Studien und Skizzen zum englischen Strafprozeß des dreizehnten Jahrhunderts [Reprint 2018 ed.] 9783111699899, 9783111311401

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Studien und Skizzen zum englischen Strafprozeß des dreizehnten Jahrhunderts [Reprint 2018 ed.]
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STUDIEN UND SKIZZEN ZUM

ENGLISCHEN STRAFPROZESS DES DREIZEHNTEN JAHRHUNDERTS VON

Dib CARL GÜTERBOCK, PROFESSOR DER RECHTE ZU KÖNIGSBERG.

BERLIN 1914. J . GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG, G. M. B. H.

Inhalt. I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X.

Die Placita Coronae. Organe der Strafrechtspflege Die Rundreisen der Justitiarien Das Verfahren in Rügesachen. Die Jurata patriae Ein praktischer Rechtsfall Die Jurata und die Schuldfrage Das Appellverfahren. Der Zweikampf Der Probator (Approver) Ungehorsam. Peine forte et dure Verfahren auf handhafte Tat Das Beneficium clericorum

7 17 24 37 45 51 62 66 73 83

Das dreizehnte Jahrhundert und die Anfänge des vierzehnten sind von besonderer Bedeutung - für die Geschichte des englischen Rechts. In dieser Periode, der Regierungszeit der Könige Heinrichs III. und Eduards I., wurden wichtige Grundsätze des Common Law festgelegt; auch die Gesetzgebung begann bereits ihre ergänzende Tätigkeit zu entfalten; und zahlreiche Rechtssprüche legen Zeugnis ab von der fruchtbaren vielseitigen Tätigkeit der richterlichen Praxis. Derselben Periode gehören auch die Rechtsaufzeichnungen an, die den damaligen Zustand des Rechts getreu widerspiegeln und als wertvolle Quellen seiner Erkenntnis dienen. Für den Strafprozeß vollzog sich in jener Zeit die Ausbildung und Befestigung jenes, dem englischen Rechte eigenartigen Gebildes der Mitwirkung von Gemeindeund Nachbarausschüssen bei Entscheidung der Schuldfrage, das wir Schwurgericht zu nennen pflegen. Damals wurden die Formen geschaffen, die dem Strafverfahren sein charakteristisches Gepräge gaben, deren Einfluß sich jahrhundertelang erhielt und deren Spuren wir noch bis in die Gegenwart verfolgen können. Eine vollständige Darstellung des englischen Strafverfahrens hier zu geben, ist nicht beabsichtigt; nur einzelne besonders interessante Seiten davon sollen skizziert und einige Fragen näher untersucht werden, deren Lösung bisher nicht völlig gelungen erscheint. Den Stoff zu diesen Untersuchungen und Skizzen haben vornähmlich

6 die in dieser Periode entstandenen Rechtsbücher geliefert. In erster Linie der um 1259 vollendete umfangreiche Tractatus de legibus et consuetudinibus Angliae des H e n r i c u s d e B r a c t o n (Ausgabe von Sir Travers Twiss 1879), dann der um 1290 entstandene, als F l e t a bekannte Commentarius iuris Anglicani (London 1685), sowie das derselben Zeit angehörige, auf den Namen B r i 11 o n gehende Rechtsbuch (Ausgabe von Nichols 1868). Der sog. M i r r o u r o f J u s t i c e s ist wegen seiner Unzuverlässigkeit außer Betracht gelassen. Neben den erwähnten Rechtsbüchern sind einige Sammlungen von Rechtssprüchen herangezogen, so die von F. W. M a i 1 1 a n d herausgegebenen P l e a s o f t h e C r o w n f o r t h e C o u n t y o f G l o u c e s t e r aus dem Jahre 1221 (London 1884) und die von A. G. H e y w o o d edierten Y e a r b o o k s of t h e r e i g n of K i n g E d w a r d I. für die Jahre 1302 und 1303 (London 1868).

I.

Die Placita Coronae. Organe der Strafrechtspflege. B r a c t o n hat dem Systeme seines Werkes die bekannte Dreiteilung der Institutionen Justinians zugrunde gelegt. Nachdem er im ersten Buche von den Personen, im zweiten von den Sachen, deren Einteilung und Erwerbsgründen gehandelt hat, wendet er sich im dritten Buche zu den Actionen. Dies Buch zerfällt in zwei Traktate; der erste d e a c t i o n i b u s handelt von den Obligationen und verschiedenen Arten der Klagen im allgemeinen; darunter wird auch der actiones criminales gedacht, und bei dieser Gelegenheit werden in fast wörtlicher Wiedergabe von Digesten stellen einige Bemerkungen über die Strafen und die Bestrafung gemacht 1). Der zweite Traktat, d e C o r o n a überschrieben, ist ausschließlich dem Strafverfahren gewidmet 2 ). Zur Strafverfolgung konnte es — abgesehen von den Fällen handhafter Tat — auf zwiefachem W e g e kommen, entweder durch eine von dem Verletzten erhobene Anklage, A p p e 11 u m , oder auf Grund eines 1

) Vgl. B r a c t o n , de action. c. 6 mit L 6—8 u. 11. 16 D. de poen. 48. 19. 2 ) Der Traktat zeriällt in 37 Kapitel, und diese in Paragraphen. Wenn im folgenden B r a c t o n ohne Zusatz zitiert wird, ist stets dessen Tractat de Corona gemeint.

8

Die Placita Coronae.

Organe der Strafrechtspfiege.

im sog-, Rügeverfahren beschlossenen I n d i c t a m e n t u m. Bracton sieht den ersten W e g so sehr als den regelmäßigen an, daß der weitaus größere Teil seiner Darstellung sich mit ihm beschäftigt. Für die verschiedenen Arten der Straffälle erörtert er die Voraussetzungen und Formen der Anklage die dagegen geltend zu machenden Einwendungen, die zu benutzenden Uberführungs- und Verteidigungsmittel und die Feststellung der Schuldfrage. Nur unter diesen prozessualischen Gesichtspunkten werden die Tatbestände der Verbrechen besprochen. Man ersieht daraus, daß das materielle Strafrecht sich noch nicht zu einem selbständigen Zweige des Rechtssystems entwickelt hat; nur bruchstückweise, in Anlehnung und in Abhängigkeit vom Strafverfahren, gewissermaßen als ein Annex dieses kommt es zur Geltung. Das Verfahren in Strafsachen gestaltete sich verschieden, je nachdem die Fälle bei den höheren, den königlichen Gerichten zur Verhandlung kamen oder zur niederen Gerichtsbarkeit der einzelnen Grafschaften gehörten Sachen der ersten Art waren die P l a c i t a C o r o n a e , so genannt, weil sie entweder den König oder dessen Thronrechte unmittelbar angingen, oder sich als Verletzungen des allgemeinen Landesfriedens, des Königsfriedens darstellten. Es waren die crimina majora, wie Bracton sie nennt, die schwersten mit Todes- und anderen Kapitalstrafen bedrohten Verbrechen, die darunter fielen. Für sie ward die Bezeichnung f e l o n i a e üblich 2 ), und ') G l a n v i l l a 1,1 deutet diesen Unterschied in den Eingangsworten seines Werkes an: „placitorum criminalium aliud pertinet ad coronam dorn, regis, aliud ad vicecomites provinciarum. s) Schon bei Glanvilla kommt dieser Ausdruck vor, z. B. XIV, 1.

Die Placita Coronae.

wenn

diesem W o r t e

auch

ein fest umgrenzter Begriff

noch nicht entsprach, so war ihnen daß sie nur vorsätzlich sie

der

9

Organe der Strafrechtspflege.

doch gemeinsam,

begangen werden konnten,

ausschließlichen

Kompetenz

der

daß

königlichen

Gerichte unterlagen, und daß sie neben der verhängten Strafe Vermögensnachteile,

wie Einziehungen u. a., zur

Folge hatten. Bracton

bespricht

die

einzelnen

Feloniefälle.

Er

beginnt mit dem g e g e n den K ö n i g gerichteten crimen laesae majestatis (c. 3 § 1) und einigen die R e c h t e der Krone verletzenden Fälschungen, wie Fälschung königlicher Siegel,

Urkunden

und Münzen (c. 3 § 2), ferner

Aneignung von Schatzfunden

und andrer dem König

vorbehaltenen res nullius (c. 3 § 3—3 § 5). Es folgen

dann

die gegen Personen

gerichteten

strafbaren Handlungen, die zugleich schwere Brüche des Königsfriedens enthalten 1 ). An der Spitze, gewissermaßen als typisches Beispiel dieser Brüche steht die Tötung in ihren beiden Gestalten, homicidium und murdrum (c. 4, 5, 15, 19—21) im Gegensatz zu dem homicidium infortidutum et casuale (c. 17).

per

Es schließen sich daran:

Verwundungen, appellum de pace et plagis (c. 23), Verstümmelungen, app. de pace

mahemium

(c. 24),

Freiheitsberaubung,

et imprisonmento (c. 25), Raub,

roberia

(c. 26), Brandstiftung, app. de iniqua combustione (c. 27), und das crimen raptus (c. 28). Den Schluß bildet das furtum (c. 30—32), das bei Bracton jedoch eine Sonderstellung insofern einnimmt, als es nur bedingt zu den Felonien rechnet, da die meisten Diebstähle als Verletzungen des ') Daher in den Formen der Appella stets die Worte „nequiter et in ielonia et contra pacem Dom. Regis" ausgenommen werden mußten.

10

Die Flacita Coronae.

Organe der Strafrechtspflege.

niederen Grafschaftsfriedens auch der niederen Gerichtsbarkeit anheimfallen. Zugleich bildet das furtum den Übergang- zu den geringeren Vergehen, den crimina leviora oder t r a n s g r e s s i o n e s , wie Beleidigungen, leichte Schläge, widerrechtliche Pfändungen u. a., die meist im W e g e des Zivilverfahrens verfolgt wurden, wenn aber, strafrechtlich ebenfalls von dem niederen Gericht ihr Recht empfingen 1 ). Da Bracton den Stand des Common Law seiner Zeit wiedergibt, ist anzunehmen, daß mit den von ihm aufgeführten der Kreis der von dem geltenden Recht anerkannten Felonien geschlossen sei. Er hätte sicherlich nicht versäumt, die Klageformen für weitere Fälle zu überliefern. Sein Schweigen ist in dieser Beziehung beweiskräftig. Bei den unmittelbaren Nachfolgern Bractons, bei F 1 e t a und B r i 11 o n , tritt uns zunächst das gleiche Bild entgegen; auch in ihren Darstellungen treffen wir auf die nämlichen Felonien wie bei jenem, nur in etwas veränderter Anordnung 2 ). Beide lassen aber zugleich eine Weiterbildung des Rechts erkennen, die sich in den letzten Jahrzehnten jenes Jahrhunderts vollzogen haben muß. Fleta und Britton kennen unter der Bezeichnung t r a d i t i o , t r e s o u n , einen Bracton unbekannten Fall von Felonie. Er umfaßt gewisse schwere Verfehlungen eines Untergebenen gegen seinen Herrn, •die die spätere Jurisprudenz als p e t i t t r e a s o n im Gegensatz zu dem Hochverrat zu bezeichnen pflegte 3 ). *) B r a c t o n c. 37. a) F l e t a I 21—23, 31—41; B r i t t o n I 6—12, 16, 23, 24. •) F l e t a I 37, § 4 T r a d i t o r e s qui dominum dominamve interfecerint vel qui cum uxoribus dominorum suorum vgl

Die Placita Coronae.

Organe der Strafrechtspflege.

11

Britton (nicht aber Fleta) zählt zu den Felonien burgeson

(burglary), d. h. den

gewaltsamen

noch nächt-

lichen Einbruch in Gebäude, das dem alten angelsächsischen hamesokne entsprach 1 ). W e n n endlich beide, Fleta wie Britton, in Verbindung mit Brandstiftung noch Zauberei undSodomiterei erwähnen, so darf daraus nicht geschlossen werden, daß diese Verbrechen

als Felonien

im geltenden

Recht

angesehen

wurden ), denn sie standen damals als Arten der Häresie 2

unter der geistlichen Gerichtsbarkeit, und der weltliche Arm

hatte nur auf Grund

des kirchlichen Urteils die

übliche Todesstrafe zu vollziehen. Eine Erweiterung des Kreises der Felonien und damit der Placita coronae

erfolgte erst später durch be-

sondere Gesetze. Es bleibt noch, um Wiederholungen in den folgenden Abschnitten zu vermeiden, einiges über die Strafgerichtsbarkeit und deren Organe

im damaligen

England

zu

sagen. Oberstes Gericht für das Reich war die C u r i a R e g i s am Hofe des Königs, besetzt mit dessen nächsten Räten,

Baronen,

Prälaten

und

Rechtsgelehrten.

Ur-

sprünglich hatte sie keinen festen Sitz, sondern begleitete den König auf seinen Reisen

und hielt ihre Sitzungen

überall da, wo er sich gerade befand. Parteien

schwer

empfundene

Dieser von den

Mißstand führte zu

der

Bestimmung der Magna Charta a. 17 ); fortan blieb der 8

filiabus vel nutricibus dominorum concubuerint vel sigilla dominorum falsaverint usw. Ähnlich B r i t t o n 19. ') B r i t t o n I I I . 2) F l e t a 137, § 2, 3; B r i t t o n 110. ') Magn. Chart, a. 17 Communia placita non sequantur curiam nostram -sed teneantur in aliquo certo loco.

12

Die Placita Coronae.

Organe der Strafrechtspflege.

Sitz der Curia regis Westminster. Abteilungen,

Von den verschiedenen

in die sie zerfiel, waren

die sog-. J u s t i -

c i a r i i i n b a n c o s e d e n t e s besonders mit der Strafgerichtsbarkeit in erster und letzter Instanz befaßt. waren

die Vorläufer des bekannten

Sie

Kings-Bench-

Gerichts. Die placita

coronae wurden

weise vor der Curia R e g i s

aber nur

ausnahms-

verhandelt, meist

geschah

dies vor den von dem Könige in die Lande entsandten Kommissarien,

den

reisenden

Richtern

und

anderen

Delegierten, die in seinem Namen die Strafgerichtsbarkeit übten.

Von ihnen später.

Das Land zerfiel in Grafschaften ( c o m i t a t u s , s h i r e ) , an deren Spitze je ein vom K ö n i g der V i c e c o m e s ( s h e r i f f ) stand. der königlichen bieten

Autorität auf

der Verwaltung,

Gerechtsame,

ernannter Beamter,

Ihm lag die Ausübung den verschiedenen

die Wahrung

die S o r g e

der

Befehle

königlichen

für die öffentliche

und die Ausführung der ihm zugehenden

Ge-

Sicherheit königlichen

und Anweisungen (brevia, writs) ob;

er

übte

außerdem die gleich zu erwähnende Gerichtsbarkeit aus. Ein Stab von Unterbeamten, Bailiffs, Serjants, Schreibern u. a. stand ihm zur Verfügung. In jeder Grafschaft waren ein oder mehrere

coro-

n a t o r e s (coroners) als Friedensbewahrer bestellt ).

Sie

1

hatten für Erhaltung der Ruhe und Sicherheit in ihrem Bezirke

zu

sorgen;

bei

allen

Todesfällen,

die durch

Elementarereignisse, Unfälle oder durch strafbare Handlungen bewirkt wurden, hatten sie unter Zuziehung zu beeidigender Nachbarn „super visum" den objektiven Tatbestand und die Todesursache festzustellen und den etwa Über die Stellung F l e t a 118; B r i t t o n 13.

der

Coroners:

Bracton

c.

8;

Die Placita Coronae.

Schuldigen zu ermitteln. wundungen

13

Organe der Strafrechtspflege.

Das g-leiche galt auch bei Ver-

und in einigen anderen Fällen.

Anzeigen

und Anklagen konnten beim Coroner angebracht werden, ihm stand der erste Angriff zu.

Seine Protokolle (re-

cords) hatten als Urkundszeugnisse öffentlichen Glauben. Die von ihm aufgenommenen Verhandlungen

hatte

er

nebst den etwa vorläufig festgenommenen Verdächtigen dem Vicecomes zu übersenden. Nun zu den unteren Organen innerhalb der Grafschaft.

Jede

Grafschaft

zerfiel

in

eine

Anzahl

von

H u n d e r t s c h a f t e n ( h u n d r e d a , im Norden w a p e n t a k i a genannt).

Ursprünglich Genossenschaftsverbände,

sind sie später territoriale Bezirke geworden, während die in ihnen bestehenden Zehnverbände ( d e c e n n a e , t i h i n g s ) ihren persönlichen

Charakter beibehalten

haben.

Die

Hundertschaft wird gebildet von den eingesessenen freien Grundbesitzern, sowohl den milites, d. h. den zu Kriegsleistungen Verpflichteten,

als auch den sonstigen liberi

homines s. tenentes, entsprechend den späteren freeholders. Die mit Lehngütern von der Krone ansässigen Barone und höheren Geistlichen, und manche mit Herrensitzen (manoria) angesessenen Grundeigentümer waren von der Hundertschaft sassen

eximiert, sie bildeten mit ihren Hinter-

eigene Verbände.

Die

dörflichen

Siedelungen

und die kleineren offenen Städte, beide mit dem mehrdeutigen Ausdruck v i l l a e , v i l l a t a e bezeichnet, bildeten Teile der Hundertschaft, sofern sie nicht von einem bestimmten Grundbesitzer als dessen Hintersassen abhängig waren.

Die größeren, mit Wall oder Mauern umfriedeten

Städte, b u r g a (boroughs) genannt, standen regelmäßig außerhalb eigene

des Hundertschaftsverbands

Hundreden

behandelt.

und wurden

Gewissen

als

größeren

Städten, wie London, Lincoln, Yorck und anderen, waren

14

D i e Placita Coronae.

Oigane dei Stiafrechtspflege.

durch besondere königliche Freibriefe (Charters) eigenes Städterecht, mit eigener Munizipal- und Gerichtsverfassung verliehen worden.

Sie fielen natürlich nicht in den B e -

zirk der Grafschaft. Die Hundertschaften wirkten bei den verschiedensten öffentlichen Angelegenheiten mit und hatten vielseitige Aufgaben in der Verwaltung

zu erfüllen.

Sie

hatten

über alle wichtigen Vorkommnisse Auskunft zu erteilen, die in ihrem Bezirke begangenen Verbrechen

und die

dabei Verdächtigen

und bei

zur Anzeige zu bringen

eigener Verantwortlichkeit

die Handhabung

rechtspflege zu unterstützen ( R ü g e p f l i c h t ) .

der StrafEs geschah

dies regelmäßig durch aus ihren Genossen aasgewählte zwölfgliedrige Ausschüsse i n q u e s t s , j u r a t a e ,

wobei

die beteiligten Villatae durch besonders gewählte Vertreter, den R e e v e und vier bis sechs gewählte

Ein-

gesessene, mitwirkten. Den Sheriff vertrat der Hundertschaft gegenüber einer seiner Bailiffs 1 ). Innerhalb der Grafschaft wurde die Gerichtsbarkeit in Strafsachen geübt von dem Vicecomes in seiner C u r i a comitatus,

die er mit den

zur Gerichtsfolge

ver-

pflichteten angesehenen Beisitzern (sectatores) von Zeit zu Zeit abhielt.

Die anfänglich

ihm für gewisse Fälle

der placita coronae zustehende Kompetenz ist durch die Bestimmung der Magna Charta a. 24 endgültig beseitigt worden 2 ).

Fortan hatte das Grafschaftsgericht sich nur

mit der Verhandlung

und Entscheidung

niederer Ordnung zu befassen.

der Straffälle

Neben der eigenen Ge-

') Über die Munizipalverhältnisse vgl. das ausgezeichnete Werk von Y i n o g r a d o f f , The Growth of the Manor, London 1905. s ) Nullus vicecomes, constabularius, coronatores vel alii ballivi nostri teneant placita coronae nostrae.

