionen sowohl in lateinischer Fassung als auch in deutscher Übersetzung für zwei typologische Gruppen unterzubringen. Der Produzent dieser Handschrift entschied sich dafür, die Typusbilder nicht das Antitypusbild flankieren zu lassen, sondern sie entlang der vertikalen Mittelachse ober- und unterhalb der zentralen Quincunx-Figur zu platzieren. 68

München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 341. Bayern, nach Ott Ende des 14. Jahrhunderts, nach Schmidt 3. Viertel des 14. Jh. Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.14, S. 293–295. Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 42; Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 33, S. 99–100; Schneider, Karin: Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München: Cgm 201–350, Editio altera, Wiesbaden 1970 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis; T. 5, Ps. 2), S. 362–365.

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Jedes Typusbild wird nun seinerseits links durch die lateinische Lektion und rechts durch deren deutsche Übersetzung flankiert. Die Schwierigkeiten, die der Produzent offenbar bei der konkreten Umsetzung dieses Schemas hatte, sprechen dafür, dass ihm keine Handschrift mit einer entsprechenden Seitendisposition zur Verfügung stand, an der er sich hätte orientieren können. In dem Liniensystem, das lediglich die Position des Quincunx und die äußere Begrenzung des Schrift-Bild-Spiegels markiert, ließ er sich häufig dazu verleiten, den offenbar zuerst ausgeführten Zeichnungen so viel Raum zu geben, dass die Lektionen anschließend in andere Bereiche der Seite ausweichen mussten (Abb. 36). Eine weitere Handschrift, in der Tituli, Prophetensprüche und Lektionen sowohl auf Lateinisch als auch in deutscher Übersetzung enthalten sind, ist die auf um 1425 datierte Handschrift Pal. Lat. 871 in der Biblioteca Apostolica Vaticana (Abb. 2–4).69 Auch in dieser Handschrift ermöglicht es ein Ein-Gruppen-Seitenschema, dass genügend Platz für einen doppelten Satz aller Schriftelemente (mit Ausnahme der Spruchbandinschriften und anderen Bildbeischriften) vorhanden ist.70 Die Bildelemente mitsamt der lateinischen Prophetensprüche, Spruchbandinschriften und Bildbeischriften sind – wie bei den meisten Zwei-Gruppen-Seitenschemata mit zentralem Quincunx – in einem querrechteckigen Feld zusammenfasst. Der Schrift-Bild-Spiegel ist im schmalen Streifen oberhalb des Bildfeldes für die lateinischen und deutschen Tituli der Typen und des Antitypus in drei Kolumnen eingeteilt. In der Zone unterhalb sind die Lektionen in zwei Spalten eingetragen, zuerst die lateinische und darunter die deutsche Fassung. Beide Versionen werden durch alternierend rote und blaue Lombarden eingeleitet. Die Dreizahl von Typen und Antitypus wie auch die Zweizahl der auf den Antitypus bezogenen Typen wird so nicht nur in der Ordnung des Bildfeldes, sondern auch in der Disposition der Kolumnen anschaulich gemacht. Die deutschen Übersetzungen der Prophetensprüche, deren lateinische Versionen in die Rahmen der Kreisfelder eingetragen sind, stehen

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Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. Lat. 871; nach Ott in Nordhessen o. Westthüringen um 1425 entstanden, Schmidt und Cornell datieren die Handschrift in das frühe 15. Jahrhundert. Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.21, S. 311– 315; Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 41; Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 26, S. 90–93; Faksimile-Ausgabe und und Kommentarband: Biblia pauperum. Die Bilderhandschrift des Codex Palatinus Latinus 871 im Besitz der Biblioteca Apostolica Vaticana, Einf. und Kommentar von Christoph Wetzel, Transkription und Übers. v. Heike Drechsler, Stuttgart u. a. 1995. Siehe auch Bruno Reudenbachs Beitrag in diesem Band. Eine Gruppenbezeichnung findet sich in der Handschrift nur für die Gruppe zur Verkündigung. Dort sind sie nur in lateinischer Sprache am oberen Seitenrand eingetragen.

wieder ober- und unterhalb der Kreisfelder am Rand. Sie sind durch die rubrizierten Namen der Propheten von den Tituli und Lektionentexten abgesetzt. Zusammenfassung Diese tour de force durch die Formen der visuellen Organisation in Biblia pauperum-Handschriften hat unterschiedliche Lösungen für Seitendispositionen aufgezeigt, die nur eine typologische Gruppe pro Seite enthalten. Sie hat außerdem mehrere Faktoren zutage gefördert, die zu der Entscheidung beigetragen haben, solche Schemata überhaupt zu konzipieren, und die die Form dieser Schemata mit geprägt haben. Es zeichnen sich zwei Gründe ab, die zur Konzeption von Biblia pauperum-Handschriften mit Ein-Gruppen-Schema führten. In einigen Fällen wollte man offensichtlich das Seitenformat der Handschriften reduzieren. So ließ sich die Biblia pauperum beispielsweise in eine Sammelhandschrift kleineren Formats integrieren, man konnte sie aber auch zu einem handlichen Büchlein für die individuelle Lektüre und Andacht machen. In anderen Fällen war nicht eine Reduktion des Seitenformats das Ziel, sondern vielmehr eine Erweiterung der Elemente der typologischen Gruppen: Es musste Platz für längere Lektionen oder zweisprachige Textversionen geschaffen werden. Was die formalen Merkmale der neu konzipierten Schemata betrifft, so lässt sich beobachten, dass das zentrale Kreisfeld mit dem Antitypusbild, auf das alle übrigen Elemente ausgerichtet sind und das so charakteristisch für die ›diagrammatischen‹ Bilderkonfigurationen der älteren Handschriften mit Zwei-Gruppen-Schema ist, nur in wenigen Handschriften mit Ein-Gruppen-Schema verwendet wird. Wenn, dann erscheint es immer als Teil der Quincunx-Figur. In den übrigen Handschriften verschwindet das Kreisfeld ganz zugunsten rasterförmiger Liniensysteme. Diese vereinfachen einerseits die Produktion der Handschriften, andererseits wird den Bildelementen, insbesondere dem Antitypus, in diesen Formen der Seitendisposition deutlich mehr Raum gegeben und sie treten visuell stärker in den Vordergrund. Bei der Konzeption einer neuen Seitendisposition hielten sich gerade die ungeübten Produzenten am engsten an die Organisationsprinzipien der ›diagrammatischen‹ Gruppenschemata, während die Hersteller der professioneller und anspruchsvoller gestalteten Handschriften eher die Gelegenheit dazu nutzten, die Organisationsstruktur grundsätzlich zu überarbeiten. Solche Überarbeitungen geschehen keineswegs in völliger Isolation von den Organisationsmustern anderer Handschriftengattungen. So kann, wie bei der Wolfenbütteler Biblia pauperum, die Anregung von einem Werk – in diesem Fall das Speculum – im selben Codex stammen. In anderen Fällen, wie dem Budapester Codex, wird durch die deutlich vergrößerten Bildfelder aus der Biblia pauperum das Herzstück einer kleinformatigen Bilderhandschrift.

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4. Die Biblia pauperum als Lesebuch? Seitenschemata in Handschriften des ›deutschen erzählenden Typs‹ Eine weitere Gruppe von Biblia pauperum-Handschriften soll nun betrachtet werden, in denen Veränderungen in Anzahl und Umfang einzelner Elemente innerhalb der typologischen Gruppen mit grundlegenden und teilweise sehr unterschiedlichen Überarbeitungen der Seitendisposition einhergehen. Es handelt sich um die Handschriften des sogenannten ›deutschen erzählenden Typs‹. In diesen Handschriften sind die sonst so knappen Lektionentexte zu umfangreichen, in deutscher Sprache verfassten Nacherzählungen der alttestamentlichen Bibelstellen, ausführlichen Erläuterungen ihres Bezugs zum Antitypus sowie gelegentlichen moralischen Appellen erweitert worden. Andere Schriftelemente wie Tituli und sogar die Prophetensprüche fallen dagegen in einigen dieser Handschriften weg. Cornell unterscheidet drei unterschiedliche Textredaktionen A, B und C.71 Die ältesten erhaltenen dieser Handschriften sind der um 1360–70 datierte Cgm 20 (Farbtafel V) sowie zwei Fragmente eines weiteren möglicherweise noch aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts stammenden Codex, Cgm 5250–60 (Abb. 37). Sie enthalten unterschiedliche Redaktionen der Lektionentexte – ›Typ A‹ in Cgm 20 und ›Typ B‹ in Cgm 5250–60 – und sind wahrscheinlich im selben Skriptorium entstanden wie die Handschrift aus Tegernsee mit ihren erweiterten lateinischen Lektionen, die in ihrem Umfang allerdings längst nicht an die deutschen Lektionen heranreichen. Offenbar arbeitete man in diesen Skriptorium über Jahrzehnte hinweg immer wieder an unterschiedlichen Versionen der Biblia pauperum. Das genaue Verhältnis dieser drei Handschriften zueinander ist nach wie vor unklar. In ihrer Ikonographie ähneln die Handschriften sich – sofern das für Cgm 5250–60 auf der Grundlage von nur zwei erhaltenen Blättern beurteilt werden kann – stark.72 Auffälligerweise entspricht dabei die Darstellung der Verfluchung der Schlange in Cgm 20 mit dem vor dem Baum stehenden Gott und der sich um den Baum windenden

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Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 66–68; dort zum Vergleich ein Auszug der drei Versionen der Lektion zum Stabwunder Aarons als Typus für die Geburt Christi. Die Lektionen des ›Typ C‹ sind dort vollständig transkribiert: Ebd., S. 319–356. Exemplarisch hat Karl-August Wirth die drei Versionen der Lektion zum Besuch Salomons durch die Königin von Saba als Typus für die Anbetung der Könige transkribiert: Wirth, Karl-August: »Wer aber die… chvnigein (von Saba) sey gewesen, daz vindet man selten geschriben«, in: Bibelübersetzungen des Mittelalters, hrsg. v. Heimo Reinitzer, Bern u. a. 1991 (Vestigia Bibliae, 9/10), S. 471–533, hier S. 510–513. Siehe Wirth, Karl-August: Neuerworbene Armenbibel-Fragmente [wie Anm. 49], S. 53–54; Hernad, Béatrice: Die gotischen Handschriften [wie Anm. 26], S. 124.

Schlange der Zeichnung im verworfenen Schema (Abb. 33) in der Tegernseer Handschrift und nicht derjenigen in der realisierten Version. Lektionen als Glossen Auch in der Grundstruktur ihrer Seitendisposition ähneln die beiden Handschriften mit deutschen Lektionen der Tegernseer Handschrift deutlich: Die Typen, der Antitypus und die vier Prophetenbilder sind auf die gleiche Weise in zwei Registern angeordnet, die zusammen ein hochrechteckiges, den Großteil der Seite einnehmendes Feld bilden. Zwischen den Registern verläuft in jeder der Handschriften ein schmaler, horizontaler Streifen, in dem auf den Blättern des Fragments wie auch in der Handschrift aus Tegernsee die Tituli der neutestamentlichen Antitypen eingetragen sind. In Cgm 20 ist nur die Kreuzigungsgruppe mit Tituli versehen, auf allen übrigen Seiten bleibt der Streifen leer. In zwei Aspekten unterscheiden sich die Seitenschemata der beiden deutschsprachigen Handschriften indes deutlich von dem der Tegernsee-Handschrift. Zum einen musste in den deutschsprachigen Handschriften wesentlich mehr Text untergebracht werden. Deshalb sind die für die Lektionen vorgesehenen Randzonen nicht nur etwas breiter als in der Tegernseer Handschrift, sondern wurden außerdem zu einem das Bildfeld von allen Seiten umschließenden Rahmen erweitert. Trotzdem musste dieser Rahmen eng mit winziger Schrift gefüllt werden, um die Lektionen darin unterzubringen. Ein marmorierter Streifen verläuft entlang der vertikalen Mittelachse und trennt sowohl die Bildfelder der Typen als auch ihre Lektionen voneinander. Der neutestamentliche Antitypus wird von dem Steg nicht durchschnitten und so als beiden Seiten zugehörig gekennzeichnet. Zum anderen sind die Bildfelder nicht wie in der Handschrift aus Tegernsee architektonisch gerahmt, sei es, weil diese Rahmung in der Tegernseer Handschrift zu einem beiden zugrunde liegenden Schema hinzugefügt wurde, sei es, weil sie in den Handschriften mit den deutschen Lektionen weggelassen wurde, um mehr Platz für die Lektionentexte zu schaffen. Der vertikale Mittelstreifen in ihrem Seitenschema scheint in seiner Musterung immerhin an eine steinerne Säule zu erinnern, läuft aber oben und unten über die Begrenzung des Schrift- und Bildspiegels hinweg bis zum Seitenrand, ohne mit Basis oder Kapitell versehen worden zu sein. Das Dispositionsmuster ›Marginalglosse‹ oder genauer: ›auktorialer Text mit Marginalglosse‹, wurde bereits in den frühen Weimarer und Bayerischen Handschriften für die Präsentation der Lektionen verwendet. In der Tegernseer Handschrift tritt es noch deutlicher in Erscheinung, weil die seitlich platzierten Schriftspalten die gesamte Länge des Schrift-Bild-Spiegels entlang verlaufen, ohne unterbrochen zu werden. Sie werden so zu einer Sonderform der

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Glossendispositionen erweitert, die etwa an glossierte Rechtshandschriften der Zeit erinnert (Abb. 38).73 Dass diese Inszenierung Folgen dafür hat, wie der Status und die Funktion der Lektionen in ihrer Beziehung zum von ihnen hier gerahmten Bildfeld wahrgenommen werden, wurde weiter oben bereits angesprochen: Die Lektionen erscheinen zunächst ›nur‹ als Beiwerk oder Paratexte, als Elemente, die den Bildern, die hier den Platz des Werks oder auktorialen Textes einnehmen, unter- bzw. beigeordnet sind.74 Sie tun dies allerdings innerhalb eines Organisationsschemas, das ursprünglich für die Darstellung von Schrift konzipiert wurde. Die Chronologie von alttestamentlichen Typen und neutestamentlichem Antitypus entfaltet sich von oben nach unten gemäß der konventionellen Leserichtung westeuropäischer Schriftspalten. Die Anordnung der Lektionen betont die ›Schriftlogik‹ der Disposition zusätzlich: Die Abfolge alttestamentlicher Typ – neutestamentlicher Antityp korrespondiert mit der inhaltlichen Struktur der Lektionen mit ihrer zweiteiligen Struktur. In ihnen folgt auf einen Abschnitt, der die Geschichte aus dem Alten Testament nacherzählt, ein zweiter, der die typologischen Bezüge zwischen Typ und Antityp erläutert. In Cgm 20 sind diese beiden Abschnitte jeweils durch Initialen, Paraphen oder rote Strichelungen der Anfangsbuchstaben deutlich voneinander abgesetzt (Farbtafel V). In der Seitendisposition der Handschrift werden die alttestamentlichen Typen jeweils von dem paraphrasierenden Teil der Lektion flankiert, während der typologische Bezug im unteren Teil der Seite jeweils neben dem neutestamentlichen Antitypus erläutert wird. Dass diese neue, für eine neuartige Version der Biblia pauperum entwickelte Seitendisposition sich als ausgesprochen einflussreich erwies, belegen drei erhaltene Biblia pauperum-Handschriften aus dem 15. Jahrhundert: die in ein Brevier eingefügten Blätter einer Biblia pauperum in der Universitätsbibliothek in Heidelberg aus dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts (Abb. 39) und zwei auf 1462 und 1464 datierte Biblia pauperum-Handschriften, die von einem niederbayerischen Schreiber namens Wolfgang Wulfinger geschrieben wurden (Abb. 40, 41).75 In allen drei dieser Handschriften wurde 73

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Wirth spricht von einem Schema der »pagina cum textu incluso«, das eine »Suprematie des Bildes« herstelle. Wirth, Karl-August: »Wer aber die… chvnigein (von Saba) sey gewesen, daz vindet man selten geschriben« [wie Anm. 71], S. 471; ders., Neuerworbene Armenbibel-Fragmente [wie Anm. 49], S. 62–63. Siehe Wirth, Karl-August: Neuerworbene Armenbibel-Fragmente [wie Anm. 49], S. 51–78, hier S. 62–63. Heidelberg, Cod. Pal. germ. 148. Bayern, um 1430–40; Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.5, S. 267–270; Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 41, S. 104–105 (dort Datierungsvorschlag auf um 1400); Gotha, Forschungs- und Landesbibliothek, Cod. Memb. I 54. Niederbayern, 1464; Ott, Kat.Nr. 16.0.2, S. 258–261; Cornell, Kat.-Nr. 38, S. 102; Jena, Thüringer Universitäts- und

auf den marmorierten Streifen entlang der Mittelachse zugunsten eines unbeschriebenen Streifens verzichtet, der vom Betrachter mühelos als Interkolumnium verstanden wird. Die Handschriften zeigen aber auch deutlich, dass man nach einer Lösung für das größte Problem suchte, das diese Seitendisposition mit sich brachte: Mit den Glossen in vielen Lehr- und Gelehrtencodices, deren Seitendisposition die Grundlage für das Organisationsschema dieser Biblia pauperum-Handschriften bildet, teilen die Lektionen das Schicksal, dass sie in winziger Schrift und engen Zeilenabständen in den ihnen zugeteilten Bereichen untergebracht werden mussten. Sowohl Wulfinger als auch später dem Rezipienten, der das Geschriebene entziffern musste, konnte dies Schwierigkeiten bereiten. Der Schreiber löste dieses Problem, indem er zum einen die Fläche des rechteckigen Feldes mit den Bildelementen im Verhältnis zur Seitenfläche erheblich verkleinerte. Zum anderen wählte er ein sehr großes Seitenformat von 46,6 × 36,8 und 46,0 × 35,0 cm. Auch im Heidelberger Manuskript mit dem ebenfalls beachtlichen Seitenmaß von 39,8 × 26,5 cm ist das Bildfeld im Verhältnis kleiner als bei den früheren Handschriften. Um den vorhandenen Platz bestmöglich zu nutzen, hat der Schreiber außerdem das Interkolumnium unterhalb des Bildfeldes oft nach rechts oder links versetzt, um die Breite der Spalten an die oft unterschiedlichen Längen der beiden Lektionen anzupassen.76 Lektionen als Fließtext In anderen Handschriften wurden andere Lösungen der visuellen Organisation entwickelt, um die langen deutschsprachigen Lektionen nicht nur überhaupt unterbringen zu können, sondern sie auch bequemer lesbar zu machen. Die meisten von ihnen haben ihren Ausgangspunkt offenbar im soeben beschriebenen Seitenschema. So ist in einem heute in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien unter der Signatur Cod. 3085 aufbewahrten, auf 1475 datierten Exemplar der Biblia pauperum die Disposition des Bildfeldes gleich

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Landesbibliothek, Ms. El. f. 51b. Niederbayern, 1462; Ott, Kat.-Nr. 16.0.6, S. 271–274; Cornell, Kat.-Nr. 39, S. 104; Die Codices Palatini germanici in der Universitätsbibliothek Heidelberg (Cod. Pal. germ. 1–181), bearb. v. Karin Zimmermann und Sonja Glauch, Wiesbaden 2003 (Kataloge der Universitätsbibliothek Heidelberg / Universitätsbibliothek Heidelberg, 6), S. 325–327. Es handelt sich bei den Lektionen in der Heidelberger Handschrift um die Redaktion C, die in der Länge der Lektionentexte stärker schwankt als die übrigen Versionen des ›deutschen erzählenden Typs‹. Transkription in Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 319–156.

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geblieben (Abb. 42–45),77 es wird aber nicht von den Lektionen gerahmt, sondern nimmt die Breite des gesamten Schrift-Bild-Spiegels ein. Dieser hat in diesem Fall vergleichsweise bescheidene Maße: Die Biblia pauperum ist Teil einer Sammelhandschrift mit einem Seitenmaß von 26,5 × 18,5 cm. Die Lektionen folgen unterhalb des Bilderfeldes, dessen Format so konzipiert wurde, dass darunter noch Platz für eine große Fleuronné-Initiale und den Beginn der ersten Lektion bleibt.78 Damit ist die Betonung des Bezugs der Lektionen auf die Bilder im Seitenschema zwar erheblich gelockert, aber nicht ganz aufgegeben. Was aufgegeben wurde, ist die Darstellung aller zu einer typologischen Gruppe gehörender Elemente auf einer Seite: Wer die Lektionen vollständig lesen möchte, muss mehrfach umblättern.79 Bildbetrachtung und Textlektüre sind so zu zwei notwendigerweise separaten Aktivitäten geworden, die nacheinander stattfinden müssen. Der Schrift-Bild-Spiegel ist einspaltig beschrieben. Erst erscheint die Lektion zum Typus auf der linken, dann diejenige zum Typus auf der rechten Seite des Bilderfeldes. Die den typologischen Bezug erläuternden Teile der Lektionen werden wie die eigentlichen Lektionenanfänge jeweils durch Initialen eingeleitet. Die Lektionen sind, wie bereits in Cgm 20, als aus zwei Teilen bestehende Texteinheiten markiert. In anderen Handschriften werden die einzelnen Bildelemente der typologischen Gruppen durch die Lektionentexte voneinander getrennt. In dem um die Mitte des 15. Jahrhunderts entstandenen Cgm 297 (Abb. 46–51) und einer heute verschollenen Handschrift aus dem Schloss Moritzburg sind jeweils die beiden ›Register‹ des Bildfeldes, das eine mit den beiden Typen, das andere mit dem Antitypus und den Propheten, als Streifenbilder in einen Schriftspiegel einschoben, der in Clm 297 einspaltig ist und in der Moritzburger Handschrift teils ein- und teils zweispaltig war.80 In einer Handschrift aus Augsburg, die auf 1480 77

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Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3085, Österreich, 1475; Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.23, S. 320–322; Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 43, S. 105–106. Es gibt zwei Ausnahmen: Auf ff. 102v und 108r blieb unterhalb der letzten Zeile des Lektiontextes noch genügend Platz für das Bilderfeld. Der zugehörige Lektionentext nebst Initiale beginnt jeweils auf der nächsten Seite. Die Lektionen der ersten typologischen Gruppe füllen beispielsweise vier Seiten (ff. 46r– 47v). München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 297. Bayern (Tegernsee?), Mitte 15. Jh., Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.13, S. 289–301; Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 40, S. 104; zur verschollenen Handschrift aus Schloss Moritzburg (o. Sign.), siehe Ott, Kat.-Nr. 16.0.10, S. 280–282. Die Handschrift ist bei Cornell nicht beschrieben. Reproduktionen einzelner Seiten und eine Beschreibung sind erhalten in Rothe, Edith: Eine unbekannte Biblia pauperum der Schloßbibliothek Moritzburg, in: Archiv für Schreib- und Buchwesen 3 (1929), S. 160–173.

datiert ist und sich heute im Nationalmuseum in Prag befindet (Abb. 52–56), sind die Typusbilder einzeln in eine zweispaltige Seitendisposition eingeschoben.81 Der Bildkomplex des von Propheten flankierten Antitypus bleibt als über die Breite beider Schriftspalten verlaufendes Streifenbild erhalten. Folgt man der ›Verfallsthese‹, so ist hier der Endpunkt erreicht und die Auflösung des ›inneren Systems‹ der Biblia pauperum vollkommen. Ott folgert, die Bilder würden »gleich narrativen Illustrationen in die Schriftspalten integriert und zu einer eher lockeren Folge biblischer Einzelszenen aufgelöst, deren typologischer Bezug nicht mehr unmittelbar erfasst werden kann.«82 Ob die Beschreibung der Bilder als narrative Illustrationen ihrer Funktion in diesen Handschriften gerecht wird, wird noch zu überprüfen sein. Zunächst sind die Änderungen in der Seitendisposition, die gegenüber dem älteren Seitenschema vorgenommen wurden, genauer zu klären. Cgm 297, die Handschriften in Prag, Wien und die verschollene Moritzburger Handschrift unternehmen Versuche, die Probleme zu lösen, die die Lektionen im ›Glossenformat‹ an Schreiber und Leser stellten. Im Fall der Wiener Handschrift, aber auch des mit einem Seitenmaß von 30,2 × 20,8 cm kaum größeren Cgm 297 – beides umfangreiche Sammelhandschriften, deren Format sicherlich nicht im Hinblick auf die Biblia pauperum konzipiert wurde – wäre eine leserliche Umsetzung eines solchen Seitenschemas ohnehin kaum möglich gewesen. Die Lösungsversuche scheinen naheliegend: Man griff auf die vertrauten Organisationsmuster des ein- oder zweispaltigen Seitenschemas mit eingeschobenen Bildfeldern zurück. Die Lektionen aus der Peripherie der Seite ins Zentrum zu holen hat im Vergleich zum älteren Seitenschema eine regelrechte Inversion der Rolle von Schrift- und Bildelementen zur Folge. Die Lektionen werden nun als der eigentliche Inhalt präsentiert, die Bilder dagegen als Beiwerk. Das Einschieben der Bilder als »Folge biblischer Einzelszenen« verweist dabei auf einen Handschriftentyp, der im 15. Jahrhundert in Kreisen gebildeter Laien bekannt war, ein Rezipientenkreis, zu dem sicherlich auch die Rezipienten dieser Biblia pauperum-Handschriften gehörten:83 illustrierte Historienbibeln (Abb. 57, 58). Indem sie in ihrem Erscheinungsbild an diese angeglichen wird, wird die Biblia pauperum als ein Kompendium von Erzählungen 81

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Prag, Národní Muzeum v Praze, Knihovna, Cod. XVI A. Augsburg, 1480, Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.20, S. 308–311; Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 44, S. 106–107. Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], S. 252–253. Die Besitzer oder Auftraggeber einiger dieser Handschriften sind namentlich bekannt. So wurde die Prager Handschrift für den Augsburger Bürgermeister Jörg Sulzer angefertigt (Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], S. 308), die Handschrift in Jena von einem gewissen Lienhardt Schmatz zu Weihmörting, Kastenprobst in Griesbach, Niederbayern in Auftrag gegeben (Ott, S. 271).

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und Auslegungen biblischer Geschichten präsentiert. Insbesondere für diese Version der Biblia pauperum mit ihren ausführlichen Nacherzählungen biblischen Geschehens in der Volkssprache scheint dies durchaus angemessen.84 Die Betonung dieser Eigenschaft geschieht allerdings auf Kosten ihrer systematischen Gliederung nach typologischen Gruppen. Diese wird erst beim schrittweisen Erschließen des Inhalts deutlich. Dasselbe gilt für die Funktion der Bilder innerhalb der Gliederung dieses Inhalts in den Handschriften. In Cgm 297 markiert das Bildfeld, das die beiden Typen nebeneinander darstellt, jeweils den Beginn einer typologischen Gruppe. Unmittelbar darunter beginnt, durch eine Initiale eingeleitet, der nacherzählende Teil der Lektion zum ersten, links dargestellten Typus. Es folgt nun aber nicht der zweite, die Beziehung zwischen Typus und Antitypus erläuternde Teil der Lektion sondern, wieder durch eine Initiale eingeleitet, der nacherzählende Teil der Lektion zum zweiten Typus. Nun schließt das Bild des Antitypus mit den Propheten an, die weder namentlich gekennzeichnet sind noch Inschriften auf ihren Spruchbändern tragen.85 Hierauf folgen hintereinander die erläuternden Abschnitte beider Lektionen. Auch in der Handschrift in Prag werden erst die nacherzählenden Abschnitte beider Lektionen präsentiert, dann folgen die beiden erläuternden. Jeder der Teile wird auch hier durch eine große Initiale eingeleitet. Jedem der nacherzählenden Abschnitte ist in dieser Handschrift ein einzelnes Typusbild zugeordnet, während die beiden erläuternden Abschnitte auf das von Propheten flankierte Bild des Antitypus folgen. Das Organisationsschema ist mit den schmalen Einzelbildern der Typen anders als das in Cgm 297 auf eine zweispaltige Seitendisposition abgestimmt. Offensichtlich sollten die Bilder jeweils oberhalb des Anfangs der entsprechenden Lektionenabschnitte stehen. Da dies in einer zweispaltigen Seitendisposition aber deutlich schwerer umzusetzen ist als in einer einspaltigen, musste man oft damit vorlieb nehmen, die Bilder in den jeweiligen Textabschnitt einzuschieben.86 Nicht nur das Bilderfeld jeder typologischen Gruppe, das im älteren Seitenschema Typen, Antitypus und Propheten miteinander verband, ist in diesen Handschriften also aufgeteilt worden, sondern auch die Lektionen. Neu 84

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Bereits Cornell hat in Bezug auf den Text bemerkt, die Lektionen dieses Biblia pauperumTyps seien »ohne Zweifel nach dem Muster irgend einer Historienbibel entstanden«, Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 67. In der verschollenen Handschrift aus Moritzburg wurden sie anscheinend nachgetragen. Siehe die Abb. in Rothe, Edith: Eine unbekannte Biblia pauperum [wie Anm. 80], S. 160–173. Die verschollene Moritzburger Handschrift wies überwiegend zweispaltig, aber auch einige langzeilig konzipierte Seiten auf; anscheinend experimentierte man dort mit unterschiedlichen Lösungen. Siehe Rothe, Edith: Eine unbekannte Biblia pauperum [wie Anm. 80], S. 160 und Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], S. 281.

zusammengesetzt bilden Bild- und Schriftelemente ein schlüssig miteinander verschränktes Gefüge. Anstelle eines Zustands vollständiger Auflösung des ›inneren Systems‹ der Biblia pauperum haben wir es in diesen Handschriften mit sorgfältig durchdachten Gliederungen zu tun, die sich allerdings dem Rezipienten beim Blättern, Lesen und Schauen nur sukzessive erschließen. Es ist eine Logik des linearen Lesens, nicht des synoptischen Schauens, die diesen Seitendispositionen zu Grunde liegt. Innerhalb dieses Organisationsschemas sind es nun die Bilder, denen die Funktionen von Paratexten zugeschrieben wurden. Das bedeutet keinesfalls, dass diese Funktionen nicht bedeutsam wären und weit über die narrativer Textillustrationen hinausgingen: In Handschriften, die völlig ohne Rubriken auskommen und in denen auch die Tituli und Kapitelbezeichnungen aus den älteren Biblia pauperum-Handschriften fehlen, markieren sie zusammen mit den Initialen die Gruppenanfänge, fungieren als Orientierungshilfen und geben Auskunft über den Inhalt der Lektionen. Zusammenfassung Die bisher besprochenen Seitendispositionen in Biblia pauperum-Handschriften mit deutschen erzählenden Lektionen sowie der Tegernseer Handschrift lassen sich also in zwei Gruppen teilen. Beide übernehmen für ihr Seitenschema bekannte Organisationsmuster aus Manuskripten, die in erster Linie Texte überliefern: die ältere das eines glossierten Gelehrtenmanuskripts, die jüngere das eines Textes mit eingeschobenen Illustrationen. Für die Platzierung der Bilder innerhalb dieser Seitendispositionen bedeutet dies in beiden Fällen, dass sie aus der ›diagrammatischen‹, um ein zentral platziertes Bildfeld herum konzipierten Bilderkonstellation herausgelöst und innerhalb der neuen Seitenschemata nach Regeln konventioneller Leserichtungen angeordnet werden. Das Verhältnis von Bild- und Schriftelementen ist in den beiden Gruppen deutlich hierarchisiert und lässt sich jeweils als das von Text und Paratext, von Werk und Beiwerk beschreiben. In der älteren Gruppe wird den Bildern die Rolle des auktorialen, vom Paratext des Kommentars gerahmten ›Textes‹ zugewiesen, in der jüngeren Gruppe dagegen werden die Lektionen als Text präsentiert, dessen Inhalt und Gliederung durch die als Paratexte fungierenden Bilder sichtbar und nachvollziehbar gemacht werden. Es ist denkbar, dass der Anstoß zur Konzeption der Seitendispositionen der neueren Gruppe ganz pragmatisch die Schwierigkeiten in Produktion und Rezeption waren, die das Seitenschema der älteren Gruppe mit sich brachten. Dennoch handelt es sich bei den Seitendispositionen der jüngeren Gruppe nicht um eine Auflösung des Systems der Biblia pauperum, sondern um eine Neukonzeption unter Rückgriff auf andere

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Organisationsmuster, die nicht nur die Neuanordnung der Bilder, sondern auch der Lektionen und ihrer Bestandteile mit sich brachte.

5. Neustrukturierungen des Seitenschemas nach dem Vorbild anderer Handschriftentypen Eine Handschrift, die deutsche erzählende Lektionen enthält, ist bisher noch nicht erwähnt worden. Es handelt sich um einen Codex aus dem späten 15. Jahrhundert, der heute im Steiermärkischen Landesarchiv in Graz aufbewahrt wird (Abb. 59, 60; Farbtafeln VI, VII).87 Sein Organisationsschema lässt sich nicht in eine der beiden oben beschriebenen Gruppen einordnen. Die Grundlage des Organisationsschemas bildet eine zweispaltige Seitendisposition, wobei im oberen Teil der Seite ein Streifen freigelassen wurde. Dieser unbeschriebene Bereich wurde separat vorliniert, um auf der verso-Seite die Bilder der Typen und auf der gegenüberliegenden recto-Seite das von Propheten flankierte Bild des Antitypus aufzunehmen. Die Bildergruppen, die im früheren Seitenschema in Handschriften des erzählenden Typs zwei Register gebildet haben, sind hier nebeneinander angeordnet. Die Bildfelder der Typen entsprechen in etwa der Breite einer einzelnen Schriftspalte, während das querrechteckige Feld, das den Bildkomplex mit dem Antitypus und die Propheten enthält, die Breite beider Textkolumnen einnimmt. Offensichtlich orientierte man sich am Organisationsschema des Speculum humanae salvationis (Abb. 7, 8).88 Dort dient eben diese Seitendisposition dazu, auf einer Doppelseite einen Antitypus und drei alttestamentliche Typen zu präsentieren, denen jeweils 25 Verse zugeordnet sind. So können zum einen die vier nebeneinander angeordneten Bilder in einer Reihe betrachtet werden, zum anderen können die Verse leicht den jeweiligen Bildern zugeordnet werden, weil sie in einer gemeinsamen Kolumne platziert sind. Bereits bei der Handschrift in der Wolfenbütteler Herzog August Bibliothek lag es nahe zu vermuten, dass einzelne Elemente des Seitenschemas des Speculum Anregungen für die Neukonzeption der visuellen Organisation lieferten (Abb. 31, 7, 8). In der Grazer Handschrift ist es hingegen das gesamte Seitenschema, das auf die Bild- und Schriftelemente der Biblia pauperum übertragen wurde. 87

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Graz, Steiermärkisches Landesarchiv, Hs. 3. Österreich, Ende 15. Jh., Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.3, S. 261–264; Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 42, S. 105. Erstmals bemerkt von Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 6.

Die Übertragung des Speculum-Seitenschemas auf die Biblia pauperum mit Lektionen des ›deutschen erzählenden Typs‹ ist anscheinend auch hier eine Reaktion auf die Schwierigkeiten in Produktion und Rezeption, die die Darstellung der langen Lektionen und der Bildelemente auf einer einzigen Seite mit sich brachte. Das Organisationsschema des Speculum versprach eine Lösung: Man gewann mit einem Schlag die doppelte Seitenfläche, wenn man nicht die einzelne Seite, sondern die Doppelseite zur Präsentation einer typologischen Gruppe benutzte, ohne dass man das Prinzip aufgeben musste, alle Elemente einer typologischen Gruppe auf einen Blick erfassbar zu machen. Hinzu kommt, dass Biblia pauperum und Speculum sich in ihrem Konzept stark ähneln: Beide bestehen aus einer Reihe typologischer Gruppen, angeordnet nach der Chronologie der als Antitypen dienenden neustestamentlichen Gruppen, und in beiden bestehen diese Gruppen aus Bild- und Textelementen. Gerade in den Biblia pauperum-Handschriften mit Lektionen des ›deutschen erzählenden‹ Typs nähern sich diese außerdem in ihrer Länge den 100 Versen jeder typologischen Gruppe des Speculum an. Auch deshalb wird das Seitenschema attraktiv erschienen sein. In der Praxis erwies sich eine Übertragung des Speculum-Schemas auf die typologischen Gruppen der Biblia pauperum allerdings als ausgesprochen schwierig. Vor allem liegt dies daran, dass sich die typologischen Gruppen in Speculum und Biblia pauperum in der Art und Zahl ihrer Schrift- und Bildelemente unterscheiden. Die Vierzahl der Textkolumnen auf jeder Doppelseite korrespondiert mit dem Antitypus und den drei Typen im Speculum, nicht aber mit der Dreizahl von Typen und Antitypus in der Biblia pauperum. Der Konzeptor der Grazer Handschrift versuchte dies auszugleichen, indem er den Antitypus und die vier Prophetenfiguren, die im Speculum kein Äquivalent haben, in einem Bildfeld präsentierte, das die Breite zweier Kolumnen einnimmt. Schwieriger war es, die Lektionen in das Schema einzufügen. Weder nehmen diese wie die Verse im Speculum immer die gleiche Zeilenanzahl ein, noch sind sie so konzipiert, dass sie sich jeweils einem der Bilder zuordnen lassen: Jede der beiden Lektionen der Biblia pauperum bezieht sich zwar auf einen Typus, beide jedoch darüber hinaus auf den gemeinsamen Antitypus. Der Schreiber der Grazer Handschrift strebte offensichtlich parallel zur Vierzahl der Lektionen des Speculum eine Dreiteilung der Lektionen der Biblia pauperum an. Wenn die Lektionen in ihrer Zahl schon nicht der Kolumnenzahl der Doppelseite entsprechen konnten, so sollten die Textabschnitte zumindest mit den drei Bildern korrespondieren. Sein Lösungsversuch ist deutlich auf der ersten Doppelseite mit der Verkündigungsgruppe zu erkennen (Farbtafeln VI, VII): In formaler Analogie zu den drei Bildern ist der Text der Lektionen in drei Sektionen aufgeteilt, deren Anfänge jeweils mit großen roten oder blauen Initialen markiert wurden. Die ersten beiden Initialen erscheinen jeweils am Beginn der beiden 79

Textkolumnen auf der verso-Seite und unterstreichen so die Zuordnung der Textsektionen zu den Bildern. In diesem Versuch einer Umstrukturierung der beiden Lektionentexte in insgesamt drei Abschnitte ist der Schreiber der Grazer Handschrift nicht allein. Ähnliches geschah in anderen Biblia pauperum-Handschriften mit deutschen erzählenden Lektionen: In der Prager Handschrift sowie denen in Wien und Moritzburg, in denen die Lektionen in ihre nacherzählenden und erläuternden Abschnitte geteilt und auf unterschiedliche Weisen neu zusammengesetzt wurden. Der Schreiber der Grazer Biblia pauperum ging etwas anders vor. Auf den paraphrasierenden Teil zum ersten Typus, die Verfluchung der Schlange, der die gesamte Länge der ersten Kolumne unterhalb des entsprechenden Bildes füllt, folgt die gesamte Lektion zum zweiten Typus, Gedeon und das Vlies mitsamt des zweiten, erläuternden Teils. Die durch die dritte Initiale auf der recto-Seite eingeleitete Textsektion ist der erläuternde Teil der Lektion zum ersten Typus. Was zuerst nach einer inkohärenten und willkürlichen Lösung um formaler Kriterien willen aussieht, entpuppt sich in diesem Fall als eine geschickte Umformung des Textes. Der erläuternde Teil zu Gedeon und dem Vlies ist nämlich im Vergleich zu demjenigen zur Verfluchung der Schlange sehr lakonisch und hebt lediglich auf die Jungfräulichkeit Mariens ab.89 Der viel ausführlichere erläuternde Teil des ersten Typus schließt inhaltlich unmittelbar daran an und erläutert anschließend die Verkündigung in Bezug auf ihre Position in der Heilsgeschichte.90 Der Schreiber macht sich hier eine Eigenschaft der Fassung C des ›deutschen erzählenden Typs‹ in der Grazer Handschrift zu Nutze: Die Lektionen, insbesondere auch die erläuternden Teile der Lektionen, variieren in ihrer Ausführlichkeit und Länge oft stark, wobei mal der erste, mal der zweite Typus besondere Aufmerksamkeit erfährt. In den folgenden Gruppen ist es der erläuternde Teil der Lektion zum zweiten Typus, der ausgegliedert wird. Im Fall der Gruppe zu Christi Geburt fällt dieser deutlich ausführlicher aus als sein Gegenstück in der Lektion zum ersten Typus. Trotzdem ist die vollständige Lektion zum ersten Typus so lang, dass sie nicht in einer einzigen Spalte Platz findet. Die Initiale zur zweiten Textsektion steht nicht mehr wie bei der 89

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»Das veel, das da trucken pelaib und nicht petawet, das petzaichnet vnser frawn die an all frucht mannes samen magt was vnd vnseren herren enphieng, doch petawet was mit dem taw des heiligen heistes des sy vol was, und den geist von im enphieng vnd den noch rainew magt belaib«. Transkription nach Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 319. »Was geschach da vnser fraw dem Engel diemutichlaichen antwurt vnd sprach: Ich pin ain dieren gotts, mir geschech nach seinen wortten. Maria erfur sich der mar weysleich, wann sy petrachtet, wie der grus gestalt war (…) Maria hielt sich diemutihleich. Da wider Eua hochuertikleich, wann sy got welt geleich werden vnd gut und vbel wolt ervaren (…) Vnd also pracht vns Eua in aribait. Maria halff vns aus noth und trettet der vns lang getrett hett.« Ebd.

ersten typologischen Gruppe am Beginn der zweiten Textkolumne. Nach fol. 3v fehlt ein Bifolium, so dass von der Doppelseite der Gruppe zur Beschneidung nur die verso-Seite erhalten ist. Da die Lektion zum ersten Typus dort komplett erscheint, kann jedoch vermutet werden, dass auch in dieser Gruppe der erläuternde Teil der Lektion zum zweiten Typus ausgegliedert und so zur dritten Textsektion erklärt wurde.91 Das gleiche gilt für die Gruppe zur Präsentation im Tempel, von der nur die recto-Seite erhalten ist. Bei keiner dieser Gruppen ist das Organisationsschema formal oder inhaltlich so erfolgreich umgesetzt worden wie bei der ersten. Schließlich wurde es ganz aufgegeben: Die Lektionen zu den verbleibenden Gruppen sind nicht mehr in drei Sektionen gegliedert, sondern nur noch in zwei (Abb. 59, 60). Jede Lektion wird dabei durch eine rote oder blaue Initiale eingeleitet. Es gibt weitere Einzelfälle, bei denen versucht wurde, ein vollständiges, komplexes visuelles Organisationsschema eines Handschriftentypus auf eine Biblia pauperum zu übertragen. Kurz soll auf zwei solcher Handschriften verwiesen werden, die jeweils separat bereits Gegenstand ausführlicherer Studien geworden sind: eine Handschrift aus dem Kloster Metten, die heute die Signatur Clm 8201 der Bayerischen Staatsbibliothek hat, sowie der sogenannte Krumauer Bildercodex, Cod. 370 der Österreichischen Nationalbibliothek (Abb. 61).92 Die Biblia pauperum im Krumauer Bildercodex, der aus Böhmen stammt und auf kurz nach 1358 datiert wird, ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Von den üblichen Schriftelementen finden sich dort nur die Prophetensprüche, 91

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In der entsprechenden Lektion in der Heidelberger Handschrift wird im zweiten Teil der Lektion kein typologischer Bezug erläutert, sondern eine allegorisch-moralisierende Auslegung der Beschneidung im Hinblick auf die Disziplinierung der fünf Sinne geliefert: »Es wolt vnser herr leipleich darum besniten werden daz wir geistleich wurden besniten an den fünf sinnen daz ist die augen vor schämleicher gesicht die oren vor pöser gehörd den mund von vnnüzer red die hend vor pösen unchawschen vnd andern schedleichen griffen, die füzz vor vngewärleichen gängen vnd all sinn vor allen sünden so wirt dan wärleich vns der christenlich nam gegeben dez wir christen gehaissen sein nach unserem herren iesu christo.« Ebd., S. 321. Zum Mettener Codex siehe Suckale, Robert: Klosterreform und Buchkunst [wie Anm. 1], zur Biblia pauperum S. 68–84; S.a. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 23, S. 86–88. Zum Krumauer Bildercodex ist eine Faksimileausgabe erschienen: Krumauer Bildercodex. Österreichische Nationalbibliothek, Codex 370, Faksimile mit Kommentarbd., eingel. v. Gerhard Schmidt, Text transkr. u. übers. v. Franz Unterkircher, Graz 1967. Siehe auch Cornell, Kat.-Nr. 19, S. 83–84; Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 15–16 sowie Jenni, Ulrike und Theisen, Maria: Mitteleuropäische Schulen III (ca. 1350–1400). Böhmen – Mähren – Schlesien – Ungarn, unter Mitarb. v. Karel Stejskal (Die illluminierten Handschriften und Inkunabeln der Österreichischen Nationalbibliothek 12), Wien 2004, Textbd., Kat.-Nr. 1, S. 3–52, zur Biblia pauperum auf ff. 1v-27v bes. S. 5–11 u. 44–46.

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die Bezeichnungen der Antitypen und Namensbeischriften; die Lektionen und Tituli fehlen. Auffälliger noch ist aber, dass die Figuren der Propheten sowie der alt- und neutestamentlichen Szenen nebeneinander in zwei Registern aufgereiht sind, die über beide Seiten des geöffneten Codex verlaufen. Zwar wird dabei anscheinend »eine gewissermaßen symmetrische Anordnung der Elemente einer Gruppe angestrebt«,93 nämlich die Folge Prophet – erster Typus – Prophet – Antitypus – Prophet – zweiter Typus – Prophet; es ist aber offenbar nicht versucht worden, diese Symmetrie durch die Seitendisposition zu betonen. So ist etwa bereits in der ersten typologischen Gruppe um die Verkündigung der letzte Prophet, der nicht mehr ins erste Register passte, an den Anfang des zweiten gesetzt worden, wo er sich zurückzuwenden scheint und dabei etwas verloren aussieht. Von der zweiten typologischen Gruppe erscheinen im Anschluss nur zwei Propheten, ein Typus und der Antitypus, währen die übrigen Figuren auf der nächsten Doppelseite folgen. Es ist in der Forschung bereits verschiedentlich angemerkt worden, dass bei dieser Anordnung das typologische Konzept praktisch nicht mehr zu erkennen ist.94 Schmidt hat plausibel gemacht, dass die Biblia pauperum im Krumauer Bildercodex der wohl einzige erhaltene Fall einer Biblia pauperum mit Bildelementen ist, die nicht auf der Basis einer bereits existierenden Biblia pauperum-Handschrift angefertigt wurde. Dafür spricht etwa, dass die Ikonographie der Bilder von der in allen übrigen überlieferten Handschriften abweicht.95 Es ist also möglich, dass lediglich eine Handschrift vorlag, die mehr oder weniger nur eine Liste der typologischen Gruppen mit ihren Bildthemen und Prophetensprüchen enthielt. Der Impuls für die Seitendisposition, in der die auf Basis einer solchen Handschrift entstandene Biblia pauperum umgesetzt wurde, stammte von ganz anderer Seite: Den Großteil des Krumauer Bildercodex machen narrative Bilderzyklen aus, die Heiligenlegenden darstellen. Diese Bilderzählungen sind sämtlich in zwei oder drei Registern dargestellt und entfalten sich häufig über die gesamte Breite der Doppelseiten des Codex. Was zweifellos eine bewährte Struktur für die Inszenierung narrativer Sequenzen ist, entpuppt sich hier deutlich als ungeeignet für die Darstellung komplexer typologischer Bezüge in den Gruppen der Biblia pauperum. Die Mettener Handschrift, die auf 1414 datiert ist und in Robert Suckales 2012 erschienener Habilitationsschrift einer genauen Studie unterzogen worden ist,96 enthält eine weitere Biblia pauperum mit ungewöhnlicher Seitendisposition (Abb. 62). Es handelt sich um ein Zwei-Gruppen-Seitenschema, 93 94 95 96

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Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 15. Ebd., S. 15. Ebd., S. 16. Suckale, Robert: Klosterreform und Buchkunst [wie Anm. 1].

bei dem allerdings die beiden typologischen Gruppen nicht untereinander in Registern, sondern nebeneinander wie in Kolumnen angeordnet sind. Dem Schema zugrunde liegt ein Linienraster, das den Schrift-Bild-Spiegel in sechs gleich große Felder teilt. Ein senkrecht verlaufender Streifen in der Mitte stellt sicher, dass jeweils drei untereinander liegende Felder als eine Kolumne wahrgenommen werden. Im jeweils obersten Feld sind der Antitypus und die Brustbilder der vier Propheten in den Kreisfeldern der nun vertrauten Quincunx-Figur angeordnet. Von den beiden darunter liegenden Feldern, in denen die Typen dargestellt sind, ist am oberen Rand jeweils noch einmal ein Streifen durch einen horizontalen Steg abgeteilt. Diese Streifen dienen als Lektionenfelder. Das mutmaßliche Vorbild für dieses Schema hat Suckale bereits genannt: Es sind die Concordantiae caritatis Ulrichs von Lilienfeld (Abb. 9).97 Die Concordantiae sind ein weiteres typologisches Werk, das aus Schrift-Bild-Einheiten besteht. Vermutlich ist es seinerseits in Kenntnis der Biblia pauperum entstanden.98 Die Zahl der typologischen Gruppen ist wesentlich höher als in der Biblia pauperum und ihre Anordnung folgt nicht der Chronologie der Vita Christi, sondern der des Kirchenjahres. Auch die einzelnen typologischen Gruppen sind gegenüber der Biblia pauperum erweitert worden. Zu den Propheten und alttestamentlichen Typen treten zwei Beispiele aus der Natur hinzu, die ebenfalls in Bildern dargestellt und durch Lektionen auf den Antitypus hin gedeutet werden. Jede dieser Gruppen wird auf einer Seite in einem Seitenschema mit drei Registern präsentiert, deren Höhe von oben nach unten immer mehr abnimmt. Im obersten Register ist der aus vielen Biblia pauperum-Handschriften bekannte Quincunx mit dem Antitypus und den Prophetenbildern untergebracht. Die beiden darunter liegenden, deutlich niedrigeren Register sind durch einen vertikalen Steg jeweils in zwei gleich große Felder geteilt. Das obere enthält die Bilder der alttestamentlichen Typen und in einem Streifen darüber die jeweilige Lektion. Im untersten und niedrigsten Register sind nach dem gleichen Muster die beiden Beispiele aus der Natur und ihre Lektionen untergebracht. Für die Biblia pauperum im Mettener Codex wurde diese Seitendisposition wiederum für ein Zwei-GruppenSchema adaptiert: Die Register wurden in ihrer Höhe einander angeglichen und der vertikale Trennsteg über das obere Register weitergeführt. Statt einer großen Quincunx-Figur wurden zwei kleinere nebeneinander, die beiden Typusbilder jeweils untereinander angeordnet. Die Quincunx-Figur erscheint, wie Suckale angemerkt hat, in dieser Handschrift aus dem 15. Jahrhundert 97 98

Ebd., S. 83. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 158; Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 94.

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»altertümlich und entspricht einer früheren Version der Biblia pauperum, der sog. Weimarer Familie«.99 Hier scheint sie allerdings nicht aus einer Biblia pauperum-Handschrift übernommen zu sein, denn die Biblia pauperum im Mettener Codex gehört nicht zu jener Weimarer Handschriftenfamilie.100 Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass die Quincunx-Figur über das Seitenschema der Concordantiae caritatis ihren Weg in die Seitendisposition der Mettener Handschrift gekommen ist. Da der Quincunx gegenüber der Concordantiae im Maßstab deutlich verkleinert werden musste, damit zwei der Figuren nebeneinander Platz fanden, stellt sich hier das Ungleichgewicht im Größenverhältnis von Antitypus- und Typusbildern wieder ein, das in den frühen Biblia pauperum-Handschriften so auffällig ist und das die Hervorhebung und Auszeichnung des Antitypus durch die Rahmenform nur teilweise kompensieren kann. Die gleichmäßige Rasterstruktur, die in der Handschrift zusätzlich durch die abwechselnd rot, grün, gelb und blau gezogenen Linien betont wird, ist grundsätzlich ebenso offen dafür, als Reihe von Kolumnen verstanden zu werden wie als eine Folge von Registern. Die Elemente jeder typologischen Gruppe sind nach dem Muster Kolumne angeordnet. Gleichzeitig eröffnet die Reihe der Antitypen in ihren Kreisfeldern mit ihrem Bilderzyklus zur Vita Christi eine lineare Lese- und Schaurichtung entlang des oberen Registers. Der von Suckale angesprochene Eindruck von Altertümlichkeit, den das Seitenschema dabei vermittelt, mag dabei durchaus intendiert gewesen sein. Er fügt sich ein in die Bemühungen des Mettener Abtes Peter I. um die »Wiederherstellung (restautatio) des als vorbildlich empfundenen alten Zustandes« des Klosters, in deren Kontext der Mettener Sammelcodex in Auftrag gegeben wurde: »Es liegt nahe, die Wiederverwendung und Kopierung älterer Werke in einen Zusammenhang mit dieser Einstellung zu bringen und sie als Dokument des Anspruchs der Erneuerung alter Größe zu verstehen«.101 Die grundlegenden Umformungen oder Neukonzeptionen der Seitendispositionen in den Handschriften aus Krumau und Metten entstehen, genauso wie bei dem Codex in Graz, nicht aus dem Nichts, sondern sind an einem bereits existierenden Schema orientiert. Beim Krumauer Bildercodex musste anscheinend ein solches Schema her, weil die Biblia pauperum-Handschrift, die als Grundlage diente, keine Bildelemente und vermutlich auch kein Seitenschema enthielt, an dem die Produzenten der Handschrift sich hätten orientieren

99 Suckale, Robert: Klosterreform und Buchkunst [wie Anm. 1], S. 83. 100 Cornell ordnet die Mettener Biblia pauperum der ›Bayrischen Handschriftenfamilie‹ zu. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 86–88. 101 Ebd., S. 132.