Die Placita Coronae.

Organe der Strafrechtspflege.

15

richtsbarkeit des Vicecomes kam seine richterliche Tätigkeit noch in dem sog-. T u r n u s (sheriffs tourn) in Betracht.. Dieser Turnus bestand darin, daß er alljährlich zu bestimmten Zeiten die einzelnen Hundreden besuchte, aus ihnen die angesehensten Genossen in der üblichen Zwölfzahl auswählen ließ, diesen bestimmte Fragestücke vorlegte und sie auf deren wahrheitsgetreue Beantwortung beeidigte. Die Berichte dieser Geschworenen bezogen sich auf die verschiedensten Gegenstände der Verwaltung, vornehmlich aber auch enthielten sie die Rügen oder Präsentationen (Presentment) wegen der zu ihrer Kenntnis gelangten strafbaren Handlungen. Sache des Vicecomes war es, diese Berichte zu prüfen und das zur Verhandlung vor den königlichen Richtern Erforderliche zu veranlassen*. Feststellung der Schuld der Verdächtigen war nicht seine Aufgabe, wohl aber hatte er ihr Erscheinen vor den Richtern durch Festnahme oder Bürgenstellung zu versichern. An ihn gelangten die Records über die vorläufige Tätigkeit der Coroners; auch bei ihm konnten die Anklagen angebracht und beurkundet werden. Seine Registratur enthielt somit die Sammlung aller wichtigen. Kriminalakten aus der Grafschaft 1 ). Die den Vicecomites anvertrauten Machtbefugnisse wurden nicht immer zum Wohle der Grafschaft und ihrer Eingesessenen geübt. Ein ständiges Kapitel bilden di& Klagen und Beschwerden über Willkürakte, deren sich die Sheriffs bei ihren Rundreisen durch Bedrückungen,. Bestechungen und sonst schuldig gemacht hätten, weshalb' schon die Magna Charta in ihrer Fassung von 1217 ') Über den Sheriffs tourn enthält B r a c t o n so gut wie nichts. Ausführliehe Mitteilungen bei F l e t a II 52 und Britton 130, bei beiden auch Aufzeichnungen der Frageartikel.

Die Placita Coronae.

16

Organe der Strafrechtspflege.

dadurch Abhilfe zu schaffen suchte, daß sie gebot, den Turnus nicht öfter als zweimal im Jahre, nämlich nach Ostern

und nach Michael, zu halten 1 ).

Gesetze,

wie das Statut M a r l b r i d g e ,

c. 10 von

1268

Auch

spätere

58 Henr. III

und das Statut W e s t m i n s t e r

13 Edw. I c. 13 von 1286 setzten den Kampf die Übergriffe der Sheriffs fort. der Friedensrichter

II,

gegen

Erst mit der Einführung

in der zweiten Hälfte des 14. Jahr-

hunderts verschwand der Turnus Vicecomitis. Außer dem Yicecomes nahmen an der Strafgerichtsbarkeit in den Fällen niederer Ordnung teil die außerhalb des Hundertschaftsverbandes stehenden größeren Lehnsund Grundbesitzer in ihren c u r i a e b a r o n u m und ähnlichen Gerichten

über ihre Untergebenen

und Hinter-

sassen; ferner diejenigen Besitzer oder Gemeinden, denen durch

besondere

Freibriefe

Gerichtsbarkeit

bald

in

weiterem, bald in engerem Umfang in ihren Bezirken ( l i b e r t a t e s , f r a n c h i s e s ) gewährt worden war. Die Verhandlungen der niederen Gerichte genossen nicht die Vorzüge der Recordeigenschaft; deshalb mußte zu ihnen

der

Coroner

als Urkundsperson

zugezogen

werden, um gegebenenfalls ein öffentliches Zeugnis darüber geben zu können. Außerhalb

der

weltlichen

Gerichte

und

nur

in

mittelbarem Zusammenhang mit ihnen standen die geistlichen, die sog. C u r i a e

Christianitatis;

auf sie

kann hier nicht näher eingegangen werden. ') M. Ch. a42. Die Redaktionen von 1215 und 1216 hatten diesen Artikel noch nicht.

II.

Die Rundreisen der Justitiarien. Die A n f ä n g e des R ü g e v e r f a h r e n s d ü r f e n als b e k a n n t vorausgesetzt w e r d e n .

Im Z u s a m m e n h a n g e damit s t a n d e n

die R u n d r e i s e n d e r b e a u f t r a g t e n Richter, d e r J u s t i c i a r i i i t i n e r a n t e s , die K ö n i g Heinrich II. zu einer s t ä n d i g e n E i n r i c h t u n g e r h o b e n hatte. Die ihnen in d e n sog. capitula itineris 1 )

erteilten

je n a c h

dem

A u f t r ä g e und

zeitlichen

und

Instruktionen

hatten

örtlichen B e d ü r f n i s

bald

e n g e r n , bald weitern U m f a n g und b e z o g e n sich auf die meisten Zweige der L a n d e s v e r w a l t u n g . gabe,

die königlichen G e r e c h t s a m e

N e b e n der A u f -

und die R e v e n u e n

d e r K r o n e zu w a h r e n , finden sich in d e n capitula itineris detaillierte A n w e i s u n g e n zur P r ü f u n g der lokalen V e r hältnisse, zur Abhilfe von Mißbräuchen, zum Schutz d e r Eingesessenen Beamten.

gegen

Bedrückung Mächtiger

und

der

Ein b e s o n d e r s wichtiger Teil d e r den R i c h t e r -

k o m m i s s a r e n erteilten A u f t r ä g e b e z o g sich auf die H a n d habung

d e r R e c h t s p f l e g e in Zivil- wie in Strafsachen.

Sie h a t t e n

die Assisen

und R e k o g n i t i o n e n ebenso

aber

in

stücksprozessen

abzuhalten,

sie g e b r a c h t e n

placita coronae zu v e r h a n d e l n

Grund-

auch die vor und

zu

entscheiden.

Die E n t l a s t u n g der Curia R e g i s von einer

Menge

Geschäften

von

einerseits,

und

den

Recht-

l

) Beispiele solcher capitula bei B r a c t o n , de Corona «. 1 § 3, c. 2, bei F l e t a I 20, B r i t t o n I 5. G ü t e r b o c k , Studien u n d Skizzen.

2

18

Die Rundreisen der Justitiarien.

suchenden den weiten und kostspieligen Weg" nach Westminster zu ersparen andererseits, war ja der Hauptzweck der Rundreisen. Mit der Handhabung der Rechtspflege waren vielfach auch finanzielle Maßregeln verquickt: Verhängung von Bußgeldern, Strafen, Einziehung von Gütern und Vermögen u. a. Ihrer ursprünglichen Bestimmung gemäß sollten die richterlichen Rundreisen sich in kürzeren Zwischenräumen wiederholen. Aber während der unruhigen Zeiten unter der Regierung König Johanns und seines Sohnes herrschte in dieser Beziehung große Willkür, und es vergingen oft mehrere Jahre, ehe es zu einem neuen Iter kam 1 ). Unter Eduard 1. scheint eine siebenjährige Periode üblich geworden zu sein 2 ). Man darf jedoch nicht meinen, daß während dieser langen Zwischenzeiten die Rechtspflege im Lande stillgestanden hätte und lahmgelegt gewesen wäre. Denn zur Erledigung dringender Geschäfte wurden auch sonst Gerichtskommissionen in die Grafschaften entsandt, die als Ersatz der allgemeinen Rundreisen dienen konnten, so die Kommissare zur Erledigung der Gefängnisse (ad goalas deliberandas) und zu sonstigen Verhandlungen in Strafsachen (ad audiendum et terminandum 3 ). ') F. W. M a i t l a n d , Pleas oi the crown, XXI. Die Bestimmung der Magna C h a r t a 1216 a. 18, wonach die Recognitiones novae disseisinae und einige andere mindestens einmal im Jahre abgehalten werden sollten, hat mit den Rundreisen nichts zu tun. *) B r i t t o n I 1 § 3, Iustices errauntz soint assignetz de VII auntz in VII auntz. s ) Über die Geschichte dieser Kommissionen vgl. Sir J. F i t z j a m e s S t e p h e n , History of the criminell Law of England, I 105 ff.

19

Die R u n d r e i s e n der Justitiarien.

Die allgemeinen Rundreisen waren bei einem großen Teil der Bevölkerung- nichts weniger als beliebt; sie wurden als eine schwere Belästigung - empfunden teils w e g e n der zu leistenden, weitg-ehenden Dingpflicht, teils w e g e n der Furcht vor den vielen drohenden Bußen und Strafen. Es wird berichtet, daß sich die Bewohner einer Grafschaft beim Nahen der Justitiarien in die W ä l d e r flüchteten. Mehrfach wurden später den Parlamenten Petitionen vorgelegt, in denen die A b s c h a f f u n g der R u n d reisen gefordert wurde. W a r im R a t e des Königs die A u s s e n d u n g einer Rundreise beschlossen, so ergingen P a t e n t e an die dazu delegierten Richter, in denen Zeit und O r t bestimmt und die ihnen erteilten A u f t r ä g e bezeichnet wurden 1 ). Zu Kommissaren wurden angesehene Geistliche und Laien ernannt, von denen regelmäßig dem im Ernennungsp a t e n t zuerst Erwähnten der Vorsitz gebührte. Gleichzeitig ergingen an die Sheriffs der betreffenden Grafschaften königliche Breves, worin ihnen das K o m m e n der R i c h t e r mitgeteilt und a u f g e g e b e n wurde, alles zu ihrem E m p f a n g vorzubereiten, insbesondere alle diejenigen vorzuladen, deren Anwesenheit auf dem Gerichtst a g e notwendig oder üblich war. D e m g e m ä ß wurden geladen: die Mitglieder der höheren Geistlichkeit Bischöfe, A b t e und Prioren, die in der Grafschaft ansässigen Grafen, ') B r a c t o n behandelt die Kundreisen unter dem Gesichtspunkt der jurisdictio delegata nach kanonischem Vorbilde in dem Tractat de a c t i o n i b u s c. 10 u. ff. Er gibt für die Ernennungspatente der Kommissarien eine Anzahl von Formularen. Der Eingang lautet meist wie folgt: Rex dilectis et fidelibus suis A. B. C. salutem. Sciatis quod constituimus vos justicíanos nostros ad itinerandum in comitatu tali de ómnibus placitis et assisis tam coronae nostrae quam aliis etc. 2*

20

Die Rundreisen der Justitiarien.

Barone und Edelleute, sowie die freien

Grundbesitzer

milites et liberi legales homines der einzelnen Hundertschaften, dazu aus jeder Villata der Reeve und vier bis sechs Vertreter und aus jedem burgum zwölf angesehene burgenses 1 ).

Selbstverständlich

Ladungen

die Parteien

an

ergingen

der anhängigen

außerdem Prozesse;

die in Haft befindlichen Beschuldigten mußten zur Stelle gebracht werden.

Zum Erscheinen waren aber auch die

derzeitigen Sheriffs mit ihren Bailiffs und Coroners verpflichtet, sowie die seit dem letzten Iter aus dem Amte Geschiedenen, diese, um sie erforderlichenfalls

wegen

ihrer Führung zur Verantwortung ziehen zu können.

Das

Nahen der Reiserichter wurde der Bevölkerung durch öffentliche Anschläge bekanntgemacht. Am festgesetzten T a g e hatten sich die königlichen Kommissare mit ihren Schreibern

und dem

sonstigen

Hilfspersonal an dem bestimmten Orte, gewöhnlich dem Hauptorte der Grafschaft, eingefunden und wurden hier von den amtlich Geladenen feierlich empfangen. auch eine Menge unbeteiligten Volks hatte sich

Aber ver-

sammelt, die ihre Neugierde zu befriedigen wünschte, darunter auch solche, die Bittgesuche oder Beschwerden vor die Richter zu bringen gedachten. Die Verhandlungen fanden öffentlich meist auf dem Markt oder einem ähnlichen geeigneten Platze statt.

Sie

wurden in der allen verständlichen Landessprache, dem Englischen geführt; die Protokolle aber wurden bald lateinisch, bald in der französischen Gerichtssprache abgefaßt. Die Eröffnung der Tagung ging mit eindrucksvoller Feierlichkeit vor sich 2 ).

Sie begann mit der vom Vor-

*) Beispiele für solche Breves gibt B r a c t o n a. a. O. 3 § 10. ) B r a c t o n de Coron. c. 1; F l e t a I. 19; Y e a r b o o k s ; 30 Edu I. 72iL, wo die Eröffnung- der Placita in itinere 2

Die Rundreisen der Justitiarien.

21

sitzenden angeordneten Verlesung- des Ernennungspatents, an die er eine A n s p r a c h e an das versammelte Volk über Veranlassung und Zweck des K o m m e n s der Richter zu knüpfen pflegte. D a n n nahm er aus den Händen des Sheriffs dessen A m t s s t a b und vereidigte ihn zu g e t r e u e r A u s f ü h r u n g der Befehle des K ö n i g s und seiner Räte, sowie zur Amtsverschwiegenheit. Nachdem der Sheriff den Stab zurückempfangen, steüte er seine Bailiffs und Coroners vor und ü b e r g a b dem Vorsitzenden die mitgebrachten Protokolle, Listen und A k t e n . N a c h Erledigung dieser Präliminarien wurde zu den eigentlichen Geschäften geschritten. Das erste war die W a h l der aus den einzelnen Hundertschaften zu berufenden Geschworenen, denen die Beantwortung der ihnen vorzulegenden F r a g e n und die Geltendmachung der Rüg-en oblag. Diese W a h l geschah in einem indirekten Wahlverfahren. Jeder der hierfür besonders beeidigten Bailiffs hatte aus seinem Bezirke zwei bis vier einwandfreie, unbescholtene Männer (probes homes) zu ernennen 1 ), und diese Wahlmänner, die ebenfalls beeidigt wurden, wählten dann ohne Zuziehung der Bailiffs aus ihren Hundertgenossen z w ö l f gleich ihnen geeignete Männer zu Geschworenen. In gleicher Weise wählten auch die größeren S t ä d t e ihre zwölf burgenses, während die kleinen unselbständigen Ortschaften ihre üblichen Vertreter entsandten. Es folgte die Beeidigung der gewählten Geschworenen, wobei der zuerst Gewählte den Voreid auf wahrheitsiusticiariorum coram J o h a n n e B e r e w i k , L a u n c e t o n anno regni regis xxx geschildert wird. L a u n c e t o n war der Hauptort der Grafschaft C o r n w a l l . Die folgende Schilderung ist diesem Berichte entnommen. ') Die Zahlen schwanken in den Berichten.

22

Die Rundreisen der Justitiarien.

getreue Beantwortung der zu stellenden Fragen schwor, während die übrigen Geschworenen sich eidlich durch den von dem Vormann geleisteten Eid gebunden erklärten l ). Darauf wurde die Liste der Geschworenen für die einzelnen Hundertschaften dem Gericht übergeben. Daß der Geschworenendienst für die Betroffenen keine kleine Last gewesen sei, läßt sich schon daraus ersehen, daß bei der Rundreise des Jahres 1221 allein aus der Grafschaft Gloucester für 40 Hundertschaften mehr als 500 Personen herangezogen werden mußten 2 ). Den so gebildeten einzelnen Juratae wurden die von ihnen zu beantwortenden Fragen aus den Capitula itineris schriftlich übergeben und ihnen eine angemessene Frist zur Vorbereitung, Nachrichteneinziehung und Beantwortung gesetzt. Daß etwa sämtliche Artikel der Capitula jeder der Juraten übergeben worden, ist undenkbar, obschon die Äußerungen der Quellen dafür zu sprechen scheinen; denn ein nicht geringer Teil der in den Instruktionen der Richter aufgestellten Artikel bezog sich auf Gegenstände, die für die Beantwortung durch die Geschworenen gar nicht in Betracht kommen konnten 3 ). Sie sollten vornehmlich Auskunft geben über Verletzungen ') Der Voreid lautet bei B r a c t o n c. 1 § 2: Hoc audite Iusticiarii, quod ego veritatem dicam de hoc quod a rne interrogabitis ex parte dorn. Regis, et fideliter faciam id, quod mihi praecipiatis ex parte dorn. Regis, et pro aliquo non ommittam, quin ita faciam pro posse meo, sie me Deus adjuvet et haec saneta Dei evangelia. Die andern schworen dann: Tale sacramentum quäle primus jurator hic iuravit, ego tenebo ex parte mea sie me Deus usw. 2 ) Ergibt sich aus dem von Mailland a. a. 0. mitgeteilten Verzeichnis der Hundreden. s ) Die bei F l e t a I, 20 gegebene Liste zählt 140 Artikel auf.

Die Rundreisen der Justitiarien.

23

des Königsfriedens durch begangene Straftaten, über Störungen der allgemeinen Sicherheit des Landes, über den richtigen Eingang der königlichen Revenuen, über Verkehrsverhältnisse u. a. Bis zum Eingang der Berichte der Hundertschaftsgeschworenen konnten die Richter andere Geschäfte, die ihrer harrten, erledigen; so, abgesehen vcn Zivilprozessen und von früheren Rundreisen her rückständig gebliebene Sachen 1 ), inzwischen erhobene Anklagen und die von den Sheriffs erstatteten Berichte über die von ihnen bei ihrem Turnus vorgebrachten Rügen. Dafür, daß die letzteren den neugebildeten Hundertschaftsgeschworenen stets zu einer nochmaligen Nachprüfung unterbreitet worden wären, fehlt jeder Anhalt in den Quellen, und dies ist um so unwahrscheinlicher, als ja voraussichtlich dieselben Personen den früheren wie den jetzigen Juraten angehört haben werden.

III.

Das Verfahren in Rügesachen. patriae.

Die Jurata

Uber den Verlauf des Verfahrens in Rügesachen auf den Rundreisen der Richter haben Bracton und seine Nachfolger nur dürftige Nachrichten -1). Wertvolles Material liefern aber die Protokolle, die über die Verhandlungen vor den Justitiarien aufgenommen wurden. Leider sind aus der damaligen Zeit nur wenige veröffentlicht worden. In dieser Beziehung kommt vor allem die von M a i t l a n d herausgegebene Sammlung der auf dem Gerichtstage zu G l o u c e s t e r 1221 verhandelten Placita coronae in Betracht. Mit ihren mehr als fünfhundert Einzelfällen gibt sie ein anschauliches und buntgefärbtes Bild von den damaligen Vorgängen und gewährt interessante Einblicke in die rechtlichen, wirtschaftlichen und sittlichen Zustände der Zeit; sie setzt uns in den Stand, eine Art Abschätzung der damaligen Kriminalität zu veranstalten. W i r sehen, wie Hundertschaft für Handertschaft nacheinander aufgerufen werden, wie sie ihre Berichte und Antworten erstatten und wie sich daran die weiteren Verhandlungen vor dem Gerichte anschließen. Die Berichte der Rügegeschworenen waren an eine besondere Form nicht gebunden; erst unter Eduard I. Bracton c. 2 § 2, c. 22 § 1, 2; F l e t a I 20; Britton I 3.

Das Verfahren in Rügesachen.