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können.102 Das Schema, für das sie sich entschieden, ist das Schema, das für die narrativen Bildfolgen im Rest der Handschrift verwendet wird, und es erweist sich letztlich als ungeeignet dafür, die typologischen Bezüge der Biblia pauperum zu veranschaulichen. Die Lösungen der Handschrift in Graz und im Codex aus Metten dagegen orientieren sich an den Seitenschemata anderer typologischer Handschriftentypen, die aus Text-Bild-Einheiten bestehen. Dass die Biblia pauperum, das Speculum humanae salvationis und die Concordantiae caritatis nicht isoliert voneinander rezipiert und tradiert wurden, ist bekannt: Die Biblia pauperum ist als älteste der drei Handschriftentypen wahrscheinlich dem Verfasser des Speculum und sicherlich Ulrich von Lilienfeld bekannt 102 Es sind einige Beispiele für Biblia pauperum-Handschriften erhalten, die zwar keine Bildelemente enthalten, nichtsdestotrotz aber die Tituli, Lektionen und Typus- und Antitypusbezeichnungen in Schemazeichnungen eintragen. Diese können mit den Liniensystemen der diagrammatischen Seitendispositionen vergleichbar sein, wie etwa in Cod. 297 der Bibliothek des Benediktinerstifts in Seitenstetten, den Cornell auf das Ende des 14. oder den Anfang des 15. Jh. datiert (Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 11, S. 77–78; Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 2], S. 22–23 u. Taf. 24b). Cornell vermutet, dass ursprünglich Bilder geplant waren, die Handschrift aber unvollendet blieb. Ebenso ließe sich aber auch vermuten, dass man auf Bilder, nicht aber auf die für das Konzept der Biblia pauperum als unverzichtbar empfundene Gruppendisposition verzichten wollte. Deutlich ohne Bildelemente geplant wurden die exemplarischen Schemazeichnungen in dem auf 1465 datierten Codex 605 der Stiftsbibliothek St. Gallen, der gleich drei unterschiedliche Biblia pauperum-Versionen enthält sowie eine lateinische und eine deutsche Adaption des Konzepts der Biblia pauperum um einen mariologischen Zyklus (Cornell, Kat.-Nr. 57–61, S. 115–116 u. S. 174, Fig. 12). In einer 1398 datierten Handschrift aus dem Augustiner-Chorherrenstift St. Pankraz in Ranshofen, Clm 12717 der Bayerischen Staatsbibliothek (Cornell, Kat.-Nr. 22, S. 86), werden die Bezeichnungen der Antitypen und Typen, die Tituli und die Lektionen lediglich in Schriftkolumnen präsentiert. Vielleicht, um zu kompensieren, dass das Seitenschema fehlt, das die Relationen der unterschiedlichen Elemente der typologischen Gruppen veranschaulicht, wurde auf fol. 142r eine Einleitung hinzugefügt: Hoc excerptum in suo originali dictum est biblia pauperum, in quo plures hystorie continentur nove legis, que verbum incarnatum respiciunt et quelibet hystoriarum innitantur prophetarum quatuor testimonio et post hoc cuilibet earum applicantur due prophetie veteris testamenti vel hystorie que in fine versibus concluduntur. Sic quod primus versus proprie hystorie correspondit, secundus tangit de novo testamento aliquid de verbo incarnato, tertius vero versus comprehendit secundam hystoriam. (Dies Exzerpt wird ursprünglich Armenbibel genannt, in dem mehrere Geschichten aus dem Neuen Testament enthalten sind, die sich auf das Fleisch gewordene Wort beziehen; und eine jede dieser Historien wird unterstützt durch das Zeugnis von vier Propheten; und danach werden einer jeden zwei Prophetien der Alten Testaments bzw. Historien zugeordnet, die mit Versen erklärt werden; so dass sich [von links nach rechts gelesen] der erste Vers auf die erste Historie bezieht, der zweite auf das Fleisch gewordene Wort, der dritte aber auf die zweite Historie des Alten Bundes). Transkription und Übers. nach Suckale, Robert: Klosterreform und Buchkunst [wie Anm. 1], S. 69.

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gewesen, dessen Concordantiae caritatis offensichtlich die Seitendisposition einer Biblia pauperum-Handschrift adaptierten. Während die sehr umfangreichen Concordantiae nur begrenzt Verbreitung fanden, hatten besonders die Biblia pauperum und das Speculum als ursprünglich in monastischen Kreisen entstandene und rezipierte Handschriftentypen, die aber bereits früh in Volkssprachen übersetzt und für höfische und bürgerliche Leser und Leserinnen zugänglich gemacht wurden, die selben Rezipienten und sind bisweilen in ein und derselben Handschrift überliefert.103 Einige der Ergänzungen, die die Biblia pauperum im Laufe der Zeit erfuhr, seien es alttestamentliche Vorspänne oder hinzugefügte typologische Gruppen, orientieren sich am Speculum.104 Insofern ist es nicht überraschend, wenn auch die Seitenschemata des Speculum oder der Concordantiae für die Biblia pauperum adaptiert wurden, wenn etwa, wie im Fall der Grazer Handschrift, nach einer Alternative für ein Seitenschema gesucht wurde, das als mühsam in der Herstellung wie auch in der Rezeption empfunden werden musste. Trotz der Ähnlichkeiten im Konzept bedurften die Seitenschemata der beiden anderen Handschriftentypen dabei der Anpassung. Diese haben besonders bei der Konzeption der Grazer Handschrift deutlich zu Schwierigkeiten und Kompromissen geführt. In der Handschrift in Metten, deren Seitenschema schlüssig für die Darstellungen der typologischen Gruppen adaptiert wurde, hat sich dagegen im Vergleich mit der Seitendisposition in den Concordantiae besonders das Größenverhältnis zwischen Antitypus und Präfigurationen geändert, hin zu einem, wie es aus den frühen Seitendispositionstypen der Biblia pauperum bekannt ist.

6. Die Biblia pauperum als Bilderbuch? Andere Neukonzeptionen des Seitenschemas im 15. Jahrhundert Etwa zur gleichen Zeit, zu der man in Biblia pauperum-Handschriften mit erweiterten Lektionen Schrift- und Bildelemente nach Konventionen der Text- und Schriftorganisation neu zusammenfügte, wurden andere Formen der Seitendisposition konzipiert, die in mancherlei Hinsicht die entgegengesetzte Richtung einschlugen. Nicht den Lektionen, die meist relativ kurz bleiben oder sogar noch 103 So etwa im Fall des bereits erwähnten Cod. 5. 2. Aug. 4° der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. In Cgm 3974 der Bayerischen Staatsbibliothek, einer um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Bayern entstandenen Handschrift, finden sich ein bebildertes Speculum in lateinischer und eine bilderlose Biblia pauperum in deutscher Sprache. Siehe Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.15 sowie Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 47, S. 109. 104 Siehe u. a. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1]. S. 164–168.

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zusätzlich gekürzt wurden,105 sondern den Bildelementen wird darin deutlich mehr Raum zugewiesen. Da diese Seitenschemata auch für verschiedene Versionen der Blockbuchausgaben der Biblia pauperum verwendet wurden, haben sie weite Verbreitung erfahren.106 Statische und vegetabile Strukturmetaphern Eine Gruppe von Handschriften und Blockbuchausgaben, die sämtlich ins 15. Jahrhundert datiert werden, kann exemplarisch am Clm 28141 der Bayerischen Staatsbibliothek beschrieben werden (Abb. 63).107 Wie in der Handschrift aus Tegernsee und den Biblia pauperum-Handschriften des erzählenden Typs mit dem älteren Dispositionsschema sind die Bilder der alttestamentlichen Typen und des von Propheten flankierten Antitypus in zwei Registern übereinander 105 Siehe hierzu auch Malena Ratzkes Beitrag in diesem Band. 106 Cornell hat diese Gruppe als München-Londoner Handschriftenfamilie bezeichnet. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 182–184; siehe zur Blockbuchausgabe von 1471 Schlechtweg-Jahn, Ralf: Christus als medium [wie Anm. 15]; zu der in einer lateinischen und zwei deutschsprachigen Fassungen erschienene Inkunabel Albrecht Pfisters, die zwischen 1462 und 1464 gedruckt wurden, siehe Häußermann, Sabine: Die Bamberger Pfisterdrucke. Frühe Inkunabelillustration und Medienwandel, Berlin 2008 (Neue Forschungen zur deutschen Kunst, IX), S. 41–48, 72–80, 100–101, 113–114. Zur um 1460 entstandenen 40-seitigen Blockbuchausgabe siehe u. a. Henry, Avril: Biblia pauperum. A facsimile and edition, Aldershot 1987 (mit Erwähnung der späteren, erweiterten 50-seitigen Ausgabe) und dies., The iconography of the forty-page blockbook Biblia pauperum. Form and meaning, in: Blockbücher des Mittelalters, Ausst.-Kat, GutenbergMuseum Mainz, Mainz 1991, S. 263–288. 107 Die Handschrift ist im zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts in Bayern entstandenen. Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], 16.0.17; Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 48, S. 107; Hauke, Hermann: Katalog der lateinischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München: Clm 28111–28254, Wiesbaden 1986 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis; T. 4, Ps. 7), S. 49–50. Dieser Dispositionstyp ist allen mit Bildern versehenen Handschriften gemeinsam, die Cornell zur München-Londoner Handschriftenfamilie zählt: München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 155 (Salzburg(?), Mitte 15. Jh. Ott 16.0.12; Cornell, Kat.-Nr. 49, S. 110); Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 69. 6.a Aug. 2° (Franken(?), um 1410–20; Ott, Kat.-Nr. 16.0.24; Cornell, Kat.-Nr. 50, S. 110); New York, Pierpont Morgan Library, M. 230 (Ott, Kat.-Nr. 16.0.18; Cornell, Kat.-Nr. 51, S. 110–111) und London, British Library, Add. MS 15249 (Mitte 15. Jh.; Cornell, Kat.-Nr. 45, S. 107). Bis auf die Londoner Handschrift, die lateinische Lektionen hat, und Clm 28141, der Lektionen und Prophetensprüche in lateinischer und deutscher Fassung enthält, sind diese Handschriften deutschsprachig. Auch die lateinische und die beiden deutschsprachigen Blockbuchausgaben von Albrecht Pfister übernehmen das Seitenschema in Grundzügen. Siehe Cornell, S. 186–188, Ott 16.0.a und 16.0.b (zu den deutschsprachigen Ausgaben von 1462 und 1463/64). Eine ausführlichere Untersuchung der Blockbücher in Häußermann, Sabine: Pfisterdrucke [wie Anm. 106], S. 41–48, 72–80, 100–101, 113–114.

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angeordnet. In Clm 28141 erscheinen die Register aber in umgekehrter Reihenfolge: die Typen unten, der Antitypus und die Propheten darüber. Dies bedeutet jedoch nicht, dass in Clm 28141 zuerst der Antitypus im oberen und dann erst die Typen im unteren Bildregister betrachtet werden sollten.108 Vielmehr liegt der Disposition ein grundsätzlich anderes Organisationssystem zugrunde, das nicht im Sinne einer Folge von Schriftzeilen von oben nach unten gelesen wird: Die Folge von Altem und Neuem Testament, von Präfiguration und Erfüllung entfaltet sich stattdessen von unten nach oben. In einer Handschrift in der British Library, Add. MS 15249 aus der Mitte des 15. Jahrhunderts (Abb. 64)109 ist die Rahmung der Bildelemente als Baum gestaltet, dessen rankende Äste die einzelnen Bildfelder umschließen. So wird die Entfaltung der Heilsgeschichte nicht nur durch die Metapher organischen Wachstums betont; das Motiv des Baums als rahmende und ordnende Struktur erinnert außerdem an Stammbäume im Allgemeinen und die Wurzel Jesse, den Stammbaum Christi mit seinen alttestamentlichen Vorfahren, im Besonderen. Im etwa zur gleichen Zeit entstandenen Cgm 155 (Farbtafel VIII) befinden sich die Bildelemente in einem architektonisch gestalteten Rahmengerüst.110 Die alttestamentlichen Szenen im unteren Register bilden in ihren quadratisch angelegten, von archaisch-einfachen Rundbogenformen gerahmten Feldern das untere Geschoss, das von den Propheten flankierte Bild des Antitypus, das in einem hochrechteckigen Bildfeld von einem filigranen Dreipassbogen überfangen wird, das obere. Architektonische Rahmungen sind uns bereits mehrfach begegnet: Sowohl in Handschriften mit diagrammatisch-zentralisierten Gruppenschemata (Abb. 16–19) als auch in der Tegernseer Handschrift, die Bilder wie Text von oben nach unten verlaufen lässt (Farbtafeln III, IV), betonen sie durch die Metapher eines Gebäudes die Systematik der typologischen Exegese, die dem Konzept der Biblia pauperum zugrunde liegt. Nur in Cgm 155 jedoch entspricht die Disposition von Typen und Antitypus innerhalb der Rahmenarchitektur genuin der strukturellen Logik der Gebäudemetapher mit dem ihr »innewohnende[n] 108 Denkbar wäre eine solche der Chronologie von Altem und Neuem Testament entgegengesetzte Leserichtung durchaus. So wird z. B. in den typologischen Gruppen des Speculum jeweils der Antitypus vor die drei Typen gestellt. 109 Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 45, S. 107. 110 Diese Handschrift kam aus dem Kloster St. Erentrud auf dem Nonnberg in Salzburg in die Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek. Möglicherweise wurde sie im Skriptorium des Klosters angefertigt. Zu Cgm 155, siehe Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 49, S. 110; Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.12, S. 286–289; Schneider, Karin: Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek [wie Anm. 68], S. 287–288.

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Charakter […] eines geordneten Aufstiegs«:111 Die alttestamentlichen Präfigurationen bilden hier die Substruktur für den neutestamentlichen Antitypus. In sämtlichen erhaltenen Handschriften mit diesem Dispositionsschema sind die kurzen Lektionen folgerichtig nicht die Bilderkonfiguration flankierend oder rahmend arrangiert, denn dann wären sie der Leserichtung der Bilder entgegenlaufend. Stattdessen befinden sie sich am Fuß der Seite jeweils unterhalb der Typusbilder. Die Seitenschemata der Handschriften der sog. ›München-Londoner Familie‹ räumen den Bildern und dem Bildergefüge also nicht nur einen Großteil der übrigens oft großzügig bemessenen Seitenfläche ein,112 sondern das Bildergefüge selbst ist nach einem Schema organisiert, das die Bezüge der einzelnen Bildelemente, insbesondere der Typen und des Antitypus, nach Konventionen veranschaulicht, wie sie nicht aus Manuskripten vertraut sind, die in erster Linie Texte enthalten. Nicht von oben nach unten wird hier ›gelesen‹, sondern der obere und der untere Rand der Bilderkonfiguration markieren ein Feld, innerhalb dessen chronologische Sukzession und Stufen einer Hierarchie von unten nach oben im Sinne eines Aufstiegs, Bauprozesses oder organischen Wachstums dargestellt werden. Es ist indes nicht nur die visuelle Organisation der typologischen Gruppen, die darauf hinweist, dass hier die Bilder und ihre Betrachtung im Zentrum stehen. Eine Besonderheit der Gruppe von Handschriften mit dieser Seitendisposition ist, dass die Typen der ersten beiden Gruppen ausgewechselt wurden. Als Präfigurationen für die Verkündigung dienen nicht die Verfluchung der Schlange und Gedeon und das Vlies, sondern zwei alttestamentliche Szenen, in denen Frauen baldige Mutterschaft verheißen wird: die Verkündigung der Geburt Isaaks und diejenige der Geburt Simsons (Farbtafel VIII).113 Der Geburt Christi sind nicht der Brennende Dornbusch und das Stabwunder Aarons zugeordnet, sondern die Geburt von Ruths Sohn Obed und die Geburt Johannes des Täufers.114 Die neuen Typen wurden offenbar ausgewählt, weil ihr Bezug zum Antitypus im Bild unmittelbar anschaulich gemacht werden konnte. Gerade in den ersten beiden typologischen Gruppen wird so durch die Analogie der dargestellten Szenen der inhaltliche Bezug der drei Bilder vor Augen geführt. An anderen Stellen werden die Darstellungen in den Handschriften der Gruppe detailreicher. So ist etwa die Versuchung Christi nicht wie in den meisten anderen 111 Spitz, Hans-Jörg: Die Metaphorik des geistigen Schriftsinns [wie Anm. 27], S. 205–218, S. 205. 112 Cgm 155 misst auch in deutlich beschnittenem Zustand noch 39,6 × 27,5 cm, Add. MS 15249 34,5 × 28,0 cm. Ich danke Jeff Kattenhorn, Mitarbeiter der British Library, dafür, dass er das Manuskript für mich vermessen hat. 113 Siehe Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 183. 114 Ebd.

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Biblia pauperum-Handschriften durch die diskutierenden Figuren Christi und des Teufels angedeutet, sondern drei separate Szenen illustrieren die drei Versuche des Teufels, Christus zu verführen. Dies steht in deutlichem Kontrast zur Ikonographie der Bilder in den Handschriften des ›deutschen erzählenden Typs‹: Dort werden ikonographische Schemata, die bereits in den Handschriften aus dem frühen 14. Jahrhundert zu finden sind, weiter übernommen, obwohl sie längst nur noch einen Bruchteil der langen Erzählungen in den Lektionen zu illustrieren vermögen. Hinzu kommt, dass dieser Bruchteil nicht immer der für den typologischen Bezug wichtige Moment der Geschichte ist, etwa wenn die Geschichte von der Zerstörung des Goldenen Kalbs als Präfiguration des Götzensturzes mit Moses illustriert wird, der im Begriff ist, die Gesetzestafeln zu zerschmettern, während das Goldene Kalb gar nicht in Erscheinung tritt (Abb. 42). In den Handschriften der München-Londoner Familie verhält es sich genau umgekehrt: Darstellungen wie die der Versuchung Christi oder auch der Geschichte des Goldenen Kalbs in der Handschrift Cod. Guelf. 69. 6.a Aug. 2° in Wolfenbüttel (Abb. 65) sind viel ausführlicher in ihrer Darstellung der Geschehnisse als die kurzen Lektionen, die sie begleiten. Das Triptychon-Schema und seine Weiterentwicklung Viel weniger homogen sind die Seitenschemata in denjenigen Handschriften und Blockbücher, die im 15. Jahrhundert Organisationsmuster aus den älteren Biblia pauperum-Handschriften wieder aufgreifen: Handschriften, in denen das Bild des Antitypus von denen der Typen flankiert und ober- und unterhalb von den Propheten umgeben ist.115 Mehrere Blockbuchausgaben und zwei Handschriften, die auf der Grundlage eines Blockbuchs oder einer gemeinsamen Grundlage entstanden sind, weisen eine solche Disposition auf (Abb. 66, 67). Gemeinsam ist diesen Codices, dass das zentrale Kreisfeld mit dem Antitypus auch hier durch ein hochrechteckiges Bildfeld ersetzt worden ist, so dass die Ereignisse des Neuen Testaments im gleichen oder annähernd gleichen Maßstab dargestellt sind wie die des Alten Testaments. Im Blockbuch von 1470 und der Handschrift Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 59, die 1518 offensichtlich auf der Grundlage einer der deutschsprachigen Inkunabeln

115 Zu dieser von Cornell als Westliche Familie bezeichneten Gruppe siehe Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 168–182 sowie zuletzt Schmidt, Gerhard: Kings MS 5 und seine Stellung in der Geschichte der Armenbibel, in: Biblia pauperum. Kings MS 5, British Library, London, Bd 2: Kommentarbd. zum Faksimile, mit Beiträgen von Janet Backhouse/ James H. Marrow/Gerhard Schmidt, Luzern 1994, S. 21–101, hier S. 46–65.

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entstanden ist,116 hat das Bildfeld des Antitypus die selben Maße wie die beiden flankierenden. Im sogenannten 40-blättrigen Blockbuch und in der Handschrift in Den Haag liegt sein unterer Rand ein wenig höher als bei den seitlichen Bildfeldern (Abb. 67).117 Das zentrale Bildfeld ist so insgesamt zwar kleiner, wirkt aber wie auf einer Sockelzone erhöht und so den beiden anderen Bildfeldern gegenüber ausgezeichnet.118 Die Prophetenfiguren sind in allen Codices in Felder ober- und unterhalb des Antitypus platziert. Auch hier werden alle Bildelemente durch eine architektonische Rahmung zusammengefasst. Wie in Cgm 155 (Farbtafel VIII) ist dabei im Blockbuch und den beiden Handschriften der Antitypus den Typen gegenüber durch die Form des ihn überfangenen Bogens ausgezeichnet: Den schmucklosen Korb- oder Rundbogenformen über den alttestamentlichen Typen steht ein reich verzierter Kielbogen über dem Antitypus gegenüber. Im Blockbuch von 1470 und der Heidelberger Handschrift ist dieser von einer Kreuzblume gekrönt (Abb. 68). Die Blockbücher der beiden unterschiedlichen Typen und die ihnen jeweils in ihrer Seitendisposition sehr ähnlichen Handschriften unterscheiden sich stärker in ihrer visuellen Organisation, wenn man die gesamte Seite in den Blick nimmt. Das Blockbuch von 1470 und die Heidelberger Handschrift präsentieren die Lektionen unterhalb der Bilderkonfiguration. Letztere füllt die oberen zwei Drittel des SchriftBild-Spiegels. Ober- und unterhalb der drei großen Bildfelder verläuft je ein Streifen, in dem mittig die beiden Propheten in einer gemeinsamen Nische dargestellt sind. Getrennt werden sie unten durch eine Säule, oben durch die Spitze des Bogens oberhalb des Antitypus, die den Trennsteg zwischen den beiden Zonen durchbricht. Die Propheten sind einander zugewandt, tragen aber keine Spruchbänder. Ihre Sprüche sind stattdessen rechts und links von ihnen eingetragen. Ein Streifen, der nur die Namen der unteren beiden Propheten enthält, trennt die Bilderkonfiguration von der Zone, in der die Lektionen stehen. Entlang der vertikalen Mittelachse teilt ein Steg sie in zwei Felder oder Kolumnen, 116 Zu dieser Handschrift siehe Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.4; Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 62, S. 116; Die Codices Palatini germanici [wie Anm. 75], S. 171–172. Zum genauen Verhältnis der Handschrift zum Blockbuch ebd., S. 172: »Beim Cod. Pal. germ. 59 handelt es sich um eine, bezüglich des Textes, genaue Abschrift der 40-blättrigen Blockbuchausgabe der Biblia pauperum, die von Friedrich Walther und Hans Turning im Jahre 1470 gedruckt wurde […] Die Federzeichnungen unterscheiden sich in Stil und Kostüm hingegen erheblich von denen des Blockbuchs.« 117 Zur Handschrift siehe Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 56, S. 115 sowie Henry, Avril: ›Biblia pauperum‹. The forty-page blockbook and The Hague, Rijksmuseum Meermanno-Westreenianum, Ms. 10.A.15, in: Scriptorium 38 (1984), S. 84–88; Henrys Untersuchung legt nahe, dass die Handschrift auf der Grundlage eines der Blockbücher entstanden ist und beide nicht auf ein gemeinsames Vorbild zurückgehen. 118 Siehe Henry, Avril: The iconography [wie Anm. 106], S. 269.

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in die jeweils die Lektion zum darüber dargestellten Typus eingetragen ist. In der Handschrift in Den Haag sowie in der 40-seitigen Blockbuchausgabe dagegen flankieren die Lektionenfelder das Gehäuse der beiden oberen Propheten und stehen so oberhalb der Typusbilder. Die korrespondierenden Felder neben den unteren Propheten, die kleiner angelegt sind, sind mit den Tituli der Typen beschriftet. Der Titulus zum Antitypus ist in ein Feld unterhalb des Gehäuses eingetragen, in dem die unteren beiden Propheten untergebracht sind. Damit bildet er zusätzlich gleichsam die Basis für die gesamte Architektur, er ist nicht nur Bezeichnung des Antitypus, sondern der gesamten typologischen Gruppe. Die Prophetensprüche stehen auf Spruchbändern, die ober- und unterhalb der drei Bildfelder mit den Typen und dem Antitypus geschwungene Klammern bilden. In ihrer Seitendisposition, die alle Schrift- und Bildelemente eng miteinander verschränkt und den Antitypus ins kompositionelle Zentrum der Gruppe setzt, nehmen diese Blockbücher und die Den Haager Handschrift Prinzipien der visuellen Organisation wieder auf, wie sie in den frühen, diagrammatischen Dispositionsformen zu finden waren. Wie Avril Henry in ihren Untersuchungen zu den Blockbüchern anschaulich beschrieben hat, sind Seitendisposition, Rahmung und Bilder dabei so konzipiert, dass sie dazu einladen, hin- und herzublicken, Verbindungen zwischen den einzelnen Elementen zu erkennen und zu konstruieren. Diese »eye-control« schließt dabei auch die Doppelseite mit ein.119 Anders als Cod. Pal. germ. 59 und zumindest einige der Blockbücher der Ausgabe von 1470, deren einseitig bedruckte Blätter so geheftet sind, dass auf jeder Doppelseite im aufgeschlagenen Codex jeweils nur eine bedruckte Seite und eine unbedruckte Rückseite sichtbar sind, stehen hier immer zwei bedruckte Seiten einander gegenüber und wechseln sich jeweils mit zwei unbedruckten Rückseiten ab. Dabei sind die Rahmungen so konzipiert, dass auf recto- und verso-Seite ähnliche, aber in Details unterschiedliche architektonische Formen einander gegenüberstehen, ein rhythmischer Wechsel, der offenbar dazu dienen soll, ein aufmerksames, vergleichendes Hin- und Herschauen zu stimulieren.120 Die Anordnung der drei rechteckigen Bildfelder als Triptychon, kombiniert mit architektonischen Elementen, ist in der Forschung mehrfach mit spätmittelalterlichen Flügelretabeln verglichen worden. So bemerkt Henry zum Seitenschema der 40-seitigen Blockbuchausgabe, das Ver- und Enthüllen des Antitypus durch die Typen als ›Flügel‹ verleihe deren typologischem Verhältnis Ausdruck.121 Auch Ralf Schlechtweg-Jahn zufolge lässt sich »die bildliche Orientierung an Flügelaltären […] als eine Art 119 Henry, Avril: The iconography [wie Anm. 106], S. 268–272, Zitat S. 271. 120 Ebd., S. 270–271. 121 Henry, Avril: The iconography [wie Anm. 106], S. 270.

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medialer Kommentar zum Verfahren der Typologie selbst lesen, wenn man das Öffnen und Schließen der Altarflügel […] als eine Inszenierung von Ver- und Enthüllen der göttlichen Wahrheit versteht«.122 Die Deutung »der Form der Anordnung […] als Altaraufbau«123 ist dabei von zentraler Bedeutung für seine medientheoretische Interpretation des Seitenschemas der von Hans Sporer in Nürnberg gedruckten Biblia pauperum-Blockbuchausgabe von 1471, die der Ausgabe von 1470 in Seitendisposition, Text und Ikonographie aufs Engste folgt. Die frühere, diagrammatische Dispositionsform mit zentralem Kreisfeld interpretiert Schlechtweg-Jahn als eine »analytische, die versucht, dem disparaten und widersprüchlichen Bibeltext eine heilsgeschichtliche Ordnung abzugewinnen«; demgegenüber rücke »[ü]ber die Anordnung der Bilder als Altar […] eine mehr spirituelle und weniger intellektuelle Form des Zugriffs auf Gott in den Vordergrund.«124 Für diesen Zugriff sei die Assoziation mit der mit dem Altar verbundenen Eucharistie und der mit ihr verbundenen Realpräsenz Christi von zentraler Bedeutung. Die Assoziation der Bilderkonfiguration mit einem Altarretabel – oder einem kleinformatigen Triptychon, das zu Andachtszwecken genutzt wurde und nicht notwendigerweise auf einem Altar stand – liegt nahe. Dennoch scheint es an dieser Stelle wichtig anzumerken, dass die strukturellen Analogien zwischen der Triptychon-Konfiguration im Seitenschema der Blockbücher und Flügelretabeln begrenzt sind: Die Proportionen des Triptychons im Seitenschema mit seinen drei gleich breiten Bildfeldern lassen auch ein imaginiertes Öffnen und Schließen der ›Flügel‹ nicht zu. Vergleichbar etwa mit den frühen Dispositionstypen, die architektonische Elemente in die Rahmung der Bilderkonfiguration einfügen, ohne die Konfiguration selbst der Logik einer architektonischen Ordnung gemäß umzuformen, wird hier möglicherweise auf die Struktur eines Flügelretabels angespielt, ohne dass jedoch die Proportionen, ohne die ein Flügelretabel nicht geschlossen werden kann, übernommen werden. Dass sowohl die Assoziation mit der Eucharistie als auch das Evozieren des Auf- und Zuklappens allerdings keineswegs nur moderne Interpretationen sind, die an die Biblia pauperum-Handschriften herangetragen werden, zeigen zwei von Schlechtweg-Jahn nicht erwähnte Codices mit Varianten dieses Dispositionstyps: ein handschriftlich ergänztes Blockbuch sowie eine Handschrift außergewöhnlichen Formats. Das chiroxylographische Blockbuch der Biblia pauperum in der Heidelberger Universitätsbibliothek ist das einzige bekannte Exemplar seiner Art 122 Ebd. 123 Schlechtweg-Jahn, Ralf: Christus als medium [wie Anm. 15], S. 103–118, hier S. 116. 124 Ebd.

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(Abb. 68).125 Die Bilder nebst ihrem aufwendigen architektonischen Rahmensystem wie auch die Begrenzungslinien der Lektionenfelder sind gedruckt, die Lektionen und Tituli sowie die Namen und Sprüche der Propheten dagegen handschriftlich eingetragen. Wie beim Blockbuch von 1470 stehen die Lektionen unterhalb der in ein rechteckiges Feld eingepassten Bilderkonfiguration, die im Heidelberger Codex allerdings gut drei Viertel des Schrift-BildSpiegels einnimmt. Anders als in den übrigen Blockbüchern ist das zentrale Bildfeld des Antitypus hier deutlich größer als diejenigen der Typen. Zusätzlich wird es durch einen breiten, geschwungenen Rahmen betont. Die Typusbilder werden dagegen durch vergleichsweise schlichte Bögen überfangen, ebenso die Propheten, die hier in Nischen in den vier Ecken untergebracht sind. Die Proportionen der Bildfelder der Typen und des Antitypus sind so verändert, dass das Bild des Antitypus zusammen mit seinem Rahmen annähernd doppelt so breit ist wie jedes der beiden Typusbilder. Letztere lassen sich damit plausibler als Flügel imaginieren, die sich über dem zentralen Bildfeld schließen können. Man beließ es aber nicht dabei, die Assoziation mit einem schließbaren Schrein durch eine Veränderung der Proportionen zu stärken: Auf einigen Seiten ist der Rahmen des Antitypus um einen polygonalen Standfuß erweitert (Abb. 68). Damit wird das gerahmte Bildfeld mitsamt seinen flankierenden Bildern als materielles, dreidimensionales Objekt inszeniert, das allerdings nicht einem Altarretabel mit rechteckiger Predella gleicht, sondern eher an ein liturgisches Gerät, eine Monstranz oder ein verschließbares Ziborium, erinnert und damit als Verweis auf Eucharistie und Realpräsenz Christi fungieren kann. Das Auf- und Zuklappen eines Triptychons, das im Heidelberger Blockbuch nur in der Imagination des Betrachters vollzogen werden kann, wurde bei einer anderen Biblia pauperum-Handschrift zum integralen Bestandteil des Lese- und Schauvorgangs gemacht. Es handelt sich dabei um eine um 1405 entstandene Handschrift, die heute unter der Signatur Kings MS 5 in der British Library aufbewahrt wird (Abb. 69).126 Vermutlich wurde sie, wie das dem selben Buchmaler zugeschriebene Stundenbuch der Margarethe von

125 Heidelberg, UB, cpg 438, fol. 111v–128r; publiziert in Biblia pauperum: Unicum der Heidelberger Universitäts-Bibliothek, hrsg. v. Paul Kristeller, Berlin 1906; Siehe auch Die Codices Palatini germanici in der Universitätsbibliothek Heidelberg (Cod. Pal. germ. 304–495), bearb. v. Mathias Miller und Karin Zimmermann, Wiesbaden 2007 (Kataloge der Universitätsbibliothek Heidelberg / Universitätsbibliothek Heidelberg, 8), S. 423–430. 126 Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 52, S. 111; Biblia pauperum. Kings MS 5, British Library, London [wie Anm. 115]; Marrow, James: Art and Experience [wie Anm. 17].

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Kleve, für ein Mitglied des Hofes in Den Haag hergestellt.127 In seiner heutigen Bindung hat der Codex ein extremes Querformat von 17,5 × 38,5 cm. Jedes der Blätter wird durch zwei senkrecht verlaufende Falze in drei etwa gleich große Sektionen geteilt. Typen und Antitypus sind in jeweils gleich großen, gerahmten Bildfeldern dargestellt. Anders als in den meisten Biblia pauperum-Handschriften handelt es sich um mit Blattgold versehene Deckfarbenminiaturen. Das Zentrum des mittleren Segments nimmt die Miniatur des Antitypus ein. An den Ecken ihres Rahmens sind die vier Propheten dargestellt, die schwungvoll sich kräuselnde Spruchbänder in den Händen halten. Zwischen den beiden oberen Propheten ist ein Schriftband angebracht, auf dem sie als auctoritates bezeichnet werden. Unterhalb der Miniatur steht zwischen den beiden anderen Propheten die Lektion zum Antitypus. Auf jeder der seitlichen Sektionen des Blattes befindet sich eine Miniatur mit der Darstellung eines Typus, die an den Falz, also in Richtung des zentralen Antitypus, gerückt ist. Die jeweiligen Lektionen stehen nicht unterhalb, sondern neben ihnen jeweils am äußeren Rand des Blattes. Alle Schriftelemente sind alternierend in rot, blau und Gold eingetragen, ein aufwendiges Verfahren, wie es für besonders kostbare Handschriften mit Bibeltexten, aber auch etwa für Kalender in Gebetsbüchern verwendet wurde.128 Die Rückseite jedes Blattes ist fast leer; dort ist lediglich die rubrizierte Bezeichnung des Antitypus eingetragen.129 Ursprünglich waren die Blätter entlang des linken Falzes hintereinander geheftet. Waren alle Blätter entlang des rechten Falzes gefaltet und der Codex geschlossen, ergab sich ein konventionelles, hochrechteckiges Buchformat mit Maßen, wie sie, wie James Marrow bemerkt hat, typisch für Andachtsbücher der Zeit, besonders Stundenbücher, waren.130 Beim Lesen und Anschauen der Biblia pauperum musste entsprechend jedes Blatt einzeln wieder auseinandergefaltet werden: Zunächst sah man eine Seite, die bis auf die Bezeichnung des Antitypus, der hier als Bezeichnung der typologischen Gruppe diente, leer war. Blätterte man sie um, sah man den ersten Typus samt Lektion auf der Rückseite; faltete man dann das Blatt entlang des zweiten 127 Siehe Marrow, James: Art and Experience [wie Anm. 17], S. 101–117, hier S. 108–109. 128 Siehe Marrow, James: Art and Experience [wie Anm. 17], S. 111. Zu einem möglichen Verweis auf liturgische Kalender äußert er dort folgende Vermutung: »Inasmuch as the Biblia pauperum outlines the course of sacred history, much as does the liturgy itself, it seems possible that in choosing gold, red, and blue pigments for its script, the designer of Kings MS 5 meant to evoke the sacral and festive character of liturgical calendars, if not also their function in summarizing the unfolding scheme of sacred time«. 129 Nur auf dem ersten Blatt, das die typologische Gruppe zur Verkündigung enthält, wurde die Bezeichnung des Antitypus auch auf der bemalten und beschriebenen Seite oberhalb von dessen Darstellung ein Schriftband angebracht. 130 Marrow, James: Art and Experience [wie Anm. 17], S. 110.

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Falzes auf, sah man die gesamte typologische Gruppe, allerdings ohne die Bezeichnung des Antitypus. Diese ausgesprochen ungewöhnliche Codexstruktur lud dazu ein, das Auf- und Zufalten der Blätter als Nachvollzug der zeitlichen und inhaltlichen Relationen zwischen Typen und Antitypus zu verstehen: »In turning and opening up the leaves which make up each folded ensemble, the reader is encouraged to envision sacred history as a literal unfolding of the divine order as it progresses from the Old Law to and through the New.«131 So ungewöhnlich das Konzept eines Triptychons als Seitenstruktur für einen Codex auch ist, es ist wieder keine genuine Flügelretabel-Struktur, die der Struktur des Codex zugrunde gelegt wurde. Die beiden seitlichen Segmente des Blattes sind beide ebenso breit wie das mittlere, und sie müssen sukzessive aufgefaltet werden. Das Herausrücken von ganzseitigen Miniaturen aus dem Seitenzentrum zum Falz des Blattes hin ist ein Muster der visuellen Organisation, das spezifisch für die Seitendisposition von Codices ist; es orientiert sich am Schriftspiegel, der ja ebenfalls nicht genau in der Seitenmitte steht, sondern zum Falz hin verschoben ist. Für das Seitenschema der Londoner Biblia pauperum-Handschrift wurde dieses Muster eingesetzt, um die Orientierung der beiden seitlichen Segmente zum mittleren zu verdeutlichen. Überhaupt ist es die von einer Doppelseite zu einer dreiteiligen Ansicht erweiterte Buchseite mit ihren materiellen Eigenschaften, die hier, um den Begriff Schlechtweg-Jahns aufzugreifen, als »medialer Kommentar« wirksam wird. Kein architektonischer Rahmen bildet hier die Matrix für die Schrift- und Bildelemente, sondern das doppelt gefalzte Codexblatt, das vom Betrachter berührt, gefaltet und gewendet wird. Deutliche Bezüge zur Eucharistie gibt es in dieser Biblia pauperum-Handschrift dennoch sehr wohl; sie finden sich allerdings vor allem in der Ikonographie der Bilder, wie Marrow am Beispiel der Darstellung der Erscheinung des auferstandenen Christus vor Maria und den Aposteln gezeigt hat.132 Auf dem 18. Blatt bietet die typologische Gruppe um den Lanzenstich ein weiteres Beispiel (Abb. 69). Flankiert wird der Antitypus von Darstellungen der Erschaffung Evas aus Adams Rippe und Moses, der Wasser aus dem Felsen schlägt. Allerdings hat letzterer den Stab bereits sinken lassen und aus dem großen Stein, der in der Bildmitte liegt, sprudelt das Wasser bereits hervor. Links von dem Stein am Bildrand stehend, streckt Moses dem Vordersten einer Gruppe von Israeliten auf der rechten Bildseite eine Trinkschale entgegen. Die Lektion neben dem Bild erläutert, dass der Felsen Christus bedeute, der heilende Wasser, das heißt die Sakramente, aus seiner Seite ergossen habe: Silex sive lapis Christum significat qui nobis aquas salutares scilicet sacramenta de 131 Ebd. 132 Siehe Marrow, James: Art and Experience [wie Anm. 17], S. 113.

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suo latere effudit […]. Die Deutung der ›heilenden Wasser‹ als Sakramente hat ihr bildliches Äquivalent und ihre Zuspitzung auf ein einziges Sakrament, die Eucharistie, in der Trinkschale, die Moses in der Hand hält. Damit enden die visuellen Bezüge des Typus zu seinem Antitypus auf dieser Codexseite jedoch noch nicht. Faltet man den rechten Teil des Blattes wieder ein – und vollzieht damit eine Umkehrung des Prozesses des Aufklappens, in dem die von Marrow beschriebenen ›Entfaltung‹ der biblischen historia nachvollzogen wird – legt man die beiden Miniaturen aufeinander. Damit kommen nicht nur Christus und der Felsen, der ihn präfiguriert, auf einer gemeinsamen vertikalen Achse zu liegen, sondern auch die Trinkschale, mit der Moses unterhalb der blutenden Seitenwunde nun nicht mehr das Quellwasser, sondern das Blut Christi aufzufangen scheint. Das ungewöhnliche Handschriftenformat sensibilisiert für die Möglichkeiten, durch Blättern und Falten chronologische und semantische Bezüge herzustellen. Sie wurden in diesem Codex auf vielschichtige Weise genutzt, von denen hier nur einziges exemplarisch vorgestellt werden konnte. Die Hauptrolle in diesem komplexen Bezugssystem spielen dabei zweifellos die Bildelemente der Biblia pauperum. Zusammenfassung Neben die Versionen der Biblia pauperum, die sich mit ihren erweiterten Lektionen an Rezipienten richten, die in erster Linie Leser sind, treten also andere Versionen, die sich an Rezipienten wenden, die primär Betrachter sind. Das typologische Konzept und die spezifischen Inhalte jeder typologischen Gruppe werden visuell vermittelt. Die Schrift-Bild-Konfigurationen mit ihrer Symmetrie, ihrer Positionierung des Antitypus an hervorgehobener Stelle und der Ausrichtung aller übrigen Elemente auf ihn hin erinnern dabei in ihrer Anschaulichkeit an die diagrammatischen Dispositionstypen der frühen Biblia pauperum-Handschriften, die sich in Varianten, die eine typologische Gruppe pro Seite präsentieren, weiterhin gewisser Beliebtheit erfreuten.133 Sie 133 Neben dem Cod. Pal. Lat. 871 in der Biblioteca Apostolica Vaticana (Abb. 2–4; s. o., Anm. 69) sind zwei weitere Biblia pauperum-Handschriften aus dem 15. Jahrhundert mit Varianten des Quincunx-Schemas erhalten. Die eine New York, Public Library, Spencer MS 35, ist um die Mitte des 13. Jahrhunderts in Schwaben entstanden: Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.19, S. 305; Cornell, Henrik, Biblia pauperum [wie Anm. 1], Kat.-Nr. 32, S. 99. In der zweiten, in Lyon, Bibliothèque municipale, Ms. 446, ist statt des zentralen Kreisfeldes des Quincunx eine Mandorla als Rahmen für das Bild des Antitypus eingesetzt worden. Das Seitenschema wird nun durch eine Figur dominiert, die das Schema der Maiestas Domini nun nicht mehr nur andeutet, sondern direkt aufruft. Zur Handschrift, die Cornell nicht erwähnt, siehe Breitenbach, Edgar: Rezension zu Henrik Cornell, Biblia pauperum [wie Anm. 39], S. 68–69, Abb. S. 64.

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unterscheiden sich von diesen jedoch in anderen Aspekten der Disposition der Elemente sowie durch ihre oft aufwendig gestalteten Rahmungen, die häufig der Deutung der Konfigurationen dienen. Auffällig ist etwa die Tendenz in manchen Handschriften, das chronologische Moment innerhalb der Elemente der Gruppen stark zu betonen: So etwa, wenn die Platzierung des Antitypus über den Antitypen durch vegetabile oder architektonische Rahmungen als zeitliche wie auch als heilsgeschichtliche Stufen gedeutet wird oder auch, wenn ein solches Nach- und Aufeinander im Londoner Kings MS 5 durch das Aufklappen der Blätter nachvollziehbar gemacht wird. Triptychon-Formen, die mehr oder weniger deutlich an Retabel oder Ziborien erinnern, betonen nicht nur die zeitliche Abfolge, sondern verweisen darüber hinaus auf das Thema der Eucharistie, das sowohl für die in der Biblia pauperum präsentierte Heilsgeschichte als auch für zeitgenössische Andachtspraktiken von zentraler Bedeutung ist. Die Vermittlung der Inhalte der Biblia pauperum auf visueller Ebene geschieht außerdem durch die Ikonographie der biblischen Geschehnisse. Anders als etwa in den meisten Handschriften mit deutschen erzählenden Lektionen entwickelte man neue, ausführlichere Darstellungen, die nicht nur die wichtigen Aspekte der jeweiligen Geschichte darstellten, sondern nach Möglichkeit auch die Parallelen und Entsprechungen der Typen zum Antitypus anschaulich machten. Dieses Bemühen um visuelle Evidenz konnte so weit gehen, dass einzelne Typen zugunsten anderer ausgetauscht wurden, die sich im Bild deutlicher auf den Antitypus beziehen ließen.

Biblia pauperum-Handschriften: Die kontinuierliche Reinterpretation eines Konzepts Bei einer genauen Untersuchung von Varianten der Seitenschemata in Biblia pauperum-Handschriften ergibt sich das Bild kontinuierlicher Bearbeitungen, Adaptionen und Reinterpretationen des Konzepts und der Inhalte der Biblia pauperum. In manchen Fällen gaben offenbar pragmatische Gründe der Produzenten den Anstoß für die Veränderungen des Seitenschemas. Hierzu gehören etwa die Entscheidung, die komplizierten Liniensysteme, die gerade den diagrammatischen Seitendispositionen der frühen Handschriften zugrunde liegen, zu vereinfachen oder der Entschluss, eine Biblia pauperum in einen Sammelcodex aufzunehmen, dessen Format zu klein war, als dass man ein Organisationsschema mit jeweils zwei typologischen Gruppen pro Seite hätte realisieren können. Modifikationen des Seitenschemas wurden außerdem immer dann unmittelbar notwendig, wenn die Elemente innerhalb dieses Schemas in ihrer 98

Zahl oder ihrem Umfang verändert wurden. Dies konnte bei Biblia pauperumHandschriften beobachtet werden, die Schriftelemente in zwei Sprachen enthalten oder in denen die Texte der Lektionen erheblich ausführlicher ausfallen als in den frühen Handschriften. In vielen Fällen jedoch bedurfte es keiner Veränderungen im Inhalt der typologischen Gruppen oder äußerer Umstände wie ein abweichendes Codexformat oder die mangelnde Fähigkeit oder den mangelnden Willen eines Handschriftenproduzenten, ein komplexes Seitenschema zu replizieren. Bereits die Varianten, die in den Seitendispositionen der frühesten erhaltenen Handschriften beobachtet werden können, stellen offenbar bewusste Entscheidungen von Konzeptoren und Produzenten dar, die sich nicht nur um die Behebung etwaiger Probleme bei der Unterbringung der vielen unterschiedlichen Bild- und Schriftelemente bemühten, sondern vor allem auch um eine größere Anschaulichkeit des Seitenschemas. Bereits dort finden sich also die ersten von vielen redaktorischen und damit auch interpretierenden Eingriffe in die visuelle Organisation der Biblia pauperum-Handschriften, die maßgeblich zu dem erstaunlichen Variantenreichtum der Seitenschemata beigetragen haben. Allein anhand der Seitendispositionen in den Handschriften, die deutsche erzählende Lektionen enthalten, kann beobachtet werden, wie stark Veränderungen in der visuellen Organisation das Verhältnis der Elemente einer typologischen Gruppe zueinander und das Konzept des gesamten Buchs verändern kann: Aus einer Folge glossierter Bildkomplexe kann ein durch Bilder strukturiertes Lesebuch werden oder eines, das Bilder und Lektionen nach dem Vorbild eines anderen typologischen Werks, des Speculum humanae salvationis, gleichmäßiger zu gewichten und dabei die visuelle Einheit jeder Gruppe auf je einer Doppelseite zu erhalten versucht. Die Vorstellung davon, wie das Konzept und die Inhalte einer Biblia pauperum am besten veranschaulicht und vermittelt werden konnten, ist offenbar nicht immer dieselbe gewesen. Mehr noch: Es steht zu vermuten, dass die Vorstellung davon, was eine Biblia pauperum eigentlich vermitteln sollte und zu welchem Zweck, ebenso wenig unverändert blieb. Bekannt ist, dass die frühen Biblia pauperum-Handschriften aus monastischen Skriptorien stammen, dass aber bereits im 14. Jahrhundert Übersetzungen und Bearbeitungen in deutscher Sprache entstanden, die offensichtlich auch – allerdings nicht ausschließlich – von Laien rezipiert wurden.134 Die Veränderungen der Seitenschemata der Biblia 134 So stammen einige der Handschriften mit deutschen erzählenden Lektionen aus dem Besitz wohlhabender Laien; s. o., S. 17 u. 44. Der deutschsprachige Cgm 155 der Bayerischen Staatsbibliothek dagegen befand sich im Besitz des Klosters St. Erentrud auf dem Nonnberg bei Salzburg und ist möglicherweise auch dort entstanden. S. Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], S. 286.

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pauperum stehen sicherlich auch im Zusammenhang solcher Adaptions- und Reinterpretationsprozesse für unterschiedliche Rezipientenkreise und unterschiedliche Lese- und Gebrauchspraktiken. Diese sind wiederum sehr viel diverser gewesen, als eine Unterscheidung nach literati und illiterati, nach Klerikern und Laien andeuten kann. Auch Schmidts Charakterisierung einer Entwicklung von einem systematisch-theologischen hin zu einem volkstümlich-erbaulichen Charakter greift zu kurz. Bereits in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts fertigte man lateinische Biblia pauperum-Manuskripte an, die als Wandtafeln fungierten oder als kleinformatige Andachtsbücher, in denen den Bildelementen und ihrer Betrachtung Priorität verliehen wurde. Deutschsprachige und zweisprachige Bearbeitungen des Stoffes konnten sich im 15. Jahrhundert als Lesebücher oder auch als reich illustrierte Bilderhandschriften und Blockbücher an gebildete Laien oder an monastische Rezipienten und Rezipientinnen richten. Wie genau die unterschiedlichen Formen der Seitendisposition in einzelnen Biblia pauperum-Handschriften mit unterschiedlichen Gebrauchspraktiken verbunden sind und wie groß ihr Beitrag zur Adaption des Konzepts und der Inhalte der Biblia pauperum für unterschiedliche Rezipientenkreise wirklich ist, das konnte im Rahmen dieses Aufsatzes allenfalls am Rande angedeutet oder vermutet werden. Um eine Antwort auf diese Fragen zu erhalten, wird eine Reihe detaillierterer Untersuchungen von Biblia pauperum-Handschriften nötig sein, die auch die ikonographischen Besonderheiten, Textvarianten, die Umstände und Techniken ihrer Produktion und, sofern bekannt, die intendierten Rezipienten mit berücksichtigt. Vielversprechend erscheint auch eine Untersuchung der kodikologischen Überlieferungszusammenhänge, denn in vielen Fällen ist die Biblia pauperum zusammen mit anderen Inhalten in Sammelcodices zusammengefasst. Die Ergebnisse dieses Aufsatzes können und sollen nicht mehr sein als ein Anstoß und eine Grundlage für weitere Überlegungen zur Rolle visueller Organisation bei der Veranschaulichung und Vermittlung der Inhalte eines Handschriftentyps, der wie kaum ein anderer Gegenstand beständiger Variation und Reinterpretation war.