25

wurde schriftliche Abfassung", und zwar in Gestalt eines sog-. Z a c k e n b r i e f s (cyrographum, endenté), nebst Untersiegelung vorgeschrieben; die eine Hälfte der Urkunde blieb beim Gericht, die andere in den Händen der Jurata 1 ). Nach der bei Inquests geltenden allgemeinen R e g e l wurde Einstimmigkeit der Beschlüsse gefordert, doch kam es vor, daß man e i n e dissentierende Stimme unberücksichtigt ließ, dafür aber den betreffenden Jurator in Strafe nahm 2 ). Die Antworten der Geschworenen auf die ihnen gestellten F r a g e n konnten sehr verschiedenen Inhalt haben. Hier einige Beispiele. Ein Mensch ist durch einen Unfall (Umstürzen eines Wagens, Kentern eines Bootes u. ä.) getötet worden; die Jurata vermag niemand die Schuld daran beizumessen; ihr Ausspruch lautet: n u l l u s m a l e c r e d i t u r , und das Urteil des Gerichts: i n f o r t u n i u m 8 ) . Übeltäter sind nachts in ein Haus eingebrochen und haben dessen Bewohner ermordet 4 ); sie sind unentdeckt entkommen und nicht zu ermitteln; die Jurata findet sich mit einem n e s c i u n t , q u i f u e r u n t , n u l l u s m a l e c r e d i t u r ab und mit dem Vermerk , e t i d e o n i h i l ' ist die Sache abgetan. Und das gleiche gilt, wenn etwa die Leiche eines Unbekannten gefunden ') F l e t a I 18 § 4; B r i t t o n I 3 § 9. 2) Ein Fall bei M a i t l a n d Nr. 238, ad judicium de Philippo de Oxondone, uno de juratoribus, qui dieit quod — et alii X I ei deficiunt. Y e a r b o o k 30/31 Edu. I App. II 537 et unus jurator de XII in secreto sine assensu sociorum suorum praesentavit — XII dixerunt, se nil scire, ideo in misericordia. 3) M a i t l a n d Nr. 78, 118, 292, 492 u. a. m. 4) Die typische Formel lautet: „malefactores venerunt de nocte in domum Osberti et occidunt ipsum 0 . etc." M a i t l a n d Nr. 239, 420 u. ö.

26

Das Verfahren in Rügesachen.

worden und die vom Coroner angestellte Untersuchung zu keinem Ergebnis geführt hat. Wichtiger sind die Fälle, in denen die Geschworenen sich materiell

über das Vorhandensein

handensein von Verdacht

wegen

oder

Nichtvor-

einer Straftat

eine oder mehrere Personen aussprechen.

gegen

Es geschieht

dies mit Formeln wie: m a l e c r e d u n t NN. d e m o r t e , de r o b e r i a usw. oder , p r a e s e n t a n t q u o d etc.', wenn sie den Verdacht annehmen, und , n o n m a l e c r e d i t u r , non

malecredunt'

verneinen.

u. ä., wenn sie

den

Verdacht

Nicht selten werden auch die näheren Um-

stände des Vorg-angs und die Gründe für die Annahme oder

Nichtannahme

des

Verdachts

gegeben, z. B . wird bei Tötungen

ausdrücklich

an-

berichtet, daß der

Tod nicht infolge schuldbarer Verletzung eingetreten sei 1 ). Die R i c h t e r hatten das R e c h t , die Aussprüche der Juraten konnten,

einer

schworenen geben. gewalt

genauen

wenn

sie

zur Verbesserung

Vermöge konnten

Geschworene

Prüfung

Bedenken

der sie

wegen

ihnen

gegen

zu

unterziehen,

hatten,

sie

den

oder Änderung zustehenden Hundreden,

Pflichtversäumnisse,

sie Ge-

zurück-

Disziplinar-

Villaten

und

fehlerhafter

Antworten u. ä. Strafen verhängen 2 ). W e n n der Ausspruch

der Geschworenen den Ver-

dacht verneinte, so beschloß das Gericht die Einstellung des Verfahrens mit der üblichen Formel: et i d e o i n d e ') M a i t l a n d Nr. 67: praecise dicunt, quod obiit infirmitate et non de plaga. Ebenso Nr. 114, 270 u. a. 2) M a i t l a n d Nr. 44 ad iudicium de juratoribus, qui in omnibus male respondent. Nr. 351 loquendum de juratoribus qui nesciverunt aliquid respondere de hundredo suo. Zahlreiche Strafverfügungen pro concelamento u. ä.

Das Verfahren in Rügesachen.

27

q u i e t u s und entließ den Beschuldigten mit oder auch ohne Bürgenstellung aus der Haft. Das den Verdacht aussprechende Verdikt — i n d i c t a m e n t u m , p r a e s e n t a t i o genannt — bildete nunmehr die Grundlage für das weitere Strafverfahren gegen den Beschuldigten, der als solcher i n d i c t a t u s , p r a e s e n t a t u s , r e t t a t u s bezeichnet wird. Die Rüge ersetzte die förmliche Anklage; sie wird als im Namen des Königs erhoben angesehen. Als Ankläger gelten die Rügegeschworenen s e l b s t . Das englische Rügeverfahren berührt sich nahe mit der I n q u i s i t i o des kanonischen Rechts. Es unterliegt keinem Zweifel, daß B r a c t o n s Darstellung unter seinem Einfluß entstanden ist. Wie nach der kanonistischen Lehre die auf fama publica gegründete diffamatio den Richter zur Strafverfolgung berechtigte, so nach Bracton die f a m a p a t r i a e , d.h. die durch den Ausspruch der Rügejury begründete Verdächtigung; und wenn er als Voraussetzung der fama hervorhebt, daß sie herrühren müsse non a malevolis et maledicis sed a providis et fidedignis personis, non semel sed saepius, quod clamor innuit et diffamatio manifestat 1 ), so wiederholt er fast wörtlich das, was Innocenz III. in seinen Urteilen und auf dem Lateranischen Konzil als Voraussetzungen der Inquisitio angeordnet hatte 2 ). Auf das kanonische Recht weist auch die dem Berüchtigten obliegende Pflicht, sich von dem Verdachte zu reinigen, hin, sowie die Pflicht des Richters, durch Befragung der Rüge') B r a c t o n c. 22 § 1, de indictamentis per iamam patriae ex suspitione. Vgl. F l e t a I 34 § 39, 40. 2) c. 17, 24 X de accus 5, 1.

28

Das Verfahren in Rügesachen.

geschworenen über die Quellen, aus denen sie geschöpft hätten, eine A r t inquisitio famae anzustellen 1 ). Die Verhandlung vor den Justitiarien auf Grund des eingereichten Indictaments hing davon ab, ob der Verdächtigte und A n g e k l a g t e anwesend war oder nicht. W a r er entflohen oder weder durch Ladung noch durch Haftbefehl zu erlangen, so blieb nur das sehr schwerfällige und zeitraubende Ächtungsverfahren (utlagatio) vor dem Grafschaftsgericht einzuleiten, worauf aber hier nicht näher eingegangen werden kann 2 ). Anwesend ist der Angeklagte, wenn er aus der H a f t vorgeführt wird oder sich persönlich stellt oder von demjenigen zur Stelle g e b r a c h t wird, in dessen Dienst, Haushalt oder Schutz er gestanden (in m a n u p a s t u), oder der sich für ihn verbürgt hat. Dem Angeklagten ist der Inhalt des Indictaments bekanntzumachen, auch soll ihm auf sein Verlangen eine angemessene Frist zur Vorbereitung seiner Verteidigung gewährt werden 3 ). Der A n g e k l a g t e ist rechtlich verpflichtet, eine bestimmte A n t w o r t auf die Anschuldigung zu g e b e n ; bloßes Schweigen oder Verweigerung der Antwort oder eine ungenügende Erklärung hatten schwere Nachteile zur Folge. Diese Pflicht des Angeklagten ist eine höchstpersönliche; weder V e r t r e t u n g noch Zuziehung eines Beistands oder Verteidigers waren ihm gestattet; denn dem Könige gegenüber, in dessen Namen die Anklage erhoben wurde, war überhaupt die Zuziehung eines AnB r a c t o n c. 22 § 2. ) Über Utlagatio: B r a e t o n c. 12—14; F l e t a 1 27, 28. s ) Nach B r i t t o n 1 5 § 2 fünfzehn Tage. 2

Das Verfahren in Rügesachen.

29

walts ausgeschlossen *). Anders im Verfahren auf Privatanklage. Es hat Jahrhunderte gedauert, bis man diese für den Beschuldigten so äußerst harte Maßregel beseitigte 2). Bekennt der Angeklagte sich vor Gericht für schuldig, so bedarf es keiner weiteren Verhandlung; das Gericht wird auf Grund des Geständnisses das Schuldurteil erlassen, es sei denn, daß ihm gestattet wird, als sog. P r o b a t o r aufzutreten mit der Verpflichtung, Mitschuldige oder andere Verbrecher anzuklagen und zu überführen (davon später S. 62). Erklärt der Angeklagte sich für nichtschuldig, was in der üblichen Formel: N v e n i t e t d e f e n d i t o m n e m f e l o n i a m e t p a c e m dorn. R e g i s i n f r a c t a m e t q u i d q u i d e s t c o n t r a p a c e m dorn. R e g i s — oder mit ähnlichen Worten registriert wurde 3 ), so hatte der Richter ihn zu befragen, quomodo se vult inde acquietare; dann war der Angeklagte gehalten, den zu seiner Reinigung gesetzlich zulässigen Unschulds- und Verteidigungsbeweis anzubieten. Bis zum Anfang des dreizehnten Jahrhunderts bestand im Rügeverfahren dieser Unschuldsbeweis von alters her in der Unterwerfung unter das Gottesurteil des Wassers oder des Eisens, unter Umständen in Ver*) In dem später zu behandelnden Falle Y e a r b o o k Anh. 530 sagt der Richter zum Angeklagten: Vos debetis scire, quod Rex est pars in casu isto — et iura non patiuntur quod habeatis consilium contra Regem. *) Erst durch ein Gesetz von Wilhelm III. aus dem Jahre 1696 wurde in Hochverratsfällen dem Angeklagten die Verteidigung durch einen Anwalt zugelassen. s) B r a c t o n c. 19 § 6. F l e t a I 34 § 1. Zahlreiche Beispiele auch bei Maitland. Später genügte die einfache Erklärung nient (oder rien) culpable, not guilty.

30

Das Verfahren in Rügesfichen.

bindung dieses

mit

System

der Leistung erhielt

des Unschuldseides 1 ),

sich,

solange

die Kirche

und die

Gottesurteile anerkannte und sich durch ihre Organe bei ihrer Handhabung

beteiligte 2 ).

Dies

änderte

sich

aber seitdem die Kirche infolge des Laterankonzils von 1216 ihre Mißbilligung der Gottesurteile ausgesprochen und

die Mitwirkung

hatte 8 ).

der

Geistlichen

dabei

untersagt

Zwar den Zweikampf, das übliche Überführungs-

und Verteidigungsmittel im Privatanklageverfahren, vermochte die K i r c h e in England nicht auszurotten, da es zu tief in dem Rechtsbewußtsein der herrschenden normannischen Klasse Wurzel gefaßt hatte, in

betreff der

übrigen Ordale fanden aber die kirchlichen Satzungen in England um so leichter Eingang und Gehorsam, als das Land infolge der Schwäche der Regierung K ö n i g Johanns in eine Art lehnsrechtliche Abhängigkeit von dem Oberhaupt der Kirche gekommen war.

So schwanden

die

Ordale schnell aus der rechtlichen Übung 4 ). Die Beseitigung der Gottesurteile riß eine bedenkliche Lücke in das bisherige Beweissystem und bereitete der Rechtspflege nicht geringe Verlegenheit. Sie spiegelt sich wieder in einer von den königlichen R ä t e n den auf einer Rundreise begriffenen Justitiarien gegebenen Anweisung ') So noch nach den A s s i s e n von C l a r e n d o n (1166) und N o r t h a m p t o n (1176). a) Vgl. darüber interessante Mitteilungen bei L. Owen P i k e , Crime in England, Lond. 1873 1 52—55, 204. 3) c. 9 X de clericis 3, 50; c. 3 X de purg. vulg. 5, 35. 4) In M a i t l a n d Nr. 383 wird des iudicium aquae gedacht; der Fall gehört vermutlich der Zeit vor 1216 an. Auch bei B r a c t o n c. 16 § 3 wird gelegentlich die purgatio iudicio aquae et ignis erwähnt, offenbar aber als einer geschichtlichen Vergangenheit.

31

Das Verfahren in Rügesachen.

vom 29. Januar 1219.

Unter Hinweis auf das kirchliche

Verbot der Gottesurteile werden die R i c h t e r angewiesen,, je nach der Schwere der Straftaten verschieden zu verfahren.

Die wegen der schwersten Verbrechen (erwähnt

werden

Mord,

Raub,

Brandstiftung)

Angeschuldigten

sollen in sichere Gefängnishaft genommen und verwahrt werden, die wegen mittlerer Verbrechen Verdächtigten haben eidlich das Land zu räumen, und bei geringeren Vergehen soll die Stellung vonFriedenbürgschaft genügten. Ausdrücklich wird erklärt, daß die Verordnung nur für die bevorstehende Rundreise gegeben

sei.

Man

sieht,

alles ist unklar gelassen; wie die Schuld oder Nichtschuld der Angeklagten festgestellt werden soll, ist nicht gesagt, ebensowenig, was mit den in Haft Genommenen weiter geschehen soll.

Man trug sichtlich Bedenken, sich be-

stimmter auszusprechen und überließ das Weitere dem Ermessen der Richter 1 ). Doch war schon ein W e g gefunden die Gottesurteile zu ersetzen und ein neues Beweismittel in das System des Strafprozesses einzufügen, das besser als jene

ge-

eignet war, die Schuldfrage zu entscheiden. ') Der Erlaß ist in K y m e r , Foedera I I S . 154 mitgeteilt; früher schon in den Eeports von Sir E d w a r d Coke. Auch B i e n e r , Engl. Geschworenengericht II 231, gibt ihn wieder. Quia dubitatum fuit — quo iudicio deducendi sunt illi, qui reetati sunt de latrocinio, murdro incendio et his similibus, cum prohibitum sit per ecclesiam Eomanam iudicium ignis ex aquae, provisum est ad praesens, ut in hoc itinere sie fiat de rectatis de huiusmodo excessibus; videlicet quod illi qui reetati sunt de criminibus praedictis majoribus — teneantur in prisona nostra et salvo custodiantur etc. Cum igitur nihil certius providerit — nostrum consilium ad praesens, relinquimus discretioni vestrae hunc ordinem praedictum observandem in hoc itinere vestro.

32

Das Verfahren in Rügesachen.

Mehr und mehr hatte sich die Verwendung

von

Inquisitionen durch Geschworene zur Entscheidung" von streitigen Tatsachen im Zivilprozeß bewährt und sich in dem Rechtsbewußtsein gelebt.

Man begann

der beteiligten Volkskreise einvon

dieser Einrichtung auch im

Strafverfahren Gebrauch zu machen, und zwar zunächst die Feststellung geltend gemachter Einreden oder sonst auftauchender Zwischenpunkte scheiden zu lassen.

durch Geschworene ent-

L a g es da so fern, auch die F r a g e

„an sit indictatus culpabilis nec solchen

Inquisitio

durch

ne - '

gleichfalls

das Gesamtzeugnis

der

einer Ge-

meindegenossen zu unterbreiten, wenn der Angeklagte sich selbst ihr unterwarf? gekommen,

Schon vor 1219 war es vor-

daß Beschuldigte wie im Appellprozeß so

auch im Riigeverfahren gegen Geldangebot sich aus der königlichen Kanzlei ein breve pro habenda inquisitione erbaten und bewilligt erhalten hatten, durch welche die Schuldfrage

entschieden wurde 1 ).

Und auch die Ver-

handlungen auf dem T a g e zu G l o u c e s t e r 1221 bieten Beispiele für das gleiche Verfahren.

Wenn es z. B. in

dem Berichte heißt: M. qui rettatus fuit — dat R e g i 2 M. pro habenda inquisitione an sit culpabilis nec ne — so haben

die Richter

kein

Bedenken

getragen,

dies

Angebot unter Bürgenstellung anzunehmen und die Jurata über

die Schuldfrage

zu berufen 2 ).

Auch müssen sie

ihr Vorgehen mit der Vorschrift des Art. 26 der M a g n a C h a r t a : — nil detur nec capiatur de cetero pro brevi inquisitionis de vita et membris, sed gratis concedatur et non negetur — nicht für unvereinbar erachtet haben; denn Näheres bei B r u n n e r , Entstehung der Schwurgerichte, 469 ff.; B i e n e r III, 186 fi. 2) M a i t l a n d Nr. 52, ferner Nr. 284, 436 u. a.

33

Das Verfahren in Rügesachen.

die damals, wie später herrschende Ansicht bezog diese Bestimmung Inquisitio

nicht

über

auf

Gewährung

die Schuldfrage,

das bekannte b r e v e d e vorläufige

Entlassung

odio

einer

allgemeinen

sondern vielmehr et

auf

a t i a , das nur die

eines widerrechtlich Verhafteten

aus der Haft bezweckte 1 ).

Die Richter gestatteten aber

auch, daß die Beschuldigten sich ohne Geldangebot und ohne Erlaß eines königlichen Breves sofort bei der Beantwortung des Indictaments auf den Spruch einer Jurata patriae beriefen und sich ihr d e unterwerfen.

bono

et

malo

zu

In der vorher erwähnten Sammlung be-

g e g n e n uns zahlreiche Fälle, in denen von den Richtern Erklärungen wie die folgenden: N. N. veniunt et defendunt totum et ponunt se malo

super

oder — ponunt

patriam

de

bono

se s u p e r v e r e d i c t u m

et XII

j u r a t o r u m , supervisnetuni, super j u r a t a m und ähnliche zur Entscheidung der Schuldfrage zugelassen wurden 2 ). So

befestigte

sich, unerachtet

eines gewissen an-

fänglichen Schwankens, allmählich der Grundsatz, daß der Angeklagte

auch im Riigeverfahren

ein R e c h t

darauf

habe, sich zu seiner Verteidigung auf den Spruch einer Jurata patriae zu berufen, ein Satz, den bereits B r a c t o n als geltendes gemeines Landesrecht vortragen konnte. W i e wurde nun die Jurata patriae, auf die der AnB r a c t o n c. 5 § 3, c. 8 § 6 ff. An erstgedachter Stelle bemerkt er bei Erwähnung der M a g n a C h a r t a : Et breve de tali inquisitione facienda gratis debet concedi quod videri poterit in C h a r t a de libertatibus et non erit de aliquibus (1. aliis) inquisitio facienda, nisi tantummodo de illis, qui fuerunt in prisona. Daraus ergibt sich, daß in der Tat die M. Ch. nur von dem breve de odio et atia zu verstehen ist. Ich vermag daher auch der von B r u n n e r , 473, vertretenen Ansicht nicht zuzustimmen. 2) M a i t l a n d Nr. 22, 74, 100, 251, 289, 336, 343, 416 u. a. Güterbock,

S t a d i e n und Skizzen.

3

34

Das Verfahren in Rügesachen.

geklagte sich berief, gebildet? Waren es die nämlichen Geschworenen, von denen die Rüge beschlossen worden war, oder wurde über die Frage a n s i t c u l p a b i l i s eine zweite neue Jurata berufen? Bekanntlich ist das ein Streitpunkt, und die Ansichten darüber sind geteilt 1 ). Prüft man aber die Quellenzeugnisse, so wird man sich wenigstens für die Zeit v o r Bracton für die erste Alternative entscheiden dürfen. Weder die von B i e n e r mitgeteilten Rechtsfälle aus den Jahren 1198, 1203, 1207 und 1226 2), noch die in der M a i 11 a n d sehen Sammlung enthaltenen vom Jahre 1221 bieten einen Anhalt dafür, daß bei Berufung auf die patria eine neue Jurata gebildet worden wäre; es waren vielmehr dieselben Hundertschaftsgeschworenen, die das Indictament beschlossen hatten, denen auch der Ausspruch über die Schuld zufiel. Wenn der Richter in einigen Fällen neben den fungierenden Geschworenen noch Vertreter von Nachbarvillaten oder auch Geschworene einer benachbarten Hundertschaft oder sonstige vertrauenswerte Personen aus der Grafschaft beizog, und sie über die Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten befragte, so geschah das wohl, um ganz sicher zu gehen und den Ausspruch der Jurata gewissermaßen durch einen größeren Kreis von Nachbarn bestätigen zu lassen 8 ). ') S t e p h e n , Hist. oi Crim. law., Bd. I, 258. M a i t l a n d , XLIII. 2 ) B i e n e r , Engl. Geschworengericht III, 186ff. s ) Maitland Nr. 213, 228, 330 u. a. Die gewöhnliche Formel lautet: „et vlllatae de H. de W. et B. et de T. item dicunt." In Nr. 101 nahmen sechs Villaten teil, die „hoc idem dicunt quodiuratores". — Auch die Zuziehung der „coronai or es et omnes aliide comi tatù" wird gelegentlich erwähnt. Die Bedeutung der Villatae ist bisher nicht genügend aufgeklärt. Der Versuch B i e n e r s III 199, sie mit dem „Umstand" des deutschen Schöffengerichts zu vergleichen, erscheint mir verfehlt.

Das Verfahren in Rügesachen.

35

Aus der dürftigen und wenig klaren Darstellung, die B r a c t o n über das Verfahren per famam patriae, wie er es nennt, gibt, läßt sich nicht mit Sicherheit ersehen, wie er zu der hier besprochenen Frage stand 1 ). Immerhin sprechen einige Gründe dafür, daß auch e r sich zur herrschenden Ansicht bekannt habe. Nach ihm haben über die Schuld des Indictatus zwölf Geschworene und vier Villatae zu entscheiden; woher aber jene zwölf genommen wurden, sagt er nicht. Er macht aber dem Richter zur Pflicht, nicht nur die Geschworenen über die Quellen zu vernehmen, die ihnen die Gründe zur Verdächtigung geliefert haben, sondern auch diejenigen Geschworenen und Mitglieder der Villaten auszuscheiden, die der Angeschuldigte wegen Feindschaft, Eigennutz und aus ähnlichen Gründen für verdächtig erklärt hat 2 ). Da von anderen Geschworenen bisher nicht die Rede gewesen, so können hier nur die Hundertschaftsgeschworenen gemeint sein, die die fama patriae in ihrem Indictament bezeugt hatten. Wichtiger ist aber noch folgendes. Sind die zwölf Geschworenen und die Villaten beieinander, so sollen nach Bracton zwar die Mitglieder der letzteren durch einen besonderen Eid verpflichtet werden, die Geschworenen aber nicht 8 ). Diese verschiedene Behandlung läßt sich nur so erklären, daß die als Vertreter der Hundertschaften gewählten Geschworenen bereits beim Beginn der T a g u n g beeidigt B r a c t o n c. 22. ) B r a c t o n c. 22, § 3. Justiciarius dicat indictato quod si aliquem ex juratoribus suspectum habeat illum justa ratione amoveat et idem illud dicatur de villatis ut si capitales inimicitiae fuerint inter aliquem ipsorum et indictatum usw. s ) Der Eid der Villaten lautet: Hoc auditis justiciarii quod veritatem dicemus de iis quae a nobis inquiratis ex parte 3* 2

36

Das Verfahren in Rügesachen.

worden waren und daß sie durch den einmal geleisteten Eid auch bei der Feststellung der Schuld gebunden erachtet wurden. Auch Bracton scheint daher die Rügegesch worenen als bei der Schuldfrage mitwirkend angenommen zu haben. Einige Jahrzehnte nach Bracton muß sich jedoch eine Wendung in den Ansichten vollzogen haben. Denn die Darstellung bei B r i 11 o n läßt kaum eine andere Deutung zu, als daß die Rügegeschworenen bei dem Ausspruch über die Schuld des Angeklagten ausgeschaltet worden seien und daß auf seine Berufung auf die patria als Vertreter dieser eine neue besondere Jury gebildet werden mußte. Es mochte unbillig erschienen sein, daß in Sachen, in denen es sich um Leib und Leben handelte, Geschworene urteilen sollten, die sich durch ihre gegen den Angeklagten erhobene Rüge mehr oder minder voreingenommen gezeigt hatten, und dementsprechend ward ihm auch das Recht gewährt, bei Bildung der Jury über die Schuldfrage diejenigen als verdächtig abzulehnen, die an der Rüge gegen ihn teilgenommen hatten Die Scheidung einer zweiten Jury, der sog. B e w e i s - oder U r t e i l j u r y von der Rügejury war damit angebahnt; die völlige Durchführung der Trennung beider erfolgte allerdings erst im 14. Jahrhundert. Noch eine andere Neuerung scheint sich um dieselbe Zeit vollzogen zu haben: die Ausscheidung der Villaten bei Feststellung des Schuldspruchs. Weder Britton noch spätere Rechtsfälle erwähnen ihre Zuziehung bei den Verhandlungen mit der jurata patriae. dorn. Regis et pro nihilo ommitteremus, quin veritatem dicemus, sie nos Deus usw. ') B r i t t o n I 5 § 8.

IV.

Ein praktischer Rechtsfall. Die Vorführung" eines wirklich stattgehabten Rechtsfalls wird am besten ein richtiges Bild von dem Gange des Verfahrens geben. Wir entnehmen den Fall einer Sammlung im Anhang- II der mehrfach erwähnten Y e a r b o o k s König Eduards 1.1). Lokale Andeutungen weisen daraufhin, daß die hier wohl von einem Augenund Ohrenzeugen berichteten Fälle aus Y o r k s h i r e stammen 2), ob von einer Rundreise, läßt sich nicht entscheiden; die Namen der fungierenden Richter werden nicht genannt. Die Sammlung dürfte aus dem Ende des 13. oder Anfang" des 14. Jahrhunderts stammen, näher läßt sich die Zeit nicht feststellen; die Berichte sind in wenig klassischem Latein abgefaßt. Der mitzuteilende Rechtsfall betrifft die Anklage g'egen einen miles S i r H u g o , der als solcher und da er ein eigenes manerium besaß in seinem Bezirke ein gewisses Ansehen g-enossen zu haben scheint. H u g o wird von den Geschworenen zu Y. angeklagt (praesentatum est per duodecim de Y.) 8 ) ein ') Y e a r b o o k s 528ff. 8 ) S. 538 werden der Vicecomes E b o r a e i erwähnt, S. 542, 543 Fälle behandelt apud E b o r a c u m . S. 545 wird einer consuetudo comitatus E b o r a e i gedacht. 8 ) Der Ort der Handlung ist das Städtchen Y o n c r e s , es ergibt sich dies aus dem ersten Fall derselben Sammlung S. 528. Ich habe es im heutigen England nicht ermitteln können, aber Y o n k e r s ist der Name einer Stadt im Staate Neuyork.

38

Ein praktischer Rechtsfall.

Mädchen gewaltsam in seiner Behausung entführt und sie dort wider ihren Willen mißbraucht zu haben — quod H. rapuit quendam puellam — et eam carnaliter cognovit contra suam voluntatem. Da die Verletzte selbst nicht geklagt hat, ist die Verfolgung im Namen des Königs von Amts wegen aufgenommen worden; die Rüge ersetzte die förmliche Anklage 1). H u g o wird aus dem Gefängnis an die Gerichtsschranken — ad barram — gebracht; ihn begleiten als Beistände und Berater sein Verwandter namens B r i a n und ein gewisser N i c o l a u s de N. Der Richter weist aber beide zurück; er will den Brian zwar nicht als Berater, sondern nur zum Trost für seinen Verwandten zulassen. Brian tritt aber, um nicht in der Sache verdächtig zu erscheinen, freiwillig zurück. Wir lassen nun den Berichterstatter in seinem lebhaft gefärbten Bericht selbst sprechen. R i c h t e r : Hugo, Ihr seid vor uns angeklagt, ein Weib entführt zu haben usw. Wie wollt Ihr Euch davon reinigen (qualiter vultis vos acquietare)? H u g o : Herr, ich bitte Euch um Gewährung eines Beistands, damit ich nicht im Gericht des Königs wegen mangelnden Rats übereilt werde (ne subripiar in Curia Regis pro defectu consilii). R i c h t e r : Ihr müßt doch wissen, daß in diesem Falle der König Partei ist und die Sache von Amts wegen verfolgt. Unsere Gesetze dulden nicht, daß Ihr Euch gegen den König eines Ratgebers bedient. Hätte dagegen jenes Weib gegen Euch geklagt, so würde Euch ein Ratgeber zur Seite stehen dürfen; nicht aber ') Über crimen raptus: B r a c t o n c. 28. F l e t a I 35. Britton I 15, I 24, § 7. S t a t u t Westminster II 13. von 1285.

Ein praktischer Rechtsfall.

39

gegen den König-. Daher befehle ich im Namen des Königs, daß alle etwa für Euch anwesenden Anwälte (narratores) sich entfernen. Nachdem dies geschehen, fährt der R i c h t e r fort: Hugo, antworte nun; was geg-en dich vorgebracht wird, ist eine nicht unwahrscheinliche Tatsache und deine eigene Tat; du bist also sehr wohl imstande, auch ohne einen Ratgeber zu antworten, ob du die Tat begangen hast oder nicht. Das Gesetz muß für alle ein gleiches sein, und das Gesetz gebietet, daß, da der König dein Gegner ist, du keine Berater haben darfst. Und wenn selbst wir gegen das Gesetz Euch einen solchen bewilligen wollten, und die patria sich zu Euren Gunsten entschiede (was sie mit Gottes Hilfe tun möge), so würde man doch sagen, daß Ihr nur durch Begünstigung des Richters freigesprochen wäret. Solches wagen wir nicht zu tun, und solches dürft auch Ihr nicht von uns verlangen. Gebt daher Antwort. Statt zu antworten, erhebt Hugo nunmehr, was allerdings sein Recht ist, einen einlassungshindernden Einwand gegen die Zuständigkeit des Gerichts. H u g o : Herr, ich bin K l e r i k e r und brauche nicht ohne meine geistlichen Richter (sine meis ordinariis) zu antworten *). R i c h t e r : Seid Ihr wirklich Kleriker ? H u g o : Ja, Herr, denn ich bin Rektor der Kirche zu N. gewesen. Hier erscheint nun — vermutlich von den Freunden Hugos verständigt — der zuständige Ordinarius. O r d i n a r i u s : Wir reklamieren ihn als Kleriker. Hugo stimmt dem bei. Der Richter aber, dem die ') Vgl. unten S. 83 ff.

40

Ein piaktiscbei Rechtsfall.

persönlichen Verhältnisse Hugos bekannt gewesen sein müssen, repliziert sofort gegen seinen Einwand. R i c h t e r : Wir sagen, daß Ihr das Privilegium als Kleriker verloren habt; denn Ihr seid ein b i g a m u s , da Ihr die Ehe mit einer Witwe geschlossen habt'). Wollt Ihr aber etwa behaupten, sie sei eine Jungfrau gewesen, als Ihr sie geheiratet, so ist es besser, dies sofort zu tun als zu verzögern; denn die Sache wird sich gleich durch die patria feststellen lassen. H u g o : Herr, sie war eine Jungfrau, als ich sie gefreit. R i c h t e r : Das wird sich sofort ausweisen. Hierauf legte der Richter die Streitfrage zur Beantwortung den Geschworenen vor (et oneravit X I I si Hugo etc.), und zwar den nämlichen Zwölf, die bereits als Rügegeschworene fungiert hatten und als solche bereits beeidigt waren. Es ergibt sich aus einer Bemerkung des Berichterstatters: notandem quod de novo non fuerint jurati quia prius jurati 2 ). Nachdem die Geschworenen auf ihren Eid erklärt hatten, daß es eine Witwe gewesen, die Hugo geheiratet, ist dessen Behauptung und sein Einwand widerlegt. R i c h t e r : Das Gericht erkennt nunmehr, daß Ihr als Laie zu antworten und Euch dem Spruch jener zwölf redlichen Männer zu unterwerfen habt, von denen wir wissen, daß sie keiner Lüge auch nicht um unsertwillen fähig sind 8 ). ') Vgl. unten S. 83 ff. 2) Der Text hat die verkehrte Lesart — juravi —. 3) Man ersieht hieraus, daß der oben S. 36 besprochene Grundsatz, die Rügegeschworenen bei der Schuldfrage auszuschalten, noch nicht überall durchgeführt worden war. Auf die berechtigte Ablehnung des Angeklagten läßt der Kichter aber sofort seinen Vorschlag fallen.

Ein praktischer Rechtsfan.

H u g o : Herr, ich bin von jenen angeklagt ich kann sie daher nicht annehmen; überdem ein Ritter (miles) und will daher nur von Standesgenossen (per meos pares) abgeurteilt

41 worden,, bin ich meinenwerden.

R i c h t e r : Weil Ihr Ritter seid, wollen auch wir, daß Eure Standesgenossen über Euch das Urteil sprechen Nach dem Berichte wurden nunmehr zwölf milites zu Geschworenen ernannt und Hugo befragt, ob er gegen sie etwa Ablehnungsgründe geltend machen wolle. H u g o erwidert eigensinnig: Ich nehme sie nicht an; Ihr könnt kraft Eures Amts jede beliebige Inquest zusammenstellen; ich nehme sie nicht an. R i c h t e r (mahnend und warnend): Sir Hugo, wenn Ihr in diese willigt, so werden sie mit Gottes Hilfe für Euch eintreten (deo mediante operabuntur pro vobis)_ Wenn Ihr aber Euch weigert, dem gemeinen Recht zu folgen (legem communem refutare), so werdet Ihr die von ihm geordnete Strafe erleiden müssen, nämlich: Ihr werdet am ersten Tage nur zu essen, am folgenden Tage nur zu trinken bekommen; und an dem Tage, an dem Ihr trinkt, werdet Ihr nichts zu essen erhalten, und umgekehrt ebenso; und Eure Nahrung wird nur aus ') Die Forderung des Angeklagten per pares suos abgeurteilt zu werden, und die Zulassung des Richters legt die Frage nahe, ob dies gemäß des bekannten a 39 der M. Ch. und des dort vorgeschriebenen Judicium parium suorum geschehen sei. An sich hatte die Bestimmung mit der Besetzung der Juries nichts zu tun; es scheint aber, daß man den Satz später auch auf sie angewendet hat. Vielleicht wollte der Richter nur dem Angeklagten entgegenkommen.

42

Ein praktischer Rechtsfall.

Gerstenbrot, nicht Weizenbrot salo) und Wasser bestehen 1).

(de pane ordaceo non

Der Richter fügte noch verschiedene weitere Warnungen hinzu, er täte besser daran, nicht länger zu zögern und die Geschworenen anzunehmen. H u g o : Meine Standesgenossen will ich annehmen, nicht aber die Zwölf, die mich angeklagt haben. Wollet -daher meine Ablehnungsgründe gegen jene anhören. R i c h t e r : Gern, man verlese die Namen der Geschworenen, und Ihr bringt dann mündlich oder schriftlich Eure Ablehnungen vor. H u g o : Herr, da ich nicht lesen kann, bitte ich um einen Beistand. R i c h t e r : Das geht nicht, da es den König betrifft. H u g o : Dann nehmt Ihr meine Ablehnungen und lest sie vor. R i c h t e r : Nein, Euer eigner Mund muß sie vortragen. H u g o : Ich kann sie aber nicht vorlesen. R i c h t e r : Wie? Ihr berieft Euch vorher auf das Privileg der Kleriker und jetzt könnt Ihr nicht einmal Eure eignen Ablehnungen lesen? H u g o verstummt und steht verwirrt da (stetit in pace quasi confusus). R i c h t e r : Seid nicht so erschrocken; jetzt ist die Zeit zum Sprechen da. — Er wendet sich an einen der Anwesenden N. d e L y e : Wollt Ihr die Ablehnungen des Sir Hugo verlesen? ') Es ist das die sog. penance oder peine forte et dure von der unten S. 66 ff. gehandelt werden wird.

Ein praktischer Rechtsfall.

43

H e r r N.: Ja, Herr, sofern ich die Schrift erhalte, die er in Händen hat. — Nachdem dies geschehen, fragt N . : Herr, hier stehen gegen mehrere der Geschworenen Ablehnungsgründe,

wollt

Ihr,

daß

ich

sie

öffentlich

vorlese? Richter:

Das

nicht, lest sie vielmehr dem Ge-

fangenen (prisoni), d. h. Hugo, im geheimen vor, er hat sie dann mündlich nachzusprechen. Nachdem

dies

geschehen

getragenen Ablehnungen

und

die mündlich vor-

für richtig befunden worden,

wurden die betreffenden Geschworenen aus der Inquest entlassen l ). Richter,

sich an

die

Geschworenen

wendend:

Wir beschuldigen Sir Hugo der gewaltsamen Entführung eines W e i b e s ; er hat seine Schuld bestritten, und befragt, wie er sich rechtfertigen wolle, hat er geantwortet: durch die bona patria und sich darüber auf Euch de bono et malo berufen; und so g e b e n wir Euch auf, daß Ihr uns kraft Eures Eides sagt, ob Sir Hugo das gedachte W e i b gewaltsam entführt hat oder nicht 2 )? Die Z w ö l f :

W i r sagen, daß sie durch Leute des

S i r Hugo gewaltsam entführt worden ist. Richter: nicht?

Hat etwa Hugo die T a t gebilligt oder

(Fuitne H. consentiens ad factum vel non?) 3 )

') Daß an deren Stelle andere einberufen wurden, wird stillschweigend vorausgesetzt; ebenso die Beeidigung. 2) Die übliche Ansprache des Richters an die Jurata. Bemerkenswert ist, daß der Richter nicht die gesamte Schuldfrage auf einmal stellt, sondern sie in einzelne Tatsachenfragen auflöst und deren Beantwortung von den Geschworenen erheischt. a) Durch die erste Antwort der Jurata war die Täterschaft des Angeklagten verneint, es blieb aber die Möglich-

44

Ein praktischer Rechtsfall.

Die Z w ö l f : Nein. R i c h t e r : Haben jene Leute das Weib geschlechtlich gebraucht? Die Z w ö l f : Ja. R i c h t e r : Mit ihrem Willen oder gegen ihrem Willen? (Muliere invita vel consentiente?) Die Z w ö l f : Mit ihrem Willen 1 ). R i c h t e r : Da die Geschworenen Euch freigesprochen haben, sprechen auch wir Euch frei. Damit endet dieser eindrucksvolle, fast dramatisch zu nennende Bericht. keit, daß er sich der Teilnahme schuldig gemacht; daher die folgende Frage. ') Mit der Verneinung der zweiten Frage war die Schuld Hugos an der Entführung verneint. Blieb noch die Anschuldigung des geschlechtlichen Mißbrauchs. Der Richter sah sie in betreff Hugos durch die vorangegangenen Antworten als erledigt an; es konnte sich nur noch um die Verschuldung seiner Leute handeln; daher die Schlußfragen. Das Ergebnis war die Freisprechung des Angeklagten.

V.

Die Jurata und die Schuldfrage. Das Verfahren mit der Iurata patriae, wie es sich am Schlüsse der hier behandelten Periode ausgebildet hatte, bedarf in einigen Punkten noch näherer Betrachtung. Während, wie oben bemerkt, die Rügejuries auf Grund indirekter Wahlen gebildet wurden, erfolgte die Berufung der Geschworenen zur Schuldentscheidung durch den Sheriff und den verhandelnden Richter. Der Sheriff hatte, je nach dem Bedürfnis der zu erledigenden Geschäfte, eine entsprechende Zahl aus den zum Geschworenendienst verpflichteten Grundbesitzern — milites et liberi tenentes — auszuwählen, sie auf eine allgemeine Liste der Grafschaft zu bringen und für ihre Ladung zu dem Gerichtstage Sorge zu tragen. Vielfach wurden Klagen laut wegen der Mißbräuche, deren sich die Sheriffs bei diesem Geschäfte schuldig machten; sie beriefen z. B. kranke, altersschwache und ungeeignete Personen und ließen andere geeignete gegen Bestechung frei. Solchen Verfehlungen suchte König Eduard durch das Statut W e s t m i n s t e r II von 1285 zu begegnen, in dem unter anderem auch ein Zensus für den Geschworenendienst eingeführt wurde, nämlich von 20 Schilling Jahresgrundsteuer beim Dienste innerhalb und von 40 Schilling beim Dieste außerhalb der Grafschaft 1 ). B r i t t o n 123, § 10.