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Malena Ratzke

Spuren eines produktiven Schreibers in der Münchener Biblia pauperum Clm 28141

Die Münchener Handschrift Clm 28141 ist eine in allen Dimensionen der Einrichtung und Ausstattung sorgfältig ausgeführte Biblia pauperum aus dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts.1 Angesichts dieser Sorgfalt mag die Beobachtung erstaunen, dass sich in der gesamten Handschrift Bearbeitungsspuren in den Texten der Tituli, Prophetensprüche und lectiones finden, die von knappen Ergänzungen über Korrekturen einzelner Wörter oder Sätze bis hin zur Streichung und Ersetzung ganzer Passagen reichen. Da die Handschrift zum Zeitpunkt der Texteintragung augenscheinlich bereits mit Federzeichnungen versehen war, ist davon auszugehen, dass die bereits vollständige Handschrift nach Abschluss des Produktionsprozesses einer erneuten systematischen Durchsicht und Bearbeitung unterzogen wurde.2 Der paläographische Befund der Ergänzungen legt es nahe, als Urheber der Bearbeitungsspuren denselben Schreiber anzunehmen, der auch die erste Fassung des Textes schrieb.3 Dabei 1

2

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München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 28141; vgl. Hauke, Hermann: Clm 28141, in: Katalog der lateinischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München, Clm 28111–28254, Wiesbaden 1986 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis, T. 4, Ps. 7), S. 49; ausführlicher: Ott, Norbert H.: Biblia pauperum, in: Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften, hrsg. v. Hella Frühmorgen-Voss und Nobert H. Ott, Bd. 2, München 1996, Kat.-Nr. 16.0.17, S. 298–301; vgl. auch Cornell, Henrik: Biblia pauperum, Stockholm 1925, S. 107. Soweit nicht anders angegeben, stammen alle folgenden Zitate aus dieser Handschrift. Wie das stellenweise Hinausgreifen des Textes in den Bildraum nahelegt, war die Bildausstattung zum Zeitpunkt der Texteintragung offenbar bereits abgeschlossen. Vgl. fol. 4v, Götzensturz: Hier wurde eine Ergänzung (de terra) im Prophetenspruch des Sacharja in den Bildraum des Antitypus eingetragen. An mehreren Stellen finden sich auch Rasuren, die Teile der Rahmenleiste zur danebenliegenden Federzeichnung ausradieren. Vgl. etwa fol. 5v, Prophetenspruch Davids. Eine genaue paläographische Untersuchung steht aus, sodass wenigstens hypothetisch auch weitere Hände mit ähnlicher Schreiberausbildung in Betracht kommen. Im Schriftbild scheinen die Korrekturen jedoch mit der Erstfassung übereinzustimmen; die Bearbeitung hebt sich vom ursprünglichen Text nur durch eine dunklere Tinte und härtere Konturen ab, die von einer schärferen Feder stammen könnten. Der Katalog von Hauke geht zwar nicht auf die Korrekturen ein, gibt aber nur eine Hand an. Vgl. Hauke, Hermann:

wurden Textteile einerseits durch Rasur getilgt und überschrieben; andererseits, etwa bei der Änderung mehrzeiliger Passagen, beließ man es beim Durchstreichen des entsprechenden Teils und ergänzte den neuen Text, durch Einfügungszeichen markiert, an anderer Stelle. Die Änderungen in Clm 28141 differieren in Art und Reichweite der Bearbeitung: Es finden sich ›einfache‹ Korrekturen von Schreiberfehlern genauso wie Hinweise auf eine stilistische Überarbeitung der Texte. Daneben lassen sich Eingriffe beobachten, die auf eine tiefergehende Änderung in der Konzeption des Codex hindeuten. So bewirken die Bearbeitungen in einigen Fällen deutliche Verschiebungen in der Art des typologischen Bezuges. In der lectio zur Erschaffung Evas als Präfiguration der Seitenwunde Christi etwa werden systematisch alle Bezüge getilgt, die über den Aspekt der Sakramentsstiftung hinausgehen; in anderen typologischen Gruppen hingegen werden diese Aspekte dezidiert hinzugefügt und erweitern den alten Textbestand. Änderungen wie diese lassen auf die Zielvorstellung einer ›besseren‹ oder ›richtigeren‹, wenigstens ›vollständigeren‹ Biblia pauperum-Handschrift schließen, die den Bearbeiter bei der Beschäftigung mit dem Material leitete. Clm 28141 bietet so einen Einblick in die vielschichtige Produktionsund Bearbeitungspraxis einer Biblia pauperum-Handschrift. Die bisher unbeachtet gebliebenen Bearbeitungsspuren des Codex können Hinweise auf den Umgang des Bearbeiters mit seinem Material und der Überlieferung der Biblia pauperum geben. Im Rahmen dieses Beitrages soll es deshalb zum einen darum gehen, die verschiedenen Formen der Bearbeitung in Clm 28141 zusammenzustellen und im Grad ihrer konzeptuellen Reichweite zu beschreiben. Zum anderen kann die Bearbeitung von Clm 28141 dazu genutzt werden, in einem allgemeineren Sinne nach der Verbindlichkeit formaler und inhaltlicher Aspekte für das Konzept der Biblia pauperum-Handschriften zu fragen. In seinem Standardwerk zur Biblia pauperum betont Gerhard Schmidt, dass bald nach Beginn der Überlieferung von der Anlage der ältesten erhaltenen Handschriften abgewichen wird; er beschreibt dies als »inneren Dekompositionsprozess […] der Armenbibel«.4 Gegenüber dieser Verfallsthese versucht

4

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Clm 28141 [wie Anm. 1]; vgl. auch Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.Nr. 16.0.17, S. 298. Schmidt, Gerhard: Die Armenbibeln des XIV. Jahrhunderts, Graz/Köln 1959, S. 4; Cornells Beschreibungen sind in der Regel in einem neutralen Ton verfasst; auch er spricht jedoch davon, dass die »typologische Absicht […] kaum besser ausgedrückt werden [kann] als in den älteren Biblia pauperum-Handschriften« (Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 6) und geht somit vom Verfall einer Ursprungsidee aus.

der vorliegende Beitrag einen Perspektivwechsel, der die Dynamik der Überlieferung und die daraus resultierenden Potenziale betont. In diesem Sinne lässt sich eher beobachten, dass das typologische Konzept der Biblia pauperum während der gesamten Überlieferungszeit bestimmend bleibt, mit dem überlieferten Material jedoch auf sehr unterschiedliche Weise umgegangen wird.5 Der produktive Schreiber von Clm 28141 kann zum Anlass genommen werden, diese Vielfalt anhand eines Fallbeispiels genauer in den Blick zu nehmen. Die These dieses Beitrags lautet daher, dass die Handschriften der Biblia pauperum eine Fülle von Perforationen und ›Kannbruchstellen‹ aufweisen, die eine Bearbeitung ermöglichen und anregen. Die Nutzung der Lizenzen, die aus der modularisierten Struktur ihrer Gruppen-, Bild- und Schriftelemente sowie ihrer Seitendisposition entstehen, führt zu einer hohen Variabilität der Überlieferungszeugen: Einzelne Typen und typologische Gruppen werden ausgetauscht und umgeordnet, ikonographische Traditionen aufgebrochen und Texte verändert.6 Die Herangehensweise der Bearbeiter von Clm 28141, Cgm 3974 und anderer Handschriften lässt sich so als Bestandteil einer Praxis des Umschreibens und Weiterbearbeitens lesen, der es weniger um die Überlieferung eines ›Werkes‹ Biblia pauperum geht als um die produktive ›Arbeit am Material‹, die mit jeder Gestaltung eines neuen Codex neu einsetzt.

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In dieser Hinsicht steht Clm 28141 neben ›Sonderfällen‹ wie dem Codex München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 3974, der in seinem Biblia pauperum-Teil unbebildert bleibt, stattdessen aber auf die Miniaturen des im gleichen Codex enthaltenen Speculum Humanae Salvationis verweist und zudem die Texte zu den einzelnen Antitypen um zusätzliche lectiones erweitert (vgl. Ott, Norbert: Biblia pauperum [wie Anm. 5], Kat.-Nr. 16.0.15). Das ›ursprüngliche‹ Konzept der Biblia pauperum ist hier nur noch aufgrund der Textverwandtschaft mit anderen Biblia pauperum-Handschriften zu erkennen. Entstanden ist so ein hybrides Textgewebe mit typologischem Strukturprinzip, aber synoptischem Anspruch hinsichtlich der Textgestalt. Schmidt beobachtet ein schnelles Aufbrechen der »inneren Struktur« der Handschriften ab dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts; er beschreibt dies jedoch, wie bereits erwähnt, als Verfallsprozess: »Die inhaltliche Substanz der BP bleibt im Wesentlichen erhalten, doch erlischt das Verständnis für ihre Gliederung nach jenen theologisch sinnvollen und optisch anschaulichen Prinzipien, die ihr vornehmstes Erbteil aus der ›älteren‹, hochmittelalterlichen Typologie gebildet hatten« (Schmidt, Gerhard: Armenbibeln [wie Anm. 4], S. 102); vgl. auch die Systematik und die Überlegungen zur Entwicklung bei Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 1–16, 154–186.

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Der Codex: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 28141 Bis auf Cornells Entscheidung, die Münchener Biblia pauperum Clm 28141 unter der Sigle München a zum Prototypen der München-Londoner Handschriftenfamilie zu wählen, hat die Handschrift in der Forschung bisher keine große Rolle gespielt. Erwähnungen finden sich vor allem in Beiträgen, die sich mit möglichen Vorlagen der Blockbücher und Typendrucke des 15.  Jahrhunderts beschäftigen.7 Die einschlägigen Kataloge datieren die Handschrift auf das 2. Viertel des 15.  Jahrhunderts und geben eine auf dialektalen Indizien basierende Lokalisierungsvermutung für das Bairische der Oberpfalz, eventuell in Richtung des böhmischen Sprachraums, ab.8 Die Belastbarkeit dieser Datierung vorausgesetzt, entstand Clm 28141 also noch vor den in Seitengestaltung, Gruppenfolge und Text verwandten Bamberger Typendrucken von 1462–1464; Häußermann nennt mit Bezug auf die Nähe der deutschen lectiones dezidiert diese Handschrift als mögliche Vorlage für den zweiten deutschen Pfisterdruck.9 Es wäre zu prüfen, an welcher der Textschichten aus Clm 28141 sich der Pfisterdruck orientiert. Die lectiones des Drucks sind gegenüber Clm 28141 teilweise deutlich kürzer, sodass mindestens eine zusätzliche Zwischenstufe denkbar ist. Die 24 Blätter umfassende Pergamenthandschrift kam 1909 aus der Gräflich Toerring’schen Bibliothek nach München; über ihre Herkunft ist darüber hinaus nichts bekannt. Auch enthält die Handschrift außer der Biblia pauperum keine weiteren Texte oder Besonderheiten – eine Mitüberlieferung, die Aufschluss über Entstehungs- oder Gebrauchskontext geben würde, existiert 7

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Vgl. Häußermann, Sabine: Die Bamberger Pfisterdrucke. Frühe Inkunabelillustration und Medienwandel, Berlin 2008 (Neue Forschungen zur deutschen Kunst, 9), S. 28f., 44–48; Riedel-Bierschwale, Heike: Biblia pauperum, in: Vom ABC bis zur Apokalypse. Leben, Glauben und Sterben in spätmittelalterlichen Blockbüchern, hrsg. v. Bettina Wagner, Luzern 2012, S. 46–53. Eine detaillierte Einzelstudie zur München-Londoner-Gruppe, die sich dem Motiv der entkleideten Braut als Typus zur Entkleidung Christi widmet, bietet Susan L. Smith. Clm 28141 wird auch hier jedoch nur am Rand erwähnt, vgl. etwa Smith, Susan L.: The Bride Stripped Bare. A Rare Type of the Disrobing of Christ, in: Gesta 34.2 (1995), S. 126–146, hier S. 131. Letztere Einschätzung bei Hauke, Hermann: Clm 28141 [wie Anm. 1], S. 49. So lehne sich der Text der zweiten Pfister-Ausgabe »eng an die deutsche Übersetzung im Manuskript Clm  28141 der Bayerischen Staatsbibliothek in München« an. Anschließend gibt Häußermann Cornells Einschätzung wieder, »daß in der Offizin zwei Handschriften als Vorlage [für die drei Pfisterdrucke] zur Verfügung standen, je eine aus der Weimarer und der München-Londoner Gruppe« (Häußermann, Sabine: Die Bamberger Pfisterdrucke [wie Anm. 7], S. 28; mit Verweis auf Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 188).

also nicht.10 Je eine der 47 typologischen Gruppen ist so auf der Handschriftenseite organisiert, dass drei vertikale Register durch Rahmenlinien abgegrenzt und in der Horizontale unterschiedlich aufgeteilt werden (Abb. 63). In dieses Rahmengitter, das nur durch die arabischen Ziffern der Bibelstellen und durch nachträgliche Textergänzungen im Marginalbereich überschritten wird, fügen sich Bild- und Schriftelemente ein. Das obere Register wird dominiert von der Darstellung des Antitypus, in dessen Bildfeld der zweisprachige Gruppentitulus angebracht ist und der von den Brustbildern und Sprüchen der Propheten flankiert wird. Die Federzeichnungen der beiden alttestamentlichen Typen stehen sich in quadratischen Bildfeldern im zweiten Register gegenüber. Im dicht gefüllten unteren Register drängen sich auf relativ engem Raum die lateinischen Tituli sowie die beiden zweisprachigen lectiones, wobei die deutschen lectiones von ihren lateinischen Äquivalenten durch Caputzeichen und Zeilenumbruch unterschieden sind. Die bildliche Umsetzung der Typen und Antitypen gab offenbar keinen Anlass zur Nachbearbeitung, sondern blieb unangetastet. Nicht so die Texte, die vor allem in den Prophetensprüchen und lectiones einer systematischen Bearbeitung unterzogen wurden.11 Um diese Texte soll es im Folgenden vornehmlich gehen.

Bearbeitungsspuren in Clm 28141. Der Befund Obwohl eine klare Zuweisung zu einer einzelnen Funktion nicht immer möglich ist, bietet sich für eine erste Übersicht über die vorgenommenen Streichungen, Ergänzungen und Ersetzungen eine heuristische Trennung nach dem Grad ihrer konzeptionellen Reichweite an. Grundlage für die hier aufgestellte Systematik ist die von Martin J. Schubert vorgeschlagene Typologie von Schreibereingriffen,12 die seit ihrer Publikation im Jahr 2002 mehrfach Eingang in die 10

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Einziger Hinweis ist ein vor dem eigentlichen Buchblock eingebundener Papierstreifen mit einer Gebetsformel, die allerdings mit dem Datum 1622 versehen ist und deshalb nichts über den Gebrauch der Handschrift im Spätmittelalter verrät. Vgl. das Katalogisat bei Hauke, Hermann: Clm 28141 [wie Anm. 1]. Die Gruppentituli sowie die lateinischen Tituli zu den Typen blieben weitgehend unverändert. Zwar wurde auf fol. 6v eine Rasur und Überschreibung vorgenommen, diese steht jedoch im Kontext des Codex isoliert. Schubert, Martin J.: Versuch einer Typologie von Schreibereingriffen, in: Das Mittelalter 7.2 (2002), S. 125–144; vgl. ebenfalls Schubert, Martin J.: »Ain schreiber, der was teglich

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Forschung zu diesem Themenbereich gefunden hat.13 Schuberts Vorschlag antwortet auf das Bedürfnis, einen systematischen »Einblick in die Arbeitsweise der Schreiber«14 zu gewinnen, die trotz signifikanter Umbrüche in den mediävistischen Philologien auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur unzureichend erforscht sei. Schuberts Ziel ist die Erfassung der Schreiberintention;15 er sieht dementsprechend ab von versehentlichen Abschreibfehlern und widmet sich den erkennbar absichtlichen Eingriffen, die etwa auf Bemühungen der Schreiber zurückgehen, »den Text dem ihnen vorschwebenden Gebrauch besser anzupassen, als die Vorlage es bot.«16 Als »Schreiber« wird zunächst diejenige Instanz definiert, die »einen Text in der Absicht wiedergibt, diesen Text zu tradieren, und nicht eine Überarbeitung anstrebt, die [ihr] eine anteilige Autorschaft zusprechen würde«.17 Schubert verweist jedoch zugleich auf die begriffliche Unschärfe im Spannungsfeld

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truncken«. Zu Stand und Fortgang der Varianzforschung, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 12 (2000), S. 35–47. So greift etwa Jürgen Wolf auf die vorgeschlagene Systematik im Rahmen seiner Untersuchungen zum »›Schreiber‹ als produktionstechnische[r] und literarhistorische[r] Größe« zurück (Wolf, Jürgen: Buch und Text. Literatur- und kulturhistorische Untersuchungen zur volkssprachigen Schriftlichkeit im 12. und 13. Jahrhundert, Tübingen 2008 [Hermaea, 115], S. 290–297). Astrid Breith bezeichnet Schuberts Aufsatz als »wichtige Orientierungshilfe« bei der Aufstellung ihrer eigenen Übersicht über Eingriffe in Handschriften des Zisterzienserinnenklosters Lichtenthal (Breith, Astrid: Textaneignung. Das Frauenlegendar der Lichtenthaler Schreibmeisterin Schwester Regula, Münster 2010 [Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit, 17], S. 48); vgl. ebenfalls Heinzle, Joachim: Zu den Handschriftenverhältnissen des »Nibelungenliedes«, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 137.3 (2008), S. 305–334, hier S. 324 m. Anm. 76; Bein, Thomas: Zum Verhältnis von Autor-Text und Redaktor- (bzw. Schreiber-) Text in mittelhochdeutschen Lyrikhandschriften, in: Autoren und Redaktoren als Editoren, hrsg. v. Jochen Golz, Tübingen 2008 (Beihefte zu Editio, 29), S. 3–17, hier S. 8. Schubert, Martin J.: Typologie [wie Anm. 12], S. 126. Vgl. ebd., S. 128: »Leider bleibt die Intention desjenigen, dessen Handschrift uns überliefert ist, in der Regel eine vage Größe. Nur wenn der paläographische, kodikologische und überlieferungshistorische Befund aufschlussreich ist, lassen sich begründete Vermutungen über Absichten aufstellen, die helfen können, den Überlieferungsgang mittelalterlicher Texte besser zu verstehen […]. Grundlage einer solchen Untersuchung können erhaltene Direktabschriften sein, also die üblicherweise als ›textkritisch wertlos‹ behandelten Handschriften«. Mit Clm 28141 bietet sich die komfortable Situation, trotz des Fehlens einer Direktabschrift über ein Redaktionsexemplar zu verfügen, in dem die Änderungen selbst sichtbar geblieben sind. Ebd., S. 131. Ebd., S. 127.

textüberliefernder Instanzen zwischen scriptor und auctor.18 Im Fall von Clm 28141 sind Tradierungsabsicht und Überarbeitungsabsicht nicht zu trennen, zumal eine Kategorie wie die der Autorschaft an dem Phänomen ›Biblia pauperum‹ vorbeigeht. Die Bearbeitung von Clm 28141 beinhaltet Arbeiten eines Schreibers, Korrektors und Redaktors gleichermaßen. Die Tätigkeit umfasst verschiedene der von Schubert festgehaltenen Eingriffstypen, sie geht aber verschiedentlich darüber hinaus, weshalb für die vorliegenden Untersuchungen eine Erweiterung bzw. Ergänzung der Systematik vorgenommen wird. Um der Multidimensionalität des Umgangs mit dem Biblia pauperum-Manuskript Rechnung zu tragen, soll im Folgenden weniger von der Instanz des ›Schreibers‹ als vom ›Bearbeiter‹ oder ›Traditor‹ ausgegangen werden, wobei zu eruieren sein wird, welcher Art der produktive Anteil dieses Traditors im Einzelfall ist.19 Schubert unterscheidet insgesamt sechs Typen von »Gründen für eine Abweichung von der Vorlage«,20 von denen drei mit wenigen Anpassungen für die Beschreibung von Clm 28141 übernommen werden können.21 Ergänzt um die Bearbeitung auf inhaltlich-konzeptueller Ebene und geordnet nach ihrer Nähe zur zunehmend redaktionellen Überarbeitung der Handschrift, lassen sich folgende Arten von Bearbeitungsspuren beobachten:

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Mit Bezug auf die Terminologie Bonaventuras vgl. ebd.; vgl. umfassend das Kapitel »Autor – Redaktor – Schreiber« bei Baisch, Martin: Textkritik als Problem der Kulturwissenschaft. Tristan-Lektüren, Berlin u. a. 2006 (Trends in medieval philology, 9), S. 37–53. Zum Begriff des Traditors vgl. Göttert, der von der »Grundsituation des mittelalterlichen Traditors« spricht, »für den das Weiterbilden ja selber ebenso als Erhalten gemeint ist, wie das Erhalten an das Weiterbilden geknüpft sein kann« (Göttert, Karl-Heinz: Die Spiegelung der Lesererwartung in den Varianten mittelalterlicher Texte [am Beispiel des Reinhart Fuchs], in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 48 [1974], S. 93–121, hier S. 102); vgl. auch Baisch, Martin: Textkritik [wie Anm. 18], S. 45; Schubert, Martin J.: Varianzforschung [wie Anm. 12], S. 43. Schubert, Martin J.: Typologie [wie Anm. 12], S. 127. Die Systematik umfasst Eingriffe, die über die sprachliche und formale bis zur weltanschaulichen Anpassung des Textes an den beabsichtigten Gebrauchskontext reichen: 1. sprachliche »Überführung des Textes«, 2. formale »Einrichtung des Textes«, 3. »Wiederherstellung des Textes« gegen Beschädigungen oder Fehler, 4. »Öffnung des Textes«, etwa auf ein verändertes Publikum hin, 5. »Unlautere und unernste Gründe«, 6. »Auswirkungen der Eugraphie« (u. a. Fragen der visuellen Organisation der Handschriftenseite) (ebd., S. 131).

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A. B. C. D.

Fehlerkorrektur;22 Formale Einrichtung des Textes;23 Öffnung des Textes;24 Inhaltlich-konzeptuelle Bearbeitung.

A. Fehlerkorrektur Zur Selbstverständlichkeit des mittelalterlichen Traditors gehört es, »daß das Geschäft des Tradierens das des ›Besserns‹ einschloß«:25 Anspruch ist demnach nicht die unveränderte, sondern die ›unverdorbene‹ Überlieferung eines Textes.26 Versuche, eine als fehlerhaft empfundene Vorlage zu korrigieren und zu einer ›unverdorbenen‹ Textform zu gelangen, können zum einen die Berichtigung versehentlicher Fehler und den Ersatz von Blattverlust oder -beschädigung umfassen, die auf eine Reparatur der Vorlage abzielen. Mit Eingriffen wie der Zusammenführung verschiedener Vorlagen oder dem Abgleich mit anderweitig verfügbaren Quellen beinhaltet dieser Typus zum anderen Vorgänge, die in den Bereich der redaktionellen Arbeit hineinspielen. Die mehrdimensionale Anlage von Clm 28141 als zweisprachige Handschrift mit mehreren, funktional 22 23 24 25 26

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Schubert Typ 3, vgl. ebd., S. 133–135. Schubert Typ 2, vgl. ebd., S. 132f. Schubert Typ 4, vgl. ebd., S. 136–138. Göttert, Karl-Heinz: Lesererwartung [wie Anm. 19], S. 100. Vgl. ebd. In Reformkontexten des Spätmittelalters gewinnen Genauigkeit und Sorgfalt bei der Buchherstellung so stark an Bedeutung, dass sie in das Selbstverständnis von Bewegungen wie der Devotio Moderna eingehen und in Ordensregeln verankert werden; vgl. exemplarisch Bischoff, Bernhard: Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters, hrsg. v. Walter Koch, 4., durchges. und erw. Aufl. Berlin 2009 (Grundlagen der Germanistik, 24), S. 61; sowie ausführlicher anhand eines Fallbeispiels Rouse, Mary A./ Rouse, Richard H.: Correction and emendation of texts in the fifteenth century and the autograph of the Opus pacis by »Oswaldus Anglicus«, in: Scire litteras. Forschungen zum mittelalterlichen Geistesleben, FS Bischoff, hrsg. v. Sigrid Krämer und Michael Bernhard, München 1988 (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Abhandlungen, N. F., 99), S. 333–346, hier S. 333–335. Letztere beschäftigen sich eingehend mit dem Opus pacis des Oswaldus Anglicus oder Oswald de Corda, einem 1417 entstandenen Traktat, der Leitlinien zur Textproduktion und -korrektur im Kartäuserorden formuliert, von dem aber ebenfalls Handschriften aus Bibliotheken der Brüder vom Gemeinsamen Leben überliefert sind (vgl. ebd., S. 338f., 344f.); vgl. auch Hamburger, Jeffrey F.: Rewriting History. The Visual and the Vernacular in late medieval History Bibles, in: Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur, hrsg. v. Joachim Bumke und Ursula Peters, Berlin 2005 (Sonderheft d. Zeitschrift für deutsche Philologie, 124 [2005]), S. 260–292, hier S. 289–291 mit weiteren Hinweisen.

unterschiedenen Textfeldern bringt dabei eine große Fehleranfälligkeit mit sich und macht besondere Adaptionsleistungen notwendig. Auf der Ebene der Berichtigung sachlicher Fehler finden sich in Clm 28141 etwa Veränderungen hinsichtlich der Quellenangabe der Prophetensprüche. In der typologischen Gruppe zum Bethlehemitischen Kindermord (fol. 3r) korrigierte man mehrfach die Zuordnung eines Prophetenspruches zum entsprechenden Propheten – von Jesaja über Salomo zu Hosea.27 Ähnliches findet sich in der Gruppe zur Reue Magdalenas (fol. 5v), wo ein Zitat aus dem Buch Sacharja zunächst Micha zugeschrieben worden war, dann aber berichtigt wurde.28 Eine denkbar häufige Fehlerquelle liegt in der Übersetzung aus dem Lateinischen ins Deutsche. In der zweiten lectio zur Verkündigung (fol. 1r), der Verkündigung der Geburt Isaaks an Abraham und Sara (Gen 18, 1–15), lässt sich dies an der Berichtigung von Tempusfehlern beobachten: Abraham empfängt und bewirtet die Männer, die ihm Gottes Prophezeiung von Saras baldiger Schwangerschaft überbringen. Die entsprechende lateinische Passage ist vollständig im Konjunktiv Plusquamperfekt gehalten, was im Deutschen in der Regel mit Indikativ Plusquamperfekt wiedergegeben wird. In der deutschen lectio, die sich eng an ihrem lateinischen Gegenstück orientiert, hat diese Konstruktion jedoch zu Problemen geführt: Das lateinische recipisset wurde zunächst präterital mit entpfing übersetzt, anschließend jedoch durch Streichung und Eintragung über der Zeile in das Partizip entpfangen geändert. Mithilfe dieser Korrektur wird die temporale Konstruktion vereinheitlicht, indem ein Bezug des Partizips auf das später im Satz folgende Hilfsverb het möglich wird. Es entsteht eine Plusquamperfekt-Konstruktion, die dem lateinischen Plusquamperfekt entspricht und mit dem folgenden Partizip (gehandelt) analoggeführt ist: 27

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Vgl. fol. 3r: ysaias; Salomo; Osee 8 [= Hos 8,4]: Ipsi regnauerunt et non ex me · principes extiterunt et non cognoui · Sie haben geherrscht vnd nicht aus mir · fursten sein sie gewesen · vnd hab sie nicht erkannt. Um bei Zitaten aus Handschriften eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten, werden Abbreviaturen aufgelöst. Mittelpunkt und Virgeln entstammen dem Original, übrige Interpunktionszeichen von mir. Streichungen kurzer Textteile werden mit Durchstreichung gekennzeichnet, bei Änderungen anderer Art und bei längeren Passagen erfolgt die Angabe der Bearbeitungsform durch Markierung in eckigen Klammern ([Erg.]; [Rasur]; [Streichg.]). Zitate aus Editionen folgen den Konventionen der Herausgeber. Vgl. fol. 5v: Micheas; Zacharias 1 [= Sach 1,3]: Conuertimini ad me et [Rasur: ego] conuertar ad vos · Kert euch wider zu mir vnd ich wird mich zu euch keren ·. Auf fol. 18r, der Grablegung Christi, wird der Name Salomos gestrichen, ohne dass dieser jedoch durch eine Ergänzung ersetzt worden wäre; vgl. fol. 18r: Salomon, Canticum II [= Hld 5,2]: Ego dormio · et cor meum vigilat · [Rasur: Reste einer roten Strichelung] Ich schlaff vnd mein hertz wachtt.

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In dem puch der schopffung an dem · xviij · capitel list man / das drey mann komen zu abraham / vnd [Erg.: so] er sie erlich entpfing [Erg.: angen] vnd gutlich gehandelt het Vnd sie von ym wider wolt lassen Do verkuntten sie ym / das sara sein hawsfraw wurd geperen ein sun nach einem Iar.29

Die Übersetzung bereitete auch im weiteren Verlauf Schwierigkeiten: Angesichts der Unwahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft im fortgeschrittenen Alter des Paares lacht die hinter der Tür stehende Sara – »sara risit post hostium tabernaculi« (= Gen 18,10). Die lateinische Präposition post wurde in der deutschen lectio zunächst etwas schematisch mit dem temporalen nach wiedergegeben, wodurch der Satz missverständlich bleibt. Die Bearbeitung korrigierte die Stelle jedoch durch Eintragung oberhalb der Zeile in das lokale hinter und stellt den Sinn des Satzes wieder her: »Do lachet sie nach [Erg.: hinter] der thür«.30 Mit Bezug auf Gerhard Schmitz geht Martin J. Schubert auf die Korrektur fehlerhafter Textstellen durch »Rückvergleich mit Quellentexten«31 ein, die jedoch zumindest im Bereich der von Schubert fokussierten höfisch-profanen Literatur sehr selten sei. Möglich sei ein solches Vorgehen nur unter bestimmten Bedingungen, nämlich dort, »wo sich intensives Textinteresse, sorgfältiges Arbeiten und eine fachlich bestückte und kompetent verwaltete Bibliothek oder eine günstige Konstellation von Überlieferungsträgern begegnen«.32 Im Bereich der geistlichen Literatur und der Produktion von Handschriften wie denjenigen der Biblia pauperum liegt der Abgleich mit der Bibel als dem zentralen und autoritativen Text nahe. Im Fall des Traditors von Clm 28141 treffen also Textinteresse und Sorgfalt zusammen mit einer handhabbaren Quellensituation; durch die vorwiegende Beschränkung auf die Bibel als Bezugstext – materiell in Form eines Codex oder geistig in Form fundierter Bibelkenntnis – kommt der Quellenabgleich ohne eine umfangreiche Bibliothek aus. In einem Prophetenspruch der Gruppe zur Anbetung (fol. 2r) wird eine Kürzung vorgenommen, die sich als Korrektur nach der Vulgata wahrschein-

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Das dritte Element dieser Handlungsaufzählung, vnd sie von ym wider wolt lassen, forderte offenbar nicht zu einer Angleichung heraus, obwohl in der lateinischen Lektion weiterhin Konjunktiv Plusquamperfekt steht (dimisisset). Da die Handlung des Satzes jedoch zwei aufeinanderfolgende Zeitstufen aufweist – zunächst Empfang und Bewirtung, anschließend Verabschiedung –, erscheint diese Unterscheidung im Deutschen plausibel. Alternativ wäre auch eine lokale Bedeutung im Sinne von »hin zur Tür« denkbar. In jedem Fall hat die Wiedergabe mit nach den Bearbeiter jedoch zur Änderung und Vereindeutigung der Stelle veranlasst, er hat sie also zumindest als missverständlich empfunden. Schubert, Martin J.: Typologie [wie Anm. 12], S. 135. Ebd.

lich machen lässt: Aus dem Spruch »fluent ad eum omnes populi et properabunt gentes« (= Mi 4,1–2) wird hier das Wort omnes gestrichen, das offenbar in dem bei der Bearbeitung herangezogenen Bibeltext nicht vorkam – in der heutigen Vulgata fehlt es. Zusätzlich wurde dem Zitierten am Innenrand der Seite das Wort multe hinzugefügt, womit die Sinneinheit des biblischen Satzes abgeschlossen ist.33 Die deutsche Übersetzung weist dieselbe Streichung auf: »Es werden zu ym fliessen alle völck vnd vil heyden werden nehen«.34 Aufschlussreich ist diese Stelle, da es in der Biblia pauperum-Überlieferung kaum Varianz hinsichtlich dieser Komponente gibt – zwar variiert die Passage insgesamt, die Formulierung ›alle Völker‹ bzw. ›Heiden‹ bleibt jedoch konsistent: Ysaie ij: Fluent ad eum omnes gentes & ibunt populi multi (Blockbuch)35 Micheas: Es werden zuo im fliesen alle völcker · (Heidelberg, UB, Cpg 59, fol. 3r) Es werden Im fleissend alle volk vnd die heiden werden nahend (München, BSB, Cgm 155, fol. 2r) Micheas: All diet wirt zu Im fliessen (Jena, Ms. El. f.51b, fol. 3v)36

Die Kürzung in Clm 28141 wurde also nicht mit Blick auf eine als Vorlage dienende ältere Biblia pauperum-Handschrift umgesetzt, sondern an einen anderweitig verbürgten Bibeltext angeglichen. Auch andernorts finden sich Korrekturen, die auf einen Abgleich mit der Vulgata schließen lassen. So wird etwa in der Gruppe zum Götzensturz (fol. 4v) das Prophetenzitat Sach 13,2 in beiden Sprachen um eine in der Bibel darauffolgende Angabe erweitert:

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Vgl. Mi 4,1–2: et in novissimo dierum erit mons domus Domini praeparatus in vertice montium et sublimis super colles et fluent ad eum populi et properabunt gentes multae. Eine Beurteilung, ob das Wort vil ebenfalls eine Ergänzung darstellt, ist nicht einwandfrei möglich – die Tinte ist hier geringfügig dunkler als im übrigen Satz, das Wort fügt sich jedoch bruchlos in die Zeile ein. Blockbuch des Typs Schreiber I (v.a. nach dem Exemplar Dresden, Sächsische Landesund Universitätsbibliothek, Mscr. Dresd. g.152.d). Zitiert nach: Biblia pauperum. A facsimile and edition, hrsg. v. Avril Henry, Aldershot 1987, S. 152. Wirth druckt die entsprechenden Passagen in vier weiteren Handschriften ab; sie stimmen sämtlich in Bezug auf die Formulierung ›alle‹ überein; vgl. Wirth, Karl-August: »Wer aber die… chvnigein (von Saba) sey gewesen, daz vindet man selten geschriben«, in: Bibelübersetzungen des Mittelalters, hrsg. v. Heimo Reinitzer, Bern u. a. 1991 (Vestigia Bibliae, 9/10), S. 471–533, hier S. 510.

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zacharias 13: In die illa disperdan[!]37 nomina ydolorum [Erg. in Bildraum: de terra] In dem tag wird ich zerstoeren die namen der apttgotter · [Erg. in nächster Zeile: von dem ertrich /] (fol. 4v).

Die entsprechende Stelle der heutigen Vulgata lautet vollständig: »et erit in die illa dicit Dominus exercituum disperdam nomina idolorum de terra et non memorabuntur ultra et prophetas et spiritum inmundum auferam de terra«. Clm 28141 kürzt somit die Inquitformel dicit Dominus exercituum (›sagte der Herr der Heere‹), vervollständigt aber mit dem in beiden Sprachen hinzugefügten de terra die erste Sinneinheit des biblischen Verses. Ergänzungen dieser Art stellen genaugenommen keine Fehlerkorrekturen dar, unter die sie bei Schubert gerechnet werden.38 In ihrem Bemühen um Vollständigkeit lassen sich diese Eingriffe auch als Bearbeitungsvorgänge beschreiben, die der formalen Einrichtung und Vereinheitlichung des Codex dienen. Um diese soll es im folgenden Abschnitt gehen.

B. Formale Einrichtung des Textes In der Systematik Schuberts werden unter dem Aspekt der ›Einrichtung‹ vor allem Änderungen der Textgliederung zusammengefasst, die die Einfügung von Zwischenüberschriften und Initialen oder die Textordnung innerhalb von Sammelhandschriften betreffen. Während »Eingriffe aus Gründen der Eugraphie«39 einen eigenen Typus bilden, zählen zum Typus der ›Einrichtung‹ diejenigen Eingriffe, die von Rezipienten und späteren Traditoren als Bestandteile des Textes wahrgenommen werden können und deshalb weitertradiert werden. Die Herstellung eines Codex wie Clm 28141, der mehrere Arten von Bildund Schriftelementen in teilweise doppelter, weil zweisprachiger Ausführung miteinander verbindet, stellt in dieser Hinsicht besondere Ansprüche an den oder die Beteiligten. Bei der Anlage einer zweisprachigen Handschrift müssen Texte übersetzt oder aus mehreren Vorlagen zusammengestellt und aneinander 37

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Das d ist Resultat einer überschriebenen Rasur, es ist also möglich, dass die Stelle in der Vorlage des Schreibers eine andere Textform aufwies. In anderen Handschriften finden sich verschiedene Varianten dieser Stelle, die wechselnde stilistische Vorlieben oder variierende Vertrautheit mit der lateinischen Sprache nahelegen. Vgl. etwa dispergam in Cpg 3974, fol. 253a (lat. dispergere = zerstreuen) oder disperiam in Cgm 341, fol. 6r (lat. disperire = umkommen). Schubert weist darauf hin, dass die Vervollständigung von Zitaten, die nicht immer im Abgleich mit einer Textgrundlage, sondern auch aus dem Gedächtnis erfolgen kann, mitunter selbst zur Fehlerquelle wird. Vgl. Schubert, Martin J.: Typologie [wie Anm. 12], S. 135. Ebd., S. 139–143, Zitat S. 139.

angepasst werden. Mangels direkter Vorlagen lässt sich für Clm 28141 keine gesicherte Aussage darüber machen, ob ein bereits zweisprachiges Manuskript zur Verfügung stand. Einiges spricht jedoch für eine Zusammenführung aus zwei separaten Vorlagen, denn die Mehrsprachigkeit der Texte hat an mehreren Stellen zu Angleichungsbestrebungen geführt und eine auf inhaltliche wie stilistische Parallelität der Texte zielende Bearbeitung provoziert.40 Ein solcher Anspruch auf Einheitlichkeit wirkt über die konkrete Textstelle hinaus auch auf die Form des Codex als Ganzem, weshalb sich diese Eingriffe als Spielart der Einrichtung des Textes behandeln lassen. An der Gruppe zur Verschwörung der Juden (fol. 8v) lässt sich dies demonstrieren. Dem Antitypus zugeordnet sind das Mordkomplott gegen Joseph (Gen 37,18–20) und Abschaloms Verrat an David (2 Sam 15); die Prophetensprüche umkreisen Themen der Beratung und Verschwörung. Bearbeitungsspuren finden sich an mehreren Stellen auf dieser Seite, so etwa Streichungen in den lectiones oder die Ergänzung von Abbreviaturen.41 Von besonderem Interesse in dem hier diskutierten Zusammenhang ist einer der Prophetensprüche: Das dem Brustbild Salomos zugeordnete Zitat wurde in seiner deutschsprachigen Variante korrigiert und an das lateinische angeglichen. Dieses entspricht der Vulgata: »Salomon prouerbia 21: Non est sapiencia · non est prudencia non est consilium contra dominum« [= Spr 21,30]. Das deutsche Äquivalent lautete: »Es ist kein klugheyt noch weysheyt noch kein ratt wider denn herrn«. Die ersten beiden Elemente der Aufzählung – klugheyt und weysheyt – wurden jedoch mithilfe von Doppelstrichen und mit den Buchstaben a und b so markiert, dass die Reihenfolge des lateinischen Textes in der Lektüre wiederhergestellt werden kann: »Es ist kein bklugheyt noch aweysheyt […]« entspricht nun »Non est sapiencia · non est prudencia«.42 Man achtete hier also auf die Parallelführung der Texte in beiden Sprachen. 40

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Cornell vermutet eine lateinische Hauptvorlage, zu deren Ergänzung eine deutschsprachige Handschrift hinzugezogen wurde, vgl. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 107. Vgl. etwa im Bereich der Prophetenzitate: Iacob genesi 49: In consilium eorum non veniat anima mea / In yren ratt sol mein sel nit kumen / [= Gen 49,6, Rasur/Erg. des a in veniat]; Dauid 30: In eo dum conuenirent simul aduersum me accipere animam meam [Erg. in Bildraum des Propheten: consiliati sunt]; Naum 1: quid cogitatis contra dominum · consummacionem ipse faciet Was gedenckt ir wider den herrn / [Rasur] er wirt [Erg. in dunklerer Tinte: vollendung] [Rasur] machen · [= Nah 1,9; im lat. Teil Erg. diverser Diakritika]. Ein analoges Beispiel für die Herstellung einer durch die Vulgata verbürgten Reihenfolge findet sich auf fol. 12r, der Verspottung Christi. Der lateinische Prophetenspruch zu Spr 19,29 lautete hier zunächst: Derisoribus parata sunt iudicia (übersetzt als: Den spottenden seyn bereyt gericht /). Die Vulgata bringt die Elemente in einer syntaktisch abweichenden Reihenfolge: Parata sunt derisoribus iudicia; diese Satzstellung lag offenbar auch dem

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Eine Sprachvermischung innerhalb eines Textelements, etwa durch Einsprengsel lateinischer Zitate in den deutschen Texten, wurde dabei jedoch vermieden. Offenbar wurde trotz konzeptueller Zweisprachigkeit Wert auf eine konsequente Handhabung der sprachlichen Aufteilung gelegt, denn in der typologischen Gruppe zur Seitenwunde Christi (fol. 17r) wurde ein lateinisches Zitat aus der deutschen lectio gestrichen: In dem puch des aufgangs43 list man / do moyses fueret das volck durch die buesten vnd vor durst murbeltten do schlug moyses von gepott gotz mit einer ruten [Rasur: auff] ein[Rasur: en] fels · do flussen mittiglich die wassr darauß · Der fels bedewt cristum von dem geschriben stet also / petra autem erat cristus [= 1 Kor 10,4] (fol. 17r).

Die Stelle aus dem 1. Korintherbrief reichert die lectio um ein zusätzliches Bibelzitat an, wird aber offenbar als Fremdkörper wahrgenommen. Die Übersetzung in die Volkssprache stellte hier vermutlich keine Option dar, weil es dann zu einer Dopplung des vorangehenden Satzteils (Der fels bedewt cristum) gekommen wäre. Bei der Bearbeitung von Clm 28141 wurde demnach der Korrektheit der Texte beider Sprachen besondere Bedeutung beigemessen. Maßgeblich bleibt die Vulgata; ihre Autorität und der damit verbundene Anspruch auf Fehlerlosigkeit strahlt jedoch über die Sprachgrenze hinaus und bewirkt eine akribische Überprüfung der volkssprachigen Übersetzung. Latein und Deutsch sind somit eng aufeinander bezogen, Clm 28141 wurde als genuin zweisprachige Biblia pauperum-Handschrift angelegt.

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Bearbeiter vor, denn er markierte die Wörter mit Zahlen und brachte sie so in eine andere Ordnung: Derisoribus3 parata1 sunt2 iudicia4. Auf fol. 9r lässt sich eine anders gelagerte Parallelisierung der lectiones beobachten. Die Gruppe zum Judaslohn zitiert die in Sach 11,12f. präfigurierte Bezahlung mit 30 Silberstücken. Der lateinische Prophetenspruch entspricht dabei dem Text der Vulgata: zacharias xi, 11 [!]: appenderunt mercedem meam argenteos xxx (fol. 9r). Das deutsche Äquivalent scheint sich im Laufe der Überlieferung verselbstständigt und an die Ereignisse der Evangelien angenähert zu haben; in Clm 28141 ist die Stelle jedenfalls zunächst um einen Bezug auf den Verkauf Christi erweitert worden, der anschließend jedoch gestrichen wurde: Sy haben mein lon angelegt vmb xxx pfennig / vmb die ich verkauft pin worden (ebd.). An dieser Stelle steht ein Einfügungszeichen; eine Marginalergänzung am Außenrand ist vorhanden (neben einigen unlesbaren Buchstaben schwach erkennbar ist die römische Zahl xvij), aber stark abgerieben. Die Stelle entspricht Ex 17,1–7.

C. Öffnung des Textes auf seinen Gebrauchskontext Ein dritter Typus von Bearbeitungsspuren in Clm 28141 lässt sich auf die Intention des Traditors zurückführen, die Handschrift für den ihr zugedachten Gebrauch vorzubereiten. Da diese ›Öffnung des Textes‹44 in der Regel im Hinblick auf ein bestimmtes Zielpublikum geschieht, ergeben sich aus Maßnahmen wie der Ausstattung eines Codex mit Benutzungshilfen, der Änderung von Namen und festen Wendungen oder der stilistischen Überarbeitung mitunter Hinweise auf den Gebrauchskontext. Namens- und Begriffsänderungen sowie stilistische Anpassungen finden sich auch in der Münchener Biblia pauperum Clm 28141. Zu beobachten sind sie etwa dort, wo Sätze durch zusätzliche Pronomina vervollständigt oder dort, wo Formulierungen rhetorisch durchgeformt werden. So wird in einer lectio zur Grablegung (fol. 18r) die Angabe, dass Christus drey tag vnd nacht im Grab verbracht habe, zu der parallelistisch konstruierten Figur drey tag vnd drey nacht erweitert und so gewissermaßen abgerundet.45 Namensänderungen liefern Indizien für einen gegenüber der Vorlage divergierenden Sprachgebrauch:46 So werden in den lectiones zur Höllenfahrt Christi die Namensformen Goliam und Sampson zwar nicht vollends konsequent, aber wiederholt und in beiden Sprachen zu Goliath und Samson verändert.47 44 45

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Typ 4 in der Systematik Schuberts, vgl. Schubert, Martin J.: Typologie [wie Anm. 12], S. 136–138. Vgl. fol. 18r, Grablegung: also burffen sie Inn In das mere do verschlickt [!] In ein grosß [Rasur: wal] fisch In dem was er drey tag vnd drey nacht. Vnd bedeut die begrepnuß cristi in die erden darynnen er was drey tag vnd [Erg. über der Zeile: drey] nacht ·. Ein Beispiel für die Änderung von Konjunktionen und Pronomina findet sich zu Beginn derselben Lektion: vnd [Erg.: da] kom ein groß vngewiter [Erg.: in dem m(eere?)] vnd [Erg.: sye] burffen das loß wer schuldig wer. Schubert nennt Beispiele der Änderung aufgrund sowohl diachroner als auch synchroner Verständnisschwierigkeiten, vgl. Schubert, Martin J.: Typologie [wie Anm. 12], S. 132, 136. Vgl. fol. 18v, Höllenfahrt: Diese Korrektur findet sich im lateinischen Titulus und der Lektion zum Typus David gegen Goliath; mit spitzer Feder wurde hier der erste Schaft des m in Goliam zu einem t verlängert, die beiden folgenden Schäfte erweiterte man durch Hinzufügung eines Bogens zum h. Möglicherweise wurde hier ein zuvor kopierter lateinischer Akkusativ als fehlerhaft erkannt und korrigiert. Beide lectiones zum Samson-Typus radieren das p in Sampson. Die entstandene Lücke wird teilweise durch Verbreiterung des m oder mit einem diagonalen Federstrich überbrückt. Der Titulus des SamsonTypus und die anschließende Gruppe zur Auferstehung (fol. 19r) sind von dieser Änderung jedoch nicht betroffen; hier steht weiterhin Sampson. Ein ähnlicher stilistischer Eingriff in die Jona-Lektion zur Grablegung (fol. 18r) besteht in der Änderung von walfisch zu fisch durch Rasur des ersten Wortteils. Vgl. ebenfalls die zweite Lektion zur Seitenwunde (fol. 17r, Moses schlägt Wasser aus dem Felsen) in der über einer Rasur das

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Über die stilistische Glättung hinaus verfügt der Codex mit dem konsequenten Nachtrag von Bibelstellen auch über Einfügungen, die einer systematischen Überarbeitung im Hinblick auf ein formales Konzept entsprechen und auf eine Anpassung an ein bestimmtes Publikum hinweisen.48 So werden den Prophetennamen regelmäßig die Angaben der biblischen Bücher beigegeben, denen das Zitat entstammt. Diese Präzisierungen finden sich tendenziell überall dort, wo biblische Bücher nicht mit dem Namen eines Verfassers verknüpft sind oder einem Propheten mehrere Bücher zugeschrieben wurden: Der Name Davids wird also beispielsweise um die Angabe des Psalters ergänzt,49 der Name Salomos um den Hinweis auf das Hohelied (Canticorum50 bzw. Canticum Canticorum51), das Buch der Weisheit (sapientie)52 oder das Buch der Sprüche (proverbia).53 Die deutschen lectiones in der gesamten Handschrift werden darüber hinaus um die Kapitelangabe der ausgelegten Bibelstelle ergänzt, obwohl der Marginalbereich der lateinischen lectio diese Information bereits in abgekürzter Form enthält.54 Diese wird i. d. R. im Bereich der Unterlängen mit umgekehrtem

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Wort petra mit dunklerer Tinte eingetragen wurde – hier wurde möglicherweise das in der Biblia pauperum-Überlieferung ebenfalls häufige silex ersetzt (Spuren in einer trotz der Rasur stehengebliebenen Strichelung lassen sich u.U. als Reste eines ehemals rubrizierten S interpretieren). Vielfach findet sich die Kombination silex sive lapis, vgl. dazu etwa München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 3974, fol. 261a, das von Avril Henry edierte Blockbuch, Gruppe ·f·, oder auch Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cpl 871, fol. 14r (vgl. die Editionen: Biblia pauperum. A facsimile and edition [wie Anm. 35], S. 156; Die Biblia pauperum im Codex Palatinus Latinus 871 der Biblioteca Apostolica Vaticana sowie ihre bebilderten Zusätze, Kommentarband, hrsg. v. Karl-August Wirth, Zürich 1982 [Codices e Vaticanis selecti quam simillime expressi, 51], S. 71). Mit Schubert ließe sich dies auch als »Anpassung […] an ein bestimmtes Formideal« bezeichnen, deren Einordnung in die Kategorie der Textöffnung er ebenfalls erwägt, vgl. Schubert, Martin J.: Typologie [wie Anm. 12], S. 137. Die Angabe des Psalms erfolgt v. a. zu Beginn des Codex, im Unterschied zu den sonstigen Ergänzungen jedoch nicht unterhalb des Prophetennamens, sondern rubriziert am Ende des Bibelzitats und somit vermutlich in einem separaten Arbeitsgang; vgl. fol. 2rv, 3v, 5r, 6rv. Ab fol. 8v beließ man es bei der Namensnennung. Vgl. fol. 18r, 22r und öfter. Vgl. fol. 15v u.ö. Vgl. fol. 16v u.ö. Vgl. fol. 11v, 12r. Hin und wieder finden sich Verweise auf Bibelstellen auch innerhalb der Textblöcke, so etwa in einer Lektion zu den drei Jünglingen im Feuerofen als Typus der Verklärung Christi: et vox patris audita est / Mt xvij · hic est filius meus dilectus [= Mt 17,5] (fol. 5r, Herv. MR). Vgl. etwa die erste Lektion zur Kreuzigung, fol. 16v mit arabischer 22 auf Höhe der ersten Zeile am Seiteninnenrand. Die lateinische Lektion beginnt wie folgt: Legitur Genesi Cum extendisset gladium abraham super filium ymolandum / [= Gen 22,10].

V als Einfügungszeichen markiert und erfolgt als ausformulierter Text in der Form an dem … ca[pitel].55 Hier wird ein Bedürfnis nach Vollständigkeit sichtbar, die die vermittelten Inhalte nach einer konsequent gehandhabten Ordnung darbietet, wodurch diese vom Rezipienten gleichzeitig genutzt werden kann, um die Beschäftigung mit dem Gelesenen zu vertiefen: Konkrete Stellenangaben ermöglichen das Aufsuchen der entsprechenden Passagen in der Bibel. Die Verdopplung der Angaben in den deutschen lectiones lässt sich als Hinweis darauf lesen, dass bestimmte Rezipientengruppen nur Teile der Handschrift lasen oder wenigstens auf eine Ergänzung des lateinischen Textes durch eine volkssprachige Entsprechung angewiesen waren. Auch die Auflösung der im Marginalbereich der lateinischen lectiones abgekürzt angegebenen Bibelstellen lässt sich in diesem Sinne als Hilfestellung verstehen: Noch im 16. Jahrhundert entstehen an Laien gerichtete Handbücher, die dezidiert in Techniken des Marginalien- und Zahlenlesens einführen, um den Adressaten die Entschlüsselung von Bibelstellen zu ermöglichen. So setzt das Enchiridion des Basler Schulmeisters Johannes Kolroß die Fähigkeit des Lesens bereits voraus, bietet aber eine umfassende Erklärung der Zahlensysteme an.56 Er bezeichnet die Zahlzeichen des römischen Systems als Tütsche oder gemein tütsch zal und unterscheidet sie von den zifer zal genannten arabischen Ziffern, deren

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Vgl. fol. 16v, Kreuzigung: »In dem puch der schopffung ^ [Erg.: an dem xxii capitel] list man do abraham ausß getzog sein schwert vber seinen sun ysaac […]«. Je nach Ausführlichkeit des bereits vorhandenen Textes wird auch die vollständige Angabe von Buch und Kapitel nachgeliefert, vgl. fol. 17v, Beweinung: »Man list [Erg.: in dem iij puch der kunig an dem xxiij capitel] do der kunig yosias got gefolget het […]«. In der Anbetungsgruppe findet sich eine noch umfangreichere Angabe, die im Gesamtbild der Handschrift jedoch isoliert steht. Vgl. fol. 1v: lucas an dem ersten capitel schreibt sines euangelis scheibt [!] […]. Zu Form und Gebrauch von Ergänzungszeichen bei Korrekturen mittelalterlicher Handschriften vgl. Schneider, Karin: Paläographie und Handschriftenkunde für Germanisten. Eine Einführung, 2., überarb. Aufl. Tübingen 2009 (Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte, 8), S. 148–151, bes. S. 150. Als am weitesten verbreitete Zeichen gibt Schneider »ein umgekehrtes V, Kreuze, parallele Schrägstriche« an, die auch das Inventar der Markierungen in Clm 28141 bilden (ebd., S. 150). Vgl. Kolroß, Johannes: Enchiridion, das ist, Handbüchlin tütscher Orthography, hochtütsche Spraach artlich zeschryben unnd läsen, sampt einem Registerlin über die gantze Bibel, wie man die Allegationes unnd Concordantias, so im Nüwen Testament näbend dem Text und sonst mit halben latinischen Worten verzeichnet. Ouch wie man die Zifer und tütsche Zaal verston sol, [Erstdruck Basel, Wolff 1530] Zürich, Froschauer 1564. Erstdruck ediert in: Quellenschriften und Geschichte des deutschsprachlichen Unterrichtes. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, hrsg. v. Johannes Müller, Gotha 1882, S. 64–91.