46

Die Jurata und die Schnldfrage.

Auf dem Gerichtstage selbst war es aber der Richter, der für den Einzelfall aus der allgemeinen Liste diejenigen zwölf ernannte, die als Mitglieder der Jurata patriae zu fungieren hatten. Dabei nahm er besondere Rücksicht, solche auszuwählen, die der Nachbarschaft des Angeklagten angehörten. Dem Angeklagten stand das Recht zu, einzelne Mitglieder der Jury abzulehnen (calumnia, challenge), aber nur aus triftigen Gründen; das peremtorische Recht der Ablehnung - gehört späterer Zeit an 1 ). Daß er diejenigen wegen Befang-enheit zurückweisen durfte, die an der R ü g e gegen ihn teilgenommen hatten, ist schon früher bemerkt worden. Im übrigen wandte man die Grundsätze des kanonischen Rechts wegen Zurückweisung von Zeugen auch auf die Ablehnung der Geschworenen an, ein Beweis dafür, daß man sie ursprünglich als wissende Zeugen angesehen hatte 2 ). Der Angeklagte mußte seine Ablehnungen persönlich, und zwar bei Verlust seines Rechts noch vor der Beeidigung der Geschworenen geltend machen und begründen. Blieben weniger als zwölf Geschworene unbeanstandet, so mußten zur Ergänzung andere ausgewählt werden. Hierauf folgte die Beeidigung der Geschworenen, womit die Jurata patriae konstituiert war. Eine Verhandlung v o r den Geschworenen fand nicht statt, weder Vernehmung des Angeklagten, noch Beweisaufnahmen, da ja die Patria selbst das Beweismittel war, auf das der Angeklagte sich bezogen hat. Der Richter B r a c t o n c. 22, § 3; B r i t t o n I 5, § 38. ) Schon G l a n v i l l a II 12 hat den Satz: excipi possunt juratores iisdem modis quibus et testes in curia christianitatis juste respuuntur. 2

Die Juiata und die Schuldfrage.

47

beschränkte sich auf eine kurze Ansprache an die G e schworenen, in der er sie auf den Gegenstand ihrer Entscheidung- hinwies, sie zur Wahrheitsaussage ermahnte und die zu beantwortende Schuldfrage stellte 1 ). Dann* hieß er sie, sich zu geheimer Beratung- zurückziehen und ordnete ihre strenge Bewachung an; bei schwerer Strafe durfte niemand mit ihnen in Verbindung treten. Die Geschworenen gaben in ihrem V e r e d i c t u m ein Gesamtzeugnis ihres eigenen Wissens ab; sie sprachen, de scientia propria, nicht de conscientia. Aus welchen Quellen sie ihre Wissenschaft geschöpft hatten, war gleichgültig; es mochten eigene Wahrnehmungen sein oder Mitteilungen anderer oder Schlußfolgerung-en, die sie aus solchen gezogen hatten. Der Wert ihres Ausspruchs beruhte auf der Erwägung, daß sie als Vertreter der Gemeinde, als Volks- und Rechtsgenossen des Angeklagten am ehesten sein Tun und Lassen und die für seine Schuld oder Nichtschuld sprechenden Umstände in sichere Erfahrung bringen könnten und daher am besten geeignet seien, ein Zeugnis darüber abzugeben. Der Satz — vicini vicinorum facta scire praesumuntur —, der ja auch heute noch für mancherlei dörfliche Verhältnisse Geltung beanspruchen darf, entsprach den damaligen sozialen und lokalen Verhältnissen in England. Der Ausspruch der Geschworenen war die Antwort auf die ihnen vom Gerichte vorgelegten Fragen. Es B r a c t o n c. 22, § 5: Talis qui hic praesens est rectatus de morte — — posuit se super linguas vestras de hoc de bono et malo — et ideo vobis dicimus in iide qua Deo tenemini et per sacramentum quod iecistls, nobis scire faciatis inde veritatem nec ommitatis timore, amore vel odio, sed solum Deum prae oeulis haberitis, quin dicatis si culpabilis sit de hoc quod ei imponitur vel non.

48

Die Jurata und die Schuldfrage.

konnte dies die ganze Schuldfrage als solche sein; das Gericht konnte aber auch — wie oben in dem Falle des Sir Hugo — diese in einzelne Momente und Tatsachen auflösen und deren Beantwortung erheischen. Auch den beschworenen war es gestattet, in ihrem Spruch spezielle Tatsachen hervorzuheben, die sie für festgestellt erachteten oder durch die sie das Ergebnis, zu dem sie gekommen, näher begründeten. Sie konnten sogar statt des Angeklagten einen Dritten als den wahren Schuldigen bezeichnen und dessen Verfolgung anheimgeben 1 ). Hatten die Geschworenen sich über ihren Spruch geeinigt, so gaben sie ihn dem Gerichte kund, eine besondere Form für diese Mitteilung wird in den Quellen nicht berichtet. Und dann gibt das Gericht, je nach dem Inhalt des Verdikts, sein Urteil. Hat das Gericht aber Bedenken gegen dessen Richtigkeit, so kann es die Beanstandung des Spruchs beschließen und die Geschworenen darüber genauer vernehmen. Insbesondere soll das geschehen, wenn der Verdacht auftaucht, daß die Ge schworenen zum Nachteil des Angeklagten beeinflußt oder gar bestochen seien 2 ). Die schuldig Befundenen waren dann zur Verantwortung zu ziehen. Die R e g e l war, daß der Wahrspruch der Jury, mochte er gegen den Angeklagten oder zu dessen Gunsten lauten, e i n s t i m m i g und in Z w ö l f z a h l beschlossen sein ') Ein interessantes Beispiel bei Maitland Nr. 364. W. ist wegen Tötung des A. angeklagt, er hat sich auf die patria berufen — et 12 iuratores dicunt quod ipse non est inde culpabilis, sed revera H. et G. sunt inde culpabiles, et ideo exigantur. 2) Es kam vor, daß Oberherren durch falsche Anklagen und bestochene Geschworenen ihre Hintersassen deren Güter zu berauben suchten. F l e t a 134, § 36; B r i t t o n I 5, § 11.

Die Jurata

müsse.

Doch

und

begnügte

die

49

Schuldfrage.

man sich zuweilen mit einem

elfstimmigen Verdikt und ig-norierte die eine abweichende Stimme.

Konnten

die Geschworenen

sich über

einen

einhelligen Beschluß nicht einigen, so gab es in Zivilsachen das Auskunftsmittel, die Minderheit von der Mehrheit zu trennen und diese durch Neuberufung anderer bis zur Zwölfzahl zu verstärken ; a f f o r t i a r e nannte man es 1 ).

juratam

F ü r Strafsachen scheint eine ähnliche

Erg-änzung nach B r a c t o n und F 1 e t a wenigstens für den Fall

üblich gewesen

schworene

bei deren Vernehmung von der Jurata aus-

geschlossen wurden 2 ). Ansicht,

zu sein, daß verdächtige Ge-

daß, wenn

Und B r i t t o n das Gericht

vertritt sog'ar die

bei Uneinigkeit unter

den Geschworenen sich durch eingehende Vernehmung überzeugt habe, daß der Mehrheit die Wahrheit bekannt gewesen

sei,

der Minderheit aber nicht,

es sich

mit

einem Spruche e x d i c t u m a j o r i s p a r t i s j u r a t a e begnügen dürfe 3 ).

Ob aber diese Ansicht geltendes R e c h t

gewesen, ist beim Mangel sonstiger Zeugnisse zu bezweifeln. Die Versuche, sich über die Einstimmigkeit hinwegzusetzen, wurden im J a h r e 1368 endgültig beseitigt.

Die

Geschworenen hatten in einem Falle bereits zwei T a g e und eine Nacht ununterbrochen beraten, ohne sich einigen zu können, da einer von ihnen erklärt hatte, er würde F l e t a IV 9, § 2; B r i t t o n II 23, § 7. ) B r a c t o n c. 22, § 3, sagt es nicht ausdrücklich; wol aber . F l e t a 134, § 36 — novi eligantur juratores, qui primis conjungantur juratoribus — donec veredictum unanimiter proîeratur usw. 3) B r i t t o n 15, § 10, si la grande partie de eux sache la vérité et partie nient, soit juge par la ou la greynure partie se tendra. 2

G ü t e r b o c k , Studien und Skizzen.

50

Die Juiata und die Schuldflage.

eher

sein Leben im Gefängnis verbringen als nachzu-

geben.

Die Richter erklärten darauf den elfstimmigen

Spruch für gültig.

Der Gerichtshof der C o m m o n P l e a s r

an den die S a c h e gebracht wurde, mißbilligte aber das Verfahren und stellte durch einstimmigen Beschluß den Grundsatz auf: ,.que chascun enquest soit prise per X I I liberos homines et non pauciores;

sur verdict

fait par

X I jugement me puit estre rendu" *), und dabei ist es fortan geblieben. stimmigkeit

der Geschworenen

Man suchte die Ein-

durch direkten

Zwang

durch Einsperrung und Entziehung von Speise und Trank zu erzwingen. Erklären die Geschworenen einstimmig, daß sie den Spruch nicht geben können, weil sie über die in Betracht kommenden Fragen und Tatsachen keine Wissenschaft und Kenntnis besitzen, so wurde in Zivilsachen die Partei, die sich auf die Jury berufen hatte, für sachfällig erachtet, in Strafsachen

wurden die Geschworenen ent-

lassen und eine neue Jury gebildet, der sich der A n g e klagte unbedingt unterwerfen mußte 2 ). ') R e e v e s , Hist. III 105ff. ) B r i t t o n 1. c.

s

VI.

Das Appellverfahren. Die

Strafverfolgung-

(appellum, Regel.

appeal)

im

bildete

Dies erklärt

Der Zweikampf. Wege

der

im englischen

Privatklage Rechte

die

es, daß in den Quellen die Dar-

stellung dieser Art des Verfahrens einen weit größern Raum einnimmt als das jüngere Verfahren auf öffentliche Rüge.

Das Verhältnis beider änderte sich aber im Laufe

der Zeit, je mehr das Rügeverfahren ausgebildet wurde und sich in der Praxis einbürgerte; ihm gegenüber trat die Privatklage mehr und mehr zurück und wurde fast zur Ausnahme.

Eine Reihe

dieser Wandlung malismus, an

bei;

den

von Umständen trug

der strenge

schwerfällige

das Privatklageverfahren

zu For-

gebunden

war, die zeitraubenden Fristen, die bei ihm eingehalten werden

mußten,

vor

allem

aber

pflichtungen, die dem K l ä g e r Bürgschaftsleistung

die

schweren

Ver-

oblagen, namentlich die

zur Durchführung

der Klage,

das

Eintreten mit seiner eigenen Person zur Uberführung des Beklagten

und die ihm

drohenden Gefahren.

für den Fall des Mißlingens

Alles das wurde im Verfahren auf

öffentliche Anklage vermieden. Berechtigt zur Erhebung der Privatklage war regelmäßig der Verletzte, bei Tötungen der nächste männliche Sippgenosse.

Frauen stand die Verfolgung nur zu, wenn

sie selbst verletzt waren oder ihr Gatte „intra brachia 4*

52

Das Appellverfahren.

Der Zweikampf.

sua" getötet worden war 1 ). Unmündigen, Geistlichen, Geächteten, Aussätzigen und anderen war das Klagerecht außer in Fällen von Hochverrat versagt; in diesen durften auch Unfähige als Kläger auftreten 2 ). Zur Verhandlung und Entscheidung über die Privatklage war jedes Gericht und jeder Richter befugt, der in Sachen der placita coronae Kompetenz hatte. Die Verhandlung auf dem Gerichtstage begann mit dem mündlichen Vortrag der Appellklage durch den Kläger selbst oder seinen Vertreter. Sie war an fest bestimmte Formeln gebunden und mußte möglichst g-enau alle näheren Umstände der Tat, insbesondere auch Zeit und Ort, angeben. Wenn sie —- was bei Tötungen und Verwundungen die Regel — zuvor bei dem Coroner oder SherifF angemeldet worden, so durfte der Kläger sich keine Abweichungen von den dortigen Angaben gestatten, die sonst die Klage zu Fall brachten. Wesentlich war die Behauptung, daß der Beklagte die Tat n e q u i t e r e t in f e l o n i a c o n t r a p a c e m d o r n . R e g i s begangen habe und das Erbieten des Klägers, ihn in der gesetzlich zulässigen Weise zu überführen. Dies konnte aber nur durch das Einsetzen seiner eigenen Person durch das Angebot des Zweikampfes mit dem Beklagten geschehen; die Appellklage war eine reine Kampfklage 3 ). *) B r a c t o n c. 29; F l e t a 1 3 5 ; B r i t t o n 124, § 7. 2 ) B r i t t o n 123, § 1. 3) Das Erbieten lautet bei B r a c t o n c. 19 § 2: A. oiiert se disrationari contra eum ubicunque per corpus suum sicut ille qui praesens iuit et hoc vidit et sicut Curia consideraverit. Die Behauptung eigener Wahrnehmung ist später fallen gelassen. F l e t a I 31 § 6; B r i t t o n I 20 § 4.

Das Appellverfahren.

Der Zweikampf.

53

Wenn der Beklagte, der sich abweichend vom Rügeverfahren eines Rechtsbeistandes bedienen durfte, seine Schuld bestreiten wollte, so mußte er seinen Widerspruch nach älterem Rechte ebenfalls in streng- formaler Weise und im Anschluß an den Wortlaut der Klage vorbringen 1 ). Später wurde dieser Formalismus aufgegeben, es genügte, daß der Beklagte in erkennbarer Weise sich für nichtschuldig ( n i e n t c u l p a b l e ) erklärte. Nun hatte aber die durch das Beweisangebot des Klägers verstärkte Anklage die Vermutung der Schuld des Beklagten begründet, deshalb traf ihn die Pflicht, sich von diesem Verdachte zu reinigen und seinerseits die Beweislast für seine Unschuld zu übernehmen, und da der Kläger für den von ihm angebotenen Schuldbeweis seine eigene Person eingesetzt hatte, gebot es die Gleichstellung der Parteien, daß auch der Beklagte gehalten war, seinen Gegenbeweis durch Erbieten des Zweikampfes mit dem Kläger anzutreten 2). Diesem ursprünglich einzigen Verteidigungsmittel des Beklagten trat seit dem Anfang des 13. Jahrhunderts ein zweites zur Seite. Früher noch als im Rügeverfahren wurde im Appellprozeß dem Beklagten ab und zu durch besondere Vergünstigung gestattet, sich statt des Zweikampfes über die Schuldfrage auf eine Jurata zu berufen. Da Näheres darüber bereits an anderer Stelle mitgeteilt Bei B r a c t o n I c. 19 § 6 lautet die Formel: B. venit et defendit omnem feloniam et pacem dorn. Regis iniractam et quidquid est contra pacem dorn. Regis — et omnia quae versus eum proponuntur et totum de verbo in verbum. Ähnlich in zahlreichen Beispielen bei Maitland. 2) Zahlreiche Beispiele bei Maitland und B r a c t o n : „paratus est defendere se contra eum per corpus suum, sicut Curia consideraverit" lautet die übliche Formel.

54

Das Appellverfahren.

Der Zweikampf.

worden, so sei hier nur auf ein besonderes Moment hingewiesen. Bei einem nicht geringen Teil der angelsächsischen Bevölkerung herrschte eine starke Abneigung

gegen

das von der herrschenden Kaste der Normannen ihnen aufgenötigte gerichtliche Duell.

Der Politik der Planta-

genets, die sich bemühte das einheimische Volkstum mit der fremden Dynastie und den Fremden auszusöhnen und ihren Anschauungen entgegenzukommen, die Anwendung

des mißliebigen

Zweikampfs

und auch in Strafsachen einzuschränken. Heinrich II. im Grundstücksprozeß Möglichkeit gewährt, sein

entsprach es, in Zivil-

S o hatte schon

dem Beklagten

besseres R e c h t

die

nicht durch

Kampf, sondern durch das Nachbarzeugnis der

Magna

A s s i s a zu bewähren, und auch im Strafverfahren wurden ohne besondern

Akt

der Gesetzgebung

der

anfangs

schüchtern zugelassenen Verwendung der Jurata zur Entscheidung der Schuldfrage die W e g e derart geebnet, daß um die Mitte des Jahrhunderts, das R e c h t des Beklagten zu seiner Verteidigung

zwischen

der Jurata patriae zu w ä h l e n ,

dem Zweikampf

und

als gemeines Landes-

recht anerkannt worden war. Bevor der Beklagte seine Erklärung

über die Art

seiner Verteidig-ung abzugeben genötigt war, konnte er durch Geltendmachung

von Einwendungen

versuchen,

sich vorläufig von seiner Einlassungspflicht zu befreien 1 ). Solche Einwendungen waren teils prozessualischer Natur, sie richteten sich z. B . gegen die Zuständigkeit des Gerichts, die Prozeßfähigkeit der Parteien, die Form

der

Klage, teils konnten sie den materiellen Inhalt der An') Von den Einreden handeln eingehend B r a c t o n c. 20; B r i t t o n I 8 und 9.

Das Appellverfahren.

Der Zweikampf.

55

klage betreffen; so bestritt z. B. der Beklagte die angebliche Verschuldung- mit der Behauptung- der Notwehr, oder eines Zufalls, oder eines Alibis. Bisweilen brachte er sog-ar zivilrechtliche Verhältnisse zur Sprache, wenn der Kläger seine Ansprüche hinter einer Anklag-e verbarg und durch deren Druck auf den Beklagten eine für ihn günstigere Lösung zu bewirken hoffte 1 ). Wurden Einwendungen der einen oder der andern Art erhoben, so entwickelte sich über sie ein Zwischenstreit, während dessen die Hauptverhandlung unterbrochen wurde. Wurden zum Beweise der behaupteten Tatsachen nicht etwa öffentliche Urkunden (records) vorgelegt oder ein Beamtenzeugnis abgegeben, so erfolgte die Feststellung durch den Spruch besonderer, zu diesem Zwecke berufener Inquests. Erwiesen sich die Einwendungen als begründet, so erging die richterliche Entscheidung auf Verwerfung des Appells (cadit appellum, nullum appellum); andernfalls auf Verwerfung der Einrede. In diesem Falle hatte der Beklagte sich über das von ihm gewählte Mittel seiner Verteidigung nach vorgängiger richterlicher Aufforderung 2 ) ausdrücklich zu erklären. Unstatthaft war es, die Wahl dem Gericht zu überlassen oder von der einmal getroffenen Wahl abzugehen. Obschon der Zweikampf nicht zu den eigentlichen Ordalien gerechnet wurde, wie er denn auch nicht durch das kirchliche Verbot der letzteren betroffen ward, so galt er doch als eine Art Gottesgericht, bei der der Allwissende demjenigen zum Siege verhelfen werde, auf ') Beispiele bei Maitland Nr. 20, 71, 99, 434. Der Beklagte führt seinen Einwand regelmäßig mit den Worten ein: sed verum (oder veritatem) vult dicere usw. 2) Quomodo se vult acquietare.

56

Das Appellverlahren.