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Entschlüsselung augenscheinlich größere Probleme bereitet.57 Kolroß’ Anliegen berührt dasjenige von Clm 28141, indem das Enchiridion nämlich zur eigenständigen Lektüre der Bibel und anderer geistlicher Literatur befähigen will. Die Erklärung der arabischen Zahlen dient dem Verständnis der Marginalien, die, so Kolroß, in den Bibelausgaben arabische Ziffern mit »Allegationes vnnd Concordantias biblischer b)cher« kombinieren und »n ben dem text an rteren« angebracht sind.58 Kolroß’ Publikum richtet sich einerseits an Schüler der deutschen Schulen, andererseits aber an den erwachsenen, ›verstendigen leyen‹,59 der die Bibel lesen und verstehen will. Die konstatierte fehlende Vertrautheit mit verschiedenen Zahlsystemen und mit der Praxis der Marginalkommentare böte mit einer Erklärung für die Auflösungspraxis der Bibelstellen in Clm 28141 somit auch einen Hinweis auf das vom Bearbeiter intendierte Publikum: Die kürzere, aber komplexe Angabe der Bibelstellen im Marginalbereich erfordert eine Textkompetenz, die noch im 16. Jahrhundert eher bei lateinkundigen als bei volkssprachigen Lesern zu erwarten ist. Die deutschen Teile der Handschrift rechnen dagegen augenscheinlich mit Lesern ohne eine solche Vorbildung: Um ihnen die Lektüre zu erleichtern, werden die Siglen der biblischen Bücher übersetzt und ausgeschrieben, die ursprünglich arabischen Ziffern der Kapitelnummern übersetzte man in das römische System und die gesamte Angabe bettete man in den deutschsprachigen Fließtext ein.

D. Inhaltlich-konzeptuelle Verschiebungen Die semantischen Verschiebungen, die die Bearbeitungen in Clm 28141 verschiedentlich zur Folge haben, lassen sich am besten an einem zusammenhängenden Abschnitt mehrerer typologischer Gruppen betrachten. In der Passage von der Kreuzigung bzw. Seitenwunde bis zur Auferstehung Christi, fol. 17r–19r, sind dabei besonders auffällige Veränderungen vorgenommen worden. Fol. 17r vereint den Antitypus der Seitenwunde mit den Typen der Erschaffung Evas (Gen 2) und der Erzählung von Moses, der während der 57

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Kolroß, Johannes: Enchiridion [wie Anm. 56], fol. 36v. Karin Schneider nennt erste vereinzelte Belege für die Verwendung arabischer Ziffern in Europa für die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts. Erst im Laufe des Spätmittelalters fanden diese verbreiteter Anwendung (vgl. Schneider, Karin: Paläographie [wie Anm. 55], S. 97). Kolroß, Johannes: Enchiridion [wie Anm. 56], fol. 2rv. Das fünfte Kapitel bietet eine Liste mit ausführlicher Auflösung und Erklärung der Abkürzungen biblischer Bücher (vgl. ebd., fol. 26v–31v). Vgl. Kolroß, Johannes: Enchiridion [wie Anm. 56], fol. 2v.

Wüstendurchquerung Wasser aus einem Stein fließen lässt (Ex 17, Num 20). Die typologischen Bezüge zum Antitypus bestehen also einerseits in der analogen seitlichen Öffnung des Körpers und andererseits im Fließen des Wassers aus Stein bzw. Wunde.60 Dem Programm der Biblia pauperum-Handschriften entsprechend, nehmen die lectiones der Gruppe diese Analogien auf und liefern eine Auslegung der einzelnen Elemente. Gerade hier wurden Eingriffe in den Text vorgenommen, die über das bisher besprochene Maß deutlich hinausgehen, indem nämlich ganze Passagen des Textes gestrichen und durch anderen Text ersetzt wurden. Dadurch, dass die Tilgung größtenteils nicht per Rasur, sondern mittels Durchstreichen erfolgte, sind eine beinahe vollständige Rekonstruktion des ursprünglichen Textes und ein Vergleich mit der geänderten Fassung möglich. Aus den Details der Bearbeitung lassen sich Rückschlüsse auf das Vorgehen und die Motivation des Bearbeiters ziehen.

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Der Gruppentitulus erwähnt keinen dieser Aspekte, sondern spricht von der Kreuzabnahme: De cruce deponitur cristus reuerenter humatur / von dem crewtz wirt cristus genumen vnd erlich begraben. In Cornells Zusammenstellung der Tituli ist dieser Titulus nicht verzeichnet (vgl. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 40). Die beschriebene Inkongruenz ließe sich als Indiz dafür lesen, dass die Handschrift aus mehreren Vorlagen zusammengestellt wurde und an dieser Stelle divergierende Überlieferungstraditionen für Übertragungsschwierigkeiten gesorgt haben. Auch in anderen Handschriften der München-Londoner Familie lässt sich eine solche Vermengung der Seitenwunde mit der Kreuzabnahme beobachten: So thematisiert der Gruppentitulus in München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 155, fol.  17v, mit dem Fließen von Wasser und Blut die Seitenwunde Christi, die Miniatur zum Antitypus zeigt jedoch die Kreuzabnahme; diese Kombination kommt auch in anderen Handschriftenfamilien vor (vgl. Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 4], S. 40). Die häufig im Kontext der Seitenwunde angesprochene Lanze des Longinus wird gemeinsam mit anderen Arma Christi im Gruppentitulus zur vorangehenden Kreuzigung erwähnt (vgl. München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 155, fol. 17r). Die Handschrift Wolfenbüttel ist hier konsequenter, amalgamiert aber ebenfalls Kreuzigung und Seitenwunde und zeigt die Miniatur der Seitenwunde gemeinsam mit den sonst zur Kreuzigung gehörigen Typen ›Opferung‹ und ›Erhöhung der Schlange‹; textlich stimmt sie mit dem Gruppentitulus der Kreuzigung in Cgm 155 überein (vgl. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 69.6.a Aug. 2°, fol. 13v); Cgm 3974 führt in der Gruppe mit den lectiones zur Seitenwunde (›Erschaffung Evas‹, ›Felsenschlag des Moses‹) den Gruppentitulus De deposicione corporis xpi de ligno sancte crucis und betont so neben dem Holz des Kreuzes die Grablegung (München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 3974, fol. 263r). Nach der Gruppe zur Beweinung Christi erfolgt die Wiedergabe der Grablegung in den lectiones der darauffolgenden Gruppe (›Joseph im Brunnen‹, ›Jona im Wal‹), hier jedoch kombiniert mit der Ankündigung einer zusätzlichen Beweinung, deren Typen ›Trauer um Jakob‹ und ›Trauer Davids um Absalon‹ anderswo wiederum der Kreuzabnahme zugeordnet sind: De sepultura xpi et planctu mulieribus (Cgm 3974, fol. 264r).

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So strich der Bearbeiter mehr als sechs der ursprünglich zehn Zeilen der lectio zur Erschaffung Evas. Die lectio beginnt, dem Schema dieses Formteils gemäß, mit der Angabe der Bibelstelle und der Nennung der Analogiebeziehung: In dem puch der schopffung [Erg.: an dem andern capitel] list man das auß der seytten ade wurd gemacht eua. Also ward auch an dem kreutz von der offnung der seytten cristi gemacht […] (fol. 17r).

Der zweite Teil der Auslegung wurde bearbeitet und in großen Teilen mit einer diagonalen Schraffur versehen; so wird beinahe die gesamte Auslegungspassage gestrichen und durch eine wenige Worte umfassende Formulierung ersetzt. In der ursprünglichen lectio folgt ein langer Abschnitt über die Erlösungstat Christi, mit der die Welt von den Sünden gereinigt und die in der Vorhölle gefangenen Altväter befreit wurden: Also ward auch an dem kreutz von der offnung der seytten cristi gemacht [Rasur] der sacrament gantze sterck vnd krafft / [Streichg. des Folgenden: vnd ist das (korrigiert: der) tewrre lon vnd das starck gesigen dardurch die welt von dem plut vnd von dem wasser gereinigt vnd gewaschen / worden ist von aller unreinigkeyt der sunden / dardurch auch die gefangen erlost sein vnd der helle schloß von Irem gewalt zeprochen t> GPMS 

Die Bearbeitung streicht jedoch rigoros sämtliche Aspekte, die über die Stiftung der Sakramente hinausgehen und beschränkt sich auf die Analogie zwischen Typus und Antitypus – die Seitenwunde: […] Also ward auch an dem kreutz von der offnung der seytten cristi gemacht die heilig kirch [Erg.: aus welher geflossen ist] der sacrament gantze sterck vnd kraft / (fol. 17r).

Motiviert ist diese Kürzung vermutlich aus der Absicht, die lectio an ihr lateinisches Gegenstück anzugleichen. An ihr lässt sich jedoch auch im Detail beobachten, welche variablen Ausprägungen das Verfahren des typologischen Denkens annehmen kann:61 Die erste Fassung bringt zusätzliche Aspekte assoziativ in die lectio ein, wodurch der Text angereichert und stärker in das Narrativ der Heilsgeschichte eingebunden wird. Die gekürzte Fassung setzt dem eine Reduktion auf den Kern des typologischen Bezugs entgegen, in deren System zusätzliche Informationen keinen Platz haben und die einer Rationalisierung gleichkommt. Die lateinische lectio ist in der Beschreibung der Analogie ausführlicher als die gekürzte deutsche lectio, bleibt aber im Rahmen des Systems, indem sie sich auf das tertium comparationis der Seitenöffnung beschränkt: 61

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Für ähnliche Beobachtungen im Bereich des Bildes und der visuellen Organisation der Handschriftenseite siehe den Beitrag von Hanna Wimmer in diesem Band.

Legitur Genesij capitulo ij quod cum adam obdormisset dominus costam de latere eius tulit et formauit de ea mulierem. Adam dormiens cristum in cruce iam mortuum designat / de cuius latere fluxit sangwis et aqua in signum illius vt intelligamus omnia de latere cristi sacramenta effluxisse / cum miles lancea sua latus cristi aperuit· (fol. 17r).62

Bei der Betrachtung der Seitenwunde spielen Aspekte wie das Zerbrechen der Höllenpforten und die Erlösung der Altväter aus der Vorhölle demnach für den Bearbeiter keine Rolle und werden als störend empfunden. Ihre Tilgung in der lectio dieser Gruppe kommt jedoch keiner grundsätzlichen Vermeidung gleich, denn sie kehren in anderen typologischen Gruppen wieder und bilden dort zentrale Elemente. Die Errettung der Gerechten steht im Zentrum der Höllenfahrt Christi und bildet auf fol. 18v eine eigene typologische Gruppe, deren Typen – Davids Sieg über Goliath und Samsons Sieg über den Löwen – in den lectiones explizit auf die Erlösung der Altväter hin ausgelegt werden: […] Sic cristus quando a mortuis resurrexit de inferno liberauit et a dyabolica potestate exeunt et ipsum dyabolum in sua potestate debilitauit · […]63 Dauid bedewt cristum ee er auff erstund von dem tod / do zuprach er die helle / vnd nam dem teuwffel seinen gewalt vnd erloest die lieben altuetter auß der vorhelle · (fol. 18v). Sampson cristum signat qui leonem hoc est ipsum dyabolum occidit quando de eius potestate hominem liberauit […]64 [Rasur/Erg.: Sam]son bedewt cristum der leb den tewffel Do cristus noch seiner heyligen verschidung absteyg zu den hellen do entrawbt er den fillistigen tewffel seiner sterck vnd gewaltz vnd erlost die lieben altuetter die vil hundert Iar zu ym geschriren [!; r erg.] hetten · / (ebd.)

In der darauffolgenden Gruppe zur Auferstehung Christi (fol. 19r, Abb. 62) wird eine lectio in beiden Sprachen um genau diese Elemente ergänzt; die Wiederholung insistiert geradezu auf der Bedeutung der Ereignisse während der Höllenfahrt. Die Streichung aus der Seitenwunde-Gruppe ist demnach nicht dadurch bedingt, dass die Szene nur einmal erwähnt werden dürfte, sondern sie ist durch die Konzentration auf die Beziehung von Typus und Antitypus inhaltlich motiviert. Die Gruppe zur Auferstehung erscheint in diesem Sinne geeigneter, um die Erlösung der Gerechten aufzunehmen. Dem Antitypus beigeordnet sind Samson, der die Tore Gazas auf den Berg trägt, und Jona, der dem Wal entsteigt. Die Analogie zwischen Typus und Antitypus besteht also im ersten Fall in der wundersamen Öffnung verschlossener Türen, im zweiten Fall in der Rückkehr in die Welt nach dreitägigem Aufenthalt. Die zweisprachige 62 63 64

Diese Lektion findet sich wörtlich auch in Cpl 871, fol. 14r, vgl. Die Biblia pauperum im Codex Palatinus Latinus 871 [wie Anm. 47], S. 71. Entspricht Cpl 871, fol. 15v mit der Ausnahme von exemit statt exeunt, vgl. ebd., S. 74. Clm 28141 liest hier jedoch deutlich exenjt. Entspricht Cpl 871, vgl. ebd.

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lectio zu Jona ist kaum bearbeitet worden;65 die lectio zu Samson hingegen verdient eine genauere Betrachtung. Auch hier beziehen sich die Veränderungen vor allem auf die Auslegung der typologischen Beziehung, wobei die Auslegung des lateinischen Teils vollständig durchgestrichen und mit einem Alternativtext am Fuß der Seite ersetzt wurde. Der Beginn der ursprünglichen lateinischen Auslegung ist durch Rasur entfernt worden und nicht rekonstruierbar; die anschließend nur durch Streichung getilgten Passagen lassen jedoch erkennen, dass die lectio in ihrer Erstfassung zunächst in den weiteren Kontext der Samson-Vita eingebettet war. In dieser Fassung wurde neben Samsons Aufenthalt in Gaza (de ciuitate gaza) auch die Liebe Samsons zu seiner Frau (amore sponse sue)66 einbezogen und zu der Ereignisfolge um Christi Tod und Auferstehung in Beziehung gesetzt: Die menschliche Natur habe ihn dazu gezwungen (coegit) und angetrieben (incitauit), nach Tod, Grab und Auferstehung zu streben und durch den Einsturz der ehernen Tore den Tod zu besiegen: Sampson fortissimus cristum signat victoriosum qui [Rasur von einer halben Zeile, anschließend Streichg: de ciuitate gaza et amore sponse sue [x?] humana natura eum adhoc coegit et incitauit vt certaret vsque ad mortem sepulturam et resurrexionem / portas que ereas rvini mortis vicit · ] (fol. 19r).

Die Bearbeitung hingegen, die mit Einfügungszeichen markiert und am unteren Seitenrand ergänzt wurde, setzt den Akzent auf die Auferstehung bei Mitternacht und die Erlösung der Seelen: Sampson fortissimus cristum signat victoriosum qui [Erg.: sua potencia portas inferni destruxit et morte deuicta / media nocte resurgens / gloriose de hostibus triumphauit] (fol. 19r).

Die neue Fassung der Auslegung betont somit ebenfalls die Zerstörung der Höllentore und den Sieg Christi über Tod und Teufel; die in der Erstfassung enthaltenen übrigen Elemente aus der Vita Samsons werden jedoch weggelassen. Während in der lateinischen lectio ein ganzer Absatz gestrichen werden musste, ließ sich der Text der deutschen lectio für die Bearbeitung in Teilen 65

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Legitur in libro Ione prophete capitulo ii quod cum ipse ionas fuisset in ventre ceti tribus diebus et tribus noctibus postea piscis eum [Rasur/Erg.: euomuit in] aridam. Ionas cristum signat qui de sepulchro tertia die resurrexit · Man list in dem puch Ione [Erg.: an dem andern capitel] do er was in dem fisch drey tag vnd drey nacht vnd ruft zu got der erhoert In vnd der fisch warff in auf das ertreich Ionas bedewt cristum der an dem dritten tag auf erstund von dem grab mit seiner gotlichen kraft (fol. 19r). Ob damit Samsons Verlobte in Timna (Ri 14–15), die in Ri 16,1 erwähnte Prostituierte oder die spätere Geliebte Dalila gemeint sind, bleibt offen.

weiterverwenden und um einen Schlussteil erweitern. Die lectio ist relativ kurz und paraphrasiert die Handlung um Samsons ›Krafttat‹ damit, »Das sampson in seiner gefencknuß zu mitternacht auff stund vnd die pforten der stat zu styß / vnd trug die selbigen eren pforten mit Im auff einen hohen perck«. Die sich daran anschließende kurze Auslegung, die offenbar noch während des ursprünglichen Schreibprozesses ein erstes Mal korrigiert worden war,67 wurde in der dunklen Tinte des Bearbeitungsdurchganges verändert und am Seitenende um eine Textpassage ergänzt, die eng an der Ergänzung in der lateinischen lectio orientiert ist: Sampson bedewt […] vnsern herrn ihm cristum das der nach seiner marter vnd tod auff erstund [Erg.: die pforten der helle zuprach · vnd zu mitternacht erstanden ist vnd sig vber sein feind gehabt hat] (fol. 19r).

Erneut lässt sich also das Bedürfnis beobachten, in beiden lectiones den gleichen Inhalt zu präsentieren. Zudem führen die gekürzten, ersetzten und bearbeiteten Passagen zu einer Straffung und Verdichtung des typologischen Bezuges zwischen Typus und Antitypus. Während die Gruppe zur Seitenwunde die Rettung der Gerechten und das Zerbrechen der Höllentore streicht und sich ganz auf die in der Seitenwunde gestifteten Sakramente konzentriert, evozieren die Typen zur Auferstehung genau diese Aspekte und werden dementsprechend der knappen existierenden Auslegung hinzugefügt. Die anders gelagerte Ausschmückung der lectio durch Stationen der Vita Samsons hingegen fällt der Redaktion zum Opfer: Überflüssiges wird aussortiert, Fehlendes nachgeliefert oder umakzentuiert. Weitere Fälle dieses Bearbeitungsprogramms ließen sich anführen. In der Gruppe zum Bethlehemitischen Kindermord etwa wird in den deutschen lectiones zunächst nur ein Bezug zu den von Herodes getöteten Kindern hergestellt – erst die hastig hinzugefügte Ergänzung führt die Analogie zum geopferten Christus aus.68 Die lectio zu Davids Tanz vor der Bundeslade als Typus zum Marientod 67

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Der kurze Satz wurde in der hellbraunen Tinte der ersten Niederschrift in Teilen durchgestrichen und um eine Erweiterung ergänzt, die jedoch nicht problemlos an den Satzanfang angeschlossen wurde: Sampson bedewt die sighafften tigen vrstend vnsern herrn ihm cristum das der nach seiner marter vnd tod auff erstund (fol. 19r, die letzte Streichung in dunkler Tinte). Vgl. fol. 3r mit dem Ende der lectio zu Sauls Priestermord (1 Sam 22,6–23): Saul bedewt den wütenden herodem / Vnd die priester die vnschuldigen kindlein [Erg. in schwacherer Tinte und kursiver gesetzten Buchstaben: vnd dauid xpm vnsern heren · /]; vgl. die lectio zu Athaljas Morden am Königsgeschlecht Ahasjas (2 Kön 11): Die vnguttig athalia bedewt herodem den t der der vnschuldigen kindlein · [Erg. ähnlich wie oben, schwächere Tinte: vnd daz kint yoab bedewt xpm.]

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(fol. 23r) wies in der ersten Fassung keinerlei Auslegung des typologischen Bezuges auf; eine sechszeilige Ergänzung holt dies nach.69 Allen diskutierten Fällen ist gemeinsam, dass die Analogiebeziehung zwischen Typus und Antitypus durch die Bearbeitung verdeutlicht und verdichtet wird.

Dem Traditor über die Schulter geschaut. Retextualisierung und typologisches Denken Die Übergänge zwischen den beschriebenen Eingriffstypen sind fließend und vielfach bestehen Überschneidungen in Funktion und Reichweite der Änderungen. Abschließend soll der Versuch unternommen werden, einige charakteristische Züge des Programms zusammenzustellen, das der Traditor von Clm 28141 bei seinem Vorgehen verfolgt. Bei allen Änderungen operiert der Bearbeiter stets im Rahmen des Bestehenden; das typologische Prinzip selbst und die Basiskonfiguration des Codex in Gruppenfolge, Bildprogramm und visueller Organisation der Handschriftenseite bleiben unverändert. Das übernommene Anlageprinzip der Handschriften bietet dem Traditor von Clm 28141 jedoch offensichtlich weiterhin vielfältige Möglichkeiten zum Um- und Weiterbearbeiten des Materials; innerhalb des existierenden Spielraums erstrecken sich die Bearbeitungsspuren über eine große Bandbreite und reichen von der rein punktuellen Fehlerkorrektur bis zur gruppenübergreifenden Umakzentuierung der typologischen Bezüge zwischen Altem und Neuem Testament. Dieses Vorgehen lässt sich als Ausprägung eines mittelalterlichen Umgangs mit Überlieferung lesen, dessen Theoretisierung unter dem Begriff der ›Retextualisierung‹ vorgeschlagen wurde. ›Retextualisierung‹ dient dabei als Dachbegriff für 69

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Vgl. fol. 23r: In dem ersten [Erg.: puch paralipomenon · an dem xv capitel ·] list man do dauid bereyt het [Rasur: die] [Erg.: stat der] archen gottes von den holtzern liban / do ließ er sie fueren [Erg.: in dye stat ierusalem] mit grossen frewden vnd frolocken vnd er was frolich von gantzen seinem hertz vnd schlug die harpffen vor der archen · [= 1 Chr 15] / [Erg.: dye arch bedewt dye aller seligste iungfrawen maria dye muter gotes dye vnser herr cristus eyn kunig der kunig der war dauid / starck in der hant / hat gefurt von dieser werlt vnd sye mit frolocken henpfangen in dye seligen stat / dye ir von ewikait ist von jm berait · /]. Beim zweiten Typus handelt es sich um die Begrüßung Davids durch Abigail (1 Sam 25); deren Auslegung mit der Gebetsformel darzu vns auch got helff endet und auf die Endposition dieser Gruppe in einer früheren Überlieferungsstufe hindeutet (vgl. die einzige weitere Gebetsformel in der tatsächlichen Schlussgruppe dieses Manuskripts, Jüngstes Gericht, fol. 24r: zu dem vns allen helff got der vater der sun vnd der heylig geyst · amen · finis).

Verfahren des Wiedererzählens, Um- und Weiterbearbeitens oder Fortsetzens, deren Gemeinsamkeit in einer produktiven »Arbeit am Text«70 bzw. am ›Material‹ besteht.71 Retextualisiert wird zunächst ganz grundlegend die Überlieferung der Biblia pauperum selbst, deren Tradition fortgeführt, aber gleichzeitig aktualisiert wird.72 Mit der Konsultation der Vulgata, der Überprüfung von Übersetzungen und der Vervollständigung von Sinneinheiten demonstriert die Bearbeitung eine beinahe textkritisch anmutende Souveränität gegenüber der Überlieferung. Sie tritt aus der linearen Tradierung der Texte durch Abschreiben heraus und zieht die Bibel als externen – gegenüber dem Textkonglomerat der Biblia pauperum offensichtlich autoritativeren – Text heran. Die Änderungen deuten somit auf einen ›fürsorglichen‹ Schreiber, der den von ihm bearbeiteten Codex sorgsam betreut und sich dabei möglichst genau absichert.73 Die Übertragung und Präzisierung von Bibelstellen dient dabei nicht nur der systematischen Vervollständigung, sondern führt den Leser zugleich aus der Handschrift heraus: Mithilfe der eingefügten Stellenangaben lassen sich Bibelpassagen nachschlagen; die

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Bumke, Joachim/Peters, Ursula: Einleitung, in: Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur, hrsg. v. Joachim Bumke und Ursula Peters, Berlin 2005 (Sonderheft d. Zeitschrift für deutsche Philologie, 124 [2005]), S. 1–5, hier S. 2; einen knappen Forschungsüberblick zu diesem und verwandten Ansätzen bietet Nemes, Balász J.: Re-Skript und Re-Text − Wertlos und entstellt? Oder: Über die guten Seiten einer »schlechten« Eckhart-Handschrift (Ein Fundbericht), in: Zeitschrift für deutsche Philologie 131 (2012), S. 73–102, bes. S. 80; mit Blick auf den weiteren Kontext mittelalterlicher Textualität vgl. umfassender Baisch, Martin: Textkritik [wie Anm. 18], S. 1–98. Mit Rücksicht auf die spezifischen Bedingungen bildlicher oder multimedialer Werke schlug Jeffrey Hamburger als Alternative zum Retextualisierungsbegriff den Terminus ›Repiktorialisierung‹ vor. Vgl. Hamburger, Jeffrey F.: Rewriting History [wie Anm. 26], S. 266. Phänomene wie die Biblia pauperum, bei denen die Mehrdimensionalität von Schrift, Bild und Seitendisposition eine konstitutive Rolle spielt, lassen sich damit ebenfalls schwer fassen, weshalb hier vorerst ein erweiterter Textbegriff in Anschlag gebracht wird, wonach ›Text‹ für dasjenige steht, was als Merkmalsbündel der Biblia Pauperum wahrgenommen und überliefert wird. Zum Potenzial der intertextualitätstheoretischen Konnotation des Begriffs vgl. auch ebd., S. 262f. Hier wäre ebenfalls nach dem Verhältnis zwischen dem Re-Text Biblia pauperum zum Prä-Text der Evangelien zu fragen, der in den lectiones in Ausschnitten präsentiert wird. Das von Jürgen Wolf modellhaft skizzierte ›fürsorgliche‹ Skriptorium lässt den von ihm vervielfältigten Codices sowohl hinsichtlich ihrer äußeren, materiellen Gestaltung als auch in ihrer Textgestalt eine umfassende Betreuung zukommen, »d.h. es wird geprüft, redigiert, korrigiert und ggf. aus den Ressourcen der eigenen (Kloster-)Bibliothek oder über eigens beschaffte parallele Handschriften verbessert« (Wolf, Jürgen: Das »fürsorgliche« Skriptorium. Überlegungen zur literarhistorischen Relevanz von Produktionsbedingungen, in: Das Mittelalter 7 [2002], S. 92–109, hier S. 95).