Der Zweikampf.

dessen Seite Recht und Wahrheit stünde1). Hatte der Beklagte den Zweikampf als sein Unschuldsbeweismittel gewählt, so hatte das Gericht zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzungen für ihn vorlagen, insbesondere ob beide Parteien kampffähig seien und ob auch die behauptete Tat eine kampfbedürftige Felonie wäre. Wenn kein Bedenken obwaltete, setzte es T a g und Ort für die Vollziehung des Kampfes fest. Die Parteien schlössen nun miteinander einen förmlichen Kampfvertrag (vadiatio duelli, wager of battle), dessen Erfüllung sie durch Bürgenstellung bekräftigten. Während im Grundstücksprozesse die Parteien nicht selbst kämpften, sondern den Kampf durch Kämpen als ihre Vertreter und Wahrheitszeugen ausfechten ließen, mußten im Strafverfahren die Parteien in Person fechten, da sie sich erboten hatten, mit ihrem eigenen Leben für ihre Behauptungen einzutreten. Es folgte die Leistung der Kampfeide, wobei der Schwörende mit seiner Linken die rechte Hand des Gegners ergriff, während er die eigene Rechte auf die Bibel legte 2 ). Zuerst beschwor der Beklagte dem Kläger gegenüber, den er mit seinem Taufnamen ansprach, daß er an der in der Klage behaupteten Tat unschuldig sei; nach ihm leistete der Kläger in gleicher Weise den Gegenschwur, daß jener einen Meineid geschworen, da er in Wahrheit die ihm vorgeworfene Tat begangen habe 8 ). ) Lex Dei wird das Duell bei B r a c t o n c. 21, § 4, F l e t a 134, § 38 genannt; la ley de Dens bei Britton 123, § 13. 2) Die Formalitäten bei B r i t t o n I 23, § 12. 3) B r a c t o n c. 21, § 2. Der Eid des Beklagten: Hoc audis homo quem te per manum teneo, qui te facis appellari J

Das Appellverfahren.

57

Der Zweikampf.

Nun ist der zum Kampf bestimmte Tag - angebrochen; das Gericht hat sich mit Gefolge zum Kampfplatz begeben, wo außerhalb

der Schranken

eine schaulustige

Menge des kommenden Schauspiels harrte. wurden

zum Kampfe

gerüstet

von je

Die Parteien zwei

Standes-

genossen, die ihnen zur Bewachung beigegeben waren, feierlich zum Platze geleitet. Zur Verhütung ähnlichen

der Anwendung von Zauber- und

Mitteln mußten zuvörderst die Parteien

Gericht beschwören,

vor

daß sie nichts gegessen noch ge-

trunken, noch sonst bei sich hätten, das zur Vereitelung des Gottesgerichts geeignet wäre 1 ).

Hierauf ließ der

leitende Richter durch Heroldsruf verkünden, daß niemand bei Strafe es wage,

durch Zurufe oder sonstige Kund-

gebungen den Kampf zu stören. Die Kämpfer traten barhäuptig, barfuß, ohne Handschuhe an; sie waren bewaffnet mit Holzstäben, die in eine hornartigen

Spitze

ausliefen, und mit einem vier-

eckigen Schilde.

Eisen, sonstige Waffen, sowie irgend-

eine Leibesrüstung waren verboten 2 ). D e r Kampf mußte von Sonnenaufgang bis zum Erscheinen

der ersten Sterne fortgeführt

werden, es sei

A. per nomen baptisterii, quod ego patrem tuum non occidi nec tu hoc vidisti, sie me Deus adjuvet et haec saneta. Der Eid des Klägers: Hoc audis homo, quem usw. — quod tu es periurus et ideo periurus, quia tali anno tali die et hora, tali loeo nequiter et in felonia oeeidisti C. patrem meura — et hoc ego vidi, sie me Deus usw. Ähnlich bei B r i t t o n 123, § 12. ') B r a c t o n e. 21, § 4. Hoc auditis, Justiciarii, quod ego non comedi nec bibi, nee aliquis pro me nec per me propter quod lex Dei deprimi debeat et lex diaboli exaltari, sie me Deus usw. Ebenso bei B r i t t o n 123, § 13. 4) B r i t t o n I 23, § 14. In dem von S h a k e s p e a r e in Heinrieh VI., Teil II, Akt 2, Sz. 3 geschilderten Zweikampf

58

Das Appell verfahren.

Der Zweikampf.

denn, daß einer der Kämpfer sich schon vorher für besiegt erklärte oder sich weiteren Kampfes weigerte. Siegte der Kläger, so wurde über den Beklagten Strafurteil

gesprochen;

blieb

sofort

das

der Beklagte Sieger, so

wurde er von der Anklage freigesprochen; dieser Freisprach hinderte aber eine Verfolgung von Amts wegen im Namen des Königs nicht; der unterliegende Kläger konnte als Verleumder in Haft genommen werden. Die

weitere

Geschichte

des Trial b) r battle

außerhalb des Rahmens dieser Skizzen.

fällt

Da der Zwei-

kampf nicht förmlich durch Gesetz aufgehoben worden war, durfte noch im Jahre 1818 ein durch Appeal wegen Mords Angeklagter zum Erstaunen

-eines schleunigst Gesetzes,

um

seine Verteidigung

durch

Kampf

der Richter anbieten, und es bedurfte mit

rückwirkender

mit dieser

Kraft

längst begraben

erlassenen geglaubten

Ruine aufzuräumen'). Zum Zweikampf

konnte

es nicht kommen,

eine der Parteien oder beide kampfunfähig waren.

wenn Als

Gründe dafür galten: weibliches Geschlecht, hohes Alter, Gebrechlichkeit und Verstümmelungen.

W a r der Kläger

in solcher Lage, so fiel für ihn das Kampfangebot zur Bescheinigung seiner Anklage fort, und er mußte sich kämpften die Parteien mit S t ä b e n (staffs), an denen Sands ä c k e (sandbags) befestigt waren. Wenn Ritterbürtige im Gericht des Constable und Marshall kämpften, so traten sie mit Rüstungen und ritterlichen Waffen auf. Ein Beispiel bei S h a k e s p e a r e , Richard II., Akt 1, Sz. 3, der allerdings nicht zur Ausführung gekommene Kampf zwischen Henry von Derby (Bolingbroke) und Norfolk. ') Über den Fall Ashford v. Thornton und das darauf erlassene Gesetz 59, Geo. III c. 40 von 1819 s. S t e p h e n , Hist. 1249, 250.

Das Appellverfahren.

59

Der Zweikampf.

nach dem Befinden des Gerichts (sicut curia consideraverit) anderer Mittel, wie öffentlicher Urkunden oder auch Zeugnisse der bei der T a t anwesend gewesenen Gerichtsleute (sectatores) bedienen. Dem Beklagten aber, mochte er selbst kampffähig sein oder nicht, war die Wahl zwischen Zweikampf und Jurata patriae versagt; es blieb ihm nur die Möglichkeit, seine Unschuld durch den Spruch der Patria darzutun 1 ). Die Erhebung

einer Privatklage erfolgte nicht im

einseitigen Interesse des Klägers;

denn da er in seiner

Anklage die Verletzung des öffentlichen Königsfriedens behauptet hatte, war er zugleich für dessen Wahrung aufgetreten

und handelte somit in gewissem Sinne ¡m

Namen des Königs.

Oder, wie sich Britton bezeichnend

ausdrückt: Der Appell wird geltend gemacht zwar nicht d u r c h , aber doch f ü r den König 2 ).

Dieser Auffassung

entsprach es, daß dieselbe Sache im Namen des Königs von Amts wegen aufgenommen und durchgeführt werden konnte, wenn aus irgendeinem Grunde die Privatanklage nicht zur ordnungsmäßigen Erledigung gekommen war, sei es, daß der Kläger nicht erschienen

oder auf sie

verzichtet hatte, oder daß das Gericht die Klage vorweg abgewiesen hatte.

Selbst die Freisprechung des Be-

klagten nach siegreichem Zweikampf stand der nochmaligen Verfolgung

von Amts wegen nicht entgegen.

Man nannte ein solches Vorgehen s e c t a R e g i s ,

und

sie wurde ausgeübt durch irgend einen königlichen Beamten, sei es den Sheriff, sei es einen sonst dazu bestellten Vertreter des König-s.

Wie

gestaltete sich in

') B r a c t o n c. 21, § 12; 24, § 1; 28, § 2; 29, § 1. ) B r i t t o n 123, § 2, pur nous et nemie par nous.

4

60

Das Appellverfahren.

Der Zweikampf.

solchen Fällen die Verteidigung des Beklagten? dem Satze: R e x non p u g n a t patriam

nec habet campionem

Nach quam

war der Zweikampf ausgeschlossen, und der Beklagte verpflichtet, sich propter regiam dignitatem ausschließlich dem Spruch der Jurata zu unterwerfen 1 ). Uber die Jurata patriae und das Verfahren mit ihr, mochte der Beklagte sie freiwillig statt des Duells gewählt haben oder sich auf sie zu berufen genötigt worden sein, kann auf das oben gelegentlich des Rügeverfahrens Gesagte verwiesen werden. Nur eine F r a g e sei hier berührt. Wie sollte die Jurata ihren Ausspruch tun, wenn es sich um so geheim b e g a n g e n e Verbrechen, z. B. um Vergiftung handelte, von denen sie sich Kenntnis zu verschaffen außerstande war? B r a c t o n berichtet über eine Ansicht, daß der Beschuldigte in solchem Falle, da eine Verurteilung nicht zu erlangen sei, freigesprochen werden könne, seine eigens von ihm selbst als zweifelhaft bezeichnete Meinung geht allerdings dahin, daß dem Beklagten zwar die Berufung auf die Patria zu versagen sei, die Pflicht, sich durch den Zweikampf zu rechtfertigen, aber bestehen geblieben sei. Wiewohl nun F 1 e t a sich in gleichem Sinne geäußert hat 2 ), istBractons ') B r a c t o n c. 21, § 11, 12. ') B r a c t o n e. 18, § 5 — sed oportet quod defendat se per corpus suum quia patria nihil scire poterit de facto. F l e t a 131, § 3. Item nec per patriam se defendere poterit quis in appello de veneno dato, sed tantum per corpus suum, eo quod initium facti non fuit tam publicum quod sciri poterit per patriam.

Das Appellverfahren.

Der Zweikampf.

61

Theorie in der Praxis nicht anerkannt worden; denn weder bei B r i 11 o n , noch in gleichzeitigen und späteren Entscheidungen wurde ein Unterschied zwischen geheimen und nicht geheimen Verbrechen gemacht und auf beide die allgemeine Rechtsregel gleicherweise angewendet.

VIL

Der Probator (Approver). In dem D i a 1 o g u s d e S c a c c a r i o , dieser im Jahre 1178 entstandenen Schrift über das damalige englische Finanzwesen, findet sich eine merkwürdige Mitteilumg. Nachdem der Verfasser über die im Lande herrschenden Zustände großer Unsicherheit berichtet, wie Banden von Dieben, Räubern und Mördern das Land durchstreifend zahlreiche Übeltaten begangen hätten, ohne daß es gelungen wäre, ihrer aller habhaft zu werden und sie zur Rechenschaft zu ziehen, fährt er fort, daß die Richter sich geständiger Verbrecher bedienten und diese mit der Aussicht auf eigene Begnadigung bestimmten, ihre Mitschuldigen und Genossen zu verraten und sie selbst durch Anklagen zu gebührender Strafe zu bringen. Da diese Personen so zum gemeinen Besten gehandelt und zur Förderung des Königsfriedens mitgewirkt, habe man sie p r o b a t o r e s r e g i s genannt D i a l o g u s de S c a c c a r i o II 7 (bei S t u b b s , Select charters 213): consentiunt in hoc interdum judices quod si quis hujusmodi de se crimen confitens sceleris ejusdem consortes provocare voluerit et objectum alii vel aliis crimen commisso duello probare valuerit, mortem quam meruit effugiat et cum impunitate corporis exiens tarnen totius regni fines — abjuret ingressum. — Quia ad regis utilitatem procul dubio

Der Probator (Approver).

63-

Dies der Ursprung des sog". P r o b a t o r s (provour,. approver), der, wie aus zahlreichen Rechtsfällen sich ergibt, bis zum Ausgang des Mittelalters eine ständige Erscheinung in der Strafrechtspflege gewesen ist'). W a r der Approver auch vom Volke verabscheut und als Verräter seiner Kameraden verachtet, so gewährte er doch den Richtern eine erwünschte Unterstützung als Ergänzung für die oft versagende Polizei. Es gab sogar Richter, die selbst einem Angeklagten den Rat gaben, als Probator aufzutreten und sich dadurch für ihre Person Straffreiheit zu erkaufen 2 ). Schlimmer war es, daßin manchen Gefängnissen, wie i n N e w g a t e in London r die Gefangenenaufseher aus Rache oder um sich Geldvorteile zu verschaffen, ihre Häftlinge durch Drohungen, und Mißhandlungen nötigten, wider Willen Geständnisse abzulegen und die Rolle von Probatoren zu übernehmen 8 ). Als Probator konnte nur auftreten, wer selbst wegen einer Felonie von Amts wegen angeschuldigt war und die Tat bei Gericht eingestand, der Beklagte im Appellprozeß durfte es nicht. Das Geständnis des Probators mußte mit genauer Angabe aller Einzelheiten und seinem Erbieten vor dem Coroner verlautbart und beurkundet werden; dann schloß das Gericht mit ihm eine Art Pakt,, worin seine Verpflichtungen, insbesondere die Zahl d e r sit quidquid ad regni pacem videtur accedere r e g i s p r o b a t o r dicitur. Vgl. B r a e t o n c. 33, 34; F l e t a I 38 § 16—24; B r i t t o n I 5 § 6, I 12 § 9; S t a u n i o r d II c. 52—58. ') Maitland Nr. 73—75, 264, 466. 2 ) Y e a r b o o k Anh. II 541. Der Richter wendet sich an den Angeklagten: Prisone, melius est tibi recognoscere veritatem et devenire probator antequam per patriam sis convictus. 8 ) Owen P i k e I 286—289.

64

Der Probator (Approver).

von ihm anzuklagenden und zur Überführung - zu bringenden Personen festgesetzt und ihm als Gegenleistung dafür kraft königlicher Ermächtigung bedingterweise die Begnadigung zugesichert ward 1 ). Bis zur gerichtlichen Verhandlung über die von ihm zu erhebenden Anklagen wurde der Probator in Haft behalten, aber auf Staatskosten verpflegt 1 ). Die Verfolgung seitens des Probators erfolgte im W e g e der Appellklage gegen die betreffenden Beklagten in der gewöhnlichen Form; zur Überführung mußte er selbstverständlich den Zweikampf per corpus suum anbieten 2). W a r der Beklagte unbescholten (homo fidelis), was anzunehmen war, wenn er entweder einer Freipüegegenossenschaft angehörte oder unter dem Schutze eines Herrn stand, der für ihn einzutreten bereit war, so brauchte er sich auf das Zweikampfangebot des Probators, als einer anrüchigen Person, nicht einzulassen, sondern durfte sich zum Beweise seiner Unschuld auf die Patria berufen; bei der Abneigung der Geschworenen gegen derartige Ankläger konnte er seiner Freisprechung ziemlich gewiß sein. War dagegen der Beklagte selbst bescholten, dann fiel für ihn die Wahl zwischen Patria und Zweikampf hinweg, und er war genötigt, den Kampf mit dem Probator zu bestehen; auf die Jurata durfte er sich nicht berufen. Kam es zum Duell, so wurde dieses in der üblichen Weise vollzogen 3). *) D i a l o g u s de S c a c c a r i o 1. c. a die vero qua ad probationem suscipitur usque ad expletum promissum vel usque quo defecerit ad victualia de iisco percipit quaque die denarium unum. B r i t t o n I 5 § Ii. 4 ) B r a c t o n c. 33. 3 ) B r a c t o n c. 34 § 1.

65

D e r Probator (Approver).

S i e g t e der Probator, so traf den Gegner die der Anklage entsprechende gesetzliche Strafe; jenem

aber

wurde, da er das mit dem Gericht im Namen des Königs getroffene Ubereinkommen erfüllt hatte, die wegen seines Geständnisses zu erwartende Strafe im W e g e der Gnade erlassen.

Im Lande durfte er aber nicht länger weilen,

e r mußte eidlich das Land räumen (abjuratio regni) und in die Verbannung gehen. Siegte der Gegner über den Probator, sei es im Zweikampf, sei es durch Freispruch der Jurata, so mußte der letztere die kraft seines Geständnisses verwirkte Strafe erleiden 1 ). In abgeschwächter Gestalt hat sich der mittelalterliche Probator in dem

heutigen Kronzeugen,

Kings

e v i d e n c e erhalten. *) Den Gang des Verfahrens wird ein Beispiel M a i t l a n d , Nr. 73 veranschaulichen. Philippus de Egham regnoscens se esse latronem appellat Wilhelrrium filium Roberti quod latro est et socius suus de latrocinio, ita quod simul furati iuerunt duos equos et duas vaecas et unum jumentum in campis juxta L. et illos vendiderunt pro 15 s. 2 d., unde idem W. habuit quartam partem suarn, et hoc oiiert probare per corpus suam sicut curia consideraverit. Et non invenitur (sc. W.) in franco plegio nec aliquis loquitur pro eo, et simpliciter defendit se. Et ideo consideratum est, quod duellum sit inter eos et W. det vadium defendendi et Ph. probandi. — Veniunt die Lunae armati. Ph. convictus est et suspensus.

Güterbock,

Studien nnd Skizzen.

VIII.

Ungehorsam.

Peine forte et dure.

Es geschah nicht selten, daß ein Angeklagter im Rüge- oder auch im Appellprozeß auf die Frage des Richters, wie er sich rechtfertigen und verteidigen wolle, beharrlich schwieg oder die Antwort darauf verweigerte, insbesondere es ablehnte, sich der Jurata patriae zu unterwerfen. Gab es Mittel, seinen Widerstand zu brechen und ihn zu einer für den Gang des Verfahrens erforderlichen Erklärung zu nötigen? Beim Mangel einer festen Rechtsregel befanden sich die Richter dieser Frage gegenüber in Verlegenheit und suchten sich, wie die Verhandlungen auf der Gloucestershire-Tagung 1221 erwiesen, von Fall zu Fall auf die eine oder die andere Weise zu helfen. Sie ließen, auch wenn der Angeklagte sich geweigert hatte, sich der Patria zu unterwerfen, die Schuldfrage durch Geschworene, allenfalls unter Mitwirkung einiger benachbarter Villaten, entscheiden, das Endurteil auf solchen Schuldspruch zu erlassen, nahmen sie aber Anstand 1 ). Sie begnügten sich meist mit ähnlichen vorläufigen Maßregeln, die in der früher erwähnten Verordnung von 1219 angegeben waren; sie behielten z. B. den für schuldig Erklärten einstweilen in Haft oder ') Maitland Nr. 111, 213, 316, 330 u. a. In Nr. 316 wird allerdings das Todesurteil erlassen, aber unter ganz besonderen Umständen, da handhafte Tat vorlag.

Ungehorsam.

67

Peine forte et dure.

sicherten sein späteres Erscheinen durch die Aufgabe von Bürgenstellung-; in einein Falle erkannten sie auf Landesverweisung. Einen andern W e g schlugen in demselben Jahre die Richter in W a r w i k s h i r e ein. Der Angeklagte hatte sieb geweigert, sich auf die Patria zu berufen, die zwölf Geschworenen hatten ihn aber für schuldig erklärt; das Gericht begnügte sich aber nicht mit deren Spruch, sondern ließ durch 24 neuberufene Geschworene, gewissermaßen wie durch eine Oberjury, ihn bestätigen und verhängte darauf die Todesstrafe 1 ). Als die Jurata patriae sich demnächst als eine ständige Einrichtung eingebürgert hatte, erschien die Weigerung, sich auf sie zu berufen, als ein Verstoß gegen das gemeine Recht des Landes. Doch hatte sich eine feste, einheitliche Ansicht über die Folgen solchen Verhaltens noch nicht gebildet, und die Unsicherheit über diese Frage zeigt sich auch in B r a c t o n s Darstellung. Wenn der Angeklagte sich weder für den Zweikampf, noch für die Patria entscheidet, so soll er als q u a s i c o n v i c t u s e t i n d e f e n s u s angesehen werden. W a s dies aber bedeutet, sagt Bracton nicht 2 ). An einer andern Stelle, wo von der Verfolgung auf secta regis die Rede, heißt es, daß der Angeklagte, da gegen den König der Zweikampf ausgeschlossen sei, sich der Patria unterwerfen und dazu als indefensus et quasi convictus gezwungen werden müsse. Worin aber dieser Zwang bestehe und *) Mitgeteilt bei B i e n e r II233. Agnes — appellat Thomam de morte Roberti viri sui, et Th. defendit mortem, sed non vult ponere se super patriam. Et XII juratores dicunt quod culpabilis sit de morte illa. Et XXIV alii milites a praedictis XII electi idem dicunt, et ideo suspendatur. 2 ) B r a c t o n c. 19, § 8. 5*

68

Ungehorsam.