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Biblia pauperum-Handschrift Clm 28141 befähigt den Rezipienten somit, die Auseinandersetzung mit dem Gelesenen eigenständig zu vertiefen.74 Retextualisiert wird ebenfalls in Form einer Aufbereitung der Biblia pauperum für ein verändertes Publikum, denn die Bearbeitungsspuren geben Hinweise auf das erwartete Rezipientenprofil des Codex: Zwar geht die Wiedergabe des lateinischen Textes von Lesern aus, die wenigstens rudimentäre Lateinkenntnisse besitzen. Die genaue Kontrolle übersetzter Passagen, die Übertragung abbreviierter Bibelstellen und die Parallelführung der deutschen mit den lateinischen Texten legen jedoch eine Ausrichtung auf ein lateinunkundiges Publikum nahe. Es scheint also damit gerechnet worden zu sein, dass wenigstens ein Teil der anvisierten Leserschaft die Angaben im lateinischen Text nicht ausreichend verstehen konnte und auf einen vollständigen deutschen Text angewiesen war. Die Auflösung der im Marginalbereich der lateinischen lectiones abgekürzt angegebenen Bibelstellen lässt sich in diesem Sinne als Hilfestellung verstehen: Die grundsätzliche Lesefähigkeit der Rezipienten wird vorausgesetzt, in Bereichen wie der Notierung mit Siglen und arabischen Ziffern scheinen aber weiterhin Verständnisbarrieren zu bestehen. Die ›Übersetzung‹ und Einbettung der Bibelstellen in den deutschsprachigen Fließtext könnte einen Versuch darstellen, diese Barrieren zu antizipieren und zu umgehen. Diese Formen des Eingriffs bewegen sich vorwiegend im Rahmen der Einrichtung der Handschrift für ihren Gebrauch und damit auf einer eher technisch-organisatorischen Ebene. Wie oben beschrieben, lässt sich darüber hinaus eindrücklich beobachten, wie tradierte typologische Interpretationen verändert und buchstäblich überschrieben werden: Gekürzte, ersetzte und bearbeitete Passagen in den lectiones führen zu einer Straffung und Verdichtung des Bezuges zwischen Typus und Antitypus; möglicherweise im Prozess der Überlieferung entstandener ›Wildwuchs‹ wird begradigt und eventuelle Lücken geschlossen. Die Akzentverschiebung auf inhaltlich-konzeptioneller Ebene, die diese Bearbeitung bewirkt, gibt somit zugleich den Blick frei auf Prozesse der Retextualisierung im Bereich typologischen Denkens. Maßgebend für das Verfahren des Traditors scheint die Zielvorstellung einer möglichst idealen Präsentation zu 74

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Die Marginalangaben stellen somit die Verbindung zum Gesamtzusammenhang der biblischen Heilsgeschichte her, die nicht im Fokus der kompilierten lectiones selbst steht. Simmler beschreibt dies als defizitär und formuliert, die Bibelverweise »ersetzen nicht das Nachschlagen der vollständigen Bibelstellen in der Vulgata, um über den Gesamtkontext und die ihn umgebende Kommunikationssituation die typologische Aussage nachvollziehen zu können« (Simmler, Franz: Religiöse und Erbauungsliteratur, in: Literarische und religiöse Textsorten und Textallianzen um 1500, hrsg. v. Alexander Schwarz, Franz Simmler, Claudia Wich-Reif u. a., Berlin 2009 [Berliner sprachwissenschaftliche Studien, 20], S. 623–726, hier S. 710).

sein – eine Handschrift, die über ein kohärentes, konsequent umgesetztes System verfügt und einen reibungslosen Gebrauch ermöglicht. Der redigierte Codex Clm 28141 bietet somit eine Biblia pauperum mit aufeinander abgestimmtem zweisprachigem Text, der mit philologischer Genauigkeit von Fehlern bereinigt wurde und dessen Programm sich systematisch auf das für ihn Wesentliche – den typologischen Bezug zwischen Altem und Neuem Testament – konzentriert. Beobachtungen wie diese können Anlass dafür sein, den Blick von der Erfassung konkreter Einzelfälle auf die Biblia pauperum-Überlieferung insgesamt zu lenken. Die charakteristische, vielfach diagrammatisch organisierte Modulstruktur vieler Manuskripte scheint Phänomene der Retextualisierung in besonderem Maße zu begünstigen. Bereits das Ordnungsprinzip der Vita Christi weist mit ihren Stationen eine Reihe autonomer Segmente auf, die unabhängig voneinander bearbeitet werden können, und die Anlage der einzelnen typologischen Gruppen mit ihrem Netz von Bild- und Schriftelementen bietet ein System von Modulen mit weiterer Binnengliederung, deren Vielfalt zur Neuorganisation einlädt.75 Dieses Retextualisierungspotenzial schlägt sich unter anderem in der Variabilität der Szenenfolge in unterschiedlichen Überlieferungssträngen nieder, aber auch in der konzeptuellen Neugestaltung des sogenannten »deutschen erzählenden Typs«.76 Eine ähnliche Eigendynamik lässt sich beim Übergang zum Druckmedium beobachten, wenn im lateinischen Typendruck der Offizin Pfister der Text der München-Londoner Handschriftenfamilie in die Szenenfolge der Weimarer Familie eingepasst wird.77 Regelrecht ›wuchernd‹78 retextualisierend präsentiert sich die Verschränkung der Biblia pauperum mit dem ansonsten separat überlieferten Speculum Humanae Salvationis (SHS) im Cgm 3974, in dem die bilderlose Biblia pauperum durch Verweise auf die Miniaturen des SHS komplettiert wird. Handschriften 75

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So ist innerhalb der lectiones zusätzlich zu unterscheiden zwischen dem Text der Vulgata, der eigentlichen Auslegung und einem Übergangsbereich, der ein besonders großes Variationspotenzial aufweist. Vgl. ähnliche Beobachtungen zu Cpl 871 ebd., S. 703–707. Zum »deutschen erzählenden Typ« vgl. den Beitrag von Hanna Wimmer (Abschnitt 4) sowie Cornell, Henrik: Biblia pauperum [wie Anm. 1], S. 66–68, 102–106, 160f. Vgl. Häußermann, Sabine: Die Bamberger Pfisterdrucke [wie Anm. 7], S. 28. Beim Transfer in den Druck kommt es dabei, bedingt durch medienspezifische Erfordernisse, zur Anpassung der Biblia pauperum an das Druckmedium: Wie oben bereits angemerkt, sind die lectiones der Drucke zwar mit den Texten von Clm 28141 verwandt; sie sind jedoch nicht immer identisch, sondern wurden teilweise erheblich gekürzt. Im Sinne Silke Winsts, die damit in Anlehnung an Karl-Heinz Stierles Begriff der ›Verwilderung‹ Prozesse der Verselbstständigung von Gattungstraditionen durch Ergänzung von Episoden, Figuren u. ä. beschreibt. Vgl. Winst, Silke: Transmediales Wuchern. Körper − Bilder − Texte am Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit (Die »Ami-etAmille«-Hs. Arras 696), in: Das Mittelalter 9 (2004), S. 64–76, hier S. 65f.

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wie Cpl 871 fügen einen Vor- und Nachspann an, durch den die Biblia pauperum in eine umfassende Narration der Heilsgeschichte eingebettet wird.79 Beispiele wie diese zeugen von der Anschlussfähigkeit des Konzeptes an eine im europäischen Mittelalter breitflächig beobachtbare Praxis des Um- und Weitererzählens.

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Siehe dazu den Beitrag von Bruno Reudenbach in diesem Band.

Bildteil

Farbtafeln

I: St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift, Stiftsbibliothek, Cod. III, 207, 1v: Verkündigung, Verfluchung der Schlange (Gn 3), Vlies Gideons (Idc 6). Geburt, Brennender Dornenbusch (Ex 3), Grünender Stab Aarons (Nm 17).

II: Berlin, Kupferstichkabinett, Cod. 78 D 2, 1v: Verkündigung, Verfluchung der Schlange (Gn 3), Vlies Gideons (Idc 6). Geburt, Brennender Dornenbusch (Ex 3), Grünender Stab Aarons (Nm 17).

130

III: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 19414, 153v: Verkündigung, Verfluchung der Schlange (Gn 3), Vlies Gideons (Idc 6).

131

IV: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 19414, 158r: Versuchung, Esau verkauft seine Erstgeburt (Gn 25), Versuchung im Paradies (Gn 3).

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V: München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 20, 1r: Verkündigung, Verfluchung der Schlange (Gn 3), Vlies Gideons (Idc 6).

133

VI: Graz, Steiermärkisches Landesarchiv, Hs. 3, 1v: Verfluchung der Schlange (Verurteilung Adams und Evas) (Gn 3), Vlies Gideons (Idc 6).

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VII: Graz, Steiermärkisches Landesarchiv, Hs. 3, 2r: Verkündigung.

135

VIII: München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 155, 1r: Verkündigung, Verkündigung der Geburt Isaaks (Gn 18), Verkündigung der Geburt Simsons (Idc 13).

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Abbildungen

Abb. 1: Rossano, Museo Arcivescovile, Codex Rossanenesis, fol. 5r: Kreisdiagramm zur Evangelienkonkordanz.

Abb. 2: Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 871, 3v: Verkündigung, Verfluchung der Schlange (Gn 3), Vlies Gideons (Idc 6) © 2016 Biblioteca Apostolica Vaticana.

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Abb. 3: Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 871, 13v: Kreuzannagelung/Kreuzigung, Opferung Isaaks (Gn 22), Erhöhung der Ehernen Schlange (Nm 21) © 2016 Biblioteca Apostolica Vaticana.

Abb. 4: Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 871, 18v: Himmelfahrt, Entrückung Henochs (Gn 5), Himmelfahrt des Elia (IV Rg 2) © 2016 Biblioteca Apostolica Vaticana.

138

Abb. 5: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 19414, fol. 176r: Petrus von Poitiers, Compendium historiae in genealogia Christi. Linea Christi von Geburt bis Tod.

Abb. 6: AugustinerChorherrenstift Klosterneuburg, Nikolaus von Verdun, Klosterneuburger Ambo (heute Retabel), 1181, linker Flügel.

139

Abb. 7: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 5. 2. Aug. 4°, 30v: Speculum humanae salvationis, Grablegung, Davids Klage um Abner (II Sm 3).

140

Abb. 8: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 5. 2. Aug. 4°, 31r: Speculum humanae salvationis, Josef wird in den Brunnen geworfen (Gn 37), Jona wird ins Meer geworfen (Ion 2).

141

Abb. 9: Lilienfeld, Zisterzienserstift, Bibliothek, Hs. 151, 17v: Concordantiae caritatis, Götzensturz.

142

Abb. 10: Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 871, 1v: Sturz Luzifers © 2016 Biblioteca Apostolica Vaticana.

Abb. 11: Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 871, 2r: Erschaffung Evas, Vermählung Evas mit Adam © 2016 Biblioteca Apostolica Vaticana.

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Abb. 12: Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 871, 3r: Vertreibung aus dem Paradies, irdische Arbeit © 2016 Biblioteca Apostolica Vaticana.

Abb. 13: Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. lat. 871, 20r: Weltgericht © 2016 Biblioteca Apostolica Vaticana.

144

Abb. 14: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 1198, 2v: Flucht nach Ägypten, Jakobs Flucht vor Esau (Gn 27), David flieht vor Saul (I Sm 19). Götzensturz, Mose zerstört das goldene Kalb (Ex 32), Sturz des Götzen Dagon (I Sm 5).

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Abb. 15: Paris, Musée du Louvre, Biblia PauperumFragment aus St. Florian: Einzug in Jerusalem, die Frauen Israels begrüßen David (I Sm 18), Prophetenknaben begrüßen Elischa (IV Rg 2).

Abb. 16: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 23425, 1v: Verkündigung, Verfluchung der Schlange (Gn 3), Vlies Gideons (Idc 6). Geburt Christi, Brennender Dornenbusch (Ex 3), Grünender Stab Aarons (Nm 17).

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Abb. 17: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 23425, 2r: Anbetung der Könige, Abner vor David (2 Sm 3), Königin von Saba vor Salomo (III Reg 1). Darbringung im Tempel, Reinigungsopfer nach dem Gesetz (Lv 12), Hanna bringt Samuel zu Eli (I Sm 1).

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Abb. 18: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 23425, 2v: Flucht nach Ägypten, Jakobs Flucht vor Esau (Gn 27), David flieht vor Saul (I Sm 19). Götzensturz, Mose zerstört das goldene Kalb (Ex 32), Sturz des Götzen Dagon (I Sm 5).

148

Abb. 19: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 4523, 52r: Einzug in Jerusalem, die Frauen Israels begrüßen David (I Sm 18), Prophetenknaben begrüßen Elischa (IV Rg 2). Abendmahl, Abraham und Melchisedek (Gn 14), Mannalese (Ex 16).

149

Abb. 20: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 23426, 1v: Verkündigung, Verfluchung der Schlange (Gn 3), Vlies Gideons (Idc 6). Geburt, Brennender Dornenbusch (Ex 3), Grünender Stab Aarons (Nm 17).

150

Abb. 21: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 23426, 2r: Anbetung der Könige, Abner vor David (2 Sm 3), Königin von Saba vor Salomo (III Reg 10). Präsentation im Tempel, Reinigungsopfer nach dem Gesetz (Lv 12), Hanna bringt Samuel zu Eli (I Sm 1).

151

Abb. 22: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 23426, fol. 7r: Kreuzigung, Opferung Isaaks (Gn 22), Erhöhung der Ehernen Schlange (Nm 21). Seitenwunde, Erschaffung Evas (Gn 2), Mose schlägt Wasser aus dem Felsen (Ex. 17).

152

Abb. 23: Konstanz, Rosgartenmuseum, Hs. 4, 2v: Flucht nach Ägypten, Jakobs Flucht vor Esau (Gn 27), David flieht vor Saul (I Sm 19). Götzensturz, Mose zerstört das goldene Kalb (Ex 32), Sturz des Götzen Dagon (I Sm 5).

153

Abb. 24: Berlin, Kupferstichkabinett, Cod. 78 D 2, 7v: Grablegung, Josef wird in den Brunnen geworfen (Gn 37), Jona wird ins Meer geworfen (Ion 2). Christus in der Vorhölle, Simson tötet den Löwen (Idc 14), David tötet Goliat (I Sm 17).

154

Abb. 25: Berlin, Kupferstichkabinett, Cod. 78 D 2, 2v: Flucht nach Ägypten, Jakobs Flucht vor Esau (Gn 27), David flieht vor Saul (I Sm 19). Götzensturz, Mose zerstört das goldene Kalb (Ex 32), Sturz des Götzen Dagon (I Sm 5).

Abb. 26: Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. fol. 279, 8v: Auferstehung, Simson mit den Stadttoren von Gaza (Idc 16), Jona wird vom Fisch ausgespien (Ion 2). Die Frauen am Grab, Ruben sucht Josef (Gn 37), Braut des Hohenliedes sucht den Bräutigam (Ct 3).

155

Abb. 27: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 35a Helmst., 2v: Anbetung der Könige, Abner vor David (2 Sm 3), Königin von Saba vor Salomo (III Reg 10). Darbringung im Tempel, Reinigungsopfer nach dem Gesetz (Lv 12), Hanna bringt Samuel zu Eli (I Sm 1).

156

Abb. 28: Kremsmünster, Stiftsbibliothek, Cod. 328, 7r: Grablegung, Josef wird in den Brunnen geworfen (Gn 37), Jona wird ins Meer geworfen (Ion 2). Christus in der Vorhölle, Simson tötet den Löwen (Idc 14), David tötet Goliath (I Sm 17).

157

Abb. 29: London, British Library, Arundel MS 246, 30r: Verkündigung, Verfluchung der Schlange (Gn 3), Vlies Gideons (Idc 6).

Abb. 30: London, British Library, Arundel MS 246, 40v: Kreuztragung, Isaak trägt das Opferholz (Gn 22), Die Witwe von Sarepta mit zwei Hölzern (III Rg 17).

158

Abb. 31: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. 5. 2. Aug. 4°, 38v: Einzug in Jerusalem, Die Frauen Israels begrüßen David (I Sm 18), Prophetenknaben begrüßen Elischa (IV Rg 2).

Abb. 32: Budapest, Szépmuvészeti Múzeum / Museum der Bildenden Künste, Inv.-Nr. 37, 5v: Versuchung, Esau verkauft seine Erstgeburt (Gn 25), Versuchung im Paradies (Gn 3).

159

Abb. 33: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 19414, 153r: verworfenes Seitenschema

160

Abb. 34: Weimar, Klassik Stiftung Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Ms. Fol. max. 4, 7v: Grablegung, Josef wird in den Brunnen geworfen (Gn 37), Jona wird ins Meer geworfen (Ion 2). Christus in der Vorhölle, Simson tötet den Löwen (Idc 14), David tötet Goliat (I Sm 17).

161

Abb. 35: München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 341, 13r: Kreuztragung, Isaak trägt das Opferholz (Gn 22), Die Witwe von Sarepta mit zwei Hölzern (III Rg 17).

162

Abb. 36: München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 341, 7r: Versuchung, Esau verkauft seine Erstgeburt (Gn 25), Versuchung im Paradies (Gn 3).

163

Abb. 37: München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 5250–60 (Fragment): Christus am Ölberg.

Abb. 38: Cologny, Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 100, 30v: Justinian I, Digestum Vetus mit Glossen, Italien, 14. Jh.

164

Abb. 39: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 148, 13r: Anbetung der Könige, Abner vor David (2 Sm 3), Königin von Saba vor Salomo (III Reg 10).

165

Abb. 40: Gotha, Forschungs- und Landesbibliothek, Memb. I 54, 17r: Pfingsten, Mose empfängt das Gesetz (Ex 24 und 31), Brandopfer Elia (III Rg 18).

166

Abb. 41: Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, Ms. El. f. 51b, 3r: Beschneidung, Beschneidung Ismaels (Gen. 21), Einführung der Beschneidung (Gen 17).

167

Abb. 42: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3085, 56v: Götzensturz, Mose zerstört das goldene Kalb (Ex 32), Sturz des Götzen Dagon (I Sm 5).

Abb. 43: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3085, 57r.

Abb. 44: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3085, 57v.

Abb. 45: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3085, 58r.

168

Abb. 46: München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 297, 78v: Isaak trägt das Opferholz (Gn 22), Die Witwe von Sarepta mit zwei Hölzern (III Rg 17).

Abb. 47: München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 297, 79r.

Abb. 48: München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 297, 79v.

Abb. 49: München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 297, 80r: Kreuztragung.

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Abb. 50: München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 297, 80v.

Abb. 51: München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 297, 81r.

Abb. 52: Prag, Národní Muzeum v Praze, Knihovna, Cod. XVI A 6, 9v: Abner vor David (2 Sm 3).

Abb. 53: Prag, Národní Muzeum v Praze, Knihovna, Cod. XVI A 6, 10r.

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Abb. 54: Prag, Národní Muzeum v Praze, Knihovna, Cod. XVI A 6, 10v: Königin von Saba vor Salomo (III Reg 10).

Abb. 55: Prag, Národní Muzeum v Praze, Knihovna, Cod. XVI A 6, 11r: Anbetung der Könige.

Abb. 56: Prag, Národní Muzeum v Praze, Knihovna, Cod. XVI A 6, 11v.

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Abb. 57: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. Germ. 60, 4r: Historienbibel. Vertreibung aus dem Paradies, irdische Arbeit (Gn. 3).

Abb. 58: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. Germ. 60, 100r: Historienbibel. Der Galgen Hamans (Est. 5).

Abb. 59: Graz, Steiermärkisches Landesarchiv, Hs. 3, 27v: Opferung Isaaks (Gn 22), Erhöhung der Ehernen Schlange (Nm 21).

Abb. 60: Graz, Steiermärkisches Landesarchiv, Hs. 3. 28r: Kreuzigung.

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Abb. 61: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 370, 1v, 2r: Verkündigung, Verfluchung der Schlange (Gn 3), Vlies Gideons (Idc 6). Geburt, Brennender Dornenbusch (Ex 3).

Abb. 62: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 8201, 81v: Anbetung der Könige, Abner vor David (2 Sm 3), Königin von Saba vor Salomo (III Reg 10). Darbringung im Tempel, Reinigungsopfer nach dem Gesetz (Lv 12), Hanna bringt Samuel zu Eli (I Sm 1).

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Abb. 63: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 28141, 19r: Auferstehung, Simson mit den Stadttoren von Gaza (Idc 16), Jona wird vom Fisch ausgespien (Ion 2).

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Abb. 64: London, British Library, Add. MS 15249, 8r: Einzug in Jerusalem, Die Frauen Israels begrüßen David (I Sm 18), Prophetenknaben begrüßen Elischa (IV Rg 2).

Abb. 65: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 69. 6.a Aug. 2°, 5r: Abendmahl, Abraham und Melchisedek (Gn 14), Mannalese (Ex 16).

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Abb. 66: Den Haag, Museum Meermanno-Westreenianum, Ms. 10 A 15, 21r: Verkündigung, Verfluchung der Schlange (Gn 3), Vlies Gideons (Idc 6).

Abb. 67: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 59, 3r: Anbetung der Könige, Abner vor David (2 Sm 3), Königin von Saba vor Salomo (III Reg 10).

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Abb. 68: Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 438, fol. 119r: chiroxylographisches Blockbuch. Abendmahl, Abraham und Melchisedek (Gn 14), Mannalese (Ex 16).

Abb. 69: London, British Library, Kings 5, 18r: Seitenwunde, Erschaffung Evas (Gn 2), Mose schlägt Wasser aus dem Felsen (Ex. 17).

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Bildnachweise © Augustiner-Chorherrenstift Sankt Florian, Farbtafel I; © Kupferstichkabinett. Staatliche Museen zu Berlin, Farbtafel II, Abb. 24, 25; © Bayerische Staatsbibliothek München, Farbtafeln III, IV, V, VIII, Abb. 5, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 33, 35, 36, 37, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 62, 63; © Steiermärkisches Landesarchiv Graz, Farbtafeln VI, VII, Abb. 59, 60; Sörries (wie S. 11, Anm. 7), Tafelbd. Taf. 39, Abb. 1; Cod. Pal. lat. 871 reproduced by permission of Biblioteca Apostolica Vaticana, with all rights reserved, Abb. 2, 3, 4, 10, 11, 12, 13; Buschhausen (wie S. 24, Anm. 37), S. 16, Abb. 6; © Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Abb. 7, 8, 27, 31, 65; © Stift Lilienfeld, Abb. 9; © Österreichische Nationalbibliothek Wien, Abb. 14, 42, 43, 44, 45, 61; Schmidt (wie S. 32, Anm. 2), Abb. 15; © Rosgartenmuseum Konstanz, Abb. 23; © Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Abb. 26; © Stift Kremsmünster, Abb. 28; © The British Library Board, Abb. 29, 30, 64, 69; © Szépmuvészeti Múzeum / Museum der Bildenden Künste Budapest, Abb. 32; © Klassik Stiftung Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Abb. 34; © Fondation Martin Bodmer, Cologny (Genf), Abb. 38; © Universitätsbibliothek Heidelberg, Abb. 39, 57, 58, 67, 68; © Forschungsbibliothek Gotha, Abb. 40; © Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Abb. 41; © Národní Muzeum v Praze / Nationalmuseum Prag, Abb. 52, 53, 54, 55, 56; Museum Meermanno Westreenianum Den Haag, Abb. 66

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Register

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Weimar 28, 44, 67, 71, 84, 104, 127, 161 Wien 11, 39, 40, 49, 73, 75, 80, 145, 168, 173 Wulfinger, Wolfgang 72, 73

Manuskripte und Blockbücher Baltimore, Walters Art Museum, Ms. W.796 (Compendium historiae in genealogia Christi) 22, 28, 62, 139 Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Cod. 78 46, 130, 154, 155 Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek, Ms. germ. Fol. 1362 66 Brescia, Biblioteca Civia Queriniana (Codex Brixianus) 14 Budapest, Museum der Bildenden Künste, Inv.-Nr. 37 159 Dresden, Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek, Mscr. Dresd. g.152.d (Blockbuch) 111 Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, MS Amiatinus I (Codex Amiatinus) 12 Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, cod. Plut. 1, 56 (Rabbula-Codex) 13 Gotha, Forschungs- und Landesbibliothek, Cod. Memb. I 54 72, 166 Graz, Steiermärkisches Landesarchiv, Hs. 3 78, 134, 135, 172 Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 59 90–92, 176 Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 148 72, 165 Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 438 177 Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, Ms. El. f. 51b 72, 111, 167 Konstanz, Rosgartenmuseum, Hs. 4 45, 153 Kopenhagen, Kongelike Bibliotek, Gl. kgl. Saml. 1377 4° 61 Kremsmünster, Stiftsbibliothek, Cod. 243 (Speculum humanae salvationis) 56, 60, 63, 78, 85, 99, 103, 127, 140, 141 Kremsmünster, Stiftsbibliothek, Cod. 328 53, 157 Leipzig, Universitätsbibliothek, Cod. 1676 66 Lilienfeld, Stiftsbibliothek, Cod. 151 (Concordantiae caritatis) 26, 83–86, 142 London, British Library, Add. MS 15249 87–89, 175 London, British Library, Add. MS 31303 A (Fragment) 52 London, British Library, Arundel MS 246 57, 58, 60, 158 London, British Library, Kings MS 5 94, 95, 98 Lyon, Bibliothèque municipale, Ms. 446 97 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 20 57, 65, 70–72, 74, 133 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 155 87–89, 91, 99, 111, 119, 136 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 297 74–76, 169, 170 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 341 57, 67, 112, 162, 163 München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 3974 35, 86, 103, 116, 119, 127

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München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 5250–60 57, 65, 70, 164 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 4523 41, 42, 44, 50–52, 63–66, 149 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 8201 23, 81, 173 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 12717 85 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 19414 23, 57, 62, 63, 131, 132, 139, 160 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 23425 41, 44, 50–52, 63–66, 146–148 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 23426 44, 50, 51, 58, 65, 67, 150–152 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 28141 87, 88, 101–115, 117, 118, 121, 124, 126, 127, 174 München, Bayerische Staatsbibliothek, GW M38723 (Fasciculus temporum) 22 New York, Pierpont Morgan Library, M. 230 87 New York, Public Library, Spencer MS 35 97 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 156142 (Codex Aureus Epternacensis) 12 Prag, Národní Muzeum v Praze, Knihovna, Cod. XVI 75, 170, 171 Rossano, Museo dell’Arcivescovado (Codex Purpureus Rossanenesis) 12 Salzburg, Benediktinerstift St. Peter, Cod. a. VII 43 51, 52 Salzburg, Benediktinerstift St. Peter, Cod. a. IX. 15 61 Seitenstetten, Benediktinerstift, Cod. 297 85 St. Florian, Augustinerchorherrenstift, Cod. III, 207 38, 129 St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 605 85 Stuttgart, Landesbibliothek, Ms. theol. et phil. fol. 279 51, 155 Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. Lat. 871 68, 97, 137, 138, 143, 144 Weimar, Stiftung Weimarer Klassik, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Ms. Fol. Max. 4 66, 161 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 370 (Krumauer Bildercodex) 81, 82, 84, 173 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 1198 39, 49, 50, 145 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3085 73, 74, 168 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. 5. 2. Aug. 4° 57, 60, 86, 159 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 35a Helmst. 53, 156 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 69. 6.a Aug. 2° 87, 90, 175

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