Peine forte et dure.

wie er geübt werde, verschweigt Bracton, und das mehrfach beigefügte „ut videtur" läßt seine eigene Unsicherheit erkennen; es scheint, als trage er Scheu, sich deutlicher über die S a c h e zu äußern 1 ). Kaum zwei Jahrzehnte später wurden die Zweifelsfragen durch das erste W e s t m i n s t e r s t a t u t

c. 12

vom Jahre 1275 zur Lösung gebracht.

sollen

Danach

notorische, übelberüchtigte Verbrecher, die sich auf die Inquest nicht berufen wollen, gleich denen, die sich dem gemeinen Landesrecht nicht unterwerfen, in harte und strenge Haft (in p r i s o n f o r t e t d u r e ) genommen und darin behalten werden 2 ).

Worin diese besondere Ver-

schärfung der Haft bestanden habe, ist im Gesetze selbst nicht gesagt.

Man darf daher annehmen, daß sie bereits

früher in Übung gesetzt worden

gestanden

sei.

Näheres

und als bekannt erfahren

p e n a n c e genannten Maßregeln

wir

aus den im

voraus-

über

die

wesent-

lichen übereinstimmenden Schilderungen bei F 1 e ta und Britton. ') B r a c t o n c. 21, § 11. Recurrendum est igitur ad patriam ut videtur, quam quidem si ineulpatus recusaverit, videtur quod sit i n d e î e n s u s et per hoc quasi c o n v i c t u s , et quod cogendus sit, ut per patriam se deîendat per deîectum alterius probationis. Cogendus est igitur appellatus, ut se deîendat per patriam. 2) Der Text bei S t a u n f o r d 149y. Pourvu — que les félons escriés et queux sont de maie famé et ne soy voillent mettre en enquest des îelonies — soyent mises en la prison fort et dure, come oeux queux refusent estre à la commun ley de la terre. Ursprünglich sollte der Zwang nur eintreten bei Verfolgung von Amts wegen „a la suit le Roy," wie es im Texte heißt; später erfolgte aber die Anwendung auch im Verfahren auf Privatklage. Vgl. F l e t a 134, § 33.

Ungehorsam.

69

Peine forte et dure.

Danach wurde der Angeklagte,

der auf Erfordern

des Richters die Antwort schuldig blieb, sie verweigerte oder eine ungenügende Antwort gab, in den schlechtesten Raum

des

Gefängnisses

gebracht

und

dort

gefesselt

barhäuptig und barfuß, nur mit einem Hemde bekleidet, auf den nackten Boden Nacht zuzubringen.

niedergelegt, um so T a g und

An Nahrung erhielt er einen T a g

um den andern nichts anderes

als ein geringes Maß

groben Gerstenbrotes und jeden Zwischentag einen Trunk schlechten Wassers, und diese Pein ward so lange fortgesetzt, bis er sich zu der erforderten Antwort bereit erklärte 1 ).

W a r der Angeklagte stumm geblieben (stat

mutus), so mußte zunächst durch eine Jury festgestellt werden, ob er von Natur stumm sei (per act de Dieu) oder sich nur so stelle; nur im letzten Falle kam es zur Verhängung der penance 2 ). Hart wie diese penance war, schien sie dennoch den damaligen Richtern

nicht scharf

Widerstand der Angeklagten

genug, um

zu brechen.

Aus

den

eigner

') F l e t a I 34 § 33. Consideratio vero sit talis, quod unico indumento indutus, discalceatus in nuda terra quadrantalem panem hordaceum tantum pro duobus diebus habeat ad victum, non tarnen quod quolibet die comedat sed alterotantum nec quod singulis diebus bibat, sed die quo non comederit, aquam bibet tantum et haec dieta omnibus legem reiutantibus injungatur, donec petant quod prius contempserint. Fast völlig gleichlautend B r i t t o n I 5 § 2, wo das Fesseln erwähnt wird. Vgl. auch die Schilderung in dem Prozesse des Sir Hugo oben S. 41. Ferner Y e a r b o o k Anh. I 511, wo hervorgehoben wird, daß das Wasser, das den Gefangenen gereicht wird, ne fut de funtcine ne de rivere. 2) In dem in Anm. 1 zitierten Fall heißt es: la enqueste dit quil poyt parier sie voust; e per ceo quil ne se voleit mettre ne autre repondre fuit agarde a sa penance.

70

Ungehorsam.

Peine forte et dure.

Machtvollkommenheit und ohne gesetzliche Ermächtigung verschärften

sie den Zwang- ins angemessene.

Bereits

in einem Falle aus dem Jahre 1302 wird berichtet,

daß

man den Leib des unbeweglich auf dem Rücken liegenden Gefangenen mit so vielen Eisengewichten beschwerte, als er irgend ertragen konnte und womöglich mit noch mehr, und scheute sich auch nicht, diese Folterung so lange andauern zu lassen, bis der Unglückliche durch den Tod von seinen Qualen erlöst wurde 1 ). Dies war die berüchtigte p e i n e f o r t e e t

dure,

wie man fortan die penance nannte, die in der Geschichte des englischen Common Law eine traurige Rolle gespielt hat.

Schonungslos wurde sie angedroht und verhängt,

wenn

der Angeklagte

nicht genügende

Antwort

gab

oder es wagte, von der im Gerichtsgebrauch üblichen Formel, die er vielleicht nicht einmal verstand, abzuweichen.

W e h e dem Unglücklichen, der auf die F r a g e

des Richters, wie er sich verteidigen wolle, nicht stereotypen W o r t e :

per Deus

et le

pays

b y G o d a n d m y c o u n t r y ) bereit hatte;

die

(später:

nach drei-

maliger Verwarnung verfiel er unweigerlich der peine 2 ). W e n n bisweilen Angeklagte es vorzogen, lieber den Tod durch die Marterung zu erleiden, als zu antworten, so hatten Gründe.

sie

allerdings

zu diesem Verhalten

triftige

Mit jeder Verurteilung wegen Felonie war als

Rechtsfolge

die Vermögenseinziehung

(forfeiture)

und

insbesondere der Verfall der liegenden Güter verbunden. Wenn nun der Gefangene, der seine Verurteilung vor') Nähere Schilderungen bei R e e v e s I I I 250; P i k e 1387. ') Als ein Angeklagter erklärte, er wolle gerichtet werden „per Dieu et notre dame St. Marie et per seinte église", verwarnte ihn Oberrichter Danby ernstlich, davon abzustehen, da ihm sonst die peine forte et dure drohe. R e e v e s III 418.

Ungehorsam.

Peine forte et dare.

71

aussah, nicht durch des Henkers Hand, sondern im Kerker sein Ende fand, so war er wenigstens sicher, seinen Erben sein Vermögen erhalten zu haben. Ein Vergleich der peine forte et dure mit der in den kontinentalen Rechten geltenden Folter liegt nahe; doch springt der wesentliche Unterschied zwischen beiden sofort in die Augen. Die Tortur wurde als Wahrheitserforschungsmittel geübt, um den durch schwere Verdachtsgründe Belasteten zu einem Geständnis zu bringen, sie war an bestimmte Kautelen gebunden und durfte nicht den Untergang des Gefolterten herbeiführen. Die englische Peine hatte dagegen mit der Beschaffung von Geständnissen nichts zu tun, sie bezweckte nur, den Angeklagten zur Abgabe einer für die Einleitung des Verfahrens notwendig erachteten Erklärung zu nötigen. Sie mutet aber schlimmer an als die kontinentale Folter; denn sie war ein brutaler Gewaltakt ohne schützende Formen und durfte bis zum Tode des Opfers ausgedehnt werden. Engländer pflegen mit selbstgefälligem Stolze zu rühmen, daß ihr Common Law von dem Schandfleck der Tortur befreit geblieben sei 1 ). Richtig ist nur, daß von den ordentlichen Gerichten Folterungen zur Erlangung von Geständnissen oder Aussagen nicht geübt worden sind. Dagegen liegen zahlreiche Zeugnisse dafür vor, daß die Folter von außerordentlichen Kommissionen und von der Star Chamber, als einem Sondergerichtshofe, oft genug rücksichtslos verhängt worden ist. Noch heute werden im Tower zu London die üblichen Folterwerkzeuge aufbewahrt 2 ). ') So schon S i r J o h n F o r t e s c u e , d e laudibus Angliae c. 22. 2) Vgl. Pike II 387, 498; Criminal T r i a l s , London 1835, II 106, 214.

72

Ungehorsam.

Peine forte et dure.

An der peine forte et dure mit ihren Schrecknissen hielt man weit über das Mittelalter hinaus fest. Noch 1658 wurde ein Angeklagter zu Tode gepreßt, und selbst im Jahrhundert der Aufklärung 1726 ward einem solchen durch Belastung mit vier Zentner Eisen während der Dauer von fast zwei Stunden die übliche Antwort abgenötigt. Erst 1773 durch Akte 12, Geo. 3 c. 20 wurde die peine forte et dure endgültig abgeschafft, aber erst 1828 wurde die altehrwürdige Formel ,By God and my country' als überflüssig beseitigt.

IX.

Verfahren auf handhafte Tat. Das Strafurteil konnte gegen den Beschuldigten nur erlassen werden, wenn seine Schuld durch den Zweikampf oder durch den Spruch einer Jurata patriae festgestellt worden war. Von dieser Regel gab es aber Ausnahmen. Wenn gegen den Beschuldigten schwerwiegende Verdachtsgründe — violentae praesumtiones, quae probationem non admittunt in contrarium — vorlagen, so bedurfte es keines weiteren Uberführungsbeweises, und der Verteidigungsbeweis war ihm abgeschnitten, da er die Tat füglich nicht ableugnen konnte 1 ). Als Beispiele werden in den Quellen folgende erwähnt. Der Beschuldigte ist cum cultello cruentato beim Getöteten angetroffen und ergriffen worden, oder: Herr und Diener haben gemeinsam genächtigt, der Herr wird ermordet aufgefunden, der Diener hat aber weder das Gerüfte erhoben, noch ist er etwa bei der Verteidigung selbst verwundet worden. In solchen und ähnlichen Fällen fand abweichend von dem ordentlichen ein summarisches Verfahren statt; wurden die erwähnten Umstände dringenden Verdachts durch sofort vernommene Zeugen erwiesen, so erging ohne weiteres auf Grund der bloßen Schuldpräsumtion das Urteil gegen den Beschuldigten 2 ). B r a c t o n ') B r a c t o n c. 18, § 4, 5; F l e t a I 32 § 2; B r i t t o n I 6 § 4. 2 ) B r a c t o n und F l e t a setzen das stillschweigend voraus; B r i t t o n sagt es ausdrücklich, wenn durch „temoignage de ceux

74

Verfahren auf handhafte Tat.

beruft sich für das von ihm Vorgetragene auf eine Constitutio antiqua, ohne diese jedoch näher zu bezeichnen. Ich vermute, daß er dabei eine Bestimmung der A s s i s a von C l a r e n d o n (1166) im Sinne gehabt hat, wonach den im Besitze des Raubes oder Diebstahls ergriffenen Tätern, wenn sie übel beleumdet waren, die Reinigung durch Gottesurteil oder Eid versagt wurde (non habeant legem) und sie deshalb ohne weiteres verurteilt werden konnten 1 ). Danach würde sich die Abweichung von dem ordentlichen Verfahren durch das Vorliegen frischer oder handhafter Tat erklären. Und das entsprach auch durchaus dem geltenden Rechte. W e n n nämlich der Täter auf frischer, handhafter Tat s u p e r f a c t u m oder c u m m a n u o p e r e , wie es hieß 2 ), oder bei der sofortigen Verfolgung danach ergriffen und vor Gericht gebracht worden, fand hier ein schleuniges Verfahren statt, bei dem die sonst im Rüge- wie im Appellqui viront la felonie fete" bezeugt worden. — Die Lehre von den violentae praesumtiones erinnern an die Theorie der älteren italienischen Schule von den praesumtiones et indicia indubitata, ex quibus condemnatio sequi possit. Vgl. Alb. de G a n d i n o , de Male f. tit. de praesumtionibus et indic. indub., wo auch das Beispiel von dem gladius sanguinolentus sich findet. Da B r a c t o n bekanntlich die Glossatoren benutzt hat, ist es sehr wohl möglich, daß ihm auch die Schriften der italienischen Praktiker bekannt gewesen sind, zumal gerade zu seiner Zeit ein lebhafter Verkehr zwischen England und Italien stattfand. J ) S t u b b s , Select C h a r t e r s 138. Et si aliquis captus fuerit seisitus de roberia vel latrocinio, si ipse fuerit diffamatus et habeat malum testimonium . . . non h a b e a t legem. a ) Dem m a n u opere entspricht in der französisch-englischen Rechtssprache das Wort m a i n o u r , das ebensowohl die Tat, wie den Gegenstand, wie auch das bei der Tat benutzte Werkzeug bedeuten kann.

Verfahren auf bandhafte

prozeß

75

Tat.

üblichen Beweisregeln außer acht blieben.

Zur

Überführung- genügte die Bescheinigung der handhaften Tat, und ohne daß dem T ä t e r ein Verteidigungsbeweis gestattet wurde, empfing er durch sofort gesprochenes Urteil die Sühne für seine Tat.

Die Protokolle über die

Verhandlungen auf dem Iter von 1221 enthalten mehrere solcher Fälle').

In dem einen war der T ä t e r auf frischer

Tat mit blutigem Messer cum cnipulo (knife) sanguinolento ergriffen, und da diese Tatsache von einer Villata und Geschworenen

bezeugt

Strang verurteilt 2 ).

worden, wurde er sofort zum

Ein gleiches Los erlitt ein anderer

Totschläger, den bei der T a t anwesende Augenzeugen mit dem Mordinstrument, einem Knüttel in Händen festgenommen hatten 3 ).

Die in beiden Fällen zugezogenen

Geschworenen hatten keineswegs die Aufgabe, als Patria über die Schuld oder Nichtschuld

des Ergriffenen

zu

entscheiden, zumal der T ä t e r sich auf sie gar nicht berufen hatte; sie sollten vielmehr lediglich die Tatsache der Ergreifung auf frischer T a t bekunden

und

gleich

andern Zeugen bestätigen. Besonders eingehend befassen sich die Quellen mit dem Verfahren

gegen

die auf frischer T a t ergriffenen

Diebe. Bracton

unterscheidet

in

Anlehnung

an

das

römische R e c h t furtum manifestum und non manifestum. ) M a i t l a n d Nr. 174, 189, 394. ') Nr. 174 W . . . captus fuit super iactum cum cnipulo sanguinolento et hoc testatum est per villatam et X I I juratores et ideo non potest dedicere. 3) Nr. 394. Sed quia ipse (W.) captus iuit super iactum, tenens adhuc in manu sua baculum, unde ipse occidit eum . . . consideratum est, quod ipse non potest dedicere, et ideo suspendatur. l

76

Verfahren auf handhafte

Tat.

Ersteres lag- vor, wenn der Dieb bei seiner Ergreifung sich im Besitz

des gestohlenen Gutes befand oder, wie

es in der volkstümlichen Sprache hieß, er b e n d e und b a c k b e r e n d e

handheb-

war, und der Bestohlene

ihn auf frischer T a t verfolgt und vor die Obrigkeit gebracht hatte 1 ). den

Während

ordentlichen

die furta non manifesta

Gerichten

im

gewöhnlichen

vor

Straf-

verfahren verhandelt wurden, sofern der Bestohlene es nicht vorzog, sein im W e g e furta

Gut oder

die Entschädigung dafür

des Zivilprozesses zu erlangen, gehörten die

manifesta,

und selbst

die todeswürdigen 2 ),

zur

Kompetenz der niederen Gerichte, sei es der Komitatsgerichte, sei es, was meistens der Fall war, vor die Gerichte der mit Freibriefen für ihre Bezirke versehenen weltlichen

und geistlichen

Grund- und

Gerichtsherren.

Dabei war es von besonderer Wichtigkeit, ob dem Gerichtsherrn

nur das sog. I n f a n g t h e f

oder

mit ihm auch das U t f a n g t h e f zustand.

zugleich

Ersteres be-

deutete die Befugnis, über die innerhalb des Bezirks als Diebe

ergriffenen

eigenen

Untertanen

zu Gericht

zu

sitzen, Utfangthef aber das R e c h t , auch über fremde, aber innerhalb der eigenen Gebiets ergriffenen Diebe Urteil ' ) B r a c t o n c. 32 § 2 furtum manifestum est, ubi latro deprehensus est seysitus de aliquo latrocinio, scilieet hand h e b b e n d e et b a c k b e r e n d e et insecutus fuerit per aliquem cujus res illa fuit quae (? qui) dicitur saccaburt (?). Bracton 35 § 1 hat dafür s a c c a b e r , ebenso B r i t t o n I 10 § 1. Es scheint, daß dieses Wort bisweilen auch die gestohlene Sache bedeutet, regelmäßig aber ist damit der Bestohlene gemeint. B e i F l e t a I 3 8 § 1 findet sich die Fassung s a c k b o r g h . 2) Die Grenze zwischen kleinem und großem Diebstahl waren 12 denarii (pence); streitig war aber ob schon die Erreichung oder die Überschreitung dieses Betrags, den Diebstahl zu einem todeswürdigen machte.

77

Verfahren auf handhafte Tat.

zu fällen.

Außerhalb seines Bezirks durfte der Gerichts-

herr keinerlei

Gerichtsbarkeit, auch nicht gegen seine

eigenen Eingesessenen ausüben 1 ). Besetzt

waren diese curiae baronum,

sonst heißen mochten,

oder wie sie

mit dem Gerichtsherrn als Vor-

sitzenden oder seinem Vertreter und einer Anzahl dingpflichtiger Beisitzer (sectatores).

Außerdem war die An-

wesenheit des Coroners bei den Verhandlungen geboten, einerseits

in seiner Eigenschaft als Urkundsperson, um

ein gültig-es Protokoll

abzufassen, da den niederen Ge-

richten die Recordfähigkeit abging, und andrerseits als königlicher Beamter und als Kontrollorgan mit der Verpflichtung, darüber zu wachen, daß gesetzmäßig und ohne Verstöße gegen das Landesrecht verfahren wurde. Wie

gestaltete sich nun das Verfahren, wenn der

auf frischer T a t ergriffene Dieb Gut von dem S a c c a b e r geklagt

wurde?

Die

mit dem

gestohlenen

vor Gericht geführt und an-

gewöhnlichen

Beweis-

und

Ver-

teidigungsmittel waren ausgeschlossen; es genügte, daß die Erg-reifung oder Verfolgung auf frischer Tat durch das Zeugnis ehrlicher Leute bescheinigt wurde und daß auch

der Bestohlene

durch sie sein R e c h t an dem ge-

stohlenen Gute nachwies 2 ).

Streitig

war aber, ob auf

diese Information allein hin die Verurteilung des Diebes erfolgen

und die Todesstrafe

Bracton

hat

jedenfalls

Folgerung zu ziehen;

verhängt

Bedenken

werden durfte. getragen,

diese

er meint, dem Diebe bliebe nur,

vor dem Coroner ein Geständnis abzulegen, so daß er die T a t nicht mehr abstreiten

könne.

W a s aber

ge-

schehen sollte, wenn er sich zu einem Geständnisse nicht ') B r a c t o n 1. c.; F l e t a I 47, § 4 ff. ) B r a c t o n c. o2 § 2 testinionium bonorum et proborum hominuin; B r i t t o n I IG § 1 teuioignage de leaux gentz. 2

78

Verfahren auf bandhafte Tat.

bequemte, läßt Bracton völlig im unklaren. Britton

haben

hinweggesetzt;

sich

dagegen

über

Fleta

diese

und

Bedenken

denn beide lassen den auf frischer T a t

ergriffenen Dieb auf die erwähnten Feststellungen hin den Tod erleiden 1 ).

Diese etwas laxe Theorie fand jedoch

bei den höheren Richtern keine Billigung; sie hielten in der Praxis sich an die strengere Ansicht und verlangten im Verfahren auf handhafte Tat, daß der Dieb ein Geständnis abgelegt

haben müsse, bevor auf Todesstrafe

zu erkennen

Vielleicht hat hierbei der

sei.

Umstand

mitgewirkt, dem T ä t e r die Möglichkeit zu gewähren, als Probator zur Uberführung seiner Mitschuldigen zu dienen. Bestätigt wird die Rechtsanschauung der R i c h t e r durch eine in den mehrerwähnten Y e a r b o o k s von 1302 und 1303 mitgeteilte Entscheidung. Den Justitiarien war von einer Rügejury worden, daß nach

einer

in Yorkshire

berichtet

geltenden

Ge-

wohnheit ein mit dem gestohlenen Gute (cum sacrabare vel cum manuali opere) ergriffener Dieb geköpft worden sei, ohne

daß er vorher ein Geständnis abgelegt habe.

Die Richter mißbilligten ein solches Verfahren als durchaus unstatthaft.

Aus dem bloßen Besitz des ,sacrabare'

folge noch nicht die Überführung des Täters, und ohne Geständnis ihn zu verurteilen, stünde nicht einmal ihnen, den Justitiarien, zu, geschweige denn den Villaten. gingen

aber noch

weiter

und verurteilten

Sie

denjenigen

zum Strange, der die Hinrichtung wider R e c h t bewirkt hatte 2 ). ' ) F l e t a I 3 8 § l cum furtum dedicere non poterit, morti debet condemnari; B r i t t o n I 16 § 1. 2) Y e a r b o o k s 1302*03 Anh. II 545. Et quia compertum est per duodecim quod non eognovit furtum antequam fuit decollatus, ideo ipse qui eum decollabat erit suspensus; et hoc

V e r f a h r e n auf h a n d h a f t e

Auch

79

Tat.

in dem folgenden Falle handelte es sich um

ein von einem niederen Gerichte wegen handhaften Diebstahls erlassenes Todesurteil und der von den königlichen Richtern an dem Verfahren geübten Kritik. Der Fall kam

auf der Rundreise

durch

die Graf-

schaft C o r n w a 11 im Jahre 1302 vor dem die Verhandlung leitenden S i r H e n r y S p i g o r n e l zur Sprache 1 ). Aus der Stadt B o d d o n , in der die Gerichtsbarkeit dem

dortigen

angezeigt

Prior

als Gerichtsherrn

zustand, war

worden, daß ein Dieb ergriffen, vor Gericht

gestellt und gehenkt worden war. Aus dem von Spigornel von

den

Gerichtsbeisitzern

sofort

ergab sich folgender Tatbestand. zu Boddon

erforderten

Bericht

Auf dem Marktplatz

hatte ein gewisser Matheu den R o b e r t mit

seinem in der Nacht zuvor aus seinem Hause in der Stadt T. gestohlenen Pferde angetroffen, das Gerüfte erhobenund ihn samt dem Pferde vor das von

dem Prior in

Eile, unter dem Vorsitze seines Seneschalls gerufene

Gericht

gebracht

und g e g e n

zusammen-

ihn

Anklage

wegen Felonie und wegen Friedensbruch in der üblichen Form erhoben.

Robert

hatte die Felonie zugestanden,

worauf das Urteil gesprochen und vollzogen worden war. Die weitere Verhandlung folgt hier nach

dem

über-

lieferten Berichte. S p i g o r n e l : Man rufe den Prior. quia non habuit majorem potestatem per illam consuetudinem quam Iusticiarii habent. Sed coram justiciariis „sacrabare" non est pro commisso uno, oportet quod confiteatur antequam possit eum dampnare, ergo pari ratione coram quatuor villatis. S a c r a b a r e kann in dieser Stelle nur das gestohlene Gut bedeuten. *) Y e a r b o o k s Anh.I 501. Die Überschrift der Sammlung lautet: Incipiant Placita coronae coram S p i g o r n e l etc.

80

Verfahren auf handhafte T a t .

D e r P r i o r erscheint in Begleitung seines Anwalts H u n t (wohl abgekürzter Name). S p i g o r n e l : Die Gerichtsmänner haben so und so berichtet, es scheint aber ein grober Irrtum vorgekommen zu sein.

Beansprucht Ihr das R e c h t auf Infangthef und

Utfangthef? H u n t : Herr, er beansprucht nur Infangthef. Spigornel:

Ist das Verbrechen innerhalb Eures

Bezirks begangen? A n t w o r t : Nein, Herr. S p i g o r n e l : W o dann? A n t w o r t : Das wissen wir nicht, Herr. Spigornel: Eurem

Nun, Herr Prior, wie wollt Ihr in

Gericht eine Felonie verhandeln,

die außerhalb

Eures Bezirks begangen ist, da Ihr doch nur Infangthef beansprucht? H u n t : W i r sagen, Infangthef liegt auch dann vor, wenn ein Dieb mit dem gestohlenen Gut (ove meynour) ergriffen

und von jemand belangt wird, sofern er sich

dem Gerichte

unterwerfen

will.

Dann

dürfen

wir die

Sache verhandeln und auch das Urteil erlassen S p i g o r n e l : Ich habe Euch schon gesagt, daß nach dem Zeugnis der Beisitzer er sich als Dieb bekannt habe und sie zum Urteil geschritten seien.

Durftet Ihr aber

das tun ohne Zuziehung des Coroners? H u n t : Gewiß nicht; wenn er aber sich da, wo er mit

der

handhaften

Tat

gefunden

war,

dem

Gericht

') Nous dioms infangthef quant un laron est pris ove meynour a sute de akun e sil se voyle mettre en la court, nous tendroms eel play e irroms a jugement sil seyt diinipne.

Verfahren

unterworfen schreiten

hat,

auf h a n d h a f t e

dürfen

wir

81

Tat.

allerdings

zum

Urteil

S p i g o r n e l : Ihr habt doch wohl verstanden, daß Ihr über einen geständigen Verbrecher Urteil ohne Zuziehung des Coroners gefällt habt, der allein ein Urkundszeugnis geben konnte, während Euer Gericht das nicht kann. Und das könnt Ihr nicht bestreiten. Erwartet Euer Urteil nächsten Montag. Damit bricht leider der Bericht ab, so daß der Schluß der Sache uns fehlt. Bemerkenswert ist, daß auch in diesem Falle die Verurteilung nicht auf das Vorhandensein der handhaften Tat allein, sondern in Verbindung mit dem Geständnisse erfolgt ist, ein Beweis, daß damals die ältere Übung aufgegeben war. Auch machte dieserhalb Spigornel dem Gerichtsherrn keinen Vorwurf. Dieser richtet sich zunächst dagegen, daß er, ohne Utfangthef zu besitzen, sich Gerichtsbarkeit über einen Externen und über eine außerhalb seines Bezirks begangene Tat angemaßt habe. Sein Anwalt widerlegt diesen Vorwurf mit der Behauptung, daß der Täter sich freiwillig dem Gericht des Priors unterworfen habe, und Spigornel erkannte diese Entschuldigung als richtig an und hat in dieser Beziehung seinen Angriff fallen gelassen. Scharf betont er aber die unterlassene Zuziehung des Coroners, dessen Mitwirkung bei der Verhandlung als Urkundsperson, wie früher erwähnt, vorgeschrieben war, da er allein den Record, namentlich auch über das Geständnis, aufnehmen konnte. In dieser Unterlassung findet Spigornel einen ') — — et purrez eeo fere sans presentement de coroner? Presentement bedeutet hier nicht wie sonst Rüge, Anklage, sondern einfach Zuziehung, Mitwirkung. Göterbock,

Stadien und Skizzen.

6

Verfahren auf handhafte T a t .

82

groben Verstoß, und seine Schlußbemerkung- deutet an, daß dem Herrn Prior und seinem Seneschall am nächsten Montag mindestens eine scharfe Rüge, wenn nicht Schlimmeres bevorstand. Damit können wir diese Skizze des Verfahrens auf frische, handhafte Tat abbrechen. Wenn es sich noch am Anfang des vierzehnten Jahrhunderts in Übung befand, so verschwand es doch bald nachher aus der Rechtsprechung und blieb nur noch als historische Antiquität in der Erinnerung an die Vergangenheit 1 ). Die Richter mochten sich der Gefahren, die mit dieser Schnellprozedur verbunden waren, nicht verschlossen haben; und auch ohne förmliche Abschaffung durch Akt der Gesetzgebung starb dies summarische Verfahren ab, seitdem der Grundsatz mehr und mehr zur Herrschaft gelangt war, daß zur Einleitung eines Strafverfahrens wegen Felonie die beiden W e g e Rüge oder Appell ausschließlich benutzt werden mußten, und daß die Entscheidung über Schuld oder Nichtschuld, abgesehen vom Zweikampf, regelmäßig durch den legalen Spruch einer gesetzlich berufenen Jury zu erfolgen habe. Das sog. summarische Verfahren des neuen Rechts fällt außerhalb des Rahmens dieser Skizze. l

) Als solche behandelt es Staunford, 29T, 179

X.

Das Beneficium clericorum. Das bekannte Vorrecht des Klerus, in Strafsachen nur vor dem geistlichen Gerichte Recht zu nehmen und zu geben, galt auch in England. Der vor den königlichen Richtern angeklagte Kleriker konnte seine Verweisung vor den Ordinarius der Curia Christianitatis fordern. Dies der Inhalt des b e n e f i c i u m c l e r i c a l e (benefit of clergy), das, durch Rechtsiibung und Gesetzgebung zu einem äußerst komplizierten System ausgestaltet, jahrhundertelang einen wesentlichen Teil des englischen Strafrechts gebildet hat. Vor dem geistlichen Richter hatte der Angeschuldigte sich durch die p u r g a t i o c a n o n i c a von dem Verdachte zu reinigen und war dann straflos; gelang die Purgatio ihm nicht, so traf ihn höchstens die Strafe des kanonischen Rechts, von der weltlichen blieb er aber verschont, wie schwer auch seine Verfehlungen gewesen sein mochten Ursprünglich auf die ordinierten Geistlichen beschränkt, erfuhr dies Privilegium im Laufe der Zeit erhebliche Erweiterungen unter dem Einfluß der höheren Geistlichkeit und der Nachgiebigkeit der weltlichen Gewalt gegen ihre Forderungen. Da nach dem damaligen Stande der Volksbildung Lesenskunde fast nur bei den ) B r a c t o n c. 9; B r i t t o n 15, § 3 - 5 , 127, § 10; S t a u n f o r d 126—142. l

6*

84

Das Beneficium clericorum.

Mitgliedern des Klerus zu finden war, die große Masse des gemeinen Volks aber diese Fähigkeit entbehrte, so wurde angenommen, daß schon diejenigen, die tatsächlich oder auch nur angeblich in der Vorbereitung zum geistlichen Berufe standen, sich bereits das Lesen angeeignet hätten und daher als Kleriker anzusehen seien. Schließlich genügte es, um die Wohltat des Privilegs zu genießen, daß der Betreffende zur Not lesen konnte. Denn nach einem viel verbreiteten Sprichwort n o n t o n s u r a f a c i t c l e r i c u m s e d l i t e r a t u r a ward dies nunmehr der allgemeine Nachweis, ob die Kirche jemand als ihren Angehörigen reklamieren durfte oder nicht. Zahlreiche Laien, die mit der Kirche nichts zu tun hatten oder zu ihr oder zu den Geistlichen in rein vertragsmäßigen oder ganz äußerlichen Verhältnissen standen, wie Dienstboten, Arbeiter, Pächter und andere, machten sich diese Erweiterung zunutze. Zu verlockend erschien die Aussicht, nach Begehung von Mordtaten oder andrer schwerer Verbrechen sich dem drohenden weltlichen Henkerstrick zu entziehen und sich unter die schützenden Fittiche der Kirche zu flüchten. Und die milde Kirche machte es dem Sünder nicht zu schwer. Die von dem Ordinarius mit ihm angestellte Leseprobe beschränkte sich meist auf ein paar Verse aus einem Hymnenbuche. Vielfach wurde auch geklagt, daß Gefängnisaufseher um äußerer Vorteile willen Gefangenen die Anfangsgründe der Lesekunst beizubringen versuchten. Und auch mit dem Reinigungsprozeß nahm es das geistliche Gericht nicht gar zu ernst. Gelang es dem Angeschuldigten, Leute zu finden, die bereit waren, mit ihm seine Unschuld zu beschwören — und das war häufig nur eine Geldfrage — so konnte er reingewaschen

85

Das Beneficium clericoram.

erhobenen Haupts davongehen und sich zu neuen Schandtaten rüsten.

D e r weltliche Arm durfte ihm nichts an-

haben. Diese Scheidung- des Volks in zwei nach ganz verschiedenen Maßstäben e i n e Verwirrung-

zu behandelnden Klassen

in die sittlichen

mußte

und rechtlichen An-

schauungen der Bevölkerung- hineintrag-en und g-eradezu unerträgliche F o l g e haben. Verachtung

Mißstände

für die

Strafrechtspflege

zur

Sie war r e c h t geeignet, den Haß und die zu steigern,

die weite

Kreise

des

Laien-

standes g e g e n die Mitglieder des Klerus, namentlich des niederen, beherrschten V e r s a g t wurde das beneficium clericale denjenigen, die nach kanonistischer Auffassung als b i g a m i galten, d. h. solchen,

die entweder nacheinander

zwei

Frauen

•oder auch nur einmal eine W i t w e geheiratet hatten. Diese V e r s a g u n g beruhte

auf dem auf dem Konzil zu Lyon

1274 gefaßten Beschlüsse,

daß den B i g a m i s

alle Privi-

legien des geistlichen Standes abzusprechen seien 2 ). Dieser Konzilsbeschluß ward dann auch für England durch eine Verordnung

König

Eduards

1., das sog.

Statutum

d e b i g a m i s vom J a h r e 1276, bestätigt und zum geltenden R e c h t 1)

erhoben 3 ).

Vgl. hierüber P i k e I 297ff., 483. e. un. in VI t0 de bigamis 1. 12 bigamos omni privilegio clericali declaramus esse nudatos. 3) S t a t u t , de b i g a m i s c. 5. De bigamis quos dorn. Papa in Concilio suo Lugdunensi omni privüegio clericali privavit per constitutionem inde editam — concordatimi est et declaratum coram Rege et Consilio suo, quod constitutio ilia intelligenda sit, quod sive effecti fuerint bigami ante praedictam constitutionem sive post de cetero non liberentur praelatis, immo fiat de eis justitia sicut de laicis. 2)

86

Das Beneficium clericorum.

In dem oben dargestellten Rechtsfalle des Sir Hugo kam diese Bestimmung- zur Anwendung. Der Richter ließ sich durch das Vorgeben des Angeklagten, Kleriker zu sein, so wenig wie durch die Reklamation seines Ordinarius täuschen. Er wußte, daß Hugo verheiratet sei, und zwar mit einer Witwe, und demzufolge den Anspruch auf die Rechtswohltat verwirkt habe; er ließ die streitig gewordene Frage, ob die Gattin Hugos Witwe gewesen oder nicht durch eine sofort ad hoc berufene Jury entscheiden, und da durch deren Verdikt die Behauptung Sir Hugos widerlegt ward, war auch sein Einwand, Kleriker zu sein, hinfällig geworden; er mußte sich dem gemeinen Rechte unterwerfen. Sein späteres Geständnis der Lesensunkunde hätte allein schon zu dem gleichen Ergebnis geführt. Der Angeklagte konnte den Einwand, Kleriker zu sein, geltend machen, sobald er vor den weltlichen Richter gestellt worden war und die Tat bestritten hatte, unter der Voraussetzung, daß das geistliche Gericht ihn beanspruchte; dann wurde er diesem überwiesen und, wenn er sich in Haft befand, auch dem Gefängnis des letzteren. Da es vorgekommen war, daß geistliche Gerichte aus Nachlässigkeit oder Konnivenz für den Angeklagten ihm die Purgatio abzufordern verabsäumten oder gar ihn ohne solche freigelassen hatten, erging vom Könige in dem W e s t m i n s t e r s t a t u t I von 1275 eine ernste Mahnung an die höhere Geistlichkeit zur Erfüllung ihrer Pflichten 1 ). ') Stat. Westm. lates et eux enjoint, common profit de la endites de tiel rette . gation.

I c. 5. Et le Roy admonest les Preen la foy quels luy doivent et pur la peace de la terre que ceux qui sont . . en nul manere deliveront sans pur-

Das Beneficium clericorum.

87

Mit derartigen Beschwerden stand ein anderer W e g im Zusammenhang, den das königliche Gericht einschlug, worüber B r i t t o n Näheres berichtet 1 ). Unerachtet des Einwands des Angeklagten und der Reklamation des Ordinarius durfte der Richter das Verfahren fortführen und von Amts wegen durch eine Inquisitio, d. h. also durch eine Jurata feststellen lassen, ob er schuldig sei oder nicht. Dies Verfahren konnte auch im eigenen Interesse des Angeklagten liegen, wenn er auf Freisprechung rechnen durfte. Sprach ihn die Jurata für nichtschuldig, so wurde ihm das Verfahren vor dem geistlichen Gerichte völlig erspart. W u r d e er dagegen für schuldig erklärt, so durfte der königliche Richter zwar nicht die Strafe des gemeinen Rechts über ihn verhängen, hatte vielmehr nach der Regel ihn dem Ordinarius zur Purgatio zu überweisen; da er aber nunmehr ein c l e r i c u s c o n v i c t u s war, wurden gegen ihn die vermögensrechtlichen Folgen, Beschlagnahme der Mobilien usw., wie auf Grund einer wirklichen Verurteilung vollzogen. So kamen bei diesem Verfahren auch die Interessen des königlichen Schatzes zur Geltung, und eben darum wurde es in der Praxis das beliebtere. Die Verfolgung der weiteren Entwicklung des Klerikerprivilegs durch die späteren Zeiten fällt außerhalb unserer Aufgabe. Es genüge die Bemerkung, daß, während anfänglich diese Wohltat auf alle, auch die ') B r i t t o n I 5 § 3 if. Si clerk encarpe de felonie allegea clergy et tiel trouve et Fordinarie demaund, doncque serra inquise comment il est miscrue, et si per les presentours il est trouve nient miscrue donque il alera quite. Et sil soit trouve miscrue si soint ses chateux taxis et ses terres prises in maine le Roy, et son corps delivere al ordinarie.

88

Das Beneficium clericorum.

schwersten Felonien, mit Ausnahme des Hochverrats gegen die Person des Königs Anwendung fand, seit der Zeit der Tudors der Kreis der davon durch Gesetzgebung ausgenommenen Verbrechen immer größer wurde, daß aber erst im neunzehnten Jahrhundert die letzten Spuren dieser merkwürdigen Institution als historische Antiquitäten beseitigt worden sind 1 ). ') Durch Akte 7/8 Geo 4 c. 8. Näheres bei S t e p h e n I 462 ff.

l>rnck von C. Schulze & Co., G. m. b. H., Gräienhainichen.